Organisation und Verfahren im Recht der Industrie- und Handelskammern: Eine interdisziplinäre Studie unter Berücksichtigung organisationssoziologischer Einsichten [1 ed.] 9783428586554, 9783428186556

Die IHK verfügt als Teil der sog. funktionalen Selbstverwaltung über eine Tradition, die das Deutsche Kaiserreich überda

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German Pages 548 [549] Year 2023

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Organisation und Verfahren im Recht der Industrie- und Handelskammern: Eine interdisziplinäre Studie unter Berücksichtigung organisationssoziologischer Einsichten [1 ed.]
 9783428586554, 9783428186556

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1489

Organisation und Verfahren im Recht der Industrie- und Handelskammern Eine interdisziplinäre Studie unter Berücksichtigung organisationssoziologischer Einsichten

Von Christian Karl Petersen

Duncker & Humblot · Berlin

CHRISTIAN KARL PETERSEN

Organisation und Verfahren im Recht der Industrie- und Handelskammern

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1489

Organisation und Verfahren im Recht der Industrie- und Handelskammern Eine interdisziplinäre Studie unter Berücksichtigung organisationssoziologischer Einsichten

Von

Christian Karl Petersen

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Christian-Albrechts-Universität Kiel hat diese Arbeit im Jahr 2021 als Dissertation angenommen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Satz: Textfoma(r)t Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI Book GmbH, Leck Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-18655-6 (Print) ISBN 978-3-428-58655-4 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2021/2022 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung erfolgte eine geringfügige Überarbeitung. Zugleich konnten Rechtsprechung und Literatur bis einschließlich Februar 2022 berücksichtigt werden. Die seit dem 7. August 2021 gültige Gesetzeslage hat Eingang in die Druckfassung gefunden, indem ich die Änderungen unter der Überschrift F. V. erläuternd an meinen Ergebnissen gespiegelt habe. Die Industrie- und Handelskammer verfügt über eine Tradition, die das Deutsche Kaiserreich überdauert. Sie ist schon deshalb kein institutionelles Leichtgewicht. Ihr Wort hat Bedeutung, wenn es gilt, die wirtschaftspolitischen Entschließungen des Staates durch die berufsmäßige Erfahrung der Gewerbetreibenden zu unterstützen. Der gute Ruf speist sich mit einiger Berechtigung aus der Sachkunde, den die Organisation zu aggregieren imstande ist. Dies alles darf weder gegen Kritik noch Reformen immunisieren. Der abstrakt positive Leumund gerät in Bedrängnis, wenn man Recht und Realität aufeinander bezieht, Pfadabhängigkeiten in Rechnung stellt, den Ursprüngen verwaltungsgerichtlicher Verfahren nachspürt, dominierende Erzählungen im juristischen Diskurs auf ihre Überzeugungskraft hin abklopft und Anfragen betreffend die Funktionalität von Pflichtverbänden nicht nur mit Verweisen über den Inhalt der „ständigen Rechtsprechung“ und „herrschenden Meinung“ begegnet. An dieser Stelle tritt der wissenschaftliche Freiraum beträchtlichen Umfangs auf den Plan, den mein Doktorvater, Herr Prof. Dr. Christoph Brüning, mir bei Entstehung dieser Arbeit gewährte. Für entscheidende Anregungen und Hinweise sei ihm auch an dieser Stelle gedankt. Herrn Prof. Dr. Florian Becker, LL. M. (Cambridge) danke ich für die Übernahme und zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Für die Gewährung einer großzügigen Druckkostenbeihilfe bedanke ich mich bei der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung. Die Danksagung bliebe unvollkommen, ohne jene Menschen zu erwähnen, die im Privaten zum Gelingen der Promotionsjahre beitrugen. Meine Familie und eine Person, die sich auch ohne namentliche Nennung angesprochen fühlt, boten Rückhalt und Energie, vielfältige Hilfe, glückliche Momente und verzichteten auf einiges. Sie sind herauszuheben. Ihnen danke ich von Herzen. Denn sie wussten über Jahre nicht, woran ich schrieb und vermittelten mir dennoch, dass ich das Projekt aus zuversichtlicher Perspektive betrachten und auf meine Fähigkeiten vertrauen könne. Als Dank für jegliche, über die Promotionszeit hinausreichende Unterstützung kann ich nicht anders, als dieses Buch meinen Eltern zu widmen. Kiel, im März 2022

Christian Karl Petersen

Inhaltsverzeichnis A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 B. Entstehungsgeschichte der gegenwärtigen Organisationsform . . . . . . . . . . . . . . . 29 I.

Die Entstehung der preußischen Handelskammern (1800–1848) . . . . . . . . . . . . 29

II. Verordnung über die Errichtung von Handelskammern. Vom 11. Februar 1848 32 III. Gesetz über die Handelskammern. Vom 24. Februar 1870 . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 IV. Weiterentwicklung ab 1897 – Pervertierung zwischen 1933 und 1945 . . . . . . . 35 V. Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 VI. Die Entstehung des IHKG – Zu der Idee paritätisch besetzter Wirtschaftskammern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 C. Der Auftrag gewerbliche Interessenrepräsentanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 I.

Der rechtshistorisch angeleitete Sinn- und Zweckgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 1. Die Aufgabenverantwortung der Handelskammern als institutionelles Arrangement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2. Pflichtmitgliedschaft und Gesamtinteresse als Bestandteile des institutionellen Arrangements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 3. Die kaufmännischen Korporationen als nachteilige Organisationsform . . . . 48 4. Zwischenfazit: Die Pflichtmitgliedschaft als Rechtsbegünstigung? . . . . . . . 49 5. Sinn- und Zweckgehalt von § 1 Abs. 1 IHKG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 6. Das gewerbepolitische Mandat im Kontext gegenwärtiger Politikberatung . 51 7. Unterstützung, Beratung und Interessenrepräsentanz als Hauptaufgabe . . . . 52 a) Betonung oder Trennung der Funktionen – Demokratische Entscheidungsfindung und wirtschaftliche Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 b) Vereinheitlichung der Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

II. Typik interessenrepräsentierender Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 1. Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2. Eigeninitiative und Handeln auf Nachfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 3. Instrumente und Handlungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 4. Interessenrepräsentanz in Gegnerschaft zu organisierten Interessen . . . . . . . 63 5. Atypische Sachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

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Inhaltsverzeichnis III. Rechtsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 1. Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 a) Interessenrepräsentanz als legitime öffentliche Aufgabe . . . . . . . . . . . . . 65 aa) Grundlagen des Staatsaufgabendiskurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 bb) Konrad Redeker: Interessenrepräsentanz als rein gesellschaftliche Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 cc) Legitime öffentliche Aufgaben als verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 dd) Interessenrepräsentanz als Teilhabe an der Staatsaufgabe Wirtschaftsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 b) Verfassungsrechtlicher Schutz frei gebildeter Interessenvertretungen . . . 69 aa) Die grundrechtsrelevante Privilegierung der interessenvertretenden Körperschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 bb) Maßgaben des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 c) Verletzung der negativen Meinungsfreiheit durch konfligierende Interessenstandpunkte der Kammerzugehörigen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 d) Schutz des freien Verbandswesens durch verfassungskonforme Auslegung der Aufgabe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 e) Die Vereinbarkeit der Pflichtmitgliedschaft in der IHK mit höherrangigem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 aa) Bestimmung des entscheidungserheblichen Grundrechts . . . . . . . . . 76 bb) Pflichtmitgliedschaft als ausschließliche Erweiterung des Rechts­ kreises? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 cc) Kritik an der Rechtsprechung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 (1) Vernachlässigung von verfassungs- oder rechtsvergleichenden Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 (2) Überbetonung der Trittbrettfahrer-Problematik (Logik kollektiven Handelns) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 dd) Grundfreiheiten, Grundrechte-Charta der EU und EMRK . . . . . . . . 88 ee) Die Grundrechte der Kammerzugehörigen als Fundament eines öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 (1) Begründung des mitgliedschaftlichen Unterlassungsanspruchs . 91 (2) Der Austrittsanspruch aus der Dachvereinigung als besondere Ausprägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 (a) Begründung des Anspruchs (BVerwGE 154, 296) . . . . . . . . 94 (b) Novum oder „alter Wein in neuen Schläuchen“? . . . . . . . . . 96 (c) Der Austrittsanspruch gegen den DIHK . . . . . . . . . . . . . . . . 97 (d) Reaktionen des DIHK und der weitere Gang des Verfahrens 98 (e) Verpflichtung zum Austritt aus dem DIHK (BVerwGE 169, 375) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

Inhaltsverzeichnis

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(3) Der Unterlassungsanspruch als „Kompensation“ für die Pflichtmitgliedschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 f) Grenzen staatlicher Öffentlichkeitsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 aa) Beschreibung der besonderen Problemlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 bb) Leitlinien des BVerfG: Die Beschlüsse „Glykol“ und „Osho“ . . . . . 106 cc) Notwendigkeit der sachlichen, richtigen, objektiven und vollständigen Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 dd) Schlussfolgerungen für die Verwaltungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 (1) Sachlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 (2) Richtigkeit, Objektivität und Vollständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 112 g) Pflichtmitgliedschaftliche Verfassung – Schutz vor institutioneller Majorisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 h) Die Lehre von der gesellschaftlichen Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . 116 2. IHKG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 a) Verbandskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 aa) Kein allgemeinpolitisches Mandat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 bb) Inhalt des gewerbepolitischen Mandats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 cc) Das gewerbepolitische Mandat im Spiegel der Rechtsprechung . . . . 123 b) Regionale Gebundenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 c) Verkürzung des Mandats durch § 1 Abs. 5 IHKG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 aa) Rechtstheoretische Erläuterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 bb) Das Verständnis der Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 cc) Das Verständnis der Verwaltungsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 dd) Eigener Standpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 d) Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 aa) Sachlichkeit und Objektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 bb) Die Formgebote im Spiegel der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . 132 e) Zurechnung von Interessenäußerungen zur öffentlich-rechtlichen Sphäre 134 IV. § 1 Abs. 1 IHKG – Eine abschließende Normanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 1. Stand der Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 2. Weitgehende Unvereinbarkeit mit vergangenen und gegenwärtigen Gesetzesstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 3. Kollektivbegriff, Relativität und Ausfüllungsbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . 141 4. Der Interesseterminus als Herausforderung für die Rechtsmethodik . . . . . . . 143 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146

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Inhaltsverzeichnis

D. Analyserahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 I.

Organisationssoziologische Einsichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 1. Organisationsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 2. Organisationsforschung und Organisationssoziologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 3. Organisationsbegriff und Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 4. Organisationen, Kommunikationskanäle und die Unmöglichkeit eines lang­ lebigen Designs – „Exit, Voice, and Loyalty“ (Albert O. Hirschman) . . . . . . 151 a) Rekonstruktion des Arguments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 aa) Einleitung und Überblick über die bisher vertretenen Lehrmeinungen, 1. Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 bb) Abwanderung, 2. Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 cc) Widerspruch, 3. Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 dd) Eine besondere Schwierigkeit bei der Verbindung von Abwanderung und Widerspruch, 4. Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 ee) Wie Monopole aus der Konkurrenz Nutzen ziehen können, 5. Kapitel 162 ff) Eine Theorie der Loyalität, 7. Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 gg) Das Problem der optimalen Mischung von Abwanderung und Widerspruch, 9. Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 hh) Reflexive Betrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 b) Rezeption und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 c) Eigene Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 5. Organisationen und Oligarchie  – „Soziologie des Parteiwesens“ (Robert ­Michels) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 a) Rekonstruktion des Arguments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 b) Rezeption, Kritik und notwendige Modifizierungen . . . . . . . . . . . . . . . . 175 6. Pflichtverbände und Oligarchisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 a) Verknüpfung von Zweck- und Motivationsstruktur bei freiwilligen Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 b) Trennung von Zweck- und Motivationsstruktur bei Pflichtverbänden . . . 179 7. Organisatorischer Zielkonflikt – Staat und organisierte Interessen . . . . . . . . 181 8. Schlussfolgerungen für die juristische Diskussion – Methodik der Studie . . 185 a) Strategien zur Vereinbarkeit von Recht und Realität . . . . . . . . . . . . . . . . 186 b) Eine lebendige Organisationskultur kann nicht verordnet werden . . . . . . 188

II. Integration der organisationssoziologischen Einsichten in juristische Kategorien 190 1. Maßgebliche Begriffe des Verwaltungsorganisationsrechts . . . . . . . . . . . . . . 192 2. Das Kollegialprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 III. Der Grundsatz funktionsgerechter Organisationsstruktur  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196

Inhaltsverzeichnis

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1. Materieller Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 2. In der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 3. Als verfassungsrechtlicher Kontrollmaßstab? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 4. Optimierungsgebot für effektive, effiziente, konsistente, rationale und resiliente Entscheidungsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 IV. Demokratieprinzip und funktionale Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 1. Funktionale Selbstverwaltung – Begriff, Typik und Differenzierungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 2. Bedeutungsschichten des Selbstverwaltungsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 3. Das Selbstverwaltungsprinzip bei den interessenvertretenden Körperschaften 211 4. Vereinbarkeit von funktionaler Selbstverwaltung und Demokratieprinzip . . 213 a) Funktionale Selbstverwaltung ist Verwaltung im Sinne des Grundgesetzes 215 b) Auflösung des Konflikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 aa) Drei Strategien über die Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip . 217 bb) Die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 107, 59) . 219 cc) Anwendung auf die IHK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 c) Demokratieprinzip als Optimierungsgebot: Der Grundsatz innerorganisatorischer Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 V. Parlamentsvorbehalt und funktionale Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 1. Parlamentsvorbehalt als Delegationsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 2. Regelungspflichten des Parlaments und Satzungsautonomie im Zwiespalt . 225 3. Was ist wesentlich für die funktionale Selbstverwaltung? . . . . . . . . . . . . . . . 227 a) Indikatoren zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts . 228 b) Auffassungen über die zutreffende Verteilung der Rechtsetzungsbefugnis 229 c) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 4. Eigene Erwägungen unter besonderer Berücksichtigung des IHK-Rechts . . 232 a) Schutz von Minderheiten, fehlende Exit-Option und Überbetonung der Satzungsautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 b) Füllung der Leerstellen mit Mustertexten als Rechtsproblem  – Anker­ effekt und Framing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 c) Erfordert das Selbstverwaltungsrecht der IHK eine weitreichende Delegation der Regelungsbefugnis? Zum verfassungsrechtlichen Schutz der IHK 238 d) Zwischenfazit und Plädoyer für eine Wiederentdeckung des Gesetzgebers 241 VI. Vorrang des Gesetzes, Normkollisionen und Fehlerfolge bei Satzungen . . . . . . 242

12

Inhaltsverzeichnis

E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda . . . . . . 244 I.

Die Wahl zur Vollversammlung und die Repräsentationsidee in der IHK . . . . . . 244 1. Grundlagen der Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 a) Die Gruppenwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 b) Beispielhafte Ausgestaltung der Gruppenwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 c) Vereinbarkeit mit dem Grundsatz allgemeiner Wahlrechtsgleichheit . . . . 253 d) Zwischenfazit: Notwendigkeit einer fortlaufenden Prüf- und Änderungspflicht für das Wahlverfahren der IHK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 2. Die mittelbare Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 a) Unterscheidung von vier Konstellationen der mittelbaren Wahl . . . . . . . 257 b) Die Zuwahl als Rechtsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 aa) Rechtmäßigkeit der Zuwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 (1) Stimmen über die Rechtmäßigkeit der Zuwahl . . . . . . . . . . . . . . 260 (2) Zuwahl aufgrund der Reputation des Zuzuwählenden? . . . . . . . 263 bb) Kritik und eigene Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 (1) Unvereinbarkeit der Rechtsprechung mit den Maßstäben juristischer Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 (2) Demokratisches Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 (3) Parlamentsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 (4) Gleichzeitigkeit von unmittelbarer Wahl und Zuwahl . . . . . . . . . 268 (5) Organisationssoziologische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 c) Rechtmäßigkeit der mittelbaren Nachfolgewahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 3. Friedenswahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 a) Erscheinungsformen und Fragwürdigkeit der Terminologie . . . . . . . . . . 272 b) Friedenswahlen in der IHK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 c) Rechtmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 aa) Vereinbarkeit mit dem Wortlaut von § 5 IHKG . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 bb) Vereinbarkeit mit dem Grundsatz innerorganisatorischer Demokratie 275 cc) Auseinandersetzung mit den Meinungen über die Zulässigkeit der Friedenswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 d) Schlussfolgerungen für das Wahlrecht de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 4. Rechtsfolgen der Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 a) Mitgliederzahl der Vollversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 b) Dauer der Wahlperiode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 c) Repräsentationsaufgabe und umfassende Mitwirkungsrechte . . . . . . . . . 282 d) Ehrenamtliche Tätigkeit, verordnetes Stillschweigen und Teilnahmepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285

Inhaltsverzeichnis

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5. Das Desinteresse an den Wahlen zur Vollversammlung – Ursachen und Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 a) Grundsätzliche Eignung interessendisparater Organisationen zur Stimulanz des Wahlrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 b) Vorzugswürdige Ausgestaltung der Wahl in Systemen organisierter Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 aa) Minderheitenbegünstigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 bb) Wahlketten, Zuwahl, Selbstvorschlag und Anzahl der Wahlgruppen . 294 cc) Online-Wahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 c) Unmöglichkeit einer isolierten Betrachtung des Wahlsystems . . . . . . . . . 296 II. Die Vollversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 1. Entscheidungskontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 a) Vorsitz de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 b) Sitzungsfrequenz de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 c) Einberufung, Fristen, Aufstellung der Tagesordnung und Antragsrecht zur Tagesordnung de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 d) Erzwingen außerordentlicher Sitzungen de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . 304 e) Schriftliche und elektronische Verfahrensweisen de lege lata . . . . . . . . . 305 f) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 aa) Sitzungsfrequenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 bb) Mitteilung der Termine, Mindestladungsfrist und Qualität der Ein­ ladung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 cc) Tagesordnung, Antragsrecht und Nachschieben von Tagesordnungspunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 dd) Erzwingen außerordentlicher Sitzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 ee) Schriftliche und elektronische Verfahrensmodi . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 2. Entscheidungsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 a) Beschlussfähigkeit de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 b) Hilfsbeschlussfähigkeit und Eventualeinladung de lege lata . . . . . . . . . . 318 c) Mehrheit de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 d) Form der Stimmabgabe de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 e) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 aa) Beschlussfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 bb) Hilfsbeschlussfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 cc) Majorität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 dd) Suspensives Vetorecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 ee) Dirimierungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 ff) Form der Stimmabgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 III. Der Präsident und das Präsidium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337

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Inhaltsverzeichnis 1. Mitgliederzahl des Präsidiums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 2. Zusammensetzung des Präsidiums – (Einschränkungen der) Wählbarkeit . . 341 3. Amtszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 4. Abwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 a) Stand der Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 b) Wahl und Abwahl als Bestandteile der Kreations- und Kontrollfunktion der Vollversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 c) Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 5. Kontinuität der Organbesetzungen, Wegfall der Wählbarkeit und vorzeitiger Rückzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 6. Der Präsident als Vorsitzender der ehrenamtlichen Organe, Sprecher der gewerblichen Wirtschaft sowie Inhaber von Ordnungsgewalt und Hausrecht . . 358 7. Entscheidungsfindung im Präsidium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 IV. Der Hauptgeschäftsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 1. Eigengesetzlichkeiten der Bestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 2. Festlegung des Gehalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 3. Monokratisch verfasstes Direktionsorgan mit Vertretungsmacht . . . . . . . . . . 372 4. „Quasi-Rechtsaufsicht“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 5. Stellung im organisatorischen Gesamtgefüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 6. Abberufung de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 7. Abberufung de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 8. Verhütung von Phänomen einer Verwaltungsherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 9. Implikationen für den Dienstvertrag und die Einordnung als Verwaltungsakt 386 V. Abbildung der Aufgabe Interessenrepräsentanz im Binnenrecht . . . . . . . . . . . . 388 1. Was ist das Gesamtinteresse im Sinne von § 1 Abs. 1 IHKG? . . . . . . . . . . . . 388 2. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 a) Ermittlung des Gesamtinteresses zwischen repräsentativen und responsiven Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 b) Responsivität im Rahmen der Aufgabe Interessenrepräsentanz? . . . . . . . 393 c) Notwendiger Zusammenhang zwischen der Repräsentationsidee und der Aufgabe Interessenrepräsentanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 d) Zum Verhältnis zwischen Gesamt- und Minderheitsinteressen . . . . . . . . 397 aa) Die Berücksichtigung von Minderheitsinteressen in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 bb) Die Aufgabe Interessenrepräsentanz fordert eine repräsentative Beratung 400 cc) Medialisierung und Kult der Einigkeit als Gesetzeszweck? . . . . . . . 403

Inhaltsverzeichnis

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3. Kompetenzallokation in der IHK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 a) Grundsatz: Allzuständigkeit der Vollversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 b) Rechtslage: Abweichende Verteilung zugunsten des Präsidiums . . . . . . . 406 c) „Weiche“ Faktoren und Annexkompetenz für die Vertretung in anderen Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 d) Wie viel Delegation ist zulässig? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 aa) BVerwG und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 bb) Konflikt mit dem Grundsatz funktionsgerechter Organisationsstruktur 414 cc) Legale Selbstentmächtigung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 dd) Ergebnis und Kritik: Notwendigkeit der tatsächlichen Lenkung der Selbstverwaltungskörperschaft durch die Vollversammlung . . . . . . . 417 ee) Der Hauptgeschäftsführer als Empfänger delegierter Kompetenzen? 419 ff) Die Ausschüsse als Empfänger delegierter Kompetenzen? . . . . . . . . 422 (1) Ausschüsse als nach innen wirkende Beratungsgremien . . . . . . 422 (2) Die Regionalausschüsse der bayerischen Kammern . . . . . . . . . . 425 4. Rechtsfolgen bei Verletzung des Binnenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 VI. Kontrolle und andere Formen „guter“ Verwaltungsorganisation . . . . . . . . . . . . . 428 1. Die Staatsaufsicht: Die Kontrollbeziehung Staat – Organisation . . . . . . . . . . 428 a) Staatsaufsicht als Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 b) Staatsaufsicht de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 c) Verhältnis zum Individualrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 d) Gebietet die Aufgabe Interessenrepräsentanz einen Maßstab äußerster Zurückhaltung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 e) Verwaltungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 2. Die Interorgankontrolle – Ausprägungen eines organisationsinternen checks and balances . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 – 3. Der Unterlassungsanspruch: Die Kontrollbeziehung Kammerzugehörige   Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 4. Interessenkollision und Befangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 a) Grundlagen der Befangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 b) Befangenheit de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 c) Befangenheit in der IHK? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 d) Notwendigkeit einer Regelung im Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 e) Befangenheit und die Aufgabe Interessenrepräsentanz . . . . . . . . . . . . . . 446 f) Overlapping leadership und Wahrnehmung des Gesamtinteresses . . . . . 448 5. Transparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 a) Ideen- und Funktionsgeschichte staatlicher Transparenz . . . . . . . . . . . . . 453 b) Organisationsinterne Transparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455

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Inhaltsverzeichnis c) Transparenz de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 d) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 6. Informationsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 a) Informationsrechte de lege lata (BVerwGE 120, 255) . . . . . . . . . . . . . . . 469 b) Trennung von Organ und Organmitglied als unzulässige Prozessstandschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 c) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 VII. Vorschlag de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475

F. Dachvereinigungen    . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 I.

Typik der Assoziationen höherer Ordnung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480

II. Die Erfassung der Dachvereinigungen mit den Mitteln des Rechts . . . . . . . . . . 484 III. Öffentlich-rechtliche Spitzenorganisationen als Antwort auf das Rechtsproblem? 488 IV. Dachvereinigungen im Angesicht einer sich diversifizierenden Wirtschaft . . . . 489 V. Das IHKG n. F. nach dem Gesetz vom 7. August 2021 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 G. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545

Abkürzungsverzeichnis a. A. andere Ansicht Abs. Absatz AcP Archiv für die civilistische Praxis a. E. am Ende AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Fassung des am 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Vertrages von Lissabon (ABl. C 115 47) a. F. alter Fassung AGG Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz vom 14. August 2006 (BGBl. I S. 1897), zuletzt geändert durch Artikel 8 des Gesetzes vom 3. April 2013 (BGBl. I S. 610) AHK Auslandshandelskammer AktG Aktiengesetz vom 6. September 1965 (BGBl. I S. 1089), zuletzt geändert durch Artikel 15 des Gesetzes vom 22. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3256) AO Abgabenordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Oktober 2002 (BGBl. I S. 3866; 2003 I S. 61), zuletzt geändert durch Artikel 28 des Gesetzes vom 21. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3096) AöR Archiv des öffentlichen Rechts APuZ Aus Politik und Zeitgeschichte ARSP Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Art. Artikel Aufl. Auflage BAG Bundesarbeitsgericht BauGB Baugesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. November 2017 (BGBl. I S. 3634), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 8. August 2020 (BGBl. I S. 1728) Bay Bayern BayVBl Bayerische Verwaltungsblätter Der Betriebs-Berater BB BBiG Berufsbildungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. Mai 2020 (BGBl. I S. 920) Bd. Band BDA Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände BDI Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. Begr. Begründer Beschl. Beschluss BGB Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), zuletzt geändert durch Artikel 13 des Gesetzes vom 22. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3256) BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BIHK Bayerischer Industrie- und Handelskammertag e. V.

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Abkürzungsverzeichnis

Bundesministerium für Wirtschaft und Energie BMWi BRAK Bundesrechtsanwaltskammer Bundesrechtsanwaltsordnung vom 1. August 1958 (BGBl. III, Nr. 303–8), zuBRAO letzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 22. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3320) BR-Drs. Bundesratsdrucksache BSG Bundessozialgericht Amtliche Entscheidungssammlung des Bundessozialgerichts BSGE bspw. beispielswiese BT-Drs. Bundestagsdrucksache BVerfG Bundesverfassungsgericht Amtliche Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE BVerwG Bundesverwaltungsgericht Amtliche Entscheidungssammlung des Bundesverwaltungsgerichts BVerwGE BW Baden-Württemberg bzgl. bezüglich bzw. beziehungsweise Christlich Demokratische Union Deutschlands CDU Christlich-Soziale Union in Bayern e. V. CSU Deutsche Demokratische Republik DDR ders. Derselbe Deutscher Gewerkschaftsbund DGB das heißt d. h. Deutscher Handwerkskammertag DHKT Allgemeiner Deutscher Handelstag (bis 1981, danach DIHT) DHT dies. Dieselbe Deutscher Industrie- und Handelskammertag (seit 2001, davor DIHT) DIHK Deutscher Industrie- und Handelstag (bis 2001, danach DIHK) DIHT Deutsche Mark DM DÖV Die öffentliche Verwaltung Deutsche Partei DP Deutsches Verwaltungsblatt DVBl ebd. ebenda Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EGMR EL Ergänzungslieferung Europäische Menschenrechtskonvention EMRK et cetera etc. Europäischer Gerichtshof EuGH eingetragener Verein e. V. folgende / fortfolgende f. / ff. Frankfurter Allgemeine Zeitung FAZ Freie Demokratische Partei FDP FG Festgabe Fn. Fußnote FS Festschrift gem. gemäß GemO Gemeindeordnung GewArch Gewerbearchiv

Abkürzungsverzeichnis

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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (BGBl. III, Nr. 100–1), zuletzt geändert durch Artikel 1 u. 2 Satz 2 des Gesetzes vom 29. September 2020 (BGBl. I S. 2048) ggf. gegebenenfalls Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien, Stand: 22. Januar GGO 2020 Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbH Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages in der Fassung der BekanntGOBT machung vom 2. Juli 1980 (BGBl. I S. 1237), zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 17. Dezember 2020 (BGBl. I 2021 S. 97) Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 12. Dezember 2007 GrCH (ABl. C 303 S. 1), Inkrafttreten am 1. Dezember 2009 Grundlagen des Verwaltungsrechts GrVwR Gedächtnisschrift / Gedenkschrift GS Handbuch des Staatsrechts HbdStR Handbuch des Kammerrechts HbKR Hervorh. i. O. Hervorhebung (wie) im Original Hervorh. n. h. Hervorhebungen nur hier Handelsgesetzbuch in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer HGB 4100–1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 14 des Gesetzes vom 22. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3256) Handbuch der Grundrechte HGR Hansestadt Hamburg HH HK Handelskammer Herausgeber / Herausgeberin Hrsg. Handwerkskammer / n HwK Handwerksordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 24. September HwO 1998 (BGBl. I S. 3074; 2006 I S. 2095), zuletzt geändert durch Artikel 21 des Gesetzes vom 22. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3256) i. d. F. v. in der Fassung vom im engen / engeren Sinn / e i. e. S. Infektionsschutzgesetz vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), zuletzt geändert IfSG durch Artikel 4a des Gesetzes vom 21. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3136) Industrie- und Handelskammer / n IHK Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und HandelskamIHKG mern vom 18. Dezember 1956 (BGBl. III, Nr. 701–1), zuletzt geändert durch Artikel 19 des Gesetzes vom 22. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3256) Gesetz über die vorläufige Regelung der Rechtsverhältnisse der HandelsIHKG-HH kammer Hamburg vom 27. Februar 1956 (Sammlung des bereinigten hamburgischen Landesrechts I 70-a), zuletzt geändert am 1. September 2005 (HmbGVBl. S. 377, 380) Niedersächsisches Ausführungsgesetz zum Gesetz zur vorläufigen Regelung des IHKG-Nds Rechts der Industrie- und Handelskammern vom 9. Mai 2012 (Nds.GVBl. S. 98) IHKG-NRW Gesetz über die Industrie- und Handelskammern im Lande Nordrhein-Westfalen vom 23. Juli 1957, zuletzt geändert durch Artikel 6 des Gesetzes vom 22. März 2018 (GV. NRW. S. 172) IHKG-SH Gesetz über die Industrie- und Handelskammern in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. August 1897 in der Fassung der Sammlung des schleswigGG

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holsteinischen Landesrechts mit Stand vom 31. Dezember 1971, GS Schl.-H. II, Gl.Nr. 300–1 Thüringer Ausführungsgesetz zum Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts IHKG-TH der Industrie- und Handelskammern vom 7. Dezember 1993 (GVBl. S. 757), zuletzt geändert durch Art. 1 Erstes ÄndG vom 4. April 2019 (GVBl. S. 61) i. H. v. in Höhe von insbes. insbesondere im Sinne des / der i. S. d. in Verbindung mit i. V. m. Juristische Arbeitsblätter JA Jahrbuch des Kammer- und Berufsrechts JbKBR Jahrbuch des Kammerrechts JbKR Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart JöR Juristische Rundschau JR Juristische Ausbildung JURA Juristische Schulung JuS JZ Juristenzeitung KommJur Kommunaljurist Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft KritV lit. Buchstabe LRH Landesrechnungshof LT-Drs. Landtagsdrucksache LVerf Landesverfassung mit Fußnote m. Fn. Mio. Millionen mit weiteren Nachweisen m. w. N. Nds Niedersachen neuer Fassung n. F. Neue Juristische Wochenschrift NJW Nr. Nummer NRW Nordrhein-Westfalen NS Nationalsozialismus Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NVwZ Neue Zeitschrift für Sozialrecht NZS oder Ähnlichem o. Ä. Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft ORDO OVG Oberverwaltungsgericht PrHKG 1870 Gesetz über die Handelskammern. Vom 24. Februar 1870., Gesetzsammlung für die Königlich-Preußischen Staaten 1870, 134–140 PrHKG 1897 Gesetz über die Handelskammern. Vom 24. Februar 1870 in der Fassung des Gesetzes vom 19. August 1897., Gesetzsammlung für die Königlich-Preußischen Staaten 1897, 355–366 PrHKVO 1848 Verordnung über die Errichtung von Handelskammern. Vom 11. Februar 1848., Gesetzsammlung für die Königlich-Preußischen Staaten 1848, 63–68 (Königlich-)Preußisches Oberverwaltungsgericht PrOVG Amtliche Entscheidungssammlung des (Königlich-)Preußischen Oberver­ PrOVGE waltungsgerichts Rlp Rheinland-Pfalz Randnummer / n Rn.

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Jahrbuch Recht und Ökonomik des Dritten Sektors RÖDS Rechtswissenschaft – Zeitschrift für rechtswissenschaftliche Forschung RW Satz / Seite S. Saar Saarland Sachs Sachsen SAPD Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands SGB Sozialgesetzbuch SH Schleswig-Holstein sogenannt / e sog. Sozialdemokratische Partei Deutschlands SPD Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 StGB (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch Artikel 47 des Gesetzes vom 21. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3096) Süddeutsche Zeitung SZ taz, die tageszeitung taz TH Thüringen tw. teilweise unter anderem u. a. Unterlassungsklagengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. AuUKlaG gust 2002 (BGBl. I S. 3422, 4346), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 26. November 2020 (BGBl. I S. 2568) Urt. Urteil Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb in der Fassung der BekanntmaUWG chung vom 3. März 2010 (BGBl. I S. 254), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 26. November 2020 (BGBl. I S. 2568) von / vom v. VerwArch Verwaltungsarchiv VG Verwaltungsgericht VGH Verwaltungsgerichtshof VVDStRL Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom VwGO 19. März 1991 (BGBl. I S. 686), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 3. Dezember 2020 (BGBl. I S. 2694) Verwaltungsverfahrensgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom VwVfG 23. Januar 2003 (BGBl. I S. 102), zuletzt geändert durch Artikel 5 Absatz 25 des Gesetzes vom 21. Juni 2019 (BGBl. I S. 846) Wirtschaft und Verwaltung WiVerw Weimarer Reichsverfassung WRV zum Beispiel z. B. Zentralverband des Deutschen Handwerks ZDH Zeitschrift für Rechtssoziologie ZfRSoz Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht ZGR Zeitschrift für Parlamentsfragen ZParl Zivilprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Dezember ZPO 2005 (BGBl. I S. 3202; 2006 I S. 431; 2007 I S. 1781), zuletzt geändert durch Artikel 8 des Gesetzes vom 25. Juni 2021 (BGBl. I S. 2099) Zeitschrift für Politikwissenschaft ZPol Zeitschrift für Rechtspolitik ZRP

A. Einführung Das Zeitalter einer grassierenden Kammer-Euphorie gehört womöglich der Vergangenheit an. Dies belegen etwa die Vorgänge, die sich im Rahmen der Einrichtung von Pflegekammern abspielten: Wankelmütige Landesgesetzgeber durchleuchteten die Sinnhaftigkeit eines Kammermodells, deren Einführung sie teilweise selbst beschlossen hatten, und trafen dabei auf eine verbreitete Skepsis unter den Berufsangehörigen.1 Die Verwaltungsrechtswissenschaft rezipiert derartige Diskussionsverläufe bisher kaum. Die publizistischen Ergebnisse bewegen sich seit mehreren Jahrzehnten im Rahmen der Deutungshoheit. Ganz mehrheitlich2 wird der Kammeridee mindestens ein pauschales Zeugnis der Unbedenklichkeit ausgestellt. Es heißt etwa, die Industrie- und Handelskammer3 sei der „ideale Mittler“ zwischen Staat und Wirtschaft.4 Es soll sich um eine Organisationsform handeln, die „moderner als jeder Konzern“ sei.5 In die euphorische Stimmung fügt sich das Nachdenken über die Gründung neuer Einrichtungen dieses Verwaltungstypus nahtlos ein. So wurde etwa vor dem Hintergrund „breiter gesellschaftlicher Akzeptanz“ die

1

Das Land Niedersachsen hat Mitte 2020 eine Befragung unter den Angehörigen der Pflege­ kammer durchgeführt. 70,6 % der Teilnehmer stimmten gegen den Fortbestand der Kammer. Daraufhin hat die Landesregierung am 29. Dezember 2020 den Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Auflösung der Pflegekammer dem Landtag übersandt (LT-Drs. 18/8244). Die regierungstragenden Fraktionen im Schleswig-Holsteinischen Landtag haben am 19. Mai 2021 den Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Auflösung der Pflegeberufekammer vorgelegt (LT-Drs. 19/2987). Dass die Pflegekammer NRW schon vor der Errichtung auf virulente Organisationsprobleme stößt, belegt ein Dokument der regierungstragenden Fraktionen vom 14. Dezember 2021 (Drs. 17/16020). Es erklärt das überwiegende Desinteresse der Berufsangehörigen an der Kammer mit der „aktuellen pandemischen Lage“. Die bis Juli 2027 verlängerte Anschubfinanzierung (§ 6 Abs. 4 S. 1 Heilberufsgesetz NRW) soll die Pflegenden dazu motivieren, die Registrierung vorzunehmen. Die Wahl zur konstituierenden Kammerversammlung wurde bis Dezember 2022 aufgeschoben (§ 116 Abs. 1 S. 1 Heilberufsgesetz NRW). 2 Nur Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht – Allgemeiner Teil, 1990, S. 406 konstatierte eine „praktische[n] Bedeutungslosigkeit“ der IHK. 3 Wenngleich die Handelskammern Bremen und Hamburg berechtigt sind, ihre Bezeichnung weiterzuführen (§ 13 IHKG), sind sie im Folgenden mitgemeint, wenn von einer „IHK“ die Rede ist. Darüber hinaus wird regelmäßig aus Gründen der Vereinfachung auf die Nennung des satzungsgemäßen Namens des IHK-Bezirks verzichtet und lediglich auf den Sitz des Verwaltungsträgers abgestellt. 4 Stober, Die IHK als Mittler zwischen Staat und Wirtschaft, 1992, S. 113 ff. 5 Mit dem Ausspruch, den Jesse / Decher, GewArch 2017, 188 (189) wiedergeben, nahm Stephan Wernicke Bezug auf die Einrichtungen der funktionalen Selbstverwaltung insgesamt.

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Gründung einer Journalisten- oder Heilpraktikerkammer angeregt.6 Die Verkammerung bilde, so heißt es an anderer Stelle, zusammen mit einem modernen Berufsrecht eine „ausgezeichnete Basis für die Gestaltung und Beaufsichtigung gemeinwohlaffiner Berufsfelder“.7 Dass die existenten Kammern als Empfänger zusätzlicher Aufgaben in Stellung gebracht werden,8 bildet die Vorstufe zu diesen Bekundungen. Speziell das Organisationsrecht der bestehenden Verwaltungstypen gerät selten in den Mittelpunkt der Betrachtung.9 Die Vereinbarkeit der Binnenverfassung mit den verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen für die Demokratie oder den Rechtsstaat wird häufig als gegeben unterstellt und in der Folge nicht näher, allenfalls pauschal behandelt. So wird ohne große Umschweife festgestellt, dass Körperschaften „Mikrodemokratien“ seien,10 oder insinuiert, dass Selbstverwaltungsträger als „Schule der Demokratie“ dienten.11 Die funktionale Selbstverwaltung solle sich „nahtlos“ in das Konzept eines Aufbaus der Demokratie von unten nach oben einfügen.12 Selbst Eberhard Schmidt-Aßmann, der ansonsten profunde 6 Zitate und Vorschläge bei Stober, GewArch 1996, 184 (188); Tettinger, DÖV 1995, 169 (174). S. ferner Kriele, ZRP 1990, 109–117; Ory, ZRP 1990, 289–291. 7 Kluth, Kammerrecht, in: Schulte / Kloos (Hg.), Handbuch Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 7 Rn. 162. 8 Stober, Dauerbaustelle Kammerrechtsreform, in: Ennuschat / Geerlings / Mann / Pielow (Hg.), GS Tettinger, 2007, 189 (202) erörtert etwa einen Sicherheitsauftrag, da „Handel, Banken und andere Wirtschaftszweige bekanntlich massive Probleme mit Ladendiebstahl, Graffiti und der Sicherheit in Fußgängerzonen und Ladenpassagen“ hätten. 9 S. dagegen aber Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 189 ff.; Irriger, Genossenschaftliche Elemente bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften, 1991, S. 196 ff.; Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 280 ff. Bei Kaltenhäuser, Möglichkeiten und Perspektiven einer Reform der Organisation der Wirtschaftsverwaltung, 1998, S. 227 ff. finden sich grundlegende Reformüberlegungen. Die Ideen variieren jedoch zwischen Auflösung (S. 227 ff.), Abschaffung der Pflichtzugehörigkeit (S. 241 ff.) und Privatisierung der IHK (S. 251 ff.). Der „Entwurf eines Gesetzes über die Reform des Industrie- und Handelskammerwesens“ (IHKG-E 1996), der von der Fraktion BÜNDNIS 90 / Die Grünen im November 1996 in den Bundestag eingebracht wurde (BT-Drs. 13/6063), hatte vordringlich zum Ziel, die IHK aufzulösen und als staatlich anerkannte Vereine des Privatrechts zu organisieren (§§ 1, 2 Abs. 1 u. 2 IHKG-E 1996) sowie teilweise mit hoheitlichen Befugnissen zu beleihen (§ 5 IHKG-E 1996). Der Vorschlag, IHK und HwK zu einer einheitlichen Wirtschaftskammer – etwa nach dem österreichischen Modell (dazu Zellenberg, Die Tätigkeit der österreichischen Wirtschaftskammern als gesellschaftliche Selbstverwaltung und deren Erfahrungen mit dem Prinzip der Einheitskammer, in: Schmidt-Trenz / Stober [Hg.], RÖDS 2007/ 2008, 2008, 11–38) – zu vereinen, wird hartnäckig vorgebracht (s. dazu jüngst de Maizière, Von allem die Hälfte, FAZ v. 24. Oktober 2019, Nr. 247, S. 6, abrufbar unter https://www.faz. net/-gq7-9sj24). 10 Faber, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 1995, S. 57. Darauf bezugnehmend Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Rechtsstaat, 1991, S. 234: „[I]nsofern stellen sie in der Tat ‚Mikrodemokratien‘ dar.“ 11 Frotscher, Selbstverwaltung und Demokratie, in: v. Mutius (Hg.), FG von Unruh, 1983, 127 (127); Stober, DÖV 1993, 333 (334). 12 Stober, Die IHK als Mittler zwischen Staat und Wirtschaft, 1992, S. 66.

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Analysen zur Steuerungsfunktion des Verwaltungsorganisationsrechts publiziert, stellt nur eine flüchtige Betrachtung der Rechtsgrundlagen an und erkennt einen insgesamt „positiven Befund“.13 Auch das Bundesverfassungsgericht wählt eine stark simplifizierte Sichtweise auf das Innenrecht,14 womit es jedoch erfolgreich umgeht, die „Büchse der Pandora“ zu öffnen. Doch legen Vorgänge im Realbereich des Rechts nahe, dass soziale Probleme übersehen werden und die technische Performanz der Verwaltungstrabanten zu überprüfen ist. So hat sich für die IHK im ausgehenden 20. Jahrhundert eine kammer­k ritische Bewegung vernetzt und formiert.15 Deren vordringliches Ziel war und ist es, die pflichtmitgliedschaftliche Verfassung zum Einsturz zu bringen. Die zugleich betriebene strategische Prozessführung förderte aber eine Vielzahl von Rechtsverstößen in den IHK-Bezirken zutage.16 Selbst ein beliebiger Blick in (regionale)  Tageszeitungen ist geeignet, den Befund eines dysfunktionalen, reformbedürftigen Organisationsdesigns nahezulegen.17 In diesem Sinne betitelte

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Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 263. 14 Dazu näher unter C. III. 1. e) cc) (2); C. III. 1. g); D. IV. 4. b) cc); E. VI. 3. 15 IHK Stuttgart („Kaktus-Initiative“, http://www.kaktusinitiative.de/); IHK Berlin („#mitmach­ IHK – Reformiere die IHK Berlin!“, http://www.mitmachihk.de/; „pro KMU“); HK Hamburg („Die Kammer sind wir“, https://www.diekammersindwir.com/); IHK Köln („NewKammer“, https://www.new-kammer.de/). Bundesweit agiert der „Bundesverband für freie Kammern e. V.“ (https://www.bffk.de/). 16 Im Zuge dieser Bemühungen schrieben die Verwaltungsgerichte mehreren IHK-Bezirken Rechtsverstöße wegen Überschreitungen des Mandats aus § 1 Abs. 1 IHKG oder einer rechtswidrigen Beitragsveranlagung (s. zuletzt BVerwG, Urt. v. 22. Januar 2020 – 8 C 9.19, 8 C 10.19, 8 C 11.19 –, juris) ins Stammbuch. 17 Retzbach, Aussage der IHK-Präsidentin ist rechtswidrig, Ludwigsburger Kreiszeitung v. 10. September 2020, abrufbar unter https://www.lkz.de/home_artikel,-aussage-der-ihkpraesidentin-ist-rechtswidrig-_arid,606296.html; ders., Ein Satz der IHK-Präsidentin beschäftigt jetzt die Justiz, Ludwigsburger Kreiszeitung v. 24. August 2020, abrufbar unter https://www. lkz.de/home_artikel,-ein-satz-der-ihk-praesidentin-beschaeftigt-jetzt-die-justiz-_arid,604317. html; Öchsner, Zu viele Millionen gehortet, SZ v. 3. Februar 2020, Nr. 27, S. 17, abrufbar unter https://sz.de/1.4781467; Kleine Wördemann / Schneider, IHK Rostock: Warum muss Jens Rademacher gehen?, Ostsee-Zeitung v. 3. Januar 2020, abrufbar unter https://www.ostsee-zeitung.de/ Nachrichten/Wirtschaft/IHK-Rostock-Warum-muss-Kammerchef-Jens-Rademacher-wirklichnach-Stralsund-gehen; Öchsner, Bundesverwaltungsgericht rügt Berliner Wirtschaftslobbyisten, SZ v. 2./3. November 2019, Nr. 253, S. 27, abrufbar unter https://sz.de/1.4663586; ­Wölbert, IHK Hannover ist kein Einzelfall: Kammern bundesweit in der Kritik, Hannoversche Allgemeine v. 3. Februar 2019, abrufbar unter https://www.haz.de/Nachrichten/Wirtschaft/ Niedersachsen/Industrie-und-Handelskammern-IHK-Hannover-ist-kein-Einzelfall-Kammernbundesweit-in-der-Kritik; Doeleke, Zu hohe Gehälter? Autohändler greift IHK-Spitze an, Hannoversche Allgemeine v. 18. Januar 2019, abrufbar unter https://www.haz.de/Hannover/Ausder-Stadt/IHK-Hannover-Aufstand-gegen-die-Fuehrungsspitze; Carini, Weitere Ermittlungen gegen Schmidt-Trenz, taz v. 12. Juli 2018, abrufbar unter https://taz.de/!5517214/; Knödler, Politikverbot für die Handelskammer  – Des Präses unzulässige Rede, taz v. 20. September 2016, abrufbar unter https://taz.de/!5337508/; Doeleke, Rüge vom Rechnungshof – Was hat die IHK zu verbergen?, Hannoversche Allgemeine v. 14. Juli 2015, abrufbar unter https://

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die Wirtschaftswoche einen Beitrag aus dem Jahr 2019 mit der Wendung „Strukturen wie im 17. Jahrhundert – Warum das System Handelskammer bröckelt“.18 Die durchschnittliche Wahlbeteiligung zum Repräsentativorgan der IHK lag – unter Zugrundelegung gerundeter Werte aus den IHK-Bezirken für die letzten drei Wahlen –19 bei 11,6 % (drittletzte Wahl; gerundet), 11,1 % (vorletzte Wahl; gerundet) und 10,8 % (letzte Wahl).20 Beachtet man, dass die durchschnittliche Wahlbeteiligung zwischen 2001 und 2003 bei 13,7 % gelegen haben soll,21 muss eine abnehmende Tendenz auf einem ohnehin schon niedrigen Niveau festgestellt werden. Im beobachteten Zeitraum lag der Minimalwert bei 5 % (z. B. IHK Hannover; vorletzte und drittletzte Wahl) und der Maximalwert bei 23 % (IHK Fulda; letzte Wahl). Das Spektrum der Wahlbeteiligung variierte zwischen 5 bis 18 % (drittletzte Wahl), 5 bis 19 % (vorletzte Wahl) und 6 bis 23 % (letzte Wahl). Zwischen den IHK-Bezirken besteht mithin ein unterschiedlich ausgeprägtes Desinteresse an der „eigenen“ Kammer. Ins Auge fällt, dass die Wahlbeteiligung in der IHK München – dem Bezirk mit der höchsten Mitgliederzahl – konstant auf einem äußerst niedrigen Niveau verbleibt (6 % [drittletzte Wahl]; 7 % [vorletzte Wahl]; 6 % [letzte Wahl]). Nachdem man festgestellt hat, dass die Wahlbeteiligung für die im Handelsregister eingetragenen Mitglieder bei der letzten Wahl durchschnittlich 16,8 % (gerundet) betrug, wobei der Maximalwert bei 37 % (IHK Fulda) und der Mini-

www.haz.de/Nachrichten/Wirtschaft/Deutschland-Welt/Rechnungshof-ermahnt-die-IHKHannover; Fröhlich, Potsdamer IHK-Skandal  – Kontrollverlust, Potsdamer Neueste Nachrichten v. 24. März 2014, abrufbar unter https://www.pnn.de/potsdam/potsdamer-ihk-skandalkontrollverlust/21609874.html; Öchsner, Kritik an IHK – Meuterei in der Handelskammer, SZ v. 28. August 2012, Nr. 197, S. 15, abrufbar unter https://sz.de/1.1451014; Waschbüsch, Skandal bei der Koblenzer Industrie- und Handelskammer, Trierischer Volksfreund v. 21. Januar 2011, abrufbar unter https://www.volksfreund.de/region/wirtschaft/skandal-bei-der-koblenzerindustrie-und-handelskammer_aid-6032222. 18 Book / ter Haseborg, Wirtschaftswoche v. 14. Juni 2019, Nr. 25, S. 48, abrufbar unter https:// www.wiwo.de/my/unternehmen/dienstleister/strukturen-wie-im-17-jahrhundert-solidarischefliegende-teppiche/24450802-2.html. 19 Die auf der Internetseite https://www.ihk.de/wie-hoch-war-die-wahlbeteiligung-unterallen-mitgliedsunternehmen-bei-den-vergangenen-drei-wahlen- mitgeteilte Wahlbeteiligung sind unter den Überschriften drittletzte, vorletzte und letzte Wahl aufgeschlüsselt. Dies findet seinen Grund in dem Umstand, dass die Wahlen zur Vollversammlung asynchron stattfinden. In Anbetracht der unter E. I. 4. b) mitgeteilten Dauer der Amtsperiode der Vollversammlung lässt sich jedoch ungefähr ermitteln, über welchen Zeitraum eine Beobachtung der Wahlbeteiligung stattfindet. 20 Quelle: eigene Berechnungen vom 30. September 2020. Zahlen entnommen aus https:// www.ihk.de/wie-hoch-war-die-wahlbeteiligung-unter-allen-mitgliedsunternehmen-bei-denvergangenen-drei-wahlen-. Für die IHK-Bezirke Erfurt, Koblenz, Leipzig, Potsdam und Stuttgart konnten für die drittletzte Wahl keine Angaben beobachtet werden. Im Hinblick auf die vorletzte Wahl fehlte die Angabe der IHK Erfurt. Die Berechnung wurde jeweils um die fehlenden Werte bereinigt. 21 So Sack / Fuchs, Kammeropposition mit Oberwasser? Phänomene und Erklärungsfaktoren des Protestes in und gegen Wirtschaftskammern, in: Sack / Strünck (Hg.), Verbände unter Druck, 2016, 93 (103).

A. Einführung 

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malwert bei 8 % (IHK Düsseldorf) lag,22 ergibt sich eine genauere Einsicht über die Ausprägung der Wahlpassivität. Setzt man den Eintrag im Handelsregister mit der Vermutung gleich, dass es sich um Unternehmen größerer Ordnung handelt, muss die Schlussfolgerung getroffen werden, dass kleinere Unternehmen in einem noch geringeren Umfang an den Angelegenheiten der Verwaltungseinheit partizipieren. Die Angaben eines einzelnen Bezirks vermitteln eine differenziertere Auffassung. In der HK Hamburg23 variierte die Wahlbeteiligung zwischen 9,6 % (2014), 17,6 % (2017) und 11,1 % (2020). Bei den im Handelsregister eingetragenen Unternehmen fiel die Wahlbeteiligung im Jahr 2020 mit 17 % deutlich höher aus als bei den Unternehmen ohne Eintrag (5,5 %). Zudem sind robuste Abweichungen zwischen den Wahlgruppen im Hinblick auf die Verbreitung der Apathie zu verzeichnen (Finanz- und Versicherungswirtschaft: 20,2 %, Dienstleistungen: 8,1 %; Einzelhandel: 4,6 %; Groß- und Außenhandel, Handelsvermittler: 9,6 %; Güterverkehr: 20,2 %; Immobilienwirtschaft: 18,1 %; Industrie, Energie, Umwelt: 13,6 %; Informationstechnologie und Medienwirtschaft: 7,7 %; Tourismus und Freizeitwirtschaft: 6,5 %). Doch steht das Schrifttum auf dem Standpunkt, dass die von den Kritikern adressierten Gesichtspunkte nur aus einem „Kommunikationsdefizit“ bzw. einem „Wahrnehmungs-, Vermittlungs- und Identifikationsproblem“ zum Nachteil der IHK herrühren. Um den Idealzustand zu erreichen, müsse lediglich die „Consumer-­ Confusion“ beseitigt, ein „Customer Relationship Management“, eine „Corporate Culture“ und eine „Stakeholder Value Betrachtung“ eingeführt werden. Ausreichend sei, die Akzeptanz für die IHK als „Wohlfühlpartner“ zu schaffen und die „Marke IHK“ positiv zu besetzen24 bzw. eine „mediengerechte Darstellung“ der Erfolge zu betreiben.25 Ein anderer Autor gelangt nach vergleichender Ansicht des Binnenrechts der Träger funktionaler Selbstverwaltungsrechte zu der Einschätzung, dass sich das IHKG als „Paradebeispiel für eine zurückhaltende Regelung“ ergebe.26 Können die Ursachen für das Krankheitsbild verbreiteter Apathie also eher in der Unterversorgung mit Marketing-Sprech denn in dysfunktionalen Rechtsgrundlagen aufgefunden werden? Ist ein neuer Fassadenanstrich aus den Händen einer klugen Werbeagentur ausreichend, um die Wurzeln übergreifender Gleichgültigkeit unter den Mitgliedern zu lösen? 22 Quelle: eigene Berechnungen vom 30. September 2020. Zahlen entnommen aus https:// www.ihk.de/wie-hoch-war-die-wahlbeteiligung-unter-den-im-handelsregister-eingetragenenmitgliedsunternehmen-bei-den-vergangenen-drei-wahlen-. Für die IHK-Bezirke Arnsberg, Essen, Freiburg, Gießen, Hannover, Leipzig, Schwerin und Wiesbaden konnten für die letzte Wahl keine Angaben beobachtet werden. Die Berechnung wurde jeweils um die fehlenden Werte bereinigt. 23 https://www.hk24.de/servicemarken/presse/pm-20-02-20-wahlergebniss-4707484. 24 Zitate bei Stober, Dauerbaustelle Kammerrechtsreform, in: Ennuschat / Geerlings / Mann /  Pielow (Hg.), GS Tettinger, 2007, 189 (206 f.). 25 Heusch, „Was müssen die Kammern tun, um die Akzeptanz der Selbstverwaltung weiter zu stärken?“, in: Kluth (Hg.), JbKBR 2010, 2011, 135 (143). 26 Kluth, Einzelfragen der inneren Verfassung der Träger funktionaler Selbstverwaltung, in: Wolff / Bachof / Stober / ders., Verwaltungsrecht II, 7.  Aufl. 2010, § 100 Rn.  2.

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A. Einführung 

Das IHKG ist ein Rechtskorsett. Fragen der Machtbildung, -ausübung und -begrenzung nimmt es kaum in den Blick.27 Wenn das Gesetz in seinem Titel bis zum heutigen Tage als provisorisch – „vorläufig“ – bezeichnet wird, ist dies fast Ausdruck ehrlicher Selbsterkenntnis. Die Kammern versuchen, die im Parlamentsgesetz ausgesparten Fragen mittels Satzungen und Wahlordnungen zu bewältigen. Stimmen, die anerkennend hervorheben, dass selbst die Satzungen mit „relativ wenigen“ Verfahrensvorschriften auskämen,28 schaffen aber kein Vertrauen, sondern erzeugen Argwohn. Ob die legistische Enthaltsamkeit das zutreffende Steuerungsmittel für diesen Sozialbereich darstellt, muss akut hinterfragt werden. Für die Notwendigkeiten dieser Studie bedeutete dieser Befund jedenfalls, dass das untergesetzliche Recht von insgesamt 79 IHK-Bezirken durchgesehen und verglichen werden musste. Damit ist in groben Zügen der Arbeitsplan der Studie festgelegt. Ausgehend von dem Eindruck, dass ein reales Desinteresse an der IHK vorherrscht, ist zu überprüfen, ob und inwiefern die Organisationsstruktur bedingend und verstärkend wirkt (E.). Beantwortet werden muss in diesem Abschnitt zugleich, ob und in welchem Ausmaß rechtspolitische Empfehlungen die festgestellten Probleme beseitigen können. Insbesondere gilt es, die Hauptaufgabe des Verwaltungsträgers auszuleuchten (C.). Denn die Organisationsform dient „nur“ als Erfüllungsinstrument. Sie richtet sich an dem Verwaltungsziel aus und bildet das Rückgrat. Mit dem Anspruch auf wissenschaftliche Seriosität wäre es indes unvereinbar, den Entsprechungen zwischen Aufgabe und Organisation nachzuspüren, ohne dass zuvor die Historie der IHK mit einem besonderen Blick auf die Organisationsform ihrer Vorläufer dargestellt (B.) und ein Analyserahmen erdacht wurde (D.). Da die Prämisse besteht, dass auch organisationssoziale Faktoren den Umstand realiterer Apathie begünstigen, wird sich insgesamt eine interdisziplinäre Untersuchung des Rechtskreises ergeben (zur Methodik gesondert D. I. 8.).

27 Die im Text stehende Erkenntnis sollte derart offenkundig sein, weshalb es – genau genommen – keines Nachweises bedürfte. S. aber dennoch BVerwG, Urt. v. 31. März 2004 – 6 C 25/03 –, BVerwGE 120, 255 (258); Gärditz, Die Organisation der Wirtschaftsverwaltung, in: Schmidt / Wollenschläger (Hg.), Kompendium Öffentliches Wirtschaftsrecht, 5. Aufl. 2019, § 4 Rn. 51; Kroitzsch, BB 1984, 309. Groß, Interessenausgleich durch Kollegialverfahrensrecht in den Kammern, in: Kluth (Hg.), JbKR 2002, 2003, 26 (31) kommt zu dem Ergebnis, dass das IHKG „überhaupt keine einschlägigen Normen“ für das Verfahren der Organe vorsehe. Dass der Autor in einem Fazit (S. 37) eine „gesetzliche Grundlage“ für „die wesentlichen Vorkehrungen zum Minderheitenschutz“ erkannt haben möchte, überrascht demgegenüber. 28 Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 4 Rn. 26.

B. Entstehungsgeschichte der gegenwärtigen Organisationsform Die Gründung auffallend vieler Verbände datiert an der Schwelle zum beginnenden 19. Jahrhundert. Die Rechtswissenschaft liest diesen Prozess zu Recht als Entgegnung auf die liberale Vorstellung vom mündigen Bürger, die die Gesellschaft zusehends durchdrang. Der implizit mitgeteilten Forderung nach Vereinzelung begegnete der Bürger mit dem Wunsch zur Integration in assoziative Ordnungen, die gemeinsame Interessenverfolgung, Halt und Zerstreuung versprachen.29 Auch der IHK heutiger Konstitution geht ein bis in die Anfänge des 19. Jahrhunderts zurückreichender Entwicklungsprozess voraus. Die reale Evolution und die Rechtsgrundlagen, die diesen Prozess steuerten, stellen sich wie folgt dar:

I. Die Entstehung der preußischen Handelskammern (1800–1848) Weitgehend einig ist man sich darin, dass Entwicklungslinien in zwei verschiedene Richtungen zurückreichen.30 Eine beginnt bei den auf freiwilliger Basis entstandenen kaufmännischen Korporationen31 in den altpreußischen Gebieten. Deren Entstehungsgeschichte geht wiederum teilweise – so etwa bei der Korporation in Königsberg – auf das zweite Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts zurück.32 Bei den 29 Kaiser, Die Repräsentation organisierter Interessen, 2. Aufl. 1978 (1956), S. 17 f.; Evers, Der Staat 3 (1964), 41 (42 f.). Grotjahn, Partei oder Verein?, 2022, S. 43 meint hingegen, dass erst die finanzielle Absicherung Optionen zum verbandlichen Zusammenschluss anbot. 30 Für die Rechtswissenschaft Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 23; Tettinger, Kammerrecht, 1997, S. 38. Für die Geschichtswissenschaft Gehlen, Selbstregulierung der Wirtschaft als evolutorischer Prozess: Die preußischen Handelskammern zwischen staatlichem Auftrag und regionaler Interessenorganisation (1800 bis 1870), in: Collin / Bender /  Ruppert / Seckelmann / Stolleis (Hg.), Selbstregulierung im 19. Jahrhundert, 2011, 253 (256 ff.). Umfassend zu dieser Frage Grabski, Geschichtliche Entwicklung der Handelskammern in Preußen bis zur Königlichen Verordnung vom 11. Februar 1848, 1907. 31 Die kaufmännischen Korporationen stehen wiederum in Verwandtschaft zu den „Handels- und Gewerbe-Vereinen“ und den „kaufmännischen Vereinen“, die sich Mitte des 19. Jahrhunderts etwa im Großherzogtum Oldenburg oder Kurhessen nach dem freien Belieben der Kaufleute bildeten und zumeist über einen besonderen Zugang zu den Staatsbehörden bei der Pflege der industriellen Interessen verfügten. Zu den Vereinen ausführlich Kompe, Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 4. Bd. (1865), 121 (122–125). 32 Nach Wischermann / Nieberding, Die institutionelle Revolution, 2004, S. 132 entstand die Korporation in Königsberg 1810, während das Organisationsstatut der kaufmännischen Korporation zu Berlin auf den 22. März 1820 datiert. Zwischen 1821 und 1825 folgte die Gründung von Korporationen in Stettin, Danzig, Memel, Tilsit, erneut Königsberg, Elbing und Magdeburg. Zu den kaufmännischen Korporationen ausführlich Kompe, Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 4. Bd. (1865), 121 (125–130).

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B. Entstehungsgeschichte der gegenwärtigen Organisationsform  

kaufmännischen Korporationen handelte es sich um auf Initiative der Kaufleute gegründete Repräsentanzen, die der Interessenförderung im Wege der Selbsthilfe dienten.33 Die andere Linie nimmt ihren Anfang bei dem französischen Handelskammertypus (Chambre de Commerce)34, der über behördliche Befugnisse verfügte und als „stark regierungsabhängig“35 gilt. Diese Organisationsform wurde unter napoleonischer Herrschaft links des Rheins durch Zugriff auf die bestehenden Strukturen verschiedentlicher Handelsgremien etabliert36 und nach der preußischen Besitznahme von 1814/1815 praktisch unverändert übernommen.37 Insofern verwundert es nicht, wenn den (rheinischen) Handelskammern unter den veränderten Herrschaftsbedingungen nachgesagt wird, dass es sich um „beiratsähnliche Institutionen“ handelte, die als „reine Hilfsorgane“ des Staates ausgestaltet waren.38 Doch darf die formale Dichotomie zwischen den beiden Organisationstypen nicht zu der Ansicht verleiten, dass die historische Realität von Verfassung und Aufgabenwahrnehmung eine haargenaue Unterscheidung zwischen „Hilfsbehörden“ (linksrheinische Kammern französischen Typus) und freien Interessenverbänden (kaufmännische Korporationen) gestattete. Vielmehr fand in dem tatsächlichen Auftritt eine Vermischung beider Organisationsformen statt. So trugen etwa auch die Handelskammern, vermittelt über die Erstattung von Gutachten, eigene Standpunkte in die staatlichen Entschließungen zur Wirtschaftspolitik hinein.39 33

Gehlen, Selbstregulierung der Wirtschaft als evolutorischer Prozess: Die preußischen Handelskammern zwischen staatlichem Auftrag und regionaler Interessenorganisation (1800 bis 1870), in: Collin / Bender / Ruppert / Seckelmann / Stolleis (Hg.), Selbstregulierung im 19.  Jahrhundert, 2011, 253 (257). Stödter, Über die Handelskammern, Geschichte und Organisation, in: Ipsen (Hg.), FS Schack, 1966, 143 (143) erinnert daran, dass die Hamburger Kaufleute mit ihrer Gründungsinitiative der Seeräuberplage entgegneten. 34 Zu ihnen ausführlich Kaltenhäuser, Möglichkeiten und Perspektiven einer Reform der Organisation der Wirtschaftsverwaltung, 1998, S. 77 ff. 35 Zitat bei Collin, Rechtsgeschichte 18 (2011), 96 (102). Heréus, Die deutschen Handelskammern als Glied der Verwaltung, 1922, S. 16 (Hervorh. i. O.) charakterisiert die französischen Handelskammern als „eingegliederte Beiräte der Verwaltungsbehörden“ und „halbautonome Interessenvertretung“, die nur über eine „Scheinautonomie“ verfügten. 36 Kompe, Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 4. Bd. (1865), 121 (135) legt dar, dass „Handels- und Fabrikkammern“ in Köln, Crefeld, Aachen, Eupen, Malmedy und Stolberg durch Gesetz vom 24. Dezember 1802 errichtet wurden. 37 Fischer, Unternehmerschaft Selbstverwaltung und Staat, 1964, S. 7 (zu dem napoleo­ nischen Kammersystem und den Anfängen der rheinischen Handelskammern ausführlich S. 14 ff.). Betont man die „französische“ Evolutionslinie im Übermaß, ließe sich sogar festhalten, dass die Entstehungsgeschichte bis zur Wende zwischen dem 16. und 17. Jahrhundert zurückreicht. Immerhin wurde bereits 1599 in Marseille eine Handelskammer dieses Typus statuiert (Kluth, Entwicklungsgeschichte der deutschen Kammern, in: ders. [Hg.], HbKR, 3. Aufl. 2020, § 3 Rn. 64). 38 Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 24. 39 Gehlen, Selbstregulierung der Wirtschaft als evolutorischer Prozess: Die preußischen Handelskammern zwischen staatlichem Auftrag und regionaler Interessenorganisation (1800 bis 1870), in: Collin / Bender / Ruppert / Seckelmann / Stolleis (Hg.), Selbstregulierung im 19.  Jahrhundert, 2011, 253 (258 – Hervorh. i. O.): „Handelskammern war[en] nie nur Behörden und Korporationen nie nur Interessenvertretungen.“

I. Die Entstehung der preußischen Handelskammern (1800–1848) 

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Das Statut der gemeinsamen Handelskammer für Elberfeld und Barmen von 1830 bildet schließlich den Kristallisationspunkt, in dem die faktische Ambivalenz erstmals formal zum Vorschein kommt. Das Aufgabenfeld Interessenrepräsentanz fand jedoch noch keine explizite Erwähnung in dem Kammerstatut40. Als wesentliche Abweichung gegenüber den Regelungen französischen Ursprungs gilt, dass der Vorsitz über die Handelskammer nicht einem Beamten, sondern einem gewählten Kammermitglied zukam.41 Das Statut bildete nunmehr den „Prototyp der neuen [Handels-]Kammer mit korporativen Elementen“42 und kann mit einiger Berechtigung als „Zäsur“ im preußisch-deutschen Kammerwesen bezeichnet werden.43 Nach Vorbild dieses Statuts wurden in den Folgejahren die neugegründeten Handelskammern im Rheinland verfasst, während die Novellierung der Rechtsgrundlagen von denjenigen Kammern, die bereits vor 1830 existierten, ebenfalls entlang der Maßgaben erfolgte.44 Das Prinzip der Beitrittspflicht hatte überdies mit dem neuartigen Kammertypus Einzug gehalten.45 Diese Schilderung, mit der die Geschehnisse in den Hansestädten Bremen, Hamburg und Lübeck sowie in Süddeutschland ausgeblendet werden,46 lässt den Eindruck entstehen, dass die preußische Regierung die Weichen eindeutig in Richtung einer Präferenz für die Organisationsform Handelskammer gestellt hatte. Doch ließ sich zu dieser Frage lange kein staatliches Bekenntnis wahrnehmen. Noch 1827, d. h. kurz vor der Errichtung der Handelskammer für Elberfeld und Barmen, bevorzugte die Regierung womöglich die Idee der kaufmännischen Korporation. Kaum anders lässt sich eine Antwort der Regierung verstehen, die eine Petition des westfälischen Landtages betreffend die Errichtung weiterer Handelskammern dahin beschied, dass der „Zweck ebenso vollständig und im Anschluß an die in 40 Das Statut gab der Handelskammer auf, „den Staatsbehörden ihre Wahrnehmungen über den Gang des Handels und Manufaktur-Gewerbes und ihre Ansichten über die Mittel zur Beförderung des einen und des anderen darzulegen, denselben die Hindernisse, welche der Erreichung dieses Zweckes entgegenstehen, bekannt zu machen, und ihnen die Auswege anzuzeigen, welche sich zur Behebung derselben darbieten.“ Eine ausführliche Darstellung des Statuts und der historischen Vorgänge in dieser Handelskammer findet sich bei Fischer, Unternehmerschaft Selbstverwaltung und Staat, 1964, S. 26 ff. (Wortlaut auf S. 29). 41 Lusensky, Gesetz über die Handelskammern. Vom 24. Februar 1870 in der Fassung des Gesetzes vom 19. August 1897 – Kommentar, 2. Aufl. 1909, S. 13. 42 Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 270. 43 Gehlen, Selbstregulierung der Wirtschaft als evolutorischer Prozess: Die preußischen Handelskammern zwischen staatlichem Auftrag und regionaler Interessenorganisation (1800 bis 1870), in: Collin / Bender / Ruppert / Seckelmann / Stolleis (Hg.), Selbstregulierung im 19.  Jahrhundert, 2011, 253 (258). 44 Gehlen, Selbstregulierung der Wirtschaft als evolutorischer Prozess: Die preußischen Handelskammern zwischen staatlichem Auftrag und regionaler Interessenorganisation (1800 bis 1870), in: Collin / Bender / Ruppert / Seckelmann / Stolleis (Hg.), Selbstregulierung im 19.  Jahrhundert, 2011, 253 (258). 45 Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 26. 46 Zur Entstehung der Handelskammern im außerpreußischen Deutschland und speziell den Kommerzdeputationen Fischer, Unternehmerschaft Selbstverwaltung und Staat, 1964, S. ­43–68.

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B. Entstehungsgeschichte der gegenwärtigen Organisationsform  

mehreren Handelsstädten des Staats bereits bestehenden Einrichtungen durch Bildung kaufmännischer Korporationen erreicht werden“ könne.47 In die entgegengesetzte Richtung deuten wiederum Vorgänge aus dem Jahr 1841. Zu dieser Zeit sah die Preußische Regierung unter Leitung von König Friedrich Wilhelm IV. den Handelskammergedanken für die östlichen Provinzen als überlegen gegenüber der Neugründung von kaufmännischen Korporationen an. In einem Landtagsbescheid wünschte die Regierung „in Anerkennung der Nützlichkeit solcher Institute“, „daß von den Behörden die Errichtung von Handelskammern in den dazu geeigneten Städten und Districten der östlichen Provinzen befördert werde“.48

II. Verordnung über die Errichtung von Handelskammern. Vom 11. Februar 1848 Die Verordnung über die Errichtung von Handelskammern vom 11. Februar 184849 stellt eine der ersten Generalisierungen des Handelskammerrechts dar.50 Auch sie baute in inhaltlicher Hinsicht auf dem Statut der Handelskammer für Elberfeld und Barmen auf. Mit der Verordnung wurden die individuell verliehenen, aber im Wesentlichen gleichlautenden Kammerstatuten verallgemeinert, um zukünftig eine einheitliche Entwicklung zu gewährleisten.51 Auf Grundlage des Regelwerks wurden in der Folgezeit 33 Handelskammern errichtet.52 Die Verordnung vermittelte eine eingeschränkte Präferenz der preußischen Regierung für die Organisationsform Handelskammer. Den bestehenden kaufmännischen Korporationen sicherte sie immerhin Bestandsschutz zu.53 § 4 Abs. 1 PrHKVO 1848 bestimmte die Hauptfunktion und wies folgenden Wortlauft auf: „Die Handelskammern haben die Bestimmung, auf Verlangen der vorgesetzten Provinzial- und Centralbehörden Berichte und Gutachten über Handels- und Ge 47 Wiedergegeben bei Lusensky, Gesetz über die Handelskammern. Vom 24. Februar 1870 in der Fassung des Gesetzes vom 19. August 1897 – Kommentar, 2. Aufl. 1909, S. 16 f. 48 Wiedergabe bei Gehlen, Selbstregulierung der Wirtschaft als evolutorischer Prozess: Die preußischen Handelskammern zwischen staatlichem Auftrag und regionaler Interessenorganisation (1800 bis 1870), in: Collin / Bender / Ruppert / Seckelmann / Stolleis (Hg.), Selbstregulierung im 19. Jahrhundert, 2011, 253 (260). 49 Verordnung über die Errichtung von Handelskammern. Vom 11. Februar 1848., Gesetzsammlung für die Königlich-Preußischen Staaten 1848, 63–68. 50 Fischer, Unternehmerschaft Selbstverwaltung und Staat, 1964, S. 35 verweist auf Bayern, das bereits seit 1842 über eine generalisierte Fassung der Rechtsgrundlagen für Handelskammern verfügte. 51 Fischer, Unternehmerschaft Selbstverwaltung und Staat, 1964, S. 35. 52 Lusensky, Gesetz über die Handelskammern. Vom 24. Februar 1870 in der Fassung des Gesetzes vom 19. August 1897 – Kommentar, 2. Aufl. 1909, S. 21. 53 § 3 PrHKVO 1848: „Besteht in dem Bezirke, für welchen eine Handelskammer errichtet werden soll, eine kaufmännische Korporation oder Innung, so werden Wir, nach Anhörung der Korporation oder Innung, diejenigen besonderen Bestimmungen treffen, durch welche die bestehenden korporativen Verhältnisse die geeignete Berücksichtigung finden.“

III. Gesetz über die Handelskammern. Vom 24. Februar 1870 

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werbeangelegenheiten zu erstatten, auch nach eigenem Ermessen ihre Wahrnehmungen über den Gang des Handels und der Gewerbe, so wie über die für den Verkehr bestehenden Anstalten und Einrichtungen zur Kenntniß jener Behörden zu bringen und diesen ihre Ansichten darüber mitzutheilen, durch welche Mittel Handel und Gewerbe zu fördern sind, welche Hindernisse entgegen stehen und in welcher Weise dieselben zu beseitigen sind.“ Damit wurden „eng an das staatliche Behördensystem angegliederte Einrichtungen konzipiert“, die sich als „Beratungsorgane der Staatsbehörden“ ergaben.54 Weil ihnen gestattet war, nach eigenem Ermessen an den Staat heranzutreten, stellten sie in der praktischen Wirksamkeit zugleich Organe zur Vermittlung der Interessenlagen von Handel und Gewerbe dar. Bereits die zeitgenössische Rechtsforschung charakterisierte sie als „Zwitterschöpfung“55. Das Wahlrecht zur Handelskammer korrespondierte mit der Beitragspflicht für den Organisationsetat56 und wurde auf höhere Steuerklassen beschränkt.57 Damit handelte es sich vornehmlich um eine Repräsentanz der mittleren und großen Betriebe.

III. Gesetz über die Handelskammern. Vom 24. Februar 1870 Die Präferenz der Regierung für den preußischen Handelskammertyp mit seiner Janusköpfigkeit als regional verankerte Interessenrepräsentanz und staatliches Hilfsorgan verlieh sich unmittelbar und endgültig Ausdruck in dem Gesetz über die Handelskammern vom 24. Februar 187058. Die pflichtmitgliedschaftliche Verfassung der Handelskammern sah sich in der vor Erlass des Gesetzes geführten Generaldiskussion grundsätzlicher Kritik ausgesetzt. Hierzu gehört etwa die Einschätzung des Abgeordneten Laßwitz, der die amtliche Vertretung eines Gewerbestandes als „Anomalie“ in dem „Staats 54

Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 27. So Kompe, Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 4. Bd. (1865), 121 (148) – Hervorh. n. h. 56 § 17 Abs. 1 PrHKVO 1848: „Der Betrag des etatmäßigen Kostenaufwandes wird auf die stimmberechtigten Handel- und Gewerbetreibenden […] veranlagt“. 57 § 7 Abs. 1 PrHKVO 1848: „Zur Theilnahme an der Wahl der Mitglieder und Stellvertreter sind sämmtliche Handel- und Gewerbetreibenden des Bezirks der Handelskammer berechtigt, welche den […] Betrag der in der Steuerklasse der Kaufleute mit kaufmännischen Rechten zu entrichtenden Gewerbesteuer zahlen.“ 58 Gesetz über die Handelskammern. Vom 24. Februar 1870., Gesetzsammlung für die Königlich-Preußischen Staaten 1870, 134–140. Den Anlass für die Gesetzgebung bot die Vergrößerung des preußischen Regierungsgebiets durch den Zugewinn der Landesteile Schleswig und Holstein, Hannover, Kurhessen, Nassau und Frankfurt. Die Ereignisse forderten zu einer abermaligen Vereinheitlichung der Organisationsformen heraus, da in den neuen Landesteilen keine Handelskammern eingerichtet waren oder die eingerichteten Handelskammern von den Grundzügen des preußischen Handelskammertyps abwichen (Sammlung sämmtlicher Drucksachen des Hauses der Abgeordneten, 10. Legislaturperiode, II. Session 1868/1869, Band 3, Nr. 169, 1869, S. 11 ff.). 55

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B. Entstehungsgeschichte der gegenwärtigen Organisationsform  

und industriellen Leben“ einordnete.59 Die liberal gesinnte Opposition des Preußischen Abgeordnetenhauses hatte das gesamte Gesetzgebungsverfahren darauf verwendet, den Wert des freien Vereinigungsrechts zu betonen60 und schließlich sogar die Aufhebung der Handelskammern beantragt.61 Der Wortlaut des Kommissionsberichts62 erweckt den Eindruck, dass die Mehrheit des Abgeordnetenhauses lediglich aufgrund der gewachsenen Strukturen auf die Implementierung des Prinzips der Freiwilligkeit nach dem Vorbild der kaufmännischen Korporationen verzichtete. Die mit § 1 PrHKG 1870 Gesetz gewordene, bis heute prägende Aufgabenumschreibung lautete wie folgt: „Die Handelskammern haben die Bestimmung, die Gesammtinteressen der Handel- und Gewerbetreibenden ihres Bezirkes wahrzunehmen, insbesondere die Behörden in der Förderung des Handels und der Gewerbe durch thatächliche Mittheilungen, Anträge und Erstattung von Gutachten zu unterstützen.“ Die dazu ergangenen Motive halten fest, dass der „Schwerpunkt der Wirksamkeit“ in der „Vermittelung der Beziehungen zwischen dem Handelsstande und der Staatsregierung“ liegen müsse, weil in dieser Richtung bisher eine „erfolgreiche Wirksamkeit entwickelt“ worden sei, die zukünftig aufrechterhalten werden solle.63 Der Entwurf sollte sich inhaltlich an die Maßgaben der PrHKVO 1848 anlehnen.64 Dem Ziel entsprach, dass die Koexistenz von Handelskammern und Korporationen fortgeschrieben wurde.65 Die preußische Regierung ging bei der Regulierung demnach pragmatisch vor. Sie gewährte anderen Organisationen Bestandsschutz, wenn sie die Aufgaben zur Zufriedenheit des Staates erfüllten und die

59 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten (1869/1870), Band 3, 1870, 47. Sitzung vom 14. Januar 1870, S. 1453. 60 Sammlung sämmtlicher Drucksachen des Hauses der Abgeordneten, 10. Legislaturperiode, II. Session 1868/1869, Band 4, Nr. 320, 1869, S. 1 f. 61 Drucksachen des Hauses der Abgeordneten, 10. Legislaturperiode, III.  Session 1870, Nr. 187, S. 1. Zu den Auseinandersetzungen im Abgeordnetenhaus Schmaltz, Die Entwicklung der Industrie- und Handelskammern, 2010, S. 147 ff.; Fischer, Unternehmerschaft Selbstverwaltung und Staat, 1964, S. 71 ff. 62 Sammlung sämmtlicher Drucksachen des Hauses der Abgeordneten, 10. Legislaturperiode, II. Session 1868/1869, Band 4, Nr. 320, 1869, S. 2: „Wäre also noch einfach zu entscheiden, ob die Staats-Verwaltung sich selbst solche Hülfs-Anstalten zur Vertretung der Handels- und Verkehrs-Interessen aus den Kreisen der Betheiligten schaffen oder deren Entstehung dem freien Vereinigungsrechte überlassen solle, so dürfte es schwerfallen, dem Rechte der Autonomie vorzugreifen.“ Auch die Äußerungen des Abgeordneten Laßwitz, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten (1869/1870), Band 3, 1870, 47. Sitzung vom 14. Januar 1870, S. 1451 deuten daraufhin. Dieser spricht zwar einleitend von einer „historischen Berechtigung“ der Handelskammern, möchte aber darauf keinen Wert legen und „das Ding […] zu den Todten“ werfen. 63 Sammlung sämmtlicher Drucksachen des Hauses der Abgeordneten, 10. Legislaturperiode, II. Session 1868/1869, Band 3, Nr. 169, 1869, S. 14. 64 Sammlung sämmtlicher Drucksachen des Hauses der Abgeordneten, 10. Legislaturperiode, II. Session 1868/1869, Band 3, Nr. 169, 1869, S. 14. 65 § 36 PrHKG 1870.

IV. Weiterentwicklung ab 1897 – Pervertierung zwischen 1933 und 1945 

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staatsseitige Gründung einer Handelskammer zweckwidrig erschien.66 Der gesonderten Erwähnung bedarf § 10 PrHKG 187067. Danach war den Handelskammern erstmals erlaubt, regionale Untergliederungen für die Zwecke der Wahl zur Vertreterversammlung vorzusehen. Damit wurden die maßgeblichen Gesichtspunkte für das noch heutzutage praktizierte Gruppenwahlverfahren erdacht.

IV. Weiterentwicklung ab 1897 – Pervertierung zwischen 1933 und 1945 Die weitere Entwicklung der Handelskammern verlief auf der Grundlage einer Novellierung aus dem Jahr 189768, die das Nebeneinander von Handelskammern und kaufmännischen Korporationen abermals verlängerte.69 Die Handelskammer war nunmehr mit den Rechten einer juristischen Person ausgestattet.70 Ihr wurden zusätzliche Tätigkeiten gestattet,71 die augenfällige Gemeinsamkeiten zu den in § 1 Abs. 2 IHKG enthaltenen Ermächtigungen aufweisen. Hervorzuheben ist ferner § 43 Abs. 2 PrHKG  1897. Diese Vorschrift ermöglichte, das Repräsentativorgan der Handelskammer durch einen voraussetzungslosen Beschluss des Staatsministeriums aufzulösen. Die Ermächtigung ergab sich als Spätfolge eines Konflikts, in dem einzelne Handelskammern im Rahmen ihrer berichtenden Aufgaben den offenen Widerspruch zu Otto von Bismarcks Schutzzollpolitik artikuliert hatten. Die unmittelbare Folge stellte ein Erlass aus der Feder von Bismarcks vom 30. November 1881 dar. Den Handelskammern war seither verboten, ihre Jahresberichte vor der ministeriellen Genehmigung zu veröffentlichen.72 Die Verordnung des Staatsministeriums vom 1. April 1924 prägte die Weiterentwicklung in der Weimarer Republik. Sie ersetzte die Bezeichnung der Handelskammern, von denen Anfang der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts 105 Ein-

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Gehlen, Selbstregulierung der Wirtschaft als evolutorischer Prozess: Die preußischen Handelskammern zwischen staatlichem Auftrag und regionaler Interessenorganisation (1800 bis 1870), in: Collin / Bender / Ruppert / Seckelmann / Stolleis (Hg.), Selbstregulierung im 19.  Jahrhundert, 2011, 253 (263). 67 § 30 PrHKG 1870: „Mit Genehmigung des Handelsministers kann ein HandelskammerBezirk zum Zwecke der Wahl der Mitglieder in engere Bezirke eingetheilt werden, insofern sich aus den örtlichen Verhältnissen hierzu ein Bedürfniß ergiebt.“ 68 Gesetz über die Handelskammern. Vom 24. Februar 1870 in der Fassung des Gesetzes vom 19. August 1897., Gesetzsammlung für die Königlich-Preußischen Staaten 1897, 355–366. 69 § 44 PrHKG 1897. Zu dem Nebeneinander von Korporation und Handelskammern in Berlin ab 1902 Bremer, JR 1955, 332. 70 § 35 Abs. 1 PrHKG 1897. 71 § 38 Abs. 2 PrHKG 1897: „Sie sind befugt, Anstalten, Anlagen und Einrichtungen, die die Förderung von Handel und Gewerbe, sowie die technische und geschäftliche Ausbildung, die Erziehung und den sittlichen Schutz der darin beschäftigten Gehülfen und Lehrlinge bezwecken, zu begründen, zu unterhalten und zu unterstützen.“ 72 Zum Ganzen Fischer, Unternehmerschaft Selbstverwaltung und Staat, 1964, S. 77.

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B. Entstehungsgeschichte der gegenwärtigen Organisationsform  

heiten auf deutschem Territorium existierten,73 mit dem bis heute üblichen Titel „Industrie- und Handelskammer“.74 In Folge der nationalsozialistischen Machtergreifung im Jahr 1933 wurden die Industrie- und Handelskammern zunächst unter Beibehaltung ihrer formalen Hülle pervertiert. Die Neuorganisation verlief nach dem Führergrundsatz, der die Anbindung an den hierarchischen Aufbau von Staat und Partei sicherstellte („Gleichschaltung“).75 Die Verordnung vom 20. August 1934, die auf dem „Gesetz über wirtschaftliche Maßnahmen“ fußte,76 bestimmte, dass die Wahl des Vorsitzenden und seiner Stellvertreter nicht mehr von den Kammerzugehörigen ausging. Stattdessen erhielt der Reichswirtschaftsminister das Recht, über die Einsetzung und Abberufung des Kammervorstandes zu entscheiden.77 Ferner kam ihm die Befugnis zur umfassenden Aufsicht über die Industrie- und Handelskammern zu.78 Die Kammern waren nach dem Führergrundsatz zu leiten.79 Damit fand eine Angleichung an die Organisationsform der sog. Leitungsverbände80 des NS-Staates statt. 1942 wurde der Aufbau der gewerblichen Wirtschaft nach dem Führergrundsatz 73 So die Angabe bei Stödter, Über die Handelskammern, Geschichte und Organisation, in: Ipsen (Hg.), FS Schack, 1966, 143 (145). 74 Art. IV. Verordnung zur Änderung des Gesetzes über die Handelskammern. Vom 1. April 1924., Preußische Gesetzsammlung, 1924, S. 194. 75 Dazu umfassend Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 342 ff. Eine Visualisierung der Verfassung der Industrie- und Handelskammern im Dritten Reich findet sich bei Schmaltz, Die Entwicklung der Industrie- und Handelskammern, 2010, S. 49. S. ferner Seibel, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Staatsorganisation und Staat-Wirtschaft-Beziehungen im Nationalsozialismus zwischen Tradition und Verbrechen, in: Eberle / Ibler / Lorenz (Hg.), FS Brohm, 2002, 755–770. 76 § 1 Abs. 1 S. 1 (abgedruckt in: Gesetz über wirtschaftliche Maßnahmen. Vom 3. Juli 1934., RGBl. I, S. 565): „Der Reichswirtschaftsminister wird ermächtigt, innerhalb seines Geschäftsbereichs alle Maßnahmen zu treffen, die er zur Förderung der deutschen Wirtschaft sowie zur Verhütung und Beseitigung wirtschaftlicher Schädigungen für notwendig hält.“ 77 § 2 S. 2 Verordnung über die Industrie- und Handelskammern. Vom 20. August 1934., RGBl. I, S. 790. 78 § 1 Verordnung über die Industrie- und Handelskammern. Vom 20. August 1934., RGBl. I, S. 790. 79 § 2 S. 1 Verordnung über die Industrie- und Handelskammern. Vom 20. August 1934., RGBl. I, S. 790. 80 Im Rahmen der Leitungsverbände (umfassend Köttgen, VerwArch 44 [1939], 1 [48 ff.]) wurden Personen bzw. Unternehmen zu einer rechtsfähigen Verwaltungseinheit zusammengeschlossen, um auf diesen Berufszweig, das Wirtschaftsgebiet etc. staatlichen Einfluss auszuüben, mithin diesen Sozialbereich staatlicher Führung zu unterwerfen (Kirste, Theorie der Körperschaft des öffentlichen Rechts, 2017, S. 681). Dabei wurde die ganze Organisation gezielt auf die staatliche Disziplinierung ausgerichtet, indem bspw. ein Minister kraft seines Amtes das oberste Organ der Verwaltungseinheit bildete, wie dies beim „Reichsnährstand“ und dem Reichsernährungsminister als dessen Leitungsorgan der Fall war (Peters, Lehrbuch der Verwaltung, 1949, S. 112). Die Mitglieder waren von den Verwaltungsgeschäften und der Organbestellung ausgeschlossen (Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Band 1: Allgemeiner Teil, 9. Aufl. 1966, S. 453 f.). Die bekanntesten Beispiele dieser Organisationsform bilden, neben dem Reichsnährstand, die Reichskulturkammer, die Marktordnungsverbände und die Reichsund Wirtschaftsgruppen (Peters, Lehrbuch der Verwaltung, 1949, S. 112).

V. Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg 

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durch Errichtung von „Gauwirtschaftskammern“ auf die Spitze getrieben.81 Auffallend ist, dass die Einrichtung nicht mehr nach dem Maßstab einheitlicher Wirtschaftsregionen, sondern entlang der Gauen als den administrativen Untergliederungen der NSDAP vollzogen wurde. Den Anlass für diesen Paradigmenwechsel bildeten die gesteigerten Anforderungen der Rüstungswirtschaft. Sie machten nach Auffassung des NS-Staates eine „straffe Zusammenfassung“ der Kräfte notwendig. Unter „Gewährleistung der reibungslosen Fortführung ihrer kriegswirtschaftlichen Arbeit“ sollte die Organisation auf ein „Höchstmaß von Leistungsfähigkeit“ gebracht werden.82 Die Industrie- und Handelskammern gingen in diesem Zeitraum – formal betrachtet – unter. Insgesamt 41 von ihnen wurden mit sofortiger Wirkung aufgelöst.83 Die übrigen Einheiten überführte man in die Gauwirtschaftskammern, die auch die Handwerkskammern und die bisherigen Wirtschaftskammern umfassten, als Rechtsnachfolger dieser Kammern galten und ihre Aufgaben übernahmen.84 Gemäß dem Wortlaut einer dritten Verordnung von 1942 stand den Gauwirtschaftskammern zwar weiterhin das Recht zur Selbstverwaltung zu,85 allerdings wurde dieses Recht bereits 1934 zurechtgestutzt. Auch weiterhin war die Verwaltungseinheit durch den Präsidenten nach dem Führergrundsatz zu leiten.86

V. Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg Die personalen Netzwerke der vormaligen Industrie- und Handelskammern entwickelten bereits kurz nach Kriegsende ein überwiegendes Interesse dahin, an die öffentlich-rechtliche Organisationsform mit Pflichtmitgliedschaft und die überkommenen Aufgaben anzuknüpfen. Die Vollversammlung des DIHT beschloss im November 1950 eine gleichlautende Forderung und vertrat sie fortan gegenüber dem Kabinett Adenauer.87

81 Erste Verordnung zur Durchführung der Verordnung über die Vereinfachung und Vereinheitlichung der Organisation der gewerblichen Wirtschaft (Gauwirtschaftskammerverordnung [im Folgenden: GWKV]). Vom 20. April 1942., RGBl. I, S. 189. Zu den Vorgängen ab 1942 umfassend Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 349–352. 82 So der Wortlaut der Präambel der GWKV. 83 § 1 Zweite Verordnung zur Durchführung der Verordnung über die Vereinfachung und Vereinheitlichung der Organisation der gewerblichen Wirtschaft. Vom 20. April 1942., RGBl. I, S. 190. 84 §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GWKV. 85 § 1 Abs. 1 Dritte Verordnung zur Durchführung der Verordnung über die Vereinfachung und Vereinheitlichung der Organisation der gewerblichen Wirtschaft (Gauwirtschaftskammerverordnung, GWKAV [im Folgenden: GWKAV]). Vom 30. Mai 1942., RGBl. I, S. 374. 86 § 3 Abs. 1 GWKAV. 87 Gehlen, Die Industrie- und Handelskammern im Netzwerk der Kooperation von Wirtschaft und Staat, in: Hockerts / Schulz (Hg.), Der „Rheinische Kapitalismus“ in der Ära Adenauer, 2016, 51 (60). Dass die Industrie- und Handelskammern schon zu diesem Zeitpunkt ein Eigeninteresse entwickeln konnten, mag vordergründig unerklärlich erscheinen, weil sie zwischen 1942 und 1945 entweder aufgelöst wurden oder ihre Rechtspersönlichkeit durch Überführung

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B. Entstehungsgeschichte der gegenwärtigen Organisationsform  

Die Rechtsverhältnisse vor Entstehung des IHKG beschrieb der Ausschuss für Wirtschaftspolitik mit Bericht vom 19. Mai 1956 zutreffend, indem er die Begriffe Rechtsunsicherheit und -ungleichheit verwendete.88 Die Rechtsungleichheit war durch die bereits überwundene Aufteilung der Bundesrepublik unter den drei westlichen Besatzungsmächten bedingt. Das Recht der Industrie- und Handelskammern wurde in den Verwaltungszonen zuvor verschiedentlich geregelt. Dabei verwirklichten die Besatzungsmächte zuvörderst ihre Auffassung zu Pflichtverbänden. Die französischen Besatzer verordneten die Wiederanwendung früheren (Landes-) Kammerrechts,89 womit sie den Forderungen nach einer öffentlich-rechtlichen Organisationsform mit Pflichtmitgliedschaft entsprachen. Die britische Administration untersagte den Verwaltungseinheiten lediglich, die Beiträge zwangsweise beizutreiben.90 In der Besatzungszone der Vereinigten Staaten von Amerika wurden die Industrie- und Handelskammern auf eine zivilrechtliche Organisationsform mit freiwilliger Mitgliedschaft nach dem Vorbild der Chambers of Commerce verwiesen.91 Vielerorts waren die Kammern fortan als eingetragene oder nichtrechtsfähige Vereine organisiert, während ihnen in Bayern und Hessen Rechtsfähigkeit verliehen wurde.92 Nach dem Ende der Besatzungszeit erließen die Bundesländer Hamburg und Schleswig-Holstein Gesetze, die die rechtssichere Rückkehr zum früheren Landesrecht fernab von Weisungen und Erlassen gewährleisteten.93 In weiteren Bundesländern, namentlich in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz, führte die Wiederanwendung früheren Landesrechts zu der Geltung von Gesetzen mit abweichendem Stand und Inhalt.94

in die Gauwirtschaftskammern verloren ging. Indes darf darin nur ein formaler Akt gesehen werden. Die Netzwerke bestanden fort und erleichterten eine Neugründung nach 1945, s. Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 35. Der Autor geht davon aus, dass das Personal der Industrie- und Handelskammern durch die Gauwirtschaftskammern übernommen wurde und dieser Umstand eine Wiederbelebung der Organisationsform nach dem Untergang des nationalsozialistischen Systems erleichterte. 88 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik zu BT-Drs. 2/2380, S. 1 f. 89 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik zu BT-Drs. 2/2380, S. 1 f. Dass die pflichtmitgliedschaftliche Verfassung für die französische Administration nie ernsthaft zur Disposition stand, lässt sich aus dem Umstand der in Frankreich beheimateten, vergleichsweise verfassten Chambre de Commerce erklären. Heinz, DVBl 2021, 1005 (1006) liegt daneben, wenn er meint, dass die Pflichtmitgliedschaft in allen westlichen Besatzungszonen nach dem Zweiten Weltkrieg aufgehoben wurde. 90 Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 361 f. 91 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik zu BT-Drs. 2/2380, S. 2. Dies galt auch für die IHK Berlin. In Bremen waren die Industrie- und Handelskammern jedoch als Körperschaften des öffentlichen Rechts verfasst worden. 92 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik zu BT-Drs. 2/2380, S. 2. 93 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik zu BT-Drs. 2/2380, S. 1. Zu den gesetzlichen Grundlagen in Hamburg und Schleswig-Holstein Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 362 f. 94 Dazu näher Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik zu BT-Drs. 2/2380, S. 1.

VI. Die Entstehung des IHKG  

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VI. Die Entstehung des IHKG – Zu der Idee paritätisch besetzter Wirtschaftskammern Dass der Bundesgesetzgeber einen Befund der Rechtsunsicherheit und -ungleichheit belegen konnte, war in verfassungsrechtlicher Hinsicht unbedingt erforderlich. Zwar drängte sich eine Zuständigkeit des Bundes auf, da man den Kompetenztitel für das Recht der Wirtschaft (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) zurate ziehen konnte. Doch handelte es sich damals wie heute um eine Bedarfskompetenz, womit die Rechtfertigung vor dem Erforderlichkeitsmaßstab des Art. 72 Abs. 2 GG notwendig wurde. Den Nachweis konnte der Bund problemlos erbringen. Dies gilt umso mehr, da das Bundesverfassungsgericht seinerzeit noch auf Grundlage eines Verfassungstextes mit dem Inhalt einer Bedürfnisklausel einen bundesfreundlichen Umgang im Hinblick auf die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG pflegte.95 Ungeklärt war im Bundestag, ob und inwiefern die Rechtsverhältnisse der Industrie- und Handelskammern einen „neuen Anstrich“ bekommen sollten. Im Ausgangspunkt hatten Abgeordnete der CDU / CSU-Fraktion im Dezember 1955 ein Gesetz eingebracht,96 das eine Rechtsvereinheitlichung im Sinne einer Rückkehr zur Organisationsform von vor 1933 zum Gegenstand hatte. Dieses, als „begrenzte Zielsetzung“ umschriebene Vorhaben,97 sollte zwischenzeitlich sogar mit der Bezeichnung des Gesetzes zur Anschauung gebracht werden. Vorgeschlagen wurde ein Gesetz „zur Bereinigung und Vereinheitlichung des Rechts der Industrie- und Handelskammern“.98 Dem Eindruck, dass wirtschafts- und ordnungspolitische Vorstellungen in den Beratungen gar keine Rolle gespielt hätten, soll allerdings nicht das Wort geredet werden. Ganz im Gegenteil hat sich die SPD-Fraktion im Beratungsverlauf darum bemüht, die Idee paritätisch besetzter Kammern (anstelle von reinen Unternehmerkammern) Wirklichkeit werden zu lassen. Bereits in der ersten Wahlperiode zum Deutschen Bundestag wurde dieses Vorhaben erörtert, nachdem die SPD-Fraktion im Juli 1950 den „Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Wirtschaft“ eingebracht hatte.99 Der Entwurf hatte die Errichtung von paritätisch besetzten Wirtschaftskammern auf Bezirksebene unter dem Dach eines Bundeswirtschaftsrats zum Ziel.100 Hierfür griff man auf den „Vorläufigen Reichswirtschaftsrat“ 95 Zur Geschichte und Auslegung des Verfassungstextes in Art. 72 Abs. 2 GG, der mit Wirkung vom 15. November 1994 eine Änderung erfuhr, s. BVerfG, Urt. v. 21. Juli 2015 – 1 BvF 2/13 –, BVerfGE 140, 65 (Rn. 64 ff.). 96 BT-Drs. 2/1964, S. 2. 97 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik zu BT-Drs. 2/2380, S. 2. 98 S. BT-Drs. 2/2380, S. 2. 99 S. insbes. BT-Drs. 1/1229, S. 11: „Die Vollversammlung [der vorgeschlagenen Wirtschaftskammer] setzt sich je zur Hälfte aus Unternehmervertretern und Arbeitnehmervertretern zusammen.“ 100 Zu dieser Diskussion m. w. N. Nützenadel, Vierteljahresheft für Zeitgeschichte 51 (2003), 229–260.

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B. Entstehungsgeschichte der gegenwärtigen Organisationsform  

der Weimarer Republik101 als historisches Vorbild zurück. Im Rahmen der Beratungen zum Gesetzentwurf über die Industrie- und Handelskammern brachte die SPD-Fraktion auch einen Änderungsantrag ein. Danach sollte dem IHKG eine präambelartige Formulierung mit folgendem Inhalt vorangestellt werden: „Die Industrie- und Handelskammern sind Selbstverwaltungseinrichtungen der gewerblichen Wirtschaft, in denen Unternehmer und Arbeitnehmer gleichberechtigt und gleichverantwortlich im Gesamtinteresse von Industrie, Handel und Gewerbe im Kammerbezirk beraten und beschließen.“102 Wenngleich der Antrag mehrheitlich abgelehnt wurde,103 gehörte der Vorschlag über die Etablierung einer paritätisch besetzten Körperschaft zu den „Hauptstreitpunkten“ der Gesetzgebung.104 Die SPD-Fraktion war in der Folgezeit keineswegs gewillt, ihre ordnungspolitischen Vorstellungen zu Grabe zu tragen. Man wollte in den weiteren Beratungen eine Präjudizierung dieser Frage unbedingt vermeiden und stellte fortan den Regelungszweck der Vereinheitlichung in den Vordergrund.105 Die Strategie der SPDFraktion trug in zweierlei Hinsicht Früchte: Erstens wurde ein fraktionsübergreifender Konsens gefunden, der die Zustimmung für den späteren Erlass des IHKG sicherte.106 Zweitens einigte man sich mit den anderen Fraktionen darauf, die Frage der überbetrieblichen Mitbestimmung mit diesem Gesetz nicht vorentscheiden zu wollen.107 Letzteres kulminierte in dem Gesetzestitel, der starke Assoziationen zu einem behelfsmäßigen Konstrukt weckt. Im Ursprung geht die Bezeichnung auf einen Änderungsantrag der CDU / CSU-Fraktion zurück,108 der als Konzession an den hauseigenen Arbeitnehmerflügel zu verstehen war.109 Die Rechtsgrundlage 101

Diese Organisation wurde 1920 mit Blick auf den in Art. 165 WRV enthaltenen Auftrag als eigenständiges Verfassungsorgan mit weitreichenden gesetzgeberischen Funktionen gegründet, um Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände in den politischen Entscheidungsprozess gleichermaßen einzubinden, s. Nützenadel, Vierteljahresheft für Zeitgeschichte 51 (2003), 229 (230, 236 ff.). 102 BT-Prot., 2. Wahlperiode, 167. Sitzung, S. 9256 f. 103 BT-Prot., 2. Wahlperiode, 167. Sitzung, S. 9236. 104 So Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 370. 105 S. etwa die Aussagen des Abgeordneten Lange, BT-Prot., 2. Wahlperiode, 167. Sitzung, S. 9236. 106 Obwohl die SPD-Fraktion mit der Zielsetzung der Rechtsvereinheitlichung übereinstimmte, verweigerte sie dem Gesetz ihre Zustimmung, da sie in dem Gesetz „nicht die Beschränkung auf die Vereinheitlichung des Rechts erkennen“ konnte (BT-Prot., 2. Wahlperiode, 173. Sitzung, S. 9569). 107 S. die Aussagen der Abgeordneten Schmücker (CDU / CSU), Bürkel (CDU / CSU), ­Hoffmann (FDP) und Lange (SPD), BT-Prot., 2. Wahlperiode, 167. Sitzung, S. 9221, 9222, 9236 bzw. der Abgeordneten Sabel (CDU / CSU) und Petersen (GB / BHE), BT-Prot., 2. Wahlperiode, 173. Sitzung, S. 9570. 108 BT-Prot., 2. Wahlperiode, 167. Sitzung, S. 9257. 109 So Gehlen, Die Industrie- und Handelskammern im Netzwerk der Kooperation von Wirtschaft und Staat, in: Hockerts / Schulz (Hg.), Der „Rheinische Kapitalismus“ in der Ära ­Adenauer, 2016, 51 (61). Dass der Arbeitnehmerflügel der CDU die Idee der paritätischen Mitbestimmung mit ähnlichem Engagement wie die SPD verfolgte, lässt sich auch an dem Inhalt einer kleinen Anfrage aus der fünften Wahlperiode zum Deutschen Bundestag ablesen (s. BTDrs. 5/2218, S. 2).

VI. Die Entstehung des IHKG  

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der IHK bildet seit dem 18. Dezember 1956 das „Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern“110. Zwar hat das Gesetz bis zum heutigen Tage über 20 geringfügige Änderungen erfahren.111 Doch hat sich bisher kein Gesetzgeber dazu bereit erklärt, die Vorgaben von ihrem provisorischen Anstrich zu befreien.

110 BGBl I, S. 920. Der erste rechtswissenschaftliche Beitrag zum IHKG findet sich – soweit ersichtlich – bei Bremer, JR 1957, 81–85. 111 Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, Einf. Rn. 34. Soweit ersichtlich konnte diese überblicksartige Darstellung lediglich die jüngst eingeführte Übergangsregelung, § 13b IHKG, und die mit dem Gesetz vom 7. August 2021 bedingten Änderungen (dazu näher unter F. V.) nicht berücksichtigen.

C. Der Auftrag gewerbliche Interessenrepräsentanz Das Gesetz bezeichnet die Hauptaufgabe der IHK an prominenter Stelle. Ihr ist nach § 1 Abs. 1 IHKG aufgegeben, „das Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirkes wahrzunehmen, für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft zu wirken und dabei die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen“. Ihr obliegt insbesondere, „durch Vorschläge, Gutachten und Berichte die Behörden zu unterstützen und zu beraten sowie für Wahrung von Anstand und Sitte des ehrbaren Kaufmanns zu wirken“. Diese Wendungen fordern die Verwaltungseinheit zur unterstützenden Tätigkeit nach innen – gegenüber den Kammer­zugehörigen112 – sowie nach außen – gegenüber allen Erscheinungsformen des Staates – auf. § 1 Abs. 2 IHKG breitet den Förderauftrag gegenüber den Belangen der eigenen Mitgliedschaft näher aus. Dieser Vorschrift und den (Teil-)Zuständigkeiten im Rahmen der Wirtschaftsverwaltung, die den weiteren Absätzen entnommen oder der Einheit gem. § 1 Abs. 4 IHKG in Verbindung mit Bundes- oder Landesgesetzen übertragen werden können, kommen in dieser Untersuchung keine Relevanz zu.113 Vielmehr soll der Auftrag zur gewerblichen Interessenrepräsentanz umfassend ausgeleuchtet werden. Dazu zählt zuvörderst eine Suche nach den Sinn- und Zweckgehalten (I.). Daran schließt sich die Darstellung einer verwaltungspraktisch informierten Typik an (II.). Der einschlägige Rechtsrahmen ergibt sich aus dem Zusammentreffen von verfassungsrechtlichen Direktiven und gesetzlichen Erfor-

112 Die Begriffsbildung im IHKG ist von einem aristokratischen Grundzug geprägt und folgt den historischen Vorläufern. Den verpflichtend zusammengeschlossenen Gewerbetreibenden wird die Anerkennung als „Mitglied“ verweigert. Sie gelten als „Kammerzugehörige“ (s. § 2 Abs. 1 IHKG) oder „Beitragspflichtige“ (s. § 3 Abs. 3 IHKG). Den Begriff des Mitglieds verwendet das Gesetz lediglich im Hinblick auf die Mitgliedschaft in der Vollversammlung, die auf eine Wahl durch die Kammerzugehörigen zurückreicht (s. § 5 Abs. 1 IHKG). 113 § 1 Abs. 4 IHKG eröffnet ein diffuses Aufgabenfeld, dessen Inhalt Wernicke, in: Junge /  Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, § 1 Rn. 211 ff. entnommen werden kann. Es überrascht, welche Uneinigkeit im Grundsätzlichen das Aufgabenportfolio der IHK zutage fördert. Stober, Dauerbaustelle Kammerrechtsreform, in: Ennuschat / Geerlings / Mann / Pielow (Hg.), GS Tettinger, 2007, 189 (201) erkennt einen monistischen Aufgabenbestand. Daneben existieren Auffassungen, die zwei (so BVerfG, Beschl. v. 19. Dezember 1962 – 1 BvR 541/57 –, BVerfGE 15, 235 [241]; Beschl. v. 7. Dezember 2001 – 1 BvR 1806/98 –, juris Rn. 39; Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 [Rn. 89]; Frotscher / Kramer, Wirtschaftsverfassungs- und Wirtschaftsverwaltungsrecht, 7. Aufl. 2019, Rn. 772), drei (so Tettinger, DÖV 1995, 169 [172]; Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, Einf. Rn. 23) oder sogar vier (so Kluth, Verfassungsfragen der Privatisierung von Industrie- und Handelskammern, 1997, S. 42) Aufgabenblöcke unterscheiden.

I. Der rechtshistorisch angeleitete Sinn- und Zweckgehalt 

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dernissen (III.). Den Abschluss bildet eine Normanalyse zu § 1 Abs. 1 IHKG unter besonderer Berücksichtigung des Interessebegriffs (IV.).

I. Der rechtshistorisch angeleitete Sinn- und Zweckgehalt Der Bundesgesetzgeber hat es unterlassen, die Aufgabenbeschreibung des § 1 Abs. 1 IHKG mit einem ausdrücklichen Sinn- und Zweckgehalt zu versehen. Da sich der Wortlaut jedoch – wie eben gesehen – in der Rechtsgeschichte bis zur PrHKVO 1848 zurückverfolgen lässt, kann diese Lücke mit einer historisch angeleiteten Erläuterung geschlossen werden. 1. Die Aufgabenverantwortung der Handelskammern als institutionelles Arrangement Die Ermächtigung der Handelskammern zur Mitteilung ökonomischer Interessen und wirtschaftspolitischer Vorstellungen gegenüber staatlichen Entscheidungsträgern fügt sich in die preußische Reformpolitik des frühen 19. Jahrhunderts ein. Ihr Ziel war, den Staat effizienter aufzubauen und die Ordnung von Staat und Gesellschaft von absolutistischen Vorstellungen zur liberalen Prägung umzugestalten.114 Dem preußischen Staat war auch daran gelegen, die Wirtschaftspolitik passgenau auszurichten. Die Handels- und Investitionsbereitschaft der Gewerbetreibenden sollte stimuliert werden, um den Steuerertrag zu vergrößern.115 Zu der Erzählung des eigennützig reformierenden preußischen Staatswesens passt, dass die Aufgabe Interessenrepräsentanz in den Händen der Handelskammern als Ergebnis eines Tauschhandels zwischen Prinzipal (preußische Regierung) und Agenten (Handel- und Gewerbetreibende) mithilfe des wirtschaftstheoreti-

114

Man denke nur an die preußischen Reformen, die mit den Namen Karl Freiherr vom Stein und Karl August von Hardenberg verbunden sind. Die Reformer deuteten etwa im Wege der Städteordnung von 1808 das Prinzip kommunaler Selbstverwaltung allmählich an und drängten den absolutistischen Herrschaftsanspruch vorsichtig zurück. Dazu m. w. N. Heffter, Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert, 1950, S. 84 ff.; Grzywatz, Stadt, Bürgertum und Staat im 19. Jahrhundert, 2003, S. 63 ff.; Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Zweiter Band: Staatsrechtslehre und Verwaltungswissenschaft 1800–1914, 1992, S. 60 ff. 115 Gehlen, Selbstregulierung der Wirtschaft als evolutorischer Prozess: Die preußischen Handelskammern zwischen staatlichem Auftrag und regionaler Interessenorganisation (1800 bis 1870), in: Collin / Bender / Ruppert / Seckelmann / Stolleis (Hg.), Selbstregulierung im 19.  Jahrhundert, 2011, 253 (265). Gleichgerichtet Most, Die Selbstverwaltung der Wirtschaft in Industrie- und Handelskammern, 2. Aufl. 1929, S. 20 – Hervorh. i. O.: „Staatliches Bedürfnis hat die Industrie- und Handelskammern geschaffen.“ Zur (relativen) ökonomischen Rückständigkeit Deutschlands gegenüber England und Frankreich im 19. Jahrhundert Gerschenkron, Economic Backwardness in Historical Perspective, 1962, insbes. S. 44.

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C. Der Auftrag gewerbliche Interessenrepräsentanz  

schen Prinzipal-Agent-Konzepts116 gelesen werden kann.117 Den Ausgangspunkt stellt eine verstetigte Informationsasymmetrie über die Abläufe in Handel und Gewerbe im eigenen Hoheitsgebiet zulasten des Prinzipals dar. Das Wissens- und Informationsdefizit des preußischen Staates, welches im Rahmen des unaufhaltbaren Diversifizierungsprozesses in der Wirtschaft noch vielgestaltiger zu werden drohte, traf auf einen Wissensvorsprung bei den Gewerbetreibenden. Aus der Zusammenschau weiterer staatlicher Bedürfnisse – zu nennen sind die Identifikation von zu stark oder zu schwach regulierten Wirtschaftszweigen oder der Wunsch nach einer verbesserten Gesetzesfolgenabschätzung –118 erwuchs schließlich das Bedürfnis zum Informationsausgleich mit den Handel- und Gewerbetreibenden. Damit die Unternehmen ihre Informationen durch die Erstattung von Gutachten oder Berichten nach den Vorstellungen der daran interessierten staatlichen Einheiten übermittelten, musste man ihnen einen Anreiz bieten. An dieser Stelle kam die Gewährung der Aufgabe Interessenrepräsentanz ins Spiel. Das staatliche Zu 116

Das Prinzipal-Agent-Konzept beschreibt (s. die Erläuterung bei Oehlrich, JURA 2020, 887 [890 ff.]; Schmolke, Vertragstheorie und ökonomische Analyse des Vertragsrechts, in: Towfigh /  Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2. Aufl. 2017, § 5 Rn. 304–310; Sacksofsky, Anreize, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 2, 2. Aufl. 2012, § 40 Rn. 45 ff.) zunächst einmal ein Kontroll- und Steuerungsdefizit bzw. eine Informationsasymmetrie in der (bspw. auf einem Delegationsakt beruhenden) Beziehung zwischen dem Prinzipal und dem Agenten zu Lasten des Erstgenannten. Die Ursachen dessen sind in den folgenden Annahmen zu sehen: Selbst, wenn der Agent auf das Interesse des Prinzipals verpflichtet wäre, ist davon auszugehen, dass der Agent (auch) seinen eigenen Nutzen verfolgen und maximieren wird. Dieser Anreiz folgt aus dem Informationsvorsprung des Agenten, den er etwa dadurch gewinnt, dass er der zu erledigenden Angelegenheit nähersteht (man unterscheidet „hidden ­action“ und „hidden information“). Damit besteht die Gefahr, dass der Agent nicht die Leistungen erbringt, die der Prinzipal von ihm erwartet. Für die Linderung oder gänzliche Auflösung dieser Problematik zugunsten des Prinzipals, d. h. zur Gewinnung einer (lückenlosen) Kontrolle über diese Tendenzen, werden zwei Lösungsstrategien erdacht. Einerseits wird an das „monitoring“ bzw. die Überwachung durch Berichtspflichten, Aufsichtsräte o. Ä. erinnert, womit ansonsten im Verborgen bleibende Aktivitäten oder Informationen aufgedeckt werden können. Andererseits wird eine Interessenangleichung („alignment of interests“) erwogen. Hierbei wird der Agent „belohnt“, wenn er in Übereinstimmung mit dem Interesse des Prinzipals handelt (z. B. durch eine anreizsteuernde Bezahlung). Es zeigt sich, dass beide Lösungsstrategien nicht kostenfrei zu erlangen sind. Die dazugehörigen Kosten werden als Agenturkosten betitelt. 117 Gehlen, Selbstregulierung der Wirtschaft als evolutorischer Prozess: Die preußischen Handelskammern zwischen staatlichem Auftrag und regionaler Interessenorganisation (1800 bis 1870), in: Collin / Bender / Ruppert / Seckelmann / Stolleis (Hg.), Selbstregulierung im 19.  Jahrhundert, 2011, 253 (264 ff.). 118 Wie erheblich das Informationsdefizit auf Seiten des preußischen Staates über die Abläufe in der Wirtschaft war, lässt sich aus heutiger Sicht kaum mehr begreiflich machen. Es muss jedoch festgehalten werden, dass zum preußischen Hoheitsgebiet Provinzen mit ganz eigenen Rechts- und Handelstraditionen sowie Wirtschaftsstrukturen gehörten. Die Gutachtertätigkeit der Handelskammern, bspw. über die Lauterkeit eines Handels, war damals eine Ressource, auf die der preußische Staat unbedingt zurückgreifen wollte (Gehlen, Selbstregulierung der Wirtschaft als evolutorischer Prozess: Die preußischen Handelskammern zwischen staatlichem Auftrag und regionaler Interessenorganisation (1800 bis 1870), in: Collin / Bender / Ruppert /  Seckelmann / Stolleis [Hg.], Selbstregulierung im 19. Jahrhundert, 2011, 253 [264 f.]).

I. Der rechtshistorisch angeleitete Sinn- und Zweckgehalt 

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geständnis an die Handelskammern fiel nicht ins Gewicht, weil es kostengünstiger als eine inkonsistente Wirtschaftsgesetzgebung erschien. Das gefundene institutionelle Arrangement bedingte auch eine personelle und finanzielle Entlastung des Staates, da, fernab der Übertragung öffentlicher Aufgaben auf eine verselbstständigte Verwaltungseinheit, auch preußische Beamte in die Regierungsbezirke zur Erhebung der erforderlichen Informationen hätten entsendet werden können. Nach Anstrengung eines Vergleichs wird aber schnell offenbar, dass die letztgenannte Option aus Sicht des Staates die kostenintensivere Alternative darstellte. In Zweifel zu ziehen wäre auch, ob Beamte einen belastbaren Einblick in die ökonomischen Abläufe hätten gewinnen können. Denn selbst ein Beamter mit ökonomischer Voroder sogar Ausbildung wird das Wirtschaftsgeschehen mit anderen Augen als ein Gewerbetreibender sehen.119 Dass die Kaufleute in der Aufgabenüberantwortung ein Zugeständnis von großem Wert erkannten, mag aus heutiger Sicht überraschen. Man hält möglicherweise für selbstverständlich, mit welcher Regsamkeit der Staat des Grundgesetzes Bürger oder Interessenverbände bei seinen Entscheidungsprozessen beteiligt. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sei etwa auf Instrumente wie das Petitionsrecht (Art. 17 GG) oder die Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene hingewiesen. Ferner arbeitet der Staat in „Konzertierten Aktionen“120, „Kanzlertreffen“ oder „Arbeitskreisen“, in „Beiräten“ oder „Bündnissen für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit“, an „Runden Tischen“, in der Mindestlohn- oder Kohlekommission mit interessenvertretenden Akteuren zusammen, um den Verbandseinfluss in halbwegs rechtsförmige Bahnen zu kanalisieren und die Akzeptanz seiner Politik gesamtgesellschaftlich abzusichern. Aus der damaligen Sicht auf ein obrigkeitlich agierendes Staatswesen erschienen derartige Formen der Durchlässigkeit von Staat und Gesellschaft als utopisch. Das Recht, mit Behörden in Kontakt zu treten, musste man sich „verdienen“. Mit der grundsätzlichen Gewährleistung derartiger Garantien war überdies keine Aussage über deren Qualität getroffen. Auch das Versprechen auf einen besseren Zugang zu den Behörden war aus Sicht des Handels wertvoll.121 119

S. hierzu auch die Einschätzung des Handelsministers v. Itzenpilz in: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten (1869/1870), Band 3, 1870, 47. Sitzung vom 14. Januar 1870, S. 1449: „[I]ch muß auch wissen, wen ich fragen soll, wenn ich über eine neue Angelegenheit – die in der Industrie jetzt alle Tage auftauchen, meine Herren  – auch noch andere Leute hören will, als blos die Beamten. […] [E]s ist doch sehr nützlich, […] die zu hören, die selber Interessen vertreten, die selber das Gewerbe betreiben. […] [D]araus erwächst eine reifere Beurtheilung.“ Diesen Gesichtspunkt verkennt Kluth, Die Strukturierung von Wissensgenerierung durch das Verwaltungsorganisationsrecht, in: Spiecker gen. Döhrmann / Collin (Hg.), Generierung und Transfer staatlichen Wissens im System des Verwaltungsrechts, 2008, 73 (86), der die Wahl des organisatorischen Arrangements „vor dem Hintergrund“ der „Tradition von Selbstverwaltung und Ehrenamt“ erklären möchte. 120 § 3 Abs. 1 S. 1 Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft. 121 Gehlen, Selbstregulierung der Wirtschaft als evolutorischer Prozess: Die preußischen Handelskammern zwischen staatlichem Auftrag und regionaler Interessenorganisation (1800 bis 1870), in: Collin / Bender / Ruppert / Seckelmann / Stolleis (Hg.), Selbstregulierung im 19.  Jahrhundert, 2011, 253 (260 u. 261).

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C. Der Auftrag gewerbliche Interessenrepräsentanz  

2. Pflichtmitgliedschaft und Gesamtinteresse als Bestandteile des institutionellen Arrangements In die staatlichen Überlegungen war noch ein weiterer Faktor einzustellen. Die Aufgabenüberantwortung an die Handelskammern beinhaltete die Gefahr, dass die Kaufleute eigene Interessen im Übermaß in einen auf die Zwecke des gesamten Volkes verpflichteten staatlichen Willensbildungsprozess einbrachten. Diese Gefahr konnte der Staat einigermaßen wirksam durch schlichte Nichtberücksichtigung der mitgeteilten Erwägungen verhüten. Die Gefahr, dass die Handelskammern dem Staat unter dem Deckmantel eines vorgeblich objektiven Berichts unvollständige Informationen respektive mit ausgewählten Interessenstandpunkten durchmischte Informationen darlegten, war jedoch ungleich größer. Denn die preußische Regierung musste auf die Richtigkeit der Erhebungen vertrauen, weil sie den repräsentativen Charakter der Standpunkte nicht mit eigenem Personal nachprüfen konnte und wollte. Da man zugleich bestrebt war, unausgewogenen staatlichen Entschließungen auf dem Gebiet der Wirtschaft und der Verfolgung von Partikularinteressen Einhalt zu gebieten, musste der Staat Vorkehrungen in der Organisation treffen. Der preußische Gesetzgeber verwendete hierfür zwei Instrumente. In einem ersten Schritt musste die Übereinstimmung zwischen der Kaufmannschaft eines Bezirks und den Wahlberechtigten der dazugehörigen Handelskammer hergestellt werden. Dies gelang durch Einführung einer Beitrittspflicht zu den Handelskammern. § 3 Abs. 1 PrHKG 1870 stellte dies sicher, indem das Wahlrecht für die Mitglieder122 der Handelskammer denjenigen Kaufleuten und Gesellschaften gewährt wurde, die im Handelsregister eingetragen waren.123 Mit dem periodisch entstehenden Wahlrecht war auch die Pflicht zur anteiligen Begleichung der laufenden Kosten des Organisationsetats verbunden.124 Vor diesem Hintergrund lässt sich feststellen, dass § 3 Abs. 1 PrHKG 1870 sowohl die Beitritts- als auch die Beitragspflicht für alle im Handelsregister eingetragenen Kaufleute etablierte. Der Gesetzgeber verpflichtete die Handelskammern mit § 1 PrHKG 1870 ferner dazu, dass jegliche Mitteilung von Interessenlagen zugleich eine Darstellung der „Gesammt­ interessen der Handel- und Gewerbetreibenden“ zu ergeben hatte. Damit erkannte er an, dass die Organisation schon damals durch eine äußerst heterogene Mitgliedschaft geprägt war und ein interner Interessenausgleich der organisationsexternen Kommunikation vorgeschaltet werden musste. Nimmt man die Ausführungen des 122

Der Terminus „Mitglied“ war auch im PrHKG 1870 für die (gewählten) Mitglieder einer Handelskammer (der Vertreterversammlung), nicht jedoch für den Kreis aller Wahlberechtigten vorbehalten. 123 § 3 Abs. 2 PrHKG 1870 lautete noch: „Mit Genehmigung des Handelsministers kann jedoch für einzelne Handelskammern nach Anhörung der Betheiligten bestimmt werden, daß das Wahlrecht außerdem durch die Veranlagung in einer bestimmten Klasse oder zu einem bestimmten Satze der Gewerbesteuer vom Handel bedingt sein soll.“ 124 § 23 Abs. 1 PrHKG 1870: „Die etatsmäßigen Kosten werden auf die sämmtlichen Wahlberechtigten nach dem Fuße der Gewerbesteuer vom Handel veranlagt und als Zuschlag zu dieser erhoben.“

I. Der rechtshistorisch angeleitete Sinn- und Zweckgehalt 

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Historikers Boris Gehlen zur Hand, muss man schlussfolgern, dass die Überlegungen des Gesetzgebers tatsächliche Wirksamkeit erlangten. Er meint, dass die „Gutachten [der Handelskammer] generell den kleinsten gemeinsamen Nenner im Kammerbezirk darstellten.“ In positiver Wendung gewährleistete die heterogene Mitgliedschaft „wertfreie, allgemeingültige Aussagen“, da nur verlautbart werden konnte, „was Konsens der gesamten Wirtschaft vor Ort war“.125 In Anbetracht der bisherigen Überlegungen wäre es naheliegend gewesen, wenn der Staat auch einen überregionalen Zusammenschluss der Handelskammern in den Formen des öffentlichen Rechts verfügt hätte. Eine derartige Organisation hätte den Informationsfluss zum Sitz der Regierung besonders effizient gestalten können. Die Regierung stellte sich jedoch keine zentrale Handelskammer vor. Den Handelskammern verblieb daher nur die Möglichkeit, ab 1861 unter dem Dach des neugegründeten DHT, einem privatrechtlichen Verein, zusammen mit Handelsund Gewerbekammern, Handels-, Fabrik- und Gewerberäten, Korporationen und Vereinen gemeinsame Standpunkte zu verhandeln.126 Die Betroffenen standen der Idee einer „zentralen Handelskammer“ ohnehin mehrheitlich ablehnend gegenüber. So brachte etwa die Handelskammer Aachen vor Schaffung des PrHKG 1870 den Vorschlag ein, den Preußischen Handelstag127 zur gesetzlichen Vertretung aller preußischen Handelskammern zu erheben.128 Dieser Vorschlag fand allerdings unter den stimmberechtigten Kammern keine Zustimmung. Die Mehrzahl der Handelskammern befürchtete eine Entwertung des DHT als Gesamtvertretung der deutschen Kaufmannschaft und wollte der privatrechtlichen Vereinigung weiterhin den Vorzug geben.129 Im Vorlauf zur Novelle des Handelskammerrechts von 1897 kam die Frage nach einer zentralen Repräsentanz von Handel und Gewerbe abermals auf.130 Mit einer gleichlautenden Argumentation wie zuvor lehnten die Kammern die Einführung einer gesetzlich verfassten Zentralinstanz einstimmig ab.131

125

Gehlen, Selbstregulierung der Wirtschaft als evolutorischer Prozess: Die preußischen Handelskammern zwischen staatlichem Auftrag und regionaler Interessenorganisation (1800 bis 1870), in: Collin / Bender / Ruppert / Seckelmann / Stolleis (Hg.), Selbstregulierung im 19.  Jahrhundert, 2011, 253 (271). 126 Zu den Organisationsproblemen des DHT, die aus der diversifizierten Mitgliedschaft erwuchsen, s. Gehlen, Wirtschaftspraktische Expertise im Organisationsdilemma: Der Deutsche Handelstag im Institutionengefüge des Deutschen Reichs (1867/71-ca. 1900), in: Ambrosius /  Henrich-Franke / Neutsch (Hg.), Föderalismus in historisch vergleichender Perspektive, 2018, 127 (128 ff.). 127 Der preußische Handelstag verhandelte erstmals 1860, s. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1849–1914, Bd. 3, 2. Aufl. 2006, S. 353. 128 Fischer, Unternehmerschaft Selbstverwaltung und Staat, 1964, S. 71. 129 Fischer, Unternehmerschaft Selbstverwaltung und Staat, 1964, S. 72. 130 Fischer, Unternehmerschaft Selbstverwaltung und Staat, 1964, S. 75 f. 131 Fischer, Unternehmerschaft Selbstverwaltung und Staat, 1964, S. 76.

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C. Der Auftrag gewerbliche Interessenrepräsentanz  

3. Die kaufmännischen Korporationen als nachteilige Organisationsform Die bisherigen Ausführungen erklären noch nicht, warum die Regierung das Modell der Handelskammer gegenüber der kaufmännischen Korporation bevorzugte. Zur Beantwortung dieser Frage reicht es nicht aus, auf das die Handelskammern kennzeichnende Strukturprinzip der Pflichtmitgliedschaft zu verweisen. Denn auch Teile der Korporationen waren, trotz ihrer vorgeblich freiwilligen Beitrittsmöglichkeit, zumindest bis in das Jahr 1861 zur Erfassung nahezu aller lokalen Kaufleute imstande. Die Ursache bildetete ihre Befugnis zur Verleihung der kaufmännischen Rechte. Der Großteil der Korporationen verlieh diese Rechte ausschließlich an die eigene Mitgliedschaft. Dies führte die formale Beitrittsfreiheit ad absurdum und kam einem „Beitrittszwang durch die Hintertür“ gleich.132 Überdies waren den Korporationen auch öffentlich-rechtliche Befugnisse erteilt worden, sodass der Charakter einer freien Vereinigung nur mit Abstrichen angenommen werden durfte.133 Entscheidend war vielmehr, dass die kaufmännischen Korporationen kein flächendeckendes System organisierter Kaufleute bereithielten. Sie bildeten sich in der Regel dort, wo eine lokale Kaufmannschaft von einigem Gewicht bestand, weshalb sie vor allem in den großen Handels- und Seestädten anzutreffen waren. In den kleineren Handelsbezirken und den strukturschwachen Regionen fehlte es hingegen an den Entstehungsvoraussetzungen. Die Korporationen konnten damit nicht zu allen Regionen Gutachten über die Bedürfnisse der lokalen Kaufleute und Vorschläge über die Förderungsmöglichkeiten der örtlichen Wirtschaft unterbreiten. Aus Sicht eines Staatswesens, das an der Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Lage unter Abbau ökonomischer Rückständigkeit in strukturschwachen Regionen interessiert war, war dies unzureichend.134 Den Handelskammern geriet also die Gewährleistung einer flächendeckenden Struktur zum maßgeblichen Vorteil, um in der Gunst der preußischen Regierung aufzusteigen.135 Sie wiesen, mit anderen Worten, eine „bessere Eignung für statistische Aufgaben“ auf.136 Der Behördencharakter der Handelskammern beförderte den einwandfreien Leumund. Er ließ eine Integration in den Staatsaufbau zu und gestattete den erleichterten Zugriff 132

Gehlen, Selbstregulierung der Wirtschaft als evolutorischer Prozess: Die preußischen Handelskammern zwischen staatlichem Auftrag und regionaler Interessenorganisation (1800 bis 1870), in: Collin / Bender / Ruppert / Seckelmann / Stolleis (Hg.), Selbstregulierung im 19.  Jahrhundert, 2011, 253 (269 f.). Kluth, Entwicklungsgeschichte der deutschen Kammern, in: ders. (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 3 Rn. 66 spricht von einem „faktischen Beitrittszwang“. In diesem Sinne auch Schmaltz, Die Entwicklung der Industrie- und Handelskammern, 2010, S. 144. 133 Schmaltz, Die Entwicklung der Industrie- und Handelskammern, 2010, S. 145. 134 Gehlen, Selbstregulierung der Wirtschaft als evolutorischer Prozess: Die preußischen Handelskammern zwischen staatlichem Auftrag und regionaler Interessenorganisation (1800 bis 1870), in: Collin / Bender / Ruppert / Seckelmann / Stolleis (Hg.), Selbstregulierung im 19.  Jahrhundert, 2011, 253 (261). 135 Kompe, Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 4. Bd. (1865), 121 (130). 136 Schmaltz, Die Entwicklung der Industrie- und Handelskammern, 2010, S. 145.

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auf die dortigen Abläufe. Demgegenüber standen die Korporationen außerhalb der Staatsverwaltung, weshalb „Eingriffe“ in den Betrieb nur unter erschwerten Bedingungen zulässig waren.137 4. Zwischenfazit: Die Pflichtmitgliedschaft als Rechtsbegünstigung? Nur schwerlich wird man in Anbetracht dieser Entwicklungslinien zu der Auffassung gelangen, dass sich die verpflichtende Zugehörigkeit zu einer Handelskammer für die Kaufleute als ausschließliche Rechtsbegünstigung darstellte. Zwar war von Vorteil, dass man mit gesetzlicher Gestattung – vermittelt durch die Organisation – auf die wirtschaftsrelevanten Entscheidungen des Staates Einfluss nehmen und mit dem Wahlrecht über die Zusammensetzung der Handelskammer mitentscheiden konnte. Dennoch waren die Handelskammern kein Instrument, um Partikularinteressen zu verfolgen, sondern forderten von Beginn an den internen Interessenausgleich. Das Arrangement war überwiegend auf das Eigeninteresse des Staates ausgerichtet, sodass es sich vor allem aus seiner Perspektive als effizient ergab. Dies wird unmittelbar offenbar, wenn sich der Staat von der Finanzierung freizeichnet und die Wahlberechtigten für die Errichtungs- und Betriebskosten einer Organisation aufkommen lässt, die öffentliche Aufgaben wahrnimmt. Ferner ist von Relevanz, dass die ehrenamtlich Tätigen nur in den Bahnen des disziplinierend wirkenden Organisationsgesetzes walten konnten. Die Aktivitäten standen von Anfang an unter dem Damoklesschwert staatlicher Aufsicht, weshalb jede Satzung der Bestätigung bedurfte und jeder zu freigiebige Auftritt der Beanstandung unterlag. Dass ihr Auftrag insgesamt dienend ausgerichtet war, lässt sich bspw. den Motiven zum PrHKG 1870 und der dazu ergangenen Kommentierung entnehmen, in der nahezu unisono von der „Vermittelung der Beziehungen zwischen dem Handelsstande und der Staats-Regierung“138, „Hülfs-Anstalten“ der Staatsverwaltung,139 und „beratende[n] Fachorgane[n]“140 die Rede ist. Speziell das PrOVG hat sich hervorgetan und unter Rekurs auf den Wortlaut des § 1 PrHKG 1870 die unterstützenden Funktionen betont.141 Die vom PrOVG vorgenommene Charakterisierung der Handelskammern als „staatliche Hülfsorgane“142 bzw. „Hülfsorgane der Staatsregierung“143 war

137

Zeitgenössisch Kompe, Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 4. Bd. (1865), 121 (130); gleichgerichtet Collin, Privat-Staatliche Regelungsstrukturen im frühen Industrie- und Sozialstaat, 2016, S. 47. 138 Sammlung sämmtlicher Drucksachen des Hauses der Abgeordneten, 10. Legislaturperiode, II. Session 1868/1869, Band 3, Nr. 169, 1869, S. 14 – Hervorh. n. h. 139 Sammlung sämmtlicher Drucksachen des Hauses der Abgeordneten, 10. Legislaturperiode, II. Session 1868/1869, Band 4, Nr. 320, 1869, S. 2 – Hervorh. n. h. 140 Lusensky, Gesetz über die Handelskammern. Vom 24. Februar 1870 in der Fassung des Gesetzes vom 19. August 1897 – Kommentar, 2. Aufl. 1909, S. 54 – Hervorh. n. h. 141 PrOVG, Urt. v. 21. März 1990, PrOVGE 19 (1890), 62 (67 f.). 142 PrOVG, Urt. v. 21. März 1990, PrOVGE 19 (1890), 62 (69) – Hervorh. n. h. 143 PrOVG, Urt. v. 21. März 1990, PrOVGE 19 (1890), 62 (67) – Hervorh. n. h.

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maßstabsetzend, weshalb auch noch das Bundesverfassungsgericht auf diese Wendung für die Klassifizierung der IHK zurückgriff.144 Mit positiv besetzten Schlagworten wie Dezentralisierung, Aktivierung der Bürger, Schutz der innerhalb einer Gruppe von Betroffenen bestehenden Minderheiten, Vernetzung von Staat und Gesellschaft, Integration der Bürger in den Staat oder Demokratisierung von Sozialbereichen, die der Belebung der Selbstverwaltungsidee pauschal beigemessen werden,145 lässt sich dieser Vorgang allenfalls in einem Untertitel kennzeichnen. 5. Sinn- und Zweckgehalt von § 1 Abs. 1 IHKG Danach lässt sich der Sinn und Zweck von § 1 Abs. 1 IHKG wie folgt beschreiben: Dem Staat obliegt die Aufgabe der Wirtschaftsförderung, während der IHK im weitesten Sinne aufgegeben ist, den Staat bei Wahrnehmung dieser Aufgabe zu unterstützen. Weil staatlicherseits die Aufgabe der Wirtschaftsförderung nur mit einem Sachverstand wahrgenommen werden kann, über den der Staat in Teilen nicht einmal durch die Anstellung von ökonomisch vorgebildeten Beamten oder die Einholung von Stellungnahmen aus den geförderten volkswirtschaftlichen Forschungsinstituten verfügen wird, muss dieser Sachverstand verwaltungsextern aktiviert werden. Die zuverlässige Aktivierung gelingt dem Staat, weil der IHK das Mandat zur Interessenrepräsentanz zusteht. Das Problem eines staatlichen Informationsdefizits wird insoweit durch ein institutionelles Arrangement gelöst, wonach denjenigen, die dem Staat die erforderlichen Informationen verschaffen können, eine Motivation zur ehrenamtlichen Mehrarbeit zuteilwird. Die IHK darf auf Grundlage von § 1 Abs. 1 IHKG nämlich mehr als nur eine schlichte statistische Mitteilung über die wirtschaftliche Lage nach den Wünschen der Regierung anfertigen. Ihr ist gestattet, aus eigenem Antrieb ein Gesamtinteresse gegenüber allen staatlichen Instanzen und der allgemeinen Öffentlichkeit zur Geltung zu bringen. Der Jurist Kompe hat diese Überlegungen bereits 1865 in einer Art und Weise formuliert, die noch heutzutage Gültigkeit beansprucht: „In der Aufgabe des modernen Staates, die Befriedigung der berechtigten Bedürfnisse seiner Angehörigen zu vermitteln, liegt auch die Sorge für den Handel und Verkehr; in diesem Sinne gehören die industriellen und mercantilen Interessen in das Gebiet des Staatsverwaltungsrechts, und es besteht wohl darüber kein Zweifel, dass die Staatsbehörden, wollen sie diese ihre Aufgabe erfüllen, die praktischen Erfahrungen aus den Kreisen der Selbstbetheiligten benutzen müssen.“146 Dass der Staat die Aufgabenüberantwortung an die IHK guten Gewissens vollziehen kann, liegt an den organisatorischen Vorkehrungen, die er auch im IHKG 144

BVerfG, Beschl. v. 19. Dezember 1962 – 1 BvR 541/57 –, BVerfGE 15, 235 (241). Dazu näher unter D. IV. 2. u. 3. 146 Kompe, Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 4. Bd. (1865), 121. 145

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trifft. Die Verpflichtung auf ein wahrzunehmendes Gesamtinteresse sorgt dafür, dass dem Staat ein organisationsintern vorstrukturierter Standpunkt entgegengebracht wird, in dem die Interessen aller verkammerten Wirtschaftszweige Niederschlag finden. Dass die unterbreitete Meinung tatsächlich das „Gesamtinteresse“ darstellt, darf der Staat wegen der Pflichtmitgliedschaft aller Gewerbetreibenden und einer verfügbaren Technik der Repräsentation annehmen. 6. Das gewerbepolitische Mandat im Kontext gegenwärtiger Politikberatung In Fortführung dieser Überlegung lässt sich die – zugegebenermaßen äußerst provokante – Frage stellen, ob der Gesetzgeber heutzutage, d. h. für den Fall der erstmaligen Errichtung der IHK, noch zu diesem Zugeständnis gezwungen wäre. Immerhin haben viele Aufgaben, auf deren Erledigung der preußische Staat im Erlasszeitpunkt des PrHKG  1870 unbedingt angewiesen war, seit Längerem an Bedeutung verloren oder sind in Gänze weggefallen. Diesbezüglich ist etwa auf die Aufgabe der Anfertigung von Berichten über den Stand der Wirtschaft aus den Kammerbezirken hinzuweisen. Im 19. Jahrhundert hatte die kontinuierliche Aufgabenerfüllung für die Behörden einen kaum zu überschätzenden Wert, weil sich aus der Zusammenstellung der Berichte eine allgemeine Konjunkturbewertung ergab und die vergleichende Ansicht der Dokumente Erkenntnisse über Unterschiede in der regionalen Wirtschaftsentwicklung zuließ.147 Doch haben die Berichte bereits nach dem Ersten Weltkrieg ein beträchtliches Maß ihrer vormaligen Bedeutung verloren.148 Spätestens mit Beginn der jungen Bundesrepublik wurden statistische Ämter auf Landes- und Bundesebene eingerichtet. Hinzu kam eine Vielzahl wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute, deren Tätigkeit mit einer (teilweisen) Finanzierung durch die Öffentliche Hand abgesichert wird. Diese Akteure stellen Konjunkturindikatoren für den Bund und die Länder zur Verfügung149 oder unterbreiten Konjunkturindikatoren, -analysen und -empfehlungen,150 die in 147

Fischer, Unternehmerschaft Selbstverwaltung und Staat, 1964, S. 84: „eine der wichtigsten und kontinuierlichsten Quellen“. 148 Fischer, Unternehmerschaft Selbstverwaltung und Staat, 1964, S. 84. 149 Für den Bund: https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Konjunkturindikatoren/_ inhalt.html. Für die Länder und den Bund: https://www.statistikportal.de/de#daten-und-fakten. 150 Institut für Weltwirtschaft (Kiel): https://www.ifw-kiel.de/de/themen/konjunktur/; Institut der Deutschen Wirtschaft (Köln): https://www.iwkoeln.de/themen/wachstum-und-konjunktur/ konjunktur.html; Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (Halle): https://www.iwh-halle.de/ forschung/daten-und-analysen/aktuelle-konjunktur/; ifo Institut  – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e. V.: https://www.ifo.de/publikationen/ifokonjunkturperspektiven; Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (Düsseldorf): https://www.boeckler.de/imk_2732.htm; Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (Nürnberg): http://www.iab.de/; Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (WSI): https:// www.wsi.de/de/index.htm. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (die sog. fünf Wirtschaftswaisen) ist institutsähnlich verfasst und hier ebenfalls zu nennen.

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ihrer Differenzierung und Periodizität kaum noch zu überblicken sind. Hinzu tritt ein Verbandswesen, das sich zwar die Vertretung von Partikularinteressen auf die Fahne geschrieben hat, aber nicht nur haltlose Selbstverpflichtungserklärungen, Leerformeln oder Plattitüden gemäß der immerwährend zu beobachtenden Lobby­ arbeit anbietet. Vielmehr tritt man dem Staat auch mit repräsentativen Erkenntnissen gegenüber und bietet ihm verlässlichere Einsichten zur Rezeption an. Das Informationsdefizit des Staates über die Abläufe in der gewerblichen Wirtschaft verringert sich zusehends. Ein Bedeutungsverlust für die Arbeit der IHK ist auch für die Aufgabe der Begutachtung von Handelsbräuchen gem. § 346 HGB zu verzeichnen.151 Die Entwicklung der Wissenschaft vom Handelsrecht an den juristischen Fakultäten und deren Ergebnisse wie z. B. die Systematisierung von einzelnen Handelsbräuchen und -klauseln in Gesetzeskommentaren152 dürften dafür gesorgt haben, dass die zur Entscheidung eines Handelsstreits berufenen Gerichte in der Regel nicht mehr die IHK um ein Gutachten ersuchen müssen. Die Bedeutung von Handelsbräuchen hat zudem gegenüber dem 19. Jahrhundert enorm abgenommen.153 Ein Monopol der IHK wird für die Beantwortung dieser Tatfrage ohnehin nicht anerkannt.154 Dass das Prinzip Selbstverwaltung auch inhaltliche Zuschreibungen enthält, die „marktkonforme“ Gesetzmäßigkeiten und die Denkweise eines rational abwägenden, allein der Kosten-Nutzen-Analyse verhafteten homo oeconomicus überschreiten, soll nicht in Abrede gestellt werden. Doch wird der Gesetzgeber früher oder später der Frage nicht entweichen können, für welche Aufgaben die IHK heutzutage noch eine unabdingbare Verwaltungsform darstellt. 7. Unterstützung, Beratung und Interessenrepräsentanz als Hauptaufgabe Die Wendung in § 1 Abs. 1 IHKG wird für gewöhnlich auf die Stichworte Unterstützung, Beratung und Interessenrepräsentanz verkürzt.

151

Anders Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, § 1 Rn. 83: „Eine praktisch besonders wichtige Aufgabe“. Bemerkenswert ist, dass der Autor fast ausschließlich auf Nachweise zurückgreift, die dem 20. Jahrhundert, mehrheitlich aus den Jahren von 1950 bis 1960, entstammen. 152 S. etwa Pamp, in: Oetker (Hg.), HGB, 6. Aufl. 2019, § 346 Rn. 30–66. 153 Dies liegt im Wesentlichen darin begründet, dass die (vorrangigen) Allgemeinen Geschäftsbedingungen einen Bedeutungszuwachs in einer auf Schriftlichkeit ausgerichteten Kommunikation erfahren haben (Schmidt, in: ders. [Hg.], HGB, Bd. 5, 4. Aufl. 2018, § 346 Rn. 3). 154 Schmidt, in: ders. (Hg.), HGB, Bd. 5, 4. Aufl. 2018, § 346 Rn. 25.

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a) Betonung oder Trennung der Funktionen – Demokratische Entscheidungsfindung und wirtschaftliche Interessen Dass die IHK für die Wahrung von Anstand und Sitte der ehrbaren Kaufleute wirken soll, wird aufgrund der historischen Überkommenheit155 und der geringen praktischen Relevanz156 meist nur noch nebenbei abgehandelt.157 Mit einem Augenmerk auf die schwerpunktmäßige Ausrichtung der Verwaltungspraxis in den Kammern erfährt demgegenüber das Mandat zur gewerblichen Interessenrepräsentanz eine Herausstellung. Der Auftrag wird als „Grundaufgabe“158, „Hauptaufgabe“159, „erste Hauptaufgabe“160, „wesentliche „Zweckbestimmung“161 bzw. „Zielsetzung“162, das Selbstverständnis prägende Aufgabe163 oder allgemein „prägende“164 bzw. „herausragende“165 Aufgabe umschrieben. Gunnar Folke Schuppert kennzeichnet die IHK insgesamt als Organisationsform interessenvertretender körperschaftlicher Selbstverwaltung.166 155

Dazu Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, § 1 Rn. 116 ff. Angesprochen ist insbesondere die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, wofür die IHK gem. § 8 Abs. 3 Nr. 4 UWG anspruchsberechtigt ist. Liegt eine unlautere geschäftliche Handlung (s. § 3 UWG) oder eine unzumutbare Belästigung (s. § 7 UWG) vor, steht der IHK ein Anspruch auf Beseitigung und, bei Wiederholungsgefahr, auf Unterlassung der Handlungen zu. Weiterhin ist die IHK gem. § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UKlaG anspruchsberechtigt. Sie kann Ansprüche auf Unterlassung, auf Widerruf und auf Beseitigung bei Verbraucherrechtsverstößen gegen Gewerbetreibende erheben, die Allgemeine Geschäftsbedingungen verwenden, die gem. §§ 307 bis 309 BGB unwirksam sind (s. § 1 UKlaG). Die Anspruchsberechtigung gilt auch, wenn Unternehmer auf andere Weise den Bestimmungen der Verbraucherschutzgesetze zuwiderhandeln (s. § 2 Abs. 1 S. 1 UKlaG). Mit dem Auftrag zur Bekämpfung von Korruption wird die IHK dazu angehalten, die Verwirklichung der Straftatbestände „Vorteilsgewährung“ und „Bestechung“ (s. §§ 333 f. StGB) zu verhüten, wobei insbesondere an Informationsveranstaltungen zu denken ist. Zum Ganzen Günther, in: v. Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 86. EL Februar 2021, § 1 IHKG Rn. 152 ff. 157 So etwa BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 96). Dagegen Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, § 1 Rn. 115, der meint, dass das BVerfG die tatsächliche Bedeutung des Kammerauftrags verkürze. S. hierzu jedoch jüngst Milinovic, Der ehrbare Kaufmann im deutschen Recht, 2019. 158 Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 905. 159 Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, § 1 Rn. 31; Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht – Allgemeiner Teil, 1990, S. 410; Ruthig, Fall 3 „Buy Pfälzisch! – Probleme mit der IHK“, in: Gurlit / ders. / Storr, Klausurenkurs im Öffentlichen Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2017, Rn. 82. 160 Möllering, in: Frentzel / Jäkel / Junge, IHKG, 7. Aufl. 2009, § 1 Rn. 6. 161 Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, § 1 Rn. 31. 162 BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 90). 163 Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 137. An anderer Stelle (S. 325) bezeichnet der Autor jedoch den Auftrag als „Reflexaufgabe“ und führt aus, dass andere staatliche Aufgaben „im Vordergrund des Tätigkeitsfeldes“ bei „allen Trägern funktionaler Selbstverwaltung“ stehen sollten. 164 Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 892. 165 Jahn, GewArch 2021, 86. 166 Schuppert, Selbstverwaltung als Beteiligung Privater an der Staatsverwaltung, in: v. Mutius (Hg.), FG von Unruh, 1983, 183 (204). 156

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C. Der Auftrag gewerbliche Interessenrepräsentanz  

Bei genauerer Betrachtung des Gesetzes darf eine überbordende Betonung der Aufgabe Interessenrepräsentanz nicht unkritisch gesehen werden, da der Satzbestandteil „insbesondere“ den Fokus auf die Beratungs- und Unterstützungsleistungen gegenüber den Behörden mithilfe von Vorschlägen, Gutachten und Berichten zu lenken scheint.167 Zutreffend ist die Charakterisierung als Hauptaufgabe dennoch. Dies zeigt sich aber erst, wenn man überlegt, ob ein spezifisch trennendes Element zwischen Beratung und Unterstützung einerseits sowie der Repräsentanz eines Gesamtinteresses der Gewerbetreibenden andererseits besteht. Teile der Literatur reden einer Auftrennung zwischen Sachverstand und Interessenvertretung das Wort. Zwar sei dem Interessenvertreter und Sachverständigen ihr Wille zur Einflussnahme bei fehlender politischer Verantwortung gemein.168 Davon abgesehen zeichne sich sachverständige Beratung durch Objektivität, wissenschaftliche Anklänge und unparteiliche Distanz aus, während der Auftritt von Interessenvertretern durch machthungrige, verbandsloyale, sachwidrige, wertende und eigennützige Argumente leicht durchschaubar sei.169 Die Behauptung über die eindeutige Unterscheidbarkeit der Funktionen erweist sich indes als Fiktion. Die Legende, dass wissenschaftliche Erkenntnis frei von Wertungsspielräumen sei, die Nähebeziehung zum Auftraggeber als irrelevant angesehen werden könne und der Beratende auf die Beigabe von Vorannahmen und persönlichen Eitelkeiten verzichte, kann für den Sachverständigen nicht fortgeschrieben werden.170 Von Teilen der eben adressierten Wirtschaftsforschungsinstitute kann Unheil ausgehen, wenn man ihre Auffassungen unumwunden als 167 In diesem Sinne bereits BVerfG, Beschl. v. 19. Dezember 1962  – 1 BvR 541/57  –, BVerfGE 15, 235 (241): „Auch diese besonderen Einrichtungen, wie sie die Industrie- und Handelskammern darstellen, nehmen damit an der Erfüllung einer echten Staatsaufgabe teil; sie erfüllen sie in erster Linie [!] durch Vorschläge, Gutachten und Berichte.“ Auch Möllering, Interessenvertretung durch Kammern – sachliche Reichweite und verfahrensrechtliche Anforderungen, in: Kluth (Hg.), JbKBR 2009, 2010, 21 (30) gelangt zu der Auffassung, dass die Beratung der staatlichen Stellen „im Zentrum“ des Gesetzesauftrags stehe. 168 Berichtend Münkler, Expertokratie, 2020, S. 100. 169 So etwa Leibholz, Der Einfluß der Fachleute auf politische Entscheidungen, in: ders., Strukturprobleme der modernen Demokratie, 1967, 317 (319, 321). Für den Gegensatz von Wissenschaft und Verbänden bzw. unabhängigen Gutachtern und Verbandsvertretern v. Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, 1984, S. 423 bzw. 288. Berichtend Voßkuhle, Sachverständige Beratung des Staates, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 43 Rn. 17 m. Fn. 65. 170 Wörner, Gesetzgebungsoutsourcing im verfassungstheoretischen Kontext, 2021, S. 27 f.; Kappler, Shrinking Space Deutschland? Die Zivilgesellschaft als Akteurin beim Zugang zu Recht, in: Huggins et al. (Hg.), 61. JTÖR, 2021, 393 (398); Nußberger, AöR 129 (2004), 282 (293); Voßkuhle, Sachverständige Beratung des Staates, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 43 Rn. 19 m. w. N. Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, 2005, S. 102 verweist auf die erkenntnistheoretische Einsicht, nach der wissenschaftliche Aussagen „nicht ohne Determinierung durch Interessen denkbar“ seien. Auch Münkler, JöR 69 (2021), 535 (540, 545, 546, 547) bemerkt mit Blick auf die Expertise, die zur Bewältigung der „Corona-Krise“ eingeholt wurde, dass wissenschaftliche Erkenntnis nicht unabhängig von Vorannahmen sei.

I. Der rechtshistorisch angeleitete Sinn- und Zweckgehalt 

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sachverständige Äußerungen reproduziert und ihre Befangenheit unbeachtet lässt, die aus dem finanziellen Abhängigkeitsverhältnis zu nahestehenden Interessenverbänden erwächst.171 Gleichermaßen ist davon Abstand zu nehmen, dem Interessenrepräsentanten den Mantel anrüchiger Parteilichkeit umzuhängen. Dies zeigt nicht zuletzt der Auftrag in § 1 Abs. 1 IHKG. Danach wird ein Verband ersucht, die wirtschaftspolitischen Entschließungen des Staates durch berufsmäßige Erfahrung der Unternehmer zu optimieren. Hierbei handelt es sich durchaus um einen Lebensbereich, bei dem der spezielle Sachverstand überhaupt nur bei Personen vorliegt, die zugleich über ein wirtschaftliches Interesse an der Lösung der Fragestellung verfügen.172 Würden die hoheitlichen Entscheidungsträger die Einsichten der Gewerbetreibenden mit dem Argument der Voreingenommenheit permanent zurückweisen, müsste man ihnen eine Ignoranz gegenüber Expertenwissen attestieren, die dem demokratischen Gedanken abträglich ist. Die unaufhörlich zunehmende Komplexität der Lebenssachverhalte, geringe Innovationszyklen für technologische Fortentwicklungen, Prozesse gesellschaftlicher Differenzierung und globaler Vernetzung, das Aufgabenwachstum sowie Platzgreifen des rechtlichen Regelungsanspruchs fordern den Gesetzgeber dazu auf, Expertise einzubeziehen und die Fakten- und Wissensbasis ausreichend zu würdigen.173 Die (teilweise) Rezeption der unternehmerischen Bedürfnisse führt zu rational begründbaren Rechtsakten und stellt einen Baustein demokratischer Entscheidungsfindung in wirtschaftspolitischen Angelegenheiten dar. In der Wissensgesellschaft ist das politische Operieren außerhalb der Zone augenfälliger Ratschläge von Industrie und Handel dagegen nur schwer vermittelbar. Die Unterstützung und Beratung des Staates gehen zwangsläufig mit der Wahrnehmung von Interessen einher. Der Satzbestandteil „dabei“ in § 1 Abs. 1 IHKG zeigt, dass auch der Gesetzgeber von einer unauflöslichen Verbundenheit der Funktionen ausgegangen ist. In erfrischender Klarheit hat Wilhelm Jebens174 die 171

Zweifelnd auch Brohm, Sachverständige Beratung des Staates, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. II, 1987, § 36 Rn. 14. 172 Darauf hinweisend Münkler, Expertokratie, 2020, S. 101; Nußberger, AöR 129 (2004), 282 (293). 173 Berichtend Münkler, Expertokratie, 2020, S. 9, 19. Zum Wissen als Basis vernünftigen Staatshandelns Fassbender, Wissen als Grundlage staatlichen Handelns, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. IV, 3. Aufl. 2006, § 76 Rn. 2–4. Dass „Parlamente im modernen Staat Schwierigkeiten“ haben, „für ihre Entscheidungen die notwendige Sachkunde zu generieren“, und sich daher auf verdichtete Informationen der Regierung und der Ministerien verlassen, begrüßt auch Mehde, AöR 127 (2002), 655 (666). 174 Jebens war „Regierungskommissarius Geheimer Regierungs-Rath“ im preußischen Handelsministerium und hat das PrHKG 1870 als Verwaltungsbeamter erarbeitet. Er war ferner bei den folgenden Beratungen durch die „Kommission für Handel und Gewerbe“ und bei den Verhandlungen im Abgeordnetenhaus anwesend. Information entnommen aus https://de.wikipedia. org/wiki/Wilhelm_Jebens; Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 47. Sitzung vom 14. Januar 1870, Band 3 (1869/1870), S. 1456; Sammlung sämmtlicher Drucksachen des Hauses der Abgeordneten, 10. Legislaturperiode, II. Session 1868/1869, Band 4, Nr. 320, 1869, S. 1.

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C. Der Auftrag gewerbliche Interessenrepräsentanz  

wechselseitige Bedingtheit bereits im Vorlauf zur Schaffung des § 1 PrHKG 1870 mitgeteilt. „Dieser letztere Theil der Thätigkeit der Handelskammern [den Auftrag, die Behörden insbesondere durch Mitteilungen, Anträge und Gutachten zu unterstützen] ist eben nur ein Theil des bereits in dem ersten Abschnitt Erwähnten; es ist dagegen formell inkorrekt, unlogisch, zu sagen: die Handelskammern haben einerseits die Bestimmungen, die Gesammtinteressen der Gewerbetreibenden wahrzunehmen, und demnächst – verbunden durch das Wort „und“ oder „auch“ hinzuzufügen: „Sie haben auch die Behörden zu unterstützen.“ Indem die Handelskammern die Behörden unterstützen, thun sie ebenfalls nichts Anderes, als die Gesamtinteressen der Handel- und Gewerbetreibenden ihres Bezirks wahrzunehmen.“175 Mutmaßlich würde zu dieser Schlussfolgerung auch Max Weber gelangen, der anmerkte, dass die Stimmen der Unternehmer als „besonders sachkundig“, aber auch als „besonders persönlich interessiert“ einzuordnen seien.176 Weber verdeutlicht, dass eine Trennung der Aufgaben selbst für den Fall, dass der Gesetzgeber sie anordnen würde, in der Verwaltungspraxis nicht durchzuhalten wäre. Teile der Literatur strengen dennoch eine Unterscheidung der Funktionen mit Blick auf die Kammern an. Danach sei unter Interessenvertretung „jede Kundgabe einer Kammer gegenüber dem Staat, anderen öffentlich-rechtlichen Trägern und der Öffentlichkeit zu verstehen, die eigenständig motiviert“, d. h. „auf eigene Ini­ tiative“ erfolge,177 während unter Staatsberatung „jede Unterstützung staat­licher Stellen zu verstehen“ sei, „die die Kammern aufgrund einer staatlichen Initiative“ leisteten.178 Ob in Folge der Unterscheidung abweichende rechtliche Anforderungen bzw. Grenzen gelten, wird zunächst offengelassen, aber an späterer Stelle verneint.179 b) Vereinheitlichung der Terminologie Die Erwägungen leiten zu der Frage über, ob die Tätigkeiten, zu denen § 1 Abs. 1 IHKG ermächtigt, mit einer gemeinsamen Terminologie erfasst werden können. Beobachtet werden können vereinheitlichende Bezeichnungen wie „Wahrnehmung des Gesamtinteresses“180, „Interessenwahrnehmung“181, „Vertretung des Gesamtin 175 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten (1869/1870), Band 3, 1870, 47. Sitzung vom 14. Januar 1870, S. 1456. 176 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, hrsgg. von J. Winckelmann, 1. Halbband, 5. Aufl.1976, S. 175. 177 Eisenmenger, Interessenvertretung und Beratung, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 8 Rn. 41. 178 Eisenmenger, Interessenvertretung und Beratung, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 8 Rn. 45. 179 Eisenmenger, Interessenvertretung und Beratung, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 8 Rn. 44 einerseits u. Rn. 91 andererseits. 180 Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, § 1 Rn. 10. 181 Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 136.

I. Der rechtshistorisch angeleitete Sinn- und Zweckgehalt 

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teresses der gewerblichen Wirtschaft“182, „Vertretung partikularer Gruppeninteressen“, „Interessenrepräsentation“ sowie „körperschaftliche Interessenvertretung“,183 „Interessenvertretung“184 oder „Gesamtinteressenvertretung“185. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wurde früher von der „Vertretung der gewerblichen Wirtschaft gegenüber dem Staat“ gesprochen.186 In jüngeren Entscheidungen findet hingegen der Terminus „Interessenvertretung“ Verwendung.187 Das Bundesverwaltungsgericht hat vormals ebenfalls auf den Begriff „Interessenvertretung“ zur Kennzeichnung der Aufgabenstellung rekurriert,188 beschränkt sich aber nunmehr auf die Wiedergabe des Gesetzestexts189 oder spricht von der „Gesamtinteressenwahrnehmung“190. Über die beobachtete Vielfalt der Begrifflichkeiten kann nicht leichtfertig hinweggegangen werden. In Anbetracht der Tatsache, dass auch im privaten Verbandwesen gemeinsame Interessen vertreten werden, bedarf es vielmehr einer Auseinandersetzung mit den terminologischen Grundfragen. Wie sich noch zeigen wird, ist die Wahrnehmung eines Gesamtinteresses der gewerblichen Wirtschaft in der Organisationsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts unter den Bedingungen einer pflichtmitgliedschaftlichen Verfassung vielfältigen rechtlichen Bindungen unterworfen. Es ist daher erforderlich, bereits an dieser Stelle die Unterscheidung zu den privaten Interessenvereinigungen und den von ihnen entfalteten Tätigkeiten kenntlich zu machen. Immerhin werden die diversen Aktivitäten der freien Interessenverbände nicht nur im Volksmund mit den synonym verwendeten Bezeichnungen „Lobbying“ und „Interessenvertretung“ erfasst.191 Die rechtswissenschaftliche Debatte sollten jene Differenzierungsdefizite vermeiden, die etwa in der politikwissenschaftlichen Behandlung wahrzunehmen sind. Ebenda wird 182

Möllering, WiVerw 2001, 25–61. Mußgnug, Das politische Mandat öffentlich-rechtlicher Körperschaften und seine verfassungsrechtlichen Grenzen, in: Hailbronner / Ress / Stein (Hg.), FS Doehring, 1989, 665 (674). 184 Fröhler / Oberndorfer, Körperschaften des öffentlichen Rechts und Interessenvertretung, 1974; Jesse, Rechtliche Anforderungen an die Interessenvertretung durch Industrie- und Handelskammern in Fällen der Volksgesetzgebung und Bürgerentscheide, 2015; Möllering, Interessenvertretung durch Kammern – sachliche Reichweite und verfahrensrechtliche Anforderungen, in: Kluth (Hg.), JbKBR 2009, 2010, 21–52. 185 Eisenmenger, Die Gesamtinteressenvertretung der Industrie- und Handelskammern – ein zahnloser Tiger?, in: ders. / Kluth / Korte (Hg.), FS Stober, 2018, 85–94; Kluth, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Gesamtinteressenvertretung durch Industrie- und Handelskammern, in: ders. (Hg.), Die IHK-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, 2018, 105–132. 186 BVerfG, Beschl. v. 19. Dezember 1962 – 1 BvR 541/57 –, BVerfGE 15, 235 (241). 187 BVerfG, Beschl. v. 7. Dezember 2001 – 1 BvR 1806/98 –, juris Rn. 48; Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 99). 188 BVerwG, Urt. v. 21. Juli 1998 – 1 C 32/97 –, BVerwGE 107, 169 (175); Urt. v. 19. September 2000 – 1 C 29/99 –, BVerwGE 112, 69 (77). 189 BVerwG, Urt. v. 23. Juni 2010  – 8 C 20/09  –, BVerwGE 137, 171 (Rn. 23 f.); Urt. v. 23. März 2016 – 10 C 4/15 –, BVerwGE 154, 296 (Rn. 28). 190 BVerwG, Urt. v. 23. März 2016 – 10 C 4/15 –, BVerwGE 154, 296 (Rn. 30). 191 S. Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag, WD 3 – 3000 – 204/17, S. 1; Hoppe, ZRP 2009, 39. 183

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C. Der Auftrag gewerbliche Interessenrepräsentanz  

der DIHK im gleichen Rang mit der BDA und dem BDI unter den Überschriften „Herrschaft der Verbände? Die Lehre von den „Großen Vier“192 bzw. „Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft“193 behandelt. Dies lässt unberücksichtigt, dass die Mitgliedschaft des DIHK durch die Kammern der Bundesrepublik gebildet wird und der für sie geltende Rechtsrahmen auf die Dachvereinigungen in bedeutenden Bezügen „durchschlägt“.194 Mit der Gleichsetzung im Begrifflichen droht, die Wirkmächtigkeit des öffentlich-rechtlichen Rechtskorsetts im Tatsächlichen zu verschleiern. Unbedingt abzulehnen ist daher die Umschreibung der interessenrepräsentierenden Tätigkeit der Kammern als „umfangreiche Public-Relations und Lobbyarbeit“.195 Nicht umsonst hat das Bundesverfassungsgericht die interessenvertretende Tätigkeit der frei gebildeten Verbände mit der Wendung „reine Interessenvertretung“ in Verbindung gebracht, die eine „umfassende Würdigung entgegenstehender und allgemeiner Interessen“ nicht erwarten lasse.196 Doch dürfte auch die Unterscheidung zwischen „reiner Interessenvertretung“ und „Interessenvertretung“ zur Veranschaulichung der erheb­lichen Differenzen nicht geeignet sein. Vielmehr wird dafür votiert, im Hinblick auf die Aufgabenstellung in § 1 Abs. 1 IHKG die Formel „Interessenrepräsentanz“ zu verwenden.197 Um die Bindung der Tätigkeit an die Wahrnehmung der Inte­ressen aller Kammerzugehörigen deutlich zu machen, werden ferner Wendungen wie „Wahrnehmung des Gesamtinteresses“ oder „Gesamtinteressenvertretung“ den maßgeblichen Eigenheiten hinreichend gerecht.

II. Typik interessenrepräsentierender Tätigkeiten Steht zur Aufgabe, eine Typik interessenrepräsentierender Tätigkeiten zu entfalten,198 fühlt man sich an die strafrechtliche Kategorie des untauglichen Versuchs erinnert. Gemeint ist nicht, dass das Unterfangen bereits von vornherein zum Scheitern verurteilt wäre oder keinen Nutzen verspricht. Vielmehr müssen bei diesem Vorhaben eine unbekannte Vielzahl an Tätigkeiten erfasst werden. Daher 192 Schmidt, Das politische System Deutschlands, 2. Aufl. 2011, S. 112. Unter den „Großen Vier“ firmieren nach Schmidt – neben den Wirtschaftsverbänden – die Kirchen, Gewerkschaften und Bauernverbände. 193 Sack, Gemischte Motive, personale Netzwerke und europäische Unübersichtlichkeit – Die Beziehungen zwischen Wirtschaftskammern und Wirtschaftsverbänden im Wandel, in: Kluth (Hg.), JbKBR 2010, 2011, 63 (65). 194 Dazu näher unter C. III. 1. e) ee) (2) (a) u. (b). 195 Eisenmenger, Interessenvertretung und Beratung, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 8 Rn. 40 – Hervorh. i. O. 196 BVerfG, Beschl. v. 19. Dezember 1962 – 1 BvR 541/57 –, BVerfGE 15, 235 (241). 197 In diesem Sinne bereits Weber, Staats- und Selbstverwaltung, 2. Aufl. 1967, S. 158. Die vorgeschlagene Terminologie durchbricht die weitere Begriffsbildung in § 1 Abs. 3, Abs. 4 Lobby­registergesetz vom 16. April 2021 (BGBl. I S. 818). 198 Eisenmenger, Interessenvertretung und Beratung, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 8 Rn. 8–21 unterscheidet zwischen Inhalten, Instrumenten und Adressaten.

II. Typik interessenrepräsentierender Tätigkeiten 

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kann nicht ausgeschlossen werden, dass Erscheinungsformen unbeachtet bleiben. Dies gilt umso mehr, da im Folgenden eine Fokussierung auf die Aktivitäten der regional verankerten IHK-Bezirke stattfindet. Eine Darstellung der Handlungen, die die Dachvereinigungen auf Landes- und Bundesebene sowie bei den Institutionen der Europäischen Union entfalten, wird einstweilen auf das erforderliche Maß beschränkt.199 1. Adressaten In einem ersten Zugriff können Adressaten des Handelns unterschieden werden: Auf der einen Seite steht die Wahrnehmung des Gesamtinteresses gegenüber dem Staat in allen Erscheinungsformen. Angesprochen sind Regierungen, die politische Führung von Ministerien und Parlamente auf Ebene des Bundes und der Länder, auf die etwa die Veranstaltung „parlamentarischer Abende“200 abzielen. Weiterhin kommen Gemeindevertretungen, aber selbstredend auch die sonstigen Bundes-, Landes- und Kommunalbehörden in Betracht. Die Erfassung aller Einflussnahmeversuche, die der „politischen Landschaftspflege“ und des Aufbaus von Loyalitäten in die Exekutive dienen, ist indes kaum möglich. Die Begegnungen spielen sich regelmäßig unterhalb rechtlicher Mechanismen ab, sind den Augen der Öffentlichkeit entzogen und bleiben dem organisationsexternen Blickwinkel verschlossen.201 Auf der anderen Seite steht die Einwirkung auf die Öffentlichkeit im weitesten Sinne. Die politischen Parteien und freien Interessenvereinigungen stellen als Teil der organisierten Gesellschaft verfestigte Adressaten dar. Betonung erfährt eine Kommunikationsstrategie, die Pressemitteilungen oder -konferenzen und Interviews verwendet und über Informations- und Meinungsmittler in den herkömmlichen, neuen und sozialen Medien auf die unbestimmte Allgemeinheit einwirken soll.202 Die Bereitstellung von Informationen und Standpunkten auf der eigenen Homepage wirkt ebenso in die allgemeine Öffentlichkeit hinein. Die Beispiele Presse, Rundfunk und politische Parteien verdeutlichen, dass keine trennscharfe Unterscheidung zwischen den Adressaten interessenrepräsentierender Tätigkeit möglich ist. Speziell die Medien (im weitesten Sinne) ergeben sich als Akteur, der auf die Entstehung der öffentlichen Meinung und den Ablauf 199

Dazu näher unter F. I. S. etwa https://www.ihk-muenchen.de/de/Wirtschaftsstandort/Stimmen-der-Wirtschaft/ Im-Gespr%C3%A4ch-mit-der-Politik/: „Parlamentarischer Abend mit der CSU-Landtagsfraktion – Fünf Punkte gegen die Krise“. 201 Ein weiterhin aktueller, breitgefächerter Überblick zu den Erscheinungsformen parlamentarischen Verbandseinflusses findet sich bei Steinberg, Parlament und organisierte Interessen, in: Schneider / Zeh (Hg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 7 Rn. 16 ff. 202 Die IHK Köln erstreckt die Kommunikation auf die sozialen Netzwerke bzw. Microblogging-Dienste „Twitter“ und „Facebook“ (s. www.facebook.com/ihkkoeln u. www.twitter.com/ ihkkoeln). 200

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C. Der Auftrag gewerbliche Interessenrepräsentanz  

öffentlicher Diskurse in prägender Funktion Einfluss nimmt. Ihre Rolle beschränkt sich im öffentlichen Kommunikationsprozess mitnichten auf die meinungsneutrale Darbietung aller verfügbaren Informationen und Quellen. Stattdessen nehmen sie bereits durch die Auswahl, Platzierung, Darbietung und Publikationshäufigkeit zu bestimmten Themen einen maßgeblichen Einfluss auf den Ablauf öffentlicher Diskurse („Agenda-Setting“). Weil zugleich andere Themen unbeachtet bleiben müssen, versetzen sie sich selbst in die Lage, für Folgewirkungen im politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess sorgen zu können (Medien als „Vierte Gewalt“).203 Dies werden auch die Kommunikationsstrategen in der IHK erkannt haben, womit ihre medialen Äußerungen nicht losgelöst von den damit bezweckten Folgen bei staatlichen Entscheidungsträgern gedacht werden können. Gegenüber einer begrenzten Öffentlichkeit wirken wiederum Veranstaltungen wie Sommer- oder Neujahrsempfänge,204 Silvesteransprachen205 und alle weiteren Auftritte, in denen die Vertreter der IHK als Sprecher der gewerblichen Wirtschaft des Kammerbezirks auftreten. Für die Mitgliederöffentlichkeit sind Kammerzeitschriften, Mitteilungsblätter, Rundschreiben oder Ähnliches bestimmt. Hierbei vermischen sich beratende Inhalte und Berichte über die Wirksamkeit der „eigenen“ IHK. 2. Eigeninitiative und Handeln auf Nachfrage Ferner kann unterteilt werden, ob die Interessenrepräsentanz mit oder ohne Aufforderung der staatlichen Entscheidungsinstanzen erfolgt. Mit dem Handeln ohne Aufforderung des Staates ist jegliche Tätigkeit aus Eigeninitiative gemeint. Im Rahmen dessen haben einzelne IHK-Bezirke einen ganzen Fundus an periodischen Verlautbarungen erdacht. Dies zeigt der Blick in die von Seiten der IHK München entwickelten Tätigkeiten, die teilweise in Zusammenarbeit mit dem BIHK entfaltet werden. Zu nennen sind zuvörderst kommentierte Konjunkturumfragen.206 Ferner gehören kampagnenartige Positionspapiere zur Bundestags- und Europawahl hierher.207 Mit weitaus mehr Impetus nahm man auf die bayerischen Landtagswah 203

Zur „Abhängigkeit des politischen Systems von den Gesetzmäßigkeiten medialer Realitätskonstruktionen“ und der „Mediendemokratie“ bündig Scherzberg, Öffentlichkeitskontrolle, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 3, 2. Aufl. 2013, § 49 Rn. 86 f. 204 S. hierzu den zweiten und dritten Orientierungssatz in VG Gießen, Urt. v. 29. Juni 2005 – 8 E 3197/03 –, juris. 205 Diese werden etwa im Rahmen der Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns (VEEK) e. V. durch den Präses der HK Hamburg praktiziert. Dazu VG Hamburg, Urt. v. 20. 09. 2016 – 17 K 718/16 – (nicht veröffentlicht). 206 S. https://www.ihk-muenchen.de/de/Wirtschaftsstandort/Konjunktur/konjunktur-jahresbeginn2020/. 207 S. https://www.ihk-muenchen.de/de/Wirtschaftsstandort/Bundestagswahl-2017/Positionen/  u. https://www.ihk-muenchen.de/europapolitische-positionen/.

II. Typik interessenrepräsentierender Tätigkeiten 

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len Bezug,208 während die Kommunalwahlen durch die Regionalausschüsse der IHK  München adressiert wurden.209 Die Herausgabe kommentierter Halbzeitbilanzen zur Wirtschaftspolitik der Bayerischen Staatsregierung hat ebenfalls einen wiederkehrenden Charakter.210 Zu nennen sind darüber hinaus auch anlassbezogene Aktivitäten wie die Formulierung von Grundsatz- bzw. Positionspapieren, Forderungen oder Resolutionen zu den Themen Wirtschaftspolitik, Außenwirtschaft, Bildung, Bürokratie, Energie, Umwelt und Rohstoffe, Fachkräfte und Arbeitsmarkt, Finanzpolitik, Finanzierung und Förderung, Gesundheitswirtschaft, Handel, Immobilien, Industrie, Innovation, Medien und Digitalisierung, Recht und Steuern, Tourismus und Verkehr.211 Darüber hinaus existieren „ordnungspolitische Leitlinien“, die der IHK München langfristige Orientierungspunkte für wirtschaftspolitische Positionierungen bieten sollen.212 Demgegenüber steht die Wahrnehmung des Auftrags zur Interessenrepräsentanz mit Aufforderung des Staates in formalisierten Verfahren. Gemeint ist etwa die Bitte um gutachterliche Stellungnahme und die gegebenenfalls nachfolgende Anhörung der Kammern in den Ausschüssen der Parlamente, die in den jeweiligen Geschäftsordnungen vorgesehen ist und vor der Verabschiedung von Gesetzen oder Verordnungen regelmäßig durchgeführt wird.213 Ferner ist die Beteiligung der IHK an Verwaltungserfahren zu nennen.214 Hervorzuheben ist das in § 107 Abs. 5 GemO  NRW vorgesehene Markterkundungsverfahren, das etwa vor der Entscheidung über die Gründung kommunaler Unternehmen durchzuführen ist. Nach der Vorschrift muss das kommunale Repräsentativorgan auf der Grundlage einer Marktanalyse über die Chancen und Risiken des beabsichtigten wirtschaftlichen Engagements und über die Auswirkungen auf das Handwerk und die mittelständische Wirtschaft unterrichtet werden, wobei den örtlichen Selbstverwaltungsorganisationen von Industrie und Handel Gelegenheit zur Stellungnahme zu 208

Hierzu zählten (Informationen entnommen aus https://www.ihk-muenchen.de/de/Wirtschafts standort/landtagswahl-bayern-2018/) Interviews mit Spitzenkandidaten, eine Synopse der Wahlprogramme, die Abfrage und Veröffentlichung der wirtschaftspolitischen Ziele der Direktkandidaten, die Veranstaltung einer Wahlarena, die Verlautbarung von Positionen zur Landtagswahl, eine eigene Kampagne, die Analyse des Koalitionsvertrages und eine Veranstaltung mit dem Titel „Nacht der Bayerischen Wirtschaft“. 209 Informationen entnommen aus: https://www.ihk-muenchen.de/de/Wirtschaftsstandort/ Kommunalwahlen-2020/. 210 Die Broschüre ist abrufbar unter https://www.ihk-muenchen.de/ihk/documents/Standort/ 20160610_RZ_BIHK_Broschuere_Halbzeitbilanz_Web.pdf. 211 Hierzu zählten (Informationen entnommen aus: https://www.ihk-muenchen.de/positionen/) Papiere mit den Überschriften „Europapolitische Positionen 2019“, „IHK-Position zum Brexit“, „IHK-Position zu CETA“, „10 Steuervorschläge zum Bürokratieabbau“ oder „Top-6-Forderungen für Selbstständige und Kleinunternehmen“. 212 Abrufbar unter https://www.ihk-muenchen.de/de/%C3%9Cber-uns/Die-IHK-stellt-sichvor/Ordnungspolitische-Leitlinien/. 213 S. etwa § 70 Abs. 1 S. 1 GOBT. 214 Eisenmenger, Interessenvertretung und Beratung, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 8 Rn. 16.

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C. Der Auftrag gewerbliche Interessenrepräsentanz  

geben ist. Für den Fall der Untersagung eines erlaubnisfreien Gewerbes wegen Unzuverlässigkeit soll die zuständige IHK gehört werden, § 35 Abs. 4 GewO. Eine Betriebsuntersagung nach § 16 Abs. 3 S. 1 HwO ist nur zulässig, wenn IHK und HwK zuvor gemeinsam erklärt haben, dass die Voraussetzungen des Tatbestandes gegeben sind. Im Rahmen der Bauleitplanung fordert § 4 Abs. 1 BauGB die Unterrichtung der „Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange“, wenn deren Aufgabenbereich durch die Planung berührt werden kann. Dieser weite Behördenbegriff erfasst auch die IHK.215 3. Instrumente und Handlungsformen Angesichts der Vielgestaltigkeit der bisher erwähnten Instrumente zur Aufgabenerfüllung drängt sich nachgerade auf, dass eine weitere Differenzierung mit Blick auf die verschiedenen Handlungsformen zur Erhellung der Verwaltungspraxis beiträgt. Zunächst bietet sich eine Auftrennung zwischen verfahrensrechtlich abgesicherter Einflussnahme und informellen Tätigkeiten an. Doch erfasst diese Unterteilung nicht den vollständigen Handlungsapparat. So ist auch an ein Zusammenwirken im Aufgabenfeld Interessenrepräsentanz zwischen verschiedenen IHK-Bezirken zu denken. Thematische Überschneidungen liegen auch im Verhältnis zu den weiteren Einheiten der funktionalen Selbstverwaltung nahe. Es findet ferner eine Beauftragung wissenschaftlicher Gutachten216 und eine anschließende Verwertung der Ergebnisse statt.217 Die IHK  München hat in einer Studie etwa untersuchen lassen, welche Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort für den Fall eines Ausbaus des Münchener Flughafens mit einer dritten Start- und Landebahn zu erwarten wären und welche Folgen ein Verzicht auf dieses Projekt hätte.218 Zu der Überschrift zählt auch die Zusammenarbeit mit freien Interessenvereinigungen in Form der Allianzenbildung und des arbeitsteiligen Vorgehens bei der Vermittlung von Interessenlagen.219 Auch der Zusammenschluss mit freien 215

Spannowsky, in: ders. / M. Uechtritz (Hg.), BeckOK BauGB, Stand: 51. Edition 1. 11. 2020, § 4 Rn. 4. 216 Dietlein, WiVerw 2018, 153–180. Hierbei handelt es sich um ein Gutachten, das im Auftrag von IHK NRW e. V. und in Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft Hessischer IHKs, IHK Niedersachsen, IHK-Arbeitsgemeinschaft Rheinland-Pfalz, IHK Schleswig-Holstein, Landesarbeitsgemeinschaft der IHKs in Sachsen, Landesarbeitsgemeinschaft der IHKs in SachsenAnhalt und der Landesarbeitsgemeinschaft der Thüringer IHKs verfasst wurde. 217 https://www.ihk-schleswig-holstein.de/recht/aktuelle-rechtsthemen/spielraum-verkaufs offene-sonntage-3785184: „Gesetzgeberische Handlungsspielräume nutzen! IHK SchleswigHolstein stellt Gutachten zum Ladenöffnungsgesetz vor“. 218 Abrufbar unter https://www.ihk-muenchen.de/ihk/documents/Standort/flughafenstudie2015.pdf. 219 S. bspw. https://einzelhandel.de/index.php?option=com_content&view=article&id=10710: „BGA, DIHK, HDE und ZDH: Fahrverbote sind nicht die Lösung“. Hierbei handelt es sich um eine Zusammenarbeit des DIHK mit dem Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen, dem Handelsverband Deutschland und dem Zentralverband des Deutschen Handwerks in Form einer „Information für Presse, Funk und Fernsehen“ vom 30. August 2017.

II. Typik interessenrepräsentierender Tätigkeiten 

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Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften wurde in der Vergangenheit zwecks Durchführung gemeinsamer Kampagnen praktiziert.220 Im Zuge einer von der HK Hamburg unterstützten Aktion wurde sogar das Wohlergehen eines einzelnen Unternehmens der Energieversorgung in den Vordergrund gerückt.221 Dass der DIHK und der BDI 2006 über eine Fusion verhandelt haben, wobei auch die Arbeitgeberverbände und der ZDH als Spitzenvereinigung des Handwerks nicht ausgegrenzt werden sollten, überschreitet die bisher angesprochenen Phänomene der Zusammenarbeit.222 4. Interessenrepräsentanz in Gegnerschaft zu organisierten Interessen Zu einer vollständigen Typologie gehört auch die interessenrepräsentierende Tätigkeit in ausdrücklicher Gegnerschaft zu organisierten gesellschaftlichen Interessen, die oftmals bei Fragen der Standortpolitik wahrgenommen werden kann. So hat sich die HK Hamburg in der Vergangenheit zu Verfassungsordnungen mit dem Inhalt direktdemokratischer Rechte unter dem Titel „Gegenblockaden durch Minderheiten“223 oder durch Charakterisierung der Verfahrensrechte als „schwerwiegenden Irrweg“224 ablehnend geäußert. In spezifischen Verfahren der Volksgesetzgebung oder eines Bürgerentscheids haben sich einzelne Kammern positioniert und ihr bevorzugtes Abstimmungsverhalten öffentlichkeitswirksam mitgeteilt.225 Einen weiteren Schritt unternahm man im Rahmen der konfrontativen Auseinandersetzung mit politischen Parteien. So ist beispielsweise die vom DIHK getätigte Aussage „Deutschland kann sich Rot-Rot-Grün nicht leisten“ nachgewiesen.226 Der Präsident des DIHK bezeichnete im Vorlauf zur Bundestagswahl 2013 die „rot-grünen“ steuerpolitischen Vorhaben als „Jobkiller“ und ließ errechnen 220 Dabei handelte es sich etwa um eine Initiative namens „Hamburger Erklärung“, die sich unter dem Slogan „Nein zum Netzrückkauf“ gegen ein Volksbegehren wandte, das den vollständigen Rückkauf der Strom-, Gas-, und Fernwärmenetze zum Gegenstand hatte. Dazu OVG Hamburg, Beschl. v. 16. November 2016 – 5 Bf 40/16.Z –, juris Rn. 1 ff.; VG Hamburg, Urt. v. 25. November 2015 – 17 K 4043/14 –, juris Rn. 1 ff. Die IHK Köln beteiligte sich an einer Kampagne mit dem Titel „Ja zum Godorfer Hafen. Für die Bürger. Für die Stadt. Für die Wirtschaft.“ Zu Letzterem VG Köln, Urt. v. 3. Mai 2012 – 1 K 2836/11 –, juris Rn. 3. 221 Dazu näher VG Hamburg, Urt. v. 25. November 2015 – 17 K 4043/14 –, juris Rn. 10. 222 Nachgewiesen bei Schwenn, BDI und DIHK prüfen Fusion, FAZ v. 27. September 2006, Nr. 225, S. 13, abrufbar unter https://www.faz.net/-gqe-t3xg. 223 Dazu näher VG Hamburg, Beschl. v. 09. Oktober 2007 – 2 E 3338/07 –, juris Rn. 2. 224 VG Hamburg, Urt. v. 20. 09. 2016 – 17 K 718/16 –, S. 24 (nicht veröffentlicht). 225 S. dazu die Verweise in Fn. 220. Hinzu tritt eine Plakatkampagne der IHK Stuttgart mit dem Inhalt „mehr Jobs, mehr Tempo, mehr Stadt, mehr Zukunft“, die eine Unterstützung des Infrastrukturprojekts „Stuttgart 21“ zum Gegenstand hatte (VG Stuttgart, Urt. v. 7. April 2011 – 4 K 5039/10 –, juris Rn. 1 ff.). Auch die IHK Ulm engagierte sich im Rahmen des Bürgerentscheids zur Zukunft dieses Projekts mit einer Plakatkampagne. Zu Letzterem VG Sigmaringen, Urt. v. 12. Oktober 2011 – 1 K 3870/10 –, juris Rn. 8. 226 VGH München, Beschl. v. 28. November 2008 – 22 ZB 06.3417, juris Rn. 2.

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C. Der Auftrag gewerbliche Interessenrepräsentanz  

und verbreiten, dass die beabsichtigte Einführung einer Vermögensabgabe 450.000 und die Erhöhung des Spitzensteuersatzes 1,4 Millionen Arbeitsplätze vernichten würden.227 Der ehemalige Hauptgeschäftsführer der HK Hamburg verdächtigte in einem Interview die „Grünen“, eine Initiative zu „lenken“, die sich kritisch mit seinem Wirken in der Kammer auseinandergesetzt hatte.228 Im Nachgang der Wahl zur Hamburger Bürgerschaft empfahl er der SPD, die FDP bei der Suche nach einem Koalitionspartner nicht zu übersehen.229 5. Atypische Sachverhalte Einer Einfügung in die vorstehende Typik kaum zugänglich ist ein Sachverhalt, in dem die Wahrnehmung des Gesetzesauftrags wegen der Stellung als Mitgesellschafterin einer Flughafen-Betreibergesellschaft angenommen wurde.230 Hinzu tritt ein Fall, in dem eine IHK die Errichtung einer Museumsstiftung sicherstellte, indem sie einen Kredit i. H. v. 6 Mio. DM als Vorausleistung auf noch einzuwerbende Zustiftungen aus der Wirtschaft gewährte. Sie begründete dies mit der Maßgabe, das „Kultursponsoring“ der Wirtschaft in Gang bringen und die Attraktivität der Stadt im Sinne „weicher Standortfaktoren“ erhöhen zu wollen.231 Auch die vom DIHK aufgebrachte Forderung nach einer Verankerung der Selbstverwaltung der Wirtschaft im Grundgesetz ist anzuführen,232 weil der Vorschlag lediglich auf einen verstärkten verfassungsrechtlichen Schutz der Organisation, aber nicht auf eine Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder abzielt.

227

DIHK-Chef warnt: Rot-Grün bedroht zwei Millionen Arbeitsplätze, FOCUS v. 16. November 2013, abrufbar unter https://www.focus.de/politik/deutschland/bundestagswahl-2013/ tid-31014/steuerplaene-sind-ein-jobkiller-dihk-chef-warnt-rot-gruen-bedroht-zwei-millionenarbeitsplaetze_aid_980668.html. 228 „In der obersten Liga der Metropolen“ – Interview mit Hans-Jörg Schmidt-Trenz, taz v. 3. Januar 2015, abrufbar unter https://taz.de/Archiv-Suche/!244736/: „Ein Großteil dieser Initiative ist jedoch aus dem parteipolitischen Spektrum gelenkt […]. […] Von den Grünen.“ 229 Stimmen zur Wahl, Die Welt v. 16. Februar 2015, abrufbar unter https://www.welt.de/print/ die_welt/hamburg/article137487992/Stimmen-zur-Wahl.html: „Für die Hamburger Handelskammer kommentierte Hauptgeschäftsführer Hans-Jörg Schmidt-Trenz das Ergebnis: „Bürgermeister Scholz hat vier Jahre ordentlich regiert, aber mit dem Einzug eines Partners in den Senat darf es im Rathaus zukünftig keine Unordnung geben! Die SPD hat sich mit ihren Vorankündigungen zu einer möglichen Koalition auf einen Weg begeben, bei dem sie die Möglichkeiten zur Abzweigung nicht übersehen darf. […] Der Verbleib der FDP in der Hamburgischen Bürgerschaft wird die politische Kultur und Vielfalt in unserer Stadt mit Sicherheit bereichern und erweitert den Handlungsspielraum der SPD bei der Suche nach einem Koalitionspartner.“ 230 BVerwG, Urt. v. 19. September 2000 – 1 C 29/99 –, BVerwGE 112, 69 (76). 231 OVG NRW, Urt. v. 12. Juni 2003 – 8 A 4281/02 –, juris. 232 Nachgewiesen bei Stober, Dauerbaustelle Kammerrechtsreform, in: Ennuschat / Geerlings /  Mann / Pielow (Hg.), GS Tettinger, 2007, 189 (194).

III. Rechtsrahmen 

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III. Rechtsrahmen Für die Wahrnehmung der Aufgabe Interessenrepräsentanz im Sinne von § 1 Abs. 1 IHKG ist ein Rechtsrahmen einschlägig, der sich aus der Zusammenschau von verfassungsrechtlichen Direkten (1.) und gesetzlichen Maßgaben (2.) ergibt. 1. Verfassungsrecht Im Rahmen des Verfassungsrechts ist die Aufgabe gewerblicher Interessenrepräsentanz in ihren Bezügen zur staatsrechtlichen Aufgabendiskussion (dazu a)) und in ihren Auswirkungen auf das freie Verbandswesen zu erörtern (dazu b) u. d)). Die pflichtmitgliedschaftliche Verfassung tangiert die Grundrechte der organisationsunterworfenen Mitglieder empfindlich. Sie können zur Begründung von Unterlassungsansprüchen gegen die Körperschaft herangezogen werden (dazu e)). Das Erfordernis struktureller Sachlich- und Richtigkeitsgewähr (dazu f)) sowie der Schutzanspruch vor institutioneller Majorisierung treten hinzu (dazu g)). Kritische Anmerkungen zu der Lehre von der „gesellschaftlichen Selbstverwaltung“ bilden den Abschluss (dazu h)). a) Interessenrepräsentanz als legitime öffentliche Aufgabe Möchte man die verfassungsrechtliche Diskussion vollständig abbilden, ist der Frage nachzuspüren, ob das Mandat zur Interessenrepräsentanz auf eine im Lager des Staates stehende juristische Person übertragen werden darf. Seit jeher wird dies für zulässig erachtet, wenn die Zuordnung zur selbstständigen Verwaltungseinheit eine legitime öffentliche Aufgabe zum Gegenstand hat. Insoweit steht die verfassungsgemäße Verteilung von Aufgaben zwischen staatlicher und gesellschaftlicher Sphäre zur Diskussion.233 aa) Grundlagen des Staatsaufgabendiskurses Der gleichsam vordergründige wie unkritische Zugriff auf den Staatsaufgabendiskurs fördert für die Frage nach der Abgrenzung der Sphären einstweilen die Ka-

233

Hierzu umfassend Weiß, Privatisierung und Staatsaufgaben, 2002; Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 1977; Isensee, Staatsaufgaben, in: ders. / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. IV, 3. Aufl. 2006, § 73. Ossenbühl, Die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private, VVDStRL 29 (1970), 1971, 137 (151 ff.) äußerte sich kritisch zur Maßstabsbildung der noch früheren Diskussion unter dem Grundgesetz. Er warnte vor einem Abgleiten in „weltanschauliches Räsonnement“ und einer „Entfernung aus dem juristisch verifizierbaren Bereich“ (S. 152).

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C. Der Auftrag gewerbliche Interessenrepräsentanz  

tegorie der originären bzw. notwendigen Staatsaufgaben zutage.234 Weiterhin wird zwischen den Staatsaufgaben einerseits und den öffentlichen Aufgaben andererseits unterschieden. Bei den Staatsaufgaben handelt es sich um Aufgaben, die dem Staat aufgrund der Verfassung zugeordnet sind.235 Der Begriff der öffentlichen Aufgabe meint Handlungsfelder zwischen Staat und Gesellschaft. Die öffentliche Aufgabe kennzeichnet, dass ihre Erfüllung im öffentlichen Interesse liegt, womit ein Bezug zwischen Aufgabe und Gemeinwohl hergestellt wird.236 Für die Aufgabenzuweisung zum staatlichen Lager ist der Staat nur im Hinblick auf die öffentlichen Aufgaben befugt. Diese bilden damit die „äußerste Schranke verfassungslegitimer Aufgabenübernahme“.237 Daher sind nicht alle öffentlichen Aufgaben Staatsaufgaben, aber nur öffentliche Aufgaben können den Gegenstand einer Staatsaufgabe bilden.238 Das Bundesverfassungsgericht hat überdies die Kategorie der Staatsaufgaben im engeren Sinne erdacht, womit öffentliche Aufgaben gemeint sind, die der Staat durch eigene Behörden wahrnehmen muss.239 bb) Konrad Redeker: Interessenrepräsentanz als rein gesellschaftliche Aufgabe In der Vergangenheit tat sich speziell Konrad Redeker in der Diskussion um die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Standesvertretung im öffentlich-rechtlichen 234

Gemeint sind Aufgaben, die notwendigerweise nur durch den Staat wahrgenommen werden können, s. Korioth, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Stand: 95. EL Juli 2021, Art. 30 Rn. 12. 235 Stephan, Die Interpretation von Gesetzgebungskompetenzen, 2021, S. 40; Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, 1999, S. 41. Schulze-Fielitz, Staatsaufgabenentwicklung und Verfassung, in: Grimm (Hg.), Wachsende Staatsaufgaben  – sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 1990, 11 (20 ff.) differenziert zwischen (1) Staatszielbestimmungen, (2) Grundrechten, (3) Kompetenztiteln und (4) ausdrücklichen Handlungsaufträgen (z. B. Art. 6 Abs. 5 GG), die den Staat etwa vor die Aufgabe der Förderung stellen. Anders Ossenbühl, Die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch Private, VVDStRL 29 (1970), 1971, 137 (204), der den Nachweis der Staatsaufgabe „nur aus einer konkreten raumzeitlichen Staatsordnung“ erbringen lassen will, aber auch nur zwischen staatlichen und öffentlichen Aufgaben abschichtete (S. 151). 236 Stephan, Die Interpretation von Gesetzgebungskompetenzen, 2021, S. 39; Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, 1999, S. 43 – jeweils m. w. N. Berger, Die Ordnung der Aufgaben im Staat, 2016, S. 38 f. betont den verwaltungswissenschaftlichen Ursprung der Begriffsbildung, mit der erklärt werden könne, dass der staatliche Aufgabenträger das „richtige“ Zuordnungsobjekt für eine Aufgabe sei. In diesem Sinne bereits Schuppert, VerwArch 71 (1980), 309–344. Peters, Öffentliche und staatliche Aufgaben, in: Dietz / Hübner (Hg.), FS N ­ ipperdey, Bd. 2, 1965, 877 (878 f.) unterteilt die Bandbreite öffentlicher Aufgaben in fünf Stadien. Mit dem zunehmenden Anerkenntnis eines öffentlichen Interesses an der Aufgabenerfüllung steige der Grad staatlicher Einwirkung. Das fünfte und letzte Stadium setzt er mit den Formen mittelbarer Staatsverwaltung gleich, in denen die Aufgabe durch einen vom Staat „irgendwie abgängigen Rechtsträger“ (S. 879) erledigt werde. 237 Korioth, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Stand: 95. EL Juli 2021, Art. 30 Rn. 14. 238 So Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, 1999, S. 42, 44. 239 S. nur BVerfG, Beschl. v. 5. Dezember 2002 – 2 BvL 5/98 u. 6/98 –, BVerfGE 107, 59 (93) m. w. N. aus der Rspr.

III. Rechtsrahmen 

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Gewand hervor. Er vertrat mehrfach, dass Interessenrepräsentanz eine rein gesellschaftliche Aufgabe sei.240 Im Anschluss an die vorstehenden Maßgaben gelangte er zu der Auffassung, dass diese Aufgabe nicht durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts, sondern nur durch einen privatrechtlichen Interessenverband wahrgenommen werden dürfe. Maßgebend war für den Autor der aus dem römischen Recht stammende Rechtsgedanke mit dem Inhalt nemo plus iuris in alium transferre potest quam ipse habet241. Er bekannte: „Der Staat kann ein Recht zur berufsständischen Vertretung, insbesondere auf alleinige Wahrnehmung der wirtschaftlichen und sozialen Interessen eines Berufsstandes nicht auf eine bestimmte öffentlich-rechtliche Körperschaft delegieren, da er dieses Recht selbst nicht hat.“242 cc) Legitime öffentliche Aufgaben als verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts findet der Begriff der öffentlichen Aufgabe vielfältigen Gebrauch.243 Das BVerfG hat erstmals im Jahr 1959 in einer Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des pflichtmitgliedschaftlich verfassten (großen) Erftverbandes die Formel von den „legitimen öffentlichen Aufgaben“ aus dem sprichwörtlichen Nichts zu einem – allenfalls weichen – Prüfungsmaßstab erhoben. Das Gericht befand, dass die Gründung öffentlich-rechtlicher Verbände nur zulässig sei, „um legitime öffentliche Aufgaben wahrnehmen zu lassen“. Doch sei es „Sache des gesetzgeberischen Ermessens, zu entscheiden, welche dieser Aufgaben der Staat nicht durch seine Behörden, sondern durch eigens gegründete öffentlich-rechtliche Anstalten oder Körperschaften“ erfüllt wissen möchte. Das Verfassungsgericht könne nur nachprüfen, „ob der Gesetzgeber die Grenzen seines Ermessens beachtet“ habe, wohingegen Erwägungen über die Zweckmäßigkeit oder die Notwendigkeit der Organisationsform nicht vom Prüfungsmaßstab umfasst seien.244 Erst 1974 hat das Bundesverfassungsgericht die Formel anlässlich einer Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der Arbeitnehmerkammern moderat weiterentwickelt, sodass der Prüfungsmaßstab kleinere Konturen enthielt. Bei den legitimen öffentlichen Aufgaben handele es sich um Aufgaben, „an deren Erfüllung ein gesteigertes Interesse der Gemeinschaft“ bestehe, die aber so geartet seien, dass „sie weder im Wege privater Initiative wirksam wahrgenommen werden“ könnten „noch zu den im engeren Sinn staatlichen Aufgaben“ zählten. Wenn 240 Redeker, DVBl 1952, 201–203 u. 239–241; ders., JZ 1954, 625–628; ders., NJW 1972, 1844–1845; ders., DVBl 1980, 567–572; ders., NJW 1982, 1266–1268. 241 Zu Deutsch: Niemand kann mehr Rechte übertragen, als er selbst hat. 242 Redeker, DVBl 1952, 239 (240). 243 Nachwies bei Korioth, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Stand: 95. EL Juli 2021, Art. 30 Rn. 14 m. Fn. 2–9. 244 Zitate bei BVerfG, Urt. v. 29. Juli 1959 – 1 BvR 394/58 –, BVerfGE 10, 89 (102).

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C. Der Auftrag gewerbliche Interessenrepräsentanz  

„der Staat solche Aufgaben einer eigens für diesen Zweck gebildeten Körperschaft des öffentlichen Rechts“ übertrage, handele er jedoch „grundsätzlich im Rahmen des ihm hier zustehenden weiten Ermessens.“245 Für die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Pflichtmitgliedschaft in der IHK hat das BVerfG erstmals 1962 auf den vorstehend ausgebreiteten Maßstab zurückgegriffen. Es sei, so das Gericht, „unzweifelhaft“, dass der gesetzliche Auftrag zur Interessenrepräsentanz eine legitime öffentliche Aufgabe darstelle. Immerhin werde den Kammern die gesetzliche Verantwortung dafür auferlegt, dass sie die gewerbliche Wirtschaft im Ganzen förderten und dabei das höchstmögliche Maß an Objektivität walten ließen. An der Aufgabenerfüllung bestehe überdies ein „erhebliches öffentliches Interesse“.246 Mit Rücksicht darauf habe schon das PrOVG die Handelskammern als „Hilfsorgane der Staatsregierung“ angesehen, die sich der (preußische) Staat geschaffen habe, um in Fragen der „Fürsorge um Handel und Verkehr“ eine Unterstützung mit berufsmäßiger Erfahrung zu erhalten.247 Sowohl in dem ausführlich begründeten Nichtannahmebeschluss aus dem Jahre 2002 als auch in der jüngsten Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der Pflichtmitgliedschaft in der IHK hat sich das BVerfG diese Erwägungen zu eigen gemacht.248 Die Formel von den legitimen öffentlichen Aufgaben ergibt damit eine Rechtsprechungslinie von beträchtlicher Länge. dd) Interessenrepräsentanz als Teilhabe an der Staatsaufgabe Wirtschaftsförderung Mit einiger Berechtigung lassen sich die Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts kritisieren: Möchte das Gericht mit dem Vorliegen einer legitimen öffentlichen Aufgabe einen Prüfungsmaßstab erdenken, ist zu entgegnen, dass dieser der Grundrechtsdogmatik fremd ist. Er taugt in seiner bisherigen Prägung überdies kaum dazu, verfassungsrechtlich zulässige Pflichtverbände von grundrechtlich untersagten Zwangskorporationen zu unterscheiden.249 Allerdings weisen die Erwägungen des Verfassungsgerichts den richtigen Weg, damit der Auftrag in § 1 Abs. 1 IHKG als öffentliche Aufgabe qualifiziert und die fehlende Einschlägigkeit römischrechtlicher Grundsätze festgestellt werden kann. 245

Zitate bei BVerfG, Beschl. v. 18. Dezember 1974 – 1 BvR 430/65 u. 259/66 –, BVerfGE 38, 281 (299). 246 Zitate bei BVerfG, Beschl. v. 19. Dezember 1962 – 1 BvR 541/57 –, BVerfGE 15, 235 (241). 247 BVerfG, Beschl. v. 19. Dezember 1962 – 1 BvR 541/57 –, BVerfGE 15, 235 (241) unter Rekurs auf PrOVG, Urt. v. 21. März 1990, PrOVGE 19 (1890), 62 (68). 248 S. BVerfG, Beschl. v. 7. Dezember 2001  – 1 BvR 1806/98  –, juris Rn. 37 ff. einerseits und BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 87 ff.) andererseits. 249 In diese Richtung bereits Mronz, Körperschaften und Zwangsmitgliedschaft, 1973, S. 96.

III. Rechtsrahmen 

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Maßgeblich für das zutreffende Verständnis ist die Einsicht, dass der Staat die Aufgabe der Wirtschaftsförderung im weitesten Sinne in den Rang einer eminenten Staatsaufgabe erhoben hat. Doch handelt es sich weiterhin um eine konkurrierende Staatsaufgabe250. Daher sind in dem identischen Aufgabenbereich auch gesellschaftliche Unternehmungen, insbesondere privatrechtlich verfasste Inte­ ressenvereinigungen, wahrnehmbar. Erkennt der Staat in der Wirtschaftsförderung eine Staatsaufgabe von zentralem Rang, kann es ihm nicht verwehrt sein, „sich bei der Erfüllung dieser Aufgabe der Hilfe von Organen zu bedienen, die er – auf gesetzlicher Grundlage – aus der Wirtschaft selbst heraus sich bilden läßt und die durch ihre Sachkunde die Grundlagen dafür schaffen helfen, daß staatliche Entschließungen auf diesem Gebiet ein möglichst hohes Maß an Sachnähe und Richtigkeit gewinnen“.251 Die IHK nimmt durch die Vermittlung des Gesamtinteresses der gewerblichen Wirtschaft „an der Erfüllung einer echten Staatsaufgabe teil“.252 Den maßgeblichen Angriffspunkt der staatlichen Aufgabenzuordnung stellt somit die Sorge um eine auskömmliche Wirtschaftsförderung, aber nicht der Wunsch nach lautstarker Standesvertretung aus der Richtung eines öffentlich-rechtlichen Kampfverbandes dar. Daraus folgt die Ansicht, dass ein Hilfsorgan der Staatsregierung gesteigerten verfassungsrechtlichen Anforderungen im Rahmen seines Auftritts unterliegt. Soll die Übermittlung des Gesamtinteresses der gewerblichen Wirtschaft von Seiten der IHK die staatliche Aufgabenerfüllung erleichtern oder vorbereiten, muss sie dienend, unterstützend, objektiv, sachlich und auf Mitwirkung sowie Erhaltung politischer Entscheidungsfreiheit ausgerichtet sein.253 Damit verträgt sich etwa eine Verwaltungspraxis nicht, die ihren Auftrag allein darin zu erkennen glaubt, robuste Resolutionen mit dem Ziel der Teilhabe an den Nachrichtenangeboten der Medien zu veröffentlichen. Es verbietet sich danach speziell, gleichermaßen anlasslos wie gebetsmühlenartig Forderungen über eine alsbaldige Steuerentlastung der Gewerbetreibenden unter dem Hinweis auf eine ansonsten drohende Abwanderung der Unternehmen zu erheben. b) Verfassungsrechtlicher Schutz frei gebildeter Interessenvertretungen Während die Aufgabe der gewerblichen Interessenrepräsentanz bei jeder Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der Pflichtmitgliedschaft auf dem verschlungenen Wege der staatsrechtlichen Aufgabendiskussion zur Rechtfertigung an 250 Zu der Kategorie der konkurrierenden Staatsaufgaben s. nur Isensee, Staatsaufgaben, in: ders. / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. IV, 3. Aufl. 2006, § 73 Rn. 28. 251 BVerfG, Beschl. v. 19. Dezember 1962 – 1 BvR 541/57 –, BVerfGE 15, 235 (240). 252 BVerfG, Beschl. v. 19. Dezember 1962 – 1 BvR 541/57 –, BVerfGE 15, 235 (240). 253 Ähnlich bereits Mußgnug, Das politische Mandat öffentlich-rechtlicher Körperschaften und seine verfassungsrechtlichen Grenzen, in: Hailbronner / Ress / Stein (Hg.), FS Doehring, 1989, 665 (675, 685).

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C. Der Auftrag gewerbliche Interessenrepräsentanz  

grundgesetzlichen Maßstäben gelangt, findet die Erörterung der Aufgabe unter Verwendung einer anderslautenden Argumentation auf direkterem Wege statt. So könnte eine frei gebildete Interessenvertretung behaupten, dass die Aufgabenzuordnung zur pflichtmitgliedschaftlich verfassten IHK faktisch in ihre Gründungs- und Betätigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 1 i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG eingreift. Die Abhandlung dieser Fragestellung fand in der Vergangenheit insbesondere in Anbetracht des Verhältnisses der Arbeitnehmerkammern zu den Gewerkschaften statt. Beide Organisationen nehmen für sich jeweils die Erfüllung gleichgerichteter Aufgaben in Anspruch,254 wobei insbesondere an die Vertretung arbeitnehmerischer Belange gegenüber den staatlichen Entscheidungsträgern zu erinnern ist. Indes lassen sich nahezu in jedem Sozialbereich, in dem Pflichtverbände wirken, frei gebildete Vereinigungen feststellen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten. aa) Die grundrechtsrelevante Privilegierung der interessenvertretenden Körperschaften Dass die Erzeugung dieser Konkurrenzlage keinen unmittelbaren Grundrechtseingriff darstellt, ist eingängig. Denn die Gründung und Betätigung der freien Verbände wird von Seiten des Staates „rechtlich nicht behindert“.255 Doch kann nicht vorschnell von der Hand gewiesen werden, dass diese diffuse Konkurrenzsituation in Anbetracht eines „modernen“ Verständnisses vom Grundrechtseingriff256 verfassungsrechtlich prekär ist. Das BVerfG spricht unter Ansehung der Arbeitnehmerkammern sogar von einem Einwand der „Überflüssigkeit“.257 Für die Annahme einer Grundrechtsrelevanz lassen sich bereits grundsätzliche Erwägungen ins Feld führen: Aus der Sicht eines freiheitlich gestalteten Staatswesens ist es angezeigt, von einer obrigkeitlichen Gliederung und Lenkung des Volkes in Gruppen Abstand zu nehmen. Vielmehr sollen sich die Bürger entsprechend ihrer sozialen Veranlagung zu frei gewählten Zwecken und mit freiwilligen Beitrittsgesuchen zu Vereinigungen zusammenschließen (Prinzip freier sozialer Gruppenbildung).258 Insbesondere die Tatsache, dass der Staat Pflichtkörperschaften errichtet und mit der Aufgabe Interessenrepräsentanz betraut, könnte dieses Prinzip unterlaufen. Dieser Vorgang bringt im Wettstreit der Interessen nämlich das vorteilhafte 254

S. dazu die Aufgabenanalyse bei Mronz, Körperschaften und Zwangsmitgliedschaft, 1973, S. 38 f. sowie die Aufgabenanalyse und Beschreibung der Konkurrenzsituation in BVerfG, Beschl. v. 18. Dezember 1974 – 1 BvR 430/65 u. 259/66 –, BVerfGE 38, 281 (300 ff.). 255 BVerfG, Beschl. v. 18. Dezember 1974 – 1 BvR 430/65 u. 259/66 –, BVerfGE 38, 281 (303). 256 Dazu Dreier, in: ders. (Hg.), GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Vor Art. 1 Rn. 125 ff. 257 BVerfG, Beschl. v. 18. Dezember 1974 – 1 BvR 430/65 u. 259/66 –, BVerfGE 38, 281 (310). 258 Das Prinzip freier Assoziation betonend BVerfG, Beschl. v. 18. Dezember 1974 – 1 BvR 430/65 u. 259/66 –, BVerfGE 38, 281 (303); Martini, Die Pflegekammer, 2014, S. 76; Engel, Freiheit und Autonomie, 2003, S. 14.

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Argument zum Tragen, nach dem die Organisation für die Gewerbetreibenden spreche oder die Interessen der gewerblichen Wirtschaft vertrete. Dass infolge dieser Konkurrenzsituation existente Interessenvereinigungen von derartigen Aufgaben Abstand nehmen oder in der Anwerbung neuer Mitglieder unattraktiv erscheinen, ist naheliegend. Immerhin stellt der Versuch, eine Mächtigkeit im Sinne der mitgliedschaftlichen Erfassung eines vollständigen Berufsstandes oder Wirtschaftszweiges zu erlangen, für sie ein nahezu aussichtsloses Unterfangen dar.259 Außerdem müssen sich Vereine mangels Ausschlussmöglichkeit der Exit-Option immerzu mit Mitgliederbewegungen auseinandersetzen.260 Freiwillige Verbände sind permanent gezwungen, Aktivitäten zu hinterfragen oder einzustellen und nötigenfalls über eine Auflösung oder den Zusammenschluss mit anderen Vereinigungen nachzudenken.261 Daraus resultiert eine insgesamt eingeschränkte Betätigungsmöglichkeit der freien Vereinigungen, auf die auch das Bundesverfassungsgericht hingewiesen hat.262 Ferner könnte von der Gründung eines Interessenverbands gänzlich abgesehen werden, weil in einem Bereich kein Raum für Betätigungen neben der pflichtmitgliedschaftlich verfassten Organisation besteht. So stellt sich die Gründung eines Vereins zur Vertretung der Interessen der gewerblichen Wirtschaft in Wuppertal, Solingen und Remscheid als wenig aussichtsreich dar, weil die „Bergische Industrie- und Handelskammer Wuppertal-Solingen-Remscheid“ an gleicher Stelle wirkt. Doch sind keine empirischen Untersuchungen ersichtlich, die den Wettbewerbsvorteil der IHK bzw. den strukturellen Wettbewerbsnachteil der freien Interessenvertretungen belegen. Bekannt ist jedoch, dass Berufs- und Interessenverbände in den letzten zwei Jahrzehnten kontinuierlich Mitgliederverluste beklagen.263 Es lassen sich Szenarien erdenken, die sich als ein Unterlaufen der Gewährleistung aus Art. 9 Abs. 1 GG ergeben. Die Verkürzung der Lebensmöglichkeit von Vereinigungen wäre aus Sicht des freiheitlich gestalteten Staatswesens besorgniserregend, weshalb diese Gemengelage mit einiger Berechtigung in das Aufmerksamkeitsfeld der Grundrechte zu rücken ist.

259

Diese Annahme beruht im Wesentlichen auf den Prämissen der Logik kollektiven Handelns. Dazu näher unter C. III. 1. e) cc) (2). 260 Dieser Vorgang war und ist einem liberalen System organisierter Interessen immanent und hat – dies zeigt die Untersuchung von Albert Hirschman (dazu näher unter D. I. 4.) – gewichtige Vorteile. Seit der Jahrtausendwende beklagt das Verbandswesen allerdings einen Befund kontinuierlich abnehmender Mitgliedschaft (Sack, Gemischte Motive, personale Netzwerke und europäische Unübersichtlichkeit – Die Beziehungen zwischen Wirtschaftskammern und Wirtschaftsverbänden im Wandel, in: Kluth [Hg.], JbKBR 2010, 2011, 63 [67 m. w. N.]). 261 Naschold, Organisation und Demokratie, 1969, S. 46, 54. Zu diesen Problemen, die mit der Verknüpfung von Zweck- und Motivationsstruktur bei freiwilligen Organisationen im Zusammenhang stehen, näher unter D. I. 6. 262 BVerfG, Beschl. v. 18. Dezember 1974 – 1 BvR 430/65 u. 259/66 –, BVerfGE 38, 281 (302). 263 Sack, Kammern, Engagement und Ehrenamt, in: Kluth (Hg.), JbKBR 2018, 2019, 27 (30).

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C. Der Auftrag gewerbliche Interessenrepräsentanz  

bb) Maßgaben des BVerfG Das Bundesverfassungsgericht setzt das Verdikt der Verfassungswidrigkeit für eine entsprechende Rüge äußerst hoch an. Das Gericht fordert eine Situation „echter [Aufgaben-]Konkurrenz“.264 Dies sei lediglich erfüllt, wenn „eine durch staatlichen Hoheitsakt gegründete Körperschaft dem freien Verband“ eine legitimerweise ausgeübte Tätigkeit „faktisch unmöglich“ mache, wobei dies „besonders im Verhältnis zu den Koalitionen“ gelte.265 Die vorstehende Einschränkung macht deutlich, dass es sich keinesfalls um eine verallgemeinerungsfähige Maßgabe handelt, die für alle Aufgaben-Konkurrenzlagen zwischen pflichtmitgliedschaftlichen Körperschaften und parallelen freien Vereinigungen gilt. Das Verfassungsgericht verweist hierfür berechtigterweise auf Art. 9 Abs. 3 GG. Das Grundrecht sichert den Bestand und die Tätigkeit von Gewerkschaften wie auch den Arbeitgeberverbänden in besonderer Weise ab. Andere Interessenvereinigungen können sich demgegenüber „nur“ auf den Grundtatbestand des Art. 9 Abs. 1 GG berufen. Notwendig war daher, dass die Errichtung der Arbeitnehmerkammern den Kernbereich gewerkschaftlicher Betätigungsfreiheit weder infrage stellte noch eine Existenzgefährdung beförderte.266 Da das BVerfG zusätzlich keinen Ausschließlichkeitsanspruch für die „allgemeine Vertretung der Arbeitnehmerinte­ ressen gegenüber dem Staat und der Öffentlichkeit“ zugunsten der Gewerkschaften anerkennen wollte267 und eine abweichende „Konzeption“ bei der Errichtung der Arbeitnehmerkammern erblickte,268 blieb der Einwand der Überflüssigkeit ohne Erfolg. Den Entscheidungsgründen lässt sich dennoch entnehmen, dass das Verfassungsgericht die Sinn- und Zweckhaftigkeit der Arbeitnehmerkammern durchweg anzweifelte.269 Es rechtfertigte die Verfassungsmäßigkeit dieses Pflichtverbands vor allem mit Hinweisen auf die sozialgeschichtliche Entwicklung in Bremen und im Saarland.270 c) Verletzung der negativen Meinungsfreiheit durch konfligierende Interessenstandpunkte der Kammerzugehörigen? Zu einer direkten Erörterung der Aufgabe Interessenrepräsentanz in Verantwortung der IHK an verfassungsrechtlichen Maßstäben kommt es auch, wenn sich ein Kammerzugehöriger auf den Standpunkt stellt, dass diejenigen Verlautbarungen, 264

BVerfG, Beschl. v. 18. Dezember 1974 – 1 BvR 430/65 u. 259/66 –, BVerfGE 38, 281 (303). BVerfG, Beschl. v. 18. Dezember 1974 – 1 BvR 430/65 u. 259/66 –, BVerfGE 38, 281 (303 f.). 266 BVerfG, Beschl. v. 18. Dezember 1974 – 1 BvR 430/65 u. 259/66 –, BVerfGE 38, 281 (306 f.). 267 BVerfG, Beschl. v. 18. Dezember 1974 – 1 BvR 430/65 u. 259/66 –, BVerfGE 38, 281 (306). 268 BVerfG, Beschl. v. 18. Dezember 1974 – 1 BvR 430/65 u. 259/66 –, BVerfGE 38, 281 (307 f.). 269 S. insbes. BVerfG, Beschl. v. 18. Dezember 1974 – 1 BvR 430/65 u. 259/66 –, BVerfGE 38, 281 (304 f.). 270 BVerfG, Beschl. v. 18. Dezember 1974 – 1 BvR 430/65 u. 259/66 –, BVerfGE 38, 281 (309 f.). 265

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die die Organe „seiner“ Kammer tätigen, einen faktischen Eingriff in sein Grundrecht der negativen Meinungsfreiheit darstellen.271 Indes ist dieser Sachverhalt nicht in jedem Fall eingängig. Vielmehr wird sich der Kammerzugehörige insbesondere dann ernsthaft auf eine Beeinträchtigung von Art. 5 Abs. 1 GG berufen, wenn das von den Organen repräsentierte Interesse mit seiner eigenen Auffassung im Widerspruch steht. Denn erst ab Erreichen dieses Punktes entsteht die Möglichkeit, eine bevormundungsgleiche Situation zu rügen, die zur Berufung auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit prinzipiell angeführt werden kann.272 In Rede steht ein Sachverhalt, in dem sich das einzelne Mitglied gegen die Zurechnung von öffentlich verlautbarten Standpunkten wehrt und sich hierbei auf Gefahren der Diskriminierung oder geschäftlichen Benachteiligung in der Bevölkerung oder unter seinen bisherigen Kunden beruft.273 Dieses Konfliktpotenzial kann regelmäßig in Pflichtkörperschaften mit dem Auftrag Interessenrepräsentanz auftreten. Die Organisationsform und die gesetzliche Wendung von dem „Gesamtinteresse“ ermöglichen Verlautbarungen, die dem Anschein nach im Namen der gesamten gewerblichen Wirtschaft eines Kammerbezirks getätigt werden. Zieht man in Betracht, dass zwischen den Einheiten der funktionalen Selbstverwaltung hinsichtlich des Grades der Homogenität unter den Mitgliedern zu differenzieren ist,274 dürfte eine derartige Argumentation bei den berufsständischen Körperschaften jedoch weitaus leichter fallen als bei der äußerst inhomogenen Mitgliederstruktur der IHK. Es ist bereits fraglich, ob in den Gesellschaftskreisen, aus denen eine schädliche Reaktion befürchtet wird, geläufig ist, welcher Unternehmer Kammerzugehöriger im Sinne von § 2 Abs. 1 IHKG ist. Dass in diesen Fallkonstellationen das Grundrecht der negativen Meinungsfreiheit in verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigender Weise verletzt würde, erscheint auch insgesamt fernliegend. Immerhin beruht die befürchtete Zurechnung von Verlautbarungen auf äußerst vagen Annahmen über einen potenziellen Verlauf der öffentlichen Reaktion auf die im Namen der Kammer verbreiteten Interessenstandpunkte. Es ist überdies nicht von der Hand zu weisen, dass der Kammerzugehörige durch die entfalteten Tätigkeiten nicht daran gehindert wird, einen eigenen, abweichenden Standpunkt zu verlautbaren, wenngleich ihm in al-

271

Kluth, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Gesamtinteressenvertretung durch Industrieund Handelskammern, in: ders. (Hg.), Die IHK-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, 2018, 105 (118) erkennt eine „schon lange kontrovers diskutiert[e]“ Frage. Nachweise zu dieser Auffassung sind bei ders., Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 322 zu finden. Einschränkend ist hinzuzufügen, dass der dort vorgefundene Verweis auf Redeker, NJW 1982, 1266 (1267) fehlleitend ist, da Redeker die Meinungsfreiheit nur gegen die Repräsentanz „allgemeine[r] politische[r] Meinungen“ und nicht grundsätzlich in Stellung bringt. 272 Berichtend Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 322. 273 Berichtend Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 322 f. 274 Dazu näher unter D. IV. 1.

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C. Der Auftrag gewerbliche Interessenrepräsentanz  

ler Regel das gleiche Maß an Aufmerksamkeit versagt bleibt. Dennoch ist aus verfassungsrechtlichen Gründen beachtenswert, wenn bspw. ein Kammerzugehöriger einen geldwerten Auftrag verlieren sollte, weil sich der Präsident „seiner“ IHK bei der Neujahrsansprache in allgemeinpolitischer Art und Weise geäußert hat. Vor diesem Hintergrund ist zumindest dann keine Verletzung der negativen Meinungsfreiheit anzunehmen, wenn sich das Handeln der Organe innerhalb der gesetzlichen Grenzen bewegt.275 d) Schutz des freien Verbandswesens durch verfassungskonforme Auslegung der Aufgabe? Weniger Begründungsaufwand fällt an, um die Forderung nach einer verfassungskonformen Auslegung der Aufgabe Interessenrepräsentanz zu erläutern. Die argumentativen Leitlinien wurden mit der Erörterung über einen mittelbaren Grundrechtseingriff in die Gründungs- und Betätigungsfreiheit der freien Interessenvertretungen bereits gelegt. Die Behauptung über eine teilweise Aufgabenkonkurrenz aktualisiert sich nunmehr. Das Argument lautet, dass aus dem Prinzip freier sozialer Gruppenbildung respektive der mit Art. 9 Abs. 1 und 3 GG verbundenen Gewährleistungen die Notwendigkeit einer Verkürzung des Mandats zur Interessenrepräsentanz im öffentlich-rechtlichen Gewand folgt. Aus einem rechtstheoretischen Blickfeld erscheint die Frage des Ob, d. h. ob man eine Verkürzung wegen der in Rede stehenden Grundrechte für geboten erachtet, indes von geringer Bedeutung. Sie ist zu bejahen. Vielmehr dürfte die Frage nach dem Wie der Limitierung die juristische Wissenschaft herausfordern und sich im Ergebnis als eine unlösbare Problematik darstellen. Man ist geneigt, diejenigen Vertreter, die eine verfassungskonforme Auslegung des Auftrags zur Interessenrepräsentanz erörtern,276 an die „Büchse der Pandora“ zu erinnern. Angesichts des Rückgriffs auf den schillernden Begriff der Interessen277 in der zur Aufgabe ermächtigenden Norm wirft jede denkbare Verkürzung des Mandats nur eine Vielzahl neuer Abgrenzungsfragen auf. Damit wäre die Rechtssicherheit beeinträchtigt. Die Beiträge, die sich mit einer verfassungskonformen Auslegung des Auftrags Interessenrepräsentanz auseinandersetzen, bringen diese Problemlage auch mittelbar zum Vorschein. Ein Autor postuliert eine „verfassungsrechtlich zwingend

275 Ähnlich auch BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 73). 276 Für den entsprechend lautenden Auftrag in § 91 HwO Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 28 ff.; Kelber, Grenzen des Aufgabenbereichs einer Körperschaft des öffentlichen Rechts unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten, 1998, S. 129. 277 Dazu näher unter C. IV. 4.

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enge[n] Auslegung“ des Mandats mit Blick auf die HwK,278 ohne darzulegen, wie dieser Forderung rechtssicher Genüge getan werden könnte. Hans-Georg Dederer wendet sich der Frage des Wie der Verkürzung in Anbetracht der HwK zwar mit ausführlicheren Worten zu.279 Auch er lässt aber unbeantwortet, in welchen Bezügen die in Aussicht gestellte verfassungskonforme Auslegung eine tatsächliche Beschränkung des Gesetzesauftrags ergeben könnte.280 e) Die Vereinbarkeit der Pflichtmitgliedschaft in der IHK mit höherrangigem Recht Unter Geltung des Grundgesetzes stellt die Frage, ob die Pflichtmitgliedschaft in der IHK grundrechtskonform ist, einen verfassungsrechtlichen „Klassiker“ dar. Hier soll nicht der Ort sein, die Einschlägigkeit des entscheidungserheblichen Grundrechts in einem ausführlichen Für und Wider zu bestimmen oder die grundrechtliche Überprüfung des Organisationsakts in umfassenden Zügen nachzuvollziehen. Immerhin existieren viele Publikationen, die sich den entscheidenden Fragen eines öffentlich-rechtlichen Pflichtverbands ausführlich widmen.281 Dass Rechtsprechung und Schrifttum die Grundrechtskonformität der Pflichtmitgliedschaft in der IHK inzwischen „einhellig“ bejahen,282 kann jedoch mitnichten behauptet werden.283 Für die Erfordernisse dieser Studie genügt jedoch eine Darstellung der grundrechtlichen Themen in Leitlinien, während den organisationsrechtlich und -soziologisch bedeutsamen Fragen ausführlicher zu begegnen ist. In rechtstechnischer Hinsicht vermittelt § 2 Abs. 1 IHKG die Pflichtmitgliedschaft. Danach gehören zur IHK „natürliche Personen, Handelsgesellschaften, 278 Kelber, Grenzen des Aufgabenbereichs einer Körperschaft des öffentlichen Rechts unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten, 1998, S. 129. 279 Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 30 f. 280 Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 30 f. dürfte angesichts des von ihm verwendeten Nachweisapparats das „herrschende“ Verständnis dargestellt, aber keinen rechtssicheren Vorschlag zur Einschränkung gegenüber dem Status Quo formuliert haben. 281 Martini, Die Pflegekammer, 2014, S. 118–191. Wenngleich darin die Organisationsform einer Pflegekammer mit gesetzlicher Mitgliedschaft untersucht wird, werden zugleich die grundrechtserheblichen Probleme, die der Pflichtmitgliedschaft in der IHK anhaften, vollständig abgebildet und umfassend untersucht. 282 So Jahn, in: Junge / ders. / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 2 Rn. 3. In diese Richtung auch Schöbener, Rechtsschutz, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 14 Rn. 18. 283 Heinz, DVBl 2021, 1005 (1008) kennzeichnet die Pflichtmitgliedschaft in der IHK als verfassungswidrig. Ruthig / Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 5. Aufl. 2019, Rn. 143 erheben „verfassungsrechtliche Bedenken“ und erinnern an den Bedarf über eine „Ergänzung der rudimentären gesetzlichen Regelungen“. Rinke, BayVBl 2016, 325 (332) erachtet die pflichtmitgliedschaftliche Organisationsform der HwK als verfassungswidrig, solange die Strukturen „keine demokratische Interessenrepräsentation ihrer Mitglieder gewährleisten“ würden. Da die dort beschriebenen Defizite auch in der IHK angetroffen werden können, muss die Schlussfolgerung für den hiesigen Untersuchungsgegenstand eine entsprechende Geltung erfahren.

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C. Der Auftrag gewerbliche Interessenrepräsentanz  

andere Personenmehrheiten und juristische Personen des privaten und des öffentlichen Rechts, welche im Bezirk der Industrie- und Handelskammer eine Betriebsstätte unterhalten“, sofern sie zur Gewerbesteuer veranlagt sind. Für die Erhebung von Verfassungsbeschwerden bilden zumeist Beitragsbescheide den Stein des Anstoßes. Doch nimmt die Beitragspflicht gem. § 3 Abs. 2 S. 1 IHKG lediglich auf die Kammerzugehörigkeit Bezug, weshalb der Regelungsgehalt des § 2 Abs. 1 IHKG den zutreffenden Anknüpfungspunkt einer Verfassungsbeschwerde darstellt. aa) Bestimmung des entscheidungserheblichen Grundrechts Die Argumente, die für oder gegen die Erfassung des Sachverhalts mit der negativen Seite der Freiheitsgewährleistung aus Art. 9 Abs. 1 GG – dem Grundrecht, einer Vereinigung fern zu bleiben – streiten, sind seit Jahrzehnten bekannt.284 Es steht nicht zu erwarten, dass ein bisher unberücksichtigtes Argument zukünftig erdacht würde. Dies gilt insbesondere, weil bereits die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes den Diskurs mitbestimmt. Die Unterredung im Verfassungskonvent285 legt nahe, dass die Vereinigungsfreiheit suspendiert sein soll. Es überrascht aber, dass die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Pflichtmitgliedschaft vor dem Grundrecht der Berufsfreiheit bisher nicht die Aufmerksamkeit des BVerfG gefunden hat.286 Die Organisationszugehörigkeit ist mehr als ein bloßer Reflex der Berufsausübung. Auch die Literatur regt diesbezüglich ein genaueres Hinsehen an.287 Die Verweigerungshaltung des Verfassungsgerichts fügt sich jedoch in das 284

S. nur die Auseinandersetzungen bei Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungspro­ blem, 1971, S. 272 ff.; Mronz, Körperschaften und Zwangsmitgliedschaft, 1973, S. 57 ff., 208 ff.; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 59 ff.; Friauf, Die negative Vereinigungsfreiheit als Grundrecht – Ein Beitrag zum Problem wirtschaftsrechtlicher Zwangszusammenschlüsse, in: Pleyer / Schultz / Schwinge (Hg.), FS Reinhardt, 1972, 389–400; v. Mutius, VerwArch 64 (1973), 81 (82 ff.). 285 Deutscher Bundestag / Bundesarchiv (Hg.), Der Parlamentarische Rat 1948–1849 – Akten und Protokolle, Band 2  – Der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, 1981, Dok. Nr. 14, S. 514 f.: „Zu Artikel 9 wurde der Vorschlag abgelehnt, daß niemand solle gezwungen werden dürfen, sich einer Vereinigung anzuschließen. Die Ablehnung gründet sich auf die möglicherweise bestehende Notwendigkeit, auch künftig Angehörige bestimmter Berufe in öffentlichrechtlichen Organisationen verpflichtend zusammenzufassen.“ Darauf bezugnehmend BVerwG, Urt. v. 21. Juli 1998 – 1 C 32/97 –, BVerwGE 107, 169 (172 f.); BVerfG, Beschl. v. 7. Dezember 2001 – 1 BvR 1806/98 –, juris Rn. 30 ff.; Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 79). 286 S. aber BVerfG, Beschl. v. 19. Dezember 1962 – 1 BvR 541/57 –, BVerfGE 15, 235 (239). 287 Für die Anwendung von Art. 12 Abs. 1 u. 2 GG: Manssen, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 12 Rn. 78; Rixen, in Stern / Becker (Hg.), Grundrechte-Kommentar, 3. Aufl. 2018, Art. 9 Rn. 21; Neurath, DÖV 2019, 513 (516). Die Anwendung der Berufsfreiheit für die Anordnung der Pflichtmitgliedschaft anregend Depenheuer, Freiheit des Berufs und Grundfreiheiten der Arbeit, in: Badura / Dreier (Hg.), FS 50 Jahre BVerfG, Bd. 2, 2001, 241 (269 f.); Ruthig, Fall 3 „Buy Pfälzisch! – Probleme mit der IHK“, in: Gurlit / ders. / Storr, Klausurenkurs im Öffentlichen Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2017, Rn. 65; Klafki, GewArch 2020, 134

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Erfordernis über die Feststellung einer berufsregelnden Tendenz ein, das in der Rechtsprechung des BVerfG erdacht wurde288 und von der Literatur noch heutzutage großflächig rezipiert wird.289 Maßgebend für die Frage nach dem einschlägigen Grundrecht ist, ob dem Freiheitsversprechen des Art. 9 Abs. 1 GG ein Prinzip freier sozialer Gruppenbildung zu selbst definierten Zwecken für jegliche Art von Personenzusammenschlüssen zugrunde liegt. Nimmt man dies mit einer verbreiteten Meinung in der Literatur an,290 hält man Art. 9 Abs. 1 GG in seiner negativen Ausprägung für einschlägig.

(137); Huber / Unger, Öffentliches Wirtschaftsrecht, in: Schoch (Hg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, § 4 Rn. 212; Scholz, in: Dürig / Herzog / ders., GG, Stand: 95. EL Juli 2021, Art. 9 Rn. 91. Schöbener, VerwArch 91 (2000), 374 (385) stellt die Einschlägigkeit der Berufsfreiheit für die Beitragspflicht in Aussicht. Auch Höfling, in: Sachs (Hg.), GG, 9. Aufl. 2021, Art. 9 Rn. 25 meint, dass die Berufsfreiheit für Einzelfragen den „vorrangigen Kontrollmaßstab“ bilde. Diese Frage offenlassend BVerwG, Urt. v. 21. Juli 1998 – 1 C 32/97, BVerwGE 107, 169 (173). Ausdrücklich dagegen Frotscher / Kramer, Wirtschaftsverfassungs- und Wirtschaftsverwaltungsrecht, 7. Aufl. 2019, Rn. 769. 288 S. nur BVerfG, Beschl. v. 18. Mai 2004 – 2 BvR 2374/99 –, BVerfGE 110, 370 (393 f.). 289 Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 12 Rn. 16a meint etwa, dass bei der „Schaffung öffentlich-rechtlicher Zwangsverbände […] eine berufsregelnde Tendenz fehlen“ dürfte, „soweit es um bloße Zahlungspflichten“ gehe. Zu diesem Kriterium Cornils, Von Eingriffen, Beeinträchtigungen und Reflexen. Bemerkungen zum status quo der GrundrechtsEingriffsdogmatik des Bundesverfassungsgerichts, in: Detterbeck / Rozek / v. Coelln (Hg.), FS Bethge, 2009, 137 (151 ff. [Kritik auf S. 153]). Unter Annahme eines Eingriffs in Art. 12 Abs. 1 u. 2 GG sowie unter Rekurs auf die klassisch gewordenen, nie explizit aufgegebenen (Michl, JöR 68 [2020], 323 [325]) Leitlinien der sog. Drei-Stufen-Lehre (s. BVerfG, Urt. v. 11. Juni 1958 – 1 BvR 596/56 –, BVerfGE 7, 377 [405 ff.]), wird für die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Pflichtzugehörigkeit wohl keine abweichende Beurteilung zu der Diskussion um Art. 2 Abs. 1 GG getroffen werden können. Dies gilt zumindest dann, wenn ein Grundrechtseingriff auf erster „Stufe“ angenommen wird. Denn die mit dem IHKG verbundenen Zwecksetzungen sind unter der Wendung „vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls“ einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung zugänglich. 290 Mronz, Körperschaften und Zwangsmitgliedschaft, 1973, S. 219 ff.; Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 143 ff.; Martini, Die Pflegekammer, 2014, S. 119 ff.; Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht  – Allgemeiner Teil, 1990, S. 149 f.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1999, Rn. 414; Kingreen / Poscher, Grundrechte Staatsrecht II, 36. Aufl. 2020, Rn. 850; Heinz, DVBl 2021, 1005 (1008 f.); Schöbener, VerwArch 91 (2000), 374 (385 ff., 403); v. Mutius, JURA 1984, 193 (196 f.); Bethge, JA 1979, 281 (284 f.); Murswiek, JuS 1992, 116 (118 f.); Cornils, Allgemeine Handlungsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. VII, 3. Aufl. 2009, § 168 Rn. 54; Höfling, in: Sachs (Hg.), GG, 9. Aufl. 2021, Art. 9 Rn. 23; Bauer, in: Dreier (Hg.), GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 9 Rn. 47; Scholz, in: Dürig / Herzog / ders., GG, Stand: 95. EL Juli 2021, Art. 9 Rn. 90; Lang, in: Epping / Hillgruber (Hg.), BeckOK GG, Stand: 49. Edition 15. 11. 2021, Art. 2 Rn. 7. In diese Richtung wohl auch Kahl, Die Schutzergänzungsfunktion von Art. 2 Abs. 1 GG, 2000, S. 18 f. Gegen die Anwendung von Art. 9 Abs. 1 GG für pflichtmitgliedschaftlich verfasste Körperschaften explizit Merten, Vereinigungsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. VII, 3. Aufl. 2009, § 165 Rn. 62 ff.; Bethge / Detterbeck, JuS 1993, 43 (44); Degenhart, JuS 1990, 161 (166); Di Fabio, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Stand: 95. EL Juli 2021, Art. 2 Abs. 1 Rn. 22; Löwer, in: v. Münch / Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 9 Rn. 20; Kemper, in:

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Führt man unter dieser Prämisse die Prüfung fort, dürfte man nur schwerlich die pflichtmitgliedschaftliche Verfassung der IHK rechtfertigen können.291 Denn mit Rücksicht auf Art. 9 Abs. 1 GG müssten verfassungsimmanente Gründe angeführt werden, um die Verfassungsmäßigkeit des Organisationsakts zu begründen. Verweigert man diesem Argument die Anerkennung, weil man etwa im Gleichschritt mit dem BVerfG die Äußerungen im Verfassungskonvent auf Herren­ chiemsee betont und den Tatbestand des Art. 9 Abs. 1 GG auf freiwillige Zusammenschlüsse beschränkt wissen möchte, muss die Diskussion unter dem allgemeinen Freiheitsversprechen fortgeführt werden. Das Recht, „nicht durch Pflichtmitgliedschaft von „unnötigen“ Körperschaften in Anspruch genommen werden“, ergibt sich dann aus Art. 2 Abs. 1 GG.292 Dass man bei Unterstützung dieser Auffassung über eine inkonsistente Argumentation hinwegsehen müsste293 und die Dispositionsfreiheit über den einschlägigen Schutzbereich dem Gesetzgeber als Folge der von ihm präferierten Organisationsform zugesteht (Gefahr des Formenmissbrauchs),294 soll nicht vertieft werden. Dasselbe gilt für die mangelnde Überzeugungsfähigkeit des Kehrseiten-Arguments, nach dem der Gleichlauf von „positiver“ und „negativer“ Seite der Grundrechte als logisch zwingend anzusehen sei.295

v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 9 Rn. 60; Kannengießer, in: SchmidtBleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, 15.  Aufl. 2022, Art.  9 Rn.  8; Wolff, in: Hömig / ders., GG, 13. Aufl. 2022, Art. 9 Rn. 3. 291 Cornils, Allgemeine Handlungsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. VII, 3. Aufl. 2009, § 168 Rn. 54; Höfling, in: Sachs (Hg.), GG, 9. Aufl. 2021, Art. 9 Rn. 24; Bröhmer, in: Dörr / Grote / Marauhn (Hg.), EMRK / GG, 2. Aufl. 2013, Kapitel 19 Rn. 54. A. A. Schöbener, VerwArch 91 (2000), 374 (406 f.) unter Verweis auf das Sozialstaatsprinzip als verfassungsimmanente Schranke. 292 Zitat bei BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 Ls. 1. S. ferner BVerfG, Beschl. v. 18. Dezember 1974 – 1 BvR 430/65 u. 259/66 –, BVerfGE 38, 281 (298). Den Maßgaben folgt BVerwG, Urt. v. 21. Juli 1998 – 1 C 32/97 –, BVerwGE 107, 169 (173). Aus der Literatur Merten, Vereinigungsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. VII, 3. Aufl. 2009, § 165 Rn. 66; Erichsen, Allgemeine Handlungsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. VI, 1989, § 152 Rn. 74; Mann, Berufliche Selbstverwaltung, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 146 Rn. 34; Kuhla, DVBl 2021, 1533; Di Fabio, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Stand: 95. EL Juli 2021, Art. 2 Abs. 1 Rn. 22; Starck, in: v. Mangoldt / Klein / ders., GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 2 Abs. 1 Rn. 134; ­Kunig / Kämmerer, in: v. Münch / Kunig (Begr.), GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 50; Winkler, in: v. Münch / Kunig (Begr.), GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 9 Rn. 55. 293 Dazu Cornils, Allgemeine Handlungsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. VII, 3. Aufl. 2009, § 168 Rn. 54. 294 Dazu Schöbener, VerwArch 91 (2000), 374 (398 f. u. 402 f.). 295 Das Kehrseiten-Argument besagt, dass zwischen den positiven und negativen Grundrechtsgehalten ein Gleichlauf hergestellt werden muss. Keine „Seite“ des Grundrechts darf weiterreichen als die andere. Angewendet auf diesen Sachverhalt hat das Argument zur Folge, dass der Schutz gegen den Organisationsakt nicht aus der Vereinigungsfreiheit folgen kann, weil Art. 9 Abs. 1 GG bereits keinen Anspruch bereithält, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit

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bb) Pflichtmitgliedschaft als ausschließliche Erweiterung des Rechtskreises? Angesichts des umfassenden Freiheitsversprechens des Grundgesetzes erscheint es abwegig, dass ein Gesetz, das die Zugehörigkeit zu einer Körperschaft ohne Austrittsmöglichkeit vorschreibt, keinen Grundrechtseingriff darstellen soll. Doch wird diese Auffassung unentwegt fortgeschrieben.296 Anderslautenden Sichtweisen hält man entgegen, dass ihr „ungenaue[r] dogmatische[r] Ansatz“ die „Entwicklung einer zutreffenden Eigenwahrnehmung der Organisationen und ihrer Mitglieder verhindert oder doch zumindest behindert“ habe.297 Man möchte daher die „zutreffende Vermittlung des verfassungstheoretischen und gesellschaftspolitischen Gehalt[s] dieser besonderen Organisationsform“ besorgen.298 Die dazu ergangene Begründung besagt, dass den Mitgliedern im Wege ihrer verpflichtenden Zugehörigkeit zu der Kammer zusätzliche Partizipationsmöglichkeiten an der Ausübung von Staatsgewalt eröffnet würden. Bei differenzierender Betrachtung wäre für den Organisationsakt eine Erweiterung des status activus festzustellen. Lediglich die Aufgabenzuweisung mitsamt den damit verbundenen Pflichten und Belastungen sei an den Grundrechten zu messen.299 Die Kammerzugehörigkeit ergebe sich als „ausschließlich begünstigender Rechtsakt“, während die Pflichten „in einem nur mittelbaren Zusammenhang zu der Mitgliedschaft“ stünden.300

gesetzlicher Mitgliedschaft zu gründen. Das Argument übersieht, dass auch Art. 2 Abs. 1 GG keine positive Kehrseite mit diesem Umfang enthält. Kritisch auch Schöbener, VerwArch 91 (2000), 374 (399 f.). S. ferner BVerwG, Urt. v. 21. Juli 1998 – 1 C 32/97 –, BVerwGE 107, 169 (172 f.). 296 Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 298 ff.; ders., Die Verwaltung 35 (2002), 349 (354 f.); ders., Kammerrecht, in: Schulte / Kloos (Hg.), Handbuch Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 7 Rn. 32 f.; ders., Verfassungsrechtliche und europarechtliche Grundlagen des Kammerrechts, in: ders. (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 5 Rn. 97. In diesem Sinne auch Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 195, 250; Erichsen, Allgemeine Handlungsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. VI, 1989, § 152 Rn. 72 u. 74; Rickert, WiVerw 2004, 153 (162). Tendenziell gleichgerichtet Bull, Zur Organisation kollektiver Grundrechtswahrnehmung: Probleme der Selbstverwaltung insbesondere im Hochschulund Rundfunkbereich, in: Durner / Reimer / Spiecker gen. Döhmann / Wallrabenstein (Hg.), GS Schmehl, 2019, 121 (125), der beschreibt, dass die pflichtmitgliedschaftlichen Organisationsformen als „besonders freiheitsfreundlich gelten“ würden. Auch Dietlein, Zu den Grenzen der Interessenvertretung durch berufsständische Kammern, in: Ziemske / Langheid / Wilms / Haverkate (Hg.), FS Kriele, 1997, 1181 (1193) bekräftigt, dass die Institutionen ein „Mehr an Freiheit“ bewirkten. 297 Kluth, Verfassungsrechtliche und europarechtliche Grundlagen des Kammerrechts, in: ders. (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 5 Rn. 98 m. Fn.146. 298 Kluth, Verfassungsrechtliche und europarechtliche Grundlagen des Kammerrechts, in: ders. (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 5 Rn. 98. 299 Kluth, Verfassungsrechtliche und europarechtliche Grundlagen des Kammerrechts, in: ders. (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 5 Rn. 97. 300 Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 305. Ebd., S. 307: „lediglich rechtlich vorteilhaft“; ebd., S. 308: „nur positive, den Rechtskreis der Betroffenen erweiternde Rechts­ folgen“.

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C. Der Auftrag gewerbliche Interessenrepräsentanz  

Unterstützung verdient diese Auffassung in einem Punkt: Thematische Kennzeich­ nungen wie z. B. „Zwangsverband“301, „Zwangszusammenschluss“302, „Zwangsvereinigung“303, „Zwangskörperschaft“304, „Zwangsinkorporation“305, „Zwangskorporation“306, „Zwangsvergemeinschaftung“307, „Zwangszugehörigkeit“308 oder „Zwangsmitgliedschaft“309 verdecken womöglich, dass die Verkammerung nicht 301

BVerfG, Beschl. v. 7. Dezember 2001 – 1 BvR 1806/98 –, juris Rn. 51; Fröhler / Oberndorfer, Körperschaften des öffentlichen Rechts und Interessenvertretung, 1974, S. 77; Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz, 1985, S. 118; Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Rechtsstaat, 1991, S. 286; Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 187; Faber, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 1995, S. 56; Dietlein, Zu den Grenzen der Interessenvertretung durch berufsständische Kammern, in: Ziemske / Langheid / Wilms / Haverkate (Hg.), FS Kriele, 1997, 1181 (1186); Kemper, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 9 Rn. 60; Starck, in: v. Mangoldt / Klein / ders., GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 2 Abs. 1 Rn. 133; Rixen, in: Sachs (Hg.), GG, 9. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 119; Horn, in Stern / Becker (Hg.), Grundrechte-Kommentar, 3. Aufl. 2018, Art. 2 Rn. 32; Kunig / Kämmerer, in: v. Münch / Kunig (Begr.), GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 50. 302 Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht – Allgemeiner Teil, 1990, S. 149; Merten, Vereinigungsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. VII, 3. Aufl. 2009, § 165 Rn. 62; Erichsen, Allgemeine Handlungsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. VI, 1989, § 152 Rn. 70; Bauer, in: Dreier (Hg.), GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 9 Rn. 47; Scholz, in: Dürig / Herzog / ders., GG, Stand: 95. EL Juli 2021, Art. 9 Rn. 90; Jarass, in: ders. / Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 9 Rn. 7. 303 Höfling, in: Sachs (Hg.), GG, 9. Aufl. 2021, Art. 9 Rn. 24. 304 Schmitt Glaeser, Partizipation an Verwaltungsentscheidungen, VVDStRL 31 (1972), 1973, 179 (230); Schöbener, VerwArch 91 (2000), 374 (396); Sachs, JuS 2017, 1135 (1137); Muckel, JA 2017, 878 (880); Waldhoff, JuS 2021, 575. 305 Höfling, in: Sachs (Hg.), GG, 9. Aufl. 2021, Art. 9 Rn. 22. 306 BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 84); Beschl. v. 7. Dezember 2001 – 1 BvR 1806/98 –, juris Rn. 38; Cornils, Allgemeine Handlungsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 168 Rn. 54; Jestaedt, Die Verwaltung 35 (2002), 293 (307). 307 Höfling, in: Sachs (Hg.), GG, 9. Aufl. 2021, Art. 9 Rn. 25. 308 Most, Die Selbstverwaltung der Wirtschaft in Industrie- und Handelskammern, 2. Aufl. 1929, S. 22 – Hervorh. i. O. 309 BVerfG, Beschl. v. 31. Oktober 1984 – 1 BvR 35, 356, 794/82 –, BVerfGE 68, 193 (208); Beschl. v. 22. Oktober 1985 – 1 BvL 44/83 –, BVerfGE 71, 81 Ls. 1; Beschl. v. 7. Dezember 2001 – 1 BvR 1806/98 –, juris Rn. 23; Beschl. v. 13. Juli 2004 – 1 BvR 1298, 1299/94, 1332/95, 613/97 –, BVerfGE 111, 191 (218); Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 260; Faber, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 1995, S. 84; Kahl, Die Schutzergänzungsfunktion von Art. 2 Abs. 1 GG, 2000, S. 18; Engel, Freiheit und Autonomie, 2003, S. 24; Pathe, DVBl 1950, 663–665; Quidde, DÖV 1958, 521–525; Basedow, BB 1977, 366 (369); Schuppert, AöR 114 (1989), 127 (132); Musil, DÖV 2004, 116 (119); Rinke, BayVBl 2016, 325–332; Sachs, JuS 2017, 1135–1137; Klafki, GewArch 2020, 134 (137); Cornils, Allgemeine Handlungsfreiheit, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. VII, 3. Aufl. 2009, § 168 Rn. 54; Eifert, Persönliche Freiheit, in: Herdegen / Masing / Poscher / Gärditz, HbVerfR, 2021, § 18 Rn. 40 m. Fn. 104; Frotscher / Kramer, Wirtschaftsverfassungs- und Wirtschaftsverwaltungsrecht, 7. Aufl. 2019, Rn. 767, 774; Maurer / Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 23 Rn. 45; Rixen, in Stern / Becker (Hg.), Grundrechte-Kommentar, 3. Aufl. 2018, Art. 9 Rn. 21; Di Fabio, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Stand: 95. EL Juli 2021, Art. 2 Abs. 1 Rn. 22; Lang, in: Epping / Hillgruber (Hg.), BeckOK GG, Stand: 49. Edition 15. 11. 2021, Art. 2 Rn. 7; Winkler, in: v. Münch / Kunig (Begr.), GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 9 Rn. 51; Kannengießer, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, 15. Aufl. 2022, Art. 9 Rn. 8.

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nur eine Beitragspflicht zur Folge hat, sondern auch Beteiligungsoptionen eröffnet.310 Damit Letzteres in der Untersuchung des Grundrechtsproblems nicht unberücksichtigt gelassen und zugleich der Prozess der automatischen Eingliederung in die Organisation hinreichend vermittelt wird, erscheint es treffender, von einer Pflichtmitgliedschaft oder -zugehörigkeit zu sprechen. Dennoch ist den Autoren, die auf den Wortbestandteil „Zwang“ zurückgreifen, zuzugeben, dass sie den Vorgang einer vom Willen des Inkorporierten unabhängigen Zugehörigkeit zur Organisation zutreffend kennzeichnen.311 Die Auffassung über einen ausschließlich begünstigenden Rechtsakt vermag schon in ihren Grundannahmen nicht zu überzeugen. Mario Martini hält ihr einen Ausspruch des Ökonomen Friedrich August von Hayek entgegen, nach dem ein Sklave nicht durch Verleihung des Stimmrechts zum freien Mann werde.312 Wenngleich die Bezugnahme überspitzt wirken mag, vermittelt sie doch, dass dem verkammerten Unternehmer keine Wahlfreiheit im Hinblick auf das Ob seiner Zugehörigkeit verbleibt. Der eingangs dargestellte Standpunkt beruht ohnehin auf einem gedanklichen Fundament, das der Grundrechtsdogmatik fremd ist. Die Frage, ob ein Grundrechtseingriff vorliegt, darf nicht mit einem Hinweis auf konkrete oder abstrakte Vorteile beantwortet werden, die dem Organisationsakt anhaften.313 Wird ein öffentlich-rechtliches Dauerverhältnis begründet, das nicht an allgemeinen, sondern an besonderen Merkmalen – nämlich an der Veranlagung zur Gewerbesteuer in einem bestimmten Bezirk – anknüpft, liegt ein Eingriff in Grundrechte vor.314 Die anderslautende Auffassung verkennt auch die Umstände, die der Gründung von Handelskammern vorauslagen. Die Errichtung fußte primär auf staatlichen Effizienzüberlegungen, während allenfalls nebenbei gesellschaftliche Freiräume eröffnet werden sollten. Versteht man Freiheit in einem bürgerlich-liberalen Sinn gleichbedeutend mit dem Bestand an Handlungsmöglichkeiten

310 Dass hierzu auch die Möglichkeit zählt, sich nicht aktiv betätigen müssen, ist selbsterklärend, wird aber teilweise gesondert erwähnt (s. BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 [Rn. 109]). 311 Neurath, DÖV 2019, 513 (515): „keine Polemik, sondern eine nüchterne Zustandsbeschreibung“. In diesem Sinne hat wohl auch der bayerische Gesetzgeber auf den Terminus in Art. 179 S. 2 LVerf Bayern zurückgegriffen. Steiner, BayVBl 1989, 705 (707) erläutert hingegen, dass der Satzbestandteil „Zwangsmitgliedschaft“ in Art. 179 S. 2 LVerf Bayern eng auszulegen sei. Sein Anwendungsbereich streite lediglich gegen den „Wiederaufbau eines Kammersystems nationalsozialitischer Prägung“. Die Beschreibung als „gesetzliche Mitgliedschaft“ (so etwa Jahn, in: Junge / ders. / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 2 Rn. 3) wird den Abläufen nicht gerecht, weil sie lediglich das staatliche Handlungsmittel näher bezeichnet, aber die verpflichtende Zugehörigkeit unberücksichtigt lässt. 312 Martini, Die Pflegekammer, 2014, S. 118 m. Fn. 434 unter Verweis auf v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, 3. Aufl. 1991, S. 29. 313 Die Erörterung von Belastungsalternativen und -abmilderungen kann – so bereits Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, 2005, S. 460 – erst im Zusammenhang mit der Erforderlichkeit des konkreten Eingriffs zur Prüfung gelangen. 314 So bereits Schöbener, VerwArch 91 (2000), 374 (379 f.).

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innerhalb einer herrschaftsfreien Zone,315 müssen die mit der Zugehörigkeit erzeugten Bindungen als Freiheitsbeschränkung aufgefasst werden. Die entgegenstehende Ansicht vermag überdies nicht zu erklären, dass nach unbestrittener Meinung der verpflichtende Zusammenschluss zu privatrechtlichen Vereinigungen einen Eingriff in die negative Vereinigungsfreiheit darstellen soll,316 obwohl auch in diesen Fällen mitgliedschaftliche Handlungsoptionen zugestanden werden. Auch berücksichtigt die Auffassung nicht, dass die Pflichtmitgliedschaft eine formelle und materielle Identifikationslast begründet.317 Sie ergibt sich für den Mitgliederkreis, der die Organisation und ihr Programm ablehnt, zweifellos als empfindliche Bürde. Das Aufdrängen der Mitgliedsrolle in dem öffentlich-rechtlichen Verband ist kein grundrechtliches Nullum. Wenn dem entgegengehalten wird, dass keine „rechtlich relevante Belastung“ zu erkennen sei,318 werden grundlegende organisationssoziale Einsichten übersehen. Diese Studie wird zeigen, dass aus dem IHKG kein üppiges Zugeständnis an zusätzlichen Partizipationsrechten gegenüber dem organisationsexternen Teil der Bevölkerung erwächst. Für den einzelnen Kammerzugehörigen ist lediglich das aktive und passive Wahlrecht zur Vollversammlung anzuführen.319 Da diese Rechte nur in periodischen Abständen entstehen, ist es unter gleichzeitiger Betrachtung der in den Wahlordnungen festgeschriebenen Amtsdauer der Vollversammlung320 denkbar, dass der Kammerzugehörige sechs Jahre warten muss, ehe er zum ersten Mal die Zusammensetzung seines Repräsentativorgans beeinflussen darf. Die Erweiterung des Rechtskreises wird erst erlebbar, nachdem er bereits seit Jahren den mit der Inkorporierung verbundenen Pflichten unterlag, d. h. zu den Beiträgen herangezogen wurde. Da hiermit Zahlungspflichten angesprochen sind, die im Jahr 2018 durchschnittlich eine Höhe von ca. 418 Euro (bei einem Minimum i. H. v. 179 und einem Maximum i. H. v. 780 Euro) erreichten,321 geht die Freiheitsgesamtrechnung eindeutig zulasten der inkorporierten Mitglieder aus. Blickt man hingegen auf den Mandatsträger in der Vollversammlung, muss erkannt werden, dass seine

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Grimm, Bürgerlichkeit im Recht, in: ders., Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, 1987, 11 (24). 316 S. nur Bauer, in: Dreier (Hg.), GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 9 Rn. 46 m. w. N. 317 Gallwas, MedR 1994, 60 (64) – für eine mit entsprechenden Aufgaben ausgestattete Pflegekammer. 318 Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 305. 319 Selbst Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 303 benennt auf der Seite der „einfachen“ Organisationsmitglieder nur das Wahlrecht. 320 Dazu näher unter E. I. 4. b). 321 Quelle: eigene Berechnungen. Die Zahlenwerte sind entnommen aus https://www.ihk.de/ wie-hoch-war-der-durchschnittsbeitrag-der-zahlenden-mitgliedsunternehmen-. Es handelt sich hierbei um Angaben über den Durchschnittsbeitrag der zahlenden Kammerzugehörigen, womit die von der Beitragszahlung freigestellten Mitglieder unberücksichtigt bleiben. Nach Auskunft der Bundesregierung betrug die durchschnittliche Höhe der Beitragslast im Jahr 2012 190 Euro (Deutscher Bundestag, Begründung zum Abschluss des Petitionsverfahrens 24793, Pet 1-1709-7001-037837).

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Teilhabe an der Organisation und ihren Entscheidungen nach geltendem Recht vor allem eine Unterwerfung unter den Mehrheitswillen bedeutet.322 Für den weiteren Verlauf der Studie ist festzuhalten, dass bereits die durch § 2 Abs. 1 IHKG angeordnete Pflichtmitgliedschaft als solche einen Eingriff in grundrechtliche Freiheiten besorgt. Unabhängig davon, ob man die spezifische Freiheitsgewährleistung aus Art. 9 Abs. 1 GG oder den Auffangtatbestand aus Art. 2 Abs. 1 GG heranzieht, wird in jedem Fall das Bedürfnis nach einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung ausgelöst. cc) Kritik an der Rechtsprechung des BVerfG Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts atmet keinesfalls den Geist der Innovation.323 Nicht nur das Ergebnis über die Verfassungsmäßigkeit der Pflichtzugehörigkeit zur IHK gilt seit dem ersten Beschluss von 1962 fort.324 Die Prüfung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit geriet in dem jüngsten Beschluss zu einer vollständigen Collage von Argumenten aus dem eigenen Entscheidungsfundus. Mit anderen Worten: Groß Neues ist seit 1962 ja nicht nachzutragen.325 Dies ist bemerkenswert, weil der 2001 an die Stelle des Gesetzgebers adressierten ständigen Prüf- und Beobachtungspflicht bezüglich der Frage, „ob die Voraussetzungen für eine öffentlichrechtliche Zwangskorporation noch bestehen“,326 keine beachtenswerte Auseinandersetzung im Jahr 2017 gefolgt ist.327 Der selbstreferenzielle Duktus der Entscheidungsgründe lässt den Eindruck einer gleichermaßen ambitionslosen, genügsamen wie erstarrten Rechtsprechung entstehen. Dem Be 322 Darauf ebenfalls hinweisend Breuer, Erledigung von Verwaltungsaufgaben durch Personalkörperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts – Aufgaben, Organisation, Verfahren und Finanzierung, in: Starck (Hg.), Beiträge zum ausländischen und vergleichenden öffentlichen Recht, 1992, 15 (41 f.). 323 Muckel, JA 2017, 878 (880) erkennt eine uninspirierte, frei von Überraschungen bleibende, geradezu langweilige Entscheidung und attestiert dem Senat das Fehlen von Mut, die IHK „einer nüchternen und grundlegenden Prüfung zu unterziehen“. In diesem Sinne auch Schöbener, Zwischen grundrechtlicher Kontinuität und Dynamik im subjektiven Rechtsschutz – Das BVerfG hält die Pflichtmitgliedschaft in den Kammern weiterhin aufrecht, gibt den Mitgliedern aber mehr Kontrollrechte, in: Kluth (Hg.), Die IHK-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, 2018, 41 (42). 324 BVerfG, Beschl. v. 19. Dezember 1962 – 1 BvR 541/57 –, BVerfGE 15, 235; Beschl. v. 7. Dezember 2001 – 1 BvR 1806/98 –, juris; Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13 –, BVerfGE 146, 164. 325 Formuliert in Anlehnung an Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1, 3. Aufl. 1924, S. VI. 326 BVerfG, Beschl. v. 7. Dezember 2001 – 1 BvR 1806/98 –, juris Rn. 38. Nach der Systematik bei Bieback, ZfRSoz 38 (2018), 42 (57) werden in den Fallgruppen (1) großer Unsicherheit, (2) komplexer Wirkungszusammenhänge sowie (3) unklarer Handhabung oder Umsetzung Prüfaufträge vom BVerfG an die Adresse der Legislative formuliert. Der hier zu behandelnde Sachverhalt dürfte der Fallgruppe zweiter Ordnung nahekommen. 327 S. nur BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 84 f.).

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gründungsteil und auch der Selbstverwaltungseinheit IHK hätten überzeugendere Erwägungen gutgetan. Die Suche nach Elementen, die ein in die Zukunft gerichtetes Selbstverständnis anleiten könnten, erscheint jedenfalls vergebens. (1) Vernachlässigung von verfassungs- oder rechtsvergleichenden Erwägungen Kritik verdient speziell der Umstand, dass das Bundesverfassungsgericht auf das verfassungs- oder rechtsvergleichende Argument verzichtet. Bedenkt man, dass im Rahmen der Erforderlichkeit des Grundrechtseingriffs darzulegen ist, dass dem Gesetzgeber unter Berücksichtigung seines Einschätzungsspielraums kein anderes Mittel zur Verfügung steht, das mindestens in gleicher Weise zur Zweckerreichung geeignet ist, aber die Grundrechte weniger beschneidet, hätte die Auseinandersetzung mit anderen Rechtsregimen und abweichenden Organisationsformen zwangsläufig erbracht werden müssen. Das Gericht hätte im Rahmen vergleichender Verfassungsrechtsprechung in Betracht ziehen können, dass der Staatsgerichtshof des Fürstentums Liechtenstein die Pflichtzugehörigkeit in der „Gewerbe- und Wirtschaftskammer“ an dem Maßstab der Vereinigungsfreiheit328 prüfte und für verfassungswidrig befand,329 weshalb die nunmehr existierende „Wirtschaftskammer“ auf dem Prinzip freiwilliger Mitgliedschaft beruht. Die europäischen Handelskammern weisen eine erhebliche Varianz zwischen öffentlich-rechtlichen / pflichtmitgliedschaftlichen330, privat-rechtlichen / freiwilligen331 und hybriden332 Verfassungen auf. Dabei ist ein 328 Art. 41 der Verfassung des Fürstentums Liechtenstein: „Das freie Vereins- und Versammlungsrecht ist innerhalb der gesetzlichen Schranken gewährleistet.“ 329 StGH 2003/48. Dazu m. w. N. Nägele, Vereins- und Versammlungsrecht, in: Kley / Vallander (Hg.), Grundrechtspraxis in Liechtenstein, 2012, 215 (219 ff.). Das BVerfG verweist zwar auf die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs Liechtenstein (Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 [Rn. 79]), aber unternimmt dies nur, um mit wenigen Worten auszubreiten, dass sich Art. 9 Abs. 1 GG „von der Vereinigungsfreiheit in anderen Verfassungen“ unterscheide. 330 Kammern in der Konstitution des IHKG, d. h. mit Pflichtmitgliedschaft und Beitragspflicht, können in Frankreich, Italien, Kroatien, Luxemburg und Österreich vorgefunden werden (Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, Einf. Rn. 69). Heyne, Das Kammerwesen in anderen Staaten, in: Kluth [Hg.], HbKR, 3. Aufl. 2020, § 4 Rn. 5 nennt zudem Montenegro, Serbien, Albanien und die Türkei. 331 In Estland, Finnland, Lettland, Litauen, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Zypern besteht eine Organisationsform mit freiwilliger Mitgliedschaft auf gesetzlicher Grundlage (Sack, Institutioneller Wandel europäischer Chambers of Commerce im Vergleich – Fazit, in: ders. [Hg.], Wirtschaftskammern im europäischen Vergleich, 2017, 407 [410 f.]), während sich die Kammern in Belgien, Bulgarien, Dänemark, Großbritannien, Irland und Malta auf Grundlage des privaten Gesellschaftsrechts gegründet haben (Heyne, Das Kammerwesen in anderen Staaten, in: Kluth [Hg.], HbKR, 3. Aufl. 2020, § 4 Rn. 5). 332 Ein Kammersystem, das lediglich eine Eintragungspflicht vorsieht, findet sich in Griechenland, Ungarn, Spanien und den Niederlanden (Sack, Institutioneller Wandel europäischer

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starkes Überwiegen von Organisationsformen mit freiwilliger Mitgliedschaft zu erkennen.333 Das angloamerikanische Rechtssystem liberaler Prägung lässt die Chambers of Commerce selbstredend auf einem System mit freiwilliger Mitgliedschaft beruhen, womit ihre Gründung erst mit den Mitteln des privaten Gesellschaftsrechts betrieben werden musste.334 Lediglich im Wege einer unbeabsichtigten Nebenfolge hat das Verfassungsgericht rechtsvergleichende Überlegungen angestellt. Doch dienten dem BVerfG nicht die vorstehenden Organisationsformen, die Teile der Literatur für wirksamer erachten,335 als vergleichende Folie. Stattdessen fragt das Gericht, ob das auf Freiwilligkeit beruhende private Verbandswesen den Aufgabenbestand des IHKG ebenso gut erfüllen könnte. Zur Rechtfertigung der pflichtmitgliedschaftlichen Organisationsform trifft es in der Folge drei Annahmen: Erstens könne ein System freiwilliger Mitgliedschaft dem Staat aufgrund der Unmöglichkeit eines vollständigen Zusammenschlusses der Gewerbetreibenden und der damit einhergehenden Unvollständigkeit der Informationsermittlung kein „Gesamtinteresse“ präsentieren.336 Überdies biete eine freiwillige Mitgliedschaft den Anreiz, von den Leistungen des Verbands zu profitieren, ohne selbst Mitglied zu sein (sog. Trittbrettfahrer-Problematik).337 Schließlich könnten sich in Verbänden mit Ein- und Austrittsfreiheit finanzstarke Mitglieder in den Vordergrund rücken und die Berücksichtigung ihrer Sonderinteressen mit Austrittsdrohungen erzwingen.338 Die erste Annahme darf als argumentativer Zirkelschluss leichtfertig abgetan werden. Die Verfassungsmäßigkeit der Pflichtmitgliedschaft wird an dieser Stelle mit Rechtsfolgen gerechtfertigt, die nur eine pflichtmitgliedschaftliche Verfassung hervorbringt. Für die Geltungskraft der dritten These liegt bis zum heutigen Tag kein schlagkräftiger Beleg vor. Daher stellt sich folgende Frage: Taugen imaginäre Gefahren zur Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen, wenn sie sich in dem jahrzehntelangen Wirken freier Interessenvertretungen nicht realisiert haben? Außerdem können sich auch in Pflichtverbänden organisierte Interessen in den Vordergrund drängen. Die konzertierte Übernahme von Ehrenämtern gelingt insbesondere dann, wenn viele Zugehörige ihre Mitgliedschaft nur in einem formaChambers of Commerce im Vergleich – Fazit, in: ders. [Hg.], Wirtschaftskammern im europä­ ischen Vergleich, 2017, 407 [410]). 333 S. die überblicksartige Darstellung bei Sack, Institutioneller Wandel europäischer Chambers of Commerce im Vergleich – Fazit, in: ders. (Hg.), Wirtschaftskammern im europäischen Vergleich, 2017, 407 (410 f.). 334 Zu den US-amerikanischen Chambers of Commerce bündig Neurath, DÖV 2019, 513 (519 ff.). Umfassend Pilgrim / Meier, National Chambers of Commerce, 1995. 335 Neurath, DÖV 2019, 513 (523) möchte vor dem Hintergrund des US-amerikanischen Systems „in Zweifel ziehen, ob der Kammerzwang tatsächlich erforderlich ist“. 336 BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 106). 337 BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 102). 338 BVerfG, Beschl. v. 19. Dezember 1962 – 1 BvR 541/57 –, BVerfGE 15, 235 (243).

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len Sinne begreifen und regelmäßig auf die Ausübung ihres aktiven und passiven Wahlrechts verzichten.339 Werden derartige Behauptungen über einen langen Zeitraum in der Denktradition des Vergleichs von Pflichtzugehörigkeit und freiwilliger Mitgliedschaft am Leben erhalten, darf es nicht verwundern, wenn eine 1968 (!) geäußerte Prophezeiung, nach der die erste Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der Pflichtmitgliedschaft nur über eine eingeschränkte zeitliche Geltungskraft verfüge,340 nie Wirklichkeit geworden ist. (2) Überbetonung der Trittbrettfahrer-Problematik (Logik kollektiven Handelns) Ein näheres Hinsehen erscheint insbesondere im Hinblick auf das zweite Argument lohnend. Das BVerfG weist auf eine virulente Problematik hin, die die ökonomische Theorie eingehend erforscht hat. Die Grundannahme über eine Tendenz zum Trittbrettfahren wird durch die sog. Tragik der Allmende341 beschrieben. Darauf aufbauend hat Mancur Olson die Logik des kollektiven Handelns erdacht.342 339 So bereits Gallwas, MedR 1994, 60 (64) für eine mit entsprechenden Aufgaben ausgestattete Pflegekammer. 340 Thierfelder, DÖV 1968, 271 (274). Aus neuerer Zeit Neurath, DÖV 2019, 513 (520): „Die aktuellen Entwicklungen in den USA rufen indes die banale und auch für Deutschland relevante Erkenntnis in Erinnerung, dass Verfassungsgerichte gelegentlich ihre Meinung ändern können und dass einmal gefundene Ergebnisse nicht in Stein gemeißelt sind.“ 341 Die Allmende (auch bekannt als „Gemeingut“, „Kollektivgut“ oder „öffentliches Gut“) zeichnet sich dadurch aus, dass sie einerseits frei verfügbar ist, d. h. keinen Ausschluss für die Nutzer zulässt, die keinen Beitrag zur Produktion des Kollektivguts beisteuern. Andererseits stellt sie eine begrenzte Ressource dar, womit die übermäßige Nutzung (z. B. Überweidung oder Überfischung) zu dauerhaften Veränderungen der Allmende führt und Einschränkungen für andere Nutzer (die „Rivalen“) bedeutet. S. dazu nur Kliemt, Elinor Ostrom – Die Tragik der Allmende, FAZ v. 14. Oktober 2009, Nr. 238, S. 12, abrufbar unter https://www.faz.net/-gqextty. Ausgehend von der erstmaligen Benennung der Problemlage durch den amerikanischen Ökologen Garett Hardin (Science Vol. 162 [1968], No. 3859, 1243–1248) wird die Tragik der Allmende in ihren Grundannahmen oft durch das Bild eines Hirten beschrieben, der seinen maximalen Eigennutz verfolgt, indem er die Schafe auf einer im Gemeineigentum stehenden Fläche ohne Rücksicht auf das optimale ökonomische Entnahmeniveau weiden lässt. Kern des Problems ist mithin die Schwierigkeit, „Individuen dazu zu motivieren, statt ihres individuellen ihr gemeinsames Wohlergehen zu verfolgen“ (Ostrom, Die Verfassung der Allmende, übers. v. E. Schöller, 1999, S. 7). 342 S. insbes. Olson, Die Logik des kollektiven Handelns, 1968, S. 4 ff., 8 ff., S. 26. Dazu erläuternd Pies, Mancur Olsons Logik kollektiven Handelns, in: ders., Moderne Klassiker der Gesellschaftstheorie, 2016, 43–69; Marx, Mancur Olson, Die Logik des kollektiven Handelns (1965), in: Brocker (Hg.), Geschichte des politischen Denkens, 2018, 475–489. Goltz, Pflichtmitgliedschaftliche Kammerverfassung und die Logik kollektiven Handelns, 2005 erschloss diese Studie für die Wissenschaft vom Öffentlichen Recht, um eine „rationale ökonomische Rechtfertigung der gesetzlichen Pflichtmitgliedschaft“ zu begründen (S. 225). Für das Vorhaben der Pflegekammer Martini, Die Pflegekammer, 2014, S. 147 ff.

III. Rechtsrahmen 

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Damit erklärt er, dass in Organisationen mit dem Auftrag zur Förderung der gemeinsamen Interessen ihrer Mitglieder mit der zunehmenden Größe der Gruppe der Anreiz schwindet, an der Erstellung dieses Kollektivguts durch Einsatz von Geld oder Zeit teilzunehmen. Dies liegt vor allem in der rationalen Denkweise des Einzelnen begründet, die auf die Vermehrung des persönlichen Nutzens abzielt. Nur schwerlich lässt sich begründen, warum ein Einzelner Zeit und Geld opfern sollte, wenn dem persönlichen Aufwand nur ein geringer und nicht ausschließlicher Vorteil beschieden ist.343 Nimmt die Größe der Gruppe zu, kann der Eigennutz in besonderer Weise ohne eigenes Zutun verfolgt werden, weil die Faktoren der sozialen Kontrolle und Sanktionierung umso weniger zur Wirksamkeit gelangen. Es besteht schließlich ein Anreiz, von den Leistungen der organisierten Gruppe auch ohne Mitgliedschaft zu profitieren. Große Gruppen organisierter Allgemeininteressen verfügen daher im Vergleich zu kleinen Gruppen, die zur Vertretung spezifischer Interessen gegründet werden, über eine geringere Effizienz.344 Die Anordnung der Pflichtmitgliedschaft aller Gewerbetreibenden in der IHK stellt eine, wenngleich nicht die einzige345 Antwort auf das soziale Problem der Tendenz zum Trittbrettfahren dar. Immerhin versichert sie, dass alle Profiteure der Organisationspolitik zumindest einen finanziellen Beitrag zur Erreichung des Gruppenwohls leisten. In diesem Sinne ist dem Bundesverfassungsgericht zuzustimmen. Doch ist dem Gericht vorzuhalten, dass es die Folgewirkungen im organisationsinternen Bereich kaum bedenkt. Denn, wie an späterer Stelle gezeigt wird,346 dürfen der Verzicht auf die Exit-Option und die Tendenz zur Oligarchisierung nicht unbedacht bleiben. Die Leitungsorgane einer im Fortbestand der Mitgliedschaft gesicherten Organisation fällt es leichter, sich von den Bedürfnissen ihrer Mitglieder zu entfernen. Fehlt es zugleich an organisationsinternen Kontrollbeziehungen und Kommunikationskanälen zur Führung, die den Verzicht auf die Austrittsfreiheit kompensieren können, perpetuiert die Rechtsprechung des BVerfG ein insgesamt dysfunktionales Organisationsdesign. 343

Olson, Die Logik des kollektiven Handelns, 1968, S. 10. Dass soziale Phänomene wie die Ökologiebewegung, Wikepdia, Open-Source-Software oder Open-Access-Wissenschaft als Entgegnung auf die Studienergebnisse gelesen werden können, soll nicht unterschlagen werden. 344 Olson, Die Logik des kollektiven Handelns, 1968, S. 125. 345 Die gesetzliche verordnete Pflichtmitgliedschaft ergibt sich als Rezept der staatlichen Intervention für das Problem des vermehrten Eigennutzes. Ostrom, Die Verfassung der Allmende, übers. v. E. Schöller, 1999, S. 11 ff.) erteilte dieser Lösung aber eine Absage. Sie untersuchte den Gemeindebesitz in Hochgebirgsweiden und -wäldern (in Törbel [Schweiz], Hirano, Nagaike und Yamanoka [Japan]), das Bewässerungsarrangement der spanischen Huertas (in Valencia, M ­ urcia und Orihuela sowie Alicante) und die Bewässerungsgemeinschaften der philippinischen Zanjeras und erkannte Anschauungsbeispiele für „langlebige, selbstorganisierte und selbstverwaltete“ Gemeinschaftsgüter (ebd., S. 75 ff.). Das „Versagen“ und die „Fragilität“ von Institutionen stellte sie etwa durch Beobachtung türkischer Küstenfischereien oder eines Bewässerungsprojekts auf Sri Lanka fest (ebd., S. 187 ff.). Sie benannte daraufhin die Bauprinzipien langlebiger, selbstverwalteter Institutionen (ebd., S. 115 ff.) und erkannte, dass die autonome / gesellschaftliche Lösung gegenüber dem staatlichen Eingriff unter diesen Vorzeichen vorzugswürdig ist. 346 Dazu näher unter D. I. 4. u. 5.

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C. Der Auftrag gewerbliche Interessenrepräsentanz  

dd) Grundfreiheiten, Grundrechte-Charta der EU und EMRK Die Pflichtzugehörigkeit zur IHK wird im Anschluss an ein Urteil des EuGH aus dem Jahr 1983347 auch an den Maßgaben des europäischen Primärrechts gemessen.348 Den rechtlichen Maßstab bilden, soweit ein grenzüberschreitender Sachverhalt vorliegt, die Grundfreiheiten des AEUV. Erörterungsbedürftig ist in erster Linie eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV). Denn § 2 Abs. 1 IHKG knüpft an die Unterhaltung einer Betriebsstätte im Kammerbezirk an.349 Das unmittelbare und mittelbare Diskriminierungsverbot der Grundfreiheiten findet allerdings keine Anwendung, weil die Vorschrift nicht zwischen in- und ausländischen Unternehmen differenziert. Allerdings sind die Grundfreiheiten auch als allgemeine Beschränkungsverbote aufzufassen.350 Für die Frage nach einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dürfte für den EuGH vor allem die Beitragspflicht entscheidend sein. Angesichts einer durchschnittlichen Beitragshöhe von ca. 418 Euro (Stand: 2018) ist diese Pflicht geeignet, die Inanspruchnahme der Grundfreiheit durch Unionsbürger „zu behindern oder weniger attraktiv zu machen“.351 Unter Anwendung eines ökonomisch-wertenden Blickwinkels, den der EuGH bei der Beurteilung von Beschränkungen der Grundfreiheiten einnimmt,352 ist die verpflichtende Zuordnung zur Organisation demgegenüber nur von gerin 347 Als diskussionsstimulierend kann die Rechtssache EuGH, Urt. v. 22. September 1983 – Rs. C-271/82 (Auer), Slg. 1983, I-2727 angesehen werden (so auch Neurath, DÖV 2019, 513 [518 m. Fn. 61]). 348 Kempen, Zur Europarechtskonformität der Pflichtmitgliedschaft in den Industrie- und Handelskammern, 2021; Biernert, Kooperation von Industrie- und Handelskammern in Deutschland und Europa, 2006, S. 205 ff.; Waldhorst, Die Kammern zwischen Kartell- und Verwaltungsorganisationsrecht, 2005, S. 228 ff.; Kempen, Die Pflichtmitgliedschaft in den Industrie- und Handelskammern verstößt gegen geltendes Unionsrecht, in: Sachs / Siekmann (Hg.), FS Stern, 2012, 761–783; Neurath, DÖV 2019, 513 (518 f.); Gornig, WiVerw 1998, 157 (175 ff.); R ­ uthig, Fall 3 „Buy Pfälzisch! – Probleme mit der IHK“, in: Gurlit / ders. / Storr, Klausurenkurs im Öffentlichen Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2017, Rn. 71 ff. 349 Der konkurrierende Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) bleibt außer Betracht, weil dieser durch die vorübergehende Ausübung gekennzeichnet wird (Randelz­ hofer / Forsthoff, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, EU-Recht, Stand: 74. EL September 2021, Art. 56 AEUV Rn. 42). 350 S. nur Holoubek, in: Schwarze / Becker / Hatje / Schoo (Hg.), EU-Kommentar, 4.  Aufl. 2019, Art. 57 AEUV Rn. 69–77. Als ausschlaggebend für diese Bewertung dürfte spätestens die Entscheidung EuGH, Urt. v. 15. Dezember 1995 – Rs. C-415/93 (Bosman), Slg. 1995, I-4921 gelten. 351 Zitat entnommen aus EuGH, Urt. v. 31. März 1993  – Rs. C-19/92 (Kraus), Slg. 1993, I-1663, Rn. 32. Dagegen vermag es nicht zu überzeugen, wenn Kluth, NVwZ 2002, 298 (301) in der Beitragspflicht keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit erkennen möchte, weil diese „zu unspezifisch“ sei. Auch Jahn, in: Junge / ders. / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 2 Rn. 7 verkennt die Problemlage, wenn er lediglich „organisationsrechtliche Konsequenzen“ erkennt, die an die Niederlassung geknüpft würden. 352 Dieser Blickwinkel beruht auf dem in Art. 26 AEUV niedergelegten Grundanliegen der Verwirklichung und Gewährleistung eines Binnenmarktes, bei dem die Grundfreiheiten einen wesentlichen Beitrag leisten (s. Art. 26 Abs. 2 AEUV). Dazu Terhechte, in: Pechstein / Nowak /  Häde (Hg.), EUV, GRC und AEUV, Bd. 2, 1. Aufl. 2017, Art. 26 AEUV Rn. 9–13.

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gem Interesse. Auf der Rechtfertigungsebene müssen zwingende Gründe des Allgemeininteresses angeführt werden.353 Entscheidend ist danach, ob der EuGH der Annahme des Bundesverfassungsgerichts über einen weiten Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers354 Folge leistet. Vollzieht er diesen Schritt, dürfte er die Annahmen des BVerfG repetieren und die Pflichtmitgliedschaft als unionsrechtskonform bestätigen. Art. 12 Abs. 1 Grundrechte-Charta der Europäischen Union enthält u. a. das Recht, sich „im politischen, gewerkschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Bereich auf allen Ebenen frei und friedlich mit anderen zu versammeln und frei mit anderen zusammenzuschließen“. Die Gewährleistung wird indes schon gar nicht berührt, wenn es sich um einen verpflichtenden Personenzusammenschluss öffentlich-rechtlicher Art handelt und die Bildung freier Vereinigungen mit entsprechender Zielsetzung gestattet bleibt.355 Der sog. Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes356 fordert zumindest eine Berücksichtigung der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie deren Auslegung durch den EGMR für die Grundrechte des Grundgesetzes. Da Art. 11 Abs. 1 EMRK u. a. das Recht gewährleistet, „sich frei und friedlich mit 353

Zu dem Rechtfertigungserfordernis gesondert Forsthoff, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, EURecht, Stand: 74. EL September 2021, Art. 49 AEUV Rn. 122 ff. 354 BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 105). In diesem Sinne bereits BVerfG, Beschl. v. 7. Dezember 2001 – 1 BvR 1806/98 –, juris Rn. 41 f. 355 Jarass, GRCh, 4. Aufl. 2021, Art. 12 Rn. 20a; Thiele, in: Pechstein / Nowak / Häde (Hg.), EUV, GRC und AEUV, Bd. 1, 1. Aufl. 2017, Art. 12 GRCh Rn. 15. Fraglich wäre überdies, ob der Anwendungsbereich der GRCh eröffnet wäre. Nach Art. 51 Abs. 1 GRCh beansprucht die Charta Geltung für Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Wenn Art. 52 Abs. 3 S. 1 GRCh bestimmt, dass die Gewährleistungen der Charta den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen sollen, soweit gleichgerichtete Rechte in der GRCh enthalten sind, ist dies ebenfalls von Bedeutung. Denn Art. 12 Abs. 1 GRCh verfügt über die gleiche Reichweite wie Art. 11 Abs. 1 EMRK (Thiele, in: Pechstein / Nowak /  Häde [Hg.], EUV, GRC und AEUV, Bd. 1, 1. Aufl. 2017, Art. 12 GRCh Rn. 5). 356 Grundlegend waren die Ausführungen in dem sog. Görgülü-Beschluss (s. BVerfG, Beschl. v. 14. Oktober 2004 – 2 BvR 1481/04 –, BVerfGE 112, 1 [315 ff.]) bzw. dem sog. Alteigentümer-Beschluss (s. BVerfG, Beschl. v. 26. Oktober 2004 – 2 BvR 955/00, 1038/01 –, BVerfGE 111, 307 [26]). Zu dem Grundsatz hat das BVerfG (Urt. v. 12. Juni 2018 – 2 BvR 1738/12 –, BVerfGE 148, 296 [Rn. 126 ff.]) in einer Entscheidung aus Anlass des Streikverbots für Beamte klarstellende Anmerkungen getätigt. Danach soll die Auslegung der Grundrechte und die Fortentwicklung des Grundrechtsschutzes zwar prinzipiell in die Entwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes und insbesondere in die europäische Grundrechtstradition eingestellt werden. Eine vollständige Harmonisierung ist aber nicht erforderlich. Der Raum für eigenständige und in einzelnen Wertungen abweichende Interpretation der deutschen Grundrechte wird insbesondere eröffnet, wenn Wertungen der EMRK methodisch unvertretbar und mit den Vorgaben des Grundgesetzes unvereinbar sind. Vertiefend Schorkopf, Völkerrechtsfreundlichkeit und Völkerrechtsskepsis in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: Giegerich (Hg.), Der „offene Verfassungsstaat“ des Grundgesetzes nach 60 Jahren, 2010, 131–157; Haug, NJW 2018 2674–2677; Daiber, DÖV 2018, 957–963.

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anderen zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen“, muss die Pflichtzugehörigkeit zur IHK auch völkerrechtlich vermessen werden. Indes ergibt eine Analyse der Rechtsprechung des EGMR, dass diese „im Ergebnis ganz auf Linie des deutschen Verfassungsgerichts“ liegt:357 Der EGMR entschied im Hinblick auf die verpflichtende Mitgliedschaft in einer öffentlich-rechtlichen Ärztekammer, dass der Schutzbereich des Art. 11 Abs. 1 EMRK aufgrund der Rechtsform und materiell öffentlichen Funktionen nicht eröffnet ist. Der Artikel rücke aber zum Prüfungsmaßstab auf, wenn eine zwangsweise Mitgliedschaft der Berufstätigen in einer Einheitsorganisation mit Ausschließlichkeitsanspruch vorliege, d. h. verbandliche Betätigungen daneben verboten seien.358 Im Jahr 1993 erkannte der Gerichtshof in einem Verfahren gegen Island zwar ein „negative right of association“ bzw. „the freedom not to join or to withdraw from an association“ unter der Überschrift des Art. 11 Abs. 1 EMRK an.359 Die Differenzierung zwischen freien Vereinigungen und Pflichtverbänden des öffentlichen Rechts gab er aber nicht auf. 2012 urteilte der EGMR in einer Rechtssache gegen die Bundesrepublik Deutschland, dass die Mitgliedschaft in einer – als Körperschaft des öffentlichen Rechts verfassten – Jagdgenossenschaft, die nach dem einschlägigen Jagdgesetz für Grundstückseigentümer mit einer bestimmten Fläche verpflichtend war,360 konventionswidrig ist.361 Indes stand die Vereinbarkeit mit Art. 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK (Recht auf Eigentum) im Mittelpunkt der Entscheidungsgründe. Das Gericht erachtete die Vorschrift als unverhältnismäßig für Grundstückseigentümer, die die Jagd aus ethischen Gründen ablehnten.362 Auf eine Verletzung der Vereinigungsfreiheit kam es dem EGMR nicht an. Das Gericht hatte die auf eine Verletzung von Art. 11 Abs. 1 EMRK gestützte Rüge sogar ausdrücklich als unzulässig zurückgewiesen.363 Art. 11 Abs. 1 EMRK gewährt gegenüber der verpflichtenden Mitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Körperschaften keinen Schutz.364 ee) Die Grundrechte der Kammerzugehörigen als Fundament eines öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs Die Ausführungen zur Grundrechtskonformität der Pflichtmitgliedschaft aktualisieren sich, wenn zur Aufgabe steht, den sog. mitgliedschaftlichen Unterlas 357

Neurath, DÖV 2019, 513 (517). EGMR, Urt. v. 23. Juni 1981 − 6878/75, 7238/75  – (Le Compte, van Leuven and de Meyere v. Belgium), Rn. 63, 65. Weitere Nachw. bei Bröhmer, in: Dörr / Grote / Marauhn (Hg.), EMRK / GG, 2. Aufl. 2013, Kapitel 19 Rn. 54 m. Fn. 125. 359 EGMR, Urt. v. 30. Juni 1993 − 16130/90 – (Sigurdur A. Sigurjónsson v. Iceland), Rn. 35. 360 Dazu näher Sailer, ZRP 2005, 88–92; Müller-Schallenberg / Förster, ZRP 2005, 230–232. 361 EGMR, Urt. v. 26. Juni 2012 − 9300/07 – (Herrmann v. Germany). 362 EGMR, Urt. v. 26. Juni 2012 − 9300/07 – (Herrmann v. Germany), Rn. 93. 363 EGMR, Urt. v. 26. Juni 2012 − 9300/07 – (Herrmann v. Germany), Rn. 39. 364 Dies klarstellend EGMR, Urt. v. 14. Januar 1998 – 36087/97 – (Graforsa S. A. v. Spain). 358

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sungsanspruch zu begründen. Dieser Anspruch, der auch als „Mitgliederklage“365 bezeichnet wird, findet sein gedankliches Fundament nämlich in dem Grundrecht, an dem der Organisationsakt gemessen wird. (1) Begründung des mitgliedschaftlichen Unterlassungsanspruchs Weil die Bezeichnungen „mitgliedschaftlicher Unterlassungsanspruch“ oder „Mitgliederklage“ Assoziationen für die Annahme einer besonderen verwaltungsrechtlichen Klageart zugunsten der Kammerzugehörigen wecken,366 muss diesem Fehlschluss von vornherein entgegengetreten werden. Das verwaltungsprozessuale System mit seiner prinzipiellen, auf Art. 19 Abs. 4 GG fußenden Entscheidung für den Individualrechtsschutz und der Aktivierung des Schutzanspruchs bei Vorliegen einer Verletzung in subjektiven Rechtspositionen (vgl. § 42 Abs. 2 VwGO) wird nicht verformt. Es handelt sich vielmehr um die Begründung einer subjektiv-öffentlichen Rechtsposition zugunsten der Kammerzugehörigen gegenüber der „eigenen“ Kammer. Damit korrespondiert ein öffentlich-rechtlicher Anspruch auf Unterlassung von gesetzesfremden Aufgaben. Einschlägig sind – diese Einschätzung folgt der Rechtsnatur der beklagten Tätigkeit als schlichtes Verwaltungshandeln –367 die allgemeine Leistungsklage in der Sonderform der (vorbeugenden) Unterlassungsklage oder die allgemeine Feststellungsklage.368 Die Begründung des Anspruchs basiert auf folgender Annahme: Die Errichtung der IHK mit pflichtmitgliedschaftlicher Konstitution kann vor den Grundrechten nur gerechtfertigt werden, weil die Körperschaft mit der Wahrnehmung legitimer öffentlicher Aufgaben betraut wird. Diese Einschätzung gilt aber nur, wenn die Körperschaft die Aufgaben, die zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung herangezogenen werden, auch tatsächlich innerhalb der gesetzlichen Grenzen wahrnimmt. Darüber hinaus, d. h. bei Ultra-vires-Akten, fehlt es an einem Rechtssatz, der den Grundrechtseingriff zu rechtfertigen vermag. Die Organisation greift ohne die erforderliche Rechtsgrundlage in die Grundrechte ihrer Mitglieder ein. 365

Ehlers, Die Lehre von der Teilrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts und die Ultra-Vires-Doktrin des öffentlichen Rechts, 2000, S. 24; Meßerschmidt, VerwArch 81 (1990), 55–86. 366 Auch Schöbener, Rechtsschutz, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 14 Rn. 97 erachtet die Bezeichnung „Mitgliederklage“ für missverständlich. 367 Schlichtes Verwaltungshandeln stellt eine Sammelkategorie für alle nicht regelnden Verwaltungstätigkeiten dar (Remmert, Grundlagen des schlichten Verwaltungshandelns, in: Ehlers /  Pünder [Hg.], Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2016, § 36 Rn. 1; umfassend Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln, 1995; zu den verschiedenen Erscheinungsformen des schlichten Verwaltungshandelns im Überblick Schmitz, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, 9.  Aufl. 2018, § 1 Rn. 144 ff. m. w. N.). Die Verlautbarungen einer IHK können in die Nähe der behördlichen Meinungsäußerungen gerückt werden. Dabei handelt es sich um eine Erscheinungsform schlichten Verwaltungshandelns. 368 Schöbener, Rechtsschutz, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 14 Rn. 76 u. 86 m. w. N.

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Dies hat das Bundesverwaltungsgericht für die IHK erstmals im Jahr 2000 überzeugend ausgeführt.369 Das Revisionsgericht hat gleichsam folgerichtig mitgeteilt, dass sich gegen eine rechtswidrige Ausdehnung der „Zwangsunterworfenheit“ jeder Zugehörige wehren könne, „ohne dass es darauf ankäme, ob er dadurch einen darüber hinausgehenden rechtlichen oder spürbaren faktischen Nachteil“ erleide.370 Gestützt auf Art. 2 Abs. 1 oder 9 Abs. 1 GG (ggf. i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG) kann der Kammerzugehörige somit nicht nur eine Verfassungsbeschwerde gegenüber dem Tatbestand der Verkammerung erheben. Das Pflichtmitglied kann auch die Verwaltungsgerichte um Rechtsschutz ersuchen, falls die Organe der „eigenen“ Kammer den gesetzlichen Auftrag im laufenden Betrieb überschreiten. Diese Kontrollmöglichkeit gewährleistet, dass sich die Kammer nicht nur in ihrem rechtlichen Idealzustand, sondern auch in ihrer praktischen Wirksamkeit auf die Wahrnehmung verfassungslegitimer Aufgaben beschränkt. Große Teile der Literatur befürworten diese Maßgaben.371 Sie entsprechen einer Rechtsprechungslinie des Bundesverwaltungsgerichts, die bei den Stellungnahmen der Allgemeinen Studentenausschüsse im Zusammenhang mit den politischen Bewegungen der 68er Jahre ihren Anfang nahm.372 Häufig wird zur Ablehnung des so definierten Unterlassungsanspruchs angeführt, dass es sich um einen Fall der Popularklage handele, die dem System des

369

BVerwG, Urt. v. 19. September 2000 – 1 C 29/99 –, BVerwGE 112, 69 (72). BVerwG, Urt. v. 19. September 2000 – 1 C 29/99 –, BVerwGE 112, 69 (72). Den Anspruch für die gesetzlichen Krankenversicherungen einschränkend BVerfG, Beschl. v. 15. Juni 1988 – 1 BvR 1301/86 –, BVerfGE 78, 320 (330 f.). 371 Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz, 1985, S. 121; ders., JURA 1988, 426 (429); Detterbeck, Zum präventiven Rechtsschutz gegen Ultra-vires-Handlungen öffentlich-rechtlicher Zwangsverbände, 1990, S. 59 ff.; Breuer, Erledigung von Verwaltungsaufgaben durch Personalkörperschaften und Anstalten des öffent­ lichen Rechts – Aufgaben, Organisation, Verfahren und Finanzierung, in: Starck (Hg.), Beiträge zum ausländischen und vergleichenden öffentlichen Recht, 1992, 15 (59); Meßerschmidt, Verw­Arch 81 (1990), 55 (74 f.); Bachof, DÖV 1980, 607 (607 f.); Hövelberndt, DÖV 2011, 628 (631 f.); Muckel, JA 2017, 317 (318); Schöbener, Rechtsschutz, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 14 Rn. 98 ff.; Maurer / Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 23 Rn. 45; Frotscher / Kramer, Wirtschaftsverfassungs- und Wirtschaftsverwaltungsrecht, 7. Aufl. 2019, Rn. 776 f.; Starck, in: v. Mangoldt / Klein / ders., Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 2 Abs. 1 Rn. 136; Ruthig, Fall 3 „Buy Pfälzisch! – Probleme mit der IHK“, in: Gurlit / ders. / Storr, Klausurenkurs im Öffentlichen Wirtschaftsrecht, 2. Aufl.2017, Rn. 81. Ablehnend jedoch Fröhler / Oberndorfer, Körperschaften des öffentlichen Rechts und Interessenvertretung, 1974, S. 77; Stober, Die IHK als Mittler zwischen Staat und Wirtschaft, 1992, S. 98; Fröhler, GewArch 1982, 77–78; ­Laubinger, VerwArch 74 (1983), 263 (273 ff.); Hendler, DÖV 1986, 675 (683); Leisner, BayVBl 2001, 609 (615 f.); Kluth, NVwZ 2002, 298 (300): „erhebliche Bedenken“. S. auch ders., Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 330, der allerdings in dem Tatbestand der Pflichtmitgliedschaft schon keinen Eingriff in Grundrechte erkennen möchte. 372 BVerwG, Urt. v. 26. September 1969 – VII C 65.68 –, BVerwGE 34, 69 (74) [für den Allgemeinen Studentenausschuss]; Urt. v. 13. Dezember 1979 – 7 C 58/78 –, BVerwGE 59, 231 (238) [für den Allgemeinen Studentenausschuss]; Urt. v. 13. Dezember 1979 – 7 C 65/78 –, BVerwGE 59, 242 (245) [für den Allgemeinen Studentenausschuss]; Urt. v. 24. September 370

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Verwaltungsprozessrechts fremd sei.373 Doch verkennen derartige Erwägungen die grundlegende Konzeption: Sie liegt darin, dass die freigiebige Übertretung der im Gesetz vorgesehenen Aufgabengrenzen mit einer nicht gerechtfertigten Verkürzung der Freiheitssphäre des Einzelnen gleichgesetzt wird. Unter diesen Vorzeichen kann unschwer eine Betroffenheit in individuellen Rechten nachgewiesen werden. Da dies bei den Sachverhalten nicht gelingt, die man gemeinhin mit dem Begriff der Popularklage adressiert, ist die Sach- und Rechtslage grundverschieden. Abermals sei auf das BVerwG verwiesen, das überzeugend ausführte: „Dem [der Begründung der subjektiven Rechtsposition aus Art. 2 Abs. 1 GG] kann nicht entgegengehalten werden, mit dieser Klage werde eine dem System des Verwaltungsrechtsschutzes fremde Popularklage eröffnet, denn diese Klagemöglichkeit ist […] aus Gründen des Individualrechtsschutzes geboten.“374 (2) Der Austrittsanspruch aus der Dachvereinigung als besondere Ausprägung Die Aufgabenwahrnehmung nach dem IHKG wird nur unvollständig erfasst, wenn man allein die Bezirksebene beachtet. Bei Anwendung eines derart eingeschränkten Blickwinkels ließe man einen Großteil der praktischen Wirksamkeit unbeachtet, der – insbesondere im Rahmen der Wahrnehmung des gewerbepolitischen Mandats – von den Dachvereinigungen der IHK-Bezirke ausgeht. Den Kammern ist als Ausprägung des gesetzlich verliehenen Selbstverwaltungsrechts gestattet, sich zur gemeinschaftlichen Wahrnehmung des Gesamtinteresses auch zu privatrechtlich organisierten Verbänden zusammenzuschließen.375 Die Beteiligung an der Dachvereinigung stellt einen Teil der Aufgabenwahrnehmung dar. Der Dachverband kann bei der Tätigkeit als Erfüllungsgehilfe der einzelnen IHK angesehen werden.376 1981 – 5 C 53/79 –, BVerwGE 64, 115 (117) [für die Steuerberaterkammer]; Urt. v. 17. Dezember 1981 – 5 C 56/79 –, BVerwGE 64, 298 (301 f.) [für die Ärztekammer]; Urt. v. 21. Juli 1998 – 1 C 32/97 –, BVerwGE 107, 169 (174 f.) [für die IHK]; Urt. v. 19. September 2000 – 1 C 29/99 –, BVerwGE 112, 69 (71 f.) [für die IHK]; Urt. v. 23. Juni 2010 – 8 C 20/09 –, BVerwGE 137, 171 (Rn. 21) [für die IHK]. 373 Fröhler / Oberndorfer, Körperschaften des öffentlichen Rechts und Interessenvertretung, 1974, S. 77; Fröhler, Interessenvertretung durch Wirtschaftskammern, in: Listl / Schambeck, (Hg.), FS Broermann, 1982, 687 (693 f.). Auch Gärditz, Die Organisation der Wirtschaftsverwaltung, in: Schmidt / Wollenschläger (Hg.), Kompendium Öffentliches Wirtschaftsrecht, 5. Aufl. 2019, § 4 Rn. 57 meint, dass der dem Kammerzugehörigen vermittelte Rechtsschutz „der Systementscheidung für einen individuellen Verletztenrechtsschutz […] zuwider“ laufe. Berichtend Meßerschmidt, VerwArch 81 (1990), 55 (60 f.). 374 BVerwG, Urt. v. 19. September 2000 – 1 C 29/99 –, BVerwGE 112, 69 (72). 375 BVerwG, Urt. v. 23. März 2016 – 10 C 4/15 –, BVerwGE 154, 296 (Rn. 16). So bereits BVerwG, Urt. v. 10. Juni 1986 – 1 C 4/86 –, BVerwGE 74, 254 (255 ff.) für die Mitgliedschaft einer HwK beim DHKT und dem ZDH. 376 Gedanke entnommen bei Häußler, DVBl 2017, 157 (161).

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Dass einer IHK dieser Vorgang erlaubt wird, bedingt Folgewirkungen für die tatbestandliche Reichweite des Unterlassungsanspruchs. Wenn dieser nur gegenüber der „eigenen“ Kammer und ihre Organe ins Feld geführt werden könnte, droht in den überbezirklichen Zusammenhängen die Inhaltsleere. Die IHK-Bezirke könnten dazu übergehen, wesentliche Teile der verwaltungspraktischen Erfüllung des Gesetzesauftrags auf die nächsthöhere Ebene „auszulagern“ und gegenüber der Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen mit dem Verweis auf die Einfluss- und Verantwortungslosigkeit für die Tätigkeit bei rechtlich verselbstständigten juristischen Personen des Privatrechts zu antworten. In der Folge wäre der Kammerzugehörige gezwungen, dem funktionalen Outsourcing tatenlos zuzusehen. Immerhin dürfte ausgeschlossen sein, die Verlautbarungen von Repräsentanten der Dachvereinigung den Organen eines Kammerbezirks zuzurechnen. Da zu den Mitgliedern der Dachvereinigung nur die einzelnen Körperschaften zählen, besteht keine anspruchsbegründende Rechtsbeziehung zwischen der Dachvereinigung und den – insoweit als organisationsextern anzusehenden – Kammerzugehörigen. (a) Begründung des Anspruchs (BVerwGE 154, 296) Das dargestellte Kontrolldefizit drängte zur Verdichtung des Anspruchsinhalts. In diesem Sinne legte das Bundesverwaltungsgericht 2016 dar, dass auch bei gemeinschaftlicher Aufgabenerfüllung durch die Dachvereinigung „jede Kammer für die Wahrung ihrer Kompetenzgrenzen aus § 1 I IHKG verantwortlich“ bleibe. Dem Kammermitglied stehe ein „Anspruch auf Austritt der Kammer aus dem Dachverband“ aus Art. 2 Abs. 1 GG zu, falls dieser Aufgaben wahrnehme, „die außerhalb der gesetzlichen Kompetenzen der Kammer“ liegen. Dieser Anspruch setzt lediglich voraus, dass sich die Überschreitung nicht als für die Verbandtätigkeit untypischer Einzelfall („Ausreißer“) ergebe, sondern die konkrete Gefahr einer erneuten Betätigung jenseits der Kammerkompetenzen bestehe.377 Die dazu ergangene Begründung378 ist ebenso schlicht wie überzeugend: Wenngleich den Kammern gestattet ist, in Wahrnehmung ihres Selbstverwaltungsrechts freien Vereinigungen beizutreten, darf damit keine Flucht aus den öffentlich-rechtlichen Bindungen in das Privatrecht einhergehen. Doch droht dieser Zustand einstweilen, weil der Auftritt des freien Verbands nur durch das eigene Satzungsrecht, aber nicht durch den Rechtsrahmen der Kammern begrenzt wird. Genauso einsichtig ist aber die Annahme, dass sich eine IHK nur an einem Verband beteiligen darf, wenn sich dessen Satzung und dessen faktische Tätigkeit im Rahmen der ihnen gesetzlich zugewiesenen Kompetenzen halten. 377

BVerwG, Urt. v. 23. März 2016 – 10 C 4/15 –, BVerwGE 154, 296 Ls. 1 u. 2. Zu der Verwaltungsrechtssache ausführl. Munding, Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Anspruch eines Kammermitglieds auf Austritt der Kammer aus dem DIHK und ihre Folgen für die Praxis, in: Kluth (Hg.), JbKBR 2016, 2017, 43–56. 378 S. BVerwG, Urt. v. 23. März 2016 – 10 C 4/15 –, BVerwGE 154, 296 (Rn. 15–17).

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Damit bleibt der Angriffspunkt des öffentlich-rechtlichen Unterlassungsbegehrens die „eigene“ Kammer. Sie steht dafür ein, dass auch im Rahmen der Vereinsbetätigung die Grenzen des Gesetzes gewahrt bleiben. Der Unterlassungsanspruch ist darauf gerichtet, dass eine IHK die Mitgliedschaft in der Dachvereinigung beendet, wenn andere schlagkräftige Maßnahmen zur Unterbindung von Rechtsverstößen durch die Dachvereinigung und zur Gewährleistung eines effektiven Grundrechtsschutzes nicht zur Verfügung stehen.379 Ferner gilt: „Wie jeder grundrechtliche Unterlassungsanspruch setzt der Austrittsanspruch nur voraus, dass dem Betroffenen konkret eine rechtswidrige Beeinträchtigung seines Grundrechts droht […]. Dazu genügt die konkrete Wahrscheinlichkeit einer künftigen, den Rahmen der Kammerkompetenz überschreitenden Tätigkeit des Dachverbandes.“380 Diese Feststellung begegnet jenen Rechtsauffassungen, die das Bestehen des Austrittsanspruchs durch einen rechtsstaatlich begründeten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt sehen wollten.381 Diesen Ansichten liegt die Annahme zugrunde, dass der Anspruch nur als Ultima Ratio in Betracht komme. Vordergründig müssten alle vereins- oder gesellschaftsrechtlichen Möglichkeiten genutzt werden, um das rechtsvergessene Verhalten der Vereinsorgane abzustellen.382 Indes mangelt es dem Rekurs auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit an Überzeugungskraft, wenn ein Ultra-vires-Akt in Rede steht. Denn die Befolgung des Rechts stellt ebenfalls eine Ausprägung des Prinzips Rechtsstaat dar.383

379

Dazu BVerwG, Urt. v. 23. März 2016 – 10 C 4/15 –, BVerwGE 154, 296 (Rn. 22): „Die Verbandssatzung [des DIHK] gibt der einzelnen Mitgliedskammer kein Initiativrecht in der Vollversammlung, geschweige denn ein Vetorecht gegen Aufgabenüberschreitungen. Ohne mehrheitliche Unterstützung in der Vollversammlung könnte die Mitgliedskammer deshalb nur formlos – und absehbar fruchtlos – gegen Aufgabenüberschreitungen protestieren. Vereinsrechtlich besteht ebenfalls kein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch des einzelnen Verbandsmitglieds auf Unterlassen satzungswidriger Tätigkeiten des Verbandes […], jedenfalls solange die Satzung des Verbandes solche Durchgriffsrechte nicht begründet.“ 380 BVerwG, Urt. v. 23. März 2016 – 10 C 4/15 –, BVerwGE 154, 296 (Rn. 18). Das Gericht führt an dieser Stelle aus, dass der Anspruch nur bestehen solle, „wenn die kompetenzwidrige Tätigkeit sich nicht als atypischer „Ausreißer““ darstelle, sondern „die konkrete Gefahr erneuten kompetenzüberschreitenden Handelns“ zu besorgen sei. 381 So etwa OVG NRW, Urt. v. 16. Mai 2014 – 16 A 1499.09 –, juris Rn. 59; Tettinger, Kammerrecht, 1997, S. 156; Hahn, WiVerw 2004, 178 (200); Ennuschat / Tille, GewArch 2007, 24 (26); Schöbener, Rechtsschutz, in: Kluth (Hg.), HbKR, 2. Aufl. 2011, § 14 Rn. 105; anders wohl nunmehr ders., Rechtsschutz, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 14 Rn. 104. 382 Tettinger, Kammerrecht, 1997, S. 156. 383 So auch BVerwG, Urt. v. 23. März 2016 – 10 C 4/15 –, BVerwGE 154, 296 (Rn. 21).

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(b) Novum oder „alter Wein in neuen Schläuchen“? Wenngleich Vertreter der IHK von dem vorstehenden Urteil überrascht gewesen sein mögen384 und die Entscheidung ein „wahres Erdbeben“ ausgelöst haben soll,385 handelte es sich keinesfalls um einen Rechtssatz, der der bisherigen Rechtsprechung fremd war. Bereits im Jahre 2010 richtete das BVerwG nach den Maßgaben des IHKG über ein Positionspapier, das eine Arbeitsgemeinschaft von IHKBezirken verfasst hatte.386 Dass die IHK für die Einhaltung ihrer Rechtsgrundlagen verantwortlich bleibt, obwohl es sich um eine gemeinsame Aufgabenwahrnehmung mit anderen Kammern handelte, war damit schon länger bekannt. Spätestens seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in dem Fall „Fraport AG“ kann nicht mehr guten Gewissens behauptet werden, dass sich der öffentlich-rechtliche Rahmen – speziell die Bindung an Grundrechte – in Luft auflösen würde, sobald der Staat Aufgaben in der Rechtsform des Privatrechts wahrnimmt. Eine „Flucht aus der Grundrechtsbindung in das Privatrecht“ ist dem Staat verstellt.387 Zweimal zuvor, d. h. in den Jahren 1981 und 1986, hatte das Bundesverwaltungsgericht andere Selbstverwaltungskörperschaften ermahnt, dass die Mitwirkung in einer Dachvereinigung den Kammern nur innerhalb der Grenzen ihres gesetzlichen Aufgabenbestands gestattet ist und sie nicht von der Verantwortung dafür entbunden sind, diese Grenzen im Rahmen der Beteiligung zu wahren.388 Dem Pflichtmitglied einer Steuerberaterkammer sprach das Bundesgericht den Anspruch sogar zu und verpflichtete „seine“ Kammer zum Austritt aus dem Bundesverband der freien Berufe. Denn dessen Satzung erlaubte Tätigkeiten, die über ein allge-

384 Loertzer, GewArch 2012, 68 (70): „Dr. Herbert Ferger, Hauptgeschäftsführer IHK zu Köln, begann den zweiten Tag mit seinen Ausführungen zur Entscheidung des BVerwG vom 23. 06. 2010 zur Limburger Erklärung in der Kammerpraxis […]. Bezogen auf den DIHK erläuterte Ferger, dass für diesen das Urteil nicht unmittelbar gelte und stattdessen das Vereinsrecht einschlägig ist. Soweit es die Satzung zulässt, darf sich der DIHK immer äußern – auch ohne Rücksicht auf die einzelnen Mitglieder.“ S. ferner den Bericht über „die gängige Praxis des DIHK“ bei Möllering, GewArch 2011, 56 (62). Die beiden Verlautbartungen stehen im diametralen Gegensatz zu dem zeitlich nachgelagerten Judikat BVerwG, Urt. v. 23. März 2016 – 10 C 4/15 –, BVerwGE 154, 29. 385 Jahn, GewArch 2019, 339. 386 BVerwG, Urt. v. 23. Juni 2010 – 8 C 20/09 –, BVerwGE 137, 171. Der Unterschied zu dem Sachverhalt, der der Entscheidung BVerwG, Urt. v. 23. März 2016 – 10 C 4/15 –, BVerwGE 154, 296 zugrunde lag, ist darin begründet, dass beim DIHK weitere Organe gebildet werden. Zur Formulierung der „Limburger Erklärung“ (BVerwG, Urt. v. 23. Juni 2010 – 8 C 20/09 –, BVerwGE 137, 171) kamen hingegen die Vertreter der IHK-Bezirke des Bundeslandes Hessen auf übergeordneter Ebene zusammen. Jeder IHK-Bezirk machte sich im Nachhinein die Erklärung zu eigen. 387 BVerfG, Urt. v. 22. Februar 2011  – 1 BvR 699/06  –, BVerfGE 128, 226 (245  – Hervorh. n. h.). Befürchtungen über eine „Flucht von Staat und Gemeinde in das Privatrecht“ artikulierte erstmals Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl. 1928, S. 326. 388 BVerwG, Urt. v. 17. Dezember 1981 – 5 C 56/79 –, BVerwGE 64, 298 (306 f.); Urt. v. 10. Juni 1986 – 1 C 4/86 –, BVerwGE 74, 254 (255).

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meines Eintreten für die gemeinsamen Belange der freien Berufe hinausgingen und – entgegen § 76 Abs. 1 Steuerberatungsgesetz – die Wirkungsfelder einzelner freier Berufe betrafen.389 Insbesondere unter Hinweis auf dieses Judikat nahm die rechtswissenschaftliche Literatur schon länger an, dass das Mitglied von seiner Kammer prinzipiell den Austritt aus der Dachvereinigung verlangen könne, wenn dessen Satzung oder seine faktische Tätigkeit eine Überschreitung des gesetzlichen Aufgabenbereichs bedeute.390 (c) Der Austrittsanspruch gegen den DIHK Das BVerwG wollte die beklagte IHK nur zum Austritt verpflichten, wenn mit einer erneuten Missachtung der Kompetenzgrenzen beim DIHK zu rechnen war. Dabei sei, so das Gericht, eine tatrichterliche Prognose erforderlich. Im Rahmen derer müssten „sämtliche Indizien für und gegen die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Grundrechtsverletzung“ in Betracht gezogen werden. Als Indizien für das Drohen eines erneuten Kompetenzverstoßes kämen „mehrfache oder gar häufige Missachtungen der Kompetenzgrenzen in Betracht, ebenso der Mangel an Einsicht in vergangene Aufgabenüberschreitungen und die Weigerung, geeignete Maßnahmen zur Verhinderung künftiger Überschreitungen zu treffen“. Gegen eine Wiederholungsgefahr spreche eine Sachlage, in der „der Dachverband die Kritik an einer Aufgabenüberschreitung konstruktiv aufgenommen, sich davon distanziert und geeignete Vorkehrungen gegen einen erneuten Kompetenzverstoß getroffen“ habe. Letzteres sei insbesondere anzunehmen, wenn der Verband den Mitgliedskammern und deren Zugehörigen die Möglichkeit eröffne, „künftige Überschreitungen der Kammerkompetenzen wirksam zu unterbinden“. Davon könne etwa ausgegangen werden, „wenn die Verbandssatzung den einzelnen Pflichtmitgliedern der Mitgliedskammern ein Recht zur Klage gegen den Verband auf Unterlassen von (weiteren) Überschreitungen der Kammerkompetenz“ einräume. Gegen eine Wiederholungsgefahr spreche auch die „Einrichtung einer unabhängigen Ombuds­ stelle im Verband“, wenn diese einen „wirksamen, effektiven Schutz vor einer Verbandstätigkeit jenseits der Kammerkompetenzen“ gewährleiste, „der von jedem Pflichtmitglied einer Mitgliedskammer verbandsintern sowie notfalls gerichtlich durchsetzbar“ sei.391

389

BVerwG, Urt. v. 10. Juni 1986 – 1 C 9/86 –, NJW 1987, 337. Das OVG NRW, Urt. v. 9. Dezember 1999 – 8 A 395/97 –, juris verpflichtete eine Ärztekammer dazu, den Austritt aus dem „Verband freier Berufe im Lande Nordrhein-Westfalen e. V.“ zu erklären, da dieser entgegen § 6 Abs. 1 Heilberufsgesetz NRW auch die Interessen anderer freier Berufe vertrat. 390 Tettinger, Kammerrecht, 1997, S. 156; Hahn, WiVerw 2004, 178 (200); Ennuschat / Tille, GewArch 2007, 24 (26). 391 Zitate entnommen aus BVerwG, Urt. v. 23. März 2016 – 10 C 4/15 –, BVerwGE 154, 296 (Rn. 24).

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Obwohl das Revisionsgericht „diverse Missachtungen“ des Rechtsrahmens durch den DIHK benannte und damit Indizien für das Drohen eines erneuten Kompetenzverstoßes festgestellt hatte, verwies es den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurück. Dabei sollte insbesondere geklärt werden, ob und inwieweit verbandsintern ein wirksamer und effektiver Schutz gegen grundrechtswidrige Aufgabenüberschreitungen bestehe, wobei das Bundesgericht das Fehlen ausdrücklicher Satzungsregelungen dergestalt bereits erkannte.392 (d) Reaktionen des DIHK und der weitere Gang des Verfahrens Im Tatsächlichen hatte das vorstehende Urteil eine rege Betriebsamkeit beim DIHK zur Folge, die sich bspw. in nunmehr praktizierten internen Vorprüfungen von Presseanfragen oder Mitarbeiterschulungen ausdrücken soll.393 Für die Dachvereinigung der IHK-Bezirke bedeutete die ausstehende tatrichterliche Prognose einen „Schonfrist“394, in der die Maßgaben des Bundesverwaltungsgerichts analysiert und die Satzung entsprechend geändert werden konnte. Die Satzung des DIHK wurde im Hinblick auf den Zweck und die Aufgaben novelliert. Danach gilt nunmehr auch für den Auftritt des DIHK das Verbot der Wahrnehmung sozialpolitischer und arbeitsrechtlicher Interessen gemäß § 1 Abs. 5 IHKG.395 Unmittelbar vor Augen geführt hat das Judikat, dass das Organisationsdesign des DIHK mit folgenreichen Schwächen im Verhältnis zu den einzelnen Kammerzugehörigen verbunden ist. Es fehlte ihnen an einer Rechtsbeziehung zum DIHK, weshalb die Idee über einen effektiven Grundrechtsschutz bisher keinen Niederschlag finden konnte. Das zwiegespaltene Verhältnis hat man durch Schaffung eines direkten Beschwerde- und Klagerechts für kompetenzwidriges Handeln von Organen oder Vertretern des DIHK aufzulösen versucht. In der Satzung des DIHK heißt es nunmehr: „Jedes gesetzliche Mitglied (§ 2 IHKG) einer IHK, die Mitglied im DIHK ist, kann gegenüber dem DIHK Beschwerde erheben, wenn es der Ansicht ist, dass Organe oder Vertreter des DIHK die sich aus § 1 Abs. 1 und 2 der Satzung in Verbindung mit § 1 IHKG ergebenden Kompetenzen überschritten haben. Die Beschwerde muss jedoch innerhalb von sechs Monaten nach Vornahme der beanstandeten Handlung erhoben werden. Das Nähere regelt eine Beschwer 392

BVerwG, Urt. v. 23. März 2016 – 10 C 4/15 –, BVerwGE 154, 296 (Rn. 41). Information entnommen aus OVG NRW, Urt. v. 12. April 2019 – 16 A 1499/09 –, juris Rn. 181. 394 Jesse, Die Neuregelung der DIHK-Satzung und der DIHK-Beschwerdeordnung zum Beschwerde- und Klagerecht der Kammermitglieder und DIHK-Mitglieder vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. März 2016 (BVerwG 10 C 4.15), in: Kluth (Hg.), JbKBR 2016, 2017, 57 (60). 395 § 1 Abs. 2 S. 2 der Satzung des DIHK i. d. F. v. 17. November 2016. Das BVerwG, Urt. v. 23. März 2016 – 10 C 4/15 –, BVerwGE 154, 296 (Rn. 32) nahm unter Anwendung einer großzügigen Lesart der zuvor geltenden Satzung an, dass das Verbot aus § 1 Abs. 5 IHKG in der Aufgabenbestimmung des DIHK enthalten sei. 393

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deordnung. Nach Abschluss des Beschwerdeverfahrens kann der Rechtsweg beschritten werden.“396 Das in der Beschwerdeordnung geregelte Verfahren gestaltet sich nach einer zwischenzeitlichen Änderung im März 2020 wie folgt:397 Zuständig für die Durchführung des Verfahrens ist eine durch den DIHK eingerichtete Beschwerdestelle, die ihre Aufgaben frei von fachlichen Weisungen wahrnimmt.398 Die Beschwerde kann in Textform nicht nur an den DIHK, sondern auch an die IHK gerichtet werden, deren gesetzliches Mitglied der Beschwerdeführer ist.399 Hierfür steht auch ein Online-Formular bereit, in dem ein elektronischer Antrag auf Prüfung gestellt werden kann.400 Die behauptete Kompetenzüberschreitung ist „konkret“ darzulegen, wobei der Beleg über die Zugehörigkeit zur IHK erbracht werden muss.401 Bestehen gegen die Zulässigkeit der Beschwerde Bedenken, hört der DIHK den Beschwerdeführer an.402 Unterbleibt eine einvernehmliche Klärung über den Beschwerdegegenstand,403 wird das Verfahren durch Entscheidung abgeschlossen. Die Entscheidung obliegt bei Beschwerden über Handlungen des DIHK-Ehrenamtes oder des Hauptgeschäftsführers dem geschäftsführenden Vorstand, wohingegen der Hauptgeschäftsführer über Handlungen des DIHK-Hauptamts befindet.404 Wird der Beschwerde stattgegeben, ist in der Entscheidung mitzuteilen, welche „geeigneten Maßnahmen“ ergriffen werden, um „wirksam Abhilfe zu schaffen“.405 396

§ 24 Satzung DIHK i. d. F. v. 17. November 2016. Der Inhalt wurde mittlerweile geändert. § 24 Satzung DIHK i. d. F. v. 25. März 2020 lautet nunmehr: „[1] Jedes gesetzliche Mitglied (§ 2 IHKG) einer IHK, die Mitglied im DIHK ist, hat gegenüber dem DIHK einen Anspruch auf Unterlassung, wenn Organe oder Vertreter des DIHK die gesetzlichen Kompetenzen überschreiten. [2] Im Interesse der Selbstkontrolle sowie eines effektiven und kostengünstigen Rechtsschutzes kann dieser Anspruch auch vor einer Klage auf Unterlassung unmittelbar gegenüber dem DIHK durch das gesetzliche Mitglied in einem kostenfreien Beschwerdeverfahren geltend gemacht werden. Die Beschwerde muss innerhalb von sechs Monaten nach Vornahme der beanstandeten Handlung erhoben werden. Das Nähere regelt eine Beschwerdeordnung. Der Rechtsweg bleibt unberührt.“ 397 Dazu Jesse, Die Neuregelung der DIHK-Satzung und der DIHK-Beschwerdeordnung zum Beschwerde- und Klagerecht der Kammermitglieder und DIHK-Mitglieder vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. März 2016 (BVerwG 10 C 4.15), in: Kluth (Hg.), JbKBR 2016, 2017, 57 (61 ff.); Rickert / Eickelbaum, Schlussfolgerungen aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. März 2016 (10 C 4/15) und deren Umsetzung in der Praxis, in: Kluth (Hg.), JbKBR 2017, 2018, 61 (70 ff.). 398 § 2 DIHK-Beschwerdeordnung i. d. F. des Beschlusses der Vollversammlung des DIHK v. 25. März 2020. 399 § 3 Abs. 1 DIHK-Beschwerdeordnung. 400 https://kompetenzpruefung.dihk.de/startpage. 401 § 3 Abs. 2 DIHK-Beschwerdeordnung. 402 § 4 Abs. 3 DIHK-Beschwerdeordnung. 403 § 4 Abs. 4 DIHK-Beschwerdeordnung: „Zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens bemüht sich die Beschwerdestelle [vormals: der DIHK] um eine einvernehmliche Klärung mit dem Beschwerdeführer. Kommt eine einvernehmliche Klärung zustande, ist das Verfahren abgeschlossen. Die Beschwerdestelle [vormals: der DIHK] hält die Einigung in Textform fest.“ 404 § 5 Abs. 1 DIHK-Beschwerdeordnung. 405 § 5 Abs. 5 DIHK-Beschwerdeordnung.

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Im Unklaren bleibt jedoch, welche konkreten Maßnahmen zur Schaffung von Abhilfe tatsächlich in Betracht kommen.406 Wird die Beschwerde abgelehnt, muss die Entscheidung begründet werden.407 Für den gerichtlichen Rechtsschutz galt in der vormaligen Fassung der Beschwerdeordnung, dass der Beschwerdeführer nach Abschluss des Verfahrens vor dem zuständigen Verwaltungsgericht Klage gegen den DIHK zur Geltendmachung seines Anspruchs erheben können soll.408 Dies sollte auch möglich sein, wenn eine Entscheidung über die Beschwerde ohne zureichenden Grund in angemessener Frist nicht zustande kam.409 Seitdem im April 2019 das Berufungsgericht in diesem Verfahren erneut entschieden hatte,410 ist bekannt, dass der Beschwerdeordnung weitere (Rechts-)Probleme immanent sind. Das OVG NRW stellte zusammenfassend fest, dass die vom Bundesverwaltungsgericht formulierten Anforderungen mit der eingerichteten Beschwerdestelle nicht erfüllt seien.411 Diese Auffassung hat es unter Verweis auf die mangelnde Unabhängigkeit der vom DIHK verfassten Beschwerdestelle begründet. Dabei gilt es zu bedenken, dass der geschäftsführende Vorstand des DIHK aus dem Präsidenten, den vier Vizepräsidenten und dem Hauptgeschäftsführer besteht.412 Das Gericht erkannte unter diesen Vorzeichen zutreffend eine Entscheidung in eigener Sache: „Demnach entscheiden der Präsident und der Hauptgeschäftsführer – wenn auch gemeinsam mit den anderen Mitgliedern des geschäftsführenden Vorstands – über Beschwerden, die sich auf von ihnen selbst getätigte Äußerungen beziehen“.413 Es darf daher nicht vollends überraschen, wenn sämtliche der 25 zwischen März 2017 und Januar 2018 eingegangenen Beschwerden als unbegründet zurückgewiesen wurden.414 Während das BVerwG über die Einrichtung einer unabhängigen Ombudsstelle laut nachgedacht hatte, konnte der DIHK diesen Anforderungen nicht genügen. Der eingeräumte klagefähige materielle Unterlassungsanspruch soll nach Ansicht des Berufungsgerichts jedoch eine Maßnahme darstellen, die die Annahme 406 Jesse, Die Neuregelung der DIHK-Satzung und der DIHK-Beschwerdeordnung zum Beschwerde- und Klagerecht der Kammermitglieder und DIHK-Mitglieder vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. März 2016 (BVerwG 10 C 4.15), in: Kluth (Hg.), JbKBR 2016, 2017, 57 (67) erwägt eine „nachträgliche Korrektur öffentlicher Stellungnahmen bzw. die Veröffentlichung von Gegendarstellungen“. 407 § 5 Abs. 6 DIHK-Beschwerdeordnung. 408 § 6 Abs. 1 DIHK-Beschwerdeordnung i. d. F. des Beschlusses der Vollversammlung des DIHK v. 17. November 2016. 409 § 6 Abs. 2 DIHK-Beschwerdeordnung i. d. F. des Beschlusses der Vollversammlung des DIHK v. 17. November 2016. 410 OVG NRW, Urt. v. 12. April 2019  – 16 A 1499/09  –, juris. Dazu Kluth, NVwZ 2019, 1688–1689; Jahn, GewArch 2019, 339–344. 411 OVG NRW, Urt. v. 12. April 2019 – 16 A 1499/09 –, juris Rn. 178. 412 § 15 Abs. 1 S. 1 Satzung DIHK. 413 OVG NRW, Urt. v. 12. April 2019 – 16 A 1499/09 –, juris Rn. 180. In § 5 Abs. 1 S. 2 DIHK-Beschwerdeordnung wird nunmehr festgeschrieben, dass sich ein Mitglied des geschäftsführenden Vorstands bei der Abstimmung zu enthalten hat, wenn die Entscheidung seine Handlung betrifft. 414 Information entnommen aus Jahn, GewArch 2019, 339 (342).

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rechtfertige, dass zukünftig weitere Rechtsverstöße verhindert werden könnten.415 Denn der DIHK habe „erstmals ein unmittelbares Rechtsverhältnis zu den Pflichtmitgliedern seiner Mitgliedskammern“ begründet.416 Problembehaftet war die Beschwerdeordnung auch, weil sie den Eindruck zu erwecken suchte, es handele sich um einen Rechtsstreit öffentlich-rechtlicher Natur i. S. v. § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO. Die Beschwerdeordnung formulierte eine vorgeblich aufdrängende Zuweisung zu den Verwaltungsgerichten.417 Das OVG NRW erkannte allerdings zu Recht, dass es dem DIHK als Privatrechtssubjekt verwehrt ist, öffentlich-rechtliche Ansprüche gegenüber anderen Privatrechtssubjekten zu begründen. Es hat die Zuweisung in der Folge für unwirksam, aber unschädlich erachtet.418 Immerhin werde deutlich, dass der DIHK diesen Anspruch unabhängig davon gewähren wolle, ob er tatsächlich öffentlich-rechtlich sei oder nicht.419 Der Unterlassungsanspruch ist mithin zivilrechtlicher Natur, den ordentlichen Gerichten zugeordnet, „auf Einhaltung der sich aus § 1 Abs. 1 und 2 seiner Satzung i. V. mit § 1 IHKG ergebenden Kompetenzgrenzen“ gerichtet und „lehnt sich inhaltlich an den öffentlich-rechtlichen Anspruch der Pflichtmitglieder gegen ihre jeweilige Industrie- und Handelskammer aus Art. 2 Abs. 1 GG“ an.420 Vor dem Hintergrund der detaillierten Maßgaben des Bundesverwaltungsgerichts kam das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, dass die beklagte IHK nicht zum Austritt aus dem DIHK verpflichtet werden kann.421 Angesichts der äußerst kritischen Auseinandersetzung des OVG NRW mit dem in Satzung und Beschwerdeordnung vorgesehenen Beschwerdeverfahren und der Feststellung einer in Teilen weiterhin rechtswidrigen Verbandspraxis,422 kann dies für die Dachvereinigung als Erfolg gewertet werden. (e) Verpflichtung zum Austritt aus dem DIHK (BVerwGE 169, 375) Die Freude über den Richterspruch währte mutmaßlich nicht lange. Das BVerwG bekannte mit Beschluss vom 22. Oktober 2019, dass es dem Rechtsstreit weiterhin 415

OVG NRW, Urt. v. 12. April 2019 – 16 A 1499/09 –, juris Rn. 182. OVG NRW, Urt. v. 12. April 2019 – 16 A 1499/09 –, juris Rn. 185. 417 Die Präambel der DIHK-Beschwerdeordnung i. d. F. des Beschlusses der Vollversammlung des DIHK v. 17. November 2016 lautete auszugsweise: „Das gesetzliche IHK-Mitglied kann insoweit seinen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Unterlassung von Kompetenzüberschreitungen aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 IHKG geltend machen. Das selbständige Beschwerde- und Klagerecht dient der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) bei der Durchsetzung des Anspruchs auf Unterlassung von Kompetenzüberschreitungen.“ 418 OVG NRW, Urt. v. 12. April 2019 – 16 A 1499/09 –, juris Rn. 189 u. 193. 419 OVG NRW, Urt. v. 12. April 2019 – 16 A 1499/09 –, juris Rn. 190. 420 OVG NRW, Urt. v. 12. April 2019 – 16 A 1499/09 –, juris Rn. 189. 421 OVG NRW, Urt. v. 12. April 2019 – 16 A 1499.09 –, juris. 422 OVG NRW, Urt. v. 12. April 2019 – 16 A 1499/09 –, juris Rn. 173: „Die fortgesetzten Missachtungen der Kompetenzgrenzen des [DIHK] machen deutlich, dass dessen Vertreter die Vorgaben […] nicht angenommen haben und ihnen nach wie vor ein ausreichendes Bewusstsein für die dargestellten rechtlichen Grenzen ihrer Öffentlichkeitsarbeit fehlt.“ 416

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C. Der Auftrag gewerbliche Interessenrepräsentanz  

grundsätzliche Bedeutung zumisst und abermals über den Austrittsanspruch entscheiden wird.423 Dies ist nunmehr geschehen. Das Bundesgericht hat mit Urteil vom 14. Oktober 2020 das Ende der bereits seit 2007 anhaltenden Auseinandersetzung unter Anerkennung des Austrittsanspruchs besiegelt.424 Die IHK Münster wurde auf die erneute Revision der Klägerin dazu verurteilt, ihren Austritt aus dem DIHK zu erklären. Mit Eintritt der Rechtskraft, d. h. im Zeitpunkt der Verkündung des Revisionsurteils, fingiert § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO i. V. m. § 894 S. 1 ZPO die Abgabe der Kündigungserklärung. Nach Maßgabe der Satzung des DIHK wird die Mitgliedschaft zum 31. 12. 2021 beendet.425 Für die Richter war entscheidungsleitend, dass das Berufungsgericht die Bindungen des ersten Revisionsurteils verkannt hatte (vgl. § 144 Abs. 6 VwGO). Danach sollte der Anspruch auf einen Austritt aus der Dachvereinigung auch bestehen, wenn die konkrete Gefahr einer erneuten Verbandsbetätigung außerhalb der Kammerkompetenzen nicht zuverlässig verhindert wird und mit weiteren Überschreitungen zu rechnen sei.426 Das Revisionsgericht stellte fest, dass der DIHK die Reichweite des gesetzlichen Aufgabenbereichs auch nach dem vorangegangenen Urteil „fortgesetzt missachtet“ habe und es ihm an Einsicht fehle.427 In Übereinstimmung mit dem Berufungsurteil gelangte das Bundesverwaltungsgericht zu der Einsicht, dass es der eingerichteten Beschwerdestelle an hinreichender Unabhängigkeit mangele.428 Entgegen der berufungsinstanzlichen Auffassung verneinte das BVerwG, dass der vom DIHK eingeräumte klagefähige Unterlassungsanspruch dem Gebot effektiven Grundrechtsschutzes der Kammermitglieder genüge.429 Es bekannte vielmehr, dass das Klagerecht weder geeignet noch effektiv erscheine, um eine „Grundrechtsverletzung durch variierende Kompetenzüberschreitungen“ zu verhüten, da mit Unterlassungsbegehren „nur jeweils gleichartige weitere Rechtsverletzungen“ gerügt werden könnten. In die Würdigung stellte das Gericht die „Vielfalt fortgesetzter unzulässiger, teils allgemeinpolitischer, teils unsach­licher und teils einseitiger Äußerungen“ ein, die das Risiko wechselhafter Aufgabenüberschreitungen als virulent erscheinen ließen.430 In überregionalen Tageszeitungen wurde der Richterspruch mit einem indirekten „Maulkorb“ für die ehren- und hauptamtlichen Vertreter des DIHK431 bzw. einer 423

BVerwG, Beschl. v. 22. Oktober 2019 – 8 B 60/19 –, juris. BVerwG, Urt. v. 14. Oktober 2020 – 8 C 23.19 –, BVerwGE 169, 375. 425 § 4 Abs. 1 S. 1 Satzung DIHK i. d. F. v. 25. März 2020: „Die Mitgliedschaft in dem DIHK kann mit einer Frist von einem Jahr zum Ende des nächstfolgenden Geschäftsjahres gekündigt werden.“ 426 BVerwG, Urt. v. 14. Oktober 2020 – 8 C 23.19 –, BVerwGE 169, 375 (Ls. 1 u. 2). 427 BVerwG, Urt. v. 14. Oktober 2020 – 8 C 23.19 –, BVerwGE 169, 375 (Rn. 35). 428 BVerwG, Urt. v. 14. Oktober 2020 – 8 C 23.19 –, BVerwGE 169, 375 (Rn. 36). 429 BVerwG, Urt. v. 14. Oktober 2020 – 8 C 23.19 –, BVerwGE 169, 375 (Rn. 37). 430 BVerwG, Urt. v. 14. Oktober 2020 – 8 C 23.19 –, BVerwGE 169, 375 (Rn. 40). 431 Specht, „Kammerrebell“ bekommt recht – Maulkorb für den DIHK, Handelsblatt v. 15. Oktober 2020, abrufbar unter https://www.handelsblatt.com/26277374.html; ders., Nach „Maulkorb-Urteil“ – Auch bei Handwerkskammern gelten Grenzen für die Meinungsäußerung, Handelsblatt v. 17. November 2020, abrufbar unter https://www.handelsblatt.com/26627872.html. 424

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Lähmung des Verbands432 gleichgesetzt. Selbst in der Boulevardpresse sorgte die Entscheidung für Aufsehen. Dies lag darin begründet, dass im Verfahrensverlauf Äußerungen des DIHK zum Existenzrecht Israels und der Menschenrechtslage im Iran als Kompetenzüberschreitung angesehen wurden.433 Unter vollkommener Verkennung der rechtlichen Maßstäbe und des entscheidungserheblichen Kontextes der beklagten Stellungnahmen merkte ein Journalist der BILD-Zeitung an, dass das Urteil eine „Schande“ darstelle, die Richter „unsere historische Verantwortung mit einem Maulkorb“ belegt hätten und der Vorgang „beschämend für ganz Deutschland“ sei.434 Unter dem fortgesetzten Bestreben, der Desinformation das Wort zu reden, äußerte sich auch der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung zu dem Urteil. Dieser übersah ebenfalls den Entscheidungsmaßstab und bekräftigte, dass grundlegende Werte unserer Gesellschaft „selbstverständlich auch für das Wirtschaftsleben“ Geltung beanspruchten.435 (3) Der Unterlassungsanspruch als „Kompensation“ für die Pflichtmitgliedschaft? Der Unterlassungsanspruch hat nicht nur die Funktion, Ultra-vires-Akte in der Verwaltungspraxis zu verhüten. Eine darüber hinausgehende Zweckzuschreibung besteht darin, dass der mit der Pflichtzugehörigkeit einhergehende Grundrechtseingriff als verhältnismäßig im engeren Sinne erachtet werden kann. Dieser Gesichtspunkt kann insbesondere aus der Rechtsprechung des BVerfG gewonnen werden. Darin findet sich nämlich nicht nur eine zustimmende Würdigung für den Unterlassungsanspruch nach Prägung der fachgerichtlichen Rechtsprechung.436 Ferner lässt sich den Entscheidungen die Sichtweise entnehmen, dass erst die Verfügbarkeit des Anspruchs die Pflichtmitgliedschaft als zumutbar erscheinen lässt. Zu der Annahme verleitet der Befund, dass das Verfassungsgericht zunächst die Pflichtmitgliedschaft in der IHK für angemessen erachtet. Unter dieser Überschrift führt es sodann aus: „Die Pflichtmitgliedschaft zwingt außerdem nicht dazu, es hinnehmen zu müssen, wenn der Pflichtverband und seine Organe

432 Creutzberg, Lobbyisten, Aktivisten und die Wirtschaft, FAZ v. 4. Januar 2021, Nr. 2, S. 15, abrufbar unter https://www.faz.net/-gqe-a74l5. 433 OVG NRW, Urt. v. 12. April 2019 – 16 A 1499/09 –, juris Rn. 153. 434 Bockenheimer, Kommentar zum Urteil gegen den DIHK-Präsidenten  – Bitter für ganz Deutschland, BILD v. 21. Oktober 2020, abrufbar unter https://www.bild.de/politik/kolumnen/ kolumne/kommentar-zum-urteil-gegen-den-dihk-praesidenten-bitter-fuer-ganz-deutschland-​ 73508594.​bild.html. 435 Bockenheimer, Weil er für Israels Existenzrecht eintritt – Maulkorb für den DIHK-Präsidenten!, BILD v. 20. Oktober 2020, abrufbar unter https://www.bild.de/politik/inland/politikinland/umstrittenes-urteil-maulkorb-fuer-dihk-praesidenten-73505740.bild.html. 436 BVerfG, Beschl. v. 7. Dezember 2001 – 1 BvR 1806/98 –, juris Rn. 51; Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 96).

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die ihm gesetzlich zugewiesenen Aufgaben überschreiten. Dagegen kann jedes Mitglied fachgerichtlich vorgehen, wie dies auch tatsächlich praktiziert wird“.437 Unter Rekurs auf die Ausführungen des Verfassungsgerichts erwägt auch die Literatur, dass der Unterlassungsanspruch einen Ausgleich für den Umstand darstellt, dass kein Recht zum Verlassen der Organisation besteht.438 Aufgrund der Verwendung wechselhafter Wortwahlen bleibt hier jedoch im Unklaren, ob die Rechtsschutzoptionen lediglich eine „[p]artielle Kompensation“ oder einen (vollständigen) „Ausgleich“ für das fehlende Austrittsrecht schaffen sollen.439 Den Autoren, die die Konzeption des Unterlassungsanspruchs bereits dem Grunde nach ablehnen, muss insoweit ein Mangel an Einsicht vorgeworfen werden. Immerhin verkennen sie die unauflösliche Verbindung zwischen der Existenz des öffentlichrechtlichen Unterlassungsanspruchs als effektiver Schutzmaßnahme gegen jede einzelne Ultra-vires-Handlung und der Zumutbarkeit der Pflichtzugehörigkeit. Ohne die Existenz des Anspruchs müsste das BVerfG die Pflichtmitgliedschaft in der IHK als grundrechtswidrig bewerten.440 f) Grenzen staatlicher Öffentlichkeitsarbeit Die grundrechtsgebundene öffentliche Hand unterliegt im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit besonderen verfassungsrechtlichen Direktiven.441 Die IHK steht aufgrund ihrer amtlichen Stellung und Funktionen im „Lager“ des Staates, weshalb

437 BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 109). In diesem Sinne bereits BVerfG, Beschl. v. 7. Dezember 2001 – 1 BvR 1806/98 –, juris Rn. 49 ff. 438 So insbes. Schöbener, Zwischen grundrechtlicher Kontinuität und Dynamik im subjektiven Rechtsschutz – Das BVerfG hält die Pflichtmitgliedschaft in den Kammern weiterhin aufrecht, gibt den Mitgliedern aber mehr Kontrollrechte, in: Kluth (Hg.), Die IHK-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, 2018, 41 (53 ff.); ders., Rechtsschutz, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 14 Rn. 100; ders., VerwArch 91 (2000), 374 (416 f.). In diesem Sinne auch Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz, 1985, S. 121; Jahn, JuS 2002, 434 (437); ders., GewArch 2021, 86 (88); Ruthig, Fall 3 „Buy Pfälzisch! – Probleme mit der IHK“, in: Gurlit / ders. / Storr, Klausurenkurs im Öffentlichen Wirtschaftsrecht, 2. Aufl.2017, Rn. 81. 439 Eine abweichende Wortwahl findet sich bei Schöbener, Zwischen grundrechtlicher Kontinuität und Dynamik im subjektiven Rechtsschutz – Das BVerfG hält die Pflichtmitgliedschaft in den Kammern weiterhin aufrecht, gibt den Mitgliedern aber mehr Kontrollrechte, in: Kluth (Hg.), Die IHK-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, 2018, 41 (53 ff., 62 f.). 440 Dieser Einsicht könnte das Gericht wohl nur entweichen, wenn es, entgegen dem noch darzustellenden rechtspraktischen Befund (dazu näher unter E. VI. 1. e)), die Kontrolltätigkeit der Rechtsaufsicht als gleichsam effektiv zur Verhütung von Aufgabenüberschreitungen einordnet. 441 Die hierzu in jüngerer Zeit ergangene Literatur ist kaum mehr zu überblicken, s. daher nur Kühn, Bürgerbeeinflussung durch Berichterstattung staatlicher Stellen, 2018; Nellesen, Äußerungsrechte staatlicher Funktionsträger, 2019; Landwers, Behördliche Öffentlichkeitsarbeit im Recht, 2019; Mast, Staatsinformationsqualität, 2020.

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auch für sie und ihren Informationsauftritt das Erfordernis struktureller Sachlichund Richtigkeitsgewähr zu erörtern ist. aa) Beschreibung der besonderen Problemlage Die in dieser Studie ausgebreitete Typik interessenrepräsentierender Tätigkeiten zeigt, dass die Wahrnehmung des Auftrags Interessenrepräsentanz zumeist gleichbedeutend mit einer Selbstdarstellung ist. Die Interessenlagen erfahren eine öffentliche Kommunikation. Zumindest implizit wird die Maßgabe verfolgt, durch die Nutzung aller verfügbaren Nachrichtenkanäle die Wirkmächtigkeit der Eingaben an den Staat zu erhöhen, um in der maßgeblichen Instanz auf Entscheidungsprozesse Einfluss nehmen zu können. Die Wahrnehmung des Mandats geht regelmäßig mit einer zielgerichteten Abwertung von unangenehmen oder konkurrierenden wirtschaftspolitischen Ideen vor einem breitgefächerten Publikum einher. Dass und aus welchem Grund den Äußerungen der IHK im Wettstreit um die knappe Ressource staatlicher Aufmerksamkeit eine besondere Autorität entgegengebracht wird, wurde bereits ausgebreitet.442 Wird einer staatlichen Stelle im Zusammenhang mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit eine herausgehobene Glaubwürdigkeit bescheinigt, liegt die Annahme über eine besondere Verbreitungskraft, ein breites Bekanntwerden der Mitteilungen und eine gesteigerte Lenkungswirkung für die öffentliche Meinungs- und Willensbildung nicht fern. Die Bevölkerung vertraut auf den Nimbus amtlicher Autorität und hegt die Vermutung umfassender Informiertheit, Objektivität und Richtigkeit für die Kommunikation der öffentlichen Stellen.443 Damit bergen Akte der Interessenrepräsentanz strukturell die Gefahr, dass sie in besonderer Weise nachteilige Wirkungen für diejenigen Akteure bedingen, zu deren Lasten sie formuliert sind. Wenn eine IHK bspw. die Zukunftsfähigkeit der Kernenergie als Garant für die Versorgung mit Energie in Positionspapieren bewirbt, zeitigt dies Nachteile für Unternehmer aus der Branche der „Erneuerbaren Energien“, die für die Bewerbung ihres Gewerbes womöglich selbige Attribute beanspruchen. Die Gefahr gilt nicht weniger für organisationsexterne gesellschaftliche Akteure, namentlich die politischen Parteien und ihre Repräsentanten. Nicht nur im zeitlichen Umfeld von Wahlen kann etwa das Vertrauen in die Wirtschaftskompetenz einer namentlich genannten Partei massiv abnehmen, wenn ihre steuerpolitischen Absichten als „Jobkiller“ bezeichnet werden und dabei die Autorität als

442

Dazu näher unter C. III. 1. b) (1). Auch Kluth, Verfassungsfragen der Privatisierung von Industrie- und Handelskammern, 1997, S. 43 befindet, dass die besondere Stellung der IHK eine „privilegierte Teilnahme an der wirtschaftspolitischen Meinungsbildung“ ermögliche und „ihren Vorschlägen ein besonderes Gewicht“ verleihe. 443 Martini / Kühl, JURA 2014, 1221 sprechen treffend von einem „Vertrauensvorschuss“, der der staatlichen Information anhafte.

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Repräsentanz des Gesamtinteresses der gewerblichen Wirtschaft Deutschlands in Anspruch genommen wird.444 Dass die Beschädigung der Reputation für diejenigen Kammerzugehörigen Nachteile bedingt, die ihre Interessen durch die ins Visier genommene Partei gewahrt sehen, dürfte ein ebenfalls zu bedenkender Umstand sein. Handelt es sich bei den Verlautbarungen um Mutmaßungen, bewusst verzerrend dargestellte Tatsachen oder dreiste Fehlinformationen, sind für den Prozess freier und öffentlicher Meinungs- und Willensbildung ganz besondere Gefahren zu besorgen. Denn dieser ist auf eine zutreffende Tatsachengrundlage angewiesen, während Strategien der Desinformation destruktiv wirken. Die Beispiele zeigen, dass sich die hiesige Konfliktlage kaum zu den Sachverhalten unterscheidet, die bisher unter der Sammelbezeichnung „staatliche Informationstätigkeit“ diskutiert und vom Bundesverfassungsgericht mit Direktiven eingehegt wurden. Zwar stellt sich die Grundrechtserheblichkeit von staatlichen Informationsakten als weitreichender dar, wenn vor dem Verzehr möglicherweise mit Glykol versetzten Weins oder dem Beitritt zur Osho-Bewegung mit der Gleichsetzung als „Psychosekte“ und den Beschreibungen „destruktiv“, „manipulativ“ und „pseudoreligiös“ gewarnt wird.445 Immerhin droht in diesen Fällen, dass ein gesamter Geschäftsbetrieb in Folge der ausgesprochenen Warnung zum Erliegen kommt. Dennoch handelt es sich auch bei Akten in Wahrnehmung des Mandats aus § 1 Abs. 1 IHKG im Kern um hoheitliche Äußerungen, die nachteilige Folgen in dem eben beschriebenen Ausmaß zeitigen können.446 bb) Leitlinien des BVerfG: Die Beschlüsse „Glykol“ und „Osho“ Das Bundesverfassungsgericht hat in der Auseinandersetzung mit den Fällen „Glykol“ und „Osho“ als den maßstabsetzenden Sachverhalten zur staatlichen Informationstätigkeit die Lösung vertreten, dass die sachliche Informationstätigkeit des Staates grundsätzlich keinen Eingriff in Grundrechte der Betroffenen darstellt und daher auch keiner speziellen Ermächtigungsgrundlage bedarf.447 Dass der vom

444

S. dazu bei Fn. 227. BVerfG, Beschl. v. 26. Juni 2002 – 1 BvR 558, 1428/91 –, BVerfGE 105, 252 – Warnung vor glykolhaltigem Wein; Beschl. v. 26. Juni 2002 – 1 BvR 670/91 –, BVerfGE 105, 279 – Warnung vor der Osho-Bewegung. 446 Da die IHK zumeist ein allgemeines Publikum adressiert bzw. zumindest ein allgemeines Publikum Zugang zu der Öffentlichkeitsarbeit erhalten soll und der Kommunikationsakt als Lenkungsmittel eingesetzt wird, dürfte der Begriff der Publikumsinformation das Scharnier zu den „klassischen“ Sachverhalten staatlichen Informationshandelns bilden. Zum Begriff und den Formen näher Bilsdorfer, Polizeiliche Öffentlichkeitsarbeit in sozialen Netzwerken, 2019, S. 35 ff.; Lück / Penski, DÖV 2020, 506 (512 f.); Voßkuhle / Kaiser, JuS 2018, 343. 447 BVerfG, Beschl. v. 26. Juni 2002 – 1 BvR 558, 1428/91 –, BVerfGE 105, 252 Ls. 1; Beschl. v. 26. Juni 2002 – 1 BvR 670/91 –, BVerfGE 105, 279 Ls. 1. 445

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Verfassungsgericht postulierte Verzicht auf eine besondere Ermächtigungsgrundlage kritikwürdig ist und vom rechtswissenschaftlichen Schrifttum mit ablehnenden Anmerkungen versehen worden ist, soll jedoch nicht thematisiert werden.448 Ohnehin dürften die Maßgaben angesichts der neueren Rechtsprechung zu diesem Themenkreis nicht mehr dem Meinungsstand des Verfassungsgerichts entsprechen.449 Entscheidend ist vielmehr, dass die IHK gem. § 1 Abs. 1 IHKG nachgerade dazu angehalten ist, das Gesamtinteresse der Kammerzugehörigen wahrzunehmen. Während in anderen Konstellationen das Mandat zur Öffentlichkeitsarbeit ein Annex im Verhältnis zu den eigentlichen Kompetenzen darstellt, füllt die IHK ihre gesetzliche Hauptaufgabe aus, wenn sie in die Öffentlichkeit hineinwirkt. Der sachliche Zusammenhang zwischen öffentlicher Kommunikation und Verwaltungsaufgabe ist hier indiziert. Dennoch bleiben die Spielräume, die der Gesetzesauftrag eröffnet, funktionaler und nicht grundrechtlich-freiheitlicher Art. Maßgeblich ist nicht nur die Verfügbarkeit einer Kompetenz und die Einhaltung der Zuständigkeitsordnung, sondern auch das Sachlich- und Richtigkeitsgebot. Dies hat das Verfassungsgericht in dem „Glykol“-Beschluss folgendermaßen ausgebreitet: „Die inhaltliche Richtigkeit einer Information ist grundsätzlich Voraussetzung dafür, dass sie die Transparenz am Markt und damit dessen Funktionsfähigkeit fördert. […] Informationen unterliegen wie jedes Staatshandeln dem Sachlichkeitsgebot […]. Bei marktbezogenen Informationen richten sich die Anforderungen auch nach den Funktionserfordernissen des Wettbewerbs. Wertungen dürfen nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen. Die Information darf auch bei zutreffendem Inhalt in der Form weder unsachlich noch herabsetzend formuliert sein. Im Übrigen ist die Verbreitung von Informationen unter Berücksichtigung möglicher nachteiliger Wirkungen für betroffene Wettbewerber auf das zur Informationsgewährung Erforderliche zu beschränken.“450 Aus dem Richtigkeitsgebot folgt ferner die Pflicht zur Offenlegung eines noch unabgeschlossenen Erkenntnisstandes, mithin die Notwendigkeit eines Hinweises auf verbleibende Unsicherheiten.451

448

S. dazu m. w. N. Merschmann, Staatliche Information über lebensmittelrechtliche Beanstandungen während laufender Verfahren, 2019, S. 41 ff.; Monsees, Behördliches Informationshandeln im Lebensmittelbereich, 2018, S. 59 ff. 449 BVerfG, Beschl. v. 21. März 2018 – 1 BvF 1/13 –, BVerfGE 148, 40 Ls. 1. Dazu m. w. N. Wollenschläger, JZ 2018, 980–987. 450 BVerfG, Beschl. v. 26. Juni 2002 – 1 BvR 558, 1428/91 –, BVerfGE 105, 252 (272). Gleichgerichtet BVerfG, Beschl. v. 26. Juni 2002 – 1 BvR 670/91 –, BVerfGE 105, 279 Ls. 1. 451 BVerfG, Beschl. v. 26. Juni 2002 – 1 BvR 558, 1428/91 –, BVerfGE 105, 252 (272).

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cc) Notwendigkeit der sachlichen, richtigen, objektiven und vollständigen Information Unter Rückgriff auf die Grundsatzbeschlüsse des BVerfG, aber losgelöst von den entschiedenen Sachverhalten, lassen sich Leitlinien formulieren, die für jeden Akt amtlicher Öffentlichkeitsarbeit gelten. Friedrich Schoch erkennt diesbezüglich „strukturelle Richtigkeitsgewährleistungen zum Inhalt der staatlichen Information“ mit den Geboten der Sachlichkeit, Richtigkeit, Objektivität, Vollständigkeit und Klarheit. Den Rechtsgrund der Forderungen macht er in dem für alle Erscheinungsformen des Staates geltenden Übermaß- und Willkürverbot aus.452 Werturteile müssten ferner auf einem zutreffenden oder zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruhen.453 Christoph Gusy befindet, dass das Recht der staatlichen Öffentlichkeitsarbeit „in seinen Grundlagen weithin konturiert“ sei und „gefestigte Argumentationslinien“ aufweise. Für einen „Katalog von Rechtmäßigkeitsbedingungen“ benennt er die bereits von Schoch entwickelten Maßstäbe.454 Ausnahmen von dem Gebot „zurückhaltend-neutraler Bewertung“ müssten auf konkrete Tatsachen gestützt werden, womit diffamierende oder verfälschende Darstellungen genauso wie unsachliche oder herabsetzende Formulierungen untersagt seien.455 Ein weiterer Autor betont zu Recht, dass die öffentliche Gewalt „Distanz zum gesellschaftlichen Meinungskampf“ in „Duktus und Kommunikationsformat“ wahren müsse. Sie habe zu akzeptieren, dass die freie gesellschaftliche Meinungs- und politische Willensbildung „sehr viele vertretbare Positionen“ zutage fördere.456 Auch das BVerwG erkannte jüngst (2017) ein Sachlichkeitsgebot, das für „jedes Staatshandeln“ gelte.457 Es stellte anschließend fest, dass sich amtliche Äußerungen an den „allgemeinen Grundsätzen für rechtsstaatliches Verhalten in der Ausprägung des Willkürverbots und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu orientieren“ 452 Schoch, Entformalisierung staatlichen Handelns, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 37 Rn. 143 f. S. ferner BVerfG, Beschl. v. 15. August 1989 – 1 BvR 881/89 –, NJW 1989, 3269 (3270). 453 Schoch, Entformalisierung staatlichen Handelns, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 37 Rn. 144. S. ferner Becker, Die aktive Öffentlichkeitsarbeit von Staatsanwaltschaften und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, in: Livonius /  Graf / Wolter / Zöller (Hg.), FG Feigen, 2014, 15 (17 f.). 454 Gusy, NVwZ 2015, 700 (701). 455 Gusy, Die Informationsbeziehungen zwischen Staat und Bürger, in: Hoffmann-Riem /  Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 2, 2. Aufl. 2012, § 23 Rn. 109. 456 Gärditz, VerfBlog, 2020/12/28, abrufbar unter https://verfassungsblog.de/mandat-zumeinungspflege/; ähnlich Möstl, Demokratische Willensbildung und Hoheitsträger. Grund und Grenzen öffentlicher Äußerungsbefugnisse von Repräsentanten des Staates, in: Uhle (Hg.), Information und Einflussnahme, 2018, 49 (72). 457 BVerwG, Urt. v. 13. September 2017 – 10 C 6/16 –, BVerwGE 159, 327 (Rn. 26) unter Rekurs auf BVerfG, Beschl. v. 26. Juni 2002 – 1 BvR 558, 1428/91 –, BVerfGE 105, 252 (272). Zur Geltung des Sachlichkeitsgebots für Äußerungen eines Amtsarztes s. noch BVerwG, Beschl. v. 11. November 2020 – 7 B 54/10 –, juris Rn. 14.

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hätten.458 Werturteile dürften auf Grundlage der rechtsstaatlichen Gebote nicht den „sachlich gebotenen Rahmen“ überschreiten und auch nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen.459 Nach Ansicht des Gerichts enthalte das Sachlichkeitsgebot auch eine „spezifisch demokratische Komponente“. Danach habe ein Amtswalter, der am politischen Diskurs teilnehme, seine Äußerungen an dem Gebot eines „rationalen und sachlichen“ Diskurses auszurichten.460 Staatliche Amtsträger dürften ferner „weder ausgrenzen noch gezielt diskreditieren“, weil nur so die Integrationsfunktion des Staates sichergestellt werden könne.461 Das Bundesverfassungsgericht fügte aus Anlass des Falls der ehemaligen Bundesbildungsministerin Johanna Wanka hinzu, dass staatlichen Organen kein „Recht zum Gegenschlag“ zustehe, weshalb sie nicht in gleicher Weise auf unsachliche oder diffamierende Angriffe reagieren dürften.462 Dass das Demokratieprinzip eine besondere Relevanz für die amtliche Öffentlichkeitsarbeit entfaltet, zeigt sich speziell bei Sachverhalten mit einem unmittelbaren Wahlbezug. Wahlen bieten als maßgeblicher Kreationsakt personeller Legitimation den „sensibelsten Ansatzpunkt für Beeinträchtigungen des Willensbildungsprozesses“.463 Die Vulnerabilität des Prozesses wird mit Art. 38 Abs. 1 GG und dem darin enthaltenen Grundsatz der Wahlfreiheit anerkannt und zu verhüten versucht. Die Freiheit der Wahl schützt vor Beeinflussungen, die geeignet sind, die Wahlentscheidung trotz des bestehenden Wahlgeheimnisses ernsthaft zu beeinträchtigen.464 Wettbewerbsverzerrende Wahlbeeinflussungen von Seiten des Staates, mit denen der Herrschaftsanspruch auf Zeit unverblümt verlängert werden soll, sind zu unterlassen.465 Dies lässt sich einerseits akteurszentriert formulieren: Danach hat etwa die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung äußerste Zurückhaltung in der Vorwahlzeit466 zu wahren.467 Das Gebot der freien Wahl untersagt aber der staatlichen Sphäre insgesamt, sich in amtlicher Funktion mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern zu identifizieren und sie als Amtsträger zu unterstützen oder zu bekämpfen. Die amtliche Kommunikation findet dort ihre Grenze, wo offene oder versteckte Wahl-

458

BVerwG, Urt. v. 13. September 2017 – 10 C 6/16 –, BVerwGE 159, 327 (Rn. 27). BVerwG, Urt. v. 13. September 2017 – 10 C 6/16 –, BVerwGE 159, 327 (Rn. 27). 460 BVerwG, Urt. v. 13. September 2017 – 10 C 6/16 –, BVerwGE 159, 327 (Rn. 29). 461 BVerwG, Urt. v. 13. September 2017 – 10 C 6/16 –, BVerwGE 159, 327 (Rn. 29). 462 BVerfG, Urt. v. 27. Februar 2018, – 2 BvE 1/16 –, BVerfGE 148, 11 (Ls. 3, Rn. 60). 463 Ingold, Desinformationsrecht, 2011, S. 72. 464 BVerfG, Urt. v. 8. Februar 2001 – 2 BvF 1/00 –, BVerfGE 103, 111 (132). 465 Kotzur, Demokratie als Wettbewerbsordnung, VVDStRL 69 (2009), 2010, 174 (205). 466 Weitergehend wohl BVerfG, Urt. v. 27. Februar 2018, – 2 BvE 1/16 –, BVerfGE 148, 11 (Ls. 1, Rn. 46), wonach auch „außerhalb von Wahlkampfzeiten“ der „Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien die Beachtung des Gebots staatlicher Neutralität“ erfordere. Kritisch zu der damit besorgten Angleichung der materiellen Gebote der Chancengleichheit inner- und außerhalb von Wahlkampfzeiten Meinel, Der Staat 60 (2021), 43 (81 f.). 467 BVerfG, Urt. v. 2. März 1977 – 2 BvE 1/76 –, BVerfGE 44, 125 Ls. 8. 459

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werbung beginnt.468 Andererseits gilt dies nicht minder bei einem auf Handlungsformen fokussierten Blickwinkel: Danach sind insbesondere Täuschungen und Desinformationen zu unterlassen, weil gegenüber derartigen Beeinträchtigungen keine hinreichenden Abwehrmöglichkeiten mit den Mitteln des Wahlwettbewerbs oder mit Hilfe der Gerichte bestehen.469 dd) Schlussfolgerungen für die Verwaltungspraxis Damit besteht ein Katalog von Rechtmäßigkeitsanforderungen. Sein gedank­ liches Fundament liegt im Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG, womit es sich um eine abwägungsfeste Mindestvorgabe handelt, die jeder staatliche Informationsauftritt zu achten hat.470 Unter Geltung dieser allgemeinen Mäßigungs- und Sachgerechtigkeitsvorgaben müssen die Wahrnehmungsbedingungen für die Aufgabe Interessenrepräsentanz in den Händen der IHK neu vermessen werden.471

468

BVerwG, Urt. v. 18. April 1997 – 8 C 5/96 –, BVerwGE 104, 323 (327). Dass die Wahlfreiheit und Chacengleichheit der Bewerber auch für die Wahlen in der Selbstverwaltungskörperschaft geschützt sind, lässt sich BGH, Urt. v. 7. Dezember 2020 – AnwZ (Brfg) 19/19 –, juris Rn. 39 entnehmen. Danach unterliegt der Vorstand einer Rechtsanwaltskammer ebenfalls einem Neutralitätsgebot, wenn er in amtlicher Funktion auf die Bildung des Wählerwillens einwirkt. 469 Ingold, Desinformationsrecht, 2011, S. 72 m. w. N. 470 Eine Verknüpfung zwischen dem Sachlich- sowie Richtigkeitsgebot und dem Rechtsstaatsprinzip ist den Ansätzen überlegen, die den Rechtsgrund in dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erkennen. Denn mit der Eröffnung eines allgemeinen Abwägungsprinzips gelingt die Einhegung der staatlichen Informationstätigkeit nur in dem Fall einer rechtlichen Betroffenheit Dritter. Doch besteht darüber hinaus das Bedürfnis nach allgemeinen Mäßigungs- und Sachgerechtigkeitsvorgaben für jede staatliche Informationstätigkeit, damit sich behördenseitig eine Bewusstwerdung für die Sonderrolle des Nachrichtenwerts ihrer Tätigkeit einstellt (gleichgerichtet Mast, VerfBlog, 2020/7/06, abrufbar unter https://verfassungsblog.de/entgrenztes-gezwitscher/). 471 In der Auseinandersetzung des BVerfG mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Pflichtmitgliedschaft in der IHK ist die Geltung eines Sachlichkeitsgebots bereits in vagen Formeln angeklungen. Angesprochen ist die Aussage, nach der die IHK keine „reine Interessenvertretung“ betreiben dürfe (Beschl. v. 19. Dezember 1962 – 1 BvR 541/57 –, BVerfGE 15, 235 [241]). In den wenigen Worten des Gerichts war schon damals die aus Sicht des Grundgesetzes notwendige Anspruchs- und Erwartungshaltung formuliert, dass Interessenrepräsentanz in der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts mit pflichtmitgliedschaftlicher Verfassung und einem begrenzten Gesetzesauftrag im Vergleich zu denjenigen Verhaltensweisen, die aus dem privaten Verbandswesen bekannt waren, etwas grundlegend Anderes darstellen sollte. Auch Schöbener, Zwischen grundrechtlicher Kontinuität und Dynamik im subjektiven Rechtsschutz – Das BVerfG hält die Pflichtmitgliedschaft in den Kammern weiterhin aufrecht, gibt den Mitgliedern aber mehr Kontrollrechte, in: Kluth (Hg.), Die IHK-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, 2018, 41 (56) erachtet das Sachlichkeitsgebot als „ein im Rechtsstaatsprinzip wurzelndes Verfassungsgebot“, das wegen seines Fundaments in Art. 20 Abs. 3 GG für sämtliche staatliche Äußerungen, d. h. auch jene der mittelbaren Staatsverwaltung gelte. Für die HwK erinnert Klafki, GewArch 2020, 134 (139) an die Gebote der Sachlichkeit und Objektivität.

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(1) Sachlichkeit Das Gebot der Sachlichkeit bringt zunächst eine besondere Verantwortung und Verpflichtung dafür mit sich, dass die IHK ihre Informationstätigkeit an dem Gebot eines rationalen sowie integrierend und zurückhaltend wirkenden Diskurses ausrichtet und nicht in eine aggressiv-kämpferische Agitation verfällt. Der IHK ist demnach verwehrt, unter dem Deckmantel eines behaupteten oder angenommenen Wettbewerbs mit den freien Interessenverbänden um die Gunst staatlicher Aufmerksamkeit hervorzustechen, indem sie eine besonders markante, destruktive, polemisierende, wetternde oder provokative Wortwahl für ihre Vorschläge trifft. Versagt ist der Unternehmerkammer damit eine allein an der Funktionsweise der Massenmedien ausgerichtete Kommunikation. Denn deren Gesetzmäßigkeiten beruhen auf den Postulaten maximaler Aufmerksamkeit und Überzeugungskommunikation. „Die“ Medien ziehen oft den personalisierten Konflikt der sachlichen Auseinandersetzung vor. Sie bespielen vorzugswürdig die Mechanismen öffent­ licher Erregung, wohingegen die Motive einer Sachentscheidung regelmäßig unterbeleuchtet bleiben. Schließlich unterliegen sie infolge wechselseitiger Bezugnahmen Selbstverstärkungstendenzen und bereiten damit mehrmals den Boden für Fehlurteile.472 Weiterhin hat sich die IHK einer Teilnahme an dem politischen Wettbewerb bzw. öffentlichen Meinungskampf zu enthalten. Die Vollversammlung der IHK stellt kein „zweites Parlament“ und kein „Schatten-Bürgerrat“ dar, sondern ist ein Ort des versammelten unternehmerischen Sachverstands zur optimalen Unterstützung und Beratung der Öffentlichen Hand. Einer IHK steht es daher bspw. nicht zu, die wirtschaftspolitischen Konzeptionen von (namentlich genannten) Regierungs- oder Oppositionspolitikern im Speziellen oder von politischen Parteien im Allgemeinen gezielt anzugreifen, an einem hitzig geführten Diskurs teilzunehmen oder eine Auseinandersetzung mit politischen Akteuren um die „besseren“ Ideen zu initiieren. Dass nach diesen Maßstäben die Mitteilung einer expliziten Wahlempfehlung keine verfassungsrechtlich zulässige Handlungsoption darstellt, bedarf keiner gesonderten Erläuterung.473 Dies gilt auch für den Fall, dass dies implizit, etwa unter dem Vorwand vorgeblich objektiver statistischer Berechnungen oder der Einbringung des unternehmerischen Sachverstands, geschieht. Im Rahmen des Sachlichkeitsgebots aktualisiert sich somit der Befund, wonach die IHK an der Erfüllung einer Staatsaufgabe teilnimmt und ihre Tätigkeit dienlich ausgerichtet sein muss. Die IHK spielt Russisches Roulette unter Einsatz ihres Propriums als kompetenter Vermittler gewerblicher Interessenlagen, des Fortbestands ihrer pflichtmitgliedschaftlichen Verfassung und ihrer gesamten Legitimation, wenn sie

472

Zu diesen Gefahren öffentlicher Kommunikation Scherzberg, Öffentlichkeitskontrolle, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 3, 2. Aufl. 2013, § 49 Rn. 88. 473 Die Gefahren- und Problemlage verkennend Günther, in: v. Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 86. EL Februar 2021, § 1 IHKG Rn. 86.

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C. Der Auftrag gewerbliche Interessenrepräsentanz  

ihr Engagement permanent mit Polemik anreichert, die Kommunikationsform unnötiger Personalisierung wählt und fortwährend desintegrierend wirkt. Zum Problemfall wird insbesondere die Auseinandersetzung in Gegnerschaft zu gesellschaftlichen Akteuren und den dort vertretenen Interessen. Da in diesen Fallkonstellationen Grundrechte – insbesondere auch jene der eigenen Kammerzugehörigen – tangiert werden (Art. 5 Abs. 1 S. 1, Art. 8 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 u. 3, Art. 12 und Art. 14 GG), die grundrechtlich interpretierte474 Garantie des Art. 21 GG in Rede steht oder der Konflikt mit denen im Kampf um die Wählergunst befind­ lichen politischen Parteien und ihrer Funktionsträger gesucht wird, dürfte das Gebot äußerster Zurückhaltung für die Interessenrepräsentanz unmittelbar einsichtig sein. Der IHK sind Verhaltensweisen, die sich unter den Schlagworten Ausgrenzung und Diskreditierung subsumieren lassen, in verfassungsrechtlicher Hinsicht verwehrt. Hingegen ist es angängig, eine gleichberechtigte und gleichmäßig rationale Diskussion im Sinne eines Für und Widers, etwa zu den Wahlprogrammen von Parteien, unter dem Siegel der IHK stattfinden zu lassen. (2) Richtigkeit, Objektivität und Vollständigkeit In Anbetracht des Richtigkeits- und Objektivitätsgebots verbietet es sich ferner, unter Inanspruchnahme amtlicher Autorität Desinformation475 zu betreiben. Weiterhin sind der IHK Ausdrucksformen der Propaganda476 verwehrt. Interessenlagen der gewerblichen Wirtschaft müssen im Zuge der Aufgabenwahrnehmung zutreffend, ergo: repräsentativ, vermittelt werden. Dabei wird in erster Linie erwartet, dass jede in der Vollversammlung vertretene Position offengelegt wird. Eine verzerrende Darstellung der in dem Hauptorgan vertretenen Standpunkte durch Über- oder Unterrepräsentation ist zu unterlassen. Der IHK ist konkret untersagt, im organisationsexternen Bereich mit „einer Stimme“ zu sprechen, wenn keine einheitliche Positionierung besteht und sich hinter der „einen“ Stimme allenfalls ein mehrheitlich vertretener Standpunkt verbirgt. Mit anderen Worten: Wenn die 474

Zum Streit um die Rechtsnatur des Art. 21 GG s. nur Kluth, in: Epping / Hillgruber (Hg.), BeckOK GG, Stand: 49. Edition 15. 11. 2021, Art. 21 Rn. 93–97, der zahlr. Nachw. bereithält. 475 Desinformation kennzeichnet (dazu Ingold, Desinformationsrecht, 2011, S. 22, insbes. S. 27) das Hervorrufen von Fehlvorstellungen durch aktives Tun oder Unterlassen im Sinne einer Eta­blierung unwahrhaftiger Daten zwecks Verhaltens- oder Meinungsmanipulation während eines Kommunikationszusammenhangs. Entscheidend für den Terminus ist, dass die Verbreitung unwahrer Informationen intendiert wird (Möller / Hameleers / Ferreau, Typen von Desinformation und Misinformation, 2020, S. 11), sodass Formen der bewussten Dekontextualisierung realer Informationen, der absichtlichen Täuschung nahe der Wahrhaftigkeit, der bewussten Falschinformation und der manipulativen politischen Werbung erfasst werden (ebd., S. 17 ff.). 476 Propaganda umschreibt den gezielten Versuch von Personen oder Institutionen, einen bestimmten Adressdatenkreis durch Informationslenkung für eigennützige Zwecke zu gewinnen, während diese Zwecke zugleich verschleiert werden, Ingold, Desinformationsrecht, 2011, S. 24 m. w. N.

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IHK  München verkündet, dass „die“ gewerbliche Wirtschaft im Kammerbezirk den geplanten Bau einer weiteren Landebahn für den örtlichen Flughafen ablehnt, begrüßt, unterstützt, fordert oder als „Muss“ ansieht, muss dieser Standpunkt tatsächlich der einheitlichen Meinung in der Vollversammlung entsprechen. Trifft dies nicht zu, ist die Vielfalt des Meinungsstands durch eine angepasste Wortwahl offenzulegen. Da das Mandat zur Interessenrepräsentanz auch unter Zugrundelegung der Einsichten einer wissenschaftlichen Studie, den Erkenntnissen eines Gutachters oder der Verwertung einer Umfrage ausgefüllt werden kann, ergeben sich weitere Schlussfolgerungen: Auch in diesen Fällen ist nötigenfalls abzubilden, dass das Ergebnis des extern eingebrachten Sachverstands keine uneingeschränkte Zustimmung unter den Repräsentanten in der Vollversammlung erfährt. Überdies muss die zur Verwendung beabsichtigte Studie selbst den Geboten der Objektivität genügen, damit eine Umgehung der verfassungsrechtlichen Direktiven unterbleibt. Daher sind bspw. der zugrundeliegende Auftrag sowie die angewendeten Methoden einer Studie oder der Fragebogen, auf den eine repräsentative Umfrage gestützt wird, sorgsam auszuwählen und bestenfalls offenzulegen. Im Rahmen der verwaltungspraktisch bedeutsamen Interessenrepräsentanz zu direktdemokratischen Verfahren ist schließlich erforderlich, dass eine eindeutige Positionierung der IHK ausscheidet, sobald abweichende Interessenstandpunkte in der Vollversammlung zur Vertretung gelangt sind. g) Pflichtmitgliedschaftliche Verfassung – Schutz vor institutioneller Majorisierung Aus der pflichtmitgliedschaftlichen Organisationsform folgen verfassungsrechtliche Direktiven für das Organisations- und Verfahrensrechts im Hinblick auf die Wahrnehmung der Aufgabe Interessenrepräsentanz. Geboten ist, dass der zusammengespannte Interessengegensatz sowohl im Wege der kammerinternen Organisation als auch im Zusammenhang mit der kammerexternen Kommunikation ausreichend Beachtung findet. Denn unmittelbar einsichtig dürfte sein, dass kein Standpunkt im Außenverhältnis verlautbart werden kann, wenn für ihn nicht zuvor im organisationsinternen Bereich der Artikulationsanspruch erhoben wurde. In diesem Sinne formulierte jüngst auch das Bundesverfassungsgericht mit einem besonderen Augenmerk für die IHK, dass sich „[i]n der Organisation einer Körperschaft der funktionalen Selbstverwaltung“ die „Binnenpluralität der Interessen niederschlagen“ müsse, denen die Organisation diene.477 Wer in dieser Feststellung die Ankündigung einer nachfolgenden Exegese des Organisations- und Verfahrensrechts der IHK erkannte, wurde jedoch enttäuscht. In dem dazugehörigen Absatz erinnerte das Gericht lediglich an vage Gebote aus der eigenen Rechtspre 477

BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 Ls. 2.

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chungstradition. Das Verfassungsgericht überprüfte keinesfalls mit dem Anspruch auf Gründlichkeit, ob diesen Geboten im Binnenrecht der IHK Genüge getan wird. Es führte lediglich aus: „Im Übrigen gilt für die Industrie- und Handelskammern auch im Lichte des Demokratieprinzips das Gebot, schutzwürdige Interessen der Verbandsmitglieder nicht willkürlich zu vernachlässigen; es darf keine Gruppe „institutionell majorisiert“ werden. Die Konkretisierung dieser Anforderungen an die Organisationsform der Selbstverwaltung muss sowohl den Grundgedanken autonomer interessengerechter Selbstverwaltung als auch die öffentliche Aufgabenwahrnehmung effektuieren. […]. Dies sichert der Gesetzgeber über § 1 Abs. 1 IHKG mit der Vorgabe der Aufgabe der Wahrnehmung des Gesamtinteresses“.478 Das Gericht liegt nicht daneben, wenn es befindet, dass das IHKG Pluralität gewährleiste. Denn das „Gesamtinteresse“ im Sinne von § 1 Abs. 1 IHKG darf nicht mit der Mehrheitsauffassung gleichgesetzt werden.479 Daher ist es folgerichtig, wenn das Gericht an anderer Stelle anmahnt, dass die Gleichsetzung von Mehrheits- und Gesamtinteresse zur „dauerhaften Beeinträchtigung der Minderheitsinteressen“ führen würde und die Pflichtmitgliedschaft „nicht zumutbar“ sei, wenn die nach § 1 Abs. 1 IHKG gebotene Wahrnehmung des Gesamtinteresses der tatsächlich vorhandenen Interessenvielfalt nicht Rechnung trage.480 Für die Aufgabe Interessenrepräsentanz wird damit der grundgesetzlich verbriefte Anspruch formuliert, dass das Gesetz wie folgt auszulegen und anzuwenden ist: „Daraus [aus dem in § 1 Abs. 1 IHKG festgeschriebenen Abwägungsgebot] ergeben sich Anforderungen an die Argumentation und die Darstellung des Gesamtinteresses, die eine Pflichtmitgliedschaft zumutbar machen. Nach der Rechtsprechung des [BVerwG] verlangt die notwendige Objektivität eine Argumentation mit sachbezogenen Kriterien. Das zwingt dazu, bei der Wahrnehmung des Gesamtinteresses gegebenenfalls auch eine Minderheitenposition darzustellen; eine Äußerung der Kammer zu besonders umstrittenen Themen muss die geforderte Abwägung auch insoweit erkennen lassen.“481 Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs hängt demnach an dem „Tropf“ der tatsächlichen Repräsentation aller Interessen. Das BVerfG möchte den Minderheitenschutz offenbar aber nur unter Vorbehalt sichergestellt wissen. Immerhin bekennt es zugleich, dass eine Minderheitenposition nur „gegebenenfalls“ darzustellen wäre. Andernorts stellt es fest, dass die 478

BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017  – 1 BvR 2222/12 u. 1106/13  –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 126) unter Verweis auf Beschl. v. 5. Dezember 2002 – 2 BvL 5/98 u. 6/98 –, BVerfGE 107, 59 (93 u. 100 f.); Urt. v. 29. Juli 1959 – 1 BvR 394/58 –, BVerfGE 10, 89 (106 f.). 479 Dazu näher unter E. V. 2. d). 480 BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017  – 1 BvR 2222/12 u. 1106/13  –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 109 f.). 481 BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 110) unter Verweis auf BVerwG, Urt. v. 23. Juni 2010 – 8 C 20/09 –, BVerwGE 137, 171 (Rn. 32 ff.). Das BVerwG hat mit einem Urteil aus dem Jahr 2016 die rechtlichen Anforderungen über die Darstellung von „Minderheitenpositionen“ präzisiert. Dazu näher unter C. III. 2. d).

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Aufgabe der IHK darin bestehe, alle in einem Bezirk „relevanten“ Vorstellungen zu Gehör zu bringen.482 In dieser Denktradition steht auch die abschließend mitgeteilte Auffassung, nach der § 1 Abs. 1 IHKG lediglich dazu verpflichte, „relevante Minderheitsbelange“ zu ermitteln und darzustellen.483 Die Ausführungen verdienen trotzdem Unterstützung. Indes ist diese Auffassung aus grundrechtstheoretischer Perspektive keinesfalls zwingend. Noch 1962 erachtete das Verfassungsgericht die Pflichtmitgliedschaft in der IHK für verfassungsgemäß, ohne dass es auch nur in einem Nebensatz auf die Erfordernisse einer binnenpluralen Struktur hinwies oder vor der Gefahr einer dauerhaften Beeinträchtigung der Minderheitsinteressen warnte. Unter Anwendung eines organisationssozialen Blickwinkels gelangt man indes ohne Umwege zu der Ansicht, dass die Gefahr einer institutionellen Majorisierung durch Versteinerung des Verhältnisses von Mehr- zu Minderheit das einzelne Organisationsmitglied außer Verhältnis zu dem angestrebten Gesetzeszweck belasten würde. Dies gilt insbesondere, wenn die IHK allein den mehrheitlich vertretenen Standpunkt gegenüber der Umwelt als Gesamtinteresse ausgibt. Das Kammermitglied würde dadurch kurzweilig oder dauerhaft zur Identifikation mit- und zur Finanzierung von Positionen gezwungen, die mit seinen Vorstellungen teilweise oder vollkommen konfligieren. Wenn das BVerfG im Zuge dieses Gedankengangs auf Unternehmen der „Alternativwirtschaft, Gemeinwirtschaft und der christlichen oder „Eine-Welt“-Wirtschaft“ verweist,484 zeigt das Gericht allerdings ein unausgereiftes Verständnis für die Diversität unter den verkammerten Unternehmen. Es wäre nicht notwendig gewesen, den Blick auf außergewöhnliche Formen des Wirtschaftens zu lenken, um die Richtigkeit der Überlegungen zu begründen. Unter Ansehung der mit § 1 Abs. 1 IHKG verbundenen Zwecksetzung, verstanden als die umfassende sachverständige Politikberatung durch die gewerbliche Wirtschaft, ist es nicht statthaft, dass auch nur eine zur Repräsentation gelangte Meinung im Außenverhältnis unterschlagen wird. Eine grassierende Apathie unter den Organisationsmitgliedern, die als Folge einer institutionellen Majorisierung naheliegt, kann ohnehin nicht geduldet werden. Denn der Rückzug in die Teilnahmslosigkeit würde dazu führen, dass die dissentierenden Stimmen bereits organisationsintern nicht mehr zur Vermittlung gelangen.

482 BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 92 – Hervorh. n.h). 483 BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 126 – Hervorh. n. h.). 484 BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 110).

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h) Die Lehre von der gesellschaftlichen Selbstverwaltung Jürgen Salzwedel erdachte unter der Überschrift „gesellschaftliche Selbstverwaltung“ zunächst lediglich eine abweichende Terminologie zur Klassifikation von Selbstverwaltungsträgern.485 Konträr zu den eben beschriebenen verfassungsrechtlichen Bindungen liegt die Lehre von der gesellschaftlichen Selbstverwaltung, die Ludwig Fröhler und Peter Oberndorfer unter Rekurs auf den vorstehenden Terminus entwickelt haben. Sie priesen die gesellschaftliche Selbstverwaltung als „selbständige Rechtskategorie“486 an und wollten rechtliche Folgewirkungen an die Zugehörigkeit zu diesem Verwaltungstypus knüpfen. Zu der Kategorie zählten nach ihnen die Verwaltungseinheiten, die mit der Wahrnehmung „nichtstaatlicher, gleichwohl gemeinwohlbezogener gesellschaftlicher Aufgaben“ betraut seien.487 Zu den Rechtsfolgen heißt es sodann: „[D]ie Vertretung der Interessen eines bestimmten Berufsstandes [verlangt] […], daß es das zuständige, im Wege von Wahlen demokratisch legitimierte Organ des Selbstverwaltungsträgers in der Hand haben muß, den Umfang ebenso wie die Mittel einer gehörigen Interessenvertretung selbst zu bestimmen. In diesem Selbstbestimmungsrecht genießen Körperschaften des öffentlichen Rechts [der gesellschaft­ lichen Selbstverwaltung] […] einen im Vergleich zu sonstigen öffentlich-recht­ lichen Körperschaften vermehrten, auch verfassungsrechtlichen Schutz.“488 Diese Theorie basiert auf der Annahme, dass der IHK verschiedenartige Aufgaben übertragen worden sind, aus denen eine gespaltene Rechtsstellung folgt. „Öffentlichrechtlich sind der Zwangscharakter des Zusammenschlusses, sein Zwangsbestand, die notwendig demokratische Struktur der Willensbildung im Verband und die Verpflichtung zur Interessenwahrnehmung. Wie die zu vertretenden Interessen hingegen beschaffen sind, welche Einflußnahme auf den Staat gewählt wird, bleibt der freien Disposition des Verbandes vorbehalten.“489 Dieser rechtsmethodische Einfall ist wahrlich nicht leicht zu fassen. Angewendet auf die IHK bedeutet er, dass sie in Gänze als Körperschaft des öffentlichen Rechts zu behandeln und den

485

Salzwedel, Staatsaufsicht in der Verwaltung, VVDStRL 22 (1963), 1965, 206 (223). Oberndorfer, WiVerw 1979, 129 (143). Die auf S. 144 angekündigte „Neuorientierung der Staatsaufsicht“ wird mit dem Beitrag Binder, WiVerw 1979, 175–192 geleistet, während mit den Ausführungen bei Fröhler, WiVerw 1979, 144–156; ders., Der Grundrechtsschutz der interessenvertretenden Körperschaften des öffentlichen Rechts, in: Schäffer (Hg.), FS Melichar, 1983, 9–16 dargelegt wird, warum die IHK entgegen der schon damals ganz herrschenden Ansicht als Grundrechtsträger im Sinne von Art. 19 Abs. 3 GG anzusehen sei. 487 Oberndorfer, WiVerw 1979, 129 (143). 488 Oberndorfer, WiVerw 1979, 129 (143 f.)  – Hervorh. i. O. Gleichgerichtet Fröhler, Inte­ ressenvertretung durch Wirtschaftskammern, in: Listl / Schambeck, (Hg.), FS Broermann, 1982, 687 (692). 489 Fröhler / Oberndorfer, Körperschaften des öffentlichen Rechts und Interessenvertretung, 1974, S. 90. 486

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dazugehörigen Bindungen unterworfen ist, wenn wirtschaftsverwaltende Aufgaben wahrgenommen werden. Nimmt die Kammer hingegen die Aufgabe Interessenrepräsentanz wahr, wird der öffentlich-rechtliche Charakter negiert und eine Freiheit von dem damit einhergehenden Rechtskorsett postuliert. Diesem Gedankengebäude ist insbesondere entgegenzuhalten, dass die Annahmen dem unverkennbaren Willen des Gesetzgebers widersprechen, der zwar Aufgaben verschiedenen Charakters übertragen, aber keinesfalls eine doppelte Rechtsstellung der IHK begründen wollte. Dass es sich in der Hauptsache um ein Ansinnen rechtspolitischer Natur handelt, wird deutlich, wenn man den Kontext der Ausführungen betrachtet. Es nimmt nicht wunder, dass die Autoren eine Freiheit von den öffentlich-rechtlichen Bindungen gerade für den Bereich fordern, in dem diese als besonders hinderlich erscheinen, um ihre Vorstellungen von der Möglichkeit zur Bekämpfung der wirtschaftspolitischen Absichten der Regierung Wirklichkeit werden zu lassen. „[D]aß die Mitglieder öffentlicher Zwangsverbände einen im Verwaltungsrechtsweg verfolgbaren Anspruch darauf haben, daß sich der Verband auf die ihm gesetzlich zugewiesenen Aufgaben beschränke“, bezeichnen die Autoren etwa als „[u]nhaltbar“.490 Aufmerksamkeit verdient auch der ahistorische Umgang mit dem Begriff der Gleichschaltung, den Fröhler und Oberndorfer für die Kennzeichnung des Rechtskreises einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verwenden.491 Aus einem rechtsmethodischen Blickwinkel wird virulent, dass die Auffassung nicht zu erklären vermag, warum die Rechtsstellung der IHK je nach Aufgabenbereich abwechseln soll, während eine Abbildung dieses Prozesses bei den Organen unterbleibt. So verfügt die IHK trotz ihres mehrgliedrigen Aufgabenbestands nur über eine Vollversammlung, ein Präsidium, einen Präsidenten und einen Hauptgeschäftsführer. Weil überdies im Unklaren bleibt, welche Bindungen an die leergewordene Stelle treten, ergibt sich insgesamt eine vehemente Absage gegenüber der Kategorie gesellschaftlicher Selbstverwaltung. Die Aufgabe Interessenrepräsentanz kann nicht außerhalb einer Hülle wahrgenommen werden, die durch die öffentlich-rechtliche Verfasstheit der IHK bereits abschließend vorgegeben ist. 2. IHKG Der vorstehende Abschnitt zeigt vielfache Verbindungslinien zwischen den Direktiven der Verfassung und der Auslegung und Anwendung von § 1 Abs. 1 IHKG auf. Das grundgesetzlich Geforderte lässt sich in Teilen nicht erhellen, wenn keine Klarheit über die gesetzlichen Determinanten des Hauptauftrags der IHK besteht. Dieses Defizit soll nunmehr behoben werden. 490

Fröhler / Oberndorfer, Körperschaften des öffentlichen Rechts und Interessenvertretung, 1974, S. 77. 491 S. Fröhler / Oberndorfer, Körperschaften des öffentlichen Rechts und Interessenvertretung, 1974, S. 90.

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a) Verbandskompetenz Zuvörderst ist nach den Grenzen der Verbandskompetenz der IHK zu fragen. Damit steht ein wahrer „Klassiker“ des Verwaltungsrechts zur Erörterung, der spätestens große Bekanntheit erlangte, nachdem verschiedene Gemeindevertretungen im Rahmen kommunaler Außenpolitik ihr Gemeindegebiet zur „atomwaffenfreien Zone“ erklärt hatten.492 Auch für die IHK ist zu beantworten, ob ihr ein allgemeinpolitisches Mandat – verstanden als uneingeschränkte Kundgabe von Meinungen und Forderungen in beliebig anmutenden Politikbereichen – zukommt oder sie lediglich für spezialpolitische Fragen eine Kompetenz erhalten hat. Unter Ansehung von § 1 Abs. 1 IHKG liegt das Zugeständnis eines allgemeinpolitischen Mandats zunächst fern. Die IHK hat danach „das Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirkes wahrzunehmen, für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft zu sorgen und dabei die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen“. Doch zwingen zwei Umstände zu einer näheren Auseinandersetzung. Erstens nehmen Teile der Literatur eine abweichende Position ein.493 Zweitens ist teilweise eine Verwaltungspraxis zu beobachten, die nahelegt, dass die zutreffende Rechtsauffassung noch unbekannt sein könnte. aa) Kein allgemeinpolitisches Mandat Im Verlauf der einschlägigen Rechtsprechungslinie hat das Bundesverwaltungsgericht nahezu jeder interessenvertretenden Körperschaft bescheinigt, dass ihr gesetzlicher Wirkungskreis auf spezielle Themen begrenzt ist und Überschreitungen der Zuständigkeit das Verdikt der Rechtswidrigkeit nach sich ziehen. Mit einiger Berechtigung ist daher in der eingeschränkten Verbandskompetenz ein tragendes Fundament der körperschaftlichen Gruppenrepräsentation zu erkennen.494 Ihren Anfang nahm die Rechtsprechungstradition bei den verfassten Studierendenschaften, die vor allem im Zusammenhang mit den politischen Bewegungen der 68er Jahre ein allgemeinpolitisches Mandat reklamierten. Damals wies das Bundesgericht mehrfach mit grundsätzlichen Erwägungen darauf hin, dass sich

492

S. dazu nur Díaz González, JöR 68 (2020), 587 (591 ff.); Gern / Brüning, Deutsches Kommunalrecht, 4. Aufl. 2019, Rn. 94 f. Zu neueren Frage über die Reichweite der Verbandskompetenz Brüning / Rambow / Yasin, Kommunales Verbot von Außenwerbung am Beispiel alkoholhaltiger Getränke, 2020, S. 76 ff. 493 Fröhler / Oberndorfer, Körperschaften des öffentlichen Rechts und Interessenvertretung, 1974, S. 77. 494 Mußgnug, Das politische Mandat öffentlich-rechtlicher Körperschaften und seine verfassungsrechtlichen Grenzen, in: Hailbronner / Ress / Stein (Hg.), FS Doehring, 1989, 665 (669).

III. Rechtsrahmen 

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öffentlich-rechtliche Verbände auf die ihnen durch Gesetz zugewiesenen Aufgaben zu beschränken haben.495 Dass sich eine Kammer bei Stellungnahmen und sonstigen Verlautbarungen zu politischen und gesellschaftlichen Fragen im Rahmen des gesetzlichen Wirkungskreises halten muss, hat das Gericht unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die vorstehenden Judikate 1981 auch für die Steuerberater- und Ärztekammer bekräftigt.496 Knapp zwei Jahrzehnte später führte ein höchstrichterliches Urteil auch der IHK vor Augen, dass sie die Verbandskompetenz missachtet hatte. Soweit ersichtlich hatte erstmals ein Kammerzugehöriger gegen seine IHK den Klageweg beschritten und einen Anspruch auf Unterlassung gesetzesfremder Tätigkeiten geltend gemacht.497 Das Bundesverwaltungsgericht hatte die Zugehörigen der IHK zuvor (1998) unter Verweis auf die eigene Rechtsprechung einigermaßen offenkundig auf die bisher ungenutzten Klagemöglichkeiten hingewiesen,498 obwohl es sich um ein Verfahren handelte, in dem die grundlegendere Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Pflichtmitgliedschaft zur Beantwortung stand. Der nachfolgend erhobenen Klage lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem sich eine IHK mit einer Einlage i. H. v. 10 % des Stammkapitals an einer GmbH beteiligte, die den zivilen Weiterbetrieb eines vormaligen Militärflughafens zum Gegenstand hatte. Der Beschluss der Vollversammlung basierte auf einer Vorlage, die die Schwierigkeit beschrieb, Flugzeuge der allgemeinen Luftfahrt unter 2 Tonnen, die zu gewerblichen Zwecken verwendet werden, in der Region der IHK unterzubringen. Die Vorlage zielte darauf ab, „die Voraussetzungen für die zivile Mitbenutzung der Militärflugplätze zu gewerblichen Zwecken zu schaffen“. Jedoch bildete die „zivile Nutzung oder Mitbenutzung des Militärflug­hafens“ den Unternehmensgegenstand der GmbH.499 Die Minderheitsbeteiligung hatte die beklagte IHK mit der Aufgabe der Vertretung des gewerblichen Gesamtinteresses gem. § 1 Abs. 1 IHKG begründet. Denn die eigentlich speziellere Ermächtigung aus § 1 Abs. 2 IHKG bot für diese Unternehmung keine ausreichende Rechtsgrundlage.500 495

BVerwG, Urt. v. 26. September 1969 – VII C 65.68 –, BVerwGE 34, 69; Urt. v. 13. Dezember 1979 – 7 C 58/78 –, BVerwGE 59, 231; Urt. v. 13. Dezember 1979 – 7 C 65/78 –, BVerwGE 59, 242. Dazu umfassend Ridder / Ladeur, Das sogenannte politische Mandat von Universität und Studentenschaft, 1973. 496 BVerwG, Urt. v. 24. September 1981 – 5 C 53/79 –, BVerwGE 64, 115; Urt. v. 17. Dezember 1981 – 5 C 56/79 –, BVerwGE 64, 298. 497 BVerwG, Urt. v. 19. September 2000 – 1 C 29/99 –, BVerwGE 112, 69. Umfassend hierzu Jahn, GewArch 2001, 146–153; Leisner, BayVBl 2001, 609–616; Kannengießer, GewArch 1998, 182 (189 f.). 498 BVerwG, Urt. v. 21. Juli 1998 – 1 C 32/97 –, BVerwGE 107, 169 (174 f.). 499 Sachverhalt entnommen aus BVerwG, Urt. v. 19. September 2000 – 1 C 29/99 –, BVerwGE 112, 69 (70). 500 Das Gericht konstatierte, dass die Voraussetzungen von § 1 Abs. 2 IHKG gegenüber § 1 Abs. 1 IHKG „enger“ seien (BVerwG, Urt. v. 19. September 2000 – 1 C 29/99 –, BVerwGE 112, 69 [74]). Nach gerichtlicher Auffassung ist im Zusammenhang mit § 1 Abs. 2 IHKG stets

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C. Der Auftrag gewerbliche Interessenrepräsentanz  

Dieser Argumentation, die sich als Vorbereitungs-, Planungs-, oder Förderungshandlung im Rahmen der Errichtung einer Infrastruktureinrichtung zu gewerblichen Zwecken zusammenfassend umschreiben lässt, konnte das BVerwG Etwas abgewinnen. Nach dem Urteil stellt auch eine (Minderheits-)Beteiligung an einer Betreibergesellschaft nach „Maßgabe der Umstände des Einzelfalls […] ausnahmsweise“ ein zulässiges Mittel der interessenrepräsentierenden Tätigkeit dar.501 Mit Blick auf § 1 Abs. 1 IHKG war allerdings problematisch, dass neben der IHK auch zwei privatrechtlich organisierte Fliegervereinigungen als Mitgesellschafter an der Betreibergesellschaft des Flughafens beteiligt waren und ein Gesellschaftsvertrag zur Unterstützung der allgemeinen Luftfahrt verabredet worden war. Hinzu kam, dass diese Ziele auch im Widerspruch zu dem Beschluss der Vollversammlung standen, der die zivile Mitbenutzung zu gewerblichen Zwecken beinhaltete. Es stand insgesamt zu befürchten, dass sich die IHK an der Förderung des allgemeinen öffentlichen Interesses beteiligt hatte, wohingegen das IHKG nur die Förderung der besonderen Interessen der gewerblichen Wirtschaft erlaubt. Das BVerwG stellte fest, dass es für die Frage nach der Vereinbarkeit zwischen der mit dem Gesellschaftsvertrag zum Ausdruck gebrachten Tätigkeit und § 1 Abs. 1 IHKG an Sachverhaltsermittlungen fehlte. Im Anschluss an die Zurückverweisung und vor der Entscheidung durch das Berufungsgericht trat eine Änderung des Gesellschaftsvertrages in Kraft. Unternehmensgegenstand war nunmehr die „zivile Nutzung oder Mitbenutzung des Militärflugplatzes […], wobei die Verfolgung dieses Gesellschaftszwecks durch die Industrie- und Handelskammer […] sich im Rahmen des Beschlusses ihrer Vollversammlung […] hält. Die IHK wird sich nicht am Betrieb des Flugplatzes beteiligen, sondern lediglich als Gesellschafterin mithelfen, die Voraussetzungen für die Aufnahme des Flugbetriebs zu schaffen. Dazu gehört auch die Schaffung einer Zufahrt zum Flugplatz als Vorbereitung des Flugplatzbetriebs. Nach Beendigung der Anschubphase wird sich die IHK aus der Gesellschaft zurückziehen“.502 Auf Grundlage des geänderten Gesellschaftsvertrages erachtete das Berufungsgericht die Beteiligung der IHK für kompetenzgemäß und wies die Klage des Kammerzugehörigen ab. Das Verfahren war dennoch maßstabsetzend: Ein Bundesgericht bescheinigte der IHK erstmals, dass sie keinesfalls über ein allgemeinpolitisches Mandat verzu fordern, dass die Anlage oder Einrichtung auf ein spezifisches Interesse der gewerblichen Wirtschaft ausgerichtet sei und von diesem gefordert werde. Dient eine Anlage oder Einrichtung hingegen dem allgemeinen öffentlichen Interesse oder Wohl, darf sich eine IHK auf Grundlage von § 1 Abs. 2 IHKG nicht an ihrer Begründung, Unterhaltung oder Unterstützung beteiligen (BVerwG, Urt. v. 19. September 2000 – 1 C 29/99 –, BVerwGE 112, 69 [Ls. 1 u. 74 f.]). Dass § 1 Abs. 2 IHKG das Vorliegen eines spezifischen Interesses der gewerblichen Wirtschaft erforderlich macht, kann auch mit grundlegenderen Überlegungen begründet werden. Es gilt zu bedenken, dass ohne dieses Kriterium das Finanzierungspotenzial der Kammerzugehörigen für den Betrieb einer Einrichtung verwendet werden könnte, die überwiegend oder sogar zu einem wesentlichen Teil organisationsexternen Anliegen zugutekäme. 501 BVerwG, Urt. v. 19. September 2000 – 1 C 29/99 –, BVerwGE 112, 69 (76 f.). 502 VGH München, Urt. v. 3. April 2001 – 22 B 00.3253 –, juris Rn. 1.

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fügt. Tätigkeiten, die dieser Maßgabe zum Trotz entfaltet werden, sind kompetenzwidrig. Sie sind von der Rechtsaufsicht mit Aufsichtsmitteln und von den Kammerzugehörigen im Klagewege verfolgbar. bb) Inhalt des gewerbepolitischen Mandats Das Vorstehende beschreibt nicht in positiver Wendung, welchen Inhalt das Mandat der IHK annimmt. Das Bundesverwaltungsgericht führte hierzu lediglich aus: „Die in § 1 Abs. 1 IHKG genannte Aufgabe lässt sich als Vertretung der Interessen der gewerblichen Wirtschaft im weitesten Sinn umschreiben. Da sehr viele öffentliche und staatliche Aufgaben die gewerbliche Wirtschaft berühren, ist diese Aufgabe kaum exakt eingrenzbar. Selbst dort, wo Belange der gewerblichen Wirtschaft nur am Rande berührt sind, ist es den Industrie- und Handelskammern grundsätzlich gestattet, das durch sie repräsentierte Gesamtinteresse zur Geltung zu bringen.“503 Zieht man die neuere Rechtsprechung des BVerwG heran, die sich auch das BVerfG zu eigen gemacht hat,504 gelingt zumindest eine grundlegende Beantwortung der Frage. Danach umfasst das Mandat einen zulässigen Kern- und Randbereich. Hier darf sich die IHK Gehör verschaffen. Überschreitet sie den Randbereich, handelt es sich um eine vom gesetzlichen Aufgabenkreis nicht mehr gedeckte und daher unzulässige Beschäftigung mit allgemeinpolitischen Fragen.505 Die Verbandskompetenz der IHK ist für Themen eröffnet, die eine unmittelbare spezifische Betroffenheit der gewerblichen Wirtschaft annehmen lassen („Kernbereich der Wirtschaftspolitik“506). Fragen im Randbereich sollen vorliegen, wenn Belange der gewerblichen Wirtschaft am Rande berührt sind.507 Die Ermittlung der Grenzen des Randbereichs stellt sich jedoch  – dies zeigt auch der pleonas­ tische Hinweis des Bundesverwaltungsgerichts – als ein schwieriges Unterfangen dar. Der VGH Hessen hat diesbezüglich auf das Kriterium der Ressortnähe, der Mittelbarkeit und der Unterscheidung zwischen weichen und harten Standortfaktoren verwiesen. Er hat angenommen, dass mit zunehmender „Ressortferne“ der zulässige Umfang und das zulässige Gewicht der Betätigung begrenzt werden.508 Zuvor erdachte bereits das OVG NRW eine Je-desto-Formel mit folgendem Inhalt: 503

BVerwG, Urt. v. 19. September 2000 – 1 C 29/99 –, BVerwGE 112, 69 (74). BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 110, 117 u. 126). 505 Visualisierung bei Eisenmenger, Das spezialpolitische Mandat der Kammern  – Grund­ lagen, Grenzen und verfahrensrechtliche Aspekte, in: Kluth (Hg.), JbKBR 2010, 2011, 51 (57); ders., Interessenvertretung und Beratung, in: Kluth (Hg.), HbKR, 2. Aufl. 2011, § 8 Rn. 78. 506 BVerwG, Urt. v. 23. Juni 2010 – 8 C 20/09 –, BVerwGE 137, 171 (Rn. 25). So bereits die Vorinstanz VGH Hessen, Urt. v. 5. Februar 2009 – 8 A 1559/07 –, juris Rn. 68. 507 BVerwG, Urt. v. 23. Juni 2010 – 8 C 20/09 –, BVerwGE 137, 171 (Ls. 1) unter Verweis auf BVerwG, Urt. v. 19. September 2000 – 1 C 29/99 –, BVerwGE 112, 69. 508 VGH Hessen, Urt. v. 5. Februar 2009 – 8 A 1559/07 –, juris Rn. 69. Kritisch dazu Jahn, GewArch 2009, 434–441. 504

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C. Der Auftrag gewerbliche Interessenrepräsentanz  

„Je stärker spezifische Interessen der gewerblichen Wirtschaft berührt sind, desto nachhaltiger kann die interessenwahrende Tätigkeit der Kammer sein. Umgekehrt begrenzt ein geringes Interesse der gewerblichen Wirtschaft an einer bestimmten Maßnahme den zulässigen Umfang und das Gewicht der Betätigung der Kammer entsprechend.“509 Die Annahmen des VGH Hessen hielten einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand. Das Bundesverwaltungsgericht verwies auf ihre Unbestimmtheit sowie mangelnde Praktikabilität und erläuterte, dass abweichende Auffassungen in den verschiedenen Branchen über die Annahme von „weichen“ Standortfaktoren vorherrschten.510 Nachdem das BVerwG zunächst die Auffassung vertrat, dass eine Befassung zulässig sei, wenn der betreffende Sachverhalt nachvollziehbare Auswirkungen auf die Wirtschaft im IHK-Bezirk bedingt,511 setzt es nunmehr spezifische Auswirkungen voraus.512 Dagegen genüge nicht, dass die Folgen einer politischen Entscheidung „in irgendeiner weiteren Weise auch die Wirtschaft“ berührten oder die Gewerbetreibenden im Kammerbezirk davon ebenso betroffen seien wie andere.513 Der „erforderliche spezifische Wirtschaftsbezug“ muss sich aus der Äußerung selbst, aus ihrer Begründung oder ihrem textlichen Zusammenhang ergeben. Er muss umso genauer dargelegt werden, je weniger offenkundig er ist.514 Die Literatur zieht daraus den zutreffenden Schluss, dass die Suche nach dem Bezug zur gewerblichen Wirtschaft des Bezirks keinem Dritten überlassen werden dürfe, sondern selbst zu besorgen sei.515 Richtig ist ferner die Einschätzung, dass sich vor den Maßgaben der Rechtsprechung wohl nur im Einzelfall erhellen lässt, ob die Verbandskompetenz gewahrt wird.516 Eine gesonderte Erwähnung verdient ein Vorgang, in dem sich die HK Hamburg zu Verfassungsordnungen mit dem Inhalt direktdemokratischer Möglichkeiten unter dem Titel „Gegenblockaden durch Minderheiten“ äußerte und sich gegen die geplante Verringerung der quantitativen Voraussetzungen eines Volksentscheids aussprach. Das OVG Hamburg erachtete dies, gemessen an § 1 Abs. 1 IHKG, für zulässig. Denn die beabsichtigte Gesetzesänderung könne „Gefahren für 509

OVG NRW, Urt. v. 12. Juni 2003 – 8 A 4281/02 –, juris Rn. 37. BVerwG, Urt. v. 23. Juni 2010 – 8 C 20/09 –, BVerwGE 137, 171 (Rn. 26). 511 BVerwG, Urt. v. 23. Juni 2010 – 8 C 20/09 –, BVerwGE 137, 171 (Rn. 31). 512 BVerwG, Urt. v. 23. März 2016 – 10 C 4/15 –, BVerwGE 154, 296 (Rn. 29). Ähnlich bereits BVerwG, Urt. v. 23. Juni 2010 – 8 C 20/09 –, BVerwGE 137, 171 (Rn. 31 – Hervorh. n. h.): „Da eine Industrie- und Handelskammer jeweils nur die Interessen der ihr zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirks wahrnehmen darf, muss sich auch der Sachverhalt, zu dem sie sich äußert, auf die gewerbliche Wirtschaft im eigenen Bezirk konkret erkennbar auswirken“. 513 BVerwG, Urt. v. 23. März 2016 – 10 C 4/15 –, BVerwGE 154, 296 (Rn. 29). Ähnlich bereits BVerwG, Urt. v. 23. Juni 2010 – 8 C 20/09 –, BVerwGE 137, 171 (Rn. 31). 514 BVerwG, Urt. v. 23. März 2016 – 10 C 4/15 –, BVerwGE 154, 296 (Rn. 29). 515 Eisenmenger, Interessenvertretung und Beratung, in: Kluth (Hg.), HbKR, 2. Aufl. 2011, § 8 Rn. 76. 516 Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, § 1 Rn. 18, 22. 510

III. Rechtsrahmen 

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die wirtschaftliche Entwicklung Hamburgs und damit die Interessen der gewerblichen Wirtschaft insgesamt sowie für zukünftige Stadtentwicklungs- und Infrastrukturvorhaben“ mit sich bringen. Eine IHK dürfe sich auch „an der allgemeinen politischen Diskussion beteiligen, soweit wirtschaftliche Fragen berührt“ seien.517 Die Entscheidung wird retrospektiv zutreffend als „nur noch schwer vertretbar“ eingeschätzt.518 Immerhin ist ein spezifischer Wirtschaftsbezug wohl kaum darin zu sehen, wenn zukünftig, potenziell und zu einem bisher unbekannten, aber möglicherweise die gewerbliche Wirtschaft betreffenden Thema ein Volksentscheid abgehalten werden könnte. cc) Das gewerbepolitische Mandat im Spiegel der Rechtsprechung Die vorstehenden Erkenntnisse lassen sich veranschaulichen, wenn man sich die Begründungen des Bundesverwaltungsgerichts für die bislang entschiedenen Streitigkeiten vor Augen führt. Den Gegenstand des populärsten Judikats bildete die sog. Limburger Erklärung.519 Dabei handelte es sich um die thesenartige Zusammenfassung eines Grundsatzpapiers mit dem Titel „Gewerbe- und Industriestandort Hessen“, das die Arbeitsgemeinschaft der hessischen Industrie- und Handelskammern an die Landesregierung adressierte. Das Papier enthielt allgemein gehaltene Ansprüche520, aber auch konkrete Forderungen zur Bildungs-521, Hochschul-522, 517

Zitate bei OVG Hamburg, Beschl. v. 12. Oktober 2007 – 1 Bs 236/07 –, juris Rn. 8. Zitat bei Hövelberndt, DÖV 2011, 628 (633). Ebenso Jesse, Rechtliche Anforderungen an die Interessenvertretung durch Industrie- und Handelskammern in Fällen der Volksgesetzgebung und Bürgerentscheide, 2015, S. 23. Äußerst fragwürdig ist, wenn dieser Beschluss – ohne erläuternden Zusatz – als Stand der Rechtsprechung ausgegeben wird (so aber Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, § 1 Rn. 22 m. Fn. 28). 519 Sachverhalt entnommen aus BVerwG, Urt. v. 23. Juni 2010 – 8 C 20/09 –, BVerwGE 137, 171, juris Rn. 2, 9 u. 36. 520 „Darüber hinaus fordern die Industrie- und Handelskammern die Landesregierung in diesem Positionspapier auf, sich im Bundesrat vor allem für die dringend notwendigen Reformen in der Steuer- und Arbeitsmarktpolitik stark zu machen. Das Land braucht ein politisches Bekenntnis zur Industrie als Basis der Wertschöpfungskette. Deutschland muss zu einer wirtschaftsfreundlichen und berechenbaren Steuer- und Arbeitsmarktpolitik zurückfinden.“ 521 „Die Schulreform ist mit dem Ziel größerer Gestaltungsautonomie für die Schulen fortzusetzen. Der Ausbau der Ganztagsbetreuung ist dabei sicherzustellen. Der Industriestandort Hessen braucht exzellent ausgebildetes Humankapital. […] Vor diesem Hintergrund erwartet die hessische Wirtschaft, dass in Kürze Kerncurricula eingeführt werden, in denen sozialen und methodischen Kompetenzen ein stärkeres Gewicht eingeräumt wird. Die Entschlackung der Lehrpläne lässt Raum zur intensiven Vermittlung der von der Industrie erwarteten Kompetenzen und Arbeitstechniken. Die bundesweite Einführung des 12-jährigen Abiturs und die Diskussion über neue Arbeitszeitregelungen für Lehrerinnen und Lehrer sollte dafür genutzt werden, eine Reduzierung der unterrichtsfreien Zeit von 12 auf 9 Wochen vorzunehmen.“ 522 „Die Hochschulen sind mit professionellem Management auszustatten. Das Land Hessen muss sich in diesem Zusammenhang für die Änderung des Hochschulrahmengesetzes einsetzen, um sozialverträgliche Studiengebühren einführen zu können.“ 518

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C. Der Auftrag gewerbliche Interessenrepräsentanz  

Umwelt-523 Energie-524 und Verkehrspolitik525. Während das Bundesverwaltungsgericht die Forderungen zur Verkehrs-, Energie- und Umweltpolitik unter Verweis auf die im weiteren Verlauf des Grundsatzpapiers ergangene Begründung als kompetenzgemäß ansah,526 erfolgte eine tiefergehende Auseinandersetzung mit den Vorschlägen zur zukünftigen Ausrichtung der Bildungs- und Hochschulpolitik. In den Ausführungen zur Bildungspolitik erkannte das Gericht kompetenzwidrige Stellungnahmen allgemeinpolitischen Inhalts, weil mit der Bezugnahme auf die Lage in den allgemeinbildenden Schulen nur „allgemeine bildungspolitische Argumente“ berücksichtigt wurden. Diese seien zwar „auch für die Wirtschaft von Belang“, aber berührten die Kompetenz der IHK nicht spezifisch.527 Zum gleichlautenden Ergebnis gelangte das Gericht für die Standpunkte zur Hochschulpolitik. Es stellte fest, dass eine Kompetenz zur Stellungnahme über hochschulinterne Organisations- und Mitarbeiterfragen oder die Forderung nach Studiengebühren nicht bestehe.528 Unabhängig davon ergab sich die Veröffentlichung des Grundsatzpapiers und der vorangestellten „Limburger Erklärung“ aber insgesamt als rechtswidrig, weil sie unter Verstoß gegen das vorgeschriebene Verfahren529 zustande gekommen war. Außerdem missachteten mehrere Äußerungen die notwendige Form. Angesichts dieses verwaltungsgerichtlichen Rundumschlags kann es kaum verwundern, dass das Urteil enorme Folgewirkungen für die Verwaltungspraxis zeitigte. Es ist etwa die Rede von einer „Leitentscheidung für das gesamte Kammerwesen“.530 Das BVerwG bestätigte 2020 seine bisherige Linie mit Blick auf die Verbandspraxis des DIHK und benannte zahlreiche Stellungnahmen allgemeinpolitischen Inhalts. Davon erfasst waren Äußerungen zu Einreisebeschränkungen der Vereinigten Staaten für muslimische Länder, zum einheitlichen Auftreten Europas gegenüber den Vereinigten Staaten und deren Verhältnis zu Mexiko. Unzulässig waren ferner Positionierungen zur Aufwertung des Themas der inneren und äußeren Sicherheit in Europa, zur Bedeutung der Themen Aufklärung und Rechtspopulismus in der nächsten Legislaturperiode, zu den innenpolitischen Schwierigkeiten Kenias, zur Notwendigkeit einer Entscheidung über die „Große 523

„Staatlicher Normensetzung muss grundsätzlich eine Abschätzung der Folgen für die internationale Wettbewerbsfähigkeit vorausgehen. Vorhaben wie REACH (neue EU-Chemikalienpolitik) müssen deshalb verhindert werden.“ 524 „Die ständig wachsenden Abgaben und Steuern auf den Energieverbrauch müssen gestoppt und reduziert werden. Der stark wachsende Weltenergieverbrauch macht den Einsatz aller Energieträger erforderlich. Dazu gehört die Kernenergie. Dem muss die Politik Rechnung tragen.“ 525 „Der Flughafen Frankfurt muss zügig wettbewerbsgerecht und auf der Grundlage des Mediationsergebnisses ausgebaut werden.“ 526 BVerwG, Urt. v. 23. Juni 2010 – 8 C 20/09 –, BVerwGE 137, 171, juris Rn. 39 ff. 527 BVerwG, Urt. v. 23. Juni 2010 – 8 C 20/09 –, BVerwGE 137, 171, juris Rn. 36. 528 BVerwG, Urt. v. 23. Juni 2010 – 8 C 20/09 –, BVerwGE 137, 171, juris Rn. 38. 529 Dazu näher unter E. V. 2. 530 So Kluth, GewArch 2012, 424. Eisenmenger, Interessenvertretung und Beratung, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 8 Rn. 61 spricht von einem „wegweisend[en]“ Urteil.

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Koalition“ und der ausreichenden Zahl regierungsfähiger Politiker, zur Sicherung der EU-Außengrenzen sowie zur Rolle des einstmaligen Präsidenten des Verfassungsschutzes.531 b) Regionale Gebundenheit Es stellt sich noch die Frage, welche Rechtsbindungen das Gesetz erzeugt, wenn es die IHK darauf beschränkt, das Gesamtinteresse „der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirkes wahrzunehmen“. Bei vordergründiger Betrachtung ließe sich annehmen, dass der räumliche Wirkungskreis dadurch begrenzt wird. Nach einem genaueren Hinsehen steht indes fest, dass die Aufgabe Interessenrepräsentanz auch dann wahrgenommen werden kann, wenn ihr Inhalt überregionale Bezüge aufweist. Die IHK kann auch auf kommunaler, Landes-, Bundes- oder europäischer Ebene Tätigkeiten entfalten, wenn und soweit konkrete und erkennbare Auswirkungen auf das Interesse der in ihrem Bezirk ansässigen Gewerbetreibenden zu besorgen sind.532 Diese Sichtweise erkennt an, dass die Bedürfnisse der gewerblichen Wirtschaft in einer vernetzten, vermehrt global agierenden, in Wirtschaftsräumen denkenden Ökonomie durch Entscheidungen auf allen Ebenen der Staatlichkeit herausgefordert werden. Demgegenüber würde der Auftrag zu eng verstanden, wenn man annähme, dass sich eine IHK nur zu Vorgängen äußern dürfte, die sich in ihrem Kammerbezirk ereigneten oder ausschließlich dort Relevanz erlangten. Immerhin bewirkt bereits die Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeit für das Recht der Wirtschaft eine Verlagerung von den Ländern auf die Bundesebene (vgl. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 i. V. m. Art. 72 Abs. 2 GG). Dieser Kompetenzbereich wird zusehends durch die Rechtsetzung der Europäischen Union unter der Zielsetzung der Verwirklichung eines einheitlichen Binnenmarkts (Art. 26 Abs. 1 AEUV), d. h. auf supranationaler Ebene „belegt“. In einer zunehmend globalistischen Welt fordern vor allem wirtschaftspolitische Entschließungen oberhalb des Kammerbezirks die Bedürfnisse der Gewerbetreibenden heraus. Ganz in diesem Sinne entschied auch das Bundesverwaltungsgericht, dass sich die IHK an Adressaten außerhalb

531

BVerwG, Urt. v. 14. Oktober 2020 – 8 C 23.19 –, juris Rn. 25. Tendenziell gleichgerichtet BVerwG, Urt. v. 23. Juni 2010 – 8 C 20/09 –, BVerwGE 137, 171 (Rn. 31); Meyer, GewArch 2006, 305; Hövelberndt, DÖV 2011, 628 (633 f.); Möllering, WiVerw 2001, 25 (54 f.); Jahn, GewArch 2009, 434 (438); Eisenmenger, Interessenvertretung und Beratung, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 8 Rn. 20; Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, § 1 Rn. 13; Günther, in: v.  Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 86. EL Februar 2021, § 1 IHKG Rn. 68. Die zu dieser Frage in der Literatur wahrnehm­baren Auffassungen enthalten Unterschiede im Detail. So befindet Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, § 1 Rn. 13, dass das Interesse der Unternehmen des Bezirks nur „berührt“ sein müsse, während Hövelberndt, DÖV 2011, 628 (634) einen „spezifische[n] Bezug zum Kammerbezirk“ für notwendig erachtet. 532

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C. Der Auftrag gewerbliche Interessenrepräsentanz  

ihres Bezirks wenden darf, um z. B. auf wirtschaftspolitische Entscheidungen auf Landes- oder Bundesebene einzuwirken.533 Der Beschränkung auf einen regionalen Wirkungskreis kommt daher nur noch eine geringe verwaltungspraktische Relevanz zu. Aus der Rechtshistorie der Handelskammern, die ebenfalls als örtliche Repräsentanzen auf die Wahrnehmung der Interessen ihres Bezirks festgelegt waren, ist jedoch folgender Vorgang bekannt: „In der Praxis haben denn auch die Handelskammern häufig […] zu Anregungen, die in tatsächlichen Vorkommnissen anderer Kammern ihren Grund hatten, Stellung genommen. Der Brauch, daß Vorstellungen einer Handelskammer den Schwesterkammern zur Unterstützung mitgeteilt und von vielen ohne weitere Nachprüfung und jedenfalls ohne Beibringung weiteren Materials unterstützt werden, ist nicht unbedenklich; er führt dazu, daß die berufenen Stellen der Staatsverwaltung gegen derartige Masseneingaben abgestumpft werden, und diese an Bedeutung auch dann einbüßen, wenn es sich um allgemeine, die Gesamtinteressen von Handel und Industrie berührende Angelegenheiten handelt.“534 Vor diesem Hintergrund darf die Vereinbarkeit von zwei bislang klaglos gebliebenen Vorgängen mit dem Regionalauftrag des § 1 Abs. 1 IHKG angezweifelt werden. So hat der Bayerische Industrie- und Handelskammertag e. V. rechtliche Bedenken gegen die Aufgabenwahrnehmung des Landesrechnungshofs angemeldet, obwohl dieser nur gegenüber der IHK Augsburg die Prüfung der Haushaltsund Wirtschaftsführung angekündigt hatte.535 Zum Rechtsproblem wird ferner, dass die IHK-Vertreter dem Rechnungshof „unnützen bürokratischen Aufwand“ attestierten.536 Ob der DIHK sich zustimmend zur Reform der HwO mit dem Ziel der Aufhebung des Meisterzwangs für eine Vielzahl von Handwerken äußern durfte,537 erscheint ebenfalls äußerst fragwürdig. Dies gilt es umso dringlicher zu

533

BVerwG, Urt. v. 23. Juni 2010 – 8 C 20/09 –, BVerwGE 137, 171 (Rn. 31). In diesem Sinne auch BVerwG, Urt. v. 23. März 2016 – 10 C 4/15 –, BVerwGE 154, 296 (Rn. 28). S. auch BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 104): „[D]enn Europäisierung bedeutet nicht, dass lokale, regionale oder nationale Wirtschaftspolitik ihre Bedeutung verloren hat. Es kann vielmehr gerade im Umgang mit Europä­isierung und Globalisierung besonders wichtig sein, die bezirklichen Perspektiven zur Geltung zu bringen.“ 534 Lusensky, Gesetz über die Handelskammern. Vom 24. Februar 1870 in der Fassung des Gesetzes vom 19. August 1897 – Kommentar, 2. Aufl. 1909, S. 57. 535 Sachverhalt entnommen aus Bayerischer Oberster Rechnungshof, Bericht über die Behinderung der Prüfungstätigkeit des Obersten Rechnungshofs, 2005, S. 2, abrufbar unter https:// www.orh.bayern.de/images/files/Sonderberichte/SB-IHK_2005.pdf. 536 Balzli / Kerbusk, Pflichtwidrige Untreue, Der Spiegel 16/2009, abrufbar unter https://www. spiegel.de/spiegel/print/d-65009846.html. 537 BT-Drs. 15/2083, S. 44: „Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag warnt vor zuviel Emotionalität in der gegenwärtigen Diskussion. Der Abbau von Berufszulassungsschranken fördere die Gründung von selbständigen Existenzen, die besser auf den konkreten Bedarf (z. B. Service rund um das Haus) reagieren können. Dies belebe den Innovationsgeist und gewährleiste die Beseitigung struktureller Defizite, was in der Vergangenheit zahlreiche Branchen längerfristig gestärkt habe. Die befürchteten Insolvenzen gehörten zum Risiko der Selbständigen dazu. Der

III. Rechtsrahmen 

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überdenken, weil § 1 Abs. 1 IHKG die Verbandskompetenz nur eröffnet, „soweit nicht die Zuständigkeit der Organisationen des Handwerks“ gegeben ist. c) Verkürzung des Mandats durch § 1 Abs. 5 IHKG § 1 Abs. 5 IHKG verkürzt die Verbandskompetenz der IHK. Nach dem Wortlaut der Vorschrift gehört die Wahrnehmung sozialpolitischer und arbeitsrecht­ licher Interessen nicht zu den Aufgaben der IHK. Wenngleich die Regelung einen unmissverständlichen Inhalt nahelegt, steht ihre Auslegung und Anwendung im Einzelfall im Streit. aa) Rechtstheoretische Erläuterung Die Regel des § 1 Abs. 5 IHKG stellt kein Lehrbeispiel für gute Gesetzgebung dar. Vielmehr dürfte die Rechts- und Verwaltungspraxis mit der Vorschrift seit den Anfängen überfordert gewesen sein. Wenngleich dahingehende Verlautbarungen nicht ersichtlich sind, lässt sich diese Einschätzung auf ein Urteil des BVerwG gründen.538 Hierzu passt, dass seit dem Richterspruch Forderungen über eine Tilgung des Absatzes erhoben werden539 oder einer restriktiven Auslegung das Wort geredet wird.540 Bezieht man die Gesetzesmaterialien in die Exegese der Norm ein, wird das dem Wortlaut entnommene Vorverständnis aufgesprengt. In dem schriftlichen Bericht des behandelnden Ausschusses heißt es zu § 1 Abs. 5 IHKG: „Durch Einfügung des Abs. 6 [gemeint war Abs. 5] soll klargestellt werden, daß die Wahrnehmung sozialpolitischer und arbeitsrechtlicher Interessen, welche Sache der Arbeitgeberund Arbeitnehmerorganisationen ist, den Industrie- und Handelskammern nicht Meistertitel sei nicht alleiniger Garant für eine gute Ausbildung, Nachhaltigkeit der Unternehmen und Qualität des Produkts. Durch Standardisierung von Ausbildungs- und Prüfungsanforderungen könne der Befähigungsnachweis für eine gute Ausbildung auf nationaler Ebene dienen. Betriebswirtschaftliche Kenntnisse müsse sich jeder Selbständige auch ohne Meisteranforderungen aneignen, um dem Markt erhalten zu bleiben. Wichtiger zur Erhaltung der Qualität der Produkte und zum Schutz vor Gefahren sei aber die ständige Erweiterung des fachlichen Wissens.“ 538 Die mit BVerwG, Urt. v. 23. März 2016 – 10 C 4/15 –, BVerwGE 154, 296 (Rn. 36) entschiedenen Sachverhalte legen – insbesondere in Anbetracht der Eindeutigkeit der Gesetzesverletzungen – die Vermutung nahe, dass die handelnden Akteure die „negative Kompetenzschranke“ (so Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, § 1 Rn. 326) in § 1 Abs. 5 IHKG entweder bewusst übertreten haben oder von ihr keinerlei Kenntnis hatten. 539 Eisenmenger, Die Gesamtinteressenvertretung der Industrie- und Handelskammern – ein zahnloser Tiger?, in: ders. / Kluth / Korte (Hg.), FS Stober, 2018, 85 (94); ders., Neue Überlegungen zur (Gesamt-)Interessenvertretung, in: Kluth (Hg.), JbKBR 2018, 2019, 59 (68). 540 S. dazu die Erläuterung bei Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, § 1 Rn. 327 ff., die mit der Feststellung beginnt, dass „Interpretation und Reichweite“ der Vorschrift „derzeit als offen anzusehen“ seien. Auch Kluth, NVwZ 2021, 345 (348) meint, dass die Rechtsprechung den Zweck der Regelung verkenne und fordert eine „weniger strenge Handhabung“.

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C. Der Auftrag gewerbliche Interessenrepräsentanz  

zusteht. Hierdurch wird aber den Industrie- und Handelskammern nicht verwehrt, allgemeine sozialpolitische und arbeitsrechtliche Fragen, welche die gewerbliche Wirtschaft berühren, zu behandeln.“541 Der Gesetzgeber lässt mit dieser wechselhaften Begründung eine konzise Darstellung des Rechtsgehalts im Unklaren. Es ist äußerst kritikwürdig, wenn der Normgeber einstweilen von einer lediglich klarstellenden Wirkung der Vorschrift ausgeht, wohingegen der apodiktisch formulierte Wortlaut weit über diese Rechtsfolge hinausreicht. Außerdem bekräftigen Teile der Gesetzesbegründung ein am Wortlaut orientiertes Verständnis. In den verschlossenen Themen wird immerhin eine „Sache“ der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen erkannt. Indes ist den Motiven auch zu entnehmen, dass die Befassung mit „allgemeinen“ sozialpolitischen und arbeitsrechtlichen Fragen der IHK nicht verwehrt sein soll. Es stellt sich daher die Frage, welche Fragen des Arbeitsrechts und der Sozialpolitik allgemeiner Natur sind. Eine eindeutige Auffassung für den Gegensatz, d. h. spezielle oder einzelne Fragen dieser Themenbereiche, ist schon nicht ersichtlich. Auch darf die prinzipielle gesetzgeberische Stoßrichtung nicht vernachlässigt werden, die in dem Wortlaut Niederschlag gefunden hat. Sie streitet für eine enge Auslegung von „allgemein“ respektive eine weite Auslegung des Satzbestandteils „nicht“. Zum Problem wird schließlich die Verwendung des schillernden Begriffs der Interessen im „Tatbestand“ der Norm. Bereits der Interessenbegriff provoziert für sich genommen einige Nachfragen über die Reichweite der Vorschrift.542 bb) Das Verständnis der Rechtswissenschaft Die in der Literatur vorherrschende Rechtsmeinung misst der Vorschrift eine lediglich klarstellende Funktion bei.543 Zur Begründung wird regelmäßig die Antwort des Bundesministers für Wirtschaft auf eine kleine Anfrage aus der fünften Legislaturperiode544 angeführt.545 541

Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik zu BT-Drs. 2/2380, S. 2 – Hervorh. n. h. 542 Dazu näher unter C. IV. 4. 543 Möllering, in: Frentzel / Jäkel / Junge, IHKG, 7. Aufl. 2009, § 1 Rn. 262. Anders jedoch ders., Zur rechtlichen Überprüfung von Stellungnahmen der Industrie- und Handelskammern, des Deutschen Industrie- und Handelskammertages und der IHK-Landesarbeitsgemeinschaften, in: Kluth / Müller / Peilert (Hg.), FS Stober, 2008, 391 (401): „konkreter Fall der Begrenzung der IHK-Tätigkeit“; ders., Interessenvertretung durch Kammern – sachliche Reichweite und verfahrensrechtliche Anforderungen, in: Kluth (Hg.), JbKBR 2009, 2010, 21 (28): „Ein echtes „out of bounds“-Thema“. S. ferner Kluth, NVwZ 2021, 345 (348). Missverständlich hingegen ders., NVwZ 2019, 1688 (1689): „[…] § 1 V IHKG, der im Kern lediglich darauf abzielt, den Zuständigkeitsbereich der Tarifparteien abzusichern“. 544 BT-Drs. 5/2218, S. 1: „Die genannte Rechtsvorschrift […] verwehrt den Industrie- und Handelskammern und ihrer Spitzenorganisation nicht, zu sozialpolitischen Fragen Stellung zu nehmen. Dies gilt insbesondere dann, wenn Stellungnahmen im Zusammenhang mit der Beurteilung wirtschaftlicher Tatbestände abgegeben werden.“ 545 So etwa Kluth, NVwZ 2021, 345 (348); Jahn, GewArch 2021, 86 (92 m. Fn. 50).

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Diese Sichtweise provoziert in mehrfacher Hinsicht Kritik. Sie leidet bereits unter einem rechtsmethodischen Fehlschluss. Der Bundeswirtschaftsminister des Jahres 1967 ist nicht der historische Gesetzgeber. Er war nicht ermächtigt, die Vorschrift im Nachhinein kraft eigener Machtvollkommenheit auszulegen. Seine Antwort stellt nicht mehr als eine Rechtsmeinung dar. Ferner übergeht die Auffassung den in die entgegengesetzte Richtung deutenden Wortlaut nahezu nonchalant. Auch unter einem grundsätzlichen Gesichtspunkt ist dieses Verständnis abzulehnen: Die Sichtweise meint, es sei klarstellungsbedürftig, dass der IHK die „Ausübung von Funktionen versagt [sei], die aus der tarifrechtlichen Stellung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbände“ herrührten.546 Indes kann die IHK bereits wegen ihrer Rechtsform und dem Prinzip verpflichtender Zugehörigkeit nicht Träger des Grundrechts der kollektiven Koalitionsfreiheit i. S. v. Art. 9 Abs. 3 GG sein. Die Partizipationsmöglichkeit an tarifvertraglichen Verhandlungen und Vereinbarungen scheidet aus.547 Diese Auffassung hat, soweit ersichtlich, bereits im Zeitpunkt der Gesetzgebung kein Akteur ernsthaft in Zweifel gezogen. Dass es zur Erhellung eines ansonsten fehlgehenden Verständnisses einer gesetzgeberischen Klarstellung bedurfte, ist damit nahezu ausgeschlossen. Klargestellt wissen wollte der Gesetzgeber vielmehr, dass die Wahrnehmung sozialpolitischer und arbeitsrechtlicher Interessen Sache der Tarifpartner sein sollte. Die zu besprechende Rechtsauffassung eröffnet für § 1 Abs. 1 IHKG ein Verständnis, wonach die Beschäftigung mit sozialpolitischen oder arbeitsrechtlichen Fragen der IHK so lange gestattet sei, wie es sich um Fragen von „gesamtwirtschaftlicher Bedeutung“ handele.548 Diese Erzählung hat sich in der Literatur mittlerweile verselbstständigt.549 Dabei bleibt die Bestimmung von Themen mit gesamtwirtschaftlicher Bedeutung vage. Sollen etwa von dem Mandat zur gewerblichen Interessenrepräsentanz lediglich Fragen ausgespart sein, „die ein konkretes individuelles Arbeitsrechtsverhältnis oder konkrete kollektiv- oder tarifrechtliche Beziehungen betreffen“? Nicht einmal dies soll auf Grundlage von § 1 Abs. 5 IHKG geboten sein. Bei entsprechenden Themen sei lediglich „Vorsicht geboten“.550 „Entscheidend“ sei, dass die „wirtschaftlichen Konsequenzen für die gewerbliche Wirtschaft den Ausgangspunkt“ bildeten. Die Grenzen seien „fließend“.551 546 Möllering, in: Frentzel / Jäkel / Junge, IHKG, 7. Aufl. 2009, § 1 Rn. 263. In diesem Sinne bereits Bremer, Kammerrecht der Wirtschaft – Kommentar, 1960, S. 69. 547 Scholz, in: Dürig / Herzog / ders., GG, Stand: 95. EL Juli 2021, Art. 9 Rn. 198 m. w. N. 548 Möllering, in: Frentzel / Jäkel / Junge, IHKG, 7. Aufl. 2009, § 1 Rn. 264. 549 Diese Sichtweise repetieren unter Verweis auf die vorstehende Fundstelle Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 512 u. Hövelberndt, DÖV 2011, 628 (633). Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, § 1 Rn. 334 verweist auf Bremer, Kammerrecht der Wirtschaft  – Kommentar, 1960, S. 69. Ohne Nachweis Günther, in: v.  Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 86. EL Februar 2021, § 1 IHKG Rn. 317. 550 Zitate bei Möllering, Zur rechtlichen Überprüfung von Stellungnahmen der Industrie- und Handelskammern, des Deutschen Industrie- und Handelskammertages und der IHK-Landesarbeitsgemeinschaften, in: Kluth / Müller / Peilert (Hg.), FS Stober, 2008, 391 (401). 551 Möllering, in: Frentzel / Jäkel / Junge, IHKG, 7. Aufl. 2009, § 1 Rn. 264.

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C. Der Auftrag gewerbliche Interessenrepräsentanz  

cc) Das Verständnis der Verwaltungsgerichte In der Rechtsprechung des BVerwG zeichnet sich ein Verständnis über die Interpretation und Reichweite ab, das von der herrschenden Meinung in der Literatur signifikant abweicht. In der ersten höchstrichterlichen Auseinandersetzung heißt es unmissverständlich: „Die Wahrnehmung sozialpolitischer und arbeitsrechtlicher Interessen fällt nach dem eindeutigen Wortlaut des § 1 Abs. 5 IHKG nicht in die Zuständigkeit der Kammern. Diese Interessenvertretung ist Gegenstand der Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger sowie der grundrechtlich geschützten Tätigkeit freiwilliger Vereinigungen wie etwa der freien Wohlfahrtsverbände und der Tarifpartner.“552 Wenige Absätze später befindet das Gericht, dass § 1 Abs. 1 IHKG durch den fünften Absatz „einschränkend konkretisiert“ werde.553 In der Folge ordnete es Stellungnahmen des DIHK gegen die Einführung des Mindestlohns, die sog. Mütterrente, die Sozialagenda und zur Herabsetzung des regulären Renteneintrittsalters auf die Vollendung des 63. Lebensjahres als kompetenzwidrig ein.554 Auch eine nicht näher definierte „mittelbare Vertretung dieser Interessen“ sah das Gericht als ausgeschlossen an.555 Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte 2020 seine bisherige Rechtsprechungs­ tradition mit Blick auf die Tätigkeit des DIHK. Das Gericht erkannte in den Positionierungen zur sozialen Gerechtigkeit in Deutschland, zu den Arbeitsbedingungen von Frauen sowie dem „Equal Pay Day“, zur sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen und zur Verbesserung der Arbeitnehmerstellung durch den Fachkräftemangel einen Verstoß gegen § 1 Abs. 5 IHKG.556 dd) Eigener Standpunkt Nach der hier vertretenen Ansicht hat die Regel des § 1 Abs. 5 IHKG seit ihrer Gültigkeit einen mehr als klarstellenden Charakter entfaltet. Mag sich die Bestimmung des Rechtsgehalts wegen des Rückgriffs auf den Interesseterminus auch nur in konkreten Bezügen ergeben, so gilt es doch festzuhalten, dass der Kompetenzbereich des § 1 Abs. 1 IHKG im Sinne einer Themensperre von vornherein beschnitten wird. Dass hiermit möglicherweise das rechtstheoretisch zutreffende Verständnis gefunden wurde, zeigt auch der Blick in die zu dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ergangenen Anmerkungen. Deren Inhalt erschöpft sich in lediglich

552

BVerwG, Urt. v. 23. März 2016 – 10 C 4/15 –, BVerwGE 154, 296 (Rn. 29). S. aber bereits den erläuternden Zusatz in BVerwG, Urt. v. 21. Juli 1998 – 1 C 32/97 –, BVerwGE 107, 169 (174). 553 BVerwG, Urt. v. 23. März 2016 – 10 C 4/15 –, BVerwGE 154, 296 (Rn. 32). 554 BVerwG, Urt. v. 23. März 2016 – 10 C 4/15 –, BVerwGE 154, 296 (Rn. 36). 555 BVerwG, Urt. v. 23. März 2016 – 10 C 4/15 –, BVerwGE 154, 296 (Rn. 36). 556 BVerwG, Urt. v. 14. Oktober 2020 – 8 C 23.19 –, juris Rn. 26.

III. Rechtsrahmen 

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rechtspolitischen Argumenten.557 Die Anmerkungen sind ferner kritikwürdig, da sie den Eindruck erwecken, dass nur die IHK die Vertretung unternehmerischer Belange in Fragen des Arbeitsrechts und der Sozialpolitik im erforderlichen Ausmaß besorgen könnte.558 Die gesetzgeberischen Erwägungen aus dem Jahr 1956 sind indes von ungebrochener Aktualität. Sie verleihen einer Vorschrift wie § 1 Abs. 5 IHKG ein breites Maß an Rechtfertigung, das über den derzeitigen Stand der rechtswissenschaft­ lichen Diskussion hinausgeht: Die Norm verwirklicht immerhin das Grundprinzip des mitgliedschaftlichen Körperschaftsmodells, das die Kongruenz zwischen Betroffenheit, Beitragspflicht und Mitwirkungsberechtigung fordert.559 Wendet man dieses Modell zur Beantwortung der Frage an, welche Kompetenzen der IHK als einer reinen Unternehmerorganisation zustehen, ist eine Themensperre mit dem Inhalt von § 1 Abs. 5 IHKG nachgerade zwingend. Zwar knüpft die Kammerzugehörigkeit an die Gesamtheit des Unternehmens an (§ 2 Abs. 1 IHKG). Doch steht das aktive und passive Wahlrecht zur Vollversammlung ausschließlich den vertretungsberechtigten Personen zu (§ 5 Abs. 2 IHKG). Die Arbeitnehmer verbleiben damit außerhalb der Organisation. Sie sind einerseits von der Beitragspflicht befreit und müssen andererseits auf eine Mitwirkungsberechtigung verzichten. Dem Prinzip folgend darf in der IHK nicht über den Ausgleich des Interessengegensatzes zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern entschieden werden. Anders gewendet: Würden paritätische Wirtschaftskammern mit mitwirkungsberechtigten Arbeitnehmern anstelle der IHK in der Konstitution des IHKG existieren, könnte auf eine Vorschrift wie § 1 Abs. 5 IHKG verzichtet werden. Dies zeigt auch der Blick auf die Handwerkskammern. Dort werden neben den selbstständigen Inhabern auch Gesellen, andere Arbeitnehmer mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung und die Lehrlinge verkammert (§ 90 Abs. 2 HwO). Im Rahmen der sog. Drittelparität wird die Mitwirkungsberechtigung der Arbeitnehmer folgerichtig sowohl in der Vollversammlung als auch im Vorstand der HwK festgeschrieben (§§ 108 Abs. 1 S. 1, 93 Abs. 1 S. 2 HwO).560

557 Wiemers, DVBl 2016, 1071 (1072); Eisenmenger, Die Gesamtinteressenvertretung der Industrie- und Handelskammern – ein zahnloser Tiger?, in: ders. / Kluth / Korte (Hg.), FS Stober, 2018, 85 (91, 93). 558 M. Wiemers, DVBl 2016, 1071 (1072): „Wenn wir schließlich an den gesetzlichen Mindestlohn denken, so kann man sagen, dass es die Tarifparteien gerade nicht vermocht haben, für eine geschlossene – vielleicht sogar allgemeinverbindliche – Tariflandschaft zu sorgen.“ 559 So bereits Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 96 f. 560 Günther, in: Honig / Knörr / Thiel, HwO, 5. Aufl. 2017, § 93 Rn. 6 f. Zu Rechtsproblemen im Zusammenhang mit der Drittelparität Hoffmann-Riem, NVwZ 1984, 286–291; ders., Gesellen­ mitwirkung in Organen der Handwerksvereinigungen, in: ders. (Hg.), Sozialwissenschaften im Öffentlichen Recht, 1981, 129–155.

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C. Der Auftrag gewerbliche Interessenrepräsentanz  

d) Form Auch die Frage des „Wie“ der Inanspruchnahme der Verbandskompetenz wird gesetzlich eingehegt. § 1 Abs. 1 IHKG besteht darauf, dass die IHK die wirtschaftlichen Interessen der einzelnen Gewerbezweige „abwägend und ausgleichend“ berücksichtigt. aa) Sachlichkeit und Objektivität Abermals erweist sich der Blick in die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts als lohnend, um die damit erzeugten Rechtsbindungen auszuleuchten. Das Gericht fordert, dass Verlautbarungen der IHK das „höchstmögliche Maß an Objektivität und die notwendige Sachlichkeit und Zurückhaltung wahren“.561 Es verlangt eine Absage an „polemisch überspitzte oder auf emotionalisierte Konfliktaustragung angelegte Aussagen“. Das Gebot der Objektivität dränge zu einer Argumentation mit „sachbezogenen Kriterien“.562 Eine Äußerung, die „zu besonders umstrittenen Themen“ erfolgt, müsse die gesetzlich geforderte Abwägung erkennen lassen.563 Bei Mehrheitsentscheidungen seien „gegebenenfalls beachtliche Minderheitenpositionen“ darzustellen. Dazu zählten „nicht nur Minderheitsauffassungen, die von einem beachtlichen Teil der Stimmen vertreten werden, sondern auch Positionen partikulärer Wirtschaftsstrukturen, etwa einer Gruppe von Branchen, von regionalen Wirtschaftszweigen oder von Betrieben einer bestimmten Größenordnung“.564 Das Revisionsgericht möchte jede dieser Vorgaben, die sich auch das Bundesverfassungsgericht zu eigen gemacht hat,565 aus § 1 Abs. 1 IHKG gewinnen.566 Nach dem hier vertretenem Verständnis zwingen bereits verfassungsrechtliche Einsichten zum Anerkenntnis dieser Forderungen.567 bb) Die Formgebote im Spiegel der Rechtsprechung Die von den Verwaltungsgerichten bisher entschiedenen Sachverhalte vermögen aufzuzeigen, wie die formulierten Gebote zur Anwendung im Einzelfall gelangen. 561

BVerwG, Urt. v. 23. Juni 2010 – 8 C 20/09 –, BVerwGE 137, 171 Ls. 2. Zitate bei BVerwG, Urt. v. 23. Juni 2010 – 8 C 20/09 –, BVerwGE 137, 171 (Rn. 33). 563 BVerwG, Urt. v. 23. März 2016 – 10 C 4/15 –, BVerwGE 154, 296 (Rn. 30). So bereits BVerwG, Urt. v. 23. Juni 2010 – 8 C 20/09 –, BVerwGE 137, 171 (Rn. 33). 564 Zitate bei BVerwG, Urt. v. 23. März 2016 – 10 C 4/15 –, BVerwGE 154, 296 (Rn. 30). 565 BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 110). In diesem Sinne bereits BVerfG, Beschl. v. 19. Dezember 1962 – 1 BvR 541/57 –, BVerfGE 15, 235 (241). 566 BVerwG, Urt. v. 23. März 2016 – 10 C 4/15 –, BVerwGE 154, 296 (Rn. 30). 567 Dazu näher unter C. III. 1. f) u. g). 562

III. Rechtsrahmen 

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So erachtete das BVerwG die in der sog. Limburger Erklärung enthaltene apodiktische Formulierung zur Umweltpolitik mit dem Inhalt „Vorhaben […] müssen […] verhindert werden“ für rechtswidrig.568 Auch die energiepolitische Forderung mit dem Zusatz, dass der Ausstieg aus der Kernenergie „gestoppt werden“ müsse, wurde als gesetzeswidrig beanstandet. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass die Frage des Einsatzes von Kernenergie auch zahlreiche andere, insbesondere umweltpolitische Belange berühre, und das Thema zudem gesellschaftspolitisch sehr umstritten sei. Die IHK hätte daher zu dieser Forderung auch abweichende Auffassungen und ggf. deren Auswirkungen darlegen müssen.569 In einer neueren Entscheidung hat das Gericht Äußerungen für unzulässig erklärt, in denen der Republik Südafrika eine „Bildungsmisere“ attestiert und deren Verwaltung als „Investitionshemmnis“ bezeichnet wurde.570 Unzulässig war ferner die Kommentierung einer steuerpolitischen Forderung als „der reine Wahnsinn“. Dasselbe galt für die Gleichsetzung des Klimaschutzes mit einer Minderung der Lebensqualität, wobei der Gedanke durch die polemische Frage illustriert wurde, ob man „wieder mit 34 PS über die Alpen nach Italien fahren“ wolle.571 Das Bundesverwaltungsgericht judizierte jüngst, dass die Umschreibung der Erbschaftssteuer als „Neidsteuer“ dem Gebot der Sachlichkeit widerspreche. Die Äußerung, die Regierung der Vereinigten Staaten habe eine „an den Haaren herbeigezogene“ Begründung für handelspolitische „Pirouetten“ erdacht, verletzt nach Auffassung des BVerwG ebenfalls das Sachlichkeitsgebot.572 Das VG Sigmaringen erachtete die Verlautbarung der IHK Ulm, nach der die Stadt Ulm ein „Bollwerk“ für Stuttgart 21 ergebe, für rechtswidrig. Denn die Aussage sei dem militärischen Sprachgebrauch entnommen und suggeriere die Bereitschaft zur Verteidigung des befürworteten Infrastrukturprojekts in einem Ausmaß, das der IHK nach der gesetzlichen Aufgabenzuweisung gar nicht zustehe.573 Die auf den Gegenstand eines Volksentscheides bezogenen Formulierungen mit dem Inhalt „Schildbürgerstreich“ und „Verplempern von Geld“ hat das OVG Hamburg als polemisch klassifiziert, weil sie die Befürworter und Unterstützer des Volksentscheides als dumm und verantwortungslos herabwürdigten.574 Das VG Hamburg urteilte, dass direktdemokratische Rechte nicht als „schwerwiegender Irrweg“ hätten bezeichnet werden dürfen. Der IHK sei ferner eine Gleichsetzung von direkter Demokratie mit der Unregierbarkeit des Gemeinwesens verwehrt.575 Die Kommunikation mittels Plakaten hat das VG Stuttgart nicht nur im Einzelfall für rechtlich zweifelhaft befunden: „Gerade da ein Plakat – gleichsam wesens­ 568

BVerwG, Urt. v. 23. Juni 2010 – 8 C 20/09 –, BVerwGE 137, 171, juris Rn. 40. BVerwG, Urt. v. 23. Juni 2010 – 8 C 20/09 –, BVerwGE 137, 171, juris Rn. 42. 570 BVerwG, Urt. v. 23. März 2016 – 10 C 4/15 –, BVerwGE 154, 296 (Rn. 37). 571 BVerwG, Urt. v. 23. März 2016 – 10 C 4/15 –, BVerwGE 154, 296 (Rn. 38). 572 BVerwG, Urt. v. 14. Oktober 2020 – 8 C 23.19 –, juris Rn. 27. 573 VG Sigmaringen, Urt. v. 12. Oktober 2011 – 1 K 3870/10 –, juris Rn. 71. 574 OVG Hamburg, Beschl. v. 16. November 2016 – 5 Bf 40/16.Z –, juris Rn. 64. 575 VG Hamburg, Urt. v. 20. 09. 2016 – 17 K 718/16 –, S. 24 (nicht veröffentlicht). 569

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C. Der Auftrag gewerbliche Interessenrepräsentanz  

immanent – quasi nur schlagwortartig Positionen darzustellen vermag und Hinweise auf abweichende – möglicherweise – Minderheitenpositionen nicht eröffnet, ist die ‚Werbung‘ für das Projekt Stuttgart 21 durch das Plakat […] eine […] verwehrte Form der Interessenvertretung in der Öffentlichkeit. […]. Dabei geht es nicht um eine Bewertung der Aussagen auf dem Plakat und um deren inhaltliche Richtigkeit, sondern allein um die Wahl des Kommunikationsmittels als solches.“576 e) Zurechnung von Interessenäußerungen zur öffentlich-rechtlichen Sphäre Die Lehre von der Organschaft577 trägt dafür Sorge, dass das Handeln und Wissen der Organwalter der IHK zugerechnet wird. Fraglich ist, ob eine Zurechnung auch stattfindet, wenn bei Wahrnehmung des Mandats zur Interessenrepräsentanz einzelne Äußerungen als Bestandteil privater Meinungsäußerungen ausgegeben werden. So lässt sich bspw. eine Interviewsituation zwischen dem Präsidenten einer IHK und einem Medienvertreter erdenken, in der Ersterer die Geltung des öffentlich-rechtlichen Rechtsrahmens zugunsten der Inanspruchnahme der Meinungsfreiheit ausschalten möchte. Einzelne Stimmen meinen, dass eine Zurechnung zur öffentlich-rechtlichen Sphäre bereits suspendiert sei, „wenn einzelne Äußerungen im Kontext eines solchen Interviews ausdrücklich als private Meinungskundgabe gekennzeichnet“ würden.578 Doch dürfte dies der Rechts-, Sach- und Interessenlage kaum gerecht werden. Das Fehlgehen dieser Rechtsauffassung lässt sich insbesondere aufzeigen, wenn man bedenkt, dass der IHK-Vertreter danach in ein und demselben Interview mal als „Sprecher der gewerblichen Wirtschaft“ und mal als „privater Unternehmer“ auftreten könnte. Dies könnte er überdies nach seinem Gutdünken gestalten, d. h. je nach Belieben der Standpunkte abwechseln. Das Rechtsregime, welches in der Situation maßgeblich wäre, würde mit dem Wechsel der vorgegebenen Sprecherrolle zwischen den öffentlich-rechtlichen Bindungen und der Inanspruchnahme

576 VG Stuttgart, Urt. v. 7. April 2011  – 4 K 5039/10  –, Rn. 18 juris. Kritisch dazu Jesse, Rechtliche Anforderungen an die Interessenvertretung durch Industrie- und Handelskammern in Fällen der Volksgesetzgebung und Bürgerentscheide, 2015, S. 31 ff. 577 Dazu näher unter D. II. 1. 578 So Günther, in: v. Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 86. EL Februar 2021, § 1 IHKG Rn. 90. Auch Möllering, Interessenvertretung durch Kammern  – sachliche Reichweite und verfahrensrechtliche Anforderungen, in: Kluth (Hg.), JbKBR 2009, 2010, 21 (31) votiert wohl für eine Auftrennung von (1) Stellungnahmen des Präsidenten einer IHK und (2) Äußerungen des Unternehmers und Staatsbürgers. Missverständlich Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, § 1 Rn. 58.

III. Rechtsrahmen 

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des freiheitlich-gesellschaftlichen Bereichs changieren. Die Sprecherrolle könnte in der Folge sogar im Minutentakt oder von Satz zu Satz wechseln. Zutreffend ist vielmehr, dass die Zurechnung vorgeblich „privat“ geäußerter Interessenstandpunkte zur öffentlich-rechtlichen Sphäre immer dann stattfinden muss, wenn die materiellen (d. h. personellen, technischen, medialen oder finanziellen) Ressourcen der Kammer respektive die immateriellen Wettbewerbsvorteile der Amtsautorität in Anspruch genommen werden. Der nachfolgende Wechsel der Sprecherrolle ist ausgeschlossen. Die Erörterungen zum Rechtsrahmen staatlicher Öffentlichkeitsarbeit unterstützen die Richtigkeit dieses Ansatzes.579 Wenn hingegen allein auf die Angaben des Handelnden abgestellt und die Auffassung vertreten würde, dass die Sprecherrolle minutiös abwechseln könnte, werden die grund­legenden Bedingungen und realen Beziehungen eines Kommunikationsakts negiert. Danach muss auch immerzu der Empfängerhorizont des (potenziellen) Adressaten der Kommunikation Beachtung finden. Werden ihm die Vorzüge amtlicher Kommunikation auch nur in den geringsten Bezügen vermittelt, wird auch aus seiner Sicht eine Zurechnung zur öffentlichen Sphäre naheliegen. Danach ist insgesamt ein weites Verständnis anzulegen: Bereits die Ankündigung des Interviewpartners als „Präsident der IHK“ genügt, um die Zurechnung zur Verwaltungseinheit IHK zu begründen.580 Damit findet eine entsprechende Anwendung derjenigen Grundsätze statt, die das BVerfG in den Fällen Schwesig und Seehofer für die Frage nach der entscheidungserheblichen Sprecherrolle formuliert hat. Das Verfassungsgericht nahm jeweils eine Zurechnung zur staatlich-rechtsgebundenen Sphäre an, sofern und sobald die mit dem Regierungsamt verbundenen staatlichen Ressourcen in Anspruch genommen werden.581

579 Dort entsteht die strukturelle Problem- und Gefährdungslage, wenn zu irgendeinem Zeitpunkt im Zusammenhang mit der Äußerung der Vertrauensvorschuss amtlicher Autorität in Anspruch genommen wird. 580 In diese Richtung auch BVerwG, Urt. v. 23. März 2016 – 10 C 4/15 –, BVerwGE 154, 296 (Rn. 35). 581 BVerfG, Urt. v. 16. Dezember 2014 – 2 BvE 2/14 –, BVerfGE 138, 102 (Rn. 57); Urt. v. 9. Juni 2020 – 2 BvE 1/19 –, BVerfGE 154, 320 (Rn. 59). Für eine Aufweichung des Konzepts Wieland, Öffentlichkeitsarbeit der Regierung in Zeiten der Digitalisierung, in: Krüper (Hg.), FS Morlok, 2019, 533–550. Payandeh, Der Staat 55 (2016), 519 (535 ff.) kritisiert den Ansatz des BVerfG dahingehend, dass eine Aufspaltung der Sprecherrolle aus Sicht des Empfängers wenig naheliegend sei. Meinel, Der Staat 60 (2021), 43 (82 f.) erkennt eine „Überhöhung“ der Amtsautorität und meint, dass die Prämissen der Rechtsprechung „dürftig belegt“ seien. Wolf, VerfBlog, 2020/5/28, abrufbar unter https://verfassungsblog.de/amtsautoritaet-der-wundepunkt-der-chancengleichheit, äußert sich ebenfalls skeptisch zu dem Konzept des BVerfG, aber erachtet die Differenzierung nach der Nutzung materieller Amtsressourcen für fortschreibungswürdig. Zu der Unterscheidung von staatlicher und gesellschaftlicher Sphäre für den Wahlaufruf mehrerer Bürgermeister in einer regionalen Tageszeitung s. noch BVerwG, Urt. v. 18. April 1997 – 8 C 5/96 –, BVerwGE 104, 323 (328 f.).

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C. Der Auftrag gewerbliche Interessenrepräsentanz  

IV. § 1 Abs. 1 IHKG – Eine abschließende Normanalyse Überlegungen zu der Frage, welchem Gesetzestyp § 1 Abs. 1 IHKG folgt, bilden den Abschluss dieses Kapitels. Zur Klassifikation von Normen werden nach allgemeinem Verständnis Kodifikationsmodelle  – sie enthalten Regeln auf Ebene des Gesetzes  – und Delegationsmodelle  – sie enthalten Ermächtigungen zur Rechtskonkretisierung auf untergesetzlicher Ebene – unterschieden. Unter den Kodifikationsmodellen sind Tatbestandstechniken im Sinne von Konditionalprogrammen mit erheblicher Bandbreite zu beobachten. Auf der Tatbestandsseite finden etwa Regelbeispiele, Generalklauseln, unbestimmte Rechtsbegriffe oder Beurteilungsspielräume582 Verwendung, während auf der Rechtsfolgenseite bspw. gebundene Entscheidungen oder die Installation eines (intendierten) Ermessens vorgefunden werden können. Davon zu unterscheiden sind Finalprogramme, die das Produkt fokussieren.583 Sie kommen vornehmlich im Rahmen von Planungs- oder Regulierungsvorhaben zum Einsatz, da mit dem gleichsam etablierten Abwägungsvorgang auch vorgeblich inkommensurable Zielkonflikte bewältigt werden können.584 Die Idee zur Abfassung dieses Abschnitts entstand, nachdem im Schreibprozess festzustellen war, dass die Zuordnung von § 1 Abs. 1 IHKG zu den vorstehenden Kategorien erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Es wird sich im unmittelbaren Anschluss zeigen, dass die der Rechtsauslegung im Kammerrecht nachgehenden Akteure ein ganzes Potpourri abweichender Vorstellungen zu dieser Frage entwickelt haben. 1. Stand der Diskussion Angesichts des Wortlauts von § 1 Abs. 1 IHKG dürfte offenbar werden, dass es sich keinesfalls um einen konditional programmierten Rechtssatz bestehend aus Tatbestand und Rechtsfolgen handelt. Doch steht dieser Befund nicht zur Gewissheit fest. So hat der DIHK im Zuge der Abgabe einer Stellungnahme in dem jüngsten Verfahren um die Verfassungsmäßigkeit der Pflichtmitgliedschaft beiläufig die Auffassung vertreten, dass es sich um eine Generalklausel handele.585 Auch der maßgebliche Gesetzeskommentar erkennt in § 1 IHKG die Verwendung von „traditionellen Generalklauseln“ und führt hierzu aus: „Vor allem aber haben 582

Zu den Fallgruppen und der dahinterstehenden Dogmatik jüngst Münkler, DÖV 2021, 615. Lepsius, JuS 2019, 123 (128). Kluth, Entwicklung und Perspektiven der Gesetzgebungswissenschaft, in: ders. / Krings (Hg.), Gesetzgebung, 2014, § 1 Rn. 116 ff. verweist ferner auf Gesetzgebungstechniken, die auf Legaldefinitionen, Fiktionen und Vermutungen, Verweisungen oder auf Regeln der Technik zurückgreifen. 584 Wißmann, Generalklauseln, 2008, S. 270 ff., 301. 585 BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 54). 583

IV. § 1 Abs. 1 IHKG – Eine abschließende Normanalyse 

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die Generalklauseln die Möglichkeit gegeben, dass die IHKs ihre Arbeit jederzeit den wechselnden wirtschaftlichen Problemen anpassen und neuen Aufgaben gerecht werden konnten. Die Generalklauseln sind deshalb einer kasuistischen Aufzählung der Aufgaben und Befugnisse überlegen und spiegeln geradezu das Wesen der Selbstverwaltung wider.“586 Der VGH Hessen geht davon aus, dass § 1 Abs. 1 IHKG unbestimmte Rechtsbegriffe enthalte.587 Daneben können vor allem Umschreibungen im Zusammenhang mit § 1 Abs. 1 IHKG beobachtet werden, die an die Begriffe zur Klassifikation von Normen erinnern. So erkennt etwa Burkhard Schöbener in der Regelung „vage Formulierungen“ und eine „[g]eneralklauselartige Aufgabenumschreibung“. Den zuständigen Organen würden „erhebliche Spielräume bei der Kreation neuartiger Aufgaben“ eröffnet.588 Josef Ruthig schließt sich dieser Einschätzung im Wesentlichen an, wenn er in der Norm einerseits eine „Umschreibung des Aufgabenbereichs“ und andererseits eine „generalklauselartige[n] Formulierung“ ausmacht.589 Dem Duktus der vorstehenden Wortwahl folgt auch ein anderer Autor,590 während Wolfgang Hoffmann-Riem für den vom Gesetzgeber gewählten Wortlaut die Notwendigkeit zur Ausfüllung beschreibt.591 Walter Leisner erklärt, dass der Aufgabenbereich „allgemein umschrieben, weit auszulegen, aber nicht wegen Unbestimmtheit verfassungswidrig“ sei.592 Peter J. Tettinger beschreibt den Auftrag zur Wahrnehmung der Gesamtinteressen als eine „flexible, allgemein formulierte und beispielhaft spezifizierte Aufgabe“.593 Rudolf Wendt erläutert die entsprechende Aufgabenzuweisung in den §§ 90 Abs. 1, 91 Abs. 1 Nr. 1 HwO wie folgt: „Nach dem insgesamt weiten Gesetzesauftrag verfügt also die einzelne Handwerkskammer über einen großen Ermessensspielraum […]. Auf Grund der generalklauselartigen Fassung des Förderauftrags und des hieraus folgenden erheblichen Spielraumes […] in der Beurteilung der Förderungswürdigkeit von „Interessen“ und deren Priorität kommt neben Ordnungsaufgaben grundsätzlich alles, was den Kammerangehörigen interessieren kann, […] in Betracht.“594 Dirk Ehlers registriert zunächst ebenfalls „generalklausel­ artige Umschreibungen“. Er wechselt sodann in eine negative Konnotation, indem

586 Zitat bei Möllering, in: Frentzel / Jäkel / Junge, IHKG, 7. Aufl. 2009, § 1 Rn. 2. Gleichgerichtet Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, § 1 Rn. 5. 587 VGH Hessen, Beschl. v. 10. Juni 2013 – 7 A 418/12.Z –, juris Rn. 22. 588 Schöbener, VerwArch 91 (2000), 374 (412) – Hervorh. n. h. 589 Ruthig, Fall 3 „Buy Pfälzisch! – Probleme mit der IHK“, in: Gurlit / ders. / Storr, Klausurenkurs im Öffentlichen Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2017, Rn. 82. 590 Rosenkranz, JURA 2009, 597 (600): „generalklauselartige[n] Aufgabenzuweisungen“. 591 Hoffmann-Riem, NVwZ 1984, 286 (288) – für die entsprechende Aufgabenzuweisung in den §§ 90 Abs. 1, 91 Abs. 1 Nr. 1 HwO. 592 Leisner, BayVBl 2001, 609. 593 Tettinger, Kammerrecht, 1997, S. 247. 594 Wendt, Handwerkskammern und berufliche Bildung, in: Bröhmer / Bieber / Calliess / Langenfeld / Weber / Wolf (Hg.), FS Ress, 2005, 1353 (1356).

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er das Fehlen einer hinreichenden Unterscheidung zwischen „Aufgaben und Befugnissen“ anmerkt, bei der vielfach im Unklaren gelassen werde, welcher Mittel sich die Kammern bedienen dürften. Abschließend beobachtet er, dass dies zeige, „wie vage die gesetzlichen Grenzen“ seien.595 In diesem Sinne ist auch Reiner Schmidt zu verstehen, der ausführte: „Vernachlässigt wird bei dieser Betrachtung [der Rechtsprechung des BVerfG] die Offenheit der Aufgabenstellung der Kammern, deren zwiespältige Stellung zwischen gesellschaftlicher Selbstbestimmung und staatlicher Verantwortung vom Gesetzgeber wenig eingegrenzt wird.“596 Horst Dreier beschränkt sich auf die Feststellung, dass der Aufgabenbereich bei den Körperschaften „mit unterschiedlicher Präzision bezeichnet“ werde.597 Auch andernorts wird ein Mangel an „präzisen inhaltlichen Maßstäbe[n]“ angemerkt.598 Werner Weber stimmt damit überein, wenn er den Auftrag als „nüchtern, unpathetisch und vor allem ganz undirigistisch“ beschreibt und „sparsame[n] Worte des Gesetzes“ identifiziert.599 Das Bundesverwaltungsgericht bekräftigt nahezu unbemerkt, dass die Aufgabenstellung des § 1 Abs. 1 IHKG „[k]aum exakt eingrenzbar“ sei.600 Ins Positive wird die Beschreibung der gesetzlichen Aufgabenstellung hingegen bei Rolf Stober gewendet. Er erkennt in § 1 Abs. 1 IHKG zunächst die Verwendung eines „unbestimmte[n] Rechtsbegriff[s]“, aber mahnt im selben Atemzug an, dass die weite Fassung unabdingbar sei, wenn die „Flexibilität bei der Aufgabenerfüllung erhalten bleiben“ solle.601 Im nahezu vollkommenen Gegensatz zu den bisher dargestellten Einschätzungen liegt die Auffassung von Rupert Scholz. Er möchte für die Selbstverwaltungskörperschaften der Wirtschaft „außerordentlich differenzierte Ziele wie Aufgaben“ erkannt haben.602 Auch ein weiterer Autor meint, der Auftrag der IHK sei „klar definiert[e]“ und laufe in einem „strikte[n] gesetzliche[n] Rahmen“ ab.603 Ein anderer Verfasser äußert sich zumindest missverständlich, wenn er einerseits einen „klare[n] Auftrag“ im IHKG entdeckt haben möchte, aber andererseits anmerkt, dass die klare Definition der in der Norm verwendeten Begrifflichkeiten „Schwierigkeiten“ bereite.604

595 Ehlers, Empfiehlt es sich, das Recht der öffentlichen Unternehmen im Spannungsfeld von öffentlichem Auftrag und Wettbewerb national und gemeinschaftsrechtlich neu zu regeln?, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hg.), Verhandlungen des 64. Deutschen Juristentages, 2002, E 122 (E 123 f.). 596 Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht – Allgemeiner Teil, 1990, S. 409 – Hervorh. n. h. 597 Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Rechtsstaat, 1991, S. 234. 598 Mann, Berufliche Selbstverwaltung, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 146 Rn. 40. 599 Weber, Staats- und Selbstverwaltung, 2. Aufl. 1967, S. 157. 600 BVerwG, Urt. v. 19. September 2000 – 1 C 29/99 –, BVerwGE 112, 69 (74). 601 Stober, GewArch 1996, 184 (187). 602 Scholz, Selbstverwaltung der Wirtschaft als staatspolitisches Prinzip, in: E. Keller / C. Plassmann / A. v. Falck (Hg.), FS Tilmann, 2003, 977 (980 ff.). 603 Rickert, WiVerw 2004, 153 (156). 604 Neurath, DÖV 2019, 513 (516).

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Andere enthalten sich dem Anschein nach einer Einschätzung. So erkennt etwa Reinhard Mußgnug einen „weiten Spielraum“ für die Aufgabenerfüllung nach § 1 Abs. 1 IHKG, aber bekräftigt sodann, dass „keine Rechtsfrage“ sei, was im Inte­ resse der Wirtschaft liege.605 Hans-Ullrich Gallwas besinnt sich auf die Entfaltung der These, dass mit der Pflichtmitgliedschaft der Vorteil einer „Fiktion“ einhergehe, wonach „die von der Kammer vertretenen Interessen von allen Mitgliedern getragen würden, also Gesamtinteresse seien“.606 2. Weitgehende Unvereinbarkeit mit vergangenen und gegenwärtigen Gesetzesstrukturen Die beobachteten Umschreibungen, die in einer Zusammenschau ein ganzes Füllhorn divergierender Normmerkmale identifiziert haben, mögen den unbefangenen Leser überraschen. Dieser fragt sich womöglich, warum eine Vorschrift derart viel Dissens im Grundsätzlichen zutage fördert, obwohl die textlichen Wurzeln bis in das Jahr 1870 zurückverfolgt werden können. Doch lassen sich Ursachen für die Vielgestaltigkeit der Meinungen benennen. Am offensichtlichsten ist, dass eine grundlegende rechtstheoretische Auseinandersetzung mit der Vorschrift seit Bestehen des IHKG ausgeblieben ist. Auch der Bundesgesetzgeber hat 1956 keinerlei Anhaltspunkte im Rahmen seiner Begründung erdacht. Wenn man überdies den Ursprung der Norm im preußischen Handelskammerrecht bedenkt und die dazu ergangenen Anmerkungen durchsieht, gelangt man sogar zu der Feststellung, dass – soweit ersichtlich – zu keinem Zeitpunkt über den „Gesetzestyp“ des § 1 Abs. 1 IHKG nachgedacht wurde. Die Klassifikation fällt auch deshalb schwer, weil sich eine Norm wie § 1 Abs. 1 IHKG nur schwerlich in die Formen moderner Gesetzgebung einfügt. Heutzutage ist ein Trend zu „mehr Einzelfallgesetzen, Spezialnormen, Trial-and-Error-Gesetzgebung, Gesetzen mit bewusstem Verfallsdatum, der Ablösung von Generalklauseln durch offen gefasste Tatbestände mit Regelbeispielen oder eine Ausnahmesystematik und Fallgruppen“ festzustellen.607 Der langatmige, mehr beschreibende denn dirigierende Wortlaut wirkt vor dieser Folie aus der Zeit gefallen. Allerdings kann selbst diese Einschätzung nicht ohne Widerspruch durchgehalten werden. Bei Lichte besehen enthält § 1 Abs. 1 IHKG ein Verwaltungsziel, das in der Wahrnehmung des Gesamtinteresses der Gewerbetreibenden liegt. Wenn man in der Gesetzgebung der Gegenwart auch einen Trend erkennt, der sich in der zunehmenden

605 Mußgnug, Das politische Mandat öffentlich-rechtlicher Körperschaften und seine verfassungsrechtlichen Grenzen, in: Hailbronner / Ress / Stein (Hg.), FS Doehring, 1989, 665 (684 – Hervorh. n. h). 606 Gallwas, MedR 1994, 60 (64 – Hervorh. n. h.) für die entsprechende Aufgabenzuweisung an eine Pflegekammer. 607 Lepsius, JuS 2019, 14 (17).

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Verwendung von Finalprogrammen anstelle von Konditionalnormen608 und der Aufwertung des Verfahrensgedankens äußert,609 genügt die Norm wiederum dem Zeitgeist adäquater Rechtsetzung. Oliver Lepsius erläutert die mit dem Einsatz dieser Normstrukturen einhergehenden Vor- und Nachteile auszugsweise wie folgt: „Finalnormen ermöglichen eine besondere Form der Wissensgenerierung und -nutzung und schließen Experimentiermöglichkeiten ein […]. Bedient sich der Gesetzgeber einer Finalnorm, reduziert sich dadurch ggf. […] der gerichtliche Kontrollumfang, weil rechtliche Maßstäbe fehlen. Der Gesetzgeber begibt sich durch die Übertragung der Entscheidung von Modus und Mittel der Zielerreichung seiner Steuerungskompetenz zugunsten des eigenständigeren Handelns der Verwaltung“.610 Vor dem Hintergrund dieser Beschreibung fühlt man sich an den Gesetzeszweck des § 1 Abs. 1 IHKG erinnert. Dieser besteht – kurz gesagt – darin, den unternehmerischen Sachverstand zu ermitteln und in die staatliche Entscheidungsfindung einzubringen. Dass der antagonistische Interessenvorrat der Gewerbetreibenden in repräsentativen Verfahren gewonnen wird und gleichlautend verwertet werden muss, erzeugt eine komplexe Entscheidungssituation. Die Notwendigkeit zur Prozeduralisierung, die der Gewinnung des gewerblichen Gesamtinteresses vorausliegt, weckt robuste Assoziationen zu den finalen Rechtssätzen. Ist § 1 Abs. 1 IHKG mit dem Auftrag zur abwägenden und ausgleichenden Berücksichtigung der unternehmerischen Standpunkte in letzter Konsequenz eine Finalnorm? Das Vorstehende präsentiert nur ein Zwischenergebnis. Die Einsicht lässt sich nicht mit dem Befund in Vereinbarung bringen, nach dem der Gesetzeswortlaut in wesentlichen Zügen dem preußischen Handelskammerrecht des 19. Jahrhunderts entstammt. Der Gesetzgeber hat zu dieser Zeit noch keine Gedanken an final programmierte Normen verschwendet. Deren Herkunft ist vorwiegend in der Tradition des französischen und britischen Verwaltungsrechts begründet. Erst über den „Umweg“ der europäischen Rechtsetzung hat das deutsche Umweltverwaltungsrecht in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts derartige Gesetzesstrukturen adaptiert.611 Die Rechtsetzung im 19. Jahrhundert wird retrospektiv vielmehr unter dem Stichwort der Kodifikation abgehandelt. Die Gesetze wurden – so auch das PrHKG 1870 – 612 durch vorgeblich unpolitische Expertenkommissionen erarbeitet, 608

So Lepsius, JuS 2019, 14 (17). So Fehling, Eigenwert des Verfahrens im Verwaltungsrecht, VVDStRL 70 (2010), 2011, 280 (317). 610 Lepsius, JuS 2019, 123 (128). 611 Zur „Herkunft“ finaler Normprogramme ausführlich Breuer, AöR 127 (2002), 523–574. 612 Das PrHKG 1870 erarbeitete der Verwaltungsbeamte Wilhelm Jebens, „Regierungskommissarius Geheimer Regierungs-Rath“ im preußischen Handelsministerium. Information entnommen aus Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 47. Sitzung vom 14. Januar 1870, Band 3 (1869/1870), S. 1456 und Sammlung sämmtlicher Drucksachen des Hauses der Abgeordneten, 10. Legislaturperiode, II.  Session 1868/1869, Band 4, Nr. 320, 1869, S. 1. 609

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die eine einheitliche, übersichtliche und eingängige Regelung anstrebten.613 Nimmt man diese Erkenntnisse beim Wort und betrachtet man gleichzeitig idealtypische Kodifikationen wie das HGB (erstmals 1897 erlassen), gelangt man unweigerlich zu der Einsicht, dass die Vorläuferregelung im preußischen Handelskammerrecht ebenfalls atypische Züge aufweist. Immerhin dürfte auch damals nicht zweifelsfrei festgestanden haben, was es bedeutete, wenn die Handelskammern das Gesamtinteresse der Handel- und Gewerbetreibenden ihres Bezirkes wahrnehmen sollten. Nach alledem verbleibt es einstweilen bei dem unbefriedigenden Zwischenfazit, dass § 1 Abs. 1 IHKG in Anbetracht seines Wortlauts mit den vergangenen und zeitgenössischen Gesetzesstrukturen nur schwerlich vereinbart werden kann. Die Auffassung, nach der die Vorschrift eine Generalklausel statuiere, ist jedenfalls nicht fortschreibungswürdig. Denn im Mittelpunkt der Norm steht die Zuweisung einer Aufgabe bzw. die Bestimmung des Organisationszwecks. Generalklauseln zeichnen sich demgegenüber durch Beibehaltung des Konditionalschemas aus, auch wenn deren Tatbestand und / oder Rechtsfolgen flexible Reichweiten annehmen,614 die mitunter an die Grenze zur Rechtsstaatswidrigkeit vorstoßen.615 Prozedurale Elemente, die zwischen den materiell-rechtlich bezeichneten Handlungsvoraussetzungen („wenn“) und darauf bezogenen Reaktionsmöglichkeiten („dann“) liegen, kennen Generalklauseln nicht.616 Die Ähnlichkeit zu den final programmierten Rechtssätzen bedingt hingegen ein ausgebildeteres Verständnis dafür, dass der Erledigung des Gesetzesauftrags die Durchführung eines aufgabenadäquat ausgestalteten Verfahrens vorausliegen muss. 3. Kollektivbegriff, Relativität und Ausfüllungsbedürftigkeit Der Kern des definitorischen Problems liegt in der weiterhin unaufgeklärten Verbindung zwischen der Installation eines Verfahrens und der gleichzeitigen Verwendung von Elementen, die das Verwaltungsziel begrenzen. Wenn der IHK aufgetragen wird, das Gesamtinteresse der „ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirks“ wahrzunehmen, die „gewerbliche Wirtschaft“ 613

Zur Technik der Gesetzgebung im 19. Jahrhundert Lepsius, JuS 2019, 14 (15 f.). S. etwa §§ 138 Abs. 1, 142 BGB einerseits und § 28 Abs. 1 IfSG andererseits. 615 Zu der „Gefahr für Recht und Staat“ unter Ansehung des Bürgerlichen Rechts schon früh Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln, 1933. Dass Hedemann nur wenige Jahre später Generalklauseln zur rechtlichen Absicherung nationalsozialistischer (Un-)Rechtsvorstellungen im „Volksgesetzbuch“ inflationär gebrauchte (Schroeder, „Schönheit und Höhe“ – Zivilrechtler Justus Wilhelm Hedemann diente sich Hitler an, FAZ v. 28. Oktober 2005, Nr. 251, S. 8, abrufbar unter https://www.faz.net/-gr7-rhvi), zeigt, dass seine Studie weniger eine vorausschauende Warnung enthält. Sie ist vor allem als Ausweis einer umfassenden Einsicht in die Ideologieanfälligkeit des Rechtsinstruments aufzufassen. 616 Wißmann, Generalklauseln, 2008, S. 301. 614

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zu fördern, die „wirtschaftlichen Interessen“ zu berücksichtigen und zugleich „sozialpolitische und arbeitsrechtliche Interessen“ auszusparen, handelt es sich jedoch nicht um klassische Tatbestandselemente. Denn Wendungen, die auf den Begriff des Interesses Bezug nehmen, sind einer abstrakten Definition und Subsumtion einstweilen nicht zugänglich. Vielmehr handelt es sich um der Sprache des Lebens entnommene Kollektivbegriffe. Die Grundlagen und Wirkungsweise von Kollektivbegriffen hat Max Weber für das Beispiel „Interessen der Land­wirtschaft“ eingehend untersucht. Er zeigte eindrucksvoll auf, welches Knäuel an differenten Standpunkten, gegenseitig mischenden sowie hemmenden Einstellungen, ablenkenden Beziehungen und heterogenen Wertideen der wirtschaftenden Individuen unter dieser Überschrift Platz finden.617 Anschließend gelangte er zu der Auffas-

617 Weber, Die „Objektivität“ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, in: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hrsgg. von J. Winckelmann, 7. Aufl. 1988, 146 (210 ff. – Hervorh. i. O.): „Nehmen wir zunächst die „Interessen der Landwirtschaft“ als die empirisch konstatierbaren mehr oder minder klaren subjektiven Vorstellungen der einzelnen wirtschaftenden Individuen von ihren Interessen, und sehen wir dabei ganz und gar von den unzähligen Konflikten der Interessen viehzüchtender, viehmästender, kornbauender, kornverfütternder, schnapsdestillierender etc. Landwirte hier ab, so kennt zwar nicht jeder Laie, aber doch jeder Fachmann den gewaltigen Knäuel von durch- und gegeneinander laufenden Wertbeziehungen, der darunter unklar vorgestellt wird. Wir wollen hier nur einige wenige aufzählen: Interessen von Landwirten, welche ihr Gut verkaufen wollen und deshalb lediglich an einer schnellen Hausse des Bodenpreises interessiert sind; – das gerade entgegengesetzte Interesse von solchen, die sich ankaufen, arrondieren oder pachten wollen; das Interesse derjenigen, die ein bestimmtes Gut ihren Nachfahren um sozialer Vorteile willen zu erhalten wünschen und deshalb an Stabilität des Bodenbesitzes interessiert sind; – das entgegengesetzte Interesse solcher, die in ihrem und ihrer Kinder Interesse Bewegung des Bodens in der Richtung zum besten Wirt oder – was nicht ohne weiteres dasselbe ist – zum kapitalkräftigsten Käufer wünschen; das rein ökonomische Interesse der im privatwirtschaftlichen Sinne „tüchtigsten Wirte“ an ökonomischer Bewegungsfreiheit; – das damit im Konflikt stehende Interesse bestimmter herrschender Schichten an der Erhaltung der überkommenen sozialen und politischen Position des eigenen „Standes“ und damit der eigenen Nachkommen; das soziale Interesse der nicht herrschenden Schichten der Landwirte am Wegfall jener oberen, ihre eigene Position drückenden Schichten; – ihr unter Umständen damit kollidierendes Interesse, in jenen politische Führer zur Wahrung ihrer Erwerbsinteressen zu besitzen […]. Daß sich mit den mehr „egoistischen“ Interessen dieser Art die verschiedensten rein idealen Werte mischen, verbinden, sie hemmen und ablenken können, übergehen wir, um uns vor allem zu erinnern, daß, wenn wir von „Interessen der Landwirtschaft“ reden, wir regelmäßig nicht nur an jene materiellen und idealen Werte denken, auf welche die jeweiligen Landwirte selbst ihre „Interessen“ beziehen, sondern daneben an die zum Teil ganz heterogenen Wertideen, auf welche wir die Landwirtschaft beziehen können, – beispielsweise: Produktionsinteressen, hergeleitet aus dem Interesse billiger und dem damit nicht immer zusammenfallenden Interesse qualitativ guter Ernährung der Bevölkerung, wobei die Interessen von Stadt und Land in den mannigfachsten Kollisionen liegen können, und wobei das Interesse der gegenwärtigen Generation mit den wahrscheinlichen Interessen künftiger Generationen keineswegs identisch sein muß; – populationistische Interessen: insbesondere Interesse an einer zahlreichen Landbevölkerung, hergeleitet, sei es aus Interessen „des Staates“, machtpolitischen oder innerpolitischen, oder aus anderen ideellen Interessen von unter sich verschiedener Art, z. B. an dem erwarteten Einfluß einer zahlreichen Landbevölkerung auf die Kultureigenart eines Landes; – dies populationistische Interesse kann mit den verschiedensten privatwirtschaftlichen

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sung, dass der Gebrauch von Kollektivbegriffen „stets Deckmantel von Unklarheiten des Denkens oder Wollens, oft genug das Werkzeug bedenklicher Erschleichungen, immer aber ein Mittel, die Entwicklung der richtigen Problemstellung zu hemmen“ sei.618 Weber hat mit dieser Untersuchung beiläufig die Relativität des Interesseterminus zutreffend beschrieben. Sie ergibt sich daraus, dass „die“ Interessen nicht objektivierbar sind, sondern für jede Frage und jede neue Gegenwart eine andere Gestalt annehmen. In einem gleichgerichteten Sinne hat auch Wolfgang HoffmannRiem die Tragweite des Begriffs im Rahmen der entsprechenden Aufgabenzuweisung an die HwK erörtert und die Ausfüllungsbedürftigkeit betont.619 4. Der Interesseterminus als Herausforderung für die Rechtsmethodik Die Schwierigkeiten, die die Charakterisierung der Norm hervorruft, liegen darin begründet, dass der gesetzliche Auftrag an der inneren Struktur des Interessebegriffs Anteil nimmt. Dieser ist kein juristischer Terminus, sondern vor allem in der Alltagssprache beheimatet. Dies bedeutet nicht, dass das „Interesse“ nicht rechtstheoretisch zu erfassen versucht wird.620 Auch findet der Begriff selbstverständliche Verwendung im Recht. Ein populäres Beispiel bildet etwa das subjektiv-öffentliche Recht. Nach der allgemein verbreiteten „Schutznormtheorie“ liegt dieses vor, wenn ein Rechtssatz besteht, der auch dem Schutz des Individualinteresses zu dienen bestimmt ist.621 Im Umweltrecht kommt dem „überwiegenden öffentlichen Interesse“ die Funktion eines Tatbestandes zu.622 Wenn das „öffentliche“ oder „schutzwürdige private Interesse an der Geheimhaltung“ das „öffentliche Bekanntgabeinteresse“ überwiegt, können Anträge auf Informationsfreiheit abgelehnt werden.623 Das Bun-

Interessen aller Teile der Landbevölkerung, ja denkbarerweise mit allen Gegenwartsinteressen der Masse der Landbevölkerung kollidieren. Oder etwa das Interesse an einer bestimmten Art der sozialen Gliederung der Landbevölkerung wegen der Art der politischen oder Kultureinflüsse, die sich daraus ergeben: dies Interesse kann je nach seiner Richtung mit allen denkbaren, auch den dringlichsten Gegenwarts- und Zukunftsinteressen der einzelnen Landwirte sowohl wie „des Staates“ kollidieren.“ 618 Weber, Die „Objektivität“ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, in: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hrsgg. von J. Winckelmann, 7. Aufl. 1988, 146 (212). 619 Hoffmann-Riem, NVwZ 1984, 286 (288). 620 Reiling, DÖV 2004, 181–189. Zur Bedeutung des Interessebegriffs für das Verwaltungsrecht s. etwa Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 145 ff. 621 Dazu umfassend jüngst Friedrich, Vom Recht zur Berechtigung, 2020, S. 57 ff. 622 § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 Bundesnaturschutzgesetz; § 17 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 3 S. 1 Kreislaufwirtschaftsgesetz. 623 §§ 9, 10 Informationszugangsgesetz SH.

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C. Der Auftrag gewerbliche Interessenrepräsentanz  

desverfassungsgericht greift auf verschiedene Ausprägungen des Terminus zurück, wenn es über die Enteignung zugunsten Privater entscheidet.624 Die Frage, welchen Inhalt das „öffentliche Interesse“ beherbergt, hat es der Wissenschaft vom Öffentlichen Recht ganz besonders angetan.625 Zahlreiche Abhandlungen erläutern den Gehalt des Gemeinwohls unter Rekurs auf den in Rede stehenden Begriff.626 Lorenz von Stein machte das Interesse sogar zur Grundlage des Prinzips der Gesellschaft und ihrer Bewegungen.627 Er führte zum Begriff des Volkes aus: „Das, […] was den wirklichen Staat beherrscht, von jeher beherrscht hat und ewig beherrschen wird, das ist die Ordnung der Gesellschaft und der Gegensatz ihrer Interessen.“628 Wenn mit dem Vorstehenden implizit vorausgesetzt wird, dass ungebrochene Annahmen über die Bedeutung des Terminus existieren, ist dem die Sprach- und Ideengeschichte entgegenzuhalten. Albert Hirschman hat sie nachgezeichnet und belegt, dass zumindest für Westeuropa ein Gestaltwandel behauptet werden kann. Während im späten 16. Jahrhundert eine universale Auffassung dominierte, beschränkte sich die Bedeutung zunehmend auf die materiellen Aspekte des Wohlergehens.629 Zwar verkennt er nicht, dass die Begriffsgeschichte bei der römischrechtlichen Formel id quod interest630  – eine Angabe über den Betrag, den der Berechtigte als Schadensersatz verlangen konnte – 631 und dem englischen Termi 624 S. etwa die Bezugnahmen in BVerfG, Urt. v. 24. März 1987 – 1 BvR 1046/85 –, BVerfGE 74, 264. 625 Dürig, Die konstanten Voraussetzungen des Begriffes „Öffentliches Interesse“, 1949; ­Häberle, AöR 95 (1970), 86–125; ders., Öffentliches Interesse als juristisches Problem, 1970. Zu Letzterem aktuell Michael, Von den Herausforderungen, öffentliches Interesse als juris­ tisches Problem zu begreifen, in: Kotzur / Ehrenzeller (Hg.), FS Häberle, 2020, 145–188. S. ferner Uerpmann, Das öffentliche Interesse, 1999; Viotto, Das öffentliche Interesse, 2009. 626 So wird das Gemeinwohl als „das aus den besonderen privaten und öffentlichen Interessen zusammengeführte Gemeininteresse“ aufgefasst (Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 152). Isensee, Gemeinwohl im Verfassungsstaat, in: ders. / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. IV, 3. Aufl. 2006, § 71 Rn. 2 versteht das Gemeinwohl als die Zusammenfassung „zu einer Zieleinheit“ aus den „vielfältigen öffentlichen Interessen, die in Staat und Gesellschaft wirksam sind“. Eine Gleichsetzung von Gemeinwohl und öffentlichem Interesse findet sich auch bei Hartmann, AöR 134 (2009), 1 (13). Schon Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 2. Aufl. 1929, S. 22 griff auf den Terminus zurück, um den „Gemeinschaftswillen“ zu erfassen. 627 v. Stein, Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis auf unsere Tage. Bd. 1, Der Begriff der Gesellschaft und die soziale Geschichte der französischen Revolution bis zum Jahre 1830, 1921, S. 42 f., 137. 628 v. Stein, Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis auf unsere Tage. Bd. 3, Das Königtum, die Republik und die Souveränität der französischen Gesellschaft seit der Februarrevolution 1848, 1921, S. 137 – i. O. tw. gesperrt. 629 Hirschman, Leidenschaften und Interessen, übersetzt von S. Offe, 1. Aufl. 1980, S. 40–57 m. w. N. 630 Zu Deutsch: das, woran gelegen ist. 631 Dass damit im römischen Recht die Differenz zwischen der gegenwärtigen Vermögenslage eines Geschädigten und dem Vermögensstand, der ohne das schädigende Ereignis bestehen

IV. § 1 Abs. 1 IHKG – Eine abschließende Normanalyse 

145

nus interest – eine Bezeichnung der Zinsen, die für geliehenes Geld erhoben werden – beginnt.632 Im Vordergrund seiner Ausführungen steht aber die Erkenntnis, dass im späten 16. Jahrhundert die allgemeine persönliche Dimension Betonung fand. Der Begriff umfasste danach die „Gesamtheit menschlichen Strebens, enthielt jedoch auch ein Element der Reflexion und Kalkulation hinsichtlich der Art, wie diesem Streben nachzukommen war“.633 Diese Annahmen finden Bestätigung im Deutschen Wörterbuch von 1829. Das Interesse wird danach verstanden als „Antheil, den wir an einer Sache nehmen“, bzw. als Wohlgefallen, „das wir mit der Vorstellung der Existenz eines Gegenstandes verbinden“.634 Die englische und französische Sprachgeschichte gegen Ende des 17. Jahrhunderts verunklarte das Verständnis, indem sie zwischen Privat- und Gruppeninteressen bzw. öffentlichen Interessen differenzierte. Das private Interesse wurde als ein Synonym für das Verlangen aufgefasst, Güter und Besitz zu erwerben, mithin auf das Streben nach materiellen ökonomischen Vorteilen eingeengt.635 Indes soll diese eingeschränkte Bedeutung hier nicht weiterverfolgt werden. In neuerer Wendung lässt sich vielmehr von einer „positive[n] Bezogenheit eines Subjekts auf einen Gegenstand“ sprechen.636 In dem Interessebegriff selbst ist demzufolge die Notwendigkeit einer „persönliche[n] Präferenzbekundung“ angelegt. Die Präferenzbildung wird aber auch über die sozio-ökonomische Situation des Einzelnen und die damit verbundenen Rollenerwartungen vermittelt.637 Der Interessebegriff ist insgesamt komplex, weil er sich durch Werturteile und Abgrenzung auszeichnet.638 Zwar ist anzunehmen, dass ökonomische Interessen wegen des Strebens nach größeren Einkommen oder mehr Marktanteilen im Vergleich zu

würde, angegeben wurde, stellt indes eine Fehlinterpretation der Quellenlage dar. Dazu m. w. N. Gebauer, Hypothetische Kausalität und Haftungsgrund, 2007, S. 62 f. 632 Hirschman, Leidenschaften und Interessen, übersetzt von S. Offe, 1. Aufl. 1980, S. 41. ­Reiling, DÖV 2004, 181 (182) erkennt in der römisch-rechtlichen Begriffsverwendung hingegen den maßgeblichen Bedeutungsursprung. 633 Hirschman, Leidenschaften und Interessen, übersetzt von S. Offe, 1. Aufl. 1980, S. 41. 634 Grimm / Grimm, Deutsches Wörterbuch, 1829, Bd. X, Sp. 2149. 635 Hirschman, Leidenschaften und Interessen, übersetzt von S. Offe, 1. Aufl. 1980, S. 45 ff. 636 Ruffert, DÖV 1998, 897 (898). 637 Zitat bei Krüper, Gemeinwohl im Prozess, 2009, S. 131. Der Nationalökonom Buchholz, Interessen, Gruppen, Interessentengruppen, 1970, S. 75 f. – Hervorh. i. O. hat dies eingängig herausgearbeitet: „Damit ein Individuum einen Menschen, eine Sache oder ein Geschehen zum Gegenstand seines Interesses macht, müssen diese zwei wesentliche Bedingungen für das Individuum erfüllen: es muß ihnen einen subjektiven Wert zuschreiben, und sie müssen für die Bedürfnisse des Individuums von (theoretischer oder praktischer) Bedeutung sein. […] Wie hoch das Individuum den erwarteten subjektiven Nutzen eines Interesseobjekts einschätzt, hängt von einer Reihe physischer und psychischer, emotionaler und rationaler, materieller und immaterieller Faktoren ab.“ 638 Es lassen sich nach Buchholz, Interessen, Gruppen, Interessentengruppen, 1970, S. 80, Gesamt- und Teilinteresse, Gruppen- und Einzelinteresse, ökonomische und nicht ökonomische, Produktions- und Konsumtionsinteressen, Unternehmer- und Arbeitnehmerinteressen, organisierte und nicht organisierte Interessen, Preis- und Lohninteresse auseinanderhalten.

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C. Der Auftrag gewerbliche Interessenrepräsentanz  

religiösen, weltanschaulichen, politischen oder ästhetischen Interessen in einem größeren Ausmaß vorhersagbar sind.639 Dennoch wird offensichtlich, dass die Präferenzbildung einen Vorgang beschreibt, der sich nur schwerlich in das Recht einfügen lässt. Während das Recht seiner Natur nach formal, auf Dauer angelegt und in logischen Strukturen aufgebaut ist sowie sich durch Objektivierbarkeit auszeichnet, sind die Interessen „elementar und spontan, stehen oft zueinander im Widerstreit und wandeln sich häufig mit den sich ändernden Umständen“.640 5. Fazit Es handelt sich bei § 1 Abs. 1 IHKG nach alledem um eine Vorschrift, die in Verwandtschaft zu den final programmierten Normen steht. Zur Kennzeichnung der Aufgabenstellung wird auf Elemente eines Tatbestands zurückgegriffen, in dem der Interesseterminus Verwendung findet. Dieser Kollektivbegriff ist selbst verfahrensgebunden, da er eine relative und persönliche Dimension mit einer ausgemachten Tendenz zur Abgrenzung kombiniert. Die zweckentsprechende Aufgabenwahrnehmung gelingt unter diesen Vorzeichen nur, wenn das Gesetz gleichsam Elemente der Prozeduralisierung vorsieht. Ist dies – wie beim IHKG – nicht der Fall, liegt ein grundlegender Konstruktionsfehler vor.

639 640

Reiling, DÖV 2004, 181 (184). Kaiser, Die Repräsentation organisierter Interessen, 2. Aufl. 1978 (1956), S. 341.

D. Analyserahmen Das Organisations- und Verfahrensrecht eines Verwaltungsträgers lässt sich vor der Anspruchshaltung rechtswissenschaftlicher Methodik nur untersuchen, wenn ein Analyserahmen bereitsteht, an dem die Organisationsform gespiegelt werden kann. Da hier ein interdisziplinärer Zugriff auf das Recht erfolgt, wird der Analyserahmen zuvörderst durch organisationssoziale Einsichten gebildet (I.). Um die Ergebnisse der Nachbardisziplinen operabel zu machen, müssen sie in die Denkmuster des Verwaltungsorganisationsrechts transformiert werden (II.). Es wird sich zeigen, dass auch der Grundsatz funktionsgerechter Organisationsstruktur (III.) und das Gebot innerorganisatorischer Demokratie (IV.) eine Schnittstelle zwischen Recht und Organisationssoziologie eröffnen. Der Parlamentsvorbehalt (IV.) und der Vorrang des Gesetzes (V.) stellen Argumentationsstränge rechtlicher Provenienz dar.

I. Organisationssoziologische Einsichten Soll einer nachbarwissenschaftlich informierten Begutachtung des Organisations- und Verfahrensrechts de lege lata und de lege ferenda nachgespürt werden, müssen zunächst die grundlegenden Fragen der fachfremden Studien zur Aufklärung gelangen (1.–3.). Auf diesem Fundament können jene Einsichten eingeführt werden, die für die organisationssoziologische Perspektive auf die Industrie- und Handelskammer maßgeblich sind (4.–7.). Schließlich ist zu eruieren, ob und inwiefern die Chance besteht, interdisziplinäre Rechtsforschung in dem vorerwähnten Sozialbereich zu betreiben (8.). 1. Organisationsbegriff Das Individuum begegnet in modernen Gesellschaften vielfältigen Zusammenschlüssen. Der Kontakt zu Schulen, Hochschulen, Unternehmen, Behörden, Krankenhäusern, Gerichten, Forschungsinstituten, Militär, Kirchen, Museen, Verlagen, Fernsehsendern, politischen Parteien, Vereinen oder Genossenschaften prägt die Lebensrealität jedes Einzelnen mal mehr, mal weniger intensiv. Organisationen begleiten den Menschen „von der Wiege bis zur Bahre“.641 Die Gegenwärtigkeit im Alltag erzeugt ein Bedürfnis, die Funktionalität von Organisationen zu durchdringen. 641 Preisendörfer, Organisation, in: Görres-Gesellschaft (Hg.), Staatslexikon, Bd. 4, 8. Aufl. 2020.

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D. Analyserahmen  

Um den Organisationsbegriff zu kennzeichnen und ihn gegenüber anderen sozialen Erscheinungsformen wie z. B. spontanen Interaktionen oder einfachen Zusammenschlüssen abzugrenzen, findet eine Auseinandersetzung mit den formalen Strukturen breite Anerkennung.642 Danach lassen sich Organisationen als „Instrumente zur Erreichung spezifischer Ziele oder Zwecke, d. h. von bestimmten Zuständen oder Ergebnissen, die durch das bewusst geregelte Zusammenwirken von Menschen und die Nutzung von Mitteln erreicht werden sollen“, auffassen.643 Eine Lesart rechtswissenschaftlicher Provenienz beschreibt die Organisation als „Handlungszusammenhang“, der „personelle und sachliche Ressourcen zur Erreichung spezifischer Ziele zusammenführt“.644 Auch die Reservierung des Begriffs für „geplante, sorgsam aufgebaute und auf spezifische Ziele gerichtete soziale Gebilde“ ist geläufig.645 Die kompaktere Definition lautet hingegen, dass Organisationen „Formen geregelter Kooperation“ darstellen.646 Wenn man die wiederkehrenden Elemente der Umschreibungen zusammenführt, sind für den Begriff drei Elemente maßgeblich: Erstens wird ein gegliedertes soziales Gebilde mit angebbaren Mitgliederkreis und interner Rollendifferenzierung vorausgesetzt, womit die Abgrenzung zur Umwelt bzw. die Feststellung einer „Innen / Außen-Differenz“647 ein konstitutives Merkmal bildet.648 Zweitens wird das gegliederte Ganze zur dauerhaften Erreichung bestimmter Ziele oder Zwecke bewusst und planvoll eingerichtet.649 Schließlich weist der Verband grundsätzlich eine rationale Binnenstruktur auf, die sich mit Hilfe von Regeln an der Erreichung der Ziele auszurichten versucht. Die personellen und sachlichen Ressourcen werden im Hinblick auf die Zwecke koordiniert und geordnet.650 642

Luhmann, Funktionen und Folgen formaler Organisation, 3. Aufl. 1976, S. 27. Gukenbiehl, Institution und Organisation, in: Korte / Schäfers (Hg.), Einführung in Hauptbegriffe der Soziologie, 9. Aufl. 2016, 173 (185 f.). 644 Pilniok, Bausteine einer Theorie des Organisationsverfassungsrechts  – Organisationswissenschaftliche Impulse für das Recht der Politik, in: Krüper / ders. (Hg.), Organisationsverfassungsrecht, 2019, 1 (7); gleichgerichtet Trute, Funktionen der Organisation und ihre Abbildung im Recht, in: Schmidt-Aßmann / Hoffmann-Riem (Hg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, 249 (254 m. Fn. 17). 645 Etzioni, Soziologie der Organisationen, 5. Aufl. 1978, S. 13. 646 Gukenbiehl, Institution und Organisation, in: Korte / Schäfers (Hg.), Einführung in Hauptbegriffe der Soziologie, 9. Aufl. 2016, 173 (184). 647 Luhmann, Funktionen und Folgen formaler Organisation, 3. Aufl. 1976, S. 27. 648 Grundlegend Mayntz, Soziologie der Organisation, 1963, S. 36. Unter Bezugnahme darauf Pilniok, Bausteine einer Theorie des Organisationsverfassungsrechts – Organisationswissenschaftliche Impulse für das Recht der Politik, in: Krüper / ders. (Hg.), Organisationsverfassungsrecht, 2019, 1 (7); ders., Querschnittscurriculum Organisationsrecht, in: Krüper (Hg.), Rechtswissenschaft lehren, 2022, § 22 Rn. 5. 649 Grundlegend Mayntz, Soziologie der Organisation, 1963, S. 36. Sinngleich Gukenbiehl, Institution und Organisation, in: Korte / Schäfers (Hg.), Einführung in Hauptbegriffe der Soziologie, 9. Aufl. 2016, 173 (184). 650 Grundlegend Mayntz, Soziologie der Organisation, 1963, S. 36. Sinngleich Gukenbiehl, Institution und Organisation, in: Korte / Schäfers (Hg.), Einführung in Hauptbegriffe der Soziologie, 9. Aufl. 2016, 173 (184). 643

I. Organisationssoziologische Einsichten 

149

Soll diese (soziologische) Auffassung in einem verwaltungstechnischen Sinne operabel gemacht werden, kann an das Vorstehende angeknüpft werden. Unter der Organisation ist sodann eine „Gesamtheit von Personen“ zu verstehen, die „unter Aufwendung gemeinsamer Sachmittel durch sinnhaft aufeinander bezogene Kommunikation einen Kollektivwillen“ bildet sowie „gemeinsame, über die bloße Assoziation hinaus gehende Ziele“ verfolgt und „dadurch in der Außenwahrnehmung zu einem kollektiven Akteur“ wird.651 Gewinnbringend ist dieses Verständnis insbesondere, weil es den Prozess der Kollektivierung652 betont. Letzteres bezeichnet die Fähigkeit zur Formung eines Gesamtwillens, der mit Hilfe von Organen in kollegialen oder monokratischen Strukturen gewonnen und in die Tat umgesetzt wird. Die Transformation individueller Willensakte in kollektive Handlungen stellt die „spezifische Leistungsfähigkeit“ bzw. „zentrale Transformationsleistung“ einer Organisation dar.653 Wird das Sozialsystem auf Zwecke festgelegt, kann eine eigene, vom Mitgliederbestand abgekoppelte Persistenz gewonnen werden. Handlungen werden daher der Organisation, aber nicht den für sie auftretenden Individuen zugerechnet.654 2. Organisationsforschung und Organisationssoziologie Die Organisationswissenschaft kennzeichnet ein Arbeitsgebiet, in dessen Mittelpunkt die Beschreibung, Erklärung und Gestaltung von Organisationen steht. Die Forschung wird von unterschiedlichen sozialwissenschaftlichen Subdisziplinen geleistet. Die Soziologie, die (Sozial-)Psychologie- und die Wirtschaftswissenschaften tun sich hervor, aber auch die Politik- und Rechtswissenschaft sind nicht unbeteiligt.655 Wenn man ein strenges soziologisches Wissenschaftsverständnis anlegt, handelt es sich bei der Organisationsforschung keinesfalls um eine eigenständige Disziplin.656 Vielmehr liegt eine Parallele zur Verwaltungswissenschaft nahe, an der 651

Schaefer, Die Umgestaltung des Verwaltungsrechts, 2016, S. 184 f. Wimmer, Dynamische Verwaltungslehre, 2. Aufl. 2010, S. 151 f. nennt die Merkmale (1) arbeitsteiliges Zusammenwirken, (2) generelle Kommunikationsregeln, (3) Ziele / Programme und (4) Herstellung von Entscheidungen, aber verfolgt damit nur einen anderen terminologischen Zugriff. 652 Teubner, KritV 1987, 61 (70). 653 Schmidt-Aßmann, Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, in: ders. / Hoffmann-Riem (Hg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, 9 (34, 44). 654 Trute, Funktionen der Organisation und ihre Abbildung im Recht, in: Schmidt-Aßmann /  Hoffmann-Riem (Hg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, 249 (254). 655 Gukenbiehl, Institution und Organisation, in: Korte / Schäfers (Hg.), Einführung in Hauptbegriffe der Soziologie, 9. Aufl. 2016, 173 (185); Pilniok, Bausteine einer Theorie des Organisationsverfassungsrechts – Organisationswissenschaftliche Impulse für das Recht der Politik, in: Krüper / ders. (Hg.), Organisationsverfassungsrecht, 2019, 1 (7). 656 Gukenbiehl, Institution und Organisation, in: Korte / Schäfers (Hg.), Einführung in Hauptbegriffe der Soziologie, 9. Aufl. 2016, 173 (185); Pilniok, Bausteine einer Theorie des Organisationsverfassungsrechts – Organisationswissenschaftliche Impulse für das Recht der Politik, in: Krüper / ders. (Hg.), Organisationsverfassungsrecht, 2019, 1 (7).

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D. Analyserahmen  

ebenfalls verschiedene Fachbereiche teilhaben und eine Kennzeichnung durch den gemeinsamen Forschungsgegenstand (die Verwaltung) stattfindet.657 Die Organisationssoziolgie beschreibt ein von Wissenschaftsdisziplinen unabhängiges Forschungsinteresse, das einzelne Gesichtspunkte von Organisationen betrifft. Dazu zählen die „Ziele und Strukturen“ und deren wechselseitiger Zusammenhang, die „Personen und die Akteure“ und schließlich die „Einbindung und Verankerung“ der Einheit in der „sozialen und materiellen Umwelt“.658 Den bisherigen Annahmen folgend ist die Organisationswissenschaft eine Forschungsplattform, in die die Organisationssoziologie ihre spezifischen Beiträge einbringt.659 3. Organisationsbegriff und Recht Der Organisationsbegriff, der den sozialwissenschaftlichen Unterscheidungen zugrunde liegt, kann nicht losgelöst von (juristischen) Regeln behandelt werden. Normen sind, mit anderen Worten, ein „mitkonstitutives Element“ des organisatorischen Handlungszusammenhangs.660 Regeln vermitteln die Verselbstständigung des sozialen Gebildes zu einem eigenständigen Verband und forcieren seine Handlungsfähigkeit. Das System des Rechts wirkt begünstigend, wenn es die Zuschreibung von Handlungs- und Kommunikationsakten zur Einheit gewährleistet und Wirkungszusammenhänge zwischen Organ, Organwalter und juristischer Person begründet. Für die Organisation im verwaltungstechnischen Sinne gilt im Staat des Grundgesetzes, dass die rechtliche Ordnung limitiert, während in Teilbereichen der Verwaltungsorganisation Satzungen als Ausdruck geregelter, aber nicht spontaner oder ungebundener Selbstorganisation hinzutreten (Vorbehalt und Vorrang des Gesetzes). Darüber hinaus darf die Verwaltungsorganisation nicht nur nach dem strictly legal point of view aufgefasst werden. Während der Bestand an Regeln konstitutiv für die Verwaltungsorganisation wirkt und Statik verleiht, ist darin kein vollkommen determinierender Faktor zu erkennen. Hans-Heinrich Trute erinnert zutreffend an weitere organisationsinterne Bedingungen wie „Personal, 657 Neuerdings kann für die Verwaltungswissenschaft auch die Umschreibung als „Forschungsplattform“ (Krönke, Die Verwaltung 50 [2017], 277 [282]) wahrgenommen werden. 658 Gukenbiehl, Institution und Organisation, in: Korte / Schäfers (Hg.), Einführung in Hauptbegriffe der Soziologie, 9. Aufl. 2016, 173 (185). Gärditz, Hochschulorganisation und verwaltungsrechtliche Systembildung, 2009, S. 56 greift demgegenüber zu kurz aus, wenn er nur die „Pathologie der Organisation“ als Gegenstand der Organisationssoziologie erkennt. 659 Gukenbiehl, Institution und Organisation, in: Korte / Schäfers (Hg.), Einführung in Hauptbegriffe der Soziologie, 9. Aufl. 2016, 173 (185). 660 Trute, Funktionen der Organisation und ihre Abbildung im Recht, in: Schmidt-Aßmann /  Hoffmann-Riem (Hg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, 249 (256).

I. Organisationssoziologische Einsichten 

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Sachmittel, Finanzen, Zeitbudget, Organisationsgeschichte“, die neben dem Recht auf den Plan treten.661 Mögen die vorstehenden Erläuterungen auch unmittelbar einsichtig sein, so sind sie für den Fortgang der Untersuchung doppelt relevant. Dies gilt zum einen für die Einordnung der nachbarwissenschaftlichen Einsichten, die oftmals eine antiformalistische Haltung zum Ausdruck bringen. Sie wollen die Beschäftigung mit Organisationen vorwiegend in den Kategorien soziologischer Handlungs- bzw. Kommunikationszusammenhänge vollziehen. Die Studien erklären das Recht zum Nebenschauplatz, obwohl es genau das Tuch ist, aus dem eine lebendige Organisation geschneidert werden kann. Zum anderen trifft dies für die Verwaltungsrechtswissenschaft zu, die unter Ansicht des geltenden Rechts die Betrachtung der organisationsinternen Bedingungen konsequent ausspart. Sie erzählt eine Legende absoluter Regeltreue und negiert die Existenz organisationssozialer Prozesse zugleich – ob gewollt oder ungewollt – nahezu vollständig. Die Verwaltungsrechtslehre bleibt damit im Verhältnis zur Organisation vornehmlich in der Rolle eines Beobachters verhaftet, der sich am Bahnhof aufstellt und die An- und Abfahrtszeiten der Züge wahrnimmt sowie die Anzahl der Fahrgäste registriert, während die technischen Abläufe in der Lokomotive und der Betrieb in den einzelnen Wagons unerkannt bleiben.662 Diese allein rechtliche Beschreibung der Organisation macht grobe Fehldiagnosen wahrscheinlich. Der organisationssoziale Blickwinkel hilft diese zu verhüten, weil er die Vereinbarkeit zwischen der regelhaften Basis einer Organisation und der praktischen Wirksamkeit überprüft.663 4. Organisationen, Kommunikationskanäle und die Unmöglichkeit eines langlebigen Designs – „Exit, Voice, and Loyalty“ (Albert O. Hirschman) Die IHK leidet unter einem strukturellen Organisationsdefizit. Diese Einsicht folgt der Studie „Exit, Voice, and Loyalty – Responses to Decline in Firms, Organizations, and States“664, die Albert Hirschman665 1970 vorgelegt hat und nunmehr zur Präsentation gelangt.666

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Trute, Funktionen der Organisation und ihre Abbildung im Recht, in: Schmidt-Aßmann /  Hoffmann-Riem (Hg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, 249 (255). 662 Dieser treffende Vergleich findet sich bei Wimmer, Dynamische Verwaltungslehre, 2. Aufl. 2010, S. 152. 663 Gärditz, Hochschulorganisation und verwaltungsrechtliche Systembildung, 2009, S. 56. 664 Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty, 1970. 665 Zu seinem Leben und Wirken umfassend Adelman, Worldly Philosopher, 2013. Ein Verzeichnis über die Schriften ist den S. 699 ff. zu entnehmen. 666 Seit 1974 liegt die Untersuchung in der deutschen, von Leonhard Walentik besorgten Übersetzung mit dem Titel „Abwanderung und Widerspruch – Reaktionen auf Leistungsabfall bei Unternehmungen, Organisationen und Staaten“ vor.

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D. Analyserahmen  

a) Rekonstruktion des Arguments Bemerkenswert an der deutschsprachigen Übersetzung, die zuvörderst zur Verwendung gelangen soll, obwohl die ökonomischen Fachbegriffe, die Pointiertheit und Wortgewandheit des englischen Originaltextes in ihr teilweise verlorengegangen sind,667 ist vor allem das Vorwort. Darin heißt es: „Aber nach der Veröffentlichung des Buches in den Vereinigten Staaten kam mir zum Bewußtsein, daß es tiefere Gründe sein mögen, die mich an das Thema fesselten. Ein großer Teil des Buches kreist um die Besorgnis, daß durch die Abwanderung jener, deren Widerspruch unüberhörbar wäre, ein besonders wirksames Mittel gegen den Niedergang verloren gehen könnte. Es gibt wohl eine Verwandtschaft zwischen dieser Situation und dem Schicksal der Juden, die noch nach 1939 in Deutschland waren. Die meisten Jungen und Tatkräftigen wanderten, wie ich, in den ersten Jahren nach Hitlers Machtergreifung ab und hinterließen eine ernstlich geschwächte Gemeinschaft. Sicher gab es damals praktisch keine Möglichkeit für einen wirksamen Widerspruch, wer immer auch ging oder blieb. Dennoch, der eigentliche Ursprung des Buches mag wohl ein sorgfältig unterdrücktes Schuldgefühl sein, das einfach da ist, wenn es auch verstandesmäßig absurd erscheint. Die deutsche Ausgabe des Buches ermöglicht es mir, diesen Nachgedanken zum Ausdruck zu bringen.“668 aa) Einleitung und Überblick über die bisher vertretenen Lehrmeinungen, 1. Kapitel Bereits mit dem ersten Satz verdeutlicht der Autor, dass er den Untersuchungsgegenstand großräumig vermessen möchte. „In jedem wirtschaftlichen, sozialen oder politischen System kommt es immer wieder vor, daß Individuen, Unternehmungen und Organisationen von den Normen effizienten, rationalen, gesetzestreuen, tugendhaften oder sonst funktionsgerechten Verhaltens abweichen“, heißt es ebenda.669 Es sollen nicht nur vorübergehende, durch Fehlverhalten begründete, aber reparable Qualitätsverluste in jeder (wirtschaftlichen oder politischen) Organisation untersucht werden. Im weiteren Verlauf spezifiziert der Verfasser den Begriff der Qualitätsverschlechterung. Er sei von dem Standpunkt des Mitglieds aus gleichbedeutend mit der „wachsenden Nichtübereinstimmung mit den Grundsätzen und Aktionen der Organisation.“670 Doch soll der Fokus nicht auf organisatorisches Fehlverhalten und der damit erregten Qualitäts- oder Leistungsverschlechterung um seiner selbst willen gelegt werden. Vielmehr wird die Studie bereits in ihren 667 Hirschman bewertete den Titel der deutschsprachigen Übersetzung als „daringly free, though apt, translation“, übersetzte das Begriffspaar Abwanderung und Widerspruch jedoch mit „outmigration and contradicting“ ins Englische (Hirschman, World Politics Vol. 45 [1993], 173 [174]). 668 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. VII. 669 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 1. 670 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 74.

I. Organisationssoziologische Einsichten 

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Anfängen reformorientiert ausgelegt. Der Autor möchte analysieren, inwiefern eine Gesellschaft in der Lage ist, „aus sich selbst heraus Kräfte auf den Plan zu rufen, durch die möglichst viele der von der Norm abweichenden Handlungsträger zu dem Verhalten zurückgeführt werden, das für das richtige Funktionieren der Gesellschaft notwendig ist.“671 Hirschman betrachtet sodann die in der Wirtschaftstheorie vertretenen Lehrmeinungen zu reparablen Leistungsverschlechterungen bei Unternehmen. Er stellt fest, dass die Wirtschaftswissenschaft dem Problem mit Sorglosigkeit begegne („[E]conomists have paid little attention to repairable lapses of economic actors“)672. Den Befund begründet er auf zwei Wegen. Zum einen würden die Wirtschaftstheoretiker im Sinne eines „rationalen Verhalten[s] ohne jede Abweichungen“ zu sehr den Gedanken fokussieren, dass „ein Unternehmen, das zurückbleibt (oder vorprescht), dies „aus gutem Grunde““ tue.673 Daher sei der „Begriff eines zufallsbedingten und mehr oder minder leicht „wiedergutzumachenden Fehlers“ […] bisher ihrem Denken fremd gewesen“.674 Zum anderen sei die Erholung durch Fehlerkorrektur im traditionellen Modell der Wettbewerbswirtschaft nicht von entscheidender Bedeutung.675 Die vorherrschende Meinung besage vielmehr: „Sobald eine Firma im Konkurrenzkampf unterliegt, übernehmen andere (u. a. Neulinge) ihren Marktanteil und ihre Produktionsfaktoren, und im Endergebnis kann es sehr wohl sein, daß die Allokation der gesamten Ressourcen nunmehr besser ist.“676 Die wirtschaftstheoretische Ausgangslage kritisiert Hirschman mit vorsichtigen Worten („we can immediately question its justification“)677. Ihm fallen sofort zwei Situationen ein, in denen sich die vorherrschenden Theorien mit ihrem Fokus auf den Wettbewerb und dem gleichzeitigen Verzicht auf (weitere)  Korrektur- oder Wiederherstellungsinstrumente als unzureichend ergeben. „Erstens gibt es wohlbekannte, weite Bereiche, die von Monopolen, Oligopolen und monopolis­tischer Konkurrenz beherrscht werden: eine Leistungsverschlechterung bei Unternehmungen, die in diesem Sektor der Wirtschaft tätig sind, könnte zu mehr oder minder permanenten Einnistungen von Ineffizienz und Nachlässigkeit führen“.678 Zweitens: „[S]elbst dort, wo scharfe Konkurrenz herrscht, ist ein Desinteresse an der Möglichkeit, zeitweilig nachlassende Unternehmungen wieder zu Kräften zu bringen, kaum gerechtfertigt.“679 Denn die Wahrscheinlichkeit, dass die Miss 671

Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 1. Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty, 1970, S. 1 – Hervorh. i. O. 673 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 1 f. – Hervorh. i. O. 674 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 2. 675 Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty, 1970, S. 2: „In the traditional model of the competetive economy, recovery from any lapse ist not really essential.“ 676 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 2. 677 Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty, 1970, S. 2. 678 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 2 – Hervorh. i. O. 679 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 2. 672

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erfolge einzelner Firmen „auf zufallsbedingte subjektive Faktoren zurückzuführen“ seien, die sich als „reversibel oder korrigierbar“ darstellten, sei „keineswegs geringer“ als die, dass sie „durch permanent ungünstige Verschiebungen der Kosten- und Nachfragebedingungen verursacht“ würden.680 Die von ihm erdachten Mechanismen spielten unter diesen Vorzeichen „zur Vermeidung sozialer Verluste und menschlicher Härten eine höchst nützliche Rolle“.681 Dass in derartigen Konstellationen mit dem wettbewerblichen Verhalten zwischen Unternehmen bereits ein wichtiger Wiederherstellungsmechanismus in den meisten Volkswirtschaften existent ist, lässt Hirschman nicht unerwähnt. Er möchte aber nachweisen, dass „noch ein weiterer wichtiger Mechanismus“ und zwar „entweder als Ersatz oder als Ergänzung“ des Wettbewerbsmechanismus ins Spiel komme.682 Eine Grundannahme für das Theorem legt der Autor im Folgenden dar: „Wir nehmen an, daß die Leistung eines Unternehmens oder einer Organisation sich aus nicht näher bezeichneten, zufallsbedingten Ursachen verschlechtert, welche weder so zwingend noch so dauerhaft sind, daß sie eine Rückkehr zu früheren Leistungsstufen ausschließen, vorausgesetzt, die Unternehmensleitung wendet dieser Aufgabe ihre Aufmerksamkeit und Energie zu.“683 Anschließend kommt Hirschman erstmals auf das entscheidende Begriffspaar zu sprechen, wenn er erörtert, dass die Unternehmens- oder Organisationsleitung „auf einem von zwei möglichen Wegen“ von einem reparablen Leistungsrückgang erfahren könne.684 „(1) Eine Anzahl von Kunden hört auf, die Erzeugnisse der Firma zu kaufen bzw. eine Anzahl von Mitgliedern tritt aus der Organisation aus: dieses ist die Reaktionsweise Abwanderung [‚this is the exit option‘]685. Daraufhin gehen die Einkäufe zurück, die Mitgliederzahl sinkt, und die Unternehmensleitung wird dadurch veranlaßt, nach Mitteln und Wegen zur Korrektur der Fehler zu suchen, die zur Abwanderung geführt haben. (2) Die Kunden der Firma bzw. die Mitglieder der Organisation geben ihre Unzufriedenheit kund, und zwar entweder auf direktem Wege durch Beschwerden bei der Unternehmens- bzw. Organisationsleitung oder einer anderen Stelle, der diese untersteht, oder aber auf dem Wege eines allgemeinen Protestes, der an jeden gerichtet ist, der gewillt ist zuzuhören: dies ist die Reaktionsweise Widerspruch [‚this is the voice option‘]686. Daraufhin beginnt die Leitung wieder nach den Ursachen sowie den möglichen Abhilfen für die Unzufriedenheit der Kunden bzw. Mitglieder zu suchen.“687

680

Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 2 f. Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 3. 682 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 3. 683 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 3 (ähnlich S. 26). 684 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 3. 685 Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty, 1970, S. 4. 686 Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty, 1970, S. 4. 687 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 3 f. – Hervorh. i. O. 681

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Aus der Aneinanderreihung der Exit- und Voice-Option geht noch nicht unmittelbar hervor, dass die Reaktionsweisen in ihrem Zusammenwirken untersucht werden sollen. Doch Hirschman legt nunmehr explizit dar: „Der folgende Text […] hat im wesentlichen eine vergleichende Analyse dieser beiden Reaktionsweisen sowie ihrer Wechselwirkung zum Gegenstand. Dabei möchte ich Fragen wie die folgenden untersuchen: Unter welchen Bedingungen wird die Reaktionsweise Abwanderung der Reaktionsweise Widerspruch vorgezogen, und umgekehrt? Was ist die vergleichsweise Wirksamkeit der beiden Reaktionsweisen als Wiederherstellungsmechanismen? In welchen Situationen kommen beide Reaktionsweisen zusammen ins Spiel? Welche Institutionen wären geeignet, die beiden Reaktionsweisen als Wiederherstellungsmechanismen zu vervollkommnen? Sind Institutionen zur Vervollkommnung der Reaktionsweise Abwanderung mit jenen verträglich, die zur Verbesserung des Funktionierens der Reaktionsweise Widerspruch bestimmt sind?“688 Der Verfasser verdeutlicht, dass er der verbreiteten Erzählung einer unablässigen Volkswirtschaft689, in der stetig rational und effizient gehandelt sowie auf ein Maximum der Leistung abgezielt wird, wenig abgewinnen kann. „Wir müssen das Paradies verlassen und zum sozialwissenschaftlichen Denken zurückkehren, denn unsere Geschichte hat noch eine andere Seite“.690 „[N]eben dem traditionellen Bild der permanent straffen Wirtschaft beginnen Elemente einer Theorie der schlaffen Wirtschaft zu entstehen.“691 Hirschman steht mit dieser Einsicht nicht alleine dar. Er verweist auf zeitgenössische Forschungen des Wirtschaftswissenschaftlers und späteren Nobelpreisträgers Herbert A. Simon, der bereits 1952 erkannte, dass „Firmen in der Regel nicht die höchstmögliche, sondern nur eine „befriedigende“ Gewinnrate“ anstrebten.692 Über diese Feststellung geht er allerdings hinaus. „Es wird angenommen, dass Schlaffheit nicht nur irgendwie entstanden ist und in bestimmtem Ausmaß in der Welt existiert, sondern daß sie auf Grund einer Art Entropie, die für menschliche Überschussgesellschaften charakteristisch ist, ständig entsteht.“693 Sodann werden die Handlungsoptionen exit und voice, die auch als endogene Gesundungskräfte bezeichnet werden,694 den Disziplinen Ökonomie und Politologie zugeteilt. Im Hinblick auf die Paarbildung Abwanderung-Ökonomie und Widerspruch-Politologie erläutert Hirschman: „Das ist die Art Mechanismus, die 688

Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 4. Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty, 1970, S. 9 – Hervorh. i. O.: „This picture of a relentlessly taut economy“. 690 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 8. 691 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 8 – Hervorh. i. O. 692 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 9. 693 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 12 – Hervorh. i. O. 694 Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty, 1970, S. 15: „these endogenous forces of recovery“. 689

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so recht nach dem Geschmack der Ökonomen ist. Er ist klar und säuberlich abgegrenzt – man wandert ab oder man bleibt; er ist unpersönlich –, jede unmittelbare Konfrontation zwischen dem Kunden und dem Unternehmen mit den ihr anhaftenden Imponderabilien und unvorhersehbaren Wendungen wird vermieden, und die Firma kann ihren Erfolg oder Mißerfolg an Statistiken ablesen; dazu hat er noch indirekten Charakter – jede Gesundung der zurückgehenden Firma kommt durch „unsichtbare Hand“ zustande, als unbeabsichtigtes Nebenprodukt der Entscheidung des Kunden, zu einer anderen Ware überzugehen. In allen diesen Punkten ist der Widerspruch das gerade Gegenteil der Abwanderung. Begrifflich ist er weit weniger „sauber“ abgrenzbar, denn er kann über die ganze Skala vom leisen Murren bis zum gewaltsamen Protest abgestuft werden; er erfordert, daß man seine kritische Einstellung artikuliert, anstatt in der Anonymität eines Supermarktes privat und „geheim“ seine Stimme abzugeben; und schließlich erfolgt er indirekt und geradlinig, nicht auf Umwegen. Widerspruch ist politisches Handeln par excellence.“695 Hatte der Autor den Stand der Wirtschaftstheorie zum Problem der reparablen Leistungsverschlechterungen zunächst noch mit vorsichtigen Worten kritisiert, wird er an dieser Stelle deutlicher. „Der Wirtschaftswissenschaftler hat von Natur aus die Tendenz zu meinen, daß sein Mechanismus weitaus wirksamer, ja überhaupt der einzig ernstzunehmende sei.“696 Er kann diese Sichtweise unter Verweis auf einen Beitrag des Ökonomen Milton Friedman belegen, der mit einem geringschätzenden Duktus „cumbrous political channels“697 erörterte. Hirschman ärgert sich über das „Vorurteil des Ökonomen zugunsten der Abwanderung und gegen den Widerspruch.“698 Friedman mache politische Prozesse „contemptuous[ly]“699. Sodann kommt er auf die Politikwissenschaft zu sprechen und meint, dass es „im politischen Bereich der Abwanderung noch schlechter ergangen“ sei „als dem Widerspruch im Bereich der Ökonomie“.700 Die Abwanderung habe ebenda eine Gleichsetzung mit den Ausdrücken „Desertion, Abfall und Verrat“ erfahren. Hirschman möchte nunmehr beobachten, „wie ein typischer Marktmechanismus und ein typischer nicht marktmäßiger, politischer Mechanismus Seite an Seite“ wirken, „möglicherweise harmonisch und einander gegenseitig unterstützend“, möglicherweise aber auch so, dass sie einander behinderten und in ihrer Wirksamkeit störten.701 Er möchte ferner zeigen, dass das Wechselspiel „between market and nonmarket forces […] will lead to a more complete understanding of social

695

Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 13 – Hervorh. i. O. 696 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 13. 697 Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty, 1970, S. 16 m. Fn. 19. 698 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 14. 699 Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty, 1970, S. 17. 700 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 14 f. 701 Zitate bei Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 15.

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processes than can be afforded by economic or political analysis in isolaton.“702 Seine Studie ist interdisziplinär im besten Sinne angelegt. Denn der Autor verfolgt die Idee einer Verknüpfung der beiden Disziplinen auf Augenhöhe703 und einer gegenseitigen Anregung704. Er erachtet daher die jeweils für dominant befundenen Mechanismen auch als prinzipiell gleichwertig.705 bb) Abwanderung, 2. Kapitel Nachdem der Verfasser im ersten Kapitel die Mechanismen exit und voice eher um- als beschrieben hatte, analysiert er deren Funktionsweise nunmehr detailliert. „Unter diesen Voraussetzungen [gleichbleibender Preis, gleichbleibende Kosten und sinkende Qualität des Produkts] führt jede Abwanderung von Konsumenten auf Grund einer Qualitätsverschlechterung zu Einkommensverlusten, wobei natürlich für jeden gegebenen Qualitätsrückgang gilt, daß die Verluste um so größer sein werden, je umfangreicher die Abwanderungsbewegung ist.“706 An diese Kausalkette schließt sich eine differenzierte Reaktion der Unternehmensleitung an, in der Umsatzrückgang und Qualitätsverbesserung verknüpft werden. „Bei einem geringen Rückgang der Einnahmen erfolgt keine Reaktion, bei einem Rückgang mittlerer Größe kommt es zu einer vollkommenen Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit; […] ab einem gewissen Punkt schwächen Verluste die Firma so sehr, daß sie bankrott ist, bevor die Gegenmaßnahmen wirksam werden.“707 Das Wechselspiel zwischen Abwanderung und Unternehmensreaktion beschreibt er folgendermaßen: „Wenn die Konkurrenz (Abwanderung) als Korrekturmechanismus für Leistungsverschlechterungen wirksam sein soll, ist es im allgemeinen für ein Unternehmen das beste, eine Mischung aus regen und trägen Kunden zu haben. Die regen Kunden geben der Firma einen Feedback-Mechanismus, durch den die Bemühungen zur Gesundung des Unternehmens vorankommen, während die trägen Kunden ihr die Zeit und die Geldreserven geben, die sie braucht, wenn diese Bemühungen Erfolg haben sollen. […] Bei Betrachtung des Wettbewerbs als Korrekturmechanismus ergibt sich […], daß zwar die Abwanderung einiger Kunden 702

Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty, 1970, S. 18. Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty, 1970, S. 19 f. – Hervorh. i. O.: „Perhaps it takes an economist to reawaken feelings of identity and pride among our opressed colleagues [die Politologen] and to give them a sense of confidence that their concepts too have not only grandeur, but rayonnement as well? I like to think that this could be a by-product of the present essay.“ 704 Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty, 1970, S. 19 – Hervorh. i. O.: „I hope to demonstrate to political scientists the usefulness of economic concepts and to economists the usefulness of political concepts.“ 705 Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty, 1970, S. 19: „Exit and voice, that is, […] economic and political mechanisms, have been introduced as two principal actors of strictly equal rank and importance.“ 706 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 18 f. 707 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 19. 703

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wesentlich ist, um den Mechanismus in Gang zu bringen, daß es aber auch wichtig ist, daß andere Kunden den Qualitätsrückgang nicht bemerken oder sich durch ihn nicht stören lassen. Wären alle Menschen eifrige Leser von Testberichten […] oder würden sie nur nach eingehenden Vergleichen einkaufen, dann könnte es zu einer katastrophalen Unstabilität kommen, und die Firmen hätten keine Chance, gelegentliche Fehler wiedergutzumachen.“708 Anders gewendet: beide vorstellbaren Extreme, d. h. sowohl eine ausbleibende Reaktion auf Leistungsverschlechterungen als auch eine sofortige und universelle Abwanderung der Kunden, sind dysfunktional. Notwendig ist stattdessen ein gesundes Maß an Kundenreaktionen709, wenn die Disziplinierung und anschließende Reaktion der Geschäftsleitung möglich sein sollen. Damit begibt sich Hirschman in einen Gegensatz zur traditionellen Auffassung in der Wirtschaftstheorie. Danach sei es „für das Funktionieren der konkurrenzbestimmten Märkte“ umso besser, „je reger die Kunden“ agierten,710 d. h. je mehr Kunden im Fall der Leistungsverschlechterung abwanderten. cc) Widerspruch, 3. Kapitel Legte Hirschman zuvor implizit dar, dass die Wirtschaftslehre die Wirkungsweise der Exit-Option bisher nur unzureichend untersucht hatte, stellt er nunmehr fest, dass dies für die Voice-Option in Gänze gelte. „Schon der bloße Gedanke, daß hier ebenfalls ein „Gesundungsmechanismus“ vorliegt, der neben oder sogar anstelle der Abwanderung ins Spiel kommen kann, wird wohl zumeist mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Verwunderung aufgenommen werden.“ Der Autor kritisiert dies unter Verweis auf das „Zeitalter des Protestes“. Damit sei offensichtlich geworden, dass „unzufriedene Verbraucher oder Mitglieder […], anstatt einfach zur Konkurrenz überzugehen, sehr wohl imstande“ seien, „Krach zu schlagen“ und dadurch der nachlassenden Führung verbesserte Produkte bzw. Dienstleistungen abzutrotzen.711 Als Widerspruch gilt danach „jeder wie immer geartete Versuch, einen ungünstigen Zustand zu verändern, anstatt ihm auszuweichen, sei es durch individuelle oder kollektive Petition an die unmittelbar Verantwortlichen, durch Berufung an eine höhere Stelle in der Absicht, einen Führungswechsel zu erzwingen, oder durch verschiedene Arten von Aktionen und Protesten einschließlich jener, die zur Mobilisierung der öffentlichen Meinung dienen sollen.“ Er möchte ferner den Terminus Interessenartikulation synonym zum Widerspruch verstanden 708 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 20 – Hervorh. i. O. 709 Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty, 1970, S. 24: „that quality elasticity of demand be neither very large nor very small“. 710 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 20. 711 Zitate bei Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 25.

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wissen.712 Alle Verhaltensweisen, die nicht der Exit-Option unterfallen, sind als voice zu qualifizieren, und umgekehrt. Eine dritte Kategorie, die mit den beiden Mechanismen auf einer Stufe steht, wird nicht eingeführt.713 Das Kapitel steht nicht für sich. Zwar beschreibt der Verfasser, „wie Widerspruch im Vergleich zur Abwanderung wirkt, wenn er isoliert“ zur Geltung komme. Dabei erkennt er Gefahren, die aus einer Überdosis des Voice-Mechanismus erwachsen. „Doch […] kann man auch den Widerspruch übertreiben: die unzufriedenen Kunden oder Mitglieder könnten so aufdringlich werden, daß ihre Proteste ab einem bestimmten Punkt die im Gange befindlichen Rettungsversuche nicht unterstützen, sondern behindern.“714 Hirschman erachtet ferner Situationen als vorstellbar, in denen die Abwanderung unmöglich sei und der Widerspruch zur einzigen Reaktionsweise erstarke. „Grundlegende soziale Organisationen wie die Familie, der Staat oder die Kirche“ kämen dem „sehr nahe“. Im wirtschaftlichen Bereich denkt er an die Konstruktion eines „reinen Monopols“ als eine „abwanderungsfreie[n] Situation“, möchte aber zuvörderst den Widerspruch im Zusammenwirken mit der Abwanderung in „realen Marktsituationen“ beobachten. Ebenda kämen diejenigen, die nicht abwanderten, als „potentielle[r] Träger des Widerspruchs“ infrage. Außerdem erkennt er, dass die Bedeutung des Widerspruchs in dem Maße zunimmt, in dem die Bedeutung der Exit-Option abnimmt. Der Wert von voice steigt bis zu dem Punkt, an dem die Abwanderung „vollkommen undurchführbar“ sei. Hier müsse der Widerspruch die Aufgabe, „die Unternehmensführung auf ihre Fehler aufmerksam zu machen, zur Gänze“ erfüllen.715 Der Verfasser meint, dass jeder erfolgte Widerspruch „vom Standpunkt der Gesundung des Unternehmens bzw. der Organisation per Saldo ein Gewinn“ sei.716 Er äußert sich aber noch genauer. „[V]om Standpunkt der Maximierung der kombinierten Wirksamkeit von Abwanderung und Widerspruch während der gesamten Dauer der Qualitätsverschlechterung [ist] der optimale Ablauf vielleicht der, daß in den ersten Stadien des Qualitätsrückganges eine elastische Reaktion der Nach 712

Zitate bei Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 25. 713 Der Autor kommt im weiteren Verlauf auf den Boykott zu sprechen und erkennt darin nicht nur ein „phenomenon on the border line between voice and exit“, sondern auch einen „true hybrid of the two mechanisms“ (Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty, 1970, S. 86). Der Boykott vereine „in sich Merkmale der Abwanderung“, indem man der Firma oder Organisation finanzielle Verluste zufüge, „mit solchen des Widerspruchs“, weil der Boykott dem Mitglied oder dem Kunden gleichzeitig Zeit und Geld koste (ders., Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 74). 714 Zitate bei Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 26. 715 Zitate bei Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 28. 716 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 29.

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frage erfolgt [viele Kunden sollen den exit wählen, damit frühzeitig ein spürbares Signal an die Unternehmensleitung gesendet wird], die dann in den späteren Stadien durch eine unelastische Reaktion abgelöst wird [wenige Kunden sollen den exit wählen, damit diejenigen Ressourcen verbleiben, die der Unternehmensleitung die Möglichkeit zur Korrektur eröffnen].“717 Soll der Widerspruch als Alternative zur Abwanderung Verwendung finden, bekräftigt Hirschman, dass die Entscheidung für die Abwanderung häufig in Abhängigkeit von „den Erfolgschancen des Widerspruchs getroffen“ werde.718 Er betont, dass der Nachteil der Exit- im Vergleich zur Voice-Option in dem Umstand der Unumkehrbarkeit liege. Mit dem Ausstieg gibt man den Einfluss auf zukünftige Veränderungen im Innenleben der Organisation aus der Hand. Die beiden Mechanismen funktionieren demnach asymmetrisch. „Sobald man abgewandert ist, hat man die Möglichkeit zum Widerspruch verloren, nicht aber umgekehrt“.719 Er erörtert überdies die Kosten für den Widerspruch. „Im Vergleich zur Abwanderung ist Widerspruch […] kostspielig und abhängig vom Einfluß und von der Verhandlungsposition der Kunden und Mitglieder innerhalb der Firma, von der sie kaufen, bzw. der Organisation, der sie angehören.“720 dd) Eine besondere Schwierigkeit bei der Verbindung von Abwanderung und Widerspruch, 4. Kapitel Zu Beginn des vierten Kapitels gelangen empirische Beobachtungen zur Darstellung, die den Ausgangspunkt dieser Studie bildeten. Der Sachverhalt lag folgendermaßen: „[D]ie nigerianischen Eisenbahnen [hatten] trotz der Konkurrenzierung durch Lastkraftwagen so schlechte Leistungen geboten […], und zwar sogar bei weit zu transportierenden Massengütern wie Erdnüssen (die in Nordnigeria kultiviert werden, d. h. etwa 1200 Kilometer von den Häfen Lagos und Port d’Harcourt entfernt). Für die außergewöhnliche Fähigkeit der Lastkraftwagen, unter den in Nigeria herrschenden Verhältnissen die Bahn aus dem Feld zu schlagen, ließen sich ganz bestimmte wirtschaftliche, gesellschaftspolitische und organisatorische Gründe feststellen; doch nachdem ich dies getan hatte, blieb mir noch zu erklären, wieso die Bahnverwaltung auch auf lange Sicht trotz scharfer Konkurrenz nicht fähig gewesen war, einige ihrer schlimmsten Unwirtschaftlichkeiten auszumerzen.“721 Der Befund hatte – mit anderen Worten – die Annahme der klassischen Ökonomie über die ungebrochene Wirksamkeit des Konkurrenzmechanismus ad absurdum geführt. Danach wäre zu erwarten gewesen, dass starke Konkurrenz 717

Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 30. Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 30 – Hervorh. i. O. 719 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 31. 720 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 33. 721 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 37. 718

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(hier: zwischen dem Schienengüterverkehr und dem Lastkraftwagentransport) das Geschäft belebt (hier: die Unternehmung des Schienengüterverkehrs). Dass der Eisenbahntransport über einen langen Zeitraum unter erheblichen Qualitätsmängeln litt und keine Fehlerkorrektur erfolgte, erklärte Hirschman 1967 wie folgt: „Das Vorhandensein einer leicht zugänglichen Alternative zur Eisenbahn macht es nicht mehr, sondern weniger wahrscheinlich, daß man die Schwächen der Bahnen bekämpfen wird, anstatt sie zu dulden. […] [A]nstatt diese Betriebe zu verbesserten oder Spitzenleistungen anzuregen, beraubt sie das Vorhandensein eines leicht zugänglichen und zufriedenstellenden Ersatzes für die von ihnen gebotenen Dienstleistungen nur eines wertvollen Rückkoppelungsmechanismus, der dann am besten funktioniert, wenn die Kunden sicher und fest eingeschlossen sind. Denn die Unternehmensleitung der öffentlichen Unternehmen, die immer ziemlich sicher ist, daß sie der Finanzminister nicht im Stich lassen wird, ist unter Umständen gegenüber dem Einkommensverlust, der durch Abwanderung von Kunden zur Konkurrenz entsteht, weniger empfindlich als gegenüber den Protesten des aufgebrachten Publikums, für das die betreffende Dienstleistung lebenswichtig ist und das keine Alternative hat und daher Krach schlagen wird.“722 Er hatte damit bereits frühzeitig eine Situation entdeckt, in der die „Verbindung von Abwanderung und Widerspruch für eine Gesundung der betreffenden Unternehmung besonders schädlich“ war.723 „[D]er Abwanderung fehlte die sonst übliche aufmerksamkeitssteigernde Wirkung, weil die Verringerung der Einkünfte für das Unternehmen keine katastrophalen Folgen hatte, während der Widerspruch solange nicht zur Geltung kommen konnte, als die potentiell lautstärksten Kunden als erste von der Schiene zur Straße abwanderten.“724 Für den Befund einer Unempfindlichkeit gegen die Abwanderung725 findet der Autor weitere Beispiele. Er beschreibt die Koexistenz von öffentlichen Schulen und Privatschulen in den Vereinigten Staaten. Nehmen die Leistungen des öffentlichen Schulwesens ab, können die auf eine hohe Qualität der Schulbildung bedachten Eltern ohne Weiteres den exit in Richtung Privatschule vollziehen.726 Ferner weist er auf das Problem der Segregation in Innenstädten hin. „Wenn sich die allgemeinen Zustände in einer Wohngegend verschlechtern, sind diejenigen Bewohner, die Sicherheit, Sauberkeit, gute Schulen und ähnliche Qualitäten am meisten schätzen, die ersten, die ausziehen; sie sehen sich in etwas teureren Gegenden oder in den Vorstädten nach einer Wohnung um und sind damit für die [„citizens’ groups and community ­action programs“]727 verloren, durch die man versuchen würde, die Verschlechterung auf-

722 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 37 f. bzw. ders., Development Projects Observed, 1967, S. 146 f. 723 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 38. 724 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 38. 725 Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty, 1970, S. 46: „insensitivity to exit“. 726 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 38 f. 727 Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty, 1970, S. 51.

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zuhalten und rückgängig zu machen.“ Jeweils bemerkt Hirschman eine Sachlage, in der die Effektivität des Widerspruchsmechanismus durch die leicht realisierbare Exit-Option unterminiert wird. Er spricht von einem Vorgang, „der den Widerspruch lähmt, indem er ihm seine Hauptträger“ entziehe.728 Mit dem leichtfälligen exit von den öffentlichen Schulen komme es zum Verlust „jener Mitglieder […], die die stärksten Motive und die größte Entschlossenheit zum Kampf gegen die Leistungsverschlechterung“ aufzeigten, „wenn ihnen nicht die Alternative der Privatschulen offenstünde“.729 Daraus folgert er unter Rekurs auf einen Ausspruch des deutsch-amerikanischen Psychoanalytikers Erik H. Erikson: „Solche [qualitäts­ bewussten] Konsumenten bzw. Mitglieder dazu zu veranlassen, eine Zeitlang „aktiv auf ihrem Platz sitzen zu bleiben“, sollte das ernstliche Bestreben vieler Firmen und Organisationen sein – vor allem natürlich jener, die auf Widerspruch schneller reagieren als auf Abwanderungsbewegungen.“730 ee) Wie Monopole aus der Konkurrenz Nutzen ziehen können, 5. Kapitel Mangelte es dem vorangegangenen Kapitel noch an konkreten Handlungsempfehlungen für die beobachteten Problemfälle, wird dies im Folgenden zumindest in groben Zügen nachgeholt: „[D]ie vorangehende Argumentation [zwingt] zur Anerkennung der Tatsache, daß unter folgenden Voraussetzungen eine Situation ohne Abwanderungsmöglichkeit besser sein wird als eine Situation, die in bestimmten Grenzen Abwanderungsbewegungen zuläßt: (1) wenn die Abwanderung als Gesundungsmechanismus unwirksam ist, aber bewirkt, daß der Firma bzw. Organisation die qualitätsbewußteren, wacheren und potentiell aktivistischen Kunden bzw. Mitglieder entzogen werden; und (2) wenn der Widerspruch zu einem effektiven Korrekturmechanismus ausgestaltet werden könnte, sobald diese Kunden bzw. Mitglieder nicht ausweichen können.“731 Da die erste Voraussetzung bereits in dem vorstehenden Kapitel zur Erörterung gelangte, wendet sich Hirschman der zweiten Voraussetzung zu. Er bekennt, dass die Voice-Option noch keinen effektiven Korrekturmechanismus ergeben kann, wenn man die Exit-Option ausschließt.732 In diesem Fall besteht ein Dilemma: Die Wirksamkeit der Voice-Option wird bereits grundsätzlich eingeschränkt, wenn und weil die Möglichkeit der Drohung mit dem exit und / oder dem Beitritt zu einer

728

Zitate bei Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 43. 729 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 38 f. 730 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 42. 731 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 46. Dass Hirschman mit dieser Argumentationslinie auch ein Monopol befürworten müsste, ist ihm bewusst. 732 Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty, 1970, S. 55: „the fact that the members or customers are locked in cannot therefore ensure that an effective volume of voice will be forthcoming.“

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konkurrierenden Organisation versagt ist.733 Die Effektivität der Voice-Option wird also nicht nur behindert, wenn der exit nahezu voraussetzungslos gestattet ist. Vielmehr nimmt die Effektivität des Widerspruchs auch Schaden, wenn der exit uneingeschränkt unmöglich gemacht wird.734 ff) Eine Theorie der Loyalität, 7. Kapitel Im siebten Kapitel wird eine Theorie der Loyalität unterbreitet. Das „key conecpt“735 wird von dem Autor eingeführt, um die Bedingungen der Koexistenz von Abwanderung und Widerspruch verständlich zu machen.736 Während voice und exit als konträre, aber auch interdependente Handlungsformen analysiert wurden, bezeichnet loyalty eine Frage der Einstellung. Es handelt sich um eine Bereitschaft, die den Kunden oder das Mitglied daran hindert, ohne weitere Veranlassungen den Weg der Abwanderung einzuschlagen. Loyalität wird bestimmt durch zwei Faktoren, nämlich „(1) dem Ausmaß, in dem die Kunden bzw. Mitglieder bereit sind, die mit der Abwanderung verbundene Gewißheit um der ungewissen Verbesserung des verschlechterten Produktes willen preiszugeben [d. h. auf die ungewisse Wirksamkeit der Voice-Option und deren Leistungsfähigkeit zur Kurskorrektur zu vertrauen]; und (2) der Art und Weise, wie die Kunden bzw. Mitglieder ihre Fähigkeit einschätzen, die Organisation zu beeinflussen.“737 Damit wird deutlich, dass Loyalität nur in Fallkonstellationen wirken kann, in denen die Exit-Option zur Verfügung steht. „[Es hat] keinen Sinn, von Loyalität gegenüber einer Firma, Partei oder Organisation mit nicht zu umgehender Monopolstellung zu sprechen. Zwar schiebt die Loyalität die Abwanderung hinaus, aber ihre ganze Existenz hängt von der Möglichkeit der Abwanderung ab. Daß auch das loyalste Mitglied abwandern kann, ist oft ein wichtiger Bestandteil seines Einflusses und seiner Verhandlungsmacht gegenüber der Organisation.“738

733 Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty, 1970, S. 55: „one important way of bringing influence to bear on an organization is to threaten exit to rival organization. But this threat cannot be made when there is no rival“. S. ferner ders., Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 70: „Die Chancen eines wirksamen Funktionierens des Widerspruchs als Gesundungsmechanismus steigen beträchtlich, wenn der Widerspruch durch eine Abwanderungsdrohung unterstützt wird, mag sie nun offen ausgesprochen werden oder bloß allen Beteiligten als Faktor der Situation klar bewußt sein.“ 734 Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty, 1970, S. 55: „voice is not only handicapped when exit is possible, but also, though in a quite different way, when it is not.“ 735 Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty, 1970, S. 82. 736 Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty, 1970, S. 77. 737 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 66. 738 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 70.

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gg) Das Problem der optimalen Mischung von Abwanderung und Widerspruch, 9. Kapitel Das neunte Kapitel ist im Sinne einer Zusammenfassung zu lesen. Hirschman entwickelt zunächst eine viergeteilte Typologie, in der Organisationen danach klassifiziert werden, wie stark in ihnen die Mechanismen exit und voice zur Geltung kommen.739 Erstens existieren Organisationen, in denen sowohl die Abwanderung als auch der Widerspruch eine wichtige Rolle als Reaktionsmechanismen spielen. Dazu zählen: „Vereine, konkurrierende politische Parteien und manche Firmen z. B. jene, die an eine kleine Zahl von Kunden verkaufen“. Zweitens werden Organisationen benannt, in denen die Exit-Option mit einem hohen Preis verbunden ist oder sogar praktisch unmöglich erscheint. Dort dominiert die Voice-Option. Dazu gehören: „Familie, Stamm, Nation, Kirche, Parteien in nicht-totalitären Einparteiensystemen“. An dritter Stelle stehen Organisationen, in denen sowohl die Abwanderung als auch die Artikulation von Widerspruch in weitem Umfang eingeschränkt sind, weil sie als Verrat oder Meuterei betrachtet werden. Dazu zählen: „Parteien in totalitären Einparteiensystemen, Terroristengruppen, Verbrecherbanden“.740 Viertens und schließlich nennt Hirschman Organisationen, in denen die Voice-Option praktisch ungenutzt bleibt und der Mechanismus exit dominiert. Dazu gehören vor allem „Unternehmungen auf einem Wettbewerbsmarkt“.741 Vor dem Hintergrund dieser viergeteilten Organisationstypologie treibt den Verfasser vor allem eine Frage an: „But what if an organization is not particularly sensitive to the particular reaction it happens to provoke or does not possess the mechanism to which it would be sensitive?“742 Hirschman möchte mithin Schlussfolgerungen für einen organisationsangemessenen Mix von exit und voice vorlegen. Nebenbei bezweckt er, das Spektrum der üblicherweise erwogenen Maßnahmen zur Reform von Institutionen zu erweitern.743 Sodann betrachtet er zunächst diejenige Organisation, die „primär die Abwanderung aktiviert, gegen die sie aber weit weniger empfindlich ist, als sie es gegenüber dem Widerspruch wäre.“744 Er hat die öffentlichen Eisenbahnunternehmen beispielhaft im Blick. Zur Bekämpfung von Leistungsverschlechterungen wurde für sie oftmals die Forderung vorgebracht, eine striktere Finanzdisziplin einzuführen. Man hegte die Hoffnung, dass die Eisenbahndirektion auf den Einnahmerückgang wie ein vom Bankrott bedrohtes Privatunternehmen reagieren würde. Hirschman erörtert stattdessen Anreize „zur Förderung des Widerspruchs der Kunden […] auf

739

Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 102. Zitate bei Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 103. 741 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 102. 742 Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty, 1970, S. 122. 743 Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty, 1970, S. 124. 744 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 104. 740

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direktem Wege […], nämlich über eine Senkung der Kosten und Erhöhung des Ertrages des Widerspruchs, oder aber indirekt, durch Erhöhung der Kosten der Abwanderung, ja sogar durch Beschneidung der Abwanderungsmöglichkeiten.“ Sein zweites Augenmerk gilt dem Organisationstyp, der Widerspruch im großen Maße provoziert und ignoriert, während er auf die bisher nicht existente oder nur wenig ausgeprägte Exit-Option empfindlich reagieren würde. Seine Empfehlung tendiert dahin, die „Abwanderung durch entsprechende institutionelle Umstellungen“ zu erleichtern und attraktiver zu machen sowie die „Empfänglichkeit“ für den Widerspruch zu verbessern.745 Der Verfasser hält jedoch einschränkend fest, dass er kein Verfahren anbieten könne, welches ein allgemeingültiges Rezept für eine optimale Mischung aus exit und voice enthalte und empfiehlt einen trial-and-error-Ansatz.746 Man könne lediglich sagen, dass „der eine oder der andere unserer beiden Mechanismen zu wenig zur Geltung“ komme.747 Die ausgeprägte Skepsis gegenüber einer immerzu gültigen Vorhersage für die ideale Mixtur der beiden Mechanismen legt er sodann offen. „[E]ach recovery mechanism is itself subject to the forces of decay which have been invoked here all along.“748 Der Autor nimmt an, dass die Organisationsführung in der Lage ist, sich auf den von den Konsumenten und Mitgliedern bevorzugt in Anspruch genommenen Reaktionsmechanismus einzustellen und ihn zu unterminieren.749 Hirschman spricht von einer Schwächung der Handlungsoptionen durch „Institutionalisierung und Domestizierung“. Er erläutert, dass die Führung regelmäßig auf kurze Sicht daran interessiert sei, „ihre eigene Bewegungsfreiheit zu erweitern; sie werden sich daher bemühen, den Mitgliedern bzw. Kunden ihre Waffen zu entreißen […] und sozusagen das, was ein Rückkoppelungs-Mechanismus sein sollte, in ein Sicherheitsventil […] verwandeln.“ 750 Er erweitert die Annahme dahingehend, dass die Konsumenten und Mitglieder durch Ausbildung einer präferierten Verhaltensreaktion den Aufwand der Organisationsführung minimieren. „Once members have a slight preference for, say, voice over exit, a cumulative movement sets in which makes exit look ever less attractive and more inconceivable. As a result, voice will be increasingly relied on by members at a time when management is working hard to make itself less vulnerable to it.“751 „Aus diesen Gründen“, resümiert er, seien „die Voraussetzungen für die Ausbildung einer stabilen und optimal wirksamen Mischung von Abwanderung und Widerspruch selten gegeben“.752

745

Zitate bei Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 105. 746 Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty, 1970, S. 124. 747 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 105. 748 Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty, 1970, S. 124 – Hervorh. i. O. 749 Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty, 1970, S. 124 f. 750 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 106. 751 Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty, 1970, S. 125. 752 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 106.

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Die Studie endet dennoch mit drei Empfehlungen: „Um ihre Widerstandskraft gegen den Leistungsverfall zu erhalten, brauchen jene Organisation, die primär auf einen der beiden Reaktionsmechanismen eingestellt sind, ab und zu eine „Injektion“ des anderen. Andere Organisationen werden vielleicht regelmäßige Zyklen durchlaufen müssen, bei denen sich Abwanderung und Widerspruch als Hauptakteure abwechseln. Drittens kann vielleicht das Bewußtsein der angeborenen Instabilität jeder optimalen Mischung zur Verbesserung des Aufbaus jener Institutionen beitragen, die sowohl Abwanderung als auch Widerspruch brauchen, um funktionsfähig zu bleiben.“753 hh) Reflexive Betrachtungen Knapp zwanzig Jahre nach Veröffentlichung der deutschsprachigen Übersetzung überprüfte der Verfasser sein Theorem an dem Verlauf der friedlichen Revolution in der DDR.754 Er sah sich dazu womöglich herausgefordert, weil nur wenige Tage nach der geschichtsträchtigen Öffnung der Berliner Mauer ein Beitrag mit dem Titel „Abwandern, widersprechen“ in der FAZ erscheinen war, der die „Wende“ mit dem bekannten Begriffswerkzeug analysierte.755 Nachdem Hirschman die historischen Vorgänge von der Gründung der DDR bis zum Mauerfall ausführlich studiert hatte, erkannte er, dass sich im Jahr 1989 die Abwanderung (in Form der Auswanderung) und der Widerspruch (in Form der gegen das Regime öffentlich protestierenden Bürgerbewegung) einander wechselseitig verstärkt hatten. Als die beiden Faktoren kollusiv zusammenwirkten, sei das Regime zusammengebrochen. Er beobachtete ferner, dass die Voice-Option 1989 verbreitete Verwendung fand, obwohl vielzählige Gelegenheiten zur Abwanderung existierten. Sein ursprüngliches Modell besagte, dass in einer derartigen Konstellation weniger Widerspruch zu erwarten gewesen wäre.756 Er gelangte zu der Schlussfolgerung, dass sein Exit-Voice-Theorem bei neuerlicher Betrachtung keine universale Gültigkeit besaß und der Erweiterung für diesen Fall bedurfte, wenngleich es durch Anwendung auf viele unterschiedliche Sachlagen Bestätigung fand.757 Hirschman zeigte zugleich anhand von Kennzahlen über die Abwande-

753

Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 107. Hirschman, World Politics Vol. 45 (1993), 173–202. Deutschsprachige Textfassung ders., Leviathan 20 (1992), 330–358. Abermals abgedruckt in ders., Abwanderung, Widerspruch und das Schicksal der Deutschen Demokratischen Republik  – Ein Essay zur konzeptuellen Geschichte, in: v. Greiff / Koch / König (Hg.), Der Leviathan in unserer Zeit, 1997, 365–393. 755 Ritter, Abwandern, widersprechen  – Zur aktuellen Bedeutung einer Theorie von A. O. Hirschman, FAZ v. 15. November 1989, S. 3: „Wer in diesen Tagen nach sozialwissenschaftlichen Untersuchungen Ausschau hält, um das Geschehen zu analysieren, wird in diesem Buch reiche Belehrung finden.“ 756 Hirschman, World Politics Vol. 45 (1993), 173 (177). 757 Hirschman, World Politics Vol. 45 (1993), 173 (177, 202). 754

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rung aus der DDR,758 dass sich entlang der vierzigjährigen Geschichte des Staates viele Entsprechungen zu den Annahmen des ursprünglichen Exit-Voice-Modells finden ließen.759 b) Rezeption und Kritik Albert Hirschman legte mit dieser Studie eines der einflussreichsten sozialwissenschaftlichen Werke der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor. Das Essay muss vor der Folie des zeitgeschichtlichen Kontextes – dem eskalierenden Vietnamkrieg und der „Black Power“-Bewegung – gelesen werden.760 Doch büßt es auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts nur wenig von seiner Strahlkraft ein, weil der Autor ein „ökonomische[s] Argument[s] für Demokratie“ ausspricht, vor den Mechanismen der „Marktkorrektur“ als der scheinbar rationaleren Lösung warnt, für die „kommunikative Austragung von Konflikten“ plädiert und „optimistische Annahmen über das soziale Leben“ teilt.761 Google Scholar weist für den Originaltext etwa 28.000 und für die deutschsprachige Übersetzung ca. 1.000 Zitate auf.762 Dass mit der Zusammenführung von originär ökonomischen und politischen Mechanismen eine besonders „elegante Synthese“ interdisziplinärer Wissenschaft vorliegt,763 bezeugt eine Vielzahl erläuternder Beiträge.764 Die Verweise in neueren Essays oder 758 Hirschman, World Politics Vol. 45 (1993), 173 (179, 188) untersuchte die Zahl der Flüchtenden, Übersiedler und Freikäufe von 1949 bis 1989 im Allgemeinen und die Zahl der Übersiedler von Januar bis Dezember 1989 im Besonderen. 759 Hirschman, World Politics Vol. 45 (1993), 173 (177). 760 Verweise auf diese Pähnomene finden sich bei Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 93, 98. Panther, Albert O. Hirschman, Abwanderung und Widerspruch (1970), in: Brocker (Hg.), Geschichte des politischen Denkens, 2018, 517 (520) weist zudem auf „das Scheitern des Reformprojekts der Johnson-Administration („Great Society“) und die Wahl des Republikaners Richard Nixon“ hin. 761 Zitate bei Offe, Hirschman, Albert O.: Exit, Voice, and Loyalty. Responses to Decline in Firms, Organizations and States, in: Kaesler / Vogt (Hg.), Hauptwerke der Soziologie, 2000, 197 (197, 199). Arndt, Administory 3 (2018), 247 (251 f.) erinnert daran, dass mit der Studie ein Analyserahmen für die weltweiten Migrationsbewegungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts vorliegt. 762 Informationen entnommen am 9. Dezember 2020. 763 So Grundmann, Kapitel 21. Prinzipalsetnscheidung: Abwanderung und Widerspruch, in: ders. / Micklitz / Renner (Hg.), Privatrechtstheorie, Bd. II, 2015, 1585 (1597). 764 S. nur Offe, Hirschman, Albert O.: Exit, Voice, and Loyalty. Responses to Decline in Firms, Organizations and States, in: Kaesler / Vogt (Hg.), Hauptwerke der Soziologie, 2000, 197–201; Maurer, Abwanderung und Widerspruch: Grenzüberschreitungen zwischen Soziologie und Ökonomie?, in: Pies / Leschke (Hg.), Albert Hirschmans grenzüberschreitende Ökonomik, 2006, 67–85; Nerb, Verbände als Spielball mitgliedschaftlicher Kalküle: Albert O.  Hirschman, in: Sebaldt / Straßner (Hg.), Klassiker der Verbändeforschung, 2006, 131–142; Hilz, Albert O. Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty – Responses to Decline in Firms, Organizations, and States, Cambridge 1970, in: Kailitz (Hg.), Schlüsselwerke der Politikwissenschaft, 2007, 175–178; Sischka, Hirschman, Albert O.: Exit, Voice, and Loyalty, in: Kühl (Hg.), Schlüsselwerke der Organisationsforschung, 2015, 343–347; Grundmann, Kapitel 21. Prinzipalsent­

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Studien sind allerdings kaum noch zu überblicken.765 Sie reichen, um nur wenige Forschungszweige zu nennen, von komparativer Politik, über Urbanistik und Sozialpsychologie, bis zur Arbeitsökonomik.766 Doch wurde auch Kritik erhoben, die sich jenseits der Rüge befindet, dass ein Aspekt „nicht mit der wünschenswerten Klarheit heraus[gearbeitet]“ worden sei.767 Hier begegnen einem Nachfragen wie: „Ist Hirschmans Terminologie nicht zu mehrdeutig? Ist nicht das Konzept der Loyalität unklar, gar unlogisch und inkonsistent? Kann ein Modell, das mit der einfachen Gegenüberstellung von Abwanderung und Widerspruch operiert, eine adäquate Beschreibung der Realität sein?“768 Andere kritisieren, dass die Studie zu breit ausgreifen würde.769 Wenn von anderer Seite die Anwendung des Theorems auf verschiedentliche Fallgestaltungen als die „anregendsten und gelungensten Passagen der gesamten Arbeit“ bezeichnet werden,770 dürfte es sich möglicherweise aber nur um eine abweichende Präferenz über die Darstellung des empirischen Materials handeln.771 Ein Politologe meint, Hirschman geriere sich als (einsichtsreicher) ökonomischer Imperialist, während andere Rezensenten anmerkten, dass dem Essay die ausreichende mathematische Modellbildung fehle.772 scheidung: Abwanderung und Widerspruch, in: ders. / Micklitz / Renner (Hg.), Privatrechtstheorie, Band II, 2015, 1585–1638; Dowding, Albert O. Hirschman, Exit, Voice and Loyalty: Responses to Decline in Firms, Organizations, and States, in: Lodge / Page / Balla (Hg.), The Oxford Handbook of Classics in Public Policy and Administration, 2015, 256–271; Pies, ­Albert Hirschmans grenzüberschreitende Ökonomik, in: ders., Moderne Klassiker der Gesellschaftstheorie, 2016, 323–349; Knoll, Albert O.  Hirschman: Abwanderung und Widerspruch, in: ­Kraemer / ​Brugger (Hg.), Schlüsselwerke der Wirtschaftssoziologie, 2017, 185–194; Panther, Albert O. ­Hirschman, Abwanderung und Widerspruch (1970), in: Brocker (Hg.), Geschichte des politischen Denkens, 2018, 517–534; Benhabib, Exile and Social Science: On Albert Hirschman, in: dies., Exile, Statelessness, and Migration, 2018, 145–163; Peukert / Trautvetter / Blum, Hirschman, Albert Otto: Exit, Voice, and Loyalty, in: Herz / Weinberger (Hg.), Die 100 wichtigsten Werke der Ökonomie, 2019, 90–91. 765 Viele weitere Nachweise finden sich bei Gehlbach, Rationality and Society Vol. 18 (2006), 395 (395 ff.); Dowding / John / Mergoupis / v. Vugt, European Journal of Political Research Vol. 37 (2000), 469–495. 766 Grundmann, Kapitel 21. Prinzipalsetnscheidung: Abwanderung und Widerspruch, in: ders. / Micklitz / Renner (Hg.), Privatrechtstheorie, Bd. II, 2015, 1585 (1596 f. m. Fn. 17–21). 767 So etwa Fehl, ORDO 29 (1978), 402. 768 Grundmann, Kapitel 21. Prinzipalsetnscheidung: Abwanderung und Widerspruch, in: ders. / Micklitz / Renner (Hg.), Privatrechtstheorie, Bd. II, 2015, 1585 (1597 m. Fn. 22  – Hervorh. i. O.). 769 Berichtend Grundmann, Kapitel 21. Prinzipalsetnscheidung: Abwanderung und Widerspruch, in: ders. / Micklitz / Renner (Hg.), Privatrechtstheorie, Bd. II, 2015, 1585 (1589). 770 Fehl, ORDO 29 (1978), 402 (411). 771 Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty, 1970, S. VII hat diesen Kritikpunkt bereits im Vorwort antizipiert. 772 Berichtend Panther, Albert O.  Hirschman, Abwanderung und Widerspruch (1970), in: Brocker (Hg.), Geschichte des politischen Denkens, 2018, 517 (528) unter Verweis auf Barry, British Journal of Political Science Vol. 4 (1974), 79 (85 f.); Reid, Journal of Political Economy Vol. 81 (1973), 1042 (1044 f.).

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Vor dem Hintergrund weltweiter Beachtung darf kaum überraschen, dass auch die deutschsprachige Rechtswissenschaft auf das Essay aufmerksam wurde.773 Die Tübinger Habilitationsschrift von Gunther Teubner, die in den Kontext der Diskussion um den Erlass eines Verbändegesetzes fällt,774 ist hervorzuheben.775 Da der Bezug zwischen der Pflichtkörperschaft IHK und der versagten ExitOption allzu offensichtlich ist, dürfte auch eingängig sein, dass für die die hier zu behandelnde Organisationsform bereits – mehr oder weniger akribische – Hinweise auf das Theorem aufgefunden werden können.776 Dazu zählt etwa der Ökonom Hans-Jörg Schmidt-Trenz, der erkennt, dass im Fall einer Pflichtmitgliedschaft der „Markt für Verbandskontrolle von vorneherein ausgeschaltet“ werde.777 Er stellt fest, dass dadurch „[i]n den Worten Hirschmanns [sic!]“ der „Mechanismus der 773

Die erste Bezugnahme findet sich – soweit ersichtlich – bei Kübler, Privatrecht und Demokratie, in: Baur / Esser / ders. / Steindorff (Hg.), FS Raiser, 1974, 697 (722 Fn. 106). S. weiterhin Grundmann, Kapitel 21. Prinzipalsetnscheidung: Abwanderung und Widerspruch, in: ders. /  Micklitz / Renner (Hg.), Privatrechtstheorie, Band II, 2015, 1585–1638. Aus der Wissenschaft vom Öffentlichen Recht Oeter, Erprobung der Konstitutionellen Politischen Ökonomie an Einzelfragen – Föderalismus, in: Engel / Morlok (Hg.), Öffentliches Recht als ein Gegenstand ökonomischer Forschung, 1998, 119 (126 f.); Engel, Freiheit und Autonomie, in: Merten / Papier (Hg.), HGR, Bd. 2, 2006, § 33 Rn. 95; Grzeszick, Hoheitskonzept – Wettbewerbskonzept, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. IV, 3. Aufl. 2006, § 78 Rn. 40; Kersten, DÖV 2007, 50 (51); ders., Wettbewerb durch Rechtsordnungen?, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. XI, 3. Aufl. 2013, § 233 Rn. 3–6, 18 f., 21, 24 f. u. 28; Würtenberger, Neugliederung, in: Isensee / Kirchhof (Hg.)), HbdStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 132 Rn. 40; Kluth, WiVerw 2012, 50 (51 m. Fn. 15); ders., Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Gesamtinteressenvertretung durch Industrie- und Handelskammern, in: ders. (Hg.), Die IHK-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, 2018, 105 (110); Meesen, Multinationale und globale Unternehmen im Wettbewerb der Systeme, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. XI, 3. Aufl. 2013, § 246 Rn. 128; Kirste, Theorie der Körperschaft des öffentlichen Rechts, 2017, S. 304; ders., Arbeitsteilige Herrschaftsausübung im Kontext der Demokratie, VVDStRL 77 (2017), 2018, 161 (201). 774 S. dazu Meesen, Erlaß eines Verbändegesetzes als rechtspolitische Aufgabe?, 1976; Kübler, JZ 1978, 773–778; Teubner, JZ 1978, 545–548; ders., Verbandsdemokratie durch Recht? – Die Diskussion um ein Verbändegesetz in demokratietheoretischer Sicht, in:Steinberg (Hg.), Staat und Verbände, 1985, 256–283. 775 Teubner, Organisationsdemokratie und Verbandsverfassung, 1978, S. 38, 61, 185 m. Fn. 68, 186 f., 190. 776 Für die Politikwissenschaft Groser, Organisationsdynamik öffentlich-rechtlicher Zwangsverbände, in: Boettcher / Herder-Dorneich / Schenk / Schmidtchen (Hg.), Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, Bd. 11, 1992, 129 (129, 135); Sack / v. Elten / Fuchs (Hg.), Legitimität und Self-Governance, 2014, S. 233; Sack / Strünck, Die Mitgliedschaftslogik der Verbände zwischen Exit und Voice – Einleitung, in: dies. (Hg.), Verbände unter Druck, 2016, 1–7; dies., Austritt und Widerspruch in Interessenorganisationen. Eine güterzentrierte Theorie zur Analyse innerverbandlicher Konflikte, in: dies. (Hg.), Verbände unter Druck, 2016, 11–33; Sack / Fuchs, Kammeropposition mit Oberwasser? Phänomene und Erklärungsfaktoren des Protestes in und gegen Wirtschaftskammern, in: Sack / Strünck (Hg.), Verbände unter Druck, 2016, 93–113; ­Bernhagen, Wirtschaftskammern als politische Akteure: Organisation, Strategie und Einfluss, in: Sack (Hg.), Wirtschaftskammern im europäischen Vergleich, 2017, 31 (42); v. Elten, Profession und Selbstverwaltung, 2018, S. 8, 30, 249 f. 777 Schmidt-Trenz, Die Logik kollektiven Handelns bei Delegation, 1996, S. 44 f.

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Abwanderung“ unterbunden werde und „die Verbandsmitglieder auf das alternative Instrument der Möglichkeit zum Widerspruch angewiesen“ seien.778 Sodann gelangt er zu der Auffassung, „dass sich das IHK-Gesetz neben dem Zwang in extenso der Verankerung genau dieser Möglichkeit [dem Widerspruch]“ widme, was er an späterer Stelle zeigen möchte.779 Dort angekommen befindet er jedoch, dass die Kammergesetze lediglich eine „gesetzliche Normierung demokratischer Minimalstandards“ enthielten.780 c) Eigene Überlegungen Die Rechtswissenschaft redet mit einiger Berechtigung der differenzierten Betrachtung sozialer Phänomene das Wort (vgl. Art. 3 GG). Die Warnung vor generalisierten Annahmen und pauschal verfügten Rechtsfolgen ist allgegenwärtig. Vermutlich ist es daher der vom Autor angelegte Blickwinkel, in dem so verschiedentliche Organisationen wie Staaten, Regierungen, Unternehmen und Verbände gleichermaßen mit Blick auf ihre parallele Machtdynamik behandelt werden, der die Studie besonders lehrreich wirken lässt. Der Fokus auf gerade einmal zwei Handlungsalternativen – Abstimmen mit den Füßen (exit) oder den Händen (voice)  – zur Kennzeichnung und Lösung von Organisationsproblemen mag in Anbetracht einer komplexen Lebenswirklichkeit zu schlicht wirken. Die Studie hat jedoch zeigt, dass auch die scheinbar simple Perspektive imstande ist, bahnbrechende Einsichten hervorzubringen. Die IHK ist ein Pflichtverband. Ihr Recht ist, und dies lässt sich sogar in den Worten des Autors mitteilen, zur „Verbesserung des Funktionierens der Reaktionsweise Widerspruch bestimmt“.781 Hirschman vermittelt ein vollkommeneres Verständnis über die strukturellen Schwächen pflichtmitgliedschaftlich verfasster Verwaltungseinheiten, in denen die Abwanderung versagt ist und zugleich die interdependenten Wirkungsweisen von exit und voice ausgeschaltet sind. In diesen Organisationen kann der Führungsstab prinzipiell eine eigene, von den Interessen der Mitgliedschaft losgelöste Organisationspolitik verfolgen, weil selbst die Drohung mit dem exit von fehlender rechtlicher Relevanz ist. Die Belange des Mitglieds werden mit geringerer Intensität abgefragt, gewürdigt und rezipiert. Wenn die Leitungsorgane den aggregierten Willen der Kammermitglieder für „nicht überzeugend“ erachten, können sie den eigenen wirtschaftspolitischen Vorstellungen frönen, da der Rückhalt unter den Mitgliedern einstweilen zum unbedeutenden Faktor erklärt werden kann. Das Leitungspersonal kann sich überdies auf die praktizierten Strategien der Mitglieder leichtfertig einstellen und sie ihrer Waffen

778

Schmidt-Trenz, Die Logik kollektiven Handelns bei Delegation, 1996, S. 45 – Hervorh. i. O. Schmidt-Trenz, Die Logik kollektiven Handelns bei Delegation, 1996, S. 45 – Hervorh. n. h. 780 Schmidt-Trenz, Die Logik kollektiven Handelns bei Delegation, 1996, S. 147. 781 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 4. 779

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im Wege langjähriger Übung berauben, da es niemals mit der Exit-Option konfrontiert wird. Die Studie zwingt zu der Erkenntnis, dass die Voice-Option, die hier als rechtlich garantierte Möglichkeit zur Teilhabe an den Entscheidungen und Hauptaufgaben der Organisation aufgefasst wird, die Verfügbarkeit von vielgestaltigen Kommunikationskanälen und Kontrollmechanismen zwischen der Mitgliedschaft bzw. ihrer Vertretung und der Leitungsebene erfordert. Es gilt, wirksamen Mitteln einer organisationsinternen performance control nachzuspüren. Die Forderung reicht weit über periodisch auftretende Wahlen zu den Vertretungsorganen der IHK hinaus, weil damit nur die Machtbildung in den Blick genommen wird. Die alleinige Verfügbarkeit von Wahlen erzeugt einen Anschein demokratischer Struktur, der weder den Forderungen der vorbezeichneten Studie noch dem Leitbild einer mitgliedergetragenen Verwaltungseinheit gerecht wird. Dieses Argument hat auch eine spätere Studie des Autors zum Ergebnis. Darin bekennt Hirschman, dass das politische Engagement unterfordert und enttäuscht werde, wenn man den Wahlakt als höchste Instanz bürgerschaftlicher Teilhabe begreift. Denn die Beschränkung auf Wahlen limitiert den Bürger auf einen allzu schlichten Entscheidungsmodus und versagt ihm zugleich, das tatsächliche Ausmaß seiner Überzeugungen zur Anschauung zu bringen.782 Auch im „laufenden Betrieb“ ist eine Rückbindung der Machtausübung vorzuhalten. Die Rechtsgarantien der Mitglieder – dem Souverän der Körperschaft  – müssen kompensierend wirken. Sie haben ein vollständiges Substitut für die ausgeschaltete Exit-Option zu ergeben. Insofern müssen Mechanismen der partizipativen Interessenartikulation, der regelmäßigen Bestimmung und ggf. Neuausrichtung der Organisationspolitik und der stetigen Führungskontrolle gleichermaßen vorhanden sein. Um eine rege Inanspruchnahme dieser Rückkoppelungsinstrumente in der Wirklichkeit anzuregen, wird ein effizientes Organisationsdesign auch – oder besser: vor allem – minderheitenbegünstigende Regeln fokussieren müssen. Denn von ihnen kann erwartet werden, dass sie für den Fall befürchteter oder festgestellter Leistungsverschlechterungen die Stimme zuvörderst erheben und so die Leitung hinreichend irritieren. Mitglieder der Vertreterversammlung, die von der Organisationsführung als aufmüpfige Störenfriede wahrgenommen werden, aber in Wirklichkeit beharrlich mit Hilfe einer Vielzahl von Anträgen das Ziel einer vollständigen Durchdringung eines bestimmten Aufgabenbereichs verfolgen, müssen als unabdingbar für den Erhalt einer vitalen Gesamtorganisation angesehen werden. Erst unter diesen Voraussetzungen, die in den geltenden Bestimmungen mitnichten vorgefunden werden können, kann man sich dem Zustand eines aufgabenadäquaten Rechts annähern. Ist dieser Zustand indes erreicht, darf abermals auf das Essay verwiesen werden. Immerhin befürwortet der Autor auch Konstellationen, in denen das Abschneiden des Exit-Mechanismus überlegen sein könnte.

782

Hirschman, Engagement und Enttäuschung, übersetzt von S. Offe, 1988, S. 113 ff., 118 f.

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5. Organisationen und Oligarchie – „Soziologie des Parteiwesens“ (Robert Michels) Möchte man ein vollständiges Verständnis von den innerorganisatorischen Prozessen zwischen der Mitgliedschaft und den gewählten Organen oder den Organen zueinander gewinnen, wird man an dem „eherne[n] Gesetz der Oligarchie“783 nicht vorbeikommen. Dies und die dazu ergangenen Annahmen können einer vielfach zitierten,784 wissenschaftsübergreifend rezipierten,785 erstmals 1911 erschienenen Studie des deutsch-italienischen Soziologen Robert Michels786 mit dem Titel „Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie“787 entnommen werden. a) Rekonstruktion des Arguments Michels kommt unter Ansehung der Sozialdemokratischen Partei, in der sich im historischen Kontext der Industrialisierung zu Zeiten des Übergangs ins 20. Jahrhundert die Arbeiterbewegung organisiert hatte, zu folgender Schlussfolgerung: „Das soziologische Grundgesetz, dem die politischen Parteien – das Wort Politik hier im weitesten Sinne genommen – bedingungslos unterworfen sind, mag, auf seine kürzeste Formel gebracht, etwa so lauten: die Organisation ist die Mutter der Herrschaft der Gewählten über die Wähler, der Beauftragten über die Auftraggeber, der Delegierten über die Delegierenden. Die Bildung von Oligarchien im Schoße der mannigfaltigen Formen der Demokratien ist eine organische, also eine Tendenz, der jede Organisation, auch die sozialistische, selbst die libertäre, notwen 783 Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie, 4. Aufl. 1989, S. 351. 784 Google Scholar weist (mit Datum v. 9. Dezember 2020) für die amerikanische Sprachfassung ca. 7.700 und für den deutschsprachigen Originaltext ca. 1.500 Zitate auf. 785 Bender / Wiesendahl, APuZ 44–45/2011, 19 (22). 786 Nicht unerwähnt bleiben darf die äußerst ambivalente Biografie Robert Michels, wenn zur Aufgabe steht, seine Studie zu rezipieren: Vom Teilnehmer der sozialistischen Bewegung und Vertreter des Syndikalismus – untermauert durch eine Mitgliedschaft in der SPD (ab 1903) – wurde der Autor zum politischen Schriftsteller mit einer Begeisterung für den italienischen Nationalismus. Michels brachte seine Bewunderung für den „Duce“ Benito Mussolini in einen Beitritt zur „Partito Nazionale Fascista“ (ab 1922) und der damit erfolgten Hinwendung zu faschistischen Ordnungsvorstellungen zum Ausdruck. Zur Biografie Pfetsch, Politische Vierteljahresschrift 7 (1966), 208. Zu Biografie und Werk umfassend Genett, Der Fremde im Kriege, 2008. 787 Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie – Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens, 4. Aufl. 1989 (erstmals: Leipzig 1911). Dazu umfassend Genett, Der Fremde im Kriege, 2008, S. 411 ff. Kompaktere Auseinandersetzungen finden sich bei Zeitler, Verbände als Herrschaftsinstrument politischer Oligarchien: Robert Michels, in: Sebaldt / Straßner (Hg.), Klassiker der Verbändeforschung, 2006, 223–240; Bluhm, Robert Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens (1911), in: Brocker (Hg.), Geschichte des politischen Denkens, 2018, 65–79. S weiterhin die Beiträge in Bluhm / Krause (Hg.), Robert Michels’ Soziologie des Parteiwesens, 2012.

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digerweise unterliegt. […] Allüberall Wähler und Gewählte. Aber auch allüberall Macht der gewählten Führerschaft über die wählenden Massen. Die oligarchische Struktur des Aufbaus verdeckt die demokratische Basis.“788 Das vom Autor formulierte Gesetz sollte aber nicht nur für Parteien, sondern für alle organisierten Gruppen Geltung beanspruchen. Es besagt, dass jede Organisation zwangsläufig in einer Herrschaft der Wenigen (Oligarchie789) mündet. „Wer Organisation sagt, sagt Tendenz zur Oligarchie“.790 Wenn Michels eine „Herrschaft der Gewählten“ beklagt, meint er, dass die gewählten Funktionäre ihre eigenen Ansinnen anstelle der mit dem Wählerauftrag zum Ausdruck gebrachten Zielsetzungen verfolgen.791 Zu dieser Schlussfolgerung gelangt er, nachdem er drei Faktoren  – Notwendigkeiten in der Organisation („Technischadministrative Entstehungsursachen“792), (gruppen-)psychologische Eigenschaften der Mitglieder („Psychologische Entstehungsursachen“793) und die im Wege der beruflichen Führerschaft entstehende Bildungsdifferenz („intellektuelle Entstehungsursachen“794)  – untersucht und diese in ihren Wirkungszusammenhängen betrachtet.795 Im Rahmen der technisch-administrativen Entstehungsursachen erkennt Michels die Organisationsbildung als einen notwendigen Anker der gemeinsamen Zweckverfolgung an.796 Er beschreibt zugleich die Unmöglichkeit einer direkten Organisationsherrschaft durch die Mitglieder.797 Die schlichte Größe und Kom 788

Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie, 4. Aufl. 1989, S. 370 f. – Hervorh. i. O. 789 Der Begriff lässt sich nach einer Übersetzung im Sinne des Wortursprungs mit „Herrschaft von Wenigen“ ersetzen. Davon zu unterscheiden ist die abweichende Verwendung, die der Begriff im Zuge seiner Sprach- und Ideengeschichte erfuhr. Bei Aristoteles wurde Oligarchie etwa als Umschreibung für eine Entartung der Aristokratie durch die der Herrschaft einer Clique verwendet, s. Brohm, NJW 2001, 1 (2 m. Fn. 6). 790 Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie, 4. Aufl. 1989, S. 25 – Hervorh. i. O. 791 Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie, 4. Aufl. 1989, S. 366 – Hervorh. i. O.: „Es ist ein unabänderliches Sozialgesetz, daß in jedem durch Arbeitsteilung entstandenen Organ der Gesamtheit, sobald es sich konsolidiert hat, ein Eigeninteresse, ein Interesse an sich selbst und für sich selbst, entsteht.“ 792 Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie, 4. Aufl. 1989, S. 24 ff. 793 Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie, 4. Aufl. 1989, S. 42 ff. 794 Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie, 4. Aufl. 1989, S. 74 ff. 795 S. das Schema zur „Ätiologie der Oligarchie in den Parteien der Demokratie“ bei Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie, 4. Aufl. 1989, S. 368. 796 Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie, 4. Aufl. 1989, S. 24: „Ohne Organisation ist die Demokratie nicht denkbar. Erst die Organisation gibt der Masse Konsistenz.“ 797 Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie, 4. Aufl. 1989, S. 28 ff. S. auch ebd., S. 368: „mechanische Unmöglichkeit der direkten Selbstregierung“.

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plexität einer Organisation, ihr Wachstum in die „Breite“ sowie das Zugeben von weiteren Zwecken oder Aufgaben erforderten einerseits Arbeitsteilung und andererseits Spezialisierung, mithin eine (haupt-)berufliche Führung der Organisation.798 Auch die Tendenz zur Professionalisierung in der Organisationsführung sei unausweichlich. „Die technische Spezialisierung, welche die notwendige Folge jeder ausgedehnten Organisation ist und die Erforderlichkeit der sog. geschäftsmäßigen Leitung kreïert, überträgt alle entscheidenden Eigenschaften der Masse als spezifische Führerqualitäten auf die Führer allein. Die Führer, die zunächst nur die Vollziehungsorgane des Willens der Masse sind, werden selbständig, indem sie sich von der Masse emanzipieren.“799 Michels spricht zunächst nur von einem „Führer“ und anschließend von einem „berufsmäßigen Führer“, der sich durch Routine auszeichne.800 Die Tendenz zur Professionalisierung der Gruppenführung nehme durch die psychologischen Entstehungsursachen zu. Damit beschreibt Michels die Rolle des Führers, die Rolle der Masse und die Interdependenzen zwischen diesen Polen. Der Verfasser erörtert das „Gewohnheitsrecht der Führer auf Delegation“.801 Er stellt ferner das „Führungsbedürfnis der Masse“ heraus, das unter anderem auf eine „Interessenlosigkeit“ für die eigenen Geschäfte und ihre „Schwerfälligkeit“ zurückzuführen sei.802 Daran schließt sich die Erörterung der intellektuellen Entstehungsursachen an.803 Während die Masse durch die Interessenlosigkeit gegenüber den eigenen Angelegenheiten gekennzeichnet sei und dadurch die Herausbildung einer beruflichen Führerschaft begünstige, entwickle die Organisationsführung im Wege der routinierten Aufgabenerfüllung eine zunehmende sachliche und formale Überlegenheit gegenüber der Masse. Michels kennzeichnet die „Routine als Herrschaftsmittel der Führer“ bzw. die „Unentbehrlichkeit der Führer als notwendiger Überbau der Inkompetenz der Massen“.804 Aus dem Bildungsübergewicht auf Seiten der Führungsebene folge eine unabsetzbare, stabile Führerschaft.805 798

Michels, Zur Soziologie S. 32 ff. 799 Michels, Zur Soziologie S. 36 – Hervorh. i. O. 800 Michels, Zur Soziologie S. 368. 801 Michels, Zur Soziologie S. 42. 802 Michels, Zur Soziologie S. 46 ff. 803 Michels, Zur Soziologie S. 74 ff. 804 Michels, Zur Soziologie S.79 ff. 805 Michels, Zur Soziologie S. 368.

des Parteiwesens in der modernen Demokratie, 4. Aufl. 1989, des Parteiwesens in der modernen Demokratie, 4. Aufl. 1989, des Parteiwesens in der modernen Demokratie, 4. Aufl. 1989, des Parteiwesens in der modernen Demokratie, 4. Aufl. 1989, des Parteiwesens in der modernen Demokratie, 4. Aufl. 1989, des Parteiwesens in der modernen Demokratie, 4. Aufl. 1989, des Parteiwesens in der modernen Demokratie, 4. Aufl. 1989, des Parteiwesens in der modernen Demokratie, 4. Aufl. 1989,

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Von einer derart gekennzeichneten Organisationsleitung ist der Weg zum „ehernen Gesetz der Oligarchie“ nicht mehr fern.806 „Die Führer, die zuerst spontan entstehen und ihre Tätigkeit umsonst und nebenamtlich ausüben, werden berufsmäßig. Auf diesen ersten Schritt folgt dann der Zweite, denn die Schaffung eines berufsmäßigen Führertums ist nur das Präludium zur Entstehung eines stabilen und inamoviblen Führertums“.807 Michels hat dieses Theorem zwar durchweg in pessimistischen Wendungen formuliert. Der Autor hat es aber nicht unterlassen, die Hoffnung auf eine steigende Demokratisierung mit vorsichtigen Worten zum Ausdruck zu bringen. Danach soll die Frage nicht „wie ist die Idealdemokratie zu errichten?“, sondern „welcher Grad und welches Maß von Demokratie ist a) an sich möglich?, b) im Augenblick durchführbar und c) wünschenswert?“ lauten.808 Anschließend gelangt er zu der Ansicht, dass in dem Prinzip der Demokratie selbst „wenn auch nicht die Heilung, so doch eine gewisse Milderung der oligarchischen Krankheit“ liegen könne.809 b) Rezeption, Kritik und notwendige Modifizierungen Die rezipierenden Wissenschaftsdisziplinen haben die Thesen von Michels teils mit korrigierenden, teils mit widersprechenden Anmerkungen versehen. Unmittelbare Folge des Verzichts auf eine trennscharfe Grundlegung der maßgeblichen Begriffe wie z. B. „Führer“, „Masse“ und „Demokratie“ ist die Vieldeutigkeit der Thesen. Dass die Terminologien im Verlauf der Studie sogar abweichend verwendet werden, blieb nicht ohne Anmerkung.810 Speziell die massenpsychologischen Annahmen fanden Widersacher. Eine Schwachstelle bestand darin, dass Michels die Mitgliedschaft als „initiativlose und inkompetente Masse, autoritätsgläubig und bereit, sich leiten zu lassen, und dankbar gegenüber der Führung“ darstellt.811 Zutreffend ist aber vielmehr, dass das Aktionspotential der Mitglieder zumindest in Abhängigkeit von dem „jeweiligen Entwicklungsstand und den Herrschaftsverhältnissen der Gesellschaft“ variiert.812 Andere deuteten Teile der Feststellungen auf der Grundlage eines offeneren Demokratiebegriffs ins Positive.813 Michels erachtet 806

Dies zeigt auch das Schema bei Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie, 4. Aufl. 1989, S. 368. 807 Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie, 4. Aufl. 1989, S. 370 – Hervorh. i. O. 808 Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie, 4. Aufl. 1989, S. 372. 809 Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie, 4. Aufl. 1989, S. 375 – Hervorh. i. O. 810 So die Kritik bei May, The American Political Science Review Vol. 59 (1965), 417 (418). 811 So Bender / Wiesendahl, APuZ 44–45/2011, 19 (21). 812 Naschold, Organisation und Demokratie, 1969, S. 13. 813 May, The American Political Science Review Vol. 59 (1965), 417 (421 ff.). Schmidt, ZRP 1977, 255 (259) beschreibt dieses Verständnis, das auf eine Identität von Regierenden und Regierten verengt wird, mit einiger Berechtigung als „radikaldemokratisch“.

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hingegen einen „Versuch nach der möglichst direkten Emanation des Volkswillens für die Gestaltung des Gruppenlebens und somit nach einer möglichsten Überwindung des Führertums“ für maßgeblich.814 Er stellt sich, im Anschluss an Moritz Rittinghausen und dessen Ideen einer direkten Gesetzgebung durch das Volk, eine „direkte Selbstverwaltung durch Volksversammlungsbeschlüsse“ als „Ideal der Demokratie“ vor.815 Die empirische Parteienforschung nahm auf das Theorem mit bestätigenden und entkräftenden Untersuchungen Bezug.816 Auch die Wissenschaft vom Öffentlichen Recht bestätigt die Befunde tendenziell. Hinzuweisen ist etwa auf die parteienkritischen Schriften aus der Feder von Hans Herbert von Arnim817 oder die Forderungen nach vergrößerten direktdemokratischen Beteiligungsmöglichkeiten innerhalb der politischen Parteien unter Rekurs auf Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG.818 Soweit es die Eigenart eines wissenschaftlichen Diskurses überhaupt zulässt, ungebrochene Zustimmung über eine These hervorzubringen, wurde die Annahme über einen allgemeinen Zusammenhang zwischen formaler Organisation und Oligarchisierung konserviert.819 Dass dominante Formen der Oligarchie selbst in sozialen Gebilden auftreten, in denen die Leitung gewählt und durch die Mitgliedervertretung regelmäßig ersetzt werden kann, dürfte die folgenreichste Erkenntnis der Untersuchung darstellen. Die Annahme erfuhr insbesondere mit der Studie der amerikanischen Soziologen Seymour Martin Lipset, Martin Trow und James

814 Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie, 4. Aufl. 1989, S. 26. 815 Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie, 4. Aufl. 1989, S. 28 – Hervorh. i. O. 816 Nachweise bei Zeitler, Verbände als Herrschaftsinstrument politischer Oligarchien: Robert Michels, in: Sebaldt / Straßner (Hg.), Klassiker der Verbändeforschung, 2006, 223 (235); v. Notz, Liquid Democracy, 2020, S. 74 m. Fn. 181. S. ferner Wiesendahl, Michels’ ehernes Gesetz der Oligarchie – Bleibendes und Revisionsbedürftiges nach hundert Jahren, in: Münch / Kranenpohl /  Gast (Hg.), Parteien und Demokratie, 2014, 17 (35 f.): „Robert Michels verfügt auch nach mehr als hundert Jahren der Veröffentlichung seiner Parteiensoziologie in der innerparteilichen Demokratieforschung über ein ungebrochenes Maß an Diskurshegemonie“. 817 v. Arnim, Die Regeln der Macht regeln die Machthaber selbst – und haben so den exzessiven Parteienstaat geschaffen, in: Krüper (Hg.), FS Morlok, 2019, 335–351. Explizit auf die Studie bezugnehmend ders., Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, 1984, S. 300. 818 Streinz, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 2, 7. Aufl. 2018, Art. 21 Rn. 167 ff. Tendenziell zustimmend Schäffer, Parteienstaatlichkeit  – Krisensymptome des demokratischen Verfassungsstaates?, VVDStRL 44 (1985), 1986, 46 (62); v. Notz, Liquid Democracy, 2020, S. 71, 73; Neumann, Volkswille, 2020, S. 166; Jürgensen, Politische Parteien und Öffentlichkeit, 2022, S. 41. Towfigh, Das Parteien-Paradox, 2015, S. 103 ff. beschreibt den Hang der Parteien, eine „Eigenrationalität“ zu entwickeln, die dem „demokratischen Prinzip abträglich“ sei (S. 105). Eine explizit bestätigende Bezugnahme findet sich bei Grimm, Politische Parteien, in: Benda / Maihofer / Vogel (Hg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1995, § 14 Rn. 37. Auch Klein, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Stand: 95. EL Juli 2021, Art. 21 Rn. 331 erkennt für die Parteien „unvermeidlich wirksame[n] oligarchische[n] Tendenzen“. 819 Naschold, Organisation und Demokratie, 1969, S. 13, 32; Teubner, Organisationsdemokratie und Verbandsverfassung, 1978, S. 85 – jeweils m. w. N.

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Samuel Coleman über das Innenleben einer amerikanischen Druckergewerkschaft eine empirische Fortschreibung.820 Die Autoren bekannten abschließend: „This study hast not ‚disproved‘ Michels theory; rather, in a sense, it has given additional empirical support to his analysis of the connection between oligarchy as a political form and the overwhelming power held by the uncumbent officers of most private organizations“.821 Jedoch wird man modifizierend von Tendenzen zur Oligarchisierung sprechen müssen. Nur diese Präzisierung verdeutlicht, dass Michels Theorem mit der Schwäche pauschaler und deterministischer Annahmen behaftet ist.822 Auch ist die erhöhte Komplexität von Organisationen in Rechnung zu stellen. Schon das organisatorische Gesamtgefüge der IHK belegt, dass innerorganisatorische Beziehungen häufig nicht entlang der simplen Dichotomie zwischen Mitgliedschaft und Führung ablaufen. 6. Pflichtverbände und Oligarchisierung Die vorbezeichneten Studien fokussieren Assoziationen mit Ein- und Austrittsfreiheit und laden damit zu weiterführenden Überlegungen ein. Zu fragen ist, welche Geltungskraft die Erkenntnisse für einen Verband beanspruchen, der auf einem staatlichen Gründungsakt beruht und pflichtmitgliedschaftlich verfasst ist. a) Verknüpfung von Zweck- und Motivationsstruktur bei freiwilligen Organisationen Um dieser Frage nachzugehen, soll das Kriterium der Verknüpfung von Motiv und Organisationszweck eingeführt werden, das Niklas Luhmann als entscheidenden Maßstab zur Analyse moderner, freiwilliger Assoziationen benannt hat.823 Damit lässt sich erklären, dass und inwiefern bei freiwilligen Organisationen der Zweck auf die Motivation der Mitglieder eingestellt wird und umgekehrt. Das Kriterium ermöglicht ferner, den Vorteil freiwilliger Vereinigungen gegenüber Organisationen, die die mitgliedschaftliche Motivationsstruktur auf Faktoren wie Zwang, finanzielle Entschädigung oder immaterielle Anreize gründen, genauer zu benennen. Handelt es sich um eine Organisation, die auf der vollkommenen Identifikation zwischen Motivations- und Zweckstruktur gründet, tritt die Problematik reiner

820

Lipset / Trow / Coleman, Union Democracy – The Internal Politics of the International Typographical Union, 1956. 821 Lipset / Trow / Coleman, Union Democracy, 1956, S.  413. 822 So auch Naschold, Organisation und Demokratie, 1969, S. 13. 823 Luhmann, Funktionen und Folgen formaler Organisation, 3. Aufl. 1976, S. 100 ff.; ders., Zweckbegriff und Systemrationalität, 1973, S. 139 ff., 223 ff.

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Zweckmotivation zutage.824 Der Organisationszweck lässt sich zwar als Mitgliedschaftsvorteil einsetzen, wird aber zugleich „immobilisiert“ und dem Belieben der Mitglieder unterworfen. Jede Zweckänderung befördert Konflikte, Motivationsverluste, Austritts- oder gar Sezessionsszenarien unter den Mitgliedern, die sich nur mit dem originären Zweck identifiziert haben. „Zweckloyalität ist eben nicht ohne weiteres Organisationsloyalität.“825 Wird der Zweck zu weit gespannt, geht sein Motivationswert verloren. Derartige Assoziationen überleben in der Regel nicht, wenn Umweltentwicklungen dazu führen, dass ihr Zweck in Verruf gerät, vergeblich erscheint oder als erfüllt angesehen wird. Die Organisation macht sich abhängig von Faktoren, die sie selbst nicht beherrscht. Um eine relative Beweglichkeit zu erzeugen, besteht daher der Trend, die Zwecke weich, vieldeutig und unbestimmt zu formulieren, sodass sich möglichst „viele heterogen motivierte Mitglieder darunter sammeln können“.826 Ein System, das seine Mitglieder „zweckindifferent“ motivieren kann, gewinnt eine hohe Elastizität und Anpassungsfähigkeit. So kann etwa der Zweck rasch umgestellt werden, ohne dass „das System in Gefahr kommt, bei allzu scharfen Wendungen Mitglieder abzuschleudern“.827 Wenngleich die verhältnismäßige Generalisierung der Organisationszwecke respektive eine tendenzielle Ablösung der Motivations- von der Zweckstruktur unter diesen Vorzeichen erstrebenswert erscheinen mag, wird dieser Vorgang in anderer Hinsicht teuer erkauft. Auf die Motivationsfunktion des Zweckes, die unter diesen Bedingungen zunehmend entfällt, kann nicht zurückgegriffen werden. Sie muss kompensiert werden.828 Aus der bewussten Übernahme der Mitgliedsrolle in Organisationen darf nicht geschlossen werden, dass eine Motivation zur (kontinuierlichen) Partizipation an deren Angelegenheiten besteht. Vielmehr bildet die Aufteilung in Beitritts- und Beteiligungsmotivation den Maßstab.829 Die soziologische und sozialpsychologische Forschung zur gelingenden Stimulanz der Beteiligungsmotivation steht auf dem Standpunkt, dass Art und Ausmaß der Partizipation „abhängig vom Führungsstil der Organisationsspitze, von der Motivation der einzelnen Mitglieder und von den Formen der Gruppenbildung innerhalb der Organisation“ sind.830 Empfohlen wird

824

Dazu Luhmann, Zweckbegriff und Systemrationalität, 1973, S. 139 f. Luhmann, Zweckbegriff und Systemrationalität, 1973, S. 139. 826 Luhmann, Funktionen und Folgen formaler Organisation, 3. Aufl. 1976, S. 101. 827 Zitate bei Luhmann, Zweckbegriff und Systemrationalität, 1973, S. 141, der auf Organisationen verweist, bei denen die Mitgliedschaft „auf Geselligkeitsbedürfnissen, gegebenenfalls unterstützt durch eine stark verallgemeinerte professionelle Ethik“ (S. 140), beruht. 828 Luhmann, Zweckbegriff und Systemrationalität, 1973, S. 142. 829 Luhmann, Funktionen und Folgen formaler Organisation, 3. Aufl. 1976, S. 104 spricht von einer „kennzeichnenden Trennung“ der Teilnahme- und Leistungsmotivation in allen formalen Organisationen. 830 Naschold, Organisation und Demokratie, 1969, S. 67 in Auseinandersetzung mit den Studien Likert, New Patterns of Management, 1961; Katz / Kahn, The Social Psychology of Organizations, 1966; Learned / Sproat, Organization Theory & Policy, 1966. 825

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ein demokratischer Führungsstil. Zur Aufgabe der Leitung gehört danach, auf die Unterhaltung von isolierenden man-to-man-Beziehungen zu verzichten, Gruppenbildungen unter den Mitgliedern zu begünstigen und mit den entstandenen Netzwerken gleichmäßigen Kontakt zu halten.831 Formen der Gruppenbildung sind als Grundlage der Mitgliedermotivation anzustreben, weil sie – aus der Perspektive des Einzelnen – Loyalität generieren, die in Stellung gebracht werden kann, um etwa die persönliche Beteiligung gegenüber dem Druck der Verbandsführung abzusichern.832 Von entscheidender Bedeutung ist jedoch, dass das einzelne Mitglied zur Beteiligung motiviert ist. Denn der Anstoß zu generell erhöhter Partizipation entsteht, wenn die Mitwirkung der Einzelnen Akzeptanz erfährt. Diese Motivation speist sich durch individuelle Wertzuschreibungen, aber auch durch die Normen und Ziele des Kollektivs. Zur Förderung des ersten Faktors sind der Eigenwert, den das Mitglied im Rahmen seines Engagements erfährt, die Chancen zur Selbstverwirklichung oder die Verinnerlichung des Organisationsziels bedeutend.833 Das letztgenannte Element, d. h. die Internalisierung des Verbandszwecks, stellt das wirksamste, aber zugleich am schwierigsten zu generierende Beteiligungsmotiv dar.834 b) Trennung von Zweck- und Motivationsstruktur bei Pflichtverbänden Für die Frage nach einem Trend zur Oligarchisierung in Pflichtverbänden werden danach die Trennung von Organisationszweck und Mitgliedschaftsmotiv sowie die  Differenzierung zwischen Mitgliedschafts- und Beteiligungsmotivation virulent. Eine Zwitterstellung zwischen Staat und Gesellschaft kennzeichnet die IHK. Dies befördert ein Auseinanderdriften organisatorischer und persönlicher Sinngehalte.835 Ihre Verfassung bringt den mehrdeutigen Stand zuvörderst zum Ausdruck. Sie enthält verschiedene, schwer zu vereinbarende Sinn- und Zweckgehalte. Die Bandbreite reicht von dem staatlich motivierten Interesse an der kostengünstigen Übermittlung unternehmerischen Sachverstands bis zur Stimulanz der Betroffenenpartizipation.836 Die körperschaftliche Organisationsform vermittelt ein Rechtskorsett, das die Verbandsaktivitäten dem kontrollierenden Blick der Staatsaufsicht unterwirft. Hinzu tritt die Ausstattung mit „eigenen“ und „fremden“ Verwaltungs-

831

Naschold, Organisation und Demokratie, 1969, S. 68. Etzioni, Soziologie der Organisationen, 5. Aufl. 1978, S. 62 ff. ordnet diese Forderungen dem Human-Relations-Ansatz zu (S. 62). 832 Naschold, Organisation und Demokratie, 1969, S. 69. 833 Naschold, Organisation und Demokratie, 1969, S. 68 m. w. N. 834 Naschold, Organisation und Demokratie, 1969, S. 68 f. 835 Ähnlich bereits Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 195. 836 Dazu näher unter D. IV. 2. u. 3.

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aufgaben. Die IHK verantwortet auch Kompetenzen, die keine oder kaum Eignung zur Partizipation aufweisen. Hier vermittelt bereits das funktionale Outsourcing des Staates den Eindruck, dass es auf die Mitwirkung der Mitglieder nicht ankomme und sie in Gleichgültigkeit verfallen dürfen. Auch die Verpflichtung auf die Wahrnehmung eines Gesamtinteresses ist bedeutsam. Sie steht dem Ansinnen des einzelnen Mitglieds entgegen, das auf eine prägnante Wahrnehmung seiner Individualinteressen drängt. Schließlich ist die Verbindung des einzelnen Mitglieds zu „seiner“ Kammer zumeist durch Belastungen geprägt.837 Bereits die Zugehörigkeit zum Verband erfolgt unabhängig von einer initialen Motivation. Die Mitgliedsrolle wird nicht bewusst übernommen, sondern aufgedrängt (§ 2 Abs. 1 IHKG). Dieser Eingriff in grundrechtliche Freiheiten bildet den Anknüpfungspunkt für weitere Bürden (z. B. Beitragspflicht838). Bei denjenigen Mitgliedern, die keinen Motivgehalt in der gesetzlich verordneten Zugehörigkeit sehen, kann erwartet werden, dass bereits im Ausgangspunkt ein hohes Niveau an Apathie gegenüber der Organisation besteht und dieses eher zu- als abnimmt.839 Die Internalisierung der oktroyierten Organisationszwecke erscheint unter diesen Voraussetzungen als weitgehend ausgeschlossen. Potenziale zur Steigerung der Partizipation können nur mit Blick auf die Mitglieder formuliert werden, die die „Kammeridee“ nicht vollkommen ablehnen. Der Befund eines Zusammenhangs zwischen Organisation und Oligarchisierungstendenz beansprucht damit für einen durch Gesetz eingerichteten Pflichtverband erst recht Geltung.840 Es nimmt daher nicht wunder, wenn eine Untersuchung für die nach dem Prinzip der Pflichtzugehörigkeit organisierte Kassenärztliche Vereinigung resümiert, dass die Organisation „stark oligarchische Züge“ aufweise.841 Auch die in der Einführung dargestellten Indikatoren über die verschwindend geringe Inanspruchnahme des aktiven Wahlrechts zur Vollversammlung lassen sich nunmehr einordnen.

837 S. dazu bereits Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 196. 838 Bei den Beiträgen zur IHK, die nach § 3 Abs. 3 S. 1 IHKG in Grundbeitrag und Umlage aufgespalten werden, handelt es sich um öffentliche Abgaben. Die genauere Behandlung ist indes umstritten, s. Bauersfeld, Die Verbandslast, 2010; Rieger, Kammerfinanzierung, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 13 Rn. 10 ff. 839 So bereits Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 448. 840 Im Ergebnis ebenso Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 194; Martini, Die Pflegekammer, 2014, S. 88. 841 Naschold, Organisation und Demokratie, 1969, S. 41.

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7. Organisatorischer Zielkonflikt – Staat und organisierte Interessen Phänomene der Oligarchisierung und Professionalisierung müssen in komplexen Organisationen in bestimmten Grenzen hingenommen werden.842 Kaum anders lässt sich das Dilemma, das durch den Zielkonflikt von Organisationen entsteht,843 auflösen. Es ist zudem nicht auszuschließen, dass Organisationen auch Impulse und Aktivitäten benötigen, die von oben nach unten verlaufen. Eine nach dem topdown-Prinzip operierende Führung ist daher nicht prinzipiell abzulehnen. Auch eignet sich nicht jede Entscheidung zur Delegation an die Mitglieder oder ihre Repräsentanz. Vielmehr ist ihre Beteiligung besonders in Angelegenheiten anzustreben, die sie selbst betreffen.844 Insbesondere der Fall der IHK zeigt, dass an eine Organisation regelmäßig abweichende Erwartungshaltungen herangetragen werden, die sich nicht ohne Weiteres in eine symbiotische Verbindung bringen lassen. So darf angenommen werden, dass die Mitgliedschaft auf eine effiziente Erreichung der Organisationsziele drängt, damit ihre Beitragslast verhältnismäßig gering ist. Daneben wird ihr Bestreben darin bestehen, dass ihre Standpunkte im Zuge des organisationsinternen Meinungs- und Willensbildungsprozesses Gehör finden. Die Mitgliedschaft wird dafür auf eine enge Rückkopplung mit- und Kommunikationskanäle zu der Vertreterversammlung bzw. den vollziehenden Führungsorganen angewiesen sein. Die Herstellung von (organisationsinterner) Publizität garantiert den Mitgliedern, dass das Handeln ihrer Repräsentanten der Kontrolle eröffnet wird. Neben den formellen Organisationszielen, die im IHKG festgeschriebenen sind, können informelle, durch persönliche Elemente angereicherte Zwecke – bspw. die Zufriedenstellung eines ausgesuchten Mitgliederkreises – wirksam werden. Davon zu unterscheiden sind vollkommen persönliche Motive wie z. B. Erwägungen der ehrenamtlichen Leitung oder des hauptamtlichen Verwaltungsapparats, die Machterhalt, Eitelkeit oder Arbeitsplatzsicherung zu mitbestimmenden Faktoren des Handelns werden lassen. Der Staat besteht auf eine effektive Aufgabenwahrnehmung bei absoluter Rechtmäßigkeits- und Richtigkeitsgewähr. Denn die Hoffnungen, die er mit dem Outsourcing von Verwaltungsaufgaben und der Einholung unternehmerischen Sachverstands verbindet, sollen nicht in Frustration umschlagen. Diese staatlichen Erfordernisse erzeugen gegenüber der Organisationsführung einen Druck, interne Konsultationen und Beteiligungsformen zugunsten vorgeblicher oder realer Wirksamkeit im Außenverhältnis abzusetzen. 842 Diese Überlegungen für die politischen Parteien mit ähnlichen Erwägungen anstellend v. Notz, Liquid Democracy, 2020, S. 72 ff. Bereits Teubner, Organisationsdemokratie und Verbandsverfassung, 1978, S. 90 suchte nach Auswegen in einer „realistischen Demokratietheorie“. 843 Zum Problem des Zielkonflikts ausführlich Mayntz, Soziologie der Organisation, 1963, S. 74 ff. 844 Etzioni, Soziologie der Organisationen, 5. Aufl. 1978, S. 66.

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Wenn die Kammermitglieder die Vorstellung hegen, dass die Organisationsform als Hülle für eine vollständige Rezeption ihrer Interessenlagen in der staatlichen Wirtschaftspolitik dient, werden sie notwendigerweise enttäuscht. Die Repräsentativorgane des Staates sind dem Allgemeinwohl verpflichtet und müssen ihre altruistische Stellung gegenüber dem partiellen Wohl einer Unternehmerkammer sichern. Werden die Organwalter von verbandsegoistischen Zielen heimgesucht, sind sie im wahrsten Sinne des Wortes zur Zivilcourage angehalten und haben nötigenfalls die unpopuläre Maßnahme zu verfügen.845 Öffentliche Machtausübung hat sich Szenarien zu erwehren, die eine „Herrschaft der Verbände“846 (i. O. mit Fragezeichen!) oder eine „Auflösung der staatlichen Souveränität“847 beinhalten.848 Der Staat darf seine Augen zudem nicht vor der Einsicht verschließen, dass nicht jedes Interesse gleichmäßig zur organisierten Vertretung gelangt, die Verbandslandschaft mithin keine vollkommen pluralistische Gestalt annimmt. Insbesondere die angloamerikanische Gruppenforschung belegte, dass freiwillige Assoziationen tendenziell die Ziele derjenigen verfolgen, die über einen höheren sozio-ökonomischen Stand verfügen. Die finanzielle Bewegungsfreiheit dieser Gesellschaftsteile bedingt die zeitlichen Ressourcen, um (ehrenamtlich) partizipieren zu können.849 Faktoren wie umfassende Einsicht, Artikulationsvermögen und hoch ausgebildete Sprachkenntnisse sind zudem unabdingbar, wenn man substantiierten Einfluss auf die Politikgestaltung nehmen möchte.850 Gesellschaftsteile mit geringerer Bildung befinden sich unter diesen Vorzeichen strukturell im Nachteil. Der Politikwissenschaftler Elmer Schattschneider formulierte insoweit pointiert, dass der himm­ lische Chor der Interessengruppen mit einem starken upper-class accent singe.851 Einen privilegierten Stand nehmen die Tarifpartner ein, da sie erforderlichenfalls Konfliktpotenzial generieren können. Die damit vermittelte Vetoposition erzeugt eine Drohkulisse, die es unwahrscheinlich erscheinen lässt, sie in Aushandlungs-

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Evers, Der Staat 3 (1964), 41 (45). Eschenburg, Herrschaft der Verbände?, 1955. 847 Huber, ORDO, Band 7 (1955), 189. 848 Eine tendenziell antipluralistische Haltung, die mit der vorstehenden Befürchtung von Hans Huber zum Ausdruck kommt, steht im Widerstreit zum Grundgesetz, das mit Art. 21 u. 9 GG verbandliche Regungen als legitim für die Funktionsweise des politischen Systems anerkennt. Von ungebrochener Dringlichkeit erscheint vielmehr, wie bereits Grimm, Verbände, in: Benda / Maihofer / Vogel (Hg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1995, § 15 Rn. 12 betonte, dass der Entscheidungsbeitrag des Parlaments nicht entwertet wird und Mechanismen zur gerichtlichen Überprüfung informeller Verständigungen bereitstehen. 849 Schattschneider, The Semisovereign People, 1960, S. 32; Steinberg, AöR 96 (1971), 465 (495 m. Fn. 201). 850 Steinberg, Die Repräsentation des Volkes, 2013, S. 188; Kappler, Shrinking Space Deutschland? Die Zivilgesellschaft als Akteurin beim Zugang zu Recht, in: Huggins et al. (Hg.), 61. JTÖR, 2021, 393 (400). 851 Schattschneider, The Semisovereign People, 1960, S. 35. 846

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prozessen dauerhaft zu übergehen.852 Demgegenüber stehen etwa die Gruppen von Obdachlosen oder Strafgefangenen, deren dringliche Belange nonchalant übergangen werden könnten, weil sie in den wirtschaftlichen Abläufen nicht prononciert genug auftauchen.853 Auch scheinen sich kurzfristige Interessen der Bürger und Unternehmen (z. B. Arbeitsplatzsicherung) mit kurzfristigen Interessen der Legislative (Wiederwahl, Machterhalt) regelmäßig gut zu vertragen. Langfristige, eine Legislaturperiode überdauernde Ziele wie z. B. Klima- oder Artenschutz können demgegenüber aus dem Blick der Entscheidungsträger geraten. Mancur Olson erkannte ferner, dass kein besonderer Anreiz zum freiwilligen Engagement für große, nicht oder nur ungenügend organisierte Lobbys besteht und hat bspw. auf die prinzipiell vergessenen Gruppen der Steuerzahler, Verbraucher und Inflationsgegner hingewiesen.854 Die freiheitlich-demokratische Grundordnung beinhaltet die Freiheit, persönliches Fortkommen oder Freizeitaktivitäten zu priorisieren und von gemeinsamen verbandlichen Betätigungen Abstand zu halten.855 Dieser Rechtssatz darf nicht umgangen werden, indem die Nichtbeteiligung durch staatliche Nichtberücksichtigung der Lebenslagen bestraft wird. Die Öffentliche Hand muss diese Erkenntnisse nicht nur respektieren, sondern adoptieren. Sie hat den Wettbewerb um die Gunst ihrer Aufmerksamkeit auszusetzen und darf das irrige Dogma, das ein Gleichgewicht aller Gruppen behauptet, nicht verfolgen. Übersieht sie die asymmetrische Organisationsfähigkeit von Interessen und die ungleiche Verteilung von Einflusskanälen, wird sie die nicht repräsentierten Standpunkte in ihren Entschließungen vergessen und die Belange der aktivsten Gruppen überbetonen. Ein rechtlicher Lösungsweg zur Harmonisierung des gesamten Spannungsfelds kann in Anbetracht eines Komplexitätsgrads, der hier gleichermaßen summarisch wie unpräzise erfasst wurde, schwerlich mit dem Anspruch auf universale Erkenntnis erdacht werden. Im Verlauf der Untersuchung wird sich allerdings ein Trend zeigen, nach dem die IHK das Dilemma regelmäßig zugunsten eines Kults der Einigkeit, den Rückbau von Kompetenzen der Mitgliedervertretung bei gleichzeitiger Maximierung der Zuständigkeiten auf Führungsebene und einer grundsätzlichen Absage an Prozesse organisationsinterner Publizität aufzulösen versucht. Die Organisation wird überwiegend nach dem Maßstab geschlossener Selbstdarstellung und professioneller Zentralisierung zur Generierung vermeintlicher Effektivität in den Außenbeziehungen ausgerichtet.

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Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, 2005, S. 47; v. Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, 1984, S. 293 f.; Horn, Verbände, in: Isensee /  Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 41 Rn. 38. 853 v. Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, 1984, S. 299. 854 Olson, Die Logik des kollektiven Handelns, 1968, S. 163 f. Unter Rekurs darauf warnt ­Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, 2005, S. 46 ebenfalls vor einer „laissez-faire-Pluralismustheorie“. 855 Steinberg, Die Repräsentation des Volkes, 2013, S. 192.

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Dies kann bereits mit dem derzeitigen Wissensstand als untauglicher Versuch zur Auflösung des Zielkonflikts kritisiert werden. Die Ergebnisse der soziolo­ gischen Forschung stehen einer Verbandspraxis entgegen, die der inszenierten Einigkeit den absoluten Vorrang gegenüber wahrnehmbaren Konflikten einräumt, weil sie in Letzterem etwa ein gesellschaftlich nicht legitimiertes Verhalten mit destruktiver Wirkung zu erkennen glaubt. Offen ausgetragene soziale Konflikte um Interessen, Werte, Status, Mittel oder Macht muss eine Organisation prinzipiell nicht scheuen. Urheber dieser Erkenntnis ist der deutsche Philosoph und Soziologe Georg Simmel.856 Der US-amerikanische Soziologe Lewis Coser baute seine Forschungen auf dessen Einsichten auf. Er erklärte, dass Auseinandersetzungen die Gruppenidentität stärken, Mechanismen der Abgrenzung zu gegnerischen Gruppen befördern und überfällige Anpassungen an veränderte Umweltbedingungen beschleunigen. Dass Probleme aufgelöst, übergeordnete Normen bestätigt und gemeinsame Interessen betont würden, seien weitere positive Resultate eines durchlebten Streits. Konflikte bilden seines Erachtens ein Kennzeichen für stabile Sozialstrukturen nach innen wie nach außen. Denn brüchige Gruppen wiesen jedenfalls keine Widerstandsfähigkeit gegenüber Auseinandersetzungen auf und unterdrücken deren Entstehung aus gutem Grund.857 Albert Hirschman strebte ebenfalls ein volleres Verständnis über die Typik von Konflikten an. Er hinterfragte, unter welchen Bedingungen das Hegen von inneren Konflikten gegenüber dem Streben nach Gleichgewicht, Ordnung, Frieden und Harmonie vorzugswürdig sei. Von ihm geht die Unterscheidung zwischen teilbaren Konflikten des Mehr-oder-Weniger (z. B. Zuweisung des Sozialprodukts) und unteilbaren Auseinandersetzungen des Entweder-Oder (z. B. Abtreibung, ethnische Zugehörigkeit oder Multikulturalismus) aus. Die Alternative des Mehr-oder-Weniger komme in pluralistisch-marktwirtschaftlichen Gesellschaften häufig vor, sei der Suche nach einem Kompromiss zugänglich und befördere die Kunst des Experimentierens. Der verhandelte Kompromiss ergebe sich niemals als letztbegründete Lösung, die eine oder beide Seiten unwiderruflich verpflichte. Die Annahme einer konstruktiven, stützenden Wirkung von Konflikten folgt aus diesen Merkmalen: Es handelt sich nach Hirschman um die gesammelte Erfahrung einer Gesellschaft, „sich durch zahlreiche teilbare Konflikte durchgewurstelt zu haben“.858 Eine Selbstverwaltungstradition, die bis in das 19. Jahrhundert zurückreicht, kann sich keine Planspiele leisten, die allein an dem ökonomischen Effizienzdogma ausgerichtet sind und beinhalten, über das richtige Maß an Teilnahms­ losigkeit nachzudenken. Zutreffend kennzeichnet der Soziologe und Politikwissenschaftler Frieder Naschold859 derartige Unternehmungen als „Behauptung von 856 Maßgeblich war, so Hirschman, Leviathan 22 (1994), 293 (296 f.), das Kapitel „Streit“ bei Simmel, Soziologie, 7. Aufl. 2013 (1908), S. 197 ff. 857 Coser, The Functions of Social Conflict, 1956. 858 Hirschman, Leviathan 22 (1994), 293 (302); ders., Political Theory Vol. 22 (1994), 203 (214). 859 Zu seinem Leben und Wirken Lehmbruch, Leviathan 28 (2000), 308–318.

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der Funktionalität politischer Apathie“.860 Diesen Versuchen, dies bekräftigt der Autor ebenfalls, stehen auch die Ergebnisse der empirischen Organisationssoziologie entgegen. Sie belegen, dass Partizipation nicht nur als Zweck in sich selbst anzusehen ist, sondern eine „direkte lineare Beziehung von erhöhter Beteiligung und gesteigerter Organisationseffizienz“ besteht.861 Naheliegend ist, dass vor allem die bargaining power des Verbands gestärkt wird, wenn die Position der Führung eine gehörige und erkennbare Unterstützung durch die Mitgliedschaft erhält, die auf organisationsinternen Verfahren fußt. Demgegenüber wird die Verhandlungsstärke der Organisation unterminiert, wenn den Akteuren in der Umwelt das Fehlen organisationsinterner Aushandlungs- und Publizitätsprozesse bekannt ist. Tritt die Organisationsführung selbstbewusst im Außenverhältnis auf, kann ihr unter diesen Umständen plausibel entgegengehalten werden, dass sie sich nicht einmal vergewissert hat, ob die eigene Mitgliedschaft die unterbreiteten Standpunkte teilt. Vertrauen die staatlichen Entscheidungsinstanzen auf derartige Meinungsbilder fehlender Authentizität, mangelt es auch ihren Entscheidungen an Repräsentativität. Vor diesem Hintergrund kann auch ein genuin staatliches Interesse an einer lebendigen Organisationskultur behauptet werden.862 Eine Steigerung der Mitgliederpartizipation oder die Kompetenzverlagerung zugunsten ihrer Vertretung führt gerade nicht zum Leistungsverlust des Gesamtsystems. Ohnehin liegt eine auf bürokratischen Funktionsinteressen gegründete Illusion vor, wenn man ernstlich meint, die Belange von Individuen in komplexen Organisationen bei sozialer und ideologischer Differenzierung der Mitgliedschaft sowie angesichts der Vielschichtigkeit und fehlenden Objektivierbarkeit des Interessebegriffs ohne deren eigene Mitarbeit ermitteln zu können.863 Daher muss die Prämisse lauten, die Machtoptionen deutlich zugunsten der Kammerzugehörigen und ihrer Vertretung zu verschieben. 8. Schlussfolgerungen für die juristische Diskussion – Methodik der Studie Die bisherigen Erkenntnisse geben zu der Frage Anlass, welche Chancen die Nachbarwissenschaften einer rechtlich angeleiteten Organisationsreform zur Abmilderung des Apathie-, Kompetenz- und Kontrollproblems einräumen. Michels möchte – in konsequenter Fortsetzung seiner radikal-pessimistischen Haltung – einer veränderten Organisationsverfassung keine Hoffnungen auf eine 860

Naschold, Organisation und Demokratie, 1969, S. 50. Naschold, Organisation und Demokratie, 1969, S. 50 f. m. w. N. In diesem Sinne auch ­Teubner, Organisationsdemokratie und Verbandsverfassung, 1978, S. 174. S. ferner Lipset, Virginia Law Review Vol. 47 (1961), 1 (40 ff.), der zu der Frage „Does Opposition Weaken Unions?“ Stellung bezieht. 862 Teubner, Organisationsdemokratie und Verbandsverfassung, 1978, S. 175 ff. m. w. N. 863 Warnend bereits Naschold, Organisation und Demokratie, 1969, S. 73 f. 861

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Umkehr der Verhältnisse beimessen. Er führt aus: „Prophylaktischer Maßnahmen gegen das Aufkommen der Oligarchie spottet die Entwicklung selbst. Wollen Gesetze der „Herrschaft der Führer“ Einhalt tun, so weichen allmählich die Gesetze, nicht die Führer.“864 Lipset, Trow und Coleman äußerten sich ebenfalls in einem skeptischen Ton. „Basically, however, it does not offer many positive action suggestions for those who would seek consciously to manipulate the structure of such organizations so as to make the institutionalization of democratic procedures within them more probable. […] [T]he implications of our analysis for ­democratic organizational politics are almost as pessimistic as those postulated by Robert ­Michels.“865 Hirschman resümierte, dass „die Voraussetzungen für die Ausbildung einer stabilen und optimal wirksamen Mischung von Abwanderung und Widerspruch selten gegeben“ seien.866 Trotz dieses trübe stimmenden Befundes resignierte er nicht. Er erkannte die Möglichkeit, die Macht der Organisationsführung zu begrenzen, an die Wünsche der Mitgliedschaft zu binden und beendete seine Studie mit immerhin drei Empfehlungen. a) Strategien zur Vereinbarkeit von Recht und Realität Zu beantworten steht nunmehr, wie die organisationssoziologischen Einsichten in die juristische Diskussion methodengerecht eingepasst werden können. Die Wahl könnte zum einen auf eine Strategie der Ignoranz fallen. Danach erdenkt man Normen, die die Rechtsgarantien der Vollversammlung, ihrer Mitglieder und / oder aller Kammerzugehörigen stärken. Falls die erhoffte Wirkung der Regelungen ausbleibt und ein Widerspruch zwischen Recht und Wirklichkeit festzustellen wäre, könnte man sich nonchalant zurückziehen. Der Befund ließe sich als ein Problem der schlechten Wirklichkeit, der Eitelkeit respektive Machtgier der Funktionäre oder der Trägheit der Mitglieder beschreiben, die die rechtlich gewährten Chancen vereiteln bzw. nicht ausnutzen.867 Die Verfolgung einer Strategie der Ignoranz, die einer Konstruktion des Rechts ohne Ansehung seiner Realisierungschancen das Wort redet, ist indes unergiebig. Dies gilt nicht weniger für eine Strategie, die eine Verharmlosung der organisationssozialen Einsichten postuliert und davon ausgeht, dass das Recht seinen Steuerungsanspruch auch bei Schwierigkeiten im Tatsäch­ lichen schon irgendwie realisieren werde. Gegenüber beiden Strategien ließe sich unschwer der Vorwurf des Betreibens symbolischer Rechtspolitik respektive die

864 Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie, 4. Aufl. 1989, S. 375 – Hervorh. i. O. Eine Begründung lässt sich den S. 316 ff. entnehmen, wobei hinzuzufügen ist, dass Michels in den ebenda angestellten empirischen Beobachtungen nur auf ganz bestimmte Rechte, mit denen Oligarchisierungstendenzen in den Parteien verhindert werden sollen, Bezug nimmt. 865 Lipset / Trow / Coleman, Union Democracy, 1956, S. 404 f. 866 Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, übersetzt v. L. Walentik, 1974, S. 106. 867 Teubner, Organisationsdemokratie und Verbandsverfassung, 1978, S. 87.

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Vertretung eines „normativen Idealismus“868 erheben. Immerhin würde das novellierte Recht die organisationssoziologische Problematik nur verschleiern. Ebenso wenig Erfolg verspricht, den Thesen von Michels konsequent Folge zu leisten, d. h. den Einfluss eines reformierten Innenrechts zur Förderung innerverbandlicher Demokratie oder eines langlebigen Organisationsdesigns im Vorhinein radikal zu bestreiten und in der Folgezeit von rechtspolitischen Überlegungen abzusehen. Denn dies würde für die IHK bedeuten, dass dem Gesetzgeber – unter der Voraussetzung, dass die Teilnahmslosigkeit der Mitglieder und das Desinteresse ihrer Repräsentanten in der Vollversammlung an dem Geschehen in „ihrer“ Organisation stagniert – nur die Wahl zwischen der unbekümmerten Fortschreibung des geltenden Rechts oder der Abschaffung der Organisation im Ganzen bliebe. Indes kommt diese Strategie in rechtswissenschaftlichen Abhandlungen zum Vorschein. So stellt etwa Ernst Thomas Emde ein Übergewicht des Vorstands und der Geschäftsführung über die Vertretung der Mitglieder fest, das Wurzeln habe, die tiefer reichten, als dass ein „Federstrich des Gesetzgebers hier für völlige Abhilfe sorgen könnte“.869 Emde erkennt „irreversible“ Tendenzen zur Bürokratisierung und zum Rückzug der Mitglieder. Er hinterfragt, ob ein Zurück zur Herrschaft der Basis „überhaupt möglich“ sei und ob nicht auch eine „substantielle Verstärkung ihrer Befugnisse [der Kammerzugehörigen bzw. ihrer Vertretung] auf die tatsächlichen Verhältnisse ohne große Auswirkungen bliebe“. Der „bürokratische Charakter“ der Kammern und das „Schwergewicht ihrer Tätigkeit in Detail- sowie in Routineangelegenheiten“ gäben „zu Zweifeln Anlaß“.870 Diese Strategie zieht sich im Wesentlichen auf den Standpunkt einer vollständigen Inkompatibilität zwischen Recht und Realität zurück. Sie ist zu kritisieren, da sie den Steuerungsanspruch verbindlicher Normen negiert.871 Aus juristischer Perspektive geht die damit gewählte Position eines „sozialen Determinismus“872 fehl, weil es in der Profession der Rechtswissenschaft angelegt ist, auf eine evaluierte Problemlage mit der Neuformulierung von Regeln zu reagieren. Das Gesetz darf als Mittel der steuernden Konfliktlösung für soziale Prozesse nicht vorschnell aus der Hand gegeben werden. Die zuletzt beschriebene Strategie verkennt auch schlechterdings, dass die organisationssoziologischen Erkenntnisse keinesfalls eindeutig in eine Richtung zeigen, die dem Gesetzgeber die Rolle eines stillen Zuschauers oder resignierenden Beobachters verordnet. Selbst Michels bekennt abschließend, dass in dem Prinzip 868

Warnungen vor einem „normativen Idealismus“ für die Zielvorstellungen einer Verbandsdemokratie finden sich bereits bei Teubner, ZGR 4 (1975), 459 (474); Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 198; Steinberg, Parlament und organisierte Interessen, in: Schneider / Zeh (Hg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 7 Rn. 116. 869 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 448. 870 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 449. 871 Gleichgerichte Kritik bei Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 197 f. 872 Teubner, Organisationsdemokratie und Verbandsverfassung, 1978, S. 160.

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der Demokratie „wenn auch nicht die Heilung, so doch eine gewisse Milderung der oligarchischen Krankheit“ liegen könne.873 Eine weitere Untersuchung von Seymour Martin Lipset hält Anknüpfungspunkte bereit, auf die sich die Annahme einer (eingeschränkten) Wirksamkeit rechtlicher Mittel zur Förderung von Organisationsdemokratie gründen lassen.874 Auch das übergeordnete Ziel, das in der Gewährleistung einer effektiven Betroffenenpartizipation in der Selbstverwaltungseinheit zu erkennen ist, erscheint zu bedeutend, als dass der Gesetzgeber in Apathie verfallen dürfte. Immerhin gilt es einen Zustand zu verhindern, der dazu führt, dass gewählte „Kompetenzträger – sei es aus verantwortungsbewusstem Engagement, aus Sendungsbewusstsein oder auch aus persönlichem Machtstreben – dazu neigen, ihre Entscheidungsbefugnisse laufend zu erweitern, selbst gegen die wahren Interessen der von ihnen vertretenen Organisation“.875 b) Eine lebendige Organisationskultur kann nicht verordnet werden Den oftmals in einem apodiktischen Ton formulierten organisationssoziolo­ gischen Thesen über die Wirkungslosigkeit des Rechts mangelt es an Differenzierung. Oftmals urteilen sie nur über die augenfälligsten Rechtsgarantieren. Daneben verlieren sie aus dem Blick, dass auch kleinere rechtliche Stellschrauben große Wirkung entfalten können. Auch andere Autoren warnten bereits, dass die Verbandsstudien eine „anti-formalistische Orientierung“ vermittelten, wobei soziale, informelle und psychologische Bedingungen hervorgehoben würden.876 Die soziologische Organisationsforschung betrachtet die rechtliche Formalstruktur regelmäßig als einen Nebenschauplatz. Dabei sind Regeln das Tuch, aus dem eine lebendige Organisation geschneidert werden kann. Hier soll indes nicht entschieden werden, ob die Herangehensweise aus der benachbarten Disziplin „zutreffend“ ist. Stattdessen werden im Sinne echter Querschnittsarbeit die ausgewählten nachbarwissenschaftlichen Zugänge darauf geprüft, bis zu welcher Grenze sie zum Gegenstand einer verwaltungsdogmatischen877, aber zugleich verwaltungspraktisch bzw. rechtstatsächlich878 informier 873 Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie, 4. Aufl. 1989, S. 375 – Hervorh. i. O. 874 Lipset, Virginia Law Review Vol. 47 (1961), 1 (50). 875 Zitat entnommen aus Brohm, NJW 2001, 1 (2), der mit diesen Wendungen die mit dem Begriff „elitäre Oligarchie“ einhergehende Sachaussage erläutert. 876 Teubner, Organisationsdemokratie und Verbandsverfassung, 1978, S. 159 f. 877 Zum Begriff weiterhin prägend Brohm, Die Dogmatik des Verwaltungsrechts vor den Gegenwartsaufgaben der Verwaltung, VVDStRL 30 (1971), 1972, 245 (307). 878 Nach wie vor sind wirkmächtige Bestrebungen wahrnehmbar, die die rechtswissenschaftliche Forschung auf den stricly legal point of view begrenzen wollen (dafür etwa Gutmann, Intra- und Interdisziplinarität: Chance oder Störfaktor, in: Hilgendorf / Schulze-Fielitz [Hg.], Selbstreflexion der Rechtswissenschaft, 2015, 93 (94); Ernst, Gelehrtes Recht – Die Jurisprudenz aus der Sicht des Zivilrechtslehrers, in: Engel / Schön [Hg.], Das Proprium der Rechtswis-

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ten Studie erhoben werden können. Ebenda aktualisiert sich die Warnung vor Rezeptions- oder Reflexionsdefiziten im Rahmen interdisziplinärer Rechtsforschung, die mit Szenarien über ein „leichthändig-leichtsinnige[s] Einspeisen von Begriffen oder Erkenntnissen“ der anderen Disziplin umschrieben wird.879 Um dieser Gefahr zu begegnen, ist die Verfügbarkeit eines „informierten Schnittstellenmanagement[s]“880 erforderlich. Damit sind einerseits Präzision und andererseits ein Bewusstsein über die Vielfalt, Uneindeutigkeit und Widersprüchlichkeit der Nachbardisziplin respektive die Eigenartigkeit der Verwaltungsrechtswissenschaft vonnöten. Unter diesen Vorzeichen wird die Implementierung von innovativen Organisations- und Verfahrensvorschriften zur Gewinnung eines optimalen Organisationsdesigns prinzipiell für wirksam erachtet. Dieser Vorgang erfolgt unter besonderer Berücksichtigung der organisationssozialen Einsichten, da sie für den Untersuchungsgegenstand zu einer Kompensation rechtswissenschaftlicher Wissensdefizite beitragen, eine fruchtbare Perspektivenerweiterung bedingen und zu einer Rationalisierung der Diskussion führen.881

senschaft, 2007, 3 [15 f.]). Bereits der Zivilrechtswissenschaftler Nußbaum, AcP 155 (1955), 453 (462) erkannte jedoch, dass Rechtswissenschaft nicht bei der Ansehung des Gesetzestextes enden könne und wurde zum Begründer der Rechtstatsachenforschung. Sein Programm war die „systematische Untersuchung der sozialen, politischen und anderen tatsächlichen Bedingungen, aufgrund derer einzelne rechtliche Regeln entstehen, und die Prüfung der sozialen, poli­tischen und sonstigen Wirkungen jener Normen“. Die Rechtstatsachenforschung dient insofern der Erfassung der vor- und nachgelagerten Rechtswirklichkeit, während die Beschäftigung mit der (Verwaltungs-)Rechtsdogmatik der Theoriebildung dient (Voßkuhle, VerwArch 85 [1994], 567 [568]). 879 Zitat bei Burgi, Intradisziplinarität und Interdisziplinarität als Perspektiven der Verwaltungsrechtswissenschaft, in: ders. (Hg.), Zur Lage der Verwaltungsrechtswissenschaft, Die Verwaltung Beiheft 12, 2017, 33 (37). S. ferner Voßkuhle, Methode und Pragmatik im Öffentlichen Recht – Vorüberlegungen zu einem differenziert-integrativen Methodenverständnis am Beispiel des Umweltrechts, in: Bauer / Czybulka / Kahl / ders. (Hg.), FG Schmidt, 2002, 171 (182), der vor „uninformierten Theorieimporten“ warnt. 880 v. Arnauld, Öffnung der öffentlich-rechtlichen Methode durch Internationalität und Interdisziplinarität: Erscheinungsformen, Chancen, Grenzen, VVDStRL 74 (2014), 2015, 39 (83). Ähnlich Voßkuhle, Neue Verwaltungsrechtswissenschaft, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann /  ders. (Hg.), GrVwR, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 1 Rn. 39; Vesting, Nachbarwissenschaftlich informierte und reflektierte Verwaltungsrechtswissenschaft – „Verkehrsregeln“ und „Verkehrsströme“, in: Schmidt-Aßmann / Hoffmann-Riem (Hg.), Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, 2004, 253 (280); Lüdemann, Netzwerke, Öffentliches Recht und Rezeptionstheorie, in: Boysen et al. (Hg.), 47. Assistententagung Öffentliches Recht – Netzwerke, 2007, 266 (279 ff.); Augsberg, Multi-, inter-, transdisziplinär? Zum Erfordernis binnenjuristischer Metaregeln für den Umgang mit extrajuridischem Wissen im Verwaltungsrecht in: ders. (Hg.), Extrajuridisches Wissen im Verwaltungsrecht, 2013, 3–33; ders., Der Staat 51 (2012), 117 (122). 881 Zu den damit angesprochenen Vorzügen interdisziplinärer Forschung bündig Stark, Interdisziplinarität der Rechtsdogmatik, 2020, S. 202 ff.; zu dem besonderen Näheverhältnis zwischen Recht und Soziologie jüngst Walisko, Die Organisation der öffentlich-rechtlichen Fachgerichtsbarkeiten, 2021, S. 240 ff.

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Allerdings kann das Recht eine partizipative Organisationskultur weder ok­ troyieren noch künstlich erschaffen. Unter den Bedingungen einer strukturell entfremdeten Mitgliedschaft und willkürlichen Entscheidungen auf Führungsebene bleiben etwa Wahlen zur Organbesetzung, deren regelmäßigere Durchführung vorschnell als Allheilmittel erdacht werden könnte, wirkungslos. Denn selbst eine derart schlichte Rechtsgarantie ist auf eine „lebendige innerverbandliche Demokratiekultur und personelle Alternativen angewiesen, die ein schlagkräftiges Gegengewicht zu verfestigten Professionalitätsstrukturen bilden“ könnten.882 Es ist daher für jede Norm zu überlegen, ob nicht bereits mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass ihr Zweck unerfüllt bleibt und sich die Vorgabe im Ergebnis als von lediglich symbolischer Bedeutung erweisen wird. Die spezifizierte Aufgabenstellung für die juristische Diskussion lautet, jene Instru­ mente außer Acht zu lassen, für die bereits bekannt ist, dass sie eine Förderung der innerorganisatorischen Demokratie unter keinen Umständen erwarten lassen. Demgegenüber darf ein plötzlich auftretendes Interesse der Mitgliedschaft an vermehrter Partizipation nicht an unüberwindbaren rechtlichen Barrieren scheitern. Abermals wird sich die Nutzbarmachung der Verbandsstudien als lohnend erweisen. Sie bezeichnen oftmals unterschwellig Punkte, an denen die Schutz-, Erleichterungs- und Ermöglichungsfunktion juristischer Regeln angreifen kann. Die Mittel des Rechts können ein normatives Klima für mitgliedschaftliches Engagement erzeugen, wenn sie zum strategischen Einsatz dergestalt gelangen, dass sie Impulse setzen, Anreizstrukturen schaffen und Innovationen ermöglichen.883

II. Integration der organisationssoziologischen Einsichten in juristische Kategorien Wenngleich das Organisationsrecht zunächst über keinen gesicherten Platz in einer auf Außenbeziehungen und Rechtsakte fokussierten Verwaltungsrechtswissenschaft verfügte,884 wird es seit mehreren Jahrzehnten als unbestrittener Bestandteil des Allgemeinen Verwaltungsrechts behandelt.885 In den 1990er Jahren erfolgte der Aufstieg zu einem Hauptthema des wissenschaftlichen Diskurses.886 882

Martini, Die Pflegekammer, 2014, S. 88. Für den Zusammenhang von Parteienorganisation und -gesetz gleichgerichtet v. Notz, Liquid Democracy, 2020, S. 76 f. Für das Verbandswesen insgesamt Teubner, Verbandsdemokratie durch Recht? – Die Diskussion um ein Verbändegesetz in demokratietheoretischer Sicht, in: Steinberg (Hg.), Staat und Verbände, 1985, 256 (277 f.). Allgemein Hoffmann-Riem, Innovation und Recht, 2016, S. 33: „Recht als Innovationsermöglichungsrecht“. 884 Zu Befund und Analyse s. nur Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Band 1: Allgemeiner Teil, 9. Aufl. 1966, S. 400. 885 S. etwa Burgi, Verwaltungsorganisationsrecht, in: Ehlers / Pünder (Hg.), Allgemeines Ver­waltungsrecht, 15. Aufl. 2016, § 7 ff.; Maurer / Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 21 ff. 886 Unger, Organisationsrechtswissenschaft des Verfassungs- und Verwaltungsrechts – Was kann das Verfassungs- vom Verwaltungsorganisationsrecht lernen?, in: Krüper / Pilniok (Hg.), 883

II. Integration  in juristische Kategorien

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Unzählige Abhandlungen betonten seither die Bedeutung des Verwaltungsorganisationsrechts.887 Sie lässt sich in eine Konstituierungs- und Steuerungsfunktion sowie eine demokratische Funktion888 aufteilen.889 Mittlerweile, d. h. nach dem Anerkenntnis des Stellenwerts des Organisationsrechts im System des Verwaltungsrechts, fokussiert die Debatte Fragen der technischen Performanz von Behörden und Gelingensbedingungen idealer Verwaltungsorganisation.890 Dass diese Erkenntnisse bisher zu keiner vertieften und zusammenhängenden Überprüfung des IHK-Rechts geführt haben,891 soll nicht zu einer Nacherzählung der Diskussion verleiten. Immerhin dürfte unmittelbar einsichtig sein, dass die körperschaftliche Organisationsform mit pflichtmitgliedschaftlicher Verfassung,892 komplexe Aufgabenstrukturen, die Bewältigung von Interessenkonflikten, die

Organisationsverfassungsrecht, 2019, 49 (55) verknüpft dies treffend mit Eberhard SchmidtAßmann und Wolfgang Hoffmann-Riem, die sich mit Reformideen für das Allgemeine Verwaltungsrecht verantwortlich zeichneten. 887 Aus dem Sammelband Schmidt-Aßmann / Hoffmann-Riem (Hg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997 ist der Beitrag von Hans-Heinrich Trute – „Funktionen der Organisation und ihre Abbildung im Recht“ (S. 249 ff.) – hervorzuheben. Grundlegend SchmidtAßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 239 ff. Pointiert Gärditz, Die Organisation der Wirtschaftsverwaltung, in: Schmidt / Wollenschläger (Hg.), Kompendium Öffentliches Wirtschaftsrecht, 5. Aufl. 2019, § 4 Rn. 1. 888 Dazu näher unter D. IV. 4. c). 889 Unterscheidung bei Schuppert, Verwaltungsorganisation und Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsfaktoren, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 16 Rn. 3 ff. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 239 stellt lediglich auf eine Konstituierungs- und Steuerungsfunktion ab. Differenzierter Gärditz, Hochschulorganisation und verwaltungsrechtliche Systembildung, 2009, S. 80 ff., der eine Transformations-, Erkenntnis-, Formalisierungs-, Kompensations-, Distanzierungs-, Legitimations-, Grundrechtsschutz-, Interessenausgleichs- sowie eine Innovations- und Wissensgenerierungsfunktion benennt. Ohler, AöR 131 (2006), 336 (338) misst der Verwaltungsorganisation lediglich eine dienende Funktion gegenüber dem materiellen Recht bei und verkürzt damit den Eigenwert des Innenrechts bei der Herstellung von Entscheidungen ungerechtfertigt. 890 Unger, Organisationsrechtswissenschaft des Verfassungs- und Verwaltungsrechts – Was kann das Verfassungs- vom Verwaltungsorganisationsrecht lernen?, in: Krüper / Pilniok (Hg.), Organisationsverfassungsrecht, 2019, 49 (57). Allgemeiner Walisko, Die Organisation der öffentlich-rechtlichen Fachgerichtsbarkeiten, 2021, S. 4. 891 Die Ausführungen bei Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 280 ff. und ders., Interessenausgleich durch Kollegialverfahrensrecht in den Kammern, in: Kluth (Hg.), JbKR 2002, 2003, 26–37 sind zwar instruktiv, aber streifen die Rechtsgrundlagen der IHK allenfalls am Rande. Weitere Beiträge, wie z. B. Möllering, WiVerw 2001, 25–61, Jahn, WiVerw 2004, 133–153, Rickert, WiVerw 2004, 153–177, Groß / Pautsch, Kammerverfassungsrecht – Organisation und Verfahren, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 7 oder Jahn, ­GewArch 2018, 410–415, adressieren lediglich einzelne Aspekte des Begriffspaars Organisation und Verfahren und bleiben überwiegend einer Betrachtung de lege lata ver­pflichtet. 892 S. dazu insbes. Gärditz, Die Organisation der Wirtschaftsverwaltung, in: Schmidt / Wollenschläger (Hg.), Kompendium Öffentliches Wirtschaftsrecht, 5. Aufl. 2019, § 4 Rn. 2.

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D. Analyserahmen  

Einrichtung von Kollegialorganen893 oder das Hineinwachsen von ehrenamtlich Tätigen in die Rechtsformen und -bindungen des öffentlichen Rechts ein adäquates Organisationsdesign erfordern. Möchte man organisationssoziale Erkenntnisse am geltenden Recht spiegeln oder sogar unter Bezugnahme auf sie für eine Änderung bestehender Vorschriften eintreten, muss ein Transfer in juristische Kategorien stattfinden. Für das Verwaltungsorganisationsrecht kommt eine Vielzahl von Angriffspunkten in Betracht.894 Aufgrund der damit einhergehenden Fülle von terminologischen Einzelfragen, wird sich die folgende Darstellung auf die Zwecke dieser Studie beschränken. 1. Maßgebliche Begriffe des Verwaltungsorganisationsrechts Das Verwaltungsorganisationsrecht misst den Begriffen Innen- und Außenrecht in Abhängigkeit von dem ausgewählten Relationsmerkmal eine abweichende Aussagekraft bei.895 In dem hier interessierenden Zusammenhang meint Innenrecht die Ausgestaltung der Beziehungen innerhalb der Organisation (organisationsintern), noch spezieller: die Verhältnisse innerhalb von Organen (intraorgan / organintern) bzw. zwischen Organen (interorgan / organextern).896 Das Außenrecht (organisationsextern) bezeichnet das Verhältnis zu außerhalb des Systems stehenden (gesellschaftlichen oder staatlichen) Akteuren. Der Bezugspunkt der Differenzierung besteht somit in der Relation Selbstverwaltungseinheit-Umwelt. Der Verwaltungsträger – eine mit Verwaltungsaufgaben sowie Sonderrechten und -pflichten ausgestattete Einheit, der die Eigenschaft einer juristischen Person zukommt – 897 bildet den Ausgangspunkt für die Beschreibung des Innern der Organisation. Denn die Einheit ist einerseits tauglicher Anknüpfungspunkt innerorganisatorischer Unterteilungen und fungiert andererseits als Zurechnungsobjekt von Handlungen im Innen- und Außenrecht. Der Verwaltungsträger IHK ist als Körperschaft des öffentlichen Rechts konstituiert. Der Terminus bezeichnet eine organisatorische Einheit, die durch staatlichen Hoheitsakt geschaffen und mit der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben betraut wird, Rechtsfähigkeit 893 S. dazu insbes. Bettermann, Das Verwaltungsverfahren, VVDStRL 17 (1958), 1959, 118 (132). 894 Eine Darstellung über die „Hauptinhalte“ eine systematischen Verwaltungsorganisationsrechts findet sich bei Schmidt-Aßmann, Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, in: ders. / Hoffmann-Riem (Hg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, 9 (48–55). 895 Beispiele bei Jestaedt, Grundbegriffe des Verwaltungsorganisationsrechts, in: HoffmannRiem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 14 Rn. 14. 896 Die organisationsinternen Rechtsbeziehungen beschreiben die Konstellationen OrganOrgan, Organteil / Organwalter-Organ und Mitgliedschaft / Kammerzugehörige-Organ. 897 Maurer / Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 21 Rn. 1 f.

II. Integration  in juristische Kategorien

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vermittelt bekommt und der staatlichen Aufsicht unterliegt.898 Sein Gepräge erhält dieser Verwaltungstypus durch die mitgliedschaftliche Steuerung der Ver­ bandsangelegenheiten.899 Im Rahmen einer differenzierten Beschreibung der Binnenorganisation erlangen die Begriffe „Organ“ und „Organwalter“ Dringlichkeit. Das Organ im juristischen Sinne ist ein „durch Rechtssatz gebildetes, selbstständiges institutionelles Subjekt durch das eine (teil-)rechtsfähige Organisation ihre Aufgaben derart wahrnimmt, dass die Handlungen des Organs ihr zugerechnet werden“.900 Entscheidend für die Kennzeichnung als Organ ist danach die durch Rechtssatz vermittelte Verfügbarkeit eines Rechtssubjekts über eine Zuständigkeit bzw. Kompetenz.901 In der Folge ist von einer Organkompetenz902 als Teilmenge der Verbandskompetenz903 die Rede. Fehlt es an der Selbstständigkeit, spricht man von bloßen Organteilen.904 Der Organwalter ist die physische Person, die im Gegensatz zu nicht-physischen Rechtssubjekten wie etwa den Organen selbst, die Zuständigkeiten des Organs in konkretes Verhalten umzusetzen imstande ist.905 Ein Verwaltungsträger verfügt in der Regel über mehrere Organe, die arbeitsteilig die Verbandskompetenz wahrnehmen und entsprechend ihrer Organkompe 898

Maurer / Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 23 Rn. 38; Jestaedt, Grundbegriffe des Verwaltungsorganisationsrechts, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann /  Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 14 Rn. 27. Kluth, Die öffentlich-rechtlichen Körperschaften, in: Wolff / Bachof / Stober / ders., Verwaltungsrecht II, 7.  Aufl. 2010, § 85 Rn.  7 f. betont, dass die Einheit unabhängig von der konkreten Zusammensetzung ihres mitgliedschaftlichen Substrats bestehe. Dabei handelt es sich aber um kein konstitutives Merkmal der Körperschaft des öffentlichen Rechts. Vielmehr bildet die organisatorische Persistenz ein Kennzeichen der Rechtsfähigkeit. 899 Pointiert Maurer / Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 23 Rn. 41: „Die Mitglieder sind das die Körperschaft tragende und bestimmende Element.“ In diese Richtung schon früh Wolff, Organschaft und Juristische Person, Erster Band, 1933, S. 462. 900 Kluth, Funktionssubjekte der Verwaltungsorganisation, in: Wolff / Bachof / Stober / ders. Verwaltungsrecht II, 7. Aufl. 2010, § 82 Rn. 132 – Hervorh. i. O. unter Verweis auf Wolff, Organschaft und Juristische Person, Zweiter Band, 1934, S. 236. 901 Jestaedt, Grundbegriffe des Verwaltungsorganisationsrechts, in: Hoffmann-Riem / SchmidtAßmann / Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 14 Rn. 42 – Hervorh. i. O.: „Die Zuständigkeit oder auch Kompetenz stellt das „Junktim zwischen Aufgabe und Organisation“ dar. Sie weist eine bestimmte ([…]Verwaltungs-)Aufgabe, deren Erledigung zunächst und ohne weitere Differenzierung die staatliche Verwaltung als solche trifft, einem bestimmten administrativen Organisationssubjekt […] zur Wahrnehmung zu.“ 902 Jestaedt, Grundbegriffe des Verwaltungsorganisationsrechts, in: Hoffmann-Riem / SchmidtAßmann / Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 14 Rn. 44. 903 Jestaedt, Grundbegriffe des Verwaltungsorganisationsrechts, in: Hoffmann-Riem / SchmidtAßmann / Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 14 Rn. 43. Dazu umfassend Oldiges, DÖV 1989, 873–884. 904 Jestaedt, Grundbegriffe des Verwaltungsorganisationsrechts, in: Hoffmann-Riem / SchmidtAßmann / Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 14 Rn. 34 m. Fn. 174. 905 Jestaedt, Grundbegriffe des Verwaltungsorganisationsrechts, in: Hoffmann-Riem / SchmidtAßmann / Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 14 Rn. 34.

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D. Analyserahmen  

tenz in spezifischer Weise verfasst sein sollten. Die Organe lassen sich nach ihrer Struktur unterschieden. Auf der einen Seite sind monistische oder monokratisch verfasste Organe zu beobachten.906 Demgegenüber stehen Kollegialorgane, die sich dadurch auszeichnen, dass die Organkompetenz von mehreren gleichberechtigten Mitgliedern in einem Kollegium wahrgenommen wird.907 Obwohl die Idee der Organschaft in ihren Grundzügen die bloße Fähigkeit beschreibt, einer juristischen Person das Handeln von natürlichen Personen zuzurechnen, gehört auch eine auf den organschaftlichen Rechtskreis beschränkte Rechtsfähigkeit zu den anerkannten Folgewirkungen. Diese „relative Rechtsfähigkeit“908 in den Intraorgan- und Interorgan-Beziehungen wird nunmehr von kaum zu unterschätzender Bedeutung sein. Auf ihrer Grundlage kann die nähere Ausgestaltung von Rechtsverhältnissen im Innern der Organisation, die Konstruktion von Kontrastorganen909, die Definition von Beziehungen gegenseitiger Kontrolle910 und  – staatsrechtlich gesprochen  – eine Gewaltenteilung innerhalb der Gewal-

906

Monistische Organe sind solche, deren Kompetenz nur von einem Organwalter in Alleinverantwortung wahrgenommen wird, womit sein Wille dem Organwille gleichsteht. Demgegenüber sind monokratische Organe Einheiten, deren Kompetenz von einem leitenden Organwalter wahrgenommen wird, wobei Teilausschnitte der ihm zugeteilten Aufgaben arbeitsteilig und weisungsabhängig von weiteren Beschäftigten in Hierarchieebenen erledigt werden (Kluth, Funktionssubjekte der Verwaltungsorganisation, in: Wolff / Bachof / Stober / ders., Verwaltungs­ recht II, 7. Aufl. 2010, § 82 Rn. 139 ff.). 907 Dagtoglou, Kollegialorgane und Kollegialakte der Verwaltung, 1960, S. 32. 908 Unger, Organisationsrechtswissenschaft des Verfassungs- und Verwaltungsrechts – Was kann das Verfassungs- vom Verwaltungsorganisationsrecht lernen?, in: Krüper / Pilniok (Hg.), Organisationsverfassungsrecht, 2019, 49 (53). 909 Die verwendete Terminologie findet sich bei Kisker, Insichprozeß und Einheit der Verwaltung, 1968, S. 38. 910 Für den Begriff Kontrolle gilt es, zwischen drei Bedeutungsebenen zu unterscheiden (dazu m. w. N. Kempny, Verwaltungskontrolle, 2017, S. 12 ff.): Erstens kann Kontrolle mit den Begriffen Beherrschung, Herrschaft und Mächtigkeit gleichgesetzt werden, womit die Bewirkung von bestimmten Verhaltensweisen durch eine Einheit gegenüber einer anderen Einheit im Subordinationsverhältnis umschrieben wird. Zweitens kann Kontrolle als (auch wechselseitige) Beschränkung, Mäßigung und Hemmung von Macht verstanden werden, womit bspw. Erscheinungsformen des „checks and balances“ angesprochen sind. Drittens und schließlich bezeichnet der Kontrollbegriff einen Prozess der Verhältnisbestimmung oder Bewertung zwischen einem Soll- und einem Ist-Wert. Bei Letzterem zielt Kontrolle vornehmlich darauf ab, „einen schon vorhandenen Gegenstand aus einer Gegenposition heraus noch einmal zu betrachten und zu bewerten“ (Schmidt-Aßmann, Verwaltungskontrolle, in: ders. / Hoffmann-Riem [Hg.], Verwaltungskontrolle, 2001, 9 [10]). Die Prägung durch den Wesenszug Einflussnahme /  Beherrschung nimmt im Laufe der Begriffsverständnisse ab, während der Wesenszug Vergleich zunimmt. Kontrolle erfolgt in zwei Dimensionen (dazu Heyen, Amt und Rationalität, Legitimität und Kontrolle: Grundbegriffe historisch-komparativer Verwaltungsanalyse, in: Benz / Sieden­ topf / Sommermann [Hg.], FS König, 2004, 49 [56 f.]): entweder prospektiv, d. h. auf die Zukunft gerichtet (z. B. Qualifikation für die Amtsübernahme), oder retrospektiv, d. h. auf die Vergangenheit gerichtet (z. B. Aufsicht, Gerichte und Rechnungshöfe). Dass der Kontrolle auch eine präventive Dimension innewohnt, die den Kontext der Entscheidungsherstellung beeinflusst, wird unter E. VI. 5. b) gezeigt.

II. Integration  in juristische Kategorien

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ten911 gedacht werden. Mit dem Organstreit wird die gerichtliche Verteidigung von Organkompetenzen anerkannt und ermöglicht, dass die zum Nachteil eines Organs ausgeübte Machtoption verfolgbar wird und die „Wirksamkeit inneradministrativer Kontrollen“ erhalten bleibt.912 2. Das Kollegialprinzip Die IHK verfügt mit der Vollversammlung und dem Präsidium über zwei Organe, die sich jeweils als Kollegium ergeben. Damit wird das Kollegialprinzip in dieser Verwaltungseinheit als maßgeblicher organisatorischer Grundpfeiler der Entscheidungsfindung konstruiert. Die Gründe für die Anwendung dieses, die Selbstverwaltung insgesamt beherrschende Prinzip der Verwaltungsorganisation,913 sind bereits bekannt.914 Die hier anzustellenden Ausführungen können daher grundlegende Annahmen fokussieren. Dazu gehört die Erkenntnis, dass Kollegialgremien regelmäßig in Aufgabenfeldern eingesetzt sind, die einen hohen Informationsverarbeitungsund Bewertungsbedarf im Einzelfall aufwerfen.915 Wird das Kollegialverfahren in drei Phasen – Sachverhaltsermittlung, Bewertung und Beschlussfassung –916 praktiziert, indiziert es eine sorgfältige Beratung und eine höhere Qualität des gefundenen Ergebnisses. Denn durch die Beteiligung von mehreren Personen an der Entscheidung gelangt ein reichhaltiger Bestand an Wissen, Auffassungen, Erfahrungen und Kenntnissen zum Austausch. Auch darf eine tendenziell ausgewogenere und sachgerechtere Entscheidung erwartet werden.917 Weil regelmäßig zur Aufgabe steht, die anderen Kollegialmitglieder von der Richtigkeit und Notwendigkeit des Beschlussvorschlags zu überzeugen, wird die Selbstprüfung und eine eingehende Auseinandersetzung mit allen Argumenten angeregt.918 Das Gremium stellt somit auch ein Forum des Ausgleichs und der Vermittlung dar, in dem durch Kompromisse Gegensätze und Kontroversen aufgelöst werden können.919 Untersuchungen legen überdies die Vermutung nahe, dass kollegiale Strukturen Kreativität und In 911

Leisner, Gewaltenteilung innerhalb der Gewalten, in: Spanner / Lerche / Zacher / Badura /  Campenhausen (Hg.), FG Maunz, 1971, 267–283. 912 So Krebs, Verwaltungsorganisation, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 108 Rn. 91, der zudem auf weitere rechtsstaatliche Effekte hinweist, die dem Organstreit zugeschrieben werden. 913 So Dagtoglou, Kollegialorgane und Kollegialakte der Verwaltung, 1960, S. 29; Berggreen, Die „dissenting opinion“ in der Verwaltung, 1972, S. 91. 914 Dagtoglou, Kollegialorgane und Kollegialakte der Verwaltung, 1960, S. 21 ff.; Berggreen, Die „dissenting opinion“ in der Verwaltung, 1972, S. 90 ff.; Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 201 ff. – jeweils m. w. N. 915 Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 207. 916 Dazu Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 204 f. 917 Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 205. 918 Berggreen, Die „dissenting opinion“ in der Verwaltung, 1972, S. 90 f. 919 Berggreen, Die „dissenting opinion“ in der Verwaltung, 1972, S. 92; Brohm, Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, 1969, S. 120.

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D. Analyserahmen  

novationsbereitschaft aktivieren.920 Weiterhin erhöhen diese Entscheidungssysteme die Wahrscheinlichkeit einer korrekten Rechtsanwendung, weil die Mehrheit für einen Rechtsbruch in einem Gremium schwerer zu finden ist.921 Damit verfügt die Kollegialstruktur bereits über Elemente einer internen Kontrolle.922 Einige dieser vorteilhaften Elemente der Kollegialverfassung benannte Carl August Freiherr von Malchus bereits 1823. In seiner lehrbuchartigen Darstellung über die Staatsverwaltung gelangte er zu der Auffassung, dass „Gegenstände, bei denen widerstreitende Interessen ausgeglichen werden“ müssten, „und deshalb eine vielseitige Prüfung und Diskussion“ erforderlich sei; „solche, die eine Vereinigung besonderer wissenschaftlicher und technischer Kenntnisse und Erfahrungen“ erforderten, „am zweckmäßigsten durch Kollegien“ zu behandeln seien.923 Max ­Weber prägte hingegen den Begriff der „Kompromiß-Kollegialität“. Er erörterte, dass in Kollegien Delegierte von untereinander kollidierenden ideellen oder materiellen Interessen zusammengeschlossen würden, um eine Schlichtung der Interessengegensätze durch Kompromiss zu erreichen.924

III. Der Grundsatz funktionsgerechter Organisationsstruktur  Wenn zur Aufgabe ansteht, dass Organisationsrecht der IHK einer vertiefenden Überprüfung zu unterziehen, drängt sich nachgerade auf, den Grundsatz funktionsgerechter Organisationsstruktur operabel zu machen. 1. Materieller Gehalt Gesichtspunkte über eine organadäquate Zuweisung von Aufgaben finden ihren argumentativen Ursprung in dem Grundsatz funktionsgerechter Organstruktur.925 Verantwortlich für dessen Begründung zeichnet sich Otto Küster926.927 Er befand, 920

Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 206. Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 206. Berggreen, Die „dissenting opinion“ in der Verwaltung, 1972, S. 91 erinnert an die Möglichkeiten „gegenseitige[r] Kontrolle“ und den Schutz vor „sachfremden Einflüssen“. 922 Janssen, Das Verhältnis von ehrenamtlichem Rat und hauptamtlichem Bürgermeister, 2019, S. 37. 923 Freiherr v. Malchus, Politik der inneren Staatsverwaltung oder Darstellung des Organismus der Behörden für dieselbe, Erster Theil, 1823, S. 9. 924 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, hrsgg. von J. Winckelmann, 1. Halbband, 5. Aufl.1976, S. 161. 925 Dieses Prinzip wird nicht einheitlich als „Grundsatz funktionsgerechter Organstruktur“ betitelt, s. v. Danwitz, Der Staat 35 (1996), 329 (331, 332 u. 334). 926 Küster, AöR 75 (1949), 397–413. 927 So die Einschätzung bei v. Danwitz, Der Staat 35 (1996), 329 (337); Gonsior, Die Verfassungsmäßigkeit administrativer Letztentscheidungsbefugnisse, 2018, S. 132 m. Fn. 90. 921

III. Der Grundsatz funktionsgerechter Organisationsstruktur  

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dass sich der Zweck der Gewaltenteilung nicht in der Freiheitssicherung erschöpfe, sondern eine „andere Zwecksetzung wohl sogar im Vordergrund, mindestens aber gleichberechtigt daneben“ stehe. Im Folgenden erklärte er, dass die Gewaltunterscheidung der „Funktionsklarheit, und auf Grund dieser Klarheit einer funktionsgerechten Organstruktur“ dienen müsse.928 Anerkennung und konkrete Nutzbarmachung fand das Prinzip in einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die Raketenstationierung („Pershing II“).929 Dort heißt es, dass der Grundsatz der Gewaltentrennung auch darauf abziele, dass „staatliche Entscheidungen möglichst richtig, das heißt von den Organen getroffen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen“.930 Weitere Bezugnahmen des BVerfG folgten.931 Der normative Anknüpfungspunkt des Gebots ist demnach in dem Gewaltenteilungsgrundsatz des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG zu erkennen. Der historisch-ideelle Anknüpfungspunkt liegt wiederum in der klassischen Gewaltenteilungslehre, die auf Charles de Montesquieu zurückreicht.932 Der Rechtssatz ist unter Geltung des Grundgesetzes entwickelt worden, „um die normative Maßstabsarmut des Gewaltenteilungsprinzips zu überwinden und es auch für den staatsrechtlichen Konfliktfall konkreter Kompetenzzuordnungen anwendbar zu machen“.933 Der Grundsatz funktionsgerechter Organstruktur teilt seine Rechtswirkungen mit den übrigen Verfassungsprinzipien. Bei der Beantwortung streitiger Fragen der Kompetenzabgrenzung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative, findet er auf zwei Wegen Verwendung: Er wird entweder im Rahmen der Verfassungsinterpretation als Auslegungshilfe nutzbar gemacht oder beansprucht unmittelbar Geltung, wenn auslegungsfähige Verfassungsvorgaben fehlen.934

928

Küster, AöR 75 (1949), 397 (402 – i. O. teilweise gesperrt). BVerfG, Urt. v. 18. Dezember 1984 – 2 BvE 13/83 –, BVerfGE 68, 1. 930 BVerfG, Urt. v. 18. Dezember 1984 – 2 BvE 13/83 –, BVerfGE 68, 1 (86). 931 Für Fragestellungen des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts (Luftraumüberwachung in der Türkei): BVerfG, Urt. v. 7. Mai 2008 – 2 BvE 1/03 –, BVerfGE 121, 135 (162); für Fragestellungen der Enthaltung von Informationen gegenüber einem Untersuchungsausschuss über Geheimgefängnisse: BVerfG, Beschl. v. 17. Juni 2009 – 2 BvE 3/07 –, BVerfGE 124, 78 (120). Weitere Nachweise finden sich bei Schwerdtfeger, Krisengesetzgebung, 2018, S. 196 m. Fn. 57. 932 Küster, AöR 75 (1949), 397 (404 ff.); v. Danwitz, Der Staat 35 (1996), 329 (331 ff.). 933 v. Danwitz, Der Staat 35 (1996), 329 (330). Kritisch zu der Maßstabsarmut des Rechtssatzes Möllers, AöR 132 (2007), 493 (498, 500). 934 Schwerdtfeger, Krisengesetzgebung, 2018, S. 194. Eine Anwendung im letzteren Sinne findet sich etwa bei Brüning / Willers, JZ 2010, 1058 (1061 f.). In BVerfG, Urt. v. 18. Dezember 1984 – 2 BvE 13/83 –, BVerfGE 68, 1 (86) wurde dieser Grundsatz als Auslegungshilfe für Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG herangezogen. Ungenau Gonsior, Die Verfassungsmäßigkeit administrativer Letztentscheidungsbefugnisse, 2018, S. 133, der meint, dass dem Grundsatz auch die Pflicht zur „Schaffung eines geeigneten Organs“ entnommen werden könne. 929

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D. Analyserahmen  

Gleichermaßen schlicht wie selbstverständlich wirkt das Grundanliegen des Gebots, wenn man die folgenden Erwägungen zurate zieht: „So wenig das der Interessenintegration dienende Parlament nach Zusammensetzung und Entscheidungsverfahren geeignet ist, das administrative Massengeschäft zu bewältigen, sind weisungsgebundene Behörden aufgrund ihrer monokratischen Struktur und Arbeitsabläufe geeignet, Rechtsstreitigkeiten angemessen zu entscheiden und Gerichte in der Lage, die politische Zweckmäßigkeit einer Gesetzgebung zu beurteilen.“935 Kompetenzen sollen vielmehr von den Organen wahrgenommen werden, die wegen ihrer Konstitution die beste Eignung dafür aufweisen, die Aufgabe adäquat zu bewältigen. Insofern zielt der Grundsatz darauf ab, die dem Ergebnis vorgelagerte Ebene der Entscheidungsfähigkeit eines Organs in den Blick zu nehmen. Er fragt nach dem „Besitz“ der zur Aufgabenerfüllung notwendigen personellen, sachlich-instrumentellen und organisatorischen Gegebenheiten.936 2. In der Verwaltung Werden Faktoren der Entscheidungsfähigkeit erörtert, besteht die Vermutung, dass das Grundanliegen des Grundsatzes funktionsgerechter Organstruktur starke Bezüge zu dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG aufweist. Das Rechtsstaatsprinzip hat nämlich zum Ziel, politische Herrschaft zu disziplinieren und das Recht an dem Maßstab innerer Konsistenz auszurichten, um die Ordnungskraft rechtlicher Normen zu aktivieren sowie Entschließungen größtmöglicher Distanz, Rationalität, Sachlichkeit und Vorhersehbarkeit hervorzubringen.937 Mit einer derartigen „Umwidmung“ der Fragestellung könnte man nicht mehr nur auf der staatsrechtlichen Ebene über die angemessene Zuteilung einer Aufgabe zwischen den in Art. 20 Abs. 3 GG genannten Verfassungsgewalten befinden. Vielmehr könnte auch auf der verwaltungsrechtlichen Ebene die angemessene Aufgabenallokation hinterfragt und Kompetenzen dem zur Entscheidung befähigten Organ innerhalb der Exekutive zugeordnet werden. Viele Stimmen deuten mit instruktiven Erläuterungen daraufhin, dass sich auf das Rechtsstaatsprinzip Anfragen über eine aufgabenadäquate Organisation der Verwaltungsträger gründen lassen. So legt etwa Thomas von Danwitz dar, dass sich auf der verwaltungsrechtlichen Ebene für den Gesetzgeber die ungleich komplexere Frage stelle, „welche Entscheidungs- und Organstruktur zur Lösung einer konkreten Aufgabenstellung sachgerecht“ erscheine.938 Er erkennt das „rechtsstaatliche Anliegen“ dieses Grundsatzes,939 die „rechtsstaatliche[n] Zielsetzung, 935

v. Danwitz, Der Staat 35 (1996), 329 (335). v. Danwitz, Der Staat 35 (1996), 329 (335). 937 Bumke, Der Staat 49 (2010), 77 (93); Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. II, 3. Aufl. 2004, § 26 Rn. 21. 938 v. Danwitz, Der Staat 35 (1996), 329 (338). 939 v. Danwitz, Der Staat 35 (1996), 329 (335). 936

III. Der Grundsatz funktionsgerechter Organisationsstruktur  

199

ein möglichst hohes Maß an Entscheidungs‚richtigkeit‘ zu gewährleisten“940 und bezeichnet es als „naheliegend“, dieses Organisationspostulat „nur mit dem allgemeinen Rechtsstaatsgedanken in Verbindung zu bringen“.941 Martin Burgi benennt einen „Grundsatz funktionsgerechter (effektiver) Organisationsstruktur“. Er möchte diesen anführen, um über die „Abgrenzung der verschiedenen Organisationstypen innerhalb der Exekutive“ zu verhandeln.942 Der Grundsatz ziele auf eine „erfolgversprechende Zuordnung der verschiedenen Organisationstypen und -formen der pluralen Verwaltungsorganisation zu den Verwaltungsaufgaben“ ab und wurzele „letztlich im Rechtsstaatsprinzip“. Weil der Grundsatz eine „Relation zwischen einer bestimmten vorgegebenen Aufgabe und der tatsächlichen Wirkung von Organisationen“ herstelle, entspreche er auch dem „Effektivitätsmaßstab des ökonomischen Denkens“.943 Eberhard Schmidt-Aßmann dachte bereits 1987 über ein „Gebot funktionsgerechter Organisation“ als Leitlinie für den Gesetzgeber bei der Entscheidung über die Erschließung weiterer Selbstverwaltungsbereiche nach.944 Hatte er zunächst ohne normative Verankerung das Gebot ausgebreitet, schloss er diese Lücke mit einem späteren Beitrag. Dass der Rechtsstaat „Anforderungen an Organisation und Verfahren der öffentlichen Verwaltung“ stelle, ist danach eine „alte Erkenntnis“.945 Schmidt-Aßmann verweist auf die Faktoren der Ordnung und Klärung als „spezifische Funktionen des Rechts“ und auf das Rechtsstaatsprinzip als eine „allgemeine Begegnungsebene“, auf der es „nicht um die individuelle, sondern die institutionelle Ausgestaltung von Organisation und Verfahren“ gehe.946 Im Rahmen „rechtsstaatlicher Organisationsüberlegungen“ sei zu prüfen, ob der Aufbau und die Zuordnung der einzelnen Ämter, Einheiten und Träger „aufgabengerecht“ ausgestaltet sei. Verwaltung sei so zu organisieren, dass sie ihre „Leistungs- und Schutzaufträge zeitgerecht, effizient und effektiv“ erfülle. Auch für die Exekutive gelte ein „Wirksamkeitsgebot“.947 Gleichgerichtete Überlegungen

940

v. Danwitz, Der Staat 35 (1996), 329 (336). v. Danwitz, Der Staat 35 (1996), 329 (337) – Hervorh. n. h. 942 Burgi, Selbstverwaltung angesichts von Europäisierung und Ökonomisierung, VVDStRL 62 (2002), 2003, 405 (430 f., 455). 943 Burgi, Selbstverwaltung angesichts von Europäisierung und Ökonomisierung, VVDStRL 62 (2002), 2003, 405 (431). 944 Schmidt-Aßmann, Zum staatsrechtlichen Prinzip der Selbstverwaltung, in: Selmer / v. Münch (Hg.), GS Martens, 1987, 249 (263). 945 Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. II, 3. Aufl. 2004, § 26 Rn. 75. S. ferner ders., Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, in: ders. / Hoffmann-Riem (Hg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, 9 (40). 946 Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. II, 3. Aufl. 2004, § 26 Rn. 75. 947 Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. II, 3. Aufl. 2004, § 26 Rn. 79. 941

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D. Analyserahmen  

strengten etwa Walter Krebs948, Katharina Sobota949, Thomas Groß950 und Gunnar Folke Schuppert951 an. 3. Als verfassungsrechtlicher Kontrollmaßstab? An die argumentative Entwicklung des Grundsatzes aus dem Prinzip Rechtsstaat und des Umrisses seiner Bedeutungsebenen schließt sich die Erörterung seiner Wirksamkeit als verfassungsrechtlicher Kontrollmaßstab an. Es ist zu beantworten, inwiefern das Bundesverfassungsgericht überprüfen könnte, ob ein Gesetz die Verwaltungsorganisation aufgabenadäquat eingerichtet hat. Nach von Danwitz müssen die Frage „nach dem Ob, also der Notwendigkeit einer funktionsgerechten Entscheidungsstruktur und dem Wie, d. h. ihrer spezifischen Ausgestaltung“ unterschieden werden.952 Die Aufspaltung in zwei Fragestellungen hat mit Sicherheit eine Daseinsberechtigung zu Zwecken rechtstheoretischer Differenzierung. Doch hilft die Unterteilung rechtspraktisch kaum weiter, weil man jeweils nicht an der Einsicht vorbeikommt, einen stark verkürzten verfassungsrechtlichen Kontrollmaßstab anzunehmen. An diesem Punkt bringt die defizitäre normative Direktionskraft des Gebots ihre spiegelbildliche Seite zum Ausdruck. Es gestaltet sich als äußerst schwierig, den Grundsatz aus den „luftigen Höhen des Verfassungsrechts“ in die „Niederungen des Verwaltungsrechts“ zu transportieren und auf dieser Ebene nutzbar zu machen.953 Das Gebot teilt nur mit, dass auf der Grundlage des Rechtsstaatsprinzips die Verwaltungsorganisation aufgabenadäquat ausgestaltet sein muss. Auf welchem Wege diesem Postulat Folge geleistet werden kann, bleibt indes im Unklaren. Überdies handelt es sich um einen Grundsatz. Bereits der Wortsinn verweist auf unterschiedliche Grade der Erfüllbarkeit954 und streitet dafür, die Organisationsentscheidungen des Gesetzgebers nicht vollständig zu kontrollieren. Insofern ist Matthias Jestaedt zuzustimmen, der bezweifelt, dass es sich um ein Verfassungsgebot handelt, dem mehr als „grobmaschige Grundsatzverpflichtungen“ entnommen werden könnten.955

948

Krebs, Verwaltungsorganisation, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 108 Rn. 90. Zustimmend Schulze-Fielitz, Rationalität als rechtsstaatliches Prinzip für den Organisationsgesetzgeber, in: Kirchhof / Lehner / Raupach / Rodi (Hg.), FS Vogel, 2000, 311 (322 f.). 949 Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, 1997, S. 520 f. 950 Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 200, 203. 951 Schuppert, AöR 114 (1989), 127 (137). 952 v. Danwitz, Der Staat 35 (1996), 329 (347). 953 Zitate bei v. Danwitz, Der Staat 35 (1996), 329 (342). 954 Zur Unterscheidung von Prinzipien (Grundsätzen) und Regeln in der Staats- und Verwaltungsorganisation Mehde, Die Verwaltung 34 (2001), 93–106. Allgemeiner Alexy, Theorie der Grundrechte, 2. Aufl. 1994, S. 75 ff. 955 Jestaedt, Grundbegriffe des Verwaltungsorganisationsrechts, in: Hoffmann-Riem / SchmidtAßmann / Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 14 Rn. 42.

III. Der Grundsatz funktionsgerechter Organisationsstruktur  

201

Diesen Überlegungen folgend ist der Kontrollmaßstab in einer Evidenzprüfung zu sehen. Lediglich ein evident ungenügendes organisatorisches Regelwerk kann dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit anheimfallen.956 Für den Maßstab der Evidenzprüfung kann an § 44 Abs. 1 VwVfG und das darin enthaltene Tatbestandsmerkmal „offensichtlich“ angeknüpft werden. Eine Aufgabeninadäquanz wäre dann anzunehmen, wenn dies den betreffenden Organisationsregelungen „auf der Stirn geschrieben“ stünde. Der Prüfvorgang könnte sich an vergleichbaren Aufgabenstellungen und dem dazugehörigen Organisationsrecht im Sinne einer Indizfunktion orientieren. Für den hier in Rede stehenden Untersuchungsgegenstand würde dies etwa bedeuten, dass die weiteren Einrichtungen der interessenvertretenden körperschaftlichen Selbstverwaltung vergleichend betrachtet werden müssten. Wenngleich das Vorstehende darauf hindeutet, dass die Justiziabilität von Verstößen gegen den Grundsatz funktionsgerechter Organisationsstruktur zu Schwierigkeiten führt, hält das Bundesverfassungsgericht auch Hinweise bereit, die eine gegenteilige Annahme zulassen. Angesprochen ist die Rechtsprechungslinie zum sog. Grundrechtsschutz durch Organisation.957 Damit gelangten verschiedene hochschulrechtliche Entscheidungen vor der Folie der objektiven Gewährleistung aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG zur eingehenden Überprüfung.958 Die Subjektivierung des Freiheitsversprechens führte soweit, dass dem Lehrpersonal Ansprüche auf eine adäquate Ausgestaltung wissenschaftlicher Betätigungsräume zustehen, die zum Schutz gegen Maßnahmen der Organisation im Einzelfall oder Hochschulgesetze angeführt werden können.959 Unter diesen Voraussetzungen traf das BVerfG in jüngerer Zeit relativ detaillierte Vorgaben über die wissenschaftsadäquate Ausgestaltung der Hochschulverfassung.960 An das Organisationsermessen des Gesetzgebers, die Gruppeninteressen in den Kollegialorganen der Hochschule zum Ausgleich zu bringen, erinnerte es dagegen nur in geringen Dosen. Bei dem hier erwogenen Grundsatz handelt es sich keinesfalls um ein verfassungsrechtliches Nullum. Die Fundierung im Prinzip Rechtsstaat, das zum unabänderlichen Kern des Grundgesetzes gehört (Art. 79 Abs. 3 GG), spricht eine deutliche Sprache. Mag ein Verstoß gegen grobmaschige Gebote im Einzelfall auch nur schwer zu begründen sein, so wäre doch in der Verletzung des Grundsatzes funktionsgerechter Organisationsstruktur zugleich eine Verletzung der Verfassung zu erkennen.

956

So auch v. Danwitz, Der Staat 35 (1996), 329 (347). S. dazu jüngst Roßbach / Wischmeyer, Grundrechtsschutz durch Organisation: Das erste Fernsehurteil und das Hochschulurteil, in: Grimm (Hg.), Vorbereiter – Nachbereiter? – Studien zum Verhältnis von Verfassungsrechtsprechung und Verfassungsrechtswissenschaft, 2019, 193–260. 958 Gärditz, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Stand: 95. EL Juli 2021, Art. 5 Abs. 3 Rn. 194. 959 BVerfG, Beschl. v. 26. Oktober 2004 – 1 BvR 911, 927, 928/00 –, BVerfGE 111, 333 (353). 960 BVerfG, Beschl. v. 20. Juli 2010 – 1 BvR 748/06 –, BVerfGE 127, 87 Ls. 2; Beschl. v. 24. Juni 2014 – 1 BvR 3217/07 –, BVerfGE 136, 338 Ls. 2; Beschl. v. 12. Mai 2015 – 1 BvR 1501/13 –, BVerfGE 139, 148 Ls. 2. 957

202

D. Analyserahmen  

4. Optimierungsgebot für effektive, effiziente, konsistente, rationale und resiliente Entscheidungsstrukturen Diese Studie folgt in ihrem Kern nicht der Intention, das IHK-Recht unter Rekurs auf Gebote des Grundgesetzes als verfassungsgemäß zu kennzeichnen oder als verfassungswidrig zu brandmarken. Verfassungsrechtliche Grundsätze sollen nicht nutzbar gemacht oder überhöht werden, damit sie rigorose Entscheidungen von diesem Ausmaß erlauben. Vielmehr steht die aufgabenadäquate Verbesserung der Rechtsgrundlagen im Vordergrund. Der hier entfaltete Grundsatz wird in erster Linie als verwaltungswissenschaftliche Optimierungsregel, als eine „Maxime[n] guter Verwaltung“961 an­gewendet. Unter diesem Titel ist zu überlegen, ob und inwieweit die Entscheidungsstrukturen für eine bestimmte Aufgabe in einer bestimmten Verwaltungsorganisation effektiv962, effizient963,

961

Jestaedt, Grundbegriffe des Verwaltungsorganisationsrechts, in: Hoffmann-Riem / SchmidtAßmann / Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 14 Rn. 42. 962 Effektivität ergibt sich als Relationsbegriff. Denn damit wird für eine Organisationseinheit nach dem Grad gefragt, in dem sie die ihr vorgegebenen Ziele durch ihre Leistungen erreicht (Hoffmann-Riem, Innovation und Recht – Recht und Innovation, 2016, S. 369; Schmidt-Aßmann, Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, in: ders. / Hoffmann-Riem [Hg.], Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, 9 [40 m. Fn. 97]). Diesen Begriffsinhalt beschreibt auch Klafki, Risiko und Recht, 2017, S. 50 f., die allerdings zutreffend betont, dass es bei der Beurteilung der Effektivität auch darum gehe, ob die aufgegebenen Ziele „auf der realen Bewirkungsebene“ umgesetzt und erreicht würden. Gefordert ist ein Soll-Ist-Vergleich. Das Effektivitätsgebot wird auf verschiedentliche verfassungsrechtliche Wertentscheidungen wie die grundrechtlichen Schutzpflichten des Staates, die Gesetzesbindung der Verwaltung und das Rechtsstaatsgebot zurückgeführt (dies., Risiko und Recht, 2017, S. 52 m. w. N.). 963 Effizienz ergibt sich ebenfalls als Relationsbegriff. Die Rechtswissenschaft verwendet den Terminus gemeinhin als Maßgröße für die Relation zwischen den eingesetzten Ressourcen und dem erzielten Nutzen / Erfolg (Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 2. Aufl. 1998, S. 55 f.; Steinbach, Rationale Gesetzgebung, 2017, S. 32; Schmidt-Aßmann, Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, in: ders / Hoffmann-Riem [Hg.], Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, 1998, 245 [246]; Fehling / Brinkschmidt, JURA 2020, 110 [111]; mit Abweichungen im Detail Hoffmann-Riem, Innovation und Recht – Recht und Innovation, 2016, S. 369; referierend Bertram, DÖV 2021, 885 [886]): Beim Minimalprinzip wird irgendein postuliertes Ziel mit einem möglichst geringen Aufwand erreicht, während nach dem Maximalprinzip mit einem definierten Ressourceneinsatz ein bestimmter Erfolg im möglichst hohen Maße erzielt wird. Der Effizienzgedanke ist ein übergreifendes Rechtsprinzip (dazu ­Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 2. Aufl. 1998, S. 463 ff.; Pitschas, Maßstäbe des Verwaltungshandelns, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle [Hg.], GrVwR, Bd. 2, 2. Aufl. 2012, § 42 Rn. 116 ff.) und, wie jedes andere Optimierungsgebot auch, auf Elastizitäten angewiesen. Können diese im Recht aufgefunden werden, muss eine Relativierung der staatlichen Normerfüllung bei Anwendung dieses Grundsatzes nicht befürchtet werden (Hoffmann-Riem, Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, in: Schmidt-Aßmann / ders. [Hg.], Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, 1998, 11 [24 f. m. Fn. 50] – m. Nachw. zu etwaigen Befürchtungen). Es besteht kein Aliud- oder Gegensatzverhältnis zwischen Effizienz und Effektivität. Vielmehr verbinden sich beide Bedeutungsschichten (dazu Klafki, Risiko und Recht, 2017, S. 55): Im gleichen Maße sind sie auf eine Festlegung der angestrebten Zwecke

III. Der Grundsatz funktionsgerechter Organisationsstruktur  

203

konsistent964, rational965 und / oder resilient966 ausgestaltet sind. Die aus der Architektur bekannte Devise form follows function erfährt weitreichende Bedeutung.

angewiesen. Die Untersuchung der administrativen Effizienz beinhaltet die Frage, mit welchem Ressourceneinsatz das Ziel erreicht wird, während das Effektivitätsgebot nur das Verhältnis von Leistungen und ausgegebenen Zielen in den Blick nimmt. 964 Die juristische Wissenschaft setzt den Terminus Konsistenz (dazu O’Hara, Konsistenz und Konsens, 2018, S. 23 f.) mit der Figur der Folgerichtigkeit gleich, die man wiederum – zusammen mit dem Gesichtspunkt der Widerspruchsfreiheit – der übergreifenden Forderung nach Systemgerichtigkeit zuordnet (Steinbach, Rationale Gesetzgebung, 2017, S. 86 ff., 91). Als folgerichtig erweist sich ein Gegenstand, wenn er den Festlegungen eines Bezugspunktes bzw. der gedanklichen Struktur dessen entspricht. Soll bspw. die Folgerichtigkeit gesetzgeberischen Entscheidens beurteilt werden, wird sowohl der Gegenstand als auch der Bezugspunkt durch Regelungen und Zweckzuschreibungen gebildet, über deren Kompatibilität oder Gegenläufigkeit zu verhandeln ist. Das BVerfG hat dieses Denkmuster etwa für die Frage bemüht, ob Landesgesetzgeber Ausnahmen vom Rauchverbot in Gaststätten bestimmter Größe „folgerichtig“ getroffen hatten (Urt. v. 30. Juli 2008 – 1 BvR 3262/07, 402, 906/08 –, BVerfGE 122, 317 [65 f.] s. ferner Beschl. 9. Dezember 2008 – 2 BvL 1, 2/07, 1, 2/08 –, BVerfGE 122, 210 [230 f.]; Beschl. v. 12. Mai 2009 – 2 BvL 1/00 –, BVerfGE 123, 111 [120 f.]). Der so verstandene Konsistenzterminus ergibt sich als spezifzierte Rationalitätserwartung (Dann, Der Staat 49 (2010), 630 [631]). Liegt ein Fall der Inkonsistenz vor, besteht ein Beweiszeichen dafür, dass die primäre Motivation für die Regelung eine andere war als die ausdrücklich vorgegebene (Petersen, AöR 138 [2013], 108 [119]). Das rechtswissenschaftliche Erkenntnisinteresse für Organisationen hat sich diesen Fällen anzunehmen, da an dieser Stelle Ursachen für Dysfunktionalitäten vermutet werden können. 965 In Anknüpfung an Lienbacher, Rationalitätsanforderungen an die parlamentarische Rechtsetzung im demokratischen Rechtsstaat, VVDStRL 71 (2011), 2012, 7 (44 – Hervorh. i. O.) adressiert der Terminus „vernunftgeleitete Handlungs- und Verhaltenserwartungen“. „Rationalität betrifft die Modalität menschlichen Verhaltens, welche dadurch gekennzeichnet ist, dass sie dieses an intersubjektiv vermittelbaren, argumentativ abgestützten, die situativen Besonderheiten aufnehmenden und widerspiegelnden Sachrichtigkeiten ausrichtet.“ Da Rationalität einen Sekundärwert kennzeichnet und sich der konkrete Inhalt erst im Zusammentreffen mit einem Bezugsfeld ergibt, existiert nur eine „je nach Referenzgebiet spezifische Rationalität“. Steinbach, Rationale Gesetzgebung, 2017, S. 66 f. unterscheidet die formale und materielle Rationalität des Rechts. Nach dem formalen Verständnis ist eine systematische „Geschlossenheit und Berechenbarkeit“ zu fordern, die eine gleichförmige Entscheidung ermöglicht, während sich die materielle Auffassung an Normen von besonderer qualitativer Güte (z. B. Verfassung) orientiert. Lepsius, Gesetz und Gesetzgebung, in: Herdegen / Masing / Poscher / Gärditz, HbVerfR, 2021, § 12 Rn. 103 liegt vor diesem Hintergrund nicht daneben, wenn er Rationalität als „Klammer für Konsistenz, Kohärenz, Bestimmtheit und Sachgerechtigkeit“ begreift. Zu den Zusammenhängen zwischen Gesetz und Vernunft, die bis in die Philosophie der Aufklärung zurückreichen, Siehr, ARSP 91 (2005), 535 (541 ff.). Die Verbindungslinien zwischen der Rationalitätsanforderung und dem Rechtsstaatsprinzip zeichnet Reyes y Ráfales, Der Staat 52 (2013), 597 (601 f.) nach. Aus der Rspr. des BVerwG (Urt. v. 20. September 1984 – 7 C 57.83 –, BVerwGE 70, 143 [151 f.]) ist das Gebot der Sachlichkeit bekannt, das sich auf den vorstehenden Begriffsgehalt zurückführen lässt. Denn danach hat eine Prüfungsentscheidung im Status der Gelassenheit und emotionalen Distanz zu erfolgen. 966 Resilienz (dazu Barczak, Der nervöse Staat, 2020, S. 606 ff. [insbes. S. 608 u. 612]; s. ferner Hoffmann-Riem, Innovation und Recht – Recht und Innovation, 2016, S. 498) ist ein in der Werkstoffkunde heimischer und in den Sozialwissenschaften weithin adaptierter Begriff. Er gelangt in juristischen Konzeptionen vor allem im Gefahrenabwerrecht zur Anwendung. Der Terminus

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D. Analyserahmen  

Der größtmöglichen Schnittmenge zwischen Verwaltungsorganisation und -aufgaben soll nachgespürt werden. Dies gelingt in mehreren Einzelschritten, an deren Beginn eine Aufgabenanalyse steht. Zunächst ist die Selbstverwaltungstauglichkeit des Auftrags in Relation zu den Interessenkonflikten zu hinterfragen, die mit der Organisation institutionalisiert werden.967 In der Folge ist zu untersuchen, ob sich die Aufgabe in die Organstruktur des derzeit zuständigen Organs einfügt. Dabei ist zu fragen, ob die Zusammensetzung und das Organisations- und Verfahrensrecht des zuständigen Organs – insbesondere im Vergleich zu der Struktur weiterer Organe – die Voraussetzung dafür bieten, dass die Aufgabe ideal im Sinne des Verwaltungsziels respektive mit der höchsten Richtigkeitsgewähr erledigt wird. Wird die Frage verneint, streitet das Gebot für eine Veränderung des Rechts dergestalt, dass die Kompetenz dem Organ mit der aufgabenangemesseneren Verfassung zukommt beschreibt im ursprünglichen Sinne ein Material, das nach einer Belastung ohne Schadensfall in den ursprünglichen Zustand zurückkehren kann, weil es über die dafür erforderlichen Voraussetzungen wie z. B. Biegsamkeit, Geschmeidigkeit oder Widerstandsfähigkeit verfügt. Im juristischen Kontext ist ein Normensystem resilient, wenn es seinen Steuerungsanspruch auch gegenüber außergewöhnlichen Herausforderungen (häufig: der sog. Ausnahmefall) durchzusetzen vermag, weil es etwa antizipierend und vorsorgend ausgerichtet ist sowie flexibel reagieren kann. Gefragt sind Anpassungskapazität und Verarbeitungsfähigkeit (Schuppert, Der Staat 60 [2021], 473 [474 ff.]). 967 Die Selbstverwaltungstauglichkeit des Auftrags zur gewerblichen Interessenrepräsentanz wird hier nicht hinterfragt, sondern als gegeben unterstellt. Burgi, Selbstverwaltung angesichts von Europäisierung und Ökonomisierung, VVDStRL 62 (2002), 2003, 405 (431 f.) überlegte indes, „wie eine Verwaltungsaufgabe beschaffen sein“ müsse, damit die „Vorzüge der Selbstverwaltung als dezentral-partizipativer Organisationstyp zum Tragen“ kämen. Als selbstverwaltungstauglich kennzeichnete er Aufgaben, bei denen ein „abgrenzbarer Kreis von typischerweise Betroffenen, d. h. von Trägern eines gleichgerichteten Interesses“, zusammenkämen. Hier sei der Organisationstyp Selbstverwaltung „grundsätzlich einsatzfähig“ und verspreche eine „effektive Aufgabenerledigung“ (S. 432). Insbesondere im Hinblick auf die Aufgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung stellte er einen Verstoß gegen den Grundsatz funktionsgerechter Organisationsstruktur fest, weil „nicht etwa zwei gleichgerichtete Interessen zur gegenseitigen Verstärkung zusammengespannt“, sondern „entgegengesetzte Interessen aufeinandergehetzt“ würden und damit der „Effektivitätsvorteil der Selbstverwaltung verloren“ gehe (S. 435). Ebenfalls Interessenhomogenität fordernd Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, 2005, S. 465 ff.; Hebeler, DÖV 2002, 936 (941 f.). Auch Brohm, Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, 1969, S. 259 sprach von einer „Gliederung nach ständischen Gruppen und homogenen wirtschaftlichen Interessen“ und erweckt den Anschein, dass die Einrichtung von Selbstverwaltung Interessenhomogenität voraussetzen soll. Dagegen Ebsen, Aussprache und Schlussworte, VVDStRL 62 (2002), 2003, 405 (459). Differenzierend Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 263, der ein Homogenitätsgebot als „Basis“ benennt und bekräftigt, dass Selbstverwaltung „bei aller Unterschiedlichkeit der Interessen im einzelnen ein Mindestmaß an Gleichrichtung der Interessen“ voraussetze, damit Mehrheitsentscheidungen auch akzeptiert würden. S. ferner Trute, Die demokratische Legitimation der Verwaltung, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 6 Rn. 85. „Homogenität der Interessen ist nicht erforderlich, wohl aber muss […] eine auf die Aufgabenstellung bezogene interessengerechte Binnenstruktur sichergestellt werden.“ Gleichgerichtet Engel, Freiheit und Autonomie, 2003, S. 26.

IV. Demokratieprinzip und funktionale Selbstverwaltung  

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oder die Struktur des zuständigen Organs aufgabenadäquat reformiert wird. Bei einem derart verstandenen Prüfprogramm dürfte sich auch erschließen, warum die vorgebliche Dichotomie zwischen den Faktoren Organisation und Verfahren als nahezu aufgelöst angesehen wird und die beiden Themenkreise vor allem als zusammenhängendes Begriffspaar im Rahmen des aufgabenangemessenen Organisierens verhandelt werden.968 Dass im Rahmen dieser verwaltungsorganisationsrechtlichen Untersuchungen die Tür zur interdisziplinären Rechtsforschung und die Möglichkeit zur Adaption nachbarwissenschaftlicher Theorien aus der Organisationssoziologie weit aufgesperrt wird, dürfte sich von selbst erklären. Denn – wie bereits gezeigt – handelt es sich hierbei um das Forschungsinteresse, mit dem die Aufgaben und Strukturen von Organisationen sowie deren wechselseitiger Zusammenhang untersucht werden.

IV. Demokratieprinzip und funktionale Selbstverwaltung Das Verhältnis zwischen dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes und den Verwaltungseinheiten, die unter der Sammelbezeichnung „funktionale Selbstverwaltung“ (1.) firmieren, blieb lange ungeklärt. Bedenkt man, dass die IHK über eine Tradition verfügt, die das Grundgesetz überdauert, wirkt es überraschend, dass die Diskussion erst im Verlauf der 1980er Jahre die Wissenschaft vom Öffentlichen Recht und ab 1998 das BVerfG beschäftigte. Weil dieser Verwaltungstypus nicht ausdrücklich im Grundgesetz vorgesehen ist,969 aber in einigen Landesverfassungen erwähnt wird oder sogar institutionellen Schutz erfährt,970 besteht ein zusätzlicher 968

Bereits Bettermann, Das Verwaltungsverfahren, VVDStRL 17 (1958), 1959, 118 (130) bemerkte, dass die Abgrenzung zwischen Verwaltungsorganisations- und Verwaltungsverfahrensrecht „schwierig und unsicher“ sei. Zwar erkannte er zunächst Trennendes, wonach die Frage des „wer?“ („Wer darf entscheiden oder handeln? Wer ist Träger oder Organ einer bestimmten Exekutivfunktion?“) von der Verwaltungsorganisation und die Frage des „wie?“ („wie die Entscheidungen […] zustandekommen“) vom Verwaltungsverfahren beantwortet werde (S. 131 – i. O. teilweise gesperrt). Kurz darauf wollte er darin jedoch nicht mehr als eine „Faustregel“ erkennen und sprach von einer „breite[n] Zone umstrittenen Grenzgebiets“. Sodann dachte er an das Verbindende und bekannte: „Es bestehen vielfache, und enge Wechselbeziehungen zwischen der Organisationsform und der Verfahrensgestaltung“. Zum Beleg erinnerte Bettermann an den wohl augenfälligsten Fall der Verbindung von Organisation und Verfahren wie sie in dem Unterschied zwischen Entscheidungsfindungen im Kollegium und solchen in der hierarchisch verfassten Behörde sichtbar werden (S. 132 – i. O. teilweise gesperrt). Auch ­Gärditz, Hochschulorganisation und verwaltungsrechtliche Systembildung, 2009, S. 81 f. erkennt enge Verflechtungen. Schnapp, AöR 105 (1980), 243 (256) betont hingegen die Verschiedenartigkeit der rechtlichen Fragenkreise. Danach beschreibt das Organisationsrecht die „statische Organisiertheit“, während das Verfahrensrecht auf die „dynamischen, zeitbezogenen Merkmale bestimmter Arbeitsabläufe, auf den Vorgang behördlicher Willensbildung“ Bezug nehmen soll. 969 S. aber Art. 86, 87 Abs. 2, 3 u. 130 Abs. 3 GG. 970 Art. 154 S. 1 LVerf Bay: „Die auf demokratischer Grundlage aus den Kreisen der Berufsverbände gewählten Selbstverwaltungsorgane der Wirtschaft nehmen an den wirtschaftlichen Gestaltungsaufgaben teil.“; Art. 71 Abs. 1 S. 3 LVerf BW: „Das gleiche [die Gewährleistung des

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D. Analyserahmen  

Anlass, um die Vereinbarkeit der aus der hierarchischen Ordnung der unmittelbaren Bundes- bzw. Landesverwaltung ausgegliederten Organisationsform mit dem Demokratieprinzip nachzuzeichnen. Aber auch darüber hinaus soll der Frage nachgegangen werden, welche Implikationen das demokratische Prinzip für die Ausgestaltung der Binnenverfassung der IHK mit sich bringt (4.). Das gesamte Unterfangen kann allerdings nicht gelingen, ohne zuvor die begrifflichen und ideengeschichtlichen Grundlagen der funktionalen Selbstverwaltung auszubreiten (2. und 3.). 1. Funktionale Selbstverwaltung – Begriff, Typik und Differenzierungsmöglichkeiten Der Begriff funktionale Selbstverwaltung umspannt auch die Industrie- und Handelskammern. Er kennzeichnet eine „Verwaltung durch nicht an fachliche Weisungen gebundene juristische Person des öffentlichen Rechts, deren Entscheidungsorgane aus den Betroffenen, typischerweise den Mitgliedern, rekrutiert werden“.971 Die Zuschreibung funktional rechtfertigt sich, weil die Verwaltungseinheiten im Unterschied zur kommunalen Selbstverwaltung nicht gebietsbezogen, sondern aufgabenbezogen verfasst sind. Möchte man die Erscheinungsformen dieses Verwaltungstypus vollständig erfassen, ist ein breitgefächertes Potpourri aufzuzählen. Unterscheiden lassen sich die grundrechtsgetragene Selbstverwaltung (Hochschulen, Studentenschaften, öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten),972 die Selbstverwaltung der sog. freien BeRechts zur Selbstverwaltung durch das Land] gilt für sonstige öffentlich-rechtliche Körperschaften und Anstalten in den durch Gesetz gezogenen Grenzen.“; Art. 57 Abs. 1 LVerf Nds: „Gemeinden und Landkreise und die sonstigen öffentlich-rechtlichen Körperschaften verwalten ihre Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung.“; Art. 62 S. 2 LVerf RlPf: „Der Staat hat unter Zuziehung der Kräfte der Wirtschaftsselbstverwaltung die Maßnahmen zu treffen, welche eine Lenkung der Geldinvestition in volkswirtschaftlich erwünschtem Sinne sicherstellen.“; Art. 82 Abs. 3 LVerf Sachs: „Andere öffentlich-rechtliche Körperschaften, Anstalten und Stiftungen sind nach Maßgabe der Gesetze Träger der Selbstverwaltung.“; Art. 59 Abs. 1 LVerf Saar: „Die Wirtschaft des Saarlandes findet ihre öffentlich-rechtliche Vertretung jeweils in der Industrie- und Handelskammer, in der Handwerkskammer, in der Landwirtschaftskammer und in der Arbeitskammer, denen die Wirtschaftsgemeinschaften angeschlossen werden.“ 971 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 9. Diese Begriffsgrundlegung war maßstabsetzend, weil die Terminologie bis dahin ein Schattendasein fristete (s. ebd., S. 5 ff. m. Fn. 13). Der Begriff findet ebenfalls bei Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. II, 3. Aufl. 2004, § 24 Rn. 33 m. Fn. 61 u. Dreier, in: ders. (Hg.), GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Demokratie)  Rn. 128 Verwendung. Zur Abgrenzung des Terminus gegenüber „artverwandten Begriffen“ (z. B. Autonomie, mittelbare Staatsverwaltung, Kondominialverwaltung und ministerialfreie Verwaltung) s. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 25 ff., der allerdings schließlich eine abweichende Begriffsbildung verfolgt (S. 543) und – anders als Emde – die Pflichtmitgliedschaft als konstitutives Merkmal der funktionalen Selbstverwaltung versteht (S. 543 m. Fn. 16). 972 Wegen der vorwiegend grundrechtlichen Fundierung des Aufgabenbereichs votieren Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 81 u. Trute, Die demokratische Legitimation der Ver-

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rufe (Ärzte-, Zahnärzte-, Psychotherapeuten-, Apotheker-, Rechtsanwalts-, Notar-, Wirtschaftsprüfer-, Steuerberater-, Bau-Ingenieure-, Kursmakler- und Architektenkammern, Lotsenbrüderschaften), die wirtschaftliche, gruppenplurale Selbstverwaltung (IHK, HwK und Landwirtschaftskammern),973 die Realkörperschaften (Wasserverbände, sondergesetzliche Wasserverbände, Waldwirtschafts-, Jagd- und Fischereiwirtschaftsgenossenschaften, Forstbetriebsverbände, Abfallentsorgungsund Altlastensanierungsverband) und die soziale Selbstverwaltung (Sozialversicherungsträger, Kassenärztliche Vereinigungen, Bundesanstalt für Arbeit, Versorgungswerke der freien Berufe, Studentenwerke).974 Die Verkammerung abhängig Beschäftigter in den Arbeitnehmerkammern der Bundesländer Bremen und Saarland sowie in den (teilweise aufgelösten) Pflegekammern von Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein darf in der Aufzählung nicht fehlen,975 wird aber oftmals unterschlagen.976 Die Möglichkeiten zur Binnendifferenzierung beginnen bei der Organisationsform (Körperschaft oder Anstalt) und führen weiter zu dem Anknüpfungspunkt der Inkorporation (Personal- oder Realkörperschaften).977 Im Hinblick auf die innere Struktur der Kammern sind monistische (Ein-Beruf-Kammer) und gruppenplurale Organisationstypen (Mehr-Berufe-Kammern) zu unterscheiden.978 Diese Dichotomie lässt Annahmen über den Grad der Homo- bzw. Heterogenität der Mitgliedschaft und Vermutungen über grundsätzlich geringe bzw. große Interessen-

waltung, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 6 Rn. 82 m. Fn. 423 dafür, die Rundfunkanstalten von dem Begriffsverständnis zu trennen. 973 Nach der ganz herrschenden Ansicht werden die Handwerksinnungen ebenfalls an dieser Stelle aufgezählt, s. Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 128. 974 Die Darstellung folgt der Auseinandersetzung bei Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 30–216. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 87 ff. beschäftigt sich eingängig mit den Kammern, Sozialversicherungsträgern und der (früheren) Bundesanstalt für Arbeit. Weitere Darstellungen finden sich bei Schuppert, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch verselbständige Verwaltungseinheiten, 1981, S. 65 ff.; ders., Selbstverwaltung als Beteiligung Privater an der Staatsverwaltung, in: v. Mutius (Hg.), FG von Unruh, 1983, 183 (203 ff.); Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Rechtsstaat, 1991, S. 231 ff.; Groß, Die Verwaltungsorganisation als Teil organisierter Staatlichkeit, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 13 Rn. 69. 975 Zur Entwicklung und zum Wesen der Arbeitnehmerkammern ausführlich Mronz, Körperschaften und Zwangsmitgliedschaft, 1973, S. 23 ff. Zu den Pflegekammern Martini, Die Pflegekammer, 2014, S. 36 ff. 976 Die Arbeitnehmerkammern fehlen etwa in der Typologie von Schuppert, Selbstverwaltung als Beteiligung Privater an der Staatsverwaltung, in: v. Mutius (Hg.), FG von Unruh, 1983, 183 (203 ff.). 977 Kluth, Die Verwaltung 35 (2002), 349 (352). 978 Breuer, Erledigung von Verwaltungsaufgaben durch Personalkörperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts – Aufgaben, Organisation, Verfahren und Finanzierung, in: Starck (Hg.), Beiträge zum ausländischen und vergleichenden öffentlichen Recht, 1992, 15 (58) möchte die Bezeichnung „gruppenplural“ für Körperschaften mit Arbeitnehmerbeteiligung im Gegensatz zu reinen Unternehmer-Körperschaften reservieren.

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divergenzen zu.979 Sie gestattet auch, die organisationsrechtliche Bewältigung des Interessengegensatzes als Herausforderung zu formulieren. Die Unterscheidung zwischen Repräsentativkörperschaften, bei denen nur die berufenen Repräsentanten als Mitglieder angesehen werden sollen, und Mitgliedskörperschaften, bei denen alle in einem Berufszweig Tätigen das mitgliedschaftliche Substrat der Kammer bilden, ist nicht mehr fortschreibungswürdig.980 Zwar kommt man nicht an der Einsicht vorbei, der Begriffsbildung im IHKG zu attestieren, dass sie ein Verständnis nähert, nach dem die IHK als Repräsentativkörperschaft zu erfassen wäre.981 Doch erzeugt die Verwendung des Begriffs ein Selbstbild, dass zu dem verhängnisvollen Fehlschluss führen könnte, nach dem die Kammerzugehörigen lediglich als organisationsexterne Akteure und Beitragsgaranten zu behandeln wären. Die Kammern, denen per Gesetz der Auftrag Interessenrepräsentanz zukommt, lassen sich auch als interessenvertretende körperschaftliche Selbstverwaltung terminologisch rahmen. Sie können in die interessenvertretende Selbstverwaltung ständischer (Kammern der sog. freien Berufe) und repräsentativer Prägung (IHK, HwK und Landwirtschaftskammern) unterteilt werden.982 Dabei wird in besonderer Weise der Organisationszweck und die dafür notwendige Zusammensetzung der Mitgliedschaft, aber auch die Gegenläufigkeit der inkorporierten Interessen betont. Für die IHK erklärt sich daraus bereits, warum sie auf die Wahrnehmung eines Gesamtinteresses festgelegt ist, eine Idee und Technik der Repräsentation vorhalten muss, das Erfordernis einer Pflichtmitgliedschaft besteht und grundsätzlich alle Mitglieder zu Beiträgen herangezogen werden. 2. Bedeutungsschichten des Selbstverwaltungsprinzips Dem Prinzip Selbstverwaltung werden höchst unterschiedliche Sinn- und Zweck­ gehalte beigemessen:983 Wenn das Bundesverfassungsgericht für die kommunale Selbstverwaltung über eine „Aktivierung der Beteiligten für ihre eigenen Angele-

979 Kluth, Aktuelle Rechtsgrundlagen der Kammern im Überblick, in: ders. (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 6 Rn. 2. 980 So aber noch Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Band 1, 2. Aufl. 1953, S. 203 f., der immerhin ein „mitgliedschaftsähnliche[s] Verhältnis“ anerkennen möchte, das sich insbesondere in der Teilnahme an der Wahl der „eigentlichen Kammermitglieder“ ausdrücke. Unter Bezugnahme darauf gleichgerichtet Stödter, Über die Handelskammern, Geschichte und Organisation, in: Ipsen (Hg.), FS Schack, 1966, 143 (146). 981 Dazu näher in Fn. 112. 982 Schuppert, Verwaltungswissenschaft, 2000, S. 858; ders., Selbstverwaltung als Beteiligung Privater an der Staatsverwaltung, in: v. Mutius (Hg.), FG von Unruh, 1983, 183 (204). 983 Die folgende Darstellung ist der Auseinandersetzung von Schuppert, AöR 114 (1989), 127–148 entnommen. Exegesen zu den (modernen) Selbstverwaltungskonzeptionen und -begriffen finden sich ferner bei Heffter, Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert, 1950; Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984; ders., Das Prinzip Selbstverwaltung, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 143 Rn. 2 ff.

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genheiten“ mit dem Ziel, „das Wohl der Einwohner zu fördern und die geschichtliche und heimatliche Eigenart zu wahren“, nachdenkt,984 akzentuiert es die soziologisch-lokalpatriotische Intention. Selbstverwaltung stellt darüber hinaus ein „Dezentralisierungskonzept“985 dar, das als Organisationsprinzip der Verwaltung zur breiten Verwendung gelangt (Selbstverwaltung im juristischen Sinne).986 Mit der Auslagerung von öffentlichen Aufgaben geht spiegelbildlich eine staatsentlastende Funktion einher. Die staatsunmittelbare Verwaltung wird gleichsam in die Lage versetzt, die Aufgaben wahrzunehmen, bei denen eine Übertragung ausscheidet.987 Davon zu trennen ist der Gedanke einer Verzahnung von Staat und Gesellschaft durch die Inpflichtnahme des Bürgertums im Wege des Ehrenamts (­Rudolf von Gneist)988 oder einer Teilnahme des Volkes an der vollziehenden Gewalt als Komplementär der freien Wahlen zum Legislativorgan (Lorenz von Stein)989. Otto von Gierke verfolgte die Kontextualisierung in der Genossenschaftsidee.990 Selbstverwaltung wird auch als Instrument zur Disziplinierung von Sozialbereichen erörtert.991 Anschaulich wird dies, wenn man die Pervertierung der Selbstverwaltungseinheiten im Aufbau des nationalsozialistischen Staates zur Effektuierung der Kriegswirtschaft bedenkt.992 Aber auch gegenwärtig darf auf die

984

BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 1960 – 2 BvR 373/60, 442/60 –, BVerfGE 11, 266 (275 f.). Eine auf die kommunale Selbstverwaltung zentrierte Erörterung kann Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band 1, 2. Aufl. 1984, S. 403 f. entnommen werden. 985 Schuppert, AöR 114 (1989), 127 (129 f.). 986 Dieses inhaltsarme Verständnis von Selbstverwaltung steht in der Tradition des sog. formellen Selbstverwaltungsbegriffs nach Hans Julius Wolff. Selbstverwaltung ist danach „die selbstständige, fachweisungsfreie Wahrnehmung enumerativ oder global überlassener oder zugewiesener eigener öffentlicher Angelegenheiten durch unterstaatliche Träger oder Subjekte öffentlicher Verwaltung in eigenem Namen“ (zitiert nach Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 271 f.). Den höchsten Formalisierungsgrad weist allerdings die Konzeption von Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Band 1: Allgemeiner Teil, 9. Aufl. 1966, S. 444 auf, der Selbstverwaltung als „Wahrnehmung an sich staatlicher Aufgaben durch Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts“ umschreibt und damit zugleich den Begriff der mittelbaren Staatsverwaltung festgestellt wissen möchte. 987 Dazu Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 356 f. m. w. N. Dies hervorhebend Di Fabio, Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, VVDStRL 56 (1996), 1997, 235 (278). 988 Dieses Konzept von Selbstverwaltung steht in der Tradition des Begriffs der sog. politischen Selbstverwaltung. Dazu Hendler, Das Prinzip Selbstverwaltung, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 143 Rn. 8 u. 12. 989 v. Stein, Die Verwaltungslehre, Teil I: Die vollziehende Gewalt, Bd. II: Die Selbstverwaltung und ihr Rechtssystem, 1869, S. 128 f, 169. Zur Selbstverwaltungslehre bei von Stein ausführlich Heffter, Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert, 1950, S. 445 ff. 990 Zur Genossenschaftslehre umfassend Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 64 ff. 991 S. dazu Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Band 1: Allgemeiner Teil, 9. Aufl. 1966, S. 442 f. Dies für die funktionale Selbstverwaltung betonend Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. II, 3. Aufl. 2004, § 24 Rn. 33. 992 Schuppert, Verwaltungswissenschaft, 2000, S. 599 f. Zur Organisationsverfassung der Leitungsverbände und Gauwirtschaftskammern des NS-Staates näher unter B. IV.

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Mäßigungsfunktion der öffentlich-rechtlichen Bindungen gegenüber dem Auftritt einer ungehemmten privatrechtlichen Interessenvereinigung oder die Lenkungswirkung des Standesrechts gegenüber „Außenseitern“ in den Einheiten der freien Berufe verwiesen werden.993 Zudem ist die Grundlegung als Betroffenenpartizipation bekannt,994 die demokratiefördernd wirken soll.995 Selbstverwaltung wird weiterhin als Methode der Integration gesellschaftlicher Interessen in die Staatsorganisation gelesen, wobei diese Auffassung eng mit der öffentlich-rechtlichen Körperschaft verknüpft ist. Sie adressiert die Erscheinungsformen interessenvertretender körperschaftlicher Selbstverwaltung aufgrund ihrer Doppelnatur996.997 Letztlich kann Selbstverwaltung als Selbstbeschränkung des Staates unter gleichzeitiger Förderung von Selbststeuerung und Selbstorganisation gedacht werden (Paul Laband).998 Bei einer Gesamtschau der administrativ-, organisations-, rechts-, polit- und sozialtheoretischen Legitimationsmuster mag sich weder ein Motivbündel999 noch ein schlüssiges Gesamtkonzept ergeben. Der Zugang zum Selbstverwaltungsprinzip 993 Dazu Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 353 f.; Schuppert, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch verselbständige Verwaltungseinheiten, 1981, S. 66 f. ­Schröder, Grundlagen und Anwendungsbereich des Parlamentsrechts, 1979, S. 53 befindet sogar, dass die Disziplinierung des Berufes das „Hauptmotiv“ bei den Kammerorganisationen der freien Berufe sei. 994 Hendler, Das Prinzip Selbstverwaltung, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 143 Rn. 15; in diese Richtung auch BVerfG, Urt. v. 29. Juli 1959  – 1 BvR 394/58 –, BVerfGE 10, 89 (104). 995 Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 122 f. 996 Eine Doppelnatur kommt der interessenvertretenden körperschaftlichen Selbstverwaltung einerseits als Teil der öffentlichen Verwaltung mit aufgabenentlastender Wirkung zugunsten des Staates und andererseits als Interessenrepräsentanz im öffentlich-rechtlichen Gewand mit erhebender Wirkung gegenüber den sonstigen Verbänden zu. Diese (institutionelle) Form der Verschränkung von Staat und Gesellschaft herausarbeitend Bieback, Die öffentliche Körperschaft, 1976, S. 315 ff. Auf die mit der vorgenannten Studie geprägte Terminologie hat auch das BVerfG zurückgegriffen (Beschl. v. 31. Oktober 1984 – 1 BvR 35, 356, 794/82 –, B ­ VerfGE 68, 193 [209]). Zutreffend spricht Schuppert, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch verselbständige Verwaltungseinheiten, 1981, S. 68 davon, dass die IHK ein „besonders anschauliches Beispiel“ für die Doppelnatur der öffentlich-rechtlichen Körperschaft sei. 997 Dazu ausführlich Schuppert, Selbstverwaltung als Beteiligung Privater an der Staats­ verwaltung, in: v. Mutius (Hg.), FG von Unruh, 1983, 183–205. Zu den Überlegungen, die mit der Rechtsform als Körperschaft des öffentlichen Rechts einhergehen, zählen auch Erwägungen über eine Demokratisierung und einen Ausbau der rechtsstaatlichen Ordnung von Lebensbereichen. Zu Letzterem Bieback, Die öffentliche Körperschaft, 1976, S. 353–355; ders., Quaderni Fiorentini 11/12 (1982–83), 859 (861 ff.). 998 Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Band 1, 1876, S. 101. Zu diesem korporativen Verständnis von Selbstverwaltung näher Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 110 ff. Dies betonend Schuppert, Grenzen und Alternativen von Steuerung durch Recht, in: Grimm (Hg.), Wachsende Staatsaufgaben – sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 1990, 217 (236). 999 So aber Burgi, Selbstverwaltung angesichts von Europäisierung und Ökonomisierung, VVDStRL 62 (2002), 2003, 405 (422).

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wird vielmehr über widersprüchliche, jedenfalls ambivalente Bedeutungsebenen eröffnet.1000 3. Das Selbstverwaltungsprinzip bei den interessenvertretenden Körperschaften Für die funktionale Selbstverwaltung kann das Vorstehende im Sinne einer Leitlinie übernommen werden.1001 Das Bundesverfassungsgericht hebt in diesem Zusammenhang die „organisierte Beteiligung der sachnahen Betroffenen an den sie berührenden Entscheidungen“ hervor.1002 Darin zeigt sich allerdings nur eine unvollständige Sichtweise. Zutreffend ist, dass die Selbstverwaltungsidee bei den Einheiten der funktionalen Selbstverwaltung an dem Gedanken der Betroffenenpartizipation anknüpft. Aus der Sicht des Staates stellt die Beteiligung von Berufen, Berufsgruppen, Branchen, Erwerbszweigen oder von ansonsten – mit Blick auf eine Aufgabe  – abgegrenzte Personenkreise allerdings keinen Selbstzweck dar. Wie für den Organisationstyp IHK bereits gezeigt wurde, stand und steht die Nutzbarmachung der verbandlichen Verwaltungskraft unter dem Gesichtspunkt der Staatsentlastung im Vordergrund. Die eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung wird unter dem Gesichtspunkt der Sachnähe toleriert.1003 Idealisierende Umschreibungen, die darüber hinausgehen, können für die interessenvertretende körperschaftliche Selbstverwaltung zwar vorgefunden werden.1004 Sie verfügen aber über eine geringe Überzeugungskraft. Dies gilt insbesondere in Anbetracht des Umstands, dass sich der Staat mit diesem Organisationstypus von der Finanzierung der Aufgabenerledigung freizeichnet, indem er die Errichtungs- und Betriebskosten von den (Pflicht-)Mitgliedern in Form von Gebühren oder Beiträgen tragen lässt.1005 Mit der Errichtung einer Körperschaft wird gezielt, kostengünstig und dem staatlichen Eigeninteresse folgend ein sozial vorstrukturierter Personenkreis öffentlich-rechtlich überformt („verkammert“), wobei der Staat auf die bereits 1000

Ausführlicher Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 49 ff. 1001 Für den Organisationstypus der grundrechtsgetragenen Selbstverwaltung tritt etwa die Sicherung grundrechtlicher Freiräume als Sinngehalt hinzu (Kluth, Begriff, Erscheinungsform und rechtliche Grundlagen der funktionalen Selbstverwaltung, in: Wolff / Bachof / Stober / ders., Verwaltungsrecht II, 7. Aufl. 2010, § 99 Rn. 15). 1002 BVerfG, Beschl. v. 5. Dezember 2002 – 2 BvL 5/98 u. 6/98 –, BVerfGE 107, 59 (92). 1003 Kluth, Selbstverwaltung der Wirtschaft und der freien Berufe, in: Ehlers / Fehling / Pünder (Hg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Band I, 4. Aufl. 2019, § 15 Rn. 4 hebt die Anknüpfung an den besonderen Sachverstand hervor. 1004 Z. B. Heyne, Kammern und Umweltschutz, 2016, S. 68 f. In diesem Zusammenhang kann auch auf Verlautbarungen verwiesen werden, die in der pflichtmitgliedschaftlichen Verfassung der IHK keinen Eingriff in Grundrechte erkennen möchten (s. die Nachweise in Fn. 296). 1005 Die auf den Staat bezogene und zu seinem Vorteil wirkende Entlastungsfunktion mit Blick auf die IHK betonend BVerfG, Beschl. v. 19. Dezember 1962 – 1 BvR 541/57 –, BVerfGE 15, 235 (242).

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vorhandene Ordnungs- und Regulierungskraft einer schon eingetretenen privaten Verbandsbildung zurückgreifen konnte.1006 An dieser Stelle aktualisieren sich auch Erwägungen über eine Disziplinierungsfunktion. Die Verkammerung wirkt in Anbetracht von pflichtmitgliedschaftlicher Verfassung und der Festlegung auf ein Gesamtinteresse für die verstaatlichte Gesamtorganisation besonders reizvoll. Der Verband vermutet, sein Ansehen steigern zu können, wenn er in den öffentlichen Stand erhoben wird.1007 Gunnar Folke Schuppert hat die geteilte Natur dieses Vorgangs zutreffend analysiert: „Zusammenfassend wird man also davon sprechen können, daß die öffentlich-rechtliche Körperschaft Ausdruck einer zweiseitigen, durch gegenseitigen Nutzen geprägten Beziehung zwischen staatlicher Verwaltung und gesellschaftlicher Gruppierung ist. Die öffentlich-rechtliche Körperschaft bildet gewissermaßen den Schnittpunkt zweier Prozesse, nämlich einmal des Herauswachsens des Staates aus den Organisationsformen der unmittelbaren Staatsverwaltung und – zum anderen – des Hineinwachsens privater Verbände durch den Bereich des Öffentlichen in die staatliche Verwaltungsorganisation.“1008 Genossenschaftliche Elemente lassen sich für die interessenvertretende Körperschaft in mindestens zwei Bezügen nachweisen:1009 Die innere Verfassung sieht die Mitglieder nicht nur als Objekte, Verwaltete oder Begünstigte, sondern als eigentlichen Souverän vor.1010 Ferner wird der Körperschaft aufgegeben, in fördernder Weise gegenüber der eigenen Mitgliedschaft zu wirken. Hiermit stehen Erwägungen der Selbsthilfe in unmittelbarer Beziehung.1011 1006

Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Rechtsstaat, 1991, S. 232. Zur Pflichtmitgliedschaft und der Festlegung auf ein Gesamtinteresse als Vorteil der IHK gegenüber den privaten Interessenvereinigungen näher unter C. III. 1. b) aa). Knöpfle, Die Körperschaften des öffentlichen Rechts im formellen Sinn, in: Blümel / Merten / Quaritsch (Hg.), FS Ule, 1987, 93 (109) befindet, dass die Körperschaft durch die Statusverleihung als Einheit des öffentlichen Rechts „im Regelfall erheblich an Ansehen“ gewinne. Die Innungen, Handwerks- und Landwirtschaftskammern wurden bspw. nur aufgrund des politischen Drucks der wirtschaftlichen Interessenverbände als öffentliche Körperschaft eingerichtet, s. Bieback, Die öffentliche Körperschaft, 1976, S. 346. 1008 Schuppert, Selbstverwaltung als Beteiligung Privater an der Staatsverwaltung, in: v. Mutius (Hg.), FG von Unruh, 1983, 183 (189 f.). 1009 Eine umfassendere Analyse findet sich bei Irriger, Genossenschaftliche Elemente bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften, 1991, S. 99 ff. 1010 Scheuner, Voraussetzungen und Form der Errichtung öffentlicher Körperschaften (außerhalb des Kommunalrechts), in: Conrad / Jahrreiß / Mikat / Mosler / Nipperdey / Salzwedel (Hg.), GS Peters, 1967, 797 (801); ders., DÖV 1952, 609 (611). Diesen Gesichtspunkt vernachlässigt Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Band 1: Allgemeiner Teil, 9. Aufl. 1966, S. 453 f., wenn er nonchalant an die Leitungsverbände des NS-Staates erinnert und statuiert, dass es dem Begriff der öffentlichen Körperschaft nicht entgegenstünde, „wenn die Mitglieder […] von den Verwaltungsgeschäften und der Organbestellung ausgeschlossen“ seien. 1011 Zu genossenschaftlichen Elementen bei der IHK s. § 1 Abs. 2 IHKG und ferner Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 402 ff., 483; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 329; Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, Einf. Rn. 8. 1007

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4. Vereinbarkeit von funktionaler Selbstverwaltung und Demokratieprinzip Nach dem Wortlaut von Art. 20 Abs. 1 GG ist die Bundesrepublik Deutschland ein demokratischer Staat. Aus dieser Bestimmung kann die Entscheidung der Verfassung für die Demokratie entnommen werden. Der folgende Absatz konkretisiert das demokratische Prinzip.1012 Während nach Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, sieht Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG vor, dass die Staatsgewalt vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt wird. Es handelt sich um die Verknüpfung von Volkssouveränität und Repräsentationsprinzip.1013 Das Tatbestandsmerkmal Staatsgewalt im Sinne von Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG kennt keinen Bagatellvorbehalt1014. Vielmehr drängt der Wortlaut zu einer weiten Auslegung. Danach ist jedes staatliche Handeln legitimationsbedürftig.1015 Nach einer vom Bundesverfassungsgericht geprägten und von der Literatur gegliederten Lehre speist sich die notwendige Legitimation des Legitimationsobjekts (Staatsgewalt) durch das Legitimationssubjekt (Volk) aus drei Formen: der funktionellen bzw. institutionellen1016, der organisatorisch-personellen1017 und der sachlich-inhaltlichen Legitimation1018. Das Modell demokratischer Legitimation besagt weiterhin, dass die beiden letztgenannten Stränge in einem wechselseitigen 1012

Grzeszick, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Stand: 95. EL Juli 2021, Art. 20 II Rn. 11. Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 2, 7. Aufl. 2018, Art. 20 Rn. 143. 1014 Ausführlich zu dieser Maßgabe Jestaedt, Der Staat 32 (1993), 29–56. Nach Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. II, 3. Aufl. 2004, § 24 Rn. 13 sollen hingegen „rein konsultative Tätigkeiten […] (z. B. Beiräte), und technischinstrumentelle Verrichtungen“ von dem Begriff Staatsgewalt ausgenommen sein. Auch Kahl, AöR 130 (2005), 225 (236) formuliert für beratende Tätigkeiten eine Ausnahme. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 373 bekräftigt die Notwendigkeit einer demokratischen Legitimation für „alle Betätigungen mit Ausnahme der Interessenvertretung und Dienstleistungsangebote“. Dagegen Nußberger, AöR 129 (2004), 282 (302 f.), die beratende Tätigkeiten als legitimationsbedürftig erachtet. 1015 Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, 2005, S. 464. Ebenso Möllers, Demokratie, in: Herdegen / Masing / Poscher / Gärditz, HbVerfR, 2021, § 5 Rn. 29, der Abgrenzungen und Anpassungen auf der Rechtsfolgenseite vornehmen möchte. 1016 In diesem Zusammenhang ist von Relevanz, dass der Verfassungsgeber das Legitimationsobjekt selbst konstituiert hat, s. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee /  Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. II, 3. Aufl. 2004, § 24 Rn. 15. 1017 Stark verkürzend stellt sich unter diesem Titel die Frage von ununterbrochenen „Legitimationsketten“ zwischen Amtswalter und Volk bzw. dessen Repräsentativorgan, s. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. II, 3. Aufl. 2004, § 24 Rn. 16 ff. Zu den Schwachpunkten dieser Legitimationsform m. w. N. Honer / Rudloff, DÖV 2020, 461 (462 ff.). 1018 Bei dieser Legitimationsform ist zu erörtern, ob die Ausübung der Staatsgewalt ihrem Inhalt nach, d. h. durch Gesetz und Kontrollrechte, auf das Volk zurückgeführt werden kann, s. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. II, 3. Aufl. 2004, § 24 Rn. 21 f. 1013

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Kompensationsverhältnis stehen und nicht jede Legitimationsform für sich absolut erreicht werden muss.1019 Notwendig ist „nur“ ein hinreichendes Legitimationsniveau.1020 Das tradierte Konzept demokratischer Legitimation, das auf dem Gedanken einheitlicher Staatlichkeit fußt und das Parlament sowie eine hierarchische Verwaltungsorganisation absolut fokussiert, wird damit heutzutage relativiert. Ihm wird mehrheitlich ein offenes, pluralistisch-differenziertes Modell demokratischer Legitimation gegenübergestellt.1021 Die Gewährleistung eines ausreichenden Legitimationszusammenhangs zwischen Volk und Staatsgewalt wird selbst für möglich erachtet, wenn ein einzelner Legitimationsstrang ganz ausfallen sollte.1022 Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG vermittelt die Auffassung, dass Demokratie ohne poli­ tische Partizipation nicht denkbar ist. Bereits ein flüchtiger Blick auf den Inhalt des IHKG genügt, um festzustellen, dass in und mit dieser Selbstverwaltungsorganisation Betroffenenbeteiligung stattfindet. Doch ist „nicht jede politische Teilnahme auch demokratisch“1023. Es besteht die Möglichkeit, dass die Egalität der Bürger verletzt wird, die das Demokratieprinzip voraussetzt.1024 Denn den in der Organisation verkammerten Unternehmen wird im Vergleich zu dem außerhalb stehenden Teil der Bevölkerung eine „Sonderrolle“1025 eingeräumt. Die Unternehmerkammer ist gem. § 1 Abs. 1 IHKG dazu aufgefordert, immerzu ihr Partikular­ interesse bei der Bildung des politischen Gesamtwillens einzubringen. Aus der Sicht der kammerzugehörigen Unternehmen bildet wiederum die Beitragspflicht 1019 Brandl-Michel, Maßstäbe demokratischer Legitimation, 2021, S. 77 f.; Dreier, in: ders. (Hg.), GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Demokratie) Rn. 113; Trute, Die demokratische Legitimation der Verwaltung, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 6 Rn. 14. Im Hinblick auf das Zusammenwirken von organisatorischpersoneller und sachlich-inhaltlicher Legitimation ist umstritten, ob die Totalsubstitution des einen Stranges im Fall seines vollständigen Ausfalls gelingen kann. Dafür Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 184; Dreier, in: ders. (Hg.), GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Demokratie) Rn. 113; Grzeszick, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Stand: 95. EL Juli 2021, Art. 20 II Rn. 130. Dagegen Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 329 f. u. 331 f.; Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. II, 3. Aufl. 2004, § 24 Rn. 23; Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 2, 7. Aufl. 2018, Art. 20 Rn. 170. 1020 Die Rede vom Legitimationsniveau ist, wie die umfangreichen Nachweise bei Lenz, Kommunalverwaltung und Demokratieprinzip, 2020, S. 98 m. Fn. 403 belegen, Gemeingut. Die darin vermittelte Forderung lässt sich auf folgende Formel verkürzen: „Je einschneidender die jeweilige Machtbefugnis ist, umso enger muss sie an die Quelle der Legitimation gebunden sein“ (Meinel, Vertrauensfrage, 2019, S. 28). 1021 Voßkuhle, Sachverständige Beratung des Staates, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 43 Rn. 60 m. Fn. 219. S. ferner die Beiträge in Redaktion Kritische Justiz (Hg.), Demokratie und Grundgesetz, 2000. 1022 Voßkuhle, Sachverständige Beratung des Staates, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 43 Rn. 48 m. w. N. 1023 Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 305. 1024 Zur vom Demokratieprinzip geforderten Gleichheit der politischen Mitwirkungsrechte ausführl. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. II, 3. Aufl. 2004, § 24 Rn. 41–51. 1025 Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Rechtsstaat, 1991, S. 232.

IV. Demokratieprinzip und funktionale Selbstverwaltung  

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(§ 3 Abs. 2 IHKG) den Stein des Anstoßes, um die Demokratiekompatibilität des Verwaltungstypus zu hinterfragen.1026 Sie enthält eine Ermächtigung zum Eingriff in die Rechte des Einzelnen. a) Funktionale Selbstverwaltung ist Verwaltung im Sinne des Grundgesetzes Die IHK steht als Körperschaft des öffentlichen Rechts im zweigeteilten Denkmodell aus Staat und Gesellschaft auf der Seite der organisierten Staatlichkeit. Im Gefüge der drei klassischen Staatsgewalten gehört die Selbstverwaltung mit allen Handlungsformen zur vollziehenden Gewalt im Sinne des Grundgesetzes. Die im Rahmen des Selbstverwaltungsrechts entfalteten Aktivitäten sind „Verwaltung“ nach der öffentlich-rechtlichen Dogmatik. Die Einhaltung von Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG), die Bindung an die Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht (Art. 1 Abs. 3 GG) sowie die Geltung von Gesetzesvorrang und -vorbehalt sind daher als rechtliche Handlungsmaßstäbe unmittelbar wirksam.1027 Eine Flucht in privatrechtliche Organisationsformen suspendiert nicht die Verpflichtung zur Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Bindungen.1028 Die IHK wird keine „Freiräume kreativer Illegalität“1029 ausfindig machen können.

1026

An der Beitragspflicht setzt die Prüfung des BVerfG an (Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 [Rn. 112 u. 118]). 1027 Das Vorstehende dürfte der einhelligen Meinung in der Beschäftigung mit dem Verwaltungstypus Selbstverwaltung entsprechen. Die Feststellungen sind derart offensichtlich, weshalb – abgesehen von Verweisen auf den Verfassungstext – kein Beleg notwendig wäre. S. aber dennoch Wißmann, Verfassungsrechtliche Vorgaben der Verwaltungsorganisation, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 15 Rn. 42 m. Fn. 219. 1028 Zwar kann sich die Gründung von freien Vereinigungen, die näher unter F. I. behandelt wird, „geradezu als Ausübung des Selbstverwaltungsrechts“ oder als „Ergänzung und Abrundung“ erweisen (so Hendler, Das Prinzip Selbstverwaltung, in: Isensee / Kirchhof [Hg.], HbdStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 143 Rn. 26). Dies gilt vor allem, wenn die Mitwirkung in den privatrechtlichen Organisationsformen der Koordination oder Verstärkung der übertragenen Aufgaben dient. Doch wird man nicht an der Einsicht vorbeikommen, dass der durch die Rechtsform festgesteckte Wirkungskreis nicht eigenmächtig erweitert werden kann. So auch BVerfG, Beschl. v. 31. Oktober 1984  – 1 BvR 35, 356, 794/82  –, BVerfGE 68, 193 (214); Brohm, Selbstverwaltung in wirtschafts- und berufsständischen Kammern, in: v. Mutius (Hg.), FG von Unruh, 1983, 777 (799 f.); Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (346). Zwei Argumente tragen dieses Ergebnis (s. Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 32 f.): Zum einen kann die privatrechtliche Rechtsform nicht verschleiern, dass ihr mitgliedschaftliches Substrat dem Bereich der Staatlichkeit zuzurechnen ist. Jede privatrechtliche Organisationsform teilt daher das staatliche „Lager“ ihrer Mitgliedschaft. Zum anderen hilft das eingängige römischrechtliche Prinzip nemo plus uris transferre potest quam ipse habet (zu Deutsch: Niemand kann mehr Recht übertragen, als er selbst innehat) weiter. 1029 Schmidt-Aßmann, Zum staatsrechtlichen Prinzip der Selbstverwaltung, in: Selmer /  v. Münch (Hg.), GS Martens, 1987, 249 (260).

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D. Analyserahmen  

b) Auflösung des Konflikts Unter diesen Vorzeichen liegt es auf der Hand, dass die Tätigkeit der IHK in der Rechtsform des öffentlichen Rechts ein Bedürfnis nach demokratischer Legitimation auslöst.1030 Dass sich die Selbstverwaltungseinheit IHK ohne Umschweife als demokratiekompatibel ergibt, ist keinesfalls derart offensichtlich, wie einige Autoren1031 meinen. Bereits die für möglich erachtete Verletzung des Egalitätsgedankens regt zum Nachdenken an. Zugleich muss aus dem Vorstehenden auch nicht die Annahme über eine grundsätzliche Unvereinbarkeit mit dem Demokratieverständnis des Grundgesetzes1032 folgen. Stattdessen besteht ein „Spannungsverhältnis“1033, das anhand folgender Strategien zur Auflösung gelangt:

1030 Dies findet seinen Grund darin, dass speziell für die Aufgabe Interessenrepräsentanz i. S. d. § 1 Abs. 1 IHKG diese Studie feststellt, dass die IHK hilfsbehördlich an der Erfüllung der Staatsaufgabe „Wirtschaftsförderung“ teilnimmt (dazu näher unter C. III. 1. a) dd)), wenngleich ihr keine echte Mitentscheidungsbefugnis zukommt. Für den Einbezug schlichter Mitwirkungsformen auch Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (373 f.). Des Weiteren kann auf die Rechtsform der IHK verwiesen werden. Insbesondere nach ders., ebd., S. 343 soll diesem Kriterium eine „herausgehobene Rolle für die grundgesetzliche Zuordnung zum legitimationsbedürftigen Bereich“ zukommen. Ebenfalls auf die Eigenschaft als Hoheitsträger abstellend Oebbecke, VerwArch 81 (1990), 349 (356 f.); Dreier, in: ders. (Hg.), GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Demokratie) Rn. 128. S. ferner Klein, Demokratie und Selbstverwaltung, in: Schnur (Hg.), FS Forsthoff, 1972, 165 (183). Kritisch gegenüber derartigen formalen Zuordnungskriterien – zu denen weiterhin das Vorsehen einer Staatsaufsicht, der staatliche Errichtungsakt, die Kompetenz zu Eingriffsakten und das Handeln in den Formen des öffentlichen Rechts zählen – äußert sich indes Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 265 ff., der die Zuordnung zur Staatsgewalt i. S. d. Art. 20 Abs. 2 GG im Rahmen einer wertenden Gesamtanalyse vornimmt (S. 267 ff.). Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 43 f. hebt hingegen die gesetzliche Ermächtigung zur Vornahme von Eingriffsmaßnahmen als entscheidendes Kriterium hervor. Ähnlich äußerte sich bereits Britz, VerwArch 91 (2000), 418 (425 ff.). Die Autorin erachtete die Organisationsform für irrelevant und postulierte, dass die „Ermächtigung zur autoritativen Entscheidung“ die Legitimationsbedürftigkeit auslöse, weshalb sie bspw. die Fischerei- und Waldverbände als unproblematische Organisationen bewertete (S. 430 m. Fn. 62). 1031 Stober, Die IHK als Mittler zwischen Staat und Wirtschaft, 1992, S. 66; Fichtmüller, AöR 91 (1966), 297 (334); Blanke, KJ 31 (1998), 452 (459). 1032 In diese Richtung etwa Breuer, Die Verwaltung 10 (1977), 1 (10), der davon ausgeht, dass die Selbst- oder Mitverwaltung in der repräsentativen Demokratie „grundsätzlich ein strukturfremdes Prinzip mit tendenziellen Risiken für die staatliche Willensbildung“ sei. 1033 Zitat bei Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, 2005, S. 445. Gleichgerichtet Breuer, Erledigung von Verwaltungsaufgaben durch Personalkörperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts – Aufgaben, Organisation, Verfahren und Finanzierung, in: Starck (Hg.), Beiträge zum ausländischen und vergleichenden öffentlichen Recht, 1992, 15 (38); Schmidt-Aßmann, Zum staatsrechtlichen Prinzip der Selbstverwaltung, in: Selmer / v. Münch (Hg.), GS Martens, 1987, 249 (257); Reimer, Wechselwirkungen von Verfassungs- und Verwaltungsrecht, in: Kahl / Ludwigs (Hg.), Handbuch des Verwaltungsrechts, Bd. I, 2021, § 10 Rn. 40.

IV. Demokratieprinzip und funktionale Selbstverwaltung  

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aa) Drei Strategien über die Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip Die Ausnahmetheorie1034 stellt einstweilen fest, dass der funktionalen Selbstverwaltung ein generell „geringeres Legitimationsniveau“1035 bzw. ein „Defizit an demokratischer Legitimation“1036 anhafte. Im Wege des Vergleichs mit der Ministerialverwaltung wird ein Fehlen der organisatorisch-personellen Anbindung im obenstehenden Sinne erkannt.1037 Nachdem man die grundsätzliche verfassungsrechtliche Anerkennung der funktionalen Selbstverwaltung durch eine Verallgemeinerung verfassungsrechtlicher Ausnahmetatbestände wie z. B. Art. 87 Abs. 2 GG begründet hat,1038 werden verschiedene Bausteine erläutert, die die sachlich-inhaltliche Legitimation vermitteln sollen. Dabei werden das Parlamentsgesetz, die Steuerungswirkung der dort niedergelegten Regeln (insbes. für die zu erledigenden Aufgaben) und eine „demokratisch-verantwortlich ausgeübte“ staatliche Aufsicht hervorgehoben.1039 Mit Hilfe einer derart aufgefassten Rückführung auf den Willen des Parlaments besteht nach dieser Ansicht eine Legitimation, die das Grundgesetz als hinreichend akzeptiert. Eine weitere Auffassung geht davon aus, dass die Annahme über ein organisatorisch-personelles Legitimationsdefizit bei den Verwaltungsträgern der funktionalen Selbstverwaltung nicht aufrechterhalten werden könne. Vielmehr ergebe eine Rückbesinnung auf den Sinn und Zweck sowie die Rahmenbedingungen personeller demokratischer Legitimation, dass die Mitglieder der Organisationen kollektiv personell legitimiert seien.1040 Diese Strategie sucht ihren Anknüpfungs 1034 Zitat bei Greiff, Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip, 2006, S. 37. Mit Abweichungen im Detail Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, 2005, S. 457 f. 1035 Grzeszick, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Stand: 95. EL Juli 2021, Art. 20 II Rn. 174 f. 1036 Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. II, 3. Aufl. 2004, § 24 Rn. 34. 1037 Grzeszick, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Stand: 95. EL Juli 2021, Art. 20 II Rn. 175. Maßgeblich konstruierte Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 302 ff. die Ministerialverwaltung als Regeltypus der Verwaltungsorganisation. Da in der funktionalen Selbstverwaltung auf eine individuelle Bestellung der Organwalter verzichtet wird, ist das Defizit an organisatorisch-personeller Legitimation nicht zu übersehen. 1038 Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. II, 3. Aufl. 2004, § 24 Rn. 34; Grzeszick, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Stand: 95. EL Juli 2021, Art. 20 II Rn. 181 u. 195. 1039 Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. II, 3. Aufl. 2004, § 24 Rn. 34. Dagegen Neumann, Volkswille, 2020, S. 434: „ungewöhnlich schwache Begründung“. 1040 Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 373 ff.; ders., Demokratische Legitimation in der funktionalen Selbstverwaltung  – Grundzüge und Grundprobleme, in: Schnapp (Hg.), Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip, 2001, 17 (33 f.); ders., Die Verwaltung 35 (2002), 349 (360 ff.). ders., Verfassungsrechtliche und europarechtliche Grundlagen des Kammerrechts, in: ders. (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 5 Rn. 110 f. Zustimmend Unruh, VerwArch 92 (2001), 531 (551 ff.). In diese Richtung auch Dederer, NVwZ 2000, 403 (405). Dagegen explizit Becker, Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, 2005, S. 453.

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D. Analyserahmen  

punkt beim Errichtungsgesetz. Im Wege der Gründung solle ein Akt kollektiver personeller demokratischer Legitimation stattfinden. Dieser hat das Anvertrauen von Staatsgewalt unter gleichzeitiger Berücksichtigung der besonderen Befähigung zur Aufgabenwahrnehmung zum Inhalt und basiert auf der Annahme, dass die öffentlich-rechtlichen Bindungen strikt befolgt würden. Der Akt sei mit einer Folgewirkung verbunden, nach der die auf die Gründung folgenden Wahlen und Entscheidungen in der Organisation als vom Parlament abgeleitet gelten könnten. Die Selbstverwaltungsorganisation wird ihrem legitimatorischen Status zufolge der Regierung gleichgeordnet.1041 Der Gedanke autonomer Legitimation geht maßgeblich auf eine Untersuchung von Ernst Thomas Emde zurück.1042 Er vermeidet im Gegensatz zu den vorstehenden Strategien, die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung allein in sachlich-inhaltlicher und funktioneller Hinsicht zu suchen. Neben dem Parlamentsgesetz und der staatlichen Aufsicht werden die in der Verwaltungseinheit wirksamen autonomen Legitimationsformen herangezogen, um ein hinreichendes Legitimationsniveau zu begründen.1043 Die Mechanismen autonomer Legitimation sollen für unbedeutend erklären, dass es dem Organisationstypus an einer personellen Rückbindung an das „Volk“ im Sinne der organisatorisch-personellen Legitimation fehlt. „Das Staatsvolk räumt das Feld, und das Verbandsvolk rückt nach.“1044 Das Modell basiert auf zwei Legitimationssträngen, die als vollständig duale Ordnung begriffen werden und sich auf zwei Legitimationssubjekte (Volk und Verbandsvolk) zurückführen lassen.1045 Zur Geltungsvoraussetzung des Gedankengebäudes wird, dass die nach persönlichen, funktions- oder interessenbestimmten Kriterien zusammengesetzte Mitgliedschaft der funktionalen Selbstverwaltung als Verbandsvolk begriffen und als mitentscheidendes Legitimationssubjekt erachtet werden kann.1046 1041

Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 381. Zu den unterschiedlichen Begründungen für Formen der autonomen Legitimation überblicksartig Trute, Die demokratische Legitimation der Verwaltung, in: Hoffmann-Riem / SchmidtAßmann / Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 6 Rn. 54 f. 1043 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 382, 387, 389. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Oebbecke, VerwArch 81 (1990), 349 (359 ff.). 1044 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 50. 1045 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 49 ff., 386 ff. Tendenziell Zustimmend Dreier, in: ders. (Hg.), GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Demokratie)  Rn. 129; Trute, Die demokratische Legitimation der Verwaltung, in: HoffmannRiem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 6 Rn. 83; Britz, Verw­ Arch 91 (2000), 418 (430 f.). Ähnlich Ehlers, Die Staatsgewalt in Ketten, in: Faber / Frank (Hg.), FS Stein, 2002, 125 (133), der in der funktionalen Selbstverwaltung ebenfalls Teilvölker anerkennt und einen Widerspruch zum Demokratiegebot erst bemerkt, wenn „Angelegenheiten von allgemeiner Bedeutung auf Selbstverwaltungsträger übertragen werden“. Dem Gedanken autonomer Legitimation grundsätzlich folgend Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 95, 262. 1046 Dass vom Gesetzgeber geschaffene Verbandsvölker demokratische Legitimation vermitteln können, vertritt eine breite Strömung in der Literatur, die Unruh, VerwArch 92 (2001), 1042

IV. Demokratieprinzip und funktionale Selbstverwaltung  

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Andere Stimmen grenzen sich von dem Vorstehenden ab, indem sie unter Rekurs auf das Demokratieprinzip eine absolute Grenze zur Errichtung von Einheiten der funktionalen Selbstverwaltung formulieren. Sie ziehen die Trennlinie dort, wo derartige Einrichtungen zu den „dominierenden Verwaltungsträgern überhaupt“ würden bzw. eine „fragmentierte personelle Legitimation für die Verwaltung prägend“ wäre.1047 Einen weiteren Schritt unternimmt Sandra Köller, die die Ausübung von Staatsgewalt im Rahmen der funktionalen Selbstverwaltung für verfassungswidrig erachtet. Sie schlägt zur Auflösung des Konflikts mit dem grundgesetzlichen Demokratieprinzip eine ausdrückliche verfassungsrechtliche Anerkennung der funktionalen Selbstverwaltung vor.1048 bb) Die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 107, 59) Das Bundesverfassungsgericht hat sich erstmals anlässlich zweier Vorlagebeschlüsse mit der Frage der demokratischen Legitimation funktionaler Selbstverwaltung befasst.1049 Das Bundesverwaltungsgericht hatte zuvor die Verfassungswidrigkeit des Lippeverbands- und Emschergenossenschaftsgesetz mit Blick auf das demokratische Prinzip behauptet.1050 Das Verfassungsgericht bekräftigt, dass der Verfassungsgeber die schon „bei Inkrafttreten des Grundgesetzes vorhandenen, historisch gewachsenen Organisationsformen […] zur Kenntnis genommen und durch Erwähnung [in Art. 86, Art. 87 Abs. 2 u. 3 sowie Art. 130 Abs. 3 GG] ihre grundsätzliche Vereinbarkeit

531 (544 m. Fn. 59 u. 549 m. Fn. 85) nachweist. Gegen das Konzept autonomer Legitimation Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. II, 3. Aufl. 2004, § 24 Rn. 33; Kluth, Die Verwaltung 35 (2002), 349 (360). 1047 Zitate bei Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 2, 7. Aufl. 2018, Art. 20 Rn. 182. Gleichgerichtet bereits Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 317, nach dem eine „ausgeprägte Betroffenendemokratie“ nicht mit der Konzeption des Grundgesetzes vereinbar wäre. 1048 Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009, S. 322 und ff. 1049 BVerfG, Beschl. v. 5. Dezember 2002 – 2 BvL 5/98 u. 6/98 –, BVerfGE 107, 59. Ausführlich dazu Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation, 2009. Anmerkungen finden sich bei Becker, DÖV 2004, 910–915; Becker, German Law Journal 4 (2003), 759–769; Musil, DÖV 2004, 116–120; Jestaedt, JuS 2004, 649–653; Häußermann, JA 2004, 23–25; Unruh, JZ 2003, 1061–1063. 1050 BVerwG, Vorlagebeschl. v. 17. Dezember 1997 – 6 C 2/97 –, BVerwGE 106, 64 (Emschergenossenschaft); Vorlagebeschl. v. 17. Dezember 1997  – 6 C 1/97  –, juris (Lippeverband). Zum ersten Beschluss s. Unruh, VerwArch 92 (2001), 531–559. Umfassend angelegte Auseinandersetzungen finden sich bei Blanke, Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip  – Anmerkungen zu den Vorlagebeschlüssen des Bundesverwaltungsgerichts v. 17. 12. 1997, in: Redaktion Kritische Justiz (Hg.), Demokratie und Grundgesetz, 2000, 32–58; Tettinger / Mann / Salzwedel, Wasserverbände und demokratische Legitimation, 2000.

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D. Analyserahmen  

mit der Verfassung anerkannt“ habe.1051 In der Folge stellt es fest, dass das Demokratiegebot des Grundgesetzes aufgrund seines Prinzipiencharakters „offen für andere, insbesondere vom Erfordernis lückenloser personeller demokratischer Legitimation aller Entscheidungsbefugten abweichende Formen der Organisation und Ausübung von Staatsgewalt“ sei.1052 Das Prinzip gestatte, „für abgegrenzte Bereiche der Erledigung öffentlicher Aufgaben durch Gesetz besondere Organisationsformen der Selbstverwaltung zu schaffen.“1053 Das Volk wahre sein Selbstbestimmungsrecht, wenn die Aufgaben und Handlungsbefugnisse der Organe in einem von der Volksvertretung beschlossenen Gesetz ausreichend vorherbestimmt seien und die Kompetenzausübung der Aufsicht personell demokratisch legitimierter Amtswalter unterliege.1054 Den Ausführungen des BVerfG können insgesamt fünf Voraussetzungen entnommen werden, die eine hinreichende Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung sichern sollen. Hierzu zählen: (1) die Bestimmung von Aufgaben und Befugnissen der Selbstverwaltungsorgane im Gesetz, (2) die Beschränkung auf abgegrenzte Bereiche der Erledigung öffentlicher Aufgaben, (3) der Verzicht auf die Übertragung von Staatsaufgaben im engeren Sinne, (4) eine Organisation anhand der Leitbilder interessengerechter Selbstverwaltung und effektiver Aufgabenerfüllung und (5) die Implementierung einer Aufsicht durch personell demokratisch legitimierte Amtswalter.1055 Entscheidungsleitend war die Auffassung, dass „demokratisches Prinzip und Selbstverwaltung unter dem Grundgesetz nicht im Gegensatz zueinander“ stünden.1056 Vielmehr verwirklichten sowohl das Demokratieprinzip als auch die funktionale Selbstverwaltung „als organisierte Beteiligung der sachnahen Betroffenen an den sie berührenden Entscheidungen“ die sie „verbindende Idee des sich selbst bestimmten Menschen in einer freiheitlichen Ordnung“.1057 Die funktionale Selbstverwaltung könne als „Ausprägung dieses Prinzips [des Demokratieprinzips] verstanden werden, soweit sie der Verwirklichung des übergeordneten Ziels der freien Selbstbestimmung aller“ diene.1058 Das Bundesverfassungsgericht, das seine Rechtsprechungslinie mittlerweile unter Ansehung weiterer Einheiten der funktionalen Selbstverwaltung fortge-

1051

BVerfG, Beschl. v. 5. Dezember 2002 – 2 BvL 5/98 u. 6/98 –, BVerfGE 107, 59 (89 f.). BVerfG, Beschl. v. 5. Dezember 2002 – 2 BvL 5/98 u. 6/98 –, BVerfGE 107, 59 (91). Entschiedener BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 114). 1053 BVerfG, Beschl. v. 5. Dezember 2002 – 2 BvL 5/98 u. 6/98 –, BVerfGE 107, 59 Ls. 1. 1054 BVerfG, Beschl. v. 5. Dezember 2002 – 2 BvL 5/98 u. 6/98 –, BVerfGE 107, 59 Ls. 3. 1055 Becker, DÖV 2004, 910 (913 f.). 1056 BVerfG, Beschl. v. 5. Dezember 2002 – 2 BvL 5/98 u. 6/98 –, BVerfGE 107, 59 (92). Ebd., Ls. 2: „Die funktionale Selbstverwaltung ergänzt und verstärkt das demokratische Prinzip.“ 1057 BVerfG, Beschl. v. 5. Dezember 2002 – 2 BvL 5/98 u. 6/98 –, BVerfGE 107, 59 (92). 1058 BVerfG, Beschl. v. 5. Dezember 2002 – 2 BvL 5/98 u. 6/98 –, BVerfGE 107, 59 (92). 1052

IV. Demokratieprinzip und funktionale Selbstverwaltung  

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schrieben hat,1059 kombiniert frei zwischen zwei der oben aufgezeigten Argumentationssträngen:1060 Führt man sich die Behauptung über eine verbindende Idee zwischen dem demokratischen Prinzip und dem Organisationstyp funktionale Selbstverwaltung vor Augen, lassen sich Assoziationen zu dem Modell autonomer demokratischer Legitimation unschwer erkennen.1061 Wenn das Gericht hingegen auf die Notwendigkeit parlamentsvermittelter Legitimation im Wege einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage hinweist sowie die Unterschiede zwischen der demokratischen Legitimation von unmittelbarer Staatsverwaltung und Selbstverwaltung betont, werden Bezugnahmen zur Ausnahmetheorie offensichtlich. Anhaltspunkte dafür, dass das Gericht in dem Errichtungsgesetz einen Akt kollektiver personeller Legitimation erkennt, finden sich hingegen nicht.1062 Vielmehr erteilt das BVerfG derartigen Überlegungen einigermaßen offensichtlich eine Absage, wenn es an dem Erfordernis lückenloser personeller demokratischer Legitimation festhält. cc) Anwendung auf die IHK Das Bundesverfassungsgericht hat allgemeingültige Maßgaben formuliert. Dennoch fordert die Heterogenität der Erscheinungsformen funktionaler Selbstverwaltung dazu heraus, die demokratische Legitimation der IHK gesondert zu begründen. Es ist bemerkenswert, dass das Bundesverfassungsgericht erstmals 2017 die Vereinbarkeit zwischen der Organisationsform IHK und dem demokratischen Prinzip prüfte. Unter entsprechender Anwendung der bekannten Leitlinien hat das Gericht die Abweichungen vom Erfordernis lückenloser personeller demokratischer Legitimation hingenommen.1063 Indes ergaben die Ausführungen des Verfassungsgerichts kaum nennenswerte Erkenntnisse im Vergleich zu einer Entscheidung des VGH Hessen. Dieses Gericht hatte bereits 2013 die hinreichende demokratische Legitimation der IHK bejaht, nachdem es die Prüfung unter Anwendung der aus dem Verfahren über den Lippeverband und die Emschergenossenschaft bekanntgewordenen Kriterien nachvollzog.1064 In Teilen leiden die Erwägungen des BVerfG

1059 Für die Notarkassen s. BVerfG, Beschl. v. 13. Juli 2004 – 1 BvR 1298, 1299/94, 1332/95, 613/97 –, BVerfGE 111, 191 (215 f.). Für die Filmförderungsanstalt s. BVerfG, Urt. v. 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 –, BVerfGE 135, 155 (Rn. 157 f.). Für den Deutschen Weinfonds s. BVerfG, Beschl. v. 6. Mai 2014 – 2 BvR 1139/12, 2 BvR 1140/12, 2 BvR 1141/12 –, BVerfGE 136, 194 (Rn. 168 f.). 1060 Kritisch zu diesem Ansatz Jestaedt, JuS 2004, 649 (652). 1061 Dies erkennen auch Perchermeier, Landwirtschaftskammern als Modell funktionaler Selbstverwaltung, 2014, S. 119, Unruh, JZ 2003, 1061 (1062 f.) u. A. Musil, DÖV 2004, 116 (119) an. 1062 Dies bemerkt und kritisiert Unruh, JZ 2003, 1061 (1063). 1063 BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017  – 1 BvR 2222/12 u. 1106/13  –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 112 ff., insbes. Rn. 113 f.). 1064 VGH Hessen, Beschl. v. 10. Juni 2013 – 7 A 418/12.Z –, juris Rn. 18 ff.

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D. Analyserahmen  

sogar an einem Mangel starker Simplifizierung. So beschränkt sich das Gericht für die Frage nach der Demokratiekompatibilität des äußerst problematischen Instituts der Zuwahl1065 auf die Aussage, dass dies „dahingestellt bleiben“ könne. Den Verfassungsbeschwerden und Stellungnahmen sei „nicht zu entnehmen“, inwieweit damit „relevante Legitimationsdefizite der Kammern“ zu besorgen wären.1066 c) Demokratieprinzip als Optimierungsgebot: Der Grundsatz innerorganisatorischer Demokratie Hier soll keine ausführliche Auseinandersetzung mit den Konzeptionen zur Begründung einer hinreichenden demokratischen Legitimation von Verwaltungsträgern der funktionalen Selbstverwaltung erfolgen.1067 Jedoch muss festgehalten werden, dass speziell der Argumentationsstrang autonomer Legitimation einen besonderen Charme für den Gedankengang dieser Studie mit sich bringt. Unter der Voraussetzung, dass sich diese Spielart mit dem grundgesetzlichen Demokratieprinzip vereinbaren lässt,1068 gerät die Binnenverfassung des Verwaltungsträgers in den absoluten Mittelpunkt der Betrachtung. Die konkrete Ausgestaltung des Organisations- und Verfahrensrechts der Verwaltungseinheit wird zum Transmissionsriemen der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung für die Demokratie.1069 Soll damit eine insgesamt hinreichende Form demokratischer Legitimation begründet werden, fällt ein Rechtsregime besonders negativ ins Gewicht, das eine wirksame Rückkopplung zu den Bedürfnissen, Interessen und Wünschen der Organisationsmitglieder vermissen lässt. Anders gewendet: Den Einheiten der funktionalen Selbstverwaltung mag durch Zusammenwirken der Legitimationsstränge zwar grundsätzlich das Siegel einer demokratiekompatiblen Verwaltungsgestaltung zustehen. Doch wirken organisationsinterne Demokratiedefizite erschwerend oder lassen die Begründung einer hinreichenden Legitimation sogar als vollkommen ausgeschlossen erscheinen, wenn man vor allem – und diesen Schritt unternimmt das BVerfG mittlerweile –1070 auf die Qualität autonomer Legitimationsmechanismen rekurriert. 1065

Dazu näher unter E. I. 2. b). BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017  – 1 BvR 2222/12 u. 1106/13  –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 125). 1067 Dazu Perchermeier, Landwirtschaftskammern als Modell funktionaler Selbstverwaltung, 2014, S. 120–125; Greiff, Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip, 2006, S. ­42–50; Meyer / Diefenbach, Handwerkskammern, andere Wirtschaftskammern und Berufskammern, 2005, S. 87–99. 1068 Eine Auseinandersetzung mit der Kritik an diesem Modell findet sich bei Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 389 ff. 1069 Schuppert, Verwaltungsorganisation und Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsfaktoren, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 16 Rn. 7. 1070 BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017  – 1 BvR 2222/12 u. 1106/13  –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 114); Urt. v. 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1066

IV. Demokratieprinzip und funktionale Selbstverwaltung  

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Hiernach sind die im Organisations- und Verfahrensrecht des Verwaltungsträgers wirksamen Partizipationsmechanismen in ihrer grundlegenden und erweiterten Form unter die Lupe zu nehmen. Regelmäßige Wahlen zur Organbesetzung, Möglichkeiten zur Abberufung von Organwaltern, eine interessengerechte Binnenstruktur im Allgemeinen unter Gewährleistung des Schutzes von Minderheitsanliegen im Besonderen, die Notwendigkeit repräsentativer Meinungs- und Willensbildung bei allen Sachentscheidungen im Sinne einer gleichmäßigen Interessenberücksichtigung und -wahrnehmung sowie eine prinzipielle Kompetenzverteilung zum Vorteil der Mitgliedervertretung sind vorzusehen. Hinzu treten Klage-, Informations- und Mitwirkungsrechte. Auch sind responsive Entscheidungsstrukturen, Ansätze eines checks and balances und die Gewährleistung einer Kontrolle durch die organisationsinterne Öffentlichkeit sicherzustellen.1071 Die klassischen Intermediäre hinreichender demokratischer Legitimation, d. h. ein Parlamentsgesetz, das die Bestandteile (1) Aufgaben, (2) Zugehörigkeit, (3) Wahlen und (4) Aufsicht enthält, werden in diesem Modell bereits als unerlässlich vorausgesetzt. Dem demokratischen Prinzip in der autonomen Lesart haftet ein Optimierungsgebot für die Organisationsgestaltung an.1072 Im Vergleich zu dem Grundsatz funktionsgerechter Organisationsstruktur misst der Grundsatz innerorganisatorischer Demokratie die Gestaltung des Binnenrechts der IHK anhand eines weitestgehenden Einflusses der Betroffenen. Sie sind die Mittler autonomer Legitimation. Gemeinsam ist den beiden Geboten wiederum das Problem, dass allgemeingültige Vorgaben für die optimale Binnenverfassung eines Verwaltungsträgers der funktionalen Selbstverwaltung nicht auf der Hand liegen. Abermals soll dieses Problem aufgelöst werden, indem an dieser Stelle eine Schnittstelle zu den nachbarwissenschaftlichen Einsichten erkannt und deren Einpassung in das Recht der IHK geprüft wird. Das Schlusskapitel der Studie von Hirschman lehrt zudem, dass selbst ein an die organisationssozialen Besonderheiten angepasstes Organisations1564/12  –, BVerfGE 135, 155 (Rn. 158); Beschl. v. 6. Mai 2014  – 2 BvR 1139/12, 2 BvR 1140/12, 2 BvR 1141/12 –, BVerfGE 136, 194 (Rn. 169). 1071 Bestandteile dieses Katalogs finden sich bereits bei Trute, Die demokratische Legitimation der Verwaltung, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 6 Rn. 85–88; ders., Funktionen der Organisation und ihre Abbildung im Recht, in: Schmidt-Aßmann / Hoffmann-Riem (Hg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, 249 (284 ff.). 1072 Schmidt-Aßmann, Zum staatsrechtlichen Prinzip der Selbstverwaltung, in: Selmer /  v. Münch (Hg.), GS Martens, 1987, 249 (261). Schmitt Glaeser, Partizipation an Verwaltungsentscheidungen, VVDStRL 31 (1972), 1973, 179 (230) begreift diese Thematik nicht als eine demokratische Frage, sondern als ein Problem „grundrechtssichernder Binnenstruktur“. Maurer /  Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 23 Rn. 41 sehen das Fundament dieser Überlegung in den Sinngehalten des Selbstverwaltungsprinzips. Zu den vielgestaltigen Möglichkeiten der Herleitung dieses Gedankens aus der Verfassung s. Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 184 ff., der selbst von einem Gebot demokratischer Infrastruktur (S. 184) bzw. körperschaftlicher respektive kammerinterner Demokratie (S. 191) spricht.

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D. Analyserahmen  

design einem Ablaufdatum unterliegt. Nach ihm sehen sich selbst die scharfsinnigsten Einflussnahmerechte einer Schwächung durch Institutionalisierung und Domestizierung ausgesetzt.

V. Parlamentsvorbehalt und funktionale Selbstverwaltung Die Faktoren Organisation und Verfahren sind wesentlich für den in Rede stehenden Sozialbereich. Die Forderung nach einem stärkeren Zugriff des Gesetzgebers auf diese Regelungsmaterien lässt sich damit auf das verfassungsrechtliche Argument des ungeschriebenen Parlamentsvorbehalts1073 gründen. 1. Parlamentsvorbehalt als Delegationsverbot Die Begründung dieses in vielfältigen Rechtsfragen verwendeten Arguments dürfte gemeinhin bekannt sein. Zur Erinnerung sei darauf verwiesen, dass die Herleitung auf unterschiedlichen Wegen gelingen kann. In der Verfassungslehre können Akzentverschiebungen zwischen den Staatsstrukturprinzipien Demokratie und Rechtsstaat sowie den Grundrechten beobachtet werden.1074 1073

In begrifflicher Hinsicht können der allgemeine / ungeschriebene und der ausdrückliche /  geschriebene Vorbehalt des Gesetzes unterschieden werden, wobei die Terminologien Gesetzesvorbehalt und Vorbehalt des Gesetzes synonyme Verwendung erfahren (Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: Isensee / Kirchhof [Hg.], HbdStR, Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 101 Rn. 17). Der allgemeine Vorbehalt des Gesetzes beinhaltet zunächst einmal die Maßgabe, dass die Verwaltung nur auf Grundlage eines Gesetzes tätig werden darf und grenzt damit die Wirkungsbereiche von Legislative und Exekutive gegeneinander ab (Stumpf, Ungeschriebener Parlamentsvorbehalt und akademische Selbstverwaltungsgarantie, 2017, S. 124). Dieser Grundsatz wird als Element der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung begriffen und folglich in Art. 20 Abs. 3 GG verortet. Nach herkömmlicher Auffassung zielt er auf unmittelbar regelndes Staatshandeln für Eingriffe in Freiheit und Eigentum ab, aber wird nach der Lehre vom „Totalvorbehalt“ auch auf Gesetze mit dem Inhalt einer Leistung oder Begünstigung erweitert (Schulze-Fielitz, in: Dreier [Hg.], GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 20 [Rechtsstaat] Rn. 107 f.). Der ausdrückliche Vorbehalt des Gesetzes meint hingegen, dass der Verfassungstext ein formelles Gesetz erfodert (s. etwa Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG). Der Begriff Parlamentsvorbehalt soll demgegenüber im Sinne eines Gesetzesvorbehalts mit Delegationsverbot verwendet werden. Dieser Überschrift ist auch die Frage zuzuordnen, welche inhaltliche Regelungsdichte das zu erlassende Gesetz aufweisen muss (Grzeszick, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Stand: 95. EL Juli 2021, Art. 20 VI Rn. 75 f.). Dies wird auch als „demokratischer“ Parlaments- bzw. Gesetzesvorbehalt terminologisch verarbeitet (Meinel, Vertrauensfrage, 2019, S. 93; Butzer, Die Verwaltung 27 [1994], 157 [166]). Reimer, Das Parlamentsgesetz als Steuerungsmittel und Kontrollmaßstab, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann /  Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 9 Rn. 24 f. verwendet hingegen nur den Begriff „Gesetzesvorbehalte“ und verdeutlicht inhaltliche Unterschiede durch besondere Wendungen wie z. B. „Finanzverfassungsrechtliche Gesetzesvorbehalte“ (Rn. 35). Zum Ganzen jüngst Knierim, Belastende Benutzungsregelungen, 2021, S. 82 ff. 1074 Dazu m. w. N. Huber, Rechtsstaat, in: Herdegen / Masing / Poscher / Gärditz, HbVerfR, 2021, § 6 Rn. 22 f.

V. Parlamentsvorbehalt und funktionale Selbstverwaltung  

225

Da mit dem IHKG bereits seit 1956 ein Gesetzeskorsett vorliegt, tritt für die IHK nicht die Frage nach dem „Ob“ einer gesetzlichen Regelung, sondern nach dem „Wie“ der verfassungsrechtlich gebotenen Regelungsdichte auf den Plan. Aber auch hierfür erlangt der Parlamentsvorbehalt Dringlichkeit. Der Grundsatz streitet nicht nur dafür, dass der Gesetzgeber eine Sozial- oder Rechtsfrage überhaupt regelt, sondern er gebietet auch, dass das Parlament über grundlegende und „wesentliche Entscheidungen“1075 für das Gemeinwesen selbst befindet und die Regelungsoption nicht auf die Verwaltung delegiert.1076 Der Parlamentsvorbehalt enthält damit ein Delegationsverbot.1077 Es ist an die Adresse der Legislative formuliert und führt zur Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Parlamentsgesetzes. Der Parlamentsvorbehalt lässt sich damit aufspalten in eine „Kompetenzzuweisung“ einerseits und eine „Regelungsdichteanweisung“ andererseits.1078 2. Regelungspflichten des Parlaments und Satzungsautonomie im Zwiespalt Für Organisationen mit dem Recht zur Selbstverwaltung tritt die Satzungsautonomie1079 als beachtenswerte Besonderheit hinzu. Wird den Körperschaften die Ermächtigung zur untergesetzlichen Rechtsetzung übertragen, muss einstweilen

1075

BVerfG, Urt. v. 24. Mai 2006 – 2 BvR 669/04 –, BVerfGE 116, 24 (58). Grzeszick, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Stand: 95. EL Juli 2021, Art. 20 VI Rn. 75. 1077 Die Begriffsbildung folgt Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 133 ff., 135. Treffend auch Ossenbühl, Grundlagen und Reichweite des parlamentarischen Organisationsvorbehaltes, in: Ruffert (Hg.), FS Schröder, 2003, 11 (14): „Regelungsmonopol“. 1078 Reimer, Das Parlamentsgesetz als Steuerungsmittel und Kontrollmaßstab, in: HoffmannRiem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 9 Rn. 47  – Hervorh. i. O. In diesem Sinne auch Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: Isensee /  Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 101 Rn. 53. 1079 Der Begriff „Satzungsautonomie“ stellt in Anbetracht eines strengen staats- und verwaltungsrechtlichen Verständnisses einen Pleonasmus dar. Danach wird bereits unter dem Wortbestandteil „Autonomie“ die auf gesetzlicher Ermächtigung beruhende Befugnis von organisatorisch verselbstständigten Hoheitsträgern zur Setzung objektiven Rechts in Form von Satzungen verstanden (in diesem Sinne Ellerbrook, Die öffentlich-rechtliche Satzung, 2020, S. 119 ff.; Kirste, Theorie der Körperschaft des öffentlichen Rechts, 2017, S. 493; Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 293; Papenfuß, Die personellen Grenzen der Autonomie öffentlich-rechtlicher Körperschaften, 1991, S. 23 f.; v. Stein, Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts, hrsgg. v. U. Schliesky, 2010, S. 27; Starck, AöR 92 [1967], 449 [449, 457]). Indes ist dieses Verständnis zu eng, da „Autonomie“ auch jenseits der Selbstverwaltungsidee existiert. Art. 9 Abs. 3 GG garantiert etwa die Tarifautonomie. Der Autonomieterminus umfasst jede Form von Regulierung, die nicht unmittelbar auf das demokratisch gewählte Parlament und der von ihm bestimmten Regierung und Verwaltung zurückzuführen ist (Engel, Freiheit und Autonomie, in: Merten / Papier [Hg.], HGR, Band 2, 2006, § 33 Rn. 8). Mindestens für den in Rede stehenden Bezugsrahmen wird der Terminus „Satzungsautonomie“, der auch beim BVerfG und in der Literatur Verwendung findet (s. BVerfG, Beschl. v. 9. Mai 1972 – 1 BvR 518/62, 308/64 –, BVerfGE 33, 125 [156] einerseits u. Ossenbühl, Satzung, in: 1076

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nicht befürchtet werden, dass alle wesentlichen Fragen vollkommen ungeregelt bleiben. Vielmehr steht zu erwarten, dass die Regelungslücken auf irgendeine Art und Weise ausgefüllt werden. Dies gilt zumindest dann, wenn das satzunggebende Organ die Regelungsbedürftigkeit identifiziert. Sieht man den Sinn und Zweck des Selbstverwaltungsprinzips darin, dass die von einer Sache besonders Betroffenen zugleich über den weitreichendsten Sachverstand in der Erledigung der überantworteten Aufgabe verfügen, spricht sogar Einiges für die Annahme, dass alle regelungsbedürftigen Gegenstände erkannt und der Verwaltungseinheit ein weitgehendes Maß an Satzungsautonomie zugestanden werden kann. Neben der damit angesprochenen Sachnähe und Erwägungen über eine Verringerung des „Abstand[s] zwischen Normgeber und Normadressat“1080, lässt sich dieser Gesichtspunkt auch auf das Argument des Informationsvorsprungs gründen. Die Adressaten empfinden den Eingriff des Gesetzgebers oft als unangenehm, da sie in Folge des regulatorischen Akts eingetretene Pfade verlassen müssen oder sich zusätzlichen Kosten oder Hindernissen ausgesetzt sehen. Es besteht daher ein erheblicher Anreiz, dem Staat relevante Informationen dauerhaft vorzuenthalten oder ihn gezielt mit Falschinformationen zu versorgen, um den Zugriff von außen zu torpedieren.1081 Anzunehmen ist zudem, dass die Betroffenen eine leichtere, direktere und – wohl auch – bessere Verarbeitung professionellen und lokalen Wissens gegenüber den Entscheidungsträgern im Parlament leisten können.1082 Dass das Zugeständnis der Selbstgesetzgebung einen Entdeckungs- bzw. Regulierungswettbewerb um die beste Lösung für ein soziales Problem entfachen könnte, erscheint ebenfalls plausibel.1083 An die Regelungspflicht des Parlaments in dem hier vorliegenden Dreiecks­ verhältnis, bestehend aus Staat, Körperschaft und den organisationsunterworfenen Mitgliedern, hat das BVerfG insbesondere in der „Facharzt“-Entscheidung aus dem Jahre 1977 erinnert. „[A]uch im Rahmen einer an sich zulässigen Autonomiegewährung [bleibt] der Grundsatz bestehen, daß der Gesetzgeber sich seiner Rechtsetzungsbefugnis nicht völlig entäußern und seinen Einfluß auf den Inhalt der von den körperschaftlichen Organen zu erlassenden Normen nicht gänzlich preisgeben darf. […] [I]n einem Staatswesen, in dem das Volk die Staatsgewalt am unmittelbarsten durch das von ihm gewählte Parlament ausübt, [ist] vor allem

Isensee / Kirchhof [Hg.], HbdStR, Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 105 Rn. 28 andererseits), für zielführend erachtet, weil für den Gegenstand der Selbstgesetzgebung ermittelt werden soll, wie weit die Autonomie tatsächlich reicht. 1080 BVerfG, Beschl. v. 9. Mai 1972  – 1 BvR 518/62, 308/64  –, BVerfGE 33, 125 (157). Gleichgerichtet Starck, AöR 92 (1967), 449 (452). 1081 Engel, Freiheit und Autonomie, 2003, S. 10 f. 1082 Zu den damit artikulierten „charakteristischen Stärken“ des Selbstverwaltungsprinzips Engel, Freiheit und Autonomie, in: Merten / Papier (Hg.), HGR, Band 2, 2006, § 33 Rn. 24 ff.; Butzer, Die Verwaltung 27 (1994), 157 (165). 1083 Engel, Freiheit und Autonomie, 2003, S. 13 f.

V. Parlamentsvorbehalt und funktionale Selbstverwaltung  

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dieses Parlament dazu berufen, im öffentlichen Willensbildungsprozeß unter Abwägung der verschiedenen, unter Umständen widerstreitenden Interessen über die von der Verfassung offengelassenen Fragen des Zusammenlebens zu entscheiden. Der Staat erfüllt hier durch seine gesetzgebende Gewalt die Aufgabe, Hüter des Gemeinwohls gegenüber Gruppeninteressen zu sein.“1084 Indes erkannte das Gericht auch die Problematik, die aus einer Überbetonung des Parlamentsvorbehalts erwächst und erinnerte daran, das zutreffende Maß gesetzlicher Steuerung zu finden. Denn „[a]ndererseits würden die Prinzipien der Selbstverwaltung und der Autonomie […] nicht ernst genug genommen, wenn der Selbstgesetzgebung autonomer Körperschaften so starke Fesseln angelegt würden, daß ihr Grundgedanke, die in den gesellschaftlichen Gruppen lebendigen Kräfte in eigener Verantwortung zur Ordnung der sie besonders berührenden Angelegenheiten heranzuziehen und ihren Sachverstand für die Findung „richtigen“ Rechts zu nutzen, nicht genügenden Spielraum fände.“1085 Für den in Rede stehenden Selbstverwaltungsbereich wird in Betracht zu ziehen sein, dass der Gesetzgeber die Satzungsautonomie der IHK anerkannt (§ 4 S. 1 IHKG) und der Vollversammlung zugeordnet hat (§ 4 S. 2 Nr. 1 IHKG). Dasselbe gilt im Hinblick auf das Wahlrecht zur Vollversammlung. § 5 Abs. 4 S. 1 IHKG berechtigt und verpflichtet die IHK dazu, im Wege einer Wahlordnung über die Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts, die Durchführung der Wahl sowie die Dauer und vorzeitige Beendigung der Mitgliedschaft zu der Vertreterversammlung zu entscheiden. Möchte die Vollversammlung diese Regelungsoption ausfüllen, hat sie allenfalls flüchtige Vorgaben zwingenden Charakters zu beachten (s. § 5 Abs. 4 S. 2 IHKG), womit auch für diesen Themenbereich ein weitreichendes Zutrauen des Parlaments in die Fähigkeit zur sachgemäßen Ausfüllung zu beobachten ist. Mit Rücksicht auf den Parlamentsvorbehalt muss nunmehr entschieden werden, wie die Rechtsetzungskompetenz zwischen Parlament und Körperschaft abzugrenzen ist. Ferner ist darüber zu befinden, ob die im IHK-Recht vorgefundene Aufteilung der Rechtsetzungsfunktion diesem Maßstab entspricht. Denn auch wenn ein weiterer Akteur hinzutritt, bleibt die Forderung des Parlamentsvorbehalts unumstößlich, nach der das Parlament seiner vornehmsten Aufgabe – der Gesetzgebung – für alle wesentlichen Fragen gerecht werden muss. 3. Was ist wesentlich für die funktionale Selbstverwaltung? Für die Beantwortung der Frage, wie das Wesentlichkeitskriterium anzuwenden ist, bestehen keine klaren, berechenbaren, handhabbaren und allgemein anerkannten Maßstäbe. Auch die vom BVerfG erdachte „Theorie“, nach der im „grund 1084 1085

BVerfG, Beschl. v. 9. Mai 1972 – 1 BvR 518/62, 308/64 –, BVerfGE 33, 125 (158 f.). BVerfG, Beschl. v. 9. Mai 1972 – 1 BvR 518/62, 308/64 –, BVerfGE 33, 125 (159).

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D. Analyserahmen  

rechtsrelevanten Bereich“ diejenigen Entscheidungen als wesentlich eingeschätzt werden könnten, die „wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte“ seien,1086 hilft nicht einmal in ihren Ansätzen weiter.1087 Es nimmt daher kein wunder, wenn ­Michael Kloepfer zu der Konklusion kommt, dass es sich bei diesem Verfassungsgedanken um eine „theoretisierende Bemäntelung freier richterlicher Dezision“ handele und wesentlich das sei, was das Bundesverfassungsgericht dafür erachte.1088 a) Indikatoren zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts Zur Erhellung der entscheidungserheblichen Kriterien trägt aber eine Studie bei, die die Reichweite legislativer Regelungskompetenz insbesondere im Schulrecht untersucht hat. Für die Aktivierung des Parlamentsvorbehalts im Hinblick auf eine Regelungsmaterie sollen danach Faktoren wie die Grundrechtsrelevanz,1089 die Größe des Adressatenkreises,1090 die politische Wichtigkeit oder Kontroversität der Thematik,1091 die Annahme von langfristigen Festlegungen bzw. Leitentscheidungen mit determinierender Wirkung,1092 gravierende finanzielle Auswirkungen1093 und die Konkretisierung offenen Verfassungsrechts1094 sprechen. Indikatoren 1086 BVerfG, Beschl. v. 21. Dezember 1977 – 1 BvL 1/75, 1 BvR 147/75 –, BVerfGE 47, 46 (79). Ähnlich für die Entscheidung über die Vergabe (knapper) Studienplätze BVerfG, Urt. v. 19. Dezember 2017 – 1 BvL 3/14 –, BVerfGE 147, 253 (Rn. 116). 1087 Dies ist der Grund, warum von einer „Theorie“ mit Anführungszeichen gesprochen wird. S. auch Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 101 Rn. 52, der von dem „Wesentlichkeitsgedanke[n]“ spricht. 1088 Kloepfer, JZ 1984, 685 (692). Für einen Abschied von der Wesentlichkeitstheorie Reimer, Das Parlamentsgesetz als Steuerungsmittel und Kontrollmaßstab, in: Hoffmann-Riem / SchmidtAßmann / Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 9 Rn. 57–60. 1089 Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 239 ff. Der Autor hat Entscheidungen im Blick, die die „Lösung von Grundrechtskollisionen“ (S. 243 f.), den „Minderheitenschutz“ (S. 246) oder die „Strukturierung ganzer Lebensbereiche“ (S. 247) betreffen. Er nimmt an, dass das „aufwendigere und gründlichere“ parlamentarische Gesetzgebungsverfahren eine „größere Grundrechtsadäquanz der Regelung“ bewirke (S. 239). 1090 Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 251 meint, dass die Größe des von den Bestimmungen erfassten Adressatenkreises und die Annahme über eine Vielzahl potenzieller Anwendungsfälle die Wichtigkeit einer Regelung indiziere. 1091 Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 247 ff. erwägt, dass Themen, die in den unterschiedlichen politischen Lagern kontrovers behandelt würden, die Inte­ grationsleistung des Parlaments in besonderer Weise herausforderten. Die Annahme, nach der wichtige politische Entscheidungen vom Parlament entschieden werden müssten, entnimmt der Autor dem Rechtsgedanken des Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG (S. 248). 1092 Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 252 bzw. 257 f. meint, dass Fragen, die Folgewirkungen für eine unbekannte Vielzahl von weiteren Sachbereichen haben und auch von einem neu konstituierten Bundes- oder Landtag nicht mehr revidiert werden können, vom Parlament entschieden werden müssten. 1093 Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 252 erinnert an den Rechtsgedanken von Art. 110 GG. 1094 Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 260 f. erörtert etwa (S. 260 m. Fn. 115) eine konkretisierende Gesetzgebung in Ausfüllung des Regelungsvorbehalts in Art. 14 Ab. 1 S. 2 GG.

V. Parlamentsvorbehalt und funktionale Selbstverwaltung  

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für die Annahme von Themen, die eine Delegation der Rechtsetzungsbefugnis erforderten, würden sich demgegenüber durch die Notwendigkeit flexibler und anpassungsfähiger Regelungen,1095 die Feststellung entwicklungsoffener Sachverhalte,1096 das Vorliegen von Materien mangelnder Kontroversität, Wichtigkeit und Grundrechtsrelevanz,1097 das Bedürfnis nach dezentralen Lösungen1098 und den fehlenden Sachverstand bzw. die Erschöpfung der Leistungskapazität des Parlaments1099 ergeben. b) Auffassungen über die zutreffende Verteilung der Rechtsetzungsbefugnis Winfried Kluth hat diese Kriterien angewendet, um die Reichweite des Parlamentsvorbehalts im Hinblick auf die Verwaltungseinheiten der funktionalen Selbstverwaltung konkret zu bestimmen.1100 Die parlamentarische Ermächtigung könne sich danach auf „die  – hinreichend bestimmte  – Umschreibung des Regelungsthemas beschränken“.1101 Darauf aufbauend wird eine Kassations-, Korrektur- und Modifikationsbefugnis der Legislative postuliert. Dem Parlament sei demzufolge der regulatorische Eingriff gestattet, sobald es den Eindruck gewinne, dass die Interessen der Allgemeinheit bei den Rechtsetzungsaktivitäten in Wahrnehmung der Satzungsautonomie nur ungenügende Berücksichtigung fänden.1102 Selbst zur Auflösung von Grundrechtskollisionen unter den Mitgliedern oder Gruppen von

1095 Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 262 f. verweist auf die Schwerfälligkeit, Beteiligungsintensität und Umständlichkeit als Eigenheiten des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens. Die davon entbundene Normsetzung im untergesetzlichen Verfahren stelle ein „flexibles Instrument zur Fortschreibung gesetzlicher Grundlagenentscheidungen“ (S. 263) dar. 1096 Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 264 f. betont, dass die Normsetzung von Seiten der Exekutive für Materien in „Grenzbereichen von Recht und Technik“ (S. 264) im Vorteil sei. 1097 Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 266 f. vermittelt, dass das Parlament von der Rechtsetzung über unwesentliche Themen entlastet werden müsse, damit es die wesentlichen Fragen regeln könne. 1098 Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 269 ff. erinnert daran, dass dem Parlament als Ort zentraler Lösungen nicht auferlegt werden solle, über regionale Besonderheiten zu verhandeln, die in Ausfüllung untergesetzlicher Verfahren eine optimale Berücksichtigung finden könnten. 1099 Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 276 f. Hiermit stehen Erwägungen über die „Technizität des Regelungsgegenstandes“ im Zusammenhang, über die Staupe auf S. 277 f. näher berichtet. 1100 Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 491 ff. 1101 Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 503. Anders ders., Kammerrecht als Rechtsgebiet, in: ders. (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 1 Rn. 30 f. u. Rn. 57 f. S. dagegen wiederum ders., Einzelfragen der inneren Verfassung der Träger funktionaler Selbstverwaltung, in: Wolff / Bachof / Stober / ders., Verwaltungsrecht II, 7.  Aufl. 2010, § 100 Rn.  2. 1102 Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 503 f.

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ihnen sollen die Organe der funktionalen Selbstverwaltung „besonders befähigt“ sein, weshalb der Autor auch in diesem Bezugsrahmen für die „Einräumung eines weiten Regelungsspielraums“ plädiert.1103 Diese Auffassung wird in negativer Wendung begründet. Danach wäre für den Fall einer breiten Raumnahme des Parlamentsvorbehalts eine „Paradoxie“ festzustellen, in der die „ureigensten eigenen Angelegenheiten“ der Selbstverwaltung entzogen würden, während unter Berufung auf die Satzungsautonomie nur noch technische und ähnlich marginale Regelungen vereinbart werden könnten. Für den Erlass derartiger Regelungen könne die Eigenständigkeit der Organisationsform aber „nicht überzeugend“ begründet werden.1104 Ohnehin sei die Durchsetzung der parlamentarischen Regelungsverantwortung nur bei „empirisch belegten konkreten Gefahrenlagen“ zu verlangen.1105 Die Rechtsetzung in der verselbstständigten Verwaltungseinheit sei auch „in geringerem Maße der Fremdbestimmung durch andere Gruppen- oder Allgemeininteressen ausgesetzt“. Ihre Regelungen ermöglichten, dass das Selbstverständnis der Grundrechtsträger „unmittelbarer“ zur Geltung komme. Da zu den „dynamischen Maximen der grundrechtlichen Freiheitsgewährleistung“ der Gedanke zähle, dem Selbstverständnis der Grundrechtsträger den Vorrang vor staatlicher Ausgestaltung einzuräumen, bestehe ein „Interpretations- und Ausgestaltungsvorrang“ der funktionalen Selbstverwaltung, der ihre Regelungszuständigkeit sogar im grundrechtsintensiven Bereich weit­ reichend legitimiere.1106 Andere Stimmen nehmen unter Verweis auf vor allem rechtspolitische Erwägungen einen weitergehenden Standpunkt über die Reichweite des Selbstgesetzgebungsrechts der IHK ein. Danach soll es der „tradierten“ Auffassung von Selbstverwaltung entsprechen, wenn die Ausführung der Vorschriften des IHKG und die Regelung der internen Rechtsverhältnisse im Wege des Satzungsrechts erfolgen.1107 Der Autor hebt bei anderer Gelegenheit anerkennend hervor, dass selbst die Satzungen „mit relativ wenigen Verfahrensvorschriften“ auskämen, weil man sich in den IHK-Bezirken „nach dem inzwischen weitgehend gefestigten parlamentarischen Brauch“ richte.1108 In einem weiteren Beitrag wird unter der aussagekräftigen Überschrift „Selbstverwaltung ernst genommen“ ein gleichgerichteter Gedanke verfolgt. Der Verfasser spricht allerdings nicht mehr von einer tradierten, sondern von einer „moderne[n]“ Auffassung von Selbstverwaltung. Dieser werde entsprochen, wenn möglichst viele Gegenstände durch Satzung geregelt würden.1109 Ein noch zu

1103 Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 504. Dagegen tendenziell Papenfuß, Die personellen Grenzen der Autonomie öffentlich-rechtlicher Körperschaften, 1991, S. 205 ff. 1104 Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 503 – Hervorh. i. O. 1105 Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 501. 1106 Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 502. 1107 Rickert, WiVerw 2004, 153 (170). 1108 Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 4 Rn. 26. 1109 Rickert, GewArch 2004, 369 – Hervorh. n. h.

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erörterndes Urteil des BVerwG, das Ausgestaltungsspielräume für die Satzungsautonomie der IHK betont,1110 will der Autor als „Stärkung der Selbstverwaltung“ und Bestätigung der „Rechtssetzungskompetenz der IHK“ verstanden wissen. Die vom Bundesgericht getroffene Entscheidung interpretiert er demgemäß, dass der Willensbildungsprozess, dessen Ausgestaltung und auch die Abwägung zwischen der Arbeitsfähigkeit von Kollegialorganen und Ausprägungen des Minderheitenschutzes „in die Kompetenz des Satzungsgebers“ gehöre. Das Gericht trage mit dem Judikat dem „Grundgedanken der funktionalen Selbstverwaltung Rechnung, wonach in einem definierten Bereich die Sachnähe der sich selbstverwaltenden Betroffenen einer Regelung „von außen“ vorgezogen“ werde.1111 Als Fazit der Entscheidung sei „festzustellen, dass es in der Kompetenz der IHK selbst lieg[e], wie stark sie das Innenverhältnis sowie die Rechte einzelner Mitglieder ihrer Organe und […] die Rechte ihrer Mitglieder“ ausgestalte.1112 c) Kritik Die von Kluth erdachte Trennlinie zwischen dem Regelungsmonopol des Parlaments und der Satzungsautonomie im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung bietet eine günstige Gelegenheit, die Schwäche der zuvor unterbreiteten Indikatoren aufzuzeigen. So sehr den Begründungen, die zu den einzelnen Faktoren ergangen sind, Folge geleistet werden kann, so sehr die Erläuterungen über die Vorzüge untergesetzlicher Normgebung Unterstützung verdienen, so bedeutet doch die Vielzahl der aneinandergereihten Kriterien zugleich die Einbruchstelle des Gedankengebäudes. Die Fülle an Indikatoren, die für eine Zugriffspflicht der Legislative oder für die Delegierbarkeit der Rechtsetzungsbefugnis streiten, provoziert die unbeantwortet gebliebene Streitfrage nach der relativen Wertigkeit.1113 Die Problematik der Auffassung folgt damit der allgemeinen Wirkungsweise von Indizien und der Befürchtung, dass für nahezu alle Regelungsthemen zumindest ein Gesichtspunkt auf beiden Seiten der Waage einschlägig sein wird. Dies erzeugt die Notwendigkeit, den Indikatoren abweichende Bedeutungsgehalte zuzumessen. Damit entsteht ein Einfallstor für rechtspolitische Wunschvorstellungen. Die Feststellungen lassen sich als zwangsläufiges Ergebnis rechtswissenschaftlicher Methodik präsentieren, aber sind nicht mehr als ein (un-)bewusstes Diktat, das sich aus dem Vorverständnis des Betrachters speist.

1110

Dazu näher unter E. VI. 6. a). Zitate bei Rickert, GewArch 2004, 369. In diesem Sinne auch Rieger, Beitrags- und wahlrechtliche Aspekte, in: Kluth (Hg.), Die IHK-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, 2018, 81 (105). 1112 Rickert, GewArch 2004, 369 (370). 1113 In diesem Sinne auch Reimer, Das Parlamentsgesetz als Steuerungsmittel und Kontrollmaßstab, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 9 Rn. 48. 1111

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D. Analyserahmen  

Überdies bleiben mit den Maßgaben, die im Handbuch des Kammerrechts zur Vertretung gelangen, jüngere Erwägungen des BVerfG vollkommen unberücksichtigt. In einem Beschluss, der die Verfassungsmäßigkeit der Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen an Notarkassen betraf, erinnerte das Gericht mit Nachdruck daran, dass die Einrichtung funktionaler Selbstverwaltung und die Überlassung von Aufgaben an die öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Anstalten nicht dazu führen dürfe, dass sich der Gesetzgeber seiner Regelungsverantwortung entäußere und sie den Verwaltungsträgern „zur völlig freien Verfügung“ überlasse.1114 In einer bestimmteren Ausdrucksweise heißt es sodann, dass im Fall der Entscheidung des Gesetzgebers für eine Organisationsform der Selbstverwaltung zugleich „institutionelle Vorkehrungen zur Wahrung der Interessen der von ihr erfassten Personen“ zu treffen seien. „Organisation und Verfahren müssen Gewähr dafür bieten, dass die verfolgten öffentlichen Aufgaben innerhalb der Anstalt für diejenigen, die der Satzungsgewalt unterworfen sind, unter Berücksichtigung ihrer Interessen angemessen wahrgenommen werden.“1115 Danach müssten im Gesetz die Bildung der Organe, ihre Aufgaben und Handlungsbefugnisse „in ihren Grundstrukturen […] ausreichend bestimmt sein“. Mittels gesetzlicher Vorgaben für das Verfahren der autonomen Entscheidungsfindung sei ferner eine „angemessene Partizipation der Berufsangehörigen an der Willensbildung“ zu gewährleisten. Auch sei vorzusehen, dass die Organe „nach demokratischen Grundsätzen“ gebildet werden.1116 Zudem müssten „institutionelle Vorkehrungen“ bestehen, damit in der Entscheidungsfindung „nicht einzelne Interessen bevorzugt“ würden.1117 4. Eigene Erwägungen unter besonderer Berücksichtigung des IHK-Rechts In Anbetracht der Ausführungen des Verfassungsgerichts wird offenbar, dass bei den derzeit vorherrschenden Auffassungen über die Reichweite des Parlamentsvorbehalts im IHK-Recht die Satzungsautonomie eine kaum rechtfertigbare Überbetonung erfährt.

1114

BVerfG, Beschl. v. 13. Juli 2004 – 1 BvR 1298, 1299/94, 1332/95, 613/97 –, BVerfGE 111, 191 (216). 1115 BVerfG, Beschl. v. 13. Juli 2004 – 1 BvR 1298, 1299/94, 1332/95, 613/97 –, BVerfGE 111, 191 (217). 1116 BVerfG, Beschl. v. 13. Juli 2004 – 1 BvR 1298, 1299/94, 1332/95, 613/97 –, BVerfGE 111, 191 (217) unter Verweis auf Beschl. v. 5. Dezember 2002 – 2 BvL 5/98 u. 6/98 –, BVerfGE 107, 59 (93). 1117 BVerfG, Beschl. v. 13. Juli 2004 – 1 BvR 1298, 1299/94, 1332/95, 613/97 –, BVerfGE 111, 191 (217).

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a) Schutz von Minderheiten, fehlende Exit-Option und Überbetonung der Satzungsautonomie Für eine größere Raumnahme des Parlamentsvorbehalts spricht insbesondere der Minderheitenschutz. Viel stärker als bisher muss die Vorsorge für Gefahren, die dem einzelnen Mitglied aufgrund der Mächtigkeit organisierter Interessen in der Organisation erwachsen, in das Blickfeld genommen werden. Zur Erläuterung dieses Gesichtspunktes muss weiter ausgeholt werden. Am Anfang der Überlegung steht die Einsicht, dass das IHKG nur über grobe dirigistische Inhalte verfügt. Der Vollversammlung wird in ihrer Funktion als Recht gebendes Organ nahezu freie Hand bei der Ausfüllung der Spielräume gelassen. Außerdem gibt das Gesetz nicht einmal vor, welchem Mehrheitserfordernis die Beschlussfassungen der Vollversammlung unterliegen. Insofern erscheint es zunächst einmal angängig, dass mit jeder beliebigen Spielart der Mehrheitsregel bis zur Anwendung des Konsensprinzips bspw. über die Änderung der Satzung entschieden werden könnte. Nimmt man die Perspektive über die Notwendigkeit eines möglichst weitgehenden Schutzes von Minderheitsbelangen ein, könnte derzeit im ungünstigsten Falle mit der einfachen Mehrheit der Vollversammlung über die Ausgestaltung des gesamten Organisations- und Verfahrensrechts in der IHK entschieden werden. Bedenkt man zusätzlich, dass demgemäß auch über den Inhalt der Wahlordnung entschieden werden könnte, ist der Abstimmungsmehrheit der Vollversammlung auch die Entscheidung über die zukünftige Zusammensetzung ihres Organs überlassen. Weiterhin könnte die geschaffene Rechtslage abgesichert werden, indem zugleich eine Selbstbindung vorgesehen würde, nach der jede folgende Änderung von Satzung oder Wahlordnung zu ihrer Gültigkeit der Stimmen einer qualifizierten Mehrheit bedürfte. Bereits dieser Befund, mit dem im Ergebnis der Nährboden für eine Festigung und den Ausbau einmal geschaffener Mehrheitsverhältnisse für organisierte Interessen in der Selbstverwaltungseinrichtung bereitet wird, drängt dazu, das Parlament an seine Regelungspflichten mit Vehemenz zu erinnern. Immerhin kann in einer Organisation mit pflichtmitgliedschaftlicher Verfassung das einzelne Mitglied auf eine Ausgestaltung der innerorganisatorischen Rechtsbeziehungen, die zu seinen Lasten geht, nicht einmal mit dem voting by feet antworten. Darin zeigt sich, dass der Schutz von Minderheitsbelangen, insbesondere bei Körperschaften ohne Exit-Option, zu den Bedeutungsschichten des allgemeinen Gesetzesvorbehalts gehört. Er streitet dafür, das Regelungsmonopol des Gesetzgebers weiträumig auszudeuten.1118 Man könnte nunmehr der Auffassung sein, dass die Befriedigung des Parlamentsvorbehalts für das Verfahrens- und Organisationsrecht der IHK bereits 1118 In diesem Sinne auch BVerfG, Beschl. v. 13. Juli 2004 – 1 BvR 1298, 1299/94, 1332/95, 613/97 –, BVerfGE 111, 191 (218). S. ferner BVerfG, Beschl. v. 9. Mai 1972 – 1 BvR 518/62, 308/64 –, BVerfGE 33, 125 (160).

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gelänge, wenn die Entscheidung in zentralen Themen dem Maßstab qualifizierter Mehrheit unterworfen würde.1119 Doch muss dieses Verständnis bei Weitem als unzureichend zurückgewiesen werden. Immerhin wird damit unterschlagen, dass qualifizierte Mehrheitserfordernisse ihre minderheitsschützende Funktion erst entfalten können, wenn ein Rechtszustand besteht, in dem die Interessen der Minderheit durch entsprechende Garantien ausreichend berücksichtigt werden. Ist dies nicht der Fall, wird mit dem Entscheidungsmodus qualifizierter Mehrheiten lediglich ein Rechtszustand perpetuiert. Die Etablierung dieser Entscheidungsregel wirkt sogar zu Lasten des Schutzes von Minderheitsbelangen, weil eine Rechtsänderung erst bewirkt werden kann, wenn die Mitglieder mehr Stimmen für ihr Ansinnen überzeugt haben. Unbedingt muss erkannt werden, dass die Forderung nach einem Votum mit qualifizierter Mehrheit ganz vordergründig in der Gewährleistung eines erhöhten Bestandsschutzes für den Status Quo des Rechts besteht.1120 Außerdem würde mit dieser Auffassung unberücksichtigt gelassen, dass das geltende Recht eine asymmetrische Ausgestaltung der Interorganbeziehung in der IHK nicht verhüten kann. Verzichtet der Gesetzgeber auf dirigistische Einwirkungen, kann die Vollversammlung das innerorganisatorische Gleichgewicht etwa nachhaltig zu Lasten der anderen ehrenamtlich besetzten Organe ausgestalten. Das damit einhergehende Konfliktpotenzial spricht dafür, dass der Gesetzgeber als organisationsexterne Instanz zum prinzipiellen Akteur der Rechtsetzung aufsteigen muss. Wenn im weiteren Verlauf der Studie unter Ansicht des geltenden IHK-Rechts eine Selbstentmächtigung der Vollversammlung festgestellt wird,1121 spricht dies für und nicht gegen die Richtigkeit der Schlussfolgerung. Denn selbstredend kann das Interorganverhältnis auch dysfunktional ausgestaltet sein, wenn die Vollversammlung als eigentliches Haupt- und Repräsentativorgan in übermäßiger Ergebenheit nahezu alle delegationsfähigen Kompetenzen an nachgeordnete Organe überträgt und in der Folgezeit nur noch ein Schattendasein fristet. b) Füllung der Leerstellen mit Mustertexten als Rechtsproblem – Ankereffekt und Framing Das dem Industrie- und Handelskammerwesen zugeneigte Schrifttum gründet den großflächigen Regelungsanspruch der Selbstverwaltungseinheit nicht nur auf ein Zutrauen in die Sachnähe der Betroffenen. Man meint auch, dass der Inhalt der parlamentarischen Regelung einer Fremdbestimmung durch andere Gruppen- oder 1119 So wohl Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 504; ders., Verfassungsrechtliche und europarechtliche Grundlagen des Kammerrechts, in: ders. (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 5 Rn. 176. 1120 Magsaam, Mehrheit entscheidet, 2014, S. 81 f.; Möllers, Demokratie, in: Herdegen /  Masing / Poscher / Gärditz, HbVerfR, 2021, § 5 Rn.  44. 1121 Zu diesem Befund näher unter E. V. 3. d).

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Allgemeininteressen im verstärkten Maß ausgesetzt wäre. Dem steht jedoch die Rechtswirklichkeit entgegen. Diese Studie nimmt sich zum Ziel, den Wortlaut und Inhalt von Satzungen und Wahlordnungen aller Kammern rechtsvergleichend zu betrachten. Der Vergleich vermag zu belegen, dass bei genauerem Hinsehen an die Stelle des Parlaments nicht die Vollversammlung als Haupt- und Repräsentativorgan der IHK tritt.1122 Es kann gerade nicht beobachtet werden, dass in den 79 IHK-Bezirken Satzungen mit einem jeweils eigenen Inhalt entstehen, der passgenau an der Konstitution der jeweiligen Kammer oder den Bedürfnissen des Ehrenamts vor Ort ausgerichtet wäre. Vielmehr hat sich der DIHK die Ausfüllung der Regelungsoptionen zur Aufgabe gemacht. Die Dachvereinigung empfiehlt im generösen Stil Mustersatzungen und -wahlordnungen zur Adaption.1123 Da ihr Inhalt durch die Vollversammlungen bereitwillig etabliert wird, ist Uniformität anstelle von Individualität zu beobachten. Zuzugeben ist, dass jede untergesetzliche Norm und jede Änderung erst Gültigkeit erlangt, nachdem die Vollversammlung durch Beschluss unter Voraussetzung des erforderlichen Stimmenanteils den Anwendungsbefehl erteilt hat. Bei einer gänzlich formalen Sichtweise werden die Inhalte der Mustertexte dadurch in eine Entscheidung transformiert, die in Wahrnehmung der Satzungsautonomie erfolgt. Es ließe sich die Legende erzählen, nach der die Vollversammlung mit dem Beschluss auch mitteilt, dass der beschlossene Satzungsinhalt den Besonderheiten der Kammer am ehesten gerecht wird. Auf die Muster des DIHK habe man lediglich zurückgegriffen, weil der in der Dachvereinigung versammelte (juristische) Sachverstand die Ausformulierung des Regelwerks bestmöglich besorgt. Überzeugend wäre eine derartige Argumentation indes nicht. Denn mit ihr würden robuste verhaltenswissenschaftliche Einsichten über die Bildung von Präferenzen in Entscheidungskontexten – die Verhaltensökonomik spricht von Phänomenen beschränkter Rationalität –1124 nur ungenügende Berücksichtigung erfahren. Zwar ist Vorsicht geboten, wenn die (überwiegend) mit experimentellen Methoden unter 1122

S. zu diesem Befund auch Irriger, Genossenschaftliche Elemente bei öffentlich-recht­ lichen Körperschaften, 1991, S. 196 ff. u. Günther, in: v. Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 86. EL Februar 2021, § 4 IHKG Rn. 54 ff., die in ihrer Auseinandersetzung mit dem Verfahrensrecht der Vollversammlung oftmals ausschließlich den Inhalt der Mustersatzung des DIHK erläutern. Kluth, Die Verwaltung 35 (2002), 349 (364) spricht von einem faktischen Einfluss der privaten Spitzenverbände, der „etwa im Falle der Erarbeitung von Mustersatzungen doch so groß“ sei, dass ihre „direkte demokratische Legitimation durch die Mitglieder zumindest als verfassungsrechtlich wünschenswert“ erscheine. 1123 Wernicke / Rickert, WiVerw 2013, 1 (3 m. Fn. 7) berichten, dass der DIHK die Übernahme der von der „Kommission für Kammerrechtspolitik“ erdachten Mustersatzungen im Wege eines Beschlusses empfiehlt. Zu den Mitgliedern des genannten Gremiums gehören vor allem die hauptamtlich Beschäftigten Justiziare verschiedener IHK-Bezirke (Informationen entnommen aus: https://www.dihk.de/de/ueber-uns/die-gremien-des-dihk/kommission-fuerkammerrechtspolitik-6330). 1124 Englerth / Towfigh, Verhaltensökonomik, in: Towfigh / Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2. Aufl. 2017, § 8 Rn. 503 ff.

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Laborbedingungen gewonnenen Erkenntnisse in juristische Einsichten transformiert werden sollen.1125 Doch muss der aus der Kognitivpsychologie bekannt gewordene Ankereffekt1126 mit seinen verzerrenden Wirkungen für die Urteilsfindung in Rechnung gestellt werden. Der Ankereffekt beschreibt eine stabile Tendenz der Präferenzbildung im Rahmen von Entscheidungsprozessen, die sich in einer unbewussten Hinwendung zu dem vorab präsentierten Referenzpunkt – dem Anker – äußert. Der Anker wirkt selbst dann entscheidungsleitend, wenn er vollkommen willkürlich ausgewählt wurde. In dem hier interessierenden Zusammenhang1127 ist der Effekt von Relevanz, wenn den Vollversammlungsmitgliedern zu Beginn ihrer Verhandlung über den Inhalt der Satzung ein Vorschlag aus dem Hause der Dachvereinigung als „Tischvorlage“ zur Präsentation gelangt. Unabhängig von der Qualität des Vorschlags wird es schwerfallen, die nachfolgende Beratung und Entscheidung von dem Inhalt des „ersten Aufschlags“ zu lösen. Alternative Vorschläge drohen, gegenüber dem semantischen Anker ins Abseits zu geraten oder überhört zu werden. Die Debatte schweigt zu Fragen, die der federführende Vorschlag unbeachtet gelassen hat.1128

1125 Zu den damit einhergehenden Problemen Chatziathanasiou, Verfassungsstabilität, 2019, S. 3 f.; ders. / Leszczyńska, RW 2017, 314–338. 1126 Die bekannteste wissenschaftliche Bezeichnung des Ankereffektes findet sich bei Tversky /  Kahneman, Science Vol. 185 (1974), No. 4157, 1124 (1128). Die Studie beruhte auf einem Design, bei dem die Probanden nach dem Anteil afrikanischer Staaten an der Mitgliedschaft der Vereinten Nationen befragt wurden. Die Frage war jedoch erst zu beantworten, nachdem die Probanden durch das Drehen eines Glücksrades eine Zahl vermittelt bekamen. Das Glücksrad war derart manipuliert, dass es entweder bei 10 oder bei 65 stoppte. Sodann sollten die Probanden angeben, ob der Prozentanteil über oder unter dem durch das Glücksrad vermittelten Wert liegt. Im Ergebnis stellte sich heraus, dass die Beantwortung der Frage in Abhängigkeit von der durch das Glücksrad „zufällig“ vermittelten Zahl höher oder niedriger ausfiel. Die Teilnehmer, die die Zahl 10 vermittelt bekamen, schätzten den Anteil durchschnittlich auf 25 %, während diejenigen Probanden, denen vom Glücksrad die Zahl 65 präsentiert wurde, den Anteil durchschnittlich auf 45 % einschätzten. Nachfolgende Studien (Nachw. und Erläuterung bei Janssen, Das Verhältnis von ehrenamtlichem Rat und hauptamtlichem Bürgermeister, 2019, S. 43 f.) haben die Robustheit des Ankereffekts belegt. So konnte sein Auftreten nicht verhindert werden, obwohl Anreize zur richtigen Entscheidungsfindung vorlagen oder über die Wirkungsweise des Effekts aufgeklärt wurde. Auch „Experten“ unterliegen dem Ankereffekt. Dies zeigt ein bei Strafrichtern durchgeführter Versuch, bei dem im Ergebnis die Entscheidung über das Strafmaß in Abhängigkeit des Ankers (hier: der Strafantrag des Staatsanwalts) systematisch verzerrt wurde (dazu ­Englerth / Towfigh, Verhaltensökonomik, in: Towfigh / Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2. Aufl. 2017, § 8 Rn. 523). 1127 Zum Auftreten des Ankereffekts in den Beratungen des kommunalen Vertretungsorgans, die sich der Bürgermeister zunutze machen könnte, s. Janssen, Das Verhältnis von ehrenamt­ lichem Rat und hauptamtlichem Bürgermeister, 2019, S. 228. Woiki, Gesetzgebungsoutsourcing unter dem Grundgesetz, 2016, S. 57 ff. u. Wörner, Gesetzgebungsoutsourcing im verfassungstheoretischen Kontext, 2021, S. 30 ff. erschließen die Ursprünge und Grundlagen der Ankereffektforschung und bekräftigen deren Anwendbarkeit für das Problem des Gesetzgebungsoutsourcings. 1128 Krüper, JZ 2010, 655: „Verhandelt wird, so kann man salopp formulieren, was auf dem Tisch liegt.“

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Da ein „objektiver“ Ansatzpunkt für die Urteils- und Entscheidungsfindung nicht existiert, kann auch eine bestimmte Formulierung des Referenzpunktes die Bildung von Präferenzen beeinflussen und den Ablauf des Entscheidungskontextes strukturell verzerren. Dieses Phänomen beschränkter Rationalität bezeichnet die Verhaltensökonomik als „framing“. Sie beschreibt damit eine Maßnahme, die an der sprachlichen Präsentation von Informationen ansetzt und die Wahl für die attraktiver gestaltete Entscheidungsoption intendiert.1129 Wendet man sich unter diesen Annahmen dem Entscheidungsmodus der Vollversammlung zu, wird Beachtung finden müssen, wenn der Entwurf der Dachvereinigung den Organwaltern als „Expertenmeinung“ zur Durchsicht gelangt oder ihnen eröffnet wird, dass dieses Modell bereits in einer Vielzahl von Kammern „erfolgreich“ praktiziert werde (positiver frame). Ebenso ist von Relevanz, wenn ihnen unterbreitet würde, dass eine bestimmte Konzeption zu einem „Berg an Schwierigkeiten“ geführt habe oder sich erheblichen „Rechtszweifeln“ ausgesetzt sehe (negativer frame). Auch fernab der verhaltenswissenschaftlichen Einsichten fällt es schwer, die Janusköpfigkeit externen Wissens zu leugnen. „Sachverstand und Eigeninteresse“ sind „zwei Seiten einer Medaille“.1130 Der DIHK ergibt sich keinesfalls als neutraler, allein im Interesse aller Kammern arbeitender und umfassend abwägender Thinktank. Insbesondere im Hinblick auf die verwaltungspraktische Wahrnehmung der Aufgabe Interessenrepräsentanz zeigt sich, dass die ehren- und haupt 1129 Eine der bekanntesten wissenschaftlichen Studien, die das Phänomen framing belegen, findet sich bei Tversky / Kahneman, Science Vol. 211 (1981), No. 4481, 453. Die Untersuchung beruhte auf dem Asian-Disease-Szenario (erläuternd Effer-Uhe, Urteilsverzerrungen, Urteilsheuristiken, Urteilsfehler, in: ders. / Mohnert, Psychologie für Juristen, 2019, § 3 Rn. 115; ­Englerth / Towfigh, Verhaltensökonomik, in: Towfigh / Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2. Aufl. 2017, § 8 Rn. 535). Darin wurde zwei Gruppen von Probanden unterbreitet, sie müssten vor dem Hintergrund einer ausgebrochenen Seuche, die das Leben von 600 Menschen bedroht, zwischen zwei Rettungsplänen bzw. Schutzmaßnahmen auswählen. Der ersten Gruppe wurde offenbart, dass mit Plan A 200 Menschen mit Sicherheit vor dem Tod bewahrt werden könnten, während Plan B gewährleiste, dass mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/3 alle 600 Personen, mit einer Restwahrscheinlichkeit aber niemand gerettet werden könne. Der zweiten Gruppe wurde demgegenüber die Entscheidung zwischen Plan C und D eröffnet. Die Wahl von Plan C bedeutete, dass der sichere Tod von 400 Bürgern in Kauf zu nehmen wäre, während Plan D zur Folge hatte, dass mit einer Wahrscheinlichkeit von 2/3 alle 600 Menschen ihr Leben verlieren würden. Entscheidend an dem Studiendesign war die Tatsache, dass sich die Rettungspläne inhaltlich entsprachen, aber in ihrer Präsentation gegenüber den Versuchsteilnehmern abwichen. Der Unterschied zwischen den Plänen bestand allein darin, dass ihre Darstellung auf einem positiven frame bzw. auf einem negativen frame beruhte. Plan A und B stellen die Wahl als eine Möglichkeit zur Rettung von Menschen dar. Plan C und D eröffnen Entscheidungsmöglichkeiten, die den Tod voraussagten. Im Ergebnis stellte sich heraus, dass die abweichende Darstellung gravierende Konsequenzen auf die Auswahl zeitigte. Die meisten Probanden (72 %) bevorzugten Plan A gegenüber B, aber D gegenüber C (78 %). Der Vorzug wird im positiven frame der sicheren Wahl gewährt, während im negativen frame die riskantere Option präferiert wird. Dass sich der Gesetzgeber die Wirkweisen des Pähnomens bereits zu eigen gemacht hat, beschreibt Kunzendorf, Gelenkter Wille, 2021, S. 54 ff. am Beispiel der Schockwerbung auf Zigarettenpackungen. 1130 Battis, ZRP 2009, 201 (202).

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D. Analyserahmen  

amtlichen Organe des DIHK einen mächtigen Anspruch zur Ausfüllung des interessenpolitischen Mandats auf Bundesebene verfolgen. Führt man sich daneben vor Augen, dass nach dem gesetzlichen Leitbild das Gesamtinteresse der gewerblichen Wirtschaft in den Vollversammlungen auf Bezirksebene aggregiert werden muss (§ 4 S. 1 IHKG), stehen sich zwei Arbeitsweisen in dem Status weitgehender Inkompatibilität gegenüber: Der DIHK und jede sonstige Dachvereinigung ist auf eine top-down-Arbeitsweise bei geschlossener Selbstdarstellung und professioneller Zentralisierung angewiesen, um handlungsfähig zu sein. Die in den Vollversammlungen der IHK-Bezirke repräsentierten Belange gelangen hingegen nur unter Anwendung eines bottom-up-Ansatzes zur Artikulation. In der Mustersatzung des DIHK werden daher regelmäßig keine Vorschriften enthalten sein, die einen Beitrag zur gesteigerten Wirksamkeit der Vollversammlung leisten. Wird die Satzungsautonomie durch die Adaption von Mustertexten ausgefüllt, kann zwar ein Gleichlauf zwischen den IHK-Bezirken sichergestellt werden. Indes lässt sich dieser Vorgang nicht auf ein Ansinnen des Gesetzgebers gründen. Vielmehr werden dessen Zwecksetzungen, die er etwa mit § 4 S. 1 IHKG zum Ausdruck gebracht hat, durch die Hintertür auf Grundlage der Funktionsinteressen der Dachvereinigung ausgehebelt. Wenn in der Rechtswirklichkeit an die Stelle des Gesetzgebers nicht – wie angenommen, unterstellt oder behauptet wird – die Vollversammlung tritt, sondern die Dachvereinigung maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der IHK gewinnt, verlieren die auf eine größtmögliche Überantwortung von Regelungsoptionen abzielenden Erzählungen ihre ganze Überzeugungskraft. Man wird unter diesen Vorzeichen nicht daran vorbeikommen, die weitgehende Geltung des Parlamentsvorbehalts einzufordern. c) Erfordert das Selbstverwaltungsrecht der IHK eine weitreichende Delegation der Regelungsbefugnis? Zum verfassungsrechtlichen Schutz der IHK Der prinzipielle Einwand, nach dem das Selbstverwaltungsrecht eine Selbstbeschränkung des Gesetzgebers auf die Regelung der rudimentären Grundpfeiler der Verwaltungsorganisation erfordere, verfängt für die IHK ohnehin nur als rechtspolitisches Argument. Dies zeigt speziell der Vergleich zur kommunalen Selbstverwaltungsgarantie, die durch Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG verfassungsrechtlich abgesichert wird. Sie kann in ihrer speziellen Ausprägung als gemeindliche Organisationshoheit gegenüber dem Parlament als Gesichtspunkt für eine weitgehende Autonomie ins Feld geführt werden, wenn durch Vorgaben über die innere Verwaltungsorganisation auf die Abläufe und Zuständigkeiten in der Gemeinde eingewirkt werden soll.1131 Das Selbst 1131 Zur Wirkungsweise der kommunalen Organisationshoheit und der Rspr. des BVerfG ­ etersen, DVBl 2018, 1534 (1537 f.); Mehde, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Stand: 95. EL Juli P 2021, Art. 28 Abs. 2 Rn. 65–71.

V. Parlamentsvorbehalt und funktionale Selbstverwaltung  

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verwaltungsrecht der IHK wird, anders als etwa in Österreich,1132 aber nur nach Maßgabe des einfachen Gesetzes gewährleistet. Die Berufung auf Grundrechte ist der IHK verwehrt, weil die Voraussetzung wesensmäßiger Anwendbarkeit im Sinne von Art. 19 Abs. 3 GG unerfüllt bleibt.1133 Ein schwacher Bestands- und Aufgabenschutz gegen staatliche Ingerenzen kann allenfalls aus den objektiven verfassungsrechtlichen Grundsätzen gewonnen werden, die Art. 20 Abs. 3 GG beinhaltet.1134 1132 Die österreichische Verfassung, das Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), sieht einen weitreichenden Schutz für die Wirtschaftskammern als Teil der „sonstigen Selbstverwaltung“ vor. Art. 120a Abs. 1 B-VG schreibt etwa fest, dass Personen „zur selbständigen Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben, die in ihrem ausschließlichen oder überwiegenden gemeinsamen Interesse gelegen und geeignet sind, durch sie gemeinsam besorgt zu werden, durch Gesetz zu Selbstverwaltungskörpern zusammengefasst werden“ können. Nach Art. 120b Abs. 1 S. 1 B-VG haben Selbstverwaltungskörper „das Recht, ihre Aufgaben in eigener Verantwortung frei von Weisungen zu besorgen und im Rahmen der Gesetze Satzungen zu erlassen“. 1133 Der Ausschluss von der Grundrechtsberechtigung lässt sich auf zwei Argumentationsstränge stützen: Hält man das sog. Konfusions- oder Identitätsargument (dazu m. w. N. und Kritik Muckel, Wandel des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft – Folgen für Grundrechtstheorie und Grundrechtsdogmatik, VVDStRL 79 [2019], 2020, 245 [253 ff.]) für maßgebend, muss auf jene Ausführungen Bezug genommen werden, mit denen die Grundrechtsverpflichtung der IHK als Körperschaft des öffentlichen Rechts begründet wurde (dazu näher unter D. IV. 4. a)). Denn das Konfusionsargument beruht auf der Annahme, dass der Staat oder die von ihm beherrschten Organisationen nicht grundrechtsberechtigt sein können, weil sie bereits Adressat grundrechtlicher Bindungen sind. Erachtet man hingegen die Feststellung einer grundrechtstypischen Gefährdungslage bzw. den Blick auf die hinter der juristischen Person stehenden Menschen – das personale Substrat – als entscheidungserheblich (dazu m. w. N. Muckel, ebd., S. 256 ff.), gelangt man ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die IHK den Voraussetzungen von Art. 19 Abs. 3 GG nicht entspricht. Immerhin wird man nur schwerlich zu der Auffassung gelangen können, dass eine Organisation mit pflichtmitgliedschaftlicher Verfassung als Ausdruck grundrechtsspezifischer Betätigung durch die (unfreiwillig) verkammerten Mitglieder angesehen werden kann (so auch Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz, 1985, S. 119; Huber, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd.  1, 7. Aufl. 2018, Art. 19 Rn. 272). Auch die Aufgabenwahrnehmung in der IHK ist auf einen Akt staatlicher Kompetenzzuweisung zurückzuführen (darauf abstellend Schöbener, Rechtsschutz, in: Kluth [Hg.], HbKR, 3. Aufl. 2020, § 14 Rn. 14). Dagegen jedoch Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 448, der ein „spezifisches Schutzbedürfnis im Hinblick auf die Wahrnehmung der Aufgabe der Interessenvertretung“ erkennt, das eine „punktuelle Bejahung ihrer [die Träger der funktionalen Selbstverwaltung] Grundrechtsberechtigung“ trage. Für die Grundrechtsfähigkeit der IHK auch Günther, NVwZ 2022, 97 (102). S. ferner Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, 1993, S. 270, der nur die Kammern der sog. freien Berufe für grundrechtsberechtigt erachtet und sich damit dem Vorwurf argumentativer Inkonsistenz aussetzt. 1134 Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 456 f. erörtert zunächst einen „relativen Bestandsschutz“ im Sinne des Übermaßverbots, der aus den mit der Organisationsform gewährten Partizipationsrechten folge. An anderer Stelle (S. 520 ff.) konstruiert der Autor den Schutz von Trägern funktionaler Selbstverwaltung durch das rechtsstaatliche Willkürverbot. Als „schwach“ ist der Schutz aber zu bewerten, weil etwa die Verletzung des objektiven Willkürverbots nicht zur Verfassungsbeschwerde berechtigt, sondern nur vor den Fachgerichten gerügt werden kann (Kahl / Hilbert, in: Kahl / Waldhoff / Walter [Hg.], Bonner Kommentar GG, Art. 19 Abs. 3 [Stand: März 2019] Rn. 235; Brüning, in Stern / Becker [Hg.], Grundrechte-Kommentar, 3. Aufl. 2018, Art. 19 Rn. 75). Ein Sinnbild für den schwachen Schutz liefert § 12 Abs. 2 IHKG.

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D. Analyserahmen  

Ein weitreichenderer Schutz besteht vereinzelt, solange das Selbstverwaltungsrecht der IHK in den Landesverfassungen abgesichert wird.1135 Doch bindet das Landesverfassungsrecht nicht den Bund, der für Änderungen des Organisations- und Verfahrensrechts der IHK die Gesetzgebungskompetenz innehat1136 und über die folgenreichsten Einwirkungsmöglichkeiten verfügt. Die Organisationsgewalt, verstanden als die Macht eines Rechtsträgers, die Verwaltungsorganisation in allen Belangen auszuformen,1137 kommt in verfassungsrechtlicher Hinsicht zuvörderst der Legislative zu. Selbst einer vollständigen gesetzlichen Determination des Sozialbereichs stünde kein verfassungsrechtliches Argument entgegen. Horst Dreier fordert in Fortführung dieses Gedankens dort, wo die demokratischen Steuerungsverluste der Verselbstständigung nicht ihrerseits verfassungsrechtlich abgesichert seien, sogar eine „randscharfe[n] gesetzliche[n] Regelung“.1138 Der eingangs beschriebene Einwand verfügt über keine nennenswerte normative Absicherung und verliert folglich an Überzeugungskraft im juristischen Diskurs. Unter Anwendung einer organisationssoziologischen Betrachtungsweise kommt ihm aber Berechtigung zu. Immerhin erfordert die repräsentative Besetzung der Vollversammlung wettbewerbliche Wahlen und setzt damit eine ausreichende Anzahl von Bewerbern um das Mandat voraus. Damit die Bewerbung um das Ehrenamt attraktiv erscheint, müssen mit der Mitgliedschaft auch signifikante Gestaltungsmöglichkeiten einhergehen, die – abgesehen von der derzeitigen Praxis (Adaption der Mustertexte) – auch in dem Erlass eines Organisationsstatuts zu erkennen sind. In diesem Sinne streitet das Prinzip Selbstverwaltung dafür, dass bestimmte Regelungsoptionen vom Parlament unbesetzt bleiben. Allerdings darf

1135 Zum Gehalt und zur Wirkungsweise der Garantien auf Ebene der Landesverfassung, die in Fn. 970 nachgewiesen sind, s. Kluth, Verfassungsrechtliche und europarechtliche Grundlagen des Kammerrechts, in: ders. (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 5 Rn. 18–55; ders., DÖV 2005, 368 (370 ff.). 1136 Dazu näher unter B. VI. 1137 Butzer, Die Verwaltung 27 (1994), 157 (169). 1138 Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Rechtsstaat, 1991, S. 287. In diesem Sinne kann auch Grzeszick, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Stand: 95. EL Juli 2021, Art. 20 VI Rn. 123 verstanden werden, der bei der Einrichtung funktionaler Selbstverwaltungsträger „vor allem wegen deren Relevanz für die Verwirklichung der Grundrechte der Betroffenen“ eine parlamentsgesetzliche Regelung für erforderlich erachtet, „in der die Aufgaben bestimmt, institutionelle Vorkehrungen der Interessenwahrung der Betroffenen vorgenommen, Organisationen und Verfahren der Bildung festgelegt sowie die Handlungsbefugnisse der Organe geregelt werden“. Soweit ein Selbstverwaltungsbereich hingegen in der Verfassung vorgesehen sei, finde die Zuordnung zum Parlament in dieser verfassungsrechtlichen Regelung „ein argumentatives Gegengewicht, das in Richtung einer Zuordnung zur Exekutive“ wirke. Zu beachten ist aber, worauf bereits Schuppert, Grenzen und Alternativen von Steuerung durch Recht, in: Grimm (Hg.), Wachsende Staatsaufgaben – sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 1990, 217 (236) zutreffend hingewiesen hat, dass das Mandat zum weitgehenden Regelungszugriff nicht missbraucht wird und die Gestalt einer Disziplinierung von Sozialbereichen annimmt.

V. Parlamentsvorbehalt und funktionale Selbstverwaltung  

241

sich die legislative Enthaltsamkeit nicht auf die grundlegenden Fragen des Organisations- und Verfahrensrechts erstrecken, weil dem der gewichtigere Gesichtspunkt des Minderheitenschutzes entgegensteht. d) Zwischenfazit und Plädoyer für eine Wiederentdeckung des Gesetzgebers Es wurde gezeigt, dass das Grundgesetz eine gesetzliche Durchdringung der Themen Organisation und Verfahren für die IHK fordert. Unabhängig davon kann aus der verfassungsrechtlichen Perspektive nicht mit dem Anspruch allgemeingültiger Erkenntnis bestimmt werden, bei welcher Fragestellung die Grenzziehung zwischen dem Delegationsverbot und der Satzungsautonomie verläuft. Diese Studie, die auch Regelungsvorschläge unterbreiten wird, nimmt den Standpunkt ein, dass ein nicht unbedeutender Anteil der wesentlichen Themen im IHKG noch ungeregelt ist. Zumindest diejenigen Fragen, die die Gewährleistung einer gleichmäßigen Interessenwahrung unter den verkammerten Unternehmen, die Sicherstellung einer partizipativen Aufgabenwahrnehmung im Sinne der Mitglieder nach dem bottom-up-Prinzip, die Grundlegung von Verfahren zur repräsentativen Willensbildung und Entscheidungsfindung, die prinzipielle Verteilung der Organkompetenzen nach dem Maßstab der Funktionsgerechtigkeit sowie die Kontrolle gegenüber allen ehren- und hauptamtlichen Organen in Fragen der Tätigkeit und der personellen Besetzung durch Organwalter betreffen, sollten dem freien Spiel organisationsinterner Kräfte entzogen werden.1139

1139

In diesem Sinne wohl auch Groß, Kammerverfassungsrecht – Organisation und Verfahren, in: Kluth (Hg.), HbKR, 2. Aufl. 2011, § 7 Rn. 3, der zunächst „Regelungspflichten des Parlaments im Sinne organisatorischer Mindestgehalte“ sowie ein „weitgehendes Zugriffsrecht der Legislative“ betont und sodann ausführt (Rn. 4), dass es „[u]nproblematisch“ sei, wenn die Regelung von Details „wie der Zahl der Mitglieder des Haupt- oder Leistungsorgans“ dem Satzungsrecht überlassen werde. An späterer Stelle (Rn. 75) erachtet er es für wünschenswert, „wenn bei allen Kammern die grundlegenden Mitwirkungsrechte durch eine gesetzliche Vorgabe der Mehrheitsentscheidung entzogen wären“. Ähnlich ders., Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 281 f. Kluth, Kammerrecht als Rechtsgebiet, in: ders. (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 1 Rn. 31 votiert dafür, „ein einheitliches Mindestregelungsniveau anzustreben“, welches „insbesondere bei den Themenkreisen Organ und Organbildung, Wahlrecht und Wahlprüfung sowie Aufsichtsinstrumente und -verfahren zu einer Verbesserung führen“ solle. Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 259–294 stellt für die berufsständischen Kammern weitreichende parlamentarische Regelungsverpflichtungen fest. Reimer, Das Parlamentsgesetz als Steuerungsmittel und Kontrollmaßstab, in: HoffmannRiem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 9 Rn. 39 erinnert daran, dass die Qualifikation als Selbstverwaltung nicht davon dispensiere, die „Normsetzung rechtlich (und das heißt primär: gesetzlich) zu kanalisieren“. Anders, aber zu weitgehend, Hoffmann-Riem, AöR 130 (2005), 5 (58), der nur die „Grundstrukturen autonomer Aufgabenerfüllung“ festgelegt wissen und im Übrigen auf die Kraft autonomer Selbstregulierung vertrauen möchte.

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D. Analyserahmen  

Insofern wird hier eine Leitlinie eingeschlagen, nach der dem Selbstverwaltungsprinzip in der IHK am ehesten entsprochen wird, wenn der Gesetzgeber den Inhalt der Rechtsgrundlagen weitgehend determiniert, aber den Kammern ermöglicht, eine überschießende Umsetzung der Rechtsgarantien in den Satzungen vorzusehen.

VI. Vorrang des Gesetzes, Normkollisionen und Fehlerfolge bei Satzungen Es wurde bereits dargetan, dass Selbstverwaltung „Verwaltung“ im Sinne der Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG ist. Die Selbstverwaltungskörperschaften unterliegen den typischen öffentlich-rechtlichen Bindungen. Zu den rechtsstaatlich begründeten Verpflichtungen des Art. 20 Abs. 3 GG zählt auch der Vorrang des Gesetzes.1140 Nach diesem Rechtssatz kommt dem Gesetz gegenüber allen anderen, nicht in der Form eines Parlamentsgesetzes erlassenen staatlichen Rechtsnormen, der Vorrang zu. Der Vorrang des Gesetzes forciert ein Rangverhältnis und wirkt nicht nur als rechtsstaatliche Errungenschaft, sondern – rechtstechnisch – in Form einer Kollisionsregel und garantiert die Einheitlichkeit der Rechtsordnung.1141 Wenn die Selbstverwaltungseinheit ihr Selbstgesetzgebungsrecht wahrnimmt, entfaltet der Stufenbau der innerstaatlichen Rechtsordnung weitreichende Wirkungen. Das Ziel einer geschlossenen Normenhierarchie gilt für den Verwaltungsträger absolut. Jeder Widerspruch zwischen seinen Rechtsquellen und den Normen höherer Ordnung muss nach den Kollisionsregeln aufgelöst werden. Nach der Rechtsquellenhierarchie lassen sich mit dem Bundes- und Landesrecht sowie den Satzungen (autonomes Recht) drei Blöcke unterscheiden. Im Verhältnis zwischen dem Bundes- und Landesrecht einerseits und dem autonomen Recht andererseits geht das Bundes- und Landesrecht als staatliches Recht vor.1142 Im Verhältnis der Bundes- zu den Landesvorschriften gilt Art. 31 GG. Innerhalb der Blöcke stellt der Geltungsvorrang der höherstufigen Norm die entscheidende Kollisionsregel 1140

Zur Begründung aus dem Prinzip Rechtsstaat s. nur Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hg.), GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 92 m. w. N. 1141 Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 101 Rn. 2. Das Ziel der Herstellung einer einheitlichen Rechtsordnung findet seinen tieferen Grund in der Funktion von Rechtsordnungen, wozu die Schaffung von Gerechtigkeit, Rechtsfrieden und Rechtssicherheit gehört, s. ders., Gesetz und Recht  – Die Rechtsquellen, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 100 Rn. 85. 1142 Dies findet seinen Grund darin, dass die Autonomie zur Rechtsetzung nur aus dem staatlichen Recht abgeleitet wird, s. Ossenbühl, Gesetz und Recht  – Die Rechtsquellen, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 100 Rn. 92. Das Rangverhältnis von Rechtsverordnung und Satzung ist umstritten, wird aber mit dem Vorrang der Rechtsverordnung aufgelöst, weil sich die Satzungshoheit nur im Rahmen der Gesetze entfaltet, s. Heintzen, Die Verwaltung 29 (1996), 17 (31 ff., 39 f.); Ruffert, Rechtsquellen des Verwaltungsrechts, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 17 Rn. 65.

VI. Vorrang des Gesetzes, Normkollisionen und Fehlerfolge bei Satzungen  

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dar. Einstweilen verdient die folgende Rangfolge Beachtung: (1) Grundgesetz, (2) förmliche Gesetze, (3) Rechtsverordnungen.1143 Darüber hinaus wirken der Anwendungsvorrang des Unionsrechts sowie das Völkerrecht (vgl. Art. 25 S. 2 und Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG) in die vorstehende Rangordnung hinein.1144 Rechtsmethodisch unauflösbare Widersprüche, die beim Aufeinandertreffen von Normgehalten unterschiedlicher Rangordnung auftreten, führen zur Rechtswidrigkeit respektive – im Fall der Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz – zur Rechts- und Verfassungswidrigkeit der unterrangigen Norm. Da das IHKG keine Vorschriften enthält, die die Bestandskraft des Satzungsrechts auch für den Fall der Rechtswidrigkeit sichert,1145 führt die Fehlerhaftigkeit einer Norm grundsätzlich zur Unwirksamkeit und endgültigen Nichtigkeit.1146 Die Fehlerfolgenlehre für Satzungen hält aber auch die Einsicht bereit, dass die Rechtsquellen in Teilen als unwirksam erachtet werden können.1147 Ob ein Fehler isolierbar ist, d. h. der Rest der Satzung fortbestehen kann, zeigt aber erst ein genauerer Blick in die Kasuistik der Verwaltungsgerichte1148.

1143

Ossenbühl, Gesetz und Recht – Die Rechtsquellen, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 100 Rn. 93. 1144 Zur Wirkungsweise des Unionsrechts im nationalen Recht und der Bedeutung der EMRK s. nur Ruffert, Rechtsquellen des Verwaltungsrechts, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann /  Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 17 Rn. 121 ff. u. 143 ff. 1145 Zu derartigen Vorschriften s. Ellerbrook, Die öffentlich-rechtliche Satzung, 2020, S. 363 ff.; Zimmermann, JA 2018, 249 (254 f.). 1146 Es handelt sich bei dieser Fehlerfolge um das sog. Nichtigkeitsdogma. Danach tritt die Ungültigkeit ex tunc, genauer: ab dem Zeitpunkt des Entstehens der Kollisionslage, ein. Dazu Zimmermann, JA 2018, 249 (250). 1147 Ellerbrook, Die öffentlich-rechtliche Satzung, 2020, S. 361 f.; Zimmermann, JA 2018, 249 (249 f.). 1148 Nachw. zu den maßgeblichen Judikaten finden sich bei Panzer, in: Schoch / Schneider (Hg.), VwGO, Stand: 41. EL Juli 2021, § 47 Rn. 110.

E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda Zu den Organen der IHK zählen die Vollversammlung1149, das Präsidium, der Präsident und der Hauptgeschäftsführer.1150 Das Recht, das die Abläufe in den Organen und das Verhältnis zueinander steuert, wird im Folgenden untersucht. Zu Beginn steht eine Auseinandersetzung mit dem Wahlrecht zur Vollversammlung (I.), das die Repräsentationsidee vermittelt. Die sodann gewählte Abfolge – (1) Vollversammlung (dazu II.), (2) Präsident und Präsidium (dazu III.), (3) Hauptgeschäftsführer (dazu IV.) – vermag bereits aufzuzeigen, welches Organ die Schaltzentrale der IHK besetzt. Zieht man den unter D. ausgebreiteten Analyserahmen zurate, zeigt sich, dass entscheidende Bestandteile des Organisationsrechts unzulänglich oder sogar unwirksam sind. Auch der vorstehende Rechtssatz, nach dem die Vollversammlung im organisatorischen Gesamtgefüge die mächtigste Position einnimmt, findet keine Bestätigung (V.). Sind die Charakteristika der Organe bekannt, werden die Kon­ trolloptionen und Ausprägungen einer „guten“ Verwaltungsorganisation näher bezeichnet (VI.). Diese Instrumente sollen eine gleichsam rationale wie rechtmäßige Machtausübung der Organe gewährleisten und sind damit ebenfalls Bestandteile des Organisations- und Verfahrensrechts. Am Ende des Kapitels findet sich ein Vorschlag de lege ferenda (VII.), der der Zielsetzung eines optimalen Organisationsdesigns näherkommt.

I. Die Wahl zur Vollversammlung und die Repräsentationsidee in der IHK Der Philosoph und Soziologe José Ortega y Gassets bemerkte in seinem populären Essay zur Massenkultur der ausgehenden 1920er Jahre Folgendes: „Das Heil der Demokratien, von welchem Typus und Rang sie immer seien, hängt von einer

1149 Die Vollversammlung wird in den HK-Bezirken als „Plenum“ bezeichnet (s. § 4 Abs. 2 Satzung HK Bremen; § 6 Abs. 1 Satzung HK Hamburg). 1150 Im Bereich der kaufmännischen und gewerblichen Berufsbildungsaufgaben tritt der Berufsbildungsausschuss (s. §§ 77 ff. BBiG) als Organ hinzu. Ihm ist gemäß § 79 Abs. 4 S. 1 BBiG aufgegeben, die Rechtsvorschriften für die Durchführung der Berufsbildung zu beschließen. Auch den nach §§ 39 ff., 56 u. 62 BBiG gebildeten Prüfungsausschüssen kommt Organqualität zu, weil sie im Namen der IHK (Prüfungs-)Entscheidungen treffen. Dazu Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 6 Rn. 2.

I. Die Wahl zur Vollversammlung und die Repräsentationsidee in der IHK  

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geringfügigen technischen Einzelheit ab: vom Wahlrecht. Alles andere ist sekundär.“1151 Der ersten Feststellung ist für die IHK unbedingt beizutreten. Will sie als demokratisches Subsystem der Bundesrepublik wahrgenommen werden, wird zuvörderst eine Anfrage an ihr Wahlrecht gestellt. Die Beschäftigung mit dem Organisations- und Verfahrensrecht der IHK nimmt ihren Beginn bei dem Wahlrecht zur Vollversammlung. Denn dieses Organ soll die Repräsentation der Interessen1152 aller Kammermitglieder gewährleisten. Da-

1151

Ortega y Gassets, Aufstand der Massen, übersetzt v. H. Weyl, 1931, S. 173. Repräsentativ bezeichnet im rechtstechnischen Sinne zunächst einmal lediglich den Vorgang der Vertretung (Leisner, DÖV 2019, 359 [364]). Um die damit naheliegende Kategorie der privatrechtlichen Stellvertretung mit gebundenem Mandat aus dem Begriffsverständnis auszuschließen, bietet sich indes ein breiterer Zugriff auf den Terminus an. Repräsentation bedeutet danach die „vergegenwärtigende Darstellung einer als Einheit zwar betrachteten, aber nicht präsenten Personenmenge durch eine Person oder Personengruppe, die im Namen jener zu Handeln befugt ist und deren Handlungen den Repräsentierten zugerechnet“ werden (Trute, in: v. Münch / Kunig [Begr.], GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 38 Rn. 102). Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, hrsgg. von J. Winckelmann, 1. Halbband, 5. Aufl.1976, S. 171 (i. O. tw. gesperrrt) hat dies unter einer abweichenden Akzentuierung ebenso treffend formuliert: „Unter Repräsentation wird primär der […] Tatbestand verstanden: daß das Handeln bestimmter Verbandzugehöriger (Vertreter) den übrigen zugerechnet wird oder von ihnen gegen sich als „legitim“ geschehen und für sie verbindlich gelten gelassen werden soll und tatsächlich wird“. Deutsche Autoren haben den Repräsentationsbegriff zu Zeiten der Weimarer Republik in theologische Abstraktionshöhen gehoben und staatstheoretisch verunklart. Schmitt, Verfassungslehre, 3. Aufl. 1957 (1928), S. 208 meinte, dass die Vertretung bloß ökonomischer, „privater Interessen“ keiner Repräsentation zugänglich wäre. „Was nur […] privaten Interessen dient, kann wohl vertreten werden; es kann seine Agenten, Anwälte und Exponenten finden, aber es wird nicht […] repräsentiert“ (ebd., S. 210). Repräsentation sei „kein normativer Vorgang, kein Verfahren und keine Prozedur, sondern etwas Existenzielles. Repräsentieren heißt, ein unsichtbares Sein durch ein öffentlich anwesendes Sein sichtbar machen […]. Das […] setzt eine besondere Art des Seins voraus. Etwas Totes, etwas Minderwertiges oder Wertloses, etwas Niedriges, kann nicht repräsentiert werden. Ihm fehlt die gesteigerte Art Sein, die einer Heraushebung in das öffentliche Sein, einer Existenz, fähig ist“ (ebd., S. 209 f. – i. O. tw. gesperrrt). Leibholz, Das Wesen der Repräsentation und der Gestaltwandel der Demokratie im 20. Jahrhundert, 3. Aufl. 1966, S. 32 sekundierte. Speziell in der Repräsentationstheorie finden sich deutliche Anklänge zu der Idee faschistischer Herrschaftsabsicherung (s. etwa Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 10. Aufl. 2017 [1923], S. 14: „Zur Demokratie gehört also notwendig erstens Homogenität und zweitens  – nötigenfalls  – die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen.“). Dieser Repräsentationsbegriff wurde unter Geltung des Grundgesetzes nicht aufgegeben. Zu ihm ist die Begründung ergangen, dass der „Repräsentant […] eine Nation, ein Volk, den Staat“ vergegenwärtige und die Verwendung abweichender Terminologien bei privaten oder bloß ökonomischen Interessen angezeigt sei, „um die Gewichtigkeit des Begriffs [der Repräsentation] nicht zu beeinträchtigen“ (Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1984, S. 961; gleichgerichtet ­Huber, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 1958, S. 49; dagegen ausdrücklich Kaiser, Die Repräsentation organisierter Interessen, 2. Aufl. 1978 [1956], S. 308 ff., 310). Wenn der Vorgang der Repräsentation jedoch im schlichten Sinne das „Handeln für andere, anstelle anderer“ umschreiben soll (so ebenfalls Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1984, S. 961 – Hervorh. i. O.), vermag diese Begriffsverkürzung nicht einzuleuchten. 1152

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

bei wäre es zutreffender, wenn das Gesetz den Terminus Vertreterversammlung verwenden würde, weil sich die Kammermitglieder in dem Repräsentativorgan gerade nicht vollzählig versammeln.1153 Dass eine Repräsentationsidee und -technik zum Zwecke der Aufgabenwahrnehmung notwendig ist, belegt die Anzahl der registrierten Kammerzugehörigen1154. So waren 2018 in den 79 IHK-Bezirken insgesamt 5.537.764 Mitgliedsunternehmen registriert, wobei eine Kammer durchschnittlich ca. 70.100 Unternehmen als Zugehörige zählte. Die Mitgliederzahl variierte zwischen einem Minimum i. H. v. 8.241 Unternehmen (IHK Coburg) und dem Höchstwert i. H. v. 397.296 Unternehmen (IHK München). Unter diesen Vorzeichen erscheint ausgeschlossen, die IHK im Sinne einer basisdemokratischen Graswurzelbewegung zu organisieren, in der für jede Tätigkeit das Votum aller Mitglieder eingeholt werden könnte.

Gemeinhin wird der Begriff der Repräsentation unter Bezugnahme auf das Parlament und seine Mitglieder formuliert. In diesem Zusammenhang stößt man alsbald auf den formalen Begriff der Repräsentation, der beschreibt, dass „die Aktivbürgerschaft durch gewählte Vertreter mit freiem Mandat (Repräsentanten) in politischen Organen an der politischen Willensbildung zur Anschauung gelangt“ (Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2. Aufl. 1984, S. 959). Indes ist man sich darüber einig, dass für eine realisierte Demokratie mehr als ein formales, von Inhalten abstrahierendes Verständnis postuliert werden muss. Daher tritt ein materieller Repräsentationsbegriff hinzu. Er hat zum Inhalt, dass das Handeln des Repräsentativorgans so beschaffen sein muss, dass „die einzelnen und die Bürger insgesamt (das Volk) in diesem Handeln sich wiederfinden können, in ihren unterschiedlichen Auffassungen ebenso wie in dem, was sie gemeinsam für richtig halten und wollen. Dazu gehört, daß die einzelnen […] die alle gemeinsam angehenden Fragen des Zusammenlebens durch die Repräsentanten in einer Weise verhandelt und ausgetragen sehen, die ungeachtet von Meinungsverschiedenheiten und Auffassungsunterschieden eine Identifikation mit dieser Art der Behandlung und Entscheidung ermöglicht und hervorruft“ (Böckenförde, Mittelbare / repräsentative Demokratie als eigentliche Form der Demokratie – Bemerkungen zu Begriff und Verwirklichungsproblemen der Demokratie als Staats- und Regierungsform, in: Müller / Rhinow / Schmid / Wildhaber [Hg.], FS Eichenberger, 1982, 301 [319]). Auch Scheuner, Politische Repräsentation und Interessenvertretung, in: Steinberg (Hg.), Staat und Verbände, 1985, 143 (152) ist zuzustimmen, wenn er befindet, dass eine Handlungszurechnung zum Ganzen voraussetzt, dass sich die Repräsentanten in „enger rechtlicher wie tatsächlicher Verbindung zu den Vertretenen befinden“, da anders ihre Aktivitäten nicht wahrgenommen würden. 1153 Groß / Pautsch, Kammerverfassungsrecht – Organisation und Verfahren, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 7 Rn. 19 bezeichnen die Terminologie als „irreführend“. Zur Unterscheidung von Vertreter- und Mitgliedervollversammlung s. auch Groß, Die Verwaltungsorganisation als Teil organisierter Staatlichkeit, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 13 Rn. 70. 1154 Die Berechnungen und Zahlen fußen auf Werten, die am 30. September 2020 der Internetpräsenz https://www.ihk.de/wie-viele-registrierte-mitgliedsunternehmen-hatte-die-ihk entnommen wurden. Der DIHK weist daraufhin, dass sich Kleingewerbetreibende „in großem Umfang bei Aufgabe der Geschäftstätigkeit nicht oder mit zeitlicher Verzögerung“ abmelden und erst „zu unterschiedlichen Zeitpunkten entsprechende Bereinigungen“ vorgenommen würden. Im Ergebnis liege „die Zahl der Unternehmen in Deutschland unter vier Millionen“.

I. Die Wahl zur Vollversammlung und die Repräsentationsidee in der IHK  

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1. Grundlagen der Wahl Die Grundsätze des Wahlrechts zur Vollversammlung sind § 5 Abs. 4 IHKG zu entnehmen. Möchte man Einzelheiten in Erfahrung bringen, erweist sich diese Vorschrift indes als ein Ausdruck weitgehender legislativer Enthaltsamkeit. Die Vagheit der dort vorgefundenen Wendungen deutet allenfalls auf eine Rahmenvorschrift hin, die den Kammern großzügige Spielräume zur eigenständigen Determination des Wahlrechts eröffnet.1155 Der nahezu vollständige Regelungsverzicht wirkt vor den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts, vorsichtig gesagt, überraschend.1156 Dies insbesondere, da die Wahl das einzige Instrument zum Erhalt einer repräsentativ zusammengesetzten Vollversammlung darstellt. Die tatsächliche Bedeutung des Regelungsdefizits eröffnet sich insbesondere, wenn man die Rechtsschutzperspektive im Zusammenhang mit § 5 Abs. 4 S. 2 IHKG einnimmt: Sind zur Ausgestaltung der Wahlgruppen und Sitzzuteilung Regelungsoptionen erheblicher Weite eröffnet, wird die Kontrolle durch Aufsicht oder Gerichte unter Verweis auf Beurteilungsspielräume und Einschätzungsprärogativen notwendigerweise auf ein Minimum eingeschränkt. In Anbetracht von § 5 Abs. 4 S. 2 IHKG kommen als rechtlich erhebliche Maßstäbe lediglich das Erfordernis einer vollständigen und zutreffenden Sachverhaltsermittlung sowie die Willkürfreiheit der Entscheidung in Betracht.1157 Gegenüber den hier getroffenen Feststellungen erscheint es insofern fraglich, warum das Bundesverfassungsgericht jüngst zu der Auffassung gelangte, dass der Gesetzgeber mit § 5 IHKG „die grundrechtlich wesentlichen Fragen“ in „hinreichendem Maße“ selbst regele.1158 Im Wege von § 5 Abs. 4 S. 1 IHKG werden die Kammern jedenfalls berechtigt, die autonome Ausgestaltung dieser Materie in den Wahlordnungen zu besorgen. Sollen die entscheidenden Maßgaben des Wahlverfahrens benannt werden, müssen die Wahlordnungen von 79 IHK-Bezirken1159 durchgesehen werden. 1155 Kluth, Aktuelle Rechtsgrundlagen der Kammern im Überblick, in: ders. (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 6 Rn. 157. S. ferner BVerwG, Urt. v. 16. Juni 2015 – 10 C 14.14 –, BVerwGE 152, 204 (Rn. 24): „Er [der Gesetzgeber] hat sich auf die Regelung der Grundzüge der Wahl beschränkt und auf weitergehende Vorgaben für das Wahlsystem verzichtet.“ 1156 Anregungen über ein Tätigwerden des Gesetzgebers finden sich bereits bei Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 463; Oebbecke, VerwArch 81 (1990), 349 (366); Möllering, WiVerw 2001, 25 (41 ff.). Dagegen mit vorwiegend rechtspolitischen Erwägungen Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 5 Rn. 59. 1157 Groß, Die Wahl zur Vollversammlung der Industrie- und Handelskammern, 2002, S. 198. Zu der Kontrolle von Beurteilungsfehlern bei Beurteilungsermächtigungen auf Seiten der Verwaltung allgemein Riese, in: Schoch / Schneider (Hg.), VwGO, Stand: 41. EL Juli 2021, § 114 Rn. 98–107. 1158 BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 124). 1159 Möchte man die Fassung der untersuchten Wahlordnungen näher bezeichnen, müssen das Datum des Beschlusses der Vollversammlung über die Änderung bzw. den Erlass, der Tag des Inkrafttretens und der Zeitpunkt der Genehmigung durch das die Aufsicht führende Landesministerium unterschieden werden. Da die Daten nicht immer vollständig ersichtlich waren,

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

Nach Durchsicht der Wahlordnungen bleibt festzuhalten, dass die relative Mehrzahl der Kammern die Wahl per Brief abhält.1160 Daneben finden sich Regelwerke, nach denen die Wahl zusätzlich elektronisch durchzuführen ist, wenn ein darauf

kann es vorkommen, dass mit den im Folgenden genannten Terminen teilweise nicht der Tag des Beschlusses durch die Vollversammlung beschrieben wird. IHK Aachen: 17. Jan. 2017; IHK Arnsberg: 6. Apr. 2016; IHK Aschaffenburg: 27. Nov. 2015; IHK Augsburg: 20. Jun. 2017; IHK Bayreuth: 1. Feb. 2016; IHK Berlin: 21. Sep. 2016; IHK Bielefeld: 4. Sep 2017; IHK Bochum: 1. Dez. 2015; IHK Bonn: 24. Nov. 2015; IHK Braunschweig: 1. Dez. 2014; HK Bremen: 20. Jun. 2016; IHK Chemnitz: 7. Dez. 2015; IHK Coburg: 27. Nov. 2015; IHK Cottbus: 1. Sep. 2016; IHK Darmstadt: 7. Mrz. 2018; IHK Detmold: 1. Dez. 2016; IHK Dillenburg: 15. Mrz. 2018; IHK  Dortmund: 5. Dez. 2016; IHK  Dresden: 30. Nov. 2016; IHK  Duisburg: 5. Dez. 2018; IHK Düsseldorf: 23. Nov. 2015; IHK Emden: 29. Apr. 2016; IHK Erfurt: 21. Apr. 2016; IHK Essen: 22. Nov. 2016; IHK Flensburg: 9. Mai 2019; IHK Frankfurt a. M.: 25. Apr. 2018; IHK Frankfurt (Oder): 10. Jun. 2016; IHK Freiburg: 25. Jun. 2020; IHK Fulda: 12. Dez. 2017; IHK Gera: 1. Dez. 2015; IHK Gießen: 10. Apr. 2018; IHK Hagen: 17. Apr. 2018; IHK Halle: 6. Dez. 2017; HK Hamburg: 3. Jun. 2019; IHK Hanau: 24. Apr. 2018; IHK Hannover: 3. Sep. 2018; IHK Heidenheim: 17. Nov. 2015; IHK Heilbronn: 7. Dez. 2016; IHK Karlsruhe: 2. Dez. 2015; IHK Kassel: 2. Mai 2018; IHK Kiel: 7. Dez. 2017; IHK Koblenz: 3. Dez. 2015; IHK Köln: 11. Okt. 2018; IHK Konstanz: 3. Dez. 2018; IHK Krefeld: 30. Nov. 2017; IHK Leipzig: 20. Sep. 2016; IHK Limburg: 13. Mrz. 2018; IHK Lübeck: 28. Nov. 2017; IHK Ludwigshafen: 17. Nov. 2015; IHK Lüneburg: 29. Feb. 2012; IHK Magdeburg: 24. Apr. 2014; IHK Mainz: 6. Dez. 2017; IHK  Mannheim: 3. Jul. 2019; IHK  München: 18. Jan. 2016; IHK  Münster: 20. Nov. 2014; IHK Neubrandenburg: 19. Mrz. 2018; IHK Nürnberg: 10. Jun. 2016; IHK Offenbach: 15. Mrz. 2018; IHK Oldenburg: 10. Mrz. 2020; IHK Osnabrück: 5. Dez. 17; IHK Passau: 18. Jul. 2017; IHK  Pforzheim: 9. Dez. 2015; IHK  Potsdam: 28. Jun. 2016; IHK  Regensburg: unbekannt; IHK Reutlingen: 17. Jul. 2018; IHK Rostock: 23. Nov. 2015; IHK Saarbrücken: 6. Okt 2015; IHK Schwerin: 20. Feb. 2019; IHK Siegen: 13. Jun. 2017; IHK Stade: 24. Sep. 2019; IHK Stuttgart: 12. Dez. 2018; IHK Suhl: 6. Dez. 2016; IHK Trier: 3. Dez. 2018; IHK Ulm: 17. Okt. 2017; IHK Villingen-Schwenningen: 14. Dez. 2016; IHK Weingarten: 19. Jul. 2017; IHK Wiesbaden: 19. Apr. 2018; IHK Wuppertal: 5. Jan. 2016; IHK Würzburg: 20. Jul. 2017. 1160 § 12 Abs. 1 Wahlordnung IHK Aachen; § 12 Abs. 1 Wahlordnung IHK Arnsberg; § 12 Abs. 1 Wahlordnung IHK Aschaffenburg; § 18 Abs. 1 S. 1 Wahlordnung IHK Augsburg; § 13 Abs. 1 Wahlordnung IHK Bayreuth; § 13 Abs. 1 Wahlordnung IHK Bielefeld; § 12 Wahlordnung IHK Bochum; § 12 Wahlordnung IHK Bonn; § 12 Abs. 1 Wahlordnung IHK Braunschweig; § 12 Wahlordnung HK Bremen; § 13 Abs. 1 Wahlordnung IHK Chemnitz; § 12 Abs. 1 Wahlordnung IHK Coburg; § 12 Abs. 1 Wahlordnung IHK Dortmund; § 13 Abs. 1 Wahlordnung IHK Dresden; § 12 Abs. 1 Wahlordnung IHK Duisburg; § 11 Abs. 1 Wahlordnung IHK Düsseldorf; § 12 Abs. 1 Wahlordnung IHK Emden; § 12 Wahlordnung IHK Erfurt; § 12 Abs. 1 Wahlordnung IHK Essen; § 12 Abs. 1 Wahlordnung IHK Flensburg; § 12 Abs. 1 Wahlordnung IHK Fulda; § 12 Wahlordnung IHK Gera; § 13 Abs. 1 Wahlordnung IHK Gießen; § 13 Abs. 1 Wahlordnung IHK Hagen; § 12 Abs. 1 Wahlordnung IHK  Halle; § 13 Wahlordnung IHK  Hannover; § 12 Wahlordnung IHK Heidenheim; § 12 Abs. 1 Wahlordnung IHK Heilbronn; § 12 Wahlordnung IHK Karlsruhe; § 12 Abs. 1 Wahlordnung IHK Koblenz; § 12 Wahlordnung IHK Köln; § 11 Abs. 1 Wahlordnung IHK Krefeld; § 17 Abs. 1 Wahlordnung IHK Leipzig; § 12 Abs. 1 Wahlordnung IHK Ludwigshafen; § 12 Wahlordnung IHK Magdeburg; § 13 Abs. 1 Wahlordnung IHK Mainz; § 13 Abs. 1 Wahlordnung IHK München; § 12 Abs. 1 Wahlordnung IHK Münster; § 15 Abs. 1 Wahlordnung IHK Nürnberg; § 13 Wahlordnung IHK Osnabrück; § 13 Abs. 1 Wahlordnung IHK Passau; § 12 Abs. 1 Wahlordnung IHK Pforzheim; § 13 Abs. 1 Wahlordnung IHK Regensburg; § 12 Abs. 1 Wahlordnung IHK  Reutlingen; § 12 Wahlordnung IHK  Rostock; § 11 Abs. 1 Wahlordnung IHK Saarbrücken; § 12 Abs. 1 Wahlordnung IHK Siegen; § 13 Abs. 1 Wahlordnung IHK Stutt-

I. Die Wahl zur Vollversammlung und die Repräsentationsidee in der IHK  

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gerichteter Beschluss der Vollversammlung ergeht.1161 Nur wenige Bezirke bieten demgegenüber das Mittel der elektronischen Wahl neben der Briefwahl mit gleicher Berechtigung an.1162 Möchten die Kammerzugehörigen ihr passives Wahlrecht zur Vollversammlung ausüben, werden in den meisten Wahlordnungen Barrieren dergestalt errichtet, dass die Kammerzugehörigen zunächst Unterstützungsunterschriften beizubringen haben, die eine Varianz zwischen 1 und 15 aufweisen.1163 Andere Bezirke erachten den Selbstvorschlag hingegen für zulässig.1164 gart; § 12 Wahlordnung IHK Suhl; § 12 Abs. 1 Wahlordnung IHK Villingen-Schwenningen; § 13 Abs. 1 Wahlordnung IHK Weingarten; § 15 Abs. 1 Wahlordnung IHK Wuppertal; § 15 Abs. 1 Wahlordnung IHK Würzburg. 1161 § 12 Wahlordnung IHK  Cottbus; § 12 Wahlordnung IHK  Detmold; § 12 Wahlordnung IHK  Frankfurt  (Oder); § 13 Wahlordnung IHK  Konstanz; § 12 Wahlordnung IHK  Lübeck; § 12 Wahlordnung IHK Lüneburg; § 12 Wahlordnung IHK Potsdam; § 13 Abs. 1 Wahlordnung IHK Stade; § 12 Abs. 1 Wahlordnung IHK Ulm. 1162 § 12 Abs. 1 Wahlordnung IHK Berlin; § 13 Abs. 1 Wahlordnung IHK Aachen; § 13 Abs. 1 Wahlordnung IHK  Dillenburg; § 12 Abs. 1 Wahlordnung IHK  Frankfurt  a. M.; § 12 Abs. 1 Wahlordnung IHK  Freiburg; § 13a Abs. 1 Wahlordnung HK  Hamburg; § 13 Wahlordnung IHK Hanau; § 13 Abs. 1 Wahlordnung IHK Kassel; § 12 Abs. 1 S. 1 Wahlordnung IHK Kiel; § 13 Abs. 1 Wahlordnung IHK Limburg; § 12 Abs. 1 Wahlordnung IHK Mannheim; § 12 Wahlordnung IHK Neubrandenburg; § 12 Abs. 1 Wahlordnung IHK Offenbach; § 14 Wahlordnung IHK Oldenburg; § 12 Wahlordnung IHK Schwerin; § 12 Wahlordnung IHK Trier; § 13 Abs. 1 Wahlordnung IHK Wiesbaden. 1163 § 11 Abs. 3 S. 1 Wahlordnung IHK Berlin (hier: 3);§ 12 Abs. 3 S. 1 Wahlordnung IHK Bielefeld (hier: 5); § 11 Abs. 3 S. 1 Wahlordnung IHK Braunschweig (hier: 5); § 11 Abs. 3 S. 1 Wahlordnung HK Bremen (hier: 10); § 12 Abs. 3 S. 1 Wahlordnung IHK Darmstadt (hier: 5); § 12 Abs. 3 S. 1 Wahlordnung IHK Detmold (hier: 5); § 12 Abs. 3 S. 1 Wahlordnung IHK Dresden (hier: 3); § 11 Abs. 3 S. 1 Wahlordnung IHK Duisburg (hier: 5); § 10 Abs. 3 S. 1 Wahlordnung IHK Düsseldorf (hier: 5); § 11 Abs. 3 S. 1 Wahlordnung IHK Emden (hier: 1); § 12 Abs. 4 S. 1 Wahlordnung IHK Hagen (hier: 5); § 13 Abs. 3 S. 1 Wahlordnung HK Hamburg (hier: 15); § 12 Abs. 3 S. 1 Wahlordnung IHK Hannover (hier: 5); § 11 Abs. 3 S. 1 Wahlordnung IHK Karlsruhe (hier: 3); § 11 Abs. 3 S. 1 Wahlordnung IHK Köln (hier: 3); § 15 Abs. 3 S. 1 Wahlordnung IHK Leipzig (hier: 3); § 11 Abs. 2 S. 1 Wahlordnung IHK Ludwigshafen (hier: 5); § 11 Abs. 3 S. 1 Wahlordnung IHK Magdeburg (hier: 5); § 11 Abs. 3 S. 1 Wahlordnung IHK Mannheim (hier: 3); § 12 Abs. 3 S. 1 Wahlordnung IHK München (hier: 10 bzw. 5 [abhängig von der Größe der Wahlgruppe]); § 11 Abs. 3 S. 1 Wahlordnung IHK Münster (hier: 5 [entfällt bei Einreichung durch Regionalausschuss], § 13 Abs. 4 S. 1 Wahlordnung IHK Nürnberg (hier: 10 bzw. 5 [abhängig von der Größe der Wahlgruppe]); § 13 Abs. 3 S. 1 Wahlordnung IHK Oldenburg (hier: 5); § 12 Abs. 3 S. 1 Wahlordnung IHK Osnabrück (hier: 5); § 12 Abs. 4 S. 1 Wahlordnung IHK Passau (hier: 10 bzw. 5 [abhängig von der Größe der Wahlgruppe]); § 10 Abs. 5 S. 1 Wahlordnung IHK Pforzheim (hier: notwendig ist die doppelte Anzahl der zu vergebenden Sitze in der Wahlgruppe); § 12 Abs. 3 S. 1 Wahlordnung IHK Regensburg (hier: 6 bzw. 3 [abhängig von der Größe der Wahlgruppe]); § 11 Abs. 3 S. 1 Wahlordnung IHK Reutlingen (hier: 5); § 11 Abs. 3 Wahlordnung IHK Schwerin (hier: 1); § 12 Abs. 3 S. 1 Wahlordnung IHK Stade (hier: 2); § 12 Abs. 3 S. 1 Wahlordnung IHK Stuttgart (hier: 5); § 11 Abs. 3 S. 1 Wahlordnung IHK Villingen-Schwenningen (hier: 5). 1164 § 11 Abs. 3 Wahlordnung IHK  Aachen; § 11 Abs. 3 Wahlordnung IHK  Bochum; § 11 Abs. 3 Wahlordnung IHK Chemnitz; § 11 Abs. 3 Wahlordnung IHK Cottbus; § 11 Abs. 3 Wahlordnung IHK  Dortmund; § 11 Abs. 3 Wahlordnung IHK  Erfurt; § 11 Abs. 3 Wahlordnung IHK Essen; § 11 Abs. 3 Wahlordnung IHK Frankfurt a. M.; § 11 Abs. 3 Wahlordnung IHK Frank-

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

a) Die Gruppenwahl § 5 Abs. 4 S. 2 IHKG bestimmt, dass die Wahl zur Vollversammlung als Gruppenwahl durchzuführen ist. Damit erfolgt eine Zerlegung der Wahl in Teilwahlen mit jeweils eigenen Bewerberlisten. Bei der Bildung von Wahlgruppen und der anschließenden Sitzzuteilung müssen gem. § 5 Abs. 4 S. 2 IHKG die „wirtschaft­ lichen Besonderheiten des Kammerbezirks sowie die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Gewerbegruppen Berücksichtigung finden“. Das Wahlverfahren erklärt die ökonomische Ungleichheit zur maßgebenden Determinante.1165 Die Einteilung der Wahlgruppen wird in der Folge zu einer „hoch politische[n] Entscheidung“.1166 Die Vollversammlung soll ein „Spiegelbild der Bezirkswirtschaft“1167 oder – so lautet die Eigenbezeichnung mancher Kammern – ein „Parlament der Wirtschaft“1168 ergeben. Bei der Bildung und Einteilung von Wahlgruppen greifen die Kammern meistens auf die Klassifikation von Wirtschaftszweigen zurück, die das Statistische Bundesamt in regelmäßigen Abständen vornimmt.1169 Zuweilen wird in den Wahlordnungen noch ein anderes Kriterium zur Generierung weiterer Teilwahlen erdacht. Dabei handelt es sich um Wahlbezirke, deren Unterscheidung oftmals an den Grenzen von Gebietskörperschaften ausgerichtet ist. Die Verwaltungspraxis nimmt die Segregation in Wahlbezirke regelmäßig für Gewerbezweige vor, die für die Kammer besonders prägend sein sollen, während der Wahlbezirk für vorgeblich weniger bedeutsame Wahlgruppen mit dem Kammerbezirk übereinstimmt.1170 Dieses Verfahren wird für zulässig erachtet.1171 Zur Begründung verweist man auf furt (Oder); § 11 Abs. 3 Wahlordnung IHK Freiburg; § 11 Abs. 3 Wahlordnung IHK Fulda; § 11 Abs. 3 Wahlordnung IHK Heidenheim; § 11 Abs. 3 Wahlordnung IHK Heilbronn; § 11 Abs. 3 Wahlordnung IHK  Kassel; § 11 Abs. 3 Wahlordnung IHK  Kiel; § 11 Abs. 3 Wahlordnung IHK Koblenz; § 11 Abs. 3 Wahlordnung IHK Konstanz; § 12 Abs. 3 Wahlordnung IHK Limburg; § 11 Abs. 3 Wahlordnung IHK Lübeck; § 12 Abs. 3 Wahlordnung IHK Mainz; § 11 Abs. 3 Wahlordnung IHK Neubrandenburg; § 11 Abs. 3 Wahlordnung IHK Potsdam; § 11 Abs. 3 S. 2 Wahlordnung IHK Rostock; § 10 Abs. 3 S. 1 Wahlordnung IHK Saarbrücken; § 11 Abs. 3 Wahlordnung IHK Suhl; § 11 Abs. 3 Wahlordnung IHK Trier; § 12 Abs. 3 Wahlordnung IHK Weingarten. In den Wahlordnungen der IHK-Bezirke Arnsberg, Aschaffenburg, Augsburg, Bayreuth, Bonn, Coburg, Dillenburg, Essen, Gera, Gießen, Halle, Hanau, Krefeld, Lüneburg, Offenbach, Siegen, Ulm, Wiesbaden, Wuppertal und Würzburg konnte – soweit ersichtlich – keine Regelung zu dieser Frage vorgefunden werden. Damit muss der Selbstvorschlag in diesen Kammern als zulässig angesehen werden. 1165 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 436. 1166 Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 424. 1167 Zitat bei Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 5 Rn. 3; Rieger, GewArch 2016, 406 (407). 1168 S. etwa https://www.ihk-niederbayern.de/hauptnavigation/politische-arbeit/-parlament-derwirtschaft-bestaetigt-leebmann-4275502; https://www.ihk-limburg.de/servicemarken/presse/ pressemitteilungen/das-parlament-der-wirtschaft-wird-neu-gewaehlt-4309706. Aus der Literatur Rickert, WiVerw 2004, 153 (159). 1169 So explizit § 8 Abs. 1 Wahlordnung HK Hamburg. 1170 Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 424. 1171 Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 5 Rn. 47.

I. Die Wahl zur Vollversammlung und die Repräsentationsidee in der IHK  

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das Bundesverwaltungsgericht, das dieses Vorgehen in Anbetracht der HwK für zulässig befand, solange die Unterteilung in Wahlbezirke nur als „verfeinerndes Kriterium“ und nicht als selbstständiges Verteilungskriterium in Betracht gezogen werde.1172 Die befürwortenden Stimmen nehmen auch auf § 10 PrHKG  18971173 Bezug.1174 Keiner dieser Argumentationsstränge überzeugt. Der Rückgriff auf Wahlbezirke kann vor dem Gesetz nicht gerechtfertigt werden. Schon der Verweis auf das PrHKG ist rechtsmethodisch prekär. Die Auffassung übersieht, dass der preußische Gesetzgeber die Bildung von Wahlbezirken ausdrücklich gestattete, während das IHKG nur die Einteilung in Wahlgruppen legitimiert. Eben Gesagtes gilt entsprechend für das Urteil das BVerwG, das nur eine Aussage für das Wahlrecht zur HwK trifft. Für die Frage nach der zutreffenden Sitzzuteilung zwischen den Wahlgruppen kommt mit Blick auf die Unbestimmtheit des Gesetzes eine Fülle von Indikatoren in Betracht. Die Literatur erörtert Faktoren wie (1) die Anzahl der kammerzugehörigen Unternehmen, (2) die Zahl der Arbeitnehmer, (3) die Höhe der Kammerbeiträge, (4) das Investitionsvolumen oder die Kapitalisierung, (5) der Gesamtumsatz oder der Gesamtertrag, (6) die Wertschöpfung und (7) die Zahl der Auszubildenden.1175 Die Kombination verschiedener Indikatoren soll die zuverlässigste Grundlage zur Ermittlung der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung der Gewerbegruppen darstellen.1176 Es wird zudem empfohlen, die Kriterien mit unterschiedlichen Anteilen zu gewichten.1177 Angesichts der Bedeutung der Sitzzuteilung für die Zusammensetzung der Vollversammlung erscheint es als äußerst fragwürdig, wenn ernsthaft die Ansicht zur Vertretung gelangt,1178 dass nicht einmal die Kriterien und ihre Gewichtung in der Wahlordnung niedergelegt werden müssten. b) Beispielhafte Ausgestaltung der Gruppenwahl Anschaulich werden die Einzelheiten der Gruppenwahl womöglich erst, wenn man sich beispielhaft die Wahlordnung der IHK Kiel vor Augen führt. Die Vollversammlung besteht danach aus 60 Mitgliedern, die in allgemeiner, geheimer und freier Wahl von den Zugehörigen unmittelbar gewählt werden.1179 In Ausgestaltung von § 5 Abs. 4 S. 2 IHKG bestehen 21 Wahlgruppen, die folgende Überschriften tra 1172

BVerwG, Urt. v. 26. Juni 2002 – 6 C 21/01 –, juris Rn. 39 (unter Ansicht von § 93 Abs. 2 S. 3 HwO). 1173 § 10 Abs. 1 S. 2 PRHKG 1897: „Für die Ausführung der Wahlen können engere Wahlbezirke gebildet werden.“ 1174 Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 5 Rn. 58. 1175 Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 429; Möllering, WiVerw 2001, 25 (43); Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 5 Rn. 50. 1176 Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 429. 1177 Groß, Die Wahl zur Vollversammlung der Industrie- und Handelskammern, 2002, S. 202. 1178 So etwa Groß, Die Wahl zur Vollversammlung der Industrie- und Handelskammern, 2002, S. 202. 1179 § 1 Abs. 2 Wahlordnung IHK Kiel.

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

gen: Vorleistungsgüterindustrie; Investitionsgüterindustrie; Konsumgüterindustrie; Bauwirtschaft und Bauträgerunternehmen; Handelsvermittlung; Großhandel; Einzelhandel; verbrauchernahe Dienstleistungen1180; Gastgewerbe und Tourismuswirtschaft; Landverkehr; Schifffahrt, Luftfahrt, Speditionsgewerbe; Kreditinstitute und Versicherungen; Vermittler im Kredit- und Versicherungsgewerbe; Grundstücksmakler, Immobilienmanagement-Unternehmen; Datenverarbeitung und Telekommunikation; Wirtschaftsberatung, Forschung und Entwicklung; Umweltschutz mit Gartenbau, Baumschulen und Reinigung; Medien, Werbung, Kultur, Sport, Erziehung, Unterricht und Unterhaltung; Energieversorgung (ohne regenerative Energien); regenerative Energien; übrige Dienstleistungen1181.1182 Der Kammerbezirk wird darüber hinaus in drei Wahlbezirke aufgeteilt,1183 in denen für ausgesuchte Wahlgruppen eine Sitzzuteilung stattfindet.1184 Die Sitz­ zuteilung zwischen den Wahlbezirken variiert.1185 Für diejenigen Wahlgruppen, die keine Sitze in den drei Wahlbezirken garantiert bekommen, findet eine Sitzzuteilung für den gesamten IHK-Bezirk statt.1186 Die Wahlen werden unter diesen Bedingungen bezirksweit abgehalten, wobei eine Bedeutungsverschiebung zwischen den Wahlgruppen durch die Zahl der zugeteilten Sitze erfolgt.1187 Die Sitzzuteilung richtet sich nach der Zahl der einer Wahlgruppe zuzurechnenden Kammerzugehörigen und dem Gewerbeertrag, den sie erzielen.1188 Die Unterteilung ergibt für die 1180

§ 7 Abs. 3 Nr. 6 Wahlordnung IHK Kiel: „Zu dieser Wahlgruppe gehören insbesondere Unternehmen mit Dienstleistungsorientierung gegenüber Endverbrauchern wie Wäschereien und chemische Reinigungen, Wellnessunternehmen, Fitnessstudios, Hausmeisterdienste.“ 1181 § 7 Abs. 3 Nr. 21 Wahlordnung IHK  Kiel: „Zu dieser Wahlgruppe gehören Dienstleistungsunternehmen, […] insbesondere Unternehmen der Vermietung beweglicher Sachen, Call-­ Center, sowie des Gesundheitswesens.“ 1182 § 7 Abs. 3 Wahlordnung IHK Kiel. 1183 Zu unterscheiden sind nach § 7 Abs. 4 Wahlordnung IHK Kiel die Wahlbezirke „kreisfreie Stadt Kiel, Kreis Plön“, „kreisfreie Stadt Neumünster, Kreis Rendsburg-Eckernförde“ und „Kreise Pinneberg und Steinburg“. 1184 § 7 Abs. 4 Wahlordnung IHK Kiel zeigt, dass eine Sitzzuteilung in den drei Wahlbezirken für sieben Wahlgruppen (Großhandel; Einzelhandel; Vebrauchernahe Dienstleistungen; Grundstücksmakler, Immobilienmanagement-Unternehmen; Wirtschaftsberatung, Forschung und Entwicklung; Medien, Werbung, Kultur, Sport, Erziehung, Unterricht und Unterhaltung; Übrige Dienstleistungen) stattfindet. 1185 § 7 Abs. 4 Wahlordnung IHK Kiel regelt, dass im Wahlbezirk „Kreise Pinneberg und Steinburg“ der Wahlgruppe „Einzelhandel“ vier Sitze zugeteilt werden, während die Wahlgruppe in den übrigen Wahlbezirken nur über drei Sitze verfügt. 1186 § 7 Abs. 5 Wahlordnung IHK Kiel. 1187 Den Wahlgruppen werden gem. § 7 Abs. 5 Wahlordnung IHK Kiel im Einzelnen folgende Sitze zugeteilt: „Vorleistungsgüterindustrie“ (2), „Investitionsgüterindustrie“ (2), „Konsumgüterindustrie“ (3), „Bauwirtschaft und Bauträgerunternehmen“ (2), „Handelsvermittlung“ (1), „Gastgewerbe und Tourismuswirtschaft“ (3), „Landverkehr“ (1), „Schifffahrt, Luftfahrt, Speditionsgewerbe“ (1), „Kreditinstitute und Versicherungen“ (4), „Vermittler im Kredit- und Versicherungsgewerbe“ (2), „Datenverarbeitung und Telekommunikation“ (3), „Umweltschutz mit Gartenbau, Baumschulen und Reinigung“ (2), „Energieversorgung (ohne regenerative Energien)“ (2) und „Regenerative Energien“ (2). 1188 § 7 Abs. 1 S. 2 Wahlordnung IHK Kiel.

I. Die Wahl zur Vollversammlung und die Repräsentationsidee in der IHK  

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IHK Kiel, dass 35 getrennte Wahlvorschläge einzureichen sind, d. h. 35 Teilwahlen stattfinden. Dabei handelt es sich um einen überdurchschnittlichen Wert. Denn in den meisten Kammern sollen in Folge der Untergliederungen 25 bis 30 Wahlvorschläge bei der Wahl zur Vollversammlung vorliegen.1189 c) Vereinbarkeit mit dem Grundsatz allgemeiner Wahlrechtsgleichheit Die Unterteilung in Wahlgruppen und -bezirke mitsamt der Zuteilung abweichender Sitzzahlen bedingt, dass der Erfolgswert der Stimmen unter den Kammerzugehörigen – teilweise stark – differiert. Die formale Gleichheit der Stimmen wird nur innerhalb der eigenen Wahlgruppe und des eigenen Wahlbezirks gewährleistet. Dies findet in § 5 Abs. 4 IHKG keine explizite Erwähnung. Angesichts des Befunds, dass § 5 Abs. 4 S. 2 IHKG die Zielsetzung ausgibt, nach der die Vollversammlung ein Spiegelbild der Bezirkswirtschaft ergeben soll, dürfte die Notwendigkeit eines abweichenden Stimmeneinflusses unter der Kammerzugehörigen jedoch augenfällig sein. Davon zu trennen ist die Frage nach der Zulässigkeit eines derart modifizierten Wahlrechts, die sich speziell vor der Folie des Grundsatzes der Wahlrechtsgleichheit stellt. Die damit geforderte Erfolgswertgleichheit meint, dass jeder Stimme innerhalb des einschlägigen Wahlsystems die gleiche Erfolgschance zukommt. Auch jenseits der im Grundgesetz explizit angesprochenen Bundestags-, Landtagsund Kommunalwahlen (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG und Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG) hat das BVerfG einen allgemeinen Verfassungsgrundsatz der Wahlrechtsgleichheit anerkannt. Seine Wurzeln liegen im allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) in der Ausprägung als Gebot formaler Wahlgleichheit.1190 Das Gericht hat unter Rekurs auf diesen Grundsatz etwa bekräftigt, dass die 5 %- und 3 %-Sperrklausel zur Europawahl nicht verfassungsrechtlich zu rechtfertigen seien.1191 Abgesehen von den demokratischen Wahlen politisch-­parlamentarischer Art ist allerdings anerkannt, dass der Grundsatz nicht im Sinne einer „strengen und formalen Gleichheit“ aller Wahlberechtigten Berücksichtigung finden muss,1192 mithin Einschränkungen erfahren kann.1193 1189

Rickert, in: Frentzel / Jäkel / Junge, IHKG, 7. Aufl. 2009, § 5 Rn. 51. BVerfG, Urt. v. 9. November 2011 – 2 BvC 4, 6, 8/10 –, BVerfGE 129, 300 (317). Zu diesem Grundsatz m. w. N. aus der Rspr. Wollenschläger, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 3 Rn. 311 f.; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 461 f. 1191 BVerfG, Urt. v. 9. November 2011 – 2 BvC 4, 6, 8/10 –, BVerfGE 129, 300 (324 ff.); Urt. v. 26. Februar 2014 – 2 BvE 2, 5–10, 12/13, 2 BvR 2220, 2221, 2238/13 –, BVerfGE 135, 259 (Rn. 65 ff.). 1192 BVerfG, Urt. v. 26. Februar 2014 – 2 BvE 2, 5–10, 12/13, 2 BvR 2220, 2221, 2238/13 –, BVerfGE 135, 259 (Rn. 44 m. w. N. aus der Rspr.). 1193 BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 121); diese Frage für die Arbeitnehmerkammern noch offenlassend BVerfG, Beschl. v. 22. Oktober 1985 – 1 BvL 44/83 –, BVerfGE 71, 81 (94 f.). Aus der Literatur s. nur Wollenschläger, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 3 Rn. 313. 1190

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Blick auf die IHK einen oberflächlichen Maßstab relativer Willkürfreiheit erdacht. Es erachtet das Wahlsystem für verfassungskonform, wenn „gesetzliche Vorgaben für eine autonome Entscheidungsfindung die angemessene Partizipation aller Betroffenen an der Willensbildung“ sicherten. Das Wahlrecht müsse mit dem „Grundgedanken autonomer interessengerechter Selbstverwaltung einerseits und effektiver öffentlicher Aufgabenwahrnehmung andererseits vereinbar“ sein, wobei die Organe „nach demokratischen Grundsätzen“ gebildet werden müssten.1194 Die Vorschriften müssten, so das BVerfG für die richterliche Selbstverwaltung, dem „jeweiligen Wahlsystem und den daran nach der Natur der konkreten Wahl zu stellenden Anforderungen“ genügen, dem „Charakter der Wahl als eines auf die Bildung von funktionsfähigen Organen gerichteten Integrationsvorganges Rechnung tragen“ und dürften nicht auf „sachfremden Erwägungen“ beruhen.1195 Vor dieser Folie wird man die Gruppenwahl nach § 5 Abs. 4 IHKG und die damit einhergehende Abweichung vom Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit nur als verfassungsgemäß bewerten können.1196 Unterstützung verdienen die neuerlichen Ausführungen des BVerfG darin, dass die verfassungsrechtliche Rechtfertigung vor dem Gedanken repräsentativer Aufgabenwahrnehmung betrieben wird: Danach dient die Gruppenwahl dem Ziel, eine „Bevorzugung von Partikularinteressen oder eine Behinderung der angemessenen Interessenwahrnehmung beitragszahlender Betroffenengruppen zu verhindern“. Sie genüge dieser Zwecksetzung, indem sie verhütet, dass die gewerbliche Tätigkeit „völlig unabhängig von der wirtschaft­ lichen Bedeutung im Kammerbezirk“ berücksichtigt werde. Damit beuge die Gruppenwahl einer Zusammensetzung der Vollversammlung vor, „mit der ein Konzern, der eine Branche dominiert, zu große Bedeutung“ erhalte. Es könne vermieden werden, dass die Vollversammlung eine Prägung von „zahlreichen Einzelinteressen ohne Berücksichtigung wirtschaftlich bedeutender Unternehmen“ erfahre. Die Gruppenwahl könne auch dazu beitragen, „konstante Mehrheiten zu vermeiden“. Jedenfalls sei es „im Lichte der Aufgabenstellung der Kammern vom politischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers gedeckt“, die Gruppenwahl zur Spiegelung der bezirklichen Wirtschaftsstruktur vorzugeben.1197 1194 BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 121). 1195 BVerfG, Beschl. v. 16. Dezember 1975 – 2 BvL 7/74 –, BVerfGE 41, 1 (13 f.). 1196 Ebenso Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 462; Groß / Pautsch, Kammerverfassungsrecht – Organisation und Verfahren, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 7 Rn. 63. Oebbecke, Selbstverwaltung angesichts von Europäisierung und Ökonomisierung, VVDStRL 62 (2002), 2003, 366 (394) erachtet „nach der Beitragshöhe bemessene Stimmrechte“ im Hinblick auf die Einrichtungen funktionaler Selbstverwaltung für zulässig. Gegen die Verfassungsmäßigkeit der Gruppenwahl Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 208. Tendenziell dagegen Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 436. 1197 BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 123).

I. Die Wahl zur Vollversammlung und die Repräsentationsidee in der IHK  

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Doch ist das Wahlrecht zur Vollversammlung nicht nur an die Aufgabenstellung der IHK angepasst. Die Idee der Gruppenwahl ist – dies verkennen die herrschenden Erzählungen regelmäßig –1198 vielmehr auch Folgende: Den unorganisierten Mitgliedern fehlt regelmäßig eine umfassende Einsicht über die verschiedenen Wirtschaftsstufen und zutiefst heterogen verfassten Branchen des gesamten Kammerbezirks. So wird etwa dem aktiv wahlberechtigten Kioskbetreiber der passiv wahlberechtigte Vertreter eines international agierenden Autobauers oder eines deutschlandweit präsenten Versicherungskonzerns unbekannt oder sogar gleichgültig sein. Um die damit einhergehenden Gefahren zu verhüten, die vor allem in der Zunahme von Wahlpassivität bestehen, wird die Gruppenwahl ebenfalls vorgesehen. Das geltende Wahlsystem soll auch einen Beitrag zur allgemeinen Funktionssicherung von Wahlen in der IHK leisten.1199 Angesichts des in der Einführung dargestellten Befunds, der ein weitgehendes und langanhaltendes Desinteresse der Kammerzugehörigen an den Wahlen zur Vollversammlung beschreibt, ist es aber nachvollziehbar, dass dieser Gesichtspunkt seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr zur Sprache gelangt. Die Gruppenwahl in der IHK lässt zumindest diese Zwecksetzung kontinuierlich unerfüllt. d) Zwischenfazit: Notwendigkeit einer fortlaufenden Prüf- und Änderungspflicht für das Wahlverfahren der IHK Von der Annahme über eine prinzipielle Verfassungsmäßigkeit der Gruppenwahl ist die Frage nach der Rechtmäßigkeit des Wahlverfahrens in den einzelnen Wahlordnungen zu unterscheiden. Damit die verfassungsrechtliche Toleranz gegenüber dem Wahlverfahren der IHK nicht ad absurdum geführt wird, ist an eine wiederkehrende Prüfpflicht zu denken, nach der vor jeder Wahl untersucht und bestätigt werden muss, ob und inwiefern eine Diversifizierung der Wirtschaft eingetreten ist.1200 Zieht man die in der Verwaltungspraxis beobachtbaren Amtsdauern der Vollversammlung von durchschnittlich etwa fünf Jahren in Betracht,1201 ist zu fordern, dass Anhaltspunkte über eine tatsächliche Veränderung der wirtschaft­ lichen Bedeutung von Branchen oder Wirtschaftsregionen respektive die Entstehung neuer Branchen durch die Anpassung der Sitzzuteilung oder die Bildung neuer Wahlgruppen ohne schuldhaftes Zögern nachvollzogen werden müssen (Änderungspflicht).1202 Demgegenüber können „unterschiedliche regionale

1198

S. etwa Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 425; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 462; Groß, Die Wahl zur Vollversammlung der Industrie- und Handelskammern, 2002, S. 198; Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 5 Rn. 3. 1199 Instruktiv Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 435 f.; Basedow, BB 1977, 366 (369). 1200 In diese Richtung bereits Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 429. 1201 Dazu näher unter E. I. 4. b). 1202 In diese Richtung bereits Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 429.

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

Traditio­nen“1203 keine fortlaufende Berücksichtigung im Wahlrecht finden. Für die Wahlordnungen sind die tatsächliche Bedeutung der Gewerbegruppen und die aktuell wahrnehmbaren Besonderheiten des Kammerbezirks von alleiniger Bedeutung. Nur auf dieser Grundlage kann ein wirklichkeitsgetreues Abbild der Wirtschaft erzeugt werden. Da die amtierende Vollversammlung über die Wahlordnung beschließt (§ 4 S. 2 Nr. 2 IHKG) und damit über die Wahrscheinlichkeit eines Folge­ mandats verhandelt, liegt eine Entscheidung in eigener Sache vor, die Folgepro­ bleme bedingt.1204 Auch dieser Gesichtspunkt drängt dazu, die gesetzlichen Vorgaben zu verdichten. Die Möglichkeiten der organisationsexternen Kontrolle könnten auf diese Weise wahrnehmbar gesteigert werden, weil unter den geänderten Vorzeichen bereits unterhalb der Schwelle der Willkürfreiheit der Verantwortungsbereich von Rechtsaufsicht und Verwaltungsgerichten beginnt. 2. Die mittelbare Wahl Möchte man das Wahlrecht der IHK umfassend erörtern, gehört hierzu auch die Befugnis der Vollversammlung zur mittelbaren Wahl1205, die auch als „Kooptation“1206, „Zuwahl“1207, „mittelbare Zuwahl“1208, „mittelbare Hinzuwahl“1209, „Hinzuwahl“1210 oder „Selbstergänzung“1211 betitelt wird. Die Wahlordnungen verwenden die Begriffe „mittelbare Wahl“ und „Zuwahl“ mitunter im selben Atemzug,1212 wobei mit Ersterem wohl das Wahlverfahren und mit Letzterem das gesamte Institut bezeichnet werden soll. 1203

Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 5 Rn. 3 – Hervorh. i. O. Barbirz, Institutionelle Befangenheit, 2010, insbes. S. 172 ff.; Streit, Entscheidung in eigener Sache, 2006. Die Probleme liegen nicht grundsätzlich anders zu den Fragen der Wahlgesetzgebung zum Deutschen Bundestag (dazu v. Arnim, JZ 2009, 813–820). 1205 Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 433; Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 5 Rn. 40. 1206 BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 125); BVerwG, Urt. v. 16. Juni 2015 – 10 C 14.14 –, BVerwGE 152, 204 (210); Häußler, DVBl 2017, 157 (159); Irriger, Genossenschaftliche Elemente bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften, 1991, S. 217. 1207 BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 125); Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 442; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 472; Groß, Die Wahl zur Vollversammlung der Industrie- und Handelskammern, 2002, S. 199. Auch § 8 Abs. 2 PrHKG 1897 verwendete den Terminus „Zuwahl“. 1208 Rieger, GewArch 2016, 406. 1209 BVerwG, Urt. v. 16. Juni 2015 – 10 C 14.14 –, BVerwGE 152, 204 Ls. 1. 1210 Nullmeier, Kammerwahlen aus Sicht der Politikwissenschaft, in: Kluth (Hg.), JbKBR 2008, 2009, 13 (21); Günther, in: v. Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 86. EL Februar 2021, § 5 IHKG Rn. 73. 1211 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 442. 1212 § 22 Abs. 1 S. 1 Wahlordnung IHK Kiel: „Bis zu vier Mitglieder können in mittelbarer Wahl gemäß § 22 von den unmittelbar gewählten Vollversammlungsmitgliedern hinzugewählt werden, die insoweit als Wahlpersonen handeln (Zuwahl).“ 1204

I. Die Wahl zur Vollversammlung und die Repräsentationsidee in der IHK  

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Es liegt nahe, dass diese Begriffe in einem synonymen Verhältnis stehen. Indes ist in Anbetracht der vielfältigen Erscheinungsformen der mittelbaren Wahl angezeigt, einstweilen über feststehende Bezeichnungen für die unterschiedlichen Sachverhalte nachzudenken. Die Notwendigkeit dieses Unterfangens vermittelt insbesondere das System der Zuwahl in der Handwerkskammer. Ebenda gestattet § 93 Abs. 4 HwO, die Vollversammlung mit „sachverständigen Personen“ zu ergänzen. Obwohl es sich bei dem angesprochenen Personenkreis um organisationsexterne Akteure handelt, die der Vertreterversammlung als Mitglied hinzugefügt werden, wird auch dieser Vorgang als „Zuwahl“ im Gesetzestext sprachlich erfasst. Unter Geltung des IHKG war die Ergänzung der Vollversammlung mit organisationsexternen Personen noch nie gestattet (s. § 5 Abs. 2 IHKG).1213 Daher werden im Folgenden nur Konstellationen der mittelbaren Wahl von Kammerzugehörigen behandelt. a) Unterscheidung von vier Konstellationen der mittelbaren Wahl Für die IHK wird mit den eingangs erwähnten Terminologien oft die strittigste Spielart der mittelbaren Wahl bezeichnet. Im Zuge dessen wird die Vollversammlung zur Durchführung eines weiteren Wahlverfahrens ermächtigt, in dem die Organmitglieder, die von den Kammerzugehörigen nach Durchführung der unmittelbaren Wahl ein Mandat erhalten haben, weitere Mitglieder in ihr Organ hinzuwählen. Kennzeichnend für diesen Fall der mittelbaren Wahl, die in der großen Mehrzahl der IHK-Bezirke vorgesehen ist,1214 ist die zahlenmäßige Vergrößerung des Kollegiums durch Selbstergänzung. Die Mitglieder der Vollversammlung handeln in diesem Fall – diese Begrifflichkeit kann regelmäßig in den Wahlordnungen vorgefunden werden –1215 als „Wahlpersonen“ für die mittelbar Gewählten. Nach Abschluss dieser Prozedur wird das dem Mandat zugrundeliegende Wahlverfahren für rechtlich unbedeutend erklärt. Sowohl die unmittelbar als auch die mittelbar Gewählten werden gleichermaßen zu Mitgliedern der Vollversammlung erklärt und mit gleichen Mitwirkungsrechten ausgestattet. Weil das Charakteristikum der Zuwahl in der fehlenden Rangordnung zwischen dem zuwählenden Mitgliederkreis und den Zugewählten zu erkennen ist, fällt es schwer, in diesem Bezugsrahmen von einer Wahl zu sprechen. Dies gilt zumindest dann, wenn man einer Wahl beimisst, dass sie immerzu ein Verhältnis der Über- oder Unterordnung erzeugt.1216 Zur besseren Unterscheidung wird für dieses Wahlverfahren mittelbarer Art mit Blick auf die vorherrschende Begriffsauffassung dennoch der Terminus Zuwahl verwendet. Die Wahlordnung der IHK Kiel bestimmt, dass die Zuwahl dazu diene, 1213 Anders wohl nur Günther, in: v. Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 86. EL Februar 2021, § 5 IHKG Rn. 76, der allerdings seine (vom Gesetzeswortlaut abweichende) Auffassung nur behauptet. 1214 Dazu näher die Nachweise in Fn. 1325. 1215 So etwa in § 22 Abs. 1 S. 1 Wahlordnung IHK Kiel. 1216 Loewenstein, Kooptation und Zuwahl, 1973, S. 185.

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

die Spiegelbildlichkeit der Vollversammlung zu verbessern.1217 Die Zuwahl setzt voraus, dass die wirtschaftlichen Besonderheiten des Kammerbezirks und die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Gewerbegruppen berücksichtigt werden und der Antrag auf ihre Durchführung entsprechend dieser Maßgaben begründet wird.1218 Erforderlich ist weiterhin ein Wahlvorschlag, den mindestens zehn Wahlpersonen mit schriftlicher Begründung verfasst haben.1219 Die Zuwahl findet frühestens in der Zusammenkunft der Vollversammlung nach der konstituierenden Sitzung statt.1220 Vor Durchführung der Zuwahl ist ein Beschluss der Vollversammlung notwendig, der das Vorliegen der „Voraussetzungen“ erklärt und die Anzahl der zu besetzenden Sitze benennt.1221 Gewählt ist, wer mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen erhält.1222 Erhält bei mehreren Kandidaten kein Kandidat die erforderliche Mehrheit, findet eine Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen statt.1223 Vorgesehen ist zudem, dass aus den 21 Wahlgruppen drei Obergruppen gebildet werden („Industrie“, „Handel“ und „Dienstleistungen“), denen in Relation zu ihrer Bedeutung aktivierbare Zuwahlmandate zugeordnet werden.1224 Eine weitere, aber vernachlässigbare Ermächtigung zur mittelbaren Wahl sehen die Wahlordnungen für den Fall vor, dass nach Durchführung des unmittelbaren Wahlverfahrens nicht alle Sitze der Vollversammlung besetzt wurden.1225 Von der Zuwahl unterscheidet sich dieser Sachverhalt, weil keine Vergrößerung der Vollversammlung stattfindet. Davon zu unterscheiden ist eine weitere Konstellation der mittelbaren Wahl, die eine Situation betrifft, in der ein unmittelbar gewähltes Vollversammlungsmitglied vor Ablauf der Amtsperiode ausscheidet. Die Wahlordnungen sehen vor, dass zunächst derjenige Bewerber nachrückt, der bei der Wahl in derselben Wahlgruppe und, soweit ein Wahlbezirk gebildet ist, in demselben Wahlbezirk die nächsthöchste Stimmenzahl erreicht hat.1226 Zu einer mittelbaren Wahl kommt es erst, wenn auf der „Nachrückerliste“ kein weiterer Bewerber verzeichnet ist. In diesen Fällen bestimmen die Wahlordnungen in der Regel, dass der verwaiste Sitz im Wege der mittelbaren Wahl zu besetzen ist, wobei das nachfolgende Mitglied der Wahlgruppe und dem Wahlbezirk des ausgeschiedenen Mitglieds angehören muss.1227 Für dieses mittelbare Wahlverfahren wird in der Folge der Terminus mittelbare

1217

§ 1 Abs. 3 S. 2 Wahlordnung IHK Kiel. § 1 Abs. 3 S. 3 u. 4 Wahlordnung IHK Kiel. 1219 § 22 Abs. 1 S. 1 Wahlordnung IHK Kiel. In der Begründung ist auf die „Voraussetzungen“ der Zuwahl einzugehen, die in § 1 Abs. 3 genannt werden. 1220 § 22 Abs. 4 S. 2 Wahlordnung IHK Kiel. 1221 § 22 Abs. 3 Wahlordnung IHK Kiel. 1222 § 22 Abs. 2 Wahlordnung IHK Kiel. 1223 § 22 Abs. 4 S. 3 Wahlordnung IHK Kiel. 1224 § 7 Abs. 6 Wahlordnung IHK Kiel. 1225 § 2 Abs. 3 Wahlordnung IHK Kiel. 1226 S. nur § 2 Abs. 1 S. 1 Wahlordnung IHK Kiel. 1227 S. nur § 2 Abs. 2 Wahlordnung IHK Kiel. 1218

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Nachfolgewahl verwendet. Von der Zuwahl unterscheidet sich dieser Sachverhalt, weil ebenfalls keine Vergrößerung der Vollversammlung stattfindet. Schließlich kann eine vierte Form der mittelbaren Wahl beobachtet werden, die in der Tradition der bayerischen Kammern und den dort konstituierten Regionalausschüssen1228 angelegt ist. Dabei ist von Bedeutung, dass aus der Mitte der Regionalausschüsse ein Vorsitzender bestimmt wird. Auf die Vorsitzenden nehmen die Wahlordnungen Bezug und bestimmen, dass sie kraft Amtes Mitglieder der Vollversammlung sind. Da die Vorsitzenden der Regionalausschüsse ihr Amt lediglich von den Mitgliedern des Ausschusses ableiten, die von den zugehörigen Kammermitgliedern gewählt wurden, handelt es sich auch hierbei um eine Form der mittelbaren Wahl. Für die Vollversammlung der IHK München ergibt sich aus der Wahlordnung, dass sie bis zu 90 Mitglieder umfasst, wobei die Vorsitzenden der Regionalausschüsse kraft Amtes 19 Sitze vereinnahmen.1229 In den IHK-­Bezirken Augsburg und Bayreuth wird die Zusammensetzung der Vollversammlung ausschließlich auf Grundlage des Votums aus den Regionalausschüssen ermittelt,1230 deren Mitglieder insofern als Wahlpersonen handeln. Für die IHK Augsburg kommt hinzu, dass die Wahlordnung den Regionalversammlungen gestattet, die Zuwahl weiterer Mitglieder in ihr Gremium zu betreiben.1231 Von einer unmittelbaren Wahl zur Vollversammlung kann unter diesen Vorzeichen nicht mehr gesprochen werden. Aufgrund des Charakters als regionale Besonderheit soll eine ausführliche Auseinandersetzung allerdings ausbleiben. Anzumerken ist dennoch, dass ebenda ein veritables Rechtsproblem besteht, das vor dem Wortlaut des Gesetzes nur schwerlich aufzulösen ist.1232 Dies basiert auf der Einsicht, dass ein in den Wahlvorgaben des IHKG nicht vorgesehenes Gremium, der Regionalausschuss, über die Zusammensetzung der Vollversammlung weitgehend mitbestimmt oder sogar in Gänze entscheidet. b) Die Zuwahl als Rechtsproblem Wenngleich die mittelbare Wahl in vielen Wahlordnungen für zulässig erklärt und von den Rechtsaufsichten und Verwaltungsgerichten als legale Ausfüllung gesetzlicher Freiräume hingenommen wird, kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zulässigkeit eines mittelbaren Wahlverfahrens virulente Rechtsprobleme erzeugt.

1228

Dazu näher unter E. V. 3. d) ff) (2). § 1 Abs. 1 u. 3 Wahlordnung IHK München. 1230 S. dazu die Nachweise in Fn. 1326. 1231 § 10 Abs. 4 Wahlordnung IHK Augsburg. 1232 Diese Probleme werden auch von Kluth, Grundfragen des Kammerwahlrechts in Wirtschaftskammern, in: ders. (Hg.), JbKBR 2006, 2007, 139 (149 f.) erkannt. 1229

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aa) Rechtmäßigkeit der Zuwahl In rechtlicher Hinsicht ist vor allem die Zuwahl problematisch. Denn – und dies sollte an dieser Stelle betont werden – mit ihrer Durchführung entsteht eine Verschiebung der Wahlberechtigung. Während die Kammerzugehörigen nur zur Wahl von Mitgliedern der eigenen Wahlgruppe bzw. des eigenen Wahlbezirks berechtigt sind, werden die Mitglieder der Vollversammlung auch zur Wahl von Mitgliedern aus „fremden“ Gruppen oder Regionen berufen. Auch eine unbefangene Lesart des Gesetzes zeigt, dass die Rechtmäßigkeit der Zuwahl noch bewiesen werden muss. § 5 Abs. 1 IHKG bestimmt, dass „die [alle?] Mitglieder der Vollversammlung“ von „den [allen?] Kammerzugehörigen“ gewählt werden. (1) Stimmen über die Rechtmäßigkeit der Zuwahl Das Bundesverwaltungsgericht befand erstmals 1963, dass die Zuwahl mit dem IHKG vereinbart werden könne.1233 Der Entscheidung lag eine Wahlordnung zugrunde, nach der die Vollversammlung aus bis zu 75 Personen bestand, wobei in unmittelbarer Wahl 68 Mitglieder zu wählen waren und bis zu sieben Personen hinzugewählt werden konnten.1234 Der Anteil der hinzugewählten Mitglieder an der Vollversammlung betrug mithin bis zu ca. 9,33 %. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass § 5 Abs. 1 IHKG „lediglich allen Kammerzugehörigen das Recht auf Teilnahme an der Wahl“ gestatte, während die Vorschrift „nichts darüber“ aussage, „nach welchem Wahlmodus dieses Recht auszuüben“ sei.1235 Für rechtlich unbedeutend wurde auch die Erweiterung der Wahlberechtigung auf andere Wahlgruppen befunden. „Auch wenn der Gesetzgeber davon ausgegangen sein mag, daß die Wähler jeder Wahlgruppe im allgemeinen Angehörige dieser Gruppe wählen werden, hat er die Kandidatur und die Wahl von Bewerbern aus anderen Wahlgruppen nicht verboten.“1236 Aus § 5 Abs. 4 S. 2 IHKG könne zudem „keine Verpflichtung hergeleitet werden, die Wahl zur Vollversammlung nur unmittelbar durch die Mitglieder der einzelnen Wahlgruppen vornehmen zu lassen.“1237 Dem mit § 5 Abs. 4 S. 2 IHKG zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers solle es „vielmehr“ entsprechen, wenn eine Wahlordnung Lösungen vorsehe, die geeignet seien, „die Wahl von Vertretern solcher Wirtschaftszweige zu ermöglichen, deren besondere wirtschaftliche Bedeutung ihre Beteiligung bei der Willensbildung der Kammer“ rechtfertige, „die aber nicht bereits im Rahmen des Wahlgruppenverfahrens zum Zuge“ kämen. Die Möglichkeit zur „Wahl einer geringen Zahl der Mitglieder der Vollversammlung […] durch Wahlmänner“ erachtete das Gericht mit 1233

BVerwG, Urt. v. 3. September 1963 – I C 113.61 –, BVerwGE 16, 312 Ls. 1. BVerwG, Urt. v. 3. September 1963 – I C 113.61 –, BVerwGE 16, 312. 1235 BVerwG, Urt. v. 3. September 1963 – I C 113.61 –, BVerwGE 16, 312 (316). 1236 BVerwG, Urt. v. 3. September 1963 – I C 113.61 –, BVerwGE 16, 312 (317). 1237 BVerwG, Urt. v. 3. September 1963 – I C 113.61 –, BVerwGE 16, 312 (317 f.). 1234

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Einschränkungen („wie dies hier vorgesehen ist“) für zulässig.1238 Ein Gesetzes­ verstoß sei hingegen anzunehmen, wenn „Ergänzungswahlen im Einzelfall zu einer Verfälschung des strukturellen Bildes des Kammerbezirks und insbesondere zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Verschiebung der Gewichte der einzelnen Wahlgruppen“ führten.1239 Auch den Stimmen aus der Literatur, die die Zuwahl für unbedenklich erachten, können keine tiefschürfenden Argumente entnommen werden. Vielmehr drängt sich nach ihrer Durchsicht der Eindruck auf, dass zirkelschlüssigen Argumentationen das Wort geredet wird. Die Frage nach der Zulässigkeit der Zuwahl beantwortet man im Wesentlichen mit Erläuterungen über die Funktion oder Zweckmäßigkeit des Instituts. Kaum anders lässt sich zumindest verstehen, wenn ein „Defizit des Verfahrens der unmittelbaren Gruppenwahl, das durch die Zuwahl ausge­glichen werden“ könne, in Aussicht gestellt wird,1240 die „sachlichen Vorteile“ der Zuwahl angepriesen werden1241 oder die Zuwahl als „notwendiges Korrekturelement“ bzw. „Feinjustierung“ der unmittelbaren Gruppenwahl bezeichnet wird.1242 Rechtsmethodisch fragwürdig ist die in der Literatur anzutreffende Behauptung, dass als Obergrenze „allgemein 20 % der Gesamtzahl“ der Mitglieder der Vollversammlung angesehen würde.1243 Immerhin wird diese Auffassung unter Ansehung einer Vorschrift gewonnen, die die Zuwahl ausdrücklich legalisiert (§ 93 Abs. 4 HwO). Die von der Rechtsprechung bisher entschiedenen Sachverhalte geben für quantitative Angaben dieser Größenordnung keinen Anlass. Auch auf die Historie des Handelskammerrechts kann diese Ansicht nicht verweisen. Das PrHKG 1897 gestattete die Zuwahl mit einer abweichenden Zweckzuschreibung für den ancien commerçant unter Geltung einer 10-Prozent-Grenze, während das PrHKG 1870 von einer derartigen Regelung noch bewusst Abstand nahm.1244 Insoweit erachten 1238

Zitate bei BVerwG, Urt. v. 3. September 1963 – I C 113.61 –, BVerwGE 16, 312 (318). BVerwG, Urt. v. 3. September 1963 – I C 113.61 –, BVerwGE 16, 312 (319). 1240 Rieger, GewArch 2016, 406 (408). Fragwürdig ist die von dem Autor gewählte Rückversicherung in einer Untersuchung von Karl Loewenstein. Denn während Loewenstein im gesamten Verlauf seiner Studie auf die Gefahren der Zuwahl hinweist und die Selbstergänzung letztlich nur für die frei gebildeten Zusammenschlüsse hinnehmen möchte (Kooptation und Zuwahl, 1973, S. 199), lässt sich Rieger so verstehen, dass Loewenstein in der Zuwahl lediglich Vorteilhaftes erblickte. 1241 Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 5 Rn. 43. 1242 Rieger, GewArch 2016, 406 (408). Gleichgerichtet Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 5 Rn. 43. S. ferner Irriger, Genossenschaftliche Elemente bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften, 1991, S. 217: „Für diese Selbstergänzung sprechen eine Reihe von Zweckmäßigkeitsüberlegungen.“; Groß, Die Wahl zur Vollversammlung der Industrie- und Handelskammern, 2002, S. 199: „probates Mittel“. 1243 Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 5 Rn. 41. In diesem Sinne auch Günther, in: v. Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 86. EL Februar 2021, § 5 IHKG Rn. 77. 1244 § 8 PrHKG 1897: „[1] Die Handelskammer kann Personen, die […] zu Mitgliedern der Handelskammer gewählt werden konnten, aber ihre die Wählbarkeit begründende Thätigkeit oder Stellung aufgegeben haben, über die […] Zahl der Mitglieder hinaus zuwählen. [2] Die 1239

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

andere Stimmen bereits ein Überschreiten der Grenze von 10 % für problematisch,1245 sodass von einer allgemeinen Auffassung nur schwerlich gesprochen werden kann. In Anbetracht der Wahlordnung der IHK Köln, die jegliches mittelbare Wahlverfahren ab dem Erreichen einer 20-Prozent-Grenze für ausgeschlossen erklärt,1246 zeigt sich allerdings, dass sich die vorstehende Behauptung verselbstständigt hat. Die Auffassung, dass die Zuwahl in Betracht käme, um „im besonderen Maße repräsentative Unternehmer für die Mitarbeit in der Vollversammlung zu gewinnen“,1247 steht überdies im offenen Widerspruch zu der aktuelleren Rechtsprechung des BVerwG.1248 Mit einem Urteil aus dem Jahr 2015 hat das Bundesverwaltungsgericht seine Grundannahmen bestätigt.1249 Man kann daher eine Rechtsprechungslinie erkennen, in der Wahlordnungen für prinzipiell unbedenklich vor den Maßgaben des höherrangigen Rechts erachtet werden, wenn sie die Zuwahl gestatten. Der Entscheidung lag eine Wahlordnung zugrunde, nach der die Vollversammlung aus bis zu 94 Mitgliedern bestand, wobei bis zu zehn Personen hinzugewählt werden konnten.1250 Der Anteil der hinzugewählten Mitglieder an der Vollversammlung betrug demnach bis zu ca. 10,64 %. Doch wurde der prozentuale Anstieg im Vergleich zu dem bisher entschiedenen Sachverhalt durch das Gericht nicht einmal thematisiert. Problembehaftet war vielmehr, dass der Gesetzgeber 2007 § 5 Abs. 4 S. 2 IHKG um einen klarstellenden Zusatz ergänzt hatte.1251 Seitdem ist erforderlich, dass die Wahlordnungen auch „die Zahl der diesen [den Wahlgruppen] zugeordneten Sitze in der Vollversammlung“ festschreiben. Nach der Konzeption der Rechtsprechung musste diese Anforderung auch für die Zuwahl Beachtung finden. „Die Wahlordnung einer Industrie- und Handelskammer, die die Kammerzugehörigen in Wahlgruppen einteilt und diesen nur die Anzahl der unmittelbar gewählten, nicht aber die der mittelbar hinzugewählten Mitglieder der Vollversammlung zuordnet, ist mit § 5 Abs. 3 Satz 2 IHK-Gesetz unvereinbar.“1252 Diesen Anforderungen genügten die entscheidungserheblichen Bestimmungen der Wahlordnung nicht, weshalb sie wegen Verstoßes gegen das ranghöhere Gesetz für unwirksam erachtet wurden. Zuwahl erfolgt auf drei Jahre. [3] Die Zahl dieser Mitglieder darf den zehnten Theil der Mitglieder der Handelskammer nicht übersteigen.“ Unter Ansehung von § 8 Abs. 1 PrHKG 1897 und die Beschränkung der Zuwahl auf den ancien commerçant kann erhellt werden, dass man den Handelskammern ermöglichen wollte, auf den Erfahrungsschatz der Geschäftsleute im Ruhestand zurückzugreifen. Zu den jeweiligen Motiven des Gesetzgebers s. Lusensky, Gesetz über die Handelskammern. Vom 24. Februar 1870 in der Fassung des Gesetzes vom 19. August 1897 – Kommentar, 2. Aufl. 1909, S. 112 ff. 1245 Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 435. 1246 S. § 2 Abs. 4 S. 1 der Wahlordnung. 1247 Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 5 Rn. 43. 1248 Explizit gegen die letzte Einschätzung BVerwG, Urt. v. 16. Juni 2015 – 10 C 14.14 –, BVerwGE 152, 204 (210 Rn. 30). 1249 BVerwG, Urt. v. 16. Juni 2015 – 10 C 14.14 –, BVerwGE 152, 204 Ls. 1. 1250 BVerwG, Urt. v. 16. Juni 2015 – 10 C 14.14 –, BVerwGE 152, 204 (204 f.). 1251 BGBl. I, S. 2246, 2250. Dazu BR-Drs. 68/07, S. 82. 1252 BVerwG, Urt. v. 16. Juni 2015 – 10 C 14.14 –, BVerwGE 152, 204 Ls. 2.

I. Die Wahl zur Vollversammlung und die Repräsentationsidee in der IHK  

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(2) Zuwahl aufgrund der Reputation des Zuzuwählenden? Problematisch war überdies, dass in der Verwaltungspraxis die rechtlichen Maßstäbe zur Beschränkung der Zuwahloptionen keine Beachtung fanden. Während das BVerwG 1963 die Zuwahl für Wirtschaftszweige von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung ermöglicht hatte, waren viele Kammern dazu übergegangen, auch auf Gründe in der Person des Zuzuwählenden abzustellen. In dem 2015 entschiedenen Sachverhalt erfolgte die Zuwahl für mehrere, im Rahmen der unmittelbaren Wahl nicht mandatierte Personen mit der vom Präsidium erdachten Begründung, nach der es sich jeweils um „namhafte Vertreter“ von regional bedeutsamen Unternehmen handele.1253 Das Gericht bekannte diesbezüglich, dass eine „Kooptation von Mitgliedern der Vollversammlung allein aus Gründen, die in der Person der mittelbar Hinzugewählten liegen, wie etwa deren Reputation oder ihre Tätigkeit für ein besonders renommiertes Unternehmen, mit § 5 Abs. 3 Satz 2 IHKG nicht vereinbar wäre“.1254 Dieses obiter dictum bedingte weitreichende Auswirkungen im Tatsächlichen.1255 Die SZ erkannte einen „Angriff auf die Zugewählten“ und erläuterte, dass sich hohe IHK-Funktionäre mit Rücktrittsforderungen auseinandersetzen müssten.1256 Der Tagesspiegel berichtete, dass sowohl in der HK Hamburg als auch in der IHK Bonn die damals amtierenden Präsidenten (!) erst im Wege der Zuwahl ihr Mandat in der Vollversammlung erlangt hatten.1257 In der IHK Heilbronn führte der Richterspruch zur Rückgabe von fünf Mandaten unter den Vollversammlungsmitgliedern und zum Rücktritt des amtierenden Präsidenten,1258 während die IHK Berlin neun Verzichtserklärungen für das Mandat in der Vollversammlung verzeichnete.1259 Noch heute muss ernstlich angezweifelt werden, ob die geltende Wahlordnung der IHK Düsseldorf1260 den Ausführungen des Bundesgerichts entspricht. 1253

BVerwG, Urt. v. 16. Juni 2015 – 10 C 14.14 –, BVerwGE 152, 204 (Rn. 3 [juris]). BVerwG, Urt. v. 16. Juni 2015 – 10 C 14.14 –, BVerwGE 152, 204 (Rn. 30). 1255 Häußler, DVBl 2017, 157 (159). 1256 Hahn, Angriff auf die Zugewählten, SZ v. 11. September 2015, Nr. 209, S. 20, abrufbar unter https://sz.de/1.2641966. 1257 Hoffmann, Gericht bringt Kammern in die Klemme – Hunderte IHK-Delegierte könnten Ämter verlieren, Der Tagesspiegel v. 16. Juli 2015, abrufbar unter https://www.tages spiegel.de/wirtschaft/gericht-bringt-kammern-in-die-klemme-hunderte-ihk-delegierte-koenntenaemter-verlieren/12062712.html. 1258 Fritz-Kador, Heilbronn: IHK-Präsident Unkelbach legt Amt nieder, Rhein-Neckar-Zeitung v. 2. Oktober 2015, abrufbar unter https://www.rnz.de/politik/suedwest_artikel,-SuedwestHeilbronn-IHK-Praesident-Unkelbach-legt-Amt-nieder-_arid,130907.html. 1259 Hoffmann, IHK  Berlin  – Charité, Hertha BSC und Air Berlin geben Stimmrecht ab, Der Tagesspiegel v. 15. September 2015, abrufbar unter https://www.tagesspiegel.de/ wirtschaft/gericht-bringt-kammern-in-die-klemme-hunderte-ihk-delegierte-koennten-aemterverlieren/12062712.html. 1260 § 1 Abs. 3 S. 1 Wahlordnung IHK Düsseldorf: „Durch die Zuwahl soll die Vollversammlung um Vertreter solcher Wirtschaftszweige und Unternehmen ergänzt werden, die für das Bild des IHK-Bezirks bedeutsam sind.“ 1254

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

bb) Kritik und eigene Auffassung Die Zuwahl kann mit sinnstiftenden Argumenten versehen werden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass dem Kollegium mit der Person des Zuzuwählenden Vorteile wie betriebs- oder volkswirtschaftliches Fachwissen, gesellschaftliche Beziehungen oder jüngeres Blut mit innovativen Ideen hinzugefügt werden können. In der Folge würde die Zuwahl dem Wohlergehen der Gruppe oder der Organisation insgesamt zumindest potenziell nutzen.1261 Doch kann diese idealitere Umschreibung nicht die vielzähligen Schwachstellen verdecken, die die rechtliche und organisationssoziologische Perspektive auf die Zuwahl zutage fördert. (1) Unvereinbarkeit der Rechtsprechung mit den Maßstäben juristischer Methodik Bereits die Rechtsprechungslinie des Bundesverwaltungsgerichts, auf die sich das BVerfG und die befürwortenden Stimmen aus der Literatur berufen,1262 ist von geringer Argumentationstiefe.1263 Die Entscheidungen rücken vorgeblich existierende praktische Bedürfnisse in den Vordergrund und lassen eine Urteilsfindung anhand der Maßstäbe juristischer Methodik vollkommen in Vergessenheit geraten. Einen Ausdruck erfährt dies etwa bei dem offenbar der Zivilrechtstheorie entnommenen Argument, dass der Gesetzgeber die Zuwahl „nicht verboten“ habe, obwohl die umgekehrte Frage nach der Ermächtigung zu diesem Verfahren zu beantworten war. Die Argumentationsfigur namens „Wille des Gesetzgebers“ birgt überdies wenig Aussagekraft, wenn für den angenommenen Willen kein ausdrücklicher Anhaltspunkt in den Gesetzesmaterialien benannt und in der Folge mit einem unterstellten Willen argumentiert wird.1264 Da der historische Gesetzgeber bei Verabschiedung des IHKG kaum belastbare Aussagen hinterließ, sollten derartige Verweise im Zusammenhang mit dem IHK-Recht immerzu Argwohn hervorrufen. Der Wortlaut von § 5 Abs. 1 IHKG nähert ein Verständnis, nach dem die Wahl zur Vollversammlung ausschließlich in einem unmittelbaren Wahlverfahren abzu-

1261 Diese Erwägungen finden sich bei Loewenstein, Kooptation und Zuwahl, 1973, S. 134, 188 f., der allerdings im gesamten Verlauf der Studie deutliche Warnungen gegenüber dem Institut der Zuwahl ausspricht. 1262 S. BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 125) einerseits und Rieger, GewArch 2016, 406 (407 f.) andererseits. 1263 Äußerst kritisch schon Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 129 f. 1264 Zu dem notwendigen Zusammenhang zwischen der Argumentationsfigur Wille des Gesetzgebers und den Gesetzesmaterialien s. Frieling, Gesetzesmaterialien und Wille des Gesetzgebers, 2017; Sehl, Was will der Gesetzgeber? Ziel und Methode rationaler Argumentation mit Gesetzesmaterialien, 2019.

I. Die Wahl zur Vollversammlung und die Repräsentationsidee in der IHK  

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halten ist.1265 Wenig Überzeugungskraft birgt demgegenüber die Verklärung von § 5 Abs. 1 IHKG zu einer Vorschrift, die allen Kammerzugehörigen das Recht zur Teilnahme an der Wahl gestatte. Der Argumentation des Gerichts ist zuzugeben, dass § 5 Abs. 1 IHKG auf den Zusatz „unmittelbar“ verzichtet, womit der Wortlaut an mangelnder Eindeutigkeit leidet. Dass das Wahlrecht eines jeden Kammerzugehörigen zu seinem Repräsentativorgan bereits aus dem Dreiklang Betroffenheit – Beitragsverpflichtung – Wahlberechtigung als dem körperschaftlichen Grundgedanken folgt, blendet das Gericht jedoch vollständig aus. Auch der Rechtsvergleich mit der HwO zeigt, wie fernliegend die Annahme ist, der Gesetzgeber habe mit § 5 Abs. 1 IHKG keine Festlegung für das unmittelbare Wahlverfahren getroffen. Während § 95 Abs. 1 S. 1 HwO bestimmt, dass die Mitglieder der Vollversammlung und ihre Stellvertreter durch Listen in allgemeiner, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt werden, ermächtigt § 93 Abs. 4 HwO die Vollversammlung explizit zur Zuwahl. Die Tatsache, dass das IHKG die Zuwahl nicht gesondert erwähnt und zugleich die Wahl durch die Kammerzugehörigen anordnet (§ 5 Abs. 1 IHKG), muss als ausdrückliche Absage für dieses mittelbare Wahlverfahren verstanden werden.1266 Zu diesem Ergebnis kam schließlich auch die frühere, unveröffentlicht gebliebene Rechtsprechung.1267 (2) Demokratisches Prinzip Häufig können im Zusammenhang mit der Zuwahl Hinweise auf eine Unvereinbarkeit mit dem demokratischen Prinzip aufgefunden werden. Beklagt wird insbesondere ein im Rahmen der Zuwahl entstehendes Legitimationsdefizit. Teile der Literatur kennzeichnen das Instrument allgemein als verfassungswidrig1268 oder stellen spezifisch fest, dass die hinzugewählten Mitglieder über keine personelle Legitimation verfügen.1269 Wenn man das Verfahren der Zuwahl in seinen Einzelheiten untersucht und es vor die Folie des Demokratieprinzips hält, ergibt sich eine Vielzahl zweifelhafter Einsichten. Befürworter der Zuwahl behaupten, dass sich das Instrument als Garant für den Minderheitenschutz ergebe.1270 Bei genauerem Hinsehen ist gerade die 1265 Auf die Unvereinbarkeit der Zuwahl mit dem Wortlaut von § 5 Abs. 1 IHKG ebenfalls hinweisend Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 204 m. Fn. 285; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 130 u. 442 f. A. A. Frentzel / Jäkel, DVBl 1964, 973 (978). 1266 Bremer, Kammerrecht der Wirtschaft – Kommentar, 1960, S. 112. 1267 Berichtend Bremer, Kammerrecht der Wirtschaft – Kommentar, 1960, S. 112. 1268 So Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 204. 1269 So Papenfuß, Die personellen Grenzen der Autonomie öffentlich-rechtlicher Körperschaften, 1991, S. 159. 1270 So aber Irriger, Genossenschaftliche Elemente bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften, 1991, S. 218.

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

gegenteilige Auffassung zutreffend. Speziell die Bindung der Wahl an das Votum der Abstimmungsmehrheit sorgt dafür, dass einmal etablierte Mehrheitsverhältnisse leichtfertig stabilisiert und sogar ausgebaut werden können. Ein unmittelbarer Ausdruck findet dieses Selbstverständnis etwa in der Wahlordnung der IHK Köln. Ebenda kann das Präsidium, deren Mitglieder tendenziell der Organmehrheit angehören, den Vorschlag zur Zuwahl einbringen.1271 Unbedingt ist anzuerkennen, dass die Zuwahl keine Fallgruppe der indirekten Wahl darstellt. Die Vollversammlungsmitglieder agieren nicht als Wahlpersonen im Sinne des Electoral College, sondern sind bereits Mitglieder jenes Organs, über deren Ergänzung sie entscheiden. Aus diesem Grund ist es in terminologischer Hinsicht zumindest ungenau, womöglich sogar verzerrend, wenn in der Literatur und der Rechtsprechung die Mitglieder der Vollversammlung als „Wahlmänner“1272 bezeichnet werden. Die Zuwahl kann keinesfalls in eine „stufenförmige Legitimationspyramide“ integriert werden, weil die aus ihr hervorgegangenen Mandate lediglich eine Legitimation durch Organwalter auf der gleichen Stufe erfahren.1273 Auch die mit der Zuwahl einhergehende Zweiteilung des Wahlrechts ist pro­ blembehaftet. Während die Kammerzugehörigen nur innerhalb ihrer Wahlgruppe über eine Wahlberechtigung verfügen, dürfen die Mitglieder der Vollversammlung in ihrer Rolle als Wahlpersonen auch über Bewerber aus „fremden“ Wahlgruppen entscheiden. Mit Blick auf das demokratische Prinzip ist es geboten, das Verfahren in aller Deutlichkeit als ein Zwei-Klassen-Wahlrecht zu benennen. Die ganze Dimension der Problematik offenbart sich, wenn man bedenkt, dass das Verfahren den Eindruck vermittelt, die (wenigen) Mitglieder der Vollversammlung hätten eine höhere Einsicht über diejenigen Unternehmer, mit denen die spiegelbildliche Abbildung der Bezirkswirtschaft erst gelingen könnte. Denn nach der vorherrschenden Meinung soll die Zuwahl nicht einmal für Bewerber ausgeschlossen sein, die zuvor in der unmittelbaren Wahl nicht die notwendigen Stimmen für ein Mandat in der Vollversammlung erhalten haben.1274 Wenn die Vorzüge der Zuwahl mit Erwägungen über eine Feinjustierung der Repräsentationsidee begründet werden, ist der damit erzeugten Legende zu widersprechen. Die Zuwahl ist, dies hat Karl Loewenstein allgemeingültig und zutreffend herausgearbeitet, „repräsentationsneutral“1275. Denn der Zugewählte 1271

§ 17 Abs. 1 S. 1 Wahlordnung IHK Köln. BVerwG, Urt. v. 3. September 1963 – I C 113.61 –, BVerwGE 16, 312 (318); Rieger, GewArch 2016, 406 (411); Günther, in: v. Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 86. EL Februar 2021, § 5 IHKG Rn. 78. Missverständlich auch Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 130, der die „Zwischenschaltung eines Wahlmännergremiums“ erörtert. 1273 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 442. 1274 So OVG NRW, Urt. v. 12. März 2003  – 8 A 2398/02  –, juris Rn. 33; Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 5 Rn. 46; Günther, in: v.  Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 86. EL Februar 2021, § 5 IHKG Rn. 76. 1275 Loewenstein, Kooptation und Zuwahl, 1973, S. 186 f. 1272

I. Die Wahl zur Vollversammlung und die Repräsentationsidee in der IHK  

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wird aufgrund seiner persönlichen Qualifikation gewählt, wohingegen nicht die Erwartung besteht, dass er die Interessen anderer vertritt. In formeller Hinsicht kann eine derartige Erwartungshaltung wegen des fehlenden Verantwortungszusammenhangs auch nicht begründet werden, weil die legitimierten Vertreter von Gruppeninteressen aus der unmittelbaren Wahl hervorgehen. Ein fragwürdiges Verständnis über die Notwendigkeiten innerorganisatorischer Demokratie und die Einsichtsfähigkeit der Kammerzugehörigen vermitteln Ausführungen, die in der Zuwahl ein Instrument erkennen, dass die Zusammensetzung der Vollversammlung nicht dem „Zufall von Massenwahlen“1276 überlässt. Eben Gesagtes gilt entsprechend für Verlautbarungen, die mit Blick auf das unmittelbare Wahlverfahren die nebulöse Wendung von „wahltaktische[n] Überlegungen“ fallenlassen.1277 Denn diese Äußerungen rücken das Ergebnis der unmittelbaren Wahl in die Nähe der Illegitimität. Wenig überzeugend wirkt auch der hochgradig fiktionale Hinweis darauf, dass die Kammerzugehörigen im Zuge der unmittelbaren Wahl den Wahlpersonen ein Mandat für die anschließende Zuwahl erteilen.1278 Die Auffassung unterschlägt, dass die Zuwahl Bestandteil der geltenden Wahlordnungen ist und die Kammerzugehörigen der vorgeblichen Erteilung eines Mandats nur durch Wahlpassivität entkommen könnten. Da die Zuwahl vielfältige, im demokratischen Prinzip wurzelnde Ideen beeinträchtigt, wirkt es überraschend, wenn ausgerechnet das BVerfG zu einer wenig differenzierten Ansicht zu diesem Rechtsinstitut gelangt. Das Gericht befand jüngst, dass es „dahingestellt“ bleiben könne, „nach welchen Maßstäben im Einzelnen die Zuwahl von Mitgliedern der Vollversammlung in den Industrie- und Handelskammern den verfassungsrechtlichen Anforderungen“ genüge. Es könne nicht entnehmen, „inwieweit unter diesen Umständen damit [dem geltenden Verfahren der Zuwahl] konkret […] Legitimationsdefizite der Kammern verbunden wären“.1279 Vollkommen fehl geht nach dem eben Gesagten jedenfalls die Meinung, wonach die Zuwahl einer geringen Anzahl von Vollversammlungsmitgliedern vom Demokratieprinzip gerade gefordert und gefördert werde.1280 Zutreffend ist vielmehr, dass die Zuwahl im Grundsätzlichen wie auch in ihrer Ausgestaltung in den Wahlordnungen der IHK dem Prinzip demokratischer Repräsentation zuwider läuft.1281 1276 Irriger, Genossenschaftliche Elemente bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften, 1991, S. 217. 1277 Rieger, GewArch 2016, 406 (408). 1278 So Irriger, Genossenschaftliche Elemente bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften, 1991, S. 218. 1279 BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 Rn. 125. 1280 So Rieger, GewArch 2016, 406 (410). 1281 So auch Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 129. Dagegen Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 473, der zwar auch eine „Schwächung der Repräsentativfunktion“ feststellt, aber dies als „verfassungsrechtlich zulässige Modifizierung der Legitimationsweitergabe“ einordnet und die Zuwahl schließlich für „verfassungsrechtlich zulässig“ befindet.

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

Der Grundsatz innerorganisatorischer Demokratie erfordert die Wahl aller Repräsentanten durch alle Repräsentierten in einem Verfahren. (3) Parlamentsvorbehalt Das Wahlverfahren zur Vollversammlung ist, wie eingangs erwähnt, von hoher Bedeutung, weil es als entscheidender Mittler des Repräsentationskonzepts in der IHK anzusehen ist. Es bildet die Grundlage für eine Aufgabenerfüllung, die sich auf alle Mitglieder zurückführen lässt. Angesichts dieser Wirkmacht geraten die Ermächtigung zur- und die Ausgestaltung der Zuwahl allein im untergesetzlichen Recht auch vor dem Parlamentsvorbehalt in Bedrängnis. Immerhin bedingt die Zuwahl weitreichende Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Vollversammlung. Hier kann eine folgenschwere Korrektur des Ergebnisses der unmittelbaren Wahl erfolgen.1282 Hält man die Zuwahl für mit dem Demokratieprinzip vereinbar, erkennt man in ihr ein zukunftsträchtiges, die Repräsentation sicherndes System und möchte man in der Folge an ihr festhalten, so ist zumindest eine die Einzelheiten des Verfahrens erfassende Regelung im IHKG erforderlich. Bestimmt werden muss, welche Personen zugewählt werden können, für welche Dauer die Zuwahl erfolgen darf und wie hoch die Zahl der zuzuwählenden Mitglieder in Relation zur Gesamtzahl der Vollversammlungsmitglieder sein darf.1283 Vorbilder für derartige Regelungen lassen sich im Wege des Rechtsvergleichs (s. § 93 Abs. 4 HwO) oder in der Historie des Handelskammerrechts finden. (4) Gleichzeitigkeit von unmittelbarer Wahl und Zuwahl Der mit der Zuwahl verbundene Zweckgehalt überzeugt insbesondere nicht, wenn man sich die Besonderheiten der unmittelbaren Wahl zur Vollversammlung vor Augen führt. Befürworter der Zuwahl sprechen davon, dass sie ein notwendiges Korrekturelement darstelle oder erst sie eine Feinjustierung der Gruppenwahl ermögliche. Doch dürfte sich bereits der unbefangene Beobachter die Frage stellen, warum zunächst eine unmittelbare Wahl mit feingliedrigen Bestimmungen über Wahlgruppen und -bezirke zur repräsentativen Zusammensetzung der Vollversammlung durchgeführt wird, um nachfolgend jenes Organ mit weiteren Mitgliedern im Rahmen der Zuwahl mit der gleichen Zielsetzung zu ergänzen. 1282 Auch Kluth, Grundfragen des Kammerwahlrechts in Wirtschaftskammern, in: ders. (Hg.), JbKBR 2006, 2007, 139 (150) möchte „genauer als bisher“ darüber nachgedacht wissen, ob die Zuwahl als wesentliche Grundentscheidung dem parlamentarischen Gesetzgeber vorbehalten sein könnte. Dagegen BVerwG, Urt. v. 16. Juni 2015 – 10 C 14.14 –, BVerwGE 152, 204 (Rn. 24). 1283 So bereits die Forderung bei Bremer, Kammerrecht der Wirtschaft – Kommentar, 1960, S. 112.

I. Die Wahl zur Vollversammlung und die Repräsentationsidee in der IHK  

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Insofern drängt sich die Schlussfolgerung auf, dass die Existenz der Zuwahl entweder die Unvereinbarkeit zwischen der Wahlordnung und den Zielvorgaben des § 5 Abs. 4 S. 2 IHKG belegt oder mit der Zuwahl in Wahrheit weitergehende Ziele verfolgt werden, die sich hinter unerklärbaren Chiffren verstecken und keine offene Kommunikation erfahren.1284 Das rechtsmethodische Argument lautet insoweit, dass Sinn und Zweck von § 5 Abs. 4 S. 2 IHKG die Existenz der Zuwahl verbieten. Für ein zweites Wahlverfahren, das mit dem Ziel der Herstellung einer spiegelbildlichen Zusammensetzung der Vollversammlung betrieben wird, besteht kein Raum, wenn und weil das erste Wahlverfahren bereits diese Zwecksetzung verfolgt und insoweit eine Sperrwirkung errichtet. Vielmehr birgt das zweite Wahlverfahren sogar die Gefahr, das Repräsentationskonzept zu unterminieren. Die in der Verwaltungspraxis nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts bekanntgewordenen Reaktionen zeigen, dass die tatsächliche Motivlage für die Durchführung von Zuwahlen aller Wahrscheinlichkeit nach hinter unbestimmten Floskeln (z. B. „Feinjustierung“) bewusst verborgen wird. Wenn sich ein amtierender IHK-Präsident nicht dem Votum der Kammerzugehörigen stellt, sondern über die „Hintertür“ namens Zuwahl zunächst ein Mandat in der Vollversammlung und sodann das Amt des Präsidenten erlangt, kann dies vor den herrschenden Sinnzuschreibungen nur schwer gerechtfertigt werden. Stattdessen liegt nahe, dass Absprachen im Vorwege oder im Nachgang der unmittelbaren Wahl die Präsidentschaft ermöglichten. Dass derartige Vorgänge nur noch wenig mit dem Prinzip Selbstverwaltung und dem Gedanken innerorganisatorischer Demokratie gemeinsam haben, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Die vorgeblich unumgängliche Korrektur der Ergebnisse, die im Wege des unmittelbaren Wahlverfahrens gewonnen wurden, bekommt auch nach einer vergleichenden Durchsicht aller Wahlordnungen tiefe Risse. Immerhin verzichten die Wahlordnungen mehrerer Kammern auf das Instrument der Zuwahl.1285 Es ist zugleich nicht öffentlich wahrzunehmen, dass die repräsentative Zusammensetzung der Vollversammlung in den betreffenden Bezirken unter Mängeln leiden würde. (5) Organisationssoziologische Aspekte Die organisationssoziologische Perspektive drängt ebenfalls zu der Einsicht, in Gänze von der Zuwahl Abstand zu nehmen. Denn die Zuwahl ergibt sich als Wegbereiter für eine elitäre und oligarchische Zusammensetzung der Mitgliedschaft. 1286 Sie dient in ihrer primären Stoßrichtung der fortdauernden Erhaltung der Grup 1284 Zutreffend Nullmeier, Kammerwahlen aus Sicht der Politikwissenschaft, in: Kluth (Hg.), JbKBR 2008, 2009, 13 (21): „Wenn es um Expertise geht, wäre eine beratende Stimme oder ein Anhörungsrecht hinreichend, wenn es um Branchenrepräsentanz geht, wären die Wahlgruppen entsprechend zu ändern.“ 1285 S. dazu die Nachweise in Fn. 1328. 1286 Loewenstein, Kooptation und Zuwahl, 1973, S. 134 f.

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penidentität und der Sicherung ihrer bisherigen Gliederung. Sie ist Ausdruck des Wunsches, sich nur mit solchen Personen zusammenfinden und entscheiden zu wollen, bei denen ein Mindestmaß an Übereinstimmung über Interessen, Wesen, Zwecke, Ziele und Ausrichtung der Organisation besteht. Mit der Zuwahl lässt sich Exklusivität erzeugen, wenn und weil Prärogativen und Vorrechte auf bestimmte genehme Personen erweitert werden können und zugleich eine anti-egalitär wirkende Auslese praktiziert wird. Mit dem Rechtsinstitut wird zwar die Wahl von genauso unbekannten wie unbefangenen Mitgliedern nicht ausgeschlossen. Damit kann das Instrument auch eingesetzt werden, um eine Selbstergänzung des Organs mit Reform- oder Regenerationsideen zu forcieren bzw. die allmähliche Veränderung des Organisationsprofils oder sogar die radikal-revolutionäre Umstellung der Organisationspolitik zu betreiben.1287 Doch wird die Durchführung einer progressiven Erneuerungsstrategie in der Regel nicht angestrebt. Die Zuwahl ist stattdessen und primär ein „sozial-konservatives Element“,1288 das zur lenkenden Einflussnahme auf den sich innerhalb einer Organisation abspielenden Machtprozess und die nachhaltige Verhinderung von Machtverschiebungen zur Verwendung gelangt.1289 Denn das Verfahren der Zuwahl bietet die Gewähr dafür, dass die Katze nicht im Sack gekauft werden muss. Soll ein Mitglied hinzugewählt werden, sind die Zuwählenden über die Person des Zugewählten umfassend informiert. Die Kenntnis über das in das Gremium aufgenommene Abstimmungsverhalten wird nachgerade zur Voraussetzung der Zuwahl. Aus diesem Grund stellt die Abstimmung über die Zuwahl schließlich in den meisten Fällen nur noch eine Formalität dar.1290 Sollte die Abstimmung dennoch die Ablehnung der Zuwahl zum Ergebnis haben, würde dies zeigen, dass das Gremium das Verhalten des Zuzuwählenden nicht genau berechnen konnte. Das IHKG gewährleistet für den Verband bereits Identitätssicherung, Existenzerhaltung und die Unverrückbarkeit der Gruppenziele. Das Bundesverfassungsgericht wirkt als zusätzlicher Patron, indem es das Organisationsgesetz regelmäßig mit dem Siegel verfassungsrechtlicher Unbedenklichkeit versieht. Da die Zuwahl in organisationssozialer Hinsicht den Verfall des Organisationsprofils verhüten soll, kann für die IHK kein Bedarf für eine Beibehaltung des Instituts erkannt werden. Wenn man den in der gewerblichen Wirtschaft stattfindenden Diversifikationsprozess zeitnah in der Vollversammlung abbilden möchte, wirkt die gleichzeitige Verfügbarkeit von Zuwahloptionen sogar kontraproduktiv. Immerhin ist die Zuwahl unter Anwendung der Mehrheitsregel auf eine Erhaltung des Status Quo im Innenleben des sozialen Gebildes gerichtet. Die IHK ist jedoch auf offene Machtkämpfe und die Möglichkeit einer stetigen Umwälzung der Mehrheitsver 1287

Loewenstein, Kooptation und Zuwahl, 1973, S. 192. Loewenstein, Kooptation und Zuwahl, 1973, S. 134 – Hervorh. n. h. 1289 Loewenstein, Kooptation und Zuwahl, 1973, S. 190 ff. erläutert die Zwecke und Ziele der Zuwahl mit der Identitätssicherung und der Einflussnahme auf Machtprozesse. 1290 Loewenstein, Kooptation und Zuwahl, 1973, S. 190. 1288

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hältnisse angewiesen, wenn das Interesse an dem Verband unter den Kammerzugehörigen gesteigert werden soll.1291 Dies verhindert der Einsatz der Zuwahl aber zuverlässig. Sollen in der IHK die positiven Attribute zur Verwirklichung gelangen, müsste die Zuwahl an ein einstimmiges Votum der Vollversammlung geknüpft werden. Zugleich wäre es notwendig, die Zuwahl auf Bewerber zu beschränken, die zuvor weder Mitglied der Vertreterversammlung waren noch sich jemals um ein Mandat in dem Organ beworben haben. Naheliegend ist ferner, eine Zweiteilung der Mitgliedschaftsrechte in dem Repräsentativorgan vorzusehen und die Zugewählten auf eine beratende Stimme mit Anhörungsrechten zu beschränken.1292 Denn bereits unter diesen Bedingungen ist es möglich, dem Organ innovative Vorstellungen mit der Person des Zugewählten hinzuzufügen. c) Rechtmäßigkeit der mittelbaren Nachfolgewahl Wenngleich jeder Spielart der mittelbaren Wahl bereits der relativ eindeutige Wortlaut des § 5 Abs. 1 IHKG entgegensteht, werden die Verfahrensbestimmungen über die mittelbare Nachfolgewahl vor der Folie des Gebots innerorganisatorischer Demokratie für noch zulässig befunden. Immerhin können zur Rechtfertigung dieses Instruments gewichtige Gründe angeführt werden. Dass die Problemlage andernfalls nur mit einer Ersatzwahl unter allen Kammerzugehörigen der betreffenden Wahlgruppe aufgelöst werden könnte, stellt für sich genommen keinen Grund im vorstehenden Sinne dar.1293 Vielmehr ist maßgebend, dass die Repräsentationsfunktion der Vollversammlung in dem Zeitraum zwischen dem Ausscheiden des Mitglieds und der Neubesetzung ohne die Verfügbarkeit der mittelbaren Nachfolgewahl eingeschränkt wäre. Dennoch dürfen die damit einhergehenden Rechtsprobleme nicht geringgeschätzt werden. Jede Durchführung einer mittelbaren Wahl für Mandate der Vollversammlung bedeutet, dass die Kammerzugehörigen nicht mehr unmittelbar über die Zusammensetzung ihres Repräsentativorgans bestimmen können. Hinzu tritt für diese Konstellation der mittelbaren Wahl ein legitimatorisches Problem. Denn es werden stets auch die Organmitglieder zur Entscheidung über das Nachfolgemitglied berufen, die ihr Mandat auf die Stimmen aus einer anderen Wahlgruppe gründen. Da in den verschiedenen Wahlordnungen in der Regel bereits für die (erstmalige) Zusammensetzung der Vollversammlung die Zuwahl neben das unmittelbare Wahlverfahren tritt, sind in dem Sachverhalt der mittelbaren Nachfolgewahl auch hinzugewählte Mitglieder zur Entscheidung über die Neubesetzung aufgerufen. Die mittelbare Nachfolgewahl stellt daher in Teilen eine doppelt mittel 1291

Dazu näher unter E. I. 5. a). Auf Letzteres hat Nullmeier, Kammerwahlen aus Sicht der Politikwissenschaft, in: Kluth (Hg.), JbKBR 2008, 2009, 13 (21) hingewiesen. 1293 So aber Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 434. 1292

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bare Wahl dar. Es verdient Unterstützung, wenn als Reaktion auf diesen Umstand gefordert wird, das aktive Wahlrecht auf Mitglieder zu beschränken, die ihrerseits im Wege der unmittelbaren Wahl ein Mandat erhalten haben.1294 Der Argumentationstopos Parlamentsvorbehalt fordert jedenfalls eine Verankerung der wesentlichen Verfahrensdeterminanten im IHKG. Dabei sollte beibehalten werden, dass die mittelbare Nachfolgewahl nur als Ultima Ratio in Betracht kommt. 3. Friedenswahlen Auch der Themenkreis der sog. Friedenswahlen stellt eine Besonderheit des Wahlverfahrens der IHK dar. a) Erscheinungsformen und Fragwürdigkeit der Terminologie Friedenswahlen bezeichnen Vorgänge, in denen gar keine Wahlhandlungen stattfinden und die Besetzung des Repräsentativorgans nach dem Inhalt des Wahlvorschlags erfolgt. Anschaulich werden die Einzelheiten, wenn man sich die gesetzliche Legalisierung für die Wahl zur Vollversammlung der HwK vor Augen führt. § 95 Abs. 1 S. 1 HwO bestimmt zunächst, dass die Mitglieder durch Listen in allgemeiner, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt werden. Darauf nimmt § 20 Anlage C HwO Bezug und regelt, dass die auf der Liste bezeichneten Bewerber als gewählt gelten, ohne dass es einer Wahlhandlung bedarf, wenn für den Wahlbezirk nur ein Wahlvorschlag zugelassen wird. Das Gesetz fingiert die Wahlhandlung. Mit diesem Wissen kann nunmehr aufgedeckt werden, warum der Terminus „Friedenswahlen“ in jeder Hinsicht unzureichend ist. Bei genauerem Hinsehen stellt die Wendung einen Euphemismus dar,1295 ist im Hinblick auf den Grad der Irreführung kaum zu überbieten und verklärt die Vorgänge im Tatsächlichen, in der weder Wahlhandlungen stattfinden noch je ein streitiger Wahlvorschlag vorlag. Vielmehr liegt ein vollständiger Wahlverzicht vor. Der Einfluss der Kammerzugehörigen auf ihre Körperschaft wird auf ein Minimum reduziert. Die Auswahl der Mitglieder der Vertreterversammlung verlagert sich in die Phase der Wahlvorbereitung. Wahlen werden durch Verständigungen ersetzt. Nicht die Gesamtheit der Mitglieder, sondern diejenigen, die den Wahlvorschlag abstimmen und einreichen, entscheiden über die Zusammensetzung der Versammlung.1296 Ein unkritischer und -aufgeklärter Umgang mit dem Terminus, der im Schrifttum durchaus gepflegt wird,1297 ist mit Entschiedenheit abzulehnen. 1294

Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 435. So auch für § 46 Abs. 2 SGB IV Neumann, Volkswille, 2020, S. 366. 1296 Instruktiv Irriger, Genossenschaftliche Elemente bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften, 1991, S. 215 f. 1297 Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 5 Rn. 79. 1295

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b) Friedenswahlen in der IHK Nunmehr ließe sich die Frage aufwerfen, welchen Anteil die IHK daran nimmt, wenn bei der Wahl zur Vollversammlung der Handwerkskammer Friedenswahlen mit gesetzlicher Gestattung abgehalten werden können. Zuzugestehen ist, dass in den Wahlordnungen der IHK keine Vorschriften mehr ersichtlich sind, die den Maßgaben der HwO entsprechen. So gehört etwa § 12 Abs. 6 Wahlordnung IHK Dresden mittlerweile der Vergangenheit an.1298 Die Vorschrift lautete einstmals: „Gehen in einer Wahlgruppe des Wahlbezirks nur so viel Kandidatenvorschläge ein, wie Kandidaten in die Wahlgruppe zu wählen sind, so findet eine Abstimmung nicht statt. Die vorgeschlagenen Kandidaten gelten als gewählt.“1299 c) Rechtmäßigkeit Doch soll die Betonung im Vorstehenden auf dem Satzbestandteil mittlerweile liegen. Immerhin war diese Vorschrift Bestandteil einer gültigen Wahlordnung und stellt nur ein Anschauungsbeispiel für die vor der Jahrtausendwende in den Wahlordnungen der IHK-Bezirke weit verbreiteten, lange Jahre geltenden Ermächtigungen zum Wahlverzicht dar.1300 Das Kapitel Friedenswahlen soll noch nicht geschlossen werden, weil es sich seit jeher als gesetzes- und verfassungswidrig dargestellt haben könnte. aa) Vereinbarkeit mit dem Wortlaut von § 5 IHKG Das Bundesverfassungsgericht hatte sich bereits 1961 sehr eindeutig zu Friedenswahlen aus Anlass einer Vorschrift aus dem Kommunalwahlrecht verhalten, 1298 Missverständlich Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 5 Rn. 79 – Hervorh. n. h.: „Ein Wahlgang findet aber in der Regel nach den Wahlordnungen auch dann statt, wenn nur so viel Bewerber vorgeschlagen sind, wie gewählt werden müssen.“ 1299 Wortlaut entnommen aus Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 432 Fn. 207. S. ferner BVerwG, Beschl. v. 27. März 1980 – 5 C 2/79 –, juris Rn. 1: „Nach § 10 der Wahlordnung [der IHK Mannheim] erfolgt die Wahl der Vollversammlung aufgrund von Wahlvorschlägen. Jeder Wahlvorschlag muß mindestens so viele Bewerber enthalten, wie in dem Wahlbezirk und in der Wahlgruppe zu wählen sind. Er muß von mindestens zwanzig Wahlberechtigten der betreffenden Wahlgruppe des Wahlbezirks unterzeichnet sein. Geht für eine Wahlgruppe eines Wahlbezirks nur ein Wahlvorschlag ein und enthält dieser nur so viele Bewerber, wie in der Wahlgruppe des Wahlbezirks zu wählen sind, so findet keine Abstimmung statt; die vorgeschlagenen Bewerber gelten dann als gewählt.“ 1300 Irriger, Genossenschaftliche Elemente bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften, 1991, S. 215 spricht in diesem Zusammenhang von „vielen“ Industrie- und Handelskammern. S. ferner Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 440: „verbreite und […] geläufige Praxis“; Kluth, Aktuelle Rechtsgrundlagen der Kammern im Überblick, in: ders. (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 6 Rn. 160: „über Jahre hinweg in zahlreichen Industrie- und Handelskammern praktiziert“; Frentzel / Jäkel / Junge, IHKG, 5. Aufl. 1991, S. 248: „[e]ine Reihe von Kammern“.

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die die Möglichkeit des Wahlverzichts bei den Wahlen zur Gemeindevertretung mit niedrigen Einwohnerzahlen vorsah. Mit Blick auf den Wortlaut von Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG, nach dem in den Ländern, Kreisen und Gemeinden das Volk eine Vertretung haben muss, die aus „allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen“ hervorgegangen ist, äußerte sich das Verfassungsgericht zum Begriff der Wahl. Dabei stellte es fest, dass Wahlen die Möglichkeit umfassten, dass jeder Wahlberechtigte seine Stimme bei der Wahl abgeben könne und diesem Gebot nicht Genüge getan sei, wenn das Wahlergebnis durch die Aufstellung und Duldung entsprechender Wahlvorschläge vorweggenommen werde.1301 Der Standpunkt des Gerichts lautet im abstrahierenden Sinne, dass Gesetze in jedem Fall auch die Durchführung einer Wahl verlangen, wenn sie den Terminus „Wahl“ verwenden. Denn erst unter diesen Vorzeichen hat jeder Wahlberechtigte die Chance, seine Stimme abzugeben. Vor diesem Hintergrund konnten Ermächtigungen zur Durchführung von Friedenswahlen zu keinem Zeitpunkt mit dem Begriff der Wahl im Sinne von § 5 IHKG in Einklang gebracht werden.1302 § 5 Abs. 1 IHKG verlangt nämlich, dass die Mitglieder der Vollversammlung von den Kammerzugehörigen gewählt werden. In § 5 Abs. 2 IHKG wird die Wählbarkeit geregelt und der Wahltag adressiert, während § 5 Abs. 4 S. 1 IHKG das Nähere über die Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts den Wahlordnungen vorbehalten möchte. In der Zusammenschau der gesetzlichen Bestimmungen lässt sich kein Anknüpfungspunkt ausmachen, der dazu verleiten könnte, die Durchführung der Wahl in das Belieben der Wahlordnung zu stellen. Die anderslautenden Bestimmungen waren seit jeher wegen der Unvereinbarkeit mit der ranghöheren Rechtsquelle unwirksam. Dies hat 1980 auch das Bundesverwaltungsgericht erkannt.1303 Dem mit § 5 Abs. 1 IHKG formulierten Gebot – so das Gericht – sei nicht Genüge getan, wenn nach der Wahlordnung ein Wahlvorschlag ohne Wahlhandlung bereits als Wahlergebnis gelte.1304 Die Vorschrift fordere vielmehr, dass die Wahlberechtigten in die Lage versetzt werden, eine Abstimmung vorzunehmen.1305 Die Wendung „Durchführung der Wahl“ in § 5 Abs. 4 S. 1 IHKG meine eine Befugnis zur „Normierung des Wahlverfahrens im technischen Sinne, nicht dagegen die Entscheidung darüber, ob überhaupt eine Wahl“ stattfinde.1306 1301

BVerfG, Beschl. v. 30. Mai 1961 – 2 BvR 366/60 –, BVerfGE 13, 1 (Ls u. 17 f.). So auch Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 203; ­Irriger, Genossenschaftliche Elemente bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften, 1991, S. 216; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 440; Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 432; Günther, in: Honig / Knörr / Thiel, HwO, 5.  Aufl. 2017, § 95 Rn. 19. 1303 BVerwG, Beschl. v. 27. März 1980 – 5 C 2/79 –, juris Rn. 9: „Die Mitglieder, die im Wege der Friedenswahl ermittelt werden, gehen nicht aus Wahlen hervor, wie dies § 5 Abs. 1 IHKG vorschreibt.“ 1304 BVerwG, Beschl. v. 27. März 1980 – 5 C 2/79 –, juris Rn. 9. 1305 BVerwG, Beschl. v. 27. März 1980 – 5 C 2/79 –, juris Rn. 8. 1306 BVerwG, Beschl. v. 27. März 1980 – 5 C 2/79 –, juris Rn. 8. 1302

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bb) Vereinbarkeit mit dem Grundsatz innerorganisatorischer Demokratie Schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken ergeben sich mit Blick auf die autonome demokratische Legitimation bzw. vor dem Hintergrund des Grundsatzes innerorganisatorischer Demokratie. Ausschlaggebend ist die damit einhergehende Verlagerung des Wahlverfahrens in die Vorbereitungsphase. Während bei einer Wahl im herkömmlichen Sinne das Wahlergebnis durch die Stimmen aller Wahlberechtigten ermittelt wird, wird das Wahlergebnis bei einer Friedenswahl durch das Votum weniger Kammermitglieder bestimmt, die sich in intransparenten Verhandlungs- und Verständigungsprozessen auf einen einheitlichen Wahlvorschlag einigen. Dadurch wird dem einzelnen Kammermitglied die Möglichkeit der direkten Einflussnahme auf sein Repräsentativorgan nahezu vollständig genommen.1307 Das Wahlrecht wird so weit reduziert, dass es erst wieder entsteht, wenn der Wahlberechtigte einen zweiten Wahlvorschlag form- und fristgerecht präsentiert hat und dieser zugelassen wurde. Die Möglichkeit zur Inanspruchnahme des Wahlrechts setzt eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit anderen Wahlberechtigten voraus.1308 Wird eine großzügige Toleranz gegenüber diesen Verfahren postuliert, stellt sich die Frage nach den Ursachen von Oligarchisierungstendenzen in der IHK nur noch bedingt. Denn Friedenswahlen bereiten einer „Herrschaft der Wenigen“ offensiv und einigermaßen unverhohlen den Boden.1309 Die gesamte Dimension des Widerspruchs zum demokratischen Prinzip ergibt sich, wenn man bedenkt, dass die Wählbarkeit zur Vollversammlung regelmäßig noch heutzutage die Beibringung von Unterstützungsunterschriften voraussetzt, sodass vor allem organisierte Interessen in der Organisation Mandate erringen konnten. Die Vollversammlung ist damit zu einem Einfallstor privater Interessenverbände geworden. Dass in der Folgezeit ihre Repräsentationsfunktion eingeschränkt war, dürfte offenkundig sein. Von einer autonomen demokratischen Legitimation durch individuelle Zustimmung der Mitglieder kann bei einer schlichten Legitimation von Absprachen organisierter Interessen jedenfalls nicht gesprochen werden. Friedenswahlen haftet das Verdikt genereller Verfassungswidrigkeit an,1310 weil das Instrument im Kern 1307

Pointiert Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 202: „Das einzelne Mitglied wird durch diesen Mechanismus völlig mediatisiert und entrechtet.“ 1308 Darauf weist auch Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 459 hin. 1309 In diese Richtung auch Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 202; Irriger, Genossenschaftliche Elemente bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften, 1991, S. 216; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 127; Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 263. 1310 So auch Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 202 f.; ­Irriger, Genossenschaftliche Elemente bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften, 1991, S. 216 f.; Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 422 f.; Papenfuß, Die personellen Grenzen der Autonomie öffentlich-rechtlicher Körperschaften, 1991, S. 160; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 460; Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 263; Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 910; Groß / Pautsch, Kammerverfassungsrecht – Organisation und Verfahren, in: Kluth (Hg.), HbKR,

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auf eine Verhinderung von Wahlen abzielt und damit den Anforderungen des Demokratieprinzips widerstrebt. cc) Auseinandersetzung mit den Meinungen über die Zulässigkeit der Friedenswahl Die maßgebliche Kommentarliteratur schrieb, ungeachtet der vorstehenden Erwägungen, stets die argumentative Absicherung der Friedenswahl fort. In der Ausgabe aus dem Jahre 1982 überging man nonchalant die unmissverständlichen Anforderungen des § 5 Abs. 1 IHKG. Nach Meinung der Autoren waren die Friedenswahlen zu rechtfertigen, weil der einzelne Wahlberechtigte es in der Hand habe, über den von ihm eingebrachten Wahlvorschlag eigene Vorstellungen zu verwirklichen. Der an der Durchführung von Wahlen interessierte Kammerzugehörige wisse, dass andernfalls keine Abstimmung stattfinde. Wenn er dennoch auf das Einbringen eines Wahlvorschlags verzichte, bekunde er seinen Verzicht auf eine Abstimmung und billige die in dem einzig existierenden Wahlvorschlag aufgeführten Bewerber.1311 Die Einschätzungen des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1980 wurden (selbst) in der Neuauflage von 1991 überspielt. Darin heißt es, dass die Auslegung des BVerwG „zu eng“ und „mit den Motiven des Gesetzgebers und der Entstehungsgeschichte des Kammergesetzes nicht vereinbar“ sei.1312 Man sah keinen Anlass, „den gesetzlichen Rahmen für die von der Selbstverwaltung zu beschließende Wahlordnung enger zu ziehen, als es im früheren Kammerrecht oder bei anderen Selbstverwaltungskörperschaften der Fall“ sei.1313 Abgesehen von dem Umstand, dass das aus der Rechtshistorie gewonnene Argument keinesfalls in Richtung der Zulässigkeit von Friedenswahlen zeigt,1314 verkannte man, dass ein unmissverständlicher Gesetzeswortlaut die Grenze der grammatischen Auslegung bildet. Er kann weder durch rechtshistorische Erläuterungen noch durch rechtspolitische Wunschvorstellungen überwunden werden. Ferner übersah man, dass es dem einzelnen Wahlberechtigten gerade nicht gelingen konnte, die Durchführung einer Wahl durch Einreichen eines Wahlvorschlages zu erzwingen. Dagegen sprach, dass die Erheblichkeit des Wahlvorschlages an die Beibringung von Unterstützungsunterschriften gebunden war und sich daher stets eine Gruppe von Wahlberechtigten zusammenfinden musste. Ob ausreichend 3. Aufl. 2020, § 7 Rn. 72. Trute, Die demokratische Legitimation der Verwaltung, in: HoffmannRiem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 6 Rn. 88 m. Fn. 463 hält derartige Praktiken lediglich für „bedenklich“. Treffend Oebbecke, Selbstverwaltung angesichts von Europäisierung und Ökonomisierung, VVDStRL 62 (2002), 2003, 366 (395), der die Notwendigkeit der Durchführung von Friedenswahlen in der Sozialversicherung als eine „rechtspolitische Anfrage an die Eignung der organisatorischen Form“ kennzeichnet. 1311 Frentzel / Jäkel / Junge, IHKG, 4. Aufl. 1982, S. 200 f. 1312 Frentzel / Jäkel / Junge, IHKG, 5. Aufl. 1991, S. 248. 1313 Frentzel / Jäkel / Junge, IHKG, 5. Aufl. 1991, S. 249. 1314 Dazu näher BVerwG, Beschl. v. 27. März 1980 – 5 C 2/79 –, juris Rn. 11.

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Wahlvorschläge existierten, erfuhr der Kammerzugehörige ohnehin erst mit Bekanntgabe der Listen. Die Möglichkeit zum Einreichen weiterer Wahlvorschläge war in diesem Zeitpunkt verfristet und ausgeschlossen.1315 Beteiligt an der Perpetuierung dieses rechtswidrigen Zustands waren allerdings auch die Vollversammlungen, die leichtfertig die Verfahrensweise der Friedenswahlen aus den Wahlordnungen hätten tilgen können. Ihnen ist zumindest eine Ignoranz für die verschiedenen Dimensionen der Rechtsproblematik und eine unheilvolle Toleranz gegenüber dem weitreichenden Einfluss privater Interessengruppen vorzuwerfen. Dieser Vorwurf gilt nicht minder für die ausgebliebene Kontrolle durch die Rechtsaufsichten. d) Schlussfolgerungen für das Wahlrecht de lege lata Im Hinblick auf die Wahlen zur Vollversammlung gilt es, auch über ein aktuelleres Verständnis der Friedenswahl nachzudenken. Zutreffend ist zwar, dass der Leitsatz „gewählt ist, wer kandidiert“ mittlerweile nicht mehr fortgeschrieben wird. Dies bedeutet jedoch nicht, dass nunmehr in allen Wahlgruppen und -bezirken eine streitige Wahl stattfindet. Angesichts der Vielzahl der für die Gruppenwahl notwendigen Wahlvorschläge kann es durchaus vorkommen, dass eine Liste am Stichtag weniger oder genauso viele Kandidaten enthält wie in der Wahlgruppe Sitze zu vergeben sind. Dies gilt umso mehr, weil das Gesetz an dieser Stelle auf außerrechtliche Ressourcen wie z. B. eine lebendige Organisation, personelle Alternativen und eine verbreitete Bereitschaft zu ehrenamtlicher Mitarbeit zurückgreift, die es selbst weder verordnen noch garantieren kann. Auf die damit erzeugten Befürchtungen nimmt etwa die Wahlordnung der IHK Kiel Bezug. Sie bestimmt, dass die Kandidatenliste einen Kandidaten mehr enthalten soll, als in der Wahlgruppe und dem Wahlbezirk zu wählen sind.1316 Wenn für eine Wahlgruppe bzw. einen Wahlbezirk kein Wahlvorschlag eingeht, der diese Bedingungen erfüllt, wird im Wege der Nachfrist die Lücke an Bewerbern zu füllen versucht.1317 Bei fruchtlosem Ablauf der Nachfrist findet eine auf die gültigen Wahlvorschläge beschränkte Wahl statt.1318 Wenngleich in diesen Konstellationen ein Wahlgang angeordnet und praktiziert wird, ist derjenige Bewerber gewählt, der sich zur Kandidatur entschlossen hat.1319 Dieses Verfahren stellt eine sachgerechte Reaktion auf den Umstand dar, dass die Voraussetzungen einer streitigen Wahl auch bei einem zweiten Anlauf nicht 1315 Darauf hinweisend Irriger, Genossenschaftliche Elemente bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften, 1991, S. 216. 1316 § 11 Abs. 6 S. 1 Wahlordnung IHK Kiel. 1317 § 11 Abs. 6 S. 2 Wahlordnung IHK Kiel. 1318 § 11 Abs. 6 S. 3 Wahlordnung IHK Kiel. 1319 Den Vorgang in die Nähe des Terminus „Friedenswahl“ rückend Groß, Die Wahl zur Vollversammlung der Industrie- und Handelskammern, 2002, S. 197.

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geschaffen werden konnten.1320 Abzulehnen ist demgegenüber ein Vorschlag,1321 nach dem die Zahl der zu verteilenden Sitze um einen niedriger angesetzt wird als gültige Wahlbewerbungen vorliegen. Denn dieser Vorschlag betont das Erfordernis streitiger Wahl unverhältnismäßig. Dabei gerät nahezu vollkommen in Vergessenheit, dass die Wahl zur Vollversammlung darauf ausgerichtet ist, eine repräsentative Zusammensetzung des Hauptorgans zu vermitteln und eine Verkürzung der Sitzzahl diese Zielsetzung torpediert. Ganz besonders problematisch sind Wahlordnungen, die auf das Verfehlen einer streitigen Wahl mit der Rechtsfolge reagieren, die Wahl in der entsprechenden Wahlgruppe auszusetzen. In diesem Sinne bestimmt § 12 Abs. 5 S. 2 f. Wahlordnung IHK Regensburg:1322 „Bei fruchtlosem Ablauf dieser Nachfrist [zur Erreichung der Voraussetzung, nach der jeder Wahlvorschlag wenigstens einen Bewerber mehr enthalten muss, als in dieser Wahlgruppe des Wahlbezirks zu wählen sind] findet in dieser Wahlgruppe des Wahlbezirks keine Wahl statt; die Sitze bleiben unbesetzt. Die Zahl der in unmittelbarer Wahl zu wählenden Vollversammlungsmitglieder vermindert sich um die so unbesetzt bleibenden Sitze.“ Das Aussetzen der Wahl bedeutet eine Entscheidung dafür, dass die Mitglieder der betreffenden Wahlgruppe von der Wahl zur Vollversammlung und der damit einhergehenden Möglichkeit zur Entsendung von Repräsentanten vollkommen ausgeschlossen werden. § 5 Abs. 4 IHKG enthält keinen Anhaltspunkt, der diesen Vorgang legalisieren könnte. Das gesamte Rechtsproblem wird offenbar, wenn man bedenkt, dass diese Rechtsfolge der Rechtslage in der IHK Kiel vorgezogen wird. Dort können wenigstens die Kandidaten in die Vollversammlung einziehen, die sich um ein Mandat form- und fristgerecht beworben haben. Die IHK Regensburg verzichtet stattdessen auf eine Repräsentation der betreffenden Wahlgruppe. Das Aussetzen der Wahl stellt indes nicht nur einen Eingriff in die verfassungsrechtlichen Gebote der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl dar, für deren Rechtfertigung keine zwingenden Sachgründe vorliegen.1323 Vielmehr wird hierdurch auch die Repräsentationsfunktion der Vollversammlung unnötigerweise eingeschränkt. Derartige Maßgaben sind als rechts- sowie verfassungswidrig zu kennzeichnen und unwirksam. 4. Rechtsfolgen der Wahl An die Durchführung einer Wahl schließen sich verschiedene Rechtsfolgen an, die es näher zu betrachten gilt. Sie vermitteln ein elaboriertes Bild über die Verfassung der Vollversammlung und die Rechte der Organmitglieder. 1320

So auch Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 431. Groß, Die Wahl zur Vollversammlung der Industrie- und Handelskammern, 2002, S. 203. 1322 Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 431 m. Fn. 206 berichtet, dass eine gleichgerichtete Vorschrift vormals in § 10 Abs. 5 Wahlordnung IHK Frankfurt a. M. enthalten war. 1323 So auch Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 431 m. Fn. 206. 1321

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a) Mitgliederzahl der Vollversammlung Eine entscheidende Wegmarke stellt die Mitgliederzahl der Vollversammlung1324 dar. Sie variiert deutschlandweit zwischen dem Minimalwert i. H. v. 30 (IHK Limburg) und dem Maximalwert i. H. v. 100 (IHK-Bezirke Lüneburg und Stuttgart) und beträgt durchschnittlich sowie gerundet 65,8.1325 Auf dieser Grundlage lässt 1324

Verschiebungen, die sich durch die Möglichkeit der Zuwahl ergeben könnten, bleiben in diesem Absatz außer Betracht. 1325 Die weit überwiegende Mehrzahl der IHK-Bezirke gestattet die Zuwahl zum Zwecke der Selbstergänzung der Vollversammlung, wobei nur eine Begrenzung der Höhe nach stattfindet. Die Kombination des unmittelbaren Wahlverfahrens mit der Zuwahl sorgt dafür, dass die Mindest- und Maximalgröße der Vollversammlung angegeben werden können. Das Mindestmaß entspricht den Mitgliedern, die ihr Mandat in Folge des unmittelbaren Wahlverfahrens erlangen (im Folgenden: die erste Zahl), während die maximale Größe durch Addition der vollständig ausgeschöpften Zuwahloption (im Folgenden: die zweite Zahl) erreicht wird. Nach diesen Vorbemerkungen ergeben sich im Einzelnen folgende Größen: IHK Aachen: 62 + 10 (§ 2 Abs. 1 Satzung); IHK Arnsberg: 60 + 6 (§ 4 Abs. 1 S. 3 f. Satzung); IHK Aschaffenburg: 55 + 8 (§ 1 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Wahlordnung); IHK Augsburg: höchstens 107 (hier: die Wahl erfolgt durch Wahlpersonen [hierbei handelt es sich um die Mitglieder der Regionalversammlungen, die durch die zugehörigen Kammermitglieder gewählt wurden]) + 10 (§ 1 Abs. 2 lit. a) u. b) Wahlordnung); IHK Bayreuth: 85 (§ 1 Abs. 1 S. 1 Wahlordnung; die Wahl beruht in Gänze auf dem Votum von 270 Wahlpersonen [hierbei handelt es sich um die Mitglieder der regionalen Gremien, die durch die zugehörigen Kammermitglieder gewählt wurden]); IHK Berlin: höchstens 99 (§ 4 Abs. 1 Satzung); IHK Bielefeld: 72 + 7 (§ 1 Abs. 2, Abs. 3 S. 1 Wahlordnung); IHK Bochum: 70 + 7 (§ 2 Abs. 1 S. 1 f. Satzung); IHK Bonn: 58 + 12 (§ 4 Abs. 1 S. 2 f. Satzung); IHK Braunschweig: 73 + 7 (§ 1 S. 2 f. Wahlordnung); HK Bremen: 52 + 8 (§ 4 Abs. 1 S. 2 f. Satzung); IHK Chemnitz: 80 + 16 (§ 1 Abs. 1, Abs. 5 S. 1 Wahlordnung); IHK Coburg: 32 + 6 (§ 4 Abs. 1 S. 2 f. Satzung); IHK Cottbus: 45 + 6 (§ 4 Abs. 1 S. 2 f. Satzung); IHK Darmstadt: 73 + 7 (§ 4 Abs. 1 S. 2 f. Satzung); IHK Detmold: 54 + 6 (§ 4 Abs. 1 S. 2 f. Satzung); IHK Dillenburg: 45 + 3 (§ 4 Abs. 1 S. 2 f. Satzung); IHK Dortmund: 84 + 8 (§ 1 Abs. 2, Abs. 3 S. 1 Wahlordnung); IHK Dresden: 70 (§ 4 Abs. 1 S. 1 Satzung); IHK Duisburg: 84 + 10 (§ 2 Abs. 1 S. 1 f. Satzung); IHK Düsseldorf: 95 + 12 (§ 1 Abs. 1, Abs. 2 Wahlordnung); IHK Emden: 50 + 4 (§ 1 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Wahlordnung); IHK Erfurt: 78 + 9 (§ 4 Abs. 1 S. 2 f. Satzung); IHK Essen: 85 + 8 (§ 4 Abs. 1 S. 2 f. Satzung); IHK Flensburg: 60 (§ 4 Abs. 1 S. 1 Satzung); IHK Frankfurt a. M.: 89 (§ 4 Abs. 1 S. 1 Satzung); IHK Frankfurt (Oder): 51 + 5 (§ 4 Abs. 1 S. 2 f. Satzung); IHK Freiburg: 50 + 10 (§ 1 Abs. 2, Abs. 3 S. 1 Wahlordnung); IHK Fulda: 33 (§ 1 Abs. 1 Wahlordnung); IHK Gera: 56 (§ 4 Abs. 1 S. 1 Satzung); IHK Gießen: 60 + 6 (§ 4 Abs. 1 S. 2 f. Satzung); IHK Hagen: 79 + 6 (§ 4 Abs. 1 S. 2 f. Satzung); IHK Halle: 66 + 10 (§ 1 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1 Wahlordnung); HK Hamburg: 58 + 9 (§ 2 Abs. 4 S. 1, Abs. 5 S. 1 Wahlordnung); IHK Hanau: 39 + 5 (§ 4 Abs. 1 S. 1 Satzung); IHK Hannover: 80 + 9 (§§ 1 Abs. 2, 8 S. 1 Wahlordnung); IHK Heidenheim: 50 + 7 (§ 4 Abs. 1 S. 2 f. Satzung); IHK Heilbronn: 46 + 7 (§§ 4 Abs. 1 S. 2 f. Satzung); IHK Karlsruhe: 76 + 7 (§§ 1 Abs. 2, Abs. 3 S. 1 Wahlordnung); IHK Kassel: 77 + 6 + höchstens 6 Vors. d. Regionalversammlungen (§ 1 Abs. 1 S. 1 f., Abs. 2 Wahlordnung); IHK Kiel: 60 + 4 (§ 1 Abs. 2, Abs. 3 S. 1 Wahlordnung); IHK Koblenz: höchstens 72 (§ 1 Abs. 1 Wahlordnung); IHK Köln: 92 + 15 (§ 4 Abs. 1 S. 2 f. Satzung); IHK Konstanz: 50 + 6 (§ 4 Abs. 1 S. 1 f. Satzung); IHK Krefeld: höchstens 70 + 12 (§ 4 Abs. 1 S. 1 Satzung); IHK Leipzig: 59 + 10 (§§ 1, 2 Abs. 1 Wahlordnung); IHK Limburg: 30 + 3 (§ 4 Abs. 1 S. 2 f. Satzung); IHK Lübeck: 64 + 7 (§ 4 Abs. 1 S. 2 f. Satzung); IHK Ludwigshafen: 89 + 10 (§ 1 Abs. 2, Abs. 3 S. 1 Wahlordnung); IHK Lüneburg: 100 + 12 (§ 4 Abs. 1 S. 1 f. Satzung); IHK Magdeburg: 64 + 9 (§ 1 Abs. 2, Abs. 3 S. 1 Wahlordnung); IHK Mainz: 52 (§ 1 Wahlordnung); IHK Mannheim: 85 + 8 (§ 1 Abs. 2, Abs. 3 S. 1 Wahlordnung); IHK München: höchstens 71 + 19 Vors. d. Regionalausschüsse kraft Amtes (§ 1 Abs. 3

280

E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

sich der Repräsentationsgrad ermitteln. Damit wird das quantitative Verhältnis zwischen den Repräsentanten und Repräsentierten bezeichnet. Im Hinblick auf die eingangs angesprochenen Kammern liegt das Verhältnis bei 1:258 (IHK Coburg; gerundet) und 1:4.413 (IHK München; gerundet). Weiterhin kann der Mitgliederzahl eine Annahme über den Stand der Heterogenität der gewerblichen Wirtschaft der jeweiligen IHK entnommen werden. Wenn in der Zusammensetzung der Vollversammlung eine „Repräsentativinstanz der Wirtschaft im Bezirk“1326 zu finden sein soll, dürften abweichende Mitgliederzahlen zwischen den Kammern nachgerade zur unabdingbaren Voraussetzung werden. Schließlich kann dem beobachteten Maximalwert womöglich auch die Aussage zugeschrieben werden, dass die Funktionsfähigkeit des Gesamtorgans an diesem Punkt erreicht wird. Für die IHK-Bezirke, deren Wahlordnung die Zuwahl vorsieht, ergeben sich beachtenswerte Befunde. In absoluter Hinsicht sticht die IHK Stuttgart hervor. Ihre Wahlordnung ermöglicht die Zuwahl von bis zu 20 Mitgliedern. Überdies ist das Verhältnis zwischen den unmittelbar gewählten Mitgliedern des Repräsentativorgans zu den Mandatsträgern, die ihre Mitwirkungsrechte auf die Durchführung eines mittelbaren Wahlverfahrens stützen können, anzusehen. Auf Grundlage der bereits erhobenen Kritik sollten Werte, die selbst die im maßgeblichen Gesetzeskommentar für zulässig befundene Grenze von 20 Prozent überschreiten oder nur knapp darunter liegen,1327 zum vertieften Nachdenken bei den beteiligten Akteuren anregen. Demgegenüber stehen 17 Bezirke, deren Wahlordnungen auf die Zuwahl verzichten.1328 lit. a) u. b) Wahlordnung); IHK Münster: 87 + 10 (§ 4 Abs. 1 S. 2 f. Satzung); IHK Neubrandenburg: 42 (§ 1 Wahlordnung); IHK Nürnberg: 65 + 13 Vors. d. Regionalausschüsse (§ 1 Abs. 2 lit. a) u. b) Wahlordnung); IHK Offenbach: 57 + 4 (§ 1 Abs. 1 S. 2 f. Wahlordnung); IHK Oldenburg: höchstens 76 (§ 1 Wahlordnung); IHK Osnabrück: 70 + 10 (§ 1 Abs. 2, Abs. 3 S. 1 Wahlordnung); IHK Passau: 77 (hier: 20 im unm. Wahlverfahren für den Bezirk Passau; 7 Vors. d. Regionalgremien kraft Amtes; 50 durch Votum der Wahlmänner [hierbei handelt es sich um die Mitglieder der regionalen Gremien, die durch die zugehörigen Kammermitglieder gewählt wurden]) + 9 (§§ 1 Abs. 3, 18 Abs. 1, 22 Abs. 1 u. 2, 23 Abs. 1 S. 1 Wahlordnung); IHK Pforzheim: 49 + 6 (§ 4 Abs. 1 S. 1 f. Satzung); IHK Potsdam: 75 + 8 (§ 4 Abs. 1 S. 1 Satzung); IHK Regensburg: 82 + 10 (§ 1 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 Wahlordnung); IHK Reutlingen: 53 + 7 (§ 4 Abs. 1 S. 2 f. Satzung); IHK Rostock: 45 (§ 1 Wahlordnung); IHK Saarbrücken: 69 (§ 1 S. 1 Wahlordnung); IHK Schwerin. 44 + 6 (§ 4 Abs. 1 S. 2 f. Satzung); IHK Siegen: 43 (§ 1 Wahlordnung); IHK Stade: 72 + 6 (§§ 1, 2 S. 1 Wahlordnung); IHK Stuttgart: 100 + 20 (§ 1 Abs. 2, Abs. 3 S. 1 Wahlordnung); IHK Suhl: 48 + 7 (§ 4 Abs. 1 S. 2 f. Satzung); IHK Trier: 43 (§ 1 Abs. 1 Wahlordnung); IHK Ulm: 52 + 7 (§ 4 Abs. 1 S. 2 f. Satzung); IHK Villingen-Schwenningen: 50 + 4 (§ 4 Abs. 1 S. 2 f. Satzung); IHK Weingarten: 45 (§ 1 Abs. 1 Wahlordnung); IHK Wiesbaden: 63 + 7 (§ 4 Abs. 1 S. 2 f. Satzung); IHK Wuppertal: 80 + 4 (§ 1 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Wahlordnung); IHK Würzburg: 80 + 7 (§ 1 Abs. 2, Abs. 3 S. 1 Wahlordnung). 1326 Stober, Die IHK als Mittler zwischen Staat und Wirtschaft, 1992, S. 131. 1327 IHK  Bonn: 20,7 %; HK  Bremen: 15,4 %; IHK  Chemnitz: 20 %; IHK  Coburg: 18,8 %; IHK Freiburg: 20 % IHK Halle: 15,2 %; HK Hamburg 15,5 %; IHK Krefeld: 17,1 %; IHK Leipzig: 17 %; IHK Osnabrück: 14,3 %; IHK Stuttgart: 20 %; IHK Suhl: 14,6 %. 1328 IHK Bayreuth (hier: die Wahl beruht allerdings vollkommen auf dem Votum von 270 Wahlpersonen, mithin auf einem mittelbaren Verfahren); IHK Berlin; IHK Dresden; IHK Flensburg;

I. Die Wahl zur Vollversammlung und die Repräsentationsidee in der IHK  

281

b) Dauer der Wahlperiode Auch die Entscheidung über die Dauer der Wahlperiode bzw. die Länge des Mandats der Vollversammlungsmitglieder ist den Wahlordnungen überlassen. Die Länge der Wahlperiode variiert zwischen 41329, 51330 und 61331 Jahren. Die bezirksübergreifend ermittelte Amtszeit der Vollversammlung beträgt durchschnittlich und gerundet 4,99 Jahre.

IHK Frankfurt a. M.; IHK Fulda; IHK Gera; IHK Koblenz; IHK Mainz; IHK München (hier: § 1 Abs. 3 lit. c) der Wahlordnung wird für eine Regelung der Zuwahl freigehalten und 19 Mandate werden in einem mittelbaren Wahlverfahren / kraft Amtes vergeben); IHK Nürnberg (hier: § 1 Abs. 2 lit. c) der Wahlordnung wird für eine Regelung freigehalten und 13 Mandate werden in einem mittelbaren Wahlverfahren / kraft Amtes vergeben); IHK  Oldenburg; IHK  Rostock; IHK Saarbrücken; IHK Siegen; IHK Trier; IHK Weingarten. 1329 § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Aachen; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Bielefeld; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Coburg; § 2 Abs. 2 S. 1 Wahlordnung HK Hamburg; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK  Hannover; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK  Karlsruhe; § 1 Wahlordnung IHK  Siegen; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Stuttgart; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Wuppertal; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Würzburg. 1330 § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Arnsberg; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Aschaffenburg; § 1 Abs. 2 Wahlordnung IHK Augsburg; § 1 Abs. 1 S. 1 Wahlordnung IHK Bayreuth; § 1 Wahlordnung IHK Berlin; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Bochum; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Bonn; § 1 S. 1 Wahlordnung IHK  Braunschweig; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK  Cottbus; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK  Darmstadt; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK  Detmold; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Dillenburg; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Dortmund; § 5 Abs. 1 S. 1 Wahlordnung IHK Dresden; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Duisburg; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Düsseldorf; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Emden; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Erfurt; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Essen; § 1 Wahlordnung IHK Frankfurt a. M.; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Frankfurt  (Oder); § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK  Freiburg; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK  Fulda; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Gera; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Gießen; § 1 Abs. 1 S. 1 Wahlordnung IHK Halle; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Hanau; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Heidenheim; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Heilbronn; § 1 Abs. 1 S. 1 Wahlordnung IHK Kassel; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Kiel; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Koblenz; § 1 Abs. 1 S. 1 Wahlordnung IHK Köln; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Konstanz; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Krefeld; § 1 Wahlordnung IHK Leipzig; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Limburg; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Lüneburg; § 1 Wahlordnung IHK Mainz; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Mannheim; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK  München; § 1 Wahlordnung IHK  Neubrandenburg; § 1 Abs. 1 S. 1 Wahlordnung IHK Nürnberg; § 1 Abs. 1 S. 1 Wahlordnung IHK Offenbach; § 1 Wahlordnung IHK Oldenburg; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Osnabrück; § 1 Abs. 1 S. 1 Wahlordnung IHK Passau; § 1 Abs. 1 S. 1 Wahlordnung IHK Pforzheim; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Potsdam; § 1 Abs. 3 S. 1 Wahlordnung IHK  Regensburg (hier: frühestens 57 und spätetstens 63 Monate nach Bekanntmachung des Wahlergebnisses); § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Reutlingen; § 1 Wahlordnung IHK Rostock; § 1 S. 1 Wahlordnung IHK Saarbrücken, § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Schwerin; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Suhl; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Trier; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Ulm; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Villingen-Schwenningen; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Weingarten; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Wiesbaden. 1331 § 1 Abs. 1 Wahlordnung HK Bremen; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Chemnitz; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Flensburg; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Hagen; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Lübeck; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Ludwigshafen; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Magdeburg; § 1 Abs. 1 Wahlordnung IHK Münster; § 1 Wahlordnung IHK Stade.

282

E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

Dabei darf nicht übersehen werden, dass sich insbesondere die Maximallösung von 6 Jahren Zweifeln ausgesetzt sieht. Immerhin steht zu erwarten, dass die Repräsentationsidee mit dieser Regelung mehr Schaden nimmt. Denn tatsächliche Veränderungen in der Wirtschaft können erst mit noch mehr Verzögerung abgebildet werden und „neue“ Kammerzugehörige müssen bis zu sechs Jahre auf die erstmalige Ausübung ihres aktiven und passiven Wahlrechts warten. c) Repräsentationsaufgabe und umfassende Mitwirkungsrechte Die Satzungen1332 der überwiegenden Mehrzahl der Kammern sehen eine Regel vor, die die Mitglieder der Vollversammlung zu Vertretern der Gesamtheit der IHK-Zugehörigen erklärt. Sie sind überdies weder an Aufträge noch an Weisungen gebunden.1333 Während die IHK Trier keine entsprechende Vorschrift aufweist 1332

Die Fassung der untersuchten Satzungen wird in Fn. 1397 mit einem Datum bezeichnet. § 4 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Arnsberg; § 4 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Aschaffenburg; § 4 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Augsburg; § 3 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Bayreuth; § 4 Abs. 5 Satzung IHK Berlin.; § 4 Abs. 4 Satzung IHK Bielefeld; § 2 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Bochum; § 4 Abs. 2 Satzung IHK Bonn; § 6 Abs. 2 Satzung IHK Braunschweig; § 4 Abs. 4 S. 1 Satzung HK Bremen; § 3 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Chemnitz; § 4 Abs. 4 Satzung IHK Coburg; § 4 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Cottbus; § 4 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Darmstadt; § 4 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Detmold; § 4 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK  Dillenburg; § 2 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK  Dortmund; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK  Dresden; § 2 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK  Duisburg; § 2 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Düsseldorf; § 5 S. 1 Satzung IHK Emden; § 4 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Erfurt: § 4 Abs. 5 Satzung IHK Essen; § 3 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Flensburg; § 4 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Frankfurt a. M.; § 4 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Frankfurt (Oder); § 4 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Freiburg; § 4 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Fulda; § 4 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Gera; § 4 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Gießen; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Hagen; § 4 Abs. 1 Satzung IHK Halle; § 6 Abs. 3 S. 1 Satzung HK Hamburg; § 4 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Hanau; § 5 S. 1 Satzung IHK Hannover; § 4 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Heidenheim; § 4 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Heilbronn; § 5 S. 1 Satzung IHK Karlsruhe; § 2 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Kassel; § 4 Abs. 4 Satzung IHK Kiel; § 4 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Koblenz; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Köln; § 4 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Kon­ stanz; § 4 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Krefeld; § 3 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Leipzig; § 4 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Limburg; § 4 Abs. 4 Satzung IHK Lübeck; § 4 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Ludwigshafen; § 6 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Lüneburg; § 5 S. 1 Satzung IHK Magdeburg; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Mainz; § 4 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Mannheim; § 4 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Münster; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Neubrandenburg; § 2 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Nürnberg; § 2 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Offenbach; § 6 S. 1 Satzung IHK Oldenburg; § 4 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Osnabrück (hier: Verpflichtung auf eine uneigennützige, gewissenhafte und unparteiische Amtsausübung); § 3 Abs. 3 Satzung IHK Passau; § 4 Abs. 4 Satzung IHK Pforzheim; § 4 Abs. 2 Satzung IHK Potsdam (hier: § 4 Abs. 4 formuliert hinzukommend, dass die Mitglieder der Vollversammlung die Grundsätze des ehrbaren Kaufmanns zu achten haben und dem Leitbild der IHK Potsdam verpflichtet sind); § 4 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Regensburg; § 4 Abs. 4 Satzung IHK Reutlingen; § 3 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Rostock; § 3 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Saarbrücken; § 4 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Schwerin; § 4 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Siegen; § 3 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Stade; § 4 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Stuttgart; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Suhl; § 4 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Ulm; § 4 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Villingen-Schwenningen; § 4 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Weingarten; § 4 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Wiesbaden; § 4 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Wuppertal; Art. 2 Abs. 4 Satzung IHK Würzburg. 1333

I. Die Wahl zur Vollversammlung und die Repräsentationsidee in der IHK  

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und die Mitglieder der Vollversammlung der IHK Aachen lediglich zur objektiven Wahrnehmung ihrer Aufgaben verpflichtet werden,1334 gelten in der IHK München folgende Maßgaben: „Die Mitglieder der Vollversammlung sind Vertreter der gesamten IHK-zugehörigen gewerblichen Wirtschaft des IHK-Bezirks. Sie fassen ihre Entschlüsse stets im Hinblick auf die Bedürfnisse der Gesamtwirtschaft, ohne sich von den Interessen einzelner Personen oder einzelner Betriebe und Betriebszweige leiten zu lassen. Sie sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden.“1335 Derartige Wendungen erinnern an den Wortlaut von Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, dem man in Gegenüberstellung zum imperativen Mandat, das eine Bindung an Aufträge und Weisungen mit der Sanktionsmöglichkeit der Abberufung beinhaltet,1336 eine Festlegung auf das freie Mandat entnimmt.1337 Weil die Verfassung für die Abgeordneten des Deutschen Bundestages fordert, dass sie eine Repräsentativfunktion für das Volk als Ganzes ausüben, ist die Statuierung von Autonomie und Ungebundenheit im gleichen Atemzug unausweichlich.1338 Äußerst fraglich ist, ob die staatstheoretischen Einsichten ohne Differenzierung für das IHK-Recht übernommen werden durften. Mit Sicherheit ist zu bekräftigen, dass Repräsentationsidee und Weisungsgebundenheit einander ausschließen. Die Mitglieder der Vollversammlung könnten nicht die Wahlgruppe in ihrer Gesamtheit repräsentieren, wenn sie Aufträgen oder Weisungen von partikularen Strömungen innerhalb der Gruppe unterliegen. Darüber hinaus ist aber die Gruppenwahl mit ihren Eigenheiten in Rechnung zu stellen. Aus den wenigen Worten in § 5 Abs. 4 S. 2 IHKG folgert das Bundesverwaltungsgericht zutreffend, dass die Vollversammlung in Folge der Wahl ein „pluralistisch besetztes repräsentatives Organ“ ergebe, „in dem jedem Mitglied eine eigene Repräsentationsaufgabe“ zukomme. Die Repräsentation vollziehe sich insgesamt nach „gruppenpluralen Gesichtspunkten“.1339 Die Satzungen gehen danach fehl, wenn sie das Vollversammlungsmitglied mit dem Auftrag zur Gesamtrepräsentation in Entsprechung zum Leitbild des Volksvertreters i. S. v. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG1340 versehen. Denn das Mitglied der Vollversammlung zeichnet sich im Zuge der Gruppenwahl nur

1334

§ 2 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Aachen. § 4 Abs. 3 S. 1 ff. Satzung IHK München. 1336 Waldhoff, Parteien-, Wahl- und Parlamentsrecht, in: Herdegen / Masing / Poscher / Gärditz, HbVerfR, 2021, § 10 Rn. 124. 1337 Müller, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 2, 7. Aufl. 2018, Art. 38 Rn. 44. 1338 Waldhoff, Parlamentarisches Regierungssystem, in: Herdegen / Masing / Poscher / Gärditz, HbVerfR, 2021, § 11 Rn. 21. 1339 Zitate bei BVerwG, Urt. v. 31. März 2004 – 6 C 25/03 –, BVerwGE 120, 255 (259) – Hervorh. n. h. 1340 Zur Verknüpfung zwischen dem Konzept der Gesamtrepräsentation und Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG Morlok, JZ 1989, 1035 (1037 f.); Pernice-Warnke, DVBl 2020, 81 (86); Butzer, in: Epping / Hillgruber (Hg.), BeckOK GG, Stand: 49. Edition 15. 11. 2021, Art. 38 Rn. 9.1. Schon Art. 21 S. 1 WRV lag die Idee der Gesamtrepräsentation zugrunde, s. Marx, AöR 50 (1926), 430 (434). 1335

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

gegenüber den Angehörigen seiner Wahlgruppe bzw. seines Wahlbezirks, aber nicht gegenüber der Gesamtheit aller Zugehörigen verantwortlich. Die Vollversammlung ergibt sich nach der Wahl zwar als einheitliches Organ. Bestenfalls stellt sie eine Miniatur der Bezirkswirtschaft dar. Aber ihre Mitglieder dürfen nicht auf den Zweck des Unitarismus festgelegt werden, da Gruppen von Unternehmen die Elektorate nach § 5 Abs. 4 S. 2 IHKG bilden. Bei genauerem Hinsehen variiert der Repräsentationsgrad unter den Mitgliedern: Die Einen vertreten große und etablierte, die Anderen kleine und im Wachstum befindliche Wahlgruppen. Es ist daher verfehlt, den Mitgliedern der Vollversammlung generell aufzugeben, ihre Entschlüsse auf die Bedürfnisse der Gesamtwirtschaft auszurichten, wohingegen die Interessen einzelner Betriebszweige keine Berücksichtigung erfahren dürften. Auch in dem Auftrag zur Interessenrepräsentanz ist bereits angelegt, dass die Mitglieder des Repräsentativorgans in einem unterschiedlichen Ausmaß an den Verhandlungsgegenständen persönlich interessiert sind. Die Aufgabe nimmt insoweit Anteil an der inneren Struktur des Interessebegriffs. Das durch persönliche Motive angeleitete Interesse muss als ebenso repräsentationswürdig wie jeder andere Standpunkt erkannt werden, wenn sichergestellt ist, dass tatsächlich alle Belange zur Vertretung gelangen. Die Periodizität der Wahlen zur Vollversammlung sichert, dass die prinzipiell unabhängigen Mitglieder des Repräsentativorgans gegenüber der Wahlgruppe verantwortlich bleiben. Demgegenüber ist für die Beschlussgegenstände in § 4 S. 2 IHKG unmittelbar einsichtig, dass die Entscheidungen im Sinne der Gesamtheit der Kammerzugehörigen gefasst werden müssen. Ebenda können Anklänge zur Gesamtrepräsentation Platz greifen. Denn nur unter diesen Bedingungen kann bspw. gewährleistet werden, dass eine geänderte Wahlordnung der mit § 5 Abs. 4 S. 2 IHKG formulierten Anspruchshaltung genügt oder alle Kammerzugehörigen in einem verhältnismäßig geringen Umfang zu Beiträgen veranlagt werden. Dafür ist allerdings ausreichend, die Vollversammlungsmitglieder auf Gesetzesebene zu einer objektiven Wahrnehmung ihrer Aufgaben anzuhalten. Darüber hinaus sind für die Ausfüllung des Mandats allein die im IHKG vorgesehenen Aufgaben und die Pflicht maßgebend, den Aufgaben durch das Entscheidungsverhalten gerecht zu werden.1341 Die „Eignung“ für die Repräsentationsaufgabe ergibt sich aus der besonderen Sachkenntnis, die der Repräsentant im Rahmen seiner hauptberuflichen Tätigkeit als Unternehmer erwirbt. Bringt der Unternehmer seine Erfahrungen und Inte­ ressen in die Vollversammlung ein, vertritt er zugleich alle Kammerzugehörigen „seiner“ Wahlgruppe, bei denen angenommen werden darf, dass sie vergleichbare Erfahrungen im Betriebsalltag machen und auf in etwa gleichlautende Voraussetzungen des Wirtschaftens angewiesen sind. Folgen alle weiteren Vertreter in der Versammlung dieser Erkenntnis und gewährleistet die Sitzzuteilung, dass die Kammerzugehörigen ihrem Anteil an der Bezirkswirtschaft entsprechend reprä-

1341

In diesem Sinne bereits Bremer, Kammerrecht der Wirtschaft – Kommentar, 1960, S. 119.

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sentiert sind, wird zum Nutzen aller Mitglieder in der Vollversammlung beraten und beschlossen. Aus der Einsicht, dass jedem Mitglied des Hauptorgans eine eigene Repräsentationsaufgabe zukommt, folgen umfassende Mitwirkungsrechte zugunsten des einzelnen Organwalters. Sie stehen ihm im Hinblick auf die Beratung und Entscheidung für alle Angelegenheiten zu, die in die Zuständigkeit der Vollversammlung fallen.1342 Wenngleich die damit zusammenhängenden Garantien im IHKG weder benannt noch ausgeformt werden, garantiert das Mandat Antrags-, Teilnahme-, Frage-, Rede-, Beratungs-, Stimm- und Informationsrechte.1343 d) Ehrenamtliche Tätigkeit, verordnetes Stillschweigen und Teilnahmepflicht Auch wenn sich das IHKG einer darauf lautenden Feststellung enthält, stellt die Mitgliedschaft in der Vollversammlung ein Ehrenamt im eigentlichen Sinne dar, das freiwillig übernommen wird und jederzeit niedergelegt werden kann.1344 Nach der Rechtslage im PrHKG 1870 und PrHKG 1897 war damit die Maßgabe verbunden, dass kein Anspruch auf eine Aufwandsentschädigung oder den Ausgleich des Verdienstausfalls (Sitzungsgeld) bestand. Die bei Erledigung einzelner Aufträge anfallenden baren Auslagen galten hingegen als erstattungsfähig.1345 Das PrHKG 1897 gestattete der Handelskammer jedoch, einen Beschluss über die Gewährung von Sitzungsgeld herbeizuführen.1346 Im Allgemeinen darf angenommen werden, dass die Unentgeltlichkeit der ehren­ amtlichen Tätigkeit wesensimmanent ist.1347 Diese Annahme schließt allerdings nicht prinzipiell aus, einen Nachteilsausgleich zu gewähren. Es könnte und sollte von diesem Grundsatz insbesondere abgewichen werden, wenn die Repräsentationsidee der IHK in Bedrängnis gerät. Denn ein Befund, in dem die Vollver 1342

BVerwG, Urt. v. 31. März 2004 – 6 C 25/03 –, BVerwGE 120, 255 (259) unter Verweis auf Tettinger, Kammerrecht, 1997, S. 114. 1343 Das BVerwG, Urt. v. 31. März 2004 – 6 C 25/03 –, BVerwGE 120, 255 (259) hat das Frage- und Beratungsrecht in seiner Aufzählung unterschlagen. 1344 Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 5 Rn. 100 f. Zum Ehrenamt überblicksartig Kluth, Das Ehrenamt in Kammern: Eine historisch-systematische Analyse, in: ders. (Hg.), JbKBR, 2019, 23–26. 1345 § 21 PrHKG 1870: „Die Mitglieder versehen ihre Geschäfte unentgeltlich. Nur die durch Erledigung einzelner Aufträge erwachsenden baren Auslagen werden ihnen erstattet.“ Der Regelungsgehalt von § 24 Abs. 1 PrHKG 1897 entsprach dem vorstehenden Wortlaut. 1346 § 24 Abs. 2 PrHKG 1897: „Die Handelskammer kann beschließen, ihren Mitgliedern eine den baren Auslagen für die Teilnahme an den Sitzungen entsprechende Entschädigung zu gewähren.“ 1347 Aus der Rechtsprechung s. nur BSG, Urt. v. 16. August 2017 – B 12 KR 14/16 R –, BSGE 124, 37 (Rn. 26); aus der Literatur s. nur Kallerhoff / Hecker, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 85 Rn. 1.

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sammlung einen upper-class bias annimmt und sich in der Folge nicht mehr als Spiegelbild der bezirklichen Unternehmerschaft ergibt, muss verhindert werden. Es gilt, die Repräsentativität der Repräsentationsidee zu sichern. Ist nämlich ein Nachteilsausgleich verfügbar, können auch Gewerbetreibende, die sich Einbußen im Bereich der hauptberuflichen Erwerbstätigkeit regelmäßig nicht „leisten“ können, für eine Kandidatur um das Ehrenamt gewonnen werden.1348 Wenngleich das IHKG auch diese Frage keiner Regelung zuführt, kann insbesondere unter Ansehung der rechtshistorischen Vorgängerregelungen angenommen werden, dass kein Anspruch auf eine Entschädigung für die ehrenamtliche Tätigkeit besteht1349 und auch nicht im Wege der Satzungen begründet werden kann. Der fehlende Rückgriff des Gesetzgebers auf die im PrHKG bestehenden Ermächtigungen ist als sog. beredtes Schweigen hinzunehmen. Die Satzungen nahezu aller IHK-Bezirke genügen diesem Postulat, indem sie den ehrenamtlichen Charakter der Tätigkeit betonen und den Erstattungsanspruch auf Auslagen im Zusammenhang mit der Mandatstätigkeit beschränken.1350 Soweit ersichtlich widerspricht lediglich die Satzung der IHK Erfurt dieser Festlegung. Dort soll für die Teilnahme an den Sitzungen von Vollversammlung und Präsidium ein angemessener Auslagenersatz, auch in pauschalierter Form, gewährt werden können, über dessen Höhe die Vollversammlung entscheidet.1351 Die Literatur erachtet derartige Satzungen mit Hinweis darauf, dass kein gesetzlicher Ausschluss für diese Regelungsoption existiere, für zulässig.1352 Indes handelt es sich hierbei um eine stark verkürzte Sicht auf die rechtliche Problemlage. Bereits der rechtsmethodische Zugriff überzeugt kaum. Es existiert kein Rechtssatz, dem die Annahme entnommen werden könnte, dass im Wege der Satzungsautonomie jede Frage geregelt werden kann, solange der Gesetzgeber dies nicht ausdrücklich verbietet. Der Befund, dass es sich um eine Entscheidung in eigener Sache handelt, streitet dafür, dass wenigstens die Entscheidung über die Ermächtigung zur näheren Bestimmung eines Nachteilsausgleichs dem Gesetzgeber als organisationsexterner Stelle vorbehalten bleibt. Eine maßstabslose Kostenentscheidung durch die Vollversammlung, die in Folge einer praktizierten Selbstermächtigung erginge, stellt demgegenüber kein effizientes Organisationsdesign dar. 1348 Kluth, NZS 2018, 553 (558) betont die Erforderlichkeit eines chancengleichen Zugangs zum Ehrenamt. 1349 Anders ausdrücklich § 77 Abs. 3 BBiG. Umfassend zu dieser Frage Röger, Rechtsfragen der Aufwandsentschädigung für ehrenamtliche Tätigkeiten in Kammern, 2015. 1350 § 8a Satzung IHK Kiel lautet bspw.: „Die Mitglieder der Vollversammlung und des Präsidiums sowie der Präsident nehmen ihre Aufgaben ehrenamtlich wahr. Sie erhalten die durch Erledigung einzelner Aufträge erwachsenen baren Auslagen erstattet.“ 1351 § 4 Abs. 4 S. 3 Satzung IHK Erfurt. 1352 Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 5 Rn. 101. Günther, in: v. Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 86. EL Februar 2021, § 6 IHKG Rn. 14 möchte die Zulässigkeit derartiger Regelungen auf das „Selbstbestimmungsrecht“ der IHK als Körperschaft öffentlichen Rechts gründen.

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Den Vollversammlungsmitgliedern wird im Wege der Satzung ferner aufgegeben, Stillschweigen im Hinblick auf vertrauliche Umstände zu sichern.1353 Regelmäßig heißt es in den Bestimmungen, dass die Mitglieder über alle Mitteilungen, Tatsachen und Verhandlungen, die ihrer Natur nach vertraulich sind oder als vertraulich bezeichnet werden, Stillschweigen zu bewahren haben.1354 In Teilen der Kammern ist eine darauf lautende Verpflichtungserklärung bei Einführung gegenüber dem Präsidenten abzugeben,1355 während in der weit überwiegenden Anzahl der Bezirke die Mitglieder der Versammlung vor Aufnahme ihrer Tätigkeit durch den Präsidenten in diesem Sinne verpflichtet werden.1356 Die Verpflichtung zur Verschwiegenheit wird teilweise auch über den Zeitpunkt der Mandatsbeendigung hinaus erstreckt.1357 Die Ausgestaltung und Reichweite derartiger Regelungen mitsamt der Forderung nach einer Abgabe von Verpflichtungserklärungen steht in einem merk 1353 § 2 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Aachen; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Arnsberg; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK; Aschaffenburg, § 4 Abs. 7 S. 2 Satzung IHK Augsburg; § 3 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Bayreuth; § 12 Satzung IHK Berlin; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Bielefeld; § 2 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Bochum; § 4 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Bonn; § 6 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Braunschweig; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung HK  Bremen; § 3 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK  Chemnitz; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Coburg; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Cottbus; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Darmstadt; § 4 Abs. 5 Satzung IHK Detmold; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Dillenburg; § 2 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Dortmund; § 17 S. 1 IHK Dresden; § 2 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Duisburg; § 2 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Düsseldorf; § 5 S. 3 Satzung IHK Emden; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Erfurt; § 4 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Essen; § 3 Abs. 2 S. 4 Satzung IHK Flensburg; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Frankfurt a. M.; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Frankfurt (Oder); § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Freiburg; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Fulda; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Gera; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Gießen; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Hagen; § 4 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Halle; § 4 Satzung HK Hamburg; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Hanau; § 5 S. 2 Satzung IHK Hannover; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Heidenheim; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Heilbronn; § 5 S. 3 Satzung IHK Karlsruhe; § 2 Abs. 4 S. 3 Satzung IHK Kassel; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Kiel; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Koblenz; § 4 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Köln; § 4 Abs. 5 Satzung IHK Konstanz; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Krefeld; § 3 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Leipzig; § 4 Abs. 4 S. 3 Satzung IHK Limburg; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Lübeck; § 4 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK Ludwigshafen; § 6 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Lüneburg; § 5 S. 5 Satzung IHK Magdeburg; § 4 Abs. 5 S. 4 Satzung IHK Mainz; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Mannheim; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK München; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Münster; § 4 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Neubrandenburg; § 2 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Nürnberg; § 2 Abs. 3 S. 3 Satzung IHK Offenbach; § 6 S. 4 Satzung IHK Oldenburg; § 4 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK Osnabrück; § 12 Abs. 1 S. 3 Satzung IHK Passau; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Pforzheim; § 4 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Potsdam; § 4 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Regensburg; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Reutlingen; § 3 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Rostock; § 3 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Saarbrücken; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Schwerin; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Siegen; § 3 Abs. 3 S. 4 Satzung IHK Stade; § 4 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK Stuttgart; § 4 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Suhl; § 5a Abs. 1 S. 3 Satzung IHK Trier; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Ulm; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Villingen-Schwenningen; § 4 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Weingarten; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Wiesbaden; § 4 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Wuppertal; Art. 2 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Würzburg. 1354 § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Kiel. 1355 § 5 S. 3 Satzung IHK Emden; § 5 S. 2 Satzung IHK Hannover. 1356 § 4 Abs. 5 S. 4 Satzung IHK Ludwigshafen; § 4 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK München. 1357 § 17 S. 1 IHK Dresden; § 3 Abs. 2 S. 4 Satzung IHK Flensburg.

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würdigen Widerspruch zum Mangel an rechtlichen Sanktionsmöglichkeiten für den Fall eines Verstoßes. Denn anders als bei kommunalen Mandatsträgern, bei denen der (vorsätzliche) Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht eine Straftat oder zumindest Ordnungswidrigkeit darstellen kann,1358 ist die Anwendbarkeit des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts für die Mitglieder der Vollversammlung ausgeschlossen.1359 Die Literatur stellt jedoch in Aussicht, dass aus der Mandatstätigkeit eine Schadensersatzpflicht folgen könne,1360 womit eine persön­liche Haftung gegenüber der „eigenen“ Körperschaft angesprochen wird. Dabei verkennt man allerdings, dass eine Haftung von Mandatsträgern in der funktionalen Selbstverwaltung mit den rechtsstaatlichen Anforderungen des Art. 20 Abs. 3 GG nur vereinbart werden kann, wenn hierfür eine gesetzliche Grundlage hinreichender Bestimmtheit besteht.1361 Möchte man den Regress als ein akzeptiertes Mittel der Verwaltungskontrolle etablieren, müssen überdies die konfligierenden Belange in der Vorschrift einen gerechten Ausgleich finden. Erforderlich ist, dass etwa der Schutz der Interessen der Körperschaft und das Vertrauen ihrer Mitglieder einerseits sowie die Entschluss- und Handlungsfähigkeit der Organwalter, die Fürsorgepflicht der Körperschaft und die Attraktivität des (Ehren-)Amtes andererseits abgewogen werden. Die Auflösung des Spannungsverhältnisses sollte, entsprechend der Rechtslage bei den kommunalen Hauptverwaltungsbeamten,1362 in insgesamt restriktiven Voraussetzungen über die Möglichkeit der persönlichen Haftung münden. Dabei kann ernsthaft erwogen werden, den Regress gegenüber dem Hauptgeschäftsführer der IHK gesetzlich zu determinieren. Da diesen Voraus­setzungen im 1358

S. etwa § 134 Abs. 3 Nr. 2 GemO SH. Die infrage kommenden Straftatbestände (§§ 133 Abs. 3, 201 Abs. 3, 203 Abs. 2, 4 u. 5, 331 Abs. 1, 332 Abs. 1 und 353b Strafgesetzbuch [StGB]) sind tatbestandlich ausgeschlossen, weil die Mitglieder der Vollversammlung weder als Amtsträger i. S. v. § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c)  StGB gelten können noch i. S. v. § 11 Abs. 1 Nr. 4 StGB „für den öffentlichen Dienst besonders“ verpflichtet werden (Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 5 Rn. 102). Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 438 m. Fn. 240 berichtet, dass die Satzung der IHK Siegen „bis vor kurzem“ vorsah, dass eine Nichtbeachtung der Verschwiegenheitspflicht als Verstoß gegen die kaufmännische Ehre angesehen werden konnte. Der Präsident und der Hauptgeschäftsführer sind hingegen Amtsträger i. S. d. StGB, weil ihnen nach § 7 Abs. 2 IHKG die rechtsgeschäftliche und gerichtliche Vertretung der IHK obliegt und sie im Zuge dessen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen (Günther, in: v. Landmann / Rohmer [Begr.], Gewerbeordnung, Stand: 86. EL Februar 2021, § 6 IHKG Rn. 12; ­Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 6 Rn. 10 u. § 7 Rn. 2). 1360 Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 439; Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 5 Rn. 102; Günther, in: v. Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 83. EL Dezember 2019, § 6 IHKG Rn. 15. 1361 BVerwG, Urt. v. 3. April 1996 – 6 C 5/94 –, BVerwGE 101, 51 Ls. 1. Hüttenbrink, DVBl 1981, 989–994 möchte hingegen das Organwalterverhältnis als Haftungsgrundlage anerkennen und eine Haftung gegenüber der Körperschaft „entsprechend den allgemeinen Grundsätzen einer positiven Forderungsverletzung auf Schadensersatz“ begründen (S. 994). Dies entspricht im gültigen Schuldrecht dem Grundtatbestand für Leistungsstörungen gem. § 280 Abs. 1 BGB. 1362 S. dazu jüngst Grzeszick, VerfBlog, 2020/9/18, abrufbar unter https://verfassungsblog.de/ progress-durch-regress/. Umfassend zum Regress des Dienstherrn Brüning, Die Haftung der kommunalen Entscheidungsträger, 2. Aufl. 2013, S. 32 f., 73 ff. 1359

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IHKG offensichtlich nicht Genüge getan wurde, ist an einen persönlichen Regress de lege lata nicht einmal zu denken. Ein untauglicher Versuch ist demzufolge in der Satzung der IHK Emden zu erkennen, die bestimmt, dass die ehrenamtlichen Organwalter in Ausübung ihres Amtes „nur“ – oder besser: immerhin – für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit haften.1363 Weil die Verschwiegenheit unter den Vollversammlungsmitgliedern ohnehin keinen Selbstzweck darstellt, muss die Schweigepflicht auch nicht als „lex imperfecta“1364 bezeichnet werden. Insbesondere vor dem Hintergrund der Kontrollbeziehung Kammerzugehörige – Vollversammlung, die aus organisationssoziologischer Perspektive auf Verdichtung und nicht auf anlasslose Verschwiegenheit angewiesen ist, muss der Bedarf für ein symbolisches Recht in diesem Ausmaß besonders begründet werden. Zwar sind auch für die IHK Sachverhalte denkbar, die wegen der Thematisierung persönlicher Daten oder aus Gründen einer wirtschaftlichen Verwaltungsführung der vertraulichen Behandlung durch die Organwalter bedürfen. Jedoch droht, dass die derzeit normierte „Pflicht“ überkompensiert wird und im Zuge dessen die eben bezeichnete Kontrollbeziehung Schaden nimmt.1365 Eine konsistente Regelung muss daher Ausnahmen von der Pflicht zur Verschwiegenheit vorsehen. Dabei ist notwendigerweise an Angelegenheiten zu denken, die in öffentlichen Sitzungen behandelt werden oder im Sitzungsprotokoll Erwähnung finden. Ferner drängt sich der Bedarf für Sachverhalte auf, die nicht der Geheimhaltung bedürfen oder sonst offenkundig sind. Bekannt ist bereits, dass jedem Mandatsträger der Vollversammlung eine eigene Repräsentationsaufgabe zukommt und ihm zur Wahrnehmung dieser Funktion umfassende Mitwirkungsrechte zustehen. Es wird sich im Verlauf der Studie noch herausstellen, dass die Ausübung dieser Garantien im Wesentlichen nur gelingen kann, wenn eine kontinuierliche Teilnahme an den Sitzungen des Organs erfolgt. Wenngleich damit Anreize zur Teilnahme bestehen und davon auszugehen ist, dass die Ehrenamtlichen prinzipiell ein Eigeninteresse an der Einflussnahme auf die Organisation vorweisen, ist es ebenso zutreffend, die Teilnahmeverpflichtung an den Sitzungen der Vollversammlung im Gesetz festzuschreiben und eine Mitteilung für den Fall der Verhinderung zu fordern. Dies geschieht bisher in einer Vielzahl der Satzungen,1366 während andere Kammerbezirke auf einen der 1363

§ 8 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Emden. So aber Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 5 Rn. 102. 1365 Zu hinterfragen ist insbesondere der Inhalt von § 4 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK München, der alle Angelegenheiten, die in nichtöffentlicher Sitzung behandelt werden, als vertraulich kennzeichnet. 1366 § 4 Abs. 4 Satzung IHK Aachen lautet bspw.: „Die Mitglieder sind zur Teilnahme an der Vollversammlung verpflichtet. Im Falle der Verhinderung haben sie dies nach Empfang der Einladung rechtzeitig mitzuteilen. Eine Vertretung ist unzulässig.“ Gleichgerichtet § 5 Abs. 3 Satzung IHK Arnsberg; § 5 Abs. 3 Satzung IHK Aschaffenburg; § 5 Abs. 3 Satzung IHK Bielefeld; § 4 Abs. 4 Satzung IHK  Bochum, § 6 Abs. 4 Satzung IHK  Bonn; § 7 Abs. 3 Satzung IHK Braunschweig; § 5 Abs. 3 Satzung HK Bremen, § 4 Abs. 4 Satzung IHK Chemnitz; § 5 Abs. 3 Satzung IHK Coburg; § 5 Abs. 3 Satzung IHK Cottbus; § 5 Abs. 5 Satzung IHK Darm 1364

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artigen Appell verzichten.1367 Die Rechtslage in der IHK Berlin stellt eine Besonderheit dar, weil die Satzung festschreibt, dass die Mitglieder der Vollversammlung an mindestens drei der vier ordentlichen Sitzungen im Kalenderjahr teilnehmen sollen.1368 5. Das Desinteresse an den Wahlen zur Vollversammlung – Ursachen und Reaktionen Die eingangs dargestellte Empirie belegt zusammengefasst ein fortgeschrittenes, bezirksübergreifendes Desinteresse an den Wahlen zur Vollversammlung. Sie bietet einen hinreichenden Anlass, um über ein besseres, organisationsadäquates Wahlrecht nachzudenken. a) Grundsätzliche Eignung interessendisparater Organisationen zur Stimulanz des Wahlrechts Im Zuge einer Ursachenforschung muss zunächst erkannt werden, dass die bisher maßgebliche Auseinandersetzung mit dem IHK-Recht keine Erklärungsmuster für den Befund realer Apathie offenbart. Nach den idealiteren Beschreibungen, die in der Kammermitgliedschaft sogar eine Rechtsbegünstigung erkennen möchten,1369 stadt; § 5 Abs. 3 Satzung IHK Detmold; § 4 Abs. 3 Satzung IHK Dillenburg; § 5 Abs. 4 Satzung IHK Dortmund; § 6 Abs. 3 Satzung IHK Dresden; § 4 Abs. 4 Satzung IHK Duisburg; § 3 Abs. 3 Satzung IHK Düsseldorf; § 5 Abs. 3 Satzung IHK Erfurt; § 5 Abs. 3 Satzung IHK Essen; § 5 Abs. 3 Satzung IHK Frankfurt a. M.; § 5 Abs. 3 Satzung IHK Frankfurt (Oder); § 5 Abs. 3 Satzung IHK Fulda; § 5 Abs. 3 Satzung IHK Gera, § 5 Abs. 3 Satzung IHK Gießen; § 6 Abs. 4 Satzung IHK Hagen; § 7 Abs. 2 Satzung IHK Halle; § 5 Abs. 3 Satzung IHK Hanau; § 6 Abs. 3 Satzung IHK Hannover; § 5 Abs. 3 Satzung IHK Heidenheim; § 5 Abs. 3 Satzung IHK Heilbronn, § 6 Abs. 2 S. 7 f. Satzung IHK Karlsruhe; § 3 Abs. 3 Satzung IHK Kassel; § 5 Abs. 3 Satzung IHK Kiel, § 5 Abs. 3 Satzung IHK Koblenz; § 6 Abs. 4 Satzung IHK Köln; § 5 Abs. 3 Satzung IHK Konstanz; § 5 Abs. 3 Satzung IHK Krefeld; § 6 Abs. 3 Satzung IHK Leipzig; § 5 Abs. 3 Satzung IHK Limburg; § 5 Abs. 3 Satzung IHK Lübeck; § 5 Abs. 3 Satzung IHK Ludwigshafen; § 6 Abs. 3 Satzung IHK Lüneburg; § 5 Abs. 3 Satzung IHK Mainz; § 5 Abs. 3 Satzung IHK Mannheim; § 5 Abs. 3 Satzung IHK München; § 5 Abs. 4 Satzung IHK Münster; § 6 Abs. 4 Satzung IHK Neubrandenburg; § 3 Abs. 3 Satzung IHK Offenbach; § 5 Abs. 3 Satzung IHK Oldenburg; § 5 Abs. 2 Satzung IHK Pforzheim; § 5 Abs. 3 Satzung IHK Regensburg; § 5 Abs. 3 Satzung IHK Reutlingen; § 5 Abs. 3 Satzung IHK Rostock; § 4 Abs. 3 Satzung IHK Saarbrücken; § 5 Abs. 3 Satzung IHK Schwerin; § 5 Abs. 3 Satzung IHK Siegen; § 5 Abs. 3 Satzung IHK Stade; § 5 Abs. 3 Satzung IHK Stuttgart; § 6 Abs. 3 Satzung IHK Suhl; § 4 Abs. 3 Satzung IHK Trier; § 5 Abs. 5 Satzung IHK Ulm; § 5 Abs. 3 Satzung IHK Villingen-Schwenningen; § 5 Abs. 4 Satzung IHK Weingarten; § 5 Abs. 3 Satzung IHK Wiesbaden; § 5 Abs. 3 Satzung IHK Wuppertal; Art. 3 Abs. 3 Satzung IHK Würzburg. 1367 Es handelt sich – soweit ersichtlich – um die IHK-Bezirke Augsburg, Bayreuth, Emden, Flensburg, Freiburg, Hamburg, Magdeburg, Nürnberg, Osnabrück, Passau und Potsdam. 1368 § 5 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Berlin. 1369 Dazu näher unter C. III. 1. e) bb).

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liegt womöglich sogar die Annahme nahe, dass ein weitverbreitetes Interesse für das aktive und passive Wahlrecht zur Vertreterversammlung besteht. Aber auch eine tiefergehende sozialwissenschaftliche Behandlung der körperschaftlichen Organisationsform, die die Zuschreibungen gruppenplural und heterogen erfüllt, vermag keine Auskunft über die hinter dem Problem liegende Ursache zu geben. Denn es darf angenommen werden, dass der organisatorische Zusammenschluss von beruflich und / oder ideologisch motivierten Interessendivergenzen zumindest im Vergleich zu homogeneren Einrichtungen der funktionalen Selbstverwaltung die Inanspruchnahme der aktiven und passiven Wahlberechtigung anregt.1370 Dies belegen auch die Ergebnisse der empirisch arbeitenden Organisationssoziologie. Mit Blick auf das Innenleben einer amerikanischen Druckergewerkschaft schlussfolgerten ihre Vertreter, dass unter der Annahme interner sozialer Differenzierung sowie internen ideologischen Konflikten die „Beteiligung der Mitglieder an den organisationsrelevanten Entscheidungen beträchtlich“ gesteigert werden könne.1371 Doch galt diese Schlussfolgerung nicht uneingeschränkt. Vielmehr lag ihr eine Vielzahl fördernder Bedingungen voraus, die eine lebendige Organisationskultur erst angeregt hatten. Hierzu gehörte vor allem die bewusste Absage an einen Kult der Einigkeit. Dies gelang durch die Etablierung eines organisationsinternen Parteiensystems. Die damit erzeugte innere Parteienkonkurrenz steigerte die Chance für eine „angemessene Artikulierung und Aggregierung der Mitgliederinteressen“ beträchtlich.1372 Anders gewendet: Formen interner Oppositions- und Fraktionsbildung lassen sich als Mittel zur Effektivitätssteigerung der gesamten Organisation begreifen. Ferner wurde der Abbau der Statusdiskrepanz zwischen Mehrheit / Führung einerseits und der Opposition andererseits etwa mit bewusst niedrigen Funktionärsgehältern betrieben. (Wahl-)Niederlagen mussten nicht mehr zwangsläufig als sozialer Abstieg und vollständiger Prestigeverlust des Unterlegenen gedeutet werden. Oppositionsschützende Regelungen im Organisationsstatut erhöhten die Chance für einen regelmäßigen Machtwechsel. Ihnen lag die Ratio zugrunde, dass oppositionelle Aktivitäten legitim und nützlich für den Fortschritt der gesamten Einheit sind.1373 Dass viele Arbeiter auch außerhalb der Berufsstätte in Vereinigungen und informellen Gruppen zur Freizeitgestaltung zusammenkamen, war ebenfalls bedeutsam. Dieser Umstand förderte die „gruppeninternen Sozialisationsprozesse“ und erhöhte „beträchtlich die Chance“, dass sich 1370 So auch Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 263, der mit dem Fehlen eines ausgeprägten Interessengegensatzes in der Sozialversicherung das dort wahrnehmbare Desinteresse an den Wahlen eingängig erklärt. 1371 Naschold, Organisation und Demokratie, 1969, S. 38 in Auseinandersetzung mit Lipset /  Trow / Coleman, Union Democracy, 1956. Weitere empirische Belege über den Zusammenhang von organisierter innerverbandlicher Opposition und Organisationseffizienz finden sich bei Teubner, Organisationsdemokratie und Verbandsverfassung, 1978, S. 92 ff. 1372 Naschold, Organisation und Demokratie, 1969, S. 38 in Auseinandersetzung mit Lipset /  Trow / Coleman, Union Democracy, 1956. 1373 Naschold, Organisation und Demokratie, 1969, S. 37 in Auseinandersetzung mit Lipset /  Trow / Coleman, Union Democracy, 1956.

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

die Organisationsmitglieder „berufspolitisch interessieren und an den politischen Angelegenheiten der Gewerkschaft beteiligen“.1374 b) Vorzugswürdige Ausgestaltung der Wahl in Systemen organisierter Interessen Für die Einsicht, dass auch ein geeignetes Wahlsystem notwendig ist, um wettbewerbliche Wahlen mit hohen Wahlbeteiligungsquoten hervorzubringen, muss kein Rückzug auf Nachbardisziplinen stattfinden. Wenn das Mandat in der Vollversammlung den Listenkandidaten durch aneinandergereihte Friedenswahlen angetragen wird und fortwährend die Voraussetzungen einer streitigen Wahl verfehlt werden, ist ein wertvoller Seismograph zur Registrierung mitgliedschaftlicher Stimmungen bereits verlorengegangen. Immerhin ist bei einem Wegfall der Wahl ungleich schwerer zu ermitteln, ob die Repräsentierten das bisher wahrgenommene Mandat in der Vertreterversammlung goutieren. Doch stellt sich nach dieser gleichermaßen trivialen wie grundlegenden Festlegung die Frage, welche Wahlsysteme eine hohe Eignung aufweisen, um kompetitive Wahlen für komplexe Systeme organisierter Interessen hervorzubringen. In negativer Wendung dürfte mit einiger Gewissheit feststehen, dass das Inte­ resse an den Wahlen zur Vollversammlung kaum zunehmen wird, wenn etwa der Wahlkampf zum Plenum der HK Hamburg im Herbst 2017 als ein Beispiel für die Suche nach Aufmerksamkeit und Zustimmung sowie dem Greifen nach populis­ tischen Methoden eingeordnet,1375 den Bewerbern mit Blick auf ihre Wahlziele ein „rechtsstaatlich desaströses Grundverständnis“ attestiert und in einer Conclusio der Bruch mit „vielen Traditionen und zentralen Aspekten des Selbstverständnisses von Kammern“ vorgeworfen wird.1376 Erwägungen, die eine rechtfertigende Hinnahme niedriger Wahlbeteiligungsquoten für die IHK beinhalten,1377 versprechen ebenfalls keinen informatorischen Zugewinn. Dies gilt insbesondere, wenn die

1374 Naschold, Organisation und Demokratie, 1969, S. 36 in Auseinandersetzung mit Lipset /  Trow / Coleman, Union Democracy, 1956. 1375 Kluth, GewArch 2018, 261. 1376 Zitate bei Kluth, GewArch 2018, 261 (263). S. ferner ders., WiVerw 2012, 50 (51): „Die damit verbundene Konsequenz der Unterordnung der Minderheit unter den Mehrheitswillen fällt nicht immer leicht, vor allem dann, wenn man von der Überlegenheit der eigenen Vorstellungen und Argumenten zu sehr überzeugt ist.“ Der Verfasser adressiert den Bundesverband für freie Kammern e. V., bei dessen Argumentation das „demokratische Gestaltungsprinzip keine Rolle“ spiele und „nur auf die angeblich besseren Argumente abgestellt“ werde. An anderer Stelle bezeichnet ders., NVwZ 2021, 345 den Verband betont abwertend als „Lobbyverein“. 1377 In diese Richtung etwa Kluth, GewArch 2018, 261, der betont, dass die IHK über „viele nach rein formalen Kriterien bestimmte Mitglieder“ verfüge, die nach ihrem Selbstverständnis keine Unternehmer seien. Unspezifisch ders., Kammerrecht, in: Schulte / Kloos (Hg.), Handbuch Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 7 Rn. 154, der formuliert, dass es darum gehen müsse, „die Mitglieder schrittweise für die Mitwirkung zu gewinnen“.

I. Die Wahl zur Vollversammlung und die Repräsentationsidee in der IHK  

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Wahl zur Wirtschaftsprüferkammer 2011 sogar eine Beteiligungsrate von 50,2 % hervorrief.1378 Der Soziologe J. David Edelstein beantwortete die Frage in positiver Wendung und benannte eine Vielzahl relevanter Faktoren.1379 Darauf aufbauende Untersuchungen unterzogen seine Überlegungen empirischen Tests. Die Faktoren haben etwa für eine britische Gewerkschaft von Grubenarbeitern1380 oder eine für den Weizenhandel gebildete Assoziation kanadischer Bauern1381 Bestätigung erfahren. Gunther Teubner führte die Annahmen von Edelstein dahingehend zusammen, dass sich ein verbandliches Wahlrecht dreier Komplexe annehmen sollte: (1) der Einführung minderheitenbegünstigender Wahlsysteme, (2) der Absage an (lange) Wahlketten zum Vorteil direkter Wahlen, und, (3) der Einschränkung von Mechanismen der Zuwahl.1382 Für diese Studie wird zusätzlich auf Erleichterungen für das Nominierungsverfahren hingewiesen, die auch Edelstein als Erfolgsbedingung auswies.1383 Im Hinblick auf eine gesteigerte Inanspruchnahme des aktiven Wahlrechts wird weiterhin an Erleichterungen für die Wahlhandlung erinnert. Blickt man danach auf das Wahlrecht zur Vollversammlung der IHK, können mehrere Reformthemen identifiziert werden. aa) Minderheitenbegünstigung Die Einführung minderheitenbegünstigender Wahlsysteme steht der IHK unter Geltung der Rahmenvorschrift des § 5 Abs. 4 S. 2 IHKG offen. Die Regel hält lediglich dazu an, die wirtschaftlichen Besonderheiten des Kammerbezirks sowie die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Gewerbegruppen zu „berücksichtigen“. Die Grenze für eine veränderte Sitzzuteilung markiert die Idee der Repräsentation. Sie muss zur Wahrnehmung eines Gesamtinteresses i. S. v. § 1 Abs. 1 IHKG gewahrt bleiben. Als diffizil dürfte sich erweisen, Minderheiten in den vielfach unterteilten Wahlgruppen zu benennen. Im Ausgangspunkt könnten die bisherigen Zusammensetzungen der Vollversammlung und Präsidien analysiert werden. Würde sich ergeben, dass kleine und mittlere Unternehmen, Vertreter neuer Wirtschaftszweige oder bestimmter Regionen strukturell der „Minderheit“ in der Mitgliederversammlung angehörten oder in den Präsidien nur selten vertreten waren, sollte die Sitzzuteilung zugunsten ihrer Wahlgruppe verändert werden.

1378

Information entnommen aus Sack, Demokratisierung in der Kammerlandschaft – Prozesse und mögliche Effekte am Beispiel der Wirtschaftsprüferkammer 2000–2012, in: Kluth (Hg.), JbKBR 2011, 2012, 143 (151). 1379 Edelstein, American Sociological Review Vol. 32 (1967), 19 (24 ff.). 1380 Edelstein, International Journal of Comparative Sociology Vol. 9 (1968), 255–288. S. weiterhin ders. / Warner, Sociology Vol. 4 (1970), 145–163. 1381 Craig / Gross, American Sociological Review Vol. 35 (1970), 19 (27 ff.). 1382 Teubner, Organisationsdemokratie und Verbandsverfassung, 1978, S. 310. 1383 Edelstein, American Sociological Review Vol. 32 (1967), 19 (29).

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

bb) Wahlketten, Zuwahl, Selbstvorschlag und Anzahl der Wahlgruppen Lange Wahlketten bewirken eine Mediatisierung des Wählereinflusses.1384 Darüber hinaus zwingt die Sichtweise des Minderheitenschutzes zum Verzicht auf Wahlketten. Dies gilt zumindest dann, wenn Wahlen auf der nächsthöheren Ebene nach dem Mehrheitsgrundsatz abgehalten werden. Repräsentanten der (unorganisierten) Minderheit können unter diesen Voraussetzungen nicht mehr für die nächste Stufe entsandt werden. Ihr Mandat wird im Zuge des Stufenbaus der Wahl schnell verbraucht. Die IHK-Bezirke verzichten für die Wahl zur Vollversammlung weitgehend auf eine Vermittlung des Votums der Wahlberechtigten. Nur die ohnehin problembehaftete Rechtslage in den bayerischen Kammerbezirken weicht von diesem Grundsatz ab, weil über die Zusammensetzung der Vollversammlung teilweise oder vollkommen erst regionale Zwischeninstanzen entscheiden. Auch die hier eingeschlagene Perspektive zwingt zu der Einsicht, dass dieses Verfahren aufgegeben werden sollte. Die Wahl zum Präsidenten und der übrigen Mitglieder des Präsidiums sowie die Bestellung des Hauptgeschäftsführers geht auf die Vollversammlung zurück und lässt sich damit mittelbar auf die Stimme der Mitglieder zurückführen. Ein anderer Befund gilt indes für die Spitzenfunktionen in den Dachvereinigungen der IHK, deren Organisationsweise mehrfach vermittelte Personalentscheidungen hervorbringt. Es wurde bereits dafür votiert, auf das Institut der Zuwahl zu verzichten. Die Zielsetzung, die diesem Abschnitt zugrunde liegt, bedingt eine gleichlautende Schlussfolgerung. Die Zuwahl greift korrigierend und verwässernd in das Votum der Kammermitglieder ein. Sie vermittelt den Eindruck eines Zwei-Klassen-Wahlrechts. Kommt sie zum Einsatz, damit die Zusammensetzung der Vollversammlung nicht dem „Zufall von Massenwahlen“ überlassen wird, konterkariert ihre fortgeschriebene Verfügbarkeit jegliche Recherchebemühungen um ein Wahlsystem, das die Wahlteilnahme stärker stimuliert. Wenn der politikwissenschaftliche Diskurs für die Wahlen zu den Volksvertretungen kompetitive Elemente und die Aussicht auf einen Machtwechsel als entscheidende Gelingensbedingungen für eine relativ hohe Wahlbeteiligung ansieht,1385 darf dies für die Wahlen zur Vollversammlung nicht unberücksichtigt bleiben. Aus diesem Grund wird für ein verbessertes Wahlsystem auch auf Erleichterungen für das Nominierungsverfahren, insbesondere die Absage an teilweise noch erforderliche Unterstützungsunterschriften, hingewiesen. Auch die Vielzahl der Wahlgruppen und -bezirke gehört auf den Prüfstand. Selbstredend streitet der Hauptauftrag dafür, eine möglichst detailgenaue Repräsentation hervorzubringen. Demgegenüber nimmt die Chance zum Erhalt kompetitiver Wahlen ab, wenn eine ohnehin geringe Bewerberanzahl auf viele Teilwahlen aufgespalten 1384

Teubner, Organisationsdemokratie und Verbandsverfassung, 1978, S. 311. Nullmeier, Kammerwahlen aus Sicht der Politikwissenschaft, in: Kluth (Hg.), JbKBR 2008, 2009, 13 (19, 24). 1385

I. Die Wahl zur Vollversammlung und die Repräsentationsidee in der IHK  

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wird.1386 Dass die Wahlordnungen Regeln für den Fall des Verfehlens einer streitigen Wahl bereithalten, stellt nicht die Lösung des Problems dar, sondern verdeutlicht den akuten Handlungsbedarf. cc) Online-Wahlen Möchte man eine höhere Wahlbeteiligung erzielen, muss über die Technik der Stimmabgabe und etwaige Erleichterungen verhandelt werden. Dass die Wahlordnungen die Briefwahl als Regelmodus vorsehen, stellt im Vergleich zu den Erfordernissen der Urnenwahl einen Zugewinn dar. Wenn die Lebenswirklichkeiten dem Kammermitglied Flexibilität und Mobilität abverlangen, würde zugleich ein antiquiertes Bild gezeichnet, wenn die Organisation die Partizipation erst nach einem Gang zu ihrem Verwaltungssitz gestattet. Sollen die Lebensumstände der Zugehörigen vollständig erfasst werden, ist eine bezirksübergreifende Zulässigkeit der elektronischen Stimmabgabe zu erwägen. Die Durchführung von Online-Wahlen1387 in der funktionalen Selbstverwaltung ist mit der Rechtsprechung des BVerfG vereinbar. Zwar hat das Verfassungsgericht Grenzen für die Nutzung von Wahlcomputern und digitalisierten Wahlhilfen in Wahllokalen unter Hinweis auf den ungeschriebenen Wahlrechtsgrundsatz der Öffentlichkeit formuliert.1388 Danach müssen alle wesentlichen Schritte der Wahl – von der Stimmabgabe bis zur Auszählung – dergestalt nachvollziehbar sein, dass selbst ein computertechnischer Laie erkennen kann, ob die abgegebene Stimme als Grundlage für die Auszählung „unverfälscht erfasst“ wurde.1389 Die gegenläufigen Wahlrechtsgrundsätze des Grundgesetzes finden aber, wie bereits erwähnt, unmittelbare Anwendung auf demokratische Wahlen politisch-parlamentarischer Art. Darüber hinaus entfalten sie nur eine abgestufte Wirksamkeit unter Ansehung der Eigenart des betroffenen Sachbereichs. Sie sind im Sinne einer Ausstrahlungswirkung zu beachten.1390 Eine modifizierte Behandlung der Problemlage zugunsten anderer Verfassungsprinzipien ist erlaubt. Die Durchführung von Online-­Wahlen 1386 Hinweis bei Nullmeier, Kammerwahlen aus Sicht der Politikwissenschaft, in: Kluth (Hg.), JbKBR 2008, 2009, 13 (21 f. u. 24). Auch Sack, Kammern, Engagement und Ehrenamt, in: Kluth (Hg.), JbKBR, 2019, 27 (36) fordert ein „niedrigschwelliges Wahlrecht“. 1387 Unter Online-Wahlen wird die Verwendung elektronischer, computerbasierter Wahlsysteme für Wahlen in offenen Netzen (klassischerweise dem Internet) verstanden, s. Bretthauer /  Spiecker gen. Döhmann, NZS 2020, 241 (243). 1388 S. die Leitsätze in BVerfG, Urt. v. 3. März 2009 – 2 BvC 3, 4/07 –, BVerfGE 123, 39. Dazu erläuternd Schulz, Wahlen und Abstimmungen im digitalen Zeitalter in: Schliesky / ders. /  Gottberg / Kuhlmann, Demokratie im digitalen Zeitalter, 2016, 52 (55 f.). 1389 BVerfG, Urt. v. 3. März 2009 – 2 BvC 3, 4/07 –, BVerfGE 123, 39 (72). Treffend R ­ amson, Verfassungsmäßigkeit von Internetwahlen? Neukonzeption eines Bewertungsmaßstabs für innovative Wahlmethoden, in: R. Greve et al. (Hg.), Der digitalisierte Staat, 2021, 199: „Erfordernis einer umfassenden Ende-zu-Ende-Laienkontrolle“. 1390 Dazu Bretthauer / Spiecker gen. Döhmann, NZS 2020, 241 (243 f.); Klein, in: Dürig /  Herzog / Scholz, GG, Stand: 90. EL Juli 2021, Art. 38 Rn. 81 – jeweils m. w. N.

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

auf gesetzlicher Basis trifft danach auf keine verfassungsrechtlichen Hürden, wenn die Funktionstüchtigkeit der verwendeten Technik sowie die Geheimheit der Wahl feststehen, das Blackbox-Phänomen aufgrund durchschaubarer informationstechnischer Vorgänge für die Mitglieder verhütet wird und die Infiltration sowie Manipulierbarkeit des digitalen Systems ausgeschlossen und ein darauf lautender unberechtigter Verdacht zweifelsfrei widerlegt werden können.1391 Denn OnlineWahlen verfolgen auch für die IHK das Ziel, die Wahlbeteiligung zu erhöhen, und fördern mithin die Grundentscheidung für die Allgemeinheit der Wahl. c) Unmöglichkeit einer isolierten Betrachtung des Wahlsystems Das Problem verbreiteter Apathie unter den Mitgliedern der IHK wurde bereits behandelt. Es ist in der Konstitution eines Pflichtverbands angelegt, weil die Zugehörigkeit unabhängig von einem initialen Beitrittsmotiv erfolgt. Und selbst freiwillige Assoziationen, für die eine Übereinkunft zwischen Mitgliedschafszweck und Organisationsziel grundsätzlich angenommen werden darf, entwickeln Formen einer teilnahmslosen Mitgliedschaft. Als Beleg genügt ein Blick auf die jüngst in den politischen Parteien abgehaltenen Urwahlen. Selbst die Entscheidungsoption für das Führungspersonal brachte nur durchschnittliche Beteiligungsraten von 45 % hervor.1392 Diese Einsichten sind auch nunmehr von Relevanz. Sie bedeuten zwar nicht, dass die These über die grundsätzliche Eignung einer interessendisparaten Organisation zur verhältnismäßig regen Wahrnehmung der aktiven und passiven Wahlberechtigung einer Verkehrung in das Gegenteil bedarf. Sie haben allerdings zur Folge, dass die Suche nach einem „perfekten“ Wahlrecht systemimmanenten Einschränkungen unterliegt. Soll ein passendes Wahlsystem für komplexe Großorganisationen entworfen werden, darf nicht vernachlässigt werden, dass es zu seiner Wirksamkeit auf ein ganzes Füllhorn von unsichtbaren sozialen und innerorganisatorischen Erfolgsfaktoren angewiesen ist.1393 1391 Im Ergebnis ebenso Rieger, Online-Wahlen in der Industrie- und Handelskammer, in: Kluth (Hg.), JbKBR 2010, 2011, 85 (93); Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8.  Aufl. 2020, § 5 Rn. 64. Für die HwK Leisner, in: ders. (Hg.), BeckOK HwO, Stand: 13. Edition 1. 01. 2021, Anlage C Rn. 11. Kluth, Grundfragen des Kammerwahlrechts in Wirtschaftskammern, in: ders. (Hg.), JbKBR 2006, 2007, 139 (153) erachtet die Zulässigkeit von Online-Wahlen für „denkbar“. Nicht überzeugen vermag die Erinnerung des Verfassers an den Grundsatz der Geheimheit der Wahl, der bei der Briefwahl im gleichen Umfang tangiert sein dürfte. Groß / Pautsch, Kammerverfassungsrecht – Organisation und Verfahren, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 7 Rn. 74 hegen berechtigte Bedenken gegen eine Einführung von Online-Wahlen ohne gesetzliche Grundlage. 1392 Detterbeck, Alte und neue Probleme der innerparteilichen Demokratie, in: Morlok /  Poguntke / Sokolov (Hg.), Parteienstaat – Parteiendemokratie, 2018, 123 (133). 1393 Lipset, Virginia Law Review Vol. 47 (1961), 1 (50). Teubner, Organisationsdemokratie und Verbandsverfassung, 1978, S. 311 f. spricht von Faktoren, „die sich dem rechtsförmigen Zugriff entziehen“. Dazu näher unter D. I. 8.

II. Die Vollversammlung  

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II. Die Vollversammlung Die Aufgabenallokation in der IHK partizipiert prinzipiell an der Einsicht, dass sich die Vollversammlung als oberstes Kammerorgan ergibt. Nach § 4 S. 1 IHK beschließt sie über die Angelegenheiten der Kammer, soweit nicht die Satzung abweichende Bestimmungen enthält. Ferner verfügt die Vollversammlung gem. § 4 S. 2 IHKG über zentrale Gegenstände zur ausschließlichen Beschlussfassung. Dazu zählen die Satzung (Nr. 1), die Wahl-, Beitrags-, Sonderbeitrags- und Gebührenordnung (Nr. 2) oder das Finanzstatut (Nr. 8).1394 Die Vollversammlung trifft Entscheidungen über Sachfragen (§ 4 IHKG) und die personelle Besetzung der Organe Präsident, Präsidium und Hauptgeschäftsführer durch „Wahlen“ bzw. in Form einer „Bestellung“ (§§ 6 Abs. 1, 7 Abs. 1 IHKG). Die unterschiedlichen Bezeichnungen im IHKG sind indes von eingeschränkter rechtlicher Relevanz. Der Umstand, ob gerade über eine Sachfrage oder die Besetzung von Ämtern entschieden wird, verwenden die Satzungen jedoch als Anknüpfungspunkt, um bspw. zwischen offenen und geheimen Stimmabgaben zu differenzieren. Im Kern gilt jedoch, dass auch Wahlen und Bestellungen Beschlüsse darstellen,1395 womit die Vollversammlung insgesamt durch Beschluss entscheidet. Das IHKG benennt zwar im Einzelnen die Beschlussgegenstände, aber dirigiert ihr verfahrensmäßiges Zustandekommen allenfalls in sehr geringen Dosen. Der weitgehende Regelungsverzicht bedingt bisher, dass das Recht der Vollversammlung, das im Folgenden unter den Überschriften Entscheidungskontext und Entscheidungsfindung betrachtet wird, in Wahrnehmung der Satzungsautonomie ausgestaltet wird. Möchte man sich mit dem geltenden Recht auseinandersetzen, gelingt dies nur, wenn man das Satzungsrecht1396 der 79 IHK-Bezirke1397 durchgesehen hat. 1394 Weiterhin gehören zu den der Vollversammlung vorbehaltenen Aufgaben der Beschluss über die Feststellung des Wirtschaftsplans (Nr. 3), die Festsetzung des Maßstabes für die Beiträge und Sonderbeiträge (Nr. 4), die Erteilung der Entlastung (Nr. 5), die Übertragung von Aufgaben auf andere Industrie- und Handelskammern, die Übernahme dieser Aufgaben, die Bildung von öffentlich-rechtlichen Zusammenschlüssen und die Beteiligung hieran (s. § 10 IHKG) sowie die Beteiligung an Einrichtungen nach § 1 Abs. 3b IHKG (Nr. 6) und die Art und Weise der öffentlichen Bekanntmachung (Nr. 7). 1395 Auch nach Dagtoglou, Kollegialorgane und Kollegialakte der Verwaltung, 1960, S. 90 ist die Bezeichnung „Beschluss“ als Oberbegriff des Kollegialakts zu behandeln. Er umfasst zwei Unterbegriffe, nämlich den Beschluss im engeren Sinne, d. h. die Entscheidung über eine beantragte praktische oder rechtliche Frage, und die Wahl. Pieroth, JuS 1991, 89 (89 f.) möchte hingegen mit Blick auf die differenzierte Wortwahl im Grundgesetz an der terminologischen Unterscheidung von „Abstimmung“ (Sachentscheidungen) und „Wahlen“ (Personalentscheidungen) festhalten, um „Tendenzen der Begriffsverwischung“ (S. 90) vorzubeugen. 1396 Teilweise sind die IHK-Bezirke dazu übergegangen, Fragen des Organisations- und Verfahrensrechts unterhalb der Satzung zu regeln, sodass die Auseinandersetzung mit dem Inhalt von Geschäftsordnungen notwendig wurde. 1397 Möchte man die Fassung der untersuchten Satzungen näher bezeichnen, müssen das Datum des Beschlusses der Vollversammlung über die Änderung bzw. den Erlass, der Tag des

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

1. Entscheidungskontext Zu den Bestandteilen des Entscheidungskontextes gehören Vorschriften über den Vorsitz, die Sitzungsfrequenz (ordentliche Sitzung), die Festsetzung der Tagesordnung, das Initiativrecht zur Tagesordnung (Antragsrecht vor Beginn der Sitzung), die Einberufung (insbes. Ladungsfristen), die Qualität der Einberufung (insbes. Umfang beizufügender Unterlagen), das Recht zum „Nachschieben“ von Tagesordnungspunkten (Antragsrecht bei Sitzungsbeginn), das Einberufungsrecht der Minderheit (Erzwingen außerordentlicher Sitzungen) und das Umlaufverfahren. Der Befund an Normen, mit denen das IHK-Recht de lege lata diese Themen einer Regelung zuführt, wird zunächst dargestellt und sodann einer kritischen Durchsicht unter Rekurs auf den unter D. eröffneten Analyserahmen zugeführt.

Inkrafttretens und der Zeitpunkt der Genehmigung durch das die Aufsicht führende Landesministerium unterschieden werden. Da die Daten nicht immer vollständig ersichtlich waren, kann es vorkommen, dass mit den im Folgenden genannten Terminen teilweise nicht der Tag des Beschlusses durch die Vollversammlung bezeichnet wird. IHK  Aachen: 5. Sep. 2017; IHK Arnsberg: 18. Nov. 2016; IHK Aschaffenburg: 1. Jan. 2016; IHK Augsburg: 25. Apr. 2016; IHK Bayreuth: 24. Jul. 2017; IHK Berlin: 12. Jul. 2017; IHK Bielefeld: 4. Jun. 2018; IHK Bochum: 5. Dez. 2013; IHK Bonn: 22. Nov. 2017; IHK Braunschweig: 25. Apr. 2016; HK Bremen: 6. Mai 2019; IHK Chemnitz: 29. Jan. 2016; IHK Coburg: 27. Apr. 2016; IHK Cottbus: 5. Sep. 2013; IHK Darmstadt: 4. Dez. 2018; IHK Detmold: 2. Mrz. 2017; IHK Dillenburg: 10. Apr. 2019; IHK Dortmund: 18. Sep. 2017; IHK Dresden: 11. Dez. 2019; IHK Duisburg: 26. Nov. 2013; IHK Düsseldorf: 26. Nov. 2019; IHK Emden: 7. Feb 2012; IHK Erfurt: 3. Dez. 2014; IHK Essen: 26. Mrz. 2019; IHK Flensburg: 9. Mai 2019; IHK Frankfurt a. M.: 26. Jun. 2013; IHK Frankfurt (Oder): 10. Jun. 2016; IHK Freiburg: 21. Jul. 2011; IHK Fulda: 21. Mrz. 2012; IHK Gera: 1. Dez. 2015; IHK Gießen: 8. Dez. 2015; IHK Hagen: 30. Nov. 2017; IHK Halle: 7. Dez. 2011; HK  Hamburg: 23. Nov. 2020; IHK  Hanau: 25. Apr 2013; IHK  Hannover: 3. Sep. 2018; IHK  Heidenheim: 28. Mrz. 2019; IHK  Heilbronn: 7. Dez. 2016; IHK  Karlsruhe: 19. Jul. 2018; IHK Kassel: 17. Dez. 2018; IHK Kiel: 7. Feb. 2017; IHK Koblenz: 6. Dez. 2016; IHK Köln: 11. Okt. 2018; IHK Konstanz: 3. Dez. 2018; IHK Krefeld: 30. Nov. 2017; IHK  Leipzig: 20. Sep. 2016; IHK  Limburg: 13. Mrz. 2018; IHK  Lübeck: 28. Nov. 2017; IHK  Ludwigshafen: 16. Nov. 2017; IHK  Lüneburg: 6. Dez. 2018; IHK  Magdeburg: 4. Dez. 2018; IHK Mainz: 26. Sep. 2012; IHK Mannheim: 3. Jul. 2019; IHK München: 15. Mai 2019; IHK Münster: 21. Nov. 2019; IHK Neubrandenburg: 23. Feb. 2012; IHK Nürnberg: 19. Jun. 2019; IHK Offenbach: 4. Mai 2018; IHK Oldenburg: 9. Okt. 2020; IHK Osnabrück: 19. Jun. 2018; IHK Passau: 8. Apr. 2019; IHK Pforzheim: 7. Okt. 2020; IHK Potsdam: 29. Aug. 2019; IHK  Regensburg: 24. Apr. 2017; IHK  Reutlingen: 17. Jul. 2018; IHK  Rostock: 23. Nov. 2015; IHK  Saarbrücken: 6. Okt 2015; IHK  Schwerin: 2. Dez. 2015; IHK  Siegen: 12. Dez. 2016; IHK  Stade: 12. Dez. 2013; IHK  Stuttgart: 24. Mrz. 2015; IHK  Suhl: 1. Dez. 2015; IHK Trier: 28. Nov. 2016; IHK Ulm: 17. Okt. 2017; IHK Villingen-Schwenningen: 21. Sep. 2011; IHK Weingarten: 12. Okt. 2016; IHK Wiesbaden: 13. Dez. 2015; IHK Wuppertal: 16. Jun. 2018; IHK Würzburg: 8. Dez. 2011.

II. Die Vollversammlung  

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a) Vorsitz de lege lata Die Vollversammlung verfügt über kein Selbstversammlungsrecht, weshalb es ihrer Einberufung bedarf. Darauf reagiert § 6 Abs. 2 S. 2 IHKG, wonach der Präsident die Vollversammlung einberuft und in ihr den Vorsitz führt. Diese Maß­ gaben werden in den Satzungen regelmäßig zumeist an mehreren Stellen repetiert.1398 b) Sitzungsfrequenz de lege lata Im Hinblick auf die Frequenz von ordentlichen Sitzungen schreiben die Satzungen fest, dass die Vollversammlung nach Bedarf einberufen werden kann, wobei ganz überwiegend zugleich ein Mindestmaß von Tagungen bestimmt wird. Lediglich zwei Bezirke tagen ausschließlich „nach Bedarf“.1399 Aus der Reihe fällt auch die IHK Stuttgart. Ihre Satzung regelt, dass die Vertreterversammlung mindestens ein- und höchstens viermal im Jahr zusammentreten darf.1400 Davon abgesehen ist festzustellen, dass die Vollversammlung innerhalb eines Jahres mindestens ein-1401, zwei-1402, 1398 So z. B. in der Satzung der IHK Berlin (§ 5 Abs. 1 S. 1: „Die Vollversammlung wird durch den Präsidenten […] einberufen.“; § 5 Abs. 1 S. 3: „Der Präsident leitet die Sitzungen.“; § 7 Abs. 1 S. 1: „Der Präsident ist Vorsitzender von Vollversammlung […] und Sprecher der gewerblichen Wirtschaft im Kammerbezirk.“). 1399 § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Freiburg; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Siegen. 1400 § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Stuttgart. 1401 § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Augsburg; § 4 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Bayreuth; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Heidenheim; § 4 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Passau; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Regensburg; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Stuttgart; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Wein­ garten. 1402 § 4 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Aachen; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Arnsberg; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Aschaffenburg; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Bielefeld; § 4 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Bochum; § 4 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Chemnitz; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Coburg; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Cottbus; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Dillenburg; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Dortmund; § 4 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Duisburg; § 3 Abs. 1 Satzung IHK Düsseldorf; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK  Erfurt; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK  Essen; § 4 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK  Flensburg; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK  Frankfurt  (Oder); § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Gera; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Gießen; § 6 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Karlsruhe; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Kiel; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Koblenz; § 6 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Köln; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Konstanz; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Krefeld; § 6 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK  Leipzig; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK  Lübeck; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Ludwigshafen; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Mainz; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Mannheim; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK München; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Münster; § 3 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Nürnberg; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Oldenburg; § 6 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Osnabrück; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Pforzheim; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK  Reutlingen; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK  Rostock; § 5 Abs. 1 Satzung IHK  Stade; § 6 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK  Suhl; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK  Trier; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Villingen-Schwenningen; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Wuppertal; Art. 3 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Würzburg.

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

drei-1403 oder viermal1404 zusammenkommt. Davon heben sich nur die HK Bremen und die HK Hamburg ab, in denen das Plenum in der Regel zehnmal1405 oder sogar monatlich1406 tagen soll. Führt man die Angaben zusammen, ergibt sich, dass die Vollversammlung bezirksübergreifend ca. 2,5-mal jährlich eine ordentliche Sitzung abhält. c) Einberufung, Fristen, Aufstellung der Tagesordnung und Antragsrecht zur Tagesordnung de lege lata Damit die Vollversammlung Beschlüsse fassen kann, bedarf es ihrer Einberufung, die gemeinhin in der Zuständigkeit des Präsidenten liegt.1407 Dass die IHK Halle die Herstellung des Einvernehmens zwischen Hauptgeschäftsführer und Präsident für die Einberufung voraussetzt,1408 stellt demgegenüber eine Besonderheit dar. Der Präsident der IHK Stuttgart hat die Sitzungstermine, die Dauer der Sitzung, ihren Ort sowie die Tagesordnung hingegen im Einvernehmen mit dem Präsidium festzulegen.1409 Die Mitteilung von Sitzungstermin und -ort im Vorwege der ordentlichen Sitzung wird nur in den Satzungen weniger Kammern durch eine Vorlauf- bzw. Mindestfrist eingehegt.1410 Betrachtet man auszugsweise die Internetpräsenzen der IHK-Bezirke, lässt sich der Eindruck gewinnen, dass die Termine in der Praxis im Voraus für das ganze Jahr über dieses Medium zugänglich gemacht werden. 1403 § 6 Abs. 1 S. 3 Satzung IHK  Bonn; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK  Braunschweig; § 5 Abs. 1 Satzung IHK Darmstadt; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Detmold; § 6 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Dresden; § 6 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Emden; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Fulda; § 6 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Hagen; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Hanau; § 6 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Heilbronn; § 3 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Kassel; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Limburg; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Lüneburg; § 6 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Magdeburg; § 6 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Neubrandenburg; § 6 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Potsdam; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Ulm; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Wiesbaden. 1404 § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Berlin; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Frankfurt a. M.; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Halle; § 6 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Hannover; § 3 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Offenbach; § 4 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Saarbrücken (hier: einmal vierteljährlich); § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Schwerin. 1405 § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung HK Bremen. 1406 § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung HK Hamburg. 1407 S. die Nachweise in den Fn. 1398–1406. 1408 § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Halle. 1409 § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Stuttgart. 1410 Nach § 5 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK  Kiel, § 5 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK  Lübeck und § 5 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Pforzheim „sollen“ die Sitzungstermine mindestens vier Wochen vor der Sitzung den Mitgliedern mitgeteilt werden. § 6 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Karlsruhe enthält eine Soll-Frist von fünf Wochen. Nach § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Stuttgart werden die Informationen eine „angemessene Zeit vorher“ mitgeteilt. In der Mustersatzung des DIHK soll, so Günther, in: v. Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: Stand: 86. EL Februar 2021, § 4 IHKG Rn. 56, eine Vorlauffrist von vier Wochen enthalten sein.

II. Die Vollversammlung  

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Die Satzungen regeln auch die Einberufung an sich. Danach hat die Einladung der Vollversammlung schriftlich oder in Textform unter Mitteilung der Tagesordnung zu erfolgen, wobei Mindestladungsfristen zwischen fünf Werktagen,1411 einer Woche,1412 zehn Tagen1413 oder zwei Wochen1414 beobachtet werden können. Auch Soll-Fristen von mindestens acht Tagen finden Verwendung.1415 Erwähnung verdient die Satzung der IHK Aachen, die eine abgekürzte Einladungsfrist von drei Tagen für dringende Fälle vorsieht,1416 während in den Kammern mit Sitz in Köln und Stuttgart die Einladungsfrist in Fällen besonderer Eilbedürftigkeit auf eine Woche reduziert werden kann.1417 Für die Festsetzung bzw. Aufstellung der Tagesordnung ist nach den Satzungen gemeinhin der Präsident verantwortlich.1418 Daneben fallen Bezirke auf, nach deren Satzungen die Tagesordnung vom Präsidenten in Abstimmung1419, nach Rücksprache1420 oder gemeinsam1421 mit dem Hauptgeschäftsführer aufgestellt wird. In der IHK Stuttgart unterliegt die Festlegung der Tagesordnung dem Präsidenten im Einvernehmen mit dem Präsidium.1422 Dass die Einberufung der Vollversammlung eine bestimmte inhaltliche Qualität aufweisen muss, die etwa die Definition eines Umfangs beizufügender Unterlagen enthalten könnte, wird in den Satzungen – soweit ersichtlich – keinesfalls als Regelungsoption erkannt. Indes hat das Bundesverwaltungsgericht postuliert, dass aus dem Recht zur Mitentscheidung auch die Mitteilung einer „Mindestinformation“ geboten sei, mit der die Vollversammlungsmitglieder in die Lage versetzt werden sollen, über den jeweiligen Beschlussgegenstand zu entscheiden.1423 Die nach dem IHKG „notwendige Information“ wird nach Auffassung des Gerichts bereits bewirkt, wenn das Mitglied zur Sitzung geladen wird und eine Tagesordnung erhält, in der die einzelnen Angelegenheiten „hinreichend konkret“ beschrieben seien. Die 1411

§ 5 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK München. § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Bochum; § 3 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Kassel; § 5 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Kiel; § 5 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Lübeck; § 5 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Oldenburg; § 5 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Pforzheim. In der Mustersatzung des DIHK soll, so Günther, in: v. Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 86. EL Februar 2021, § 4 IHKG Rn. 56, eine Frist von einer Woche enthalten sein. 1413 § 4 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Aachen. 1414 § 5 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Aschaffenburg; § 6 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Potsdam; § 5 Abs. 2 S. 6 Satzung IHK Stuttgart; § 6 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Köln. 1415 § 4 Abs. 4 S. 4 Satzung IHK Flensburg. 1416 § 4 Abs. 2 Satzung IHK Aachen. In den nach dieser Vorschrift einberufenen Sitzungen kann keine Änderung der Satzung beschlossen werden. 1417 § 5 Abs. 2 S. 7 Satzung IHK Stuttgart; § 6 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Köln. 1418 § 5 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Kiel; § 5 Abs. 2 S. 4 Satzung IHK Lübeck. 1419 § 4 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Bochum. 1420 § 5 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Schwerin. 1421 § 4 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Aachen; § 3 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Düsseldorf; § 6 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Potsdam. 1422 § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Stuttgart. 1423 BVerwG, Urt. v. 31. März 2004 – 6 C 25/03 –, BVerwGE 120, 255 (259). 1412

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

Übersendung schriftlicher Unterlagen liege bei fehlender gesetzlicher oder organisationsinterner Regelung hingegen im Ermessen des Vorsitzenden.1424 Das Antragsrecht der Vollversammlungsmitglieder vor Aufstellung der Tagesordnung unterliegt nach Maßgabe der Satzungen zumeist keinen materiellen Einschränkungen. Jedoch müssen die Anträge rechtzeitig mitgeteilt1425 oder am Tag der Einladung vorliegen,1426 damit sie auf die Tagesordnung gesetzt werden können. In vielen Kammern wird dieses Erfordernis restriktiver ausgestaltet und eine Ausschlussfrist formuliert, nach der die Anträge spätestens 14 Tage1427, 21 Tage1428, drei Wochen1429 oder sogar vier Wochen1430 vor der Sitzung mitgeteilt werden müssen. Auffallend ist die Rechtslage in der IHK Köln, weil die Anträge ebenda begründet werden müssen.1431 Aus der Reihe fallen auch die IHK Düsseldorf und die IHK Rostock, nach deren Satzung der Hauptgeschäftsführer für berechtigt erklärt wird, mit Zustimmung des Präsidenten Anträge und Vorlagen zur Behandlung in die Vollversammlung einzubringen.1432 Eine absolute Besonderheit stellt die IHK Würzburg dar, in der dem Regionalsprecher der örtlichen Wirtschaftsjuniorenvereinigung kraft seines Amtes in einer anderen Organisation das Antragsrecht in der Vollversammlung zugestanden wird.1433 Demgegenüber sind auch Bestimmungen wahrzunehmen, die es dem Vorsitzenden ermöglichen, auf das Antragsrecht beschränkend einzuwirken. So findet eine Berücksichtigung der Anträge in den IHK-Bezirken Darmstadt, Hagen und Stuttgart nur statt, soweit durch ihre Anzahl nicht eine angemessene Behandlung infrage gestellt wird.1434 Die IHK Osnabrück verfolgt selbiges Konzept auf Ebene der Geschäftsordnung.1435 Über die unberücksichtigt gebliebenen oder aus Zeitgründen unbehandelt gebliebenen Anträge ist in der Vollversammlung ein Beschluss herbeizuführen, der auch die Ablehnung einer

1424

Zitate bei BVerwG, Urt. v. 31. März 2004 – 6 C 25/03 –, BVerwGE 120, 255 (260). In diesem Sinne auch Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 287. 1425 § 4 Abs. 4 S. 4 Satzung IHK Flensburg. 1426 § 4 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Aachen; § 3 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Kassel. 1427 § 4 Abs. 2 S. 4 Satzung IHK Bochum; § 5 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Kiel; § 5 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Lübeck; § 5 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Oldenburg; § 5 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Pforzheim. In der Mustersatzung des DIHK soll, so Günther, in: v.  Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 86. EL Februar 2021, § 4 IHKG Rn. 58, eine Ausschlussfrist von 14 Tagen enthalten sein. 1428 § 5 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Cottbus. 1429 § 5 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Aschaffenburg; § 5 Abs. 3 S. 3 Satzung IHK Darmstadt; § 6 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Karlsruhe; § 5 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Stuttgart. 1430 § 6 Abs. 2 S. 5 Satzung IHK Köln; § 6 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Potsdam. 1431 § 6 Abs. 2 S. 5 Satzung IHK Köln. 1432 § 6 Abs. 2 Satzung IHK Düsseldorf; § 9 Abs. 4 Satzung IHK Rostock. 1433 Art. 3 Abs. 11 Satzung IHK Würzburg: „Der Regionalsprecher der Wirtschaftsjunioren Unterfranken […] hat das Recht, an allen Sitzungen der Vollversammlung mit Antragsrecht teilzunehmen. Er wird zu den Sitzungen unter Mitteilung der Tagesordnung eingeladen.“ 1434 § 5 Abs. 3 S. 3 Satzung IHK Darmstadt; § 6 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Hagen (hier: Verweis auf das „Ermessen des Präsidenten“); § 5 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Stuttgart. 1435 § 2 Abs. 1 S. 6 Geschäftsordnung IHK Osnabrück i. d. F. v. 19. Juni 2018.

II. Die Vollversammlung  

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Befassung zum Gegenstand haben kann.1436 Die Ablehnung der Behandlung kann etwa auf die Erwägung gegründet werden, dass über denselben Gegenstand bereits einmal verhandelt wurde und sich die dafür relevanten Umstände nicht wesentlich geändert haben.1437 In der IHK München werden Anträge nur berücksichtigt, sofern diese keinen rechtsmissbräuchlichen Charakter haben.1438 Nach der Satzung der IHK Stade „soll“ der Präsident alle vorliegenden Anträge berücksichtigen.1439 Die Behandlung von nicht auf der Tagesordnung stehenden Anträgen gestatten nicht alle Kammern.1440 Die IHK-Bezirke, die eine Befassung mit nachgeschobenen Tagesordnungspunkten zulassen, formulieren zusätzliche Voraussetzungen. So wird die Behandlung in mehreren Satzungen erlaubt, wenn kein anwesendes Mitglied widerspricht.1441 Andernorts unterbleibt die Behandlung, wenn ein Fünftel der Anwesenden den Widerspruch artikuliert.1442 In weiteren Teilen ist die Zustimmung bzw. das Einverständnis der Mehrheit1443, einer Zweidrittel-1444 oder Dreiviertelmehrheit1445 unter den anwesenden Mitgliedern erforderlich. Darüber 1436

§ 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Darmstadt; § 6 Abs. 2 S. 4 Satzung IHK Hagen; § 2 Abs. 1 S. 7 Geschäftsordnung IHK Osnabrück; § 5 Abs. 2 S. 4 Satzung IHK Stuttgart. 1437 § 6 Abs. 2 S. 5 Satzung IHK Hagen; § 2 Abs. 1 S. 8 Geschäftsordnung IHK Osnabrück. Nach § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Darmstadt, § 2 Abs. 1 S. 9 Geschäftsordnung IHK Osnabrück u. § 5 Abs. 2 S. 5 Satzung IHK Stuttgart müssen Anträge nicht berücksichtigt werden, wenn die Vollversammlung über den gleichen Gegenstand innerhalb der letzten 12 Monate bereits verhandelt hat. 1438 § 5 Abs. 2 S. 4 Satzung IHK München. 1439 § 5 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Stade. 1440 Es handelt sich – soweit ersichtlich – um die IHK-Bezirke Arnsberg, Bielefeld, Bremen Coburg, Darmstadt, Detmold, Dillenburg, Emden, Frankfurt a. M., Freiburg, Fulda, Gera, Halle, Hamburg, Hannover, Heidenheim, Heilbronn, Köln (hier: nachgeschobene Tagesordnungspunkte dürfen nur beraten werden, § 6 Abs. 3 der Satzung), Krefeld, Mannheim, Oldenburg, Osnabrück, Reutlingen, Schwerin, Stade, Stuttgart, Ulm, Weingarten und Wiesbaden. 1441 § 4 Abs. 1 S. 3 Satzung IHK Aachen; § 4 Abs. 2 S. 5 Satzung IHK Bochum; § 6 Abs. 3 Satzung IHK Bonn; § 5 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Dortmund; 6 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Dresden; § 4 Abs. 2 S. 4 Satzung IHK Duisburg; § 5 Abs. 2 S. 5 Satzung IHK Essen; § 6 Abs. 3 Satzung IHK Hagen; § 5 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Hanau; § 3 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Kassel; § 5 Abs. 2 S. 5 Satzung IHK Konstanz; § 7 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Leipzig (hier: keine Beschlussfassung); § 5 Abs. 2 S. 4 Satzung IHK Ludwigshafen; § 5 Abs. 4 Satzung IHK Mainz; § 3 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Offenbach; § 4 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Saarbrücken; § 5 Abs. 2 S. 5 Satzung IHK Trier; § 5 Abs. 2 S. 4 Satzung IHK Villingen. 1442 § 5 Abs. 3 Satzung IHK Münster; § 6 Abs. 3 Satzung IHK Neubrandenburg. 1443 § 5 Abs. 2 S. 5 Satzung IHK Koblenz; § 5 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Limburg; § 5 Abs. 2 S. 4 Satzung IHK Siegen (hier: keine Beschlussfassung). 1444 § 5 Abs. 4 Satzung IHK Augsburg; § 4 Abs. 3 S. 5 Satzung IHK Bayreuth; § 5 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Cottbus; § 3 Abs. 5 Satzung IHK Düsseldorf; § 4 Abs. 4 S. 5 Satzung IHK Flensburg; § 5 Abs. 1 S. 4 Satzung IHK Frankfurt (Oder); § 5 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Gießen; § 5 Abs. 2 S. 5 Satzung IHK Kiel; § 5 Abs. 2 S. 5 Satzung IHK Lübeck; § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK  München; § 3 Abs. 5 Satzung IHK  Nürnberg; § 6 Abs. 3 Satzung IHK  Potsdam; § 5 Abs. 5 Satzung IHK Regensburg; § 5 Abs. 2 S. 5 Satzung IHK Rostock; § 5 Abs. 6 S. 3 Satzung IHK Wuppertal (hier: mindestens einfache Mehrheit aller Mitglieder); Art. 3 Abs. 5 Satzung IHK Würzburg. 1445 § 6 Abs. 5 Satzung IHK Suhl.

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

hinaus sind Regelwerke bekannt, die an die Zustimmung durch Zweidrittelmehrheit anknüpfen, aber die Behandlung von besonderen Gegenständen wie etwa die Änderung der Satzung, der Wahl-, Beitrags-, Sonderbeitrags- und Gebührenordnung außerhalb der ursprünglichen Tagesordnung nicht gestatten.1446 Die Tagesordnung der IHK Braunschweig kann aus aktuellem Anlass und durch Zustimmung der Abstimmungsmehrheit ergänzt werden.1447 In den Kammern mit Sitz in Karlsruhe und Pforzheim entscheidet das Präsidium über die Behandlung der Anträge, wobei die Behandlung unterbleibt, wenn ein Fünftel der anwesenden Vollversammlungsmitglieder widerspricht.1448 Die Satzung der IHK Lüneburg setzt für die Beratung voraus, dass der Vorsitzende zustimmt, und erlaubt die Beschlussfassung, wenn kein anwesendes Mitglied widerspricht.1449 Die Geschäftsordnung der IHK Osnabrück hält ebenfalls ein differenziertes Konzept bereit, das bspw. für den Beschluss ein einstimmiges Votum verlangt, wohingegen bedeutende Angelegenheiten ausgenommen sind.1450 d) Erzwingen außerordentlicher Sitzungen de lege lata Zur Einberufung außerordentlicher Sitzungen ist der Präsident verpflichtet, wenn dies von einer in der Satzung näher bestimmten Zahl von Organmitgliedern unter Angabe des Beratungsgegenstandes verlangt wird. Weite Teile setzen das Votum von einem Fünftel der Mitglieder voraus.1451 Daneben sind Festschreibun 1446 § 5 Abs. 5 Satzung IHK Aschaffenburg. § 5 Abs. 2 S. 6 Satzung IHK Berlin; § 4 Abs. 3 Satzung IHK Chemnitz; § 4 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Passau. 1447 § 7 Abs. 2 S. 4 Satzung IHK Braunschweig. 1448 § 6 Abs. 2 S. 4 ff. Satzung IHK  Karlsruhe (hier: die Behandlung herausgehobener Beschlussgegenstände wird nach S. 6 für zulässig erklärt, wenn sie in der Einladung „angekündigt“ worden ist); § 5 Abs. 2 S. 5 f. Satzung IHK Pforzheim. 1449 § 7 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Lüneburg. 1450 § 2 Abs. 2 Geschäftsordnung IHK Osnabrück: „Wird […] die Verhandlung eines zusätzlichen Tagesordnungspunktes verlangt, erfordert dies die Zustimmung der Mehrheit der anwesenden Mitglieder; soweit ein Beschluss gefasst werden soll, bedarf es der Einstimmigkeit der Zulassung als Tagesordnungspunkt, wobei Angelegenheiten, die der Beschlussfassung der Vollversammlung vorbehalten sind, von der Zulassung ausgeschlossen sind. Mitglieder, die in dieser Sitzung fehlen, können verlangen, dass der Verhandlungsgegenstand in die Tagesordnung der nächsten Sitzung erneut aufgenommen und beraten wird.“ 1451 § 4 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Aachen; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Arnsberg; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Aschaffenburg; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Augsburg; § 4 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Bochum; § 7 Abs. 1 S. 3 Satzung IHK Braunschweig; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung HK Bremen; § 4 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Chemnitz; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Coburg; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Cottbus; § 5 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Darmstadt; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Detmold; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Dillenburg; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Dortmund; § 4 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Duisburg; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Erfurt; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Essen; § 4 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Frankfurt a. M.; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Frankfurt (Oder); § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Freiburg; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Gera; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Gießen; § 6 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Hagen; § 6 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Hannover; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Heidenheim; § 6 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Heilbronn; § 4 Abs. 1 S. 2

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gen von einem Drittel1452 oder einem Viertel1453 und – in Einzelfällen – von einem Siebtel1454 oder einem Zehntel1455 bekannt. In seltenen Fällen wird die zur Einberufung notwendige Mitgliederzahl exakt benannt.1456 Gemeinhin wird die Frage, wann die außerordentliche Sitzung abgehalten werden muss, nicht dirigiert. Eine Ausnahme bildet die Satzung der IHK Aachen, die vorgibt, dass die Sitzung spätestens drei Wochen nach Eingang des Antrages stattfinden muss.1457 Das Antragsrecht bei außerordentlichen Sitzungen unterliegt in der überwiegenden Anzahl der Kammern keinen materiellen Einschränkungen. Lediglich für den IHK-Bezirk Stuttgart ist bekannt, dass für Themen, die innerhalb der letzten 12 Monate bereits behandelt worden sind, die für eine der nächsten ordentlichen Sitzungen bereits auf der Tagesordnung stehen oder deren Behandlung durch Beschluss abgelehnt wurde, keine außerordentliche Sitzung stattfindet.1458 e) Schriftliche und elektronische Verfahrensweisen de lege lata Die Satzungen mehrerer IHK-Bezirke ermächtigen schließlich dazu, die Entscheidungsfindung in einem Verfahren einzuleiten, das der Schrift- oder Textform Satzung IHK Kiel; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Koblenz; § 6 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Köln; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Konstanz; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Krefeld; § 6 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Leipzig; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Limburg; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Lübeck; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Ludwigshafen; § 7 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Lüneburg; § 6 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Magdeburg; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Mannheim; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Münster; § 6 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Neubrandenburg; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Pforzheim; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Reutlingen; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Rostock; § 4 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Saarbrücken; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Schwerin; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Siegen; § 5 Abs. 1 Satzung IHK Stade; § 5 Abs. 1 S. 5 Satzung IHK Stuttgart; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Trier; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Ulm; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK VillingenSchwenningen; § 5 Abs. 2 Satzung IHK Weingarten; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Wiesbaden; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Wuppertal. In der Mustersatzung des DIHK soll, so Günther, in: v. Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 86. EL Februar 2021, § 4 IHKG Rn. 57, ebenfalls ein Quorum in Höhe eines Fünftels der Mitglieder enthalten sein. 1452 § 4 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Fulda; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Hanau; § 3 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Kassel; § 3 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Offenbach. 1453 § 4 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Bayreuth (hier: ausreichend ist auch das Votum des Hauptausschusses); § 6 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK  Bonn; § 6 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK  Dresden; § 6 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Emden; § 4 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Flensburg; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Mainz; § 5 Abs. 1 S. 3 Satzung IHK München; § 3 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Nürnberg; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Oldenburg; § 6 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Osnabrück; § 4 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Passau; § 6 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Potsdam; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Regensburg; § 6 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Suhl; Art. 3 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Würzburg. 1454 § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Bielefeld. 1455 § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Berlin. 1456 § 3 Abs. 1 Satzung IHK Düsseldorf (hier: 15 Mitglieder); § 7 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Halle (hier: 15 Mitglieder); § 7 Abs. 1 S. 2 Satzung (hier: 12 Mitglieder); § 6 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Karlsruhe (hier: 15 Mitglieder). 1457 § 4 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Aachen. 1458 § 5 Abs. 1 S. 6 f. Satzung IHK Stuttgart.

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

(s. §§ 126, 126b BGB) genügen muss.1459 Ein bezirksübergreifender, einheitlicher Gedanke liegt indes nicht vor, zumal in 53 Kammern keine der folgenden Verfahrensarten beobachtet werden konnte.1460 Soweit ersichtlich stellt die Rechtslage in der IHK Nürnberg eine Besonderheit dar, weil die Satzung gestattet, das schrift­ liche Verfahren voraussetzungslos durchzuführen.1461 Andere Kammern vollziehen diesen Entscheidungsmodus, wenn ein besonders begründeter Ausnahmefall vorliegt.1462 Andernorts wird ein „besonderer Fall“ verlangt, aber das Verfahren aufgegeben, sobald ein näher bezeichneter Teil der Mitglieder widerspricht.1463 Die IHK Koblenz setzt „einfache Angelegenheiten“ voraus, die keinen Erörterungs­ bedarf erwarten lassen.1464 In der IHK  Heilbronn beginnt das schriftliche Verfahren nur, wenn positiv festgestellt wurde, dass alle Mitglieder einverstanden 1459

§ 5 Abs. 8 S. 3 Satzung IHK Augsburg verweist auf eine Durchführung auf schriftlichem Weg oder per Telefax. Letzteres entspricht der Textform i. S. d. § 126b BGB. In § 5 Abs. 7 Satzung IHK Bielefeld ist die Rede von einer „schriftlichen Beschlussfassung“. § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Flensburg verweist auf ein „elektronisches Umlaufverfahren“, womit aber wohl nicht die elektronische Form i. S. d. § 126a BGB gemeint ist. 1460 Soweit ersichtlich gestatten die Satzungen der IHK-Bezirke Arnsberg, Aschaffenburg, Bayreuth, Berlin, Bochum, Braunschweig, Bremen, Coburg, Cottbus, Darmstadt, Detmold, Dillenburg, Dortmund, Dresden, Duisburg, Düsseldorf, Frankfurt a. M., Freiburg, Fulda, Gießen, Hagen, Halle, Hanau, Karlsruhe, Kassel, Kiel, Köln, Konstanz, Krefeld, Leipzig, Limburg, Lübeck, Ludwigshafen, Magdeburg, Mainz, Mannheim, München, Münster, Offenbach, Pforzheim, Regensburg, Reutlingen, Rostock, Saarbrücken, Schwerin, Siegen, Stuttgart, Ulm, Villingen-Schwenningen, Weingarten, Wiesbaden, Wuppertal und Würzburg die Durchführung eines Umlaufverfahrens nicht. Eine Zwitterstellung nimmt das schriftliche Verfahren nach § 5 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK  Heidenheim ein, das als Ergänzung herangezogen wird, nachdem die Vollversammlung für beschlussunfähig erklärt wurde. Es ist auf eindeutig formulierte Beschlüsse beschränkt, die nicht die gesetzlichen Vorbehaltsaufgaben der Vollversammlung betreffen. § 7 Abs. 8 Satzung HK Hamburg greift den Regelungsgedanken des § 13b Abs. 2 S. 1 Nr. 1 IHKG auf und gestattet eine Sitzung ohne physische Anwesenheit. 1461 § 3 Abs. 7 S. 2 Satzung IHK Nürnberg. 1462 So z. B. § 4 Abs. 11 S. 1 Satzung IHK Aachen u. § 5 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK  Frankfurt (Oder), wobei das Verfahren jeweils auf Vorschlag des Präsidiums betrieben wird. § 5 Abs. 4 Satzung IHK Emden, § 7 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Hannover, § 7 Abs. 11 Satzung IHK Lüneburg, § 5a Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Oldenburg u. § 6 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Stade setzen eine eilige Angelegenheit voraus. § 5 Abs. 7 Satzung IHK Erfurt gestattet das Verfahren bei besonderer Eilbedürftigkeit, während gem. § 5 Abs. 5 S. 4 Satzung IHK Essen schlicht ein Bedarfsfall notwendig ist. 1463 § 5 Abs. 8 S. 3 Satzung IHK Augsburg; § 5 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Chemnitz (hier: Aufgabe bei Widerspruch eines Mitglieds); § 5 Abs. 7 Satzung IHK Bielefeld (hier: Aufgabe bei Widerspruch von zehn Mitgliedern); § 5a Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Oldenburg (hier: Aufgabe bei Widerspruch eines Mitglieds); § 6 Abs. 10 S. 2 Satzung IHK Osnabrück (hier: Aufgabe bei Widerspruch von einem Viertel der Mitglieder). 1464 Das Verfahren wird „zur Vermeidung von Verwaltungsaufwand“ eingesetzt, aber ausgesetzt, wenn ein Mitglied widerspricht (§ 5 Abs. 8 S. 6 Satzung IHK Koblenz). Wortlautgleich § 5 Abs. 14 S. 1 Satzung IHK Trier. Nach § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Flensburg soll das Verfahren insbesondere in Angelegenheiten, bei denen ein etwaiger Erörterungsbedarf durch den Austausch von Stellungnahmen auf elektronischem Weg erfüllt werden kann, eingesetzt werden. Der Einsatz ist nach S. 3 auch in Eilfällen möglich. Das Verfahren kann angewendet werden, wenn kein Mitglied der Vollversammlung widerspricht (§ 5 Abs. 1 S. 1).

II. Die Vollversammlung  

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sind.1465 Teile der Kammern nehmen herausgehobene Materien wie z. B. den Erlass bzw. die Änderung von Rechtsvorschriften oder die Durchführung von Wahlen von dem Verfahren aus.1466 Teilweise werden Fristbestimmungen für die Gültigkeit der abgegebenen Stimme formuliert.1467 Gelegentlich wird die Wirksamkeit des Beschlusses unter die Voraussetzung gestellt, dass ein bestimmter Anteil der Vollversammlungsmitglieder gültige Stimmen abgibt1468 oder eine näher bezeichnete Mehrheit dem Beschluss zustimmt.1469 Erwähnenswert ist zudem die IHK Flensburg, die eine „webbasierte Austauschplattform“ zur Verfügung stellt, um den Wissens- und Dokumentenaustausch zu gewährleisten.1470 f) Kritik Das Stimmrecht der Vollversammlungsmitglieder stellt mit Sicherheit die bedeutendste Ausprägung der mit dem Mandat gewonnenen Mitwirkungsrechte dar. Doch zwingt die interdisziplinär angeleitete Perspektive auf das Recht dazu, dem Entscheidungskontext eine ungefähr gleiche Tragweite beizumessen. Die zuvor behandelten Gegenstände stellen Sachfragen von solcher Wichtigkeit dar, dass sie zumeist den Parlamentsvorbehalt herausfordern. Denn die Mitglieder der Vollversammlung werden an dieser Stelle des Verfahrens überhaupt erst in die Lage versetzt, über den Beschlussgegenstand befinden zu können. Nimmt man die Einsichten von Hirschman beim Wort, müssen die Rechte Einzelner oder von Minderheiten ausreichend zur Geltung gebracht werden, um ein insgesamt langlebiges Organisationsdesign zu konstituieren. Es gilt, die ausreichende Verfügbarkeit von Rechten zu sichern, die eine gestalterische Einflussnahme auf die Beratungen und Entscheidungen in der Vollversammlung zulassen. Gemessen daran fördert die Analyse des geltenden Rechts eine Vielzahl dysfunktionaler Regelungen zutage. 1465

§ 5 Abs. 6 S. 4 Satzung IHK Heilbronn. So z. B. § 4 Abs. 11 S. 2 Satzung IHK Aachen. § 6 Abs. 9 S. 1 Satzung IHK Bonn u. § 6 Abs. 10 S. 1 Satzung IHK Neubrandenburg formulieren eine Ausnahme für die Verabschiedung genehmigungspflichtiger Rechtsvorschriften. Nach § 5 Abs. 7 Satzung IHK Erfurt, § 5 Abs. 7 Satzung IHK Gera, § 7 Abs. 11 Satzung IHK Lüneburg, § 5a Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Oldenburg u. § 6 Abs. 13 Satzung IHK Suhl ist das Verfahren für gesetzliche Vorbehaltsaufgaben der Vollversammlung ausgeschlossen. § 4 Abs. 11 Satzung IHK Passau nimmt die Gegenstände aus § 4 S. 2 IHKG von dem Verfahren aus. Nach § 5 Abs. 1 S. 4 Satzung IHK Flensburg ist das Verfahren in Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung und in Fällen des § 4 S. 2 Nr. 3 bis 5 und 8 sowie § 6 Abs. 1 und § 7 Abs. 1 IHKG ausgeschlossen. 1467 § 5 Abs. 5 S. 6 f. Satzung IHK Essen: „Eine Stimme ist gültig, wenn sie fristgerecht bei der Kammer schriftlich oder per Fax eingegangen ist. Die Frist beträgt mindestens drei Wochen und beginnt mit der Zusendung.“ 1468 Nach § 5 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Flensburg müssen mehr als die Hälfte der Mitglieder der Vollversammlung ihre Stimme innerhalb der Frist abgeben. 1469 So fordern z. B. § 4 Abs. 11 S. 3 Satzung IHK Aachen, § 6 Abs. 9 S. 1 Satzung IHK Bonn, § 5 Abs. 7 S. 2 Satzung IHK Frankfurt (Oder), § 5a Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Oldenburg u. § 6 Abs. 9 S. 2 Satzung IHK Potsdam die Zustimmung der Mitgliedermehrheit. 1470 § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Flensburg. 1466

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

Auch sind Vorgaben zu beobachten, die sich als Ausdruck kreativer Illegalität ergeben. Die Kritik lautet in ihren Einzelheiten wie folgt: aa) Sitzungsfrequenz Unterstellt man, dass die Verfügbarkeit von anderen Kontexten der Beschlussfassung ausgeschlossen ist, stellt die funktionsangemessene Regelmäßigkeit ordentlicher Sitzungen die wesentlichste Verfahrensvoraussetzung für ein Kollegialorgan dar. Für die Vollversammlung liegen die Dinge nicht anders. Sie ist, erörtert man ihre Aufgabenstellung auf Grundlage des Gesetzes, prinzipiell allzuständig und stellt – insbesondere wegen ihrer Zusammensetzung als Miniatur der Bezirkswirtschaft – zurecht das Hauptorgan der IHK dar. Betrachtet man demgegenüber das moderne Wirtschaftsleben nach der primitivsten Vorstellung mit vielzähligen und sich ständig wechselnden Herausforderungen, muss gefragt werden, wie das Gesamtinteresse der gewerblichen Wirtschaft im Bezirk zur Geltung gebracht werden kann, wenn das dafür vorgesehene Organ regelmäßig und durchschnittlich nur ca. 2,5-mal jährlich zu ordentlichen Sitzungen zusammentritt.1471 Dass eine Steigerung der Sitzungsfrequenz mit Blick auf den ehrenamtlichen Charakter des Mandats „nur sehr beschränkt möglich“1472 sei, erweist sich mit 1471

Die Zahl der tatsächlich abgehaltenen Sitzungen orientiert sich wohl an den Untergrenzen, die die Satzungen benennen. In der IHK Flensburg sollen 2020 vier ordentliche Sitzungen stattfinden (https://www.ihk-schleswig-holstein.de/servicemarken/ueber-uns/ehrenamt/ ihk-flensburg/vollversammlung-flensburg/fl-oeffentliche-vollversammlungssitzungen). Das Plenum der HK Hamburg kam in den Jahren 2018 und 2019 jeweils elfmal zu einer Sitzung zusammen (Informationen entnommen aus https://www.hk24.de/servicemarken/ueber_uns/ organisationhk/organisation/1140498#titleInText1), während das Plenum HK  Bremen im selben Zeitraum jeweils zehnmal tagte (https://www.handelskammer-bremen.de/ueber-uns/ ehrenamt/aus-dem-plenum?param=ehrenamt,aus-dem-plenum). In den IHK-Bezirken Berlin und Frankfurt a. M. wurde in dem gleichen Zeitraum die Vollversammlung jeweils viermal einberufen (https://www.ihk-berlin.de/mitmach-ihk/meine-vollversammlung/vv-extranet/ archiv-vv-protokolle-3778328; https://www.frankfurt-main.ihk.de/ihk/vorstellung/gremien/voll versammlung/oeffentlichkeit/index.html#1). Für die IHK Köln ist bekannt, dass im Kalenderjahr 2021 vier ordentliche Sitzungen stattfinden sollen (https://www.ihk-koeln.de/Sitzungen_ der_Vollversammlung.AxCMS). In der IHK  München hat man die satzungsgemäße Untergrenze knapp überschritten, indem man in den Jahren 2017, 2018 und 2019 jeweils drei Sitzungen abhielt (https://www.ihk-muenchen.de/de/Über-uns/IHK-Ehrenamt/Berichte-ausder-Vollversammlung/Vollversammlung-Dezember-2020/). 1472 So Möllering, GewArch 2011, 56 (59). Einen merkwürdigen Eindruck hinterlässt die Auffassung insbesondere, wenn der Autor andernorts (Möllering, Interessenvertretung durch Kammern  – sachliche Reichweite und verfahrensrechtliche Anforderungen, in: Kluth [Hg.], JbKBR 2009, 2010, 21 [40]; in diesem Sinne aber auch Jahn, WiVerw 2004, 133 [146]; Günther, in: v. Landmann / Rohmer [Begr.], Gewerbeordnung, Stand: 86. EL Februar 2021, § 1 IHKG Rn. 95) die Delegation auf andere Organe als nahezu unumgänglichen Lösungsansatz für das Zeitproblem darstellt und nicht einmal darüber nachdenkt, dass auf die Sitzungsfrequenz der Vollversammlung eingewirkt werden könnte.

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Blick auf die Vollversammlungen, die in der Regel monatlich oder zehnmal im Jahr zusammentreten, als eine nur schwer vertretbare Auffassung. Die Festlegung einer Höchstgrenze von ordentlichen Sitzungen, die wie eine demütige Selbstbeschränkung der Vollversammlung vor zu viel Mächtigkeit anmutet, hinterlässt einen kuriosen Eindruck. Der Widerspruch zwischen dem IHKG und der Rechtslage in den Kammer­ bezirken erweist sich als besonders prekär, wenn man den Auftrag zur gewerblichen Interessenrepräsentanz gem. § 1 Abs. 1 IHKG bedenkt. Beachtet man ferner, dass der Vollversammlung in ihrer Stellung als Repräsentativorgan der Kammerzugehörigen die Aufgabe einer kontinuierlichen Kontrolle der Sacharbeit aller nachgeordneten Organe zukommt,1473 fällt die niedrige Tagungshäufigkeit noch stärker ins Gewicht. Das Bedürfnis für ein Handeln des Gesetzgebers erwächst speziell als Beitrag zur Vorsorge von Oligarchisierungstendenzen. Denn es darf angenommen werden, dass die von der Vollversammlung unbesetzt gebliebenen Sachfragen nicht unbeantwortet bleiben werden, sondern andere Organe oder einzelne Organwalter den selbstbewussten Übergriff in die kompetenziellen Leerstellen vollziehen. Die Konzeption des IHKG ist daher unvollständig. Denn das Gesetz benennt nur die Aufgaben bzw. das Organisationsziel, während die entscheidende Gelingensbedingung – eine Untergrenze für die ordentlichen Sitzungen des Hauptorgans – unbeachtet bleibt. Erfolgt die Einberufung der ordentlichen Sitzungen „nach Bedarf“ oder wenn die „Geschäftslage“ dies erfordert, ist denkbar, dass die Tagung hinausgeschoben wird, bis der Vorsitzende ein Entscheidungsklima prognostizieren kann, das seinem Wohl und seinen Belangen entspricht oder zumindest entgegenkommt.1474 Doch ist es nicht die damit beschriebene Gefahr einer verzögerten Einberufung oder sachwidrigen Wahl von Sitzungsintervallen in Anbetracht der „politischen Kosten“,1475 die zu der Auffassung zwingt, dass der Zeitpunkt für ordentliche Sitzungen mit Berechenbarkeit vorherbestimmt sein muss. Vielmehr kann die organisationsinterne, dem Maßstab der Kontinuität unterliegende Kontrollfunktion der Vollversammlung nicht mit einer Regelungskonzeption vereinbart werden, in der primär auf unbestimmte Rechtsbegriffe (inklusive Beurteilungsspielräumen?) auf der Tatbestandsseite zurückgegriffen wird. Die Sitzungsfrequenz muss im Rahmen einer Soll-Vorschrift unter Angabe von Maximalzeiträumen zur Regelung gelangen.

1473

Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 444. Für das Kommunalverfassungsrecht m. w. N. zu dieser Gestaltungsmöglichkeit des Vorsitzenden Janssen, Das Verhältnis von ehrenamtlichem Rat und hauptamtlichem Bürgermeister, 2019, S. 219. 1475 Allgemein zu den Techniken, die zur Minimierung politischer Kosten im Rahmen einer Entscheidungsterminierung eingesetzt werden können, Oebbecke, DÖV 2017, 749 (751 f.). 1474

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

bb) Mitteilung der Termine, Mindestladungsfrist und Qualität der Einladung Eine Mindestfrist für die Mitteilung der Termine von ordentlichen Sitzungen ist als notwendiger Bestandteil des Verfahrensrechts der Vollversammlung anzuerkennen. Derartige Vorgaben bezwecken, dass möglichst alle Mitglieder des Organs an der Sitzung und den Beschlüssen partizipieren können. Zugleich bildet die Mitteilung eine Erinnerung an die Mandatsträger, dass sie ihr Antragsrecht zur Tagesordnung ausüben können. Den Vollversammlungsmitgliedern muss eine ausreichende Vorbereitungszeit zur Sicherstellung möglichst rationaler Entscheidungen gewährt werden. Sie müssen vor einer Überrumpelungstaktik des Vorsitzenden bewahrt werden. Prozesse der vorbereitenden Beratung über das Abstimmungsverhalten mit anderen Mitgliedern sollen ihnen offenstehen. Daher ist die gesetzliche Normierung der Einberufung in Schrift- oder Textform unter den Voraussetzungen einer Mindestladungsfrist unabdingbar. Durch die Ausgestaltung als Soll-Vorschrift in Verbindung mit zeitlichen Elementen kann auf den Bedarf für eine dringliche Sitzung reagiert werden. Die Abkürzung der Frist trägt dazu bei, dass die Vollversammlung und nicht das an sich unzuständige Organ unter Beanspruchung der Eilkompetenz1476 die Entscheidung trifft.1477 An das Mandat in der Vollversammlung ist die Erwartung geknüpft, dass jedes Mitglied stellvertretend für den abwesenden Teil der Kammerzugehörigen an der Meinungs- und Willensbildung des Organs partizipiert und die Kontrollfunktion gegenüber den weiteren Organen wahrnimmt. Dem Anspruch an eine effektive Wahrnehmung des Mitwirkungsrechts kann nur Genüge getan werden, wenn eine hinreichende Vorbereitung des Ehrenamts auf die Beratungsgegenstände stattfindet. Hierfür wird das Vollversammlungsmitglied regelmäßig auf Informationen angewiesen sein, die die schlichte Mitteilung der Tagesordnungspunkte überschreiten.1478 Nur unter den Vorzeichen hinreichender Informiertheit kann sich das Vollversammlungsmitglied eine vorläufige Meinung bilden und die Angelegenheit mit anderen Mitgliedern vorberaten. Dieser Erkenntnis entsprechen materielle Anforderungen an den Inhalt der Tagesordnung. Danach bedarf es einstweilen der möglichst konkreten Bezeichnung der Verhandlungsgegenstände. Möchte man die Qualität von Beratung und Entscheidung des Kollegiums erhöhen, wird – ins 1476 Über die Dringlichkeitskompetenz verfügt gemeinhin das Präsidium. Dazu näher unter E. V. 3. b). 1477 Auch im Kommunalverfassungsrecht wird angenommen, dass ein Dringlichkeitsgrund vorliegt, wenn andernfalls das an sich unzuständige Organ entscheiden müsste. Weiterhin kann die Ladungsfrist bei einem drohenden Fristablauf, zur Bewältigung bevorstehender Gefahren oder, ganz allgemein, zur Verhütung drohender Schäden oder Nachteile verkürzt werden. Dazu m. w. N. Janssen, Das Verhältnis von ehrenamtlichem Rat und hauptamtlichem Bürgermeister, 2019, S. 217 f., die allerdings bekennt, dass „in die Auslegung des Begriffs auch politische Erwägungen des Ratsvorsitzenden einfließen“ würden (S. 217). 1478 Allgemeingültig Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 287.

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besondere für komplexe Materien  – an eine Pflicht zur (elektronischen) Übersendung erläuternder Unterlagen zu denken sein, die auf den beim Vorsitzenden vorhandenen Sachstand gerichtet ist.1479 Soll mit der Tagesordnung zugleich eine Beschlussvorlage versendet werden, erwächst die Beibringung der vollständigen, unkommentierten Unterlagen ebenfalls zur Pflicht.1480 Immerhin wird sich die Verwaltungskraft der Vollversammlung nur entfalten können, wenn die Organmitglieder die Gelegenheit hatten, eine sachgerechtere Lösungsalternative zu erdenken. Finden die Sitzungen organisationsöffentlich statt, kommt der Einladung schließlich die Funktion zu, eine rege Inanspruchnahme dieser Berechtigung zu aktivieren. Letzteres gelingt womöglich kaum, wenn die publizierte Tagesordnung das unterste Informationsniveau annimmt. Systemwidrig ist es, die Einberufung der Vollversammlung an die Beteiligung eines anderen Organs in Form der Herstellung des Benehmens oder sogar der Erteilung des Einvernehmens zu knüpfen. Da § 6 Abs. 2 S. 2 IHKG den Präsidenten als Vorsitzenden für die Einberufung der Vertreterversammlung in Alleinverantwortung für kompetent befindet und damit eine abschließende Regelung vorliegt, ist eine darauf lautende Satzungsbestimmung ohnehin wegen eines Verstoßes gegen die ranghöhere Rechtsquelle für unwirksam zu erachten. Allerdings liefe auch eine gesetzliche Gestattung den Ansprüchen konsistenten Organisierens zuwider. Knüpft man die Einberufung der Vollversammlung an die Erteilung des Einvernehmens durch den Hauptgeschäftsführer, würde einer organexternen Person die Möglichkeit der Blockade des Versammlungsrechts des Hauptorgans der IHK zugestanden werden. Dies kann unmöglich gewollt sein. cc) Tagesordnung, Antragsrecht und Nachschieben von Tagesordnungspunkten Im Kommunalverfassungsrecht, in dem der Ratsvorsitzende teilweise aus der Mitte des Rats gewählt und in anderen Teilen qua Amtes als Bürgermeister zum Vorsitzenden des Organs erklärt wird, gilt die Festsetzung der Tagesordnung als wichtige Steuerungsmöglichkeit.1481 Im Hinblick auf die Sach- und Interessenlage in der IHK fällt die Bewertung nicht anders aus, da an diesem Punkt des Verfahrens – sieht man von der Möglichkeit zum Nachschieben eines Tagesordnungspunktes ab – die Agenda der Sitzung abschließend bestimmt wird. Es werden die Gegenstände benannt, die der Beschlussfassung im Kollegium überhaupt nur zugänglich sind. Den Themen am Ende der Tagesordnung droht zudem die Nicht­ 1479 Die Forderung dürfte dem Niveau der Übersendungspflichten des Ratsvorsitzenden im Kommunalverfassungsrecht nahekommen, s. dazu Janssen, Das Verhältnis von ehrenamtlichem Rat und hauptamtlichem Bürgermeister, 2019, S. 223 ff.; Katz, KommJur 2018, 241 (243 ff.). Zu den Informationsansprüchen der Vollversammlungsmitglieder näher unter E. VI. 6. 1480 So für die Kommunalverfassung NRW Tenostendarp, KommJur 2019, 244 (246). 1481 Janssen, Das Verhältnis von ehrenamtlichem Rat und hauptamtlichem Bürgermeister, 2019, S. 206 m. Fn. 1008; Gern / Brüning, Deutsches Kommunalrecht, 4. Aufl. 2019, Rn. 596.

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befassung durch das Kollegium wegen des Ablaufs der Sitzung. Die verhaltenswissenschaftlichen Einsichten über das Setzen von Ankern und das Phänomen Framing erhellen außerdem, dass dem Vorsitzenden subtile Steuerungsmöglichkeiten für den Sitzungsablauf zur Verfügung stehen, wenn er auf die sprachliche Gestaltung der Tagesordnung einwirkt.1482 Eine wesentliche Sinnzuschreibung erfährt das Mandat in der Vollversammlung mit der Option, auf die Meinungs- und Willensbildung des Organs einzuwirken.1483 Das Antragsrecht zur Tagesordnung vermittelt diese Möglichkeit. Nimmt das Vollversammlungsmitglied dieses Recht wahr, erfüllt es zugleich einen Teil seiner Repräsentationsfunktion. Aus dieser Perspektive kommend wird die Notwendigkeit einer unbeschränkten Gewährleistung der Antragsgarantie zum unveräußerbaren Bestandteil der Repräsentationsidee in der IHK. Dem BVerwG ist unbedingt zuzustimmen, wenn es aus dem Mandat ein bundesrechtlich gebotenes umfassendes Antragsrecht ableitet.1484 Dieses Recht kann wirksam verhindern, dass sich der Vorsitzende vor Sitzungsbeginn als alleiniger Herr über die Tagesordnung geriert. Es formuliert zugunsten des Einzelnen Gestaltungsrechte, die im Interesse einer lebendigen, den Minderheitenschutz besonders achtenden Organisation von kaum zu unterschätzender Bedeutung sind. Wenn die Rechtsausübung nicht gerade mit einer inadäquaten Ausschlussfrist von vier Wochen verbunden ist, ermöglicht das Antragsrecht auch, dass sich die Vollversammlung mit (tagesaktuellen) Themen beschäftigt, die der Einsicht des Vorsitzenden möglicherweise verborgen geblieben sind. Dem Vorsitzenden steht keine präventive Kontrollfunktion im Sinne eines Prüfungsrechts im Hinblick auf die Vereinbarkeit des Antrags mit der Organ- oder Verbandskompetenz zu, weil allein die Vollversammlung unter Behauptung ihrer prinzipiellen Allzuständigkeit berechtigt ist, über diese Frage zu befinden.1485 Die Idee, organexternen oder sogar organisationsexternen Personen ein Antragsrecht in der Vollversammlung zuzubilligen, kann als sinnvoller Versuch zur Gewinnung einer Außenansicht (bspw. der Perspektive der Verwaltungsleitung) bewertet werden. Ohne eine dahingehende Entscheidung des Gesetzgebers sind derartige Regelungen jedoch unwirksam. Sie widersprechen der Grundannahme des Kollegialprinzips, wonach das Antragsrecht ausschließlich den Organmitgliedern zusteht. De lege lata bleibt es bei der Regel: Wer über ein Antragsrecht zur Vollversammlung verfügen möchte, muss sich erfolgreich um ein Mandat bewerben. 1482

Die Steuerungsmöglichkeiten vergrößern sich, wenn man bedenkt, dass der Vorsitzende lediglich ausgewählte Unterlagen zur Vorbereitung auf die Sitzung übersenden könnte. 1483 So auch Irriger, Genossenschaftliche Elemente bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften, 1991, S. 234 f. 1484 Dazu näher unter E. I. 4. c). 1485 Die überzeugenden Erwägungen, die zu einer Ablehnung des Prüfungsrechts des Vorsitzenden im Kommunalverfassungsrecht angeführt werden (s. etwa Schoch, DÖV 1986, 132 [136, 140]; Gern / Brüning, Deutsches Kommunalrecht, 4. Aufl. 2019, Rn. 604), können auf die hier bestehende Sach- und Rechtslage übertragen werden.

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Da das Antragsrecht einen bundesrechtlich gewährleisteten Mindeststandard darstellt, sind die derzeit beobachteten Versuche zur Kappung der Garantie wegen eines Verstoßes gegen die ranghöhere Rechtsquelle ebenfalls als unwirksam zu kennzeichnen. Möchte man das Antragsrecht unter einen Vorbehalt zeitlicher Kapazität oder der Rechtsmissbräuchlichkeit stellen bzw. die Berücksichtigung der Anträge in die Hände eines notwendigerweise ermessensgebundenen Vorsitzenden legen, muss das IHKG dazu ermächtigen. Jedoch stellen derartige Absichten bereits im Grundsätzlichen einen systemwidrigen Fremdkörper im Verfahrensrecht der Vollversammlung dar. Es wird mit ihrer Etablierung verkannt, dass die Vollversammlung nach Sitzungsbeginn zum „Herr der Tagesordnung“ aufsteigt und Beschlüsse über die Vor- oder Zurückstellung bzw. die Nichtbehandlung fassen kann. Einen paternalistischen Schutz vor zu viel Verhandlungsfreudigkeit durch den Vorsitzenden bedarf es im Vorhinein nicht. Gemessen an dem Maßstab funktionsgerechten Organisierens ist die Rechtslage in jenen IHK-Bezirken, die eine auf Ebene der Satzung geschaffene Ermächtigung zum Erlass von Geschäftsordnungen zur Beschränkung des Antragsrechts nutzen, als vollkommen unzureichend einzuschätzen. Hinzu kommt, dass eine Änderung der Geschäftsordnung der präventiven Kontrolle durch die Rechtsaufsicht entzogen ist. In den angesprochenen Kammern zeigt sich das fehlende Bewusstsein für die Bedeutung der Faktoren Organisation und Verfahren sowie den Schutz der Mitwirkungsrechte einzelner Organwalter oder Minderheiten von ihnen in einem ganz besonderen Ausmaß. Die Ermächtigung zum Nachschieben von Beratungsgegenständen im großen Stil stellt sich insbesondere als problematisch dar, weil die Mitgliedschaftsrechte jener Mandatsträger verkürzt werden, die an der Teilnahme der Sitzung gehindert sind und gutgläubig auf den Fortbestand der mitgeteilten Tagesordnung vertrauen. Auch kann das Instrument rechtsmissbräuchlich eingesetzt werden, wenn das vorgefundene und als passend empfundene Mehrheitsverhältnis ausgenutzt wird, um eine Thematik in eine bestimmte Richtung zu entscheiden. Schließlich ist eine ausreichende Zeit der Vorbereitung für die ad-hoc-Gegenstände ausgeschlossen. Diesen Gefahren wird die dargestellte Rechtslage in mehreren Bezügen nicht gerecht. Soll das Nachschieben von Verhandlungsgegenständen über die Diskussion hinausgehen und in eine Beschlussfassung münden, ist man zuvörderst auf eine gesetz­ liche Grundlage angewiesen, die die Entscheidung über Gegenstände einer nachträglich veränderten Tagesordnung in der vorgefundenen Zusammensetzung des Kollegialorgans legalisiert. Um den rechtsmissbräuchlichen Einsatz zu verhindern, ist ein zustimmendes Votum erforderlich. Damit es sich tatsächlich um eine dringende Angelegenheit handelt, wird ein Quorum notwendig sein, das die einfache Mehrheit überschreitet.1486 Zudem gilt es, Gegenstände von herausgehobener Bedeutung (vgl. § 4 S. 2 IHKG) von der Beschlussfassung auszunehmen. 1486 Inkonsistent ist es demgegenüber, den Widerspruch von einem Fünftel der Anwesenden zu fordern.

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dd) Erzwingen außerordentlicher Sitzungen Das Recht, eine außerordentliche Sitzung der Vollversammlung zu erzwingen, stellt eine Garantie für die Minderheit dar, die im Interesse am Erhalt einer vitalen Organisation viel stärker als bisher gewährt werden sollte.1487 Dennoch zwingen die Gefahr einer Überbeanspruchung respektive der Schutz der Arbeitsfähigkeit des Gesamtorgans dazu, über das richtige Maß nachzudenken. Die in den Satzungen regelmäßig beobachtete Mixtur, nach der ordentliche Sitzungen der Vollversammlung nur unregelmäßig und selten stattfinden und zugleich hohe Quoren für ihre verpflichtende Einberufung veranschlagt werden, wird den formulierten Anforderungen jedoch mitnichten gerecht. So ist daran zu erinnern, dass Teile der Kommunalverfassungen den Antrag eines einzelnen Mandatsträgers für ausreichend erachten, wenn die letzte Sitzung des Rats bereits länger als drei Monate zurückliegt.1488 Die Mitglieder der Vollversammlung sind regelmäßig, anders als in den kommunalen Vertretungsorganen, weder in Koalitionen noch in Gruppen organisiert. Auch die IHK stellt keine Infrastruktur zur Bildung organisierter Zusammenschlüsse in der Organisation zur Verfügung. Damit wird es dem einzelnen Organmitglied verhältnismäßig schwergemacht, über die von ihm als aktuell empfundenen Themen unverzüglich verhandeln zu lassen. In der IHK München müssen nach geltendem Recht über 20 weitere Mitglieder überzeugt werden, damit der Einberufungsvorschlag Erfolg hat. Mit dem Sinn und Zweck des hier umfassend verstandenen Antragsrechts ist es überdies unvereinbar, wenn die möglichen Beratungsgegenstände für die außerordentlichen Sitzungen der Vollversammlung beschränkt werden. Soll das Recht, eine Sitzung der Vollversammlung erzwingen zu können, eine bedeutende Gestaltungsmöglichkeit der Minderheit darstellen, ist es inkonsistent, wenn die Einberufung unter Verweis auf die Behandlung des Gegenstandes in den letzten 12 Monaten oder in „einer der nächsten ordentlichen Sitzungen“ verhindert werden kann. ee) Schriftliche und elektronische Verfahrensmodi Die Durchführung eines schriftlichen oder elektronischen Verfahrens steht an der Grenze zwischen dem Entscheidungskontext und den rechtlichen Maßstäben der Entscheidungsfindung, die es im Anschluss erst noch auszubreiten gilt. Die Zwitterstellung zeigt sich insbesondere in den Satzungen, die die Gültigkeit des Beschlusses an ein Mindestmaß der Beteiligung oder ein besonderes Mehrheits-

1487 In diesem Sinne auch Groß, Interessenausgleich durch Kollegialverfahrensrecht in den Kammern, in: Kluth (Hg.), JbKR 2002, 2003, 26 (33). Auch Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 450 erkennt ein Recht von „essentieller Bedeutung“. Wenn der Autor im Folgenden zu der Ansicht gelangt, dass ein Quorum „von 50 % der Vollversammlungsmitglieder jedenfalls als zu hoch“ erschiene (S. 450), ergeben sich aber Widersprüche. 1488 Nachweise bei Gern / Brüning, Deutsches Kommunalrecht, 4. Aufl. 2019, Rn. 602.

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erfordernis knüpfen. Auch eine Abweichung vom Kollegialprinzip ist zu beklagen, weil zumindest im Rahmen des textlichen Entscheidungszusammenhangs die mündliche Aussprache und Verhandlung suspendiert sind. Ferner berät und beschließt die Vollversammlung in dem modifizierten Verfahrenskontext unter Ausschluss der Öffentlichkeit, sodass eine bedeutende Komponente der Verwaltungskontrolle ausgeschaltet wird. Das aktuelle Pandemiegeschehen (COVID-19) zeigt, dass ein Bedarf für ein Verfahrensrecht besteht, das auch in der Not Lösungen zur Verhütung der Handlungsunfähigkeit von Kollegialorganen anbietet. Das Virus und die zu seiner Eindämmung verordneten Maßnahmen fordern die Vollversammlung besonders he­raus, da es sich um ein Kollegialorgan handelt, das regelmäßig über eine beachtliche Mitgliederzahl verfügt und auf Diskussionen in einem gemeinsamen Sitzungssaal angewiesen ist. Abstandsgebote, Kontakt- und Reisebeschränkungen, Erkrankungen, Quarantäne-Maßnahmen oder der vorsorgliche Sitzungsverzicht gesundheitlich angeschlagener Mitglieder zwingen dazu, dass Kollegien größerer Ordnung von Treffen mit gemeinsamer Anwesenheit am Versammlungsort zur Ausübung der Mitwirkungsrechte absehen. Weil die Mehrzahl der Satzungen keine Ermächtigung zu den notwendig gewordenen Sitzungen ohne physische Anwesenheit vorsah, musste der Gesetzgeber mit § 13b Abs. 2 u. 4 IHKG kurzfristig eine Übergangsregelung schaffen, die bis einschließlich 31. Dezember 2022 (s. § 13b Abs. 6) gültig ist.1489 Die durch digitale Infrastrukturen geprägte unternehmerische Realität der Vollversammlungsmitglieder streitet dafür, virtuelle Versammlungen auch nach dem Auslaufen der Regelungen zuzulassen. Vorauszusetzen ist, dass dem unaufschiebbaren (physischen) Zusammentreten des Organs unüberwindbare Hindernisse entgegenstehen (Ultima Ratio) und die technischen Vorkehrungen getroffen wurden, damit die geistige Anwesenheit und die Ausübung der aus dem Mandat folgenden Mitwirkungsrechte aller Mitglieder ununterbrochen gesichert sind. Darüber hinaus dürfte einsichtig sein, dass für eilige Angelegenheiten ein Verlangen nach Verhandlungen und Beschlussfassungen ohne Zusammentritt besteht.1490 Würde man dies nicht gestatten, droht ein Zustand, in dem die Verwaltungskraft der Vollversammlung ungenutzt bliebe und die Zuständigkeit durch ein agileres Organ aus 1489 § 13b IHKG wurde eingeführt durch das „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID19-Pandemie im Wettbewerbsrecht und für den Bereich der Selbstverwaltungsorganisationen der gewerblichen Wirtschaft“ vom 25. Mai 2020 (BGBl. I, S. 1067). Die Vorgaben lassen das Selbstbestimmungsrecht der Vollversammlung unberührt (so auch Günther, GewArch 2021, 8 [10]), weshalb die Vollversammlungen – unter dem Vorbehalt infektionsschutzrechtlicher Zulässigkeit – die verfügbaren Entscheidungsmodi nutzen könnten, um zu beschließen, weiterhin physische Versammlungen durchzuführen. 1490 Eisenmenger, Interessenvertretung und Beratung, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 8 Rn. 84 meint, dass man der „Dynamik des politischen Geschehens“ nicht einmal mit der Einführung von elektronischen Abstimmungsverfahren begegnen könne, aber begründet diese Auffassung nicht.

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gefüllt würde. Damit würde einer Kompetenzverteilung Vorschub geleistet werden, die der angestrebten organisationsinternen Ordnung noch weiter entfernt stünde als ein mit Schwächen besetzter digitaler Verfahrensmodus. Doch stellt der Verzicht auf die gemeinsame Beratung sowie den gegenseitigen Austausch von Standpunkten und Informationen eine grundlegende Modifikation des Verfahrens in der Vollversammlung dar. Der Parlamentsvorbehalt ist das Argument, das zur gesetzlichen Gestattung dieses Entscheidungskontextes zwingt. Weiterhin streitet die Vermutung für die Notwendigkeit mündlicher Verhandlung unter Anwesenheit aller Organmitglieder dafür, andere Verfahrensmodi nicht voraussetzungslos zu gestatten. Misst man dem Kollegialprinzip in seiner Ursprungsform einen positiven Sinngehalt bei, erscheint es zudem fragwürdig, das Verfahren zur Vermeidung von „Verwaltungsaufwand“ einzusetzen. Vielmehr dürfte sich nachgerade aufdrängen, alle Beschlussgegenstände auszunehmen, die auf eine persönliche Behandlung angewiesen sind.1491 Fraglich bleibt, ob man das Umlaufverfahren nur bei Konsens für zulässig erachten möchte. Unter Verweis auf § 90 Abs. 1 S. 2 VwVfG, mit dem die Beschlussfassung der Ausschüsse im schriftlichen Verfahren gestattet wird, sofern kein Mitglied widerspricht, wird dies angenommen.1492 Für die IHK ist, dies zeigt sich insbesondere in eiligen Angelegenheiten, in der Forderung nach Einigkeit kein sachgerechtes Ergebnis zu erkennen. Zur Erläuterung dieses Gedankens wird einstweilen unterstellt, dass dem Präsidium die Zuständigkeit für dringliche Angelegenheiten zukommt.1493 Da die Mitglieder des Präsidiums zugleich Mitglieder der Vollversammlung sind, könnten sie unter der Anforderung von Konsens immerzu im Wege eines Widerspruchs gegen die Durchführung des Umlaufverfahrens in der Vollversammlung ihre eigene Kompetenz begründen und das Verfahren ad absurdum führen.1494 Um die Möglichkeit zur Ausübung der Mitwirkungsrechte sicherzustellen, muss der Widerspruch dennoch innerhalb einer Frist gestattet werden. Das Quorum sollte lediglich die Zahl der Präsidiumsmitglieder knapp übertreffen. Um die Vorbereitung und die Abstimmung mit anderen Mandatsträgern im Vorwege der Stimmabgabe zu gewährleisten, dürfte schließlich kein Weg an der Verfügbarkeit von Fristen zur Stimmabgabe vorbeiführen.

1491 Angesprochen sind Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung, insbes. die Beschlussgegenstände in § 4 S. 2 sowie in § 6 Abs. 1 und § 7 Abs. 1 IHKG. 1492 So allgemeingültig Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 288; ders., Interessenausgleich durch Kollegialverfahrensrecht in den Kammern, in: Kluth (Hg.), JbKR 2002, 2003, 26 (34). 1493 Dazu näher unter E. V. 3. b). 1494 Dies verkennt Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 4 Rn. 30, wenn er die Zustimmung aller Vollversammlungsmitglieder für notwendig erachtet.

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2. Entscheidungsfindung Zu den Bestandteilen der Entscheidungsfindung gehören Vorschriften, die die Mehrheitsregel1495 oder darüber hinausgehende Anforderungen an die Majorität festschreiben. Die Mehrheitserfordernisse lassen sich jedoch nicht abschließend beurteilen, wenn nicht zuvor die Vorgaben über die Beschlussfähigkeit der Vollversammlung (Quorum1496) in die Betrachtung einbezogen wurden. Denn erst auf ihrer Grundlage lässt sich vor Augen führen, wie viel Zustimmung ein Beschluss unter den stimmberechtigten Organmitgliedern erfahren muss, damit er Gültigkeit erlangt. Die Bestimmungen zur Beschlussfähigkeit stehen wiederum mit Regeln in Verbindung, die die bei Beginn der Sitzung festgestellte Beschlussfähigkeit erhalten (Vermutung des Quorums1497 bzw. Hilfsbeschlussfähigkeit1498). Wendet man unter diesen Prämissen den Blick auf das geltende Recht, zeigt sich ein zutiefst heterogenes Bild, das sich im Einzelnen wie folgt ergibt: a) Beschlussfähigkeit de lege lata Die Rechtmäßigkeit eines Beschlusses der Vollversammlung setzt ihre Beschlussfähigkeit voraus. Im Hinblick darauf halten die Satzungen unisono fest, dass sie vorliegt, wenn mindestens die Hälfte der Mitglieder anwesend ist.1499 1495

In Anknüpfung an Magsaam, Mehrheit entscheidet, 2014, S. 80 f. u. Pardo-Ãlvarez, Das Rechtfertigungsdefizit des qualifizierten Mehrheitserfordernisses, 2020, S. 5 werden hier die einfache und absolute Mehrheit als Prototyp der Mehrheitsregel aufgefasst. Grzeszick, in: Dürig /  Herzog / Scholz, GG, Stand: 95. EL Juli 2021, Art. 20 II Rn. 43 meint hingegen, dass den „Mitgliedern der Minderheit […] kein stärkerer Einfluss auf die demokratische Entscheidung zukommen soll als den Mitgliedern der Mehrheit“ und schlussfolgert, dass „Mehrheit im Sinne des demokratischen Mehrheitsprinzips im Grundsatz die einfache Mehrheit“ sei. Dabei unterschlägt er, dass das Erfordernis absoluter Mehrheit die von ihm formulierte Bedingung ebenfalls wahrt. Morlok, JuS 2022, 1 (5) erkennt ohne nähere Begründung nur die einfache Mehrheit als „Grundform“ an. 1496 Das Quorum bezeichnet die geringste Anzahl von Mitgliedern, deren Anwesenheit für die Beschlussfähigkeit des Kollegialorgans erforderlich ist (Dagtoglou, Kollegialorgane und Kollegialakte der Verwaltung, 1960, S. 98). 1497 Dagtoglou, Kollegialorgane und Kollegialakte der Verwaltung, 1960, S. 106. 1498 Hoffmann-Riem, NJW 1978, 393–397. 1499 § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Aachen; § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Arnsberg; § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Aschaffenburg; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Augsburg; § 4 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Bayreuth; § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Berlin; § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Bielefeld; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Bochum; § 6 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Bonn; § 7 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Braunschweig; § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung HK Bremen; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Chemnitz; § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Coburg; § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Cottbus; § 5 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Darmstadt; § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Detmold; § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Dillenburg; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Dortmund; § 6 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Dresden; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Duisburg; § 3 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Düsseldorf; § 5 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Emden; § 5 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Erfurt; § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Essen; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Flensburg; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Frankfurt a. M.; § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung

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b) Hilfsbeschlussfähigkeit und Eventualeinladung de lege lata Um die zu Beginn festgestellte Beschlussfähigkeit für den weiteren Verlauf der Sitzung fortschreiben zu können, greifen die Satzungen zumeist auf ein komplexes Regelwerk zurück. So gilt die Vollversammlung in nahezu allen1500 Kammern solange als beschlussfähig, sofern nicht ein Mitglied vor einer Beschlussfassung beantragt hat, die Beschlussunfähigkeit festzustellen.1501 Es handelt sich damit um IHK Frankfurt (Oder); § 5 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Freiburg; § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Fulda; § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Gera; § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Gießen; § 6 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK  Hagen; § 7 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK  Halle; § 7 Abs. 4 S. 1 Satzung HK  Hamburg; § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Hanau; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Hannover; § 5 Abs. 4 S.1 Satzung IHK Heidenheim; § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Heilbronn; § 6 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Karlsruhe; § 3 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Kassel; § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Kiel; § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Koblenz; § 6 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Köln; § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Konstanz; § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Krefeld; § 7 Abs. 1 Satzung IHK Leipzig; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Limburg; § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Lübeck; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Ludwigshafen; § 7 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Lüneburg; § 6 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Magdeburg; § 5 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Mainz; § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Mannheim; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK München; § 5 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Münster; § 6 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Neubrandenburg; § 3 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Nürnberg; § 3 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Offenbach; § 5 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Oldenburg; § 6 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Osnabrück; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Passau; § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Pforzheim; § 6 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Potsdam; § 5 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Regensburg; § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Reutlingen; § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Rostock; § 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Saarbrücken; § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Schwerin; § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Siegen; § 6 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Stade; § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Stuttgart; § 6 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Suhl; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Trier; § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Ulm; § 5 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Villingen-Schwenningen; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Weingarten; § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Wiesbaden; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Wuppertal; Art. 3 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Würzburg. 1500 In den Satzungen der Kammern mit Sitz in Bayreuth, Dresden, Gera, Leipzig und Passau konnte – soweit ersichtlich – eine Regel, die den Fortbestand der Beschlussfähigkeit vermutet, nicht vorgefunden werden. 1501 § 4 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Aachen; § 4 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Arnsberg; § 5 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Aschaffenburg; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Augsburg; § 5 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Berlin; § 5 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Bielefeld; § 4 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Bochum; § 6 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK Bonn; § 7 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Braunschweig; § 5 Abs. 4 S. 2 Satzung HK Bremen; § 5 Abs. 1 S. 3 Satzung IHK Chemnitz; § 5 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Coburg; § 5 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Cottbus; § 5 Abs. 7 S. 2 Satzung IHK Darmstadt; § 5 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Detmold; § 5 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Dillenburg; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Dortmund; § 4 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Duisburg; § 3 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK Düsseldorf; § 5 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Emden; § 5 Abs. 4 S. 3 Satzung IHK Erfurt; § 5 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Essen; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Frankfurt a. M.; § 5 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Frankfurt (Oder); § 5 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Freiburg; § 5 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Fulda; § 6 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK Hagen; § 7 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Halle; § 7 Abs. 4 S. 2 Satzung HK Hamburg; § 5 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Hanau; § 7 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Hannover; § 5 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Heidenheim; § 5 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Heilbronn; § 6 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Karlsruhe; § 3 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Kassel; § 5 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Koblenz; § 6 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK Köln; § 5 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Konstanz; § 5 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Krefeld; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Limburg; § 5 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Lübeck; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK  Ludwigshafen; § 7 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK  Lüneburg; § 6 Abs. 3

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eine widerlegbare Vermutung der Beschlussfähigkeit. Nur vier Satzungen schreiben demgegenüber die Vermutung der Beschlussfähigkeit nicht unentwegt fort. Nach Unterschreiten einer bestimmten Schwelle der notwendigen Mitgliederzahl muss sie ebenda von Amts wegen festgestellt werden.1502 Wurde die Vollversammlung auf Antrag oder von Amts wegen für beschlussunfähig erklärt, ist dies in fast allen1503 Bezirken nicht gleichbedeutend mit dem Ende ihrer Verhandlungstätigkeit an dem Sitzungstag. Man behilft sich zumeist mit einer Eventualeinladung, die auch als „doppelte Einladung“ oder „vorsorglich eingeladene“ Vollversammlung geläufig ist.1504 Sie hat zumeist folgenden Inhalt: Sollte wegen Beschlussunfähigkeit eine weitere Sitzung mit derselben Tagesordnung erforderlich sein, kann diese unmittelbar im Anschluss bzw. nach einer viertel-, halb- oder einstündigen1505 Unterbrechung stattfinden. Sofern in der Einladung zu der ersten Sitzung darauf hingewiesen wurde, gilt die Vollversammlung in dieser Sitzung ohne Rücksicht auf die Zahl der Anwesenden als beschlussfähig.1506 Es S. 1 Satzung IHK  Magdeburg; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK  Mainz; § 5 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Mannheim; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK München; § 5 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK Münster; § 6 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK Neubrandenburg; § 3 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK Nürnberg; § 3 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Offenbach; § 6 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Osnabrück; § 5 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Pforzheim; § 6 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK Potsdam; § 5 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Regensburg; § 5 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Reutlingen; § 4 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Saarbrücken; § 5 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Schwerin; § 5 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Siegen; § 6 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Stade; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Stuttgart; § 6 Abs. 6 S. 3 Satzung IHK Suhl; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Trier; § 5 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Ulm; § 5 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK Villingen-Schwenningen; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Weingarten; § 5 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Wiesbaden; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Wuppertal; Art. 3 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Würzburg. 1502 § 4 Abs. 5 S. 2 f. Satzung IHK Flensburg (hier: Feststellung der Beschlussunfähigkeit wird notwendig, wenn weniger als ein Drittel der Mitglieder anwesend ist); § 5 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Gießen (hier: bei geringerer Beteiligung muss Feststellung der Beschlussfähigkeit durch mind. drei Mitglieder beantragt werden); § 5 Abs. 4 S. 2 f. Satzung IHK Kiel (hier: Feststellung der Beschlussunfähigkeit wird notwendig, wenn weniger als ein Drittel der Mitglieder anwesend ist); § 5 Abs. 4 S. 2 f. Satzung IHK Rostock (hier: Feststellung der Beschlussunfähigkeit wird bei „offensichtlicher“ Unterschreitung der notwendigen Mitgliederzahl erforderlich). ­Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 4 Rn. 28 meint, dass der Vorsitzende bei „offensichtlicher Unterschreitung“ der Mitgliederzahl von sich aus zur Feststellung der Beschlussunfähigkeit „verpflichtet“ sei. Doch findet diese Sichtweise keine Entsprechung im Satzungsrecht der überwiegenden Mehrheit der Kammern. 1503 Soweit ersichtlich enthält die Satzung der IHK Braunschweig keine der nachfolgenden Regelungen. 1504 Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 4 Rn. 29. 1505 Ganz überwiegend wird eine halbstündige Unterbrechung für erforderlich erachtet. 1506 § 4 Abs. 6 Satzung IHK Aachen; § 4 Abs. 5 S. 3 f. Satzung IHK Arnsberg; § 5 Abs. 5 S. 3 f. Satzung IHK Augsburg; § 4 Abs. 6 S. 2 f. Satzung IHK  Bayreuth; § 5 Abs. 4 S. 3 ff. Satzung IHK Berlin (hier: der Präsident hat vor Einberufung der Sitzung das Votum der Vollversammlung einzuholen); § 5 Abs. 4 S. 3 f. Satzung IHK Bielefeld; § 4 Abs. 5 S. 3 f. Satzung IHK Bochum; § 6 Abs. 6 S. 3 f. Satzung IHK Bonn; § 5 Abs. 1 S. 4 ff. Satzung IHK Chemnitz; § 5 Abs. 4 S. 3 f. Satzung IHK Coburg; § 5 Abs. 4 S. 3 f. Satzung IHK Detmold; § 5 Abs. 4 S. 3 f. Satzung IHK Dillenburg; § 6 Abs. 5 S. 2 ff. Satzung IHK Dresden; § 4 Abs. 5 S. 3 ff. Satzung IHK Duisburg; § 3 Abs. 6 S. 3 ff. Satzung IHK Düsseldorf; § 5 Abs. 3 S. 4 f. Satzung IHK Emden; § 5 Abs. 4

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

handelt sich mithin um eine unwiderlegbare Vermutung der Beschlussfähigkeit. Teilweise werden näher bezeichnete Beschlussgegenstände wie z. B. die Änderung der Satzung für die Verhandlungen in der „zweiten“ Sitzung ausgenommen.1507 Andere IHK-Bezirke erklären die Vollversammlung für die fortgesetzte Behandlung der Tagesordnung ebenfalls ohne Rücksicht auf die Zahl der Anwesenden für beschlussfähig, aber fordern die Einhaltung einer Einladungsfrist,1508 womit die Sitzung notwendigerweise an einem anderen Tag stattfinden muss. Drei Satzungen S. 4 f. Satzung IHK Erfurt; § 5 Abs. 4 S. 3 f. Satzung IHK Essen; § 4 Abs. 6 Satzung IHK Flensburg; § 5 Abs. 4 S. 3 f. Satzung IHK Frankfurt (Oder); § 5 Abs. 3 S. 3 f. Satzung IHK Freiburg; § 5 Abs. 4 S. 3 f. Satzung IHK  Fulda; § 5 Abs. 4 S. 3 f. Satzung IHK  Gera; § 6 Abs. 6 S. 3 f. Satzung IHK Hagen (hier: Beschränkung der Rechtsausübung auf „dringende Gründe“); § 7 Abs. 4 S. 3 f. Satzung IHK Halle; § 5 Abs. 4 S. 3 f. Satzung IHK Heidenheim; § 5 Abs. 4 S. 4 f. Satzung IHK Kiel (hier: Beschränkung der Rechtsausübung auf „unaufschiebbare Tagesordnungspunkte“); § 5 Abs. 4 S. 3 f. Satzung IHK Koblenz; § 5 Abs. 4 S. 3 f. Satzung IHK Konstanz; § 5 Abs. 4 S. 3 f. Satzung IHK Krefeld; § 7 Abs. 2 Satzung IHK Leipzig; § 5 Abs. 5 S. 3Satzung IHK Limburg; § 5 Abs. 4 S. 3 f. Satzung IHK Lübeck; § 5 Abs. 5 S. 3 f. Satzung IHK Ludwigshafen; § 5 Abs. 5 S. 3 f. Satzung IHK  Mainz; § 5 Abs. 4 S. 3 f. Satzung IHK  Mannheim; § 5 Abs. 5 S. 3 f. Satzung IHK München; § 5 Abs. 6 S. 3 f. Satzung IHK Münster; § 6 Abs. 6 S. 3 f. Satzung IHK Neubrandenburg; § 3 Abs. 6 S. 3 f. Satzung IHK Nürnberg; § 3 Abs. 5 S. 2 f. Satzung IHK Offenbach; § 6 Abs. 4 Satzung IHK Osnabrück; § 4 Abs. 5 S. 2 f. Satzung IHK Passau; § 5 Abs. 4 S. 3 f. Satzung IHK  Pforzheim; § 6 Abs. 6 S. 3 f. Satzung IHK  Potsdam; § 5 Abs. 6 S. 2 f. Satzung IHK Regensburg; § 5 Abs. 4 S. 3 f. Satzung IHK Reutlingen; § 5 Abs. 4 S. 4 ff. Satzung IHK Rostock; § 4 Abs. 5 S. 3 ff. Satzung IHK Saarbrücken; § 5 Abs. 4 S. 3 f. Satzung IHK Schwerin; § 6 Abs. 6 S. 4 f. Satzung IHK Suhl, § 5 Abs. 5 S. 3 f. Satzung IHK Trier; § 5 Abs. 6 S. 3 f. Satzung IHK Villingen-Schwenningen; § 5 Abs. 5 S. 3 f. Satzung IHK Weingarten; § 5 Abs. 4 S. 3 f. Satzung IHK Wiesbaden; Art. 3 Abs. 6 S. 2 f. Satzung IHK Würzburg. 1507 § 5 Abs. 7 S. 3 ff. Satzung IHK Darmstadt (hier: Beschluss über die Änderung der Satzung sowie die Wahl und Abwahl des Präsidenten sind ausgenommen); § 5 Abs. 4 S. 3 f. Satzung IHK  Heilbronn (hier: Beschlüsse über die Änderung der Satzung und wirtschaftspolitische Positionen sowie die Wahl des Präsidenten sind ausgenommen); § 6 Abs. 3 S. 3 ff. Satzung IHK  Karlsruhe (hier: Beschlüsse über die Änderung der Satzung und wirtschaftspolitische Positionen sowie die Wahl und Abwahl von Mitgliedern des Präsidiums sind ausgenommen); § 3 Abs. 5 S. 3 ff. Satzung IHK Kassel (hier: Beschluss über die Änderung der Satzung sowie die Wahl und Abwahl von Mitgliedern des Präsidiums sind ausgenommen); § 6 Abs. 6 S. 3 ff. Satzung IHK Köln (hier: Beschluss über die Änderung der Satzung sowie die Wahl und Abwahl von Mitgliedern des Präsidiums sind ausgenommen); § 7 Abs. 6 S. 3 ff. Satzung IHK Lüneburg (hier: Beschluss über die Änderung der Satzung sowie die Wahl und Abwahl von Mitgliedern des Präsidiums sind ausgenommen); § 5 Abs. 5 S. 3 ff. Satzung IHK Stuttgart (hier: Beschlüsse über die Änderung der Satzung und wirtschaftspolitische Positionen sowie die Wahl bzw. Abwahl des Präsidenten sind ausgenommen); § 5 Abs. 4 S. 3 f. Satzung IHK Ulm (hier: Beschlüsse, die eine Zweidrittelmehrheit erfordern, sind ausgenommen). 1508 § 5 Abs. 4 S. 3 Satzung IHK Aschaffenburg; § 5 Abs. 4 S. 3 Satzung HK Bremen; § 5 Abs. 4 S. 3 Satzung IHK Cottbus; § 5 Abs. 5 S. 3 f. Satzung IHK Dortmund; § 5 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK Frankfurt a. M. (hier: einwöchige Einladungsfrist); § 5 Abs. 4 S. 3 Satzung IHK Gießen (hier: Einladungsfrist von mindestens drei Tagen); § 7 Abs. 4 S. 3 Satzung HK Hamburg (hier: keine Anwendung für die Änderungen von Satzung und Wahlordnung, Wahlen und Abwahlen sowie Bestellungen und Abberufungen); § 5 Abs. 4 S. 3 Satzung IHK Hanau; § 6 Abs. 4 Satzung IHK Magdeburg; § 5 Abs. 4 S. 2 ff. Satzung IHK Oldenburg (hier: Einladungsfrist von mindestens sieben Tagen); § 5 Abs. 4 S. 3 Satzung IHK Siegen; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Wuppertal (hier: Einladungsfrist von mindestens sieben Tagen).

II. Die Vollversammlung  

321

enthalten ein Wahlrecht des Präsidenten. Er kann zwischen einer Unterbrechung mit einer anschließend neu einberufenen Vollversammlung oder der Ladung zu einer weiteren Sitzung mit derselben Tagesordnung unter Einhaltung einer verkürzten Ladungsfrist entscheiden.1509 c) Mehrheit de lege lata Der Majoritätsgrundsatz findet in allen Bezirken für die Beschlussfassung der Vollversammlung Bestätigung. Danach bedürfen Beschlüsse der Mehrheit der abgegebenen Stimmen, wobei ganz überwiegend hinzugefügt wird, dass Stimmenthaltungen als nicht abgegebene Stimmen gelten.1510 Die Forderung, dass ein Antrag

1509

§ 7 Abs. 2 Satzung IHK Hannover; § 5 Abs. 4 S. 2 f. Satzung IHK Oldenburg; § 6 Abs. 1 S. 3 f. Satzung IHK Stade – die Vollversammlung wird jeweils für beschlussfähig erkannt. 1510 § 4 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Aachen; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Arnsberg; § 5 Abs. 6 Satzung IHK Aschaffenburg; § 5 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Augsburg; § 4 Abs. 7 Satzung IHK Bayreuth; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Berlin; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Bielefeld; § 4 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Bochum; § 6 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Bonn; § 7 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Braunschweig; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung HK  Bremen; § 5 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK  Chemnitz; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Coburg; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Cottbus; § 5 Abs. 8 S. 3 Satzung IHK Darmstadt; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Detmold; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Dillenburg; § 5 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Dortmund; § 6 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Dresden; § 4 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Duisburg; § 3 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Düsseldorf; § 5 Abs. 3 S. 3 Satzung IHK Emden; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Erfurt; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Essen; § 4 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Flensburg; § 5 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Frankfurt a. M.; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Frankfurt (Oder); § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Freiburg; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Fulda; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Gera; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Gießen; § 6 Abs. 8 S. 1 Satzung IHK Hagen; § 7 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Halle; § 7 Abs. 5 S. 1 Satzung HK Hamburg (hier: kein Verweis auf die Behandlung von Stimmenthaltungen); § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Hanau; § 7 Abs. 3 Satzung IHK Hannover; § 5 Abs. 5 S.1 Satzung IHK Heidenheim; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Heilbronn; § 7 Abs. 1 S. 3 Satzung IHK Karlsruhe; § 3 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Kassel; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Kiel; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Koblenz; § 6 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Köln; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Konstanz; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Krefeld; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Leipzig; § 5 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Limburg; § 5 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Lübeck; § 5 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Ludwigshafen; § 7 Abs. 9 S. 1 Satzung IHK Lüneburg; § 6 Abs. 3 S. 3 Satzung IHK Magdeburg; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Mainz; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Mannheim; § 5 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK München; § 5 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Münster; § 6 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Neubrandenburg; § 3 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Nürnberg; § 3 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Offenbach; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Oldenburg; § 6 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Osnabrück; § 4 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Passau (hier: kein Verweis auf die Behandlung von Stimmenthaltungen); § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Pforzheim; § 6 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Potsdam; § 5 Abs. 7 Satzung IHK Regensburg; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Reutlingen; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Rostock; § 4 Abs. 5 S. 6 Satzung IHK Saarbrücken; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Schwerin; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Siegen; § 6 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Stade; § 5 Abs. 6 S. 3 Satzung IHK Stuttgart; § 6 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Suhl; § 5 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Trier; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Ulm; § 5 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Villingen-Schwenningen; § 5 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Weingarten; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Wiesbaden; § 5 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Wuppertal; Art. 3 Abs. 7 Satzung IHK Würzburg.

322

E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

mehr „Ja“-Stimmen als ablehnende Voten zur Gültigkeit des Beschlusses bedarf, kennzeichnet das Erfordernis einfacher Mehrheit.1511 Die überwiegende Anzahl der Kammern modifizieren diese Grundregel allerdings für den Fall der Stimmengleichheit. In diesen Konstellationen gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag (sog. Dirimierungsrecht1512 bzw. Stichentscheid1513).1514 Für als bedeutsam erachtete Beschlussgegenstände spezifizieren viele Kammern das Zustimmungserfordernis und fordern eine absolute, qualifizierte oder sogar doppelt qualifizierte Mehrheit. Ein bezirksübergreifender einheitlicher Gedanke liegt indes nicht vor, zumal in 10 IHK-Bezirken keines der folgenden Normkonzepte existiert.1515 Den Beschluss über die Änderung der Satzung erfassen viele Kammern gesondert. Die Anforderungen variieren zwischen der Mehrheit der Mitglieder1516 (sog. absolute Mitglieder- bzw. Stimmenmehrheit), einer Zweidrittel-1517

1511

Magsaam, Mehrheit entscheidet, 2014, S. 70 ff. Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 290; Schmidt, JZ 2003, 133 (136). 1513 Magsaam, Mehrheit entscheidet, 2014, S. 96. 1514 § 4 Abs. 7 S. 2 Satzung IHK Aachen; § 4 Abs. 7 Satzung IHK Bayreuth; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Berlin; § 4 Abs. 6 S. 3 Satzung IHK Bochum; § 6 Abs. 7 S. 2 Satzung IHK Bonn; § 5 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK Dortmund; § 6 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK Dresden; § 4 Abs. 6 S. 3 Satzung IHK Duisburg; § 3 Abs. 7 S. 2 Satzung IHK Düsseldorf; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Erfurt;§ 4 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Flensburg; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Gera; § 6 Abs. 8 S. 2 Satzung IHK Hagen; § 7 Abs. 5 S. 4 Satzung IHK Halle; § 7 Abs. 5 S. 2 Satzung HK Hamburg; § 7 Abs. 3 Satzung IHK Hannover; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Heilbronn; § 3 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Kassel; § 6 Abs. 7 S. 2 Satzung IHK Köln; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Konstanz; § 7 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Leipzig; § 5 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Limburg; § 5 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK Pfalz; § 6 Abs. 3 S. 4 Satzung IHK Magdeburg; § 5 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK Mainz; § 6 Abs. 7 S. 2 Satzung IHK Neubrandenburg;§ 3 Abs. 7 S. 4 Satzung IHK Nürnberg; § 3 Abs. 6 Satzung IHK Offenbach; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Oldenburg; § 6 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Osnabrück; § 4 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK Passau; § 6 Abs. 7 S. 2 Satzung IHK Potsdam; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Rostock; § 4 Abs. 5 S. 7 Satzung IHK Saarbrücken; § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Schwerin; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Siegen; § 6 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Stade;§ 6 Abs. 7 S. 2 Satzung IHK Suhl; § 5 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK Wuppertal; Art. 3 Abs. 7 Satzung IHK Würzburg. 1515 Soweit ersichtlich sind in den Satzungen der IHK-Bezirke Aachen, Bonn, Düsseldorf, Emden, Flensburg, Frankfurt a. M., Kassel, Neubrandenburg, Offenbach und Saarbrücken keine Qualifikationen der Mehrheitsregel vorhanden. 1516 § 4 Abs. 6 S. 5 Satzung IHK Bochum; § 5 Abs. 6 S. 4 Satzung IHK Dortmund; § 4 Abs. 6 S. 7 Satzung IHK Duisburg. 1517 § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Arnsberg; § 5 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK Berlin; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Bielefeld; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung HK Bremen; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Coburg; § 5 Abs. 8 S. 4 Satzung IHK Darmstadt; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Detmold; § 5 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK  Dillenburg; § 5 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK  Erfurt; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Essen; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Frankfurt (Oder); § 5 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Freiburg; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Fulda; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Gera; § 6 Abs. 8 S. 3 Satzung IHK Hagen; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Hanau; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Heidenheim; § 7 Abs. 1 S. 4 Satzung IHK Karlsruhe; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Kiel; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung 1512

II. Die Vollversammlung  

323

oder Dreiviertelmehrheit1518 unter den anwesenden Mitgliedern respektive einer doppelt qualifizierten Mehrheit verschiedenen Ausmaßes1519. In anderen Bezirken wird eine Zweidrittel-1520 oder Dreiviertelmehrheit1521 der abgegebenen Stimmen zur Änderung von Satzung und Wahlordnung gefordert. Bekannt geworden ist diesbezüglich auch das Verlangen nach einer doppelt qualifizierten Mehrheit.1522 Nur wenige Kammern setzen eine Zweidrittelmehrheit für Beschlüsse über die Änderung von Satzung, Wahl-, Beitrags-, Sonderbeitrags- und Gebührenordnung voraus.1523 Auch die IHK Heilbronn greift auf diesen Inhalt, der der Aufzählung in § 4 S. 2 Nr. 1 f. IHKG entspricht, zurück. Das Zustimmungserfordernis einer Zweidrittelmehrheit wird aber auf die Wahl des Präsidenten und des Präsidiums, die Bestellung des Hauptgeschäftsführers sowie die Ernennung von Ehrenpräsidenten erstreckt.1524 Die Rechtslage in der IHK Leipzig nimmt ebenfalls auf die Gegenstände des § 4 S. 2 Nr. 1 f. IHKG Bezug. Hinzu treten Beschlüsse, die auf die Abwahl von Präsidiumsmitgliedern gerichtet sind. Erforderlich ist jeweils das

IHK  Koblenz; § 6 Abs. 7 S. 3 Satzung IHK  Köln; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK  Krefeld; § 5 Abs. 6 S. 3 Satzung IHK Limburg; § 5 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK Lübeck; § 5 Abs. 6 S. 3 Satzung IHK Ludwigshafen; § 6 Abs. 5 Satzung IHK Magdeburg; § 5 Abs. 6 S. 3 Satzung IHK Mainz; § 5 Abs. 7 S. 2 Satzung IHK Münster; § 5 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK Oldenburg; § 6 Abs. 6 Satzung IHK Osnabrück; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Pforzheim; § 5 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK Siegen; § 6 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Stade; § 5 Abs. 6 S. 4 Satzung IHK Stuttgart; § 5 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK Trier; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Ulm; § 5 Abs. 7 S. 2 Satzung IHK Villingen-Schwenningen; § 5 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK Weingarten; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Wiesbaden. 1518 § 7 Abs. 5 S. 3 Satzung HK Hamburg. 1519 § 7 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK  Braunschweig (hier: Zweidrittelmehrheit + Zustimmung durch Mitgliedermehrheit); § 7 Abs. 10 S. 1 f. Satzung IHK Lüneburg (hier: Zweidrittelmehrheit bei Anwesenheit der Hälfte der Mitglieder); § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Rostock (hier: Zweidrittelmehrheit + Zustimmung durch ein Drittel der Mitglieder); § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Schwerin (hier: Zweidrittelmehrheit + Zustimmung durch ein Drittel der Mitglieder). Es handelt sich bei den Regelungen um die Verbindung aus Beteiligungsquorum und qualifizierter Abstimmungsmehrheit einerseits sowie Zustimmungsquorum und qualifizierter Abstimmungsmehrheit andererseits. 1520 § 5 Abs. 7 Satzung IHK Aschaffenburg; § 5 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Augsburg; § 4 Abs. 8 Satzung IHK Bayreuth; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Cottbus; § 6 Abs. 6 S. 3 Satzung IHK Dresden; § 7 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Halle; § 5 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK Konstanz; § 5 Abs. 6 S. 3 Satzung IHK München; § 3 Abs. 8 Satzung IHK Nürnberg; § 4 Abs. 7 Satzung IHK Passau; § 6 Abs. 7 S. 3 Satzung IHK Potsdam; § 5 Abs. 8 Satzung IHK Regensburg. 1521 § 5 Abs. 4 Satzung IHK Chemnitz. 1522 Nach § 6 Abs. 8 Satzung IHK Suhl, § 5 Abs. 6 S. 3 Satzung IHK Wuppertal u. Art. 3 Abs. 8 Satzung IHK Würzburg ist die Zustimmung einer Zweidrittelmehrheit, mindestens aber das Votum der Mitgliedermehrheit, zur Änderung von Satzung und Wahlordnung erforderlich. Es handelt sich um den Fall einer Verknüpfung von Zustimmungsquorum und qualifizierter Abstimmungsmehrheit. 1523 § 7 Abs. 4 Satzung IHK Hannover (hier: mit Ausnahme der Gebührenordnung); § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Mannheim; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Reutlingen. 1524 § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Heilbronn. Wenn bei der Wahl von Präsident und Präsidium der Stimmenanteil im ersten Wahlgang verfehlt wird, genügt das Votum der Stimmenmehrheit (§ 7 Abs. 2 der Satzung).

324

E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

Votum einer doppelt qualifizierten Mehrheit.1525 Die Satzung der IHK Karlsruhe ist gesondert zu erwähnen, weil nach ihr Beschlüsse über die regionale Ausrichtung der Verwaltungssitze nicht nur an die Abstimmungsmehrheit, sondern auch an die mehrheitliche Zustimmung von Mitgliedern aus näher bezeichneten Regionen geknüpft werden.1526 Die HK Bremen entstand 2015 aus einer Fusion der IHK Bremerhaven und der HK Bremen. Dies lässt sich an ihrer Satzung ablesen, die die Änderung der Fusionsvereinbarungen der Mehrheit von vier Fünftel der anwesenden Mitglieder unterwirft.1527 Hat die Vollversammlung einen Beschluss über die Besetzung von Ämtern zu fassen, trifft man gemeinhin auf eine Vorschrift, nach der bei Ämtern, um die sich mehrere Kandidaten bewerben, derjenige Kandidat gewählt ist, der die meisten Stimmen auf sich vereinigt.1528 Stehen im Rahmen dieser Entscheidung mehr als 1525 § 7 Abs. 4, Abs. 5 Satzung IHK Leipzig (hier: das Beteiligungsquorum erfordert die Anwesenheit von zwei Drittel der Mitglieder, im Fall einer festgestellten Beschlussunfähigkeit mindestens die Hälfte; im Rahmen der Abstimmung ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich). 1526 § 7 Abs. 3 Satzung IHK Karlsruhe: „Zur Änderung der § 1 Abs. 3 [des Sitzes der IHK und ihrer Hauptgeschäftsstelle] […] ist erforderlich, dass innerhalb der zustimmenden Mehrheit auch die Mehrheit der anwesenden Mitglieder, die aus dem Stadtkreis Baden-Baden und dem Landkreis Rastatt in die Vollversammlung gewählt worden sind, enthalten ist.“ 1527 § 5 Abs. 5 S. 3 Satzung HK Bremen. Es handelt sich um Beschlüsse, die auf eine Änderung des Namens, der Standorte, des Hauptsitzes, der Größe und Zusammensetzung des Plenums oder der Größe und Zusammensetzung des Präsidiums gerichtet sind. 1528 § 5 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK Arnsberg; § 5 Abs. 5 S. 4 Satzung IHK Berlin; § 5 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK Bielefeld; § 6 Abs. 7 S. 3 Satzung IHK Bonn; § 7 Abs. 8 S. 5 Satzung IHK Braunschweig (hier: Beschränkung auf Ämter, „um die sich mehrere Vollversammlungsmitglieder bewerben“); § 5 Abs. 5 S. 4 Satzung HK Bremen; § 5 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK Coburg; § 5 Abs. 9 S. 5 Satzung IHK Darmstadt; § 5 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK Detmold; § 6 Abs. 6 S. 6 Satzung IHK Dillenburg; § 5 Abs. 6 S. 9 Satzung IHK Dortmund; § 4 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK Duisburg; § 5 Abs. 5 S. 4 Satzung IHK Erfurt; § 5 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK Essen; § 4 Abs. 7 S. 2 Satzung IHK Flensburg; § 5 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK Frankfurt a. M.; § 5 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK Frankfurt (Oder); § 5 Abs. 4 S. 3 Satzung IHK Freiburg; § 5 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK Fulda; § 5 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK Gera; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Gießen; § 6 Abs. 8 S. 4 Satzung IHK Hagen; § 7 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK Halle; § 7 Abs. 5 S. 1 Satzung HK Hamburg (hier: Verweis darauf, dass die Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheidet); § 5 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK Hanau; § 5 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK Heidenheim; § 7 Abs. 1 S. 5 Satzung IHK Karlsruhe; § 5 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK Kiel; § 5 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK Koblenz; § 6 Abs. 7 S. 2 Satzung IHK Köln; § 5 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK Krefeld; § 5 Abs. 6 S. 4 Satzung IHK Limburg; § 5 Abs. 6 S. 3 Satzung IHK Lübeck; § 5 Abs. 6 S. 4 Satzung IHK Mainz; § 5 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK Mannheim; § 5 Abs. 7 S. 5 Satzung IHK München; § 5 Abs. 7 S. 3 Satzung IHK Münster; § 5 Abs. 5 S. 4 Satzung IHK Oldenburg; § 5 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK Pforzheim; § 6 Abs. 7 S. 4 Satzung IHK Potsdam; § 5 Abs. 5 S. 4 Satzung IHK Rostock; § 5 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK Schwerin; § 5 Abs. 5 S. 4 Satzung IHK Siegen; § 6 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Stade (hier: Verweis darauf, dass Wahlen mit Stimmenmehrheit erfolgen und gewählt ist, wer die meisten gültigen Stimmen erhalten hat); § 5 Abs. 6 S. 5 Satzung IHK Stuttgart; § 6 Abs. 9 S. 5 Satzung IHK Suhl; § 5 Abs. 6 S. 3 Satzung IHK Trier; § 5 Abs. 9 Satzung IHK Villingen-Schwenningen; § 5 Abs. 7 S. 7 Satzung IHK Weingarten. In der Mustersatzung des DIHK soll, so Günther, in: v. Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 86. EL Februar 2021, § 4 IHKG Rn. 65, eine gleichlautende Regel enthalten sein.

II. Die Vollversammlung  

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zwei Alternativen zur Wahl, handelt es sich um das Erfordernis relativer Mehrheit, während bei einer Auswahlmöglichkeit zwischen Alternativen der Rechtssatz den Anforderungen der einfachen Mehrheit entspricht. In mehreren Bezirken konnte die vorstehende Maßgabe nicht vorgefunden werden.1529 Dort muss gelten, dass die Besetzung von Ämtern nach der allgemeinen Mehrheitsregel erfolgt. Für die Wahl des Präsidenten und / oder zum Präsidium bezeichnen einige Satzungen den erforderlichen Stimmenanteil näher.1530 Die Rechtslage der HK Hamburg fällt auf, da – erstens – die Wahl des Präsidiums in der Wahlordnung geregelt ist und – zweitens – äußerst differenzierte Verfahrensvorgaben existieren.1531 Nur 1529

Soweit ersichtlich enthalten die Satzungen der IHK-Bezirke Aachen, Aschaffenburg, Augsburg, Bayreuth, Bochum, Chemnitz, Cottbus, Dresden, Düsseldorf, Emden, Hannover, Heilbronn, Kassel, Konstanz, Leipzig, Ludwigshafen, Lüneburg, Magdeburg, Neubrandenburg, Nürnberg, Offenbach, Osnabrück, Passau, Regensburg, Wuppertal und Würzburg keine entsprechenden Bestimmungen. 1530 § 8 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Aschaffenburg (hier: Erfordernis „einfacher Stimmenmehrheit“ für Mitglieder des Präsidiums); § 7 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Cottbus (hier: die Wahl des Präsidenten erfordert die absolute Mehrheit; die Wahl der Präsidiumsmitglieder erfordert die einfache Mehrheit); § 5 Abs. 6 S. 8 Satzung IHK Dortmund (hier: die Wahl des Präsidenten erfordert bei mehreren Bewerbern im ersten Wahlgang die einfache Mehrheit); § 5 Abs. 6 S. 5 f. Satzung IHK Frankfurt a. M. (hier: die Wahl des Präsidenten erfordert im ersten Wahlgang die einfache Mehrheit, während im zweiten Wahlgang die relative Mehrheit entscheidet); § 7 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Frankfurt (Oder) (hier: die Wahl des Präsidenten erfordert eine Zweidrittelmehrheit, mindestens aber die Stimmen der absoluten Mehrheit; die Wahl der Präsidiumsmitglieder erfordert eine Zweidrittelmehrheit unter den Anwesenden); § 7 Abs. 2 Satzung IHK Heilbronn (hier: die Wahl des Präsidenten und der Präsidiumsmitglieder erfordert im ersten Wahlgang eine Zweidrittelmehrheit unter den abgegebenen Stimmen, während im zweiten Wahlgang der Kandidat gewählt ist, der die meisten Stimmen auf sich vereinigt); § 8 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Koblenz (hier: die Wahl des Präsidenten erfordert im ersten Wahlgang die Abstimmungsmehrheit); § 8 Abs. 2 S. 2 f., Abs. 4 Satzung IHK Köln (hier: die Wahl des Präsidenten erfordert im ersten Wahlgang eine Zweidrittelmehrheit unter den Anwesenden, während im zweiten Wahlgang der Kandidat gewählt ist, der die meisten Stimmen auf sich vereinigt; zum Vizepräsidenten ist gewählt, wer die meisten Stimmen auf sich vereinigt); § 9 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 S. 4 Satzung IHK Lüneburg (hier: die Wahl des Präsidenten erfordert die Stimmenmehrheit; in das Präsidium sind diejenigen Kandidaten gewählt, die die meisten Stimmen erhalten); § 7 S. 6 Satzung IHK Magdeburg (hier: in das Präsidium sind diejenigen Kandidaten gewählt, die die meisten Stimmen erhalten); § 6 Abs. 1 S. 3 Satzung IHK Saarbrücken (hier: in das Präsidium ist gewählt, wer die Mehrheit der Stimmen der anwesenden Vollversammlungsmitglieder auf sich vereint). 1531 § 24 Wahlordnung HK Hamburg: „(1) Über die Wahl des Präses und der Vizepräsides wird in getrennten Wahlgängen abgestimmt. Zuerst wird die Wahl des Präses durchgeführt. (2) Zu Plenarsitzungen, in denen Wahlen des Präses oder der Vizepräsides stattfinden sollen, ist mit einer Frist von 14 Tagen unter Mitteilung dieses Tagesordnungspunktes und unter Hinweis auf Absatz 3 einzuladen. (3) Das amtierende Präsidium legt dem Plenum für die beiden Wahlgänge Wahlvorschläge vor. Dabei hat es ausschließlich auf Vorschläge aus der Mitte des Plenums zurückzugreifen, die ihm bis spätestens 15 Tage vor der Sitzung […] schriftlich eingereicht werden […]. Sofern beide Wahlgänge in derselben Plenarsitzung stattfinden, sind Parallelbewerbungen für das Amt des Präses und das Amt eines Vizepräses nicht möglich.“ § 25 lautet auszugsweise: „(2) Der Wahlausschuss stellt das Ergebnis der Wahl unverzüglich nach Abschluss der Wahl fest. Gewählt sind die Bewerber, die die meisten Stimmen erhalten, sofern damit die Mehrheit der wahlberechtigten Anwesenden erreicht ist […]. (3) Ist nach dem Ergebnis der Wahl […]

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

wenige Bezirke erfassen die Bestellung des Hauptgeschäftsführers gesondert.1532 Auf Ebene der Geschäftsordnung wird der notwendige Stimmenanteil für die Wahl zum Präsidenten der IHK mit Sitz in Gießen und Osnabrück bestimmt.1533 Die IHK Leipzig reglementiert den Wahlvorgang für die nachgeordneten Organe ebenfalls im Wege der Geschäftsordnung.1534 kein Präses gewählt, wird in derselben Plenarsitzung ein zweiter Wahlgang mit den nicht gewählten Bewerbern aus dem ersten Wahlgang durchgeführt. Teilnahmeberechtigt sind höchstens zwei Kandidaten, dies entsprechend dem Einzelstimmen-Ranking aus dem ersten Wahlgang. Ist die Kandidatenbestimmung nach Satz 2 infolge Stimmengleichheit mehrerer Kandidaten nicht möglich, erweitert sich der Kandidatenkreis für den zweiten Wahlgang entsprechend. Gewählt ist im zweiten Wahlgang der Bewerber, der die meisten Stimmen erhält, sofern damit die Mehrheit der wahlberechtigten Anwesenden erreicht ist. (4) Sind nach dem Ergebnis der Wahl der Vizepräsides […] ein Amt oder mehrere Ämter nicht besetzt, wird in derselben Plenarsitzung ein zweiter Wahlgang mit den nicht gewählten Bewerbern aus dem ersten Wahlgang durchgeführt. Teilnahmeberechtigt sind höchstens doppelt so viele Kandidaten, wie Ämter zu besetzen sind, dies entsprechend dem Einzelstimmen-Ranking aus dem ersten Wahlgang. Ist die Kandidatenbestimmung nach Satz 2 infolge Stimmengleichheit mehrerer Kandidaten nicht möglich, erweitert sich der Kandidatenkreis für den zweiten Wahlgang entsprechend. Gewählt sind im zweiten Wahlgang die Bewerber, die die meisten Stimmen erhalten, sofern damit die Mehrheit der wahlberechtigten Anwesenden erreicht ist. (5) Ist nach dem Ergebnis des zweiten Wahlgangs kein Präses gewählt oder sind ein oder mehrere Vizepräses-Ämter nicht besetzt, wird in derselben Plenarsitzung ein dritter Wahlgang mit den nicht gewählten Bewerbern aus dem zweiten Wahlgang durchgeführt. Hierfür sind Absätze 3 und 4 entsprechend anzuwenden. Bei Stimmengleichheit mehrerer Bewerber um das Amt eines Vizepräses entscheidet das Los, welches ein Mitglied des Wahlausschusses zieht.“ 1532 § 5 Abs. 5 S. 4 ff. Satzung IHK Konstanz (hier: die Wahlen und Bestellungen erfordern im ersten Wahlgang eine Zweidrittelmehrheit unter der Anwesenden, während im zweiten Wahlgang der Kandidat gewählt ist, der die meisten Stimmen auf sich vereinigt); § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Reutlingen (hier: die Wahlen und Bestellungen erfordern eine Zweidrittelmehrheit unter den Anwesenden); § 5 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK Ulm (hier: die Besetzung von Ämtern erfordert bei mehreren Kandidaten im ersten Wahlgang die einfache Mehrheit); § 5 Abs. 5 S. 3 ff. Satzung IHK Wiesbaden (hier: die Besetzung von Ämtern erfordert bei mehreren Kandidaten im ersten Wahlgang die Mehrheit der abgegebenen Stimmen; erreichen mehrere Bewerber die notwendige Mehrheit, ist der Bewerber mit den meisten Stimmen gewählt; hat kein Bewerber die Mehrheit erreicht, ist ein zweiter Wahlgang anzuberaumen, in dem die Mehrheit der abgegebenen Stimmen zu erreichen ist; gelingt dies keinem Bewerber, findet ein weiterer Wahlgang zwischen zwei Bewerbern statt, die im zweiten Wahlgang die meisten Stimmen erhalten haben; gewählt ist im zweiten und dritten Wahlgang, wer die höchste Stimmenzahl auf sich vereint). 1533 § 3 Abs. 1 Geschäftsordnung IHK Gießen (hier: die Wahl des Präsidenten erfordert im ersten Wahlgang die einfache Mehrheit, während im zweiten Wahlgang die relative Mehrheit genügt); § 7 Abs. 2 Geschäftsordnung IHK Osnabrück (hier: die Wahl des Präsidenten erfordert im ersten Wahlgang die Stimmen der Mehrheit der anwesenden Mitglieder, während im zweiten Wahlgang die relative Mehrheit genügt). 1534 § 4 Abs. 5, Abs. 6 Geschäftsordnung IHK Leipzig i. d. F. v. 21. September 2010: „[5] Gewählt ist, wer mehr als die Hälfte der Stimmen erhält. Gibt es mehrere Bewerber für ein Amt, ist gewählt, wer die meisten Stimmen auf sich vereinigt. Erreichen mehrere Bewerber mit den meisten Stimmen Stimmengleichheit, ist in einem erneuten Wahlgang eine Stichwahl zwischen diesen Bewerbern durchzuführen. Die meisten Stimmen entscheiden. Bei erneuter Stimmengleichheit entscheidet das Los. [6] Die Bestellung und die Abberufung des Hauptgeschäftsführers erfolgt geheim über Stimmzettel. Er ist bestellt, wenn er mehr als die Hälfte der Stimmen erhält.“

II. Die Vollversammlung  

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d) Form der Stimmabgabe de lege lata Die Vorgaben zur Art und Weise der Abstimmung wurden nur stichprobenartig untersucht. Während die Satzung der IHK Flensburg keine Festlegungen enthält, lässt sich der Grundsatz formulieren,1535 dass die Beschlussfassung in der Regel durch Handzeichen erfolgt,1536 mithin offen stattfindet. Eine geheime Abstimmung erfolgt nur, wenn ein näher bezeichneter Anteil der anwesenden Mitglieder dies verlangt.1537 Die IHK Aschaffenburg erachtet indes auch den Antrag des Vorsitzenden für ausreichend, um eine geheime Abstimmung abzuhalten.1538 Wahlen werden zumeist geheim abgehalten.1539 Abgesehen von den Wahlen des Präsidenten und der weiteren Präsidiumsmitglieder soll jedoch eine offene Wahl mit einfacher Mehrheit beschlossen werden können.1540 Alle Entscheidungen, einschließlich der Wahlen, können regelmäßig unter Zuhilfenahme elektronischer Abstimmungsgeräte durchgeführt werden.1541 1535 Auch Günther, in: v. Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 86. EL Februar 2021, § 4 IHKG Rn. 66 erkennt unter Verweis auf die Mustersatzung des DIHK diesen Grundsatz. 1536 § 4 Abs. 8 S. 1 Satzung IHK Aachen; § 5 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Bielefeld; § 5 Abs. 9 S. 1 Satzung IHK Darmstadt; § 5 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Erfurt; § 5 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Gießen; § 7 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Karlsruhe; § 5 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Kiel; § 5 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Limburg; § 5 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Lübeck; § 5 Abs. 9 S. 1 Satzung IHK Münster; § 6 Abs. 8 S. 1 Satzung IHK Potsdam; § 5 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Stuttgart. Nach Art. 3 Abs. 9 S. 1 Satzung IHK Würzburg muss über die Art der Abstimmung jeweils durch mündliche Abstimmung entschieden werden. 1537 Gem. § 4 Abs. 8 S. 2 Satzung IHK Aachen, § 5 Abs. 9 S. 2 Satzung IHK Darmstadt, § 5 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK Erfurt, § 5 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK Gießen, § 7 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Karlsruhe, § 5 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK Kiel, § 5 Abs. 7 S. 2 Satzung IHK Limburg, § 5 Abs. 7 S. 2 Satzung IHK Lübeck, § 5 Abs. 9 S. 2 Satzung IHK Münster, § 6 Abs. 8 S. 2 Satzung IHK Potsdam und § 5 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Stuttgart wird eine geheime Abstimmung auf Antrag eines Fünftels der Mitglieder vollzogen. § 5 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK Bielefeld fordert ein entsprechendes Votum von zehn Mitgliedern. 1538 § 5 Abs. 8 S. 2 Satzung IHK Aschaffenburg. Daneben löst der Antrag von einem Fünftel der Mitglieder die Rechtsfolge einer geheimen Abstimmung aus. 1539 § 5 Abs. 6 S. 3 Satzung IHK Bielefeld; § 5 Abs. 9 S. 3 Satzung IHK Darmstadt; § 5 Abs. 6 S. 3 Satzung IHK Erfurt; § 5 Abs. 6 S. 3 Satzung IHK Kiel; § 5 Abs. 7 S. 3 Satzung IHK Limburg; § 5 Abs. 7 S. 3 Satzung IHK Lübeck; § 5 Abs. 9 S. 3 Satzung IHK Münster; § 6 Abs. 8 S. 3 Satzung IHK Potsdam; Art. 3 Abs. 9 S. 2 Satzung IHK Würzburg. In den Satzungen der IHKBezirke Aachen, Gießen, Karlsruhe und Stuttgart findet sich, soweit ersichtlich, kein Hinweis darauf, dass Wahlen geheim abzuhalten sind. 1540 § 5 Abs. 6 S. 4 Satzung IHK Bielefeld; § 5 Abs. 9 S. 4 Satzung IHK Darmstadt; § 5 Abs. 6 S. 4 Satzung IHK Erfurt; § 5 Abs. 6 S. 4 Satzung IHK Kiel § 5 Abs. 7 S. 4 Satzung IHK Limburg; § 5 Abs. 9 S. 4 Satzung IHK Münster; Art. 3 Abs. 9 S. 2 Satzung IHK Würzburg (hier: jede offen abzuhaltende Wahl erfordert einen Beschluss mit Zustimmung einer Dreiviertelmehrheit unter den anwesenden Mitgliedern). 1541 § 5 Abs. 6 S. 5 Satzung IHK  Bielefeld; § 5 Abs. 9 S. 6 Satzung IHK  Darmstadt; § 7 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Karlsruhe; § 5 Abs. 6 S. 5 Satzung IHK Kiel; § 5 Abs. 7 S. 3 Satzung IHK Stuttgart. Den Satzungen der IHK-Bezirke Aachen, Erfurt, Gießen, Limburg, Münster, Potsdam und Würzburg kann, soweit ersichtlich, keine Gestattung dieses Inhaltes entnommen werden.

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

e) Kritik Es ist bereits angeklungen, dass das Stimmrecht der Vollversammlungsmitglieder die wirkmächtigste Ausprägung der mit dem Mandat gewonnenen Mitwirkungsrechte darstellt. Bei den zuvor behandelten Gegenständen handelt es sich somit um Gegenstände von solcher Tragweite, dass jeweils der Parlamentsvorbehalt herausgefordert wird. Weiterhin ergibt die Analyse der geltenden Bestimmungen, dass eine Vielzahl dysfunktionaler Regelungsstrukturen vorliegt. Die Beschäftigung fördert darüber hinaus unwirksame Vorgaben zutage. Die Kritik lautet in ihren Einzelheiten wie folgt: aa) Beschlussfähigkeit Vorschriften zur Beschlussfähigkeit sollen in Kollegialorganen eine hinreichende Basis des Entscheidungsbildungsprozesses sichern. Sie bedingen, dass ein Austausch möglichst vieler Standpunkte im Sinne einer pluralistischen Meinungs- und Willensbildung stattfindet. Der nachfolgenden Entscheidung darf eine höhere Richtigkeitsgewähr bescheinigt werden.1542 Beachtet man die bereits unterbreiteten Vorzüge des Kollegialprinzips,1543 besteht die Vermutung, dass Kollegialorgane ihrer maximale Verwaltungskraft nur entfalten können, wenn möglichst alle Mitglieder anwesend sind. Die Vorgaben zur Beschlussfähigkeit wirken daher für den gesamten Entscheidungskontext legitimierend. Wenngleich das notwendige Quorum vielfach nur im Moment der Beschlussfassung zur Prüfung gelangt, fordert auch die Repräsentationsidee, dass die Willensbildung in der Vollversammlung durch eine Mindestanzahl von Vertretern getragen wird.1544 Es darf zudem angenommen werden, dass eine regelmäßig nur spärlich besetzte Vollversammlung mehr als eine unschöne Optik bei den Repräsentierten erzeugt. Vor dem Hintergrund dieser Bedeutungsebenen erscheint eine Bestimmung der Beschlussfähigkeit für die Vollversammlung aus der Feder des Gesetzgebers unumgänglich. Demgegenüber wirkt es – vorsichtig gesagt – überraschend, wenn mit Blick auf die Vollversammlung die Ansicht ergeht, dass die Festschreibung eines Quorums „nicht unbedingt notwendig“1545 sei. Man kommt ferner nicht an der Auffassung vorbei, den Regelungen zu attestieren, dass sie auch oder sogar vorrangig dem Schutz der Mehrheit dienlich sind.1546 1542

Hoffmann-Riem, NJW 1978, 393 (393 f.). Allgemein zu den Grundlagen des Quorumsprinzip mit Hinweisen zu Vorschriften aus dem Altertum Dagtoglou, Kollegialorgane und Kollegialakte der Verwaltung, 1960, S. 107 ff. 1543 Dazu näher unter D. II. 2. 1544 Diese Zwecksetzung wird auch für den Rat als kommunales Vertretungsorgan hervorgehoben, s. Gern / Brüning, Deutsches Kommunalrecht, 4. Aufl. 2019, Rn. 636. 1545 So Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 4 Rn. 27. 1546 Hoffmann-Riem, NJW 1978, 393 (394) gelangt sogar zu dem Fazit, dass die Vorschriften vorrangig „auf einen Schutz vor einer Verfälschung des Mehrheitswillens“ abzielten.

II. Die Vollversammlung  

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Wenn die Beschlussfähigkeit an dem Erfordernis hälftiger Beteiligung der Organmitglieder ansetzt, wird bereits im Vorfeld der Entscheidungen gewährleistet, dass eine Minderheit die Beschlussfassung nicht durch Fernbleiben vom Entscheidungsort blockieren kann (Obstruktion).1547 Die Mehrheit erfährt zudem Schutz, weil Zufälligkeiten der Sitzungsteilnahme nur bedingt ausgenutzt werden können und die „Macht des Sitzfleisches“ einer Minderheit nicht dazu verhilft, sich in eine ad-hoc-Mehrheit zu verwandeln. Es werden die Entscheidungen getroffen, die auch ein vollbesetztes Gremium beschlossen hätte.1548 Würde man zur Annahme der Beschlussfähigkeit die Anwesenheit aller Organmitglieder voraussetzen, wäre regelmäßig eine Lähmung der Handlungsfähigkeit des Organs zu besorgen. Die Unzulänglichkeit dieses Konzepts zeigt sich bereits in einfachen Fällen der Verhinderung (z. B. aufgrund von Krankheit). Daher ist es folgerichtig, wenn – wie bereits im PrHKG von 1870 und 1897 vorgesehen –1549 die Beschlussfähigkeit der Vollversammlung lediglich die hälftige Beteiligung der stimmberechtigten Organmitglieder voraussetzt. bb) Hilfsbeschlussfähigkeit Bestimmungen, die die Beschlussfähigkeit des Organs widerlegbar vermuten oder sogar einen Beratungs- und Entscheidungsmodus der Verbliebenen selbst für den Fall festgestellter Beschlussunfähigkeit ermöglichen, treiben Teile der zuletzt beschriebenen Sinngehalte auf die Spitze. Wenn überwiegend die Hilfsbeschlussfähigkeit der Vollversammlung auch bei (weitem) Unterschreiten hälftiger Beteiligung der Organmitglieder vermutet wird oder nach kurzer Unterbrechung eine weitere, von einem Quorum losgelöste Sitzung einberufen werden kann, drängt sich nachgerade auf, dass der Schutz des Organs vor Obstruktion und die unbedingte Gewährleistung der Funktionsfähigkeit zum absoluten Zweck erhoben werden soll. Das Institut der Hilfsbeschlussfähigkeit bezweckt ebenfalls den Schutz der Mehrheit, weil die Obstruktion durch die ad-hoc-Minderheit ausgeschlossen ist, selbst wenn die Anwesenheit im Organ unterhalb der Hälfte ihrer Mitglieder liegt.1550

1547

Magsaam, Mehrheit entscheidet, 2014, S. 61. Hoffmann-Riem, NJW 1978, 393 (394). 1549 § 28 PrHKG 1870: „[1] […]. Zur Abfassung eines gültigen Beschlusses ist die Ladung aller Mitglieder unter Mittheilung der Berathungsgegenstände und die Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder erforderlich.“ § 34 Abs. 1 S. 4 PrHKG 1897 entsprach dem vorstehenden Wortlaut. § 21 PrHKVO 1848: „[2] Zur Abfassung eines gültigen Beschlusses ist die Anwesenheit von zwei Drittheilen der Mitglieder erforderlich. Besteht eine Handelskammer aus zwölf oder mehr Mitgliedern, so ist zur Abfassung eines gültigen Beschlusses die Anwesenheit von acht Mitgliedern hinreichend.“ 1550 Dagtoglou, Kollegialorgane und Kollegialakte der Verwaltung, 1960, S. 111 legt hingegen dar, dass der Zweck derartiger Regelungen in dem Schutz des Kollegialorgans „vor der beliebigen Abwesenheit der Mehrheit“ bestehe. 1548

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

Das Kommunalverfassungsrecht zeigt jedoch, dass die Statuierung einer (un-) widerlegbaren Vermutung des Quorums für Kollegialorgane nicht untypisch ist,1551 wenngleich die zweite Einberufung des Rats zur Verhandlung über denselben Gegenstand ebenda erst binnen angemessener Frist stattfinden kann. Die Gemeindeordnungen der Länder schützen somit erst vor einer wiederholten Obstruktion. Wolfgang Hoffmann-Riem erkennt in dieser Systematik einen „Rechtsgrundsatz zur Sicherung der Funktionsfähigkeit von Kollegialorganen“.1552 Im Parlamentsrecht des Deutschen Bundestages kann die Vermutung für die Beschlussfähigkeit des Plenums nur unter hohen Anforderungen ins Wanken gebracht werden.1553 Diese Rechtslage ist einer Rechtfertigung zugänglich, weil die Arbeit der – auf Themengebiete spezialisierten – Parlamentarier nicht nur im Plenum, sondern insbesondere in den Ausschüssen, in anderen Gremien, in den Fraktionen und auch in den Wahlkreisen stattfindet.1554 Anders liegen die Verhältnisse in der IHK. Hier ist das arbeitsteilige Vorgehen und eine Vorverlagerung der Arbeit in andere Gremien weitgehend ausgeschlossen.1555 Die Vollversammlung ergibt sich als der Ort zur Ausübung der Mitwirkungsrechte. Im geltenden Recht lässt sich der Eindruck gewinnen, dass die Regelungen das Streben nach möglichst rationalen Entscheidungen durch die Vollversammlung nur ungenügend berücksichtigen. Denn die Systeme der Eventualeinladung sehen überwiegend weder eine Untergrenze für den Verzicht auf das Quorumsprinzip noch sonstige Voraussetzungen wie z. B. das Vorliegen unaufschiebbarer Tagesordnungspunkte vor. Bedenkt man, dass die Beschlussfassung in der Vollversammlung vielfach auf dem Verlangen nach einfacher Mehrheit in Verbindung mit einem Dirimierungsrecht beruht, ist zurzeit etwa denkbar, dass in der zweiten Sitzung des Tages allein mit der Stimme des Vorsitzenden ein gültiger Beschluss gefasst werden könnte. Wenn jedoch das einzige anwesende Mitglied im Namen des gesamten Organs für beschlussfähig erklärt wird, liegt eine krasse Beseitigung des Kollegialprinzips vor. Dies kann nur schwerlich im Sinne des Gesetzgebers liegen.1556 Modalitäten, die eine Fiktion der Beschlussfähigkeit enthalten, fordern daher den Parlamentsvorbehalt heraus.1557 Betont man 1551

Nachweise bei Gern / Brüning, Deutsches Kommunalrecht, 4. Aufl. 2019, Rn. 637. Hoffmann-Riem, NJW 1978, 393 (397). 1553 Vorausgesetzt wird (s. § 45 Abs. 2 GOBT), dass die Beschlussfähigkeit entweder von einer Fraktion oder von 5 % der Mitglieder bezweifelt und vom Sitzungsvorstand nicht einmütig bejaht wird („doppeltes, kumulatives Bezweifeln“, Cancik, Der Staat 59 [2020], 7 [11]) respektive vom Sitzungsvorstand im Einvernehmen mit den Fraktionen bezweifelt wird. Zu der Rechtslage in den Parlamenten der Bundesländer s. Beckermann, DÖV 2020, 273 (279 f.). 1554 Zum Ganzen m. w. N. aus der Rspr. des BVerfG Cancik, Der Staat 59 (2020), 7 (11 ff.). 1555 Zu den Ausschüssen, die auf Grundlage von § 8 IHKG errichtet werden, näher unter E. V. 3. d) ff). 1556 Allgemeingültig Dagtoglou, Kollegialorgane und Kollegialakte der Verwaltung, 1960, S. 114. 1557 In diesem Sinne auch Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 289. 1552

II. Die Vollversammlung  

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das Bedürfnis nach rationalen Entscheidungen durch eine möglichst pluralistisch besetzte Vollversammlung, besteht überdies die Notwendigkeit, Untergrenzen1558 festzuschreiben. Von der Beschlussfassung sind ferner solche Angelegenheiten auszunehmen, die einen Verhandlungsabschluss durch gründlichere Behandlung in der nächsten ordentlichen Sitzung versprechen. Eine solche Verstärkung des Kollegialprinzips vermittelt überdies, dass in der IHK nicht das Denken in der Dichotomie zwischen Mehr- und Minderheit, sondern die aufgabenadäquate Ausgestaltung des Verfahrens in der Organisation im Vordergrund steht. Aus der organisationssoziologischen Perspektive ist schließlich bedeutsam, dass Anträge, die auf eine festzustellende Beschlussunfähigkeit gerichtet sind, nicht per se mit dem Willen zur Blockade gleichgesetzt werden dürfen. Vielmehr zwingt die Sichtweise zu der Ansicht, dass diese Garantie einen wertvollen Rückkoppelungsmechanismus zwischen einer Gruppe von Organmitgliedern und der Organisationsführung darstellt, den es aus Interesse an der Formierung eines resilienten Organisationsdesigns zu gewährleisten gilt. Anders gewendet: Mit der Herbeiführung der Beschlussunfähigkeit kann und muss von (einer Gruppe von) Mitgliedern zum Ausdruck gebracht werden können, dass die Vollversammlung bspw. über bedeutsame Gegenstände nur unzureichend beraten hat oder die Kontrollfunktion defizitär wahrgenommen wird. So gewendet handelt es sich bei den hier definierten Rechtsgarantien um ein Wächteramt, das im Interesse der Funktionalität der gesamten Verwaltungseinheit wahrgenommen wird. Die Erkenntnisse der Organisationsforschung führen allerdings auch unmittelbar vor Augen, dass bis ins Einzelne ausgearbeitete Regeln zur Beschluss(un)fähigkeit, insbesondere die Definition von absoluten Untergrenzen oder die Differenzierung nach dem Beratungsgegenstand, auf Voraussetzungen zurückgreifen, die sie selbst weder garantieren noch künstlich erzeugen können. Eine begünstigende Funktion zur Verhinderung eines Zustands, in dem eine spärlich besetzte Vollversammlung eine mehr als unschöne Optik bei den Repräsentierten erzeugt, kann den Regeln keinesfalls beigemessen werden. Die Normstrukturen sind – selbst in ihrer optimalen Ausgestaltung – auf ein Klima angewiesen, in dem die Mitwirkung in der Vollversammlung prinzipiell garantiert ist, weil sie als gleichbedeutend mit den Chancen wirklicher Einflussnahme auf die Geschicke der Organisation Beachtung findet. Ein gleichsam kritischer wie beharrlicher Antragsteller, der ein Themenfeld vollständig durchdringen möchte, darf daher nicht als Störenfried diskreditiert werden, wenn es gilt, Gelingensbedingungen für diese Organisationskultur zu schaffen.

1558 Für den Bundestag werden von Verfassungs wegen geforderte Untergrenzen zur Annahme absoluter Beschlussunfähigkeit von 25 % (s. Pracht / Ehmer, JuS 2019, 531 [535]) oder 5 % (s. Brocker, in: Epping / Hillgruber [Hg.], BeckOK GG, Stand: 49. Edition 15. 11. 2021, Art. 42 Rn. 20.5) erwogen. Dagegen Beckermann, DÖV 2020, 273 (274 f.), der keine Untergrenze anerkennen will.

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

cc) Majorität Dass Stimmenthaltungen bei der Addition der jeweils abgegebenen Stimmen unberücksichtigt bleiben, ist dem Prinzip der einfachen Mehrheit nach ganz herrschender Meinung immanent.1559 Denn durch Zuzählung auf der einen oder der anderen Seite würde man der Enthaltung einen Erklärungsinhalt beimessen, der gerade nicht geäußert werden sollte. Eine Abweichung von diesem Grundsatz bedarf der Regelung durch Gesetz. Die Satzungen der IHK-Bezirke bestätigen hingegen den Rechtsgrundsatz und verfügen daher nur über einen deklaratorischen Charakter. Wenn Satzungen bestimmen, dass ungültige Stimmen keinen Eingang in das Resultat finden,1560 gilt eben Gesagtes entsprechend. Das Prinzip der Mehrheit schließt auch in diesem Fall eine Zurechnung auf einer der Seiten aus.1561 Die Untersuchung des Satzungsrechts hat gezeigt, dass der Gesetzeskommentar daneben liegt, wenn man dort mit dem Anspruch allgemeingültiger Erkenntnis behauptet, dass „[z]umindest für Änderungen der Satzung […] eine qualifizierte Mehrheit vorgesehen“ werde.1562 Denn mehrere Bezirke halten für alle Beschlussgegenstände an dem Erfordernis einfacher Mehrheit fest. Wenn die Gültigkeit eines Beschlusses eine (doppelt) qualifizierte Mehrheit voraussetzt, erkennt die Literatur darin eine Schutzvorschrift für die Minderheit.1563 Es wurde bereits dargetan, dass diese Annahme in ihrer Pauschalität zu kurz greift.1564 Das Vorsehen einer qualifizierten Mehrheit für als bedeutsam erachtete Beschlussgegenstände wirkt erst nachrangig und unter der Verfügbarkeit eines Regelwerks, in dem die Belange der Minderheit ausgeprägt sind, minderheitsschützend. Denn die Änderung des „perfekten“ Rechtszustandes erfordert unter diesen Voraussetzungen, dass Teile der (oppositionellen) Minderheit den Vorschlag mittragen, womit der Organmehrheit aufgegeben wird, ihre Standpunkte zu berücksichtigen. Ist dieser Zustand nicht erreicht, ist an die ganz vordergründige Funktion qualifizierter Mehrheitserfordernisse zu erinnern, die in der Gewährleistung einer erhöhten Bestandsgarantie für den Status Quo der Norm besteht. Dass damit auch die Mehrheit im Organ vor unliebsamen Überraschungen geschützt wird, bedarf keiner weitreichenden Erläuterung. Zu offensichtlich ist, dass die Minderheit eine Änderung der Rechtslage erst erreichen könnte, wenn sie weite Teile der Organmitglieder von ihrem Vorhaben überzeugt.

1559

Magsaam, Mehrheit entscheidet, 2014, S. 65 m. w. N. S. z. B. § 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Gießen. 1561 Magsaam, Mehrheit entscheidet, 2014, S. 63 f. 1562 Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 4 Rn. 32. 1563 So etwa Dagtoglou, Kollegialorgane und Kollegialakte der Verwaltung, 1960, S. 131; Grzeszick, in: Dürig / Herzog / Scholz, GG, Stand: 90. EL Juli 2021, Art. 20 II Rn. 43. Mehrdeutig Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. II, 3. Aufl. 2004, § 24 Rn. 53. 1564 Dazu näher unter D. V. 4. a). 1560

II. Die Vollversammlung  

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Vor diesem Hintergrund muss am dringlichsten die Rechtslage in jenen Kammern kritisiert werden, in denen die Änderung von Satzung und Wahlordnung sogar dem Erfordernis einer doppelt qualifizierten Mehrheit unterliegt. Unterstellt man, dass sich das IHKG weiterhin einer Determinierung des Organisations- und Verfahrensrechts (einschließlich der Wahl) enthielte, besteht ebenda ein perfekter Nährboden für eine Verfestigung sowie den Ausbau einmal geschaffener Mehrheitsverhältnisse und Besitzstände. Wenngleich die organisationssoziologische Perspektive auf die Vollversammlung dazu zwingt, den Schutz für einzelne Mitglieder oder Minderheiten von ihnen zu betonen, begegnen die im Satzungsrecht existenten Normkonzepte mit dem Erfordernis (doppelt) qualifizierter Mehrheiten auch darüber hinaus Rechtszweifeln. In der Einführung derartiger Bestimmungen ohne gesetzliche Ermächtigung ist nämlich eine unzulässige Selbstbindung des Kollegiums zu erkennen.1565 Die Schlussfolgerung mag ein vordergründiger Blick auf das IHKG nicht belegen können, weil in dem Gesetz nicht einmal eine Grundlegung der Mehrheitsregel erfolgt. Es ließe sich daher annehmen, dass der Satzungsgeber einer Wahlfreiheit unterliegt. Doch ist die Geltung der Mehrheitsregel als typisch und wesentlich für das Kollegialverfahren anerkannt.1566 Jede Abweichung von diesem Grundsatz bedarf besonderer Legitimation, die ein organisations­ interner Willensakt – etwa eine Satzungsänderung durch die Organmehrheit – nicht erreicht. Auch darüber hinaus ist mit dem Parlamentsvorbehalt daran zu erinnern, dass der Grundsatz und die davon ausgehenden Qualifikationen als wichtigste Entscheidungsregel der Vollversammlung im IHKG festgeschrieben sein müssen. Der Majoritätsgrundsatz, wie auch jede andere Entscheidungsregel, kann in einem System kollektiver Entscheidungen nicht voraussetzungslos etabliert und gerechtfertigt werden.1567 Insbesondere für die Anerkennung des Majoritätsgrundsatzes als legitime Entscheidungsregel hat die Staatstheorie formuliert, dass sie tragender Grundelemente materieller und formeller Natur bedarf.1568 Dazu gehört, dass es sich um eine Kollektiventscheidung handelt, die auf der Basis eines weitestgehend offenen Meinungs- und Willensbildungsprozesses und unter dem Anspruch prinzipieller Reversibilität für die rechtliche Fixierung getroffen wird.1569 Speziell 1565 So allgemeingültig Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 291. 1566 So Dagtoglou, Kollegialorgane und Kollegialakte der Verwaltung, 1960, S. 123; Scheuner, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, 1973, S. 13; Schröder, Grundlagen und Anwendungsbereich des Parlamentsrechts, 1979, S. 157; Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 291. 1567 Pardo-Ãlvarez, Das Rechtfertigungsdefizit des qualifizierten Mehrheitserfordernisses, 2020, S. 4. 1568 Dreier, in: ders. (Hg.), GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Demokratie) Rn. 70 ff.; Schliesky, Parlamentsfunktionen, in: Morlok / ders. / Wiefelspütz (Hg.), Parlamentsrecht, 2016, § 5 Rn. 9 ff. 1569 Unter Bezugnahme auf den letzten Gedanken, der in der Formel „Demokratie ist Herrschaft auf Zeit“ kulminiert und eine prinzipielle Absage gegenüber Formen erschwert änderbaren Rechts fordert, hat jüngst das BVerfG, Beschl. v. 15. Dezember 2015 – 2 BvL 1/12 –, BVerfGE 141, 1 Ls. 3 den sog. treaty override für verfassungsrechtlich geboten erachtet. Umfassend zur Begründung, Wirkungsweise und den Grenzen des Gedankens der Reversibilität

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

der letzte Gesichtspunkt, d. h. die Dispositionsmöglichkeit über einmal getroffene Entscheidungen bei gleichzeitigem Verzicht auf änderungsfeste Bindungen für künftige Mehrheiten, streitet dafür, im IHK-Recht keine qualifizierte Stimmenmehrheit für herausgehobene Beschlussgegenstände zu fordern. Denn erst unter diesen Umständen ist die Verrückbarkeit einmal getroffener Entscheidungen nach einer Änderung der Mehrheitsverhältnisse und einer Abkehr von bislang vorherrschenden Auffassungen gesichert. Die Forderung gilt jedoch erst, wenn ein Rechtszustand erreicht ist, in dem strukturell versichert wird, dass jede Gruppe selbst einmal zur Mehrheit werden kann.1570 Um die Legitimation und Rationalität der Entscheidung zu sichern, sollten der Beschluss zur Änderung von Satzung oder Wahlordnung das Votum der Mitgliedermehrheit voraussetzen. dd) Suspensives Vetorecht Für Beschlüsse, die auf die Änderung von Satzung oder Wahlordnung abzielen, sollte ein Recht zum aufschiebend wirkenden Widerspruch (suspensives Veto) etabliert werden. Die Wirkungsweise des Instruments, das im Kommunalverfassungsrecht zum Vorteil der Verwaltungsspitze wirkt, erschließt sich aus einer Zusammenschau von Tatbestand und Rechtsfolgen. Gesteht man das Widerspruchsrecht einer Minderheit von Mitgliedern in der Höhe von einem Fünftel oder weniger zu, dient es dem Schutz ihrer Belange. Immerhin besteht die Rechtsfolge eines ausgeübten Widerspruchs darin, dass über den Gegenstand nochmals zu beraten und beschließen ist. In der Zwischenzeit gilt der Status Quo des Rechts fort, in dem die Organminderheit ihre Interessen als verhältnismäßig besser gewahrt ansieht. Wenn an die Aktivierung des Widerspruchs eine Begründungspflicht geknüpft wird, ist zudem naheliegend, dass in der abermaligen Beratung eine sorgfältigere Überprüfung der Entscheidungsprämissen erfolgt. Des Weiteren vermittelt die Rechtsgestattung das Vertrauen in die Fähigkeit zur Kompromissfindung. Dies gilt insbesondere dann, wenn das Mehrheitserfordernis für den zweiten Beschluss in der Sache – die Zurückweisung des Widerspruchs – erhöht wird, sodass Prozesse der Verhandlung und gegenseitigen Überzeugung notwendig werden (bargaining in the shadow of the law)1571. Im Allgemeinen ist in derartigen Normkonzepten ein spezieller Mechanissowie dem vorstehenden Judikat Hohnerlein, Recht und demokratische Reversibilität, 2020. Pointiert Scheuner, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, 1973, S. 9: „Der Grundsatz der Mehrheit kann ferner nur dort Geltung beanspruchen, wo er in einer bereits konstituierten Gesellschaft, Körperschaft oder Gruppe und innerhalb einer von allen ihren Gliedern anerkannten Ordnung zur Anwendung gelangt, deren Bestand und Schutzwirkung der Minderheit gestattet, sich dem Mehrheitsbeschluß in dem Vertrauen zu unterwerfen, daß gewisse Grundlagen gemeinsamer Rechtsetzung und politischer Wertung beachtet und nicht in Frage gestellt werden und daß die Mehrheitsbildung eine offene bleibt.“ 1570 Der Blick auf das geltende Wahlrecht zur Vollversammlung lässt Zweifel aufkommen, ob der im Text beschriebene Zustand erreicht werden kann, wenn diese Regelungsmaterie keine Korrekturen erfahren sollte. 1571 Mnookin / Kornhauser, The Yale Law Journal Vol. 88 (1979), 950–997.

II. Die Vollversammlung  

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mus der organinternen Kontrolle, ein „besonderes Instrument zur Bewältigung von Interessenkonflikten“ in pluralistisch besetzten Kollegien zu erkennen.1572 ee) Dirimierungsrecht Unter den formalen Elementen, die die Staatstheorie zur Anerkennung des Mehrheitsprinzips als legitime Entscheidungsregel anführt, sticht die Gleichheit unter den zur Abstimmung Berufenen hervor.1573 Dies leitet zu einer Auseinandersetzung mit dem vielfach beobachteten Dirimierungsrecht über, das eine Verdoppelung des Zählwerts der Vorsitzendenstimme zur Folge hat. Angesichts der Reichweite dieser Rechtsfolge drängt sich nachgerade auf, dass die Einführung ohne gesetzliche Ermächtigung ausgeschlossen ist. Allerdings sind gegen die Anwendung dieses Entscheidungsmodus, deren Wurzeln bis in das preußische Handelskammerrecht zurückreichen,1574 auch ganz prinzipielle Einwände zu erinnern. Zwar führt der Stichentscheid dazu, dass Pattsituationen unbedingt vermieden werden.1575 Doch widersprechen derartige Vorgaben dem Kollegialprinzip. Dieses fußt auf dem Grundgedanken gleichberechtigter Mitwirkung,1576 der auch  – oder besser: gerade – im Zeitpunkt der Beschlussfassung Dringlichkeit erlangt. Als systemwidrig stellen sich die Vorgaben insbesondere für Kollegien dar, in denen der Vorsitzende eine Rolle als primus inter pares einnimmt, mithin lediglich über eine erhöhte Ehrenstellung verfügt.1577

1572 Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 302. Da mit der Rechtsausübung das Verfahren in der Vollversammlung für Beschlussgegenstände von besonderer Bedeutung in einem erheblichen Ausmaß modifiziert wird, ist aus Gründen des Parlamentsvorbehalts eine Einführung im untergesetzlichen Recht ausgeschlossen. 1573 Scheuner, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, 1973, S. 46. Dreier, in: ders. (Hg.), GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Demokratie) Rn. 71 weist zusätzlich auf die Notwendigkeit einer Fixierung von Entscheidungsgegenstand und Abstimmungsberechtigten sowie eines fairen Wahl- und Abstimmungsverfahrens hin. 1574 § 21 Abs. 1 PrHKVO 1848: „Die Beschlüsse der Handelskammern werden […] durch Stimmenmehrheit gefaßt. Bei Gleichheit der Stimmen entscheidet die Stimme des Vorsitzenden.“ § 28 PrHKG 1870: „[1] Die Beschlüsse der Handelskammern werden […] durch Stimmenmehrheit gefaßt. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden.“ § 34 PrHKG 1897: „[1] Die Beschlüsse der Handelskammern werden […] durch Stimmenmehrheit gefaßt. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden.“ 1575 Insofern ist eine derartige Entscheidungsregel besser geeignet als eine Norm, die zum Inhalt hätte, dass die Abstimmung wiederholt oder auf eine andere Stelle verlagert wird (zu derartigen Formen Schmidt, JZ 2003, 133 [136]). 1576 Dagtoglou, Kollegialorgane und Kollegialakte der Verwaltung, 1960, S. 44; Berggreen, Die „dissenting opinion“ in der Verwaltung, 1972, S. 90; Schröder, Grundlagen und Anwendungsbereich des Parlamentsrechts, 1979, S. 174 – Letzter m. w. N. in Fn. 28. 1577 Auch Schmidt, JZ 2003, 133 (136) befindet, dass das Recht zum Stichentscheid mit dieser Stellung „nur schwer zu vereinbaren“ sei. Ähnlich Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 290.

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

So liegen die Dinge in der IHK: Die Vollversammlung beruht auf dem Prinzip, dass ihre Mitglieder über die gleiche formale Qualifikation als Unternehmer verfügen. Ihr Mandat ist auf den gleichen Wahlmodus zurückzuführen. Als Folge dieser repräsentativen, paritätischen und pluralistischen Zusammensetzung bestimmt § 6 Abs. 1 IHKG zu Recht, dass der Präsident aus der Mitte der Vollversammlung gewählt wird. Möchte man in der Vollversammlung unbedingt von der Rechtsfolge abweichen, nach der im Fall der Stimmengleichheit das Begehren des Antrags als abgelehnt gilt,1578 empfiehlt sich eine Entscheidungsregel, nach der das Stimmrecht des dienstjüngsten Mitglieds entfällt.1579 ff) Form der Stimmabgabe Die Frage, ob die Stimmabgabe in der Vollversammlung offen oder geheim erfolgt, ist kein Gegenstand, bei dem das geltende Recht grundlegender Korrekturen bedarf. Doch wird auch diese Frage bei anderen Kollegialorganen zumeist – so etwa im Kommunalverfassungsrecht –1580 gesetzlich determiniert. Keine systemgerechte Lösung ist in den Normen zu erkennen, die das Votum des Vorsitzenden für die Durchführung einer geheimen Abstimmung gleichberechtigt neben die Stimmen eines Fünftels der Mitglieder der Vollversammlung stellen. Derartige Vorschriften durchbrechen die Gleichberechtigung im Kollegialorgan empfindlich. Überdies ist schon nicht ersichtlich, warum der Vorsitzende als primus inter pares über eine höhere Einsicht für eine notwendige Abkehr von der Abstimmungsregel verfügen sollte. Dass Wahlen prinzipiell geheim erfolgen, findet einen tieferen Sinn. Damit kann ein Zustand verhindert werden, in dem das persönliche Verhältnis und die Zusammenarbeit in der Vollversammlung leiden, weil ein Mitglied davon Kenntnis erlangt hat, dass andere Mitglieder seiner Person ablehnend gegenüberstehen.1581 In einem Geflecht sozialer Abhängigkeiten gewährleistet erst der geheime Wahlvorgang ein tatsächlich freies Votum. Vor diesem Hintergrund kann auch der Durchführung von geheim abzuhaltenden Abstimmungen ein Zweckgehalt beigemessen werden, der in dem Schutz der 1578 Schmidt, JZ 2003, 133 (135) erkennt darin eine „konservative, d. h. auf Erhaltung des status quo abzielende, Regelung“ die von der Idee getragen werde, „dass nur solche Akte von einem Kollegialorgan erlassen und diesem zugerechnet werden sollen, die in dem Organ selbst eine Mehrheit verzeichnen konnten.“ 1579 Die Empfehlung kann, in Anknüpfung an Schmidt, JZ 2003, 133 (137, 138), ausgesprochen werden, weil sie von dem plausiblen Gedanken getragen wird, dass dieses Mitglied die geringste fachliche Erfahrung aufweist, sein Votum daher am wenigsten fundiert und am ehesten entbehrlich ist. Unter der Voraussetzung, dass in dem Organ eine hohe personelle Fluktuation besteht, vermindert diese Regel die perpetuierende Wirkung des Dirimierungsrechts. 1580 Nachweise bei Gern / Brüning, Deutsches Kommunalrecht, 4. Aufl. 2019, Rn. 651 f. (für Abstimmungen) u. Rn. 656 (für Wahlen). 1581 So für die Vorgaben auf Ebene der Gemeindeordnungen Pieroth, JuS 1991, 89 (94).

III. Der Präsident und das Präsidium  

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Entscheidungsfreiheit der Stimmberechtigten zu erkennen ist. Es ist aber insbesondere der Öffentlichkeitsgrundsatz, der für offene Abstimmungen als Regelmodus streitet. Die organinterne Offenheit der Stimmabgabe bildet eine Bedingung, damit die Gewährleistung der organisationsinternen Öffentlichkeit überhaupt mit Sinn gefüllt werden kann. Denn der Zuschauer möchte nicht nur den Beratungsverlauf erleben, sondern auch das Abstimmungsergebnis und die Stimmverteilung nachvollziehen können.

III. Der Präsident und das Präsidium Nach § 6 Abs. 1 IHKG wählt die Vollversammlung aus ihrer Mitte den Präsidenten (Präses) und die von der Satzung zu bestimmende Zahl von weiteren Mitgliedern des Präsidiums. Der Präsident ist kraft Amtes Mitglied im Präsidium. § 6 Abs. 2 S. 1 IHKG erklärt ihn ferner zum Vorsitzenden dieses Organs. 1. Mitgliederzahl des Präsidiums Es ist bereits bekannt, welches Maß an Zustimmung ein Mitglied der Vollversammlung erhalten muss, damit seine Bewerbung für einen Sitz im Präsidium erfolgreich ist. Doch kann dieses Wissen nicht erklären, welche Größe das Präsidium der IHK annimmt. Wenn der Gesetzgeber fordert, dass die Satzung die Zahl von „weiteren Mitgliedern“ bestimmt, ist lediglich davon auszugehen, dass die Mitgliederzahl des Präsidiums im Mindestmaß drei beträgt. Es handelt sich folglich auch bei diesem Organ um ein Kollegium.1582 Eine Höchstgrenze enthält § 6 Abs. 1 IHKG indes nicht, sodass abermals die Durchsicht des Satzungsrechts erforderlich wird. In diesem Zusammenhang zeigt sich zunächst, dass die im IHKG verwendete Terminologie kaum durchgehalten wird. Wenngleich immerzu Mitglieder des Präsidiums im Sinne von § 6 Abs. 1 IHKG gemeint sind, greift man in den Bezirken auf Bezeichnungen wie „Stellvertretender Präsident“, „Erster / Zweiter / Dritter Stellvertretender Präsident“, „Erster / Zweiter Vizepräsident“, „Vizepräsident“, „Stellvertreter (Vizepräsident)“, „Präsidialmitglieder“, „ordentliche Mitglieder“ (in Unterscheidung zu Vizepräsidenten) und schlicht „Mitglieder“ (in Unterscheidung zu Stellvertretern) zurück. Die durch Satzung vorgegebene Größe des Präsidiums ist in der ganz überwiegenden Anzahl der Kammern keiner exakten Angabe zugänglich, weil die Normstrukturen zumeist auf eine Verbindung von Mindest- und Höchstangaben bzw. die Festschreibung einer Mindest- oder Höchstangabe zurück 1582 Dass die Annahme eines Kollegialorgans eine Mindestmitgliederzahl von drei voraussetzt, entspricht der ganz herrschenden Lehre, s. nur Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 47 m. w. N. (auch zur abw. Auffassung).

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

greifen.1583 Im Ergebnis lässt sich allerdings festhalten, dass die Präsidien – neben dem Präsidenten – mindestens über zwei (IHK-Bezirke Detmold und Fulda) und höchstens über 20 weitere Mitglieder (IHK Stuttgart) verfügen. 1583

§ 6 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Aachen: mind. 3/höchst. 8 Vizepräsidenten; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Arnsberg: mind. 3 Vizepräsidenten; § 8 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Aschaffenburg: 6 Vizepräsidenten; § 6 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Augsburg: 3 stellv. Präsidenten und 11 Vizepräsidenten; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Bayreuth: 7 Vizepräsidenten; § 6 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Berlin: höchstens 13 Präsidialmitglieder (hier: von ihnen können auf Vorschlag des Präsidenten höchst. 4 zu Vizepräsidenten gewählt werden); § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK  Bielefeld: höchst. 9 Vizepräsidenten; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Bochum: mind. 5/höchst. 8 Vizepräsidenten; § 8 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Bonn: 7 Vizepräsidenten; § 8 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Braunschweig: 10 Vizepräsidenten; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung HK Bremen: mind. 5/höchst. 9 Vizepräsidenten; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Chemnitz: 10 Vizepräsidenten; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Coburg: höchst. 3 Vizepräsidenten; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Cottbus: höchst. 8 Vizepräsidenten; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Darmstadt: höchst. 6 Vizepräsidenten; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Detmold: mind. 2 Vizepräsidenten; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Dillenburg: höchst. 5 Vizepräsidenten; § 6 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Dortmund: mind. 3/höchst. 10 Vizepräsidenten; § 7 Abs. 1 Satzung IHK Dresden: 4 Vizepräsidenten sowie 8 ordentl. Mitglieder; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Duisburg: höchst. 11 Vizepräsidenten; § 5 Abs. 1 Satzung IHK Düsseldorf: 1 Vizepräsident (als „ständiger Vertreter“) und 7 Vizepräsidenten; § 8 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Emden: höchst. 5 Stellvertreter („Vizepräsidenten“) und höchst. 6 weitere Mitglieder; § 8 Abs. 2 Satzung IHK Erfurt: aus jeder der 10 Wahlgruppen, mit Ausnahme der, aus der der Präsident stammt, wird ein Vizepräsident gewählt; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Essen: 3 Stellvertreter sowie mind. 3/höchst. 8 Vizepräsidenten; § 6 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Flensburg: höchst. 6 Vizepräsidenten; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Frankfurt a. M.: 9 Vizepräsidenten; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK  Frankfurt  (Oder): höchst. 7 Mitglieder (davon werden nach S. 2 zwei zu Vizepräsidenten gewählt); § 7 Abs. 1 S. 1 f. Satzung IHK Freiburg: 1 Stellvertreter und mind. 2 Vizepräsidenten; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Fulda: mind. 2 Vizepräsidenten; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK  Gera: höchst. 8 Vizepräsidenten; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK  Gießen: 5 Vizepräsidenten; § 8 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK  Hagen: höchst. 9 Vizepräsidenten; § 9 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Halle: höchst. 12 Vizepräsidenten; § 8 Abs. 1 Satzung HK Hamburg: 6 Vizepräsidenten; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Hanau: 5 Vizepräsidenten; § 9 S. 1 Satzung IHK Hannover: höchst. 10 Vizepräsidenten; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Heidenheim: 6 Vizepräsidenten; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Heilbronn: mind. 4/höchst. 8 Vizepräsidenten; § 9 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Karlsruhe: 1 „Erster Vizepräsident“ und höchst. 7 Vizepräsidenten; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Kassel: höchst. 16 weitere Mitglieder; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Kiel: mind. 4/höchst. 8 Vizepräsidenten; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Koblenz: mind. 4 Vizepräsidenten; § 8 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Köln: mind. 6/höchst. 9 Vizepräsidenten; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Konstanz: 6 Vizepräsidenten; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Krefeld: 8 Vizepräsidenten; § 8 S. 1 Satzung IHK Leipzig: höchst. 8 Vizepräsidenten; § 6 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Limburg: mind. 3/höchst. 4 Vizepräsidenten; § 7 Abs. 1 Satzung IHK Lübeck: höchst. 7 Vizepräsidenten; § 6 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Ludwigshafen: mind. 3 Vizepräsidenten; § 9 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Lüneburg: 10 Vizepräsidenten; § 7 S. 1 Satzung IHK Magdeburg: 8 Vizepräsidenten; § 6 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK  Mainz: 2 Vizepräsidenten sowie 4 weitere Mitglieder der Vollversammlung; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Mannheim: 1 „Erster Vizepräsident“ und höchst. 8 Vizepräsidenten; § 6 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK München: mind.3/höchst. 10 Vizepräsidenten; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Münster: mind. 8/höchst. 10 Vizepräsidenten; § 8 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Neubrandenburg: 6 Vizepräsidenten; § 4 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Nürnberg: höchst. 13 Vizepräsidenten; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Offenbach: mind. 4/höchst. 6 Vizepräsidenten (hier: der Präsident ernennt einen der Vizepräsidenten zum „1. Vizepräsidenten“); § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Oldenburg: höchst. 7 Vizepräsidenten; § 9 Abs. 1 Satzung IHK Osnabrück: 9 Vize-

III. Der Präsident und das Präsidium  

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Mit dieser Einsicht kann das Verhältnis zwischen den Kammerzugehörigen und der Größe des Präsidiums näher untersucht werden. Betrachtet man die IHK-­ Bezirke mit der niedrigsten und höchsten Zahl der registrierten Kammerzugehörigen ergibt sich eine Relation von 1:2.747 (IHK Coburg) bzw. 1:36.118 (IHK München; gerundet).1584 Auch die verhältnismäßige Größe zwischen Vollversammlung und Präsidium ist beachtenswert. Dabei ergibt sich etwa eine Relation von 1:4,2 (IHK Emden; gerundet), 1:4,4 (IHK Kassel; gerundet), 1:5 (IHK Stuttgart), 1:5,1 (IHK Halle; gerundet) oder 1:5,2 (IHK Würzburg; gerundet).1585 Demgegenüber stehen Werte von 1:9 (IHK Regensburg; gerundet), 1:10 (IHK Wuppertal), 1:10,5 (IHK-Bezirke Bayreuth und Düsseldorf; jeweils gerundet), 1:10,7 (IHK Coburg; gerundet) oder sogar 1:12,6 (IHK Ludwigshafen; gerundet).1586 präsidenten; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Passau: mind. 5/höchst. 9 Vizepräsidenten; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Pforzheim: 6 Vizepräsidenten; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Potsdam: Erster und Zweiter Vizepräsident sowie höchst. 7 weitere Präsidialmitglieder; § 6 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Regensburg: 7 Vizepräsidenten; § 10 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Reutlingen: mind. 5/höchst. 8 Vizepräsidenten; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Rostock: höchst. 4 Vizepräsidenten; § 6 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Saarbrücken: 8 Vizepräsidenten; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Schwerin: 4 Vizepräsidenten; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Siegen: 4 Vizepräsidenten; § 8 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Stade: höchst. 6 Vizepräsidenten; § 6 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Stuttgart: 10 ordentl. und 10 stellvertr. Mitglieder; § 9 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Suhl: 3 Vizepräsidenten und 4 weitere Mitglieder; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Trier: mind.3/höchst. 5 Vizepräsidenten; § 7 Abs. 1 Satzung IHK Ulm: mind. 4/höchst. 7 Vizepräsidenten; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Villingen-Schwenningen: höchst. 6 Vizepräsidenten; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Weingarten: mind. 3/höchst. 6 Vizepräsidenten; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Wiesbaden: 5 Vizepräsidenten; § 6 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Wuppertal: höchst. 7 Vizepräsidenten; Art. 4 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Würzburg: 2 Vizepräsidenten sowie 12 weitere Mitglieder. 1584 Den Berechnungen vom 17. Januar 2021 liegen die Anzahl der registrierten Kammerzugehörigen (dazu näher bei Fn. 1154) und die tatsächliche Anzahl der Präsidiumsmitglieder (IHK Co­ burg: 3 [https://www.coburg.ihk.de/ihre-ihk/ehrenamt-und-gremien/unser-ehrenamt/]IHK Mün­ chen: 11 [https://www.ihk-muenchen.de/vollversammlung2016/praesidium.html]) zugrunde. 1585 Den Berechnungen vom 17. Januar 2021 liegen die Anzahl der Vollversammlungsmitglieder abgesehen von möglichen Zuwahl-Mandaten (dazu näher in Fn. 1325) und die tatsächliche Anzahl der Präsidiumsmitglieder (IHK Emden: 12 [https://www.ihk-emden.de/service marken/gremien/praesidium-2017-2021-3650600]; IHK Hallte: 13 [https://www.halle.ihk.de/ wirtschaft-und-interessenvertretung/ehrenamt/praesidium-3166536]; IHK Kassel: 17 [https:// www.ihk-kassel.de/ueber-uns/ihk-ehrenamt/praesidium-4049924]; IHK Stuttgart: 20 [https:// www.stuttgart.ihk24.de/ueber-uns/gremien/ihk-praesidium-3157612]; IHK Würzburg: 15 [https:// www.wuerzburg.ihk.de/ueber-uns/news/artikel/dr-klaus-d-mapara-neuer-ihk-praesident.html]) zugrunde. 1586 Den Berechnungen vom 17. Januar 2021 liegen die Anzahl der Vollversammlungsmitglieder abgesehen von möglichen Zuwahl-Mandaten (dazu näher in Fn. 1325) und die tatsächliche Anzahl der Präsidiumsmitglieder (IHK  Bayreuth: 8 [https://www.bayreuth.ihk.de/ servicenavigation/ueber-uns/ehrenamt2/praesidium-4406728]; IHK  Coburg: 3 [s. Fn. 1594]; IHK Düsseldorf: 9 [https://www.duesseldorf.ihk.de/ihre-ihk/ehrenamt/ihk-praesidium-2587020]; IHK  Ludwigshafen: 7 [s.https://www.pfalz.ihk24.de/servicemarken/ueber-uns/organisation/ praesidium-1271406]; IHK  Regensburg: 9 [https://www.ihk-regensburg.de/hauptnavigation/ ihre-ihk/ehrenamt/mitglieder-des-ihk-praesidiums-1204036]; IHK Wuppertal: 8 [s. https://www. bergische.ihk.de/servicemarken/wir-ueber-uns/unsere-gewaehlten-unternehmer/praesidium-14 05722]) zugrunde.

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

Obwohl bereits rechtstechnische Gründe dagegensprechen, die Festlegung von Details wie z. B. die Mitgliedergröße von Vollversammlung oder Präsidium dem Gesetzgeber zu überantworten,1587 erregen die beobachteten Abweichungen Argwohn. Dabei gerät insbesondere die erste Gruppe in den Mittelpunkt der Betrachtung. Es ist äußerst zweifelhaft, ob die Größe des Präsidiums in diesen Kammern aufgabenadäquat ausgewählt wurde, wenn man bedenkt, dass dieses Organ nach dem gesetzlichen Leitbild „nur“ als Empfänger übertragener Kompetenzen in Betracht kommt und somit vor allem als vorbereitendes, unterstützendes und durchführendes Leitungsorgan konstituiert ist. Insofern besteht die Vermutung, dass in der ersten Gruppe ein verkleinertes Abbild der Vollversammlung verfasst werden soll, damit die nachfolgende Selbstentmächtigung der Mitgliederversammlung zugunsten des Präsidiums eine bessere Optik hinterlässt. Abgesehen von einer näheren Auseinandersetzung mit der derzeit geltenden, vor allem im Satzungsrecht vorzufindenden Kompetenzverteilung,1588 steht die relative Größe von Vollversammlung und Präsidium in der IHK Ludwigshafen der – sinnvollen – Konzeption des IHKG am nächsten. Die Rechtslage in der IHK Stuttgart vermittelt vor der Folie des Parlamentsgesetzes einen prekären Eindruck. Nach der Satzung werden nicht nur (ordent­ liche) Mitglieder, sondern auch stellvertretende Mitglieder in das Präsidium gewählt. Letztere sind berechtigt, im Fall einer Verhinderung der Erstgenannten die Mitwirkungsrechte vertretungsweise auszuüben. Gestattet ist überdies eine Beratung durch alle Mitglieder bei „wichtigen Angelegenheiten“.1589 Da § 6 Abs. 1 IHKG die Satzungsgeber allerdings lediglich dazu ermächtigt, die Zahl von „weiteren Mitgliedern des Präsidiums“ (ohne Unterscheidungsmöglichkeit!) auszugestalten, überschreitet das Stuttgarter Regelwerk den abschließend formulierten Satzungsvorbehalt evident.

1587 Es ist vor allem das Bedürfnis nach flexiblen und anpassungsfähigen Regeln, das bei diesem Thema für eine Delegation der Rechtsetzungsbefugnis auf den Selbstverwaltungsträger streitet. Immerhin ist etwa die Einschätzung über eine angemessene Repräsentanz der Kammerzugehörigen durch die Mitgliederzahl der Vollversammlung wechselnden Auffassungen unterworfen. Auch die Einsicht über die Grenze der Leistungsfähigkeit des Gesamtorgans unterliegt abweichenden Vorverständnissen. Es kann insgesamt besser „vor Ort“ eingeschätzt werden, ob eine Veränderung der Sitzzahl notwendig ist. Demgegenüber wäre allenfalls vorstellbar, dass das Gesetz Mindest- und Höchstangaben für die Mitgliederzahl der Kollegien als grobe Leitplanken festhält und die nähere Ausgestaltung dem Satzungsrecht überlässt. Allerdings birgt selbst dieser Versuch das Risiko, dass im Fall grundlegender Veränderungen der Verhältnisse erst eine schwerfällige Veränderung des Parlamentsgesetzes die Bedürfnisse in den IHK-Bezirken befriedigen könnte. Die Änderung des Satzungsrechts bietet hingegen die Möglichkeit, auf die Veränderungen frühzeitig und leichtfertig zu reagieren. Gleichgerichtet, aber ohne Begründung Groß / Pautsch, Kammerverfassungsrecht  – Organisation und Verfahren, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 7 Rn. 7. 1588 Dazu näher unter E. V. 3. b). 1589 § 6 Abs. 2, Abs. 3 Satzung IHK Stuttgart.

III. Der Präsident und das Präsidium  

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2. Zusammensetzung des Präsidiums – (Einschränkungen der) Wählbarkeit Untersucht man die Satzungen im Hinblick auf Vorgaben, die Einschränkungen der Wählbarkeit zum Präsidium formulieren, verdient es festgestellt zu werden, dass sich eine Vielzahl der Kammern einer Regelung enthalten hat.1590 Daneben ist ein ganzes Potpourri an Normkonzeptionen zu beobachten, um den Bewerberkreis zu limitieren. Oft wird auf Gedanken der Repräsentation Bezug genommen. Mit Hilfe von Soll- und / oder Muss-Vorschriften bzw. Vorschlagsrechten wird die Vertretung bestimmter Wahlgruppen oder Wirtschaftsregionen im Präsidium gesichert.1591 Die Satzungen der IHK-Bezirke Nürnberg, Stuttgart 1590

Soweit ersichtlich ist in den Satzungen der IHK Bezirke Aachen, Arnsberg, Berlin, Bochum, Bonn, Coburg, Detmold, Duisburg, Essen, Gera, Hanau, Ludwigshafen, Magdeburg, Mannheim, Passau, Rostock, Saarbrücken und Villingen-Schwenningen keines der im Folgenden genannten Regelungskonzepte zur Einschränkung der Wählbarkeit zum Präsidenten bzw. Präsidium vorhanden. 1591 § 8 Abs. 3 Satzung IHK Aschaffenburg (hier: Muss-Vorschrift bzgl. der Aufteilung der Präsidiumssitze auf die zugehörigen Landkreise und die Stadt Aschaffenburg, wobei dem Aspekt der Branchenvielfalt Rechnung getragen werden soll; die Gebietsausschüsse haben ein Vorschlagsrecht); § 6 Abs. 1 S. 3 Satzung IHK Augsburg (hier: die Regionalversammlungen haben für die Präsidiumssitze ein Vorschlagsrecht); § 5 Abs. 1 S. 3 f. Satzung IHK Bayreuth (hier: die Mitglieder des Präsidiums sollen Vorsitzende der regionalen Gremien sein oder aus dem Kreis der gewählten Vollversammlungsmitglieder ihrer jeweiligen regionalen Gremien vorgeschlagen werden; jedes IHK-Gremium soll im Präsidium vertreten sein); § 8 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Braunschweig (hier: Soll-Regelung bzgl. Abbildung der Wirtschaftsstruktur und -regionen); § 7 Abs. 1 S. 3 Satzung HK Bremen (hier: die Wählbarkeit leitet sich bei zwei Mitgliedern aus ihrer Niederlassung im Wahlbezirk Bremerhaven ab); § 7 Abs. 2 S. 1 f. Satzung IHK Chemnitz (hier: Muss-Vorschrift bzgl. der Aufteilung der Sitze im Präsidium nach Wahlgruppen, wobei die Präsidenten der Regionalversammlungen zu Vizepräsidenten gewählt werden sollen); § 7 Abs. 1 S. 6 Satzung IHK Dillenburg (hier: es ist anzustreben, dass jeder Wahlbezirk im Präsidium vertreten ist); § 6 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Dortmund (hier: Soll-Regelung bzgl. der ausgewogenen Vertretung der Wirtschaftsstruktur und -regionen im Präsidium); § 8 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Emden (hier: die Wählbarkeit von fünf Mitgliedern basiert auf dem Vorschlagsrecht von Ausschüssen); § 8 Abs. 2 Satzung IHK Erfurt (hier: aus jeder der 10 Wahlgruppen, mit Ausnahme der, aus der der Präsident stammt, wird ein Vizepräsident gewählt); § 6 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Flensburg (hier: jeder Wahlbezirk muss durch einen Vizepräsidenten im Präsidium vertreten sein); § 7 Abs. 1 S. 3 Satzung IHK Frankfurt (Oder) (hier: mind. ein Mitglied des Präsidiums muss Vertreter der Industrie und ein Mitglied Vertreter des Handels sein); § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Freiburg (hier: der Präsident und der stellv. Präsident sollen aus den beiden Wahlbezirken gewählt sein); § 7 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Heidenheim (hier: SollRegelung im Hinblick darauf, dass je zwei Mitglieder den Wahlbezirken Heidenheim, Aalen und Schwäbisch Gmünd angehören); § 7 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Heilbronn (hier: Muss-Vorschrift im Hinblick darauf, dass jeweils mind. ein Mitglied der Industrie / des verarbeitenden Gewerbes, der Absatzwirtschaft und der Dienstleister im Präsidium vertreten sind); § 9 Abs. 2, Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Karlsruhe (hier: gehört der Präsident dem Stadt- oder dem Landkreis Karlsruhe an, muss der Erste Vizepräsident aus dem Stadtkreis Baden-Baden bzw. dem Landkreis Rastatt kommen und umgekehrt; Muss-Vorschrift im Hinblick darauf, dass von den Vizepräsidenten mind. zwei dem Stadtkreis Baden-Baden oder dem Landkreis Rastatt angehören müssen); § 7 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Kassel (hier: die Vorsitzenden der Regionalausschüsse

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und Würzburg stechen angesichts ihrer Regelungstiefe hervor.1592 Die Geschäftsordnung der IHK Leipzig enthält eine Soll-Regelung über die Zusammensetzung und Fachausschüsse sollen dem Präsidium angehören); § 7 Abs. 1 S. 2 f. Satzung IHK Koblenz (hier: Soll-Regelung bzgl. der Berücksichtigung der regionalen und wirtschaftlichen Struktur des Bezirks; jeder Regionalbeirat erhält ein Vorschlagsrecht für das Amt eines Vizepräsidenten); § 8 Abs. 1 S. 2 f. Satzung IHK Köln (hier: der Bewerber zum Amt des Präsidenten soll über Erfahrungen in der Arbeit des Präsidiums verfügen, wohingegen die Mitglieder des Präsidiums die Wirtschaftsstruktur sowie die Teilregionen der Kammer verkörpern sollen); § 7 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK  Konstanz (hier: Muss-Vorschrift im Hinblick darauf, dass vier Mitglieder in den Landkreisen Lörrach und Waldshut und drei Mitglieder in dem Landkreis Konstanz ihre Niederlassung unterhalten); § 7 Abs. 2, Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Krefeld (hier: Soll-Regelung bzgl. der Berücksichtigung des regionalen und wirtschaftlichen Gewichts im Bezirk, weshalb jeweils mind. ein Vizepräsident aus Krefeld, Mönchengladbach, dem Rhein-Kreis Neuss und dem Kreis Viersen kommen sollte; Bewerber zum Amt des Präsidenten sollten dem Präsidium zuvor angehört haben); § 6 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Mainz (hier: jede Region eines Dienstleistungszentrums muss im Präsidium entweder durch den Präsidenten oder einen Vizepräsidenten sowie durch mind. ein weiteres Mitglied vertreten sein); § 6 Abs. 1 S. 1 f. Satzung IHK München (hier: Muss-Regelung im Hinblick darauf, dass ein Vizepräsident dem Kreis der als Regionalausschussvorsitzenden der Vollversammlung angehörenden Mitglieder zugerechnet wird; die Person kann nur auf Vorschlag der Regionalausschussvorsitzenden gewählt werden); § 7 Abs. 1 S. 3 Satzung IHK Münster (hier: die Vorsitzenden der Regionalausschüsse sollen möglichst dem Präsidium angehören); § 8 Abs. 1 S. 3 Satzung IHK Neubrandenburg (hier: dem Präsidium sollen Vertreter aller Wahlgruppen und -bezirke angehören); § 7 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Pforzheim (hier: die Zusammensetzung des Präsidiums soll die regionale Verteilung des Kammerbezirks widerspiegeln); § 7 Abs. 1 S. 6 Satzung IHK Schwerin (hier: die Präsidiumsmitglieder sollen verschiedenen Wahlgruppen angehören); § 7 Abs. 2 Satzung IHK Siegen (hier: Soll-Regelung im Hinblick auf die Berücksichtigung der regionalen Struktur des Bezirks, wobei Gleiches für die wirtschaftliche Struktur gilt, weshalb Präsidiumsmitglieder nicht demselben Wirtschaftszweig angehören dürfen); § 8 Abs. 2 S. 1 f. Satzung IHK Stade (hier: von den Vizepräsidenten sollen mind. je einer der Wahlgruppe Industrie, der Wahlgruppe Groß- und Einzelhandel, den übrigen Wahlgruppen, dem Wahlbezirk Stade, dem Wahlbezirk Cuxhaven und dem Wahl­bezirk Verden angehören); § 9 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Suhl (hier: Muss-Regelung im Hinblick darauf, dass die Vizepräsidenten aus Wahlgruppen gewählt werden, denen der Präsident nicht angehört); § 7 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Weingarten (hier: mind. je ein Vizepräsident muss dem Bodenseekreis, dem Kreis Ravensburg und dem Kreis Sigmaringen angehören); § 6 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Wuppertal (hier: die Wahl zum Präsidium erfolgt nach dem Verhältnis zwei zu eins zu eins [Wuppertal zu Solingen zu Remscheid], während in der Gestellung des Präsidenten alle Teilbezirke gleichberechtigt sind). 1592 § 4 Abs. 1 S. 3 ff. Satzung IHK Nürnberg (hier: bis zu vier Mitglieder werden aus den Reihen der Gremiumsvorsitzenden unter dem Bestreben einer ausgewogenen regionalen Verteilung gewählt [die Gremiumsvorsitzenden können ein Vorschlagsrecht ausüben]; die Wählbarkeit weiterer Mitglieder muss auf die Zugehörigkeit zur Industrie [3 Mitglieder], Handel [3 Mitglieder] und der übrigen Wahlgruppen [4 Mitglieder] zurückzuführen sein, wobei eine Reduktion der Sitzzuteilung unter Ansehung der Zugehörigkeit des Präsidenten stattfindet); § 6 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2 f. Satzung IHK Stuttgart (hier: ein stellv. Präsident soll dem Stadtkreis Stuttgart angehören, während das andere Stellvertreteramt durch den Präsidenten einer Bezirkskammer ausgeübt werden soll; weiterhin gilt, dass je eine ordentl. und eine stellv. Mitgliedschaft auf jede Bezirkskammer entfällt sowie vier ordentl. und vier stellv. Mitglieder dem Stadtkreis Stuttgart zuzurechnen sind); Art. 4 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 u. Abs. 4 Satzung IHK Würzburg (hier: der Präsident soll im Turnus einer Wahlperiode aus dem Bezirk Würzburg, dem Bezirk Schweinfurt und der Gremialbezirke gewählt werden, während die Vizepräsidenten aus den Bereichen gewählt

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des Präsidiums.1593 In den IHK-Bezirken Köln und Krefeld sollen die Bewerber für das Amt des Präsidenten über Erfahrungen in der Arbeit des Präsidiums verfügen.1594 Eine Besonderheit stellt die IHK Suhl dar, weil ihre Satzung bestimmt, dass der Präsident und die Vizepräsidenten im Kammerbezirk wohnen sollen.1595 Daneben können Reglementierungen der Wiederwahl für den Präsidenten oder alle Präsidiumsmitglieder wahrgenommen werden, die auf die Dauer der bisherigen Amtszeit Bezug nehmen.1596 Die Rechtslage in den IHK-Bezirken Karlsruhe,

werden, die nicht den Präsidenten stellen; die Präsidiumsmitglieder sollen ferner zu je einem Drittel aus dem Bezirk Würzburg, dem Bezirk Schweinfurt und den Gremialbezirken gewählt werden). 1593 § 4 Abs. 3 Geschäftsordnung IHK Leipzig (hier: die Zusammensetzung des Präsidiums soll „annähernd“ die aktuelle Branchenstruktur widerspiegeln). 1594 § 8 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Köln; § 7 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Krefeld. 1595 § 9 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Suhl. 1596 § 7 Abs. 1 S. 5 Satzung IHK Bielefeld (hier: die Wiederwahl des Präsidenten ist nur möglich, wenn seine Amtszeit nicht über 8 Jahre hinausgeht); § 7 Abs. 1 S. 6 Satzung HK Bremen (hier: nur die einmalige Wiederwahl des Präses ist möglich); § 7 Abs. 2 S. 1 f. Satzung IHK Chemnitz (hier: die Wiederwahl zum Präsidenten mit voller Amtszeit ist zweimal, zum Vizepräsidenten dreimal zulässig); § 7 Abs. 1 S. 7 Satzung IHK Cottbus (hier: die zweimalige Wiederwahl des Präsidenten ist zulässig); § 7 Abs. 1 S. 3 Satzung IHK Darmstadt (hier: die dreimalige Wiederwahl der Präsidiumsmitglieder ist zulässig); § 7 Abs. 1 S. 5 Satzung IHK Dillenburg (hier: die einmalige Wiederwahl des Präsidenten ist zulässig); § 6 Abs. 1 S. 11 Satzung IHK Dortmund (hier: die Wiederwahl des Präsidenten ist zweimal, längstens aber für die Amtsdauer von zehn Jahren zulässig); § 7 Abs. 2 S. 4 Satzung IHK Dresden (hier: die einmalige Wiederwahl des Präsidenten ist zulässig); § 5 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Düsseldorf (hier: die einmalige Wiederwahl des Präsidenten ist zulässig); § 8 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Emden (hier: die einmalige Wiederwahl des Präsidenten ist zulässig); § 6 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Flensburg (hier: die dreimalige Wiederwahl in das Präsidium ist zulässig); § 7 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Frankfurt a. M. (hier: die anschließende Wiederwahl in das Präsidium ist einmal möglich); § 7 Abs. 1 S. 7 Satzung IHK  Freiburg (hier: die einmalige Wiederwahl des Präsidenten ist zulässig); § 7 Abs. 1 S. 5 IHK  Fulda (hier: die einmalige Wiederwahl in das Präsidium ist zulässig); § 7 Abs. 1 S. 4 IHK Gießen (hier: ein Präsident kann nach einer Amtszeit von zehn Jahren nicht wiedergewählt werden); § 9 Abs. 1 S. 4 ff. Satzung IHK Halle (hier: die einmalige Wiederwahl in das Präsidium ist zulässig; die erneute Wiederwahl ist mit Unterbrechung der Dauer einer Wahlperiode zulässig); § 8 Abs. 3, 4 Satzung HK Hamburg (hier: nach einmaliger Wiederwahl ist der Präses für die nächste Wahlperiode als Präses nicht wieder wählbar, es sei denn, die erste Amtszeit betrug weniger als 18 Monate; zwei Vizepräsidenten des zuletzt amtierenden Präsidiums sind in dieser Funktion für die folgende Wahlperiode nicht wieder wählbar, wobei die zwei dienstältesten Vizepräsidenten des letzten Präsidiums zuvörderst von der Vorschrift betroffen sind); § 9 S. 3 Satzung IHK Hannover (hier: die Wiederwahl des Präsidenten ist nur einmal möglich); § 7 Abs. 1 S. 6 Satzung IHK Kiel (hier: nach einmaliger Wiederwahl ist der Präsident nicht erneut als Präsident wählbar, es sei denn, die erste Amtszeit war kürzer als eine Wahlperiode der Vollversammlung); § 7 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Koblenz (hier: die Amtsdauer eines Präsidenten darf zwei volle Amtsperioden nicht überschreiten); § 7 Abs. 4 S. 2 f. Satzung IHK Krefeld (hier: nach einmaliger Wiederwahl sind die Präsidiumsmitglieder nicht wieder wählbar, es sei denn, die erste Amtszeit betrug weniger als 18 Monate); § 7 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Limburg (hier: hat der Präsident eine volle Wahlperiode absolviert, ist nur noch eine einmalige Wiederwahl zulässig); § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Lübeck (hier: nach zweimaliger Wiederwahl ist der Präses

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Reutlingen und Ulm ist herauszustellen, weil die Möglichkeit zur Wiederwahl von einem Amt in einer Dachvereinigung oder einem Beschluss des Präsidiums abhängt.1597 Mehrere IHK-Bezirke kappen die Wählbarkeit zum Präsidium ab Erreichen eines Höchstalters.1598 Beginnt man die kritische Analyse bei den Vorgaben, mit denen repräsentative Gesichtspunkte für die Wahl zum Präsidium Einzug halten, bestätigt sich die bereits geäußerte Vermutung. In einer Vielzahl von Bezirken soll durch die Zuteilung von Präsidiumssitzen zu den für die Kammer vorgeblich prägenden Wirtschaftszweigen oder -regionen ein verkleinertes Abbild der Vollversammlung konstituiert werden. Werden die Sitze im Präsidium mit Hilfe von Muss-Vorschriften oder Ist-Regelungen garantiert, ist anzunehmen, dass die Präsidien derzeit tatsächlich entsprechend besetzt sind. Aber selbst für den Fall, dass die Satzungen lediglich Soll-Bestimmungen oder Vorschlagsrechte enthalten, kann die Vermutung formuliert werden, dass der Stoßrichtung der Regeln bisher gefolgt wurde. Treffen diese Annahmen zu, ist die derzeitige Besetzung der Präsidien vieler IHK-Benicht erneut als Präses wählbar, es sei denn, die erste Amtszeit war kürzer als eine Wahlperiode der Vollversammlung); § 9 Abs. 2 S. 4 Satzung IHK Lüneburg (hier: die Wiederwahl des Präsidenten ist möglich, wenn er im Zeitpunkt der Wahl noch nicht länger als acht Jahre im Amt ist); § 4 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Nürnberg (hier: die einmalige Wiederwahl des Präsidenten ist zulässig); § 5 Abs. 1 S. 4 Satzung IHK Offenbach (hier: die Amtszeit eines Präsidenten darf nicht mehr als zwei reguläre Wahlperioden der Vollversammlung umfassen); § 7 Abs. 2 Satzung IHK Oldenburg (hier: die einmalige Wiederwahl des Präsidenten ist zulässig); § 9 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Osnabrück (hier: die Amtszeit eines Präsidenten endet, wenn sie insgesamt die Dauer von zwei Wahlperioden überschreitet); § 7 Abs. 1 S. 5 Satzung IHK Potsdam (hier: der Präsident kann einmal, oder, im Fall einer kürzeren Amtszeit als die Länge der Wahlperiode der Vollversammlung, zweimal wiedergewählt werden); § 6 Abs. 1 S. 3 Regensburg (hier: der Präsident kann einmal wiedergewählt werden); § 7 Abs. 1 S. 5 Satzung IHK Schwerin (hier: die einmalige Wiederwahl aller Präsidiumsmitglieder ist zulässig); § 7 Abs. 1 S. 4 Satzung IHK Trier (hier: die Amtsdauer eines Präsidenten soll i. d. R. zwei Amtsperioden der Vollversammlung nicht überschreiten); § 7 Abs. 1 S. 5 ff. Satzung IHK Weingarten (hier: die einmalige Wiederwahl ist für alle Präsidiumsmitglieder zulässig, wobei Amtszeiten ggf. unberücksichtigt bleiben können); § 7 Abs. 1 S. 4 f. Satzung IHK Wiesbaden (hier: die zweimalige Wiederwahl der Präsidiumsmitglieder ist möglich; wird ein Vizepräsident zum Präsidenten gewählt, ist seine zweimalige Wiederwahl als Präsident gestattet). 1597 § 10 Abs. 2 Satzung IHK Karlsruhe (hier: nach zweimaliger voller Amtszeit ist ein Präsident in dieser Eigenschaft nicht wieder wählbar, es sei denn, er hat ein Amt in einer Dachvereinigung inne, für das die Präsidentschaft in einer IHK vorausgesetzt wird oder üblich ist); § 10 Abs. 1 S. 4 f. Satzung IHK Reutlingen (hier: der Präsident kann einmal wiedergewählt werden, wobei eine zweite Wiederwahl zulässig ist, wenn die Vizepräsidenten im Rahmen einer Präsidiumssitzung einstimmig den Beschluss fassen, den amtierenden Präsidenten für eine erneute Kandidatur vorzuschlagen); § 7 Abs. 3 Satzung IHK Ulm (hier: die einmalige Wiederwahl des Präsidenten ist zulässig, wohingegen eine weitere Wiederwahl möglich wird, wenn der Präsident ein Amt in einer Dachvereinigung innehat, für das die Präsidentschaft in einer IHK vorausgesetzt wird). 1598 § 8 S. 6 Satzung IHK Leipzig (hier: die Wählbarkeit endet mit Überschreitung des 65. Lebensjahres); § 9 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK  Osnabrück (hier: die Wählbarkeit endet mit Überschreitung des 64. Lebensjahres); § 8 Abs. 3 S. 2 f. Satzung IHK Stade (hier: die Wählbarkeit endet mit Überschreitung des 70. Lebensjahres).

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zirke gesetzeswidrig. Diese wirkmächtige Schlussfolgerung ist zuvörderst auf die Einsicht zurückzuführen, dass die Satzungsbestandteile im Widerspruch zu § 6 Abs. 1 IHKG stehen. Denn nach dieser abschließenden Vorgabe sind sowohl der Präsident als auch die weiteren Mitglieder des Präsidiums aus der Mitte der Vollversammlung zu wählen. Das Gesetz verbietet, dass die Wahl auf organ­externe Personen erstreckt wird (sog. Selbstorganschaft)1599, aber gebietet, dass das passive Wahlrecht allen Vollversammlungsmitgliedern gleichermaßen zusteht und nicht wegen der Zugehörigkeit zu einer Wahlgruppe oder Region suspendiert ist. Sollen Voraussetzungen der Wählbarkeit zum Präsidenten / Präsidium definiert werden, darf de lege lata ausschließlich auf das Mandat in der Vollversammlung Bezug genommen werden.1600 Wenngleich die hinter den Vorschriften stehende Idee über eine „Verlängerung“ der Repräsentationsidee in das Leitungsorgan für rechtspolitisch sinnvoll erachtet werden kann, wirft die Verkürzung der Mitwirkungsrechte der Vollversammlungsmitglieder auch vor den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts unauflösbare Rechtszweifel auf. Denn ihr passives Wahlrecht wird empfindlich berührt, wenn auf die Bewerber im Vorwege der Wahl zum Präsidenten / Präsidium durch die Definition persönlicher und / oder sachlicher Voraussetzungen limitierender Einfluss genommen wird. Es droht, dass die angestrebte Kandidatur für mehrere Wahlgänge untersagt bleibt, weil der für den Teilbezirk vorgesehene Posten im Präsidium bereits besetzt wurde. Auch wird das Stimmrecht der Vollversammlungsmitglieder eingeschränkt, weil das Votum unter Geltung der Satzungsvorschriften ausschließlich auf Bewerber entfallen kann, die andernfalls womöglich keine Unterstützung erfahren hätten. Satzungen, die auf die Wahl zum Präsidenten Einfluss nehmen, indem sie fordern, dass die Bewerber über Erfahrungen in der Arbeit des Präsidiums verfügen, sind ebenfalls zu kritisieren. Wenn zum Präsidenten nur Vollversammlungsmitglieder aufrücken können, die zuvor eine Amtszeit im Präsidium der Kammer absolviert haben, liegen begünstigende Faktoren für einen Oligarchisierungstrend vor. Denn auf Grundlage dieser Anforderung kann etwa die Abkehr von einer gleichermaßen etablierten wie inadäquaten Organisationspolitik um die Dauer einer Amtsperiode aufgeschoben oder gänzlich verhindert werden, weil erst mit 1599 Mit der Selbstorganschaft wird ein Unterschied zu der Bestellung des Hauptgeschäftsführers formuliert. § 7 Abs. 1 IHKG gestattet die Besetzung mit organ- und organisationsexternen Bewerbern im Sinne einer Fremdorganschaft. 1600 Vor dem Hintergrund des eindeutigen Wortlauts in § 6 Abs. 1 IHKG überrascht es, wenn Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 6 Rn. 14 – Hervorh. i. O. feststellt, dass „das Gesetz keine besonderen Vorschriften“ für „die Wählbarkeit in das Präsidium“ enthalte und die „Satzung […] für die Verteilung der Präsidialsitze auf Wahlgruppen und Wahlbezirke Vorschriften enthalten“ könne. Auf dieser Einschätzung basiert der gleichlautende Befund von Groß, Interessenausgleich durch Kollegialverfahrensrecht in den Kammern, in: Kluth (Hg.), JbKR 2002, 2003, 26 (31). Auf die vorstehende Sichtweise nimmt wiederum Günther, in: v. Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 86. EL Februar 2021, § 6 IHKG Rn. 23 zustimmend Bezug.

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der zweiten erfolgreichen Bewerbung um ein Ehrenamt die Voraussetzungen zur Wahl in die Organisationsführung erfüllt sind. Auch die Festschreibung von Höchstaltersgrenzen sowie die Beschränkungen des Rechts zur Wiederwahl sind mit Rücksicht auf den Wortlaut von § 6 Abs. 1 IHKG ausgeschlossen, weil die Vorgaben eine Dezimierung des Bewerberkreises bedingen und damit eine Wahl aus der Mitte der Vollversammlung verhindert wird.1601 Doch ist der Gedanke, der hinter den die Wiederwahl limitierenden Vorschriften steht, fortschreibungswürdig. Immerhin besteht die Rechtsfolge darin, dass die Vollversammlung einer personellen Veränderung in der Organisationsführung ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr entkommen kann. In der Mehrzahl der IHK-Bezirke werden die Amtszeiten im Präsidium an die Länge der Wahlperiode der Vollversammlung von durchschnittlich ca. 5 Jahren gekoppelt. Um dem Oligarchisierungstrend entgegenzuwirken, ist es angesichts dieses beachtlichen Zeitraums vorzugswürdig, die Wählbarkeit zum Präsidium nach dem Ende einer Wahlperiode zu kappen. In diesem Zusammenhang ist abermals auf die Ergebnisse der empirischen Organisationssoziologie zu verweisen. Sie hat in der Statusdifferenz, d. h. dem Ansehensgefälle zwischen einem Amt in der Organisationsführung und der Position als „schlichtes“ Mitglied, einen entscheidenden Ansatzpunkt zur Bildung lebendiger Organisationen erkannt. „Je geringer die Statusdifferenz […] ist, um so größer sind die Chancen für den in demokra­tischen Organisationen erforderlichen Machtwechsel. Zugleich steigt die Chance, daß nicht wiedergewählte Funktionäre weiterhin eine politische Rolle innerhalb der Organisation spielen, dadurch die opponierenden Gruppen stärken und somit zur Aufrechterhaltung des Gesamtsystems beitragen.“1602 Diese Erkenntnisse führen im Hinblick auf die IHK zuvörderst zu der Einsicht, dass der Kompetenz­zuwachs nach einem Mandatsgewinn für die Organisationsleitung nicht nach dem Prinzip „the winner takes it all“ ablaufen darf. So kann gewährleistet werden, dass der Verlust des Spitzenamtes auf den vormaligen Inhaber „erträglich“ wirkt und die Motivation zur fortgesetzten ehrenamtlichen Mitarbeit nicht erstickt wird. Entscheidender ist jedoch, dass der regelmäßige Machtwechsel befördert und ein selbstempfundener Druck zum Machterhalt präkludiert wird, wenn die Wiederwahloption unter Verweis auf das Recht ohnehin als endlich angesehen werden muss. Rechtstechnisch kann dieser Gedanke umgesetzt werden, indem man Unterbrecher dergestalt vorsieht, dass nach jeder Amtsperiode im Präsidium die Wählbarkeit zum Präsidium für eine Amtsphase ausgeschlossen ist. 1601

Günther, in: v.  Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 86. EL Februar 2021, § 6 IHKG Rn. 21 spricht sich ebenfalls gegen die Definition eines Mindest- oder Höchstalters aus und meint, dass in den entsprechenden Satzungen ein Verstoß gegen § 1 AGG zu erkennen sei. Dabei verkennt der Autor allerdings, dass der Anwendungsbereich des Gesetzes (vgl. § 2 AGG) nicht eröffnet ist. Die beobachteten Beschränkungen der Wiederwahloptionen billigend Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 6 Rn. 6 u. 14; Günther, ebd., Rn. 22. 1602 Naschold, Organisation und Demokratie, 1969, S. 37 in Auseinandersetzung mit Lipset /  Trow / Coleman, Union Democracy, 1956.

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Die Annahme eines Verstoßes gegen höherrangiges Recht gilt nicht weniger im Zusammenhang mit dem Wohnsitzerfordernis für Teile des Präsidiums der IHK Suhl. Der Einwand der Inkonsistenz tritt hinzu. Diese Reglementierung der Wählbarkeit greift womöglich auf Vorbilder aus dem Kommunalverfassungsrecht zurück. Dort bestehen Normen, die das passive Wahlrecht zum Rat an eine längere Ansässigkeit im Gemeindegebiet knüpfen.1603 Zwar nimmt das IHKG auf den Bezirk als örtliche Kategorie Bezug (s. § 1 Abs. 1). Doch zeigt § 2 Abs. 1 IHKG, dass die Lage der Betriebsstätte entscheidungserheblich ist, um die Kammerzugehörigkeit für einen bestimmten Bezirk zu begründen. Das aktive und passive Wahlrecht zur Vollversammlung nimmt wiederum bei der Kammerzugehörigkeit seinen entscheidenden Ausgangspunkt (s. § 5 Abs. 1, Abs. 2 IHKG). Führt man diese Überlegungen zusammen, muss man zu dem Ergebnis gelangen, dass die Satzung der IHK Suhl die Wahlberechtigung in- und außerhalb der Vollversammlung systemwidrig aufspaltet.1604 3. Amtszeit Die Durchsicht der Wahlordnungen förderte die Einsicht zutage, dass eine Wahlperiode zur Vollversammlung durchschnittlich ca. 5 Jahre andauert. Die Angabe über die Amtszeit des Präsidenten und der weiteren Mitglieder des Präsidiums ist hingegen den Satzungen zu entnehmen. Die weit überwiegende Anzahl der IHKBezirke schreibt einen Status der Konvergenz, mithin einen Gleichlauf zwischen der Dauer der Wahlperiode der Vollversammlung und der Amtszeit im Präsidium fest.1605 Seltener besteht ein Zustand der Divergenz, wobei durchweg auf eine Halb 1603

Nachweise bei Gern / Brüning, Deutsches Kommunalrecht, 4. Aufl. 2019, Rn. 444. Vor dem Hintergrund dieser generellen Erwägungen dürfte ausgeschlossen sein, dass im IHKG sachliche Voraussetzungen zur Beschränkung der Wählbarkeit dieses Ausmaßes Einzug finden können. 1605 § 6 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Aachen; § 8 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Aschaffenburg; § 6 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Augsburg; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Bayreuth; § 6 Abs. 1 S. 3 Satzung IHK Berlin; § 7 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Bielefeld; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Bochum; § 8 Abs. 1 S. 8 Satzung IHK Bonn; § 8 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Braunschweig; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Chemnitz; § 7 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Coburg; § 7 Abs. 1 S. 4 Satzung IHK Cottbus; § 7 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Dillenburg; § 6 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Dortmund; § 7 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Dresden; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Duisburg; § 5 Abs. 1 Satzung IHK Düsseldorf; § 8 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Emden; § 8 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK  Erfurt; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Essen; § 7 Abs. 1 S. 3 Satzung IHK Frankfurt a. M.; § 7 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Frankfurt (Oder); § 7 Abs. 1 S. 4 Satzung IHK Freiburg; § 7 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Fulda; § 7 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Gera; § 7 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Gießen; § 9 Abs. 1 S. 3 Satzung IHK Halle; § 8 Abs. 2 S. 1 Satzung HK Hamburg; § 7 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Hanau; § 9 S. 1 Satzung IHK  Hannover; § 7 Abs. 1 S. 3 Satzung IHK  Heidenheim; § 7 Abs. 1 S. 3 Satzung IHK Heilbronn; § 10 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Karlsruhe; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Kassel; § 7 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Kiel; § 7 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Koblenz; § 8 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Köln; § 7 Abs. 1 S. 3 Satzung IHK Konstanz; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Krefeld; § 8 S. 2 Satzung IHK Leipzig; § 6 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Limburg; § 6 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Lud 1604

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

teilung der Amtszeiten für die Präsidiumsmitglieder im Vergleich zur Länge des Mandats der Vollversammlungsmitglieder abgestellt wird.1606 Die Wahlordnung der HK Bremen verfolgt den rechtshistorisch überlieferten1607 Modus der Ergänzungswahl.1608 Auf ihn nimmt die Satzung Bezug, wenn sie bestimmt, dass die Wahl des Präsidiums nach der jeweiligen Ergänzungswahl stattfindet.1609 Auch die IHK Trier hält nach jeder Neu- und Ergänzungswahl zur Vollversammlung eine Wahl des Präsidiums ab.1610 Die Satzung der IHK Lüneburg gibt die Amtszeit der Präsidiumsmitglieder mit fünf Geschäftsjahren an, wobei ein Geschäftsjahr vom 1. Januar bis zum 31. Dezember andauert.1611 Die Literatur erläutert den Zweck von Regelwerken, die eine Halbteilung der Amtszeiten im Präsidium vorsehen, dahingehend, dass „potentielle Bewerber nicht durch eine überlange Amtsdauer“ abgeschreckt werden sollten.1612 Ohne Brüche ist dieser Erklärungsansatz nicht, wenn man bedenkt, dass die angesprochenen Bewerber zuvor ein doppelt so langes Mandat in der Vollversammlung erlangt haben. Vorzugswürdig ist, das Recht zur Neuwahl der Organisationsführung in der Kontrollfunktion der Vollversammlung über die nachgeordneten Organe zu verankern und darin einen unabdingbaren Beitrag zur Reduktion oligarchischer wigshafen; § 6 Abs. 1 S. 3 Satzung IHK Mainz; § 7 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Mannheim; § 6 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK München; § 8 Abs. 1 S. 4 Satzung IHK Neubrandenburg; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Nürnberg; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Offenbach; § 7 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Oldenburg; § 9 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Osnabrück; § 5 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Passau; § 7 Abs. 1 S. 3 Satzung IHK Pforzheim; § 7 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Potsdam; § 6 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Regensburg; § 10 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Reutlingen; § 7 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Rostock; § 6 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Saarbrücken; § 7 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Schwerin; § 6 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Stuttgart; § 9 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Suhl; § 7 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Ulm; § 7 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Villingen-Schwenningen; § 7 Abs. 1 S. 3 Satzung IHK Weingarten; § 7 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Wiesbaden; § 7 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Wuppertal; Art. 4 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Würzburg. 1606 § 7 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Arnsberg (hier: 2,5 Jahre); § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Darmstadt (hier: Verweis auf die Hälfte der Wahlperiode der Vollversammlung [2,5 Jahre]); § 7 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Detmold (hier: Verweis auf die Hälfte der Wahlperiode der Vollversammlung [2,5 Jahre]); § 6 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK  Flensburg (hier: 3 Jahre); § 8 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Hagen (hier: 3 Jahre); § 7 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Lübeck (hier: 3 Jahre); § 7 S. 1 Satzung IHK Magdeburg (hier: 3 Jahre); § 7 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Münster (hier: 3 Jahre); § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Siegen (hier: 2 Jahre); § 6 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Stade (hier: 3 Jahre). 1607 Dazu näher in Fn. 1615 f. 1608 § 1 Abs. 3 Wahlordnung HK Bremen: „Die Wahl erfolgt in der Form, dass jeweils die Hälfte der Mitglieder des Plenums – zeitversetzt um drei Jahre – für die in Absatz 1 genannte Dauer gewählt wird. Zum Jahresende jedes dritten Jahres scheidet die Hälfte der unmittelbar gewählten Mitglieder des Plenums aus, deren Amtszeit erfüllt ist und wird durch eine Ergänzungswahl ersetzt.“ 1609 § 7 Abs. 1 S. 2 ff. Satzung HK Bremen. 1610 § 7 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK  Trier. Soweit ersichtlich enthält die Wahlordnung der IHK Trier keine Ergänzungswahl im klassischen Sinne, sodass der Regelungsgehalt auf den Fall der Neuwahl beschränkt sein dürfte. 1611 §§ 9 Abs. 2 S. 1, 16 Abs. 1 Satzung IHK Lüneburg. 1612 Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 449.

III. Der Präsident und das Präsidium  

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Tendenzen im Präsidium zu erkennen. Angesichts eines Befunds, nach dem in der großen Mehrzahl der IHK-Bezirke sehr lange Amtszeiten für die Organisationsführung vorgesehen sind und zugleich auf eine Neuwahl zu den Leitungsorganen verzichtet wird, besteht im geltenden Recht ein echtes Kontrolldefizit zum Nachteil der Vollversammlung. Unterstellt man zugleich, dass keine Rechtsgarantie zur Abwahl einzelner Präsidiumsmitglieder existiert, kann die Vollversammlung unter diesen Bedingungen während ihrer Amtsperiode weder auf Schlechtleistung noch auf verlorengegangenes Vertrauen, Verselbstständigungstendenzen, Treuepflicht- und Rechtsverstöße oder eine konfliktträchtige Amtsführung reagieren. Dieses Ergebnis muss durch ein wiederkehrendes Recht zur personellen Besetzung der Organisationsführung kompensiert werden.1613 Damit kann auch eine Annäherung an die historischen Regelwerke der Handelskammern geleistet werden, nach denen die Mitglieder des Repräsentativorgans bei einer regelmäßigen Amtszeit von drei1614 bzw. sechs Jahren1615 alljährlich über die Person des Vorsitzenden und seiner Stellvertreter befinden konnten.1616

1613 Für häufigere Wahlen zu den Organen der funktionalen Selbstverwaltung bereits Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 448. 1614 § 9 PrHKVO 1848: „Die Amtsdauer der Mitglieder der Handelskammern und ihrer Stellvertreter wird auf drei Jahre bestimmt, doch soll der Wechsel derselben nicht mit einem Male, sondern nach und nach in gleichen Zeitabschnitten erfolgen, und zu dem Ende von den zuerst Erwählten ein Theil schon während der ersten drei Jahre ausscheiden.“; § 16 PrHKG 1870: „[1] Die Mitglieder der Handelskammern versehen ihre Stellen in der Regel drei Jahre lang. Am Schlusse jeden Jahres werden durch Neuwahl zunächst Mitglieder, die durch den Tod oder sonstiges Ausscheiden vor Ablauf der gesetzlichen Zeit erledigten Stellen wieder besetzt. Im Uebrigen scheiden von den Mitgliedern am Schlusse jeden Jahres so viele aus, daß im Ganzen der dritte Theil sämmtlicher Stellen zur Wiederbesetzung gelangt. Die Ausscheidenden bestimmt das höhere Dienstalter und bei gleichem Alter das Loos. [2] Geht die normale Gesammtzahl der Mitglieder einer Handelskammer bei einer Theilung durch drei nicht voll auf, so wird die nächst höhere Zahl, welche eine solche Theilung zuläßt, der Berechnung des ausscheidenden Drittheils zu Grunde gelegt. [3] Die Ausscheidenden können wieder gewählt werden.“ 1615 § 16 PrHKG 1897: „[1] Die Mitglieder der Handelskammer werden auf sechs Jahre gewählt. Alle zwei Jahre scheidet ein Dritttheil aus und wird durch neue Wahlen (Ergänzungswahlen) ersetzt. Soweit die Zahl der Mitglieder nicht durch drei theilbar ist, bestimmt die Handelskammer, bei welchen Ergänzungswahlen die übrig bleibende Zahl der Mitglieder durch Neuwahl zu ersetzen ist. Die Handelskammer hat ferner, wenn die Wahlen nach Wahlabtheilungen oder Wahlbezirken erfolgen, die ausscheidenden Mitglieder auf die Abtheilungen oder Bezirke angemessen zu vertheilen. [2] Die das erste und das zweite Mal Ausscheidenden werden durch das Loos bestimmt. Die Ergänzungswahlen finden vor Schluß des Kalenderjahres statt. [3] Die Gewählten beginnen ihre Thätigkeit mit dem Beginne des folgenden Jahres. [4] Die Ausscheidenden können wieder gewählt werden. Sie bleiben im Amte, bis die Neugewählten die Geschäfte übernommen haben.“ 1616 § 19 PrHKVO 1848: „Jede Handelskammer wählt den Vorsitzenden und einen Stellvertreter desselben alljährlich aus ihrer Mitte“; § 26 PrHKG 1870: „Zu Anfang jeden Jahres wählt die Handelskammer aus ihrer Mitte einen Vorsitzenden und einen Stellvertreter desselben. Im Falle des Ausscheidens des Vorsitzenden oder seines Stellvertreters vor der gesetzlichen Zeit erfolgt eine Neuwahl für den Rest dieser Zeit.“; wortlautgleich § 32 PrHKG 1897.

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

4. Abwahl Im Anschluss an die vorstehenden Ausführungen wird die Frage virulent, inwieweit im geltenden Recht die Kreations- und Kontrollfunktion der Vollversammlung überhaupt ausgeprägt ist. Insbesondere ist zu klären, ob dem Hauptorgan die Abwahl der ehrenamtlichen Organwalter im Präsidium zusteht, obwohl dieser Vorgang im IHKG nicht ausdrücklich benannt wird. a) Stand der Diskussion Das VG Frankfurt beantwortete die vorstehende Frage mit „nein“, als es 2007 in einem Organstreit judizierte, dass die vorzeitige Abwahl von drei Vizepräsidenten der IHK Frankfurt a. M. rechtswidrig und unwirksam gewesen sei.1617 Die Auffassung stützte das Gericht auf die Ansicht, dass keine Rechtsgrundlage im IHKG zur Durchführung dieses Vorgangs existiere. Vielmehr wollten die Richter die Regelungsmaterie aufgrund des Schweigens des Gesetzgebers in der Satzungsautonomie verortet sehen.1618 Da die entscheidungserhebliche, vom Gericht als abschließendes Regelwerk betrachtete Satzung eine Abwahl von Mitgliedern des Präsidiums nicht vorsah, erhielten die abgewählten Vizepräsidenten ihr persönliches subjektives Recht an dem Amt1619 zurück. Dass die Richter die Stringenz ihrer Ausführungen selbst beseitigten, indem sie es „dahin gestellt sein“ ließen, ob von diesem Grundsatz abgewichen werden könne, „wenn besonders schwere Verfehlungen von Präsidiumsmitgliedern vorliegen oder aus sonstigen Gründen, beispielsweise um die Handlungsfähigkeit des Präsidiums […] zu gewährleisten, ausnahmsweise eine Abwahl von Präsidiumsmitgliedern durch die Vollversammlung auch ohne gesetzliche Regelung möglich wäre“,1620 soll nicht unerwähnt bleiben. Wenn das Gericht von einem „solche[n] Ausnahmefall“ spricht, der „jedenfalls nicht gegeben“ sei,1621 oder über einen „groben, eine Abwahl rechtfertigen Vorstoß gegen Pflichten als Mitglied des Präsidiums [sic]“ sinniert,1622 ist die Verwirrung 1617 VG Frankfurt, Urt. v. 15. November 2007 – 5 E 777/07 –, juris. Zu den Geschehnissen im Vorlauf des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens s. Köhler, Ratlosigkeit in der Industrie- und Handelskammer, FAZ v. 17. März 2007, Nr. 65, S. 57, abrufbar unter https://www.faz.net/-gzju7f9 u. Lückemeier, Das Chaos, FAZ v. 16. März 2007, Nr. 64, S. 53, abrufbar unter https:// www.faz.net/-gzj-u8me. 1618 VG Frankfurt, Urt. v. 15. November 2007 – 5 E 777/07 –, juris Rn. 17. 1619 Zur Differenzierung zwischen dem Recht an dem Amt, das nach einer ordnungsgemäßen Wahl ein subjektives Recht auf Organschaft, d. h. auf Anerkennung als Organwalter und Zulassung zu dessen Wahrnehmungszuständigkeiten enthält, und dem Recht auf das Amt, das einem gewählten bzw. bestellten Organwalter eine Position verschafft, die nur unter den gesetzlich bestimmten Voraussetzungen wieder entzogen werden darf, s. Roth, Verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten, 2001, S. 76 ff. m. w. N. 1620 VG Frankfurt, Urt. v. 15. November 2007 – 5 E 777/07 –, juris Rn. 28. 1621 VG Frankfurt, Urt. v. 15. November 2007 – 5 E 777/07 –, juris Rn. 28. 1622 VG Frankfurt, Urt. v. 15. November 2007 – 5 E 777/07 –, juris Rn. 30.

III. Der Präsident und das Präsidium  

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komplett.1623 Immerhin wird damit der Eindruck genährt, dass der Rechtsprechung keine eindeutige Meinung entnommen werden kann. Es lässt sich ferner die Einsicht gewinnen, dass auch der Judikative der Umgang mit dem Organisations- und Verfahrensrecht der IHK nur schwer von der Hand geht. Trotz der argumentativen Schwächen stieß das Urteil teilweise auf Zustimmung.1624 Demgegenüber können mehrere Stimmen wahrgenommen werden, die eine Abwahl vor Ende der Amtszeit ohne ausdrückliche Rechtsgrundlage für zulässig erachten. Zur Begründung verweisen sie auf „allgemeine[n] demokratischen Grundsätze“, denen es entsprechen würde, dass gewählte Amtsinhaber grundsätzlich abberufen werden könnten, wenn sie die Unterstützung der Mehrheit des Gremiums verlieren, das ihre Amtsführung legitimiert.1625 In diese Richtung ist auch eine weitere Stellungnahme zu verstehen, die das Recht zur „Wahl und Abberufung der Organträger“ ohne nähere Prüfung im IHK-Recht voraussetzt und darin eine Möglichkeit zur Einflussnahme erkennt, die „zur erheblichen Mitsprache der Mitglieder“ führe.1626 Ernst Thomas Emde lenkt ebenfalls den Blick auf die Zusammenhänge von Wahl und Abwahl und führt unter Rückgriff auf das Demokratieprinzip aus: „Konkret bedeutet dies [das Erfordernis einer effektiven Lenkung und Kontrolle durch die Versammlung], daß sowohl die Befugnis zur Wahl und Abwahl des Vorstands […] von Verfassungs wegen der Versammlung zustehen [muss]. Ohne das Recht, alle wesentlichen […] Personalfragen selbst zu entscheiden […] wäre ihr eine wirkliche Lenkung der Selbstverwaltung nicht möglich. Ebensowenig wäre sie ohne die Sanktion der Abwahl zu einer effektiven Kontrolle der nachgeordneten Organe [nicht] imstande. Infolge der […] stets sehr starken Stellung von Vorstand und Geschäftsführung und ihrer langjährigen Amtszeit bestünde vielmehr andernfalls die Gefahr, daß ihre Tätigkeit sich gänzlich verselbständigen und sich dem Zugriff der Versammlung weithin entziehen würde.“1627 1623 Ob beabsichtigt oder nicht, bringt Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 6 Rn. 12 – Hervorh. n.h den Mangel an Rechtssicherheit zum Ausdruck, wenn er schreibt: „Von der Rechtsprechung wird derzeit die vorzeitige Abwahl ohne Satzungsregelung grundsätzlich ausgeschlossen und nur aus wichtigem Grund eventuell zugelassen.“ 1624 Diefenbach, GewArch 2006, 313 (320); Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8.  Aufl. 2020, § 6 Rn. 13; Günther, in: v. Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 86. EL Februar 2021, § 6 IHKG Rn. 43. In diese Richtung auch Siekmann, Welche Aufsicht braucht das Kammerwesen? – Anforderungen an staatliche Aufsicht und interne Kontrolle von Kammern, in: Schmidt-Trenz / Stober (Hg.), RÖDS 2009/2010, 2010, 85 (99), der „aus Gründen der Rechts­ klarheit“ die Notwendigkeit einer verbindlichen Abberufungsmöglichkeit anmahnt. 1625 Groß, Kammerverfassungsrecht – Organisation und Verfahren, in: Kluth (Hg.), HbKR, 2. Aufl. 2011, § 7 Rn. 36 – Hervorh. i. O. Dagegen ausdrücklich die Neuauflage Groß / Pautsch, Kammerverfassungsrecht – Organisation und Verfahren, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 7 Rn. 42, in der es als rechtsstaatlich und demokratisch bedenklich erachtet wird, das Fehlen einer Regelung im Gesetz zu überspielen. 1626 Irriger, Genossenschaftliche Elemente bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften, 1991, S. 228. 1627 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 424. Dagegen Diefenbach, GewArch 2006, 313 (320), der meint, dass Emde die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die demokratische Legitimation des Vorstands überspanne.

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

b) Wahl und Abwahl als Bestandteile der Kreations- und Kontrollfunktion der Vollversammlung Diese Arbeit vertritt ein Verständnis, das zwischen den vorgenannten Polen changiert. Kaum in Abrede gestellt werden kann, dass eine Rechtsgarantie zur Abwahl der Präsidiumsmitglieder vorauszusetzen ist, wenn man die Kontrollfunktion der Vollversammlung gegenüber dem Leitungsorgan effektiv und konsistent ausgestalten möchte. Die Kontrollbeziehung zwischen den Organen der IHK, die hier zuvörderst als Bestandteil eines organisationsinternen checks and balances aufgefasst wird,1628 nähert sich diesen Anforderungen erst an, wenn das kontrollierende Organ bei unbefriedigenden Ergebnissen auch personelle Umwälzungen vollziehen kann.1629 Wenn im IHK-Recht de lege lata Garantien zur Abwahl fehlen, zwingt diese Sichtweise nachgerade zu der Schlussfolgerung, dass das derzeitige Organisationsdesign unvollständig und dysfunktional ist. Auch der Rekurs auf den in allen Rechtsbereichen respektierten actus-contrarius-Gedanken legt nahe, dass in dem Recht zur Wahl die spiegelbildliche Gestattung zur Abwahl enthalten sein muss.1630 Das Kreationsrecht der Vollversammlung kann sich nicht in der nur einmaligen Auswahlentscheidung über die ehrenamtliche Leitungsfunktion erschöpfen. Wenngleich diese Argumente für die Zulässigkeit der Abwahloption ohne rechtliche Grundlage streiten, soll ein derartiger Rechtszustand nicht angestrebt werden. Es ist vor allem der Argumentationstopos Parlamentsvorbehalt, dem die Leitlinie zu entnehmen ist, dass das IHKG auch die Abwahl mitsamt etwaigen Voraussetzungen festschreiben muss. Insofern dürfte die konkrete Ausgestaltung des Mehrheitserfordernisses bei Durchführung einer Abwahl vollkommen ungewiss sein, wenn keine explizite rechtliche Grundlage existiert. Zwar wäre es naheliegend, an diesem Punkt des Verfahrens abermals auf den actus-contrarius-­Gedanken Bezug zu nehmen, um die Lücke im Recht zu schließen. Doch führt diese „Lehre“ nicht weiter, wenn – wie gesehen – die Vielzahl der Kammern die Wahl zum Präsidium an das Votum der relativen Mehrheit knüpft. Thomas Groß verweist in diesem Zusammenhang auf den Vertrauensverlust durch die „Mehrheit des Gremiums“.1631 Er insinuiert, dass die Stimmen der absoluten Mehrheit zur Voraussetzung einer erfolgreichen Abwahl werden sollen. Indes dürfte äußerst fraglich sein, ob all 1628

Zum hier maßgeblichen Begriffsverständnis von Kontrolle näher unter D. II. 1. m. Fn. 910. Im Ergebnis ebenso Diefenbach, GewArch 2006, 313 (319) unter vgl. Bezugnahme auf Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 424. 1630 Winkelmann, Parlamentarische Ausschussarbeit, in: Morlok / Schliesky / Wiefelspütz (Hg.), Parlamentsrecht, 2016, § 23 Rn. 40 leitet für die Ausschüsse des Deutschen Bundestages das Recht zur Abwahl des Vorsitzenden aus dem actus contrarius-Gedanken ab und möchte für die Ausübung des Rechts lediglich voraussetzen, dass eine „fortdauernde Verletzung der Aufgaben“ zu beklagen sei. Gleichgerichtet Glauben, DVBl 2020, 1174 (1176 f.). Tendenziell zustimmend BVerfG, Beschl. v. 4. Mai 2020 – 2 BvE 1/20 –, juris Rn. 32. 1631 Groß, Kammerverfassungsrecht – Organisation und Verfahren, in: Kluth (Hg.), HbKR, 2. Aufl. 2011, § 7 Rn. 36. 1629

III. Der Präsident und das Präsidium  

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gemeine Grundsätze in diesem Ausmaß beobachtet werden können. Bereits der Blick in das Kommunalverfassungsrecht steht dieser Auffassung im Weg, wenngleich der übrige Rechtsvergleich bestätigt, dass das Recht zur Abwahl einen notwendigen Bestandteil der Kreationsfunktion des gemeindlichen Hauptorgans bildet.1632 c) Rechtslage Erachtet man die Rechtsauffassung des VG Frankfurt a. M. für maßgeblich, ist die Abwahl der Präsidiumsmitglieder nach geltendem Recht nur möglich, wenn die Satzungen diesen Vorgang gestatten. Die damit notwendig gewordene Untersuchung des untergesetzlichen Rechts zeigt sodann die Materie, die bezirksübergreifend mit der größten Variationsbreite 1632 Für Schleswig-Holstein stellt § 40a Abs. 1 S. 1 GemO unmissverständlich klar: „Wer durch Wahl der Gemeindevertretung berufen wird, kann durch Beschluss der Gemeindevertretung abberufen werden.“ Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist äußerst weit. Erfasst sind der Vorsitzende der Gemeindevertretung und seine Stellvertreter (§ 33 GemO SH), der ehrenamtliche Bürgermeister und seine Stellvertreter (§§ 33 Abs. 3, 52 GemO SH), der hauptamtliche Bürgermeister im Fall des § 57 Abs. 2 GemO SH, die ehrenamtlichen Stellvertreter des hauptamtlichen Bürgermeisters (§§ 57e, 62 Abs. 3 GemO SH), die Mitglieder der Fachausschüsse und ihre Stellvertretenden (§§ 45, 46 Abs. 4 GemO SH), die Vorsitzenden der Fachausschüsse und ihre Stellvertreter (§ 46 Abs. 5 GemO SH), die Stadträte (§ 67 GemO SH), die Mitglieder von Ortsbeiräten (§ 47b GemO SH) sowie die Vertreter in der Verbandsversammlung eines Zweckverbandes. Nicht gewählte Funktionsträger wie die Gleichstellungsbeauftragte oder die Leitung des Rechnungsprüfungsamts können durch Beschluss gem. § 39 Abs. 1 GemO SH abberufen werden (Dehn, in: Praxis der Kommunalverwaltung Schleswig-Holstein, B-1, Stand: 21. Fassung September 2019, § 40a GemO Rn. 1 f.). Nach § 40a Abs. 1 S. 3 GemO SH bedarf der jeweilige Beschluss zu seiner Gültigkeit einer relativen Mehrheit in der Gemeindevertretung. Es sind jedoch eine Vielzahl abweichender Mehrheitserfordernisse zu beachten. Bereits § 40a Abs. 2 GemO SH bestimmt, dass der Beschluss über die Abberufung des Vorsitzenden der Gemeindevertretung und seiner Stellvertreter, des Stadtrats oder des Bürgermeisters einer Zweidrittelmehrheit unter der gesetzlichen Zahl der Gemeindevertreter bedarf. § 40a Abs. 3 GemO SH legt überdies fest, dass über den Antrag, den hauptamtlichen Bürgermeister oder einen Stadtrat aus dem Amt abzuberufen, zweimal zu beraten und zu beschließen ist, wobei die zweite Beratung frühestens vier Wochen nach der ersten stattfinden darf. Damit soll verhindert werden, dass eine Abberufung aus Gründen spontan auftretender Unzufriedenheit bzw. Verärgerung vorschnell erfolgt. Stattdessen soll eine gründliche Überlegung im politischen Raum, insbesondere unter Berücksichtigung des Entzugs der beruflichen Existenzgrundlage für den betroffenen Amtsträger und das Auftreten veritabler Versorgungslasten zum Nachteil der Gemeinde in Folge der Abberufung, ermöglicht werden (prägnant Dehn, in: Praxis der Kommunalverwaltung Schleswig-Holstein, B-1, Stand: 21. Fassung September 2019, § 40a GemO Rn. 18: „Abkühlungsfrist“). Erlangt der Bürgermeister sein Amt in Folge eines direkten Wahlverfahrens durch das Votum der Bürger, ist die direkte Abwahl durch die Gemeindevertretung ausgeschlossen. Allerdings kann die Initiative zur Abwahl des Bürgermeisters von der Gemeindevertretung ausgehen, unterliegt aber besonderen Mehrheitserfordernissen (s. den vgl. Überblick der Rechtslage in den Bundesländern bei Böhme, DÖV 2012, 55 [56 ff.]; Sponer / Peschke, SächsVBl 2011, 97 [97 f.]).

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

im Hinblick auf die Gültigkeitsvoraussetzungen für den Beschluss geregelt wurde. Erwähnenswert ist einstweilen, dass in 51 Kammern das Recht zur Abwahl keinen Niederschlag findet.1633 Drei weitere Bezirke nennen die Abwahl des Präsidiums im Zuständigkeitskatalog der Vollversammlung.1634 Dabei dürfte es sich jedoch mehr um eine deklaratorische organisationsinterne Zuständigkeitsregel, denn um eine Ermächtigungsgrundlage handeln.1635 Über die Abwahl dürfte in Ansehung von § 6 Abs. 1 IHKG ohnehin nur die Vollversammlung befinden. Sollte darin mehr als eine Zuständigkeitsregel zu erkennen sein, müsste der Beschluss über die Abwahl an das Votum der Abstimmungsmehrheit als Regelmodus der Kollegialentscheidung geknüpft werden. Dasselbe gilt für die Bezirke, in denen die Abwahl von Präsidiumsmitgliedern nur im Zusammenhang mit den Vorgaben zur Hilfsbeschlussfähigkeit Erwähnung findet.1636 In den IHK-Bezirken Trier, Mannheim und Würzburg setzt die Abwahl das Vorliegen eines wichtigen Grundes voraus, wobei das Zustimmungserfordernis den allgemeinen Grundsätzen der Entscheidungsfindung folgt.1637 Andere Kammern verzichten auf das Vorliegen eines wichtigen Grundes, aber variieren das Mehrheitserfordernis. Ein gültiger Beschluss setzt ebenda das Votum einer Zweidrittel-1638 oder Dreiviertelmehrheit1639 unter den anwesenden Mitgliedern voraus. Andernorts ist die Zustimmung durch eine Zweidrittelmehrheit unter allen Vollversammlungsmitgliedern notwendig.1640 Weitere

1633 Es handelt sich – soweit ersichtlich – um die Satzungen der IHK-Bezirke Aachen, Arnsberg, Aschaffenburg, Augsburg, Bayreuth, Bielefeld, Bochum, Braunschweig, Bremen, Coburg, Detmold, Dillenburg, Dortmund, Dresden, Duisburg, Düsseldorf, Emden, Erfurt, Essen, Flensburg, Freiburg, Fulda, Gera, Hagen, Hannover, Heidenheim, Heilbronn, Konstanz, Limburg, Lübeck, Ludwigshafen, Magdeburg, Mainz, München, Münster, Neubrandenburg, Nürnberg, Offenbach, Oldenburg, Passau, Pforzheim, Regensburg, Reutlingen, Rostock, Schwerin, Siegen, Stade, Suhl, Ulm, Weingarten und Wiesbaden. 1634 § 4 Abs. 2 S. 2 lit. d) Satzung IHK Darmstadt (hier: in § 5 Abs. 7 S. 6 wird zusätzlich die Abwahl des Präsidenten explizit erwähnt und vorgegeben, dass die Regeln über die Hilfsbeschlussfähigkeit in diesem Fall keine Anwendung finden); § 4 Abs. 2 S. 2 lit. d)  Satzung IHK Gießen; § 4 Abs. 2 S. 2 lit. e) u. f) Satzung IHK Stuttgart (hier: § 5 Abs. 5 S. 5 erwähnt zusätzlich explizit die Abwahl des Präsidenten und gibt vor, dass die Regeln über die Hilfsbeschlussfähigkeit in diesem Fall keine Anwendung finden). 1635 Gleichgerichtet OVG Lüneburg, Urt. v. 12. November 2009 – 8 LC 58/08 –, juris Rn. 44 für die Satzung einer IHK, die bestimmte, dass die Vollversammlung auch über die Abberufung des Hauptgeschäftsführers entscheidet. 1636 § 6 Abs. 3 S. 5 Satzung IHK Karlsruhe; § 3 Abs. 5 S. 5 Satzung IHK Kassel. Die Satzungen schreiben jeweils vor, dass die Regeln über die Hilfsbeschlussfähigkeit für Beschlüsse über die Abwahl des Präsidenten und der weiteren Präsidiumsmitglieder keine Anwendung finden. 1637 § 7 Abs. 1 S. 5 Satzung IHK Trier; § 7 Abs. 2 Satzung IHK Mannheim; Art. 4 Abs. 1 S. 4 Satzung IHK Würzburg. 1638 § 7 Abs. 1 S. 6 Satzung IHK Potsdam (hier: der Antrag muss fristgemäß eingereicht worden sein, damit er den Mitgliedern mit der Tagesordnung mitgeteilt werden kann). 1639 § 6 Abs. 1 S. 6 Satzung IHK Berlin; § 5 Abs. 4 Satzung IHK Chemnitz; § 7 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Villingen-Schwenningen. 1640 § 7 Abs. 1 S. 3 Satzung IHK Hanau; § 7 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Kiel; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Krefeld.

III. Der Präsident und das Präsidium  

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Bezirke formulieren doppelt1641 oder sogar dreifach qualifizierte1642 Stimmerfordernisse. Die differenziertesten und zugleich langwierigsten Verfahren können den Satzungen der IHK Frankfurt a. M. bzw. der Wahlordnung der HK Hamburg entnommen werden.1643 Die IHK Frankfurt (Oder) rekurriert auf den actus­-contrarius 1641 § 8 Abs. 6 Satzung IHK Bonn (hier: der Antrag ist von mindestens der Hälfte der Mitglieder zu stellen, während der Beschluss die Unterstützung durch eine Zweidrittelmehrheit unter den anwesenden Mitgliedern erfahren muss); § 7 Abs. 2 S. 3 f. Satzung IHK  Koblenz (hier: vorausgesetzt wird, dass ein wichtiger Grund vorliegt und der Beschluss die Unterstützung durch eine Zweidrittelmehrheit unter den anwesenden Mitglieder erfährt); § 8 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Köln (hier: vorausgesetzt wird, dass ein wichtiger Grund vorliegt und der Beschluss die Unterstützung durch eine Zweidrittelmehrheit unter den anwesenden Mitgliedern erfährt); § 7 Abs. 4, Abs. 5 Satzung IHK Leipzig (hier: vorausgesetzt wird, dass zwei Drittel der Vollversammlungsmitglieder anwesend sind und der Beschluss die Unterstützung durch eine Zweidrittelmehrheit unter den abgegebenen Stimmen erfährt, wobei Stimmenthaltungen als nicht abgegeben gelten); § 7 Abs. 10 S. 1 f. Satzung IHK Lüneburg (hier: vorausgesetzt wird, dass die Hälfte der Vollversammlungsmitglieder anwesend ist und der Beschluss die Unterstützung durch eine Zweidrittelmehrheit unter den Anwesenden erfährt); § 5 Abs. 6 S. 3 Satzung IHK Wuppertal (hier: vorausgesetzt wird, dass der Beschluss die Unterstützung durch eine Zweidrittelmehrheit unter den Anwesenden und der Zustimmung durch die Mitgliedermehrheit erfährt). 1642 §§ 9 Abs. 1 S. 3, 7 Abs. 6b Satzung IHK Halle (hier: vorausgesetzt wird das Vorliegen eines wichtigen Grundes, der schriftliche Antrag von mind. 30 Vollversammlungsmitgliedern und die Zustimmung durch eine Dreiviertelmehrheit unter allen Vollversammlungsmitgliedern); § 6 Abs. 1 S. 4 Satzung IHK Saarbrücken (hier: vorausgesetzt wird das Vorliegen eines wichtigen Grundes, das Votum der Mitgliedermehrheit und mind. die Stimmen einer Dreiviertelmehrheit unter den anwesenden Mitgliedern); § 9 Abs. 4 Satzung IHK Osnabrück (hier: vorausgesetzt wird das Vorliegen eines Vertrauensverlusts, die Anwesenheit von zwei Drittel der Mitglieder und die Zustimmung durch eine Dreiviertelmehrheit unter den abgegebenen Stimmen). 1643 § 7 Abs. 3 Satzung IHK Frankfurt a. M.: „Der Antrag auf vorzeitige Abberufung kann nur von mindestens der Hälfte aller Mitglieder der Vollversammlung gestellt werden. Der Beschluss bedarf einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln aller Mitglieder der Vollversammlung. Über die Abberufung ist zweimal zu beraten und abzustimmen. Die zweite Beratung darf frühestens vier Wochen nach der ersten erfolgen.“ § 25a Wahlordnung HK Hamburg: „(1) Die Abwahl des Präses oder eines Vizepräses ist nur auf entsprechenden Antrag aus der Mitte des Plenums möglich. Der Antrag ist nur zulässig, wenn mit ihm ein Vorschlag für die Wahl eines Amtsnachfolgers verbunden ist. Der Wahlvorschlag darf nur einen Bewerber je Amt umfassen […]. (2) Zu Plenarsitzungen, in denen durch die Wahl eines Amtsnachfolgers über die Abwahl des Präses oder eines Vizepräses entschieden werden soll, ist mit einer Frist von 14 Tagen unter Mitteilung dieses Tagesordnungspunktes und unter Hinweis auf Absatz 3 einzuladen. (3) Das Präsidium legt dem Plenum für den Wahlgang den Wahlvorschlag […] vor. Der Vorschlag muss ihm bis spätestens 15 Tage vor der Sitzung […] eingereicht werden […]. (5) Der Wahlausschuss stellt das Ergebnis der Wahl unverzüglich nach Abschluss der Wahl fest. Der Amtsinhaber ist abgewählt, sofern der vorgeschlagene Bewerber mit der Mehrheit der Mitglieder des Plenums zu seinem Amtsnachfolger gewählt worden ist. […]. (6) Ist nach dem Ergebnis der Wahl […] kein neuer Präses oder Vizepräses gewählt, findet kein weiterer Wahlgang statt. Ein Antragsteller darf einen erfolglosen Antrag mit demselben Vorschlag für einen Amtsnachfolger nur dann erneut stellen, wenn seit dem Zugang des ersten Antrags bei der Handelskammer mindestens sechs Monate vergangen sind. Hiervon kann abgewichen werden, sofern mit der Antragstellung gravierende Gründe vorgetragen werden, die nach der Abstimmung über den erfolglosen Antrag entstanden sind und die eine erneute Antragstellung zu einem früheren Zeitpunkt rechtfertigen, um Schaden von der Handelskammer abzuwenden.“

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

Gedanken, womit die für die Wahl erdachten Zustimmungserfordernisse entsprechende Anwendung für den Fall der Abwahl finden.1644 Dass die vorgefundene Rechtslage einen mehr als unbefriedigenden Eindruck erzeugt, bedarf keiner raumgreifenden Erläuterung. Der Vollversammlung wird die Möglichkeit zur vollständigen Lenkung und effektiven Kontrolle der Selbstverwaltungskörperschaft versagt, wenn ihr vorenthalten bleibt, über alle Fragen der personellen Besetzung in den nachgeordneten Organen auch im Sanktionswege entscheiden zu können. Für das Vorliegen eines rechtspraktischen Bedürfnisses nach einer derartigen Erweiterung der Kontrollfunktion lässt sich zumindest der in der Rechtsprechung entschiedene Sachverhalt anführen, in dem die Abwahl angestrebt wurde, aber wegen des Fehlens einer Ermächtigungsgrundlage nicht rechtsgültig vollzogen werden konnte. 5. Kontinuität der Organbesetzungen, Wegfall der Wählbarkeit und vorzeitiger Rückzug Die stichprobenartige Durchsicht der Satzungen ergibt, dass die kontinuierliche Besetzung der Organe Präsident und Präsidium für den Zeitraum zwischen dem Ablauf der Amtszeit und der neuerlichen Besetzung gesichert ist. Dies gelingt, indem die Amtsinhaber dazu verpflichtet werden, ihr Amt kommissarisch bis zum Amtsantritt eines Nachfolgers auszuüben.1645 Da in der großen Mehrzahl der Kammern ein zeitlicher Gleichlauf zwischen der Wahlperiode der Vollversammlung und den Amtszeiten des Präsidenten und den weiteren Mitgliedern des Präsidiums hergestellt wird, nehmen die entsprechenden Satzungen auf den Zeitpunkt der Neukonstituierung der Vollversammlung Bezug. Die Bezirke, deren Satzungen den vorstehenden Regelungsgehalt nicht aufweisen,1646 müssen bis einschließlich 31. Dezember 2022 § 13b Abs. 1 S. 1 IHKG beachten. Dort ist immerhin festgeschrieben: „Präsidiumsmitglieder und der Hauptgeschäftsführer einer Industrie-

1644

§ 7 Abs. 2 S. 5 Satzung IHK Frankfurt (Oder). Aus § 7 Abs. 2 S. 2 folgt, dass die Abwahl des Präsidenten die Stimmen von zwei Drittel der Anwesenden, mindestens aber das Votum der absoluten Mehrheit erfordert, während für die Abwahl der übrigen Präsidiumsmitglieder eine Zweidrittelmehrheit unter den Anwesenden notwendig wird. 1645 § 7 Abs. 1 S. 3 Satzung IHK  Kiel lautet bspw.: „Die Mitglieder [des Präsidiums] nehmen nach Ablauf der Amtsperiode der Vollversammlung ihr Amt noch solange wahr, bis die neu konstituierte Vollversammlung das neue Präsidium gewählt hat.“ Gleichgerichtet § 6 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Aachen; § 7 Abs. 1 S. 3 Satzung IHK Bielefeld; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Darmstadt; § 8 Abs. 3 S. 3 Satzung IHK Erfurt; § 7 Abs. 1 S. 3 Satzung IHK Gießen; § 10 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Karlsruhe; § 6 Abs. 1 S. 3 Satzung IHK Limburg; § 7 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Münster; § 6 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Stuttgart; § 4 Abs. 6 Satzung IHK Würzburg. 1646 Es handelt sich bspw. um die Satzungen der IHK-Bezirke Potsdam, Flensburg und Lübeck, in denen der Regelungsgehalt nicht aufgefunden werden konnte.

III. Der Präsident und das Präsidium  

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und Handelskammer bleiben auch nach Ablauf ihrer Amtszeit bis zur Bestellung ihrer Nachfolger im Amt.“1647 Für den Fall, dass die Wählbarkeit zur Vollversammlung wegfällt oder ein vorzeitiger Rückzug aus dem Amt erfolgt, finden die vorbezeichneten Vorschriften keine Anwendung, weil das Amt ex nunc erlischt.1648 Die Frage, ob für die restliche Amtszeit eine Neuwahl über den frei gewordenen Posten notwendig wird, ist differenzierend zu beantworten. Aus einer Zusammenschau der §§ 6, 7 IHKG und den im Satzungsrecht definierten Aufgaben des Vorsitzenden folgt, dass eine Neuwahl des Präsidenten unumgänglich ist. Die Leerstelle kann nur für den sich aus der Natur der Sache ergebenden Übergangszeitraum zwischen den Sitzungen der Vollversammlung hingenommen werden.1649 Ob eine Neuwahl für die weiteren Präsidiumssitze im Fall des vorzeitigen Ausscheidens bzgl. der verbliebenen Amtszeit notwendig wird, beantworten die durchgesehenen Satzungen unterschiedlich. In Teilen wird eine Wahlfreiheit der Vollversammlung festgeschrieben.1650 Dem entspricht eine Kann-Regelung, die ebenfalls aufgefunden werden konnte.1651 Die Satzungen anderer IHK-Bezirke enthalten hingegen keinerlei Maßgaben,1652 während weitere Kammern eine Muss-1653 bzw. eine Soll-Regelung vorhalten.1654 Die Regelungsvarianz findet ihren Grund in dem Umstand, dass für die Größe des Präsidiums in der ganz überwiegenden Anzahl der IHK-Bezirke keine exakte Angabe existiert. Erst das Absinken der Präsidiumsgröße unter das Mindestmaß von drei Mitgliedern (s. § 6 Abs. 1 IHKG) macht unter diesen Voraussetzungen eine Neuwahl zwingend erforderlich. Ist die Größe des Organs in den Satzungen hingegen abweichungsfest normiert, fordert eine Unterschreitung zur Neubesetzung des Postens für die restliche Amtszeit heraus.

1647 Da es sich um eine „COVID-19-Sonderregel“ handelt (dazu näher in Fn. 1489), darf die Vorschrift nicht eingesetzt werden, um die rechtlich mögliche Neubesetzung der Ämter zu verhindern. 1648 So ausdrücklich § 6 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Augsburg: „Ein Mitglied des Präsidiums scheidet aus diesem aus, wenn es seinen Rücktritt erklärt, bei Erlöschen der IHK-Zugehörigkeit oder der Mitgliedschaft zur Vollversammlung.“ 1649 § 6 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Aachen stellt dies klar. 1650 § 6 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Aachen. 1651 § 10 Abs. 1 S. 4 Satzung IHK Karlsruhe; § 7 Abs. 1 S. 3 Satzung IHK Potsdam. 1652 Es handelt sich bspw. um die Satzungen der IHK-Bezirke Stuttgart, Flensburg und Lübeck. 1653 § 7 Abs. 1 S. 4 Satzung IHK  Bielefeld; § 7 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK  Darmstadt; § 8 Abs. 3 S. 3 Satzung IHK Erfurt; § 6 Abs. 1 S. 3 Satzung IHK Limburg; § 7 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Münster. 1654 § 7 Abs. 1 S. 3 Satzung IHK Gießen; Art. § 4 Abs. 5 Satzung IHK Würzburg.

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

6. Der Präsident als Vorsitzender der ehrenamtlichen Organe, Sprecher der gewerblichen Wirtschaft sowie Inhaber von Ordnungsgewalt und Hausrecht Keine Bedeutung entfalten Satzungen, die den Präsidenten zum Vorsitzenden von Vollversammlung und Präsidium erklären.1655 Sie repetieren lediglich, was unter Ansicht von § 6 Abs. 2 IHKG bereits bekannt ist. Wenn der Präsident zusätzlich zum Sprecher der gewerblichen Wirtschaft im Kammerbezirk erklärt wird,1656 gilt eben Gesagtes entsprechend. Der Rechtsgehalt dieser Vorgaben erschöpft sich in einer organisationsinternen Zuständigkeitsregel. Von Bedeutung ist demgegenüber, dass die Satzungen die Vertretung des Präsidenten für den Fall seiner Verhinderung regeln.1657 Immerhin wird daraus ersichtlich, dass die Bezeichnungen „Vorsitzender“ und „Präsident“ nicht ausschließlich die Person des gewählten Präsidenten adressieren. 1655 § 7 Abs. 2 S. 1 f. Satzung IHK Aachen; §§ 5 Abs. 1 S. 3, 8 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Aschaffenburg; § 5 Abs. 1 Satzung IHK Augsburg (hier: ausschließlicher Verweis auf die Rolle als Vorsitzender der Vollversammlung); §§ 5 Abs. 3, 6 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Dortmund; §§ 6 Abs. 4 S. 1, 9 Abs. 1 Satzung IHK Dresden; §§ 4 Abs. 3, 5 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Duisburg; §§ 3 Abs. 4, 5 Abs. 5 Satzung IHK Düsseldorf; § 9 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Emden; § 8 Abs. 1 Satzung IHK Essen; § 8 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Frankfurt (Oder); § 9 Abs. 1 Satzung IHK Hagen; §§ 3 Abs. 4 S. 1, 7 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Kassel; §§ 3 Abs. 4, 4 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Nürnberg; § 9 Abs. 1 Satzung IHK Oldenburg; §§ 4 Abs. 4, 5 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Passau; § 8 Abs. 1 Satzung IHK Pforzheim; §§ 4 Abs. 4 S. 1, 6 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Saarbrücken; §§ 5 Abs. 1 S. 3, 7 Abs. 4 Satzung IHK Siegen; § 9 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Stade (hier: ausschließlicher Verweis auf die Rolle als Vorsitzender des Präsidiums); § 9 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Stuttgart (hier: ausschließlicher Verweis auf die Rolle als Vorsitzender der Vollversammlung); § 9 Abs. 1 Satzung IHK Ulm; §§ 5 Abs. 1 S. 3, 7 Abs. 4 Satzung IHK Wiesbaden; §§ 5 Abs. 4, 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Wuppertal. 1656 § 8 Abs. 1 Satzung IHK Arnsberg; § 5 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Bayreuth; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Berlin; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Bielefeld; § 5 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Bochum; § 9 Abs. 1 Satzung IHK Bonn; § 8 Abs. 1 Satzung HK Bremen; § 8 Abs. 1 Satzung IHK Coburg; § 8 Abs. 1 Satzung IHK Cottbus; § 8 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Darmstadt; § 8 Abs. 1 Satzung IHK Detmold; § 8 Abs. 1 Satzung IHK Dillenburg § 9 Abs. 1 Satzung IHK Erfurt; § 8 Abs. 1 Satzung IHK Frankfurt a. M.; § 8 Abs. 1 Satzung IHK Freiburg; § 8 Abs. 1 Satzung IHK Fulda; § 8 Abs. 1 Satzung IHK Gera; § 8 Abs. 1 Satzung IHK Gießen; § 10 Abs. 1 Satzung IHK Halle; § 8 Abs. 1 Satzung IHK Hanau; § 8 Abs. 1 Satzung IHK Heidenheim; § 8 Abs. 1 Satzung IHK Heilbronn; § 8 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Karlsruhe; § 8 Abs. 1 Satzung IHK Kiel; § 8 Abs. 1 Satzung IHK Koblenz; § 9 Abs. 1 Satzung IHK Köln; § 8 Abs. 1 Satzung IHK Konstanz; § 8 Abs. 1 Satzung IHK Krefeld; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Limburg; § 8 Abs. 1 Satzung IHK Lübeck; § 8 Abs. 1 Satzung IHK Mainz; § 8 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Mannheim; § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK München; § 8 Abs. 1 Satzung IHK Münster; § 9 Abs. 1 Satzung IHK Neubrandenburg; § 9 Abs. 1 Satzung IHK Oldenburg; § 8 Abs. 1 Satzung IHK Pforzheim; § 10 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Reutlingen; § 8 Abs. 1 Satzung IHK Rostock; § 8 Abs. 1 Satzung IHK Schwerin; § 9 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Suhl; § 8 Abs. 1 Satzung IHK Trier; § 7 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK VillingenSchwenningen; § 8 Abs. 1 Satzung IHK Weingarten; Art. 4 Abs. 9 S. 1 Satzung IHK Würzburg. 1657 § 8 Abs. 3 Satzung IHK Kiel lautet etwa: „Der Präsident wird bei Verhinderung durch den von ihm damit beauftragten Vizepräsidenten, sonst durch den amtsältesten, bei mehreren amtsältesten durch den ältesten Vizepräsidenten vertreten.“

III. Der Präsident und das Präsidium  

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In Ausübung des Amtes hat der Präsident die Neutralitätspflicht zu achten. Es ist ihm etwa versagt, die Deformation eines Rechenschaftsberichts zu betreiben, indem er an dieser Stelle Wahlpropaganda mittels gezielter Herabsetzung anderer Bewerber verlautbart.1658 Auch die Vorgänge rund um die Wahl des Präsidenten der IHK Berlin im Jahr 2021 erregen Aufmerksamkeit. Hier hat die scheidende Präsidentin ihren Nachfolger „nominiert“,1659 womit sie nicht nur die Neutralitätspflicht verletzte, sondern auch den Grundsatz der freien Wahl empfindlich tangierte. Dem Präsidenten steht regelmäßig zu, Gäste zu den Sitzungen der Vollversammlung einzuladen.1660 Schließlich ist ihm aufgegeben, gemeinsam mit dem Hauptgeschäftsführer das die Beratungen und Beschlüsse der Vollversammlung wiedergebende Protokoll und die Sitzungsniederschrift des Präsidiums zu unterzeichnen.1661 Anders als in § 89 VwVfG,1662 der maßgeblichen Vorschrift für das Verfahrensrecht der Ausschüsse, entscheidet § 6 Abs. 2 S. 2 IHKG nicht ausdrücklich, ob der Präsident in seiner Rolle als Vorsitzender der Vollversammlung auch Inhaber der Ordnungsgewalt ist. Der Mangel an gesetzlichen Vorgaben hat mehrere IHK-Bezirke zu einem Erfindungsreichtum eingeladen. Bei Durchsicht der Satzungen ist etwa ein Regelwerk der IHK Hagen aufgefallen, das eine Ermächtigung des Vorsitzenden zur Einschränkbarkeit des Rede- und Fragerechts der Vollversammlungsmitglieder bereithält und mit der Maßgabe abschließt, dass Beschränkungen vom Versammlungsleiter jederzeit angeordnet werden können.1663 Darüber hinaus geht die Rechtslage in der IHK Bielefeld. Die Satzung ermöglicht den Sitzungsausschluss für Mitglieder der Vollversammlung nach dem Votum durch eine Zweidrittelmehrheit unter den anwesenden Mitgliedern.1664 Dem Vorsitzenden 1658 Die damit angesprochene Entscheidung (BGH, Urt. v. 7. Dezember 2020 – AnwZ (Brfg) 19/19 –, juris) betraf eine Rechtsausübung gem. § 113f Abs. 1 BRAO, mithin die Anfechtung einer Wahl zum Vorstand der Rechtsanwaltskammer. Da in Folge des Richterspruchs die Wahl für (weitgehend) ungültig erklärt wurde und 13 von 15 Vorstandsmitglieder ihr Amt verloren, muss man zu der Schlussfolgerung gelangen, dass Verstöße gegen die Neutralitätspflicht – insbesondere im zeitlichen Umfeld von Wahlen – weitreichende Folgen zeitigen. 1659 Hoffmann, Neuer IHK-Präsident in Berlin – Klatsche für das Establishment, Der Tagesspiegel v. 15. September 2021, abrufbar unter https://www.tagesspiegel.de/politik/neuer-ihkpraesident-in-berlin-klatsche-fuer-das-establishment/27615600.htmlspiegel. 1660 § 5 Abs. 7 S. 2 Satzung IHK  Kiel. Beachtung verdient in diesem Zusammenhang § 5 Abs. 8 S. 4 Satzung IHK Frankfurt (Oder). Danach kann die Vollversammlung mit einfacher Mehrheit der Einladung eines Gastes widersprechen. Indes dürfte diese Vorschrift über einen lediglich deklaratorischen Charakter verfügen, weil auf das Selbstbestimmungsrecht der Vollversammlung derartige Beschlüsse gegründet werden können, auch wenn eine explizite Ermächtigung fehlt. 1661 §§ 5 Abs. 8 S. 1, 7 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Kiel. 1662 Ob die Verantwortlichkeit für die Ordnung im Sinne der Vorschrift auch das Recht zum Ausschluss von Mitgliedern des Kollegialorgans von der Sitzung enthält, ist umstr., wird aber überwiegend angenommen, s. Kallerhoff / Hecker, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, 9.  Aufl. 2018, § 89 Rn. 11 m. Fn. 31. 1663 § 6 Abs. 7 Satzung IHK Hagen. 1664 § 5 Abs. 1 S. 5 Satzung IHK Bielefeld.

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

der Vollversammlung der IHK Osnabrück kommt nach der Geschäftsordnung die Ordnungsbefugnis zu. Er wird explizit berechtigt, auftretende Störungen abzuwehren.1665 Ob damit die Befugnis zum Sitzungsausschluss gewährt werden soll, ist unbekannt. Die Geschäftsordnung der IHK Leipzig ermächtigt den Vorsitzenden zum Sitzungsausschluss.1666 In den Satzungen anderer Kammern heißt es, dass der Präsident das Hausrecht ausübt.1667 Anhand der aus dem Kommunalverfassungsrecht bekannten Leitlinien, in der zwischen organinternen Maßnahmen der Sitzungs- bzw. Ordnungsgewalt und der Wahrnehmung des Hausrechts gegenüber organexternen Zuhörern differenziert wird,1668 dürfte deutlich werden, dass die letztgenannten Ermächtigungen keine Maßregelungen gegenüber Mitgliedern der Vollversammlung gestatten.1669 Die Rechtslage im Kommunalverfassungsrecht zeigt auch, dass ein Bedürfnis für die Anordnung von Ordnungsmaßnahmen in Kollegialorganen besteht.1670 Für die Vollversammlung lässt sich das Bedürfnis mit den dort zusammengespannten Interessen begründen, die tendenziell in einem Verhältnis des Antagonismus stehen. Wenngleich der Interessengegensatz für die Repräsentationsfunktion der Vollversammlung unverzichtbar ist, könnte er im Fall des ungehinderten Aufeinandertreffens auch Folgen zeitigen, die zum Nachteil der Funktionsfähigkeit des Gesamtorgans wirken oder die Mitwirkungsrechte einzelner Vollversammlungsmitglieder beeinträchtigen. Um diese Gefahren zu verhüten, sollte dem Vorsitzenden der Vollversammlung die Ordnungsgewalt mitsamt der Möglichkeit, Ordnungsmaßnahmen zu verhängen, zuerkannt werden. Der Sitzungsausschluss bedingt weitreichende Folgen. Er suspendiert die Wahrnehmung der Mitwirkungsrechte mitsamt der dazugehörigen Repräsentationsaufgabe. Zudem wird die Zusammensetzung des Organs mit den bisherigen Mehrheitsverhältnissen für den weiteren Verlauf der Sitzung entgegen dem Wählerwillen 1665 § 3 Geschäftsordnung IHK Osnabrück: „[…]. Dem Vorsitzenden steht die Leitungs- und Ordnungsbefugnis in der Vollversammlung zu. Der Vorsitzende übt das Hausrecht aus. Auftretende Störungen hat er im Rahmen seiner Ordnungsbefugnis abzuwehren.“ 1666 § 2 Abs. 1 S. 3 ff. Geschäftsordnung IHK Leipzig: „Der Vorsitzende orientiert sich an den allgemeinen parlamentarischen Grundsätzen*. Er erteilt das Wort, darf einen Redner auf den Gegenstand der Aussprache hinweisen und ihm, falls dies erforderlich sein sollte, das Wort entziehen. Er kann die Redezeiten angemessen begrenzen.“ In den Erläuterungen hierzu heißt es: „Wird die festgelegte Redezeit eines Mitgliedes überschritten, werden lange antragsfremde Ausführungen gemacht oder benimmt sich der Redner ungebührlich, ist der Vorsitzende verpflichtet, den Redner zu ermahnen, seine Rede zu beenden. Nach erfolgloser Ermahnung ist dem Redner das Wort durch den Vorsitzenden zu entziehen. Im äußersten Notfall ist der Vorsitzende berechtigt, den Redner nach vorheriger Androhung, aus dem Sitzungssaal zu verweisen.“ 1667 § 5 Abs. 1 S. 4 Satzung IHK München; § 5 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Villingen-Schwen­ ningen. 1668 Burgi, Kommunalrecht, 6. Aufl. 2019, § 12 Rn. 37 ff. 1669 Der Regelungsgehalt dürfte sich vor allem im Zusammenhang mit öffentlichen Sitzungen der Vollversammlung ergeben (dazu näher unter E. VI. 5. c)), in denen das Hausrecht gegenüber organexternen Personen ausgeübt wird. 1670 S. dazu jüngst Heger, NJOZ 2020, 65–70.

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verändert. Angesichts dessen kommt man nicht an der Einsicht vorbei, dass der Regelungsgehalt dem Parlamentsvorbehalt unterliegt.1671 Da § 6 Abs. 2 S. 2 IHKG die Rolle des Vorsitzenden auf die Einberufung der Vollversammlung und die Führung des Vorsitzes in den Sitzungen abschließend beschränkt, liegt mit dem Erdenken von Ordnungsbefugnissen im untergesetzlichen Recht ein Auswuchs kreativer Illegalität vor. Die angeführten Befugnisse sind für unwirksam zu erachten. Darüber hinaus wirft das Normkonzept der IHK Bielefeld virulente Rechtsprobleme auf, weil es an den klassischen Elementen sitzungspolizeilicher Bestimmungen fehlt. Die Vorgaben verzichten auf Tatbestandsvoraussetzungen wie z. B. die fortgesetzte erhebliche Störung der Ordnung.1672 Auf der Rechtsfolgenseite fehlt die notwendige Etablierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, der es erlauben würde, stufenweise und anlassbezogen zu reagieren (Ordnungsruf [Rüge]  – Androhung und Entzug des Wortes – Missbilligung einer Äußerung – Ausschluss von der Sitzung als Ultima Ratio [unter der Voraussetzung, dass eine mildere Ordnungsmaßnahme für eine vorangegangene Störung keine Wirkungen zeitigte]). Anstatt das Recht dem Vorsitzenden des Kollegiums zuzuordnen, vertraut man derzeit darauf, dass die Zustimmung einer Zweidrittelmehrheit (!) unter den anwesenden Mitgliedern frei von willkürlichen Gesichtspunkten ausfällt. Damit wird ein Sachverhalt denkbar, in dem zwei von drei verbliebenen Organmitglieder für den Ausschluss eines weiteren Mitglieds votieren und die Vollversammlung weiterhin beschlussfähig bleibt.1673 7. Entscheidungsfindung im Präsidium Für das Recht, das der Entscheidungsfindung im Präsidium zugrunde liegt, muss an altbekannte Feststellungen erinnert werden. Der Gesetzgeber hat für dieses Organ mit § 6 Abs. 2 S. 1 IHKG lediglich determiniert, dass der Präsident (Präses) kraft Amtes Vorsitzender ist. Der weitgehende Regelungsverzicht bedingt, dass das Verfahrensrecht des Präsidiums in Wahrnehmung der Satzungsautonomie ausgestaltet wird.

1671 Die Richtigkeit dieses Gedankens beweist der Blick in die Gemeindeordnungen (s. dazu die Darstellung bei Gern / Brüning, Deutsches Kommunalrecht, 4. Aufl. 2019, Rn. 630 ff.). 1672 Die Grenze zur Störung der Sitzungsordnung ist erreicht, wenn es sich nicht mehr um eine inhaltliche Auseinandersetzung handelt, sondern die bloße Provokation, die schiere Herabwürdigung Anderer oder die Verletzung von Rechtsgütern Dritter im Vordergrund steht (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 16. Mai 2013 – 15 A 785/12 –, juris Rn. 49). In einer intensiv geführten Auseinandersetzung ist dem Rederecht allerdings mehr Geltung zu verschaffen (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 16. Mai 2013 – 15 A 785/12 –, juris Rn. 51). Die Störung der Ordnung ist einem Mitglied zuzurechnen, wenn es die Ursache dafür gesetzt hat, dass der Sitzungsfortgang unmöglich gemacht oder jedenfalls wesentlich erschwert wurde (BayVGH, Urt. v. 29. Juli 1987 – 4 B 86.01352 –, juris Ls. 2 [unter Ansehung von Art. 53 Abs. 1 S. 3 GemO Bay]). 1673 Bedenkt man, dass derzeit großzügige Regeln die Hilfsbeschlussfähigkeit fortschreiben, ist es überdies möglich, in dieser Konstellation wirksame Beschlüsse zu fassen.

362

E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

Danach wird das Präsidium ganz überwiegend für beschlussfähig erkannt, wenn die hälftige Anwesenheit seiner Mitglieder sichergestellt ist.1674 Nur wenige Kammern benennen die Mitgliederanzahl, die zur Annahme der Beschlussfähigkeit notwendig ist, exakt.1675 In anderen Satzungen werden gar keine Voraussetzungen festgeschrieben.1676 Regelungen über die Hilfsbeschlussfähigkeit des Präsidiums finden sich nur äußerst selten im untergesetzlichen Recht.1677 Die Fassung eines gültigen Beschlusses setzt voraus, dass die Hälfte der Mitglieder zustimmt.1678 Für

1674

§ 7 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Arnsberg; § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Bayreuth; § 6 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK  Berlin; § 7 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK  Bielefeld; § 8 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK Bonn; § 9 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Braunschweig; § 7 Abs. 3 S. 2 Satzung HK Bremen; § 7 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Chemnitz; § 7 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Coburg; § 7 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Cottbus; § 7 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Darmstadt; § 7 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Detmold; § 7 Abs. 3 S. 3 Satzung IHK Dillenburg; § 5 Abs. 3 S. 4 Satzung IHK Duisburg; § 5 Abs. 7 Satzung IHK Düsseldorf (hier: als anwesend gelten auch die Mitglieder, die ihr Stimmrecht schriftlich, durch Ermächtigung oder Genehmigung ausüben); § 8 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Erfurt; § 7 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Essen; § 7 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Frankfurt a. M.; § 7 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Frankfurt (Oder); § 7 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Freiburg; § 7 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Fulda; § 7 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Gera; § 7 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Gießen; § 8 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Hagen; § 9 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Halle; § 7 Abs. 3 S. 3 Satzung IHK Hanau; § 7 Abs. 3 S. 3 Satzung IHK Heidenheim; § 7 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Heilbronn; § 11 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Karlsruhe; § 7 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Kiel; § 7 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Koblenz; § 8 Abs. 7 S. 2 Satzung IHK Köln; § 7 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Konstanz; § 8 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Krefeld; § 6 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Limburg; § 7 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Lübeck; § 9 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Lüneburg; § 6 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Mainz; § 7 Abs. 4 S. 3 Satzung IHK Mannheim; § 6 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK München; § 7 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Münster; § 8 Abs. 4 Satzung IHK Neubrandenburg; § 4 Abs. 8 S. 1 Satzung IHK Nürnberg; § 8 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK  Oldenburg; § 5 Abs. 5 S. 4 Satzung IHK  Passau; § 7 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Pforzheim (hier: sofern mündlicher Austausch möglich ist, zählen auch Mitglieder, die per Video oder Telefon zugeschaltet sind); § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Potsdam; § 6 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Regensburg; § 10 Abs. 5 S. 2 f. Satzung IHK Reutlingen; § 7 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Rostock; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Schwerin; § 7 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK Siegen; § 8 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Stade; § 6 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK Stuttgart; § 9 Abs. 8 S. 1 Satzung IHK Suhl; § 7 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Trier; § 8 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Ulm; § 7 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Villingen-Schwenningen; § 7 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK  Weingarten; § 7 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Wiesbaden; § 7 Abs. 2 Satzung IHK Wuppertal; Art. 4 Abs. 10 S. 1 Satzung IHK Würzburg. 1675 § 8 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK Aschaffenburg (hier: vier Mitglieder); § 10 Abs. 2 S. 2 Satzung HK Hamburg (hier: vier Mitglieder); § 8 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Krefeld (hier: fünf Mitglieder); § 4 Abs. 8 S. 1 Satzung IHK Nürnberg (hier: fünf Mitglieder); § 10 Abs. 5 S. 2 f. Satzung IHK Reutlingen (hier: bei fünf Vizepr. ist das Präsidium beschlussfähig, wenn außer dem Vors. mind. zwei Vizepr. anwesend sind; wurden mehr gewählt, ist das Präsidium beschlussfähig, wenn außer dem Vors. mind. drei Vizepr. anwesend sind); § 7 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK Siegen (hier: drei Mitglieder). 1676 Es handelt sich, soweit ersichtlich, um die Satzungen der IHK-Bezirke Aachen, Dresden und Emden. 1677 § 8 Abs. 3 S. 2 ff. Satzung IHK Krefeld (hier: die Vorgaben stellen eine sinngemäße Anwendung der für die Vollversammlung geltenden Vorschriften dar [s. Fn. 1506]). 1678 § 6 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Aachen; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Arnsberg; § 8 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Aschaffenburg; § 5 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Bayreuth; § 6 Abs. 4 S. 2 Satzung

III. Der Präsident und das Präsidium  

363

den Fall der Stimmengleichheit ist in der weit überwiegenden Anzahl der Kammern1679 die Stimme des Präsidenten entscheidend.1680 In Konstellationen besonde-

IHK Berlin; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Bielefeld; § 8 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Bonn; § 9 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Braunschweig; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung HK Bremen; § 7 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Chemnitz; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Coburg; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Cottbus; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Darmstadt; § 7 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Detmold; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Dillenburg; § 9 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Dresden; § 5 Abs. 3 S. 3 Satzung IHK Duisburg; § 5 Abs. 8 S. 1 Satzung IHK Düsseldorf; § 8 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Emden; § 8 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Erfurt; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Essen; § 7 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Frankfurt a. M.; § 7 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Frankfurt (Oder); § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Freiburg; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Fulda; § 7 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Gera; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Gießen; § 8 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Hagen; § 9 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Halle; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK  Hanau; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK  Heidenheim; § 7 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Heilbronn; § 11 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Karlsruhe; § 7 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Kiel; § 7 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Koblenz; § 8 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Köln; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Konstanz; § 8 Abs. 3 S. 5 Satzung IHK Krefeld; § 6 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Limburg; § 7 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Lübeck; § 9 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Lüneburg; § 6 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Mainz; § 7 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Mannheim (hier: nach S. 2 wird Konsens angestrebt); § 6 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK München; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Münster; § 8 Abs. 4 Satzung IHK Neubrandenburg; § 4 Abs. 8 S. 2 Satzung IHK Nürnberg; § 8 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Oldenburg; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK  Pforzheim; § 7 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK  Potsdam; § 6 Abs. 7 S. 2 Satzung IHK Regensburg; § 10 Abs. 5 S. 4 Satzung IHK Reutlingen; § 7 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Rostock; § 7 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Schwerin; § 7 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Siegen; § 8 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Stade; § 6 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Stuttgart; § 9 Abs. 8 S. 2 Satzung IHK Suhl; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Trier; § 8 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Ulm; § 7 Abs. 3 S. 3 Satzung IHK Villingen-Schwenningen; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Weingarten; § 7 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Wiesbaden; § 7 Abs. 2 Satzung IHK Wuppertal; Art. 4 Abs. 10 S. 2 Satzung IHK Würzburg. 1679 Die Satzungen der IHK-Bezirke Aschaffenburg, Lüneburg, Mannheim, München, Stuttgart, Ulm, Villingen-Schwenningen und Wiesbaden enthalten das Dirimierungsrecht nicht. 1680 § 6 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Aachen; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Arnsberg; § 5 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Bayreuth; § 6 Abs. 4 S. 3 Satzung IHK Berlin; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Bielefeld; § 8 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Bonn; § 9 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Braunschweig; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung HK  Bremen; § 7 Abs. 4 S. 3 Satzung IHK  Chemnitz; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Coburg; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Cottbus; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Darmstadt; § 7 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Detmold; § 7 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Dillenburg; § 9 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Dresden; § 5 Abs. 3 S. 3 Satzung IHK Duisburg; § 5 Abs. 8 S. 1 Satzung IHK Düsseldorf; § 8 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Emden; § 8 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK  Erfurt; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Essen; § 7 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Frankfurt a. M.; § 7 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Frankfurt (Oder); § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Freiburg; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Fulda; § 7 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Gera; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Gießen; § 8 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Hagen; § 9 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Halle; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Hanau; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Heidenheim; § 7 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Heilbronn; § 11 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Karlsruhe; § 7 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Kiel; § 7 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Koblenz; § 8 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Köln; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Konstanz; § 8 Abs. 3 S. 6 Satzung IHK Krefeld; § 6 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Limburg; § 7 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Lübeck; § 6 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Mainz; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Münster; § 8 Abs. 4 Satzung IHK Neubrandenburg; § 4 Abs. 8 S. 1 Satzung IHK Nürnberg; § 8 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Oldenburg; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK  Pforzheim; § 7 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK  Potsdam; § 6 Abs. 7 S. 3 Satzung IHK Regensburg; § 10 Abs. 5 S. 5 Satzung IHK Reutlingen; § 7 Abs. 4 S. 1

364

E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

rer Eilbedürftigkeit kann das Präsidium in vielen IHK-Bezirken im schriftlichen Verfahren oder in Textform (§ 126b BGB) beschließen, wenn kein Mitglied widerspricht.1681 Bis einschließlich 31. Dezember 2022 gestattet § 13b Abs. 3 IHKG1682, dass der Präsident auch ohne Satzungsermächtigung durch „Beschluss“1683 den Mitgliedern des Präsidiums erlaubt, an der Sitzung „ohne Anwesenheit am Versammlungsort teilzunehmen und Mitgliederrechte im Wege der elektronischen Kommunikation auszuüben“ oder ohne Teilnahme an der Sitzung „ihre Stimmen vor der Durchführung oder ohne Durchführung der Sitzung in Textform gegenüber dem Präsidenten abzugeben“.

Satzung IHK Rostock; § 7 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Schwerin; § 7 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Siegen; § 8 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Stade; § 9 Abs. 8 S. 2 Satzung IHK Suhl; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Trier; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Weingarten; § 7 Abs. 2 Satzung IHK Wuppertal; Art. 4 Abs. 10 S. 2 Satzung IHK Würzburg. 1681 § 6 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Aachen (hier: ausgenommen sind Gegenstände, für die das Präsidium an Stelle der Vollversammlung wegen einer dringlichen Angelegenheit entscheidet, die keinen Aufschub duldet); § 10 Abs. 2 S. 3 f. Satzung HK Hamburg (hier: Textform; Aussetzung des Verfahrens bei Widerspruch eines Mitglieds; ausgenommen sind Gegenstände, für die das Präsidium an Stelle der Vollversammlung wegen einer dringlichen Angelegenheit entscheidet, die keinen Aufschub duldet); § 7 Abs. 4 S. 3 Satzung IHK Mannheim; § 6 Abs. 5 S. 3 f. Satzung IHK München (hier: ausgenommen sind Gegenstände, für die das Präsidium an Stelle der Vollversammlung wegen einer dringlichen Angelegenheit entscheidet, die keinen Aufschub duldet); § 4 Abs. 8 S. 3 f. Satzung IHK Nürnberg (hier: die Gültigkeit des Beschlusses setzt voraus, dass die Mehrheit der Mitglieder zustimmt); § 8 Abs. 3 S. 3 Satzung IHK Oldenburg (hier: schriftliches oder elektronisches Umlaufverfahren; ausgenommen sind Gegenstände, für die das Präsidium an Stelle der Vollversammlung wegen einer dringlichen Angelegenheit entscheidet, die keinen Aufschub duldet); § 7 Abs. 3 S. 3 Satzung IHK Pforzheim (hier: Schrift- oder Textform; ausgenommen sind Gegenstände, für die das Präsidium an Stelle der Vollversammlung wegen einer dringlichen Angelegenheit entscheidet, die keinen Aufschub duldet); § 10 Abs. 5 S. 6 f. Satzung IHK Reutlingen (hier: ausgenommen sind Gegenstände, für die das Präsidium an Stelle der Vollversammlung wegen einer dringlichen Angelegenheit entscheidet, die keinen Aufschub duldet); § 6 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Saarbrücken (hier: schlichter Verweis auf die Möglichkeit zur Durchführung eines Umlaufverfahrens); § 7 Abs. 5 S. 4 f. Satzung IHK Siegen (hier: ausgenommen sind Gegenstände, für die das Präsidium an Stelle der Vollversammlung wegen einer dringlichen Angelegenheit entscheidet, die keinen Aufschub duldet); § 6 Abs. 6 S. 3 f. Satzung IHK Stuttgart (hier: Verweis auf ein schriftliches Verfahren für Fälle besonderer Eilbedürftigkeit mit dem Zusatz, dass eine Übermittlung per Fax ausreichend ist); § 8 Abs. 2 S. 3 f. Satzung IHK Ulm (hier: ausgenommen sind Gegenstände, für die das Präsidium an Stelle der Vollversammlung wegen einer dringlichen Angelegenheit entscheidet, die keinen Aufschub duldet); § 7 Abs. 3 S. 5 f. Satzung IHK  Villingen-Schwenningen (hier: ausgenommen sind Gegenstände, für die das Präsidium an Stelle der Vollversammlung wegen einer dringlichen Angelegenheit entscheidet, die keinen Aufschub duldet); § 7 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK Wiesbaden (hier: Textform; ausgenommen sind Gegenstände, für die das Präsidium an Stelle der Vollversammlung wegen einer dringlichen Angelegenheit entscheidet, die keinen Aufschub duldet). 1682 S. dazu noch die Anmerkungen in Fn. 1489. 1683 Da der Präsident der IHK als monistisches Organ konstituiert ist, kann er selbstredend nicht in der Form eines Beschlusses entscheiden. Immerhin handelt es sich dabei um einen Kollegialakt (dazu näher bei Fn. 1395). Die im Gesetz angesprochene Entscheidung stellt sich als schlichte Willensentscheidung dar.

IV. Der Hauptgeschäftsführer  

365

Zur Vollständigkeit des Befunds gehört, dass zwei Bezirke auf eine entsprechende Geltung der für die Vollversammlung erdachten Regeln verweisen.1684 Andernorts konnten keine Verfahrensvorgaben aufgefunden werden.1685 Waren die vorstehenden Inhalte in den Satzungen nicht ersichtlich, beruht dies teilweise auf dem Umstand, dass das Präsidium in mehreren Satzungen ermächtigt wird, sich eine eigene Geschäftsordnung zu geben.1686 Da es sich auch bei dem Präsidium um ein Kollegialorgan handelt, müssen die Argumente und Vorgaben, die für das Verfahren der Vollversammlung formuliert wurden, eine sinngemäße Anwendung für den Entscheidungskontext im Präsidium finden. Denn erst unter der Bedingung, dass die Mitwirkungsrechte der Organmitglieder weitreichend geschützt und nur im Fall einer ernstlichen Kollision mit den Bedürfnissen des Gesamtorgans zurückgestellt werden, können sich die Vorzüge des Kollegialverfahrens entfalten.

IV. Der Hauptgeschäftsführer Das Amt des Hauptgeschäftsführers findet seinen Ausgangspunkt in § 7 Abs. 1 IHKG. Die Vorschrift verlangt, dass die Vollversammlung den Organwalter bestellt. In der Literatur wurde in Zweifel gezogen, ob dem Hauptgeschäftsführer der IHK Organqualität zukommt.1687 Richtigerweise ist die Charakterisierung als Organ – dies entspricht im Übrigen auch der ganz herrschenden Rechtsauffassung –1688 1684

§ 6 Abs. 7 Satzung IHK Augsburg; § 5 Abs. 5 S. 5 Satzung IHK Passau. Es handelt sich, soweit ersichtlich, um die Satzungen der IHK-Bezirke Bochum, Dortmund, Flensburg und Ludwigshafen. 1686 § 8 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK Aschaffenburg; § 6 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Augsburg; § 11 Abs. 2 Satzung IHK Hannover; § 7 Abs. 7 S. 2 Satzung IHK Kassel; § 9 Abs. 2 S. 5 Satzung IHK Leipzig; § 9 S. 2 Satzung IHK Magdeburg; § 5 Abs. 2 S. 4 Satzung IHK Offenbach; § 6 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Saarbrücken; § 9 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Stade; § 7 Abs. 6 Satzung IHK Wuppertal. 1687 Groß / Pautsch, Kammerverfassungsrecht – Organisation und Verfahren, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 7 Rn. 48. Die Autoren stellen im Wesentlichen auf einen (Rechts-) Vergleich mit dem Hauptgeschäftsführer der HwK ab. Für ihn kann der Regelungsgehalt des § 7 IHKG ebenfalls vorgefunden werden (s. §§ 106 Abs. 1 Nr. 3, 109 S. 1 HwO). Der Hauptgeschäftsführer wird dennoch lediglich als Gehilfe des Organs „Vorstand“ eingeordnet (so VG München, Beschl. v. 19. Juli 2016 – M 16 SE 16.2966 –, juris Rn. 36; Heusch, Zu aktuellen Fragen der kammerinternen Organisation und der Staatsaufsicht, in: Kluth [Hg.], JbKBR 2009, 2010, 73 [78 m. Fn. 15]; Schöbener / Krüger, GewArch 2016, 477 [478]). Überdies solle es „der Tradition des Kammerwesens als ehrenamtlicher Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben“ widersprechen, „wenn ein hauptamtlich Beschäftigter den anderen Organen gleichgestellt“ werde. Dem ist entgegenzuhalten, dass aus der Organqualität noch keine Gleichstellung zu den Machtoptionen der ehrenamtlichen Organe folgt. Das organisatorische Gesamtgefüge kann vielmehr auch mit einem prinzipiellen Vorrang der ehrenatmlichen Seite ausgestaltet werden. 1688 Bremer, Kammerrecht der Wirtschaft – Kommentar, 1960, S. 127 f.; Irriger, Genossenschaftliche Elemente bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften, 1991, S. 226; Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 131; Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 476; 1685

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

aber anzunehmen.1689 § 7 Abs. 1 und 2 IHKG verdeutlichen, dass das Amt nur mit einer Person besetzt werden kann. Es handelt sich folglich um ein monokratisch verfasstes Organ.1690 § 7 Abs. 2 IHKG vermittelt einen flüchtigen Eindruck über einen Teil der Aufgabenmenge. Danach vertreten der Hauptgeschäftsführer und der Präsident nach näherer Bestimmung der Satzung die IHK rechtsgeschäftlich und gerichtlich. Von diesen ausdrücklichen Maßgaben des Gesetzes abgesehen, bedürfen viele Gesichtspunkte einer vertieften Auseinandersetzung. Dabei sind zuvörderst die Eigengesetzlichkeiten der Bestellung, die Kompetenzen und die Stellung des Hauptgeschäftsführers, insbesondere im Verhältnis zu den ehrenamtlich besetzten Organen der IHK, aufzuklären. Darauf aufbauend muss die Möglichkeit einer Abberufung erörtert werden. Dies bereitet den Boden, um schließlich über eine Änderung der Rechtslage nachzudenken.

Heusch, Zu aktuellen Fragen der kammerinternen Organisation und der Staatsaufsicht, in: Kluth (Hg.), JbKBR 2009, 2010, 73 (79); Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 6 Rn. 2 u. § 7 Rn. 2; Goltz / Kluth, GewArch 2003, 265 (270 f.); Jahn, WiVerw 2004, 133 (141); Diefenbach, GewArch 2006, 313 (315). 1689 Bereits die in § 7 IHKG gewählte Bezeichnung als Hauptgeschäftsführer legt nahe, dass dieser Stelle eine Teilmenge der Verbandskompetenz zusteht. § 7 Abs. 2 IHKG verdeutlicht schließlich, dass dem Hauptgeschäftsführer tatsächlich ein eigener Aufgaben- bzw. Wirkungskreis zusteht. Von einem „eigenen“ Wirkungskreis mag man bei einer vordergründigen Ansicht der Vorschrift zwar noch nicht sprechen, weil danach weder Präsident noch Hauptgeschäftsführer in alleiniger Verantwortung tätig werden dürfen. Doch ist die genaue Aufteilung der rechtsgeschäftlichen und gerichtlichen Vertretungsmacht einer näheren Bestimmung in der Satzung vorbehalten. Für bestimmte Arten von Geschäften kann eine Alleinvertretungsmacht zugunsten des Hauptgeschäftsführers vorgesehen werden. Steht dem Hauptgeschäftsführer Vertretungsmacht zu, sichert dieser Posten der IHK die organisationsexterne Handlungsfähigkeit im allgemeinen Rechtsverkehr. Gleichsam wird der Hauptgeschäftsführer als Handlungssubjekt mit Teilrechtsfähigkeit organisationsintern anerkannt. Die von der Vollversammlung abgeleitete Legitimation, die die Bestellung nach § 7 Abs. 1 IHKG vermittelt, ist für die Frage der Organqualität demgegenüber irrelevant (a. A. wohl Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 476; Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 7 Rn. 2). Selbst einem Hauptgeschäftsführer, der bspw. durch das Wirtschaftsministerium des betreffenden Bundeslandes eingesetzt oder durch das Präsidium einer IHK bestimmt würde, käme unter Anwendung des Organbegriffs (dazu näher bei Fn. 900) und unter Fortgeltung der mit § 7 IHKG überantworteten Zuständigkeiten die Eigenschaft als Organ zu. 1690 Goltz / Kluth, GewArch 2003, 265 (270). Der Beitrag befasst sich mit der Frage, ob den HwK gestattet ist, unter Verzicht auf die Stelle des Hauptgeschäftsführers eine kollegial verfasste Geschäftsführung einzuführen. Für die IHK wäre diese Frage mit Blick auf § 7 IHKG eindeutig mit „nein“ zu beantworten.

IV. Der Hauptgeschäftsführer  

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1. Eigengesetzlichkeiten der Bestellung Die Bestellung des Hauptgeschäftsführers erfolgt auf Grundlage eines Beschlusses der Vollversammlung (§ 7 Abs. 1 IHKG). Die Bestellung wird als Verwaltungsakt angesehen.1691 Diese Auffassung, die in dem organschaftlichen Akt der Bestellung zugleich eine Maßnahme mit unmittelbar nach außen gerichteter Rechtswirkung erkennen möchte, überzeugt.1692 In der Rechtsprechung wurde sie dennoch nicht durchweg geteilt.1693

1691 OVG Lüneburg, Urt. v. 12. November 2009 – 8 LC 58/08 –, juris Rn. 42; Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 476; Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 7 Rn. 7; Günther, in: v. Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 86. EL Februar 2021, § 7 IHKG Rn. 5; Pautsch, in: ders. / Hoffman (Hg.), VwVfG, 1. Aufl. 2016, § 35 Rn. 35. Ohne Festlegung Stelkens, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 35 Rn. 195. 1692 Maßgeblich ist, dass die Abberufung des Hauptgeschäftsführers – der actus contrarius – auch in subjektive Rechtspositionen der Person des Organwalters „eingreift“ und nicht nur die Stellung als Organ der Selbstverwaltungskörperschaft beendet (­Trésoret, Die Geltendmachung von Grundrechten im verwaltungsinternen Organstreitverfahren, 2011, S. 101 f. spricht treffend von einer „doppelten Wirkung“ der organschaftlichen Maßnahme). Zu berücksichtigen ist die „Doppelstellung des Hauptgeschäftsführers als Organ und höchster Angestellter“ (Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 476). In Folge der Abberufung wird die im Dienstvertrag vereinbarte Tätigkeit gegenstandslos. Ferner besteht die Notwendigkeit zur Beendigung des Dienstvertrages, die nach den allg. zivilrechtlichen Regeln oder ggf. gemäß den besonderen Vereinbarungen im Vertrag vollzogen werden kann und häufig in dem Abschluss eines Aufhebungsvertrages mündet. Die Auffassung überzeugt auch, weil mit ihr eine differenzierte Antwort für die unterschiedliche Sach- und Interessenlage zwischen dem hauptamtl. Hauptgeschäftsführer einerseits und den ehrenamtl. Mitgliedern des Präsidiums andererseits gefunden wird. Bei dem Präsidium bedingt die (Ab-)Wahl einzelner Mitglieder keine direkten Auswirkungen auf die subjektiven Rechte der Person des Amtsinhabers in dem vorstehenden Sinne. 1693 Das VG Lüneburg, das über die Abberufung eines Hauptgeschäftsführers zu entscheiden hatte, verneinte das Vorliegen einer hoheitlichen Maßnahme und das Merkmal einer unmittelbar nach außen gerichteten Rechtswirkung i. S. d. § 35 S. 1 VwVfG. Zur Begründung führte es aus, dass „kein Über- und Unterordnungsverhältnis“ zwischen der bestellenden Vollversammlung und dem Hauptgeschäftsführer vorliege, die Kammerorgane „einander gleichberechtigt“ gegenüberstünden und die Abberufung auf eine „verwaltungsinterne Selbstgestaltung“ abziele (Urt. v. 23. Juli 2008 – 5 A 64/08 –, juris Rn. 44). Das Gericht gelangte schließlich nach den Grundsätzen über den Organstreit zu einer Klärung der weiteren Rechtsfragen und erachtete die Abberufung des Hauptgeschäftsführers für rechtmäßig (Urt. v. 23. Juli 2008 – 5 A 64/08 –, juris Rn. 48). Die nächste Instanz hielt dem entgegen: „Da die Abberufung die hauptamtlich ausgeübte Organwaltertätigkeit […] beendet, also das Recht an [dem] Amt, und […] diese Rechtsstellung genommen wird, kommt der Entscheidung schließlich auch Außenwirkung zu.“ Denn „bei einem Streit um das Recht an einem Amt“ seien „regelmäßig nicht nur Positionen des Innenrechts betroffen“, sondern die Abberufung habe „auch unmittelbare Auswirkungen auf die persönliche Rechtsstellung des bisherigen Amtsinhabers“ (OVG Lüneburg, Urt. v. 12. November 2009 – 8 LC 58/08 –, juris Rn. 42 unter Verweis auf Schöbener, GewArch 2008, 329 [332]). In diesem Sinne auch Stelkens, in: Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 35 Rn. 193, der bekräftigt, dass Maßnahmen mit Außenwirkung, mithin Verwaltungsakte, „solche Maßnahmen“ seien, „die auf die Person des Organwalters durchgreifen und hierauf auch gerichtet“ seien.

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

Die Bestellung bildet den Grund für das öffentlich-rechtliche Organwalterverhältnis des Hauptgeschäftsführers.1694 Die für den Beschluss erforderliche Mehrheit ist den Satzungen zu entnehmen, die für Personalentscheidungen – wie bereits gesehen  – nur selten von der Notwendigkeit des Votums einer relativen Mehrheit abrücken. Damit eine Person zum Hauptgeschäftsführer bestellt werden kann, muss der Bewerber laut Gesetz keine Qualifikationen vorweisen. Dies hält die IHK Nürnberg aber nicht davon ab, in der Satzung festzuschreiben, dass der Hauptgeschäftsführer über die für die Leitung der Geschäftsstelle notwendige wissenschaftliche Vorbildung und entsprechende Sachkenntnis verfügen muss.1695 Wenngleich die Bestellung in die alleinige Zuständigkeit der Vollversammlung fällt, dürfte die Satzung der IHK Saarbrücken die Verwaltungspraxis der Kammern zutreffender abbilden. Dort heißt es, dass das Präsidium die Bestellung vorbereitet und einen Bestellungsvorschlag ausspricht.1696 Nach der Bestellung erfolgt die Vereinbarung eines zivilrechtlichen Dienstvertrages zwischen der IHK und der Person des Hauptgeschäftsführers.1697 Damit die Verwaltungspraxis der Zweigliedrigkeit des Vorgangs gerecht werden kann, wird der Abschluss des Dienstvertrages ausdrücklich oder stillschweigend von der aufschiebenden Bedingung (§ 158 Abs. 1 BGB) mit dem Inhalt einer erfolgreichen Bestellung abhängig gemacht.1698 Wenn die Bestellung unterbleibt, ist der Dienstvertrag mit allen darin enthaltenen Verpflichtungen hinfällig. Die Bestellung soll regelmäßig unbefristet erfolgen.1699 Ist dies zutreffend, kann ein Zustand der Divergenz im Vergleich zu den ehrenamt­ lichen Organen beobachtet werden, bei denen Wahl- bzw. Amtsperioden eine Amtsübernahme auf Zeit bedingen. 1694

Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 476 f. § 11 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Nürnberg. Wenngleich die Überprüfung, ob der Bewerberkreis den Qualifikationserfordernissen entspricht vor dem Hintergrund des vagen Anforderungsprofils nur schwer zu leisten sein dürfte, besteht hier ein Anknüpfungspunkt für die Rechtsaufsicht. 1696 § 8 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK  Saarbrücken. Gleichgerichtet § 16 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Augsburg; § 6 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Düsseldorf. § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Mainz schreibt sogar fest, dass die Bestellung auf Vorschlag des Präsidenten erfolgt. Dürr, BayVBl 2009, 651 (652) bezeichnet es als „nicht unüblich“, wenn der Vorstand einer Kammer das Auswahlverfahren durchführt und begründet dies mit Erwägungen der Vertraulichkeit, die in einem kleineren Kollegium eher gewahrt seien. 1697 Die IHK verfügt prinzipiell über die Dienstherrenfähigkeit. Dies folgt dem Grunde nach aus § 121 Nr. 2 Beamtenrechtsrahmengesetz. Danach steht das Recht, Beamte zu haben, sonstigen Körperschaften des öffentlichen Rechts zu, die dieses Recht im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes besitzen oder denen es nach diesem Zeitpunkt durch Gesetz, Rechtsverordnung oder Satzung verliehen wird. Dazu näher Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 479 m. Fn. 446. 1698 Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 477; Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 7 Rn. 9. 1699 Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 7 Rn. 7 befindet, dass „einige Argumente“ für dieses Vorgehen sprächen. Im Folgenden verweist der Autor allerdings nur darauf, dass mit der Kontinuität im Hauptamt die Diskontinuität im Ehrenamt „ausgeglichen“ werden könne. 1695

IV. Der Hauptgeschäftsführer  

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2. Festlegung des Gehalts Für den Aushandlungsprozess, der dem Dienstvertrag vorausliegt, halten die Satzungen der IHK-Bezirke zumeist1700 besondere Vorgaben bereit. Dies gilt insbesondere für die Festlegung des Gehalts im weitesten Sinne.1701 Oft werden die Verhandlungen über den Inhalt der Vereinbarung durch die Vollversammlung zumindest in groben Leitlinien vorherbestimmt. Zwar wird dem Präsidium zugestanden, dass es über die Festlegung des Gehalts entscheiden kann. Gleichzeitig wird dem Organ aber aufgegeben, die Vergütungsgrundsätze zu beachten, die die Vollversammlung in einem Beschluss über die wesentlichen personalwirtschaftlichen Grundsätze formuliert hat.1702 In anderen Kammern fehlt es an der Festschreibung einer Beachtungspflicht für die Verhandlungsführer. Doch hat sich die Vollversammlung an anderer Stelle der Satzung vorbehalten, über die allgemeinen Grund-

1700 Die Satzungen der IHK-Bezirke Erfurt, Fulda, Darmstadt, Hannover, Lüneburg, Mainz, Neubrandenburg und Wiesbaden enthalten – soweit ersichtlich – nur Regelungen, die bestimmen, dass der Präsident und ein Vizepräsident den Anstellungsvertrag unterzeichnen. 1701 Dürr, BayVBl 2009, 651 (653 m. Fn. 28) erläutert, dass mit dem „Gehalt“ im satzungsrechtlichen Sinne regelmäßig auch Aufwandsentschädigungen, Versicherungen, versorgungsund Abfindungsansprüche sowie Nebenleistungen jeder Art angesprochen seien. 1702 § 9 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Arnsberg (hier: zuständig ist nicht das gesamte Präsidium, sondern ein Präsidialausschuss); § 16 Abs. 4 Satzung IHK Augsburg; § 15 Abs. 1 S. 2 f. Satzung IHK Bayreuth (hier: die Pflicht zur Beachtung der allg. Vergütungsgrundsätze wird auf die Verträge mit den stellvertretenden Hauptgeschäftsführern und Bereichsleitern erweitert); § 9 Abs. 4 S. 2 f. Satzung IHK Bielefeld; § 7 Abs. 4 S. 2 f. Satzung IHK Bochum; § 9 Abs. 4 S. 2 f. Satzung IHK Coburg; § 9 Abs. 4 S. 2 f. Satzung IHK Cottbus; § 8 Abs. 6 S. 5 f. Satzung IHK Dortmund (hier: zuständig ist nicht das gesamte Präsidium, sondern ein Präsidialausschuss); § 6 Abs. 4 S. 2 ff. Satzung IHK Düsseldorf (hier: zuständig ist ggf. nicht das gesamte Präsidium, sondern ein Ausschuss, der aus dem Kreis der Präsidiumsmitglieder gebildet wird); § 10 Abs. 4 S. 2 f. Satzung IHK Essen; § 10 Abs. 4 S. 2 f. Satzung IHK Frankfurt (Oder) (hier: zuständig ist nicht das gesamte Präsidium, sondern ein Präsidialausschuss, der aus dem Präsidenten und den Vizepräsidenten besteht); § 11 Abs. 3 S. 4 Satzung IHK Hagen; § 9 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Heidenheim; § 9 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Kiel (hier: zuständig ist nicht das gesamte Präsidium, sondern ein Präsidialausschuss); § 9 Abs. 4 S. 2 f. Satzung IHK Koblenz; § 10 Abs. 5 S. 2 f. Satzung IHK Köln; § 10 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Krefeld (hier: die Pflicht zur Beachtung der allg. Vergütungsgrundsätze wird auf die Verträge mit den Geschäftsführern erweitert); § 12 S. 4 f. Satzung IHK Leipzig (hier: die Pflicht zur Beachtung der allg. Vergütungsgrundsätze wird auf die Verträge mit den Geschäftsführern erweitert); § 13 Abs. 4 S. 4 f. Satzung IHK  München (hier: die Pflicht zur Beachtung der allg. Vergütungsgrundsätze wird auf die Verträge mit den stellvertretenden Hauptgeschäftsführern und Bereichs- und Abteilungsleitern erweitert); § 9 Abs. 5 S. 2 f. Satzung IHK Münster (hier: zuständig ist nicht das gesamte Präsidium, sondern ein Präsidialausschuss); § 12 Abs. 1 S. 2 f. Satzung IHK Nürnberg (hier: zuständig ist nicht das gesamte Präsidium, sondern ein Präsidialausschuss); § 13 Abs. 1 S. 1 ff. Satzung IHK Oldenburg; § 13 Abs. 3 S. 2 f. Satzung IHK Regensburg (hier: zuständig ist nicht das gesamte Präsidium, sondern ein Präsidialausschuss); § 9 Abs. 8 S. 3 f. Satzung IHK Rostock; § 9 Abs. 4 S. 1 f. Satzung IHK Schwerin (hier: die Pflicht zur Beachtung der allg. Vergütungsgrundsätze wird auf alle Anstellungsverhältnisse erweitert); § 9 Abs. 4 S. 2 f. Satzung IHK Siegen; § 11 Abs. 2 Satzung IHK Stade.

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

lagen der Gehaltsfindung beschließen zu können.1703 Weitere Bezirke befinden hingegen das Präsidium oder einen verkleinerten Ausschnitt dessen, der häufig unter der Bezeichnung „Präsidialausschuss“ firmiert, im Hinblick auf die Aushandlung der essentialia negotii des Dienstverhältnisses für kompetent.1704 Andernorts ent 1703 § 3 S. 2 lit. i) Satzung IHK  Aachen (hier: das Präsidium entscheidet nach § 8 Abs. 2 S. 1 über den Anstellungsvertrag des Hauptgeschäftsführers); § 4 Abs. 2 S. 2 lit. p) Satzung IHK Aschaffenburg (hier: das Präsidium entscheidet nach § 10 Abs. 5 S. 2 über den Anstellungsvertrag des Hauptgeschäftsführers und seines Stellvertreters); § 4 Abs. 3 S. 2 lit. q) Satzung IHK Berlin (hier: das Präsidium entscheidet nach § 11 Abs. 4 S. 2 über den Anstellungsvertrag des Hauptgeschäftsführers); § 5 Abs. 4 lit. t) Satzung IHK Braunschweig; § 4 Abs. 2 S. 2 lit. t) Satzung HK Bremen; § 4 Abs. 2 S. 2 lit. s) Satzung IHK Dillenburg; § 5 S. 2 lit. r) Satzung IHK Dresden; § 3 Abs. 2 lit. n) Satzung IHK Duisburg; § 6 Abs. 2 Nr. 17 Satzung HK Hamburg (hier: das Präsidium beschließt nach § 15 Abs. 4 S. 2 über die Verträge mit den Mitgliedern der Geschäftsführung); § 4 Abs. 2 S. 2 lit. r) Satzung IHK Heilbronn (hier: ein Präsidialausschuss entscheidet nach § 9 Abs. 4 S. 2 über den Anstellungsvertrag des Hauptgeschäftsführers); § 4 Abs. 2 lit. s) Satzung IHK Karlsruhe (hier: das Präsidium entscheidet nach § 12 Abs. 5 S. 2 über den Anstellungsvertrag des Hauptgeschäftsführers); § 4 Abs. 2 S. 2 lit. r) Satzung IHK Lübeck (hier: das Präsidium entscheidet nach § 9 Abs. 3 S. 2 über den Anstellungsvertrag des Hauptgeschäftsführers); § 4 Abs. 2 S. 2 lit. q) Satzung IHK Ludwigshafen (hier: § 8 Abs. 3 S. 2 regelt, dass der Präsident und ein Vizepräsident den Vertrag unterzeichnen); § 4 Abs. 2 lit. u) Satzung IHK Magdeburg (hier: das Präsidium entscheidet nach § 14 Abs. 1 S. 2 über den Anstellungsvertrag des Hauptgeschäftsführers); § 5 Abs. 2 lit. t) Satzung IHK Osnabrück (hier: das Präsidium entscheidet nach § 11 Abs. 4 über den Anstellungsvertrag des Hauptgeschäftsführers); § 3 Abs. 2 Nr. 15 Satzung IHK Passau (hier: das Präsidium entscheidet nach § 14 Abs. 1 S. 2 über den Anstellungsvertrag des Hauptgeschäftsführers); § 5 Abs. 2 lit. r) Satzung IHK Potsdam (hier: das Präsidium entscheidet nach § 10 Abs. 2 S. 1 über den Anstellungsvertrag des Hauptgeschäftsführers); § 4 Abs. 2 Nr. 18 Satzung IHK Reutlingen (hier: das Präsidium entscheidet nach § 12 Abs. 3 S. 1 über den Anstellungsvertrag des Hauptgeschäftsführers); § 5 Abs. 2 lit. s) Satzung IHK Suhl (hier: das Präsidium entscheidet nach § 13 Abs. 2 S. 1 über den Anstellungsvertrag des Hauptgeschäftsführers und seines Stellvertreters); § 4 Abs. 2 S. 2 lit. r) Satzung IHK Trier (hier: der Präsident und ein Vizepräsident unterzeichnen nach § 9 Abs. 5 S. 2 den Anstellungsvertrag des Hauptgeschäftsführers); § 4 Abs. 2 S. 2 lit. q) Satzung IHK Ulm (hier: das Präsidium oder ein verkleinerter „Personalausschuss“ entscheiden nach § 8 Abs. 3 über den Anstellungsvertrag des Hauptgeschäftsführers, des Stellvertreters und der Geschäftsführer); § 4 Abs. 2 S. 2 lit. s) Satzung IHK Villingen-Schwenningen (hier: der Präsident und ein Vizepräsident unterzeichnen nach § 9 Abs. 4 S. 2 den Anstellungsvertrag des Hauptgeschäftsführers); § 4 Abs. 2 S. 2 lit. t) Satzung IHK Weingarten (hier: das Präsidium entscheidet nach § 9 Abs. 3 S. 2 über den Anstellungsvertrag des Hauptgeschäftsführers); § 3 Abs. 2 lit. q) Satzung IHK Wuppertal (hier: das Präsidium entscheidet nach § 13 Abs. 2 S. 1 über den Anstellungsvertrag des Hauptgeschäftsführers). 1704 § 10 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Bonn; § 9 Abs. 4 S. 2 f. Satzung IHK Detmold (hier: unter Beachtung der vom Präsidium beschlossenen Grundlagen der Gehaltsfindung); § 10 Abs. 2 Satzung IHK Emden (hier: nach Anhörung des Ausschusses für Verwaltung und Finanzen); § 8 Abs. 4 Satzung IHK Flensburg (hier: zuständig ist nicht das gesamte Präsidium, sondern ein Präsidialausschuss); § 9 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Frankfurt a. M.; § 9 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Freiburg; § 9 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Gera; § 9 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Gießen; § 9 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Halle (hier: zuständig ist ggf. nicht das gesamte Präsidium, sondern ein Präsidialausschuss); § 9 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK  Hanau (hier: die Maßgabe wird auf die Verträge mit den Geschäftsführern erweitert); § 8 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK  Limburg; § 6 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Offenbach; Art. 15 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Würzburg. Nach Günther, in: v. Landmann /  Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 86. EL Februar 2021, § 7 IHKG Rn. 7 entsprechen diese Vorschriften dem Regelungsgehalt der Mustersatzung des DIHK.

IV. Der Hauptgeschäftsführer  

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scheidet der Präsident im Einvernehmen mit dem Präsidium1705 oder in Verbindung mit einem Vizepräsidenten.1706 Erörterungen, die auf eine Begrenzung von Gehältern abzielen, werden oftmals bereits in ihren Anfängen als „Neiddebatte“ gebrandmarkt. Denen, die überproportionale Zahlungsverpflichtungen bei fehlender unternehmerischer Verantwortung im Hinblick auf die Saläre der Hauptgeschäftsführer anprangern, wird vorgehalten, dass sie selbst nicht in der Lage seien, die Aufgaben vollumfänglich zu den Konditionen auszufüllen, die ihrer Erwartungshaltung an die Amtsträger entspreche.1707 Wenn sich die Vollversammlungen in vielen Bezirken selbst in den Stand erheben, über Vergütungsrichtlinien zu beschließen und teilweise eine Beachtungspflicht für die Verhandlungsführer formulieren, kann der Eindruck gewonnen werden, dass mehrheitlich die Enttabuisierung des Regelungsgegenstandes betrieben wurde. Dies ist aus der organisationssoziologischen Perspektive auch notwendig. Die empirische Verbandsforschung hat erkannt, dass man auf die Statusdifferenz – verstanden als Einkommens- und Gehaltsunterschied zwischen der Mitgliedschaft und den berufsmäßigen Funktionären – limitierend einwirken muss, um Apathie und Oligarchisierungstendenzen zu verhindern.1708 Aus der Perspektive des Rechts streiten mehrere Gesichtspunkte dafür, dass die Vollversammlung für die Regelung dieser Frage kompetent sein muss: Ihr ist gem. § 4 S. 2 Nr. 3 IHKG zur Aufgabe gemacht, den Wirtschaftsplan einschließlich aller darin enthaltenen Stellen und Vergütungen abschließend festzustellen. § 3 Abs. 2 S. 2 IHKG fordert, dass der Wirtschaftsplan „nach den Grundsätzen einer sparsamen und wirtschaftlichen Finanzgebarung unter pfleglicher Behandlung der Leistungsfähigkeit der Kammerzugehörigen aufzustellen und auszuführen“ ist. Die Satzungen bilden die Anforderungen des Gesetzes gemeinhin ab, indem der Hauptgeschäftsführer im Einvernehmen mit dem Präsidium den Wirtschaftsplan vorbereitet, während die Einhaltung des festgestellten Wirtschaftsplanes dem Präsidenten und dem Hauptgeschäftsführer überantwortet ist.1709 Aus der Zusammenschau aller Vorschriften ergibt sich, dass die Vollversammlung eine effektive Kontrollfunktion bzgl. der Maßstäbe aus § 3 Abs. 2 S. 2 IHKG wahrnehmen muss. Sie hat stellvertretend für den abwesenden Teil der Kammerzugehörigen Erscheinungsformen einer „Selbstbedienungsmentalität“ zu verhüten. Es stellt sich die Frage, welche Kontrolloptionen der Vollversammlung verbleiben, wenn sie nicht bereits im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses mit den hauptamtlich Beschäftigten auf die Gehaltsfindung maßgeblichen Einfluss nehmen 1705

§ 12 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Chemnitz; § 9 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Stuttgart. § 9 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Konstanz; § 9 Abs. 3 S. 3 Satzung IHK Mannheim. § 9 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Pforzheim i. d. F. v. 6. Juli 2006 lautete: „Das Anstellungsverhältnis des Hauptgeschäftsführers wird durch den Präsidenten […] geregelt.“ 1707 So etwa Dürr, BayVBl 2009, 651 (653). 1708 Naschold, Organisation und Demokratie, 1969, S. 35 in Auseinandersetzung mit Lipset /  Trow / Coleman, Union Democracy, 1956. 1709 § 12 Abs. 2 Satzung IHK Kiel. 1706

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

kann. Würde man die Vollversammlung an dieser Stelle auf die Zuschauerrolle verweisen, könnte sie nur einen Wirtschaftsplan nachvollziehend feststellen, der durch die von anderen Organen eingegangenen Verbindlichkeiten präkludiert ist. Die Kontrollfunktion der Vollversammlung würde in Richtung Nullpunkt tendieren, weil sich die Feststellung i. S. v. § 4 S. 2 Nr. 3 IHKG unter diesen Bedingungen als ein Beschluss von lediglich symbolischer Bedeutung ergibt. Die rationale Funktion des Kollegialprinzips und das Eigeninteresse der Vollversammlung an einer optimal geführten Verwaltung sprechen schließlich dafür, dass dieses Organ  – zumindest im Rahmen eines Mehrheitsbeschlusses  – erkennen wird, zu welchen Konditionen die erforderlichen Qualifikationen und Leistungen „am Markt“ eingekauft werden können.1710 Der getroffene Beschluss muss allerdings, in Anerkenntnis dieser Einsichtsfähigkeit und anders als bisher, nicht nur Beachtung finden. Vielmehr ist er als verbindliche Willensäußerung aufzufassen, die dem Präsidium innerhalb der äußeren Grenzen zum Vollzug überantwortet ist. Wenn einige Kammern die Entscheidung in die Hände von Zwei-Mann-Kommissionen oder sogar des Präsidenten legen wollen, ist demgegenüber ein evident ineffektives Organisationsarrangement zu bemängeln.1711 3. Monokratisch verfasstes Direktionsorgan mit Vertretungsmacht Die im Gesetz gewählte Bezeichnung als Haupt-Geschäftsführer, die Charakterisierung als Direktionsorgan1712 oder monokratisch verfasstes Organ dürfte hinreichend bekannt machen, dass ein personeller Unterbau besteht. Viele der dem Hauptamt übertragenen Aufgaben werden nicht höchstpersönlich durch den Hauptgeschäftsführer, sondern weisungsgebunden und arbeitsteilig wahrgenommen.1713 In der Verwaltungspraxis existieren weitere Führungskräfte, die etwa unter den Bezeichnungen „stellvertretender Hauptgeschäftsführer“, „Geschäftsführer“ und 1710

Da die Leitungsfunktionen des Hauptgeschäftsführers in der Verwaltungspraxis auf weitere Personen, namentlich die stellevertretenden Hauptgeschäftsführer, (einfache) Geschäftsführer oder Personen mit vergleichbaren Amtsbezeichnungen, verteilt werden (dazu näher unter E. IV. 3.), gilt die im Text stehende Annahme nicht nur für den Hauptgeschäftsführer. Vielmehr ist die gesamte Verwaltungsspitze gemeint. 1711 Dürr, BayVBl 2009, 651 (656) kommt für die HwK ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die Entscheidung über die Vergütung des Hauptgeschäftsführers der Vollversammlung vorbehalten sein muss. Wernicke / Rickert, WiVerw 2013, 1 (3) berichten, dass der DIHK einen Leitfaden mit dem Titel „Vergütungsgrundsätze IHK“ entwickelt habe, der den Bezirken zur Verwendung „empfohlen“ werde. Auch dieses Vorgehen ist ungeeignet, weil es Entscheidungsspielräume der Vollversammlung im Wege eines top-down-Ansatzes faktisch verengt. 1712 Kluth, Funktionssubjekte der Verwaltungsorganisation, in: Wolff / Bachof / Stober / ders., Verwaltungsrecht II, 7. Aufl. 2010, § 82 Rn. 155. 1713 Hinzuweisen ist überdies auf einen Arbeitsaufwand, der sich daraus ergibt, wenn einer IHK zwischen 8.241 (IHK Coburg) und 397.296 (IHK München) Unternehmen als Kammerzugehörige zugeordnet sind und der Gesetzgeber zugleich eine Fülle an Aufgaben definiert.

IV. Der Hauptgeschäftsführer  

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„Geschäftsbereichsleiter“ firmieren.1714 Unterhalb dieser Ebene leitender Mitarbeiter kommt eine Vielzahl weiterer Angestellter hinzu. Nach Angaben des DIHK waren 2018 insgesamt ca. 8.900 Mitarbeiter bei den Industrie- und Handelskammern beschäftigt. Dies entspricht – bei einem Höchstwert von 441 (IHK München) und einem Minimalwert von 22 (IHK Limburg) – einer durchschnittlichen Mitarbeiterzahl von ca. 112.1715 Auch die Satzungen reagieren auf den Bedarf einer funktionsteiligen Aufgabenerledigung und sehen vor, dass der Hauptgeschäftsführer einen Geschäftsverteilungsplan bestimmt, aber gegenüber Vollversammlung und Präsidium für die ordnungsgemäße Durchführung der Geschäfte verantwortlich bleibt.1716 Obwohl sich die Vollversammlung vorbehalten könnte, über jeden einzelnen Besetzungsvorgang in „ihrer“ Geschäftsstelle zu entscheiden, wird dieses Recht schon im Hinblick auf die Auswahl der stellvertretenden Hauptgeschäftsführer und Geschäftsbereichsleiter gemeinhin an das Präsidium oder den Hauptgeschäftsführer delegiert.1717 Wenn im Gegensatz dazu die Auswahl der weiteren Mitarbeiter keine Regelung erfährt, dürfte dies – argumentum e contrario – in die alleinige Zuständigkeit des Hauptgeschäftsführers fallen.1718 § 7 Abs. 2 IHKG fordert zu einer näheren Ansicht der im Satzungsrecht getroffenen Aufteilung der rechtsgeschäftlichen und gerichtlichen Vertretungsmacht heraus. Weil auf Grundlage dieser Vorschrift jeder IHK-Bezirk dazu ermächtigt wird, ein eigenes Vertretungskonzept zu entwickeln, ist die Rechtslage einer vergleichenden Betrachtung kaum zugänglich. Die Satzung der IHK Kiel bekräftigt anfänglich, dass Präsident und Hauptgeschäftsführer die Kammer gemeinschaftlich rechtsgeschäftlich und gerichtlich vertreten, wobei sie an die Beschlüsse der Vollversammlung gebunden sind.1719 Davon ausgehend liegt eine Vielzahl von Rechtssätzen vor, die dem Hauptgeschäftsführer eigene Verantwortungsbereiche mit Einzelvertretungsmacht überweisen. So wird er etwa für die laufenden Geschäfte der IHK, inklusive sämtlicher Personalangelegenheiten, für allein 1714 Eine Besonderheit stellt die HK Bremen dar, in der (s. § 9 Abs. 1 S. 1 der Satzung) zwischen dem I. Syndicus (der Hauptgeschäftsführer i. S. d. § 7 Abs. 1 IHKG), den Syndici und den Geschäftsführern unterschieden wird. 1715 Quelle: eigene Berechnung. Zahlen entnommen aus https://www.ihk.de/wie-viele-mit arbeiter-vollzeitaquivalente-hatte-die-ihk-. 1716 Z. B. § 9 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Kiel. 1717 § 9 Abs. 3 Satzung IHK Kiel lautet bspw.: „Der Hauptgeschäftsführer wird von der Vollversammlung bestellt, die stellvertretenden Hauptgeschäftsführer werden auf Vorschlag des Hauptgeschäftsführers vom Präsidium berufen. Geschäftsbereichsleiter werden im Einvernehmen mit dem Präsidium vom Hauptgeschäftsführer berufen.“ Der Darstellung bei Günther, in: v. Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 86. EL Februar 2021, § 7 IHKG Rn. 8 kann entnommen werden, dass diese Vorschrift dem Regelungsgehalt der Mustersatzung des DIHK entspricht. S. dagegen aber § 9 Abs. 4 S. 1 Satzung HK Bremen: „Der I. Syndicus sowie bis zu drei weitere Syndici werden vom Plenum bestellt […].“ 1718 Einige Satzungen schreiben dies ausdrücklich fest. § 8 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Kassel lautet beispiels- und auszugsweise: „[…]; die Anstellung weiterer Mitarbeiter obliegt dem Hauptgeschäftsführer.“ 1719 § 11 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Kiel.

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

vertretungsberechtigt erklärt.1720 Für den Abschluss der Anstellungsverhältnisse zwischen der Kammer und ihren Beschäftigten erfährt die rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht aus § 7 Abs. 2 IHKG ebenfalls eine nähere Bestimmung. So werden der Präsident und ein Vizepräsident im Hinblick auf die Unterzeichnung des Vertrags mit dem Hauptgeschäftsführer für vertretungsberechtigt erklärt.1721 Der Hauptgeschäftsführer ist Leiter der Geschäftsstelle, womit er im Sinne des Personalvertretungsrechts die Funktion des Dienstvorgesetzten über die weiteren hauptamtlichen Mitarbeiter innehat.1722 Für den Fall, dass eine IHK über Zweigstellen verfügt, wird klarstellend bestimmt, dass auch deren Leitung dem Hauptgeschäftsführer zusteht.1723 In Vereinen, Gesellschaften und Organisationen wird die IHK ggf. durch den Hauptgeschäftsführer vertreten.1724 Die Vertretung nach innen, d. h. die Frage, ob und wie der Präsident und der Hauptgeschäftsführer ihrerseits vertreten werden können, regeln die Satzungen ebenfalls. So kann der Präsident von einem Vizepräsidenten und der Hauptgeschäftsführer durch seine Stellvertreter vertreten werden. Gegenüber dem Hauptgeschäftsführer wird die IHK durch den Präsidenten und einen Vizepräsidenten vertreten.1725 1720 § 11 Abs. 3 Satzung IHK Kiel. Nach Günther, in: v. Landmann / Rohmer (Begr.), Stand: 86. EL Februar 2021, § 7 IHKG Rn. 30 entspricht diese Vorschrift dem Regelungsgehalt der Mustersatzung des DIHK. Detailliert fällt demgegenüber die Regelung in § 12 Abs. 5 Satzung IHK Lüneburg aus. Sie lautet: „Für Geschäfte, die nicht der laufenden Verwaltung zuzurechnen sind [für die der Hauptgeschäftsführer nach § 13 Abs. 3 für alleinvertretungsberechtigt erklärt wird], hat der Hauptgeschäftsführer zuvor die Zustimmung des Präsidiums einzuholen. Nicht der laufenden Verwaltung zuzurechnen sind insbesondere folgende Geschäfte: a) der Abschluss oder die Änderung von Anstellungsverträgen, wenn das Brutto-Jahresgehalt einschließlich Nebenleistungen die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung übersteigt; b) der Erwerb, die Veräußerung oder die Belastung von Grundstücken oder grundstücksgleichen Rechten; c) der Erwerb oder die Veräußerung von Gegenständen des Anlagevermögens, wenn der Wert des einzelnen Geschäftsvorfalls 50.000 EUR übersteigt und der Erwerb oder die Veräußerung nicht im Wirtschaftsplan vorgesehen war; d) der Abschluss oder die Änderung von Dauerschuldverhältnissen, wie z. B. Beratungs-, Management- oder Mietverträgen, wenn die der IHK daraus erwachsenden Belastungen 4.200 EUR pro Monat oder 50.000 EUR pro Jahr übersteigen; e)  die Erklärung von Bürgschaften, Garantieerklärungen oder Schuldübernahmen oder -beitritten oder ähnlicher Haftungen, wenn diese im Einzelfall 25.000 EUR übersteigen.“ 1721 § 9 Abs. 4 S. 4 Satzung IHK Kiel. Aus einem Umkehrschluss hierzu folgt, dass der Abschluss der übrigen Beschäftigtenverhältnisse in die alleinige Vertretungsmacht des Hauptgeschäftsführers fällt. 1722 Die Satzungen halten diesen Aspekt der Tätigkeit regelmäßig ausdrücklich fest. § 9 Abs. 5 Satzung IHK Kiel lautet etwa: „Der Hauptgeschäftsführer ist Dienstvorgesetzter der Mitarbeiter; bei seiner Verhinderung üben seine Stellvertreter seine Befugnisse aus, das Nähere sowie weitere Vertretungsregelungen, insbesondere im Personalbereich, kann der Hauptgeschäftsführer durch Dienstanweisung regeln.“ 1723 § 10 S. 2 Satzung IHK Kiel. 1724 Dazu näher unter E. V. 3. c). 1725 § 11 Abs. 2, Abs. 4 Satzung IHK Kiel. Nach Günther, in: v. Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 86. EL Februar 2021, § 7 IHKG Rn. 31 entspricht diese Vorschrift dem Regelungsgehalt der Mustersatzung des DIHK. Da § 7 Abs. 2 IHKG nicht personen-, sondern funktionsbezogen formuliert ist, kann die Vertretungsmacht bei Verhinderung des Amtsträgers

IV. Der Hauptgeschäftsführer  

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4. „Quasi-Rechtsaufsicht“? In der Literatur sind Bestrebungen wahrzunehmen, die mit Verweisen auf das Amt als Hauptgeschäftsführer noch viel weitergehende Kompetenzen begründen wollen. Die Funktion solle dazu verpflichten, „die Meinungsbildung und Entscheidung der anderen Organe der IHK vorzubereiten“ und „auf die Einhaltung der verfassten Verfahren“ und „des gesetzlichen Kompetenzrahmens“ hinzuwirken. Der Hauptgeschäftsführer sei „zur Darlegung wirtschaftlicher wie auch insbesondere rechtlicher Bedenken berechtigt und verpflichtet“. Ihm komme „kraft Amtes ein Teilnahmerecht an allen Sitzungen von Vollversammlung, Präsidium und Ausschüssen“ zu. Bei rechtlichen Bedenken könne er seine Mitwirkung verweigern, auch wenn „damit eine verbindliche Willenserklärung oder Äußerung der IHK unmöglich“ werde.1726 Ein anderer Autor formuliert den Aufgabenbereich dieses Organs mit ähnlichen Wendungen und bekräftigt, dass sich dies „aus der Natur der Sache“ ergebe.1727 Andernorts wird der Hauptgeschäftsführer als „Hüter des Rechts“ charakterisiert.1728 Bei diesen Ausführungen handelt es sich allenfalls um eine behauptete, denn um eine begründete Rechtsansicht. Die sparsamen Worte des Gesetzgebers laden zu einer derart weitreichenden Schlussfolgerung über ungeschriebene Rechte oder Pflichten mitnichten ein.1729 Der in § 7 Abs. 2 IHKG enthaltene Satzungsvorbehalt ist seinem Wortlaut nach auf die abweichende Verteilung der Vertretungsmacht für rechtsgeschäftliche und gerichtliche Fragestellungen beschränkt. Der Vorschrift kann gerade nicht die Wirkung beigemessen werden, dass sie dem Haupt-

„durch den dann zur Wahrnehmung der Funktion Berechtigten“ wahrgenommen werden (Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 7 Rn. 15). 1726 Zitate bei Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 7 Rn. 3. Sinngleich Jahn, WiVerw 2004, 133 (148); Heusch, Zu aktuellen Fragen der kammerinternen Organisation und der Staatsaufsicht, in: Kluth (Hg.), JbKBR 2009, 2010, 73 (80). Auch Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 478 möchte „schon aufgrund der Bezeichnung“ als Hauptgeschäftsführer einen unlösbaren Aufgabenbestand formulieren. S. ferner Rickert, in: Junge / Jahn /  Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 6 Rn. 22: „Auf der anderen Seite hat der Hauptgeschäftsführer […] die Pflicht, auf die Rechtmäßigkeit des Handelns der IHK zu achten; Beschlüsse der Vollversammlung oder des Präsidiums, die mit der Rechtsordnung oder dem Satzungsrecht, insbesondere mit dem Wirtschaftsplan und dem Finanzstatut, nicht vereinbar sind, hat er zu beanstanden“. An selber Stelle gelangt der Autor zu der Ansicht, dass das Verhältnis von Vollversammlung, Präsidium und Hauptgeschäftsführer durch eine „gegenseitige Kontrolle gekennzeichnet“ sei. Auch Stober, Die IHK als Mittler zwischen Staat und Wirtschaft, 1992, S. 98 meint, dass die „Kontrolle der Kammertätigkeit“ dem Hauptgeschäftsführer obliege, „der rechtswidrige Beschlüsse der Vollversammlung beanstanden“ könne. 1727 Günther, in: v.  Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 86. EL Februar 2021, § 7 IHKG Rn. 18 f. 1728 Möllering, Zur rechtlichen Überprüfung von Stellungnahmen der Industrie- und Handelskammern, des Deutschen Industrie- und Handelskammertages und der IHK-Landesarbeitsgemeinschaften, in: Kluth / Müller / Peilert (Hg.), FS Stober, 2008, 391 (405). 1729 Zweifelnd auch OVG Lüneburg, Urt. v. 12. November 2009 – 8 LC 58/08 –, juris Rn. 53.

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

geschäftsführer die Aufgabe zuweise, „die Geschäfte der IHK zu führen“1730. Erforderlich ist vielmehr, einen so aufgefassten Aufgabenkreis unter Rekurs auf kompetenzbegründende Normen zu belegen. Bestimmungen, die lediglich das zu bestellende Organ als „Hauptgeschäftsführer“ bezeichnen, werden diesen Anforderungen nicht gerecht. Die Annahme, dass der Hauptgeschäftsführer eine Funktion als Quasi-Rechtsaufsicht zukommt, wäre zwar unter Umständen zu begrüßen, weil damit Bestandteile einer organisationsinternen Kontrolle etabliert würden. Das Ziel, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und das Wohlergehen der Selbstverwaltungskörperschaft sicherzustellen, könnte in der Folge womöglich erreicht werden, ohne Ressourcen der unmittelbaren Staatsverwaltung zu beanspruchen. Doch steht die Begründung einer derartigen Kompetenz in einem unauflöslichen Widerspruch zum Parlamentsgesetz, das mittels § 11 Abs. 1 S. 1 IHKG die Prüfung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns der Aufsicht in den Landesministerien in Alleinverantwortung zuweist. Eine dem Kommunalverfassungsrecht entsprechende Ermächtigung, die ein Widerspruchsrecht – oder treffender: eine Beanstandungspflicht – der Verwaltungsleitung für rechtswidrige oder das Wohl der Gemeinde gefährdende Beschlüsse des Rats enthält,1731 existiert im IHKG nicht. Angesichts der unmissverständlichen, aber äußerst spezifischen Rechtslage im Gemeinderecht bei gleichzeitigem Schweigen des IHKG liegt ein rechtsmethodischer Fehlschluss vor, wenn dennoch ein allgemeiner Rechtsgedanke behauptet und auf die IHK entsprechend angewendet wird.1732 Diese „kreative“ Argumentation übersieht auch, dass im Kommunalrecht nicht die Willenserklärung des Gemeinderats unmöglich gemacht werden soll. So wird dem Organ nach Ausübung der Beanstandungspflicht zunächst zugestanden, einen erneuten Beschluss in der Angelegenheit zu fassen.1733 Die dem Hauptgeschäftsführer einer IHK zugestandene Blockademöglichkeit für den Vollzug von vorgeblich rechtswidrigen Beschlussinhalten kann sich überdies als ineffizientes Organisationsdesign darstellen. So zeigen empirische Untersuchungen, dass die kommunalrechtliche Beanstandungspflicht speziell bei politisch umstrittenen Beschlüssen und im Fall einer abweichenden parteipolitischen Ausrichtung zwischen Ratsmehrheit und Verwaltungsspitze eingesetzt wird,1734 mithin einen tendenziell zweckwidrigen Einsatz in der Verwaltungspraxis durch politische Disziplinierung des Repräsentativorgans erfährt. Dem Widerspruchsrecht ist  – wie auch a­ llen

1730

So aber Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 7 Rn. 1. Gern / Brüning, Deutsches Kommunalrecht, 4. Aufl. 2019, Rn. 666 ff. mit Nachw. zur Rechtslage. 1732 So Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 6 Rn. 22 m. Fn. 29. 1733 Dazu ausführlich Janssen, Das Verhältnis von ehrenamtlichem Rat und hauptamtlichem Bürgermeister, 2019, S. 197 f. 1734 Binne, Die innerkommunale Widerspruchs- und Beanstandungspflicht, 1991, S. 14 f., 40 ff. 1731

IV. Der Hauptgeschäftsführer  

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weiteren Kontrollinstrumenten  – eine subtile Wirkung beizumessen, die nicht unterschätzt werden darf. Denn bereits die Existenz derartiger Rechtsgarantien kann dazu führen, dass sich das beschließende Organ den Auffassungen des Kontrolleurs annähert oder sie sogar rezipiert, weil die Kontrollermächtigung einen breiten Schatten vorauswirft. Vor dem Hintergrund dieser weitreichenden Folgen muss für diese Regelungsthematik an den Parlamentsvorbehalt erinnert werden.1735 Die Satzung der IHK Halle, die eine Ermächtigung des Hauptgeschäftsführers zur Beanstandung rechtswidriger Vorgänge enthält,1736 ist demnach un­wirksam. Wenn derzeit die Satzungen nahezu aller Kammern vorsehen, dass der Hauptgeschäftsführer für die „ordnungsgemäße Durchführung der Geschäfte der IHK verantwortlich“ ist, muss dies einschränkend aufgefasst werden. Es ist dem Hauptgeschäftsführer danach lediglich gestattet, das betreffende Organ auf die objektive Rechtslage hinzuweisen. Es ist ihm demgegenüber verwehrt, den Vollzug von Beschlüssen oder Willensentschließungen der ehrenamtlichen Organe zu blockieren. 5. Stellung im organisatorischen Gesamtgefüge Welche Stellung dem Hauptgeschäftsführer im organisatorischen Gesamtgefüge zukommt, kann in Anbetracht der sparsamen Maßgaben des IHKG nur in groben Umrissen bestimmt werden. Nach einer Durchsicht der zu dieser Frage ergangenen Literaturmeinungen entsteht jedoch der Eindruck, dass gerade die wenigen Anhaltspunkte im Gesetz darauf verwendet werden, eine möglichst schlagkräftige Position zu behaupten. Ein Autor betont, dass Präsidium und Hauptgeschäftsführer über „dieselbe […] personelle Legitimation“ bzw. „dieselbe Legitimationsgrundlage“ verfügten und nimmt an, dass der Hauptgeschäftsführer durch seine Bestellung „auf die Höhe des Vorstands gehoben“ werde.1737 Dem entspreche es, wenn zwischen Hauptgeschäftsführer und Präsidium eine „Begegnung auf Augen­ höhe“ stattfinde und er nicht nur eine „bloße Hilfsfunktion“ gegenüber dem Vor 1735

Soll dem Hauptgeschäftsführer der IHK trotz der vorgebrachten Bedenken eine Beanstandungspflicht für rechtswidrige Beschlüsse zugestanden werden, sollte  – in Anknüpfung an die überwiegende Rechtslage im Kommunalrecht (dazu Janssen, Das Verhältnis von ehrenamtlichem Rat und hauptamtlichem Bürgermeister, 2019, S. 195 m. w. N.) – von einer Subjektivierung des Prüfungsmaßstabs abgesehen und stattdessen ein zweifelsfreies Ergebnis durch objektive Prüfung der Rechtslage verlangt werden. 1736 § 9 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Halle: „Der Hauptgeschäftsführer ist verpflichtet, bei den Beratungen der Organe der IHK sich hinsichtlich der Rechtmäßigkeit einer Beschlussfassung ergebende Bedenken vorzutragen. Gelangt der Hauptgeschäftsführer zu der Überzeugung, dass eine Beschlussfassung oder sonstige Maßnahme der Organe der IHK das Recht verletzt, hat er seine Mitwirkung zu verweigern und – falls die Maßnahme dennoch vorgenommen wird – der Aufsichtsbehörde zu berichten. Der gesamte Vorgang ist aktenkundig zu machen.“ 1737 Heusch, Zu aktuellen Fragen der kammerinternen Organisation und der Staatsaufsicht, in: Kluth (Hg.), JbKBR 2009, 2010, 73 (77 u. 80).

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

stand erfülle.1738 Eine andere Stimme erweitert die Auffassung dahingehend, dass auch die Vollversammlung und der Präsident als „gleichberechtigte“ Organe neben dem Hauptgeschäftsführer stünden, weshalb er insgesamt keinen Weisungen unterliege.1739 Die Behauptung, dass der Hauptgeschäftsführer „nicht weisungsgebunden“ sei, ist ebenfalls nachzulesen.1740 Denn „[s]chon der Organbegriff“ schließe ein Weisungsrecht gegenüber „anderen Organen mit eigenem Wirkungskreis“ aus.1741 Soweit ersichtlich ist jedoch unbestritten, dass der Organbegriff unter Ansicht der überantworteten Kompetenzen Differenzierungen nach dem Grad der Selbstständigkeit zwischen unabhängigen (weisungsfreien) und abhängigen (weisungsunterworfenen) Organen zulässt.1742 Soll der Hauptgeschäftsführer über eine weisungsfreie, organisatorische Selbstständigkeit im Verhältnis zu den ehrenamtlichen Organen verfügen, darf dies nicht unwiderlegbar vermutet, sondern muss für jede einzelne Aufgabe positiv festgestellt werden. Nur für den Fall einer festgestellten Alleinzuständigkeit mit unabhängiger Entscheidungsmacht steht der Begriff der Organschaft prinzipiell der gleichzeitigen Begründung von Weisungsrechten zugunsten anderer Organe entgegen. Für das Verhältnis zwischen der Vollversammlung und dem Hauptgeschäftsführer sind auch die mit § 4 S. 1 IHKG erzeugten Rechtswirkungen beachtlich. Auf den Wortlaut der Vorschrift kann der Befund gegründet werden, dass die Vollversammlung prinzipiell allzuständig ist. Die Vollversammlung kann durch Beschluss generelle Weisungen (Richtlinien) oder Einzelweisungen erteilen, wenn sie diesen Verantwortungsbereich nicht im Wege des Satzungsrechts vollständig und wirksam delegiert hat. Auch das Präsidium kann im Rahmen seiner delegierten Zuständigkeit Beschlüsse fassen, die den Hauptgeschäftsführer zur Durchführung verpflichten. Die Organeigenschaft des „untergeordneten“ Organs wäre jeweils nicht in Zweifel zu ziehen. Die apodiktisch formulierten Annahmen verkennen auch das Grundprinzip der IHK als einer Selbstverwaltungskörperschaft, die durch die Kammerzugehörigen und ihre ehrenamtlich tätigen Repräsentanten getragen wird. Zwar kann der Hauptgeschäftsführer aus dem Kreis der Kammerzugehörigen be-

1738 So Heusch, Zu aktuellen Fragen der kammerinternen Organisation und der Staatsaufsicht, in: Kluth (Hg.), JbKBR 2009, 2010, 73 (80), der im Folgenden (S. 81) ausführt, dass weder Präsident noch Präsidium dem Hauptgeschäftsführer eine Einzelweisung erteilen dürften, wenn dies nicht ausdrücklich normiert sei, weil dies dem „grundsätzlich gleichrangigen Status beider Organe“ widerspreche. 1739 Günther, in: v.  Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 86. EL Februar 2021, § 7 IHKG Rn. 15. Widersprüchlich ders., ebd., § 6 IHKG Rn. 9 u. § 7 IHKG Rn. 17: „Die Vollversammlung kann von Gesetzes wegen grds. allgemeine Weisungen und auch Einzelweisungen erteilen und jede Sache an sich ziehen“. 1740 Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 7 Rn. 6. 1741 Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 6 Rn. 22. 1742 Kluth, Funktionssubjekte der Verwaltungsorganisation, in: Wolff / Bachof / Stober / ders., Verwaltungsrecht II, 7. Aufl. 2010, § 82 Rn. 157.

IV. Der Hauptgeschäftsführer  

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stellt werden. Doch ist dies regelmäßig nicht der Fall.1743 Vor diesem Hintergrund verbietet es sich, das Haupt- mit dem Ehrenamt auf eine Stufe zu stellen. Bedenkt man schließlich, dass die Vollversammlung den Hauptgeschäftsführer bestellt und entlastet, ist stattdessen naheliegend, dass der Hauptgeschäftsführer zumindest in diesem Verhältnis eine bloße Hilfsfunktion einnimmt und der Kontrollfunktion des Repräsentativorgans vollkommen unterliegt. 6. Abberufung de lege lata Dass der Vollversammlung die Befugnis zur Abberufung des Hauptgeschäftsführers zukommt, nahmen Rechtsprechung und Literatur durchweg an.1744 Insofern ist prinzipiell unbeachtlich, dass diese Rechtsgarantie in den Satzungen von insgesamt 63 IHK-Bezirken keine Erwähnung findet.1745 Das Satzungsrecht von weiteren 12 Kammern nennt die Rechtsgarantie im Rahmen des Zuständigkeitskatalogs der Vollversammlung.1746 Dabei dürfte es sich jedoch um eine organisationsinterne Zuständigkeitsregel mit lediglich deklaratorischer Wirkung und nicht um eine Ermächtigungsgrundlage handeln.1747 Denn § 7 Abs. 1 IHKG zeigt, dass ohnehin nur die Vollversammlung zur Entscheidung über die Abberufung befugt

1743 So auch die Einschätzung bei Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 476, der weiterhin ausführt, dass der Hauptgeschäftsführer „kein Beispiel aktiver, ehrenamtlicher Selbstverwaltung“ sei. 1744 OVG Lüneburg, Urt. v. 12. November 2009 – 8 LC 58/08 –, juris Rn. 43 ff; Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 477; Groß / Pautsch, Kammerverfassungsrecht – Organisation und Verfahren, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 7 Rn. 50; Rickert, in: Junge / Jahn /  Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 7 Rn. 8. 1745 Es handelt sich – soweit ersichtlich – um die Satzungen der IHK-Bezirke Aachen, Arnsberg, Bayreuth, Berlin, Bielefeld, Bochum, Bonn, Bremen, Chemnitz, Coburg, Cottbus, Detmold, Dillenburg, Dortmund, Dresden, Duisburg, Düsseldorf, Erfurt, Essen, Flensburg, Frankfurt a. M., Frankfurt (Oder), Freiburg, Fulda, Gera, Hagen, Hanau, Hannover, Heidenheim, Heilbronn, Karlsruhe, Kassel, Kiel, Koblenz, Köln, Konstanz, Krefeld, Limburg, Lübeck, Ludwigshafen, Mainz, Mannheim, München, Münster, Neubrandenburg, Nürnberg, Offenbach, Oldenburg, Passau, Pforzheim, Regensburg, Reutlingen, Rostock, Siegen, Stade, Suhl, Trier, Ulm, Villingen-Schwenningen, Weingarten, Wiesbaden, Wuppertal und Würzburg. 1746 § 5 Abs. 3 Satzung IHK Braunschweig; § 4 Abs. 2 S. 2 lit. e) Satzung IHK Darmstadt; § 4 S. 2 lit. h) Satzung IHK Emden; § 4 Abs. 2 S. 2 lit. e) Satzung IHK Gießen; § 5 S. 2 lit. p) Satzung IHK Leipzig; § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 Satzung IHK Lüneburg; § 4 Abs. 2 lit. g) Satzung IHK Magde­ burg; § 5 Abs. 2 lit. k) Satzung IHK Osnabrück; § 8 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Saarbrücken; § 4 Abs. 2 S. 2 lit. e)  Satzung IHK  Schwerin; § 4 Abs. 2 S. 2 lit. h) u. i) Satzung IHK  Stuttgart (hier: die Zuständigkeit wird auf die Abberufung der stellv. Hauptgeschäftsführer, der leit. Geschäftsführer der Bezirkskammern und der Geschäftsführer erweitert).§ 6 Abs. 8 S. 2 Satzung IHK Potsdam erwähnt die Abberufung des Hauptgeschäftsführers dahingehend, dass darüber geheim abzustimmen ist. 1747 Gleichgerichtet OVG Lüneburg, Urteil vom 12. November 2009 – 8 LC 58/08 –, juris Rn. 44 für die Satzung einer IHK, die bestimmte, dass die Vollversammlung auch über die Abberufung des Hauptgeschäftsführers entscheidet.

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

wäre.1748 Demnach bleiben vier Bezirke übrig, die die Voraussetzungen einer Abberufung regeln.1749 Nimmt man die eingangs ausgebreitete Klassifikation der Bestellung als Verwaltungsakt ernst, folgt die Anerkennung der Rechtsbefugnis aus dem actuscontrarius-Gedanken und könnte entweder auf § 48 VwVfG (für den Fall eines rechtswidrigen Verwaltungsakts) oder auf § 49 Abs. 2 S. 1 VwVfG (für den Fall eines rechtmäßigen Verwaltungsakts) gestützt werden.1750 Vor den Erfordernissen des Parlamentsvorbehalts sind jedoch Einwände anzumelden, wenn in derart allgemeinen Vorschriften eine Ermächtigungsgrundlage für den hier in Rede stehenden Spezialfall gesehen werden soll. Es überrascht insofern, wenn ein und derselbe Autor die Abbestellung des Hauptgeschäftsführers ohne Nennung einer Rechtsgrundlage ermöglichen will, aber die Abwahl von Mitgliedern des Präsidiums nur für durchführbar erachtet, wenn das Recht dies ausdrücklich zulässt.1751 Zutreffend an dieser Differenzierung ist jedoch, dass das IHKG für die Amtszeit des Hauptgeschäftsführers keinen Endpunkt bestimmt. Insbesondere unter Ansehung verwaltungspraktischer Gesichtspunkte muss ein Ende der Amtszeit ab dem Erreichen einer Altersgrenze, einem dauerhaft gestörten Verhältnis zu einem ehrenamtlichen Organ oder beim Vorliegen von gesundheitlichen Gründen, die die Amtsführung verhindern oder unmöglich machen, aber gewollt sein.1752 Hier zeigt sich ganz besonders, dass die Sach- und Interessenlage in der Interorganbeziehung zwischen Vollversammlung und Hauptgeschäftsführer einerseits sowie Vollversammlung und Präsidium andererseits nicht vergleichbar ist. Da die Wahl zur Vollversammlung in regelmäßigen Abständen wiederholt wird und die Präsidiumsmitglieder aus der Mitte der Vollversammlung zu wählen sind, ist die Amtszeit der Präsidiumsmitglieder begrenzt. Die Frage nach dem „Wie“, mithin den Voraussetzungen für eine wirksame Abberufung, ist schwieriger zu beantworten. Wenn man annimmt, dass sich die Abberufung auf Grundlage der §§ 48, 49 VwVfG vollzieht,1753 muss speziell auf § 49 1748

Sollte in den Bestimmungen mehr als eine Zuständigkeitsregel zu erkennen sein, würde der Beschluss über die Abwahl an das Erfordernis der einfachen Mehrheit als Regelmodus der Entscheidung zu knüpfen sein. 1749 § 16 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Augsburg (hier: der Hauptgeschäftsführer wird auf Vorschlag des Präsidiums abberufen); § 7 Abs. 6b Satzung IHK Halle (hier: vorausgesetzt wird ein schriftlicher Antrag von mind. 30 Vollversammlungsmitgliedern und die Stimmen einer Dreiviertelmehrheit unter allen stimmberechtigten Mitgliedern); § 7 Abs. 6 S. 1 f. Satzung HK Hamburg (hier: bestellte Personen können vom Plenum aus wichtigem Grund abberufen werden, wobei der Antrag entsprechend zu begründen ist); § 10 Abs. 7 S. 2 Satzung IHK Aschaffenburg (hier: der Ausspruch einer ordentlichen Kündigung bedarf der Zustimmung durch eine Zweidrittelmehrheit unter den anwesenden Vollversammlungsmitgliedern). 1750 Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 477. 1751 Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 7 Rn. 8 einerseits und § 6 Rn. 12 andererseits. 1752 Zutreffend OVG Lüneburg, Urt. v. 12. November 2009 – 8 LC 58/08 –, juris Rn. 45. 1753 So etwa Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 477.

IV. Der Hauptgeschäftsführer  

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Abs. 2 S. 1 VwVfG rekurriert werden. Diese Vorschrift formuliert abschließende Voraussetzungen, nach denen ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden kann. Doch ergibt eine Durchsicht der dort genannten Voraussetzungen, dass der actus-contrarius-Gedanke wohl nicht für sämtliche Rechtsfragen überzeugende Lösungen bereithält. Es bestehen vielmehr erhebliche Zweifel, ob in der Abberufung des Hauptgeschäftsführers durchgängig ein spiegelbildlicher Vorgang im Vergleich zur erstmaligen Bestellung gesehen werden kann. Bei einem vordergründigen Blick auf die Geschehnisse liegt die Annahme einer Spiegelbildlichkeit zwar nahe, weil die Abberufung jenes Amt beendet, das durch die Bestellung begründet wurde. Aber die Bestellung und die Abberufung sind jeweils eigenständige, von einem höchst unterschiedlichen Willen getragene Rechtsakte.1754 Die in § 49 Abs. 2 S. 1 VwVfG enthaltenen Tatbestandsvoraussetzungen werden diesem Befund nicht gerecht. Sie fokussieren vor allem den Inhalt des erstmals erlassenen Verwaltungsakts oder den Sachverhalt, der dem Erlass zugrunde lag.1755 Auch der Charakter des § 49 Abs. 2 S. 1 VwVfG als Ermessensvorschrift lässt die Vorschrift als untauglich erscheinen. Hinzu kommt, dass § 49 Abs. 2 S. 1 VwVfG keine sachgerechte Lösung für die eben skizzierten verwaltungspraktischen Gesichtspunkte anbietet1756. Es ist nach alledem davon abzusehen, die Abberufung des Hauptgeschäftsführers auf der Grundlage von § 49 Abs. 2 S. 1 VwVfG zu vollziehen.1757 Die Rechtsprechung will vor diesem Hintergrund auf „allgemeine Rechtsgrundsätze“ zurückgreifen, die für „die Abberufung des Inhabers eines Spitzenamtes einer Körperschaft oder einer rechtsfähigen Anstalt im Rahmen funktionaler Selbstverwaltung“ gelten.1758 In der Folge verweist sie auf § 35a Abs. 7 S. 2 SGB IV1759 und § 382 Abs. 3 S. 4 SGB III1760. Unter Bezugnahme auf den Rechtsgedanken dieser Bestimmungen gelangte das Gericht zu der Auffassung, dass die Vollversammlung den Hauptgeschäftsführer abberufen könne, „wenn eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen dem Präsidium und dem Hauptgeschäftsführer

1754 1755

lich.

Ähnlich OVG Lüneburg, Urt. v. 12. November 2009 – 8 LC 58/08 –, juris Rn. 46. Dies wird unter Ansehung von § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 u. 3 VwVfG ganz besonders anschau-

1756 Darauf weist auch das OVG Lüneburg, Urt. v. 12. November 2009 – 8 LC 58/08 –, juris Rn. 46 hin. 1757 Diese Erwägungen bedenkt Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 477 nicht und spricht lediglich davon, dass die Bestellung gem. §§ 48, 49 VwVfG „prinzipiell“ zurückgenommen werden könne. 1758 OVG Lüneburg, Urt. v. 12. November 2009 – 8 LC 58/08 –, juris Rn. 47. 1759 OVG Lüneburg, Urt. v. 12. November 2009 – 8 LC 58/08 –, juris Rn. 50. Diese Vorschrift gestattet, das Vorstandsmitglied einer Krankenkasse wegen Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung oder durch Vertrauensentzug vom Amt zu entheben. 1760 OVG Lüneburg, Urt. v. 12. November 2009 – 8 LC 58/08 –, juris Rn. 50 Diese Vorschrift gestattet die Entlassung eines Mitglieds des Vorstandes der Bundesanstalt für Arbeit, wenn das Vertrauensverhältnis gestört ist oder ein wichtiger Grund vorliegt.

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unmöglich und diese Unmöglichkeit nicht tragend und einseitig auf ein vorwerfbares Verhalten des Präsidiums zurückzuführen“ sei.1761 Da keine besonderen Vorschriften für das Mehrheitserfordernis in der entsprechenden Satzung existierten, setzte das Gericht allem Anschein nach das Vorliegen der Abstimmungsmehrheit für einen wirksamen Beschluss voraus.1762 Im Rahmen der weiteren Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen stellte es wiederum auf die Vorschriften des Verwaltungsverfahrens ab. Es forderte eine Anhörung (§ 28 VwVfG),1763 eine ordnungsgemäße Bekanntgabe des Beschlusses (§ 41 Abs. 1 VwVfG), eine Begründung (§ 39 Abs. 1 VwVfG) und die Einhaltung der Vorgaben über die Bestimmtheit und Form des Verwaltungsakts (§ 37 VwVfG).1764 Die Annahmen der Verwaltungsgerichtsbarkeit hat die Literatur zustimmend aufgenommen. Doch werden die Ausführungen des Gerichts mit Abweichungen im Detail wiedergegeben. So heißt es etwa, dass die Abberufung eines vom Hauptorgan gewählten Hauptgeschäftsführers zulässig sei, „sofern ein wichtiger Grund“ vorliege, wobei ein „Verlust des Vertrauens ausreichen“ könne.1765 An anderer Stelle geht man davon aus, dass die Abberufung „nicht willkürlich erfolgen“ dürfe, sondern hinreichend, „z. B. mit einer grundlegenden Erschütterung des Vertrauensverhältnisses“, zu begründen sei.1766 Dass das Gericht die Unmöglichkeit einer gedeihlichen Zusammenarbeit zwischen Präsidium und Hauptgeschäftsführer als Voraussetzung für die Abberufung benannt hatte und nicht von einer „grundlegenden Erschütterung des Vertrauensverhältnisses“ sprach, unterschlägt eine andere Darstellung.1767 Indes kann die Vielfalt der Rechtsmeinungen, die in wesentlichen Punkten von dem Inhalt des Richterspruchs abweicht, nicht beklagt werden. Vielmehr ist dieser Befund ein Ausdruck dessen, dass weder gesetzlich noch satzungsrechtlich unmissverständlich geregelt ist, unter welchen Voraussetzungen der Hauptgeschäftsführer abberufen werden kann. Auch das Judikat des OVG Lüneburg stellt kein Sinnbild für Rechtssicherheit dar, sondern vermittelt den Eindruck einer weitgehend systemwidrigen Konzeption. Denn das Urteil erhebt den Stand der Beziehungen zwischen Präsidium und Hauptgeschäftsführer zum entscheidungserheblichen Maßstab, obwohl die Vollversammlung für die Entscheidung über die Abberufung zuständig ist. Es stellt sich die Frage, warum sich die Vollversammlung nicht ohne Verweis auf das Präsidium zur Abberufung des Hauptgeschäftsführers entschließen können soll, wenn die Kontrollbeziehung in eben diesem Verhältnis besteht.

1761

OVG Lüneburg, Urt. v. 12. November 2009 – 8 LC 58/08 –, juris Rn. 55. Dies lässt sich OVG Lüneburg, Urt. v. 12. November 2009 – 8 LC 58/08 –, juris Rn. 59 entnehmen. 1763 OVG Lüneburg, Urt. v. 12. November 2009 – 8 LC 58/08 –, juris Rn. 60. 1764 OVG Lüneburg, Urt. v. 12. November 2009 – 8 LC 58/08 –, juris Rn. 62. 1765 Groß / Pautsch, Kammerverfassungsrecht – Organisation und Verfahren, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 7 Rn. 50. 1766 Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 7 Rn. 8. 1767 S. Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 477. 1762

IV. Der Hauptgeschäftsführer  

383

Die Abberufung des Hauptgeschäftsführers hat keine unmittelbaren Auswirkungen auf die zivilrechtlichen Vereinbarungen. Prinzipiell ist vom Fortbestand des Dienstvertrages auszugehen. Ob die Abberufung Folgen für die Ansprüche aus dem Vertrag zeitigt, ist allein nach zivilrechtlichen Maßstäben zu beurteilen. Im Streitfall sind die Zivilgerichte und nicht die Arbeitsgerichte zuständig.1768 Das Kündigungsschutzgesetz findet keine Anwendung.1769 Die Abberufung von Seiten der Vollversammlung bildet allerdings die notwendige Voraussetzung für eine Kündigung des Dienstvertrages. Zuvor kann das Präsidium den Hauptgeschäftsführer nur von seinen dienstvertraglichen Primärpflichten befreien.1770 Die so beschriebene Rechtslage hat in der Vergangenheit zu kostspieligen Belastungen für die Haushalte verschiedener Kammern geführt. Da häufig ein Aufhebungsvertrag mit Blick auf die oftmals hoch dotierten1771 Dienst- und Versorgungsverträge der Hauptgeschäftsführer geschlossen werden musste, kam man – je nach Vertragslage – nicht an der Zahlung von Abfindungen in empfindlicher Höhe vorbei. So ist etwa bekannt, dass der ehemalige Hauptgeschäftsführer der HK Hamburg, der sein Amt niederlegte und einer Abberufung zuvorkam, im Zuge der Auflösung seines Dienstvertrages mit einer Restdauer von 15 Monaten eine Abfindung i. H. v. 775.000 Euro, jedoch insgesamt 1,1 Millionen Euro erhielt.1772 Für Abberufungen des Hauptgeschäftsführers der IHK Schwerin und der IHK Lübeck sind indes nur Mutmaßungen über die Höhe der zu leistenden Abfindung öffentlich geworden.1773 1768

§ 5 Abs. 1 S. 3 Arbeitsgerichtsgesetz. § 14 Abs. 1 Nr. 1 Kündigungsschutzgesetz. 1770 Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 7 Rn. 8. 1771 Die Mehrzahl der IHK-Bezirke verlautbart in diesem Zusammenhang keine zitierfähigen Angaben, weshalb der unbeteiligte Forscher auf die Einsichten der medialen Berichterstattung angewiesen ist. S. etwa Öchsner, IHK – Verdächtiges Schweigen, SZ v. 22. Januar 2019, Nr. 18, S. 22, abrufbar unter https://sz.de/1.4296873: „Der frühere Hauptgeschäftsführer der Hamburger IHK, Hans-Jörg Schmidt-Trenz, kam zum Beispiel auf eine Vergütung von gut 600 000 Euro, inklusive Prämien und Altersvorsorge. Andere IHK-Top-Manager sind weit genügsamer. In Augsburg belief sich 2017 das Gehalt des Chefs auf 211 000 Euro, in Berlin auf 225 000 Euro. […] Nur zehn der 79 Kammern haben individualisierte Details über die Saläre ihrer Chefs veröffentlicht. Alle anderen schweigen […]. In Hamburg brauchte man nach dem Rücktritt des […] IHK-Chefs Schmidt-Trenz nicht allzu lange, die neue Spitze zu besetzen – obwohl das Jahresgehalt für die Nachfolgerin jetzt nur noch knapp 200 000 Euro beträgt.“ Lediglich zu der Frage der Gehälter aller Mitglieder der IHK-Führungsebene existieren belastbare, aber unaufgeschlüsselte Angaben, s. https://www.ihk.de/wie-hoch-sind-die-gehalter-der-ihkfuhrungsebene-. Dass die von einer IHK eingegangenen Versorgungszusagen für hauptamtliche Mitarbeiter nicht immer vor der Verpflichtung zur sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung im öffentlichen Dienst gerechtfertigt werden können, kann dem Sachverhalt entnommen werden, der der Entscheidung BAG, Urt. v. 13. Oktober 2020 – 3 AZR 410/19 – zugrunde lag. 1772 Preuß, Hans-Jörg Schmidt-Trenz kommt seiner Abberufung zuvor, DIE WELT v. 4. Mai 2017, abrufbar unter https://www.welt.de/regionales/hamburg/article164256246/Hans-JoergSchmidt-Trenz-kommt-seiner-Abberufung-zuvor.html; Grabbe, Hans-Jörg Schmidt-Trenz  – Götterdämmerung, DIE ZEIT Hamburg Nr. 20/2017, abrufbar unter https://www.zeit.de/2017/ 20/hans-joerg-schmidt-trenz-handelskammer-abschied. 1773 Roth, Rücktrittsforderungen gegen IHK-Präsident, Schweriner Volkszeitung v. 16. März 2010, abrufbar unter https://www.svz.de/4787881: „Dem gerichtlichen Vergleich zufolge hat 1769

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

7. Abberufung de lege ferenda In Anbetracht des mit einer Abberufung einhergehenden Eingriffs in Rechtspositionen der Person des Organwalters kann kaum bestritten werden, dass eine explizite Ermächtigung im IHKG geschaffen werden muss.1774 8. Verhütung von Phänomen einer Verwaltungsherrschaft Auch rechtstatsächliche Erwägungen streiten dafür, die Rechtsgarantie zur Abberufung dieses nachgeordneten Organs im Parlamentsgesetz auszugestalten. Hierzu gehört die Einsicht, dass der Verwaltungsspitze in der Praxis ein dominierender Einfluss auf die Aufgabenwahrnehmung der gesamten Kammer zukommt. Dies ist in den Grenzen des Rechts hinnehmbar und sogar wünschenswert, wenn im Wege der Tätigkeit ein harmonisches und effektives Arbeiten in und zwischen den ehrenamtlichen Organen gewährleistet wird. Doch dürfte die tatsächliche Wahrnehmung des Mandats regelmäßig darüber hinausgehen.1775 Dabei handelt es sich mit Sicherheit nicht um ein Phänomen, das nur die IHK betrifft. Der Politikwissenschaftler Thomas Ellwein befand etwa für die kommunale Selbstverwaltung, dass sie „recht eigentlich den Tatbestand der Verwaltungsherrschaft und die Legitimationsfunktion scheindemokratischer Einrichtungen“ beweise. „Der Gemeinderat kontrolliert nicht die Gemeindeverwaltung, er führt sie auch nicht, wohl aber entlastet er sie.“1776 Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die vorstehenden Ausführungen sind auch engagierte Stimmen aus der Rechtsforschung zu vernehmen, die eine Dominanz des Hauptamts gegenüber dem Ehrenamt in der funktionalen Selbstverwaltung beklagen. Werner Frotscher führte etwa aus: die Kammer-Spitze alle „im Zusammenhang mit der Abberufung erhobenen Vorwürfe“ fallen lassen. Mit einer Abfindung von 400.000 Euro war Rothes Dienstverhältnis beendet worden.“ Tönnemann, IHK: Öffentlicher Streit um Abfindung, Lübecker Nachrichten v. 5. Juli 2013, abrufbar unter https://www.ln-online.de/Nachrichten/Wirtschaft/Wirtschaft-im-Norden/IHKOeffentlicher-Streit-um-Abfindung: „Nach LN-Informationen gab es die Übereinkunft, dass Schulz-Kleinfeldt für die noch dreijährige Laufzeit seines Vertrages die vollen Bezüge des Grundsalärs erhält. Das entspräche 345.000 Euro. Hinzu gekommen wären 50 Prozent der üblichen Boni-Zahlungen, eine jährlich fünfstellige Summe. Außerdem wäre Schulz-Kleinfeldt der IHK-Dienstwagen geblieben, ein vollkaskoversicherter großer Mercedes inklusive IHKTankkarte. Vertragsgemäß wird der Dienstwagen jährlich durch ein neues Fahrzeug ersetzt.“ 1774 In diese Richtung auch Heusch, Zu aktuellen Fragen der kammerinternen Organisation und der Staatsaufsicht, in: Kluth (Hg.), JbKBR 2009, 2010, 73 (85 f.). 1775 Dies beobachtet wohl auch Kluth, Kammerrecht, in: Schulte / Kloos (Hg.), Handbuch Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 7 Rn. 155, wenn er unter der Überschrift „Erhöhung der Transparenz von Entscheidungsprozessen“ anmahnt, dass Entscheidungen „nicht im Regelfall durch das Hauptamt vorgegeben werden“ dürften. 1776 Ellwein, Kontrolle der Bürokratie oder Kontrolle durch die Bürokratie?, Probleme der Demokratie heute – Tagung der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft, PVS Sonderheft, 1971, 170 (175).

IV. Der Hauptgeschäftsführer  

385

„Entgegen demokratischen Erwartungen dominieren nicht die […] Vollversammlungen der Kammerzugehörigen […], sondern die Selbstverwaltungsexekutive, an der Spitze die Hauptverwaltungsbeamten, die auch in den übergreifenden Organisationen und Verbänden den Ton angeben.“1777 Michael Kleine-Cosack bemerkte, dass die Verwaltungsspitze dominiere und die „entscheidenden Kompetenzen nicht bei den Vollversammlungen der Kammerangehörigen bzw. den sonstigen Repräsentationsorganen der Mitglieder“ lägen. Er schlussfolgerte, dass die Verwaltungsherrschaft in den Kammern „nahezu total“ sei, weshalb die Selbstverwaltung oft als „Nullum“ bewertet werden müsse.1778 Ein anderer Autor erkannte, dass die „hauptberufliche Geschäftsführung aufgrund ihres Sachverstandes faktisch einen starken, wenn nicht sogar dominierenden Einfluß auf die ehrenamtlichen Mitgliedergremien“ habe.1779 Jürgen Basedow vermutet, dass „in Wirklichkeit der geballte Sachverstand der wissenschaftlich geschulten Kammergeschäftsführung die ehrenamtlichen Gremien“ beherrsche und „diesen seine Konzeption von Wirtschaftsförderung“ aufdränge.1780 Die Reihe derartiger Stellungnahmen ließe sich unentwegt fortschreiben.1781 Bemerkenswert ist ihr zeitloser Charakter. Karl Wilhelm Laßwitz, Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses (1863–1870) und der Handelskammer Breslau (1850),1782 führte mit Blick auf die preußischen Handelskammern im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zum PrHKG 1870 bereits aus: „Die Seele jeder Handels­ kammer ist der […] Sekretär. Denn der macht ja die Berichte, und ist der Handelskammer-Sekretär freihändlerisch, überhaupt liberal, […] so wird die Handelskammer auch freihändlerisch und liberal sein. Hat der Handelskammer-Sekretär eine andere Richtung, so wird auch das Gros der Handelskammer derselben Richtung angehören.“1783 Noch heutzutage existieren Satzungen, die den Hauptgeschäftsführer für die Vertretung der IHK in Vereinen, Gesellschaften und Organisationen ermächtigen und ihm, für den Fall einer Verhinderung des Präsidenten, die Stimmführerschaft zuerkennen. Dabei wird er sogar für befugt befunden, bestehende Beschlüsse der zuständigen Organe zu konkretisieren und Positionen aus diesen Beschlüssen abzuleiten. Ihm obliegt nach geltendem Recht ferner die Wahrnehmung des Gesamtinteresses der gewerblichen Wirtschaft im Rahmen der von der Vollver 1777 Frotscher, Selbstverwaltung und Demokratie, in: v. Mutius (Hg.), FG von Unruh, 1983, 127 (139). 1778 Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 137. 1779 Irriger, Genossenschaftliche Elemente bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften, 1991, S. 228. 1780 Basedow, BB 1977, 366 (371). 1781 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 448; Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 476; Diefenbach, GewArch 2006, 313 (315). 1782 Informationen entnommen aus https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Wilhelm_La%C3%9 Fwitz. 1783 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten (1869/1870), Band 3, 1870, 47. Sitzung vom 14. Januar 1870, S. 1453.

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

sammlung beschlossenen Richtlinien sowie unter Beachtung der Beschlüsse von Vollversammlung und Präsidium.1784 Ohnehin erfassen die Kompetenzregeln das Machtverhältnis von Haupt- und Ehrenamt „nur von der rechtlichen Seite“.1785 Auch die Ergebnisse organisationssoziologischer Untersuchungen belegen, dass weitreichende Kompetenzen zugunsten der hauptamtlich beschäftigten Verwaltungsspitze zu einer insgesamt dysfunktionalen Struktur beitragen können. Das Problem wird dort als doppelte Loyalität von Experten terminologisch erfasst. Dies bezeichnet einen Befund, bei dem kompetenzielle Spielräume oder Leerstellen durch persönliche Ansichten über die „richtigen“ Ziele der Organisation oder auf Grundlage des eigenen Berufsethos ausgefüllt werden, wohingegen die Interessenlage der Mitgliedschaft überspielt wird.1786 Insbesondere die Studie von Robert Michels kann erklären, dass und warum eine professionell besetzte Verwaltungsspitze dazu neigt, sich von den Auffassungen der Mitgliedschaft abzukoppeln, eine dominante Stellung in der Organisation einzunehmen und eine Herrschaft der Wenigen zu begründen. Das Gewicht verschiebt sich danach nahezu unweigerlich zugunsten der mit Sachkunde und Flexibilität ausgestatteten exekutiven Leitungsorgane, weil diese häufig und routiniert die Angelegenheiten der IHK wahrnehmen und tagtäglich in der Geschäftsstelle anwesend sind. Soll ein Gegenpol zu diesen Tendenzen gebildet werden, erscheint es angezeigt, die Kreationsbefugnis der Vollversammlung auch für dieses nachgeordnete Organ zu erweitern und die notwendigen Grundlagen für eine kontinuierliche Kontrollbeziehung zu bereiten. 9. Implikationen für den Dienstvertrag und die Einordnung als Verwaltungsakt Unter den Voraussetzungen des Regelungsvorschlags (s. § 8 IHKG-neu unter E. VII.) ergeben sich keine unüberwindbaren Hürden für die zivilrechtliche Seite der Bestellung. Die Gültigkeit des Dienstvertrages kann weiterhin von der aufschiebenden Bedingung der Bestellung durch die Vollversammlung abhängig gemacht werden. Die weitere Gestaltung des Dienstvertrages muss in Akzessorietät zu dem Inhalt des mit der Bestellung einhergehenden Verwaltungsakts gelöst werden. Insbesondere ist in der Vereinbarung ein Gleichlauf mit der Organstellung vorzusehen, sodass nach einer wirksamen Abberufung ein außerordentlicher Kündigungsgrund besteht oder der Dienstvertrag unter eine darauf lautende auflösende Bedingung gestellt wird.1787

1784

Dazu näher bei Fn. 1895 ff. Basedow, BB 1977, 366 (371). 1786 S. zu diesem Problem Mayntz, Soziologie der Organisation, 1963, S. 71 m. w. N. und unter E. VI. 4. f). 1787 Auch Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 7 Rn. 8 erachtet eine Koppelung des Dienstvertrages an die Organstellung für „möglich“. 1785

IV. Der Hauptgeschäftsführer  

387

Der die Bestellung begründende Verwaltungsakt muss nunmehr als befristet aufgefasst werden. Nur damit kann dem Umstand Rechnung getragen werden, dass de lege ferenda eine abermalige Bestellung des Hauptgeschäftsführers nach Ablauf der hälftigen Dauer der Wahlperiode der Vollversammlung angeordnet wird. Dabei ist auf § 36 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG Bezug zu nehmen. Die Vorschrift gestattet, den Verwaltungsakt mit einer Bestimmung zu versehen, „nach der eine Vergünstigung oder Belastung zu einem bestimmten Zeitpunkt beginnt, endet oder für einen bestimmten Zeitraum gilt“. Die entscheidenden zeitlichen Wegmarken im Rahmen der Befristung sind die Bestellung (Beginn der Wahlperiode), die abermalige Rechtspflicht zur Bestellung (Hälfte der Wahlperiode) und das Ende der Amtszeit (Ablauf der Wahlperiode). Nach § 36 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG besteht nicht nur die Möglichkeit, den Beginn oder das Ende der Rechtswirkungen des Verwaltungsakts mit einem kalendarischen Datum zu versehen. Vielmehr kann der „bestimmte Zeitpunkt“ auch durch die Definition eines „bestimmten Geschehnisses“ festgelegt werden. Dies gilt zumindest dann, wenn sicher feststeht, dass das Ereignis irgendwann eintreten wird.1788 Damit fördert § 36 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG die für die Rechtspraxis notwendigen Instrumente zutage, weil die Phasen zwischen den angesprochenen Wegmarken berücksichtigt werden können. Immerhin gilt es zu beachten, dass nicht im Zeitpunkt der erstmaligen Bestellung mit Sicherheit feststeht, an welchem Tag vor dem Datum des Ablaufs der hälftigen Dauer der Amtsperiode eine Sitzung terminiert werden kann, in der die Vollversammlung die Entscheidung über die Bestellung eines Hauptgeschäftsführers trifft. In objektiver Hinsicht steht aber fest, dass das Geschehnis – eine Sitzung der Vollversammlung zu Beginn und im zeitlichen Kontext der hälftigen Dauer ihrer Wahlperiode, in der über die Bestellung des Hauptgeschäftsführers entschieden wird – eintritt. Mit der so verstandenen Befristung kann überdies die ununterbrochene Besetzung des Organs gesichert werden. Die Akzessorietät des Dienstvertrages zu dem Inhalt des Verwaltungsakts ist gewährleistet, wenn man das Ende der Gültigkeit des Dienstvertrages mit einem Endtermin im Sinne von § 163 BGB versieht. Entsprechend der Rechtslage im Verwaltungsverfahrensgesetz ist es nicht notwendig, hierfür ein kalendarisches Datum anzugeben. Vielmehr liegt eine Befristung auch vor, wenn die Parteien davon ausgehen, dass das Eintreten des Ereignisses „nur eine Frage der Zeit“ sei.1789 Für die Rechtswirkungen ab Erreichen des Endtermins verweist § 163 BGB auf die Vorschriften über die auflösende Bedingung (§§ 158 ff. BGB). Von Relevanz ist vor allem § 158 Abs. 2 BGB. Danach enden mit dem Eintritt der Bedingung die Wirkungen des Rechtsgeschäfts, d. h. des Dienstvertrages.

1788

Brüning, Einstweilige Verwaltungsführung, 2003, S. 147. Westermann, in: Säcker / Rixecker / Oetker / Limperg (Hg.), BGB, Bd. 1, 8. Aufl. 2018, § 163 Rn. 1. 1789

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

V. Abbildung der Aufgabe Interessenrepräsentanz im Binnenrecht Es ist bislang unberücksichtigt geblieben, welchen Maßstäben das Verfahren im Vorlauf der organisationsexternen Wahrnehmung des Mandats aus § 1 Abs. 1 IHKG unterliegt. Bereits die Auseinandersetzung mit dem Interessebegriff im Recht legte aber nahe, dass kein Standpunkt in der Umwelt verlautbart werden kann, wenn für ihn nicht zuvor im organisationsinternen Bereich der Artikulationsanspruch erhoben wurde. Der Gesetzesauftrag muss aber nicht nur verfahrensrechtlich abgebildet (2.), sondern auch einem Organ zugeordnet werden (3.). Das Recht hat auch Antworten zu geben, falls die Verfahrensvorgaben missachtet werden (4.). 1. Was ist das Gesamtinteresse im Sinne von § 1 Abs. 1 IHKG? Die historisch überkommenen Wendungen des Gesetzes begrenzen die Wahrnehmung der Verbandskompetenz dahingehend, dass das Gesamtinteresse der Kammerzugehörigen eines Bezirks abzubilden ist. Die Wiedergabe eines quantitativ festgestellten Mehrheitsinteresses ist damit nicht gemeint. Genauso wenig wird eine additive Zusammenstellung der Interessen aller Kammerzugehörigen von der IHK gefordert. Hätte der Gesetzgeber dies gewollt, hätte er unschwer den Auftrag auf die Wahrnehmung des Mehrheitsinteresses oder die ungefilterte Vermittlung aller Interessen begrenzen können. Unter Bezugnahme auf den Gesetzeswortlaut muss ferner eine Auffassung ausscheiden, nach der die IHK lediglich zur Aufgabenwahrnehmung ermächtigt wäre, wenn ausschließlich gemeinsame, gleiche oder gleichgerichtete Interessen festgestellt sind. Das Gesamtinteresse im Sinne von § 1 Abs. 1 IHKG wird daher auch im Fall eines Interessengegensatzes wahrgenommen werden können.1790 Dies bedeutet jedoch nicht, dass entgegengesetzte Interessen unerwähnt bleiben dürfen. Ziel des gesetzgeberischen Auftrags ist es nicht, dass die IHK die Artikulation einer einzigen Gesamtauffassung einer vorgeblich homogenen Gruppe betreibt.1791 Auf das Zutreffen dieser Erwägungen deutet bereits der Wortlaut hin, der anmahnt, die „wirtschaftlichen [und zugleich widerstreitenden] Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend“ zu berücksichtigen. Würde man die Wahrnehmung des Gesamtinteresses mit dem Auftrag zur Bündelung gemeinsamer Interessen unter den Kammerzugehörigen gleichsetzen, käme man zudem nicht an der Einsicht vorbei, dass der Gesetzgeber 1790 So auch Löwer, GewArch 2000, 89 (97); Jahn, WiVerw 2004, 133 (140); Eisenmenger, Interessenvertretung und Beratung, in: Kluth (Hg.), HbKR, 2. Aufl. 2011, § 8 Rn. 67; Günther, in: v. Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 86. EL Februar 2021, § 1 IHKG Rn. 56; Möllering, in: Frentzel / Jäkel / Junge, IHKG, 7. Aufl. 2009, § 1 Rn. 6 u. 12; ders., WiVerw 2001, 25 (30). Da sich widerstreitende Interessen kaum „bündeln“ lassen, verleitet der – in Teilen der Rechtsprechung verwendete Begriff der Bündelung (BVerfG, Beschl. v. 7. Dezember 2001 – 1 BvR 1806/98 –, juris Rn. 39; BVerwG, Urt. v. 21. Juli 1998 – 1 C 32/97 –, BVerwGE 107, 169 [176]) – zu einem Fehlverständnis von § 1 Abs. 1 IHKG. 1791 Günther, in: v.  Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 86. EL Februar 2021, § 1 IHKG Rn. 55.

V. Abbildung der Aufgabe Interessenrepräsentanz im Binnenrecht  

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eine Aufgabe unter Annahme einer lebensfremden Fiktion normiert hätte. Themen, die keinen minimalen Interessengegensatz in der gewerblichen Wirtschaft erzeugen, sind angesichts einer heterogenen und sich weiter diversifizierenden Wirtschaft nicht ersichtlich. Selbst für die in der Literatur als „Grundpositionen“ bezeichneten Thesen, die die Bejahung der freiheitlichen und marktwirtschaftlichen Grundordnung, den Vorrang der Gewerbefreiheit, das Anstreben von Deregulierung und Bürokratieabbau sowie den Wirtschaftsliberalismus („privat vor Staat“) zum Inhalt haben sollen,1792 steht nicht einmal mit Sicherheit fest, dass sie ohne Nuancen unter allen verkammerten Gewerbetreibenden geteilt werden. Das Verhältnis der fossilen zu den erneuerbaren Energien belegt bereits, dass der regulierende oder subventionierende Eingriff des Staates die Wirtschaftskraft des einen Gewerbezweiges gegenüber dem anderen begünstigt. Sollte die im Nachteil befindliche Branche nicht dafür votieren dürfen, dass sich die Wettbewerbssituation zu ihren Gunsten verändert? Weiterhin dürften die mit der verwaltenden Tätigkeit des Staates ausgelösten bürokratischen Anforderungen in der Vergangenheit zum Entstehen neuer Geschäftszweige im Dienstleistungssektor beigetragen haben. Daher ist nicht ausgeschlossen, dass selbst die Zunahme von Bürokratie teilweise Zustimmung erfährt. Zudem profitieren Unternehmen von einem Ausbau des globalisierten Welthandels im unterschiedlichen Ausmaß. Schon die Historie der preußischen Handelskammern dokumentiert, dass Teile von ihnen die Jahresberichte verwendeten, um die Ministerialbürokratie und die Öffentlichkeit über ihre ablehnende Haltung gegenüber der von Otto von Bismarck vorgenommenen Hinwendung zur Schutzzollpolitik (ca. ab 1877) zu unterrichten. Dabei taten sich Handelskammern aus den Regionen hervor, deren Unternehmen unter dem mit der Schutzzollpolitik vernachlässigten Freihandel krankten, während die durch die Eisenindustrie dominierten Handelskammer-Bezirke die Wirtschaftspolitik Bismarck’scher Prägung begrüßten.1793 Noch bevor Bismarck als Kanzler an die Spitze der preußischen Politik gelangt war, vertraten die Handelskammern in der dichotomen Entscheidung zwischen Freihandel und Schutzzoll höchst unterschiedliche Standpunkte. Dies zeigt eine Abstimmung im DHT, bei der sich im Oktober 1862 eine geringfügige Mehrheit von 102 gegen 93 Stimmen für den Freihandel aussprach.1794 Selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass die uneingeschränkte Zustimmung für jede der genannten Grundpositionen heutzutage gesichert wäre, gilt dies keinesfalls für die 1792 Günther, in: v. Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 86. EL Februar 2021, § 1 IHKG Rn. 95. S. ferner Möllering, in: Frentzel / Jäkel / Junge, IHKG, 7. Aufl. 2009, § 1 Rn. 12; ders., WiVerw 2001, 25 (47 f.); Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, § 1 Rn. 48. 1793 Der Vorgang ist nachgewiesen bei Fischer, Unternehmerschaft Selbstverwaltung und Staat, 1964, S. 77. 1794 Genau genommen handelte es sich um ein Votum über die Ratifikation des preußischfranzösischen Handelsvertrages. Die Haltung zu der Frage kann jedoch in eine Entscheidung für oder gegen den Freihandel gedeutet werden, s. Huber, Das Verbandswesen des 19. Jahrhunderts und der Verfassungsstaat, in: Spanner / Lerche / Zacher / Badura / Campenhausen (Hg.), FG Maunz, 1971, 173 (181).

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

Ewigkeit. Der Ruf aus der Wirtschaft nach staatlichen Förderprogrammen oder Unternehmensbeteiligungen zur Bewältigung von konjunkturellen Krisen und Umsatzeinbrüchen, die im Zusammenhang mit den Auswirkungen von COVID-19 auftraten, legt hierfür ein beredtes Zeugnis ab. Fernab von Krisenereignissen gelingt die Förderung von strukturschwachen Regionen selten, wenn sie nicht durch staatliche Investitionen, z. B. in die Verkehrsinfrastruktur, begleitet wird. Sollen Start-up-Unternehmen im Technologiesektor das Label Made in Germany tragen, ist oftmals eine öffentliche Anschubfinanzierung vonnöten. Nach alledem kann man sich dem Begriff des „Gesamtinteresses“ für den Anfang nähern, wenn man ihn – anknüpfend an das BVerwG –1795 als ein gewichtetes Ergebnis begreift, das jedoch weder die Summe oder Potenzierung der Einzelinteressen noch deren kleinster gemeinsamer Nenner darstellt. Auch die Auffassung des BVerfG, in der die Zielsetzung und Notwendigkeit einer möglichst vollständigen Erfassung der Gewerbetreibenden und ihrer Interessen Betonung erfährt,1796 kann näherungsweise herangezogen werden. Das Gesamtinteresse der gewerblichen Wirtschaft stellt sich damit als Ergebnis eines demokratisch legitimierten Prozesses dar, in dem eine umfassende Interessenermittlung, -berücksichtigung und -abwägung sowie der Versuch eines Interessenausgleichs stattfindet.1797 Ordnungspolitische Leitlinien mit selbstbindendem Charakter finden hier keinen Platz. Sie genügen weder diesen Anforderungen noch der Struktur des Interessebegriffs. 2. Verfahren Weder das IHKG noch das Satzungsrecht hält einen Rechtsrahmen bereit, der für die umfassende Interessenermittlung und den Versuch des Interessenausgleichs unmittelbare Geltung beansprucht. Bedenkt man, dass Teile der IHK-Bezirke eine sechsstellige Anzahl von Unternehmen zu ihren Mitgliedern zählen, wird bekannt, dass Techniken der Repräsentation eingesetzt werden müssen. a) Ermittlung des Gesamtinteresses zwischen repräsentativen und responsiven Strukturen Angesichts der Regelungsleere darf nicht verwundern, wenn der literarische Erfindungsreichtum vielfältige Beschreibungen des Verfahrensablaufs zutage gefördert hat. So werden Analogien zum Planungsrecht unter Hinweis auf die multi 1795

BVerwG, Urt. v. 23. Juni 2010 – 8 C 20/09 –, BVerwGE 137, 171 (Rn. 34). BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 106). 1797 In diesem Sinne bereits BVerwG, Urt. v. 23. März 2016 – 10 C 4/15 –, BVerwGE 154, 296 (Rn. 30). Gleichgerichtet, aber mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 137; Möllering, WiVerw 2001, 25 (40); Jahn, GewArch 2009, 434 (436); Hövelberndt, DÖV 2011, 628 (633). 1796

V. Abbildung der Aufgabe Interessenrepräsentanz im Binnenrecht  

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polare Interessenlage erdacht und ein Gedanke gegenseitiger Abwägung betont.1798 Ein anderer Autor erläutert unter Zuhilfenahme von Leitbildern das für richtig erachtete Verfahren und gibt vor, die Kammern sollten für die vielfältigen wirtschaftlichen Interessen „wie ein Filter“ wirken.1799 Es heißt, dass die Verwaltungspraxis die Interessenlage im Kammerbezirk auf informellem Wege durch Beratungen und Gespräche mit den Kammerzugehörigen ermittelt. Im Zuge des engen Kontakts zu ihnen könne man sich ein „fundiertes Meinungsbild zu Wirtschaftsfragen“ verschaffen. Für den Erhalt von „belastbare[n] Ergebnissen“ würden ferner Umfragen unter den Mitgliedern durchgeführt. Daneben erfolge die Meinungsbildung durch Beratungen in der Vollversammlung und den Fachausschüssen.1800 Der maßgeb­ liche Kommentar zum IHKG beschreibt einen vielgestaltigen Vorgang in dem eben umrissenen Ausmaß. Allerdings betont man, dass die Beratungsergebnisse der Vollversammlung „im Vordergrund“ des Meinungsbildungsprozesses stünden.1801 Nach einer weiteren Schilderung komme den Stellungnahmen der Fachausschüsse „erhebliches Gewicht“ zu, während die Umfragen unter den Kammerzugehörigen der Vorbereitung dienten und der Willens- und Meinungsbildung in den Organen zugrunde gelegt würden.1802 Angesichts dieser Verlautbarungen kann der Eindruck gewonnen werden, dass das Verfahren zwischen repräsentativen und responsiven1803 Strukturen ablaufen soll. Weitere Darstellungen, die verschiedene Etappen der Interessenaggregation und -artikulation definieren und einer Unterscheidung zwischen organisationsinternen Konsultations- sowie Legitimationsverfahren und der auf die Umwelt abzielenden 1798

So etwa Hövelberndt, DÖV 2011, 628 (634 f.). Möllering, in: Frentzel / Jäkel / Junge, IHKG, 7. Aufl. 2009, § 1 Rn. 6. 1800 Günther, in: v.  Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 86. EL Februar 2021, § 1 IHKG Rn. 61. 1801 Möllering, in: Frentzel / Jäkel / Junge, IHKG, 7. Aufl. 2009, § 1 Rn. 11. 1802 Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 137; ders., Aktuelle Rechtsgrundlagen der Kammern im Überblick, in: ders. (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 6 Rn. 172. S. ferner auch Jahn, WiVerw 2004, 133 (146). 1803 Der Begriff Responsivität steht in einem engen Bedeutungszusammenhang mit dem materiellen (inhaltlichen) Repräsentationsbegriff (dazu näher in Fn. 1152) und der in der Rspr. des BVerfG für das Verhältnis von Parlamentariern und Wahlvolk verwendeten Terminologie der „Rückkoppelung“ (s. etwa Urt. v. 4. Juli 2007 – 2 BvE 1–4/06 –, BVerfGE 118, 277 [233, 253]). Gemeint ist eine Bedürfnisorientierung und -sensibilität der Repräsentanten, die mit einem Reflexionsvermögen verbunden wird (Böckenförde, Demokratische Willensbildung und Repräsentation, in: Isensee / Kirchhof [Hg.], HbdStR, Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 34 Rn. 33). Mit dieser Idee, die zunächst in der U. S.-amerikanischen Repräsentationstheorie aufkam (s. dazu Pünder, Wahlrecht und Parlamentsrecht als Gelingensbedingungen repräsentativer Demokratie, VVDStRL 72 [2012], 2013, 191 [198 m. Fn. 19] u. insbes. die Ausführungen zur „aktiven Gesellschaft“ bei Etzioni, The Active Society, 1968, der die Begriffsbildung entscheidend prägte [so Uppendahl, ZParl 12 [1981], 123 [126 f.]), wird ein Ausgleich „zwischen rein formaler Repräsentation mit vollkommener Freiheit der Repräsentanten auf der einen Seite und der Figur des imperativen Mandats mit einer Weisungsabhängigkeit des Repräsentanten auf der anderen Seite“ gesucht (Ostermann, Transparenz und öffentlicher Meinungsbildungsprozess, 2019, S. 124). 1799

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Kommunikationsphase das Wort reden,1804 nähren diese Auffassung. In der Konsultationsetappe solle die Meinung auf „allen Ebenen“ gebildet werden.1805 Dies bedeutet konkret, dass allen Kammerzugehörigen in grundlegenden Fragen die Möglichkeit der Beteiligung eingeräumt werde.1806 Einen breiten Überblick über die Empfindungen der Bezirkswirtschaft will man sich durch den engen Kontakt mit den zugehörigen Unternehmen und die Beratungen in Ausschüssen und Arbeitskreisen verschaffen.1807 Begleitend bzw. unterstützend kämen Konjunkturumfragen und die Abfrage bei Auslandshandelskammern und Delegiertenbüros hinzu.1808 In Fällen der Eilbedürftigkeit könne das Verfahren allerdings stark verkürzt werden oder gänzlich entfallen.1809 Den Verfahrensschritt der Legitimation, der auch als Entscheidungsfindung bezeichnet wird,1810 beinhaltet, dass das entscheidungsbefugte Organ zur Tat schreitet. Ausgehend von dem Ergebnis der Konsultationsphase soll es abwägen und einen Ausgleich zwischen den Interessenlagen finden.1811 Die anschließende Kommunikationsphase besteht darin, dass der in den zuständigen Gremien gebildete Interessenstandpunkt vollständig kommuniziert werde.1812 Der Blick in die Verwaltungspraxis zeigt, dass diesem Verfahrensablauf Folge geleistet wird. Stellvertretend soll eine Darstellung der HK Hamburg mit folgendem Inhalt herangezogen werden: „Das Gesamtinteresse ist diejenige Position, die aus der Vogelperspektive für die Gesamtheit der lokalen Wirtschaft am dien 1804

Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, § 1 Rn. 42 ff.; Jahn, in: Junge / ders. /  Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 2 Rn. 3c. Zur Durchführung sog. Konsultationsverfahren s. ferner Jahn, GewArch 2019, 339; ders., GewArch 2018, 410 (413 f.); ders., WiVerw 2004, 133 (149). 1805 Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, § 1 Rn. 44. 1806 Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, § 1 Rn. 43. Jahn, GewArch 2018, 410 (413). 1807 Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, § 1 Rn. 44. 1808 Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, § 1 Rn. 45. 1809 Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, § 1 Rn. 46. 1810 Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, § 1 Rn. 47. 1811 Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, § 1 Rn. 48 f. Nach Jahn, GewArch 2018, 410 (413) sei die „Sichtung der Stoffsammlung“ vornehmlich Sache des IHK-Hauptamtes im Sinne einer „Vorprüfung“. Das Hauptamt wirke als „Filter“, solle eine „erste Bewertung“ vornehmen und „solche Stellungnahmen / Hinweise“ ausscheiden, die „für die nachfolgende Gesamtinteressenbewertung offensichtlich unbehelflich“ seien. Als „offensichtlich unbehelflich“ gelten „sachfremde Erwägungen, Schmähkritik, Beleidigungen von Kammerorganen, inhaltlich nicht nachvollziehbare sachbezogene Stellungnahmen“ (S. 413 m. Fn. 30). S. ferner ebd., S. 414: „Soweit eine Stellungnahme / Positionierung der IHK in einer Frage betroffen ist, die bereits Gegenstand einer Befassung und Beschlussfassung der Vollversammlung war, kann der Abwägungsvorgang im Vorfeld der Stellungnahme durch das IHK-Hauptamt erfolgen, solange sich das Ergebnis der Abwägung im Rahmen des „Beschlussteppichs“ der Vollversammlung zum jeweiligen Sachthema bewegt. Der Abwägungsvorgang und das Ergebnis der Abwägung als Teil der Gesamtinteressenvertretung ist in solchen Fällen ein „Geschäft der laufenden Verwaltung“ des IHK-Hauptamtes.“ Im Hinblick auf die hier für rechtmäßig befundene Kompetenzverteilung zwischen Vollversammlung und Präsidium (dazu näher unter E. V. 3. d)), stellt sich die vorstehende Ausführung als vollkommen fehlgehend dar. 1812 Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, § 1 Rn. 56.

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lichsten ist. Die Bildung dieses Gesamtinteresses erfolgt in drei Schritten: der sogenannten Konsultation, der Legitimation und der Kommunikation. […] In der ersten Phase (Konsultation) sammeln wir möglichst viele und möglichst vielfältige Stimmen unserer Wirtschaft vor Ort zu diesem Thema ein. Dies geschieht über Veranstaltungen, persönliche Gespräche, digitale Beteiligung und die Arbeit in den Ausschüssen. Dadurch, dass sich möglichst viele […] Unternehmer an der Meinungsbildung beteiligen, helfen sie uns das Gesamtinteresse zu finden, abzubilden und partizipieren an der Meinungsbildung. All diese Informationen werden aufgearbeitet – dies passiert häufig in den ehrenamtlich tätigen Ausschüssen und natürlich auch bei den fachlich verantwortlichen Mitarbeitern der Kammer. […] Die aufbereiteten Informationen werden dann dem Plenum zur Verfügung gestellt – dies ist die zweite Phase (Legitimation). Das Plenum besteht aus […] Unternehmern, die Beschlüsse fassen und entstandene Positionen aus dem Meinungsbildungsprozess der Handelskammer Hamburg verabschieden. Das Plenum wägt nun ab, diskutiert und findet schließlich eine Position, die von nun an die Stimme der Hamburger Wirtschaft darstellt. In diesem Prozessschritt wird „das Gesamt­interesse“ – unser Alleinstellungsmerkmal als Handelskammer – verabschiedet.“1813 b) Responsivität im Rahmen der Aufgabe Interessenrepräsentanz? Unterstellt man, dass die Wahlordnungen der IHK den formulierten Änderungsbedarfen gerecht werden, ergibt sich nach Vollzug der Wahl mit der Zusammensetzung der Vollversammlung ein repräsentatives Abbild der gewerblichen Wirtschaft des Kammerbezirks. Unter diesen Vorzeichen ist es äußerst problematisch, wenn die Verwaltungspraxis die vorstehende Verfahrensweise im Rahmen der Aufgabe Interessenrepräsentanz tatsächlich verfolgt und sie den Meinungsbildungsprozess teilweise oder vollkommen an alle Kammerzugehörigen nach Vorbild des „Konsultationsverfahrens“ zurückreicht. Überraschend ist, dass die rechtswissenschaftliche Literatur das praktizierte Verfahren ohne kritische Auseinandersetzung hinnimmt oder sogar weitgehend unterstützt. Denn mit dem Prozess geht eine teilweise Ersetzung des Repräsentationskonzepts durch eine weitreichende Idee der Responsivität einher. Bereits der Blick in den Wortlaut von § 4 S. 1 IHKG dürfte ausreichend sein, um die rechtstheoretische Problematik dieses Vorgangs anschaulich zu machen. Die Vorschrift 1813

https://www.hk24.de/servicemarken/beteiligung-handelskammer/meinungsbildungspro zess-4507588. In diese Richtung zielt auch die Eigenbeschreibung der IHK Frankfurt (Oder) (https://www.ihk-ostbrandenburg.de/Zielgruppeneinstieg-Unternehmer/konsultationen/: „Es ist die Aufgabe der IHK […], die Interessen der Mitgliedsunternehmen zu vertreten. Dabei steht immer das Gesamtinteresse aller Mitgliedsunternehmen im Mittelpunkt. […] Das schließt ein, dass sich alle Mitgliedsunternehmen der IHK […] an den jeweiligen Meinungsbildungsprozessen beteiligen können, bevor ein Beschluss der Vollversammlung […] erfolgt.“). Auch das Portal „IHK-Impuls“ der IHK Reutlingen (s. https://www.reutlingen.ihk.de/forderungen/ ihk-impuls/) ist anzuführen.

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

fordert, dass die Vollversammlung über die Angelegenheiten der Kammer beschließt. Damit dürfte mehr als nur eine Legitimation gemeint sein, die allein die Verabschiedung von in der „Konsultationsphase“ entstandenen Meinungsbildern zum Inhalt hat. Das Rechtsproblem lässt sich insbesondere erkennen, wenn man sich einen aktuellen Sachverhalt aus der IHK Ostwürttemberg vor Augen führt. In dem Bezirk forderte die Hauptgeschäftsführerin (!)1814 die Terminierung eines Enddatums für die Einschränkungen des Wirtschaftens, die zur Verhinderung der Ausbreitung von COVID-19 getroffenen wurden (hier als „Shutdown“ bezeichnet). Da dieser Standpunkt ohne erforderlichen Gremienbeschluss der Öffentlichkeit präsentiert worden war und auch ohnehin nicht der einhelligen Meinung unter den Vollversammlungsmitgliedern entsprach, musste eine Anmerkung mit folgendem Inhalt ergehen: „Im ursprünglichen Text wurde die Forderung nach einem Enddatum für den Shutdown erhoben. Da dies aber nicht dem von der Vollversammlung ermittelten Gesamtinteresse der Wirtschaft entsprach, sondern den persönlichen Eindruck aus zahlreichen Telefonaten mit IHK-Mitgliedern wiedergab, haben wir den Text angepasst.“1815 Zusätzlich wurde eine weitere Pressemeldung herausgegeben, die den Untertitel „IHK-Forderung nach Enddatum für Shutdown umstritten“ trug.1816 Wenn die staatstheoretische Diskussion über die Potentiale weit verstandener Responsivität in einer grundsätzlich repräsentativ ausgestalteten Demokratie davor warnt, dass die Repräsentanten nicht zu bloßen Vollstreckern der Wünsche der Repräsentierten verkommen dürften und Verfälschungen der Repräsentativität drohen,1817 muss dies auch hier von Relevanz sein. Auch die Mitglieder der Vollversammlung müssen sich derartigen Verfahrensvorstellungen widersetzen, weil sie auf das Ziel festgelegt sind, ein repräsentatives Gesamtinteresse hervorzubringen. Responsive Verfahrensarten verfolgen zwar schlagkräftige rechtspolitische Konzepte, die sich im ureigentlichen Sinne auch demokratietheoretisch begründen lassen. Die Verfahren gestatten die kontinuierliche Beteiligung der Wahlberechtigten und bilden damit ein Seismograph zur Registrierung mitgliedschaftlicher Stimmungen, dessen Bedeutung sich erst in Anbetracht der langen Wahlperioden der Vollversammlung gänzlich entfaltet. Das praktizierte Vorgehen ließe sich auch als ein ständiger Dialog zwischen Vertretern und Vertretenen auffassen, in dem sich 1814 Dass dem Hauptamt keine Organkompetenz im Rahmen der Aufgabe Interessenrepräsentanz zukommt, wird unter E. V. 3. d) ee) erläutert. 1815 Text entnommen aus https://www.ostwuerttemberg.ihk.de/servicemarken/presse/presse mitteilungen/wirtschaftlicher-shutdown--4748148 – Hervorh. n. h. 1816 https://www.ostwuerttemberg.ihk.de/servicemarken/presse/pressemitteilungen/bereitsueber-10-000-antraege-im-soforthilfeprogramm-4782786: „Tatsächlich gibt es, dies belegen die Gespräche ebenso, regionale Gewerbetreibende, die unverändert die von Bund und Ländern in den Verordnungen getroffenen Maßnahmen als zwar schmerzhaft, aber dennoch erforderlich und alternativlos einstufen.“ 1817 Böckenförde, Demokratische Willensbildung und Repräsentation, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 34 Rn. 33; Pünder, Wahlrecht und Parlamentsrecht als Gelingensbedingungen repräsentativer Demokratie, VVDStRL 72 (2012), 2013, 191 (250 ff.).

V. Abbildung der Aufgabe Interessenrepräsentanz im Binnenrecht  

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die Letztgenannten nach der Wahl nicht mit der passiven Rolle eines Zuschauers begnügen müssen. Hinzu kommt, dass die Repräsentationsidee in der tatsächlichen Zusammensetzung der Vollversammlung zumindest kurzzeitigen Beeinträchtigungen unterliegt, wenn etwa der Fall eines vorzeitigen Ausscheidens aus dem Organ vorliegt und die Wiederbesetzung des verwaisten Sitzes erst mit Verzögerung gelingt. Die Kennzeichnung der Vollversammlung als Miniatur der Bezirkswirtschaft ist teilweise eingeschränkt. Doch ergibt sich insbesondere die fehlende rechtliche Determination, der nur die HK Hamburg entgegenwirkt,1818 als Problemkatalysator. Denn bei Durchführung dieses gänzlich unbestimmten Meinungsbildungsprozesses könnte die Vollversammlung Positionen als „Gesamtinteresse“ verabschieden, die nur unter Anwendung einer vollständig formalen Betrachtungsweise, d. h. unter Hinweis auf den legitimierenden Akt der Zustimmung, als repräsentativ bezeichnet werden dürfen. Die wechselhafte Verfahrensgestaltung zur Ermittlung des Gesamtinte­ ressenstandpunktes – in der einen Sachfrage wird eine Umfrage unter allen Kammerzugehörigen durchgeführt und bereits im Vorhinein für entscheidungserheblich erklärt, während für einen anderen Diskussionspunkt die Meinung innerhalb der Vollversammlung, ggf. unter Hinzugabe von (repräsentativen?) Meinungsbildern unter den Kammerzugehörigen oder Konjunkturumfragen, zur Position der gewerblichen Wirtschaft erhoben wird – trägt das Verdikt der Beliebigkeit in sich und öffnet verzerrten Stimmungslagen Tür und Tor. Das praktizierte Verfahren führt nicht zur Aufklärung, sondern zur Konfusion und Frustration. 1818 Die HK Hamburg regelt responsive Verfahrensweisen. § 6a der Satzung lautet: „(1) Das Plenum kann die Durchführung von Mitgliederbefragungen beschließen. Die Befragungen dienen der Unterstützung der Entscheidungsfindung des Plenums. (2) Das Plenum legt die grundsätzlichen Modalitäten einer Befragung jeweils unter Berücksichtigung des Befragungsgegenstands und des mit der Befragung verbundenen Aufwands fest.“ § 7a der Satzung erinnert an den Einwohnerantrag, der aus dem Kommunalverfassungsrecht bekannt ist (dazu Tischer, Bürgerbeteiligung und demokratische Legitimation, 2017, S. 116 ff.), und lautet: „(1) In zwei Sitzungen des Plenums pro Kalenderjahr erhalten Kammerzugehörige in einem separaten Tagesordnungspunkt „Aus der Mitte der Mitgliedschaft“ die Möglichkeit zur persönlichen Äußerung. (2) […] [D]er Präses bestimmt rechtzeitig für jedes Kalenderjahr diejenigen Plenarsitzungen, in denen der Tagesordnungspunkt „Aus der Mitte der Mitgliedschaft“ aufgerufen wird. Die Handelskammer macht die Terminierungen öffentlich bekannt. Kammerzugehörige, die sich in der Sitzung persönlich äußern wollen, haben dies der Handelskammer unter Ankündigung des Gegenstands und einer Begründung bis 10 Tage vor der Sitzung […] anzuzeigen. Auch hierauf wird in der öffentlichen Bekanntmachung hingewiesen. (3) In der Sitzung soll die Behandlung des Tagesordnungspunkts „Aus der Mitte der Mitgliedschaft“ nicht länger als 30 Minuten in Anspruch nehmen. Nicht zugelassen werden Beiträge, deren Gegenstände nicht vom gesetzlichen Auftrag der Handelskammer gedeckt sind, sowie Beiträge mit rechts- oder sittenwidrigen Gegenständen oder mit Gegenständen, deren Behandlung im Plenum Interessen einzelner Unternehmen oder Personen wesentlich beeinträchtigen könnte. Sofern die Zahl der zulässig angemeldeten Beiträge eine angemessene Behandlung aller Beiträge innerhalb des Zeitraums gemäß Satz 1 erkennbar ausschließt, besteht kein Anspruch auf Zulassung aller Beiträge. Eine eventuelle Auswahl erfolgt durch das Präsidium. Auswahlkriterien sind insbesondere die Aktualität der Themen oder der Zeitpunkt des Eingangs der Anzeige bei der Handelskammer. (4) Die Geschäftsordnung des Plenums kann weitere Einzelheiten regeln.“

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

c) Notwendiger Zusammenhang zwischen der Repräsentationsidee und der Aufgabe Interessenrepräsentanz Zu befürchten steht, dass ein rechtspolitisch unterstützenswertes Ansinnen Ergebnisse zeitigt, die das demokratische Gleichheitsversprechen unterminieren. Die Gefahr wird virulent, weil Teile der gewerblichen Wirtschaft bei Durchführung eines Konsultationsverfahrens leichtfertig über- oder unterrepräsentiert sein könnten. Denn wahrgenommen wird bei dem Konsultationsverfahren das Interesse derjenigen, die am aktivsten der Bringschuld entsprechen respektive am vehementesten die „eigene“ Kammer auf ihre Beweggründe aufmerksam machen. Belohnt werden Faktoren wie Ressourcen, Beziehungen, Zugänge, Bildung und Artikulierfähigkeit, über die nicht jedes Mitglied gleichermaßen verfügt. Die Organisation erhält dadurch einen upper-class bias. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts steht es der IHK aber nicht zu, diesem Phänomen mit einer laissez-faireHaltung den Boden zu bereiten. Die Kammermitglieder sind darin frei, persön­ liches Fortkommen oder Freizeitaktivitäten zu priorisieren und von einer stetigen Beteiligung an den Konsultationsverfahren der Organisation Abstand zu halten. Dieser Rechtssatz darf nicht umgangen werden, indem die Nichtbeteiligung durch Nichtberücksichtigung der Unternehmenslagen bestraft wird. Den Repräsentanten in der Vollversammlung wird bei Durchführung des Verfahrens überdies nahezu unmöglich gemacht, die Interessenlage zutreffend einzuschätzen, da selbst das orchestrierte mass mailing durch organisierte Interessen in der Organisation zur maßgeblichen Entscheidungsdeterminante erhoben wird. Um die Unabhängigkeit des Urteils und die Repräsentativität des „Gesamtinteresses“ zu sichern, sind fest umrissene Leitlinien vonnöten. Gerade im Hinblick auf den effektiven Schutz von Minderheiten ist es erforderlich, der Gefahr einer Überrepräsentation der lautesten Mitglieder und einer Unterrepräsentation der lethargischen Kammerzugehörigen bereits im Ansatz entgegenzuwirken. Hinzu tritt das im Zweck des § 1 Abs. 1 IHKG verwirklichte Bedürfnis der Öffentlichen Hand nach sachverständiger Beratung. Dies erfordert die objektive Vermittlung der in der gewerblichen Wirtschaft vorhandenen Bedürfnisse durch Verlautbarung repräsentativer Ergebnisse. Würde diesen Gefahren zum Trotz der Meinungsbildungsprozess beibehalten werden, droht die verbindliche Unterscheidung zwischen interessenvertretenden Körperschaften einerseits und privaten Interessenverbänden andererseits hinfällig zu werden. Überdies stellt sich in organisationssoziologischer Hinsicht die Frage, warum man mit viel Aufwand und einem detaillierten Wahlrecht eine Vollversammlung bildet, wenn die ehrenamtliche Tätigkeit ihrer Mitglieder in der Folgezeit auf legitimatorische Akte begrenzt wird. Es erscheint zumindest naheliegend, dass die Übernahme eines ehrenamtlichen Mandats in der IHK mit dem vorgeschalteten Konsultationsverfahren nicht an Attraktivität gewinnt. Auch der Grundsatz funktionsgerechter Organisationsstruktur mit dem darin enthaltenen Anspruch auf Herstellung konsistenten Rechts streitet dafür, von

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Konsultationsverfahren abzusehen, wenn rechtliche Sicherungen fehlen. Für die Durchführung eines repräsentativen Meinungs- und Willensbildungsprozess kann nach dem geltenden Recht nur die Vollversammlung als das Hauptorgan der IHK und Miniatur der Bezirkswirtschaft in alleiniger Verantwortung berufen sein.1819 Ihre plurale Zusammensetzung begründet die wohlüberlegte Annahme, dass dieses Organ im Wege von Verhandlung und Beschlussfassung die gebotene Abwägung und den Ausgleich widerstreitender Interessen besorgt. d) Zum Verhältnis zwischen Gesamt- und Minderheitsinteressen Der Prozess, der der Gewinnung eines Gesamtinteresses der gewerblichen Wirtschaft vorausliegt, ist den Maximen repräsentativer Interessenermittlung, -berücksichtigung und -abwägung sowie des Versuchs eines Interessenausgleichs unterworfen. Beachtet man die stark divergenten Wirtschaftserfahrungen der Kammerzugehörigen, die in der Zusammensetzung der Vollversammlung ein Spiegelbild erfahren sollen, dürfte die Schwierigkeit oder sogar Unmöglichkeit eines stetig gelingenden Interessenausgleichs offensichtlich werden. Doch wie ist damit umzugehen, wenn der Versuch eines Interessenausgleichs scheitert und sich nicht alle Vollversammlungsmitglieder hinter dem Wortlaut einer Stellungnahme versammeln können? aa) Die Berücksichtigung von Minderheitsinteressen in Rechtsprechung und Literatur Angesprochen ist ein Rechtsproblem, das BVerfG, BVerwG und Literatur zumeist als Auseinandersetzung zwischen Mehr- und Minderheit auffassen. Dort fragt man sich, wie viel Rücksicht dem Minderheitenschutz – genauer: ihren Belangen, Auffassungen, Voten, Interessen oder Positionen –1820 eingeräumt werden soll. 1819 Ganz in diesem Sinne BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 117); Irriger, Genossenschaftliche Elemente bei öffentlich-rechtlichen, 1991, S. 222; Schöbener, Zwischen grundrechtlicher Kontinuität und Dynamik im subjektiven Rechtsschutz – Das BVerfG hält die Pflichtmitgliedschaft in den Kammern weiterhin aufrecht, gibt den Mitgliedern aber mehr Kontrollrechte, in: Kluth (Hg.), Die IHK-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, 2018, 41 (61); Kluth, GewArch 2012, 424 (427). Gleichgerichtet, aber ohne Einschränkung auf die alleinige Verantwortung der Vollversammlung Löwer, GewArch 2000, 89 (97); Möllering, WiVerw 2001, 25 (40); ders., Interessenvertretung durch Kammern – sachliche Reichweite und verfahrensrechtliche Anforderungen, in: Kluth (Hg.), JbKBR 2009, 2010, 21 (37); ders., GewArch 2011, 56 (59); Jahn, WiVerw 2004, 133 (146). Auch Eisenmenger, Interessenvertretung und Beratung, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 8 Rn. 83 befindet, dass die Vollversammlung das „eigentliche „Kompetenzzentrum“ zur Ermittlung des Gesamtinteresses“ sei. 1820 S. etwa die gleichgemeinte Verwendung der Stichwörter in BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 109, 110, 111, 126).

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

Die Erörterung der verfassungsrechtlichen Direktiven ergab bereits, dass es der IHK versagt ist, das mehrheitliche Interesse zum alleinigen Gegenstand der Aufgabenwahrnehmung zu erheben und damit den Eindruck eines fehlenden Interessengegensatzes in der Umwelt zu erwecken.1821 Nach Auffassung des BVerwG seien „gegebenenfalls beachtliche Minderheitenpositionen“ bei Mehrheitsentscheidungen darzustellen. Dazu zählten „nicht nur Minderheitsauffassungen, die von einem beachtlichen Teil der Stimmen vertreten“ würden, sondern auch „Positionen partikulärer Wirtschaftsstrukturen, etwa einer Gruppe von Branchen, von regionalen Wirtschaftszweigen oder von Betrieben einer bestimmten Größenordnung“.1822 Das Schrifttum erkennt darin einen „offenen Minderheitsbegriff“, der Wertungen erforderlich mache, die an dem Gedanken des Minderheitenschutzes auszurichten seien. Dabei könne „sicherlich auch die zahlenmäßige Stärke einer Gruppe“ eine Rolle spielen.1823 Winfried Kluth möchte die Abgabe „konturloser weil in sich widersprüchlicher“ Stellungnahmen verhindern, ausschließlich zahlen- oder mengenmäßige Überlegungen anstellen und eine „Erheblichkeitsschwelle“ in Kraft setzen. Unter Geltung dieses Maßstabs seien nicht „jede einzelne abweichende Sichtweise, sondern nur Minderheitenpositionen von einem gewissen Mindestgewicht“ zu berücksichtigen und kenntlich zu machen, was zugleich den „Geboten der praktischen Vernunft“ entspreche.1824 Damit eine Zugehörigkeit zu dem „privilegierte[n] Minderheitsinteresse“ angenommen werden darf, müsse es sich um eine Stellungnahme „ein oder mehrere[r] Wirtschaftszweige“ handeln, die sich auf ihre spezifischen wirtschaftlichen Interessen beriefen und „nicht nur eine allgemein abweichende Beurteilung“ formulierten. Das abweichende Votum einer größeren Zahl von Vollversammlungsmitgliedern

1821

Hierfür streiten die Gebote der Vollständigkeit und Richtigkeit staatlicher Informationstätigkeit und die pflichtmitgliedschaftliche Verfassung der IHK. Die mit der Vernachlässigung einhergehende institutionelle Majorisierung würde die Grundrechte der Kammerzugehörigen unzumutbar verkürzen. 1822 Zitate bei BVerwG, Urt. v. 23. März 2016 – 10 C 4/15 –, BVerwGE 154, 296 (Rn. 30). 1823 Schöbener, Zwischen grundrechtlicher Kontinuität und Dynamik im subjektiven Rechtsschutz – Das BVerfG hält die Pflichtmitgliedschaft in den Kammern weiterhin aufrecht, gibt den Mitgliedern aber mehr Kontrollrechte, in: Kluth (Hg.), Die IHK-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, 2018, 41 (60). 1824 Kluth, Mehrheit und Minderheit im Kammerrecht – Spezifische Aspekte der Entfaltung des demokratischen Prinzips in der Entscheidungsfindung durch Kammerversammlungen, in: ders. (Hg.), JbKBR 2014, 2015, 35 (52 f. [Zitate hier]); ders., GewArch 2012, 424 (426); ders., Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 137: „abweichende Meinungen bedeutender Minderheiten“. Anders nunmehr ders., Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Gesamtinteressenvertretung durch Industrie- und Handelskammern, in: ders. (Hg.), Die IHK-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, 2018, 105 (124 f.), der zwar eine Pflicht zur „repräsentativen Formulierung des Gesamtinteresses“ betont, aber im Folgenden die Interessen von Minderheiten oder mehreren Minderheiten meint. Ohnehin wird nicht unmittelbar einsichtig, an welcher Stelle die erläuternde Wiedergabe der Entscheidung des BVerfG endet und die Formulierung eines eigenen Standpunktes beginnt. S. ferner Jahn, GewArch 2019, 339: „Ferner muss die IHK […] sicherstellen, dass […] alle relevanten Meinungen angemessen zur Geltung kommen.“

V. Abbildung der Aufgabe Interessenrepräsentanz im Binnenrecht  

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verschiedener Gewerbezweige solle hingegen für die „Begründung eines Anspruchs auf Darstellung einer abweichenden Minderheitenposition gerade nicht“ ausreichend sein.1825 Auch andere Stimmen empfehlen, lediglich die abweichenden Interessen „größerer geschlossener Minderheiten“ ausdrücklich aufzuführen.1826 Wenn dieser Autor in dem gleichen Beitrag den Wert der Stellungnahme einer IHK in der Darstellung des „unverfälschte[n] Ergebnis[ses] einer verfassten Interessenabwägung der Gewerbetreibenden“ erkennt,1827 werden Widersprüche offenbar. Die Abbildung der Interessen größerer geschlossener Minderheiten sei ohnehin weder verfassungsrechtlich noch gesetzlich geboten, sondern solle lediglich aus Gründen der Zweckmäßigkeit geschehen, um dafür Sorge zu tragen, dass das Minderheitsinte­ resse „nicht ganz in Vergessenheit“ gerate.1828 Eine Autorin meint, dass der „Wert“ einer Stellungnahme der Wirtschaft gerade in der unumwundenen Wiedergabe der Mehrheitsmeinung der vertretenen Gewerbetreibenden bestehe.1829 Eine extreme oder zumindest missverständliche Position ist zu erkennen, wenn ein weiterer Autor die Auffassung vertritt, dass „etwaige Minderheitenmeinungen nicht als Gesamtinteresse vertreten“ würden.1830 Dementsprechend könnte auch eine Autorin verstanden werden, die für den Fall eines gescheiterten Interessenausgleichs meint, dass unter Geltung der Mehrheitsregel einer „Gruppenmeinung der Vorzug“ zu geben sei.1831

1825 Zitate bei Kluth, Mehrheit und Minderheit im Kammerrecht – Spezifische Aspekte der Entfaltung des demokratischen Prinzips in der Entscheidungsfindung durch Kammerversammlungen, in: ders. (Hg.), JbKBR 2014, 2015, 35 (55). 1826 Möllering, Interessenvertretung durch Kammern – sachliche Reichweite und verfahrensrechtliche Anforderungen, in: Kluth (Hg.), JbKBR 2009, 2010, 21 (47 [Zitat hier]); ders., in: Frentzel / Jäkel / Junge, IHKG, 7. Aufl. 2009, § 1 Rn. 12; ders., Zur rechtlichen Überprüfung von Stellungnahmen der Industrie- und Handelskammern, des Deutschen Industrie- und Handelskammertages und der IHK-Landesarbeitsgemeinschaften, in: Kluth / Müller / Peilert (Hg.), FS Stober, 2008, 391 (402); ders., WiVerw 2001, 25 (53). Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, § 1 Rn. 48 erwägt ebenfalls, dass Interessen „erforderlichenfalls zurückgewiesen“ werden müssten und verklärt dies als „institutionalisierte[n] Kompromiss“. Später bekräftigt der Autor (ebd., § 1 Rn. 57), dass es „vom Einzelfall“ abhinge, „ab wann eine abweichende Meinung Niederschlag im Meinungsbild“ finde. 1827 Möllering, Zur rechtlichen Überprüfung von Stellungnahmen der Industrie- und Handelskammern, des Deutschen Industrie- und Handelskammertages und der IHK-Landesarbeits­ gemeinschaften, in: Kluth / Müller / Peilert (Hg.), FS Stober, 2008, 391 (405). 1828 Möllering, WiVerw 2001, 25 (53). 1829 Heyne, Kammern und Umweltschutz, 2016, S. 286. 1830 Günther, in: v. Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 83. EL Dezember 2019, § 1 IHKG Rn. 64. 1831 Jesse, Rechtliche Anforderungen an die Interessenvertretung durch Industrie- und Handelskammern in Fällen der Volksgesetzgebung und Bürgerentscheide, 2015, S. 27.

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

bb) Die Aufgabe Interessenrepräsentanz fordert eine repräsentative Beratung Der Rekurs auf „Erheblichkeitsschwellen“, „gewisse Mindestgewichte“, „größere geschlossene Minderheiten“, „zahlenmäßige Stärken einer Gruppe“ oder „relevante“, „gegebenenfalls“ darzustellende Minderheitenpositionen bestimmt die Zielsetzung eines effektiven Minderheitenschutzes prinzipiell nivellierend. Wendet man derartige Einschränkungen auf den Artikulationsanspruch der Minderheit an, können Prozesse kurzfristiger oder dauerhafter institutioneller Majorisierung nicht wirksam verhütet werden. Die vorzugswürdige Auffassung über den Inhalt des Gesamtinteresses i. S. v. § 1 Abs. 1 IHKG verbietet das Denken in Mehr- und Minderheit(en) daher kategorial. Bei dem vorgeblich „minderheitlich“ repräsentierten Votum handelt es sich gerade nicht um den Zusatz einer dissenting opinion. Da sich dieser Standpunkt außerhalb der Deutungshoheit befindet, soll zu seiner Erläuterung weiter ausgeholt werden: Der gedankliche Anknüpfungspunkt liegt in der Rechtsprechung des BVerwG, die das Gesamtinteresse als gewichtetes Ergebnis umschreibt. Darauf baut das Verlangen nach einem Prozess repräsentativer Ermittlung, Berücksichtigung und Abwägung der Interessen sowie der Versuch eines Interessenausgleichs auf. Die Vollversammlung ist ein repräsentativ und pluralistisch besetztes Kollegium. Sie ergibt sich als das Organ, das das verordnete Verfahren bestmöglich bewältigen kann. Bis zu diesem Punkt besteht kein Dissens zur „herrschenden Meinung“. Doch stellt sich nunmehr die Frage, warum das gewonnene Ergebnis nicht den Schlusspunkt des Verfahrens darstellen soll und ein fehlgeschlagener Interessenausgleich denjenigen zum Nachteil gereicht wird, die sich nicht der Mehrheitsansicht anschließen wollen. Diesen weiteren Schritt postuliert die allgemein verbreitete Rechtsauffassung. Sie spaltet das Ergebnis unter Anwendung des Majoritätsgrundsatzes zunächst in Mehr- und Minderheit auf und möchte sogar Teile der in der Minderheit befindlichen Auffassungen nachträglich aus dem Verfahrensresultat getilgt wissen. Die Belange der ad-hoc-Minderheit werden als lästige Funktionsstörung begriffen. Dabei soll im Außenverhältnis in letzter Konsequenz ein Zustand fingiert werden, nach dem diese Standpunkte niemals zur Vertretung gelangt sind. Vor diesem Hintergrund muss gefragt werden, ob das ständige Werben um die Mehrheit ein Bestandteil des Gesetzeszwecks darstellt. Nur schwerlich wird man diese Frage mit „ja“ beantworten können.1832 Während die Beschlussfassung über die in § 4 S. 2 IHKG genannten Themen – man denke an die Änderung der Satzung (§ 4 S. 2 Nr. 1 IHKG) oder die Erteilung der Entlastung (§ 4 S. 2 Nr. 5 IHKG) – notwen­digerweise das Votum einer (qualifizierten) Mehrheit voraussetzt, stellt die Beschlussfassung im Rahmen der Interessenrepräsentanz eine Sonderform der Entscheidungsfindung dar: In Erinnerung zu rufen ist, dass Kollegialorgane sowohl mit entscheidenden als auch mit beratenden Zuständigkeiten ausgestattet 1832 Anders wohl Kluth, Kammerrecht als Rechtsgebiet, in: ders. (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 1 Rn. 54.

V. Abbildung der Aufgabe Interessenrepräsentanz im Binnenrecht  

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werden können.1833 Dass zugleich unterschiedliche Entscheidungsmodi etabliert werden müssen, korrespondiert mit dieser Einsicht. Während die entscheidende Tätigkeit mit Bindungswirkung (s. abermals den Katalog in § 4 S. 2 IHKG) nicht ohne Beschluss auskommt, ist für beratende Kompetenzen die bloße Darlegung der verschiedenen Meinungen, ggf. unter Erwähnung der dazugehörigen Stimmenzahl, ausreichend. Nur weil § 4 S. 1 IHKG einen Beschluss im formellen Sinne für alle Angelegenheiten fordert, muss die Vollversammlung auch im Rahmen der beratenden Kompetenzen beschließen.1834 Es sollte darüber nachgedacht werden, einen klarstellenden Zusatz nahe des Majoritätsgrundsatzes zu verankern, der den besonderen Entscheidungsmodus für das Mandat aus § 1 Abs. 1 IHKG kenntlich macht. Das erforderliche Anschauungsmaterial hält die Rechtshistorie der preußischen Handelskammern bereit.1835 Die Mehrheitsregel gehört in der IHK keinesfalls zum unverzichtbaren Entscheidungsmodus. Der Sinn und Zweck des Auftrags in § 1 Abs. 1 IHKG besteht gar nicht darin, den Staat ständig über Mehrheitsauffassungen der Wirtschaft informiert zu halten. Denn hierfür wäre die Teilnahme der Gewerbetreibenden an regelmäßig stattfindenden Umfragen und die anschließende Erstellung von Meinungsbildern ausreichend. Die zusätzliche Einrichtung einer Selbstverwaltungskörperschaft und das Hineinwachsen von ehrenamtlich Tätigen in die Verwaltung wäre überflüssig. Auch hätte der Auftrag der IHK mit einem Zusatz versehen werden müssen, der dem Inhalt von § 177 Abs. 2 Nr. 1 BRAO entspricht. Die BRAK hat danach, „die Auffassung der einzelnen Rechtsanwaltskammern zu ermitteln und im Wege gemeinschaftlicher Aussprache die Auffassung der Mehrheit festzustellen“. Die Öffentliche Hand pocht vielmehr darauf, im Wege von § 1 Abs. 1 IHKG den unternehmerischen Sachverstand ganzheitlich in Erfahrung zu bringen. Sie möchte umfassend informierte Entscheidungen mit Wirtschaftsrelevanz treffen. 1833

Dagtoglou, Kollegialorgane und Kollegialakte der Verwaltung, 1960, S. 127. Nicht unerwähnt gelassen werden soll, dass Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 48 den Beschluss wegen seiner Form als ein „textlich fixiertes abschließendes Beratungsergebnis“ als notwendiges Merkmal des Kollegiums erachtet. Fehlt die Beschlussfassungskompetenz möchte der Autor lediglich ein Gremium erkennen, dass der „informellen Abstimmung“ diene. 1835 § 21 Abs. 3 PrHKVO 1848: „Sind nach Berathung eines Gegenstandes die verschiedenen Ansichten nicht zu vereinigen, und liegt der Fall einer Berichterstattung vor, so sind die verschiedenen Ansichten mit den dafür geltend gemachten Gründen im Berichte besonders vorzutragen.“ In Anknüpfung an diese Vorschrift wurde auch in den Motiven zum PrHKG 1870 niedergelegt: „[E]s läßt sich nicht verkennen, daß ein ihr [§ 21 Abs. 3 PrHKVO 1848] entsprechendes Verfahren in manchen Fällen zweckmäßig und der Staats-Regierung erwünscht sein kann. Gleichwohl ist davon Abstand genommen, dieses Verfahren als ein obligatorisches auch für die Folge vorzuschreiben. Man darf vertrauen, daß in den geeigneten Fällen die Handelskammern schon aus eigener Veranlassung den Ansichten und Gründen der Minorität die denselben gebührende Rechnung tragen und in dieser Beziehung auch ohne eine gesetzliche Beschränkung ihres Ermessens in der Regel das Richtige zu treffen wissen werden“ (Sammlung sämmtlicher Drucksachen des Hauses der Abgeordneten, 10. Legislaturperiode, III.  Session 1869, Bd. 1, 1870, Nr. 16, S. 35; gleichlautend Sammlung sämmtlicher Drucksachen des Hauses der Abgeordneten, 10. Legislaturperiode, II. Session 1868/1869, Bd. 3, Nr. 169, 1869, S. 33). 1834

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

Die sachverständige Beratung des Staates über gewerbliche Interessenlagen kann jedoch nur gelingen, wenn ihr Inhalt repräsentativer Natur ist und der Beratene in den Stand versetzt wird, die Validität der Ergebnisse mitsamt dem vorausliegenden Prozess beurteilen zu können. Dies gelingt nicht mehr, wenn bereits der Standpunkt eines Vollversammlungsmitglieds den Adressaten nicht mehr erreicht. In diesem Sinne ist wohl auch das BVerwG zu verstehen, wenn es für die Vollversammlung bekennt, dass ihr pluralistischer Charakter dazu dränge, jedem Mitglied eine eigene Repräsentationsaufgabe zuzugestehen.1836 Anders gewendet: Soll erwartet werden, dass sich ein Vertreter der „Neuen Energiewirtschaft“ dafür ausspricht, Unternehmen zu subventionieren, die ihre Energiegewinnung mithilfe fossiler Energieträger betreiben, falls ihm das „Werben um die Mehrheit“ misslingt? Zu welchem Zweck soll das „Gesamtinteresse der gewerblichen Wirtschaft“ überhaupt künstlich simplifiziert werden, wenn allen Beteiligten bekannt ist, dass Wirtschaftsbeziehungen einen hohen Komplexitätsgrad annehmen? Und wie seriös wirken Stellungnahmen, die unter diesen Vorzeichen im Außenverhältnis den Eindruck zu vermitteln suchen, dass die IHK zu jedem Thema mit „einer Stimme“ sprechen könnte? Nach alledem ist es unumgänglich, die Wahrnehmung des Gesamtinteresses i. S. d. § 1 Abs. 1 IHKG vollkommen dem Gedanken der Repräsentation unterzuordnen. Damit soll der IHK nicht verstellt sein, die Aufgabenwahrnehmung an quantitativen Kategorien auszurichten, indem etwa unterschiedliche Ansichten unter dem Zusatz der dafür votierenden Vollversammlungsmitglieder mitsamt der dazugehörigen Wahlgruppe benannt werden. Es verbieten sich jedoch sämtliche Überlegungen, die auf eine Grenze abzielen, ab der man ein in der Vollversammlung tatsächlich repräsentiertes Interesse in der organisationsexternen Vertretung unter den Tisch fallen lassen darf. Es ist überdies nicht statthaft, das Maß des Dissenses auf die Form der Aufgabenwahrnehmung zu übertragen. Die jüngst vom Bundesverfassungsgericht angestrengten Überlegungen zu der Frage, welche Darstellung der Minderheitenschutz im Einzelfall gebietet,1837 erübrigen sich. Ferner ist ausgeschlossen, über die Notwendigkeit der Vorprägung einer Stellungnahme zu sinnieren, falls die Interessen bestimmter Branchen von der zu begutachtenden Fragestellung stärker betroffen sein sollten.1838 Genauso wenig muss darüber nachgedacht werden, ob „Unternehmensgruppen im Kammerbezirk überzählig vertreten“ sind,1839 weil nur die im Wahlverfahren ermittelte Stimmverteilung relevant ist. Für die Verwaltungspraxis dürfte sich damit die Frage eröffnen, wie sie mit Themen verfahren soll, die rigorose Entscheidungen im Sinne der Kategorien „ja“ oder „nein“ bzw. „dafür“ oder „dagegen“ verlangen. Hierbei darf beispielhaft an 1836

BVerwG, Urt. v. 31. März 2004 – 6 C 25/03 –, BVerwGE 120, 255 (259). BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 111). 1838 So aber Hövelberndt, DÖV 2011, 628 (634 f.). 1839 Jesse, Rechtliche Anforderungen an die Interessenvertretung durch Industrie- und Handelskammern in Fällen der Volksgesetzgebung und Bürgerentscheide, 2015, S. 26. 1837

V. Abbildung der Aufgabe Interessenrepräsentanz im Binnenrecht  

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Fragen der Standortpolitik erinnert werden, deren Behandlung zumindest für den Fall einer anstehenden direktdemokratischen Entscheidung auf eine alternative Antwortmöglichkeit begrenzt wird. Diesbezüglich gilt, dass ein in der Vollversammlung ausgemachter Dissens die IHK dazu zwingt, von einer eindeutigen Stellungnahme, die auch durch den Wortlaut einer Überschrift oder die Durchführung einer Kampagne vermittelt werden kann, abzusehen. Weil die vollständige Enthaltung auch keine Handlungsoption darstellt,1840 sollte der Beratungsakt die Abbildung der divergenten Auffassungen mitsamt den dazu ergangenen Erwägungen fokussieren.1841 cc) Medialisierung und Kult der Einigkeit als Gesetzeszweck? Die Handlungs- und Kommunikationsformen, die in Wahrnehmung des gewerbepolitischen Mandats entfaltet werden, nähern sich den Anforderungen und Eigengesetzlichkeiten eines durch die Medien dominierten öffentlichen Diskurses progressiv an. Die Verwaltungspraxis der IHK wird verstärkt entlang der Medienlogik kalibriert. Mehr und mehr gerät zugleich in Vergessenheit, dass der Gesetzesauftrag in § 1 Abs. 1 IHKG seinem Wortlaut nach dazu anhält, die Behörden auf direktem Weg mit Vorschlägen, Gutachten und Berichten zu unterstützen und zu beraten. Doch soll allem Anschein nach weniger durch gezielte Beratung des Staates, sondern vorwiegend durch die Einschaltung der Meinungsmittler Aufmerksamkeit erzielt werden, damit die Entscheidungsträger die gewünschten Handlungen veranlassen. Auch die rechtswissenschaftliche Literatur redet einer weitgehenden Medialisierung1842 der Aufgabenwahrnehmung das Wort. Autoren denken darüber nach, „klare Ansagen zu machen“.1843 Es heißt, dass Kammerinteressen „vernehmlich“ zu artikulieren seien.1844 Die rechtlichen Barrieren für eine zulässige Form der Öffentlichkeitsarbeit werden als „inakzeptable[r] Maulkorb“ umschrieben.1845 Damit der kommunikative Erfolg gelingt, empfiehlt man, „die Kanäle bzw. Medien der 1840

Anders Hövelberndt, DÖV 2011, 628 (635). Ein Anschauungsbeispiel findet sich bei Hövelberndt, DÖV 2011, 628 (635). 1842 Nölleke, Medialisierung, in: Theorien der Kommunikationswissenschaft, abrufbar unter http://journalistikon.de/medialisierung/: „Medialisierung beschreibt die Tatsache, dass die Bedeutung von Medien in modernen Gesellschaften zunimmt. Diese manifestiert sich in der Anpassung von Handlungen und Strukturen an der Medienlogik. […]. Gesellschaftliche Teilbereiche wie Politik, Sport, Recht oder Wissenschaft ziehen journalistische Aufmerksamkeitskriterien ins Kalkül und verändern sich entsprechend, um mediale Bedürfnisse zu befriedigen“. 1843 Möllering, GewArch 2011, 56 (58). In diese Richtung auch Heusch, „Was müssen die Kammern tun, um die Akzeptanz der Selbstverwaltung weiter zu stärken?“, in: Kluth (Hg.), JbKBR 2010, 2011, 135 (139), der befindet, dass „zuweilen eine zugespitzte Formulierung nötig“ sei, „um sich in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen“. 1844 Heusch, Zu aktuellen Fragen der kammerinternen Organisation und der Staatsaufsicht, in: Kluth (Hg.), JbKBR 2009, 2010, 73 (82). 1845 Jahn, GewArch 2019, 339 (343). 1841

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

Kommunikation“ zu wählen, „die auch von den Adressaten genutzt“ würden. Denn „[k]lassische schriftliche Stellungnahmen, die an das zuständige Organ adressiert oder im Rahmen von förmlichen Anhörungen vorgetragen“ würden, seien nicht ausreichend, wenn ein Bürgerentscheid anstehe. „Stärker als zuvor“ müssten „deshalb auch „plakative Stellungnahmen“ in klassischen und neuen sozialen Medien sowie in Form von öffentlich sichtbaren Plakaten genutzt werden“.1846 Der Verfasser befindet bei anderer Gelegenheit, dass „die Zuspitzung zu den anerkannten Methoden des Meinungsstreits“ gehöre, weshalb „[z]u ausgewogene und sachliche Stellungnahmen in der Gefahr“ stünden, „überhört zu werden“.1847 Ferner solle eine „Selbstbeschränkung auf rechtssicher formulierte schriftliche Stellungnahmen“ nicht den „Anforderungen der Medienwelt“ entsprechen, die sich mit „floskelhaften“ Antworten „kaum zufriedengeben“ würde.1848 Andernorts ist die These nachzulesen, dass eine „wirkungsvolle Interessenvertretung nicht zurückhaltend sein“ dürfe und könne, wenn „sie die Interessen im Kanon aller Interessenvertreter adäquat zur Geltung bringen“ möchte.1849 In der Folge wird über Möglichkeiten nachgedacht, eine „schlagkräftigere bzw. mehr wahrnehmbare (also effektivere) Gesamtinteressenvertretung“ zu gewährleisten. Dies mündet in dem Vorschlag, § 1 Abs. 1 IHKG durch das Wort „effektiv“ zu ergänzen und § 1 Abs. 5 IHKG zu tilgen.1850 Derselbe Autor hebt andernorts in einem betont wohlwollenden Duktus hervor, dass die Kammern eine „umfangreiche Public-Relations- und Lobbyarbeit“ leisteten.1851 Die Politikwissenschaft wirft ein, dass die Konfliktstruktur des Entweder-Oder „einfache“ und „starke“ Stellungnahmen erfordere. Für „Abwägung, Nachdenklichkeit und Kompromisse“ verbleibe „wenig Raum“. Ohnehin entspreche eine „[a]bwägende Interessenvertretung in sachlichem Ton mit der Beigabe etwaiger Minderheitsvoten“ weder der „Logik der Medien“ noch dem „Bedürfnis der staatlichen Legislative und Exekutive“. Diese Stellen seien auf „klare und eindeutige Formulierungen“ angewiesen.1852 Dass sich die Parlamente und die Exekutive auf die Suche nach anderen Ansprechpartnern begeben würden, wenn es an „einheit 1846 Kluth, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Gesamtinteressenvertretung durch Industrie- und Handelskammern, in: ders. (Hg.), Die IHK-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, 2018, 105 (129). 1847 Kluth, Kammerrecht als Rechtsgebiet, in: ders. (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 1 Rn. 54. 1848 Kluth, NVwZ 2019, 1688 (1689). 1849 Eisenmenger, Die Gesamtinteressenvertretung der Industrie- und Handelskammern – ein zahnloser Tiger?, in: ders. / Kluth / Korte (Hg.), FS Stober, 2018, 85 (92). S. ferner ebd.: „Oder anders ausgedrückt: Hat nicht eine zurückhaltende Interessenvertretung in Zeiten vielgestaltiger, lauter Kanäle und auch teilweise populistischer Protagonisten von vornherein keine Chance?“. 1850 Eisenmenger, Die Gesamtinteressenvertretung der Industrie- und Handelskammern – ein zahnloser Tiger?, in: ders. / Kluth / Korte (Hg.), FS Stober, 2018, 85 (93 f.). 1851 Eisenmenger, Interessenvertretung und Beratung, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 8 Rn. 39. 1852 Zitate bei Sack, Institutioneller Erhalt, Minderheitenrechte und die Bedingungen organisatorischer Reform – Zur politikwissenschaftlichen Würdigung des BVerfG-Beschlusses vom 12. Juli 2017 zur Pflichtmitgliedschaft in den Industrie- und Handelskammern, in: Kluth (Hg.), Die IHK-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, 2018, 23 (33).

V. Abbildung der Aufgabe Interessenrepräsentanz im Binnenrecht  

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lichen Positionen“ fehle, wird in Aussicht gestellt.1853 Dies gipfelt in der Aussage, dass „Minderheitenpositionen zwar stets berechtigt, aber eben auch nicht immer richtig“ seien.1854 Doch wird eine Pflichtkörperschaft mit einer äußerst heterogenen Mitgliedschaft nur selten mit einer Stimme sprechen, wenn ihr die repräsentative Wahrnehmung des Mandats aufgegeben ist. Bereits die Konstitution der IHK widerstrebt einer Medialisierung der Aufgabenwahrnehmung, wenn nicht in Kauf genommen werden soll, einen Großteil der Kammermitglieder und ihre Standpunkte im Außenverhältnis unter den Tisch fallen zu lassen. Da der IHK die Artikulation einer einzigen Position als „Gesamtinteresse“ bei wahrnehmbaren Interessendivergenzen versagt ist, ist der propagierte Kult der Einigkeit ohnehin rechtlich unmöglich. Auch die Verwaltungskraft der Vollversammlung mitsamt dem darin zusammengespannten Sachverstand widerstrebt dem angeratenen Auftritt. Soll ihr gefiltertes Beratungsprodukt mit zuspitzender, polemisierender und konfliktgeladener Wortwahl nur um den Gewinn eines Zeitungsaufmachers angereichert werden? Ist die Komplexität wirtschaftspolitischer Entschließungen künstlich zu reduzieren, um dem Boulevard-Jargon oder der Sogwirkung der 280-Zeichen-Twitter-Kommunikation zu genügen? Die Fragen zu stellen heißt, sie zu verneinen. Der permanente Gedanke an die nächste Schlagzeile ist für die IHK schädlich. Vielmehr sollte die organisationssoziologische Achillesferse, d. h. die mitgliedschaftliche Erfassung der gesamten gewerblichen Wirtschaft einer Region ohne Exit-Option, als Alleinstellungsmerkmal betont werden. Es vermag nicht einzuleuchten, wenn insinuiert wird, dass das besondere Organisationsprofil nicht in der regionalen Gebundenheit liege, sondern darin zu sehen sei, mit einem effekthaschenden Auftritt aus dem vielstimmigen Chor aller Interessenverbände herauszuragen. Bei Lichte betrachtet dürfte die Empfehlung zur zukünftigen Ausrichtung der Aufgabenwahrnehmung eher dahin tendieren, den Übergang von der nachvollziehenden und kämpferischen Auseinandersetzung mit fremden Konzeptionen zu Diskussionen stimulierenden wirtschaftspolitischen Initiativen zu wagen.1855

1853 Sack, Institutioneller Erhalt, Minderheitenrechte und die Bedingungen organisatorischer Reform – Zur politikwissenschaftlichen Würdigung des BVerfG-Beschlusses vom 12. Juli 2017 zur Pflichtmitgliedschaft in den Industrie- und Handelskammern, in: Kluth (Hg.), Die IHK-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, 2018, 23 (35). 1854 Sack, Institutioneller Erhalt, Minderheitenrechte und die Bedingungen organisatorischer Reform – Zur politikwissenschaftlichen Würdigung des BVerfG-Beschlusses vom 12. Juli 2017 zur Pflichtmitgliedschaft in den Industrie- und Handelskammern, in: Kluth (Hg.), Die IHK-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, 2018, 23 (39). 1855 Ähnlich bereits früh Basedow, BB 1977, 366 (372). Zur (verfassungsgeforderten) dienenden Funktion der Aufgabenwahrnehmung näher unter C. III. 1. a) dd).

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

3. Kompetenzallokation in der IHK Den vorangegangenen Erläuterungen ist die Maßgabe zu entnehmen, dass die funktionsgerechte Wahrnehmung der Aufgabe Interessenrepräsentanz prinzipiell nur die Vollversammlung besorgen kann. Nunmehr muss aufgeklärt werden, ob das IHK-Recht de lege lata diesem Ergebnis entspricht. a) Grundsatz: Allzuständigkeit der Vollversammlung Geht man dem so definierten Arbeitsauftrag nach, muss einstweilen erkannt werden, dass lediglich § 4 S. 1 IHKG zur Aufklärung beiträgt. Die Vorschrift bestimmt, dass über die Angelegenheiten der IHK die Vollversammlung beschließt, soweit nicht die Satzung etwas anderes bestimmt. Der Vollversammlung steht die Kompetenz-Kompetenz1856 für alle der IHK überantworteten Aufgaben zu. Sie ist, mit anderen Worten, das Hauptorgan1857 der IHK. b) Rechtslage: Abweichende Verteilung zugunsten des Präsidiums Das Vorstehende bildet die tatsächliche Verteilung der Entscheidungsbefugnisse allerdings nur unvollständig ab. Die in § 4 S. 1 IHKG enthaltene Ermächtigung zur Regelung eines abweichenden Zuständigkeitsarrangements – sie wird euphemistisch als „Selbstbeschränkungsrecht“1858 der Vollversammlung beschrieben – leitet vielmehr zu einer vertieften Auseinandersetzung mit den Satzungen über. Dabei wird jeweils im folgenden Ausmaß von § 4 S. 1 IHKG abgewichen: Das in allen Bezirken verwendete Konzept beinhaltet, dass die Vollversammlung über die Richtlinien der IHK-Arbeit und über alle Fragen entscheidet, die für die kammerzugehörige gewerbliche Wirtschaft oder die Arbeit der IHK von grundsätzlicher Bedeutung sind.1859 Hinzu kommt ein Katalog besonders benann-

1856 Löwer, GewArch 2000, 89 (97). Ähnlich Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 440; Diefenbach, GewArch 2006, 313 (318). 1857 Diefenbach, GewArch 2006, 313 (318). Andere erkennen in ihr das „höchste“ (Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 4 Rn. 1) bzw. „oberste“ (Dercks, Industrieund Handelskammern, in: Görres-Gesellschaft [Hg.], Staatslexikon, Bd. 3, 8. Aufl. 2019) Entscheidungsgremium. 1858 Eisenmenger, Interessenvertretung und Beratung, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 8 Rn. 85. 1859 § 3 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Aachen, § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Arnsberg; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Aschaffenburg; § 3 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Bayreuth; § 4 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Berlin (hier: Erweiterung der Kompetenz auf Gegenstände, für die die Vollversammlung „die Zuständigkeit in Anspruch nimmt“); § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK  Bielefeld; § 3 Abs. 1 Satzung IHK Bochum; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Bonn; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Braun-

V. Abbildung der Aufgabe Interessenrepräsentanz im Binnenrecht  

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ter Beschlussgegenstände, über die die Vollversammlung ebenfalls exklusiv befindet.1860 Da es sich bei Letzterem oftmals um Themen handelt, die der Vollversammlung bereits im Wege des IHKG zur ausschließlichen Behandlung zugewiesen werden,1861 verringert sich der Umfang des Zuständigkeitskatalogs bei Anwendung einer informierten Lesart zusehends. Demgegenüber steht eine dem Anschein nach komplementäre Kompetenz zugunsten des Präsidiums. In den Satzungen heißt es regelmäßig: „Das Präsidium kann über die Angelegenheiten der IHK beschließen, soweit Gesetz oder Satzung diese Aufgaben nicht der Vollversammlung oder dem

schweig (hier: Erweiterung auf Entscheidungen, die der Vollversammlung vom Präsidium vorgelegt werden); § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung HK Bremen; § 3 Abs. 4 Satzung IHK Chemnitz; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Coburg; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Cottbus; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Darmstadt; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Detmold; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Dillenburg; § 4 Abs. 1 Satzung IHK Dortmund; § 5 S. 1 Satzung IHK Dresden; § 3 Abs. 1 Satzung IHK Duisburg; § 2 Abs. 2 Satzung IHK Düsseldorf, § 4 S. 1 Satzung IHK Emden; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Erfurt; § 4 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Essen; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Flensburg; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Frankfurt a. M.; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Frankfurt (Oder); § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Freiburg; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Fulda; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Gera; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Gießen; § 5 Abs. 1 Satzung IHK Hagen; § 6 Abs. 1 Satzung IHK Halle; § 6 Abs. 1 Satzung HK Hamburg; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Hanau; § 4 S. 1 Satzung IHK Hannover (hier: Beschränkung auf die „Richtlinien der IHK-Arbeit“); § 4 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK  Heidenheim; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK  Heilbronn; § 4 Abs. 1 Satzung IHK Karlsruhe; § 2 Abs. 2 Satzung IHK Kassel; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Kiel; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Koblenz; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Köln; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Konstanz; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Krefeld; § 5 S. 1 Satzung IHK Leipzig; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Limburg; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Lübeck; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Ludwigshafen; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Lüneburg; § 4 Abs. 1 Satzung IHK Magdeburg; § 4 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Mainz; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Mannheim; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK München; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Münster; § 5 Abs. 1 Satzung IHK Neubrandenburg; § 2 Abs. 2 Satzung IHK Nürnberg; § 2 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Offenbach; § 4 Abs. 1 Satzung IHK Oldenburg; § 5 Abs. 1 Satzung IHK Osnabrück; § 3 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Passau; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Pforzheim; § 5 Abs. 1 Satzung IHK Potsdam; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Regensburg; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Reutlingen; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Rostock; § 3 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Saarbrücken; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Schwerin; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Siegen; § 4 Abs. 1 Satzung IHK Stade; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Stuttgart; § 5 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Suhl; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Trier; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Ulm; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Villingen-Schwenningen; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Weingarten; § 4 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Wiesbaden; § 3 Abs. 1 Satzung IHK Wuppertal; Art. 2 Abs. 2 Satzung IHK Würzburg. 1860 Hierzu gehören bspw. (s. § 4 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Kiel) der Erlass einer Geschäftsordnung, die Wahl der Rechnungsprüfer, die Errichtung von Zweig- und Außenstellen, die Gründung und Beteiligung an Gesellschaften, die Bildung von Ausschüssen, mit Ausnahme des Berufsbildungsausschusses, den Erlass von Vorschriften auf dem Gebiet des Sachverständigenwesens, die wesentlichen personalwirtschaftlichen Grundsätze, insbesondere die allgemeinen Grundlagen der Gehaltsfindung. 1861 Die Kataloge repetieren häufig die Gegenstände des § 4 S. 2 IHKG, die Kompetenz für die Wahl von Präsident und Präsidium (§ 6 Abs. 1 IHKG) sowie die Bestellung des Hauptgeschäftsführers (§ 7 Abs. 1 IHKG), s. bspw. § 4 S. 2 Satzung IHK Hannover.

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

Berufsbildungsausschuss vorbehalten.“1862 Andere Kammern verfolgen ebenfalls dieses Konzept, aber verzichten darauf, die Wechselseitigkeit der Kompetenzverteilung zu betonen. Stattdessen schreiben die Satzungen in einem apodiktischen Ton fest: „Das Präsidium ist das beschließende Organ für alle Angelegenheiten der IHK, die nicht anderen Organen der IHK übertragen sind.“1863 Geläufig ist auch folgender Wortlaut: „Das Präsidium beschließt über alle Angelegenheiten der IHK, soweit Gesetz oder Satzung diese Aufgaben nicht der Vollversammlung oder dem Berufsbildungsausschuss vorbehalten.“1864 Auch für Dringlichkeitsentscheidungen ist eine Abweichung von der in § 4 S. 1 IHKG angedachten Allzuständigkeit der Vollversammlung zu beobachten. Re-

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Wortlaut entnommen aus § 7 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Kiel – Hervorh. n. h. Gleichgerichtet § 6 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Aachen; § 7 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Arnsberg; § 8 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Aschaffenburg; § 6 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Berlin; § 7 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Bielefeld; § 5 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Bochum; § 9 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Braunschweig; § 7 Abs. 2 S. 2 Satzung HK Bremen; § 7 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Coburg; § 7 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Cottbus; § 7 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Darmstadt; § 7 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Detmold; § 7 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Dillenburg; § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Düsseldorf; § 8 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Erfurt; § 7 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Essen; § 7 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Frankfurt a. M.; § 7 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Frankfurt (Oder); § 7 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Freiburg; § 7 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Fulda; § 7 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Gera; § 7 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Gießen; § 9 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Halle; § 9 Abs. 1 S. 3 Satzung HK Hamburg; § 7 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK  Hanau; § 7 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK  Heidenheim; § 7 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Heilbronn; § 7 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Koblenz; § 8 Abs. 6 S. 3 Satzung IHK Köln; § 7 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Konstanz; § 6 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Limburg; § 7 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Lübeck; § 6 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Ludwigshafen; § 6 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Mainz; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Mannheim; § 7 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Münster; § 8 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Neubrandenburg; § 8 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Oldenburg (hier: Erweiterung dahingehend, dass die Aufgabenwahrnehmung auch nicht dem Hauptgeschäftsführer vorbehalten sein darf); § 7 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Pforzheim; § 7 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Rostock; § 7 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Schwerin; § 7 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Siegen; § 9 Abs. 1 Satzung IHK Stade (hier entsteht ein inkonsistentes Normengeflecht, weil auch dem Präsidium aufgegeben wird, über „wichtige IHK-Angelegenheiten grundsätzlicher oder allgemeiner Art zu beraten oder darüber zu beschließen“); § 6 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Stuttgart; § 9 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Suhl; § 7 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Trier; § 8 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Ulm; § 7 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Villingen-Schwenningen; § 7 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Weingarten; § 7 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Wiesbaden. 1863 Wortlaut entnommen aus § 6 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Regensburg – Hervorh. n. h. Gleichgerichtet § 6 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Augsburg; Art. 4 Abs. 8 S. 1 Satzung IHK Würzburg. 1864 Wortlaut entnommen aus § 8 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Bonn – Hervorh. n. h. Gleichgerichtet § 7 Abs. 1 S. 3 Satzung IHK Chemnitz; § 6 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Dortmund; § 8 Abs. 1 Satzung IHK Dresden; § 5 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Duisburg; § 8 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Emden; § 8 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Hagen; § 10 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Hannover; § 11 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Karlsruhe; § 7 Abs. 5 Satzung IHK Kassel; § 7 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Krefeld; § 9 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Leipzig; § 10 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Lüneburg; § 8 S. 2 Satzung IHK Magdeburg; § 4 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Nürnberg; § 5 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Offenbach; § 10 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Osnabrück; § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Passau; § 7 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Potsdam; § 10 Abs. 4 S. 3 Satzung IHK Reutlingen; § 6 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Saarbrücken; § 7 Abs. 3 Satzung IHK Wuppertal.

V. Abbildung der Aufgabe Interessenrepräsentanz im Binnenrecht  

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gelmäßig wird das Präsidium in den Stand des Dringlichkeitsorgans erhoben. Die überwältigende Mehrheit der IHK-Bezirke verwenden folgenden Wortlaut: „Duldet die Beschlussfassung über eine Angelegenheit wegen ihrer Dringlichkeit keinen Aufschub, so kann über sie das Präsidium an Stelle der an sich zuständigen Vollversammlung beschließen“.1865 Der Vollversammlung muss in der nächsten ordentlichen Sitzung darüber berichtet werden.1866 Damit eine derartige Eilkompetenz nicht mit dem IHKG in Konflikt gerät, werden Gegenstände der ausschließlichen Beschlussfassung gem. § 4 S. 2 IHKG von der Zuständigkeit ausgenommen.1867 Mit Blick auf den zwingenden Charakter von § 4 S. 2 IHKG zeigt sich indes, dass derartige Ausnahmebestimmungen ohnehin nur deklaratorischer Natur sind.

1865

Wortlaut entnommen aus § 7 Abs. 3 S. 3 Satzung IHK  Kiel. Gleichgerichtet § 6 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK  Aachen; § 7 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK  Arnsberg; § 8 Abs. 4 S. 3 Satzung IHK Aschaffenburg; § 6 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Augsburg; § 6 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Berlin; § 7 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Bielefeld; § 5 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Bochum; § 8 Abs. 3 Satzung IHK Bonn; § 7 Abs. 2 S. 3 Satzung HK Bremen; § 7 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Chemnitz; § 7 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Coburg; § 7 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Cottbus; § 7 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Darmstadt; § 7 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Detmold; § 7 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Dillenburg; § 6 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Dortmund; § 8 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Dresden; § 5 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Duisburg; § 5 Abs. 4 S. 3 Satzung IHK Düsseldorf; § 8 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Emden (hier: Beschränkung auf „Zwischenentscheidungen“); § 8 Abs. 4 S. 3 Satzung IHK Erfurt; § 7 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Essen; § 6 Abs. 1 S. 3 Satzung IHK Flensburg; § 7 Abs. 4 S. 3 Satzung IHK  Frankfurt  a. M.; § 7 Abs. 3 S. 3 Satzung IHK  Frankfurt  (Oder); § 7 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Freiburg; § 7 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Fulda; § 7 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Gera; § 7 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Gießen; § 8 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Hagen; § 9 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Halle; § 9 Abs. 1 S. 4; § 7 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Hanau; § 10 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Hannover; § 7 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Heidenheim; § 7 Abs. 3 S. 3 Satzung IHK Heilbronn; § 11 Abs. 2 Satzung IHK Karlsruhe; § 7 Abs. 3 S. 3 Satzung IHK Koblenz; § 8 Abs. 6 S. 4 Satzung IHK Köln; § 7 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Konstanz; § 7 Abs. 7 Satzung IHK Krefeld; § 9 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Leipzig; § 6 Abs. 3 Satzung IHK Limburg; § 7 Abs. 4 S. 3 Satzung IHK Lübeck; § 6 Abs. 3 S. 3 Satzung IHK Ludwigshafen; § 10 Abs. 2 Satzung IHK Lüneburg; § 8 S. 3 Satzung IHK Magdeburg; § 6 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Mainz; § 7 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Mannheim; § 6 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK München; § 7 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Münster; § 8 Abs. 3 Satzung IHK Neubrandenburg; § 4 Abs. 7 S. 2 Satzung IHK Nürnberg; § 5 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Offenbach; § 8 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Oldenburg; § 10 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Osnabrück; § 5 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Passau; § 7 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Pforzheim; § 7 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Potsdam; § 6 Abs. 11 S. 1 Satzung IHK Regensburg; § 10 Abs. 4 S. 4 Satzung IHK Reutlingen; § 7 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Rostock; § 6 Abs. 3 S. 3 Satzung IHK Saarbrücken; § 7 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Schwerin; § 7 Abs. 3 S. 3 Satzung IHK Siegen; § 9 Abs. 4 Satzung IHK Stade; § 6 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK Stuttgart; § 9 Abs. 3 S. 3 Satzung IHK Suhl; § 7 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Trier; § 8 Abs. 1 S. 4 Satzung IHK Ulm; § 7 Abs. 4 S. 3 Satzung IHK Villingen-Schwenningen; § 7 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK  Weingarten; § 7 Abs. 3 S. 3 Satzung IHK Wiesbaden; § 7 Abs. 4 Satzung IHK Wuppertal; Art. 4 Abs. 8 S. 3 Satzung IHK Würzburg. Die Satzungen der IHK-Bezirke Braunschweig, Flensburg und Kassel weisen keine entsprechenden Inhalte auf. 1866 S. nur § 7 Abs. 3 S. 4 Satzung IHK Kiel. 1867 S. nur § 7 Abs. 3 S. 3 Satzung IHK Kiel.

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

c) „Weiche“ Faktoren und Annexkompetenz für die Vertretung in anderen Organisationen Das Satzungsrecht enthält ferner weiche Faktoren der Kompetenzverteilung. Danach hat das Präsidium in nahezu allen Kammerbezirken für die Vorbereitung und Durchführung der Beschlüsse der Vollversammlung Sorge zu tragen.1868 Eine Besonderheit stellt die Rechtslage der IHK Potsdam dar. Die Satzung verpflichtet den Hauptgeschäftsführer dazu, die Meinungsbildung und Entscheidung für alle Organe vorzubereiten.1869 Von Bedeutung ist ferner, dass mehrere Bezirke den Hauptgeschäftsführer dazu ermächtigen, mit beratender Funktion an den Sitzungen des Präsidiums teilzunehmen.1870 Die Mitglieder der Geschäftsführung der 1868

§ 6 Abs. 3 Satzung IHK Aachen (hier: in Verbindung mit dem Hauptausschuss; die Aufgabe kann dem Präsidenten oder dem Hauptgeschäftsführer überlassen werden); § 6 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Berlin; § 7 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Arnsberg; § 8 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Aschaffenburg; § 6 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Augsburg;§ 7 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Bielefeld; § 5 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Bochum; § 8 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Bonn; § 9 Abs. 1 Satzung IHK Braunschweig; § 7 Abs. 2 S. 1 Satzung HK  Bremen; § 7 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK  Chemnitz; § 7 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Coburg; § 7 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Cottbus; § 7 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Darmstadt; § 7 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Detmold; § 7 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Dillenburg; § 6 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Dortmund; § 8 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Dresden; § 5 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Duisburg; § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Düsseldorf; § 8 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Emden; § 8 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Erfurt; § 7 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Essen, § 6 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Flensburg (hier: Beschränkung auf die Vorbereitung der Beschlüsse); § 7 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Frankfurt a. M.; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Frankfurt (Oder); § 7 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Freiburg; § 7 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Fulda; § 7 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Gera; § 7 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Gießen; § 8 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Hagen; § 9 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Halle; § 9 Abs. 1 S. 1 Satzung HK Hamburg; § 7 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Heidenheim; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Heilbronn; § 11 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Karlsruhe (hier: Beschränkung auf die Vorbereitung der Beratungen); § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Kiel; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Koblenz; § 8 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Köln; § 7 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Konstanz; § 7 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Krefeld; § 6 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Limburg; § 7 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Lübeck; § 6 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Ludwigshafen; § 10 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Lüneburg; § 8 S. 1 Satzung IHK Magdeburg; § 6 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Mainz; § 6 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK München (hier: Beschränkung auf die Vorbereitung der Beschlüsse); § 7 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Münster; § 8 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Neubrandenburg; § 8 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Oldenburg; § 10 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Osnabrück; § 7 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Pforzheim; § 7 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Potsdam (hier: das Präsidium „kontrolliert“ die Durchführung der Beschlüsse); § 10 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Reutlingen; § 7 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Rostock; § 6 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Saarbrücken; § 7 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Schwerin; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Siegen; § 9 Abs. 2 Satzung IHK Stade; § 6 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Stuttgart; § 9 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Suhl; § 7 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Trier; § 8 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Ulm (hier: das Präsidium berät vor); § 7 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Villingen-Schwenningen; § 7 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Weingarten; § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Wiesbaden; § 7 Abs. 3 Satzung IHK Wuppertal (hier: Beschränkung auf die Vorbereitung der Beschlüsse). Die Satzungen der IHK-Bezirke Hanau, Hannover, Kassel, Mannheim, Nürnberg, Offenbach, Passau, Regensburg und Würzburg weisen keine entsprechenden Inhalte auf. 1869 § 10 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Potsdam. 1870 S. bspw. § 6 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Flensburg; § 7 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Kiel; § 7 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Lübeck.

V. Abbildung der Aufgabe Interessenrepräsentanz im Binnenrecht  

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HK Bremen sind berechtigt, mit beratender Stimme an den Sitzungen der Vollversammlung teilzunehmen.1871 In den IHK-Bezirken Halle, Passau, Reutlingen und Rostock kann der Hauptgeschäftsführer mit beratender Stimme an den Sitzungen von Vollversammlung und Präsidium teilnehmen.1872 Als Annex zur organisationsinternen Kompetenzverteilung wirken Satzungen, die die organisationsexterne Vertretung der IHK in freiwilligen Assoziationen regeln. Dabei sind insbesondere Vereinigungen wie der DIHK angesprochen, die in der tagtäglichen Arbeit das Mandat zur Interessenrepräsentanz besonders umtriebig ausfüllen. Die Satzungen bestimmen diesbezüglich in allgemeinen Wen­dungen, dass die IHK in Vereinen, Gesellschaften und Organisationen durch Präsident oder Hauptgeschäftsführer vertreten wird.1873 Bemerkenswert ist, dass nahezu alle Satzungen den Hauptgeschäftsführer für den Fall der Abwesenheit des Präsidenten für berechtigt erklären, die Stimme zu führen.1874 Die Vertretung der IHK, etwa 1871

§ 9 Abs. 1 S. 2 Satzung HK Bremen. § 11 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Halle; § 13 Abs. 2 Satzung IHK Passau; § 12 Abs. 6 Satzung IHK Reutlingen; § 9 Abs. 2 Satzung IHK Rostock (hier: die Berechtigung zur Teilnahme an Präsidiumssitzungen ist ausgeschlossen, wenn von Seiten des Präsidenten begründete Einwände bestehen; betrifft die Beratung in den Organen die Person oder Amtsführung des Hauptgeschäftsführers, ist die Berechtigung suspendiert). 1873 S. bspw. § 11 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Kiel. 1874 § 10 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Aachen; § 10 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Arnsberg; § 11 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Aschaffenburg; § 6 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Bayreuth; § 13 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Berlin; § 10 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Bielefeld; § 8 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Bochum; § 10 Abs. 5 S. 2 Satzung HK Bremen; § 10 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Coburg; § 10 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK Cottbus; § 10 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Darmstadt; § 10 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK Detmold; § 10 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK  Dillenburg; § 15 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK  Dresden; § 8 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Duisburg; § 7 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Düsseldorf; § 11 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Erfurt; § 11 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Essen; § 10 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Flensburg; § 10 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Frankfurt a. M.; § 11 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Frankfurt (Oder); § 10 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Freiburg; § 10 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Fulda; § 10 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Gera; § 10 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Gießen; § 12 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Hagen; § 12 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK Halle; § 10 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Hanau; § 10 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Heidenheim; § 10 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Heilbronn; § 14 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Karlsruhe; § 11 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Kiel; § 10 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Koblenz; § 11 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Köln; § 10 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Konstanz; § 11 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Krefeld; § 14 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Leipzig; § 9 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Limburg; § 10 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK  Lübeck; § 13 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK  Lüneburg; § 8 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Mainz; § 10 Abs. 4 S. 3 Satzung IHK Mannheim; § 14 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK München; § 10 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK  Münster; § 11 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK  Neubrandenburg; § 7 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Offenbach; § 12 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Oldenburg; § 12 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Osnabrück; § 8 Abs. 3 S. 2 Satzung IHK Passau; § 10 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Pforzheim; § 13 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Reutlingen; § 10 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK Rostock; § 10 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Schwerin; § 10 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Siegen; § 14 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Suhl; § 10 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Trier; § 11 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Ulm; § 10 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Villingen-Schwenningen; § 10 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Weingarten; Art. 6 Abs. 1a S. 2 Satzung IHK Würzburg. Die Satzungen der IHK-Bezirke Augsburg, Bonn, Braunschweig, Chemnitz, Dortmund, Emden, Hamburg, Hannover, Kassel, Ludwigshafen, Magdeburg, Nürnberg, Potsdam, Regensburg, Saarbrücken, Stade, Stuttgart, Wiesbaden und Wuppertal weisen keine entsprechenden Inhalte auf. 1872

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

in Fragen der Aufgabenwahrnehmung gem. § 1 Abs. 1 IHKG, kann danach von der ehrenamtlichen Seite der IHK losgelöst sein. Noch mehr Beachtung verdient der Umstand, dass der jeweilige Vertreter für befugt erklärt wird, „bestehende Beschlüsse der zuständigen IHK-Organe zu konkretisieren und Positionen aus diesen Beschlüssen abzuleiten“.1875 d) Wie viel Delegation ist zulässig? Bei einer derart weitreichenden Kompetenzverschiebung zum Nachteil der Vollversammlung stellt sich unweigerlich die Frage nach der rechtlichen Zulässigkeit. Problembehaftet ist, dass jede Erweiterung der Entscheidungsbefugnis auf Seiten des Präsidiums der Sinn- und Zwecksetzung des Gesetzes  – prinzipielle Allzuständigkeit der Vollversammlung  – zuwiderläuft. Doch ist der in § 4 S. 1 IHKG enthaltene Satzungsvorbehalt in Rechnung zu stellen. Das Normkonzept

1875 Wortlaut entnommen aus § 11 Abs. 5 S. 5 Satzung IHK Kiel. Gleichgerichtet § 10 Abs. 5 S. 5 Satzung IHK Aachen; § 10 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Arnsberg; § 11 Abs. 1 S. 3 Satzung IHK Aschaffenburg; § 6 Abs. 1 S. 3 Satzung IHK Bayreuth; § 13 Abs. 5 S. 5 Satzung IHK Berlin; § 10 Abs. 5 S. 5 Satzung IHK Bielefeld; § 8 Abs. 4 S. 5 Satzung IHK Bochum; § 12 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK  Bonn (hier: Bindung an die Beschlüsse von Vollversammlung und Präsidium, „soweit Gesetz oder Satzung es vorsehen“); § 10 Abs. 5 S. 4 Satzung HK  Bremen; § 10 Abs. 5 S. 5 Satzung IHK Coburg; § 10 Abs. 6 S. 5 Satzung IHK Cottbus; § 10 Abs. 5 S. 5 Satzung IHK  Darmstadt; § 10 Abs. 6 S. 5 Satzung IHK  Detmold; § 10 Abs. 5 S. 5 Satzung IHK Dillenburg; § 8 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Duisburg; § 7 Abs. 5 S. 5 Satzung IHK Düsseldorf; § 11 Abs. 5 S. 5 Satzung IHK Erfurt; § 11 Abs. 5 S. 5 Satzung IHK Essen; § 10 Abs. 5 S. 5 Satzung IHK Flensburg; § 10 Abs. 5 S. 5 Satzung IHK Frankfurt a. M.; § 11 Abs. 5 S. 5 Satzung IHK Frankfurt (Oder); § 10 Abs. 4 S. 5 Satzung IHK Freiburg; § 10 Abs. 5 S. 5 Satzung IHK Fulda; § 10 Abs. 5 S. 5 Satzung IHK Gera; § 10 Abs. 5 S. 4 Satzung IHK Gießen; § 12 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Hagen; § 12 Abs. 6 Satzung IHK Halle; § 10 Abs. 5 S. 5 Satzung IHK Hanau; § 10 Abs. 5 S. 5 Satzung IHK Heidenheim; § 10 Abs. 5 S. 5 Satzung IHK Heilbronn; § 14 Abs. 3 S. 5 Satzung IHK Karlsruhe; § 11 Abs. 5 S. 5 Satzung IHK Kiel; § 10 Abs. 5 S. 5 Satzung IHK Koblenz; § 11 Abs. 1 S. 3 Satzung IHK Köln; § 10 Abs. 5 S. 5 Satzung IHK Konstanz; § 11 Abs. 2 S. 5 Satzung IHK Krefeld; § 14 Abs. 3 S. 3 Satzung IHK Leipzig; § 9 Abs. 4 S. 5 Satzung IHK Limburg; § 10 Abs. 3 S. 5 Satzung IHK Lübeck; § 13 Abs. 5 S. 5 Satzung IHK Lüneburg; § 8 Abs. 4 S. 5 Satzung IHK Mainz; § 10 Abs. 4 S. 6 Satzung IHK Mannheim; § 10 Abs. 5 S. 5 Satzung IHK Münster; § 11 Abs. 5 S. 5 Satzung IHK Neubrandenburg; § 5 Abs. 1 S. 3 Satzung IHK Nürnberg; § 7 Abs. 4 S. 5 Satzung IHK Offenbach; § 12 Abs. 5 S. 5 Satzung IHK Oldenburg; § 12 Abs. 3 S. 5 Satzung IHK Osnabrück; § 8 Abs. 3 S. 5 Satzung IHK Passau; § 10 Abs. 5 S. 5 Satzung IHK Pforzheim; § 7 Abs. 3 Satzung IHK Regensburg; § 13 Abs. 4 S. 5 Satzung IHK Reutlingen; § 10 Abs. 6 S. 5 Satzung IHK Rostock; § 10 Abs. 5 S. 5 Satzung IHK Schwerin; § 10 Abs. 5 S. 5 Satzung IHK Siegen; § 10 Abs. 4 S. 5 Satzung IHK Stuttgart; § 14 Abs. 4 S. 5 Satzung IHK Suhl; § 10 Abs. 5 S. 5 Satzung IHK Trier; § 11 Abs. 5 S. 5 Satzung IHK Ulm; § 10 Abs. 5 S. 5 Satzung IHK Villingen-Schwenningen; § 10 Abs. 5 S. 5 Satzung IHK Weingarten; § 4 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Wiesbaden; Art. 6 Abs. 1a S. 5 Satzung IHK Würzburg. Die Satzungen der IHK-Bezirke Augsburg, Braunschweig, Chemnitz, Dortmund, Dresden, Emden, Hamburg, Hannover, Kassel, Ludwigshafen, Magdeburg, München, Pforzheim, Potsdam, Saarbrücken, Stade und Wuppertal weisen keine entsprechenden Inhalte auf.

V. Abbildung der Aufgabe Interessenrepräsentanz im Binnenrecht  

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legitimiert bestimmte Abweichungen im Satzungsrecht. Rechtstheoretisch muss daher gefragt werden, über welche Reichweite der Satzungsvorbehalt verfügt. Es ist zu überlegen, welche Befugnisse die Vollversammlung auf das Präsidium delegieren darf, ohne dass eine Normkollision zwischen den Satzungen und § 4 S. 1 IHKG eintritt. aa) BVerwG und Literatur Das Bundesverwaltungsgericht befand unter besonderer Berücksichtigung der Aufgabe Interessenrepräsentanz, dass eine „grundsätzliche Festlegung […] auf jeden Fall durch die Vollversammlung erfolgen“ müsse.1876 Die Entscheidungsoption für Einzelfragen, die auf den von der Vollversammlung beschlossenen Richtlinien fußt, sei hingegen delegationsfähig.1877 Mit Blick auf ein im Namen der IHK veröffentlichtes „Grundsatzpapier“ führte es aus, dass dieses nur unter Beteiligung der Vollversammlung hätte erstellt und beschlossen werden dürfen.1878 Nach dieser Auffassung endet der Spielraum des Satzungsgebers dort, wo grundsätzliche Festlegungen anstehen. Derartige Themen sind keiner Delegation zugänglich, d. h. einem Beschluss der Vollversammlung vorbehalten. Die Rechtsprechung hat damit die Rechtslage legalisiert, die derzeit in allen Bezirken beobachtet werden kann. Unter Ansehung der Maßgaben des BVerwG elaborierte die Literatur ein Zweistufenmodell,1879 das ebenfalls die Rechtmäßigkeit der vorgefundenen Zuständigkeitsverteilung bekräftigt. Das Modell beinhaltet auf der ersten Stufe eine Kernkompetenz der Vollversammlung für grundsätzliche Entscheidungen. Auf der zweiten Stufe hält es eine Konkretisierungskompetenz für das Tagesgeschäft bereit, die auf Basis der inhaltlichen Vorgaben der ersten Stufe ausgefüllt wird. Die Kompetenz für die zweite Stufe ist einer Delegation zugänglich. Für die Ausgestaltung dieses Konzepts empfiehlt man die Verfügbarkeit eines „Netzes von Grundsatzstellungnahmen“, das die Möglichkeiten der Delegation erweitere und die Kammern „sprachfähig“ halte.1880 Die Delegation von Befugnissen, die die rein redaktionelle Zusammenfassung bereits erfolgter Beschlüsse der Vollversammlung beinhaltet, soll in jedem Fall möglich sein.1881 Auch die Dringlichkeitskompetenz des Präsidiums soll mit den Anforderungen des BVerwG vereinbar sein. Die darauf gestützten Stellungnahmen seien nicht als grundsätzliche Festlegung anzusehen,

1876

BVerwG, Urt. v. 23. Juni 2010 – 8 C 20/09 –, BVerwGE 137, 171 (Rn. 35). In diesem Sinne auch BVerwG, Urt. v. 23. März 2016 – 10 C 4/15 –, BVerwGE 154, 296 (Rn. 30). 1877 BVerwG, Urt. v. 23. Juni 2010 – 8 C 20/09 –, BVerwGE 137, 171 (Rn. 35). So auch Eisenmenger, Interessenvertretung und Beratung, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 8 Rn. 88. 1878 BVerwG, Urt. v. 23. Juni 2010 – 8 C 20/09 –, BVerwGE 137, 171 (Rn. 48 [juris]). 1879 Eisenmenger, Interessenvertretung und Beratung, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 8 Rn. 89 f. 1880 Möllering, GewArch 2011, 56 (63). 1881 Möllering, GewArch 2011, 56 (59).

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

wenn und weil sie in einem eng umschriebenen Eilfall von einem nach der Satzung für zuständig erachteten Organ unter Anwendung eines geregelten Verfahrens abgegeben würden und den Eilcharakter deutlich machten.1882 bb) Konflikt mit dem Grundsatz funktionsgerechter Organisationsstruktur Es ist äußerst fraglich, ob die weiträumige Beseitigung der Allzuständigkeit der Vollversammlung einen Rückhalt im Satzungsvorbehalt des § 4 S. 1 IHKG findet. Das vom BVerwG gefundene Ergebnis über die Reichweite des Satzungsvorbehalts, das ohnehin mehr eine Behauptung denn eine Begründung darstellt, ist in Zweifel zu ziehen. Um diesen Vorgang einzuleiten, soll einstweilen ein Vergleich zwischen dem Wortlaut der gesetzlichen Zuständigkeitsverteilung und den davon abweichenden Satzungen angestrengt werden. Während nach § 4 S. 1 IHKG die Vollversammlung „[ü]ber die Angelegenheiten“ der IHK beschließt, erheben die Satzungen das Präsidium in den Stand, „über die Angelegenheiten“ der IHK zu befinden. Bei vergleichender Betrachtung der Vorschriften wurde der Satzungsvorbehalt des § 4 S. 1 IHKG also verwendet, um die prinzipielle Allzuständigkeit der Vollversammlung auf das Präsidium zu übertragen. Damit wurde eine Abkehr vom Konzept des Gesetzgebers etabliert. Nicht mehr die Vollversammlung, sondern das Präsidium soll über die Angelegenheiten der IHK entscheiden. Die Satzungen erklären das Präsidium zum höchsten Entscheidungsgremium der IHK. Lediglich der Satzbestandteil „kann“ sorgt dafür, dass die Entscheidungsbefugnis des Präsidiums den Anstrich einer Ermessensentscheidung erhält. Indes sind keine handfesten Maßstäbe ersichtlich, die das „Ermessen“ des Präsidiums einhegen könnten. Vielmehr kommen allenfalls weiche Leitlinien wie etwa die prinzipielle Allzuständigkeit der Vollversammlung in Betracht, die das Präsidium vor einer zu selbstbewussten Inanspruchnahme der Kompetenz zurückschrecken lassen könnten. Ob ein Organstreit um die Kompetenz im Einzelfall unter diesen Bedingungen rechtssicher aufgelöst werden könnte, darf bezweifelt werden. Diese Zweifel gelten weniger für Satzungen, die bestimmen, dass das Präsidium „das beschließende Organ“ für alle Angelegenheiten ist. Der Befund über eine Abweichung von der mit § 4 S. 1 IHKG vorgegebenen Konzeption vergrößert sich indes für diese Satzungsregelungen. Hier liegt nicht mehr nur eine Abkehr, sondern eine vollständige Umverteilung des Kompetenzzuschnitts auf Satzungsebene vor. § 4 S. 1 IHKG verkommt zum legislativen Griff ins Leere, weil die maßgebliche Zuständigkeitsverteilung nur den Satzungen entnommen werden kann. Mit dem Grundsatz funktionsgerechter Organisationsstruktur kann hinterfragt werden, ob eine (vollständige) Abkehr von der vom Gesetzgeber erdachten Kom 1882

Möllering, GewArch 2011, 56 (60).

V. Abbildung der Aufgabe Interessenrepräsentanz im Binnenrecht  

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petenzverteilung durch Aktivierung des Satzungsvorbehalts zulässig ist. Denn dieser Grundsatz fordert insbesondere, dass Entscheidungsbefugnisse demjenigen Organ zugeordnet werden, das für die Aufgabenwahrnehmung die besten Voraussetzungen anbietet. Bei einem Vergleich zwischen Gesetz und Satzung stehen sich zwei unvereinbare Annahmen über die aufgabenadäquate Zuständigkeitsordnung gegenüber. Nach Dafürhalten des Gesetzgebers bietet die Vollversammlung die beste Infrastruktur, um prinzipiell über alle Angelegenheiten der IHK zu beschließen. Nimmt man die Satzungen beim Wort, soll das Präsidium die Gewähr für eine optimale Verwaltungstätigkeit bieten. Vieles spricht dafür, dass allein das Konzept des Gesetzgebers zur adäquaten Aufgabenallokation führt. Dies gilt speziell für die Aufgabe Interessenrepräsentanz. Insofern ist daran zu erinnern, dass mit der durch das Wahlverfahren vermittelten Zusammensetzung der Vollversammlung eine Miniatur der Bezirkswirtschaft entsteht. Weiterhin sind die Ausfüllungsbedürftigkeit des Interessebegriffs, die Unumgänglichkeit repräsentativer Prozeduren und der Gesetzesauftrag umfassender Staatsberatung zu bedenken. Damit wird es notwendig, ein Kollegium für die Entscheidung über den Inhalt des Gesamtinteresses der gewerblichen Wirtschaft zu berufen, das den Interessengegensatz der Kammerzugehörigen bestmöglich abbildet. Fügt man diese Überlegungen zusammen, erfüllt die Vollversammlung diese Voraussetzung im größtmöglichen Umfang. Sie muss sich als das zur Ermittlung des Gesamtinteresses der Gewerbetreibenden berufene Organ ergeben. Dieses Ergebnis lässt sich allerdings auch in negativer Hinsicht begründen. Denn die elaborierte Sichtweise auf das Präsidium zeigt, dass die vorstehenden Attribute diesem Organ gerade nicht zugeschrieben werden können. Wenn man etwa Zweifel hegt, ob eine stark diversifizierte Wirtschaft in der Vollversammlung überhaupt repräsentativ abgebildet werden kann,1883 so müssen diese Zweifel erst recht gegenüber dem Präsidium erhoben werden. Von Bedeutung ist, dass das Präsidium über weitaus weniger Mitglieder als die Vollversammlung verfügt. Während eine Vollversammlung aus durchschnittlich 66 Mitgliedern zusammengesetzt ist, variiert die Größe der Präsidien zwischen drei und 21 Mitgliedern. Der Repräsentationsgrad des Präsidiums stellt sich damit um ein Vielfaches schlechter dar. Auch muss das Präsidium aus der Mitte der Vollversammlung gewählt werden (§ 6 Abs. 1 IHKG), weshalb Gedanken der Repräsentation oder des Gruppenpluralismus für dieses Organ nach geltendem Recht ausgeschlossen sind. So könnte etwa der Fall auftreten, dass alle Präsidiumsmitglieder ein und derselben Wahlgruppe angehören. Insofern stellt das Präsidium gerade kein verkleinertes Abbild der Vollversammlung dar. Es bietet nicht die Voraussetzung dafür, um den Interessenantagonismus zu aggregieren, der in dem Representationsorgan versammelt

1883 Kritisch zum Repräsentationsgrad der Vollversammlung VG Stuttgart, Urt. v. 7. April 2011 – 4 K 5039/10 –, juris Rn. 17.

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

ist. Daher verstoßen Satzungen, die das Präsidium für den Beschluss über die Angelegenheiten der IHK ermächtigen, gegen den Grundsatz funktionsgerechter Organisationsstruktur. cc) Legale Selbstentmächtigung? Allerdings ist mit der vorstehenden Festlegung nicht zugleich entschieden, dass das Bundesverwaltungsgericht die Reichweite des Satzungsvorbehalts in § 4 S. 1 IHKG verkannt hat. Beschließt die Vollversammlung eine Satzung mit dem Inhalt des eingangs dargestellten Kompetenzzuschnitts, könnte in den Vorschriften durchaus eine Form legaler Selbstentmächtigung gesehen werden. Entscheidungserheblich für die Feststellung einer zu weitreichenden Inanspruchnahme des Satzungsvorbehalts ist, ob und inwieweit ein Widerspruch zwischen § 4 S. 1 IHKG und den ausgestaltenden Satzungsvorschriften vorliegt. Denn erst im Fall eines ausgemachten Widerspruchs und nur für dessen Reichweite wird der Boden des Delegationsvorbehalts verlassen. Dafür ist daran zu erinnern, dass die Annahme eines Normwiderspruchs nicht nur auf den offensichtlichen Fall von unvereinbaren Wortlauten auf Tatbestands- oder Rechtsfolgenseite in Rechtsquellen unterschiedlicher Rangordnung beschränkt ist. Vielmehr ist auch eine Gegensätzlichkeit von Norminhalten zu erkennen, wenn das Regelungskonzept des Gesetzgebers in anderen Regelwerken durchkreuzt, umgekehrt oder ad ab­ surdum geführt wird (teleologische Widersprüche bzw. Wertungswiderspruch).1884 Schließlich ist die rechtsstaatliche Zielsetzung, die auf den Erhalt einer einheitlichen, folgerichtigen und harmonischen Rechtsordnung gerichtet ist, auch gefährdet, wenn auf untergesetzlicher Stufe die im Parlamentsgesetz zum Ausdruck gebrachten Grundgedanken entstellt werden. Der Vergleich zwischen der in § 4 S. 1 IHKG vorgesehenen Zuständigkeitsallokation und den auf Satzungsebene beobachteten Konzeptionen über einen Vorrang des Präsidiums hat bereits ergeben, dass Letztere eine (vollständige) Abkehr vom Konzept des Gesetzgebers darstellen. Dieser Befund trägt nunmehr das Ergebnis. Danach überschreiten die Satzungsvorschriften die Reichweite des Vorbehalts, der in § 4 S. 1 IHKG lediglich zur Ausgestaltung eröffnet wurde.

1884 Dazu O’Hara, Konsistenz und Konsens, 2018, S. 25 f. m. Fn. 18. Payandeh, AöR 136 (2011), 578 (584) ordnet den Fall eines Wertungswiderspruchs nicht der Kategorie der „echten Normwidersprüche“ zu. Er hält den Wertungswiderspruch erst für beachtlich, soweit er konkreten verfassungsrechtlichen Geboten zuwiderläuft. In diesem Sinne auch Jarass, AöR 126 (2001), 588 (592 f.).

V. Abbildung der Aufgabe Interessenrepräsentanz im Binnenrecht  

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dd) Ergebnis und Kritik: Notwendigkeit der tatsächlichen Lenkung der Selbstverwaltungskörperschaft durch die Vollversammlung Die eingangs dargestellten Satzungen sind unter Ansehung dreier Rechtsgründe für unwirksam zu erachten. Die fehlende Vereinbarkeit mit dem Grundsatz funktionsgerechter Organisationsstruktur bedingt – erstens – einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip. Weil die Regelungen ferner die Reichweite des Delegationsvorbehalts übertreten, besteht – zweitens – ein Widerspruch zur ranghöheren Rechtsquelle, der nach den bereits ausgebreiteten Kollisionsregeln aufgelöst werden muss. Drittens – und dies blieb bis hierhin unberücksichtigt – liegt mit der geltenden Kompetenzverteilung eine Missachtung des Gebots innerorganisatorischer Demokratie vor. Ernst Thomas Emde hat die damit zusammenhängenden Erwägungen bereits zutreffend benannt, als er daran erinnerte, dass sich die Funktion der Versammlung als „unumgängliche[r] Mittler“ von Legitimation „organisationsrechtlich in einem kompetenziellen Vorrang vor den nachgeordneten Organen niederschlagen“ müsse. Eine Kompetenzverteilung, mit der der Vorstand zum „eigentlichen, den Mitgliedern gegenüber weithin unabhängigen Herrn der Selbstverwaltung“ erhoben werde, sei mit dieser Forderung „unvereinbar“. Die Grundsatzkompetenz, die erst das Recht zur „wirkliche[n] Lenkung der Selbstverwaltung“ verschaffe, müsse „von Verfassungs wegen der Versammlung zustehen“.1885 Demgegenüber könnte sich die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf das Präsidium für dringliche Angelegenheiten als rechtmäßig erweisen. Die Vorschriften erkennen die Allzuständigkeit der Vollversammlung dem Grunde nach an. Sie postulieren nur für den eng umgrenzten Ausnahmefall eine Abkehr vom Zuständigkeitsgefüge des IHKG. Diese Form der Selbstentmächtigung stellt sich in einem ersten Zugriff als Ausprägung eines resilienten Organisationsdesigns dar, weil sie dem Zweck dient, dass dem Wohl der IHK auch im Fall der Zeitnot keine Nachteile drohen. Die im Kommunalrecht erörterten Fallgruppen – plötzliche Schadensereignisse, Terminsetzungen durch Dritte, Nachbesserung von Regelungen oder Maßnahmen sowie erheblicher Beschleunigungsnutzen –1886 greifen auch für die IHK Platz. Zugleich wirft die Aktivierung der Dringlichkeitskompetenz im Einzelfall Zweifelsfragen auf: Wenn die Einberufung einer Sitzung der Vollversammlung mit verkürzter Ladungsfrist oder der Übergang in ein modifiziertes Beschlussverfahren möglich sein sollte, liegt kein Fall der Dringlichkeit vor.1887 Auch sind die Regeln zur Beschlussfähigkeit zu beachten, die die Entscheidungsfähigkeit der Vollversammlung lange aufrechterhalten. Die Janusköpfigkeit der Eilzuständigkeit, die aus der Bejahung der eigenen Kompetenz und der anschließenden Sachentscheidung besteht, fordert alle beteiligten Akteure zur erhöhten Wachsamkeit heraus. Dies gilt insbesondere, da Verstöße gegen den Dringlichkeitstatbestand im 1885

Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 424. Oebbecke, Die Verwaltung 54 (2021), 273 (275 ff.). 1887 Für das Kommunalrecht m. w. N. Oebbecke, Die Verwaltung 54 (2021), 273 (283). 1886

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

Wege des Organstreits verfolgbar sind.1888 Allerdings ist auch nicht für jede eilige Angelegenheit eine Verhandlung durch die Vollversammlung zu fordern. Wenn etwa eine Beschlussfassung innerhalb weniger Stunden notwendig würde und die Vorbereitungszeit erheblich verkürzt wäre, kann sich die rationale Funktion des Kollegialprinzips ohnehin nicht entfalten. In diesen Fällen darf nicht angenommen werden, dass die Beratung in der Vollversammlung zu Einsichten führt, die das Verhandlungsergebnis eines repräsentativ und pluralistisch besetzten Präsidiums überschreiten. Mit Blick auf den Parlamentsvorbehalt ist jedoch dafür zu votieren, dass auch diese Verschiebung der Organkompetenz nicht auf die Satzungsautonomie gegründet wird, sondern gesetzlich vorgesehen oder zumindest antizipiert sein muss.1889 Hierfür streitet auch der Grundsatz innerorganisatorischer Demokratie. Danach darf nicht übersehen werden, dass sich die Legitimationskette verlängert, wenn das Präsidium anstelle der Vollversammlung entscheidet. Dass die Gründe, die zur Inanspruchnahme der Eilkompetenz geführt haben, der Vollversammlung im Nachhinein mitgeteilt werden, stellt eine selbstverständliche Folge des Übergriffs in die eigentlich organfremde Machtoption dar. Dasselbe gilt für die Option, dass sich die Vollversammlung über den Inhalt der Eilentscheidung hinwegsetzen kann, solange keine Rechte Dritter entstanden sind.1890 Letzteres ist Ausdruck der Kompetenz-Kompetenz der Vollversammlung und der Maßgabe, dass die Sachentscheidung bei Berufung auf die Dringlichkeitskompetenz auf das Unvermeidliche limitiert ist. Die verhaltenswissenschaftlichen Erkenntnisse zum Ankereffekt und dem Phänomen Framing führen zu der Einsicht, dass sich die Einbringung und sprachliche Gestaltung von Referenzpunkten in Entscheidungskontexte verzerrend auf die Urteilsfindung auswirkt.1891 Vorschriften, die dem Präsidium die Formulierung von Beschlussvorlagen zur Aufgabe machen, stellen keinesfalls ein organisatorisches Nullum dar. Vielmehr folgt aus den nachbarwissenschaftlichen Einsichten unter gleichzeitiger Berücksichtigung des Parlamentsvorbehalts, dass das IHKG auch diese – vermeintlichen – Details für das Entscheidungsverfahren der Organe erfassen muss. Das IHKG legitimiert nicht, dass der Hauptgeschäftsführer mit beratender Stimme an den Sitzungen des Präsidiums teilnimmt. Denn derartige Interorganrechte weichen von dem Prinzip ab, nach dem die Willensbildung eines Organs nur durch dessen Mitglieder getragen wird. Möchte man derartige Rechte etablieren, 1888

Den Mitgliedern der Vollversammlung stehen kraft des Mandats umfassende Beratungsund Entscheidungsrechte für alle Angelegenheiten zu, die in die Zuständigkeit ihres Organs fallen (E. I. 4. c)). Diese Rechte werden unrechtmäßig verkürzt, wenn die Voraussetzungen der Dringlichkeitskompetenz fehlten. 1889 In diesem Sinne wohl auch Groß / Pautsch, Kammerverfassungsrecht – Organisation und Verfahren, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 7 Rn. 46. 1890 Diese Erwägungen finden eine Entsprechung im Kommunalverfassungsrecht, s. § 55 Abs. 4 GemO SH und Oebbecke, Die Verwaltung 54 (2021), 273 (281). 1891 Dazu näher unter D. V. 4. b).

V. Abbildung der Aufgabe Interessenrepräsentanz im Binnenrecht  

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müssen sie zunächst als bedeutender Faktor des Organisierens erkannt werden: Es lässt sich schon nicht mit Sicherheit bestimmen, wo die Trennlinie zwischen der profanen Teilnahme als umfassend informierender Berater und dem Eingriff in den Verlauf sowie das Abstimmungsergebnis der Sitzungen durch interessengeleitete Beratung verläuft. Wenn man zusätzlich bedenkt, dass die im Präsidium verabschiedeten Vorlagen der Vollversammlung zum Beschluss vorgelegt werden, zeitigt die beratende Funktion des Hauptgeschäftsführers auch Fernwirkungen für die Urteilsfindung in der Vollversammlung. Dies gilt erst recht, wenn er zur Vorbereitung der Meinungsbildung und Entscheidung aller Organe auserkoren wird. Stimmen, die die „sorgfältige Vorbereitung“ durch andere Organe als „faktisch unverzichtbar“ bezeichnen,1892 eine Delegation von Kompetenzen auf andere Organe aus praktischen Erwägungen für „unumgänglich“ erachten,1893 oder der Vollversammlung empfehlen, sich auf „schon bearbeitete, verdichtete Information von außen“ zu verlassen,1894 weisen hingegen wenig Sensibilität für den unauflöslichen Zusammenhang von Sachverstand und Eigeninteresse auf. Wird den hier getroffenen Maßgaben Folge geleistet, kann die Vertretung der IHK in anderen Organisationen der Satzungsautonomie als Annex zur organisationsinternen Kompetenzverteilung überlassen werden. Wenn die Kompetenzverteilung und die in aufwendigen Verfahren gewonnenen Ergebnisse nicht für wertlos erklärt werden sollen, ist aber davon abzusehen, den Vertreter zu ermächtigen, Positionen aus bestehenden Beschlüssen der zuständigen IHK-Organe abzuleiten. ee) Der Hauptgeschäftsführer als Empfänger delegierter Kompetenzen? Nach bisherigem Kenntnisstand ist anzunehmen, dass originäre Befugnisse der Vollversammlung nur auf das Präsidium als das zweite ehrenamtlich besetzte Kollegialorgan delegiert werden können. Die Verwaltungspraxis interpretiert den Satzungsvorbehalt in § 4 S. 1 IHKG aber derart, dass selbst die Übertragung von Kompetenzen auf den Hauptgeschäftsführer möglich sein soll. Die Satzungen enthalten zumeist folgende Ermächtigung: „Die Wahrnehmung des Gesamtinteresses der gewerblichen Wirtschaft im Kammerbezirk durch den Hauptgeschäftsführer erfolgt im Rahmen der von der Vollversammlung beschlossenen Richtlinien sowie unter Beachtung der Beschlüsse der Vollversammlung und des Präsidiums.“1895 Oft wird dem Hauptgeschäftsführer zusätzlich gestattet, durch 1892

So Möllering, GewArch 2011, 56 (59). Möllering, Interessenvertretung durch Kammern – sachliche Reichweite und verfahrensrechtliche Anforderungen, in: Kluth (Hg.), JbKBR 2009, 2010, 21 (40 f.). 1894 Möllering, WiVerw 2001, 25 (40). 1895 Wortlaut entnommen aus § 9 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK  Kiel. Gleichgerichtet § 8 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Aachen; § 9 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Arnsberg; § 10 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Aschaffenburg; § 14 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Bayreuth; § 11 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Berlin; § 9 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Bielefeld; § 7 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Bochum; § 10 Abs. 2 1893

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

Dienstanweisung auch die Geschäftsbereichsleitung und weitere Mitarbeiter der IHK mit der Aufgabenwahrnehmung zu beauftragen.1896 Auch die Literatur meint, dass Präsident und Hauptgeschäftsführer als Empfänger übertragener Kompetenzen in Betracht kämen.1897 Aus der Rechtsprechung ist eine Verlautbarung des OVG Lüneburg bekannt, in der es heißt: „Im Übrigen hat es die Vollversammlung nach § 4 Satz 1 IHKG weitgehend in der Hand, welche Sachaufgaben und Personalentscheidungen sie dem Präsidium oder auch dem

S. 1 Satzung IHK Bonn; § 9 Abs. 3 S. 1 Satzung HK Bremen; § 9 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Coburg; § 9 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Cottbus; § 9 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Darmstadt; § 9 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Detmold; § 9 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Dillenburg; § 8 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Dortmund; § 8 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Duisburg; § 6 Abs. 1 S. 5 Satzung IHK Düsseldorf; § 10 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Erfurt; § 10 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Essen; § 9 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Frankfurt a. M.; § 10 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Frankfurt (Oder); § 9 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Freiburg; § 9 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Fulda; § 10 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Gera; § 9 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Gießen; § 11 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Hagen; § 11 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Halle; § 9 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Hanau; § 9 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Heidenheim; § 9 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Heilbronn; § 12 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Karlsruhe; § 10 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Kiel; § 9 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Koblenz; § 10 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Köln; § 9 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Konstanz; § 10 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Krefeld; § 8 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Limburg; § 10 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Lübeck; § 12 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Lüneburg; § 9 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Mannheim; § 13 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK München; § 9 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Münster; § 10 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Neubrandenburg; § 11 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Nürnberg; § 6 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Offenbach; § 11 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Oldenburg; § 12 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Osnabrück; § 13 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Passau; § 9 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Pforzheim; § 13 Abs. 1a S. 1 Satzung IHK Regensburg; § 12 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Reutlingen; § 9 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Rostock; § 9 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Schwerin; § 9 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Siegen; § 12 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Suhl; § 9 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Trier; § 10 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Ulm; § 10 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Villingen-Schwenningen; § 9 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Weingarten; § 9 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK  Wiesbaden; Art. 14 Abs. 2a S. 1 Satzung IHK  Würzburg. Nach Günther, in: v.  Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 83. EL Dezember 2019, § 7 IHKG Rn. 19 entspricht § 9 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK  Kiel dem Regelungsgehalt der Mustersatzung des DIHK. Die Satzungen der IHK-Bezirke Augsburg, Braunschweig, Chemnitz, Dresden, Emden, Flensburg, Hamburg, Hannover, Kassel, Leipzig, Ludwigshafen, Magdeburg, Mainz, Potsdam, Saarbrücken, Stade, Stuttgart und Wuppertal weisen keine entsprechenden Inhalte auf. 1896 So etwa § 9 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Kiel. 1897 Eisenmenger, Interessenvertretung und Beratung, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 8 Rn. 85; Günther, in: v. Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 83. EL Dezember 2019, § 1 IHKG Rn. 95; Möllering, Zur rechtlichen Überprüfung von Stellungnahmen der Industrie- und Handelskammern, des Deutschen Industrie- und Handelskammertages und der IHK-Landesarbeitsgemeinschaften, in: Kluth / Müller / Peilert (Hg.), FS Stober, 2008, 391 (407); ders., WiVerw 2001, 25 (46 ff.); Jahn, GewArch 2018, 410 (414); Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, § 1 Rn. 46; Diefenbach, GewArch 2006, 313 (318). In diese Richtung auch Kluth, Mehrheit und Minderheit im Kammerrecht – Spezifische Aspekte der Entfaltung des demokratischen Prinzips in der Entscheidungsfindung durch Kammerversammlungen, in: ders. (Hg.), JbKBR 2014, 2015, 35 (54). S. ferner Groß / Pautsch, Kammerverfassungsrecht – Organisation und Verfahren, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 7 Rn. 53, die eine Delegationsmöglichkeit für Eil- oder Routineangelegenheiten behaupten.

V. Abbildung der Aufgabe Interessenrepräsentanz im Binnenrecht  

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Hauptgeschäftsführer überträgt“.1898 Die Rechtsaufsichten in den Bundesländern folgen diesem Verständnis, weil sie entsprechende Satzungen genehmigt haben. Doch ist dieser, bisher unwidersprochen gebliebenen, mehr behaupteten denn begründeten Rechtsauffassung entgegenzutreten. Bereits der Wortlaut des § 4 S. 1 IHKG steht ihr entgegen. § 4 S. 1 IHKG verlangt, dass über die Angelegenheiten der IHK durch Beschluss entschieden wird. Dem Wortsinn nach ermächtigt die Vorschrift daher lediglich zur Zuständigkeitsübertragung auf weitere Kollegialorgane. Denn der Beschluss stellt das Kennzeichnen ihrer Entscheidungsfindung dar.1899 Dies hat wohl auch das Bundesverwaltungsgericht erkannt, da es lediglich eine Kompetenzübertragung auf andere „Gremien“ für möglich erachtete.1900 Da neben der Vollversammlung nur das Präsidium als Gremium verfasst ist, findet die Delegationsoption in diesem Organ ihre Grenze. Der vorherrschenden Rechtsauffassung steht insoweit der Sinn und Zweck des § 4 S. 1 IHKG entgegen, weil auch im Zuge einer abweichenden Funktionenzuordnung die Entscheidung entlang des Kollegialprinzips nicht suspendiert werden soll. Auch der Grundsatz funktionsgerechter Organisationsstruktur widerstrebt einer Sichtweise, die die Übertragung der Wahrnehmungszuständigkeit auf den Hauptgeschäftsführer für die Aufgabe Interessenrepräsentanz für zulässig erachtet. Denn der Interessenvorrat der gewerblichen Wirtschaft befindet sich in der repräsentativ und pluralistisch zusammengesetzten Vollversammlung. Das monistisch verfasste Organ Hauptgeschäftsführer kann keinesfalls den Interessengegensatz abbilden, der in dem Repräsentativorgan aggregiert wird. Die Bestellung zum Hauptgeschäftsführer fordert überdies keine besondere Qualifikation,1901 womit das Amt der Fremdorganschaft eröffnet wird. Selbst Personen ohne jedweden ökonomischen Sachverstand können zum Organwalter bestellt werden. Eine Untersuchung aus dem Jahre 1975 vermochte zu belegen, dass die Bestellung von Personen mit juristischer Vorbildung zum Hauptgeschäftsführer überwog.1902 Von insgesamt 77 Hauptgeschäftsführern lag der Anteil der Juristen bei 50,6 % (absolut: 39), der Anteil der Volkswirte bei 33,8 % (absolut: 26), der Anteil der Betriebswirte bei 7,8 % (absolut: 8) und der Anteil der „Anderen“ ebenfalls bei 7,8 % (absolut: 8). Die Ausfüllung des Begriffs der „wirtschaftlichen Interessen“ durch die Person des Hauptgeschäftsführers steht auch im Widerspruch zu dem Körperschaftsgedanken und dem Prinzip Selbstverwaltung. Danach müssen jeweils die Betroffenen den maßgeblichen Einfluss auf die Erledigung ihrer Angelegenheiten haben.1903 Die Maxime hat bottom up, nicht top down zu lauten.

1898

OVG Lüneburg, Urt. v. 12. November 2009 – 8 LC 58/08 –, juris Rn. 53. Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 48 f. 1900 BVerwG, Urt. v. 23. Juni 2010 – 8 C 20/09 –, BVerwGE 137, 171 (Rn. 49 [juris]). 1901 Dies bemerkt auch das OVG Lüneburg, Urt. v. 12. November 2009 – 8 LC 58/08 –, juris Rn. 53. 1902 Basedow, BB 1977, 366 (370). 1903 S. nur Maurer / Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 23 Rn. 41. 1899

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

Die eingangs erwähnten Satzungen sind mithin aus vielfältigen Rechtsgründen für unwirksam zu erachten. Am offensichtlichsten ist, dass sich die Ermächtigung des Hauptgeschäftsführers zur Wahrnehmung des gewerbepolitischen Mandats nicht auf den Satzungsvorbehalt in § 4 S. 1 IHKG gründen lässt. Damit ist erst recht unzulässig, den Hauptgeschäftsführer in den Stand zu erheben, dass dieser Positionen aus bestehenden Beschlüssen der zuständigen IHK-Organe ableitet.

ff) Die Ausschüsse als Empfänger delegierter Kompetenzen? Die Satzung der IHK Bayreuth, die einen „Hauptausschuss“ verfasst und bei der Kompetenzverteilung berücksichtigt, fordert zu einer vertieften Auseinandersetzung mit den Ausschüssen i. S. d. § 8 IHKG heraus. Zwar hält die IHK Bayreuth im Ausgangspunkt an der Zuständigkeit der Vollversammlung für Fragen grundsätzlicher Bedeutung fest.1904 Doch kommt daneben nicht dem Präsidium, sondern dem Hauptausschuss die maßgebliche Bedeutung zu. Dabei handelt es sich um ein Kollegium, das sich aus den Präsidiumsmitgliedern und den Vorsitzenden der regionalen Gremiumsbezirke1905 zusammensetzt.1906 Die Satzung enthält überdies einen Rechtsgrund, um einzelne Aufgaben auf den Hauptausschuss zu übertragen.1907 Der Hauptausschuss verfügt danach über die Zuständigkeit für die Behandlung wichtiger, die IHK insgesamt betreffender Angelegenheiten.1908 Dem Gremium werden ferner die Kompetenzen zuerkannt, die in den anderen Kammern regelmäßig das Präsidium innehat: Der Hauptausschuss verfügt über die Eilkompetenz, bereitet die Beschlüsse der Vollversammlung vor und sorgt für ihre Durchführung. Er kann über Angelegenheiten der IHK beschließen, solange diese nicht einem anderen Organ vorbehalten sind.1909

(1) Ausschüsse als nach innen wirkende Beratungsgremien Die IHK kann auf Grundlage von § 8 IHKG zur Durchführung anderer als der in § 79 BBiG genannten Aufgaben Ausschüsse bilden. Die Verwaltungspraxis nutzt diese Ermächtigung, um eine ganze Bandbreite an Gremien zu schaffen, deren Titel sich teilweise nur noch schwer mit der gesetzlichen Bezeichnung verbinden lässt. So sind, neben den „Ausschüssen“1910 i. S. d. Gesetzeswortlauts,

1904

§ 3 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Bayreuth. Dazu näher sogleich unter E. V. 3. d) ff) (2). 1906 § 7 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Bayreuth. 1907 § 7 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Bayreuth. 1908 § 7 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Bayreuth. 1909 § 7 Abs. 2 S. 3 f. Satzung IHK Bayreuth. 1910 § 6 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Kiel. 1905

V. Abbildung der Aufgabe Interessenrepräsentanz im Binnenrecht  

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„Arbeitskreise“1911, „regionale Gremien“1912, „regionale Wirtschaftsbeiräte“1913, „Regionalversammlung­en“1914 oder (vornehmlich in Bayern) „Regionalausschüsse“1915 zu beobachten. Damit ein gemeinsamer begrifflicher Nenner gefunden und der rechtliche Ursprung in § 8 IHKG betont wird, werden diese Gebilde im Folgenden vereinheitlichend als Ausschüsse bezeichnet. Den nach § 8 IHKG gegründeten Ausschüssen ist gemeinsam, dass sie nicht zu den Organen der IHK zählen, sondern allenfalls mit einer beratenden Funktion für die Organe ausgestattet werden können.1916 § 8 IHKG a. E. bestimmt, dass die Berufung in einen Ausschuss nicht einmal die Wählbarkeit zur Vollversammlung (§ 5 Abs. 2 IHKG) voraussetzt. Zu den berufenen Personen gehören daher meist leitende Angestellte kammerzugehöriger Unternehmen mit besonderen Kenntnissen in einzelnen Fachgebieten, Angehörige der freien Berufe oder Vertreter von Kommunalverwaltungen.1917 Die Satzungen greifen die Ermächtigung in § 8 IHKG jeweils auf und organisieren die Ausschüsse etwa wie folgt: In der IHK Kiel kann die Vollversammlung „zu ihrer Unterstützung bei der Behandlung bestimmter Aufgabenbereiche oder besonderen Angelegenheiten Ausschüsse mit beratender Funktion errichten“.1918 Die Berufung der Ausschussmitglieder und ihrer Stellvertreter erfolgt durch die Vollversammlung, wobei für die Dauer der Berufung ein Gleichlauf mit der Amtszeit der Vollversammlung hergestellt wird und die jederzeitige Abberufung möglich ist.1919 Der Ausschuss bestimmt aus seiner Mitte einen Vorsitzenden.1920 In der IHK Kiel existieren etwa Ausschüsse zu den Themen „Zuwanderung und Inte­ gration“, „Energie und Umwelt“, „Handel“, „Immobilienwirtschaft“, „Industrie, Forschung und Entwicklung“, „Neue Medien“, „Tourismus“ und „Verkehr“. Diese Gremien dienen laut Eigenbeschreibung dazu, „die unternehmerische, fachspezifische Kompetenz […] in die Arbeit der IHK […] einfließen zu lassen und eine gegenseitige inhaltliche Rückkopplung zu gewährleisten.“ Die Ausschüsse sollen die IHK in den Stand versetzen, „die Positionen der Wirtschaft gegenüber Politik und Verwaltung offensiv und mit profunder Sachkenntnis aus der unternehmerischen Praxis zu vertreten“.1921 1911

§ 7 Abs. 5 Satzung IHK Flensburg. § 7 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Flensburg. 1913 § 6 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Lübeck. 1914 § 4 Abs. 1 Satzung IHK Kassel. 1915 § 10 Satzung IHK München. Dazu näher unter E. V. 3. d) ff) (2). 1916 Möllering, WiVerw 2001, 25 (46); Groß / Pautsch, Kammerverfassungsrecht  – Organisation und Verfahren, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 7 Rn. 31; Wurster, in: Frentzel /  Jäkel / Junge, IHKG, 7. Aufl. 2009, § 8 Rn. 4. 1917 Wurster, in: Frentzel / Jäkel / Junge, IHKG, 7. Aufl. 2009, § 8 Rn. 2. 1918 § 6 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Kiel. 1919 § 6 Abs. 1 S. 2 f. Satzung IHK Kiel. 1920 § 6 Abs. 1 S. 4 Satzung IHK Kiel. 1921 Informationen und Beschreibung entnommen aus https://www.ihk-schleswig-holstein.de/ servicemarken/ueber-uns/ehrenamt/ihk-kiel/kiel. 1912

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

Die organisatorische Ausgestaltung der Ausschüsse divergiert zwischen den Kammerbezirken erheblich.1922 Teilweise werden die Ausschüsse sogar zu Tätigkeiten im Rahmen der Aufgabe Interessenrepräsentanz ermächtigt.1923 Derartige, auf Satzungsebene erdachte Berechtigungen reichen über die Beschränkung auf eine nach innen wirkende Beratungsfunktion hinaus. Sie stehen im Widerspruch zum IHKG, zur Lehre von der Organschaft und dem Grundsatz funktionsgerechter Organisationsstruktur1924 und sind daher unwirksam. 1922 In der IHK Lübeck wird nur der Vorsitzende des Ausschusses durch die Vollversammlung gewählt, wobei die Person der Vollversammlung angehören „soll“ (§ 6 Abs. 1 S. 2 der Satzung). Der Vorsitzende beruft in der Folge auf Vorschlag der hauptamtlichen Geschäftsführung die weiteren Mitglieder des Ausschusses für die Dauer der Wahlperiode der Vollversammlung (§ 6 Abs. 1 S. 3 der Satzung). Nach der Satzung der IHK Flensburg können bei Bedarf auch Ausschüsse in Form „regionaler Gremien“ gebildet werden, wobei ihnen die Mitglieder der Vollversammlung aus dem jeweiligen Wahlbezirk kraft Amtes angehören (§ 7 Abs. 4 S. 1 f.). Ihnen kommt die Aufgabe zu, „an der Lösung lokaler Probleme mit wirtschaftlicher Bedeutung mitzuarbeiten“, wobei sie zugleich die wirtschaftlichen Interessen ihrer jeweiligen Bezirke wahrnehmen und die IHK und ihre Organe bei ihrer Arbeit unterstützen sollen (§ 7 Abs. 4 S. 3 f.). Zusätzlich wird die Errichtung von „Arbeitskreisen“ durch den Hauptgeschäftsführer im Einvernehmen mit dem Präsidium ermöglicht, die mit dem Ziel der Beratung der Geschäftsführung ausgestattet werden (§ 7 Abs. 5). 1923 § 6 Abs. 1a S. 2 Satzung IHK Lübeck lautet bspw.: „Sie [die Ausschüsse und Wirtschaftsbeiräte] sind berechtigt, sich in Abstimmung mit […] dem Hauptgeschäftsführer im Namen der IHK oder als Ausschuss oder Wirtschaftsbeirat der IHK gegenüber Dritten oder der Öffentlichkeit zu äußern, soweit sich die Äußerungen im Rahmen bestehender Positionen der IHK halten.“ 1924 Unter Annahme einer prinzipiellen Allzuständigkeit der Vollversammlung für die Aufgabe Interessenrepräsentanz wird insbesondere zum Problem, dass in die Ausschüsse auch Personen berufen werden können, die nicht über die Voraussetzung der Wählbarkeit zur Vollversammlung verfügen. Damit droht, dass die Wahrnehmung der Aufgabe Interessenrepräsentanz vollkommen externalisiert wird. Hinzu kommt, dass die Ausschüsse ihre Legitimation nur auf einem äußerst schwachen Niveau von der Vollversammlung ableiten. Ohnehin ist die Berufung der Ausschussmitglieder keinesfalls an Maßstäbe der Repräsentation geknüpft. So ist insgesamt ausgeschlossen, dass derartige Regelungskonzepte mit dem Grundsatz funktionsgerechter Orga­nisationsstruktur vereinbart werden können. Die Interessen der gewerblichen Wirtschaft befinden sich in der Vollversammlung, weshalb kein davon nahezu unabhängiges Gremium zur teilweisen Erfüllung der Aufgabe ermächtigt werden kann. Wie problembehaftet das Nebeneinander von Vollversammlung und Ausschüssen im Allgemeinen respektive die Berechtigung der Ausschüsse zur Äußerung gegenüber Dritten oder der Öffentlichkeit im Speziellen sein können, zeigt ein Sachverhalt aus der IHK Berlin. Ebenda taten sich zwei Mitglieder aus den Ausschüssen „Verkehr“ sowie „Infrastruktur und Stadtentwicklung“ zusammen und veröffentlichten einen Tag vor der Sitzung des Ausschusses für Verkehr eine Pressemitteilung mit der Überschrift „Verkehrsexperten in der IHK fordern: Freie und sichere Fahrt für faire Wirtschaft in Berlin!“, deren Inhalt einen „20-Punkte-Plan zum Wirtschaftsverkehr in Berlin“ umfasste und in das Mobilitätsgesetz des Landes Einzug finden sollte (abrufbar unter https://cleverestaedte.de/blog/artikel/Wirtschaftsverkehr-Mobilitaetsgesetz). Da die Pressemitteilung den Eindruck erzeugte, es würde eine Position der IHK Berlin verlautbart, schlug das Präsidium der Vollversammlung vor, die Abberufung der Ausschussmitglieder zu beschließen. Letztlich wurde das satzungswidrige Verhalten durch die Vollversammlung in einem mehrheitlich gefassten Beschluss durch die Vollversammlung lediglich „missbilligt“. Zu den Geschehnissen Hoffmann, „Dunkelgelbe Karte“ vor dem Neujahrsempfang, Der Tagesspiegel v. 11. Januar 2019, abrufbar unter https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/berliner-kammern-dunkelgelbekarte-vor-dem neujahrsempfang/23857074.html.

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(2) Die Regionalausschüsse der bayerischen Kammern Die Konstitution der historisch überkommenen1925 Regionalausschüsse in den bayerischen IHK-Bezirken fordert zu einer differenzierteren Behandlung der Ausschüsse heraus. Sie werden auf Grundlage der Satzung gebildet, um die Verwaltungsgliederung in Landkreise und kreisfreie Städte zu spiegeln.1926 In der IHK München existieren bspw. 19 Regionalausschüsse.1927 Über die Zusammensetzung entscheiden jene Kammerzugehörigen, die innerhalb des jeweiligen Gebiets­ zuschnittes ihren Sitz, eine Zweigniederlassung oder eine Betriebsstätte unterhalten.1928 Die Wahl der Ausschussmitglieder findet für die Dauer der Wahlperiode der Vollversammlung statt.1929 Die Wahlordnung bestimmt ferner, dass die Ausschussmitglieder einen Vorsitzenden wählen, wobei die Wählbarkeit für diejenigen Personen ausscheidet, die bereits Mitglied der Vollversammlung sind oder durch eine andere wählbare Person des Unternehmens in der Vollversammlung vertreten werden.1930 Der Vorsitzende des Ausschusses wird zugleich zum Mitglied der Vollversammlung kraft Amtes erklärt.1931 Die Satzung gibt den Gremien auf, „die wirtschaftlichen Interessen ihres Gebiets im Rahmen der von der Vollversammlung beschlossenen Richtlinien der IHK-Arbeit“ wahrzunehmen und die Kammer bei ihrer Arbeit zu unterstützen.1932 Sie sollen im „regelmäßigen Austausch mit Politik, Verwaltung und anderen wirtschaftsrelevanten Organisationen und Einrichtungen ihres Gebietszuschnittes“ stehen und auch diese Einheiten unterstützen sowie beraten.1933 Weiterhin ist ihnen aufgetragen, ihre Entschlüsse stets im Hinblick auf die Bedürfnisse der Gesamtwirtschaft zu fassen, „ohne sich von den Interessen einzelner Personen oder einzelner Betriebe und Betriebszweige leiten zu lassen“, während die Vorsitzenden „regelmäßig in der Vollversammlung über ihre Arbeit“ berichten müssen.1934 Die Aufgaben gehen damit weit über die eines nach innen wirkenden Beratungsgremiums hinaus. In diesem Zusammenhang ist auch auf eine dokumentierte Eigenbeschreibung der Regionalgremien zu verweisen, die sich auf der Homepage der IHK Bayreuth befindet. Darin heißt es, dass die Gremien vor Ort ein „kräftiges und selbstbewußtes Eigenleben“ führten, „bei dem sie gegenüber Verwaltung, Politik und gesellschaftlichen Gruppierungen das Interesse der Wirtschaft vertre-

1925

Zu den Ursprungslinien Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 301 ff., 334, 356 f. Zu diesen Gremien ausführlich Meyer, GewArch 2006, 227 (231 ff.). 1927 § 10 Abs. 1 Satzung IHK München. 1928 § 10 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK München. 1929 § 10 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK München. 1930 § 19 Abs. 4 Wahlordnung IHK München. 1931 §§ 1 Abs. 3, 19 Abs. 6 Wahlordnung IHK München. 1932 § 10 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK München. 1933 § 10 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK München. 1934 § 10 Abs. 4 S. 3 f. Satzung IHK München. 1926

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ten“ würden. Die Stellungnahmen zur Bauleitplanung oder zu Großprojekten beeinflussten „die Planungstätigkeit von Landes- und Bundesbehörden“.1935 Ob die Regionalausschüsse ein kräftiges und selbstbewusstes Eigenleben mit rechtlicher Gestattung führen dürfen, muss akut hinterfragt werden. Dies gilt insbesondere in Anbetracht des Wortlauts von § 1 Abs. 1 IHKG, der die Wahrnehmung des Gesamtinteresses der Gewerbetreibenden einfordert. Zwar tritt mit der gesonderten Wahl zu den Regionalausschüssen eine nicht zu unterschätzende Quelle der Legitimation hinzu, die eine Zusammensetzung des Gremiums nach repräsentativen und pluralistischen Gesichtspunkten ermöglicht. Unumstößlich ist allerdings die Erkenntnis, dass auch die Regionalausschüsse keine im Verhältnis zur Kammer selbstständige Organisation bilden. Spezifische Regionalinteressen können sie gem. § 1 Abs. 1 IHKG nur vermitteln, wenn diese dem Gesamtinteresse entsprechen und sich nicht als ein von ihm nicht umfasstes regionales Sonderinte­ resse darstellen.1936 Die hervorgehobene Konstitution der Regionalausschüsse kann auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei einer nüchternen Zustandsbeschreibung um Ausschüsse i. S. d. § 8 IHKG handelt. Da § 8 IHKG nur die Einrichtung von nach innen wirkenden Beratungsgremien durch Satzung gestattet, sind Berechtigungen zur Aufgabenerfüllung im Außenverhältnis und ähnliche Beschlusskompetenzen unwirksam. Nach diesen Maßstäben vollzieht sich auch die rechtliche Bewertung des Hauptausschusses in der IHK Bayreuth. Auch für diesen Bezirk bleibt die Forderung des § 8 IHKG virulent, nach der die Organisation der Ausschüsse auf bloße Beratungsgremien für die Organe der IHK zurückgeführt werden muss. Hinzu tritt die zuvor gewonnene Erkenntnis, nach der § 4 S. 1 IHKG lediglich dazu ermächtigt, den Kompetenzzuschnitt zwischen den Kollegialorganen Vollversammlung und Präsidium zu verändern. Der IHK ist nicht gestattet, eine untergesetzliche Ermächtigung zur Aufgabenübertragung zu schaffen und diese zu nutzen, um ein im Gesetz namentlich nicht vorgesehenes Gremium mit weitreichenden Zuständigkeiten auszustatten. 4. Rechtsfolgen bei Verletzung des Binnenrechts Welche Rechtsfolgen eine Verletzung des eben skizzierten Organisations- und Verfahrensrechts zeitigt, wurde bis hierhin nicht ausdrücklich erläutert. Dies soll nunmehr nachgeholt werden. Teile der Literatur vertreten die Auffassung, dass der Befund rechtswidrig ausgeübter Machtoptionen geheilt werden könne. Eine entsprechende Anwendung

1935 Entnommen aus https://www.bayreuth.ihk.de/servicenavigation/ueber-uns/ehrenamt2/ ihk-gremien. 1936 Meyer, GewArch 2006, 227 (232).

V. Abbildung der Aufgabe Interessenrepräsentanz im Binnenrecht  

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des § 185 Abs. 2 BGB gestatte, dass die übergangene Vollversammlung durch Beschluss die Stellungnahme eines anderen Organs legalisiere.1937 Akte der Interessenrepräsentanz sollen nachträglich „abgesegnet“ werden können, weil sich eine IHK ad hoc positionieren müsse und eine ständige Präsenz der Vollversammlung nicht zu erwarten sei. Strengere Maßstäbe als die Möglichkeit nachträglicher Genehmigung seien weder „praktikabel“ noch „verhältnismäßig“.1938 Das BVerwG meint hingegen, dass Erklärungen und Stellungnahmen, die das Mandat zur Interessenrepräsentanz ausfüllen, nur zulässig und rechtmäßig seien, wenn sie „das durch Gesetz und Satzung vorgegebene Verfahren“ einhalten.1939 Anders als die vorstehenden Autoren hat das Bundesverwaltungsgericht damit den Faktoren Organisation und Verfahren die zutreffende Bedeutung für die Aufgabenwahrnehmung beigemessen. Denn es erachtet einen grundlegenden Verfahrensverstoß wie z. B. das Übergehen der Vollversammlung als gesetzwidrig und stellt ihn in seiner Wirkung der Überschreitung der Verbandskompetenz gleich. Unter Ansehung der bisherigen Erkenntnisse stellen die Ausführungen des Gerichts die allein folgerichtige Rechtsauffassung dar: Das „Gesamtinteresse“ ist das Ergebnis eines Verfahrens, das prinzipiell in der Zuständigkeit der Vollversammlung liegt. Wenn ein Verfahrensbestandteil missachtet wird, liegt keine rechtmäßige Aufgabenerfüllung im Sinne von § 1 Abs. 1 IHKG vor. Werden die Verfahrens- und Organisationsvorschriften gewahrt, besteht der entgegengesetzte Fall. Veröffentlicht die IHK Erklärungen, die den Bedürfnissen einzelner Kammerzugehöriger zuwiderlaufen oder in denen sich mehrere Mitglieder nicht vertreten sehen, ist dieser Befund von fehlender rechtlicher Bedeutung.1940 Zwar ergibt sich diese Sachlage als Seismograph, der mitteilt, dass das geltende Repräsentationskonzept mit Schwächen behaftet ist und in konkreten Bezügen der Komplettierung durch responsive Strukturen bedarf. Dies gilt insbesondere, wenn die Standpunkte ganzer Branchen oder Unternehmen einer bestimmten Betriebsgröße unbeachtet bleiben. Doch darf dies nicht an der Erkenntnis vorbeiführen, dass die rechtmäßige Verfahrensanwendung rechtmäßige Ergebnisse zeitigt. Das Handeln der Vertreter wird im Sinne der Rechtsfolgen des Repräsentationstatbestands den übrigen Kammerzugehörigen zugerechnet. Sie müssen es gegen sich als legitim geschehen und verbindlich erachten.1941

1937 So Möllering, Zur rechtlichen Überprüfung von Stellungnahmen der Industrie- und Handelskammern, des Deutschen Industrie- und Handelskammertages und der IHK-Landesarbeitsgemeinschaften, in: Kluth / Müller / Peilert (Hg.), FS Stober, 2008, 391 (407). Anders ders., GewArch 2011, 56 (59). Die Möglichkeit einer nachträglichen Heilung erachtet auch Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, § 1 Rn. 46 für möglich. 1938 Zitate bei Möllering, Zur rechtlichen Überprüfung von Stellungnahmen der Industrie- und Handelskammern, des Deutschen Industrie- und Handelskammertages und der IHK-Landesarbeitsgemeinschaften, in: Kluth / Müller / Peilert (Hg.), FS Stober, 2008, 391 (407). 1939 BVerwG, Urt. v. 23. Juni 2010 – 8 C 20/09 –, BVerwGE 137, 171 (Ls. 2). 1940 Löwer, GewArch 2000, 89 (97). 1941 Maßgeblich ist der Begriff der Repräsentation nach Max Weber (dazu näher in Fn. 1152).

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

Fehl geht demgegenüber die pauschale Annahme, nach der unter Berufung auf das „Gesamtinteresse“ gestattet wäre, dass Partikularinteressen von Mitgliedern oder Mitgliedsgruppen „hinter übergeordneten Interessen zurückstehen“ müssten.1942 Entscheidend ist vielmehr der Gedanke der Repräsentation. Danach muss ein Zurückstehen hinter „übergeordneten“ Interessen gerade nicht stattfinden, wenn eine abweichende Meinung im Verfahrensverlauf artikuliert wurde. Das Gesamtinteresse verlangt nicht, dass sich alle Interessenvertreter ehrfürchtig hinter der Deutungshoheit der Mehrheit versammeln.

VI. Kontrolle und andere Formen „guter“ Verwaltungsorganisation Die organisationsinternen und -externen Kontrollmöglichkeiten, die sich auf die Aufgabenerfüllung der IHK und die Tätigkeit ihrer Organe erstrecken, sollen nunmehr erörtert werden. In diesem Zusammenhang ist zuvörderst die Staatsaufsicht anzuführen (1.). Zu den weiteren Instrumenten, die sich auch als Bestandteile der Idee einer „guten“ Verwaltungsorganisation ergeben, zählen die Interorgankon­ trolle (2.), die Verfügbarkeit von Unterlassungsansprüchen (3.) sowie die Sicherung von Unbefangenheit (4.), Transparenz (5.) und Informationsrechten (6.). 1. Die Staatsaufsicht: Die Kontrollbeziehung Staat – Organisation Die Aufsicht stellt das „klassische“ Instrument dar, um der unmittelbaren Staatsverwaltung die Gelegenheit zu verschaffen, die Aufgabenwahrnehmung in der rechtlich verselbstständigten Verwaltungseinheit permanent zu kontrollieren. a) Staatsaufsicht als Notwendigkeit Der Gesetzgeber hat die IHK als Körperschaft des öffentlichen Rechts eingerichtet und mit dem Recht zur Selbstverwaltung ausgestattet. Die Aufgabenwahrnehmung, die die Organisation in der Folgezeit entfaltet, vollzieht sich jedoch nicht losgelöst von der unmittelbaren Staatsverwaltung. Stattdessen behält man sich staatlicherseits das Recht zum Eingriff in den laufenden Betrieb des verselbstständigten Verwaltungsträgers vor.

1942 So Günther, in: v. Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 83. EL Dezember 2019, § 1 IHKG Rn. 56. Auch Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 137, Rosenkranz, JURA 2009, 597 (601), Löwer, GewArch 2000, 89 (97) u. Möllering, in: Frentzel / Jäkel / Junge, IHKG, 7. Aufl. 2009, § 1 Rn. 6, 12 erwägen, dass die IHK im Einzelfall auch wissentlich gegen konkrete Einzel- oder Brancheninteressen antreten müsse, wenn diese dem wohlverstandenen Interesse aller Kammerzugehörigen zuwiderliefen.

VI. Kontrolle und andere Formen „guter“ Verwaltungsorganisation  

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Ob und in welchem Ausmaß die Staatsaufsicht prinzipiell mit der Eröffnung von Selbstverwaltungsoptionen verbunden ist, soll hier nicht entschieden werden.1943 Die Konstitution der IHK de lege lata zwingt aber jedenfalls zu der Auffassung, dass die im IHKG vorgesehene Staatsaufsicht eine „Essentiale“1944 bzw. ein notwendiges Korrelat1945 in Relation zur Überantwortung von Aufgaben an diesen Verwaltungstypus darstellt. Zumindest für diese Organisationsform funktionaler Selbstverwaltung ist die Aufsicht „wesensimmanent“1946 bzw. unverzichtbar1947. Die verwaltungswissenschaftliche Perspektive unterstützt diese Einsicht. Sie erkennt Gefahren für den Gesetzesvollzug, die mit dem steigenden Grad der Verselbstständigung auftreten, und fordert dazu auf, Steuerungsverluste, insbesondere eigenwillige und -nützliche Verhaltensweisen, bei den Verwaltungstrabanten zu verhüten.1948 Die verwaltungswissenschaftliche Erörterung korrespondiert mit der Anerkennung einer Funktionssicherungsfunktion, die zugleich als Zielmarke der Staatsaufsicht ausgegeben wird.1949 Unter Anwendung eines verfassungsrechtlichen Blickwinkels zwingt das demokratische Prinzip dazu, die Verfügbarkeit der Staatsaufsicht als unerlässlich für den selbstverwalteten Bereich anzuerkennen. Denn die danach geforderte sachlich-inhaltliche Legitimation ist nicht nur auf den Erlasszeitpunkt des Parlamentsgesetzes beschränkt. Damit die steuernde und begrenzende Funktion des Gesetzes, die im IHKG ohnehin kaum ausgeprägt ist, dauerhaft gewährleistet ist, tritt die Staatsaufsicht hinzu. Dieses Instrument ermächtigt und verpflichtet die demokratisch legitimierten Amtswalter in der unmittelbaren Staatsverwaltung, die Einhaltung des Rechts im Regelbetrieb zu überwachen. Eine verantwortlich ausgeübte Staatsaufsicht versetzt die Regierung in die Lage, parlamentarische Verantwortung zu übernehmen (Legitimationsfunk-

1943

Zu der Frage, ob der Typus Selbstverwaltung oder der Begriff der Körperschaft auch losgelöst von einer gleichzeitig vorzusehenden Staatsaufsicht gedacht werden kann, s. Knöpfle, Die Körperschaften des öffentlichen Rechts im formellen Sinn, in: Blümel / Merten / Quaritsch (Hg.), FS Ule, 1987, 93 (106 ff.); Heusch, Staatliche Aufsicht, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 15 Rn. 6 f. 1944 So allgemein für die Selbstverwaltung m. w. N. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 498. 1945 Mann, Berufliche Selbstverwaltung in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 146 Rn. 40; Möstl, Grundsätze und aktuelle Rechtsfragen der Staatsaufsicht über Kammern, in: Kluth (Hg.), JbKBR 2006, 2007, 33; Maurer / Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 23 Rn. 47; Burgi, Kommunalrecht, 6. Aufl. 2019, § 8 Rn. 27. 1946 Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd.1, 2. Aufl. 1953, S. 188. 1947 Breuer, Erledigung von Verwaltungsaufgaben durch Personalkörperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts – Aufgaben, Organisation, Verfahren und Finanzierung, in: Starck (Hg.), Beiträge zum ausländischen und vergleichenden öffentlichen Recht, 1992, 15 (44). 1948 Wagener, Typen der verselbständigten Erfüllung öffentlicher Aufgaben, in: ders. (Hg.), Verselbständigung von Verwaltungsträgern, 1976, 31 (40) prägte diesbezüglich die Erörterung der „Einflußknicks“, während Schuppert, Verwaltungsorganisation und Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsfaktoren, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Band 1, 2. Aufl. 2012, § 16 Rn. 75 den Begriff der „Steuerungsaufsicht“ als Pendant zur Dezentralisierung einführte. 1949 Heusch, Staatliche Aufsicht, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 15 Rn. 11.

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

tion).1950 Ein weiterer Begründungsstrang, der für die Notwendigkeit der Staatsaufsicht streitet, führt zum Rechtsstaatsprinzip und der darin enthaltenen Forderung nach der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung.1951 Wenngleich die IHK den Vorrang des Gesetzes nicht anzweifeln darf, kommt man nicht daran vorbei, ein geeignetes Instrumentarium zur Wahrung und Durchsetzung der rechtlichen Bindungen für den Ausnahmefall vorzuhalten. Insbesondere an diesem Punkt zeigt sich, dass die Staatsaufsicht ein Teilelement für ein resilientes Organisationsdesign darstellt. b) Staatsaufsicht de lege lata Auf die Rechtsbewahrungsfunktion lässt sich die Annahme gründen, dass die Staatsaufsicht tatbestandlich grundsätzlich auf die Überprüfung der Rechtsgewähr beschränkt ist.1952 Eine (tatbestandlich unbeschränkte) Fachaufsicht, die sogar Einwirkungen auf die in der Selbstverwaltungseinheit angestellten Zweckmäßigkeitserwägungen legitimiert, müsste dagegen auf hinzutretende Umstände gegründet werden.1953 Ganz auf dieser Linie liegt § 11 Abs. 1 S. 1 IHKG. Die Vorschrift bestimmt, dass die IHK der Aufsicht des Landes dahingehend unterliegt, dass „sie sich bei Ausübung ihrer Tätigkeit im Rahmen der für sie geltenden Rechtsvorschriften (einschließlich der Satzung, der Wahl-, Beitrags-, Sonderbeitrags- und Gebührenordnung)“ hält. § 12 Abs. 1 Nr. 3 IHKG eröffnet den Ländern die Option, ergänzende Vorschriften über die für die Wahrnehmung der Aufsichtsbefugnisse zuständigen Behörden zu erlassen.1954 Die Bundesländer haben auf dieser Grundlage die präventiven und repressiven Aufsichtsbefugnisse dem für die Wirtschaft zuständigen Ministerium zugewiesen.1955 1950

Heusch, Staatliche Aufsicht, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 15 Rn. 9; Möstl, Grundsätze und aktuelle Rechtsfragen der Staatsaufsicht über Kammern, in: Kluth (Hg.), JbKBR 2006, 2007, 33 (34). 1951 Heusch, Staatliche Aufsicht, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 15 Rn. 10; Siekmann, Welche Aufsicht braucht das Kammerwesen? – Anforderungen an staatliche Aufsicht und interne Kontrolle von Kammern, in: Schmidt-Trenz / Stober (Hg.), RÖDS 2009/2010, 2010, 85 (92). 1952 S. nur Kluth, Verfassungs- und europarechtliche Anforderungen an die Ausgestaltung der staatlichen Aufsicht bei der Übertragung der Aufgabe einer Einheitlichen Stelle auf die Industrie- und Handelskammer, in: ders. (Hg.), JbKBR 2007, 2008, 122 (126). 1953 § 1 Abs. 3a S. 4 IHKG enthält die Ermächtigung zur Regelung einer Fachaufsicht für eine abgegrenzte Verwaltungsaufgabe. Die mit § 15 Abs. 1 S. 4 IHKG-HH landesrechtlich begründete Fachaufsicht ist mit § 11 Abs. 1 S. 1 IHKG nur vereinbar, wenn sie sich auf durch Landesrecht überwiesene Auftragsangelegenheiten beschränkt, s. Heusch, Staatliche Aufsicht, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 15 Rn. 95. 1954 Dieser Vorschrift verfügt mit Blick auf Art. 84 Abs. 1 GG lediglich über einen deklaratorischen Charakter. 1955 So etwa mit § 43 Abs. 1 IHKG-SH. S. dagegen aber § 6 Abs. 1 S. 2 IHKG-Nds, wonach die Aufsicht in Angelegenheiten der Berufsbildung beim Kultusministerium liegt. Die weite-

VI. Kontrolle und andere Formen „guter“ Verwaltungsorganisation  

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Das Bundesrecht gibt teilweise die Aufsichtsmittel vor. Dies gilt insbesondere für die dem Organisations- und Verfahrensrecht zuzuordnenden Statuten. So bestimmt § 11 Abs. 2 IHKG, dass Beschlüsse der Vollversammlung – etwa über eine Änderung der Satzung – einer Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde bedürfen. Über die Normierung präventiver Aufsichtsmittel hinaus wirkt § 12 Abs. 1 Nr. 4 IHKG. Danach wird den Ländern gestattet, „die Aufsichtsmittel, welche erforderlich sind, um die Ausübung der Befugnisse gemäß § 11 Abs. 1 und 2 zu ermög­ lichen“, in Ausführungsgesetzen zu regeln. Thüringen hat von der Regelungsoption ausführlich Gebrauch gemacht. Zu den exemplarischen Aufsichtsmitteln gehören nach § 2 Abs. 2 IHKG-TH das Verlangen einer Unterrichtung (Nr. 1), die Beanstandung von Beschlüssen der Vollversammlung (Nr. 2), die Anordnungen zur Aufhebung beanstandeter Beschlüsse, zur Rückgängigmachung getroffener Maßnahmen sowie zur Veranlassung und Ausführung des zur Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustandes Erforderlichen (Nr. 3), die Aufhebung von Beschlüssen und die Ersatzvornahme (Nr. 4) und die Auflösung der Vollversammlung sowie die Bestellung eines Beauftragten (Nr. 5). Die Auflösung der Vollversammlung darf erst angeordnet werden, wenn die anderen Aufsichtsmittel erfolglos blieben (§ 2 Abs. 3 S. 1 IHKG-TH). Sowohl die Auflösung als auch die Neuwahl der Vollversammlung müssen sich überdies als geeignet darstellen, um künftigen Rechtsverstößen vorzubeugen. Ist dies nicht der Fall, muss ein Beauftragter eingesetzt werden, der die Aufgaben von Vollversammlung und Präsidium übernimmt (§ 2 Abs. 4 S. 1 IHKG-TH). Die überwiegende Mehrzahl der Bundesländer ließ allerdings nicht derart viel Sorgfalt walten. Sie haben sich darauf beschränkt, die Auflösung der Vollversammlung als schärfstes Schwert des Aufsichtsinstrumentariums ausdrücklich festzuschreiben.1956 Unter Rekurs auf den Auslegungsgrundsatz argumentum  a majore ad minus versetzen diese Vorschriften die Aufsichtsbehörden in die Lage, auch weniger belastende Mittel zu ergreifen.1957 Die Auflösung der Vollversammlung gelangt in rechtspraktischer Hinsicht wohl häufig auch nicht zur Anwendung, weil der Tatbestand der landesrechtlichen Ermächtigungen regelmäßig voraussetzt, dass eine zweimalige Aufforderung zur Einhaltung des Rechts vorangegangen und erfolglos geblieben sein muss.1958 Im Übrigen zwingt schon der (rechtsstaatliche) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Behörden dazu, die Aufsichtsmittel

ren landesrechtlichen Vorschriften weist Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 513 m. Fn. 684 nach. 1956 § 2 Abs. 1 S. 1 IHKG-NRW lautet bspw.: „Hält sich eine Industrie- und Handelskammer […] bei Ausübung ihrer Tätigkeit nicht im Rahmen der für sie geltenden Rechtsvorschriften, so kann ihre Vollversammlung von der Aufsichtsbehörde aufgelöst werden.“ Die weiteren Vorschriften aus dem Landesrecht weist Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 513 f. m. Fn. 689 nach. 1957 Heusch, Staatliche Aufsicht, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 15 Rn. 96. 1958 S. bspw. § 2 Abs. 1 S. 1 IHKG-NRW.

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

auszuwählen, die gleichermaßen zur Beseitigung des Rechtsverstoßes geeignet sind, aber eine geringere Belastung für die Selbstverwaltungseinheit bedeuten.1959 Nach einer Durchsicht der maßgeblichen Regelungen und vor der Folie des maßstabsbildenden Thüringer Ausführungsgesetz liegt die Empfehlung an die Landesgesetzgeber nahe, das geltende Aufsichtsrecht einer kritischen Durchsicht zu unterziehen. So ist etwa § 43 Abs. 2 S. 1 IHKG-SH die Maßgabe zu entnehmen, dass eine „Industrie- und Handelskammer“ durch Beschluss der Landesregierung auf Antrag des Wirtschaftsministeriums aufgelöst werden kann. Erst der Blick in das preußische Handelskammerrecht, in dem auch die Vertreterversammlung der Mitglieder als „Handelskammer“ bezeichnet wurde, erhellt, dass der Gesetzgeber tatsächlich nicht die Auflösung einer gesamten Verwaltungseinheit vor Augen hatte. Zwar ist es angängig, dem Trend einer Juridifizierung gesamter Sozialbereiche mit einem „schmalen“ Gesetz zu begegnen. Doch stellt die unüberlegte Gleichsetzung von „Handelskammer“ und „Industrie- und Handelskammer“ keine wirksame Strategie zur Begegnung einer befürchteten Normenflut dar. Auch darüber hinaus stellt sich die Frage, warum man von der Etablierung aller Aufsichtsmittel unter Beigabe prozeduraler Elemente absieht und sehenden Auges Konflikte in Kauf nimmt, die der Mangel an Rechtssicherheit leichtfertig zu erregen vermag. c) Verhältnis zum Individualrechtsschutz Für die Staatsaufsicht gilt im Allgemeinen ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, nach dem ihr Auftritt durch das öffentliche Interesse forciert sein muss.1960 Unter Verweis darauf nimmt die Literatur für die Rechtsaufsicht über die IHK ein Verständnis strenger Subsidiarität an. Danach habe sich die Aufsicht nur den Sachverhalten anzunehmen, in denen keine individuelle Rechtsschutz­ option zur Verfügung stehe.1961 Andernfalls wäre ein Eingriff in schwebende Verfahren zu besorgen. Ferner solle die Entscheidung der Verwaltungsgerichte zur Makulatur verkommen, wenn die Aufsichtsbehörde bereits die Sachfrage beurteilt habe. Erst recht stehe es einer Behörde nicht zu, die Rechtsmittel zu ersetzen, die der Betroffene versäumt habe.1962 1959

Heusch, Staatliche Aufsicht, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 15 Rn. 49 ff. u. 96; Kluth, Die aufgabenspezifische Eigenrationalität von Selbstverwaltung als Maßstab für die funktionsgerechte Ausgestaltung der Staatsaufsicht über Kammern, in: Schmidt-Trenz / Stober (Hg.), RÖDS 2009/2010, 2010, 103 (108). 1960 S. nur Heusch, Staatliche Aufsicht, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 15 Rn. 42 m. w. N. 1961 Jahn, WiVerw 2004, 133 (142); Heyne, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 11 Rn. 21 f. Für die HwK Eyermann, GewArch 1992, 209 (210 f.). Tendenziell gleichgerichtet Volino, Steuerung und Kontrolle der Kammerwirtschaft, 2013, S. 349, die aber in Fn. 1676 einschränkend bemerkt, dass eine „strenge Subsidiarität“ gegenüber den Rechtsschutzoptionen des Bürgers nicht bestehe. 1962 Heyne, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 11 Rn. 21.

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Zutreffend an dieser Auffassung ist lediglich die Annahme, dass dem „Dritten“ kein Anspruch auf das Einschreiten der Aufsichtsbehörde zusteht,1963 weshalb es einer darauf gerichteten Klage an der notwendigen Klagebefugnis fehlen würde. Doch darf die Forderung nach einer Bindung an das öffentliche Interesse nicht fehlgedeutet werden. Das Merkmal ist vielmehr vor dem Hintergrund der Funktionszuschreibungen der Staatsaufsicht zu verstehen. Zwar zielt auch die Rechtsschutzoption des „Dritten“ – man denke an die Klagebegehren von Kammerzugehörigen und die mit Interorgan- und Intraorganstreitigkeiten verfolgten Ansprüche – im Kern auf eine Sicherung der rechtmäßigen Tätigkeit der Organisation ab. Doch folgen diese Rechtsgarantien eigenen Logiken und Voraussetzungen. Bedenkt man, dass zu den Zwecken der Staatsaufsicht auch die Funktionssicherungsfunktion gehört, muss die Tatbestandsvoraussetzung sogar notwendigerweise zugunsten eines frühzeitigen Eingreifens des Aufsichtspflichtigen ausgelegt werden.1964 Die gleichzeitige Erledigung und Begünstigung von Drittinteressen im Wege des aufsichtlichen Einschreitens stellt sich bei Lichte betrachtet als reiner Rechtsreflex dar. Eine „Übersicherung“ der IHK mit Kontrollinstrumenten steht kaum zu befürchten. Würde man die Staatsaufsicht hingegen auf eine Reservefunktion beschränken, bedeutete dies, dass sie selbst bei einem offenkundig rechtswidrigen Verhalten der Kammer in die Zuschauerrolle verfallen müsste, nur weil ggf. der Individualrechtsschutz noch betätigt werden könnte.1965 Der Gedanke der Subsidiarität wird höchstens dann zum Tragen kommen können, wenn das Gesetz effektive Kontrollbeziehungen konstruiert. Deren Realisierung muss geeignet sein, das Instrumentarium der Staatsaufsicht als evident überflüssig dastehen zu lassen.1966 Da dies für das IHKG de lege lata nicht behauptet werden kann, verbleibt es bei dem Grundsatz. Danach fordert das Vorliegen eines öffentlichen Interesses die staatliche Aufsicht heraus, während der Bestand an Rechtsschutzoptionen für die fragliche Tätigkeit ihren Auftritt nicht sperrt. d) Gebietet die Aufgabe Interessenrepräsentanz einen Maßstab äußerster Zurückhaltung? Obwohl weder das IHKG noch die Ausführungsgesetze vorsehen, dass der Aufsichtsmaßstab in Abhängigkeit von der jeweils wahrgenommenen Aufgabe variiert, durchdenkt die Literatur für das Aufgabenfeld Interessenrepräsentanz einen 1963

S. nur Maurer / Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 23 Rn. 24. In diesem Sinne auch Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 531, der eine „Mediatorfunktion“ der Staatsaufsicht erörtert und den Bürger lediglich auf den individuellen Rechtsschutz verweisen möchte, wenn das öffentliche Interesse „ganz nachrangig“ sei oder „völlig“ fehle. 1965 Heusch, Staatliche Aufsicht, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 15 Rn. 42. 1966 Schröder, JuS 1986, 371 (374 f.). Gegen das Subsidiaritätsverständnis auch Möstl, Grundsätze und aktuelle Rechtsfragen der Staatsaufsicht über Kammern, in: Kluth (Hg.), JbKBR 2006, 2007, 33 (51). 1964

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

besonderen Maßstab. In diesem Zusammenhang müsse der Aufsichtspflichtige „äußerste Zurückhaltung“ wahren, weshalb die Behörde nur in „offenkundigen“ Missbrauchsfällen einschreiten dürfe.1967 Als wäre die Aufsicht in allen anderen Aufgabenfeldern im Sinne einer Fachaufsicht ausgestaltet, betont man, dass sie in diesem Zuständigkeitskomplex notwendig „reine Rechtsaufsicht“ unter Ausschluss jeder eigenen Ermessenserwägung über die Zweckmäßigkeit des Handelns sei.1968 In diese Stoßrichtung zielt auch die Erwägung, dass die Rechtsaufsicht für den Bereich der Wahrnehmung des Gesamtinteresses „praktisch kaum in Betracht“ käme. Erst ein „Aufruf zu gesetzeswidrigem Verhalten“ dürfe von den Aufsichtsbehörden untersagt werden.1969 Das IHK-Recht enthält keinen Anhaltspunkt für ein zweiklassiges Aufsichtsrecht in dem vorstehenden Sinne. Gegen einen devoten Auftritt der Rechtsaufsicht in Fragen der Interessenrepräsentanz sprechen auch die der Staatsaufsicht zugeschriebenen Zwecke. Nur schwerlich dürfte man zu der Ansicht gelangen, dass ein Aufgabenausschnitt der Kammer weitaus weniger demokratische und rechtsstaatliche Rückbindung erfordert.1970 Die aufsichtliche Tätigkeit in Rechtsfragen hat daher weder äußerste Zurückhaltung zu wahren noch das Einschreiten auf offenkundige Missbrauchsfälle zu beschränken. Wie bei allen anderen Aufgaben auch besteht der Auftrag darin, im wahrsten Sinne des Wortes reine Rechtsaufsicht zu leisten. Nicht von der Hand zu weisen ist indes, dass die Eigenart der Aufgabenbeschreibung in § 1 Abs. 1 IHKG rechtspraktische Schwierigkeiten für die staatliche Aufsicht hervorruft. Es ist unumgänglich, das Gesamtinteresse der kammerzugehörigen Unternehmen in einem repräsentativen Verfahren in der Vollversammlung zu ermitteln. Daher steht gegenwärtig kein ein für alle Male gültiges rechtmäßiges Verfahrensergebnis fest. Es ist in einem ersten Zugriff keine Rechtsfrage, was

1967 Zitate bei Heusch, Staatliche Aufsicht, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 15 Rn. 26 – Hervorh. i. O. In diesem Sinne bereits Binder, WiVerw 1979, 175–192. Tendenziell gleichgerichtet, aber mit abweichender Begründung Möstl, Grundsätze und aktuelle Rechtsfragen der Staatsaufsicht über Kammern, in: Kluth (Hg.), JbKBR 2006, 2007, 33 (38). Nach Eyermann, GewArch 1992, 209 (213) beschränkt sich die Aufsicht in diesem Rahmen auf die folgenden Fragen: „Wird die demokratische Verfahrensordnung in den Handwerkskammern eingehalten?“ und „Werden genügend Mittel für die Erfüllung der Pflichtaufgaben bereitgestellt?“. Mann, Berufliche Selbstverwaltung, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 146 Rn. 40 gelangt zu der missverständlichen Auffassung, wonach „die Staatsaufsicht im Feld der Interessenvertretung auf eine Kontrolle von Verfahrens-, Zuständigkeitsfragen sowie auf eine Mißbrauchskontrolle beschränkt“ bleibe. S. ferner Pieper, Aufsicht, 2006, S. 369 ff., der auf S. 373 fälschlicherweise annimmt, dass es sich bei den Körperschaften mit dem Auftrag zur Interessenrepräsentanz um einen Fall der „grundrechtsgetragenen Selbstverwaltung“ handele. 1968 Allgemeingültig Heusch, Staatliche Aufsicht, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 15 Rn. 26 – Hervor. i. O. 1969 Zitate bei Heyne, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 11 Rn. 11. 1970 So auch im allgemeinen Duktus Mann, Berufliche Selbstverwaltung, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 146 Rn. 40.

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die „wirtschaftlichen Interessen“ der Gewerbetreibenden sind. Wegen der Verfahrensgebundenheit können im Vorhinein keine Fallgruppen oder Leitlinien erdacht werden, die in jedem Fall eine Verletzung des Mandats bedeuten. Auch die Rechtsaufsicht muss erkennen, dass der Gehalt der Interessen der gewerblichen Wirtschaft der stetigen Ausfüllung bedarf und damit an den Eigenheiten des Interessebegriffs partizipiert. Diese Studie verwendet viel Platz darauf, die Bindungen aus Verfassung, Gesetz und Satzung für die Aufgabenwahrnehmung auszubreiten. Die Rechtsaufsicht hat die Einhaltung dieses Rahmens zu überwachen und muss den Respekt vor dem Recht nötigenfalls einfordern. So muss etwa die interessenrepräsentierende Tätigkeit auf einem rechtlich einwandfreien körperschaftsinternen Verfahren unter Wahrung der organisationsinternen Kompetenzverteilung beruhen, sich jedem Übergriff in den Bereich der Allgemeinpolitik enthalten, die Themensperre in § 1 Abs. 5 IHKG achten und den Anforderungen staatlicher Öffentlichkeitsarbeit genügen. Überall dort, wo diese Grenzen überschritten werden, beginnt indes der Wirkungsradius der Aufsichtsbehörden. e) Verwaltungspraxis Der Blick in die Verwaltungspraxis bedeutet, dass die rechtsaufsichtliche Tätigkeit über die IHK womöglich mit einem Befund weitgehender Teilnahmslosigkeit beschrieben werden muss. Bereits die beispielhaft in Bezug genommenen ge­ richtlichen Auseinandersetzungen, an deren Ende die Rechtswidrigkeit der Aufgabenwahrnehmung gleich unter mehreren Gesichtspunkten festgestellt wurde, er­regen Aufmerksamkeit. Es muss hinterfragt werden, warum in Anbetracht von derart offensichtlichen Rechtsverstößen keine Intervention mit Aufsichtsmitteln stattfand. Ins Gewicht fallen insbesondere die Berichte verschiedener Landesrechnungshöfe. Sie legen nahe, dass die Aufsicht das Pflichtenprogramm des § 11 Abs. 2 IHKG, d. h. die präventive Genehmigung von Organisationsstatuten, nur selten überschreitet. So stellte etwa der LRH NRW in seinem Bericht aus 2016 fest, „dass das für die Kammeraufsicht zuständige Ministerium seine Aufgabenwahrnehmung auf die gesetzlichen Genehmigungsvorbehalte und auf die Überprüfung von außen herangetragener vermuteter Rechtsverletzungen“ beschränkt habe. „Infolgedessen“ habe das Ministerium „bedeutsame Vorgänge rechtlich nicht überprüft“. Die bisherige Wahrnehmung der Aufsicht sei „nicht ausreichend“.1971 Nahezu gleichlautend bekannte der Thüringer Rechnungshof 2019: „Der Rechnungshof hat bei seinen Prüfungen der Industrie- und Handelskammern festgestellt, dass sich die Aufsichtstätigkeit des Ministeriums in zwei Drittel der Fälle auf Genehmigungen

1971

Zitate bei LRH NRW, Jahresbericht 2016, S. 176.

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von Satzungen beschränkte. Nur in rund 10 % dieser Fälle war die Entscheidung der Rechtsaufsicht in den Akten hinreichend dokumentiert. Darüber hinaus nahm das Wirtschaftsministerium Beschwerden von Kammermitgliedern auf und bat die Industrie- und Handelskammern hierzu um Stellungnahmen. Die Rechtsaufsicht beschränkte sich auf das Verlangen nach Unterrichtung […]. Der Rechnungshof hat […] gefordert, künftig die Jahresabschlussberichte sowie die Protokolle der Vollversammlungen und Präsidiumssitzungen der Industrie- und Handelskammern sorgfältiger zu prüfen, da diese Aufschluss über die Tätigkeiten und Entscheidungen der Kammern geben.“1972 Nicht unterschlagen werden sollen die Geschehnisse im Zusammenhang mit einer Prüfungsankündigung durch den Bayerischen Obersten Rechnungshof. Er musste im Oktober 2005 einen Sonderbericht zur „Behinderung der Prüfungstätigkeit“ anfertigen, nachdem sich das Staatsministerium für Wirtschaft entgegen des unmissverständlichen Wortlauts von Art. 95 BayHO geweigert hatte, seine Tätigkeit als Rechtsaufsichtsbehörde inhaltlich überprüfen zu lassen.1973 Ohnehin lässt sich der Eindruck gewinnen, dass die bayerische Aufsicht nur einem eingeschränkten Prüfprogramm Folge leistet, wenn das Staatsministerium für Wirtschaft bekennt, dass die eigene Tätigkeit „im Wesentlichen“ auf die „im IHKG festgesetzten Genehmigungstatbestände und auf die Übereinstimmung der Satzungen […] mit höherangigem [sic] Recht“ beschränkt sei.1974 Vorgänge aus der Freien und Hansestadt Hamburg legen hingegen die Erörterung von Interessenkonflikten zwischen Aufsichtspflichtigen und Selbstverwaltungseinheit nahe. Ebenda gaben Mitglieder des Präsidiums der Handelskammer ihr Ehrenamt auf, um das Amt des Wirtschaftssenators zu bekleiden.1975 Mit dem neuen Amt zeichneten sie sich für die Aufsicht über ausgerechnet die Körperschaft verantwortlich, der sie kurz zuvor noch ehrenamtlich vorstanden.

1972

Thüringer Rechnungshof, Jahresbericht 2019, S. 92. Bayerischer Oberster Rechnungshof, Jahresbericht 2011, S. 105; ders., Bericht über die Behinderung der Prüfungstätigkeit des Obersten Rechnungshofes v. 24. Oktober 2005, abrufbar unter https://www.orh.bayern.de/images/files/Sonderberichte/SB-IHK_2005.pdf. 1974 Bayerischer Landtag, Drs. 16/12086, S. 2. 1975 Angesprochen ist insbesondere Frank Horch, der am 12. Januar 2011 als Präses der HK  Hamburg zurücktrat, um ein politisches Amt anzustreben. Am 20. Februar 2011 stellte sich Horch der SPD als Kandidat für das Amt des Wirtschaftssenators zur Verfügung. Ab dem 23. März 2011 war er Wirtschaftssenator der Freien- und Hansestadt Hamburg und führte damit die Rechtsaufsicht über die HK Hamburg, der er zwei Monate zuvor noch als Präses vorstand (s. Bürgerschaft Hamburg, Drs. 20/8932, S. 5). Michael Westhagemann ist seit dem 1. November 2018 parteiloser Senator für Wirtschaft, Verkehr und Innovation der Freien- und Hansestadt Hamburg. Zuvor, bis zum Frühjahr 2017, war er Vizepräsident der HK Hamburg. 1973

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2. Die Interorgankontrolle – Ausprägungen eines organisationsinternen checks and balances Der Organstreit stellt ein Mittel dar, das die Idee eines organisationsinternen checks and balances1976 im Wege gegenseitiger Kontrolle durch das jeweilige Kontrastorgan sichert. Zwar kann damit keine allgemeine Rechtmäßigkeits­kontrolle angestrengt werden. Doch trägt der Organstreit dafür Sorge, dass die zum Nachteil eines Organs ausgeübte Machtoption vor den Verwaltungsgerichten verfolgbar wird. Nach dem hier vertretenen Verständnis kommt für die Aufgabe Interessenrepräsentanz nur eine Zuständigkeitsverteilung zwischen Vollversammlung und Präsidium in Betracht. Daher können einerseits die eigenmächtige Kompetenzerweiterung von Präsident und Hauptgeschäftsführer abgewehrt und andererseits die rechtmäßige Zuständigkeitsallokation im Verhältnis zwischen Vollversammlung und Präsidium erstritten werden. Hat eine selbstentmachtende Übertragung von Organkompetenzen stattgefunden, bedingt dieser Vorgang Folgewirkungen für die Auflösung eines Organstreits. Während man allein unter Ansehung von § 4 S. 1 IHKG zu der Ansicht gelangen müsste, dass der Vollversammlung ein Selbstbefassungsrecht zusteht, ist in den Fällen der Selbstentmächtigung dem Satzungsrecht das zuständige Organ zu entnehmen. Da die Satzungen unbestimmte Rechtsbegriffe und gegenseitige Kompetenzzuweisungen zwischen Vollversammlung und Präsidium verwenden, entstehen kompetenzielle Zweifelsfragen. Für deren Beant­ wortung gilt, dass die Satzungen im Lichte der gesetzgeberischen Wertung in § 4 S. 1 IHKG auszulegen ist. Es soll nicht verkannt werden, dass besondere verwaltungsprozessuale Hürden die Geltendmachung einer Kompetenzverletzung im Organstreitverfahren erschweren. Die herrschende Rechtsauffassung erachtet es für ausgeschlossen, dass ein einzelnes Organmitglied in Form einer Prozessstandschaft die Verletzung der Rechte „seines“ Organs beklagt und verweist hierfür auf den Wortlaut von § 42 Abs. 2 VwGO.1977 Unter diesen Bedingungen wird man darauf vertrauen müssen, dass sich die Organmehrheit zum Beschreiten des Klageweges entschließt, falls ihre Mitwirkungsrechte unterminiert wurden. Allerdings dürfte auch zu hinterfragen sein, ob der pauschale Hinweis auf eine unzulässige Form der Prozessstandschaft den Eigenheiten der Aufgabe Interessenrepräsentanz gerecht wird. Zweifel kommen insbesondere auf, wenn man die Verfahrensgebundenheit des

1976 Die Idee eines organisationsinternen checks and balances nimmt Anteil an den Ausführungen von Schäfer, „Checks and Balances“ im Verhältnis von Bürgermeister, Gemeindevorstand und Gemeindevertretung – nach der Kommunalverfassungsnovelle durch das Gesetz zur Stärkung der Bürgerbeteiligung und kommunalen Selbstverwaltung, in: Gornig / Kramer / Volkmann (Hg.), FS Frotscher, 2007, 685–703. 1977 Wahl / Schütz, in: Schoch / Schneider (Hg.), VwGO, Stand: 41. EL Juli 2021, § 42 Abs. 2 Rn. 100 m. w. N. (auch zur abw. Auffassung).

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Auftrags in Rechnung stellt und bedenkt, dass jedem Mitglied der Vollversammlung eine eigene Repräsentationsaufgabe zukommt. Auf diese Erwägungen kann die Annahme einer Subjektivierung der kompetenziellen Rechtspositionen gestützt werden. Wird die Organkompetenz der Vollversammlung übergangen, ist dies mit einer Verletzung des Mitgliedschaftsrechts im Kollegialorgan gleichzusetzen und eröffnet die Klagebefugnis i. S. v. § 42 Abs. 2 VwGO.1978 3. Der Unterlassungsanspruch: Die Kontrollbeziehung Kammerzugehörige – Organisation Während die Inter- und Intraorgankontrolle ein Schattendasein in der IHK fristet, muss die sog. Mitgliederklage als breit frequentiertes organisationsinternes Kontrollinstrumentarium in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt werden. Der Unterlassungsanspruch dient der Mobilisierung der Kammerzugehörigen für die Durchsetzung des Rechts1979. Hier besteht ein Mechanismus, der die Funktionen (Selbst-)Kontrolle und Kritik bündelt und Handlungsalternativen aufzeigt. Diese Bedeutung verkennen Teile der Literatur, wenn sie die „praktische Notwendigkeit für ein solches Klagerecht“ anzweifeln und verlautbaren, dass schon jetzt eine „Menge unnützer Prozesse“ generiert worden sei.1980 Nicht minder gilt dies für Erwägungen, die in dem Klagerecht der Kammermitglieder die Verleihung „qausi-aufsichtliche[r] Befugnisse“ erkennen,1981 falls damit nahegelegt werden soll, dass es sich leidglich um das verfehlte Duplikat einer schon gewährleisteten Kontrolloption handelt. Es verdient Beachtung, dass andere Teile der Literatur und das Bundesverfassungsgericht über die Kompensation und die Schaffung eines organisationsinternen Ausgleichs für die fehlende Exit-Option in der IHK nachdenken, wenngleich die Überlegungen jeweils ohne Verweis auf die maßgebliche Studie von Albert Hirschman auskommen. Nimmt man das Essay zur Hand, muss man diese Rechtsgarantie ohne Umschweife als Ausprägung der Voice-Option anerkennen. Sie ist in einer Organisationsverfassung ohne Exit-Option unerlässlich. Dies gilt für den öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch in seiner grundlegenden Form, weil der Kammerzugehörige gegenüber seiner Organisation die rechtswidrige Inanspruchnahme von Organisationszweck und -ressourcen beklagen kann. Nicht weniger trifft die Annahme für das „verlängerte“ Einflussnahmerecht gegenüber der eigenen Organisation im Hinblick auf dessen Beteiligung an einem Verband 1978 Dass den Mitgliedern von Kollegialorganen ein subjektives Recht auf Abgabe ihrer Stimme zusteht, bemerkt auch Erichsen, Der Innenrechtsstreit, in: ders. / Hoppe / v. Mutius (Hg.), FS Menger, 1985, 211 (229) m. w. N. 1979 Formuliert in Anlehnung an Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997. 1980 Möllering, GewArch 2011, 56 (60). 1981 Kluth, NVwZ 2002, 298 (300).

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höherer Ordnung zu, weil das Kammermitglied auch in dieser Relation auf die Abkehr vom Organisationsziel aufmerksam machen kann. Mit der Verfügbarkeit einer Drohkulisse, die die eventuelle Geltendmachung der Ansprüche zum Inhalt hat, kann bereits präventiv auf die Einhaltung der Zwecksetzung hingewirkt werden. Bei Lichte besehen lässt die pflichtmitgliedschaftliche Konstitution die Drohkulisse aber nicht als besonders wirkmächtig erscheinen. Denn die Rechtsfolge besteht im ungünstigsten Falle darin, dass ein Vorgang rückblickend und nach Durchführung eines möglicherweise langwierigen gerichtlichen Verfahrens für rechtswidrig erklärt und die IHK zur Beseitigung dieses Zustands verpflichtet wird. Doch erweist sich dieser Hergang, der mit einigem zeitlichen Abstand etwa die Anordnung zum Unterlassen der weiteren Verbreitung eines Positionspapiers zur Folge haben könnte, oftmals als von lediglich symbolischer Bedeutung. Im „Zeitalter des Internets“ mitsamt den vorhandenen Vervielfältigungsmöglichkeiten vermag eine vollständige Beseitigung kaum zu gelingen. Fraglich ist ohnehin, ob man das Kammermitglied in den Stand einer nacheilenden Rechtsaufsicht erheben möchte. Die Möglichkeit andauernder Prozessführung steht unter dem Vorbehalt zeitlicher und finanzieller Ressourcen. Auch die Ökonomie der Aufmerksamkeit wirkt zulasten des klagenden Organisationsmitglieds und der Effektivität seiner Rechte. Wird das verwaltungsgerichtliche Verfahren erst nach Jahren beendet, sind die ursprünglich handelnden und verantwortlichen Organwalter aus dem Amt geschieden. Die Präsenzchancen für den beklagten Vorgang im organisationsinternen Diskurs verringern sich auf ein Minimum. Die Funktion der Selbstkontrolle kann dem Unterlassungsanspruch unter diesen Vorzeichen nur noch schwerlich beigemessen werden. Selbst wenn Verwaltungsgerichte eine IHK zum Austritt aus einer Dachvereinigung verpflichten würden, steht nicht mit Sicherheit fest, dass weitreichende Folgewirkungen zu besorgen wären. Immerhin ist bisher ungeklärt, wie damit umzugehen wäre, wenn sich die Vollversammlung der betreffenden IHK auf Grundlage eines mehrheitlich getroffenen Beschlusses zum sofortigen Wiedereintritt entschließen würde. Die Bemühungen und Absichten des Organisationsmitglieds könnten im Handumdrehen überspielt werden. Die fehlende Exit-Option für das klagende und mit der Organisationsführung unzufriedene Kammermitglied wirkt auch diesbezüglich limitierend, um der Zielsetzung eines optimalen Organisationsdesigns näher zu kommen.

4. Interessenkollision und Befangenheit Verbote der Mitberatung und -entscheidung für den Fall der Befangenheit sind selbstverständlicher Bestandteil vieler Fachgesetze. Sie sollen befürchtete oder tatsächliche Interessenkollisionen zwischen amtlicher und privater / beruflicher Sphäre der Amts- und Mandatsträger verhüten. Dass solche Rechtssätze, mit denen zugleich die Bindung an das objektive Recht betont und ein vorbeugend wirkendes

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

Instrument der Verwaltungskontrolle verfasst wird, im IHKG nicht aufgefunden werden können, erzeugt einstweilen Argwohn. a) Grundlagen der Befangenheit Vorgaben über die Befangenheit oder eine Besorgnis der Befangenheit lassen sich auf Ebene des Parlamentsgesetzes etwa in den Verwaltungsverfahrensgesetzen feststellen (s. §§ 20 f. VwVfG, §§ 16 f. SGB X u. §§ 82 ff. AO).1982 Die Normen verwenden einen gemeinsamen Befangenheitsbegriff.1983 Eine besondere Beachtung verdient mit Blick auf diese Studie, dass der Geltungsbereich der Vorgaben gem. §§ 20 Abs. 4, 21 Abs. 2 VwVfG auf das Verfahren der Kollegialgremien i. S. d. § 88 VwVfG erstreckt wird. Ausschließungsgründe aufgrund angenommener Befangenheit dürften insbesondere aus dem Kommunalverfassungsrecht bekannt sein. Ebenda gilt der Grundsatz, dass sich ehrenamtlich tätige Bürger und Gemeindevertreter in einer Angelegenheit nicht beteiligen dürfen, wenn die Tätigkeit oder die Entscheidung in der Angelegenheit ihnen selbst oder Personen in einer bestimmten Nähebeziehung einen unmittelbaren Vor- oder Nachteil bringen kann.1984 Neben Vor- und Nachteilen wirtschaftlicher oder finanzieller Art, sind auch solche ideeller, ethischer, wissenschaftlicher, privater oder familiärer Art von Bedeutung.1985 Bereits die Möglichkeit, dass ein Vor- oder Nachteil eintreten könnte, wird als ausreichend für den Ausschluss erachtet, um den „bösen Schein“ einer unzulässigen Einflussnahme abzuwenden.1986 Die Gemeindevertretung entscheidet im Streitfall, ob ein Ausschließungsgrund vorliegt.1987 Der Ausschluss von der Mitwirkung findet nicht nur im Zeitpunkt der Beschlussfassung Anwendung, sondern wird auch auf die Teilnahme an der Beratung und die bloße Beobachtung des Verhandlungsablaufs erstreckt.1988 Mit diesem umfassend verstandenen Handlungs-, Mitwirkungsbzw. Einflussverbot erfährt die das Kollegialprinzip kennzeichnende enge Verbindung von Beratung und Entscheidung eine besondere Anerkennung.1989 1982

Für das Vergaberecht trifft § 6 Vergabeverordnung (VgV) Vorgaben, um Interessenkonflikten vorzubeugen. Dabei sticht § 6 Abs. 3 VgV mit dem Inhalt von vermuteten Interessenkonflikten für bestimmte Personenkreise hervor. 1983 S. die Analyse bei Streit, Entscheidung in eigener Sache, 2006, S. 44 ff. 1984 S. bspw. § 22 Abs. 1 GemO SH. Dass es sich bei dieser Bestimmung tatsächlich um einen Grundsatz handelt, der die Rechtslage aller Kommunalverfassungen durchzieht, belegt die Darstellung und Erläuterung bei Gern / Brüning, Deutsches Kommunalrecht, 4. Aufl. 2019, Rn. 674 ff. 1985 Borchert / e. Bureiasi, in: Praxis der Kommunalverwaltung Schleswig-Holstein, B-1, Stand: 21. Fassung September 2019, § 22 GemO Rn. 7. 1986 Borchert / e. Bureiasi, in: Praxis der Kommunalverwaltung Schleswig-Holstein, B-1, Stand: 21. Fassung September 2019, § 22 GemO Rn. 8; Gern / Brüning, Deutsches Kommunalrecht, 4. Aufl. 2019, Rn. 675. 1987 § 22 Abs. 4 S. 1 f. GemO SH. 1988 § 22 Abs. 4 S. 3 GemO SH. 1989 Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 295.

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Für die Vorschriften des Kommunalrechts kann davon ausgegangen werden, dass ein Gleichlauf mit den Vorgaben aus § 20 Abs. 1 VwVfG besteht.1990 Insofern überrascht es nicht, wenn die Gemeindeverfassung Ausnahmen von der grundsätzlich anzunehmenden Befangenheit vorsieht, die auch § 20 Abs. 1 S. 3 VwVfG bereithält. Die Rechtsfolge des Ausschlusses ist im Kommunalrecht suspendiert, wenn der Vor- oder Nachteil ausschließlich darauf beruht, dass die Person einer Berufs- oder Bevölkerungsgruppe angehört, deren gemeinsame Interessen durch die Angelegenheit berührt werden (Betroffenheit des Gruppen- oder Kollektivinteresses). Wahlen und Abberufungen sowie andere Beschlüsse, mit denen ein Kollegialorgan eine Person aus seiner Mitte auswählt und entsendet, sind von den Rechtsfolgen der Befangenheit ebenfalls ausgenommen.1991 Die Mitwirkung eines von Ausschließungsgründen betroffenen Mitglieds hat die Ungültigkeit des Beschlusses nur zur Folge, wenn sie für das Abstimmungsergebnis entscheidend war.1992 Überdies kann der Verstoß grundsätzlich nicht mehr nach Ablauf eines Jahres geltend gemacht werden.1993 Der Geltungsgrund des Unbefangenheitsgebots dürfte aus dem Inhalt der Normen bereits hinreichend deutlich geworden sein. Im Vordergrund stehen Erwägungen über die Fremdverantwortung der Verwaltungstätigkeit, deren Wurzeln im Rechtsstaatsprinzip liegen. Die Erledigung von Angelegenheiten in Wahrnehmung des Amtes muss uneigennützig erfolgen und von den persönlichen Motiven strikt getrennt werden.1994 Unbefangenheit bedeutet  – positiv gewendet  – eine Parteinahme für das Recht.1995 Subjektive Interessen und persönliche Stellungnahmen sollen ausscheiden, weil sie den Auftritt im Namen einer Partei kennzeichnen.1996 Weiterhin tragen die Zwecke der Objektivität und Sachlichkeit derartige Bestimmungen. Hinzu tritt das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität von Verfahren und Entscheidung. Es soll eine Anwendung des Rechts frei von sachfremden, subjektiven Einstellungen des zur Entscheidung Berufenen garantiert werden.1997 b) Befangenheit de lege lata Die Satzungen mehrerer Kammern enthalten Regeln, die die Mitwirkung in der Vollversammlung im Rahmen der Stimmabgabe und teilweise sogar im vorgelagerten Beratungskontext für als befangen geltende Mitglieder ausschließen. Darin heißt es etwa, dass ein Mitglied nicht mitwirken darf, „wenn ein Beschluss ihm 1990

Streit, Entscheidung in eigener Sache, 2006, S. 46. S. bspw. § 22 Abs. 3 GemO SH. 1992 § 22 Abs. 5 Nr. 1 GemO SH. 1993 § 22 Abs. 5 Nr. 2 GemO SH. 1994 Gern / Brüning, Deutsches Kommunalrecht, 4. Aufl. 2019, Rn. 675. 1995 Kirchhof, VerwArch 66 (1975), 370 (371). 1996 Kazele, Interessenkollisionen und Befangenheit im Verwaltungsrecht, 1990, S. 20. 1997 Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 295 m. w. N. 1991

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selbst, seinem Ehegatten, seinen Verwandten bis zum dritten oder Verschwägerten bis zum zweiten Grade oder einer von ihm kraft gesetzlicher oder rechtsgeschäftlicher Vollmacht vertretenen Person einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil bringen kann“.1998 Auch Geschäftsordnungen schreiben derartige Regelsysteme fest.1999 In der IHK Halle wird der Ausschluss für Beratung und Entscheidung auf alle ehrenamtlich Tätigen erstreckt,2000 mithin organunabhängig formuliert. Die Rechtslage in den IHK-Bezirken Koblenz, Mainz und Trier sticht hervor, weil sie jeweils ausdrücklich auf die entsprechenden Vorschriften aus der Gemeindeordnung Bezug nimmt. In Zweifelsfällen entscheidet hier die Vollversammlung über das Vorliegen des Ausschließungsgrundes.2001 Mehrere Kammern flankieren die Maßgaben mit Bestimmungen, die vorsehen, dass die Gültigkeit von Beschlüssen nicht davon berührt wird, wenn als befangen geltende Mitglieder sich entgegen

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Wortlaut entnommen aus § 5 Abs. 7 Satzung IHK Dortmund. Gleichgerichtet § 4 Abs. 9 Satzung IHK Aachen; § 5 Abs. 5 S. 4 Satzung IHK Arnsberg (hier: der Ausschluss bezieht sich nur auf die Mitwirkung im Rahmen der Stimmabgabe); § 4 Abs. 6 S. 9 Satzung IHK Bochum; § 5 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Chemnitz (hier: der Ausschluss bezieht sich nur auf die Mitwirkung im Rahmen der Stimmabgabe für selbst betroffene Mitglieder); § 4 Abs. 9 Satzung IHK Duisburg; § 3 Abs. 7 S. 4 Satzung IHK Düsseldorf (hier: der Ausschluss bezieht sich nur auf die Mitwirkung im Rahmen der Stimmabgabe); § 5 Abs. 5 S. 8 Satzung IHK Essen; § 4 Abs. 6 Satzung IHK Gera; § 7 Abs. 5 Satzung IHK Hannover (hier: der Ausschluss bezieht sich nur auf die Mitwirkung im Rahmen der Stimmabgabe); § 3 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK Kassel (hier: der Ausschluss bezieht sich nur auf die Mitwirkung im Rahmen der Stimmabgabe); § 6 Abs. 8 S. 1 Satzung IHK Köln (hier: der Ausschluss bezieht sich nur auf die Mitwirkung im Rahmen der Stimmabgabe); § 5 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Krefeld (hier: der Ausschluss bezieht sich nur auf die Mitwirkung im Rahmen der Stimmabgabe); § 7 Abs. 8 Satzung IHK Leipzig (hier: der Ausschluss bezieht sich nur auf die Mitwirkung im Rahmen der Stimmabgabe); § 5 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK Limburg (hier: der Ausschluss bezieht sich nur auf die Mitwirkung im Rahmen der Stimmabgabe); § 5 Abs. 8 S. 1 Satzung IHK Münster; § 3 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK Offenbach (hier: der Ausschluss bezieht sich nur auf die Mitwirkung im Rahmen der Stimmabgabe); § 6 Abs. 7 S. 2 Satzung IHK Osnabrück (hier: der Ausschluss bezieht sich nur auf die Mitwirkung im Rahmen der Stimmabgabe); § 5 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK Reutlingen (hier: der Ausschluss bezieht sich nur auf die Mitwirkung im Rahmen der Stimmabgabe für selbst betroffene Mitglieder); § 5 Abs. 6 Satzung IHK Rostock; § 4 Abs. 6 Satzung IHK Saarbrücken (hier: der Ausschluss bezieht sich nur auf die Mitwirkung im Rahmen der Stimmabgabe); § 3 Abs. 4 Satzung IHK Stade; § 4 Abs. 3 Satzung IHK Suhl; § 4 Abs. 6 Satzung IHK Villingen-Schwenningen. 1999 § 1 Abs. 3 Geschäftsordnung IHK Gießen; § 16 Geschäftsordnung IHK Wuppertal i. d. F. v. 17. Mai 2017 (hier: Soll-Regelung im Hinblick auf das Erwachsen eines unmittelbaren Vor- oder Nachteils für das Vollversammlungsmitglied selbst, der Familie oder des Unternehmens). 2000 § 4 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Halle. 2001 § 5 Abs. 6 S. 3 ff. Satzung IHK Koblenz: „Ein Mitglied […] darf nicht beratend oder entscheidend an der Beschlussfassung mitwirken, wenn ein Ausschließungsgrund im Sinne von § 22 Abs. 1 und 2 GemO vorliegt. Liegt ein solcher Ausschließungsgrund vor oder sprechen Tatsachen dafür, dass ein solcher Grund vorliegen könnte, so hat das Vollversammlungsmitglied dies dem Präsidenten vor der Beratung oder Entscheidung mitzuteilen. In Zweifelsfällen entscheidet die Vollversammlung über das Vorliegen eines Ausschließungsgrundes in nichtöffentlicher Sitzung bei Abwesenheit des Betroffenen, der vor der Entscheidung anzuhören ist. § 22 Abs. 4 und 6 GemO gelten entsprechend.“ Wortlautgleich § 5 Abs. 8 Satzung IHK Mainz und § 5 Abs. 4 Satzung IHK Trier.

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dem Handlungsverbot an der Entscheidung beteiligt haben.2002 Das Satzungsrecht der übrigen 50 Kammern enthält keine dieser Maßgaben.2003 c) Befangenheit in der IHK? Für die in § 1 Abs. 2 IHKG genannten Aufgaben ist unmittelbar einsichtig, dass die eingangs bezeichneten Sinngehalte für Beschlussfassungen der Vollversammlung eine Aktualisierung erfahren. Auf Grundlage dieser Vorschrift kann eine IHK Anlagen und Einrichtungen, die der Förderung der gewerblichen Wirtschaft oder einzelner Gewerbezweige dienen, begründen, unterhalten und unterstützen sowie Maßnahmen zur Förderung und Durchführung der kaufmännischen und gewerblichen Berufsbildung treffen.2004 Die dazugehörigen Beschlüsse lösen Unternehmungen, Investitionen, Beteiligungen und Aufträge aus, die einen persönlichen Sondervorteil für Organmitglieder oder nahestehende Personen begründen können. Wirken unmittelbar durch den Beschluss begünstigte Vollversammlungsmitglieder hier mit, wird das Vertrauen der Kammermitglieder in eine unvoreingenommene Entscheidungsfindung, die an dem Wohl der gesamten Verwaltungseinheit orientiert ist, empfindlich tangiert. Auch darüber hinaus ist denkbar, dass Beschaffungsvorgänge, die zur Aufrechterhaltung des laufenden Verwaltungsbetriebs getätigt werden (z. B. Büroausstattung), das Bedürfnis nach einem Mitwirkungsverbot für ehrenamtliche Mitglieder hervorrufen, um die Integrität des Entscheidungsmodus sicherzustellen.2005 Vor diesem Hintergrund stellen die dargestellten Satzungen prinzipiell einen sinnvollen Teilbeitrag dar, um Glaubwürdigkeitskrisen für die gesamte Organisa 2002 § 4 Abs. 9 S. 2 Satzung IHK Duisburg lautet etwa: „Die Gültigkeit von Beschlüssen wird nicht davon berührt, dass Mitglieder nach Satz 1 nicht stimmberechtigt gewesen sind.“ Sinngleich § 7 Abs. 6 Satzung IHK Hannover, § 6 Abs. 8 S. 2 Satzung IHK Köln, § 5 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK Krefeld, § 7 Abs. 9 Satzung IHK Leipzig, § 5 Abs. 8 S. 1 Satzung IHK Münster und § 6 Abs. 8 Satzung IHK Osnabrück. 2003 Es handelt sich – soweit ersichtlich – um die Satzungen der IHK-Bezirke Aschaffenburg, Augsburg, Bayreuth, Berlin, Bielefeld, Bonn, Braunschweig, Bremen, Coburg, Cottbus, Darmstadt, Detmold, Dillenburg, Dresden, Emden (hier: § 6 Abs. 6 enthält eine Ermächtigung, um das übrige Verfahren in einer Geschäftsordnung zu regeln), Erfurt, Flensburg, Frankfurt a. M., Frankfurt (Oder), Freiburg, Fulda, Hagen, Hamburg (hier: § 7 Abs. 12 enthält eine Ermächtigung, um das übrige Verfahren in einer Geschäftsordnung zu regeln), Hanau, Heidenheim, Heilbronn, Karlsruhe, Kiel, Konstanz, Lübeck, Ludwigshafen, Lüneburg, Magdeburg (hier: § 6 Abs. 7 erhält eine Ermächtigung, um das übrige Verfahren in einer Geschäftsordnung zu regeln), Mannheim, München, Neubrandenburg, Nürnberg, Oldenburg, Passau, Pforzheim, Potsdam, Regensburg, Schwerin, Siegen, Stuttgart, Ulm, Villingen-Schwenningen, Weingarten, Wiesbaden und Würzburg. 2004 Dass die IHK auch zu Tätigkeiten auf Grundlage von § 1 Abs. 1 ermächtigt wird, die eine Nähe zu den in § 1 Abs. 2 IHKG genannten Aktivitäten aufweisen, hat das BVerwG judiziert (dazu näher unter C. III. 2. a) aa)). 2005 Welche Bedeutung diesen Entscheidungen in der Verwaltungspraxis zukommt, kann hier nicht beurteilt werden. Nach einer Durchsicht der Satzungen ist naheliegend, dass bei so gelegenen Sachverhalten oftmals der Hauptgeschäftsführer entscheidungsbefugt ist. Denn er führt

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tion mit der naheliegenden Folge ansteigender Apathie unter den Mitgliedern zu verhüten. Wenn über die vorgenannten Gegenstände auch das Präsidium entscheiden kann, sind die Regelungskonzepte aber als inkonsistent zu kritisieren, weil sie nur den Entscheidungsmodus der Vollversammlung erfassen. Es ist aber nicht ersichtlich, dass und warum ein Präsidiumsmitglied über eine höhere Einsicht und Fähigkeit zur Vermeidung von Interessenkonflikten verfügen sollte. Unter der Annahme, dass dennoch eine differenzierte Behandlung der beiden Kollegialorgane denkbar wäre, müssten Befangenheitsvorgaben naheliegenderweise zuvörderst im Präsidium Platz greifen. Denn das Präsidium verfügt im Vergleich zur Vollversammlung über eine deutlich geringere Anzahl von Mitgliedern. Der Wert der einzelnen Stimme ist im Präsidium besonders hoch. Ebenda kann noch schlechter verhütet werden, dass sich der „böse Schein“ eines Näheverhältnisses zum Beratungsgegenstand oder ein tatsächlich vorhandener Interessenkonflikt auf den Entscheidungskontext auswirkt. Begründungsbedürftig ist weiterhin, warum der Präsident und der Hauptgeschäftsführer von den Rechtsfolgen der Befangenheit suspendiert sein sollen. Auch für diese Organe sind Fallgestaltungen denkbar, in denen droht, dass die Wahrnehmung der Vertretungsmacht auf der Grundlage sachfremder Erwägungen erfolgt. Unter Anwendung der Maßstäbe, die aus dem Gemeindeverfassungsrecht bekannt sind, kommt eine Befangenheit der Vollversammlungsmitglieder für Beschlüsse über die Wahl-, Beitrags-, Sonderbeitrags- und Gebührenordnung (s. § 4 S. 2 Nr. 2 IHKG) schon gar nicht in Betracht.2006 Immerhin ist ausgeschlossen, dass diese Beschlüsse einen persönlichen Sondervorteil für ein einzelnes Vollversammlungsmitglied im Vergleich zu allen anderen Kammerzugehörigen begründen könnten. Für Wahlen und Abberufungen sowie andere Beschlüsse, mit denen ein Kollegialorgan eine Person aus seiner Mitte bestellt oder sie zur Wahrnehmung von Belangen der IHK in eine andere Organisation entsendet, dafür vorschlägt oder daraus abberuft, sollte klargestellt werden, dass das Unbefangenheitsgebot nicht gilt. Hier sind  – entsprechend der Rechtslage in den Kommunalverfassungen  – offene Interessenkollisionen zu tolerieren. Sie werden vom „Wählerwillen“ zumindest dergestalt getragen, dass andernfalls eine Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse eintreten würde.

die Geschäfte der IHK, ist der Vollversammlung sowie dem Präsidium für die ordnungsgemäße Durchführung der Geschäfte der IHK verantwortlich (s. etwa § 9 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Kiel) und gilt als allein vertretungsberechtigt für die Geschäfte der laufenden Verwaltung (s. etwa § 11 Abs. 3 Satzung IHK Kiel). 2006 So auch Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 439. Rickert, in: Junge / Jahn /  Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 5 Rn. 103 nennt beispielhaft die Beschlussfassung über Grundfreibeträge und Umlage.

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d) Notwendigkeit einer Regelung im Gesetz Es stellt sich die Frage, ob die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Befangenheit in einem Maße bekannt sind, dass es sich um einen alle Rechtsgebiete erfassenden Grundsatz handelt. Die zum IHKG ergangene Literatur nimmt dies an und verweist zur Begründung auf § 181 BGB. Aus der Vorschrift könne der allgemein anerkannte Gedanke entnommen werden, nach dem „bei Interessenkollisionen die Ausübung der mit einem Amt verbundenen Befugnisse nicht statthaft“ sei.2007 Die sich aus dieser Auffassung ergebende Schlussfolgerung ist, dass es keiner Entschließung in Gesetz oder Satzung bedürfte, um den Befangenheitsregeln Geltung zu verschaffen. Doch enthält diese Sichtweise argumentative Schwächen. Immerhin kennt das zivilrechtliche Institut zahlreiche Ausnahmen von dem Verbot des Insichgeschäfts. Bereits der Tatbestand nimmt Rechtsgeschäfte aus, die ausschließlich in der Erfüllung einer Verbindlichkeit bestehen. Weiterhin wird das Bedürfnis für eine teleologische Reduktion der Norm allgemein anerkannt, wenn es sich um ein lediglich rechtlich vorteilhaftes oder neutrales Geschäft für den Vertretenen handelt, weil in dieser Konstellation ein Interessenwiderstreit als ausgeschlossen gilt.2008 Auch findet § 181 BGB keine Anwendung im Fall einer gesetzlichen Erlaubnis und für Rechtsgeschäfte, die vom Vertretenen gestattet wurden.2009 Die Vielfalt der Korrekturen an Tatbestand und Rechtsfolgen des § 181 BGB zeigt, dass die Schutzzwecke im Bürgerlichen Recht vor allem aus Sicht des Vertretenen bestimmt werden. Gründet man den Zweck der Befangenheit hingegen auf das Rechtsstaatsprinzip und Erwägungen über die Herstellung eines integren Verfahrens, darf nicht erheblich sein, ob die Entscheidung für die vertretenen Kammerzugehörigen vorteilhaft oder neutral zu bewerten ist. Anders als im Zivilrecht muss es sich im Öffentlichen Recht notwendigerweise um eine Ordnungsvorschrift handeln. Die Erstreckung der Befangenheit auf Gründe in der Person eines Dritten, die Ausnahmen von einer grundsätzlich anzunehmenden Befangenheit und die Reichweite der Rechtsfolge sind Regelungsmaterien, die unter Ansehung der Eigenheiten des in Rede stehenden Sozialbereichs gesondert bestimmt werden müssen. Für die Kollegialgremien der IHK kommt hinzu, dass zwingend zu determinieren ist, wer im Streitfall über das Vorliegen der Befangenheit berät und entscheidet. Nach alledem bleibt festzuhalten, dass keinesfalls ein rechtsgebietsübergreifendes Verständnis zu erkennen ist. Würde man dennoch annehmen, dass ein für alle Rechtsgebiete einheitlicher Begriff der Befangenheit existiert, die Ausnahmen

2007

Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 5 Rn. 103 – Hervorh. i. O. Schubert, in: Säcker / Rixecker / Oetker / Limperg (Hg.), BGB, Bd. 1, 8. Aufl. 2018, § 181 Rn. 32 m. w. N. 2009 Schubert, in: Säcker / Rixecker / Oetker / Limperg (Hg.), BGB, Bd. 1, 8. Aufl. 2018, § 181 Rn. 69 ff. u. 99. 2008

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hierzu zweifellos bekannt und die Rechtsfolgen klar umrissen sind, würde nach den Grundsätzen des Parlamentsvorbehalts eine ausdrückliche Festschreibung im IHKG notwendig werden. Denn das Handlungsverbot greift in das umfassend verstandene Mitwirkungsrecht der Vollversammlungsmitglieder für Beratung und Entscheidung der in die Zuständigkeit ihres Organs fallenden Angelegenheiten ein. Weil zugleich der „Wählerwille“ im Wege einer Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse verändert wird, liegt kein Regelungsgegenstand vor, der dem untergesetzlichen Normgeber zur freien Verfügung überlassen werden dürfte. e) Befangenheit und die Aufgabe Interessenrepräsentanz Insbesondere für die Aufgabe gewerbliche Interessenrepräsentanz muss untersucht werden, ob die eingangs aufgezeigten Schutzzwecke Platz greifen. Immerhin unterscheidet sich das „Produkt“ des Beratungsauftrags deutlich zu den Endergebnissen eines Verwaltungsverfahrens. Während der IHK die repräsentative Vermittlung des unternehmerischen Sachverstands und die Darstellung der Interessenlagen der Wirtschaft aufgegeben ist, ist das Verwaltungsverfahren auf den Erlass eines Verwaltungsakts oder die Vereinbarung eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtet (§ 9 VwVfG). Bei Durchführung eines Verwaltungsverfahrens kann das Sonderinteresse bzw. können Vor- oder Nachteile unmittelbar im Anschluss an die Entscheidung realisiert werden. Der von der IHK verlautbarte Standpunkt wird hingegen nur gegebenenfalls und – aller Wahrscheinlichkeit nach – lediglich in Ausschnitten zum Gegenstand der staatlichen Wirtschaftspolitik erhoben. Betrachtet man die rechtliche Formalstruktur, leistet der Verband entscheidungsunabhängige Beratung, deren Einfluss auf die staatliche Machtausübung nebulös bleibt. Für die bayerischen Industrie- und Handelskammern sind allerdings Vorgänge aus dem Jahr 1967 und danach bekannt, in denen sie mit Langmut den Widerstand gegen eine intensive Industrialisierungspolitik und Förderprogramme zur Betriebsansiedlung zur Sprache brachten, um die Interessen der ortsansässigen Unternehmen zu protegieren.2010 Die Entscheidungsfindung des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, das auf gesamtwirtschaftliche Erwägungen und raumordnungspolitische Zielsetzungen verpflichtet ist, verzögerte sich in der

2010 Hofmann, Industriepolitik und Landesplanung in Bayern 1958–1970, 2004, S. 276: „Besonders bei den Arbeiten zum Raumordnungsplan ‚Bayerische Rhön‘ hat sich allein schon bei der Auswahl der zukünftig auszubauenden oder neu zu schaffenden Industriestandorte gezeigt, daß die Industrie- und Handelskammern […] vorwiegend protektionistisch eingestellt sind und deshalb Neuansiedlungen mit Zurückhaltung begegnen, da die Interessen der ortsansässigen Betriebe oder der Unternehmen, zu deren Einzugsbereich der neue Standort gehört, offensichtlich vorrangig eingeschätzt werden.“ S. ferner ebd., S. 280: „Der [Präsident der IHK Würzburg] warnte […] vor den Vorstellungen des Wirtschaftsministers, neue Industriebetriebe in Unterfranken anzusiedeln, solange die einheimischen Betriebe ihre Rationalisierungsmaßnahmen noch nicht abgeschlossen hätten.“

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Folgezeit.2011 Die Belange der ortsansässigen Industriebetriebe wurden weit in den Vordergrund der Interessenwahrnehmung gerückt, während andere verkammerte Gewerbetreibende – man denke nur an Betriebe aus den Sektoren Verkehr, Logistik, Einzelhandel, Versicherungen, Finanzdienstleistung und Baugewerbe – mit Sicherheit an der Fortentwicklung der regionalen Wirtschaft durch weitere Betriebsansiedlungen interessiert gewesen wären. Das VG Köln entschied 2012 über den Ausschluss von der Stimmberechtigung im Zusammenhang mit einem Beschluss, in dem sich die Vollversammlung für den Hafenausbau in Köln aussprach, wobei mehrere, mit der Bauherrin in geschäftlicher Beziehung stehende Organmitglieder an der Abstimmung teilnahmen.2012 Der IHK ist jedoch gesetzlich aufgegeben, das Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden wahrzunehmen. Auch liegt die Zuständigkeit für verbindliche Entscheidungen bei einer anderen staatlichen Stelle, die keinesfalls zur Rezeption der eingebrachten Erwägungen gezwungen ist. Bei der in § 1 Abs. 1 IHKG formulierten Aufgabenstellung handelt es sich gerade nicht um den Bestandteil eines mehrstufigen Entscheidungsprozesses wie dies bspw. bei dem Beschluss der Gemeindevertretung in Ausfüllung ihrer Zuständigkeit für die kommunale Bauleitplanung anzunehmen ist.2013 Indes zeigen die dargestellten Befangenheitsregeln, dass die das Unparteilichkeitsprinzip tragenden Erwägungen auch für Gremien mit Beratungsauftrag Relevanz erlangen können. Immerhin wird die im Fall einer festgestellten Befangenheit eintretende Rechtsfolge auf prinzipiell jede befürchtete Einflussnahme, mindestens aber auf die Beratung als Vorstufe der Entscheidungsfindung erstreckt.2014 Überdies ist an beratende Kollegien zu denken, die wegen ihrer besonderen Zusammensetzung Stellungnahmen von großer Tragweite für die administrative Entscheidungsfindung abgeben.2015 Demgegenüber kann in den Ausnahmetatbeständen auch der Grundsatz nachgewiesen werden, nach dem die Wahrnehmung von Gruppen- oder Kollektivinteressen für sich genommen nicht ausreicht, um eine Befangenheit anzunehmen. Darüber hinaus ist in dem Auftrag zur gewerblichen Interessenrepräsentanz angelegt, dass die Mitglieder der Vollversammlung im Vergleich zueinander im unterschiedlichen Ausmaß an dem Ausgang staatlicher Entscheidungen persönlich interessiert 2011 Der ganze Vorgang ist nachgewiesen bei Hofmann, Industriepolitik und Landesplanung in Bayern 1958–1970, 2004, S. 276–288. 2012 Zu den Erwägungen des Klägers, die den Ausschluss von der Stimmberechtigung tragen sollten, s. VG Köln, Urt. v. 3. Mai 2012 – 1 K 2836/11 –, juris Rn. 6. 2013 Zu dieser Konstellation näher Glage, Mitwirkungsverbote in den Gemeindeordnungen, 1995, S. 184 ff. 2014 Ob die bloße Beobachtung des Verhandlungsverlaufs dem ausgeschlossenen Ratsmitglied gestattet ist, wird unterschiedlich beurteilt. Teilweise wird das Begeben in den Zuhörerraum für ausreichend erachtet, s. Kirchhof, VerwArch 66 (1975), 370 (381 m. Fn. 75). 2015 In diesem Zusammenhang finden sich Hinweise auf den Kerntechnischen Ausschuss (Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 296) oder die Vergabe­ komission der Filmförderungsanstalt (Voßkuhle, Sachverständige Beratung des Staates, in: Isen­see / Kirchhof [Hg.], HbdStR, Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 43 Rn. 33) in der Literatur.

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sind. Das Ausmaß der Präferenzbekundung sollen sie verlautbaren. Eine ungleichmäßig ausgeprägte Befangenheit setzt die regelgerechte Aufgabenwahrnehmung nach § 1 Abs. 1 IHKG voraus. Das persönliche Interesse wird als ebenso repräsentationswürdig wie jedes andere erkannt, wenn sichergestellt ist, dass tatsächlich alle Interessen zur Repräsentanz gelangen können. Vollversammlungsmitglieder können nur schwerlich in einen „Interessenkonflikt“ geraten, wenn ihnen zur Aufgabe gemacht ist, Interessen zu repräsentieren.2016 Ein ökonomisches „Sonderinteresse“ ist von fehlender Relevanz. Vor der Folie des rechtsstaatlich angeleiteten Geltungsgrunds des Unbefangenheitsprinzips besteht kein Schutzbedürfnis, das den Erlass von Befangenheitsvorgaben für diese Aufgabe rechtfertigen würde. Die in der Literatur vertretene Auffassung, nach der Vertretungs- und Mitwirkungsverbote zur Vermeidung von Interessenkollisionen zur demokratischen Binnenverfassung einer Kammer gehörten,2017 kann nur mit Einschränkungen geteilt werden. Auch das VG Köln lag daneben, als es die Möglichkeit des Erlangens eines unmittelbaren Vorteils durch die Resolution der Vollversammlung problematisierte oder das Abstimmungsergebnis ohne die – vorgeblich – unzulässige Mitwirkung eines Vollversammlungsmitglieds errechnete.2018 Aufzulösen ist das verbleibende Unbehagen darüber, dass besonders persönlich Interessierte einen gesteigerten Einfluss auf Beratung und Beschlussfassung nehmen können, durch organisationsinterne Vorkehrungen. Hierzu gehört eine ausgewogene Besetzung des zur Entscheidung berufenen Gremiums, womit das Wahlrecht zur Vollversammlung als Mittler eines repräsentativ und pluralistisch zusammengesetzten Hauptorgans abermals in den Mittelpunkt der Betrachtung zu rücken ist. Im Hinblick auf die Aufgabe Interessenrepräsentanz gehört zu den notwendigen Vorkehrungen, dass die Verfahrensweise die repräsentative Er- und Vermittlung des Gesamtinteresses sicherstellen muss, mithin kein tatsächlich artikulierter Interessenstandpunkt unterschlagen werden darf. f) Overlapping leadership und Wahrnehmung des Gesamtinteresses Sollte im IHK-Recht daran festgehalten werden, dass originäre Zuständigkeiten der Vollversammlung im großen Stil auf das Präsidium übertragen und selbst Delegationen auf den Präsidenten und den Hauptgeschäftsführer für recht- und 2016 In diesem Sinne auch Streit, Entscheidung in eigener Sache, 2006, S. 112 für die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die der Verfasser zuvor (S. 108 ff.) als Interessenvertreter bezeichnet hat. 2017 Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 202. In diesem Sinne auch Günther, in: v. Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 83. EL Dezember 2019, § 4 IHKG Rn. 67, der fordert, dass „ein Mitglied der Vollversammlung (ebenso wie ein Mitglied des Präsidiums oder eines Kammerausschusses) die mit seinem Amt verbundenen Befugnisse nicht ausüben“ dürfe, „wenn die Kammerentscheidung oder Tätigkeit unmittelbare Auswirkungen für ihn, sein Unternehmen oder einen nahen Angehörigen“ habe. 2018 VG Köln, Urt. v. 3. Mai 2012 – 1 K 2836/11 –, juris Rn. 32.

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zweckmäßig erachtet werden, wird über einen weiteren Begriff der Befangenheit nachzudenken sein. Angesprochen sind verschiedene Erscheinungsformen, die sich unter dem Begriff overlapping leadership zusammenfassen lassen. Die Wendung beschreibt einen Vorgang der Ämterhäufung, in dem ein und dieselbe Person ein Ehren- oder Hauptamt in der IHK und zugleich ein führendes Ehren- oder Hauptamt in einer freien Interessenvereinigung der Wirtschaft ausübt. Indes geht es nicht nur um eine Präsidentschaft in Personalunion, sondern auch um mächtige Ehrenämter in Präsidien auf der einen und der anderen Seite. Ebenfalls ist eine herausgehobene Stellung in politischen Parteien in die Abhandlung einzubeziehen. Wenngleich die Dachvereinigungen von Kammern nicht als unabhängiger Wirtschaftsverband eingeordnet werden können, gehören auch die dort hervorgerufenen Funktionenhäufungen zu den relevanten Sachverhalten. Es fällt nicht schwer, derartige Fälle mit einem Blick in die Vergangenheit und Gegenwart zu benennen. Der DIHT teilte in seinem Tätigkeitsbericht für das Geschäftsjahr 1949/50 öffentlichkeitswirksam mit, dass verschiedene personelle Netzwerke in die Bundesregierung und den Bundestag bestehen.2019 Der Bericht führt etwa Hans-Christoph Seebohm auf, der zwischen 1947 und 1963 Präsident der IHK Braunschweig und Mitglied des Hauptausschusses beim DIHT war. Ab 1949 hatte er bis in das Jahr 1966 das Amt des Bundesministers für Verkehr inne, wobei er erst als Mitglied der DP und später als Mitglied der CDU ein Mandat im Bundestag erlangte.2020 Fritz Dietz war Präsident der IHK  Frankfurt  a. M. (1964–1980) und zeitgleich Präsident des Bundesverbandes des Deutschen Großund Außenhandels (1952–1977), welcher damals – nach eigenem Bekunden – der zweitgrößte deutsche Wirtschaftsverband war.2021 Otto Vogel war zwischen 1945 und 1958 Präsident der IHK Augsburg, wurde ab 1948 zum Präsidenten des Gesamtverbandes der Textilindustrie und wenig später zum Vizepräsidenten des (heutigen) Bundesverbands der deutschen Industrie bestimmt.2022 Hans Heinrich Driftmann war Präsident der IHK Kiel (ab 2004), Präsident der Vereinigung der Unternehmensverbände Nord (bis 2009), Präsident der IHK Schleswig-Holstein (2006–06/2007), seit März 2005 Vizepräsident und ab März 2009 Präsident des DIHK.2023 Auch Eric Schweitzer, der zwischen März 2013 und März 2021 als Prä 2019 Nachweis bei Gehlen, Die Industrie- und Handelskammern im Netzwerk der Kooperation von Wirtschaft und Staat, in: Hockerts / Schulz (Hg.), Der „Rheinische Kapitalismus“ in der Ära Adenauer, 2016, 51 (62). 2020 Informationen entnommen aus Gehlen, Die Industrie- und Handelskammern im Netzwerk der Kooperation von Wirtschaft und Staat, in: Hockerts / Schulz (Hg.), Der „Rheinische Kapitalismus“ in der Ära Adenauer, 2016, 51 (62) und https://www.kas.de/de/web/geschichteder-cdu/personen/biogramm-detail/-/content/hans-christoph-seebohm1. 2021 Information entnommen aus https://de.wikipedia.org/wiki/Fritz_Dietz und Buchholz, Die Wirtschaftsverbände in der Wirtschaftsgesellschaft, 1969, S. 33 m. Fn. 40 u. S. 36 m. Fn. 54. 2022 Informationen entnommen aus https://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Vogel u. Bührer, „Opposition“ im Bundesverband der Deutschen Industrie, in: Sack / Strünck (Hg.), Verbände unter Druck, 2016, 37 (40). 2023 Informationen entnommen aus https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Heinrich_Driftmann.

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sident des DIHK amtierte, war zeitgleich Präsident der IHK Berlin (2004–2016). Hinzu kam zwischenzeitlich eine Mitgliedschaft im Präsidium des Bundesverbands der Deutschen Entsorgungswirtschaft (1994–2006).2024 Sowohl der Präsident als auch der Hauptgeschäftsführer der IHK München fungieren zugleich als einzige Mitglieder des Vorstands im BIHK und werden dort ebenfalls als „Präsident“ und „Hauptgeschäftsführer“ betitelt.2025 Ein Politologe unterbreitete 1979, dass eine beachtliche Anzahl der angestellten (Haupt-)Geschäftsführer oder Referenten von Industrie- und Handelskammern zugleich über politische Mandate oder Funktionen in Arbeitgeber- oder Wirtschaftsverbänden verfügten.2026 Während von den 17 namentlich genannten Angestellten mit einem politischen Mandat nur ein Hauptgeschäftsführer als parteilos galt, waren 14 politische Mandate der CDU und zwei der FDP zuzurechnen. Der Wirtschaftswissenschaftler und Sozialökonom Günter Schmölders hat Doppelfunktionen von IHK-Angestellten bereits 1965 in einer empirischen Studie festgestellt.2027 Aus Gründen der Klarstellung ist darauf hinzuweisen, dass die personelle Verzahnung mit dem freien Verbandswesen zweifelsohne nicht so weit wie in den Arbeitnehmerkammern gediehen ist. Mit Blick auf diese Organisationen wurde 1973 eine vollkommene Personalunion dergestalt beobachtet, dass sämtliche Mitglieder der Vertreterversammlung zugleich Mitglieder und / oder Funktionäre von Gewerkschaften waren.2028 Allerdings hat ein vormaliges Mitglied des Plenums der HK Hamburg für die Wahl zur Vertreterversammlung im Jahr 2020 einen massiven Einfluss der Verbände auf die Kandidaturen beklagt und kommentiert, dass sich die Organisation damit von einer unabhängigen Gesamtinteressenvertretung weit entfernt habe.2029 In diesem Sinne kann bereits eine rechtswissenschaftliche Einschätzung von 1977 verstanden werden, in der die Vollversammlung vor dem Hintergrund ihres Wahlverfahrens als „Einfallstor sektoraler Interessen“ beschrieben wurde, bei dem die Fachverbände ein Monopol für die Kandidatur zu den einzelnen Gruppen entwickelt hätten.2030 In welche Richtung die personellen Überschneidungen tatsächlich wirken, kann aus der organisationsexternen Perspektive nur schwerlich abschließend beurteilt werden. Es ist aber bekannt, dass Bundestagsabgeordnete, die zugleich über ein Ehrenamt in der HwK verfügen, von Seiten der Kammer als „Handwerksabgeord 2024 Informationen entnommen aus https://www.dihk.de/de/ueber-uns/der-dihk-in-berlin/dreric-schweitzer-praesident-des-dihk-11532. 2025 Informationen entnommen aus https://www.bihk.de/ueber-den-bihk.html. 2026 Adam, Der Einfluß der Industrie- und Handelskammern auf politische Entscheidungsprozesse, 1979, S. 91–97. 2027 Schmölders, Das Selbstbild der Verbände, 1965, S. 262. 2028 Martini, Die Pflegekammer, 2014, S. 91 unter Verweis auf Peters, Arbeitnehmerkammern in der BRD?, 1973, S. 133. 2029 Nachgewiesen bei Kopp, Wahlen zur Handelskammer: Der Kampf um die Plätze beginnt, Hamburger Abendblatt v. 30. August 2019, abrufbar unter https://www.abendblatt.de/ wirtschaft/article226928503/Wahlen-zur-Handelskammer-Der-Kampf-um-die-Plaetze-beginnt. html. 2030 Basedow, BB 1977, 366 (369).

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nete“ bezeichnet wurden.2031 Für diesen Fall wird also bekräftigt, dass die Verzahnung im besten Sinne für das gesamte Handwerk zur Geltung komme. Diese Einschätzung dürfte allerdings zu hinterfragen sein, wenn und weil auf Seite der Kammern keine organisatorischen Vorkehrungen getroffen werden, um den entgegengesetzten Einfluss in beruhigende Bahnen zu lenken. Politologen erwägen daher, dass die Kammern für die sich als „wirtschaftsnah“ präsentierenden Parteien einen ungehinderten Zugang zu einem bestimmten Wählerklientel bereithielten, weil die Pflichtmitgliedschaft einen Organisationsgrad von 100 Prozent erzeuge.2032 Der Eindruck, dass die Beobachtung von Doppel- oder Mehrfachpräsidentschaften ohne jegliche Relevanz für das Organisations- und Verfahrensrecht der IHK sein soll, vermittelt die rechtswissenschaftliche Literatur.2033 Weil sie zugleich das Trennende zwischen Kammern und freien Wirtschaftsverbänden sowie die vergleichsweise besondere Legitimation der öffentlich-rechtlich verfassten IHK herausstellt,2034 müsste indes begründet werden, dass und warum personelle Verflechtungen zwischen diesen Schichten zulässig sein sollen. Der Befund von Multi-Funktionären birgt aber strukturell die Gefahr, dass tatsächlich artikulierte Interessenstandpunkte nur ungenügend berücksichtigt oder gänzlich vernachlässigt werden, wohingegen „kammerfremde“ Erwägungen unverhältnismäßigen Einfluss auf die Aufgabenwahrnehmung gewinnen. Fehlt die distanzstiftende Entkoppelung zu anderen Interessenverbänden, gerät die ausgewogene Tätigkeit in Angelegenheiten der IHK in Bedrängnis.2035 Die Repräsentation der Kammerzugehörigen leidet, weil die Entschließungen der Doppel-Präsidenten durch Kollegialgefühle und Solidaritäten zu Sonderinteressen immobilisiert werden. Der organisatorische Zielkonflikt nimmt zu, weil die mehrfach Gebundenen auch externe Wünsche an die Aufgabenerledigung herantragen. Die Problematik nähert sich insofern der Sachlage an, die an anderer Stelle als doppelte Loyalität 2031 Nachgewiesen bei Sack / Fuchs, Kammeropposition mit Oberwasser? Phänomene und Erklärungsfaktoren des Protestes in und gegen Wirtschaftskammern, in: Sack / Strünck (Hg.), Verbände unter Druck, 2016, 93 (111). Scheuner, Politische Repräsentation und Interessenvertretung, in: Steinberg (Hg.), Staat und Verbände, 1985, 143 (147 m. Fn. 9) erkennt in dieser Konstellation ebenfalls ein Eindringen in das Parlament. 2032 Sack / Fuchs, Kammeropposition mit Oberwasser? Phänomene und Erklärungsfaktoren des Protestes in und gegen Wirtschaftskammern, in: Sack / Strünck (Hg.), Verbände unter Druck, 2016, 93 (111). 2033 Martini, Die Pflegekammer, 2014, S. 90 f. erörtert nur für die Pflegekammern Gefahren, die aus einer personellen Verzahnung zwischen Gewerkschaften, Berufsverbänden und Kammern für die Unabhängigkeit der Interessenrepräsentation erwachsen können. 2034 Heusch, „Was müssen die Kammern tun, um die Akzeptanz der Selbstverwaltung weiter zu stärken?“, in: Kluth (Hg.), JbKBR 2010, 2011, 135 (143) spricht von einem „Alleinstellungsmerkmal“, das es „in Abgrenzung zu den privaten Verbänden herauszustellen“ gelte. S. ferner Kluth, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Gesamtinteressenvertretung durch Industrie- und Handelskammern, in: ders. (Hg.), Die IHK-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, 2018, 105 (118); ders., Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2019, § 9 Rn. 25. 2035 Ähnlich bereits Wülker, Der Wandel der Aufgaben der Industrie- und Handelskammern in der Bundesrepublik, 1972, S. 115.

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von Experten bezeichnet wurde.2036 Die Personen erfahren durch jedes Amt eine spezifische Sozialisation und Voreingenommenheit. Sie laufen bei wirklichkeitsnaher Sicht eher Gefahr, in Interessenkonflikte oder Abhängigkeitsverhältnisse zu geraten, in informelle Koordinationsmöglichkeiten eingeschnürt oder durch unsachliche bzw. verbandsfremde Standpunkte geleitet zu werden, als Personen, die nur über ein (Ehren-)Amt verfügen. Möchte man verhindern, dass sich eine gleichermaßen aktive wie robust organisierte Gruppe gegenüber den lethargisch und nicht oder nur ungenügend organisierten Kammerzugehörigen in den Vordergrund stellt, wird zuvörderst eine Anfrage an das Wahlrecht zur Vollversammlung gestellt. Es muss darauf verzichtet werden, die Kandidatur zur Vollversammlung an Unterstützungsunterschriften2037 zu binden. Wenn die in den Satzungen de lege lata enthaltene Kompetenzverteilung beibehalten werden soll, ist eine verbandsfreie Besetzung der Leitungsorgane im Ehren- und Hauptamt zu verlangen.2038 Dass Inkompatibilitätsregeln zur Verhütung einer verdeckten Instrumentalisierung durch private Interessenvereinigungen unausweichlich sind, soll damit nicht behauptet werden. Allerdings ist genauso wenig erkennbar, inwieweit das geltende Recht den – jüngst auch vom Bundesverfassungsgericht angemahnten –2039 Schutz vor institutioneller Majorisierung durch organisierte Interessen in der Organisation wirksam versichert. Die Fortschreibung einer Strategie vollkommener Ignoranz gegenüber diesem Phänomen erscheint jedenfalls als schlechter Ratgeber. 5. Transparenz Die Begründung organisationsinterner Transparenz stellt einen Mechanismus der Verwaltungskontrolle von einigem Gewicht dar. Es wird sich jedoch zeigen, dass auch die Idee der Repräsentation dazu drängt, das Handeln der Vertreter der Kammerzugehörigen öffentlich zugänglich zu machen.

2036

Dazu näher bei Fn. 1786. Derartige Verhinderungen einer uneingeschränkten Inanspruchnahme der passiven Wahlberechtigung zur Vollversammlung können derzeit noch in einer Vielzahl von Wahlordnungen beobachtet werden. Dazu näher bei Fn. 1163. 2038 Die Forderungen nach Inkompatibilitätsregelungen für die Mitglieder von Fernsehräten des öffentlich-rechtlichen Rundunks (s. dazu etwa BVerfG, Urt v. 25. März 2014 – 1 BvF 1/11 –, BVerfGE 136, 9 [46 ff.]); Huber, Die Staatsfreiheit des Rundfunks – Erosion und Neujustierung, in: Detterbeck / Rozek / v. Coelln (Hg.), FS Bethge, 2009, 497 [509]), sind unmittelbarer Ausdruck angenommener Interessenkonflikte aufgrund der anderweitigen Einbindung in staatsnahe Gruppierungen und bekräftigen die im Text stehende Forderung. 2039 BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017  – 1 BvR 2222/12 u. 1106/13  –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 126). 2037

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a) Ideen- und Funktionsgeschichte staatlicher Transparenz Nicht erst die Staats- und Verfassungstheorie unter dem Grundgesetz begleitet die Gewinnung staatlicher Transparenz2040 mit äußerst positiven Assoziationen.2041 Bereits im Zeitalter der Aufklärung und des politischen Liberalismus kennzeichnete Immanuel Kant die Publizität staatlicher Ordnung, die begriffliche Vorfahrin der Transparenz,2042 als Ideal eines gerechten und wahrhaftigen Staatswesens.2043 Kant formulierte pointiert: „Alle auf das Recht anderer Menschen bezogene Handlungen, deren Maxime sich nicht mit der Publizität verträgt, sind unrecht.“2044 Ferner stellte er korrespondierend fest: „Alle Maximen, die der Publicität bedürfen (um ihren Zweck nicht zu verfehlen), stimmen mit Recht und Politik vereinigt zusammen.“2045 Lorenz von Stein erkannte, dass die öffentliche Teilnahme am Staatshaushalt gute Bilanzen hervorbringt2046 und benannte schon früh die Kontrollfunktion, die der Transparenz anhaftet. Für die Verwaltung als Teilausschnitt der Staatlichkeit liegen die Dinge nicht anders. Sie konnte zwar auch unter Geltung des Grundgesetzes beständig in der Arkantradition des Staates, dem Grundsatz einer geheimen (öffentlichen) Verwaltung, verharren.2047 Europarechtliche Vorgaben haben aber noch vor der Jahrtausendwende das Verwaltungssystem herausgefordert. Sie erzwangen die Publikation von Umweltinformationen2048 und erzeugten einen Paradigmenwechsel vom Amtsgeheimnis zum regelmäßigen Informationszugang, den die Wissenschaft mit Analysen über öffentlich-rechtliche Rahmenbedingungen einer Informationsordnung2049

2040 Der Terminus (dazu Ostermann, Transparenz und öffentlicher Meinungsbildungsprozess, 2019, S. 7 f.) bezeichnete zunächst die Durchsichtigkeit körperlicher Gegenstände, kann heutzutage aber umfassender „im Sinne einer „Durchschaubarkeit“ und „Erkennbarkeit“ politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Vorgänge, Ereignisse, Zustände und Strukturen“ verstanden werden. 2041 Zum Diskurs unter dem Grundgesetz m. w. N. Ostermann, Transparenz und öffentlicher Meinungsbildungsprozess, 2019, S. 1 ff.; zur Rezeption im 19. Jahrhundert m. w. N. Schmidt, Ausschussöffentlichkeit im Deutschen Bundestag, 2021, S. 64 ff. 2042 Ostermann, Transparenz und öffentlicher Meinungsbildungsprozess, 2019, S. 3 f. Zu den (engen) begrifflichen Verbindungslinien zwischen „Transparenz“, „Öffentlichkeit“ und „Publizität“ bzw. „publicus“ Krebs, Der Kommunale Öffentlichkeitsgrundsatz, 2016, S. 28 f. 2043 Dazu ausführlich Wegener, Der geheime Staat, 2006, S. 120 ff., 138 ff.; Jestaedt, AöR 126 (2001), 204 (207 ff.). 2044 Kant, Zum ewigen Frieden, 2009, S. 114. 2045 Kant, Zum ewigen Frieden, 2009, S. 128 – Hervorh. i. O. 2046 v. Stein, Lehrbuch der Finanzwissenschaft, 5. Aufl. 1885, S. 240: „Das gebildete Europa ist darüber einig, daß die schlechte Bilanz nur durch die öffentliche Theilname des Volks bewältigt, die gute nur durch dieselbe gesichert werden kann.“ 2047 Die Entwicklungsgeschichte zeichnet Ostermann, Transparenz und öffentlicher Meinungs­ bildungsprozess, 2019, S. 168 ff. m. w. N. nach. 2048 Bröhmer, Transparenz als Verfassungsprinzip, 2004, S. 2. 2049 Schoch / Trute, Öffentlich-rechtliche Rahmenbedingungen einer Informationsordnung, VVDStRL 57 (1997), 1998, 158–215/216–273.

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und die Konturen eines Informationsverwaltungsrechts2050 bzw. dem Anerkenntnis der Publizität als „Ressource erfolgreicher Verwaltung“2051 abbildete. Die Herstellung einer „transparenten“ oder „gläsernen“ Verwaltung gilt seitdem als notwendige Ausprägung des Demokratie- und Rechtsstaatsgebots.2052 Nicht die Öffentlichkeit, sondern das Amtsgeheimnis bedarf der Rechtfertigung, wenn das Grundgesetz das Leitbild eines mündigen Bürgers formuliert.2053 Es nimmt unter diesen Vorzeichen nicht wunder, wenn Beobachter zu der Auffassung gelangen, dass das Öffentlichkeitsprinzip heute fast ungeteilte Zustimmung finde.2054 Sieht man von den Feststellungen zu Art. 42 Abs. 1 GG und den Abgeordnetendiäten ab,2055 wirkte das Bundesverfassungsgericht angesichts des vorherrschenden Diskussionsklimas eher nachvollziehend, als es mit Blick auf das Gentechnikgesetz bekräftigte: „Die Schaffung von Transparenz […] leistet einen Beitrag zum öffentlichen Meinungsbildungsprozess und stellt einen eigenständigen legitimen Zweck der Gesetzgebung dar.“2056 Indes bedeutet mehr Transparenz der Verwaltung unvermeidbar auch mehr Transparenz der Gesellschaft.2057 Immerhin sind die Daten der Bürger in den Akten der Verwaltung gespeichert, die in Abhängigkeit von der Reichweite der Publizitätsanforderungen zur Verfügung gestellt werden müssen. Die Informationsfreiheitsgesetze des Bundes und der Länder müssen die damit erzeugte Spannungslage, die in einem Gewinn staatlicher Transparenz zu Lasten der Freiheit des Einzelnen zu erkennen ist, auflösen. Auch die weiteren (rechtlichen) Probleme, die einer ungehemmten Öffentlichkeit staatlichen Tuns anhaften,2058 können oder müssen als legitime Vertraulichkeitsgründe berücksichtigt werden, wenn die optimale Mixtur in dem Verhältnis des Staates zum Geheimnis gefunden werden soll.2059 2050 Gröschner / Masing, Transparente Verwaltung: Konturen eines Informationsverwaltungsrechts, VVDStRL 63 (2003), 2004, 344–376/377–441. S. ferner Augsberg, Informationsverwaltungsrecht, 2014, S. 195 ff. 2051 Rossen-Stadtfeld, Kontrollfunktion der Öffentlichkeit  – ihre Möglichkeiten und ihre (recht­lichen) Grenzen, in: Schmidt-Aßmann / Hoffmann-Riem (Hg.), Verwaltungskontrolle, 2001, 117 (123). 2052 Scherzberg, Die Öffentlichkeit der Verwaltung, 2000, S. 291 ff., 320 ff. 2053 So auch Meinel, KJ 37 (2004), 413 (421), der auf die Prinzipien Republik, Rechtsstaat und Demokratie verweist. 2054 Schnöckel, DÖV 2007, 676. 2055 BVerfG, Urt. v. 14. Januar 1986 – 2 BvE 14/83, 4/84 –, BVerfGE 70, 324 (355); Urt. v. 18. Juni 1975 – 2 BvR 193/74 –, BVerfGE 40, 296 (327). 2056 BVerfG, Urt. v. 24. November 2010 – 1 BvF 2/05 –, BVerfGE 128, 1 Ls. 3. 2057 Masing, Transparente Verwaltung: Konturen eines Informationsverwaltungsrechts, VVDStRL 63 (2003), 2004, 377 (410). 2058 Dazu näher Rossen-Stadtfeld, Kontrollfunktion der Öffentlichkeit – ihre Möglichkeiten und ihre (rechtlichen) Grenzen, in: Schmidt-Aßmann / Hoffmann-Riem (Hg.), Verwaltungskontrolle, 2001, 117 (192 ff.); Scherzberg, Öffentlichkeitskontrolle, in: Hoffmann-Riem / SchmidtAßmann / Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 3, 2. Aufl. 2013, § 49 Rn. 83 ff.; Jestaedt, AöR 126 (2001), 204 (221 ff.). 2059 Jestaedt, AöR 126 (2001), 204 (243) ist zuzustimmen, wenn er „[a]usgehend von der Grundsatzentscheidung für die Öffentlichkeit“ des Staates und unter Verweis auf Arndt, NJW

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Anhand der Informationsfreiheitsgesetze kann nachgezeichnet werden, welche grundlegenden Funktionen der Herstellung einer öffentlichen Verwaltung beizumessen sind.2060 Unterscheiden lassen sich eine Kontroll- und Partizipationsfunktion bzw. das Erregen der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung. Die Funktionen wirken ihrerseits zurück, indem sie einen Anreiz zur administrativen Selbststeuerung und eine Koppelung der Verwaltung an die Bewertung der Öffentlichkeit erzeugen.2061 Denkt man die Kontroll- und Partizipationsfunktion weiter, kann den Verwaltungsentscheidungen eine höhere Richtigkeitsgewähr beigemessen werden, womit ein Beitrag zur Steigerung der Verwaltungseffizienz geleistet wird. Dies ist auf die Einsicht zurückzuführen, dass frühzeitig Beteiligungschancen eröffnet werden, weshalb zu erwarten steht, dass Rechtsverstöße vermieden oder zumindest unmittelbar korrigiert werden und die Zweckmäßigkeit des Handelns eine eingehende Begründung erfährt. Überdies lassen sich Akzeptanz, Vertrauen und Verständnis für staatliches Handeln mitsamt den vorausliegenden Prozeduren stärken. Schließlich wird die gleichberechtigte Informiertheit der Gesellschaft angestrebt, die als Voraussetzung der Grundrechtsausübung dient. b) Organisationsinterne Transparenz Zwar sind die vorstehenden Zwecke von Transparenz mit Blick auf die gesamtgesellschaftliche Ebene erdacht worden. Doch fällt es nicht schwer, die prinzipiellen Annahmen auf Organisationsstrukturen zu erweitern.2062 Auch in Systemen kleinerer Ordnung wirkt Führung, die es im Wege „kritische[r] Publizität und Diskussion

1960, 2040 formuliert, dass „gerade das Ob und Wie der Rechtfertigung von Geheimhaltung“ den Staat als freiheitlichen ausweise. 2060 Dazu umfassend Ostermann, Transparenz und öffentlicher Meinungsbildungsprozess, 2019, S. 184 ff.; Rossi, Informationszugangsfreiheit und Verfassungsrecht, 2004, S. 67 ff. (insbes. S. 94 ff., 102 ff. u. 112 ff.). Paschke, Digitale Gerichtsöffentlichkeit, 2018, S. 149 weist zutreffend darauf hin, dass sich die im Text genannten Funktionen häufig gegenseitig bedingen. 2061 Scherzberg, Öffentlichkeitskontrolle, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 3, 2. Aufl. 2013, § 49 Rn. 9a; Kahl, Begriff, Funktionen und Konzepte von Kontrolle, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 3, 2. Aufl. 2013, § 47 Rn. 206. 2062 Eine m. w. N. versehene Funktionszuschreibung für die Sitzungsöffentlichkeit in kommunalen Repräsentativorganen findet sich bei Scherzberg, Öffentlichkeitskontrolle, in: Hoffmann-­ Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 3, 2. Aufl. 2013, § 49 Rn. 32 – Hervorh. i. O., der die grundsätzliche Öffentlichkeit von Ratssitzungen als „Instrument demokratischer Kontrolle“ sowie „Vorbedingung für den sich in der Kommunalwahl vollziehenden Kontroll- und Legitimationsakt“, als „Mittel zur Förderung des kommunalpolitischen Interesses und Engagements der Bürger“ und als „Anreiz zur Förderung des Verantwortungsbewusstseins der Ratsmitglieder“ sowie als „Instrument zur Sicherstellung einer gesetzmäßigen und sachgerechten Arbeit des Gemeinderats“ beschreibt. S. ferner Krebs, Der Kommunale Öffentlichkeitsgrundsatz, 2016, S. 91 ff.; Schnöckel, DÖV 2007, 676 (678 f.).

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auf rationale Autorität zu reduzieren“ gilt.2063 Transparenz erlangt in Organisationen insbesondere Bedeutung, wenn Zentralisierungstendenzen zu beobachten sind und ein immer kleinerer Kreis von Personen zur Entscheidung bestimmt wird. Soll in derartigen, für die IHK festzustellenden Strukturen mit dem Anspruch auf Rationalität entschieden werden, bedarf es des Einzugs organexterner Kontrollinstanzen, die gegenüber einer ungehemmten Entscheidungstätigkeit disziplinierend wirken. Dies gilt speziell dann, wenn die Kontrolle des zur Aufgabenwahrnehmung berufenen Organs andernfalls nur im Nachhinein stattfinden würde und / oder ausschließlich rechtliche Maßstäbe fokussiert (Ergänzungs- und Kompensationsfunktion von Publizität)2064. Öffentliche Verhandlungs- und Entscheidungsprozesse geben den Anstoß zur Partizipation. Sie schaffen anregend wirkende Kommunikationskanäle und stimulieren Formen der organisationsinternen Selbstkontrolle. Die Häufigkeit der Nutzung öffentlicher Zugänge und das Maß artikulierter Kritik vermitteln den Entscheidungsträgern, welche Bedeutung ihr Handeln bei den Entscheidungs­ adressaten entfaltet. Wird der Zutritt zu öffentlichen Verhandlungen nicht oder nur selten nachgefragt, bestehen Anhaltspunkte für die Annahme, dass das Interesse der Mitglieder an der Selbstverwaltungseinheit erst noch geweckt werden muss oder eine (irreparable) Apathie bereits eingetreten ist. Liegt der entgegengesetzte Fall vor, wird eine kritische Gegenöffentlichkeit formiert, die durch Einnahme der Kontrollperspektive Schwächen in den eingeübten, bekannten und bewährten Entscheidungsverfahren aufzudecken vermag. Nur eine transparent arbeitende Organisation ermöglicht, dass ein Abgleich zwischen den vereinbarten Zielen und der tatsächlichen Performanz stattfinden kann. Erst unter den Augen der Öffentlichkeit kann überprüft werden, ob eine pflichtmitgliedschaftliche Organisation dem Zweck gerecht wird, der ihre besondere Verfasstheit rechtfertigen soll. Und entsteht überdies nicht ein zu schreiender Widerspruch, wenn der Staat Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft mannigfaltige Publizität abverlangt,2065 aber zugleich als Schirmherr der IHK auftritt und die Informationsbedürfnisse der Kammermitglieder unberücksichtigt lässt? Der Diskurs zu den öffentlichen Beratungen in kommunalen Vertretungsorganen betont, dass dadurch Korruption und zu enge Interessenverflechtungen vermieden würden. Diese Phänomene könnten in offenen Entscheidungskontexten nicht gedeihen, da Stimmabgaben auf öffentlich vertretbare Gründe gestützt werden müss­

2063 Zitat bei Naschold, Organisation und Demokratie, 1969, S. 29, der weiterhin bekräftigt, dass die „Geschichte vieler Organisationen“ als die „Geschichte des Kampfes um erweiterte Öffentlichkeit innerhalb der jeweiligen Organisation angesehen“ werden könne. 2064 In allgemeinen Wendungen dazu Scherzberg, Öffentlichkeitskontrolle, in: HoffmannRiem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 3, 2. Aufl. 2013, § 49 Rn. 125. 2065 Rhein, Informationsansprüche gegen Parlamente, 2020, S. 16 verweist etwa auf Berichtspflichten für börsennotierte und mitbestimmungspflichtige Unternehmen, die im Zusammenhang mit der Förderung des Frauenanteils stehen (§ 76 Abs. 4 AktG i. V. m. § 289f Abs. 4 HGB), auf den individuellen Auskunftsanspruch über Gehaltsstrukturen (§ 10 Entgelttransparenz­ gesetz) und die Anforderung an die nichtfinanzielle Erklärung (§§ 289b f. HGB).

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ten.2066 Andere Autoren meinen, dass Sitzungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit die Entscheidungsfreiheit sicherten und der Verhütung von Unrechtsvereinbarungen dienten, weshalb gerade die Nichtöffentlichkeit der Korruption abträglich sei. Denn der Vorteilsgeber, der keinen Zugang zum Sitzungssaal erhalte, wisse nicht, ob der Vorteilsnehmer sein Abstimmungsverhalten an dem Inhalt des Versprechens ausgerichtet habe oder davon abgewichen sei.2067 Der amerikanische Rechtsphilosoph David Luban wies darauf hin, dass insbesondere der Schutz vor dem Druck gut organisierter Lobbys den Verzicht auf öffentliche Verhandlungen rechtfertigen könne.2068 Kommt es zu einer breiten Nutzung öffentlicher Zugänge befürchten andere Stimmen, dass sich Mandatsträger frühzeitig auf offen verlautbarte Positionen versteifen. Sie vermeiden die Rücksicht auf das bessere Argument, da der Meinungsumschwung von vielen Beobachtern als unlauter bewertet werden könnte. In Folge der damit erzeugten Drohkulisse werde der Mandatsträger einen anfänglich eingenommenen Standpunkt trotz fortgeschrittener, besserer Einsicht nicht mehr verlassen, womit die Qualität des Entscheidungsprozesses leide.2069 Die Idee der Repräsentation und demokratischen Verantwortlichkeit und ihre Verknüpfung mit einem periodisch auftretenden Wahlrecht zwingen hingegen dazu, einen Anspruch auf organisationsinterne Transparenz zu generieren und das Handeln der Repräsentativorgane grundsätzlich aus dem Geheimen herauszulösen.2070 Denn im Zuge repräsentativer Handlungsstrukturen wird eine Personengruppe für befugt erklärt, im Namen einer nicht präsenten Personenmenge dergestalt zu entscheiden, dass ihre Handlungen den Repräsentierten zugerechnet werden. Damit dieser Vorgang in Bahnen abläuft, die die Repräsentierten akzeptieren können, muss ihnen zumindest die Gelegenheit zur Beobachtung verschafft 2066

Berichtend Schnöckel, DÖV 2007, 676 (678). Schnöckel, DÖV 2007, 676 (679). 2068 Luban, The Publicity Principle, in: Goodin (Hg.), Theory of Institutional Design, 1996, 154 (187) verweist diesbezüglich auf ein Zitat des Senators Robert Packwood, der bekräftigte: „Common Cause [an American political reform organization] simply has everything upside down when they advocate ‚sunshine‘ laws. When we’re in the sunshine, as soon as we vote, every trade association in the country gets out their mailgrams and their phone calls in twelve hours, and complains about the members’ votes. But when we’re in the back room, the senators can vote their conscience. They vote for what they think is good for the country. Then they can go out to the lobbyists and say: ‚God, I fought for you. I did everything I could. But Packwood just wouldn’t give in, you know. It’s so damn horrible.‘“ 2069 Schnöckel, DÖV 2007, 676 (680). 2070 Das BVerwG (Urt. v. 24. September 1981 – 5 C 53/79 –, BVerwGE 64, 115 [120]) schlussfolgerte in diesem Sinne etwa, dass mit der Informationspflicht der (Steuerberater-)Kammer „ein Anspruch des einzelnen Mitglieds“ korrespondiere, „über die Tätigkeit der Kammer wenigstens in ihren Grundzügen unterrichtet zu werden.“ Zur Publizität der Repräsentation grundlegend Leibholz, Das Wesen der Repräsentation und der Gestaltwandel der Demokratie im 20. Jahrhundert, 3. Aufl. 1966, S. 166 ff. Auf den Gedanken abstellend, dass die Möglichkeit bestehen muss, gewählte Vertreter zur Rechenschaft zu ziehen Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 305. Zum Zusammenhang zwischen Publizität und Wahlrecht Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, S. 60. Ähnlich für Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG Morlok, in: Dreier (Hg.), GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 42 Rn. 20. 2067

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werden. Die Inanspruchnahme organisationsinterner Transparenz ergibt sich sodann als prozeduralisierte Mitgliedersouveränität2071. Andernfalls, d. h. unter der Voraussetzung, dass das Entscheidungsverhalten der Repräsentanten wegen der Nichtöffentlichkeit unbekannt bleibt, könnten die Repräsentierten nicht einmal mit einem Versagen der Wiederwahl ihr Missfallen über die Wahrnehmung des Mandats zum Ausdruck bringen. Wenn die Wahlberechtigten in ihrer Rolle als Vertretene ein begründbares Votum abgeben sollen, sind eine Reduktion des Informationsvorsprungs der Amtsträger und die Verfügbarkeit sicherer Beurteilungsgrundlagen zu verlangen.2072 Dies vermag eine Organisation im Wege kontinuierlicher, transparenter Arbeit nebenher bereitzustellen. c) Transparenz de lege lata In der relativen Mehrheit befinden sich jene IHK-Bezirke, die die Sitzungen der Vollversammlung für die Kammerzugehörigen als öffentlich bezeichnen.2073 Andernorts wird dieser Grundsatz in der Geschäftsordnung festgeschrie 2071 Formuliert in Anlehnung an Scherzberg, Die Öffentlichkeit der Verwaltung, 2000, S. 294, wobei auch auf die Vorarbeiten bei Habermas, Merkur 43 (1989), 484, 465 (475) zurückgegriffen wurde. 2072 Zu dieser Auffassung müsste genau genommen auch das BVerfG gelangen, nachdem es jüngst die Pflichtmitgliedschaft in der IHK vor den Grundrechten der Kammerzugehörigen mit Verweisen über die Eröffnung von Möglichkeiten der „Beteiligung und Mitwirkung an Entscheidungsprozessen“ rechtfertigte (BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 [Rn. 109]). 2073 § 4 Abs. 11a S. 1 Satzung IHK Aachen; § 5 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Arnsberg; § 5 Abs. 10 S. 1 Satzung IHK  Augsburg; § 5 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK  Berlin; § 5 Abs. 8 S. 1 Satzung IHK Bielefeld; § 4 Abs. 8 S. 1 Satzung IHK Bochum (hier: die Öffentlichkeit erstreckt sich auch auf Personen, die unmittelbar von Beschlüssen der Vollversammlung betroffen sein könnten); § 5 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Cottbus; § 5 Abs. 10 Satzung IHK Darmstadt; § 5 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Detmold; § 5 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Dillenburg; § 5 Abs. 9 S. 1 Satzung IHK Dortmund (hier: die Öffentlichkeit erstreckt sich auch auf Personen, die unmittelbar von Beschlüssen der Vollversammlung betroffen sein könnten); § 4 Abs. 8 S. 1 Satzung IHK Duisburg; § 3 Abs. 9 S. 4 Satzung IHK Düsseldorf; § 5 Abs. 8 S. 1 Satzung IHK Erfurt; § 5 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Essen; § 5 Abs. 8 S. 1 Satzung IHK Frankfurt a. M.; § 5 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Freiburg; § 5 Abs. 8 S. 1 Satzung IHK Gera; § 5 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Gießen; § 6 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Hagen; § 7 Abs. 9 S. 1 Satzung HK Hamburg; § 5 Abs. 7 S.1 Satzung IHK Heidenheim; § 5 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Heilbronn; § 6 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Karlsruhe; § 3 Abs. 8 S. 1 Satzung IHK Kassel (hier: die Vollversammlung kann nach S. 4 die allgemeine Öffentlichkeit beschließen); § 5 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Kiel; § 6 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Köln; § 5 Abs. 8 S. 1 Satzung IHK Krefeld; § 5 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Lübeck; § 5 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Mannheim; § 5 Abs. 8 S. 1 Satzung IHK München; § 5 Abs. 10 S. 1 Satzung IHK Münster; § 5 Abs. 9 S. 1 Satzung IHK Oldenburg; § 6 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Osnabrück; § 5 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Pforzheim; § 6 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Potsdam (hier: expliziter Verweis darauf, dass die Sitzungen in der Regel mitgliederöffentlich abgehalten werden); § 6 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Reutlingen; § 5 Abs. 9 S. 1 Satzung IHK Rostock; § 4 Abs. 8 S. 1 Satzung IHK Saarbrücken; § 5 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Schwerin; § 5 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Wiesbaden; § 5 Abs. 10 S. 1 Satzung IHK Wuppertal.

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ben.2074 Weitere Kammern gehen über die vorstehenden Rechtsgarantien hinaus, indem neben den Mitgliedern auch Vertreter von Medien grundsätzlich Zutritt erhalten2075 oder sogar die Sitzungen ohne einschränkenden Zusatz als öffentlich bezeichnet werden.2076 Andere Bezirke schreiben zwar fest, dass die Sitzungen den Kammerzugehörigen offenstehen. Zugleich werden aber Beratungsgegenstände benannt, für die eine öffentliche Behandlung als ausgeschlossen gilt.2077 Zuweilen werden den Zutrittsbefugten Personen gleichgestellt, die für die Kammerzugehörigen das Wahlrecht auszuüben berechtigt sind.2078 Andere Satzungen setzen einen Antrag, eine Anmeldung oder eine Anzeige durch die Kammerzugehörigen über die beabsichtigte Teilnahme voraus.2079 Demgegenüber stehen die Bezirke, 2074

§ 3 Abs. 1 Geschäftsordnung IHK Stuttgart i. d. F. v. 8. Oktober 2014 (hier: die Öffentlichkeit ist nach Abs. 4 S. 1 ausgeschlossen, soweit Wirtschaftsplan-, Personal-, Vertrags- und Grundstücksangelegenheiten beraten werden oder Gründe des Datenschutzes dies erfordern). 2075 § 5 Abs. 9 Satzung IHK Ludwigshafen. 2076 § 6 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Bonn. 2077 § 7 Abs. 9 S. 1 ff. Satzung IHK Braunschweig (hier: die Öffentlichkeit ist ausgeschlossen, soweit Wirtschaftsplan-, Personal-, Vertrags- und Grundstücksangelegenheiten beraten werden oder Gründe des Datenschutzes dies erfordern); § 6a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Emden (hier: die Öffentlichkeit ist ausgeschlossen, soweit Personal-, Vertrags- und Grundstücksangelegenheiten Beratungsgegenstand sind oder Erwägungen des Datenschutzes oder des Steuergeheimnisses dies erfordern); § 5 Abs. 8 S. 2 Satzung IHK Koblenz (hier: die Öffentlichkeit ist ausgeschlossen, sofern dies durch Rechtsvorschrift bestimmt ist oder die Beratung in nichtöffentlicher Sitzung der Natur des Beratungsgegenstandes nach erforderlich ist); § 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Lüneburg (hier: die Öffentlichkeit ist ausgeschlossen, soweit Wirtschaftsplan-, Personal-, Vertrags- und Grundstücksangelegenheiten beraten werden oder Gründe des Datenschutzes dies erfordern); § 5 Abs. 10 S. 1 Satzung IHK Mainz (hier: die Öffentlichkeit ist ausgeschlossen, sofern dies durch Rechtsvorschrift bestimmt ist oder die Beratung in nichtöffentlicher Sitzung der Natur des Beratungsgegenstandes nach erforderlich ist); § 3 Abs. 10 S. 1 Satzung IHK Nürnberg (hier: die Öffentlichkeit ist ausgeschlossen für interne, vertrauliche Punkte wie bspw. Personalangelegenheiten); § 5 Abs. 4 S. 1 u. 3 Satzung IHK Stade (hier: die Öffentlichkeit ist ausgeschlossen, soweit Personal-, IHK-Vertrags- und Grundstücksangelegenheiten Beratungsgegenstand sind, zur Beschlussfassung anstehen oder dies aus Gründen des Datenschutzes erforderlich ist); § 5 Abs. 8 S. 1 Satzung IHK Trier (hier: die Öffentlichkeit ist ausgeschlossen, sofern dies durch Rechtsvorschrift bestimmt ist oder die Beratung in nichtöffentlicher Sitzung der Natur des Beratungsgegenstandes nach erforderlich ist); § 5 Abs. 4 S. 1 u. 5 Satzung IHK Villingen-Schwenningen (hier: die Öffentlichkeit ist bei der Behandlung von Personalangelegenheiten ausgeschlossen); § 5a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Weingarten (hier: die Öffentlichkeit ist ausgeschlossen, soweit Wirtschaftsplan-, Personal-, Vertrags- und Grundstücksangelegenheiten beraten werden sind oder Gründe des Datenschutzes dies erfordern). 2078 § 7 Abs. 9 S. 2 Satzung IHK  Braunschweig; § 6a Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Emden; § 6 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Köln; § 8 Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Lüneburg; § 5a Abs. 1 S. 2 Satzung IHK Weingarten; § 5 Abs. 10 S. 2 Satzung IHK Wuppertal. 2079 § 5 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Coburg; § 5 Abs. 7 S. 2 Satzung IHK Dillenburg (hier: die Anmeldung hat spätestens eine Woche vor dem Sitzungstermin zu erfolgen); § 7 Abs. 3 S. 1 Satzung IHK Halle (hier: dem Antrag ist zu entsprechen, wenn hinreichende Unterbringungsmöglichkeiten bestehen und Störungen des Sitzungsablaufs nicht zu besorgen sind); § 5 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Heidenheim; § 4 Abs. 8 S. 1 Satzung IHK Flensburg; § 5 Abs. 8 S. 1 Satzung IHK Frankfurt (Oder); § 5 Abs. 10 S. 3 Satzung IHK Mainz (hier: die Teilnahme soll schriftlich oder elektronisch angemeldet werden); § 5 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Siegen; § 5 Abs. 8 S. 2 Satzung IHK Trier; § 5 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Villingen-Schwenningen.

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deren Satzung den Grundsatz nichtöffentlicher Sitzungen für die Vollversammlung enthält und lediglich einen Beschluss über die Zulassung der Öffentlichkeit gestattet.2080 Die verbleibenden Kammern schreiben nichtöffentliche Sitzungen der Vollversammlung ausnahmslos fest oder verzichten in Gänze auf eine Regelung dieser Frage.2081 Auch wenn den Kammerzugehörigen der Zutritt zu den Sitzungen der Vollversammlungen gestattet wird, ist dies nicht gleichbedeutend mit der Auffassung, dass sie jedem Beratungsgegenstand beiwohnen können. In den Satzungen heißt es zumeist, dass mit einer begründungs- und voraussetzungslosen Entscheidung des Präsidenten die Öffentlichkeit bei der Behandlung einzelner Punkte der Tagesordnung ausgeschlossen ist, wenn nicht die Vollversammlung eine abweichende Entscheidung mit einfacher Mehrheit trifft.2082 In der IHK Karlsruhe muss eine

2080 § 5 Abs. 9 S. 1 Satzung IHK Aschaffenburg; § 4 Abs. 10 Satzung IHK Bayreuth; § 5 Abs. 7 S. 1 Satzung HK Bremen; § 4 Abs. 6 S. 1 u. 2 Satzung IHK Chemnitz; § 5 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Hanau; § 6 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Leipzig; § 6 Abs. 5 S. 1 Satzung IHK Neubrandenburg; § 3 Abs. 8 S. 1 Satzung IHK Offenbach (hier: der Beschluss über die Zulassung der Öffentlichkeit kann durch die Vollversammlung oder das Präsidium erfolgen); § 4 Abs. 9 Satzung IHK  Passau (hier: der Beschluss über die Zulassung der Öffentlichkeit kann herbeigeführt werden, indem der Präsident bereits in der Einladung die ganze Sitzung oder einen Teil als öffentlich bezeichnet und ein Widerspruch seitens der einfachen Mehrheit der Vollversammlungsmitglieder bis vier Tage vor der Sitzung ausbleibt); § 5 Abs. 10 S. 1 ff. Satzung IHK Regensburg (hier: der Beschluss über die Zulassung der Öffentlichkeit kann herbeigeführt werden, indem der Präsident bereits in der Einladung die ganze Sitzung oder einen Teil als öffentlich bezeichnet und ein Widerspruch seitens der einfachen Mehrheit der Vollversammlungsmitglieder bis zum Beginn der Sitzung ausbleibt); § 6 Abs. 10 S. 1 f. Satzung IHK Suhl (hier: der Beschluss über die Zulassung der Öffentlichkeit kann nur auf Vorschlag des Präsidenten erfolgen); Art. 3 Abs. 10 Satzung IHK Würzburg. Irriger, Genossenschaftliche Elemente bei öffentlichrechtlichen Körperschaften, 1991, S. 228 berichtet, dass 1991 in § 3 Abs. 8 S. 1 der Mustersatzung des DIHK eine Regel über die Nichtöffentlichkeit der Sitzungen der Vollversammlung vorgesehen war. 2081 Die Satzungen der IHK-Bezirke Dresden, Konstanz, Limburg und Ulm enthalten – soweit ersichtlich – keine Vorgabe. § 5 Abs. 7 S. 1 Satzung IHK Fulda, § 6 Abs. 4 S. 1 Satzung IHK Hannover und § 6 Abs. 6 S. 1 Satzung IHK Magdeburg bekräftigen ausnahmslos, dass die Sitzungen der Vollversammlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Die Auffassung, wonach in den Fällen eines vollständigen Regelungsverzichts von der Mitgliederöffentlichkeit der Sitzungen auszugehen sei (so Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 4 Rn. 33; ders., WiVerw 2004, 153 [158]; Krebs, Der Kommunale Öffentlichkeitsgrundsatz, 2016, S. 85), überzeugt nicht. Dieser Auffassung steht die Rechtslage in den übrigen Kammern entgegen, in denen die Sitzungsöffentlichkeit positiv geregelt wird. Schweigen die Satzungen zu dieser Frage, ergibt das rechtsvergleichende Argument, dass die Sitzungen nichtöffentlich sind. 2082 § 4 Abs. 11a S. 3 Satzung IHK Aachen; § 5 Abs. 7 S. 4 Satzung IHK Arnsberg; § 5 Abs. 7 S. 3 Satzung IHK Berlin; § 5 Abs. 8 S. 3 Satzung IHK Bielefeld; § 4 Abs. 8 S. 3 Satzung IHK Bochum; § 5 Abs. 7 S. 3 Satzung IHK Cottbus; § 5 Abs. 7 S. 3 Satzung IHK Detmold; § 5 Abs. 7 S. 5 Satzung IHK Dillenburg; § 5 Abs. 9 S. 3 f. Satzung IHK Dortmund; § 4 Abs. 8 S. 4 Satzung IHK Duisburg; § 5 Abs. 8 S. 3 Satzung IHK Erfurt; § 5 Abs. 7 S. 3 Satzung IHK Essen; § 4 Abs. 8 S. 3 Satzung IHK Flensburg; § 5 Abs. 8 S. 5 Satzung IHK Frankfurt (Oder); § 5 Abs. 6 S. 4 Satzung IHK Freiburg; § 5 Abs. 8 S. 3 Satzung IHK Gera; § 5 Abs. 7 S. 3 Satzung IHK Gießen;

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Zweidrittelmehrheit unter den Vollversammlungsmitgliedern dem Votum des Präsidenten über den Ausschluss der Öffentlichkeit widersprechen.2083 Die weiteren Kammern verlangen einen auf den Ausschluss der Öffentlichkeit gerichteten Beschluss durch die Vollversammlung, wobei teilweise eine Begründung auf Grundlage tatbestandsähnlicher Voraussetzungen gefordert wird.2084 Nach den Satzungen der IHK-Bezirke Bonn, Düsseldorf und Krefeld kann der Präsident über den Ausschluss der Öffentlichkeit verfügen, wohingegen die Möglichkeit eines abweichenden Votums durch die Vollversammlung keine Erwähnung findet.2085 Die Rechts-

§ 6 Abs. 5 S. 4 Satzung IHK Hagen; § 7 Abs. 3 S. 4 Satzung IHK Halle; § 7 Abs. 9 S. 3 Satzung HK Hamburg; § 5 Abs. 7 S. 3 Satzung IHK Heidenheim; § 5 Abs. 7 S. 3 Satzung IHK Heilbronn; § 5 Abs. 7 S. 3 Satzung IHK Kiel; § 5 Abs. 8 S. 3 Satzung IHK Koblenz; § 6 Abs. 5 S. 5 Satzung IHK Köln; § 5 Abs. 7 S. 3 Satzung IHK Lübeck; § 5 Abs. 10 S. 2 Satzung IHK Mainz; § 5 Abs. 7 S. 3 Satzung IHK Mannheim; § 5 Abs. 10 S. 3 Satzung IHK Münster; § 3 Abs. 10 S. 3 Satzung IHK Nürnberg; § 5 Abs. 9 S. 3 Satzung IHK Oldenburg; § 6 Abs. 2 S. 3 Satzung IHK Osnabrück; § 5 Abs. 7 S. 3 Satzung IHK Pforzheim; § 6 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Reutlingen; § 5 Abs. 9 S. 3 Satzung IHK Rostock; § 5 Abs. 7 S. 4 Satzung IHK Siegen; § 5 Abs. 8 S. 4 Satzung IHK Trier; § 5 Abs. 4 S. 5 Satzung IHK Villingen-Schwenningen (hier: in nichtöffentlicher Sitzung kann nach S. 4 „insbesondere“ verhandelt werden, wenn es „das Interesse der IHK-zugehörigen Wirtschaft bzw. die Wahrung schutzwürdiger Interessen Einzelner erfordert oder wenn dies aus anderen Gründen sinnvoll erscheint“); § 5 Abs. 7 S. 3 Satzung IHK Wiesbaden; § 13 Abs. 2 S. 2 Geschäftsordnung IHK Wuppertal (hier: über den Ausschluss, der nach S. 1 zur Wahrung von schutzwürdigen Interessen der Kammer oder einzelner Personen erforderlich erscheinen muss, entscheidet das Präsidium und nicht der Präsident). 2083 § 6 Abs. 4 S. 3 Satzung IHK Karlsruhe. 2084 § 5 Abs. 10 S. 3 Satzung IHK Augsburg; § 7 Abs. 9 S. 5 Satzung IHK Braunschweig (hier: der Ausschluss kann für Angelegenheiten, bei denen eine nichtöffentliche Beratung zur Wahrung von schutzwürdigen Interessen der IHK oder einzelner Personen notwendig erscheint, vollzogen werden); § 6a Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Emden; § 5 Abs. 8 S. 1 Satzung IHK Frankfurt a. M.; § 3 Abs. 8 S. 1 Satzung IHK Kassel; § 5 Abs. 9 Satzung IHK Ludwigshafen (hier: der Beschluss erfolgt auf Vorschlag des Präsidenten); § 8 Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Lüneburg (hier: der Ausschluss kann für Angelegenheiten, bei denen eine nichtöffentliche Beratung zur Wahrung von schutzwürdigen Interessen der IHK oder einzelner Personen notwendig erscheint, vollzogen werden); § 5 Abs. 8 S. 3 Satzung IHK München (hier: der Ausschluss kann aus Gründen des Datenschutzes, schutzwürdiger Interessen der IHK oder einzelner Personen beschlossen werden); § 4 Abs. 8 S. 3 Satzung IHK Saarbrücken; § 5 Abs. 7 S. 3 Satzung IHK Schwerin; § 5 Abs. 4 S. 4 Satzung IHK Stade (hier: der Ausschluss kann für Angelegenheiten, bei denen eine nichtöffentliche Beratung zur Wahrung von schutzwürdigen Interessen der IHK oder einzelner Personen notwendig erscheint, vollzogen werden); § 3 Abs. 4 S. 2 Geschäftsordnung IHK Stuttgart (hier: der Ausschluss kann für Angelegenheiten, bei denen eine nichtöffentliche Beratung zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der IHK oder einzelner Personen notwendig erscheint, vollzogen werden); § 5a Abs. 2 S. 2 Satzung IHK Weingarten (hier: der Ausschluss kann vom Präsidenten angeordnet werden, sofern der Gegenstand der Beratung, das Wohl der IHK oder berechtigte Interessen einzelner Personen dies erfordern). 2085 § 6 Abs. 5 S. 2 Satzung IHK Bonn (hier: der Präsident kann den Ausschluss für Themen, die ihrer Natur nach als vertraulich zu behandeln sind oder auf Antrag vertraulich behandelt werden sollen, verfügen); § 3 Abs. 9 S. 4 Satzung IHK  Düsseldorf; § 5 Abs. 8 S. 2 Satzung IHK Krefeld (hier: der Präsident kann den Ausschluss verfügen, wenn die öffentliche Behandlung einer Sache dem Gemeinwohl oder den berechtigten Interessen der IHK oder einzelner Personen zuwiderlaufen würde).

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

lage in der IHK Potsdam weicht von dem Vorstehenden ab, indem die Satzung ein unverrückbares Votum des Präsidiums für entscheidend erachtet.2086 In seltenen Fällen fordern die Satzungen, dass die Tagesordnung respektive ihr Entwurf veröffentlicht werden.2087 Lediglich drei Bezirke stellen die Protokolle, die über die Beratungen und Beschlüsse der Vollversammlung angefertigt werden, zur Einsichtnahme bereit.2088 Einen weiteren Schritt unternimmt die HK Hamburg, deren Satzung zusätzlich gestattet, eine öffentliche Live-Übertragung der Plenarsitzungen in Bild und / oder Ton mittels Telemedien durchzuführen, soweit nur Personen erfasst werden, die vorher ihre Einwilligung erteilt haben.2089 d) Kritik Die vorgefundene Rechtslage ist in mehrfacher Hinsicht kritikwürdig. Dies gilt zuvörderst in Anbetracht der Tatsache, dass die Vollversammlungen in 19 IHK-Bezirken entweder regelmäßig oder ausnahmslos unter Ausschluss der Kammermitglieder beraten und beschließen. Steht die Zulassung der Mitgliederöffentlichkeit unter dem Vorbehalt eines positiven Beschlusses der Vollversammlung, der für jede Sitzung erneut herbeigeführt werden muss, ist ein insgesamt inkonsistentes Normkonzept zu erkennen. Denn das interessierte Mitglied wird sich wohl nur selten zum Sitzungsort begeben, wenn nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass es den Verhandlungen auch tatsächlich beiwohnen kann. Eben Gesagtes gilt entsprechend für Regelungen, die öffentliche Sitzungen zwar vorsehen, aber auf eine Pflicht zur Veröffentlichung der Tagesordnung im Vorhinein verzichten. Um die Inanspruchnahme der Zugänge durch die Kammerzugehörigen anzuregen, erscheint es unerlässlich, die Tagesordnung in einem niedrigschwelligen Zugang bereitzustellen. Zu hinterfragen ist weiterhin, dass bisher nur drei Kam-

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§ 6 Abs. 5 S. 3 Satzung IHK Potsdam. § 5 Abs. 7 S. 4 Satzung IHK Berlin; § 5 Abs. 7 S. 4 Satzung IHK Coburg (hier: die Veröffentlichung erfolgt auf der Internetseite); § 5 Abs. 7 S. 5 Satzung IHK Dillenburg; § 5 Abs. 7 S. 4 Satzung IHK  Essen (hier: die Veröffentlichung erfolgt auf der Internetseite); § 4 Abs. 8 S. 4 Satzung IHK Flensburg (hier: die Veröffentlichung erfolgt auf der Internetseite); § 5 Abs. 7 S. 4 Satzung IHK Heilbronn; § 6 Abs. 4 S. 4 Satzung IHK Karlsruhe; § 5 Abs. 7 S. 4 Satzung IHK Kiel; § 6 Abs. 5 S. 4 Satzung IHK Köln; § 5 Abs. 7 S. 4 Satzung IHK Lübeck; § 5 Abs. 7 S. 4 Satzung IHK Pforzheim. Nach Günther, in: v. Landmann / Rohmer (Begr.), Gewerbeordnung, Stand: 83. EL Dezember 2019, § 4 IHKG Rn. 61 entsprechen diese Vorschriften der Mustersatzung des DIHK. 2088 § 5 Abs. 7 S. 4 Satzung IHK Berlin; § 7 Abs. 11 S. 1 Satzung HK Hamburg (hier: die Veröffentlichung erfolgt auf der Internetseite); § 6 Abs. 10 S. 7 Satzung IHK Köln (hier: die Veröffentlichung erfolgt auf der Internetseite). § 5 Abs. 10 S. 4 Satzung IHK Oldenburg kommt dem vorstehenden Regelungsgehalt nicht nahe, weil lediglich gestattet wird, dass der Hauptgeschäftsführer „im Einvernehmen“ mit dem Präsidenten der allgemeinen Öffentlichkeit einen „Bericht über Ablauf und Inhalt der Sitzung zugänglich machen“ kann. 2089 § 7 Abs. 11 S. 2 Satzung HK Hamburg. 2087

VI. Kontrolle und andere Formen „guter“ Verwaltungsorganisation  

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mern eine Bereitstellung der Sitzungsprotokolle im Nachgang gewährleisten. Die durch digitale Infrastrukturen, Flexibilität und Mobilität geprägte unternehmerische Realität streitet dafür, den Begriff der Öffentlichkeit nicht auf die physische Teilnahme an den Sitzungen des Vertretungsorgans zu verkürzen. Auch müssen die Lebenslagen der Gewerbetreibenden berücksichtigt werden, die sich Einbußen im Bereich der hauptberuflichen Erwerbstätigkeit regelmäßig nicht „leisten“ können. Möchte man Transparenz unter dem Anspruch der Gleichberechtigung ermöglichen, wird man nicht daran vorbeikommen, den verhinderten Unternehmern ein Substitut für die faktisch unmögliche Teilnahme an den Sitzungen der Vollversammlung bereitzustellen.2090 Die Vorgaben, die in den Satzungen erdacht wurden, um den Ausschluss der Öffentlichkeit für einzelne Tagesordnungspunkte vollziehen zu können, stellen ebenfalls kein Sinnbild für einen konsistenten Rechtszustand dar. Eine unzulässige Verkürzung der Mitwirkungsrechte der Vollversammlungsmitglieder ist insbesondere in jenen „Lösungen“ zu erkennen, die die Entscheidung über den Ausschluss der Sitzungsöffentlichkeit abweichungsfest und voraussetzungslos einem anderen Organ (dem Präsidenten oder dem Präsidium) zugestehen.2091 Auch die weithin verbreiteten Bestimmungen, die ein erstes Zugriffsrecht des Präsidenten zur Herstellung einer geheimen Sitzung bereithalten, sind abzulehnen. Sie vermitteln grundlos, dass der Präsident über eine höhere Einsicht verfügt, und schaffen einen zu simplen Mechanismus, um die Auseinandersetzung vor der organisationsinternen Öffentlichkeit zu suspendieren. Wenn zugleich an die Rechtsausübung keinerlei Voraussetzungen geknüpft sind, d. h. keine Professionalisierung erforderlich ist, lassen sich keine rechtfertigenden Argumente erdenken, warum der Beschluss in dieser Angelegenheit nicht dem Regelmodus der Entscheidungsfindung folgen sollte. Falls man überhaupt anerkennen möchte, dass die Sorge um das „Wohl“ der Verwaltungseinheit zum Ausschluss der Mitgliederöffentlichkeit berechtigt (dazu sogleich), verbietet es sich ebenfalls, die Rechtsausübung dem Präsidenten zur freien Verfügung zu überlassen. Das Wohl der IHK ist nicht ihm, sondern der Vollversammlung als Repräsentativorgan der Mitglieder anvertraut. Angesichts der eminenten Funktionen, die einer transparent arbeitenden Organisation beizumessen sind, darf die Publizität nicht vorschnell aufgegeben werden. Die Grundlegung als insgesamt restriktives Ausnahmerecht gelingt, indem der Ausschluss der Sitzungsöffentlichkeit an eng umgrenzte Voraussetzungen geknüpft, auf singuläre Tagesordnungspunkte begrenzt und regelmäßig die Zu-

2090 Im Kommunalverfassungsrecht begreift man die Befugnis zur Protokolleinsicht treffend als „Annexrecht des Öffentlichkeitsgrundsatzes“ (Gern / Brüning, Deutsches Kommunalrecht, 4. Aufl. 2019, Rn. 619). 2091 Im Ergebnis ebenso Rickert, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 4 Rn. 33, der allerdings ohne Erläuterung zu der Auffassung gelangt, dass derartige Regelungen unzulässig seien.

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stimmung einer qualifizierten Mehrheit erforderlich ist. Zu den justiziablen2092 Voraussetzungen, die den Ausschluss der Öffentlichkeit im Einzelfall rechtfertigen können, zählen danach die Behandlung personenbezogener Daten oder sonstiger schutzwürdiger Interessen, die in den einzelnen Personen oder den dahinter stehenden Unternehmen begründet sind (z. B. Personalangelegenheiten i. e. S., der Schutz des geistigen Eigentums oder von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen).2093 Indes sollen nach dem geltenden Recht auch Gründe wie die Wahrung von „schutzwürdigen“ oder „berechtigten“ Interessen der Kammer oder die Sorge um das Wohl der IHK zum Ausschluss der Mitgliederöffentlichkeit berechtigen. Dem ist bereits angesichts der Vagheit des vorgefundenen Wortlauts entgegenzutreten. Er dürfte eine regelmäßige Absage an die Publizität selbst für die banalsten Verwaltungsvorgänge auf der Grundlage bloßer Vermutungen über den Verlauf der Beratungen gestatten. Diese Bestimmungen zeichnen ein obrigkeitliches Bild in der innerorganisatorischen Beziehung Kammermitglieder-Vollversammlung, das den Mitgliedern ein unziemliches Schnüffeln in Angelegenheiten unterstellt, die sie mangels spezifisch individueller Betroffenheit nichts angehen und über die sie schon Kenntnis erlangen würden, wenn es etwas zu verkünden gebe.2094 Es muss aber erkannt werden und in das Selbstverständnis der IHK Eingang finden, dass die Mitglieder nicht nur Objekte, Verwaltete, Verpflichtete oder Begünstigte sind, sondern den eigentlichen Souverän der Verwaltungseinheit verkörpern.2095 Die in der Vollversammlung verhandelten Angelegenheiten sind auch ihre. 2092 Den an einer Sitzungsteilnahme Interessierten steht – die Annahme folgt der Ratio der Normen und der maßgeblichen Rechtsauffassung im Kommunalrecht (zu Letzterem Schnapp, VerwArch 78 [1987], 407 [431]; Gern / Brüning, Deutsches Kommunalrecht, 4. Aufl. 2019, Rn. 626)  – eine subjektiv-öffentliche Rechtsposition auf Einhaltung der Grundsätze der Öffentlichkeit zu. Dieses Recht wird ungerechtfertigt verkürzt, wenn die Voraussetzungen zum Ausschluss nicht vorliegen. Ob die Rechtsvorschriften über die Sitzungsöffentlichkeit auch eine wehrfähige Innenrechtsposition für die Organmitglieder ergeben, ist im Kommunalverfassungsrecht umstritten (dagegen Gern / Brüning, Deutsches Kommunalrecht, 4. Aufl. 2019, Rn. 625; dafür Katz, NVwZ 2020, 1076 [1077]; Suslin, NVwZ 2020, 200 [204]; umfassend dazu Schnapp, VerwArch 78 [1987], 407 [427 ff.], der die Ratio der Normen bürgerorientiert verstanden wissen will [S. 431 f.] und in der Folge kein Mitgliedschaftsrecht erkennt). Für die Mitglieder der Vollversammlung liegt ein wehrfähiges organschaftliches Recht vor, weil die organisationsinterne Transparenz der Selbstkontrolle ihrer Mandatsausübung dient und dieser Anspruch auf „Selbstschutz“ durch den unrechtmäßigen Ausschluss der Öffentlichkeit ausgeschaltet wird. Ebenso ist die Wahrnehmung ihres Mandats empfndlich tangiert, wenn sie nach einem fehlerhaften Ausschluss der Öffentlichkeit von der Sitzung dennoch zur Verschwiegenheit über deren Inhalt aufgerufen sind. 2093 Die entscheidenden Leitplanken können den Ablehnungsgründen entnommen werden, die die Informationsfreiheitsgesetze oder das Umweltinformationsgesetz vorsehen. Restriktiver wohl § 48 Abs. 3 GemO NRW. 2094 Gedanke entnommen bei Lübbe-Wolff, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, VVDStRL 60 (2000), 2001, 246 (276 f.), den die Verfasserin mit Blick auf die „deutsche Rechtslage“ insgesamt und „insbesondere“ für Vorgänge im „Bereich der Verwaltung“ entfaltet. 2095 Allgemeingültig Scheuner, Voraussetzungen und Form der Errichtung öffentlicher Körperschaften (außerhalb des Kommunalrechts), in: Conrad / Jahrreiß / Mikat / Mosler / Nipperdey /  Salzwedel (Hg.), GS Peters, 1967, 797 (801); ders., Wirtschaftliche und soziale Selbstverwaltung, DÖV 1952, 609 (611).

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Folgt man der eingangs dargelegten Einsicht, nach der die Verfügbarkeit organisationsinterner Transparenz als Ausprägung einer Kontroll- und Partizipationsfunktion einen zentralen Bestandteil zur Gewinnung eines langlebigen Organisationsdesigns darstellt, ist die Rechtslage insgesamt als unbefriedigend anzusehen. Denn im geltenden Recht steht die Befugnis der Mitgliedschaft, sich über die Beratungen und Entscheidungen des von ihnen gewählten Organs zu informieren, in der Disposition der Mehrheit, die für eine Satzungsänderung notwendig ist. Dies drängt zu der Auffassung, dass eine Zuordnung dieser Regelungsmaterie zum Parlamentsvorbehalt angezeigt ist.2096 Die Zulassung von Medien, sonstigen Gästen oder der allgemeinen Öffentlichkeit überschreitet die Forderung nach Herstellung organisationsinterner Transparenz. Derartige Satzungen fallen aus der Reihe, weil Außenstehende in den Kreis der Kontrolleure erhoben werden. Das ist untypisch, weil den befugten Personen kein Wahlrecht in der Organisation zusteht und sie auch nicht von der Organisationspolitik unmittelbar betroffen sind.2097 Da erwartet werden muss, dass die Beratungen der Vollversammlung in Übereinstimmung mit den öffentlich-rechtlichen Bindungen ablaufen und das Licht der Öffentlichkeit nicht zu scheuen brauchen, müssen diese Regelungskonzepte allerdings nicht vorschnell als systemfremd verworfen werden. Die unterschiedslose Zulassung der allgemeinen Öffentlichkeit ist jedenfalls dann vorzugswürdig, wenn man bedenkt, dass die Satzungen dem Präsidenten gemeinhin zugestehen, „Gäste“ zu den Sitzungen der Vollversammlung einzuladen.2098 Macht er von dieser Befugnis etwa für auserwählte Medienschaffende Gebrauch, sind den Gefahren einer Inszenierung der Öffentlichkeit Tür und Tor geöffnet.2099 Denn es könnte eine exklusive Produktionsgemeinschaft zwischen der ehrenamtlichen Spitze der IHK und selektierten Nachrichtenmittlern gebildet werden, in der nur diejenigen Vorgänge zur Veröffentlichung gelangen, die dem Maßstab gefälliger Berichterstattung genügen. Die in der Praxis vorgefundenen „Zwischenlösungen“, mit denen nach Wunsch und Vorstellung des Präsidenten sogar zu nichtöffentlichen Sitzungen organisationsexterne Akteure eingeladen

2096 In diesem Sinne auch Groß / Pautsch, Kammerverfassungsrecht – Organisation und Verfahren, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 7 Rn. 104. Auch Tettinger, Kammerrecht, 1997, S. 115 f. sieht in der „Sitzungsöffentlichkeit“ ein Thema von „besonderem rechtlichen Inte­ resse“. 2097 Rickert, WiVerw 2004, 153 (156 m. Fn. 24) denkt mit Blick auf den Berufsbildungsausschuss über Fälle nach, in denen Dritte direkt von Entscheidungen der IHK betroffen seien, und erachtet es als „durchaus naheliegend“, sie in den Kreis der Berechtigten einzubeziehen. 2098 Z. B. § 4 Abs. 11a S. 2 Satzung IHK Aachen; § 5 Abs. 9 S. 2 Satzung IHK Oldenburg; § 5 Abs. 7 S. 2 Satzung IHK Pforzheim. 2099 Zu den damit beschriebenen Gefahren eingehend m. w. N. Scherzberg, Öffentlichkeitskontrolle, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hg.), GrVwR, Bd. 3, 2. Aufl. 2013, § 49 Rn. 86 f. (insbes. Rn. 87 m. Fn. 389). Auch Wegener, Der geheime Staat, 2006, S. 453 warnt, dass Geheimhaltungsregeln „die Voraussetzungen für eine selektive Kommunikation der Verwaltung mit privilegierten Gesellschaftsteilen“ schaffen würden, die „dem Prinzip demokratischer Gleichheit“ zuwiderliefen.

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werden können,2100 widerstreben dem Prinzip der Egalität ganz besonders. Immerhin wird diesen Personen der Zugang zu Informationen gewährt, auf den die eigentlich Betroffenen vergeblich warten. Die beobachtete Rechtslage bleibt schließlich in ihren übergreifenden Zusammenhängen auch vor dem Niveau der Rechtshistorie zurück. In den Vorläufern zum IHKG hatte der preußische Gesetzgeber die fakultative Nichtöffentlichkeit für die Sitzungen der Handelskammern vorgesehen und zugleich festgelegt, dass den Kammerzugehörigen über den Ablauf der Sitzungen durch fortlaufende Mitteilung von Auszügen aus den Beratungsprotokollen zu berichten ist.2101 Dabei soll nicht unerwähnt bleiben, dass sich die Handelskammern gewünscht hatten, ihre Sitzungen prinzipiell öffentlich abhalten zu können. Sie sahen in der „Durchsichtigkeit ihrer Verwaltung“ ein „notwendiges Korrelat“ für die von ihnen geforderte größere Selbstständigkeit.2102 Dass der Gesetzgeber mit dem PrHKG 1870 diesem Wunsch nicht entsprach, war auf verwaltungspraktische Erwägungen zurückzuführen. Er ging davon aus, dass die den Handelskammern zur Disposition stehenden Lokalitäten „nicht überall zu öffentlichen Verhandlungen geeignet sein werden“, weshalb ihnen „die Einführung der Oeffentlichkeit frei zu geben“ sei.2103 Auch im Zuge der Beratungen zum PrHKG 1897 wurde darauf bestanden, die obligatorische Öffentlichkeit im Gesetz zu verankern. Zur Begründung des Antrags führte man aus, „daß die zur Beitragsleistung verpflichteten Handelund Gewerbetreibenden das naheliegende und berechtigte Interesse hätten, die 2100

§ 5 Abs. 7 S. 3 Satzung IHK Fulda, § 6 Abs. 4 S. 2 Satzung IHK Hannover (hier: das Präsidium kann Gäste einladen); § 6 Abs. 6 S. 2 Satzung IHK Magdeburg. Dass die Vollversammlungen in diesen Bezirken nichtöffentliche Sitzungen abhalten, wird in Fn. 2081 nachgewiesen. 2101 § 24 PrHKVO 1848: „[1] Die Handelskammern […] sind verpflichtet, den Handel- und Gewerbetreibenden ihres Bezirks durch fortlaufende Mittheilung von Auszügen aus den Berathungsprotokollen, sowie am Schlüsse jedes Jahres in einer besonderen Uebersicht von ihrer Wirksamkeit und von der Lage und dem Gange des Handels und der Gewerbe durch die öffentlichen Blatter Kenntnis zu geben. […] [3] Ausgenommen von der öffentlichen Mittheilung bleiben diejenigen Gegenstände der Berathung, welche den Handelskammern, als für die Oeffentlichkeit nicht geeignet, von den Behörden bezeichnet werden.“ § 27 PrHKG 1870: „[1] Die Handelskammern können die Oeffentlichkeit ihrer Sitzungen beschließen. Jedenfalls sind sie verpflichtet, den Handel- und Gewerbetreibenden ihres Bezirks durch fortlaufende Mittheilung von Auszügen aus den Berathungsprotokollen, ferner am Schlusse jeden Jahres in einer besonderen Uebersicht von ihrer Wirksamkeit und von der Lage und dem Gange des Handels und der Gewerbe, sowie summarisch von ihren Einnahmen und Ausgaben durch die öffentlichen Blätter Kenntniß zu geben. [2] Ausgenommen von der öffentlichen Berathung und Mittheilung bleiben diejenigen Gegenstände, welche in einzelnen Fällen den Handelskammern als für die Oeffentlichkeit nicht geeignet von den Behörden bezeichnet oder von ihnen selbst zur Veröffentlichung nicht geeignet befunden werden.“ § 33 PrHKG 1897: „[1] Die Handelskammern können die Oeffentlichkeit ihrer Sitzungen beschließen. [2] Ausgenommen von der öffentlichen Berathung sind diejenigen Gegenstände, welche in einzelnen Fällen den Handelskammern als für die Oeffentlichkeit nicht geeignet von den Behörden bezeichnet oder von ihnen selbst als zur öffentlichen Berathung nicht geeignet befunden werden.“ 2102 Fischer, Unternehmerschaft Selbstverwaltung und Staat, 1964, S. 70. 2103 Sammlung sämmtlicher Drucksachen des Hauses der Abgeordneten, 10. Legislatur­ periode, III. Session 1869, Bd. 1, 1870, Nr. 16, S. 34.

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Verhandlungen der Handelskammern gewissermaßen kontrollieren zu können. Dieses Interesse werde besonders lebhaft sein, wenn es sich um Anträge handele, die aus den […] Kreisen bei der Handelskammer [die Kammermitglieder] gestellt seien. Aber nicht nur die direkt beteiligten, sondern auch außenstehende Kreise hätten ein Interesse daran, sich über die Verhandlungen der Handelskammern zu orientieren und zu wissen, in welcher Weise dieselben geführt werden. Damit solle ein Mißtrauen gegen die Handelskammern und deren Verhandlungen nicht ausgesprochen sein. Die Öffentlichkeit des Verfahrens werde gegenwärtig überall gefordert und eingeführt, wo es angängig erscheine“.2104 Diese Dokumentation verdeutlicht, dass „Öffentlichkeit“ im Sinne der Handelskammergesetze von 1870 und 1897 nicht nur die Gewährleistung der Mitgliederöffentlichkeit, sondern den Zugang für die allgemeine Öffentlichkeit meinte. 6. Informationsrechte Die Erörterung der Zwecke organisationsinterner Transparenz unterbreitet zugleich die entscheidenden Parameter, um über Auskunfts- und Akteneinsichtsrechte – sie werden im Folgenden, trotz ihrer Unterschiede,2105 vereinheitlichend als Informationsrechte bezeichnet – oder sogar fortwährende Unterrichtungspflichten verhandeln zu können. Über diese Ansprüche ist nachzudenken, auch wenn die IHK generell als Informationsschuldnerin im Sinne der Presse- und Informationsfreiheitsgesetze der Länder gilt.2106 2104 Wiedergabe bei Lusensky, Gesetz über die Handelskammern. Vom 24. Februar 1870 in der Fassung des Gesetzes vom 19. August 1897 – Kommentar, 2. Aufl. 1909, S. 176 – Hervorh. n. h. Der Antrag über die obligatorische Öffentlichkeit der Sitzungen der Handelskammern begegnete keinen Bedenken bei der Regierung, wurde im Plenum im Rahmen der zweiten Lesung widerspruchslos gutgeheißen, aber während der dritten Lesung verworfen. 2105 Auskunfts- und Akteneinsichtsrechte unterscheiden sich dergestalt (s. dazu auch Janssen, Das Verhältnis von ehrenamtlichem Rat und hauptamtlichem Bürgermeister, 2019, S. 165 f.), dass der Anspruch auf Akteneinsicht auf die Erlangung ungefilterter Informationen gerichtet ist, während das Auskunftsverlangen prinzipiell nach Belieben des Auskunftsverpflichteten erfüllt werden kann. Indes bestehen auch Wechselwirkungen zwischen Auskunfts- und Akteneinsichtsverlangen: Steht zu befürchten, dass die im Rahmen eines Auskunftsverlangens mitgeteilten Angaben im Wege einer Akteneinsicht zur nochmaligen Überprüfung gelangen könnten, wird der Auskunftsverpflichtete stärker auf eine lückenlose Preisgabe der Informationen im Zuge der Auskunftserteilung achten. 2106 § 4 Abs. 1 Landespressegesetz SH: „Die Behörden sind verpflichtet, den Vertreterinnen und Vertretern der Presse die der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe dienenden Auskünfte zu erteilen.“ § 3 S. 1 Informationszugangsgesetz SH: „Jede natürliche oder juristische Person hat ein Recht auf freien Zugang zu den Informationen, über die eine informationspflichtige Stelle verfügt.“ Nach § 2 Abs. 3 Nr. 1 IZG sind informationspflichtige Stellen „Behörden des Landes, der Gemeinden, Kreise und Ämter sowie die sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, einschließlich der sie beratenden satzungsmäßigen Gremien“. Dazu zählt auch die IHK (s. nur Drechsler / Karg, in: Praxis der Kommunalverwaltung Schleswig-Holstein, A-16, Stand: 21. Fassung September 2019, § 2 IZG 4. 2. 3). Unter Hinweis auf eine angeblich fehlende Kompetenz der Länder wurde die Möglichkeit zur Festschreibung von Ansprüchen

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Die Ausübung von Mitwirkungsrechten setzt die ausreichende Information der Berechtigten voraus. Dies gilt nicht nur für die Kammerzugehörigen hinsichtlich ihres Wahlrechts, sondern auch im Hinblick auf die Beteiligungs- und Kontrollrechte, die den Mitgliedern der Vollversammlung zustehen. Der Unterschied zu den vorangegangenen Absätzen liegt für diesen Teilausschnitt organisationsinterner Transparenz darin, dass der Kontrollgegenstand sowie der Personenkreis der Kontrolleure und Kontrollierten abweichend bestimmt werden. Unter Verweis auf §§ 4 S. 2 Nr. 5, 6 Abs. 1, 7 Abs. 1 IHKG muss für diese Zwecke bekräftigt werden, dass das Präsidium, der Präsident und der Hauptgeschäftsführer als nachgeordnete Organe verfasst werden. Sie sind gegenüber der Vollversammlung als dem für ihre Wahl und Amtsübertragung berufenen Hauptorgan rechenschaftspflichtig.2107 Die Satzungen bestimmen demgemäß zumeist unmissverständlich, dass sich der Hauptgeschäftsführer gegenüber der Vollversammlung für die ordnungsgemäße Durchführung der Geschäfte verantwortlich zeichnet.2108 Stellt man das strukturelle Informationsdefizit ehrenamtlich Tätiger in Rechnung, ist die Verfügbarkeit von Informationsrechten für Vorgänge im Hauptamt von besonderer Bedeutung. Die Vollversammlung hat aber insgesamt Risiken zu hemmen, die einer „nur“ rechtlich domestizierten Organtätigkeit anhaften. Sie muss Fehlsteuerungen, Zielkonflikte und Missbrauch überwachen und diesbezüglichen Vermutungen nachspüren können. Die Definition der innerorganisatorischen Kontrollbeziehungen nimmt an diesen Prämissen Anteil. Der Kontrolleur (die Vollversammlung), die Kontrollierten (Präsidium, Präsident und Hauptgeschäftsführer) und der Kontrollgegenstand (die Aufgabenwahrnehmung in den Organen) können danach zweifelsfrei bestimmt werden.

auf Zugang zu amtlichen Informationen gegenüber Kammern permanent bestritten (so etwa Grütters, GewArch 2002, 270–274; Rickert, WiVerw 2004, 153 [167]; für die Kompetenz der Landesgesetzgeber hingegen Röger, Die Anwendbarkeit der Informationsfreiheitsgesetze der Länder auf Kammern der wirtschaftlichen und berufsständischen Selbstverwaltung, in: Kluth [Hg.], JbKR 2002, 2003, 65 [105 ff.]; Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, § 1 Rn. 322). Erst ein Beschluss des BVerwG (v. 15. Oktober 2007 – 7 B 9/07 –, juris Ls.) vermittelte die notwendige Klarheit im Grundsätzlichen: „Das (Bundes-)Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern (IHKG) schließt die Befugnis der Länder nicht aus, durch ein allgemeines Informationsfreiheitsgesetz Ansprüche auf Zugang zu amtlichen Informationen außerhalb konkreter Verwaltungsverfahren auch gegenüber Industrieund Handelskammern einzuräumen“. 2107 Tendenziell gleichgerichtet Groß / Pautsch, Kammerverfassungsrecht – Organisation und Verfahren, in: Kluth (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 7 Rn. 29. Als fehlgehend ist § 7 Abs. 2 S. 1 Satzung IHK Potsdam einzuordnen. Danach wird dem Präsidium aufgegeben, die Durchführung der Beschlüsse der Vollversammlung zu kontrollieren, „soweit es diese Aufgaben nicht dem Präsidenten oder dem Hauptgeschäftsführer überträgt“. 2108 Z. B. § 9 Abs. 1 S. 1 Satzung IHK Kiel.

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a) Informationsrechte de lege lata (BVerwGE 120, 255) Dass die bestehenden Informationsrechte mit durchgreifenden Schwächen behaftet sind, zeigt ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 2004 exemplarisch auf.2109 Dem Urteilsspruch lag eine Innenrechtsstreitigkeit zugrunde, in der ein Vollversammlungsmitglied einen Anspruch auf Einsichtnahme in den Prüfbericht der Rechnungsprüfungsstelle für die Industrie- und Handelskammern (RPS)2110 gegen den Präsidenten geltend gemacht hatte. Das IHKG hält hierfür keinen expliziten Rechtsgrund bereit. Die entsprechenden Fallgestaltungen aus dem Kommunalverfassungsrecht machen aber bekannt, dass die Gewinnung „wehrfähiger Innenrechtspositionen“ und die Definition ihrer exakten Reichweite kein exklusives Problem des IHK-Rechts darstellen. Der Mangel an Ausdrücklichkeit erzeugt lediglich das Bedürfnis, aus der Stellung des Mitglieds auf ein organschaft-

2109 BVerwG, Urt. v. 31. März 2004 – 6 C 25/03 –, BVerwGE 120, 255. Zum Ganzen Röger, Mitgliedschaftliche Informationsansprüche von Angehörigen berufsständischer und wirtschaftlicher Kammern, in: Kluth (Hg.), JbKR 2003, 2004, 38–63. 2110 Die RPS arbeitet auf Grundlage eines Sonderstatuts des DIHK, der sie auch unterhält (§ 27 Satzung DIHK i. d. F. v. 25. März 2020). Sie hat laut der Präambel des Sonderstatuts die Aufgabe, in Umsetzung der Grundsätze der wirtschaftlichen Selbstverwaltung eine eigenständige Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung und des Jahresabschlusses zu ermöglichen und soll zugleich der Einhaltung des Haushaltsgrundsatzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit dienlich sein. Nach Eigenauskunft der RPS (s. https://www.rpsihk.de/) verantwortet sie die Prüfung der Jahresabschlüsse von über 90 % der IHK-Bezirke. § 12 Abs. 1 Nr. 7 IHKG sieht vor, dass durch Landesrecht ergänzende Vorschriften für „die Prüfung des Jahresabschlusses der Industrie- und Handelskammern“ erlassen werden können. Nach Auskunft von Heyne, in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 12 Rn. 26 ff. sollen die Länder (mit Ausnahme von Bremen, Hamburg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein) die Ermächtigung genutzt haben, um festzulegen, dass die Aufsichtsbehörde die für die Rechnungsprüfung zuständige Stelle bestimmt. Die Autorin führt auch aus, dass „in der überwiegenden Zahl der Länder“ die RPS in der Folge für zuständig erkannt wurde. Die Prüfberichte der RPS bilden zumeist die Grundlage für einen weiteren Bericht, den die nach der Satzung zu wählenden ehrenamtlichen Rechnungsprüfer gegenüber der Vollversammlung erstatten. Auch die Aufsichtsbehörde erhält eine Ausfertigung des Berichts. Der Auftrag der RPS kommt dem Prüfprogramm der LRH nahe (s. etwa § 2 Abs. 3 LRHG SH). Nach Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, Einf. Rn. 53 soll zwischen den Prüfprogrammen der RPS und der LRH sogar Komplementarität bestehen. Derartige Verlautbarungen führen jedoch nicht dazu, die Prüftätigkeit der LRH über die Kammern als eine weitere externe Kontrolle zu suspendieren. Dass die Haushalts- und Wirtschaftsführung der IHK dem Prüfauftrag der LRH unterliegt, ist seit dem Judikat BVerwG, Urt. v. 30. September 2009 – 8 C 5/09 –, BVerwGE 135, 100 anerkannt und wurde in dem zu entscheidenden Fall zugunsten der Prüftätigkeit des Bayerischen Obersten Rechnungshofs beantwortet. Zu dieser Frage und der hierzu ergangenen Rechtsprechung ausführl. Knöpfle, Die Zuständigkeit der Rechnungshöfe für die Prüfung der Körperschaften des öffentlichen Rechts, 1987, S. 44 ff.; Volino, Steuerung und Kontrolle der Kammerwirtschaft, 2013, S. 366 ff.; dies., GewArch 2010, 72–74; Reus / Mühlhausen, GewArch 2009, 93–98; dies., DVBl 2010, 711–715; Schöbener, GewArch 2010, 177–182; Wendt, WiVerw 2013, 5–57; Heyne, Haushaltsrecht der Kammern einschließlich Vergaberecht, in: Kluth (Hg.) HbKR, 3. Aufl. 2020, § 12 Rn. 22; dies., in: Junge / Jahn / Wernicke, IHKG, 8. Aufl. 2020, § 12 Rn. 32 f. Zur Frage des anwendbaren Prüfungsmaßstabs Bulla, GewArch 2013, 145–150.

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

liches Recht zu schließen.2111 Bekannt ist bereits, dass dem einzelnen Organwalter umfassende Mitwirkungsrechte im Hinblick auf Beratung und Entscheidung für alle Angelegenheiten zustehen, die in die Zuständigkeit der Vollversammlung fallen. Hierzu zählt auch ein Anspruch auf Informationen. Vor diesem Hintergrund und angesichts der Erkenntnis, dass der Vollversammlung die Aufgabe zukommt, über die Erteilung der Entlastung der nachgeordneten Organe zu beschließen (§ 4 S. 2 Nr. 5 IHKG) und festzustellen, ob das Finanzgebaren den Satzungs- und Haushaltsvorschriften entsprach (§ 4 S. 2 Nr. 3 IHKG), waren die Weichen für die Anerkennung des Anspruchs gestellt.2112 Doch urteilte das Bundesverwaltungsgericht abweichend. Das Gericht stellte zunächst das Offensichtliche fest, indem es bekannte, dass dem IHKG nicht zu entnehmen sei, „[w]ie“ die „Information der Vollversammlungsmitglieder bewirkt“ werde. Den anschließenden Ausführungen mangelt es allerdings an Konsistenz. Wurden dem Vollversammlungsmitglied zunächst noch „umfassende Mitwirkungsrechte“ und „auseichende Information[en]“ versprochen, sollen dem Recht zur Mitentscheidung nunmehr nur noch „notwendige[n] Informationen“ anhaften. Denn „[b]undesrechtlich“ sei nur eine „Mindestinformation“ geboten, während die Satzung weitergehende Rechte etablieren könne. Der Satzungsgeber habe die Gelegenheit, „das Interesse des einzelnen Versammlungsmitglieds oder von Minderheiten der Versammlung an einer möglichst weitgehenden Unterrichtung mit dem Interesse des Gesamtorgans an effektivem Arbeiten in geeigneter Weise“ einer Abwägung zuzuführen.2113 Die nach dem IHKG notwendige Information ist nach dem BVerwG bereits bewirkt, wenn das Mitglied zur Sitzung der Vollversammlung geladen werde und eine Tagesordnung erhalte, in der die einzelnen Angelegenheiten hinreichend konkret umschrieben seien. Die Übersendung schriftlicher Unterlagen stehe bei fehlender gesetzlicher oder organisationsinterner Regelung im Ermessen des Vorsitzenden.2114 Ein Informationsanspruch auf Einsichtnahme in den Prüfbericht der RPS lehnte das Bundesgericht demnach ab.2115 Weitaus differenzierter fiel die Entscheidung der Berufungsinstanz aus. Das OVG NRW sprach dem klagenden Vollversammlungsmitglied den Anspruch zu und verwies hierfür auf seine Stellung als zur Mitentscheidung berufenes Mitglied der Vollversammlung als dem „demokratisch legitimierte[n] Hauptorgan der Kam-

2111

Schöbener, GewArch 2008, 329 (331). So auch BVerwG, Urt. v. 31. März 2004 – 6 C 25/03 –, BVerwGE 120, 255 (258). 2113 Zitate bei BVerwG, Urt. v. 31. März 2004 – 6 C 25/03 –, BVerwGE 120, 255 (259) – Hervorh. n. h. Zustimmend Rickert, WiVerw 2004, 153 (174). Fragwürdig ist diese Annahme, weil sie verkennt, dass sich der Informationsanspruch wohl nur in den seltensten Fällen gegen die Vollversammlung als dem angesprochenen „Gesamtorgan“ richten würde. Insofern wäre die Arbeit des Gesamtorgans entweder gar nicht oder nur in einem geringen Umfang unter dem Gesichtspunkt der Effektivität behindert. 2114 BVerwG, Urt. v. 31. März 2004 – 6 C 25/03 –, BVerwGE 120, 255 (260). 2115 BVerwG, Urt. v. 31. März 2004 – 6 C 25/03 –, BVerwGE 120, 255 Ls. 2112

VI. Kontrolle und andere Formen „guter“ Verwaltungsorganisation  

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mer“, dem die „wesentlichen Entscheidungen“ über die Arbeit der Kammer vorbehalten seien.2116 Anders als das BVerwG deutete das Berufungsgericht auch auf die §§ 6 Abs. 1, 7 Abs. 1 IHKG und erkannte, dass die gewählten Organe gegenüber der Vollversammlung in einen Status der Verantwortlichkeit treten.2117 Weiterhin weist es auf die den Beschlussfassungen vorausgehenden Beratungen unter den Vollversammlungsmitgliedern „mit dem Ziel einer Meinungsbildung“ und „dem Verhandeln von Argument und Gegenargument“ hin und konstatiert zutreffend: „Eine Beratung verfehlt ihren Zweck, wenn über den Beratungsgegenstand keine oder nur unzureichende Informationen zur Verfügung stehen.“2118 Zustimmung verdient auch die Feststellung, nach der „eine verantwortliche Wahrnehmung der Kontrolle“ erfordere, dass man „sich im Bedarfsfall ein eigenes Bild von den für die Überwachung relevanten Vorgängen machen“ könne.2119 Nach der derzeit vorherrschenden Rechtsauffassung müssen den Vollversammlungsmitgliedern auf Grundlage des IHKG aber nur die notwendigen Informationen gewährt werden. Dieser Anspruch ist erfüllt, wenn das Mitglied zur Sitzung geladen wird und eine Tagesordnung erhält, in der die einzelnen Angelegenheiten hinreichend konkret umschrieben sind. Die Übersendung weiterer Informationen steht hingegen im Belieben des Präsidenten. Werden weitergehende Informationsansprüche geltend gemacht, muss das Mitglied auf einen Mehrheitsbeschluss in der Vollversammlung hinwirken.2120 Eine überschießende Ausgestaltung der Maßgaben ist der Vollversammlung als Satzungsgeberin zwar vorbehalten. Nach einer Durchsicht des Satzungsrechts bleibt aber festzuhalten, dass bisher keine Vollversammlung tätig geworden ist.2121

2116

OVG NRW, Urt. v. 12. Juni 2003 – 8 A 4282/02 –, juris Rn. 24 f. In der ersten Instanz prüfte das VG Düsseldorf (Urt. v. 27. August 2002 – 3 K 3073/02 –, juris) den geltend gemachten Anspruch auf Einsichtnahme nach dem Informationsfreiheitsgesetz NRW und lehnte ihn ab. 2117 OVG NRW, Urt. v. 12. Juni 2003 – 8 A 4282/02 –, juris Rn. 27. 2118 Zitate entnommen aus OVG NRW, Urt. v. 12. Juni 2003 – 8 A 4282/02 –, juris Rn. 36. 2119 OVG NRW, Urt. v. 12. Juni 2003 – 8 A 4282/02 –, juris Rn. 41. 2120 Auf diese Möglichkeit weist auch Diefenbach, GewArch 2006, 313 (319) hin. 2121 S. aber § 12 Satzung IHK Wiesbaden: „(1) Alle IHK-Zugehörigen haben Anspruch auf Zugang zu den vorhandenen dienstlichen Informationen. (2) Ausgenommen ist der Zugang zu Informationen, a) die als Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse oder personenbezogene Daten geschützt sind, b) die vom Steuer- oder Statistikgeheimnis erfasst werden oder c) die der Überprüfung durch die unabhängige Rechnungsprüfungsstelle für die Industrie- und Handelskammern und ehrenamtliche Rechnungsprüfer unterliegen. (3) Die IHK macht die Informationen spätestens innerhalb eines Monats in ihren Räumen zur Einsichtnahme zugänglich. Die Anfertigung von Notizen ist gestattet. Auslagen sind der IHK zu erstatten. (4) Ansprüche nach dem Landespressegesetz bleiben unberührt.“

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

b) Trennung von Organ und Organmitglied als unzulässige Prozessstandschaft? Die Streitigkeiten im Gemeindeverfassungsrecht machen die Leitlinie bekannt, nach der ein Mitglied nicht als Prozessstandschafter die dem Gesamtorgan zustehenden Rechte einklagen kann.2122 Allerdings erwachsen aus dieser Beschränkung selten Anspruchs- und Rechtsschutzlücken. Vielmehr wird für diesen Rechts­bereich die Schutzwürdigkeit der Mandatstätigkeit des Einzelnen im Interesse eines insgesamt funktionierenden Systems betont. Die Kommunalverfassungen enthalten überwiegend umfassende Informationsrechte, die bereits ein Ratsmitglied beanspruchen kann.2123 Die Mehrzahl der Gemeindeordnungen verpflichten die Verwaltungsleitung zur proaktiven Unterrichtung des Rats im Zusammenhang mit allen wichtigen, die Gemeinde und ihre Verwaltung betreffenden Angelegenheiten.2124 Selbst die Regelwerke, die die Ausübung der Informationsansprüche an die Stimmen von immerhin höchstens einem Viertel der Mitglieder knüpfen, enthalten ein Auskunftsrecht des Ratsmitglieds für einzelne Angelegenheiten.2125 Ist das Recht schriftlich nicht fixiert, lässt es sich unter Verweis auf die Rechtsprechung begründen. Die Verwaltungsgerichte erkennen ungeschriebene Informationsrechte zugunsten des Einzelnen an, da andernfalls keine eigenverantwortliche Mitwirkung an der Entscheidungsfindung möglich sei. Die Mandatsträger müssten in die Lage versetzt werden, Angelegenheiten zu bearbeiten, die nicht der Mehrheitsmeinung im Rat entsprechen.2126 Für die IHK wurde eingewendet, dass Informationsrechte lediglich der Vollversammlung insgesamt zustünden. Das Organ müsse als Ganzes mittels Mehrheitsbeschluss die Information im Einzelfall einfordern.2127 Dass dem einzelnen Mitglied des Hauptorgans ein Informationsrecht kraft seines Mandats zukommt, ist aber in der Rechtsprechung richtigerweise unumstritten.2128 Das Mitglied ist in 2122 Zur Begründung dessen wird auf das am Individualrechtsschutz orientierte Modell der VwGO verwiesen. Nachw., auch zu der abweichenden Auffassung, finden sich bei Schöbener, GewArch 2008, 329 (331 m. Fn. 34). 2123 S. den Überblick bei Janssen, Das Verhältnis von ehrenamtlichem Rat und hauptamt­ lichem Bürgermeister, 2019, S. 148 ff. 2124 Janssen, Das Verhältnis von ehrenamtlichem Rat und hauptamtlichem Bürgermeister, 2019, S. 148–150. 2125 Janssen, Das Verhältnis von ehrenamtlichem Rat und hauptamtlichem Bürgermeister, 2019, S. 153 ff. m. Fn. 708 ff. 2126 So die kommentierende Einschätzung von Janssen, Das Verhältnis von ehrenamtlichem Rat und hauptamtlichem Bürgermeister, 2019, S. 154. Die Autorin kommt auf S. 154 f. zu dem Ergebnis, dass lediglich im Freistaat Bayern das Informationsrecht dem Gesamtorgan zustehe. 2127 Rickert, WiVerw 2004, 153 (173). 2128 Überzeugend ist dieser Begründungsansatz insbesondere, weil er eine Entsprechung bei den Informations- und Fragerechten der Abgeordneten des Deutschen Bundestages findet. Ihnen werden zur Wahrnehmung der dem Parlament zugewiesenen Gestaltungs- und Kontrollfunktion gegenüber der Regierung als „Informationsschuldner des Parlaments“ (Brüning, Der Staat 43 [2004], 511 [526]) Rechte zuerkannt, deren Grund in Art. 38 Abs. 1 S. 2 i. V. m. Art. 20 Abs. 2

VI. Kontrolle und andere Formen „guter“ Verwaltungsorganisation  

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diesem Bezugsrahmen nicht Teilorgan der Vollversammlung, sondern wird mit eigenen Rechten ausgestattet. Wenn der Autor dieses Judikat anführt und meint, dass die Frage eines eigenen Informationsanspruchs der Vollversammlungsmitglieder vom BVerwG abgelehnt und das Urteil der Berufungsinstanz „insoweit“ aufgehoben worden sei,2129 ist ein nur schwer zu erklärender Vorgang rechtswissenschaftlicher Legendenbildung zu beklagen. c) Kritik Die Rechtslage im Kommunalverfassungsrecht lehrt, dass mit der Behauptung unzulässiger Prozessstandschaften gewaltige Kontrolldefizite entstehen. Immerhin darf angenommen werden, dass die Organmehrheit regelmäßig kein Interesse daran hat, jene Angelegenheiten eingängiger zu verhandeln, die ein Einzelner oder eine Minderheit von Mitgliedern auf die Tagesordnung gehoben haben. Mit Dringlichkeit ist angesichts des Rechtszustands zu hinterfragen, wieso sich die Vollversammlungen bisher mit Informationsrechten zufriedengegeben hat, die – man muss dies so klar sagen – das Bundesverwaltungsgericht auf ein Nullum zurechtgestutzt hat. Man gewinnt den Eindruck, dass sich die Hauptorgane bezirksübergreifend mit der irrigen Annahme abgefunden hätten, dass Informationsrechte und effektives Arbeiten einen strengen Gegensatz bildeten und die Ausübung von Auskunftsverlangen gegenüber anderen Organen die Aufgabenwahrnehmung des eigenen Organs behindern könnte. Zu vermuten ist, dass die Rede von der durch Publizität bedrohten Funktionsfähigkeit gesamter Organe lediglich als Chiffre dient, um auch bezüglich der hier in Rede stehenden innerorganisatorischen Beziehungen ein obrigkeitliches oder sogar autoritäres Leitbild festzuschreiben. Wenngleich ein störungsfreier, fern von der Einsicht der Vollversammlungsmitglieder betriebener Verfahrensgang in einzelnen Kernbereichen notwendig sein mag, kann das geltende Postulat der Regelgeheimhaltung vor den Leitgedanken der öffentlich-rechtlichen Körperschaft und den Bedürfnissen funktionsangemessenen Organisierens nicht gerechtfertigt werden. Abermals ist darauf hinzuweisen, dass in den Organen nicht eigene, sondern die Angelegenheiten aller Kammerzugehörigen stellvertretend für den abwesenden Mitgliederteil der Körperschaft verhandelt werden. Werden Limitierungen der Transparenz mit Erwägungen der Effektivität gerechtfertigt, gelangen kontradiktorische Annahmen zur Vertretung. Es wurde bereits dargetan, dass und warum Publizität einen Faktor zur Steigerung der Verwaltungseffizienz bildet. Transpa-

S. 2 GG zu finden ist (Müller, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Bd. 2, 7. Aufl. 2018, Art. 38 Rn. 85 ff. m. w. N. aus der Rspr. des BVerfG). Da die Abgeordneten „Vertreter des ganzen Volkes“ sind (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG), stehen jedem einzelnen Organmitglied die Informationsrechte zu (Brüning, Der Staat 43 [2004], 511 [519 f.]). 2129 Rickert, WiVerw 2004, 153 (173 m. Fn. 116 u. S. 174). S. auch ders., GewArch 2004, 369 (370): „Die vom Berufungsgericht tendenziell aufgehobenen Grenzen zwischen Organ und Organmitglied werden [vom BVerwG] deutlich herausgestellt.“

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

rente Verfahren begünstigen die Zwecksetzung effektiver Verwaltungstätigkeit tendenziell, während geheime Verwaltungsvorgänge diesem Ziel abträglich sind. Wenn die Vollversammlung im geltenden Recht über die Reichweite der Informationsrechte in den IHK-Bezirken frei verfügen kann, widerspricht dies den Ansprüchen an eine funktionsgerechte Organisationsstruktur. Denn derzeit ist eine unreglementierte Entscheidung in eigener Sache gestattet. Es lässt sich ein Szenario ausmalen, in dem eine „selbstbewusste“ Vollversammlung ihre Informationsbedürfnisse zu stark artikuliert, sodass die Arbeitsweise eines anderen Organs in der Folgezeit tatsächlich unverhältnismäßig beeinträchtigt wäre. Wenngleich hiermit wohl ein utopischer Sachverhalt erdacht wird, dürfte die Schilderung der potenziellen Gefahrenlage verdeutlichen, dass der Gesetzgeber als neutrale Instanz aktiv werden muss. Sind die kontrollbedürftigen Vorgänge nicht organisationsöffentlich bekannt, weil sich etwa ein kleiner Kreis von Amtsträgern um ein Handeln in Geheimheit erfolgreich bemüht hat, können auf Seite der Vollversammlung Informationsbedürfnisse allenfalls vermutet werden. Nimmt man den Sinn des Transparenzgrundsatzes ernst, müssen die Kontrolleure jedoch zur richtigen Zeit an den Informationen der Kontrollierten partizipieren.2130 Denn andernfalls ist die Kontrolle auf die nachvollziehende Durchsicht abgeschlossener Sachverhalte beschränkt, die die Kontrolleure lediglich als Anhaltspunkt verwenden könnten, um auf die Behandlung gegenwärtiger und zukünftiger Vorgänge mit Hilfe von Leitlinien einzuwirken. Unter diesen Bedingungen müssen jedenfalls Informationsanfragen ins Blaue hinein gestattet sein.2131 Die Problemlage zeigt allerdings auch, dass die Festschreibung von Informationsrechten jeglicher Reichweite notwendigerweise unvollständig bleiben muss, wenn nicht zugleich proaktive Unterrichtungspflichten entlang der innerorganisatorischen Beziehung Hauptgeschäftsführer-Vollversammlung bestehen.2132 Denn dem interessierten Vollversammlungsmitglied kann zwar ein Handeln auf eigene Initiative in Vorbereitung der Wahrnehmung seiner Rechte zugemutet werden. Doch wird dieser Gedanke ad absurdum geführt, wenn dem Ehrenamt etwa auferlegt würde, eigenhändig Befragungen unter den hauptamtlich Beschäftigten durchzuführen, um zunächst das strukturelle Informationsdefizit auszugleichen und sodann weitergehende Auskunftsersuchen formulieren zu können.

2130 S. auch Brüning, Der Staat 43 (2004), 511 (526 ff.), der auf Grundlage gleichgerichteter Erwägungen eine Informationspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Parlament als Ergänzung zu den Fragerechten der Abgeordneten des Deutschen Bundestages festhält. 2131 Dies wird den Ratsmitgliedern teilweise verwehrt, s. Janssen, Das Verhältnis von ehrenamtlichem Rat und hauptamtlichem Bürgermeister, 2019, S. 185 f. 2132 Diese Unterrichtungspflicht wird zusätzlich das Recht der Minderheit, eine außerordentliche Sitzung der Vollversammlung erzwingen zu können (dazu unter E. II. 1. f) dd)), mit Sinn füllen.

VII. Vorschlag de lege ferenda 

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VII. Vorschlag de lege ferenda § 4 IHKG: (1) […]. Der ausschließlichen Beschlussfassung durch die Vollversammlung unterliegen […] 9. die wesentlichen personalwirtschaftlichen Grundsätze, insbesondere die verbindlichen Grundlagen der Gehaltsfindung. (2) Die Mitglieder der Vollversammlung sind weder an Aufträge noch an Weisungen gebunden. Sie sind zu einer objektiven Wahrnehmung ihrer Aufgaben verpflichtet.2133 (3) Die Mitglieder sind zur Teilnahme an der Vollversammlung verpflichtet. Im Falle der Verhinderung haben sie dies umgehend mitzuteilen. Eine Vertretung ist unzulässig. § 6 IHKG-neu: (1) Die Vollversammlung soll durch den Präsidenten jeden zweiten Monat, mindestens jedoch dreimal innerhalb eines halben Kalenderjahres zu einer ordentlichen Sitzung einberufen werden. Im Wege der Satzung kann die Mindestzahl der ordentlichen Sitzungen nach Satz 1 überschritten werden. Die Vollversammlung ist durch den Präsidenten unverzüglich zu einer außerordentlichen Sitzung einzuberufen, wenn ein Sechstel ihrer Mitglieder dies schriftlich oder elektronisch unter Angabe des Beratungsgegenstandes verlangt. Im Wege der Satzung kann das nach Satz 3 notwendige Stimmerfordernis unterschritten werden. (2) Die Sitzungstermine der Vollversammlung sollen mindestens vier Wochen vor der Sitzung schriftlich oder elektronisch mitgeteilt werden. Die Einladung der Vollversammlung soll schriftlich oder elektronisch und unter Mitteilung der Tagesordnung mindestens eine Woche vor der Sitzung erfolgen. Dabei sind die für die Verhandlung erforderlichen, beim Vorsitzenden vorhandenen Unterlagen beizufügen, soweit nicht das öffentliche Wohl oder überwiegende Interessen Einzelner entgegenstehen. Anträge für die Vollversammlung sind zu berücksichtigen, wenn sie rechtzeitig vor Versand der Einladung dem Vorsitzenden zugegangen sind. Nicht auf der Tagesordnung stehende Anträge dürfen von der Vollversammlung nur behandelt werden, wenn eine Dreiviertelmehrheit unter den anwesenden Mitgliedern ihrer Behandlung zustimmt. Soll über Anträge im Sinne von Satz 5 ein Beschluss gefasst werden, bedarf es eines einstimmigen Votums über die Zulassung als Tagesordnungspunkt. Über die in § 4 Abs. 1 S. 2 IHKG bezeichneten Gegenstände darf außerhalb der ursprünglichen Tagesordnung kein Beschluss gefasst werden. 2133 Das Repräsentationskonzept der IHK ist de lege lata unvollständig, wenn nicht das Parlamentsgesetz zugleich das „freie Mandat“ unter besonderer Berücksichtigung der Gruppenwahl festschreibt.

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

(3) Die Vollversammlung ist beschlussfähig, wenn mindestens die Hälfte der stimmberechtigten Mitglieder anwesend ist. Die Satzung kann vorsehen, dass die Beschlussfähigkeit trotz Unterschreiten der nach Satz 1 erforderlichen Zahl von anwesenden Mitgliedern widerlegbar vermutet wird. In keinem Fall darf die Vollversammlung Beschlüsse treffen, wenn weniger als ein Viertel der stimmberechtigten Mitglieder anwesend ist. (4) Beschlüsse der Vollversammlung werden mit den Stimmen der Mehrheit der anwesenden Mitglieder gefasst. Bei Stimmengleichheit gilt das dem Antrag zugrundeliegende Begehren als abgelehnt. Abweichend von Satz 1 sind bei Beschlüssen über die Änderung von Satzung oder Wahlordnung (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 2) die Stimmen der Mitgliedermehrheit erforderlich. Bei der Besetzung von Ämtern (§§ 6 Abs. 1, 7 Abs. 1), um die sich mehrere Kandidaten bewerben, ist gewählt, wer die meisten Stimmen auf sich vereinigt. (5) Mit den Stimmen eines Viertels der Mitglieder der Vollversammlung kann einem Beschluss, der die Änderung von Satzung oder Wahlordnung zum Inhalt hat, widersprochen werden. Der Widerspruch muss begründet und spätestens binnen einer Woche nach Beschlussfassung gegenüber dem Präsidenten ausgesprochen werden. Der Widerspruch hat aufschiebende Wirkung. Gleichzeitig hat der Präsident unter Angabe der Widerspruchsgründe eine Sitzung einzuberufen, in der erneut über die Angelegenheit zu beschließen ist; diese Sitzung hat spätestens vier Wochen nach der ersten Sitzung stattzufinden. (6) Die Beschlussfassung erfolgt durch Handzeichen. Geheime Abstimmung erfolgt nur, wenn ein Fünftel der anwesenden Mitglieder dies verlangt. Wahlen erfolgen geheim. Eine offene Wahl kann mit den Stimmen der Mehrheit der anwesenden Mitglieder beschlossen werden. Alle Abstimmungen einschließlich der Wahlen können auch unter Zuhilfenahme elektronischer Abstimmungssysteme durchgeführt werden. (7) Die Einzelheiten eines elektronischen Umlaufverfahrens für einfache und eilige Angelegenheiten sind durch Satzung zu regeln. Das Präsidium kann ferner entscheiden, dass der Präsident eine Sitzung ohne physische Präsenz der Mitglieder einberuft (virtuelle Sitzung), wenn dem unaufschiebbaren Zusammentritt der Vollversammlung unüberwindbare Hindernisse entgegenstehen. Die virtuelle Sitzung muss allen Mitgliedern mittels Bild- und Tonübertragung zugänglich gemacht werden. Die Ausübung der Mitgliedschaftsrechte muss im Wege der sicheren elektronischen Kommunikation gewährleistet sein.2134 Die Einzelheiten der virtuellen Sitzung sind durch Satzung zu regeln. (8) Die Sitzungen der Vollversammlung sind für Kammerzugehörige öffentlich. Die Berechtigung nach Satz 1 kann durch Satzung auf die allgemeine Öffentlich 2134 Die Vorschrift ist Art. 2, § 1 des Gesetzes „zur Abmilderung der Folgen der COVID19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“ vom 27. März 2020, BGBl. I, 569 entlehnt.

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keit erstreckt werden. Die Öffentlichkeit ist für einzelne Tagesordnungspunkte auszuschließen, soweit schützenswerte Interessen Einzelner dies erfordern. Die Angelegenheit kann abweichend von Satz 3 in öffentlicher Sitzung behandelt werden, wenn die Personen, deren Interessen betroffen sind, dies schriftlich verlangen oder hierzu schriftlich ihr Einverständnis erklären. Über den sonstigen Ausschluss der Öffentlichkeit beschließt die Vollversammlung im Hinblick auf einzelne Tagesordnungspunkte. Der Beschluss bedarf der Zweidrittelmehrheit unter den anwesenden Mitgliedern. Über den Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit wird in nichtöffentlicher Sitzung beraten und entschieden; ohne Beratung über den Antrag wird in öffentlicher Sitzung entschieden. (9) Die IHK veröffentlicht im Vorwege auf ihrer Internetseite Zeit, Ort und Tagesordnung für die Sitzungen der Vollversammlung. Im Nachgang der Sitzungen der Vollversammlung wird das Protokoll zur Einsichtnahme auf der Internetseite bereitgestellt. Die Satzung kann bestimmen, dass in öffentlichen Sitzungen Filmund Tonaufnahmen oder Übertragungen durch die Medien oder die IHK zulässig sind. (10) Jedem Mitglied der Vollversammlung steht im Rahmen seiner Aufgabenerfüllung ein Auskunftsrecht zu, das in geeigneter Form auszuüben ist und sich auf alle Angelegenheiten erstreckt, in denen die Verbandskompetenz der IHK gegeben ist. Das Auskunftsverlangen ist durch das auskunftsverpflichtete Organ in angemessener Frist, in geeigneter Form und nach pflichtgemäßem Ermessen zu beantworten. Die Satzung sieht vor, dass ein Akteneinsichtsrecht für bestimmte Angelegenheiten im Sinne von Satz 1 auf Grundlage eines Beschlusses der Vollversammlung besteht. Der notwendige Stimmenanteil für einen Beschluss nach Satz 3 darf ein Viertel der Mitglieder der Vollversammlung nicht überschreiten.2135 Die Ansprüche aus Satz 1 und 3 sind ausgeschlossen, wenn und soweit für die Vorgänge eine Geheimhaltung besonders vorgeschrieben ist2136 oder überwiegende schutzwürdige Interessen Betroffener entgegenstehen. § 7 IHKG-neu: (1) Die Vollversammlung wählt aus ihrer Mitte den Präsidenten (Präses) und die von der Satzung zu bestimmende Zahl von weiteren Mitgliedern des Präsidiums. 2135 Um die Funktionsfähigkeit des Hauptamtes zu schützen, sollte die Modalität der Einsicht­ nahme geregelt werden. Der Blick in die Gemeindeordnungen legt nahe, dass Akteneinsichtsausschüsse unter Einbeziehung des Antragstellers gebildet werden sollten. Fraglich ist weiterhin, ob und in welchem Ausmaß das Anfertigen von Fotokopien o. Ä. gestattet werden soll. Die Gefahr von Indiskretionen ist dabei in Rechnung zu stellen. Doch sind die Mitglieder der Vollversammlung zur Verschwiegenheit verpflichtet (dazu näher unter E. I. 4. d)). Auch kann der Akteninhalt eine Komplexität annehmen, die mit den Ressourcen ehrenamtlicher Mandatsarbeit vielfach nicht durch eine Einsichtnahme zu bewältigen ist. 2136 In Betracht kommen vor allem Vorschriften über das Steuergeheimnis und der strafrecht­ liche Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. Ausführlicher Wernicke, in: Junge / Jahn /  ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, § 1 Rn. 314 ff.

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E. Das Organisations- und Verfahrensrecht de lege lata und de lege ferenda

Die Präsidiumsmitglieder üben ihr Amt bis zum Amtsantritt eines Nachfolgers aus. Abweichend von Satz 1 kann die Satzung vorsehen, dass die Wahl der weiteren Präsidiumsmitglieder nach den Gesichtspunkten des § 5 Abs. 4 S. 2 am Ende vollzogen wird. Abweichend von Satz 1 ist die Wählbarkeit zum Präsidium suspendiert, wenn das Vollversammlungsmitglied in der letzten Amtsperiode Mitglied im Präsidium der Kammer war. (2) Der Präsident (Präses) ist Vorsitzender von Vollversammlung und Präsidium. Er beruft sie ein und führt den Vorsitz. Der Vorsitzende handhabt die Ordnung und übt das Hausrecht aus. Er ist nach pflichtgemäßem Ermessen berechtigt, die im Rahmen der Öffentlichkeit der Sitzung zugelassenen Zuhörer entfernen zu lassen, wenn durch sie eine Störung der Ordnung zu besorgen ist. Er kann nach pflichtgemäßen Ermessen Mitglieder der Vollversammlung von der Sitzung ausschließen, wenn sie die Ordnung fortgesetzt erheblich stören und vier Fünftel der anwesenden Mitglieder dem Ausschluss zustimmen. (3) Für die Sitzungen und Beschlüsse des Präsidiums ist § 6-neu sinngemäß anzuwenden. (4) Der Beschluss über die Abwahl des Präsidenten oder eines anderen Präsidiumsmitglieds bedarf der Zustimmung durch die Mitgliedermehrheit der Vollversammlung. Die Satzung kann weitere Bestandteile für den Entscheidungskontext vorsehen.2137 (5) Die Satzung gewährleistet, dass die Amtszeit der Mitglieder des Präsidiums höchstens der hälftigen Dauer der Amtsperiode der Vollversammlung entspricht. § 8 IHKG-neu: (1) Die Vollversammlung bestellt den Hauptgeschäftsführer. Die Bestellung erfolgt für die hälftige Dauer der Wahlperiode der Vollversammlung. (2) Präsident (Präses) und Hauptgeschäftsführer vertreten nach näherer Bestimmung der Satzung die Industrie- und Handelskammer rechtsgeschäftlich und gerichtlich. (3) Der Beschluss über die Abberufung des Hauptgeschäftsführers bedarf der Zustimmung durch die Mitgliedermehrheit der Vollversammlung. Die Satzung kann weitere Bestandteile für den Entscheidungskontext vorsehen. (4) Der Hauptgeschäftsführer hat die Vollversammlung über alle wichtigen die IHK und ihre Verwaltung betreffenden Angelegenheiten zu unterrichten und ihr insbesondere Maßnahmen der Aufsichtsbehörde mitzuteilen. Die Art der Unterrichtung ist durch Satzung zu regeln. 2137 Die Satzung könnte etwa eine zeitliche Aufspaltung des Verfahrens in den Antrag auf Abwahl, die Beratung und den endgültigen Beschluss im Sinne von „Abkühlungsfristen“ (dazu näher in Fn. 1632) vorsehen.

VII. Vorschlag de lege ferenda 

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§ 9 IHKG-neu: (1) Wer ehrenamtlich tätig ist, darf weder beratend noch entscheidend mitwirken, wenn die Entscheidung der Angelegenheit ihm selbst, einem Angehörigen oder einer von ihm vertretenen natürlichen oder juristischen Person oder sonstigen Vereinigung einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil bringen kann. Satz 1 gilt entsprechend für Präsident und Hauptgeschäftsführer, wenn sie die IHK rechtsgeschäftlich und gerichtlich vertreten. Als Angehörige nach Satz 1 gelten Ehegatte oder Lebenspartner im Sinne des Lebenspartnerschaftsgesetzes, Verwandte bis zum 2. Grad und Verschwägerte bis zum 2. Grad, solange wie die die Schwägerschaft begründende Ehe besteht. (2) Absatz 1 gilt nicht für Wahlen und Abberufungen, und für andere Beschlüsse, mit denen ein Kollegialorgan eine Person aus seiner Mitte bestellt oder sie zur Wahrnehmung von Interessen der Industrie- und Handelskammer in eine andere Organisation entsendet, dafür vorschlägt oder daraus abberuft. (3) Ob eine Befangenheit im Sinne von Absatz 1 vorliegt, entscheidet das Organ, dem der Betroffene angehört. (4) Wer annehmen muss, weder beratend noch entscheidend mitwirken zu dürfen, hat dies rechtzeitig dem Vorsitzenden des Organs, dem er angehört, mitzuteilen. Wer an der Beratung und Entscheidung nicht mitwirken darf, muss die Sitzung verlassen. Satz 2 gilt bereits für die Beratung und Entscheidung über die Befangenheit. In Fällen des Abs. 1 Satz 2 sieht die Satzung eine abweichende Verteilung der Vertretungsmacht vor.

F. Dachvereinigungen    Die Dachvereinigungen der Industrie- und Handelskammern erfuhren bisher nur in einzelnen Bezügen Beachtung. Dieser Umstand und ihr mächtiger Auftritt im Zusammenhang mit dem interessenpolitischen Mandat stellen einen hinreichenden Anlass dar, um die Organisationsformen und ihr Wirken näher zu beleuchten.

I. Typik der Assoziationen höherer Ordnung  Politische Ökonomen erkannten, dass der Inhalt globaler Regelwerke entscheidend von der Fähigkeit der wichtigsten privaten Akteure abhängt, sich auf nationaler Ebene zu organisieren.2138 Anhand von empirischen Fallstudien belegten sie, dass Staaten und deren Vertreter das Schicksal globaler Finanz- und Wirtschaftsabkommen mehr und mehr internationalen Organisationen des privaten Sektors überlassen. Die Öffentliche Hand hegt die Erwartung, dass diese Organisationen über ausreichende Ressourcen verfügen, um akute und komplexe Regulierungsaufgaben zu bewältigen.2139 An diesen Prämissen nimmt womöglich auch die IHKOrganisation Anteil. Die 79 IHK-Bezirke der Bundesrepublik sind durch Mitgliedschaften in Vereinigungen und ähnlichen Assoziationen in eine Vielzahl übergeordneter Zusammenhänge eingebunden. In Gänze lässt sich dies nur schwerlich erfassen, weshalb die Darstellung auf jene Einheiten beschränkt wird, die für diese Studie von Relevanz sind. Die Kammern eines Bundeslandes, mit Ausnahme der Stadtstaaten und dem Land mit nur einer IHK (Saarland), haben sich zu Dachvereinigungen zusammengeschlossen.2140 Diese Verbindungen sind teilweise als Landesarbeitsgemeinschaften assoziiert,2141 treten aber auch unter Bezeichnungen wie „IHK Schleswig-­Holstein“2142, „IHK NRW – Die Industrie- und Handelskammern in Nordrhein-­Westfalen“2143 oder „Die IHKs in Mecklenburg-Vorpommern“2144 in Erscheinung. Im Freistaat 2138

Berichtend Pistor, Der Code des Kapitals, 2020, S. 197 f. Büthe / Mattli, The New Global Rulers, 2011. 2140 Zu diesen Kooperationsformen ausführlich Biernert, Kooperation von Industrie- und Handelskammern in Deutschland und Europa, 2006, S. 99 ff. 2141 IHK-Arbeitsgemeinschaft Rheinland-Pfalz: https://www.ihk-rlp.de; Landesarbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern im Freistaat Sachsen: http://www.sachsen.ihk.de. 2142 https://www.ihk-schleswig-holstein.de/servicemarken/ueber_uns/wer_wir_sind/ihkschleswig-holstein. 2143 https://www.ihk-nrw.de. 2144 https://www.rostock.ihk24.de/servicemarken/ueber-uns/ihk-arbeit-grundlagen/ihkmv-26 40480. 2139

I. Typik der Assoziationen höherer Ordnung  

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Bayern wirkt wiederum der „Bayerische Industrie- und Handelskammertag“.2145 Die Organisationen stellen teilweise Vereinigungen im Rechtssinne dar.2146 Andernorts wird ohne eine Rechtsgrundlage gleicher Art und Güte zusammengearbeitet.2147 Die IHK-Bezirke werden in den Zusammenschlüssen in der Regel durch ihren Präsidenten vertreten. In den Dachvereinigungen werden, neben der Mitgliederversammlung, ein Vorstand bzw. Präsidium und ein Vorsitz bzw. Präsident als weitere Organe konstituiert, wobei die Posten aus dem Kreis der Mitgliedervertreter besetzt werden. Um noch mehr Handlungsfähigkeit zu gewinnen, versieht man zumeist auch die Hauptgeschäftsführer der beteiligten Kammern mit Funktionen.2148 Teilweise beschäftigen die Zusammenschlüsse sogar eigenes Personal. Mit der so beschriebenen Verfassung präsentieren sich die Zusammenschlüsse bspw. wie folgt: „Alle bayerischen Unternehmen […] sind per Gesetz Mitglied einer IHK. Folglich spricht der BIHK für 990.000 Unternehmen aller Größen und Branchen: vom global operierenden Konzern bis zum inhabergeführten mittelständischen Unternehmen. Der BIHK ist nicht abhängig von einer bestimmten Gruppe von Unternehmern, sondern repräsentiert das Gesamtinteresse der gewerblichen Wirtschaft in Bayern. Seit seiner Gründung im Jahr 1909 ist er die größte Wirtschaftsorganisation im Freistaat Bayern.“2149 Für die Wirtschaftsregion Norddeutschland tritt die IHK Nord mit Sitz in Hamburg auf, die als eingetragener Verein organisiert ist.2150 Aufgrund des rechtlosen Status der Landesarbeitsgemeinschaften bilden die Kammern ihre Mitgliedschaft. Die IHK Nord vereinigt 12 IHK-Bezirke aus den Ländern Bremen, Hamburg, Niedersachen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. Obwohl es sich der Konstitution nach gerade nicht um eine über den Landesarbeitsgemeinschaften stehende Vereinigung handelt und Teile der niedersächsischen IHK nicht zur Mitgliedschaft gehören, möchte man laut Eigenauskunft gemeinsame Positionen und Aktivitäten im Interesse der „norddeutschen Unternehmen“ erarbeiten und für ein wirtschaftlich und politisch geschlossenes Auftreten der „norddeutschen Länder“ 2145

https://www.bihk.de/. Hessischer Industrie- und Handelskammertag (HIHK) e. V.; Bayerischer Industrie- und Handelskammertag (BIHK) e. V.; Baden-Württembergischer Industrie- und Handelskammertag e. V.; IHK NRW – Die Industrie- und Handelskammern in Nordrhein-Westfalen e. V. 2147 Die IHK Schleswig-Holstein agiert bspw. lediglich auf Grundlage einer „Kooperationsvereinbarung“. Dennoch werden Gremien gebildet, die als „Kuratorium“, „Präsidialkonferenz“, „Präsidium“ und „Hauptgeschäftsführer-Konferenz“ firmieren. Auch finden Wahlen zur Bestimmung des Präsidenten und Vizepräsidenten statt. Zusätzlich wird ein Hauptgeschäftsführer bestimmt (Informationen entnommen aus https://www.ihk-schleswig-holstein. de/servicemarken/ueber_uns/wer_wir_sind/ihk-schleswig-holstein). 2148 Dadurch tritt der Fall von Doppelpräsidentschaften oder Multifunktionären auf, die im Zuge ihrer Tätigkeit für die IHK ein öffentlich-rechtliches Gewand tragen und im Rahmen der Dachvereinigung dem dort gebildeten Willen unterworfen sind. Zu diesem Problem näher unter E. VI. 4. f). 2149 Text entnommen aus https://www.bihk.de/ueber-den-bihk.html. 2150 Zu dieser Kooperationsform ausführlich Biernert, Kooperation von Industrie- und Handelskammern in Deutschland und Europa, 2006, S. 112 ff. 2146

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F. Dachvereinigungen    

eintreten. Gegenüber dem DIHK sei man bestrebt, die Positionen der „norddeutschen Wirtschaft mit einer Stimme“ zu vertreten.2151 Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag, die Dachvereinigung der IHK auf Bundesebene, hat seinen Sitz in Berlin im Haus der Deutschen Wirtschaft. Der DIHK ist aus dem DHT hervorgegangen. Der DHT wurde am 13. Mai 1861 unter dem Motto „Ein Recht, ein Maß, ein Gewicht!“ gegründet, 1918 in „Deutscher Industrie- und Handelstag“ umbenannt, ist im NS-Staat in die Reichswirtschaftskammer überführt worden und wurde unter der Bezeichnung DIHT 1949 wiedergegründet. Die Umbenennung des DIHT in DIHK erfolgte 2001.2152 Die 79  IHK-Bezirke bilden den mitgliedschaftlichen Unterbau. Weil der DIHK als eingetragener Verein verfasst ist, kann seine Satzung weder eine Mitgliedschaftsnoch eine Beitrittspflicht vorsehen. Wenn der DIHK einen Vertretungsanspruch für die „gesamte gewerbliche Wirtschaft in Deutschland“ mit „mehreren Millionen Unternehmen aus Industrie, Handel und Dienstleistungen – vom Kiosk-Besitzer bis zum Großkonzern“ formuliert,2153 basiert dies auf dem Vertrauen in eine unabänderliche Zusammensetzung der eigenen Mitgliedschaft. Diese Wendungen nehmen jedenfalls auf den Satzungszweck Bezug, der darin besteht, „die Zusammenarbeit der als Organe der Kaufmannschaft gebildeten Industrie- und Handelskammern […] zu sichern und zu fördern, einen regelmäßigen Erfahrungsaustausch zu gewährleisten und in allen das Gesamtinteresse der gewerblichen Wirtschaft gemäß § 1 Abs. 1 IHKG im Bereich des DIHK betreffenden Fragen einen diesem entsprechenden Standpunkt der IHKs auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene gegenüber der Politik, der Verwaltung, den Gerichten und der Öffentlichkeit zu vertreten.“2154 Nicht immer wortwörtlich genommen wird, dass die Behandlung allgemeinpolitischer, insbesondere parteipolitischer Fragen sowie die Wahrnehmung sozialpolitischer und arbeitsrechtlicher Interessen gemäß § 1 Abs. 5 IHKG nicht zu dem Wirkungskreis des Verbands gehört.2155 Zwar soll laut der Satzung die Zugehörigkeit zum DIHK weder die Selbstständigkeit noch das Initialrecht einer IHK berühren.2156 Doch steht diesem Versprechen bereits der nachfolgende Absatz entgegen. Danach sind mit einer Dreiviertelmehrheit unter den Anwesenden gefasste Beschlüsse der Vollversammlung des DIHK, die im Interesse der Gesamtorganisation ein einheitliches Verhalten der IHK sicherstellen sollen und nicht Fragen des Gesamtinteresses der gewerblichen Wirtschaft betreffen, von allen Mitgliedern zu beachten.2157 Die Bindung soll erst durchbrochen sein, wenn die Vollversammlung einer IHK in der Folgezeit einen abweichenden Beschluss 2151 Zitate entnommen aus https://www.ihk-nord.de/servicemarken/ueber-uns/unsere-arbeits weise/1195708. 2152 Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, Einf. Rn. 49 f. 2153 https://www.dihk.de/de/ueber-uns/der-dihk-in-berlin. 2154 § 1 Abs. 1 S. 1 Satzung DIHK i. d. F. v. 25. März 2020. 2155 § 1 Abs. 2 S. 1 Satzung DIHK. 2156 § 3 Abs. 2 Satzung DIHK. 2157 § 3 Abs. 5 S. 1 Satzung DIHK.

I. Typik der Assoziationen höherer Ordnung  

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trifft, der innerhalb einer zweiwöchigen Frist dem DIHK anzuzeigen ist.2158 Für die Bezeichnungen der Organe des DIHK hat man teilweise auf Begrifflichkeiten des IHKG zurückgegriffen: Die Mitgliederversammlung gilt als „Vollversammlung“,2159 die den „Präsidenten“ für die Dauer von 4 Geschäftsjahren wählt.2160 Der „Hauptgeschäftsführer“ wird durch Beschluss der Vollversammlung auf Vorschlag des Präsidenten „bestellt“.2161 Hinzu treten der Vorstand, der sich aus mindestens 27 und höchstens 31 Mitgliedern zusammensetzt,2162 vier Vizepräsidenten, die aus dem Kreis der Vorstandsmitglieder von der Vollversammlung gewählt werden,2163 und der geschäftsführende Vorstand2164. Unter Anlegung eines organisationssozio­ logischen Blickwinkels ist von besonderem Interesse, dass der DIHK – neben dem Hauptgeschäftsführer – über einen hauptamtlichen Mitarbeiterstab verfügt, der die durchschnittliche Zahl der angestellten Mitarbeiter in den einzelnen IHK-Bezirken bei Weitem überschreitet.2165 Sowohl der DIHK als auch die IHK Nord sind bei den Institutionen der Europäischen Union in Brüssel mit eigenen Geschäftsstellen zwecks Vermittlung der Interessen ihrer Mitgliedskammern vertreten. Der DIHK gibt an, dass „[k]eine andere deutsche Wirtschaftsorganisation so stark in den Regionen verankert“ sei, weshalb man das „daraus resultierende Wissen und die Praxisnähe in die Brüsseler Arbeit“ einbringen könne, „um den Interessen der deutschen Unternehmen vor Ort Gehör zu verleihen“.2166 Darüber hinaus ist der DIHK auch Mitglied der Eurochambres, die sich „als Stimme der Wirtschaft und Partner der Politik in Brüssel für die gesamteuropäischen Belange der Wirtschaft“ einsetzt.2167 Die europäische

2158 § 3 Abs. 5 S. 2 u. 4 Satzung DIHK. Der DIHK soll gem. S. 5 der Vorschrift zusätzlich seine „Vollversammlung“ über Umsetzungen und Abweichungen durch die Kammern informieren. 2159 § 7 Satzung DIHK. 2160 § 16 Abs. 1 S. 1 Satzung DIHK. 2161 § 20 Abs. 2 Satzung DIHK. 2162 Ihm gehören nach § 12 Abs. 2 Satzung DIHK 1.) der Präsident des DIHK, 2.) je ein Vertreter der Kammern eines Bundeslandes, der von den IHK des betreffenden Landes entsandt wird, 3.) 10 weitere Mitglieder, die von den IHK folgender Bundesländer entsandt werden: Nordrhein-Westfalen (3 Mitglieder), Baden-Württemberg (2 Mitglieder), Bayern (2 Mitglieder), Hessen (1 Mitglied), Niedersachsen (1 Mitglied), Hamburg (1 Mitglied) und 4.) höchstens 4 weitere Mitglieder an, die auf Vorschlag des Präsidenten vom Vorstand mit einer durch eine Dreiviertelmehrheit unter den anwesenden Mitgliedern in geheimer Wahl hinzugewählt werden können. 2163 § 7 Abs. 3 lit. b) Satzung DIHK. 2164 Dieses Organ besteht nach § 15 Abs. 1 S. 1 Satzung DIHK aus dem Präsidenten, den vier Vizepräsidenten und dem Hauptgeschäftsführer des DIHK. 2165 Dies bemerkt auch Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 478. Laut dem Jahresbericht des DIHK 2019, S. 59 (abrufbar unter https://www.dihk.de/de/ueber-uns/der-dihk-in-berlin) sind dem Verband mit Stichtag 31. Dezember 2019 unmittelbare arbeitsvertragliche Verpflichtungen für 474 Beschäftigte, einschließlich der Delegationen und Repräsentanzen, zuzurechnen. 2166 Zitat entnommen aus https://www.dihk.de/de/ueber-uns/der-dihk-in-bruessel. 2167 Zitat entnommen aus https://www.dihk.de/de/themen-und-positionen/europaeischerbinnenmarkt/eurochambres.

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F. Dachvereinigungen    

Dachvereinigung verfügte 2016 insgesamt über 45 Mitglieder.2168 Die Eurochambres sind ein eingetragener Verein belgischer Rechtsform, der auch die Kammerzusammenschlüsse jener Staaten, die der Europäischen Freihandelszone angehören oder ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet haben, zu seinen Mitgliedern zählt.2169 Ferner existiert die 1919 gegründete International Chamber of Commerce (ICC) mit Hauptsitz in Paris, die als Ansprechpartner für den Welthandel fungiert. Das deutsche Nationalkomitee – ICC Germany – ist als eingetragener Verein konstituiert. Zu den Mitgliedern zählen neben Unternehmen, deren Wirtschaftskraft zur Bemessung des Deutschen Aktienindex herangezogen wird (sog. DAX-30), Branchen- und Fachverbände, Anwaltssozietäten, der DIHK und ein Großteil der IHK-Bezirke.2170 Wenngleich die Bezeichnung dies nahelegen mag, stehen die Auslandshandelskammern mit dem Untersuchungsgegenstand in keiner unmittelbaren Beziehung. Die AHK sind nach dem Recht des Landes, in dem sie ihren Sitz haben, als privatrechtliche Vereinigung mit einer freiwilligen Beitrittsmöglichkeit verfasst. Die Mitgliedschaft in einer AHK wirkt für Unternehmer attraktiv, die über ein gesteigertes Interesse an der Entwicklung des wirtschaftlichen Verkehrs in das bzw. in dem entsprechenden Land verfügen.2171 Die AHK erhalten Zuwendungen aus dem Bundeshaushalt, da sie als Teilgarant der Außenwirtschaftsförderung gelten.2172

II. Die Erfassung der Dachvereinigungen mit den Mitteln des Rechts Die Verbindung zwischen dem einzelnen Kammerzugehörigen und dem Präsidenten des DIHK ist nach dem Vorstehenden mehrfach vermittelt2173. In Anbetracht der besonderen Verfasstheit des DIHK und der weiteren privatrechtlich organisierten Dachvereinigungen von Industrie- und Handelskammern ist es aussichtslos, unter Ansehung des geltenden Rechts über ein ausreichendes Legitimationsniveau der Assoziationen im Sinne von Art. 20 Abs. 2 GG nachzudenken oder dem DIHK 2168

S. die überblicksartige Darstellung bei Sack, Institutioneller Wandel europäischer Chambers of Commerce im Vergleich – Fazit, in: ders. (Hg.), Wirtschaftskammern im europäischen Vergleich, 2017, 407 (410 f.). Dazu zählen auch zwei transnationale Vereinigungen von Kammern. 2169 Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, Einf. Rn. 67. Zu der Organisationsrform näher Will, Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010, S. 388. 2170 Informationen entnommen aus https://www.iccgermany.de/mitglieder/uebersicht-unserermitglieder/; https://www.iccgermany.de/ueber-icc-germany/. 2171 Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, Einf. Rn. 54. Zu dem auswärtigen Netzwerk der Unternehmer ausführlich Möllering, WiVerw 1998, 214–223. 2172 Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, Einf. Rn. 56. 2173 Die Vollversammlung einer IHK wird durch den Kammerzugehörigen gewählt  – der Präsident einer IHK wird durch die Vollversammlung gewählt – der Präsident des DIHK wird durch die „Vollversammlung“, d. h. die Präsidenten der IHK-Bezirke, gewählt.

II. Die Erfassung der Dachvereinigungen mit den Mitteln des Rechts  

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Präsidenten sogar explizit eine doppelt-mittelbare demokratische Legitimation zu bescheinigen.2174 Dies bedeutet nicht, dass das Handeln staatlicher Einheiten in der Form des Privatrechts keiner demokratischen Legitimation bedarf oder unter dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes keiner Rechtfertigung zugänglich wäre.2175 Lediglich die Annahme einer hinreichenden demokra­tischen Legitimation der Dachvereinigungen ist, insbesondere für den DIHK, nach derzeitigem Stand ausgeschlossen. Mit einer anderslautenden Auffassung würde die kategoriale, rechtlich vermittelte Trennung der beiden Organisationsformen unkenntlich gemacht. Danach sind die IHK als verfassungsgebundene Körperschaft des öffentlichen Rechts mit dem im IHKG niedergelegten Wirkungskreis und die privatrechtliche Dachvereinigung als lediglich dem dauerhaft abänderbaren Satzungsrecht unterworfene Einheit deutlich zu unterscheiden. Auch würde die organisationstheo­ retische Perspektive unberücksichtigt gelassen, die bei Annahme von getrennten Organisationen zu geteilten Betrachtungsweisen herausfordert. Eine verbandliche Einheit darf nicht fingiert werden, wenn es tatsächlich an belastbaren Über­gängen fehlt und eine Funktionalität nach jeweils spezifischen Logiken zu beobachten ist. Derartige Überlegungen machen unkenntlich, dass die Rechtsbeziehung zwischen dem Kammermitglied und dem DIHK vor allem eine Nicht-Beziehung ist, von denen die für entscheidungserheblich erachtete Wahlkette mit beträcht­licher Länge nicht ablenken darf. Im „laufenden Betrieb“ sind das organisatorische Eigenleben und -interesse die entscheidungserheblichen Determinanten für die gewählten und angestellten Funktionsträger des DIHK. Es gibt demgegenüber keine rechtsförmigen Mechanismen, die absichern könnten, dass die Belange des einzelnen Vollversammlungsmitglieds gehört werden oder gar zur Repräsentanz durch den DIHK gelangen.2176 Mit Blick auf das demokratische Prinzip dürften sich insbesondere beobachtbare Verletzungen der Repräsentations- und Egalitätsidee gegenüber derartigen Gedankenspielen als hinderlich erweisen. Denn es darf nicht übersehen werden, dass alle IHK-Bezirke – unabhängig von der Zahl der zugehörigen Unternehmen oder der Wirtschaftskraft – in der Vollversammlung des DIHK über eine Stimme verfügen,2177 d. h. gleichmäßig auf die Wahl des Präsidenten Einfluss nehmen. Dass das Recht konsistent ist, wenn die IHK-Bezirke zugleich im 2174 So aber Kluth, Die Verwaltung 35 (2002), 349 (364). Ausführlicher dazu ders., Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 478 ff. Derartige Überlegungen finden sich im Anschluss daran auch bei Biernert, Kooperation von Industrie- und Handelskammern in Deutschland und Europa, 2006, S. 175 f. 2175 Die Legitimationsbedürftigkeit besteht unabhängig von der Handlungs- und Organisationsform, s. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee / Kirchhof (Hg.), HbdStR, Bd. II, 3. Aufl. 2004, § 24 Rn. 13. 2176 S. dazu auch § 16 Abs. 2 S. 1 f. Satzung DIHK: „Der Präsident vertritt den DIHK in wirtschaftspolitischen Entscheidungen und Stellungnahmen nach außen hin. Er kann in dringenden Fällen selbst entscheiden, wenn eine Befragung der Vollversammlung bzw. des Vorstandes zeitlich nicht möglich ist.“ 2177 § 10 Abs. 1 S. 1 Satzund DIHK.

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F. Dachvereinigungen    

Rahmen der Beitragszahlungen entsprechend ihrer Gewerbeerträge herangezogen werden, wurde bereits im DHT angezweifelt.2178 Das Wahlrecht kann zudem ein der repräsentativen Arbeitsweise entgegenstehendes Netzwerk von Abhängigkeitsverhältnissen erzeugen, weil Entscheidungen etwa unter besonderer Rücksichtnahme auf persönliche Verflechtungen zu einem bestimmten Bezirk getroffen werden.2179 Zutreffend an diesen Erörterungen ist jedoch, dass über den Themenkomplex IHK nicht nachgedacht werden kann, ohne auch die Vielfalt der Dachvereini­gun­ gen mit den Mitteln des Rechts zu erfassen. Zu dieser Erwägung verleiten nicht nur die vorbezeichneten Umstände. An erster Stelle steht vielmehr der faktische Einfluss, den insbesondere der DIHK mittels Mustertexten auf die Gestaltung der Rechtsgrundlagen in den Kammern ausübt.2180 Es ist zudem äußerst problematisch, wenn dieser Verband „Qualitätsstandards“ mitsamt einem einzuhaltenden Verfahren formuliert, um ein bundesweit möglichst einheitlichen Entscheidungsmodus für die Wahrnehmung des gewerblichen Gesamtinteresses zu sichern.2181 Denn damit werden bedeutende Sachentscheidungen präjudiziert, die die Vollversammlungen in den IHK-Bezirken bei Lichte besehen in alleiniger Verantwortung ausfüllen dürften. In diesem Zusammenhang geraten auch die bereits erwähnten Voten mit Dreiviertelmehrheit unter Druck, mit denen der DIHK die Gefolgschaft seiner Mitglieder sichergestellt wissen möchte. Dass es sich hierbei um eine „flexible“ Regelung handelt,2182 vermag kaum einzuleuchten. Vielmehr insinuiert dieser Bestandteil der Vereinssatzung die Notwendigkeit einer abweichenden Beschlussfassung, obwohl der DIHK die Einhaltung der Rechtspflicht nur vereinsintern einfordern dürfte. Das Bundesverwaltungsgericht hat einst (1986) die aus den zwei Rechtskreisen entstehende diffuse Problemlage für den DHKT und den ZDH als den Dachvereinigungen der HwK auf Bundesebene aufzulösen versucht, indem es an das systematische Verhältnis von Gesetz und Satzung erinnerte. Das Gericht bekräftigte, dass der Vereinssatzung nur eine „verbandsinterne Bindung mit verbandsinternen Folgen“ zukäme.2183 Die einzelne Kammer sei daher nicht an einer gegenteiligen 2178

Gehlen, Wirtschaftspraktische Expertise im Organisationsdilemma: Der Deutsche Handelstag im Institutionengefüge des Deutschen Reichs (1867/71-ca. 1900), in: Ambrosius /  Henrich-Franke / Neutsch (Hg.), Föderalismus in historisch vergleichender Perspektive, 2018, 127 (136). 2179 So die Beobachtung für die Bundesrechtsanwaltskammer von Kleine-Cosack, Berufsstän­ dische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 205. 2180 Dazu näher unter D. V. 4. b). 2181 Information entnommen aus Jahn, GewArch 2018, 410 (415), der zudem angibt, dass dieser Standard von der DIHK-Hauptgeschäftsführer-Konferenz beschlossen worden sei. 2182 So Kluth, Die Verwaltung 35 (2002), 349 (363 m. Fn. 74). 2183 BVerwG, Urt. v. 10. Juni 1986 – 1 C 4/86 –, BVerwGE 74, 254 (258). Auch Biernert, Kooperation von Industrie- und Handelskammern in Deutschland und Europa, 2006, S. 176 verweist auf die fehlende Rechtspflicht zur Befolgung von Beschlüssen des DIHK und möchte die Konstruktion aus diesem Grund für „verfassungsrechtlich zulässig“ erachten.

II. Die Erfassung der Dachvereinigungen mit den Mitteln des Rechts  

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Beschlussfassung in ihrem gesetzlich bestimmten Aufgabenbereich gehindert, auch wenn der Beschluss der Satzung der Dachvereinigung widersprechen sollte.2184 Diese Auffassung stellt indes eine verkürzte Betrachtung der Rechtswirklichkeit dar. Sie vermag den tatsächlichen Einfluss von Verbänden höherer Ordnung nicht abzubilden.2185 Hinzu kommt die raumgreifende und selbstbewusste Inanspruchnahme des Mandats zur Interessenrepräsentanz gem. § 1 Abs. 1 IHKG, die in der praktischen Tätigkeit des DIHK und der Dachvereinigungen auf Landesebene beobachtet werden kann. Demgegenüber sind die Kammerzugehörigen, Organwalter und Organe in den Bezirken zur Teilnahmslosigkeit angehalten. Auch die Rechtsaufsichten sind zum Zusehen verpflichtet, da sie die Rechtsgewähr grundsätzlich nur entlang der Kontrollbeziehung zu den „eigenen“ Kammern sicherstellen können und das geltende Recht die Praxis von frei gebildeten Vereinigungen und anderen rechtlosen Zusammenschlüssen ignorieren muss.2186 In einer Gesamtschau der Dinge darf mit einiger Berechtigung von rechtlichen Arkanbereichen gesprochen werden. Auch § 47 Abs. 3 S. 1 GGO zeitigt Wirkungen zu Lasten der IHK-Bezirke. Für den Entwurf einer Gesetzesvorlage der Bundesministerien sieht die Vorschrift nur eine Beteiligung von Zentral- und Gesamtverbänden sowie von Fachkreisen, die auf Bundesebene bestehen, vor. Bemerkenswert ist schließlich, dass die Organisationsform des DIHK die Gewähr dafür bietet, das Finanzierungspotenzial aller Kammermitglieder für die Aufrechterhaltung des Betriebs zu verwenden. Immerhin werden die Aufwendungen des DIHK laut Satzung von den Industrieund Handelskammern in Relation zur Wirtschaftsstärke des Bezirks getragen.2187 Dies hat zur Konsequenz, dass die Betriebskosten durch die Beiträge der Kammerzugehörigen saldiert werden. Die aufkommenden Zahlungsverpflichtungen lesen sich eindrucksvoll: Für den Betrieb des DIHK wendeten alle Kammern im Kalenderjahr 2018 ca. 45,8 Millionen Euro auf. Daran hatte die IHK  München den größten Anteil mit 4,2 Millionen Euro, während die IHK Limburg mit ca. 91.000 Euro den geringsten Finanzierungsanteil trug.2188

2184

BVerwG, Urt. v. 10. Juni 1986 – 1 C 4/86 –, BVerwGE 74, 254 (258). Ähnlich Kluth, Verfassungsrechtliche und europarechtliche Grundlagen des Kammerrechts, in: ders. (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 5 Rn. 116; ders., Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 481. 2186 Die hier angedeuteten Komplikationen müssten insbesondere in Anbetracht der Rechtsprechung des BVerwG, die näher unter C. III. 1. e) ee) (2) zur Darstellung gelangt, deutlich geworden sein. 2187 § 21 Abs. 3 Satzung DIHK. 2188 Informationen entnommen aus https://www.dihk.de/de/ueber-uns/die-finanzen-des-dihk6098. 2185

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F. Dachvereinigungen    

III. Öffentlich-rechtliche Spitzenorganisationen als Antwort auf das Rechtsproblem? Für die Auflösung der so skizzierten Problemlage erhebt die rechtswissenschaftliche Literatur der Vorschlag, die Organisationsform des DIHK in die Bindungen des Öffentlichen Rechts zu überführen.2189 Es wird etwa die Etablierung eines öffent­lich-rechtlichen Ausschusses erwogen, in den Mitglieder entsendet werden könnten, die ihr Mandat durch eine Wahl auf regionaler Ebene erhalten.2190 Man stellt insbesondere eine Dachvereinigung in der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts in Aussicht, in der die Pflichtmitgliedschaft aller Kammern vorzusehen ist, während deren Organe direkt durch alle Kammerzugehörigen gewählt werden sollen. Als Denkmuster fungiert die BRAK,2191 die als Körperschaft des öffentlichen Rechts verfasst ist (§ 176 Abs. 1 BRAO), den Zusammenschluss der regionalen Rechtsanwaltskammern darstellt (§ 175 Abs. 1 BRAO) und der Staatsaufsicht durch das Bundesjustizministerium unterliegt (§ 176 Abs. 2 S. 1 BRAO). Überlegungen, den Zusammenschluss der IHK-Bezirke auf Bundesebene in den öffentlich-rechtlichen Stand zu erheben, sind indes nicht neu. Bereits für den DHT ist eine derartige Unternehmung nachgewiesen, die der Vorstand 1901 mit folgendem Worten entfaltete: „An den hohen Bundesrat richten wir […] die ergebene Bitte, daß für die Mitwirkung an den Arbeiten der Reichsgesetzgebung und -verwaltung dieselbe Stellung, die hinsichtlich der Landwirtschaft etwa dem Deutschen Landwirtschaftsrat eingeräumt werden sollte, hinsichtlich der Industrie und des Handels dem Deutschen Handelstag eingeräumt werde.“2192 Den zeitgeschichtlichen Hintergrund der Bemühungen bildete die Ausrichtung des DHT, die von den Interessen aus Großhandel und Exportindustrie dominiert wurde. Man befand sich in einem scharfen Widerstreit um Mitglieder, Macht und Deutungshoheit mit dem „Centralverband deutscher Industrieller“, dem damals mehrere Handelskammern angehörten. Die Rechtsform der öffentlichen Körperschaft strebte der DHT an, um in diesem Konkurrenzverhältnis die eigene wirtschaftspolitische Bedeutung 2189 Biernert, Kooperation von Industrie- und Handelskammern in Deutschland und Europa, 2006, S. 176 f. Derartige Überlegungen finden sich auch bei Kluth, Verfassungsrechtliche und europarechtliche Grundlagen des Kammerrechts, in: ders. (Hg.), HbKR, 3. Aufl. 2020, § 5 Rn. 117; ders., Die Verwaltung 35 (2002), 349 (364 f.); ders., Kammerrecht, in: Schulte / Kloos (Hg.), Handbuch Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 7 Rn. 157. Die Ursprüngliche Idee ist zu finden bei ders., Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 482. 2190 Kluth, Reformperspektiven für Kammern und Kammerrecht, in: ders. (Hg.), JbKBR 2009, 2010, 13 (17 f.). 2191 S. etwa Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 482. 2192 Zitat nachgewiesen bei Fischer, Unternehmerschaft Selbstverwaltung und Staat, 1964, S. 110 f. Der Deutsche Landwirtschaftsrat hatte sich wenige Tage zuvor darum bemüht, die Rechtsform einer öffentlichen Körperschaft zu erlangen, als ständiger Beirat des Reichskanzlers und des Reichsamts für Agrarfragen verfasst sowie als berufene Vertretung der gesamten deutschen Landwirtschaft zur gutachterlichen Äußerung von allen Reichsbehörden herangezogen zu werden.

IV. Dachvereinigungen im Angesicht einer sich diversifizierenden Wirtschaft  

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zu forcieren.2193 Dem Verband wird überdies bekannt gewesen sein, dass die körperschaftliche Organisationsform die Mitglieder verpflichtend zusammenspannt und eine Beitragsgarantie ausspricht. Es soll nicht unterstellt werden, dass die beobachteten Reformüberlegungen mit einer Reminiszenz an die Absichten des DHT einhergehen und der DIHK lediglich zu Zwecken des Ansehensgewinns als öffentliche Körperschaft konstituiert werden soll. Doch wirken die Vorschläge seltsam unvollständig, wenn die angestrebte Organisationsreform nicht zugleich auf die Zusammenschlüsse in den Bundesländern zugreift. Die organisationssoziologische Betrachtungsweise fördert jedenfalls kaum Gesichtspunkte zutage, die die Umsetzung des Plans als erstrebenswert dastehen lässt. Zwar stünde dem einzelnen Kammermitglied ein Stimmrecht zu, mit dem er über das Amt des DIHK-Präsidenten mitentscheiden könnte. Ferner könnte erstmals eine permanente Rechtmäßigkeitskontrolle für die Verbandstätigkeit durch die Aufsicht des Bundeswirtschaftsministeriums ausgeübt werden. Wenn diese Studie aber bereits für die Bezirksebene eine breitgefächerte Problemlage benennt – man denke an zahlreiche Limitierungen der Repräsentationsidee, eine gestörte oder sogar vollkommen fehlende Responsivität der Organwalter, Oligarchisierungstendenzen in Ehren- und Hauptamt, Kompetenzverschiebungen zum Nachteil der Mitgliedervertretung, ein geringes und in Teilen sogar degressives Niveau der Wahlbeteiligung, fehlende Transparenz von Entscheidungsprozessen und lethargische Rechtsaufsichten  –, wirkt der vorgeschlagene Federstrich des Gesetzgebers wie Homöopathie, obwohl eine ernstliche schulmedizinische Behandlung erforderlich wäre. Ohnehin müsste das Wahlrecht zu den Organen in den übergeordneten Kooperationen entsprechend der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung i. S. v. § 5 Abs. 4 S. 2 IHKG ausgestaltet werden. Dies erfordert den Verzicht auf den Grundsatz „one man, one vote“, weshalb problembehaftete Wahlketten2194 oder abweichende Stimmgewichte hervorzubringen wären.

IV. Dachvereinigungen im Angesicht einer sich diversifizierenden Wirtschaft Der bisherige Befund deutet in Richtung einer strukturbedingten Dysfunktionalität für Assoziationen von IHK-Bezirken. Er leitet zu der Frage über, ob das gegenwärtige System grundlegend umgestaltet werden müsste. Denn nach den hier für wesentlich erachteten Maßstäben – (spiegelbildliche) Repräsentation, (das richtige Maß an) Responsivität, Kommunikation und Widerspruch sowie (umfassende) Kontrolle – kann die Aufgabe gewerbliche Interessenrepräsentanz nur angemessen in der Vollversammlung der IHK nach dem bottom-up-Prinzip bewältigt 2193 2194

Bieback, Die öffentliche Körperschaft, 1976, S. 346 f. Dazu näher unter E. I. 5. b).

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F. Dachvereinigungen    

werden. Eine verwaltungswissenschaftlich angeleitete Aufgabenkritik ist angezeigt, weil die Dachvereinigungen auf Bundes-, aber auch auf Landesebene allein nach dem top-down-Prinzip funktionieren. Nachdem festgestellt wurde, dass das Gesamtinteresse der gewerblichen Wirtschaft ein vielschichtiges, verfahrensgebundenes Produkt mit fehlender Objektivierbarkeit ist, muss hinterfragt werden, ob der DIHK ohne Rücksicht auf seine Rechtsform überhaupt ein „zentrales Sprachrohr“ der Wirtschaft darstellen und zu wirtschaftspolitischen Fragestellungen mit „einer Stimme“ sprechen kann. Die Rechtsprechung des BVerwG, die zugunsten der Kammerzugehörigen sogar einen Austrittsanspruch für die Mitgliedschaft im Dachverband bereithält, nähert beträchtliche Zweifel an der Erfüllbarkeit des selbstgesteckten Ziels. Hinzu kommt, dass die Heterogenität der gewerblichen Wirtschaft zu- und nicht abnimmt. Dies lässt sich mit Leichtigkeit anhand eines Abrisses der jüngeren Unternehmens- und Wirtschaftsgeschichte nachvollziehen: Die Entwicklung mündete im auslaufenden 20. Jahrhundert im Zusammenhang mit der Innovation der Mikroelektronik in einem Anwachsen jener Wirtschaftsbereiche, die eine computer- bzw. internet­ basierte Produktpalette zu ihrem Markenkern zählen (New Economy). Sie sind auf „neuere“ Infrastrukturen angewiesen, weshalb sie sich teilweise in heftige Widersprüche zu den Anforderungen des Wirtschaftens im traditionellen Indus­trie- und Dienstleistungsbereich setzten (Old Economy).2195 Zu Beginn der 1970er Jahre war eine Entwicklung in der Unternehmensstruktur zu verzeichnen, die den Rückzug der (kleineren) Familienunternehmen in allen Branchen des Handels und die Ersetzung mit großen Filialbetrieben umfasste.2196 Können derart umstürzende Veränderungen von interessenvertretenden Großorganisationen wie dem DIHK adäquat und ohne Zeitverzögerung abgebildet werden?2197 Zieht man die von den Verwaltungsgerichten entschiedenen Sachverhalte zurate, ist die Frage in der Tendenz zu verneinen. Die Integrationsfähigkeit von Großorganisation muss noch heutzutage hinterfragt werden, wenn man bedenkt, dass die wirtschaftlichen Diversifikationsprozesse niemals abgeschlossen sind. Vielmehr dürfte dieser Prozess zukünftig – etwa in Anbetracht eines unaufhaltbaren technologischen Fortschritts sowie der erwartbaren Zunahme europä­ ischer bzw. global wirtschaftender Unternehmen – an zusätzlicher Geschwindigkeit gewinnen. Durch die Bedürfnisse einer mit den Leitplanken von Natur und Umwelt im Einklang stehenden, innovationsorientierten Wirtschaftsweise (Green

2195 Zum Aufstieg der New Economy überblicksartig Plumpe, Unternehmensgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, 2018, S. 78 f. u. 87. 2196 Zu den Ursachen zählen die fehlende Unternehmensnachfolge und die Konjunkturanfälligkeit aufgrund niedrigen Eigenkapitals, s. Plumpe, Unternehmensgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, 2018, S. 86 f. 2197 Ähnlich Kluth, Die Verwaltung 35 (2002), 349 (367), der fragte, „ob die durch traditionelle Gewerbe dominierten Kammern“ in der Lage seien, die Interessen der neuen Gewerbezweige angemessen zu integrieren.

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Economy)2198 stellen sich bereits seit Beginn der 2010er Jahre akute und komplexe Herausforderungen. Dem Bundesverfassungsgericht ist zuzustimmen, wenn es für die IHK daran erinnert, dass es gerade im Umgang mit Themen wie Europäisierung und Globalisierung besonders wichtig sei, die bezirklichen Perspektiven des Wirtschaftens zur Geltung zu bringen.2199 Auch die Literatur erinnert zutreffend daran, dass der Interessenvorrat der IHK sein besonderes Profil durch die regionale Gebundenheit erhalte.2200 Doch besteht weder nach der einen noch nach der anderen Ansicht die Notwendigkeit, die auf Ebene des Bezirks gewonnen Einsichten zunächst hochzuzonen und erst auf dem Umweg namens „Dachvereinigung“ gegenüber dem Staat zur Sprache zu bringen. Andernfalls würde nämlich in Vergessenheit geraten, dass die Wahrnehmung eines repräsentativen Gesamtinteresses mit vielgestaltigen Differenzierungen ein weiteres Alleinstellungsmerkmal der IHK in Relation zum freien Verbandswesen bildet. Da die Ermittlung der unternehmerischen Interessenlagen durch Beteiligung der Betroffenen derzeit nur für die Bezirksebene plausibel behauptet werden kann, nimmt es nicht wunder, wenn die politikwissenschaftliche Verbändeforschung der IHK in den Regierungsbezirken, Kreisen, Städten und Gemeinden eine effektive Wirksamkeit bescheinigt.2201 Es ist in Rechnung zu stellen, dass der bundes- und landespolitische Betrieb nur mit Zentral- und Gesamtverbänden in Kontakt treten möchte. Doch stellt sich zugleich die Frage, ob dies um den Preis eines weitgehenden Verzichts auf innerorganisatorische Partizipation erkauft werden soll. Insofern müssen auch die poli­ tischen Parteien beantworten, ob sie die einst als bedeutsam erachteten Forderungen über eine Demokratisierung des Verbandswesens – der Gesetzentwurf der FDP adressierte 1977, nebenbei bemerkt, auch öffentlich-rechtliche Assoziationen –2202 noch heutzutage erfüllt wissen möchten. Antworten sie hierauf mit „ja“, müssen sie unter den Bedingungen des geltenden Rechts von dem Rückgriff auf die Dachvereinigungen der IHK absehen. Das bedeutet nicht, dass der DIHK seinen gesamten Betrieb einstellen müsste. Vielmehr entsteht nach Durchsicht der Literatur die Auffassung, dass die Serviceund Dienstleistungsfunktion einer Aufgabenkritik standhält. Zwar gilt dies nicht für die problembehafteten Mustertexte. Naheliegend ist indes, dass der Mitarbeiter 2198 Zum Begriff näher https://www.umweltbundesamt.de/themen/wirtschaft-konsum/wirt schaft-umwelt. 2199 BVerfG, Beschl. v. 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13 –, BVerfGE 146, 164 (Rn. 104). 2200 Basedow, BB 1977, 366 (372). 2201 Sack, Institutioneller Erhalt, Minderheitenrechte und die Bedingungen organisatorischer Reform – Zur politikwissenschaftlichen Würdigung des BVerfG-Beschlusses vom 12. Juli 2017 zur Pflichtmitgliedschaft in den Industrie- und Handelskammern, in: Kluth (Hg.), Die IHK-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, 2018, 23 (32 f.) m. w. N. 2202 Der Entwurf über ein Verbändegesetz für gesellschaftliche Großorganisationen ist abgedruckt in Bundesvorstand FDP, RdA 1977, 235–237.

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stab des DIHK für eine Förderung der gewerblichen Wirtschaft (s. § 1 Abs. 1 u. 2 IHKG) eingesetzt werden könnte. Die Mitarbeiter könnten im Wege der Filterung, Aufbereitung und Nutzbarmachung von Informationen zu Gesetzgebung und Rechtsprechung mit Bundes-, Europa- oder Globalbezug sowie mit Berichten über internationale Konjunkturen zum Nutzen aller Kammermitglieder wirken. Ferner ist an koordinierende Tätigkeiten zu denken. Hierzu zählt etwa die Unterstützung von Initiativen, die ursprünglich von Bundesministerien ausgehen, aber auf die wohlwollende Begleitung und Umsetzung in der gewerblichen Wirtschaft angewiesen sind.2203 Nicht vergessen werden soll die steuernde und unterstützende Funktion des DIHK, die der Verband über seine Verbindung zu den AHK und Dele­giertenbüros wahrnimmt. Dies schafft ein für alle Kammermitglieder zugängliches Netzwerk für das grenzenberührende Wirtschaften.2204 Insgesamt sollte der Genossenschaftsgedanke, der Teil des klassischen, tätigen Selbstverwaltungs­ gedankens und der Traditionslinie der deutschen Kammergeschichte ist,2205 in den Fokus übergeordneter Funktionen gerückt werden.

V. Das IHKG n. F. nach dem Gesetz vom 7. August 2021 Auf die Umstürzungen, die das Urteil des BVerwG vom 14. Oktober 20202206 mit sich brachte, reagierte der Bundeswirtschaftsminister im Eiltempo. Ein Gesetzentwurf vom 14. Dezember 20202207, dem es nahezu durchgängig an Elaboration mangelt,2208 sollte den Zerfall des DIHK abwenden. Die Vorstellungen schrieb der „Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern“ der Bundesregierung vom 9. März 2021 fort.2209 Die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie vom 9. Juni 2021 bedingte noch Änderungen an der Entwurfsfassung,2210 die mit Gesetz vom 7. August 20212211 Eingang in das IHKG n. F. gefunden haben. 2203 Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, § 1 Rn. 83 nennt z. B. das „Netzwerk Unternehmen integrieren Flüchtlinge“ oder die „Mittelstandsinitiative Energiewende und Klimaschutz“. 2204 Nach Wernicke, in: Junge / Jahn / ders., IHKG, 8. Aufl. 2020, Einf. Rn. 60 gilt das Netzwerk als weltweit einmalig. Ähnlich Kirchhof, GewArch 2022, 2 (6 f.), der die „Funktion eines Wirtschafts-Cicerone“ insgesamt betont wissen möchte. 2205 Zu genossenschaftlichen Elementen bei den interessenvertretenden Körperschaften des öffentlichen Rechts näher unter D. IV. 3. In diesem Sinne schon früh Weber, Der nicht staatsunmittelbare öffentliche Organisationsbereich, in: Erdsiek (Hg.) Juristen-Jahrbuch, 8. Band 1967/1968, 1967, 137 (159), der feststellte, dass die Dachverbände „nur Hilfsfunktionen in den Grenzen der öffentlichen Verwaltungstätigkeit ihrer Glieder wahrnehmen“ dürften. 2206 Dazu näher unter C. III. 1. e) ee) (2) (e). 2207 Abrufbar unter https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Service/Gesetzesvorhaben/ zweites-gesetz-aenderung-regelung-rechts-industrie-handelskammern.html. 2208 Eine umfassende Kritik findet sich auch bei Stober, GewArch 2021, 95–98. 2209 BT-Drs. 19/27452. 2210 BT-Drs. 19/30440. 2211 BGBl. I, S. 3306.

V. Das IHKG n. F. nach dem Gesetz vom 7. August 2021  

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Erstmals benennt das IHKG die Organe der Kammer (§ 4 Abs. 1). § 4 Abs. 2 S. 2 Nr. 9 IHKG nimmt Anleihen im Satzungsrecht und bestimmt, dass „Fragen, die für die gewerbliche Wirtschaft ihres Bezirks oder die Arbeit der Industrie- und Handelskammer von grundsätzlicher Bedeutung sind“, der ausschließlichen Beschlussfassung der Vollversammlung unterliegen. Das IHKG erhebt den DIHK neuerdings in den Stand einer Körperschaft des öffentlichen Rechts unter dem Titel „Deutsche Industrie- und Handelskammer“ mit Sitz in Berlin (§ 10b Abs. 1), etabliert eine Pflichtmitgliedschaft für alle Kammern (§ 10b Abs. 2), lässt den Etat der Bundeskammer von den Bezirken tragen (§ 10b Abs. 3) und unterstellt die neue Kammer der Aufsicht des Wirtschaftsministeriums sowie der Prüfung durch den Bundesrechnungshof (§§ 11a Abs. 1, 10b Abs. 4). Der Formwechsel erfolgt zum 1. Januar 2023 (§ 13c Abs. 1 S. 1 IHKG). Der Organisation auf Bundesebene ist aufgegeben, „das Gesamtinteresse der den Industrie- und Handelskammern zugehörigen Gewerbetreibenden in der Bundesrepublik Deutschland auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene wahrzunehmen“, „für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft zu wirken“ und „dabei stets die wirtschaftlichen Interessen der einzelnen Regionen, Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen“ (§ 10a Abs. 1 S. 1 IHKG). In dem Zeitraum, der zwischen der Gültigkeit des Gesetzes und dem Formwechsel liegt, soll der DIHK e. V. diese Aufgabe ausfüllen (§ 13c Abs. 7 IHKG). Die Kammern sind verpflichtet, dem DIHK bis zum Zeitpunkt des Formwechsels anzugehören (§ 13c Abs. 8 IHKG). Den IHK-Bezirken und den Kammerzugehörigen wird explizit zugestanden, auf Kompetenzüberschreitungen des DIHK oder Verstöße gegen einen Beschluss der Vollversammlung mit einem Unterlassungsanspruch zu antworten, wobei durch Satzung ein dazugehöriges Beschwerdeverfahren mit einem Beschwerdeausschuss einzurichten ist (§ 11a Abs. 3 S. 1 u. 3 IHKG). Der Wortlaut von § 1 Abs. 1 IHKG wurde in mehrfacher Hinsicht ergänzt.2212 Das Mandat wird nunmehr auch von der „Zuständigkeit der Kammern der freien Berufe in Bezug auf die Berufspflichten ihrer Mitglieder“ freigehalten. Nach S. 1 Nr. 1 hat die IHK das Gesamtinteresse der Gewerbetreibenden „einschließlich der Gesamtverantwortung der gewerblichen Wirtschaft, die auch Ziele einer nachhaltigen Entwicklung umfassen kann, auf regionaler, nationaler, europäischer und internationaler Ebene“ wahrzunehmen. Der Wirkungsauftrag für Anstand und Sitte der ehrbaren Kaufleute inkludiert neuerdings deren soziale und gesellschaftliche Verantwortung (S. 1. Nr. 3). Das Recht, „zu den im Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden liegenden wirtschaftspolitischen Angelegenheiten ihres Bezirkes in behördlichen oder gerichtlichen Verfahren sowie gegenüber der Öffentlichkeit Stellung zu nehmen“, wird explizit aufgeführt (S. 2. Nr. 2). Die Gewährleistung des Minderheitenschutzes hat einen weiteren Anker im Gesetzeswortlaut gefunden (S. 3).

2212

Äußerst kritisch zu dieser Ergänzung Stober, DÖV 2022, 111–118.

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F. Dachvereinigungen    

Der novellierte Wortlaut von § 1 Abs. 5 IHKG verzichtet fortan auf den Interesse­ begriff und erweist sich als folgenreicher. Nicht zu den Aufgaben nach Abs. 1 S. 1 Nr. 1 gehören die „grundrechtlich geschützten Aufgabenbereiche der Vereinigungen im Sinne des Artikels 9 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes, insbesondere die Aufgabenbereiche der Tarifpartner sowie die arbeitsgerichtliche Vertretung von Unternehmen“. Zudem sind Stellungnahmen zu sozial- und arbeitsmarktpolitischen Fragen ausgeschlossen, „soweit diese in der ausschließlichen Entscheidungszuständigkeit der Gremien der sozialen Selbstverwaltung liegen.“ Während der Entwurf der Bundesregierung die Reichweite der Vorschrift noch hinter Klarstellungsabsichten zu verbergen suchte,2213 verwendete der Ausschussbericht eine deutlichere Sprache.2214 § 1 Abs. 5 IHKG a. F. vermittelte den Sozialversicherungsträgern, freien Wohlfahrtsverbänden und Tarifpartnern mehr Schutz. Die Vorschrift sicherte ihr interessenpolitisches Spielfeld umfassend gegenüber dem Auftritt der IHK ab. Da das freie Verbandswesen aber „erhebliche Bedenken“ gegenüber der Entwurfsfassung angemeldet hatte,2215 ist womöglich bekannt, dass § 1 Abs. 5 IHKG mehr als klarstellende Vorgaben enthält. Die §§ 10a, 10b IHKG forcieren überdies die bürokratischen Funktionsinteressen der Bundesexekutive einseitig, indem die Bundeskammer als einziger gesetzlicher Ansprechpartner der Regierung verfasst wird. Daher nimmt es nicht wunder, wenn einzelne IHK-Bezirke eine Machtverschiebung befürchten.2216 Das Signal, das die Gesetzesreform aussendet, stellt sich aus der Perspektive dieser Studie ohnehin als verheerend dar: Der DIHK wird mit einer Novelle belohnt, die ihm den organisatorischen Fortbestand sichert, obwohl das Bundesverwaltungsgericht dem Verband eine beträchtliche Zahl kompetenzüberschreitender Äußerungen und fehlende Einsicht attestierte. Die Kammerbezirke werden als Beitragsgaranten verpflichtend zusammengespannt, sodass auch sie künftig nicht mehr mit dem exit auf organisationspolitisches Fehlverhalten oder freigiebige Gesetzesinterpretation im Haus der Deutschen Wirtschaft antworten können. Sie verlieren an Einfluss, da ihnen nicht nur Kontrolloptionen abgeschnitten werden, sondern auch das wirtschaftspolitische Aktionsfeld auf Bundesebene verlorengeht. Das IHKG n. F. 2213

BT-Drs. 19/27452, S. 21 f.: „Aufgrund unterschiedlicher Rechtsprechung zur Auslegung dieser Ausnahmeregelung soll der ursprüngliche Regelungszweck klargestellt werden […]. Mit der Neuformulierung erfolgt aber keine Erweiterung des vom Gesetzgeber gewollten Kompetenzrahmens.“ 2214 BT-Drs. 19/30440, S. 14: „In Satz 1 wird konkretisiert, dass der Ausschluss vom gesetzlichen Kompetenzrahmen nach Absatz 1 sich nur auf den grundrechtlich geschützten Aufgabenbereich der Tarifpartner bezieht.“ 2215 BDA, Stellungnahme v. 28. Dezember 2020, abrufbar unter https://www.bmwi.de/Navi gation/DE/Service/Stellungnahmen/IHK/stellungnahmen-ihk.html, S. 1. 2216 Álvarez / ter Haseborg, „Niemand braucht den DIHK“, Wirtschaftswoche v. 22. Januar 2021, Nr. 4, S. 31: „Astrid Nissen-Schmidt, Vize-Präses der Hamburger Handelskammer, umtreibt die Sorge, ‚dass uns als regionaler Kammer Einflussmöglichkeiten genommen werden‘. Die neue Bundeskammer dürfe in ihrem Verständnis ‚nicht über den Regionalkammern stehen‘.“

V. Das IHKG n. F. nach dem Gesetz vom 7. August 2021  

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versagt den Kammerzugehörigen das Recht, den Austritt aus dem Dachverband zu verlangen. Dem Mitglied, das ein gerichtliches Verfahren von 13 (!) Jahren auf sich nahm, um auf die rechtswidrige Nichtberücksichtigung seiner Standpunkte hinzuweisen, führt das Gesetz vor Augen, dass der Unterlassungsanspruch die in ihn gesteckten Erwartungen nicht erfüllen kann. Wenn die rechtswissenschaftliche Literatur die Reform u. a. deshalb begrüßt, weil sie die Finanzierung des DIHK abzusichern hilft,2217 macht sie ihren blinden Fleck für die organisationssozialen Abläufe nochmals deutlich. In verfassungsrechtlicher Hinsicht ist das novellierte IHKG prekär. Schon die Rechtfertigung des nunmehr intensivierten Grundrechtseingriffs dürfte schwerfallen:2218 Die Begründung vermittelt durchweg die Auffassung, dass der Zweck der Organisationsreform allein darin liegt, die „Vollständigkeit auf Bundesebene“ sicherzustellen.2219 Mag die Einrichtung der interessenvertretenden Körperschaften auch gemeinhin dem staatlichen Eigeninteresse an der effizienten Übermittlung professionellen Sachverstands folgen,2220 treten hier Elemente der Betroffenenpartizipation vollständig zurück. Nebenbei werden die organisationssozialen Probleme nicht aufzulösen versucht, sondern vergrößert. Die Verwässerung des Mandats mittels § 1 Abs. 1 n. F. („einschließlich…“) und das Heranrücken an die Arbeitgeberund Arbeitnehmervertretungen durch § 1 Abs. 5 n. F. sorgen dafür, dass längst abgehandelt geglaubte Argumente Dringlichkeit erlangen (Vereinigungsfreiheit der Interessenverbände, Grundprinzip des Körperschaftsmodells)2221. Das neue Recht ist zudem auffallend inkonsistent. § 13b Abs. 5 S. 1, Abs. 2 IHKG unterwirft die Wahl zum Präsidenten des DIHK dem one man, one vote-Prinzip, während nach Abs. 4 S. 3 f. die Satzung für das Präsidium „unterschiedliche Stimmrechte“ unter Berücksichtigung der „regionalen Verteilung“ vorsehen kann.

2217 Jahn, GewArch 2021, 45. Ähnlich auch Kluth, NVwZ 2021, 345 (351), der betont, dass der Entwurf die „Artikulationsfähigkeit“ der IHK besser absichere. 2218 Zweifelnd auch OVG NRW, Beschl. v. 21. Juni 2021 – 16 B 2011/20 –, juris Rn. 7 ff. 2219 BT-Drs. 19/27452, S. 2, 15, 16, 23, 24, 28, 32. 2220 Dazu näher unter D. IV. 3. 2221 Dazu näher unter C. III. 1. b) bzw. C. III. 2. c) dd).

G. Zusammenfassung Abschließend ist nochmals den Zusammenhängen zwischen apathischer Mitgliedschaft und Organisationsarchitektur nachzuspüren. Da in die Perspektive auch Zwischenergebnisse und optimistische Annahmen über die rechtspolitischen Vorschläge Eingang finden, lässt sich das Folgende als Zusammenfassung der Studie lesen. Die IHK verfügt über eine angeborene Instabilität. Der Verzicht auf die ExitOption führt zu Organisationsproblemen, die das Recht nur abmildern, aber nicht aufzulösen vermag. Trotzdem eine Verbandspraxis zu verfolgen, die absolute Einigkeit inszeniert, offene Auseinandersetzungen und interne Publizität scheut, Kompetenzen der Mitgliedervertretung zurückbaut, Zuständigkeiten auf Führungsebene maximiert und Belange der Mitglieder ohne deren Mitarbeit ermitteln möchte, ist keinesfalls ein guter Ratgeber. Auch der in Pflichtverbänden verschärfte Trend zur Oligarchisierung wirkt vielfach limitierend, wenn das Ziel lautet, mit Rechtsmitteln eine vitale Organisation hervorzubringen. Das Phänomen nimmt seinen Einstieg bei der Delegation, d. h. der Verfassung und Besetzung von Leitungsorganen sowie der Begünstigung mit Kompetenzen. Das Problem gewinnt an Bedeutung durch die Faktoren Bürokratisierung, Professionalisierung und Spezialisierung, die einer komplexen Organisation immanent sind. Die Faktoren tragen dazu bei, dass der Einfluss auf die Organisationsgeschicke bei denjenigen anwächst, die häufig, sachkundig und routiniert in Verbandsangelegenheiten tätig werden. Dennoch sind diese Tendenzen keinesfalls ohne bedingende Faktoren in der Mitgliedschaft, namentlich eine ausgeprägte Interessenlosigkeit, denkbar. Gewichtsverschiebungen zum Vorteil der agileren Leitungsorgane können gewollt oder ungewollt sein, auf Grundlage von Satzungen oder der tatsächlichen Inanspruchnahme von kompetenziellen Leerstellen ohne gestattenden Rechtssatz vollzogen werden. Sie finden aber immer eine Teilursache darin, dass die Mitglieder die Geschäfte der „eigenen“ IHK mit Desinteresse begleiten. Die Suche nach dem effektivsten Instrument zur Hebung der Beteiligungsmotivation – die Internalisierung des Verbandszwecks – erscheint allerdings vergebens. Hinter dem aufgedrängten Organisationszweck wird sich auch zukünftig nicht jedes Mitglied versammeln wollen. Der Befund über eine fortgeschrittene Apathie gilt nicht minder für die Vollversammlung im Verhältnis zu den Leitungsorganen und den dort entfalteten Tätigkeiten. Doch auch hierfür können Ursachen benannt werden: Die Vollversammlung ist dem Gesetz nach zu urteilen als Hauptorgan verfasst. So könnte sie sich unter Berufung auf § 4 S. 1 IHKG und ihre Stellung als Satzungsgeberin

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(§ 4 S. 2 Nr. 1 IHKG) derzeit vorbehalten, über alle Angelegenheiten der IHK zu beschließen. In Anbetracht ihrer seltenen Sitzungen, der regelmäßig nur zu Beginn ihrer Amtsperiode vorgesehenen Wahlen und Bestellungen zu den nachgeordneten Organen, der verbreiteten Praxis weitreichender Delegation von Kompetenzen im Satzungsrecht und des damit einhergehenden Mangels an wirklicher Gestaltungsmacht, ergibt sich die Vollversammlung zumeist nur als Nebenorgan. Wird dieser Befund im Wege des Selbstgesetzgebungsrechts forciert, ist dies ein zutiefst paradoxes Ergebnis, das zwischen den Bewertungen als Selbstentmächtigung und -verzwergung changiert. Aus der Charakterisierung als tatsächliches Nebenorgan lässt sich wiederum nachvollziehen, warum die Inanspruchnahme der aktiven Wahlberechtigung auf wenig Interesse stößt. Denn die zur Wahl aufgerufenen Kammermitglieder dürften nicht einmal zweifelsfrei sagen können, welche Fragen in dem Organ verhandelt und entschieden werden, über dessen Zusammensetzung sie mitentscheiden sollen. Aus dieser Einsicht erwachsen Rückschlüsse für die Vernachlässigung des passiven Wahlrechts: Die Kammerzugehörigen, die die aktive Wahlberechtigung ungenutzt verstreichen lassen, dürften sich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht um ein Mandat in der Vollversammlung bewerben. Die ehrenamtliche Mitgliedschaft in einem Organ, das von seiner im IHKG vorgesehenen Stellung entkernt wurde, versprüht nur einen bedingten Reiz zur Teilnahme.2222 Ist eine Gleichgültigkeit gegenüber den Angelegenheiten der IHK auf Seiten der Kammerzugehörigen und den Mitgliedern der Vollversammlung festzustellen, wird es den Leitungsorganen nicht schwerfallen, ihren tatsächlichen Einfluss auszubauen. Am Ende dieser Entwicklung könnte eine Simulation von Partizipation zu beklagen sein. Sie wird durch Fensterreden womöglich erfolgreich verdeckt, aber erschöpft sich bei Lichte besehen in der Form halber zu wahrenden Abstimmungsritualen und regelmäßigen Akklamationssitzungen. Dem Vorstehenden kann zu Recht entgegenhalten werden, dass es an einer stringenten Erzählung mangelt. Eine kausale Berichterstattung, die sich durch Beschreibung des Symptoms, Diagnostik und Aufzeigen der Behandlungsoptionen auszeichnet, mag nicht gelingen. Doch ist dieser Mangel dem Phänomen der Oligarchisierungstendenz immanent. Ernst Thomas Emde beschrieb bereits vor ca. 30 Jahren einen Trend zur Oligarchisierung, wenngleich er noch ohne den maßgeblichen Begriff auskam.2223 In der Sache war bereits damals ein entsprechender Befund gemeint, als der Autor ein „Übergewicht des Vorstands und der Geschäftsführung über die Vertretung der Mitglieder bzw. ihrer Repräsentanten“ feststellte, das Wurzeln habe, die tiefer reichten, als dass ein „Federstrich des Gesetzgebers hier für völlige Abhilfe sorgen“ könne und zur Begründung auf die Faktoren Bürokratisierung, Professionalisierung und Desinteresse der Mitglieder verwies.2224 Er sprach von „irreversiblen Tendenzen“, erkannte „einander gegenseitig bedingende 2222

Auf diese Faktoren ebenfalls hinweisend Nullmeier, Kammerwahlen aus Sicht der Politikwissenschaft, in: Kluth (Hg.), JbKBR 2008, 2009, 13 (20). 2223 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 448 f. 2224 Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 448.

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und verstärkende“ Ursachen und versperrte sich gegenüber der Einsicht, dass Eingriffe des Gesetzgebers zu einer Besserung der Lage führen könnten.2225 Da der Gesetzgeber seitdem die Materien Organisation und Verfahren unangetastet ließ, darf es nicht überraschen, wenn noch heutzutage der Anschluss an altbekannte Analysen vollzogen wird. Dass sich diese Entwicklung, die aus der theorie- und ideengeschichtlichen Perspektive des Prinzips Selbstverwaltung als unheilvolle Abwärtsspirale gekennzeichnet werden muss, mit den Mitteln des Rechts nicht durchbrechen lässt, soll allerdings nicht mehr behauptet werden. Das vorgeschlagene Organisations- und Verfahrensrecht kann jedenfalls eine Abmilderung des Trends zur Oligarchisierung besorgen. Tritt die Vollversammlung de lege ferenda mindestens sechsmal im Kalenderjahr zusammen, kann eine Verschiebung des Schwergewichts in der organisatorischen Kompetenzverteilung verhindert werden. Die verfügbaren Verfahrensalternativen  – elektronisches Umlaufverfahren und virtuelle Sitzung  – beugen Leerstellen der Machtausübung vor, die die nachgeordneten Organe andernfalls ausfüllen könnten. Zugleich wurden untergesetzliche Bestimmungen für unwirksam erklärt, mit denen bisher die Rechtsstellung des Präsidiums ausgebaut werden konnte. Einen gewichtigen Beitrag soll ferner die Rückführung des Hauptgeschäftsführers auf organadäquate Tätigkeiten leisten. Er wird auf die Verwaltungsleitung sowie eine dienende und informierende Funktion gegenüber dem Ehrenamt festgelegt. Der Eindruck, den die derzeitige (mediale) Übermacht der hauptamtlich Beschäftigten erzeugt, entwertet die Organisationsform und ihre Partizipationsmechanismen.2226 Hier wird eine Unsichtbarkeit des Ehrenamts insinuiert, die einer Selbstverwaltungseinrichtung wie der IHK nicht zusteht. Präsidium, Präsident und Hauptgeschäftsführer sollten auf den Rückbau ihrer Kompetenzen zugunsten der Mitgliedervertretung drängen und in der Verwaltungspraxis auf eine frei­ giebige Erweiterung ihrer Zuständigkeiten verzichten, wenn sie die Drohung über eine unaufhaltsame Abwärtsspirale ernst nehmen und die IHK als eine aktive und langlebige Organisation erhalten wollen. Diesen Gesichtspunkt bestätigt auch die Organisationssoziologie. So gewinnt Frieder Naschold ein „gesichertes Ergebnis“ aus den ihm vorliegenden Studien, nach der „institutionelle Änderungen nur eine relativ geringe Erfolgschance“ besäßen, „wenn sie nicht von einer Veränderung im soziologischen und sozialpsychologischen Faktorenkomplex begleitet“ würden.2227 Den doppelten Bedarf für eine Umkehr der Verhältnisse, d. h. im rechtlichen wie im soziologischen Sinne, vermittelt insbesondere der Hauptauftrag in § 1 Abs. 1 IHKG. Die Wahrnehmung des Gesamtinteresses der gewerblichen Wirtschaft ergibt sich als vollkommene gesetzliche Fiktion, wenn das reale Interesse an den Wahlen zur Vollversammlung dauerhaft gering bleibt und die Vollversamm 2225

Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 449. Warnend auch Nullmeier, Kammerwahlen aus Sicht der Politikwissenschaft, in: Kluth (Hg.), JbKBR 2008, 2009, 13 (26). In diese Richtung ebenfalls Kluth, Kammerrecht, in: Schulte / Kloos (Hg.), Handbuch Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 7 Rn. 155. 2227 Naschold, Organisation und Demokratie, 1969, S. 83. 2226

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lung an der Entstehung des Gesamtinteresses weiterhin keinen entscheidenden Anteil nimmt.2228 Sollte eine Evaluation des Vorschlags de lege ferenda ergeben, dass die Vorgaben dysfunktional sind – sei es, weil das Desinteresse unter den Mitgliedern unwiderruflich ist, ein Zurück zur Herrschaft der Vollversammlung nicht erreicht werden kann oder die Funktionsfähigkeit der Organisation bei einer prinzipiellen Allzuständigkeit der Mitgliedervertretung über Gebühr beeinträchtigt wird – liegt ein Beleg dafür vor, dass die Voraussetzungen für die Überantwortung von Aufgaben auf die IHK nicht mehr vorliegen.2229 Dies soll nicht bedeuten, dass die Studienergebnisse eine Klassifikation als letztbegründetes Patentrezept bean­ spruchen, das dem trial-and-error-Prozess entzogen wäre. Vielmehr vermittelt diese Schlussfolgerung, dass sich die entworfenen Normen, trotz ihrer Rückversicherung in dem Grundsatz funktionsgerechter Organisationsstruktur, dem Gebot innerorganisatorischer Demokratie oder den organisationssoziologischen Einsichten, immerzu an dem Grundgedanken des Gesetzes orientieren. Auch der hier erdachte Reiseführer für ein passenderes Organisationsdesign konstituiert die Vollversammlung als Schaltzentrale. Die Behauptung einer Inkompatibilität für den Vorschlag de lege ferenda würde damit zugleich auf die Grund­annahmen des geltenden IHKG durchschlagen. Es würde damit eine „Große Anfrage“ an die Eignung der organisatorischen Form in Relation zu den überantworteten Aufgaben gestellt, die negativ beschieden werden müsste. An diesem Punkt sollte das blinde Verwaltungsvertrauen, das die IHK in der Bundesrepublik gegen breit ausgreifende Reformen ihrer organisatorischen Basis immunisiert hat, ein Ende haben. Denn eine Selbstverwaltungseinheit, die ihre Verwaltungskraft nur durch ein gesteigertes Maß an Partizipation gewinnen kann, aber dies realiter nicht zu generieren vermag, hat sich überlebt.

2228 Den Zusammenhang zwischen Wahlbeteiligung und Gesetzesauftrag betont auch Kluth, Reformperspektiven für Kammern und Kammerrecht, in: ders. (Hg.), JbKBR 2009, 2010, 13 (16). 2229 In diese Richtung bereits für die Kammern insgesamt Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 449.

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Sachverzeichnis AEUV 88 allgemeinpolitisches Mandat  118, 121 Ankereffekt  236, 312, 418 Aufgabe – gesellschaftliche ~  67 – konkurrierende Staats~  69 – legitime öffentliche ~  67 – öffentliche ~  66 – selbstverwaltungstaugliche ~  204 – Staats~ 66 – Staats~ im engeren Sinne  66 – Wirtschaftsförderung als Staats~  69 Aufsicht – Fach~ 430 – Funktionssicherungsfunktion 429 – Interessenrepräsentanz 433 – Korrelat der Selbstverwaltung  429 – Legitimationsfunktion 430 – Mittel 431 – öffentliches Interesse  432 – Rechts~ 430 – und Individualrechtsschutz  432 – Verhältnismäßigkeit 431 – Verwaltungspraxis 435 Ausschuss – Beratungsfunktion 423 – Haupt~ (IHK Bayreuth)  422 – Regional~ (bayerische IHK)  259, 294, 425 Befangenheit – doppelte Loyalität  452 – Instrument der Verwaltungskontrolle  440 – Interessenrepräsentanz 446 – overlapping leadership  449 – Parteinahme für das Recht  441 Beitrag 180 Beitragspflicht  33, 46, 76, 88, 214 Berufsbildungsausschuss 244 Bundeskammer – BRAK  401, 488 – DIHK 493

Chambers of Commerce  38, 85 Chambre de Commerce  30, 38 Dachvereinigungen – Arkanbereiche 487 – Bundesebene 482 – demokratische Legitimation  485 – Entstehungsgründe  480, 487 – Eurochambres 483 – ICC 484 – ICC Germany  484 – Landesebene 480 – Norddeutschland 481 – strukturbedingte Dysfunktionalität  489 Demokratieprinzip – Legitimationsformen 213 – Legitimationsniveau 214 – Optimierungsgebot 223 – pluralistisch-differenziertes Modell  214 – Staatsgewalt 213 Demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung – Ausnahmetheorie 217 – autonome Legitimation  218 – Bundesverfassungsgericht 219 – Bundesverwaltungsgericht 219 – Gebot innerorganisatorischer Demokratie ​223 – kollektive personelle Legitimation  217 Demokratisierung der Verbände  169, 491 DHT  47, 389, 486, 488 DIHK e.V. – Aufgabenkritik 490 – demokratische Legitimation  485 – Kommission für Kammerrechtspolitik ​235 – Mustertexte  235, 238, 486 – Organisation 482 – Qualitätsstandard Interessenrepräsentanz ​ 486 DIHK (nach dem Gesetz vom 7. August 2021) ​ 493

546

Sachverzeichnis

DIHT  37, 449, 482 Dirimierungsrecht  322, 330, 335 Dringlichkeitskompetenz  408, 413, 417, 418

– ökonomische Ungleichheit  250 – Teilwahlen 250 – Wahlbezirk 250

Ehrenamt – Entschädigung 286 – upper-class bias  285 EMRK 89 Entscheidung in eigener Sache  100, 256, 286, 474 Exit-Voice-Theorem  87, 151, 233, 405, 438, 439, 494, 496

Hauptgeschäftsführer 365 HwK  75, 131, 251, 272, 486

framing  237, 312, 418 Fremdorganschaft 421 Friedenswahlen 272 Funktionale Selbstverwaltung – Begriff 206 – Differenzierung 207 – Landesverfassung  205, 240 – Typik 206 Gemeinwohl  144, 182 Genossenschaftliche Elemente  212, 492 Gesamtinteresse – Abgrenzung 388 – gewichtetes Ergebnis  390 – ordnungspolitische Leitlinien  389 – repräsentatives Verfahren  396 – Responsivität 393 – und Minderheitsinteresse  397 – verfahrensgebundenes Produkt  390 Gewaltenteilung innerhalb der Gewalten  195 GrCh 89 Grundsatz funktionsgerechter Organisationsstruktur – Entscheidungsfähigkeit des Organs  198 – form follows function  204 – Grundlagen 196 – IHK-Recht  396, 414, 417, 421, 424, 473, 474 – Maxime guter Verwaltung  202 – Rechtsstaatsprinzip 198 Grundsatz innerorganisatorischer Demokratie – Begründung 222 – IHK-Recht  268, 275, 418 Gruppenwahl – Idee 254

IHK – Aufgaben 42 – Entstehungsgeschichte 29 – Hauptaufgabe 53 – Organe 244 – Zwitterstellung 179 Innenrechtsstreit  195, 469 Institutionelle Majorisierung 115, 400, 452 Interdisziplinäre Rechtsforschung  189 Interesse – ~terminus im Recht  143 – Demokratische Entscheidungsfindung und wirtschaftliche ~n  55 – Kollektivität 142 – Sprach- und Ideengeschichte  144 – Staat und organisierte ~n  182 Interessenrepräsentanz – Abgrenzung zum Lobbying  57 – Normanalyse 136 – Rechtsrahmen 65 – Typik 58 – Unterschied zur sachverständigen Beratung ​54 – Verwässerung des Mandats  495 Kammer-Euphorie 23 Kammer-Kritik 25 Kaufmännische Korporation  29, 30, 31, 32, 34, 35, 48 Kollegialorgan 194 Kollegialprinzip 195 Körperschaft des öffentlichen Rechts – als Ansehensgewinn  212, 489 – Begriff 192 – Doppelnatur 210 Kult der Einigkeit  291, 405 Limburger Erklärung  123, 124, 133 Logik des kollektiven Handelns siehe Trittbrettfahrer-Problematik

Sachverzeichnis Medialisierung  403, 405 Mitglieder der Vollversammlung – Gruppenrepräsentation 283 – Rechte aus dem Mandat  285 Mittelbare Nachfolgewahl  271 Multifunktionäre 449 Oligarchie – Begriff 173 – ehernes Gesetz  172 – in der IHK  87, 180, 269, 275, 309, 345, 346, 349, 371, 489, 497 – in Pflichtverbänden  177 – Tendenzen zur ~  177 Online-Wahl 295 Organ 193 Organisation – ~ssoziologie 150 – ~swissenschaft 149 – Begriff 148 – Beitritts- und Beteiligungsmotivation  178 – bottom up/top down  181 – demokratischer Führungsstil  179 – interne Gruppenbildung  179, 291 – Kollektivierung 149 – Konflikte 184 – Statusdiskrepanz  291, 346 – und Recht  150 – Zielkonflikt 181 – Zweck- und Motivationsstruktur  177 Organisationsdesign  87, 98, 171, 187, 189, 192, 224, 244, 286, 308, 331, 352, 376, 417, 430, 439, 465, 499 Organisierte Interessen in der Organisation ​ 85, 233, 275, 396, 452 Organwalter 193 Parlamentsvorbehalt – Begriff 224 – Begründung 225 – im IHK-Recht  241, 247, 268, 272, 307, 316, 328, 330, 333, 345, 352, 361, 377, 380, 418, 446, 465 – und Minderheitenschutz  233 – und Satzungsautonomie  225 – Wesentlichkeitstheorie 228 Paternalismus 313 Pflichtmitgliedschaft

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– allgemeine Handlungsfreiheit  78 – Berufsfreiheit 76 – Bundesverfassungsgericht 83 – Freiheitsgesamtrechnung 82 – Identifikationslast 82 – kein Grundrechtseingriff?  79 – negative Vereinigungsfreiheit  76 – öffentlich-rechtliches Dauerverhältnis  81 – Prüf- und Beobachtungspflicht  83 – Rechts- und Verfassungsvergleich  84 – Verfassungskonvent 76 Präsident – Neutralitätspflicht 359 – Prüfungsrecht 312 – Sitzungspolizei 359 Präsidium 337 Prinzipal-Agent-Konzept 44 Recht und Realität  185, 186, 190, 331 Regionale Gebundenheit – Alleinstellungsmerkmal  405, 491 – Bedeutung 125 Repräsentation 245 Responsivität 391 Reversibilität 333 Seismograph  292, 394, 427 Souverän der Körperschaft  171, 212, 464 symbolische Rechtspolitik  186, 190, 289 Tragik der Allmende  86, 87 Transparenz – Funktionen 455 – Gefahr der Inszenierung  465 – Ideengeschichte 453 – organisationsinterne ~  455 Trittbrettfahrer-Problematik  85, 86 Unterlassungsanspruch – Bedenken 93 – Begründung 91 – Bundesverwaltungsgericht 92 – Drohkulisse 439 – praktische Wirksamkeit  439 unternehmerische Realität  315, 463 Verbände – Entstehungsgründe 29

548

Sachverzeichnis

– Herrschaft der ~  182 – upper-class accent  182 Verwaltungskontrolle 194 Verwaltungskraft  211, 311, 315, 328, 405, 499 Verwaltungsorganisationsrecht – Funktionale Selbstverwaltung  191 – Funktionen 191 – Platz in der Verwaltungsrechtswissenschaft ​ 191 Vetorecht, suspensiv  334 Vollversammlung – Entscheidungsfindung 317 – Entscheidungskontext 298 – Hauptorgan  244, 406 – Kompetenz-Kompetenz 406

– Kontrollfunktion  309, 310, 331, 348, 350, 352, 356, 371, 372 – Kreationsfunktion  352, 386 – Miniatur der Bezirkswirtschaft  284, 397 – Selbstentmächtigung  340, 416, 417 – Selbstverzwergung 497 – vollständige Lenkung  356 Vorrang des Gesetzes  150, 242, 430 Wohl der IHK  461, 463 Zuständigkeit 193 Zuwahl 260 Zwangsmitgliedschaft  siehe Pflichtmitgliedschaft