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German Pages 344 Year 2014
Nancy Richter Organisation, Macht, Subjekt
Gesellschaft der Unterschiede | Band 15
Nancy Richter, Kultur- und Wirtschaftswissenschaftlerin, lehrt und forscht an der Bauhaus-Universität Weimar. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Organisationswissenschaften sowie die Geschichte und Gegenwart von Wirtschaft, Management und Arbeit.
Nancy Richter
Organisation, Macht, Subjekt Zur Genealogie des modernen Managements
Gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft Dissertation der Bauhaus-Universität Weimar
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt
Dank | 9
1. Rationalisierung vs. „Entrationalisierung“ | 11
2. Organisation und Macht | 31
2.1 Macht und Herrschaft bei Max Weber | 35 2.2 Macht in den Organisations- und Managementwissenschaften | 48 2.3 Zusammenfassung: Rationalität vs. Macht | 100
3. Macht und Subjektivierung | 117
3.1 Macht und Subjekt bei Friedrich Nietzsche | 119 3.2 Zum Kontext der Produktion eines moralischen Subjektes | 124 3.3 Macht und Subjekt bei Michel Foucault | 135
4. Die Organisation als Macht- und Subjektivierungsdispositiv | 171
4.1 Die Episteme der modernen westlichen Organisation | 179 4.2 Organisation, Management und Rationalisierung zu Beginn des 20. Jh.s | 195 4.3 Die „Entrationalisierung“ von Organisationen am Ende des 20. Jh.s | 256
5. Rationalisierung vs. „Entrationalisierung“: Ein Paradigmenwechsel? | 311
6. Referenzen | 317
„Gesetzt, dass es wahr wäre, was jetzt jedenfalls als ‚Wahrheit‘ geglaubt wird, dass es eben der Sinn aller Cultur sei, aus dem Raubthiere ‚Mensch‘ ein zahmes und civilisirtes Thier, ein Hausthier herauszuzüchten …“ Friedrich Nietzsche (Zur Genealogie der Moral)
Dank
Zahlreiche berufliche Erfahrungen in Konzernen oder in kleinen und mittelständischen Unternehmen haben mein Interesse an den Bedingungen, unter denen Menschen in westlichen Gesellschaften arbeiten, und daran, wie diese Arbeit schließlich auch ihr Leben und ihr Selbstverständnis prägt, geweckt. Die besonderen Verhaltens- und Redeweisen sowie Umgangsformen, welche Menschen in ihrem Arbeitsalltag zeigen, haben mich immer zutiefst fasziniert und nie losgelassen. Meine Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Medienmanagement hat mir schließlich erlaubt, über die reine Beobachtung hinauszugehen und mich dieser Thematik auch wissenschaftlich zu nähern. Eine Reihe von wichtigen Menschen hat mich auf diesem Weg begleitet und mich bei diesem Projekt unterstützt. Mein besonderer Dank gilt daher vor allem meinem akademischen Mentor und Doktorvater Matthias Maier. Er hat mir sowohl die Freiheit als auch die Inspiration gegeben, mich mit alternativen Organisations- und Managementansätzen zu beschäftigen. Meinen Dank möchte ich auch Axel Haunschild für seine fachliche und persönliche Betreuung und Begleitung und die Übernahme des Zweitgutachtens aussprechen. Dies gilt auch für Alan McKinlay, der mir durch Ratschläge und Gespräche wichtige Hinweise für die Bearbeitung meines Themas gegeben hat. Auch die Zeit an der School of Management der University of St. Andrews mit Barbara Townley und ihren Mitarbeitern hat mir geholfen, das Thema zu vertiefen und meinen Schatz an Literatur zu erweitern. Ohne meine Prüfungskommission, unter dem Vorsitz von Andreas Ziemann, wäre der erfolgreiche Abschluss der vorliegenden Arbeit nicht möglich gewesen, weshalb ich mich für die kritische Begleitung herzlich bedanken möchte. Bedeutsam für meinen Weg waren darüber hinaus Karina Preiß und Anke Trommershausen. In diesem Zusammenhang danke ich auch allen meinen Kollegen und Kolleginnen, insbesondere im Medienmanagement, für ihre Geduld, die wertvollen persönlichen und inhaltlichen Ratschläge sowie die schöne Zeit in Weimar.
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Meinen zwei Lektorinnen und Freundinnen Cornelia Fischer und Annegret Gellweiler möchte ich herzlich für den Feinschliff danken, welchen sie der Arbeit formal und inhaltlich gegeben haben. Allen meinen Freunden, meiner Familie, Silke und Thomas danke ich für den Rückhalt, den sie mir geben. Besonders wichtig für die Vertiefung und Festigung meiner Gedanken war schließlich Cornelius ohne den die Arbeit in vielerlei Hinsicht nicht möglich gewesen wäre. Weil seine Bedeutung für mich bis heute ungebrochen ist, möchte ich diese Arbeit meinem verstorbenen Großvater Gustav Karl Richter widmen.
1. Rationalisierung vs. „Entrationalisierung“
In der Organisationstheorie und -praxis vollzieht sich seit Ende des Zweiten Weltkrieges ein Trend zur vermeintlichen Entrationalisierung von Organisationen.1 Bürokratische und tayloristische Modelle gelten als zunehmend unzulänglich. Der Abbau von hierarchischen und bürokratischen Strukturen verbindet sich mit der Forderung nach einem „Empowerment“ der Mitarbeiter2 und mehr Eigenverantwortung. Flexibilität und Dynamik sind zentrale Themen der Unternehmenspraxis.3 Darüber hinaus werden Emotionen und Gefühle thematisiert und verbinden sich mit organisatorischen Fragestellungen.4 Emotionen und Gefühle, deren Einfluss auf Markenbildung und den Umgang mit Kunden, insbesondere im Dienstleistungsbereich, bereits bekannt ist, sind in jüngster Zeit auch Themen für Management und Führung. Beschäftigte verbinden mit ihrer Arbeit möglichst Freude, Engagement und Selbstentfaltung.5 „Sine ira et studio“ oder „Haben Organisationen Gefühle?“6
1 2
Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 262. Mit Nennung der männlichen Funktionsbezeichnung ist in diesem Buch, sofern nicht anders gekennzeichnet, immer auch die weibliche Form mitgemeint.
3
Vgl. Siemens (1996): SAA 23627.
4
Vgl. Albrow, M. (1992): S. 314f.
5
Emotionen in Organisationen stehen verstärkt im Fokus der praxisnahen Managementforschung. Hiermit wird häufig der Anspruch verbunden, mit Gefühlen in Organisationen professionell umzugehen und die langfristige Entwicklung des Unternehmens und Change-Management-Prozesse positiv zu beeinflussen. Hierbei liegt die Annahme zugrunde, dass die immaterielle Realität von Organisationen (Emotionen, Einstellungen und Werte der Mitarbeiter) aufgedeckt und durch Coaching gezielt beeinflusst werden kann. Häufig ist hierbei auch der Begriff der Unternehmenskultur angesprochen. Erkenntnisse aus Hirn- und Verhaltensforschung dienen dazu, die Wis-
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Im Unterschied zu diesen jüngsten Entwicklungen herrschte in den Organisations- und Managementwissenschaften während des frühen 20. Jh.s weitgehend Stille um Gefühle. Während Max Weber (1922) das reale Handeln noch durch Irrationalitäten aller Art (Affekte, Irrtümer) beeinflusst sieht und das streng zweckrationale Handeln lediglich als einen Idealtypus, wird Rationalität in den Organisations- und Managementwissenschaften seit den 1920er Jahren (z.B. Frederick W. Taylor, Henri Fayol) zu einer grundlegenden Eigenschaft von Organisationen und zum Vorbild für deren Mitglieder. So heißt es bei Max Weber: „Sine ira et studio, ohne Haß und Leidenschaft, daher ohne ‚Liebe‘ und ‚Enthusiasmus‘, unter dem Druck schlichter Pflichtbegriffe; ‚ohne Ansehen der Person‘, formal gleich für ‚jedermann‘, d.h. jeden in gleicher faktischer Lage befindlichen Interessenten, waltet der ideale Beamte seines Amtes.“7
Es handelt es sich bei der Weberschen Darstellung der Bürokratie lediglich um einen Idealtypus. Max Weber geht in weiten Teilen seiner Auseinandersetzung in „Wirtschaft und Gesellschaft“ auf affektuelles Handeln ein.8 Die Konstruktion eines zweckrationalen Handelns dient ihm zufolge lediglich der Wissenschaft, um soziale Prozesse verständlich zu machen. Max Weber unterstreicht beispielsweise: „Für die typenbildende wissenschaftliche Betrachtung werden nun alle irrationalen, affektuell bedingten, Sinnzusammenhänge des Sichverhaltens, die das Handeln beeinflussen, am übersehbarsten als ‚Ablenkungen‘ von einem konstruierten rein zweckrationalen Verlauf desselben erforscht und dargestellt. Z.B. wird bei einer Erklärung einer ‚Börsenpanik‘ zweckmäßigerweise zunächst festgestellt: wie ohne Beeinflussung durch irrationale Affekte das Handeln abgelaufen wäre und dann werden jene irrationalen Komponenten als ‚Störungen‘ eingetragen.“9 senschaftlichkeit der Inhalte zu unterstreichen. Siehe u.a.: Vgl. Breuer, J.P.; Frot, P. (2010); eine kritische Auseinandersetzung findet sich bei Sieben, B. (2007). 6
Albrow, M. (1992): S. 313.
7
Weber, M. (1922): S. 129; Vgl. Albrow, M. (1992): S. 313.
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Affektuelles Handeln wird ausgelöst durch Emotionen bzw. durch aktuelle Gefühlslagen. „Das streng affektuale Sichverhalten steht ebenso an der Grenze und oft jenseits dessen, was bewußt, ‚sinnhaft‘ orientiert ist; es kann hemmungsloses Reagieren auf einen außeralltäglichen Reiz sein.“ Weber, M. (1922): S. 12. So kann nach Max Weber soziales Handeln wie jedes Handeln affektuell (aber auch zweckrational, wertrational oder traditional) bestimmt sein.
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Weber, M. (1922): S. 2.
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Gefühle sind zentral bei Max Weber und werden nur in wissenschaftlichen Untersuchungen ausgeklammert. Diese Interpretation Max Webers ist anerkannt. Z.B. unterstreicht Martin Albrow: „The forces of unreason, power, charisma, faith, emotions, Nietzschean moments are emphatically acknowledged by Weber.“10 In den rationalistischen Managementwissenschaften hingegen wird der Webersche Idealtypus des zweckrationalen Handelns dekontextualisiert und zum Normalfall erklärt.11 Irrationalitäten wie Macht, Charisma oder Emotionen sind hierbei größtenteils ausgeklammert. Betrachtet man Organisation als rationales System besteht sie aus Handlungen, die von zielorientierten Akteuren durchgeführt werden und aufeinander bezogen sind.12 Gefühle haben keinen Platz, wo Organisationen als rationale Mittel zur Erreichung bestimmter Ziele aufgefasst werden.13 „Der Terminus Rationalität wird in diesem Kontext in dem engen Sinne von ‚technischer‘ oder ‚funktionaler‘ Rationalität gebraucht […] und bezieht sich auf das Ausmaß, in dem eine Sequenz von Aktionen so organisiert ist, daß sie mit einem Maximum an Effizienz zum vorher bestimmten Ziel führt.“14
Mindestens drei Aspekte bilden dabei die Grundlage einer rationalen Strukturierung von Organisationen. Erstens sind Organisationen zweckgerichtet.15 Das heißt sie sind an der Verfolgung spezifischer Zwecke orientiert, nach denen die Aktivitäten und Interaktionen der Beteiligten koordiniert werden.16 Der Zweck einer Organisation ist meist nicht übereinstimmend mit den individuellen Interessen oder Zwecken der Organisationsmitglieder. Zweitens ist die Kooperation zwischen den Mitgliedern der Organisation bewusst hergestellt und explizit gemacht. Regeln, die das Verhalten steuern, sind formalisiert, indem sie präzise und exakt formuliert sind. Rollen und Rollenbe10 Albrow, M. (1992): S. 317–318. 11 Vgl. Albrow, M. (1992): S. 314f. 12 Vgl. Scott, W.R. (1986): S. 93. 13 Vgl. Scott, W.R. (1986): S. 92. 14 Scott, W.R. (1986): S. 92. Effizienz lässt sich in diesem Zusammenhang auch als Wirtschaftlichkeit verstehen. Es geht um den rationalen Umgang mit knappen Ressourcen. Nach W. Richard Scott geht es dabei vor allem um die Implementierung von Zielen und nicht nur um ihre Formulierung. 15 Hierzu und zum Folgenden vgl. Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 21. 16 Vgl. Scott, W.R. (1986): S. 93–94.
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ziehungen verkörpern diese Regeln. Sie sind unabhängig von den persönlichen Merkmalen derjenigen, die Positionen in dieser Struktur einnehmen. Ziele der bewussten Strukturierung sind Effizienz und Produktivität. Drittens geht mit dem Verfolgen gemeinsamer Ziele und der bewussten und rationalen Regulierung der Beziehungen die Unterordnung unter eine Leitungsinstanz einher.17 Diese kann beispielsweise der Arbeitgeber sein. Dadurch, dass man nur rationalen Regeln folgt, entsteht der Eindruck, man unterwerfe sich nur diesen Regeln und nicht bestimmten Personen.18 Die Schaffung einer rationalen formalen Struktur in Organisationen ist eine Alternative zu informellen Strukturen und affektiven Bindungen zwischen den Beteiligten.19 Damit wird das Funktionieren von Organisationen unabhängig von Gefühlen ihrer Mitglieder, seien sie negativ oder positiv, ermöglicht. Auf diese Weise soll u.a. verhindert werden, dass emotionale Bindungen Disziplin und Urteilsvermögen beeinträchtigen. Rational strukturierte Organisationen sollen Beteiligte entsprechend zu rationalem und vorhersehbarem Verhalten veranlassen. Darüber hinaus sind in formalisierten Strukturen seltener außergewöhnliche Individuen gefragt, sie sind weniger abhängig von Einzelpersonen. Darin sehen Organisationswissenschaftler einen wichtigen Aspekt der organisatorischen Herrschaft. Wer Herrschaft ausübt, muss nicht besser sein als die Beherrschten.20 Sheldon S. Wolin setzt die Formalisierung der Struktur mit der wissenschaftlichen Methode gleich, um deren Besonderheit zu erklären: „Method, like organization, is the salvation of puny man, the compensatory device for individual foibles, the gadget which allows mediocrity to transcend its limitations. On the one side organization, by simplifying and routinizing procedures, eliminates the need for surpassing talent. […] The organizational hero would be a contradiction in terms; an order of talents, if not subversive, at least embarrassing.“21
In der Praxis der 1920er und 1930er Jahre ist die Rationalisierung von Unternehmen die entscheidende Möglichkeit zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit. Das Reichskuratorium für Wirtschaftlichkeit definiert Rationalisierung folgendermaßen:
17 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 21. 18 Bei Max Weber ist das die rationale Form der Herrschaft. Vgl. Weber, M. (1922). 19 Vgl. Scott, W.R. (1986): S. 97f. 20 Vgl. Scott, W.R. (1986): S. 97. 21 Wolin, S. S. (1960): S. 343 ; Vgl. Scott, W.R. (1986): S. 98.
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„Rationalisierung ist die Anwendung aller Mittel, die Technik und planmäßige Ordnung bieten, zur Hebung der Wirtschaftlichkeit und damit zur Steigerung der Gütererzeugung, zu ihrer Verbilligung und auch zu ihrer Verbesserung.“22
Das Wort „Mensch“ kommt in dieser Definition nicht vor. Siegfried Kracauer stellt fest, dass es möglicherweise vergessen wurde, weil es unwichtig geworden ist.23 Dennoch wird bereits in den 1930er Jahren Kritik laut an der „Wegrationalisierung“ von Mensch und Arbeitsfreude in Betrieben. Von der Wissenschaft der Psychologie verspricht man sich eine Möglichkeit, wieder zur Arbeitsfreude zurück zu finden. Die Hoffnungen liegen jedoch verstärkt auf der Installation ökonomischer Anreize im Sinne von Aufstiegsmöglichkeiten und höheren Löhnen. „Ein Dienstmädchen für alles […] kann man aus der Wissenschaft schließlich auch nicht machen. Einmal soll sie die Betriebe rationalisieren und das andere Mal die heitere Stimmung schaffen, die sie wegrationalisiert hat: das ist entschieden zuviel verlangt. Vernünftiger sind schon Belebungsversuche der Arbeitslust, die auf bessere Aufstiegsmöglichkeiten und höhere Löhne abzielen.“24
In den 1980er Jahren wird mit Konzepten wie der Organisationskultur und informellen Strukturen die Entrationalisierung (Enthierarchisierung und Entbürokratisierung) von Organisationen diskutiert. Gleichzeitig erlangen Innovation und Kreativität, Corporate Identity und Wissensmanagement seit den 80er und 90er Jahren des 20. Jh.s eine hohe Bedeutung. Während die „Kultur“ eines Unternehmens bis Ende der 1970er Jahre kaum Aufmerksamkeit erlangte, ist sie seit den 1980ern ein wichtiges Thema in Theorie und Praxis.25 Ähnlich verhält es sich mit dem Wissensmanagement.26 Ab den 1990er Jahren sind Wissen und das Management von Wissen zentral für Unternehmen. Technologische Entwicklungen wie Internet, Intranet, E-Mail, Wissensmanagementsysteme und seit kurzem Social Software wie z.B. „Blogosphere“ oder „Wikisphere“ dienen als wichtige Instrumente zur Expertenvernetzung und zum nichthierarchischen Wissensaustausch. Firmen wie Google, Hewlett-Packard, IBM, Microsoft, General Electrics, Nokia, BBC, SAP oder Siemens zählen auf globaler Ebene zu Spit-
22 Kracauer, S. (1971): S. 30. 23 Vgl. Kracauer, S. (1971): S. 30. 24 Kracauer, S. (1971): S. 32. 25 Vgl. Alvesson, M. (1990): S. 34; Vgl. Albrow, M. (1992): S. 314. 26 Vgl. Alvesson, M.; Kärreman, D (2001): S. 995.
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zenunternehmen im Wissensmanagement.27 Wissensmanagement gilt als Wettbewerbsvorteil. Dem Konzept wird eine unmittelbare Auswirkung auf Produkte, Dienstleistungen, Systeme und Reputation des Unternehmens nachgesagt. Wissensmanagement steht dabei in engem Zusammenhang mit Kulturkonzepten, die Offenheit, Toleranz, Gleichberechtigung, Problemorientierung, Kreativität, Diversity und Eigenverantwortlichkeit betonen. Informelle Strukturen dienen hierbei dem schnellen und unbürokratischen Austausch zwischen Mitarbeitern.28 Scheinbar kehren hiermit auch Begeisterung, Freude, Vertrauen und Gefühle zurück in Organisationsalltag und -wissenschaft.29 Diese Ansätze wenden sich gegen die rein rationalistische Auslegung von Organisationen als Mittel zur Erreichung zuvor definierter Ziele. Emotionen und Irrationalität treten als wichtige Ressourcen auf und Führungskräfte werden aufgefordert, die Begeisterung ihrer Mitarbeiter zu wecken.30 Die aufgezeigten Entwicklungen sind Bestandteil eines scheinbaren Paradigmenwechsels, bei dem rationalistische Organisationskonzepte mit arationalistischen Tendenzen kontrastieren.31 Organisationen werden seit den 1980er und 1990er Jahren im Vergleich zu traditionellen Organisationsformen als weniger rationalistisch beschrieben. Es gilt, Mitarbeiterbegeisterung zu wecken, um Kundenbegeisterung zu erreichen. Dafür wird der richtige „Geist im Unternehmen“ beschworen.32 Gilles Deleuze kommentiert diese Entwicklung folgendermaßen: „Man bringt uns bei, daß die Unternehmen eine Seele haben, was wirklich die größte Schreckens-Meldung der Welt ist.“33 Der Abbau von Bürokratie und Hierarchie und die Betonung von mehr Eigenverantwortung auf Mitarbeiterebene unterstreicht die Entformalisierung von Unternehmen. Durch Netzwerkstrukturen und elektronisch vernetzte Arbeit scheinen sich auch die Organisationsgrenzen aufzuheben.34 Neue Arbeitsidentitäten entstehen, die sich an künstle27 Vgl. Siemens (2010): SAA Newscenter, S. 1. 28 Vgl. Siemens (1996/1997): SAA H43/ P3353 (2.1996)–3355 (1997). 29 Vgl. Albrow, M. (1992): S. 314. 30 „Damit es ein Unternehmen in einigen Jahren noch gibt, muss es dem Team natürlich gelingen, seine Kunden zu begeistern. Nur eines wird, wenn man sich in Unternehmen umsieht, ebenso schnell deutlich: Ohne den richtigen Geist im Unternehmen, ohne Mitarbeiterbegeisterung bleibt Kundenbegeisterung ein Strohfeuer. Nur begeisterte Mitarbeiter können Kunden begeistern. Und – Sie ahnen es bestimmt bereits – begeisterte Mitarbeiter brauchen begeisterte und begeisternde Chefs.“ Strupat, R.R. (2010). 31 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 262. 32 Strupat, R.R. (2010). 33 Deleuze, G. (1990). 34 Vgl. Picot, A.; Reichwald, R.; Wigand, R.T. (2003).
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rischen Arbeits- und Produktionsformen orientieren.35 Werte, Visionen und Vertrauen anstelle von Formeln stehen im Fokus der Diskussion.36 Aber die Entrationalisierung endet nicht bei diesen Erwartungen. Von Führungskräften wie von Angestellten und Arbeitern werden Hingabe, Leidenschaft und Enthusiasmus gefordert. Teamarbeit verlangt Loyalität zwischen den Mitarbeitern.37 Die geschäftlichen Vorteile für die Entrationalisierung durch neue Arbeitsformen (teilautonome Arbeitsgruppen, Teamarbeit, Freiheit und Selbststeuerung der Mitarbeiter) und die Betonung einer offenen Kultur und Vertrauensorganisation sind verbunden mit dem konstanten Bedarf an Innovation, Produktverbesserung, Qualität, Flexibilität und Kundenorientierung.38 Mitarbeiter hingegen erhalten im beschriebenen Arbeitsumfeld die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung. Sie können Eigeninitiative zeigen, Fachkompetenzen einbringen, sich mit Produkt und Unternehmen identifizieren und mehr Arbeitszufriedenheit entwickeln. Der Mensch, so argumentieren Organisations- und Managementtheoretiker, hat höhere Bedürfnisse.39 Er strebt nach Wachstum und Selbstverwirklichung.40 Seinen Ursprung hat dieses modernistische Menschenbild der Organisations- und Managementtheorie in Abraham Maslows Motivationstheorie aus dem Jahr 1943. Bei Abraham Maslow heißt es: „Even if all […] needs are satisfied, we may still often (if not always) expect that a new discontent and restlessness will soon develop, unless the individual is doing what he is fitted for. A musician must make music, an artist must paint, a poet must write, if he is to be ultimately happy. What a man can be, he must be. This need we may call self35 In der projektbasierten Polis bestimmt sich die Wertigkeit von Akteuren darin Informationen aufzuspüren, potentielle Kontakte zu erkennen und zu nutzen und sich immer wieder neue Ideen anzueignen. Dazu muss man Intuition und Talent haben. Vgl. Boltanski, L.; Chiapello, È. (2006): S. 159ff. 36 Vgl. Albrow, M. (1992): S. 323. 37 Vgl. Albrow, M. (1992): S. 323. 38 Vgl. Siemens (1997): SAA H43/ P3353 (2.1996)–3355 (1997). 39 „Currently, management theory is dominated by the modernist view of humankind. In this view a human being is bound to obey chemical and physical laws, but within these bounds an almost infinite range of behavior is possible. The development of this perspective can be seen in Maslow's (1943) work on motivation theory. He began with the presupposition that humans are bound to make efforts to satisfy basic physiological needs. When these needs occur, they are sensed as an imbalance. This sense of imbalance is a motivation, and it in turn leads to intentions and behavior to undo the imbalance.“ Sullivan, J.T. (1986): S. 543. 40 Vgl. Maslow, A.H. (1943): S. 383f.
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actualization. […] It refers to the desire for self-fulfillment, namely, to the tendency for him to become actualized in what he is potentially. This tendency might be phrased as the desire to become more and more what one is, to become everything that one is capable of becoming.“41
Die aktuelle Organisations- und Managementtheorie greift die Grundlagen von Abraham Maslow aus dem Jahr 1943 auf.42 Sie fragt danach, wie sich menschliche Motivation steigern lässt und geht zusätzlich davon aus, dass der Manager das Verhalten der Beschäftigten beeinflussen und lenken kann.43 Dafür legt sie ein Menschenbild zugrunde, bei dem der Mensch eine biologisch begründete innere Natur besitzt, aus der sich Bedürfnisse ergeben. Diese Bedürfnisse muss der Mensch stillen. Das Bedürfnis des Einzelnen nach Selbstverwirklichung und Wachstum deckt sich hierbei idealerweise mit unternehmerischen Zielsetzungen nach konstanter Innovation, welche sich nur durch Kreativität und Engagement auf Mitarbeiterebene erzielen lässt. Problemstellung Die aufgezeigte Differenz von rationalistischen und arationalistischen Organisationskonzepten ist nicht unproblematisch. Erstens ist der Erkenntnisgehalt dieser Differenzierung gering. Die Aussage darüber, dass Organisationen nun weniger rationalistisch, d.h. weniger formalisiert, weniger bürokratisch und weniger hierarchisch und dafür stärker durch „irrationale“ Werte geprägt sind, sagt wenig darüber aus, wie diese Organisationen tatsächlich funktionieren bzw. was Mitarbeiter motiviert, sich für organisatorische Ziele einzusetzen. Zweitens werden Organisationsziele und Mitarbeiterinteressen sowie eigenschaften durchgängig als kongruent dargestellt, was jedoch bedeutet, dass sich die Eigenschaften und Interessen von Organisationsangehörigen verhältnismäßig schnell verändern. Zu Beginn des 20. Jh.s beschreibt die Organisations- und Managementwissenschaft, insbesondere der Taylorismus, die Organisation als Maschine, deren Ziel in möglichst hoher Effizienz bestehe. Der Arbeiter hingegen sei kurzfristig orientiert und interessiere sich damit übereinstimmend vor allem für materielle Anreize (hohe Löhne, Aufstiegsmöglichkeiten). In der Human-Relations-Bewegung erkennt die Organisationswissenschaft die Bedeutung informeller Strukturen für den organisatorischen Erfolg. Der Arbeiter wird entsprechend als soziales Wesen aufgefasst, dessen Bedürfnisse über kurzfristige Ziele hinausgehen. Seit 41 Maslow, A.H. (1943): S. 383 [Herv. i.O.]. 42 Vgl. Schreyögg, G. (1999): S. 211ff. 43 Vgl. Sullivan, J.T. (1986): S. 543f.
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den 1980ern und 1990ern betonen insbesondere westliche Unternehmen die Bedeutung von Innovation, um dem globalen Wettbewerb standzuhalten. Die Bedürfnisse des Mitarbeiters werden entsprechend in der Selbstverwirklichung und Individualität gesehen, die eine kreative Arbeitsweise fördern und Innovation, Flexibilität und Dynamik erlauben. Der relativ zügige Wandel der Wünsche und Bedürfnisse von Mitarbeitern spricht für eine soziale Konstruktion menschlicher Eigenschaften und nicht für eine wissenschaftliche Entdeckung von Tatsachen über den arbeitenden Menschen. Roy Jacques hat dies treffend dargestellt: „It is ironic that when employers were concerned with maximizing daily output, the employee was ‚known’ to have a short-term orientation, but that when the self-interest of employers shifted, the employee was ‚discovered’ to have different motivations, consistent with the new goals.“44
Aus dieser Perspektive sind die rationale Organisation und der rationale Mensch bzw. deren Gegenstücke, die jüngst den Trend in der Organisationswissenschaft bestimmen, selbst bereits Aspekte einer sozialen Konstruktion, die es zu hinterfragen gilt. Im Folgenden steht die aufgezeigte Opposition zwischen rationalistischen Organisationskonzepten und der historisch jüngeren Tendenz zu arationalistischen Organisationsmodellen daher in Frage. Ziel ist es, von einer Differenzbetrachtung organisatorischer Ordnungen zu einer Betrachtung organisatorischer Gemeinsamkeiten zu gelangen. Somit geht es darum, nach dem Ursprung dieser Differenz bzw. der Konstruktion von Organisation als rationales Instrument zur Erreichung bestimmter Ziele selbst zu fragen. Eng damit verbunden ist die Frage, auf welche Weise Organisationen Menschen dazu bringen, für sie zu arbeiten bzw. sich ihnen unterzuordnen. Macht als Ausgangspunkt für die Analyse von Organisation und Arbeit Die Auseinandersetzung mit den aufgezeigten Problemen und Thesen erfolgt aus einer Machtperspektive. Macht ist ein inhärenter Bestandteil von Organisationen und beschreibt das Verhältnis zwischen Arbeit, Mensch und Organisation. Hierbei ist ein weiter Machtbegriff erforderlich, der zudem nicht als negativ (im Sinne von unterdrückend und einschränkend) verstanden wird. Eine Theorie der Macht ermöglicht eine vergleichende Auseinandersetzung mit historischen Or-
44 Jaqcues, R. (1996): S. 124 [Herv. i.O.].
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ganisationsformen. Macht wird hierbei jedoch als etwas Positives, weil soziale Sachverhalte konstruierend, aufgefasst. Michel Foucault ist seit einigen Dekaden einer der bedeutendsten Ausgangspunkte für die Erforschung von Macht.45 Bei ihm steht die Verbindung zwischen Macht und Wissen im Vordergrund. Sein Ausgangspunkt ist eine Archäologie des Wissens. In der Archäologie geht es Michel Foucault darum, Wissensordnungen bzw. „Episteme“, welche den Diskursen einer bestimmten Epoche zugrundeliegen, zu analysieren.46 Es geht ihm bei dieser Methode nicht um die Auseinandersetzung mit einem tiefer liegenden Sinn der Diskurse oder darum, deren Wahrheitsgehalt zu erschließen. Er interessiert sich vielmehr dafür, auf welche Weise Diskurse als Machttechniken Objekte und Subjekte konstituieren.47 Macht war daher schon bei der Betrachtung von Diskursen in der Archäologie des Wissens ein wichtiges Thema. Später wurde das Interesse an Macht jedoch stärker. Er führt die „Genealogie“ als Methode ein. Im Fokus steht hierbei die Herkunft von konkreten diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken, welche das Ergebnis von Zufälligkeiten und Macht darstellen. Diskurse entstehen nicht geplant, auch wenn sie rückwirkend häufig wie einheitliche Strategien erscheinen. Sie bestehen getrennt voneinander und verbinden sich zeitweise miteinander. Ein Diskurs oder eine nicht-diskursive Praktik kann als ein „Wille zur Macht“ verstanden werden, der sich ohne ursprünglichen Plan und keiner rationalistischen Ordnung folgend mit anderen Diskursen zu einer Formation verbinden kann. So heißt es bei Michel Foucault: „Die Rationalität der Macht ist die Rationalität von Taktiken, […] die sich miteinander verketten, einander gegenseitig hervorrufen und ausbreiten, anderswo ihr Stütze und Bedingung finden und schließlich zu Gesamtdispositiven führen: auch da ist die Logik noch vollkommen klar, können die Absichten entschlüsselt werden – und dennoch kommt es vor, daß niemand sie entworfen hat und kaum jemand sie formuliert.“48
In seiner Auseinandersetzung mit einer Genealogie als Methode ist Michel Foucault von Friedrich Nietzsche beeinflusst. Dieser hatte die Genealogie (siehe „Zur Genealogie der Moral“) eingeführt.49 Mit der Übernahme dieser Methode konzentriert sich Michel Foucault stärker auch auf nichtdiskursive Praktiken und deren Verhältnis zu Diskursen. Gesellschaftliche Institutionen wie das Gefäng45 Vgl. Alvesson, M.; Sköldberg, K. (2009): S. 250ff. 46 Vgl. Foucault, M. (2008a). 47 Vgl. Alvesson, M.; Sköldberg, K. (2009): S. 250f. 48 Foucault, M. (2008c): S. 1100. 49 Vgl. Nietzsche, F. (1887a).
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nis, die Psychiatrie oder die Sexualität werden seit seiner Auseinandersetzung damit in „Überwachen und Strafen“ immer wichtiger.50 Das Verhältnis von Wissen und Macht ist zentral für eine genealogische Auseinandersetzung, die nach der Verbindung von Diskursen und nichtdiskursiven Praktiken fragt.51 Beispielsweise ist die Macht über eine Personengruppe die Voraussetzung für die Konstruktion von Wissen über sie. Beobachtung und Klassifizierung gehen unmittelbar mit einer Machtausübung einher. Diese besteht in psychiatrischen Institutionen in der Einschließung von geistig Kranken. Zur selben Zeit ermöglicht Wissen als Diskurs um Geisteskrankheit die Ausübung von Macht und unterstützt damit den Bestand psychiatrischer Einrichtungen. Wissen und institutionelle Kontrolle sind also eng verknüpft.52 Diese Verknüpfung von Wissen und institutioneller Kontrolle, also zwischen Wissen und Macht erzeugt Wahrheit.53 Dies trifft dann auch auf Unternehmen und andere Organisationsformen zu, die zum einen aus einem Wissen über Organisationen und Management bestehen, welches sich insbesondere in den Organisations- und Managementwissenschaften äußert und sich zum anderen in konkreten Machtverhältnissen, z.B. in der Fabrik oder im Büro, manifestiert. Macht kann hierbei keinesfalls als unterdrückend oder einschränkend verstanden werden. Sie konstituiert soziale Sachverhalte bzw. Wahrheiten wie Organisationen als wissenschaftlichen Gegenstand und als konkrete Orte des gemeinschaftlichen Handelns. Damit zusammenhängend sind auch soziale Hilfestellungen und „fortschrittliches Wissen“ mit Macht verbunden. Macht nimmt dabei subtile und indirekte Formen an. Im Vergleich zur älteren Fabrikdisziplin finden sich in modernen Unternehmen vor allem „sanfte“ Machtmechanismen wieder, welche auf Motivationstheorien oder andere Subjekttheorien zurückgehen, die ein erwünschtes Verhalten von Individuen beschreiben sowie Möglichkeiten der Implementierung dieses Verhaltens. Aus dieser Perspektive trägt beispielsweise die humanistische Psychologie, welche in den Organisationswissenschaften bis heute eine Grundlage für die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Individuum und Organisation darstellt, nicht dazu bei, die wahre 50 Vgl. Foucault, M. (1994a); Vgl. Alvesson, M.; Sköldberg, K. (2009): S. 251. 51 Vgl. Dreyfus, H.L.; Rabinow, P. (1994b): S. 221ff; „Foucault zufolge faßt das Panopticon Wissen, Macht, Körperkontrolle und Kontrolle des Raums in einer integrierten Disziplinartechnologie zusammen. Es ist ein Mechanismus zur Verortung von Körpern im Raum, zur Verteilung von Individuen im Verhältnis zueinander, zur hierarchischen Organisation, zur effizienten Anbringung von Machtzentren und kanälen.“ Dreyfus, H.L.; Rabinow, P. (1994b): S. 221. 52 Vgl. Alvesson, M.; Sköldberg, K. (2009): S. 251. 53 Vgl. Alvesson, M.; Sköldberg, K. (2009): S. 254.
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Natur des Menschen, seine Eigenschaften, Wünsche und Bedürfnisse zu erkennen, sondern ist selbst eine Wissens- und Machttechnik, welche ein bestimmtes Verständnis vom Menschen produziert. Damit ist sie wiederum an der Konstruktion von Subjekten beteiligt. Es wird deutlich, dass Wissen nicht gleich Macht ist, dass sich beide jedoch gegenseitig bedingen. Wie bereits angedeutet hat Michel Foucault einen bedeutenden Vordenker: Friedrich Nietzsche. Bei Friedrich Nietzsche sind Organisation und Macht eng miteinander verbunden. So verwendet er Macht wegen ihrer organisierenden Eigenschaft oft synonym mit Organisation.54 „Alle organisierten Beziehungen sind machtbasiert und herrschaftlich geprägt, bilden Ordnungen und Rangfolgen aus und stellen letztlich den Ausdruck eines Willens zur Macht bzw. eines ‚Willens zu Herrschaft‘ […] dar.“55
Macht wird jedoch weder von Michel Foucault noch von Friedrich Nietzsche einheitlich definiert.56 Grundlegend erscheint bei Friedrich Nietzsche aber ein Verständnis von Macht als faktische „Möglichkeit zu Wirklichkeit“57. Sowohl Friedrich Nietzsche als auch Michel Foucault betonen den positiven Charakter von Macht. Bei Friedrich Nietzsche ist Macht als „schöpferische Kraft“ wesentlich, um überhaupt etwas zu erschaffen.58 Michel Foucault betont, dass die Macht „nicht nur als neinsagende Gewalt auf uns lastet, sondern in Wirklichkeit die Körper durchdringt, Dinge produziert, Lust verursacht, Wissen hervorbringt, Diskurse produziert; man muß sie als ein produktives Netz auffassen, das den ganzen sozialen Körper überzieht und nicht so sehr als negative Instanz, deren Funktion in der Unterdrückung besteht.“59
Weiterhin betonen beide die Relationalität von Macht. So liegt bei Friedrich Nietzsche das „Wesen“ von Macht insbesondere in der Relation zu anderer Macht. Auch bei Michel Foucault wird deutlich, dass Macht nicht für sich untersucht werden kann, da sie nur innerhalb von Beziehungen und in der Ausübung von Handlungen existiert. Einrichtungen wie bestimmte Organisationen besitzen 54 Vgl. Springmann, S. (2010): S. 95. 55 Simon Springmann über Friedrich Nietzsche. In: Springmann, S. (2010): S. 95 [Herv. i.O.]. 56 Vgl. Springmann, S. (2010): S. 86. 57 Springmann, S. (2010): S. 89. 58 Vgl. Springmann, S. (2010): S. 89. 59 Foucault, M. (1978): S. 35.
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keine Macht, sondern sie organisieren sie.60 Damit zusammenhängend steht bei Michel Foucault, aber auch bei Friedrich Nietzsche, die innere Dynamik von Machtbeziehungen im Fokus. Macht ist nicht statisch. Macht ist eine dynamische und treibende Kraft bei Friedrich Nietzsche. „Die Form ist flüssig, der ‚Sinn‘ ist es aber noch mehr“61. Er relativiert damit auch die Einheit von Machtgebilden. Michel Foucault weist außerdem darauf hin, Macht sei ausgehend von ihren teilweise winzigen Formen und Ausprägungen („Taktiken“) zu untersuchen. Macht befindet sich überall und kann nicht auf bestimmte Einheiten oder Größen wie den Kapitalismus oder den Nationalstaat beschränkt werden. In diesem Zusammenhang stellt Clifford Geertz fest, dass Michel Foucault mit seiner „Mikrophysik“ der Macht die Geschichte des Fortschritts und der Aufklärung neu schreibt bzw. vom Kopf auf die Füße stellt. Bei Michel Foucault erscheint Geschichte nicht als Befreiung des Menschen, wie es die moderne Geschichte des aufklärerischen Fortschritts darstellt, sondern als „The Rise of Unfreedom“62, als Zunahme und Vertiefung von Machtbeziehungen:63 „And one begins to suspect that we are faced with a not altogether simple, descriptive tracing of the genealogy of the prison through the various kinds of discourse that have characterized it […]. After so much uncovering of archeological sites and fixing of sequences, we seemed to be faced with a kind of Whig history in reverse -, a history in spite of itself, of The Rise of Unfreedom.“64
Es handelt sich um kaum sichtbare, „humanisierte“ Formen von Macht, die von Michel Foucault als radikale Machtkonzentration gelesen werden. Dies wird vor allem deutlich im Werk „Überwachen und Strafen“, wo sich die Macht des Souveräns als eine sporadisch intervenierende Macht in modernen Einrichtungen wie dem Gefängnis zu einer permanenten Macht transformiert, die dauerhafte Machtverhältnisse etabliert und die darüber hinaus immer weitere gesellschaftliche Bereiche betrifft, indem sie sich organisational auf unterschiedliche soziale Schichten ausweitet.65 Michel Foucault beschreibt hierbei vor allem eine Mikrophysik der Macht, die den Menschen zurichtet, indem sie winzige Interventionen am Körper vornimmt. Die Mikrophysik der Macht ist eng verbunden mit der ge60 Vgl. Alvesson, M.; Sköldberg, K. (2009): S. 254. 61 Nietzsche, F. (1887a): II/12. 62 Geertz, C. (2010): S. 37. 63 Vgl. Alvesson, M.; Sköldberg, K. (2009): S. 252; Vgl. Dreyfus, H.L.; Rabinow, P. (1994b): S. 135. 64 Geertz, C. (2010): S. 37. 65 Vgl. Foucault, M. (1994a).
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sellschaftlichen Durchsetzung der Organisationsform in allen Lebensbereichen. Gilles Deleuze beschreibt dies in Anlehnung an Michel Foucault, am Beispiel der Organisation als Einschließungsmilieu, wie sie seiner Meinung nach die Disziplinargesellschaft kennzeichnet: „Das Individuum wechselt immer wieder von einem geschlossenen Milieu zum nächsten über, jedes mit eigenen Gesetzen: zuerst die Familie, dann die Schule (‚du bist hier nicht zu Hause‘), dann die Kaserne (‚du bist hier nicht in der Schule‘), dann die Fabrik, von Zeit zu Zeit die Klinik, möglicherweise das Gefängnis, das Einschließungsmilieu schlechthin.“66
Im Zentrum von Friedrich Nietzsches und Michel Foucaults Machtanalysen steht die Frage nach dem Subjekt. Michel Foucault interessiert sich für Subjektivität als Interpretation des Selbst, welche durch soziale Praktiken geformt, verändert und reproduziert wird. Wie Friedrich Nietzsche geht Michel Foucault davon aus, dass nicht Subjekte als Akteure hinter sozialen Praktiken stehen, sondern er nimmt umgekehrt an, dass kontextspezifische Praktiken den Subjekten vorausgehen und diese formen.67 Der Einzelne ist das Ergebnis von Macht. „There is a ‚raw’ material in the form of behaviours, gestures, biochemical processes and so on, but what is conceived as possession, immorality, the punishment of God, or mental illness is a consequence of practices for differentiation, classification and positioning at a material as well as a cognitive level.“68
Michel Foucault beschreibt wie Friedrich Nietzsche ein werdendes Subjekt, welches durch seine Einbindung in diskursive und nichtdiskursive Praktiken selbst ein Produkt der Macht ist. Michel Foucault stellt sich mit seiner Methode gegen die Hermeneutik der Geisteswissenschaften.69 Friedrich Nietzsche kritisiert darüber hinaus positivistische Ansätze. Während des 20. Jh.s war der Positivismus die dominante Wissen66 Deleuze, G. (1990). 67 Vgl. Alvesson, M.; Sköldberg, K. (2009): S. 253. 68 Alvesson, M.; Sköldberg, K. (2009): S. 253. 69 „Foucault interessiert sich nicht für das Auffinden der unbemerkten Selbstinterpretation des Menschen. Er ginge mit Nietzsche und der Hermeneutik des Verdachts darin einig, daß sich eine solche Interpretation sicherlich über das wirkliche Geschehen täuschte. Doch Foucault glaubt nicht, eine verborgene tiefe Wahrheit sei die Ursache unseres alltäglichen Selbstmißverständnisses.“ Dreyfus, H.L.; Rabinow, P. (1994b): S. 19.
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schaftsphilosophie.70 Auguste Comte führt den Begriff 1844 ein, es gibt jedoch seitdem keine einheitliche Definition. Friedrich Nietzsche kennt die Wissenschaftstheorie Comtes als er seine Abhandlungen schreibt. Er fragt: „Wo ist das Gegenstück zu diesem geschlossenen System von Wille, Ziel und Interpretation?“71 Prägnant bringt Friedrich Nietzsche diese wissenschaftliche Anschauung auf den Punkt, indem er ausführt, dass der von ihm kritisierten Wissenschaft eine „Wirklichkeitsphilosophie“ zugrunde liegt bei der nur objektive Fakten zählen. „Ihr Empirismus wurde als Bekenntnis zur faktisch bestehenden Welt und als Widerstand gegen die Metaphysik gedeutet.“72 Jedoch gibt es laut Friedrich Nietzsche keine Fakten, sondern nur Interpretationen. So ist auch die Darstellung kausaler Zusammenhänge für Friedrich Nietzsche eine Fiktion. Mit diesem Vorgehen wird lediglich eine interpretative Ordnung der Welt geschaffen, die sich selbst als unwiderlegbar darstellt.73 Es handelt sich beim Positivismus um eine Lehre, die Erkenntnis auf die Darstellung positiver Feststellungen beschränkt. Wissenschaft hat entsprechend die Aufgabe, Erfahrungen in wissenschaftliche Daten und Fakten umzuwandeln. „Data are consequently something that exists, is (already) there, and the task of the researcher thus becomes to gather and systematize them. […] The researcher, as it were, collects the crops of the earth which are already there, and then prepares them as a tasty dish.“74
Auch Michel Foucault kritisiert diese Auffassung und wendet sich darüber hinaus ebenfalls gegen die Hermeneutik, welche als Methode des Verstehens der tieferen Bedeutung von Sachverhalten nachgehen will, indem sie die Geschichtlichkeit des Menschen in seiner Lebenswelt betont und die Bedingungen menschlicher Äußerungen untersucht.75 Bei der Hermeneutik liegt der Schwerpunkt auf dem Erfassen von tiefergehenden Bedeutungen.76 Mit der genealogischen 70 Vgl. Alvesson, M.; Sköldberg, K. (2009): S. 15f. 71 Nietzsche, F. (1887a): III/23; Vgl. Raffnsøe, S. (2007): S. 133. 72 Raffnsøe, S. (2007): S. 133. 73 „Es giebt nur ein perspektivisches Sehen, nur ein perspektivisches ‚Erkennen‘; und je mehr Affekte wir über eine Sache zu Worte kommen lassen, je mehr Augen, verschiedne Augen wir uns für dieselbe Sache einzusetzen wissen, um so vollständiger wird unser ‚Begriff‘ dieser Sache, unsre ‚Objektivität‘ sein.“ Nietzsche, F. (1887a): III/12. 74 Alvesson, M.; Sköldberg, K. (2009): S. 17 [Herv. i.O.]. 75 Vgl. Dreyfus, H.L.; Rabinow, P. (1994b): S. 18–24; Vgl. Alvesson, M.; Sköldberg, K. (2009): S. 250. 76 Vgl. Alvesson, M.; Sköldberg, K. (2009): S. 91ff.
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Methode ist jedoch die Frage verbunden, auf welche Art und Weise Subjekte durch die Macht produziert werden. Es geht hierbei um Diskurse, zu denen beispielsweise die Hermeneutik selbst zählt, aber auch Machttechnologien, welche in Organisationen das Selbstverständnis von Menschen anleiten. Es stellt sich also die Frage nach dem Selbstverhältnis, welches innerhalb dieser organisatorischen Machtstrukturen hergestellt wird. „Die Macht, die einem aufgezwungen wird, ist die Macht, der man sein eigenes Erscheinen verdankt.“77 Als kritische Form der Geschichtsschreibung verfolgt die Genealogie das Ziel aufzuzeigen, wie Dinge und Menschen durch die Macht hervorgebracht werden. Martin Saar formuliert die Aufgabe der Genealogie als Aufforderung an die genealogische Forschung folgendermaßen: „Erzähle mir die Geschichte der Genese meines Selbstverständnisses als eine Geschichte der Macht auf eine solche Weise, dass ich beim Zuhören so, wie ich glaubte unwiderruflich sein zu müssen, nicht mehr sein will, und dass ich beim Zuhören auch begreife, dass ich so nicht sein muss.“78
Die Genealogie ist entsprechend keine beliebig einsetzbare Methode, sondern eine Form kritischer Geschichtsschreibung, welche die subjektivierenden und selbstbildenden Praktiken und das Selbstverständnis von Subjekten als Gegenstand hat.79 Der Diskurs um Rationalisierung und scheinbare Entrationalisierung wird im Folgenden aus dieser Perspektive untersucht. Zentral ist hierbei die Frage, welche Machtstrukturen Organisationen aufweisen und welches Selbstverständnis von arbeitenden Subjekten sie (eingebettet in unterschiedlichen historischen Kontexten) unterstützen. Schließlich wird gezeigt, dass Rationalisierung, trotz aller Debatten um eine Entrationalisierung von Organisation, als grundlegender Aspekt eines modernen Managementverständnisses und -handelns, noch immer grundlegend ist für das Verhältnis von Organisation und Mensch. Die vorliegende Auseinandersetzung versteht sich damit als kritische Reflexion des modernen Managements und damit gleichfalls als Ausgangspunkt für eine (Neu-) Konzeptualisierung unseres herrschenden Managementverständnisses. Aufbau der Arbeit Ausgehend von einer Machtperspektive, welche von Friedrich Nietzsche und Michel Foucault inspiriert ist, geht es im Folgenden um die Frage, welches Bild 77 Butler, J. (2001): S. 184; Vgl. Saar, M. (2007): S. 328. 78 Saar, M. (2007): S. 128. 79 Vgl. Saar, M. (2007): S. 294.
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von Mensch und Organisation das Management in konkreten historischen Kontexten zeichnet. Macht spielt hierbei eine entscheidende Rolle, vor allem in ihrer Auslegung als produktive Macht. Schließlich sind Organisationen als Orte der Macht an der Produktion des arbeitenden Menschen beteiligt. In einem weiteren Zugriff geht es um die Frage nach dem Ursprung rationalistischer und arationalistischer Organisationsmodelle. Wie kam es zu einer rationalistischen Auffassung von Organisation? Worauf basiert die scheinbare Entrationalisierung von Organisationen in jüngster Zeit? Welche Machtmechanismen finden sich bei diesen Konzepten wieder? Welches Organisationssubjekt legen sie zugrunde bzw. welche Wahrheiten über den arbeitenden Menschen produzieren sie? Wenn Macht – wie hier dargestellt – als so grundlegend für die Auseinandersetzung mit Organisationen ist, stellt sich zunächst die Frage, inwieweit die Organisationstheorie Macht bereits als Konzept aufgegriffen hat bzw. Organisationen aus einer Machtperspektive analysiert wurden. Im zweiten Kapitel steht somit eine umfassende Auseinandersetzung mit Organisation und Macht in den Organisations- und Managementwissenschaften im Vordergrund. Hierbei werden Diskurse auf der Mikro-, Meso- und Makroebene untersucht. Es geht entsprechend um die Rolle von Macht auf der Akteurs-, auf der Struktur- und auf der gesellschaftlichen Ebene. Einbezogen sind jedoch auch Diskurse, die Macht nicht explizit thematisieren. Ausgehend von der These, dass Macht eine Voraussetzung für die Bindung von arbeitenden Menschen an Organisationen zur Erreichung gemeinsamer Ziele ist, gilt es zu überprüfen, ob Macht implizit in Betrachtungen der Organisationswissenschaften auftaucht. Den Ausgangspunkt der Auseinandersetzung im zweiten Kapitel bildet Max Webers Ansatz zur Bürokratie und seine frühe Beschäftigung mit Macht und Herrschaft. Während Max Weber die Bürokratie noch als Herrschafts- bzw. Machtform analysiert, ersetzen spätere Organisations- und Managementtheoretiker Macht durch Rationalität. Macht findet dort nur noch außerhalb der organisatorischen Rationalität statt. Ähnlich den Emotionen steht auch Macht auf der Seite der Irrationalität und verschwindet zu Beginn des 20. Jh.s weitgehend aus den Organisations- und Managementdiskursen über strukturiertes und rationales Zweckhandeln. Es handelt sich bei wissenschaftlichen Diskursen selbst um einen Machtraum. In der Organisationswissenschaft kämpfen verschiedene Disziplinen um die Anerkennung Ihrer Aussagen.80 So ist Macht zwar ein grundlegender Bestandteil moderner Organisations- und Managementkonzepte. Jedoch verschwand sie, insbesondere in der ökonomisch ausgerichteten Managementlehre,
80 Vgl. Haunschild, A.; Nienhueser, W.; Weiskopf, R. (2009): S. 321.
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weitgehend aus dem Organisationsdiskurs. Ziel der Arbeit ist es, Macht wieder in den Organisationsdiskurs einzuführen und für die Analyse von Organisationen fruchtbar zu machen. Im dritten Kapitel folgt daher eine ausführliche Betrachtung des Machtkonzeptes von Michel Foucault und Friedrich Nietzsche. Aus den Ansätzen von Friedrich Nietzsche und Michel Foucault wird ein eigenständiger Analyserahmen entwickelt, mit dem sich unterschiedliche historische Organisationen auf ihre Machtformen hin analysieren lassen. Ein solcher Analyserahmen ermöglicht eine vergleichende Betrachtung historischer Organisationsdispositive. Wie bereits angedeutet ist das Foucaultsche Modell von Macht sehr stark durch Friedrich Nietzsche beeinflusst. Vor allem im Werk „Zur Genealogie der Moral“ tauchen die grundlegenden Machtkonzepte Michel Foucaults bereits auf. Auch Max Weber scheint durch den Ansatz von Friedrich Nietzsche inspiriert worden zu sein, obgleich er Friedrich Nietzsche nicht direkt erwähnt. Es gibt jedoch wissenschaftliche Auseinandersetzungen, die von einem Einfluss Friedrich Nietzsches auf die Arbeit Max Webers ausgehen.81 Im Vordergrund des Kapitels steht die Frage nach der Produktion von Subjekten. Es geht entsprechend um den Zusammenhang zwischen Macht und Subjekt. Der Analyserahmen bezieht sich dabei auf Verbindungen zwischen einer materiellen Macht, einer symbolischen Macht und einer imaginären Macht. Die drei Machtformen und ihre Verbindungen zueinander sind den Werken Friedrich Nietzsches und Michel Foucaults entnommen. Im vierten Kapitel wird gezeigt, wie der erstellte Analyserahmen eingesetzt werden kann, um konkrete historische und kulturell spezifische Organisationsverhältnisse aus einer Macht- und Subjektivierungsperspektive zu untersuchen. Ausgehend von der aufgeführten genealogischen Methode, erfolgt eine empirische Untersuchung. Der Fokus liegt auf der Entwicklung und Veränderung von Managementansätzen in Deutschland. Die Besonderheit der modernen Managementansätze aus dem frühen 20. Jh. ist, dass sie ihren Fokus erstmals auf den arbeitenden Menschen selbst legen. Um dies zu veranschaulichen, fließen historische Bearbeitungen, Organisations- und Managementliteratur sowie Archivmaterial in die Analyse ein. Zwei verschiedene Organisationsdispositive stehen jeweils im Fokus. Erstens geht es um die Rationalisierungsbewegung in Deutschland, bei der Organisation zu einem Gegenstand der Rationalisierung durch das „wissen81 „Wie Nietzsche sieht Weber im ‚fachmenschlichen‘ Menschen, im modernen ‚Ressortpatriotismus‘, insbesondere aber im asketischen Menschen das eigentliche Verhängnis der Moderne.“ Stauth, G.; Turner, B.S. (1986): S. 81; „Warum verbirgt Weber den Einfluß Nietzsches?“ Hennis, W. (1985), Vgl. auch Hennis, W. (1987).
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schaftliche Management“ wird. Im Vordergrund steht die erstmalig konkrete Anwendung von „wissenschaftlichen“ Managementmethoden auf die menschliche Arbeitskraft. Zweitens geht es um die Betrachtung von Machtverhältnissen in sogenannten arationalistischen Organisationskonzepten. Die Einführung des Wissensmanagements, die Konzentration auf Organisationskulturkonzepte und die Betonung eines „unternehmerischen Kreativsubjektes“82 in den 1980er und 1990er Jahren des 20. Jh.s steht hierbei im Vordergrund. Ausgehend vom vorgelegten Analyserahmen wird nach den Veränderungen von Machtverhältnissen in den verschiedenen historischen Abschnitten gefragt. Im letzten Kapitel wird die Differenz zwischen rationalistischen und arationalistischen Konzepten erneut aufgegriffen. Die grundlegende These der vorliegenden Arbeit lautet, dass „Rationalität“ keineswegs aus Organisation und Arbeit verschwunden ist. Eine Analyse der Organisation als Macht- und Subjektivierungsdispositiv zeigt auf, dass Rationalität von der Organisation auf das arbeitende Subjekt übergeht. Die Deutungsmuster von Organisations- und Managementkonzepten werden auf das Individuum selbst angewendet.83 Der arbeitende Mensch erscheint hier als „Unternehmer seiner selbst“, welcher nicht mehr auf bürokratische bzw. tayloristisch-fordistische Strukturen angewiesen ist, da er die organisatorische Rationalität bereits eingeübt und verinnerlicht hat.
82 Reckwitz, A. (2006): S. 500 83 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 262ff.
2. Organisation und Macht
Was ist eine Organisation? Eine Organisation kann als eine Verbindung von individuellen Absichten zum Erreichen gemeinsamer Ziele verstanden werden.1 Talcott Parsons hebt hervor: „The development of organizations is the principal mechanism by which, in a highly differentiated society, it is possible to ‚get things done’, to achieve goals beyond the reach of the individual and under conditions which provide a relative maximization of effectiveness.“2
In unserer Gegenwart sind Menschen in eine Vielzahl von Organisationen in allen gesellschaftlichen Bereichen eingebunden. Sie verbringen auf diese Weise als Mitglieder, Angestellte, Repräsentanten, Klienten oder als Rezipienten einen großen Teil ihrer Lebenszeit in oder in enger Verbindung mit Organisationen und gestalten auf diese Weise ihr Leben.3 Arbeitsorganisationen sind dabei als „Orte praktischen gesellschaftlichen Handelns unterschiedlicher, z.T. konfliktärer Gruppen“4 zu verstehen. Die Arbeitsorganisation wäre damit ein sozialer Ort, in der gesellschaftliche Widersprüche, mit unterschiedlicher Macht besetzt, ausgetragen werden. Organisationen sind daher grundlegend durch Machtbeziehungen strukturiert. Macht ist außerdem eine wesentliche Voraussetzung, um Individuen in Organisationen zur Erreichung bestimmter Ziele zusammenzu-
1
Vgl. Clegg, S.R.; Courpasson, D., Phillips, N. (2006): S. 2.
2
Parsons, T. (1960): S. 41.
3
Vgl. Büschges, G. (1983): S. 23f.
4
Türk, K. (1989): S. 4.
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bringen und deren Absichten, Energien und Bemühungen zu koordinieren.5 So schreibt Talcott Parsons: „The central phenomenon of organization is the mobilization of power for the attainment of the goals of the organization. The value system legitimizes the organization’s goal, but it is only through power that is achievement can be made effective.“6
Dies trifft auf Organisationen der Wirtschaft ebenso zu wie auf die Politik, die Religion, die Bildung usw. Macht ist eines der „zentralen, wenn nicht sogar das zentrale Thema für die Analyse von gesellschaftlichen Zusammenschlüssen im Allgemeinen und die Organisationsanalyse im Besonderen.“7 Macht ist dennoch kein erstrangiges Thema in der Organisations- und Managementtheorie. Norman Jackson und Pippa Carter8 unterstreichen, dass Organisationen auf das Management von Arbeit angewiesen sind, um die Befolgung organisatorischer Regeln sicher zu stellen, was gleichermaßen bedeutet, Macht auf die Arbeitnehmer auszuüben. Dennoch wird Macht ihrer Ansicht nach selten thematisiert: „Yet the concept of power is almost totally absent from the discourse of Organizational Behaviour. The preferred concept is that of authority.“9 Gleichermaßen fragt Roy Jacques: „Why is it that so little is said about power in organizations?“10 Der Mangel an einer Auseinandersetzung mit Macht in Theorien von Organisation und Management wird dabei nicht nur für den englischsprachigen Raum festgestellt. Bei einer Analyse der Magazine „Zeitschrift für Organisationsentwicklung“, „Zeitschrift Führung + Organisation“, „Fachzeitschrift Managerseminare“ und dem „Harvard Business Manager“, wird deutlich, dass sich nur wenige Ausgaben direkt mit dem Thema Macht beschäftigen.11 Macht ist nicht Gegenstand von Untersuchungen und Diskursen in Magazinen.12 In der ökonomischen Theorie, die sich mit Organisationen beschäftigt, erscheint Macht teilweise als ein überflüssiges Konzept oder besitzt eine negative Konno-
5
Vgl. Clegg, R.S.; Courpasson, D.; Phillips, N. (2006): S. 3.
6
Parsons, T. (1960): S. 41 [Herv. i.O.].
7
„Power is widely recognized as one of the central concepts – if not the central concept […] of social analysis in general and organizational analysis in particular.“ Haunschild, A.; Nienhueser, W.; Weiskopf, R. (2009): S. 320 [Herv. i.O.].
8
Vgl. Jackson, N.; Carter, P. (2007): S. 96f.
9
Jackson, N.; Carter, P. (2007): S. 97.
10 Jaqcues, R. (1996): S. 173. 11 Vgl. Eisert, K. (2008). 12 Vgl. Eisert, K. (2008): S. 13.
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tation.13 Macht gilt häufig auch als etwas Unangenehmes und „Hässliches“ im Zusammenhang mit Organisation und Management.14 So schreibt Gareth Morgan über das „häßliche Antlitz“15 der Organisation. Er weist darauf hin, dass wir Organisationen gewöhnlich als „rationale Unterfangen“ zur Erreichung bestimmter Ziele auffassen. Dabei geht es möglichst um die Einbeziehung aller Interessen. Er bezeichnet dies als Ideologie, da Organisationen oft als Machtinstrumente verwendet werden. In Organisationen dient Macht in dieser Auslegung dazu, egoistische Interessen Einzelner zum Nachteil anderer zu verfolgen.16 Organisationen stehen im Gegensatz zur Macht eher für „das Aufgeklärte und Emanzipierte, weil Reflektierte.“17 Die organisatorische Rationalität und Macht sind hierbei zwei gegensätzliche Konzepte, bei denen Macht für Instabilität und Unordnung steht, während die rationale Organisation Stabilität und Dauerhaftigkeit erzeugt. Macht findet dann statt, wenn sie sich gegen die natürliche und rationale Autorität der Organisation richtet. Rationalität und Autorität werden hier also mit Formen der organisatorischen Struktur gleichgesetzt. Auch Norman Jackson und Pippa Carter stellen fest, dass anstelle von Macht im Rahmen der Organisations- und Managementtheorie häufiger von Autorität gesprochen wird.18 Katja Eisert vertritt die These, dass Macht durch Konzepte wie Führung, Kontrolle, Einfluss und Wissen repräsentiert wird.19 Stewart R. Clegg und David Courpasson merken an, dass sich die Organisations- und Managementtheorie mit Effizienz beschäftigt, also mit der Frage, wie Macht zugunsten wirtschaftlicher Kriterien ausgeweitet werden kann. Macht wird hierbei jedoch seltener als Konzept reflektiert. Die Organisationssoziologie hingegen fokussiert ausdrücklich auf eine Auseinandersetzung mit Macht und 13 „It is seen as a superfluous construct. Proponents of transaction cost theory, particularly Oliver E. Williamson (for instance 1995), have been arguing for a number of years against the claim that power or differences in power must be included systematically as explanatory factors. According to transaction cost theory institutional arrangements like the employment relationship and its different forms can be explained solely by the efficiency mechanism and cost minimizing calculations of decision makers.“ Haunschild, A.; Nienhueser, W.; Weiskopf, R. (2009): S. 321; Vgl. Williamson, O.E. (1995): S. 21–49. 14 „Das häßliche Antlitz: Die Organisation als Machtinstrument“, vgl. Morgan, G. (1997): S. 401–472. 15 Morgan, G. (1997): S. 401. 16 Vgl. Morgan, G. (1997): S. 403. 17 Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 10. 18 Vgl. Jackson, N.; Carter, P. (2007): S. 96f. 19 Vgl. Eisert, K. (2008): S. 10.
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deren Folgen in Organisationen. 20 Die verhaltens- und entscheidungsorientierte Organisationssoziologie von Herbert Simon und James March berücksichtigt beispielsweise die politische Dimension von Organisation.21 Günther Ortmann und Willi Küpper kritisieren jedoch, dass sie dabei keinen sehr aufmerksamen Blick für Macht hatten.22 In der deutschsprachigen Organisationssoziologie gibt es einige Forschungen zum Thema Politik und Macht in Organisationen (z.B. Willi Küpper und Günther Ortmann23; Thomas Matys 24). So schreiben Willi Küpper und Günther Ortmann: „Organisationen sind durchwirkt von Politik. Ihre Entscheidungsprozesse sind politische Prozesse, ihre Akteure Mikropolitiker. Ihre Vernunft kann nicht errechnet werden, nicht als one best way gegeben sein. Auf der Strecke bleibt sie, solange die Rationalität der Organisation wie die Effizienz einer Maschine erwartet wird; solange sie nicht als kontingentes Resultat politisch-praktischen Handelns und andauernder Kommunikation unter Mikropolitikern aufgefaßt wird.“25
Während der soziologische Ansatz, wie dieses Beispiel zeigt, insbesondere danach fragt, welche Form Macht in Organisationen annimmt und wie diese sich auswirkt, fragen die Organisations- und Managementwissenschaften vor allem, wie sich Organisationen effizient gestalten lassen. Macht wird in den Organisations- und Managementwissenschaften jedoch nicht völlig ausgeklammert. In einigen Organisations- und Managementtheorien wird Macht explizit thematisiert. So spielt Macht beispielsweise in Theorien zur Ressourcenabhängigkeit oder in Kontingenzansätzen eine Rolle. Teilweise überwiegt hierbei jedoch ein begrenztes Machtkonzept, welches Macht in organisatorischen Strukturen nicht berücksichtigt, sondern sich eher auf Macht als etwas, was außerhalb organisatorischer Strukturen stattfindet, bezieht.26 So lässt sich feststellen, dass Macht zwar thematisiert wird, jedoch oftmals keine ausgereifte Theorie von Macht zugrunde liegt: 20 „Generally, a concern with power marks the sociology department while a fixation on efficiency characterizes the business school scholar.“ Clegg, S. R.; Courpasson, D., Phillips, N. (2006): S. 7. 21 „By ‚politics’ we mean a process in which the basic situation is the same as in bargaining – there is intergroup conflict of interest – but the arena of bargaining is not taken as fixed by the participants.“ March, J.G.; Simon, H.A. (1993): S. 150. 22 Vgl. Ortmann, G. (1992): S. 20. 23 Vgl. Küpper, W.; Ortmann, G. (Hg.) (1992). 24 Vgl. Matys, T. (2006). 25 Ortmann, G. (1992): S. 9. 26 Vgl. Haunschild, A.; Nienhueser, W.; Weiskopf, R. (2009): S. 321.
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„In much of the work on organizations that become globally disseminated, the dynamics of power are not at the forefront of analysis. That is not to say, however, that power was entirely absent. For those works that did explicitly focus on power, simplified and undertheorized conceptualizations were often used.“27
Wichtige Thesen der vorliegenden Arbeit sind, dass Macht erstens eine grundlegende Voraussetzung für das Bestehen und Funktionieren von Organisationen ist und deshalb nicht primär außerhalb der organisatorischen Rationalität zu finden ist. Zweitens lässt sich Rationalität als organisatorisches Konzept nicht als entgegengesetzt zu Macht verstehen. Vielmehr handelt es sich hierbei um ein spezifisches Machtkonzept moderner Organisationen. Drittens kann Macht in Organisationen als produktiv bzw. positiv verstanden werden, da sie dazu dient, gemeinsame Ziele zu erreichen. Entsprechend ist ein komplexes und vielschichtiges Machtkonzept notwendig, um Organisationen auf der Basis von Machtverhältnissen zu analysieren und deren Wirkungsweise zu erklären. Diese Thesen werden im Verlauf dieses Kapitels dargelegt. Im nächsten Kapitel geht es darum, ein Machtkonzept zu erarbeiten, um dieses dann auf die historische Analyse von Organisationen anzuwenden.
2.1 M ACHT
UND
H ERRSCHAFT
BEI
M AX W EBER
Die organisationssoziologisch orientierte Forschung zur Macht, die nach deren Ausprägungen und Auswirkungen fragt, findet ihren Ursprung bei Max Weber. Auch Organisations- und Managementtheorien haben sich auf den Ansatz von Max Weber gestützt und werden bis heute von seiner Theorie beeinflusst. Aus diesem Grund wird das Problem der Macht nach Max Weber im Folgenden genauer untersucht. Max Weber interessiert sich für gesellschaftliche Machtstrukturen und stellt historische und kulturelle Unterschiede fest. Es geht ihm um die Frage, warum Menschen in bestimmten gesellschaftlichen Ordnungen Anweisungen befolgen und welche Gründe es für Gehorsam gibt.28 Max Weber unterscheidet zwischen Macht und Herrschaft.29 Macht bedeutet nach Max Weber, „innerhalb einer sozi-
27 Clegg, S.R.; Courpasson, D.; Phillips, N. (2006): S. 6. 28 Vgl. Kalberg, S. (2006): S. 51f. 29 Die erste Übersetzung ins Englische erfolgte 1947 durch Talcott Parsons und Alexander Morell Henderson in „The theory of social and economic organization“. Die Auto-
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alen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“30 Zu unterstreichen ist in dieser Definition das Wort „auch“. Max Weber geht also davon aus, dass Macht nicht grundsätzlich auf Widerstand stoßen muss, sondern auch mit Konsens einhergehen kann. Nach Max Weber ist Macht kein präzises Konzept, sondern eher unstrukturiert.31 Macht kann unabhängig von spezifischen Kontexten und Qualitäten eines Menschen dazu genutzt werden, einen Willen durchzusetzen. Unter Herrschaft versteht Max Weber dagegen „die Chance, […] für spezifische (oder: für alle) Befehle bei einer angebbaren Gruppe von Menschen Gehorsam zu finden.“32 Es handelt sich hierbei nicht um ein Naturgesetz, sondern um eine „Chance“ bzw. Wahrscheinlichkeit. Herrschaft ist demnach eine spezifische Machtform, welche dadurch gekennzeichnet ist, dass sie die Wahrscheinlichkeit beinhaltet, Konsens bzw. Gehorsam zu finden.33 Herrschaft ist dahingehend eine sinnhafte Handlungsorientierung. Es geht um den sinnvollen Bezug des Handelns der einen auf das der anderen. Eine Herrschaft beinhaltet lediglich die Wahrscheinlichkeit, dass eine konkrete Gruppe von Einzelnen, basierend auf unren übersetzten Herrschaft mit „authority“, wobei es hierüber ein Unstimmigkeit gab. Der Begriff „authority“ besitzt in der englischen Sprache eine andere Bedeutung als in der deutschen Sprache. In der deutschen Sprache wird der Begriff eher als Eigenschaft einer Person oder Institution, im Sinne von Autorität haben, verwendet. Er steht entsprechend den Begriffen Macht und Herrschaft nahe. Max Weber scheint Herrschaft und Autorität einander gleichzusetzen. Jedenfalls schreibt er: „Herrschaft (‚Autorität‘) in diesem Sinn kann im Einzelfall auf den verschiedensten Motiven der Fügsamkeit: von dumpfer Gewöhnung angefangen bis zu rein zweckrationalen Erwägungen, beruhen.“ Weber, M. (1922): S. 122. Im Englischen, ist „authority“ jedoch im Unterschied zu „power“ legitim: „Institutionalized and legal power inherent in a particular job, function, or position that is meant to enable its holder to successfully carry out his or her responsibilties.“ businessdictionary.de. In diesem Zusammenhang verbindet sich mit „Autorität“ eine Vorstellung von Organisation, bei der Macht ausgeklammert wird. Spätere Autoren übersetzten Herrschaft daher auch mit „rule“ oder „domination“. Vgl. Clegg, S. R.; Courpasson, D.; Phillips, N. (2006): S. 102. 30 Weber, M. (1922): S. 28. 31 „Alle denkbaren Qualitäten eines Menschen und alle denkbaren Konstellationen können jemand in die Lage versetzen, seinen Willen in einer gegebenen Situation durchzusetzen. Der soziologische Begriff der ‚Herrschaft‘ muß daher ein präziserer sein und kann nur die Chance bedeuten: für einen Befehl Fügsamkeit zu finden.“ Weber, M. (1922): S. 28–29. 32 Weber, M. (1922): S. 122. 33 Vgl. Kalberg, S. (2006): S. 54–55.
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terschiedlichen Motiven, ihr Handeln danach ausrichtet, Befehle zu erteilen.34 Auf gleiche Weise ist es nur wahrscheinlich, dass eine andere Gruppe ihr soziales Handeln am Gehorsam gegenüber diesen Befehlen ausrichtet. Gehorsam und Befehl wiederum sind Voraussetzungen für eine legitime Herrschaft bzw. Autorität. Es handelt sich hier also um eine gegenseitige bzw. wechselseitige Beziehung. Der Herrscher will für sich Anerkennung finden und nicht seinen Willen durchsetzen wie der Mächtige.35 Der Beherrschte muss den Herrscher anerkennen. Wo Gehorsam erfolgt, wird Herrschaft legitim.36 Max Weber hat sich vor allem für diesen Vorgang interessiert, bei dem Machtausübung als normale soziale Beziehung legitimiert wird.37 Sanktionen sind nicht zwingend der Grund dafür, dass Menschen in Organisationen Anweisungen befolgen. Es bedarf, wie bereits angedeutet, der Legitimation. Legitimation beruht auf Gehorsam, und dieser wiederum basiert auf Freiwilligkeit. Die Frage ist, was Menschen dazu bringt, freiwillig Gehorsam zu leisten.38 Hier gibt es nach Max Weber unterschiedliche Gründe.39 Er nennt vier sinnhafte Gründe des sozialen Handelns.40 Zweckrational handelt derjenige, der sein Handeln an Zielen, Mitteln und Folgen ausrichtet. Wertrational handelt man im bewussten Glauben an den spezifischen Wert eines bestimmten Verhaltens, ohne, dass er sich für die Folgen bzw. für den Erfolg dieses Verhaltens interessiert. Affektuelles oder emotionales Handeln bezeichnet man ein Handeln, welches sich an aktuellen Gefühlslagen ausrichtet. Traditionell handelt jemand, der aus eingeübter Gewohnheit heraus agiert. Materielle, also zweckrationale Interessen allein genügen nicht, um die Legitimität einer Herrschaftsbeziehung herzustellen. Ausschließlich affektuelle, traditionelle und rein wertrationale Gründe sind keine ausreichenden Motive für das Weiterbestehen
34 Vgl. Kalberg, S. (2006): S. 54–55. 35 „Die einfachste Beobachtung zeigt, daß bei beliebigen auffälligen Kontrasten des Schicksals und der Situation zweier Menschen, es sei etwa in gesundheitlicher oder in ökonomischer oder in sozialer oder welcher Hinsicht immer, möge der rein ‚zufällige‘ Entstehungsgrund des Unterschieds noch so klar zutage liegen, der günstiger Situierte das nicht rastende Bedürfnis fühlt, den zu seinen Gunsten bestehenden Kontrast als ‚legitim‘, seine eigene Lage als von ihm ‚verdient‘ und die des anderen als von jenem irgendwie ‚verschuldet‘ ansehen zu dürfen.“ Weber, M. (1922): S. 611. 36 Vgl. Kalberg, S. (2006): S. 55. 37 Vgl. Morgan, G. (1997): S. 406. 38 Vgl. Kalberg, S. (2006): S. 56. 39 Vgl. Weber, M. (1922): S. 12f. 40 Vgl. Kalberg, S. (2006): S. 31f.
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einer legitimen Herrschaft.41 Voraussetzung für die stabile Grundlage einer legitimen Herrschaft ist jedoch in jedem Fall der Glaube. „Aber überhaupt ist festzuhalten: Grundlage jeder Herrschaft, also jeder Fügsamkeit, ist ein Glauben: ‚Prestige‘-Glauben zugunsten des oder der Herrschenden.“42 Der Herrscher muss selbst an sein Recht zu herrschen glauben, um den Beherrschten zu vermitteln, dass ihm dieses Recht zusteht.43 Gelingt ihm das, ist seine Herrschaft stabiler als durch die Ausübung von Gewalt. Aus der Herrschaft wird eine legitime Herrschaft. An dieser Stelle wird deutlich, dass zwischen der Herrschaft als Machtform und als legitimer Form nur ein gradueller Unterschied besteht.44 Es handelt sich bei der legitimen Herrschaft und bei Macht um mögliche Formen von Macht, die sich eher auf einer bestimmten Skala bewegen, als dass sie zwei völlig unterschiedliche Arten der Macht sind. Die legitime Herrschaft bewegt sich an den äußeren Grenzen sozialer Machtbeziehungen. Legitimität kann die Normalität einer sozialen Machtbeziehung herstellen. Jedoch gibt es hierbei überall Möglichkeiten des Widerstands, der sich nur dann in eine legitime Herrschaftsbeziehung verwandelt, wenn der Einzelne rationale Gründe (zweckrational, wertrational, traditionell, affektuell) für sich anführen kann, warum er sich einer bestimmten Machtform unterwirft. Diese Legitimitätsansprüche bilden die Grundlage für die Konstruktion von idealtypischen Modellen legitimer Herrschaftsausübung. Es geht also um die eingangs gestellte Frage, warum Menschen Anweisungen folgen und Gehorsam gegenüber einer Herrschaft zeigen. Nach Max Weber basieren alle Mächte, die Herrschaft ausüben, auf drei reinen Formen der Legitimität.45 Max Weber unterscheidet also drei Gründe für die Geltung ihrer Legitimität.46 Erstens: Die rationale/legale Herrschaft ist die Herrschaft durch vorhersehbare Gesetzmäßigkeiten und Ordnungen, welche den Glauben an eine rationale Ordnung beinhaltet. Gehorsam herrscht gegenüber einer legalen und unpersönlichen Ordnung und den durch diese Ordnung festgelegten Vorgesetzten bzw. dessen Anleitung. Zweitens: Die traditionelle Herrschaft ist die Herrschaft die durch Traditionen legitimiert wird. Eine Ordnung findet Anerkennung, weil sie den Glauben an 41 Vgl. Kalberg, S. (2006): S. 55. 42 Weber, M. (1922): S. 153. 43 Vgl. Kalberg, S. (2006): S. 56. 44 Vgl. Clegg, S. R.; Courpasson, D.; Phillips, N. (2006): S. 104. 45 Vgl. Weber, M. (1922): S. 124. 46 Vgl. Kalberg, S. (2006): S. 56.
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den Wert einer historischen Institution beinhaltet. Gehorsam findet gegenüber der im Rahmen der Tradition berufenen Personen und Regeln statt. Drittens: Die charismatische Herrschaft ist eine Herrschaftsform, bei der die Herrschaft durch den Glauben an die außergewöhnlichen Fähigkeiten einer bestimmten Person legitimiert wird. Dieser Person gegenüber herrscht Gehorsam. Nach Max Weber ist die Anwendung einer dieser Formen von Herrschaft damit verbunden, dass der jeweilige Herrscher es schafft, die von ihm Beherrschten zu überzeugen, also seine Herrschaft zu legitimieren. Um ein Fundament für diese Form von Herrschaft bzw. Autorität herzustellen, benötigt der Herrscher einen Verwaltungsapparat.47 Dieser stellt eine Verbindung zwischen dem Herrscher und den Beherrschten her. Jede Form der Herrschaft, so Max Weber, ist mit einer der drei Arten der Legitimierung verbunden und geht teilweise mit einer rationalen, legalen Verwaltungsorganisation einher. „Sehr wichtige Typen rationaler Herrschaft sind formal in ihrem Leiter andern Typen angehörig (erbcharismatisch: Erbmonarchie, charismatisch: plebiszitärer Präsident), andere wieder sind material in wichtigen Teilen rational, aber in einer zwischen Bureaukratie und Charismatismus in der Mitte liegenden Art konstruiert (Kabinettsregierung), noch andere sind durch die charismatischen oder bureaukratischen) Leiter anderer Verbände (‚Parteien‘) geleitet (Parteiministerien). Der Typus des rationalen legalen Verwaltungsstabs ist universaler Anwendung fähig und er ist das im Alltag Wichtige. Denn Herrschaft ist im Alltag primär: Verwaltung.“48
Max Weber erkannte also, dass die Herrschaftsformen kaum in reiner Form auftauchen. Es handelt sich bei seinen Einordnungen um Idealtypen. Er unterstreicht, dass eine Herrschaftsform mit Hilfe dieser Typisierung empirisch zu untersuchen sei – und zwar daraufhin, welchem Herrschaftstypus sie nahe kommt bzw. welche unterschiedlichen Herrschaftsformen sie aufweist.49 Mit Max Weber lässt sich damit eine Herrschaftsordnung definieren und das damit zusammenhängende Handeln, welches sich vom Handeln in anderen Ordnungen unterscheidet.50
47 Vgl. Morgan, G. (1997): S. 406. 48 Weber, M. (1922): S. 126. 49 Vgl. Weber, M. (1922): S. 124; Vgl. Kalberg, S. (2006): S. 54. 50 Hier führt Max Weber neben der Herrschaft u.a. Wirtschaft, Religion, Gesetz, Stände und universelle Organisationen wie Familie, Sippe, traditionelle Nachbarschaft an. Vgl. Kalberg, S. (2006): S. 51.
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2.1.1 Herrschaft und Organisation Organisationen basieren auf gemeinschaftlichem Handeln. Sie sind eng mit Macht verbunden, da sie sich über die Befehlsgewalt einer kleinen Gruppe von Individuen gegenüber anderen Gruppen konstituieren.51 Macht wiederum ist auf eine Form von Organisation (Verwaltung) angewiesen, da die Ausführung von Befehlen auf der Organisation personenbezogener Handlungen beruht. Die Organisation koordiniert übergeordnete Ziele, an denen sich alle Mitglieder orientieren sollen, auch wenn diese auf den ersten Blick ihren eigenen Interessen zuwiderlaufen. Auf diese Weise tun diese Mitglieder etwas, was sie ansonsten nicht tun würden. Sie werden demnach einer bestimmten Form von Macht unterworfen („subject to power“52). Damit die organisatorische Macht bestehen kann, muss sie sich jedoch selbst rechtfertigen. Sie bezieht sich dafür auf die Prinzipien einer der beschriebenen legitimen Herrschaftsformen.53 Damit eine Befehlsgewalt gültig ist, kann sie sich auf ein System gesetzter rationaler Regeln berufen. Diese können als allgemein verbindliche Normen Fügsamkeit finden. Derjenige, der die Befehlsgewalt verkörpert, ist entsprechend durch das System an Regeln legitimiert.54 Die Befehlsgewalt, die er ausübt, muss sich an den entsprechenden Regeln orientieren. Gehorsam gilt hier den Regeln und nicht der Person. Eine andere Form, die Befehlsgewalt zu legitimieren und entsprechend Gehorsam zu finden, ist die persönliche Autorität. Diese kann auf Tradition bzw. Gewohnheit, beruhen oder aber auf der Außergewöhnlichkeit einer Person, ihrem Charisma. In der Organisation ist Herrschaft auf Kontinuität ausgerichtet und besitzt einen Verwaltungsapparat. Der Verwaltungsapparat besteht aus einer Reihe von Personen, die durch eigene Vorteile am Bestehen der Herrschaft selbst interessiert sind.55 Diese Bezugnahme auf das Eigeninteresse der jeweiligen Personen kann auch auf die Beherrschten ausgedehnt werden. Die Personen des Verwaltungsapparates teilen sich die Befehlsgewalt, welche dem Bestehen der organisatorischen Herrschaft dient. Sie leiten ihren Willen aus der Übertragung durch einen Herrscher ab. Der Herrscher selbst leitet seinen Willen und seine Befehlsgewalt nicht durch die Übertragung durch andere Herrscher ab. Welche Struktur eine organisatorische Herrschaft hat, bestimmt sich durch die Beziehung zwischen dem Herrscher und seinem Apparat sowie deren Beziehung zu den Be51 Vgl. Clegg, S. R.; Courpasson, D.; Phillips, N. (2006): S. 105. 52 Clegg, S. R.; Courpasson, D.; Phillips, N. (2006): S. 105. 53 Vgl. Weber, M. (1922): S. 610ff. 54 Vgl. Kalberg, S. (2006): S. 57f. 55 Vgl. Clegg, R. S.; Courpasson, D.; Phillips (2006): S. 105–106.
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herrschten. Legitimität muss eine Herrschaft sowohl zwischen dem Herrscher und seinem Apparat als auch zwischen jenen und den Beherrschten erlangen. Das soziale Handeln der Unterworfenen ist bestimmt durch einen Willen oder Befehl, welcher sich durch Regeln oder die herrschenden Personen ausdrückt. Ob die Regeln oder Personen erfolgreich sind bei der Durchsetzung eines bestimmten Willens, ist niemals garantiert.56 Eine Befehlsgewalt kann auch dann bestehen, wenn sie nicht auf dem Gehorsam der entsprechenden Personen beruht. Wenn Gehorsam erfolgt, verwandelt sich die Ausübung von Macht zur Durchsetzung eines Willens in eine legitime Herrschaft. Es handelt sich bei der Herrschaftsform von Organisationen um ein dynamisches Verhältnis, welches zwischen Macht und legitimer Herrschaft schwankt. Macht drückt sich hierbei außerdem nicht nur durch direkte und regelmäßig gesprochene Befehle aus. Befehle können sich beispielsweise auch in Form von Schrift oder habitualisierten Handlungsweisen äußern.57 Alle diese Befehle können jedoch jederzeit auf Widerstand treffen. Widerstand tritt dann auf, wenn Befehle keine Legitimität auf der Basis rationaler Gründe für soziales Handeln beinhalten. Der Widerstand kann seinen Ursprung auch darin haben, dass ein anderer Grund sozialen Handelns einen höheren Wert annimmt als der Gehorsam gegenüber bestimmten Regeln oder Personen. Eine Organisation versucht regelmäßige Interventionen und Befehle jedoch durch Disziplin zu ersetzen, wodurch die Macht des Befehls durch eine formale Rationalität zur Institution wird. Die Bürokratie ist nach Max Weber der geläufigste und rationalste Typus, der von einer formalen Rationalität Gebrauch macht und darüber Disziplin herzustellen sucht.58 2.1.2 Die rationale Organisation gemeinschaftlichen Handelns in der Bürokratie Die rational-legale Herrschaft erlangt in der Moderne eine besondere Bedeutung. Sie zeigt sich am signifikantesten in der Bürokratie. „Das rational vergesellschaftete Gemeinschaftshandeln eines Herrschaftsgebildes findet seinen spezifischen Typus in der ‚Bürokratie‘.“59 Max Weber beobachtete, dass es gesellschaftlich zu einer vermehrten Bürokratisierung und Rationalisierung kommt.
56 Vgl. Clegg, S. R.; Courpasson, D.; Phillips (2006): S. 106. 57 Vgl. Clegg, S. R.; Courpasson, D.; Phillips, N. (2006): S. 106. 58 Vgl. Weber, M. (1922): S. 612, S. 650ff. 59 Weber, M. (1922): S. 612.
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Nach Max Weber haben wir, weil wir im Kapitalismus bzw. in einer Industriegesellschaft leben, bestimmte Regeln anerkannt. Die rational-legale Ordnung hat sich durchgesetzt. „Wie der Kapitalismus in seinem heutigen Entwicklungsstadium die Bureaukratie fordert [,…] so ist er auch die rationalste, […] wirtschaftliche Grundlage, auf der sie in rationalster Form bestehen kann.“60 Die Bürokratie ist bedeutsam für das industrielle Großunternehmen, aber auch für die Gesellschaft als Ganzes. Hervorgehoben wird dabei besonders der antitraditionalistische und rationalistische Charakter der Bürokratie, des Kapitalismus und der modernen Gesellschaft.61 „Die Entwicklung ‚moderner‘ Verbandsformen auf allen Gebieten (Staat, Kirche, Heer, Partei, Wirtschaftsbetrieb, Interessentenverband, Verein, Stiftung und was immer es sei) ist schlechthin identisch mit Entwicklung und stetiger Zunahme der bureaukratischen Verwaltung: ihre Entstehung ist z.B. die Keimzelle des modernen okzidentalen Staats. […] Unser gesamtes Alltagsleben ist in diesen Rahmen eingespannt. Denn wenn die bureaukratische Verwaltung überall die – ceteris paribus! – formal-technisch rationalste ist, so ist sie für die Bedürfnisse der Massenverwaltung (personalen oder sachlichen) heute schlechthin unentrinnbar.“62
Wir erachten die legale Herrschaft, die sich auf unpersönliche Regeln und Objektivität beruft, als legitim. Der Glaube an die Autorität konkreter Persönlichkeiten oder an die durch Tradition begründete Autorität von Personen steht hierbei nicht im Vordergrund. Autorität begründet sich stattdessen rational.63 Es werden feste Regeln verfolgt, welche die Zukunft berechenbar machen. Berechenbarkeit ist das Ziel der Bürokratie als Herrschaftsform. Sowohl die Rechte als auch die Pflichten sind festgeschrieben. Allein die Stellung in der Hierarchie erlaubt es, Befehle auszuführen und für diese Befehle Gehorsam zu erhalten.64
60 Weber, M. (1922): S. 129 [Herv. i.O.]. 61 Vgl. Kocka, J. (1981b): S. 453. 62 Weber, M. (1922): S. 128 [Herv. i.O.]. 63 Vgl. Weber, M. (1922): S. 612. 64 Vgl. Kalberg, S. (2006): S. 57; Die bereits vor der Industrialisierung bestehenden bürokratischen Organisationen dienten Max Weber (Wirtschaft und Gesellschaft 1921/1922) als empirische Basis für seine Definition der Bürokratie. Die öffentlichen Verwaltungen in Preußen, Sachsen und Bayern kamen der Bürokratie, die Max Weber später beschrieb, bereits sehr nahe. Vgl. Kocka, J. (1971): S. 133.
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Die Bürokratie ist für Max Weber „die an Präzision, Stetigkeit, Disziplin, Straffheit und Verläßlichkeit, also: Berechenbarkeit für den Herrn wie für die Interessenten, Intensität und Extensität der Leistung, formal universeller Anwendbarkeit auf alle Aufgaben, rein technisch zum Höchstmaß der Leistung vervollkommenbare, in all diesen Bedeutungen: formal rationalste, Form der Herrschaftsausübung.“65
Aufgrund ihrer Formalität und Berechenbarkeit ist die Bürokratie anderen Formen der Herrschaftsausübung wie der traditionalen oder charismatischen Herrschaft überlegen, dabei jedoch nicht zwingend effizient, wie frühe Interpretationen von Max Weber nahelegen.66 Max Weber spricht selbst nicht von Effizienz, sondern von einer technischen Rationalität. Die Bürokratie bezieht ihre Formalität und Berechenbarkeit vor allem aus ihrer sachlichen Unpersönlichkeit, insbesondere weil sie durch formale Regeln das kalkulierbar zu machen sucht, was eigentlich nicht kalkulierbar ist: Den Menschen.67 „sine ira et studio, ohne Haß und Leidenschaft, daher ohne ‚Liebe‘ und ‚Enthusiasmus‘, unter dem Druck schlichter Pflichtbegriffe; ‚ohne Ansehen der Person‘, formal gleich für ‚jedermann‘, d.h. jeden in gleicher faktischer Lage befindlichen Interessenten, waltet der ideale Beamte seines Amtes.“68
Der grundlegende Unterschied zwischen einer Bürokratie als rationaler Organisation und anderen Formen der Herrschaftsausübung besteht demnach darin, dass im menschlichen Handeln nicht deren persönliche Rationalität zum Einsatz kommt, sondern sich deren Handeln vielmehr nach dem formal gesetzten Recht der Organisation richtet.69 Die Beziehungen in einer bürokratischen Organisation sind durch absichtsvoll gesetzte, abstrakte Regeln strukturiert. Regeln werden auf Einzelfälle angewendet, d.h. konkrete Gegebenheiten werden als Fälle behandelt. Die zugrundeliegenden Regeln sind dabei schriftlich fixiert.
65 Weber, M. (1922): S. 128. 66 Vgl. Townley, B. (2008): S. 49. 67 Vgl. Townley, B. (2008): S. 63f. 68 Weber, M. (1922): S. 129 [Herv. i.O.]. 69 Vgl. Albrow, M. (1992): S. 313; Vgl. Townley, B. (2008): S. 49; „Die ‚Rechtsgleichheit‘ und das Verlangen nach Rechtsgarantien gegen Willkür fordern die formale rationale ‚Sachlichkeit‘ der Verwaltung im Gegensatz zu dem persönlichen freien Belieben aus der Gnade der alten Patrimonialherrschaft.“ Weber, M (1922): S. 664.
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„Es gilt das Prinzip der Aktenmäßigkeit der Verwaltung, auch da, wo mündliche Erörterung tatsächlich Regel oder geradezu Vorschrift ist: mindestens die Vorerörterungen und Anträge und die abschließenden Entscheidungen, Verfügungen und Anordnungen aller Art sind schriftlich fixiert. Akten und kontinuierlicher Betrieb durch Beamte zusammen ergeben: das Bureau, als den Kernpunkt jedes modernen Verbandshandelns.“70
Der legale Herrscher ordnet in der Bürokratie zwar an, orientiert sich dabei aber selbst an unpersönlichen Regeln. Es herrscht eine Amtshierarchie mit festen Funktionen, Kompetenzen und Pflichten. Personen wird gemäß ihrer Fachqualifikation durch vertragliche Regelungen ein Amt verliehen. Sie erhalten ein festes Gehalt entsprechend ihrer Stellung in der Hierarchie, haben in der Regel eine Pensionsberechtigung und schlagen, abhängig vom Amtsalter, eine bestimmte Laufbahn ein. Von den Amtsmitteln sind sie formal getrennt, sie unterliegen einer ausgeprägten Disziplin und Kontrolle und sind außerdem zu Loyalität verpflichtet. Die Bürokratie zeichnet sich zusammenfassend also vor allem durch Formalität und Berechenbarkeit aus. Diese Eigenschaften werden durch Regeln, deren schriftliche Fixierung, das Ziehen von Grenzen (z.B. Festlegung von Kompetenzen) und Unpersönlichkeit sichergestellt. Für die Verwaltung von großen Unternehmen stellen die Eigenschaften der Formalität und Berechenbarkeit eine Entlastung dar, da sie eine direkte Ausübung von Kontrolle in eine indirekte Ausübung von Kontrolle verwandeln. Die Grundlage für diese indirekte Form von Kontrolle ist Wissen. Max Weber stellt hierzu fest: „Man hat nur die Wahl zwischen ‚Bureaukratisierung‘ und ‚Dilettantisierung‘ der Verwaltung, und das große Mittel der Ueberlegenheit der bureaukratischen Verwaltung ist: Fachwissen, dessen völlige Unentbehrlichkeit durch die moderne Technik und Oekonomik der Güterbeschaffung bedingt wird, höchst einerlei ob diese kapitalistisch oder […] sozialistisch organisiert ist.“71
Die Bürokratie bedeutet also: „Herrschaft kraft Wissen“.72 Wissen stellt hierbei die Macht in der Organisationpraxis sicher. Das dabei erlangte Dienstwissen dient wiederum der Ausdehnung der bürokratischen Macht. Nicht die direkte, 70 Weber, M. (1922): S. 126. 71 Weber, M. (1922): S. 128. 72 „Ueber die durch das Fachwissen bedingte gewaltige Machtstellung hinaus hat die Bureaukratie (oder der Herr, der sich ihrer bedient), die Tendenz, ihre Macht noch weiter zu steigern durch das Dienstwissen: die durch Dienstverkehr erworbenen oder ‚aktenkundigen‘ Tatsachenkenntnisse.“ Weber, M. (1922): S. 129.
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sporadische und sanktionierende Ausübung von Macht steht bei der Bürokratie im Vordergrund, sondern die Verortung dieser Macht in der rationalen Struktur. Diese stellt die Vorgabe für die Anpassung des eigenen Willens dar. Die Bürokratie richtet die Arbeit an allgemeinen Bestimmungen und Regeln aus. Sie gibt vor, wann und wo gearbeitet wird. Im Büro werden schriftliche Berichte erstellt und aufbewahrt und Mitglieder bekommen ein festes Gehalt und die Möglichkeit, eine vorgegebene Karriereleiter emporzusteigen.73 Feste Verfahren und die Beurteilung von Einzelfällen mithilfe von abstrakten Regeln ermöglichen die Berechenbarkeit und Planbarkeit. Verantwortungen, Kompetenzen, Aufgabenteilung und Entscheidungsgewalt aller Beschäftigten sind exakt begrenzt.74 Nach Max Weber ist die einmal voll organisierte Bürokratie ein kaum zu „zertrümmerndes“ soziales Gebilde.75 Die bürokratische Macht, wie sie Max Weber beschreibt, ist besonders interessant für die Organisations- und Managementtheorie. Sie entsteht im Kapitalismus als einem formal freien Markt und stellt dort eine etablierte Herrschaftsform dar, die den Status der Normalität erreicht hat. Auf der Basis dieser Normalisierung macht sie das Recht zu befehlen wahrscheinlich und beinhaltet gleichermaßen die Wahrscheinlichkeit, dass diesen Befehlen Gehorsam geleistet wird.76 Auch wenn Max Weber die positiven Errungenschaften der Bürokratie würdigte, sah er die Gefahren der Bürokratisierung. Einerseits befreite die Bürokratie Menschen von den teilweise willkürlichen Regeln patrimonialer Herrschaft.77 Schließlich wird nicht ausgehend von persönlicher Autorität, sondern ausgehend von einer unpersönlichen Norm befohlen, in die der Herrschende selbst eingebunden ist.78 Andererseits sieht Max Weber, dass die Bürokratie den Menschen zunehmend die Möglichkeit nahm, die Mittel und Ziele ihrer Handlungen selbst zu bestimmen. „Der Berufsbeamte ist […] mit seiner ganzen materiellen und ideellen Existenz an seine Tätigkeit gekettet. Er ist ޤder weit überwiegenden Mehrzahl nach ޤnur ein einzelnes, mit spezialisierten Aufgaben betrautes, Glied in einem nur von der höchsten Spitze her, nicht aber (normalerweise) von seiner Seite, zur Bewegung oder zum Stillstand zu veranlassen-
73 Vgl. Kalberg, S. (2006): S. 57. 74 Vgl. Kalberg, S. (2006): S. 58. 75 Vgl. Weber, M. (1922): S. 668. 76 Vgl. Clegg, S. R.; Courpasson, D.; Phillips, N. (2006): S. 94ff. 77 Vgl. Weber, M. (1922): S. 679. 78 Vgl. Kalberg, S. (2006): S. 57.
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der, rastlos weiterlaufender Mechanismus, der ihm eine im wesentlichen gebundene Marschroute vorschreibt.“79
Außerdem weitet sich nach Max Weber das rationale Kalkül aus. Nahezu alles und jeder unterliegt der zunehmenden Rationalisierung. Die Bürokratie wird zu einem nahezu unvermeidlichen Organisationsmodus der Gesellschaft. Rational geordnetes Gemeinschaftshandeln wird in Gesellschaftshandeln überführt. Mit einer Vergesellschaftung der Herrschaftsbeziehungen durch die Bürokratie wurde diese zu einem Machtmittel für jene, die über den bürokratischen Apparat verfügen. Max Weber kritisiert außerdem, dass die Bürokratie ein neutrales Mittel der Herrschaft ist. Sie funktioniert unabhängig von einem Wechsel an der Spitze weiter und lässt sich daher unabhängig von den Zielen und Zwecken der Herrschaft einsetzen.80 Die sachliche Unpersönlichkeit der Bürokratie, die die Basis für deren Plan- und Berechenbarkeit darstellt, wird hier zur Grundlage der Kritik. „Die Bürokratie [ist] ein Präzisionsinstrument […], welches sehr verschiedenen, sowohl rein politischen wie rein ökonomischen, wie irgendwelchen anderen Herrschaftsinteressen sich zur Verfügung stellen kann.“81 Nach Max Weber ist ein planvolles und rationales Handeln dem Widerstand der Massen überlegen. „Die Gebundenheit des materiellen Schicksals der Masse an das stetige korrekte Funktionieren der zunehmend bürokratisch geordneten privatkapitalistischen Organisationen nimmt stetig zu […] Die ‚Akten‘ einerseits und andererseits die Beamtendisziplin, d.h. Eingestelltheit der Beamten auf präzisen Gehorsam innerhalb ihrer gewohnten Tätigkeit werden damit im öffentlichen wie privaten Betrieb zunehmend die Grundlage aller Ordnung.“82
Die Bürokratie lässt sich, wenn sie einmal die gesellschaftliche Ordnung bestimmt, schwer abschaffen. Er weist darauf hin, dass die „gezüchtete Eingestelltheit“ der Menschen auf den Gehorsam gegenüber den Ordnungen unabhängig von bürokratischen Strukturen fortbesteht.83 Die Einstellung gegenüber der rationalen Ordnung wurde verinnerlicht und es besteht kaum Widerstand gegen den institutionalisierten „Willen zur Macht“.84 Die Bürokratie ist ein spätes gesell79 Weber, M. (1922): S. 669. 80 Vgl. Weber, M. (1922): S. 669. 81 Weber, M. (1922): S. 670. 82 Weber, M. (1922): S. 669. 83 Vgl. Weber, M. (1922): S. 669. 84 Vgl. Clegg, S.R.; Courpasson, D.; Phillips, N. (2006): S. 108; „Wenn ein Beamter aber täglich zur festen Stunde auf dem Büro erscheint, so ist das (auch, aber:) nicht
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schaftliches Produkt. Je weiter man in der Geschichte zurückgeht, so Max Weber, desto weniger Ausprägungen dieses Idealtypus findet man. Die Ausbreitung der Bürokratie gleicht nach Max Weber einer Revolution, welche im Verlauf ihrer Durchsetzung immer mehr den Status der Normalität erreicht.85 Der Mensch unterliegt dieser rationalen Herrschaft und bildet sich in seinen Einstellungen und Eigenschaften innerhalb dieser Ordnung heraus.86 Der Fokus auf eine „gezüchtete Eingestelltheit“ der Menschen in einem bestimmten historischen Kontext findet sich auch in Max Webers Analyse „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“. Die protestantische Ethik „predigt“ harte, stetige, körperliche und geistige Arbeit.87 Der asketische Protestantismus war die moralische Grundlage des frühen Kapitalisten. „Ein spezifisch bürgerliches Berufsethos war entstanden. Mit dem Bewußtsein, in Gottes voller Gnade zu stehen und von ihm sichtbar gesegnet zu werden, vermochte der bürgerliche Unternehmer, wenn er sich innerhalb der Schranken formaler Korrektheit hielt, sein sittlicher Wandel untadelig und der Gebrauch, den er von seinem Reichtum machte, kein anstößiger war, seinen Erwerbsinteressen zu folgen und sollte dies tun. Die Macht der religiösen Askese stellte ihm überdies nüchterne, gewissenhafte, ungemein arbeitsfähige und an der Arbeit als gottgewolltem Lebenszweck klebende Arbeiter zur Verfügung.“88
Der Ethos oder die Berufung auf die Arbeit als Selbstzweck sind kennzeichnend für den modernen Kapitalismus. Im abgedruckten Vortrag „Wissenschaft als Beruf“ führt Max Weber seine Auseinandersetzung mit dem Arbeitsethos am Beispiel des Wissenschaftlers fort.89 Er beschreibt zunächst die Karrierewege im deutschen und amerikanischen System. Dabei stellt er fest, dass der Wissenschaftler akzeptieren muss, dass seine Arbeit nach kurzer Zeit überholt und nichtig sein wird. Der Sinn der Arbeit ergibt sich entsprechend nicht daraus, etwas „Neues“ zu sagen, etwas, was noch niemand vorher gesagt hat: nur durch eingelebte Gewöhnung (Sitte) und (auch, aber:) nicht nur durch eigene Interessenlage bedingt, der er nach Belieben nachleben könnte oder nicht. Sondern (in der Regel: auch) durch das, ‚Gelten‘ der Ordnung (Dienstreglement) als Gebot, dessen Verletzung nicht nur Nachteile brächte, sondern – normalerweise – auch von seinem ‚Pflichtgefühl‘ wertrational (wenn auch in höchst verschiedenem Maße wirksam) perhorresziert wird.“ Weber, M. (1922): S. 16. 85 Vgl. Weber, M. (1922): S. 677f. 86 Vgl. Clegg, S.R.; Courpasson, D.; Phillips, N. (2006): S. 109. 87 Vgl. Weber, M. (2009): S. 142. 88 Weber, M. (2009): S. 160 [Herv. i.O.]. 89 Vgl. Weber, M. (1930).
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„Auf dem Gebiet der Wissenschaft aber ist derjenige ganz gewiß keine ‚Persönlichkeit‘, der als Impresario der Sache, der er sich hingeben sollte, mit auf die Bühne tritt, sich durch ‚Erleben‘ legitimieren möchte und fragt: Wie […] mache ich es, daß ich, in der Form oder in der Sache, etwas sage, das so noch keiner gesagt hat wie ich: – eine heute massenhaft auftretende Erscheinung, die überall kleinlich wirkt, und die denjenigen herabsetzt, der so fragt, statt daß ihn die innere Hingabe an die Aufgabe und nur an sie auf die Höhe und zu der Würde der Sache emporhöbe, der er zu dienen vorgibt.“90
Nach Max Weber geht es in der Wissenschaft um die innere Hingabe an die Aufgabe und darum, nur dieser zu dienen. Er vergleicht diese Hingabe mit der von Künstlern. In der Bürokratie ergibt sich nun eine Paradoxie aus der kalkulierten Rationalität eines amoralischen Präzisionsinstrumentes und der leidenschaftlichen Hingabe des Individuums an seine Pflichten innerhalb der Organisation.91 Max Weber stellt die innere Hingabe an die Aufgabe keineswegs als verlockend dar. Jedoch sieht er keine Alternative dazu. In der protestantischen Ethik ist jedes Individuum der Selbstbeobachtung ausgesetzt. Es geht dabei um die andauernde Anpassung der eigenen Verhaltensweisen, Motive und Moralvorstellungen. Die Parallelen zur gezüchteten Einstellung des Beamten im Kontext der Bürokratie sind evident.92 Forderungen an den Wissenschaftler und den bürgerlichen Unternehmer erscheinen hier jedoch stärker durch eine aktive Selbstformung bestimmt. Der Beamte hingegen wird eher als ein passives „Rädchen im Getriebe“ beschrieben.
2.2 M ACHT IN DEN O RGANISATIONS UND M ANAGEMENTWISSENSCHAFTEN Max Weber wird bis heute in den Organisations- und Managementwissenschaften breit rezipiert. Jedoch ist sein Ansatz häufig auch Gegenstand von Falschinterpretationen. So heißt es im Buch „Behavior and Organizations“ von Jerald Greenberg und Robert A. Baron: „Among other things, Weber proposed a form of organizational structure that is wellknown today – the bureaucracy. Much as proponents of scientific management searched
90 Weber, M. (1930): S. 15. 91 Vgl. McKinlay, A. (2011): S. 31–57. 92 Vgl. McKinlay, A. (2011): S. 31–57.
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for the ideal way to perform a job, Weber believed this was the one best way to organize work in all organizations effectively. […] Weber’s ‚universal’ view of bureaucratic structures contrasts with the more modern approaches to organizational design […], which recognize that different forms of organizational structure may be more or less appropriate under different situations. Although the bureaucracy may not actually be the perfect structure for organizing all work, organizational theorists owe a great deal to Weber, many of whose ideas are still considered viable today.“93
Es handelt sich hier um eine stark vereinfachte Aussage. Vor allem in der amerikanischen Managementforschung ist diese Form der Auseinandersetzung mit Max Weber keine Ausnahme.94 Einige Forscher situieren Max Weber im Kontext des Taylorismus. Davon ausgehend stellt sich Max Weber als ein Erfinder und Befürworter der Bürokratie dar. „Weber’s writing on bureaucracy has had to do service as an organizational theory in general, which it was never intended to do.“95 Bürokratie ist hier gleichgesetzt mit einer Organisationsgestaltung, deren Fokus auf mechanistischer Effizienz liegt.96 Ansätze, die sich selbst als fortschrittlich begreifen, kritisieren, Max Weber sei zu weit gegangen mit seiner Verteidigung bürokratischer Effizienz und der Postulierung maschinenähnlicher Organisationen.97 Ihm wird vorgeworfen, dass er den menschlichen Faktor nicht berücksichtigt habe. Auf der anderen Seite sei Max Weber ein großer Managementexperte gewesen, dessen größtes Interesse bei der Bürokratie lag. So heißt es etwa, Max Weber stelle „six guidelines for organization design“98 zur Verfügung. Er ist also auf der einen Seite ein großer Managementdenker und andererseits sehr kurzsichtig und längst überholt. So jedenfalls rezipiert ihn teilweise bis heute ein Teil der Organisations- und Managementliteratur. Max Weber ist jedoch nicht als Managementtheoretiker zu verstehen. „Weber was a lawyer, a historian, economist, philosopher, political scientist, and a sociologist, but he was not an organization or management expert.“99 Darüber hinaus ist sein Ansatz kritisch und dient nicht der Entwicklung von Managementtechniken. Die Bürokratie als Herrschaftsform ist bei Max Weber ein 93 Greenberg, J.; Baron, R.A. (2000): S. 10f; Vgl. Cummings, S.; Bridgman, T. (2011): S. 78. 94 Vgl. Cummings, S.; Bridgman, T. (2011): S. 78. 95 Albrow, M. (1992): 317. 96 Vgl. Cummings, S.; Bridgman, T. (2011): S. 82. 97 Vgl. Dale, E. (1967): S. 12. 98 Schwartz, D.J. (1980): S. 19; Cummings, S.; Bridgman, T. (2011): S. 82. 99 Cummings, S.; Bridgman, T. (2011): S. 82.
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Machttypus, der eine institutionelle Form angenommen hat. Er sucht in seiner Auseinandersetzung keineswegs nach einer effizienten Organisationsstruktur. Vielmehr fragt er, wie Herrschaft, beispielsweise die bürokratische Herrschaft, zu einem charakteristischen Merkmal der Organisation wird.100 Er analysiert und beschreibt außerdem gesellschaftliche Prozesse, von denen die Auseinandersetzung mit Bürokratie nur ein einzelner Bereich ist. Der Begriff des Ideals hat in diesem Zusammenhang viele falsche Interpretationen erfahren. Es handelt sich nicht um die Beschreibung bzw. Forderung von etwas Gutem im Sinne einer Idealisierung. Ein Ideal im Sinne von Max Weber kann vielmehr als ein Modell verstanden werden, was in der Realität so nicht existiert, jedoch als Grundlage für die Auseinandersetzung mit empirischen Vorkommnissen dienen kann. So stellt Max Weber auch nicht nur den rationallegalen Typ der Herrschaft vor, sondern kontrastiert ihn mit dem traditionellen und charismatischen Typ der Herrschaft. Darüber hinaus sieht Max Weber die gesellschaftlichen Auswirkungen der Bürokratie sehr kritisch und kann keineswegs als Befürworter der rationalistischen Herrschaftsform gesehen werden. Für ihn ist die Bürokratie viel eher ein Machtinstrument, welches untersucht und beobachtet werden muss. Macht lässt sich mit Max Weber u.a. in den organisatorischen Regeln und Strukturen verorten. Diese Macht ist bei Max Weber nicht natürlich gegeben, sondern in ihrer Form, Ausprägung und Wirkung ein Gegenstand der Untersuchung. Max Weber fragt, wie es dazu kommt, dass Menschen bestimmten Anweisungen folgen bzw. eine Herrschaft als legitim anerkennen. Die Bürokratie ist eine spezifische Form gesellschaftlicher Macht. Max Weber interessiert sich für die Frage, wie die bürokratische Organisation soziale Machtstrukturen entstehen lässt und aufrechterhält. Er fragt, warum sich der rationallegale Herrschaftstyp durchgesetzt hat. Er sieht die Tendenz der verstärkten Bürokratisierung und Rationalisierung als eine mögliche Bedrohung der Freiheit. Für ihn ist sie ein Werkzeug der Herrschenden, um die Interessen der Masse zu unterdrücken.101 Außerdem weist die Arbeit von Max Weber einen vielschichtigen Machtbegriff auf, der sich nicht nur auf eine sanktionierende und sichtbare Machtausübung beschränkt. Bei ihm findet sich ein so komplexer Machtbegriff, wie er auch bei Steven Lukes „Power: A Radical View“ beschrieben wird. Um dies zu verdeutlichen, geht es im Folgenden um einen kurzen Vergleich dieser Machtkonzepte. Steven Lukes vertritt drei Sichtweisen von Macht.102 Er betrachtet zum einen die Machtausübung als eine Form der sichtbaren Entscheidung.103 Hierbei geht 100 Vgl. Matys, T. (2006): S. 55. 101 Vgl. Morgan, G. (1997): S. 406. 102 Vgl. Lukes, S. (1974).
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es um das erfolgreiche Durchsetzen von Regeln. Dieser Machtbegriff steht dem Konzept von Macht nach Max Weber nahe, bei dem es darum geht, „innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“104 Ein zweiter Machtbegriff von Steven Lukes berücksichtigt das Schaffen von sozialen Strukturen, die dafür sorgen, dass die Vorstellungen und Wünsche von Unterlegenen gar nicht erst in Betracht gezogen werden.105 So wird Macht auch dann ausgeübt, wenn „when A devotes his energies to creating or reinforcing social and political values and institutional practices that limit the scope of the political process to public consideration of only those issues which are comparatively innocuous to A.“106
Nach Steven Lukes werden dabei soziale Strukturen aufgebaut: „a set of predominant values, beliefs, rituals, and institutional procedures (‚rules of the game’) that operate systematically and consistently to the benefit of certain persons and groups at the expense of others.“107 Wenn Max Weber über die legitime Herrschaft, z.B. in Form der rational-legalen Herrschaft der Bürokratie, schreibt, taucht diese Ebene bereits bei ihm auf. Es handelt sich um eine Form von Macht, die bei den Untergebenen Gehorsam finden muss. Die Basis für den Gehorsam aber ist der Glaube: „Aber überhaupt ist festzuhalten: Grundlage jeder Herrschaft, also jeder Fügsamkeit, ist ein Glauben.“108 Unter Herrschaft versteht Max Weber „die Chance, […] für spezifische (oder: für alle) Befehle bei einer
103 Vgl. Fischer, J.H. (2004): S. 111. 104 Weber, M. (1922): S. 28. 105 Steven Lukes berücksichtigt hierbei auch Arbeiten von Peter Bachrach und Morton S. Baratz. Beide beschreiben die Formen der Macht als Gesichter der Macht. Sie beschreiben zwei grundsätzlich unterschiedliche Gesichter. Das erste Gesicht ist eine Form, bei der A einen anderen (B) dazu zwingt, etwas zu tun, was dieser nicht tun will. Es ist eine direkte Machteinwirkung. Ein zweites Gesicht der Macht hingegen drückt sich dadurch aus, dass A sich darauf konzentriert, soziale und politische Wertvorstellungen und Institutionen des Handelns zu etablieren. Dies kann mitunter dazu führen, dass B Dinge tut, obwohl es seinen eigenen Interessen widerspricht. Vgl. Bachrach, P; Baratz, M.S. (1962) und (1970); Vgl. Fischer, J.H. (2004): S. 111. 106 Bachrach, P. und Baratz, M.S. (1970): S. 7; Vgl. Lukes, S. (2005): S. 20. 107 Bachrach, P. und Baratz, M.S. (1970): S. 43; Vgl. Lukes, S. (2005): S. 21; Vgl. Fischer, J.H. (2004): S. 111. 108 Weber, M. (1922): S. 153.
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angebbaren Gruppe von Menschen Gehorsam zu finden.“109 Die Bürokratie selbst erscheint als eine soziale Struktur, die darin besteht, den Herrschern bzw. einer Gruppe von Herrschern zu dienen, und die die Wahrscheinlichkeit beinhaltet, bei den Untergebenen Gehorsam zu erfahren. Das Spezielle der Bürokratie besteht nun jedoch darin, dass sich die Macht nicht mehr nur auf die Beherrschten ausdehnt, sondern ebenfalls auf die Herrscher und ihren Verwaltungsstab wirkt. „The rationalization process gives him power, but the end results of rationalization curtail his power.“110 Eine dritte Form der Macht besteht für Steven Lukes in der Manipulation der psychischen Strukturen der Beherrschten durch die Herrschenden. Dies geschieht auf eine Weise, in der sie den Interessen der Herrschenden unbewusst oder bewusst auf freiwillige Art dienen.111 „Is it not the supreme and most insidious exercise of power to prevent people, to whatever degree, from having grievances by shaping their perceptions, cognitions and preferences in such a way that they accept their role in the existing order of things, either because they can see or imagine no alternative to it as devinely ordained and beneficial?“112
Auch Max Weber beschreibt diese Form der Macht in Bezug auf ein fortgeschrittenes Stadium der Bürokratie. So weist er auf die „gezüchtete Eingestelltheit“ der Menschen auf den Gehorsam gegenüber den gesellschaftlichen Ordnungen hin. Es zeigt sich, dass die rein sanktionierende, auf der sichtbaren Durchsetzung von Entscheidungen beruhende Macht eine verkürzte Sichtweise von Macht ist. Max Weber und Steven Lukes beschränken sich nicht auf diese Machtform. Gerade die letzte Perspektive zeigt, dass die überlegenste Form der Machtausübung darin besteht, die Gedanken und Wünsche der Beherrschten zu manipulieren.113 Den Konflikt zwischen ihren eigenen Interessen und dem Willen anderer dürfen sie in diesem Fall nicht bemerken. Macht und Manipulation sind auf diese Weise einander angenähert. Bei der Bürokratie finden sich alle drei Machttypen wieder. Sie selbst erlangt ihre Legitimation auf der Basis aller drei Machtformen. Max Weber hat die Bürokratie keineswegs als ideale Organisationsform betrachtet. Sie ist eine Form der Macht, welche durch historische Prozesse in der Lage ist, für sich Legitimation herzustellen. Bürokratien erhalten Legitimation durch verschiedene Ebenen der Macht. In diesem Zusammenhang 109 Weber, M. (1922): S. 122. 110 Hickson, D.J. et al. (1971): S. 224. 111 Vgl. Fischer, J.H. (2004): S. 113. 112 Lukes, S. (1974): S. 24; Vgl. Fischer, J.H. (2004): S. 113. 113 Vgl. Fischer, J.H. (2004): S. 113.
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hat sich Max Weber auch mit der Ausweitung der Bürokratie in der Gesellschaft und den damit zusammenhängenden Gefahren beschäftigt. Betrachtet man nun die Organisation aus der Perspektive des Machtverständnisses von Max Weber und Steven Lukes, sind die formale Organisation und ihre Hierarchie Machtformen.114 In den Organisations- und Managementwissenschaften findet diese organisatorische Macht jedoch meist Akzeptanz bzw. bleibt unhinterfragt und gilt als unvermeidbar. Sie ergibt sich aus der formalen Gestaltung von Organisationen. Das bedeutet für die Organisations- und Managementwissenschaften, dass es die Aufgabe des Managements ist, Menschen dazu zu bringen, etwas zu tun, was sie ohnehin tun wollen.115 Das Management übt entsprechend keine Macht aus, sondern bedient sich einer legitimierten Autorität, indem es die Interessen Einzelner organisiert. Entsprechend tendieren die Organisations- und Managementwissenschaften dazu, Macht als etwas zu betrachten, das außerhalb der formalen Struktur von Organisationen stattfindet und damit eine Gefahr für das Funktionieren von Organisationen ist. Dieser These folgend geht es darum, unterschiedliche Theorien der Organisations- und Managementwissenschaften auf ihr Machtkonzept hin zu analysieren. Dabei werden zum einen Theoriestränge einbezogen, welche Macht explizit behandeln. Zum anderen geht es darum, Theorien, welche keinen Machtansatz aufweisen, jedoch Macht implizit thematisieren, genauer zu betrachten. Die grundlegende Annahme lautet, dass Macht in jeder Form der menschlichen Organisation eine entscheidende Rolle spielt und daher eine Grundvoraussetzung für das Verständnis von Organisationen ist. „In every human institution there is an ordered system of power, a ‚power structure’ which is an integral part and the mirror image of the organization’s stratification.“116 Organisatorische Ansätze, die Macht direkt thematisieren, sind beispielsweise der Kontingenzansatz, der Ressourcenabhängigkeitsansatz, die Strategische Analyse, der Neoinstitutionalismus117, Organisationskulturansätze, die verhaltens- und entscheidungsorientierte Organisationssoziologie, die Organisationssoziologie, die der Begriffswelt Niklas Luhmanns folgt, postmoderne und kritische Managementtheorien, Gender Studies und die Governance Studies.118 Es handelt sich hierbei nur um einen kleinen Bereich der Organisationswissenschaften, der 114 Vgl. Hardy, C.; Clegg, S. (1996): S. 624. 115 Vgl. Jackson, N.; Carter, P. (2007): S. 97. 116 Bachrach, P; Baratz, M.S. (1962): S. 947. 117 So wie ihn beispielsweise Walter W. Powell, Paul J. di Maggio und Lynne G. Zucker verfolgen. Der Neoinstitutionalismus ist hierbei keineswegs gleichzusetzen mit der Neuen Institutionenökonomik. Vgl. Scott, W.R. (2004): S. 408–414. 118 Vgl. Haunschild, A.; Nienhueser, W.; Weiskopf, R. (2009): S. 320f.
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seinen Analysen explizit Macht zugrunde legt. Noch weniger davon sind der ökonomischen Organisations- und Managementtheorie zuzuordnen. Gleichermaßen gibt es Organisations- und Managementansätze, in denen Macht nicht explizit oder nur sehr verkürzt vorkommt. Jedoch werden dort teilweise Zusammenhänge erläutert, welche sich als Machtbeziehungen begreifen lassen. Beispielhaft seien hier Ansätze der Neuen Institutionenökonomik (wie die Agenturtheorie oder die Transaktionskostentheorie) genannt. Einige dieser Ansätze werden im Folgenden auf ihren Machtbegriff hin analysiert. Nach Axel Haunschild, Werner Nienhüser und Richard Weiskopf ist der Bereich der wissenschaftlichen Auseinandersetzung selbst ein Raum der Macht, welcher in größere gesellschaftliche Zusammenhänge eingebunden ist. Die Auseinandersetzung mit Macht ist ein umstrittenes Gebiet, auf dem verschiedene Disziplinen um Anerkennung kämpfen. In Punkt vier der Arbeit wird es daher auch darum gehen zu untersuchen, an welcher Stelle im Organisationsdiskurs Macht durch Rationalität ersetzt wurde, um organisatorische Phänomene zu erklären. 2.2.1 Frühe Organisationsansätze Während Max Weber den Prozess der Rationalisierung kritisch analysierte, hat Frederick W. Taylor in seinem Ansatz zur „Wissenschaftlichen Betriebsführung“ die Rationalisierung im Bereich der Arbeitsorganisation vorangetrieben.119 In den Sozialwissenschaften lässt sich ein Ansatz wie der tayloristische als ein funktionaler bzw. kausaler Erklärungsansatz beschreiben. Macht ist kein explizites Thema bei Frederick W. Taylor, es liegt jedoch ein impliziter Machtbegriff zugrunde. Dieser beschreibt nicht die Herrschaft der Organisation, sondern verweist auf Mechanismen und Handlungsempfehlungen, wie diese Herrschaft erreicht und ausgedehnt werden kann. Der Ansatz von Frederick W. Taylor gilt als Anstoß für viele spätere Managementansätze. Frederick W. Taylor führte die „wissenschaftliche Methode“ in den Managementbereich ein. Der Begriff Taylorismus steht bis heute für eine Rationalisierung der Arbeit.120 Grundlegend für den Taylorismus sind eine gesteigerte Arbeitsteilung und die Trennung zwischen Arbeitsplanung und Arbeitsausführung.121 Ziele des Taylorismus sind die Objektivierung und Rationalisierung der Arbeit. Der Taylorismus beruht auf der Annahme, dass die Organisationsleitung im Einvernehmen mit den Arbeitern handelt. Die wissenschaftliche Objektivität gilt als grundlegend für die Beilegung
119 Vgl. Taylor, F.W. (1913/1995). 120 Vgl. Matys, T. (2006): S. 20f. 121 Vgl. Matys, T. (2006): S. 18ff.
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der Kämpfe zwischen Arbeitern und Kapital, welches durch Manager verkörpert wird. Die strukturellen Machtbeziehungen hat Frederick W. Taylor damit nicht berücksichtigt. Vielmehr liegt sein Fokus auf der formalen und rationalen Strukturierung der Organisation. Mit Frederick W. Taylor hat sich eine Organisationsund Managementtheorie herausgebildet, die implizit annimmt, dass Macht ein Vorrecht des Managements ist. Macht ist verbunden mit formaler Autorität und Hierarchie. Aus dieser Perspektive ist Macht kein erklärungsbedürftiges Konzept.122 Kontrolle ist ein akzeptiertes und legitimes Recht des Managers. Sie basiert auf dessen Position in der Hierarchie. In den 1930er Jahren verbreitete sich das Konzept der Human-Relations. Dies bezieht sich auf die informellen und spontanen menschlichen Beziehungen, welche nicht durch die formale Organisationsstruktur abgebildet werden. Damit setzt sich die Human-Relations-Bewegung explizit vom Taylorismus ab. Informelle Strukturen wurden durch eine Studie von Elton Mayo in den Hawthorne Experimenten „entdeckt“.123 Die Human-Relations-Ansätze gehen davon aus, dass menschliche Beziehungen einen Einfluss auf die Arbeitsmotivation haben. Die Organisationslehre sucht sich diese Erkenntnis zunutze zu machen und im Sinne der wirtschaftlichen Effizienz einzusetzen. Damit wird die Konzentration Frederick W. Taylors auf formale Prozesse um die Berücksichtigung informeller Prozesse und Strukturen in Organisationen ergänzt. Viele der nachfolgend beschriebenen Ansätze legen ihren Analysen diese Unterscheidung zwischen formalen und informellen Prozessen zugrunde. Sie gehen davon aus, dass Macht in der ganzen Organisation, insbesondere aber auf der informellen Seite der Organisation, verteilt ist. Sie hat unterschiedliche Ursachen wie Expertenwissen, Ressourcen, Information, Zwang, Zentralität usw. Viele dieser Ursachen sind eng damit verbunden, dass ein Akteur A etwas besitzt, was einen Akteur B von ihm abhängig macht. Der Machtbegriff bei Michel Crozier Im Folgenden geht es um Ansätze, welche Macht explizit oder implizit verhandeln. Diese Theorien verorten Macht dabei meist innerhalb der in der HumanRelations-Bewegung entdeckten, informellen Strukturen. Dazu zählen u.a. der Kontingenzansatz, der Ressourcenabhängigkeitsansatz und mikropolitische Ansätze. Einige dieser Ansätze schließen an die frühe Forschung zur Bürokratie von Michel Crozier (1962) an.124 Es bestehen jedoch Unterschiede zwischen sei122 Vgl. Cunliffe, A.L. (2008): S. 95f. 123 Vgl. Mayo, E. (1949); Vgl. Matys, T. (2006): S. 22ff. 124 Hierzu und zur folgenden Auseinandersetzung mit dem Ansatz von Michel Crozier vgl. Hardy, C.; Clegg, S. (1996): S. 622–641.
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nem Ansatz und den späteren Arbeiten zur strategischen Kontingenz und dem Ressourcenabhängigkeitsansatz. Michel Crozier erarbeitet beispielsweise zu Beginn ein sehr konkretes Konzept von Macht. Spätere Ansätze, wie die von Paul R. Lawrence und Jay Lorsch oder David Hickson, legen immer stärker abstrahierte Theoriekonzepte für die Erklärung von Machtphänomen zugrunde.125 Die Tendenz von stärker empirischen bzw. kontextbezogenen Untersuchungen hin zu theoretisch abstrakten Konzepten, die bestimmte Grundannahmen zu Macht in Organisationen manifestieren, kann auch als ein historischer Entwicklungsprozess analysiert werden. Wenn, wie Axel Haunschild et al. betonen, der Bereich der wissenschaftlichen Auseinandersetzung selbst ein Raum der Macht ist, dann könnte die Manifestation eines bestimmten Machtverständnisses durch eine theoretische Abstraktion gleichbedeutend sein mit deren wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Legitimation.126 Aus dieser Perspektive lohnt es sich, die Entwicklung von organisatorischen Machtkonzepten auch historisch nachzuzeichnen. Michel Crozier verbindet als einer der ersten Macht mit einer Theorie der Unternehmung. In der Theorie der Unternehmung lag der Fokus seiner Zeit auf dem organisatorischen Umgang mit Unsicherheit.127 In „The Behavioural Theory of the Firm“ von James Cyert und Simon March (1963) wurden Organisationen mit Systemen verglichen, die in einer unsicheren Umwelt agieren. Im Fokus stand demnach, diese Unsicherheit zu kontrollieren. Diese Unsicherheit zu kontrollieren, ist bei Michel Crozier eine potenzielle Machtquelle. Mit der Verbindung zwischen Macht und Unsicherheit legt er den Grundstein für einen neuen Fokus der Organisations- und Managementtheorie. In seinem Werk von 1963 „The Bureaucratic Phenomenon“128 geht es um die Bürokratie aus der Perspektive einer Machttheorie. Michel Crozier stellt fest, dass der Begriff der Bürokratie selbst zu Verunsicherung führt, da er unter verschiedenen Bedeutungen benutzt wird. Die erste Verwendung bezieht sich auf die Nutzung in den Politikwissenschaften. „Bürokratie steht hier für die Regierung durch Ämter. Diese Ämter werden besetzt durch ernannte und nicht gewählte Funktionäre. Sie sind hierarchisch organisiert und abhängig von der staatlichen Souveränität.“129 Die zweite Verwendung, die Michel Crozier feststellt, hat ihren Ursprung bei Max Weber. Vor allem Soziologen und Historiker, so Michel Crozier, folgen diesem
125 Vgl. Clegg, S. (1979): S. 104ff. 126 Vgl. Haunschild, A.; Nienhueser, W.; Weiskopf, R. (2009): S. 321. 127 Vgl. Hardy, C.; Clegg, S. (1996): S. 625. 128 Vgl. Crozier, M. (1964). 129 Crozier, M. (1964): S. 3.
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Zweig.130 Es geht hierbei um die Rationalisierung von kollektiven Aktivitäten, beschrieben durch einen Idealtypus. Bei der dritten Verwendung, der auch Michel Crozier folgen möchte, geht es um die Probleme der Langsamkeit, Routine, Dysfunktionalität, die Frustration der Mitglieder usw., die mit der Bürokratisierung einhergehen. Michel Crozier schließt keineswegs aus, dass es Verbindungen zwischen diesen drei Bedeutungsebenen gibt. Jedoch will er seinen Betrachtungsfokus eingrenzen. Es geht ihm dabei ausdrücklich um einen „clinical approach“.131 Im Hinblick auf die Untersuchung von bürokratischen Aspekten moderner Organisationen verspricht sich Michel Crozier von einem „clinical approach“ insbesondere, dem Idealtyp von Max Weber mehr inhaltliche Gegebenheiten hinzuzufügen. Michel Crozier bezieht sich davon ausgehend auf spezifische Fälle. Auf der Basis dieser spezifischen Fälle nimmt er Generalisierungen vor. Er grenzt sich damit von systematischen Ansätzen ab, die sofort rigide Regeln aufstellen und damit, laut Michel Crozier, den Anschein erwecken wissenschaftlicher vorzugehen. Nach Michel Crozier vollziehen sich in einer modernen industriellen Welt in Zukunft die meisten kollektiven Aktivitäten in Organisationen, weshalb es wichtig ist, die Probleme zu studieren, welche dort auftreten. Michel Crozier verortet die bürokratische Organisation hierbei in einem sozialen Kontext. Er betrachtet die Bürokratie als soziales System unter dem Aspekt der sozialen Kontrolle und mit dem Interesse an Prozessen des sozialen Wandels.132 Er konzentriert sich hierbei auf die Dysfunktionalitäten und Widerstände, welche im Zusammenhang mit der Bürokratie auftauchen. Er stellt fest, dass sich mit der Bürokratie komplexe Aufgaben auch unter Ungewissheit und Unsicherheit lösen lassen. Gleichzeitig werden in der Bürokratie jedoch auch pluralistische Interessen verfolgt. So heißt es: „In our modern world, the progress of standardization, of predictability, and of rationality in general paradoxically seems to be accompanied by an increasing dependence on the indispensable human means, who maintain their autonomy in regard to the goals of the organization much more easily than heretofore.“133
130 Vgl. Crozier, M. (1964): S. 3ff. 131 „Clinical analysis is the critical assessment of beliefs, policies and/or practices with an eye toward improving the situation. Intervention, the creation of new systems as well as the change of existing systems, is based on continuing analysis.“ Fritz, J.M. (1991): S. 15–26. 132 Vgl. Crozier, M. (1964): S. 7. 133 Crozier, M. (1964): S. 6.
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Neben der Auseinandersetzung mit Organisationen im sozialen Kontext ist Michel Crozier auch an einer Analyse von kulturellen Systemen interessiert. Der Widerstand innerhalb der Bürokratie ist mit dem spezifischen Verhalten der Beschäftigten verbunden sowie mit einigen Merkmalen des kulturellen Systems. Im Fall von Michel Crozier ist es das kulturelle System Frankreichs. Er unternimmt Fallstudien an zwei französischen Organisationen, deren bürokratischer Charakter nach Michel Crozier vor allem im negativen Sinne nicht in Frage steht.134 Beim ersten Fall handelt es sich um die „Parisian Clerical Agency“. Es handelt sich um die Pariser Niederlassung einer großen öffentlichen Einrichtung. Michel Crozier beschreibt sie als eine „rigide, standardisierte und unpersönliche“ 135 Einrichtung. Es handelt sich um eine simple Struktur, womit das Verhalten der Gruppen und Personen innerhalb der Struktur relativ leicht zu analysieren ist. Die Akteure erscheinen extrem rational und ihr Verhalten vorhersehbar: „As they were playing a game that followed an experimental model.“136 Michel Crozier nimmt dieses Phänomen zum Ausgangspunkt und möchte Routine als ein regelmäßiges Problem bürokratischer Organisation untersuchen. Dafür beobachtet er zunächst die Aufgaben, die von den Beschäftigten ausgeführt werden und wie sich die Beschäftigten an diese Aufgaben anpassen. Anschließend geht es um die Position der Akteure in der Organisation und deren Zufriedenheit mit ihrer Arbeitssituation. Im Anschluss widmet er sich dem Verhältnis von Individuum und Gruppe sowie deren Funktionsweise im hierarchischen System. Mit Hilfe dieser Fallstudie hat Michel Crozier eine Reihe von administrativen Praktiken und Verhaltensmustern zusammengetragen, welche gewöhnlich mit Routinisierung in Verbindung gebracht werden und mit denen die spezifische Art der Kontrolle, wie sie durch die Bürokratie vollzogen wird, erklärt werden kann.137 In der zweiten Fallstudie geht es Michel Crozier um eine Industrieorganisation, welche zum französischen Staat gehört. Aufgrund der Güter des alltäglichen Konsums, die sie produziert und über eine staatliche Einrichtung absetzt, hat sie ein quasigarantiertes Monopol. Michel Crozier nennt das Unternehmen im weiteren Verlauf daher „The Industrial Monopoly“.138 Es handelt sich um ein reines Produktionsunternehmen, dessen Absätze durch die Regierung kontrolliert werden. Das Unternehmen ist damit kaum einem Umwelt- und Wettbewerbsdruck ausgesetzt und damit ein Spezialfall für den Organisationsforscher. Das Unternehmen entwickelt sich hierbei vor allem ausgehend von den internen Bedürf134 Vgl. Crozier, M. (1964): S. 2. 135 Crozier, M. (1964): S. 12. 136 Crozier, M. (1964): S. 12. 137 Vgl. Crozier, M. (1964): S. 58. 138 Crozier, M. (1964): S. 58.
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nissen. Michel Crozier erforscht neue Aspekte, vor allem das Problem von Machtverhältnissen und die Problematik von individuellen und gruppenbasierten Strategien in organisatorischen Systemen. Er will damit über die Ergebnisse aus der ersten Fallstudie hinausgehen und untersuchen, wie es überhaupt zu bürokratischen Phänomenen kommt bzw. wie sie sich herausbilden und erweitern. In einem ersten Zugriff analysiert Michel Crozier das Verhältnis zwischen der Subkultur und dem formalen Autoritätssystem. Die Subkultur hat sich um die formale Organisation herum herausgebildet und steht im Gegensatz zu ihr.139 Es geht um die organisationalen Gegebenheiten, die formale Autorität und das Verhältnis zwischen der formalen Autorität und sozialen Untergruppen. Danach stehen die komplexen Gruppenverhältnisse und die Anpassung der Gruppen im Vordergrund. Später werden die Beziehungen auf der Managementebene analysiert. Diese Vorgehensweise trägt zum Verständnis des bürokratischen Phänomens bei. Michel Crozier untersucht dafür auch die unterschiedlichen Beschäftigtengruppen. Das Monopol beschäftigt sechs verschiedene Gruppen von Beschäftigten: Produktionsarbeiter, Wartungsarbeiter, niedrige Vorgesetzte, Verwaltungschefs, technische Ingenieure und Chefingenieure. Besonders interessant erscheint hierbei aus der Perspektive einer Machtanalyse das Verhältnis zwischen zwei Personengruppen. Es geht um die Gruppe der Produktionsarbeiter und die Gruppe der Wartungsarbeiter. Jede dieser Gruppen hat einen speziellen Status und wird unterschiedlich rekrutiert.140 Die Gruppe der Produktionsarbeiter besteht größtenteils aus Frauen. Vier Fünftel von ihnen müssen laut Gesetz aus einer bestimmten Bevölkerungsgruppe rekrutiert werden. Es handelt sich hierbei um Kriegswitwen, Kriegswaisen und im Falle der rekrutierten Männer um behinderte Veteranen usw. Die Manager können nicht frei entscheiden, wie sie die übrigbleibenden Positionen besetzen. Die Gewerkschaften haben sich das Recht erkämpft, diese Positionen mit Bewerbern zu besetzen, die in einer engen Beziehung zu Werksangehörigen stehen. Die Produktionsarbeiter haben einen beamtenähnlichen Status. Sie verfügen über absolute Arbeitsplatzsicherheit. Arbeitszuteilungen müssen auf der Basis genauer Vorgaben, insbesondere nach dem Senioritätsprinzip, vollzogen werden. Gehälter sind für alle gleich. In jeder Fabrik gibt es außerdem fünfzig Wartungsarbeiter. Es handelt sich hierbei um sehr gut ausgebildete Elektriker, Kesselschmiede, Schreiner und Monteure. Sie werden nach strengen Auswahltests rekrutiert. Auch ihre Bezüge sind gerecht, jedoch unterliegen sie stärkeren Abstufungen. Die älteren Beschäftigten sind relativ gut
139 Vgl. Crozier, M. (1964): S. 60. 140 Vgl. Crozier, M. (1964): S. 62ff.
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bezahlt, während die Jüngeren im Vergleich zum industriellen Umfeld eher ein geringes Gehalt empfangen.141 Michel Crozier interessiert sich nun für die Verhältnisse zwischen diesen Gruppen und deren Anpassung an das formale Autoritätssystem der Organisation.142 Bei der Untersuchung der Beziehung zwischen Produktionsarbeitern und Wartungsarbeitern stellt Michel Crozier nach einer Reihe von Interviews fest, dass sich hier ähnliche Verhältnisse finden wie im Verhältnis zwischen Überund Untergeordneten. Es existiert eine Reihe von Spannungen, welche auf ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Produktions- und Wartungsarbeitern hindeuten.143 Dies ist vor allem deshalb überraschend, weil beide Gruppen ausgehend von der organisatorischen Struktur unabhängig voneinander sind. „[They] report to two different hierarchical lines, and are not supposed to be dependent on one another.“144 Michel Crozier und seine Kollegen stellen fest, dass die Gruppe der Wartungsarbeiter dennoch eine privilegierte Position innerhalb der Organisation innehat. Davon ausgehend erhielten sie durch eine Befragung der Produktionsarbeiter negative Antworten bezüglich deren Verhältnis zu den Wartungsarbeitern, z.B.: „My maintenance man is very unpleasant. I don’t talk to him and won’t talk to him any more.“145 Ein anderer Produktionsarbeiter antwortete: „We are dependent on them, they are the bosses.“146 Wartungsarbeiter hingegen korrigierten häufig die Arbeit der Produktionsarbeiter, welche sie scheinbar für nachlässig hielten.147 Michel Crozier hält fest, dass zwischen den Produktionsarbeitern und den Wartungsarbeitern ein Machtverhältnis besteht, welches in der bürokratischen Struktur nicht vorgesehen ist. Es basiert auf einem starken Abhängigkeitsverhältnis der Produktionsarbeiter von den Wartungsarbeitern.148 Dieses Verhältnis ergibt sich aus dem Ausfall von Maschinen, welche einen Arbeitsausfall mit sich bringen. Diese Ausfälle treten häufig auf und sind entscheidend für das nicht intendierte Machtverhältnis zwischen den beiden Arbeitsgruppen. In der Bürokratie führen sie deshalb zu entscheidenden Problemen, weil die Ausfälle der Maschinen die einzigen Vorkommnisse sind, die sich nicht vorhersagen lassen. Unpersönliche Regeln, wie sie in der Bürokratie normalerweise vorherrschend sind, können hier keine Anwendung finden. Regeln bestimmen was nach 141 Vgl. Crozier, M. (1964): S. 63. 142 Vgl. Crozier, M. (1964): S. 89. 143 Vgl. Crozier, M. (1964): S. 93. 144 Crozier, M. (1964): S. 93. 145 Crozier, M. (1964): S. 93. 146 Crozier, M. (1964): S. 93. 147 Vgl. Crozier, M. (1964): S. 98. 148 Vgl. Crozier, M. (1964): S. 108.
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einem Maschinenausfall passiert und wie sich die damit einhergehenden Arbeitsausfälle auf die Bezahlung auswirken. Die Unsicherheit, wann ein Maschinenausfall eintritt und wie lange es dauern wird, bis die Maschine wieder funktioniert, kann nicht aufgefangen werden. Die hohe Bedeutung der Ausfälle für das Verhältnis zwischen Produktionsarbeitern und Wartungsarbeitern ergibt sich aus der tiefen Kluft zwischen den starken Regulierungen durch die Bürokratie und der Angepasstheit der Beschäftigten an diese Formen der organisatorischen Struktur einerseits und der Unvorhersehbarkeit maschineller Probleme andererseits. Eine weitere Unterstützung des Machtungleichgewichtes zwischen den Wartungsarbeitern und den Produktionsarbeitern entsteht daraus, dass die Wartungsarbeiter die einzigen sind, welche in der Organisation die Maschinen wieder funktionstüchtig machen können und damit in der Lage sind, den Arbeitsfluss wiederherzustellen. Die Produktionsarbeiter sind auf die zügige Reparatur der Maschinen angewiesen, weil sie die Arbeitszeit, welche ihnen durch einen Ausfall entgeht, kompensieren müssen. Die Arbeit der Wartungsarbeiter hat einen enormen Einfluss auf die Produktionsarbeiter, welcher in der organisatorischen Struktur nicht vorgegeben ist. Aus dieser Beziehung ergibt sich ein Machtverhältnis. Michel Crozier stellt fest, dass einer der bedeutendsten Aspekte der Bürokratie die Eliminierung von Machtverhältnissen und persönlichen Abhängigkeitsbeziehungen ist. Es soll um die Behandlung von Fällen und nicht von Personen gehen. „The ideal of bureaucracy is a world where people are bound by impersonal rules and not by personal influence and arbitrary command.“149 Das von Michel Crozier beschriebene Monopol zeichnet sich durch einen hohen Grad der Bürokratisierung aus. Dennoch ergeben sich Zonen der Unsicherheit, durch welche Machtverhältnisse entstehen. Zusammengefasst geht es bei Michel Crozier darum, dass es bei der Ausdifferenzierung der Arbeit in der Organisation zur Zuweisung spezieller Verantwortungsbereiche an einzelne Akteure kommt. Dabei entstehen wechselseitige Abhängigkeiten und damit organisationsinterne Bereiche, in denen Ungewissheit herrscht. Schließlich wissen bestimmte Akteure, welche wiederum von anderen Akteuren abhängig sind, nicht, ob sie immer mit dem Kooperationswillen der anderen rechnen können. Diese Ungewissheiten können durch einzelne Akteure für die Durchsetzung ihrer eigenen Interessen genutzt werden. Michel Crozier stellt nun fest, dass es in der Rationalität der Bürokratie begründet liegt, dem Problem von Unsicherheit durch eine verstärkte Bürokratisierung entgegenzuwirken, wodurch es aber zur Entstehung neuer Ungewissheiten bzw. Zonen der
149 Crozier, M. (1964): S. 107.
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Unsicherheit kommen kann.150 Die Ausdehnung bürokratischer Strukturen bringt außerdem die Gefahr der organisatorischen Starrheit mit sich. Ein Unternehmen ist bei zu starker Bürokratisierung nur noch bedingt in der Lage, adäquat auf Umweltveränderungen zu reagieren. Bei Michel Crozier wird deutlich, dass eine Machtverteilung durch organisatorische Strukturen nicht automatisch mit Effizienz, Rationalität und Funktionalität gleichzusetzen ist. Er hält die perfekte Rationalität, wie er sie im Taylorismus beschrieben sieht, für eine Illusion. „The most advanced organizations, because they now feel capable of integrating areas of uncertainty in their economic calculus, are beginning to understand that the illusion of perfect rationality has too long persisted, weakening the possibilities of action by insisting on rigorous logic and immediate coherence.“151
Er beschäftigt sich davon ausgehend vor allem mit Machtverhältnissen, die jenseits bürokratischer Strukturen entstehen und deren Funktionalität beeinträchtigen. Nach Michel Crozier geht mit der Rationalisierung eine Reihe von nicht intendierten Machtverhältnissen einher, welche berücksichtigt werden müssen. Er steht hier in der Tradition der Human-Relations-Bewegung, welche ihren Fokus auf die informellen Prozesse in Organisationen gelegt hat. Nichtintendierte Machtverhältnisse treten im Zusammenhang mit Zonen der Unsicherheit auf, welche die Bürokratie eigentlich zu eliminieren sucht. „As long as the requirements of action create situations of uncertainty, the individuals who have to face them have power over those who are affected by the results of their choice.“152 Gleichermaßen kritisiert Michel Crozier die Dysfunktionalitäten der Bürokratie, indem er sich konkrete Beschäftigungs- und Arbeitsverhältnisse anschaut und deren Einfluss auf die Beschäftigten evaluiert. Sein „clinical approach“ ist darauf ausgerichtet, die Nachteile der Bürokratie zu analysieren, um einen Ausgangspunkt für eine Verbesserung zu schaffen. Die Prozesse und Verhältnisse in der Bürokratie werden im Hinblick auf ihre Funktionsweise betrachtet. Damit stützt er theoretisch die Bürokratie als dominante Form gesellschaftlicher Kontrolle. Auf der anderen Seite sieht er die Probleme, die sich aus dem Widerspruch zwischen den Zielen der Organisation, welche rationalistisch begründet sind, und 150 „The more complex and dynamic the system of power relationship and of bargaining, the more likely are social controls to be directly and consciously enforced by management instead of being left to operation of the indirect forces of the milieu.“ Crozier, M. (1964): S. 171. 151 Crozier, M. (1964): S. 159. 152 Crozier, M. (1964): S. 158.
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den Formen sozialer Kontrolle ergeben, die durch Verhaltensweisen und Werte bestimmt werden. Diese Werte entspringen wiederum einem bestimmten kulturellen System, in das Organisationen eingebettet sind. Michel Crozier kritisiert hierbei die Widersprüche einer dekontextualisierten universellen Rationalität, die mittels der Bürokratie zum Einsatz kommt, und kontextspezifischen Werten und Verhaltensweisen von Einzelnen und sozialen Gruppen.153 Er spricht dabei zwei wichtige Dimensionen von Organisation an: deren Gemeinschaftscharakter und deren Identität als rationale Struktur. Dahingehend hält er Untergebene für freie Agenten, „who can discuss their own problems and bargain about them, who not only submit to a power structure but also participate in that structure.“154 Diesem Verhältnis werden rationalistische Ansätze (wie der Taylorismus) seiner Meinung nach nicht gerecht, weil sie mit ihren mechanistischen Modellen das Problem der Macht in Organisationen ausklammern. Sie konzentrieren sich auf finanzielle Anreize und technische Kontrolle anstatt auf Aspekte der menschlichen Führung. Die sogenannten Interaktionisten der 1930er Jahre wie Elton Mayo oder Fritz Roethlisberger usw. richten sich laut Michel Crozier teilweise gegen die rein rationalistischen Führungsmethoden und berücksichtigen den menschlichen Faktor. Sie legen damit auch den Grundstein für das Verständnis nicht intendierter Machtverhältnisse.155 Michel Crozier weist darauf hin, dass Machtverhältnisse einen bedeutenden Einfluss auf das Verhalten der Beschäftigten haben, vor allem wenn es um die Anpassung der Beschäftigten an die formale Organisationsstruktur geht. Damit bestimmen Machtverhältnisse die wirtschaftliche Effizienz der Organisation. Mit diesem funktionalistischen Ansatz geht es Michel Crozier nicht nur um eine Berücksichtigung der informellen organisatorischen Machtverhältnisse, sondern im Sinne der organisatorischen Effizienz um eine Ausweitung der Organisations- und Managementkontrolle von einer rein rationalistischen Zielorientierung auf den menschlichen Faktor. Es geht um die Frage, inwieweit die Organisation im Sinne der wirtschaftlichen Effizienz mit nicht intendierten Machteffekten umgeht. Mit dieser funktionalistischen Perspektive unterscheidet sich Michel Croziers Bürokratietheorie von Max Webers Bürokratieansatz. Während Max Weber sich mit den Wirkungen und Folgen von Macht auseinandersetzt, geht es Michel Crozier um die Untersuchung nicht intendierter Macht und den Einsatz bürokratischer Macht zur Sicherung der wirtschaftlichen Effizienz von Organisationen. Michel Croziers Ansatz ist in diesem Sinne ein normativer, der vor allem Handlungsempfehlungen für eine effizientere Gestaltung von Organisationen gibt. 153 Vgl. Crozier, M. (1964): S. 8. 154 Crozier, M. (1964): S. 150. 155 Vgl. Crozier, M. (1964): S. 147.
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2.2.2 Mikropolitische Ansätze In der Tradition der frühen Überlegungen von Michel Crozier zu Bürokratie und Macht steht eine Reihe von mikropolitischen Ansätzen, die bis heute aktuell sind. Beispielhaft seien hier Michel Crozier und Erhard Friedberg sowie Henry Mintzberg genannt. Die Zwänge kollektiven Handelns bei Michel Crozier und Erhard Friedberg Aufbauend auf den organisatorischen Untersuchungen von Michel Crozier entwickeln Michel Crozier und Erhard Friedberg später einen mikropolitischen Ansatz der Organisationsanalyse.156 Mit Politik sind in diesem Zusammenhang Aktivitäten gemeint, die dazu dienen, die Macht und Kontrolle über andere zu vergrößern. Den Autoren zufolge dient die Weiterentwicklung der zugrundeliegenden praktischen Analyse dazu, die „zunächst rein forschungsstrategisch begründeten praktischen Entscheidungen auf die von ihnen aufgeworfenen theoretischen Probleme hin zu hinterfragen. Wir sind dazu übergegangen, die besondere Denkweise herauszuarbeiten und zu entwickeln, die u. E. unseren Analysen zugrundelag und sich aus ihr ergab. Diese Denkweise wollen wir im folgenden darstellen und besprechen.“157
Davon ausgehend legen Michel Crozier und Erhard Friedberg eine strategische Organisationsanalyse vor, die als ein zentraler mikropolitischer Ansatz gilt. Wesentlich ist bei den Autoren die Analyse von Machtbeziehungen in Organisationen.158 Hierbei geht es um die Auseinandersetzung mit den informellen Machtprozessen in Organisationen. Diese Struktur liegt außerhalb von formalen Strukturen, Stellenbeschreibungen, Hierarchien und Organigrammen. Organisationen sind keine rein zweckrationalen Gebilde, sondern „Arenen mikropolitischer Aushandlungsprozesse und Kämpfe“159. Die Autoren suchen nach den Ursprüngen von Macht (Wissen, Informationen, Kontrolle). Macht verstehen sie als ein Kräfteverhältnis. Aus diesem Kräfteverhältnis kann einer mehr herausholen als ein anderer. Jedoch sind beide ei-
156 Vgl. Crozier, M.; Friedberg, E. (1993). 157 Crozier, M.; Friedberg, E. (1993): S. 1. 158 Vgl. Matys, T. (2006): S. 28. 159 Matys, T. (2006): S. 29.
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nander dabei nie ausgeliefert. Ein Kräftespiel ist aus dieser Perspektive heraus immer als dynamisch zu verstehen.160 Michel Crozier und Erhard Friedberg stellen den Akteur (Mikroebene) und das System bzw. die strukturellen Merkmale (Mesoebene) in den Mittelpunkt ihrer Auseinandersetzung. Sie gehen davon aus, dass Handlungen und Strategien ausgehend von Spielen, Spielsituationen, Spielregeln und Ressourcen rekonstruiert werden können. Jedem individuellen Verhalten liegt eine Strategie zugrunde, wobei den Akteuren jedoch eine begrenzte Rationalität unterstellt wird. Der Ausdruck Strategie steht hierbei auch nicht für ein vollständig geplantes Verhalten. Eher geht es um mögliche strategische Handlungsweisen aller Akteure.161 Akteure haben eine Vorstellung vom Denken und Handeln anderer und werden davon in ihren eigenen Entscheidungen beeinflusst. Kollektives Verhalten ergibt sich aus den Wechselwirkungen individuellen Verhaltens. Michel Crozier und Erhard Friedberg argumentieren hier ausgehend vom methodologischen Individualismus. Die Machtbeziehungen in Organisationen ergeben sich aus den individuellen Entscheidungen der Akteure.162 Der Begriff des Spiels sagt aus, dass die individuellen Akteure nicht vollständig von den bestehenden Strukturen determiniert werden, sondern die Freiheit besitzen, anders zu spielen, als es die Strukturen vorgeben. Mit dem Spiel gehen also Freiheit und Zwang gleichermaßen einher. Die strukturellen Zwänge in der Organisation kennzeichnen eine bestimmte Verhandlungssituation. Sie sind den in einer bestimmten Machtbeziehung stehenden Akteuren auferlegt. Die Strukturen bestimmen die Zonen, in denen sich Macht entwickeln kann. „Diese Strukturen und Regeln umschreiben Bereiche, in denen das Handeln eher programmierbar ist als in anderen, und setzen mehr oder weniger leicht kontrollierbare Verfahren ein. Dadurch schaffen und umschreiben sie organisatorische Ungewißheitszonen, um die herum Machtbeziehungen entstehen, da die Individuen oder Gruppen natürlich versuchen, diese Ungewißheitszonen unter ihre Kontrolle zu bringen, um sich ihrer in Verfolgung ihrer eigenen Strategien zu bedienen.“163
Spieler erhalten Macht durch die Beherrschung von Zonen der Ungewissheit.164 „Es scheint, als könne man in einer ersten Annäherung vier große Machtquellen 160 Vgl. Crozier, M.; Friedberg, E. (1993): S. 41f. 161 Vgl. Matys, T. (2006): S. 32. 162 Vgl. Matys, T. (2006): S. 29. 163 Crozier, M.; Friedberg, E. (1993): S. 47 [Herv. i.O.]. 164 Vgl. Matys, T. (2006): S. 31.
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unterscheiden, die den verschiedenen, für eine Organisation besonders relevanten Typen von Ungewißheitsquellen entsprechen.“165 Ursprünge für Ungewissheit entstehen durch Expertenwissen, Beziehungen zur relevanten Umwelt, Kontrolle von Informationen und Kanälen der Information sowie Zonen, die sich aus organisatorischen Regeln ergeben. Organisatorische Regeln sind jedoch vor allem dazu da, organisatorische Zonen der Ungewissheit zu verhindern. Akteure sind aktiv an der Schaffung solcher Zonen beteiligt. Ihre Strategie hierbei ist die Erlangung von Macht. Michel Crozier und Erhard Friedberg sehen Macht als einen grundlegenden Bestandteil von Organisationen. Sie betonen dabei, dass sich Macht nicht nur aus formalen Hierarchien ergibt. Wichtig sind ihnen hierbei besonders die teilweise unsichtbaren informellen Prozesse, die sich scheinbar gegen die formale Hierarchie richten. „Die Machtstruktur, die die formalen Vorschriften ergänzt, berichtigt, ja sogar beseitigt, stellt im Grunde das wirkliche Organigramm der Organisation dar. Die Strategien aller Akteure bilden sich letztendlich in Bezug auf sie und richten sich an ihr aus.“166
Politische Spiele und Macht bei Henry Mintzberg Henry Mintzberg verfolgt wie Michel Crozier und Erhard Friedberg einen mikropolitischen Organisationsansatz, indem er sich vor allem auf innerorganisatorische Macht konzentriert.167 Henry Mintzberg unterscheidet hierbei legitime und illegitime Machtsysteme.168 Autorität, Expertise und Ideologie sind legitime Systeme. Sie integrieren Aktivitäten, um Koordination und Konsens zu erreichen. Sie sanktionieren Verhalten, „for the common good […]. Members accept the form of power of office as legitimate and respond to its demands“.169 Politik hingegen ist bei Henry Mintzberg illegitim. Henry Mintzberg erklärt Politik anhand von drei Aspekten: „1. Behavior outside of the legitimate systems of influence […] and often in opposition to them, in other words, behavior that is technically illegitimate, and often clandestine. […] 2. Behavior designed to benefit the individual or group […] at expense of the organization at large. […] 3. […] [Resultat von Punkt 1 und 2:] [B]ehavior typically divisive or conflic-
165 Crozier, M.; Friedberg, E. (1993): S. 50. 166 Crozier, M.; Friedberg, E. (1993): S. 55. 167 Vgl. Matys, T. (2006): S. 32ff. 168 Vgl. Mintzberg, H. (1983): S. 172f; Vgl. Matys, T. (2006): S. 33f. 169 Mintzberg, H. (1983): S. 172.
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tive in nature, pitting individuals or groups against the organization at large, or against each other.“170
Politik und Mikropolitik, wie sie von Michel Crozier und Erhard Friedberg beschrieben werden, sind sich hier sehr ähnlich. Es handelt sich hierbei um Macht als Gegensatz zur organisatorischen Struktur. Politik und Macht sind damit auch das Gegenteil von Kooperation.171 „It is a system of everyone for himself or herself, with no sense of unity or integration, of pulling together for the common good.“172 Diese Form von Macht ist illegitim. Anstatt gemeinsame Ziele zu verfolgen, wird gegeneinander gearbeitet. Die Möglichkeiten für illegitime Politik sind in den informellen Aspekten der Organisation angesiedelt und ergeben sich aus den Schwächen des legitimen Machtsystems, welches auf Autorität, Ideologie und Expertise beruht. „Politics refers to individual or group behavior that is informal and […] illegitimate – sanctioned neither by formal authority, accepted ideology, nor certified expertise.“173 Politisches Verhalten nutzt Lücken der legitimen formalen Autorität, Ideologie und Expertise. Organisation ist aus dieser Perspektive nicht nur als rationale Struktur zu verstehen, sondern sie besteht aus konkurrierenden Machtgruppen. Diese sind darauf aus, ihren Einfluss zu erhöhen, und die Organisation ausgehend von ihren eigenen Interessen zu beeinflussen. Statt Organisation nur als rationale Struktur zur Erreichung gemeinsamer Ziele zu verstehen, gibt es „politische Spiele“, welche inoffiziell sind und die organisatorische Rationalität verdrängen.174 Henry Mintzberg bezieht sich in seiner Auseinandersetzung explizit auf Michel Crozier und Erhard Friedberg und deren Konzept des Spiels. Wie bei diesen wird deutlich, dass das formale System der Organisation kaum Anlass zur Auseinandersetzung mit Machtformen darstellt. Es wird als legitim verstanden, als ein System, welches den Interessen aller Organisationsmitglieder dienlich ist. Entsprechend konzentriert sich auch Henry Mintzberg auf Prozesse, die außerhalb des legitimen Autoritäts-, Ideologie- und Expertensystems der Organisation stattfinden und die die legitime Organisation in ihrer Funktionsweise beeinträchtigen.
170 Mintzberg, H. (1983): S. 172. 171 Vgl. Matys, T. (2006): S. 34. 172 Mintzberg, H. (1983): S. 213. 173 Mintzberg, H. (1983): S. 172. 174 Vgl. Matys, T. (2006): S. 34.
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2.2.3 Macht auf der strukturellen Ebene der Organisation Michel Crozier, Erhard Friedberg und auch Henry Mintzberg konzentrieren sich auf die politischen Aktionen von Akteuren in Organisationen. Sie beschäftigen sich dabei mit der Mikroebene, bei der einzelne Akteure im Vordergrund stehen. Der im Folgenden betrachtete Kontingenzansatz und der Ressourcenabhängigkeitsansatz reflektieren die strukturelle Ebene der Organisation. Auch die Ansätze von Michel Crozier, Erhard Friedberg und Henry Mintzberg beziehen sich auf die strukturelle Ebene der Organisation. Im Vergleich zum Kontingenzansatz und zum Ressourcenabhängigkeitsansatz fokussieren sie jedoch auf Macht aus Sicht einzelner Akteure. Der Machtbegriff im Kontingenzansatz175 Michel Crozier gilt als ein wichtiger Wegbereiter des Kontingenzansatzes. Andere Einflüsse auf den Kontingenzansatz (auch situativer Ansatz genannt) stammen u.a. von Tom Burns und George M. Stalker (1961)176 in Großbritannien. Mitte der 1960er Jahre entwickelt sich in den USA ein neuer Kontingenzansatz (Contingency Approach). Vertreter sind u.a. Derek S. Pugh et al. (Universität Aston). Diese Gruppe vertritt ein Forschungsprogramm, bei dem es auch um die Weiterführung der von Max Weber begonnenen Bürokratieforschung geht.177 Auch Paul Lawrence und Jay Lorsch (1967) sind wichtige Vertreter dieser Richtung. Wie beim Bürokratieansatz stehen beim Kontingenzansatz die Organisationsstrukturen im Mittelpunkt. Organisationen sind danach soziale Institutionen, die auf der Basis einer konkreten Struktur bestimmte formal festgelegte Ziele verfolgen. Die Organisationsmitglieder werden auf diese formalen Ziele hin ausgerichtet. Im Kontingenzansatz sollen konkrete sowie situative Gestaltungsempfehlungen für die Organisation gegeben werden. „Contingency views have contributed significantly to the evolution of organization theory.[…] The essence of the contingency view is a rejection of universal principals appropriate to all situations. There is no ‚one best way‘ to organize and manage. Decentralization is not necessarily better than centralization; bureaucracy is not all bad; explicit objectives are not always good; a democratic participative leadership style may not fit certain situations; and tight control may be appropriate at times. In short, ‚it all depends’ on a number of interrelated external and internal variables. Prescriptive guidelines should be 175 Vertreter sind u.a. Lawrence, P.R.; Lorsch, J.W. (1967); Hickson, D.J. et. al. (1971). 176 Vgl. Burns, T.; Stalker, G.M. (2000). 177 Vgl. Staehle, W.H. (1992): S. 156.
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set forth in statements such as, ‚If the condition is A, then action X is most likely to be effective. However, if the condition is B, then action Y should be used.’“178
Damit verstehen sich Forscher des Kontingenzansatzes selbst als eine maßgebliche Erweiterung des Taylorismus, der unabhängig von der jeweiligen Situation Gestaltungsregeln für Organisationen vorgeschlagen hat. Der Kontingenzansatz geht davon aus, dass es für jede Organisation eine optimale Organisationsgestaltung mit Bezug auf die Größe oder Umweltunsicherheit oder aber Technologieunterschiede gibt.179 Diese nahezu mechanistischen und eindimensionalen Annahmen lassen sich wie folgt darstellen: Abbildung 1: Grundannahmen des Kontingenzansatzes
Quelle: eigene Abbildung nach Staehle, W. H. (1992): S. 157
Ließen sich die Anforderungen der Situation bzw. des Kontextes bestimmen, könnte die Implementierung der geeigneten Organisationsstruktur erfolgen. Strukturentscheidungen basieren lediglich auf Anpassungshandlungen an Umweltgegebenheiten. Die empirische Forschung hat sich aus diesem Grund auf die Analyse von Regelmäßigkeiten zwischen Kontext und Struktur gestützt. Sie gibt den Allgemeinheitsanspruch klassischer Strukturtheorien auf und fokussiert auf die situationsgerechte Gestaltung von Strukturen. Mit der Formulierung normativer Aussagen zur effizienteren Gestaltung von Organisationsstrukturen steht sie jedoch in der Tradition klassischer Organisations- und Managementansätze wie dem Taylorismus.180 Hierbei geht es u.a. um Aussagen zum Grad der Zentralisierung und Formalisierung in der Organisation (Tom Burns und George M. Stalker 1961) oder beispielsweise um den Grad der Spezialisierung (Paul Lawrence und Jay Lorsch 1967). Dieser Ansatz setzt eine funktionale Rationalität voraus, bei der es um die Steigerung der wirtschaftlichen Effizienz geht. Damit geht eine Legitimierung der formalen Organisation einher. Eine Kritik an der Macht als 178 Kast, F.E. ; Rosenzweig, J.E. (1985): S. 552; Vgl. siehe auch die Bemerkungen bei Staehle, W.H. (1992): S. 157. 179 Vgl. Pfeffer, J. (1981): S. 13f. 180 Vgl. Staehle, W.H. (1992): S. 157, siehe auch vgl. Matys, T. (2006): S. 61.
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Bestandteil der formalen Organisation findet kaum statt. Soziale Aspekte wie Werte und Macht bleiben weitgehend unberücksichtigt. Funktionalität, Produktivität und Effizienz stehen beim Kontingenzansatz im Vordergrund.181 Es gibt im Rahmen der Kontingenzforschung auch explizite Auseinandersetzungen mit Macht, z.B. bei David Hickson et al.. Bei dieser Studie hat Macht den Status der abhängigen Variable. Der Fokus liegt auf der intraorganisationalen Machtverteilung. Strategischer Kontingenzansatz der intraorganisationalen Machtverteilung Ein Beispiel für die Auseinandersetzung mit der intraorganisationalen Machtverteilung ist die Arbeit von David Hickson et al. „A strategic contingencies view of intra-organizational power“.182 David Hickson et al. stützen sich in diesem Artikel u.a. auf die Arbeit von Paul Lawrence, Jay Lorsch und Michel Crozier. David Hickson et al. verbinden in den 1970er Jahren bestehende Ansätze miteinander und vermischen deren Annahmen zu einem einheitlichen Konstrukt. Sie verstehen die Organisation als ein System relativ unabhängiger Einheiten. Eine Beschäftigung mit der Organisation als System von miteinander verbundenen Handlungen findet sich bereits bei Paul Lawrence und Jay Lorsch183. In diesem System wird eine Aufgabe ausgeführt, die auf verschiedene Subsysteme aufgeteilt ist. Nach David Hickson et al. ergibt sich dabei eine Machtverteilung, welche ihren Ursprung in der Arbeitsteilung hat. David Hickson et al. fokussieren damit ausdrücklich auf die Macht von Abteilungen, während vorherige Studien vor allem individuelle Macht in den Vordergrund stellen. Macht wird hierbei weniger als Eigenschaft von Personen aufgefasst, sondern vielmehr in den sozialen Beziehungen verortet. Macht findet ihren Ort in der formalen Struktur der Organisation, da diese die Umgebung sozialer Beziehungen darstellt. Die Arbeitsteilung hat Auswirkungen auf die Machtverteilung in Organisationen. Die Untereinheiten bzw. Abteilungen sind die Analyseeinheiten bei David Hickson et al. Die Macht einer Abteilung ergibt sich aus deren Umgang mit Unsicherheit, ihrer Ersetzbarkeit und ihrer zentralen Bedeutung für die Organisation. Es geht David Hickson et al. darum, Konzepte zur Bestimmung dieser Variablen vorzulegen. „This paper sets forth a theoretical explanation of power as the dependent
181 Vgl. Staehle, W.H. (1992): S. 157. 182 Vgl. Hickson, D.J. et al. (1971); hierzu und zur folgenden Auseinandersetzung vgl. Hardy, C.; Clegg, S. (1996): S. 625ff. 183 Vgl. Hickson, D.J. et al. (1971): S. 217; Vgl. Lawrence, P.R. u.a. (1967): S. 3.
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variable with the aim of developing empirically testable hypotheses that will explain differential power among subunits in complex work organizations.“184 Über die Bestimmung der Variablen wollen David Hickson et al. schließlich die Unterschiede der Machtverteilung von komplexen Arbeitsorganisationen erklären. David Hickson et al. haben es sich zur Aufgabe gemacht, die horizontale Verteilung von Macht in Organisationen zu untersuchen. Es geht um die Abteilungen der Organisation und ihre Beziehungen untereinander. Frühere Studien, vor allem die von Arnold S. Tannenbaum185, fokussieren nicht auf die hier beschriebene horizontale Verteilung von Macht, sondern auf die vertikale Verteilung von Macht und dabei vor allem auf Macht, die Manager ausüben. Damit stehen sie Theorien zu Leadership nahe.186 Bei Arnold S. Tannenbaum ging es darum, herauszufinden, wie Manager durch Verhaltensänderungen die Wahrnehmung von Machtausübungen beeinflussen. David Hickson et al. gehen davon aus, dass Organisationen mit Unsicherheit umgehen müssen.187 Sie kreieren dafür spezifische Abteilungen, deren Aufgabe es ist, mit Unsicherheit zurechtzukommen. Andere hingegen agieren unter sicheren bzw. annähernd sicheren Bedingungen. Durch die Arbeitsteilung kommt es zu einer Abhängigkeit zwischen diesen Abteilungen. Die gegenseitigen Abhängigkeiten sind nicht gleich verteilt, wodurch es zu Machtverhältnissen kommt. Die Macht einer Abteilung ergibt sich zum einen daraus, inwieweit eine Abteilung die Unsicherheiten anderer Abteilungen bewältigt. Sie stellt dafür eine Pseudosicherheit für diese Abteilungen bereit und erzeugt darüber Abhängigkeiten, die in ein Machtverhältnis münden. Zum anderen stellt sich hier die Frage, welche anderen Möglichkeiten Abteilungen haben, die Bewältigung von Unsicherheiten zu substituieren. Voraussetzungen für die Wirkungsweise dieser zwei Variablen sind jedoch die innerorganisatorischen Verbindungen zwischen den jeweiligen Abteilungen. David Hickson et al. legen ihren Ausführungen auch eine Interpretation von Macht zugrunde. Sie 184 Hickson, D.J. et al. (1971): S. 216. 185 Vgl. Tannenbaum, A.S. (1968). 186 Beim Leadership geht es um die vertikale Machtverteilung in der Organisation. In Führungstheorie bzw. Auseinandersetzungen mit Leadership finden sich Ansätze, die Macht in der Organisation ansprechen. Andere nutzen Begrifflichkeiten, die jedoch Machtverhältnisse beinhalten, wie Charisma, Autorität, Führung, Kontrolle usw. Beide Ansätze sollen genauer betrachtet werden. Bei Führungstheorien, welche Macht ansprechen, fällt auf, dass sie es als natürlich hinnehmen, dass Führungskräfte Macht besitzen. Das bedeutet jedoch auch, dass es als gegeben gilt, dass Führungskräfte verantwortlich mit Macht umgehen, um organisatorische Ziele zu erreichen. Vgl. Hickson, D.J. et al. (1971): S. 217. 187 Vgl. Hickson, D.J. et al. (1971): S. 217.
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grenzen sich dabei explizit vom Machtbegriff Max Webers ab, den sie auf ein Mittel des Zwangs reduzieren, also ein Mittel, den eigenen Willen gegen den Willen anderer durchzusetzen.188 „Power as coercive force was a comparatively early conceptualization among sociologists. (Weber, 1947; Bierstedt, 1950) Later, Blau (1964) emphasized the imposition of will despite resistance.“189 Bei Max Weber ist Macht jedoch nicht auf Gewalt reduziert, sondern bedeutet „jede Chance […] innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen [auch] gegen Widerstreben durchzusetzen.“190 Das Auslassen des Wortes „auch“ durch David Hickson et al., ist bedeutsam. Schließlich schlussfolgern die Autoren, dass Macht nur dann stattfindet, wenn auch Widerstand überwunden wird. David Hickson et al. beziehen sich in ihren Ausführungen zu Max Weber auf die Übersetzung von „Wirtschaft und Gesellschaft“ aus dem Jahr 1947 von Alexander Morell Henderson und Talcott Parsons.191 Wie bereits angemerkt, übersetzten diese Autoren Herrschaft mit „authority“, was im Englischen jedoch mit Prozessen wie auch mit Eigenschaften verbunden werden kann. Autorität als Prozess entspricht eher einer rationalistischen Vorstellung von Organisation, bei der Macht nicht zentral ist. Herrschaft als „authority“ erscheint hier als legitim und als der Macht entgegengesetzt. Auf der Basis dieser vermeintlichen Abgrenzung von Max Webers Machtbegriff konzentrieren sich David Hickson et al. darauf, zu untersuchen, in welchem Ausmaß eine Abteilung A die Wahrscheinlichkeit beeinflusst, dass eine Abteilung B sich in bestimmter Weise verhält. Machtverhältnisse, wie sie sich durch organisatorische Strukturen, z.B. die Aufteilung von Zuständigkeiten bzw. Über- und Unterordnungen einzelner Abteilungen ergeben, werden hier vorausgesetzt, und im Vordergrund steht die Frage nach der nicht intendierten Machtwirkung zwischen Abteilungen. Wie bereits dargestellt, ergibt sich Macht aus dem Umgang mit Unsicherheit. David Hickson et al. stellen die Hypothese auf, dass eine Abteilung Unsicherheit besser bewältigen kann, wenn ihre Macht groß ist. Die Bewältigung von Unsicherheit kann z.B. darin liegen, dass eine Abteilung Verkaufsschwankungen abfedert, indem sie den Eingang von Bestellungen sichert. Macht ergibt sich ebenfalls aus zur Verfügung stehenden Alternativen. Macht von Akteuren über andere Akteure ist nach David Hickson et al. eine Frage des stattfindenden Wettbewerbs. David Mechanic stellt hierzu fest: „Other factors remaining constant, a person difficult to replace will have greater power 188 Vgl. Hickson, D.J. et al. (1971): S. 218. 189 Hickson, D.J. et al. (1971): S. 218. 190 Weber, M. (1922): S. 28 (Einfügung einer Formatierung in das Originalzitat). 191 Vgl. Weber, M.; Parsons, T. (1947).
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than a person easily replaceable.“192 Mit Bezug auf Abteilungen in Organisationen und die vorherrschende Machtverteilung ergibt sich die Hypothese, dass die Macht einer Abteilung größer ist, wenn die Austauschbarkeit ihrer Leistungen gering ist. Beispielsweise verliert der Einkauf im Unternehmen an Macht, wenn alle seine Aktivitäten in die Hände von externen Materialwirtschaftlern gegeben werden würden.193 Mit Bezug auf die Zentralität von Abteilungen in Organisationen ergibt sich die These, dass ihre Macht umso größer ist, je mehr der Workflow einer Abteilung andere Abteilungen betrifft. Weiterhin postulieren David Hickson et al., dass die Dringlichkeit des Workflows die Macht der Abteilung bestimmt. Außerdem ergibt sich die Macht einer Abteilung auch daraus, wie hoch die Unsicherheit ist, die eine Abteilung bewältigt. Die Variablen bestimmen nicht einzeln, aber in Wechselwirkung über die Abhängigkeiten zwischen Abteilungen und damit deren Machtverhältnisse. Es wird betont, dass es bei der Bewältigung von Unsicherheit nicht darum geht, Unsicherheit auszuschließen.194 Vielmehr geht es hier darum, Techniken zu entwickeln, um mit Unsicherheit umzugehen. Routinisierung wäre z.B. ein Instrument, um Unsicherheiten zu vermeiden, indem langfristige Regelungen für den Umgang mit Einflüssen aufgestellt werden. David Hickson et al. testen ihre Hypothesen mithilfe von vorausgegangenen Veröffentlichungen, die Machtverhältnisse in Unternehmen beschreiben. Sie stellen fest, dass die Untersuchung von Machtbeziehungen stark von der jeweiligen Branche und von dem konkreten Unternehmen abhängt. Jedoch ist allgemein festzustellen, dass Macht durch die Bewältigung von Unsicherheit, Zentralität und Substituierbarkeit gekennzeichnet ist. Die Autoren bestimmen jedoch darüber hinaus noch andere Variablen, die einen Effekt auf Macht haben. Es wird allerdings angenommen, dass sie nicht mit Unsicherheitsbewältigung in Verbindung stehen. So wird vorgeschlagen: „A unit’s influence has its roots partly in its strategical importance to the company and partly in nonfunctional circumstances such as tradition, or control over someone in top management through, for example, family relationship.“195 David Hickson et al. nennen weiterhin persönliche Unterschiede wie Geschlecht, Dominanz, Intelligenz, usw. Alles in allem lauten die Grundannahmen von David Hickson et al., dass es zu Machtungleichgewichten zwischen Unternehmensabteilungen kommt. Diese haben ihren Ursprung darin, wie die miteinander im Austausch stehenden Abteilungen mit Unsicherheit umgehen. Alle Abteilungen sind miteinander verbun192 Mechanic, D. (1962): S. 358. 193 Vgl. Hickson, D.J. et al. (1971): S. 221. 194 Vgl. Hickson, D.J. et al. (1971): S. 222–229. 195 Stymne, B, (1968): S. 88; Vgl. Hickson, D.J. et al. (1971): S. 227.
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den, aber manche sind mehr oder weniger abhängig voneinander oder produzieren mehr oder weniger Sicherheit für andere. Sie sind über die Organisation als Einheit verknüpft, welche mit Unsicherheit zu kämpfen hat. Hier stehen jedoch die einzelnen Abteilungen im Fokus und wie diese mit dieser Umweltunsicherheit umgehen. Die Umwelt ist die wichtigste Quelle von Unsicherheit. Die Hauptaufgabe von Abteilungen besteht darin, Unsicherheit zu reduzieren und die organisatorischen Ziele zu erreichen. Sie nutzen dafür verschiedene Machtressourcen, um das System Organisation aufrechtzuerhalten. Eine Einheit, die besonders strategisch agiert, besitzt Macht, vorausgesetzt die drei Variablen, Bewältigung von Unsicherheit, Substituierbarkeit und Zentralität, sind gegeben. David Hickson et al. beziehen sich auf Michel Crozier, indem sie nach der Kontrolle von Unsicherheit durch Macht fragten.196 Es gibt jedoch einen wichtigen Unterschied zu Michel Crozier, der einen kritischen Blick auf Macht warf und seine Forschung darüber hinaus kontextspezifisch und historisch verortete. Bei Michel Crozier war die Betrachtung von Organisationen in den weiteren sozialen Kontext eingebettet. Organisationskonzepte sind bei einer solchen Betrachtung selbst als Ergebnisse sozialer Konstruktionen anzusehen. Gleichermaßen sind diese Konzepte wiederum an der Produktion von sozialen Realitäten beteiligt. Sie tragen zu einer Legitimation formaler Organisation bei und dienen als Basis für diese Legitimation in der Öffentlichkeit sowie für jene, die in der Organisation Befehle erteilen bzw. diesen Befehlen Gehorsam entgegenbringen. Die Legitimation organisatorischer Rationalität, wie sie sich beispielsweise in der Bürokratie äußert, wird durch Diskurse erleichtert, die Produktivität und Effizienz als Schwerpunkte in der Auseinandersetzung mit Organisationsprozessen sehen und nach allgemeinen Kriterien von Effizienz suchen. Ein Ansatz, der kritisch mit Macht in Organisationen umgeht, berücksichtigt dagegen beispielsweise die Einbettung von Organisationen in einen spezifischen Kontext. Eine machtkritische Betrachtung stellt dabei aber nicht den Fokus auf Produktivität und Effizienz generell in Frage. Vielmehr geht es um eine Untersuchung der Angemessenheit von Machtkonzentrationen. Es geht um Fragen nach den Auswirkungen von Macht und darum, die gegenwärtigen Machtinstrumente von Organisationen als weniger gewiss und dauerhaft zu betrachten. Der Ansatz von David Hickson et al. nimmt einige weitere Abstraktionen vor. Die Argumentation verläuft strukturell und klammert wichtige Aspekte aus. So bezieht der Ansatz die organisatorische Hierarchie nicht in seine Betrachtungen ein. Auf diese Weise wird die Organisation nicht als ein Konstrukt von
196 Vgl. Hickson, D.J. et al. (1971): S. 222–229.
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Herrschaftsbeziehungen aufgefasst, sondern als ein System von miteinander verbundenen Abteilungen.197 Zweitens geht die Theorie von der Einheitlichkeit und dem Konsens innerhalb der Abteilung aus. Das bedeutet, dass das Management über eine Macht a priori verfügt und für die gesamte Abteilung spricht.198 Die Möglichkeit interner Kämpfe und Dissense werden hier ausgeklammert. Diese Ausblendung unterstützt die Wirkungsweise der hierarchischen Macht der Manager. Bei genauerer Betrachtung ist die Macht der Abteilungen jedoch innerhalb der hierarchischen Macht verortet, welche scheinbar als gegeben und damit unkritisch betrachtet wird. Zudem fokussieren David Hickson et al. auf die Aufgabe der Abteilungen, das Gesamtsystem zu erhalten. Doch welches Gesamtsystem als legitime Form von Macht soll hier erhalten werden? Schließlich wird deutlich, dass das Erkenntnisinteresse des Ansatzes darin liegt, wirtschaftlich effiziente Organisationsstrukturen zu schaffen und aufrechtzuerhalten.199 Die Legitimität von Macht durch organisatorische Strukturen steht beim vorliegenden Ansatz demnach nicht in Frage. Vielmehr geht es um den funktionalistischen Moment der Erhaltung gegebener organisatorischer Strukturen. Ein stärker ausdifferenzierter Machtbegriff würde auch die Machtbeziehungen, welche durch die sozialen Strukturen und Kapazitäten der Organisation geschaffen werden, berücksichtigen.200 Menschliche Bedürfnisse würden damit nicht nur insoweit berücksichtigt werden, wie sie sich positiv auf die Erreichung wirtschaftlicher Ziele auswirken.201 Auch wenn die Analyse struktureller Machtquellen aus machttheoretischer Sicht einige Schwächen aufweist, wird sie bis heute als gewinnbringend für die Auseinandersetzung mit der Verteilung von Macht zwischen den einzelnen Abteilungen eines Unternehmens angesehen. Elaine Farndale und Veronica HopeHailey202 verwenden in einem Aufsatz von 2009 den strategischen Kontingenzansatz nach David Hickson et al., um Macht von Personalabteilungen im Bereich der höheren Bildung (Universitäten usw.) zu untersuchen. Sie nutzen diesen Ansatz, um Machtquellen in Unternehmen aufzudecken. Personalabteilungen gelten traditionell als vergleichsweise schwache organisatorische Abteilungen. Jedoch gehen die Autorinnen davon aus, dass sich dieses Verhältnis aufgrund der zunehmenden Professionalisierung von Human-Resources-Experten verändert hat. 197 Vgl. Clegg, S. (1979): S. 105. 198 Vgl. Hardy, C.; Clegg, S. (1996): S. 626f. 199 Vgl. Staehle, W.H. (1992): S. 163. 200 Vgl. Clegg, S. (1979): S. 109. 201 Vgl. Staehle, W.H. (1992): S. 163. 202 Vgl. Farndale, E.; Hope-Hailey, V. (2009): S. 392–412.
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Vor allem im System der höheren Bildung kam es zu einer Verbesserung der Human-Resources-Management-Praxis durch erhöhte finanzielle Zuwendungen für diesen Bereich. Elaine Farndale und Veronica Hope-Hailey interviewen Vorgesetzte in Verwaltungen. Es geht ihnen dabei um die Frage, wie Personalabteilungen ihre ausgeübte Macht einschätzen im Vergleich zu den vorhandenen Machtressourcen. In der Abteilung wurde die eigene Macht nach wie vor als eher gering wahrgenommen, was die Autoren u.a. mit etablierten Wahrnehmungs- und Verhaltensweisen, sogenannten „routine rigidities“ erklärten. Die Studie trägt zum Verständnis von Human-Resources-Management und Organisationen der höheren Bildung im Allgemeinen bei. Gleichzeitig macht sie deutlich, dass Macht bedeutend ist für das Verständnis gegenwärtiger Prozesse des organisatorischen Wandels im öffentlichen Bereich bzw. in anderen gesellschaftlichen Teilbereichen. Der Machtbegriff im Ressourcenabhängigkeitsansatz und in der Stakeholdertheorie Im Ressourcenabhängigkeitsansatz geht es um die Beschreibung des organisatorischen Handelns auf der Organisationsebene und auf der Ebene organisatorischer Subsysteme.203 Wie bei David Hickson et al. und anderen Vertretern des Kontingenzansatzes steht hierbei die strukturelle Ebene der Organisation im Vordergrund. Vertreter sind u.a. Jeffrey Pfeffer und Gerald R. Salancik (1978) „The External Control of Organizations. A Resource Dependence Perspective“ und Andrew M. Pettigrew (1973) „The Politics of Organizational Decision Making“.204 Jeffrey Pfeffer und Gerald R. Salancik betrachten Austauschbeziehungen zwischen Organisationen und zwischen Subsystemen einer Organisation. „The External control of Organizations viewed organizations as being embedded in networks of interdendencies and social relationships […]. The need for resources, including financial and physical resources as well as information, obtained from the environment, made organizations potentially dependent on the external sources of these resources – hence the characterization of the theory as resource dependence.“205
Wenn Organisationen von Ressourcen abhängig sind, beeinflusst das ihr Handeln und ihre Entscheidungen.206 Die Kontrolle von Ressourcen ist daher mit Macht verbunden. Akteure, die über Ressourcen verfügen, welche wiederum an203 Vgl. Matys, T. (2006): S. 62f. 204 Vgl. Matys, T. (2006): S. 62. 205 Pfeffer, J.; Salancik, G.R. (2003): S. XII. 206 Vgl. Matys, T. (2006): S. 62f.
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dere Akteure benötigen, haben Macht über jene anderen Akteure. Aus diesem Machtverhältnis entsteht Unsicherheit für den Akteur, der die Ressourcen benötigt. Er kann nicht mit Sicherheit einschätzen, ob er die benötigten Ressourcen bekommt. Diese Unsicherheit versucht er zu verringern. Jeffrey Pfeffer und Gerald R. Salancik unterstellen begrenzte Rationalität. Sie konzentrieren sich entsprechend auch auf Prozesse der Wahrnehmung. Diese beeinflussen Entscheidungen und Handlungen. Akteure versuchen daher, die Wahrnehmung derjenigen zu beeinflussen, die Ressourcen kontrollieren. Deutlich wird hierbei, dass der Ressourcenabhängigkeitsansatz nach Jeffrey Pfeffer und Gerald R. Salancik als normativ funktionalistisch einzustufen ist. Sie berücksichtigen in ihrer funktionalistischen Auslegung dabei eine Machtform, die beim Machtansatz von Steven Lukes als Manipulation der psychischen Strukturen der Beherrschten durch die Herrschenden vorkommt. Andrew M. Pettigrew betrachtet in „The Politics of Organizational Decision Making“ soziale Prozesse des Wandels in Organisationen.207 Es geht ihm um die Assoziation und Abgrenzung von Gruppen und Individuen im Zeitverlauf, ausgehend von einer theoretischen Perspektive, die soziale Konflikte, Macht und Entscheidungen in den Mittelpunkt rückt. Andrew M. Pettigrew interessiert sich für Feindseligkeiten zwischen verschiedenen Gruppen sowie deren Gründe und Veränderungen. Insbesondere aber, untersucht Andrew M. Pettigrew politische Vorgänge und die Mobilisierung von Macht. Dieser Aspekt soll mit der Analyse des sozialen Wandels verbunden werden. Für die Auseinandersetzung mit diesen Aspekten werden sowohl die Vergangenheit, die Gegenwart als auch die Zukunft der Organisation berücksichtigt.208 Im Zentrum der Analyse steht entsprechend die relative Verteilung von Macht im Zeitverlauf. Dies versucht er ausgehend von den Ressourcen zu ermitteln, über die eine bestimmte Gruppe verfügt. Weiterhin betrachtet Andrew M. Pettigrew die sozialen Beziehungen und Abhängigkeiten zwischen den Gruppen. Gruppen bauen Abhängigkeitsverhältnisse auf, indem sie Dinge und Dienstleistungen liefern, die die andere Gruppe nicht erwidern kann. Es handelt sich hierbei um einen unausgewogenen Austausch zwischen Gruppen. Dies geht einher mit der Fähigkeit eines Akteurs oder einer Gruppe, durch den Besitz der benötigten Ressource Kontrolle über andere auszuüben. Die Gruppe, die von der Ressource abhängig ist, muss sich entsprechend unterordnen, so Andrew M. Pettigrew. Wie weit diese Unterordnung geht, hängt damit zusammen, ob die schwächere Gruppe andere Ressourcen hat, die sie anbieten kann, oder ob die schwache Gruppe die benötigten Ressourcen aus alter-
207 Vgl. Pettigrew, A.M. (1973): S. 267. 208 Vgl. Pettigrew, A.M. (1973): S. 138.
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nativen Quellen beziehen kann.209 Machtstrukturen sind demnach keine stabilen Verhältnisse zwischen Übergeordneten und Untergebenen, sondern beweglich und richten sich nach der Verteilung von Ressourcen, mit deren Hilfe Ansprüche geltend gemacht werden können. In der Studie von Andrew M. Pettigrew spielt technisches Wissen als Ressource eine entscheidende Rolle. Ein technischer Spezialist besitzt hier die Möglichkeit, Unsicherheit zu kontrollieren. Vor allem in einem ansonsten sehr stabilen und vorhersehbaren Umfeld ist das eine wichtige Machtquelle. Dieses Verhältnis ist schon bei der Studie von Michel Crozier deutlich geworden. Andrew M. Pettigrew unternimmt eine Studie mit einem Unternehmen (Brian Michaels), welches mit Kleidung und Einrichtungsgegenständen handelt. Das Unternehmen expandiert zwischen 1952 und 1968 und entscheidet sich für den Einsatz von Computern. Im Jahr 1958 installiert Brian Michaels eine Maschine von Scientific Electronics mit dem Namen SE 100. Das weitere Wachstum des Unternehmens, so sind sich die Manager und Computerspezialisten später einig, wäre ohne den Einsatz neuer Technologien nicht möglich gewesen.210 Im Jahr der Lieferung bildet sich eine Abteilung für Computer im Unternehmen, welche mit Programmierern besetzt wird. Ein Jahr später wird eine Abteilung für Organisation und Management (O & M) aufgebaut, die die Interessen und Erfahrungen der Abteilungen betreuen soll, welche das Computersystem nutzen. Die Direktion von Brian Michaels geht davon aus, dass diese Aufgabe nicht durch Programmierer gelöst werden kann. Beide Abteilungen sind örtlich voneinander getrennt. So befindet sich die O & M-Abteilung in der Zentrale, während die Programmierer 20 Meilen entfernt untergebracht sind.211 1961 wechselt die Führung der O & M-Abteilung. Der ehemalige Leiter der Abteilung verbleibt jedoch im Unternehmen. 1962 kauft Brian Michaels ein weiteres Computersystem, den NTL 200. Eigene Programmierer, Administratoren usw. werden dafür eingestellt. Der neue Leiter der O & M-Abteilung versucht, die Leitung von Brian Michaels davon zu überzeugen, weitere Geschäftsbereiche mit Computertechnologien auszustatten. Er schlägt dafür Verwaltungsbüros vor, wogegen sich die Direktoren wenden. In der gleichen Zeit veraltet der SE 100. Der Leiter der O & M-Abteilung wird beauftragt, ein neues Computersystem anzuschaffen. Er schlägt ein System vor, welches jedoch von den Direktoren abgelehnt wird. Der ehemalige Leiter der O & M-Abteilung überzeugt die Geschäftsleitung zur gleichen Zeit, einen Newton 350 zu kaufen, welcher später durch einen Newton
209 Vgl. Pettigrew, A.M. (1973): S. 140. 210 Vgl. Pettigrew, A.M. (1973): S. 32. 211 Vgl. Pettigrew, A.M. (1973): S. 37.
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1500 ersetzt wird. Der Leiter der O & M-Abteilung wird im selben Jahr entlassen. Andrew M. Pettigrew untersucht nun die Konsequenzen dieser Vorgänge und Entscheidungen sowie die Auswirkungen neuer Technologien auf die Machtverhältnisse der Akteure. Mit der Einführung neuer Technologien im Unternehmen verändern sich nach Andrew M. Pettigrew die bestehenden Machtverhältnisse. Andrew M. Pettigrew betrachtet hierbei vor allem die Macht von Gruppen. Die Macht der Programmierer und der O & M-Abteilung wird im Kontext ihrer Beziehung zu der Gruppe der Direktoren untersucht. Er analysiert, welche Ressourcen die Gruppen besitzen, und wie sie diese Ressourcen nutzen bzw. welche Konsequenzen die Verteilung und Nutzung hat.212 Zwischen 1957 und 1961 stellt Andrew M. Pettigrew relativ stabile Beziehungen, Machtverhältnisse und Statuszuordnungen fest. Programmierer kontrollieren Computeraktivitäten.213 Sie besitzen als einzige die mathematischen und technischen Fähigkeiten, um mit Computerproblemen umzugehen. So äußert sich ein Programmierer folgendermaßen: „The programming team had virtually no help from the manufacturers. Scientific computers had been in use for a little while but the art of writing programmes for commercial applications, using machine languages, was more or less in its infancy. We more or less had to do the job ourselves.“214
Ihre Macht ergibt sich aus der Ressource an technischem Wissen. Sie allein besitzen im genannten Zeitraum das notwendige Wissen und benutzen es als relevante Ressource. Mit dieser Ressource kontrollieren die Programmierer eine Quelle organisatorischer Unsicherheit. Die O & M-Abteilung hingegen hat die hauptsächliche Aufgabe, das Computersystem für das Unternehmen brauchbar zu machen. Sie bilden die Schnittstelle zwischen den Computern und der Warenbestandsgruppe. Bis 1961 hat diese Abteilung nur wenige Berührungspunkte mit den Computern. Die Programmierer sind damit beschäftigt, die anfänglichen technischen Probleme zu lösen. Sie designen das System und erstellen Programme. Auch die Systemarbeit wird zu Beginn von den Programmierern übernommen, weil sich das Systemdesign den technischen Beschränkungen unterordnen muss. Auf diese Weise führen die Programmierer die meisten Aufgaben im Zusammenhang mit dem neuen Computersystem aus. Die Gruppe der Direktoren ist zu dieser Zeit insbesondere von den Programmierern abhängig. Diese 212 Vgl. Pettigrew, A.M. (1973): S. 139. 213 Vgl. Pettigrew, A.M. (1973): S. 140f. 214 Pettigrew, A.M. (1973): S. 97.
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wiederum verfügen dadurch über Macht. Die Direktoren besitzen nicht die Möglichkeit, Alternativen für die Aufgabe der Programmierer zu finden, was die Macht jener stärkt. Zwischen der O & M-Abteilung und den Programmierern besteht ein Machtungleichgewicht zugunsten der Programmierer. Die Programmierer können sich auf der Basis dieses Machtungleichgewichts einen Status erarbeiten, der ihre Macht sichtbar macht und stützt. Sie verfügen über ein hohes Gehalt, haben ein hohes Ausbildungslevel und widersetzen sich bürokratischen Regeln und Strukturen.215 Darüber hinaus bildet sich in diesem Zeitraum eine Gruppenidentität heraus. Die Programmierer haben eine stabile Gruppenidentität. Sie sind Computerexperten und kontrollieren mit ihrem überlegenen technischen Wissen eine wichtige Unsicherheitsquelle. Problematisch ist zu diesem Zeitpunkt, dass ihre Macht durch die Direktoren nicht organisatorisch formal legitimiert ist. Sie verbleiben hierarchisch auf ihrer Stufe. Die O & M-Abteilung besitzt hingegen kaum Programmierkenntnisse, ist jedoch den Programmierern im Hinblick auf geschäftliche Anforderungen und Systementwicklung überlegen. Ab 1962 ändern sich die zu Beginn stabilen Machtverhältnisse. Neue Computersysteme sind verfügbar. Diese arbeiten billiger, schneller und zuverlässiger. Die Programmierarbeit wird durch diese Entwicklung stark vereinfacht.216 Eine neue Berufsgruppe entsteht: die Systemanalysten. Die O & M-Abteilung versucht, ihren Aufgabenbereich auszudehnen. Es entstehen Überschneidungen zwischen ihren Tätigkeiten und denen der Programmierer. Dies gipfelt in Feindschaften und Konflikten. Durch die neue und vereinfachte Computertechnologie verändert sich der Aufgabenbereich und damit der Status der beiden Gruppen.217 Mit der Einführung des NTL 200 wandelt sich die gegenseitige Abhängigkeit der Abteilungen. Die O & M-Abteilung macht nun den Programmierern Vorgaben darüber, was zu programmieren ist, da die Programmierer nicht genug über die Nutzung der Systeme in den jeweiligen Abteilungen wissen.218 Die O & MAbteilung übernimmt beim neuen Computersystem einen großen Anteil des Systemdesigns. Die Gruppe der Direktoren platziert die Systemanalytiker ab 1962 hierarchisch zwischen sich und die Programmierer. Die Systemanalytiker sollen Vorgaben darüber machen, welche Systeme benötigt werden. Sie versuchen, das Machtverhältnis zwischen sich und den Programmierern umzukehren. Sie haben jedoch nach wie vor den Nachteil, dass sie nicht über Programmierwissen verfügen und der Gruppe der Programmierer dahingehend unterlegen sind. Die Pro215 Vgl. Pettigrew, A.M. (1973): S. 143. 216 Vgl. Pettigrew, A.M. (1973): S. 98. 217 Vgl. Pettigrew, A.M. (1973): S. 101. 218 Vgl. Pettigrew, A.M. (1973): S. 105.
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grammierer versuchen darüber hinaus, ihre Macht und ihren Status zu erhalten. Sie setzen dafür unterschiedliche Strategien ein. Z.B. entwickeln sie Normen, welche die Kompetenzen von Experten außerhalb unterminieren sollen. Sie bauen ein Geheimnis um ihre Arbeit auf und versuchen Kontrolle, über die Aus- und Weiterbildung zu erlangen usw.219 Solange die Programmierer die Kontrolle über Auswahl- und Weiterbildungsprozesse behalten, haben sie eine relative Macht über die Gruppe der Systemanalysten, die selbst nicht in Programmiertechniken ausgebildet ist. Diese Abwehrstrategien intensivieren wiederum die Feindseligkeiten zwischen den Gruppen. Während – aufgrund der technischen Veränderungen – Programmierer im nationalen Vergleich im Status sinken, können die Programmierer bei Brian Michaels ihren Machtstatus weitgehend erhalten. Damit geht eine erhöhte Frustration auf Seiten der Systemanalysten einher.220 Andrew M. Pettigrew zeigt anhand seiner Beobachtungen bei Brian Michaels, wie sich Gruppenspezialisierungen herausbilden und institutionalisieren. Diese sind jedoch nicht stabil, sondern werden durch die Einführung neuer Technologien oder aber durch die Herausbildung neuer Berufsgruppen instabil. Besonders die Gruppe der Programmierer ist davon betroffen. Programmierung wird vereinfacht durch Computersprachen. Damit ändert sich der Machtstatus der Computerspezialisten, die nun nicht mehr eine Quelle der Unsicherheit kontrollieren. Ihre Ressource des technischen Wissens ist im veränderten Kontext nicht mehr so wertvoll wie zuvor. Ressourcen sind ablösbar von Gruppen. Ihre Verteilung ändert sich durch Umwelteinflüsse und durch das Verhalten der Gruppen.221 Andrew M. Pettigrew sieht die Beschäftigten jedoch als aktive Akteure, die keineswegs den gegebenen Strukturen ausgeliefert sind. Zwar unterliegt ihr Handeln situationsbedingten Beschränkungen oder historischen Erfahrungen, jedoch interpretieren sie diese Beschränkungen ausgehend von ihren persönlichen Interessen. Akteure handeln strategisch, sind dabei jedoch eingebunden in soziale Strukturen, welche Möglichkeiten eröffnen oder Beschränkungen auferlegen. Die Programmierer versuchen, ihren Machtstatus, den sie zwischen 1957 und 1961 erworben haben, zu erhalten, indem sie unterschiedliche Strategien entwickeln. Andrew M. Pettigrew unterstreicht, dass ausgehend von diesem Akteursmodell gering institutionalisierte soziale Systeme machtbezogene Konflikte erleichtern.222 In seiner Unternehmensstudie sind die sozialen Verhältnisse, welche 219 Vgl. Pettigrew, A.M. (1973): S. 151. 220 Vgl. Pettigrew, A.M. (1973): S. 227. 221 Vgl. Pettigrew, A.M. (1973): S. 268. 222 Vgl. Pettigrew, A.M. (1973): S. 271.
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sowohl die Spezialisierung in der Programmierung und der O & M-Abteilung als auch die Entscheidungsprozesse beeinflussen, relativ wenig institutionalisiert. Bei Brian Micheals agieren die Programmierer und O & M-Manager in einer nur gering institutionalisierten sozialen Arena. Das bedeutet, dass es keine gemeinsamen und allgemein akzeptierten Erwartungshaltungen dahingehend gibt, wie die Pflichten zwischen den beiden Gruppen verteilt werden sollen. Jede der Gruppen hatte nur vage und oft auch widersprüchliche Vorstellungen darüber, wie die Arbeitsteilung umgesetzt werden soll. Aus dieser Situation heraus entstanden Konflikte. Diese basierten auf der unterschiedlichen Wahrnehmung über die wechselseitigen Handlungen. Der Konflikt drückt sich durch Wertedifferenzen und unterschiedliche Einstellungen der Beschäftigtengruppen aus. Auch Macht spielt in dieser Beziehung eine Rolle. Vor allem, als sich das technologische Umfeld ändert, in welchem die beiden Gruppen tätig sind, verändert sich die Verteilung der Machtressourcen zwischen den Akteuren. Auch der Status der Gruppen ändert sich. Jede der Gruppen wird aktiv, als sich die technische Ausgangslage verändert. Die Programmierer entwickeln Machtstrategien, um den Machtstrategien der Analysten auszuweichen. Das strategische Verhalten der Gruppen hat wiederum einen Einfluss auf das Aufgabenumfeld, welches sich im Zeitverlauf verändert. Mit seiner Studie unterstreicht Andrew M. Pettigrew, dass Machtverhältnisse instabil sind und sich verändern. Er interessiert sich im Rahmen seiner Analyse auch für politische Entscheidungsprozesse. Durch die Arbeitsteilung im Unternehmen entstehen Abteilungen, welche ihre eigenen Interessen herausbilden. Diese basieren auf Aufgaben und Zuständigkeiten.223 Die wechselseitige Abhängigkeit zwischen Abteilungen und Gruppen kann im gemeinsamen Entscheidungsprozess eine wichtige Variable darstellen. Entscheidungsprozesse, bei denen es um Innovationen im Unternehmen geht, sind eine wichtige Quelle politischen Verhaltens in Organisationen. Ihre Prozesse und ihre Ergebnisse haben einen wichtigen Einfluss auf die Verteilung organisatorischer Ressourcen und damit auf die Veränderung von Machtverhältnissen. Politisches Verhalten ist ein Verhalten von einzelnen oder ganzen Gruppen und Abteilungen, welches sich gegen die Ressourcenverteilung im Unternehmen wendet. Ressourcen, die umverteilt werden sollen, sind unterschiedlicher Natur. Es kann sich um Gehälter, Beförderungsmöglichkeiten, Equipment, Kontrolle, Informationen oder neue Geschäftsmöglichkeiten handeln.224 Innovative Entscheidungen lösen also nach Andrew M. Pettigrew politisches Verhalten aus und mobilisieren Macht. Bei Brian Micheals sind die Entscheidungen zur Anschaffung neuer Computertech223 Vgl. Pettigrew, A.M. (1973): S. 168. 224 Vgl. Pettigrew, A.M. (1973): S. 273.
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nologien ein wichtiger Auslöser für politisches Verhalten seitens der Systemanalysten. Diese fühlen sich aufgrund der Machterhaltungsstrategien der Programmierer bereits im Nachteil. Sie sind sich bewusst, dass Entscheidungen über technische Systeme eine neue Ressourcenverteilung verursachen, welche die Machtbeziehungen für Jahre bestimmen kann.225 Von diesem Standpunkt aus nehmen sie eine aktive Rolle in den Entscheidungsprozessen zum Kauf neuer Systeme ein. Sie konzentrieren sich darauf, ihre eigene Position für die nächsten Jahre zu stärken. Andrew M. Pettigrew macht deutlich, dass Akteure in ihrem Handeln nicht nur durch vorgegebene Strukturen bestimmt werden, sondern die Fähigkeit besitzen, Strukturen selbst zu beeinflussen und zu ändern und zwar analog zu ihren eigenen Interessen. Die Fähigkeit, bestehende Strukturen zu ändern, liegt in der Macht, die Akteure besitzen, um gegenüber anderen ihren Willen durchzusetzen. Dafür werden Ressourcen eingesetzt, die eine Gruppe besitzt, manipulieren und kontrollieren kann, aber auch die Formen der Abhängigkeit, die diese Gruppe mit anderen etablieren und aufrecht erhalten kann. Eine wichtige Ressource, um Entscheidungsprozesse zu bestimmen, ist Information. Mit Hilfe dieser Ressource konnte beispielsweise der ehemalige Leiter der O & M-Abteilung die Geschäftsleitung überzeugen, eine bestimmte Technologie, den Newton, anzuschaffen. Neben Informationen und Expertenwissen werden im Ressourcenabhängigkeitsansatz auch Ungewissheit, Glaubwürdigkeit, Status und Prestige, Zugang und Kontakte mit wichtigen Personen, Kontrolle über Geld, Belohnungen und Sanktionen als Ausgangspunkt für Macht gesehen.226 Diese Liste kann fortgesetzt werden. Die einzelnen Ressourcen, aus denen Macht erwächst, müssen jedoch in einem konkreten Kontext betrachtet werden, da sie dort in ihrer Bedeutung variieren. Allein der Besitz bestimmter Ressourcen genügt ebenfalls nicht, sie müssen vielmehr auch wahrgenommen werden und einen geeigneten Einsatz finden. Es handelt sich dann um politisches Vorgehen, wenn dies gelingt. Das Besondere am Ressourcenabhängigkeitsansatz von Andrew M. Pettigrew ist, dass es um die Entstehung und Auswirkung „emergenter organisatorischer Prozesse“227 auf die Funktionsweise von Organisationen geht. Beim politischen Vorgehen, wie es Andrew M. Pettigrew beschreibt, handelt es sich um ein negatives Konzept, bei dem es um den Einsatz von Macht entgegen der organisatorischen Strukturen und Zielsetzungen geht. Diese sind mehr oder weniger vorgegeben bzw. werden als Rahmung und Struktur betrachtet, innerhalb derer Akteu225 Vgl. Pettigrew, A.M. (1973): S. 227. 226 Vgl. Hardy, C.; Clegg, S. (1996): S. 626. 227 Matys, T. (2006): S. 63 [Herv. i.O.].
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re politisch agieren. Dies wird u.a. dadurch deutlich, dass Andrew M. Pettigrew Macht vor allem ausgehend von Abteilungen und Akteuren betrachtet, die politisch, und damit außerhalb der vorgegebenen organisatorischen Ordnung, handeln. Die Akteure sind in der Lage, diese Strukturen durch den geschickten Einsatz von Ressourcen zu verändern und mitzubestimmen. Die Entscheidungen, die folgen, führen beispielsweise zur Veränderung von Organisationsstrukturen. Damit werden die Machtinteressen der dominanten Akteure befriedigt. Die Legitimität formaler Strukturen wird beim Ressourcenabhängigkeitsansatz nicht in Frage gestellt. Zentral sind politische Prozesse und deren Reaktionen und Auswirkung auf die organisatorische Entscheidungsfindung. Der Stakeholder-Ansatz teilt einige Thesen des Ressourcenabhängigkeitsansatzes, wie ihn beispielsweise Jeffrey Pfeffer und Gerald R. Salancik oder Andrew M. Pettigrew beschrieben haben. Organisationen sollten ausgehend vom Stakeholder-Ansatz die Interessen unterschiedlicher Anspruchsgruppen berücksichtigen. R. Edward Freeman definiert Stakeholder als „any group or individual that can affect or is affected by the achievement of a corporation’s purpose“.228 Der Stakeholder-Ansatz nimmt in diesem Sinne die Perspektive der Organisation ein. Diese sollte jede Gruppe und jeden Akteur in Betracht ziehen, der oder die eine Auswirkung auf die Organisation hat bzw. vom Handeln der Organisation beeinflusst wird. Die Organisation benötigt eine explizite Strategie, welche den Umgang mit den relevanten Stakeholdern festlegt. Die strategische Komponente liegt also darin, über Strategie als Stakeholderbeziehung nachzudenken und Strategie nicht im Sinne von „formulating, implementing, evaluating“229 zu verstehen. Der Stakeholder-Ansatz kann nach Thomas Donaldson und Lee E. Preston230 in drei Ebenen unterteilt werden: eine deskriptive, eine präskriptive bzw. normative und eine instrumentelle Ebene. Die deskriptive Ebene illustriert, dass Organisationen Stakeholder haben. Die instrumentelle Ebene zeigt, dass Organisationen, die ihre Stakeholder berücksichtigen, erfolgreiche Strategien entwickeln. Die präskriptive bzw. normative Ausrichtung schließlich betont, warum Organisationen ihre Stakeholder berücksichtigen sollen. R. Edward Freeman zeigt jedoch, dass sich diese drei Ebenen nicht voneinander trennen lassen.231 Er unterstreicht dabei, dass es sich eindeutig um einen Managementansatz handelt, der sich mit den praktischen Problemen von Organisationen beschäftigt. Gleichzeitig unterstreicht R. Edward Freeman den normativen Fokus des StakeholderAnsatzes. 228 Freeman, R.E. (2004): S. 229. 229 Freeman, R.E. (2004): S. 229. 230 Vgl. Donaldson, T.; Preston, L. (1995). 231 Vgl. Freeman, R.E. (2004): S. 230.
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„A stakeholder approach emphasizes the importance of investing in the relationships with those who have a stake in the firm. The stability of these relationships depends on the sharing of, at least, a core of principles or values.“232
Die organisatorische Strategie basiert also auf dem Ausgangspunkt, dass das organisatorische Überleben in Teilen davon abhängt, dass es eine Übereinstimmung zwischen den Werten der Organisation und den Erwartungen der Stakeholder an die Organisation gibt.233 Es existieren eine Reihe von Ansätzen, die das Stakeholdermanagement mit der Notwendigkeit eines umfassenden ethischen Managements verbinden.234 Eine wichtige Fragestellung des StakeholderAnsatzes liegt darin, herauszufinden, welche Stakeholder durch die Organisation berücksichtigt werden sollen. Hier liegt eine besondere Schwierigkeit im Stakeholder-Ansatz. Ausgehend von dieser Fragestellung wurde beispielsweise ein Modell zur Identifizierung von Stakeholdern entwickelt. Qualitative Kriterien wie Macht, Legitimität und Dringlichkeit sollen darüber entscheiden, welche Stakeholder wichtig sind.235 An dieser Stelle greift der Stakeholder-Ansatz beispielsweise auf den Ressourcenabhängigkeitsansatz zurück. Er bietet eine Möglichkeit, um herauszufinden, wer die relevanten Stakeholder sind und wie eine Interaktion mit diesen Stakeholdern stattfinden soll. Hierbei geht es vor allem um die Frage nach der Abhängigkeit der Organisation von externen Ressourcen, wie es bei Jeffrey Pfeffer und Gerald R. Salancik beschrieben wurde, und dem damit entstehenden Machtungleichgewicht.236 Aus der Abhängigkeit ergibt sich für die Organisation Unsicherheit. Sie kann nicht sicher sein, ob sie von den relevanten Stakeholdern die benötigten Ressourcen erhält oder beispielsweise mit einer Preisstabilität für notwendige Leistungen rechnen kann. Organisationen streben danach, diese Macht entsprechend zu verringern. Dies geschieht über den Versuch, die Umwelt zu kontrollieren. Unter Verwendung des Ressourcenabhängigkeitsansatzes möchte die Stakeholder-Theorie erklären, warum manche Stakeholder mächtiger sind als andere. Dies wiederum bedeutet, dass die Interessen dieser mächtigen Akteure stärker berücksichtigt werden müssen. Mächtige Akteure versuchen darüber hinaus, Entscheidungen der Organisation zu ihrem Vorteil zu beeinflussen.237 R. Edward Freeman hat beispielsweise ein Stakeholdermodell entwickelt, welches auf Annahmen der Ressourcenabhängigkeitstheo232 Freeman, R.E. (2004): S. 234. 233 Vgl. Freeman, R.E. (2004): S. 234. 234 Vgl. Bowie, N. (1999); Phillips, R. (1997). 235 Vgl. Mitchell, R.; Agle, B.; Wood, D. (1997). 236 Vgl. Berman, S.L.; Phillips, R.A.; Wicks, A.C. (2006). 237 Vgl. Matys, T. (2006): S. 63.
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rie basiert. Darüber sollen Aussagen getätigt werden, welche Beeinflussungsstrategien Stakeholder nutzen.238 Neben den Gemeinsamkeiten und Verbindungslinien zwischen dem Stakeholder-Ansatz und der Ressourcenabhängigkeitstheorie existieren auch Unterschiede. Im Stakeholder-Ansatz geht es beispielsweise explizit darum, dass Organisationen mit Stakeholdern kooperieren. Im Vordergrund steht ein wechselseitiges Verhältnis: „Stakeholder management is built on a partnering mentality that involves communicating, negotiating, contracting, managing relationships and motivating. These different aspects of stakeholder management are held together by the enterprise strategy which defines what the firm stands for. Ethics are a part of these processes, first, because unethical behavior can have high costs and second, because codes of ethics provide the consistency and trust required for profitable cooperation.“239
Kooperation ist also eine Voraussetzung für den beidseitigen Erfolg und gleichzeitig in einem ethischen Verhalten verankert. Der Ressourcenabhängigkeitsansatz, wie ihn z.B. Jeffrey Pfeffer und Gerald R. Salancik beschreiben, konzentriert sich hingegen stärker auf das Selbstinteresse der Organisation.240 „In the discretionary role, constraints and environments are managed to suit the interests of the organization. Management’s function is to direct the organization toward more favorable environments and to manage and establish negotiated environments favorable to the organization.“241
Der Ressourcenabhängigkeitsansatz betont das Eigeninteresse der Organisation. Jede Machtasymmetrie könne dazu führen, dass sich der Stakeholder im Vorteil befindet. Dieser, argumentiert man ausgehend vom Ressourcenabhängigkeitsansatz, würde jedes Ungleichgewicht ebenfalls sofort für seinen eigenen Vorteil ausnutzen. Der Manager sucht im Ressourcenabhängigkeitsansatz stärker nach Möglichkeiten, Machtungleichgewichte für sich günstig zu beeinflussen, während der Manager im Stakeholder-Ansatz die Aufgabe hat, Strategien zu entwickeln, welche sowohl zum Vorteil der Organisation als auch zum Vorteil des Stakeholders sind. Folgt man jedoch dem entscheidungspolitischen Ansatz von
238 Vgl. Frooman, J. (1999). 239 Freeman, R.E. (2004): S. 237. 240 Vgl. Berman, S.L.; Phillips, R.A.; Wicks, A.C. (2006): S. 7. 241 Pfeffer, J.; Salancik, G.R. (2003): S. 263.
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Andrew M. Pettigrew, müssen Entscheidungen nicht zwingend zum Nachteil der einen sein, wenn sie den anderen zum Vorteil dienen. Es geht im Ressourcenabhängigkeitsansatz nicht unbedingt um ein Nullsummenspiel, weil gleichzeitig die Macht aller wachsen oder geringer werden kann. Dennoch gibt es weitreichende Unterschiede zwischen dem Ressourcenabhängigkeitsansatz und dem Stakeholder-Ansatz. Beim Ersteren werden die Legitimität formaler Strukturen und die damit einhergehenden Machtbeziehungen nicht in Frage gestellt. Der Stakeholder-Ansatz hingegen legt ein ethisches Managementhandeln zugrunde. Er setzt nicht automatisch voraus, dass Manager ihre Macht im Sinne aller und zum Guten aller einsetzen. Das bedeutet, dass organisatorische Strukturen nicht als gegeben zu akzeptieren sind und deren Macht per se zu stützen ist. Die Organisation muss einen Modus finden, verantwortlich zu handeln. Der Ausgangspunkt ist also nicht, organisatorisches Handeln als per se legitim zu betrachten. „For stakeholder theory, managers are advised (often explicitly) to work cooperatively with the firm’s constituencies as an avenue to improved performance on standard metrics of success (profitability, shareholder wealth, etc.) and for the intrinsic worth of the stakeholders themselves.“242
Er koppelt legitimes Handeln und damit auch die Macht organisatorischer Strukturen an eine gemeinsame Wertebasis in den Beziehungen zu externen und internen Anspruchsgruppen. Der implizite Machtbegriff der Agenturtheorie Ähnlich wie bei der Ressourcenabhängigkeitstheorie nach Andrew M. Pettigrew, der Bürokratietheorie von Michel Crozier oder dem Kontingenzansatz nach David Hickson et al. handelt es sich auch bei der Principal-Agent-Theorie bzw. der sogenannten Agenturtheorie um einen machtpolitischen Ansatz. Er versucht, aus der Organisationsperspektive unvorhergesehenes und schlecht planbares Verhalten zu erklären.243 Es gelingt also nicht, durch die formale Organisationsstruktur das Verhalten der Mitglieder ausreichend zu steuern und zu kontrollieren. Die Organisationsstruktur steht entsprechend auch nicht im Mittelpunkt des Interesses. Untersucht wird vielmehr, was außerhalb der organisatorischen Regelungen passiert bzw. in der sogenannten organisatorischen „Unterwelt“.244 Im Fokus 242 Berman, S.L.; Phillips, R.A.; Wicks, A.C. (2006): S. 7. 243 Vgl. Schreyögg, G. (2012): S. 164f. 244 Siehe auch „Das häßliche Antlitz: Die Organisation als Machtinstrument“ Morgan, G. (1997): S. 401–472.
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steht „der heimliche Betrug, die egoistische Interessensdurchsetzung, die geschickte Täuschung“245. Zentral ist hierbei der Interessenkonflikt zwischen Prinzipal und Agent. Der Interessenskonflikt zwischen Prinzipal und Agent entsteht ausgehend von einer Vertragsbeziehung. Diese ist durch Informationsasymmetrien gekennzeichnet, was sich durch die Grundannahme der begrenzten Rationalität erklärt. Es wird angenommen, dass der Prinzipal im Nachteil ist und nicht über alle notwendigen Informationen verfügen kann. Er ist außerdem nicht in der Lage, diese Asymmetrie zu beseitigen. Hieraus entsteht ein Handlungsspielraum, den sich der Agent zunutze macht. Der Prinzipal-Agent-Ansatz basiert auf der Möglichkeit opportunistischen Verhaltens. Der freie Handlungsspielraum kann entsprechend vom Agenten ausgenutzt werden, um seine eigenen Interessen zu verfolgen. Diese Handlungen entgegen den organisatorischen Regelungen und Strukturen erinnern wiederum an die bereits betrachteten Ansätze von Michel Crozier, Andrew M. Pettigrew usw. Der Unterschied zwischen diesen Ansätzen und der Agenturtheorie liegt jedoch darin, dass Macht und deren Mobilisierung in Letzterer nicht berücksichtigt wird. Stattdessen geht es um die dyadische Beziehung zwischen Prinzipal und Agent. Innerhalb dieser Zweierbeziehung kommt es, wie bereits angedeutet, zu Informationsasymmetrien zwischen Prinzipal und Agent.246 Drei Typen von Problemen tauchen in diesem Zusammenhang auf: hidden characteristics (versteckte Mängel), hidden action (versteckte Handlungen) und hidden intention (versteckte Ziele).247 Versteckte Mängel entstehen vor dem Vertragsabschluss. Der Prinzipal kennt die Eigenschaften des Agenten oder der von ihm angebotenen Leistungen vor Vertragsabschluss nicht. Es kann daher zur Auswahl schlechter Vertragspartner und Leistungen kommen (adverse selection). Versteckte Handlungen treten nach Abschluss des Vertrages auf. Der Prinzipal kann die Handlungen des Agenten nicht beobachten oder nicht angemessen beurteilen, weil ihm das erforderliche Wissen fehlt. Es kann zum „moral hazard“ kommen, indem der Agent seinen Handlungsspielraum opportunistisch ausnutzt und nicht im Sinne des Prinzipals agiert. Bei den versteckten Zielen geht es darum, dass der Prinzipal nicht weiß, wie sich der Agent während der Vertragsbeziehung verhält. Er kennt dessen Ziele und Absichten nicht. Weil jedoch Abhängigkeiten bestehen, können diese ausgenutzt werden (hold up).248 Verlagert man diese Vertragsbeziehung in eine formale hierarchische Organisationsstruktur, wird deutlich, dass die hierarchische Beziehung hier umgedreht wird. Der Agent steht über dem Prinzipal. Die formale Organisation er245 Schreyögg, G. (2012): S. 164. 246 Vgl. Picot, A.; Dietl, H.; Franck, E. (2005): S. 72ff. 247 Vgl. Schreyögg, G. (2012): S. 165f. 248 Vgl. Schreyögg, G. (2012): S. 165f.
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scheint hierbei als nicht in der Lage, die Handlungen der Agenten zu regulieren. Die Agenturtheorie zeigt nun Möglichkeiten auf, wie der Prinzipal das opportunistische Verhalten des Agenten eindämmen kann. Es wird beispielsweise vorgeschlagen, Sanktionen anzudrohen, verbesserte Kontroll- und Informationssysteme aufzubauen bzw. zu erweitern oder Anreize bereitzustellen. Diese Maßnahmen verursachen Kosten, welche der Prinzipal abwägen muss. Ebenso wie im Ressourcenabhängigkeitsansatz, wie er mit Andrew M. Pettigrew dargestellt wurde, thematisiert die Agenturtheorie emergente Prozesse. Hier wie dort geht es um die Welt jenseits organisatorischer Regeln und Strukturen. Es geht um das sogenannte „häßliche Antlitz“249 der Organisation. Die Agenturtheorie legt hier eine sehr einseitige Betrachtung zugrunde, die auf Misstrauen gründet. Georg Schreyögg weist darauf hin, dass der Ausgangspunkt des Ansatzes Interessenskonflikte sind und Matthias Maier verweist darauf, dass die Möglichkeit der Störung immer schon im System eingebaut ist.250 „Mit Michel Serres könnte man die Principal-Agent-Theorie als Theorie der Systemstörungen auffassen und den Sachverhalt mit folgenden Aussagen umschreiben: Am Anfang war das Rauschen, kein System ohne Parasit, das Dritte kommt immer schon vor dem Zweiten.“251
Darüber hinaus stellt die Agenturtheorie die Funktionsfähigkeit organisatorisch formaler Strukturen, wendet man sie auf organisatorische Fragestellungen an, vollständig in Frage. Im Vergleich zum Ansatz von Andrew M. Pettigrew werden die Schwächen der Agenturtheorie deutlich. Formale und informale Ordnungen werden nicht zueinander in Beziehung gesetzt bzw. die formale Ordnung scheint keinen Einfluss zu haben auf das organisatorische Handeln. Auch soziale Prozesse vermag sie aufgrund ihrer sozialen Unterkomplexität nicht zu erklären. Während bei Andrew M. Pettigrew die vielfältigen Beziehungen bzw. Beziehungsqualitäten zwischen Abteilungen, Abteilungsmitgliedern und Leitern und diese wiederum im Verhältnis zu den Direktoren des Unternehmens untersucht werden, geht die Agenturtheorie, wie bereits deutlich gemacht, von Zweierbeziehungen aus. Diese sind darüber hinaus von Beginn an durch Störungen gekennzeichnet. Von der Beobachtung kollektiver sozialer Dynamiken des politischen Prozessansatzes,
249 „Das häßliche Antlitz: Die Organisation als Machtinstrument“ Morgan, G. (1997): S. 401–472. 250 Vgl. Schreyögg, G. (2012): S. 164, Vgl. Maier, M. (2010): S. 112. 251 Maier, M. (2010): S. 112.
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wie sie bei Michel Crozier oder Andrew M. Pettigrew zu finden sind, ist die Agenturtheorie weit entfernt. Ausgehend von diesen Beobachtungen lässt sich also feststellen, dass die Agenturtheorie Defizite aufweist. Wichtige Probleme und Handlungen von Prinzipalen und Agenten kann die Agenturtheorie nicht erklären. Sie beinhaltet in diesem Zusammenhang ein unterentwickeltes und implizites Machtkonzept.252 Es geht im Folgenden darum, dieses Machtkonzept herauszuarbeiten und kritisch zu betrachten.253 Der Agent löst in der Agenturtheorie Probleme aus: hidden characteristics (versteckte Mängel), hidden action (versteckte Handlungen) und hidden intention (versteckte Ziele). Der Prinzipal reagiert mit Belohnung und Sanktion. Der Agent nutzt also Informationsasymmetrien, die auf Seiten des Prinzipals Unsicherheit auslösen, als Machtquellen. Der Prinzipal wiederum setzt Belohnungen und Sanktionen als Machtmittel ein. Die Agenturtheorie nimmt nun implizit eine Machtasymmetrie zugunsten des Agenten und zuungunsten des Prinzipals an. Nicole J. Saam sammelt ausgehend von dieser These unterschiedliche Beiträge, welche diese These untermauern. So heißt es beispielsweise: „Das Principal-Agent-Problem ist die Kernfrage einer Lehre von den Innenbeziehungen einer Institution schlechthin: Wie kann verhindert werden, daß jene, die durch Handeln Macht ausüben, gegen die Interessen der sie Beauftragenden […] entscheiden? Das Principal-Agent-Problem entsteht, weil Unsicherheit über die Folgen menschlichen Handelns unvermeidbar ist, und Wissen, Wollen und Können zwischen den Menschen ungleich verteilt sind.“254
Wie bereits deutlich gemacht, ergibt sich Macht hier aus Informationsvorsprüngen, welche bei der Agenturtheorie eindeutig beim Agenten liegen. Albert Breton argumentiert ähnlich, wenn er darauf hinweist, dass Agenten in der Lage sind, die Situation des Prinzipals mit Hinblick auf Profite oder Wohlstand zu verbessern oder zu verschlechtern.255 Hier wird wiederum die Ähnlichkeit des Prinzipal-Agent-Ansatzes zu politischen Organisationstheorien deutlich, wie sie bereits mit Andrew M. Pettigrew, Michel Crozier, Jeffrey Pfeffer usw. thematisiert wurden. Die Ansätze gehen davon aus, dass auf individueller Ebene egoistische Eigeninteressen verfolgt werden. Auf der organisatorischen Ebene geht es hingegen um die Verfolgung von Zielen im Sinne aller Organisationsmitglieder. 252 Vgl. Saam, N.J. (2002): S. 126f. 253 Vgl. Saam, N.J. (2002): S. 133. 254 Schneider, D. (1994): S. 26 [Herv. i.O. entfernt]; Vgl. Saam, N.J. (2002): S. 133f. 255 Vgl. Breton, A. (1995): S. 431.
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Diese Zielverfolgung wird durch individuelle Eigeninteressen gestört. Diese Konflikte versuchen, politische Ansätze durch Verhandlungen zu lösen, während bei der Agenturtheorie Anreize bzw. Sanktionen (häufig monetärer Art) eingesetzt werden.256 Hierdurch unterscheidet sich der politische vom ökonomischen Ansatz. Damit wird jedoch deutlich, dass die Macht des Prinzipals größer ist als angenommen, aber in der Agenturtheorie nicht entsprechend reflektiert wird. Die Macht des Prinzipals wird als legitim vorausgesetzt, während die Macht des Agenten thematisiert wird, damit sie durch Belohnungen und Sanktionen verhindert werden kann. Eine machttheoretische Untersuchung des Verhältnisses zwischen Prinzipal und Agent würde voraussetzen, dass nicht nur monetäre Aspekte in die Betrachtung einbezogen sind. Eine stärker soziologisch orientierte Untersuchung könnte das Verständnis für die Machtverhältnisse zwischen Prinzipal und Agent bereichern. Der Prinzipal hat nicht nur monetäre Machtmittel zur Verfügung, sondern hat auch die Möglichkeit, auf der Basis von Reputationsbeschädigung oder durch formale Strukturen (Versetzung usw.) seine Ziele zu erreichen. Daneben kann der formale Ausbildungsprozess dazu beitragen, eine professionelle Ethik und Arbeitsmoral beim Agenten herauszubilden, die dieser internalisiert und die als indirektes Machtmittel des Prinzipals dienen kann. Auch der Theoriediskurs (z.B. die Agenturtheorie) selbst, welcher die Legitimation formaler Organisation voraussetzt, kann hierbei als Machtmittel angesehen werden, welches die Macht des Prinzipals legitimiert und damit als ein indirektes Machtmittel des Prinzipals fungieren kann. Eine Analyse, die allein auf ökonomischen Erklärungsmustern beruht und keine sozialen und insbesondere auch kulturellen Machtverhältnisse einbezieht, kann diese Machtverhältnisse nicht erkennen.257 Nicole J. Saam nennt auch drohende Arbeitslosigkeit als ein Mittel der Sanktionierung durch den Prinzipal.258 In der Organisation kommt die hierarchische Macht dem Prinzipal zu.259 Nach Harrison C. White ist die Ausgangsfrage der Prinzipal-Agent-Theorie, also die Fokussierung auf die Informationsasymmetrie und der daraus gefolgerte Vorteil des Agenten, falsch.260 Für ihn ist die Bezie-
256 Vgl. Eisenhardt, K.M. (1989): S. 63. 257 Vgl. Arrow, K.J. (1985): S. 50; Vgl. Saam, N.J. (2002): S. 134. 258 Vgl. Saam, N.J. (2002): S. 134. 259 Die Agenturtheorie setzt kein hierarchisches Verhältnis voraus und konzentriert sich auch nicht nur auf die Erklärung von organisatorischen Phänomenen. Selbst in Organisationen können Agenturbeziehungen auf gleicher Hierarchieebene stattfinden. Für die vorliegende Betrachtung ist dieser Fall jedoch besonders interessant. 260 Vgl. Saam, N.J. (2002): S. 137, Vgl. White, H. (1985): S. 204.
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hung zwischen Prinzipal und Agent bereits das Ergebnis eines Konfliktes.261 Dieser besteht seiner Meinung nach darin herauszufinden, wie es gelingt, Kontrolle auszuüben und zu erhalten und zwar zur Erreichung unterschiedlicher Ziele. Dafür werden Beziehungen zwischen Prinzipal und Agent etabliert. Der Agent jedoch, so Harrison C. White, entwickelt im Zeitverlauf Taktiken gegen diese Beziehung, wodurch sich die Kontrollbeziehung tendenziell umkehren kann. Strategisches und taktisches Vorgehen bleiben hier voneinander getrennt. Die strategische Macht verbleibt beim Prinzipal. Im Zeitverlauf steht der Agent immer stärker im Blickpunkt. Sein politisches Vorgehen, seine Machtausübung wird in Organisations- und Managementtheorien thematisiert. Der Prinzipal hingegen verschwindet immer stärker aus dem Blickpunkt. Seine Macht und seine Identität legitimieren sich, was sich durch spezifische Begrifflichkeiten ausdrückt. Der Prinzipal besitzt keine Macht, sondern legitime Autorität. Organisatorische Strukturen sind keine Strukturen der Macht, sondern formale Mittel zur Erreichung gemeinsamer Ziele.262 Eine Machtasymmetrie zugunsten des Prinzipals ist daher kaum ein Thema der Agenturtheorie. Ähnliches gilt aus dieser Perspektive heraus dann jedoch auch für die bereits betrachteten politischen Ansätze von Michel Crozier, Andrew M. Pettigrew usw. Auch hier verschwindet die „formale Organisation“ aus dem Fokus. Sie gilt damit gewissermaßen als legitimiert. Alles, was außerhalb dieser formalen Strukturen stattfindet, ist Gegenstand von Machtanalysen. Macht erhält hier durchweg eine negative Konnotation. Der Transaktionskostenansatz, ebenfalls ein Ansatz der Neuen Institutionenökonomik, geht, anders als die Agenturtheorie, explizit auf Machtbeziehungen innerhalb von Organisationen ein. Die Oliver E. Williamson bezieht sich auf die Unternehmung als „governance structure“.„Governance structures which attenuate opportunism and otherwise infuse confidence are evidently needed.“263 Die Unternehmung ist eine Form von Governance. Daneben unterscheidet Oliver E. Williamson noch Markt und Hybride als Governance-Strukturen. Je nach Art der Transaktion bestimmt sich, welche Governance-Strukturen Verwendung finden. Wenn Oliver E. Williamson das Unternehmen als „Governance-Struktur“ bezeichnet, muss damit je261 „There are asymmetries in agencies, and they can lead to difficulties, but I think it is misleading to focus our attention on ‚information’, as in the economist’s customary formulation of the agency problem. Asymmetry in information is better thought of as a by-product and an implication of asymmetry in control, rather than the cause of problems in control.“ White, H. (1985): S. 204. 262 Vgl. Saam, N.J. (2002): S. 137. 263 Williamson, O.E. (1979): S. 242.
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doch noch kein Beherrschungssystem gemeint sein. Im Englischen bezieht sich Governance eher auf die Verwaltungsstrukturen als auf die hierarchischen Beziehungen in Organisationen. Es geht also nicht zwingend um Personenrelationen und Formen der Beherrschung. Oliver E. Williamson hat in einem Artikel aus dem Jahr 1995 in der Tat geschrieben, dass Macht nicht notwendigerweise eine Rolle spielen muss für die Erklärung des Transaktionskostenansatzes. Das institutionalisierte Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer lässt sich allein auf der Basis von wirtschaftlicher Effizienz und Kostenminimierung analysieren. „The role of power in this setup is strictly limited-partly because power tends to be myopic (transactions are not examined ‚in their entirety’) and partly because it is tautological.“264 Auch in diesem Ansatz verschwindet die formale Organisation aus dem Fokus und legitimiert sich über den Ausschluss von soziologischen Aspekten und die Berücksichtigung von Machtbeziehungen. 2.2.4 Asymmetrische Machtbeziehungen auf gesellschaftlicher Ebene Während die bisher betrachteten organisationstheoretischen Ansätze Macht stärker auf der Mikro- bzw. Mesoebene betrachtet haben, gibt es auch Theorien, welche die Beziehung zwischen Organisation und gesellschaftlichem Umfeld beobachten.265 Organisationen sind korporative Akteure und besitzen Kontrolle und Macht über gesellschaftliche Strukturen und Prozesse. Sie konstituieren asymmetrische Machtverhältnisse. Insbesondere James S. Coleman interessiert sich dafür, wie sich Organisationen als korporative Akteure herausgebildet haben, worin ihre gesellschaftliche Macht liegt und wie sie durchgeführt wird.266 Er geht davon aus, dass individuelle Akteure, welche in einem Verhältnis zu einem korporativen Akteur stehen, weniger Macht besitzen und abhängiger von der Organisation als korporativer Akteur sind als umgekehrt. Es herrscht daher aus seiner Sicht eine Machtasymmetrie vor. Wenn diese Asymmetrie die gesellschaftliche Struktur prägt, ist von einer „asymmetrischen Gesellschaft“ die Rede.267 Im 19. Jh. tritt die Rechtsform der juristischen Person, insb. der Aktiengesellschaft, vermehrt auf. Bis zu dieser Zeit werden Organisationen noch als Personenkollektive verstanden. Mit der Einführung des Konzeptes der juristischen Person entwickeln sich Organisationen selbst zu Einheiten, denen Handlungen,
264 Williamson, O.E. (1995): S. 21. 265 Vgl. Matys, T. (2006): S. 86. 266 Vgl. Matys, T. (2006): S. 85f. 267 Vgl. Coleman, J. S. (1986); Vgl. Matys, T. (2006): S. 86.
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Aufwendungen und Erträge bzw. Produktivität und Reichtum zugerechnet werden.268 Die Organisation als korporativer Akteur ist demnach eine zurechnungsfähige Einheit. Für Organisationen wird darüber hinaus auch ein eigener Rechtsraum geschaffen, der sich von anderen Räumen wie dem privaten Raum oder dem öffentlichen Raum unterscheidet.269 Die juristische Person ist eine zentrale Erfindung der Moderne und stellt für Kapitaleigner und Management eine wesentliche Entlastung dar. Darüber hinaus ermöglicht sie den Aufbau eines produktiven Kapitals. Damit ist die Rechtsfigur bereits eng mit einer ökonomischen Akkumulation verkoppelt. Sie ermöglicht die Kontinuität von Eigentum über das Leben natürlicher Subjekte hinaus. Sie schafft also einen Möglichkeitsraum für unternehmerisches Handeln und das Management. Die Organisationseinheit erlaubt es darüber hinaus, dass „Ressourcen, Kosten und Erträge“270 internalisiert bzw. externalisiert werden können. Unternehmen greifen beispielsweise auf Ressourcen zurück, die keinen Eingang in die Kostenrechnung finden z. B: extern finanzierte Bildungsleistungen von Arbeitnehmern, Infrastrukturen oder wissenschaftliche Ergebnisse. Zudem können beispielsweise Kosten der Produktion externalisiert und auf die Gesellschaft übertragen werden. „In die Gewinn- und Verlustrechnung geht nur ein kleiner Teil aller Aufwendungen und Kosten ein; das Ergebnis dieser Rechnung aber kann sich die Unternehmung selbst zurechnen. Sie kann sich als ‚produktiv‘ darstellen und Überschüsse privat aneignen.“271
Die Gesetzgebung unterscheidet heute zwischen zwei Arten von Personen, welche Eigentum besitzen, Interessen haben oder ihr Eigentum entsprechend verwenden können: natürliche und juristische Personen. Juristische Personen können Unternehmen, Kirchen, Städte usw. sein.272 Bei der juristischen Person handelt es sich um eine künstliche Person bzw. einen Zusammenschluss, der geschaffen wird, weil sich Menschen zusammentun, um gemeinsam etwas zu erreichen, was für jeden einzelnen Menschen dieser Gruppe allein nicht erreichbar wäre.273 Es handelt sich bei der juristischen Person um einen eigenen Körper, der sich von den einzelnen Elementen, aus denen er besteht, unterscheidet.274 Histo268 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 89f. 269 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 28f. 270 Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 28. 271 Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 29. 272 Vgl. Coleman, J. S. (1973): S. 1. 273 Vgl. Deiser, G. F. (1908): S. 132. 274 „Dobson, Hobson, Jopson and others form a corporation. Each receives stock, Dobson is president, and Hobson secretary. They have a board of directors and own
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risch neu sind juristische Personen in der Rechtstheorie des 19. Jh.s nicht. Schon im 13. und 14. Jh. wurden Kirchen und Städte vor Gericht als Personen anerkannt, welche in der Lage waren, unabhängig von der Lebensdauer natürlicher Personen Eigentum zu kaufen, zu besitzen und zu verkaufen. James S. Coleman beschreibt die Entstehung von korporativen Akteuren ab dem 13. Jh..275 Durch diese Entwicklungen lösten sich ständische Beschränkungen auf und natürliche Personen konnten sich gemeinsam gegenüber dem König oder dem Staat behaupten.276 Die Rechtstheorie hat sich seitdem entwickelt und in der Moderne werden mehr und mehr Angelegenheiten durch künstlich geschaffene Personen abgewickelt. Viele verschiedene Organisationen erlangten seit dem 19. Jh. den Status von juristischen Personen. In Deutschland wurde die juristische Person 1900 als Institution im Bürgerlichen Gesetzbuch verankert. Heute verlieren natürliche Personen ihre Macht und Souveränität, indem mehr und mehr Rechte an Organisationen abgegeben werden. Dahingehend unterscheiden Adolf A. Berle und Gardiner C. Means277 zwischen aktiven und passiven Rechten an Eigentum. Aktives Eigentum bedeutet, dass dieses Eigentum aktiv verwendet werden kann, und passives Eigentum benennt die restlichen Eigenschaften, z.B. vom Eigentum profitieren zu können oder sein Eigentum zurückziehen zu können. Mit Hilfe von aktivem Eigentum kann nach James S. Coleman Macht ausgeübt werden, während passives Eigentum bedeutet, Gewinn aus dieser Machtausübung zu ziehen. In der Moderne liegt das Recht an aktivem Eigentum und damit an Macht vermehrt in der Hand von juristischen Personen bzw. Organisationen, während natürliche Personen vermehrt nur noch passive Rechte über Eigentum inne haben. Damit ist ein Verlust an Macht auf Seiten der natürlichen Personen zu verzeichnen, was gleichfalls einen Verlust an autonomem Handeln mit sich bringt.278 Dies offenbart sich in der gesellschaftlichen Interaktion zwischen natürlichen und juristischen Personen. Über die juristische Person wird eine Einheit geschaffen, welche Arbeit und Subjekte inkludiert und zusammenschließt und darüber einen Mehrwert erzeugt. Natürliche Personen profitieren von diesem Zusammenschluss, jedoch ist damit property. Now who owns the property? Dobson, Jopson, et al., or the vague personality connotated by the term corporation. Is it, in fact, a personality? Dobson and the rest own stock, ergo, no property. The directors do not own it; all the stockholders together cannot alienate it, the corporation can.“ Deiser, G. F. (1908): S. 132 [Herv. i.O.]. 275 Vgl. Coleman, J. S. (1986): S. 18ff. 276 Vgl. Coleman, J. S. (1986): S. 26. 277 Vgl. Berle, A.A.; Means, G.C. (1940). 278 Vgl. Coleman, J. S. (1973): S. 3.
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auch ein Machtverlust auf Seiten natürlicher Personen zu beobachten. Nach James S. Coleman ist die moderne Gesellschaft eine asymmetrische Gesellschaft, weil hier immer häufiger natürliche Personen mit Agenten juristischer Personen interagieren und in diesem Handlungskontext über weniger Ressourcen und damit über weniger Macht verfügen, um diese Handlungskontexte strukturieren zu können. Die Auseinandersetzung mit Organisationen als „korporative Machtakteure“ setzt sich in aktuellen Ansätzen fort. So spielt sie eine Rolle in Globalisierungsdebatten bzw. im Rahmen von Auseinandersetzungen mit Governance.279 Governance und Macht Thomas Matys zufolge steht Governance erstens für Veränderungen des Verhältnisses zwischen Staat und Gesellschaft.280 Zunehmend geht es dabei um Formen der gesellschaftlichen und ökonomischen Selbstkoordination, ohne dass der Staat einen Einfluss ausübt. Private Organisationen gewinnen hierbei immer stärker an Macht. Zweitens steht Governance für einen Wandel der politischen Steuerungsformen. Es gibt unterschiedliche soziale Koordinationsformen. Bei Oliver Williamson tauchen beispielsweise Markt und Hierarchie auf.281 Diese werden jedoch erweitert durch Netzwerke.282 Es handelt sich um einen neuen Regulierungsmodus, der neben Staat und Markt tritt. Netzwerke, die aus unterschiedlichen Akteuren wie politischen Organisationen, Unternehmen, Verbänden und Non-Profit-Organisationen bestehen, regulieren sich selbst und basieren auf neuen Regeln, Leitbildern und Anreizen. Sie entstehen, um komplexe Probleme zu lösen. Es besteht dabei ein Unterschied zwischen Management und Governance. So bezieht sich Management vor allem auf die Binnensteuerung von Unternehmen und Organisationen. Im Vordergrund steht wirtschaftliche Effizienz und die Frage, wie diese durch Anreize, Preise und Kontrakte erreicht wird. Frieder Naschold et al. nennen dies das „Chandlerische Modell“. Hierunter verstehen die Autoren „die Entstehung und das Wachstum der großen modernen Firma“283 im Kontext eines Massenmarktes und staatlicher Regulierungen. Die moderne Firma ist gekennzeichnet durch eine hierarchische Struktur und eine vertikale Integration. Prozesse der Produktentstehung werden linear und sequentiell gestaltet und entsprechend in Wertschöpfungsketten abgebildet. Im Zentrum der Branche steht meist der Endhersteller. Nach Frieder Naschold et al. ist dieses Modell an der Automobilbranche orien279 Vgl. Matys, T. (2006): S. 86. 280 Vgl. Matys, T. (2006): S. 156. 281 Vgl. Williamson, O.E. (1995). 282 Vgl. Castells, M. (2009). 283 Naschold, F.; Jürgens, U.; Lippert, I.; Renneke, L. (1999): S. 2.
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tiert bzw. dient dazu, deren stärker mechanistische Strukturen und Prozesse abzubilden. Governance hingegen bezieht sich auf die Koordination von Akteuren in Netzwerken. Das Steuerungszentrum fluktuiert. Macht bestimmt sich immer wieder neu, beispielsweise durch Standards. Dabei können mehrere Organisationen Machtzentren sein. Im Vordergrund steht nicht mehr ein einzelnes Unternehmen. Als Merkmale des Governancemodells nennen Frieder Naschold et al. u.a. eine produktlinienorientierte Funktionsintegration und eine Projektorganisation.284 Die Autoren weisen darauf hin, dass das vorgestellte Governance-Konzept vorwiegend in der Informationsbranche auftritt. Im Vordergrund stehen dort neue Technologien, offene Produkte, wobei diese mit Einsperreffekten einhergehen, desintegrierte Wertschöpfungsketten und vertikale Wertschöpfungsnetzwerke, die Beteiligung des Endkunden, die Transformation bestehender Geschäftsmodelle, ein fluktuierendes Netzwerk zwischen den beteiligten Unternehmen und ein hoher Innovationswettbewerb. Das hier beschriebene Konzept der Governance unterscheidet sich auch von dem in der BWL diskutierten Konzept der Corporate Governance. Bei der Corporate Governance geht es um unternehmensinterne Steuerungsmodalitäten und Regeln auf der Basis der Selbstregulierung.285 Im soziologischen GovernanceDiskurs steht nicht das einzelne Unternehmen im Vordergrund, sondern auch interorganisationale Kooperation. Auch die Veränderung der Regelstrukturen spielt hierbei eine Rolle. Auf das veränderte Verhältnis zwischen Politik und Staat gehen u.a. Klaus Türk et al. ein. Sie betrachten Governance unter dem Aspekt eines „Organisationalen Neoliberalismus“.286 Während der Liberalismus sich auf die Freiheit des Individuums konzentrierte und diese weitgehend als zu unterstützenden Naturzustand betrachtete, geht der Neoliberalismus davon aus, dass ein liberaler Zustand hergestellt werden muss. Hierbei geht es um eine Neuorganisation von staatlichen Aktivitäten. Darunter zählen beispielsweise Privatisierung und Deregulierung. Staaten schaffen vielmehr sich selbst regulierende Handlungsräume und vermeiden gezielte Interventionen. Diese nehmen eine dezentrale und netzwerkartige Struktur an, in die viele verschiedene Akteure, darunter auch private Organisationen, integriert werden. Die staatliche Souveränität und Macht nimmt hier jedoch nicht ab, sondern verändert ihre Form. An die Stelle von direkten Regulierungen treten indirekte Mechanismen der Steuerung. Klaus Türk et al. beziehen sich hierbei auf das Konzept der Gouvernementalität nach Michel Fou284 Vgl. Naschold, F.; Jürgens, U.; Lippert, I.; Renneke, L. (1999): S. 3. 285 Vgl. Matys, T. (2006): S. 158, S. 156–157. 286 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 291–295.
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cault. Auch Nikolas Rose und Peter Miller nutzen dieses Konzept als Zugang zu nicht direkt sichtbaren Kontrollinstanzen. So heißt es bei ihnen mit Bezug auf neue Formen der Governance: „It draws attention to the diversity of regulatory mechanisms which seek to give effect to government, and to the particular importance of indirect mechanisms that link the conduct of individuals and organizations to political objectives through ‚action at a distance’.“287
Die Führung nimmt nicht ab, so wenig wie die Freiheit der Individuen durch diese Entwicklungen zunimmt. Die Politik übergibt jedoch Führungsfunktionen zunehmend an private Organisationen. Individuen werden von Organisationen abhängig, welche als Agenten für sie handeln. Der Staat installiert im Zuge der Deregulierung von Staatsaktivitäten Institutionen, die diese sicherstellen sollen: Gesetze, Regulierungs-, Evaluierungs- und Akkreditierungsbehörden. „Während gewählte Vertreter und formale Repräsentationsorgane wie Parlamente zunehmend an politischer Bedeutung verlieren, nehmen Einfluss und Entscheidungsmacht privater Organisationen im politischen Willensbildungsprozess zu.“288
Diese Entwicklung ist auf nationaler und internationaler Ebene zu beobachten. Im globalen Rahmen übergibt die Politik Führungsfunktionen an Nichtregierungsorganisationen. Vor allem Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs289) agieren weltweit politisch als private Organisationen. Sie agieren größtenteils ohne öffentliche Kontrolle und ernennen sich selbst zu Agenten bestimmter Gruppen, welche sie jedoch nie in einem demokratischen Prozess gewählt haben. NGOs haben daher ein Legitimationsproblem. Daneben existieren Organisationen wie die OECD oder die G8 (International Governmental OrganizationsIGOs) als machtvolle Akteure, welche politisch ins Weltgeschehen eingreifen und dabei aber nur einige wenige Staaten repräsentieren. Insgesamt unterliegen nach Klaus Türk et al. immer weitere Teile der Gesellschaft der Organsierung. Die Artikulation von Meinungen oder Forderungen kann den Autoren zufolge heutzutage nur über Organisationen gelingen. Weltweit dienen westliche Organisationsformen dabei im Zuge der Modernisierung als Vorbild oder werden von Menschen unterstützt und von NGOs eingefordert.290 Hierbei geht es um die Emanzipation der Frauen, Menschenrechte, Wahl287 Rose, N.; Miller, P. (1990): S. 1. 288 Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 296. 289 Z.B. Human Rights Watch, Oxfam. 290 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 297f.
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rechte, Gesundheit und Bildung usw. NGOs und IGOs verändern das Weltgeschehen ausgehend von westlichen Modellen und legen bei Interventionen westliche Kategorien und Begrifflichkeiten zugrunde (Export, Alphabetisierung, Bruttonationaleinkommen,…). Westliche Organisationen prägen damit weltweit gesellschaftliche Formen und weiten sich immer weiter aus. Klaus Türk et al. sprechen von einer „Welt der Organisationen“.291 Auf der Makroebene betrachtet sind zwei Aspekte der Organisation aus einer Machtperspektive bedeutsam. Einmal geht es hierbei um die einzelne Organisation als korporativer Akteur, als ein eigenes Gebilde. Das drückt sich durch die Einführung der juristischen Person aus. James S. Coleman kritisiert hier ein Machtungleichgewicht zwischen natürlichen und juristischen Personen in modernen Gesellschaften, da Organisationen entscheidende Orte der Ressourcenallokation und -bindung sind. Zum anderen wird vor allem bei Klaus Türk deutlich, dass es Organisation als spezifisch westlich-moderne Regierungsform zu untersuchen gilt. „Man kann sagen, dass Organisation sich in relativ kurzer Zeit zum zentralen Regierungsdispositiv der modernen Gesellschaft, d.h. zum zentralen Modus der Führung oder ‚Regierung‘ von Ko-Operationen entwickelt hat.“292 Organisationen weisen nach Klaus Türk einen doppelten Herrschaftscharakter auf. Sie sorgen für Machtasymmetrien als Einzelakteure und sie verdrängen andere Formen der gesellschaftlichen Kooperation, „indem sie ein hegemonialer Modus der Regierung geworden“293 sind. „Vor allem in den Händen der Organisationen der Wirtschaft, der Politik und der Massenmedien liegt die Definitionsmacht für soziale Probleme. Identitäten, Persönlichkeitsstrukturen, Mentalitäten und Habitus entwickeln sich entlang von organisationalen Positionierungen.“294
Mit der Ausweitung des westlichen Regierungsmodus „Organisation“ dürften ebenso Anforderungen nach westlichen Identitäten und Verhaltensweisen eine weltweite Verbreitung finden. Aus dieser Beobachtung gegenwärtiger Entwicklungen heraus ergibt sich ein weiterer wichtiger Grund, das westliche Organisationsdispositiv auf seine Charakteristika und identitätsbildenden Aspekte hin zu analysieren.
291 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006). 292 Türk, K. (2005): S. 1. 293 Türk, K. (2005): S. 2. 294 Türk, K. (2005): S. 2.
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2.3 Z USAMMENFASSUNG : R ATIONALITÄT
VS .
M ACHT
Nach einer Auseinandersetzung mit Organisations- und Managementansätzen auf der Mikro-, Meso- und Makroebene wird deutlich, dass Macht in einigen Beispielen vor allem auf der Mikro- und Mesoebene als negatives Konzept aufgefasst wird, welches der rationalen Struktur der Organisation entgegensteht und deren Ziele gefährdet. Meist entsteht Macht, wo Unsicherheiten herrschen, also wo Lücken im ansonsten geregelten Verhalten entstehen. Macht versteht sich hier, je nach Betrachtungsebene, als verbunden mit spezifischen Personen, Gruppen oder Organisationen, welche diese Unsicherheiten für sich nutzen. Macht findet statt, wenn ein Akteur einen anderen Akteur dazu bringt, etwas zu tun, was dieser ansonsten niemals tun würde.295 So unterscheidet Henry Mintzberg beispielsweise zwischen legitimer und illegitimer Macht. Während die legitime Macht den gemeinsamen Interessen der Angehörigen einer Organisation dient, gefährdet die illegitime Form der Macht die organisatorische Ordnung. Auch auf der strukturellen Ebene, z.B. im Kontingenzansatz oder im Ressourcenabhängigkeitsansatz, geht es um Machtverhältnisse, welche sich durch sogenannte „Zonen der Unsicherheit“ ergeben und durch die organisatorische Rationalität nicht ausreichend abgedeckt bzw. vermieden werden. Darin steckt eine Konnotation von Macht als etwas Sporadischem und Episodenhaftem.296 Zudem wird Macht als irrational und negativ konstruiert, da sie der organisatorischen Rationalität entgegensteht. Anders als bei Max Weber ist in der Auseinandersetzung der Organisationstheorie selten die Rede von Macht als etwas Dauerhaftem und Strukturimmanentem. Bei Max Weber kann Macht darüber hinaus nicht als rein negatives Konzept betrachtet werden, da sie gemeinschaftliches Handeln erst ermöglicht und damit eine unabdingbare Voraussetzung moderner Organisationen ist. Die Organisations- und Managementtheorie unterscheidet sich entsprechend von Max Weber dadurch, dass Macht erstens als etwas betrachtet wird, was außerhalb der organisatorischen Rationalität stattfindet. Zweitens ist Macht etwas Negatives, was sich gegen die organisatorische Rationalität wendet. Drittens wirkt Macht sporadisch bzw. episodenhaft und nicht dauerhaft. Bei Max Weber hingegen erscheint Macht als strukturimmanent, positiv und dauerhaft. Er legt zudem einen weiten Machtbegriff zugrunde.
295 Vgl. Clegg, S. (1998a): S. 32. 296 Vgl. Clegg, S. (1998a): S. 32f.
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Ähnlich wie Max Weber hat sich auch Michel Foucault mit Macht als Grundlage moderner Organisationen beschäftigt und nach der institutionellen Herkunft von Macht gefragt. Einige makroökonomische Ansätze wie der von Klaus Türk greifen Konzepte von Michel Foucault auf und fragen nicht primär nach der negativen Wirkung von Macht, sondern werfen einen kritischen Blick auf Organisationen als Orte der Macht, an denen nicht nur Güter und Dienstleistungen produziert werden, sondern Menschen, Verantwortlichkeiten und Verantwortungsentlastungen, Eigentumsverhältnisse, Konkurrenz, Gemeinschaften (Schutz-, Kampf-, Produktions-, Aneignungsgemeinschaften usw.), Inklusion und Exklusion, soziale Räume, Regeln, Orte, Sichtbarkeit, Überwachung, Ungleichheit (Rang, Reputation, Einkommen, Bildung) usw.297 Organisationen als Formen der gesellschaftlichen Kooperation sind dabei gesellschaftlich bereits soweit internalisiert, dass auf „drastische“ architektonische Symboliken, aber auch auf starre Regulierungen, Überwachungsmechanismen und Zwangsmittel verzichtet werden kann.298 Nachdem sie in der westlichen Welt internalisiert und verbreitet sind, treten sie nach Klaus Türk et al. vermehrt weltweit auf und vermitteln westliche Werte und Lebensweisen. Eine solch bedeutende Form der Koordination menschlicher Aktivitäten bedarf daher eines genaueren Hinsehens und mitunter auch einer kritischen Analyse. Ein historischer Blick auf die Entwicklung von Organisationen unter Machtaspekten ermöglicht es, heute als selbstverständlich angenommene Verhältnisse und Wirkungsweisen von Organisationen zu hinterfragen. Dafür ist jedoch ein differenzierter Machtbegriff nötig. Ein negativer, sporadischer und irrationaler Machtbegriff kann diese Auseinandersetzung nicht leisten. Dagegen soll gefragt werden, wie durch Macht Denk- und Verhaltensweisen und damit gesellschaftliche Wahrheiten und Identitäten erzeugt werden. Der Ansatz von Michel Foucault kann die Auseinandersetzung mit Macht durch Max Weber erweitern und helfen, einen solchen kritischen Machtbegriff zugrunde zu legen. Die Wurzeln des Foucaultschen Machtbegriffes und auch der Weberschen Auseinandersetzung wiederum liegen bei Friedrich Nietzsche, weshalb sein Ansatz im Folgenden mit im Zentrum der Betrachtung steht. „Der König ist tot, es lebe der König!“ Michel Foucault zufolge ist die Auseinandersetzung mit Macht als etwas Negativem und Sporadischem eng mit der Monarchie als souveräne Macht verbunden. 297 Vgl. Türk, K. (2005): S. 5ff. 298 Türk, K. (2005): S. 9.
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Mit Michel Foucault kann der Frage nachgegangen werden, wie es dazu kommt, dass positive Macht als inhärente Eigenschaft von Organisationsstrukturen und -kulturen in der Organisationstheorie nur wenig thematisiert wird. Darüber hinaus kann mit Hilfe des Ansatzes von Michel Foucault ein Untersuchungskonzept erarbeitet werden, welches auf der Basis eines vielschichtigen Machtbegriffes eine historische Analyse von organisatorischen und gesellschaftlichen Machtbeziehungen erlaubt. Nach Michel Foucault ist die heute am weitesten verbreitete Konzeption von Macht synonym mit der Institution der Monarchie bzw. hat ihre Wurzeln in diesen Vorstellungen. „Foucault nennt diese Auffassung der Macht die ‚juridisch-diskursive‘ […]. Sie ist durch und durch negativ; Macht und Wahrheit sind einander vollkommen äußerlich. Macht erzeugt nichts als ‚Begrenzung und Mangel‘“.299
Auch ein Teil der bisher untersuchten Organisations- und Managementansätze fügt sich in diese Vorstellungswelt ein. Michel Foucault nennt zwei Gründe, warum diese Auffassung von Macht so bereitwillig in unseren Diskurs eingelassen wurde. Er nennt zum einen den „Gewinn des Sprechers“ bzw. die „Pose des universellen Intellektuellen“, der für die Menschheit spricht und an die Zukunft appelliert, welche besser werden soll. Der Sprecher steht dabei selbst außerhalb der Macht und innerhalb der Wahrheit. Zweitens wird diese Interpretation von Macht leicht akzeptiert. Es gehört zu einer der wesentlichen Verfahrensweisen der modernen Macht, dass sie sich maskiert. Sie tut dies, indem sie einen Diskurs produziert, der ihr scheinbar entgegensteht. Die formale Organisation steht hierbei beispielsweise der Macht entgegen. Ihre Funktionsweise wird dabei durch unternehmerische Machtpolitiken gestört. „Reine Schranke der Freiheit – das ist in unserer Gesellschaft die Form, in der sich Macht akzeptabel macht.“300 Michel Foucault kritisiert diese negative und einseitige Interpretation von Macht in der modernen Theorie und setzt ihr andere Machtbegriffe entgegen. Für ihn ist die souveräne Macht, deren materielle Form der Strafe die Marter ist, eine spezifische Form der Macht, welche gesellschaftlich variiert und heute kaum mehr ausreicht, gesellschaftliche Machtverhältnisse zu verstehen.301 Michel Foucault setzt die Beschreibung der souveränen Machtform beispielsweise an den Anfang 299 Dreyfus, H.L.; Rabinow, P. (1994b): S. 159. 300 Dreyfus, H.L.; Rabinow, P. (1994b): S. 160. 301 Zur souveränen Macht vgl. Dreyfus, H.L.; Rabinow, P. (1994b): S. 158–160; Zur neuen „Richtgewalt“ in „Überwachen und Strafen“ vgl. Dreyfus, H.L.; Rabinow, P. (1994b): S. 173f.
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seiner Auseinandersetzung in „Überwachen und Strafen“. Die Marter ist hierbei für ihn zentral für die souveräne Strafgewalt. Das Gesetz repräsentiert die Macht des Souveräns, die der Straftäter gebrochen hat.302 Der Souverän allein hat die Macht über die Strafe und verdeutlicht sie im Rahmen öffentlicher Sichtbarkeit am Körper des Täters. Damit soll das, durch Widersetzung gegen die Souveränität, entstandene Ungleichgewicht der Macht zwischen ihm und dem Verbrecher wiederhergestellt werden. Der verwundete Körper wird durch die Marter zum Ausdruck der souveränen Macht. Macht ist dabei an den Souverän gebunden und an die Frage von Gesetz und Recht. Der Souverän erscheint als jemand, der im Krieg aller gegen alle den Frieden sichert. Er verkörpert Recht und Gesetz und setzt seine Macht durch, indem er verbietet, was das Gesetz als illegitim erkennt.303 Die souveräne Macht entwickelte sich im Mittelalter und richtete sich gegen die ständigen Auseinandersetzungen zwischen feudalen Machtbestrebungen. „The monarchy presented itself as a referee, a power capable of putting an end to war, violence and pillage and saying no to these struggles and private feuds.“304 Die souveräne Macht erlangte Legitimität durch ihre juridische und negativ einschränkende Funktion. Die Repräsentation von Macht durch Souveränität und Recht weitete sich in den folgenden Epochen durch Rechtstheorien aus. Nach Michel Foucault dreht sich die heutige Rechtstheorie noch immer maßgeblich um das Problem der Souveränität. Seiner Meinung nach brauchen wir jedoch eine politische Philosophie, die sich nicht um Souveränität und König dreht. „We need to cut off the King's head.“305 Macht wirkt in der Konzeption um Souveränität nicht nur negativ, sondern auch episodisch, d.h. sie wird nur wirksam, wenn ein Verstoß gegen das Gesetz stattfindet. Das bedeutet, dass Macht meistens abwesend ist. Nach Zygmunt Baumann wirkt die Macht in dieser Epoche auch in ökonomischen Zusammenhängen lediglich sporadisch.306 Produkte der Arbeit, Mieten, Steuern oder sonstige Abgaben mussten nur periodisch eingezogen werden, weshalb es um die Sicherung dieses Transfers ging. Arbeit war daher noch nicht Gegenstand der Macht. Für die periodische Abgabe an den König oder Feudalherren war es weitgehend nebensächlich, wie der Untertan sein tägliches Geschäft verrichtete, wie er seinen Körper und Geist einsetzte und welche Ge302 Vgl. Foucault, M. (1994a): S. 63ff. 303 Für Joseph Rouse ist dagegen jedoch eine Macht die Glaubenssätze und Werte verändert wesentlich gefährlicher als Gewalt und Folter wie sie vom Souverän ausgeübt wird. Vgl. Rouse, J. (1994): S. 15–16. 304 Foucault, M. (1980): S. 121. 305 Foucault, M. (1980): S. 121. 306 Vgl. Baumann, Z. (2010): S. 10; Clegg, S. (1998a): S. 32f.
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bräuche seine Aufgaben begleiteten. Der Bereich der Arbeit und deren Organisation waren nicht Gegenstand der Macht, wie es sich mit der Entstehung moderner Organisationen durchsetzt. „In feudal societies power functioned essentially through signs and levies. Signs of loyalty to the feudal lords, taxes pillage, hunting, war etc. In the seventeenth and eighteenth centuries a form of power comes into being that begins to exercise itself through social production and social service. It becomes a matter of obtaining productive service from individuals in their concrete lives. And in consequence, a real and effective ‚incorporation’ of power was necessary, in the sense that power had to be able to gain access to the bodies of individuals, to their acts, attitudes and modes of everyday behaviour.“307
Michel Foucault legt Machtkonzepte zugrunde, welche die Vorstellung der Ausübung von souveräner Macht erweitern, da dieses Konzept nicht mehr in der Lage ist, gesellschaftliche Verhältnisse von heute zu beschreiben. Mithilfe einer historischen Analyse stellt er einen alternativen Blick auf Macht zur Verfügung, in deren Fokus plötzlich der Mensch steht. Bei ihm ist das Konzept der souveränen Macht damit lediglich ein Spezialfall. Im 17. und 18. Jh. bilden sich nach Michel Foucault neue Machtformen heraus. Es handelt sich hierbei um eine Mikrophysik der Macht, die unscheinbar ist und kaum erkennbar, indem sie winzige Prozeduren am Körper vornimmt. Es ist eine Form von Macht, die nicht nur alle Lebensbereiche durchdringt, sondern darüber hinaus permanent wirksam ist. In Organisationen ist diese Form von Macht ein Bestandteil alltäglicher Routine.308 Anders als im souveränen Machtkonzept muss nichts direkt gesagt oder getan werden, was dann im Sinne mechanistischer Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge sichtbar wird. Michel Foucault beschreibt eine Macht, die nicht von oben oder außerhalb auf die Menschen einwirkt, sondern wie ein Netz funktioniert, welches über die gesamte Gesellschaft gespannt ist und damit vom Inneren der Gesellschaft her wirkt. Die Disziplinarmacht ist ein Konzept von Macht, welches die moderne Gesellschaft seit dem frühen 19. Jh. kennzeichnet und durchdringt. Es ist wiederum Zygmunt Baumann, der diese neue Machtform treffend beschreibt:309
307 Foucault, M. (1980): S. 125. 308 Mitunter kann auch die Organisation selbst als eine solche Routine westlicher Gesellschaften gesehen werden. 309 Vgl. Baumann, Z. (2010): S. 40f; Clegg, S. (1998a): S. 32f.
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„Power moved from the distant horizon into the very centre of daily life. Its object, previously the goods possessed or produced by the subject, was now the subject himself, his daily rhythm, his time, his bodily actions, his mode of life.“310
Seiner Ansicht nach suchte sich Macht einen neuen Ort bzw. dehnte sich auf Bereiche aus, die vorher nicht von ihr besetzt waren. Im Konzept der Disziplinarmacht richtet sich das Auge der Macht auf das einzelne Individuum. Im Fokus stehen Körper und Geist des Einzelnen, deren Regulierung und Bewertung. Alles, was nicht der Normalität entspricht, muss tendenziell eliminiert werden.311 Das Subjekt muss sich entsprechend messen lassen an Vorgaben über „richtig“ und „falsch“. Daneben führt Michel Foucault noch weitere Machtkonzepte wie das der Gouvernementalität ein. Bereits der Begriff weist zwei Bedeutungsebenen auf: „Gouverne“ als Form der Regierung und „Mentalität“ als den Geist und die Denk- und Verhaltensmuster von Personen betreffend. Es handelt sich hier um eine Weiterentwicklung des Modells der Disziplinierung von Subjekten, wie sie Michel Foucault in „Überwachen und Strafen“ vorstellt. Das bedeutet nicht, dass die Disziplinen verschwinden. Sie werden jedoch zu einem sehr spezifischen Modell der Machtausübung, welches nicht ausreicht, um die Subjektivierungsweisen seit Ende des 18. Jh.s nachzuvollziehen.312 Das Konzept der Regierung prägt in unterschiedlicher Form die Subjektivierung im 19. und 20. Jh. Zentraler Ansatzpunkt der Regierung sind Subjekte, Objekte und insbesondere komplexe Gemeinschaften wie die Bevölkerung. In beiden Konzeptionen ist Macht Bestandteil der Gesellschaft selbst und in den alltäglichen Routinen des Lebens wirksam. Anders als das Konzept der souveränen Macht wirkt Macht hier nicht zwingend mechanisch oder wird unmittelbar sichtbar, indem sie von einem Akteur über einen anderen Akteur ausgeübt wird. Im Unterschied zur souveränen Macht, welche ihre Wirksamkeit durch sporadische, dabei jedoch eindrückliche Zeremonien schafft, sind die neueren Machtformen auf ein dichtes und größtenteils unsichtbares Netz angewiesen. Dieses Machtnetz umspannt das Leben des modernen Menschen und dringt in seinen Körper und in seinen Geist ein. Macht und Identität(en) Aus der vorangegangenen Betrachtung lassen sich wichtige Erkenntnisse für die Auseinandersetzung mit Macht in modernen Organisationen ziehen. Erstens ist 310 Baumann, Z. (2010): S. 40f; Clegg, S. (1998a): S. 32f. 311 Vgl. Reckwitz, A. (2008): S. 33-34. 312 Vgl. Reckwitz, A. (2008): S. 34.
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Macht keineswegs nur unterdrückend und negativ. Im Gegenteil: Macht ist positiv, indem sie produktiv wirkt.313 Macht ist produktiv, weil sie Identitäten erzeugt. Organisationen lassen sich entsprechend als Orte der Macht verstehen, welche an der Produktion von Identitäten beteiligt sind. Sie bringen das hervor, was wir unter dem modernen Menschen verstehen. Zweitens ist Macht nicht allein durch sichtbare Entscheidungen gekennzeichnet. Macht wirkt häufig unsichtbar und wird entsprechend nicht als solche wahrgenommen. Darüber hinaus ist Macht nicht sporadisch, sondern dauerhaft und strukturimmanent. Drittens kann sie, bezieht man die Betrachtungen auf die Organisation, nicht allein außerhalb der organisatorischen Rationalität verortet werden. Michel Foucault legt hier ein ähnlich differenziertes Machtverständnis zugrunde wie Max Weber, der Macht auch in Herrschaftsformen wie der Bürokratie wirken sieht und den Beamten selbst als Figuration, als Produkt der modernen Bürokratie. Michel Foucault kritisiert in diesem Zusammenhang die Vorstellung von autonomen und einheitlichen Identitäten.314 Jeder Mensch wird nach dieser Vorstellung in bestehende Machtverhältnisse hineingeboren. Die Struktur der Machtverhältnisse bestimmt die Welt, in der wir leben und welche Erfahrungen Menschen machen. Machtverhältnisse strukturieren entsprechend die Welt und damit auch die Identitäten von Menschen. Sie bestimmen die soziale Identität und die Art und Weise des „Seins“ in der Welt. Diese Perspektive unterscheidet sich damit zum einen vom Positivismus bzw. Objektivismus, deren Vertreter darauf abzielen, die Natur und den Menschen zu erkennen, vorhersehbar zu machen und zu kontrollieren. Auf der anderen Seite unterscheidet sich diese Perspektive von der humanistischen Psychologie. Vertreter der humanistischen Psychologie stützen sich auf die gewonnenen Erkenntnisse über den Menschen. Vor allem in den USA legten Organisationsforscher seit der Mitte des 20. Jh.s zunehmend humanistisch-psychologische Konzepte (insb. Motivationstheorien) zugrunde und übertrugen sie auf ihre eigene Forschung.315 Die theoretischen Annahmen zur Natur des Menschen setzen Individuen von ihrem kulturellen oder historischen Kontext frei. Dabei legen sie beispielsweise ca. ab der Mitte des 20. Jh.s einen Menschen zugrunde, welcher nach Selbstverwirklichung strebt.316 Chris Argyris, ein Vertreter des „Human-Resources-Ansatzes“, geht in seinem Werk „Personality and Organization. The conflict between System and the Individual“ (1957), 313 Vgl. Foucault, M. (1978): S. 35. 314 Vgl. Alvesson, M.; Deetz, S. (1996): S. 205f. 315 Vgl. u.a. Herbert Simon (1957), Chester Barnard (1970); Koalitionstheorie: u.a. Richard M. Cyert, James G. March (1963); Lernende Organisation: u.a. Chris Argyris und Donald A. Schön (1997). 316 Vgl. Moldaschl, M. (2003): S. 25ff.
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beeinflusst von humanistischen Ideen, von einem Individuum aus, bei dem personales Wachstum im Zentrum steht.317 Dieses Individuum stammt aus der humanistischen Psychologie, welche bis auf Abraham Maslow zurückreicht.318 Abraham Maslow nimmt an, dass jeder Mensch eine biologisch fundierte innere Natur besitzt. Weiterhin verweist Abraham Maslow darauf, dass diese innere Natur einzigartig und nur beim Menschen zu finden ist. „Man kann diese innere Natur wissenschaftlich untersuchen und ihre Beschaffenheit entdecken (nicht erfinden: entdecken).“319 Der innere menschliche Kern sollte gefördert und nicht unterdrückt werden.320 Die humanistische Anschauung erscheint Abraham Maslow als geeignetes Mittel, um dem (hier statisch gedachten) Wesen des Menschen gerecht zu werden. In der modernen Organisationstheorie, die nach einer effizienten Integration von Individuen in Organisationen fragt, steht folglich die Auffassung im Vordergrund, dem Einzelnen auch im Rahmen der Arbeit seinen inhärenten und gegebenen Wunsch nach Selbstverwirklichung zu erfüllen. Der hier vorgeschlagene Ansatz zur Analyse von Organisationen wendet sich gegen diese humanistischen Vorstellungen überzeitlicher Identitäten. Soziale Verhältnisse stehen an erster Stelle und der Mensch kann nicht unabhängig von seinem historischen und kulturellen Kontext verstanden werden. Der Mensch selbst ist nicht der Ursprung der Erfahrung, sondern Erfahrung findet eingebettet in soziale Machtverhältnisse statt.321 Erfahrungswelten sind dabei eng an materielle Verhältnisse gebunden und nicht allein auf Denkweisen bezogen. Organisatorisch sichtbar sind sie im Rahmen von Machttechniken, wie sie in Gefängnissen, Krankenhäusern, Schulen und Fabriken eingesetzt werden. Dort kommt es zur Produktion spezifischer Identitäten. Organisationen als Machtverhältnisse werden aufgrund ihrer Dominanz als moderne gesellschaftliche Kooperationsform zum Ausgangspunkt der Untersuchung moderner Identitäten. Die Konzentration auf den Menschen als Zentrum der sozialen Welt steht hier in Frage. Von einigen Autoren wird diese privilegierte Position des Individuums in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung bereits angegriffen.322 Eine der deutlichsten Kritiken formulieren Julian Henrique et al. in „Changing the Subject“.323 Die Autoren fordern dazu auf, das u.a. auf der Psychologie basierende individualistische Theoriekonzept aufzugeben, um zu zeigen, inwieweit Individuen durch den 317 Vgl. Argyris, C. (1957). 318 Vgl. Maslow, A.H. (1992). 319 Maslow, A.H. (1992): S. 21. 320 Vgl. Maslow, A.H. (1992): S.21. 321 Vgl. Alvesson, M.; Deetz, S. (1996): S. 205f. 322 Vgl. Nord, W.R.; Fox, S. (1996): S. 148ff. 323 Vgl. Henriques, J. (1984).
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sozialen Kontext, in dem sie sich bewegen, geformt werden. Im Vordergrund soll die wechselseitige Beziehung zwischen dem Einzelnen und sozialen Prozessen stehen. Auch in der Organisationsforschung rücken seit den 70er Jahren verstärkt Kontextfaktoren in den Mittelpunkt und das Individuum verliert scheinbar zunehmend seinen Status als Ausgangspunkt der Analyse. Walter R. Nord und Suzy Fox stellen davon ausgehend in einer umfangreichen Studie die Frage, ob das Individuum aus der Organisationsforschung verschwindet: „The Individual in Organizational Studies: the Great Disappearing Act“. Sie halten fest, dass die Fokussierung auf Kontextfaktoren in der Organisationsforschung nicht nur in US-amerikanischen Studien sichtbar wird, sondern insbesondere auch in europäischen Organisationsansätzen.324 Andere Autoren stellen in diesem Zusammenhang fest, dass der Annahme, dass Menschen unveränderliche und kontextunabhängige Eigenschaften besitzen, ein Missverständnis zugrunde liegt. Insbesondere die US-amerikanische Psychologie hat lange Zeit nicht erkannt, wie stark soziale Normen und Regeln das Verhalten von Individuen beeinflussen können, da sie ein bestimmtes menschliches Verhalten zunächst auf scheinbar apriorisch vorhandene menschliche Eigenschaften zurückführen und nicht auf soziale Kontextfaktoren.325 Manche Kulturen, vor allem Westliche, tendieren dazu, im Individuum und seinem inneren Kern (Gefühle, Wissen, Eigenschaften) das grundlegende Fundament für menschliches Verhalten zu sehen. Stattdessen ist es besser, Verhalten ausgehend von der Beziehung zu einem sozialen Kontext zu betrachten.326 In diesem Zusammenhang spielt das Individuum immer noch eine entscheidende Rolle in den Organisationswissenschaften. Diese Rolle wird jedoch stärker durch den Kontext definiert.327 Die essenziellen Eigenschaften von Individuen sind nach Walter R. Nord und Suzy Fox nicht mehr der hauptsächliche Ausgangspunkt der Organisations- und Managementforschung. Andere, insbesondere postmoderne Organisations- und Managementansätze, postulieren, dass die Sichtweise auf Individuen als kohärente und autonome Entitäten in der heutigen Zeit nicht mehr angemessen ist.328 Ende des 20. Jh.s und im kulturellen Kontext von immer neuen und ständig wechselnden Diskursen, wird der Einzelne von einer solchen Anzahl unterschiedlicher Diskurse angesprochen, dass nur noch von fragmentierten Identitäten ausgegangen werden kann. In relativ homogenen und stabilen Gesellschaften hingegen ist es teilweise legitim, von relativ stabilen Identitäten zu sprechen. In einem heterogenen, glo324 Vgl. Nord, W.R.; Fox, S. (1996): S. 152. 325 Vgl. Markus, H.P.; Kitayama, S. (1991): S. 248. 326 Vgl. Markus, H.P.; Kitayama, S. (1991): S. 226. 327 Vgl. Nord, W.R.; Fox, S. (1996): S. 158ff. 328 Vgl. Alvesson, M.; Deetz, S. (1996): S. 206.
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balisierten, technisch vernetzten Kontext, wo Diskurse und Bilder ihre Referenzpunkte verlieren und Erfahrungswelten zunehmend virtuell oder hyperreal werden, gehen die stabilisierenden Kräfte verloren.329 So bezeichnet Jean Baudrillard die Hyperrealität als eine „Generierung eines Realen ohne Ursprung in der Realität.“330 Für Jean Baudrillard bedeutet das Hyperreale den totalen Verlust der wahrnehmbaren Differenz zwischen Kopie und Original. Sofern etwas real erscheint, obwohl es nicht real ist, so ist es hyperreal. Die Hyperrealität beschreibt somit das Wesen der Simulation. In der dritten Ordnung der Simulation setzt der Begriff der Simulation nach Jean Baudrillard erst ein, da hier etwas Unwirkliches als wirklich wahrgenommen wird und nicht mehr als unwirklich entziffert werden kann. Die Simulation „liquidiert alle Referentiale […] [und ersetzt sie durch eine] künstliche Wiederauferstehung in verschiedenen Zeichensystemen.“331 Nach Jean Baudrillard leben wir bereits in einer Art Matrix. Alles, was wir erfahren, generiert sich aus den Medien. Medien jedoch beziehen sich stets aufeinander. In dem Moment, wo das Wissen jedoch immer weniger aus den eigenen sinnlichen Erfahrungen stammt, beziehen wir uns auf eine bereits konstruierte Realität. Damit gibt es im Sinne Baudrillards nichts Reales mehr. Die Vielfalt von Simulationen, medialen Diskursen und virtuellen Welten, in denen wir uns bewegen, suggeriert, dass dem Einzelnen mehr Freiheit zukommt und auch marginalisierte Gruppen sich in den Diskurs einmischen können. Jedoch führt diese Vielzahl an Bezugspunkten und Erfahrungswelten auch zu zunehmender Unsicherheit, welche wiederum Strategien der Normalisierung mit sich bringt. Menschen suchen freiwillig nach vorgegebenen Identitäten, Erfahrungs- und Handlungsmustern und sinnvollen Rollen. Diese finden sie beispielsweise im Konsum, in Kulturen der Organisation und Produktion usw. Organisationen spielen hierbei jeweils eine entscheidende Rolle. Ein anderer Strang der postmodernen Sozialwissenschaften geht davon aus, dass so etwas wie „die“ homogene, einheitliche und widerspruchsfreie Persönlichkeitsstruktur in der Moderne per se nicht existiert und nie existiert hat. Andreas Reckwitz macht in seinem Buch „Das hybride Subjekt“ auf den Umstand aufmerksam, dass herkömmliche große Erzählungen der Moderne entweder einen Prozess der „Individualisierung“, der Freisetzung von Individuen aus sozialen Bindungen oder einen Prozess der „Disziplinierung“, der immer stärkeren Unterordnung des Einzelnen unter rationalisierende Normen, zugrundelegen.
329 Vgl. Alvesson, M.; Deetz, S. (1996): S. 206. 330 Baudrillard, J. (1978): S. 7. 331 Baudrillard, J. (1978): S. 9.
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Demgegenüber wird bei Andreas Reckwitz in der Form einer historischen Kulturanalyse der Moderne eine andere Perspektive eingenommen: „Die Kultur der westlichen Moderne vom 18. Jahrhundert bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts stellt sich als ein Konfliktfeld dar, auf dem sehr unterschiedliche Formen dessen, was ein modernes, anerkanntes und erstrebenwertes Subjekt ausmachen soll, miteinander konkurrieren. Es gibt nicht die moderne Persönlichkeitsstruktur als eine homogene, widerspruchsfreie Einheit. Die Kulturen des Subjekts stellen sich vielmehr als Überlagerungen differenter kultureller Muster unterschiedlicher Herkunft dar: das moderne Subjekt ist ein durch und durch hybrides Arrangement der Subjektivation, das systematisch von Brüchen durchzogen ist.“332
Ob nun das moderne Subjekt niemals als eine einheitliche und homogene Struktur gelten kann oder vor allem in heutiger Zeit nicht mehr von einer einheitlichen Struktur gesprochen werden kann, lässt sich nur historisch analysieren. Hierbei müssen die spezifischen Machtverhältnisse in den Blick genommen werden, die in einem historischen und kulturellen Kontext zur Produktion von Subjekten beitragen. Die Gemeinsamkeit postmoderner Ansätze liegt darin, dass das Subjekt als etwas „im Werden begriffenes“ verstanden wird. Eine Reihe von Organisations- und Managementforschern hat sich bereits mit den sprachlichen, materiellen und institutionellen Machtmechanismen auseinandergesetzt, durch die spezifische Subjekte produziert werden. 333 Der Großteil dieser Arbeit stützt sich auf die Forschung von Michel Foucault. Im Vordergrund steht in den Organisations- und Managementwissenschaften hierbei insbesondere die Bedeutung menschlicher Akteure und ihrer individuellen Handlungen.334 Im Mittelpunkt steht die Frage, durch welche Prozesse Subjekte erzeugt werden. Es geht bei dieser Forschungsausrichtung weniger um die Prozesse, mit deren Hilfe Einzelne die Welt aktiv und intentional verändern oder verändern sollen, was den Ausgangspunkt der Organisations- und Managementwissenschaften normalerweise kennzeichnet. So versucht etwa die bereits angesprochene Agenturtheorie, das Handeln von Menschen in der Hierarchie zu erklären. Der Ausgangspunkt des Handelns ist das einzelne Wirtschaftssubjekt, welches durch bestimmte Merkmale wie unvollständige Information, Opportunismus 332 Reckwitz, A. (2006): wörtliches Zitat entnommen aus dem Klappentext des Verlages Velbrück Wissenschaft 2010. 333 Vgl. u.a.: Burrell, G. (1988); Burrell, G.; Morgan, G. (1979); Clegg, S. (1998b); Du Gay, P. (2000); Knights, D.; Willmott, H. (1989); McKinlay, A.; Starkey, K. (Hrg.) (1998). 334 Vgl. Alvesson, M.; Deetz, S. (1996): S. 207.
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oder Risikoneigung gekennzeichnet ist. Der Fokus der postmodernen und kritischen Auseinandersetzung mit organisationalem Verhalten ist ein anderer. Mats Alvesson und Laura Empson untersuchen beispielsweise in ihrem Aufsatz „The construction of organizational identity: Comparative case studies of consulting firms“, inwieweit Organisationsmitglieder durch organisationale Identitäten geformt werden und wiederum selbst an der Formung organisationaler Identitäten beteiligt sind. „Organizational members develop and express their self-concepts within the organization and the organization in turn is developed and expressed through its members’ self-concepts.“335 Hugh Willmott und Mats Alvesson haben sich in dem Text „Identity regulation as organizational control: Producing the appropriate individual“ mit der Regulierung von Mitarbeiteridentitäten, Selbstbildern und Arbeitseinstellungen beschäftigt, welche kongruent sind mit den Interessen des Managements. Die Autoren gehen davon aus, dass das Management normativ auf der Basis mehr oder weniger intentionaler Einflussnahmen die Selbstkonstruktion von Mitarbeitern beeinflusst. Identitätsmanagement wird hier also als ein Medium organisatorischer Kontrolle verstanden.336 Paul du Gay et al. fragen in ihrer Studie „The Conduct of Management and the Management of Conduct: Contemporary Managerial Discourse and the Constitution of the ‚Competent’ Manager“ nach der Produktion kompetenter Manager.337 Der Diskurs über den organisatorischen Wandel geht mit der Forderung nach einem neuen Managertypus einher. In Organisationen, die sich in Quasimärkte transformiert haben, müssen Manager besondere Kompetenzen entwickeln. Den Autoren geht es hier um das Verhältnis zwischen Struktur und dem Einzelnen. Barbara Townley untersucht in „Michel Foucault, Power/Knowledge, and Its Relevance for Human Resources Management“, inwieweit HRM als ein Diskurs und ein Bündel an Praktiken verstanden werden kann, welche Unsicherheiten beseitigen, die durch unvollständige Arbeitsverträge entstehen. HRM ist hierbei zunächst ein heterogenes Feld, welches sich zusammensetzt aus: „anything from supervision, incentives and profit sharing to machine-paced production, methods of training and employee selection.“338 Barbara Townley spricht sich für eine Perspektive auf HRM aus, bei der disziplinäre Techniken zum Einsatz kommen, um Wissen und Macht zu produzieren.339 Bei diesen Prozessen steht die Produktion eines individualisierten Mitarbeiters im Zentrum, welcher analysier- und beschreibbar ist. Es handelt sich bei HRM also zunächst um einen Prozess, der 335 Alvesson, M.; Empson, L. (2008): S. 1. 336 Vgl. Alvesson, M.; Willmott, H. (2002). 337 Vgl. Du Gay, P.; Salaman, G.; Rees, B. (1996). 338 Townley, B. (1993): S. 518. 339 Vgl. Townley, B. (1993): S. 541.
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sich durch einen „Willen zum Wissen“ ausdrückt. Der „Wille zum Wissen“ ist, nach Michel Foucault und insbesondere auch nach Friedrich Nietzsche, hierbei eng mit einem „Willen zur Macht“ verbunden. Macht und Wahrheit Friedrich Nietzsche hat in den Organisations- und Managementwissenschaften bisher wenig Berücksichtigung erfahren. Sein Ansatz zur Herstellung eines moralischen Subjektes in der „Genealogie der Moral“ bietet jedoch ein reiches Analyseinstrumentarium für die Auseinandersetzung mit der Subjektivierung in und durch Organisationen.340 Wie bei Michel Foucault sind es bei Friedrich Nietzsche Machtverhältnisse, welche menschliche Interaktionen bestimmen, Überlegenheit und Unterwerfung markieren und Widerstände sichtbar machen. Dies gilt nicht nur für Krieg und Politik, sondern für nahezu alle Bereiche des menschlichen Zusammenlebens. Friedrich Nietzsche ist in diesem Zusammenhang ein, wenn nicht „der“ Machttheoretiker. Er spricht über Macht, ohne das Konzept auf den Bereich der Politik zu reduzieren. Michel Foucault stellt fest, dass Machtverhältnisse für Friedrich Nietzsche so zentral sind wie Produktionsverhältnisse für Marx. Die menschliche Gesellschaft basiert zu einem gewissen, wenn nicht sogar einem wesentlichen Teil auf dem „Willen zur Macht“. Michel Foucault wird maßgeblich von Friedrich Nietzsche beeinflusst. Wie bei Friedrich Nietzsche geht es auch bei Michel Foucault um die Verbindung von Macht und Wahrheit. So heißt es bei Friedrich Nietzsche in „Morgenröte – Gedanken über die moralischen Vorurteile“: „Die Wahrheit hat die Macht nötig. – An sich ist die Wahrheit durchaus keine Macht, – was auch immer des Gegenteils der schöntuerische Aufklärer zu sagen gewohnt sein mag! – Sie muss vielmehr die Macht auf ihre Seite ziehen oder sich auf die Seite der Macht schlagen, sonst wird sie immer wieder zu Grunde gehen! Dies ist nun genug und übergenug bewiesen!“341
Für Friedrich Nietzsche sind Macht und Wahrheit hierbei eng miteinander verbunden. Der Wille zur Wahrheit ist bei ihm der Wille zur Macht. Friedrich Nietzsche stellt damit den Wert der Wahrheit überhaupt in Frage und kritisiert
340 Im Zusammenhang mit Organisation und Management spielt Nietzsche z.B. im Human Ressource Management bei Townley eine Rolle: Vgl. Townley, B. (1999). Zum anderen wurde er von Melissa Walters auf den Bereich des Accounting angewendet: Vgl. Walters, M. (2004). 341 Nietzsche, F. (1887b): Vorrede/535 [Herv. i.O.].
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jene, die noch an die Wahrheit glauben.342 So ist das Fundament der Moral nicht etwa die Wahrheit, sondern jene hat sich in Kämpfen um Überlegenheit, Unterwerfung und Widerständen durchgesetzt und ist damit ein Ergebnis des „Willens zur Macht“. Hiermit ist auch die genealogische Methode der Geschichtsschreibung von Friedrich Nietzsche umrissen, welche diese Kämpfe in den Mittelpunkt stellt. Michel Foucault übernimmt diesen Zusammenhang von Macht und Wahrheit und stellt fest, dass Wahrheit nicht außerhalb von Macht möglich ist.343 Wahrheit ist nicht das Ergebnis freier Geister oder das Privileg derer, die sich frei wähnen oder selbst befreit haben. „Truth is a thing of this world: it is produced only by virtue of multiple forms of constraint. And it induces regular effects of power.“344 In jeder Gesellschaft gibt es „Regime“ der Wahrheit, die darüber bestimmen, welche Diskurse als wahr gelten und eine Unterscheidung zwischen wahr und falsch ermöglichen. Diese „Regime“ entscheiden auch darüber, wer den Status innehat, Dinge zu sagen, die als wahr gelten. Nach Michel Foucault hat das Machtregime in unserer Gesellschaft verschiedene wichtige Eigenschaften. Wahrheit bezieht sich heute vor allem auf wissenschaftliche Diskurse und deren Institutionen. Es besteht eine ständige Suche nach Wahrheit. Wahrheit ist in unserer Gesellschaft stark verbreitet und zirkuliert vor allem in Form von Bildung. Einige wenige dominante gesellschaftliche Institutionen wie Universitäten und Medien kontrollieren, produzieren und verbreiten Wahrheiten. Diese wiederum sind moderne Organisationsformen, die sich in ihrer Form und Funktion selbst zu gesellschaftlichen „Wahrheiten“ entwickelt haben. Vor allem aber besteht ein ständiger Kampf um Wahrheit und sie ist damit insbesondere ein Thema politischer Debatten. Wahrheit ist nach Michel Foucault nicht bei bestimmten Menschen angesiedelt oder wird von diesen ausgeübt. Es geht Michel Foucault nicht darum, das Regime der Wahrheit in einer Gesellschaft ausfindig zu machen. Vielmehr sollen die Regeln erkannt werden, nach denen richtig und falsch voneinander unterschieden sind und es soll hinterfragt werden, mit welchen Mechanismen der Macht sie einhergehen. Dabei steht nicht das Ziel im Vordergrund, Wahrheit von jeder Form der Macht zu lösen. Dies ist nach Michel Foucault gar nicht möglich, weil jede Form von Wahrheit mit Macht verbunden ist. Er spricht sich jedoch dafür aus, die Wahrheit von den hegemonialen Formen unserer sozialen, ökonomischen und kulturellen Welt zu lösen, an die sie gekoppelt ist.345 342 Vgl. Nietzsche, F. (1887a): III/24. 343 Vgl. Foucault, M. (1980): S. 131f. 344 Foucault, M. (1980): S. 131. 345 Vgl. Foucault, M. (1980): S. 133.
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„The political question, to sum up, is not error, illusion, alienated consciousness or ideology; it is truth itself. Hence the importance of Nietzsche.“346 Aus den Ausführungen wird deutlich, dass Macht, die sich im Besitz einzelner Personen befindet, nicht interessant für die Analyse ist. Es geht vielmehr um die Auseinandersetzung mit Machtbeziehungen. Macht ist gekoppelt an sprachliche Identitäten und Differenzen, materielle Praktiken und soziale Institutionen.347 Der „Manager“ kann als Produkt dieser Machtbeziehungen gesehen werden. Machtbeziehungen entmachten und ermächtigen die Gruppe der Menschen, die zu den Managern zählen, „It simultaneously provides a solidarity and interests and sets into play conflicts, material and symbolic resources, selfunderstandings, and the same for others such as professionals and workers.“348 Macht besteht hier in der Grenzziehung und in den materiellen Gegebenheiten und symbolischen Praktiken, die diese Grenzen unterstützen. Dies können Auswahlprozesse sein, Büroanordnungen und -einrichtungen, informelle Treffen und Meetings, an denen beispielsweise nur Manager teilnehmen dürfen. Ein weiteres, bereits genanntes Beispiel ist das Human-Resources-Management in Organisationen. Nach Barbara Townley dient es dazu, Beschäftigte unterzuordnen und zu beeinflussen. Formen der Selbstüberwachung und Selbstformung können jedoch auch vom Einzelnen selbst ausgeübt werden. Sie richten sich in Organisationen häufig an Normen und Regeln aus, die von anderen etabliert wurden. Macht und Widerstand? Michel Foucault beschreibt Macht und interessiert sich dabei für deren Wirkungen auf den Menschen. Er entwickelt einen vielschichtigen und produktiven Machtbegriff. Darüber hinaus ist Macht nichts, was sich der Einzelne aneignen oder was er besitzen kann. Es stellt sich die Frage, wie, von diesem Machtbegriff ausgehend, Widerstand möglich ist. In Teilen der Organisations- und Managementtheorie, wie sie im Rahmen dieser Arbeit dargestellt wurde, spielt der Widerstand gegen organisatorische Ordnungen eine entscheidende Rolle. Beispielhaft hierfür sind die Ansätze von Michel Crozier et al., David Hickson et al., Jeffrey Pfeffer, Gerald R. Salancik und Henry Mintzberg. Lediglich dort, wo sich einzelne Personen oder eine Gruppe von Personen gegen die bestehenden organisatorischen Strukturen wenden, sehen Organisations- und Managementtheoretiker Macht wirken. Diskursiv wird hier eine Unterscheidung zwischen dem rationalen System Organisation und ihrem „irrationalen“ Gegenüber repro-
346 Foucault, M. (1980): S. 133. 347 Vgl. Alvesson, M.; Deetz, S. (1996): S. 209. 348 Alvesson, M.; Deetz, S. (1996): S. 209.
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duziert.349 Macht ist hiermit das Problem mit Bezug auf die Verbindung von informalen und formalen Aspekten der Organisation. Macht geht dabei meist von entmächtigten Beschäftigten der unteren Hierarchieebenen aus. Macht ergibt sich darüber hinaus teilweise aus den diesen Beschäftigten zur Verfügung stehenden Ressourcen. Hier wird ein grundlegend anderer Machtbegriff als bei Michel Foucault, Friedrich Nietzsche oder auch Max Weber verwendet. Macht ist dort angesiedelt, wo ein Widerstand gegen die rationale Organisation vermutet wird. Legt man einen Machtbegriff zugrunde, wie er bei Michel Foucault, Friedrich Nietzsche und auch bei Max Weber zu finden ist, dann ist Macht ein inhärenter Bestandteil einer jeden sozialen Struktur und damit auch grundlegend für die Organisation. Im Folgenden geht es darum, ein Konzept von Macht zugrundezulegen, welches sowohl Machtbeziehungen als auch Formen des Widerstandes und deren Dynamik analysieren kann. Dies soll dazu dienen, organisationale Prozesse zu verstehen. Neben unterschiedlichen Machtebenen wird im Folgenden daher auch nach der Möglichkeit des Widerstandes gefragt. Inwieweit innerhalb der Machtbegriffe von Michel Foucault und Friedrich Nietzsche Widerstand begriffen wird, soll u.a. Gegenstand der folgenden Analyse sein. Ziel der Arbeit ist es, Machtverhältnisse sichtbar zu machen und damit das Verständnis für die Funktionsweise moderner Organisationen zu vertiefen. Zentral ist hierbei die Frage, welche Vorstellungen vom arbeitenden Menschen spezifischen organisatorischen Praktiken und Diskursen zugrunde liegen. Damit einher geht die Frage nach der Akzeptanz von Machtverhältnissen. Im Fokus steht entsprechend der Zusammenhang zwischen Macht und Subjekt(ivierung). Der Mensch wird hierbei nicht als gegeben und autonom betrachtet, sondern ist immer schon das Produkt dominanter gesellschaftlicher Machtverhältnisse, wie sie die Organisation darstellt. Das im Folgenden erarbeitete Konzept wird schließlich auf die Analyse zweier konkreter Organisations- und Managementdispositive angewendet.
349 Vgl. Clegg, S. R.; Courpasson, D., Phillips, N. (2006): S. 20.
3. Macht und Subjektivierung
Grundlegende Werkzeuge für die Analyse von Machtverhältnissen in modernen Organisationen finden sich bei Michel Foucault und Friedrich Nietzsche. Aus beiden Ansätzen lassen sich wichtige Erkenntnisse für eine Subjekt- und Machtanalyse von Organisationen ziehen. Beide Ansätze dienen dazu, ein Raster für die Beobachtung von Machtverhältnissen und deren Beziehung zum Subjekt in Organisationen herzustellen. Für Michel Foucault, wie auch für Friedrich Nietzsche, ist die Vorstellung von der Moderne als linearem Fortschrittsnarrativ, welches mit einer Autonomisierung des Subjektes verbunden ist, nicht zeitgemäß.1 Aufbauend auf der Forschung von Friedrich Nietzsche wendet sich Michel Foucault außerdem gegen die Vorstellung eines festen subjektiven Kerns.2 In der „Genealogie der Moral“ von Friedrich Nietzsche geht es um die Geschichte des moralischen Subjekts. Diese Geschichte erzählt von den Machtmechanismen, durch die moralische Subjekte auf eine bestimmte Weise produziert werden. Michel Foucault übernimmt in modifizierter Form bestimmte Grundannahmen von Friedrich Nietzsche bezüglich der Macht, des Subjektes, dessen Kontextabhängigkeit und Geschichtlichkeit. In den 1970ern hat Michel Foucault die Genealogie von Friedrich Nietzsche als Methode für seine historischen Arbeiten vorgestellt („Friedrich Nietzsche, die Genealogie, die Historie“, 1969/1970). Aber auch die meisten seiner anderen vorhergehenden und nachfolgenden Werke kann man in Anlehnung an Friedrich Nietzsche als Teil einer Genealogie des Subjektes betrachten.3
1
Vgl. Reckwitz, A. (2008): S. 26.
2
So zeigt Friedrich Nietzsche in der Genealogie der Moral wie die Moral Körper und Geist hervorbringt, indem durch sie ein „Thier“ herangezüchtet wird, welches versprechen darf. Vgl. Nietzsche, F. (1987a); Vgl. Reckwitz, A. (2008): S. 25.
3
Vgl. Saar, M. (2007): S. 13.
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Michel Foucault selbst hat mit Blick auf seine Arbeit festgestellt, dass die Frage nach dem Subjekt in allen seinen Untersuchungen im Vordergrund stand.4 „Zunächst möchte ich darlegen, was das Ziel meiner Arbeit während der letzten 20 Jahre war. Es war nicht die Analyse der Machtphänomene und auch nicht die Ausarbeitung der Grundlagen einer solchen Analyse. Meine Absicht war es vielmehr, eine Geschichte der verschiedenen Verfahren zu entwerfen, durch die in unserer Kultur Menschen zu Subjekten gemacht werden.“ 5
Subjektivierung heißt jedoch nicht nur, dass Menschen zu Subjekten gemacht, also durch Verfahren von außen konstruiert werden. In einem späteren Werk, der „Geschichte der Sexualität“, macht Michel Foucault Aussagen zur Selbstkonstitution eines Moralsubjektes durch und mithilfe von ethischen Praktiken. Subjektivierung bedeutet in diesem Zusammenhang auch die autonome, „selbstsubjektivierende“ Herstellung eines Selbstverständnisses und die Anwendung von Techniken des Selbst, also die Selbstkonstitution von Subjekten. Die beiden Aspekte der Konstruktion von Subjekten auf der einen und der Selbstkonstitution auf der anderen Seite sowie Möglichkeiten des Widerstandes gegen Regime der Macht hat Michel Foucault nie explizit zusammengeführt bzw. in seinen Schriften weiter ausgeführt. Erst Judith Butler hat in ihrer Auseinandersetzung mit Michel Foucault die Aspekte der Konstruktion und der Konstitution verbunden.6 Sie schreibt dort, dass sich das Subjekt selbst formt, aber im Rahmen von Formierungspraktiken, und spricht von Subjektivation. Sie beschreibt damit sowohl das „Werden“ des Subjektes, welches zu einer autonomen Handlung fähig ist, sie beschreibt aber auch das Unterworfensein des Subjektes unter Machtstrukturen, die das Subjekt erst hervorrufen.7 Diese Praktiken sind vorgegeben und das Subjekt büßt seine verlässliche Form von Subjektivität ein, wenn es sie unterläuft. Die Arbeit von Judith Butler ermöglicht eine Theorie des Subjektes, welche seine Doppelstruktur als zum einen Unterworfenes (Konstruktion) und zum anderen Selbstbestimmtes, sich selbst Konstituierendes (Konstitution) berücksichtigt.8
4
Vgl. Reckwitz, A. (2008): S. 23.
5
Foucault, M. (1994b): S. 243.
6
Vgl. Saar, M. (2007): S. 326f.
7
Vgl. Butler, J. (2001): S. 7f.
8
„‚Subjektivation‘ bezeichnet den Prozeß des Unterworfenwerdens durch Macht und zugleich den Prozeß der Subjektwerdung.“ Butler, J. (2001): S. 8. Der lateinische Begriff „subjectum“ bedeutet das „darunter Geworfene“ bzw. das „darunter Liegende“. Vgl. Hoffmeister, J. (1955): S. 585.
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„Eine vertraute und quälende Form der Macht erfährt man im Beherrschtwerden durch eine Macht außerhalb seiner selbst. Eine ganz andere Einsicht ist hingegen die, daß ‚man‘, daß die Bildung unserer selbst als Subjekt, auf die eine oder andere Weise von ebendieser Macht abhängt.“9
Für Judith Butler sind Individuen immer schon Subjekte: „Man kann sich paradoxerweise gar nicht verständlich auf Individuen oder ihr Werden beziehen, ohne sich zuvor schon auf ihren Subjektstatus zu beziehen. Die Geschichte der Subjektivation ist zirkulär und setzt ebendas Subjekt schon voraus, das sie erst erklären will.“10
Ziel ist es, basierend auf den Ansätzen von Friedrich Nietzsche und Michel Foucault ein Analyseraster für den Zusammenhang zwischen Macht und Subjektivierung zu erarbeiten und für die historische Herausbildung eines Organisationssubjektes in Anwendung zu bringen. Mit diesem Ansatz kann gezeigt werden, in welcher Weise Organisationen für bestimmte historische und kulturelle Momente subjektivierend wirken und an welchen Stellen sich historische Brüche ereignen. Der Bezugspunkt ist hierbei die Organisation der Wirtschaft.
3.1 M ACHT
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BEI
F RIEDRICH N IETZSCHE
„Das sind noch lange keine freien Geister: denn sie glauben noch an die Wahrheit.“11 Das Werk von Friedrich Nietzsche wird heute häufig mit einer Dezentrierung des Subjektes in Verbindung gebracht.12 Friedrich Nietzsche beschäftigt sich mit der moralphilosophischen Tradition und wendet sich gegen das klassische metaphysische Denken.13 Dieses Denken ist nach Friedrich Nietzsche von der Vorstellung beherrscht, an einem ahistorischen normativen Fixpunkt festhalten zu können. Die Suche nach dieser stabilen Entität zeigt sich bei Rene Descartes, der in seinen „Meditationes de Prima Philosophia“ (1641) nach einer sicheren Orientierung im Zeitverlauf sucht und meint, sie im „Ich“ gefunden zu haben. Friedrich Nietzsche nimmt hingegen eine radikale Historisierung von al-
9
Butler, J. (2001): S. 7.
10 Butler, J. (2001): S. 16. 11 Nietzsche, F. (1887a): III/24. 12 Vgl. Reckwitz, A. (2008): S. 23ff; siehe insb. auch Saar, M. (2007): S. 97ff. 13 Vgl. Raffnsøe, S. (2007): S. 8f, S. 16–21.
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lem vor, selbst die Gegenwart wird geschichtlich gedacht. Mit diesem Denken geht jedoch auch die Möglichkeit fester Orientierungspunkte verloren.14 Deutlich wird dieser Ansatzpunkt Friedrich Nietzsches in dem Werk „Zur Genealogie der Moral“. In diesem Text übt Friedrich Nietzsche Kritik an dem Phänomen der Moral, die uns heute mit einem direkten Gültigkeitsanspruch entgegentritt. „Wir haben eine Kritik der moralischen Werthe nöthig.“15 Er stellt jedoch fest, dass eine Kritik der Moral nicht einfach möglich ist. Dafür muss er zunächst den Wert der Moral selbst in Frage stellen, und dazu untersucht er die Bedingungen und Umstände, aus denen sie hervorgegangen ist.16 Diese studiert er in seiner Genealogie. „Gesetzt, dass es wahr wäre, […] dass es eben der Sinn aller Cultur sei, aus dem Raubthiere ‚Mensch‘ ein zahmes und civilisirtes Thier, ein Hausthier herauszuzüchten.“17 Friedrich Nietzsche zeigt hier, dass das moralische Subjekt nicht etwa ein ahistorisches Konstrukt ist, sondern das Ergebnis eines spezifisch westlichen Programms zur Hervorbringung von Körper und Seele. Das Subjekt und seine Moralität können ihm zufolge nicht als ahistorische Fixpunkte für die Orientierung in unserem Leben betrachtet werden, als die sie die Philosophie der Moderne von Descartes und Kant über Fichte bis hin zu Hegel darstellte.18 Mit Friedrich Nietzsches Genealogie steht eine Philosophie, die sich sehr lange mit einer übergeschichtlichen Gültigkeit des Subjekts zu beschäftigen hatte, in der Kritik.19 Gleichermaßen erfährt die Philosophiegeschichte mit Friedrich Nietzsche eine Neuerung, da sich mit ihm zeigt, dass die Geschichte in ihrer Unüberwindbarkeit eine bedeutsame Aufgabe der Philosophie darstellt.20 Die Genealogie ist eines der zentralen philosophischen Werke des 19. Jh.s. Erstmalig legt Friedrich Nietzsche selbst hier konsequent seine Kritik an der Moral dar, die ihm zufolge die europäische Philosophie und das Soziale durchdrungen hat. Subjekt im Kontext Die Genealogie der Moral lässt sich als eine Praxisgeschichte der Subjektivierung lesen.21 Friedrich Nietzsche wendet sich in diesem und weiteren Werken (u.a. „Jenseits von Gut und Böse“) von einer theoretischen Form von Subjektivität ab und artikuliert eine praktische Formung des Subjektes im Sinne einer Sub14 Vgl. Raffnsøe, S. (2007): S. 21. 15 Nietzsche, F. (1887a): Vorrede/6. 16 Vgl. Saar, M. (2007): S. 98f. 17 Nietzsche, F. (1887a): I/11. 18 Vgl. Raffnsøe, S. (2007): S. 21–23; einen Überblick gibt Riedel, C. (1989). 19 Vgl. Saar, M. (2007): S. 97ff. 20 Vgl. Raffnsøe, S. (2007): S. 23. 21 Vgl. Saar, M. (2007): S. 107, S. 105.
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jektivierung. Subjekte formieren und stabilisieren sich bei Friedrich Nietzsche im Kontext generalisierter Handlungen. Diese Handlungen sind in Machtbeziehungen eingebunden, welche historisch und kulturell divergieren. Kritik an der allgemeinen theoretischen Form des Subjektes In ihrer traditionellen allgemeinen theoretischen Form steht Subjektivität für eine im Subjekt liegende „Dimension des Wissens und Erlebens und der Instanz der Einheit und Hierarchisierung mentaler Zustände.“22 Der Ursprung dieser Vorstellung vom Subjekt liegt Friedrich Nietzsche zufolge im Christentum begründet.23 Friedrich Nietzsche hält diesen sogenannten „Ich-Aberglauben“ für einen Volksglauben, der bis dato sogar in der Wissenschaft eine hohe Wirksamkeit hat.24 „Die Naturforscher machen es nicht besser, wenn sie sagen ‚die Kraft bewegt, die Kraft verursacht‘ und dergleichen, — unsre ganze Wissenschaft steht noch, trotz aller ihrer Kühle, ihrer Freiheit vom Affekt, unter der Verführung der Sprache und ist die untergeschobenen Wechselbälge, die ‚Subjekte‘ nicht losgeworden.“25
Dem Menschen wird durch diese Sichtweise auf das Subjekt eine trügerische Sicht auf sich selbst und sein Verhältnis zur Welt vermittelt. Friedrich Nietzsche erweitert seine historische Kritik, indem er sich gegen die theoretischen Vorstellungen von Descartes wendet.26 22 Saar, M. (2007): S. 100. 23 „Man muss zunächst auch jener anderen und verhängnissvolleren Atomistik den Garaus machen, welche das Christenthum am besten und längsten gelehrt hat, der SeelenAtomistik. Mit diesem Wort sei es erlaubt, jenen Glauben zu bezeichnen, der die Seele als etwas Unvertilgbares, Ewiges, Untheilbares, als eine Monade, als ein Atomon nimmt: diesen Glauben soll man aus der Wissenschaft hinausschaffen!“ Nietzsche, F. (1886): Erstes Hauptstück/12. 24 Vgl. Saar, M. (2007): S. 100f. 25 Nietzsche, F. (1887a): I/13. 26 „Es giebt immer noch harmlose Selbst-Beobachter, welche glauben, dass es ‚unmittelbare Gewissheiten‘ gebe, zum Beispiel ‚ich denke‘, oder, wie es der Aberglaube Schopenhauer’s war, ‚ich will‘: gleichsam als ob hier das Erkennen rein und nackt seinen Gegenstand zu fassen bekäme, als ‚Ding an sich‘, und weder von Seiten des Subjekts, noch von Seiten des Objekts eine Fälschung stattfände. Dass aber ‚unmittelbare Gewissheit‘, ebenso wie ‚absolute Erkenntniss‘ und ‚Ding an sich‘, eine contradictio in adjecto in sich schliesst, werde ich hundertmal wiederholen: man sollte sich doch endlich von der Verführung der Worte losmachen!“ Nietzsche, F. (1886): I/16.
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René Descartes Aussage „Nun hatte ich beobachtet, daß in dem Satz: ‚Ich denke, also bin ich‘ überhaupt nur dies mir die Gewißheit gibt, die Wahrheit zu sagen, daß ich klar einsehe, daß man, um zu denken, sein muß, und meinte daher, ich könne als allgemeine Regel annehmen, daß die Dinge, die wir ganz klar und deutlich begreifen, alle wahr sind, daß aber nur darin eine gewisse Schwierigkeit liege, richtig zu merken, welche es sind, die wir deutlich begreifen.“27,
hält Friedrich Nietzsche für eine „Verführung der Worte“ bzw. den „Aberglauben eines Logikers“. René Descartes schließt vom Vorgang des Denkens auf eine einheitliche Substanz des „Ich“. Friedrich Nietzsche bestreitet diese Zurechenbarkeit zum „Ich“. Nur weil gedacht wird, heißt das nach Friedrich Nietzsche noch nicht, dass es Denkende gibt.28 Dabei wird nach Friedrich Nietzsche ein Substanzbegriff vorausgesetzt, den er für eine grammatische Gewohnheit hält. Nach Friedrich Nietzsche hat man es u.a. der menschlichen Sprache zuzuschreiben, dass ungeordnete Aussagen in Satzstrukturen mit eindeutigen Subjekt-Objekt Relationen abgebildet werden.29 Einem „Thun“ muss immer ein „Thäter“ hinzugefügt werden, einem Werk immer ein Urheber.30 „Aber es giebt kein solches Substrat; es giebt kein ‚Sein‘ hinter dem Thun, Wirken, Werden; ‚der Thäter‘ ist zum Thun bloss hinzugedichtet, – das Thun ist Alles.“31 Friedrich Nietzsche sieht im Bezug auf René Descartes eher einen Glauben statt eine Gewissheit am Werk, wenn der Vorgang des Denkens auf ein einheitliches Ich zurückgeführt wird. Behauptungen über Ursachen von Wirkungen, also kausale Zusammenhänge, sind für Friedrich Nietzsche Fiktion. Mit diesem Vorgehen wird nur eine interpretative Ordnung der Welt erzeugt, die sich selbst als unwiderlegbar darstellt.32 Das „Ich“ ist aber nicht nur kein nachweisbar empirischer Begriff, es ist auch nicht einheitlich zu denken. Vielmehr bestimmt es sich durch vielfältige und heterogene Zustände, so dass nicht von einem homogenen Substrat ausgegangen werden kann. Einheitlich wird das Subjekt erst in Folge 27 Descartes R. (1996): S. 55. 28 Vgl. Nietzsche, F. (1886): I/54. 29 Vgl. Saar, M. (2007): S. 103. 30 „Und mein Blick schärfte sich immer mehr für jene schwierigste und verfänglichste Form des Rückschlusses, in der die meisten Fehler gemacht werden – des Rückschlusses vom Werk auf den Urheber, von der That auf den Thäter“ Nietzsche, F. (1887c): I/370. 31 Nietzsche, F. (1887a): I/13. 32 Vgl. Saar, M. (2007): S. 102f.
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einer Interpretation.33 Friedrich Nietzsche kritisiert die abendländische Philosophie dafür, dass sie unüberschaubare dynamische Prozesse mit theoretischen Einheitskonstrukten begründen will. „Hüten wir uns nämlich, meine Herrn Philosophen, von nun an besser vor der gefährlichen alten Begriffs-Fabelei, welche ein ‚reines, willenloses, schmerzloses, zeitloses Subjekt der Erkenntniss‘ angesetzt hat, hüten wir uns vor den Fangarmen solcher contradiktorischen Begriffe wie ‚reine Vernunft‘, ‚absolute Geistigkeit‘, ‚Erkenntniss an sich‘.“34
Praxisgeschichte der Subjektivität Mit dem Ziel, theoretische Einheitskonstrukte zu vermeiden, entwirft Friedrich Nietzsche eine Subjektgeschichte, in der das Subjekt nicht als eine autonome und einheitliche Substanz betrachtet wird, sondern sich durch unterschiedliche kulturelle Muster bestimmt und durch diese subjektiviert wird. In dem Werk „Zur Genealogie der Moral“ geht es um Subjektivierung. Dort werden die Rahmenbedingungen für das Handeln und für das Selbstverständnis des abendländischen Menschen aufgezeigt. Das Subjekt ist flexibel und passt sich dynamisch an äußere Umstände an. In der konkreten historischen Praxis organisieren sich Wissen, Erfahrungen, Wünsche und Handlungen und formen das Subjekt. Das Subjekt ist ein Subjekt im Kontext, weil es immer eine Verbindung eingeht mit seiner sozialen bzw. kulturellen Umwelt. Dazu zählen auch die Ernährung, das Klima, die Arbeit und Gewohnheiten des Alltags.35 Besonders wichtig für die vorliegende Betrachtung ist dabei die Arbeit, welche seit der Moderne größtenteils in Organisationen stattfindet und in deren Kontext sich auch das moderne Subjekt herausbildet. Wie auch Friedrich Nietzsche betont, geht es dabei nicht darum, die traditionelle theoretische Subjektivität völlig zu unterminieren. Die Entwicklung des Subjekts wird aber als komplexer und offener betrachtet, als es in der philosophischen Tradition der Fall ist. Bei Friedrich Nietzsche wird eine Kulturgeschichte des Wandels von Bewusstseinstypen in einer Gesellschaft beschrieben. Im Unterschied zu einer Naturgeschichte des Bewusstseins, die dem Menschen nur im Nachhinein erzählen kann, wie er aufgrund seiner gegebenen Voraussetzungen werden musste, erzählt die Kulturgeschichte, wie der Mensch 33 „Es giebt nur ein perspektivisches Sehen, nur ein perspektivisches ‚Erkennen‘; und je mehr Affekte wir über eine Sache zu Worte kommen lassen, je mehr Augen, verschiedne Augen wir uns für dieselbe Sache einzusetzen wissen, um so vollständiger wird unser ‚Begriff‘ dieser Sache, unsre ‚Objektivität‘ sein.“ Nietzsche, F. (1887a): III/12. 34 Nietzsche, F. (1887a): III/12. 35 Vgl. Saar, M. (2007): S. 106.
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werden konnte. Damit ist die Kulturgeschichte eine Geschichte der Kontingenz, die aufzeigt, dass Menschsein immer auch anders möglich ist.36 Das Subjekt entsteht und formt sich durch das Einüben von Handlungen. Es gewöhnt sich bestimmte Bewegungs- und Denkabläufe an. Diese Aneignung erfolgt in dauerhaften, jedoch sich immer wieder aktualisierenden Formen von Gemeinschaft, welche bestimmte Handlungen nahelegen. Die Organisation der Moderne ist solch eine auf Dauer gestellte, sich dabei jedoch ständig aktualisierende Form von Gemeinschaft. In der Genealogie der Moral gibt Friedrich Nietzsche hypothetische Antworten auf die Frage nach der Subjektivierung. Wie jedoch bei Friedrich Nietzsche deutlich wird, leitet eine historisch und kulturell spezifische Ordnung Subjekte nicht nur in ihrem Denken und Handeln an, sondern bestimmt auch das Verhältnis der Subjekte zu sich selbst.
3.2 Z UM K ONTEXT DER P RODUKTION M ORALISCHEN S UBJEKTES
EINES
Mit der „Genealogie der Moral“ lassen sich die kulturellen Bedingungen der Hervorbringung des modernen moralischen Subjektes anhand unterschiedlicher Machtformen betrachten. Die Interpretation der „Genealogie der Moral“ als Auseinandersetzung mit verschiedenen Machtformen basiert u.a. auf Martin Saars „Genealogie als Kritik“.37 Die Genealogie der Moral besteht aus drei Abhandlungen, in denen Friedrich Nietzsche drei sehr verschiedene Machtformen beschreibt, die Handlungen in bestimmten Gemeinschaftsformen anleiten. Die zentrale Frage der drei Abhandlungen ist nach Friedrich Nietzsche die nach der „Herkunft unserer moralischen Vorurtheile“ oder anders gesagt: „Wie kommt es zur Herausbildung eines moralischen Subjektes?“ 38 Diese Analyse bildet eine wichtige Grundlage für die zentrale Frage der vorliegenden Arbeit: Wie kommt es zur Herausbildung eines organisatorischen Subjektes? 3.2.1 Die physisch-materielle Macht der Vornehmen und Starken über die Schwachen Die erste Abhandlung hat den Titel „Gut und Böse, Gut und Schlecht“. In dieser Abhandlung wird der Ursprung unseres heutigen (christlichen) Moralbewusst36 Vgl. Saar, M. (2007): S. 106f. 37 Vgl. Saar, M. (2007). 38 Nietzsche, F. (1887a): Vorrede/2.
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seins im Ressentiment gesucht.39 Friedrich Nietzsche beginnt mit einer spekulativen Vorgeschichte des Moralbewusstseins. Friedrich Nietzsche betrachtet die Herausbildung unserer Moral anhand der Umdeutung der Begriffe „gut und schlecht“ sowie „gut und böse“. Diese Begriffe stehen für die gegensätzlichen Moralsysteme einer Herrenmoral und einer Sklavenmoral. Herrschende haben nach Friedrich Nietzsche ihr Handeln als gut (im Sinne von edel, vornehm, usw.) bestimmt. Den Gegensatz dazu sehen sie im Handeln der niedrigen Menschen, welches sie als schlecht im Sinne von schlicht oder niedrig ansehen.40 „Das Pathos der Vornehmheit und Distanz, wie gesagt, das dauernde und dominirende Gesammt- und Grundgefühl einer höheren herrschenden Art im Verhältniss zu einer niederen Art, zu einem ‚Unten‘ – das ist der Ursprung des Gegensatzes ‚gut‘ und ‚schlecht‘.“41
Der Vornehme konzipiert den Begriff „gut“ von sich ausgehend und erschafft daraufhin erst eine Vorstellung von „schlecht“. Die Sklavenmoral (Ressentiment) geht umgekehrt vor wie die beschriebene Herrenmoral. Sie nimmt eine Einschätzung des Feindes vor und definiert sich über einen Gegensatz zum Feind, zum „anderen“. „Der Sklavenaufstand in der Moral beginnt damit, dass das Ressentiment selbst schöpferisch wird und Werthe gebiert: das Ressentiment solcher Wesen, denen die eigentliche Reaktion, die der That versagt ist, die sich nur durch eine imaginäre Rache schadlos halten. Während alle vornehme Moral aus einem triumphirenden Ja-sagen zu sich selber herauswächst, sagt die Sklaven-Moral von vornherein Nein zu einem ‚Ausserhalb‘, zu einem ‚Anders‘, zu einem ‚Nicht-selbst‘: und dies Nein ist ihre schöpferische That.“42
Das Ressentiment schätzt seine eigenen Handlungen demnach als gut ein im Gegensatz zum Handeln der Vornehmen, welches „böse“ ist. Damit ist die Aktion der Sklavenmoral immer nur Reaktion, da sie, um überhaupt zu entstehen, immer erst einer „Gegen- und Aussenwelt bedarf“43. „Eingesperrt in einen Raum, dessen Parameter sich nicht verändern können, können die Unterlegenen nicht anders, als adaptiv und reaktiv Präferenzen und Werte zu bilden.“44 Nach Fried39 Vgl. Raffnsøe, S. (2007): S. 26f; Vgl. Saar, M. (2007): S. 113f; S. 117-119. 40 Vgl. Nietzsche, F. (1887a): I/2. 41 Nietzsche, F. (1887a): I/2. 42 Nietzsche, F. (1887a): I/10. 43 Nietzsche, F. (1887a): I/10. 44 Saar, M. (2007): S. 119.
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rich Nietzsche hat die zweite Form, die Sklavenmoral, gesiegt, und bestimmt bis heute unsere moralischen Wertvorstellungen. Er ordnet die Sklavenmoral dem Judentum und dem Christentum zu. Judentum und Christentum definieren nach Friedrich Nietzsche eine normativ auslegbare Moral, um sich von anderen Formen abzugrenzen und sich damit selbst zu behaupten. Friedrich Nietzsche zeigt hier, dass Moral von Interessen beeinflusst wird und sich gegen andere Gruppen richtet. Damit ist die Moral ein indirekter Weg zur Selbstbehauptung und zur Verachtung des anderen. Die Durchsetzung von Werten und ihre heutige Geltung sind in versteckten Nutzen- und Interessensverhältnissen eingebunden, die Friedrich Nietzsche aufdecken will. Friedrich Nietzsche zeigt damit, dass bestimmte Werte wie etwa moralische Werte ihre Bedeutung nicht unabhängig von sozialen Kontexten entfalten können. Die Durchsetzung von Werten ist bei ihm an Machtdifferenzen gebunden. Macht bestimmt Handlungen. Diejenigen, die über Macht verfügen (der hegemoniale Pol), bestimmen die Regeln bis hin zur Durchsetzung moralischer Werte und Begrifflichkeiten. Die Mächtigen haben das Recht, „Werthe zu schaffen, Namen der Werthe auszuprägen.“45 Die erste Abhandlung zeigt die Macht der Herren über die Sklaven auf. Es handelt sich hierbei um eine physische Macht. Diese Macht ist mit Körperlichkeit und Stärke verbunden.46 Die Vornehmen besitzen das Gefühl einer physischen Stärke, was für Friedrich Nietzsche gleichbedeutend ist mit dem unmittelbaren Willen zu wirkungsvoller Handlung. Diese Handlung besteht in der (physischen) Unterwerfung der Sklaven. Es wird deutlich, dass Macht Handlungen auf eine direkte Weise anleitet. Der „Wille zur Macht“ richtet sich hier gegen die Schwächeren und beinhaltet deren Unterwerfung unter eine willkürliche Herrschaft. So einfach Friedrich Nietzsches Beschreibung „physisch-materieller Macht“ 47 wirkt, idealtypisch beschreibt sie den Teil eines komplexen Machtbegriffs. Aus handlungstheoretischer Perspektive leitet diese Macht Handlungen an, über welche sich wiederum Subjektivitäten herausbilden. Moderne Subjektivität bestimmt sich jedoch keinesfalls nur durch diese eine Form von Macht. In der zweiten Abhandlung widmet sich Friedrich Nietzsche einer weiteren Machtform, welche sich von dieser im Folgenden als „materiell“ 45 Nietzsche, F. (1887a): I/2; Vgl. Saar, M. (2007): S. 113f; S. 117-119. 46 Vgl. Saar, M. (2007): S. 113. 47 Analog zu Martin Saar werden die folgenden Machtformen in loser Anlehnung an Jacques Lacan bezeichnet. Dieser geht von drei Strukturbestimmungen des Subjektes aus. Das Reale, das Imaginäre und das Symbolische. Jeder dieser Aspekte bedingt sich gegenseitig. Sie sind unauflösbar miteinander verbunden. Vgl. Saar, M. (2007): S. 113.
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bezeichneten Machtform grundlegend unterscheidet. Es handelt sich nicht mehr um eine Frage der Unterwerfung und direkten Beherrschung, die sich vorrangig auf den Körper richtet, sondern es kommt eine subtilere Machtform zum Einsatz, welche zur Einhaltung gewisser moralischer Gebote auffordert. Nach Martin Saar kommt hier eine „psychologisch-manipulative Macht“ zum Einsatz.48 „Machtausübung besteht auf dieser Stufe in Weltanschauungsarbeit, in einem gezielten Einwirken auf das Selbstbild und die Selbstbewertung moralischer Akteure anhand von Ideen und moralisch religiösen Vorstellungen, die von einer Art weltanschaulichen Elite vermittelt werden.“49
3.2.2 Die symbolische Macht über Ideen und Vorstellungen im Ressentiment Die zweite Abhandlung trägt den Titel „Schuld, schlechtes Gewissen und Verwandtes“. Sie beginnt mit dem Satz: „Ein Thier heranzüchten, das versprechen darf — ist das nicht gerade jene paradoxe Aufgabe selbst, welche sich die Natur in Hinsicht auf den Menschen gestellt hat? ist es nicht das eigentliche Problem vom Menschen?… Dass dies Problem bis zu einem hohen Grad gelöst ist, muss dem um so erstaunlicher erscheinen, der die entgegen wirkende Kraft, die der Vergesslichkeit, vollauf zu würdigen weiss.“50
Nur das im Tierreich einzigartige menschliche Gedächtnis erlaubt es dem Menschen, Verantwortung für etwas zu übernehmen und versprechen zu können. Die Fähigkeit der Verantwortlichkeit für etwas/jemanden ist laut Friedrich Nietzsche das „Gewissen“.51 Ein moralisches Individuum, welches ein Gewissen und damit die Fähigkeiten zum Versprechen und zur Übernahme von Verantwortung besitzt, musste jedoch erst herangezüchtet werden.52 Diese Züchtung ging nach Friedrich Nietzsche nicht ohne physische Gewalt vonstatten, was darauf hindeutet, dass die in der ersten Abhandlung beschriebene materiell-physische Machtform keinesfalls verschwunden ist, sondern historisch mit anderen Machtformen zusammenwirkt.
48 Saar, M. (2007): S. 120. 49 Saar, M. (2007): S. 120. 50 Nietzsche, F. (1887a): II/1. 51 Vgl. Nietzsche, F. (1887a): II/1. 52 Vgl. Saar, M. (2007): S. 114ff; S. 119-122.
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„Es gieng niemals ohne Blut, Martern, Opfer ab, wenn der Mensch es nöthig hielt, sich ein Gedächtniss zu machen; die schauerlichsten Opfer und Pfänder (wohin die Erstlingsopfer gehören), die widerlichsten Verstümmelungen (zum Beispiel die Castrationen), die grausamsten Ritualformen aller religiösen Culte (und alle Religionen sind auf dem untersten Grunde Systeme von Grausamkeiten) — alles das hat in jenem Instinkte seinen Ursprung, welcher im Schmerz das mächtigste Hülfsmittel der Mnemonik errieth.“53
Ein wichtiger historischer Aspekt, welcher Unterschiede in der Ausformung der Machtverhältnisse deutlich macht, bleibt bestehen. Friedrich Nietzsche macht darauf aufmerksam, dass die Form physisch-materieller Macht umso stärker ausfällt, je ausgeprägter das Vergessen ist und je weniger gut das Gedächtnis der Menschen funktioniert. „Je schlechter die Menschheit ‚bei Gedächtniss‘ war, um so furchtbarer ist immer der Aspekt ihrer Bräuche; die Härte der Strafgesetze giebt in Sonderheit einen Maassstab dafür ab, wie viel Mühe sie hatte, gegen die Vergesslichkeit zum Sieg zu kommen und ein paar primitive Erfordernisse des socialen Zusammenlebens diesen Augenblicks-Sklaven des Affekts und der Begierde gegenwärtig zu erhalten.“54
Hier deutet Friedrich Nietzsche die Funktion von Macht als einem wichtigen Aspekt des sozialen Zusammenlebens an, der das Funktionieren einer Gemeinschaft erst möglich macht. Welche Form die Macht in diesem Zusammenhang annimmt, hängt von der historischen Durchsetzungskraft bestimmter Gemeinschaftsformen ab und davon, inwieweit die zugrunde liegenden Regeln und Rationalitäten der Gemeinschaftsform bereits durch das Subjekt verinnerlicht (ins Gedächtnis eingeprägt) wurden. Das Leben in der Gemeinschaft bedeutet Schutz für den einzelnen Menschen. Dieser begibt sich aus diesem Grund jedoch auch in ein Schuldnerverhältnis zum Gemeinwesen.55 Das Gemeinwesen als Gläubi53 Nietzsche, F. (1887a): II/3. 54 Nietzsche, F. (1887a): II/3. 55 „Das Gefühl der Schuld, der persönlichen Verpflichtung, um den Gang unsrer Untersuchung wieder aufzunehmen, hat, wie wir sahen, seinen Ursprung in dem ältesten und ursprünglichsten Personen-Verhältniss, das es giebt, gehabt, in dem Verhältniss zwischen Käufer und Verkäufer, Gläubiger und Schuldner: hier trat zuerst Person gegen Person, hier mass sich zuerst Person an Person. […] Auf- und Verkauf, sammt ihrem psychologischen Zubehör, sind älter als selbst die Anfänge irgend welcher gesellschaftlichen Organisationsformen und Verbände: aus der rudimentärsten Form des Personen-Rechts hat sich vielmehr das keimende Gefühl von Tausch, Vertrag, Schuld, Recht, Verpflichtung, Ausgleich erst auf die gröbsten und anfänglichsten Gemein-
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ger kann denjenigen bestrafen, der ein Vergehen gegen das Gemeinwesen begeht. Je mächtiger ein Gemeinwesen aber ist, das heißt, je besser es seine Werte durchzusetzen weiß, desto „humaner“ fallen die Strafen für den Schädiger aus.56 Das Gemeinwesen muss hier nicht um seinen Zusammenhalt fürchten. Um in einer organisierten Gemeinschaft zu leben, bedarf es einer Zivilisierung des Menschen, die mittlerweile bereits dem Heranwachsenden durch Bedeutungen vermittelt wird und weniger durch physisch-materielle Gewalt. Die Einfügung in eine Gemeinschaft ist bei Friedrich Nietzsche immer auch eine Einfügung in die Welt der jeweils herrschenden Bedeutungszuschreibungen dieser Gemeinschaft. Während den fiktiven frühen Verbrechern an der Gemeinschaft der Sinn ihrer Tat noch gewaltsam vermittelt wurde, wird die Kopplung von Tat und Sinn nunmehr als Bedeutungseinheit vermittelt. Welche Bedeutung vermittelt wird, bestimmt die jeweilige Deutungselite. Das schlechte Gewissen ist laut Friedrich Nietzsche aus der Zivilisierung heraus entstanden und führt dazu, dass der Mensch seinen aggressiven Trieb nun nicht mehr nach außen, sondern nach innen und gegen sich selbst lenkt. „Alle Instinkte, welche sich nicht nach Aussen entladen, wenden sich nach Innen — dies ist das, was ich die Verinnerlichung des Menschen nenne: damit wächst erst das an den Menschen heran, was man später seine ‚Seele‘ nennt. Die ganze innere Welt, ursprünglich dünn wie zwischen zwei Häute eingespannt, ist in dem Maasse aus einander- und aufgegangen, hat Tiefe, Breite, Höhe bekommen, als die Entladung des Menschen nach Aussen gehemmt worden ist.“57
Friedrich Nietzsche fragt nach dem Ursprung des „schlechten Gewissens“ bzw. aus welcher organisierten moralischen Weltsicht diese Institution entspringt. Das Motiv dafür sieht er bei den „schwachen“ Mitgliedern einer Gemeinschaft, welches sich im Ressentiment bzw. im Aufstand der Sklavenmoral äußert. Das Überdauern der „Schwachen“ in einer ungleichen Gesellschaft wird durch die Einhaltung bestimmter moralischer Gebote gestützt.58 Nur diese Gruppe hat ein Interesse daran, dass moralische Gebote allgemein gültig werden und auch die Starken erfassen.59 Die Priester verkörpern bei Friedrich Nietzsche die Macht der schafts-Complexe (in deren Verhältniss zu ähnlichen Complexen) übertragen, zugleich mit der Gewohnheit, Macht an Macht zu vergleichen, zu messen, zu berechnen.“ Nietzsche, F. (1887a): II/8; Vgl. Saar, M. (2007): S. 119-122. 56 Vgl. Nietzsche, F. (1887a): II/10. 57 Nietzsche, F. (1887a): II/16. 58 Vgl. Saar, M. (2007): S. 119-122. 59 Vgl. Saar, M. (2007): S. 121f.
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Schwachen. Sie haben sich aus einer materiell-physischen Unterlegenheit heraus eine geistige Deutungshoheit verschafft. Die Aufforderung zur Befolgung bestimmter Regeln und Normen durch die Priester gelingt durch das gezielte Einwirken auf das Selbstbild und die Selbstbewertung von Akteuren.60 „Sie erzeugen eine Lust, sich selbst als einem schweren widerstrebenden leidenden Stoffe eine Form zu geben, einen Willen, eine Kritik, einen Widerspruch, eine Verachtung, ein Nein einzubrennen.“61 Die Mittel der Priester als weltanschaulicher Elite sind Ideen und religiöse Vorstellungen. Dabei verfolgt diese Elite ihre eigenen Interessen am Machterhalt. Wissen und Erfahrungen werden von einem Deutungsraster bestimmt, während dieser Vorgang den Akteuren in einer Gemeinschaft selbst unsichtbar bleibt. Für die einzelnen Akteure erschließt sich die so gedeutete Wirklichkeit als die einzig mögliche. Die Macht zur Durchsetzung moralischer Gebote ist nicht materiell, d.h. sie beruht nicht primär auf physischer Stärke und wird in dieser durch bestimmte soziale Akteure auf andere soziale Akteure ausgeübt. Die Umwertung moralischer Werte beruht auf einer Macht, die aufzeigt, dass die Wirklichkeit nur auf eine bestimmte Art und Weise aussehen kann. Es handelt sich um eine symbolische Machtform, die mit Mitteln der Überredung und Einschüchterung handelt. Die Macht besitzt derjenige, der die Macht über Ideen und Vorstellungen innehat, die den Einzelnen ihre Lage verständlich machen. Mit der Durchsetzung einer bestimmten moralischen Perspektive wird der Zugang zur sozialen Ordnung erst hergestellt.62 Den einzelnen Akteuren in einer Kultur vermittelt diese Macht „zwanglos“ Werte, indem sie die einzigen verfügbaren Raster und Diskurse zum Selbstverständnis zur Verfügung stellt. Die Werte selbst sind jedoch das Ergebnis von Deutungskämpfen und Umwertungen von Bedeutungen in einer Kultur. Es handelt sich um eine Machtform, weil bestimmte Möglichkeiten, den Dingen eine Bedeutung zu geben, unterdrückt werden, während andere realisiert werden können. Auf diese Weise entstehen hegemoniale Bedeutungs- und Deutungsmuster. Die symbolische Macht kann als Mittel eingesetzt werden bei der Schaffung nicht nur symbolischer, sondern realer Verhältnisse und Selbsterfahrungen, denen nach Friedrich Nietzsche selbst die starken Akteure in einer Gemeinschaft ausgeliefert sind.63 Die Grundlage für die Ressentimentmoral war die grausame Unterwerfung unter eine willkürliche Herrschaft. Diese Moral beinhaltet für die „Ohnmächtigen“ die Möglichkeit, ihren Willen zur Macht als eine gegen sie selbst gerichtete Form zu befriedigen. 60 Vgl. Saar, M. (2007): S. 120. 61 Nietzsche, F. (1887a): II/18. 62 Vgl. Saar, M. (2007): S. 121. 63 Vgl. Saar, M. (2007): S. 114ff; S. 119-122.
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Prinzipiell geht es in der Abhandlung um die weitere Entwicklung der Moral. Moral und Verurteilung richten sich nun gegen alle.64 Die Moral und die Verurteilung anderer werden verinnerlicht. Jedoch werden nicht nur andere Lebensformen verurteilt und verneint, sondern auch das eigene Leben und das Leben allgemein. Mit dieser Verinnerlichung des „Nein“ zum Leben allgemein ist die Voraussetzung für das schlechte Gewissen geschaffen.65 3.2.3 Die imaginäre Macht des asketischen Ideals In der dritten Abhandlung wird eine weitere Machtform beschrieben, die sich teilweise nur schwer von der zweiten Machtform bei Friedrich Nietzsche unterscheiden lässt.66 Beide Machtformen sind indirekt und weitgehend unsichtbar. Die imaginäre Machtform ist jedoch kaum greifbar und ihre Unterwerfung übersteigt die der symbolischen Machtform. Statt die Subjekte einer symbolischen Ordnung zu unterwerfen, indem sie sie an Bedeutungen und mit Sinn belegte Praktiken bindet, fesselt sie Subjekte an Rollen, die diese selbst besetzen wollen und bei denen sie von sich ausgehend spezifische Selbstverhältnisse prägen. Das asketische Ideal als imaginäre Machtform ist eine Norm, die bereits existiert und durch die, die sie leben, Rechtfertigung findet. Der Titel der dritten Abhandlung lautet „Was bedeuten asketische Ideale?“. Machttheoretisch wird hier die zweite Abhandlung fortgesetzt. Es geht um die Verurteilung des Lebens durch die Moral, welche in der Gestalt des asketischen Ideals auftaucht. Im asketischen Ideal der Moderne sieht Friedrich Nietzsche die andauernde Verneinung des Lebens, sozusagen als Fortsetzung der Verneinung des Lebens durch die symbolische Macht. Das asketische Ideal findet sich laut Friedrich Nietzsche nicht nur beim Priester, sondern vor allem auch beim Wissenschaftler, beim Künstler, beim Atheisten und bei den Philosophen wieder. Diese Gruppen sind durch das asketische Ideal gekennzeichnet und damit an ein Selbstverständnis und an Verhaltensweisen gebunden, die sie daran hindern, ihrem eigenen „Willen zur Macht“67 zu folgen. Nach Friedrich Nietzsche werden 64 Vgl. Raffnsøe, S. (2007): S. 27. 65 Vgl. Saar, M. (2007): S. 116ff. 66 Vgl. Saar, M. (2007): S. 114f; S. 122-125. 67 Der Wille zur Macht ist ein umstrittenes und verschieden interpretiertes Konzept von Friedrich Nietzsche, welches in seinen Werken wiederholt, aber in unterschiedlicher Ausprägung auftaucht. Auf das Konzept soll hier nur am Rande eingegangen werden und insofern es für die Analyse der Machtaspekte in der Genealogie bedeutsam ist. Für die Genealogie ist wichtig, festzuhalten, dass der „Wille zur Macht“ eine antimoralische Kategorie ist. Vgl. Saar, M. (2007): S. 112; Negative und positive Affekte
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diese Gruppen über Ideale an Lebensformen gebunden, die ihren eigenen Willen zur Macht mit einer fremden und zu fremden Zwecken nutzbaren Form verbinden. Das asketische Ideal ist Ausdruck der Selbstopferung an einen höheren Wert. Es kann sich dabei um das Jenseits handeln, aber auch um den Glauben an Wahrheit oder Gerechtigkeit. Das asketische Ideal rechtfertigt die Selbststrafe. Der „Wille zur Macht“ richtet sich im asketischen Ideal gegen den Menschen selbst. Das Ideal tritt auch und insbesondere dort auf, wo sich die Akteure selbst als entgegen der herrschenden Moral und damit als frei und als sinnvoll handelnd erleben. „Diese Verneinenden und Abseitigen von Heute, diese Unbedingten in Einem, im Anspruch auf intellektuelle Sauberkeit, diese harten, strengen, enthaltsamen, heroischen Geister, welche die Ehre unsrer Zeit ausmachen, alle diese blassen Atheisten, Antichristen, Immoralisten, Nihilisten, diese Skeptiker, Ephektiker, Hektiker des Geistes […], diese letzten Idealisten der Erkenntniss, in denen allein heute das intellektuelle Gewissen wohnt und leibhaft ward, — sie glauben sich in der That so losgelöst als möglich vom asketischen Ideale, diese ‚freien, sehr freien Geister‘: und doch, dass ich ihnen verrathe, was sie selbst nicht sehen können — denn sie stehen sich zu nahe — dies Ideal ist gerade auch ihr Ideal, sie selbst stellen es heute dar, und Niemand sonst vielleicht, sie selbst sind seine vergeistigtste Ausgeburt, seine vorgeschobenste Krieger- und Kundschafter-Schaar, seine verfänglichste, zarteste, unfasslichste Verführungsform: […] Das sind noch lange keine freien Geister: denn sie glauben noch an die Wahrheit …“68
Friedrich Nietzsche fragt, ob es Kunst, Philosophie und Wissenschaft in ihrer bestehenden Form auch ohne das asketische Ideal geben würde. Schließlich lässt werden nicht als moralisch bewertet, sondern man fragt danach inwieweit sie „Lebensäußerungen“ sind und eine lebensverbessernde Wirkung haben. Damit einher geht die Verbindung zum Begriff des Wollens. „Freies Wollen ist gefühltes Vermögen; Freiheit ist Machtgefühl.“, Saar, M. (2007): S. 110; Nietzsche betont: Der Handelnde „rechnet das Gelingen, die Ausführung des Wollens noch dem Willen selbst zu und geniesst dabei einen Zuwachs jenes Machtgefühls, welches alles Gelingen mit sich bringt. ‚Freiheit des Willens‘– das ist das Wort für jenen vielfachen Lust-Zustand des Wollenden, der befiehlt und sich zugleich mit dem Ausführenden als Eins setzt, – der als solcher den Triumph über Widerstände mit geniesst, aber bei sich urtheilt, sein Wille selbst sei es, der eigentlich die Widerstände überwinde.“ Nietzsche, F. (1886): I/19. Im asketischen Ideal, aber auch in allen anderen Machtdimensionen, wird dieser eigene Wille zur Macht verneint, was wiederum die Unfreiheit des eigenen Willens dieses Ideals verdeutlicht. Nietzsche, F. (1887a): I–III. 68 Nietzsche, F. (1887a): III/24.
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sich mit Friedrich Nietzsche hervorheben, dass die Orientierung am asketischen Ideal der eigentliche Kern künstlerischer, philosophischer und wissenschaftlicher Praxis ist, und nur die vollständige Umwertung dieser Praxis könnte dieses Verhältnis beenden. Das asketische Ideal erfasst als Machtform die Vorstellungswelt bzw. die Imagination der Subjekte und kann deshalb als imaginäre Macht bezeichnet werden.69 Martin Saar schreibt hierzu: „Die Subjekte können nicht anders, selbst wenn sie wollten und sie wollen noch nicht einmal.“70 Die imaginäre Macht ist unsichtbar und flüchtig und ist tief in den Subjekten selbst verankert. Sie arbeitet im Inneren der Subjekte. Indem die imaginäre Macht ein bestimmtes Selbstverständnis als Rollenangebot zur Verfügung stellt, stärkt und reproduziert sie gemeinschaftliche Institutionen, Denk- und Verhaltensmuster. Subjekte erleben sich selbst, weil sie es selbst nicht erkennen können, als frei und selbstbestimmt und sinnvoll handelnd. Der Wille, sich selbst als frei und sinnvoll handelnd erleben zu können, führt dazu, dass die Subjekte ungewollte Unterstützer der vorherrschenden Unterwerfungsstrukturen werden und die bestehenden Machtverhältnisse bestätigen und verstärken, die wiederum ihre Existenz sichern. „In einem gewissen Sinne gehört die ganze Asketik hierher: ein paar Ideen sollen unauslöschlich, allgegenwärtig, unvergessbar, ‚fix‘ gemacht werden, zum Zweck der Hypnotisirung des ganzen nervösen und intellektuellen Systems durch diese ‚fixen Ideen‘ — und die asketischen Prozeduren und Lebensformen sind Mittel dazu, um jene Ideen aus der Concurrenz mit allen übrigen Ideen zu lösen, um sie ‚unvergesslich‘ zu machen.“71
Im Unterschied zur symbolischen Machtform liegt der Fokus der imaginären Macht auf der Aneignung und nicht auf der Unterwerfungsfunktion sozialer Regeln.72 Es geht um die Frage, wie die Akteure sich wirklich unterwerfen und die Regeln verkörpern bzw. mit ihnen leben. Für die Subjekte ist die Verinnerlichung der Macht Teil ihres „Willens zu überleben“ und damit nicht außerhalb, sondern in den Subjekten zu finden. Die Eingangsfrage der Abhandlung lautet, warum das Leben fortwährend von der Moral verurteilt wird und welche Bedeutung dies für unser Leben hat. Woher kommt die Macht des asketischen Ideals?
69 Vgl. Saar, M. (2007): S. 114; S. 122-125. 70 Saar, M. (2007): S. 114. 71 Nietzsche, F. (1887a): II/3. 72 Vgl. Saar, M. (2007): S. 122-125.
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Es wird schließlich deutlich, dass das asketische Ideal deshalb eine derart wichtige Rolle für uns spielt, weil wir bisher kein besseres Ideal gefunden haben.73 Zusammenfassung: Formen der Macht bei Friedrich Nietzsche In der Auseinandersetzung mit dem Werk „Zur Genealogie der Moral“ wird deutlich, dass sich das Subjekt bei Friedrich Nietzsche im Zusammenhang mit Machtbeziehungen herausbildet.74 Subjektivierung findet dementsprechend im Kontext unterschiedlicher Machtformen statt. Macht leitet Handlungen von Subjekten an und wirkt auf sie und in ihnen. Generalisierte Handlungen wiederum wirken subjektivierend. In der Genealogie der Moral wird ein komplexer Machtbegriff zugrunde gelegt, der ausgehend von den drei Abhandlungen herausgearbeitet wurde. Friedrich Nietzsche zeigt, wie sich ein historisch und kulturell bedingtes moralisches Subjekt herausbildet. Um zu einem Ansatz für die Analyse von Subjekten zu gelangen, musste von den Aussagen Friedrich Nietzsches abstrahiert werden. Erstens wurde eine physisch-materielle Machtform kondensiert, die das direkte und körperliche Einwirken von spezifischen Akteuren auf andere Akteure beschreibt und damit deren Handeln anleitet. Die zweite Machtform wirkt indirekt und wurde als symbolisch bezeichnet. Es handelt sich um die Vermittlung von und die Bindung an soziale Bedeutungen. Bei der dritten Macht geht es um imaginäre Formen des Selbstverständnisses von Subjekten, die jedoch von außen abgeleitet werden. Alle drei Machtformen leiten die Handlungen von Subjekten an und geben ihnen eine bestimmte Richtung. Die Macht wirkt dabei von außen auf die Subjekte, aber auch in ihrem Inneren.75 Die Machtformen sind nicht voneinander getrennt, sondern wirken parallel und durchdringen einander bei der Subjektivierung von Akteuren. Jedoch lässt sich untersuchen, ob sie, wie bei Friedrich Nietzsche, je nach Gemeinschaftsform und historischem Kontext eine unterschiedlich starke Dichte und Gewichtung haben. Die zentralen herausgearbeiteten Kategorien bei Friedrich Nietzsche sind zum einen ein dezentrales Subjekt und zum anderen ein komplexer Machtbegriff, der aufzeigt, wie die Handlungen der Subjekte in spezifischen Kontexten 73 „Die Sinnlosigkeit des Leidens, nicht das Leiden, war der Fluch, der bisher über der Menschheit ausgebreitet lag, — und das asketische Ideal bot ihr einen Sinn! Es war bisher der einzige Sinn; irgend ein Sinn ist besser als gar kein Sinn; das asketische Ideal war in jedem Betracht das ‚faute de mieux‘ par excellence, das es bisher gab. […] lieber will noch der Mensch das Nichts wollen, als nicht wollen…“ Nietzsche, F. (1887a): III/28. 74 Vgl. Saar, M. (2007): S. 112f. 75 Vgl. Saar, M. (2007): S. 115.
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angeleitet werden. Diese beiden Kategorien finden sich auch bei Michel Foucault wieder, dessen Werk sich als eine kritische Subjektgeschichtsschreibung verstehen lässt. Vor allem seit den 1970er Jahren hat sich Michel Foucault verstärkt auch auf den Machtbegriff Friedrich Nietzsches bezogen.76
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„[Wenn diese Wissensordnung ins Wanken gerät,] wie an der Grenze des achtzehnten Jahrhunderts die Grundlage des klassischen Denkens es tat, dann kann man sehr wohl wetten, daß der Mensch verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand.“77
In einiger Hinsicht lässt sich Michel Foucault als Nachfolger von Friedrich Nietzsche begreifen. Beide arbeiten mit einer kritischen Geschichtsschreibung und stellen sich gegen die Einheitsvorstellungen der traditionellen Philosophie. Jedoch hat Michel Foucault die Ansätze von Friedrich Nietzsche erweitert und verfeinert.78 Auch hat sich Michel Foucault von der Vorstellung Friedrich Nietzsches entfernt, dass sich hinter Machtverhältnissen konkrete Interessen verbergen müssen. Michel Foucault beschäftigt sich mit Subjekt und Macht, um historische Phänomene zu untersuchen. Friedrich Nietzsche hingegen bleibt in seinen Ausführungen „Zur Genealogie der Moral“ eher spekulativ und bedient sich einer „hyperbolisch narrativen“ Form.79 Es handelt sich bei der Arbeit von Michel Foucault nicht um die Darlegung einer abgeschlossenen Theorie von Macht oder Subjekt, da er kein überzeitliches Konstrukt dieser beiden Aspekte entwirft. Dennoch beinhalten seine Ausführungen wichtige Anhaltspunkte zu einem Analyseraster, mit dem sich die Besonderheiten der Konstruktion und Konstitution von Subjekten durch Machtwirkungen herausarbeiten lassen. Im Werk „Subjekt und Macht“ von 1982 erklärt Michel Foucault nur knapp, was er unter „Subjekt“ versteht. „Das Wort Subjekt hat einen zweifachen Sinn: vermittels Kontrolle und Abhängigkeit jemandem unterworfen sein und durch Bewußtsein und Selbsterkenntnis seiner eigenen
76 Mit dem Text „Nietzsche, Genealogie und Macht“ aus dem Jahr 1969/70 stellt Michel Foucault eine Analytik der Macht vor. Vgl. Sarasin, P. (2005): S. 118f. 77 Foucault, M. (2008d): S. 463. 78 Vgl. Saar, M. (2007): S. 160f. 79 Vgl. Saar, M. (2007): S. 160; 161f, 204ff.
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Identität verhaftet sein. Beide Bedeutungen unterstellen eine Form von Macht, die einen unterwirft und zu jemandes Subjekt macht.“
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Das Subjekt ist demnach immer bereits in das gesellschaftliche Geschehen eingebunden und trägt zum Erhalt von Gesellschaft bei. Der Begriff Subjekt wird dabei jedoch auch individualisiert, indem er an die jeweils einzelnen Akteure gebunden bleibt. Ähnlich wie Friedrich Nietzsche betont Michel Foucault, dass das Subjekt kein autonomes und zielgerichtet handelndes Subjekt ist. Das traditionelle philosophische Subjekt als bestimmendes Moment seiner Innen- und Außenwelt wird in Frage gestellt. Dabei soll der Subjektbegriff jedoch nicht eliminiert werden. Vielmehr geht es Michel Foucault um eine Neubestimmung des Subjektbegriffes. Dies beinhaltet auch, den Wert der Erkenntnisfähigkeit in Frage zu stellen. Der Subjektbegriff ist bei ihm radikal kontextabhängig, das heißt, er wird bestimmt von zeitlichen und räumlichen Gegebenheiten. Das Subjekt bildet sich selbst erst in einem heterogenen Kontext heraus und kann daher selbst auch nicht als stabil und einheitlich verstanden werden. Dafür verwendet Michel Foucault den Begriff Subjektivierung. Subjektivierung bedeutet bei Michel Foucault „zum Subjekt machen“.81 Er unterstreicht damit das Prozesshafte des Subjektes, welches sich ständig im Werden befindet. Scheinbar universale Eigenschaften von Subjekten wie körperliche oder mentale Äußerungsformen werden damit analysiert als die kontingenten Möglichkeiten des Seins, die sich historisch und kulturell durchgesetzt haben. Die Arbeit von Michel Foucault besteht daher darin, die kulturellen Entstehungsbedingungen von Subjektivität zu rekonstruieren.82 Sie wird meist in Phasen unterteilt.83 Diese Form wird auch im Folgenden benutzt. Einbezogen ist dabei auch die Werkphase vor seiner Auseinandersetzung mit einer Analyse der Macht in den 1970er Jahren. In dieser Phase geht es primär um Diskurse, aber auch diese enthalten und organisieren Machtbeziehungen und sind damit an der Hervorbringung von Subjekten beteiligt. Der Fokus der Untersuchung liegt auf der Beziehung zwischen dem Subjekt und seiner Konstruktion und Konstitution in spezifischen Kontexten. Die Arbeit von Michel Foucault stellt unterschiedliche Anläufe der Rekonstruktion moder-
80 Foucault, M. (1994b): S. 246–247 [Herv. i.O.]; Vgl. Saar, M. (2007): S. 198ff. 81 Vgl. Lembke, R. (2009). 82 Vgl. Reckwitz, A. (2008): S. 24–25. 83 Phasenmodelle finden sich u.a. bei Lemke, T. (1997); Rajchman, J. (1985); Sarasin, P. (2005), Reckwitz (2008).
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ner und nicht moderner Subjektformen dar. In diesem Sinne werden seine Arbeiten im Folgenden als einander ergänzend betrachtet.84 Es sind drei Denklinien, die in aufeinanderfolgenden Werkphasen das Verhältnis zwischen Subjekt und Kontexten der Subjektbildung besonders herausstellen und in die folgende Subjektanalyse eingehen: 1. Das moderne Subjekt im Diskurs, 2. Körperpraktiken in den Architekturen der Disziplinarinstitutionen 3. Subjektivierung von „innen“. Diese drei Grundgedanken ähneln den Auseinandersetzungen Friedrich Nietzsches mit unterschiedlichen Machtformen. Bewusst werden die Beziehungen zwischen Friedrich Nietzsche und Michel Foucault und deren Begriffe von Macht und Subjekt im Folgenden herausgearbeitet und abschließend zusammengefasst. So steht der Diskurs in einem engen Zusammenhang mit der symbolischen Macht. Die bei Friedrich Nietzsche beschriebene materiell-physische Macht ist eine Macht, die sich bei Michel Foucault auf den Körper richtet und mit nichtdiskursiven Praktiken einhergeht. Jedoch legt Michel Foucault mit den Disziplinen eine andere Logik der Macht zugrunde und grenzt sich von dem als „souverän“ zu kennzeichnenden Machttypus von Friedrich Nietzsche ab. Es handelt sich bei der souveränen Macht um eine Macht, die auf einem direkten Zugriffsrecht auf die Dinge, das Leben und den Körper aufbaut. Diese wird nach Michel Foucault von einer organisierenden, verwaltenden Form von Macht abgelöst, welche er in den Disziplinen findet. Jedoch verschwindet die souveräne Macht nicht vollständig. Michel Foucault geht wie Friedrich Nietzsche davon aus, dass Ordnungen durch mehrere miteinander verschränkte Machtformen entstehen. „Die ‚Abschöpfung‘ tendiert dazu, nicht mehr [die] Hauptform [der Macht] zu sein, sondern nur noch ein Element unter anderen Elementen, die an der Anreizung, Verstärkung, Kontrolle, Überwachung, Steigerung und Organisation der unterworfenen Kräfte arbeiten: diese Macht ist dazu bestimmt, Kräfte hervorzubringen, wachsen zu lassen und zu ordnen, anstatt sie zu hemmen, zu beugen oder zu vernichten.“85
Während Friedrich Nietzsche mit der materiellen Macht also eine Macht beschreibt, die die Körper unterwirft, beschreibt Michel Foucault mit der materiellen Macht einen Machttypus, der die Körper auf eine intendierte Art und Weise funktionieren lässt.
84 Vgl. Reckwitz, A. (2008): S. 23; Vgl. Saar, M. (2007): S. 213ff. 85 Foucault, M. (2008c): S. 1131.
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Die subjektive Selbstregierung hingegen greift auf Aspekte zurück, die bei Friedrich Nietzsche bereits als imaginäre Machtform im Sinne des asketischen Ideals beschrieben wurden.86
3.3.1 Symbolische Macht: Die Produktion des modernen Subjektes im Diskurs Der Diskurs ist eines der ersten Analyseraster, mit dem Michel Foucault eine Analyse von Subjekten vornimmt.87 Diskurse stellen Ordnungen des Wissens dar, die das Denk- und Sagbare innerhalb eines spezifischen Kontextes bestimmen. Diskurse sind sprachbasierte Ordnungen, aber sie gehen über die Sprachund Zeichenform hinaus: „Zwar bestehen diese Diskurse aus Zeichen; aber sie benutzen diese Zeichen für mehr als nur zur Bezeichnung der Sachen. Dieses mehr macht sie irreduzibel auf das Sprechen und die Sprache. Dieses mehr muß man ans Licht bringen und beschreiben.“88
Damit bilden sie „systematisch die Gegenstände [,…] von denen sie sprechen.“89 Es geht Michel Foucault darum, zu untersuchen, wie in wissenschaftlichen oder alltäglichen Diskursen Wissensobjekte erscheinen. Diskurse bringen auf diese Weise auch Kontexte der Klassifikation und Konstruktion von Subjekten bzw. Subjektpositionen hervor.90 Der Diskurs ist eine Ordnung von systematischen Aussagen, in deren Rahmen Subjekte sprechen und handeln. Bereits in seinen frühen Werken „Wahnsinn und Gesellschaft“ (1961) und „Die Geburt der Klinik“ (1963) gilt sein Interesse der Konstruktion von Vernunft und Wahnsinn bzw. Gesundheit und Krankheit von Subjekten in modernen psychiatrischen und medizinischen Diskursen.91 Michel Foucault zeigt, dass sich eine als normal an-
86 Hierzu die ausführliche Analyse von Saar, M. (2007). 87 Vgl. Reckwitz, A. (2008): S. 26. 88 Foucault, M. (2008a): S. 525 [Herv. i.O.]. 89 Foucault, M. (2008a): S. 525. 90 Vgl. Foucault, M. (2008a): S. 528ff; Vgl. Reckwitz, A. (2008): S. 27. 91 In „Wahnsinn und Gesellschaft“ hinterfragt Michel Foucault die Psychologie Wissenschaft. Vor allem kritisiert er die Annahme, dass es sich bei ihren Untersuchungsobjekten, z.B. psychischen Krankheiten, um objektive Wirklichkeiten handelt, die man entdecken kann. Für ihn sind sie keine objektiven Tatsachen, sondern historische Konstruktionen. „Dabei handelt es sich um ein zweifellos heikles Gebiet, bei dessen
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genommene Subjektform häufig erst über die Abgrenzung zu einem „anderem“, dem Wahnsinnigen, konstituiert. Auf dieser Grundlage habe sich laut Michel Foucault die zerbrechliche Ordnung des psychiatrischen Diskurses stabilisieren und ausweiten können.92 Bei den Subjektdiskursen von Michel Foucault finden sich häufiger Differenzmarkierungen, bei denen im Diskurs eine Subjektform ausgeschlossen wird. Gleichermaßen beinhalten die Diskurse positive Subjektformen, welche die Ziele und Ideale darstellen, nach denen sich das Subjekt richtet bzw. richten soll.93 Hierbei muss auch gefragt werden, wie sich ein Diskurs wie die moderne Psychiatrie als wahr legitimiert. Wie begründet ein Diskurs seine Autorität, über die Wahrheit zu sprechen und wie setzt sich eine Subjektform durch?94 Im Folgenden geht es zunächst um die Frage, auf welcher Basis wissenschaftliche Diskurse entstehen. Das Interesse an der Konstruktion und Konstitution von Subjekten ist im gesamten Werk von Michel Foucault zentral. Dieses Interesse hat seinen Ursprung u.a. in dem Stellenwert, den moderne wissenschaftliche Diskurse dem Subjekt seit dem 18. Jh. geben. Der Mensch taucht im 18. Jh. erstmals als Objekt und zum anderen als Subjekt jeder Erkenntnis auf. Er erscheint als „empirisch-transzendentale Doublette“95. Als empirisches Objekt ist er Gegenstand der Untersuchung. Das heißt es wird ein Wissen über ihn hergestellt. Der Mensch ist aber als transzendentales Subjekt gleichzeitig die Voraussetzung jeglicher Form von Wissen.96 Dieses Argument legt Michel Foucault in „Die Ordnung der Dinge. Archäologie der Humanwissenschaften“ von 1966 zugrunde. Das Werk kann als eine Abhandlung über die Geschichte der Wissenschaften vom 16. bis zum 20. Durchforschen man auf den Vorteil endgültiger Wahrheiten verzichten muß und sich stets nur durch das leiten lassen darf, was wir vom Wahnsinn wissen können.“Vgl. Foucault, M. (1973). Es ging ihm zusammengefasst darum, „Phänomene ihrer zu weiten Drapierungen, die es banalisieren und rationalisieren, [zu] entkleiden.“ Veyne, P. (2009): S. 12. Dies sollte geschehen, indem sie gleichzeitig auf die strukturellen und historischen Bedingtheiten ihres Erscheinens zurückgeführt werden. Vgl. Ruoff, M. (2007): S. 22ff; Vgl. Sarasin, P. (2005): S. 19–21. 92 Vgl. Foucault, M. (1967): S. vii–viii. 93 Vgl. Reckwitz, A. (2008): S. 28. 94 Bei der Analyse von Diskursen werden dafür zunächst sich in ihrem oberflächlichen Sinn ähnelnde Aussagen festgehalten. Hernach werden die Bedingungen untersucht, die den Diskurs als Ereignis möglich gemacht haben. Dazu registriert Michel Foucault, in welchen Serien die Aussagen auftreten, und welche anderen Aussagen eventuell verdrängt wurden. Vgl. Foucault, M. (2008a): S. 587ff. 95 Foucault, M. (2008d): S. 386 u.a. 96 Vgl. Sarasin, P. (2005): S. 85.
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Jh.s verstanden werden.97 Michel Foucault analysiert hier, nach welcher Ordnung das Wissen in einer bestimmten Epoche organisiert ist. Wissenschaften sind in Ordnungen eines Wissens, die Michel Foucault als „Episteme“ bezeichnet, verhaftet. Eine Episteme bezeichnet die Art und Weise durch die wissenschaftliche Diskurse möglich werden und auf welche Art das Wissen organisiert ist.98 Ein Epistem „liefert der wissenschaftlichen Disziplin ihre letzten Gewissheiten darüber, was als Erfahrung zählt und was als Praktik anerkannt wird“.99 Wissenschaft entsteht dabei als eine Ordnung von Diskursen, d.h., sie formt sich insbesondere durch Redeordnungen.100 „Sie sind auf exklusive Weise redselige Ordnungen, Ordnungen einer letztendlich immer aussageförmigen ‚Wahrheit‘ – einer Wahrheit, die jedoch eben deshalb auf einer Fülle von Ausschließungs- und Vergewisserungstechniken beruht.“101
Im Werk „Die Ordnung der Dinge“ von Michel Foucault ist von epistemischen Brüchen die Rede.102 Innerhalb dieser Brüche vollzieht sich ein Wandel der „Ausschließungs- und Vergewisserungstechniken“103. Michel Foucault geht von zwei Brüchen aus104: Erstens der Übergang von der Renaissance (Episteme der Ähnlichkeit im 16. Jh.) zur Klassik (Episteme der Repräsentation in der Mitte des 17. Jh.s bis Ende des 18. Jh.s) und zweitens die Zäsur von der Klassik zur modernen Epoche (Episteme des Menschen vom Beginn des 19. Jh.s bis Mitte des 20. Jh.s). Er zeigt den Bruch der letzteren beiden Episteme am Beispiel der wissenschaftlichen Disziplinen der Grammatik, der Naturgeschichte und der Analyse der 97
Vgl. Sarasin, P. (2005): S. 72.
98
„Was wir an den Tag bringen wollen, ist das epistemologische Feld, die episteme, in der die Erkenntnisse, außerhalb jedes auf ihren rationalen Wert […] betrachtet, ihre Positivität eingraben und so eine Geschichte manifestieren, die nicht die ihrer wachsenden Perfektion, sondern eher die der Bedingungen ist, durch die sie möglich werden.“ Foucault, M. (2008d): S. 28 [Herv. i.O.].
99
Gehring, P. (2004): S. 47.
100 Vgl. Gehring, P. (2004): S. 47. 101 Gehring, P. (2004): 47 [Herv. i.O.]. 102
„Sie hat in der Zeit die gleichen Gliederungen, nimmt ihren Anfang am Ende der Renaissance und findet ebenfalls in der Wende des neunzehnten Jahrhunderts die Schwelle der Modernität, aus der wir immer noch nicht herausgekommen sind.“ Foucault, M. (2008d): S. 31.
103 Gehring, P. (2004): 47. 104 Vgl. Gehring, P. (2004): 48–51.
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Reichtümer und deren Übergang zu den modernen Disziplinen der Philologie, Biologie und Ökonomie auf. Insgesamt ändern sich mit dem Wandel der Episteme auch die Ordnungen, die bestimmen welches Wissen möglich ist. Dabei beschreiben die klassischen und die modernen Episteme, in Abgrenzung zur Renaissance, die Basis für unser heutiges Wissens.105 Im 16. Jh. sind Wörter und Zeichen analog zu den Dingen. Michel Foucault spricht vom Raster der „Ähnlichkeit“. 106 Ab Mitte des 17. Jh.s stehen Sprache und Welt nicht mehr in einer Analogiebeziehung, sondern in einer Bedeutungsbeziehung. Die Sprache repräsentiert die Dinge und erhält eine Autonomie zu den Dingen.107 Als reine Repräsentation verfügen sie über eine eigene taxonomische Logik.108 Charakteristisch für das Zeitalter der Repräsentation sind Ordnungen, Übersichten, Tabellen, Taxonomien und Abbildungen. Bilder und Namen müssen dabei deckungsgleich bzw. miteinander verbunden sein.109 Ambivalenz war in der klassischen Episteme im Vergleich zum Zeitalter der Ähnlichkeit nicht akzeptiert. Stattdessen ging es um die Herstellung einer rationalen Ordnung, und der Gegensatz dazu war das Chaos, welches vermieden werden sollte. Bei der Herstellung von Ordnung geht es um Identität und Differenz bzw. Wahrheit und Unwahrheit.110 Die Aufgabe der Wissenschaft besteht darin, die Sachen und Worte zu benennen und exakt in einem Tableau einzutragen.111 Die Sprache stellt dabei den Zugang zu den Dingen her und definiert was als wahr oder unwahr gilt. Jede Einheit ist durch Ähnlichkeiten mit benachbarten Einheiten verbunden, was ihre Zugehörigkeit zu einer Gruppe bestimmt.
105
Siehe auch Townley, B. (2003).
106 „Bis zum Ende des sechzehnten Jahrhunderts hat die Ähnlichkeit im Denken (savoir) der abendländischen Kultur eine tragende Rolle gespielt. […] Die Welt drehte sich in sich selbst: die Erde war die Wiederholung des Himmels, die Gesichter spiegelten sich in den Sternen, und das Gras hüllte in seinen Halmen die Geheimnisse ein, die dem Menschen dienten.“ Foucault, M. (2008d): S. 49; „Die Sprachen stehen mit der Welt in einer Analogiebeziehung und weniger in einer Beziehung der Bedeutung, oder vielmehr ihr Zeichenwert und ihre Funktion der Reduplizierung überlagern sich. Sie sprechen den Himmel und die Erde aus, deren Bild sie sind.“ Foucault, M. (2008d): S. 72. 107 Vgl. Gehring, P.: S. 48. 108 Vgl. Sarasin, P. (2005): S. 76. 109 Vgl. Gehring, P. (2004): S. 48–49. 110 Vgl. Townley, B. (2003): S. 43. 111 Vgl. Gehring, P. (2004): S. 48–49.
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„Ambivalenz ist ein Nebenprodukt der Arbeit der Klassifikation; und sie verlangt nach immer mehr Bemühung um Klassifikation. […] Seine Intensität variiert […] je nach dem Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein des Bewußtseins, daß die Reduktion von Ambivalenz ein Problem der Entdeckung und Anwendung einer richtigen Technologie ist: ein Problem des Managements.“112
Der Versuch die „Dinge“ zu managen, d.h. zu klassifizieren und Ambivalenzen zu reduzieren, trifft auf alle drei der sich herausbildenden Wissenschaften zu (Naturgeschichte, Grammatik und Analyse der Reichtümer). Die Naturgeschichte ordnet Wesen (z.B. Pflanzengattungen), die Grammatik ordnet Wörter und die Analyse der Reichtümer beschäftigt sich mit der Ordnung von Werten.113 Am Ende des 18. Jh.s beginnt die Bedeutung der Episteme der Repräsentation zu schwinden. Am Anfang des 19. Jh.s geht es nicht mehr um Wahrheit und Unwahrheit oder Identität und Differenz im Tableau.114 Die Sprache verliert ihre Bedeutung und im Fokus steht die Dynamik der Dinge und nicht mehr ihre Oberfläche.115 Die Biologie erkundet das Innere der Pflanze und ihre Funktionsweise anstatt auf die äußeren und statischen Merkmale zu fokussieren.116 Statt die statische Ansammlung von Reichtümern wie im Merkantilismus zu untersuchen, beschäftigt sich die Ökonomie mit Arbeit und Bedürfnissen und Voraussetzungen der Produktion.117 Die Philologie konzentriert sich auf das aktive Subjekt und dessen Sprache im Prozess bzw. in der Zeit.118 Eine Gemeinsamkeit der neuen Episteme liegt darin, „dass an die Stelle der klassifizierenden Wissensbildung jeweils eine suchende Form der Tiefenforschung getreten ist“119. Anstellte von statischen Repräsentationen geht es um dynamische Prozesse. Damit wird jedoch die Aufgabe der modernen Wissenschaft tendenziell zu einem niemals
112 Baumann, Z. (1995): S. 15 [Herv. i.O.]. 113 Vgl. Foucault, M. (1994c): S. 260ff. 114 „Die modernen Themen eines gemäß den Gesetzen einer Ökonomie, Philologie und Biologie lebenden, sprechenden und arbeitenden Individuums, das aber in einer Art innerer Verdrehung und Überlappung durch das Spiel jener Gesetze selbst das Recht erhalten hätte, sie zu erkennen und völlig an den Tag zu bringen, alle jene Themen, die uns vertraut und mit der Existenz der ‚Humanwissenschaften‘ verbunden sind, werden durch das klassische Denken ausgeschlossen.“ Foucault, M. (1994c): S. 375. 115 Vgl. Gehring, P. (2004): S. 49, Vgl. Foucault, M.(2008d): S. 308ff. 116 Vgl. Gehring, P. (2004): S. 49. 117 Vgl. Foucault, M. (1994c): S. 220. 118 Vgl. Gehring, P. (2004): 49–50. 119 Gehring, P. (2004): S. 49.
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endenden Projekt.120 Der Mensch wird zur Grundlage des Erkenntnisinteresses der Wissenschaft.121 Der Mensch ist jedoch zunehmend nicht nur der Gegenstand der Wissenschaften, sondern auch die Voraussetzung für die Erlangung von Erkenntnis. 122 Diese Änderung der Episteme hat einen Einfluss auf das wissenschaftliche Verständnis von „Agentschaft“ bzw. „agency“, welches als Konzept in den Organisations- und Managementwissenschaften bedeutsam wird. Jedoch hat auch die Episteme der Repräsentation einen wesentlichen Einfluss auf die Konstruktion der Organisations- und Managementwissenschaften. Im Vordergrund steht hierbei vor allem das Konzept der Herstellung einer rationalen Ordnung bzw. der rationalen Strukturierung. Beide Konzepte, sowohl das der „Agentschaft“ als auch das der „rationalen Strukturierung“, sind grundlegend für die Entstehung von modernen Organisationen. Es kann also nicht von einer vollständigen Trennung der Episteme ausgegangen werden. Bestimmte Ausprägungen der klassischen Episteme beeinflussen immer noch unsere heutige Wissenschaft und haben sich mit der modernen Episteme vermischt. In „Die Ordnung der Dinge“ macht sich die Besonderheit von Michel Foucaults Geschichtsschreibung bemerkbar. Wandel in der Wissenschaft wird hier nicht als ein kontinuierlicher Prozess der Entdeckung von Neuem verstanden.123 Veränderungen ergeben sich vielmehr durch ungeordnete Brüche, also plötzliche Verschiebungen, welche bewirken, dass Dinge anders geordnet werden, also, dass sich eine neue Episteme bildet. Die Entwicklung von Wissenschaft ist dabei kontingent, d.h. es gibt keine höhere historische Logik oder Reihenfolge, in der 120 „So erfindet sich die europäische Kultur eine Tiefe, in der nicht mehr von Identitäten, unterscheidenden Merkmalen, zusammenhängenden Tafeln mit all ihren Wegen und möglichen Bahnen, sondern von großen verborgenen Kräften, die von ihrem ursprünglichen und unzugänglichen Kern her entwickelt sind.“ Foucault, M. (2008d): S. 309f. 121 Nach Michel Foucault sind die empirischen Menschenwissenschaften in sich auch nicht stabil, und das historische Scheitern dieser Wissensordnung steht daher bevor. Auf diese Weise lässt sich auch der letzte Satz seiner Studie „Die Ordnung der Dinge“ deuten, welcher seinerzeit großes Aufsehen erregt hat, weil man eine grundsätzliche Verneinung des Subjektbegriffs dahinter vermutete: Wenn diese Wissensordnung ins Wanken gerät, „wie an der Grenze des achtzehnten Jahrhunderts die Grundlage des klassischen Denkens es tat, dann kann man sehr wohl wetten, daß der Mensch verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand“. Foucault, M. (2008d): S. 463. 122 Vgl. Sarasin, P. (2005): S. 85. 123 Vgl. Sarasin, P. (2005): S. 77f.
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die Brüche passieren. Auch sind die Verschiebungen nicht auf die Intention von Subjekten zurückzuführen. Geschichtsschreibung als solche ist mit Michel Foucault kein Ergebnis des intentionalen Handelns bzw. der bewussten Entscheidungen unterschiedlicher Subjekte.124 Die Beschreibung der gesellschaftlichen Entwicklung als ein lineares Fortschrittsnarrativ wird damit undenkbar. Insgesamt beginnt Michel Foucault seine Analyse von Diskursen jeweils an historischen Stellen, wo er eine Zäsur vermutet. Der Fokus liegt hierbei meist an Punkten, wo eine neue Ordnung entsteht, die gleichfalls auf eine neue Subjektposition hinweist oder an einem Punkt, wo sich ein Widerstand gegen eine bestimmte Subjektform bildet. In „Die Ordnung der Dinge“ analysiert Michel Foucault in einem großen Rahmen die Entwicklung der abendländischen Wissenschaften. Neue Wissensformen, die mit veränderten Subjektpositionen oder Widerständen gegen bestimmte Subjektformen einhergehen, finden sich jedoch gleichermaßen in kürzeren Zeitabständen und darüber hinaus auch nicht nur in wissenschaftlichen, sondern ebenso in alltäglichen Diskursen. Unabhängig von der Größe des Betrachtungsrahmens stellen Diskurse Räume der Klassifikation und Konstruktion von Subjekten her. Sie konstruieren dadurch ein Wissen über Subjekte. Dieses Wissen bildet eine Ordnung, in der Subjekte denken, sprechen und handeln können. Damit sind Diskurse unmittelbar an der Produktion von Wissen über Subjekte und damit von Subjekten selbst beteiligt. Historisch und kulturell verändert sich der Kontext, in dem Subjekte gedacht werden, was wiederum einen Einfluss auf die Konstruktion von Subjekten hat.
3.3.2 Materielle Macht: Die Produktion des modernen Subjektes durch Körperpraktiken Bereits im letzten Punkt wurde beschrieben, dass Diskurse die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen. Sie verweisen dementsprechend nicht nur auf be-
124 Dies ist ein Grund, warum sich Michel Foucault der Annales-Schule der Geschichtsschreibung verbunden fühlt. Es handelt sich hierbei um eine Gruppe französischer Historiker des 20. Jahrhunderts, die eine neue Methodologie und Praxis der Geschichtsschreibung etablierte. Ihre drei wichtigsten Neuerungen waren die Hinwendung zu Wirtschaft und Gesellschaft, die Erschließung quantifizierbaren Materials und die Orientierung an langfristigen Entwicklungen. Vertreter der Annales-Schule sind u.a. Phillipe Ariès (1999), Marc Bloch (1982), Fernand Braudel (1990), Georges Duby (2000) und Lucien Febvre (2003).
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reits vorhandene Realitäten außerhalb ihrer selbst, sondern sie sind beispielsweise auch an der Konstruktion von Subjekten beteiligt. Meistens beschränken sich Diskurse dabei nicht darauf, Idealformen von Subjekten oder Antisubjekten darzustellen. Sie beschreiben häufig auch Möglichkeiten, durch die die dargestellte Idealform erreicht werden kann.125 Hier finden sich bereits Hinweise für eine Verschränkung von Diskursen mit nichtdiskursiven Elementen zur Konstruktion von Subjekten, mit denen sich Michel Foucault nach der Auseinandersetzung mit Diskursen ebenfalls beschäftigt. Diskurse sind für Michel Foucault zunächst Wissensordnungen, während er in den 1970er Jahren beginnt, sich mit Machtordnungen bzw. einer „Analytik der Macht“ auseinanderzusetzen. Er untersucht dabei die Konstruktion individualisierter Subjekte über Architekturen von Disziplinarinstitutionen wie dem Gefängnis in „Überwachen und Strafen“ (1975) und die Subjektkonstruktion durch das Sexualitätsdispositiv in „Der Wille zum Wissen“ (1976).126 Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich primär auf die Konstruktion von Subjekten, wie sie in „Überwachen und Strafen“127 anhand von Architekturen der Disziplinarinstitutionen dargestellt wird. Diese Darstellungen sind für die Analyse von Machtformen, welche die Subjektivierung in Organisationen bestimmen, interessanter als die Ausführen in „Der Wille zum Wissen“, da sie zeigen, mit welchen Machtmechanismen die Handlungen von Individuen vor allem in den Organisationen der Moderne angeleitet werden.128 Die Disziplin ist eine Machtform, die die Körperkraft mit dem Ziel der Effizienzsteigerung ausnutzt. Es handelt sich um eine produktive Macht, welche nicht wie souveräne Herrschaftsformen – z.B. Sklaverei – zunächst dazu dient, den Menschen zu unterwerfen und zu schwächen.129 Indirekt ist jedoch auch die souveräne Machtausübung produktiv, da sie, wie Friedrich Nietzsche betont, den Zusammenhalt eines Gemeinwesens ermöglicht. Erst wenn das Gemeinwesen 125 Hierzu die Auseinandersetzung mit Michel Foucault bei Reckwitz, A. (2008). 126 Hierzu die Auseinandersetzung mit einer materiell-physischen Macht bei Michel Foucault bei Saar, M. (2007). 127 Vgl. Foucault, M. (1994a). 128 Zur Fokussierung auf materielle Macht und Körperformation: Vgl. Schmidtke, A. (2007): S. 37–52 „Körper und Disziplin“. 129 „Der historische Augenblick der Disziplinen ist der Augenblick, in dem eine Kunst des menschlichen Körpers das Licht der Welt erblickt, die nicht nur die Vermehrung seiner Fähigkeiten und auch nicht bloß die Vertiefung seiner Unterwerfung im Auge hat, sondern die Schaffung eines Verhältnisses, das in einem einzigen Mechanismus den Körper um so gefügiger macht, je nützlicher er ist, und umgekehrt.“ Foucault, M. (1994a): S. 176.
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erstarkt ist und Werte durchgesetzt sind, bedarf es keiner souveränen Machtausübung mehr. „Mit erstarkender Macht nimmt ein Gemeinwesen die Vergehungen des Einzelnen nicht mehr so wichtig, weil sie ihm nicht mehr in gleichem Maasse wie früher für das Bestehn des Ganzen als gefährlich und umstürzend gelten dürfen: der Übelthäter wird nicht mehr ‚friedlos gelegt‘ und ausgestossen, der allgemeine Zorn darf sich nicht mehr wie früher dermaassen zügellos an ihm auslassen.“130
Michel Foucault setzt die Beschreibung der souveränen Machtform an den Anfang seiner Auseinandersetzung in „Überwachen und Strafen“. Die Marter ist hierbei für ihn zentral für die souveräne Strafgewalt. Das Gesetz repräsentiert die Macht des Souveräns, das der Straftäter gebrochen hat.131 Der Souverän hat allein die Macht über die Strafe und manifestiert sie öffentlich und unter Einbeziehung von Schaulustigen am Körper des Täters.132 Damit soll die Asymmetrie der Macht zwischen ihm und dem Verbrecher wiederhergestellt werden.133 Der geschundene Körper wird durch die Marter zum Symbol der souveränen Macht. Hier findet sich Friedrich Nietzsches Auseinandersetzung mit dem Konzept der direkten, materiellen Macht wieder. Bei ihm handelt es sich um eine Macht, die souverän ausgeübt wird und einem Einzelnen zugeschrieben werden kann. Sie dient dem Schutz eines Gemeinwesens, was durch souveräne Machtausübung zusammengehalten werden soll. Bei den Disziplinen spricht Michel Foucault hingegen von einer Mikrophysik der Macht, die wie ein Netz funktioniert, welches über die gesamte Gesellschaft gespannt ist. Eine zentrale Rolle spielen dabei die Disziplinaranstalten bzw. Organisationen (Schule, Fabrik, Militär, Krankenhaus, Gefängnis), die Machtverhältnisse schaffen und unterstützen.134 Eine Gemeinsamkeit zwischen den Ansätzen von Friedrich Nietzsche und Michel Foucault besteht darin, dass die materiell-physische Machtform KörperPraktiken des Subjekts anleitet. Michel Foucault führt anhand der Disziplinarinstitutionen die Genealogie vor, wie das Subjekt im 17. und 18. Jh. entstanden ist. Der Fokus liegt hier nicht primär auf der Beeinflussung des Denkens und Wissens des Subjektes, sondern auf der praktischen Formung der Körper. Nichtsdestotrotz sind Wissen und Macht bzw. symbolische und materielle Ordnungen eng miteinander ver130 Nietzsche, F. (1887a): II/10. 131 Vgl. Foucault, M. (1994a): S. 63f. 132 Vgl. Foucault, M. (1994a): S. 61ff. 133 Vgl. Foucault, M. (1994a): S. 65. 134 Siehe hierzu auch Deleuze, G. (1990).
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schränkt. Wenn Subjekte anfangen, die Welt in einer gewissen Weise zu verstehen und Wahrheiten als solche anzuerkennen, können sich soziale Praktiken durchsetzen, die wiederum diese Auffassung der Wahrheit reproduzieren und unterstützen. Den Disziplinarorganisationen kommt hierbei seit der Moderne eine entscheidende Rolle zu. Die Disziplin ist ein Machtmechanismus, über den sich eine Gesellschaft bis in die kleinsten Einheiten, also bis hin zu den einzelnen Individuen einer Kontrolle aussetzen lässt. Dafür entwickelt die Disziplin Methoden der Individualisierung von Macht. Michael Ruoff unterstreicht, dass im Vordergrund Überwachung, Kontrolle und Leistungssteigerung stehen. Darüber hinaus soll der Einzelne dort platziert werden wo er von Nutzen ist.135 „Diese Methoden, welche die peinliche Kontrolle der Körpertätigkeiten und die dauerhafte Unterwerfung ihrer Kräfte ermöglichen und sie gelehrig/nützlich machen, kann man die ‚Disziplinen‘ nennen.“136 Die Aufgabe der Disziplinierung übernehmen Organisationen, deren Zahl sich mit der Ausbreitung der Disziplinen in der Moderne deutlich erhöht.137 Entweder sollen Individuen in diesen Organisationen von der Gesellschaft abgesondert werden (wie die Verbrecher im Gefängnis oder die Kranken ins Krankenhaus), oder aber die Organisationen sollen Individuen nach einem bestimmten gesellschaftlichen Vorbild formen (wie die Schüler in der Schule) oder ihre Arbeitskraft soll gesteigert werden (wie die Arbeiter in der Fabrik).138 Im Lauf der Zeit werden immer mehr Menschen in den Disziplinarorganisationen eingeschlossen. Zwischen den Einrichtungen gibt es dabei wechselseitige Vorbildfunktionen.139 Die Werkstatt z.B. wird nach dem Vorbild des Militärs gestaltet, um den Anforderungen einer sich wirtschaftlich verändernden Gesellschaft zu entsprechen. Die Gesellschaft wird durch die Ausweitung von Disziplinarorganisationen durchzogen von einer Mikrophysik der Macht, die unscheinbar und kaum erkennbar ist, indem sie winzige Verfahren am Körper durchführt. Diese Mikrophysik der Macht ist ein wichtiges Merkmal der Disziplinen. Jedes Detail, jede Bewegung, jeder Ablauf kann einer Ordnung zugeführt werden. Die winzigste Unordnung, die beobachtet wird, unterliegt der Macht, die sie in eine möglichst rationale Ordnung verwandeln will.140 Im Zentrum dieser Macht steht der einzelne Mensch. Disziplinarorganisationen sind Einrichtungen, in denen es 135 Vgl. Ruoff, M. (2007): S. 102f. 136 Foucault, M. (1994a): S. 175. 137 Vgl. Schmidtke, A. (2007): S. 40. 138 Vgl. Schmidtke, A. (2007): S. 38f. 139 Vgl. Ruoff, M. (2007): S. 103. 140 Vgl. Ruoff, M. (2007): S. 103.
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vor allem um die Abrichtung des Körpers durch diverse Verfahren geht. Es handelt sich um Körperpraktiken, welche sich durch wiederholtes Durchführen in das Subjekt einschreiben. So wird dem Körper ein bestimmter Platz zugewiesen, er wird einer konkreten zeitlichen Ordnung unterworfen, der Körper wird zum Objekt der Beobachtung, der Körper übt sich durch die Benutzung von Artefakten oder durch den genau vorgeschriebenen Umgang mit anderen und mit sich selbst. Michel Foucault nennt in diesem Zusammenhang bestimmte Prinzipien, welche sich in Organisationen unterschiedlicher Art wiederfinden. So geht es um die Klausur bzw. Einschließung der Körper, die Parzellierung bzw. Aufteilung der Körper im Raum, die Zuordnung von Funktionsstellen und die Einteilung in Ränge. Die Disziplinen erschaffen ein lebendiges Tableau von Körpern und Artefakten und bringen damit eine zeitliche und räumliche Ordnung in das Chaos der willkürlichen Bewegungen. Bei der Klausur geht es um die Einschließung der Körper an einem bestimmten Ort. Einschließungen konzentrieren sich zunächst auf Randgruppen, wie Landstreicher, Bettler und Verbrecher. Später erweitert sich die Technik auf Kloster oder Internate. Darüber hinaus ist die Einschließung gerade in Schulen und Fabriken später wesentlich subtiler.141 In der Fabrik bewirkt die Einschließung durch das Ziehen einer klaren Außengrenze die Konzentration der Arbeit und damit eine höhere Effizienz von Arbeitspraktiken.142 Wurden Arbeiter, die nicht die gewünschte Produktivität erbrachten, zuvor eher ausgeschlossen, gefoltert oder misshandelt werden sie nun eingesperrt und diszipliniert bzw. nutzbar gemacht.143 Mit dem Prinzip der Parzellierung erhält jedes Individuum einen genauen Platz in der Organisation. Der abgeschlossene Raum wird demnach zellenförmig unterteilt. Mauern oder Wände zwischen den Einzelnen sind hierbei nicht notwendig, da sich der Einzelne so besser beobachten lässt.144 Durch diese Form der Parzellierung ist eine umfassende Kontrolle der Individuen möglich. Der Einzelne wird durch seine stabile Verortung im räumlichen Tableau dauerhaft sichtbar gemacht und der ungeordneten Masse entzogen. Außerdem ermöglicht diese Anordnung die Herstellung von stabilen Kommunikationsstrukturen, z.B. in der Fabrik. Betrachtet man Abbildungen von Büro- und Fabrikgebäuden aus dem frühen 20. Jh. fällt die Linearität in der Anordnung der Arbeit auf. Hiermit wurde nicht nur die bestmögliche Überwachung der Körperbewegungen gesichert, sondern auch die Effizienz der einzelnen Arbeitsabläufe konnte ge141 Vgl. Foucault, M. (1994a): S. 181. 142 Vgl. Schmidtke, A. (2007): S. 37ff. 143 Zum Umgang mit Arbeitern in frühen Fabriken: Heilbronner, R.L. (2006): S. 105ff 144 „Jedem Individuum seinen Platz und auf jeden Platz ein Individuum.“ Foucault, M. (1994a): S. 183.
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steigert werden. Nachdem der Körper seinen Platz erhalten hat werden ihm Funktionen zugeteilt. In der Organisation steht die Koordination von Arbeitstätigkeiten im Vordergrund, während es in der Schule um die Zuweisung von Lern- und Lehrpraktiken geht. Auch der Aufbau und die Wirksamkeit der Hierarchie sind dadurch sichergestellt. Die normative Installation von Rängen in der Hierarchie bestimmt den Abstand zwischen den Individuen und klassifiziert sie. Diese Anordnungen sind jedoch nicht vollkommen stabil, sondern vermitteln dem Einzelnen feste „Aufstiegschancen“. In der Organisation wird das Individuum gemäß seines Alters, seiner Leistungen, der Länge seiner Zugehörigkeit usw. eingeteilt und ist sich mit dieser Lokalisierung seiner eigenen Identität bewusst, was sich wiederum auf sein Handeln auswirkt. Aus einer ungeordneten Masse entsteht ein rationales Tableau, welches Sichtbarkeit ermöglicht damit die Ausübung von Macht erlaubt. Als weiteren Aspekt der Zurichtung von Körpern in den Disziplinen ist die exakte Zeitplanung. Die Arbeit in Fabriken wird mit Beginn des 20. Jh. zum Objekt von Zeitstudien, um die Produktivität der Arbeit zu erhöhen. Basierend auf Zeitstudien, wird eine Normalzeit für einen Arbeitsvorgang ermittelt und als Regel installiert. Daneben wird ein Anreiz-System installiert, welches Arbeit durch höhere Löhne oder negative Sanktionen auf diese Normalzeit festzulegen versucht. Andererseits dient diese Normalisierung und Standardisierung dazu, die Körperbewegungen an den Rhythmus der gesamten Produktionsmaschinerie anzupassen.145 Die Zeit dringt auf diese Weise in den Körper des Arbeiters ein. Gleichermaßen wird das Verhältnis zwischen Körper und Artefakten z.B. Produktionsmitteln oder dem Produkt genormt und installiert. Michel Foucault nennt diese Aspekte zusammenfassend „das Manöver“.146 Weiterhin muss die den Individuen zur Verfügung stehende Zeit ausgenutzt werden. Sie wird daher zergliedert und in aufeinander aufbauende Stufen zerlegt, z.B. in der Lehrlingsausbildung. Die Arbeit wird zunehmend schwieriger und komplexer und ist durch Prüfungen voneinander abgetrennt. Damit werden die Individuen vergleichbar und unterscheidbar. Übungen werden je nach Stufe vorgeschrieben. Damit wird die Zeit des Individuums vollständig durch die Macht besetzt. Die Übung unterscheidet Tätigkeiten voneinander und stuft sie ein. Sie arbeitet in dieser Unterteilung und Einstufung mit wiederholenden Körperbewegungen. Innerhalb dieser Ordnung ist der Körper auf ein konkretes Ziel ausgerichtet, welches es zu erreichen gilt.147 145 Vgl. Schmidtke, A. (2007): S. 43ff. 146 Foucault, M. (1994a): S. 196–197. 147 Vgl. Foucault, M. (1994a): S. 208f.
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Verbunden werden die Techniken des Tableaus, des Manövers und der Übung mit der Taktik. Hier geht es um die Zusammensetzung der Kräfte. In der industriellen Fabrikarbeit zählt nicht die Arbeit des Einzelnen alleine, sondern die gesamte Produktivkraft, welche sich aus allen Leistungen zusammensetzt. Je komplexer die Arbeitsteilung wird, desto mehr müssen sie gezielt organisiert und gebündelt werden. Die einzelnen Individuen müssen verbunden, der Rhythmus kombiniert und mit der Einteilung der Zeit in Einklang gebracht werden. Ein funktionierendes Befehlssystem ist die Voraussetzung für eine möglichst produktive Kombination. „Es geht nicht um das Verstehen des Befehls, sondern um die Wahrnehmung des Signals und die alsbaldige Reaktion darauf entsprechend einem vorgegebenen Code.“148 Die Disziplinen produzieren insgesamt eine Individualität des Menschen mit vier Eigenschaften:149 1. Die Individualität ist zellenförmig durch ihre räumliche Anordnung im Tableau. 2. Sie ist organisch aufgrund der Kontrolle der Tätigkeiten durch das Manöver. 3. Die Individualität ist evolutiv durch die Organisation von Entwicklungen in den Übungen. 4. Sie ist kombinatorisch durch die Zusammensetzung der Kräfte durch die Taktiken. Zusammenfassung: Techniken der Sichtbarmachung und Intervention Zusammenfassend gesagt dringt die Disziplinarmacht in den Körper ein, individualisiert ihn und macht ihn produktiv.150 Dafür bedient sie sich eines hierarchischen Blicks sowie der normierenden Sanktion und kombiniert diese Techniken mit Hilfe der Prüfung. Mit dem hierarchischen Blick sollen die Individuen sichtbar gemacht werden und es soll ein Bewusstsein für Ihre Sichtbarkeit geschaffen werden. Die Beobachtungseinrichtung muss dabei so beschaffen sein, dass sie zumindest den Eindruck einer dauerhaften Sichtbarkeit beim beobachteten Subjekt erzeugt. Damit wird eine optimale zeitliche und örtliche Überwachung gewährleistet.151 Eine Möglichkeit der Durchsetzung dieser Unterwerfung sind spezielle architektonische Einrichtungen. Sie finden sich erstmalig in militärischen Lagern, in denen eine genau durchdachte Aufteilung des Raumes herrscht.152 Es handelt sich nicht um einen gewachsenen Ort, sondern um einen künstlich geschaffenen, rationalen Ort, der zuerst als symbolische Ordnung, als 148 Foucault, M. (1994a): S. 214. 149 Vgl. Foucault, M. (1994a): S. 216f. 150 Vgl. Schmidtke, A. (2007): S. 46. 151 Vgl. Schmidtke, A. (2007): S. 46. 152 Vgl. Foucault, M. (1994a): S. 221.
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Repräsentation auftaucht und dann umgesetzt wird. Der Ausgangspunkt der Disziplinen ist demnach die „tabula rasa“. Es geht darum, Probleme rational zu lösen, indem man sich vom Chaos der Traditionen entfernt und reinen Tisch (tabula rasa) macht. Die Disziplinen beginnen an einem Nullpunkt, der für jede Kultur und für jedes Zeitalter gültig sein sollte.153 Das Prinzip, einen künstlichen und rationalen Ort der Überwachung zu schaffen, weitet sich aus auf die Gestaltung von Fabriken, Krankenhäusern, Arbeitshäusern, Gefängnissen und Schulen. Ein Modell für diese Architektur in einer Organisation ist das Panopticon. Jeremy Bentham hat es als architektonisches Beispiel für eine Überwachungsinstitution entwickelt.154 Im Vordergrund steht mit dem hierarchischen Blick eine dauerhafte und umfassende Sichtbarkeit der überwachten Körper herzustellen. Dafür wird der Raum geometrisch so angeordnet, dass ein zentraler Überwachungsturm umgeben ist von jederzeit einsehbaren Einzelzellen. Abbildung 2: Das Panopticon nach Jeremy Bentham
Quelle: Panopticon-Skizze nach Jeremy Bentham aus dem Jahr 1843 (Original 1791). Bentham, J. (1843): S. 172f
Die Beobachtung ist einseitig und entpersonalisiert. Da die Beobachteten nicht wissen wann und ob sie beobachtet werden ist ein Verzicht auf Beobachtung möglich. Der Beobachtete internalisiert den Blick von außen und wandelt eine lediglich wahrscheinliche Fremdbeobachtung in eine dauerhafte Selbstbeobachtung um. Die Macht wirkt auf diese Weise individualisierend und umfassend.155 Das Panopticon wurde tatsächlich gebaut, z.B. in Kuba als Modellgefängnis un153 Vgl. Toulmin, S. (1992): S. 175ff. 154 Vgl. Bentham, J. (1843): S. 60–64. 155 Vgl. Reckwitz, A. (2008): S. 33.
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ter dem Diktator Machado im Jahr 1928. Jedoch dient es vielmehr als Metapher für eine einheitliche Funktion der Überwachung in Disziplinarapparaten. Diese Metapher macht deutlich, dass Wissen und Macht eng miteinander verschränkt sind. So arbeitet das Panopticon damit ein Wissen über Subjekte herzustellen, was wiederum eine Machtausübung ermöglicht. Interessant ist, dass heutige Personalinformationssysteme ein ähnliches Verhältnis installieren. 156 Personalinformationssysteme dienen der Erfassung, Speicherung, Verarbeitung, Pflege, Analyse, Benutzung und Verbreitung von Personaldaten. Ausgehend von diesen Beobachtungsformen installieren Unternehmen Interventionsformen wie die betriebliche Weiterbildung, aber auch Aufstiegschancen oder Versetzungen. Bereits in der Fabrikorganisation, und das trifft auch auf spätere Unternehmensformen zu, ist eine panoptische Architektur nicht umsetzbar, wenngleich sie in Teilen auftaucht. Die rein panoptische Architektur wird daher durch die hierarchische Überwachung ersetzt. Bestimmte Mitarbeiter, Manager, Vorgesetzte, Projektmanager, die auf Teilfunktionen spezialisiert sind, überwachen andere Mitarbeiter.157 Sie übernehmen administrative Aufgaben und koordinieren und verteilen Aufgaben, geben Anleitungen, direkte Anweisungen oder sind im Produktionsablauf einfach nur auf einen anderen angewiesen. Sie selbst sind wiederum anderen Instanzen untergeordnet, etwa den Eigentümern, Kunden oder anderen Mitarbeitern usw. Auf diese Weise ist jeder selbst Teil der Überwachung, was die Disziplinierung perfektioniert, da auch der Überwacher selbst der Sichtbarkeit und damit der Macht ausgesetzt ist. Regeln der Über- und Unterordnung bzw. Arbeitsprozesse installieren ein unternehmerisches Überwachungs- und Strafsystem, das unabhängig von individuellen Personen funktioniert. Es gibt dabei nicht mehr – wie in der von Friedrich Nietzsche beschriebenen materiellen Macht – einen Überwacher oder Souverän, sondern jeder beobachtet jeden bzw. kann die Rolle des Überwachenden einnehmen. Auf diese Weise ist die Macht hochgradig indiskret und permanent, dabei jedoch umso wirksamer und unsichtbarer. Macht wird in diesem Netz von Beziehungen hergestellt. Damit kann die Macht unsichtbar und überall wirksam sein. Je besser dieses Machtnetz funktioniert, desto eher kann auf eine direkte Macht, wie sie Friedrich Nietzsche beschreibt, verzichtet werden. Das Gemeinwesen bzw. die Produktivität des Gesamtkörpers bleibt erhalten. Wichtig ist jedoch, dass der Einzelne sich seiner Sichtbarkeit bewusst ist und die externe Beobachtung in eine möglichst dauerhafte Selbstbeobachtung umwandelt oder, wie Friedrich Nietzsche sagt, sich ein Gedächtnis macht. Dort, wo sich die disziplinierende Macht über die Körper 156 Vgl. Hierzu und zum Folgenden: Neuberger, O. (2000): S. 510ff. 157 Vgl. Hierzu und zum Folgenden: Neuberger, O. (2000): S. 510ff.
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durchsetzt und der Einzelne ihre Wirkung internalisiert, bedarf es keiner Gewalt von außen mehr und die Macht des Souveräns über seine Untertanen bzw. des Herren über seine Sklaven tritt in den Hintergrund. Die Disziplinarmacht wirkt entsprechend der normierenden Sanktion nach Michel Foucault „normend, normierend, normalisierend“158. Im 18. Jh. wird die Normalität zu einer Forderung moderner Gesellschaften. Dies wird nicht nur in der Reglementierung der Produktion, sondern auch im medizinischen Bereich oder in der Bildung deutlich. Die Normalität wirkt aber nicht nur homogenisierend, sondern auch individualisierend, weil sie wie oben beschrieben Unterschiede feststellt, Abstände bestimmt und sich Unterschiede zwischen den Einzelnen zunutze macht bzw. ökonomisiert.159 Sie ist daher an der Produktion von Individualität beteiligt, indem sie Einzelne beurteilt, einstuft, verzeichnet und auf dieser Basis bestraft oder belohnt. Der Rang bzw. die Hierarchie selbst und die Einordnung des Einzelnen ist Teil des Evaluierungssystems.160 Bestraft werden z.B. Faulheit, Nachlässigkeit usw. Belohnt wird, was im Sinne der Organisation ist. Aber auch die Übung ist Teil der normierenden Sanktion, da sie korrigierend wirkt und den Körper formen soll. Es geht dabei immer um die gesamte Persönlichkeit, d.h. nicht nur die Arbeitstätigkeit gerät ins Visier der Disziplinen, sondern jede Facette des Einzelnen wird zur Grundlage der Beurteilung. Auf diese Weise wird der Körper nicht nur durch Martern, Gesetze oder körperliche Bestrafung abgerichtet, sondern durch eine Mikrophysik, d.h. durch die Bestrafung von Nichtanpassung an eine vorgegebene Norm. Das intendierte Ergebnis sind nützliche Körper.161 Die Prüfung kombiniert den hierarchischen Blick und die normierende Sanktion bzw. die Repräsentation und die Intervention miteinander und konstruiert den Menschen als ein individualisiertes Subjekt. Durch das Bewusstsein einer permanenten Sichtbarkeit unterwirft sie es dauerhaft.162 In Form der Schriftlichkeit wird das individualisierte Subjekt dokumentiert und fixiert, geordnet, verglichen, klassifiziert und analysiert. Der Einzelne ist dadurch ein Fall: als Gegenstand der Erkenntnis (Repräsentation) und als Ziel der Machteinwirkung (Intervention). „Der Fall ist das Individuum, wie man es beschreiben, abschätzen, messen, mit anderen vergleichen kann – und zwar in seiner Individualität selbst; der Fall ist aber auch das Indi158 Foucault, M. (1994a): S. 236. 159 Vgl. Schmidtke, A. (2007): S. 49. 160 Vgl. Schmidtke, A. (2007): S. 49. 161 Vgl. Schmidtke, A. (2007): S. 49f. 162 Vgl. Foucault, M. (1994a): S. 243f.
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viduum, das man zu dressieren oder zu korrigieren, zu klassifizieren, zu normalisieren, auszuschließen hat usw.“163
Die Prüfung ist zentral für die Disziplinierung der Körper. Sie weist jedem mit seiner Individualität einen „Ort“ zu, wo der Körper durch die Eigenschaften des Ortes und seiner zugehörigen Körperpraktiken charakterisiert und festgelegt wird. Durch die Prüfung ist der Einzelne Ergebnis und Objekt der Macht. Bis heute haben Unternehmen hierzu eine Vielzahl von spezifischen Prüfungen entwickelt: Personalbeurteilung, Mitarbeitergespräch, Qualitätskontrolle, Arbeitszeugnis, Assessment-Center, Management by Objectives usw. Mithilfe des hierarchischen Blicks der normierenden Sanktion und der Prüfung produziert die Disziplinarorganisation demnach Subjekte. Sie wirkt als eine Macht, die nicht einschränkt und unterdrückt, sondern produktiv und vor allem normalisierend wirkt. Dabei ist sie zu einem großen Teil unsichtbar und wird von den Einzelnen nicht als formende Macht wahrgenommen: „In Wirklichkeit ist die Macht produktiv; und sie produziert Wirklichkeit. Sie produziert Gegenstandsbereiche und Wahrheitsrituale: Das Individuum und seine Erkenntnisse sind Ergebnisse dieser Produktion.“164
Deutlich wird hierbei, dass die Macht zwar zunächst nur am Körper wirkt, jedoch kann je nach Kontext auch ein bestimmter Geist implementiert werden. Selbstreflexivität, Moralität, Wünsche und Begehren sind durchaus als Ergebnisse dieser Machtform anzusehen. Ähnlich wie bei Friedrich Nietzsche ist es ein Kennzeichen der Macht, dass mit ihr ein Subjekt gezüchtet wird, welches über ein Gewissen bzw. eine bestimmte Form von Innerlichkeit verfügt. Diese Züchtung von Innerlichkeit findet jedoch bei der Disziplinarmacht mithilfe eines Trainings am Körper statt.
Symbolische und materielle Ordnungen als Ordnungen des Wissens und der Macht: Bezüge zwischen der Subjektkonstruktion durch Diskurse und Körperpraktiken Auch wenn Michel Foucault erst in den 1970er Jahren über die Macht (insbesondere von einer Mikrophysik der Macht) schreibt, handelt es sich bereits bei seinen Ausführungen zum Diskurs klar um eine Machtausübung, die der Herstellung von Subjektivität dient. Die Parallele zwischen der Macht durch Diskurse 163 Foucault, M. (1994a): S. 246. 164 Foucault, M. (1994a): S. 250.
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und der Macht durch die Körperpraktiken in der Architektur einer Disziplinarinstitution wie dem Gefängnis liegt in der Schaffung von Ordnungsstrukturen. Sowohl Diskurse als symbolische Formen der Macht als auch materielle Machtformen schaffen Ordnung „in einem [Chaos] von ungeregeltem Reden, von nicht unterscheidbaren Dingen und von unorganisierten Menschenmassen“165. Michel Foucault selbst sucht die Bezüge, die zwischen Macht und Wissen bestehen können. Er konstatiert 1976 in einem Interview, dass Diskurse, welche Wissen über Subjekte herstellen, selbst als Macht fungieren und die Wirkungen der Macht darüber hinaus verstärken. Gleichermaßen produzieren die architektonischen Einrichtungen der Disziplinarinstitutionen ein Wissen über die Subjekte und schaffen Repräsentationen in Form von Schriftlichkeit, welche der unmittelbaren Machtausübung bzw. Intervention dienen. Das Wissen, welches in den Disziplinarinstitutionen entsteht verlässt die Institutionen, die das Wissen hervorbringen, jedoch zusätzlich in Richtung der Humanwissenschaften. Für Michel Foucault bestehen die Humanwissenschaften in der Rationalisierung und in der systematischen Aufbereitung von kontextualisiertem Wissen, welches über das Objekt Mensch gewonnen wurde.166 „Die Geburt der Wissenschaften vom Menschen hat sich wohl in jenen ruhmlosen Archiven zugetragen, in denen das moderne System der Zwänge gegen die Körper, die Gesten, die Verhaltensweisen erarbeitet worden ist.“167 Man kann also davon ausgehen, dass bei Michel Foucault wie auch schon bei Friedrich Nietzsche die symbolische Macht der Diskurse und die materielle Macht der Körperpraktiken in Disziplinarinstitutionen miteinander verschränkt sind. Deutlich macht Michel Foucault diese Verschränkung von Machtformen, welche gemeinsam an der Produktion von Subjekten beteiligt sind, mit dem Konzept des Dispositivs. Ein Dispositiv ist: „[E]rstens ein entschieden heterogenes Ensemble, das Diskurse, Institutionen, architektonische Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes eben sowohl wie Ungesagtes umfaßt […]. Das Dispositiv selbst ist das Netz, das zwischen diesen Elementen geknüpft werden kann. Zweitens möchte [Michel Foucault] in dem Dispositiv gerade die Natur der Verbindung deutlich machen, die zwischen diesen heterogenen Elementen sich herstellen kann. So kann dieser oder jener Diskurs bald als Programm einer Institution erscheinen, bald im Gegenteil als ein
165 Sarasin, P. (2005): S. 141f. 166 Vgl. Lembke, R. (2009). 167 Foucault, M. (1994a): S. 246, Vgl. Lembke, R. (2009).
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Element, das es erlaubt, eine Praktik zu rechtfertigen und zu maskieren, die ihrerseits stumm bleibt.“168
Die Organisation kann als Dispositiv beschrieben werden, also als ein Ort der spezifischen Subjektivierung moderner Menschen. Es handelt sich insbesondere beim Unternehmen des 19. bis 21. Jh.s um ein Ensemble von bestimmten wissenschaftlichen Diskursen zu Organisation und Management, aber auch um Diskurse und Praktiken des Arbeitens und des Managements in den Unternehmen selbst und entsprechenden materiellen und architektonischen Voraussetzungen (Büro- und Fabrikgebäude, Kommunikationstechniken, Maschinen, Lochkarten, Personalakten, Statistiken, Stechuhren, Managementsysteme usw.). Im Einzelfall bewirken diese Diskurse, Praktiken und ihre materiellen Voraussetzungen eine heterogene und damit nicht widerspruchsfreie Form der Subjektivierung.169 Neben wissenschaftlichen Diskursen können auch mediale und literarische Diskurse Bestandteil dieser heterogenen Ordnung sein, welches ein Unternehmensdispositiv ausmacht.170 Jedoch kommen im 20. Jh., also unter modernen Bedingungen, charakteristischerweise vor allem wissenschaftliche Diskurse wie die Psychologie bzw. Psychotechnik als Bestandteil solcher Dispositive vor, wie an Beispielen später noch gezeigt werden wird. Organisations- und Managementdiskurse sind mitunter sehr eng an die organisatorische Praxis und an entsprechende symbolische und materielle Regulierungsweisen gekoppelt. Die Frage, welche sich im Folgenden stellt, lautet also: Welche symbolischen Ordnungen sind mit welchen an architektonische und materielle Gegebenheiten gebundene Praktiken gemeinsam zu einem Unternehmensdispositiv verknüpft und wie bewirken sie eine entsprechende Subjektivierung? Diese Fragestellung muss jedoch ergänzt werden durch einen Aspekt, mit dem sich auch Friedrich Nietzsche schon im Zusammenhang mit dem asketischen Ideal beschäftigt hat. Subjekte werden in einem bestimmten Dispositiv nicht nur von außen konstruiert durch Diskurse, materielle Gegebenheiten und Praktiken, sondern sie unterliegen ebenso einer Selbstkonstitution von „innen“. Mit Friedrich Nietzsche lässt sich bereits feststellen, dass sich Subjekte nicht nur symbolischen Ordnungen unterwerfen oder durch materielle Ordnungen geprägt werden. Bei Friedrich Nietzsche ist die imaginäre Machtform eine Macht, die über das asketische Ideal bereits gelebt wird. Durch die Subjekte, die nach diesem Ideal leben, ist die Machtform gerechtfertigt. Bei Friedrich Nietzsche stärkt 168 Foucault, M. (1978): S. 119f. 169 Andreas Reckwitz zeigt diese widersprüchlichen Subjektformationen in seinem Werk „Das hybride Subjekt“ auf. Vgl. Reckwitz, A (2006). 170 Zur theoretische Grundlegung einer Subjektanalyse vgl. Reckwitz, A. (2008).
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und reproduziert die imaginäre Macht bestimmte Institutionen, Denkschemata und Verhaltensmuster, also bestehende Machtverhältnisse und Unterwerfungsstrukturen. Diese stellen Rollenangebote zur Verfügung, welche das Selbstverständnis der Individuen prägen. Das heißt, die Konstitution von Subjektivität erfolgt zwar bei Friedrich Nietzsche von innen heraus und entspricht einer Selbstkonstitution. Sie ist jedoch immer schon in bestehende Machtverhältnisse eingebunden bzw. stärkt diese. Michel Foucault hat sich in seinen späteren Arbeiten mit der Frage beschäftigt, wie eine subjektive Selbstkonstitution möglich ist. Dieser Frage wird im Folgenden anhand der Arbeiten von Michel Foucault nachgegangen. Abschließend wird eine Verbindung zwischen der Selbstkonstitution von Subjekten und deren Konstruktion von außen, wie sie mit den Konzepten des Diskurses und der Körperpraktiken beschrieben wurde, hergestellt. 3.3.3 Imaginäre Macht und Selbstverhältnis Michel Foucault führte 1978 den neuen Begriff, der „Gouvernementalität“ ein.171 Der Begriff ist abgeleitet von dem französischen Adjektiv „gouvernemental“, was so viel bedeutet wie „die Regierung betreffend“. In diesem Zusammenhang äußert sich Michel Foucault bereits über Selbstpraktiken des Subjekts und bringt sie mit seinem Konzept der Regierung in Verbindung: „He has to take into account the interaction between those two types of techniquestechniques of domination and techniques of the self. He has to take into account the points where the technologies of domination of individuals over one another have recourse to the processes by which the individual acts upon himself. And conversely, he has to take into account the points where the techniques of the self are integrated into structures of coercion or domination. The contact point, where the individuals are driven by others is tied to the way they conduct themselves, is what we can call, I think, government. Governing people, in the broad meaning of the word, governing people is not a way to force people to do what the governor wants; it is always a versatile equilibrium, with complemantarity and conflicts between techniques which assure coercion and processes through which the self is constructed or modified by himself.“172
Das Konzept der Regierung ist eine Weiterentwicklung des Modells der Disziplinierung von Subjekten durch Herrschaftsstrukturen, wie es Michel Foucault in „Überwachen und Strafen“ vorstellt. Das bedeutet nicht, dass die Disziplinen 171 Vgl. Foucault, M. (2000); (2006a). 172 Foucault, M. (1993): S. 203–204 [Herv. i.O. entfernt], Vgl. siehe auch Lemke, T.; Krasmann, S.; Bröckling, U. (2000): S. 29
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verloren gehen. Sie werden jedoch zu einem spezifischen Modell der Machtausübung, welches nicht ausreicht, um die Subjektivierungsweisen seit Ende des 18. Jh.s nachzuvollziehen.173 Das Konzept der Regierung prägt in unterschiedlicher Form die Subjektivierung im 19. und 20. Jh. Zentraler Ansatzpunkt der Regierung sind vorrangig Subjekte und insbesondere komplexe Gemeinschaften wie die Bevölkerung. Bei Michel Foucault sind diese Ansatzpunkte Objekt und zugleich Subjekt der Regierung. „[Sie erscheinen als] Subjekt von Bedürfnissen und Bestrebungen, jedoch auch als Objekt in den Händen der Regierung.“174 Es handelt sich um ein vielschichtiges Verhältnis von Selbst- und Fremdführung. Die unterschiedlichen Akteure regieren sich selbst unter der Anleitung einer Regierung. Die Anleitung besteht darin, die Akteure in Richtung eines gewünschten Zustandes zu lenken. Dabei setzt die Regierung voraus, dass sich die Akteure selbst steuern und eine nicht vorhersehbare oder durchschaubare Eigendynamik aufweisen.175 Die Fremdführung lässt sich auf diese Weise nur über die Selbstführung realisieren, da kein direkter Zugriff seitens der Regierung besteht. Damit wird der Einzelne bereits zum Subjekt seiner eigenen Regierung. Das Konzept der Regierung hat viele Ausprägungen und Vorläufer. Dazu zählen das christliche Pastoralregime, die Biopolitik, das Konzept der Sicherheit und der Bevölkerung und die liberale Gouvernementalität.176 Es geht Michel Foucault insbesondere darum zu zeigen, dass Regieren nicht gleichzusetzen ist mit dem Herrschen oder Befehlen. „Gesetzt dem Fall also, daß ‚Regieren‘ (gouverner) nicht dasselbe ist wie ‚Herrschen‘, nicht dasselbe wie ‚Kommandieren‘ oder ‚Befehlen‘.“177 Aus dem christlichen Pastoralregime leitet sich die Vorstellung ab, die Herde wie ein Schäfer zu führen und dabei die Führung und die Sorge um eine Menge von Menschen und gleichzeitig für jeden Einzelnen zu übernehmen: „omnes et singulatim“178. Es handelt sich um eine Macht, „die auf jene selbst gerichtet ist, auf die sie ausgeübt wird, und nicht auf die Einheit eines gewissermaßen höheren Typs, wie die Stadt, das Territorium, den Staat.“179 Die eigentliche Regierungsform der Moderne setzt im 18. Jh. mit der liberalen Gouvernementalität ein.180 Mit ihr wird ein neues Konzept der Freiheit ent173 Siehe hier und zum Folgenden auch Reckwitz, A. (2006): S. 34ff. 174 Foucault, M. (2000): S. 61. 175 Vgl. Reckwitz, A. (2008): S. 34f. 176 Vgl. Reckwitz, A. (2008): S. 35. 177 Foucault, M. (2006a): S. 173. 178 Foucault, M. (2006a): S. 192. 179 Foucault, M. (2006a): S. 193. 180 Vgl. Lemke, T.; Krasmann, S.; Bröckling, U. (2000): S. 14f.
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wickelt, welches jedoch die Logik des christlichen Pastoralregimes übernimmt. Zentral für die Herausbildung der liberalen Wahrheit sind die Ökonomen, welche die Natürlichkeit des Marktes und der Freiheit unterstreichen. „Es handelt sich um die Natürlichkeit jener Mechanismen, die bewirken, daß, wenn die Preise steigen, wenn man sie steigen lässt, sie von alleine anhalten werden. Es ist jene Natürlichkeit, die bewirkt, daß die Bevölkerung bis zu einem bestimmten Moment von den hohen Löhnen angezogen wird, und wenn sich die Löhne stabilisieren, so wird die Bevölkerungszahl nicht mehr steigen.“181
Zentral für die liberale Gouvernementalität ist es, die scheinbare Naturalität von Subjekten, Objekten und komplexen Gemeinschaften zu regieren. Märkte, Interessen und Bedürfnisse steuern sich selbst und die Gouvernementalität versucht, diese Selbststeuerung zu steuern. Fremdführung bedeutet, das Feld menschlicher Lebensführung bestimmten Zielen entsprechend mit einer ökonomischen Anreizstruktur zu gestalten. Menschen können hierbei nicht wie in der Vorstellung der Disziplinen Gegenstand einer vollständigen Neukonstruktion von außen sein. Die Gouvernementalität schreibt nicht ein „normativ bestimmtes Verhalten vor, um damit gewissermaßen einen leeren künstlichen Raum von Subjektivitäten zu füllen, sondern begreift das Subjekt […] als eine aktivistische Instanz, deren Handlungsfluss zum Gegenstand des Hemmens und Förderns, der Abschreckung und des Anreizes wird“182.
Anstatt wie in den Disziplinen von einer Norm auszugehen, geht die Gouvernementalität von einem statistischen Begriff der Normalität aus. Die Diskurse der Humanwissenschaften beobachten z.B. über statistische Verfahren die Abweichungen und Risikogruppen einer Bevölkerung. Ereignisse werden ausgewertet und es wird ein Bereich der Toleranz abgesteckt, der jedoch schwankend ist. Entstehenden Risiken soll dabei entgegengesteuert werden. Das Konzept der Sicherheit wird hier bedeutsam. Dieses bezieht sich primär nicht auf das einzelne Subjekt, auf seinen Körper und seinen Geist, sondern auf die Zirkulation und Bewegung, welche in Details nicht bestimm- oder vorhersehbar ist, weil sie einen Prozesscharakter aufweist. Diese Zirkulationsfähigkeit bzw. Zirkulationsfreiheit wird als moderne Form der Freiheit konzipiert. 183 Das Korrelat der Frei181 Foucault, M. (2006a): S. 501. 182 Reckwitz, A. (2008): S. 36; Vgl. Lemke,T.; Krasmann,S.; Bröckling,U. (2000): S. 13. 183 Vgl. Foucault, M. (2006a): S. 78f.
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heit sind also Beobachtungs- und Kontrollkonzepte, die für eine soziale Sicherheit zu sorgen haben bzw. bestimmte Formen von Zirkulation und Bewegung wahrscheinlich machen sollen. Mit der Biopolitik entstehen Kontrolltechniken der Macht, deren Fokus auf Fortpflanzung, Geburten- und Sterblichkeitsrate, Gesundheitsniveau, Lebensdauer usw. liegen. „Die Entwicklung von Sicherheitsmechanismen ist Michel Foucault zufolge eng an das Aufkommen der liberalen Gouvernementalität im 18. Jh. gekoppelt. Zwar stehen die Freiheit des Individuums und seine Rechte gegenüber dem umfassenden Regelungsanspruch des absolutistischen Staates im Mittelpunkt liberaler Reflexion. Dies ist jedoch nicht so zu verstehen, dass Freiheit lediglich eine äußere Grenze für das Regierungshandeln markiert. […] Der Liberalismus organisiert vielmehr die Bedingungen, unter denen die Individuen frei sein können, er ‚fabriziert‘ oder ‚produziert‘ die Freiheit.“184
Mechanismen der Sicherheit sind die Voraussetzung einer liberalen Freiheit. Michel Foucault bleibt insgesamt nicht bei frühen liberalen Positionen stehen, sondern konzentriert sich am Ende seiner Auseinandersetzung auf den Neoliberalismus, dessen Unterschied zum Liberalismus sich folgendermaßen darstellt: „Anders als in der klassisch-liberalen Rationalität definiert und überwacht der Staat nicht länger die Marktfreiheit, sondern der Markt wird selbst zum organisierenden und regulierenden Prinzip des Staates. Der Neoliberalismus ersetzt ein begrenzendes und äußerliches durch ein regulatorisches und inneres Prinzip: Es ist die Form des Marktes, die als Organisationsprinzip des Staates und der Gesellschaft dient.“185
Das Individuum wird seit dem Zweiten Weltkrieg zunehmend als „unternehmerisches ökonomisch-rationales“ regiert. Ausgehend von diesem Modell nimmt der Mensch permanent eigenständige Entscheidungen vor (Subjekt der Wahl). Er entscheidet sich dabei für eine Option, die am ehesten seinen Präferenzen entspricht. Im Neoliberalismus konstituiert sich hierbei eine „künstlich arrangierte […] Freiheit“186. Ökonomische Theorien wie der Ordoliberalismus und die Chicagoer Schule kritisieren zunehmend den Staat und wenden sich gegen eine Einschränkung der ökonomischen Freiheit. Sie richten sich daher auch gegen das unkontrollierte Wachsen bürokratischer Einrichtungen. Darüber hinaus setzen sie sich für individuelle Rechte ein. Vor allem die Chicagoer Schule befürwortet
184 Lemke, T.; Krasmann, S.; Bröckling, U. (2000): S. 14. 185 Lemke, T.; Krasmann, S.; Bröckling, U. (2000): S. 15. 186 Lemke, T.; Krasmann, S.; Bröckling, U. (2000): S. 15.
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die Ausweitung ökonomischer Codes auf das Soziale.187 Hierbei wird die Unternehmung zum Vorbild der Regierung und Individuen. Ihre Beziehungen werden zunehmend über marktförmige Verhältnisse reguliert. „Im Mittelpunkt steht die Analyse menschlichen Handelns, das sich durch eine bestimmte, ihm eigene (ökonomische) Rationalität auszeichnet. Das Ökonomische ist in dieser Perspektive nicht ein fest umrissener und eingegrenzter Bereich menschlicher Existenz, sondern umfasst prinzipiell alle Formen menschlichen Verhaltens.“188
Für das Konzept der Regierung stellt sich die Frage, wie und mit welchen Mechanismen und Techniken Subjekte als eigendynamische Akteure geleitet werden, um sie in eine wünschenswerte Richtung zu lenken. Welche Rolle spielt hierbei die Selbstkonstitution von Subjekten? Eine dezidierte Auseinandersetzung mit der Selbstkonstitution von Subjekten nimmt Michel Foucault insbesondere in den Werken „Der Gebrauch der Lüste“ (1984) und „Die Sorge um sich“ (1986) vor. Im Vordergrund dieser Auseinandersetzungen stehen die Praktiken des Selbst in der späten Antike.189 Wiederum inspiriert von Friedrich Nietzsche sucht Michel Foucault in diesen Werken nach einer Alternative zur christlichen Moral.190 Er beschäftigt sich mit unterschiedlichen antiken Moralformen, durch die das Subjekt ein Selbstverständnis und ein Selbstverhältnis entwickelt. Dieses Selbstverhältnis ist sehr verschieden von demjenigen, welches sich unter der christlichen Moral ausprägt. Anstatt sein eigenes Verhalten an Geboten und Verboten auszurichten, wird das Subjekt angeleitet, ein ethisches Verhältnis zu sich selbst herzustellen. Statt sich in Verzicht zu üben, soll das Subjekt sorgsam mit sich bzw. mit seinem „Selbst“ umgehen. Durch die antiken Moralformen werden lediglich Haltungen empfohlen. Diese sind als Ausübung von Recht und Freiheit zu verstehen und nicht als Befolgung von Regeln und Verboten wie im Christentum. Weil keine genauen Regeln vorgegeben werden, sondern die Selbstbeherrschung im Vordergrund steht, spricht Michel Foucault in „Der Gebrauch der Lüste“ von einer „Ästhetik der Existenz“ bzw. von „Selbsttechnologien“.191 Dabei richtet sich die antike Ethik an herrschende und freie Subjekte, welche Macht
187 Vgl. Lemke, T.; Krasmann, S.; Bröckling, U. (2000): S. 16. 188 Lemke, T.; Krasmann, S.; Bröckling, U. (2000): S. 16. 189 Vgl. Foucault, M. (2008b): S. 1155–1368; Vgl. Foucault, M. (2008e): S. 1373–1582. 190 Siehe die Ausführungen zu Nietzsches Genealogie der Moral Vgl. Nietzsche, F. (1887a). 191 Vgl. Foucault, M. (2008b): S. 1164.
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über sich und andere haben. In der Antike betraf dies vorrangig freie Männer, welche auch die Macht über Frauen und Sklaven hatten.192 „In einer ersten Annäherung scheint es nun, daß die moralischen Reflexionen der griechischen und griechisch-römischen Antike weit mehr auf die Selbstpraktiken und die Frage der askesis ausgerichtet waren als auf die Verhaltenskodifizierungen und die strenge Definition des Erlaubten und des Verbotenen.“193
Das moralische Subjekt konstituiert sich selbst durch das Einüben von Einstellungen und das Ausüben von Handlungen in praktischen Kontexten. Habitualisierte Handlungen und Verfahren sind Selbstpraktiken, welche die moralische Arbeit an sich selbst verfestigen. Der Begriff „asketisch“ bezeichnet in diesem Sinne die Arbeit des Subjekts an sich selbst. Das Subjekt bildet sich in einem Muster aus dauerhaften und reflexiven Einstellungen und Handlungsweisen heraus. Ähnlich wie bereits anhand der Körperpraktiken dargestellt, entsteht Subjektivität in praktischen Kontexten. Im Unterschied zu den Körperpraktiken der Disziplinen findet die Subjektivierung aber nicht nur am Subjekt statt, sondern wird auch vom Subjekt selbst ausgelöst. Es handelt sich bei der Subjektkonstitution durch Selbstpraktiken im Unterschied zur Subjektkonstruktion durch Körperpraktiken um eine Selbsttätigkeit des Subjektes.194 Dieser Unterschied wird auch methodisch deutlich, da Michel Foucault eine Unterscheidung zwischen drei verschiedenen Subjektivierungsformen vornimmt, durch die sich ein Moralsubjekt konstituiert. Die Form der Selbstkonstitution spielt hier erstmalig eine wichtige Rolle. „Eine Sache ist die Verhaltensregel; eine andere ist das Verhalten, das man an der Regel messen kann. Ein Drittes ist die Art und Weise, wie man sich führen und halten – wie man sich selber konstituieren soll als Moralsubjekt, das in bezug auf die den Code konstituierenden Vorschriften handelt.“195
Das Subjekt hat innerhalb der vorgegebenen moralischen Codes einen gewissen Spielraum, welcher es ihm erlaubt, sich diese Codes auf eine bestimmte, ihm eigene Weise anzueignen. Michel Foucault nennt die Subjektivierung durch die Selbstkonstitution des Subjekts auch die „Ethik des Selbst“. Eine Moralform, egal ob die christliche oder die antike Moral, setzt sich dementsprechend aus drei
192 Vgl. Saar, M. (2007): S. 254f. 193 Foucault, M. (2008b): S. 1180. 194 Vgl. Saar, M. (2007): S. 257. 195 Foucault, M. (2008b): S. 1176.
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Subjektivierungsformen zusammen: den Codes bzw. Regeln, dem Verhalten und der Selbstkonstitution bzw. Ethik des Selbst. Im Band „Die Sorge um sich“ beschreibt Michel Foucault die Intensivierung und die Ausweitung der klassischen Moral in der Spätantike.196 Die vorgeschriebenen Übungen zur Selbstkonstitution werden genauer und aus der souveränen Ethik der Selbstbeherrschung als Ästhetik der Existenz wird eine vorsichtige Ethik der Selbstsorge eines ständig bedrohten Subjektes. Um die Ethik der Selbstsorge in der Spätantike gibt es verschiedene Muster von Tätigkeiten, die dazu dienen, sich zu vervollkommnen und sich um sich zu kümmern.197 Michel Foucault zeigt diese Verschiebung und die Tätigkeiten anhand von Texten, welche eine hohe Aufmerksamkeit für sich selbst ausdrücken.198 Der Diskurs der Medizin nimmt eine wichtige Stellung ein, indem er die alltägliche Lebensführung behandelt und Orientierungen zum gesunden Leben zur Verfügung stellt.199 Die Selbstkonstitution ist nach wie vor der relevante Subjektivierungsaspekt, sie hat jedoch ihre Logik verändert.200 Statt Souveränität in der Gestaltung einer Ästhetik der Existenz durch einen eigenen Stil kommt es in der Spätantike zu einer besorgten Haltung zu sich selbst und einer verstärkten Orientierung an diskursivem Expertenwissen.201 In „Der Gebrauch der Lüste“ und „Die Sorge um sich“ werden dementsprechend zwei unterschiedliche Formen des Selbstbezuges thematisiert, die jedoch beide wiederum in Kontrast stehen zu Selbstverhältnissen, wie sie modernen Subjekten zur Verfügung stehen, die stärker in humanwissenschaftliche und religiöse Diskurse eingefügt sind und deren Fokus weniger auf einer Selbstkonstitution liegt.202 196 Vgl. Foucault, M. (2008e): S. 1431ff. 197 Vgl. Saar, M. (2007): S. 260. 198 Zitiert werden Texte von Platon, Seneca, Plutarch, Xenophon, Epikur, Albinus usw.; wichtige Themen sind Philosophie, Körperpflege, Gesundheit, körperliche Übungen, Lektüren, die Aufzeichnung des Gelesenen bzw. des im Gespräch vernommenen, das Überdenken von Wahrheiten, die Pflege von Freundschaften, usw. Vgl. Foucault, M. (2008e): S. 1409ff. 199 Vgl. Foucault, M. (2008e): S. 1419. 200 „Was man auf den ersten Blick für erhöhte Schärfe, vermehrte Strenge, striktere Anforderungen halten mag, ist tatsächlich nicht als Straffung der Verbote zu interpretieren; der Bereich dessen, was sich verbieten ließ hat sich mitnichten erweitert, und man hat nicht versucht, autoritärere und wirksamere Prohibitionssysteme einzurichten. Weit eher betrifft die Änderung die Weise, in der das Individuum sich als Moralsubjekt konstituieren soll.“ Foucault, M. (2008e): S. 1431. 201 Vgl. Saar, M. (2007): S. 273. 202 Vgl. Saar, M. (2007): S. 270f.
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In modernen Formen der Subjektivierung dominieren Wissen und Macht. Sie beinhalten nach Michel Foucault (siehe oben) mehr Verhaltensregeln, an denen sich das Subjekt auszurichten hat. Deutlich wird anhand dieser Annahmen von Michel Foucault, dass er Macht, Wissen und die Selbstkonstitution nicht voneinander trennt. An dieser Stelle wird auch der Zusammenhang zwischen den Ausführungen zur Selbstkonstitution in den Werken „Der Gebrauch der Lüste“ und „Die Sorge um sich“ und den Ansätzen zum Begriff der „Regierung“ bzw. „Gouvernementalität“ besonders deutlich. Der Einzelne ist zum einen Objekt der Sorge der antiken Moralvorstellungen, z.B. als Objekt von Expertenwissen, und steht unter der Anleitung moralischer Diskurse und Praktiken. Auf der anderen Seite sind es die Subjekte selbst, die sich im Komplex der antiken Moral regieren. Die Auseinandersetzung mit der Regierung von Subjekten wird hier also fortgesetzt, wobei sich der Fokus auf die Konstitution des Subjektes von „innen“ verschiebt. Außerdem wird mit der Antike eine Subjektivierungsform aufgezeigt, die dem Subjekt im Vergleich zur Moderne sehr viel Raum für eine Selbstkonstitution zugesteht. Der Zusammenhang zwischen der Selbstkonstitution von Subjekten und Subjektivierungsformen, die im Sinne einer Konstruktion von „außen“ auf das Subjekt wirken, wird im Folgenden untersucht. Bezüge zwischen Subjektkonstruktionen durch Diskurse und Körperpraktiken und der Selbstkonstitution des Subjektes Michel Foucault setzt mit „Der Gebrauch der Lüste“ und „Die Sorge um sich“ die Untersuchung der Entstehung von Subjekten im Sinne einer Subjektivierung fort. Er konzentriert sich dabei allerdings weniger auf die Konstruktion von Subjekten durch äußere Ordnungen, sondern vielmehr auf eine vom Subjekt selbst ausgehende Formungskraft. Anstelle der Diskurse als Ordnungen des Wissens und der institutionellen Konstruktion durch Technologien und Apparate der Macht, geht es um eine Subjektivierung von „innen“, also um eine Selbstkonstitution. Die antiken Moraldiskurse dienen als Beispiel für die praktische Selbstkonstitution von Subjekten. Sie steht dabei aber immer im Zusammenhang mit Macht- und Wissensordnungen bzw. Körperpraktiken und Diskursen, wie sie oben genannt wurden. Es handelt sich also um eine Weiterentwicklung von Michel Foucaults Arbeiten zu Macht- und Wissensordnungen und deren Wirkungen auf das Subjekt. Er zeigt, wie sich unter den Bedingungen bestehender Machtund Wissensordnungen bestimmte Arten des Selbstverstehens und der Selbstformung herausbilden, verändern usw.203 Je nach kulturellem Kontext und seinen spezifischen Wissens- und Machtordnungen verändert sich die Selbstkonstitution von Subjekten, da sie das Subjekt auf unterschiedliche Weise anleiten, sich 203 Vgl. Reckwitz, A. (2008): S. 37f.
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selbst zu verstehen und im Alltag ein angemessenes Verhältnis zu sich selbst herzustellen.204 Dabei entsteht das Subjekt zwar im Feld von Wissens- und Machtverhältnissen, aber nicht durch sie. Die Subjektivität lässt sich nicht vollständig aus den Wissens- und Machtverhältnissen ableiten. Diese verstehen das Subjekt vielmehr, wie bereits anhand der „Regierung“ aufgezeigt, als aktive Instanz der Subjektivierung.205 Damit haben Subjektivierungsprozesse einen Doppelcharakter, den der Ermöglichung des Subjekts und den der Unterwerfung. Bei Ulrich Bröckling heißt es dazu: Das Subjekt ist eine „Entität, die sich performativ erzeugt, deren Performanzen jedoch eingebunden sind in Ordnungen des Wissens, in Kräftespiele und Herrschaftsverhältnisse.“206 Macht, so Michel Foucault selbst, kann nur über „freie“ Subjekte ausgeübt werden. „Macht wird nur auf ‚freie Subjekte‘ ausgeübt und nur sofern diese ‚frei‘ sind.“207 Damit sind individuelle oder kollektive Subjekte gemeint, die jeweils über mehrere Verhaltens-, Reaktions- oder Handlungsmöglichkeiten verfügen.208 Ein in diesem Sinne freies Subjekt kann im Rahmen seiner Selbstkonstitution auch Widerstand gegen bestimmte Formen von Macht- und Wissensverhältnissen, also gegen bestimmte Subjektivierungsweisen, ausüben. In „Der Wille zum Wissen“ macht Michel Foucault deutlich, dass es dort, wo es Macht gibt, auch Widerstand gibt.209 Widerstand findet jedoch nicht außerhalb von Machtbeziehungen statt, sondern beide, Macht und Widerstand, sind Bestandteil desselben Feldes von Kräfteverhältnissen. Auch in „Was ist Kritik“ stellt sich Michel Foucault der Frage nach der Macht und nach der Kritik an ihr. Kritik ist bei Michel Foucault nicht die Kritik an jeder Form von Macht überhaupt.210 Er fragt vielmehr, wie es möglich ist, bestimmte Formen von Macht zu vermeiden. Damit deutet er an, dass es auch für ihn kein „Außerhalb“ der Macht gibt.211 Im Grunde können sich Subjekte, die
204 Vgl. Reckwitz, A. (2008): S. 38. 205 Vgl. Saar, M. (2007): S. 273f. 206 Bröckling, U. (2007): S. 21. 207 Foucault, M. (1994b): S. 255. 208 Vgl. Foucault, M. (1994b): S. 255f. 209 Vgl. Foucault, M. (2008c): S. 1100f. 210 So fragt Michel Foucault in „Was ist Kritik“: „Wie ist es möglich, daß man nicht derartig, im Namen dieser Prinzipien da, zu solchen Zwecken und mit solchen Verfahren regiert wird – daß man nicht so und nicht dafür und nicht von denen da regiert wird?“ Foucault, M. (1992): S. 11f. 211 Gleichermaßen soll damit nicht angedeutet sein, dass alles mit Macht durchsetzt ist, dass „die“ eine Macht existiert. So heißt es bei Michel Foucault „Wissen und Macht – das ist nur ein Analyseraster. […] Denn nichts kann als Wissenselement auftreten,
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sich innerhalb solcher Kräfteverhältnisse auf eine bestimmte Weise konstituieren, dagegen wehren, auf eine bestimmte Weise „sein zu müssen“. Sie können Kritik an einem „so sein müssen“ üben und sich dagegen wehren. Das aber bedeutet, dass sie sich auch gegen sich selbst wehren und Gefahr laufen, ihre eigene Subjektivität zu untergraben. Judith Butler macht dies ebenfalls deutlich: „Das Selbst formt sich selbst, aber es formt sich selbst im Rahmen von Formierungspraktiken, die als Weisen der Unterwerfung/Subjektwerdung charakterisiert werden. Die Reichweite seiner möglichen Formen ist zwar von vornherein durch solche Weisen der Unterwerfung/Subjektwerdung begrenzt, aber das heißt nicht, dass das Selbst an der Formierung seiner selbst scheitert oder nicht voll ausgebildet wird. Ganz im Gegenteil ist es gezwungen, sich zu formen, dies jedoch innerhalb von Formen, die schon mehr oder weniger vorgegeben sind oder sich abzeichnen. Man könnte auch sagen, das Subjekt ist gezwungen, sich in Praktiken zu formen, die mehr oder weniger schon da sind. Vollzieht sich diese Selbst-Bildung jedoch im Ungehorsam gegenüber den Prinzipien, von denen man geformt ist, wird Tugend jene Praxis, durch welche das Selbst sich in der Entunterwerfung bildet, was bedeutet, dass es seine Deformation als Subjekt riskiert.“212
Ähnlich hat Friedrich Nietzsche die imaginäre Machtform beschrieben. Mit dem asketischen Ideal hat er die Frage nach einem „Außerhalb“ der Macht klar beantwortet. Die imaginäre Macht befindet sich nicht außerhalb einer symbolischen oder materiellen Macht. Selbst die imaginäre Macht, bei der der Fokus auf der Selbstkonstitution von Subjekten liegt, ist in Machtverhältnisse eingebunden und stützt diese Machtverhältnisse. Das Leben von Subjekten bestimmt sich durch die Bindung an bestimmte Formen des Selbstverhältnisses und damit folgt die Anerkennung einer bestimmten Wissens- und Machtordnung.213 Nach Martin Saar ist das der Preis den das Subjekt zahlen muss, um seine Lebensfähigkeit in einer Gemeinschaft zu sichern.214 Die doppelte Auslegung der Subjektivierung zwischen Ermöglichung von Subjektivität und Unterwerfung heißt, dass man der Macht, die einen unterwirft, gleichzeitig sein „Sein“ zu verdanken hat.215 Insgesamt lässt sich vom Subjekt ausgehend zwar eine Neubewertung und Veränderung des Lebens vornehmen, aber nach Michel Foucault findet dies niemals jen-
wenn es nicht mit einem System spezifischer Regeln und Zwänge konform geht.“ Foucault, M. (1992): S. 33. 212 Butler, J. (2000). 213 Vgl. Saar, M. (2007): S. 328. 214 Vgl. Saar, M. (2007): S. 328. 215 Vgl. Butler, J. (2001): S. 17–18.
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seits von Macht- und Wissensverhältnissen statt, da es ein „Jenseits der Macht“ nicht gibt. Zusammenfassung Die Betrachtung der verschiedenen Werkphasen von Michel Foucault macht deutlich, dass er jeweils von sehr unterschiedlichen Möglichkeiten ausgeht, durch die Individuen zu Subjekten gemacht werden. In einem ersten Zugriff ist Subjektivierung das Ergebnis von Diskursen als symbolischen Ordnungen des Wissens. Hierzu zählen in der Moderne vor allem Diskurse der Humanwissenschaften. Aber auch alltägliche und institutionelle Diskurse prägen eine Ordnung des Wissens. Zweitens findet Subjektivierung durch Körperpraktiken in materiellen Machtordnungen statt. Drittens ist Subjektivierung nicht nur das Ergebnis einer Konstruktion durch Ordnungen des Wissens und der Macht von außen, sondern ergibt sich aus der Selbstkonstitution von Subjekten, also sozusagen von „innen“. Eine vollständige Perspektive auf die Subjektivierung hat dementsprechend mindestens drei Dimensionen. Diese Dimensionen wurden dargestellt und werden im Folgenden zusammengefasst und auf die Organisation der Wirtschaft und ihre Subjektivierungsmechanismen bezogen. Gleichzeitig erfolgt eine Zusammenführung dieser Dimensionen mit dem dreigliedrigen Machtbegriff von Friedrich Nietzsche. Handlungstheoretische Einordnung der Ansätze von Friedrich Nietzsche und Michel Foucault Handlungstheoretisch steht die folgende Analyse einer Praxistheorie bzw. einem praxeologischen Ansatz nahe.216 Dies wurde in den Einzelbetrachtungen bereits deutlich. Aus einer praxeologischen Perspektive werden Subjektdispositionen im Rahmen von Praktiken produziert und reproduziert. Ein Subjekt wird damit immer als handelndes Subjekt verstanden, da es sich erst innerhalb eines regelhaften Verhaltens herausbildet. In der Genealogie von Friedrich Nietzsche zeigt sich bereits eine Analyse auf der Basis einer praktikenbasierten Theorie des Subjekts.217 So unterstreicht er beispielsweise: „‚der Thäter‘ ist zum Thun bloss hinzugedichtet, – das Thun ist Alles.“218 Auch Michel Foucaults Auseinandersetzung deutet in Richtung einer Praxistheorie. Vor allem in seinen späten Arbeiten zu den Technologien des Selbst und zur Gouvernementalität wird diese Hinwen216 Vgl. Reckwitz, A. (2003); Vgl. Saar, M. (2007). 217 Vgl. Saar, M. (2007): S. 99f. 218 Nietzsche, F. (1887a): I/13.
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dung sichtbar.219 Die Praxistheorie ist ein sozialkonstruktivistischer Ansatz und ihre Besonderheiten zeigen sich in ihrem Verständnis des Sozialen.220 Sie grenzt sich sowohl von strukturtheoretischen als auch von zweckorientierten Handlungstheorien, wie dem methodologischen Individualismus, ab. Das Soziale ist damit keine subjektübergreifende Struktur, welche für den Akteur nicht sichtbar und nur für den Sozialwissenschaftler in ihren Regelmäßigkeiten erkennbar ist.221 Das Soziale ergibt sich aber auch nicht aus den individuellen Handlungen einzelner Menschen wie es beispielsweise die Rational Choice Theorie annimmt.222 Gleichzeitig wendet sich die Praxistheorie gegen die Handlungstheorie von Max Weber, welcher das zweckrationale Handeln gegenüber dem traditionellen Handeln in der modernen Gesellschaft in den Vordergrund rückt. Die Praxistheorie ähnelt jedoch dem traditionellen Handeln, weil sie kein Ensemble von individuellen Einzelhandlungen darstellt wie das zweckrationale Handeln, sondern die Routinen und regelhaften Verhaltensweisen ins Zentrum stellt. Jedoch ist die Praxistheorie dahingehend komplexer und vielschichtiger als der traditionelle Handlungsbegriff bei Max Weber. Neben Routinen und regelhaften Praktiken, geht es gleichzeitig um Unbestimmtheiten und um den Umgang mit Ungewissheit. Die Offenheit von Situationen erfordert oftmals eine Umdeutung von gewohnten und eingeübten Praktiken.223 Mit der Offenheit der Praxis ist aber keine Freisetzung des handelnden Akteurs verbunden, indem er seine stabilen persönlichen Eigenschaften in Handlungen einbringen und ausleben kann. Die Offenheit der Situation ergibt sich aus der Praxis selbst und der Akteur ist gezwungen mit und in ihr (um)zu-gehen. Die folgende organisationstheoretische Auseinandersetzung folgt einer Praxistheorie, indem sie sich vom Konstrukt eines zweckrationalen Entscheidungshandelns genauso distanziert wie vom Fokus auf formale Rationalität wie sie bei Max Weber vorkommt.224 Stattdessen fokussiert sie auf die Frage welche Subjekte sich im Rahmen von Arbeits- und Managementpraktiken herausbilden und welche kulturellen Muster in verschiedenen historischen Abschnitten das Handeln von Subjekten anleiten. Dabei geht es nicht nur um symbolische Ordnungen und Diskurse, sondern es wird auch nach Körperpraktiken und inkorporiertem Wissen und deren Zusammenspiel mit ma219 Vgl. Reckwitz, A. (2003): S. 283. 220 Vgl. Reckwitz, A. (2003): S. 287. 221 Beispielhaft seien hier Georg Simmels‘ „formale Soziologie“, der frühe Emile Durkheim und seine Struktur der Arbeitsteilung und Bevölkerung oder Karl Marx‘ Struktur der Produktivkräfte genannt, Vgl. Reckwitz, A. (2003): S. 287. 222 Vgl. Reckwitz, A. (2003): S. 287. 223 Vgl. Reckwitz, A. (2003): S. 294. 224 Vgl. Reckwitz, A. (2003): S. 285.
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teriellen Dingen bzw. Artefakten, sowie spezifischen Selbstverhältnissen im Rahmen imaginärer Ordnungen gefragt.
4. Die Organisation als Macht- und Subjektivierungsdispositiv
Die Zusammenführung der Machtformen von Friedrich Nietzsche und Michel Foucault macht deutlich, dass bei der Analyse von modernen Organisationen von einer dreidimensionalen Konstruktion bzw. Konstitution des Subjekts auszugehen ist. Diese drei Dimensionen unterstützen die Analyse von organisatorischen Machtdispositiven in unterschiedlichen historischen Abschnitten. Im Folgenden wird dies anhand einer Untersuchung des Rationalitätsdispositivs moderner Organisation veranschaulicht. Die drei Dimensionen stehen dabei in einem engen und untrennbaren Zusammenhang. Sie bilden ein Dispositiv von Machtbeziehungen, die gemeinsam zur Herstellung von Subjekten beitragen. Die Disziplinen und die Gouvernementalität sind bereits solche Dispositive, die sich aus unterschiedlichen imaginären, symbolischen und materiellen Ordnungen zusammensetzen. Unterschiedlich ist hierbei die Gewichtung der einzelnen Machtformen.1 Folgende Abbildung soll die Bezüge zwischen den Dimensionen veranschaulichen. 1
Die Gouvernementalität ist eine Machtform, die sich von materiellen Aspekten der Macht distanziert und sich vor allem auf symbolische und imaginäre Ordnungen stützt, sie gesteht dem Subjekt aber hier keineswegs mehr Freiheit zu, sondern intensiviert die gewünschte Form ein Selbstverhältnis herzustellen. Auch die symbolischen Ordnungen geraten in den Fokus und weiten sich in der Gesellschaft aus. Die symbolisch vermittelten Rollenangebote werden fixer und dringlicher. Die Gouvernementalität versucht einen größeren Einfluss auf das Selbstverständnis von Akteuren zu nehmen. Die Disziplinen heben hingegen die materiellen Aspekte der Macht hervor und zeigen auf, wie produktiv diese Kräfte sind. Auch bei ihr finden sich aber schon symbolische und imaginäre Züge, schließlich implantieren die Disziplinen dem Subjekt eine Seele und produzieren symbolische Ordnungen bzw. gehen eine Verbindung mit ihnen ein. Zum Begriff des Dispositivs: Foucault, M. (1978): S. 119f.
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Abbildung 3: Die Organisationn als Macht- und Subjektivierungsdispositiv
Quelle: eigene Darstellung
sation Die materielle Macht der Organis Es handelt sich bei der materiellen Macht M um eine Macht in ihrer physischen Form. Diese Macht ist an materielle Köörper und Kräfte gebunden. Wenn Michel Foucault im Zusammenhang mit den Disziplinen D über Machtwirkungen spricht, meint er wie Friedrich Nietzsche den materiell-körperlichen m Aspekt der Macht. Bezieht man Organisationsverhältnisse vor der Durchsetzung des modernen Managements in die Analyse ein, erscheinnt die Organisation zunächst vor allem als materielle Machtordnung im Sinne voon Friedrich Nietzsches Auseinandersetzung mit der direkten Anleitung von Köörperbewegungen durch eine herrschende Klasse. Körperzüchtigungen und Gewalt waren in der Manufaktur und in der d Tagesordnung. frühen Fabrik des 19. Jahrhunderts an der Die Logik des durch Kontrakt festgeeschriebenen Austausches von Arbeit und Lohn hatte sich bei den Menschen zu diesem d Zeitpunkt noch nicht durchgesetzt. Auch die Foucaultschen Disziplinen siind Machtinstanzen, die auf das körperliche Verhalten und in den Körpern sellbst wirken. Die Macht wird am Körper sichtbar, weil sie ihn und seine Beweguungen formt. Michel Foucault verdeutlicht ausführlicher als Friedrich Nietzsche2, wie die Disziplinen bestimmte körperliche Praktiken nahelegen und damit subbjektivierend wirken. Darüber hinaus be-
2
Es gibt eine Reihe von Forschungsliteraatur, welche die Auseinandersetzung von Friedrich Nietzsche mit der materiellen Form mung von Körpern vornimmt und diese Interpretation bestätigt. Z.B. Kalb, C. (2000); Blondel, É. (1986).
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schreibt Michel Foucault zudem eine Macht, die nicht primär unterdrückt (wie die gewaltsame Macht der Herren über Sklaven nach Friedrich Nietzsche), sondern es handelt sich um eine disziplinierende Macht, die kaum sichtbar ist und sich wie ein Netz über die Gesellschaft spannt und gleichzeitig in die Körperbewegungen eindringt, sie formt und reproduziert. Disziplinarorganisationen züchten gelehrige bzw. produktive Körper heran. Häufig sind diese Mechanismen an materielle Formen der Machtausübung gebunden. Dies zeigt z.B. die Architektur des Panopticons, welches eine Machtwirkung durch Sichtbarkeiten und Unsichtbarkeiten installiert. Über diesen Machtapparat wird ein Wissen über die Subjekte erzeugt, welches wiederum die Macht stützt. Die materiellen Machtformen der Disziplinen schaffen auf diese Weise eine Ordnung in einer Ansammlung von unorganisierten Massen. Materielle Ordnungen beschränken sich jedoch nicht auf ausschließlich disziplinierende Mechanismen. Es handelt sich um eine Ökonomie der Körper bzw. um eine Mikrophysik der Macht, wenn ohne Gewalt oder direkte Unterwerfung alltägliche und winzige Prozeduren am Körper vorgenommen werden. Es geht dabei nicht um die Ausübung von Macht durch eine übergeordnete Klasse, z.B. „die Klasse“ der Herren, wie sie Friedrich Nietzsche dargestellt hat. Vielmehr ist es eine Macht, die gesamtgesellschaftlich verortet ist und damit auch die Herrschenden einer bestimmten Ordnung unterwirft. In der materiellen Ordnung und ihren spezifischen materiellen Strukturen werden Subjekte produziert, indem diese sich in bestimmten Körperpraktiken trainieren. Im Zusammenhang mit Organisation und Management kann die materielle Macht dennoch als Macht des Zwanges interpretiert werden, da sie Praktiken anleitet und vorschreibt, ohne dass sie sich für die Zustimmung der Beschäftigten interessiert. Es ist eine Macht, die „über“ die Beschäftigten ausgeübt wird. Die symbolische Macht der Organisation Friedrich Nietzsche analysiert die symbolische Macht als eine Machtform, die soziale Bedeutungen vermittelt und die Subjekte an diese sozialen Bedeutungen und zugehörige sinnhafte Praktiken bindet. Über die Durchsetzung von bestimmten Bedeutungen wird der Zugang zur sozialen Ordnung, als die auch die Organisation verstanden werden kann, hergestellt. Den einzelnen Akteuren vermittelt diese Macht „zwanglos“ Werte, indem sie die einzigen verfügbaren Raster und Begrifflichkeiten zum Verständnis sozialer Geschehnisse und der Möglichkeit eines Selbstverständnisses zur Verfügung stellt.3 Auch bei Michel Foucault stellt die symbolisch-diskursive Macht eine Ordnung des Sagbaren und Unsagbaren her und bestimmt damit, was in einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten 3
Vgl. Saar, M. (2007): S. 119ff; S.114.
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Ort denk- und artikulierbar ist. Es handelt sich wie bei Friedrich Nietzsche um die Erschaffung einer symbolischen Ordnung. Wissen und Wahrheit werden in symbolischen Ordnungen produziert und reproduziert. Während die materielle Macht also vor allem den Körper betrifft, manifestiert sich die symbolische Macht im Geist. Die enge Verbindung zwischen beiden Machtformen wurde bereits herausgestellt. Insgesamt sind symbolische Ordnungen sprachförmige Strukturen und Begriffe, welche aber nicht in der Logik der Sprache aufgehen, sondern an der Konstruktion einer sozialen Wahrheit beteiligt sind. Begriffe und sprachliche Kategorien sind dabei häufig unbestimmt und befinden sich permanent in einem Prozess des Werdens. Dies ist jedoch nach Hans-Jörg Rheinberger kein Defizit, sondern es relativiert lediglich die Rolle von festem Wissen und empirisch bestimmbaren objektiven Tatsachen. Vielmehr ist die symbolische Ordnung Teil eines „Entdeckungszusammenhangs“, welche verbunden mit bestimmten Ordnungen der Macht Wahrheiten erst hervorbringt.4 Im Zusammenhang mit Organisation und Management kann die symbolische Macht als eine Machtform verstanden werden, die im Gegensatz zu einer Macht des Zwanges steht, wie sie sich in der materiellen Macht ausdrückt. Diese richtet sich primär auf den Geist. Mit der Rationalisierungsbewegung und der Etablierung des modernen „wissenschaftlichen“ Managements in Organisationen zu Beginn des 20. Jahrhunderts verbinden sich materielle Machtordnungen mit symbolischen Ordnungen der Macht, die auf die Beeinflussung der Wahrnehmung zielen. Körperzüchtigungen nehmen ab bzw. verschwinden ganz und weichen einem „respektvollen“ Umgang mit dem arbeitenden Subjekt. Das Management hat maßgeblich über symbolische Machtordnungen die Kategorien des bezahlten Lohnarbeiters und Angestellten zu einer anerkannten Wahrheit etabliert.5 Nicht nur die Psychotechnik und die Sozialpolitik, auch der Taylorismus zielen bereits auf die Bedeutungsebene und suchen über den Glauben an „Rationalität“ und „wissenschaftliche Objektivität“ Legitimation für organisatorische Herrschaft herzustellen.6 Das Hauptargument für die Rationalisierung von Unternehmen besteht im Interessensausgleich aller Beteiligten. Der Diskurs um die rationale Organisation setzt sich als Wahrheit durch, indem er die „Wissenschaftlichkeit“ des Managements unterstreicht. Die wissenschaftliche Rationalisierung von Unternehmen legitimiert organisatorische Machtverhältnisse als normal. Das Medium der Schriftlichkeit spielt hierbei eine tragende Rolle.7 Es unterstützt die Formalisierung und Rationalisierung der Organisation, organisiert 4
Vgl. Foucault, M. (2008a): S. 525; Vgl. Rheinberger, H.-J. (2001): S. 27f.
5
Vgl. Clegg, S. R. ; Courpasson, D.; Phillips, N. (2006): S. 61.
6
Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 208ff; S. 214; S. 224.
7
Vgl. Foucault, M. (1994a): S. 244ff.
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die „Wissenschaftliche Betriebsführung“ und steht sinnbildlich für einen hierarchischen Panoptismus, bei dem der Arbeiter zum Objekt einer arbeitswissenschaftlichen Beobachtung (hierarchischer Blick) und Zurichtung (normierende Sanktion) wird.8 In der Schriftlichkeit bildet sich zudem eine eigene, fixierte und damit dauerhafte Wahrheit über ein diszipliniertes Arbeitssubjekt heraus.9 Die imaginäre Macht der Organisation Friedrich Nietzsche und Michel Foucault haben Subjektivierung nicht nur als Resultat äußerer Machtwirkungen beschrieben. So hat Friedrich Nietzsche dargestellt, dass die Macht auch von „innen“ wirkt. Er macht in der „Genealogie der Moral“ Ausführungen zum „asketischen Ideal“ und beschreibt damit eine imaginäre Machtform, welche sich auf das Verhältnis von Subjekten zu sich selbst auswirkt.10 Die Orientierung am „asketischen Ideal“ macht für Friedrich Nietzsche das Wesentliche an künstlerischer und wissenschaftlicher Arbeit aus. Künstler und Wissenschaftler werden über Ideale an bestimmte Lebensformen gebunden, die sie selbst bejahen. Künstler und Wissenschaftler stehen damit gleichermaßen für den modernen Kreativ- und Wissensarbeiter. Das asketische Ideal erfasst die Vorstellungswelt bzw. die Imagination dieser Menschen. Diese imaginäre Macht ist unsichtbar und die an sie gebundenen Subjekte fühlen sich frei und selbstbestimmt.11 Die Wirkung der Macht besteht darin, Rollenangebote zur Verfügung zu stellen, welche die Subjekte bereitwillig besetzen, da sie wiederum ihre Existenz und Identität sichern. Davon ausgehend prägen sich spezifische Selbstverhältnisse des Subjektes aus. Die imaginäre Macht wird gelebt und rechtfertigt sich dadurch im Alltag. Sie ist in bestehende symbolische und materielle Ordnungen eingebunden und bringt die Individuen dazu, die bestehenden (hegemonialen) Ordnungen und ihre zugehörigen Institutionen zu bestätigen und zu verstärken. Je nach kulturellem Kontext wird dem Einzelnen insbesondere durch symbolische Ordnungen nahegelegt, wie er sich selbst zu verstehen, zu beschreiben und sich selbst gegenüber zu verhalten hat. Das bedeutet jedoch nicht, dass er das Gefühl hat, in eine Rolle gezwungen zu werden. Meist übernehmen die Subjekte bewusst ein Rollenangebot und empfinden sich dabei selbst als frei denkend und handelnd. Auf welche Weise der Einzelne seine eigene Identität versteht, mit ihr umgeht, sie aktiv formt und prägt, ist Teil einer imaginären Ordnung. Im Unterschied zur symbolischen Macht, die ebenfalls unsichtbar und schwer zu fassen 8
Vgl. Foucault, M. (1994a): S. 221ff; S. 229ff.
9
Vgl. Townley, B. (2008): S. 69.
10 Vgl. Nietzsche, F. (1887a). 11 Vgl. hierzu und zum Folgenden siehe Saar, M. (2007).
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ist, liegt der Schwerpunkt der imaginären Macht auf der aktiven Aneignung eines Selbstverhältnisses und nicht auf der Unterwerfung unter eine Ordnung. Diese Form der Subjektivierung von „innen“ bezeichnet Michel Foucault u.a. als etwas was das Subjekt hervorbringt, bildet und ihm seine Existenz gibt.12 Auch er sieht wie Friedrich Nietzsche darin nicht unmittelbar eine Subjektkonstruktion durch symbolische und materielle Ordnungen, sondern vielmehr die Konstitution des Selbst durch die Herstellung eines Selbstverhältnisses.13 Dieses Selbstverhältnis ist eingespannt in bestehende Macht- und Wissensverhältnisse bzw. in materielle und symbolische Ordnungen, wie mit Judith Butler gezeigt wurde, welche die verschiedenen Subjektivierungsformen von Michel Foucault zusammenführt. Zwar besitzt das Subjekt innerhalb dieser Ordnungen einen gewissen Freiraum und kann sich gegen bestimmte Formen des Selbstverhältnisses wehren. Judith Butler macht jedoch deutlich, dass es sich mit seiner Kritik gegen das wendet, was es selbst ist und sein kann in einer vorgegebenen sozialen Ordnung der Akzeptanz und Anerkennung.14 Was Michel Foucault jedoch zeigt, ist, dass dem Subjekt in der Antike mehr Raum für die Selbstkonstitution zugestanden wurde als in der Moderne, wo u.a. die Humanwissenschaften oder die Religion dem Subjekt ein bestimmtes Selbstverhältnis nahelegen und ihm hierbei nur wenig Freiraum zugestehen. Dies deckt sich wiederum weitgehend mit den Vorstellungen Friedrich Nietzsches, der das asketische Ideal als eine spezielle Form der Herstellung eines Selbstverhältnisses im Bereich der Religion, Wissenschaft und Kunst ansieht, die dem Subjekt wenig Spielraum lässt, ein ihm eigenes Verhältnis zu sich selbst zu generieren. Organisationen sind immer auf ein bestimmtes Selbstverhältnis von Subjekten angewiesen. Sie sind an der Konstruktion dieses Selbstverhältnisses beteiligt und zwar durch bereits beschriebene materielle und symbolische Ordnungen. Individuen werden unter Umständen dazu gebracht, sich mit den Zielen der Organisation, für die sie arbeiten, zu identifizieren.15 Aus Managerperspektive ist die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen effektiver als direkte Machtwirkungen. Für das Management ist dies nützlich, weil eine Identifikation mit der Organisation die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Entscheidungen auch, ohne direkte Kontrolle, im Sinne der Organisation getroffen werden. Zusätzliche Anreize wie Sanktionen oder Belohnungen sind hierbei nicht notwendig. Das Management kann versuchen die Identifikation des Mitarbeiters mit der Organisation gezielt zu beeinflussen. Es werden Werte kommuniziert und gesellschaft12 Vgl. Butler, J. (2001): S. 7f. 13 Hierzu und zum Folgenden siehe Punkt 3.3.3. 14 Vgl. Butler, J. (2000). 15 Vgl. Du Gay, P.; Salaman, G.; Rees, B. (1996): S. 46f.
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liche Rollenangebote unterbreitet, welche dem Mitarbeiter gleichfalls Begründungen für unterschiedliche Entscheidungen zur Verfügung stellen.16 Wichtig ist hierbei erstens, dass die Mitarbeiter erkennen, dass sie selbst abhängig von dem Erfolg der Organisation sind, und zweitens, dass sie selbst mit ihren eigenen Fähigkeiten und ihrer persönlichen Entwicklung von diesem Selbstverhältnis profitieren. Es geht also in der Organisation um die Herstellung einer ausnutzbaren Subjektivität, bei der sich organisatorische (z.B. ökonomische) Ziele mit einer persönlichen Überzeugung, bei der die eigenen Fähigkeiten bzw. der eigene Vorteil im Vordergrund stehen, verbinden. Voraussetzung dafür ist, dass in Organisation und Management Mechanismen entwickelt werden, durch die der Einzelne sich in einer bestimmten Art und Weise wahrnimmt und beobachtet. Damit wird die Kontrolle des Selbst internalisiert. Management und Organisation leiten durch Repräsentationen und Interventionen bestimmte Selbstbilder und eine bestimmte Selbstkonstitution an. Sie zeigen, wie Subjekte sich selbst zu verstehen haben, oder aber, wie sie sich nicht zu verstehen haben. Bei den Subjektdiskursen von Michel Foucault finden sich, wie bereits aufgezeigt, häufiger Differenzmarkierungen, bei denen im Diskurs eine Subjektform ausgeschlossen wird. Gleichermaßen beinhalten die Diskurse positive Subjektformen, welche die Ziele und Ideale darstellen, nach denen sich das Subjekt richtet.17 Außerdem stellen Management und Organisation Mechanismen bereit, mit denen Subjekte sich zurichten können bzw. Interventionen am eigenen Körper vornehmen. Organisationen selbst sind auf ein „organisatorisches“ Subjekt angewiesen und die Subjekte wollen häufig angebotene Rollen übernehmen.18 Wie bereits mit Friedrich Nietzsche ausgeführt, ist die imaginäre Macht größtenteils unsichtbar und flüchtig und tief in den Subjekten selbst verankert. Die Parallelen zur herausgearbeiteten Unterscheidung zwischen Disziplinierungsprozessen, die auf die normative Einflussnahme des Verhaltens der Mitarbeiter abzielen, und Gouvernementalitätsnetzwerken, bei denen sich Fremdkonstruktion und Selbstkonstitution gegenseitig ergänzen und Mitarbeiter entsprechend nur noch ein weiter Handlungsrahmen vorgegeben wird, in dem sie als aktive Instanz agieren, werden hier deutlich. Mitarbeiter können sich dabei selbst als frei und selbstbestimmt handelnd erleben. Sie werden jedoch zu Verbündeten der vorherrschenden Machtform, der Organisation. Ihre Identität verbindet sich über die Annahme sozialer Rollen mit einer fremden ausnutzbaren Form. 16 Vgl. Barker, J.R. (1998): S. 262; laut Alvesson und Willmot resultiert daraus auch eine stärkere Hinwendung zum Thema Organisationskultur in jüngerer Zeit. Vgl. Alvesson, M. (1990). 17 Vgl. Reckwitz, A. (2008): S. 28. 18 Vgl. Saar, M. (2007): S. 114–116.
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Zusammenfassung Die drei beschriebenen Ordnungen sind miteinander verknüpft und bilden ein „Ensemble“ bzw. Dispositiv der Subjektivierung.19 Sie bestimmen für einen kulturell und historisch spezifischen Raum die Weisen des Denk-und Sagbaren, der Handlungen und der Selbstbezüge und reproduzieren sich wiederum durch diese. Materielle Ordnungen erzeugen in diesem Dispositiv symbolische Ordnungen.20 Symbolische Ordnungen stützen und produzieren materielle Ordnungen. Die materielle Ordnung prägt die imaginäre Ordnung und damit das Verhältnis der Subjekte zu sich selbst. Aus der symbolischen Ordnung wiederum leiten sich imaginäre Ordnungen ab. Imaginäre Ordnungen unterstützen und verstärken hingegen materielle Ordnungen und symbolische Ordnungen. Die Organisation als historisch und kulturell spezifische Subjektivierungsinstanz betrachten zu wollen, bedeutet, dass man nicht nur nach den Differenzen und Unterschieden von Organisationen fragen kann, sondern man muss ebenso deren Gemeinsamkeiten in den Fokus der Betrachtung stellen. Um sich diesem Punkt anzunähern, wird im weiteren Vorgehen zwischen Organisation (Singular) und Organisationen (Plural) unterschieden. Nach Gibson Burrell21 kann man die Frage, ob alle Organisationen gleich oder ungleich sind, mit Michel Foucault in beide Richtungen beantworten. Bezüglich der grundlegenden Struktur des Dispositivs sind sie gleich. Ungleich sind sie jedoch, betrachtet man die strukturellen Realisierungen des jeweiligen Dispositivs auf der Ebene von Einzelorganisationen.22 Im ersten Fall, also wenn man über Organisation im Singular bzw. über das Organisationsdispositiv spricht, handelt es sich um eine Zusammensetzung von symbolischen, materiellen und imaginären Dispositiven, die sich historisch zu einer Ordnung für gesellschaftliche Formen der Zusammenarbeit und soziale Selbstverständnisse verbinden.23 Organisation lässt sich also zum einen als symbolische Ordnung verstehen, die eine Ordnung der Wahrnehmung herstellt. Im 19 Vgl. Foucault, M. (1978): S. 119f. 20 Vgl. Saar, M. (2007): S. 336–337. 21 „Put simply, such a view implies that, at any one given moment in time, all organizations are unalike in terms of surface features, but are all alike insofar as one can understand their underlying dynamics.“ Burell, G. (1988): S. 232. 22 Dies wird deutlich, wenn Michel Foucault beispielsweise in „Überwachen und Strafen“ disziplinare Machtmechanismen sowohl für Erziehungsheime, als auch für Spitäler, Strafanstalten, Fabriken, Schulen, Militär, Psychiatrie und schließlich auch für die Organisation der Familie feststellt. Vgl. Foucault, M. (1994a): S. 277ff. 23 Vgl. Bruch, M.; Türk, K. (2007): S. 263.
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gleichen Zug ist Organisation eine materielle Ordnung, die auf der Basis einer Macht, die auf den Körper wirkt, agiert. Hier geht es um die Zurichtung tauglicher Körper. Tauglichkeit definiert sich historisch unterschiedlich. Körper werden für unterschiedliche Zwecke diszipliniert. Im Zusammenhang mit der symbolischen und materiellen Ordnung bilden Individuen eine imaginäre Ordnung aus, indem sie ein bestimmtes Selbstverhältnis herstellen und sich anhand dieses Selbstverhältnisses zurichten. Ein historisch und kulturell spezifisches Organisationsdispositiv findet sich bei der Betrachtung konkreter Einzelunternehmen. Einzelorganisationen (Plural) wie bestimmte Wirtschaftsorganisationen sind deshalb bedeutsam für den empirischen Teil der vorliegenden Arbeit. Nachdem vorab ein Raster zur Beobachtung von Machtmechanismen in Organisationen erarbeitet wurde, kommt dies nun zur Anwendung. Folgende Fragen sind hierbei zentral: Welche Machtmechanismen spielen in Organisationen unterschiedlicher historisch-kultureller Kontexte eine Rolle? Durch welche Eigenschaften sind diese verschiedenen Machtkonstellationen gekennzeichnet? In welche größere soziale Ordnung sind diese Machtverhältnisse eingebettet? Welche Dispositive bilden sich heraus und welche Subjekte bringen sie hervor? Schließlich geht es darum, historisch nachzuvollziehen, wie sich der Fokus der Macht verschiebt und mit ihm ein neues Organisationsdispositiv und ein neues Organisationssubjekt zum Vorschein kommen. Aufgegriffen werden soll damit vor allem die zu Beginn gestellte Frage nach den Voraussetzungen für eine Entwicklung von Organisationsansätzen, die Rationalität ins Zentrum der Betrachtung rücken, sowie Ansätze, die Formen der Rationalität verneinen. Dafür geht es um die Analyse zweier unterschiedlicher Organisationsdispositive, welche scheinbar durch einen historischen Paradigmenwechsel gekennzeichnet sind, bei dem Rationalisierung durch „Entrationalisierung“ ersetzt wird. Rationalisierung und „Entrationalisierung“ von Organisationen sind hierbei eng verknüpft mit dem Management. Die Rationalisierung von Unternehmen steht im Zusammenhang mit der Entstehung des modernen Managements, während „Entrationaliserung“ mit einer Veränderung von Managementansätzen am Ende des 20. Jh.s einhergeht.
4.1 D IE E PISTEME
DER MODERNEN WESTLICHEN
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„Die moderne Management- und Organisationstheorie ist in das Vermächtnis alter Debatten über Verursachung, Gleichgewicht und Reduktionismus verstrickt. Sie spiegelt Kämp-
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fe wider, die über die letzten Jahrhunderte ausgetragen wurden, um Gott durch Rationalität zu ersetzen.“
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Die moderne Organisation lässt sich als ein Machtdispositiv verstehen.25 Hierbei handelt es sich um die Durchsetzung eines „Willens zur Macht“, um einen Rahmen für gemeinsame Handlungen aufzubauen. Entsprechend finden sich neben symbolischen und materiellen Ordnungen der Macht auch imaginäre Machtordnungen. Es geht in Organisationen darum, im Sinne des „asketischen Ideals“ den Willen zur Macht nicht nur gegen andere, sondern auch gegen sich selbst in Anwendung zu bringen (z.B. Manager). Macht ist darüber hinaus relational. Es handelt sich hierbei also um eine zweiseitige soziale Beziehung, die darauf abzielt, für den „Willen zur Macht“ bei einem Akteur bzw. einer Gruppe von Akteuren Gehorsam zu finden. In unterschiedlichen Zeiten nehmen die Ausübung und auch die Anerkennung von Macht unterschiedliche Formen an.26 Diese Formen gehen nicht nur mit der Konstitution von Herrschern einher, also Akteuren, die Macht ausüben, sondern auch mit der Formung von Akteuren, welche lernen zu gehorchen. Der historisch-kulturelle Kontext entscheidet darüber, welcher Logik Praktiken von Machtausübung und Gehorsam folgen. Menschen, die Macht auf andere ausüben wollen, müssen diese spezifische Logik genauso kennen wie Menschen, die gehorchen. Diese Logik wird kulturell vermittelt. Auf diese Weise kann das Verhältnis zwischen Herren und Sklaven, wie es Friedrich Nietzsche darstellt, als ein Machtverhältnis mit einer langen kulturellen und historischen Tradition aufgefasst werden. Dieses Machtverhältnis besteht bereits sehr lange. In der modernen Organisation sind direkte Machtverhältnisse, wie sie die Beziehung zwischen Sklaven und Herren kennzeichnet, nicht legitim. Sie wurden durch „humanistischere“ bzw. rationale Machtformen ersetzt, insbesondere das moderne Management. Die Rationalisierung von Organisationen ist dabei eng verbunden mit der Einführung und Durchsetzung des modernen Managements in Organisationen zu Beginn des 20. Jh.s. Folgt man dem Eingangszitat von Barbara Townley, wird deutlich, dass moderne Organisations- und Managementvorstellungen als Machtverhältnis dabei selbst in Machtkämpfe eingebunden sind. Unser heutiges Verständnis von Organisationen ist das Ergebnis solcher Machtkämpfe. Im 19. Jh. breitet sich in westlichen Ländern die moderne Organisation in allen gesellschaftlichen Bereichen aus und im 20. Jh. ist sie bereits eine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit 24 Townley, B. (2003): S. 52. 25 Hierzu und zum Folgenden Clegg, S. R.; Courpasson, D.; Phillips, N. (2006): S. 40f. 26 Hierzu und zum Folgenden Clegg, S. R.; Courpasson, D.; Phillips, N. (2006): S. 40f.
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geworden. Organisationen galten insbesondere Anfang des 20. Jh.s als ein Ausdruck für Modernität und Fortschritt. Die moderne westliche Gesellschaft wird als „organisierte Moderne“ begriffen.27 Der Prozess der Entwicklung von Unternehmen im Speziellen beruht hierbei auf ganz bestimmten Voraussetzungen und wurde unter den besonderen Bedingungen, wie sie mit der modernen Industriegesellschaft einhergehen, so dominierend. Die Industrialisierung folgt dabei dem Dispositiv der Disziplinierung, wie ihn Michel Foucault beschrieben hat. Sie beschreibt einen Ausschnitt der disziplinierten Gesellschaft. Über die Organisation der Arbeit weiten sich Disziplinareinrichtungen und Disziplinarpraktiken seit dem Zeitalter des Absolutismus auf die gesamte Gesellschaft aus, während sie vorher nur in Ausnahmefällen (im 14. und 15. Jh. etwa zur Sozialregulierung28 und im 16. und 17. Jh. zur Stabsdisziplinierung29 eingesetzt wurden). „Ihnen wird die Aufgabe zugewiesen, ökonomisch produktive, politisch gehorsame und militärisch ‚taugliche‘ Individuen herzustellen. Vermehrt werden nun ‚Orte der Ordnung‘, also die Organisationen geschaffen, die sich nicht auf die Ränder der Gesellschaft konzentrieren – auf die unteren (die Armen der Städte) und die oberen (die religiösen, militärischen und administrativen Eliten) – , sondern die Gesellschaft als Ganze erfassen.“30
Zu Beginn des 20. Jh.s war der Großteil der westlichen Bevölkerung bereits in Wirtschaftsorganisationen eingebunden und verrichtete dort seine Arbeit. Es gab einen industriellen Diskurs, der sich um Objektivität und Rationalität drehte. Statt von Bürgern, Bauern, Kaufleuten usw. war nunmehr die Rede von Unternehmern, Arbeitern und Angestellten. Es entstanden neue Kategorien, durch die Subjekte angesprochen und bewertet wurden. Es bildete sich eine Beziehung zwischen Subjekt und Organisation heraus, die vorher nicht bestanden hatte.31 Die Idee, einen Menschen als „Tagelöhner“ oder „Heuerling“ einzusetzen, ihn also gegen Bezahlung eine Arbeit leisten zu lassen, wurde im bürgerlichen Kapi27 Vgl. Reckwitz, A. (2006): S. 336ff. 28 Sie diente vor allem zur Regulierung der Pest durch ein Disziplinarnetz, welches den gesamten Alltag überzog. Außerdem wurden sie zur Kontrolle der Armen eingesetzt, um dem wachsenden Armutsproblem entgegenzutreten. Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 63f . 29 Die Disziplinen bezogen sich hierbei auf die militärischen und administrativen Eliten. Später weitete sie sich auf die ökonomischen Eliten aus. Es geht hierbei um eine methodische Lebensweise und eine „innerweltliche Askese“. Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 64f; Vgl. Weber, M. (2009). 30 Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 66. 31 Vgl. Jacques, R. (1996): S. 48.
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talismus noch als niedrige soziale Lebensform angesehen. Im Zusammenhang der Industrialisierung wurde die Idee des „cash nexus“32 jedoch zur sozialen Normalität. „Cash nexus“ bezieht sich hierbei nicht allein auf den Zahlungsvorgang „Geld gegen Arbeit“, sondern es geht um dessen Durchsetzung als Medium gesellschaftlicher Beziehungen, welches jene über das reine Interesse an der „baren Zahlung“ definiert.33 Die neue vertraglich basierte Beziehung ging einher mit der Herausbildung neuer, sozial anerkannter, Subjekte bzw. Subjektkategorien: dem Arbeitgebersubjekt und dem Arbeitnehmersubjekt. Heute bestimmen diese Kategorien das Alltagsleben des Großteils der westlichen Gesellschaft und sind zu einer sozialen Normalität geworden.34 Lokale und spontane gemeinschaftliche Beziehungen wurden teilweise durch vertragliche Beziehungen in Großunternehmen oder politischen Institutionen ersetzt.35 Mithin änderte sich die Vorstellung darüber, was die Rechte und Pflichten Einzelner waren und auf welche Weise Menschen in Organisationen eingebunden werden sollen. Auch die Natur der Organisation selbst änderte sich mit der industrialisierten Moderne. Katego32 „Cash nexus“ bezieht sich im Text auf das „nackte Interesse an der baren Zahlung“, wie es Karl Marx und Friedrich Engels am Beispiel der revolutionären Rolle der Bourgeoisie darstellen: „Die Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen, hat alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört. Sie hat die buntscheckigen Feudalbande, die den Menschen an seinen natürlichen Vorgesetzten knüpften, unbarmherzig zerrissen und kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse, als die gefühllose ‚bare Zahlung‘. Sie hat die heiligen Schauer der frommen Schwärmerei, der ritterlichen Begeisterung, der spießbürgerlichen Wehmut in dem eiskalten Wasser egoistischer Berechnung ertränkt. Sie hat die persönliche Würde in den Tauschwert aufgelöst und an die Stelle der zahllosen verbrieften und wohlerworbenen Freiheiten die eine gewissenlose Handelsfreiheit gesetzt. Sie hat, mit einem Wort, an die Stelle der mit religiösen und politischen Illusionen verhüllten Ausbeutung die offene, unverschämte, direkte, dürre Ausbeutung gesetzt. Die Bourgeoisie hat alle bisher ehrwürdigen und mit frommer Scheu betrachteten Tätigkeiten ihres Heiligenscheins entkleidet. Sie hat den Arzt, den Juristen, den Pfaffen, den Poeten, den Mann der Wissenschaft in ihre bezahlten Lohnarbeiter verwandelt. Die Bourgeoisie hat dem Familienverhältnis seinen rührend-sentimentalen Schleier abgerissen und es auf ein reines Geldverhältnis zurückgeführt.“ Marx, K.; Engels, F. (1972): I/462 [Herv. i.O.]. 33 „Cash Payment the sole nexus; and there are so many things which cash will not pay! Cash is a great miracle; yet it has not all power in Heaven, nor even on earth.“ Carlyle, T. (1840): S. 66. 34 Vgl. Dale, K., Burrell, G. (2008): S. 102ff. 35 Vgl. Jacques, R. (1996): S. 98ff.
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rien und Vorstellungen über Organisation, Management und Arbeit, die heute als natürlich und gegeben erachtet werden, haben in dieser Zeit ihren Ursprung und sind als das Ergebnis miteinander konkurrierender Machtverhältnisse zu verstehen. An deren Ende steht das, was wir heute als „normal“ begreifen. Organisation und Management als abstrakte und universelle Konzepte Ein wichtiges Merkmal unserer heutigen Auffassung von Organisation liegt darin, dass wir Organisation und Management als universell einsetzbare, abstrakte Konzepte begreifen. Moderne Organisationen haben seit ihrer Herausbildung, auch wenn sie noch so unterschiedliche Aufgaben übernehmen, gemeinsame Merkmale, welche sie von „anderen Sozialformen unterscheiden“36. So betonen Forscher heute, dass es genügt eine Organisation zu kennen, um etwas über andere Organisationen auszusagen.37 Diese Sichtweise erkennt Gibson Burrell auch bei Michel Foucault: „Put simply, such a view implies that, at any one given moment in time, all organizations are unalike in terms of surface features, but are all alike insofar as one can understand their underlying dynamics.“38 Darüber hinaus ist Organisation ein gesellschaftliches Dispositiv, welches zum Allheilmittel avanciert ist. Dies zeigt sich an ihrer gesellschaftlichen Verbreitung und Akzeptanz, aber auch an ihrer wissenschaftlichen Konstitution. Bis in die 40er Jahre des 20. Jh.s existierten Organisationen als eigenständiges Forschungsgebiet noch nicht.39 So haben sich Forscher bis dahin zwar mit Parteien, Betrieben oder Gefängnissen als spezifischer Organisationsform beschäftigt. Sie versuchten jedoch nicht, über diese Untersuchung hinaus zu abstrakten Aussagen über Organisation zu gelangen.40 Heute sind Organisationen Objekt einer heterogenen Forschungslandschaft. Ökonomen fokussieren zwar auf eine spezielle Unternehmenstheorie oder Politikwissenschaftler untersuchen gesetzgebenden Institutionen. Beide streben aber auch nach einheitlichen Aussagen über die Organisation oder das Organisieren. Organisationen werden dabei meist als gesellschaftliche Strukturen verstanden, welche von einzelnen Akteuren erschaffen werden,
36 Scott, W.R. (1986): S. 21. 37 Vgl. Scott, W.R. (1986): S. 21. 38 Burrell, G. (1988): S. 232. 39 Die ersten Ansätze, die nach ihrer Übersetzung ins Englische anschließend eine weite Verbreitung fanden, stammen beispielsweise von Max Weber; Vgl. Weber, M.; Parsons, T. (1947). 40 Vgl. Scott, W.R. (1986): S. 29–31.
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um gemeinschaftlich bestimmte Ziele zu verfolgen. Sie finden sich mittlerweile in nahezu allen gesellschaftlichen Teilbereichen.41 In diesem Zusammenhang ist die Organisation als anerkanntes Mittel auch eine Voraussetzung für die gesellschaftliche Ausweitung des Managements. Die Diskussion in den Organisations- und Managementwissenschaften konzentriert sich auf die richtige Grundlage von Organisation, häufig ohne dabei die spezifischen Aufgaben zu betrachten, die die Organisation durchführt. Auf diese Weise lassen sich Krankenhäuser heute genauso managen wie Gefängnisse und Fabriken.42 Es ist mittlerweile anerkannt, dass Organisationen, damit sie funktionieren, Management benötigen. „Die zentrale Rolle von ‚Management‘ im organisationalen Leben ist heute weitgehend unbestritten und wird als selbstverständlich angesehen.“43 In diesem Zusammenhang erhöht sich auch die Zahl von Organisationsformen, die gemanagt werden müssen. Immer mehr Bereiche des Lebens sollen und können gemanagt werden. So macht beispielsweise Paul du Gay auf die Ausweitung des Managementparadigmas auf den öffentlichen Dienst aufmerksam.44 Management ist dahingehend ein abstraktes Konzept, welches sich auf private und öffentliche Bereiche anwenden lässt und sich mittlerweile sogar auf individuelle Lebensprojekte (exemplarisch „Das unternehmerische Selbst“) bezieht.45 Diesem so verstandenen „abstrakten Management“ liegt eine Reihe von Managementtechniken zugrunde, welche scheinbar ebenso universell einsetzbar sind. Das „Management“, wie es unserem heutigen Verständnis entspricht, erscheint auch heute noch als das Produkt von Managementdiskurs und Organisationspraxis des frühen 20. Jh.s. Henry Mintzberg hat das moderne Verständnis des Managements folgendermaßen beschrieben: „If you ask a manager what he does, he will most likely tell you that he plans, organizes, co-ordinates and controls“.46 Nach Henry Mintzberg entspricht das dem Konzept von Henry Fayol47, einem frühen Organisations- und Managementautor. Nach Auffassung von Henry Mintzberg lässt sich aus der bestehenden Managementliteratur relativ wenig über die Aufgaben und die Natur von Managern erfahren, was über dieses frühe Managementverständnis hinausgeht.
41 Vgl. Scott, W.R. (1986): S. 31. 42 Vgl. Townley, B. (2003): S. 38. 43 Townley, B. (2003): S. 37. 44 Vgl. Du Gay, P. (2000). 45 Vgl. Townley, B. (2003): S. 38; Vgl. Bröckling, U. (2007). 46 Mintzberg, H. (1973): S. 1. 47 Vgl. Fayol, H. (1929).
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„After having read perhaps two hundred books and articles, you will emerge and be able to cite the more recent literature: The manager, then, plans, organizes, motivates, directs, and controls. These are the broad aspects of the work. He adds foresight, order, purpose, integration or effort, and effectiveness to the contributions of others. That is the best use of the word ‚manage’. That is the work of the manager.“48
Nach Henry Mintzberg beantwortet keiner dieser Aspekte die Frage, was Manager wirklich tun. Wiedergegeben wird hier lediglich der Diskurs, der sich um das Management aufspannt, damit aber auch, im Sinne von Michel Foucault, das Selbstbild und die Handlungen von Managern beeinflusst. Es stellt sich die Frage, was das Besondere an der westlichen Moderne ist, damit sich „abstrakte“ Konzepte von Organisation und Management, wie sie unserem heutigen Verständnis entsprechen, herausbilden und erfolgreich verbreiten konnten.49 Im Folgenden geht es daher zunächst darum, nach den Erkenntnisgrundlagen und Wissensordnungen des modernen Organisations- und Managementdiskurses zu fragen, um deren Besonderheiten im kulturell-historischen Kontext der westlichen Moderne zu analysieren. Wie also gelangen wir zu unserer heutigen Auffassung von Organisation und Management? Rationalität vs. Irrationalität Organisations- und Managementwissenschaften stellen Rationalität in den Vordergrund. Sie beschreiben einen Prozess der zweckgebundenen rationalen Strukturierung sozialer Beziehungen. Damit grenzen sich Organisation und Management von intuitiven Interaktionen zwischen einzelnen Individuen ab. Die Grenzziehung zu anderen sozialen Beziehungen findet hier entsprechend auf der Ebene rational/irrational statt.50 Organisation und Management sind soziale Konzepte, die durch Rationalitätsvorstellungen und -erwartungen gekennzeichnet sind. Historisch hat sich eine Wissensordnung herausgebildet, bei der sich Organisation und Management als Gegensatz zum Chaos konstituieren. Ob sich diese Vorstellung von Rationalität durchgängig auf der Ebene der Praxis wiederfindet, ist damit, wie bei Henry Mintzberg deutlich wurde, aber nicht geklärt.
48 Mintzberg, H. (1973): S. 2. 49 Im folgenden Ansatz wird nicht von der Institution als gegebene Entität ausgegangen, sondern es wird nach ihren Entstehungsbedingungen gefragt. 50 Zur Differenzierung: rational/irrational; intern/extern; wir/die anderen und Folgenden vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 37ff.
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Die folgenden Beispiele verdeutlichen die Rationalitätserwartungen an Organisation und Management wie sich in der Moderne herausgebildet haben. Schaukasten 1: Rationalitätserwartungen an Organisation und Management „Die formelle Organisation ist ein System bewußt koordinierter Handlungen oder Kräfte von zwei oder mehr Personen.“
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„Organizations are assemblages of interacting human beings and they are the largest assemblages in our society that have anything resembling a central coordinative system. […] The high specifity of structure and coordination within organizations – as contrasted with the diffuse and variable relations among organizations and among unorganized individuals – marks off the individual organization as a sociological unit comparable in significance to the individual organism in biology.“
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„Since the distinctive characteristic of these organizations is that they have been formally established for the explicit purpose of achieving certain goals, the term ‚formal organizations’ is used to designate them.“
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„Ein industrielles Geschäft ist am besten mit einer Uhr zu vergleichen, bei der ein Rad ins andere eingreift und die zuletzt dem Eigenthümer auch zeigt, was die Glocke geschlagen. Die Arbeit des Verwalters gleicht ganz derjenigen des Uhrenmachers, der das Räderwerk einzurichten, in Gang zu setzen und zu reguliren hat.“
54
Quellen: siehe Fußnoten
Damit es zur Herausbildung dieser Auffassungen von Organisation und Management kommen konnte, waren historisch gesehen bestimmte ideengeschichtliche Voraussetzungen notwendig. Es geht hierbei vor allem um das moderne Konzept der Rationalität, da dieses erst die Herstellung einer bewussten Ordnung durch den Menschen denkbar macht.55 Mit Michel Foucault stellt sich die Frage nach der Organisation des Organisations- und Managementwissens durch die diesem Wissen zugrundeliegenden Konzepte, also nach den sogenannten Epistemen oder Wissensordnungen. Eine Wissensordnung bezeichnet den spezi-
51 Barnard, C. (1970): S. 76. 52 March, J.G.; Simon, H.A. (1993): S. 23. 53 Blau, P.; Scott, W.R. (1962): S. 5. 54 Bourcart, J.J. (1874): S. 16; Vgl. Kieser, A. (2006): S. 97. 55 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 37f, S. 21f.
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fischen Modus, der das Denk- und Sagbare in einer Gesellschaft zu einem historischen Zeitpunkt systematisch und übergreifend organisiert. Michel Foucault geht, wie bereits beschrieben, von drei verschiedenen Wissensordnungen aus. 1. Die Wissensordnung der Renaissance (16. Jh.); 2. die Wissensordnung der Klassik (Mitte des 17. Jh.s bis Ende des 18. Jh.s) und 3. die Wissensordnung der Moderne (Beginn des 19. Jh.s bis Mitte des 20. Jh.s ). Die moderne Welt beruht auf der Wissensordnung der Klassik und der Wissensordnung der Moderne. Sie bestimmen auch unsere Vorstellungen von Organisation und Management. Das Neue an der Wissensordnung der Klassik und der Moderne war, dass sie sich gegen die Ambivalenz und Mehrdeutigkeit der Renaissance richten.56 Die Herstellung einer rationalen Ordnung hat zu dieser Zeit das Denken der Menschen ergriffen und Vorstellungen von Ambiguität abgelöst. An die Stelle der Mehrdeutigkeit tritt die strikte Entgegensetzung von rationaler Ordnung und irrationalem Chaos. Aus der Unterscheidung zwischen Chaos und Ordnung ergeben sich eine Reihe von Konzepten, aus denen sich wiederum auf unser heutiges Verständnis von Organisation und Management schließen lässt.57 Barbara Townley nennt hier u.a. die Konzepte der Rationalität und Kausalität, der Agentschaft sowie der Stabilität und Gewissheit.58 Die Moderne ist von der Auffassung einer berechnenden Rationalität bestimmt, die die meisten Organisations- und Managementmodelle und insbesondere auch die neoklassische Ökonomie beeinflusst hat.59 Sie orientieren sich an den Naturwissenschaften und dabei insbesondere an der klassischen Physik als vorherrschendes Wissenschaftsmodell. Hierbei wird eine umfassende Erklärung der Welt zugrundegelegt. Seit Mitte des 17. Jh. reproduzieren sich Vorstellungen von Kultur und Natur und einem rationalen Geist, die über lange Zeit hinweg schließlich einen Status der unhinterfragten Wahrheit erlangt haben.60 Rationalität bezieht sich u.a. auf das Messbare und Begründbare und wird dabei kontextunabhängig gedacht. „Rational sein“ ist in der Moderne eine Eigenschaft von In56 Es ging um eine strenge Auseinanderhaltung von Identität und Differenz zwischen den Dingen. Diese beruhte auf den Eigenschaften der Dinge. Auch die moderne Wissensordnung beruhte auf Kategorien der Klassifizierung und Trennung. Die Dinge wurden entsprechend nicht auf der Grundlage von Ähnlichkeiten sortiert und miteinander verbunden, sondern es ging um Unterscheidungen und Trennungen. Die Sprache fungierte dabei als das Medium der Repräsentation. Sie besaß hierbei den Status der Objektivität und Neutralität. Vgl. Townley, B. (2003): S. 43. 57 Vgl. Townley, B. (2003): S. 43, 46. 58 Vgl. Vgl. Townley, B. (2003): S. 46–52. 59 Vgl. Townley, B. (2003): S. 51. 60 Vgl. Townley, B. (2003): S. 52.
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dividuen, welche diese unabhängig von jedem sozialen bzw. historischen Kontext besitzen. Rationalität definiert sich so auch über die Abwesenheit von Tradition, was bereits bei Max Weber und seiner Beschreibung der rationalen Herrschaft deutlich wird. Formale und allgemeingültige Prinzipien bilden die Grundlage einer formalen Rationalität. Rational handeln bedeutet, Mittel effektiv mit bestimmten Zielen zu verbinden. Aus dieser Perspektive wird das Handeln in Bezug auf die Konsequenzen beurteilt und mit anderen Handlungen und deren Konsequenzen verglichen, was bedeutet, dass keine Handlung an sich falsch oder richtig ist. Nach Barbara Townley heißt das, dass man vollständig rational handeln kann, ohne gerecht zu sein.61 Grundlage der formalen Rationalität als abstraktes Konzept ist das Auffinden von universalen Prinzipien, welche unabhängig von historischen und kulturellen Kontexten existieren. Probleme werden dekontextualisiert. Stephen Toulmin beschreibt das moderne Zeitalter und seine Ideen über die Natur und die Gesellschaft als einen Prozess, welcher die Hinwendung vom Mündlichen zum Schriftlichen, vom Besonderen zum Allgemeinen, vom Lokalen zum Globalen und vom Zeitgebundenen zum Zeitlosen beinhaltet.62 Er vergleicht exemplarisch die Ansätze Michel de Montaignes und René Descartes‘ und stellt einen „Gegensatz zwischen Humanismus und Rationalismus – zwischen der Sammlung konkreter Einzelheiten der praktischen Erfahrung und der Analyse eines abstrakten Kerns theoretischer Begriffe“ 63 fest. Aus seiner Sicht hat sich der rationalistische Ansatz von René Descartes seit dem 17. Jh. durchgesetzt und die skeptische Haltung Michel de Montaignes, sowie seine Bereitschaft Vieldeutigkeit und Ungewissheit anzuerkennen hat kaum einen Einfluss auf die geistige Auseinandersetzung der Moderne. Das Auffinden abstrakter Prinzipien ist eine anerkannte und spezifisch moderne Form der Problemdefinition und -lösung.64 Organisation und Management als rationale Strukturierung von Sachverhalten sowie deren spezifische Techniken können auf diese Weise als moderne Formen der Problemlösung unabhängig vom jeweiligen Kontext eingesetzt werden. Das rationale Handeln ist eng an das Konzept der Kausalität gebunden. In der Moderne wird es vor allem in mechanistischen Begriffen erklärt. Diese werden von Philosophen des 17. und 18. Jh.s aus dem Bereich der Physik auf den Bereich des menschlichen Handelns übertragen.65 In dieser Zeit setzt sich die Vorstellung durch, die Gesellschaft nach 61 Vgl. Townley, B. (2003): S. 46. 62 Vgl. Toulmin, S. (1994). 63 Toulmin, S. (1994): 80. 64 Vgl. MacIntyre, A. (1988): S. 3ff. 65 Vgl. Townley, B. (2003): S. 47–49.
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dem Vorbild der Natur zu organisieren. Die Ursache menschlichen Handelns wird mit dem Konzept der Rationalität verbunden und zu einer „effizienten Ursache“. Nach Gibson Burrell hat sie die Vorstellung von linearem Denken, insbesondere auch in der Organisationstheorie, wesentlich beeinflusst.66 Eine Veränderung oder eine Bewegung kann nur im Rahmen einer rationalen und intendierten Agentschaft gedacht werden. Um ein bestimmtes Organisationsziel zu erreichen, werden die Beziehungen zwischen den Organisationsmitgliedern daher auf der Basis von Effizienz und Produktivität bewusst strukturiert. In der AnreizBeitrags-Theorie wird z.B. davon ausgegangen, dass Organisationen Individuen durch Anreize zur Teilnahme bewegen.67 Die Existenz einer Organisation hängt stark von der Bereitschaft der Mitglieder ab, Beiträge zu leisten und damit eine Kooperationsgemeinschaft zu bilden. Insgesamt liegt hiermit implizit die Vorstellung zugrunde, dass ohne bewusste Koordination und Intervention nichts geschehen würde bzw. jeder nur nach seinem eigenen Vorteil handeln würde. Menschliches Zusammenleben soll daher zum Gegenstand einer rationalen Strukturierung gemacht werden. Thomas Hobbes zeigt, dass ohne die souveräne Macht des Leviathan menschliches Zusammenleben durch Unsicherheit und Tod gekennzeichnet wäre, weil jeder nur zu seinem eigenen individuellen Vorteil handeln würde.68 Der Leviathan ist eine dritte Instanz, die von Akteuren kreiert wurde, um friedlich zu leben. Sie ist wie die Organisation eine Instanz der sozialen Manipulation. Auch Organisation und Management dienen hierbei der Verringerung von Risiko und Ambivalenz.69 Die Annahme von Thomas Hobbes, dass Macht bzw. Organisation die Voraussetzung für Frieden bildet, macht Organisation unter dem Aspekt von Hierarchie und Kontrolle auf der Ebene der rationalen Strukturierung zu einer universalen Grundlage des Denkens und Handelns in der Moderne. Die Theorie von Thomas Hobbes, nach der die Stabilität der Gesellschaft, ähnlich wie das Planetensystem die Sonne, eine Zentralkraft wie den Souverän bedarf, hat die spätere soziale Theorie Westeuropas und Nordamerikas wesentlich beeinflusst.70 Aus dieser Perspektive heraus konstituiert sich auch Organisation über die Charakteristika von organisatorischen Gruppen, die sich durch die Intervention des Managements stets im Gleichgewicht befinden. Ein Beispiel für diese 66 Vgl. Burrell, G. (1997); Vgl. Townley, B. (2003): S. 47. 67 Wichtige Vertreter dieser verhaltenswissenschaftlichen Theorie sind Herbert Simon, James March und Chester Barnard. 68 Vgl. Hobbes, T. (1947); Vgl. Holt,R. (2004): S. 1023; Vgl. Toulmin,S. (1994): S. 310f. 69 Vgl. Townley, B. (2003): S. 49–51. 70 Vgl. Toulmin, S. (1994): S. 310.
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Vorstellung findet sich in der Neuen Institutionenökonomik. Die Beziehung zwischen Principal und Agent ist immer schon durch Störungen gekennzeichnet.71 „Asymmetrisch verteilte Informationen, Unsicherheit über das Eintreten bestimmter Umweltzustände, Unsicherheit über das Verhalten des Vertragspartners, Merkmale der Vertragspartner und Sachverhalte der Umwelt sind der Principal-Agent-Theorie zufolge zu analysieren.“72
Im Anschluss an diese Beobachtung kann die P-A-Theorie als eine Theorie der Systemstörung bezeichnet werden.73 Hier findet sich als Grundannahme von Thomas Hobbes‘ Naturzustand des Krieges aller gegen alle wieder.74 Die rationale Strukturierung im Sinne der organisatorischen Zwecksetzung der formalen Strukturierung und der Installation einer Hierarchie beruht dementsprechend auf den Vorstellungen, menschliche Beziehungen könnten gezielt durch einen außerhalb der jeweiligen Struktur stehenden Akteur geplant, organisiert und kontrolliert werden. So wie die staatliche Macht in der Darstellung von Hobbes Leviathan die Voraussetzung für Frieden und soziale Ordnung bildet, erscheinen Organisation bzw. Hierarchie und Kontrolle als notwendig, um ein soziales Gleichgewicht verschiedener Akteure herzustellen. Staat und Organisation folgen beide der newtonischen Logik nach der eine Ordnung, sei es die Ordnung des Planetensystems oder die soziale Ordnung, nur durch eine zentrale Kraft, sei es die Sonne oder der Souverän zusammengehalten wird.75 Wie bereits angedeutet spielt für die Gestaltung von organisatorischen Wandlungsprozessen und im Gesamtzusammenhang der rationalen Strukturierung das Individuum bzw. die Sicht auf ein bestimmtes menschliches Modell eine entscheidende Rolle. Zur Herstellung einer rationalen und linearen Struktur bedarf es eines wissenden und intentional handelnden Subjektes. Das moderne Agency-Konzept ist eine wichtige Grundlage dafür. Die Agency-Theorie besteht aus Annahmen über die menschliche Natur, die sich in den letzten zwei Jahrhunderten herausgebildet haben.76 Seit Beginn des 19. Jh.s ist der Mensch nicht nur zentraler Gegenstand der sich herausbildenden modernen Wissenschaften, son-
71 Vgl. Townley, B. (2003): S. 49. 72 Maier, M. (2010): S. 108. 73 Vgl. Maier, M. (2010): S. 112. 74 Vgl. Townley, B. (2003): S. 49; Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 49f. 75 Vgl. Toulmin, S. (1994): S. 310. 76 Vgl. Townley, B. (2003): S. 49.
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dern er wird zunehmend als eine autonom handelnde Einheit verstanden.77 Auf dieser ideengeschichtlichen Basis ist u.a. das theoretische Konzept des „homo oeconomicus“ als autonomer und rational handelnder Akteur entstanden. Der methodologische Individualismus, wie er innerhalb der Sozialwissenschaften für die Beschreibung und Erklärung sozialer Vorgänge (Makro) ausgehend von einzelnen beteiligten Personen (Mikro) Anwendung findet, ist ein Beispiel für einen Menschen, der seine Identität und seine Fähigkeiten, sein Wissen und seine Wünsche noch vor dem Eintritt in eine kulturelle bzw. soziale Ordnung hat.78 Dieses transzendentale Subjekt ist ein Basiskonzept der modernen Ökonomie. Erst auf dieser geistigen Grundlage können sich Ökonomen mit den kontextfreien rationalen Entscheidungen von Produzenten und Konsumenten befassen und die Resultate ihres Handelns messen. Der rationale und autonome Agent bildet die Grundlage für die Herstellung einer rationalen Struktur nach bestimmten vorgegebenen Zwecken. „To be a moral agent is, on this view, precisely to be able to stand back from any and every situation in which one is involved, from any and every characteristic that one may possess and to pass judgement on it from a purely universal and abstract point of view that is totally detached from all social particularity.“79
Alasdair MacIntyre kritisiert die Rationalität dieses modernen Akteurs. Seiner Meinung nach kann ein Selbst ohne soziale Anbindung alles sein und gar nichts und die eigenen Ansichten ständig wechseln. Es ist für und in sich „nichts“.80 Das Konzept der Agentschaft erscheint als Grundlage des modernen Managements. Als Träger wichtiger Entscheidungen stützt sich der „ideale“ Manager auf die Logik der Kalkulation und Berechnung und folgt dabei nicht primär der Logik der Angemessenheit. Er denkt und entscheidet unabhängig von spezifischen Kontexten. Roy Jacques spricht in diesem Zusammenhang von einer Organisationswelt, die zunehmend durch Zahlen regiert wird.81 Ihm zufolge ersetzen im Zuge der Industrialisierung Zahlen zunehmend sensorische Erfahrungen am Arbeitsplatz. „For the industrialist, numbers-budgets, output statistics, trends, vari-
77 Michel Foucault argumentiert in „Die Ordnung der Dinge“, dass der Mensch vor dem Ende des 18. Jh.s nicht existierte und erst in der Moderne als eine grundlegende Kategorie des Denkens und der Praxis hervorgebracht wurde. Vgl. Foucault, M. (2008d) 78 Vgl. Townley, B. (2003): S. 48. 79 MacIntyre, A. (1984): S. 32. 80 Vgl. MacIntyre, A. (1984): S. 32; Vgl. Townley, B. (2003): S. 48. 81 Vgl. Jacques, R. (1996): S. 103.
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ances and expert data – were the organization.“82 Zahlen und Technologien werden in diesem Kontext zu neutralen Instrumenten der Repräsentation von realen Sachverhalten. Es liegt ein objektives und reales organisatorisches Wissen vor, was durch Beobachtung und Messung erhoben werden kann. Die Gebundenheit einer Messung an einen konkreten historischen oder kulturellen Kontext wird hierbei kaum berücksichtigt. Zahlen existieren autonom zu den Dingen, das heißt sie beziehen sich nicht mehr notwendigerweise auf konkrete soziale Sachverhalte.83 Dagegen bilden sie eine in sich geschlossene und stabile Repräsentation.84 Er betont, dass diese Sichtweise auf die Organisation erst im 19. Jh. Einzug hielt. In den USA kam die Mathematik erst im letzten Drittel des 19. Jh.s im Bereich der Wirtschaft auf. Diesen späten Einzug der Kalkulation in den Bereich der Organisation erklärt Roy Jacques damit, dass sich das Konzept einer effizient gemanagten Organisation in der vorindustriellen Gesellschaft noch nicht etabliert hat.85 Erst mit der Entstehung des modernen Managements setzt sich auch die formale Verwendung von Zahlen zur Repräsentation organisatorischer Sachverhalte durch. Die „Mathematisierung“ der Organisation, so Roy Jacques, fand ungefähr zur selben Zeit statt wie die Entstehung zentraler Funktionseinheiten in Organisationen (Verkaufs-, Produktions-, Finanzabteilungen usw.). „The general office exists primarily as an asset manager, as able to buy a titanium foundry as a frozen yoghurt chain, depending on which business offers the highest return on investment and speculative growth potential.“86 Ähnlich bedeutsam für das moderne Verständnis von Organisation und Management ist die Suche nach Stabilität und Gewissheit, die sich nicht mehr nur auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse bezieht, sondern auch soziale Handlungen betrifft.87 So ist das Streben nach Gewissheit kennzeichnend für die wissenschaftlichen und philosophischen Diskussionen seit dem 17. Jh.88 Im Zeitalter der Renaissance wird Ambiguität akzeptiert. Die Beziehung zwischen den Dingen und Zeichen basiert auf Ähnlichkeit. In der Moderne geht es hingegen um die vollständige Aufzählung der Dinge. Es entsteht der Eindruck, ein vollständiges Wissen könne erreicht werden.89 Im Vordergrund dieser Zeit steht der Glaube an mehr Wissen, mehr Vernunft und mehr Beherrschbarkeit der Dinge. Im 82 Jacques, R. (1996): S. 103 [Herv. i.O.]. 83 Siehe hierzu auch Mennicken, A.; Vollmer, H. (2007). 84 Vgl. Townley, B. (2003): S. 55. 85 Vgl. Jaqcues, R. (1996): S. 103. 86 Jacques, R. (1996): S. 104. 87 Vgl. Townley, B. (2003): S. 49. 88 Vgl. Toulmin, S. (1994): S. 29; Vgl. Townley, B. (2003): 49f. 89 Vgl. Foucault, M. (2008d); Vgl. Gehring, P. (2004).
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Zeitalter der Moderne wird dieser Glaube zunehmend auf den Menschen und soziale Beziehungen übertragen. Unsicheres Wissen und Nichtwissen sollen hierbei bekämpft werden. William H. Whyte bezeichnet diesen „Scientismus“ als eine Utopie, die auf dem Versprechen beruht, nach den gleichen Methoden, die in der Physik erfolgreich waren, eine genaue Wissenschaft vom Menschen zu erschaffen.90 Die Argumentationskette dieser Utopie ist nach William H. Whyte immer dieselbe.91 Danach befinden wir uns in einer schwierigen Ausgangslage und es ist bereits fast zu spät. „Wir haben die Wissenschaft auf die Dinge angewandt; erst jetzt haben wir damit angefangen, sie auf den Menschen selbst anzuwenden. Schon haben wir einige nützliche gesellschaftliche Methoden erlernt; wir können die Persönlichkeit messen, können die Hindernisse sehen, die sich einer guten Gruppendynamik in den Weg stellen, und wir können voraussagen, wie die Menschen auf ein Zusammenleben reagieren werden. Aber das alles ist erst der Anfang. Wenn wir nur für Zeit und Geld sorgen, dann können wir das ganze Rätsel bald mit einer einheitlichen Wissenschaft vom Menschen lösen.“92
Dieser Glaube und das Versprechen an die menschliche Erlösung durch die planvolle wissenschaftliche Herstellung eines stabilen sozialen Gleichgewichtes kennzeichnet auch die Vorstellungswelt von Organisation und Management. Der Manager als Ingenieur bzw. Techniker ist in dieser Anschauung der Experte, der einerseits organisatorische Probleme definiert und zugleich der Einzige ist, der diese Probleme durch Managementtechniken zu beheben in der Lage ist.93 Probleme werden dabei häufig gleichzeitig im Kontext eines Lösungsversuches dargestellt oder zumindest erscheint es so als wäre die Lösung in absehbarer Zeit und mit berechenbarem Aufwand zu erreichen.94 Stabilität ist der wünschenswerte Zustand für soziale Organisationen. Instabilität ist auf der Basis der dominanten Vorstellung von stabilen sozialen Ordnungen lediglich eine vorübergehende
90 Vgl. Whyte, W.H. (1958): S. 29. 91 „Seit Newton haben Dutzende von Naturwissenschaftlern ihr Zuständigkeitsgebiet verlassen, um zu verkünden, eine Wissenschaft vom Menschen wäre möglich, und das Lob der Narrheit von Erasmus läßt ahnen, daß einige Gelehrte sogar noch früher den gleichen Einfall hatten.“ Whyte, W.H. (1958): S. 31. 92 Whyte, W.H. (1958): S. 30. 93 Andreas Reckwitz prägt in seiner Studie „Das hybride Subjekt“ den treffenden Begriff des „Manager-Ingenieurs“, welcher als Leitfigur der Subjektkultur der Moderne auftritt. Vgl. Reckwitz, A. (2006): S. 337ff. 94 Vgl. Wupper-Tewes, H. (1995): hierzu insbesondere Kapitel 10.
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und vor allem bewusst hergestellte Unterbrechung des Gleichgewichtes.95 Management dient hierbei der Reduktion von Ungewissheit und der Herstellung von Gewissheit und Stabilität. Auf der Basis der Fragmentierung und Klassifikation wird versucht, die Welt handhabbar zu machen. Das Zeitalter der Klassik, wie es Michel Foucault beschreibt, unterstützt Konzepte wie Trennung, Ordnung, und Tableaus.96 Barbara Townley zeigt an der Praktik des „Strategic Performance Management Systems“, wie der Logik der Klassifizierung folgend soziale Beziehungen in abstrakte Kategorien umgewandelt werden. Dafür stehen eine Reihe von abstrakten Kategorien als Hülsen zur Verfügung wie „Kerngeschäft, Mission, Vision, Ziele, Ergebnisse, Strategien, Leistungsindikatoren, Leistungsmanagement“97. Friedrich Nietzsche weist auf die immanente Konstruktionsleistung von Klassifikationsversuchen als solche hin: „Der ganze Erkenntnis-Apparat ist ein Abstraktions-und Simplifikations-Apparat – nicht auf Erkenntnis gerichtet, sondern auf Bemächtigung der Dinge: ‚Zweck‘ und ‚Mittel‘ sind so fern vom Wesen wie die ‚Begriffe‘. Mit ‚Zweck‘ und ‚Mittel‘ bemächtigt man sich des Prozesses (– man erfindet einen Prozess, der faßbar ist), mit ‚Begriffen‘ aber der ‚Dinge‘, welche den Prozess machen.“ 98
Soziale Handlungen werden in diese Begrifflichkeiten verpackt, die von denen beherrscht werden müssen, die diese Begriffe verwenden. Ein so spezialisiertes Vokabular produziert bestimmte Wahrheiten, die wiederum die organisatorische Realität beeinflussen. In der Managementsprache werden sie als objektives und neutrales Medium eingesetzt. Die Wissensordnungen der Klassik und des Menschen, auf denen die Konzepte der Rationalität und Kausalität, der Agentschaft sowie der Stabilität und Gewissheit basieren, sind grundlegend für das Verständnis von Organisation und Management. Die moderne Organisation ist aus dieser Perspektive heraus die rationale und gemanagte Organisation.
95 Vgl. Townley, B. (2003): S. 47. 96 Vgl. Townley, B. (2003): S. 54. 97 Townley, B. (2003): S. 54. 98 Friedrich, N. (1954) [Herv. i.O.].
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Die Rationalisierung der Organisation intensivierte sich in Deutschland mit Beginn des 20. Jh.s. Damit ist auch der Beginn des modernen Managements angezeigt, bei dem erstmals der arbeitende Mensch selbst im Fokus der Rationalisierungsbestrebungen steht. Es handelte sich jedoch bei der Rationalisierung von Organisationen nicht um ein neues Phänomen, auch wenn der Begriff erst in den 1920er Jahren allgemein gebräuchlich wurde. Er wurde in Deutschland seit 1918 im Zusammenhang mit „Maßnahmen zur Verbesserung der Organisation von Fabrikations- und Arbeitsvorgängen unter Anwendung von wissenschaftlich durchdachter energie-, zeit- und kostensparender Methoden zur Erzielung höchster Wirtschaftlichkeit“99 verwendet. Große Unternehmen wiesen seit der Industrialisierung, vor allem jedoch seit dem letzten Drittel des 19. Jh.s rationale, d.h. bürokratische Strukturen auf. Als ausschlaggebend dafür wird meist der Beginn der Massenfertigung genannt.100 Durch Normung und Standardisierung sollte eine möglichst hohe Anzahl gleichartiger Dinge günstig hergestellt werden. Die Einführung der Massenproduktion erforderte Maßnahmen, die die Produktion verbesserten. Arbeitsabläufe wurden in der entstehenden Fabrik zunehmend an den Maschinen ausgerichtet. Durch den Einsatz neuer Produktionstechniken veränderten sich auch die Produktionsmethoden und die Organisation der Herstellung. Organisationen wurden bürokratischer, d.h., die Schriftlichkeit nahm zu, die Arbeitsteilung wurde stärker, Autoritäten und Kompetenzen wurden hierarchisch angeordnet und Informations- und Entscheidungsvorgänge wurden formalisiert. Kartei- und Zettelkastensysteme wurden zu bedeutsamen organisatorischen Werkzeugen. Tätigkeiten der Planung, Koordination und Überwachung verstärkten sich. Diese Tätigkeiten wurden dabei zunehmend entpersonalisiert. Bürokratische Strukturen waren keine Erfindung von Industrieunternehmen. Sie existierten in Deutschland lange bevor die ersten Fabriken entstanden. Der starke Einfluss der Bürokratie auf Wirtschaftsunternehmen ist dabei vor allem typisch
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Die anachronistische Verwendung ist sinnvoll um Entwicklungen zusammenzufassen, welche im Nachhinein als Rationalisierung gekennzeichnet werden. Vor 1918 war der Begriff Rationalisierung noch nicht in Verwendung. Man sprach lediglich von „rationaler Fertigung“. Erst mit der Gründung der AWF (Ausschuss wirtschaftliche Fertigung) 1918 setzt sich die Bezeichnung durch. Vgl. Frenzel, M.; Plattner, H. (1965): SAA 68/Li 83.
100 Vgl. Eidenmüller, B.: SAA 12138, S. 8-9.
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für Deutschland.101 Zivile und militärische Bürokratien waren bedeutend für die Entwicklung des Fabriksystems.102 Das liegt insbesondere daran, dass die Bürokratie als effiziente Form der öffentlichen Verwaltung während der sozialen und politischen Modernisierung Preußens und auch in anderen Teilen Deutschlands (Sachsen und Bayern) im frühen 19. Jh. eine wichtige Rolle spielte.103 Die Bürokratie hat ihren Ursprung im Absolutismus des 17. und 18. Jh.s.104 Im späten 18. und frühen 19. Jh. trugen die Diener des Königs zum Rückgang der königlichen Macht bei. Sie sprachen sich für die Erlangung von Ämtern auf der Basis formaler Qualifikationen aus und beanspruchten für sich Pensionsanrechte, Festanstellungen und geregelte Beförderungen. Sie machten aus sich selbst „Beamte“ in dem Sinne, wie sie Max Weber später beschreiben sollte. Ohne die Existenz von Parlamenten oder repräsentativen Institutionen setzten Beamte zu Beginn des 19. Jh.s konstitutionelle Reformen durch, die gleichzeitig ihre eigene Macht stärkten. Sie dienten damit nicht nur primär dem Allgemeinwohl, wie sie selbst unterstrichen, sondern setzten ihre eigenen Interessen durch. Auf diese Weise führten die Beamten als mächtiger sozialer Stand Deutschland vom absolutistischen Ancien Régime in die moderne Zivilgesellschaft. In der deutschen Gesellschaft war die Beamtenbürokratie daher im Unterschied zu Frankreich weitgehend anerkannt und konnte in nahezu allen gesellschaftlichen Teilbereichen ihre Wirkung entfalten.105 Auch in Frankreich hatte sich – ähnlich wie in Deutschland – bereits vor der Industrialisierung eine starke staatliche Bürokratie herausgebildet, jedoch war der Einfluss des Staates im Rahmen des sozialen und ökonomischen Modernisierungsprozesses dort wesentlich umstrittener als in Deutschland. Aus diesem Grund war die frühe Bürokratisierung von Unternehmen weniger deutlich ausgeprägt als in Deutschland. Dort hatten die preußische Armee und die öffentliche Verwaltung das Ideal von Disziplin und kontrollierter Zusammenarbeit erfolgreich vorgelebt, weshalb es für deutsche Unternehmer scheinbar naheliegend erschien, dieses Vorbild für ihre Zwecke zu übernehmen.106 Anfang des 20. Jh.s, vor allem aber ab den 1920er Jahren, kommt es in Deutschland wie in vielen anderen Industriegesellschaften zu einer verstärkten 101 Vgl. Kocka, J. (1971): S. 135. 102 Vgl. Homburg, H. (1983): S. 137f. 103 „Poverty and danger had combined to dictate planning, discipline, and hard work – and, above all, elimination of waste motion through a pooling of forces.“ Bowen, R.H. (1950): S. 77. 104 Vgl. Kocka, J. (1981b): S. 454f. 105 Vgl. Kocka, J. (1971): S. 135. 106 „What was more natural than that the heads of the new industrial empires try to behave as Bismarck might have behaved in their place?“ Bowen, R.H. (1950): S. 77.
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Rationalisierung von Organisationen.107 Zeitgenossen sprechen vom Beginn einer neuen Ära: dem Eintritt in den „Organisierten Kapitalismus“, der auch den Beginn des modernen Managements markiert. Rudolf Hilferding war ein theoretischer Vertreter dieser These und sah den „Organisierten Kapitalismus“ im Vorteil gegenüber einem auf Konkurrenz basierenden Kapitalismus, weil die Gesellschaft positiv auf die Entwicklung des Kapitalismus einwirken könne. Im Vordergrund stünden außerdem gesamtwirtschaftlicher Interessen und nicht mehr nur Einzelinteressen.108 So heißt es in der Analyse von Martin Höpner: „Hilferding stimmte mit allen anderen marxistischen Interpretationen darin überein, dass der (damals noch nicht so bezeichnete) organisierte Kapitalismus die am weitesten entwickelte, dem Stand der Produktivkräfte gemäße Spielart des Kapitalismus war.“109
Rudolf Hilferding stellte das Konzept in Parteireden in den Jahren 1915 und 1924 vor.110 Rudolf Hilferding zufolge wäre die Periode des freien Kapitalismus am Ende und Monopole beherrschen die Wirtschaft. Die Verbindung zu den Banken intensiviere sich. Die Vergesellschaftung der Arbeit finde nun auf industrieller Ebene statt und führe zur Vereinheitlichung des unternehmerischen Umgangs mit Arbeit. Im Konzept des „Organisierten Kapitalismus“ drückt sich die Vorstellung aus, die Wirtschaft zu einem Gegenstand bewusster Lenkung zu machen, zu deren Zweck sich Unternehmensvertreter zusammenschließen und mit politischen Akteuren verbinden. Die Anarchie des freien Kapitalismus ist zunehmend überwunden. Die ökonomischen Veränderungen gehen auch einher mit Veränderungen der Aufgabe und des Bildes vom Staat.111 Im „Organisierten Kapitalismus“ kam es zu einem neuen Verhältnis zwischen Ökonomie und Politik. Die Vorstellung Märkte könnten sich selbst regulieren, wurde zunehmend aufgegeben. Das Prinzip der Konkurrenz wurde durch Konzentration und Oligopolisierungstendenzen teilweise aufgehoben. Die verstärkte Zusammenarbeit von Unternehmen reichte von Absprachen über Preise und Marktsegmente bis hin zu Fusionen, Kartellbildung und der Entstehung von Konzernen.112 Stabilisierende und protektionistische Wirtschaftspolitik war die 107 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 196f; vgl. Eidenmüller, B.: SAA 12138, S. 9. 108 Vgl. Höpner, M. (2004a): 300–324. 109 Höpner, M. (2004b): S. 12. 110 Vgl. Gottschalch, W. (1962). 111 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 196f. 112 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 206f.
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Folge. Jedoch wurden in der Weimarer Republik keine wirksamen Schranken gegen die zunehmende Kartellbildung und Konzentration errichtet. Wie bereits angedeutet galten die zunehmende Konzentration und Zentralisierung als dem vormals anarchischen Kapitalismus normativ überlegen und wurden daher auch von den Gewerkschaften und der SPD als wichtig für die wirtschaftliche Rationalisierung erachtet und entsprechend gestützt. Der „Organisierte Kapitalismus“ wurde als Übergangsform zu einem demokratischen Sozialismus angesehen. Eine revolutionäre Auflösung sozialer Widersprüche war nicht anerkannt. Die sozialen Konflikte dieser Zeit führten außerdem zu sozialpolitischen Interventionen. Der Staat unterstützte entsprechend zunehmend Infrastruktur- und Konjunkturförderungsmaßnahmen. Die Organisation im Fokus der Rationalisierungsbewegung Neu war im „Organisierten Kapitalismus“ nicht die Organisationsform selbst, da diese wie aufgezeigt bereits im 19. Jh. weit verbreitet war. So stellen Klaus Türk, Thomas Lemke und Michael Bruch fest, dass „der Kapitalismus immer schon historisch und systematisch die Organisationsform voraussetzte.“113 Auch die Rationalisierung von Organisationen war durch die Bürokratisierung auf der Basis staatlicher und militärischer Vorbilder in Deutschland bereits erprobt. Neu war jedoch die Qualität der Beschäftigung mit dem Phänomen „Organisation“. Es bildete sich ein wissenschaftlicher Diskurs um Organisationen heraus, der auch den Beginn des modernen Managements (scientific management) kennzeichnet.114 Organisation verbindet sich in dieser Zeit mit der Frage nach bewusster Planung und verstärkter Rationalisierung. Das moderne Management stellt hierzu Techniken zur Organisation von Produktions- und Verwaltungsprozessen zur Verfügung.115 Die zunehmende Größe von Organisationen begünstigte diese Entwicklung. Zahlreiche Innovationen in den Kommunikations- und Transporttechnologien unterstützten die Massenproduktion und -distribution von Gütern und trugen wie der Übergang zur Rechtsform der Aktiengesellschaft um 1900 zur Steigerung der Unternehmensgröße bei. Am Anfang des 20. Jh.s gibt es in diesem Zusammenhang eine verstärkte Zentralisierung und Konzentration von Unternehmen.116 Beschaffung von Rohstoffen, Produktion, Transport und Distribution waren mit Beginn des 20. Jh.s vermehrt in Großunternehmen integriert. Neben der verstärkten Integration von Funktionen, welche vorher größtenteils bei miteinander konkurrierenden Unternehmen angesiedelt waren, gab es eine 113 Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 198. 114 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 198. 115 Vgl. Reckwitz, A. (2008): S. 277f. 116 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 207f.
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Tendenz zur Vergrößerung und Diversifikation. Großunternehmen bemühten sich um eine bessere Ausnutzung vorhandener Ressourcen wie Anlagen, Distributionseinheiten und technische Fähigkeiten. Zur Bewältigung dieser neuen Organisationsaufgaben entstanden zentrale Einheiten wie Verkaufs- und Finanzabteilungen. „Was vorher durch Marktbeziehungen (‚invisible hand‘) […] vermittelt worden war, steuerten und koordinierten nun die Manager (‚visible hand‘) der Großunternehmen, die zunehmend bessere und genauere Überwachungs-, Bewertungs- und Kontrolltechniken, Planungsmethoden und Koordinationsverfahren entwickelten.“117
Die Entwicklung des Großunternehmens und die damit einhergehenden Veränderungen im Management in den USA wurde treffend von Alfred D. Chandler „The Visible Hand. The Managerial Revolution in American Business“ beschrieben.118 Er führt diese Veränderungen auf eine Revolution von Transport und Kommunikation und eine Revolution in der Distribution und Produktion zurück. Als eine der ersten Industrien, welche eine Bürokratisierung der Verwaltung vornehmen bezeichnet Alfred D. Chandler Eisenbahnunternehmen.119 Der Fabrikherr, der sowohl Leiter als auch Besitzer des Unternehmens war, wurde zunehmend von angestellten Managern ersetzt, welche Leitungsaufgaben übernahmen.120 Damit änderte sich auch die Auffassung, wie eine Organisation zu gestalten sei. Während der kapitalistische Unternehmer stark praxisorientiert agierte, wendeten die angestellten Manager zunehmend „wissenschaftliche“ Methoden auf den Organisationsprozess an. Alfred D. Chandler zufolge verbreiteten sich neue Managementmethoden während der 1920er Jahre sehr rasch in den USA. Wesentliche neue Methoden waren Rechnungswesen, Budgetierung, Prognosen usw. Als einen wichtigen Grund für die schnelle Verbreitung dieser Managementmethoden nennt Chandler die Professionalisierung von Managern in großen Unternehmen. Dies wurde wiederum beeinflusst durch die Etablierung von Berufsverbänden, die Veröffentlichung von Manager-Journalen und die Verbreitung von Bildungseinrichtungen für die Managementausbildung.121 Der Übergang vom „Familienkapitalismus“ zum „Organisierten Kapitalismus“ und die damit entstehende Dominanz des modernen Managements wirken sich auf die strukturelle und kulturelle Beschaffenheit von Organisationen insgesamt aus. 117 Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 208. 118 Vgl. Chandler, A.D. (1980). 119 Vgl. Chandler, A.D. (1980): S. 185ff. 120 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 197. 121 Vgl. Chandler, A.D. (1980): S. 464.
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Im Familienunternehmen stehen informelle, persönliche und direkte Beziehungen im Vordergrund bzw. bilden das maßgebliche Strukturierungsmoment von Wirtschaftsorganisationen. Menschen sind dabei weniger durch finanzielle oder vertragliche Beziehungen miteinander verbunden als vielmehr durch eine traditionelle oder emotional verankerte Loyalität. Das wird deutlich durch die patriarchalen, familienähnlichen Beziehungen zwischen den Angestellten und dem Unternehmensleiter. Die Abhängigkeitsformen zwischen beiden bleiben innerhalb einer zumeist kleinen Firma vor allem persönlicher Natur. Die Angestellten kennen Eigentümer und Firmenchefs noch persönlich. Der Alltag des Unternehmens ist eng verknüpft mit dem Leben einer Familie. Anders als zu Beginn des 20. Jh.s steht noch nicht so sehr die Größe des Unternehmens im Vordergrund. Vor allem in der ersten Phase der Industrialisierung ist das Interesse an generellen oder gar wissenschaftlichen Methoden der Organisationsgestaltung und des Managements gering.122 Organisationen werden als individuell und natürlich gewachsen angesehen. Zudem war ein persönlicher Führungsstil bei der meist geringen Betriebsgröße angemessen. Der Fabrikherr ist häufig auch Unternehmensgründer und hat eine praktische Ausbildung. Das Interesse an theoretischen und einheitlichen Konzepte zur Organisationsgestaltung ist daher niedrig. In den 1920er Jahren gewinnt der Begriff „Rationalisierung“ insbesondere für die Arbeitsorganisation an Bedeutung. Das Interesse an allgemeinen und abstrakten Managementmethoden steigt.123 Begleitet wurde diese Entwicklung von einer zunehmenden wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Organisationsphänomen. Zentral waren dabei Fragen der rationalen Strukturierung im Sinne einer besseren Überwachung, Kontrolle, Planung und Koordination von Beschäftigten in Großunternehmen.124 Humanwissenschaften trugen zu einer „Verwissenschaftlichung“ von organisatorischen Gestaltungsprinzipien bei. Noch vor dem Ersten Weltkrieg gab es Auseinandersetzungen mit der zunehmenden Rationalisierung der Organisation und der Effizienzsteigerung der Arbeit. Nach dem Kriegsende verstärkten sich diese Bemühungen nochmals. Wissenschaftliche Ansätze zur direkten Gestaltung von sozialen Prozessen wie der Taylorismus, der Fordismus, die Psychotechnik oder später die Human-Relations-Bewegung waren von großem Interesse und wurden in der Praxis gezielt eingesetzt. Soziale Techniken wie Organisation und Arbeit, so die damalige Auffassung, ließen sich bewusst effektiv planen und steuern. Soziale Regeln wurden dabei analog zu technischen Regeln aufgefasst und konstruiert.125 Die Auffassung einer grund122 Vgl. Kocka, J. (1969): S. 335. 123 Vgl. Kocka, J. (1969): S. 347. 124 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 208. 125 Vgl. Reckwitz, A. (2006): S. 283f.
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sätzlichen Organisierbarkeit des Sozialen ist mit dem Training eines bestimmten Subjekts in der modernen Organisation verbunden. Im funktional-hierarchischen Unternehmen des 20. Jh. wird erstmalig die Arbeit zum Gegenstand einer wissenschaftlichen und effizienten Koordinierung. Zu Beginn kommen die wichtigsten Anregungen für die Verbesserung der Produktivität aus den USA, wo sich die „Wissenschaftliche Betriebsführung“ bereits ausgebreitet hatte.126 „Der Amerikaner Frederick W. Taylor wendete das Wissen, das bis dahin vor allem auf Werkzeuge, Produkte und Verfahren angewendet worden war, zum ersten Mal auf das Studium der Arbeit, auf die Analyse der Arbeit und auf die Technik der Arbeit an.“127
Der arbeitende Mensch befindet sich mit der Herausbildung des modernen Managements damit auch erstmals im Fokus von unternehmerischen Rationalisierungsbestrebungen. Während vorhergehende Rationalisierungs- und Standardisierungsbemühungen auf Produkte, Produktionsmittel und Arbeitsvorgänge konzentriert waren, ist der arbeitende Mensch im Mittelpunkt einer entstehenden „Wissenschaft“ um Standardisierung und Rationalisierung der Arbeit. Hierdurch unterscheidet sich diese Rationalisierungsbewegung auch von den ersten Bürokratisierungstendenzen im ausgehenden 19. Jh. „Given the absolutist Tradition in Germany, bureaucratic structures and processes were pre-industrial and the civil and military bureaucratic administrations acted as important models for the developing factory system. However much of the analysis is confined to senior and middle management and has nothing to say about labour management and work processes.“128
Der Ansatz Frederick W. Taylors und sein Konzept des „Wissenschaftlichen Managements“ ist der Ausgangspunkt für das Management der Arbeit und des arbeitenden Menschen. Erste Managementansätze wie der Taylorismus richteten sich dabei auf den arbeitenden Körper. In Ansätzen wie der Psychotechnik und der Human-Relations-Bewegung stehen zunehmend die „Seele“ des Arbeiters bzw. der ganze Mensch im Fokus. Hierbei geht es verstärkt um die Beeinflussung der Wahrnehmung durch ein Management von Bedeutungen. Der Manager bzw. Ingenieur, welcher zum technischen Koordinator von Dingen und Menschen aufsteigt, ist selbst Teil dieser neuen Machtbeziehung. Der „Manager-
126 Vgl. Eidenmüller, B.: SAA 12138, S. 69ff. 127 Eidenmüller, B.: SAA 12138, S. 9. 128 Homburg, H. (1983): S. 137.
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Ingenieur“129 besitzt nicht nur einen Blick für die Details der Arbeit, sondern hat auch einen Überblick über das gesamte Betriebsgeschehen. Zudem ist er geübt im sozialen Umgang mit Menschen und weiß sich selbst als verständnisvoll und umgänglich darzustellen. 130 Diese imaginäre Macht der aktiven Selbsterkenntnis und Selbstzurichtung verbindet sich im Organisationsdispositiv des frühen 20. Jh.s mit einer materiellen Macht, die auf den arbeitenden Körper gerichtet ist (Körpermanagement), und einer symbolischen Macht, welche soziale Bedeutungen vermittelt und die Subjekte an diese sozialen Bedeutungen und zugehörige sinnhafte Praktiken bindet (Management von Bedeutungen). Das Organisationsdispositiv der westlichen Moderne stand ganz im Zeichen von Rationalisierungsbestrebungen. Diese werden im Folgenden aus einer Machtperspektive analysiert. Macht wird auf diese Weise wieder in die Organisationswissenschaften eingeführt und es wird untersucht, wie sie im Zuge der Entwicklung des Managements Schritt für Schritt durch ein scheinbar machtfreies Konzept von Rationalität ersetzt wurde. Der arbeitende Mensch als Subjekt bzw. Produkt der Macht steht hierbei im Vordergrund. 4.2.1 Materielle Macht: „Körpermanagement“ Das sich Anfang des 20. Jh.s durchsetzende Organisations- und Managementverständnis richtet seine Bemühungen zunächst vor allem auf die effiziente Nutzung des menschlichen Körpers. Aus diesem Grund können die ersten Rationalisierungsbestrebungen als materielle Machtformen verstanden werden, da die Macht sich wie beschrieben auf die Formung des Körpers konzentriert. Materielle Machtformen wirken bereits in der Fabrik des 18. und 19. Jh.s. Ähnlich wie bei Friedrich Nietzsche, bei dem ein moralisches Individuum erst herangezüchtet werden musste, entsteht durch die Einschließung der Arbeit in der frühen Fabrik des 18. und 19. Jh.s ein an bürgerlichen Tugenden wie Berechenbarkeit, Diszipliniertheit und Rationalität orientiertes Subjekt.131 Der Organisation von Arbeit liegt hier bereits die abstrakte Vorstellung zugrunde, „der Kapitalist habe nach dem Kauf der Ware Arbeitskraft das Recht, sie umfassend zu nützen. Die Realität war aber, daß diese Arbeitskräfte ganz überwiegend den tradierten ökonomischen Verhaltensweisen verhaftet waren und nicht als homo oeconomicus bloß in Kategorien des ‚cash nexus‘ (Ware für Geld) […] dachten. Es war also zuerst einmal not129 Reckwitz, A. (2006): S. 337ff. 130 Vgl. Reckwitz, A. (2006): S. 287. 131 Bis zum 20. Jh. herrschte die Subjektnorm des Bürgertums. Vgl. Reckwitz, A. (2006): S. 109ff.
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wendig, dieses fein ausgeklügelte Fabrik-System durch handfeste Maßnahmen abzustützen, bevor es überhaupt funktionieren konnte.“132
Die Züchtung der Arbeiter geht daher vor allem zu Beginn nicht ohne Gewalt vonstatten. Die frühen Fabrikordnungen machen dies deutlich. Sie beinhalten eher Strafandrohungen als Regeln für die Produktion.133 Hohe Geldstrafen gibt es für unangepasstes Verhalten, für Widersetzung gegen Befehle, für Alkoholgenuss usw. Die Fabrikordnung einer Spiegelfabrik in Neuhaus (Niederösterreich) von 1785 beinhaltet neben Androhungen wie der Konfiszierung des Monatslohnes auch Arreststrafen.134 Körperliche Züchtigung gehörte vor allem für Kinder und Jugendliche zum Alltag in den Fabriken. Diese Machtmittel dienten der Kontrolle, aber auch der Differenzierung von Status. Für die höheren Beschäftigten ergab sich durch die Übernahme von Macht eine höhere Identifikation mit dem Betrieb (imaginäre Macht). Dies war sinnvoll, da es für sie nur wenige direkte Formen der Überwachung und Anweisung gab.135 Auch die Möglichkeit von Aufstiegschancen war hierfür förderlich. Arbeitszwang und Disziplinierung waren grundlegende Elemente der frühen Fabrik. Sie orientierten sich an gesellschaftlichen Vorbildern wie Militär oder staatlicher Bürokratie. Ziel war es, eine Organisationsform durchzusetzen, bei der den Arbeitern die Macht über die Planung der Produktion genommen wurde.136 Ihnen wurden dafür möglichst genau umschriebene Tätigkeiten auferlegt, welche sie unter strenger Aufsicht ausführen sollten. Die Internalisierung war schwierig: „In manchen Fällen […] dauerte dieser Prozeß mehrere Generationen, und es ist fraglich, ob er je ganz erfolgreich war.“137 Wie bereits mit Friedrich Nietzsche dargestellt ist die Einfügung in eine Gemeinschaft immer auch eine Einfügung in die Welt der jeweils herrschenden Bedeutungszuschreibungen dieser Gemeinschaft. Während den ersten Arbeitern der Sinn des Arbeitens noch gewaltsam vermittelt wurde, wird die Kopplung von Tat und Sinn später immer mehr als Bedeutungseinheit vermittelt. Der frühe Arbeiter musste jedoch an die neue Arbeitsdisziplin erst gewöhnt werden. Es ging um die „Einordnung in den arbeitsteiligen Produktionsprozess, […] die Unterordnung unter Unternehmer 132 Ehmer, J.; Meißl, G. (1984): S. 38 [Herv. i.O.]. 133 Vgl. Ehmer, J.; Meißl, G. (1984): S. 38. 134 Vgl. Ehmer, J.; Meißl, G. (1984): S. 38f. 135 Hier zeigt sich bereits die Bedeutung einer imaginären Macht, besonders in Bereichen, in denen sich Menschen nur schlecht kontrollieren und im Sinne von Anweisungen führen lassen. 136 Vgl. Ehmer, J.; Meißl, G. (1984): S. 36. 137 Thompson, E. P. (1973): S. 99; Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 154.
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und Aufseher [und] die Gewöhnung an die regulierende Zeiteinteilung.“138 Die Fabrikordnung ist ein Zeichen dieser Disziplinierungsversuche.139 Sie verbindet Anforderungen an bestimmte Verhaltensweisen mit Sanktionen. Bei Nichteinhaltung der Forderungen drohen Strafen wie Entlassung, aber auch körperliche Züchtigung. Fabrikordnungen blieben in einigen deutschen Betrieben bis ins 20 Jh. bestehen. Neben einem zeitlichen Rahmen enthält die Fabrikordnung disziplinierende Vorschriften für das Sozialverhalten am Arbeitsort. Sie beinhaltet genaue Zeitbestimmungen, welche dann durch Zeitmessung mittels Kontrollmarken und Stechuhren überwacht wurden und wies Regelungen für Kündigungen und Umgangsformen auf. Weiterhin wurde zum Beispiel das Verbot festgelegt, sich während der Arbeitszeiten von seinem Arbeitsplatz zu entfernen oder sich mit den Kollegen zu unterhalten. So hieß es in der Fabrikordnung der Baumwollspinnerei Straub & Söhne in Altenstadt aus dem Jahr 1853: „§2. Durch eine Glocke oder durch ein anderes bekanntgemachtes Zeichen wird die Einund Ausgangszeit der Arbeiter angekündigt und nach Belieben der Fabrikvorsteher noch durch einen besonderen Anschlagzettel bekanntgemacht, zu welcher Zeit sich jeder Arbeiter an seinem Arbeitsplatz einzufinden hat. – Es ist jedem Arbeiter verboten, seinen Platz zu verlassen, bevor zum Ausgang und zur Schließung des Fabrikgebäudes das Zeichen gegeben wird [...].“140
Es ging hierbei um die Anordnung der menschlichen Ressourcen. Eine Ordnung der Sichtbarkeit entsteht im Tableau und erlaubt wiederum die Ausübung von Macht. Die Nichtbeachtung der Bestimmungen war unter Strafe gestellt. Die den Arbeitern und Angestellten bei Krupp auferlegte Fabrikordnung enthielt beispielsweise 72 Paragraphen und blieb bis 1967 gültig. Sie beschrieb die Rechte und Pflichten der Angestellten penibel: „Untreue und Verrat muss mit aller gesetzlichen Strenge verfolgt werden ... denn wie aus dem Samen die Frucht hervorgeht und je nach seiner Art Nahrung oder Gift, so entspringt dem Geist die Tat – Gutes oder Böses.“141 Ziel dieser Bestrebungen ist ein diszipliniertes Arbeitssubjekt. Die im 19. Jh. um die Fabriken errichteten Fabrikdörfer weiten die Kontrollmöglichkeiten über das Subjekt aus und sichern neben der Produktions- auch die Reproduktionskraft der Arbeiter. 138 Ehmer, J.; Meißl, G. (1984): S. 34. 139 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 153. 140 gclasen.de. 141 Krupp, A. (1872).
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Schaukasten 2: Auszug aus einer Fabrikordnung aus dem Jahr 1873 „Verhalten in der Fabrik Jeder Arbeiter hat sich treu, ehrlich, fleißig und sittlich zu betragen und den Aufträgen und Anordnungen seiner Vorgesetzten nach allen Richtungen pünktlich nachzukommen. […] Während der Arbeitszeit darf kein Arbeiter ohne Erlaubnis die Fabrik verlassen. Einund Ausgang findet nur an den hierzu bestimmten Stellen statt. Strafbestimmungen Übertretungen der Fabrikordnung, ebenso fehlerhafte Arbeit, Zuspätkommen zur Arbeit werden mit Ordnungsstrafen belegt.“
Quelle: Ruppert, W. (1993): S. 210
Die Vorstellungen über das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber drückt sich beispielsweise bei Krupp durch die Annahme der Natürlichkeit einer absoluten Souveränität durch den Arbeitgeber aus: „Die Arbeitsordnung ist der souveräne Wille des Arbeitgebers, und dieser souveräne Wille des Arbeitgebers beruht auf seinem Eigentumsrecht, ist ein natürlicher Ausfluß seines Rechts als Arbeitgeber, als Eigentümer.“142 Deutlich wird hier, dass das Unternehmen noch bis in das 20. Jh. hinein von direkten materiellen Machtbeziehungen dominiert wurde. Der Arbeitgeber erscheint dabei auch als Eigentümer der Arbeit, als Herr über die menschliche Arbeitskraft. Auch wenn es sich beim Verhältnis zwischen Unternehmer und seinen Angestellten nicht um ein Verhältnis zwischen Herren und Sklaven im direkten Sinne von Friedrich Nietzsche handelt, wird doch deutlich, dass in den Manufakturen und frühen Fabriken ein Machttypus beschrieben wird, der direkt an den Menschen gekoppelt ist und eine andere Person dazu bewegen soll, bestimmte Handlungen auszuführen. Es handelt sich um ein Verhältnis, was sich mit Herrschaft und Gehorsam als sichtbare Macht am besten umschreiben lässt. Es ist jene Form der sichtbaren, durch Zwang und die Durchsetzung des Willens, auch gegen Widerstand gekennzeichneten Macht, die die spätere Organisations- und Managementtheorie vor Augen hat, wenn sie Macht
142 So äußert sich Hanns Jencke im Jahr 1890 (Direktionsvorsitzender der Krupp AG und Vorsitzender des CVDI 1901–1904). Kaelble, H. (1967): S. 55.
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als Konzept zur Beschreibung von Organisationen ablehnt.143 Bis in das späte 19. Jh. hinein gab es kaum formale Managementtechniken. Die Arbeit der Beschäftigten wurden durch „ad-hoc-Methoden“144 koordiniert. Die Formalisierung der internen Kommunikation war bis dahin nicht sehr weit fortgeschritten. Die meisten Firmen wurden direkt durch ihre Besitzer gemanagt, teilweise unterstützt von ausgebildeten Meistern, welche eigenständig arbeiteten. „As in traditional small firms, the foreman managed the workers and the factory manager coordinated the foreman primarily by word of mouth.“145 Zwischen diesen Individuen und zwischen ihnen und den Arbeitern waren der Informationsaustausch sowie Anweisungen und Koordinationsprozesse durch Mündlichkeit geprägt. Schriftliche Kommunikation war auf finanzielle Transaktionen und persönliche Korrespondenz beschränkt. Im Vordergrund stand hier die Kommunikation über größere Entfernungen. Bei beiden Einsatzvarianten schriftlicher Kommunikation handelte es sich noch nicht um formalisierte Managementmethoden zur internen Koordination der Arbeit. Die rationalistische Vernunft des Managements hielt erst im 20. Jh. Einzug in Unternehmen. Dennoch waren die Methoden in Manufakturen und frühen Fabriken bereits Mnemotechniken. Sie konzentrierten sich auf die Einordnung der Arbeiter in den arbeitsteiligen Produktionsprozess und zielten auf die Herstellung eines Gedächtnisses. „Mit Hülfe dieser Art von Gedächtniss kam man endlich „zur Vernunft“! — Ah, die Vernunft, der Ernst, die Herrschaft über die Affekte….“146 Der Mnemonik liegen, mit Friedrich Nietzsche betrachtet, historisch unterschiedliche Methoden zugrunde. „Sie beginnt mit der Marter und der Verstümmelung, führt über die Zeichnung in der Haut und den Spuren im Schnee zur Schrift, darüber hinaus zur Sprache, des weiteren zum Buchdruck, zur Bibliothek, zum Computer und zum Internet. Damit der Mensch ein denkender werden konnte, braucht er ein Gedächtnis, das sich nicht in seinem Inneren angelegt vorfand, das ihn vielmehr von außen überwältigte.“147
In den Manufakturen und frühen Fabriken waren körperliche Züchtigungen und mündliche Befehle üblich, um dem Arbeiter ein „Gedächtnis zu machen“ bzw. 143 „Power as coercive force was a comparatively early conceptualization among sociogists (Weber 1947; Bierstedt, 1950) Later, Blau (1964) emphasized the imposion of will despite resistance.“ Hickson, D.J. et al. (1971): S. 218. 144 Yates, J. (1989): S. 2f. 145 Yates, J. (1989): S. 3. 146 Nietzsche, F. (1987a): II/3. 147 Schönherr-Mann, H. M. (2008): S. 42.
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ihn an die organisierte Arbeitsteilung zu gewöhnen. Eine Untersuchung der Arbeitsverhältnisse aus dem Jahr 1843 beschreibt die Auswirkung der industriellen Produktions- und Arbeitsbedingungen auf die innerbetrieblichen Sozialbeziehungen. Beispielhaft zeigt sich hier die langsame Herausbildung eines leistungsstarken und disziplinierten Arbeitssubjektes. Mit zunehmender Durchsetzung des Fabrikensystems gewöhnten sich die Arbeiter an den geforderten Fleiß und die Folgsamkeit, die sie aufbringen mussten. War es für die ersten Fabrikunternehmer sehr schwer gewesen, selbst durch Lohnanreize, vor allem junge Arbeiter zur Arbeit zu bewegen, so nahm im Verlauf der Durchsetzung des Fabrikwesens die Gewohnheit auf Seiten der Arbeiter zu.148 Es war zunehmend weniger notwendig den betrieblichen Ablauf durch strenge Disziplinarmaßnahmen sicherzustellen. Die Durchsetzung der organisierten Arbeitsteilung erforderte aus dieser Sicht nicht nur die Fähigkeit konkreten Befehlen zu folgen, sondern die Disziplin die Arbeit im Sinne des Arbeitgebers auszuführen. Rationalisierung als Körpermanagement Während man Ende des 19. Jh.s noch einen autoritären Patriarchialismus in Unternehmen vorfand, wird dieser zu Beginn des 20. Jh.s zunehmend durch eine Orientierung auf den Konsens zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ersetzt. Macht wird hier scheinbar durch Rationalität und Wissenschaftlichkeit ersetzt. „Die Disziplinierung am Arbeitsplatz manifestierte sich jetzt […] nicht mehr so personengebunden wie früher in der Gestalt des Aufsehers oder Unternehmers, sondern verdinglicht und quasi objektiv. Die Zwänge wurden jetzt durch die Maschine […] oder die im Arbeits- bzw. Kalkulationsbüro wissenschaftlich ermittelten Akkordsätze vorgegeben – oder zumindest schien dies so zu sein.“149
Die direkte mündliche Anweisung als Form einer direkten Machteinwirkung weicht in diesem Kontext vermehrt einer formalisierten Schriftlichkeit. Sie soll das individuelle Gedächtnis durch ein „organisiertes“ Gedächtnis ersetzen. Die 1920er Jahre markieren den Beginn einer systematischen Anwendung „wissenschaftlichen“ Wissens auf die Analyse und die technische Ausführung der Arbeit sowie den arbeitenden Menschen.150 Diese Entwicklungen waren eingebettet in einen weiteren gesellschaftlichen Kontext. In der Weimarer Republik gab es mehrere treibende Kräfte für eine verstärkte Rationalisierungsbewegung wäh-
148 Vgl. Ehmer, J.; Meißl, G. (1984): S. 49. 149 Ehmer, J.; Meißl, G. (1984): S. 50 [Herv. i.O.]. 150 Vgl. Eidenmüller, B.: SAA 12138, S. 9f.
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rend und nach dem Ersten Weltkrieg.151 Es ging sowohl um ökonomische Effizienz als auch um den politischen Frieden in Deutschland.152 Nachdem Deutschland durch Kriegsfolgen und Reparationszahlungen finanziell belastet war, standen Effizienzbestrebungen im Vordergrund. Neue Rechtsregelungen wie die Einführung des allgemeinen Wahlrechtes oder aber die Durchsetzung der Pressefreiheit hatten zur Folge, dass die vorhergehenden herrschaftlichen Strukturen in Deutschland in Frage gestellt wurden. Sozialpolitische Errungenschaften wie Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer, aber auch die Durchsetzung des achtstündigen Arbeitstages führten zu Ängsten auf Seiten der Unternehmer, dass auch sie zunehmend an Macht gegenüber den Arbeitnehmern verlieren würden. Die Demokratisierungsbewegungen machten es für Unternehmer jedoch schwierig, bei der Durchsetzung ihrer Interessen gewaltsame Mittel wie körperliche Züchtigung anzuwenden. Stattdessen konzentrierten sich Unternehmer bereits zu Beginn des 20. Jh. zunehmend auf die Herstellung einer Einigung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen. Die Rationalisierung war ein geeignetes Mittel hierfür, da sie auf der Basis objektiver wissenschaftlicher Mittel der Arbeitsgestaltung ökonomische Effizienz mit der Zufriedenheit der Arbeiter zu verbinden versprach. Eine neue gesellschaftliche Ordnung auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse sollte nicht nur ökonomische Effizienz hervorbringen, sondern auch Klassenkonflikte eindämmen. Es wird unmittelbar deutlich, dass hier nicht nur materielle, sondern vor allem auch symbolische Machtverhältnisse im Sinne der Vermittlung sozialer Bedeutungen und zugehöriger sinnhafter Praktiken eine Rolle spielen, an die die Subjekte gebunden werden. Über die Durchsetzung von bestimmten Bedeutungen wird der Zugang zur sozialen Ordnung, der Organisation, hergestellt. Zunächst geht es jedoch primär um die Zurichtung des Körpers. Dies drückt sich für Deutschland in einer technischen und organisatorischen Rationalisierung aus.153 In den 1920er Jahren wurden in Deutschland zunehmend arbeitswissenschaftliche Konzepte in die moderne Organisation eingeführt. Wissenschaftliches Management kann dabei als ein neuer Machtdiskurs in Organisationen betrachtet werden, auch wenn Macht von den Theoretikern dieser Ausrichtung nicht explizit berücksichtigt wird.154 Jedoch liegen hier die Wurzeln von organisatorischen Machtbeziehungen, wie sie sich bis heute in Unternehmen finden. Es geht hierbei um die Durchsetzung von organisationalen Praktiken als Formen des geregelten Verhaltens. Diese enthalten ein bestimmtes Wissen und konstitu151 Vgl. Kocka (1969): S. 357. 152 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 209. 153 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 210. 154 Vgl. Clegg, S. R.; Courpasson, D.; Phillips, N. (2006): S. 40f.
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ieren Macht.155 Wissen wird hier zum ersten Mal nicht nur auf Werkzeuge, Produkte und Verfahren angewendet, sondern auf das Studium der Arbeitspraxis, auf die Analyse der Arbeit und auf die Technik der Arbeit. Der arbeitende Mensch und sein Körper stehen im Vordergrund einer „wissenschaftlichen“ Auseinandersetzung um Arbeit und den arbeitenden Menschen. Der bekannteste Ansatz stammt von Frederick Winslow Taylor, dessen Werk „Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung“ im Jahr 1913 erstmals ins Deutsche übersetzt wurde.156 Frederick W. Taylor ist eine zentrale Figur für die Auseinandersetzung mit der Organisation der Arbeit. Er steht für die Durchsetzung einer Betriebsführung auf der Grundlage wissenschaftlicher Untersuchungsergebnisse. In Deutschland breitete sich die „Wissenschaftliche Betriebsführung“ nach dem Krieg aus, als man auf vielen Studienreisen in die Vereinigten Staaten sah, welche Erfolge durch den Einsatz des Scientific Management bereits erzielt wurden. Diese mächtige Bewegung der Rationalisierung wurde in Deutschland zunehmend als Aufgabe gesehen, um Qualität zu verbessern und Produkte zu verbilligen.157 In Deutschland fand der tayloristische Diskurs um Rationalisierung schnell volle Anerkennung, wobei jedoch die Anpassung an spezielle nationale Gegebenheiten betont wurde. Der Diskurs um Rationalisierung verbindet sich in Unternehmen daher zügig mit Reorganisationsmaßnahmen durch gezielte Managementpraktiken. In diesem Zusammenhang kommt es zur Durchsetzung eines neuen Organisationsdispositivs. Frederick W. Taylor beschäftigt sich selbst nicht explizit mit Macht.158 Dafür entwickelt er Managementpraktiken, die die Art und Weise, wie Macht in Organisationen wirkt, verändert haben. Vor allem aber trägt er zur Legitimierung dieser Machtverhältnisse bei. Im Vordergrund steht bei Frederick W. Taylor das Management des Körpers.159 Der Arbeiter wird vom Management als Körper wahrgenommen, den es zu rationalisieren gilt. Es geht um die Produktion von Arbeitern als präzise Werkzeuge. Dafür wird der Arbeitsprozess mithilfe wissenschaftlicher Verfahren in kleine Teile zerlegt. Im Vordergrund stand die Anwendung von objektivem wissenschaftlichen Wissen durch den Manager. Ziel war es die Produktivi155 Die Organisationsforschung hat bisher mit dem Konzept der Routine argumentiert. Es handelt sich dabei um einen individuellen und wiederholbaren Regelvollzug. Mit dem Begriff der organisationalen bzw. sozialen Praktik wird dieses Konzept erweitert. Hiermit rücken die Kontextgebundenheit und die historische Bedingtheit von Handlungen in den Mittelpunkt. Vgl. Geiger, D.; Koch, J. (2008): S. 693f. 156 Vgl. Taylor, F.W. (1913/1995). 157 Vgl. Eidenmüller, B.: SAA 12138, S. 69f. 158 Vgl. Clegg, S.R.; Courpasson, D.; Phillips, N. (2006): S. 13. 159 Vgl. Clegg, S.R.; Courpasson, D.; Phillips, N. (2006): S. 66.
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tät der Arbeit und damit die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens zu steigern.160 Das Management unterteilte die Prozesse in einzelne Arbeitsschritte und wies den Arbeitskräften ihren Platz zu. Arbeit wurde damit dahingehend von subjektiven Einwirkungen befreit und objektiviert.161 Menschen waren ähnlich den Produktionsfaktoren Teil einer umfassenden Maschinerie.162 Mit diesen Arbeitsformen entstand ein bestimmtes Menschenbild. Der Mensch wurde als faul angenommen und ließ sich scheinbar nur durch finanzielle Anreize zur Arbeit motivieren.163 Disziplin und strenge konkrete Regeln sollten der Faulheit entgegen wirken.164 Selbstverwirklichung war in dieser Ordnung nicht vorgesehen. Arbeits- und Zeitstudien dienten der Sichtbarmachung und Normierung von konkreten Körperbewegungen.165 Die Normierung und hohe Arbeitsteilung ermöglichte eine hohe Leistungsfähigkeit, auch bei ungelernten Arbeitern. Managementpraktiken lagen damit vor allem in der Anleitung, Organisation, Planung und Kontrolle der arbeitenden Körper unter Einhaltung konkreter Regeln, sowie das reibungslose Funktionieren der Gesamtorganisation. Die Nähe zu den Disziplinen, wie sie Michel Foucault beschreibt, wird hier deutlich.166 Das Management des Körpers besteht analog zu dem, was Michel Foucault als die Vermenschlichung der Strafe bezeichnete, zunehmend aus der Idee, Wissen über den Körper zu produzieren (Repräsentation), dieses Wissen in einer Ökonomie des Körpers einzusetzen167 (Intervention) und den Körper Prüfungen zu unterwerfen (Kontrolle). 168 Auf diese Weise wurde es möglich, direkte körperliche 160 Vgl. Güldenberg, S. (2001): S. 170f. 161 Vgl. Richter, N. (2009): S. 52ff. 162 Peter Drucker zufolge ist der Maschinenmensch „das schwachsinnige Kind des Rationalismus des achtzehnten Jahrhunderts“ Drucker, P. (1950): S. 264. 163 „Das stillschweigende oder offene Übereinkommen der Arbeiter, sich um die Arbeit zu drücken, d.h. absichtlich so langsam zu arbeiten, daß ja nicht eine wirklich ehrliche Tagesleistung zustande kommt […], ist in industriellen Unternehmungen fast allgemein gang und gäbe.“ Taylor, F.W. (1913/1995): S.12. 164 Vgl. Taylor, F.W. (1913/1995): u.a. S. 18, S. 28–30. 165 Während der 1890er Jahre begann Taylor mit der Buchführung über das Verhältnis von Zeit und Bewegung innerhalb der Fabrik. „Ausgerüstet mit einem ‚watch book‘, einer in einem Hohlbuch versteckten Stoppuhr, verfolgten die Kontrolleure die einzelnen Gesten der Arbeiter. Im Jahre 1911 ließ der Ingenieur seine bei der Organisation arbeitsteiliger Produktion gesammelten Erfahrungen in die Principles of Scientific Management einfließen.“ Mattelart, A. (2003): S. 37 [Herv. i.O.]. 166 Vgl. Foucault, M. (1994a). 167 Vgl. Clegg, S. R.; Courpasson, D.; Phillips, N. (2006): S. 67. 168 Vgl. Foucault, M. (1994a): S. 220ff.
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Straf- und Gewaltpraktiken in Organisationen zu vermeiden und durch eine indirekte und weniger spürbare/sichtbare Macht zu ersetzen. Praktiken des Körpermanagements in Organisationen wurden im Managementdiskurs aufgegriffen und zu Beginn des 20. Jh.s entstanden die ersten Wahrheiten über Arbeit und Organisation. Repräsentation, Intervention und Kontrolle sind ein geeigneter Rahmen, um beispielhaft zu beobachten, wie sich ein materielles Verständnis von Organisation und Management im 20. Jh.s sowohl in der Praxis als auch im Diskurs herausbildete und reproduzierte. Repräsentation des arbeitenden Körpers durch den hierarchischen Blick Mit dem hierarchischen Blick sollen Individuen in Organisationen sichtbar gemacht werden, ohne dass die Beobachtungseinrichtung dabei selbst als Machtinstanz spürbar bzw. sichtbar ist. Eine maximale zeitliche und örtliche Überwachung wird dadurch gewährleistet. Diese Technik arbeitet mit dem Wissen der Individuen, dass sie sichtbar sind. Statt einer rein panoptischen Architektur wird im modernen Unternehmen hierfür eine formale Hierarchie aufgebaut, die jedoch nach der Logik des Panoptismus funktioniert. Ein bedeutendes Prinzip des Taylorismus ist die Hierarchisierung der Beschäftigten.169 Er unterteilt die Gruppe der Arbeitnehmer analog zur Descartschen Trennung von Körper und Geist in ausführende und anweisende Kräfte. Damit wird ein aktives beobachtendes Subjekt geschaffen und ein passives beobachtetes Subjekt. Es entsteht eine Machtbeziehung.170 Macht ist jedoch nicht an Personen gebunden, sondern wird durch (größtenteils schriftlich) formalisierte Regeln und Routinen vertreten. Diese gelten für alle Beschäftigten und auch für den Beobachter, also den Meister oder Ingenieur selbst. So hatten die Prinzipien der Disziplinierung und Überwachung auch für die Angestellten (z.B. in technischen Büros oder im Arbeitsbüro) Geltung. Die Rationalisierung in Deutschland konzentrierte sich aber zu Beginn vor allem auf die Reorganisation der traditionellen Arbeits- und Werkstattorganisation.171 Frederick W. Taylor sah als wünschenswerte Einrichtung dafür ein Ar169 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 212. 170 Vgl. Townley, B. (2008): S. 70f. 171 Vgl. Eidenmüller, B.: SAA 12138; „Es ist der unbestreitbare Verdienst F. W. Taylors, mit seinen ‚Principles of Scientific Management‘ auf die Notwendigkeit einer gut durchdachten Organisation bei industriellen Produktionsprozessen hingewiesen zu haben. Die Bedeutung von exakten Abstimmungen der Produktionskapazitäten und Produktionszeiten ist sicher schon früher und von anderen erkannt worden. Selbst Handwerksbetriebe konnten nie darauf verzichten, ihre Arbeit – mindestens
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beitsverteilungsbüro bzw. eine Dispositionsabteilung und Instruktions- bzw. Anweisungszettel für die Arbeiter vor.172 In der ersten Rationalisierungsphase wurden in Deutschland ca. von 1900 bis 1914 in Unternehmen Büros aufgebaut, in welchen die Ingenieure die Werkstattplanung, Kalkulation und Lohnbestimmung übernahmen. Ingenieure bestimmten zunehmend über die Einteilung der einzelnen Arbeitsschritte173, was zuvor dem Meister oblag. Mit der Herausbildung der frühen Fabrik war in der Werkstatt zunächst eine funktionelle Hierarchie entstanden. Der Meister hatte die technisch-fachliche Aufsicht über die Arbeit in der Werkstatt und entschied über Einstellung und Entlassung der Arbeiter. 174 In der handwerklichen Tradition erhielt der Meister seine Autorität durch seine berufliche Qualifikation. Der Meister besaß daher auch die Entscheidungsgewalt über den Einsatz von Materialien und Werkzeugen und war für technische Innovationen zuständig. Mit der Einführung zentraler Büros übernahmen jedoch Ingenieure diese Aufgabe. Ingenieure koordinierten die Meister in den verschiedenen Abteilungen, sammelten Informationen über Arbeitsabläufe und trafen übergeordnete Entscheidungen. Damit die Arbeit so durchgeführt werden konnte, wie sie vom Arbeitsbüro geplant war, werden Arbeitsunterweisungen er-
gedanklich – vorzubereiten. Taylor forderte aber als erster und unter dem Eindruck der unübersichtlich werdenden Fabrikationsprozesse, die Institutionalisierung von Funktionsmeistern. Diese waren Spezialisten in je einem engen Tätigkeitsbereich. […] Einer der Funktionsmeister […] war für den Arbeitsfortschritt verantwortlich. Er hatte dafür zu sorgen, dass die einzelnen Arbeitsplätze ohne Unterbrechung mit dem erforderlichen Material, den benötigten Werkzeugen und die Arbeiter mit den benötigten Anweisungen fristgerecht versorgt wurden. Die Koordination der in verschiedenen Abteilungen für den Arbeitsfortschritt zuständigen Funktionsmeister forderte eine übergeordnete Stelle, wo Informationen über den Arbeitsablauf gesammelt und Entscheidungen bei an den Abteilungsgrenzen auftretenden Zweifelsfragen getroffen werden konnten. Aus der Zentralstelle der Funktionsmeister entstand die ‚Institution‘ Arbeitsvorbereitung.“ Kortzfleisch (1968) zur 50sten Jubiläumsveranstaltung des Ausschußes für wirtschaftliche Fertigung (AWF), Vgl. Eidenmüller, B.: SAA 12138, S. 69-70. 172 Vgl. Taylor, F.W. (1913/1995): S. 130–131. 173 Dies beinhaltete beispielsweise grafische Arbeitspläne, welche in genau durchdachter Weise den Prozess der Arbeit, den Ort der Bearbeitung, die aufgewendete Arbeitszeit und den Arbeitslohn festlegten. Frenzel Plattner stellt dies für das Transformatorenwerk von Siemens dar. Frenzel Platter (1921/1922): ZW-Chronik, S. 175. Vgl. Eidenmüller, B.: SAA 12138, S. 72ff. 174 Vgl. Kocka, J. (1981a): S. 29.
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arbeitet und den Meistern und den Arbeitern ausgehändigt.175 Das Arbeitsbüro wird damit zur zentralen Produktionseinrichtung. Der Meister verliert für die Planung der Arbeitsvorgänge an Bedeutung. „Nicht nur der Arbeiter, sondern auch der Meister leistete nun klar fremdbestimmte Arbeit. Die Möglichkeiten seines Verhaltens waren so eingeengt, dass einzelne Ordres gar nicht mehr nötig waren, wenn der Prozess einmal in Gang gesetzt war. Niemand herrschte konkret, die Herrschaft verbarg sich im Geschäftsvorgang. Durch die zunehmende Trennung von Hand- und Kopfarbeit, von Konstruktion und Produktion, von produktionsvorbereitenden Büros und produktionsausführenden Werkstätten haben die Meister die technologische Initiative verloren, andererseits aber in der Verwaltung und als Vermittler zwischen Unternehmer und Arbeiter hinzugewonnen.“176
Diese Enteignung und Konzentration von Wissen und Entscheidungsgewalt durch die Zentralisierung im oberen Bereich der Hierarchie ist gleichbedeutend mit einer Verlagerung der Macht in das zentrale Arbeitsbüro. Die Rolle des Meisters und seine Beziehung zu den Arbeitern veränderten sich durch die Einführung von zentralen Büros ebenfalls. So unterstrich Frederick W. Taylor, dass das „‚Spezial- oder Funktions- Meistertum‘ als Ersatz für die weit unvorteilhafteren, althergebrachten Einzelmeister“ dienen sollten.177 Der frühere Meister gab in enger Zusammenarbeit sein Fachwissen an die ihm Unterstellten weiter. Observation und Beobachtung der Arbeiter zählte nicht zu seinen vordergründigen Aufgaben. Dies ändert sich jedoch mit dem im Taylorismus eingeführten zentralen Arbeitsbüro. Der Arbeiter ist für den Einzelmeister ein Subjekt, mit dem man Wissen teilte, während der Funktionsmeister den Arbeiter als ein Objekt betrachtete, über das es ein Wissen herzustellen galt.178 Aus dem Meister wird somit ein Manager, dessen Hauptaufgabe in der Beobachtung der menschlichen Arbeitskraft besteht. Der hierarchische Blick führt hier dazu, dass es immer schon einen Experten gibt, welcher über ein Objekt urteilt. Das Verhältnis zwischen Manager bzw. Funktionsmeister und Arbeiter ist nicht vergleichbar mit dem Verhältnis zwischen Meister und Arbeiter. Der Arbeiter ist in dieser Konstellation primär ein Fall. Ein Experte, der Manager, welcher dafür ausgebildet ist, beschäftigt sich mit diesem Fall. Er beobachtet, führt, berät, deutet, kontrolliert, misst, maßregelt und ordnet seine „Objekte“. Der Funktionsmeister erhält von den Betriebs175 Vgl. Eidenmüller, B.: SAA 12138, S. 72ff. 176 Die Auswirkungen der von Carl Dihlmann eingesetzten Methoden in den SiemensSchuckertwerken ab 1903. Eidenmüller, B.: SAA 12138, S. 44. 177 Taylor, F.W. (1913/1995): S. 139. 178 Vgl. Jacques, R. (1996): S. 117.
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ingenieuren und der Unternehmensführung Leitlinien zur Führung der Arbeiter.179 Neu war in den 1920er Jahren nicht die Rationalisierung der Fertigung allein, sondern vor allem die Einrichtung einer zentralen Verwaltung, welche diese Rationalisierung übernahm. Erst das Zusammenspiel einzelner Rationalisierungsmaßnahmen durch die zentrale Steuerung und Kontrolle im Arbeitsbüro führte zu einer Stringenz in der Reorganisation der Arbeit. Die betriebliche Praxis vollzog in den 1920er Jahren eine allmähliche Umstellung von der ursprünglichen eher empirischen Methode auf die objektive und wissenschaftlich analytische Methode im Sinne der Rationalisierungsbewegung.180 Durch die Zentralisierung des Schreibwesens in den Arbeitsbüros wurden die Meister größtenteils von Schreibarbeiten befreit.181 An zentraler Stelle wurde fortan das Wissen über Arbeit und Beschäftigte aufgeschrieben, in Übersichten und Tableaus festgehalten und durch Experten analysiert.182 Der Mitarbeiter als an zentraler Stelle schriftlich fixierter Fall wurde zu einer eigenen Wahrheit, welche organisationale Verhältnisse bestimmte. Was nicht festgehalten wird oder in vorgegebene Kategorien passt, ist entsprechend nicht wahr. Interessant sind für zentrale Stellen vor allem Informationen, die sich messen, abbilden, vergleichen und analysieren lassen wie Intelligenzquotient, Abschlüsse, Testergebnisse, Zeit, die man mit bestimmten Techniken und Geräten verbracht hat usw. Deutlich wird hier auch die Fokussierung auf Zahlen und Berechenbarkeit. Quantitative Repräsentationen werden mit dem modernen Management äußerst mächtig.183 Was nicht quantifizierbar ist, fällt aus dem Raster der Bewertung, Beurteilung und Speicherung und geht somit nicht in die organisatorische Realität ein. Es handelt sich hierbei also um Techniken der Repräsentation und gleichermaßen Produktion von Subjekten als Objekte, welche organisatorische Welten und Wahrheiten produzieren. Roy Jacques weist darauf hin, dass die Managementfähigkeiten von Frauen, welche sich diese während ihrer Erziehungszeiten oder im Haushalt angeeignet
179 Beispielsweise enthalten die Arbeitsordnungen vom Wernerwerk bereits Rechte der Arbeiter und Pflichten der Meister, welche dazu dienen, die Arbeiter „mit gebührlichem Ton“ zu behandeln. Laut einem Protokoll der Vorstandskommission waren dadurch die Beschwerden von Arbeitern über Meister „milder“ geworden. Ernst, S.: SAA 49/Lb 445. 180 Vgl. Eidenmüller, B.: SAA 12138, S. 69ff. 181 „In den Meistereien erfolgt mit Ausnahme der Erstfertigungs-Aufträge keine Ausschreibung von Lohn- und Arbeitszetteln mehr.“ Eidenmüller, B.: SAA 12138, S.88. 182 Vgl. Jacques, R. (1996): S. 117f. 183 Vgl. Townley, B. (2008): S. 70.
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haben, kaum in diesen Raum der Wahrheit eingehen.184 Da diese (Aus-) Zeiten nicht gemessen werden, können sie entsprechend auch keinen Eingang in die organisatorische Realität finden. Mit der erhöhten Quantifizierung geht das Besondere und Spezielle tendenziell verloren und weicht stattdessen dem Allgemeingültigen und Universellen.185 Körperinterventionen durch die normierende Sanktion „Der bei der Auswertung von Zeitaufnahmen einzusetzende ‚Leistungsgrad‘ des (beobachteten Menschen) stellt insofern einen Normierungsfaktor dar, als er ermöglicht, die sich ergebende Vorgabezeit auch auf andere als den beobachteten Arbeiter zur übertragen, wie das hinsichtlich der Arbeitsbedingungen durch normierende Festlegung der Werkzeuge […] möglich wird.“186
Die „Wissenschaftliche Betriebsführung“ enthält noch einen weiteren wichtigen Aspekt: Das Studium der Arbeitszeiten und deren Aufteilung – sowie damit zusammenhängend – deren Normierung. Hauptaufgabe des Arbeitsbüros war es, Zeitstudien und auf der Basis der Normalisierung eine „Wissenschaftliche Betriebsführung“ durchzusetzen. Dafür ermittelte es Zeitnormen und Akkordzeiten. „Nur von den Verrichtungen und den dazu verfügbaren Hilfsmitteln, nicht aber von dem einzelnen Arbeiter abhängende Vorgabezeiten waren und sind eine Voraussetzung für die Organisierbarkeit von Produktionsprozessen mit mehreren aufeinanderfolgenden Operationen und Fertigungsstufen. Da die Ergebnisse von Arbeits- und Zeitstudien außerdem […] Grundlagen für die leistungsgerechte Entlohnung sind, müssen sie mit großem Sachverstand, Takt und mit aller nur möglichen Sorgfalt ausgeführt werden.“187
Der Zeitaufwand für bestimmte Tätigkeiten sollte auf diese Weise vorab kalkulierbar gemacht werden. Zeitstudien haben eine doppelte Funktion: Sie ermitteln Zeitnormen und sorgen für deren Einhaltung, indem sie diese Normen als Grundlage für materielle Belohnungen (insb. Entlohnung) ansetzen (Sanktion). Materielle Belohnung erfolgt, wenn der Beschäftigte die Zeitvorgaben einhält bzw. im Sinne der Organisation handelt. Belohnung oder Bestrafung richten den normalen Arbeiter an der im Voraus gesetzten Norm aus. Höhere Löhne werden gezahlt für eine intensivere Arbeitsleistung. Motivation und Kontrolle sind hier miteinander verbunden. 184 Vgl. Jacques, R. (1996): S. 118. 185 Vgl. Townley, B. (2008): S. 70f; Vgl. Toulmin, S. (1994): S. 60f. 186 Kupke, E. (1940): SAA 10508. 187 Eidenmüller, B.: SAA 12138, S. 69-70.
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Darüber hinaus stellt diese Lohnform ein „wissenschaftliches“ Verhältnis zwischen Entgelt und Leistung her und sichert durch diese „objektive Größe“ den Frieden zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber bzw. zwischen Arbeit und Kapital.188 Schließlich liegt es beim Arbeiter selbst, ob er den richtigen Lohn für die richtige Arbeit erhält. Diesem Vorgehen liegt eine Subjektvorstellung zugrunde, bei der der Mensch nach dem Grundsatz des größten Gewinns handelt und durch äußere Anreize zum Handeln bewegt werden muss. Der Arbeiter hat den Wunsch nach einem hohen Lohn und muss daher durch eine direkte örtliche und zeitliche Überwachung und Kontrolle zur Arbeit gebracht werden. Der Arbeitgeber wünscht geringere Herstellungskosten, weshalb eine Effizienzsteigerung insgesamt notwendig ist. Effizienz wird nicht erzielt durch eine direkte Machteinwirkung, also durch die direkte hierarchische Überwachung, sondern durch die Ausübung von Expertenwissen und überlegener Macht auf der Basis wissenschaftlicher Kenntnisse.189 Der Arbeiter als Fall ist Gegenstand der Verbesserung und Anpassung anhand wissenschaftlicher Methoden. Subjektivität soll vollständig durch Objektivität ersetzt werden.190 Es geht dabei um die Erreichung einer Norm, die man weder unter- noch überschreiten sollte.191 Die normierende Sanktion ist korrigierend und körperformend. Zeitstudien dienten dazu, Zeitnormen „für Teilarbeiten, Griffe und Griffelemente“ 192 aufzustellen, die Gültigkeit für alle Betriebe haben sollen. Mit der Einführung „rationalisierter Abläufe“ sollten „überflüssige Elemente“ ausgeschaltet werden.193 Die Arbeitszergliederung, die Trennung dispositiver und ausführender Arbeit und die strikte Kontrolle durch das Management sind eine Voraussetzung für Produktivitätssteigerung und Effizienz. Die Normalität wirkt aber nicht nur homogenisierend, sondern auch individualisierend, weil sie Unterschiede feststellt, Abstände durch Ränge bestimmt und sich Unterschiede zwischen den Einzelnen zunutze macht bzw. ökonomisiert.194 Sie ist daher an der Produktion von Individualität beteiligt, indem sie Einzelne beurteilt, einstuft, verzeichnet und auf dieser Basis bestraft oder belohnt. Kennzeichnend für den Taylorismus ist die „‚Normalisierung aller Werkzeuge und Geräte‘ in den verschiedenen Gewerben und ebenso aller Handgriffe 188 Vgl. Türk,K.; Lemke,T.; Bruch, M. (2006): S. 211; Vgl. Eidenmüller, B.: SAA 12138. 189 Vgl. Jacques, R. (1996): S. 116. 190 Vgl. Kupke, E. (1940): SAA 10508. 191 Vgl. Jacques, R. (1996): S. 114. 192 Homburg, H. (1991): S. 293. 193 Vgl. Homburg, H. (1991): S. 296. 194 Vgl. Schmidtke, A. (2007): S. 49.
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oder Bewegungen der Arbeiter für jede Arbeitsgattung“195. Die in den Zeitstudien gemessene Leistung des „Durchschnittsarbeiters“ galt auch in Deutschland als Maßstab für die Bestimmung der Zeiten und für die Leistungseinschätzung von anderen Arbeitern. 1924 erschien ein Lehrbuch von Kurt Hegner zu Zeitstudien: „Lehrbuch der Vorkalkulation von Bearbeitungszeiten“.196 Mit ihm setzten sich vier Verfahren durch, um Stückzeiten zu ermitteln: „Schätzen in Form einer rohen Rechnung, Vergleichen unter Benutzen von Tabellen oder Graphiken, Erfahrungswerte aufgrund systematischer Beobachtung und schließlich ‚exakte‘ Messung durch Zeitstudien.“197 Das erlangte Wissen gelangt in die Hände des Managements bzw. wird in Managementhandbüchern festgehalten und dient als Ausgangspunkt für die Normalisierung des arbeitenden Körpers. Die durch langjährige Erfahrung erworbenen individuellen Fähigkeiten werden mithilfe von Zeitund Bewegungsstudien vom Gedächtnis der Individuen losgelöst im „Gedächtnis“ der Organisation verankert und dauerhaft gemacht.198 Neben mit Frederick W. Taylor beschäftigten sich weitere Managementforscher mit der Normalisierung durch Zeitstudien und deren Durchsetzung mithilfe des Leistungslohnes. Dazu zählten u.a. Henry L. Gantt199 (Beiträge zur Leistungslohnfrage) und das Ehepaar Gilbreth200 (Zeit- und Bewegungsstudien). Nach Frank Gilbreth ist „das große Problem, dem die industrielle Welt gegenübersteht, […] die Ausmerzung der Verschwendung, die Erhaltung aller Fähigkeiten und die Herabsetzung der Kosten durch Leistungssteigerung, Auswahl und Anpassung von Arbeitern, von Material, Ausrüstung und Arbeitsverfahren“201. Frank Gilbreth traf Frederick W. Taylor 1907 in der „New York Engineering Society“ persönlich und nahm Unterricht bei ihm. Frank Gilbreth und seine Ehefrau Lillian, die selbst Psychologin war, waren wichtige Vertreter des Taylorismus.202 Sie wollten mit Messgeräten physische Prozesse wie Herzschläge, Muskelkontraktionen und Bewegungen abbilden.203 Die Gilbreths konzentrierten sich dafür auf die Eliminierung überflüssiger Bewegungen und wollten effiziente Arbeitsabläufe finden. Sie waren auf der Suche nach dem „one best
195 Taylor, F.W. (1913/1995): S. 139. 196 Vgl. Hegner, K. (1924); Vgl. Homburg, H. (1991): S. 294. 197 Homburg, H. (1991): S. 295; Vgl. Hegner, K. (1924): S. 21ff. 198 Vgl. Yates, J. (1989): S. 11. 199 Vgl. u.a. Gantt, H.L. (1919). 200 Vgl. Price, B. (1992): S. 58ff. 201 Kurt Pentzlin (1963) festgehalten von Eidenmüller, B.: SAA 12138, S. 70. 202 Vgl. Karsten, L. (1996): S. 51. 203 Vgl. Clegg, S.R.; Courpasson, D.; Phillips, N. (2006): S. 55.
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way“ bzw. wollten Körperbewegungen perfektionieren. Dabei beschäftigten sie sich besonders mit dem Thema Ermüdung. „The prevailing theory of the period was that fatigue was caused by a toxin generated by physical exertion and released in the blood. Every motion caused fatigue; hence any elimination of motions reduced fatigue.“204
Die Perfektionierung der Körperbewegungen sollte Ermüdung verhindern. Nach Experimenten erstellte Frank Gilbreth eine Liste mit elementaren Bewegungen wie „‚search‘, ‚select‘, ‚transport loaded‘, ‚position‘, ‚hold‘“205, welche als schriftliche Instruktion Arbeitern zur Verfügung gestellt werden sollte. Die Dauer einzelner Bewegungen war von entscheidender Bedeutung. Frank Gilbreth war sich schnell der Probleme von Bewegungs- und Zeitstudien bewusst. Er sah, dass das menschliche Auge nicht in der Lage war, Bewegungen akkurat zu messen und aufzuzeichnen. Auch das Medium der Schriftlichkeit genügte nicht mehr zur Speicherung komplexer Bewegungsabläufe. 1910 setzte Frank Gilbreth erstmals bewegte Bilder ein, um die Arbeitsbewegungen zu messen und zu optimieren. 1911 schrieb er: „The stereoscopic camera and stereoscope, the motion picture machines, and the stereopticon enable us to observe, record, and teach as one never could in the past“206. Frank Gilbreth verbrachte 1913 und 1914 in Deutschland in der Auergesellschaft (Teil der Allgemeinen ElektrizitätsGesellschaft-AEG).207 „The exact nature of Gilbreth's work and his relations with his client remain a mystery, but Walther Rathenau, the head of AEG, and Wichard von Moellendorff, one of its key manufacturing executives, were among the most influential promoters of scientific management in Germany during the following decade.“208
Frank Gilbreth hatte somit einen persönlichen Einfluss auf die Einführung der wissenschaftlichen Betriebsführung in Deutschland. Die Einführung von Zeitstudien diente der Erhöhung der Effizienz der Arbeit im Sinne des Unternehmens. Hierfür verantwortlich waren Ingenieure und Manager. So schrieb Frederick W. Taylor:
204 Karsten, L. (1996): S. 51. 205 Karsten, L. (1996): S. 51. 206 Gilbreth, F. (1911/1921): S. 103; Vgl. Karsten, L. (1996): S. 51. 207 Vgl. Nelson, D. (1992): S. 18. 208 Nelson, D. (1992): S. 18.
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„It is only through enforced standardization of methods, enforced adoption of the best implements and working conditions, and enforced cooperation that this faster work can be assured. And the duty of enforcing the adoption of standards and of enforcing this cooperation rests with the management alone.“209
Mit dem erlangten Wissen sollte eine ökonomisch effiziente Arbeitsdisziplin in Unternehmen installiert werden. Mithilfe der Aufteilung der Arbeit in einfache Teilabschnitte war es möglich, dass auch ungelernte Arbeiter ihre Arbeit bereits nach kurzer Zeit beherrschten.210 Rationalisierungsmaßnahmen brachten die Ablösung des „Universalkünstlertums des Facharbeiters“211 mit sich und ersetzten es durch die „Kunst, auch mit schlechten Arbeitern gute Sachen zu machen“.212 Durch die im Büro durchdachte und schriftlich niedergelegte Gestaltung von Arbeitsprozessen und Arbeitsplätzen war eine produktivere Produktion möglich, als wenn jeder Arbeiter seine Arbeit individuell planen und auszuführen hätte.213 Im wissenschaftlichen Management übernahm das Arbeitsbüro alle Planungs-, Vorbereitungs- und Inspektionsarbeiten. Die Arbeitszeit wurde verringert durch Studien der Arbeit, Maschinen und Werkzeuge. Die auf wissenschaftlicher Basis erhobene (perfekte) Methode, welche die größte Produktivität versprach, soll dann installiert werden. Es geht darum, den Arbeiter an der neuen Methode auszurichten.214 Normalisierung spielt sich jedoch nicht nur auf den unteren Hierarchieebenen ab, sondern auch bei den Managern selbst. Frederick W. Taylor richtet sich gegen die Auffassung, dass die Großen der Industrie geboren werden und nicht erzogen.215
209 Taylor, F. W. (1998): S. 70; Vgl. Karsten, L. (1996): S. 53 [Herv. i.O.]. 210 Vgl. Eidenmüller, B.: SAA 12138, S. 69ff. 211 Johann Georg Halske (o. J.) in Frenzel, M.; Plattner, H. (1965): SAA 68/Li 83. 212 So äußerte sich Werner Siemens in einem Brief an seinen Bruder Karl in Petersburg. Die ersten Versuche mit Akkordarbeit wurden 1856 durch Werner Siemens durchgeführt. Vgl. Frenzel, M.; Plattner, H. (1965) SAA 68/ Li 83. 213 „Um irgendeine Arbeit […] zu leisten, müssen gewisse Erledigungsstufen aufeinander folgen. Diese sind 1. Die Information, 2. Die Planung, 3. Die Vorbereitung, 4. Die Ausführung und 5. Die Revision. [Vor der Einführung der wissenschaftlichen Methode hatte der Arbeiter keine Hilfe. Das einzige, was er besaß, war […] eine Zeichnung des zu produzierenden Teils.] Der Arbeiter musste sich überlegen, wie er die Arbeit auszuführen hatte, welche Maschinen er benutzen sollte, welche Werkzeuge er benötigte.“ Eidenmüller, B.:SAA 12138,S. 73. 214 Vgl. Taylor, F.W. (1913/1995): S. 125–127. 215 Vgl. Taylor, F.W. (1913/1995): S. 3.
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„Auch ein außergewöhnlicher Mann kann mit Hilfe des alten Systems des persönlichen Regimes nicht hoffen, mit einer Anzahl von Durchschnittsmenschen Schritt zu halten, die, entsprechend organisiert, wirksam zusammenarbeiten.“216
Der normale Durchschnittsmensch wird zum Ideal und Normalisierung findet durch das neue System statt, also durch objektive Regeln. Diese Regeln müssen nicht durch ein bestimmtes Individuum unterstützt werden, sondern sie werden befolgt, weil sie auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen und damit einen Wahrheitsstatus erlangt haben.217 Macht ist durch diese Objektivierung weniger sichtbar, da die Regeln den Status der Wahrheit angenommen haben. Der Wille zum Wissen und der Wille zur Macht erscheinen nicht als personal gebunden. Der Wille zur Macht lässt sich nicht beim Manager verorten, sondern im entpersonalisierten Management und seinen objektiven und rationalisierten Techniken, die sich wesentlich im Medium der Schriftlichkeit manifestieren. Die Ausweitung des hierarchischen Blicks und der normierenden Sanktion auf das Bürowesen und auf die Gesamtgesellschaft Zu Beginn des 20. Jh.s leisten neun von zehn Arbeitern Handarbeit, weshalb sich das Management vorrangig auf die Anwendung von Wissen auf die manuelle Arbeit beschränkt. Bis in die 1950er Jahre stellen die Menschen, die mit der Herstellung und Bewegung von Gütern beschäftigt sind, in allen Industrieländern die Mehrheit. Jedoch steigt bereits in der Rationalisierungsbewegung die Anzahl jener, die im kaufmännisch-organisatorischen Bereich der Unternehmen beschäftigt sind.218 Die Rationalisierung erfasst auch diese Gruppe von Beschäftigten, die mit der Durchsetzung der wissenschaftlichen Betriebsführung zunehmend an Bedeutung gewinnen. „1922 wagte Siemens als erstes Industrieunternehmen den entscheidenden Schritt der Normung im Bürowesen. Neue Organisationsmethoden wurden im kaufmännischen Bereich vorangetrieben.“219 Zwischen 1924 und 1926 erfolgte die Einführung des Lochkartenverfahrens und der Powers- oder Hollerith-)Maschinerie. Siegfried Kracauer beschreibt die rationalisierte Arbeit der niedrigen „Angestellten“ beispielhaft für die kaufmännische Abteilung einer modernen Fabrik in Berlin: „Eine Menge von Mädchen ist gleichmäßig im Saal der Powers-Maschinen verteilt, locht Karten und schreibt. Die Powers-(oder die Hollerith-) Maschinerie, die zu Buchungen und 216 Taylor, F.W. (1913/1995): S. 4. 217 Vgl. Jacques, R. (1996): S. 116. 218 Vgl. Eidenmüller, B.: SAA 12138: S. 14; Vgl. Reinstaller, A.; Hölzl, W. (2009). 219 Eidenmüller, B.: SAA 12138, S. 112.
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zu allen möglichen statistischen Zwecken verwandt wird, vollbringt auf mechanischem Wege Leistungen, zu deren Bewältigung es früher der nie mit automatischer Sicherheit funktionierenden Kopfarbeit und einer ungleich längeren Dauer bedurft hatte.“220
Auf der Karte sind betriebliche Daten in Zahlen dargestellt. Sie werden gelocht und enthalten damit die Information bzw. den Buchungsvorgang in Lochschrift. Wenn die Karten fertig sind, gelangen sie zu den Sortier- und Tabelliermaschinen. Die Organisation der Abläufe hat nach Aussage des kaufmännischen Direktors neun Monate gedauert. Er betont, dass im Fall, dass er selbst krank werden würde, sofort ein anderer einspringen könne, da alle Arbeitsvorgänge für den Maschinensaal bis auf die Minute genau in einem Handbuch eingetragen sind. Vor allem Großbetriebe und Großbanken haben laut Siegfried Kracauer auf Maschinenarbeit im kaufmännischen Bereich umgestellt. Ziel ist die Rationalisierung der Büroarbeit im Sinne des Reichskuratoriums für Wirtschaftlichkeit, also „die Anwendung aller Mittel, die Technik und planmäßige Ordnung bieten, zur Hebung der Wirtschaftlichkeit und damit zur Steigerung der Gütererzeugung, zu ihrer Verbilligung und auch zu ihrer Verbesserung“221. Das 1921 gegründete RKW (Reichskuratorium für die Wirtschaftlichkeit in Industrie und Handwerk) ist einer der wichtigsten Träger der Rationalisierung in Deutschland.222 Das RKW hat bis heute Bestand und ist mittlerweile unter dem Namen „Rationalisierungs- und Innovationszentrum der Deutschen Wirtschaft e.V.“ bekannt.223 Man ging damals davon aus, dass der Anschluss an die technische und wirtschaftliche Entwicklung im Ausland nur durch Gemeinschaftsarbeit geleistet werden kann. In der Weimarer Republik setzt sich das RKW mit Hilfe von Vorträgen und diversen Schriften für die „Wissenschaftliche Betriebsführung“ ein. Das RKW berichtet dafür regelmäßig über die Verhältnisse in den USA.224 Die normierende 220 Kracauer, S. (1971): S. 27. 221 Kracauer, S. (1971): S. 30. 222 Carl F. von Siemens war der erste Vorsitzende des RKW. Sein Stellvertreter war Carl Köttgen, damaliger Generaldirektor der Siemens-Schuckertwerke. Er unterstützte besonders die Rationalisierung bei Siemens in den 1920er Jahren. Vgl. Eidenmüller, B.: SAA 12138, S. 71. 223 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 214; Heute setzt sich das RKW für Innovation und Rationalisierung ein. Es richtet seinen Fokus auf die Kreativität der Menschen. Die Initiative der Kultur- und Kreativwirtschaft der Bundesregierung wird vom RKW mitgetragen. Siehe: www.rkw-kompetenzzentrum.de/kreativ. 224 Dem im Jahr 1918 gegründeten AWF (Ausschuß für wirtschaftliche Fertigung) ging es um die Ermittlung von Tätigkeitszeiten, aber auch um die Büroorganisation. Die REFA hingegen beschäftigte sich als Reichsausschuß für Arbeitszeitermittlung seit
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Sanktion weitet sich durch die Etablierung des RKW und weitere Einrichtungen von der Mikroebene, welche den einzelnen Beschäftigten und einzelne Unternehmen betrifft, auf die restliche Gesellschaft aus. Nach Klaus Türk, Michael Bruch und Thomas Lemke wurden zwischen dem Ersten Weltkrieg und den 1920er Jahren ca. „600 private Vereinigungen, 85 staatliche Einrichtungen und 67 staatliche Prüf- und Forschungsstellen gegründet, die in der einen oder anderen Weise Rationalisierungsziele verfolgten.“225 Hierbei ging es um die Normung von Technik, Produktbezeichnungen, Kleidergrößen, Formularen, Prüfverfahren, Lieferbedingungen usw. Vielfalt wurde als unwirtschaftlich erachtet und sollte entsprechend verringert werden. In den 1920er Jahren war Deutschland aufgrund der zentralen Koordinierung der Normungsaufgaben das führende Land für Normung.226 Kontrolle und Weiterentwicklung durch Prüfung Die Prüfung kombiniert die Repräsentation durch den hierarchischen Blick und die Normalisierung durch Intervention miteinander und macht aus dem objektivierten Körper einen individualisierten Körper. Die Prüfung ist daher zentral für die Disziplinierung der Körper. Sie weist jedem mit seiner Individualität einen „Stand“ zu, weil er durch seine Eigenschaften charakterisiert und festgelegt wird. Durch die Prüfung ist der Einzelne Ergebnis und Objekt der Macht. Bis heute haben Unternehmen hierzu eine Vielzahl von Prüfungen entwickelt. Die „rationelle Menschenführung“ unterstand zu Beginn des 20. Jh.s zunehmend den Personalmanagern bzw. war Gegenstand einer zentralisierten Personalpolitik. Ihre Aufgabe wird für die Siemens-Werke beschrieben. So spricht sich Kurt Meißner, der Leiter des Büros für Angestelltenfragen bei Siemens, für die Übertragung rationaler technischer Regeln auf die Führung von Menschen aus.227 Ergebnis einer zentralen Kontrolle ist es auch, bei den Arbeitern ein Bewusstsein für die permanente Sichtbarkeit herzustellen. Anstatt um Bestrafung, wie in der frühen Fabrik, geht es im Disziplinarregime um die Ausbildung der Arbeiter. So heißt es bei Frederick W. Taylor: „Mit Hilfe der einwandfrei aufgebauten Wissenschaft und der Anweisung seiner Lehrer ist jeder Arbeiter imstande, eine höherstehende, interessantere, bil-
1924 mit der Standardisierung der Ermittlung der Arbeitszeit. Der Einsatz der Akkordrichtlinien führte zur Steigerung der Produktivität und zu Lohnkürzungen. Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 213. 225 Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 212–213. 226 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 213. 227 Vgl. Homburg, H. (1991): S. 402.
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dendere und auch einträglichere Arbeit zu leisten, als er früher konnte.“228 Hiermit unterscheiden sich die Rationalisierungsbewegung und das wissenschaftliche Management von vorgehenden Managementpraktiken in Organisationen. In der frühen Phase der Industrialisierung wurde der Arbeiter so lange bei seiner Arbeit belassen, bis er selbst aufgab oder gekündigt wurde. Wenn er nicht im Sinne der Vorgesetzten handelte, wurde er bestraft – bis hin zur körperlichen Züchtigung. Im neuen Dispositiv soll der Arbeiter hingegen trainiert werden. Damit geht eine gewandelte Auffassung über die Unternehmung als Bildungs- und Weiterbildungsstätte einher.229 Zunächst wird dem Individuum im Rationalisierungsdispositiv ein Stand zugewiesen. Es wird durch bestimmte Eigenschaften charakterisiert. Eine wichtige Eigenschaft des Arbeiters war es, dass er sich ständig weiterentwickelte und seine Leistungen verbesserte, und zwar in Richtung jener Qualifikationen und Fähigkeiten, die das Management als wichtig erachtete. „Der Tagelöhner, den man zuvor nur dazu verwenden konnte, zu schaufeln, Erde von einem Platz zum anderen zu karren oder Arbeitsstücke von einer Abteilung der Fabrik in die andere zu transportieren, wird in vielen Fällen angelernt werden können, die einfachere Arbeit eines Maschinenarbeiters zu tun, die eine bessere soziale Stellung und höheren Lohn bietet.“230
Bis heute erscheint es für Unternehmen bedeutsam, entwicklungsfähige Mitarbeiter zu haben, die offen für Interventionen sind. In bestimmten Zeitabständen prüft das Management, inwieweit sich Mitarbeiter entwickeln. Dies gilt nicht nur für Arbeiter, sondern auch für die Gruppe des mittleren und gehobenen Managements selbst. Die Personalpolitik ist hier zuständig für „Rekrutierung, Weiterbildung, Beförderung, Gehälter und Pensionsleistungen.“231 Die schriftliche Fixierung als formales Managementwerkzeug setzt sich dabei mit der „Wissenschaftlichen Betriebsführung“ und im Rahmen der Rationalisierungsbewegung durch.232 Schriftlichkeit spielt eine herausragende Rolle bei der Rationalisierung des arbeitenden Körpers. So stellt auch Michel Foucault fest, dass die „Schriftmacht“ ein wesentliches Element in den „Räderwerken“ der Disziplin darstellt.233 Durch das Bewusstsein einer Sichtbarkeit in Form der Schriftlichkeit unterwirft die Macht die Subjekte dauerhaft. Sie ermöglicht au228 Taylor, F.W. (1913/1995): S. 135. 229 Vgl. Jacques, R. (1996): S. 120. 230 Taylor, F.W. (1913/1995): S. 135–136. 231 Homburg, H. (1991): S. 405. 232 Vgl. Yates, J. (1989): S. 5ff. 233 Foucault, M. (1994a): S. 244ff.
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ßerdem Kontrolle auf Distanz.234 Macht kann auf diese Weise über größere Entfernungen ausgeübt werden, da sich wichtige Informationen zu Entscheidungszentren transportieren lassen. Das Wissen der Mitarbeiter und ihr Verhalten wurden festgehalten und ausgewertet. Ausgehend davon können sie die Karriereleiter erklimmen. Der Beschäftigte ist aufgefordert, Höchstleistungen zu vollbringen, aber dabei auch „normal“ zu bleiben, d.h. sich den vorgegebenen Begrenzungen permanent anzupassen. Dafür richtet das Unternehmen genaue Arbeitsbeschreibungen und Arbeitsplatzbegrenzungen sowie die damit einhergehenden Anforderungen ein. Innerhalb dieser Grenzen wird der sich der ständigen Beobachtung bewusste Beschäftigte zu „Höchstleistungen“ angespornt.235 Zusammenfassung Mit der Übernahme des tayloristischen Systems ist Deutschland maßgeblich von den Ideen, Vorstellungen und Praktiken des „Wissenschaftlichen Managements“ beeinflusst. Das „Wissenschaftliche Management“ bringt produktive und effiziente Beschäftigte hervor, welche die Rationalisierungsbewegung möglichst stützen. Wie Frederick W. Taylor selbst deutlich macht, beschränken sich die Rationalisierungsbestrebungen zur Erhöhung der Effizienz nicht auf die Unternehmensebene, sondern beeinflussen die gesamte Gesellschaft.236 Sie richten sich zunächst auf den einzelnen menschlichen Körper, manifestieren sich dann in der Organisation als Gemeinschaftskörper und weiten sich schließlich aus auf den Gesellschaftskörper. „Das Verlangen nach besseren, für den speziellen Fall geeigneteren Personen, nach dem rechten Mann am rechten Platz, […] war niemals lebhafter als gerade jetzt. Und mehr als je zuvor übersteigt die Nachfrage nach sachkundigen und tüchtigen Menschen das Angebot. Jeder verlangt nach einem ‚zum Gebrauch fertigen‘, für seinen besonderen Zweck geeigneten Mann, den ein anderer eingearbeitet hat. Doch erst wenn das volle Verständnis dafür allgemein vorhanden sein wird, daß unsere Pflicht sowohl als unser eigener Vorteil darin liegt, durch systematisches Zusammenarbeiten […] zur Schaffung von ‚tauglichen Menschen‘ mitzuhelfen, […] erst dann werden wir auf dem richtigen Wege zur besten Ausnutzung aller Kräfte der Nation sein.“237 234 Vgl. Townley, B. (2008): S. 69. 235 Vgl. Jacques, R. (1996): S. 120. 236 „Efficiency, as an engineering term, means getting the most for the least, […] achieving desired effects or results with minimum waste of time and effort, through minimizing the ratio of effective or useful output to the total input in any system.“ Clegg, S. R.; Courpasson, D.; Phillips, N. (2006): S. 52. 237 Taylor, F.W. (1913/1995): S. 3.
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Der arbeitende Mensch wird mit der Rationalisierungsbewegung zu einem Objekt der „Wissenschaft“ und darüber zu einem produktiven Subjekt.238 Körper sollen besser und produktiver arbeiten im Sinne der Nation. Dafür entstand mit der Rationalisierungsbewegung ein umfassender Disziplinarapparat, der sich nicht nur auf Unternehmen beschränkte. Frederick W. Taylor steht in der Tradition der Episteme der Moderne. Seinen Vorstellungen liegt eine technische Rationalität zugrunde.239 Ziele müssen gut definiert und Wege zum Ziel festgelegt und kontrolliert werden. Organisation und Management sind in dieser Vorstellung Technologien, welche aus einem gegebenen Input einen Output machen. Der Output wird anhand seiner Effizienz beurteilt, welche als gewinnbringend für alle Akteure dargestellt wird. In diesem Sinn sind Organisation und Management als Ursache und Wirkungszusammenhänge selbst Materialisierungen dieser Vorstellungen. Sie bestehen aus koordinierten Aktivitäten und dienen der Reduktion von Unsicherheit und Chaos bzw. der Herstellung von Ordnung und Rationalität. Manager werden zu Agenten, welche in der Lage sind, auf der Basis technischen Wissens Probleme zu identifizieren und zu beheben. Die Forderung nach technischer Effizienz bestimmt zunehmend Beschäftigtenverhältnisse sowie das Menschenbild in Deutschland und anderen Ländern der westlichen Welt. Macht drückt sich durch unpersönliche und „objektive“ Regeln aus. Die Betonung von Wissenschaftlichkeit und Rationalität dient der Legitimation der materiellen Macht des Managements in Organisationen. Die Unpersönlichkeit und scheinbare Objektivität der Regeln führen dazu, dass Macht weniger sichtbar und dafür leichter zu akzeptieren ist. Menschen waren angehalten, das zu tun, was die Regeln sagen bzw. sich an den zugeteilten Platz zu begeben. Sie mussten nicht anderen Menschen gehorchen. Diese Regeln wurden auf „wissenschaftlicher“ Basis und zum Wohle aller Beteiligten (Unternehmer, Ingenieure, Staat und Arbeiter) eingerichtet. Wissenschaftlichkeit wird hervorgehoben als höchste Form der Rationalität.240 Sie suggeriert Objektivität und Berechenbarkeit. „In fact, its ‚science’ legitimated the normalcy of these to such an extent that power came to be seen only as a category of irrationality because to resist science, by definition was to oppose reason.“241 Zugrundeliegende Machtverhältnisse werden ausgeblendet bzw. Macht als direkte Einwirkung als ineffizient und irrational aufgefasst. Es geht darum, ein Einvernehmen zwischen allen Akteuren zu schaffen. Für die Arbeiter galt: Je mehr sie produzieren, desto mehr können sie verdienen. Das Management hilft den Arbei238 Vgl. Clegg, S. R.; Courpasson, D., Phillips, N. (2006): S. 46. 239 Vgl. Townley, B. (2008): S. 67; Scott, W.R. (1986). 240 Vgl. Townley, B. (2008): S. 72f. 241 Clegg, S. R.; Courpasson, D.; Phillips, N. (2006): S. 61.
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tern, ihre körperlichen Kräfte zu verbessern und mehr zu verdienen, während es den Arbeitgebern höhere Gewinne verspricht. Das moderne Management zielt darauf, einen „homo oeconomicus“ zu produzieren, welcher lernt, der Logik „cash nexus“ zu folgen. Management ist als Machtpraktik zu verstehen, die auf Basis unpersönlicher Autorität Unsicherheit in Sicherheit transformiert.242 Macht wird dadurch zur Routine und direkte Interventionen sind nur dort notwendig, wo diese Routine nicht funktioniert.243 4.2.2 Symbolische Macht: Management als Bedeutungsvermittlung und die Produktion „disziplinierter“ Subjekte Bereits der Taylorismus betonte die Übereinstimmung der Interessen zwischen Arbeitgeber und Arbeiter: „Das Hauptaugenmerk einer Verwaltung sollte darauf gerichtet sein, gleichzeitig die größte Prosperität des Arbeitgebers und des Arbeitsnehmers herbeizuführen und so beider Interessen zu vereinen.“244 Die Rationalisierung richtete sich entsprechend nicht nur auf die Produktion effizienter Körper. Die Arbeiter und Beschäftigten sollten davon überzeugt sein, dass eine zunehmende Rationalisierung der Arbeit zu ihrem eigenen Vorteil war. Es ging hierbei nicht nur um die Formung des Körpers, sondern bereits um eine Macht, die sich auf die Ebene der Bedeutungsvermittlung konzentriert und zugehörige Praktiken vermittelt. Damit entsteht ein Verständnis und Zugang zur Auffassung seiner selbst und seiner Stellung in der Organisation. Dafür werden „zwanglos“ Werte vermittelt. Der Organisations- und Managementdiskurs stellt Raster und Begrifflichkeiten zum sinnhaften Verständnis sozialer Geschehnisse und der Möglichkeit eines Selbstverständnisses zur Verfügung. Die Organisation versteht sich nicht nur als eine Ordnung materieller Praktiken, sondern auch als eine Ordnung des Sagbaren und Unsagbaren. Die symbolische Macht richtet sich auf den Geist und lässt sich als eine manipulative Machtform verstehen. Es geht nicht mehr primär darum, den Mitarbeiter zu einem bestimmten Verhalten zu zwingen. Nach Friedrich Nietzsche beinhaltet die Einfügung in eine Gemeinschaft immer auch eine Einfügung in die Welt der herrschenden Bedeutungszuschreibungen. Dort, wo das Management sich als Macht über Ideen und Vorstellungen etabliert, sucht es seinen Zugriff auf das Subjekt auszuweiten. Im Fokus steht nicht mehr nur der Körper, sondern die „Seele“ der Beschäftigten.
242 Vgl. Townley, B. (2008): S. 77f. 243 Vgl. Clegg, S. R.; Courpasson, D.; Phillips, N. (2006): S. 54. 244 Taylor, F.W. (1913/1995): S. 7.
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„In dem Maße, wie der technisch-materielle Fortschritt die Inhalte der Arbeit entleerte und dequalifizierte, und damit auch die Leistungsmotivation zu blockieren drohte, gingen Unternehmer und Arbeitswissenschaftler dazu über, die durch die Rationalisierung verursachte ‚Entseelung‘ der Arbeit durch eine Rationalisierung der Seele zu kompensieren.“245
Als Deutungselite geht es im Managementdiskurs hierbei um die Kopplung von Tat und Sinn. Für die Rationalisierungsbewegung vordergründig war die Normalisierung der bestehenden Produktionsverhältnisse. Die so gedeutete Wirklichkeit erscheint dabei als scheinbar einzig mögliche. Aus der Perspektive des Managements konzentrieren sich hierbei vor allem der Fordismus und die Psychotechnik auf die symbolische Bedeutungsvermittlung, um den Folgen der Rationalisierungsbewegung zu begegnen. Es handelt sich beim Fordismus und bei der Psychotechnik um organisatorische Machttechniken. Seit 1913 war der Fordismus auch in Deutschland bekannt geworden, verbreitete sich aber vor allem nach dem Ende des Ersten Weltkrieges.246 Zahlreiche Amerikareisen wurden unternommen, um vom amerikanischen Erfolgsmodell zu lernen. Deutschland wollte den Ursprung für die Beschleunigung der Fabrikation in den Werken von Henry Ford untersuchen. Henry Ford gründete 1903 in Detroit (USA) sein Unternehmen: die Henry Ford Company.247 1908 führte Ford das Fließband ein, um alle Teile, die er für die Herstellung seiner Fahrzeuge benötigte, selbst herstellen zu können. Mit der Massenproduktion von Fahrzeugen durch die Fließfertigung entstand eines der ausgereiftesten Produktionsverfahren moderner Zeiten. Hinter der Fließfertigung verbarg sich jedoch ein ebenfalls neuer und subtiler Machtmechanismus.248 Der Fordismus veränderte das tayloristische Management und minderte die hierarchische Kontrolle durch Arbeitsbüro und Meister. Hierarchische Kontrolle trat hinter technische und objektive Verfahren der Koordination von Arbeit zurück. Das Fließband sorgte für die Sicherstellung technischer Routinen, an die sich die Arbeiter halten mussten. Überwachung durch gesonderte Personen war kaum noch notwendig, da jeder Arbeiter an die Geschwindigkeit der Maschine gebunden war. Arbeit wurde in kleine, repetitive und gleichförmige Arbeitsschritte zerlegt, die der Beschäftigte zu verrichten hatte. Arbeitsroutine wurde hierdurch jedoch zu einem Problem, was sich an der über 900 Prozent hohen Fluktuationsrate im ersten Jahr nach der Einführung des Fließbandes zeigte. „Between October 1912 and October 1913, Ford hired 54.000 workers in order to maintain a 245 Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 218. 246 Vgl. Homburg, H. (1991): S. 447. 247 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 214. 248 Vgl. Clegg, S. R.; Courpasson, D.; Phillips, N. (2006): S. 56f.
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workforce of 13.000.“249 Der Mensch wird mit der Steuerung der Arbeit durch moderne Techniken wie das Fließband eingefügt in eine künstliche Welt, der er sich beugen muss. Anders als die Arbeitswerkzeuge früherer Generationen von Arbeitern unterliegen die neuen Techniken nicht mehr ausschließlich der Steuerung durch den Menschen selbst.250 Die Einfügung des Menschen in das technische System war unsicher und umstritten. Die hohen Fluktuationsraten nach Einführung des Fließbandes zeigen beispielhaft den Widerstand der Arbeiter gegen eine materielle Macht, die nun ihre Körperpraktiken bestimmen sollte. Die Verbesserung der Produktivität durch die Fließfertigung sicherte dem System jedoch seinen Erfolg. 1926 produzierte Henry Ford bereits zwei Millionen Fahrzeuge jährlich und besaß einen Marktanteil von ungefähr 50 %. Der Pensumlohn251, der die Arbeiter im Taylorsystem zu normgerechten Höchstleistungen anspornen sollte, wurde überflüssig und auch die hohen Fluktuationsraten führten zu einer relevanten Entscheidung: 1914 führte Henry Ford einen Minimallohn von fünf Dollar pro Tag ein und ordnete einen Acht-Stunden-Tag an.252 Für die damaligen Verhältnisse war das eine Lohnsteigerung von nahezu 100 Prozent. Mit dieser Einführung verringerte Henry Ford jedoch die hohe Fluktuation von Arbeitskräften in seinem Unternehmen. Er dehnte außerdem die Disziplinierung der Arbeitnehmer aus. Diese sollten an das Unternehmen gebunden werden. Dafür war jedoch Disziplin auch außerhalb des Arbeitslebens, in der Privatsphäre, gefordert.253 Mit Hilfe einer „soziologischen Abteilung“ (ab 1914) ließ Henry Ford daher überprüfen, ob die Einstellung der Arbeiter und deren Moral mit den Moralvorstellungen des Unternehmens im Einklang standen.254 Dafür verschafften sich die Inspektoren u.a. auch Zugang zu den Wohnungen der Beschäftigten. Sobald Abweichungen von
249 Clegg, S. R. ; Courpasson, D.; Phillips, N. (2006): S. 57. 250 Vgl. Patzel-Mattern, K. (2010): S. 11. 251 Lohnvereinbarung, die den Arbeitnehmer verpflichtet, in einem bestimmten Zeitabschnitt eine festgelegte Leistung (Pensum) zu erbringen. 252 „Having these facts in hand we announced and put into operation in January, 1914, a kind of profit-sharing plan in which the minimum wage for any class of work and under certain conditions was five dollars a day. At the same time we reduced the working day to eight hours—it had been nine—and the week to forty-eight hours. This was entirely a voluntary act. All of our wage rates have been voluntary. It was to our way of thinking an act of social justice, and in the last analysis we did it for our own satisfaction of mind.“ Ford, H. (1922). 253 Vgl. Clegg, S. R.; Courpasson, D.; Phillips, N. (2006): S. 57. 254 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 215.
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der moralischen Norm festgestellt wurden, verloren die Arbeiter den Anspruch auf den Minimallohn. Henry Ford vertrat sowohl Managementmethoden als auch Sozialmaßnahmen, bei denen der Interessensausgleich zwischen Arbeitern und Unternehmer im Vordergrund stand.255 Auch aus diesem Grund fand er in Deutschland einen hohen Anklang, sowohl bei Unternehmern als auch bei Vertretern der Gewerkschaft und bei Anhängern der Linken.256 Unternehmer erwarteten von der Übernahme des fordistischen Systems höhere Produktionsraten und Löhne sowie niedrigere Preise, aber auch sozialen Frieden. Deutsche Unternehmer machten in den 1930er Jahren zahlreiche Besuche in Amerika, um sich die Fließbandproduktion anzusehen. So ist einem Bericht der betriebstechnischen Konferenz von Siemens zu entnehmen, dass Ingenieure die Fortschritte in der Rationalisierung der Produktion in Amerika verfolgten.257 Interessant war hierbei zunächst vor allem der „Fließgedanke“ als Grundprinzip der fordistischen Produktion. Es ging dabei um die „örtliche und zeitliche Verknüpfung der Arbeitsgänge zu einem geschlossenen Kontinuum der Arbeitsabfolge“258. Die Arbeitsplätze sollten so angeordnet werden, dass die Arbeit von einer Person zur nächsten weitergegeben werden konnte. Ziel war es, durch die Einsparung von Raum und Zeit die wirtschaftliche Effizienz zu steigern. Die Einführung von Fließbändern automatisierte dieses Prinzip und installierte eine technische Zwangsläufigkeit. „Die ruckweise Weiterbewegung der Bänder zwang [den Arbeitern] die vorgegebene Arbeitszeit auf. Arbeitsunterteilung, Fließlinienprinzip und rhythmisch im Arbeits(zeit)takt vorwärts bewegte Transporteinrichtungen brachten aus Sicht der Betriebsingenieure zwei Vorteile mit sich: zum einen wurden unproduktive Arbeitszeiten, z.B. für das Aufheben, Heranholen und Zurechtlegen der Teile eingespart. Zum anderen wurde es möglich, die Leistung der Montageteilarbeiter in einem zuvor undenkbaren Ausmaß zu kontrollieren.“259 255 Für Ford war das Gemeinwohl zentral. „Power and machinery, money and goods, are useful only as they set us free to live. They are but means to an end. For instance, I do not consider the machines which bear my name simply as machines. If that was all there was to it I would do something else. I take them as concrete evidence of the working out of a theory of business, which I hope is something more than a theory of business – a theory that looks toward making this world a better place in which to live.“ Ford, H. (1922). 256 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 215. 257 Vgl. Köttgen, K. u.a. (1926): SAA 64/Lc 511. 258 Köttgen, K. u.a. (1926): SAA 64/Lc 511. 259 Homburg, H. (1991): S. 510–511.
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Mit der Einführung und Durchsetzung des tayloristischen Systems in Deutschland (um 1919/1920) und mit der Einführung des fordistischen Systems der standardisierten Massenfertigung (1925–1928) sowie mit der Fordisierung als zunehmende Automatisierung und Mechanisierung von Arbeitsprozessen waren sowohl in Amerika als auch in Deutschland sozialpolitische Maßnahmen verbunden.260 Hierbei ging es um die Qualifikation, Motivation, Integration und Betriebsbindung der Menschen. Bereits im Familienkapitalismus war die Fürsorge für den Arbeitnehmer zentral gewesen. Der Ausbau der Sozialpolitik in den 1920er und 1930er Jahren erhielt jedoch mit der Rationalisierungsbewegung eine andere Dimension bzw. hatte einen anderen Hintergrund. Die Sozialpolitik war ein primär zweckrationales Instrument, um ein für das Unternehmen wichtiges Einvernehmen mit den Beschäftigten aufrechtzuerhalten bzw. herzustellen. Die Bestrebungen, Harmonie und Konsens zu erzeugen, waren eine Antwort auf bestehende Interessenkonflikte. In den 1920er und 1930er Jahren betonten deutsche Unternehmen daher verstärkt die Rolle der Werks- oder Betriebsgemeinschaft.261 Im Elmo-Werk des Unternehmens Siemens ging es beispielsweise darum, das Werk in eine Gemeinschaft zu verwandeln. Zentral war hierbei das Verantwortungsbewusstsein bei jedem Mitglied zu erhöhen und es dazu zu bringen seine ihm zugeteilten Aufgaben im Sinne der Gesamtaufgabe gewissenhaft zu erfüllen.262 Es galt, den Beschäftigten als Mitarbeiter zu gewinnen bzw. aus dem Arbeiter einen Mitarbeiter zu machen, welcher sich in die Betriebsgemeinschaft eingliedert. Der Ursprung dafür lag, der Firmenführung zufolge, in einem angemessenen Egoismus des Unternehmens, da, Werner von Siemens zufolge, eine Weiterentwicklung der „stetig wachsenden Firma nur herbeizuführen sei, wenn ein freudiges, selbsttätiges Zusammenwirken aller Mitarbeiter zur Förderung ihrer Interessen erwirkt werden könnte“263. Auf der Unternehmensebene wurden sozialpolitische Maßnahmen durchgeführt. So betont etwa Carl Friedrich von Siemens, der ab 1912 den Vorsitz des Direktoriums der Siemens-Schuckertwerke übernommen hatte: „Der Erfolg jeder Gemeinschaftsarbeit ist abhängig von dem Geist, der sie beseelt. Wir Menschen sind keine Maschinen, die seelenlos ihre Arbeit verrichten können.“264
260 Vgl. Homburg, H. (1991): S. 653. 261 Vgl. Türk, K. (1989): S. 110. 262 Vgl. Homburg, H. (1991): S. 584. 263 Siemens, W. v. (1924): S. 274; Vgl. Homburg, H. (1991): S. 587. 264 Carl Friedrich von Siemens in Berichte der Sozialpolitischen Abteilung: S. 23, SAA 47/Lg 768.
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In Siemensstadt war man bestrebt, die Beziehungen zwischen den Beschäftigten und der Unternehmensleitung zu verbessern. So gab es Maßnahmen, die innerhalb und außerhalb des Unternehmens der Betriebsgemeinschaft dienten.265 Im Vordergrund der Bestrebungen standen in den 1930er Jahren die Arbeitsplatzgestaltung, der Ausbau des Gesundheitsdienstes, die Betriebssportgemeinschaft, Jubilarfeiern, Erholungsheime oder die Beteiligung der Mitarbeiter am Geschäftsergebnis.266 Ein zentrales Anliegen war auch die „Eingewöhnung von Frauen“ im Unternehmen. Beamte erhielten besondere Freizeitmöglichkeiten, organisiert von der Kameradschaft. Dazu zählten: Konzerte, Führungen, Ausflüge, Tanzabende, Chor, Foto-Verein, Ruder-Verein, Tennis-Klub, Gartenfreunde, Orchester oder ein Schach-Klub. Eine besondere Rolle spielten die SiemensMitteilungen, welche ab 1933 als Hauptaufgabe die „Vertiefung und Pflege des Gemeinschaftsgedankens“ 267 erhielten. Das Werk als das „alle umschließende Band“ war im Fokus der Berichterstattung, welche über die Arbeit im Leben des Volkes und Gemeinschaftsveranstaltungen berichtete. Analysen der unternehmerischen Selbstdarstellung in den internen Mitteilungen legen nahe, dass die Sozialpolitik bis in die 1960er Jahre hinein eine wichtige Rolle spielte. Das Unternehmen stellt sich als ein guter Freund oder Verwandter dar, der Hinweise zu Sicherheit, Finanzen und Gesundheit gibt. Außerdem sollen die Beiträge den Familienernährer besonders unterstützen.268 Soziale Bestrebungen waren eine Ergänzung des technisch-strukturellen Rationalisierungsprozesses, der sich bisher vorrangig auf den Körper der Arbeitenden konzentriert hatte und nun seinen Fokus erweiterte auf die Vermittlung von Bedeutungen bzw. auf die „Seele“ des Arbeiters. Diese Initiativen waren auf die Bedürfnisse des Betriebes ausgerichtet und dienten den Interessen und Erforder265 Vgl. Berichte der Sozialpolitischen Abteilung: S. 30–32, SAA 47/Lg 768; Mit Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden etliche neue soziale Maßnahmen wie Gesundheitspflege, Hauspflege, Ferienkolonie für Kinder, Schrebergärten auf werkseigenem Gelände, ärztliche Bereitschaftsdienst, Gründung einer Betriebskrankenkasse, Wohnwesen, Erholungsheim, Prämien, Bildungswesen (Werkschule, Werksbücherei) und Freizeitgestaltung. Ab dem Ersten Weltkrieg kam es zu einer Ergänzung bestehender sozialer Einrichtungen. So ging es um die Ausdehnung der Fürsorgestiftung, Fabrikpflege, Pflege der Freizeitgestaltung für Arbeitnehmerinnen durch Veranstaltung von Kursen, Gemeinschaftsabende, Freizeiten. Ab 1916 gab es eine zentrale Arbeiterinnenfürsorge, den Siemensgarten und das Siemenswaldheim. Vgl. Köttgen, C.: SAA 47/Lg 768. 266 Vgl. Homburg, H. (1983): S. 151f. 267 Berichte der Sozialpolitischen Abteilung: S. 27: SAA 47/Lg 768. 268 Vgl. Vogt, B. (2005): S. 29ff; S. 38.
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nisse einer rationalen Produktion.269 Dennoch wurde der Ausbau der Sozialpolitik von verschiedenen Intellektuellen auch als Fortschritt bezeichnet.270 Sie wandten sich gegen den Taylorismus, dem sie vorwarfen, den Menschen wie eine „mechanisch-bewusstlose Maschine“ zu behandeln.271 Soziale Bestrebungen hingegen, wie sie u.a. mit dem Fordismus einhergingen und auch in deutschen Unternehmen gepflegt wurden, hingegen, so die damalige Annahme, konzentrieren sich auf den Dienst an der Gemeinschaft und betonen, dass eine dahingehend vorbildliche Führung auch die Basis erreicht und sie vom Dienen im Sinne des Betriebes überzeugt.272 Folgerichtig verlagerte sich der Diskurs von einer eher technisch orientierten Betrachtung der Arbeit mit Fokus auf die Zurichtung des Körpers nun auf das Subjekt. Dieses rückte ins Zentrum des Interesses eines sich neu formierenden Diskurses.273 Für die Durchsetzung dieses „neuen Diskurses“ war es wichtig, eine Differenzmarkierung zum „alten“, rein auf technische und organisatorische Aspekte fokussierenden tayloristischen Modell zu vollziehen. Ein weiteres Moment der Rationalisierungsbemühungen, d.h. die Beziehungen der Menschen rational zu organisieren bzw. die Arbeiter in die Welt der herrschenden Bedeutungen einzufügen, war die Psychotechnik.274 Die Psychotechnik beschäftigt sich daher mit der Bedeutung der Körperrationalisierung aus psychologischer Sicht.275 Es geht dabei um die Beobachtung der psychologischen und physiologischen Effekte der Arbeitsintensivierung und der Reorganisation der Produktion auf den Menschen. Die Psychotechnik hat in diesem Zusammenhang eine gleichsam soziale Komponente, die sich mit dem Zugang des Menschen zur sozialen Ordnung beschäftigt. „Wichtiges Fundament der Psychotechnik als akademische Disziplin aus dem Bereich der angewandten Psychologie ist die Konzentration auf die Psyche des Menschen.“276 Es handelt sich bei der Psychotechnik also um eine Anwendungsdisziplin. Im Vordergrund stehen die Wirtschaftlichkeit und die Exaktheit menschlicher Beziehungen. Hugo Münsterberg beschreibt die Psychotechnik als: „Wissenschaft von der praktischen Anwen269 Vgl. Homburg, H. (1991): S. 653. 270 Bei Kurt Tucholsky heißt es in seinem Werk „Auf dem Nachttisch“ von 1931: „Ich bin gegen den Fordschritt. Ich habe eine stille Liebe zu Tollem.“ Tucholsky, K. (1931). 271 Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 216. 272 Vgl. Gottl-Ottlilienfeld, F. v. (1925): S. 33; Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 217. 273 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 217. 274 Vgl. Patzel-Mattern, K. (2010): S. 12. 275 Vgl. Shearer, J.R. (1997): S. 591. 276 Patzel-Mattern, K. (2010): S. 60.
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dung der Psychologie im Dienste der Kulturaufgaben.“277 Dies vollzieht sich auf zwei Ebenen. Erstens geht es um die optimale Gestaltung des Arbeitsplatzes (Lichtverhältnisse, Arbeitsmaterial, usw.), um die Effizienz der Arbeit zu maximieren und die Unfallgefahr zu minimieren. Zweitens steht der Auswahlprozess geeigneter Arbeiter für verschiedene Aufgaben im Vordergrund, so etwa die Anpassung ihrer Fähigkeiten an die Ansprüche der Aktivitäten.278 Beide konzentrieren sich auf die Optimierung der Nützlichkeit des Beschäftigten als körperlichseelische Einheit. Dieser Diskurs stabilisiert sich teilweise über eine Abgrenzung zum Taylorismus, stützt dabei jedoch die „Verwissenschaftlichung“ der Arbeit und weitet seine Macht auf die „Seele“ aus. Die Bewegung der Psychotechnik setzt sich nicht plötzlich durch, sondern vollzieht sich über unterschiedliche Etappen. Einen Aufschwung erlebt sie zum ersten Mal während des Ersten Weltkrieges aufgrund eines hohen Mangels an Arbeitskräften. Mit Ende des Ersten Weltkrieges entstehen die ersten theoretischen Arbeiten und immer mehr Unternehmen setzen psychotechnische Mechanismen ein. Hierzu zählen neben beruflicher Eignung auch Werbung und Erziehung.279 Ein Vertreter dieser Zeit, Walther Moede, unterstreicht 1919 die Bedeutung der Experimentalpsychologie für das Wirtschaftsleben insbesondere in der Gütererzeugung und der Arbeitsrationalisierung.280 Walther Moede entwickelt Spezialanalysen, die mit der Untersuchung des Berufes einsetzten und daraus Komponenten der Beanspruchung und Anforderungen ableiteten. Walther Moede stellt diese Merkmale in einem „Schema der Wirklichkeit“ zusammen.281 Um die geeigneten Personen für dieses Schema zu finden, entwickelt er Testverfahren und Apparate. „Die analytische und systematische Funktionsprüfung geht quantitativ und qualitativ vor, indem sie Maßzahlen seelischer Leistungen ableitet, aber auch der Beschaffenheit, also der Qualität der seelischen Prozesse vollauf Rechnung trägt. […] Nicht nur die Maßzahl, sondern auch die Form der Handlung […] muss Bestandteil der […] Analyse sein.“282
Es geht darum, ein Urteil über die beste Verwendbarkeit des Einzelnen zu ermöglichen. Walther Moede zeigt sich überzeugt, dass seine Verfahren sowohl dem Unternehmer als auch dem Arbeiter dienen, da der Unternehmer eine größe277 Münsterberg, H. (1914): S. 1; Vgl. Patzel-Mattern, K. (2010): S. 12. 278 Vgl. Miller, P.; Rose, N. (2008): S. 176f. 279 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 220. 280 Vgl. Moede, W. (1919): S. 3ff; Vgl. Homburg, H. (1991): S. 305. 281 Moede, W. (1919): S. 8; Vgl. Homburg, H. (1991): S. 305–306. 282 Moede, W. (1919): S. 7; Vgl. siehe auch die Beschreibungen bei Homburg, H. (1991): S. 306–307.
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re Leistung aus Mensch und Betrieb erwarten kann. Der Arbeiter hingegen könne den Arbeitsplatz finden, an dem er „Freude […] an seiner Arbeit“ erlebt.283 Die Neuerungen der Psychotechnik könnten auf diese Weise, so Walther Moede, der ganzen Nation zuträglich sein. All das sollte auf der Basis objektiver Grundlagen erreicht werden. Das Vorbild sind die exakten Naturwissenschaften. So weißt Walther Moede darauf hin, dass „der angewandten Psychologie gleiche Erfolge beschieden sein mögen, wie wir sie in der angewandten Naturwissenschaft erlebt haben und immer noch erleben.“284 Grundlegend erhoffen sich die „Seelentechniker“ eine gelungene Integration des Faktors Arbeit in die Unternehmung und eine Beilegung der damals vorherrschenden Arbeiterkämpfe und Unruhen.285 Die Bemühungen der Seelentechniker werden immer umfassender und beziehen sich bald nicht mehr auf einzelne Unternehmen und Arbeiter, sondern auf das gesamte Kollektiv. Wie bei Michel Foucault deutlich wird, sind der zentrale Ansatzpunkt der Macht neben Subjekten insbesondere komplexe Gemeinschaften wie die Bevölkerung. Die Akteure erscheinen hier gleichzeitig als Subjekt von Bedürfnissen und als Objekt in den Händen der Regierung. In Deutschland kommt es daher u.a. auch zum Streben nach Gemeinschaftsarbeit. 1925 wird das DINTA, das „Deutsche Institut für technische Arbeitsschulung“ gegründet.286 Das Institut bemüht sich um einheitliche Eignungstests für Firmen unterschiedlicher Branchen. Im Vordergrund steht jedoch die Erziehung der Beschäftigten. Folgenden Aufgaben hat sich die DINTA verschrieben: „1. Befreiung des Arbeiters aus der Einsamkeit seiner isolierten Teilfunktion im Herstellungsprozess, 2. Überwindung der feindseligen Oppositionsstellung des Arbeiters zum Unternehmer, 3. Befriedigung und Befriedung des Arbeiters im gegenwärtigen Wirtschaftssystem.“287
Die DINTA hat vor allem die sozialpolitischen Anliegen der Unternehmer im Auge. Fritz Fricke, Leiter der Bundesschule des ADGB (Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund), kritisiert jedoch die sozialpolitischen Bestrebungen der DINTA: „Die Dinta ist […] zu dem Zweck gegründet worden, einen Arbeitertyp zu schaffen, dessen ganzes Leben gipfeln soll in dem Werke, in dem er beschäf-
283 Homburg, H. (1991): S. 308 [Herv. i.O.]. 284 Moede, W. (1919): S. 2; Vgl. Homburg, H. (1991): S. 309. 285 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 220. 286 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 220. 287 Fricke, F. (1950): S. 291.
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tigt ist, allenfalls noch in der Pflege und Erhaltung seiner Familie.“288 Fritz Fricke sieht den Arbeiter hier dem Unternehmer ausgeliefert und er weist darauf hin, dass es sich dabei auch um Auswirkungen handelt, die dem Arbeiter nicht unmittelbar bewusst werden. Ende der 1920er Jahre werden die Methoden der Psychotechnik immer stärker von Psychologen kritisiert. Sie stellen vor allem die Validität der Tests infrage. Auch in der Praxis werden Enttäuschungen über die Ergebnisse der Psychotechnik laut und Unternehmen entscheiden sich zunehmend gegen die Verwendung der Psychotechnik im Unternehmen. Dennoch schafft das DINTA Einrichtungen wie Werkstätten zur Ausbildung, Einrichtungen zur Mutterberatung, Sportvereine, Zeitungen oder Bildungseinrichtungen, welche bis heute Relevanz für Unternehmen haben.289 Laut Fritz Fricke, welcher die Bewegung kritisiert, dienten diese Einrichtungen dazu, die Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber zu steigern. Es handelt sich bei sozialpolitischen Arbeiten zunehmend um Maßnahmen der Prävention und Vorbeugung anstelle der nachträglichen Messung und Kategorisierung. Ein Subjekt, welches sich freiwillig in den Arbeitsprozess eingliedert, bedarf insgesamt einer geringeren Kontrolle und Aufsicht, was wiederum unternehmerischen Effizienzbestrebungen zugutekommt. Laut Michael Sonntag sind Vorbeugungsmaßnahmen dieser Art jedoch nahezu identisch mit dem Einbruch in neue, bisher private Sphären.290 Er verortet sozialpolitische Bestrebungen außerdem auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene. So bezieht er sich auf eine Rede von Theodor Heuss aus dem Jahr 1926, um zu verdeutlichen, wie auch der Staat durch sozialpolitische Maßnahmen in immer weitere gesellschaftliche Sphären vordringt. Theodor Heuss führt aus, dass es „nicht nur eine Sozialpolitik der Tarifverträge [gibt], sondern auch eine Sozialpolitik der Seele.“291 Neben Freiheit und Autonomie des Einzelnen ist gleichermaßen die Rede von „Schutz-, Versorgungs- und Qualifizierungsinstrumentarien.“292 Nach Giorgio Agamben wird durch sozialpolitische Bestrebungen in allen westlichen Demokratien der Ausnahmezustand erklärt. Das Sicherheitsparadigma wird zu einer normalen Technik des Regierens.293 Er orientiert sich hierbei an 288 Fricke, F. (1950): S. 298. 289 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 221. 290 Vgl. Sonntag, M. (1999): S. 219–225. 291 Sonntag, M. (1999): S. 222. 292 Sonntag, M. (1999): S. 219. 293 Vgl. Agamben, G. (2004); In seinem Werk „Homo sacer“ macht er die Verbindung zwischen den Technologien des Selbst und den politischen Techniken deutlich: „Die vorliegende Untersuchung betrifft genau diesen verborgenen Kreuzungspunkt zwischen dem juridisch-institutionellen Modell und dem biopolitischen Modell der
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den Ausführungen von Michel Foucault.294 Der Staat stellt Kompensationsmechanismen für die Risiken und Diskriminierungen industriekapitalistischer Vergesellschaftung bereit. Es entsteht hier eine Spannung zwischen politischen Freiheiten und sozialen Eingriffen. Diese Eingriffe laufen kaum über physische Zwänge, sondern über Mechanismen, die zunehmend eine gesellschaftliche Eigendynamik besitzen.295 Medizinische, pädagogische und psychologische Experten vermitteln zwischen Staat und Individuum und stellen die „Eingliederung des Individuums in den gesellschaftlichen Warenaustausch, d.h. die Aufrechterhaltung seiner Arbeitsfähigkeit“296 sicher. Organisationen vermitteln in modernen Gesellschaften zwischen der Makroebene des Staates und der Mikroebene des einzelnen Individuums. Zusammenfassung Management und Organisation weiten sich aus von einer Beobachtung und Intervention des arbeitenden Körpers auf die Vermittlung von Bedeutungen. Der Staat übernimmt außerdem die Disziplinierung der Bevölkerung durch sozialpolitische Einrichtungen. Im Rahmen der Rationalisierung ging es zunächst lediglich darum, ein Wissen über die Subjekte herzustellen und damit eine Kontrolle über den Körper auszuüben.297 Bei Frederick W. Taylor wird dies beispielhaft durch Zeit- und Bewegungsstudien umgesetzt. Die Durchsetzung technischer Effizienz und die Umorganisation der Arbeit führten u.a. dazu, dass Arbeiter höhere Einkommen und kürzere Arbeitszeiten hatten. Es wurde jedoch bald deutlich, dass es nicht ausreichte, sich auf technische und organisatorische Rationalisierungsbestrebungen zu konzentrieren und den Menschen als „Hand“, „Körper“ oder Arbeitsinstrument zu behandeln. Zudem sollte die Rationalisierung über Macht. Und was sie als eine der wahrscheinlichsten Folgerungen hat festhalten müssen, besteht genau darin, daß die beiden Analysen nicht getrennt werden können und daß die Einbeziehung des nackten Lebens in den politischen Bereich den ursprünglichen – wenn auch verborgenen – Kern der souveränen Macht bildet.“Agamben, G. (2002): S. 16. 294 Vgl. u.a. Foucault, M. (2006a): S. 78f. 295 Vgl. Sonntag, M. (1999): S. 219; „In einer seiner letzten Schriften stellt Foucault fest, daß der moderne westliche Staat in einem bislang unerreichten Maß subjektive Techniken der Individualisierung und objektive Prozeduren der Totalisierung integriert hat; er spricht von einem eigentlichen ‚politischen double bind, das die gleichzeitige Individualisierung und Totalisierung der modernen Machtstrukturen bildet.“ Agamben, G. (2002): S. 15 [Herv. i.O.]. 296 Sonntag, M. (1999): S. 222. 297 Vgl. Clegg, S. R.; Courpasson, D.; Phillips, N. (2006): S. 67–69.
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den Bereich der Arbeit auf den ganzen Menschen ausgedehnt werden. Organisatorische Machtbestrebungen richteten sich auf den Menschen als „soziales Wesen“, der in das Unternehmen integriert werden sollte. In der Praxis wurden sozialpolitische Abteilungen eingerichtet – mit dem Ziel, aus dem „Arbeiter“ einen „Mitarbeiter“ zu machen und aus dem Betrieb eine Betriebsgemeinschaft. In der Theorie kam es zu einer Auseinandersetzung mit der „Ressource“ Mensch. In Deutschland bildete sich ein Diskurs zur Psychotechnik heraus, welcher wiederum einen maßgeblichen Einfluss auf die unternehmerische Praxis hatte, u.a. auch deshalb, weil industrielle Organisationsbestrebungen einheitliche Techniken durchzusetzen suchten wie etwa das DINTA. Wissenschaftliche Bestrebungen, wie sie sich mit der Psychotechnik ausdrücken, gab es auch außerhalb Deutschlands. Eine Reihe von Diskursen entdeckte den Menschen als soziales Wesen. Hierzu zählt vor allem die Human-Relations-Bewegung in den USA, welche sich nach dem Zweiten Weltkrieg auch in Deutschland verbreitete. Auch hier ging es um die Erkenntnis, dass sich Rationalisierung und effiziente Arbeitsroutinen nur durchsetzen lassen, wenn der Beschäftigte in seiner ganzen Persönlichkeit in den Arbeitsprozess integriert wird. Bekannt wurde vor allem Elton Mayo, dessen Forschung später ein Ausgangspunkt für die Human-RelationsBewegung wurde. Das Management konzentrierte sich im Zuge dieser Entwicklungen erstens auf die informelle Seite der Organisation (ergänzend zur formellen Seite). Zweitens fokussierte es auf die Seele als Ergänzung zum Körper. Drittens setzte sich die Erkenntnis durch, dass Organisationen neben der Struktur eine Kultur besitzen.298 Im Vordergrund standen entsprechend die Integration des Informellen, der Seele und der Kultur und die Bestrebung, diese Aspekte ebenfalls zu rationalisieren und durch die formale Organisation zu rahmen. Mit dieser Entwicklung ging auch eine Negierung von Macht in Organisationen einher. Macht wurde durch Rationalität, Autorität, Wissen und Routinen ersetzt. Die Entwicklungen, welche unter der symbolischen Macht zusammengefasst wurden, negierten daher keinesfalls die Bestrebungen des Taylorismus zur Rationalisierung des Körpers, sondern versuchten, die Rationalisierung auf die Seele auszudehnen. Vordergründig in der Rationalisierungsbewegung und im modernen Management war es nicht die Arbeitsverhältnisse insgesamt zu verbessern. Vielmehr ging es bei der Humanisierung der Arbeit darum die Arbeit an den Maßstäben von möglichst effizienten Produktionsprozessen anzupassen.299
298 Vgl. Clegg, S. R.; Courpasson, D.; Phillips, N. (2006): S. 87; S. 67. 299 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 218.
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4.2.3 Imaginäre Macht: Das Management von Identität und die Rolle des Managers Mit der Hierarchisierung bzw. Trennung von anweisenden und ausführenden Kräften nahmen die Verwaltungsaufgaben in Unternehmen zu, womit sich insgesamt die Zahl der Angestellten vergrößerte.300 Sie besaßen im Vergleich zu den Arbeitern rechtliche und soziale Vergünstigungen und verstanden sich als eigene Schicht. In der frühen Fabrik hatte es neben dem Unternehmer, der häufig gleichzeitig der Betriebsleiter war, maximal noch einen Buchhalter oder leitenden Techniker gegeben. Mit der Rationalisierung von Unternehmen weiteten sich die Aufgaben der Planung, Anweisung und Kontrolle aus. Die Angestelltenschicht, wegen der Ähnlichkeit ihrer Tätigkeiten mit denen von Beamten im öffentlichen Dienst, auch als Privatbeamte bezeichnet übernahm diese Aufgaben. Die Inhalte ihrer Arbeit waren weniger überwachbar und normiert bzw. normierbar als die der Arbeiter. Aus diesem Grund und weil zum Herrschaftsund Informationssystem des Unternehmens gehörten, nahmen sie einen anderen Status als Arbeiter ein und kamen in den Genuss unterschiedlicher Vergünstigungen wie einer besseren Bezahlung oder Karrierechancen. Diese nur wenig kontrollierbare Gruppe sollte aus diesem Grund über „Identifikation“ an das Unternehmen gebunden werden.301 Die Angestelltenschicht differenzierte sich aus in höhere Angestellte mit Managementfunktionen und niedrige Angestellte mit ausführenden Tätigkeiten.302 Vor allem höhere Angestellte galt es, durch imaginäre Machtformen an das Unternehmen zu binden. Aus der Perspektive der Organisations- und Managementbestrebungen bezieht sich das „asketische Ideal“ in der „organisierten Moderne“ bzw. im „organisierten Kapitalismus“ daher vor allem auf den „Manager-Ingenieur“. 303 Während in der rein technischorganisatorisch orientierten Ausrichtung der Rationalisierungsbewegung noch
300 Vgl. Ehmer, J.; Meißl, G. (1984): S. 51ff. 301 Vgl. Ehmer, J.; Meißl, G. (1984): S. 52ff. 302 Vgl. Ehmer, J.; Meißl, G. (1984): S. 52. 303 Selbstbilder und entsprechende Selbsttechniken lassen sich nicht nur für den „Manager-Ingenieur“ herausarbeiten. Sie betreffen auch die niedrigen Angestellten. Vgl. Reckwitz, A. (2006): S. 337 ff. Diese hat Siegfried Kracauer in „Die Angestellten: Aus dem neuen Deutschland.“ beschrieben. Neben einem umgänglichen Auftreten sollte der Angestellte über ein angenehmes jugendliches Äußeres verfügen. In einer Untersuchung zur Lage der Angestellten im Berlin der 1930er Jahre, deutet Kracauer auf die Herausbildung eines Angestelltentypus, bei dem sich „Sprache, Kleider, Gebärden und Physiognomien“ angleichen. Kracauer, S. (1971): S. 25.
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der Ingenieur als Subjektideal im Vordergrund stand, agiert in der symbolischen Ordnung der Organisation zunehmend der Manager. Der „Manager-Ingenieur“304 bildet das Ideal des modernen Organisationsdispositivs. An der Stelle, an der das für das erfolgreiche Funktionieren einer Unternehmung erforderliche Wissen und die Entscheidungsgewalt verankert sind, ist die Unternehmung auf „Manager-Ingenieure“305 angewiesen, die ihre eigenen Ziele mit denen der Unternehmung in Übereinstimmung bringen. Somit geht es um eine Selbstzurichtung der entsprechenden Menschen an diesen Interessen. Unternehmungen sind auf Menschen angewiesen, die an das System glauben und selbst eine bestimmte Rolle innerhalb fremder Machteinwirkungen einnehmen, durch die sie andere beeinflussen und überzeugen können. Führungskräfte sollten in der Lage sein, durch Machttechniken auf diese Ordnung, aber auch auf sich selbst einzuwirken. Die moderne Organisation als Tätigkeitsfeld des „Manager-Ingenieurs“306 In der imaginären Ordnung der Organisation geht es um Leitbilder und Handlungsweisen die auf die Person des Managers selbst zielen. 307 Die im 20. Jh. entstehende „neue“ Managementliteratur betrachtet Organisations- und Verwaltungstätigkeiten als etwas Erlernbares. Die Autoren wollen mit „einem ‚traditionellen‘ Vorgehen“308 brechen und rationelle Arbeitsmethoden und eine rationelle Produktion durchsetzen. Statt eine Organisation als etwas natürlich Gewachsenes zu sehen, wird diese als bewusst planbar aufgefasst. Tätigkeiten der Organisation und Gestaltung bestimmen sich weniger durch angeborenes Talent und Erfahrungswissen als vielmehr durch erlernbares Wissen und „Wissenschaftliche Betriebsführung“. Damit unterscheiden sie sich von den Fabrikherren und Unternehmern der frühen Industrialisierungszeit, die eine technisch-manipulative Auffassung über Organisation ablehnen. So gibt es, vor allem von Unternehmerseite, ein großes Misstrauen gegenüber der „wissenschaftlichen Betriebsführung“, wie sie u.a. durch Frederick W. Taylor vertreten wird. Für Wilhelm von Siemens besteht ein Unternehmen aus vielschichtigen Prozessen, welche sich keiner einheitlichen Ordnung zuführen lassen können. 309 Aus dieser Perspektive sind Unternehmen hochgradig individuell und verschieden zueinander und es gibt entsprechend keine einheitlichen Grundsätze der Gestaltung. Das spezifisch Unterneh304 Reckwitz, A. (2006): S. 337ff. 305 Reckwitz, A. (2006): S. 337ff. 306 Reckwitz, A. (2006): S. 337ff. 307 Vgl. Kocka, J. (1969): S. 333. 308 Gottl-Ottlilienfeld, F. v. (1929): S. 44; Vgl. Kocka, J. (1969): S. 354. 309 Vgl. Kocka, J. (1969): S. 354; mehr zur Person W. v. Siemens bei Rotth, A. (1922).
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merische besteht in einer individuellen Persönlichkeit und in einem ebenso individuellen Führungsstil. Der Unternehmer verfügt so über Eigenschaften wie „Risikobereitschaft, Selbstständigkeit, Mut, Kraft, Originalität, […] Schöpferkraft und Dynamik.“310 Es handelt sich hierbei jedoch nicht um erlernbare, sondern eher um irrationale bzw. angeborene Talente und Instinkte, welche sich nicht trainieren lassen. Diese Vorstellungen stützen die Machtposition der Unternehmer, verlieren jedoch mit fortschreitender Industrialisierung, zunehmender Unternehmensgröße und verstärkter Rationalisierung an Bedeutung. „Persönlichkeit“ wird als Führungseigenschaft nicht überflüssig, jedoch rückt sie zugunsten erlernbaren Wissens und erlernbarer Fähigkeiten in den Hintergrund. Dieser Diskurswandel über den Manager als Führungsperson und über das Management als erlernbare Tätigkeit kann jedoch erst mit der Durchsetzung der Organisation als allgemeine Technik aufkommen. In der ersten Phase der Industrialisierung verzichtet man weitgehend auf die feste Verteilung von Funktionen und Kompetenzen sowie auf die Einrichtung von fixen Kontrollinstanzen.311 Mit Einsparungsbestrebungen nach der Wirtschaftskrise 1873, der Trennung von Besitz und Kontrolle durch die Einführung der AG und der wachsenden Größe von Unternehmen lösen sich Verwaltung und Organisation zunehmend von den branchenspezifischen rein technischen Funktionen. Es entstehen einheitliche Vorstellungen über „die Organisation“ und „die Verwaltung“. Mit Beginn des 20. Jh.s erhöht sich die Zahl der Fachzeitschriften, die sich mit Fragen von Organisation und Führung und auch mit den Eigenschaften und Aufgaben von führenden Personen beschäftigen. Der Begriff von Organisation festigt sich und wird immer bedeutender. 1898 gründet sich die „Zeitschrift für Organisation“ (ZFO).312 Organisationen werden zunächst verstanden als „jede Zusammenfassung und Eingliederung von Mitteln zur Erreichung eines Zweckes“313. Daraus ergeben sich zwei Grundthemen für die Auseinandersetzung mit Organisation. Zum einen stehen einzelne Techniken wie Buchführung, Kalkulation, Registratur oder Werkstattwesen im Vordergrund.314 Auf der anderen Seite bezieht sich der Kern der Organisation auch auf die Verwaltung und Leitung von Organisationen. Jür310 Kocka, J. (1969): S. 355. 311 Vgl. Haase, E. (1995): S. 90–92. 312 ZFO, Zeitschrift für Organisation, behandelt noch heute die Themen Organisation, Führung und Management. „Ihr Anspruch ist es, eine Brücke zwischen Theorie und Praxis zu bauen. Neben Beiträgen aus der Wissenschaft finden sich praxisnahe Aufsätze und Berichte.“ Online unter: http://www.gfo-web.de/zfo-zeitschrift-fuehrungorganisation/zfo-zeitschrift-fuehrung-organisation. 313 Calmes, A. (1916): S. 1; Vgl. Kocka, J. (1969): S. 352. 314 Vgl. Kocka, J. (1969): S. 356.
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gen Kocka betont, dass das betriebliche Rechnungswesen und die Werkstattorganisation im Organisationsverständnis beinhaltet sind und Leitung und Verwaltung daher dem heutigen Managementbegriff ähnlich sind. Deutlich wird hier zunächst eine Vereinheitlichung der Blickweise auf Organisationen und einheitliche Führungsprinzipien für diese Organisationen. Allgemeine Organisationsprinzipien werden erst mit dem beginnenden 20. Jh. auf verschiedene Bereiche wie Heer, Staat und Industrie angewandt. Über diese Abstraktion verändert sich die Vorstellung über das „Organisieren“ als eine Tätigkeit, die notwendig ist, das koordinierte Funktionieren von Organisationen sicherzustellen. Diese Aufgabe kommt den „Organisatoren“ zu, die sich dem Großen und Ganzen aber auch den Details der Organisation widmen: „Auch die Tätigkeit des Direktors, des Organisators par excellence soll richtig organisiert werden, indem der Direktor möglichst von den laufenden Geschäften entlastet wird, so daß er, um seiner großen Verantwortung voll zu genügen, sich die nötige Übersicht wahren kann und Zeit hat sich mit den Einzelheiten der Organisation zu befassen.“315
Erst um 1900 erhoben Ingenieure in Deutschland zunehmend den Anspruch auf die Führung von Unternehmen in der Industrie.316 Der Organisationsbegriff bekam eine stärker technische Orientierung und die Organisation wurde zunehmend mit maschinell-sachlichen Begriffen beschrieben und selbst als Maschine betrachtet. Es ging im Unternehmen verstärkt um technische Effizienz statt um Gehorsam. Organisation wurde mehr und mehr in Zweck-Mittel-Relationen erfasst.317 Ingenieure propagierten ihre konstruktiven Fähigkeiten und begannen, als Leiter und Verwalter zunehmend eine vermittelnde Position zwischen Unternehmer und Arbeiter einzunehmen. Es entstand „ein konfliktfreies, an technischen Systemen orientiertes Unternehmensmodell“318. Die Kontrolle der Arbeiter konzentrierte sich ab diesem Zeitpunkt weniger auf vermeintlichen Ungehorsam, sondern richtete sich gegen Unpünktlichkeit und Fehler.319 Weiterhin beo315 Calmes, A. (1916): S. 19; Vgl. Kocka, J. (1969): S. 352. 316 Vgl. Haase, E. (1995): S. 91. 317 Vgl. Kocka, J. (1969): S. 368. 318 Kocka, J. (1969): S. 368. 319 Kocka, J. (1969): S. 368; Nach Kocka konnte sich der Ingenieur im Unternehmen nicht langfristig durchsetzen, da es aufgrund der frühen Bürokratisierung Deutschlands bereits Verwaltungsfachleute gab. „Im Gegensatz zu ihren zahlreichen, fortgeschrittenen amerikanischen Kollegen fanden die deutschen Ingenieure und Organisatoren der Jahrhundertwende im Staat und – wenn auch nicht so perfekt – in den großen Unternehmen eine funktionierende Verwaltung vor, die einen Teil ihrer Forde-
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bachtet Jürgen Kocka, dass die Managementkonzepte in der organisatorischen Realität sichtbar wurden. „Hierarchische Ordnung und direkte Befehle traten stärker als bisher hinter anderen Leitungstechniken sowie hinter der handlungsbestimmenden Kraft des Sachverstandes und hinter fixierten Geschäfts- und Arbeitsordnungsregeln zurück. Die immer stärkere Verzahnung der immer klarer definierten und spezialisierten Tätigkeitsbereiche der Einzelnen ließ diese zu Teilen eines sehr interdependenten, arbeitsteiligen Systems werden. Die […] Maschinen, die mit Maschinen vergleichbare Organisation und eingebaute gegenseitige Kontrollen der einzelnen Systemteile reduzierten die Bedeutung von Befehl und Gehorsam, von persönlicher Kontrolle in der alltäglichen Wirklichkeit der großen Unternehmen.“320
Mit diesen Entwicklungen entstanden allgemeine Managementpositionen, die zunehmend mit Ingenieuren besetzt wurden, welche reine Organisationsaufgaben wahrnahmen und leicht in unterschiedlichen Bereichen arbeiten konnten, ohne dass sich deren Aufgaben und die Anforderungen an Ihre Fähigkeiten veränderten.321 Das Ideal des bürgerlichen Unternehmers mit seiner hohen Praxisorientierung, angeborenen Talenten und mit moralischer Orientierung weicht ca. ab den 1920er Jahren verstärkt dem „angestellten Manager-Ingenieur“, der sich nicht nur durch seine besonderen Organisations- und Kalkulationsfähigkeiten auszeichnet, sondern auch über eine einnehmende und überzeugende Persönlichkeit verfügt.322 Andreas Reckwitz unterstreicht, dass sich das Ideal-Ich des „Manager-Ingenieurs“323 nicht nur innerhalb organisatorischer Ordnungen formiert, sondern dass bei der Rollenbestimmung auch eine Reihe von Diskursen von der Persönlichkeitsberatung über die Werbung bis hin zum Kinofilm beteiligt sind. Die USA haben auch für die Ausbildung der Rolle des „Manager-Ingenieurs“324 in Deutschland eine Vorbildfunktion. Die Diskurse repräsentieren jeweils ihre Vorstellung vom neuen Arbeitsideal. Die Legitimation des neuen Prototyps der modernen Arbeitswelt erfolgt über die Betonung einer technisch-rationalen Effirung (nach rationaler Organisation, Genauigkeit, Ordnung, Systematik, etc.) bereits erfüllt hatte. Nicht zufällig scheiterte der Anlauf der Ingenieure zu größerem gesellschaftlichen und politischen Einfluß am Juristenmonopol in der Verwaltung.“ Kocka, J. (1969): S. 370–371. 320 Kocka, J. (1969): S. 371. 321 Vgl. Kocka, J. (1969): S. 332–372, S. 353. 322 Reckwitz, A. (2006): S. 337. 323 Reckwitz, A. (2006): S. 337ff. 324 Reckwitz, A. (2006): S. 337ff.
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zienz von Großunternehmen, die nur der „Manager-Ingenieur“325 in der Lage ist herzustellen und zu erhalten. Der Wandel vom Unternehmer der bürgerlichen Moderne zum effizient kalkulierenden „Manager-Ingenieur“326 ist somit nicht als Fortschritt zu verstehen, sondern als Bruch in einem Feld der Macht, der eine veränderte Ordnung der Arbeit kennzeichnet, die selbst wiederum nicht von Dauer sein wird. Die Legitimation dieser neuen Ordnung ergibt sich auch aus der Abgrenzung zu vorhergehenden Ordnungen des Familienkapitalismus und des bürgerlichen Unternehmers und seiner Werte. Der „Manager-Ingenieur“327 ist dem alten Fabrikherren in diesem Diskurs durch seine technische Rationalität und sein Fachwissen überlegen. Eigenschaften und Moralvorstellungen des bürgerlichen Unternehmers werden zunehmend abgewertet. Der „Manager-Ingenieur“328 wird zu einer idealtypischen Form im „Organisierten Kapitalismus“. Er löst den selbstständigen bürgerlichen Unternehmer als Idealsubjekt ab.329 Im Unternehmen findet sich dieses Ideal im „höheren Angestellten“ wieder. Im Folgenden geht es um dieses Ideal, welches sich jedoch aufspaltet in teilweise widerstrebende Rollenvorstellungen: der Ingenieur als technischer Koordinator von Dingen und arbeitenden Körpern und der Manager als Koordinator von Bedeutungen und Wahrnehmungswelten. Der Ingenieur Der Ingenieur zeichnet sich durch seine technische Vernunft aus. Er findet die besten Wege, um einen bestimmten Zweck zu erreichen. Mit Hilfe seines Sachverstandes wählt er aus den möglichen Wegen den besten Weg aus. Seine Maxime lautet stets mit dem kleinsten möglichen Aufwand zu handeln. Diese Fähigkeit des Ingenieurs ist die Grundvoraussetzung für die rationelle Gestaltung und Leitung des Betriebes.330 Während Frederick W. Taylor die Aufgaben des Arbeiters im Betrieb analysiert hat, hat Henri Fayol die Aufgaben des Leiters untersucht. So heißt es bei Henri Fayol: „Die Verwaltung spielt in der Leitung aller Angelegenheiten, seien sie bedeutend oder gering, industrieller, kaufmännischer, politischer, religiöser oder anderer Art, eine sehr wichtige Rolle.“331 Seine Arbeit setzt sich mit „Verwaltungsunterricht“, „Prinzipien der Verwaltung“, „Persönlichen Beobachtungen 325 Reckwitz, A. (2006): S. 337ff. 326 Reckwitz, A. (2006): S. 337ff. 327 Reckwitz, A. (2006): S. 337ff. 328 Reckwitz, A. (2006): S. 337ff. 329 Vgl. Reckwitz, A. (2006): S. 344ff. 330 Vgl. Gottl-Ottlilienfeld, F. v. (1929): S. VII und 42ff.; Vgl. Kocka, J. (1969): S. 369. 331 Fayol, Henri (1929): S. 5.
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und Erfahrungen“ sowie „Lehren des Krieges“ auseinander.332 Als Verwalter übernimmt der Ingenieur vor allem Aufgaben im Bereich „Vorausplanung, Organisation, Auftragserteilung, Zuordnung und Kontrolle“333. Dies sind zukünftig seine Hauptaufgaben im Bereich der administrativen Vorgänge. Der Ingenieur macht sich diese Tätigkeiten und die notwendigen Eigenschaften zu eigen und bildet ein entsprechendes Selbstverständnis aus. Henri Fayol bescheibt die Fähigkeiten, welche die Eignung des Personals in bestimmten Bereichen ausmachen und fasst sie in Tabellen und Übersichten zusammen.334 Die wesentliche Fähigkeit des Leiters von großen Unternehmen sieht Henri Fayol in der Administration während die unteren Arbeitskräfte eine Befähigung für den Beruf besitzen müssen. Die Verwaltung erfordert besondere Eigenschaften und Kenntnisse, welche Henri Fayol unter körperlichen, geistigen, moralischen Eigenschaften sowie Allgemeinbildung, Spezialkenntnisse und Erfahrung zusammenfasst.335 Ähnlich wie Frederick W. Taylor geht er grundsätzlich von einer Erlernbarkeit der Fähigkeiten aus und äußert sich über die Notwendigkeit eines Verwaltungsunterrichts. Die klassischen Managementfunktionen und -anforderungen an die Eigenschaften des „Leiters“, wie sie u.a. durch Henri Fayol geprägt wurden336 werden später beispielsweise von Luther H. Gulick in den 1930ern erweitert zum sogenannten „POSDCoRB“ (Planning, Organizing, Staffing, Directing, Coordinating, Reporting, Budgeting).337 Dieses und weitere klassische Managementmodelle beeinflussen die Diskurse um Managementaufgaben und das Selbstverständnis von Managern bis heute.338 Die Optimallösung ist Aufgabe und Ziel des Ingenieurs. Dafür bemüht er sich um eine Reorganisation des Unternehmens. Hans Wupper-Tewes unterstreicht die Rolle der Betriebswissenschaften für die Formierung eines Diskurses um Optimierung und Reorganisation.339 In den Texten der Betriebswissenschaft werden Probleme meist im Kontext eines Lösungsversuches dargestellt. Selbst wenn die Lösungen nicht als unwiderruflich betrachtet werden, so stellen sie sich zumindest als eine Annäherung an eine optimale Lösung dar. Damit folgt der Diskurs der Betrachtung Taylors, nach dem es immer eine beste Lösung, einen „one best way“ für Probleme geben muss. In Unternehmen, welche Rationalisie332 Vgl. Fayol, Henri (1929): S. 5. 333 Fayol, Henri (1929): S. 6. 334 Vgl. Fayol, Henri (1929): S. 11ff. 335 Vgl. Fayol, Henri (1929): S. 8f. 336 Vgl. Mintzberg, H. (1973): S. 9. 337 Vgl. Gulick, Luther; Urwick, L. (1937). 338 Hierzu und zum Folgenden vgl. Reckwitz (2006): S. 344ff. 339 Vgl. Wupper-Tewes, H. (1995): S. 282f.
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rungsmaßnahmen anstrebten und entsprechende Bemühungen um Reorganisation unternahmen, hatte der Diskurs der Betriebswissenschaft weitreichenden Einfluss auf unternehmerische Praktiken. Hierzu zählt auch die Veränderung der Wahrnehmung des Betriebes durch den Ingenieur. „Der neue Blick des Ingenieurs ließ neue Gegenstände entstehen, auf die sich das Handeln richtete.“340 Der Blick richtet sich auf eine Mikro- und auf eine Makroebene unternehmerischer Prozesse. Der Ingenieur etabliert einen „Ein-Blick“ und einen „Über-Blick“ in/auf organisatorische Abläufe und gewinnt gleichzeitig auch einen neuen Blick auf sich selbst.341 Er erkennt sich als „konstruktive[r] Verwalter der Interessen der Allgemeinheit, als Garanten der Mehrung materiellen Reichtums unter Schonung der Gesundheit der Arbeiter“342. Zur Ausführung seiner Tätigkeiten ist der Ingenieur auf Informationen angewiesen. Er muss einen Einblick in die Funktionsweise der Organisation haben und diese stabilisieren und koordinieren bzw. Störungen beheben. Außerdem hat er einen Überblick über alle Abläufe und transformiert Meldungen über den Geschäftsbetrieb, Probleme und Gefahren in „Mitteilungen und Anordnungen“.343 Er erkennt und formuliert Probleme und findet Lösungen zu diesen Problemen. Bei andauernden Störungen muss der Ingenieur die Organisation vollständig umgestalten und optimieren.344 Um die Störungsfreiheit und Stabilität der Organisation auch für die Zukunft sicherzustellen, muss der Ingenieur Prognosen anfertigen und dafür entsprechende Planungsdaten erheben. Dafür stützt er sich vorrangig auf quantitative Informationen und Schriftlichkeit. Das Managementsubjekt verinnerlicht die Aufgabe der Planung auf der Grundlage von Zahlen. Nach Vorstellung der frühen Managementautoren (Henri Fayol, Luther H. Gulick) sind Aufgaben der Planung, Koordination, Kontrolle und Information grundlegend für jede administrative Tätigkeit.345 Als Ingenieur kontrolliert und bewertet man die Leistungen der Organisationsmitglieder auf der Basis quantitativer kalkulierender Mechanismen.346 Was Alfred Chandler für die Unternehmensentwicklung in den USA beschreibt, lässt sich in ähnlicher Weise auf die Entwicklung in Deutschland beziehen:
340 Wupper-Tewes, H. (1995): S. 283. 341 Vgl. Wupper-Tewes, H. (1995): S. 283. 342 Wupper-Tewes, H. (1995): S. 283. 343 Vgl. Reckwitz, A. (2006): S. 345. 344 Vgl. Reckwitz, A. (2006): S. 345f. 345 Vgl. Mintzberg, H. (1973): S. 9. 346 Vgl. Reckwitz, A. (2006): S. 346.
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„One finds first that surveillance has expanded by turning everything conceivable into writing: each job as clearly defined written functions, and all are located within chains of command which are diagrammed in organization charts; and second that judgement is constantly exercised through written reports and directives flowing up and down the chains of command-reports and directives which constantly demand and process information which is couched in numerical form on all aspects of the enterprise. The surveillance is hierarchical and reciprocal […] and the judgement is exercised on the basis of numbers.“347
Der Ingenieur beansprucht für sich eine umfassende Kenntnis der Unternehmung. Diese Kenntnis sieht er als das Resultat einer visuellen Wahrnehmungsfähigkeit (persönlicher und statistischer Natur) an, die er über viele Jahre hinweg erlernt hat. Außerdem basiert seine Erkenntnis auf einem unbedingten (wissenschaftlichen) Willen zur Wahrheit. Die Entstehung des Blickes wird mit Bezug auf den Beginn von Zeit- und Bewegungsstudien von Hans Wupper-Tewes beschrieben. Er betont die „Erziehung zum Sehen“, welche der Untersuchung, Analyse und Organisation der Arbeit vorangehen muss.348 Das menschliche Auge ist aus dieser Perspektive nicht ohne Weiteres in der Lage Arbeitsabläufe im Detail zu erkennen und zu studieren. Besonders wichtig erscheint hierbei die genaue Beobachtung von Arbeitsbewegungen. Rationalisierung und Reorganisation, u.a. durch Zeit- und Bewegungsstudien, gehen entsprechend mit einer Veränderung des Selbstverständnisses vom Ingenieur und seines Blickes einher. Durch das Studium von Zeit- und Bewegungsabläufen ergibt sich ein anderer Blick auf den Arbeitsprozess, als wenn dieser auf herkömmliche Art und Weise betrachtet würde. Hans Wupper-Tewes nennt dies den „diagnostischen Blick[…] des Ingenieurs“349. Die Fotografie und die Filmtechnik unterstützen diese neue Art des Sehens. Das natürliche Auge ist dem fotografischen Auge oder dem Film in seiner Beobachtung von Bewegungen und zielgerichteten Bewegungsabläufen unterlegen. Jedoch kann der eigene Blick durch den Einsatz von Technologien das „Sehen“ lernen, einüben und verbessern. Auf dieser Basis werden zuvor unerkannten Bewegungsabläufe sichtbar und können so zum Gegenstand der Einwirkung werden.350 Die mediale Repräsentation der einzelnen Bewegungsabläufe (Mikroprozesse) stellt einen Zugang zur Optimierung bzw. Perfektion der Körperbewegungen dar. Es entsteht ein Bewusstsein über scheinbar unbedeutende mikrobenhafte 347 Hoskin, K.W.; Macve, R.H. (1986): S. 130. 348 Vgl. Wupper-Tewes, H. (1995): S. 284. 349 Wupper-Tewes, H. (1995): S. 285. 350 Vgl. Wupper-Tewes, H. (1995): S. 285.
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Prozesse, deren Bedeutung zuvor nicht klar war, von deren Auswirkungen auf die Effizienz der Arbeit man aber schnell überzeugt war. Darauf basierend findet eine Analyse statt, bei der falsche und überflüssige Bewegungen entfernt werden sollen. Außerdem dienten Bilder dazu zu zeigen, was im Unternehmen vermieden werden soll. So zeigen Aushänge bei Siemens etwa Fotos zur Unfallverhütung, auf denen z.B. von der Maschine ausgerissene Haare zu sehen sind.351 Repräsentation und Intervention gehören hier eng zusammen. Im öffentlichen Diskurs erscheinen Bewegungs- und Zeitstudien in diesem Zusammenhang als Voraussetzung für den Gesundheitsschutz. Der Ingenieur stellt sich dabei als „Verwalter“ des Allgemeinwohls dar. So konzentrierte man sich beispielsweise auf die Analyse von Arbeitsplätzen, etwa Arbeitsstühlen und Arbeitstischen. Damit sollte die schnelle Ermüdung durch falsches Sitzen oder Stehen, insbesondere in der Fließfertigung, vermieden werden. Auch gab es 1929 eine Sonderaustellung zum Thema „Arbeitssitz und Arbeitstisch“ im deutschen Arbeitsschutz-Museum. Bereits zehn Jahre früher hatten Frank und Lillian Gilbreth in Providence, Rhode Island ein Museum eröffnet, welches sich mit der Vermeidung von Ermüdungserscheinungen beschäftigte. Hierbei ging es vor allem um die Fortschritte beim Design von Arbeitsstühlen.352 In der Öffentlichkeit stehen Zeit- und Bewegungsstudien als Grundlage für die betriebliche Reorganisation nicht nur für Effizienzsteigerung und einen wirtschaftlichen Ausgleich, sondern werden als Ausdruck der Fürsorge unter gewerbehygienischen Aspekten gesehen. Ingenieure verwalten die Gesundheit der Arbeiter. Ihr Gerechtigkeitssinn und Wahrheitsanspruch vermittelt ihnen, dass sie es sind, die am besten wissen, was gut für den Arbeiter ist. Die Fließarbeit erlaubte eine Optimierung der Arbeit, indem sie dem Ingenieur die Übersicht über komplexe Arbeitsprozesse ermöglichte.353 Die zentrale Überwachung erscheint dabei besonders geeignet für die fließende Massenfertigung. Die Organisation wird als „zwangsläufig“ ablaufender Prozess gedacht. „Die absolute Zwangsläufigkeit, bei der die Geschwindigkeit des Fließ-Fördermittels das Tempo der Fabrikation bedingt, setzt eine ausreichende Unterteilung der Arbeitsvorgänge voraus. […] In der Fließfertigung soll jeder Mann, ganz gleich an welcher Stelle er arbeitet, seine klar umschriebene Aufgabe bei voller Verantwortlichkeit für die Richtigkeit der Ausführung erhalten. Als ein Mittel zur klaren Festlegung seiner Arbeitsaufgabe dient die schriftlich festgelegte und mündlich erläuterte Arbeitsunterweisung.“354 351 Vgl. Betriebstechnische Konferenz (1930): SAA 64/Lc 511. 352 Vgl. Wupper-Tewes, H. (1995): S. 287. 353 Vgl. Wupper-Tewes, H. (1995): S. 288ff. 354 Betriebstechnische Konferenz (1926): SAA 64/Lc 511.
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Damit wird das Verhalten des Arbeiters kontrolliert. Durch den unmittelbaren Zwang des maschinellen Rhythmus erzieht das Fließband den Arbeiter dazu, die richtigen Bewegungen auszuführen. Schnell wird deutlich, wann der Arbeiter vom „Takt“ abweicht, was sich wiederum mit Geldeinbußen oder Entlassungen sanktionieren lässt. Das Fließband gibt dem Ingenieur damit nicht nur einen Überblick über die Fertigung, sondern dient als scheinbar objektive Macht der „Anpassung und Auslese“ von Arbeitskörpern.355 Der Manager Mit der Ausweitung des Managements von der Zurichtung der Körper auf das Management von Bedeutungen ist der „Manager-Ingenieur“356 auch für die soziale Koordination und Motivation zuständig. Die Regeln der Organisation hat der Manager als inkorporiert.357 Er ist verantwortlich für die Gestaltung sozialer Prozesse im Unternehmen. Er ist Motivator und Koordinator in einer Person und muss entsprechend auftreten. Soziale Beziehungen werden als Voraussetzung für den Erfolg der Organisation aufgefasst.358 Laut Jürgen Kocka thematisiert die Managementliteratur die Beziehungen zwischen den „Regierenden“ und den „Regierten“. Ein einvernehmliches Miteinander zwischen beiden und die Förderung ihrer gegenseitigen guten Beziehung wird als wichtiges Organisationsziel formuliert.359 Autoren beschäftigen sich neben allgemeinen formalen Aspekten auch damit, dass vor allem Angestellte ihren Beruf lieben und sich möglichst eng mit dem Unternehmen bzw. dem Ganzen verbunden fühlen sollen.360 Dies trifft auf die Angestellten stärker zu als auf den einfachen Arbeiter. Der Angestellte soll sich nicht einfach nur den vorgeschriebenen Regeln beugen, sondern die Grundsätze der Geschäftsleitung verstehen und selbsttätig Verbesserungen anstoßen.361 Unternehmer versuchen dies nicht primär durch finanzielle Anreize sicherzustellen, sondern installieren Aufstiegschancen und „demokratische[…] Zustände“362. Im Vordergrund stehen Veränderungen in Bewusstsein und Verhalten der Angestellten. Der angestellte „Manager-Ingenieur“363 soll selbst wie-
355 Vgl. Wupper-Tewes, H. (1995): S. 289. 356 Reckwitz, A. (2006): S. 337ff. 357 Vgl. Reckwitz, A. (2006): S. 345ff. 358 Vgl. Kocka, J. (1969): S. 363. 359 Vgl. Kocka, J. (1969): S. 363. 360 Vgl. Kocka, J. (1969): S. 363. 361 Vgl. Kocka, J. (1969): S. 364. 362 Kocka, J. (1969): S. 363. 363 Reckwitz, A. (2006): S. 337ff.
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derum auf der Basis von Kontrolle und Motivation zur Harmonie im Unternehmen beitragen. Der Manager übt keinen Zwang aus, sondern versucht vielmehr, Werte und Meinungen zu manipulieren, um einen gemeinsamen Konsens herzustellen und die Betriebsgemeinschaft zu stärken. Als eine Art Sozialingenieur agiert er dennoch, denn er ist es, der im rationalistisch-technischen Verständnis eine Kultur der Gemeinsamkeit erst herstellt. Gruppen brauchen Führungspersonen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie Menschen dazu bringen, das zu tun, was sie wollen, ohne dabei Zwang ausüben zu müssen.364 „Good management requires emotional work, and it is the task of the managerial elite to configure others as servants of responsible authority through guiding them emotionally.“365 Personen, die über Autorität verfügen, müssen bestimmte Eigenschaften aufweisen und Handlungen vollziehen, die ihnen Gehorsam verschaffen. Gehorsam findet nur dann statt, wenn Menschen bereit sind, Herrschaft zu akzeptieren, da sie sich ansonsten in Zwang umwandelt.366 Macht lässt sich hierbei mit Friedrich Nietzsche nicht nur auf der Seite der Befehlenden finden. Auch die Beherrschten verfügen über Macht. Friedrich Nietzsche betrachtet „das Verhältniß des Herrschenden zum Beherrschten noch als ein Ringen, und das Verhältniß des Gehorchenden zum Herrschenden noch als ein Widerstreben.“367 Nach Friedrich Nietzsche ruft Macht generell Widerstände hervor. Um Befehle durchzusetzen, muss der Befehlende die Befähigung zu Befehlen präsentieren und repräsentieren können. Kommunikation und Überzeugungsarbeit, um im Sinne von Max Weber Glaube als Voraussetzung für die Legitimation von Macht herzustellen, werden aus diesem Grund zur zentralen Aufgabe des Managements. Die Entdeckung der informellen Organisation unterstrich, dass rein technisch-organisatorische Managementaufgaben durch neue „symbolische“ Machttechniken ergänzt werden müssen. Manager arbeiten entsprechend nicht nur mit materiellen Anreizen, sondern statten andere mit Prestige, Status und Macht aus, um die Zusammenarbeit in der Organisation sicherzustellen. So heißt es etwa bei Chester Barnard, dass die Funktion der informellen Organisation in der „Aufrechterhaltung der Arbeitsbereitschaft und der Stabilität der objektiven Autorität“368 liegt. Eine rein techni364 Vgl. Clegg, S. R.; Courpasson, D.; Phillips, N. (2006): S. 83. 365 Clegg, S. R.; Courpasson, D.; Phillips, N. (2006): S. 83. 366 Hier wird das deutlich, was Max Weber unter legitimer Herrschaft versteht und beschrieben hat. 367 Nietzsche, F. (1885): 40[55]; Vgl. Springmann (2010): S. 95. 368 Barnard, C. (1970): S. 109: Chester Barnard untersuchte Autoritätsbeziehungen. Für ihn waren sie nicht gegeben, sondern mussten durch Manager erarbeitet werden. Vgl. Clegg, S. R.; Courpasson, D.; Phillips, N. (2006): S. 83.
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sche Orientierung auf Arbeitsprozesse und Arbeitsaufteilung genügt entsprechend nicht. In einem Vortrag für die V. Internationale Konferenz für Psychotechnik vom 10.-14. September 1928 geht Richard Bolt auf die erforderlichen Fähigkeiten von Managern und Meistern für die Charakterbeurteilung im industriellen Arbeitsleben ein: „Zu der Kunst der technischen Betriebsführung und -gestaltung muss die Kunst der Menschenführung treten. Die Werkstattleitung wird dann das Arbeitsgeschehen fest in der Hand haben und mit Sicherheit Leistungsbestwerte in jedem einzelnen Fall erreichen und auf ihrer Höhe halten können. [Er führt aus, dass Abteilungsleiter, welche die Arbeit an ihre Untergebenen zu verteilen und zu überwachen haben,] die berufenen Beobachter und Beurteiler von Menschen sind.“369
Der Meister, welcher vor allem über eine technische Ausbildung verfügt, erhält notwendigerweise Hilfestellung für die Behandlung der „Untergebenen“. Grundsätze zur Führung von Mitarbeitern wurden von Betriebsingenieuren bzw. Managern ausgearbeitet und dann an Meister weitergegeben. Diese erhielten Instruktionen, wie sie den Arbeiter zu behandeln hatten, um den betrieblichen Frieden zu erhalten. Die Grundsätze enthielten ebenfalls Hinweise auf die Rechte der Arbeiter und auf die Pflichten der Meister. So hieß es etwa, dass die Arbeiter „mit gebührlichem Ton“ zu behandeln seien.370 Zusammenfassung In Managementansätzen stehen seit Beginn des 20. Jh.s nicht nur Aspekte der Organisationsstruktur, des Organisationsverhaltens oder der informellen Seite der Organisation im Fokus, sondern auch die sogenannte Managerelite (Ingenieur und Manager). Ansätze, die sich mit „Autorität“ und „Leadership“ beschäftigen, weiten sich im Verlauf des 20. Jh.s aus.371 Managementdiskurse stellen hierbei Rollenangebote zur Verfügung, welche das Managersubjekt besetzt. Dem Einzelnen wird insbesondere durch diese symbolischen Ordnungen nahegelegt, wie er sich selbst zu verstehen, zu beschreiben und zu verhalten hat. Im Verlauf der Zeit bilden sich spezifische Vorstellungen und Selbstverhältnisse des „Manager-Ingenieurs“372 aus. Die imaginäre Macht wird gelebt und rechtfertigt sich 369 Bolt, R. (1928): SAA/10508. 370 Die Führungsgrundsätze galten für alle Werke der Siemensfirmen. Vgl. Ernst, S.: SAA 49/Lb 445. 371 Vgl. Clegg, S. R.; Courpasson, D.; Phillips, N. (2006): S. 83ff. 372 Reckwitz, A. (2006): S. 337ff.
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dadurch im Alltag. Sie ist in bestehende symbolische und materielle Ordnungen eingebunden und bringt die Individuen dazu, die bestehenden Ordnungen und ihre zugehörigen Institutionen zu bestätigen und zu verstärken. Fremdführung und aktive Selbstführung verbinden sich in der imaginären Macht. Eine aktive Selbstformung auf Seiten der mittleren und höheren Angestellten ist für ein Unternehmen unabdingbar, da sie nur schwer durch direkte Kontrollen geführt werden können. Bedeutsam ist daher eine hohe Identifikation mit dem Unternehmen bzw. anderen Zielen wie den Rationalisierungsbestrebungen. Dies kann unternehmerisch durch verschiedene Mittel unterstützt werden. Prestige und Status, besondere Vergünstigungen, Positionen in der Hierarchie usw. tragen dazu bei, dass der „Manager-Ingenieur“373 bereitwillig eine aktive Selbstformung betreibt. Besonders identitätsbildend für die Rationalisierungsbewegung sind der Glaube an Objektivität, Perfektion, wissenschaftliche Wahrheit, Erziehung der Arbeiterklasse und niedriger Angestellten zu ihrem Besten, Gerechtigkeit, Verantwortung für die Allgemeinheit und die Vorstellung, gezielt Stabilität und Gewissheit auf der Basis einer rationalen Strukturierung technischer und sozialer Prozesse zu erreichen. Kritiker befürchten den Untergang der Künste im technischen Zeitalter.374 Ingenieure hingegen unterstreichen den Zeitgewinn durch Rationalisierung. Sie betonten den kulturellen Wert der Technik, um auch ihre eigene soziale Stellung zu verbessern. So markieren die humanistische Bildung und zugehörige akademische Berufe einen gesellschaftlich hohen Status. Auch der Ingenieur will einen Zugang zu diesem Status bzw. zur Beamtenlaufbahn erhalten. Alles in allem fühlten sich Ingenieure während der Kaiserzeit und in der Weimarer Republik nicht ausreichend geachtet. Bereits 1856 wurde daher der VDI (Verein Deutscher Ingenieure) gegründet.375 Der VDI kämpfte für größere Anerkennung des Ingenieurberufes. Dies implizierte jedoch auch die leichtere Einbindung in ein Dispositiv, welches dem Selbstbild und den Fähigkeiten des Ingenieurs entsprach. „So waren Ingenieure anfällig gegenüber einer neuen politischen Kraft wie dem Nationalsozialismus, der in seiner Propaganda im Gegensatz zum weltfremden Gelehrten die Bedeutung von Technik, von praktisch verwertbarem Expertenwissen und von Sachlichkeit im Dienste am Volk betonte.“376
373 Reckwitz, A. (2006): S. 337ff. 374 Vgl. Rohkrämer, T. (2003): S. 290. 375 Vgl. Rohkrämer, T. (2003): S. 290. 376 Rohkrämer, T. (2003): S. 290.
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Auf der Basis nachweisbarer betrieblicher Erfolge der Rationalisierungsarbeit erfolgten Ansprüche des VDI, auch die Rationalisierung politischer und gesellschaftlicher Verhältnisse voranzutreiben. Ingenieure sollten zu den Agenten dieses gesellschaftlichen Wandels, hin zum Wohle der Allgemeinheit, avancieren. Vertreter von „Technikkult und Produktivitätsfetischismus“ sahen in den Rationalisierungsmaßnahmen dabei lediglich eine Entfaltung der Produktivkräfte. Jedoch stand die ökonomische Verwertung vor einem Interesse an sozialer Emanzipation der Arbeit.377 Dennoch kann der „Manager-Ingenieur“378 nicht als außerhalb der bestehenden Machtordnungen stehend betrachtet werden. Er ist zwar ein wichtiger Agent der Rationalisierungsbewegung, indem er sich selbst als Konstrukteur der modernen Organisation versteht, aber er ist nicht im Besitz der Macht. Er ist vielmehr selbst ein Rädchen in der rationalen Maschine, deren Willen zur Macht er sich im Sinne des asketischen Ideals fügt, sich dabei aber als frei und selbstbestimmt erlebt.379 Widerstand „Ich bin gegen den Fordschritt. Ich habe eine stille Liebe zu Tollem.“
380
Widerstand gegen die Rationalisierungsbewegung, gegen die Rationalisierung des arbeitenden Menschen und gegen die bestehenden sozialen Beziehungen kam zunächst von Managern, die selbst unsystematisch vorgingen, und von Unternehmern, die sich in ihrer Macht beschnitten fühlten. Bis zum Ende des 19. Jh.s war häufig der Fabrikherr gleichzeitig Unternehmensleiter. Der Unternehmer verließ sich vorrangig auf eigenes Wissen und persönliches Engagement. Er betrachtete das Unternehmen, welches eng mit einer bestimmten Familie verknüpft war, als sein „Nest“ oder „Reich“. 381 Die formale Organisation, welche das Fortbestehen des Unternehmens auch nach einem Wechsel an der Unternehmensspitze sichern soll, bildete sich erst mit der Zeit heraus. Unternehmer und Fabrikanten waren häufig vor allem praktisch ausgebildet und hatten eher antitheoretische Einstellungen. Sie versuchten zu Beginn, den Einfluss „wissenschaftlicher“ Methoden im Unternehmen niedrig zu halten. Da Unternehmen meist klein bis mittelgroß waren, war der familienorientierte und personenbezo377 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 225. 378 Reckwitz, A. (2006): S. 337ff. 379 Siehe hierzu Whyte, W.H. (1958) als Darstellung des amerikanischen Modells höherer Angestellter und ihres Konformismus. 380 Tucholsky, K. (1931). 381 Vgl. Kocka, J. (1969): S. 335.
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gene Führungsstil noch unproblematisch. Die Planung, Verteilung und Überwachung von Kompetenzen und Aufgaben war nicht notwendig. Direkte Anordnungen und Kontrollen dominierten den Betriebsalltag. Nach Arwed Emminghaus vermieden beispielsweise die Dürener Klein- und Mittelbetriebe bis in das späte 19. Jh. schriftliche Anweisungen auf der Arbeits- und Betriebsebene. Das erste Werk über allgemeine Grundsätze der Organisation, welches Wissen für unterschiedliche Branchen verbreitete, betonte daher die Bedeutung des direkten Führungsstils: „Die beste Instruktion ist die mündliche, die der allezeit und überall gegenwärtige, Alles durchschauende Unternehmer selbst giebt, und die, welche sein Beispiel den Angestellten fortwährend vor Augen hält.“382 Statt Anleitungen zur formalen Gestaltung von Organisationen enthielten die ersten Auseinandersetzungen Hinweise zur Bedeutung persönlicher Beziehungen zwischen Unternehmer und Angestellten. Der Charakter, die Arbeit, die Moralvorstellungen und das Wissen des leitenden Unternehmers waren ein sichtbarer Teil des Arbeitsprozesses. Der Großbetrieb wurde zu Beginn von außen stark kritisiert und auch die Aktiengesellschaften standen der Kritik der Regierungen gegenüber und ebenso dem Misstrauen des Publikums. Es ging dabei vorrangig um Managementfragen, Leistungen und Methoden. Der traditionelle Eigentümerunternehmer erschien ehrlicher und einsatzfreudiger in Bezug auf die Erhaltung und Förderung der Organisation als angestellte Leiter.383 So heißt es bei Arwed Emminghaus (Allgemeine Gewerkslehre, 1868): „Einer muß herrschen. Die Monarchie ist die ausschliesslich berechtigte Verfassungsform in gewerklichen Unternehmungen.“ 384 Nach Jürgen Kocka dauerte es lange, bis nicht-personenbezogene Mittel der Führung wie Buchhaltung, Berichte, Statistiken, Tabellen über Vermögen und Kosten usw. akzeptiert wurden.385 Auf der Seite der Arbeiter und Gewerkschaften lässt sich ein Wandel im Bezug auf die Machtverhältnisse im Rahmen der Rationalisierungsbewegung entziffern.386 In den Anfängen nahmen sie eine grundsätzliche Oppositionshaltung gegen die kapitalistische Industrie ein. Gegen die Versuche der Disziplinierung und Produktivmachung hatten sie sich aktiv zur Wehr gesetzt. Dieser Widerstand fand sich im Betriebsalltag wieder, in vielen Streiks oder politische Äußerungen.387 Auch mit Durchsetzung der Rationalisierungsbewegung blieb der Widerstand teilweise bestehen. So wandten sich Arbeiter und Gewerkschaften vor al382 Emminghaus, A. (1868): S. 164; Vgl. Kocka, J. (1969): S. 336. 383 Vgl. Kocka, J. (1969): S. 342f. 384 Emminghaus, A. (1868): S. 159. 385 Vgl. Kocka, J. (1969): S. 344. 386 Vgl. Ehmer, J.; Meißl, G. (1984): S. 52–53. 387 Vgl. Shenhav, Y. (2002): S. 102–133.
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lem gegen die Rationalisierung von Arbeitsplätzen. Widerstand zeigte sich aber auch durch das sogenannte „soldiering“. So machte Frederick W. Taylor während seiner Tätigkeit als Werkstattschreiber bei Midvale die Beobachtung, dass Arbeiter systematisch „bummelten“ und die Arbeit „bewusst streckten“.388 Wo die Produktion innerhalb eines gewissen Zeitraums erfolgte, blieb außerdem manchmal Zeit, die der Arbeiter auf andere Weise auszufüllen wusste. Aus der Perspektive einer imaginären Macht ging die Subjektivierung des Arbeiters außerhalb der Arbeit vonstatten. Sie vollzog sich vorrangig in der Freizeit.389 Eine hohe Identifikation mit Arbeit und Organisation war hier im Vergleich zum „Manager-Ingenieur“390 nicht vorhanden. Insgesamt minimierte sich jedoch der Widerstand, was auf die Internalisierung der Neuorganisation der Produktion durch das Management schließen lässt. Die Konstruktion eines auf „wissenschaftlichen“ Regeln basierenden Managements ermöglichte einen Konsens zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Das Management und sein Agent, der „Manager-Ingenieur“391, nahmen hierbei eine scheinbar „objektive“ Rolle als „Friedensstifter“ zwischen diesen Parteien ein. Darüber hinaus wurden Erfolge für Arbeiter und Gewerkschaften verzeichnet. So verbesserten sich die Arbeitsbedingungen für den Arbeiter (Arbeitszeit, Lohn). Die Zugeständnisse an den Arbeiter bezogen sich jedoch größtenteils auf den Bereich der Reproduktion und nicht auf eine Veränderung der Produktionsverhältnisse. Die Macht über Ziele und Organisationsformen blieb bestehen. Kritisch betrachtet sind die wesentlichen „Fortschritte“ nur möglich geworden, weil Arbeiter und Gewerkschaften die Regeln des Kapitalismus („cash nexus“) akzeptiert und verinnerlicht hatten. Zu einem großen Teil wurde die Rationalisierungsbewegung von Vertretern der Gewerkschaften, der SPD und von Arbeitern dabei unterstützt. Diese Befürwortung lag u.a. auch an dem, was Konzepte des „Organisierten Kapitalismus“, wie sie u.a. Rudolf Hilferding vertraten, suggerierten. Man versprach sich von der Rationalisierungsbewegung einen Fortschritt. Die Technisierung der Arbeit, die Verbesserung der Verwertungsbedingungen und die Befähigung der Arbeiter sollten Freiheit und Demokratie für alle bringen.392 Rhetorik spielte daher bei der Durchsetzung des Konzepts eine entscheidende Rolle: Einkommenserhöhung, mehr Freizeit und mehr Pausen wurden versprochen. Walther Benjamin äußerte sich folgendermaßen über die Einstellung auf Seiten der Arbeitnehmer zum Fortschritt durch die Rationalisierungsbewegung: 388 Vgl. Hebeisen, W. (1999): S. 17f. 389 Vgl. Dale, K., Burrell, G. (2008): S. 104. 390 Reckwitz, A. (2006): S. 337ff. 391 Reckwitz, A. (2006): S. 337ff. 392 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 224–225.
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„Es gibt nichts, was die deutsche Arbeiterschaft in dem Grade korrumpiert hat wie die Meinung, sie schwimme mit dem Strom. Die technische Entwicklung galt ihr als Gefälle des Stroms, mit dem sie zu schwimmen meinte.“393
Auf einen Diskurs, der Arbeit „‚als Quelle alle[n] Reichtums und aller Kultur‘“ [definiert, antwortete bereits Karl Marx kritisch, dass] der Mensch, der kein anderes Eigentum besitze als seine Arbeitskraft‚ ‚der Sklave der andern Menschen sein muß, die sich zu Eigentümern… gemacht haben.‘“394 Arbeit sollte allen Reichtum bringen. Was das für den Arbeiter bedeutet, der über seine Arbeit nicht mehr verfügen kann, ist kaum Gegenstand des Diskurses. Rhetorisch wurde vermittelt, was allen Parteien zugutekommen sollte. Es ging hierbei um die Vorstellung einer zunehmenden Naturbeherrschung und darum, den Fortschritt im Sinne der gesamten Gesellschaft voranzutreiben. Die Rückschritte der Gesellschaft, welche das entpolitisierte und technokratische Rationalisierungsmodell mit sich brachten, wurden wenig thematisiert. Der Diskurs weist schon die „technokratischen Züge auf, die später im Faschismus begegnen werden“395. Laut Walther Benjamin gehört hierzu auch, dass auf naive und genugtuende Weise die Ausbeutung der Natur der Ausbeutung des Proletariats gegenüber gestellt wird. Die Natur ist „gratis da“ und komplementiert den „korrumpierenden“ Begriff von Arbeit.396 „Die alte protestantische Werkmoral feierte in säkularisierter Gestalt bei den deutschen Arbeitern ihre Auferstehung.“397 Arbeiter sind zunehmend der eigenen Selbstbeobachtung ausgesetzt. Es geht dabei um die andauernde Anpassung der Verhaltensweisen, Motive und Moralvorstellungen des kapitalistischen Produktionssystems. Josef Ehmer et al. schließen hier auf „eine tiefe Verinnerlichung der objektiv erscheinenden Produktionszwänge und somit auf ein Gelingen des so langwierigen kapitalistischen Disziplinierungsprozesses“398. Widerstand gegen die Rationalisierungsbewegung kam von Künstlern wie Franz Kafka, die im Taylorismus eine Entmenschlichung sahen: „Es handelt sich um mehr als das. Bei so einem gewaltigen Frevel kann zum Schluß nur die Knechtung durch das Böse herauskommen. Das ist natürlich. Der erhabenste und am wenigsten abtastbare Teil aller Schöpfung, die Zeit, wird in das Netz unreiner Geschäfts393 Benjamin, W. (1974): S. 698f [Herv. i.O.]. 394 Benjamin, W. (1974): S. 699. 395 Benjamin, W. (1974): S. 699. 396 Vgl. Benjamin, W. (1974): S. 699. 397 Benjamin, W. (1974): S. 699; Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 225. 398 Ehmer, J.; Meißl, G. (1984): S. 54.
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interessen gepreßt. Damit wird nicht nur die Schöpfung, sondern vor allem der Mensch, der ihr Bestandteil ist, befleckt und erniedrigt. So ein vertaylorisiertes Leben ist ein grauenvoller Fluch, aus dem nur Hunger und Elend an Stelle des gewünschten Reichtums und Gewinnes erwachsen kann. Das ist ein Fortschritt.“399
Franz Kafka kritisiert hier, dass nicht nur die Arbeitszeit taylorisiert wird, sondern auch die Freizeit.400 Er erkannte, dass sich die Rationalisierungsbestrebungen nicht auf den Bereich der Produktion beschränken würden, sondern auf eine Rationalisierung des ganzen Menschen zielten. Insgesamt setzte sich das „Wissenschaftliche Management“ auch in anderen Ländern wie Frankreich, Japan und der damaligen Sowjetunion durch. Ein Vergleich zwischen Deutschland und anderen Ländern, auch im Hinblick auf Formen des Widerstands, wäre mit Sicherheit gewinnbringend.
4.3 D IE „E NTRATIONALISIERUNG “ AM E NDE DES 20. J H . S
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„Magicians in the boardroom are having a wonderful time.“401
Im Vergleich zum beginnenden 20. Jh.sind Organisationen heute ein integraler Bestandteil westlicher Gesellschaften. Auch das Management von Organisationen ist anerkannt und weitet sich auf immer mehr Organisationen der Gesellschaft aus. In den 1980er Jahren hielten Managementtechniken, welche vorrangig bei privaten Organisationen angesiedelt waren, zudem Einzug in öffentliche Einrichtungen. Frank Müller und Chris Carter stellen dies beispielsweise für Großbritannien fest, wobei dieser Trend zunehmend auch für Deutschland beobachet werden kann402: „Since the 1980s, management practices, financial responsibility and budget accountability derived from the commercial sector have been increasingly employed in the UK’s public sector, with the effect of reducing the status and autonomy of public-sector professionals.“403
399 Janouch, G. (1951): S. 32. 400 Vgl. Clegg, S. R.; Courpasson, D.; Phillips, N. (2006): S. 69ff. 401 Albrow, M. (1992): S. 322. 402 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 261ff, insb. S. 262. 403 Müller, F. u.a. (2008): S. 4.
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Das unternehmerische Machtdispositiv beeinflusst hierbei zunehmend Wertvorstellungen, Arbeitspraktiken und Selbstverständnis von Arbeitnehmern und Vorgesetzten in öffentlichen Einrichtungen. Ein anderer Trend besteht in der gesellschaftlichen Kritik, welcher Rationalisierung, Bürokratie und Hierarchie in unterschiedlichen gesellschaftlichen Teilsystemen wie Wirtschaft, Bildung und Politik unterzogen sind. Seit den 1980er Jahren geht es im wissenschaftlichen, aber auch im alltäglichen Diskurs um die Ersetzung rationalistischer Organisationskonzepte durch scheinbar arationalistische Ansätze. Die Organisationskultur hingegen ist zu einem beliebten Thema avanciert und dient dazu, die Identifikation der Beschäftigten mit dem Unternehmen zu unterstützen. Dies gilt vor allem dort, wo strukturelle organisatorische Grenzen abgebaut werden. Im Vergleich zur Rationalisierungsbewegung zu Beginn des 20. Jh.s hat sich das Organisationsdispositiv scheinbar grundlegend verändert. Anstelle von Rationalisierung ist im Zusammenhang mit Organisation die Rede von Leidenschaft, Engagement und Eigenverantwortung. Martin Albrow betont, dass diese veränderte Auffassung von Organisation auch mit deren endgültiger gesellschaftlicher Durchsetzung zusammenhängt: „There is also a fundamental change […], no doubt because organization itself is now integral to, rather than subversive of, the power structure of the wider society. The organization as the expression of human passion is now legitimate.“404
Organisation erscheint insofern als „internalisiert“. Sie kann zunehmend auf sichtbare Strukturen, Regeln und Eingrenzungen im Sinne von „Einschließungsmilieus“ verzichten und weist in dieser Hinsicht scheinbar Tendenzen der Entbürokratisierung und Entrationalisierung auf. Gilles Deleuze spricht sogar von einer Krise der Organisation als Einschließungsmilieu. „Wir befinden uns in einer allgemeinen Krise aller Einschließungsmilieus, Gefängnis, Krankenhaus, Fabrik, Schule, Familie. Die Familie ist ein ‚Heim‘, es ist in der Krise wie jedes andere Heim, ob schulisch, beruflich oder sonstwie. Eine Reform nach der anderen wird von den zuständigen Ministern für notwendig erklärt: Schulreform, Industriereform, Krankenhausreform, Armeereform, Gefängnisreform. Aber jeder weiß, daß diese Institutionen über kurz oder lang am Ende sind. Es handelt sich nur noch darum, ihre Agonie zu verwalten und die Leute zu beschäftigen, bis die neuen Kräfte, die schon an die Türe klopfen, ihren Platz eingenommen haben.“405
404 Albrow, M. (1992): S. 323. 405 Deleuze, G. (1990).
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Die Krise der Organisation als Einschließungsmilieu darf jedoch nicht verwechselt werden mit einer allgemeinen Krise von Organisationen, auch wenn Autoren z.B. über das Ende des organisierten Kapitalismus schreiben.406 So beschreibt Klaus Türk die Entwicklung der Organisation im 19. und 20. Jh. z.B. als den außerordentlichen Siegeszug einer sozialen Form, „die im 19. Jh. noch umstritten und umkämpft war und heute zu einer Selbstverständlichkeit ersten Ranges geworden ist, die kaum mehr an sich, sondern allenfalls hinsichtlich bestimmter struktureller Ausprägungen kritisiert wird“407. Die Veränderung des organisationalen Machtdispositivs steht im Vordergrund der folgenden Analyse. Im Mittelpunkt steht wiederum die Frage nach dem Verhältnis zwischen Organisation, Macht und Subjekt. Zentral ist die Betrachtung von Tendenzen der „Entrationalisierung“. Hierbei wird im Folgenden die These vertreten, dass sich der Aspekt der rationalen Strukturierung von der Ebene der Organisation auf das einzelne Individuum verlagert hat. Die scheinbare Entrationalisierung der Organisation erscheint damit lediglich als ein Aspekt der Verinnerlichung unternehmerischer Rationalität beim einzelnen Individuum. Es handelt sich um einen Mechanismus, welcher dessen umfassende Ein- und Unterordnung in ein Organisationsdispositiv spätkapitalistischer Gesellschaften ermöglicht. Rationalisierung durch Management verschwindet hierbei nicht aus dem Organisationsdispositiv, sondern verstärkt sich, indem sie bei einer immer größeren Gruppe von arbeitenden Menschen zu einem Teil ihres Selbstverständnisses und ihres Selbstverhältnisses wird. Diese Entwicklungen sind vor allem in wissensintensiven Berufen sichtbar, weshalb diese im Vordergrund stehen. Kontext und Entstehung eines neuen Organisationsdispositivs Die angesprochenen Veränderungen in Management und Organisation sind in einen gesellschaftlichen Diskurs eingebettet, der häufig mit Informations- oder Wissensgesellschaft betitelt ist, egal, ob es sich um den Einsatz von mehr Wissen oder aber um den zunehmenden Fokus auf Innovation und Kreativität handelt. Diese Entwicklungen gehen einher mit der durchschnittlichen Abnahme von Handarbeit seit Mitte des 20. Jh.s. 1990 war der Anteil manueller Arbeit an der gesamten arbeitenden Bevölkerung in Deutschland auf ein Drittel und in den USA auf ein Fünftel gesunken. Seitdem ist die Produktivität des mit Kopfarbeit beschäftigten Arbeiters entscheidend. Die Beschreibung der Wissensgesellschaft bezieht sich auf verschiedene gesellschaftliche Teilbereiche: Wirtschaft, Politik, Bildung und Kultur.408 Der Fokus der Veränderungen liegt jedoch auf dem öko406 Vgl. Lash, S; Urry, J. (1987). 407 Türk, K. (2005): S. 1. 408 Vgl. Junge, T. (2008): S. 164.
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nomischen Bereich. Es geht hierbei um einen Wandel vom sogenannten Industriezeitalter zu einer sogenannten Wissensökonomie. Wissensbasierte Wirtschaften sind der OECD zufolge: „economies which are directly based on the production, distribution and use of knowledge and information“409. Hierdurch unterscheidet sich die „neue“ Ökonomie von einer Ökonomie, deren Produktion hauptsächlich durch materielle Faktoren bestimmt war. Die Produktivkräfte Wissen, Innovation und Technologie ergänzen die herkömmlichen Faktoren Boden, Kapital und Arbeit. Wissensintensive und produktionsbegleitende Dienstleistungen erlangen einen hohen Stellenwert und manuelle Tätigkeiten werden zunehmend ersetzt durch informations- und wissensintensive bzw. ästhetische Arbeit.410 Informationsbasierte Tätigkeiten wie Beratung, Design, Information, Werbung, Medien, Tourismus, Finanzen, Unterhaltung, Forschung und Entwicklung entwickeln sich zu Leitfiguren eines neuen Arbeits- und Organisationsdispositivs.411 Die Organisationsformen, die diese Tätigkeiten organisieren, grenzen sich ab vom alten Organisationsdispositiv, welches das rationalisierte Großunternehmen, unternehmerische Sozialpolitik und den „Manager-Ingenieur“412 idealisiert. An die Stelle der alten organisatorischen Ordnungen tritt ein Dispositiv, das projekt- und teamorientierte Arbeit favorisiert sowie scheinbare Entrationalisierung bzw. Emotionalisierung befürwortet. Zentral ist hierbei die stärkere Konzentration auf den einzelnen Beschäftigten, sein Wissen und seine Kreativität als Voraussetzung für unternehmerische Innovationen. Durch eine erhöhte Innovationstätigkeit versuchen Unternehmen, auf stark veränderliche Konsumentenwünsche zu reagieren.413 Veränderungen von Produktionsformen lassen sich dahingehend nicht unabhängig vom historisch spezifischen Konsumverhalten betrachten. So hat sich die Konsumentenkultur von einer Kultur des sozialen Normalismus zu einer Individualästhetik transformiert. Thomas Frank zufolge ist der „hippe Konsument“ oder der „Konsumrebell“ die zentrale Figur des spätmodernen Konsums.414 Er unterscheidet sich vom statusorientierten und konformistischen Konsumenten der frühen 1950er Jahre, der sich folgendermaßen darstellte: 409 „This is reflected in the trend in OECD economies towards growth in hightechnology investments, high-technology industries, more highly-skilled labour and associated productivity gains.“ Organization for Economic Co-Operation and Development (1996): S. 6. 410 Vgl. Reckwitz, A. (2006): S. 512. 411 Vgl. Reckwitz, A. (2006): S. 500f. 412 Reckwitz, A. (2006): S. 337ff. 413 Vgl. Reckwitz, A. (2006): S. 500. 414 Vgl. Frank, T. (1997); Reckwitz, A. (2006): S. 502.
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„Consumerism is about conformity. In order to move up a conventional status hierarchy, one must try as much as possible to conform to the set of prevailing social expectations. In order to move up the corporate ladder, one must become a generic ‚organizational man’; in order to move up the social ladder, one must have the right sort of house in the right sort of neighborhood, wear the right sort of clothes, send one’s kids to the right schools, and so forth.“415
Bereits in den 1960ern forcierte die Werbeindustrie Kampagnen, welche Konsumenten ermutigten, sich nicht dem „Mainstream“ anzupassen, sondern anders zu sein bzw. Individualität durch Konsum auszudrücken. Joseph Heath zufolge hat die Werbeindustrie diesen Trend bereits vor der Herausbildung „hipper“ Subkulturen angekurbelt.416 Außerhalb der Masse zu stehen bzw. konsumkritisch zu sein, ist heute ein positiver Wert an sich: „If everyone else is going to be wearing a suit and tie, then showing up in casual dress is a way to appear more relaxed, personable, and fun than everyone else.“417 Konsum stellt sich als Ausdruck von Individualität und persönlicher Freiheit dar. Es handelt sich dabei nicht um eine antikonsumistische Haltung. Im Gegenteil, der hippe Konsument drückt seine Identität durch den Konsum aus, versucht dabei jedoch, nicht dem Mainstream zu folgen. Konsum als Ausdruck von Distinktion ist jedoch selbst bereits ein kulturell verankerter Mainstream, der von der Werbeindustrie kräftig unterstützt wird. Kompetitiver Konsum ist schließlich vorteilhaft für die Produktionszweige, welche die relevanten Konsumgüter bereitstellen.418 Am Beispiel des Konsums und seiner Bedeutung für Produktionsverhältnisse wird deutlich, dass es zu kurz gegriffen wäre, die Veränderungen des Organisationsdispositivs allein auf der Basis von wirtschaftlichen Notwendigkeiten zu erklären. Es sind unterschiedliche kulturelle Entwicklungen, die seit 415 Heath, J. (2001): S. 12. 416 „The most clear-cut example of this is the VW bug, which became one of the most prominent symbols of the hippie counterculture of the late 1960s. This was entirely a product of effective advertising. At the end of the 1950s, most Americans thought the beetle was ugly, and associated it primarily with the Nazis. The car’s fortunes in America were turned around by a now-famous advertising campaign, which began in 1961, that encouraged consumers to buy bugs precisely because they were ugly, unglamorous, and square. Buying a bug was a way of standing out from the crowd, rebelling against the big three automakers and their programs of planned obsolescence. It was a way of taking a stand against consumerism.“ Heath, J. (2001): S. 13. 417 Heath, J. (2001): S. 13. 418 Vgl. Heath, J. (2001): S. 14.
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den 1970ern zu einem veränderten Organisationsdispositiv führen und neue Subjektivitäten hervorbringen.419 Diese Entwicklungen sind selbst in ein Feld der Macht eingebunden und wo sie sich verdichten, verfestigt sich ein neues Organisationsdispositiv. Neben einer Veränderung der Konsumkultur trägt ein neoliberaler, postbürokratischer Managementdiskurs zur Veränderung des Organisationsdispositivs bei. Dieser wurde wiederum durch die ökonomische Chicago School und den Ordoliberalismus (z.B. Friedrich August von Hayek o. Gary S. Becker) angestoßen. Die Chicago School und der Ordoliberalismus haben das wirtschaftliche Denken in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s maßgeblich geprägt. Die postbürokratische Managementschule hat deren neoliberalistische Logik übernommen und die rationalistische Einstellung zur Organisation, die Schule des Scientific Management und den damit einhergehenden „organization man“ seine Legitimation entzogen.420 Postbürokratische Managementforschungen enthalten neoliberale Elemente, aber auch einen Diskurs, welcher auf die Entwicklung der Persönlichkeit abzielt. Das Unternehmen ist die Idealform des unternehmerischen Subjektes, das permanent auf Kundenwünsche reagiert und bereit ist, sich stetig selbst zu optimieren.421 Daneben unterstreicht der postbürokratische Managementdiskurs Möglichkeiten der persönlichen Entfaltung von Beschäftigten. Selbstverwirklichung und Sinnsuche bestimmen den Diskurs um Arbeit und Motivation. Routine, Bürokratien und Hierarchien stehen diesen Anforderungen im Weg. In der Praxis ist dieser Diskurs bereits angekommen. Wissensarbeiter, insbesondere Hochschulabsolventen, richten sich schon seit den 1970ern gegen den Konformismus und die Routinearbeit der organisierten Moderne. Gesucht wird hingegen nach Authentizität und Selbstentfaltung. Der Künstler wird zum Ideal dieser neuen „kreativen Klasse“.422 Die humanistische Motivationstheorie von Abraham Maslow dient hier als organisationswissenschaftliche Legitimation dieser Idee der Selbstverwirklichung.423 Der Diskurs, der ein postmodernes, nach individueller Entfaltung und Selbstverwirklichung strebendes Subjekt konstruiert, postuliert gleichzeitig die Nicht-Rationalität von sozialen Systemen. Organisati-
419 Vgl. Reckwitz, A. (2006): S. 501. 420 Zum postbürokratischen Managementdiskurs zählen beispielsweise Kanter, R. (1979); Handy, C. (1998); Peters, T.; Waterman, R. (1982). 421 Vgl. Reckwitz, A. (2006): S. 504ff. 422 Florida hat diese Gegenkultur exemplarisch für die USA dargestellt. Vgl. Florida, R. (2002). 423 Vgl. Maslow, A.H. (1943).
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onen verstehen sich als selbstorganisierende Systeme oder Ordnungen, die sich der rationalen Steuerung entziehen.424 Symbolisch legitimiert sich der scheinbar entrationalisierte postbürokratische Managementdiskurs so über die Grenzziehung zum rationalistischen Managementdiskurs der 1920er und 1930er Jahre. Die digitalen Kommunikationstechnologien stellen einen weiteren wichtigen Faktor für die Entstehung eines neuen Organisationsdispositivs dar. In Organisationen lassen sie sich zwar zunächst vor allem dazu einsetzen, Rationalisierungsmaßnahmen bzw. klassische Planungsund Überwachungsfunktionen auf effiziente Weise zu stützen.425 Sie unterstützen jedoch auch alternative Arbeits- und Organisationsformen. Arbeit muss nicht mehr an festen Orten stattfinden, sondern kann das „Einschließungsmilieu“ verlassen. Außerdem sind entscheidungsrelevante Informationen nicht mehr zwingend an zentraler Stelle gespeichert, sondern können überall im Unternehmen verfügbar gemacht werden, was wiederum den Abbau von hierarchischen Strukturen unterstützt und eine gesteigerte Markt- und Kundennähe schafft.426 Bildung, Weiterbildung und Lernen im neuen Organisationsdispositiv Wo Wissen und Kreativität als Voraussetzungen für Innovation betrachtet werden, intensiviert sich die Verbindung zwischen Wirtschaft und Bildung. Kritik an der schulischen Ausbildung, ihrer geringen Anwendungsorientierung und der mangelhaften Bildung von Schülern wird laut. Darauf basierend wird auch die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als gefährdet eingestuft.427 Klaus Türk, Thomas Lemke und Michael Bruch beschreiben als Ergebnis dieser Kritik eine Durchsetzung ökonomischer Konzepte auch in Organisationen, die anderen gesellschaftlichen Funktionssystemen angehören. Sie verweisen hier auf Hochschulen, öffentliche Verwaltungen und Verbände.428 Peter Miller und Nikolas Rose betonen: „The language of enterprise has become so significant, we suggest, because it enables a translatability between the most general apriori of political thought and a range of specific programmes for administering the national economy, the internal world of the firm and a whole host of other organizations from the school to the hospital. But further, it enables
424 Siehe hierzu u.a. Karl Weick (1995). 425 Vgl. Reckwitz, A. (2006): S. 503f; Richter, N. (2008). 426 siehe auch Richter, N. (2008). 427 Vgl. Junge, T. (2008): S. 166. 428 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 262.
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such programmes to accord a new priority to the self-regulating capacities of individuals.“429
Die Ökonomisierung der Bildung und die Erziehung von Schülern und Studenten zu selbstverantwortlich handelnden Individuen soll Schulen und Hochschulen leistungs- und wettbewerbsfähig erhalten und Innovationen verwirklichen. Gilles Deleuze deutet darauf hin, dass sich mit der Ökonomisierung der Bildung die Schule dem Unternehmen annähert. „Das modulatorische Prinzip des ‚Lohns nach Verdienst‘ verführt sogar die staatlichen Bildungseinrichtungen: Denn wie das Unternehmen die Fabrik ablöst, löst die permanente Weiterbildung tendenziell die Schule ab, und die kontinuierliche Kontrolle das Examen. Das ist der sicherste Weg, die Schule dem Unternehmen auszuliefern.“430
Die Weiterbildung wird zu einem wichtigen Faktor innerhalb dieser Entwicklung. Lebenslanges Lernen durch permanente Weiterbildung betont den Stellenwert von Bildung im Zusammenhang mit ökonomischen Veränderungen. In einer globalen Weltwirtschaft, die durch Wandel, Technik und Wissen gekennzeichnet ist, werden Lernen und Flexibilität vom Einzelnen stärker gefordert.431 Jedoch verschiebt sich die Verantwortung für die ausreichende Qualifikation auf das „unternehmerische Selbst“.432 Dieses soll sich die notwendigen Fähigkeiten und das Wissen möglichst selbstbestimmt aneignen. Ähnlich wie ein Unternehmen bietet der Einzelne ein Portfolio als Zusammenstellung von Fähigkeiten, Projekten und Wissen im Wettbewerb mit anderen auf dem Markt an. Das „Unternehmerische Selbst“433 bezeichnet den Menschen als Kapitalform, die einer permanenten Investition durch Weiterbildung bedarf. Der Mensch tätigt als ökonomischer Mensch Investitionen in seine Bildung, die sich am Verhältnis von Kosten und Nutzen orientieren. Neben der eigentlichen Arbeitskraft sollen zunehmend auch persönliche und individuelle Fähigkeiten in den Arbeitsprozess einfließen und in der Unternehmensstrategie berücksichtigt werden.434 Selbstoptimierung und lebenslanges Lernen beziehen sich auf die gesamte Persönlichkeit und erscheinen zunehmend als Voraussetzungen, um auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich zu sein. Wo die Grenzen zwischen Selbst-Reproduktion und Arbeit 429 Rose, N., Miller, P. (1990): S. 24 [Herv. i.O.]. 430 Deleuze, G. (1990). 431 Vgl. Junge, T. (2008): S. 166. 432 Vgl. Bröckling, U. (2007). 433 Vgl. Bröckling, U. (2007). 434 Vgl. Junge, T. (2008): S. 167f.
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verschwinden, unterliegt jedoch auch die Freizeitbeschäftigung dem Anspruch der Selbstoptimierung und Steigerung. Die permanente Arbeit an sich selbst und das Verfolgen „sinnvoller“ Tätigkeiten auch in der Freizeit versprechen, einen qualitativ höheren Status zu erreichen. Wer nicht zur Selbstoptimierung gewillt oder in der Lage ist, kommt hingegen seiner gesellschaftlichen Verantwortung nicht nach und rückt an den Rand der Gesellschaft.435 Lernen und an ökonomischen Prinzipien ausgerichtete, permanente Selbstoptimierung werden hier zu einer gesellschaftlichen Norm, ohne dabei von den Individuen selbst notwendigerweise als Zwang wahrgenommen zu werden. So führt Gilles Deleuze aus: „Viele junge Leute verlangen seltsamerweise, ‚motiviert‘ zu werden, sie verlangen nach neuen Ausbildungs-Workshops und nach permanenter Weiterbildung.“436 Kommuniziert werden Anforderungen und Wünsche, welche sich in der imaginären Macht miteinander verbinden als Möglichkeit der „persönlichen Entfaltung“ und „Bereicherung“. „Begeisterungsfähigkeit für Neues, Neugierde, Wissensdurst sind nur einige wenige Schlagworte, die dem ökonomischen und pädagogischen Diskurs des Neoliberalismus gemeinsam sind.“437 Die Hinwendung zum neoliberalistischen Regierungsmodell auf gesellschaftlicher und auf organisatorischer Ebene impliziert die Erweiterung individueller Spielräume. „No longer is citizenship construed in terms of solidarity, contentment, welfare and a sense of security established through the bonds of organizational and social life. Citizenship is to be active and individualistic rather than passive and dependent.“438 Die Europäische Union feiert im Jahr 2009 das „Europäische Jahr der Kreativität und Innovation.“ Im Manifest an Manuel Barroso heißt es „Die Welt verändert sich immer schneller. Um in dieser neuen Welt an der Spitze zu stehen, muss Europa kreativer und innovativer werden.“439 Wichtige Aspekte zur Umsetzung sind das lebenslange Lernen, Forschung, praxisnahes Lernen an Schulen etc. Autonomie und Selbstentfaltung werden auch in Deutschland als Abwendung vom sozialstaatlichen Prinzip seit einigen Jahren gefordert. So fragt der Innovationsindikator, durchgeführt im Auftrag der Deutschen Telekom Stiftung und des Bundesverbandes der Deutschen Industrie: „Wie innovativ ist Deutschland?“440 Die Studie beschäftigt sich mit zentralen politischen Handlungsfeldern für die 435 Vgl. Junge, T. (2008): S. 173. 436 Deleuze, G. (1990). 437 Junge, T. (2008): S. 167. 438 Rose, N., Miller, P. (1990): S. 24. 439 Europäische Botschafter für Kreativität und Innovation (2009): S. 1 440 Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (2009): S. 1ff
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Förderung der Innovationstätigkeit in Deutschland. Hierzu zählen etwa Vorrang für Innovationen, Unterstützung von Gründern und Spitzentechnologien, Effizienz der Forschung, Investition in Bildung, Erweiterung der Finanzierungsmöglichkeiten für Unternehmen sowie Steigerung von Zukunftsinvestitionen usw. Sprachlich werden in solchen und ähnlichen Studien Aspekte der Freisetzung von Individuen und Organisationen wie Hochschulen und Bildungseinrichtungen unterstrichen. Es handelt sich um ein neues Dispositiv, welches Individualität, Kreativität und Wettbewerb besonders unterstreicht. Die Radikalisierung von Individualität betont hier auch eigenverantwortliches Handeln. Autonomie bedingt ein „Unternehmerisches Selbst“441, welches sich dem Wettbewerb des Lebens stellt und alle Bereiche des Lebens, insbesondere aber Konsum, Erziehung, Bildung und Arbeit danach ausrichtet. Hierin wird der Unterschied zum Zeitalter des „Organisierten Kapitalismus“ deutlich. So betont Gilles Deleuze: „Die Fabrik setzte die Individuen zu einem Körper zusammen, zum zweifachen Vorteil des Patronats, das jedes Element in der Masse überwachte, und der Gewerkschaften, die eine Widerstandsmasse mobilisierten; das Unternehmen jedoch verbreitet ständig eine unhintergehbare Rivalität als heilsamen Wetteifer und ausgezeichnete Motivation, die die Individuen zueinander in Gegensatz bringt, jedes von ihnen durchläuft und in sich selbst spaltet.“442
Der Mensch, konzipiert als homo oeconomicus, soll lernen unter Unsicherheit zu handeln, Ziele festzulegen und ständige Neugier und den Willen zur Weiterentwicklung zu etablieren. Betrachtet man Stellenausschreibungen von Unternehmen, findet sich sowohl jene Forderung nach dem „unternehmerischen Selbst“ als auch die Forderung nach dem Kreativsubjekt.443 Diese Forderung existiert unabhängig von der jeweiligen Branche oder vom jeweiligen Berufsbild. Es wird deutlich, dass es sich um eine gesamtgesellschaftliche Forderung handelt. Kreativität und Wettbewerbsfähigkeit sind Ansprüche, welche sich mittlerweile auf andere als die zuvor genannten, rein symbolproduzierenden Tätigkeiten ausgedehnt haben.
441 Bröckling, U. (2007). 442 Deleuze, G. (1990). 443 Vgl. Reckwitz, A. (2006): S. 500ff.
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Schaukasten 3: Die Suche nach dem kreativen Unternehmersubjekt „Vertriebsmitarbeiter Außendienst (m/w) für das Autoglasgeschäft (für einen Ausrüster für Autoglasreparatursysteme) Ihr Profil: Sie verfügen über ein ausgezeichnetes unternehmerisches Denken und sind in der Lage, anspruchsvolle Vertriebsziele mit Engagement, Konsequenz und Nachhaltigkeit zu erreichen. Ihr Anspruch ist es, mit Freude viel zu leisten.“ 444 „Konferenz-Manager /- in (für einen Full-Service-Anbieter für Kommunikations- und Marketingleistungen) • analytisches, unternehmerisches Denken • Kreativität • Teamfähigkeit • konzentrierte, termingebundene Arbeit, auch unter Zeitdruck“ 445 „Immobilien-Berater in der Abteilung Luxusimmobilien (für ein Dienstleistungsunternehmen der Immobilienbranche) Für eine erfolgreiche Kooperation bringen Sie Berufserfahrung in einem oder mehreren Gebieten wie Verkauf, Architektur, Betriebswirtschaft, Marketing, Jura, Dienstleistungssektor oder im besten Fall aus der Immobilienbranche mit. Unternehmerisches Denken, Kreativität und Lernfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit, Verhandlungsgeschick, ein hohes Mass an Einfühlungsvermögen und Flexibilität runden Ihre Qualifikationen ab.“ 446 „Justiziarin/Justiziar (für eine Pflegeeinrichtung) Unsere Anforderungen: Eine Volljuristin/einen Volljuristen möglichst mit Prädikatsexamen Gute Kenntnisse in Arbeits- und Sozialrecht und allgemeinem Zivilrecht Möglichst 2 Jahre Berufserfahrung in den o. g. Rechtsgebieten Unternehmerisches Denken und Kreativität bei einer analytischen und termingerechten Arbeitsweise“ 447 Quelle: siehe Fußnoten
444 Kalaydo.de. 445 Querdenker.de. 446 Engelvoelkers.de. 447 Pgdiakonie.de.
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Das Kreativsubjekt verfügt über Innovationsfähigkeiten und sucht nach Herausforderungen, Selbstverwirklichung und „innerem Wachstum“. Das „unternehmerische Selbst“ hingegen ist permanent um Selbstoptimierung bemüht und stellt sich dem permanenten Wettbewerb um Effizienz und kalkuliertes Risiko. Der Diskurs um Wissen und Kreativität fordert eine Neubestimmung der individuellen Tätigkeit und Bildungswege. Vor allem geht dies einher mit höheren Bildungsanforderungen. Das neue Ideal ist der kreative und selbstständige Wissensarbeiter. Dieser Typus wird von Unternehmen unterschiedlicher gesellschaftlicher Teilbereiche eingefordert bzw. gestützt. Das Organisationsdispositiv in der „Kreativ- und Wissenswirtschaft“ Gekennzeichnet war die „alte“ Ökonomie vom Einschließungsmilieu. Beschäftigte verrichteten ihre Arbeit in Fabriken oder Büros.448 Langfristige Arbeitsverträge beinhalteten Vorgaben über Zeit, Ort und Arbeitsaufgaben. Unterschiedlichen Autoren zufolge gehören diese Aspekte der Vergangenheit an.449 So unterstreichen Luc Boltanski und Ève Chiapello, nach einer Untersuchung von Managementliteratur der 1990er Jahre, dass der Projektmodus zu einem wesentlichen Bestandteil der Wertschöpfung wird. Organisationen sind nicht mehr auf Dauer gestellt, sondern unterliegen der Notwendigkeit einer ständigen Transformation.450 Auch Michel J. Piore und Charles F. Sabel beschreiben einen Wandel: den „Second Industrial Divide“. In der flexiblen Spezialisierung als neuer Organisationsform liegt der Fokus auf losen Netzwerken kleiner Produzenten. Produktinnovation und Produktqualität stehen im Vordergrund. In der Organisationstheorie wird die Tendenz hin zu flachen Organisationsstrukturen beschrieben. Empowerment, Kreativität, Eigenverantwortung und anti-bürokratische Organisationen sind zentral für diese Diskussion. Das Gegenbild dazu ist das bürokratische Großunternehmen und die Vorstellung, die Organisation sei eine technische und reibungslos funktionierende Maschine. Rigidität und Starrheit statt Flexibilität sind beispielhafte Unterscheidungsmerkmale, an denen sich der veränderte Diskurs um Organisation und Management orientiert. Das unternehmerische Kreativsubjekt wird dem „Manager-Ingenieur“ gegenübergestellt und zu einem positiven Vorbild für Kreativität und Aktivität.451 Die Berechenbarkeit der ratio-
448 Vgl. Junge, T. (2008): S. 164. 449 Vgl. Boltanski, L.; Chiapello, È. (2006); Alvesson, M.; Kärreman, D. (2001); Jacques, R. (1996); Reckwitz, A. (2006); Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006). 450 Vgl. Boltanski, L.; Chiapello, È. (2006): S. 462ff. 451 Vgl. Reckwitz, A. (2006): S. 500f.
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nalistischen Organisation bildet die Negativfolie für einen Diskurs um Fluidität und Innovationsorientierung. Siemens beispielsweise war lange bekannt für seine starke Hierarchie und seine ausgeprägte Bürokratie.452 Heute konzentriert sich das Unternehmen auf Kooperation sowie nichthierarchische Wissens- und Informationsflüsse. Ähnliches wird für das Unternehmen IBM beobachtet, welches wie Siemens neue Methoden des Wissensmanagements eingeführt hat und den Abbau fester Strukturen und Hierarchien forciert. Diese Entwicklung erscheint revolutionär, berücksichtigt man, dass IBM bis 1993 wie eine paternalistische Armee operierte.453 IBM war bis dato eine rigide Organisation und entsprach laut Richard Sennett dem, was Max Weber einst als „stahlhartes Gehäuse“ bezeichnet hatte. Mit der Übernahme des Unternehmens durch Louis Gerster wurde bei IBM zwischen 1993 und 1996 das stahlharte Gehäuse durch eine fluide Organisationsstruktur ersetzt. Die Organisationsgrenzen scheinen durch Globalisierungstendenzen, Netzwerke, Online-Kommunikation und elektronisch vernetzte Arbeit zu verschwinden.454 Anstelle von Festanstellungen werden kurzfristige und leicht lösbare Projektanstellungen prägend für die neuen Arbeitsverhältnisse. Mitarbeiter unterliegen hier anderen Beziehungen als im „Organisierten Kapitalismus“. Arbeit wird als „komplexes und globales Netz“ gedacht, wo die Fähigkeit zum gezielten Lernen und zur permanenten Weiterbildung unabdingbar sind.455 Die Beschäftigten selbst sind Schnittstellen in einem globalen Produktionsnetzwerk. Unternehmerisches Denken und Handeln, welches sich durch Anpassungsfähigkeit und Mobilität auszeichnet und den andauernden Wettbewerb in den Vordergrund stellt, stellen sich als Leitbilder dar, die für das Unternehmen wiederum selbst weitaus effizienter sind als das Denken und Handeln des disziplinierten Regelbefolgers.456 Wo Mitarbeiter selbst für den Erfolg ihrer Aufgabe verantwortlich sind, werden zusätzliche Arbeitspotenziale vom Beschäftigten generiert bzw. freigesetzt. Kommuniziert wird dies für die Beschäftigten über den Aspekt der Selbstverwirklichung. Sie können Eigeninitiative zeigen, Fachkompetenzen einbringen, sich mit Produkt und Unternehmen identifizieren und mehr Arbeitszufriedenheit entwickeln. Der Mensch kann so seinen „inhärenten“ Bedürfnissen nach Individualität, Talententfaltung, Optimierung, Erleuchtung und Selbstentfaltung nachgehen.457 Diese Bedürfnisse decken sich idealerweise mit unternehmeri452 Vgl. Davenport, T.H.; Völpel, S.C. (2001): 220. 453 Vgl. Sennett, R. (2006). 454 Vgl. Picot, A.; Dietl, Reichwald, R.; Wigand, R.T. (2003). 455 Junge, T. (2008): S. 171. 456 Vgl. Junge, T. (2008): S. 171ff. 457 Vgl. Maslow, A.H. (1943).
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schen Zielstellungen nach konstanter Innovation. Innovation ist auf Kreativität angewiesen, welche wiederum beim Einzelnen liegt und nun in Teams, Projekten und Organisationsgemeinschaften durch den Einsatz neuer Managementmethoden fruchtbar gemacht werden soll. Flexibilität, Loyalität und Identifizierung mit den Unternehmenszielen ergänzen teilweise frühere Erwartungen wie Pünktlichkeit oder Zuverlässigkeit an den Arbeitnehmer. Neue Arbeitsidentitäten werden gefordert, die sich stärker an artistischer Arbeit und Produktion orientieren. Arbeit wird damit jedoch auch verstärkt zu einem Prozess des Identitätsmanagements. So steigen die Anforderungen von Menschen an ihre Arbeit. Sie wollen diese möglichst autonom mitgestalten und ihre Persönlichkeit im Arbeitsleben entfalten.458 Dies beinhaltet neue Führungstechniken, da Mitarbeiter, die sich durch ein hohes fachliches Können auszeichnen, einer unternehmerischen Führung bedürfen, welche an Identitäten gebundene Kreativität und Wissen in ökonomische Prozesse verwandeln können. Mit der Entgrenzung von Arbeit ist keinesfalls eine Befreiung der Arbeit verbunden. Dies wird häufig durch die Propagierung eines „Laissez-Faire-Führungsstils“ nahegelegt und erscheint auf den ersten Blick einleuchtend. Doch das Umgekehrte ist der Fall. Das Management erweitert seinen Zugriff auf die Identität bzw. auf bisher durch das Management nicht systematisch erfasste Ressourcen wie Kreativität und umfangreiche soziale Kompetenzen. Diese sollen nutzbringend im Sinne organisatorischer Interessen eingesetzt werden.459 Während zu Beginn des 20. Jh.s noch der Körper im Mittelpunkt stand und es, symbolisch unterstützt von unternehmerischer Sozialpolitik, um die Verbesserung und das Training von Körperpraktiken ging, stehen heute Begeisterungsfähigkeit und Emotionen auf der Managementagenda.460 Leistungsorientierung und Identifizierung mit unternehmerischen Zielen werden ebenso erwartet wie die permanente persönliche und fachliche Weiterentwicklung. Organisations- und Managementansätze konzentrieren sich auf Techniken, welche die Nutzbarmachung und Einübung dieser Ziele verfolgen. Dabei geht es weniger um eine direkte Zurichtung durch materielle und symbolische Machtverhältnisse, sondern um eine Regierung der Selbstregierung als autonom konzipierter Individuen im Sinne des asketischen Ideals. In diesem Zusammenhang stehen auch neue Managementansätze wie Organisationskultur, Corporate Identity, Kreativität und Wissensmanagement.461 Der Trend hin zu einer Auseinan-
458 Vgl. Junge, T. (2008): S. 171. 459 Vgl. Junge, T. (2008): S. 172. 460 Vgl. Junge, T. (2008): S. 171. 461 Vgl. Piore, M.; Sabel, C. (1986).
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dersetzung mit der Organisationskultur seit den 1980er und 1990er Jahren unterstreicht diese Entwicklung.462 Im Folgenden werden die aufgezeigten Veränderungen aus einer Machtperspektive betrachtet. Im Vordergrund stehen Managementansätze, die Kreativität und Wissen in den Mittelpunkt stellen. Es geht hierbei um die Nutzbarmachung, Speicherung und Anwendung individuellen Wissens. So weiten sich Managementbestrebungen verstärkt auf die Identität der Beschäftigten aus und konzentrieren sich dabei auf imaginäre Machtverhältnisse, welche auf Selbstverständnis und Selbstformung des Einzelnen zielen. Michel Foucault hat dieses Prinzip als Gouvernementalität beschrieben. Bei Michel Foucault sind Subjekte, die dieser Regierungsform unterliegen, gleichzeitig Objekt und Subjekt der Regierung. Die Fremdführung lässt sich auf diese Weise nur über die Selbstführung realisieren, da kein direkter Zugriff seitens der Regierung besteht. Dem Management der Arbeit liegt entsprechend – nicht wie im Taylorismus – die Vorstellung zugrunde, durch überlegenes wissenschaftliches Wissen ein künstliches Subjekt mit Dispositionen zu füllen. Vielmehr wird das Subjekt als eine aktive Einheit begriffen. Seine Handlungen lassen sich zwar hemmen oder fördern, nicht jedoch geplant zurichten, wie das noch die Managementvorstellungen zu Beginn des 20. Jh.s bestimmt hat.463 Seit dem Ende des 20. Jh.s ist Management daher verstärkt als Regierung der Selbstregierung konzipiert. Die imaginäre Macht, welche sich als asketisches Ideal, bei Friedrich Nietzsche z.B. beim Künstler, Wissenschaftler und Philosophen, wiederfindet, erfasst nun den Großteil der arbeitenden Bevölkerung. Identitätsmanagement als neues Managementinstrument macht beim Unternehmen nicht halt, sondern weitet sich auf andere Bereiche wie Bildung, Gesundheitssystem und Politik aus. Bezogen auf die Wirtschaftsorganisation plant der arbeitende Mensch seine Arbeit selbst nach Kriterien der Effizienz und führt sie analog zu diesen Kriterien aus. Auf der anderen Seite ist der Mensch jedoch gefragt, seine schöpferische und kreative Seite im Unternehmensprozess einzubringen. Da sich äußere Regulierungen minimieren, strukturiert er seine Arbeitsprozesse eigenständig. Die entstehende Paradoxie, welche sich aus den unternehmerischen Anforderungen nach Effizienzstreben und Kreativität gleichermaßen ergibt, reguliert er selbst. Die organisatorische Rationalität hat er damit bestenfalls verinnerlicht.
462 Vgl. Alvesson, M. (1990); Alvesson, M.; Kärreman, D. (2001). 463 Vgl. Reckwitz, A. (2008): S. 37.
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4.3.1 Materielle Macht: Das Management von Körperwissen Betrachtet man den Diskurs um Wissensmanagement, wird deutlich, dass jener teilweise durch materielle Machtverhältnisse gekennzeichnet ist. An den Einzelnen gebundenes „körperliches“ Wissen wird hier als objektiviertes Gut behandelt, welches es zu speichern, zu entwickeln und wiederzuverwenden gilt.464 Im Taylorismus ging es zu einem großen Teil um die Fixierung, Bewertung und Kontrolle bzw. Verwertung von Wissen. Dafür wurde das implizite und körpergebundene Wissen vom Beschäftigten durch Beobachtung und Auswertung verwendet, um neue und exakte Routinen zu definieren und zu installieren. Auf der Basis von explizitem, objektiviertem und wissenschaftlich abgesichertem Wissen sollte die Effizienz der Arbeit erhöht werden. Der Taylorismus folgte hierbei dem panoptischen Prinzip. Es schuf durch die Trennung von Hand- und Kopfarbeit eine Instanz, die beobachtete, und eine Instanz, die beobachtet wurde. Auf der Basis hierarchischer Überwachung installierte es eine normierende Sanktion, die über Arbeits- und Bewegungsstudien einen „one best way“ ermittelte und über die Installation organisatorischer Routinen die Körperbewegungen der Beschäftigten perfektionieren sollte. Auch beim Wissensmanagement handelt es sich um die Herstellung neuer Routinen, deren Inhalte aus körpergebundenem Wissen stammen und durch das Management produktiv gemacht werden. Aus diesem Grund kann auch das Wissensmanagement als eine materielle Macht angesehen werden. Körpergebundenes Wissen soll in organisatorische Routinen umgewandelt werden. Dies geschieht jedoch auf der Basis neuer Überwachungs- und Kontrollformen. Diese legen ein aktivistisches Subjekt zugrunde, welches nicht an eine fixe Norm gebunden wird. Vielmehr geht es um eine permanente und autonome Anpassung an inner- und außerorganisatorische Veränderungen (insbesondere Kundenwünsche). Ziel ist nicht primär die Perfektionierung des Einzelnen bzw. seiner Arbeit, sondern die Optimierung des gesamten Organisationskörpers und seine Wissensnutzung und -verarbeitung. Beispielhaft wird dies im Folgenden an der Einführung des Wissensmanagements bei Siemens, insbesondere am digitalen Wissensmanagementsystem ShareNet gezeigt. Mitarbeiter und Manager starteten vor der Einführung eines offiziellen Wissensmanagementansatzes mit einer „Community of Practice“-Initiative. Es handelte sich dabei um den informellen Austausch von Wissen, ohne dass dieser von der Unternehmensleitung erfasst oder gemanagt wurde.465 Die Teilnahme an der 464 Vgl. Nielsen, B.B.; Ciabuschi, F. (2003); Vgl. Clegg, S.R.; Courpasson, D.; Phillips, N. (2006): S. 39ff. 465 Vgl. Enkel, E.; Heinold, P.; Hofer-Alfeis, J.; Wicki, Y. (2000): S. 86ff.
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Community war freiwillig und die Beteiligten waren durch geteilte Interessen, Fähigkeiten, Erfahrungen oder informelles Wissen aneinander gebunden. 1997 begann sich das Top-Management von Siemens für die Community zu interessieren und überzeugte die Gemeinschaft, dass es einer zentralen Steuerung des Wissensaustausches bedürfe. Eine Arbeitsgruppe wurde eingerichtet, welche von einem Mitglied der Geschäftsführung geleitet wurde. Ein zentrales Büro, das CKM (Corporate Knowledge Management Office), wurde geschaffen. Ab dem Zeitpunkt, ab dem die Unternehmensleitung das Projekt zu unterstützen begann, wurde der Wissensaustausch formalisiert und bestimmten Regeln unterworfen. Der Wissensaustausch verwandelte sich in ein Managementprojekt. Zuvor handelte es sich um einen informellen und selbstorganisierten Austausch. Informelle und ungemanagte Prozesse dieser Art finden in jeder Organisation statt und laufen parallel zu den offiziellen organisatorischen Praktiken und Diskursen.466 Sie bilden damit einen Widerstand zu organisatorischer Kontrolle und Hierarchie. Mit der Formalisierung des Wissensaustausches wurden informelle Prozesse durch das Management in materielle Machtverhältnisse eingebunden. In diesem Sinn steht Wissensmanagement den autonomen Praktiken und Routinen des informellen Wissensaustausches entgegen, weil es bestrebt ist, informelle Routinen und Praktiken zu formalisieren und zu kontrollieren. Wissensmanagement versucht, die hier entstehenden Paradoxien zu lösen, die aufkommen, wenn Prozesse, die ursprünglich durch Informalität und Selbstorganisation gekennzeichnet sind, bewusst ausgeweitet und kontrolliert werden sollen.467 Es fokussiert dabei auf die Regulierung von Wahrnehmungen und Bedeutungen und konzentriert sich auf die Einstellungen von Angestellten gegenüber dem Management von Wissen. Es handelt sich entsprechend um ein Dispositiv, bei dem materielle, symbolische und imaginäre Machtverhältnisse eng zusammenhängen. Ein Beispiel hierfür ist die Art und Weise, wie Siemens bzw. Mitglieder der Wissensmanagementabteilung den Begriff „Community“ gebrauchen. Sie stützen sich hierfür auf eine Gemeinde-Metapher. Communities werden von Führungskräften und Mitarbeitern häufig mit Gemeinden oder Gemeinschaften verglichen.468 Der Austausch von Wissen erfolgt aus Eigeninitiative und wird durch die Mitarbeiter freiwillig organisiert. Akteure in sogenannten Wissensgemeinschaften verbindet ein Interesse an gemeinsamen Themen und der gegenseitigen Unterstützung bei Fragen zur Erfüllung betrieblicher Aufgaben. Die einzelnen Akteure verfügen dafür über individuelles Erfahrungs- und Expertenwissen.
466 Vgl. McKinlay, A. (2004): S. 406ff. 467 Vgl. Enkel, E.; Heinold, P.; Hofer-Alfeis, J.; Wicki, Y. (2000): S. 86ff. 468 Vgl. Rheinmann-Rotmeier, G. (2000): S. 3
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Die wichtigsten Eigenschaften einer solchen Community sind: gemeinsame Interessen und Probleme, persönlicher Umgang miteinander, Kooperation, Erfahrungsaustausch, Wissensschaffung- und -teilung, wechselseitiges Lernen, geteilte Ressourcen und eine gemeinsame Gruppenidentität.469 Darüber hinaus handelt es sich um eine gewachsene Gemeinschaft, welche auf gegenseitigem Vertrauen und Freiwilligkeit basiert und über gemeinsame Werte funktioniert. Die „Gemeinde-Metapher“, wie sie u.a. von Siemens verwendet wird, hat nur wenig zu tun mit der Wissensgemeinde, wie sie das Management in der Praxis etabliert hat. In der Gemeinde stehen gewachsene Beziehungen und ein auf Freiwilligkeit basierender Austausch zwischen den Menschen im Vordergrund.470 Sie sind an diese Gemeinde für den Rest ihres Lebens gebunden. Das Leben in der Gemeinde beinhaltet Verantwortung für andere Mitglieder. Regeln für den individuellen Einsatz werden nicht zentral vorgegeben, sondern bestimmen sich durch den individuellen Platz in der Gemeinde, das heißt, er basiert auf dem persönlichen Miteinander der Gruppe. Aufgaben verteilen sich nach dem Grundsatz der Gerechtigkeit und richten sich nicht nach Effizienzkriterien. Auf diese Weise übernehmen junge Menschen beispielsweise Aufgaben für ältere Gemeindemitglieder. Ihre Kooperation basiert auf mündlicher Kommunikation. Im Gegensatz dazu ist die gemanagte Wissensgemeinde pragmatisch ausgerichtet. Sie besitzt keine gemeinsamen, auf einem Sozialisationsprozess basierenden Regeln. Dahingehend ist Vorsicht geboten beim Konzept der Wissensgemeinde, zumindest wenn sie im Kontext postbürokratischer Arbeitsplätze dazu verwendet werden soll, körpergebundenes Wissen zu mobilisieren. Es handelt sich im Wissensmanagement um einen rationalistischen Managementansatz, bei dem es darum geht, auf das Vorhandensein körpergebundenen Wissens aufmerksam zu machen, um dieses für organisatorische Zwecke einzusetzen. Hiermit unterscheidet sich das Wissensmanagement nicht wesentlich vom „Wissenschaftlichen Management“, wie es im Taylorismus vertreten wurde.471 Der Gegensatz zum Taylorismus besteht lediglich darin, dass das Management zurückhaltender bzw. subtiler agiert. Diese Zurückhaltung ergibt sich vor allem aus der postbürokratischen Erkenntnis, dass soziale Prozesse sich nicht gezielt managen lassen und Lern- und Wissensmanagementprozesse daher „subtiler“ gestaltet werden müssen. Das Management setzt hier stärker auf eine manipulative Macht als auf Überwachung, Kontrolle und Befehle. Es konzentriert sich auf die Regierung der Selbstregierung, um an körpergebundenes Wissen zu gelangen, welches die formale Seite der Organisation stützt. Ein wichtiger Aspekt hierbei ist die Organisationskultur, 469 Vgl. Rheinmann-Rotmeier, G. (2000): S. 4. 470 Vgl. Rheinmann-Rotmeier, G. (2000): S. 4ff. 471 Vgl. McKinlay, A. (2004): S. 409.
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die im Folgenden noch angesprochen wird. Zunächst jedoch installiert das Management ein scheinbar nicht hierarchisches und interaktives Wissensnetzwerk, welches informelle Kommunikation erleichtern soll. Im Jahr 1999 führte Siemens „Information & Communication Networks“ (ICN), beispielsweise ShareNet, ein. Es handelt sich bei ShareNet um ein digitales, interaktives Wissensmanagementsystem, welches den netzförmigen Austausch von Wissen durch moderne Informations- und Kommunikationstechnologien auf globaler Ebene unterstützen soll.472 ShareNet ist ein Beispiel für einen Ansatz, der auf die Mobilisierung von Wissen durch vorgeschriebene Routinen setzt. Es ist Teil des unternehmerischen Projektes, körpergebundenes Mitarbeiterwissen zu erfassen und zu nutzen, um das Unternehmen in eine wissensbasierte Organisation zu transformieren. ShareNet macht weltweites Wissen zugänglich und erlaubt Beschäftigen, zu Beginn vor allem dem Verkaufspersonal, dieses Wissen zu nutzen und auszutauschen. Informationen über Projekte, komplexe Kundenlösungen, Anwendungen und Verkaufsprozesse sollen das Verkaufspersonal weltweit unterstützen, den hohen Anforderungen von Kunden in einem intensivierten Wettbewerbsumfeld entgegenzukommen.473 Kodifiziertes Wissen stellt dem Nutzer strukturiertes Problemlösungswissen zur Verfügung, um selbstständig Situationen zu bewältigen. Das Netzwerk ist auf den Austausch von Wissen über Verkaufsprojekte, technische Lösungen und Kundeninformationen bzw. Informationen über Wettbewerber ausgerichtet.474 Daneben unterstützt ShareNet jedoch auch den Austausch von personalisiertem Wissen (tacit knowledge). Dies beinhaltet die Möglichkeit, bei dringenden Nachfragen oder Neuigkeiten ein ShareNet-Mitglied irgendwo auf der Welt direkt um Hilfe zu bitten. Die Abläufe zum Wissensaustausch werden durch das Unternehmen reguliert. Strukturierte Fragebögen zu Einzelprojekten, technische Lösungen und Informationen über das Geschäftsumfeld (Kunden, Wettbewerber, Markt, Technologien und Partner) strukturieren die Bereitstellung von Informationen.475 Die Betonung liegt hierbei auf Erfahrungswissen, d.h., das bereitgestellte Wissen beinhaltet möglichst persönliche Kommentare und Eindrücke oder Vor- und Nachteile einer getesteten Lösung. Neben strukturierten Räumen gibt es unstrukturierte Bereiche wie Chaträume, eine Seite für Community-News, Diskussionsgruppen zu bestimmten Themen. Vorgesehen ist, dass Mitglieder innerhalb von Stunden eine Antwort auf ihre Fragen erhalten. Gute Antworten werden gesammelt und für den Bereich 472 Vgl. Nielsen, B.B.; Ciabuschi, F. (2003). 473 Vgl. Gibbert, M. u.a. (2000): S. 22f. 474 Vgl. Nielsen, B.B.; Ciabuschi, F. (2003). 475 Vgl. Gibbert, M. u.a. (2000): S. 31f.
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„FAQ“ bereitgestellt. ShareNet ermöglicht die Kollaboration von Beschäftigten über organisatorische Grenzen hinaus. So unterstreicht Siemens ICN: „Our future lies in the creation of a net of knowledge spanning between all our employees.“476 Die Initiative für ShareNet ging vom ShareNet Committee aus, welches die höchste Entscheidungsebene der Gemeinschaft darstellt und damit an der Spitze des Wissensmanagementansatzes steht. Es besteht aus 11 Mitgliedern. Die meisten der Mitglieder sind die Leiter lokaler Unternehmen. Sie sind für die Unterstützung von ShareNet in ihren Ländern zuständig.477 Sie wurden trainiert und auf ihre Aufgabe als ShareNet-Manager in speziellen Management-Trainingsveranstaltungen vorbereitet. Eine andere Kontroll- und Förderinstanz ist der sogenannte „Global Editor“. Er unterstützt Austauschprozesse und entwickelt Kommunikationsregeln. Seine Aufgabe ist es außerdem, das Wissen in ShareNet aufzubereiten.478 Er wird unterstützt von Consultants, einem IT-Support-Team und einer Hotline.479 Die „Contributers“ sind gleichzeitig die Nutzer von ShareNet und stellen die Basis der Community dar. „They form the network of friends and colleagues that make knowledge management work for Siemens ICN.“480 Abbildung 4: Hierarchie von ShareNet
Quelle: Nielsen, B. B.; Ciabuschi, F. (2003): S. 36
476 Roland Koch (Mitarbeiter bei Siemens) in Gibbert, M. u.a. (2000): S. 34. 477 Vgl. Gibbert, M. u.a. (2000): S. 34. 478 Vgl. Gibbert, M. u.a. (2000): S. 34. 479 Vgl. Gibbert, M. u.a. (2000): S. 34. 480 Gibbert, M. u.a. (2000): S. 35.
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Die Konstruktion des „homo oeconomicus“ im Wissensmanagementansatz Um den Wissensaustausch zu managen, wurde ein Motivations- und Belohnungssystem aufgebaut. Dafür war es, aus Sicht des Managements, zunächst notwendig, alle organisatorischen Kommunikationsbarrieren abzubauen. Dafür wurden zunächst eine Zielvereinbarung und ein Bonussystem für Top-Manager aufgebaut. Auch auf der unteren Ebene installierte man ein Belohnungssystem, um den Wissensaustausch zu unterstützen.481 Zu Beginn sollten Beschäftigte gezielt dazu gebracht werden, Beiträge zu verfassen, um das Netzwerk aufzubauen. Wissen ist an einzelne Personen gebunden und das Unternehmen ist darauf angewiesen, dass Beschäftigte ihr Wissen freiwillig teilen. „It cannot be shared with others against a person’s will.“482 ICN betrachtet es als ein Managementproblem, Beschäftigte gezielt dazu zu bringen, Wissen zu teilen. Folgende Gründe nennt das Management: •
„Getting a person to enhance other people’s knowledge by voluntarily contributing his or her own does not happen easily.“483
•
A further constraint is that it is considered a time-consuming and tedious exercise.“484
•
„The individual contributor might wonder how he or she could possibly benefit.“485
Auf der Basis dieser Grundannahmen schlussfolgert das Management, dass Anreize geschaffen werden müssen, um die Beschäftigten zu einer Teilnahme an ShareNet zu bewegen. Für das Management steht fest, dass beide belohnt werden müssen: der Nutzer und derjenige, der Wissen bereitstellt. Drei Säulen sollen die Teilnahme sicherstellen: „[1.] Members reap benefits from ShareNet for their daily business: they save time, they receive a quick answer for a pressing problem and so on. As such, they have an inclination to give something back to the community.“486 „[2.] Often, the real subject matter experts are not identifiable on a simple organizational chart. They work hidden somewhere in the world without much publicity. With their per481 Vgl. Gibbert, M. u.a. (2000): S. 36. 482 Gibbert, M. u.a. (2000): S. 36. 483 Gibbert, M. u.a. (2000): S. 36. 484 Gibbert, M. u.a. (2000): S. 36. 485 Gibbert, M. u.a. (2000): S. 36. 486 Knowledge Board (2002): S. 3.
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sonalized contributions, ShareNet makes these ‚hidden champions’ visible to the global organization and to the board, who regularly check the system to find and promote these experts.“487 „[3.] A web-based incentive system has been developed: for any valuable contribution, members receive ShareNet ‚Shares’ or bonus points, much like in an ‚air miles’ system. Both contributors of knowledge, as well as re-users are rewarded for sharing their experiences. The shares can be redeemed for prizes that foster their individual knowledge, such as a participation on an international conference or courses and seminars they want to attend even if these are not closely related with their day-to-day job.“488
Das Management konstruiert hier zunächst einen eigeninteressierten, rational handelnden Akteur, der darauf bedacht ist, seinen eigenen Nutzen zu maximieren. Es nimmt an, dass Menschen nicht freiwillig Wissen weitergeben, um die Wissensbasis anderer zu erweitern bzw. diese zu unterstützen. Darüber hinaus geht wertvolle Zeit beim Wissensaustausch verloren und drittens fragt sich der Einzelne, was seine eigenen Vorteile im Wissensnetzwerk sind. Der Beschäftigte als rationaler Akteur ist besorgt darum, seinen eigenen Beitrag zu verschwenden, so dass er immer kalkulieren muss, ob sein individueller Beitrag Erträge einbringt. Selbst wenn ein Organisationsmitglied seine eigenen Interessen negiert, würde es noch nicht rational im Sinne des Unternehmens handeln, weshalb sein Verhalten durch effiziente Mittel gesteuert werden muss, um die Ziele der Organisation zu erreichen.489 Als Lösung dieser – vom Management auf der Basis der Konstruktion eines rationalen Akteurs „entdeckten“ – Problematik sieht das Management direkte und indirekte materielle Anreizsysteme vor. Zunächst kann derjenige, der Wissen weitergibt, die eigene Reputation erhöhen, was wiederum bessere Einkommens- und Aufstiegschancen induziert. Außerdem kann er „Shares“ sammeln, die sich in Weiterbildungs- und Lernprojekte umwandeln lassen, welche der eigenen Selbstoptimierung dienen und Einkommenschancen steigern können. Der Wissensnutzer hingegen profitiert vom Wissen selbst. Er kann Zeit einsparen und erlangt durch „mehr Wissen“ bessere Ergebnisse, was wiederum in eine vorteilhafte Wettbewerbsposition mündet. Beide, sowohl der Nutzer als auch derjenige, der Wissen teilt, werden durch das Management als „homo oeconomicus“ konzipiert, wie ihn Eduard Spranger bereits 1914 treffend beschrieben hat:
487 Knowledge Board (2002): S. 3. 488 Knowledge Board (2002): S. 3. 489 Vgl. Olsen, M. (1965): S. 60f.
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„Der ökonomische Mensch im allgemeinsten Sinne ist also derjenige, der in allen Lebensbeziehungen den Nützlichkeitswert voranstellt. Alles wird für ihn zu Mitteln der Lebenserhaltung, des naturhaften Kampfes ums Dasein und der angenehmen Lebensgestaltung. Er verfährt sparsam mit dem Stoff, mit der Kraft, mit dem Raum, mit der Zeit, um ihnen ein Maximum nützlicher Wirkungen für sich abzugewinnen.“490
Die „Wissensgemeinde“, wie sie das Management hier konzipiert, ähnelt dabei eher einem Ort des Wettbewerbs, an dem eigeninteressierte Akteure ihren eigenen Nutzen vergrößern, als um eine Gemeinde, wo die Akteure sich auf freiwilliger Basis gegenseitig unterstützen. Die materielle Entlohnung für vorgeschriebenes Verhalten, welche der Durchsetzung bestimmter Routinen im Unternehmen dient, erinnert außerdem an den Taylorismus. In dieser Managementrichtung wurde die Motivation des Beschäftigten als Interesse an materiellen Belohnungen definiert. Ähnlich soll auch der Wissensarbeiter zur Unterstützung von Managementroutinen bewegt werden, indem sein materielles Eigeninteresse angesprochen wird. Rundumüberwachung durch ein 360-Grad-Panopticon Neben Motivations- und Belohnungssystemen für die Teilnahme am Wissensmanagement installiert ShareNet eine Rundumüberwachung von CommunityMitgliedern, die einem erweiterten bzw. demokratisierten Panopticon entspricht. ShareNet soll aus Sicht des Managements sicherstellen, dass das verfügbare Wissen wertvoll ist.491 Im Sinne eines rationalistischen Managementansatzes installiert Siemens hierfür analog zu Planung, Organisation und Kontrolle ein Kontrollsystem. Mitglieder sammeln sogenannte „Shares“. Die Anzahl der „Shares“ richtet sich danach ob Nutzer das Wissen als wiederverwertbar einstufen. Darauf basierend kann Wissen von schlechter Qualität von ICN ShareNet entfernt werden. Qualitativ hochwertige, also nützliche Inhalte hingegen lassen sich weiterentwickeln. Damit unterliegt die Bewertung einer genauen Kontrolle durch das Management. Ratings von Nutzern dienen dazu, die Qualität der Beiträge zu verbessern. Der Upload von schlechter Qualität führt zu negativen Bewertungen, was auch der Reputation von ShareNet-Usern schaden kann. „Die Gemeinschaft ist der Ausleseapparat, der den Qualifizierten vom Nichtqualifizierten scheidet.“492 Eine gegenseitige Kontrolle dient hier der Überwachung. Jeder ist Beobachter und Beobachteter zugleich. Darüber hinaus stellen zentrale Qualitäts-
490 Spranger, E. (1950): S. 148. 491 Vgl. Gibbert, M. u.a. (2000): S. 36. 492 Weber, M. (1922): S. 813; Vgl. Bröckling, U. (2007): S. 237.
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richtlinien einen Rahmen für die Selbstbewertung bzw. die eigenständige Bewertung der Beiträge zur Verfügung. „Part of the updating of the knowledge base involves a continuous self-assessment and conscious focus on the process. [Actors] are encouraged to reflect on the sales process ex post and ask ‚which knowledge would have been useful at the beginning?’ and ‚What source materials would I have needed?’. The answers to these questions can be used to ensure re-use of valuable knowledge.“493
Manager wie Johannes Müller von Siemens wünschen sich außerdem, den Wissensaustausch direkt mit der Karriere von Mitarbeitern zu verbinden. „In a perfect world, one could even imagine this as part of your capabilities that you would list on your CV when applying for a job outside Siemens as an indication of your knowledge sharing skills.“494 Wissen ist eng an die Identität des einzelnen Beschäftigten gebunden, weshalb sich die Qualität der Informationen direkt mit persönlichen Aufstiegschancen verknüpfen lässt. Die Identität ist hier nicht „arbeitslos“ wie im tayloristischen Management, sondern wird zu einer bedeutenden Ressource für die Organisation. Ergänzt wird das System der Rundumbeurteilung durch die klassische hierarchische Kontrolle der ShareNet-Manager, des Global Editor, des ShareNet-Commitees bzw. der zentralen Abteilung für Wissensmanagement. Bereits die Abbildung zur „ShareNet-Organization“ macht deutlich, dass es sich klar um einen hierarchischen Managementansatz handelt, der jedoch durch weitere Beobachtungsmechanismen der Selbstbewertung und der Bewertung durch Kollegen erweitert ist. Verglichen mit dem Taylorismus hat sich der Umgang mit Körperwissen im Wissensmanagement verändert. Statt einer panoptischen Kontroll- und Überwachungsform, welche durch den Blick des Managers und die passive Internalisierung dieses Blickes gekennzeichnet war, installiert das Wissensmanagement eine Rundumüberwachung, welche ein aktives Subjekt, das zur eigenständigen permanenten Selbstoptimierung in der Lage ist, voraussetzt.495 Die Einfügung des Beschäftigten in die Arbeitsbedingungen war im Taylorismus eindimensional. Im Wissensmanagement ist sie mehrdimensional bzw. weicht einer 360-Grad-Beobachtung, die sich nicht auf die Internalisierung eines äußeren Blickes beschränkt. Als Kontrollinstrument wirkt ShareNet schon, weil den Beteiligten bewusst ist, dass sie anhand ihrer Beiträge beobachtet und bewertet werden.496 Jeder kontrolliert hierbei jeden, was 493 Nielsen, B.B.; Ciabuschi, F. (2003): 34 [Herv. i.O.]. 494 Nielsen, B.B.; Ciabuschi, F. (2003): 38. 495 Vgl. Foucault, M. (1994a). 496 Vgl. Bröckling, U. (2007): S. 238.
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in ein demokratisiertes Kontrollsystem mündet, weil jeder mit dem gleichen Maß gemessen wird. Machtasymmetrien heben sich dadurch nicht auf. Autorität setzt dafür aber eine andere Legitimation voraus, da sie nicht mehr hierarchisch abgesichert ist. Kontrolle ist außerdem nicht auf ein bestimmtes Ziel oder auf nur eine konkrete Arbeitsaufgabe gerichtet, sondern weicht einer Form der permanenten Selbstkontrolle und Optimierung. Statt Tests und Einzelprüfungen ist das gesamte Verhalten Grundlage für die Bewertung. Wenn der Einzelne Wissen beiträgt, ist das ebenso Grundlage für eine Beurteilung, wie wenn er sich nicht am Wissensaustausch beteiligt. Um als Experte zu gelten, muss sich der Einzelne darüber hinaus permanent positiv präsentieren. Der Mitarbeiter managt sich selbst innerhalb eines vorgegebenen Rahmens, der die Ziele und Belohnungen des Wissensaustauschs bestimmt. Das Ergebnis der Kontrolle ist für alle Akteure im Unternehmensnetzwerk sichtbar. Der Einfluss solcher Kontrolltechniken ist groß, weil es die Reputation und damit auch die Zukunftsaussichten von Mitarbeitern beeinflusst. Dabei steht nicht ein einzelner Beitrag im Fokus der Kontrolle, sondern die ganze Person, ihre Identität und ihre individuelle Leistung, was dann eine Auswirkung auf die Reputation und Karriereaussichten des Angestellten hat. Gefordert wird die Beteiligung am Wissensaustausch mit qualitativ hochwertigen Beiträgen. Die permanente Fremdbeobachtung stellt so eine Selbstreflexion und Selbstoptimierung bzw. die Anpassung des eigenen Verhaltens sicher. Die Bewertungen von Beiträgen sind schriftlich festgehalten, um sie den Beurteilten mitzuteilen. Auf dieser Basis kann der Einzelne sein Verhalten anpassen und Schwächen ausmerzen. „Der Einzelne erscheint als informationsverarbeitendes System, das sich selbst flexibel an die Erwartungen seiner Umwelt anpasst, wenn es nur regelmäßig mit differenzierten Rückmeldungen gefüttert wird. Statt sein Verhalten unmittelbar zu reglementieren, was einem enormen Kontrollaufwand nach sich zöge und den ökonomischen Imperativen der Flexibilität, Eigeninitiative und Aufwandsersparnis zuwiderliefe, werden Rückkopplungsschleifen installiert, die dem Einzelnen Normabweichungen signalisieren, die erforderlichen Adaptionsleistungen jedoch in seine eigene Verantwortung stellen.“497
Die organisatorische Machtausübung basiert auf einer effizienten Führung der Selbstführung. Sie basiert nicht auf der Vorstellung, den Einzelnen an einer vorgegebenen Norm auszurichten, wie das im Taylorismus der Fall ist. Die Norm ist ersetzt durch einen flexiblen Normalismus, welcher sich an schwankenden Durchschnittswerten orientiert und immer eine Verbesserung und Optimierung 497 Bröckling, U. (2007): S. 239.
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erlaubt. Während der Panoptismus im Taylorismus auf eine Perfektionierung der Körperbewegungen zielt und die Unterwerfung des Einzelnen unter konkrete unternehmerische Vorgaben sicherstellen will, arbeitet das neue Kontrollsystem mit der Autonomie des Einzelnen.498 Das Management erweitert den Spielraum der Beschäftigten und verwandelt deren individuelle Strategien in Organisationsressourcen. Ein Wissensarbeiter ist daher für das Unternehmen besonders wertvoll, wenn er das Potenzial zur permanenten und vor allem aktiven Selbstoptimierung besitzt. Hiermit ist auch ein wesentlicher Unterschied zum tayloristischen Management markiert: „Der Mensch der Disziplinierung war ein diskontinuierlicher Produzent von Energie, während der Mensch der Kontrolle eher wellenhaft ist, in einem kontinuierlichen Strahl, in einer Umlaufbahn.“499 Als Machtmechanismus wirkt die Rundumkontrolle positiv und produktiv und nicht lediglich als subtilere und unterdrückendere Machtform. Sie ermöglicht dem Beschäftigten, Selbstentfaltung und Engagement für das Unternehmen zu zeigen und sich für dessen Ziele einzusetzen, wenn er an sich selbst arbeitet und seine Beiträge verbessert. Andererseits schaden schlechte Beiträge seiner Reputation und er unterliegt dem Wettbewerb mit anderen Community-Mitgliedern. Die Qualitätskriterien und der strukturierte Fragebogen geben vor, welche Art von Wissen relevant ist im Netzwerk. Jedoch liegt es beim Einzelnen, selbst einzuschätzen, welche Beiträge nützlich sind und welche nicht. Darüber hinaus entscheiden Nutzer selbst, wann sie auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Die Vorgaben jedoch sind klar: Wissen muss nützlich sein und Effizienzkriterien folgen. Indem bereitgestelltes Wissen allein auf Nützlichkeit und direkte Einsetzbarkeit bewertet wird, entgehen dem Unternehmen möglicherweise innovative Ideen und Lösungsansätze. Schließlich wird die Nützlichkeit von Wissen auf quantifizierbarer Basis bewertet. „There are three types of somewhat quantifiable ShareNet benefits: The saving of costs, e. g. be re-using knowledge in how to simplify processes. Increased revenues, e. g. by increasing the quality of tenders be re-using knowledge of the success factors of tenders, or by simply being faster that the competition by re-using documents. The alignment with customer needs, be recognizing important trends and developments worldwide.“500
Dies sind objektive Kriterien, auf deren Basis die Nützlichkeit von Wissen bewertet wird. Mitglieder richten ihr Verhalten möglichst langfristig auf diese 498 Vgl. Bröckling, U. (2007): S. 240. 499 Deleuze, G. (1990). 500 Gibbert, M. u.a. (2000): S. 38 [Herv. (Anführungszeichen) i.O. wurden aus dem Originalzitat entfernt].
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quantifizierbaren Anforderungen aus. Beiträge, die nicht den Anforderungen an nützliches Wissen entsprechen, finden keinen Eingang in das Netzwerk.501 Schließlich werden Beschäftigte durch Fremd- und Selbstanleitung und langfristig durch das Kalkül der Nützlichkeit konditioniert. „Das Exzellenzsiegel erhalten jene, die dem Mainstream folgen. Wer gegen den Strom schwimmt, landet auf den hinteren Rängen. Der Leistungsvergleich stärkt gerade nicht die innovativen Kräfte, nach denen man angeblich doch händeringend sucht. Kreativität ist nicht evaluierbar.“502
Digitale Kommunikationstechnologien und Rundumbeobachtung Als digitales Kommunikationsmedium organisiert ShareNet interaktive Formen der Zusammenarbeit und installiert gleichermaßen neue Kontrollformen, die eine Rundumbeobachtung zulassen. Wie bereits dargestellt, geht der Wandel des Organisationsdispositivs in den 1980er und 1990er Jahren mit der Durchsetzung digitaler Kommunikationstechnologien einher. Nach Gilles Deleuze operiert die heutige Gesellschaft „mit Maschinen der dritten Art, Informationsmaschinen und Computern“503. Damit ändert sich auch das Kontroll- und Beobachtungsdispositiv von Unternehmen. Das tayloristische Panopticon ist verbunden mit einer linearen Kontrolle und ist dafür auf Informationsflüsse angewiesen. Informationen und Wissen waren bei Managern und Ingenieuren konzentriert.504 Handarbeit war in kleinste Teile aufgebrochen und wurde durch Beobachtung und Kontrolle sowie durch Befehle von oben gesteuert. Kommunikation fand hier nicht statt. Informationen wanderten in der Hierarchie nach oben und wurden dort verarbeitet und nach unten beispielsweise durch Handzettel verteilt. Schriftliche Notizen auf Handzetteln, in Handbüchern, auf Übersichtstafeln, in Listen oder in Akten usw. standen im „Wissenschaftlichen Management“ daher im Vordergrund und waren in diesem Sinne ein „Kommunikationsmittel“, welches Kommunikation unterband, da diese nur in eine Richtung stattfand. In den Zeit- und Bewegungsstudien erweiterten Filmaufnahmen und Fotografie schriftliche Kontrollmechanismen, indem sie Körperbewegungen auf Bildern und Filmmaterial fixierten. Auch hier dienten Medien nicht der Kommunikation, sondern dazu, die Körperbewegungen zu separieren, zu isolieren, zu rationalisieren und einer eindimensionalen Überwachung zugänglich zu machen. Das Verhalten der Mitarbeiter sollte fixiert und begrenzt sein. 501 Vgl. Bröckling, U. (2007): S. 241. 502 Bröckling, U. (2007): S. 241. 503 Deleuze, G. (1990). 504 Vgl. Mulgan, G.J. (1991): S. 87.
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Auf Kontrollsysteme dieser Art sind Organisationen angewiesen, da sie es erlauben, Informationen zu sammeln und zu verarbeiten. Organisationen müssen wissen, welche Prozesse in Produktion und Distribution ablaufen, um diese zu koordinieren. In Organisationen lässt sich das Kontrollproblem durch die Installation von panoptischer Kontrolle und Hierarchie lösen. Digitale Kommunikationstechnologien erlauben hier jedoch eine Erweiterung der Spielräume des Einzelnen. Sie unterstützen die Automatisierung und Vernetzung von Prozessen. Dadurch entstehen auch neue Machtverhältnisse. Menschliche Kontrolle wird teilweise durch Kontrolle ersetzt, die im System selbst eingebettet ist. Dies war bereits bei der Fließfertigung der Fall und erweitert sich dort, wo menschliche Energie vollständig durch Energie aus anderen Quellen substituiert wird. Digitale Technologien sind programmierbar und sie installieren automatische Feedbackschleifen – so kann dort, wo es notwendig ist, sofort auf Veränderungen reagiert werden und entsprechende Anpassungen lassen sich automatisch vornehmen. Sie können jedoch direkt an dezentralisierte Einheiten bzw. einzelne Beschäftigte weitergeleitet werden, sodass diese auf der Basis nun verfügbarer Informationen autonom Anpassungen vornehmen und ihre Arbeitsweise eigenständig optimieren können. Es liegen entsprechend durch automatisierbare und vernetzte und digitale Kommunikationstechnologien und aufgrund deren hoher Anpassungsfähigkeit und Flexibilität veränderte Kontrollmöglichkeiten vor, welche jedoch auf autonome Subjekte angewiesen sind. Hiermit unterstützen digitale Informations- und Kommunikationstechnologien das veränderte Organisations- und Managementdispositiv. Die panoptische Überwachung, Kontrolle und Disziplinierung des Körpers und der Arbeit stehen somit im Widerspruch zu den Einsatzmöglichkeiten digitaler Technologien. Digitale Technologien erlauben und verlangen gleichzeitig die Autonomisierung von Einheiten, weil sie Informationen ohne Zeitverlust an unterschiedlichen Stellen verfügbar machen können. Damit verringern sich der Kontrollbedarf und damit auch die Masse an Informationen, die an zentraler Stelle verarbeitet werden muss.505 Das setzt jedoch Subjekte voraus, die zum Selbstmanagement in der Lage sind und die organisatorische Rationalität verinnerlicht haben. Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Möglichkeiten der Informationsverarbeitung zu verbessern. Die vertikale und horizontale Kommunikation wird hierzu intensiviert, mit Unterstützung durch Computer und besser ausgebildete Beschäftigte. Die Grenzen zwischen einfachen Angestellten und Managern verschwinden durch die Dezentralisierung von Kommunikations- und Kontrollaufgaben zunehmend, und auch Status definiert sich neu. Autorität ist wie bereits angedeutet nicht mehr durch Hierarchie und Status abgesichert, sondern basiert auf nützlichem Wissen oder Expertentum. 505 Vgl. Mulgan, G.J. (1991): S. 93ff.
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Die Demokratisierung von materiellen Kontrollfunktionen und die Internalisierung von Managementaufgaben implizieren einen verstärkten Fokus auf „sanfte“ Mechanismen bzw. auf symbolische Kontrollformen.506 Motivation, Verantwortung und ein Raum für Kreativität und Problemlösungsverhalten ergänzen die Rundumbeobachtung, die trotz Überwachung durch automatisierte Techniken, Kollegen und teilweise übergeordnete Instanzen zu einem großen Teil auf ein sich selbst regierendes Arbeitssubjekt angewiesen ist. Die Selbstregierung der Beschäftigten ist dort bedeutsam, wo sich Arbeit nur schlecht hierarchisch überwachen lässt und selbst die Ergebnisse der Arbeit nur schwer zu evaluieren sind.507 Das ist vor allem bei wissensintensiver Arbeit der Fall. Die Regierung der Selbstregierung geht mit einer hohen Aufwandsersparnis für Organisationen und Vorgesetzte einher, da sie die hierarchische Kontrolle ergänzt bzw. teilweise ersetzt. Sie bedarf allerdings eines erhöhten Aufwandes an Bedeutungsmanagement, Motivation und Vertrauen. Hier kommen symbolische Machtmechanismen ins Spiel – wie die Organisationskultur, welche eine identitätsstiftende Ressource für den Beschäftigten darstellen soll und seine Ziele möglichst mit denen der Unternehmung verbindet. Im Fokus ist hierbei die Formung der Wahrnehmung, um Beschäftigte zu freiwilligem Engagement und Zusammenarbeit zu bewegen. Zusammenfassung Materielle Macht konzentriert sich, wie gezeigt wurde, auf die Verhaltensweisen der Mitarbeiter. Wie im tayloristischen Management setzt auch das Wissensmanagement einen „ökonomischen Menschen“ voraus, der nach der Logik „cash nexus“, also Geld gegen Arbeit, agiert. Jedoch hat der Beschäftigte in dieser Konstellation einen größeren Verhaltensspielraum, da er über eine veränderte Machtlogik („Die Regierung der Selbstregierung“) gemanagt wird. Diese setzt ein unternehmerisches Subjekt voraus, welches in der Lage ist, in einem permanenten Wettbewerb sein Verhalten flexibel an Veränderungen anzupassen und seine Arbeit eigenständig nach Effizienzkriterien zu erledigen. Die Logik des Organisationsdispositivs hat sich dahingehend verändert, dass eine direkte panoptische Kontrolle durch ein „demokratisiertes“ Panopticon ersetzt wird. Dieses beinhaltet eine permanente Identitätsarbeit und Selbstoptimierung, ausgehend von der Fähigkeit, den „Blick“ der anderen zu internalisieren und sich davon ausgehend eigenständig zuzurichten. Anders als im tayloristischen Panopticon ist der Beschäftigte eine aktivistische Instanz, die nicht passiv den Vorgaben des Managements folgt, sondern Entscheidungen über die Selbstoptimierung auch selbst trifft. Rundumbeobachtung als erweiterte Form der Beobachtung be506 Vgl. Mulgan, G.J. (1991): S. 92. 507 Vgl. McKinlay, A. (2004): S. 409f; Vgl. Alvesson, M. (2004).
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schränkt sich nicht auf ein „Wissensmanagement-Setting“, sondern findet sich in unterschiedlichen Ausprägungen in sogenannten postbürokratischen Organisationen. James R. Barker beschreibt dies beispielsweise für einen kleinen Produktionsbetrieb. Roland, ein Techniker, der in einem Team arbeitet, in dem jeder selbstständig für das Management seines Arbeitsverhaltens zuständig ist, äußert sich folgendermaßen: „I don't have to sit there and look for the boss to be around; and if the boss is not around, I can sit there and talk to my neighbor or do what I want. Now the whole team is around me and the whole team is observing what I'm doing.“508
In einer ethnografischen Studie untersucht James R. Barker, wie sich ein organisatorisches Kontrollsystem herausbildet, nachdem hierarchische und bürokratische Kontrollinstanzen abgebaut wurden, um durch die gegenseitige Kontrolle in selbstgemanagten Teams ersetzt zu werden. Dort entwickelten sich gegenseitige Kontrollmechanismen, die das Einzelverhalten stärker und vollständiger zurichteten als die vorhergehende Überwachung durch vorgegebene Routinen. James R. Barker fasst seine Beobachtungen wie folgt zusammen: „Contrary to some proponents of such systems, concertive control did not free these workers from Weber's iron cage of rational control. Instead, the concertive system, as it became manifest in this case, appeared to draw the iron cage tighter and to constrain the organization's members more powerfully.“509
4.3.2 Symbolische Macht: Management als Bedeutungsvermittlung und die Produktion autonomer Subjekte Wie gestalten Organisationen Selbstmanagement bzw. wie regieren sie die Selbstregierung ihrer Beschäftigten? Auf welche Weise konstruieren sie möglichst autonome und kreative Subjekte? Wissensintensive Organisationen konzentrieren sich auf symbolische Machtverhältnisse, um Beschäftigte zur autonomen Kooperation und zum freiwilligen aktiven Wissensaustausch zu bewegen. Wie bereits für die Rationalisierungsbewegung gezeigt wurde, muss es Organisationen gelingen, den Beschäftigten als gehorsamen Mitarbeiter zu integrieren
508 Barker, J.R. (1993): S. 408. 509 Barker, J.R. (1993): S. 408.
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(subject to power)510, der keinen Widerstand gegen die vorherrschenden Machtverhältnisse und Anforderungen leistet. Das Management konzentriert sich aus diesem Grund auf die Beeinflussung von Bedeutungen und Wahrnehmungen. Jedoch haben sich die symbolischen Machtordnungen im Vergleich zum Beginn des 20. Jh.s verändert. Die Regierung der Selbstregierung setzt autonome Subjekte anstelle von disziplinierten Subjekten voraus (siehe Punkt 4.3.1 zur materiellen Macht). Auf diese Weise haben sich auch die symbolischen Machtmechanismen in Organisationen verändert. Die Psychotechnik als Managementtechnik, welche während der Rationalisierungsbewegung als modernes Mittel der Unternehmenssteuerung auf den Sinn- und Deutungshorizont eines Unternehmens fokussierte, wurde schon bald nach ihrer Einführung wieder abgeschafft. Sie konnte die an sie gestellten Erwartungen nicht erfüllen und es ergaben sich in wissenschaftlicher Hinsicht eine Reihe methodischer Probleme.511 Sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis scheiterte sie an Streitigkeiten über ihren Zweck und an unwissenschaftlichen Anwendungen. Ende der 1920er Jahre verlor sie in der Praxis an Bedeutung und im Nationalsozialismus wurde sie der Rassenideologie untergeordnet. Die Psychotechnik kann dennoch bereits als eine moderne Form der Unternehmenskultur angesehen werden. Auch die Sozialpolitik verlor ihren Einfluss in Unternehmen. Analysen unternehmerischer Selbstbeschreibungen, beispielsweise des Siemens-Hausmagazins, machen deutlich, dass die Ansprache der Mitarbeiter immer seltener einen persönlichen und sozial orientierten Charakter hatte. Bis in die 1970er Jahre stellte sich das Unternehmen sprachlich als hilfsbereiter Verwandter dar. Es stellte Hilfestellungen für Fragen der Sicherheit, Finanzierung und Gesundheit bereit.512 Bis 1963 lässt sich beispielsweise in Artikeln aus dem Hausmagazin nachverfolgen, wie das Unternehmen die Rolle als Unterstützer des Familienoberhauptes bzw. Ernährers übernahm. Nach den 1970er Jahren veränderte Siemens seine Eigendarstellung und begann, sich rhetorisch wie ein Fremder zu verhalten, welcher lediglich hilfreiche Tipps und Tricks weiter gab. Stattdessen drehten sich die Inhalte nun um finanzielle Belohnungen, welche zunehmend zur Verfügung gestellt wurden, um ein Einvernehmen des Beschäftigten mit den unternehmerischen Zielen herzustellen. Soziale Unterstützung war kein vordergründiges Ziel der Unternehmung mehr. Diese Entwicklungen stellen einen Wendepunkt im Organisationsdispositiv dar. Im Vordergrund stand weniger die Produktion abhängiger und disziplinierter Subjekte, um die sich das Unternehmen kümmern muss. Dafür wurde aus 510 Clegg, S. R.; Courpasson, D.; Phillips, N. (2006): S. 105. 511 Vgl. Patzel-Mattern, K. (2010): S. 30. 512 Vgl. Vogt, B. (2005): S. 29ff.
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dem Unternehmen eine Institution, welche die eigene Abhängigkeit von den Beschäftigten unterstrich. Es benötigte autonome Subjekte, welche das Effizienzstreben, die Flexibilität und die Anforderungen an Innovation und Kreativität verinnerlichten. Bemerkenswerte Geschäftsergebnisse wurden aus diesem Grund belohnt. Jedoch wurde schnell deutlich, dass finanzielle bzw. materielle Belohnungen nicht ausreichen, um Legitimität und Gehorsam bzw. Einvernehmen bei den Beschäftigten zu erzielen. Mithilfe der Organisationskultur versuchen Unternehmen heute, einen Glauben an die unternehmerischen Machtverhältnisse herzustellen, ohne dabei die Autonomie des Einzelnen strukturell durch Hierarchie und Bürokratie zu begrenzen. Stattdessen kommunizieren Unternehmen Werte wie Freiheit, Motivation und Kreativität und schaffen ein entsprechendes Umfeld hierfür. Im Vordergrund steht das Versprechen der individuellen Selbstverwirklichung. Die Organisationskultur basiert auf der Vorstellung, dass lokale Einheiten wie die Organisation eine eigene Kultur ausbilden, welche bedeutend ist für das Funktionieren von Organisationen. Die Organisationskultur hebt sich von formalen, rationalen Strukturen oder der Konzeption von der Organisation als Maschine ab.513 Sie stellt vielmehr ein System geteilter Bedeutungen dar, welches außerhalb der formalen Rationalität liegt, aber eine wichtige Grundlage für gemeinsames Handeln darstellt. Wissensintensive Arbeit unterliegt weniger klaren Strukturen, und Arbeitsabläufe sind oftmals nicht vorgegeben. Strenge Hierarchien stehen der Qualität der Beziehungen zwischen Beschäftigten entgegen, so die Annahme der Organisations- und Managementforschung. Außerdem werden Hierarchien häufig genutzt, um Verantwortung an die Organisationsspitze weiterzugeben. Die Unternehmenskultur hingegen ist auf „Empowerment“, einen vermeintlichen Machtgewinn der Beschäftigten, ausgerichtet, der jedoch vor allem induziert, dass auf breiter Ebene Verantwortung für unternehmerische Prozesse übernommen wird, die sich wiederum an den Werten einer zentralisierten Unternehmenskultur orientieren muss. Der Austausch von Wissen, wie er am Beispiel eines Wissensmanagementsystems beschrieben wurde, basiert maßgeblich auf der Qualität der Beziehungen in einer Organisation.514 „A culture of openness, mutual respect and the absence of ambiguity is fundamental for fostering knowledge sharing.“515 Aus diesem Grund ist eine symbolische Macht, welche den Beschäftigten erzählt, wer sie sind und was sie tun, unabdingbar für das Funktionieren von Organisationen.
513 Vgl. Alvesson, M. (1990): S. 32f. 514 Vgl. Gibbert, M. u.a. (2000): S. 37. 515 Gibbert, M. u.a. (2000): S. 37.
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„A knowledge-friendly culture, which gives clear knowledge objectives and is supporting open knowledge sharing and creation, with the company’s principles and its culture of leadership and collaboration [is to integrate].“516 Ein ähnliches Ziel verfolgt die Konstruktion von Unternehmensidentitäten. Sie soll als Quelle der Sicherheit für Beschäftigte dienen, vor allem innerhalb eines instabilen und unsicheren Umfeldes. Symbolische Macht fokussiert aus diesem Grund stark auf kulturelle Kontrollformen als Festlegung auf bestimmte Ideen, Werte und Emotionen, um das Verhalten von Mitarbeitern zu lenken.517 Als ausdrückliches Konzept der Unternehmenssteuerung wurde die Unternehmenskultur in den 1980er und 1990er Jahren des 20. Jh.s populär. „Those orientations or directions in organizational research that draw upon concepts such as culture, symbol, myth, story, ritual and rite have, in a very short time, aroused tremendous interest within organization theory. […]A common view in organizational culture research is the seeing of organizations as comprising shared norms, values, understandings, beliefs, ideologies, and so on, and structures and phenomena characterizing them and the actions being carried out in organizations having a symbolic meaning for the organizational participants.“518
Die Popularität des Konzeptes der Unternehmenskultur seit den 1980er und 1990er Jahren führt Mats Alvesson u.a. auf die Verbindung mit dem Management wissensintensiver Arbeit zurück. Er unterstreicht, dass sich sowohl Praktiker als auch Wissenschaftler, Berater, Autoren und Wirtschaftsjournalisten aus diesen Bereichen für die Unternehmenskultur interessieren.519 Das Management immaterieller Arbeit konzentriert sich auf symbolische Machtformen, um die Kooperation der Mitarbeiter zu ermöglichen. Die Konzentration auf die Unternehmenskultur dient dabei jedoch nicht nur der internen Legitimation, sondern soll die Glaubwürdigkeit des Unternehmens auch nach außen stärken, indem es versucht, die Außenwahrnehmung und Bedeutung des Unternehmens zu steu-
516 Hofer-Alfeis, J. (2003): S. 720. 517 Vgl. Alvesson, M. (2004). 518 Alvesson, M. (1990): S. 31f. 519 „However, the road for the idea of knowledge management has been well paved in organization analysis. It resonates well with current ideas of knowledge work and knowledge-intensive firms (KIFs) (Alvesson, 1993, 1995), with ideas on organizational learning, and with much thinking on organizational culture.“ Alvesson, M. (2001): S. 996.
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ern.520 Ziel der Initiativen ist es, nicht nur Beschäftigte, sondern auch Kunden und andere Stakeholder zu überzeugen. Als Ursache für das große Interesse an Kulturkonzepten lassen sich zum einen die Veränderung des geschäftlichen Umfeldes und zum anderen in einem größeren Kontext, die Entwicklung spätkapitalistischer Gesellschaften hin zu einer „kulturellen Freisetzung“ nennen. Damit verändert sich auch die bestehende Arbeitsmoral und ein größerer Bedarf an Engagement, Expressivität und Emotionen bereitet eine Grundlage für die hohe Popularität von Organisationskulturkonzepten.521 Im geschäftlichen Umfeld, insbesondere im Servicesektor, versprechen Kulturkonzepte die Zurichtung des Personals auf Kundenfreundlichkeit. Der Erfolg von Servicedienstleistungen hängt hier maßgeblich vom individuellen Verhalten der Angestellten ab.522 Kulturelle Manipulation, welche auf die Wahrnehmung der Beschäftigten zielt, verspricht mehr Erfolg als die Zurichtung des Körpers durch materielle Machtformen. Außerdem minimieren Flexibilisierung und Mobilisierung der Beschäftigten die „körperliche“ und damit auch die imaginäre Bindung an das Unternehmen. Arbeit ist nicht mehr auf konkrete Arbeitsräume beschränkt, sondern kann und soll potenziell überall stattfinden. Organisationskultur und corporate identity dienen dazu, diese Auflösung abzufedern und eine „Aufopferungsbereitschaft“ für die Organisation herzustellen.523 Die Paradoxien zwischen Flexibilität (Auflösung des Einschließungsmilieus) und Bindung an das Unternehmen, für das der Beschäftigte mit voller Kraft seine Leistung erbringen soll, werden durch Kulturkonzepte zwar nicht aufgelöst, dienen aber der Unterstützung „intrinsischer Motivation“. Auf diese Weise gehen Entrationalisierungsstrategien in Unternehmen meistens mit der Beschwörung gemeinsamer Organisationswerte einher: „Whenever you have what appears to be successful decentralization, if you look more closely, you will discover that it was always preceded by a period of intense centralization where a set of core values were hammered out and socialized into people before the people were turned loose to go their own ‚independent’, ‚autonomous’ ways.“524
520 Zum Beispiel hat Siemens eine Reihe von Initiativen durchgeführt, um als wissensintensives Unternehmen bekannt zu werden. U.a. Davenport, T. (2000). 521 Vgl. Alvesson, M. (1990): S. 31. 522 Vgl. Alvesson, M. (1990): S. 42. 523 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 263. 524 Weick, K. (1987): S. 124; Vgl. Alvesson, M. (1990): S. 42.
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Ähnliche „Regierungsinitiativen“ lassen sich auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene beobachten.525 So kann die politische Kampagne „Du bist Deutschland“, welche 2005 und 2007/2008 eine positive Stimmungswelle in Deutschland auslösen und ein deutsches Gemeinschaftsgefühl herstellen sollte, auch als Reaktions- bzw. Präventionsmaßnahme gegen befürchtete bzw. bestehende Auflösungstendenzen „nationaler Identitäten und Werte“ infolge von Globalisierungsund Europäisierungs-Tendenzen interpretiert werden. Gründe für die Popularität von Organisationskulturkonzepten sind nicht nur auf der Ebene ökonomischer Veränderungen zu suchen, sondern spiegeln einen gesamtgesellschaftlichen Trend der „kulturellen Freisetzung“ wider.526 Seit den 1970er Jahren und insbesondere mit der 1968er-Bewegung ist die Bedeutung protestantischer Werte und Arbeitsmoral zurückgegangen. Strikte Autoritätsbeziehungen, Paternalismus und Klassendifferenzen lösen sich auf und es findet eine Heterogenisierung kultureller Werte statt.527 Anstelle von Klassen ist die Gesellschaft durch eine Vielzahl sozialer Milieus geprägt. Nationale und regionale Kulturen werden schwächer, die Bedeutung von Organisationen wie Familie, Gefängnis, Krankenhaus, Fabrik, Schule und Religion nehmen ab bzw. verändern sich. Sie werden als Kontrollformen permanent und ändern sich in ihrer Form. So ergänzt die Fußfessel das Gefängnis, der mobile Pflegedienst das Krankenhaus, die mobile Arbeit die Fabrik und die permanente Weiterbildung die Schule.528 Die medialen Wirklichkeiten stellen darüber hinaus einen globalen Kommunikationsraum her, welcher heterogene Kulturen und Lebensweisen permanent gegenwärtig und zugänglich macht.529 Sozialisation verändert sich, wo sich stabile Autoritäten auflösen. „The earlier common character with a strong superego, work discipline and tendency to voluntary subordination to authority figures – as a result of early internalized authority (father-child) relation – has become less frequent and a more hedonistic psychology with weaker but also more flexible identity has replaced it.“530
525 du-bist-deutschland.de. 526 Vgl. Alvesson, M. (1990): S. 43f. 527 Vgl. Alvesson, M. (1990): S. 43; Vgl. Reckwitz, A. (2006). 528 Vgl. Deleuze, G. (1990). 529 „Nella società postmoderna i media esercitano un ruolo determinante. La loro diffusion e la loro velocità di riproducione del reale hanno trasformato lo scenario sociale: lo hanno reso più ‚caotico’ ma hanno anche offerte nuove speranze di emancipazione.“ Vattimo, G. (1989). 530 Alvesson, M. (1990): S. 43.
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Auch die Autorität des Vorgesetzten steht hier durch die Veränderung kultureller Werte infrage und wie bereits beschrieben richtet sich Autorität stärker nach Expertise, die sich aber im Unterschied zu einem festen Status in der Hierarchie immer wieder neu beweisen muss. Menschen können auf der Basis dieser Entwicklung weniger einer Normalisierung und Disziplinierung am Arbeitsplatz unterzogen werden. Es gilt vielmehr, sie emotional an die Organisation zu binden, was stärker dem kulturellen Hedonismus unserer Zeit entspricht. Mats Alvesson spricht außerdem von einer Kultur des Narzissmus, in der die Expansion von Subjektivität im Vordergrund steht und die Betonung auf Emotionen und expressiven Gefühlen und weniger auf dem Denken und Analysieren liegt.531 Dies gilt zunehmend für Organisationen. Der Aufsatz „Emotional Man“ von Helena Flam drückt das neuerliche wissenschaftliche Interesse für Gefühle in Organisationen beispielhaft aus. Sie entwickelt dort ein Modell emotionaler Akteure und Beziehungen in Organisationen, welche u.a. den „rational man“ und die Analyse kollektiver Handlungen auf der Basis dieses Modells ergänzen sollen.532 Ihr Ansatz stellt eine neue Perspektive auf korporative Akteure zur Verfügung und geht darauf ein, dass das Verhalten korporativer Akteure, welches häufig aus rationalistischer Sicht betrachtet wird, oftmals emotional motiviert ist. Helena Flam spricht von „emotion motivated emotional managers“533. Sie stellt diesen „emotional man“ dem „rational man“ gegenüber. Der „rational man“ trifft im klassischen Modell freie Entscheidungen. Er kann seine Präferenzen frei setzen; diese Freiheit ist jedoch dadurch eingeschränkt, dass er bei Wahlentscheidungen bestimmten Regeln folgen muss. Erstens ist er dadurch eingeschränkt, dass er Kosten und Nutzen einer Wahl abschätzen muss, um seine Präferenzen zu ordnen. Im Vordergrund steht der Gesamtnutzen und inwieweit jede weitere Einheit einer bestimmten Entscheidung zur Steigerung des Gesamtnutzens beitragen kann. Zweitens ist er vorsichtig bei der Zusammenstellung seiner Wahlentscheidungen. Sie müssen in sich konsistent sein und dürfen keine Widersprüche aufweisen. Drittens ist der „rational man“ egoistisch. Alle seine Entscheidungen richten sich nach der Eigeninteressiertheit des Akteurs. Insgesamt ist der „rational man desirous, calculating, consistent and selfish. And the three criteria of rationality – calculus, consistency, selfishness – organize his desires.“534 Den Referenzpunkt von Entscheidungen bildet der „rational man“ selbst. Seine Ressourcen sind be531 Vgl. Alvesson, M. (1990): S. 44. 532 Vgl. Flam, H. (1990). 533 Flam, H. (1990): S. 39. 534 Flam, H. (1990): S. 40.
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grenzt, er agiert kostenbewusst, seine Handlungen sind konsistent und vorhersagbar und seine Selbstkontrolle ist nutzengebunden. Beim „emotional man“ bestimmen hingegen andere den Referenzpunkt für seine Entscheidungen. Die Verfolgung seiner Ziele erscheint widersprüchlich, er ist nicht kostensensitiv, seine Handlungen erscheinen nicht konsistent oder vorhersagbar. In Bezug auf Kooperationen ist der „emotional man“ nicht frei. Gefühle verbinden Akteure miteinander. Sie entwickeln Interesse für das positive oder negative Befinden anderer. „Pure ‚emotional man’ is unfree. Feelings have an involuntary character. They cannot be produced at will. Feelings invade or overwhelm.“535 Im Gegensatz dazu ist der „rational man“ frei in Kooperationen. Er handelt vorrangig selbstinteressiert. Der „emotional man“ erscheint implizit als Grundlage einer neueren Organisationskulturforschung, die eine organisatorische Gemeinschaft auf der Basis von Gefühlen füreinander und für die Organisationsgemeinschaft als Ganzes herstellen will. Wo gesellschaftlich homogene Deutungsmuster wie z.B. eine protestantische Arbeitsmoral organisatorisch nicht mehr vorausgesetzt werden kann, wird Kultur bzw. die Schaffung einer gemeinsamen organisatorischen Bedeutungsebene zu einem Gegenstand des Managements. Wo die Subjektivität und Identität von Beschäftigten nicht vorhersehbar ist oder vorausgesetzt werden kann, muss sie gezielt gemanagt werden. Die Paradoxie liegt hierbei jedoch darin, dass etwas intentional „gemanagt“ werden soll, was sich per Definition nicht „planvoll“ hervorbringen lässt: Gefühle. Trotz dieser Schwierigkeiten hat sich seit den 1980er Jahren neben rein akademischer Organisationskulturforschung auch ein Markt für Organisationskulturtheorien herausgebildet, der die Popularität und Durchsetzung des Diskurses maßgeblich beeinflusst hat. Wissenschaftler und Unternehmensberater sind hier Produzenten von Theorien. Kunden sind größtenteils Manager wissensintensiver Organisationen. Das Produkt „Organisationskultur“ besteht in Form von Texten, Weiterbildungen, Schulungen oder Beratungsdienstleistungen.536 Darüber hinaus ist auch die intentionale Arbeitsplatzgestaltung durch Architektur- und Designfirmen Teil eines neuerlichen „Kulturprojektes“. So geben Unternehmen wie die BBC, Microsoft, Unilever oder Google viel Geld für kreative Arbeitsumgebungen aus und lassen teilweise eigens Firmengebäude und Anlagen bauen, welche die Identifikation der Beschäftigten mit dem Unternehmen steigern soll. Bei der physischen Umgestaltung der Arbeit geht es darum, die Herzen der Mitarbeiter zu gewinnen, um ihre Identifikation mit dem Unternehmen sicherzustellen. Häufig dienen Arbeitsplatzumgestaltungen wie die Einrichtung von Teamarbeitsplätzen, welche auch die Auflösung der hierarchischen Grenzen zwischen Angestellten symboli535 Flam, H. (1990): S. 43. 536 Vgl. Alvesson, M. (1990): S. 34.
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sieren, dazu, eine Veränderung der Organisationskultur herbeizuführen. Die Umgestaltung von Arbeitsumgebungen ist zu einem einträglichen Geschäft für Architekten und Designer geworden. Sie versprechen, mithilfe der Umgestaltung physischer Faktoren auch einen Wandel der Unternehmenskultur herbeizuführen. So ist den Unterlagen eines auf Design von Arbeitsumgebungen spezialisierten Unternehmens Folgendes zu entnehmen: „The DVLA had a very traditional culture, with managers focused on inputs and expecting staff always to be at their desks. NTW has challenged traditional attitudes by promoting a more modern business aim focusing on outputs and individual performance. Significantly, managers have given up their offices to sit alongside their staff, resulting in a better team working.“537
Versteht man Investitionen in Organisationskultur und Arbeitsplatzgestaltung als Managementstrategie, um produktiv-autonome Subjekte hervorzubringen, fokussieren postbürokratische Managementansätze, doch klar auf den „Input“ und nicht nur auf den „Output“, wie im Zitat dargestellt. Der Input ist jedoch an die Identität und imaginäre Ordnung der Beschäftigten gebunden. Unternehmen konzentrieren sich darauf, „Freude“ in den Arbeitsplatz zu integrieren. Insbesondere geht es hierbei darum, ein bestimmtes Bild vom Unternehmen zu vermitteln, welches Beschäftigte an die Einrichtungen bindet. Aus Effizienzgründen erscheinen Investitionen, die aus dem Arbeitsplatz eine „Wohlfühloase“ machen, wie bei Google, äußerst sinnvoll.538 Unternehmen geht es darum, eine möglichst hohe Rendite mit ihren Investitionen zu generieren. Von Investitionen in menschliches Kapital verspricht sich das Unternehmen einen Mehrwert. In dieser Hinsicht ist die Mobilisierung der Arbeit über die räumlichen und zeitlichen Grenzen des Arbeitsortes hinaus genauso effizient wie die Tendenz von Beschäftigten, länger an ihrem Arbeitsplatz zu verweilen. „The traditional associations and construction of ‚work’ are being disassembled, to be replaced with symbols and resonances from other social arenas: those of the community (village pumps, neighbourhoods, townscapes), the domestic (an imagery of the family), leisure (fun, art, workplace gyms) and consumption (‚streets’, employee shareholding).“539
Die Beschäftigten hingegen demonstrieren mit Überstunden und hohem Engagement ihre Verbundenheit und ihren persönlichen Einsatz für das Unternehmen. 537 Hardy, B. et al. (2008): S. 19. 538 focus.de. 539 Dale, K., Burrell, G. (2008): S. 116.
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Darüber hinaus ist Arbeit immer mehr ein Ort der Identitätsbildung und Identifikation. So identifizieren sich gerade Kreativ- und Wissensarbeiter stark mit ihrer Arbeit und damit auch mit dem Unternehmen, für das sie arbeiten. Für Unternehmen ist die Umgestaltung von Arbeitsplätzen und die „Injektion“ von Spaß und Freude, welche Menschen normalerweise vor allem außerhalb ihrer Arbeit erleben, sowie die Individualisierung von Arbeit daher äußerst gewinnbringend. Es erlaubt ihnen, die Managementkontrolle, die vormals auf den Arbeitsplatz beschränkt war, auszudehnen und von den positiven Gefühlen ihrer Beschäftigten zu profitieren und die gesamte Identität für ihre Ziele zu vereinnahmen. Postbürokratische Managementansätze haben diese Entwicklungen bereits sehr früh diskursiv gestützt. So fragt Tom Peters, ein Vertreter der postbürokratischen populären Managementliteratur: „How is it that you have the most enthusiastic, most committed, most talented group of employees – except for the eight hours a day they work for you?“540 Ausgehend von dieser Problematik beschäftigten sich arationalistische Managementansätze seit den 1980er und 90er Jahren mit der Frage, wie Manager die „erfreulichen“ Seiten des Kapitalismus (neben ihrem bisherigen Fokus auf den Konsum) am Arbeitsplatz installieren können, um die Gefühle ihrer Beschäftigten positiv zu beeinflussen und damit ihre Bereitschaft, sich stärker mit organisatorischen Zielen zu identifizieren. Organisationskulturansätze versprechen hierbei Hilfestellung. Es gibt verschiedene wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Ansätze auf dem Markt. Der symbolische Ansatz bewirbt sein Produkt, indem er eine Hilfestellung anbietet, wichtige Rituale, Mythen und Geschichten zu erkennen, damit Manager ihnen im Unternehmen nicht unbewusst zum Opfer fallen. Der Organisationskulturansatz hingegen unterstreicht den hohen Einfluss, den die Organisationskultur auf das Verhalten von Organisationsmitgliedern und damit auf die Gesamtperformance des Unternehmens hat. Entsprechend stellt sich die Organisationskultur als ein zentrales Aufgabengebiet für den Manager dar. Viele Ansätze gehen laut Mats Alvesson sogar davon aus, dass sich die Organisationskultur direkt managen lässt: „Most dealing with corporate culture also say that culture or parts of it might be managed, controlled and intentionally changed. It is, for example, promised that our phases might bring about cultural change (Allen 1985), that five steps can close he gap between actual and wanted culture (Kilmann 1985) or that it is possible to hoose between six organizational rites with which to change culture (Trice & Beyer 1985).“541
540 Dale, K., Burrell, G. (2008): S. 117. 541 Alvesson, M. (1990): S. 37.
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Organisationskulturkonzepte werden in der Praxis gezielt durch das Management eingesetzt, um einen Einfluss auf Arbeit und Unternehmensergebnis zu nehmen. Bezogen auf den Mitarbeiter dienen Organisationskulturkonzepte als Form der symbolischen Macht dazu, Verantwortung von der Unternehmensspitze auf die unteren Ebenen zu übertragen. Wissensmanagement stützt sich auf Empowerment und fordert Autonomie und Engagement der Mitarbeiter.542 Das Unternehmen ist auf die persönliche Hingabe und auf das Engagement des Beschäftigten angewiesen. Aus diesem Grund unterstützt es ihn, sein Verhalten aktiv und eigenständig auf die Rolle eines Wissens- und Kreativarbeiters hin auszurichten. Selbstverständlich ist die Wirksamkeit dieser Konzepte, die von einer linearen Beeinflussung menschlicher Eigenschaften ausgehen, kritisch. Jedoch kann die Durchsetzung der Organisationskultur als Diskursformation als langfristig erfolgreich eingestuft werden. Sie verbindet sich mit anderen gesellschaftlichen Mächten wie der „kulturellen Freisetzung“, dem individualistischen Konformismus im Konsum, einem neoliberalen Management- und Bildungsdiskurs, der Mobilität von Arbeit auf der Basis digitaler Informations- und Kommunikationstechnologien und politischer Bestrebungen der Konzentration von sozialer Verantwortlichkeit auf individueller Ebene (Du bist selbst schuld, wenn Du nichts aus Deinem Leben machst…).543 Stärker als vorhergehende Managementansätze konzentrieren sich postbürokratische Managementdiskurse auf die Identität der Menschen. Wissens- und Kreativarbeiter lassen sich schwer kontrollieren. Leistungen sind kaum mess- oder evaluierbar und Wissens- und Kreativarbeit ist häufiger Teil von Projektarbeit und aus diesem Grund flexibel und instabil. Kontrolliert werden muss daher das „Selbstmanagement“ anstelle von Arbeitsergebnissen und Prozessen. Statt direkter Kontrollmechanismen oder materieller Belohnungen betonen diese Managementansätze daher kulturellideologische Kontrolle.544 „[They can be read] as expressions of an increased managerial interest in regulating employees ‚insides’– their self-image, their feelings and identifications.“545 Zusammenfassung Vergleicht man symbolische Machtformen mit den Veränderungen von materiellen Machtformen, ist auffällig, dass beide stärker auf den arbeitenden Menschen als Träger organisatorischer Machtverhältnisse rekurrieren. Es geht dabei um die 542 Vgl. Gibbert, M. u.a. (2000): S. 37. 543 Siehe auch Bröckling, U. (2007): S. 242: „Ich bin, was über mich erhoben wird und was ich, ausgehend davon aus mir mache.“ 544 Vgl. Alvesson, M. (2004): S. 385ff; Vgl. Alvesson, M.; Willmott, H. (2002). 545 Alvesson, M.; Willmott, H. (2002): S. 7.
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Herstellung von Autonomie und die Unterstützung einer aktiven Selbstzurichtung des Subjektes. Dies geschieht möglichst auf der Basis vermittelter Werte und Bedeutungen. Dafür konzentrieren sich Organisationskulturansätze auf die Produktion von positiven Gefühlen wie Arbeitsfreude, um die emotionale Bindung an den Arbeitsplatz zu stärken. Dies erscheint vor allem dort sinnvoll, wo die Grenzen zwischen Arbeits- und Freizeit verschwimmen, Arbeit mobil ist und theoretisch überall erledigt werden kann, wo sich also räumliche Grenzen, auch unterstützt durch digitale Informations- und Kommunikationstechnologien, zunehmend auflösen. Unternehmen gehen unterschiedliche Wege, wenn es darum geht, Autonomie zu regieren. Die Wiedereinführung erstens des Menschen und zweitens von Emotionen in Organisationen mit dem Ziel, deren Autonomie zu regieren, ist keine Form der „Freisetzung“, sondern eine vertiefte Unterwerfung unter die rationalistische Ausprägung von Organisation und Management, die allerdings durch Beschäftigte mitgetragen wird. Mithilfe von Identitätsmanagement und symbolischer Kontrolle weitet das Management seine Macht aus. 4.3.3 Imaginäre Macht und das Management von Identität: „Wir sind alle Manager“ „We are all managers now“546 heißt es bei Frank Müller und Chris Carter über die institutionellen Veränderungen im Zuge der Privatisierung britischer Stromversorgungsunternehmen. Diese Feststellung scheint treffend für aktuelle organisatorische Veränderungen. Zunächst ändert sich im Organisationsdispositiv mit den materiellen und symbolischen Machtordnungen das Führungsverhalten in Organisationen. Henry Mintzberg vergleicht Organisationen, die postbürokratischen Organisationsdispositiven folgen, also etwa auf Hierarchien weitgehend verzichten, mit Netzwerken.547 In netzwerkartigen Organisationen ändert sich das Rollenverständnis von Managern, aber auch das von Beschäftigten. Der Manager steht nicht wie in der Hierarchie an der Spitze, sondern ist überall im Netzwerk vertreten. Damit einher geht jedoch, dass Managementhandlungen, vor allem in wissensintensiven Organisationen, nicht mehr allein auf Manager bezogen sind. Beschäftigte übernehmen permanent Managementaufgaben. Die Managementaufgabe besteht im Vernetzen, Verhandeln und Überzeugen, wo der Manager vorher geführt, gelenkt und kontrolliert hat. Henry Mintzberg merkt an, dass dies insbesondere in Wissensnetzwerken der Fall ist.548 Er macht also die
546 Müller, F.; Carter, C. (2007): S. 182. 547 Vgl. Mintzberg, H. (2010): S. 165ff. 548 Vgl. Mintzberg, H. (2010): S. 194ff.
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Zunahme von Wissensarbeit für diese Entwicklung verantwortlich. Formen des Selbstmanagements gehen hier mit einem geringen hierarchisch ausgeprägten Management einher. In Teams und projektförmiger Arbeit koordinieren sich Beschäftigte selbst. Trotz Selbstmanagement verbleibt die Aufgabe des „Regierens der Selbstregierung“ jedoch beim Manager. Er legt die Regeln fest und bestimmt die Ziele der Unternehmung. Henry Mintzberg geht davon aus, dass die Rolle des Managers als Vorgesetzter nicht verschwindet, jedoch minimiert sich seine Relevanz und eine Annäherung an die Tätigkeiten anderer Beschäftigter findet statt. Mit diesen Veränderungen übertragen sich Formen der imaginären Macht auf eine breitere Masse an Beschäftigten als zu Beginn des 20. Jh.s. „Wir sind alle Manager!“ bedeutet, dass die aktive Optimierung der eigenen Verhaltensweisen analog zu organisatorischen Rollenbildern, welche eine Basis für das eigene Selbstverständnis bereitstellen, nun auf Beschäftigte angewendet wird, die sich, wie früher bereits der Manager, nur schwer durch andere Machtordnungen kontrollieren lassen. Der Unterschied zum „Manager-Ingenieur“549 besteht möglicherweise darin, dass der Einblick und Überblick, welcher in der „organisierten Moderne“ der panoptischen Beobachtung anderer diente, sich in einen Blick verwandelt, der stärker nach „innen“ bzw. auf das Subjekt selbst gerichtet ist. Askese und die Arbeit an sich selbst Bei wissensintensiven und kreativen Unternehmen handelt es sich um sogenannte „people-intensive companies“550. Die Beschäftigten und deren Identitäten sind bedeutsamer als Strukturen, Technologien oder Produkte. Was zählt, sind die Menschen. Aus diesem Grund ist deren Selbstbild und Verhalten bei der Arbeit, ihre Interaktion mit Kunden, Partnern usw. äußerst wichtig für das Unternehmen. Wissensintensive Unternehmen interessieren sich aus diesem Grund für die Identitäten der Mitarbeiter. „And this is what knowledge management is all about: it is people business. That means the experience and abilities of our people are – and will continue to be – of increasing importance for our company’s competitiveness and profitability.“551
Wissensmanagement erwartet Kreativität, auch wenn diese stark durch ökonomische Erfordernisse von Effizienz und Rentabilität geprägt ist. Anstatt Passivität und Anpassungsfähigkeit sind Beschäftigte gefragt, die aktiv und kreativ, jedoch gleichermaßen unternehmerisch sind. Nicht nur Manager, auch Beschäftigte sol549 Reckwitz, A. (2006): S. 337ff. 550 Alvesson, M. (2004): S. 385ff. 551 Pierer, H. v. (2000): S. 6.
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len die Initiative ergreifen und eigenständig Verbesserungen anstreben bzw. permanent an sich selbst arbeiten und sich weiterentwickeln. Das asketische Ideal, welches die Selbstaufopferung im Sinne eines höheren Ideals beinhaltet, wird nun auf den Beschäftigten selbst angewandt. Vor allem Wissensarbeiter sind daher dazu angehalten, aktiv den Managementdiskurs zu inkorporieren und mit Erzählungen des eigenen Selbst bzw. der eigenen Identität zu verknüpfen.552 Was Michel Foucault an Praktiken des Selbst in der späten Antike dargestellt hat, gilt mit Einschränkung für den Wissensarbeiter. Er soll sein Verhalten nicht primär an Geboten und Verboten ausrichten, sondern durch Anleitung (durch Führungskräfte, Weiterbildungen, Seminare, Literatur) ein ethisches Verhältnis zu sich selbst herstellen. Ein sorgsamer Umgang mit dem eigenen Selbst durch eine permanente Arbeit an sich wird hier vom Subjekt ausgelöst. Als „Askese“ ist dabei die Arbeit des Subjektes an sich bezeichnet. Durch normative Vorgaben werden Haltungen empfohlen. Sie verstehen sich als Ausübung von Recht und Freiheit und nicht als Befolgung von Regeln und Verboten. Das Subjekt konstituiert sich, indem es innerhalb praktischer Kontexte Einstellungen einübt und Handlungen ausübt. Michel Foucault beschreibt wie dargestellt (siehe Kapitel 3) drei Aspekte der Selbstkonstitution. Erstens die Verhaltensregel, zweitens das Verhalten, das an der Regel gemessen wird, und drittens die Art und Weise, wie man sich führen kann und soll anhand der Regel. In der Spätantike beobachtet Michel Foucault zunächst einen größeren Spielraum, der es möglich macht, sich die Verhaltensregel auf eine bestimmte, eigene Weise anzueignen. Später jedoch intensivieren sich die Vorschriften und Regeln und damit einhergehend auch die vorgeschriebenen Übungen zur Selbstkonstitution. Sie dienen dazu, sich zu vervollkommnen und sich um sich zu kümmern. Zentral hierfür ist die Ausbildung und verstärkte Orientierung an diskursivem Expertenwissen. Statt Souveränität in der Gestaltung des eigenen Stils intensiviert sich die Dominanz von Anleitungen zur Selbstproduktion von Subjekten. In postbürokratischen Organisationen verstärkt sich die Sorge um die Herstellung produktiver und autonomer Subjekte. Zwar erscheint das arbeitende Subjekt durch den Abbau materieller Ordnungen wie der hierarchischen Überwachung oder der normierenden Sanktion freier als zu Beginn des 20. Jh.s. Jedoch erlangt es nicht die Autonomie wie sie der frühe Meister mit Bezug auf seine Tätigkeit hatte, bevor mit Frederick W. Taylor der Funktionsmeister eingeführt wurde. Bei genauerer Analyse ergänzen neue Kontrollformen das Organisationsdispositiv. Statt einer linearen und hierarchischen Überwachung entwickeln sich gegenseitige Beobachtung und Selbstoptimierung im Sinne eines 360-Grad-Panopticon. Die Diskurse zu Organisationskultur vervielfältigen sich und das Management setzt auf die Kontrolle von Bedeutungen 552 Vgl. Alvesson, M.; Willmott, H. (2002): S. 7f.
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und Wahrnehmungen. Hinzu kommen Diskurse und Praktiken, die Rollenverständnisse konstruieren (z.B. Soft-Skills-Kurse), die sich nun auf den Beschäftigten und seine Identität konzentrieren. Im postbürokratischen Organisationsund Managementdiskurs werden Beschäftigte als kreativ und unternehmerisch gleichzeitig präsentiert. Sowohl das Kreativsubjekt als auch das „unternehmerische Subjekt“ erscheinen als Objekt von Expertenwissen und stehen unter der Anleitung normativer Diskurse und Praktiken. Das Kreativsubjekt „Sei kreativ!“553
Eine Fallstudie zum Ingenieurwesen und zur Motivation in einem kreativen Umfeld unterstreicht den Anspruch eines Unternehmens an Kreativität und Selbstverwirklichung. Es hebt sich dabei explizit von tayloristischen Diskursen und Praktiken ab und etabliert über diese Differenzziehung eine Vorstellung postbürokratischer Individuen. „In the past, as the work of Frederick Taylor illustrated, motivation theory linked very closely to pay and output. Individuals now need to be motivated in a completely different way. They have higher order needs.“554
Das Streben nach Selbstverwirklichung erscheint als grundlegende Eigenschaft arbeitender Menschen. Dahingehend rekurrieren Organisations- und Managementdiskurse in hohem Maße auf die für die meisten Beschäftigten verführerische Möglichkeit der persönlichen Weiterentwicklung. Organisationen beanspruchen dabei möglichst alle Fähigkeiten eines Mitarbeiters. Auf diese Weise kann dieser sich voll und ganz in seiner eigenen Persönlichkeit entfalten.555 Coaches betreuen Mitarbeiter in solchen Unternehmen und stellen sicher, dass Beschäftigte sich besser kennenlernen und herausfinden, wozu sie in der Lage sind. Weiterbildungen und „Soft Skills“-Kurse helfen ihnen außerdem, ihre Persönlichkeit zu „bilden“. So stellen Anbieter zu „Persönlichkeitsbildenden Kursen“ ihr Angebot beispielsweise folgendermaßen vor: „Erfahren Sie, wie Sie auf allen Ebenen professionell wirken: rhetorisch, körpersprachlich und stimmlich, im Outfit und Styling ebenso wie in Bereichen der Business-Etikette und 553 Bröckling, U. (2007): S. 174. 554 Siemens 2010. 555 Vgl. Boltanski, L.; Chiapello, È. (2006): S. 135.
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im Smalltalk. Meistern Sie ab nun Ihre öffentlichen Auftritte, Reden und Vorträge jederzeit erfolgreich und gewinnen Sie mehr Sicherheit.“556
Die Identität der Beschäftigten wird hier zum Objekt von Expertenwissen und ihr Selbstverständnis und Verhalten stehen unter der Anleitung postbürokratischer Managementdiskurse und -praktiken. Dabei verspricht das postbürokratische Arbeitsmodell eine „echte Autonomie“ im Vergleich zum rationalistischen Unternehmen, wo Arbeit noch eingeengt war durch hierarchische Überwachung, normierende Sanktionen, Prüfungen, materielle Anreize und Karrierestreben. Durch Selbstkenntnis und Selbstentfaltung ist in postbürokratischen Managementdiskursen und- praktiken nun eine wirkliche Eigenständigkeit möglich. Das „neue Management“ greift die Ausbeutung bürokratischer und rationalistischer Unternehmensmodelle kritisch auf und setzt ihr entgegen, dass jeder seinen Erfolg selbst in der Hand hat und keine Hierarchien mehr im Weg stehen. Durch Weiterbildung und Optimierung der eigenen Persönlichkeit ist alles möglich. Die „neue“ Gerechtigkeit ist keine soziale Gerechtigkeit, sondern eine, die „gleiche“ Chancen für alle betont und die Verantwortung für Erfolg und Scheitern ganz beim Einzelnen selbst verortet. Postbürokratische Managementdiskurse und ratgeber betonen hierbei den Freiheitsgewinn der Beschäftigten. Freiheit, die vorher nur für Führungskräfte galt, ist nun für alle möglich. Daneben sind Beschäftigte heutzutage möglichst mobil, anpassungsfähig, flexibel, autonom, kontaktfreudig, offen, umgänglich und kreativ. Sie handeln eigenverantwortlich und sind besonders kommunikativ. In Ihrer Studie zum „Neuen Geist des Kapitalismus“ beschreiben Luc Boltanski und Ève Chiapello diese neuen Wertigkeiten von Beschäftigten und stellen deren Nähe zu künstlerischen Arbeitsformen heraus.557 Künstlerisch-kreative Arbeit betont Innovation und Leidenschaft und wird als neues Leitbild wird nun sogar auf Ingenieure angewandt. „Engineers transform creative ideas into improved products, services, technologies or processes. A career within the field of engineering is exciting and varied as the work is constantly changing. Becoming an engineer at Siemens is about using energy, ideas and passion. It requires a range of skills and abilities that are needed across the whole business.“558
556 biku.at. 557 Vgl. Boltanski, L.; Chiapello, È. (2006): S. 462ff. 558 Siemens (2010).
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Projektarbeit ermöglicht es dabei den Beschäftigten, ihre individuelle Freiheit auszuleben und ihre vielen unterschiedlichen Fertigkeiten und Fähigkeiten einzusetzen. Sie hebt Limitierungen, die beispielsweise durch die Zugehörigkeit zu einer Abteilung entstehen, auf. In den 1980er und 1990er Jahren gewinnt jener Beschäftigte an Wert, „der projektgebunden zu arbeiten versteht, ob nun in leitender Stellung oder als einfacher Mitarbeiter. In diesem Sinne gilt als wertvoller Mitarbeiter, wer es versteht, mit grundverschiedenen Menschen zusammen zu arbeiten, wer bei einem Projektwechsel offen und flexibel auftritt und wer sich mit Erfolg unablässig neuen Gegebenheiten anpasst.“559
Neben Flexibilität und Offenheit ist Kreativität der Imperativ der heutigen Zeit. „Sei kreativ!“ lautet die Aufforderung, die mindestens genauso paradox ist wie die Aufforderung „Sei spontan!“.560 Nach Ulrich Bröckling lässt sich Kreativität nicht anordnen oder in Verträge und Lehrangebote packen. Dennoch hat sich eine Vielzahl von profitablen Kreativberatungsunternehmen herausgebildet, die die „Kreativhungrigen“ mit Training ausstatten. Damit Beschäftigte auch wirklich kreativ arbeiten, erhalten sie Unterstützung von zahlreichen Ratgebern und Weiterbildungsformaten, die Menschen in Kreativtechniken trainieren sollen. Damit einher geht zunächst die Herausbildung eines Selbstverständnisses, nach dem heutzutage jeder kreativ ist. Danach lautet das Postulat, dass Kreativität erlernbar ist und nur die richtigen Techniken benötigt. Die Aufgabe einer Kreativberatung ist es entsprechend, Techniken bereitzustellen, die aus jedem einen „Kreativen“ machen. So heißt es beispielsweise im Trainingsangebot einer Organisationsberatung: „Kreativ sein kann jeder“561. Die „veraltete“ Ansicht, dass nur Künstler kreativ sind, wird in diesem Zusammenhang infrage gestellt: „Kreativ sind Künstler und vielleicht noch Grafiker, aber nicht Otto Normalverbraucher. Das ist die landläufige Meinung vieler. [Wenige] denken und handeln kreativ. Aber nicht, weil sie es nicht könnten, sondern eher, weil sie nicht wissen, wie sie es anstellen sollen und vor allem keine Übung haben.“562
Damit entspricht die Vorstellung von Kreativität dem klassischen rationalistischen Managementdiskurs, welcher davon ausgeht, dass Managementfähigkeiten erlernbar und Arbeiter und Angestellt sich mit Hinblick auf ein bestehendes Ide559 Boltanski, L.; Chiapello, È. (2006): S. 136. 560 Bröckling, U. (2007): S. 174; Vgl. Watzlawick, P. (2009). 561 ok-training.de. 562 ok-training.de.
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al formen lassen. Schließlich vermitteln Berater, was genau zu tun sei, um kreativ zu sein. Nach Ulrich Bröckling dient das Rollenmodell des Kreativsubjektes als Vorbild für uns alle. So stellt sich das Leben der „kreativen Klasse“563 als besonders „hip und frei“ dar.564 Er bezeichnet das „Lob der Kreativwirtschaft“ jedoch als eine „Identifikation mit dem Aggressor“. „Man feiert die Zumutungen, weil man sie nicht ändern kann. Ökonomisch erfolgreich sind nur die wenigsten. Überhaupt ist es ja nur eine sehr kleine Schicht, die in der Kreativwirtschaft arbeitet, meist junge Leute zwischen Mitte Zwanzig und Ende Dreißig, in der Regel ohne Familie. Sie sind in der Tat mobil, dynamisch und bereit, mit wenig auszukommen.“565
Aus Unternehmensperspektive ergänzt sich die quasi-künstlerische Kreativität mit der ökonomischen Innovation, die als notwendig erscheint, um der Dynamik eines „individualästhetischen Konsums“ zu begegnen.566 Die Investition in Kreativität und die Forderung nach „kreativen Subjekten“ erscheint aus Unternehmensperspektive als lohnenswert. Dies trifft insbesondere auf Bereiche zu, wo es nicht um die Produktion materieller Artefakte, sondern um die Bereitstellung von Dienstleistungen oder die Aufladung von Produkten mit ästhetischen und symbolischen Bedeutungen geht. „Die post-bürokratische Arbeitsform kann sich damit als ‚kulturell‘ und ‚produktiv‘ zugleich verstehen: Sie ist produktiv nicht im industriegesellschaftlichen, sondern im postromantischen Sinne der Hervorbringung von Neuem. Da diesem Neuen selbst in erster Linie zeichenhafte Qualität zukommt, stellt sich die Produktion als eine kulturellsymbolische dar.“567
Das Kreativsubjekt hebt sich hiermit von der Routinearbeit des Angestelltenund Arbeitersubjektes ab. Diese Differenz beschränkt sich dabei nicht auf das Arbeitsleben, sondern weitet sich auf die Sphären des Privatlebens aus. Kleidung, Büro, Lebensstil, die richtige Feierabend-Location formen einen persönlichen Stil, der die Individualität des Einzelnen widerspiegelt.
563 Vgl. Florida, R. (2002). 564 Assheuer, T. (2010). 565 Assheuer, T. (2010). 566 Reckwitz, A. (2006): S. 511. 567 Reckwitz, A. (2006): S. 512.
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Nach Andreas Reckwitz orientiert sich Individualität dabei jedoch häufig auch am Projektteam, der Agentur oder dem Unternehmen, für das der Einzelne tätig ist. Individualität stellt sich hier als konformistischer und weniger unabhängig dar, als sie sich gibt. So „forcieren die Projektteams eine partikulare, neotribalistische Semiotik, die sich in den feinen Unterschieden zwischen der ‚latitude‘ von Agentur X und der ‚attitude‘ von Agentur Y niederschlagen kann.“568 Auf politischer Ebene fördert das RKW Rationalisierungs- und Innovationszentrum der Deutschen Wirtschaft e. V., welches zu Zeiten der Weimarer Republik eines der wichtigsten Förderer der Rationalisierung war und sich für die Durchsetzung der „wissenschaftlichen Betriebsführung“ in Unternehmen einsetzte, heute die Kultur- und Kreativwirtschaft. Die Initiative für Kultur- und Kreativwirtschaft wurde 2007 ins Leben gerufen.569 Sie richtet sich an kreative Unternehmen, Gründer oder freischaffende Künstlerinnen und Künstler und bietet eine branchenspezifische Anlaufstelle für alle unternehmerischen Belange. „Ziel ist es, Branchenakteure wettbewerbsfähiger zu machen und mehr existenzsichernde Arbeitsplätze zu schaffen.“570 Deutlich wird hierbei, dass der Diskurs um Kreativität mit der Forderung nach Wettbewerbsfähigkeit und unternehmerischem Denken einhergeht. Andreas Reckwitz zufolge ist das Ideal des Kreativsubjektes eng verbunden mit dem Ideal des Unternehmerischen. „Der Unternehmer ist kreativ, und der Kreative unternehmerisch.“571 Das Unternehmersubjekt „Unternehmerisches Denken und Handeln setzt eine emotionale Bindung an die Firma voraus. Denn wer sich nicht mit der Firma identifiziert, hat in der Regel wenig Interesse am Unternehmenserfolg.“
572
In einem durch Autonomie geprägten Arbeitsumfeld geht es darum, dass der Beschäftigte über ein Selbstkonzept verfügt, welches mit den unternehmerischen Interessen im Einklang steht. Es internalisiert hierfür den Blick von außen: den Blick des Chefs, den Blick des Kunden oder den Blick des zukünftigen Arbeitgebers. Das Unternehmersubjekt ist ein „Subjekt der Wahl“ und gleichzeitig ein „Objekt der Wahl“. Als Subjekt der Wahl versteht sich der Einzelne als rational, 568 Reckwitz, A. (2006): S. 516. 569 Vgl. rkw-kompetenzzentrum.de. 570 rkw-kompetenzzentrum.de. 571 Reckwitz, A. (2006): S. 517. 572 karriere-journal.monster.de.
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selbstinteressiert und souverän. Er trifft autonome Entscheidungen, verliert dabei jedoch Zielorientierung und Effizienz nicht aus den Augen.573 Entscheidungen sind in einem instabilen und sich permanent verändernden Umfeld zu fällen. Es handelt sich um einen Kontext des ständigen Wettbewerbs zwischen aktiven und verantwortlichen Individuen. Unternehmen selbst dienen als Vorbild für Subjekte, die ständig auf neue Marktteilnehmer und Wettbewerber, aber auch Kunden reagieren. Als Subjekt der Wahl wählt es seine Tätigkeitsfelder und Projekte eigenständig. Als Negativfolie dient hier die lebenslange Beschäftigung in einem Unternehmen, verbunden mit Karrierestreben und dem Aufstieg in der Hierarchie oder dem Konsum, welcher sich am Statusdenken oder anderen Konformitätsaspekten ausrichtet. Nonkonformistisch und selbstbestimmt agieren sowohl der postmoderne Konsument als auch das postbürokratische Arbeitssubjekt. Zur gleichen Zeit ist das Unternehmersubjekt ein „Objekt der Wahl“.574 Projektleiter, Manager und Kunden entscheiden über den Erfolg des Einzelnen. Entsprechend internalisiert das Unternehmersubjekt den Blick der anderen, um sich als Objekt der Wahl zu formen. Auf einem globalen Arbeitsmarkt stellt das Unternehmersubjekt seine „Arbeitsfähigkeit“ immer wieder neu unter Beweis.575 Das setzt voraus zu wissen, welche Eigenschaften auf dem Markt gefordert sind und entsprechend nachgefragt werden, um sein Portfolio gezielt zusammenzustellen. Gleichzeitig sollen die eigenen Fähigkeiten und die eigene Individualität hervorgehoben werden. Der potenzielle Konsument (potenzieller Arbeitgeber, Projektleiter usw.) fragt nach den Besonderheiten und Alleinstellungsmerkmalen des Unternehmersubjektes und seinen Produkten, bevor er seine Wahl trifft. In Kursen zum Thema „Ich als Marke“ lernen Personen ihr „Profil zu schärfen“ und sich „als Marke klar zu positionieren“.576 In „Mentalcoaching & Kinesiologie“ lernen Sie, die eigenen Ressourcen zu optimieren“. Im Vordergrund stehen Körperkommunikation und Stressmanagement, Zeitmanagement und Motivationstechniken und außerdem lernen Beschäftigte, den „schmalen Grat zwischen Burnout und maximalem Erfolg“ zu meistern. 577 Karriereratgeber helfen dem postbürokratischen Arbeitssubjekt darüber hinaus, erst sich selbst und dann die geeignete Strategie zur Selbstvermarktung zu finden. Der Blick des Unternehmersubjektes richtet sich hierbei vor allem in die Zukunft. Projektförmige Arbeit ist zeitlich begrenzt. Um auch in Zukunft interessant für potenzielle Arbeitgeber zu sein, denkt das Unternehmersubjekt strategisch. Das Leben wird als 573 Vgl. Reckwitz, A. (2006): S. 517. 574 Reckwitz, A. (2006): S. 517. 575 Vgl. Reckwitz, A. (2006): S. 519. 576 Vgl. biku.at. 577 biku.at.
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Potenzial wahrgenommen, für dessen Entwicklung der Einzelne selbst verantwortlich ist.578 Auch der Kunde ist maßgeblich, da er den Inhalt des zu internalisierenden Blickes vorgibt. Um den sich permanent verändernden Kundenwünschen gerecht zu werden, sind neue Kompetenzen und Selbstbilder gefragt. Zusätzlich führen Marktveränderungen nicht nur zur Forderung von Innovationen. Eine neue Aufgabe von Mitarbeitern der Verkaufsabteilung ist es, innovative und komplexe Geschäftsstrategien zu entwickeln, anstatt lediglich ein fertiges Produkt anzubieten. Ein Mitarbeiter aus dem Bereich „Industrielle Beziehungen“ bei Siemens unterstreicht dies folgendermaßen: „We have to make pro-active suggestions about where our customer’s business may go and in which field he may be operating the next years.“579 Dies beinhaltet, neue und verstärkt unternehmerische Rollen zu übernehmen. „We have to play the role of a strategy-management consultant who is able to interpret trends and to design new business opportunities together with the customer.“580 Die Beraterrolle beinhaltet „a continual refining of competencies, to keep pace with market developments.“581 Aus dieser Perspektive ist eine permanente Verbesserung der eigenen Fähigkeiten und ein dauerhaftes Verhaltenstraining Teil des Jobs bzw. gleichbedeutend mit „unternehmerischem“ Handeln und Denken. „Unternehmerisch denken heißt hier, beständig im Komparativ qualitativer Steigerung zu denken, eine Steigerung in Reaktion auf die Aktionen des Marktes.“582 Hierzu zählt in modernen Arbeitsumgebungen auch die Fähigkeit, die richtigen Netzwerke zu besitzen und zu bilden.583 Das „unternehmerische Selbst“ versteht sich selbst als Mittelpunkt in einem Netzwerk, das aus wichtigen Arbeitgebern, Kunden oder Kooperationspartnern besteht. Auf diese Weise stehen notwendige Informationen bereit und Ressourcen für die berufliche Weiterentwicklung oder das nächste Projekt.584 Vernetzung ist in postbürokratischen Arbeitsumgebungen ein Wert an sich. So sind jene Personen besonders wertvoll, die eine aktive Rolle bei der Entstehung und Belebung von Netzwerken spielen. Als Mittler sind sie in der Lage, strategische und hierarchieferne Beziehungen herzustellen.585 Digitale Netzwerkmedien unterstützen die Konstruktion und den Erhalt von Netzwerken. Netzwerke an sich oder auch das Unternehmersubjekt sind hierbei dennoch kei578 Vgl. Bröckling, U. (2007): S. 67. 579 Gibbert, M. u.a. (2000): 23 [Herv. i.O.]. 580 Gibbert, M. u.a. (2000): 23 [Herv. i.O.]. 581 Gibbert, M. u.a. (2000): 23. 582 Reckwitz, A. (2006): S. 518. 583 Vgl. Boltanski, L.; Chiapello È.(1999): S. 143–145. 584 Vgl. Reckwitz, A. (2006): S. 522. 585 Vgl. Boltanski, L.; Chiapello È.(1999): S. 150–170.
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ne historisch neuen Akteure, so entspricht die Bildung von ausgedehnten Netzwerken keiner neuen Realität. Gleiches gilt für das Unternehmersubjekt, welches sich in Zügen bereits beim bürgerlichen Unternehmer wiederfindet.586 Neu ist lediglich, dass sich das Management als Wille zur Macht nun gemeinsam mit beispielsweise politischen und wissenschaftlichen Diskursen stärker als zuvor auf diesen Arbeitstypus konzentriert, was vor allem mit veränderten kulturellen Verhältnissen und ökonomischen Wettbewerbsbedingungen zusammenhängt, sich aber nicht auf wirtschaftliche Notwendigkeiten beschränkt. Zusammenfassung Die symbolische und materielle Veränderung des Organisationsdispositivs geht einher mit einem imaginären Wandel. Betrachtet man lediglich das Wegfallen von Hierarchie, ortsgebundener Arbeit oder die Installation von mobiler Arbeit und Projektarbeit, erscheinen postbürokratische Organisationen als „Freisetzung“ des Subjektes aus rigiden Strukturen. Jedoch fallen die Strukturen des „Einschließungsmilieus“ auch auf der imaginären Ebene weg. Dieser Aspekt erscheint als wesentlich bedeutsamer für die Betrachtung postbürokratischer Organisationsdispositive. Im „Einschließungsmilieu“ der Moderne fand sich Raum und Zeit für das „nichtbeschäftigte“ oder „arbeitsfreie“ Subjekt, z.B. wenn die vorgegebene Arbeit in einer bestimmten Zeit erfüllt wurde oder das arbeitende Subjekt sich nicht beobachtet fühlte. Auch das von Frederick W. Taylor beschriebene „soldiering“ als bewusste Kontrolle des Arbeitstempos durch den Arbeiter beschreibt eine Art Freiraum, den sich der Arbeiter entgegen dem Willen der Führungsebene erkämpfte.587 Die „Tagträume“, denen die jungen Mädchen in der empirischen Studie „Die Angestellten“ von Siegfried Kracauer nachhängen, während sie mit automatischer Sicherheit Karten lochten, konzentrierten sich sehr wahrscheinlich auf das Leben außerhalb der Arbeit. Selbstreflexion oder Identitätskonstruktionen fanden in der „Organisierten Moderne“ größtenteils außerhalb der Arbeit statt, wenn auch nicht immer physisch, so vermutlich imaginär.588 Im Rahmen postbürokratischer Organisationsdispositive fallen die imaginären Grenzen weg. Seine postbürokratische Arbeitsidentität trägt der Angestellte überall, wo er arbeitet, mit sich, auch an Orten, die vorher nicht mit Arbeit verbunden waren. Schließlich führen der imaginäre Wegfall der Grenze zwischen Arbeit und Freizeit und die erhöhte Autonomie dazu, dass das Subjekt nicht nur länger am Arbeitsplatz verweilt, sondern dass die Arbeit auf andere Lebensbereiche des Einzelnen ausgedehnt ist, auf Orte, an denen vorher keine 586 Vgl. Reckwitz, A. (2006). 587 Vgl. Dale, K., Burrell, G. (2008): S. 104. 588 Vgl. Dale, K., Burrell, G. (2008): S. 104; S. 116ff.
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Arbeit stattfand. Arbeit ist außerdem immer mehr ein identitätsstiftendes Moment. Dies gilt nicht nur für Selbstständige, sondern bezieht sich im postbürokratischen Arbeitsideal auch auf den Angestellten. Dort verhält er sich möglichst wie ein Unternehmer, er fällt eigene Entscheidungen, trägt Verantwortung, arbeitet gewinnorientiert und plant seine Geschäfte innerhalb eines vorgegebenen Rahmens selbst. Damit ist nicht die Entrationalisierung von Organisationen angesprochen, sondern die Übertragung von Organisations- und Managementkonzepten als sinnstiftende Muster589 auf das Subjekt. Die Übertragung beinhaltet die Internalisierung organisatorischer Rationalität. Nach Thomas Lemke, Klaus Türk und Michael Bruch, welche die Neuformierung des Organisationsregimes in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg in einer historischen Studie beschreiben, erscheint das ursprünglich „rein theoretisch konstruierte Modell des ‚homo oeconomicus‘ […] nun vermehrt als eine tatsächlich gesellschaftlich hervorgebrachte Realität“590. Auch der Diskurs um Innovation verlagert sich von der organisatorischen Ordnung auf den Einzelnen. Kreativmanagement ergänzt auf diese Weise den Diskurs um ein organisatorisches Innovationsmanagement. Die Paradoxien, die sich aus der Forderung nach Kreativität und unternehmerischem Denken ergeben, löst der Einzelne selbst. Den Führungskräften obliegt die Aufgabe, die „Regierung der Selbstregierung“ ihrer Angestellten anzuleiten. Sie leiten Angestellte an, sich in einer bestimmten Weise zu verstehen, ein bestimmtes Verhältnis zur Arbeit herzustellen und mitunter auch alle Aspekte ihres restlichen Lebens unter dem Aspekt der Arbeit wahrzunehmen. Die imaginäre Ordnung der Organisation ist die Voraussetzung für den Erfolg von Organisationen, was für bestimmte Bereiche, insbesondere wissensintensive Bereiche, mehr zutrifft als für andere und in bestimmten historischen Kontexten dabei mehr Menschen betrifft als in anderen. Auf diese Weise stellt Stanley Deetz fest: „The modern business of management is often managing the ‚insides’– the hopes, fears and aspirations – of workers, rather than their behaviors directly. […] It is present at all levels often in the name of participation, empowerment, and respect of diversity“.591
Widerstand Beschäftigte können sich gegen bestimmte Machtverhältnisse wehren, aber sie befinden sich dabei nicht außerhalb der Macht. Versuche einer Organisation, ein bestimmtes Selbstverhältnis ihrer Mitarbeiter herzustellen, müssen jedoch nicht notwendigerweise wirksam sein. „Indeed, its effect may be to amplify cynicism, 589 Vgl. Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 264. 590 Türk, K.; Lemke, T.; Bruch, M. (2006): S. 264 [Herv. i.O.]. 591 Deetz, S. (1995): S. 87.
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spark dissent or catalyze resistance.“592 Mit ihrer Kritik laufen Mitarbeiter jedoch teilweise auch Gefahr, sich gegen das zu wenden, was sie selbst sind und überhaupt sein können in einer vorgegebenen sozialen Ordnung, in der die Organisation der Arbeit einen immer größeren Raum einnimmt. Der Einzelne ist zugleich selbstbestimmt und sich selbst konstruierend, findet sich dabei aber als eingebunden in eine bestimmte Ordnung wieder, die die Form seiner Selbstkonstitution bedingt. So heißt es bei Judith Butler: „Man könnte auch sagen, das Subjekt ist gezwungen, sich in Praktiken zu formen, die mehr oder weniger schon da sind. Vollzieht sich diese Selbst-Bildung jedoch im Ungehorsam gegenüber den Prinzipien, von denen man geformt ist, wird Tugend jene Praxis, durch welche das Selbst sich in der Entunterwerfung bildet, was bedeutet, dass es seine Deformation als Subjekt riskiert.“593
Gilles Deleuze zufolge sind Gewerkschaften in Anbetracht der bestehenden Organisationsdispositive als Widerstandsinstanzen möglicherweise untauglich. Sie sind auf Widerstand in Einschließungsmilieus, das heißt auf die Formierung einer Arbeiterschaft/Angestelltenschaft als Gemeinschaftskörper, angewiesen und konstituieren sich durch den Widerstand gegen eine Leitungsinstanz und hierarchische Überwachung. Die Frage ist also, welche Widerstandsformen sich in den neuen, noch in der Entstehung begriffenen Herrschaftsformen organisatorischer Dispositive ausbilden können? Können digitale Medien dazu dienen, eine nicht räumlich gebundene Masse von Angestellten zu formieren, um einen kollektiven Widerstand zu mobilisieren? Schließlich erscheinen digitale Medien nicht nur als Mittel der Dezentralisierung, sondern sind in der Lage, Interessen zu vereinen. Die Frage ist aber, ob überhaupt ein Bedürfnis nach Widerstand besteht? „Lassen sich schon Ansätze dieser künftigen Formen sehen, die in der Lage wären, die Freuden des Marketings anzugreifen?“594 Bisher erscheinen gewonnene Arbeitsfreude und Entfaltungsmöglichkeiten als sehr verheißungsvoll. Sie sind gesellschaftlich vor allem durch eine junge Nachwuchsgeneration auf der Suche nach Sinn, Kreativität und Erleuchtung abgestützt. Wie lange diese Entwicklung vor allem von der „Mittelschicht“ getragen wird, hängt davon ab, wie lange die von Luc Boltanski und Ève Chiapello kritisierte, mangelnde „soziale Absicherung“ in der sogenannten Projektpolis nicht akut ist.595 Wo genug Arbeitsplätze
592 Alvesson, M.; Willmott, H. (2002): S. 7. 593 Butler, J. (2000). 594 Deleuze, G. (1990). 595 Vgl. Boltanski, L.; Chiapello, È. (2006)
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für die „kreative Klasse“596 zur Verfügung stehen und Versprechungen nach Individualität, Spaß und (Wissens-)Arbeit eingelöst werden, hält sich auch das bestehende Organisationsdispositiv. In manchen Ländern Europas ist die Lage jedoch bereits prekär. Europa ist mittlerweile bedroht von der „verlorenen Generation“. Junge und gut ausgebildete Wissensarbeiter bleiben bei der Jobsuche auf der Strecke. In Spanien und Portugal werden Proteste laut. „Erstmals werden die gesellschaftlichen Versprechungen, mit einer guten Ausbildung auch einen Arbeitsplatz zu bekommen, nicht mehr eingehalten. Genau diesem Frust machen seit Tagen die spanischen Jugendlichen Luft.“597
Mit dem Scheitern dieses Versprechens steht mehr auf dem Spiel als das politische System oder die Wiederwahl von Parteien. Der Glaube an die Wahrheit und Gerechtigkeit stützt die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse in Form einer imaginären Macht. Im asketischen Ideal verbinden sich das Selbstverständnis und individuelle Verhaltensweisen von Menschen mit bestehenden Institutionen und Machtverhältnissen. Wo der Glaube an Wahrheit und Gerechtigkeit an ein bestehendes System infrage stehen, werden sich neue Wahrheiten verfestigen und andere Dispositive entstehen. Möglicherweise stehen westliche Gesellschaften bereits wieder am Beginn von etwas Neuem.
596 Vgl. Florida, R. (2002) 597 Orf.ast.
5. Rationalisierung vs. „Entrationalisierung“: Ein Paradigmenwechsel?
Zentrale Fragestellungen der Arbeit sind die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Organisation und Subjekt und die Hinterfragung der Differenz zwischen der Rationalisierung und „Entrationalisierung“ von Organisation, Arbeit und Management. Darüber hinaus ist es ein wichtiges Ziel der Arbeit Macht wieder in den Organisationsdiskurs einzuführen. Macht trägt dabei wesentlich zu einem Verständnis für das Verhältnis von Organisation und Subjekt bei. Die Auseinandersetzung zeigt im zweiten Kapitel, „Organisation und Macht“, zunächst, dass Macht bislang kein zentrales Thema im Organisations- und Managementdiskurs ist. Max Weber setzt sich zu Beginn des 20. Jh.s mit der Bedeutung von Macht für Organisationen auseinander und fragt, warum Menschen sich einer Macht- bzw. Herrschaftsbeziehung unterordnen. Macht ist bei ihm zentral für das Verständnis von Organisation und er legt ein differenziertes Verständnis von Macht zugrunde. Sein Machtkonzept bezieht sich nicht nur auf die Durchsetzung der eigenen Interessen gegen Widerstand, sondern er bringt Machtkonzepte ein, die auf der Basis von Glauben, z.B. an Rationalität, Charisma oder Tradition, Legitimation erlangen. Auf diese Weise erscheint auch die rationale Organisation der Bürokratie als Machtform. Ausgehend von der mit Max Weber formulierten These, dass Macht ein grundlegender Bestandteil von Organisationen ist, standen Ansätze der Organisations- und Managementforschung im Fokus der Betrachtung. In einigen Ansätzen wird Macht explizit thematisiert. Sie erscheint hier jedoch als negatives Konzept und richtet sich gegen das gemeinschaftliche und rationale Handeln in der Organisation. In anderen Beiträgen erscheint Macht nur implizit. Managementansätze wie der Taylorismus entwickeln Machttechniken in Form von Handlungsempfehlungen für Manager, die darauf zielen, die Macht des Managements über den arbeitenden Menschen zu erweitern, ohne dabei jedoch Macht selbst zu reflektieren. Ähnliches gilt auch für die Agenturtheorie. Größtenteils
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erscheint Macht als entgegengesetzt zur organisatorischen Rationalität, die auf die Herstellung eines gemeinschaftlichen Handelns zielt. Die Diskursanalyse zeigt, dass Macht in den ökonomisch ausgerichteten Management- und Organisationswissenschaften durch Rationalität ersetzt wird. Rationalität und Macht erscheinen hier als Gegensätze. Die Auseinandersetzung mit Max Weber verdeutlicht jedoch, dass Macht ein sehr fruchtbares Konzept für das Verständnis von Organisation ist bzw. Organisation ohne Macht gar nicht denkbar ist. Ein differenziertes und positives Machtkonzept ist notwendig, um zu verstehen, warum sich Menschen organisatorischen Ordnungen unterwerfen. Macht erscheint hierbei nicht als etwas Unterdrückendes, sondern als etwas Positives, weil sie soziales Handeln möglich macht. Im dritten Kapitel, „Macht und Subjektivierung“, geht es daher um die Erarbeitung eines differenzierten und positiven Machtkonzeptes. Dieses basiert auf einer Auseinandersetzung mit Friedrich Nietzsches „Zur Genealogie der Moral“ und wurde durch den Machtbegriff von Michel Foucault ergänzt. Friedrich Nietzsche erscheint hierbei als Vordenker von Max Weber und Michel Foucault. Erarbeitet wurde ein Machtdispositiv, welches auf der Basis dreier unterschiedlicher Machtordnungen zur Konstruktion und Konstitution von Subjekten beiträgt. Die materielle Ordnung bezieht sich auf die Zurichtung der Körper, einmal in einer direkten Form der Machtausübung, wie sie bei Friedrich Nietzsche im Verhältnis zwischen Herren und Sklaven erscheint, und einmal in einer eher indirekten Form der Zurichtung des Körpers, wie sie in Michel Foucaults Disziplinarinstitutionen auftaucht. Die symbolische Machtordnung bezieht sich auf die Beeinflussung von Wahrnehmungen, Denkmustern und Bedeutungen, wie sie Michel Foucault im Konzept des Diskurses und Friedrich Nietzsche anhand des Ressentiments beschreibt. Die imaginäre Macht bezieht sich bei beiden auf die „Askese“ als Zurichtung von Denk- und Verhaltensweisen ausgehend vom Subjekt selbst. Alle drei Machtordnungen stehen in einem engen Verhältnis und bedingen sich gegenseitig. Im vierten Kapitel ist dieser Analyserahmen die Grundlage für die Auseinandersetzung mit der „Organisation als Macht- und Subjektivierungsdispositiv“. Im Vordergrund stehen die Episteme des modernen Managements und die Durchsetzung des Managements im modernen Organisationsdispositiv. Zunächst geht es hierbei um die Rationalisierung von Organisationen durch das moderne Management. Im zweiten Hauptteil stehen scheinbare „Entrationalisierungstendenzen“ zum Ende des 20. Jh.s im Fokus. Auf der Basis einer differenzierten Machtanalyse wird deutlich, dass eine Verschiebung von Machtordnungen stattfindet, jedoch keine „Entrationalisierung“ von Organisationen.
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Bezieht man Organisationsverhältnisse vor der Durchsetzung des modernen Managements in die Analyse ein, erscheint die Organisation zunächst vor allem als materielle Machtordnung im Sinne von Friedrich Nietzsches Auseinandersetzung mit der direkten Anleitung von Körperbewegungen durch eine herrschende Klasse. Körperzüchtigungen und Gewalt waren in der Manufaktur und in der frühen Fabrik an der Tagesordnung. Die Durchsetzung der Logik „cash nexus“, also des durch Kontrakt festgeschriebenen Austausches von Arbeit und Lohn, hatte sich bei den Menschen noch nicht durchgesetzt. Mit der Rationalisierungsbewegung und der Durchsetzung des modernen „Wissenschaftlichen Managements“ in Organisationen verbinden sich materielle Machtordnungen mit symbolischen Ordnungen der Macht, die auf die Beeinflussung der Wahrnehmung zielen. Körperzüchtigungen nehmen ab bzw. verschwinden ganz und weichen einem „respektvollen“ Umgang mit dem arbeitenden Subjekt. Das Management hat maßgeblich über symbolische Machtordnungen die Kategorien des bezahlten Lohnarbeiters und Angestellten zu einer anerkannten Wahrheit etabliert. Nicht nur die Psychotechnik und die Sozialpolitik, auch der Taylorismus zielen bereits auf die Bedeutungsebene und suchen über den Glauben an „Rationalität“ und „wissenschaftliche Objektivität“ Legitimation für organisatorische Herrschaft herzustellen. Das Medium der Schriftlichkeit spielt hierbei eine tragende Rolle. Es unterstützt die Formalisierung und Rationalisierung der Organisation, organisiert die „Wissenschaftliche Betriebsführung“, und steht sinnbildlich für einen hierarchischen Panoptismus, bei dem der Arbeiter zum Objekt einer arbeitswissenschaftlichen Beobachtung (hierarchischer Blick) und Zurichtung (normierende Sanktion) wird. In der Schriftlichkeit bildet sich zudem eine eigene, fixierte und damit dauerhafte Wahrheit über ein diszipliniertes Arbeitssubjekt heraus. Mit Rückblick auf die Diskursanalyse in Kapitel 2 ist nun deutlich, auf welche Weise Macht (als negatives Konzept) durch Rationalität ersetzt wird. Wo Macht nur als unterdrückend und einschränkend wahrgenommen wird, ist Rationalität kein Machtkonzept, da es vorrangig über symbolische Ordnungen agiert und Macht dabei als irrational ablehnt. Die Entwicklung von Managementmethoden basiert auf „wissenschaftlichen“, also auf scheinbar objektiven Wahrheiten. Widerstand gegen einen machtvollen Diskurs wie die Wissenschaft erscheint als irrational. In den 1980er und 1990er Jahren sind Organisation und Management zu einer gesellschaftlichen Normalität und Wahrheit geworden. Das Einschließungsmilieu erscheint daher vor allem dort als ineffizient, wo Organisation und Management bereits im arbeitenden Subjekt internalisiert sind. „Askese“ als Zurichtung von Denk- und Verhaltensweisen ausgehend vom Subjekt verortet Friedrich Nietzsche beim Künstler, Priester, Wissenschaftler und Philosophen. Askese
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lässt sich im Rahmen postbürokratischer Organisationen auch auf die aktive Selbstformung von Wissens- und Kreativarbeitern beziehen. Im Gegensatz zur antiken Askese ist der Kreativ- und Wissensarbeiter jedoch eng in einen Rahmen von Diskursen und Praktiken um Unternehmertum und Kreativität eingebunden. Hier werden ihm nicht nur Verhaltensregeln nahegelegt und Subjektideale vorgegeben, sondern er lernt auch, wie er sich ausgehend von einer intensivierten Selbstbeobachtung zurichten kann. „Identitätsmanagement“ oder „Selbstorganisation“ lautet das Ideal für Organisation und Subjekt seit Ende des 20. Jh.s. Die Wahrheit „cash nexus“ hat sich hierbei idealerweise im Subjekt verfestigt. So sehen Klaus Türk, Thomas Lemke und Michael Bruch im postbürokratischen Arbeitssubjekt die historische „Geburt“ des „homo oeconomicus“. Die Entwicklung des organisatorischen Machtdispositivs geht einher mit der Rationalisierung der Arbeit in der modernen Organisation. Rationalität erscheint (wie schon bei Max Weber) als Machtordnung, die im Verlauf der organisatorischen Entwicklung zu einer Wahrheit wird und sich bald nicht mehr nur auf die Organisation, sondern auch auf das organisatorische Subjekt bezieht. Interessant ist hierbei die Beobachtung aus dem zweiten Kapitel, welche zeigt, wie Macht in den Organisations- und Managementwissenschaften durch Rationalität ersetzt wird. Die organisatorische Herrschaft erscheint damit nicht mehr als Machtform, sondern als natürliche und notwendige Wahrheit, die ihre Legitimation durch den Rekurs auf Objektivität und Wissenschaftlichkeit erlangt. Rationalität, so macht die Auseinandersetzung mit tayloristischen Ansätzen im vierten Kapitel deutlich, dient allen Interessen gleichermaßen und äußert sich damit nicht mehr vordergründig als Machtbeziehung. Das moderne Management spielt eine wesentliche Rolle bei der Konstruktion von Organisation als rationalem und zur Macht gegensätzlichem Konzept. Es erfolgt eine Umwertung von Werten. In dieser Hinsicht kann Friedrich Nietzsches Genealogie auf einer weiteren Ebene für die Organisations- und Managementwissenschaften fruchtbar gemacht werden. Mithilfe der genealogischen Methode fragt Friedrich Nietzsche nach den Ursprüngen unserer moralischen Vorurteile. In seiner Kritik der Moral weist er darauf hin, dass der Wert moralischer Werte selbst infrage gestellt werden muss. So findet im Ressentiment eine Umwertung von Werten von vormals „gut und schlecht“ hin zu „gut und böse“ statt. Um diese Umwertung von Werten, auf der unsere heutige Moral basiert, zu hinterfragen, ist es nach Friedrich Nietzsche notwendig, eine Geschichte der Moral zu verfassen. Friedrich Nietzsche geht davon aus, dass die moderne Moral und das moralische Subjekt ihre heutige Form durch bestimmte Machtbeziehungen erhalten haben. Angewandt auf die Entwicklung von Organisation und Management wird mithilfe der genealogischen Methode die Differenz zwischen Rationalität und
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„Entrationalisierung“ als Wert selbst infrage gestellt. Es handelt sich hierbei zunächst um den Ursprung des Rationalitätskonzeptes und auch um dessen Negierung durch neuere Organisations- und Managementansätze, wie sie sich in den 1980er und 1990er Jahren herausgebildet haben. Schließlich wird danach gefragt, auf welche Weise das moderne Organisationssubjekt und die moderne Organisation ihre heutige Form erhalten haben. Dies geschieht durch eine Analyse grundlegender Machtbeziehungen. Macht als „Wert“ von Organisationen wird hier wieder eingeführt, nachdem er durch die Managementwissenschaften in Rationalität umgedeutet wurde. Eine machtbasierte Auseinandersetzung mit der Geschichte von Management und Organisation zielt auf ein grundlegendes Verständnis von Dispositiven, die das alltägliche Leben in der Moderne prägen. Es handelt sich dabei um eine kritische Analyse, die Management und Organisation als neutrale und zeitlose Technologien infrage stellt. Ziel ist es, zu beobachten, wie sich eine Wahrheit über Management, Organisation und den arbeitenden Menschen herausgebildet hat. Als Interpretationsform bietet die Analyse keine Handlungsempfehlungen. Sie bietet ein Angebot für das Verständnis von Gegenwart – im Spiegel der Geschichte – und überlässt dem Leser die Stilisierung seiner Haltung. Möglicherweise könnte ein Paradigmenwechsel in den Managementwissenschaften darin liegen, sich nicht darauf zu beschränken, abstrakte und allgemeine Handlungsempfehlungen zu unterbreiten, welche unabhängig sind von der Berücksichtigung komplexer soziale Sachverhalte. Stattdessen können neben genealogischen Analysen andere qualitative Studien (z.B. ethnografische Forschungen) Interpretationsversuche zur Verfügung stellen, welche den selbstreflexiven Umgang mit bestehenden Sachverhalten ermöglichen. Der Organisations- und Managementwissenschaftler kann helfen, diese Sachverhalte zu analysieren und seine Vorschläge der Organisationspraxis unterbreiten. Ihm kommt eine große Verantwortung zu, da die Organisations- und Managementwissenschaft sich mit bedeutsamen Gesellschaftsstrukturen beschäftigt, welche Auswirkungen auf das alltägliche Leben von Menschen haben.1
1
„Being a part of the social scenes that he or she investigates, the organization analyst has a responsibility toward the subjects of that science. When we investigate organizations, we are messing with people. We are not just observing rats in a laboratory or iron filings around a magnet. We address the impact of major structures of society on the lives of ordinary people. We have a responsibility to these people – as human communities – just as much as to the professional communities of methods and theories that sustain us.“ Clegg, S.R. (2002): S. 436
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