Opus maius: Brief an Papst Clemens IV. Opus maius: Teile I, II und VI. Brief über die geheimen Werke der Natur und der Kunst 9783787331369, 9783787331352

»Denn auch, wenn bisher die Grundsteine noch nicht gelegt sind, so sind doch das Holz und die Steine bereits vorhanden,

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German Pages 316 [384] Year 2017

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Opus maius: Brief an Papst Clemens IV. Opus maius: Teile I, II und VI. Brief über die geheimen Werke der Natur und der Kunst
 9783787331369, 9783787331352

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Philosophische Bibliothek

Roger Bacon Opus maius Teile I, II und VI Brief an Papst Clemens IV. Brief über die geheimen Werke der Natur und der Kunst

Meiner

ROGER BACON

Opus maius Brief an Papst Clemens IV. Opus maius: Teile I, II und VI Brief über die geheimen Werke der Natur und der Kunst

Übersetzt von Nikolaus Egel und Katharina Molnar. Mit einer Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von

nikolaus egel

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 697

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-3135-2 ISBN eBook: 978-3-7873-3136-9

© Felix Meiner Verlag Hamburg 2017. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, ­soweit es nicht §§  53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten. Satz: Type & Buch Kusel, Hamburg. Druck: Strauss, Mörlenbach. Bindung: Litges & Dopf, Heppenheim. Werkdruck­ papier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de

I N H A LT

Einleitung. Von Nikolaus Egel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . vii 1. Biographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . vii 2. Das 13. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xiv 3. Roger Bacons Opus maius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xxi A. Entstehungshintergrund und Konzeption des Opus maius: Roger Bacons Brief an Papst Clemens IV. . . xxi a) Vorgeschichte des Briefes an Papst Clemens IV.  . . . . . xxi b)  Inhalt des Briefes und Struktur des Opus maius  . . . xxvi

B. Opus maius, Teil I: Die vier Ursachen des Irrtums . . . . . xxx C. Opus maius, Teil II: Die Verwandtschaft zwischen ­Philosophie und Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xxxiv D. Opus maius, Teil VI: Die Erfahrungswissenschaft . . . . . xliii

a) Rezeptionsgeschichte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xlv

b) Inhalt und Aufbau von Opus maius, Teil VI: Über die Erfahrungswissenschaft  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . l

4. Die Wunder der Wissenschaft: Roger Bacons Brief über die geheimen Werke der Natur und der Kunst und über die Nichtigkeit der Magie . . . . . . . . . . . . . . . . . . lxii Zu dieser Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . lxv ROGER BACON

Brief an Papst Clemens IV. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Opus maius, Teil I: Über die vier Ursachen des Irrtums . . 57 Opus maius, Teil II: Über die Verwandtschaft zwischen ­Philosophie und Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

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inhalt

Opus maius, Teil VI: Über die Erfahrungswissenschaft . . . 157 Brief über die geheimen Werke der Natur und der Kunst und über die Nichtigkeit der Magie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Anmerkungen des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Siglenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312

EI N LEIT U NG

1. Biographie Roger Bacon1 ist 12142 oder 12203 in England als Sohn einer adligen Familie geboren worden.4 Nachdem er seinen Magister Artium wahrscheinlich um 1240 in Oxford oder Paris gemacht hatte, muss er Mitte der 1240er Jahre an der artes-Fakultät in Paris begonnen haben, über die Naturphilosophie des Aristoteles zu lesen.5 Seine Vorlesungen müssen mit Sicherheit Aristoteles’ Me­ tapyhsik, dessen Physik und De sensu et sensato enthalten haben. Sehr wahrscheinlich hat er zudem über De gene­ratione et cor­ ruptione, De animalibus, De anima, De caelo et mundo und über die pseudo-aristotelischen Texte Liber de causis und De plantis 1 Ich

beschränke mich auf eine Skizze der Biographie Bacons, vgl. ausführlicher: Roger Bacon, Kompendium für das Studium der Philosophie, übers. u. hg. v. Nikolaus Egel, Hamburg 2015, S. VII  –  X XXII. 2 Dieser Ansicht sind: Andrew G. Little, Introduction: On Roger Bacon’s Life and Works in: Roger Bacon Essays, hg. v. Andrew G. Little, Oxford 1914., S. 1; Thomas S. Maloney, Introduction, in: Roger Bacon, Compendium of the Study of Theology, übers. u. hg. v. Thomas S. Maloney, Leiden 1988, S. 2; Jeremiah Hackett, Roger Bacon, his Life, Carreer and Works, in: Roger Bacon and the Sciences. Commemorative Essays, hg. v. Jeremiah Hackett, Leiden/New York/Köln 1997, S. 9 – 11. 3 Dieser Ansicht ist: Stewart C. Easton, Roger Bacon and his Search for a Universal Science, New York 1952, S. 10 f. 4 Zur aktuellen Diskussion über Bacons Biographie: Jeremiah ­Hackett, From Sapientes antiqui at Lincoln to the New Sapientes mo­ derni at Paris c. 1260–1280, in: Robert Grosseteste and the Pursuit of Religious and Scientific Learning in the Middle Ages, hg. v. J. P. Cunningham u. M. Hocknull, Zürich 2016, S. 119–142. 5 Da Bacon schreibt, Alexander von Hales gesehen zu haben, der 1245 in Paris gestorben ist, liegt es nahe, dass Bacon in den 1240er Jahren in Paris war. – Vgl. Theodore Crowley, Roger Bacon. The Problem of the Soul, Louvain/Dublin 1950, S. 25.

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gelesen6, womit Bacon einer der ersten Magister war, der über die Naturphilosophie des Aristoteles doziert hat. Wo Bacon sich in den späten 40er und frühen 50er Jahren des 13. Jahrhunderts aufgehalten hat, ist unsicher. Zwischen 1247 und 1250 wird er wahrscheinlich wieder nach Oxford zurückgekehrt sein, da er berichtet, Adam Marsh getroffen zu haben.7 Da Adam Marsh von 1247 bis 1250 in Oxford an der theologischen Fakultät tätig war, ist es nicht unwahrscheinlich, dass Bacons Bekanntschaft mit Adam Marsh in diese Zeit fällt.8 Ebenso geht aus Bacons Bemerkungen hervor, dass er Thomas von Wales persönlich gehört hat, der von 1240 bis 1247 Lektor bei den Franziskanern in Oxford war, bevor er 1247 Bischof in Wales wurde.9 Doch ob in Oxford oder Paris, auf jeden Fall müssen sich seine Interessen in dieser Zeit verändert haben. Bis zu diesem Zeitpunkt war seine Laufbahn nicht außergewöhnlich: Er hat die notwendigen akademischen Grade bis zum Magister erhalten, ist nach Paris gegangen, hat dort unterrichtet und einige seiner Vorlesungen verschriftlicht. Denn in den späten 40er Jahren begann die Zeit, in der er »ohne [s]ich um die Meinung der Öffentlichkeit zu kümmern, […] mehr als zweitausend Pfund […] für geheime 6 Vgl.

Ferdinand M. Delorme, »Introduction«, in: Roger Bacon, Opera hactenus inedita, Bd. XIII, hg. v. Robert Steele u. Ferdinand M. Delorme, Oxford 1935, S. xxvii – x xxi. – Jüngst dagegen: Silvia Donati, Pseudoepigraha in the »Opera hactenus inedita Rogeri Baconi«? The Commentaries on the Physics and on the Metaphysics, in: Les débuts de l’enseignement universitaire à Paris (1200 – 1245), hg. v. O. Weijers u. J. Verger, Turnhout, 2013, S. 152 – 203. 7 Vgl. Roger Bacon, Opus tertium, in: Opera quaedam hactenus in­ edita, hg. v. John S. Brewer, London 1859, S. 75, S. 186. 8 Vgl. Theodore Crowley, Roger Bacon. The Problem of the Soul, a. a. O., S.27 f.; David C. Lindberg, Roger Bacon’s Philosophy of Nature, Oxford 1983, S. xviii. 9 So David C. Lindberg und Theodore Crowley: Roger Bacon, Opus maius, a. a. O., Bd. 1, S. 88; Opus tertium, a. a. O., S. 86; vgl. David C. Lind­berg, Roger Bacon’s Philosophy of Nature, a. a. O., S. xviii; Theodore Crowley, Roger Bacon. The Problem of the Soul, a. a. O., S. 28 f.



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Bücher, verschiedene Versuche, Sprachenstudium, Instrumente, Tafeln und anderes« aufgewendet hatte, eine so intensive Phase des Lernens, dass »sich die Menschen [ w underten ], dass ich das Übermaß an Arbeit überhaupt durchhielt«10. Er muss in dieser Zeit auch angefangen haben, Griechisch und Hebräisch zu lernen11, für ihn die grundlegenden Sprachen, da »Sprachkenntnis der allererste Weg zur Weisheit [ ist ], vor allem für die Lateiner, die keine anderen theologischen und philosophischen Texte besitzen als solche, die in einer fremden Sprache verfasst sind«.12 In diesem Zusammenhang verdient auch Robert Grosseteste genannt zu werden, den Roger Bacon zwar vermutlich nicht persönlich kannte13, dessen Überlegungen und wissenschaftliche Impulse ihn jedoch – vermittelt durch die Bibliothek Grossetestes, die dieser nach seinem Tod im Jahr 1253 dem Franzis­ kanerkonvent in Oxford vermacht hatte14 – sehr beeindruckt und beeinflusst haben. Roger Bacon spricht zumindest immer 10 Vgl.

Roger Bacon, Opus tertium, a. a. O., S. 65 [Übers. N. E.]. Bacon hat eine griechische und wahrscheinlich auch eine hebräische Grammatik geschrieben. – Vgl. Roger Bacon, The Greek Grammar of Roger Bacon and a Fragment of his Hebrew Grammar, hg. v. Edmond Nolan u. S. A. Hirsch, Cambridge 1902. 12 Roger Bacon, Opus tertium, a. a. O., S. 102 [Übers. N. E.]. 13 David C. Lindberg und Theodore Crowley gehen jedoch davon aus, dass sich die beiden Männer in Oxford getroffen haben. – Vgl. Roger Bacon, Opus maius, a. a. O., Bd. 1, S. 88; vgl. David C. Lindberg, Roger Bacon’s Philosophy of Nature, a. a. O., S. xviii; Theodore Crowley, Roger Bacon. The Problem of the Soul, a. a. O., S. 28 f. – Vgl. dagegen: Jeremiah Hackett, Scientia Experimentalis: Von Robert Grosseteste zu Roger Bacon, in: Roger Bacon in der Diskussion, 2 Bde., hg v. Florian Uhl, Frankfurt/M. 2001, Bd. 2, S. 195 – 227, insbes. S. 199 ff. 14 Vgl. Richard W. Hunt, The Library of Robert Grosseteste, in: Robert Grosseteste, Scholar and Bishop, hg. v. Daniel A. Callus, Oxford 1955, S. 121–145, insbes. S. 130–132; Anna C. Dionisotti, On the Greek Studies of Robert Grosseteste, in: The Uses of Greek and Latin: Historical Essays, hg. v. Anna C. Dionisotti u. a., London 1988, S. 19–39, insbes. S. 31 f.; dies., Robert Grosseteste and the Greek Encyclopedia, in: Rencontres de cultures dans la philosophie médiévale: traductions et 11 Roger

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mit dem größten Respekt von Grosseteste, was für einen Mann von solch verbaler Angriffslust, wie es Roger Bacon zweifellos war, ungewöhnlich ist. In diese Zeit fällt vielleicht auch seine Lektüre des zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert wahrscheinlich im arabischsprachigen Raum verfassten pseudo-aristotelischen Fürstenspiegels Se­ cretum secretorum, in dem Aristoteles Alexander dem Großen Ratschläge für eine richtige Regierung gibt. Dieser Text enthält jedoch weit mehr als politische Hinweise: auch die Astrologie, die Physiologie, die Medizin, die Rolle von Talismanen und okkulter Magie werden darin ausführlich besprochen.15 Das Sec­ retum secretorum wird einen großen Einfluss auf Bacon haben – dieser Text war ihm so wichtig, dass er eigens eine Edition mit Kommentar dazu verfasst hat.16 In diesen Jahren war Roger Bacon wahrscheinlich noch kein Mitglied des Franziskanerordens. Sein Eintritt in den Orden lässt sich nicht genau datieren. In der Regel wird in der Sekundär­ literatur ein Datum in den 50er Jahren favorisiert (zwischen 1255 und 1257).17 Auch seine Gründe für den Eintritt in den Orden sind weitestgehend unbekannt, da Bacon selbst sich nirgendwo in seinen Schriften dazu geäußert hat.18 traducteurs de l’antiquité tardive au XIV siècle, hg. v. Jaqueline Hamesse u. Marta Fattori, Louvain-la-Neuve 1990, S. 337–353, insbes. S. 348. 15 Vgl. Steven J. Williams, The Secret of Secrets: The Scholarly Career of a Pseudo-Aristotelian Text in the Latin Middle Ages, Ann Arbor 2003, S. 7–30. 16 Vgl. Roger Bacon, Secretum secretorum, in: Opera hactenus in­ edita V, hg. v. Robert Steele, Oxford 1920. 17 Vgl. Theodore Crowley, Roger Bacon and the Problem of the soul, a. a. O., S. 32; David C. Lindberg, Roger Bacons Philosophy of Nature, a. a. O., S. xx; vorsichtiger: Amanda Power, Roger Bacon and the Defence of Christendom, a. a. O., S. 52. – Die Texte, die dazu herangezogen werden können, finden wir in: Roger Bacon, Opus tertium, a. a. O., S. 7 und S. 13. 18 Vgl. Amanda Power, Roger Bacon and the Defence of Christen-



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Warum auch immer Bacon in den Orden eingetreten sein mag, wir finden ihn auf jeden Fall vor dem Jahr 1265 in Paris19: In einem kurzen Zeitraum, zwischen 1266 und 1268, verfasste Roger Bacon nun mit dem Opus maius 20, dem Opus minus 21 und dem Opus tertium seine drei Hauptwerke, die alle an Papst Clemens IV. gerichtet waren. Eine Antwort von Clemens IV. hat Bacon jedoch nie erhalten, was auch daran liegen mag, dass Clemens IV. am 29. Februar 1268 in Viterbo gestorben war. Das nächste Werk Bacons ist das unvollendet gebliebene Com­ pendium studii philosophiae 22 von 1272, bei dem ein zunehmend aggressiver und polemischer Ton über den Zustand der Gesellschaft, der Studien, der Kirche und insbesondere gegenüber den neuen Orden ins Auge fällt. In den nächsten fünfundzwanzig Jahren wird es still um Roger Bacon. Wir wissen nichts über Bacons Aktivitäten in diesen Jahren bis zu seinem Tod. Wahrscheinlich fallen in jene fünfundzwanzig Jahre seine Schriften Communia naturalium und die Communia mathematica, die vor allem Bacons naturphilosophische Überlegungen ent­halten.23 Die einzige Nachricht über Bacons letzten Lebensabschnitt ist eine Mitteilung in einer Chronik der Franziskaner, die etwa hundert Jahre später (um 1370) verfasst wurde und in der es heißt: dom, a. a. O.; David C. Lindberg, Roger Bacons Philosophy of Nature, a. a. O., S. xx f. 19 Dass er zu dieser Zeit in Paris war, wird anhand des Opus tertium klar. – Siehe: Roger Bacon, Opus tertium, a. a. O., S. 13, 15 f. 20 Vgl. Roger Bacon, Opus maius, 3 Bde., hg. v. John H. Bridges, Oxford 1897 – 1900. 21 Vgl. Roger Bacon, Opus minus, in: Fr. Rogeri Bacon, Opera quaedam hactenus inedita, hg. v. John S. Brewer, London 1859, S. 313 – 389. 22 Vgl. Roger Bacon, Kompendium für das Studium der Philosophie, a. a. O. 23 Vgl. David C. Lindberg, Roger Bacon’s Philosophy of Nature, a. a. O., S. xxv; Roger Bacon’s Communia Naturalium. A 13th Century Philosopher’s Workshop, hg. v. Paola Bernardini u. Anna Rodolfi, Florenz 2014.

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»Hier verwarf und verurteilte der Ordensgeneral Hieronymus [von Ascoli] auf Beschluß vieler Brüder die Lehre des englischen Bruders Roger Bacon, Magister der heiligen Theologie, da sie einige verdächtige Neuerungen enthalte, aufgrund deren jener Roger zu Kerkerhaft verurteilt wurde, wobei für alle Brüder die Vorschrift gilt, daß niemand sich an diese Lehre halten dürfe, sondern sie vielmehr zu meiden habe, da sie vom Orden verworfen ist.«24

Ob diese Bemerkung den Tatsachen entspricht, ist unklar. Bacons offene Kritik am Franziskanerorden und seine Schwierigkeiten mit den Ordensoberen lassen diesen Bericht als nicht unwahrscheinlich erscheinen.25 Möglich ist auch, dass Bonaventura einige Partien seiner Collationes in Hexaemeron gegen Roger Bacon gerichtet hat. Er erwähnt ihn zwar nicht namentlich, aber viele seiner Bemerkungen gegen die Sünde der curiositas treffen durchaus auch auf Roger Bacon zu.26

24 Chronica

XXIV Generalium Ordinis Minorum, in: Analecta fran-

ciscana III, 360, zitiert nach: Camille Bérubé, Der ›Dialog‹ St. Bonaventura – Roger Bacon, in: Roger Bacon in der Diskussion, a. a. O., Bd. 1, S. 67–136, S. 74 Anm. 13. – Vgl. ausführlich zu diesem Thema: Theodore Crowley, Roger Bacon and the Problem of the soul, a. a. O., S. 67–72; ­Stewart C. Easton, Roger Bacon and his Search for a Universal Science, a. a. O., S. 186–205; Amanda Power, Roger Bacon and the Defence of Christendom, a. a. O., S. 64–69; Paul L. Sidelko, The Condemnation of Roger Bacon, in: Journal of Medieval History 22, 1996, S. 69–81; Jeremiah Hackett, Roger Bacon, Aristotle, and the Parisian Condemnations of 1270, 1277, in: Vivarium 35, 1997, S. 283–314. 25 Vgl. Stewart C. Easton, Roger Bacon and his Search for a Universal Science, a. a. O., S. 138 ff. 26 Camille Bérubé, Der ›Dialog‹ St. Bonaventura – Roger Bacon«, in: Roger Bacon in der Diskussion, a. a. O., Bd. 1, S. 67–136, insbes. S. 75 f. – Camille Bérubé deutet die Auseinandersetzung zwischen Bonaventura und Roger Bacon als den Widerstreit zweier verschiedener und entgegengesetzter Möglichkeiten, mit den Diversifizierungstendenzen des 13. Jahrhunderts umzugehen.



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Diese Mitteilung würde jedenfalls erklären, warum wir bis zum Jahr 1292 nichts mehr von Roger Bacon hören. Denn in diesem Jahr unternimmt es Bacon ein letztes Mal, mit einer Publikation, dem Compendium studii theologiae 27, an die Öffentlichkeit treten zu wollen. Kurz nach dem Jahr 1292 wird Roger Bacon gestorben sein, ohne sein »Kompendium für das Studium der Theologie« vollendet zu haben. Dennoch scheint Roger Bacon auch kurz vor seinem Tode nichts von seiner visionären Kraft und seiner Liebe zur Weisheit verloren zu haben, die ihn bereits im Jahr 1266, während des Verfassens des Opus maius, trotz so großer finanzieller Schwierigkeiten angetrieben hatte. So schreibt er noch kurz vor seinem Tod: »Ein besonderer Grund treibt mich voran, nämlich den Leser dazu zu ermuntern, nach Büchern von würdigen Autoren zu suchen, in denen die Herrlichkeit und die Schönheit der Weisheit gefunden werden kann. Doch diese Bücher sind heutzutage der Mehrzahl der Studenten und Lehrer fast vollständig unbekannt.«28

Diese Herrlichkeit und Schönheit der Weisheit war es, die Roger Bacon zeit seines Lebens gesucht hatte und der er sein Leben gewidmet hat. Doch auch wenn die »Schönheit der Weisheit« zu finden ein zeitloser Wunsch sein mag, der viele Menschen durch die Zeiten hindurch bewegt hat und bewegt, hat Bacon doch in seiner Zeit gelebt und gedacht, weshalb wir im Folgenden kurz einen Blick auf seine Zeit und die Wissenschaftsentwicklung des 13. Jahrhunderts werfen wollen.

27 Vgl.

Roger Bacon, Compendium of the Study of Theology, a. a. O. S. 32 [Übers. N. E.].

28 Ebd.,

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2. Das 13. Jahrhundert Roger Bacons Leben fiel in eine von Kriegen, Gewalt und in allen Lebensbereichen von Auseinandersetzungen geprägte Zeit.29 Er hat mit den Päpsten Gregor IX. (1227 – 1241), Innozenz  IV. (1242 – 1254) und Clemens IV. (1265 – 1268) machtbewusste Päpste erlebt, die mit Friedrich II., dem »Staunen der Welt« (stu­por mundi), einen mindestens ebenso bedeutenden Gegenspieler um die Vorherrschaft in Europa hatten, der nicht nur die Falken­ jagd30, sondern auch Philosophie, Dichtung und die Wissenschaften durch Übersetzungen aus dem Arabischen gefördert hat. Auch die Universität von Neapel geht auf dessen Gründung zurück. Zwei große Konzilien haben während Roger Bacons Lebenszeit in Lyon stattgefunden und er war Zeitgenosse dreier Kreuzzüge, wobei der Hirtenkreuzzug von 1251, den Roger Bacon in Paris selbst miterlebt hat, zu den aus heutiger Perspektive besonders bedrückenden Ereignissen dieser Zeit zählt. Er war Zeitgenosse des französischen Königs Ludwig IX. (1214 – 1270), »des Heiligen«, dessen Herrschaft in Frankreich noch lange Zeit als »goldenes Zeitalter« (le siècle d’or de St. Louis) in Erinnerung bleiben sollte. 31 Die Mongoleneinfälle in Osteuropa und im Nahen Osten riefen im 13. Jahrhundert (nicht nur bei Roger Bacon) zuerst Entsetzen und Endzeiterwartungen32 , damit einhergehend jedoch 29 Inwieweit

diese Zeit auch das Denken Roger Bacons geprägt hat, ist unter anderem Gegenstand des Buches von Amanda Power: Roger Bacon and the Defence of Christendom, a. a. O. 30 Das Buch »Über die Falkenjagd« sei hier genannt, weil es den Geist der Beobachtung und des Experiments exemplarisch darstellt, den auch Bacon teilt. 31 Vgl. zum Leben Ludwigs IX .: Jaques Le Goff, Ludwig der Heilige, Stuttgart 2000. 32 Diese Endzeiterwartungen prägten nicht nur Roger Bacon, sondern ebenso die damalige Zeit in starkem Maß. – Vgl. Davide Bigalli, I  Tartari e l’Apocalisse. Ricerche sull’escatologia in Adamo Marsh e



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auch zwangsläufig Wissbegierde hervor, wofür die Asienreisen, die von Ludwig IX. in Vorbereitung seines Kreuzzuges sowie der Hoffnung auf eine Allianz mit den Großkhanen gegen die Sarazenen initiiert worden waren33, hier genannt seien, weil eine dieser Reisen direkte Auswirkungen auf das Werk Roger Bacons hatte: Der bekannteste jener Gesandten und ein Mitbruder Bacons, Wilhelm von Rubruck34, muss nach seiner Rückkehr vom Hofe des Großkhans in Karakorum im Jahr 1255 Roger Bacon irgendwann in den folgenden Jahren in Paris getroffen haben, da Bacon selbst weite Teile von dessen Reisebericht über die Gebiete in Asien in den geographischen Teil seines Opus maius35 eingeflochten hat. Ruggero Bacone, Florenz 1971; Johannes Fried, Aufstieg aus dem Untergang. Apokalyptisches Denken und die Entstehung der modernen Naturwissenschaft im Mittelalter, München 2001. – Einen Eindruck dieser Stimmung gibt: José Ortega Y Gasset, Die Schrecken des Jahres eintausend, hg. v. Steffen Dietzsch, Leipzig 1992. 33 Vgl. hierzu: Peter Jackson, The Mongols and the West, 1221 – 1410, London 2005. 34 Vgl. Wilhelm von Rubruck, Reisen zum Großkhan der Mongolen. Von Konstantinopel nach Karakorum 1253 – 1255, hg. v. Hans D. Leicht, Darmstadt 1984. 35 Vgl. Jarl Charpentier, William of Rubruck and Roger Bacon, in: Geografiska Annaler 17, Supplement: Hyllningskrift Tillagnad Sven Hedin, 1935, S. 255 – 267; Michèle Guéret-Laferté, Le voyageur et le géographie: l’insertion de la relatiion voyage de Guillaume de Rubrouck dans l’Opus maius de Roger Bacon, in: La géographie au Moyen Age. Espaces pensés, espaces vécus, espaces revés, Perspectives médiévales, Suppl. 24, 1998, S. 81 – 96. – In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, dass Bacon nicht nur die aktuellsten Reiseberichte seiner Zeit aufgenommen hat, sondern dass er in seinem Opus maius im Bereich der Geographie ebenso eine mathematische Darstellungsform der Erde nach ptolemäischem Vorbild projektiert, die erst in der Renaissance wieder eingeholt werden sollte. – Vgl. David Woodward, Roger Bacon’s Terrestrial Coordinate System, in: Annals of the Association of American Geographers 80, 1990, S. 109 – 122; ders., Roger Bacon on Geography and Cartography, in: Roger Bacon and the Sciences, a. a. O., S. 199 – 222.

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Die Päpste bekämpften in dieser Zeit nicht nur den Kaiser, sondern zugleich zahlreiche Häresien in Zusammenarbeit mit den politischen Instanzen, wofür die Vernichtung der südfranzösischen Katharer – zu deren Mission auch der Dominikanerorden gegründet worden war – das bekannteste Beispiel ist. Während man in Südfrankreich die Katharer vernichtete, erstarkten in Nordfrankreich die freien Städte und handelten mit dem französischen Königtum weitreichende eigenständige Rechte aus. Eine Entwicklung, die in Italien schon viel früher eingesetzt hatte: Mailand, Florenz, Venedig und Genua waren nicht nur freie Stadtrepubliken, sondern zentrale europäische Wirtschaftsmächte, die ihren Handel zu dieser Zeit bis an die Grenzen der damals bekannten Welt ausgeweitet hatten. Hier war eine neue Klasse von Bürgern entstanden, die in erster Linie dezidiert wirtschaftliche Interessen verfolgten und die als eigenständige politische Akteure auftraten, was auch zu wechselnden Bündnissen sowie zu blutigen Konflikten zwischen den Stadtrepubliken und dem Reich (resp. Friedrich II.) führte. Die Gründung des Franziskanerordens durch Franz von Assisi, der ursprünglich aus einer reichen Tuchhändlerfamilie stammte und Ritter werden wollte, in einem dieser Kriege zwischen den Stadtrepubliken (zwischen Assisi und Perugia im Jahr 1202) aber gefangen genommen wurde, sei in diesem Zusammenhang erwähnt, da Roger Bacon selbst später in diesen Orden eintreten sollte. Auch in England gab es politische Umwälzungen, die Roger Bacon ganz konkret selbst betroffen haben, da Bacons Familie im Konflikt zwischen Heinrich III. und den englischen Baronen unter Führung Simon de Montforts die falsche Seite gewählt zu haben scheint – was einer der Gründe für seine mißliche und prekäre Lage während der Abfassungszeit seiner drei Hauptwerke war. Doch das 13. Jahrhundert war nicht nur durch große politische Veränderungen und Auseinandersetzungen geprägt. Auch



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im Bereich der Wissenschaften gab es zahlreiche neue Entwicklungen. Den wichtigsten Einfluss auf die wissenschaftliche Entwicklung des 13. Jahrhunderts hatte sicherlich die Übersetzung nahezu aller Texte des Aristoteles. Dieser Prozess hatte zwar bereits im 12. Jahrhundert eingesetzt, wurde im 13. Jahrhundert jedoch auf breiter Ebene – institutionalisiert durch die Universitäten, deren Gründung ebenfalls eines der Charakteristika des 13. Jahrhunderts ist – wirkmächtig. Bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts waren die einzigen im Abendland bekannten Texte des Aristoteles die Kategorien und De interpretatione, die bereits in der Spätantike durch Boethius übersetzt worden waren. Diese beiden Texte bildeten zusammen mit der Isagoge des Porphyrius und einem Teil aus Platons Timaios die einzigen griechischen Werke zur Philosophie, die man kannte. Dies änderte sich jedoch ab der Mitte des 12. Jahrhunderts: Roger Bacon hatte nahezu alle Texte des Aristoteles und vieler weiterer Autoren zu Verfügung, von denen man in den vergangenen Jahrhunderten im lateinischsprachigen Mittelalter überhaupt keine Vorstellung hatte. Vermittelt worden war dieser neue intellektuelle Aufbruch durch die Araber und die Übersetzungsbewegungen aus dem Arabischen vor allem in Südspanien und Sizilien. Im arabischsprachigen Raum waren die Texte des Aristoteles (und vieler weiterer griechischer Autoren) schon lange bekannt gewesen, viele Interpretations- und Rezeptionsschritte hatten dort bereits stattgefunden: Zu nennen sind hier vor allem Avicenna (gest. 1057), Algazel (gest. 1111) und Averroes (gest. 1198), die auf sämtlichen Gebieten der damals bekannten Wissenschaften nicht nur alte Texte überliefert, sondern die auf deren Grundlage durch ihre Kommentare Neues geschaffen hatten. Durch diese Kommentare kamen die antiken Werke zur Philosophie und den Wissenschaften nun nach Europa – eine Sensation und gleichzeitig eine große Herausforderung.

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Aufgrund dieser neuen Texte ergaben sich im 13. Jahrhundert drängende Fragen der Ausdifferenzierung und der Legi­t imität des bestehenden Wissenschaftskanons. 36 Die Denker des 13. Jahrhunderts lebten in einem intellektuellen Spannungsfeld, das durch die Institutionalisierung der Universitäten in dieser Zeit noch forciert wurde und das ein enormes kritisches Potenzial freisetzte. 37 Die Verurteilungen verschiedener Thesen des Aristotelismus’ und des Averroismus’ der Jahre 1270 und 1277 an der Pariser Universität durch den damaligen Pariser Bischof Étienne Tempier, die selbst Aussagen des Thomas von Aquin galten, können uns von den damaligen Kontroversen im Zuge der Vermittlung antiker und arabischer Wissenschaftstraditionen einen Eindruck vermitteln, von denen auch Bacon betroffen war. 38 Exemplarisch sei hier nochmals daran erinnert, dass Roger Bacon einer der ersten Magister an der artes-Fakultät in Paris war, der um 1240 über die libri naturales39 des Aristoteles Vor36 Vgl.

James A. Weisheipl, Classification of the Sciences in Medieval Thought, in: Medieval Studies 27, 1965, S. 54–90. 37 Vgl. Michael H. Shank, Schools and Universities in Medieval Latin Science, in: The Cambridge History of Science, a. a. O., S. 207–239; Walter Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa, Bd. 1: Mittelalter, a. a. O. 38 Vgl. Robert Steele, Roger Bacon and the State of Science in the Thirteenth Century, in: Studies in the History and Method of Science, Bd. 2, hg. v. Charles Singer, Oxford 1921, S. 121–150; Kurt Flasch, Aufklärung im Mittelalter? Die Verurteilung von 1277, Mainz 1989. – Speziell zum Aristotelismus: Fernand van Steenberghen, Aristotle in the West. The Origins of Latin Aristotelianism, Louvain 1955; Edward Grant, The Condemnation of 1277, God’s Absolute Power, and Physical Thought in the Late Middle Ages, in: Viator 10, 1979, S. 211–244. – Zur Verbindung der Verurteilung und Roger Bacon: Paul L. Sidelko, The Condemnation of Roger Bacon, a. a. O.; Jeremiah Hackett, Roger Bacon, Aristotle, and the Parisian Condemnations of 1270, 1277, a. a. O. 39 Vgl. Ferdinand M. Delorme, »Introduction«, in: Roger Bacon, Opera hactenus inedita, Bd. XIII, hg. v. Robert Steele u. Ferdinand M. Delorme, Oxford 1935, S. xxvii–xxxi. – Einige Kommentare sind in den



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lesungen hielt, zu einer Zeit, in der die Verbote von 1210 und 1215 bezüglich der Lektüre der neu zugänglichen naturphilosophischen Bücher des Aristoteles an der Universität in Paris im Jahr 1231 zwar durch Papst Gregor IX. gelockert, aber durchaus nicht ­ oger aufgehoben worden waren.40 Wir befinden uns hier mit R Bacon direkt am Beginn einer Aristotelesrezeption, von der noch nicht offensichtlich war, welche Richtung sie nehmen sollte. Und Aristoteles war zwar mit Sicherheit der wichtigste, aber bei weitem nicht der einzige Autor, der nun durch die Übersetzungen seit dem 12. Jahrhundert wieder rezipiert werden konnte. In seiner Auslegung der libri naturales benutzte Bacon neben Augustinus ebenso Autoren wie Averroes, Avicenna, Avicebron und Algazel, die in den überlieferten Lehrplänen der mittelalter­ lichen Schulen vor dem 13. Jahrhundert nicht vorhanden wa­ren.41 Man lernte in kurzer Zeit neue Ansichten kennen, von denen man bis dahin nur Weniges oder gar nichts gehört hatte. Das Abendland hatte nun neben anderen vorchristlichen und arabischen Philosophen nahezu den gesamten Aristoteles und damit ein zwar vorchristliches, aber in sich äußerst stringentes Wissenschaftssystem wieder zur Verfügung, das den traditionellen Bänden VII–VIII und X–XIII der Opera hactenus inedita veröffentlicht worden. 40 Vgl. Stephen Brown, The intellectual context of later medieval philosophy: universities, Aristotle, arts, theology, in: Medieval Philosophy, hg. v. John Marenbon, London/New York 1998, S. 188–203, S. 191; Fernand van Steenberghen, Aristotle in the West. The Origins of Latin Aristotelianism, a. a. O., S. 109–113; James A. Weisheipl, Science in the Thirteenth Century, in: The History of the University of Oxford, Bd. 1: The Early Oxford Schools, hg. v. J. I. Catto, Oxford 1984, S. 435–470, S. 454. 41 Siehe einleitend: Howard R. Turner, Science in Medieval Islam. An illustrated Introduction, Austin 1995, S. 209–216; ausführlicher: Montgomery W. Watt, The Influence of Islam on Medieval Europe, Edinburgh 1972.

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Lehr- und Wissensrahmen erheblich erweiterte42 und das den philosophischen Wissenschaften gegenüber der Theologie eine ganz neue Gewichtung gab. Es lässt sich durchaus von einem Rationalisierungsschub im 13. Jahrhundert sprechen, der durch die Übersetzung des Aristoteles und anderer paganer Philosophen ausgelöst worden war (der radikale Aristotelismus eines Siger von Brabant oder Boetius von Dacien seien hier genannt43). Diese Entwicklung stellte die theologischen Fakultäten gegenüber den artes-Fakultäten unter erheblichen Legitimationsdruck, dem man mit den wiederholten Lehrverboten der aristotelischen Bücher an der Pariser Universität bis hin zur Verurteilung von 1277 zu begegnen suchte. Allerdings war das neue Wissen zu überzeugend, um darauf verzichten zu können – es mussten daher Wege gefunden werden, es zu integrieren, anstatt es zu unterdrücken. Es stellte sich in diesem Zusammenhang mit großer Brisanz die Frage nach einer Neuordnung des Wissens sowie nach dem Platz, den die neuen Texte und Wissenschaften im universitären Lehrplan einnehmen sollten.44 Diesem Problem sind auch die Werke Roger Bacons gewidmet, allerdings – wie wir in den folgenden Kapiteln dieser Einleitung noch sehen werden – mit einer deutlich anderen Akzentsetzung, als sie zu seiner Zeit üblich war. 42 Vgl.

David C. Lindberg, Die Anfänge des abendländischen Wissens, München 2000, S. 49–72. 43 Vgl. Sten Ebbesen, The Paris Arts Faculty: Siger of Brabant, Boe­ thius of Dacia, Radulphus Brito, in: Medieval Philosophy, hg. v. John Marenbon, London/New York 1998, S. 269–290. 44 Vgl. hierzu einführend: Artes liberales. Von der antiken Bildung zur Wissenschaft des Mittelalters, hg. v. Josef Koch, Leiden/Köln 1959; Arts libéraux et philosophie au moyen age. Actes du quatrième congrès international et philosophie médiévale, Montreal/Paris 1969; Pierre Glorieux, La Faculté des Arts et ses maitres au XIIIe siècle, Paris 1971; Josef Dolch, Lehrplan des Abendlandes, Ratingen u. a. 1973; The Seven Liberal Arts in the Middle Ages, hg. v. David L. Wagner, Bloomington 1983; Scientia und ars im Hoch-und Spätmittelalter, 2 Bde., hg. v. Ingrid Craemer-Ruegenberg u. Andreas Speer, Berlin/New York 1993–1994.



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Versuchen wir daher im Folgenden anhand einer Beschreibung des Briefes Roger Bacons an Papst Clemens IV., der in diesem Band erstmals in deutscher Übersetzung vorliegt, einen Eindruck des Entstehungshintergrundes, der Konzeption und des Anliegens zu geben, das Roger Bacon mit seinem Hauptwerk, dem Opus maius, verfolgt hat.

3. Roger Bacons Opus maius A. Entstehungshintergrund und Konzeption des Opus maius: Roger Bacons Brief an Papst Clemens IV. a) V  orgeschichte des Briefes an Papst Clemens IV. und des Opus maius Auf den 22. Juni 1266 ist ein Brief des Papstes Clemens IV. an Roger Bacon datiert, den er in Viterbo als Antwort einiger von Roger Bacon erhaltenen – und leider verlorenen – Briefe hat schreiben lassen. Dieser kurze Brief, mit dem Papst Clemens IV. eines der bemerkenswertesten Projekte des 13. Jahrhunderts initiierte, hat den folgenden Wortlaut: »An meinen geliebten Sohn, Bruder Roger, genannt Bacon, vom Orden der Minderbrüder. Wir haben deine an uns gerichteten Briefe mit großer Freude erhalten; und wir haben den gewissenhaften und klugen Ausführungen sehr aufmerksam zugehört, die uns unser geliebter Sohn William, genannt Bonecor, zur Erklärung deiner Briefe mündlich gegeben hat.45 Damit uns dein Vorhaben auch wirklich klarer wird, wollen wir und lassen dich durch Auftrag mit apostolischem Schreiben wissen, dass du es 45 Vgl.

zur Entstehungsgeschichte des Opus maius: Eugenio Massa, Roger Bacons Werke für Papst Clemens IV. Textkritische Untersuchungen zur Entstehungsgeschichte von Opus maius, Opus minus und Opus tertium, in: Roger Bacon in der Diskussion, a. a. O., Bd. 2, S. 13 – 100.

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nicht unterlassen mögest, uns jenes Werk, das unserem geliebten Sohn Raimund von Laon mitzuteilen wir dich gebeten haben, als wir noch in einem niederen Amt waren, ungeachtet der gegenteiligen Vorschrift irgendeines Vorgesetzten oder irgendeiner Bestimmung deines Ordens, in schöner Schrift geschrieben, so schnell wie möglich zu übersenden. Und erkläre uns darin auch, was du als Heilmittel gegen die Gefahren vorschlagen würdest, die du kürzlich beschrieben hast: Und tue dies unverzüglich und so geheim, wie du nur kannst.«46

Doch dieser Brief hatte nicht nur Folgen – nämlich die Abfassung des Opus maius, des Opus minus und des Opus tertium durch Roger Bacon in nur zwei Jahren von 1266 – 1268 –, sondern auch eine Vorgeschichte: 1264 muss es dem Kleriker Raimund von Laon gelungen sein, das Interesse des Kardinals Guy de Foulques am Werk Roger Bacons zu wecken, der daher eine Abschrift erbitten ließ.47 Der Wunsch blieb jedoch vorerst vergeblich, das Werk kam nie an – weil es zu diesem Zeitpunkt noch nicht existierte. Roger Bacon wird nicht motiviert genug gewesen sein, seine Reformvorschläge des abendländischen Universitäts- und Bildungswesens einem Mann zu unterbreiten, dessen Bedeutung er noch nicht absehen konnte. Dies änderte sich jedoch schnell, als er erfuhr, dass Guy de Foulques am 5. Februar 1265 als Clemens IV. zum Papst gewählt worden war. Nun nahm Bacon den Kontakt – vermittelt durch den Ritter William Bonecor48 – wieder auf und war erfolgreich, wie wir an dem oben zitierten Brief des Papstes se46 S. 4

in dieser Übersetzung. Vgl. Charles B. Vanderwalle, Roger Bacon dans l’histoire de la philologie, in: France franciscaine 12, 1929, S. 77–90, S. 82. 48 Vgl. Eugenio Massa, Roger Bacons Werke für Papst Clemens IV. Textkritische Untersuchungen zur Entstehungsgeschichte von Opus maius, Opus minus und Opus tertium, a. a. O., S. 14; ausführlicher: ­Eugenio Massa, Ruggero Bacone. Etica et Poetica nella Storia dell’Opus maius, Rom 1955. 47



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hen. Clemens IV. wird Bacon mit seinem Auftrag jedoch in große Verlegenheit gebracht haben, da Bacon zu dieser Zeit noch keine grundlegende Programmschrift verfasst hatte und daher das von ihm Erbetene – wie er sich in seinem hier übersetzten Brief entschuldigt – nur mit Verzögerung liefern konnte: »Nach meinem besten Vermögen bin ich vor dem Angesicht Gottes in hohem Maße dazu bereit; doch was Ihr, als ich noch in einem niederen Stand war, verlangt habt, ist nicht vollendet gewesen, obwohl Ihr es freilich befohlen hattet. Es ist nämlich wahr, dass ich vor vielen Jahren beschlossen hatte, mein Wissen schriftlich aufzuzeichnen, […]. Auch hatte ich in meinem anderen Stand vor allem viele Dinge geschrieben, um die jungen Leute zu unterweisen, Werke also, von denen viele meinen, dass ich sie neu schreiben sollte. […] Daher habe ich weder in meinem ersten noch in meinem jetzigen Stand eine vollständige Schrift zu irgendeinem Bereich der Philosophie geschrieben. Und weder habe ich irgendetwas zustande gebracht, wofür man mir danken müsste, noch wäre es würdig genug, es Eurer Weisheit darzubieten. Zudem besitzte ich das von mir Verfasste nicht mehr, denn ich habe diese Schriften aufgrund ihrer Unvollkommenheit nicht aufbewahrt.«49

Zudem: »Es ist Eurer Herrlichkeit gewiss bekannt geworden – wie Eure zwei Aufträge ja auch zeigen –, dass ich durch eine äußerst strenge Anordnung verpflichtet gewesen bin (die für den gesamten Orden gilt) das Geschriebene nicht in dem von mir eigentlich geschaffenen Zustand mitzuteilen, weshalb ich vor einer vollständigen Abfassung zurückschreckte.«50

Neben der Tatsache, dass Bacon noch nichts Zusammenhängendes geschrieben hatte, weshalb »auch Raimond von Laon, der mit Eurer Gnade über meine Schriften gesprochen hat, mein Vor­ 49 S. 10 f. 50

in dieser Übersetzung. Ebd., S. 11.

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haben keineswegs verstanden hatte«51, weist Bacon hier noch auf ein weiteres Problem hin, das auch der Papst in seinem Brief schon angedeutet hatte: Es gab eine Anordnung, eine Vorschrift des Franziskanerordens, die es den Mitbrüdern untersagte, Schriften ohne Prüfung und Einwilligung der Ordensoberen zu veröffentlichen. Die Konstitution, die aufgrund des joachimitischen Liber introductorius in Evangeliam aeternam des Gerhard von Borgo San Donnino52 erlassen worden war – und auf die der Papst und Bacon hier anspielen –, ist jene des Generalkapitels zu Narbonne von 1260, die von Bonaventura, der ab 1257 Generalminister des Franziskanerordens war, einberufen worden war und an der auch der Papst Clemens IV. – zu dieser Zeit noch Guy de Foulques, Bischof von Narbonne – teilgenommen hatte.53 Dort heißt es: »Auch verbieten wir, dass in Hinkunft irgendeine neue Schrift außerhalb des Ordens publiziert wird, wenn sie nicht zuvor sorgfältig vom Generalminister oder vom Provinzial und den defini­ tores im Provinzialkapitel geprüft wurde. Und wer immer dagegen verstößt, soll drei Tage bei Wasser und Brot fasten und der Schrift verlustig gehen.«54

Roger Bacon muss wegen dieser Verordnung in der Tat sehr besorgt gewesen sein, sogar so besorgt, dass »ich beschlossen [ habe ], gänzlich vom Verfassen der Schriften abzulassen, besonders weil mich keiner meiner Vorgesetzten zum Schreiben ermuntert«55. Allerdings ist die Verordnung nicht absolut, sondern beinhaltet nur dann ein Publikationsverbot, wenn eine Schrift nicht zuvor geprüft worden ist. Bacon wird also von vornherein damit ge51 Ebd. 52

Vgl. Dieter Berg, Art. ›Gerhard von Borgo San Donnino‹, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 4, 1989, S. 1316. 53 Vgl. Eugenio Massa, Roger Bacons Werke für Papst Clemens IV., a. a. O., S. 16. 54 Ebd. 55 Seite 12 in dieser Übersetzung.



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rechnet haben, dass seine Schriften die Zensur innerhalb des ­Ordens nicht würden passieren können. Er war zur Zeit der Abfassung seines Briefes an den Past isoliert und allein: Vor sich eine Welt, die er verändern wollte, hinter sich nur seine Vorgesetzten, die »mit unsagbarer Heftigkeit darauf bestanden, dass ich mitsamt den anderen ihrem Willen gehorchen solle«56. Hilfe erhoffte er vom Papst, der auch der Grund dafür war, dass Bacon seinen Vorgesetzten nicht gehorchen konnte: »Aber das konnte ich doch nicht, weil Euer Befehl mich band, der mich zu dem Werk für Euch verpflichtete, ungeachtet irgendeines Gebotes von seiten meiner Vorgesetzten.«57 Doch der Papst scheint nicht geholfen zu haben: »Und gewiss deshalb, weil ich von Euch nicht entschuldigt war, begegnete ich so vielen und so großen Hindernissen, wie ich es gar nicht beschreiben kann.«58 Hinzu kamen noch weitere Hindernisse: »Eine lang andauernde Phase der Erschöpfung, das Fehlen finanzieller Mittel und ein Mangel an Förderern.«59 So weist Bacon in seinem Brief an den Papst darauf hin, dass er sich eigentlich in einer unmög­ lichen und unhaltbaren Lage befand: Bacon war allein, doch um die »Herrlichkeiten der Weisheit« (eine von Bacon gern benutzte Formulierung) zu finden, bräuchte es eigentlich Helfer, Geld, eine gefestigte Stellung – alles Dinge, die Bacon nicht hatte, da er doch sogar im Geheimen schreiben musste. Was also tun? Das ursprünglich von Bacon angedachte Unterfangen – eine grundlegende Schrift, ein scriptum principale mit all seinen Reformvorschlägen in den einzelnen Wissenschaften zu verfassen – konnte Bacon aufgrund seiner Isolierung und der Kürze der Zeit nicht schaffen. Also beschloss er, eine vorläufige Überzeugungsschrift, eine persuasio zu verfassen, durch die er dem Papst sein prinzipielles Anliegen verdeutlichen wollte, damit 56 Roger 57 Ebd. 58 Ebd. 59 S. 12

Bacon, Opus tertium, a. a. O., S. 15 [Übers. N. E.].

in dieser Übersetzung.

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dieser – durch Bacon überzeugt – Hilfe für weitere Schriften schicken möge. Damit war das Opus maius geboren, das Roger Bacon im Jahr 1266 geschrieben und – zusammen mit dem hier abgedruckten Brief – durch seinen Boten Johannes an den Papst geschickt hat.

b) Inhalt des Briefes und Struktur des Opus maius Der Brief lässt sich in zwei Teile gliedern: Im ersten Teil (der einigen Kapiteln des Opus tertium60 von Bacon zu weiten Teilen sehr ähnlich ist) schildert Bacon seine persönliche Situation, die Hindernisse, die ihm während der Abfassung des Opus maius begegnet sind, seine Hauptintention, die er mit dem Verfassen des Opus maius verfolgt hat, und beschreibt seinen Boten Johannes, der seine Werke an den Papst überbracht hatte (Kapitel 1 – 4). Im zweiten Teil des Briefes gibt Bacon eine »Inhaltsangabe« des Opus maius, in der alle sieben Teile des Opus maius zusammengefasst und kurz erläutert werden (Kapitel 5 – 12). Zu beachten ist hierbei, dass Bacon die einzelnen Wissenschaften in umgekehrter Reihenfolge ihres Auftretens im Opus maius behandelt, dass er also mit der Moralphilosophie beginnt und mit der Wissenschaft von den Sprachen endet. Das Anliegen des Opus maius und aller Werke Roger Bacons bis hin zu seinem Compendium studii theologiae 61, das er aufgrund seines Todes im Jahr 1292 nicht mehr vollenden konnte, ist der Gedanke einer Reform der Wissenschaften, des Studienwesens und der Gesellschaft mit dem Ziel, das »Wissen in Weisheit« zurückzugewinnen, welches Gott den Propheten des Altertums geoffenbart hatte. Ein grundlegender Gedanke Bacons 60 Vgl.

F. A. Gasquet, An unpublished Fragment of a Work by Roger Bacon, in: The English Historical Review 12, 1897, S. 494 – 517, S. 495 f. 61 Vgl. Roger Bacon, Compendium of the Study of Theology, a. a. O.



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ist dabei der, dass die Weisheit einem Menschengeschlecht von einem Gott zu einem Ziel geoffenbart worden sei, nämlich dem diesseitigen und jenseitigen Nutzen für den Menschen, der durch eine Reform der Theologie und der ihr dienenden Wissenschaften wiederzugewinnen sei.62 Bacon ging es um die Entwicklung eines neuen methodischen Gesamtkonzepts einer vereinheitlichten und systematischen Wissenschaft, die er in den Dienst der Reform seiner Zeit mit dem Ziel stellen wollte, ein vernünftiges und friedlich geregeltes Zusammenleben der Menschen zu ermöglichen. Dafür könne man sich nicht nur auf eine Wissenschaft beschränken, sondern man müsse zugleich alle Wissenschaften betrachten: »Denn alle Wissenschaften sind miteinander verbunden und leisten sich gegenseitig Hilfe, wie die Teile eines Ganzen, von denen ein jedes seine Arbeit leistet, nicht nur um seiner selbst, sondern auch um der anderen willen, so wie das Auge den ganzen Körper lenkt und der Fuß das Ganze stützt und von einem Ort zum anderen führt. Ebenso verhält es sich auch mit den anderen Dingen. Daher ist ein Teil außerhalb des Ganzen wie ein ausgerissenes Auge oder ein abgeschnittener Fuß, und genau so ist es auch mit den Teilen der Weisheit: Denn keiner kann seine Nützlichkeit ohne die anderen entfalten, weil sie Teile derselben umfassenden Weisheit sind.«63

Eben dies versucht Bacon im Opus maius zu leisten, denn »[…] Eure Erhabenheit hat mich zu etwas gedrängt, was ich mit der größten Begierde erstrebt hatte, wofür ich bereits viel Schweiß vergossen hatte und was ich mit vielen Ausgaben vorbereitet hatte. Und auch wenn die Grundsteine noch nicht gelegt sind, 62 »Denn

die gesamte Weisheit ist von einem Gott einer Welt zu ei­ nem Ziel gegeben worden. Daher kommt diesem Wissen aus jener dreifachen Beziehung die Einheit zu. Auch ist der Weg des Heils nur einer, wenn auch in vielen Stufen. Aber das Wissen in Weisheit ist der Weg zum Heil.« (S. 103 in dieser Übersetzung) 63 Roger Bacon, Opus tertium, a. a. O., S. 18 [Übers. N. E.].

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sind doch bereits das Holz und die Steine da, nämlich die Kraft der Wissenschaften und der Sprachen; und auch die anderen Dinge, die zum Aufbau der Weisheit notwendig sind, habe ich mit großer Sorgfalt betrachtet.«64 Das Opus maius besteht aus sieben Teilen, von denen hier die Teile I, II und VI in deutscher Übersetzung vorgestellt werden. Die Einteilung Bacons ist nicht zufällig, sondern von ­Bacon bewusst gewählt, da er nach den ersten beiden Teilen, die mit der Betrachtung der Ursachen für den Irrtum und dem Verhältnis von Philosophie und Theologie eher allgemeine bzw. präliminarische Themen behandeln, zu den eigentlichen Wissenschaften kommt, die ihrer Bedeutung entsprechend (von Teil III – V II) aufsteigend angeordnet sind, wobei die vorhergehenden Wissenschaften gleichzeitig die unabdingbare Grundlage der jeweils folgenden Wissenschaft bilden. Das Opus maius besteht also aus den folgenden Teilen (mit Seitenangabe der Edition von John H. Bridges65 in Klammern und einer Kurzbeschreibung): Teil I: Über die vier Ursachen des Irrtums (Bd. 1, S. 1 – 32) Teil II: Über die Verwandtschaft zwischen Philosophie und Theologie (Bd. 1, S. 33 – 65) Teil III: Über die Sprachen der ­Weisheit (Bd. 1, S. 66 – 96)

64 Ebd., 65 Vgl.

Eine Art pars destruens: Hier werden die vier Ursachen des Irrtums besprochen, die vor einer Reform ausgeräumt werden müssen. Bestimmt das Ziel und den Ursprung der Weisheit, die bei Gott liegt.

Behandelt die Sprachen der Weisheit, ohne die diese aus den Texten nicht gewonnen werden kann: Hebräisch, Griechisch, Arabisch.

S. 8 [Übers. N. E.]. Roger Bacon, Opus majus, 2 Bde., a. a. O.



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Teil IV: Über die Mathematik (Bd. 1, S. 97 – 404) Teil V: Über die Perspektivik66 [Optik] (Bd. 2, S. 1 – 166)

Teil VI: Über die Erfahrungswissenschaft (Bd. 2, S. 167 – 222) Teil VII: Über die Moralphilosophie67 (Bd. 2, S. 223 – 404)

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Behandelt alle Wissenschaften, die sich der Mathematik bedienen, von der Physik und der Astrologie bis hin zur Medizin und Geographie. Beschäftigt sich mit dem Sehen und der Vervielfältigung der Lichtstrahlen. Da für deren Kenntnis die Geometrie notwendig ist, dient die Per­spektivik zugleich als praktisches Anwendungsbeispiel der Mathematik. Behandelt die scientia experimentalis, die vor allem als Methode der Überprüfung unseres Wissens durch die Erfahrung gesehen werden muss. Die höchste der Wissenschaften vor der Theologie, weil sie dem Menschen die Erkenntnis Gottes und der richtigen Verhaltensweisen für das jenseitige und diesseitige Leben aufzeigt.

Nachdem wir nun den Entstehungszusammenhang, das allgemeine Anliegen und die Struktur des Opus maius kurz dargestellt haben, möchte ich mich im Folgenden jenen Teilen des Opus maius zuwenden, die hier in Übersetzung vorliegen.66 67

66 Vgl.

Roger Bacon and the Origins of Perspectiva in the Middle Ages. A Critical Edition and English Translation of Bacon’s Perspectiva with Introduction and Notes, hg. u. übers. v. David C. Lindberg, Oxford 1996. 67 Vgl. Roger Bacon, Moralis philosophia, hg. v. Eugenio Massa, Padua 1953; deutsche Übersetzung in Auszügen: Roger Bacon, Opus maius. Eine moralphilosophische Auswahl, übers. u. hg. v. Pia A. Antolic-Piper, Freiburg u. a. 2008.

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B. Opus maius, Teil I: Die vier Ursachen des Irrtums Einer umfassenden und grundlegenden Reform des Studien­ wesens stellten sich für Bacon nicht nur kontingente Hindernisse ordens- und universitätspolitischer Art entgegen, sondern allgemeinere erkenntnistheoretische und ideologische Hindernisse, die ausgeräumt werden müssen, bevor eine erfolgreiche Wissenschafts- und Gesellschaftsreform möglich sein kann. Dieser Punkt ist Roger Bacon so wichtig, dass er nicht nur im Opus tertium68, im Kompendium für das Studium der Philoso­ phie 69 und im Kompendium für das Studium der Theologie 70 über »die Hauptursachen der menschlichen Unwissenheit« [ universales causae totius ignorantiae humanae ] schreibt, sondern dass er auch den ersten Teil seines Opus maius mit einer Darstellung dieser Hindernisse beginnt. Diese vier »grundlegenden Ursachen«, die es für eine erfolgreiche Wissensvermittlung auszuräumen gilt, sind: 1. Die Beispiele brüchiger Autoritäten, 2. die Gewohnheit, 3. die Meinung der Menge und 4. der Wunsch, seine Unwissenheit zu verbergen.71 Worauf die Bemerkungen über die causae erroris [ Gründe des Irrtums ] bei Bacon hinauslaufen, ist – wie Florian Uhl überzeugend gezeigt hat72 – eine grundsätzliche Kritik an dem blinden 68 Vgl.

Roger Bacon, Opus tertium, a. a. O., S. 69 – 73. Roger Bacon, Kompendium für das Studium der Philosophie, a. a. O., S. 39 – 44. 70 Vgl. Roger Bacon, Compendium of the Study of Theology, a. a. O., Kap. 2, S. 38 – 47. 71 Roger Bacon, Opus maius, Teil I: Über die vier Ursachen des Irrtums, S. 58 in dieser Übersetzung. 72 Vgl. Florian Uhl, Hindernisse auf dem Weg zum Wissen. Roger Bacons Kritik der Autoritäten, in: Roger Bacon in der Diskussion, a. a. O., Bd. 1, S. 219–235. 69 Vgl.



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Glauben gegenüber Autoritäten, deren Wahrheitsgehalt nicht ausreichend überprüft worden ist. Ob Bacon mit dieser Ideologiekritik zu Recht als Vorgänger Francis Bacons bezeichnet werden kann73, ist hier weniger entscheidend als die Anerkennung der Forderung Bacons nach einer rationalen und selbstbestimmten Rechtfertigung unserer Annahmen, deren eigenständige Überprüfung das Fundament der weiteren Wissensaneignung sein sollte. Das heißt keineswegs, dass für Bacon das Wissen älterer Generationen per se wertlos ist, aber »[ w ir ] dürfen nicht an allem festhalten, was wir gehört und gelesen haben, sondern müssen aufs Genaueste die Auffassungen der früheren Genera­ tio­nen prüfen, um hinzuzufügen, was bei ihnen fehlte, und um zu berichtigen, wo Irrtümer unterlaufen waren«74. Bacon wollte eine grundsätzliche Offenheit für Kritik schaffen, die sowohl darin besteht, selbst Kritik zu üben, als auch darin, kritisiert werden zu können und sich dabei nicht den Anschein von Autorität zu geben, wo keine vorhanden ist. Die »Hindernisse gegenüber der Weisheit« dürfen hier jedoch nicht unabhängig voneinander gedacht werden: Weil wir auf fragile Autoritäten hören, werden uns deren unbegründete Annahmen zu Gewohnheiten, die sich noch weiter verfestigen und den Charakter einer anerkannten Tatsache bekommen, denn »[ niemand ] irrt für sich allein, sondern ist Ursache und Urheber des Irrtums beim Mitmenschen, und so treibt mit uns der Irrtum, der von Hand zu Hand weitergegeben wird, sein Spiel, und wir gehen am Beispiel der anderen zugrunde«75. Sobald bestimmte 73 So

etwa bei: Fernando Sanford, Francis and Roger Bacon and Modern Science, in: The Scientific Monthly 44, 1937, S. 440–452; Herbert Hochberg, The Empirical Philosophy of Roger and Francis Bacon, in: Philosophy of Science 20, 1953, S. 313–326; Joseph Kupfers, The Father of Empiricism: Roger not Francis, in: Vivarium 12, 1974, S. 52–62. 74 Roger Bacon, Opus maius, Teil I: Über die vier Ursachen des Irrtums, S. 77 f. in dieser Übersetzung. 75 Ebd., S. 61.

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falsche Ansichten durch die Gewohnheit verfestigt worden sind, werden sie von der Menge immer wieder hervorgebracht, denn in »ihren Handlungen und auch den meisten anderen Dingen folgt die Tochter der Mutter, der Sohn dem Vater, der Sklave dem Herrn, der Untertan dem König, der Untergeordnete dem Übergeordneten, der Schüler dem Lehrer«76. Und falls man doch einmal zu der Erkenntnis gelangen sollte, etwas nicht zu wissen, erwacht im Menschen die Eitelkeit, die ihn daran hindert, die eigenen Fehler einzugestehen. Mit Cicero bemerkt Bacon hierzu: »Einige schließen sich irgendeinem Freund an, oder sie lassen sich fangen durch eine Rede eines beliebigen Menschen, unter dessen Zuhörer sie zuerst geraten sind: dann entscheiden sie über Dinge, die sie nicht erkannt haben. Und gegen welche Lehre auch immer sie wie von einem Sturm getrieben worden sind, daran klammern sie sich fest wie an einen Felsen. Aber meistens ziehen sie es vor, in die Irre zu gehen und die Auffassung, die sie einmal lieb gewonnen haben, zu verteidigen, statt dass sie ohne Rechthaberei untersuchen, welche Aussage am meisten gefestigt ist.«77

Mit sehr beredten Worten weist Roger Bacon auf die zerstörerischen Konsequenzen dieser vier Irrtümer hin, die den Menschen an jeder theoretischen und praktischen Erkenntnis hindern: »Von diesen tödlichen Plagen her kommen alle Schlechtigkeiten des menschlichen Geschlechts; denn die nützlichsten, größten und schönsten Lehren der Weisheit sowie alle Geheimnisse der Wissenschaften und Künste bleiben hierdurch unbekannt; noch schlimmer ist, dass die Menschen ihre eigene Unkenntnis nicht einsehen können, weil sie durch diese vier Gründe [ f ür den Irrtum ] in der Dunkelheit gefangen sind. Im Gegenteil verdecken und verteidigen sie mit aller Sorgfalt ihre Unkenntnis, sodass sie kein Heilmittel dagegen finden können. Doch am schlimms76

77

Ebd., S. 64. Ebd., S. 62.



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ten ist, dass sie von sich glauben, sie seien im hellsten Licht der Wahrheit, obwohl sie doch in der dichtesten Dunkelheit gefangen sind. Daher denken sie, dass die wahrsten Dinge an der äußersten Grenze des Falschen liegen, dass das Beste keinen Wert hat und dass die größten Errungenschaften weder Gewicht noch Bedeutung haben. Dagegen feiern sie das Falscheste, loben das Schlechteste und preisen das Gemeinste. Sie sind blind gegenüber dem Glanz der Weisheit und rennen nur zu den Dingen hin, die sie am leichtesten erreichen können.«78

Bacon plädiert dafür, selbständig zu denken und unabhängig seinen eigenen Kopf zu gebrauchen. Mit dieser Autoritätskritik war Bacon jedoch nicht allein. Er fasst zusammen und systematisiert, was andere vor ihm gesagt haben. Seine Gewährsmänner im ersten Teil des Opus maius sind pagane Autoren wie Aristoteles, Cicero und Seneca, ebenso wie Texte der Bibel, von Avicenna und Averroes. Und auch zeitgenössischere Autoren wie etwa Adelard von Bath, der sich zu unserem blinden Vertrauen in brüchige Autoritäten in seinen Quaestiones naturales bereits im 12. Jahrhundert folgendermaßen geäußert hatte und der von Bacon zitiert wird: »Was ist Autorität dieser Art denn anderes als ein Halfter? Denn ebenso wie die wilden Tiere durch ein Halfter geführt werden und nicht wissen, wohin oder weshalb, so werden auch einige von uns, welche durch die tierische Grausamkeit der Autorität gefangen sind, ins Verderben geführt.«79

Die Tradition zu kennen ist zwar notwendig, sie muss jedoch stets einer kritischen Prüfung unterzogen werden, die am Ende auf der eigenen Expertise beruht. Wenn es demnach stimmt, 78

Ebd., S. 59. von Bath, Quaestiones naturales, in: Adelard of Bath, Conversations with his nephew. On the Same and the Different, Questions on Natural Science and On Birds, lat.-engl., hg. u. übers. v. Charles Burnett, Cambridge 1998, VI, S. 102. 79 Adelard

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dass es – wie Kurt Flasch mit überzeugenden Argumenten postuliert hat80 – eine Aufklärung im Mittelalter gab, dann wäre Roger Bacon einer ihrer wichtigsten Vertreter. Anhand von Roger Bacon lässt sich exemplarisch ersehen, dass es auch ein kritisches und aufklärerisches Mittelalter jenseits der »großen Denkkathedralen«81 der Scholastik gab, das wir in unseren historischen Rekonstruktionen stärker berücksichtigen müssen.

C. Opus maius, Teil II: Die Verwandtschaft zwischen ­Philosophie und Theologie Durch die Übersetzungen und Rezeption philosophischer Texte, die vor allem seit dem 12. Jahrhundert verstärkt eingesetzt hatte, ergaben sich neue Probleme: Das neue Wissen, die sich zunehmend ausdifferenzierenden Wissenschaften, mussten in einen überkommenen Bildungskanon integriert werden, in dem die Theologie an erster Stelle stand. Nehmen wir als Beispiel die Texte des Aristoteles, über die Roger Bacon als junger Magister in Paris Vorlesungen gehalten hatte: Durch die Texte Aristoteles’ hatte man ein stringentes und umfassendes Wissenschaftssystem wiedergewonnen, das den traditionellen Lehr- und Wissensrahmen erweiterte und das den philosophischen Wissenschaften gegenüber der Theologie eine neue Gewichtung ermöglichte. Bis zum 12. Jahrhundert waren die septem artes liberales, also sozusagen die philosophische Grundausbildung der Studenten, bevor sie sich den höheren Fakultäten der Theologie, des Rechts oder der Medizin zuwandten, klar umgrenzt. Autoritäten wie 80 Vgl.

Kurt Flasch u. Udo Reinhold Jeck (Hgg.), Das Licht der Vernunft. Die Anfänge der Aufklärung im Mittelalter, München 1997; Kurt Flasch: Aufklärung im Mittelalter? Die Verurteilung von 1277, Mainz 1989. 81 So die Formulierung Loris Sturleses in: Loris Sturlese, Philosophie im Mittelalter. Von Boethius bis Cusanus, München 2013, S. 7 f.



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Boethius82, Cassiodor83, Martianus Capella84 und Isidor von Sevilla85 hatten in der Spätantike einen Kanon formuliert, an den man sich für die nächsten Jahrhunderte hielt. Es gab auch eine überschaubare Menge an Texten, die man während des Studiums heranziehen konnte. Als gegen Ende des 12. Jahrhunderts neue Texte bekannt wurden, genügte dieses System nicht mehr. Die artes-Fakultät erhielt eine anspruchsvollere Funktion: Man lehrte dort nicht mehr nur Grammatik, Dialektik und Rhetorik etc., sondern auch Naturphilosophie, Ethik und Politik. An dieser erheblichen Erweiterung des Studienplanes hatten sowohl die Schriften des Aristoteles einen wesentlichen Anteil als auch politische und gesellschaftliche Entwicklungen, die u. a. ein differenziertes Verwaltungswissen verlangten. Bereits gegen Ende des 13. Jahrhunderts hatte sich der Aristotelismus trotz der wiederholten Verbote institutionell durchgesetzt86 und bestimmte den universitären Lehrplan für 82 Auf

Boethius gehen die Übersetzungen der Logikschriften des Aristoteles zurück, die bis ins 12. Jahrhundert als »logica vetus« bekannt waren. Zudem soll Boethius auch Lehrbücher über alle sieben freien Künste verfasst haben, von denen aber nur seine Bücher über Musik und Arithmetik erhalten sind, die auch im Mittelalter benutzt wurden. – Vgl.: A Companion to Boethius in the Middle Ages, hg. v. Noel Harold Kaylor u. Philip Edward Phillips, Leiden 2012. 83 Vgl. Flavius Magnus Aurelius Cassiodorus, Institutiones divinarum et saecularium litterarum, lat.-dt., 2 Bde., hg. u. übers. v. Wolfgang Bürsgens, Freiburg u. a. 2003. 84 Vgl. Martianus Capella, De nuptiis Philologiae et Mercurii, hg. v. James Willis, Leipzig 1983; deutsche Übersetzung: Martianus Capella, Die Hochzeit der Philologia mit Merkur. De nuptiis Philologiae et Mercurii, hg. u. übers. v. Hans Günter Zekl, Würzburg 2005. 85 Vgl. Isidor von Sevilla, Die Enzyklopädie, übers. u. m. Anm. vers. v. Lenelotte Möller, Wiesbaden 2008. 86 Bereits 1252 schrieben die Statuten der englischen Nation der Pariser Artistenfakultät vor, dass Kandidaten für eine Dozentur das Buch Über die Seele von Aristoteles gehört haben müssen. Am 19. März 1255 geboten die Statuten der Pariser Artistenfakultät, die Schriften des Ari­

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die nächsten Jahrhunderte derart, dass noch Thomas Hobbes im 17. Jahrhundert abschätzig sagen wird, dass der Aristotelismus und die Universität dasselbe seien.87 Wenn man im 14. Jahrhundert in der artes-Fakultät studierte, tat man das in einem fast ausschließlich aristotelischen Rahmen: In den theoretischen Wissenschaften begann man in der Regel (absteigend vom edelsten zum geringsten Erkenntnisgegenstand) mit der Metaphysik, dann kam die Physik, daraufhin dessen Schrift Über den Himmel, dann Über die Seele, bis hin zu Über die Tiere, Über die Pflanzen und Über die Gesteine.88 Gestützt wurde man durch die logischen Schriften des Aristoteles. Wollte man etwas über die dahinter stehende Wissenschaftstheorie lernen, griff man zur Zweiten Analytik. Bei den praktischen Wissenschaften fing man mit der Nikomachischen Ethik an und gelangte über die Ökonomie zur Politik. Egal also, um welchen Gegenstand, um welche Wissenschaft es ging – Aristoteles hatte dazu ein Buch geschrieben, das sich in sein System kohärent einfügte. stoteles zu erklären. – Vgl. Kurt Flasch, Aufklärung im Mittelalter? Die Verurteilungen von 1277, a. a. O., S. 29 f.) 87 Vgl. Thomas Hobbes, Leviathan, vierter Teil: Vom Königreich der Finsternis, Kap. XLVI, übers. v. Jutta Schlösser, hg. v. Hermann Klenner, Hamburg 1996, S. 563. 88 Diese Einteilung der Naturphilosophie wurde bereits um 1245 von einem anonymen Magister der Pariser Artistenfakultät in dessen Einführungsschrift philosophica disciplina vorgestellt. Dort wird die Philo­ sophia naturalis gemäß den Schriften des Aristoteles geordnet: Physica, De caelo, De generatione et corruptione, Meteorologica, De anima, De sensu et sensibili, De vegetalibus, De plantis und De animalibus. – Der Traktat ist abgedruckt in: Claude Lafleur, Quatre introductions à la philosophie au 13e siècle: Textes critiques et études historiques, Paris/ Montreal 1988, S. 257–292. – Vgl. auch: Claude Lafleur, Les textes didascaliques (introductions à la philosophie et guides de l’étudiant) de la Faculté des arts de Paris au 13e siècle: notabilia et status questionis, in: L’enseignement des disciplines à la Faculté des arts (Paris et Oxford, 13e et 14e siècles), hg. v. Olga Weijers u. Louis Holtz, Turnhout 1997, S. 345–372.



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Doch nicht nur Texte des Aristoteles waren übersetzt worden. Fast in jedem Bereich der Wissenschaft gab es neue Texte, sei es in der Astronomie, der Optik, der Physik oder der Medizin. Die Frage stellte sich daher: Wie konnte man alle diese neuen Wissenschaften in den Lehrplan integrieren und wieviel Raum konnte man ihnen einräumen? Roger Bacons Antworten zu dieser Frage sind radikal: Man müsse alle Wissenschaften fördern. Zur Theologie stehen sie in keinem Gegensatz, sondern sind auf sie hingeordnet. Auch für Roger Bacon sind die Wissenschaften die »Mägde der Theologie«, jedoch begründet Bacon ein starkes gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis: Wenn die Wissenschaften nicht auf die Theologie hingeordnet wären, wären sie bedeutungslos und unnütz. Ohne die anderen Wissenschaften wäre die Theologie jedoch als Wissenschaft gar nicht zu betreiben. In der Konzeption Bacons ist der Zweck der Wissenschaften daher immer auf die Theologie bezogen, gleichzeitig sind die anderen Wissenschaften ihr methodologisch jedoch vorgeordnet, weil man ohne die anderen Wissenschaften keine Theologie betreiben kann. Die Theologie ist das Ziel, da alle Wissenschaften nur ihretwegen betrieben werden, die Wissenschaften die notwendigen Mittel, um dieses Ziel zu erreichen. Hinter dieser Konzeption Roger Bacons stehen zwei Grundüberzeugungen: Die eine Überzeugung ist die vom göttlichen Ursprung der Wissenschaft, die andere die von der Einheit allen Wissens in einer umfassenden Weisheit. Diese zwei Überzeugungen ergeben sich bei Bacon in gewisser Weise aus der Übertragung der augustinischen Illuminationslehre auf die Wissenschaften: Der Grundgedanke dieser Illuminationslehre besagt, dass die Wissenschaft einfach zu groß und zu herrlich ist, als dass sie allein das Werk des Menschen sein könnte. Jede wahre Wissenschaft, jede Erkenntnis, ist daher immer eine Teilhabe am Wissen Gottes:

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»Denn die gesamte Weisheit ist von einem Gott einer Welt zu einem Ziel gegeben worden. Daher kommt jener Weisheit aus dieser dreifachen Beziehung die Einheit zu. Auch ist der Weg des Heils nur einer, wenn auch in vielen Stufen, die Weisheit aber ist der Weg zum Heil.«89

Bacon ging davon aus, dass die Weisheit als alles umgreifendes Wissen am Anbeginn der Welt von Gott den Heiligen der Vorzeit und den Propheten bereits geoffenbart worden sei. In seiner Vorstellung ist die bisherige Wissenschaftsgeschichte eine Verfallsgeschichte: Das Wissen war bereits da, die Menschheit hat es vergessen. Selbst die paganen Philosophen hatten noch einen gewissen Anteil an der Weisheit Gottes, weil sie sozusagen näher am Ursprung waren: »Denn die Philosophen haben alles dies von den Heiligen Gottes übernommen. Daher haben weder die Philosophen noch sonst irgendwelche Menschen diese Dinge als erste herausgefunden, sondern Gott hat es seinen Heiligen geoffenbart. Denn welcher Mensch könnte für sich allein soviel über die Himmelserscheinungen wissen? Und wer könnte anhand der Himmelserscheinungen Aussagen über die Dinge und alles Weitere machen, wovon die Philosophen schreiben? Sicher nicht einmal Salomon oder Adam oder sonst irgendjemand. Gott selbst hat also den Heiligen sein Gesetz und die Philosophie geoffenbart, damit der Sinn des Gesetzes, sein Bereich, sein Beweis, seine Bekannt­machung und seine Verteidigung klarer werden; und diese Heiligen haben alle Bücher über die Philosophie verfasst. Sie haben demnach nicht nur in der Heiligen Schrift die Wahrheit des Glaubens dargelegt, sondern auch in ihren philosophischen Schriften, in denen sie alles bekannt gemacht haben, bevor es die Philosophen gab. Die Philosophen haben von ihnen ihre ganze Weisheit übernommen, 89 Roger

Bacon, Opus maius, Teil II: Über die Verwandtschaft zwischen Philosophie und Theologie, S. 103 in dieser Übersetzung. – Zur Augustinischen Illuminationslehre siehe auch Anm. 151 auf S. 277 in dieser Übersetzung.



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wie Aristoteles selbst, der Herr aller Philosophen, im Secretum secretorum eingesteht.«90

Anhand dieses und weiterer Zitate im zweiten Teil des Opus maius (bis hin zu der für uns vielleicht befremdlich erscheinenden »Genealogie« des geoffenbarten Wissen von den Patriarchen und Propheten der Vorzeit bis zu Bacon als dem Autor) sehen wir, dass die Vorstellung einer prisca philosophia durchaus kein Novum der Renaissance91, sondern bereits im Mittelalter eine gängige Vorstellung war. Was sich hierunter verstehen lässt, hat Charles B. Schmitt ausgeführt: »Das Wort priscus, wahrscheinlich am besten übersetzt mit ›ehrwürdig‹, ist eines, das häufig bei Steuco wiederkehrt. Er spricht von priscis saeculis, in früheren Jahrhunderten, prisci philosophi, prisca philosophia und prisci allein dafür, was sich auf ›die ehrwürdigen Philosophen und Theologen‹ bezieht. Nichts davon ist zufällig. Die Wahrheit fließt gleichsam aus einem einzigen Brunnen, doch sie manifestiert sich in unterschiedlichen Formen. Zudem reicht die Offenbarung der Wahrheit zu den ältesten Zeiten zurück, zu den prisca saecula, und wir können die Wahrheit finden in den Schriften, die aus diesem Zeitalter herstammen. Die Weisheit der frühesten Zeiten wird dann den späteren Jahrhunderten übermittelt, sodass Wahrheit und Weisheit so alt sind wie die Menschen selbst.«92 90 Roger

Bacon, Opus tertium, a. a. O., S. 80 f. [Übers. N. E.]. hierzu: Francis A. Yates, Giordano Bruno and the Hermetic Tradition, London 1964; D. P. Walker, Spiritual and Demonic Magic From Ficino to Campanella, London 1958; ders., The Ancient Theology. Studies in Christian Platonism from the Fifteenth to the Eighteenth Century, London 1972; R. S. Westman u. J. E. McGuire (Hgg.), Hermeticism and the Scientific Revolution, Los Angeles 1977. 92 Vgl. Charles B. Schmitt, Perennial Philosophy: from Agostino Steuco to Leibniz, in: Journal of the History of Ideas 27, 1966, S. 505 – 532, S. 520; zitiert nach: George Molland, Roger Bacon und die hermetische Tradition in der mittelalterlichen Wissenschaft, in: Roger Bacon in der Diskussion, a. a. O., Bd. 2, S. 229 – 256, S. 230. 91 Siehe

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Die Beharrlichkeit, mit der Roger Bacon immer wieder zu zeigen versucht, dass die gesamte Weisheit, also die Gesamtheit der Wissenschaften und des göttlichen Wissens, zuerst von Gott den Patriarchen und Heiligen geoffenbart und dann von Aristoteles und den anderen Philosophen weitergeführt worden sei, ist zum einen durch das Bemühen der Konstruktion einer historischen Überlieferungsgeschichte im Sinne einer perennis philosophia93, zum anderen durch eine theologische und umfassende Auffassung der Weisheit bestimmt. Für ihn sind die Wissenschaften ebenso geoffenbart wie die Aussagen der Heiligen Schrift und unterscheiden sich von dieser nur in dem Grad ihrer Vollkommenheit. Nun nehmen die Überlegungen Roger Bacons jedoch eine Wendung, die die Wichtigkeit der Wissenschaften nochmals erklärt und die gleichzeitig für den methodologischen Vorrang 94 der Wissenschaften noch vor der Heiligen Schrift sorgt. In den Worten des Opus tertium, die die Intention des zweiten Teils des Opus maius noch einmal zusammenfassend verdeutlichen: »Damit endet der zweite Teil [ meines Opus maius ], dessen prinzipielles Anliegen darin besteht, zu zeigen, dass die ganze Weisheit in der Heiligen Schrift enthalten ist, die durch das Recht und die Philosophie erklärt werden muss: so wie in der Faust bereits alles enthalten ist, was in der offenen Hand sichtbarer wird. Ebenso ist alle nützliche Weisheit in den heiligen Schriften enthalten, wenn sie dort auch nicht vollkommen erklärt wird. Diese Erklärung übernimmt daher das Kirchenrecht gemeinsam mit der Philosophie. Denn beide liegen im Inneren der Heiligen Schrift verborgen und müssen aus ihr hervorgeholt werden.«95 93 Vgl.

George Molland, Roger Bacon und die hermetische Tradition in der mittelalterlichen Wissenschaft, a. a. O. 94 Vgl. Florian Uhl, Roger Bacon: Die Wissenschaften als Weg zu Nutzen und Heil, in: Roger Bacon in der Diskussion, a. a. O., Bd. 2, S. 257 – 277, bes. S. 260 – 263. 95 Roger Bacon, Opus tertium, a. a. O., S. 81 [Übers. N. E.].



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Hierin besteht das Grundpostulat der Bacon’schen Gedankenführung zum Verhältnis zwischen der Theologie und den anderen Wissenschaften: Die anderen Wissenschaften bilden keinen Gegensatz zur Theologie, sondern sind ihre Helfer, was in dem Bild ausgedrückt wird, dass die Heilige Schrift die »Faust ist, in der bereits alles enthalten ist«, doch die Wissenschaften sind notwendig, diese Faust zu öffnen, damit alles »in der offenen Hand sichtbarer wird«. Wenn man die Wissenschaften voneinander trennt, kann man nicht mehr über Theologie sprechen oder sie studieren.96 Es ist daher sicherlich kein Zufall, dass Bacon genau dies – unter Rückgriff auf Augustinus97 – zu Beginn seines Opus tertium, in seinem Anschreiben an den Papst, von den christlichen Gelehrten fordert: »Weil Eure Herrschaft mir befohlen hat, dass ich Euch meine philosophischen Schriften senden möge, werde ich hier in diesem vorangehenden Brief – wie es für meine gesamten Werke notwendig und erforderlich ist – die sicheren Ansichten der Philosophen anführen. Denn die Christen müssen nichts weiter tun (und hier werde ich durch die Autorität von Augustinus angeleitet, der dies im zweiten Buch seines Werkes Über die christliche Bildung sagt), als sich das Gold der Weisheit und das Silber der Beredsamkeit von den Philosophen – gleichsam als deren unrechte Besitzer – wieder anzueignen. Hierin stimmen alle Kirchenväter überein, wie an dem dafür geeigneten Ort ausführlich erklärt werden wird.«98

Hier zeigt sich eine tiefe Ambivalenz im Denken Bacons: Auf der einen Seite bildet die Heilige Schrift – und damit die Theologie, die für Bacon eben das Studium der Heiligen Schrift sein sollte, 96 Vgl.

zu diesem Gedanken auch: Franco Alessio, Introduzione a Ruggero Bacone, Bari 1985, S. 53 ff. 97 Vgl. Augustinus, Die christliche Bildung (De doctrina christiana), übers., komment. u. mit einem Nachwort vers. v. Karla Pollmann, Stuttgart 2002, II, 40, 60, S. 97 f. 98 Roger Bacon, Opus tertium, a. a. O., S. 8 f. [Übers. N. E.].

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was sie aber, wie Bacon kritisiert, zu seiner Zeit nicht mehr sei99 – die Grundlage und das Ziel aller anderen Wissenschaften. Auf der anderen Seite wird das Verhältnis zwischen Theologie und Philosophie umgekehrt: Die Theologie ist zwar die werthafteste und wichtigste aller Wissenschaften, die anderen Wissenschaften stellen jedoch die Prinzipien für sie bereit: Die Theologie ist damit abhängig von den anderen Wissenschaften. Dass die Theologen Theologie betreiben, ohne die Wissenschaften zu studieren, ist der Hauptkritikpunkt Bacons an den Theologen seiner Zeit. Camille Bérubé hat diese Haltung Bacons sehr treffend als »wissenschaftlichen Messianismus«100 bezeichnet, was den Wissenschaften eine Vorrangsstellung vor der Theologie sichert. Doch welche sind diese neuen Wissenschaften, von denen hier gesprochen wird und die zu Roger Bacons Zeit nach dessen Ansicht nicht im Gebrauch sind? Es sind eben jene Wissenschaften, die Bacon im Opus maius beschreibt und zu Beginn des dritten Teils des Opus maius »Über den Nutzen der Grammatik«101 mit den Worten einführt: »Es ist erklärt worden, dass es nur eine vollkommene Weisheit gibt, die in der Heiligen Schrift enthalten ist und die durch das kanonische Recht und die Philosophie erläutert werden muss. Durch diese Weisheit muss die Welt regiert werden, und eine andere Wissenschaft wird für den Nutzen des Menschengeschlechts nicht gebraucht. Nun möchte ich zu jenen wundervollen Teilen dieser Weisheit kommen, die für eine Erklärung am geeignetsten sind. Und es sind fünf [ Wissenschaften ], ohne die weder in göttlichen noch in menschlichen Belangen irgendetwas gewusst werden kann, deren sichere Kenntnis es uns aber leicht macht, alles zu erkennen.«102   99 Vgl.

Roger Bacon, Opus minus, a. a. O., S. 238. Vgl. Camille Bérubé, Der »Dialog« S. Bonaventura – Roger Bacon, a. a. O., S. 89. 101 Vgl. Roger Bacon, Opus maius, a. a. O., Bd. 1, S. 66 – 96. 102 Ebd., S. 66 [Übers. N. E.]. 100



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Wir wollen uns nun auf die »Erfahrungswissenschaft«, die den sechsten Teil des Opus maius bildet, konzentrieren.

D. Opus maius, Teil VI: Die Erfahrungswissenschaft »Doch über diese Wissenschaften hinausgehend gibt es noch eine weitere [ Wissenschaft ], die alle anderen übertrifft, der alle anderen dienen, und die alle anderen Wissenschaften auf wunderbare Weise bestätigt: Diese Wissenschaft wird ›Erfahrungswissenschaft‹ genannt. Sie verlässt sich nicht auf Argumente, weil diese [die Wissenschaften] nicht bestätigen, wie beweiskräftig sie auch sein mögen, wenn ihre Schlussfolgerungen nicht durch die Erfahrung bestätigt werden […]. Diese Wissenschaft lehrt, die Schlussfolgerungen aller anderen Wissenschaften durch Erfahrung zu prüfen, die in den anderen Wissenschaften entweder durch bloße Argumente oder durch die Untersuchung natür­ licher und unvollkommener Erfahrungen belegt werden.«103

Roger Bacon ist vor allem für seine »Erfahrungswissenschaft« [ s cientia experimentalis ] bekannt, die spätestens seit dem 19. Jahrhundert immer wieder zu lebhaften Debatten angeregt hat. Worum es in diesen Debatten ging, zeigt sich schon an dem (von Roger Bacon geprägten) Begriff einer scientia experimen­ talis: Kann man im Falle Bacons (und damit des Mittelalters) überhaupt von einer »Wissenschaft« sprechen, und dann gar von einer »experimentellen Wissenschaft«, damit also von einer methodisch auf Induktion und Experiment beruhenden Verfahrensweise, die wir doch der wissenschaftlichen Revolution und der Frühen Neuzeit zuordnen? Günther Mensching fasst diese Diskussion und das Problemfeld pointiert zusammen:

103 Roger

Bacon, Opus tertium, a. a. O., S. 43 [Übers. N. E.].

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»Über die Bedeutung der Erfahrungswissenschaft bei Roger Bacon sind viele einander entgegengesetzte Meinungen geäußert worden. Teils wurde der Begriff im Gefolge Francis Bacons als induktive empirische Forschung verstanden, die das Mittelalter sonst vernachlässigt habe, teils erfuhren die Reflexionen im Opus maius und in den Communia naturalium eine differenziertere Deutung, die einen facettenreichen Erfahrungsbegriff zum Vorschein brachten.«104

Um es vorweg zu nehmen: Diese Diskussion dauert bis heute an und wird entsprechend der Interpretationsabsicht des jeweiligen Rezipienten anders geführt: Je nachdem, welchen Aspekt des sechsten Teils des Opus maius: De scientia experimentali man stark machen möchte, kommt man zu unterschiedlichen Ergebnissen, eine Ambivalenz, die im Text selbst liegen mag: Man kann Bacon dann als Vordenker der wissenschaftlichen Revolution der Frühen Neuzeit sehen oder als verstiegenen Magier und Alchemisten oder auch als einen wenig originellen Denker – alle diese Perspektiven sind, wie wir im Folgenden sehen werden, in der Forschung eingenommen worden.105 Ich möchte diese Frage nicht zu weit vertiefen, sondern zur Klärung, wie Roger Bacon den Begriff scientia experimenta­ lis gebraucht, nur dies anmerken: Der Ausdruck kann bei Bacon übersetzt werden als »Experimentalwissenschaft« oder als »Erfahrungswissenschaft«. In Bacons Opus maius muss scien­ tia experimentalis so verstanden werden, dass sie sowohl eine Experimentalwissenschaft als auch eine Wissenschaft von der Erfahrung meinen kann. Ich gebe scientia experimentalis in der Übersetzung mit »Erfahrungswissenschaft« wieder, weil ich allzu moderne Konnotationen vermeiden möchte, da wir mit einem »Experiment« etwas anderes meinen als Roger Bacon, der – 104 Günther

Mensching, Roger Bacon, Münster 2009, S. 52. für einen kurzen Überblick: David C. Lindberg, Science as Handmaiden: Roger Bacon and the Patristic Tradition, in: Isis 78, 1987, S. 518 – 536. 105 Siehe



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bei aller Eigenständigkeit und scheinbarer Modernität – doch stets in einem aristotelischen Rahmen gedacht und gearbeitet hat106, denke aber, dass Bacon an bestimmten Stellen seiner sci­ entia experimentalis über wirkliche Experimente auch in unserem heutigen Sinne spricht.

a) Rezeptionsgeschichte Für das im 19. Jahrhundert bestimmende Bild Roger Bacons als eines »Vorläufers der modernen Wissenschaft« ist vor allem William Whewell verantwortlich, der in seinem damals sehr einflussreichen dreibändigen Werk History of the Inductive Sciences from the Earliest to the Present Times die – auch heute noch oft gehörte – Ansicht vertrat, dass das Mittelalter im Wesentlichen keinen wissenschaftlichen Fortschritt hervorgebracht hätte, sondern als eine Phase des Schlummers zwischen der griechisch-römischen Antike und dem Beginn der modernen Wissenschaft im 17. Jahrhundert angesehen werden müsse. Nur einer ragte seiner 106 Siehe

zu den Begriffen des »experimentum« und der »scientia experimentalis« bei Bacon: Jeremiah Hackett, Scientia Experimentalis: Von Robert Grosseteste zu Roger Bacon, in: Roger Bacon in der Diskussion, a. a. O., Bd. 2, S. 195 – 227, insbes. S. 210 – 227; Jeremiah Hackett, Experience and Demonstration in Roger Bacon: A Critical Review of some Modern Interpretations, in: Erfahrung und Beweis. Die Wissenschaften von der Natur im 13. und. 14. Jahrhundert, hg. v. Alexander Fidora u. Matthias Lutz-Bachmann, Berlin 2007, S. 41 – 58; ders., Ego expertus sum: Roger Bacon’s Science and the Origins of Empiricism, in: Expertus sum. L’expérience par les sens dans la philosophie naturelle médiévale, hg. v. Thomas Bénatouil u. Isabelle Draelants, Florenz 2011, S. 145 – 173; Steven J. Williams, Roger Bacon in Context: Empiricism in the High Middle Ages, in: Expertus sum. L’expérience par les sens dans la philosophie naturelle médiévale, a. a. O., S. 123 – 144; Jaqueline Hamesse, Experientia/Experimentum dans les Lexiques Médiévaux et dans les Textes Philosophiques antérieurs au 14e siècle, in: Experientia, hg. v. Marco Veneziani, Florenz 2002, S. 77 – 90.

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Ansicht nach als Pionier aus dem »dunklen Mittelalter« heraus – Roger Bacon mit seiner scientia experimentalis: »Roger Bacon’s works are not only far beyond his age, in the knowledge which they contain, but so different from the temper of the times, in his assertion of the supremacy of experiment, and in his contemplation that it is difficult to conceive how such a character could then exist.«107

Ähnliche Einschätzungen finden wir auch in anderen Werken über Roger Bacon aus dem 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. So gehören Émile Charles108, der die erste umfassendere Monographie über Roger Bacons Leben und Werk geschrieben hat, John Henry Bridges109 und Raoul Carton110 einer ähnlichen Tradition an wie Whewell, und noch Hans Bauer111 und Brian Clegg112 stilisieren Roger Bacon zu einem »Märtyrer der Wissenschaft« vor seiner Zeit. Auch wurden vielfach Parallelen zwischen Francis Bacon und Roger Bacon gefunden, wobei die These vertreten wurde, dass nicht Francis Bacon mit seinem No­ vum Organon, sondern Roger Bacon der Begründer der modernen empiristischen Methode in der Wissenschaft gewesen sei.113 107 William

Whewell, History of the Inductive Sciences from the Earliest Times to the Present Times, 3 Bde., New York 1859, Bd. 1, S. 245. 108 Vgl. Émile Charles, Roger Bacon. Sa vie, ses ouvrages, ses doctrines, d’après des textes inédits, Paris 1861. 109 Vgl. John H. Bridges, The Life and Work of Roger Bacon, London 1912. 110 Vgl. Raoul Carton, L’expérience physique chez Roger Bacon, Paris 1923. 111 Vgl. Hans Bauer, Der wunderbare Mönch: Leben und Kampf ­Roger Bacons, Leipzig 1963. 112 Vgl. Brian Clegg, The First Scientist. A Life of Roger Bacon, London 2003. 113 Vgl. Fernando Sanford, Francis and Roger Bacon and Modern Science, a. a. O.; Herbert Hochberg, The Empirical Philosophy of Roger and Francis Bacon, a. a. O.; Joseph Kupfers, The Father of Empiricism: Roger not Francis, a. a. O.



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Diese Annahmen sind durchaus mutig zu nennen, da sich die Sicht auf Bacon und seine Erfahrungswissenschaft durch einige einflussreiche Studien Lynn Thorndikes bereits ebenfalls Anfang des 20. Jahrhunderts zu ändern begonnen hatte. Lynn Thorndike warf nämlich ein äußerst kritisches (und mitunter leicht ungerechtes) Licht auf Roger Bacons Ergebnisse und auf die Baconforschung, wenn er bemerkt: »Roger Bacon has hitherto been studied too much in isolation […]. Thought of as a precursor of modern science, he has been read to find germs of modern ideas rather than scrutinized with a view to discovering his sources.«114

Und speziell in Hinblick auf Bacons scientia experimentalis ­äußert er: »In reality, therefore, Bacon’s discussion of experimental science, instead of being a wonderfully original contribution to knowledge, is an excellent representation of both the good and bad points of an important movement of his time in the direction of experimental method.«115

Lynn Thorndyke konzentriert sich im Weiteren jedoch mehr auf die – in seinen Augen – »schlechten Aspekte« der Werke Bacons, indem er anhand der Analyse der medizinischen, astrologischen und alchemistischen Beispiele, die Bacon für seine scientia ex­ perimentalis gibt, glaubt »the faults of Bacon’s learning, his superstition and credulity, his belief in alchemy and astrology«116 betonen zu müssen. 114 Lynn

Thorndike, History of Magic and Experimental Science, Bd. 2, New York 1923, S. 618. 115 Lynn Thorndike, Roger Bacon and Experimental Method in the Middle Ages, in: Philosophical Review 23, 1914, S. 271 – 298, S. 292. 116 Ebd., S. 275; siehe auch: Lynn Thorndike, The True Roger Bacon I u. II, in: The American Historical Review 21, 1916, S. 237 – 257 u. S. 468 – 480.

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Eine grundlegende Erweiterung unserer Sicht nicht nur auf Bacon, sondern auf die wissenschaftliche Methodik im Mittelalter wurde durch Alistair C. Crombies wichtiges und nach wie vor lesenswertes Buch Robert Grosseteste and the Origins of Ex­ perimental Science 1100 – 1700117 aus dem Jahr 1953 ermöglicht. In dieser Monographie entfaltet Crombie die Ansicht, dass Roger Bacons scientia experimentalis auf einer durchaus wissenschaftlichen Methodik basierte, die aber – durch Robert Grossetestes Kommentar zur Analytica posteriora des Aristoteles vermittelt118, den Bacon zweifellos kannte – in einem aristotelischen Rahmen zu verorten sei. Und Crombie ging noch einen Schritt weiter und formulierte eine These, die seit seiner Publikation viel diskutiert worden ist: »The thesis of this book is that the modern, systematic understanding of at least the qualitative aspects of this method was created by the philosophers of the West in the thirteenth century. It was they who transformed the Greek geometrical Method into the experimental science of the modern world.«119

Nach Crombies Ansicht war der Denker, »who most thoroughly grasped, and who most elaborately developed Grosseteste’s attitude to the nature and the theory of science«,120 Roger Bacon. Indem Crombie weiter den langen Abschnitt über den Regen­ bogen in dem Traktat über die Erfahrungswissenschaft bei Bacon auf Grundlage der – durch Grosseteste vermittelten und erwei117 Vgl.

Alistair C. Crombie, Robert Grosseteste and the Origins of Experimental Science 1100 – 1700, Oxford 1953. 118 Vgl. ebd., S. 44 ff. – Vgl. auch: Pietro B. Rossi, Grosseteste’s Influence on Thirteenth- and Fourteenth-Century British Commentators on Posterior Analytics, in: Robert Grosseteste. His Thought and its Impact, hg. v. Jack P. Cunningham, Toronto 2012, S. 140 – 166. 119 Alistair C. Crombie, Robert Grosseteste and the Origins of Experimental Science 1100 – 1700, a. a. O., S. 1. 120 Ebd., S. 139.



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terten – aristotelischen Wissenschaftstheorie analysierte und interpretierte121, erweiterte er den Fokus der Interpretation der Bacon’schen Erfahrungswissenschaft von den leicht anachronistisch anmutenden Deutungen Bacons hin zu einem adäquateren Verständnis der Quellen und des historischen Kontextes, in dem Bacon gedacht und gearbeitet hat. Die jüngere Forschung konnte auf diesen Ergebnissen – verbunden mit neueren und besseren Editionen der Werke Bacons – aufbauen. Speziell zur scientia experimentalis sind der Artikel Experimental Science and Mathematics in Roger Bacon’s Thought122 von N. W. Fischer und Sabetai Unguru und die Arbeiten von Jeremiah Hackett123 zu nennen. Auch durch die Forschung Jeremiah Hacketts ist uns eine sehr viel detailliertere und ausdifferenzierte Sicht auf die Erfahrungswissenschaft möglich geworden. Doch kommen wir nach diesem rezeptionsgeschichtlichen Exkurs zu der Darstellung des Inhalts dieser vieldiskutierten Abhandlung Roger Bacons.

121

Vgl. ebd., S. 155 ff. N. W. Fischer u. Sabetai Unguru, Experimental Science and Mathematics in Roger Bacon’s Thought, in: Traditio 27, 1971, S. 353 – 378. 123 Vgl. Jeremiah Hackett, Roger Bacon on Scientia Experimentalis, in: Roger Bacon and the Sciences, a. a. O., S. 277 – 316; Experientia, Ex­ perimentum and Perception of Objects in Space: Roger Bacon, in: Raum und Raumvorstellungen im Mittelalter, hg. v. Jan A. Aertsen u. Andreas Speer, Berlin/New York 1998, S. 101–120; ders., Scientia Experimentalis: Von Robert Grosseteste zu Roger Bacon, in: Roger Bacon in der Diskussion, a. a. O., Bd. 2, S. 195 – 228; ders., Experience and Demonstration in Roger Bacon: A Critical Review of some Modern Interpretations, in: Erfahrung und Beweis, a. a. O., S. 41 – 58. 122 Vgl.

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b) I nhalt und Aufbau des Opus maius, Teil VI: Über die Erfahrungswissenschaft Roger Bacon beginnt seine Abhandlung mit einer Unterscheidung zwischen Wissen durch Argumente – also syllogistische Beweisformen – und durch die Erfahrung, ohne die man seiner Ansicht nach nichts wissen könne: »Nachdem die Wurzeln der Weisheit bei den Lateinern dargelegt worden sind, soweit sie die Sprachen, die Mathematik und die Perspektivik betreffen, möchte ich nun die Prinzipien der Erfahrungswissenschaft erläutern, weil man ohne die Erfahrung nichts wirklich wissen kann. Denn es gibt zwei Arten des Wissenserwerbs: das Argument und die Erfahrung. Das Argument folgert und führt uns dazu, der Schlussfolgerung zuzustimmen, doch es beweist [ d ie Schlussfolgerung ] nicht und beseitigt nicht den Zweifel, sodass unser Geist durch den Anblick der Wahrheit nicht zur Ruhe kommen kann, es sei denn, er findet sie auf dem Weg der Erfahrung. Denn viele haben zwar Argumente für das Wissbare, doch da sie keine Erfahrung [ davon ] haben, ignorieren sie es und vermeiden daher weder das Schlechte, noch folgen sie dem Guten.«124

Der einzige Weg, auf dem wir zu wirklichem und vollständigem Wissen gelangen können, ist nach Bacon der Weg der Erfahrung. Doch was heißt das hier? Bacon gibt im Folgenden Beispiele aus unterschiedlichen Bereichen an, denen der Aspekt der Überprü­ fung durch die Wahrnehmung gemeinsam ist: Erfahrung in diesem Sinne ergänzt das Wissen, das durch einen Syllogismus, also einen theoretischen Beweis, erworben wird. Bacon nennt hierfür mehrere Beispiele: Nehmen wir an, jemand habe gelesen, dass Feuer verbrennt und schmerzt – er wird sich aus dieser Erkenntnis nichts machen, bevor er nicht selbst erlebt hat, dass Feuer 124 Roger

Bacon, Opus maius, Teil VI: Über die Erfahrungswissenschaft, S. 157 in dieser Übersetzung.



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diese Eigenschaft hat.125 Das zweite Beispiel kommt aus dem Bereich der Geometrie (genauer: aus Euklid, Buch I, Propo­sition 1), also der Mathematik: Jemand mag zwar den Beweis eines gleichseitigen Dreiecks verstanden haben, er wird darauf jedoch nichts geben, bevor er nicht selber solch ein Dreieck gezeichnet und es gesehen hat.126 Was Bacon hier anspricht, könnte man als eine psychologische Annahme über die Intensität des persönlichen Wissens­ erwerbs bezeichnen: Wirklich wissen können wir nur etwas, wenn wir es selbst erlebt und durch die Wahrnehmung überprüft haben, wenn wir also eine persönliche Erfahrung von etwas gemacht haben. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Bacon direkt im Anschluss an das Beispiel aus dem Bereich der Mathematik die aristotelische Vorstellung eines Wissens durch den Beweis, die demonstratio, erheblich verändert: »Wenn Aristoteles also sagt, dass ein Beweis ein Syllogismus ist, der uns wissend macht, ist das so zu verstehen, dass dies nicht für den nackten Beweis gilt, sondern nur, wenn der Beweis von einer entsprechenden Erfahrung begleitet wird.«127

Das entspricht jedoch in keiner Weise der aristotelischen Definition eines Beweises. Bei Aristoteles ist ein Beweis (eine demonst­ ratio) ein Syllogismus, der Wissen auf analytischem Wege generiert128 – eine Überprüfung eines so gewonnenen Beweises durch die eigene Erfahrung ist für Aristoteles nicht mehr notwendig. Für Bacon stellt sich dies jedoch anders dar: Selbst der beste theoretische Beweis befreit uns nicht vom Zweifel, wenn 125

Vgl. ebd., S. 157 f. ebd., S. 158. 127 Ebd. 128 Vgl. Aristoteles, Analytica posteriora (= Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung 3, II/1), hg. u. übers. v. Wolfgang Detel, Berlin 1993, 71b17, S. 18. 126 Vgl.

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wir ihn nicht durch die Erfahrung nochmals »beweisen« können.129 Er führt hierfür Beispiele an: ein Diamant, der angeblich durch Bocksblut zerbrochen werden kann130; heißes Wasser, das schneller gefrieren soll als kaltes131. Gegen solche falschen Annahmen weiß Bacon ein einfaches Mittel: Man möge es selbst ausprobieren und sehen, ob es stimmt oder nicht: »Ich habe das mit eigenen Augen gesehen […]. Daher müssen alle Dinge auf dem Weg der Erfahrung bestätigt werden.«132 Roger Bacon definiert die Erfahrung im weiteren Verlauf seiner Abhandlung nun auf folgende Weise: »Die Erfahrung ist aber zweifach: Eine Art von Erfahrung gewinnen wir durch unsere äußeren Sinne. Durch sie gewinnen wir mit der Hilfe von Instrumenten Erfahrung von den Himmelsdingen, und durch den Gesichtssinn von den Dingen auf der Erde. Von den Dingen, die sich nicht an den Orten befinden, wo wir sind, wissen wir durch andere weise Menschen, die von ihnen Erfahrung gesammelt haben. […] Diese Art der Erfahrung ist eine menschliche und philosophische Erfahrung, die soweit reicht, wie der Mensch durch die ihm zuteil gewordene Gnade gelangen kann. Doch diese Erfahrung ist für die Menschen oft nicht ausreichend, weil sie über die körperlichen Dinge aufgrund ihrer Schwierigkeit nicht alles bestätigt, und weil sie geistige Dinge überhaupt nicht berührt. Deshalb muss dem Intellekt des 129 Hinter

dieser scheinbaren epistemologischen Naivität Bacons steht ein sehr viel grundlegenderes Problem als wir es hier im Rahmen einer Einleitung erörtern können: Es ist der Gegensatz zwischen Platonismus und Aristotelismus und damit zwischen einer auf mathematischer und einer auf qualitativer Erfassung und Beschreibung der Welt beruhenden Wissenschaftsmethodik, der nicht nur das Mittel­a lter durchzogen hat, sondern auch heute noch eines der grundlegenden Probleme der Erkenntnis- wie der Wissenschaftstheorie darstellt. 130 Vgl. Roger Bacon, Opus maius, Teil VI : Über die Erfahrungswissenschaft, S. 158 f. in dieser Übersetzung. 131 Vgl. ebd., S. 159. 132 Vgl. ebd.



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Menschen anders geholfen werden, weshalb die heiligen Patriarchen und Propheten, die als erste der Welt die Wissenschaften gegeben haben, innere Illuminationen erhalten haben und daher nicht ausschließlich von den Sinnen abhängig waren.«133

Hier sehen wir deutlich, dass Bacon seiner Erfahrungswissen­ schaft einen anderen Begriff von Erfahrung zugrundelegt, als wir es heute tun: Es gibt auf der einen Seite ›Erfahrungen‹, die wir durch unsere äußeren Sinne gewinnen können; diese reichen für die Erkenntnis eines Sachverhaltes jedoch meist nicht aus, weshalb eine Form von göttlicher Illumination134 notwendig ist, die Bacon direkt im Anschluss an seine eben genannten Ausführungen in sieben Stufen verschiedener moralischer und religiöser Einsichten beschreibt, die – wie Jeremiah Hackett bemerkt – »a standard Franciscan account«135 folgen. Diesen augustinischen Illuminismus hat die Baconforschung zwar oftmals als schwierig empfunden, er muss aber dennoch berücksichtigt werden, da er deutlich zeigt, dass Bacons Erfahrungswissenschaft sich nicht im Sinne einer modernen empirischen Methodik (kontrollierte Laborexperimente etc.) bewegt. Der Punkt, den Roger Bacon hier anspricht, ist der, dass das Wissen, welches aus Büchern und von Autoritäten gewonnen werden kann, durch persönliche Erfahrung überprüft werden muss: sei es durch die äußeren Sinne, sei es durch göttliche Eingebung (zu erinnern sei in diesem Zusammenhang auch daran, dass die meisten Phänomene durch die persönliche, durch die äußeren Sinne gewonnene Erfahrung einfach nicht überprüft werden konnten, man nehme hier nur die Astronomie: die oberen Himmelskörper waren einfach zu weit entfernt, um sie persön133

Ebd., S. 159 f. Raoul Carton, L’expérience mystique de l’illumination intérieure chez Roger Bacon, Paris 1924. 135 Vgl. Jeremiah Hackett, Roger Bacon on scientia experimentalis, a. a. O., S. 294; Ewert H. Cousins, Bonaventure and the Coincidence of Opposites, Chicago 1978. 134 Vgl.

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lich in Augenschein nehmen zu können, und die entsprechenden Instrumente standen nicht zur Verfügung). Das Unglück war nur: Die Erfahrungswissenschaft war in Bacons Augen eine so neuartige Wissenschaft, dass sie im Abendland noch vollkommen unbekannt war, weshalb es nun an Bacon ist, sie in den universitären Wissenschaftskanon einzuführen. Dabei ist ihr Nutzen doch außerordentlich: »Da diese Erfahrungswissenschaft der Menge der Studenten vollkommen unbekannt ist, kann ich niemanden von ihrer Nützlichkeit überzeugen, wenn nicht zugleich ihre Kraft und ihre Eigentümlichkeit beschrieben werden. Nur diese Wissenschaft weiß auf vollkommene Art zu zeigen, was durch die Natur geschehen kann, was durch die Anstrengung der Kunst hervorgerufen wird, was durch Betrug passiert, was Gesänge, Beschwörungen, Herbeirufungen, Fürsprachen und Opfergaben wollen und wovon sie träumen, die allesamt magischer Natur sind; und was bei ihnen geschieht, damit alle Falschheit beseitigt wird und damit nur die Wahrheit der Kunst beibehalten wird. Nur diese Wissenschaft lehrt, alle Verrücktheiten der Magier einzuschätzen, damit sie nicht bestätigt, sondern vermieden werden, so wie die Logik die Scheinschlüsse aufdeckt.«136

Hier führt Bacon einen weiteren Gedanken ein, der ihm wichtig ist und der uns deutlich macht, dass er sich unter seiner neuen Erfahrungswissenschaft unter anderem und nicht zuletzt eine Methodik in den praktischen und spekulativen Wissenschaften vorstellt, die ein Unterscheidungskriterium zwischen der wirk­ lichen Wissenschaft und den bloß magischen Täuschungen bereitstellt, womit er nicht die eingangs genannten causae erroris meint, sondern den im Alltags- und teils auch Wissenschaftsbewusstsein vorhandenen Wust magischer und abergläubischer Praktiken. Dieser Gedanke wird auch im Brief über die geheimen 136 Vgl.

Roger Bacon, Opus maius, Teil VI: Über die Erfahrungswissenschaft, S. 163 in dieser Übersetzung.



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Werke der Natur und der Kunst thematisiert werden. Was Bacon in seiner Zeit und damit auch in dem ihm gegebenen Denkrahmen zu tun versucht, ist – durch seine Erfahrungswissenschaft – ein Unterscheidungskriterium dafür zu finden, was Wissenschaft (in Bacons Worten: »Natur und Kunst«) gegenüber magischen Praktiken überhaupt sein kann. Welche Funktionen weist Roger Bacon der Erfahrungswissenschaft nun genau zu? Die Erfahrungswissenschaft hat seiner Ansicht nach drei Vorzüge bzw. Vorrechte: (1) Sie überprüft alle Schlussfolgerungen der anderen Wissenschaften durch die Erfahrung und dient so der Überprüfung der Ergebnisse der anderen Wissenschaften: »Denn die anderen Wissenschaften wissen zwar, wie sie ihre Prinzipien durch die Erfahrung gewinnen können, doch ihre Konklusionen schließen sie aus Argumenten, die aus den gefundenen Prinzipien gewonnen werden. Doch wenn sie eine besondere und vollständige Erfahrung ihrer Konklusionen haben wollen, müssen sie diese mit der Hilfe dieser noblen Wissenschaft gewinnen.«137 Hier dient ihm – als bei weitem längstes Beispiel der Abhandlung – der Regenbogen138. Anhand des Regenbogens versucht er, die verschiedenen Situationen, in denen ein Regenbogen und dessen Farben erscheinen, nach einem gemeinsamen mathematischen Modell zu begreifen. Um dieses sehr lange Beispiel adäquat zu verstehen, müssen 137 Roger

Bacon, Opus maius, Teil VI: Über die Erfahrungswissenschaft, S. 163 in dieser Übersetzung. 138 Vgl. David C. Lindberg, Roger Bacon’s Theory of the Rainbow: Progress or Regress?, in: Isis 57, 1966, S. 235–248; Hans Kraml, Roger Bacon’s Theory of the Rainbow as a Turning point in the Pre-Galilean Theory of Science, in: Analyomen 1, hg. V. Georg Meggle u. Ulla Wessels, Berlin/New York 1994, S. 353 – 361. – Vgl. zur »Lichtmetaphysik«, die hier eine Rolle spielt: Ruggero Bacone, La scienza sperimentale, hg. v. Francesco Bottin, Mailand 1990, Introduzione, S. 21 – 27.

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Bacons Überlegungen zur Perspektivik139 (und damit – dem zugrunde liegend – der Geometrie, also der Mathematik), zur Vervielfältigung der species140 sowie Robert Grossetestes Spekulationen über den Regenbogen141 miteinbezogen werden, was hier leider weiter auszuführen nicht möglich ist. (2) Sie führt auch zu eigenen Ergebnissen an den »Grenzen« der übrigen Wissenschaften, die diese allein nicht erreichen können. Dies tut sie vor allem, indem sie durch die Erfahrung gewonnene Instrumente und Erkenntnisse bereitstellt, ohne welche man in den übrigen Wissenschaften keine Fortschritte machen kann. Diesen wichtigen Vorzug fasst Günther Mensching richtig zusammen: »Ein weiterer Sinn von scientia experimentalis meint das Wissen, das durch geplante Konstellationen von Phänomenen und Instrumenten operativ gewonnen wird. Hier nimmt Bacon die moderne Bedeutung der experimentellen Methode vorweg. […] Seine Thesen sind im übrigen eher programmatisch als daß sie Resultate empirischer Forschung darstellten. Neu ist indessen an diesen Überlegungen, daß der Fortschritt der Erkenntnis an operative, gleichsam handwerkliche Verfahren gebunden ist. Galten die artes mechanicae im Mittelalter als separate und gegenüber den spekulativen Wissenschaften untergeordnete Disziplinen, so verleiht ihnen Roger Bacon als Momenten seiner scientia experimentalis eine weitaus höhere Funktion. In 139 Vgl.

Roger Bacon and the Origins of Perspectiva in the Middle Ages, a. a. O. 140 Vgl. Roger Bacon, Roger Bacon’s Philosophy of Nature, a. a. O. 141 Vgl. Bruce S. Eastwood, Robert Grosseteste’s Theory of the Rainbow, in: ders., Astronomy and Optics from Pliny to Descartes, London 1989, S. 313 – 332; Alistair C. Crombie, Robert Grosseteste and the Origins of Experimental Science, a. a. O., S. 189 – 259; allgemein zur Optik: David C. Lindberg, Auge und Licht im Mittelalter. Die Entwicklung der Optik von Alkindi bis Kepler, Frankfurt/M. 1987.



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der Erkenntnis führen sie, wie alle wahre Wissenschaft, zu Gott und zur Erlösung, zudem haben sie aber eine Nützlichkeit für das profane Leben. So fordert er die Medizin dazu auf, sich der experimentellen Methode zu bedienen, um das menschliche Leben zu verlängern. […] Hier zeigt sich deutlich, daß die alte aszetische Lebensauffassung sich erheblich modifiziert, und dies nicht etwa bei einem häretischen Laien, sondern bei einem sich ganz rechtgläubig verstehenden Franziskaner.«142 Dass dies keine Übertreibung ist, zeigt auch eine Äußerung Bacons über Peter von Maricourt, einen Magister, der eine von der Universität unabhängige Gelehrtenlaufbahn eingeschlagen hatte. Unter anderem hat er über Astronomie, Astrolabien und Brennspiegel geschrieben; uns ist von ihm zudem einer der ersten lateinischsprachigen Texte über den Magnetismus überliefert.143 Lassen wir in diesem Zusammenhang Roger Bacon zu Wort kommen, weil die Beschreibung Peter von Maricourts zum einen einen Typus von Wissenschaftler programmatisch vorstellt, den man im 13. Jahrhundert nicht unbedingt erwartet, und zum anderen einen deutlichen Eindruck davon zu geben vermag, dass in dieser Zeit Roger Bacons Interessen in der Tat in dem von Günther Mensching beschriebenen Gebiet lagen: »Denn ich kenne nur einen [ Peter von Maricourt ], der in den Arbeiten dieser Wissenschaft [ der Erfahrungswissenschaft ] rühmend genannt werden kann; geht es ihm doch nicht um schönes Gerede und Wortgefechte, sondern er geht den Werken der Weisheit nach und findet darin Befriedigung. Was andere nur blind 142 Günther

Mensching, Roger Bacon, a. a. O., S. 53 ff. Vgl. A. Radl, Art. ›Petrus Peregrinus‹, in: Lexikon des Mittelalters, 10 Bde., Stuttgart 1977 – 1999, Bd. 6, Sp. 1980; Erhard Schlund O. F. M., ›Petrus Peregrinus von Maricourt: sein Leben und seine Schriften (ein Beitrag zur Roger Baco-Forschung)‹, in: Archivum Franciscanum historicum 4, 1911, S. 436–455; Petrus Peregrinus de Maricourt, Opera, hg. v. Loris Sturlese u. Ron B. Thomson, Pisa 1995. 143

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zu sehen vermögen, wie die Fledermäuse im Zwielicht, ergreift er in vollem Licht, weil er der Meister des Experimentes ist; durch die Erfahrung erhält er Wissen über die Dinge der Natur, über medizinische und alchemische Dinge und über alle Phänomene im Himmel und auf der Erde; daher schämt er sich, wenn Laien oder alten Weiblein oder Soldaten oder Bauern Dinge bekannt sind, die er nicht weiß. Daher hat er sich alle diejenigen Werke, die sich mit den Metallen, mit Gold und Silber und anderen Metallen und Mineralen beschäftigen, ganz genau angeschaut; er weiß alles, was mit der Kriegskunst, mit Waffen und mit der Jagd zu tun hat. Er hat sich eingehend mit der Landwirtschaft, mit der Vermessung und der Arbeit der Bauern beschäftigt; sogar über die Erfahrungen der alten Weiblein und der Wahrsagerei, ihrer und der Magier Zaubersprüche hat er sorgfältig nachgedacht, ebenso wie über die Täuschungen und Tricks der Spaßmacher, damit ihm nichts, was man wissen könnte, entgeht und damit er fähig ist, die Falschheiten der Magier zu entlarven. Daher ist es ohne ihn unmöglich, die Philosophie zu vollenden und sie auf nützliche und sichere Weise zu gebrauchen.«144

Bacon beschreibt hier einen unabhängigen Forscher, der sich von der »leeren Meinung der Menge« (so Bacons häufige Bezeichnungen des damaligen universitären Lehrbetriebs und seiner Teilnehmer) abgewandt hat und durch praktische Erfahrung und experimentelle Überprüfung in den Wissenschaften Fortschritte zu machen suchte. Eben dies ist auch der »zweite Vorzug« der Erfahrungswissenschaft. (3) Der dritte Vorzug ist für Bacon der wichtigste, für uns jedoch der am schwersten verständliche: »Er liegt in den nur dieser Wissenschaft eigenen Eigenschaften, die sie nicht gegenüber den anderen Wissenschaften hat, sondern mit denen sie aus ihrer eigenen Macht heraus die Geheimnisse der Natur betrachtet. Dieser [ Vorzug ] besteht aus zwei Teilen: in der Er144 Roger

Bacon, Opus tertium, a. a. O., S. 46 f. [Übers. N. E.].



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kenntnis der zukünftigen, vergangenen und gegenwärtigen Ereignisse und in den wunderbaren Werken, durch die sie die verbreitete Astronomie in ihrer vorhersagenden Macht übertrifft.«145 Bacons Bemerkungen sind ein wenig kryptisch, er bezieht sich hierbei aber auf jeden Fall auf den Bereich der vorhersagenden Astronomie/Astrologie. Er scheint der Ansicht zu sein, dass die Erfahrungswissenschaft Instrumente (Astrolabien, Sterntafeln o. ä.) bereitstellen könnte, welche astro­nomische Vorhersagen erleichtern könnten. Zudem spricht er über verschiedene Wunderwerke, die nur durch diese Wissenschaft hergestellt werden können, wie Schwarzpulver, bestimme Heilmittel gegen Gifte etc. Anhand dieser Übersicht über die »drei Vorzüge« wird deutlich, dass die Erfahrungswissenschaft bei Bacon nicht nur eine, sondern drei Funktionen bzw. Vorzüge hat, die man entsprechend differenziert betrachten sollte, um sich ein angemessenes Gesamturteil über diese Wissenschaft in der Konzeption Bacons bilden zu können. Zudem zeigt sich hier auch ihre Divergenz, die es während der Lektüre aufgrund der Fremdheit der behandelten Gegenstände mitunter schwierig macht, dem oft sprunghaften Gedankengang Bacons zu folgen. Aus diesem Grund möchte ich Struktur und Inhalt dieses Textes in Tabellenform darstellen, um den Zugang zu erleichtern (Kapitel mit Seitenzahlen der Übersetzung in Klammern / Kurzbeschreibung):

145 Roger

Bacon, Opus maius, Teil VI: Über die Erfahrungswissenschaft, S. 219 in dieser Übersetzung.

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Kapitel 1 (S. 157 – 163)

Lob und Definition der Erfahrungswissenschaft; die Erfahrungswissenschaft ist zweifach: durch die äußeren Sinne und durch Illumination von innen.

Kapitel 2 (S. 163 – 166): Über den ersten Vorzug der Erfahrungswissenschaft

Schilderung des ersten Vorzugs der Erfahrungswissenschaft: Mit ihrer Hilfe kann man die anderen Wissenschaften überprüfen; das erste Beispiel für diesen Vorzug wird genannt und die grundlegende Methodik vorgestellt: der Regenbogen.

Grundsätzliches zur Farbe des Regen­bogens. Kapitel 3 (S. 166): Beginn über den Regen­ bogen (Beispiel für den ersten Vorzug der Erfahrungswissenschaft) Kapitel 4 (S. 166 – 171)

Bestimmung des Höhenstandes des Regenbogens.

Kapitel 5 (S. 171 – 175)

Größe und Gestalt des Regenbogens werden bestimmt.

Kapitel 6 (S. 175 – 180)

Entstehungsort und Entstehungszeit des Regenbogens werden erklärt.

Kapitel 7 (S. 180 – 188)

Behandelt die Frage »ob der Regenbogen durch einfallende Strahlen oder durch Reflexion oder durch Brechung entsteht« (S. 180). Bacon kommt zu dem Schluss, dass der Regenbogen durch Reflexion des Lichts entsteht.

Kapitel 8 (S. 188 – 190)

Behandelt die Frage nach der Wirklichkeit der Farben des Regenbogens. Hier wird die Antwort gegeben, dass die Farben des Regenbogens dem Betrachter nur als Farben erscheinen, dass sie also nicht wirklich existieren, sondern ein Phänomen des Sehsinns sind.

Kapitel 9 (S. 190 f.)

Nähere Bestimmung des Regenbogens als Abbild der Sonne, das durch unendlich viele kleine Regentropfen entsteht, die gleichsam einen »Spiegel« bilden.



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Kapitel 10 (S. 191 – 193)

Behandlung der Frage, warum ein Regen­ bogen verschiedene Farben aufweist.

Kapitel 11 (S. 193 – 196)

Geometrische Erklärung für die kreisförmige Gestalt des Regenbogens.

Kapitel 12 (S. 196 – 202)

Erklärung für dem Regenbogen ähnliche Phämomene wie den Halo und Nebensonnen. Damit ist der Teil über den Regenbogen abgeschlossen, der als Veranschaulichung des ersten Vorzugs der Erfahrungswissenschaft dient.

Kapitel 13: Über den zweiten Vorzug der Erfahrungswissenschaft (S. 202 – 218)

Der zweite Vorzug wird beschrieben: die Erfahrungswissenschaft als Quelle von Wissen und Instrumenten, die an den Grenzen der anderen Wissenschaften liegen.

Beispiel 1: Astrolabium (Astronomie, S. 203 f.)

Herstellung eines Astrolabiums.

Beispiel 2: Die Verlängerung des Lebens (Medizin, S. 204 – 217)

Bacon bestimmt die Erfahrungswissenschaft als eine Methode, Mittel für die Verlängerung des Lebens im Bereich der Medizin bereitzustellen, welche die Mediziner selbst nicht finden können.

Beispiel 3: Goldherstel- Durch den zweiten Vorzug könne auch Gold lung (Alchemie, S. 217 f.) mit höheren Reinheitsgraden hergestellt werden, als es der Natur selbst möglich sei. Kapitel 14: Über den dritten Vorzug der Erfahrungswissenschaft (S. 219 – 228)

Der dritte Vorzug besteht in der Möglichkeit von Vorhersagen über die Zukunft und der Veränderung eines Ortes; Beschreibung verschiedener nützlicher Erfindungen, die nur durch die Erfahrungswissenschaft bereitgestellt werden können; Rolle der Erfahrungswissenschaft in der Unterscheidung zwischen Magie und wirklicher Wissenschaft.

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4. Die Wunder der Wissenschaft: Roger Bacons Brief über die geheimen Werke der Natur und der Kunst und über die Nichtigkeit der Magie Das Bild Roger Bacons als eines mittelalterlichen »Vorreiters der Wissenschaft« ist – wie schon gesagt – ein Bild aus dem späten 19. Jahrhundert. Vom Spätmittelalter bis in die Neuzeit hatte sich der Nachruhm Bacons vor allem auf die Alchemie und die »geheimen Künste« bezogen.146 Zu seiner Legende gehören etwa die Erfindung des Schießpulvers147, großer Brennspiegel und die verschiedensten uns ebenfalls magisch erscheinenden Praktiken148. Die Quelle dieses fragwürdigen Nachruhms ist sein Brief über die geheimen Werke der Natur und der Kunst, der hier aufgrund seines Bekanntheitsgrades und seines Facettenreichtums diese Übersetzung abschließt und der wegen seiner Nähe zur Bacon’schen Abhandlung über die Erfahrungswissenschaft aufgenommen worden ist. Der zweifelhafte Ruf dieses recht kurzen Briefes scheint auf den ersten Blick unbegründet zu sein. Schließlich sagt Roger Bacon149 darin doch der im Mittelalter weit verbreiteten Magie den 146 Vgl.

Amanda Power, A Mirror for Every Age: The Reputation of Roger Bacon, in: English Historical Review 121, 2006, S. 657 – 692; dies, Seeking Remedies for Great Danger: Contemporary Appraisals of Roger Bacon’s Expertise, in: Knowledge, Discipline and Power in the Middle Ages, hg. v. Joseph Canning u. a., Leiden/Boston 2011, S. 63 – 78. 147 Vgl. H. W. L. Hime, Roger Bacon on Gunpowder, in: Roger Bacon Essays, a. a. O., S. 321 – 336. – Dagegen bereits: Lynn Thorndike, Roger Bacon and Gunpowder, in: Science 42, 1915, S. 799 – 800. 148 Vgl. hierzu: George Molland, Roger Bacon as Magician, in: Tradition 30, 1974, S. 445 – 460. 149 Auch wenn einige Zweifel bleiben, ist mittlerweile davon auszugehen, dass der Brief über die geheimen Werke der Natur und der Kunst wirklich von Roger Bacon verfasst wurde. – Vgl. zur Authentizitätsfrage: William R. Newman, The Philosopher’s Egg: Theory and Practice in the Alchemy of Roger Bacon, in: Micrologus 3, 1995, S. 75 – 101.



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Kampf an, um an ihre Stelle die wirklichen »Werke der Natur und der Kunst« zu setzen. Hierbei ist die Wissenschaft sogar stärker als die Natur selbst, wenn sie die Natur ohne Zaubereien in ihren Dienst nimmt: »Denn obschon die Natur von sich aus mächtig und wunderbar ist, geht doch die Kunst, die die Natur als Werkzeug benutzt, noch weit über die natürliche Kraft hinaus, wie wir an vielen Dingen sehen. Was aber außerhalb der Werke der Natur und der Kunst liegt, ist entweder nicht menschlich, oder es ist erlogen und voller Betrug.«150

So schildert Bacon im Folgenden magische Praktiken, die verdammenswert sind, und gibt – leider so rudimentär, dass man nur schwer eine Methode daraus ableiten kann – Kriterien an, wie diese vermieden werden können. Denn alle diese Zauberformeln, Beschwörungen usw. sind nicht nur schädlich, sondern auch unnütz, da sie die wirklichen Wunderwerke der Natur gar nicht erfassen. Stattdessen braucht es wirkliche Erfindungen, wirkliche Wissenschaft und wirkliche Kunst. Allerdings bleiben Bacons Überlegungen zu neuen technischen Erfindungen hier sehr abstrakt und visionär, haben aber dennoch nicht nur seine Zeitgenossen fasziniert, sondern können auch uns noch in Erstaunen versetzen. Bacon träumt nicht nur von Flugzeugen und Automobilen, sondern beschreibt sogar Unterwassergeräte und Hebewerkzeuge, die »nur drei Fingerbreit hoch und ebenso breit« sind, mit denen doch fast alles angehoben werden kann.151 Alles dies bleibt jedoch bloßes Postulat, da Bacon diese »erstaunliche[n] Werke der Kunst und der Natur« nicht weiter beschreibt. 150 Roger

Bacon, Brief über die geheimen Werke der Natur und der Kunst, S. 231 in dieser Übersetzung. 151 Vgl. Roger Bacon, Brief über die geheimen Werke der Natur und der Kunst, S. 241 in dieser Übersetzung.

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Bacons eigentliche Anliegen fallen in diesem Brief auch in andere Bereiche: die Medizin und die Alchemie. Ebenso wie in seiner Abhandlung über die Erfahrungswissenschaft schildert Bacon auch hier wieder die wundersamen Möglichkeiten der Lebensverlängerung und – ab Kapitel 9 bis zum Ende in einem deutlich anderen Ton, der daher auch Zweifel an der Authentizität dieses Abschnitts hat aufkommen lassen152 – das Herstellen des »Eies der Philosophen«, eines Elixiers, das die Grundlage für jedes lebensverlängernde Medikament bilden sollte.153 Dass die Alchemie für Roger Bacon eine außerordentliche Bedeutung hatte, steht außer Frage: So äußert er sich im Opus tertium über die Alchemie mit der Bemerkung, dass ihr Nutzen größer sei als der aller anderen Wissenschaften und dass er sie im Opus maius nur deshalb nicht erwähnt habe, weil er ihre Geheimnisse nicht öffentlich machen wollte: »Diese Wissenschaft ist größer als alle vorher genannten, weil sie die größten Nützlichkeiten hervorbringt: Denn sie kann dem Gemeinwohl nicht nur Geldmittel und andere nützliche Dinge in unendlicher Zahl zur Verfügung stellen, sondern sie erlaubt es auch, die Dinge zu finden, die das Leben des Menschen weit über die natürliche Lebensspanne hinaus verlängern können. […] Auf diese Weise hat diese Wissenschaft ihren eigenen vielfachen 152 Vgl.

Dorothea W. Singer, Alchemical Writings Attributed to Roger Bacon, in: Speculum 7, 1932, S. 80 – 85. 153 Die seltsame in dem Brief beschriebene Rezeptur beschreibt William R. Newman ausführlich: William R. Newman, The Philosopher’s Egg: Theory and Practice in the Alchemy of Roger Bacon, a. a. O. – Hiermit befinden wir uns jedoch im Bereich der Alchemie und der Magie im Mittelalter. Ich verweise an dieser Stelle auf: William R. Newman, The Alchemy of Roger Bacon and the Tres Epistolae Atrributed to him, in: Comeprendre et maitriser la nature au moyen age, hg. v. Guy Beaujouan, Genf 1994, S. 461 – 479: ders., An Overview of Roger Bacon’s Alchemy, in: Roger Bacon and the Sciences, a. a. O., S. 317 – 336; William R. Newman, The Philosopher’s Egg: Theory and Practice in the Alchemy of Roger Bacon, a. a. O.; Günther Mensching, Roger Bacon, a. a. O., S. 69 ff.



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Nutzen. Darüber hinaus bestätigt sie durch ihre Werke auch die spekulative Alchemie, die Naturphilosophie und die Medizin, wie aus den medizinischen Büchern ersichtlich wird. […] Doch nicht einmal die Menge der Weisen konnte [ m it dieser Wissenschaft ] jemals etwas anfangen, sondern nur die Weisesten und Erfahrensten von allen. Ich wollte die Wurzeln dieser beiden Wissenschaften nicht im Opus maius darstellen, weil ich damals nichts über sie öffentlich machen wollte. Doch danach schien es mir im Opus minus angemessen zu sein, und ich habe daher dort geschrieben, was mir geraten schien.«154

Zu dieser Übersetzung Die vorliegende Arbeit enthält die vollständigen Übersetzungen der Epistola Rogerii Baconi ad Clementem IV., des Opus maius, Pars I: Causae erroris, des Opus maius, Pars II: Philosophiae cum Theologia affinitas, des Opus maius, Pars VI: De scientia experi­ mentali und der Epistula de secretis operibus artis et naturae et de nullitate magiae. Diese Auswahl erfolgte nicht zufällig: Der Brief an Papst Clemens IV. bietet sowohl eine Beschreibung von Roger ­Bacons persönlicher Lebenssituation zur Zeit der Abfassung seines Hauptwerks als auch eine hervorragende Zusammenfassung und Einführung in sein Opus maius. Die Teile I und II des Opus maius stellen mit ihrer Autoritätskritik und dem Postulat einer engen Verwandtschaft zwischen Philosophie und Theologie den Rahmen dar, in dem das Bacon’sche Reformprogramm erst verständich wird. Der Teil VI des Opus maius – Über die Erfah­ rungswissenschaft – ist die Abhandlung, für die Bacon gerade im 19. Jahrhundert berühmt war und für die man ihn auch heute noch kennt. Der Brief über die geheimen Werke der Natur und der Kunst ist einer der rezeptionsgeschichtlich relevantesten Texte 154 Vgl.

Roger Bacon, Opus tertium, a. a. O., S. 40 ff.

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Bacons und bietet mit seinem Schwerpunkt auf der Alchemie einen Einblick in eine weitere Seite seines Denkens. Diese Übersetzungen sind als eine Einführung in das Werk Roger Bacons gedacht, die einen möglichst breiten und zugleich grundlegenden Einblick in das Werk eines der erstaunlichsten Männer des 13. Jahrhunderts ermöglichen sollen. Die Übersetzung des Briefes an Clemens IV. beruht auf der Edition von F. A. Gasquet155 aus dem Jahr 1897. Ich habe mich bewusst dagegen entschieden, die Edition des Briefes von Effrem Bettoni aus dem Jahr 1964 zu verwenden, da ich – entgegen den Worten Francesco Bottins, der diesen Brief neben anderen Werken Bacons 1990 ins Italienische übersetzt und dabei die Edition Bettonis mit den Worten »che ha corretto in molti punti l’edizione di F. Gasquet«156 kommentiert hat – nicht der Ansicht bin, dass die Edition Bottins gegenüber derjenigen Gasquets eine entscheidende Verbesserung darstellt. Zudem ist die Edition von Bettoni nur äußerst schwer zu bekommen, die Edition Gasquets ist jedoch frei im Internet zugänglich. Ich habe für meine Übersetzung jedoch beide Editionen – sowohl die von Gasquet als auch von Bettoni – berücksichtigt, beziehe mich bei den Seitenangaben, die in den Kopfzeilen mitgeführt werden, aber auf die Edition Gasquets. Die Kapitel und Kapitelüberschriften in der Übersetzung habe ich in den Brief eingefügt, um den Text zu strukturieren und die Lektüre zu erleichtern. Den Brief habe ich gemeinsam mit meiner Kollegin Katharina Molnar übersetzt, für deren Hilfe ich an dieser Stelle ausdrücklich danken möchte. Die anderen in dieser Übersetzung enthaltenen Werke Bacons habe ich allein übersetzt, sodass etwaige Fehler in den anderen Texten nur mir anzulasten sind. 155 Vgl.

F. A. Gasquet, An unpublished fragment of a work of Roger Bacon, in: The Historical Review 12, 1897, S. 494 – 517. 156 Francesco Bottin, La scienza sperimentale. Lettera a Clemente IV. I segreti dell’arte e della natura, Mailand 1990, S. 77.



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Die Übersetzung des Opus maius, Teil I: Über die vier Ur­ sachen des Irrtums beruht auf der Edition von John Henry Bridges157 aus dem Jahr 1900, die nach wie vor die einzige Edition des Opus maius darstellt. Ich habe den dritten Band der Edition zugrunde gelegt, der den überarbeiteten Text des Opus maius, Teile I–III enthält. Die Angaben der Seitenübergänge [ | ] im Text sowie die Seitenzahlen, die innen in der Kopfzeile mitgeführt werden, beziehen sich auf diese Edition. Die Übersetzung des Opus maius, Teil II: Über die Verwandt­ schaft zwischen Philosophie und Theologie beruht ebenfalls auf der Edition von J. H. Bridges, Opus maius, Band 3.158 Seitenübergänge und Paginierungsangaben in der Übersetzung beziehen sich auf diese Edition. Auch die Übersetzung von Opus maius, Teil VI: Über die Er­ fahrungswissenschaft beruht auf der Edition von J. H.y Bridges159, auch hier beziehen sich die Angaben der Seitenübergänge und der Paginierung auf diesen Text. Die Übersetzung des Briefes Über die geheimen Werke der Kunst und der Natur beruht auf der Edition John S. Brewers160 aus dem Jahr 1859. Seitenübergänge und Seitenangaben beziehen sich auf diesen Text. Bei den Anmerkungen in der Übersetzung habe ich mich im Wesentlichen auf Nachweise der von Bacon benutzten Quellen beschränkt. Wo es mir möglich war, habe ich bereits vorhandene deutsche Übersetzungen angegeben.

157 Vgl.

Roger Bacon, Opus maius, 3 Bde., hg. v. John H. Bridges, ­Oxford 1897–1900, Bd. 3: Supplementary Volume, S. 1 – 35. 158 Vgl. ebd., S. 36 – 79. 159 Vgl. ebd., Bd. 2, S. 167 – 222. 160 Vgl. Roger Bacon, De secretis operibus artis et naturae et de nullitate magiae, in: Fr. Rogeri Bacon, Opera quaedam hactenus inedita, hg. v. John S. Brewer, London 1859, S. 523–551.

ROGER BACON Brief an Papst Clemens IV. •

Opus maius Teil I Über die vier Ursachen des Irrtums teil II Über die Verwandtschaft zwischen ­ Philosophie und Theologie Teil VI Über die Erfahrungswissenschaft •

Brief über die geheimen Werke der Natur und der Kunst und über die Nichtigkeit der Magie





BRIEF AN PAPST CLEMENS IV. •

[ brief des papstes clemens iv. an roger bacon ]1 An meinen geliebten Sohn, Bruder Roger, genannt Bacon, vom Orden der Minderbrüder. Wir haben deine an uns gerichteten Briefe mit großer Freude erhalten; und wir haben den gewissenhaften und klugen Ausführungen sehr aufmerksam zugehört, die uns unser geliebter Sohn William, genannt Bonecor, zur Erklärung deiner Briefe mündlich gegeben hat.2 Damit uns dein Vorhaben auch wirklich klarer wird, wollen wir und lassen es dich durch Auftrag mit apostolischem Schreiben wissen, dass du es nicht unterlassen mögest, uns jenes Werk, das unserem geliebten Sohn Raimund von Laon mitzuteilen wir dich gebeten haben, als wir noch in einem niederen Amt waren, ungeachtet der gegenteiligen Vorschrift irgendeines Vorgesetzten oder irgendeiner Bestimmung deines Ordens, in schöner Schrift geschrieben, so schnell wie möglich zu übersenden. Und erkläre uns darin auch, was du als Heilmittel gegen die Gefahren vorschlagen würdest, die du kürzlich beschrieben hast: und tue dies unverzüglich und so geheim, wie du nur kannst. Geschrieben in Viterbo, an den 10. Kalenden des Juli [ 22. Juni ] des zweiten Jahres [ meines Pontifikats 1266 ].

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KAPITEL 1 Anrede an Papst Clemens IV. und Freude Roger Bacons über den Auftrag 3

An den Heiligsten Vater und Herren Clemens, Höchster Ponti­fex von Gottes Gnaden, dessen Diener Seiner Heiligkeit seine heiligen Füße küsst. Weil die Ehre einer so großen Ehrerbietung – so voller Weisheit und von solch einem unbeschreiblichen Glanz an Rede­ gewandtheit  – mich Unwürdigen dazu angetrieben hat, Euch meine philosophischen Schriften zu schicken, bitte ich demütig, dass es nicht allein meiner Schwäche, sondern auch Eurer gewaltigen, wunderbaren Geneigtheit zugeschrieben wird, wenn ich es an der womöglich angemessenen Verehrung fehlen lassen sollte, wenn ich eine so große Ehre scheinbar zu wenig begrüßen sollte, wenn ich gar sprachlos werden und meine Schreibfeder zittern sollte. | 4 Denn wer könnte so voller geistreicher Einfälle sein, welche Verstandeskraft könnte so mächtig und welches Erinnerungsvermögen so unermüdlich sein, und wo ließe sich ein so großer Glanz an Redegewandtheit, solch eine noch nie zuvor gehörte Ausdrucksweise und eine so große Sprachgewalt finden, durch die das Entgegenkommen Eurer Erhabenheit angemessen ausgedrückt werden könnte ? Schließlich hat das Oberhaupt der Kirche jemanden aufgesucht, der nicht einmal würdig ist, seine Fußsohle zu sein. Der Stellvertreter des Erlösers, der Herr über den ganzen Erdkreis, hat sich entschlossen, mich zu beauftragen, der ich doch kaum zu den einzelnen Teilen der Welt gezählt werden kann. Die Sonne der Weisheit, die die Welt erleuchtet, das wunderbare Gefäß des großartigen Himmels, erreicht mit den Lichtstrahlen ihres Befehls einen Menschen, der durch die vielfache Dunkelheit der

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Unwissenheit in Finsternis gehüllt ist, und befiehlt mir sogar, ein monumentales Werk zu gestalten. Der Fürst des Wortes, der so reich an den Freuden der Redegewandtheit ist, hat jemandem, der stammelt und der nicht nur den rhetorischen Ausschmückungen des Hochlateins, sondern sogar dessen Anfangsgründen ermangelt, die Anordnung erteilt, etwas zu schreiben und eine schriftliche Abhandlung anzufertigen ! Jedoch, fürwahr: Die Ehre dieses Befehls, die wegen der Erhabenheit seines Auftraggebers geradezu unermesslich und unendlich ist, lässt mich meine Schwäche überwinden, weil ich durch diesen mächtigen Antrieb fühle, dass ich selbst meine eigenen bescheidenen Kräfte weit übersteigen kann. Ich spüre eine glühende Begeisterung, erhebe mich mit neuer Lebenskraft, freue mich mit äußerster Leidenschaft und juble mit größter Auf­regung über die freundliche Herabneigung dessen, der mir diesen Auftrag erteilt hat. Ich bin nicht nur dankbar, sondern muss sogar äußerst dankbar sein, weil Eure Seligkeit mich dazu antreibt, das, was ich mit glühendem Verlangen begehrt habe, was ich mit großer Mühe und vielen Kosten betrieben habe, nun tatsächlich umsetzen zu können ! Denn auch, wenn bisher die Grundsteine noch nicht gelegt sind, so sind doch das Holz und die Steine bereits vorhanden, nämlich die Kraft der Wissenschaften und der Sprachen; und ich werde sorgfältig erforschen, wie die übrigen Gebäude errichtet werden müssen, die für die Weisheit notwendig sind. Denn die Wunderwerke der Künste und Wissenschaften sind derzeit äußerst großen Schwierigkeiten unterworfen, besonders [ nun ] in den Zeiten, die den Tagen des Antichrist und seiner Anhänger entgegeneilen und denen gegenüber er voll rasendem Zorn sein wird, sodass er das Studium der Weisheit vielfach verwirrt, wie sich im Folgenden klar zeigen wird. Deshalb wird ohne die besondere apostolische Voraussicht niemals ein Heilmittel dagegen bereitgestellt werden können. Doch wenn Eure Autorität herrscht, kann es kein Hindernis geben, da deren Macht die Himmel durchwaltet, das Fegefeuer

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auflöst, die Hölle niedertritt und die ganze Welt umfängt. Weil Eure Herrschaft mir aufgetragen hat, Euch meine philosophischen Schriften zu senden, werde ich daher in diesem vorangehenden Brief die Ansichten der Philosophen auf die sicherste Weise anführen, wie es für jedes Werk und jede Untersuchung angemessen sein muss. Ich werde dabei auch von der Autorität des Augustinus geleitet, der im zweiten Buch von Über die christliche Bildung5 die Ansicht äußert, dass das Gold der Weisheit und das Silber der Beredsamkeit der Philosophen durch die Christen gleichsam wie von unrechten Besitzern wieder zurückgeholt werden muss. Darin stimmen auch alle heiligen Kirchenväter überein, wie an geeigneter Stelle ausführlicher erörtert werden wird. Aber die Vielfalt selbst hilft den Lesenden beim Lernen6, wie Plinius im 14. Buch der Naturgeschichte 7 sagt, und aus dem immer wieder Selben, der Mutter des Überdrusses, entsteht der Widerwille und die Empörung des Geistes, wie im Buch Über die Klage der ­Natur 8 gelehrt wird. In diesem Sinne schreibt auch Seneca im Buch Über die Menge der Worte, »dass es nichts Erfreuliches gibt außer dem, was durch die Vielfalt erfrischt wird«9. Deshalb werde ich manchmal mehrere Autoritäten zu derselben Thematik anführen. Gepriesen sei daher Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der einen weisen Herrscher auf den Thron seines Königreichs gesetzt hat, der sich sorgfältig dem Studium der Weisheit widmet. Die Vorgänger Eurer Seligkeit wurden freilich von anderen kirchlichen Angelegenheiten in Anspruch genommen und zudem vielfach von eigensinnigen Fürsten bedrängt, weshalb sie ihren Geist nicht von einem solchen Studium leiten und beruhigen lassen konnten. Durch die Autorität Eurer Tugend, als die rechte Hand Gottes, hat sich die Fahne des Triumphs jedoch über dem Himmel geöffnet, das Schwert hervorgeholt, beide verfeindeten Parteien in die Hölle geworfen, den Frieden der Kirche wiederhergestellt und allen Gläubigen die Herrschaft der Freude

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zuteil werden lassen – und dies alles deswegen, weil | die unerschöpfliche Tiefe Eures Verstandes auf wundervolle Weise eine für die Weisen günstige Zeit zum Nachdenken geschaffen hat. Denn nachdem die Verwirrungen [ des Geistes ] sich gelegt haben, wird die Seele weise und klug, wie Aristoteles im siebten Buch der Physik10 schreibt; und im zweiten Buch Vom Schlafen und Wachen11 bekräftigt er, dass der Geist in hohem Maße zum Verständnis bedeutender und geheimer Wahrheiten fähig ist, sobald er von den Sorgen und Unruhen dieser Welt befreit wurde. Ein jeder aber ist gemäß seinem Vermögen zu allen kirchlichen Beschäftigungen verpflichtet; und vor allem müssen sich die­jeni­ gen, die an der Spitze stehen, um die heilbringende Förderung der wissenschaftlichen Tätigkeit kümmern. Um mich in dieser Sache der Ausdrucksweise des Aristoteles im dritten Buch seines Werkes Über die Seele12 zu bedienen: Der spekulative Intellekt, der die Wahrheit betrachtet, wird durch die Ausdehnung auf die Liebe zum Guten zu einem praktischen [ Intellekt ], weil die Vernunft dem richtigen Willen vorausgeht und ihn zum Heil führt. Wir können nämlich das Gute nicht tun, wenn es uns nicht bekannt ist, und wir können das Schlechte nicht vermeiden, das wir nicht kennen. Während Unwissenheit herrscht, findet sich daher kein Heilmittel gegen das Schlechte, weil der in Finsternis gehüllte Mensch in die Sünde hinabgestürzt ist wie ein Blinder in eine Grube – weswegen keine Gefahr mit der Unwissenheit vergleichbar ist. Wer aber die Wahrheit kennt, besitzt sie, auch wenn er manchmal das vernachlässigt, was eigentlich getan werden sollte: trotzdem kann er zu seiner Überzeugung zurückkehren, seine Vergehen bedauern und sich vor zukünftigen Übeln in Acht nehmen. Daher gibt es nichts Würdigeres als das Studium der Weisheit, durch das man dem Nebel der Unwissenheit entflieht und durch das der mensch­liche Geist erleuchtet wird, sodass er das Gute wählt und das Übel vermeidet. Außerdem dienen die Wissbegierigen nicht nur sich selbst, sondern werden auch für jede Führungsposition innerhalb der

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Kirche vorgezogen. Sie werden zu den leitenden Personen, sie lenken die gesamte Menge der Laien, sie bekehren die Häretiker und die übrigen Ungläubigen und geben Ratschläge, wie man die Widerspenstigen und zum ewigen Tode Bestimmten zurückdrängen muss. Folglich hängt das Glück der ganzen Welt vom Studium der Weisheit ab; aus einer entgegengesetzten Gesinnung folgt hingegen ihr Verlust, wodurch die ganze Welt in Unordnung gestürzt wird.

KAPITEL 2 Anlass des Schreibens und Hindernisse, die dem Werk g­ egenüberstanden

Weil Eure Erhabenheit mir befohlen hat, so schnell wie möglich zurückzuschreiben, war ich hierbei unruhig und voller Eile. Denn wenn bereits eine Bitte von Freunden schnell und voller Hingabe erfüllt werden muss, damit es nicht scheint, als würde die der wissenschaftlichen Tätigkeit gewidmete Liebe erkalten (wie schon Platearius13 schrieb, ein Fachmann auf medizinischem Gebiet), muss umso mehr noch der Wille der Machthaber und am meisten der Wille des Herrschers über die Welt so schnell wie möglich erfüllt werden. Denn wie sagt Sallust in seinem Buch Über den Krieg gegen Jughurta: »Für ein begieriges Herz geht nichts schnell genug.«14 Und Seneca meint in seinem berühmten Buch: »Selbst die Schnelligkeit bedeutet für die Begierde eine Verzögerung.«15 Derselbe schreibt im siebten Buch Über die Wohltaten zudem: »Um einiges willkommener nämlich ist das, was mit einer leichten als mit einer vollen Hand gegeben wird.«16 So erweitert auch Ovid die Worte Salomons in seinen Briefen aus der Verbannung17: »Quälende Hoffnung zerreißt die Seele und verzehrt die Lebensfreude durch lange währendes Verlangen.«18 Ich bin allerdings nicht nur der Ansicht, dass kein Aufschub geduldet werden darf, sondern ich habe zudem beschlossen, dass das in Auftrag gegebene Werk mit aller Kraft weitergeführt wer-

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den muss. Denn weil mich die Stärke Eurer Macht gebunden hat, kann ich es nicht verheimlichen: Wenn Euer Auftrag nicht gewesen wäre, würde ich mich immer noch dafür schämen, Eure Apostolische Erhabenheit vernachlässigt zu haben. Darüber hinaus fordert die hier behandelte Sache selbst (weil es schließlich um das Gut der Weisheit geht) ihrer eigenen Natur nach einen jeden zur freien Mitteilung derselben auf. Schon Boethius sagt im Prolog seines Werkes De hypotheticis syllogismis: »Auch wenn die Betrachtung der Wahrheit auf die ihr gemäße Art erfolgen muss, geschieht sie dennoch umso liebenswürdiger, wenn sie der Allgemeinheit zugänglich gemacht wird. Es gibt nämlich kein Gut, das nicht noch heller erstrahlen würde, wenn es von den meisten Leuten gekannt und anerkannt wird.«19 Und Seneca meint in einem der ersten Briefe an Lucilius gegen Ende Folgendes: »Ich bin froh, etwas zu lernen, um belehren zu können. Nichts erfreut mich nämlich, mag es auch noch so vortrefflich und heilsam sein, wenn ich nur für mich allein darum wissen darf. Sollte Weisheit unter der Bedingung verliehen werden, dass ich sie unter Verschluss halte und nicht ausplaudere, würde ich sie wohl verschmähen. | Am Besitz eines Gutes kann man sich nur mit einem Partner freuen.«20 Ebenso sagte der großartige König Alexander von Makedonien, Schüler des großen Aristoteles, als er Dindimus, den König der Brahmanen, in einem philosophischen Gespräch, das zwischen ihnen entstanden war, zur Mitteilung der Weisheit aufforderte: »Eine frei zugängliche Sache nämlich ist die Gemeinsamkeit, die nicht Gefahr läuft, einen Schaden zu erleiden, wenn sie teilweise auf einen anderen erweitert wird, ebenso wie man der ursprünglichen Materie keinen Schaden zufügt, wenn man an einer Fackel weitere Lichter entzündet. Sie ergreift vielmehr die Möglichkeit, mehr zu leuchten, sooft sie Anlässe findet, mehr zu leisten.«21 Doch es ist mir nun möglich, begierig zu erfüllen, was mir befohlen wurde. Nach meinem besten Vermögen bin ich vor dem Angesicht Gottes in hohem Maße dazu bereit; doch was Ihr, als

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Ihr noch in einem niederen Amt22 wart, verlangt habt, ist nicht vollendet gewesen, obwohl Ihr es freilich befohlen hattet. Es ist nämlich wahr, dass ich vor vielen Jahren beschlossen hatte, mein Wissen schriftlich aufzuzeichnen, und dies ist den meisten Leuten bekannt geworden. Auch hatte ich in meinem anderen Stand vor allem viele Dinge geschrieben, um die jungen Leute zu unterweisen, Werke also, von denen viele meinen, dass ich sie neu schreiben sollte. Weil ich zudem bereits seit zehn Jahren aufgrund zahlreicher Entkräftungen und Krankheiten äußerlich in Anspruch genommen war und daher keine Muße für die wissenschaftliche Beschäftigung hatte, ist es überdies bei einigen allgemein bekannt, dass ich mich nun ganz und gar der Abfassung meiner Schriften widmen wollte. Aber zweifellos habe ich nichts verfasst, außer dem, was ich auf Bitten von Freunden hin in einigen Kapiteln zusammengetragen habe, mal über die eine Wissenschaft, mal über die andere – und bisweilen nur auf eine sehr vorläufige Weise. Daher habe ich weder in meinem ersten noch in meinem jetzigen Stand eine vollständige Schrift zu irgendeinem Bereich der Philosophie geschrieben. Und weder habe ich irgendetwas zustande gebracht, wofür man mir danken müsste, noch wäre es würdig genug, es Eurer Weisheit darzubieten. Zudem besitze ich das von mir Verfasste nicht mehr, denn ich habe diese Schriften wegen ihrer Unvollkommenheit nicht aufbewahrt. Ich habe aber dennoch, soweit ich konnte, viele notwendige Überlegungen getroffen, um diese Schriften anzufertigen, und alles bereits geordnet, um ein Lehrgebäude der Weisheit errichten zu können – auch wenn es noch nicht geschaffen worden ist. Weshalb auch Raimond von Laon, der mit Eurer Gnade über meine Schriften gesprochen hat, mein Vorhaben keineswegs verstanden hatte. Es ist Eurer Herrlichkeit gewiss bekannt geworden – wie Eure zwei Aufträge ja auch zeigen –, dass ich durch eine äußerst strenge Anordnung 23 verpflichtet gewesen bin (die für den gesamten Orden gilt), das Geschriebene nicht in dem von mir eigent­lich

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g­ eschaffenen Zustand mitzuteilen, weshalb ich vor einer vollständigen Abfassung zurückschreckte. Denn ob ich es nun will oder nicht: Sie könnte nur abgefasst werden, wenn sie von Schreibern übertragen werden würde, die für sich selbst oder für Freunde abschreiben, und diese würden es demnach allen Leuten mitteilen. Ich habe nämlich mehrfach gesehen, dass äußerst geheime Schriften durch die Hinterlist der Schreiber weiterverbreitet worden sind, und folglich würde mich ein schlechtes Gewissen befallen, weil ich die Vorschriften verletzt habe. Außerdem habe ich die Abfassung der Schriften vernachlässigt, weil ich meine sehr teuren Freunde und die nötigen Helfer – ohne die ich nichts vermag – nicht daran teilhaben lassen konnte. Ich habe nämlich einen gelehrten Mitbruder und auch andere sehr geschätzte Brüder, mit deren Beistand ich jedoch leider nicht rechnen konnte. Deshalb habe ich beschlossen, gänzlich vom Verfassen der Schriften abzulassen, besonders weil mich keiner meiner Vorgesetzten zum Schreiben ermuntert hat. Es gab jedoch noch Weiteres, was mich am Schreiben gehin­ dert hat: eine lang andauernde Phase der Erschöpfung, das Fehlen finanzieller Mittel und ein Mangel an Förderern. Keiner näm­lich ist ohne die Hilfe anderer im Stande, außergewöhn­liche Dinge zu vollbringen. Jedenfalls hat das tägliche Drängen meiner geist­ lichen Vorgesetzten bewirkt, dass ich folgsam anderen Beschäftigungen nachgegangen bin, und daher konnte ich nicht in Angriff nehmen, was ich wollte: Vielmehr begann ich, an Hindernissen zu verzweifeln, die sich angehäuft hatten, und ich stand vielen nützlichen und großartigen Einsichten gleichgültig gegenüber, die ich anhand verschiedener [ Handschriften-]Exemplare, Abschriften und großer Mühe über eine lange Zeit hinweg gesammelt hatte, bevor ich zum ersten Mal den Auftrag Eurer Erhabenheit erhalten habe. Weil nun also Eure Apostolische Erhabenheit davon ausgegangen ist, dass ich die Schriften vollendet habe, die sie verlangt hat, und dass ich bereits Aufzeichnungen angefertigt habe, die sich dazu eignen, schriftlich übertragen zu

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werden, beuge ich demütig meine Knie: Oh möge mein Herr doch die Rechtfertigung annehmen, | die Sein unwürdiger Diener in diesen Belangen vorbringt ! Denn weil ich mich Euer Erhabenheit vor dem Angesicht Gottes als jemand erwiesen habe, der für eine solche Aufgabe bereit ist, habe ich eingesehen, dass die Schriften, die damals nicht verfasst wurden, nun verfasst werden müssen. Nachdem ich aber Euer päpstliches Schreiben empfangen hatte, habe ich mir im Geheimen überlegt, was ich dem Stellvertreter Jesu Christi zum Dank geben könnte. Mit aller Kraft habe ich mich darum bemüht, da ich mir doch als Ziel gesetzt habe, das erwünschte Werk bis nach dem Epiphaniasfest des Herrn zu vollenden. Und ich habe viel Derartiges zusammengestellt, noch mehr niedergeschrieben und zahlreiche Abschriften angefertigt, um nach einer endgültigen Prüfung ein einziges, in einem Schwung geschriebenes Werk zu erhalten. Aber wegen der bedenkenswerten Ehrwürdigkeit des Aufgetragenen und der wohl bekannten Eigentümlichkeit der Weisheit selbst konnte ich das so sehnlichst Gewünschte aufgrund der aufgetretenen Hindernisse nicht rechtzeitig ausführen. Denn mag es auch für jemanden, der wissenschaftlich gut gebildet ist, sehr leicht sein, zerbrechliche Wahrheiten bis ins Unendliche zu verstärken und die unbedeutenden Dinge auszudehnen und zu rühmen, so ist dies doch eines Weisen nicht würdig, weil dadurch alles zum Stillstand gebracht und den weisen Überlegungen ein Ende gesetzt wird: Es ist nämlich nicht bedeutsam, sich in wenigen Dingen zu verlieren, sondern mehrere Dinge einführend zu behandeln. Daher ist es dumm, seine Kräfte gewaltsam auf nichtige Dinge zu verwenden und die Wunderwerke der Weisheit zu vernachlässigen, von denen ein einziges die vielen tausend übertrifft, die überall verbreitet werden. Auch ist die Welt bereits voll von Schriften, durch die bedeutungslose und kindische Lehren verbreitet werden, weshalb ich nicht vorhabe, etwas Derartiges zusammenzustellen, außer wenn die geheimen

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Gedanken des Verstandes es erfordern, insofern sie nichts Größeres ohne die kleinen Dinge erfassen können. Ich möchte aber zu den Geheimnissen der Wissenschaften übergehen, nicht nur unter einem philosophischen Gesichtspunkt, sondern auch, soweit sie zum Erlangen der göttlichen Weisheit notwendig sind, weil eine andere [ Weisheit ], wie zuvor gezeigt wurde, nichts vermag. Dieses nicht nur, um sie sich vollständig in schulgemäßer Tradition anzueignen, sondern aus weiteren [ u nd bedeutenderen ] Gründen: Nämlich um stark genug zu sein, die Kirche und die Gemeinschaft der Christen zu lenken, um die Ungläubigen zu bekehren, und um diejenigen zurückzuschlagen, die nicht bekehrt werden können, damit sie nicht weniger durch die Wirkungen der Weisheit und den Einfluss der Kirche zurückgedrängt werden als durch kriegerische Unternehmungen – Dinge, die alle hinreichend möglich und Eurer Erhabenheit würdig sind. Deshalb konnte ich die Schrift nicht in solch kurzer Zeit abfassen, um all dies zustande zu bringen, und sicherlich liegt es nicht in meiner oder in irgendjemandes Macht auf dieser Welt, das alles ganz allein zu erreichen, weil hierfür die Zusammenarbeit mehrerer Weiser erforderlich ist. Denn ein jeder kann sich leicht für einen Fachmann halten, sofern er nur in kleinen Dingen ein Urteil abgeben zu können meint, und dennoch stößt man bei ihm auf einen vielfachen Mangel, wenn er erst zu einem anderen Bereich hingeführt worden ist. Daher ist es bei großen Dingen notwendig, dass auch der Ratschlag anderer gehört wird. So kann ja auch der Erbauer eines großen Gebäudes nicht alles Holz spalten und nicht alle Steine meißeln, und auch nicht alle Teile des Bauwerkes mit seinen eigenen Händen errichten. Mag er auch wissen, wie dies alles auszuführen ist: Es braucht trotzdem verschiedene Zimmermänner, Bildhauer und Arbeiter, die das errichten, was weniger anspruchsvoll ist. So verhält es sich hier wie anderswo, denn andernfalls könnte der weise Urheber einer solch wertvollen Schrift unmöglich das von ihm Beabsichtigte erfüllen.

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Weiterhin ist eine große Menge an Pergament und Schreibern erforderlich, damit verschiedene Abschriften von derselben Schrift angefertigt werden, bevor eine einzige ohne Fehler fertiggestellt werden kann. Wir sehen doch in den Versammlungsstätten der geistlichen Würdenträger und der Fürsten, dass eine einzige Schrift durch viele Hände geht, bevor das geprüfte Schreiben eine Bulle oder ein Siegel erhält. Deshalb ist es aufgrund der Schwierigkeit und Bedeutsamkeit dieser Dinge notwendig, zahlreiche Schriften anzufertigen, bevor wir eine klare Ansicht erhalten können. Denn es sind sechs Bedingungen [ hierfür ] erforderlich: dass die Ausdrucksweise angemessen ist, dass dasjenige, was angeführt wird, wahr ist, dass es auserlesen und für den behandelten Stoff wesentlich ist und dass es ferner kurz, deutlich und vollkommen ist. Da ich meine eigene Schwäche spüre, schreibe ich auch nichts Schwieriges, damit es nicht mehr als vier oder fünf Abschriften braucht, bevor ich das vor mir zu liegen habe, was ich beabsichtigte. Neben den Schreibern sind aber noch andere Personen erforderlich, die deren Irrtümer und Nachlässigkeiten | beaufsichtigen und die nicht nur das Geschriebene korrigieren, sondern die sich auch mit figürlichen Darstellungen, mit Zahlen und mit den Sprachen auskennen, weil ohne diese nichts auf glänzende und deutliche Weise dargelegt werden kann, um das festzuhalten, was ich Euer Ehren überbringen möchte. Deshalb steckt mehr Arbeit in den Werken der Weisheit als irgendein Unkundiger zu wissen vermag. Außerdem kann ohne die Instrumente der Astronomie, Geometrie, Optik und vieler anderer Wissenschaften nichts vollbracht werden, denn durch diese erlangen wir Wissen über die Himmelskörper, die die Ursachen für die darunter liegenden Erdteile sind: Wirkungen jedoch erkennen wir nicht ohne deren Ursachen. Da ohne derartige Instrumente die Erkenntnis großartiger Dinge unmöglich ist, ist deren Besitz äußerst nötig, wenn auch nur wenige [ solcher Instrumente ] von den Lateinern erfunden

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worden sind. Darüber hinaus sind Abschriften aller wissenschaftlichen Bücher erforderlich, ebenso sehr wie die der antiken Redner und Gelehrten, die sich jedoch weder bei mir noch bei jemand anderem finden lassen. Sie sollten jedoch von den Bibliothekaren der Weisen über verschiedene Gebiete hinweg gesammelt werden. Und schließlich ist es notwendig – da die Autoren sich in vielem widersprechen und vieles aus einem Gerücht heraus aufgeschrieben haben –, sich des Wahrheitsgehaltes der Beweise zu versichern, wie ich in der Abhandlung über die Erfahrungswissenschaft belege. Deshalb habe ich häufig Boten bis über das Meer geschickt – sowohl zu verschiedenen anderen Gebieten als auch zu großen Handelsmärkten –, um die Naturdinge selbst mit eigenen Augen sehen zu können und um die Wahrheit der Schöpfung durch das Sehvermögen, den Tastsinn, den Geruchssinn, bisweilen das Gehör und durch die Gewissheit der Erfahrung zu prüfen, da ich allein durch die Bücher deren Wahrheitsgehalt nicht betrachten konnte – ebenso wie Aristoteles24 mehrere tausend Menschen zu verschiedenen Gebieten geschickt hat, um die Wahrheit über die Dinge in Erfahrung zu bringen. Aus alldem folgt, dass viele und große Ausgaben [ f ür solch ein Werk ] erforderlich sind, zu denen ich keinen Zugang haben konnte, besonders weil meine Verwandten und Freunde – auf der Seite des Herrn Königs von England stehend – ebenso sehr zugrunde gerichtet worden sind wie er selbst. Denn wegen des Auftrags Eurer Erhabenheit habe ich eine Botschaft mit der Bitte um Geld nach England geschickt, aber da [ meine Verwandten ] mein Heimatland verlassen haben, und da die Feinde des Königs das Gebiet besetzt halten, habe ich bis zum heutigen Tage keine Antwort erhalten. Darüber hinaus stand mir noch ein besonderes Hindernis durch meine Vorgesetzten im Wege, die stets anderes von mir verlangten. Ich konnte mich aber nicht ausreichend entschuldigen, weil Eure Herrschaft schließlich befohlen hatte, dass ich dieses Unternehmen im Geheimen ausführen sollte, und weil Eure

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Erhabenheit ihnen gegenüber nichts zu meiner Entschuldigung vorgebracht hatte. Weil dies meine Situation ist, bin ich gezwungen gewesen, auf denjenigen zurückzukommen, der eigentlich doch alle Hilfsmittel heranziehen könnte, wenn er nur aufzeigen würde, welche Bedeutung einer so großen Aufgabe zukommt, was für deren Vollbringung gefordert werden müsste, was ihrer Durchführung im Wege steht und auf welche Weise ein jedes Hindernis beseitigt wird, damit der Wille des Herrn in allem geschehe  – und ich würde [ m it Eurer Hilfe ] tausendfach vorteilhafter und ruhmreicher als ohne Euer Mitwissen und ohne Euren Beistand zur Vollendung voranschreiten. Alles das liegt nämlich nicht in der Macht von jedermann; und es kann nur unter der Aufsicht desjenigen, der eine Fülle an Macht innehat, ins Werk umgesetzt werden. Kein Wunder also, wenn nichts Prachtvolles und nichts herausragend Erhabenes innerhalb der Kirche geschehen kann, wenn es doch von demjenigen vernachlässigt wird, dessen schöpferische Kraft durch den gesamten Körper der Kirche strömt. Da die Vorgänger Eurer Heiligkeit bereits seit einiger Zeit ihre Hände nicht mehr nach dem Steuerruder der Wissenschaft ausgestreckt haben, bleiben die Geheimnisse der Wissenschaften und Künste – die für die Kirche Gottes, für die Gemeinschaft der Gläubigen, für die Bekehrung der Ungläubigen, und überdies für die Zurückschlagung derer, die nicht bekehrt werden können, äußerst nützlich sind – notwendig vernachlässigt und den geist­lichen Würdenträgern und christlichen Fürsten unbekannt. Ebenso verhält es sich auch bei der Mehrzahl der Studierenden und deren Lehrern, obwohl Gott doch stets die Weisen errettet hat, die alles für die Weisheit Notwendige wissen. Doch nicht deshalb, weil ein einziger jedes einzelne Detail oder den Großteil weiß, sondern weil einer eines, ein anderer aber anderes weiß, sodass sich alle Weisen dieser Art zusammenschließen könnten. Durch Eure Autorität nämlich kann die Weisheit vollständig erfüllt werden, sowohl für sich genommen als auch im Bezug auf

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die vier zuvor genannten Bereiche25. Und man vermag dadurch nicht nur die Fülle der Weisheit zu erfassen, sondern auch | alle Unwahrheit wirksam auszuschließen  – wie zum Beispiel die Zauberkünste und die ketzerischen Verkehrtheiten, die sich bei den Ungläubigen eingenistet haben und die für den Antichrist und seine Gefolgsleute von Nutzen sind –, damit der Kirche zahlreiche Heilmittel der Weisheit gegen diese zur Verfügung stehen.

KAPITEL 3 Anliegen des vorläufigen Werkes

Doch wenn ich auch das Hauptwerk nicht überbringe, freue ich mich trotzdem, Eurer Erhabenheit meinem Vermögen entsprechend die kräftigen und tiefer liegenden Wurzeln der Weisheit darzubieten, ebenso wie die sich in der Höhe erstreckenden Zweige mit dem lieblichen Duft der Blüten und dem süßen Geschmack der Früchte, sowie eine ausreichende Menge an Geschriebenem, bis es Eurer Heiligkeit gefallen möge, Größeres zu verlangen. Aus diesen Gründen soll in diesem Brief die Absicht des ganzen Werkes gezeigt werden. Doch zuvor ist es notwendig, einige Dinge auszuschließen, die man dagegen einwenden könnte. Wenn Eure Erhabenheit mehrmals Worte des ausdrücklichen Lobes oder Tadels [ in meiner Schrift ] finden wird, so sollt Ihr wissen, dass die Sache selbst, auf die sich mein Vorhaben bezieht, dies erfordert, wie durch die Reihenfolge der Abhandlung deutlich werden wird. Die richtige Ausdrucksweise muss nämlich gemäß des entsprechenden Stoffes gesucht werden, wie schon Ari­stoteles26 sagt. Denn wenn der Stil dem Stoff nicht entspricht, ist er misstönend und hässlich und vermag die Wahrheit nicht ans Licht zu bringen. Wenn ich daher bisweilen feierliche Worte einfüge, darf man sich nicht wundern, weil die Bedeutsamkeit der behandelten Dinge solches dringend erfordert. Deshalb ist

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meine Schreibweise weder dem Genuss noch der Übertreibung geschuldet, sondern vielmehr dem Bewusstsein, nahe an der Wahrheit zu sein. Damit ich also nicht wie jemand erscheine, der in übertriebener Weise außerordentliche Dinge erhofft, spreche ich nur deshalb, weil ich Gott und seinem Stellvertreter gefallen möchte, worauf ich aus einem unbezweifelbaren Gefühl ­heraus und wissentlich bedacht bin. Und weil mich der Auftrag ­Eurer Hochwürden bindet, eine weise Schrift zu schicken, wollte ich die Wahrheit nicht geheim halten, weil ich die Güte Eurer Gnade andernfalls hintergangen hätte. Deshalb sollte alles auf eine Weise dargestellt werden, die [ der Sache ] angemessen ist. Überdies würde ich ansonsten die Achtung vor der Weisheit aufgeben und müsste – wie ich kurz ausführen werde – von jedem Weisen als einfältig erachtet werden. Weil Eure Erhabenheit nämlich befohlen hat, eine philosophische Schrift zu schicken, muss ich darauf vertrauen, dass ich dies so nutzbringend durchführen kann, wie es in meiner Macht steht. Daher zeige ich den Nutzen der Philosophie in ihrer vollständigen Natur mit der Hilfe von sieben Wissenschaften, ohne die man nichts von der Philosophie wissen kann, durch deren Hilfe es jedoch leicht ist, die übrigen Wissenschaften zu finden. Da ich zeige, dass die Philosophie vergänglich und unbrauchbar ist, ja sogar schädlich und verachtenswert, sofern sie nicht der Weisheit Gottes gewidmet wird, und dass sie zudem für ihre Herrin [ die Theologie ] über alle Maßen unentbehrlich ist, kann der von Eurer Heiligkeit erstrebte Nutzen der Philosophie für Euch nur mit Bezug auf die göttliche Weisheit anschaulich dargestellt werden. Deswegen verbinde ich die sieben Wissenschaften, über die ich spreche, effektiv mit der heiligen Wissenschaft Gottes; und ich zeige, dass man nicht zu grundlegendem Wissen gelangen kann, solange diese sieben Wissenschaften unbekannt sind. Der erste Nutzen der Philosophie also ist bedeutend, solange er aufgrund eines höheren Zieles erstrebt wird, der zweite [ Nutzen ] jedoch ist weitaus größer, und der dritte ist gewiss der

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größte und unermesslich: Er besteht nämlich darin, dass die Philosophie gänzlich der Weisheit dient, insofern sie auf die Kirche Gottes und die anderen drei Bereiche bezogen ist. Weil die Philosophie auf solch wunderbare Weisen nützlich ist, hätte ich mit dem Blick auf diese Dinge über den Nutzen der Philosophie vieles vorenthalten, wenn ich dies nicht anschaulich zur Sprache gebracht hätte. Daher betrachte ich diese sieben [ Wissenschaften ] gemeinsam mit der Weisheit Gottes, die sich auf die christliche Kirche bezieht. Wenn auch über die übrigen gesprochen wurde, und wenn sich in diesen [ Wissenschaften ] der Nutzen der Philosophie erfüllt, gibt es nichts weiter, was erforderlich ist. Denn wer das verstehen und ausführen könnte, was ich schreibe, würde an Weisheit vollkommen sein; das würde für den Menschen in diesem Leben genügen, sowohl für sich selbst als auch für die gesamte Welt. Folglich verwende ich wegen des Auftrags Eurer Erhabenheit all diese prachtvollen Worte, und wenn Ihr mich auch nicht durch einen Befehl persönlich herbeiruft, freue ich mich dennoch, dass ich meine Überzeugung frei zugänglich gemacht habe, da ich nun dem Stellvertreter Gottes und der gesamten Menschheit das Nützliche gezeigt habe. Wenn sie [ meine Schrift ] nämlich | stärker zur Durchführung der nützlichen Dienste antreibt, die ich beschreibe, so ist dies sicherlich gut; wenn nicht, erwäge ich, wenigstens bei Gott um Verzeihung zu bitten. Ähnlich könnte man auch an der Möglichkeit und Gewissheit der Dinge zweifeln, die ich anführe. Aber mag auch Plinius im Prolog seiner Naturgeschichte 27 Folgendes sagen: »Es ist freilich ein schwieriges Unterfangen, dem Veralteten Aktualität, dem Neuartigen Bedeutung, dem Alltäglichen Glanz, dem Ungewissen Aufklärung, dem Eklen Gefallen, dem Unsicheren Glaubwürdigkeit [ zu geben ]«, ist es dennoch so, dass es durch die Autorität und Einstimmigkeit der Weisen von Beginn der Welt an und durch Vernunftgründe leicht ist, alles von mir Dargestellte zu beweisen, auch wenn die Erfahrung es nicht offenkundig zei-

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gen mag. Trotzdem ist es möglich, dass alles von mir Angeführte durch die Macht der Philosophie geschieht, und hierfür genügen die Kunst und die Natur. Und daher wird [ mein Unterfangen ] weder auf Seiten der entstehenden Dinge, noch auf Seiten der Philosophie und sicherlich nicht auf Seiten des Menschen eine Unmöglichkeit darstellen, wenn die päpstliche Autorität hinzutritt, da sie schließlich unermesslich ist. Denn wenn die Römische Kirche infolge der Durchführung all dessen, was ich beschreibe, erglänzt, kann kein Zweifel daran bestehen, dass alles zu seiner Zeit erfüllt werden kann, weil die Bücher der vollendeten Weisheit gefunden und die Weisen zum Verständnis und zur Ausführung all dessen gefunden werden können, falls sie erforderlich sind. Sie müssten nur durch die entsprechenden Ämter geehrt und alle nötigen Dinge bereit gestellt werden, was in Hinblick auf die apostolische Macht doch ein Nichts ist. Solche weisen Menschen würde ich Eurer Aufmerksamkeit vorschlagen, über die ich verfügen könnte wie ein Schleifstein, der deren Kenntnis anfacht. Aber ich verpflichte mich nicht zur Prüfung aller einzelnen Dinge und genüge dafür allein auch nicht, obwohl alles durch die entsprechenden Werke bestätigt werden kann. Wenn es die apostolische Größe erfordert, wäre ich dumm, ja sogar äußerst dumm, wenn ich Euer Ehren irgendetwas darreichen würde, was eine Unwahrheit enthält. Ich schreibe daher im Angesicht Gottes und aus einem reinen Gewissen heraus, weil ich glaube, dass man durch das Einzelne die Wahrheit erfasst. Und Eure Weisheit sollte sich nicht daran stören, dass vieles, was ich schreibe, dem entgegensteht, was von der Menge aus Gewohnheit und aufgrund zahlreicher Autoritäten geglaubt wird. Denn dies wird alles durch die Abhandlung, die ich schicke, beseitigt. Ich zeige nämlich, dass von Beginn der Welt an die Ursachen allen Übels in jeder Hinsicht die schlechte Gewohnheit, die Ansichten der Menge und die zweifelhafte und unwürdige Autorität gewesen sind, die von vielen angenommen wurden, die das gelobt

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haben, was sie wussten, und das getadelt und vernachlässigt haben, was sie nicht verstehen konnten. Diese Ursachen herrschen bis heute und werden bis zum Ende der Welt herrschen. Trotz dieser [ Ursachen ] konnten die Heiligen, Philosophen und alle Weisen dennoch stets – so gut es eben ging – die Wahrheit erfassen und diesen [ Ursachen für den Irrtum ] durch ihre Anstrengungen widerstehen, wie ich durch vielfache Autoritäten und die Erfahrung zeige. Denn [ trotz dieser Ursachen für den Irrtum ] hat Gott von Anfang an durch verschiedene Zeiten hindurch Menschen geschaffen, die die Wahrheit nicht aufgeben konnten, egal welche Gefahr ihnen drohte, obwohl es nicht immer in ihrer Macht lag, die Wege der Weisheit aufzuzeigen, weil sie den Willen Gottes erwarten mussten. So nämlich sind Noah, Abraham, Moses, Christus, die Apostel und die Heiligen erschienen, wie ich im ersten Teil [ meines Opus maius ] ausführlich zeigen werde. Und daher bin ich nicht verwirrt, wenn ich über die mir bekannte Wahrheit spreche, wenn sich auch weniger als eigentlich nötig unter der Menge der Lateiner finden, die dies durch ihre eigene Verstandeskraft nachvollziehen können. Wenn sie jedoch unterwiesen wären, gäbe es durch die Gnade Gottes viele, die voller Inbrunst die Wahrheit aufnehmen und alle abweichenden Wege ablehnen würden. Es sind nämlich die meisten zur Wahrheit geboren, aber sie finden niemanden, der die Wahrheit ihren Ohren einprägt und sie ihnen vor Augen führt. Auch wenn ich diese allgemeinen Gründe für alle unsere Übel mit aller Kritik verfolgt habe, weil ich alles auf sichere Autoritäten und die Gesinnung der Weisen und Erfahrenen gründen will (von denen es nur sehr wenige gibt), möge Eure Ehrwürdigkeit doch nicht glauben, dass ich Eure heilige Sanftmut dazu anstacheln möchte, | die zweifelhaften Autoritäten und die Menge mit Gewalt zu attackieren; noch, dass ich Unwürdiger im Schatten Eures Ruhmes über den Zustand der Studien Ärger erregen wollen würde: denn mir geht es nur darum, dass ich Armseliger einige herabfallende Bröckchen vom reichgedeckten Tisch der

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Weisheit Gottes einsammeln kann. Denn die Größe Eurer Macht wird für sich und Eure Nachfolger für die vollkommene Fülle der vorteilhaften Weisheit sorgen können  – nicht nur absolut gesehen, sondern auch in den bereits genannten vier Bereichen. Denn wenn die Einsicht Eurer Vaterschaft eine größere Sicherheit in diesen Dingen erlangt haben wird, wird die Autorität Eures Urteils auch die Gelehrten und Weisen leicht davon überzeugen können, dass diejenigen, die nach der Weisheit dürsten, das, was zur Zeit von der Menge der Studierenden nicht verstanden werden kann, mit der größten Freude zu erlangen suchen; was darüber hinaus für die Menge genügt, wird die Hoffnung bereit­ stellen. Denn Hieronymus sagt über Jesaia: »Die Menge ändert leicht ihre Meinung, wenn sie erst einmal von der Wahrheit überzeugt worden ist.«28 Und dies ist wahr, außer wenn sie in den Händen von törichten Führern ist. Denn auch wenn die Menge im Allgemeinen zum Schlechten neigt und zu oft einen schwachen Führer hat, kann sie doch leicht zu einem (wenn auch nur unvollkommenen) Guten gelenkt werden, wenn ihr Führer sie nicht daran hindert. Denn sie ist wankelmütig und kann, wenn sie einmal in Gang gesetzt worden ist, das rechte Maß nicht beibehalten, weshalb sie leicht zum Entgegengesetzten gelenkt werden kann, wenn ihr Führer das so entscheidet; sie schwankt durch den Wind jeder Lehre wie ein Schilfrohr; und was ihrem Führer gefällt, hat für sie Gesetzeskraft. Wir sehen daher bei jeder Menschenansammlung, dass sie nach dem Willen ihres Hauptes bewegt wird. Wenn ihr Führer das Gute nicht beachtet, fällt sie in tiefen Schlummer; drängt er sie zum Schlechten, rennt sie mit aller Leidenschaft dorthin; wenn er sie aber zum Guten anweist, eilt sie ebenso unbesonnen in diese Richtung. Wenn er sie gar zur Vollkommenheit ermahnt, schnüffelt die Menge zumindest aus der Ferne daran, auch wenn sie die Vollkommenheit nicht schmecken kann, was man von ihr aber auch nicht erwarten kann, wie ich an geeigneter Stelle zeigen werde. Und auch wenn

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es Eure Zeit nicht erlauben sollte, alles für die Menge zu voll­ enden, so wird Eure Herrlichkeit zumindest die Grundsteine legen, die Quellen freilegen und die Wurzeln einpflanzen können, damit Eure Nachfolger das, was von Euch so glücklich begonnen worden ist, leichter vollenden können.29

KAPITEL 4 Über Roger Bacons Boten Johannes

Weil aber in bedeutenden Angelegenheiten eine schriftliche Aufzeichnung nicht genügt, sondern ein mündlicher Vortrag nötig ist, der eine größere Macht hat, und weil Eure Erhabenheit seit langer Zeit mit der Lenkung der Kirche und mit schwierigen Amtsangelegenheiten beschäftigt war, und da darüber hinaus die Verpflichtungen des Apostolischen Stuhls dem Menschen nicht viel Zeit für das Studium lassen, war ich mit noch größerer Sorgfalt darauf bedacht, Euch einen geeigneten Boten an meiner Stelle zu schicken, als eine vollständige schriftliche Abhandlung zu verfassen. Es ist aufgrund dieser drei angeführten Gründe notwendig, Euch einen Mittelsmann zu senden, der auf vieles antworten kann, auch wenn das Verlangen Eurer Herrlichkeit vielleicht nicht gänzlich erfüllt werden wird und wenn meine Arbeit nicht so nützlich sein wird, wie ich es mir wünschen würde. Deshalb spreche ich aus einem kindlichen und äußerst ergebenen Gefühl heraus gleichsam wie zu einem verehrten Vater, dessen Nutzen und Ehre ich mit glühendem Eifer zu mehren begehre, insbesondere wegen der vielfachen Würdigkeit Eurer Person, da Ihr doch an die Stelle Gottes gesetzt seid und die Welt in Eurer Hand haltet. Aus diesem Grund denke ich hier nur über das nach, was würdig und nützlich ist und was mit Notwendigkeit dargestellt werden muss. Und obwohl ich vielleicht zugeben muss, dass es viele gibt, die das, was ich hier behandle, Eurer Weisheit besser

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vermitteln könnten als ich, so hat doch jeder seine eigene Heran­ gehensweise und freut sich an seiner eigenen Ansicht. Aus diesem Grund ist es niemandem möglich – mag er auch noch so weise sein – das von mir Geschriebene meiner Darstellungsweise gemäß zu erläutern, wenn er sich nicht mit mir über meine Absicht ausgetauscht hat und wenn ich ihm meine Herangehensweise nicht habe erläutern können – was natürlich mehr an meiner eigenen Schwäche liegen mag als an der eines anderen. Da ich abwesend bin und die Vermittlung durch einen möglichst geeigneten Boten notwendig ist, | habe ich Johannes geschickt, in dem sich viele Vorzüge vereinen, damit ich in dieser Sache keiner Nachlässigkeit beschuldigt werden kann, wenn es Euch denn gefallen sollte, den Dienst des Boten in Anspruch zu nehmen. Aber auch wenn er besser [ i n diesen Dingen ] ist, als ich ausdrücken kann, ist dennoch Gott mein Zeuge, dass ich ihn nur für den Nutzen und die Ehre Eurer Seligkeit erwähne. Denn wenn es mir nur um die Angemessenheit des Boten gegangen wäre, hätte ich andere gefunden, von denen ich mehr halte und die meinem Herzen eigentlich mehr entsprechen. Denn er ist nicht mit mir verwandt, und ich habe ihn erst vor sieben Jahren in Paris getroffen. Zudem habe ich nur Gottes und der Gutheit dieses Jünglings wegen für ihn gesorgt, weil ich mir überlegt habe, dass aus ihm ein äußerst nützliches Gefäß für die Kirche Gottes werden könnte. Wenn ich jemanden aber nur aufgrund meines eigenen Nutzens bestimmt hätte, hätte ich jemand Weiseren gefunden, der für diese Belange besser gesorgt hätte, weshalb ich den Grund für meine Handlungsweise allein in der göttlichen Größe Eurer Erhabenheit erblicke. Weil dieser Jüngling seit sieben Jahren durch mich unterrichtet worden ist – und damit auch seit der Zeit, in der ich den Auftrag Eurer Ehrwürdigkeit erhalten habe –, habe ich ihn ganz besonders zu den Dingen hingeführt, die mir wichtig waren, weshalb ich für die [ Ü berbringung der ] jetzigen Überzeugungsschrift auf dieser Welt niemand Geeigneteren finden könnte. Mag auch

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irgend­wer in einer, ein anderer in einer anderen, und ein dritter sogar in mehreren der von mir behandelten Wissenschaften (und gewiss auch in vielen anderen Wissenschaften) erfahrener sein, über die ich hier nichts schreibe und von denen er daher nichts oder nur weniges weiß, so ist doch niemand über das von mir Geschriebene so gut unterwiesen wie jener Jüngling. Denn er kann über die Sprachen, die Mathematik, die Perspektivik und den ersten Teil der Erfahrungswissenschaften (die wegen der Geometrie äußerste Schwierigkeiten enthalten) in den meisten Dingen antworten. Dennoch bin ich sicher, dass er weder Eurer Weisheit noch der Größe der Dinge in jeder Hinsicht genügen kann, und dass er zudem nicht von allem, was er weiß, so leicht und deutlich überzeugen kann, wie es sich eigentlich gehören würde. Doch dies ist auch kein Wunder, da er jung und unerfahren darin ist, sein Wissen weiterzugeben. Er hat einfach noch nicht die Blüten und Früchte aus den Wurzeln gewonnen, die er doch mit Eifer aufnimmt. Doch ich schicke Euch diesen jungen Mann nicht nur wegen der Dringlichkeit Eures Auftrages, sondern auch aus zwei weiteren Gründen: Den einen erkläre ich hier, den anderen an einer anderen Stelle. Denn was ich schreibe, ist äußerst wichtig und aufgrund der Unkenntnis der Studenten sehr schwierig. Daher wird jeder, der dies liest, sofern er nicht ein äußerst weiser Mensch ist, daran verzweifeln und dies nur für einen göttlichen oder engelsgleichen Verstand für zugänglich halten. Doch dieser Junge zeigt, dass diese Dinge unermesslich leicht sind, solange sie nur ausreichend erklärt werden. Denn alles von mir Geschriebene versteht er ohne Schwierigkeit durch meine mündliche Unterweisung; und die Schrift, die ich schicke, versteht er zu einem großen Teil aus sich selbst heraus, obwohl er doch ein unerfahrener Junge ist, der arm war und keine Bücher oder Lehrer haben und der sich nicht dem Studium widmen konnte, da er nichts hatte, außer dem, was ich bei einigen Freunden für ihn erbeten hatte. Zudem hatte er keine geeigneten Lehrer gefunden,

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und er hatte nicht einmal den Zeitraum eines einzigen Jahres für das Lernen zur Verfügung, weil er sich um die Dinge kümmern musste, die für seinen Lebensunterhalt notwendig waren. Inwieweit werden wir Älteren, die wir erfahren und in der Weisheit geschult sind, erst all dies verstehen können, was uns ein vertrauenswürdiger Vermittler lehrt ? Sicher gibt es hier keinen Vergleich. Denn Aristoteles sagt im sechsten Buch der Ethik30, dass die jungen Männer in den meisten Dingen wegen ihres Mangels an Erfahrung nicht weise sein können. Und im dritten Buch von Über die Seele 31 meint er, dass der durch die Weisheit geübte Verstand aufnahmefähiger ist. Ferner äußert der selige Petrus in seinem Streitgespräch über die Unsterblichkeit der Seele, das er mit dem Magier Simon geführt hat, dass der Verstand durch den Verfall des Körpers im Alter nicht schwächer wird, sondern vielmehr aufblüht und wirksamer wird. Auch Tullius [ Cicero ] lehrt dasselbe in seinem Buch Über das Alter 32. Wir selbst sehen das auch an einem Menschen, der sich in einem seinem hohen Alter entsprechenden naturgemäßen Zustand befindet und bei dem keine Verletzung seines natürlichen und sensitiven Seelenvermögens außerhalb der Natur | vorliegt: Denn dann können alte Menschen zwar verwirrt sein, was jedoch nicht die Schuld des natürlichen Greisenalters ist, ebenso wenig wie die des jugendlichen Alters, da auch junge Menschen häufig nach einer Verletzung der Organe und der Geisteskräfte dumm und verwirrt sein können. Dies werden wir vielfach bei alten Menschen bestätigt finden. Denn an nichts verzweifeln die Menschen so sehr wie am Verstehen der Sprachen und der Macht der Geometrie und Arithmetik aufgrund der komplizierten Feinheiten, die bei geometrischen und mathematischen Beweisen auftreten, wenn sie nicht von Jugend an darin unterwiesen worden sind. Doch wenn ein Mensch einen guten Lehrer hat und wenn er sorgfältig und voller Vertrauen lernt, gibt es in diesen Bereichen keine Schwierigkeiten.

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Ich habe sogar alte Menschen gesehen, die auf Anhieb und ohne Schwierigkeiten die griechische, hebräische und arabische Grammatik erlernt haben, obwohl sie nur schlechte Lehrer hatten. Und ich bin sicher, dass ein Mensch, wenn er nur einen geeigneten Lehrer hat, nach einer Woche soweit fähig ist, Griechisch und Hebräisch zu lesen und zu schreiben, dass er alles versteht, was die lateinischsprachigen Heiligen und Philosophen in ihren Ausführungen sowohl in der Theologie als auch in der Philosophie [ aus diesen Sprachen ] angeführt haben, sofern er nur gewillt ist, harte Arbeit darauf zu verwenden. Denn es ist leicht, zu dieser Stufe zu gelangen, und es ist doch für den Weisen tausend reinste Goldmark wert, wenn es auch nicht leicht sein mag, die Wissenschaften, die in einer Sprache verfasst worden sind, in einer anderen [ Sprache ] wiederzugeben oder allgemeinverständlich über sie zu sprechen. Und auch wenn dies nicht das sein mag, was von Eurer Herrlichkeit als notwendig eingeschätzt wird, ist es möglich, dass nach dem Erlernen der Sprachen durch die Macht der Geometrie und Arithmetik – gleichsam als allgemeingültige Herangehensweise – alles weitestgehend in Erfahrung gebracht werden kann, wie ich bei den Dingen, über die ich schreibe, zeigen werde. Denn ich bin sicher und bereit zu bezeugen, dass ich jedem lernwilligen Menschen innerhalb von fünfzehn Tagen alles, was hinsichtlich der Geometrie für alle menschlichen und göttlichen Wissenschaften von Bedeutung ist, und sogar noch weit mehr als das – nämlich den Nutzen dieser Wissenschaft selbst – lehren kann, als alle Mathematiker innerhalb von zehn oder zwanzig Jahren hinzulernen können. Denn sie haben hierin die schlechteste wissenschaftliche Methodik, weshalb sich für gewöhnlich kaum einer mit dieser Wissenschaft beschäftigen will. Ich weiß nämlich, dass von Seiten der Sprachen und der Wissenschaften überhaupt keine Schwierigkeiten bestehen, sondern von Seiten der Lehrer, die entweder nichts wissen oder die es nicht auf eine nutzbringende Weise lehren wollen, und von Seiten der Lernenden, die entweder nicht sorgsam genug arbeiten oder verzwei-

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feln. Das habe ich nämlich über die Macht der Weisheit von Jugend an gelernt, wobei ich immer mein ganzen Leben hindurch (bis auf zwei Jahre, in denen ich Erholung und Trost schöpfen musste, um danach besser arbeiten zu können) immer sorgfältig und kontinuierlich gelernt habe. Und ich würde innerhalb von vier Jahren jeden Menschen, sei er jung oder alt, unterrichten, wenn er nur begeistert und zuversichtlich wäre, und wenn ich zuvor eine schriftliche Aufzeichnung verfasst hätte, die ich mündlich erklären würde. Ich überbringe dies deshalb  – mag es auch aufgrund des Unwissens der Studenten schwierig sein – weil keinerlei Schwierigkeiten bleiben werden, wenn ich es nur durch meinen Mund erkläre; doch darüber hinaus müssen diese Dinge noch in anderen Schriften als in meiner Hauptschrift, die Eure Erhabenheit erstrebt hat, dargelegt werden.

KAPITEL 5 Opus maius, Teil I: Über die vier Ursachen des Irrtums Um die von mir gesandte Schrift [ das Opus maius ] zu veranschaulichen, muss ihre Absicht dargestellt werden, damit – sollte meine Schrift durch irgendein Unglück verloren gehen – Eure Seligkeit durch mündliche Unterweisung meine Hauptintention gänzlich zu erfassen vermag. Die Überzeugungsschrift, die ich schicke, ist in sieben Teile eingeteilt, die wiederum in verschiedene Distinktionen und Kapitel unterteilt sind. Aber es kann einem nichts oder nur sehr wenig über die Wahrheit der Weisheit klar werden, wenn nicht zuvor die vier grundlegenden Ursachen für den menschlichen Irrtum ausgeschlossen werden, durch die jeder Mensch behindert und jeder Stand von Beginn der Welt an verdorben worden ist. Daher freue ich mich, im ersten Teil [ meiner Abhandlung ]33 jene der Weisheit feindlich gegenüberstehenden Seuchen zu beseitigen, die im Verbergen der eigenen Unwissenheit eines jeden durch die Zurückweisung der-

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jenigen Dinge, die wir nicht wissen, und der unklugen Zurschaustellung desjenigen, was wir zu wissen glauben, bestehen. Die anderen drei Ursachen sind | die Beispiele einer zweifelhaften und unwürdigen Autorität, auf die wir uns so oft wie möglich berufen, die uns bindende Gewalt falscher Gewohnheiten und die Meinung der Menge, die uns darin beharren lässt. Diese [ v ier Ursachen ] verdammt die Heilige Schrift, die Heili­ gen verneinen sie, das kanonische Recht verbietet sie, die Philosophie zerstört sie; und alle Weisen haben diesen vier Ursachen von Anfang an widersprochen und ihnen immer Widerstand geleistet. Denn durch diese [ Ursachen ] sind alle Sünden ins Leben und in die Wissenschaft eingeführt und alle Nützlichkeit ausgeschlossen worden, alle Menschen werden durch sie vereinnahmt und benutzen sie als Entschuldigung für ihre Sünden und Irr­ tümer. Selbst die Männer, die für äußerst weise gehalten werden, werden oft durch diese Gründe der Unwissenheit blind gemacht. Daher führe ich ausführlich die Meinungen und Erfahrungen der Weisen gegen diese vier Gifte an. Denn andernfalls würden die folgenden Teile umsonst behandelt werden, weil die Überzeugung von der Wahrheit unmöglich ist, solange diese vier Ursachen herrschen. Und so findet der erste Teil mit einigen weiteren Bemerkungen seinen Abschluss.

Kapitel 6 Opus maius, Teil II : Über die Verwandtschaft zwischen Philosophie und Theologie Im zweiten Teil34 zeige ich, dass es eine vollkommene Weisheit gibt, die in den Heiligen Schriften enthalten ist und die durch das Kirchenrecht und die Philosophie (unter der ich das Zivilrecht und jede menschliche Weisheit verstehe) erläutert werden muss. Denn es verhält sich tatsächlich so, dass die ganze nütz­ liche, notwendige und den Söhnen Gottes würdige Weisheit,

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­ eren Urheber Gott ist, in der Schrift enthalten ist. Sie findet d sich dort wie in einer Faust eingeschlossen und muss – gleichsam wie in der geöffneten Hand – ausführlicher erklärt werden, indem sie durch das Kirchenrecht und die Philosophie ausgelegt wird. Daher ist die gesamte Wahrheit dort wie in einer Quelle zusammengedrängt und mündet durch hervorspringende Bächlein in das Kirchenrecht und die Philosophie. Dort findet sich in der Wurzel also das eingeschlossen, was sich durch die Feinheit der Äste, den Glanz der Blätter, die Schönheit der Blüten und die Fülle an Früchten hindurchzieht und beim Kirchenrecht und bei der Philosophie wiedergefunden wird. Dies zeige ich durch die Heiligen, durch die Eigentümlichkeit der Schrift selbst, durch das Kirchenrecht und die Kraft der Philosophie sowie dadurch, dass die heiligen Patriarchen und Propheten seit Beginn der Welt die gesamte Weisheit von Gott empfangen haben. Salomon nämlich hatte bereits alles vollendet, bevor die ungläubigen Philosophen irgendeine Stufe der Weisheit erlangt haben. Das muss ganz besonders bedacht werden, weil es alles Vorhergehende bestätigt und allem Folgendem Autorität verleiht. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Philosophen auf ehrwürdige Weise über die Himmelskörper, die Geheimnisse der Natur und der herrlichen Künste, und sogar über Gott, Christus, die Selige Jungfrau, Engel, Dämonen, die Wiederauf­ erstehung der Körper, die Glückseligkeit des zukünftigen Lebens, die ewige Strafe sowie über die Bestätigung der Gemeinschaft der Gläubigen und über weitere Geheimnisse der göttlichen und menschlichen Weisheit gesprochen haben, wie ich ausführlich in den fünf folgenden Teilen erläutere. Weil all dies den Heiligen zu Beginn der Welt geoffenbart und von diesen aufgrund der [ außer­gewöhnlichen ] Länge ihres Lebens bestätigt und schriftlich niedergelegt worden ist, haben die Philosophen von ihnen alles übernommen, was sie uns danach hinterlassen haben. Aber dies zeigt sich uns nicht, weil wir das Hebräische, Chal­ däische, Griechische und Arabische nicht beherrschen, was doch

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die Sprachen sind, in denen sich die ganze Weisheit (nicht nur die göttliche, wie im Alten Testament, sondern auch die menschliche als ihr Gegenstück) findet. Weil die Weisen seit Beginn der Welt die Wahrheit Gottes, die in der Schrift enthalten ist, empfangen haben und weil sie durch die Philosophie verstanden, dargelegt, abgewägt, verteidigt, geprüft und verbreitet werden muss, ist sie denselben ebenso gegeben worden wie das göttliche Gesetz. Um dies zu beweisen, rolle ich die gesamte Geschichte von Beginn der Welt an durch die einzelnen Zeitalter hindurch wieder auf, damit ich die Zeit all derer finden kann, die für ihre Weisheit berühmt waren, sodass wir sehen, welche Heiligen mit der ganzen Weisheit ausgestattet waren: wer die ­Sybille war, wer die sieben berühmten Weisen waren, welche Menschen nach ihnen als ›Liebhaber der Weisheit‹, d. h. Philosophen, ­bezeich­net worden sind, und welche berühmten Dichter es gab, d ­ amit ganz klar aufscheint, dass die ganze Weisheit den Heiligen von Gott übergeben worden ist, bevor andere in dieser Welt aufgetreten sind, und dass alle die Prinzipien der Wissenschaften und der Künste von den Heiligen übernommen haben, wie selbst der große Aristoteles35 – durch die Wahrheit gezwungen – eingesteht. So zeige ich | mit Hilfe sicherer Gründe, dass die ganze Weisheit in den Heiligen Schriften enthalten ist. Der erste [ Grund ] gilt sowohl für die Überzeugungsschrift, die ich hier anfertige, als auch für das gesamte Werk, das Eure Erhabenheit verlangt hat. Ich weiß nämlich und bin mir sicher, dass die gesamte Wahrheit in der Weisheit der Schrift enthalten ist sowie dass alles, was dieser fremd ist, notwendig zutiefst falsch und nichtig ist, und dass sie [ die Wahrheit der Schrift ] für ihr Verständnis und ihre Auslegung die Macht des Kirchenrechts und der Philosophie braucht. Ich werde alles aufbieten, was ich zum jetzigen Zeitpunkt schreibe, und was ich bis zum Ende meines Lebens zu schreiben beabsichtige, um der Weisheit Gottes zu dienen. Zudem behaupte ich, dass die Weisheit für sich genommen und in Bezug auf die Kirche Gottes und die anderen zuvor ge-

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nannten [ drei ] Bereiche erkannt werden muss. Daher erläutere ich, dass die Macht der Philosophie nur im Hinblick auf die entweder absolut oder relativ betrachtete Weisheit verstanden werden kann. Denn ich bin sicher, dass allein das hinsichtlich der Philosophie nützlich und wertvoll ist, was die heilige Wissenschaft für würdig hält, wie von einer Dienerin untersuchen zu lassen: Der ganze Rest ist töricht und wirr. Obwohl die ungläubigen Philosophen viel klar Ersichtliches und gänzlich Notwendiges geschrieben haben, was sie aus den Wurzeln der Heiligen geschöpft haben, sind sie dennoch von menschlicher Schwäche besiegt worden, weil sie in ihrer Ungläubigkeit blind waren und weil die Augen ihres Geistes von nichtiger Ruhmsucht getrübt worden sind. Daher haben sie gewaltige Schriftbände verbreitet, in denen neben dem Wahren auch viel Falsches steht; und sie haben sowohl Nützliches als auch Nutzloses hinterlassen. Der zweite Grund ist  – weshalb ich so wirksam wie möglich arbeite, um aufzuzeigen, dass die ganze Weisheit durch die Heiligen Schriften erfasst werden muss, auch wenn sie das Kirchenrecht und die Philosophie für unser Verständnis braucht –, dass ich denjenigen überzeugen möchte, der die ganze Fülle an Macht besitzt, damit der Stellvertreter des Erlösers anordnen möge, dass alles, was in den Wissenschaften und den Sprachen nützlich und für die Weisheit Gottes notwendig ist, für das Studium der Weisheit bereit gestellt werde. Denn es sind unzählige Dinge nicht in der Kirche vorhanden, die ihr jedoch zum größten Nutzen und zur höchsten Ehre gereichen würden, wie aus der Schrift, die ich Euch schicke, klar hervorgehen wird. Doch der dritte Grund bewegt mich am stärksten, weil er sowohl das Wesen des Studiums als auch die Art der Wissens­ aneignung betrifft. Darüber hinaus haben im Gebrauch derer, die sich in der Kirche Gottes befinden, viele Dinge einen großen Einfluss, die der Weisheit Gottes entgegenstehen, während diese (ebenso wie weitere Dinge, die am meisten mit ihr übereinstimmen) hintangestellt und vernachlässigt werden, wobei doch

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gerade durch die Weisheit mit Hilfe der Wissenschaften und nützlicher Einrichtungen für das Leben die ganze Kirche Gottes, die Gemeinschaft der Gläubigen, die Bekehrung der Ungläubigen und die Zurückschlagung derer, die nicht bekehrt werden können, in die richtige Richtung gelenkt werden müssen. Was ich hier nur kurz ansprechen kann, wird durch meine ganze Abhandlung deutlich. Vor allem aber sollte meine Absicht klar sein, nachdem man die sieben grundsätzlichen Teile dieser Schrift gelesen hat, weil vor einer Zusammenführung dieser Teile die Wahrheit zu dieser ganzen Thematik nicht deutlich werden kann.

KAPITEL 7 Opus maius, Teil VII : Über die Moralphilosophie Nach den ersten beiden Teilen gehe ich zu ausschließlich fünf Wissenschaften über, obwohl es mehr als dreißig grundlegende Bereiche der Philosophie gibt. Doch ohne diese [ f ünf Wissenschaften ] kann von den anderen nichts gewusst werden; und diese sind umso notwendiger, weil eine einzige von ihnen zwar die edelste ist, doch auch die anderen vier sind edler [ a ls alle anderen Wissenschaften ]. Die fünfte [ Wissenschaft, d. h. die Mathematik ] bildet für die Lateiner das Fundament aller [ anderen Wissenschaften ], weshalb ich diese [ Wissenschaften ] in meiner Schrift darstelle, wobei ich von den anderen schweige, sofern mir Eure Erhabenheit nichts anderes auftragen wird. Die letzte dieser fünf Wissenschaften ist in der Tat die Herrin über alle anderen: Es handelt sich hierbei um die Moralphilosophie36, die Aristoteles auch als ›Zivilwissenschaft‹ [ scientia civilis ] bezeichnet. Die [ Moralphilosophie ] unterteile ich ihrerseits in fünf grundlegende Teile: Der erste [ Teil ] versammelt ausgewählte Aussprüche der Philosophen über Gott, die heilige Dreifaltigkeit, den Herrn Jesus Christus und die erhabene Jungfrau, über die Tätigkeiten der

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Engel und die schlechten Einflüsse der Dämonen, über die Wiederauferstehung der Körper, die zukünftige Glückseligkeit, das Fegefeuer und die Hölle, und über die Verehrung Gottes. Der zweite [ Teil ] unterscheidet die Wurzeln der öffentlichen Gesetzgebung des Gemeinwesens. In diesem Teil ist das gesamte Zivilrecht enthalten, das derzeit im Gebrauch der Lateiner ist, und das davon abgeleitet wird. Der dritte Teil befasst sich mit den grundsätzlichen Regeln für das Verhalten | eines jeden Einzelnen. Der vierte [ Teil ] prüft die existierenden Religionen und ihre Anzahl. Und [ er zeigt ], inwiefern sie alle falsch sind bis auf eine einzige, die wahr ist, wie diese bewiesen und erfasst werden kann, und dass sie auf dem christlichen Gesetz beruht. Der fünfte Teil handelt von der Überzeugung der Beachtung des eingerichteten und geprüften Gesetzes, wodurch die Menschen zur Liebe dieses Gesetzes angeregt werden und alles, was dem Gesetz und den Tugenden entgegensteht, verabscheuen. Diese große Wissenschaft ist das Ziel aller menschlichen Weisheit und bedient sich der anderen [ Wissenschaften ] wie ihrer Mägde, denn alle anderen existieren nur für sie und besorgen für sie die Wahrheiten und Weisheitswerke, die sie in den genannten fünf Abschnitten benutzt.

KAPITEL 8 Opus maius, Teil VI : Über die Erfahrungswissenschaft Die vorletzte Wissenschaft wird ›Erfahrungswissenschaft‹ genannt. Sie ist die Meisterin aller vorhergehenden, denn sie übertrifft alle anderen durch drei großartige Vorzüge: Der erste Vorzug besteht37 darin, dass alle anderen Wissenschaften außer dieser Argumente entweder nur benutzen, um ihre Konklusion zu beweisen (wie es für die spekulativen Wissenschaften gilt), oder dass sie nur allgemeine und unvollkom-

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mene Erfahrungen haben. Doch nur die vollkommene Erfahrung lässt den Geist im Licht der Wahrheit zur Ruhe kommen, wie in diesem Teil [ meiner Abhandlung ] gezeigt werden wird. Deshalb ist es notwendig, dass es eine Wissenschaft gibt, die uns all die herrlichen Wahrheiten der anderen Wissenschaften bestätigt. Und diese ist es, von der ich spreche, die daher auch durch eine Autonomasie von der Wahrheit der Erfahrung her ›Erfahrungswissenschaft‹ genannt wird. Ich zeige anhand von Beispielen, wie etwa dem Regenbogen und anderer [ Beispiele ], auf welche Weise dieser Vorzug eben dieser Wissenschaft zukommt. Der zweite Vorzug besteht in den höchsten Wahrheiten, die – auch wenn sie durch die Begrifflichkeiten der anderen Wissenschaften benannt werden können  – dennoch nicht durch die anderen Wissenschaften behandelt werden können: Zum Beispiel die Verlängerung des Lebens durch Heilmittel gegen eine mangelhafte Lebensführung seit der Kindheit und eine verdorbene Mischung, die durch die Eltern verursacht worden ist, die ihrerseits die Regeln für eine richtige Lebensführung nicht beachtet haben. Denn ich zeige, dass eine solche Verlängerung [ des Lebens ] über die gewohnte Lebensweise hinaus möglich ist, die bis zu den Grenzen geführt werden kann, die von Gott bestimmt worden sind, und die man nicht überschreiten kann. Doch die Menschen altern wegen der Vernachlässigung einer richtigen Lebensführung entgegen der Natur viel schneller und sterben viel früher, als Gott es ihnen bestimmt hat. Die Medizin kann dagegen jedoch keine Heilmittel zur Verfügung stellen und gibt auch keine an, sondern räumt diese Möglichkeiten nur ein. Daher hat sich die Erfahrungswissenschaft, die nur den Weisesten bekannt ist, Heilmittel dafür überlegt, wie die Leiden des Alters verzögert und abgeschwächt werden können, wenn sie denn eingetreten sind. Ich erkläre dieses äußerst ehrwürdige Beispiel und danach noch andere, die beinahe ebenso ehrwürdig sind. Doch der dritte dieser Vorzüge ist am engsten mit dieser Wissenschaft an sich verbunden, denn er geht über die beiden vorher

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genannten Vorzüge hinaus und behandelt alles, was nicht im Bereich der anderen Wissenschaften liegt, abgesehen davon, dass er in vielen Dingen die Hilfe der anderen Wissenschaften braucht. Auf diese Weise herrscht diese Herrin und gibt ihren Dienern Befehle, da sie bei der Betrachtung der Dinge und der erstaun­ lichen Werke die höchste Macht innehat, wie durch viele Beispiele herrlich dargelegt wird. Denn auch wenn die Astronomie eine Erkenntnis der zukünftigen, gegenwärtigen und vergangenen Ereignisse entsprechend ihrer lobenswerten Möglichkeiten geben mag, gilt dies doch für diese Wissenschaft [ d ie Erfahrungswissenschaft ] noch viel mehr, wie auch Ptolemäus in seinem Buch De dispositione spherae38 sagt. Auch Aristoteles39 und die bedeutsameren Philosophen gründen ihre Überlegungen auf sie, wie wir anhand der Ausübung dieser Wissenschaft wissen. Bei all dem wird aber die Willensfreiheit bewahrt, und es wird weder den kontingenten Dingen eine Notwendigkeit auferlegt, noch fördert sie irgendetwas, was für den Glauben oder die Philosophie unpassend sein könnte, wie in meiner Distinktion über die Vorhersagen [ der praktischen Astronomie ] umfassend durch Philosophen und Heilige gezeigt wird. In der Tat bestehen einige Werke dieser Wissenschaft darin, die Welt auf natürliche Weise zu verändern, einige darin, den Willen ohne Zwang anzutreiben und zu lenken, einige im Staunen über die Weisheit, und andere bieten Trost für das menschliche Leben. Diese Wissenschaft benutzt alle anderen [ Wissenschaften ] | für die Moralwissenschaft; besonders, damit diese für sie ausgefeilte Werke und Instrumente anfertigen, die sie benutzen kann: So wie die Schifffahrtskunst einem Schiffsbauer befiehlt, ihm ein Schiff anzufertigen, und die Kriegskunst einem Schmied anordnet, für sie Panzerhemden und andere Arten von Rüstungen herzustellen. Denselben Rang nimmt diese Wissenschaft gegenüber den anderen Wissenschaften ein: Denn sie befiehlt der Geometrie, einen Brennspiegel für sie anzufertigen, der alles Brennbare verbrennt, wie widerspenstig und unbeugsam es auch sein

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mag. Und dies gilt nicht nur für eine kurze Entfernung, sondern für jede beliebige Entfernung, wie der Autor des Buches Über Brennspiegel 40 lehrt. Solche Brennspiegel könnten angefertigt werden, wenn Eure Herrlichkeit dies veranlassen würde. Dieses außer­ordentliche Wunder gehört also zu den Erhabenheiten, die durch die Geometrie entstehen können. Sie befiehlt der Geometrie noch anderes; und auf ähnliche Weise befiehlt sie auch den anderen Wissenschaften das Übrige im Rahmen aller wunderbaren und geheimen Dinge der Natur und der Kunst.

KAPITEL 9 Opus maius, Teil V: Über die Perspektivik Auf diese [ Wissenschaft ] folgt der Ordnung der Würdigkeit und Natur entsprechend die Perspektivik41, geht ihr aber in Bezug auf die Wissenschaft und auf uns voraus. Auch diese Wissenschaft ist notwendig für das Studium der Weisheit und für die Welt. Eine andere Wissenschaft mag zwar größer und bedeutsamer sein, doch keine ist schöner, wie ich dort zu Anfang zeige und wie es auch aus dem weiteren Verlauf der Abhandlung ersichtlich wird. Weil diese Wissenschaft ein nahezu unendliches Vergnügen bereitet und einen unermesslichen Nutzen besitzt, freue ich mich, sie besonders ausführlich zu erklären, vor allem, weil ohne sie nichts Großartiges gewusst werden kann. Denn sie allein ist die Wissenschaft vom Sehen. Und ein Blinder kann nichts von der Welt wissen, weil das Sehen uns alle Unterschiede zwischen den Dingen zeigt, wodurch uns der Weg eröffnet wird, alles zu wissen, wie aus der Erfahrung deutlich wird und wie Aristoteles im ersten Buch der Metaphysik42 lehrt. Die Abhandlung hierüber, die ich Euch darbiete, ist in neun Distinktionen mit den entsprechenden Kapiteln eingeteilt, die nur das enthalten, was jeden Weisen erfreuen und zur Liebe zur Philosophie hinziehen muss. Aber ich kann hier das Vorhaben der

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verschiedenen Distinktionen nicht erklären. Daher muss ich mich auf die erste beschränken, die von den Teilen der Seele handelt; und auf die zweite, in der der Aufbau des Auges besprochen wird. Denn für diese Wissenschaft ist die Kraft der Geometrie erforderlich, die ich in diesem Brief noch nicht erläutert habe. Man muss nämlich bei allem [ in der Perspektivik ] weitläufig Linien, Winkel und figürliche Darstellungen benutzen; und diese Wissen­ schaft erstreckt sich auf die göttliche und die menschliche Weisheit, sowohl absolut als auch relativ betrachtet. Zudem werden in ihr großartige Geheimnisse der Natur und der Kunst behandelt, die nur die Weisesten erfassen können. Ich gebe dafür Zeichnungen und weitere unwiderlegbare Regeln an. Was ich in den Zeichnungen zeige, kann auch in der körperlichen Welt und den Werken der Weisheit umgesetzt werden, wenn Eure Seligkeit dies veranlassen würde.

KAPITEL 10 Opus maius, Teil IV: Über die Mathematik In gewisser Hinsicht wird auch die Mathematik43 für diese Wissenschaft [ der Perspektivik ] benötigt, weshalb sie ihr in der Rangfolge der Natur untergeordnet ist. Aber weil die Mathematik gemäß der Einschätzung aller Mathematiker andere Dinge behandelt, die sich nicht nur auf diese Wissenschaft erstrecken, und die sogar bedeutsamer sind als die Dinge, die in der Perspektivik behandelt werden, wird sie zwar vor der Perspektivik abgehandelt, ist ihr aber im Rang der Würdigkeit unmittelbar nachgeordnet und kommt in unserer Erkenntnis später. Ich kann in der Abhandlung, die ich schicke, weder die Teile der Mathematik voneinander trennen, noch alles Nötige über sie darlegen, weil dies erst in der Hauptschrift geschehen kann, die Eure Erhabenheit angefordert hat. Daher reicht es hier, sie kurz anzusprechen, weil die Mathematik der allgemeinen Ansicht nach ja viele Wissenschaften beinhaltet, sogar mehr als 14. Denn

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es gibt zwei Arten der Geometrie: die spekulative und praktische, und ähnlich verhält es sich mit der Arithmetik, der Astrologie und der Musik. Und dies sind schon acht, auch wenn jede noch viele Wissenschaften unter sich vereint. Jenseits all dieser gibt es aber eine, die allen | gemeinsam ist [ d. h. die Mathematik ]. Daher musste in dieser Abhandlung ausführlicher über die Macht der Mathematik gesprochen werden als über die anderen. Denn ihre Macht ist weitreichender als die der anderen Wissenschaften, da sie auf alles angewendet wird und auf gewisse Weise alles behandelt. Wenn also auch größere Dinge in der Erfahrungswissenschaft behandelt werden können, werden hier doch noch mehr herrliche Dinge als in den anderen Wissenschaften gefunden; und es kann keine Frage daran aufkommen, dass ich jede der Wissenschaften, die ich hier aufzähle, in einer anderen bestätigen kann, und dass keine [ Wissenschaft ] ohne die anderen behandelt werden kann. Denn alle Wissenschaften sind miteinander verbunden wie die Teile eines Ganzen, und jede von ihnen nutzt nicht nur sich selbst, sondern auch den übrigen. Ohne das Verdienst einer jeden kann nämlich nichts erkannt werden, weil Tullius [ Cicero ] im zweiten Buch seiner Tuskulanischen Fragen sagt: »Niemand kann auch nur weniges wissen, solange nicht das meiste oder alles bekannt ist.«44 Deshalb hängt eine jede [ Wissenschaft ] von einer anderen ab; und alle leisten sich gegenseitig Hilfe. Doch die Mathematik sticht durch ein weitreichenderes Verdienst hervor, weil sie einen größeren Anwendungsbereich besitzt. Deshalb zeige ich in der ersten Distinktion, auf welche Weise die Mathematik alles umschließt und erklärt. Diese Überlegung beinhaltet zwei große Bereiche: Der eine besteht in der Wirkursache bei den Dingen der Welt, der andere betrifft die Materie. Denn in der Welt und ihren Teilen kommen zwei Prinzipien zusammen: das Agens und die Materie. Wenn auch das Agens (das Gott ist) die grundlegenden Teile der Welt zunächst aus dem Nichts hervorgebracht hat (wie den Himmel

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und die vier Elemente), wird doch aus den Elementen, d. h. aus der Materie, alles weitere hervorgebracht. Zuerst wird dies gewiss durch die Darlegung der Wirkursachen gezeigt: Wie jede Vervielfältigung der Kraft45 von Agentien in dieser Welt ausgeht, und wie jede Sache ihre species und ihre Kraft durch Linien, Winkel und [ geometrische ] Figuren vervielfältigt, sei es beim Sehen, sei es bei anderen Sinnesvermögen, sei es in der gesamten Materie der Welt. Und nicht nur dieser Einfluss ist notwendig, sondern noch weit mehr die actio, die auf jenen folgt, sodass wir nicht nur die Vervielfältigung der Kraft erkennen können, die von den Agentien ausgeht, so wie zum Beispiel das Licht der Sonne auf alles wirkt, sondern auch, wie sie durch ihr Licht alles verändert. Ich spreche deshalb über diese actio, weil diese von der Sonne ausgehende Kraft sich bis zu den Sternen, dem Tastsinn, dem Ton und dem Wachs vervielfältigt, wobei sie das Wachs schmilzt, den Ton härtet, den Tastsinn erwärmt und den Stern durch ihre Helligkeit schmückt. Doch es gibt dabei keinen Unterschied von Seiten des Sonneneinflusses her, sondern von der Seite der aufnehmenden Materie. Weil durch diese Kräfte alles geschieht, was in dieser Welt sowohl in den oberen als auch in den unteren Sphären erneuert wird, kann man nichts ohne eine Erkenntnis dieses Einflusses und dieser actio wissen. Doch diese [ K räfte ] können nicht erkannt werden, wenn sie unserem Verständnis nicht durch Linien, Winkel und Figuren veranschaulicht werden. Daher stelle ich in meiner Überzeugungsschrift alle Wurzeln dieser Vervielfältigung und actio mit den dafür notwendigen Ästen, Blüten und Früchten dar. In der zweiten Distinktion fasse ich die Regeln für diese [ Wurzeln etc. ] zusammen, weil die ganze Perspektivik diesen Regeln entsprechend verläuft. Daher kann man über sie nichts wissen, außer wenn diejenigen Dinge erkannt werden, die in jener Dis­ tinktion durch die Macht der Geometrie angegeben werden. Aus diesem Grund glauben viele, dass es zur Perspektivik gehört,

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e­ inen Grund für diese Vervielfältigung und die actio anzugeben, doch das ist nicht wahr; denn diese sind allen Sinnen (nicht nur dem Sehsinn) und allen Dingen der Welt gemeinsam, wie ich durch deutliche Beweise sowohl für die himmlischen als auch die irdischen Sphären zeige. Deshalb wende ich in der dritten Distinktion diese Gesetze der Vervielfältigungen auf die Dinge dieser Welt an, indem ich berühmte Beispiele anführe: etwa die Beleuchtung der Sterne durch die Sonne und alle Projektionen der Kräfte in ihnen, die von den Astronomen betrachtet werden. [ Weiterhin zeige ich ], wie die Meinung der Philosophen verworfen werden kann, die dargelegt haben, dass die Welt ein einziger kontinuierlicher Körper sei, und dass der Himmel von feuriger Natur sei – eine Ansicht, die manchmal die Platoniker und die Heiligen vertraten, die an dieser Stelle auch durch andere Wege widerlegt werden müssen. Daraufhin werden | die Mischungen aller Orte der Welt untersucht, weil dies ein wichtiges Fundament für die Erkenntnis der Dinge dieser Welt ist. Denn sie unterscheiden sich gemäß der Verschiedenheit der Orte, wie aus der Verschiedenheit der Gebiete klar ersichtlich ist, wobei diese Überlegung bis zum Ort des Paradieses ausgedehnt wird. Denn auch wenn die Menge der Theologen denkt, dies [ die Lage des Paradieses ] bereits gezeigt zu haben, treten darin doch wegen der genannten Vervielfältigungen [ der Sonnenstrahlen ] und der Exzentrizität der Sonne erhebliche Zweifel auf. Daraufhin komme ich zur Verschiedenheit der Dinge an den unterschiedlichen Orten, die sich aus dem Einfluss der Himmelskörper ergibt. Ich zeige dort zuerst im Allgemeinen, auf welche Weise die verschiedenen Mischungen in allem entstehen: nicht nur in all dem, was vom Menschen getrennt ist, sondern wirklich in allem: also auch in der Mischung der Menschen, in ihren Sitten, Künsten und Beschäftigungen. Woraus sich die großen Prinzipien zeigen, auf welche die Astronomen ihre Vorhersagen stützen.

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Danach komme ich im Besonderen auf den Grund für Flut und Ebbe des Meeres zu sprechen, die ich durch den rechtwinkligen und schiefen Einfall von Strahlen erkläre. Weil dies für äußerst schwierig gehalten wird, und weil von der Menge kein Grund angegeben werden kann, der mit den Gesetzen der Vervielfältigungen [ der Strahlen ] zusammenhängt, gehe ich ganz besonders auf dieses berühmte Beispiel ein. Am Ende [ der Dis­tinktion ] werden diese Vervielfältigungen auf einen anderen Bereich bezogen, um Gesundheit zu erreichen und Krankheiten zu vermeiden. Es wird auch das behandelt, was über die Wahrsagerei zu sagen ist – denn eine gewisse Wahrheit kann ihr trotz der vielen Falschheiten, welche die Magier und Ungläubigen ausüben, nicht abgesprochen werden. Die vierte Distinktion beschäftigt sich mit der Materie und damit, was tatsächlich aus ihr folgt, damit all dies durch die Kraft der Geometrie ersichtlich wird, und damit an dieser Stelle noch Größeres als zuvor erläutert werden kann. Denn die ganze Menge irrt sich schwerwiegend, indem sie annimmt, dass es der Zahl nach eine Materie in allen geistigen und körperlichen Dingen gibt, sodass dieselbe Materie in mir, einem Esel, einem Stein, im Himmel, in einem Engel und so auch in allen anderen Einzeldingen sei. Nichts aber ist so falsch, dass es nicht trotzdem von der Menge gefeiert wird, weil sie in sich zutiefst verkehrt ist, wie durch natürliche und metaphysische Gründe der ganzen Welt ausreichend gezeigt werden kann. Dadurch kann alles aufgelöst werden, was auch immer erfunden werden mag: Aber diese Gründe lasse ich hier alle aus, weil ich nur durch geometrische Linien voranschreiten möchte. Die Falschheit dieser Sache führt jedoch zu einer Falschheit in der vollständigen Erfassung der Dinge, denn [ aufgrund dieser falschen Ansicht ] ist es unmöglich zu verstehen, dass die Dinge dieser Welt voneinander getrennt sind. Wenn diese falsche Ansicht angenommen wird, können die aktiven Potenzen und richtigen Vernunftgründe nicht erkannt werden, und es kann weder die Entstehung der zur Entstehung

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bestimmten Dinge angegeben werden, noch die Art und Weise, durch die sie aus der Materie hervorgehen. Denn wenn es einen Fehler bei den Prinzipien gibt, folgt auch ein Fehler bei den Dingen, die aus den Prinzipien entstehen, wie Aristoteles im ersten Buch von Über den Himmel und die Welt 46 sagt. Dadurch wird bei der Menge durch diese falsche Annahme die ganze Naturphilosophie zerstört; und es wird kein Heilmittel gegen die Unwissenheit geben, solange diese Annahme bestehen bleibt. Doch ich führe hierzu drei Beweise aus dem Bereich der Geometrie an. Die Philosophen vor Aristoteles haben behauptet, dass die Welt ein kontinuierlicher Körper sei, wie vorher bereits angesprochen worden ist, wobei diese Annahme aus der Einheit der Materie resultiert. Daher erkläre ich dies nicht, indem ich das zurückweise, was bereits zuvor zurückgewiesen worden ist, sondern indem ich die falschen geometrischen Darstellungen aufzeige, die ich an dieser Stelle äußerst erfolgreich auflösen konnte. Ich konnte darüber hinaus auch zeigen, wie sie korrigiert werden müssen. Weil die Position des Demokrit und Leukipp, die behauptet haben, dass alles aus unteilbaren Atomen bestünde, Aristoteles noch mehr verwirrt hat und noch immer die Naturphilosophen durch ihre Spitzfindigkeiten verwirrt, zerschlage ich auch sie vollständig durch die Kraft der Geometrie. Da die Anordnung der geometrischen Körper aber eine passio der Materie ist, und weil sowohl die Theologen als auch die Philosophen sorgfältig die geometrische Figur des Himmels und die grundlegenden Bereiche der Welt untersuchen, und da diese Überlegung durchaus schön ist, zeige ich zudem alles, was an dieser Stelle notwendig ist. Ich erkläre nicht nur die Wahrheit bezüglich der Anordnung der geometrischen Körper, sondern ich weise auch die falschen Ansichten der Platoniker hierzu zurück. Dies ist eine schöne | Betrachtung für jeden Menschen, der die herrlichen Wahrheiten wissen will. Verbunden mit dieser Anordnung der geometrischen Körper beschreibe ich auf ganz herrliche Weise ein Wunder der Natur

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des Wassers, wodurch wirksam gezeigt wird, dass dasselbe Gefäß mehr Flüssigkeit enthalten kann, wenn es sich an einem tiefer gelegenen Ort befindet, als wenn es zu einem höheren Ort emporgehoben wird, und daher in einem Keller mehr enthalten wird als auf einer Terrasse. Ferner dehne ich meine Überlegungen bis zur Einheit und Endlichkeit der Welt aus, denn jeder, der mehrere Welten oder eine einzige unendliche Welt annimmt, kann nach der Ansicht von Aristoteles47 und Averroes48, die sie im ersten Buch von Über den Himmel und die Welt dargelegt haben, nicht zeigen, dass es einen einzigen Gott gibt. Ich gehe darauf insbesondere ein, weil die Zeit den Bedingungen der Materie folgt, die Bewegung hingegen der Zeit, weil die Ewigkeit mit der Zeit verbunden ist, und weil dies alles von der Menge nicht beachtet wird, weil sie die Gründe nicht durch geometrische Beweisführungen angeben kann. Noch ausführlicher gehe ich auf die Bewegung ein, weil dort eine große Schwierigkeit und ein großer Nutzen vorliegt, wie ich durch viele schöne graphische Darstellungen zeige. Daher werden in diesem Teil auch die Wurzeln jener großen Wissenschaft behandelt, welche die ›Wissenschaft von den Gewichten‹49 genannt wird. Daraufhin vergleiche ich die Mathematik zuerst mit den anderen dazwischenliegenden Wissenschaften 50 und den Dingen der Welt, die durch sie erkannt werden. [ Ich zeige auch ], dass sie für die Theologie notwendig ist, indem ich anhand der Heiligen nachweise, dass sie [ die Mathematik ] für die Theologie äußerst nützlich ist. Weil es sieben große Wurzeln gibt, durch welche die Mathematik großen Einfluss auf die Erkenntnis der göttlichen Weisheit hat, zeige ich sie in einzelnen Kapiteln, in denen einige große Schwierigkeiten bestehen – nicht wegen der Sache an sich, sondern weil der Menge die Mathematik unbekannt ist. Die größte Schwierigkeit ergibt sich bezüglich der Leidensgeschichte des Herrn: nämlich an welchen Kalenden und zu welchem Mond sie gefeiert worden ist, wobei ich in diesem Fall keine Meinung an-

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gebe, da dies nicht ohne Eure apostolische Erlaubnis geschehen kann. Ich führe aber zumindest einige wirksame Beweise gegen die Ansicht der Menge an, die die Mathematik nicht kennt. Doch obwohl die Mathematik für die göttliche Weisheit unglaublich nützlich ist (wie aus dem Dargestellten hervorgeht) stehen dennoch einige einflussreiche Aussprüche der Heiligen – aufgrund der Vorhersagen der zukünftigen Dinge [ die sich der Mathematik bedienen ] – dem Ansehen der Mathematik auf über­ triebene Weise entgegen. Deshalb erkläre ich diese [ Aussprüche ] und zeige, dass man gegen die Mathematik, die ein Teil der Philosophie ist, nichts einwenden kann. [ Einwenden kann man nur etwas ] gegen diejenige Mathematik, die ein Teil der Magie ist: deshalb haben sich die Heiligen nur gegen diese ausgesprochen, während sie die wahre Mathematik gelobt haben. Die Mathematik ist nämlich zweifach: die eine ist abergläubisch, weil sie allen Dingen eine Notwendigkeit auferlegt und dem freien Willen ein Wissen um die zukünftigen Dinge vorgaukelt. Diese [ Mathematik ] ist von den Heiligen und Philosophen stets zurückgewiesen worden, wie ich ganz klar zeige. Die andere Mathematik jedoch, die ein Teil der Philosophie ist, wurde von den Weisen aufs Äußerste empfohlen. Denn mag sie auch dem Namen nach mit der zuvor genannten übereinstimmen, ist sie dennoch hinsichtlich ihrer Bestimmung vollkommen von ihr verschieden. Nachdem das ersichtlich geworden ist, erläutere ich die Macht der Mathematik, insofern sie für die Kirche nützlich ist, und ich behandle dort den Glauben, den die Kirche bewahrt. Ich zeige, auf welche Weise er durch diese Wissenschaft gestärkt werden kann, indem ich erkläre, wie die Astronomie alle grundlegenden Religionen beschreibt, die nicht mehr als sechs sein können, denen das gesamte Menschengeschlecht von Beginn der Welt an bis zu deren Ende anhängt. Ich mache deutlich, auf welche Weise die Astronomen diese Religionen unterscheiden, wobei sie bei der Religion der Hebräer beginnend bis zur Sekte des Antichrist voranschreiten. [ Ich mache deutlich ], auf welche Weise sie die

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christliche Religion am meisten loben, auf welche Weise sie bezeugen, dass Christus von einer Jungfrau geboren worden sein muss, und auf welche Weise und wann die Religion Mohammeds zerstört werden wird, sodass den Christen eine große Freude bevorstehen möge. Hier wird auch der Weg zur Betrachtung der Zeit des Antichrist vorbereitet: Denn wenn die Kirche die Prophezeiungen der Heiligen Schrift sowie die Aussprüche der Heiligen und die Vorhersagen der Sybille, Merlins und der anderen heidnischen Propheten untersuchen würde, und wenn sie dabei noch die Betrachtungen der Mathematik und der Erfahrungswissenschaften hinzufügen würde, könnte sie zweifellos äußerst nutzbringende Vorkehrungen gegen die Gefahren treffen, die durch den Antichrist und sein Gefolge drohen. Schließlich ist es ein wichtiges Thema: weshalb er sich erheben wird und | wer er sein wird. Ebenso müssen auch die weiteren Umstände seines Auftretens bedacht werden. Wenn die Kirche tun würde, was sie eigentlich in sich trägt, würde sich Gott (denke ich) weitreichender offenbaren, besonders wenn darüber durch die ganze Kirche hindurch eine eingehende Betrachtung angeordnet werden würde. Denn die Prophezeiungen sind manchmal mit vollständiger Sicherheit und unwiderrufbarem Urteil ausgesprochen worden, manchmal jedoch auch ohne, wie an dem Propheten Nathan51 deutlich wird, der seine Äußerung über den Bau des Tempels später wieder zurückgenommen hat. Auch Jesaia52 sagte über Hezechiel, dass seinem Haus der Untergang vorherbestimmt sei, und dennoch erstreckte sich sein Leben über weitere 15 Jahre hinweg. Ähnlich war es auch bei der Prophezeiung des Jona53 über die Zerstörung Ninives, und es gibt noch zahlreiche weitere Beispiele dieser Art. Daher ist aus der Nachlässigkeit der Christen vieles über den Antichrist gesagt worden, was sich ändern würde, wenn die Christen das tun würden, was eigentlich ihre Aufgabe wäre: nämlich den Zeitpunkt seines Erscheinens zu untersuchen, und große Wissenschaften zur Hand zu haben, die sie benutzen kön-

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nen. Dann könnten dessen Werke widerlegt werden, als ob sie keine Wunderwerke wären, damit er nicht erdichten kann, er sei wie Gott, weil alle [ seine Täuschungen ] Werke der Natur und der Philosophie und der großen Künste sind, obwohl er vieles nur mit Hilfe von Dämonen tun können wird. Wenn die Kirche in den großartigen Wissenschaften unterrichtet wäre, könnten zu ihrem Nutzen Werke entstehen, die denen des Antichrist vergleichbar sind: Sie könnte seine Falschheit zeigen und seinen gewaltsamen Einfluss in vielen Dingen zurückdrängen, damit ­wenigstens die schlimmste Verwirrung, die durch ihn entstehen wird, vielfach gemildert werden kann. Danach wird eine äußerst wichtige Betrachtung über die Falschheit des Kalenders und über seine Verbesserung angeführt sowie darüber, wie man ihn korrigieren kann. Zu Anfang nämlich hat die Kirche große und lang andauernde Anstrengungen in dieser Sache unternommen, was aber schließlich wegen Schwierigkeiten (weil die Kirche in jenen Zeiten mit der Abwehr von Tyrannen und Häretikern beschäftigt und die Astronomie zu diesen Zeiten noch nicht gesichert war) aufgegeben wurde. Doch heutzutage ist es schwierig, den Kalender in allen Belangen zu berichtigen. Dennoch könnte das, was für eine Korrektur des Kalenders notwendig ist, bewerkstelligt werden; doch da dieses Unterfangen nur durch die Prälaten ausgeführt werden kann, und da bei den Prälaten die Astronomie und Komputistik nicht in Gebrauch gewesen ist, ist dies bis heute vernachlässigt worden. Und doch gibt es nach der Korrektur des äußerst verdorbenen Heiligen Textes in der derzeit verbreiteten Abschrift nichts in der Kirche Gottes, das so dringend eines Heilmittels bedarf [ w ie der Kalender ]. Es ist daher der dümmste Fehler und ein wirklicher Skandal, dass man hier allein in Unwissenheit voranschreitet, wie alle Komputisten, Astronomen und Fachleute wissen. Nachdem das erläutert worden ist, wende ich die Berechnungen der Mathematik auf die Lenkung des Gemeinwesens an, w ­ obei sich an dieser Stelle noch größere und angenehmere Dinge zei-

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gen, als in den vorherigen Passagen: Denn hier berühre ich die Wurzeln, um die Dinge auf der Erde durch die Himmelskörper zu erkennen. Um dies alles zu wissen, muss man die Ausdehnung und Gestalt der Welt kennen: wo sie bewohnbar ist und welche Klimazonen und Gebiete es gibt, damit wir wissen, durch welche und auf wie viele Weisen sich die Gebiete durch die Einflüsse der Himmelskörper voneinander unterscheiden, wie sich dasselbe Gebiet zu verschiedenen Stunden, Tagen, Wochen, Monaten, Vierteljahren und Jahren verändert, und wie sich verschiedene Dinge in demselben Gebiet verändern. Deshalb wird die Natur der Planeten und der Fixsterne behandelt: wodurch sie nämlich Einfluss auf diese Welt und die einzelnen Dinge ausüben, und es werden die dafür notwendigen Regeln, Tafeln und Darstellungen angegeben. Darüber hinaus wird eine allgemeine Verfahrensweise gezeigt, die ein Urteil über die einzelnen Dinge ermöglicht. Eine detailliertere und speziellere Herangehensweise hebe ich für die Hauptschrift auf, die Eure Heiligkeit angefordert hat. Doch selbst dann, wenn der Mensch nicht mehr über diese Welt wissen würde als jener Teil dieser Abhandlung behandelt, wäre er im Besitz einer nicht zu verachtenden Kenntnis gegenüber der gesamten Kenntnis, die aus diesen [ von mir dargelegten ] Prinzipien resultiert. Daraufhin wird eine Überlegung angestellt, die noch wichtiger ist als die der anderen nützlichen Werke, damit die für das Gemeinwesen günstigen Dinge vorangetrieben und die dem Gemeinwesen engegenstehenden beseitigt werden können, aus denen der Antichrist und seine Gefolgsleute Nutzen ziehen werden. Denn er wird durch die Werke der Erfahrungswissenschaft und Perspektivik die Welt als Lohn aufteilen, wenn nicht die Kirche dem durch die Betrachtung der | Weisheit vorbeugt und die Weisen von Anfang an von diesen Werken Gebrauch machen. Denn Moses, Salomon, Aristoteles und viele Tyrannen haben die Welt auf diese Weise überfallen: Das sehen wir beispielhaft an Alexander dem Großen, der keine 40000 Mann zur Verfügung hatte,

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und der es dennoch gewagt hat, die ganze Welt anzugreifen und auch noch zu gewinnen. Doch Aristoteles war mit ihm und hat ihm die Welt durch die Weisheit der Mathematik und der anderen Wissenschaften übergeben. Ich behandle die Überlegungen der Astronomie jedoch nicht nur hinsichtlich der Veränderungen der ganzen Welt, sondern auch im Besonderen für die Werke der Medizin, indem ich zeige, auf welche Weise es für den Arzt notwendig ist, die Astronomie zu kennen, da er andernfalls nur aus Zufall und dem Glück folgend behandeln würde. Ich spreche auch die geheimsten Werke der Geometrie, der Harmonie und der Musik an, die von so großer Bedeutung sind, dass es sich kaum ausdrücken lässt, und über die ich daher nur weniges sage. Obwohl uns noch zwei weitere Anwendungsgebiete der Mathematik übrig bleiben, nämlich die Bekehrung der Ungläubigen und die Zurückschlagung derjenigen, die nicht bekehrt werden können, sage ich über diese nur so viel, wie zum jetzigen Zeitpunkt genügen mag, weil deren Wurzeln bereits in den vorhergegangenen Distinktionen angegeben sind.

KAPITEL 11 Opus maius, Teil III: Über die Sprachen der Weisheit Daraufhin bleibt noch eine weitere Wissenschaft54, die für mich leicht zu erklären ist, und die jedes Kind in jeder Sprache lernt, nämlich die Grammatik. Weil die Weisheit der Lateiner so sehr aus anderen Sprachen besteht  – schließlich sind doch die gesamte Heilige Schrift und die ganze Philosophie ursprünglich in fremden Sprachen verfasst worden –, umfasst die Grammatik, die für die Lateiner von größtem Nutzen ist, die Orthographie anderer Sprachen ebenso wie die übrigen Dinge, die sich auf die Grammatik beziehen. Das zeige ich durch acht große und schöne Überlegungen, damit deutlich wird, dass die kleineren Dinge von

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größerer Bedeutung sind, wie der Apostel schreibt. 55 Es wird da­ raus nämlich für jeden Weisen ersichtlich, dass sich hier eine Tür zur Weisheit der Philosophie auftut – sowohl für sich genommen als auch in Bezug auf die Kirche und die übrigen zuvor genannten Bereiche. Von diesen [ Bereichen ] sind zwei besonders zu bedenken: die Korrektur der Heiligen Schrift und die Bekehrung der Ungläubigen. Denn ich beweise widerspruchsfrei durch einen gültigen Beweis, dass der gesamte Text [ der Bibel ] in der verbreiteten Abschrift falsch oder zumindest zweifelhaft ist: ein Zweifel, der in jedem weisen Mann aufkommt, so wie die Furcht einen standhaften Mann befällt. Ein besonderer und spezieller Beweis wird hier vorgelegt werden können, sobald Eure Weisheit es befiehlt. Aber ich tue dies nicht nur für mich allein, sondern noch weit mehr für einen anderen, der in dieser Angelegenheit über 30 Jahre lang gearbeitet hat. Er hat die ganze Art und Weise der Korrektur verändert und besitzt daher alles, was hierfür erforderlich ist. Er könnte es auch vollenden, wenn er nur durch Bücher in den fremden Sprachen unterstützt werden würde. Denn er hätte schon längst sichere Beweise [ f ür eine richtige Übersetzung ] angegeben, wenn er eine hebräische und griechische Bibel und Bücher über die Etymologie jener Sprachen zur Verfügung gehabt hätte, die bei ihnen mindestens ebenso zahlreich vorhanden sind wie bei uns Isidor56 und Papias57, und die es sogar in England und Frankreich und an vielen anderen Orten unter den Christen gibt. Deshalb würde dieser Mann die Wahrheit der Worte und eine sichere Darlegung des Literalsinns angeben, sodass jeder daraufhin von selbst und ohne jede Schwierigkeit die Heilige Schrift verstehen könnte und (wenn er sich nur bemüht) bis zu den Eigentümlichkeiten und natürlichen Eigenschaften der Dinge voranschreiten könnte, in denen der Literalsinn besteht. Denn alles Geschaffene von den höchsten Himmelssphären bis zu ihren Grenzen ist in der Schrift enthalten, sowohl der Gattung

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als auch der Art, der Ähnlichkeit und den Einzeldingen nach. Deren Erkenntnis bestimmt den Literalsinn, damit durch angemessene Anpassungen und Ähnlichkeiten, die von den Dingen übernommen worden sind, der Spiritualsinn herausgearbeitet werden kann. Denn dies ist der Schrift eigentümlich und wird deshalb auch durch die Heiligen und Weisen dargelegt, damit so die ganze Weisheit der Philosophie in der Auslegung der Weisheit Gottes erfasst werden kann. Und was jenem Menschen fehlt, kann mit Eurer Hilfe und auf Euren Befehl hin ausreichend durch andere bereitgestellt werden.

KAPITEL 12 Abschließende Bemerkungen

Nicht nur kann dieser Junge [ Johannes ] Eurer Heiligkeit, die durch so viel anderes in Anspruch genommen ist, bezüglich des von mir | geschickten Werkes behilflich sein, wenn es Euch gefällt, sondern die Ankündigungen, die in diesem Brief enthalten sind, eröffnen auch den Weg zum Verständnis meiner Abhandlung. Darüber hinaus gewährt [ dieser Brief ] eine Anleitung für das richtige Lesen [ meiner Abhandlung ]. Wenn Eure Herrlichkeit die Zeit haben sollte, wäre es freilich besser, das ganze Werk seiner Ordnung entsprechend zu lesen, weil die vorherigen Teile in der Ordnung des Wissens das [ auf sie ] Folgende vorbereiten. Weil die über­mäßige Vielzahl an Verpflichtungen den Geist Eurer Seligkeit jedoch ablenken werden, und weil die Gleichheit die Mutter der Übersättigung ist, wird Eure Weisheit vielleicht dazu verführt sein, irgendetwas von den sieben Teilen vorzuziehen, und durch die erkannte Absicht der ersten Teile zu den folgenden überzugehen. Der erste und der letzte Teil [ der Abhandlung ] sind von derselben Art, da sie alle die moralischen Belange behandeln, die im ersten Teil enthalten sind, weshalb es leicht ist, von den ers-

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ten zu den folgenden Teilen voranzuschreiten. Denn im ersten, zweiten, dritten und letzten Teil gibt es fast keine Schwierigkeit. Und auch wenn die Abhandlung insgesamt hinreichend klar ist, gibt es doch an vielen Stellen [ der anderen Teile ] einige Schwierigkeiten. Dennoch können sie leicht verstanden werden: Denn auch wenn die Anwendung der Zahlen auf die in der Heiligen Schrift enthaltenen Dinge schwierig ist – was vor allem für die Berechnung der Größe und Höhe der Himmelskörper, der Sterne und der Elemente der Welt gilt – kann doch jeder ohne Schwierigkeit erfassen, was ich darlegen möchte. Dies trifft auch auf viele andere Dinge zu: sowohl auf die praktischen Anwendungen der Mathematik als auch auf die Erfahrungswissenschaft, da die Werke der Natur und Kunst zwar ausgefeilte und geheime Dinge erfordern, die durch meine Schrift [ aber dennoch ] leicht verstanden werden können. Mag es auch bei der Anwendung der Mathematik auf die Dinge der Welt, bei der Perspektivik und an einigen anderen Stellen Schwierigkeiten der Beweisführung geben (zumindest für die­ jeni­gen, die nichts von der Geometrie verstehen), sind deren Wahrheiten für sich genommen doch eigentlich leicht zu verstehen: Es braucht für sie zwar gewisse Anstrengungen, für den Lesenden sind sie jedoch äußerst erfreulich. Was zur reinen Geometrie gehört, weiß der junge Mann [   Johannes ] nicht nur durch Bücher, sondern auch durch sein Herz. Wenn er diese nämlich so gut auf die Dinge und Wissenschaften anwenden können würde, wie er sie theoretisch auf die richtige Weise weiß, würde er sich selbst und allen anderen genügen, weil dies der Weg ist, alles zu erkennen, wie die Abfolge der Abhandlung verdeutlicht. Es ist jedoch unvermeidlich, dass das ganze Werk bis zu der grundlegenden Schrift, die Eure Erhabenheit verlangt, Schwierigkeiten bietet, weil ich doch hier nur den Hauptgedanken und das Allgemeine bespreche, das unvollständig und fast vergebens ist. Doch jeder Anfang muss wohl so sein, wie auch Aristoteles58

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und Seneca59 sagen: Weil der Weg von den verworrenen zu den unterschiedenen, von den allgemeinen zu den einzelnen, von den unvollständigen zu den vollendeten Dingen und von den Teilen zum Ganzen hin führt.

OPUS MAIUS •

TEIL I TEIL II TEIL VI

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TEIL I

Über die vier Ursachen des Irrtums

ERSTER TEIL 1 KAPITEL 1 Eine vollkommene Betrachtung der Weisheit besteht aus zwei Dingen: Nämlich darin, zu sehen, was für ihren Erwerb gebraucht wird, damit sie am besten erkannt werden kann; und darin, sich klar zu machen, wie sie am besten auf alle Dinge angewendet werden kann, damit die Dinge durch sie in der ihnen entsprechenden Weise eingerichtet werden können. Denn durch das Licht der Weisheit wird die Kirche Gottes geleitet; das Gemeinwesen der Gläubigen wird durch sie gelenkt; die Bekehrung der Ungläubigen wird durch sie vorangetrieben; und jene, die in ihrer Böswilligkeit verharren, können durch die Kraft der Weisheit in Schranken gehalten werden, sodass sie von den Grenzen der Kirche weit besser ferngehalten werden als durch das Vergießen von Christenblut. So können alle Angelegenheiten, die der Führung der Weisheit bedürfen, auf diese vier Bereiche eingeschränkt werden; denn mehr lassen sich nicht hinzufügen. Daher werde ich (so gut ich es im Moment vermag) versuchen, in meiner vorläufigen Überzeugungsschrift, die den Bemerkungen meines vorigen Briefes2 entspricht, Eurer Heiligkeit dasjenige von der Weisheit vorzustellen, was man sowohl im Besonderen als auch im Allgemeinen von ihr wissen kann, bis ich eine sicherere und vollständigere Schrift verfasst haben werde. Da die Themen, die hier behandelt werden, bedeutend und ungewöhnlich sind, müssen sie mit all der Huld und Gnade aufgenommen werden, deren die menschliche Gebrechlichkeit bedarf. Denn entsprechend des siebenten Buches der Metaphysik3

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des Philosophen [ A ri­sto­te­les ] sind gerade die Dinge, | die für sich genommen am Erkennbarsten sind, für uns am schwierigsten einzusehen. Die in Dunkel gehüllte Wahrheit liegt in der Höhe und ist in der Tiefe verborgen, wie Seneca im siebenten Buch von Über die Wohltaten4 und im vierten Buch seiner Naturwissenschaft­lichen Untersuchungen5 sagt. Und auch Cicero ist im Hortensius6 der Meinung, dass unser Intellekt durch viele Schwierigkeiten gehemmt wird, da er sich gegenüber den Dingen, die seiner Natur eigentlich am meisten entsprechen, genauso verhält, wie das Auge der Eule und das der Fledermaus gegenüber dem Sonnenlicht, wie der Philosoph [ A ri­sto­te­les ] im zweiten Buch seiner Metaphysik 7 sagt. Dasselbe drückt auch Avicenna im elften Buch seiner Metaphysik8 aus, dass es hier dem Menschen [ gegenüber der Erkenntnis ] nämlich ebenso ergeht, wie dem von Geburt an Tauben in Bezug auf die Harmonien. Daher muss uns bei der Untersuchung der Wahrheit unser schwacher Verstand genügen, damit wir die Gründe und Gelegenheiten für den Irrtum – so weit wir nur können – von der Gebrechlichkeit unserer Sinne unabhängig überdenken können. Es bestehen in der Tat vier ganz große Hindernisse, die Wahrheit zu erfassen, welche sich jedem entgegenstellen, mag er noch so weise sein, sodass es kaum jemandem möglich ist, den wahren Titel der Weisheit führen zu können. Diese vier Hindernisse sind: Das Beispiel einer zweifelhaften und unwürdigen Autorität, die alltägliche Gewohnheit, die Haltung der unwissenden Menge, und die Verheimlichung der eigenen Unwissenheit durch das Herausstellen des Anscheins von Weisheit. Jeder Mensch ist in diese Übel verstrickt, jeder Stand ist davon betroffen. Denn jeder benutzt bei seinen Handlungen im Leben, im Studium und bei jeder anderen Beschäftigung die drei schlechtesten Argumente und kommt immer zu demselben Schluss: Dies ist durch das Beispiel der Älteren belegt, das entspricht der Gewohnheit, dies ist weit verbreitet: also muss man sich daran halten. Aber aus den Prämissen ergibt sich eigentlich

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KAPITEL 1

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genau der gegenteilige Schluss, wie ich durch Autoritäten, durch die Erfahrung und durch die Vernunft vielfach zeigen werde. Und wenn auch die ersten drei [ Gründe für den Irrtum ] manchmal durch die herrliche Kraft der Vernunft widerlegt werden können, so ist doch stets der vierte Grund schnell zur Hand und im Munde eines jeden, um die eigene Unwissenheit zu entschuldigen. Denn obwohl man nichts von Wert weiß, lobt man sein [ Scheinwissen ] auf unkluge Weise, damit man wenigstens sich und seine Torheit trösten kann, indem man die Wahrheit zu Schanden macht und unterdrückt. Von diesen tödlichen Plagen kommen alle Schlechtigkeiten des menschlichen Geschlechts, weil die nützlichsten, größten und schönsten Lehren der Weisheit und alle Geheimnisse der Wissenschaften | und Künste dadurch unbekannt bleiben. Doch noch schlimmer ist, dass die Menschen ihre eigene Unkenntnis nicht einsehen können, weil sie durch diese vier Gründe in der Dunkelheit gefangen sind. Im Gegenteil verdecken und verteidigen sie mit aller Sorgfalt ihre Unkenntnis, sodass sie kein Heilmittel dagegen finden können. Am schlimmsten ist jedoch, dass sie von sich glauben, sich im hellsten Licht der Wahrheit zu befinden, obwohl sie doch in der dunkelsten Dunkelheit gefangen sind. Daher denken sie, dass die wahrsten Dinge an der äußersten Grenze des Falschen liegen, dass das Beste keinen Wert hat, und dass die größten Errungenschaften weder Gewicht noch Bedeutung haben. Des­wegen feiern sie das Falscheste, loben das Schlechteste und preisen das Gemeinste: Sie sind blind gegenüber dem Glanz der Weisheit und rennen nur zu den Dingen hin, die sie am leichtesten erreichen können. Wegen der Größe ihrer Torheit verschwenden sie sinnlos all ihre Arbeit, verbrauchen viel Zeit umsonst und geben ihre finanziellen Mittel für Dinge aus, die keinen – oder doch nur einen sehr geringen – Nutzen haben. Im Urteil des Weisen haben diese Dinge jedenfalls keine Würde. Des­wegen muss die Gewalt und Schlechtigkeit dieser vier Gründe [ f ür den Irrtum ] von Beginn an bemerkt und zu-

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rückgewiesen werden: Sie dürfen in den die Weisheit betreffenden Überlegungen keine Rolle spielen. Denn wo diese drei Gründe [ f ür den Irrtum ] herrschen, bewegt sich die Vernunft keinen Millimeter, kein Recht herrscht, kein Gesetz bindet, und der rechte Glaube hat keinen Ort; die Stimme der Natur wird nicht gehört, das Angesicht der Dinge wird verkehrt, die Ordnung wird gestört, es herrscht die Sünde, die Tugend wird vertilgt, die Falschheit regiert, und die Wahrheit wird verdrängt. Daher ist nichts mehr der Betrachtung wert als die unwiderlegbare Verdammung dieser vier Gründe durch ausgewählte Sätze der Weisen, denen man nicht widersprechen kann. Da die Weisen die ersten drei Gründe gemeinsam behandeln und zurückweisen, und da der vierte Grund wegen seiner besonderen Torheit eine eigene Behandlung verdient, werde ich zuerst versuchen, die Schlechtigkeit der ersten drei Gründe aufzuzeigen. Doch auch wenn die Autorität eine der [ ersten drei ] Gründe sein mag, spreche ich hierbei in keiner Weise von der festen und wahren Autorität, die entweder durch Gottes Urteil der Kirche zuteil geworden ist, oder die dem eigenen Verdienst und der Würde der Heiligen, der Philosophen und der vollkommenen Propheten entspringt, die den menschlichen Möglichkeiten nach äußerst erfahren im Studium der Weisheit gewesen sind. Ich spreche vielmehr von jener Autorität, die sich viele ohne die Hilfe Gottes ­gewaltsam in dieser Welt angeeignet haben. Diese Autorität hat ihren Grund | nicht in dem Verdienst der Weisheit, sondern in der Hoffnung und in der Sucht nach Ruhm. Diese Autorität führt die unwissende Menge dementsprechend durch das gerechte Urteil Gottes in ihren eigenen Untergang: Denn gemäß der Schriften herrscht der Heuchler oft aufgrund der Sünden des Volks. Ich spreche von den falschen Autoritäten der unvernünftigen Menge, die nur über eine höchst fragwürdige Autorität verfügen [ und die so sind ] wie das Auge, das in Stein gemeißelt oder gemalt ist: Denn es trägt zwar die Bezeichnung eines Auges, aber es hat nicht dessen wirkliche Kraft.

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kapitel 2

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KAPITEL 2 Diese drei [ Gründe für den Irrtum ] weist die Heilige Schrift zurück, die heiligen Lehrer verdammen sie, das Kirchenrecht verbietet sie, die Philosophie tadelt sie. Da ich weiter oben bereits kurz auf philosophische Argumente eingegangen bin, und weil die Ansichten der Philosophen über diese drei [ Gründe ] weniger verbreitet sind, möchte ich diese zuerst anführen. Seneca verdammt diese drei Plagen gegen Ende des zweiten Buches seiner Briefe an Lucilius alle zusammen. Er sagt dort: »Eine der Ursachen unseres Ungemachs ist die, dass wir uns in unserer Lebensweise nach dem Beispiel anderer richten und uns nicht durch die Vernunft leiten lassen, sondern der Gewohnheit als Führerin folgen. Wären es nur wenige, die dies täten, dann würden wir nicht geneigt sein, es ihnen nachzumachen; aber wenn die Mehrzahl sich dazu bereit findet, als wäre es anständiger, weil es überwiegend geschieht, so schließen auch wir uns an. So gelangt an die Stelle des gesunden Urteils der Irrtum zur Herrschaft, sobald er sich der öffentlichen Meinung bemächtigt hat.«9 Auch der Philosoph [ A ri­sto­te­les ] tadelt in seiner ganzen Philosophie die unwürdigen Autoritäten und zählt im zweiten Buch seiner Metaphysik10 vor allem die Gewohnheit und den Einfluss der Menge zu den Gründen für den menschlichen Irrtum. Und Seneca wiederum sagt im Buch Über das glückliche Leben, dass »sich niemand nur für sich selbst irrt, sondern er auch der Grund und der Urheber für den Irrtum der anderen [ ist ]. Und so treibt mit uns der Irrtum, der von Hand zu Hand weitergegeben wird, sein Spiel und wir gehen am Beispiel der anderen zugrunde«11. Und im zweiten Buch von Über den Zorn äußert sich derselbe Autor über das Übel der Gewohnheit folgendermaßen: »Nur schwer kann man die Laster loswerden, die mit uns aufgewachsen sind.«12 In seinem Buch Über das glückliche Leben bekräftigt er gegen die verbreiteten Ansichten ferner: »Und doch verwickelt uns

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nichts in größere Übel, als dass wir uns nach dem Gerede der Leute richten, indem wir das für das Beste halten, was mit großer Zustimmung angenommen ist und wovon wir viele Beispiele haben, und dass wir nicht nach der Vernunft, sondern nach Beispielen leben: daher jene gewaltige Ansammlung von Menschen, | die Einer über den Andern fallen. Was bei einem großen Menschengedränge der Fall ist, wo das Volk sich selbst drückt, dass Niemand fällt, ohne noch einen Andern nachzuziehen und die Vordersten die Folgenden in den Untergang führen. Das magst du im ganzen Leben sich zutragen sehen.«13 An derselben Stelle fügt er hinzu, dass »das Volk gegen die Vernunft in Verteidigung seines eigenen Verderbens steht«14. Weiter unten meint er zudem: »Es steht mit den menschlichen Angelegenheiten nicht so gut, dass das Bessere den Meisten gefällt«15, und er schließt: »Die Menge ist der Beweis für das Schlechteste«16. Ebenso sagt auch Marcus Tullius [ Cicero ] im dritten Buch seiner Gespräche in Tusculum: »Wenn wir aber den Lehrern anvertraut worden sind, werden wir mit verschiedenen Irrtümern so getränkt, dass die Wahrheit dem Schein und die Natur selbst den gefestigten Irrtümern nachgibt.«17 Im Lucullus sagt er [ Cicero ] darüber hinaus: »Einige schließen sich irgendeinem Freund an, oder sie lassen sich fangen durch eine Rede eines beliebigen Menschen, unter dessen Zuhörer sie zuerst geraten sind: dann entscheiden sie über Dinge, die sie nicht erkannt haben. Und gegen welche Lehre auch immer sie wie von einem Sturm getrieben worden sind, daran klammern sie sich fest wie an einen Felsen. Aber meistens ziehen sie es vor, in die Irre zu gehen und die Auffassung, die sie einmal lieb gewonnen haben, zu verteidigen, statt dass sie ohne Rechthaberei untersuchen, welche Aussage am meisten gefestigt ist.«18 Und wegen der Schlechtigkeit der Gewohnheit fragt er im ersten Buch Über die göttliche Natur: »Empfindet nicht ein Naturphilosoph Scham, mit Hilfe von menschlichen Vorstellungen, die nur auf der Gewohnheit beruhen, einen Wahrheitsbeweis antreten zu

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wollen ?«19 In der Vorrede des zweiten Buches der Fragen schreibt er gegen die Ansichten der Menge weiterhin, dass die Philosophie »mit wenigen Richtern zufrieden ist, sie flieht bewusst die Menge und ist ihr verdächtig und verhasst«20. In demselben Buch sagt er auch: »Mir scheint alles rühmenswerter, was ohne das Volk als Zeuge geschieht.«21 Andere hingegen greifen diese Fehler einzeln an. So fragt Adalardus in seinen Naturfragen bezüglich der zweifelhaften Autorität: »Was ist Autorität dieser Art denn anderes als ein Halfter ? Denn ebenso wie die wilden Tiere durch ein Halfter geführt werden und nicht wissen, wohin oder weshalb, so werden auch einige von uns, welche durch die tierische Grausamkeit der ­Autorität gefangen sind, ins Verderben geführt.«22 Und im Buch Über die Ewigkeit der Welt wird gesagt: »Derjenige, der aufgrund der Liebe zur Gewohnheit eine Seite einer Frage wählt, kann nicht die richtige | Ansicht herausfinden.«23 Auch Averroes schreibt zu diesem Thema gegen Ende des zweiten Buches seines Physikkommentars: »Die Gewohnheit ist das größte Hindernis für die Erkenntnis vieler offensichtlicher Dinge. Denn so, wie jemandem, der an irgendwelche Handlungen gewöhnt ist – mögen sie auch schädlich sein – diese leicht von der Hand gehen und er daher denkt, sie seien nützlich, so werden ihn auch falsche Ansichten, an die er sich seit seiner Jugend gewöhnt hat, dazu bringen, die Wahrheit nicht einzusehen, genauso wie einige so sehr an Gift gewöhnt sind, dass es für sie zur Nahrung geworden ist.«24 Dazu passend sagt Averroes auch im zweiten Buch seiner Metaphysik, dass »die Gegenteile der Prinzipien, wenn sie anerkannt worden sind, lieber von der Menge angenommen werden, weil sie vielfach belegt sind, als die Prinzipien selbst.«25 Ebenso schreibt auch Hieronymus im Prolog zum fünften Buch seines Jeremiaskommentars, dass »die Wahrheit auch mit wenigen zufrieden ist und sich von der Vielzahl der Feinde nicht abschrecken lässt«26. Und Johannes Chrysostomus sagt in seinem Kommentar über Matthäus, dass »die­jeni­gen, die

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sich mit der Zustimmung der Menge bewaffnet haben, zugleich eingestehen, dass sie der Wahrheit entbehren«27.

KAPITEL 3 Was durch die [ a ngeführten ] Autoritäten bewiesen ist, kann durch die individuelle Erfahrung noch deutlicher gezeigt werden. Denn wir sehen bei uns selbst und bei anderen, dass diese drei [ Gründe für den Irrtum ] meistens zum Schlechten führen und in der Regel mit dem Falschen verbunden sind; selbst wenn sie manchmal doch mit guten und wahren Dingen vermischt sein sollten, sind sie doch größtenteils unvollkommen und nehmen nur einen niederen Rang in der Weisheit ein. Denn in ihren Handlungen und den meisten anderen Belangen folgt die Tochter der Mutter, der Sohn dem Vater, der Sklave dem Herrn, der Untertan dem König, der Untergeordnete dem Übergeordneten und der Schüler dem Lehrer, weil es für die Nachkommen Adams typisch ist, für sich selbst Autorität zu beanspruchen und das eigene Beispiel ins Licht zu stellen. Schließlich lieben gemäß des vierten Buchs der Nikomachischen Ethik28 des Ari­sto­te­les alle Menschen vor allem ihre eigenen Werke: so lieben Eltern ihre Kinder, die Dichter ihre Versmaße usw. Viele Menschen sind daher schon an eine zu große Schreibfreiheit gewöhnt worden, sodass sie nicht einmal gezögert haben, ihre Gedanken böswilligen und tierischen Menschen zur Verfügung zu stellen: Warum also füllt ihr alle eure Seiten nicht | noch weiter ? Warum schreibt ihr nicht auch noch auf die Rückseiten ? Solche Leute sind wie hinkende und blinde Schäfer mit vielen Schafen, die auf falschen Pfaden umherirren und nicht wissen, wie sie zur heilsamen Weide der Weisheit zurückfinden sollen. Sie sind wie Vögel, die ohne Flügel fliegen wollen, weil sie für sich den Rang eines Lehrers beanspruchen, bevor sie gute Schüler gewesen sind. Derartige Menschen fallen zwangsläufig in viele Irr-

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tümer, weil die Trägen sich für glücklich halten, wenn sie sich miteinander vergleichen. Ihnen geht es genau wie jemandem bei einem Rennen, dem seine eigene Verzweiflung verbietet, den Wettlauf anzutreten: Wie erbärmlich auch immer dieser scheinen mag, wird er sich dennoch demjenigen gegenüber glücklich schätzen, der rennend in eine unvorhersehbare Grube fällt. So sehen wir mit unseren eigenen Augen, dass auf ein Beispiel für die Wahrheit im Leben und in der Wissenschaft mehr als tausend Irrtümer kommen. Die Welt ist voll von solchen Beispielen, und ein Beispiel wahrer Vollkommenheit deckt zugleich sehr leicht zehntausend unvollkommene auf. Die Natur selbst hat uns in den Zahlen ein Lehrstück für die Verteilung von Vollkommenheit und Unvollkommenheit an die Hand gegeben: Denn man nennt eine vollkommene Zahl eine Zahl, deren Teiler genau diese Zahl bilden. Von den vollkommenen Zahlen gibt es nur eine unter zehn, nämlich die sechs. Und nur eine zwischen zehn und 100, nämlich 28; und eine zwischen 100 und 1000, nämlich 496; und eine zwischen 1000 und 10 000, nämlich 8128, usw. Wenn dieses Verhältnis auch bei den Menschen so wäre, würde es für die Menschheit ja schon vollkommen ausreichen. Doch dieses Verhältnis gab es bei den Menschen noch nie, weder in den Wahrheiten des praktischen Lebens noch in der Wissenschaft. Es wird auch bis zur letzten Vernichtung der Sünde nicht eintreten, weil nicht nur von denen kaum welche existieren, die in jeder Wahrheit und Wissenschaft vollkommen sind, sondern weil es sogar kaum solche gibt, die auch nur eine Wahrheit oder Wissenschaft ausgeschöpft haben. Aus diesem Grund gibt es Menschen der ersten Art nur sehr wenige, und es wird und hat sie bisher kaum gegeben. Denn solche Menschen [ der ersten Art ] sind die wahrhaft Vollkommenen; doch von 10 000 Menschen kann nicht einer gefunden werden, der so vollkommen in seiner Lebensführung oder in der Weisheit wäre; wenn es doch nur von der zweiten Art der Vollkommenheit einen von zehn gäbe usw., damit die

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Vollkommenheit der Zahlen bei den Menschen erhalten bliebe ! Doch dem ist nicht so, ganz im Gegenteil. Auch betreffs der Gewohnheit zeigt sich uns durch | die Erfahrung unserer eigenen Handlungen, was ich anhand der Beispiele dargelegt habe. Jeder möge sein Leben von seiner Kindheit an betrachten: Er wird finden, dass es sehr viel leichter für viele seiner Handlungen war, das Schlechte und Falsche auf die Gewohnheit zurückzuführen, weil die Wiederholung aufgrund der menschlichen Gebrechlichkeit die Mutter der Übersättigung ist.29 Daher erfreut sich der elende Mensch an der Vielzahl der Dinge, die er den von mir angeführten Autoritäten entsprechend für nützlich hält; [ doch auch wenn er glaubt, dass diese Dinge nützlich seien ] zieht er doch nur die Dinge vor, die schlecht und falsch sind, und die ihm selbst und seinen Mitmenschen schaden. Es verhält sich [ bei den menschlichen Angelegenheiten ] nämlich so, dass die menschliche Verdorbenheit (wenn nicht die besondere Gnade und ein besonderes göttliches Privileg bei einigen Einzelpersonen eingreifen) in den meisten unserer Handlungen die Überhand behält, sodass wir Dinge tun, die der Wahrheit und dem Wohlergehen entgegengesetzt sind. Daher wird der Mensch weder müde, seine Sünden zu wiederholen, noch überkommt ihn der Ekel, wenn er viele eitle Dinge tut. Wenn sich jemand von seiner Jugend an in seiner Lebensführung und in der Wissenschaft der Wahrheit widmen würde, wäre er dennoch hier und in den meisten seiner Handlungen unvollkommen und würde sich an der Unvollkommenheit freuen, weil ihn die Vollkommenheit eher regelmäßig betrüben würde. Schließlich freut die Vollkommenheit nur sehr wenige, was ganz besonders für die Tugenden und Wissenschaften gilt. Daher schützt die Jugend nur selten vor Fehlern, und der alte Mann gelangt nur unter größten Schwierigkeiten zur Vollkommenheit in irgendetwas, was auch für die Menge [ der übrigen Menschen ] gilt. Die Mehrheit der Menschen hat sich schon immer in der Wahrheit Gottes geirrt, und nur die Minderheit der Christen hat

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sie empfangen. Und selbst von diesen wenigen Christen wissen wir, dass sie überwiegend unvollkommen sind, wie die kleine Zahl der Heiligen zeigt. Dasselbe gilt auch für die Philosophie, weil die meisten stets die Weisheit der Philosophie entbehrt haben, wie anhand der kleinen Zahl der Philosophen offensichtlich ist, von denen wiederum die Mehrzahl stets unvollkommen geblieben ist. Ari­sto­te­les ist hier mit seinenr Anhängern von allen bekannten Philosophen der einzige, dem alle Weisen übereinstimmend [ den Rang eines wahren Philosophen ] zubilligen, weil er alle Teile der Philosophie den Möglichkeiten seiner Zeit entsprechend geordnet hatte: Doch selbst er hat nicht das letztendliche Ziel der Weisheit erreichen können, wie weiter unten klar gezeigt werden wird.

KAPITEL 4 Doch wie zweifelhaft eine Autorität auch sein mag, sie hat doch stets einen ehrenvollen Klang. Die Gewohnheit führt uns jedoch noch weit mehr zur Sünde als eine zweifelhafte Autorität, | da das öffentliche Vorurteil noch stärker ist. Denn die Autorität lockt einen Menschen nur an, die Gewohnheit hingegen bindet ihn, und die öffentliche Meinung macht den Menschen starrsinnig und bestätigt ihn darin. Die Gewohnheit ist nämlich eine zweite Natur, wie der Philosoph [ A ri­sto­te­les ] in seinem Buch Über das Gedächtnis30 und seinen Problemata31 sagt, weshalb sie uns mit mehr Macht als die Autoritäten führt. Daher stimmt der Philosoph im zehnten Buch der Nikomachischen Ethik32 mit den Worten Jeremias’33 über die Haut der Äthiopier überein, wenn er [ A ri­sto­te­les ] sagt, »dass es unmöglich oder doch nur sehr schwer möglich ist, sich zum Besseren zu ändern, wenn man an schlechte Gewohnheiten gewöhnt ist«. Auch Sallust stimmt dem Urteil Salomons in seinem Buch Über den Krieg gegen Ju­ gurtha zu, wenn er sagt, dass »sie ihr Alter dort verbringen, wo

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sie in ihrer Jugend waren«34. Die öffentliche Meinung ist in der Tat schlimmer als alle anderen Meinungen. Dieser Ansicht ist auch Seneca im dritten Buch seiner Deklamationen, wo er meint, dass »die Menge, wenn sie einmal in Bewegung geraten ist, das richtige Maß nicht einhalten kann«35, wozu auch Johannes Chrysostomus in seinem Matthäuskommentar hinzufügt: »Sie sind zusammengekommen, um den­jeni­gen durch die Überzahl zu besiegen, dem sie mit Vernunftgründen nicht beikommen konnten.«36 Man muss daher sorgfältig bedenken, dass die unerfahrene Menge hierdurch nicht nur leichter vom Schlechten zu überzeugen ist, als durch die anderen beiden [ Gründe für den Irrtum ], sondern dass sie auch äußerst töricht und daher noch weiter vom Ziel der Weisheit entfernt ist. Denn ein Beispiel der Vollkommenheit mag zwar bei einer Einzelperson zur Gewohnheit anregen, doch der Menge reicht es meist schon, wenn sie sich einmal nicht irrt. Daher fordert die Kirche auch in keiner Weise, dass ihre Vollkommenheit von der Menge aufgenommen wird. Denn sogar innerhalb des religiösen Standes befinden sich nur sehr wenige im Zustand der Vollkommenheit, und die Menge irrt in ihrem Umkreis umher. So verhält es sich mit den meisten Laien und säkularen Klerikern, wie wir mit eigenen Augen klar sehen können: Denn weder stieg die Menge mit Moses auf den Berg, noch wurden der Verklärung Christi alle seine Apostel teilhaftig, sondern nur drei, die hierfür extra ausgewählt worden waren. Und obwohl die Menge der Vollkommenheit Christi für zwei Jahre gefolgt war, während Christus predigte, verließ sie ihn danach doch und schrie: »Kreuzige ihn !«37 Denn die Menge kann nichts Vollkommenes beibehalten, und es wäre wirklich schon wünschenswert, dass sie sich im Leben und im Studium nicht ständig irren würde. Solches sehen wir sowohl in der Wahrheit des Glaubens als auch bei den Lehrern der Philosophie. Denn immer schon waren die Weisen von der Menge geschieden, weshalb sie die Geheimnisse der Weisheit

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auch nicht nur vor der Welt, sondern auch vor der Menge der Philosophen | verschleiert haben. Deshalb haben sich die Weisen Griechenlands, von denen auch Aulus Gellius38 in seinem Buch Attische Nächte schreibt, während der Nachtstunden versammelt, um sich von der Menge unbehelligt der Betrachtung der Weisheit widmen zu können. Schon der Titel [ dieses Buchs ] weist auf das nächtliche Zusammentragen der Weisheit hin, in denen die attischen Weisen, also die Weisen der Athener, gefeiert haben, dass sie bei der Betrachtung der Weisheit von der Menge frei waren. In seinem Buch sagt [ Aulus Gellius ] auch, dass »es dumm ist, einen Esel mit Kopfsalat zu füttern, wenn ihm auch Disteln reichen«. Dabei bezieht er sich auf die Menge, für die rohe, billige und unvollkommene Nahrung absolut ausreicht. Außerdem gehört es sich nicht, Perlen vor die Säue zu werfen39, denn der­jenige, der die Geheimnisse öffentlich macht, verringert die Herrlichkeit der Dinge: Sie bleiben nämlich nicht geheim, wenn die Menge von ihnen weiß, wie im Buch der Edelsteine40 gelehrt wird. Auch Ari­sto­te­les schreibt in seinem Buch der Geheimnisse, dass ein Mensch »die Siegel des Himmels bricht, wenn er die Geheimnisse der Natur öffentlich macht«41. Daher haben die Weisen in ihren Schriften zwar die Wurzeln der Weisheit beschrieben, doch die Zweige und Früchte derselben haben sie der unwissenden Menge der Philosophierenden nicht enthüllt. Sie haben entweder gar nicht darüber geschrieben, oder sie haben sie durch eine bildliche Rede und durch viele andere Maßnahmen, von denen jetzt nicht gesprochen werden kann, verborgen. Des­wegen heißt es gemäß eines Ausspruchs des Ari­sto­te­les und seines Lehrers Sokrates im Buch der Geheim­ nisse42 auch, dass wir die Geheimnisse der Wissenschaften nicht auf die Häute von Ziegen und Schafen schreiben sollen, damit sie nicht von der unwissenden Menge entdeckt werden, weshalb selbst die Weisesten und die Erfahrensten sehr oft die größten Schwierigkeiten in den Büchern der Alten finden.

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Der Philosoph [ Ari­sto­te­les ] trennt die Menge von den Weisen an der Stelle im ersten Buch der Topik43, an der er das Wahrscheinliche behandelt: Denn er sagt, dass das Wahrscheinliche etwas sei, das entweder den meisten oder den Weisen als wahr erscheine. Unter allen werden nämlich die meisten und die Weisen zusammen verstanden, also wird mit »die meisten« die unwissende Menge bezeichnet, weshalb der Weise keinen Anteil an der stumpfsinnigen Menge hat. Das resultiert nicht nur aus der Dummheit, die der Menge selbst eigen ist, sondern auch daraus, dass sie bei den meisten Dingen einem trägen und schwachen Kopf folgt, welcher der Urheber aller Fehler und Unvollkommenheiten ist, und durch dessen Nicken sie bei jedem Ereignis geführt wird, wie ich in meinem vorhergehenden Brief 44 bereits bemerkt habe. Deshalb | kann die unkundige Menge niemals zur Vollkommenheit der Weisheit aufsteigen, da sie nicht weiß, wie sie die Dinge von größtem Wert gebrauchen soll: Wenn ihr nämlich doch einmal eine Sache von Wert unterkommen sollte, verwandelt die Menge sie in etwas Schlechtes, weshalb ihr die Wege zur Vollkommenheit durch Gottes gerechten Beschluss verschlossen sind; und sie handelt ihm gemäß schon am Besten, wenn ihr gestattet wird, sich einmal nicht zu irren. Schon ihre Bezeichnung sagt alles über sie, was bis hier gezeigt worden ist, weil sie von allen Autoren die »unerfahrene« oder »unwissende Menge« genannt wird. Die Unerfahrenheit aber besteht im ­Irrtum und in der Unvollkommenheit, weshalb der Menge der Irrtum und die Unvollkommenheit eigen sind, und weshalb sie sich öfter irrt, als dass sie – und sei es auch nur auf unvollständige Weise – die Wahrheit hören will. Viele sind berufen, doch nur wenige werden für die Empfängnis der göttlichen und philosophischen Wahrheit auserwählt. Deshalb sagt auch der Philosoph [ A ri­sto­te­les ] im zweiten Buch der Topik45, dass wir fühlen müssen wie die wenigen, auch wenn wir Reden sollten wie die vielen, immer den Ort und die Zeit bedenkend: Denn manchmal ist es die größte Klugheit, die Dummheit der Menge

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täuschend echt nachzuahmen, vor allem, wenn sie sich in dem für sie typischen Wahnsinn befindet. Aus all dem gehen die Übel und die Torheit der drei [ Gründe für den Irrtum ] hervor, die für das Menschengeschlecht von unendlichem Schaden sind, weshalb sie uns in jedem Fall suspekt sein müssen; niemals darf man ihnen trauen. Am meisten muss jedoch das öffentliche Vorurteil wegen der besonderen von mir genannten Gründe zurückgewiesen werden. Nicht, weil man dadurch mitunter über etwas Wahres stolpert, sondern weil es in den meisten Fällen zum Falschen führt. Und nur äußerst selten haben ein Beispiel und die Gewohnheit etwas der Vollkommenheit ähnliches an sich; die Menge jedoch gelangt niemals zu irgend­einer Vollkommenheit, wie oben erläutert worden ist.

KAPITEL 5 Wir können keinen Schutz für die Verteidigung gegen diese Übel haben, wenn wir nicht den Aufträgen und Ratschlägen Gottes und seiner Schrift, des Kirchenrechts, der Heiligen und Philosophen und aller Weisen der alten Zeiten folgen. Wenn wir diesen Aufträgen und Ratschlägen jedoch folgen, können wir uns nicht irren und nicht für irgendetwas getadelt werden. Im vorigen sind grundsätzliche Sentenzen der Philosophen vorgebracht worden, um die Schlechtigkeit und Torheit dieser Irrtümer deutlich aufzuzeigen, | damit wir sie vermeiden können und [ damit wir sehen, dass wir sie ] vermeiden müssen. Doch aus den bereits angegeben Gründen der Verhüllung der Zeugnisse der Philosophen habe ich in anderen Bereichen bis hierher geschwiegen. Nun kann ich jedoch weitere ähnliche Zeugnisse angeben, durch welche der Rat und der Auftrag, jene [ Gründe für den Irrtum ] zu vermeiden, noch klarer aufscheinen. So sollten wir gegen die Vorurteile der Menge den Aufruf aus dem Buch Exodus aufgreifen: »Du sollst nicht folgen der Menge zum Bösen und nicht also

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verantworten vor Gericht, dass du der Menge nach vom Rechten weichest.«46 Dies sollten wir durch den Ratschlag Tullius [ Ciceros ] gegen Ende seines Buches der Fragen ergänzen, der dort sagt: »Ich möchte aber doch nicht, magst du auch im Blickpunkt der Menge stehen, dass du von ihrem Urteil abhängst und dasselbe für das Schönste hältst wie sie.«47 Und Seneca lädt uns in seinem Buch Über die Menge der Wörter dazu ein und ermuntert uns, vom Weg der Menge abzuweichen, wenn er sagt, dass »du noch nicht glücklich [ zu nennen bist ], wenn die Menge dich noch nicht ausgelacht hat«48. Gegen die allgemeine Gewohnheit können wir auch den Rat Cyprians anführen: »Die Gewohnheit ohne Wahrheit ist nur ein alter Irrtum. Folgen wir also der Wahrheit und lassen den Irrtum hinter uns !«49 Auch Augustinus lehrt ähnliches, wenn er sagt, »dass die Wahrheit, sobald sie offensichtlich ist, die Gewohnheit ablösen möge, weil die Wahrheit und die Vernunft die Gewohnheit stets ausschließen«50. Und Isidor: »Die tägliche Gewohnheit möge der Autorität weichen; mögen Gesetz und Vernunft über die schlechte Gewohnheit siegen.«51 Daher sagt auch Tullius [­­­  Cice­ro  ] in seinem Buch Über die Unsterblichkeit der Seele, indem er jene, die die Gewohnheit fliehen, lobt und rühmt: »Es ist das Zeichen eines großen Geistes, seine Überlegungen von der Gewohnheit frei zu machen. Hier muss also der Name der Autorität begünstigt werden. Daher sind unsere Vorgänger zu verehren, ob sie nun über wirkliche Autorität oder auch nur über scheinbare Autorität verfügen, die darin besteht, die Menge zu führen.«52 Und gegen die Anmaßung einer nur scheinbaren Autorität lassen sich nicht nur die Aussprüche und Ratschläge Gottes, der Heiligen, der Philosophen und aller Weisen anführen; sondern darüber hinaus kann auch alles, was gegen die Sünden der menschlichen Gebrechlichkeit bei den wahren Autoritäten gesagt werden kann, gegen die nur scheinbaren Autoritäten angeführt werden, weil sie dies mit den wahren Autoritäten gemeinsam haben. Wenn wir daher Ratschläge und Aussprüche

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selbst gegen die Mängel der wahren Autoritäten anführen können, wie viel mehr gelten diese dann erst für solche, die sich diesen Titel missbräuchlich angeeignet haben ! Aber dennoch: Weil die wahrhaftigen Autoren, | wie die füh­ renden Heiligen und Philosophen, uns sehr in der Betrachtung [ der Weisheit ] geholfen haben, müssen wir ihnen dankbar sein, so wie auch Ari­sto­te­les im ersten Buch der Metaphysik 53 seinen Vorgängern dankbar ist und ihnen für ihre zahlreichen Ent­ deckungen gegen Ende der Widerlegungen54 Dank auszusprechen begehrt. Da sie die ersten Grundsteine gelegt haben, müssen wir ihnen nicht nur dafür dankbar sein, sondern ihnen für das gesamte Wissensgebäude einen gewissen Teil unserer Ehrerbietung zollen. Oder formulieren wir es so, wie Seneca es im dritten Buch seiner Naturwissenschaft­lichen Untersuchungen sagt: »Bei allem, was von den Nachgeborenen gefunden wird, muss doch die Ehrerbietung den Vorgängern entgegengebracht werden, weil es ein großer Geist war, der zum ersten Mal den Schleier von den Dingen genommen hat; schon viel hat der­jenige zu den Ent­deckungen beigetragen, der hoffte, sie zu finden. Auch wenn unsere Vorgänger aufgrund der menschlichen Gebrechlichkeit vielfach gefehlt haben mögen, muss man sie daher doch entschuldigen.«55 In demselben Buch fügt Seneca daher auch hinzu, dass »man den Älteren mit Nachsicht zuhören sollte«56.

KAPITEL 6 Wegen der Erbsünde und wegen jeder individuellen Sünde sind die einzelnen Teile des Gesamtbildes [ in unserer Zeit ] jedoch beschädigt worden: Die Vernunft ist erblindet, die Erinnerung schwach, der Wille verdorben. Zudem gibt es das Wahre und Gute nur auf eine Weise, das Falsche und das Schlechte, die dem Wahren und Guten entgegengesetzt sind, treten hingegen in unendlich vielen Variationen auf, weshalb es leicht ist (wie

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der Philosoph [ A ri­sto­te­les ] im zweiten Buch seiner Nikomachi­ schen Ethik 57 exemplarisch verdeutlicht) von einem gegebenen Ziel ­wegen der vielen möglichen Ablenkungen abzuweichen. Denn die Wahrheit und die Tugend liegen zwar genau in einem Punkt, doch gibt es unendlich viele Wahrheiten und Tugenden; und da­rüber hinaus gibt es unzählige Stufen jeder Wahrheit und Tugend, weshalb der menschliche Geist offensichtlich nicht ausreicht, um alles zu erfassen und bei allen einzelnen Aspekten das Falsche und Schlechte zu vermeiden. Aus diesem Grund kann man auch den wahren Autoritäten noch leicht weiteres hinzufügen und sie in vielen Dingen korrigieren. Das lehrt auf ganz wundervolle Weise Seneca in seinen Naturwissenschaft­lichen Untersuchungen, wenn er im dritten Buch sagt: »Die Ansichten der Alten sind nicht genau genug. Ohne den rechten Sachverstand sind sie mitunter um das Wahre herumgeirrt; denn alle Dinge waren für die ersten Forscher neu und sind erst später ausgefeilt worden. Keine Sache ist von Beginn an vollendet.«58 Im | vierten Buch schreibt er ferner: »Es wird eine Zeit kommen, in der das, was nun verborgen ist, der Tag und die Sorgfalt einer weiter entfernten Zeit ans Licht bringen werden; zur Erforschung so großer Dinge reicht ein Menschenleben nicht aus. Vieles, was uns noch unbekannt ist, werden die Menschen eines späteren Zeitalters wissen. Es wird eine Zeit kommen, in der sich unsere Nachfolger darüber wundern werden, dass wir so offensichtliche Dinge nicht wussten.«59 Zu dieser Thematik meint auch Priscian im Prolog zu seiner lateinischen Grammatik, dass nichts im Bereich der menschlichen Erfindungen vollkommen ist60 und fügt hinzu, »je jünger sie sind, desto scharfsichtiger«61, weil die Jüngeren einer späteren Zeit auf der Arbeit ihrer Vorgänger aufbauen können. Da meine Ansicht nun schon durch [ Vernunft-]Gründe und durch Autoritäten bestätigt worden ist, möchte ich sie im Folgenden drittens noch durch die Wirkung belegen. Denn die Nachfahren haben schon immer etwas zu den Werken der Vorgänger

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hinzugefügt. So haben sie vieles korrigiert und noch mehr verändert, was vor allem für Ari­sto­te­les gilt, der [ in seinen Schriften ] alle Ansichten seiner Vorgänger diskutiert hat. Avicenna und Averroes haben danach ihrerseits viele von Ari­sto­te­les’ Ansichten korrigiert. Sogar noch heute wird er für seine zu ungenau formulierte Meinung über die Ewigkeit der Welt getadelt, was jedoch nicht verwunderlich ist, weil er selbst von sich zugibt, nicht alles gewusst zu haben. So gibt er zum Beispiel zu, die Quadratur des Kreises nicht gekannt zu haben62, was für uns mittlerweile als gelöstes Problem gilt. Wenn er jedoch das nicht wusste, dann wusste er auch viele weitere und weit wichtigere Dinge nicht. Und Avicenna, der Führer und die größte Autorität der Philosophie nach Ari­sto­te­les – wie auch der Kommentator [ Averroes ] an der Stelle über die Ursache des Regenbogens in seinem Kommen­ tar zur Meteorologie des Ari­sto­te­les [ über Avicena ] sagt und wie auch dessen [ Avicennas ] Werke selbst zeigen, welche die gesamte Philosophie und im Besonderen die Philosophie des Ari­sto­te­les in die richtige Ordnung gebracht haben –, Avicenna also sagte von sich selbst, dass ihm die Materie des Regenbogens unbekannt gewesen sei, wie auch der Kommentator [ Averroes ] eingesteht. Im dritten Buch der Physik63 scheut er [ Avicenna ] sich auch nicht zuzugeben, dass ihm eine der zehn Kategorien unbekannt sei, nämlich die Kategorie des ›Habens‹. Ohne Zweifel enthält auch sein Buch über die Philosophie Fehler und Irrtümer, wie zum Beispiel im neunten Buch der Metaphysik64 , in dem ein Irrtum über die Erschaffung der Welt auftritt. Dort schreibt er nämlich, dass Gott aufgrund seiner unendlichen Einheit, und damit ihm nicht eine Vielzahl an Naturen zugeschrieben werden könne, nichts erschaffen kann als Eines, also den ersten Engel, welcher den zweiten Engel mit dem ersten Himmel erschaffen habe. Der zweite Engel seinerseits habe dann den dritten Engel mit dem zweiten Himmel erschaffen usw. Ebenso irrt er sich auch ganz offensichtlich, wenn er im zehnten Buch [ der Meta­ physik ] weiter sagt, dass jede Sünde eine letztendliche | Reini-

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gung in dem anderen Leben erhalten wird, und dass die sündigen Seelen zum ewigen Heil zurückkehren.65 Es ließen sich hier noch viele weitere derartige Irrtümer [ Avicennas ] anführen. Daher hat ihn auch sein bedeutendster Nachfolger Averroes in vielen Dingen widerlegt; und unsere Weisen korrigieren nun Averroes in noch weit mehr Dingen, und zwar nicht zu Unrecht: Denn zweifellos hat auch er sich an vielen Stellen geirrt, auch wenn er an anderen Stellen sehr wahr gesprochen hat. Doch wenn sich schon die alten Männer der Vergangenheit so getäuscht haben, um wieviel mehr dann erst die jüngeren ! Da auch sie in viele Fehler abgeglitten sind, haben sie sich noch mehr in ganz notwendigen Dingen geirrt, viele unnütze und überflüssige Dinge angehäuft und Zweifelhaftes, Dunkles und Verwirrendes verbreitet, was an ihren Büchern und an der Wirkung für uns ersichtlich ist: Durch welch große Schwierigkeiten werden wir deshalb bei der Betrachtung der Wahrheit bedrückt, und wie sehr wanken wir umher, weil doch fast jeder Philosoph einem anderen widerspricht, sodass nicht einmal in einer der eitelsten Fragen oder dem trivialsten Scheinbeweis oder in irgendeiner Tätigkeit der Weisheit, sei es in der Medizin, der Chirurgie oder in irgendeinem anderen wissenschaft­lichen Gebiet, auch nur einer mit dem anderen übereinstimmt ! Doch geht dies nicht nur den Philosophen so. Auch den Heiligen selbst sind mitunter menschliche Fehler unterlaufen, weshalb auch sie viele ihrer Aussprüche neu überarbeitet haben. Sogar Augustinus, der als Meister der Aufdeckung verborgener Wahrheiten gilt, hat ein Buch66 geschrieben, in dem er seine eigenen falschen Aussprüche überarbeitet hat. Auch Hieronymus zögert in seinem Kommentar über Jesaja und an vielen anderen Stellen seiner Werke nicht, seine Sätze zu verbessern. Er gesteht nämlich selber ein, dass er sich aufgrund der Schnelligkeit des Diktierens bei der Übersetzung an mehreren Stellen geirrt habe, ebenso wie auf vielfältige andere Weise.67 Diese Fehler sind auch allen anderen Lehrern unterlaufen. Die Heiligen haben ­sogar

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gegenseitig ihre Positionen korrigiert und sich einander nur zu häufig vehement widersetzt. Paulus hat sich sogar Petrus widersetzt, wie er selber zugibt; Augustinus tadelt die Aussprüche des Hieronymus; und Hieronymus widerspricht Augustinus in mehreren Dingen. Dies wird an ihren Beispielen ganz deutlich; und die Nachfahren haben sowieso stets die Meinungen ihrer Vorgänger korrigiert. Denn Origines, der nach der Ansicht aller der größte Kirchenlehrer war, wurde von seinen Nachfolgern dennoch in vielem zurückgewiesen, weil er unter anderem den Irrtum von Avicenna vorweggenommen hatte, dass die sündigen Seelen am Ende nicht verdammt werden.68 Und nachdem viele berühmte und heilige Kirchenlehrer den Namen Israel dahingehend erklärt haben, er bedeute »der Mann, der Gott | sieht«, kam Hieronymus und zeigte in seinem Genesiskommentar69 mit unwiderlegbaren Vernunftgründen, dass diese Erklärung die ganze Zeit falsch gewesen war, wie weiter unten erläutert werden wird. Hieronymus sagt: »Auch wenn sie Autoritäten sein mögen und auch wenn der Schatten der­jenigen, die Israel als ›Mann, der Gott sieht‹ interpretiert haben, uns sehr bedrücken mag, stimmen wir doch mehr mit Gott oder einem Engel überein, der diesen Namen gegeben hat, als mit der Beredsamkeit irgendeiner säkularen Autorität.«70 Auch die katholischen Lehrer haben in ihren heutigen Studien viele Aussprüche der Heiligen für den öffentlichen Gebrauch ­geändert, indem sie versuchen, sie so getreu als möglich unter Erhaltung der Wahrheit auszulegen.

KAPITEL 7 Da es sich so verhält, dürfen wir nicht an allem festhalten, was wir gehört und gelesen haben, sondern müssen auf das Genaueste die Auffassungen der früheren Generationen prüfen, um hinzuzufügen, was bei ihnen fehlte, und um zu berichtigen, wo

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Irrtümer unterlaufen waren. Freilich müssen wir dabei mit aller Bescheidenheit und gleichsam entschuldigender Behutsamkeit verfahren. Doch können wir uns zu solch einem Wagnis aufschwingen, nicht nur, weil die Notwendigkeit es erfordert, damit wir nicht die Wahrheitssuche aufgeben oder dem Irrtum verfallen, sondern gerade aufgerufen durch Beispiel und Autorität jener Persönlichkeiten der Vergangenheit, damit wir nicht für unsere Anmaßung getadelt werden. Denn Platon sagt: »Sokrates ist mein Lehrer und Freund, doch noch mehr ist die Wahrheit meine Freundin.«71 Und Ari­sto­te­les meint, »dass er lieber mit der Wahrheit übereinstimmen wolle als mit Platon, unserem Lehrer.«72 Diese Aussage wird durch die Lebensbeschreibung des Ari­sto­te­les 73 ebenso bestätigt wie durch sein erstes Buch der Nikomachischen Ethik und sein Buch der Geheimnisse 74. Auch Seneca äußert sich in seinem Buch über die vier Kardinaltugen­ den dahingehend: »Lass dich nicht durch die Autorität des Sprechenden beeindrucken; achte nicht darauf, wer etwas sagt, sondern darauf, was jemand sagt.«75 Ähnlich schreibt auch Boethius in seinem Buch De disciplina scholarium: »Es ist töricht, allen Reden des Lehrers zu glauben, denn zuerst kommt der Glaube, bis man weiß, was der Lehrer eigentlich genau meint; daraufhin muss man annehmen, dass der Lehrer sich womöglich geirrt hat, damit der Schüler fähig ist, einen Mangel in der Argumentation des Lehrers aufzuzeigen.«76 Augustinus sagt zu diesem Thema zu Hieronymus, dass er nur von den Evangelisten glauben wolle, dass sie sich beim Schreiben | nicht geirrt haben. Doch von den Schriften anderer, wie heilig und gelehrt sie auch sein mögen, möchte er nicht deren Wahrheit annehmen, wenn sie nicht durch den Kanon und andere Autoren oder durch Vernunftgründe beweisen können, was sie sagen.77 Und an Vincentius schreibt er: »Ich kann und darf nicht abstreiten, dass es ebenso wie in den Schriften der Alten auch in meinen Werken vieles gibt, was mit gerechtem Urteil und ohne zu große Tollkühnheit in Frage gestellt werden kann.«78 Im Prolog

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des dritten Teils seines Buchs Über die Dreifaltigkeit fügt er hinzu: »Wenn du in meinen Büchern etwas nicht als ganz sicher annehmen kannst, nimm es nicht als Tatsache an.«79 So sagt er auch zu Fortunatus: »Auch dürfen wir die Streitgespräche von irgendwem, mögen sie auch gerühmte und katholische Menschen sein, nicht den kanonischen Schriften gleichsetzen, sodass wir nicht unter Beibehaltung der Hochachtung, die wir diesen Menschen schulden, irgendetwas in ihren Schriften missbilligen und zurückweisen, wenn wir herausgefunden haben, dass sie anders gedacht ­haben, als es die Wahrheit gebietet, wie wir sie mit Gottes Hilfe, dem Verständnis von anderen oder auch von uns aus, verstehen. Meine Einstellung gegenüber den Schriften anderer ist dieselbe, mit der ich auch meine Werke eingeschätzt wissen will.«80 Daher sind wir aufgrund der Notwendigkeit, Falschheiten zu vermeiden und zu einer höheren Stufe der Weisheit zu gelangen, dazu befähigt und sogar gezwungen (und werden darin auch von den vollkommenen Heiligen und Philosophen bestärkt), deren Aussprüche mitunter am rechten Ort und zur rechten Zeit zu verändern und ihren Ansichten etwas hinzuzufügen. Doch noch viel mehr sind wir gegenüber den­jeni­gen dazu verpflichtet, die unwissend sind – vor allem den Führern der Unwissenden gegenüber, weil die Häupter der Menge nicht an die Würde der Autorität der großen Heiligen, Philosophen und Weisen der Vergangenheit der alten Zeiten heranreichen, von denen wir einige auch in unseren Zeiten gesehen haben.

KAPITEL 8 Es gibt kein Heilmittel gegen diese drei [ Gründe für den Irrtum ], wenn wir nicht mit aller Kraft wirkliche Autoritäten den falschen vorziehen, und die Vernunft der Gewohnheit und die Aussprüche der Heiligen und Weisen den Ansichten der Menge. Niemals dürfen wir diesem dreifachen Argument vertrauen: Das ist durch

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Beispiele belegt, das ist der Brauch, das ist weitverbreitet, also muss man es so machen. Denn aus dem vorher Gesagten, das mit den Aussprüchen der Heiligen und aller | Weisen übereinstimmt, geht deutlich hervor, dass der gegenteilige Schluss aus den Prämissen folgen muss. Auch wenn die ganze Welt von diesen Gründen für den Irrtum erfüllt sein mag, sollten wir doch in aller Freiheit auf das Gegenteil der verbreiteten Meinungen hören. Denn auch Averroes sagt gegen Ende des zweiten Buches seiner Physik81, es sei ein wirksames Heilmittel gegen diese Übel, dass die schlechten Gewohnheiten durch das Hören auf ihr Gegenteil aufgelöst werden können. Er selbst hat sich lange mit der Vorstellung, dass wir aus Gewohnheit auf äußere Einflüsse hören, beschäftigt, und er bestätigt dies auch durch die Darstellung der Wirkungen, wenn er sagt, dass die öffentliche Meinung des­wegen stärker als die Ansichten der Philosophen sei, weil die Menge es nicht gewohnt sei, verschiedene Seiten einer Über­legung einzubeziehen; die Philosophen hingegen täten genau dies. Daher bitte ich Eure Weisheit, nicht erstaunt darüber zu sein, dass ich gegen die Meinung der Menge und die weitverbreiteten Beispiele schreibe. Denn das ist der einzige Weg, zu einer wirklichen Betrachtung der Vollkommenheit und der Wahrheit zu gelangen.

KAPITEL 9 Doch es gibt nicht nur diese grundlegenden Übel gegenüber dem Lernen und dem Leben, sondern es gibt noch ein viertes und viel schlimmeres Übel, das auch jeden Stand betrifft und jeden Einzelnen lenkt. Ich habe die ersten drei genannten Gründe zusammen behandelt, weil die Weisen auch oft so verfahren sind, und ich behandle den vierten Grund gesondert, weil er besonders schlimm ist. Denn dieser Grund ist ein ganz spezielles wildes Tier, das alle Vernunft auffrisst und zerstört: Es ist der Wunsch, weise zu erscheinen; und es fällt jeden Menschen an. Denn wie

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gering und eitel unser Wissen auch sein mag, wir stellen es dennoch heraus; wir verbreiten vieles, was wir eigentlich gar nicht wissen und verbergen so unsere Unwissenheit, wo immer wir können und zeigen absichtlich, dass wir uns wegen nichts verherrlichen. Alles, was wir nicht wissen, wo unser Wissen heraus­ zukehren also keinen Wert hat, verneinen wir, weisen es zurück, tadeln und zerstören es, damit wir nur nicht so wirken, als ob wir etwas nicht wüssten. Wir verdecken unsere Unkenntnis wie eine Frau [ ihre Hässlichkeit ] mit ihrem Putz und ihrer buhlerischen Schminke, was ein äußerst schlechtes Gegenmittel ist, weil wir damit alles Nützliche, Gute, Schöne und seiner Eigenschaft | nach Sichere von uns und anderen fernhalten. Diese Pest erhält neben der absoluten eigenen Schlechtigkeit noch eine Steigerung, weil sie auch der Quell und Ursprung der anderen drei genannten Übel ist. Denn aufgrund dieses zu großen Eifers für unsere eigenen Ansichten und als Entschuldigung unserer Unwissenheit entsteht sofort die Anmaßung einer zweifelhaften Autorität, die sich vor allem darauf stützt, das Eigene herauszukehren und das Fremde zu tadeln. Und da jeder Mensch seine Werke liebt, wie Ari­sto­te­les82 sagt, gewöhnen wir uns mit äußerster Bereitschaft an unsere eigenen [ Irrtümer ]. Weil sich jedoch niemand nur für sich allein irrt, sondern seine Irrtümer mit größter Bereitwilligkeit auch an sein Umfeld weitergibt, wie Seneca im zweiten Buch seiner Briefe an Lucilius83 ausführt, drängen wir unsere Einbildungen den anderen auf und verbreiten sie, soweit wir nur können. Aus diesem Grund müssen diese basalen Gründe [ f ür den Irrtum ] vor allen anderen Dingen behandelt werden, damit der Fehler, der bei geistigen ebenso wie bei körperlichen Krankheiten auftritt, vermieden werden und die Wahrheit aufscheinen kann. Die Mediziner lernen schließlich die besonderen Gründe einer Krankheit anhand ihrer Symptome kennen; doch diesen [ Symp­ tomen ] geht eine Kenntnis der umfassenderen Gründe voraus, die der Mediziner durch die allgemeine Kenntnis der Natur ken-

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nen muss, weshalb der Philosoph [ A ri­sto­te­les ] in seinem Buch Über die Wahrnehmung und das Wahrnehmbare 84 schreibt, dass die Medizin dort beginne, wo die Naturphilosophie aufhöre. Auf diese Art müssen auch in der Heilung der Unwissenheit und der Fehler zuerst die besonderen Anzeichen und Gründe [ f ür den Irrtum ] gezeigt werden, damit man zur gesunden Wahrheit geführt werden kann; doch vor allem müssen die allgemeinen Gründe [ f ür den Irrtum ] herausgestellt werden, ohne die weder die Anzei­chen noch die besonderen Gründe erkannt werden können. Denn der uns angeborene Weg des Wissens führt vom Allgemeinen zum Besonderen, wie der Philosoph [ A ri­sto­te­les ] zu Beginn seiner Physik85 sagt, da wir die folgenden Dinge nicht erfassen können, wenn wir die vorhergehenden allgemeineren Gründe nicht kennen. Der vierte Grund [ f ür den Irrtum ] ist seit dem Altertum aber viel stärker geworden, wie wir heute sowohl bei den Theologen als auch in der Philosophie durch die eigene Erfahrung und durch zahlreiche Beispiele deutlich sehen. Moses, | ein ganz einfacher Mann, erhielt das Weisheitsgesetz von Gott; und doch haben der Pharao, die Ägypter, die Hebräer und alle Nationen gegen ihn gemurmelt, sodass das von Gott auserwählte Volk diese Weisheit fast nicht annehmen wollte. Dennoch obsiegte das Gesetz gegen seine Gegner, welche die Weisheit eher verneinten und behinderten, als sie zu lernen. Ähnlich brachten auch der Herr Jesus Christus, der einfach und ohne Falsch war, sowie seine ganz einfältigen Apostel die Weisheit in die Welt. Ihnen wurde nur aufgrund der Neuheit ihrer Lehre widersprochen; und doch wurde die heilige Wahrheit (wenn auch unter größten Schwierigkeiten) schließlich empfangen. Daraufhin wollten die heiligen Kirchenlehrer fließende Erläuterungen des göttlichen Gesetzes geben, um unter den größten Anstrengungen die Kirche mit der Weisheit zu bewässern, und doch sind sie für lange Zeit als Häretiker und Verbreiter von Falschheiten zurückgewiesen worden: Denn wie die Prologe

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des Hieronymus zu seinen Bibelkommentaren und seine anderen Werke zeigen, wurde er als Verderber der Schrift und als Sämann von Falschheiten und Häresien bezeichnet, weswegen er in seiner Zeit unterlag und seine Werke nicht öffentlich machen konnte. Doch nach seinem Tod kam die Wahrheit seiner Übersetzung und seiner Erklärungen ans Licht und erreichte die Kirche, sodass keine Spur mehr von der alten Übersetzung der siebzig Interpreten [ Septuaginta ], die zuvor in der Kirche benutzt worden war, gefunden werden kann. Als der selige Papst Gregor [ der Große ] seine Autorität noch geltend machen konnte, wurde seinen Büchern nicht widersprochen; doch nach seinem Tod drängten wichtige Leute in der Kirche darauf, dass sie verbrannt würden. Durch ein wunderschönes Wunder Gottes wurden sie jedoch gerettet und seine Weisheit erschien der Welt in all ihrer Wahrheit und mit den vollständigsten Beweisen. In ähnlicher Weise begegneten allen Lehrern der Heiligen Schrift Hindernisse bei der Verbreitung der Wahrheit, weil sie immer auf Widersprüche und Hindernisse stießen, wenn sie die Lehre erneuern wollten. Und dennoch wuchs die Wahrheit stets und wird bis zum Tag des Antichristen weiterwachsen. Dasselbe gilt auch für die Philosophie. Denn Ari­sto­te­les, der seinen Vorgängern in vielem widersprechen und vieles erneuern wollte, wurde zurückgewiesen, auch wenn er der Weiseste von allen war; und seine Weisheit ist fast bis heute verborgen geblieben. Zuerst holte | Avicenna die Philosophie des Ari­sto­te­ les bei den Arabern in ihr volles Licht zurück, da die Menge der Philosophen ihn bis dahin nicht kannte. Nur wenige hatten vor der Zeit Avicennas auch nur eine ungefähre Vorstellung von der Philosophie des Ari­sto­te­les, obwohl Avicenna doch lange nach der Zeit Mohammeds gelebt und philosophiert hat. Und auch Avicenna erlebte viele Widerstände gegen seine Philosophie, obwohl er doch ein außergewöhnlicher Erklärer und der größte Nach­ahmer des Ari­sto­te­les war. Denn Averroes, der Größte nach ihnen, und andere [ Philosophen ] verdammten Avicenna jenseits

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jedes Maßes, und auch wenn die Worte des Averroes in der heutigen Zeit mit großem Dank von den Weisen aufgenommen werden, wurde er seinerseits lange Zeit von bekannten Weisen vernachlässigt, verschmäht und zurückgewiesen, bis die Würdigkeit seiner Weisheit allmählich anerkannt wurde, auch wenn er manchmal nicht ganz richtig gesprochen hat. Denn wir wissen, dass in unseren Zeiten in Paris lange Einspruch gegen die Naturphilosophie und Metaphysik des Ari­sto­te­les in der Aus­legung des Avicenna und des Averroes erhoben worden ist, weshalb aufgrund einer erschreckenden Unkenntnis ihre Bücher gemeinsam mit den­jeni­gen, die ihre Bücher benutzt haben, für eine ziemlich lange Zeit exkommuniziert worden sind. Da die Dinge heute so liegen, schätzen wir Modernen die genannten Männer als Philosophen und Heilige und wissen, dass jede Hinzufügung und Vermehrung der Weisheit durch sie alle nur mögliche Anerkennung verdient. Und auch wenn sie in vielen anderen Bereichen möglicherweise geringer anzusetzen sein mögen, auch wenn sie in vielen Bereichen ein wenig oberflächlich gewesen sein mögen, auch wenn sie in einigen Bereichen vielleicht sogar der Korrektur und der Erklärung bedürfen, ist uns doch bewusst, dass jene, die in ihrem Leben die Zeugnisse der Wahrheit und der Nützlichkeit dieser genannten Männer behindert haben, sich allzu sehr geirrt haben und sehr schädlich in dieser Hinsicht waren. Doch sie haben nur aus Unwissenheit, und weil sie ihre eigenen Wissenschaften herausstellen wollten, so gehandelt. Daher sollten wir dieses Argument auch auf uns selbst anwenden, damit wir, wenn wir etwas für uns Unbekanntes ablehnen und tadeln, wissen, dass dies zur Verteidigung unserer eigenen Unwissenheit geschieht, und damit wir das Bisschen, was wir wissen, weiter emporheben können. Erlauben wir also, dass Werke eingeführt werden, die sich an und mit der Wahrheit freuen, weil die Wahrheit – wenn auch mitunter vielleicht nur unter großen Schwierigkeiten – ohne Frage bei den Weisen

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immer siegen wird, bis | der Antichrist und seine Vorgänger auftauchen werden. Denn die Güte Gottes hat schon immer das Geschenk der Weisheit durch eine Abfolge von [ weisen Männern ] vergrößert und deren Aussprüche in der Nachfolge anderer Menschen zum Besseren hin verändert.

KAPITEL 10 Zwei weitere Probleme müssen noch diskutiert werden, und zwar die Prahlerei mit vorgetäuschtem Wissen und die fruchtlose Entschuldigung unserer Unwissenheit. Zum ersten Punkt ist zu bemerken, dass sich niemand für die vielen Dinge, die er weiß, zu sehr rühmen sollte, weil die Wahrheiten Gottes und der erschaffenen Welt unendlich viele sind; und in jeder dieser Wahrheiten gibt es unzählige Abstufungen, weshalb man nur sehr wenige von ihnen wissen kann. Und da unser Verstand sich des bereits zitierten Ausspruchs des Philosophen86 entsprechend gegenüber den Dingen, die am wichtigsten sind, ebenso verhält wie das Auge der Fledermaus zum Sonnenlicht, können wir nur sehr wenig wissen; denn sicherlich ist eine Sache, die unser Verstand leicht erfasst, nur sehr mittel­ mäßig und eitel, und je schwerer unser Verstand etwas begreifen kann, desto würdiger ist die Sache. Dennoch ist alles, was unser Verstand erfassen kann, unwürdig gegenüber den Dingen, an die er aufgrund seiner Schwäche zu Beginn zu glauben verpflichtet ist, wie etwa die göttlichen Wahrheiten und die Geheimnisse der Natur und der Kunst, welche die Natur vervollkommnet, die zu Anfang von keiner menschlichen Vernunft verstanden werden können. Aus diesem Grund muss der Verstand zu Beginn von Gott ein inneres Licht empfangen, das heißt die heiligen Wahrheiten der Gnade und des Ruhmes [ Gottes ]. Und durch die Erfahrung seiner Sinne muss der Verstand für die Erkenntnis der Geheimnisse der Natur und der Kunst erweckt werden.

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Was wir glauben, ist aber noch viel schwerer erkennbar als das, was wir nicht wissen; so ist es zum Beispiel mit den Geheimnissen Gottes und den Mysterien des ewigen Lebens, die der Apostel [ Paulus ]87 gesehen hat, als er zum dritten Himmel entrückt worden ist. Er wusste nicht, ob er sich in seinem Körper oder außerhalb davon befand und sah so große Dinge, dass kein Mensch davon sprechen kann. Ähnlich verhält es sich auch mit den erschaffenen Dingen; denn aufgrund der großen Schwierigkeiten, mit denen unser Verstand behaftet ist, | kann der Mensch sicherlich nichts mit endgültiger Gewissheit erkennen, bevor er nicht Gott von Angesicht zu Angesicht geschaut hat. Selbst wenn er für alle Ewigkeit in dieser sterblichen Hülle leben würde, würde er doch nie zur Vollkommenheit und zur Gewissheit der Weisheit bei den unzähligen wissbaren Dingen gelangen. Denn niemand kennt die Natur so gut, dass er auch nur alle Wahrheiten über die Natur und Eigenschaften einer einzigen Fliege mit Sicherheit wissen könnte: Er könnte niemals die Gründe für ihre Farbe angeben, oder warum sie genau diese Anzahl an Füßen hat, noch könnte er einen Grund für ihre Teile nennen. Es ist für den Menschen also unmöglich, in diesem Leben zu einer vollkommenen Weisheit zu gelangen. Auch die Wahrheit einzusehen, ist in diesem Leben allzu schwierig, weil der Mensch meist zu allem neigt, was eitel und falsch ist; daher sollte sich der Mensch seiner Weisheit nicht rühmen, und niemand sollte das verherrlichen und herauskehren, was er weiß. Denn sein Wissen ist gering und wertlos im Vergleich zu dem, was er nicht weiß, sondern nur glauben kann, und noch viel geringer im Vergleich zu dem, was er allein nicht weiß. Da ferner gegenüber dem, was der Mensch weiß, noch unzählige Dinge bleiben, von denen er keine Kenntnis hat, die jedoch ohne Zweifel unvergleichlich größer, besser und schöner sind, kann der­jenige, der mit seiner Weisheit angibt, nur verrückt genannt werden. Am verrücktesten ist jedoch der­jenige, der seine Weisheit auch noch öffentlich

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vorzeigt und seine Wissenschaft als etwas ganz Wunder­bares öffentlich verbreiten möchte. Zudem: Wer kann es wagen, sich seiner Weisheit zu rühmen, wenn alles, was ein wie auch immer gelehrter Mensch in 30 oder 40 Jahren unter den größten Ausgaben und mit der härtesten Arbeit gelernt hat, einem lernwilligen Jungen durch schrift­liche und mündliche Unterweisung ausreichend in einem Jahr oder sogar noch weniger beigebracht werden kann ? Denn dies habe ich durch den Jungen88 gezeigt, der nun vor Euch steht. Er kam in großer Armut zu mir und war nur sehr mäßig unterwiesen. Doch nachdem er nur ungefähr ein Jahr lang von mir unterwiesen worden war, wusste er bereits soviel, dass sich alle darüber wundern, die ihn kennenlernen. Ich kann mit Sicherheit über ihn sagen, dass es zwar einige geben mag, die mehr über die Philosophie und die Sprachen wissen und ihn auch in anderen Bereichen übertreffen mögen, doch gibt es unter den Lateinern niemanden, der ihn in allen Bereichen übertrifft: | In einigen Bereichen ist er mit ihnen auf der gleichen Höhe, in anderen übertrifft er sie sogar. Es gibt daher niemanden unter den Lateinern, der ihm nicht mit Gewinn zuhören könnte, noch gibt es jemanden unter den Lateinern, der so weise wäre, dass dieser Junge für ihn nicht auf viele Arten notwendig sein könnte. Denn auch wenn er alles durch meinen Rat, meine Führung und meine Hilfe gelernt hat und ich ihm selbst vieles durch mündliche und schrift­liche Unterweisung beigebracht habe, übertrifft er mich alten Mann doch bereits in vielen Dingen, weil er bessere Wurzeln erhalten hat, von denen er heilsame Früchte erwarten kann, die ich niemals mehr erhalten werde. Warum sollte ich mich also für meine Wissenschaft rühmen ? Ich sage damit nicht, dass einige Weise und Experten durch die ihnen eigene Kraft nicht leichter und schneller viele Geheimnisse der Weisheit erkennen konnten als dieser Junge durch sich selbst, weil er seine eigenen Anlagen noch nicht genügend ken-

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nen gelernt hat und bisher noch nicht erfahren hat, was er eigentlich weiß. Auch weiß er noch nicht wirklich, was er mit den erhaltenen Grundlagen anfangen kann. Aber da er von den Wurzeln her die anderen übertrifft, wie bereits gesagt worden ist, könnte keiner von den Alten ihn auf dem vollen Fluss der Weisheit überholen, wenn er durch gesunde und wirkungsvolle Führung auf der erworbenen Grundlage weitergelenkt werden würde. Und da sich die Weisen meist unwissender fühlen als die Toren, die es sich selbst nicht eingestehen wollen, sehen wir, dass weisere Menschen bereitwilliger die Unterweisung von einem anderen annehmen. Sie verachten auch nicht die Einfalt eines Lehrers, sondern lernen bereitwillig von Bauern, alten Weiblein und Jungen, weil die­jeni­gen, die als einfach und fachfremd eingeschätzt werden, häufig viele große Dinge wissen, die den Weisen entgehen, wie Ari­sto­te­les im zweiten Buch vom Schlafen und Wachen89 lehrt. Gott hat der Schrift zufolge mit dem einfachen Volk gesprochen; und auch die Erfahrung versichert uns dieser Tatsache, da weit mehr Geheimnisse der Weisheit durch einfache und vernachlässigte Menschen gefunden worden sind als durch die­ jeni­gen, die bei der Masse berühmt waren. Denn die berühmten Menschen beschäftigen sich mit Bekanntem, und das kann nichts Großes sein, wie aus dem bereits Gesagten klar hervorgeht; und ich selbst habe | unvergleichlich mehr nützliche und wertvolle Dinge von einfachen und den Gelehrten unbekannten Menschen gelernt als von all meinen bekannten Lehrern. Daher habe ich Eurer Weisheit dieses Beispiel vorgestellt und Euch diesen Jungen gesandt. Nicht nur aus den beiden bereits genannten Gründen, sondern als vollkommenes Argument dafür, dass niemand sich seiner Weisheit rühmen oder über die Einfältigen spotten sollte, die Dinge ans Licht bringen, die Gott den Gelehrten in der Wissenschaft nicht zugestanden hat. Denn diese Leute können viele Geheimnisse wieder auffinden und aufdecken, welche die Weisen bis dahin noch nicht gefunden haben.

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KAPITEL 11 Eine zweite Sünde, die hier gezeigt werden muss, besteht darin, dass die Unkenntnis den Platz der Überzeugung einnimmt. Doch wenn die Wahrheit bekämpft wird, herrschen die Sünde und die Bosheit, dann wächst die hässliche Unwissenheit noch weiter und zeigt sich klarer. Sie wächst, weil sie von sich und den anderen die Weisheit fernhalten will; sie zeigt sich klarer, weil sie im Angesicht Gottes und der wahrhaftigen Menschen gemäß dem Urteil aller Weisen deutlicher erkannt wird; und da von einem Richter erwartet wird, dass er die Gründe für einen Fall kennt, hat der unerfahrene Mensch nicht die Autorität, da­ rüber zu urteilen, worüber er sich in Unkenntnis befindet. Wenn er also über die Dinge [ über die er sich in Unkenntnis befindet ] ein positives oder negatives Urteil abgibt, kann sein Urteil keinen Bestand haben, sondern man muss ihm widersprechen, weil kein Satz über Autorität verfügt, der aus Unkenntnis ausgesprochen wird. Selbst wenn ein solcher Satz vielleicht die Wahrheit ausdrücken sollte, wäre dies jedoch nicht wahrscheinlich. Denn ein Satz hat keine Autorität, wenn er etwas verdammt, wo eigentlich er selbst zu verdammen wäre, wie Seneca in seinem Buch Über die Kardinaltugenden90 sagt. Daher muss jeder Mensch – sei er der öffentlichen Meinung oder der Wahrheit nach ein Weiser, sei er ein guter Mann, ja, sei er selbst ein Heiliger –, der etwas Unbekanntes annimmt oder zurückweist (besonders, wenn er dies tut, um seine Unwissenheit zu entschuldigen oder um seine scheinbare Weisheit zu zeigen) selbst zurückgewiesen werden; und man muss ihm darin widersprechen, auch wenn er in anderen Bereichen lobenswert sein mag. |

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KAPITEL 12 Ich habe diesen Grund für unsere Übel zusätzlich zu den anderen drei [ Gründen ] extra ausführlich eingeführt, damit wir wissen, dass in der heutigen Zeit und in vergangenen Tagen viele äußerst nützliche und notwendige Dinge – sowohl im Allgemeinen betrachtet, wie auch in Bezug auf die vier bereits genannten Bereiche – allein wegen der Unkenntnis verneint, vernachlässigt und zurückgewiesen werden. Anstelle davon, hier unzählige weitere Beispiele anzuführen, auf die ich in den einzelnen späteren [ Kapiteln dieses Buches ] näher eingehen werde, möchte ich vorerst auf einige allgemeinere Punkte zu sprechen kommen. Denn obwohl die Kenntnis der Sprachen und der Mathematik für das Studium der Lateiner von größter Notwendigkeit ist, wie ich es früher bereits angesprochen habe und an dem dafür passenden Ort noch näher ausführen werde91; und obwohl [ diese Wissenschaften ] von allen Heiligen und Weisen des Altertums benutzt worden sind, vernachlässigen wir Modernen sie, zerstören sie und weisen sie zurück, weil wir ihren Nutzen nicht verstehen. Nur weil einige Weise und Heilige [ der vergangenen Zeiten ] bestimmte [ Bereiche dieser Wissenschaften ] entweder aufgrund der menschlichen Schwäche oder auch aus Vernunftgründen vernachlässigt haben, vernachlässigen auch wir sie mit aller Hartnäckigkeit und weisen sie ganz entschlossen zurück. Zudem bestärken wir unsere Unwissenheit noch dadurch, dass wir vorbringen, auch die Heiligen und Weisen hätten dies so gemacht. Dabei beachten wir aber gar nicht, dass jeder Mensch – sei er auch ein Heiliger oder ein Weiser – nur unvollkommen an der Weisheit teilhat, wie oben viele Male anhand von Beispielen, Autoritäten, der Vernunft und der Erfahrung gezeigt worden ist. Zudem wollen wir nicht nur die menschliche Schwäche nicht einsehen, sondern wir beachten auch die vielen vernünftigen Gründe nicht, die die Heiligen und Weisen in Anbetracht ihrer Zeit und ihrer Umstände dafür hatten, viele nützliche Dinge

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­ egen des menschlichen Missbrauchs [ dieser Dinge ] zu vermeiw den. Denn [ d ie Menschen ] haben [ das Gute ] immer schon in Hindernisse für den Nutzen und das Wohlergehen verwandelt. Damit wir nicht selbst der Grund für unsere Irrtümer sind, und damit aus unserem Unverständnis der Wege der Heiligen und Weisen nicht ein großes Hindernis gegenüber der Weisheit entsteht, können wir mit frommem Sinn und ehrerbietigem Geist (und in Liebe zur Würde der Wahrheit, die allem | anderen vorgezogen werden muss) die oben schon vielfach angeführte Autorität der Heiligen und Weisen des Altertums betrachten. Wir sollten sie betrachten, sage ich, damit wir untersuchen können, ob es bei ihnen nicht womöglich gewisse Unvollkommenheiten gab, die wir nicht ohne sorgfältige Überlegung imitieren sollten, ob sie nun abgelehnt oder angenommen worden sind. Wir wissen auch, dass sie uns dafür nicht nur den Rat und die Erlaubnis gaben, sondern wir sehen auch, dass sie manches mit großem Geltungsanspruch behauptet haben, was sie später mit noch größerer Demut berichtigt haben, weshalb bei ihnen in den vergangenen Zeiten mitunter einige Unvollkommenheiten aufgetreten sind. Doch wenn sie bis zu der heutigen Zeit gelebt hätten, hätten sie noch viele weitere Dinge berichtigt und verändert, wofür ein deutliches Zeichen und ein grundlegendes Argument darin besteht, dass die späteren Lehrer viele der Behauptungen der Heiligen verändert und sie mit aller Frömmigkeit und Ehr­ erbietung in einer Art interpretiert haben, die von diesen eigentlich nicht intendiert war. Außerdem haben die Heiligen sich gegenseitig teilweise so heftig bekämpft, ihre Positionen so scharf kritisiert und zurückgewiesen, dass wir davon doch ziemlich verstört sein und uns nur wundern können. Das wird zum Beispiel anhand der Briefe von Augustinus und Hieronymus ersichtlich, aber auch anhand vieler anderer Briefe von anderen Personen. Als sich Hieronymus nämlich mit einem müden Ochsen verglichen hatte, der seine Füße bedächtiger setze, da er im Studium der Heiligen Schrift

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alt geworden sei, antwortete Augustinus, der zwar jünger als Hieronymus, aber doch bereits Bischof war, da antwortete also der Bischof dem Mönch, dass der alte Ochse seine Füße nicht wegen seiner nachlassenden Geisteskräfte, sondern wegen seiner Körperschwäche bedächtiger setze92 . Und als Augustinus viele Fragen an Hieronymus stellte, antwortete dieser: »Du stellst mir verschiedene Fragen, die ich aber als eine ständige Bemängelung meiner Werke empfinde. Ich sehe ab von der an sich gebotenen Begrüßung, wie Du sie mir entbietest. Ich übergehe die schmeichelhaften Worte, mit denen Du mich über Deine tadelnden Bemerkungen hinwegtrösten willst. Ich komme zur Sache selbst. Die Beachtung der Gesetzesbräuche kann nichts Gleichgültiges sein, sie ist entweder gut oder schlecht. Du hältst sie für gut, ich bezeichne sie als schlecht. Du willst in dieser Sache einer Gefahr ausweichen, gerätst dafür aber in eine zweite. Du willst nichts mit den Schmähungen eines Porphyrius zu tun haben, verfängst Dich aber in den Fallstricken der Ebioniten.«93 Unzählige weitere Beispiele dieser Art lassen sich aus den Büchern der Heiligen sammeln, die sowohl in Streitangelegenheiten als auch anhand tadelnder Äußerungen menschliche Schwäche in den Wissenschaften zeigen, wo sie [ d ie Heiligen ] etwas behauptet haben, was sie nicht hätten | behaupten sollen. Es steht daher fest, dass sie nicht aufgrund sicheren Wissens so gehandelt haben; also haben sie sich nur aus Scheinwissen und Annahmen heraus so verhalten.

KAPITEL 13 Doch nicht nur wegen der Schwäche der Sterblichkeit haben sie vieles verworfen, dem wir nicht zu hartnäckig anhängen sollten, sondern wir sollten sie vielmehr zu ihren Ehren mit aller Liebe und Ehrfurcht den Gesetzen der Wahrheit entsprechend interpretieren; denn viele Dinge haben sie aus verständlichen Gründen vernachlässigt.

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Einer [ dieser Gründe ] ist, dass viele Texte nicht in die lateinische Sprache übersetzt oder von einem der Lateiner zusammengestellt worden waren, weshalb es nicht verwundert, dass man damals ihren Wert nicht kannte. Die Bücher Platons hielten nämlich alle [ Kirchen- ]Lehrer in den Händen, weil sie übersetzt worden waren, aber die Bücher des Ari­sto­te­les waren zu dieser Zeit noch nicht übersetzt worden. Denn Augustinus war der erste Übersetzer und Erklärer des Ari­sto­te­les, doch er hatte seine Arbeit nur auf sein unwichtigstes und erstes Büchlein ausgedehnt, nämlich auf die Kategorien94. Aus diesem Grund war, wie gesagt, die Philosophie des Ari­sto­te­les damals weder den Griechen noch den Arabern bekannt. Daher haben die Heiligen und andere die Philosophie des Ari­sto­te­les vernachlässigt und dafür Platon gelobt. Weil sie weiterhin wussten, dass Ari­sto­te­les vielen Sätzen Platons widersprochen hatte, haben sie ihn in vielem zurückgewiesen und gesagt, er hätte viele irrige Lehren zusammengetragen. Dementsprechend sagt auch Augustinus in seinem Buch Vom Gottesstaat95, dass Ari­sto­te­les noch zur Lebenszeit seines Lehrers Platon viele für seine falschen Ansichten gewonnen hatte. Und doch ist aus dem Zeugnis aller Philosophen bekannt, dass Platon einem Vergleich mit Ari­sto­te­les nicht standhält. Wenn die Heiligen die Philosophie des Ari­sto­te­les gekannt hätten, hätten sie sie mit Sicherheit benutzt und geschätzt, weil sie die offensichtliche Wahrheit nicht unbeachtet gelassen und das Größte nicht für Kleinigkeiten eingetauscht hätten. Weiterhin wird anhand der Kategorien ganz deutlich, wie sehr die Heiligen die großen Werke des Ari­sto­te­les gelobt hätten, nachdem sie doch dieses kleine Büchlein, | das im Vergleich mit all seiner Weisheit, die sich in 1000 Abhandlungen findet, nicht einmal einen Grashalm wert ist, dermaßen gepriesen haben. Denn Augustinus selbst hat das Buch der Kategorien für seinen Sohn aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt und es sorgfältig kommentiert; er hat dabei Ari­sto­te­les für dieses nichtige Büchlein mehr gelobt, als wir es heute mit einem Großteil seiner Weisheit tun. Denn zu

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Beginn der Kategorien sagt er: »Mein lieber Sohn, auch wenn alle Wissenschaft und jedes Fach durch mündliche Überlieferung weitergegeben wird, hat sich doch in keinem Menschengeschlecht bis jetzt ein fähiger Autor gefunden, der von dem Beginn und dem Ursprung der Sprache selbst hätte sprechen wollen; daher kann man Ari­sto­te­les’ Sorgfalt nur bewundern, der alle Dinge diskutieren wollte und der dabei auch mit einer Betrachtung dessen begann, von welchem er wusste, dass es zwar von allen vernachlässigt und doch für alle notwendig war.«96 Und am Ende sagt er: »Dies ist es also, mein geliebter Sohn, was wir mit beständiger Arbeit erreicht haben, und was wir für deinen Nutzen aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt haben, damit auch du daraus die gute Frucht für das Studium ziehen kannst, die du von uns erhalten hast.«97 Ferner hat Alkuin, einer der Ausleger der Heiligen Schrift und der Lehrer Karls des Großen, die Übersetzung der Kategorien des Augustinus wunderbar gelobt und sie in seinem metrischen Prolog mit diesen Worten verziert: »Dieses Büchlein enthält die zehn Worte der Natur, Worte, welche auf ganz erstaunliche Art die Gründe aller Dinge zeigen, Und von allem, was wir mit den Sinnen wahrnehmen können; Wer dies liest, möge die wunderbare Begabung der Alten loben, und er möge sich anstrengen, damit seine Arbeit ähnlich sei wie ihre. Nun sende ich das, was unserem Lehrer Augustinus aus den Schätzen der Griechen mit einem lateinischen Schlüssel zu übersetzen gefallen hat, Euch, großer König, Schüler und Liebender der Weisheit, zu, damit Ihr es lesen und Euch an solch einem Geschenk erfreuen m ­ öget.«98

Boethius, der lange nach den heiligen Kirchenlehrern gelebt hat, hat als erster damit begonnen, mehrere der Werke des Ari­sto­ te­les zu übersetzen. Er hat einige logische Werke, einige wenige naturphilosophische Schriften und einiges der Metaphysik ins Lateinische übersetzt, aber trotzdem besitzen wir nicht einmal

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die Hälfte und auch nicht den besseren Teil [ der Philosophie des Ari­sto­te­les ]. Denn Ari­sto­te­les war lange Zeit bei den Philosophen (um gar nicht von den anderen zu sprechen) und bei der Menge der Lateiner unbekannt. Zudem | heben die Heiligen besonders seine Schriften über die Grammatik, die Logik, die Rhetorik und die allgemeine Mathematik hervor und benutzen sie in ihren Schriften an vielen Stellen. Daher lehrt Augustinus auch im zweiten, dritten und vierten Buch von Über die christliche Bildung 99 ebenso wie an ande­ren Stellen, dass [ d iese Werke ] auf die göttlichen Dinge angewendet werden müssen; und auch die anderen Heiligen unterstützen diese Ansicht. Doch von den anderen [ Werken des Ari­stote­­les ] sprechen sie selten und zu wenig. Vielmehr zeigen sie ihnen gegenüber Missbilligung und lehren manchmal auch, dass man [ diese Werke ] nicht beachten solle, wie es anhand von Ambro­ sius’ Kommentar des Briefes an die Kolosser 100, Hieronymus’ Kommentar zum Brief an Titus101, Rabanus’ Buch Über die Be­ drängnisse der Kirchenleute102 und an vielen anderen Stellen deutlich wird. Doch es steht für alle Philosophen und Theologen fest, dass diese Wissenschaften gegenüber den anderen keinen Wert und keine Würde haben. Und es steht ebenso fest, dass die Heiligen niemals diese Asche der Philosophie so hervorgehoben hätten, wenn sie in den großen philosophischen Wissenschaften Übung gehabt hätten. Sie hätten diese [ großen philosophischen Wissenschaften ] vielmehr auch auf die heiligen Dinge angewendet, denn je besser und größer die heiligen Wissenschaften sind, desto geeigneter sind sie auch für die göttlichen Dinge. Da jedoch nur die Bücher über Grammatik, Logik, Rhetorik und die allgemeine Mathematik in ihre Hände gelangt sind, halfen sie sich eben gemäß der Gnade, die ihnen gegeben worden war, damit aus; und was immer sie daraus lobenswerterweise lernen konnten, bezogen sie ausführlich auf das Gesetz Gottes, wie anhand ihrer Erläuterungen und ihrer Abhandlungen offensichtlich ist und wie an seinem Ort noch weiter ausgeführt werden wird.

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KAPITEL 14 Zudem müssen wir auch bedenken, dass auch dann, wenn sie wirklich viele von den großen Wissenschaften gehabt hätten, nicht die richtige Zeit war, sie zu benutzen, außer in zwei Fällen: Im Fall der Astronomie für die Berechnung des Kalenders und im Fall der Musik für den Gottesdienst. Denn die Kirchengeschichten machen deutlich, wie Eusebius von Caesarea, der selige Kyrill, Victorinus und Dionysius, der römische Abt, dessen Lehre die Kirche nun folgt, und andere | sich auf apostolischen Befehl mit Hilfe der Astronomie mit diesen Dingen beschäftigt haben; doch die anderen großen Wissenschaften wurden nicht beachtet, was ganz besonders für jene [ Wissenschaften gilt ], von denen bekannt ist, dass sie die Urteile und wunderbaren Werke der Weisheit enthalten. Dafür gibt es vier Gründe: Denn vor der Ankunft Christi gab die Philosophie (mit Ausnahme bei den Hebräern) der Welt die Gesetze, die sowohl den göttlichen Kult als auch die Moral und die weltlichen Gesetze regelten. Sie bestimmte die Richtlinien für den Frieden zwischen den Bürgern und für den Krieg gegen die Feinde. Und da die Philosophie die Gesetze gegeben hatte, soweit es der menschlichen Vernunft möglich ist, wie auch Ari­sto­ te­les gegen Ende der Nikomachischen Ethik103 sagt, wo er – zum Buch der Gesetze übergehend – konstatiert, dass »wir nun sagen wollen, wie viel der Philosophie in den menschlichen Angelegenheiten möglich ist,« etc., wollten die Führer der Welt – durch die Philosophen beraten – das Gesetz Christi nicht anerkennen, welches die menschliche Vernunft überstieg. Daher behinderte die Philosophie die Verbreitung des Glaubens und verzögerte ihn, weil die Welt unter der Führung der Philosophie Angst davor hatte, zu einem höheren Gesetz hingeführt zu werden. Doch nicht nur auf diese Art hat die Philosophie den christlichen Glauben gehemmt, sondern auch durch die ihr eigenen Gesetze für die Verteidigung des Gemeinwesens vor anderen

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Ansichten. Dies wird anhand der Vorhersagen für die Zukunft, des Aufdeckens von Geheimnissen der Gegenwart und von wunderbaren Werken deutlich, welche die Natur und die Kunst übertreffen. Diese [ paganen Praktiken ] lagen in Widerstreit mit den Predigern des Glaubens, die nicht durch die Kunst oder die Natur, sondern durch die Kraft Gottes Prophezeiungen über die Zukunft gemacht haben, und die durch dieselbe [ göttliche ] Kraft das Verborgene ans Licht gebracht und Wunder gewirkt haben. Denn dass die Kraft der Prophezeiungen Wunderbares hervorbringen kann, das nicht nur die Laien, sondern sogar die Kleriker für ein Wunder halten können, wird im Folgenden deutlich werden. Hinzu kommt, dass die Führer des Gemeinwesens die Heiligen Gottes mit schlimmen Verfolgungen und tödlichen Strafen belegt haben, weil sie von den Ratschlägen der Philosophen, die ihre eigenen Gesetze verteidigen wollten, dazu getrieben worden waren. Außerdem wuchs die magische Kunst überall und hielt die Menschen im Aberglauben und in der religiösen Täuschung fest. Und auch wenn die Magie von den Philosophen gehasst und von allen bekämpft wurde, wie ich am dafür geeigneten Ort noch darlegen werde, hielten die ersten Heiligen doch die Magie und die Philosophie, | welche die ganze damalige Welt beherrschten, für dieselbe Kunst und bekämpften dementsprechend beide zusammen, weil beide die Früchte des Glaubens behinderten. Denn so wie die Magier des Pharaos Moses zuwider handelten und das ägyptische Volk gegen den Befehl Gottes aufwiegelten104, hatte auch die Kirche zu Beginn unter der Gewalt der magischen Kunst zu leiden. Da die magischen Künste in ihrer Wirkung – nämlich der Behinderung des christlichen Glaubens – mit der Philosophie übereinstimmten, richtete sich der ganze Tadel [ der ersten Heiligen ] allein gegen die Philosophie. Darüber hinaus hat es Gott gefallen, dass der Kirche zu Beginn kein menschliches Zeugnis gegeben werde, sondern dass die Wahrheit des Glaubens die Welt mit solcher Kraft erleuch-

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ten sollte, dass die Autorität Gottes nur durch von ihm ausgewählte Zeugen verbreitet werde. Aus diesen Gründen wurde die Philosophie am Beginn von der Kirche und den Auserwählten Gottes nicht nur verachtet, sondern sogar gehasst; dies geschah aber nicht, weil in ihr etwas enthalten wäre, das gegen die Wahrheit ist. Denn auch wenn sie gegenüber dem christlichen Glaubensbekenntnis unvollkommen sein mag, steht ihre Macht doch den Christen nicht entgegen. Sie ist vielmehr vollkommen mit dem Christentum in Einklang, für es äußerst nützlich und auch ganz notwendig, wie alle glauben und wie noch ganz klar belegt werden wird. Denn die Kirche hat die Philosophie nicht wegen irgend­welcher Übel, die in ihr enthalten sein könnten, missachtet und zurückgewiesen, sondern wegen ihrer Verfälscher, die sie nicht mit ihrem eigentlichen Ziel – dem christlichen Glauben – vereinen wollten. Aus diesem Grund hat die ursprüngliche Kirche die Übersetzung der wichtigen Wissenschaften nicht mit großem Enthusiasmus betrieben, weswegen auch die heiligen Kirchenlehrer der Lateiner keinen Zugang zu der Vielzahl der Werke der Philosophen hatten. Da sie sich den Prinzipien der frühen Kirche angepasst hatten, haben sie vieles sehr Würdiges nicht beachtet, so wie auch sie zu Beginn aus den genannten Gründen nicht beachtet worden waren. Diese Zurückweisung der Philosophie lag aber nicht darin begründet, dass man in ihr etwas falsch oder unwürdig finden könnte, wie an späterer Stelle durch die Heiligen Gottes selbst klar erläutert werden wird. Denn es wird gezeigt werden, dass die heiligen Patriarchen und Propheten zu Beginn der Welt alle Wissenschaften von Gott bekommen haben, denen er auch ein langes Leben gegeben hatte, damit sie erproben konnten, | was ihnen geoffenbart worden war: Damit die Kraft der Philosophie in nutzbringender Weise auf die göttlichen Dinge angewendet werden könnte, nachdem der christliche Glaube eingeführt und die Welt von den Täuschungen der Magie gereinigt sein würde.

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KAPITEL 15

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KAPITEL 15 Weder haben die heiligen Kirchenväter die herrlichen Wissenschaften der Philosophie benutzt, noch ihre Nachfolger, wie Gratian105, der Meister der Sentenzen und der Geschichten106, Hugo von St. Viktor107 und Richard von St. Viktor108. Denn sie waren zu ihren Zeiten noch nicht übersetzt und wurden daher von den Lateinern nicht benutzt. Aus diesem Grund haben [ diese Autoren ] die Wissenschaften nicht beachtet und wussten nicht über sie zu urteilen, obwohl sie der heiligen Mysterien doch würdig sind. Aus einem Vorurteil heraus wiesen sie zurück, was sie nicht kannten, und widersprachen vielem nur, weil die heiligen Lehrer vor ihnen das auch schon getan hatten; doch sie kannten die Gründe der Heiligen dafür nicht, die darin bestanden, dass die Texte in deren Zeit nicht übersetzt worden waren, und die Kirche wollte aus den fünf bereits genannten Gründen auch nicht, dass sie übersetzt würden. Doch auch unsere zeitgenössischen Lehrer benutzen diese Texte nicht, obwohl viele philosophische Schriften mittlerweile übersetzt vorliegen. Sie erfreuen sich an kleinen und wertlosen Werken und vergessen dabei die zwei besseren Bücher über die Logik: Eines von [ diesen beiden ] ist mit einem Kommentar von Alfarabi übersetzt worden. Das andere ist ein Kommentar von Averroes, der ohne den Text des Ari­sto­te­les übersetzt worden ist. Den anderen Wissenschaften schenken sie jedoch auch keine Beachtung. So lassen sie die neun mathematischen Wissenschaften ebenso beiseite wie die sechs großen Naturwissenschaften, in denen viele weitere [ Wissenschaften ] enthalten sind, und die vier äußerst würdigen Teile der Moralphilosophie; und für ihre Unkenntnis suchen sie traurigen Trost bei Gratian und den anderen Magistern, die ebenso wie sie keine Ahnung von diesen Teilen der Philosophie hatten. Denn nach der Ankunft Christi haben die Heiligen keinen Gebrauch von der Würde der Philosophie gemacht; aber nicht des­wegen, weil sie gegen die heiligen

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Sätze oder ihrer unwürdig wäre, da die Philosophie | eine große Hilfe für das Verständnis der Theologie sein kann, ebenso wie sie eine nützliche und herrliche Hilfe für die Kirche Gottes, für das Gemeinwesen der Gläubigen und für die Bekehrung der Ungläubigen ist, wie zur richtigen Zeit noch gezeigt werden wird. Es ist daher sehr verwunderlich, dass die Mehrheit der Studenten diese Wissenschaften noch immer nicht kennt, obwohl sie doch in der Zeit nach Gratian eingeführt wurden und von ganz herausragenden Menschen der Weisheit benutzt worden sind, die wir mit eigenen Augen gesehen haben. Doch es leben auch jetzt noch einige, die diese Texte für ihre heiligen Studien gelesen haben.

KAPITEL 16 Auch wenn ich diese allgemeinen Gründe für alle unsere Übel mit aller Kritik verfolgt habe, weil ich alles auf sichere Autoritäten und die Gesinnung der Weisen und Erfahrenen gründen will (von denen es nur sehr wenige gibt), möge Eure Ehrwürdigkeit doch nicht glauben, dass ich Eure Heilige Sanftheit dazu anstacheln möchte, die zweifelhaften Autoritäten und die Menge mit Gewalt zu attackieren; noch, dass ich Unwürdiger im Schatten Eures Ruhmes über den Zustand der Studien Ärger erregen wollen würde: Denn mir geht es nur darum, dass ich Armseliger einige herabfallende Bröckchen vom reich gedeckten Tisch der Weisheit Gottes einsammeln kann. Denn die Größe Eurer Macht wird für sich und Eure Nachfolger für die vollkommene Fülle der vorteilhaften Weisheit sorgen können  – nicht nur absolut gesehen, sondern auch in den bereits genannten vier Bereichen. Denn wenn die Einsicht Eurer Vaterschaft eine größere Sicherheit in diesen Dingen erlangt haben wird, wird die Autorität Eures Urteils auch die Gelehrten und Weisen leicht davon überzeugen können, dass die­jeni­gen, die nach der Weisheit dürsten, das, was zur Zeit von der Menge der Studierenden nicht verstanden

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werden kann, mit der größten Freude zu erlangen suchen; was darüber hinaus für die Menge genügt, wird die Hoffnung bereitstellen. Denn Hieronymus sagt über Jesaia: »Die Menge ändert leicht ihre Meinung, | wenn sie erst einmal von der Wahrheit überzeugt worden ist.«109 Und dies ist wahr, außer wenn sie in den Händen von törichten Führern ist. Denn auch wenn die Menge im Allgemeinen zum Schlechten neigt und nur allzu oft einen schwachen Führer hat, kann sie doch leicht zu einem (wenn auch nur unvollkommenen) Guten gelenkt werden, wenn ihr Führer sie nicht daran hindert. Denn sie ist wankelmütig und kann, wenn sie einmal in Gang gesetzt worden ist, das rechte Maß nicht beibehalten, weshalb sie leicht zum Entgegengesetzten gelenkt werden kann, wenn ihr Führer das so entscheidet; sie schwankt durch den Wind jeder Lehre wie ein Schilfrohr; und was ihrem Führer gefällt, hat für sie Gesetzeskraft. Wir sehen daher bei jeder Menschenansammlung, dass sie nach dem Willen ihres Hauptes bewegt wird. Wenn ihr Führer das Gute nicht beachtet, fällt sie in tiefen Schlummer; drängt er sie zum Schlechten, rennt sie mit aller Leidenschaft dorthin; wenn er sie aber zum Guten anweist, eilt sie ebenso unbesonnen in diese Richtung. Wenn er sie gar zur Vollkommenheit ermahnt, schnüffelt die Menge zumindest aus der Ferne daran, auch wenn sie die Vollkommenheit freilich nicht schmecken kann, was man von ihr aber auch nicht erwarten kann, wie ich weiter oben gezeigt habe. Und auch, wenn es Eure Zeit nicht erlauben sollte, alles für die Menge zu vollenden, so wird Eure Herrlichkeit zumindest die Grundsteine legen, die Quellen freilegen und die Wurzeln einpflanzen können, damit Eure Nachfolger das, was von Euch so glücklich begonnen worden ist, leichter vollenden können.

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Über die Verwandtschaft zwischen Philosophie und Theologie Zweiter Teil dieser Überzeugungsschrift110

KAPITEL 1 Nachdem die vier grundsätzlichen Ursachen für den gesamten menschlichen Irrtum in die Hölle zurückgestoßen und von dieser Überzeugungsschrift vollständig verbannt worden sind, möchte ich in dieser zweiten Distinktion zeigen, dass es eine vollkommene Weisheit gibt, dass [ d iese Weisheit ] in den heiligen Schriften enthalten ist, und dass aus ihr alle Wurzeln der Wahrheit entsprungen sind. Ich sage daher, dass es eine Wissenschaft gibt, die die Herrin aller anderen ist, nämlich die Theologie. Die anderen [ Wissenschaften ] sind für [ d ie Theologie ] notwendig, weil sie ohne diese ihr Ziel nicht erreichen kann, und weil sie deren Kraft für sich beansprucht; dem Wink und Befehl dieser Wissenschaft unterstehen die übrigen, oder besser gesagt: Es gibt nur eine vollkommene Weisheit, die in ihrer Gesamtheit in der Heiligen Schrift enthalten ist, und die durch das kanonische Recht und die Philosophie erklärt werden soll. Die Darlegung der göttlichen Wahrheit geschieht durch jene Wissenschaften, mit denen ihr die Erklärung gleichsam in die offene Hand gelegt wird, während sie doch die gesamte Weisheit von sich selbst aus in der Faust zusammenschließt. Denn die gesamte Weisheit ist von einem Gott einer Welt zu einem Ziel gegeben worden. Daher kommt jener Weisheit aus dieser dreifachen Beziehung die Einheit zu. Auch ist der Weg des Heils nur einer, wenn auch in vielen Stufen, die Weisheit aber ist der Weg zum Heil. Denn jede Überlegung des Menschen, die nicht auf sein Heil gerichtet ist, ist

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voller Blindheit und führt letztendlich in die Dunkelheit der Hölle. Deshalb sind viele berühmte Weise verdammt worden, weil sie nicht über die wahrhaftige | Weisheit verfügten, sondern nur über eine scheinbare und falsche: da sie sich für weise hielten, sind sie Narren geworden111, wie die Heilige Schrift sagt. So meint auch Augustinus im zweiten Buch seiner christlichen Bildung über die Heilige Schrift: »Wenn es wahr ist, dann wird es hier gefunden; wenn es schädlich ist, dann wird es hier verdammt.«112 Und er verlangt von einem Christen, er müsse sich darüber im Klaren sein, dass die Wahrheit – wo immer auch er sie gefunden haben mag – zum Herrn gehört, weil die Wahrheit Jesu Christi die Weisheit der Heiligen Schrift ist. So findet sich keine Wahrheit außer jener, die in diesem Wissen enthalten ist. Ambrosius sagt dazu in seinem Kommentar über den Brief an die Colosser: »Alle Kenntnis vom Wissen oben und von der Schöpfung hier unten ist in ihm, der der Kopf und der Urheber ist, sodass der­jenige, der ihn kennt, nichts weiter suchen sollte, weil er die vollkommene Tugend und Weisheit ist. Was auch immer an einem anderen Ort gesucht wird, wird hier in Vollkommenheit gefunden.«113 Weil die Heilige Schrift uns diese Weisheit offenbart (die Christus selbst ist), findet sich in ihr alle Wahrheit eingeschlossen; wenn woanders von einer Weisheit gesprochen wird, die ihr widerspricht, wird sie falsch sein und nur den Namen der Weisheit tragen, auch wenn man vielleicht sagen mag, dass sie nur verschieden, nicht jedoch widersprechend ist. Aber die Verschiedenheit, die an einem anderen Ort nicht falsch sein mag, führt hier dennoch zu einem Widerspruch, wie durch die Autorität des Evangeliums gezeigt wird: »Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich.«114 Was zu jener Weisheit gehört, ist wahr; doch was nicht mit ihr verbunden ist, erweist sich als ihr entgegenstehend und muss für einen Christen verabscheuungswürdig sein.

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KAPITEL 2

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KAPITEL 2 Das wird noch deutlicher, wenn wir die Einteilung der Wissenschaften betrachten. Wenn wir die Wissenschaften voneinander zu trennen versuchen, können wir nämlich sagen, dass die Theologie zugleich die Wissenschaft | vom kanonischen Recht und von der Philosophie ist. Denn unter einem Teil der Philosophie, der Moralwissenschaft, die Ari­sto­te­les als »zivile Wissenschaft« [ scientia civilis ] bezeichnet hat, ist auch das Zivilrecht [ jus civile ]enthalten, wie weiter unten115 gezeigt werden wird. Doch das kanonische Recht ist nach den Heiligen Schriften und nicht von anderen Schriften her so benannt, wie schon der Name sagt. Die Bücher des Alten Testa­ments werden aber als kanonische Schriften bezeichnet, wie man im ersten Teil der Dekrete, neunte Distinktion116, und an anderen Stellen lesen kann. Oder diese Schriften werden deshalb ­›kanonisch‹ genannt, weil sie von dem griechischen Wort ›Canon‹ abgeleitet werden, das auf Latein mit ›Regula‹ [ Regel ] übersetzt wird. Und sowohl das göttliche als auch das kanonische Recht werden so gesehen, dass sie uns eine Regel für die Lebensführung vorgeben. Außerdem beruht das kanonische Recht vollständig auf der Autorität und den Auslegungen der Heiligen Schrift. Denn es wird für die Konstitutionen die Autorität der Ausleger der Heiligen Schrift – wie etwa Augustinus, Hieronymus, Gregor, Ambrosius, Isidor, Cyprian, Hilarius und andere – herangezogen; und auch die Heiligen und die höchsten Päpste führen für ihre Statuten Autoritäten und Beispiele des Neuen und des Alten Testaments an, weshalb dieses gesamte Recht nichts anderes ist, als eine Erklärung des göttlichen Willens, der in der Heiligen Schrift enthalten ist. Das kanonische Recht wird auch als Kirchenrecht bezeichnet, durch das die Kirche Gottes in geistlichen Angelegenheiten im Kopf und in den Gliedern gelenkt wird. Doch die Schrift ist auf nichts anderes gerichtet als auf die Lenkung der Kirche. Zudem

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ist auch das Naturrecht in der Heiligen Schrift enthalten, wie ebenfalls zu Anfang der Dekrete gelehrt wird: Daher muss alles, was durch die Gewohnheit angenommen oder in Schriften niedergelegt wurde, als eitel und ungültig angesehen werden, wenn es dem natürlichen Recht widersprechen sollte, wie in der achten Distinktion117 des ersten Teils [ der Dekrete ] gesagt wird. Aus diesem Grund können die kanonischen Gesetze vom gött­lichen Recht nicht abweichen, sondern müssen vielmehr aus dessen Quellen abgeleitet werden. Das allgemeine Recht ist außerdem göttlich und menschlich: Es ist göttlich, weil es durch den Geist Gottes in der Schrift für die Welt diktiert worden ist; es ist menschlich, soweit es durch menschliche Sinne gefunden worden ist. Doch die Kirche wird durch den göttlichen Sinn und Geist regiert, und daher auch durch das göttliche Recht, das in den Schriften enthalten ist; des­wegen steht es auch fest, dass die Kirche durch das kanonische Recht regiert wird, weshalb | dieses göttliche Recht aus dem Schatz der Heiligen Schriften hervorgeholt werden muss. Das wird auch ersichtlich, wenn wir die verschiedenen Teile des kanonischen Rechts durchgehen: Es regelt die Rangstufen der kirchlichen Ämter, bestimmt die Sakramente Gottes, prüft die Jurisdiktion des Gewissens und entscheidet über kirch­ liche Streitfälle. Doch die Wurzeln aller dieser Angelegenheiten – und sogar der aufgerichtete Stamm selbst – werden in der Heiligen Schrift gefunden. Die Äste gehören zu den Erklärern derselben, damit im kanonischen Recht die Blätter, die Blüten und die Früchte heilbringend ergriffen werden können. Denn der Schrift nach werden die süßen Artikel des kanonischen Rechts mit schmückenden Blättern verglichen, doch die Nützlichkeit der Blüten und Früchte wird durch passende Metaphern in den vier bereits genannten Bereichen wirksam. Daher sind die cano­ nes nur die Halme des goldenen Getreides. Die Reben des reifen Weins werden jedoch durch die Kraft der zu ihnen gehörenden Schriften hervorgebracht. Aus diesem Grund ist das kanonische

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Recht ebenso unter der Macht der Schrift in einem Körper enthalten, wie auch der Körper eines Baums durch die Wurzeln, den Stamm, die Zweige, die Blüten und die Früchte gebildet wird.

KAPITEL 3 Es soll nun im Allgemeinen und im Besonderen gezeigt werden, dass die Macht der Philosophie der Weisheit Gottes nicht fremd, sondern in ihr eingeschlossen ist. Nachdem wir dies durch Autoritäten, Beispiele und allgemeine Vernunftgründe gezeigt haben werden, wollen wir das noch ausführlicher darstellen, indem wir vier oder fünf Bereiche der Philosophie mit Bezug zur Macht der einzelnen Wissenschaften und Künste betrachten. Da die Christen die für sie nützlichen Dinge den Philosophen gleichsam als deren unrechtmäßigen Besitzern entreißen sollen, wie ich zu Anfang bereits anhand des Ausspruchs des Augustinus118 gesagt habe, muss die Philosophie der heiligen Wahrheit würdig und zugehörig sein. In demselben Buch | sagt [ Augustinus ] ferner, dass das Gold und das Silber der Philosophen nicht von ihnen selbst erfunden worden sind, sondern dass sie quasi aus Minen der göttlichen Vorsehung, die sich überall findet, ausgegraben worden sind. Das dies vorherbestimmt war, zeigt er, indem er sagt: »So wie die Ägypter auch Gefäße und Kostbarkeiten aus Gold und Silber sowie Kleider hatten, welche jenes Volk bei seinem Auszug aus Ägypten gleichsam für einen besseren Nutzen heimlich für sich beansprucht hat, so enthalten die Lehren der Heiden auch die freien Künste, die für den Gebrauch der Wahrheit recht geeignet sind, und einige sehr nützliche Vorschriften zur Lebensführung. Selbst über die Verehrung des einzigen Gottes findet sich bei ihnen einiges Wahre, das von einem Christen gleichsam von ihnen wie Gold und Silber zum guten Gebrauch der Verkündigung des Evangeliums weggetragen werden muss.«119

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Das erklärt er für alle menschlichen Erörterungen, seien sie moralischer oder historischer Art, seien sie auf die Kunst, die Natur, die Logik oder die Grammatik bezogen. Über die Moral sagt er nämlich: »Auch deren Kleidung darf man annehmen und besitzen, um sie für einen christlichen Nutzen umzuwandeln, da es sich dabei zwar um etwas handelt, was wohl von Menschen eingerichtet, aber trotzdem der menschlichen Gemeinschaft angepasst ist, ohne die wir in diesem Leben nicht auskommen können.«120 Die Geschichte betreffend sagt er: »Die Geschichtsschreibung der Heiden hilft uns sehr viel, um die Heilige Schrift zu verstehen. Denn es wird mittels der Chronologie nach Olympiaden sowie nach den Namen der regierenden Konsuln vieles oft von uns erforscht. Die Unkenntnis des Konsulats, unter welchem der Herr seinen Leidensweg ging, zwang einige zu irren, so dass sie glaubten, der Herr habe im Alter von 46 Jahren sein Kreuz auf sich genommen, weil man sagt, dass so viele Jahre lang der Tempel von den Juden aufgebaut wurde, der das Abbild des Leibes unseres Herrn darstellte.«121 Das ist durch unzählige Stellen aus dem Neuen und dem Alten Testament offensichtlich. Über die anderen menschlichen Angelegenheiten, sowohl bezüglich der Künste als auch der Naturdinge, meint er: »Auch bei allen übrigen Künsten, mit denen etwas hergestellt wird, wobei entweder irgendetwas nach der Tätigkeit des Künstlers zurückbleibt, was von jenem hergestellt wurde, wie z. B. ein Haus oder eine Bank oder irgendein Gefäß und anderes dieser Art, oder wobei diese Künste irgendeinen Dienst leisten, den Gott bewirkt, wie z. B. Medizin, Ackerbau und Seefahrt, oder wobei deren ganze Wirkung eine Tätigkeit ist, wie beim Tanz, Wettlauf und Ringkampf: Die Kenntnis dieser Künste | muss man sich aneignen, damit wir nicht gänzlich unfähig sind zu verstehen, was die Heilige Schrift vermitteln will, wenn sie hinsichtlich dieser Künste irgendwelche übertragenen Redensarten einstreut.«122 Wir sollten die Naturdinge hier in einem weiten Sinn verstehen, um auch die Medizin und den

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Ackerbau einzubeziehen. Denn diese Wissenschaften beruhen auf der Natur und sie sind zwei von acht Wissenschaften, die sich besonders mit der Natur beschäftigen, wie weiter unten erläutert werden wird. Generell sagt er über alle Wissenschaften, die die Natur behandeln: »Derjenige würde der Heiligen Schrift einen gütigen Dienst erweisen, der die Eigenschaften der Zeiten und der Orte, der Steine und der anderen unbelebten Dinge, der Pflanzen und der Tiere sammeln würde.«123 Über die logischen Wissenschaften meint er vor allem, dass die Lehre des richtigen Disputierens für alle Arten von Fragen, die in den heiligen Schriften behandelt und gelöst werden müssten, sehr wertvoll ist.124 An einer anderen Stelle desselben Buches äußert er weiterhin die Ansicht, dass es bei der Logik gegenüber den anderen Wissenschaften einen Unterschied gibt: Denn von den anderen Wissenschaften können einige nützliche und würdige Dinge für die Theologie zusammengetragen werden, doch ich sehe nicht, sagt er, ob das auch bei der Logik der Fall sein kann, weil sie sich ebenso wie Nerven durch den ganzen Korpus der heiligen Schriften zieht. Im dritten Buch von Die Ordnung125 meint er außerdem, dass sich niemand ohne die Macht der logischen Wissenschaft der heiligen Wissenschaft nähern darf. Sein zweites, drittes und viertes Buch [ seines Werkes Über die christliche Bildung ] ermahnen uns ferner nahezu überall zur Anwendung der Grammatik auf die Heilige Schrift. Und Hieronymus sagt in seinem Kommentar über den Brief an Titus über die gegenüber vielen anderen Wissenschaften besondere Nützlichkeit der Grammatik für die Theologie, dass »die Lehren der Grammatiker aber das Leben verbessern können, wenn sie zu besserem Gebrauch benutzt werden«126, worüber im Folgenden noch viele und wichtige Dinge gesagt werden. Doch über die vier mathematischen Disziplinen – also über die Geometrie, die Arithmetik, die Astronomie und die Musik –, sagt Cassiodor in seinem Buch über diese Wissenschaft [ d. h. die Mathematik ], dass sie »solange wir in häufigem Nachsinnen auf

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sie zurückkommen, unseren Verstand stärken, uns vom Bodensatz der Unwissenheit reinigen und uns, sofern uns nur geistige Gesundheit vergönnt ist, mit Hilfe des Herrn zur theoretischen Betrachtung führen. | Zu Recht raten unsere heiligen Väter, dass wir diese Wissenschaften studieren mögen. Denn dank dieser Wissenschaften wird unser Streben zu einem großen Teil von fleischlichen Dingen abgehalten. Auch wecken sie den Wunsch nach dem, was wir mit Hilfe des Herrn bloß mit dem Herzen wahrzunehmen vermögen.«127 Doch dies wird alles noch umfassender an dem dafür geeigneten Ort gezeigt werden. Wenn das bei diesen Wissenschaften schon so ist, werden die metaphysischen Wissenschaften mit den göttlichen Äußerungen noch viel mehr übereinstimmen. Denn bei den Philosophen ist der Ort eines Teils der Theologie die Metaphysik, die von ihnen als Moralphilosophie und als göttliche Wissenschaft bzw. theologische Physik bezeichnet wird, wie aus dem ersten und elften Buch der Metaphysik128 des Ari­sto­te­les sowie aus dem neunten und zehnten Buch der Metaphysik129 des Avicenna hervorgeht. Denn die Metaphysik beschäftigt sich viel mit Gott, den Engeln und anderen derartigen göttlichen Erscheinungen, woran ersichtlich ist, dass die Heilige Schrift die Macht dieser ganzen Weisheit für sich beansprucht. Augustinus lehrt zudem nicht nur die hier genannten Dinge, sondern er stellt auch fest, dass viele Heilige dasselbe gelehrt haben, wenn er fragt: »Sehen wir nicht, mit wieviel Gold vollge­ laden Cyprian, der allerangenehmste Gelehrte und glückseligste Märtyrer aus Ägypten ausgezogen ist ? Mit wieviel Laktanz ? Mit wieviel Victorin, Optat und Hilarius, um von den noch lebenden zu schweigen ? Mit wieviel die unzähligen griechischen Kirchenlehrer ? Hatte dies nicht bereits zuvor der gläubigste Diener Gottes, Moses selbst, getan, von dem geschrieben steht, dass er mit der ganzen Weisheit der Ägypter gebildet war ?«130 |

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KAPITEL 4 Neben dem seligen Augustinus behaupten das auch andere Heilige, indem sie zeigen, dass diese Aussagen unter figürlichen Reden verborgen sind, die die Heiligen benutzt haben. Für jetzt mag es genügen, den Brief des Hieronymus An Magnus den Redner anzuführen, wo es heißt: »Am Schlusse Deines Briefes stellst Du die Frage, warum ich in meinen Werken zuweilen Beispiele aus der weltlichen Literatur anführe und so den Glanz der Kirche durch den Schmutz des Heidentums besudle. Darauf sollst Du eine kurze Antwort erhalten. Du hättest Deine Frage nicht gestellt, wenn Du nicht ganz und gar im Tullius aufgehen würdest, sondern die heiligen Schriften läsest, wenn Du einmal den Volcatius beiseitelegen möchtest, um Dich mit denen zu beschäftigen, welche sie erklärt haben. Wer wüßte nicht, dass die Bücher Moses und der Propheten allerlei aus heidnischen Schriften anführen ? Dass Salomon den Weltweisen zu Tyrus eine Reihe von Fragen vorlegte und den ihrigen Rede und Antwort stand ? Deshalb ermahnt er uns auch zu Beginn seines Spruchbuches, dass man die klugen Reden und die mehrdeutigen Worte, die Parabeln und allegorischen Sprüche, die Sentenzen und Rätsel der Weisen zu verstehen trachten solle. Was kann er da anderes im Auge haben als die Darlegungen der Dialektiker und Philosophen ? Auch der Apostel Paulus hat einen Vers des Dichters Epimenides angeführt, wo er an Titus schreibt: ›Die Kreter sind immer Lügner, schlimme Bestien und faule Bäuche.‹ Auch in einem anderen Brief zitiert Paulus einen Senarius des Menander: ›Schlechte Reden verderben gute Sitten.‹ Wo der Apostel zu Athen in der Kurie des Mars auftritt, beruft er sich auf Aratus als Zeugen, wenn er sagt: ›Wir sind von seinem Geschlechte‹, was der Abschluss eines Hexameters ist. Aber hierbei bleibt der Führer des christlichen Heeres und der unbesiegte Anwalt Christi nicht stehen. Wo er dessen Sache führt, presst er aus einer Inschrift, die er zufällig an einem Altare wahrnimmt, ein Zeugnis im Dienste des Glaubens

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heraus. Denn er hatte von dem wahren David gelernt, den Gegnern die Waffen aus ihren Händen zu entwinden und das Haupt des stolzen Goliath mit dessen eigenem Schwert abzutrennen. Im Deuteronomium hatte der Apostel das Gebot des Herrn gelesen: ›Einem gefangenen Weibe sollst du das Haupthaar abrasieren, die Augenbrauen, alle Haare und Nägel am Körper sollst du abschneiden; dann erst magst du sie zur Ehe nehmen.‹ Ist es da so merkwürdig, wenn ich die weltliche Weisheit wegen der Gefälligkeit des Ausdruckes und der Schönheit der Glieder aus einer Magd und Gefangenen in eine wahre Israelitin umzuwandeln trachte ? Ist es so unbegreiflich, wenn ich alles, was an ihr tot ist, den Götzendienst, die Sinnlichkeit, den Irrtum, die Begehrlichkeit vorher abschneide oder wegrasiere, um dann in Vereinigung mit dem gereinigten Körper dem Herrn der Heerscharen aus ihr Kinder des Landes zu erzeugen ? Meine Arbeit kommt der Familie Christi zugute. [ … ] Der Kaiser Julian verfasste während des Feldzuges gegen die Parther sieben Bücher, in welchen er seine Schmähungen gegen Christus ausspie. [ … ] Wenn ich es nun versuchen sollte, | gegen ihn zu schreiben, möchtest Du mir am Ende gar verbieten, den tollwütigen Hund mit den Lehren der Philosophen und der Geschichtsschreiber, d.h. mit der Keule des Herkules, niederzuschlagen ?«131 Er führt als Belege [ f ür seine Äußerungen ] die Propheten und alle bekannten Kirchenlehrer seit Beginn der Kirche an, die durch die Lehren der Philosophen die Fürsten und Ungläubigen vom christlichen Glauben überzeugt und ihn so auf vielfache Weise gestärkt haben. Auch Beda [ Venerabilis ] äußert in seinem Kommentar zum Buch der Könige132, dass die Christen alles aus den freien Künsten für sich nehmen können, um es auf die göttlichen Dinge anzuwenden. Andernfalls hätten sich Moses und Daniel wohl kaum die Mühe gemacht, die Weisheit und Gelehrsamkeit von den Ägyptern und den Chaldäern zu lernen. In seinem Buch über den Bau des Tempels133 fügt Beda hinzu, dass Salomon mit seinen Dienern Christus versinnbildlicht, und Hiram mit seinen Die-

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nern die Philosophen und Weisen der Heiden, sodass der Tempel Gottes – also die Kirche – nicht nur auf der Weisheit der Apostel, sondern auch auf der Weisheit der Philosophen erbaut worden sei. Und die Schrift sagt: »Die Diener des Hiram waren erfahrener im Fällen der Bäume als die Diener Salomons.«134 Deshalb nämlich, weil (wie Beda an dieser Stelle weiter ausführt) die Heiden, nachdem sie von ihren Irrtümern geheilt und zur Wahrheit des Evangeliums bekehrt worden waren, eine bessere Kenntnis der heidnischen Irrtümer hatten; und da sie eine bessere Kenntnis der Irrtümer hatten, konnten sie auch besser lernen, wie man diese Irrtümer wirkunsgsvoll bekämpfen und beseitigen konnte. Freilich kannte [ der Apostel ] Paulus das Evangelium noch besser, weil er es durch die [ göttliche ] Offenbarung gelernt hatte. Doch Dionysius konnte die falschen Lehrsätze der Athener trotzdem gut zurückweisen, da er deren Argumente zusammen mit ähnlichen Fehlern von seiner Kindheit an kannte, weshalb auch Salomon sagt: »Du weißt, dass es in meinem Volk keinen gibt, der so gut Holz zu hauen weiß, wie die Sidonier.«135 Diese und viele weitere Äußerungen führt der ehrwürdige Beda ebenso wie viele andere Autoren an, doch mögen diese hier genügen.

KAPITEL 5 Nun können die Gründe dafür angegeben werden, aus denen die Heiligen dem zustimmen, wonach wir hier fragen, und aus denen sie erklären, dass es in verborgener Gestalt auf sie gekommen war, welche sie sich zu eigen gemacht und wirksam umgewandelt haben. Erstens wird die Wahrheit, wo auch immer sie gefunden wird, als zu Christus gehörig gedacht, wie anhand | der Aussprüche und Autorität des Augustinus weiter oben bereits gezeigt worden ist. Zweitens kann man zwar auf eine gewisse Weise sagen, dass die Wahrheit der Philosophie bei ihnen [ den antiken Philoso-

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phen ] gefunden worden ist, doch konnten sie über diese Wahrheit nur verfügen, weil das göttliche Licht in ihre Geister eingeflossen ist und sie von oben erleuchtet hat. Schließlich illuminiert es jeden Menschen, der in diese Welt kommt, wie die Schrift sagt136, womit auch die Philosophen selbst übereinstimmen. Denn sie nehmen an, dass es einen tätigen und einen möglichen Intellekt gibt. Die menschliche Seele wird von ihnen als ›möglich‹ bezeichnet, weil sie sich in der Potenz zu den Wissenschaften und Tugenden befindet, die sie jedoch von woanders aufnimmt. Der tätige Intellekt ist jener, der in unsere Seelen einfließt und sie für die Wissenschaft und Tugend erleuchtet; denn auch wenn der mögliche Intellekt vom Akt des Verstehens her tätig genannt werden kann, setzen sie doch durch die Annahme eines tätigen Intellekts (wie sie es schließlich tun) ein anderes Prinzip an, das so genannt wird, weil es den möglichen Intellekt beeinflusst und zur Erkenntnis der Wahrheit erleuchtet. Daher ist der tätige Intellekt für die großen Philosophen kein Teil der Seele, sondern eine andere intellektive Substanz, die durch ihr Wesen vom möglichen Intellekt getrennt ist. Weil diese Annahme für einen überzeugenden Beleg meiner Position notwendig ist  – die schließlich in dem Nachweis der Existenz der Philosophie aufgrund der göttlichen Erleuchtung besteht – will ich sie hier effektiv beweisen. Vor allem, weil sich hier ein großer Fehler der Menge der Philosophierenden und gewiss auch der Theologen bemächtigt hat, denn was ein Mensch in der Philosophie ist, das wird er – wie sich zeigen lässt – auch in der Theologie sein. Alfarabi sagt in seinem Buch Über den Intellekt und das Ver­ stehbare137, dass der tätige Intellekt, über den Ari­sto­te­les im dritten Buch von Über die Seele138 gesprochen hatte, keine Materie, sondern eine getrennte Substanz sei. Auch Avicenna lehrt im fünften Buch von Über die Seele139 und im neunten Buch seiner Metaphysik140 dasselbe. Darüber hinaus sagt der Philosoph [ A ri­ sto­te­les ] selbst, dass der tätige Intellekt vom möglichen Intellekt

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getrennt und außerdem ungemischt ist. Zudem fügt er hinzu, dass der tätige Intellekt seinem Sein und seiner Substanz nach unzerstörbar sei, wobei er sich gerade durch diese Unzerstörbarkeit vom möglichen Intellekt unterscheide. Doch aufgrund seiner Getrenntheit ist der mögliche Intellekt seiner Substanz nach zwar unzerstörbar, seinem Sein nach jedoch zerstörbar: Also wird der tätige Intellekt | seinem Sein und seiner Substanz nach unzerstörbar sein, weshalb er auch kein Teil der Seele sein kann, weil er ansonsten in seinem Sein zerstört werden würde, wenn er vom Körper getrennt wird. Ari­sto­te­les führt weiter aus, dass er sich gegenüber dem möglichen Intellekt genauso verhält, wie der Künstler zur Materie und das Sonnenlicht zu den Farben. Denn der Künstler befindet sich außerhalb der von ihm bearbeiteten Materie und ist durch sein Wesen von ihr verschieden. Ähnlich ist auch das Licht, das die Dunkelheit von den Farben und den anderen Dingen vertreibt, durch sein Wesen von diesen verschieden und kommt von außen zu ihnen. Er [ A ri­sto­te­les ] ist auch der Ansicht, dass der tätige Intellekt alles und immer aktualiter weiß, was weder der vernünftigen Seele noch einem Engel möglich ist, sondern nur Gott allein. Weiterhin: Wenn der tätige Intellekt ein Teil der Seele wäre, müsste die Seele durch den tätigen Intellekt das wissen, was sie durch den möglichen Intellekt nicht wissen könnte, weil der tätige Intellekt dasjenige in Aktualität ist, was der mögliche Intellekt in der Potenz ist, wie durch Ari­sto­te­les belegt wird. Weiterhin: Eine Sache muss von ihrem würdigeren Teil her bestimmt werden, weshalb man von der Seele eher als durch den tätigen Intellekt wissend, denn als durch den möglichen Intellekt unwissend sprechen sollte, bevor Erfindung und Lehre statt­gefunden haben. Wenn dagegen eingewendet wird, dass der tätige Intellekt, auch wenn er ein Teil des Körpers sein mag, doch kein Akt und keine Form des Körpers wie der mögliche Intellekt ist, weshalb der Mensch die Werke des möglichen und nicht des

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täti­gen Intellekts habe, dann widerspricht diese Behauptung der Definition der Seele, durch welche die Seele als die Aktualität eines physischen Körpers bestimmt wird. Denn wenn lediglich ein Teil [ der Seele ] ihre Aktualität ist, dann wird in diesem Fall die Form des Körpers falsch als von der Seele als Ganzes verschieden bestimmt. Die Seele wird in diesem Fall also dadurch falsch bestimmt, dass von ihr gesagt wird, sie sei die Aktualität des Körpers, und zwar absolut und schlechthin. Aus diesem Grund muss der Teil der Seele, der nicht die Aktualität des Körpers ist, ausgenommen werden, so wie es auch Aristoteles zu Beginn des zweiten Buchs141 [ von Über die Seele ] tut. Denn er sagt dort, dass einige Seelenteile nicht die Aktualität des ganzen Körpers seien, sondern von Teilen von ihm, wie zum Beispiel die sensitive und die vegetative [ Seele ]. Ausgenommen davon ist jedoch der Intellekt, von dem er sagt, dass dieser nicht die Aktualität und Vollkommenheit eines Teils des Körpers sein könne, weil er nicht einem Organ hinzugefügt ist wie die anderen Seelenteile. Um dies noch ausdrücklicher zu schildern, sagt er, dass der Intellekt zum Körper in demselben Verhältnis steht wie der Seemann zum Schiff, da der Intellekt schließlich zu keinem Teil des Körpers näher in Verbindung steht als der Seemann zum Schiff, obwohl er doch die Aktualität und Vervollkommnung des Ganzen ist. Dennoch ist der Seemann nicht die Vervollkommnung des Schiffes, sondern vielmehr dessen Beweger. Dann wäre die Seele zugleich aus einer separaten und einer | verbundenen Substanz zusammengesetzt, was jedoch unmöglich ist. Denn ein Intellekt oder ein Engel und die Seele unterscheiden sich der Art nach zwischen der Möglichkeit, sich mit dem Körper vereinigen zu können oder nicht, weshalb die Seele nicht aus etwas zusammengesetzt sein kann, das die Aktualität des Körpers ist, und aus etwas anderem, das sie nicht ist. Denn die Art von einem kann nicht etwas von der gegenteiligen Art beinhalten. Da diese Ansicht der Wahrheit entspricht, da der Text des Philosophen [ A ri­sto­te­les ] dies klar zeigt, da seine wichtigsten

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Erklärer dies ebenso auslegen, und da die Worte ›tätiger Intellekt‹ und ›möglicher Intellekt‹ zwar von dem Philosophen, nicht jedoch von den Heiligen akzeptiert worden sind, ist es in viel besserer Übereinstimmung mit der Aussage des Philosophen, von dem tätigen Intellekt als von einer Substanz zu sprechen, die vom Körper ihrem Wesen nach getrennt ist. Unter den Fachleuten der Philosophie gibt es jedenfalls keinen Zweifel, dass dies seine Ansicht gewesen sein muss, worin alle Experten der Vergangenheit übereinstimmen. Denn als die Pariser Universität zusammenberufen wurde, habe ich zweimal den verehrungswürdigen Präsidenten der Universität, Herrn Wilhelm [ von Auvergne ]142, Bischof von Paris, in seligem Andenken, in der Öffentlichkeit die Ansicht äußern hören, dass der tätige Intellekt kein Teil der Seele sein kann. Auch der Herr Robert [ Grosseteste ]143, Bischof von Lincoln, Bruder Adam Marsh144 und andere ihrer Vorgänger haben diese Ansicht bestätigt. Wie mögliche Einwände dagegen zurückgewiesen werden können, wird in meinem grundlegenden Werk dargelegt werden, wenn Fragen zur Naturphilosophie diskutiert werden. Wenn sich jedoch noch immer irgendein Sophist von der Seite her erheben sollte, um das anzuführen, wodurch die Menge getäuscht wird, dann antworte ich ihm, dass diese Worte zwar dem Ari­sto­te­les zugeschrieben werden: »Da es in der gesamten Natur immer etwas gibt, das tätig ist, und etwas anderes, das empfängt, ist es auch so in der Seele«145, doch dass die Übersetzung weitestgehend falsch und dunkel ist. Denn auch wenn im dritten Buch von Über den Himmel und die Welt146 steht, dass die Kreisform bei Flächen und die Kugelform bei Körpern den Ort ausfüllen, ist dies doch falsch, wie die Experten im Bereich der Naturphilosophie und der Geometrie wissen und wie auch Averroes zeigt. Ähnlich steht im dritten Buch der Meteorologie147, dass aus den Mondstrahlen kein Regenbogen entstehen kann, außer zweimal in fünfzig Jahren, was wiederum falsch ist. Schließlich lehrt uns die Erfahrung, dass immer

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dann, wenn Vollmond ist, wenn es regnet und wenn der Mond nicht durch Wolken verdeckt wird, ein Regenbogen erscheint. So sind auch viele weitere Dinge falsch übersetzt worden, wofür der Grund aus dem dritten Teil148 | dieses Werks ersichtlich werden wird, wo die Fehler der Übersetzer behandelt werden. Doch noch viel mehr Stellen sind irreführend und unverständlich übersetzt worden, sodass sich alle bezüglich dieser Passagen widersprechen können. In diesem Zitat treten jedoch beide Fehler auf, oder doch zumindest der zweite, wie ich durch Ari­sto­te­les selbst zeige. Denn er sagt im zweiten Buch der Physik149, dass die Materialursache nicht mit anderen Ursachen in demselben Ding zusammenfallen kann, weshalb in keiner Natursache die tätige Ursache und die Materialursache zusammen vorkommen können: also auch nicht in der Seele. Wenn der schlecht übersetzte Text buchstäblich genommen wird, dann ist er insgesamt falsch und an anderen Stellen sogar widersprüchlich; doch so ein großer Autor [ w ie Ari­sto­te­les ] widerspricht sich nicht selbst. Denn wie auch immer das zugehen mag: Seine Worte im zweiten Buch der Physik sind wahr, und ihre Wahrheit wird von allen zugestanden; also muss seine Aussage im dritten Buch Von der Seele falsch übersetzt worden sein oder doch zumindest einer guten Erläuterung bedürfen. Denn er möchte nichts anderes sagen, als dass in der Seele und für die Funktionen der Seele zwei Prinzipien gebraucht werden, nämlich das Tätige [ agens ] und die Materie, wie es auch in der gesamten Natur der Fall ist. Das bedeutet ferner, dass für jede Tätigkeit der Natur zwei Dinge benötigt werden, nämlich die Wirk- und die Materialursache, und das ist wahr; doch das Tätige ist immer etwas anderes als die Materie und von ihr durch sein Wesen verschieden, wenn es auch in ihr wirken mag. Wir können uns diese Stelle noch auf eine andere Art erklären. Denn im vierten Buch der Physik150 meint Ari­sto­te­les, dass sich eine Sache auf acht Weisen in etwas befinden kann, von

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­ enen eine das Bewegende in der Bewegung ist, weil das Bewed gende bzw. das Tätige seiner Kraft nach in der bewegten Materie ist, wenn auch nicht seiner Substanz nach. Auf diese Weise befindet sich das Tätige in jedem Naturding, in dem es wirkt, also auch in der Seele. Daraus folgt jedoch in keiner Weise, dass der tätige Intellekt ein Teil der Seele ist, wie die Menge sich einbildet. Diese meine Ansicht ist vollkommen vertrauenswürdig und von allen Heiligen bestätigt worden; denn alle Theologen wissen, dass Augustinus in seinen Selbstgesprächen151 und an anderen Stellen sagt, dass die vernünftige Seele in ihren Erleuchtungen und sonstigen grundlegenden Einflüssen nur Gott unterworfen ist. Denn auch wenn die Engel unsere Geister auf viele Arten säubern, erleuchten und antreiben mögen, und auch wenn sie gegenüber unseren Seelen wie die Sterne für das körperliche Auge sein mögen, schreibt Augustinus doch Gott den grundlegenden Einfluss zu, so wie das durch das Fenster einfallende Licht der Sonne zugeschrieben wird, und wie der Engel mit demjenigen, der das Fenster öffnet, verglichen wird, | wie wir es in Augustinus’ Glosse über jenen Psalm lesen können: »Gib mir Einsicht.«152 Weiterhin sagt er an vielen Stellen, dass wir keine Wahrheit kennen können, außer durch die unerschaffene Wahrheit und die ewigen Gesetze, worunter doch wenigstens die wirksame und einfließende Wahrheit verstanden werden muss; auch wenn Augus­tinus nicht nur dies meint, sondern noch etwas anderes durch seine Worte ausdrücken möchte, warum einige auch angenommen haben, dass er hier von größeren Dingen spricht, als allgemein gewusst werden kann. Alle diese Ausführungen belegen, dass der tätige Intellekt, der den möglichen Intellekt erleuchtet und beeinflusst, eine getrennte Substanz ist. Und diese [ Sub­ stanz ] ist Gott. Da Gott selbst die Seelen der­jenigen Menschen [ in der Vergangenheit ] erleuchtet hat, indem er ihnen die Wahrheiten der Philosophie gezeigt hat, kann ihre Arbeit der gött­ lichen Weisheit nicht widersprechen.

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KAPITEL 6 Der dritte Grund dafür, dass die Weisheit der Philosophie auf die göttliche Weisheit zurückgeführt wird, liegt darin, dass Gott die Geister [ der Philosophen ] nicht nur für die Aufnahme der Weisheit erleuchtet hat, sondern dass sie vielmehr die Weisheit selbst von ihm haben, dass er sie ihnen geoffenbart, gezeigt und gegeben hat. Denn alle Weisheit stammt von Gott dem Herrn, wie auch die Autorität der Bibel bestätigt, da auch der Apostel [ Paulus ] sagt: »Denn was man von Gott erkennen kann, ist unter ihnen offenbar; denn Gott hat es ihnen offenbart.«153 Augustinus meint in seinem Kommentar über Johannes154, dass er ihnen die Weisheit gezeigt habe; und der größte aller Philosophen, Ari­sto­ te­les, äußert in seinem Buch der Geheimnisse155, dass die ganze Philosophie sicherlich von Gott gegeben und geoffenbart worden ist. Ein weiterer der größten Philosophen, nämlich Marcus Tullius [ Cicero ] fragt im ersten Buch seiner Tusculanischen Fragen: »Die Philosophie endlich, was ist sie anderes als, wie Platon sagt, ein Geschenk, wie ich [ sage ], eine Erfindung Gottes ?«156 Weiterhin meint er sogar, dass nicht einmal ein Dichter einen schweren und bedeutungsvollen Gesang gedichtet hat, ohne dass ihm irgendeine himmlische Hilfe zuteil geworden ist. Auch Augustinus lehrt und bekräftigt im achten Buch seines Gottesstaa­ tes157 die Ansicht, dass Sokrates, der Lehrer aller großen Philosophen, gemeint habe, dass der Mensch die Gründe für die Dinge nur durch das göttliche Licht und durch ein Geschenk Gottes erkennen könne. Außerdem kann jeder auch selbst | einsehen, dass nichts ursprünglich von einem Menschen erfunden worden ist, was in den Bereich der Macht der Philosophie gehört. Ich führe dafür ein Beispiel in einer recht kleinen Angelegenheit an: Auch wenn die Universalien von Porphyrios158 im Grunde ausreichend erklärt und an anderen Stellen durch die Logik, Metaphysik, Naturphilosophie und Perspektivik ausgelegt worden sind, gibt es doch keinen so gelehrten Menschen, dass

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er keine Lehrer bräuchte, denen er lange zuhören und bei denen er für lange Zeit lernen muss, bevor er die ganze Wahrheit über die Universalien kennt. Doch kaum jemand kennt die Univer­ salien vor seinem Tod in ausreichendem Maße, wie viele Lehrer er auch haben mag, wie an der Uneinigkeit aller in dieser Frage deutlich wird: Denn einige meinen, dass diese nur in der Seele existieren, anderen meinen, dass sie nur außerhalb der Seele existieren, während wieder andere der Ansicht sind, dass sie ihrem Sein nach zwar in den Dingen existieren, doch als Konzept der Universalien in der Seele. Weiterhin zeigt Avicenna in seinem Kommentar zu Porphyrios, dass dieser die sechste Universalie ausgelassen und viele Falschheiten gesagt habe. Da selbst bei solchen Menschen eine derartige Unkenntnis über die Universalien herrscht, obwohl sie ihr ganzes Leben lang mit den Büchern der Philosophen studiert und ehrwürdige Lehrer gehabt haben, wird ein normaler Mensch noch viel mehr darüber in Unkenntnis bleiben und die Wahrheit über sie niemals ohne Bücher und Lehrer finden können: weshalb die Wahrheit über die Universalien dem Menschen notwendig am Anfang geoffenbart worden sein muss. Wenn also jemand, egal wieviel er über die Universalien auch gewusst haben mag, das Buch des Porphyrios und alle weiteren Bücher, die für eine Kenntnis der Universalien notwendig sind, in Vergessenheit hätte geraten lassen, und wenn er keine Bücher oder Lehrer haben könnte, wäre es unmöglich, dass er jemals die Wahrheit über die Universalien erklären könnte. Ich spreche hier von ihrem wahren Sein, dass der Metaphysiker betrachten muss, nicht nur von der für Kinder angemessen Lehre des Porphyrios und der Logik. Daher kann jeder leicht einsehen, dass eine Offenbarung in dieser Sache notwendig ist. Da dies doch aber nur kindische und kleine Angelegenheiten sind, wird das für die gesamte Weisheit der Philosophie in noch viel höherem Maß gelten. Denn was Gott geoffenbart, gezeigt und gegeben hat, muss mit seiner Weisheit vollständig übereinstimmen. |

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KAPITEL 7 Weiterhin besteht das ganze Ziel der Philosophie darin, durch die Erkenntnis des Geschaffenen auch den Schöpfer zu erkennen, dem wegen der Herrlichkeit seiner Herrschaft, den Gütern und der Aufrechterhaltung seiner Schöpfung, und wegen der zukünftigen Seligkeit durch angemessene Verehrung, durch Schönheit der Sitten und durch die Ehre nützlicher Gesetze gedient werden muss, auf dass die Menschen in diesem Leben in Frieden und Gerechtigkeit leben können. Denn das Ziel der spekulativen Philosophie ist die Erkenntnis des Schöpfers durch die Schöpfung; und die Moralphilosophie sorgt für die Aufrichtigkeit der Sitten, für gerechte Gesetze, für die Verehrung Gottes, und sie überzeugt einen in nützlicher und wunderbarer Weise von der zukünftigen Glückseligkeit, soweit es der Philosophie möglich ist. Diese Dinge sind für alle sicher, die die grundlegenden Teile der Philosophie durchgehen, wie die folgenden Ausführungen lehren werden. Da alle diese Dinge also für den Christen notwendig und vollkommen in Übereinstimmung mit der Weisheit Gottes sind, muss die Philosophie für das göttliche Gesetz und die durch dieses Gesetz gerühmten Gläubigen notwendig sein.

KAPITEL 8 Ferner entnahmen die Heiligen und Weisen des Altertums in ihren Auslegungen den Literalsinn aus der Natur der Dinge und ihrer Eigenschaften, damit durch passende Angleichung und Ähnlichkeiten die Spiritualsinne ermittelt werden können. Das erklärt auch Augustinus im zweiten Buch seiner christ­lichen Bil­ dung159, indem er das Beispiel des Herrn anführt, der zum Apostel [ Matthäus ] sagt: »Seid klug wie die Schlangen und sanft wie die Tauben.«160 Denn der Herr meinte damit, dass die Apos­tel – ebenso wie die Schlange, die ihren ganzen Körper für den Schutz

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ihres Kopfes darbietet – sich selbst und alles, was sie besitzen, für ihren Kopf Jesus Christus und den Glauben hergeben sollten. Aus diesem Grund ist jedes Geschöpf für sich selbst oder seiner Ähnlichkeit nach, im Allgemeinen oder im Besonderen, von den höchsten Höhen der Himmel bis zu deren Ende in der Schrift enthalten. Denn so wie Gott die Geschöpfe und die Schrift geschaffen hat, | wollte er auch diese geschaffenen Dinge in der Schrift darstellen, die für deren Verständnis des Literal- und des Spiritualsinns notwendig sind. Die gesamte Absicht der Philosophie besteht nun darin, die Natur und die Eigenschaften der Dinge offenzulegen, weshalb die ganze Macht der Philosophie in den heiligen Schriften enthalten ist. Das zeigt sich besonders daran, dass die Heilige Schrift das Geschaffene viel sicherer, besser und wahrhaftiger enthält, als es die Philosophie eruieren könnte. Nehmen wir hierfür das Beispiel des Regenbogens, das auch für unzählige weitere Beispiele stehen kann. Der Philosoph Ari­ sto­te­les verwirrt uns in diesem Fall durch seine eigenen Dunkelheiten, und wir können mit ihm nichts Würdiges darüber verstehen. Daher verwundert es nicht, dass selbst Avicenna, sein vorzüglicher Nachahmer und der Fürst und Führer der Philosophie nach ihm, zugeben musste, die Natur des Regenbogens nicht richtig verstanden zu haben, wie der Kommentator [ Averroes ] über das Kapitel des Ari­sto­te­les über den Regenbogen in dessen drittem Buch der Meteorologie161 sagt. Der Grund dafür besteht darin, dass die Philosophen die Finalursache des Regenbogens nicht kannten; wenn man das Ziel aber nicht kennt, kennt man auch die auf das Ziel hingeordneten Dinge nicht, weil das Ziel den Dingen, die auf das Ziel hingeordnet sind, seine Notwendigkeit auferlegt, wie Ari­sto­te­les im zweiten Buch der Physik162 schreibt. Tatsächlich ist die Finalursache des Regenbogens die Verteilung der wässrigen Flüssigkeit, wie man anhand des Buchs Ge­ nesis sieht, aus dem hervorgeht, dass bei jedem Erscheinen eines

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Regenbogens die Wolke in unendlich viele Tropfen aufgelöst ist, und dass die wässrigen Flüssigkeiten sowohl in der Luft als auch im Wasser und auf der Erde verbraucht werden; denn ein Teil des Regenbogens fällt in die Sphären des Wassers und der Erde. Doch die Auflösung der wässrigen Flüssigkeit kann während des Regenbogens nur aufgrund der Sonnenstrahlen geschehen, die diese Auflösung hervorrufen. Denn durch verschiedene Reflexionen und Brechungen werden unzählig viele Strahlen versammelt; dieses Zusammentreffen der Strahlen ist der Grund für die Auflösung und das Verdunsten des Wassers, weshalb ein Regenbogen durch vielfache Reflexionen hervorgerufen wird. Die Strahlen können nämlich nur durch Brechung und Reflexion zusammenkommen, wie weiter unten am dafür geeigneten Ort163 erfahren werden kann. Doch aus dem Text der Genesis, wo gesagt wird: »Meinen Bogen habe ich in die Wolken gesetzt [ … ], dass hinfort keine Sintflut mehr komme«164 lernen wir die Finalursache des Regenbogens, aus der heraus auch die Wirkursache und die Art der Entstehung des Regenbogens abgeleitet werden können, die den Philosophen nicht in ausreichendem Maß bekannt waren, wie | ihre Bücher uns zeigen. Und so verhält es sich bei allem Geschaffenen. Denn es ist für den Menschen unmöglich, die letzte Wahrheit über das Geschaffene zu kennen, die in der Heiligen Schrift behandelt wird, wenn er nicht von Gott speziell erleuchtet wurde. Das Geschaffene ist in der Heiligen Schrift nämlich wegen der Verdeutlichung der Wahrheiten der Gnade und des Ruhms enthalten, die den Philosophen unbekannt waren. Aus diesem Grund konnten sie auch nicht zu der letzten Weisheit über das Geschaffene vordringen, die nur die Heilige Schrift in ihrem Inneren enthält. Daher liegt die ganze geschmückte Kraft der Philosophie im Literalsinn der heiligen Mysterien der Gnade und des Ruhmes verborgen, gleichsam umkränzt mit einigen sehr edlen Bildern und Farben.

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KAPITEL 9 Das wird auch dadurch bestätigt, dass denselben Personen die Fülle der Philosophie gegeben worden ist, denen auch das Gesetz Gottes gegeben wurde: Den heiligen Patriarchen und Propheten ab dem Beginn der Welt. Eine derartige Offenbarung ist nicht nur wegen des hier behandelten Themas notwendig, sondern um den ganzen Bereich der Weisheit zu bestätigen. Es war für den Menschen nämlich unmöglich, durch sich allein zu den Herrlichkeiten der Wissenschaften und der Künste zu gelangen, sondern er brauchte dafür eine Offenbarung. Wenn wir eine solche Offenbarung prüfen, dürfen wir keinen Zweifel an den Geheimnissen der Weisheit haben, die deren Urhebern zuteil geworden ist, auch wenn wir sie nicht selbst erlebt haben. Doch es gibt keinen Abschnitt der Philosophie, der so schwer zu beweisen ist wie dieser, weil dies das große Fundament alles menschlichen Verstehens ist. Es treten hier viele Widersprüche und Zweifel auf, und es müssen hier mehr Autoren und Bücher erläutert werden als in jedem anderen Teil der Weisheit. Ich sage also, dass die Macht der Philosophie denselben Personen von Gott gegeben worden ist wie die Heilige Schrift, nämlich den Heiligen zu Beginn, damit für die Menschen eine vollständige und notwendige Wahrheit aufscheinen konnte. Denn nur die Patriarchen und Propheten waren wahrhafte Philosophen, die alles wussten: nicht nur das Gesetz Gottes, sondern auch alle Teile der Philosophie. Die Heilige Schrift zeigt das in ausreichender Klarheit, | wenn sie sagt, dass Joseph die Fürsten Pharaos unterrichtete und den Alten Ägyptens Klugheit lehrte, und wenn sie weiter sagt, dass Moses in der gesamten Weisheit der Ägypter bewandert war. Auch Bezaleel und Oholiab zeigen dies, die mit einem vollständigen Verständnis und einer umfassenden Weisheit über die Naturdinge erleuchtet wurden: Denn mit einem Atemhauch hat der Heilige Geist sie erleuchtet und sie alle Macht der Natur in Bezug auf Metalle und andere Mineralien gelehrt.165

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Salomon besaß die ganze Macht der Philosophie, weil er der Heiligen Schrift nach weiser war als alle seine Vorgänger und alle seine Nachfolger. Josephus sagt in seinem ersten Buch der Altertümer166, dass Gott den Söhnen Adams – da sie durch Seth rechtgläubige Menschen waren und von Gott selbst erschaffen worden waren – für die wunderbaren Teile der Philosophie, die sie studiert haben, 600 Lebensjahre geschenkt hatte, damit sie die Offenbarungen Gottes während dieser gesamten Lebensdauer erfahren konnten. Er fügt hinzu, dass Noah und seine Söhne die Chaldäer die verschiedenen Teile der Philosophie lehrten, und dass Abraham nach Ägypten kam und die Ägypter unterrichtete167. Zudem meint er im achten Buch168, dass Salomon keinen Teil der Natur unbetrachtet gelassen hat, sondern über alles philosophische Betrachtungen angestellt und alle Eigenschaften der verschiedenen Disziplinen erklärt hat; und er erwähnt auch, dass Salomon über die einzelnen Wissenschaften 4005 Bücher geschrieben hat. Er fügt noch weitere Dinge hinzu, von denen wir wissen, dass sie die Natur in ihrem normalen Lauf nicht bewirken kann. Selbst Ari­sto­te­les sagt in seinem Buch der Geheimnisse169 – durch die Wahrheit gezwungen –, dass Gott seinen Propheten, Gerechten und einigen anderen Auserwählten die Weisheit geoffenbart habe, sie mit dem Geist seiner göttlichen Weisheit erleuchtet und sie mit der Mitgift der Wissenschaft ausgestattet habe. Von ihnen haben die nachfolgenden Philosophen die Prinzipien und den Ursprung der Philosophie empfangen, mag es sich um Inder, Lateiner, Perser oder Griechen handeln. Von ihnen nämlich haben sie die Prinzipien und Geheimnisse der Künste und Wissenschaften erhalten, von ihnen haben sie sie abgeschrieben, weil in deren Schriften nichts Falsches gefunden wurde, nichts, was man zurückweisen könnte, sondern nur solches, was von den Weisen anerkannt worden ist. Denn von ihnen haben die Philosophen alles übernommen, vor allem die Griechen, weil sie lernbegieriger waren als alle anderen. Averroes

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sagt zu Beginn seines Kommentars zu Über den Himmel und die Welt, | dass in den vergangenen Zeiten vor Ari­sto­te­les und den anderen [ Philosophen ] die Philosophie vollständig war – eine Vollständigkeit, die Ari­sto­te­les wieder zu erreichen hoffte. Im Prolog zur Herstellung eines Astrolabs bei Ptolemäus, in Albumasars großer Einführung und an anderen Stellen, ebenso wie bei vielen anderen Autoren, wird vielfach gesagt, dass Noah und sein Sohn Sem die Philosophie sehr erweitert hätten, und dass ganz besonders der erstgeborene Sohn Sem sich darin besonders hervorgetan hätte. Nach diesen erschienen die Männer, die man im Allgemeinen als Philosophen zu bezeichnen pflegte. Denn alle bekannten Philosophen und Dichter (seien sie nun bedeutender oder weniger bedeutend) kamen nach Noah und seinen Söhnen, und nach Abraham. Daher stimmen Ari­sto­te­les und alle anderen darin überein, dass die ersten Philosophierenden die Chaldäer und Ägypter waren, wobei er sich auf die Aussprüche der chaldäischen Väter im elften Buch der Metaphysik bezieht. Doch in Ägypten wurde zuerst die scholastische Lehrform [ scholasticum studium ] entwickelt, wie er im ersten Buch der Metaphysik170 sagt. Denn obwohl Noah und seine Söhne die Chaldäer unterrichtet hatten, bevor Abraham die Ägypter unterrichtete, wurde doch die scholastische Lehrmethode [ studium more scholastico ] nicht so schnell eingeführt, weil ihre Ordnung und Ausübung nur langsam wuchsen. Damit zu diesem Thema jeder Zweifel ausgeräumt werden kann, wollen wir uns die Nach- und Abfolge der ungläubigen Philosophen, Dichter und all der­jenigen, die sich des Studiums der Weisheit befleißigt haben, anschauen, damit wir nachvollziehen können, dass es auch nach Abraham und seinen Vorgängern, denen von Gott alle Weisheit geoffenbart worden war, einige gab, die lobenswerterweise den Titel der Weisheit verdient haben. Denn wie genau auch immer wir rechnen wollen: Dass Zarathustra die magischen Künste erfunden hat, kann man in Augustinus’ 21. Buch des Gottesstaates171 nachlesen, was auch bei

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allen anderen Autoren eine verbreitete Ansicht ist. Dies war aber eigentlich Ham, der Sohn Noahs, wie Clemens in seinem Buch, der Magister der Geschichten172 und das Speculum historiale173 schreiben. Danach gab Io, die später ›Isis‹ genannt wurde, den Ägyptern die Schrift, wie Augustinus im 18. Buch seines Gottes­ staates174 sagt; vor ihrer Zeit war nach dem Zeugnis des Augustinus die Weisheit nicht in Buchstaben und | Schriften festgehalten worden, auch wenn Abraham die Ägypter bereits mündlich darin unterrichtet hatte. Von dieser Isis wird berichtet (wie Augustinus175 schreibt), dass sie die Tochter des Inachus, des ersten Königs der Griechen, gewesen sei, der im ersten Jahr von Jakob und Esau, den Enkelsöhnen Abrahams, regiert hat, wie Augustinus und die Geschichtsbücher belegen. Andere hingegen waren der Meinung, dass Isis aus Äthiopien nach Ägypten als Königin gekommen sei und ihnen die Schrift und viele weitere Wohl­taten gegeben habe, wie ebenfalls Augustinus176 schreibt. Wie auch immer: Vor der Zeit des Inachus gab es sie nicht, und sie wird auch in den Chroniken in der Abfolge der ägyptischen Könige nicht erwähnt. Zu derselben Zeit erschien auch Minerva in jungfräulichem Alter, die – wie auch hier wieder Augustinus177 berichtet – Erfinderin vieler Werke, die auch Pallas genannt wird, und die von den Dichtern als Göttin der Weisheit bezeichnet wird. Nach Augustinus178 wird sie auch ›Athena‹ oder ›Tritonia‹ genannt. Isidor sagt im achten Buch179 und Plinius desgleichen im fünften Buch180, dass Pallas auch als Tritonia bezeichnet wird, weil sie nach einem Ort namens Trito in Afrika benannt worden ist, und dass sie zur Zeit der großen Flut gelebt habe, die während der Regierungszeit des Königs Ogygos in Achaia stattgefunden haben soll, weshalb sie [ die Flut ] auch nach ihm benannt worden ist. Nach Augustinus181, Eusebius und Hieronymus182 und Solinus (in dessen Buch Über die Wunder der Welt), hat Ogygos aber zur Zeit des Phoroneus gelebt, der ein Sohn von Inachus gewesen ist. Inachus regierte aber 50 Jahre und sein Sohn Phoroneus 61 Jahre, in dessen

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Zeit das Versprechen an Jakob wiederholt wurde, das ­bereits seinem Vater gemacht worden war, wie Augustinus183 sagt. Deshalb lebte Ogygos zur Zeit Jakobs, weshalb auch Solinus184 sagt, dass die erste große Flut in Achaia zur Zeit des Ogygos und des Patri­ archen Jakob stattgefunden habe. Derselbe Solinus185 erzählt weiter, dass sich diese Überschwemmung 600 Jahre vor der Flut des Deukalion ereignet habe. Denn wie Hieronymus und Eusebius186 uns berichten, war die Flut des Deukalion zur Zeit des athenischen Königs Kekrops, in der auch Moses die Söhne Israels aus Ägypten führte. Unter Phoroneus wurde bei den Ungläubigen die Moralphilosophie erfunden. Denn Augustinus187 berichtet, dass unter seiner Herrschaft Griechenland für seine Gesetze und Gerichtsentscheidungen berühmter geworden sei. Doch vorher gab es Bräuche und Lebensregeln, wie anhand der Inhibition des Blutes, der Erlaubnis des Fleischverzehrs nach der Sintflut, des | Verkaufs und Erwerbs der zweifachen Höhle durch Abraham, durch die Beschneidung und weitere derartige Dinge ersichtlich ist. Die Heiligkeit von Abraham und dessen Vorvätern lässt jedenfalls auf ehrenhafte und heilige Lebensregeln schließen, die von ihnen gelehrt worden sein müssen. Und da sie auch weniger nützliche Wissenschaften betrieben haben, wird die Weisheit solch großer Männer wohl kaum die äußerst nützliche Wissenschaft von den Sitten vernachlässigt haben. Danach war Prometheus der erste unter den Männern, die den Titel außerordentlicher Weisheit verdienen. Die Dichter erzählen von ihm, er habe aus Lehm Menschen geschaffen, weil er für den größten Lehrer der Weisheit gehalten wurde, wie Augustinus im 18. Buch des Gottesstaates188 berichtet. Augustinus meint zudem, dass sein Bruder der große Astrologe Atlas gewesen sei. Daher komme auch (ebenfalls nach Augustinus189) die Geschichte, dass er den Himmel gehalten habe, weil ein Berg seinen Namen trägt, von dessen Höhe die Vorstellung, dass Atlas den Himmel getragen hat, allgemein verbreitet wurde. Dieser Berg erhebt sich an

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den Grenzen Afrikas zum Meer hin in der Nähe der Säulen des Herkules so hoch, als würde er bis zum Himmel reichen. Doch noch vor ihm gab es die Söhne Noahs und Abrahams, die fähige Astronomen waren, wie Josephus190 berichtet. Und in Isidors drittem191 und in Clemens’ erstem Buch192 wird dasselbe von Abraham gesagt. Denn nach Augustinus193 lebten sie alle, als Moses bereits geboren war, und auch Isidor stimmt in seinem fünften Buch194 damit überein, indem er sagt, dass sich Atlas vor der Geburt Moses in der Knechtschaft der Söhne Israels befunden habe. Tatsächlich war Atlas aber auch der Großvater mütterlicherseits von Hermes, dem größeren Merkur, der für seine Fähigkeiten in den großen Künsten bekannt war, und der diese an die Menschen weitergegeben hat, weshalb er nach seinem Tod wie ein Gott verehrt worden ist. Wie Augustinus im 18. Buch195 berichtet, hat sich das zugetragen, als Moses die Söhne Israels aus Ägypten hinausgeführt hatte. Sein Enkel war Hermes Merkur, der als ›Hermes Trismegistos‹ bezeichnet wird, um ihn von dem anderen Hermes zu unterscheiden. Er war in Ägypten und den südlich gelegenen Ländern ein berühmter Philosoph, besonders in der Moral und in den Angelegenheiten, die als göttlich und den Kult betreffend betrachtet werden, wie Augustinus im achten Buch des Gottesstaates196 lehrt; dieser hat an Asklepios geschrieben, wie aus dem recht bekannten Buch der Weis­sagung hervorgeht. Der Großvater des Asklepios | war Äskulap, bei den ungläubigen Philosophen der Begründer der Medizin, wie Augus­tinus im achten Buch197 schreibt. Doch Isidor sagt im dritten Buch seiner Etymologien198, dass Apollo der Vater des Äskulap war, der als erster unter den ungläubigen Philosophen die Kunst der Medizin gelehrt haben soll. Denn dem Vater werden zwar die ersten Belege über die Medizin nachgesagt, doch weit mehr dem Sohn, da er diese Kunst ausgedehnt und auf sicherer Grundlage gelehrt habe. Denn Apollo hat durch Gesänge und derartige Dinge geheilt, Äskulap aber durch die Wahrheit der Erfahrung, wie Isidor199 sagt. Und man glaubte von ihm, dass

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er der große Apollo gewesen sei, der von den Dichtern unter die Götter gesetzt worden war und von dem gesagt wird, dass er im Tempel des Apollo auf der Insel Delos Antworten gebe, weshalb man ihn auch ›Apollo von Delphi‹ nannte. Dennoch existierte der unschätzbare Ruhm der Medizin schon vor ihnen, wie Ari­sto­te­les in seinem Buch über die rich­ tige Lebensführung 200 schreibt, wo er die Medizin eher Adam und Enoch zuschreibt als den folgenden Philosophen. Da die Medizin für den Menschen aber notwendiger ist als viele andere Wissenschaften, haben zweifellos die Söhne von Adam und Noah sie erfunden, denen die Fülle der Weisheit gegeben worden war, und denen für die Vervollkommnung des Studiums der Weisheit eine so lange Lebenszeit gestattet worden ist.

KAPITEL 10 Nach dieser Zeit und während der Zeit Othniels201, des Richters in Israel, regierte Kadmos von Theben, der den Griechen zuerst die Schrift vermittelte, wie in den kluniazensischen Chroniken gelehrt wird. Beda [ Venerabilis ] stimmt in seinem kleineren Buch über die Zeiten202 mit anderen darin überein, dass unter dem Richter Aoth der Musiker Amphion lebte. Dieser Aoth war der Erste nach Othniel und lebte unter Debbora und Barak. Es gab auch einen weiteren Apollo, ein Philosoph, der nach der kluniazensischen Chronik der Begründer der Medizin gewesen ist, ein Zeitgenosse des zweiten Herkules, dessen Taten gefeiert wurden, wie Augustinus im 18. Buch seines Gottesstaates203 sagt. Dieser Herkules | verwüstete zur Zeit des Richters Abimelech die Stadt Troja, stellte seine Säulen in Indien auf, errichtete seine Säulen am Gades, und verbrannte sich zur Zeit des Richters Jephtah selbst, weil er nicht länger die Schmerzen einer Krankheit aushalten wollte, wie durch Augustinus204 und die genannte Chronik bestätigt wird.

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Ich habe von diesem zweiten Herkules erzählt, weil es nahe der Zeit des größeren Merkur noch einen anderen Herkules gab, der ein wenig nach ihm [ dem zweiten Herkules ] gelebt hat, wie Augustinus berichtet. Nach diesem gab es noch einen dritten Herkules, der den olympischen Wettstreit ins Leben rief, der – wie Solinus205 schreibt – nach einer Pause von seinem Sohn Picus im 408. Jahr nach der Zerstörung Trojas neu begründet wurde. Aus diesem Grund haben sich viele getäuscht, die meinten, es habe nur einen Herkules gegeben, der alle diese Dinge getan hätte, die nach Augustinus206 doch eigentlich von mehreren vollbracht worden sind. Ein ähnlicher Fehler ist auch bezüglich des Philosophen Apollo aufgetreten. Denn es denken zwar alle – wie Augustinus uns versichert – dass er der­jenige gewesen sei, der als Gott auf der Insel Delos verehrt worden war, weil sie den Eindruck hatten, es handele sich bei ihm um dieselbe Person. Dabei wird doch durch viele Zeugnisse das Gegenteil belegt. Denn jener Apollo, der in Tempeln Antworten gab, muss zumindest die Antwort gegeben haben, als die Stadt Athen gegründet wurde, dass Athene, also Minerva, als Göttin verehrt werden solle. Aus diesem Grund kann dieser Philosoph nicht der­jenige sein, der als delphischer Gott verehrt worden ist. Doch nach Augustinus207 war er der Sohn der Latona, der Schwester der Diana, was auch Isidor208 im achten Buch bestätigt. Doch er scheint nicht der­jenige zu sein, über den Hieronymus in seinem den lateinischen Bibeln vorangestellten Brief an Paulinus209 schreibt. Denn in diesem Brief findet man Hiarchus auf einem goldenen Thron sitzend und lehrend vor. Von diesem Hiarchus wird gesagt, dass es sich bei ihm um den Astronomen Abrachis handele, der – wie Ptolemäus im Alma­gest 210 zeigt – nach dem Tod Alexanders des Großen lebte. Dementsprechend hat es drei Apollos gegeben, genauso wie es drei Herkulesse gegeben hat. Daraufhin kamen, nach dem Zeugnis Bedas211, unter Gideon Orpheus und Linus zu Ruhm. Diese Männer, nämlich Amphion,

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Orpheus, Linus und weitere, wurden nach Augustinus212 ›theologische Dichter‹ genannt, weil sie Lieder an die Götter dichteten. Nach Solinus213 wurde auch Nicostrate, die Mutter des römischen Königs Evander, wegen ihrer prophetischen Gabe | ›Carmentis‹ [ Sängerin ] genannt. Sie lebte auf dem Kapitolinischen Hügel und gab den Römern als Erste die Schrift. Das geschah – wie Beda214 sagt – zur Zeit des Jair, des Richters von Israel, doch nach der kluniazensischen Chronik geschah dies zur Zeit des­ jeni­gen Richters, der dieses Amt 17 Jahre nach Jair ausübte. Aber weiter darüber zu sprechen liegt nicht in der Absicht der vorliegenden Abhandlung. Wegen der Sybillen und ganz besonders wegen der erythrä­ ischen Sybille, die alle bisher genannten ungläubigen Philosophen bei weitem übertraf, muss der Fall von Troja angegeben werden. Denn Augustinus schreibt im achten Buch seines Gottesstaa­ tes215, einige Autoritäten hätten gemeint, dass diese Sybille zur Zeit des Trojanischen Krieges gelebt habe, auch wenn andere der Ansicht gewesen seien, dass sie zur Zeit von Romulus und Achaz oder des Königs von Juda Hesekia gelebt habe, wie ebenfalls Augustinus berichtet. Der Fall Trojas ereignete sich aber 400 Jahre vor Romulus. Denn Solinus216 beweist, dass Rom während der siebenten Olympiade gegründet wurde, 433 Jahre nach dem Trojanischen Krieg, wie er überzeugend anhand von Herkules und seinem oben genannten Sohn Picus und anderer Personen erläutert. Und Augustinus will im bereits genannten achten Buch217, dass Troja eingenommen wurde, während der oben genannte Labdon über die Hebräer als Richter waltete, weshalb auch in den kluniazensischen Chroniken steht, dass Troja im dritten Jahr jenes Labdon gefallen sei. Danach war in der Zeit Samuels  – gemäß der kluniazen­ sischen Chronik, aber noch ausführlicher in den Taten der gro­ ßen Britannier – der Dichter Homer berühmt. Auf Homer folgte der Philosoph Hesiod noch vor der Gründung Roms, wie Tullius [ Cicero ] in seinem Buch der Tusculanischen Fragen218 schreibt.

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Später kam dann Archilochus während der Regierungszeit des Romulus, wie in demselben Buch gesagt wird, also in der Zeit des Ahaz oder Hesekia, König von Juda. Denn Rom wurde im ersten Jahr der Regierungszeit Numitors, des Großvaters des Romulus, der der letzte König der Albaner in Italien war (wie Augustinus219 schreibt), gegründet. Des­wegen haben Numitor und Romulus zu derselben Zeit regiert, und danach vergingen das Königreich und der Name der Albaner, weil sie von da an | römische Könige genannt wurden. Der König, der zu dieser Zeit in Juda regierte, war Ahaz oder, wie andere denken, regierte zur Zeit des Romulus dessen Nachfolger Hesekia, ein äußerst guter und frommer König.

KAPITEL 11 So sagt es Augustinus; doch zur Zeit desselben Romulus wird nach Augustinus220 auch berichtet, dass Thales von Milet gelebt habe, der der Erste der sieben Weisen gewesen ist. Denn die Weisheit begann nach den theologischen Dichtern zu wachsen, und die­jeni­gen, die sich mit der Weisheit beschäftigten, wurden ›Sophi‹ genannt, was ›die Weisen‹ bedeutet. Doch nach dem Buch der Zeiten221 des Beda, nach dem fünften Buch der Etymo­ logien222 Isidors und nach dem Zeugnis anderer, lebte Thales zur Zeit des Josia. Als Naturphilosoph untersuchte er die Natur und war zu der Zeit ein Astrologe, als das Volk der Hebräer – wie Augustinus223 berichtet – in die Gefangenschaft geführt wurde. Zu dieser Zeit erschien auch ein weiterer der sieben Weisen mit dem Namen Pittacus, der von Herkunft und Geschlecht Myte­ lener war. Während der Zeit der Gefangenschaft gab es noch fünf weitere [ Weise ]: Solon von Athen, Chilon von Sparta, Periander von Korinth, Cleobolus aus Lydien und Bias von Priene. Von diesen gab Solon den Athenern Gesetze, für deren Übersendung das römische Volk zehn Männer schickte. Diese Gesetze werden die Zwölftafelgesetze genannt, wie Isidor im fünften

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Buch 224 schreibt, und wie es Gratian von ihm übernimmt. Die anderen vier haben keine Schriften hinterlassen, wie Augustinus225 sagt. Dennoch wurden alle diese Männer nach Augustinus’ Bemerkungen im achten Buch des Gottesstaates226 als Weise bezeichnet. Sie haben sich nämlich von den anderen Menschen durch bestimmte Anweisungen einer richtigen Lebensführung unterschieden, und wenn man Augustinus’ Ausführungen im achten Buch weiter folgt, waren diese Weisen Ionier, also Griechen, weil sie in einem Land lebten, das heute Griechenland heißt. Doch nach diesen Männern kam noch ein anderes Geschlecht weiser Männer, die auch in griechischer Sprache schrieben, die aber trotzdem als ›italisch‹ bezeichnet werden; sie kamen nämlich | aus dem Teil Italiens, der in der Antike als ›Magna Graecia‹ bezeichnet wurde. Diese Männer haben zwar in Italien gewirkt, doch sie waren Griechen und benutzten die griechische Sprache. Sie wollten sich aber nicht als ›die Weisen‹ bezeichnen, sondern als ›Liebhaber der Weisheit‹, von denen der erste Pythagoras von Samos war. Als dieser gefragt wurde, wer er wäre, hat er geantwortet, dass er ein ›Philosoph‹, also ein ›Liebhaber der Weisheit‹ sei, wie Augustinus im achten Buch227 lehrt. Im 18. Buch228 sagt Augustinus zudem, dass er während der Zeit lebte, in der die jüdi­sche Gefangenschaft aufgelöst wurde. Nach Tullius [ Ciceros ] erstem Buch der Tusculanischen Fragen229 kam Pythagoras in der Zeit des Tarquinius Superbus, des siebenten Königs nach Romulus und letzten Königs vor den Konsuln, nach Italien, und nahm ganz Magna Graecia durch seine Ehre, seine Lehre und seine Autorität für sich ein. Denn noch mehrere Jahrhunderte später hatte der Name des Pythagoras solch ein Gewicht, dass kein anderer als gelehrt angesehen wurde. Wie Beda [ Venerabilis ]230 berichtet, begann dieser Tarquinius zur Zeit des persischen Königs Kyros zu regieren, der die Juden aus ihrer Gefangenschaft befreite. Er regierte auch noch zur Zeit von Cambyses, des Sohnes von Kyros, und von dessen beiden Brüdern, den Magonern, und von Darius, in dessen zwei-

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tem Regierungsjahr der Tempel gebaut wurde. Zu dieser Zeit wurde – Beda [ Venerabilis ] folgend – Pythagoras als sehr bekannt eingeschätzt; und Zorobabel, Aggäus, Zacharias und Malachi waren als Propheten bekannt. Pythagoras wurde von dem Syrer Pherekydes unterrichtet (wie Tullius [ Cicero ]231 in dem oben genannten Buch berichtet), der als erster behauptet hatte, dass die Seele unsterblich sei. Seine Lebensdaten sind nur durch seinen Schüler Pythagoras gesichert, auch wenn Isidor im ersten Buch232 schreibt, dass Pherekydes in der Zeit Esdras Geschichtsbücher verfasst habe, was in den letzten Jahren des Pherekydes und in der Jugend von Esdra gewesen sein könnte. Denn ab der Zeit, in der Pythagoras gelebt haben soll, vergingen 36 Jahre der Regierungszeit des Darius, 26 Jahre des Xerxes, sieben Monate des Artabanus, und sechs Jahre des Artaxerxes Longimanus, | bevor Esdra von Babylon nach Jerusalem hinaufzog. Esdra ist nach der Schrift und der Chronik nämlich im siebenten Jahr seiner Regierung, am ersten Tag des ersten Monats, aufgebrochen.

KAPITEL 12 Diese zwei Philosophengeschlechter, die ionischen und die italischen Philosophen, haben sich bis zu Ari­sto­te­les’ Lehre, der alle Positionen seiner Vorgänger berichtigt und verändert hat, und der versucht hatte, die Philosophie zu vervollkommnen, in viele Schulen und Nachfolger verzweigt. Unter den anderen [ Philosophen ] sind vor allem Archytas von Tarent und Timaeus als die Nachfolger des Pythagoras zu nennen. Doch die führenden Philosophen: also Sokrates, Platon und Ari­sto­te­les, stammten nicht von dieser Linie ab, sondern waren Ionier und wahre Griechen, von denen Thales von Milet der Erste war. In welcher Reihenfolge nach diesem [ Thales ] die anderen gefolgt sind, zeigt Augustinus im achten Buch des Gottesstaa­ tes233. Denn auf Thales folgte zuerst sein Schüler Anaximander,

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dessen Nachfolger wiederum Anaximenes war, und diese beiden lebten in der Zeit der jüdischen Gefangenschaft, wie Augustinus im 18. Buch234 und andere, damit übereinstimmend, s­ agen. Ana­ xagoras und Diogenes aber, die Hörer des Anaximenes waren, folgten ihm unter Darius Hydaspes, in dessen zweitem Regierungsjahr der Bau des Tempels begann. Anaxagoras hatte nach Augustinus’ Ansicht Archelaus als Schüler und Nachfolger, dessen Hörer und Schüler von Isidor im achten Buch235 als Demokrit bestimmt wird, wobei Augustinus hingegen im achten Buch236 Sokrates als Schüler von Archelaus erwähnt. Nach Beda 237 [ Vene­rabilis ] wurde Sokrates während der Herrschaft des Artabanus geboren, der sieben Jahre lang über die Perser regierte, und dessen Nachfolger Artaxerxes Longimanus war, in dessen siebentem Regierungsjahr Esdra aus Babylon hinunterzog. Daher lebten Esdra und Sokrates gleichzeitig, auch wenn Esdra früher geboren wurde, wie | aus dem nun Gesagten klar hervorgeht. Augustinus äußert nämlich im 18. Buch238 die Ansicht, dass Sokrates nach Esdra kam, was bedeutet, dass er später geboren wurde. Denn Sokrates erschien zu der Zeit, als Esdra am persischen Hof und bei den Juden einflussreich war. Dies ist der Sokrates, der ›Vater der großen Philosophen‹ genannt wird, weil er der Lehrer von Platon und Ari­sto­te­les war, von denen alle Philosophenschulen abstammen. Platon wurde – nach Bedas Meinung, die er in seiner größeren Zeitberech­ nung 239 anführt – unter Sogdianus geboren, der für sieben Monate geherrscht hatte, und dem dann Darius mit dem Beinamen ›Nothus‹ gefolgt ist, obwohl Beda in derselben Abhandlung 240 geschrieben hat, dass Platon unter der Regierungszeit des Darius geboren worden sei. Doch in diesem Werk zählt er die Zeit des Sogdianus wegen ihrer Kürze unter die Regierung des Darius, weil er diesem den Artaxerxes Longimanus folgen lässt. Bei Platons Geburt war Hippokrates als Mediziner berühmt, wie Beda sagt, und zu dieser Zeit finden wir auch Empedokles und Parmenides.

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Doch Platon, der zuerst das lernte, was Sokrates und Griechenland zu lehren hatten, machte sich als Lehrer Athens sodann nach Ägypten auf, lernte bei Archytas von Tarent und Timaeus, und bereiste mit viel Arbeitseifer den Teil der italienischen Küste, der ›Magna Graecia‹ genannt wurde, wie Hieronymus241 an Paulinus schreibt. Gegen Rufinus sagt Hieronymus242 zudem, dass Platon, nachdem er die Akademie gegründet und unzählige Schüler unterrichtet hatte, nach Magna Graecia gekommen sei, weil er gemerkt habe, dass vieles in seiner Lehre noch unvollständig war. Nachdem er dort durch Archytas von Tarent und Timaeus von Locri mit der pythagoreischen Lehre vertraut gemacht worden war, vereinte er seine eigene Eleganz und Anmut mit Lehren dieser Art. Für die Heiligen ist Platon allen anderen Philosophen vorzuziehen, weil dessen Bücher in ihre Hände gelangt sind, und weil er schöne Aussagen über Gott, die Sitten und das zukünftige Leben formuliert hat, die mit der heiligen Weisheit Gottes in vielem übereinstimmen, wie ich im Teil über die Moralphilosophie243 noch erläutern werde. Deshalb waren auch viele katholische Männer der Ansicht, dass er den Propheten Jeremias in Ägypten gehört habe. Denn er besuchte Ägypten | auf der Suche nach Weisheit und wurde dort von den Priestern der Barbaren unterrichtet, wie Tullius [ Cicero ] über ihn im fünften Buch der Akademischen Abhand­ lungen244 schreibt. Augustinus schreibt hingegen, dass er nicht zur Zeit des Jeremias gelebt habe. Denn wie er im 18. Buch seines Gottesstaates245 meint, hat Jeremias zuerst in der Zeit des vierten Königs ab Romulus, dessen Name Ancus Martius war, und zur Zeit des fünften Königs, Tarquinius Priscus, prophezeit. Platon hat jedoch nicht in dieser Zeit gelebt, sondern wurde fast 100 Jahre nach der Zeit des Jeremias geboren, wie Augustinus im achten Buch246 sagt; und er hat auch nicht, wie andere meinten, die 70 Interpreten getroffen, von denen er angeblich unterrichtet worden sei. Denn wie Augustinus im achten Buch 247 und Tullius [ Cicero ] im Buch Über das Alter 248 sagen, starb Platon im 81. Jahr

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seines Lebens, was am Ende der Regierung des Artaxerxes war, der auch – wie Beda249 meint – ›Ochus‹ genannt wurde. Und von seinem Todesjahr an gerechnet waren es noch fast 30 Jahre bis zu den 70 Interpreten, wie Augustinus250 schreibt, weshalb Platon in den göttlichen Dingen nicht von ihnen unterrichtet worden sein konnte. Allerdings denkt Augustinus251, dass er wegen seiner Begierde nach den Wissenschaften Hebräisch gelernt und die Bücher des Alten Testaments gelesen hat, wie er [ Platon ] durch seine Erzählung252 über den Beginn der Welt zeigt, die er übereinstimmend mit der Heiligen Schrift verfasst hat, sowie durch den Namen Gottes, den Gott selbst im Buch Exodus benutzt: »Ich bin, der ich bin«253, als Moses ihn fragte, wie sein Name sei. Dieser Name ist auch von Platon benutzt worden, von dem er auch schreibt, dass dies der Name Gottes sei.

KAPITEL 13 Vor Sokrates’ Tod ist Ari­sto­te­les geboren worden, weil er für drei Jahre dessen Hörer war, wie wir in der Lebensbeschreibung des Ari­sto­te­les254 lesen. Nach Beda255 wurde er unter Artaxerxes mit dem Beinamen ›Memnon‹ geboren, dem Nachfolger des Darius Nothus. In seinem 17. Lebensjahr war er ein Hörer von Sokrates und hörte ihn drei Jahre lang. Nach dem Zeugnis Bedas256 wurde er nach dem Tod von Sokrates ein Hörer Platons, den er – wie man in seiner Lebensbeschreibung 257 lesen kann – 20 Jahre lang hörte. Nach Platons Tod lebte er noch weitere 23  Jahre, weshalb er insgesamt nicht mehr als 63 Jahre alt wurde, wie aus dem Gesagten deutlich wird. Das steht ebenso in Censorinus’ Buch | Über den Geburtstag 258 geschrieben. Censorinus überliefert auch, dass Ari­sto­te­les mit einer tödlichen Krankheit drei Jahre lang mehr durch seine Geistesgröße als durch medizinische Hilfe gerungen hatte.259 Ari­sto­te­les wurde der Lehrer von Alexander dem Großen, weshalb es ihm mit Hilfe der Autorität

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seines Schülers möglich war, 2000 Menschen in die Welt hinauszusenden, um die Geheimnisse der Natur zu erforschen, wie Plinius uns im achten Buch seiner Naturgeschichte 260 mitteilt. In seiner Lebensbeschreibung 261 lesen wir auch, dass Ari­sto­te­les 1000 Bücher verfasst hat. Er beseitigte die Fehler der vorherigen Philosophen und erweiterte die Philosophie, wobei er jene Vollkommenheit wieder anstrebte, die sie bei den Patriarchen der Vorzeit hatte, auch wenn er freilich nicht alle einzelnen Gebiete vervollkommnen konnte. Denn seine Nachfolger haben ihn in einigen bestimmten Bereichen korrigiert und viele Dinge zu seinen Werken hinzugefügt; und es werden bis zum Ende der Welt weitere Ergänzungen vorgenommen werden, weil es bei den menschlichen Ent­deckungen keine Vollkommenheit gibt, wie bereits gezeigt worden ist. Die Natur hat diesen Mann  – wie Averroes im dritten Buch von Über die Seele 262 sagt – stark gemacht, damit sie die letztmögliche Vollkommenheit des Menschen bewirken möge. Nach dem Zeugnis aller großen Philosophen ist Ari­sto­te­les der Groß­ artigste von ihnen allen, und es darf nur das der Philosophie zugerechnet werden, was von ihm bestätigt worden ist; daher wird er heutzutage von selbst im Bereich der Philosophie nur als ›der Philosoph‹ bezeichnet, so wie auch Paulus im Bereich der Heiligen Lehre als ›der Apostel‹ bezeichnet wird. Die Philosophie des Ari­sto­­teles blieb zum größten Teil jedoch ruhig und verschwiegen, sei es wegen der Verborgenheit und Seltenheit von Abschriften, sei es ­wegen ihrer Schwierigkeit, sei es wegen der Kriege im Osten: denn erst nach der Zeit Mohammeds haben Avicenna, Averroes und andere die Philosophie des Ari­sto­te­les durch ihre Erläuterungen wieder in hellem Licht erstrahlen lassen. Und auch wenn nur einige seiner Werke über die Logik und wenige andere Werke aus dem Griechischen bereits durch Boethius übersetzt worden waren, hat doch die Philosophie des Ari­sto­te­les durch die Übersetzungen des Michael Scotus263, dessen Übersetzungen mit eigenhändigen Erläuterungen bestimmter Teile

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Kapitel 14

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von Ari­sto­te­les’ Werken über die Natur und die Metaphysik im Jahr unseres Herrn 1230 erschienen sind, bei den Lateinern wieder an Bedeutung gewonnen. Doch im Vergleich mit der Menge und Fülle seiner in 1000 Abhandlungen enthaltenen Weisheit | ist bisher nur wenig von ihm in die lateinische Sprache übersetzt worden, und noch weniger ist im Gebrauch der Studenten. Vor allem Avicenna, der Nachahmer und Erläuterer des Ari­sto­te­les, der Ari­sto­te­les nach seinen Möglichkeiten vervollständigt hat, verfasste drei Bücher über die Philosophie [ des Ari­sto­te­les ], wie er im Prolog zu seinem Buch der Heilung 264 schreibt: Ein populäres Buch mit den allgemeinen Aussprüchen der Peripatetiker, die in der Schule des Ari­sto­te­les verbreitet waren; das andere mit der reinen Wahrheit der Philosophie, die auch die Speere der Widersprechenden nicht zu fürchten braucht, wie er selbst erklärt265; und das dritte Buch, das er gegen Ende seines Lebens geschrieben hat, in dem er das Vorhergegangene noch einmal erläuterte und die Geheimnisse der Natur und der Kunst zusammenfasste. Doch sind von diesen drei Büchern zwei nicht übersetzt worden, das erste Buch haben die Lateiner nur in einigen Teilen. Dieses Buch wird Liber Assiphae genannt, das ist das Buch der Heilung. Nach ihm kam Averroes, ein Mann von profunder Weisheit, der viele Aussprüche seiner Vorgänger korrigierte und ihnen vieles hinzufügte, auch wenn er in einigen Bereichen verbessert und in vielen anderen vervollständigt werden muss: »Denn des vielen Büchermachens ist kein Ende«266, wie Salomon im Buch Ekkle­ siastes schreibt.

Kapitel 14 Aus diesen Betrachtungen wird das Hauptanliegen [ meiner Schrift ] deutlich, und es ist ersichtlich, dass alle ungläubigen Philosophen, Dichter, Sybillen und alle übrigen, die sich der Weisheit verschrieben hatten, nach den wahren, gläubigen und vollkommenen Philosophen gekommen sind, die die Söhne von

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Seth und Noah mit seinen Söhnen waren, denen Gott eine Lebensspanne von 600 Jahren geschenkt hatte, um das Studium der Weisheit zu vollenden, wie [ Flavius ] Josephus im ersten Buch der Altertümer 267 sagt. Denn er [ Flavius Josephus ] meint, dass sie die Philosophie in kürzerer Zeit nicht hätten vollenden können, was ganz besonders für die Astronomie gilt, bei der es die größten Schwierigkeiten gibt, weil die Himmelskörper von den sterb­ lichen Menschen sehr weit entfernt sind. Gott hat ihnen also alles geoffenbart und ihnen diese Länge des Lebens gegeben, damit sie die Philosophie durch die Erfahrung vollenden konnten. Doch wegen der Schlechtigkeit der Menschen, | die die Wege der Philosophie missbraucht haben, wie es zuerst Nemroth, Zara­thustra, Atlas, Prometheus, Merkur Trismegistos, ­Ä skulap, Apollo, Minerva und andere getan haben, die wegen ihrer Weisheit wie Götter verehrt worden sind, hat Gott das törichte Herz der Menge verdunkelt. Daher ging die Philosophie langsam verloren, bis Salomon sie wieder erneuert und vollständig wiederhergestellt hat, wie [ Flavius ] Josephus im achten Buch der Alter­ tümer 268 lehrt. Doch danach verschwand die Philosophie wegen der Sünden der Menschen wiederum Stück für Stück, bis Thales von Milet sie aufnahm und seine Nachfolger sie wieder erweiterten, bis hin zu Ari­sto­te­les, der sie wieder vervollständigt hat, soweit es ihm in seiner Zeit möglich war. Sie haben aber alles von den Hebräern gelernt, wie Ari­sto­te­les im Buch der Geheimnisse 269 sagt und wie weiter oben gezeigt worden ist. Weil die ersten ungläubigen Philosophen: wie Nemroth, Prometheus, Atlas, Apollo und die übrigen nach Seth, Noah, Shem, Abraham und deren Söhnen gekommen sind, die die Philosophie bereits vervollständigt hatten; und weil auf Salomon, der sie ein zweites Mal vervollkommnet hatte, die restlichen ungläubigen Philosophen – wie Thales, Pythagoras, Sokrates, Platon und Ari­sto­te­les –, gefolgt sind, ist es klar, dass die Philosophie in ihrer Vollkommenheit zuerst den heiligen Patriarchen und Propheten gegeben wurde, denen durch

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KAPITEL 15

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denselben Gott ebenso das göttliche Gesetz geoffenbart worden ist. Dies wäre aber nicht geschehen, wenn die Philosophie nicht vollständig mit Gottes Heiligen und dem heiligen Gesetz übereinstimmen würde, und wenn sie für das Verständnis, die Ausübung und die Verteidigung dieses Gesetzes nicht nützlich und notwendig wäre. Außerdem muss man von der Philosophie überzeugt werden; sie muss gezeigt, verbreitet und erweitert werden, weil sie auf alle Arten für das heilige Gesetz notwendig ist, wie noch klar aufscheinen wird, wenn wir die einzelnen Teile der Philosophie betrachten werden. Deshalb ist die Philosophie die Erläuterung der göttlichen Weisheit durch die Lehre und die Kunst. Es gibt daher eine vollkommene Weisheit, die in den Schriften enthalten und den Heiligen von Gott gegeben worden ist. Diese [ Weisheit ] muss jedoch durch die Philosophie und durch das kanonische Recht erklärt werden. |

KAPITEL 15 Daraus folgt notwendig, dass wir Christen die Philosophie auch bei heiligen Dingen anwenden müssen, und dass wir in die philosophischen Belange viele theologische Dinge aufnehmen müssen, damit klar wird, dass es eine Weisheit gibt, die in beiden Bereichen aufscheint. Ich möchte die Notwendigkeit hierfür nicht nur durch die Einheit der Weisheit zeigen, sondern auch dadurch, dass wir die herrlichen Sätze des Glaubens und der Theologie weiter unten in der Philosophie aufgreifen, die wir in den Büchern der Philosophen und in den verschiedenen Teilen der Philosophie finden, damit man sich nicht wundern möge, falls ich in der Philosophie die heiligsten Wahrheiten berühren sollte: denn Gott hat den Philosophen viele Wahrheiten seiner Weisheit zugestanden. Die Kraft der Philosophie muss so weit wie möglich auf die heilige Wahrheit angewendet werden, weil der Wert der Philosophie

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auf keine andere Weise erstrahlen kann, da die Philosophie für sich selbst genommen keinerlei Nutzen hat. Tatsächlich sind die ungläubigen Philosophen verdammt worden, denn »obwohl sie von Gott wussten, haben sie ihn nicht als Gott gepriesen noch ihm gedankt, sondern sind dem Nichtigen verfallen in ihren Gedanken«270, weshalb die Philosophie nur insoweit Würde haben kann, wie sie die Weisheit Gottes betrifft. Denn alles, was danach noch bleiben sollte, ist fehlerhaft und wertlos. Aus diesem Grund sagt Alfarabi in seinem Buch über die Wissenschaften271, dass ein ungelehrtes Kind sich in der Philosophie ebenso zu einem sehr weisen Mann verhält, wie solch ein weiser Mann sich gegenüber der Offenbarung der göttlichen Weisheit. Die Philosophie für sich genommen ist also nichts, sondern sie erhält erst Würde und Wert, wenn sie würdig ist, von der heiligen Weisheit aufgenommen zu werden. Zudem kann das Studium der Weisheit in diesem Leben immer weiter anwachsen, weil es bei den menschlichen Erfindungen | nichts Vollkommenes gibt. Daher sollten wir Nachgeborenen ergänzen, was bei den Alten gefehlt hat, weil wir in ihre Arbeiten eingestiegen sind, durch die wir uns – sofern wir keine Esel sind – zu besseren Dingen aufschwingen können; schließlich ist es doch äußerst armselig, immer nur Erfindungen zu benutzen und niemals selbst etwas zu erfinden, wie Boethius272 sagte, und wie auch wir weiter oben am entsprechenden Ort gezeigt haben. Des­wegen sollten die Christen die übrigen Dinge in ihrem Betätigungsfeld – die göttliche Weisheit – behandeln und die Wege der ungläubigen Philosophen [ auf diese Weise ] vervollkommnen: Dies nicht nur, weil wir deren Nachfolger sind und zu deren Werken etwas hinzufügen müssen, sondern auch, damit wir uns die Weisheit der Philosophen zu Diensten machen können. Eben dies tun schließlich auch die ungläubigen Philosophen, durch die Wahrheit selbst gezwungen, soweit sie ihnen zugestanden worden ist: Denn sie beziehen die ganze Philosophie auf die göttliche Weisheit, wie anhand der Bücher von Avicenna über

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die Metaphysik und die Moral, anhand von Alfarabius, Seneca, Tullius [ Cicero ] und anhand von Ari­sto­te­les’ Werken über die Metaphysik und die Moral deutlich ist. Sie führen nämlich alles auf Gott zurück, wie eine Armee ­a lles auf ihren Befehlshaber zurückführt, und sie schließen vieles über Engel und andere derartige Dinge, da die grundlegenden Glaubensartikel bei ihnen gefunden werden. Denn wie in der Moralphilosophie weiter ausgeführt werden wird, lehren sie, dass es einen Gott gibt, dass er in seinem Wesen nur einer ist, von unendlicher Macht, Weisheit und Güte, dreieinig in den Personen (als Vater, Sohn und Heiliger Geist), der alles aus dem Nichts erschaffen hat; und sie äußern auch vieles über unseren Herrn Jesus Christus und die selige Jungfrau. Ähnlich belehren sie uns über den Antichrist, die Engel und deren Schutz für die Menschen, über die Wiederauferstehung der Toten, über das zukünftige Gericht, über das zukünftige Leben in Glückseligkeit, das Gott den­jeni­gen versprochen hat, die ihm gehorchen, und über das zukünftige Elend, das er den­jeni­gen in Aussicht stellt, die seine Vorschriften missachten. Sie schreiben auch unzählige Dinge über die Ehrbahrkeit sittlichen Verhaltens, über den Ruhm der Gesetze und über den Gesetzgeber, der von Gott das Gesetz durch Offenbarung empfangen muss, und der ein Mittelsmann zwischen Gott und den Menschen ist: Ein Stellvertreter Gottes in dieser Welt und der Herr dieser irdischen Welt. Wenn von diesem gezeigt werden kann, dass er das Gesetz von Gott empfangen hat, muss ihm in allem geglaubt werden, wobei jeder Zweifel und jedes Zögern ausgeschlossen werden müssen; denn er muss das ganze Menschengeschlecht | aufgrund der Verehrung Gottes und der zukünftigen Glückseligkeit zum göttlichen Kult, zu den Gesetzen von Gerechtigkeit und Frieden und zur Ausübung der Tugenden lenken. [ Weiterhin müssen wir die Lehren der Philosophen kennen ], damit die Verehrung von Götzenbildern zerstört werden kann und weil sie die Zeit Christi prophezeit haben.

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Dies und noch weitere ähnliche Dinge haben die Philosophen von wo auch immer her geschrieben; jedenfalls finden wir solches in ihren Büchern, wie ein Beweis im Folgenden zeigen wird, und wie jeder selbst erfahren kann, der die Bücher der Philosophen lesen will. Denn wir können nicht bezweifeln, dass diese Dinge von ihnen geschrieben worden sind, von wo auch immer sie sie übernommen haben mögen. Wir sollten jedoch auch nicht überrascht sein, dass die Philosophen solche Dinge geschrieben haben: Denn die Philosophen kamen nach den Patriarchen und Propheten, wie wir weiter oben an der geeigneten Stelle geschrieben haben, weshalb sie die Bücher der Propheten und Patriarchen gelesen haben, die sich im Heiligen Text befinden.

KAPITEL 16 Ebenso haben sie [ die Patriarchen und Propheten ] andere Bücher geschrieben, die die Geheimnisse Christi berühren, wie im Buch Henoch273, dem Buch von den Testamenten der Patriarchen274, dem dritten, vierten und fünften Esrabuch, und in vielen anderen Büchern ersichtlich ist, von denen einige in der Heiligen Schrift genannt werden, wie die Bücher der Propheten Natan, Samuel und Abdon. In derartigen Büchern werden die Glaubensartikel ausdrücklich erwähnt, selbst viel ausdrücklicher als im Kanon der Heiligen Schrift. Denn neben den anderen Büchern zeigt das Buch über die Testamente der Patriarchen alles, was durch Christus erfüllt worden ist. Jeder Patriarch hat nämlich bei seinem Sterben seinen Söhnen und seinem Stamm verkündet und geweissagt, was in Bezug auf Christus geglaubt werden muss, wie aus jenem Buch hervorgeht. Obwohl diese Bücher nicht in den Kanon der Schrift aufgenommen worden sind, haben die heiligen | griechischen und latei­ nischen Schriftsteller sie doch von Beginn der Kirche an benutzt. Denn der selige Judas hat sich auf das Buch Enoch berufen, und

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Augustinus übernimmt im vierten Buch seines Gottesstaates275 vieles aus diesem Buch, um zu zeigen, dass die Heiligen die Weisheit vor den Philosophen besessen hatten; und er sagt zudem, dass diesem Buch mehr wegen seines hohen Alters als wegen eines anderen Grundes keine [ kanonische ] Autorität zukommt. Auch von den anderen Büchern ist offensichtlich, dass sie von den Heiligen und Weisen des Altertums benutzt wurden, weil von ihnen bekannt ist, dass sie klare Wahrheiten über Christus enthalten. Also haben die Philosophen wissbegierig und sorgfältig in der Erforschung der Weisheit die verschiedenen Gebiete durchge­a rbeitet, um die Weisheit aufzuspüren, haben darum heilige Bücher gelesen und viel von den Hebräern gelernt. Denn Avicenna zitiert in den Wurzeln der Moralphilosophie 276 die Worte Jesaias über das ewige Leben, indem er sagt, dass das ewige Leben das sei, was das Auge nicht gesehen oder das Ohr nicht gehört hat. Er sagt auch, dass Almosen die Sünde hinwegnehmen, wie der Prophet der Wahrheit Tobias sagt. Und Augustinus erklärt im achten Buch seines Gottesstaates277, dass Platon das Buch Genesis gelesen hat, weil seine Beschreibung der Erschaffung der Welt der Beschreibung in diesem Buch sehr ähnlich ist; außerdem sagt er, dass Platon wegen des von ihm dort genannten Namens Gottes, nämlich »Ich bin, der ich bin« das Buch Exodus gelesen haben muss. Denn Platon hat diese Bezeichnung benutzt, und er konnte sie nirgends sonst gefunden haben, wie Augustinus zustimmend bemerkt. Zusätzlich zu den heiligen prophetischen Büchern haben die Patriarchen und Propheten auch Bücher über die Philosophie verfasst, sie haben die Philosophie sogar zweimal vervollkommnet. Und was die Philosophen von ihnen übernommen haben (wie Ari­sto­te­les278 sagt), ist im Vorangehenden deutlich gezeigt worden. Da es nur eine vollständige und für den Menschen ausreichende Weisheit gibt, haben die Heiligen in ihren philosophischen Schriften vieles mit heiligen Dingen vermischt, soweit die Philosophie diese aufnehmen kann. Des­wegen haben die Philo­

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sophen durch die philosophischen Bücher der Heiligen vieles über die heiligen Wahrheiten gelernt. |

KAPITEL 17 Da die Philosophen zudem nach Wahrheiten und einem guten Leben gestrebt haben, indem sie Reichtümer, Luxus und Ehren verachtet und sich auf die zukünftige Glückseligkeit konzen­triert haben, soweit die menschliche Schwäche das zuließ; und da sie sogar mitunter die menschliche Natur überwunden haben, wie Hieronymus in seinem Buch gegen Jovinian279 über Diogenes schreibt, ist es nicht verwunderlich, wenn Gott ihnen, da er sie doch in diesen geringeren Angelegenheiten erleuchtet hat, ihnen auch eine gewisse Erleuchtung in größeren Dingen gegeben haben sollte; und sei es auch, dass er dies nicht für sie selbst, sondern für uns getan hat, indem durch ihre Überzeugungsarbeit die Welt für den Glauben vorbereitet wurde. Aus diesem Grund ließ er viele Sybillen erscheinen, besonders die zehn Prophetinnen, wie alle Heiligen übereinstimmend schreiben: neben anderen zum Beispiel Augustinus im 18. Buch seines Gottesstaates280 und Isidor im siebenten Buch seiner Etymologien281. Bezüglich der Sybillen stimmen ferner die Geschichtsschreiber, die Philosophen und die Dichter überein. Zudem haben die Sybillen vieles über die göttlichen Wahrheiten, über Christus, über das zukünftige Gericht und weitere derartige Dinge gesagt, weshalb es doch noch viel wahrscheinlicher ist, dass auch die weisesten und besten Philosophen solche Wahrheiten von Gott erhalten haben. Dass die Sybillen göttliche Wahrheiten geweissagt haben, wird durch die Heiligen sowie anderswo belegt. Es wird uns hier genügen, Augustinus’ Bemerkungen aus dem 18. Buch seines Gottesstaates zu zitieren. Diese Frauen sagten nämlich unter anderem dieses: »Sie aber werden Gott mit unreinen Händen Backenstreiche geben und aus schmutzigem Munde

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KAPITEL 17

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giftigen Speichel ausspeien; er aber wird den Schlägen einfältig seinen Rücken darbieten und wird zu den Fausthieben, die er empfängt, schweigen [ … ] und er wird mit Dornen gekrönt werden. Zur Speise haben sie ihm Galle und für seinen Durst Essig gegeben. [ … ] Du törichtes Geschlecht hast deinen Gott nicht erkannt, der des Verstandes der Sterblichen spottet, sondern hast ihn mit Dornen gekrönt und abscheuliche Galle gemischt. Aber des Tempels Vorhang wird reißen und mitten | am Tage finsterste Nacht sein drei Stunden lang. Und er wird des Todes sterben und dreitätigen Schlaf auf sich nehmen.«282 Und weiterhin sagt die Sybille in Versen: »Ist dann genaht das Gericht, so trieft von Angstschweiß die Erde. Er, er kommt nun herab, des Himmels ewiger König, Steht als Richter und sieht zu seinen Füßen den Erdkreis. O, nun schauen sie Gott, die Gläubigen all und Ungläub’gen, Und seiner Heiligen Heer. Die Weltzeit ist jetzt zu Ende, Siehe, die Seelen sind nun wieder mit Fleische umkleidet, Harrend des Richterspruchs, Erde und Meer vergeh’n in der Glut, ja bis zu den Polen. [ … ] die Verworf’nen werden in Ewigkeit verbrannt. Offen muss jeglicher nun geheimste Sünden bekennen, Und Gott erschließt die Herzen dem Lichte. Es entschwindet sie Sonne, der Chor der Sterne geht unter, Ohne Glanz ist der Mond, der Himmel selbst bricht zusammen, Unten liegt das Gebirg, die Täler drängen nach oben. Selbst die Quellen und Flüsse, sie müssen im Feuer verdorren. Tief gespalten die Erde enthüllt abgründiges Grauen. Rauchend entstürzt dem Himmel ein Strom von Schwefel und Feuer.«283

Wenn sogar schwache Frauen solches gesprochen haben, muss man doch noch viel mehr glauben, dass die weisesten Philosophen solche Wahrheiten gekostet haben. Augustinus meint im 18. Buch des Gottesstaates284 jedenfalls, dass auch andere als die

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direkten Nachfahren von Abraham bis zu Christus die Wahrheiten Gottes erhalten haben. Denn Hiob kannte die Wiederauferstehung der Toten und die Wahrheiten Gottes. Und in den Chroniken des Eusebius kann man lesen, dass während der Herrschaft Helenas und Constantins ein Körper ausgegraben wurde, auf dem folgende Schrift zu lesen war: »Ich glaube an Christus. Unter Helena und Constantin wird mich die Sonne wieder erblicken.« Vor kurzem wurde in der Zeit des Papstes Alexander IV. auch ein Sarazene in Bozea, der die Welt verachtete und sich selbst unter seinem eigenen Gesetz Gott, der Tugend und der Kontemplation eines anderen Lebens gewidmet hatte, von einem Engel heimgesucht, der ihn dazu anhielt, sich zum Glauben Christi zu bekennen. | Er wurde daraufhin von einem Priester der januen­ sischen Händler getauft. Dies war dem Papst Alexander und vielen weiteren bekannt, und auch heute erinnern sich noch viele daran.

KAPITEL 18 Dasselbe kann auch durch die beiden Prinzipien der Metaphysik belegt werden. Denn diese Wissenschaft handelt von dem, was allen Dingen und Wissenschaften grundlegend zukommt. Deshalb zeigt sie uns die Anzahl der Wissenschaften und dass es [ f ür die vollkommene Weisheit ] einer anderen, über die Philosophie hinausgehenden, Wissenschaft bedarf, deren Eigenschaften sie im Allgemeinen zeigt, auch wenn sie die Eigenschaften der einzelnen Disziplinen nicht angeben kann. Denn die Philosophie kennt ihre eigene Unvollkommenheit und ist sich bewusst, dass ihr die vollständige Kenntnis der Dinge fehlt, die am meisten erkannt werden müssen, wie Ari­sto­ te­les oft in der Metaphysik ebenso wie Avicenna sagen, wie weiter oben bereits erwähnt wurde, und wie noch ausgeführt werden soll. Des­wegen schreitet die Philosophie dahin voran, eine hö-

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here Wissenschaft zu finden, deren Existenz sie beweist, wenn sie sie im Besonderen auch nicht erklären kann. Dies ist eine vollständig göttliche Wissenschaft, welche die Philosophen als vollkommene Theologie bezeichnen: und aus diesem Grund erhebt sich die Philosophie zu der Wissenschaft der göttlichen Dinge. Weiterhin haben sich die Philosophen sehr bemüht, eine Bestätigung für eine Schule zu finden, in der das Heil für den Menschen liegen würde, und sie geben sehr klare Methoden für deren Beweis an, wie im Teil über die Moralphilosophie deutlich werden wird. Sie finden mit Sicherheit, dass es eine für die Welt ­verlässliche und ausreichende Schule geben muss, deren Eigenschaften sie zwar angeben, die aber nur in der Religion Christi gefunden werden kann, wie an den entsprechenden Stellen gezeigt wird; und es wird auch gezeigt werden, dass diese Religion mit der Güte Gottes und der Notwendigkeit für den Menschen übereinstimmt, und dass sie dem Menschen bekannt sein muss. Doch dies kann | den Ungläubigen nicht durch das Gesetz Christi oder durch die heiligen Autoren bewiesen werden, weil sie den Regeln des Disputierens folgend alle Dinge im Gesetz Christi verneinen können, so wie ja auch die Christen das ablehnen, was in anderen Gesetzen enthalten ist. Da sie Christus verneinen, verwundert es nicht, dass sie auch die Autoritäten der Christen a­ blehnen. Die Überzeugung vom Glauben ist aber notwendig, doch sie kann nur auf zwei Arten geschehen: entweder durch Wunder, die jedoch die Einschätzung der Gläubigen und der Ungläubigen übersteigen und über die man keine Vermutung anstellen kann; oder durch einen Weg, der Gläubigen und Ungläubigen gemeinsam ist: doch dieser Weg ist nur die Philosophie. Daher muss die Philosophie die Methoden der Überzeugungsarbeit für den christlichen Glauben angeben. Die Artikel dieses Glaubens sind aber Prinzipien, die zur Theologie gehören, weshalb die Philosophie mehr in die Beweise der Prinzipien der Theologie eindringen muss (wenn auch weniger tiefgehend), als zu den Prinzipien

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der anderen Wissenschaften. So müssen wir dieses Thema auf dieser vernünftigen Grundlage vorerst beruhen lassen, bis wir zu einer Betrachtung der verschiedenen Sekten gelangen.285 Denn dort werden wir zeigen können, dass die Moralphilosophie der Theologie in dieser Angelegenheit wirksam dienen kann. Und auch wenn diese Dinge der Wahrheit nach zur Theologie gehören, sind sie doch philosophischer Natur, die aber im Dienst der Theologie steht.

KAPITEL 19 Weiterhin ist die gesamte spekulative Philosophie auf ihr Ziel hingeordnet, welches die Moralphilosophie ist. Und da das Ziel den Dingen, die auf das Ziel hingeordnet sind, seine Notwendigkeit auferlegt, wie Ari­sto­te­les im zweiten Buch der Physik286 sagt, strebt die spekulative Wissenschaft immer nach dem ihr eigenen Ziel, richtet sich nach ihm aus und sucht nach nützlichen Wegen dorthin, weshalb die spekulative Philosophie die Prinzipien der Moralphilosophie vorbereiten kann. Auf diese Weise verhalten sich | die beiden Teile der Weisheit bei den ungläubigen Philosophen; doch bei den christlichen Philosophierenden ist die eigentliche und vollkommene Moralphilosophie die Theologie, die zu der allgemeinen Philosophie der Ungläubigen den Glauben Christi und die eigentlichen göttlichen Wahrheiten hinzufügt. Auch dieses Ziel hat freilich seine eigene vorangehende Spekulation, so wie auch die Moralphilosophie der Ungläubigen die ihre hat. Wie das Verhältnis des Ziels zum Ziel ist, so ist auch das Verhältnis zwischen spekulativer Erkenntnis zu spekulativer Erkenntnis; doch das Ziel, nämlich das christ­liche Gesetz, fügt über das Gesetz der Philosophen hinausgehend noch die Glaubensartikel hinzu, durch welche es das Gesetz der Moralphilosophie vervollständigt, sodass es nur ein vollständiges Gesetz gibt. Denn das Gesetz Christi nimmt

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die Gesetze und Vorschriften der Philosophie auf und eignet sie sich an, wie durch die Heiligen und die Praxis der Theologie und der Kirche sicher ist. Daher muss die dem Gesetz vorausgehende spekulative Wissenschaft der Christen zur Spekulation des anderen [ philosophischen ] Gesetzes Dinge hinzufügen, die in der Lage sind, das Gesetz Christi zu lehren und zu bekräftigen, damit eine vollständige Betrachtung entstehen kann, deren Beginn die spekulative Philosophie der ungläubigen Philosophen sein muss. Und diese Ergänzung muss in Übereinstimmung mit den besonderen Eigen­schaften des christlichen Gesetzes hinzugefügt werden. Aus diesem Grund muss die vollständige Philosophie der Christen über eine viel tiefgehendere Kenntnis der göttlichen Dinge verfügen als die der ungläubigen Philosophen; und aus diesem Grund sollten die Christen die Philosophie so betrachten, als ob sie gerade erst erfunden worden wäre, sodass sie diese für ihr eigenes Ziel anpassen können; deshalb müssen in der Philosophie der Christen viele Dinge ergänzt werden, die die ungläubigen Philosophen nicht kennen konnten. Es gibt Gründe dieser Art, die in uns aus dem Glauben, aus den Autoritäten des Gesetzes und der mit der Philosophie vertrauten Heiligen entstehen, und die die gemeinsamen Prinzipien einer vollständigen Philosophie und Theologie begründen können. Diese Prinzipien können dadurch erkannt werden, dass sie Gläubigen und Ungläubigen gemeinsam sind, sodass sie, wenn sie vorangetrieben und bewiesen werden, so bekannt sind, dass sie von den Weisen und von den­jeni­gen, die in der Philosophie der Ungläubigen unterrichtet sind, nicht verneint werden können. Denn die ungläubigen Philosophen wissen zur Zeit viele Dinge über das Göttliche nicht; | und wenn ihnen diese durch die Prinzipien einer vollständigen Philosophie richtig gezeigt und bewiesen werden würden – nämlich durch die Lebhaftigkeit der Vernunft, die ihren Ursprung in der Philosophie der Ungläubigen hat, die nur durch den christ­ lichen Glauben ergänzt werden müsste  –, würden sie es ohne

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Wider­spruch annehmen und sich an der ihnen gezeigten Wahrheit erfreuen, weil sie nach der Wahrheit begierig und viel lerneifriger als die Christen sind. Ich meine damit jedoch nicht, dass man spezielle Glaubensartikel beweisen müsste, sondern dass es viele allgemeine Vernunftwahrheiten gibt, die jeder weise Mensch leicht von einem anderen annehmen könnte, auch wenn sie ihm von sich selbst aus unbekannt sein mögen; so wie jeder lerneifrige und wissbegierige Mensch viele Dinge von einem anderen lernt und sie durch vernünftige Argumente erhält, auch wenn er sie vorher nicht kannte. Die Philosophierenden dürfen daher nicht darüber erstaunt sein, dass sie die Philosophie zu den theologischen Wahrheiten und zu den Autoritäten der Heiligen emporheben müssen, und dass sie diese weitläufig benutzen müssen, wenn es angemessen ist, und dass sie diese beweisen müssen, wenn es notwendig ist, und dass sie mit deren Hilfe auch andere Dinge beweisen müssen; denn ohne Zweifel haben die Philosophie und die Theologie viele Gemeinsamkeiten. Denn die Heiligen sprechen nicht nur mit theologischen, sondern auch mit philosophischen Argumenten und benutzen die Philosophie dabei auf vielfache Weise. Daher sollten die Christen, die die Philosophie vervollständigen wollen, in ihren Werken nicht nur die Aussprüche der Philosophen über göttliche Wahrheiten sammeln, sondern sie sollten – weit darüber hinausgehend – zu einem Punkt gelangen, an dem die Kraft der Philosophie als Ganze vervollständigt wird. Daher muss jemand, der die Philosophie mit derartigen Wahrheiten vervollständigt, nicht als Theologe bezeichnet werden, da er frei das gebrauchen kann, was der Philosophie und der Theologie gemeinsam ist und was von Gläubigen und Ungläubigen zugleich akzeptiert wird. Des­wegen müssen Christen, die die Philosophie vervollständigen wollen, in ihren Abhandlungen nicht nur die Aussprüche der Philosophen über göttliche Wahrheiten sammeln, sondern weit darüber hinausgehen, damit die ganze Macht der Philosophie vervollständigt wird. Daher darf

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der­jenige, der die Philosophie durch solche Wahrheiten vervollständigt, nicht theologisch sprechen, und er darf die Ziele der Philosophie nicht überschreiten, damit er die der Philosophie und der Theologie gemeinsamen Dinge mit Sicherheit behandeln kann, ebenso wie das, was von den Gläubigen und Ungläubigen gemeinsam akzeptiert werden kann. Es gibt viele solche Themen, die zu den Aussprüchen der ungläubigen Philosophen hinzukommen und die der richtig Philosophierende trotzdem in den Grenzen der Philosophie behandeln muss, wo auch immer er sie findet. Er sollte sie als seine eigenen zusammenstellen, ob sie nun in den Büchern der Heiligen, | der Philosophen, der Heiligen Schrift, in den Geschichtswerken oder an anderen Orten gefunden werden. Denn es gibt keinen Autor, der außer seinem Hauptthema nicht zufällig noch andere Bereiche behandelt, die eigentlich an einen anderen Ort gehören. Es gibt nämlich eine Verbindung zwischen den Wissenschaften, weil jede Wissenschaft auf eine gewisse Weise von einer anderen abhängt. Doch jeder, der irgendein Thema angemessen behandelt, muss die zu diesem Thema gehörenden Dinge angeben, sowohl das, was für das Thema wichtig ist, als auch das, was zu dessen Wert beiträgt; daher weiß er sie für sich immer zu erkennen, weshalb er sie sich manchmal zu eigen machen und an den richtigen Stellen angeben muss. Aus diesem Grund kann der philosophierende Christ viele Autoritäten, Vernunftgründe und Meinungen aus anderen Werken und auch aus den Werken der ungläubigen Philosophen vereinen, solange sie zur Philosophie gehören oder ihr und der Theologie gemeinsam sind, und solange sie gemeinsam von Ungläubigen und Gläubigen akzeptiert werden können: andernfalls wird es keine Vollkommenheit geben, sondern viele Verluste. Und dies muss nicht nur getan werden, um die Philosophie zu ergänzen, sondern vor allem wegen des christlichen Bewusstseins, das alle Wahrheit auf die göttliche Wahrheit zurückführen muss, damit sie ihr untergeordnet ist und ihr dient. [ Diese Zusammenfüh-

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rung ist auch deshalb notwendig ], weil die Philosophie der Ungläubigen vor allem schädlich ist und für sich genommen keinen Wert hat. Denn die Philosophie allein führt in die Blindheit der Hölle, weshalb sie für sich allein nur Dunkelheit und Finsternis sein kann.

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TEIL VI

Über die Erfahrungswissenschaft

Teil sechs dieser Überzeugungsschrift287 Zugleich der sechste Teil des Großen Werks ÜBER DIE ERFAHRUNGSWISSENSCHAFT

KAPITEL 1 Nachdem die Wurzeln der Weisheit bei den Lateinern dargelegt worden sind, soweit sie die Sprachen, die Mathematik und die Perspektivik betreffen288, möchte ich nun die Prinzipien der Erfahrungswissenschaft erläutern, weil man ohne die Erfahrung nichts wirklich wissen kann. Denn es gibt zwei Arten des Wissenserwerbs: das Argument und die Erfahrung. Das Argument folgert und führt uns dazu, der Schlussfolgerung zuzustimmen, doch es beweist [ die Schlussfolgerung ] nicht und beseitigt nicht den Zweifel, sodass unser Geist durch den Anblick der Wahrheit nicht zur Ruhe kommen kann, es sei denn, er findet sie auf dem Weg der Erfahrung. Denn viele haben zwar Argumente für das Wissbare, doch da sie keine Erfahrung [ davon ] haben, ignorieren sie es und vermeiden daher weder das Schlechte, noch folgen sie dem Guten. Wenn zum Beispiel ein Mensch, der noch niemals ein Feuer gesehen hat, durch gute Argumente zeigen würde, dass Feuer brennt, Dinge verletzt und sogar zerstört, würde sein Geist des­ wegen doch niemals zur Ruhe kommen, und er würde das Feuer nicht vermeiden, bevor er nicht eine Hand oder etwas Brennbares in das Feuer gehalten hätte, um durch die Erfahrung zu bestätigen, was | das Argument gelehrt hat. Doch nachdem er

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die Erfahrung einer Verbrennung gemacht hat, wird sein Geist bestätigt und ruht im Glanz der Wahrheit. Daher reicht das Argument [ f ür ein vollständiges Wissen ] nicht aus, sondern es wird auch die Erfahrung benötigt. Das wird auch in der Mathematik deutlich, wo es die stärkste Beweisform gibt. Wenn jemand zum Beispiel den besten Beweis für ein gleichseitiges Dreieck hätte, würde sein Geist ohne Erfahrung doch niemals der Konklusion zustimmen oder sich um sie kümmern, sondern er würde sie vernachlässigen, bis ihm davon eine Anschauung durch [ eine Zeichnung ] der Überschneidung zweier Kreise gegeben werden würde, wobei von jedem Schnittpunkt zwei Linien zu den Grenzen der gegebenen Linie gezogen werden. Dann wird er die Konklusion ruhig annehmen. Wenn Ari­sto­te­les289 also sagt, dass ein Beweis ein Syllogismus ist, der uns wissend macht, ist das so zu verstehen, dass dies nicht für den nackten Beweis gilt, sondern nur, wenn der Beweis von einer entsprechenden Erfahrung begleitet wird. Wenn Ari­sto­te­les im ersten [ Buch ] der Metaphysik290 weiterhin davon spricht, dass die, die den Vernunftgrund und die Ursache kennen, weiser sind als die­jeni­gen, die nur über Erfahrung verfügen, spricht er von jenen Fachleuten, die ausschließlich die nackte Wahrheit ohne deren Grund kennen. Doch ich spreche hier von dem Experten, der den Vernunftgrund und die Ursache durch Erfahrung kennt. Solche Menschen sind die Vollkommenen in der Weisheit, wie Ari­sto­te­les im sechsten [ Buch ] seiner Nikomachischen Ethik291 schreibt, deren einfachen [ u nbewiesenen ] Aussprüchen so geglaubt werden muss, als ob sie mit einem Beweis einhergingen, wie er an derselben Stelle sagt. Wer sich also ohne Beweis an den Wahrheiten der Dinge erfreuen will, muss sich für die Erfahrung freizumachen wissen, was auch durch Beispiele belegt wird. Denn die Autoren schreiben vieles, wovon sich die Menge durch Argumente überzeugen lässt, die nicht durch die Erfahrung geprüft worden sind. Es ist zum Beispiel eine weitverbreitete Meinung, dass ein Diamant

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nur durch Bocksblut292 zerbrochen werden kann, und viele Philosophen und Theologen missbrauchen diese Vorstellung. Doch ist das Zerbrechen durch derartiges Blut noch niemals bestätigt worden, auch wenn es freilich versucht worden ist; ohne dieses Blut kann man [ einen Diamant ] hingegen leicht zerbrechen. Ich habe das mit eigenen Augen gesehen, und es muss sich auch so verhalten, weil andere Edelsteine nur mit Bruchstücken dieses Steins bearbeitet werden können. Ebenso ist die Vorstellung verbreitet, dass das Bibergeil, das die Mediziner benutzen, die Hoden des männlichen Bibers seien. Doch das ist nicht wahr, weil der Biber sie [ das Bibergeil ] unter seiner Brust hat und weil sowohl männliche als auch weibliche Biber derartige Testikel bilden. | Zudem hat bei den Bibern der männliche Biber seine Hoden an dem dafür natürlichen Ort. Was hierüber erzählt wird, ist demnach eine furchtbare Lüge, besonders, wenn dann noch hinzugedichtet wird, dass ein von Jägern verfolgter Biber sich seine Hoden mit den Zähnen abbeißt, weil er weiß, was die Jäger suchen. Außerdem ist die Ansicht bekannt, dass heißes Wasser in einem Gefäß schneller gefrieren würde als kaltes, wofür als Beweis angeführt wird, dass Gegenteiliges durch das Gegenteil angeregt wird, wie bei zwei sich begegnenden Feinden. Doch wenn man diese Ansicht durch die Erfahrung prüft, gefriert kaltes Wasser mit Sicherheit schneller. Die Menschen schreiben diese [ falsche ] Meinung Ari­sto­te­les’ Meteorologie 293 zu; allerdings sagt er das dort mit Sicherheit nicht, sondern er sagt etwas Ähnliches, durch das sie getäuscht worden sind: Wenn heißes und kaltes Wasser auf eine kalte Oberfläche gegossen werden, wie zum Beispiel über Eis, dann gefriert das heiße Wasser schneller, und das ist wahr. Doch wenn heißes und kaltes Wasser in zwei Gefäße gegossen werden, gefriert das kalte Wasser schneller. Daher müssen alle Dinge auf dem Weg der Erfahrung bestätigt werden. Die Erfahrung ist aber zweifach: Eine Art von Erfahrung gewinnen wir durch unsere äußeren Sinne. Durch sie gewinnen wir

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mit der Hilfe von Instrumenten Erfahrung von den Himmelsdingen, und durch den Gesichtssinn von den Dingen auf der Erde. Von den Dingen, die sich nicht an den Orten befinden, wo wir sind, wissen wir durch andere weise Menschen, die von ihnen Erfahrung gesammelt haben. So hat Ari­sto­te­les mit Hilfe der Autorität Alexanders [ des Großen ] 2000 Männer zu den verschiedenen Teilen der Welt ausgesandt, damit diese alles in Erfahrung bringen konnten, was sich auf der Welt befindet, wie Plinius in seiner Naturgeschichte 294 überliefert. Diese Art der Erfahrung ist eine menschliche und philosophische Erfahrung, die so weit reicht, wie der Mensch durch die ihm zuteil gewordene Gnade gelangen kann. Doch diese Erfahrung ist für die Menschen oft nicht ausreichend, weil sie aufgrund ihrer Schwierigkeit nicht alles über die körperlichen Dinge bestätigt, und weil sie geistige Dinge überhaupt nicht berührt. Deshalb muss dem Intellekt des Menschen anders geholfen werden, weshalb die heiligen Patriarchen und Propheten, die als erste der Welt die Wissenschaften gegeben haben, innere Illuminationen erhalten haben und daher nicht ausschließlich von den Sinnen abhängig waren. Dasselbe gilt auch für viele Gläubige nach der Zeit Christi. Denn die Gnade des Glaubens und die göttlichen Eingebungen erleuchten vieles, nicht nur im Bereich der geistigen Dinge, sondern auch in der körperlichen Welt und in den philosophischen Wissenschaften; so sagt auch Ptolemäus in seinem Centiloquium295, dass der Weg der Erkenntnis der Dinge zweifach ist, einer | verläuft entlang der Erfahrung der Philosophie, der andere Weg – welcher, wie er sagt, viel besser ist – wird uns durch göttliche Eingebung geschenkt. Es gibt sieben Stufen dieses inneren Wissens, von denen eine Stufe in den rein wissenschaft­lichen Erkenntnissen besteht. Eine andere Stufe besteht aus den Tugenden, weil der böse Mensch in Unkenntnis lebt, wie Ari­sto­te­les im zweiten [ Kapitel ] seiner Niko­machischen Ethik296 sagt. Und Algazel sagt in seiner Logik297, dass eine durch Sünden verunstaltete Seele wie ein rostiger Spie-

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gel ist, in dem die Abbilder der Dinge nicht gut erscheinen können; eine mit Tugenden geschmückte Seele hingegen ist wie ein gut polierter Spiegel, in dem die Formen der Dinge gut erscheinen können. Aus diesem Grund haben die wahrhaften Philosophen soviel für die Ehre der Tugend gearbeitet, weil sie für sich selbst geschlossen haben, dass sie die Ursachen der Dinge nicht sehen können, wenn ihre Seelen nicht frei von Sünden sind. So berichtet es jedenfalls Augustinus von Sokrates im achten Buch seines Gottesstaates298, Kapitel drei, und des­wegen sagt auch die Schrift »in eine arglistige Seele«299 usw.: Denn es ist unmöglich, dass die Seele im Licht der Wahrheit ruhen kann, solange sie noch durch die Sünde beschmutzt ist, sondern sie wird wie ein Papagei oder eine Elster nur fremde Wörter wiedergeben, die sie durch lange Übung gelernt hat. Der Beweis dafür besteht darin, dass die Schönheit der Wahrheit, wenn sie in all ihrem Glanz erkannt wird, die Menschen zu ihrer Liebe hinzieht; doch der Beweis für die Liebe ist die Zurschaustellung eines Werks [ der Liebe ]300. Wer also gegen die Wahrheit tätig ist, bleibt ihr gegenüber notwendig in Unkenntnis, auch wenn er noch so schöne Worte machen und noch so viele fremde Meinungen zitieren kann: [ Er ist trotzdem ] wie ein wildes Tier, das menschliche Laute | nachahmt, oder wie ein Affe, der menschliche Tätigkeiten nachzumachen versteht, auch wenn er ihre Gründe nicht einsieht. Die Tugend klärt daher den Geist, sodass der Mensch nicht nur moralische, sondern auch wissenschaft­liche Wahrheiten leichter versteht. Ich habe das selbst sorgfältig anhand vieler reiner junger Männer geprüft, die aufgrund der Unschuld ihrer Seele weit über das hinaus gelangt sind, was man für möglich halten würde, wenn sie in ihrem Studium eine gute Führung erhalten haben. Zu diesen zählt auch der Überbringer dieser Abhandlung, dessen tiefgehende Kenntnisse nur sehr wenige Lateiner je erlangt haben. Da er nämlich mit ungefähr 20 Jahren noch sehr jung und zugleich sehr arm ist, da er keine Lehrer haben konnte, da er nicht einmal ein Jahr Zeit hatte, um seine tiefen Kennt-

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nisse zu erlangen, und da er zudem weder über einen sehr großen Sachverstand noch über ein außergewöhnliches Gedächtnis verfügt, kann es keinen anderen Grund [ f ür seine Kenntnisse ] als die Gnade Gottes geben, der ihm wegen der Reinheit seiner Seele die­jeni­gen Dinge gegeben hat, die er fast allen anderen Studenten vorenthalten hat. Denn er ist von mir als unbefleckte Jungfrau fortgegangen und ich konnte keine Art von Todsünde in ihm finden, wie sorgfältig ich auch nachgeforscht habe, weshalb er solch eine klare und reine Seele hat, dass er mit bescheidener Anleitung mehr gelernt hat, als man sich vorstellen kann. Und ich habe soweit versucht, behilflich zu sein, dass diese beiden jungen Männer nützliche Gefäße in der Kirche Gottes sein sollen, insofern sie möglicherweise mit der Gnade Gottes das gesamte Studium der Lateiner korrigieren werden. Die dritte Stufe besteht in den sieben Gaben des Heiligen Geistes, die Jesaia301 aufzählt. Die vierte [ Stufe besteht ] in den Glückseligkeiten, die der Herr in den Evangelien bestimmt. 302 Die fünfte [ Stufe besteht ] in den Spiritualsinnen. Die sechste [ Stufe besteht ] in den Früchten, aus denen der Friede des Herrn gemacht ist, der jede Beschreibung übersteigt. 303 Die siebente [ Stufe besteht ] in den verschiedenen Arten von Verzückungen, durch die verschiedene Menschen auf unterschiedliche Arten ergriffen werden, sodass sie viele Dinge sehen, von denen kein Mensch sprechen darf. 304 Wer in einigen oder auch mehreren dieser Erfahrungen gut bewandert ist, der kann sich und andere nicht nur von den geistigen Dingen überzeugen, sondern von ­a llen menschlichen Wissenschaften. Da alle Teile der spekulativen Philosophie durch Argumente voranschreiten, die entweder durch Autoritäten oder durch andere Argumentationsmethoden außer der, die ich nun hier beschreibe, gestützt werden, ist für uns die Wissenschaft notwendig, die ›Erfahrungswissenschaft‹ genannt wird. Ich möchte sie erklären, weil sie nicht nur für die Philosophie nützlich ist, sondern auch für die Weisheit Gottes und für die Regierung der gan-

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zen Welt; ebenso, wie ich in den vorhergehenden Abhandlungen | die Sprachen und die Wissenschaften mit ihrem Ziel verglichen habe, welches die göttliche Weisheit ist, durch die alles geordnet wird.

KAPITEL 2 Da diese Erfahrungswissenschaft der Menge der Studenten vollkommen unbekannt ist, kann ich niemanden von ihrer Nützlichkeit überzeugen, wenn nicht zugleich ihre Kraft und ihre Eigentümlichkeiten beschrieben werden. Nur diese Wissenschaft weiß auf vollkommene Art zu zeigen, was durch die Natur geschehen kann, was durch die Anstrengung der Kunst hervorgerufen wird, was durch Betrug passiert, und was Gesänge, Beschwörungen, Herbeirufungen, Fürsprachen und Opfergaben wollen und wovon sie träumen, die allesamt magischer Natur sind; und was bei ihnen geschieht, damit alle Falschheit beseitigt wird, und damit nur die Wahrheit der Kunst beibehalten wird. Nur diese Wissenschaft lehrt, alle Verrücktheiten der Magier zu bewerten, damit sie nicht bestätigt, sondern vermieden werden, so wie die Logik die Scheinschlüsse aufdeckt. Diese Wissenschaft hat gegenüber den anderen Wissenschaften drei Vorzüge: Der erste Vorzug besteht darin, dass sie alle die edlen Konklusionen der anderen Wissenschaften durch die Erfahrung überprüft. Denn die anderen Wissenschaften wissen zwar, wie sie ihre Prinzipien durch die Erfahrung gewinnen können, doch ihre Konklusionen schließen sie aus Argumenten, die aus den gefundenen Prinzipien gewonnen werden. | Doch wenn sie eine besondere und vollständige Erfahrung ihrer Konklusionen haben wollen, müssen sie diese mit der Hilfe dieser noblen Wissenschaft gewinnen. Denn es ist wohl wahr, dass die Mathematik universelle Erfahrungen ihrer Konklusionen durch ihre Zeichnungen und Aufzählungen hat, die auch auf andere Wissenschaften und auf die Erfahrungswissenschaft angewandt

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werden, weil keine Wissenschaft ohne die Mathematik erkannt werden kann. Doch wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf besondere und vollständige Erfahrungen richten, die alle in den jeweils ihnen eigenen Fachgebieten bestätigt worden sind, dann müssen wir uns auf die Beobachtungen jener Wissenschaft verlassen, welche zu Recht ›Erfahrungswissenschaft‹ genannt wird. Ich werde als Beispiel den Regenbogen und mit ihm verbundene Phänomene anführen, wie etwa den Kreis um die Sonne und die Sterne, oder den Stab, der sich ebenfalls am Rand der Sonne und der Sterne befindet und der dem Auge als gerade Linie erscheint. Dieser Stab wird von Ari­sto­te­les im dritten [ Buch ] der Meteorologie 305 als ›Senkrechte‹, von Seneca306 hingegen als ›Rute‹ bezeichnet, der Kreis wird ›Kranz‹ genannt. Alles dies sind Himmelserscheinungen, die meistens die Farben des Regen­ bogens haben. Der Naturphilosoph spricht viel über diese Phänomene, und der Perspektiviker hat vieles hinzuzufügen, was die Art des Sehens betrifft, und was in diesem Fall [ a ls Erklärung ] notwendig ist. Doch weder Ari­sto­te­les noch Avicenna haben uns in ihren Büchern über die Natur von diesen Erscheinungen einen Begriff geben können, ebenso wenig wie Seneca, der darüber doch ein gesondertes Buch verfasst hat 307. Die Erfahrungswissenschaft aber beweist diese Phänomene. Der Experimentator sollte nämlich zuerst die sichtbaren Dinge betrachten, bis er einige findet, in denen die Farben in derselben Anordnung und Erscheinung wie bei den vorher genannten Phänomenen auftreten. Dann sollte er sechseckige Steine aus Irland oder aus Indien zur Hand nehmen, die in Soli­nus’ Wunder der Welt ›Regenbögen‹ genannt werden308, und er möge sie in einen durch ein Fenster fallenden Sonnenstrahl halten, sodass er alle Farben des Regenbogens, die auch wie in einem Regenbogen angeordnet sind, in dem Schatten neben dem Strahl vorfinden wird. Dann möge sich derselbe Experimentator zu einem dunklen Ort hinwenden und den Stein vor sein fast geschlossenes Auge halten: Er wird die Farben des Regenbogens in eben derselben An-

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ordnung wie bei einem Regenbogen sehen. Da viele, die diese Steine verwenden, der Ansicht sind, dass sich diese Besonderheiten aus der speziellen Kraft dieser Steine und ihrer sechseckigen Gestalt ergeben, möge der Experimentator noch weiter gehen: Er wird dasselbe Ergebnis auch bei kristallenen Steinen finden, die auf die richtige Art geformt sind, ebenso wie bei anderen durchsichtigen Steinen. Weiterhin wird er dieses Ergebnis nicht nur mit weißen Steinen, wie den Steinen aus Irland, sondern auch mit schwarzen Steinen erreichen, wie anhand des dunklen Kristalls und aller anderen | ähnlich durchsichtigen Steine deutlich wird. Dasselbe wird er auch bei Steinen finden, die keine sechseckige Form haben, solange sie nur eine raue Oberfläche wie die irischen Steine haben, die nicht vollkommen fein, aber auch nicht viel rauer ist, als jene der Steine aus Irland. Und es gibt durchaus einige weitere Steine, deren Oberfläche dieselbe Eigenschaft hat, wie sie die Natur in Irland hervorbringt, weil unterschiedliche Riffelungen auch für verschiedene Farben sorgen. Weiterhin soll er sich Ruderer anschauen: Er wird dieselben Farben in den Tropfen finden, die von den Rudern fallen, wenn die Sonnenstrahlen sie berühren. Dasselbe gilt auch für Wasser, das von Mühlrädern fällt. Und wenn ein Mensch an einem Sommermorgen die Tautropfen in den Gräsern auf einer Wiese oder einem Feld betrachtet, sieht er dieselben Farben. Ähnlich werden einem Menschen bei Regen, wenn er an einem dunklen Ort steht, und wenn die Strahlen außerhalb dieses Ortes durch den fallenden Regen dringen, auch im nahen Schatten Farben erscheinen; und nachts erscheinen häufig Farben um den Schein einer Kerze herum. Ebenso wird ein Mensch [ diese ] Farben sehen, wenn er im Sommer morgens aus dem Schlaf erwacht und mit noch nicht ganz geöffneten Augen auf ein Loch schaut, durch das ein Sonnenstrahl fällt. Er wird auch Farben sehen, wenn er jenseits der Sonne sitzt und seine Kapuze über die Augen zieht; und wenn er ein Auge schließt, geschieht dasselbe unter dem Schatten der Augenbrauen.

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Das lässt sich auch bei einem mit Wasser gefüllten Glasgefäß beobachten, das in die Sonnenstrahlen gestellt wird. Ebendies passiert auch, wenn jemand Wasser in den Mund nimmt und das Wasser mit Kraft in die Sonnenstrahlen spuckt, wobei er am Rand der Strahlen steht. Es werden auch Farben entstehen, wenn Strahlen in der dafür erforderlichen Position durch eine in der Luft hängenden Öllampe hindurchdringen, sodass das Licht auf die Oberfläche des Öls fällt. So können diese Farben auf unendlich viele (sowohl natürliche als auch künstliche) Arten erscheinen, von denen der umsichtige Experimentator weiß, wie er sie auffinden kann.

KAPITEL 3 Auf ähnliche Weise wird er auch die Gestalt der Farben in Erfahrung bringen können. Denn wenn er Kristallsteine und ähnliche derartige Steine benutzt, wird er ihre Gestalt als gerade erfahren. Wenn er sich jedoch auf seine Augenlider oder Augenbrauen und auf andere ähnliche Dinge konzentriert, wie zum Beispiel auf Löcher in einem Tuch, wird er ganze farbige Kreise sehen. Genauso wird [ ein Regenbogen ] auch an einem Ort, an dem der Tau vollständig und ausreichend ist, um einen ganzen Kreis einzufangen, und an einer Stelle, die für den Kreis eines Regenbogens entsprechend dunkel ist (weil er an einem hellen Ort nicht erscheint) als vollständiger Kreis erscheinen. Ebenso entstehen ganze Kreise regelmäßig um Kerzenschein herum, wie Ari­sto­te­les309 sagt und wie wir selbst erleben. |

KAPITEL 4 Nachdem wir übereinstimmende Phänomene in der Luft, nämlich den Regenbogen, die Kränze und die Stäbe, beobachtet haben, werden wir – da wir so zahlreiche derartige Farben und Gestalten finden – auch zum Verständnis der Wahrheit der­jenigen

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KAPITEL 4

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Dinge, die sich in der Himmelssphäre ereignen, angehalten und ermuntert. Deshalb möge der Experimentator weiterhin das entsprechende Instrument zur Hand nehmen, sodass er den Sonnenstand über dem Horizont bestimmen kann. Ohne das Instrument zu bewegen, möge er sich sodann in die entgegengesetzte Richtung drehen und durch die Löcher des Instruments schauen, bis er die obere Spitze des Regenbogens sieht, sodass er die Höhe des Regenbogens über dem Horizont bestimmen kann: Er wird finden, dass der Regenbogen umso tiefer gelegen ist, je höher die Sonne steht, und umgekehrt. Dadurch weiß er, dass sich der Regenbogen immer gegenüber der Sonne befindet, und dass eine Linie durch den Mittelpunkt der Sonne, durch den Mittelpunkt des Auges des Betrachters und durch den Mittelpunkt des Regenbogens bis zum Nadir der Sonne hindurchgeht, wobei der ›Nadir der Sonne‹ ein Punkt am Himmel ist, der dem Mittelpunkt der Sonne gegenüberliegt. Wenn die äußerste Grenze jener Linie, die sich zur Sonne hin erstreckt, über den Horizont erhoben wird, wird die andere [ Grenze der Linie ], die durch den Mittelpunkt des Regenbogens hindurchgeht, abgesenkt. Und ebenso verhält es sich auch umgekehrt, sodass es hier genauso ist, wie bei dem ›Lineal‹ [ regula ] an der Rückseite eines Astrolabiums, dessen eines Seitenende soweit gesenkt wird, wie das andere Seitenende angehoben wird. Der vollkommene Experimentator kann dies alles solange testen, bis er die genau gegenüberliegende Höhe des Regenbogens und der Sonne findet, also jene Höhe, über die hinaus kein Regenbogen mehr erscheinen kann. Danach muss er seine Überlegungen den Gründen für die Höhe der Kreise zuwenden. Man muss sich klar vor Augen führen, dass der Horizont ein Kreis ist, in dessen Mittelpunkt eine Achse vom Sternenhimmel bis zum Zenit des Kopfes des Beobachters aufgerichtet ist. Man möge sich nun einen Kreis vorstellen, der durch jenen Punkt und durch zwei Teile des Horizonts hindurchgeht – wenn wir wollen

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durch den östlichen und den westlichen [ Teil des Horizonts ] –, und der sich unterhalb der Erde bis zu dem Punkt erstreckt, der sich gegenüber dem Zenit des Kopfes [ des Beobachters ] befindet. Dieser Kreis ist der Höhenkreis eines Fixsterns, der durch den Sternenkörper hindurchgeht; denn wenn ein Stern über dem Horizont aufgeht, sagen wir, dass er entlang der Gradpunkte jenes Kreises aufsteigt, bis er die Linie des Meridians erreicht. Dann ist der Stern an seinem höchsten Punkt, und der Kreis schneidet den Horizont | rechtwinklig: Sie teilen sich dann gegenseitig in gleiche Teile, wobei jeder von ihnen ein größerer Kreis in der Sphäre ist. Die Höhe eines Fixsterns über dem Horizont ist also der Bogen dieses Kreises, der zwischen dem Stern und dem Ende des Horizonts unterbrochen wird. Doch die Höhe des Saturn und der anderen Planeten über dem Horizont darf nicht durch einen den Horizont schneidenden Kreis berechnet werden, sondern sie muss durch einen kleineren und konzentrischen Kreis berechnet werden: Denn der durch den Saturn oder durch einen darunter gelegenen Planeten hindurchgehende Kreis verläuft nicht entlang der äußersten Grenze der Horizontachse, sondern entlang eines anderen Punktes einer darunter gelegenen Achse, der zugleich ein Punkt unterhalb des Zenits über dem Kopf des Betrachters ist. Aus diesem Grund erstreckt sich dieser Kreis nicht entlang der Horizontgrenzen, die durch den Kreis ab dargestellt wera den, sondern entlang eines mit diesem c Kreis konzentrischen Kreises, nämlich cd [ Fig. 1 ]. Und dieser Höhenkreis des Saturn [ cd ] geht durch den Körper des Saturn hindurch, der in diesem Kreis über den d Horizont hinaus erhoben und unterhalb des Horizonts heruntergedrückt b wird. Der Jupiter bewegt sich entlang Fig. 1 eines klei­neren konzentrischen Kreises

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[ a ls der Saturn ] und durch einen Punkt, der entlang der Achse des Zenits über dem Kopf [ des Beobachters ] weiter unten gelegen ist; ähnlich verhält es sich auch bei den anderen Planeten. Daraus ergibt sich: Je weiter unten gelegen ein Körper ist, desto kleiner ist sein Kreis, desto niedriger ist sein Punkt auf der Horizontachse, und desto kleiner ist der konzentrische Schnittkreis mit dem Horizont. Doch auch, wenn sich das in Wirklichkeit so verhält, unterscheiden wir im alltäglichen Sprachgebrauch nicht zwischen jenen Punkten auf der Achse und dem Zenit des Kopfes [ des Beobachters ], noch zwischen den vom Horizont jeweils gleich weit entfernten Kreisen und dem Horizont selbst, sondern wir nennen sie alle ›Horizonte‹. Auch die Höhenkreise betrachten wir alle als gleich und sehen sie so, als ob sie durch den Zenit über unseren Köpfen hindurchgingen, auch wenn sie eigentlich ungleich sind. Obgleich ich sie alle [ die Kreise ] um der Klarheit willen auf dieselbe Fläche gesetzt habe, befinden sich doch mehrere von ihnen auf verschiedenen Flächen und schneiden sich gegenseitig auf vielfache Weise. Darüber hinaus müssen wir auch überlegen, dass der Sehstrahl vom Horizont und von dessen konzentrischen Kreisen gleich weit entfernt ist, weshalb auch der Bogen des Höhenkreises, der sich zwischen dem Horizont und dem Sehstrahl befindet, einbezogen werden muss. Dieser ändert sich aber entsprechend der Aufrichtungshöhe des Beobachters. Denn auch wenn die Höhe, die für gewöhnlich von einem Gegenstand berechnet wird, als Bogen des Höhenkreises bezeichnet wird, der zwischen dem aufgerichteten Gegenstand und dem Horizont geschnitten wird, | besteht dennoch – genauer gesagt – die Höhe eines Gegenstandes in dem Bogen des Höhenkreises, der sich zwischen dem Gegenstand und dem Sehstrahl erstreckt. Das ist so, weil das Auge sich nicht im Mittelpunkt des Horizonts befindet, sondern weiter oberhalb auf der Horizontachse, weshalb die Dinge, die in der Luft und auf dem Mond sind, dieser Höhe entsprechend eingeschätzt werden.

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Bei ihnen unterscheidet sich nämlich der Anblick [  je nach der Höhe des Betrachters ], weil sie nahe der Erde gelegen sind, doch die Sonne und die anderen weiter entfernten Planeten sind aufgrund ihrer größeren Entfernung davon nicht betroffen. Denn die Aufrichtungshöhe des Betrachters wirkt sich nicht spürbar auf die Entfernung dieser Körper aus, sondern sie macht sich nur in Bezug auf die in der Luft auftretenden Phänomene bemerkbar, wie zum Beispiel bei Kometen und Regenbögen. Aus diesen Ausführungen ist ersichtlich geworden, dass die Höhe des Regenbogens richtig gesprochen der Bogen seines Höhenkreises ist, der zwischen der Spitze des Bogens und des zum Horizont parallel verlaufenden Sehstrahls geschnitten wird, was wegen des nun Folgenden gewusst werden muss. Der Experimentator wird – indem er die Höhe der Sonne und des Regenbogens über dem Horizont bestimmt – herausfinden, dass der maximale Höhenstand, auf dem ein Regenbogen noch über dem Horizont erscheinen kann, 42 Grad beträgt, und dass dies der maximale Höhenstand des Regenbogens ist. Dieser Höhen­stand begrenzt den Bogen zwischen der angenommenen Wölbung und zwischen dem Sehstrahl. Er ist seine eigentliche Höhe, wenn es auch darüber hinaus noch einen Bogen geben mag, der sich zwischen dem Strahl und dem Horizont erstreckt, oder auch entlang der Grenzen des gegenüber dem Horizont konzentrischen Kreises, durch den der Höhenkreis des Regenbogens hindurchgeht. Diesen höchsten Stand erreicht der Regenbogen, wenn sich die Sonne auf dem Horizontkreis befindet, also bei Sonnenauf- oder Sonnenuntergang. Und [ der Regenbogen erreicht diesen höchsten Stand ] sogar dann, wenn sich die Sonne nahe des Sonnenaufoder Sonnenuntergangs unterhalb des Horizontkreises befindet, doch gilt das nicht für das Ende der Abenddämmerung und den Beginn der Morgendämmerung, sondern nur [ f ür die Zeit, die ] ganz nahe des Sonnenauf- oder Sonnenuntergangs [ liegt ], wie bereits gesagt worden ist.

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Dann wird die Wölbung des Regenbogens erscheinen, wenn sich hoch in den Wolken Feuchtigkeit gebildet hat, auch wenn die Sonne ein wenig unterhalb des Horizonts gelegen sein mag: Wenn also ihre Strahlen den Dunst, der sich oben in der Luft gebildet hat, erreichen können, auch wenn sie die Feuchtigkeit nahe des Horizonts noch nicht durchdringen mögen. Der Experimentator weiß dann aus Erfahrung, dass kein Regenbogen | bis auf einen kleinen Teil seiner blaugefärbten Wölbung in der Nähe des Horizonts am Himmel erscheinen wird, wenn die Sonne bei 42 Grad steht, und wenn sich dort Feuchtigkeit befindet. Wenn die Sonne noch höher steigt, kann kein Regenbogen mehr erscheinen, weshalb auch Ari­sto­te­les310 und Seneca311 sagen, dass während der Hitze des Tages im Sommer kein Regenbogen zu sehen ist. Der Grund hierfür liegt darin, dass in der Klimazone von Paris der Sonnenstand während des Mittagsäquinoktiums 41  Grad und 12  Minuten beträgt, sodass die Sonne zu diesem Zeitpunkt fast auf solch einer Höhe steht, dass kein Regen­bogen erscheinen kann. Ein wenig später muss sie daher soweit gestiegen sein, dass sie während der Mittagszeit mehr als 42 Grad auf ihrem Höhenkreis über dem Horizont stehen muss, weshalb während der Sommerhitze zur Mittagszeit kein Regenbogen erscheint, bis die Sonne zu einer Höhe absteigt, die unterhalb von 42 Grad liegt.

KAPITEL 5 Nachdem der Experimentator das herausgefunden hat, muss er daraufhin durch Erfahrung die Größe und die Gestalt des Regenbogens bestimmen, wofür er sich einen Kegel vorstellen muss, dessen Spitze sich im Auge befindet, und dessen Basis der­jenige Teil des Regenbogenkreises ist, der farbig erscheint. Die Spitze des Kegels ist die Linie, von der weiter oben gesprochen worden ist: [ Die Linie nämlich ], die durch den Mittelpunkt des Auges, durch den Mittelpunkt der Sonne und durch den Mittelpunkt des

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Regenbogens bis zum Nadir der Sonne verläuft. Die B ­ asis dieses Kegels wird entsprechend des Auf- und Abstiegs der Sonne angehoben bzw. abgesenkt, wie es auch bezüglich der Linie bereits erwähnt worden ist; wenn diese Linie abgesenkt wird, schneidet sie die Erde und wird auch ihrerseits von der Erde geschnitten. Man kann sich diesen Kegel jedoch auch so vorstellen, als ob er die Erde nicht schneiden, sondern sich insgesamt über dem Hori­zont erheben würde, sodass sich seine ganze Basis über dem Horizont erstreckt, wobei Unterschiede entsprechend der Kürze bzw. Länge des Kegels auftreten. Denn seine Größe kann durchaus so gering sein, dass seine Basis sich über dem Horizont befindet. In diesem Fall kann der ganze Kreis [ des Regenbogens ] farbig erscheinen, wie es bei entsprechenden, sich in der Nähe befindenden Wasserspritzern geschehen kann: Wie ich es bereits anhand von Tautropfen, oder von Wasser, das von einem Menschen auf die richtige Weise gespuckt wird, oder von Wasser, das von einem erhöhten Ort herunterfällt, erklärt habe. Wenn die Kegel jedoch soweit ausgedehnt sind, dass sie die Erde berühren, ist die Grenze des Auftretens des gesamten Kreises erreicht. | Wenn die Kegel jedoch so weit ausgedehnt sind, dass die Basis von der Erde geschnitten wird, wird ein Teil des farbigen Kreises erscheinen, der in seiner Größe dem Abschnitt der Basis entspricht. Zuerst kann ein größerer Teil erscheinen, wenn weniger von der Kegelbasis abgeschnitten ist. Und wenn die Hälfte des Kreises abgeschnitten ist, wird die andere Hälfte erscheinen; und ein kleinerer Teil, wenn mehr abgeschnitten ist. Je nachdem, ob mehr oder weniger abgeschnitten wird, und je nachdem, wie weit der Kegel dementsprechend verlängert wird, wird ein größerer oder kleinerer Teil [ des farbigen Kreises ] erscheinen. Weiterhin kann der Kegel auch so ausgedehnt sein, dass gar nichts erscheinen wird. Dementsprechend werden die Basen in Abhängigkeit von der Länge bzw. Kürze der Kegel größer oder kleiner sein, ebenso wie die farbigen Kreise, wie die abgeschnittenen Teile, und wie die Teile, die zu größeren oder kleineren Kreise gehö-

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ren, größer oder kleiner sein werden, wie nun jedem klar sein dürfte, der darüber nachdenkt. Die Sichtbarkeit der Kreise und ihrer Teile wird also – wie ich gesagt habe – in Abhängigkeit von der Kürze und der Länge des Kegels gedacht, auch wenn wir dabei freilich nicht den Auf- und Untergang der Sonne in Betracht ziehen. In den Wolken erscheint der ganze Kreis des Regenbogens jedoch niemals, sondern oft nur ein kleinerer Teil von ihm, manchmal auch ein größerer Teil, manchmal ein Halbkreis. Der Grund dafür liegt darin, dass die Basis eines in den Wolken entstandenen Regenbogens die Erde aufgrund ihrer Entfernung vom Auge stets schneidet, weshalb niemals der vollständige Regenbogenkreis erscheint. Wenn sich die Sonne aber im Osten befindet und der Regenbogen sich dementsprechend im Winkel von 42 Grad über dem Horizont aufspannt, und wenn Feuchtigkeit in Form unendlich vieler Tropfen vorhanden ist, dann erscheint durch die Größe des Bogens zwischen dem Sehstrahl und dem Horizont der größere Teil des Kreises; wenn sich die Sonne hingegen in der Höhe dieser Linie [ des Sehstrahls ] befindet, ist der Regen­bogen als ein Halbkreis sichtbar; wenn die Sonne über diese Linie steigt, wird ein kleinerer Teil des Kreises sichtbar sein. Je höher die Sonne steigt, desto kleiner wird also der Regenbogen, weil immer größere Teile seines Kreises durch die Erde abgeschnitten werden. Man muss an dieser Stelle aber auch bedenken, dass nach der Ansicht des Ari­sto­te­les312 – vor allem in der neuen Übersetzung – der kleinere Teil eines erscheinenden Kreises | der Teil eines größeren Kreises ist, und dass der größere Teil der Teil eines kleineren Kreises ist. Wenn sich die Sonne im Osten befindet, mag zwar mehr als ein Halbkreis farbig erscheinen, doch ist er dennoch der Teil eines kleineren Kreises, als wenn sich die Sonne in größerer Höhe oder sogar in der maximalen Höhe über dem Sehstrahl befindet, in welcher der Regenbogen gerade noch erscheinen kann: Wenn also nur die Wölbung [ des Regenbogens ] nahe der Erde erscheint, während sich die Sonne auf der maxi-

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malen Höhe befindet, die für das Entstehen eines Regen­bogens notwendig ist, ist dieser kleine Teil der Teil der Basis eines größeren Kreises. Denn wir dürfen nicht denken, dass der Kegel oder dessen Basis dieselben bleiben, während die Sonne auf- oder absteigt, sondern wir müssen verstehen, dass sie stets von Neuem in der Vorstellung, die wir von dem Regenbogen haben, erneuert werden müssen, sodass sie als größer gedacht werden müssen, wenn sich der Regenbogen weiter unten befindet, und als kleiner, wenn sich der Regenbogen weiter oben befindet. Weil ein größerer Teil des Regenbogenkreises erscheint, wenn sich die Sonne im Osten befindet, der von der Höhe der Position des Betrachters abhängt, wird ein Betrachter einen viel größeren Teil des Kreises sehen, wenn er sich auf einem Berg oder einem Turm befindet, wobei dessen Größe von der Gesamtheit der Erhöhung [ der Posi­ tion des Betrachters ] abhängt. Weiterhin muss man bedenken, dass ein Regenbogen auch erscheinen kann, wenn die Sonne sich nahe unterhalb des Hori­ zonts befindet. Doch dann erscheint sein kleinerer Teil und nicht sein größerer Teil, oder sein Halbkreis. Dieses Phänomen wird durch ein Fehlen der Materie verursacht, weil dann die Sonnenstrahlen nicht den Dunst erreichen, der sich nahe der Erde befindet, sondern nur den Dunst, der sich weiter oben bildet, weshalb wegen der Krümmung des Bogens weder der Halbkreis noch ein größerer Teil [ des Regenbogens ] vervollständigt werden können, obwohl sich der größere Teil des Kreises über dem Horizont befinden mag. Ferner muss man verstehen, dass der Sehkegel und der Regenbogenkegel nicht das Gleiche sind, auch wenn sie sich entsprechen und weiter oben auf demselben Ort liegen. Denn sie sagen, | dass diese Kegel sich decken, wenn das Auge sich nicht bewegt. Wenn das Auge sich jedoch nach rechts und links oder nach oben und unten bewegt, während der Kopf nicht bewegt wird, fällt der Sehkegel teilweise oder vollständig außerhalb des Ortes des Regenbogenkegels. Das kann geschehen, weil der Mittelpunkt

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des Auges, durch welchen die Achse des Regenbogenkegels fällt, unbeweglich ist, weshalb der Regenbogenkegel in seiner Position fixiert bleibt, auch wenn der Sehkegel sich bewegt und sich verändert, wenn das Auge nach unten, nach oben oder zu den Seiten schaut. Dann wird nichts von dem Regenbogen erscheinen, außer soviel, wie die Basis des Sehkegels enthält, da nichts gesehen wird, außer dem, was unter den Sehkegel fällt, womit ich meine, dass nichts durch die species gesehen wird, die in rechten Winkeln [ auf das Auge ] treffen. Der Gegenstand, der dadurch gesehen wird, ist der prinzipielle Gegenstand des Sehens, so wie es in diesem Fall der Regenbogen ist (oder ein Teil, je nachdem, was der Sehkegel von seinem Ort empfängt), und dementsprechend wird der Bogen des Regenbogens größer oder kleiner erscheinen. Alles das muss sorgfältig bedacht werden, damit die Wahrheit über den Regenbogen gewusst wird, von der weiter unten noch ausführlicher die Rede sein wird. Nachdem nun erklärt worden ist, dass ein Regenbogen nicht erscheinen kann, wenn die Höhe der Sonne 42 Grad oder darüber beträgt, kann im Folgenden leicht erklärt werden, zu welcher Zeit des Jahres und an welchen Orten ein Regenbogen zur Mittagszeit erscheinen kann.

KAPITEL 6 Da nun die Höhe, die Größe und die Unterschiede in der Gestalt des Regenbogens ersichtlich geworden sind, können jetzt leicht dessen Entstehungszeit und Entstehungsort erklärt werden. Der Grund dafür, dass der Regenbogen während der Mittagshitze des Sommers nicht erscheint, ist mit der Höhe erklärt worden, die sich aus dem Zusammenspiel der Sonne und des Regenbogens ergibt. Doch er kann vor der Mittagszeit oder danach, wenn die Sonne unterhalb von 42 Grad steht, erscheinen. Dieses Phänomen kann aber in den bekannten Klimazonen entstehen, welche uns als die sieben Klimazonen bekannt sind: doch es ist nicht

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notwendig der Fall, dass es in allen Regionen von der Weltmitte bis zum Pol auftritt. Zu bedenken ist daher, dass die größere Höhe der Sonne über dem Horizont zur Mittagszeit liegt, und dass die Sonne in allen Klimazonen niedriger steht, in denen sie über dem Horizont scheint, | was sowohl im Winter als auch im Sommer im Wendekreis des Steinbocks der Fall ist, das heißt während der Wintersonnenwende; aus diesem Grund sind die Tage dann auch kürzer. Doch es kann nicht an allen diesen Orten ein Regen­bogen entstehen, wenn die Sonne zum Mittag [ auf ihrem Höhepunkt ] steht. Denn in einer Region, deren Breite – also die Entfernung des Zenits [ der Sonne ] vom Äquator bzw. der Mitte der Welt – 24 Grad und 25 Minuten oder weniger beträgt, wie es für die Einwohner der zweiten Klimazone unter dem Wendekreis des Krebses jenseits von Jerusalem gilt, kann zur Mittagszeit niemals ein Regenbogen sichtbar sein. Das könnte nämlich nur eintreten, wenn die Sonne sich in geringerer Höhe über dem Horizont befinden würde. Das müsste dann aber zur Zeit der Wintersonnenwende der Fall sein, also während die Sonne im ersten Grad des Wendekreis des Steinbocks steht, was aber unmöglich ist, weil die Sonne zu dieser Zeit in einer Höhe von 42 Grad über dem Hori­ zont steht. Dass die Sonnenhöhe in dieser Region während der Wintersonnenwende 42 Grad betragen wird, ist daran ersichtlich, dass die Entfernung vom Horizont zum Zenit [ der Sonne über dem Betrachter in jener Region ] ein Viertel des Himmels beträgt, und dass der Zenit sich vom Äquator in einer Entfernung von 24 Grad und 25 Minuten befindet, wie bereits gesagt worden ist. Wenn man nun diesen Betrag von einem Viertel des Himmels (also von 90 Grad) abzieht, und wenn man zudem noch die Deklination der Sonne zwischen dem Äquator und dem Wendekreis des Steinbocks subtrahiert, die sich auf 23 Grad und 25 Minuten beläuft, dann betragen sie zusammen 48 Grad. Wenn man dieses Ergebnis wiederum von 90 Grad abzieht, werden 42 Grad übrig bleiben, welche die Höhe des Kopfes des Steinbocks ange-

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ben. Wenn die Sonne also an diesem Punkt ist, wird sie zur Mittagszeit in einer Höhe von 42 Grad über dem Horizont stehen, weshalb zu dieser Zeit kein Regenbogen entstehen kann. Daher kann [ dort ] auch während der ganzen übrigen Zeit des Jahres kein Regenbogen entstehen, weil die Mittagszeit vor und nach [ der Sonnenwende ] in einer größeren Höhe gelegen sein wird. Wenn wir aber von diesem Ort nach Norden bis zu einer Breite von 66 Grad und 25 Minuten reisen, also bis zu einer Gegend, die über Schottland liegt, in der es zur Zeit der Wintersonnenwende keinen Tag gibt, außer dass der halbe Sonnenkörper plötzlich über der Erde erscheint, kann ein Regenbogen in allen Regionen [ d ieses Weltteils ] erscheinen, wenn | die Sonne sich zur Mittagszeit im Wendekreis des Steinbocks befindet, da die Höhe des Kopfes des Steinbocks immer weiter abnimmt, weshalb auch die Sonnenhöhe zur Mittagszeit [ immer weiter vermindert wird ]. Und der Regenbogen kann nicht nur an diesem Tag in allen Regionen um die Mittagszeit immer größer erscheinen, sondern auch an anderen Tagen um die Wintersonnenwende herum, wenn wir weiter in Richtung Norden reisen, sodass die Breite der jeweiligen Region zunimmt. So kann zur Mittagszeit häufig ein Regenbogen auftreten, und zwar nicht nur, während die Sonne sich im Wendekreis des Steinbocks befindet, sondern auch zu vielen anderen Zeiten. Dem­entsprechend kann auch im siebenten Klima, in dem die Breite 48 Grad und 42 Minuten beträgt, zur Mittagszeit in dem Zeitraum von der Herbsttagundnachtgleiche bis zur Frühlingstagundnachtgleiche ein Regenbogen erscheinen. Denn die Sonne steht zu dieser Zeit in der siebenten Klimazone zur Mittagszeit nicht in einer Höhe von 42 Grad, nicht einmal an den Tagen der Tagundnachtgleichen, da die Höhe des Kopfes von Widder und Waage über dem Horizont, wie bereits gesagt, nur 42 Grad und 12 Minuten beträgt. Das wird auch deutlich, wenn wir die Breite dieser Region von 90 Grad abziehen. Denn wenn 48 Grad und 48 Minuten, also die Breite dieser Region, von 90 subtra-

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hiert werden, bleiben 41 Grad und 12 Minuten, was weniger als 42 Grad ist – der Höhe der Sonne, bei welcher ein Regenbogen noch entstehen kann. Ein Regenbogen kann auch während der Sommerhitze zur Mittagszeit auftreten, wenn wir noch weiter nach Norden reisen. Denn die Höhe des Kopfes des Widders ist [ in dieser Region ] gering, ebenso wie die Höhe des Kopfes des Krebses, wenn die Breite der Region 54 oder 60 Grad beträgt, und am meisten, wenn sie 66 Grad und 25 Minuten beträgt. Denn dann hat der Steinbock keine Höhe, weil der Horizont durch ihn hindurchgeht, und während der Sonnenwenden liegt der Horizont für einen Moment unterhalb des Tierkreises, ohne von ihm abzuweichen. Da der Tierkreis mit dem Himmel bewegt wird, wird er plötzlich vom Horizont getrennt, und der Kopf des Steinbocks wird unterhalb des Horizonts während eines natürlichen Tages zurückbewegt, sodass nur die Hälfte der Sonne über der Erde erscheint. Daher hat er während der Wintersonnenwende keinen Höhestand über dem Horizont. Zu dieser Zeit kann ein Regen­bogen entstehen, wenn die Sonne sich auf ihrem Mittagspunkt befindet, während die Hälfte [ der Sonne ] über der Erde erscheint, und der Regenbogen kann sogar größer sein als ein Halbkreis. Und weil die Sonnenhälfte plötzlich untergeht, verschwindet auch der Regenbogen sofort. In ähnlicher Weise kann der Regenbogen an jenem Ort auch an fast allen anderen Tagen des gesamten Jahres | erscheinen, weil der höchste Sonnenstand dann auftritt, wenn sich die Sonne im Krebs befindet. Doch wird die Sonne nur während ihrer beiden größten Deklinationen über den Horizont erhoben, von denen die eine ebenso wie die andere eine Höhe von 23 Grad und 25 Minuten hat, was zusammen 47 Grad und 10 Minuten beträgt; was die größtmögliche Höhe der Sonne, bei der ein Regenbogen noch erscheinen kann, nur um 5 Grad und 10 Minuten übersteigt. Und daher wird die Entstehung eines Regenbogens nur an wenigen Tagen des Jahres während der Mittagszeit behindert.

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Doch wenn wir noch weiter über jene Orte hinausgehen, wird die Sonne sich nie im Süden befinden, sondern immer im Norden, Osten und Westen, weil die Sonne den dort lebenden Einwohnern immer vor ihnen am Erdpol erscheint. Daher gibt es dort manchmal einen Monat ohne Nacht, manchmal auch zwei Monate, manchmal auch noch mehr, bis hin zu sechs Monaten, an denen die Sonne für die Menschen unterhalb des Pols sichtbar ist. Des­wegen ist der Ort, dessen Breite auf 66 Grad und 25 Minuten liegt, der letzte Ort, an dem ein Regenbogen erscheinen kann, während die Sonne sich auf ihrem Mittagsstand befindet; ebenso wie der erste Ort, an dem ein Regenbogen erscheinen kann, wenn sie Sonne sich auf ihrem Mittagsstand befindet, jener Ort war, dessen Breite mehr als 24 Grad und 25 Minuten betragen muss. Auf diese Weise muss man also überlegen, zu welcher Zeit (vor allem, wenn die Sonne auf ihrem Mittagsstand steht) und in welchen Klimazonen ein Regenbogen erscheinen kann. In diesen Regionen kann das Phänomen im Norden auftreten, wenn die Sonne ihren Mittagsstand erreicht hat, in anderen Teilen zwischen Osten und Norden und zwischen Westen und Norden. Im Sommer kann [ ein Regenbogen ] zudem auch abends zwischen Osten und Süden auftreten, am Morgen auch zwischen Westen und Süden, weil die Morgensonne während der Sommersonnenwende stark nach Norden abweicht, weswegen an dem gegenüberliegenden Ort zwischen Westen und Süden ein Regenbogen erscheinen kann. | Und am Abend bewegt die Sonne sich Richtung Norden, weshalb dann ein Regenbogen zwischen Osten und Süden entstehen kann. Doch in Gegenden des wirklichen Südens, deren Breite weniger als 66 Grad und 25 Minuten vom Äquator entfernt ist, kann niemals ein Regenbogen erscheinen. Er kann aber leicht im Süden an Orten erscheinen, die über diese Breitengrade hinausgehen, und zwar bis hin zum Pol. Der Grund hierfür liegt darin, dass die Sonne in diesen Regionen sich immer im Norden, Osten oder Westen befindet, und dass ein Regen­

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bogen ja gegenüber der Sonne entsteht. Daher kann dort zu jeder Stunde des Tages ein Regenbogen entstehen. Denn die Sonne wird nur während ihrer größten Deklination von 23 Grad und 35 Minuten über den Horizont erhoben, weshalb immer tagsüber ein Regenbogen erscheinen kann, wenn die Materie dafür geeignet ist. Daraus wird ersichtlich, dass der Regenbogen der Sonnen­ bewegung auf zwei Arten folgt: Auf die eine Art gemäß der Erhöhung und Senkung der Sonne entsprechend ihrem Höhenkreis, wie bereits gesagt worden ist; und auf die andere Art gemäß der Bewegung der Sonne über dem Horizont in ihrer täglichen Bewegung, weil der Regenbogen immer dem Nadir der Sonne folgt, und weil der Nadir der Sonne immer gegenüber der Sonne verläuft.

KAPITEL 7 Weiterhin versucht der Experimentator zu bestimmen, ob der Regenbogen durch einfallende Strahlen, durch Reflexion oder durch Brechung entsteht; ob er ein Abbild der Sonne ist (wie es in den Bemerkungen in der Perspektivik313 angenommen worden ist) und ob in seiner Wolke wirkliche Farben auftreten. [ Er muss auch ] seine Vielfalt und den Grund für seine Form beschreiben. Denn weiter oben ist lediglich etwas zu seiner Größe gesagt worden, nämlich dass er manchmal als ganzer Kreis, manchmal als ein größerer Teil eines Kreises und manchmal als kleinerer Teil eines Kreises erscheint. Doch um das zu verstehen, müssen sichere Erfahrungen gemacht werden. [ Diese Erfahrungen ] bestehen zum Beispiel darin, dass der Betrachter eines Regenbogens merkt, dass der Regenbogen ihm seitlich folgt, wenn er sich in gleicher Entfernung bewegt, dass er jedoch zurückweicht, wenn er sich zum Regenbogen hinbewegt; doch wenn er sich zurück­ bewegt, dann folgt ihm der Regenbogen, und zwar nicht nur langsam, sondern mit derselben Geschwindigkeit, mit der sich

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der Betrachter bewegt. Wenn ein Mensch also schnell rennt oder reitet, wird er sehen, dass der Regenbogen sich genauso schnell bewegt. Das kann ein Mensch klar erkennen, wenn sich vor ihm Häuser, Wälder oder andere Körper in der Nähe des Regen­ bogens befinden; er wird dann sehen, | dass der Regenbogen sich ihnen ziemlich schnell nähert, wenn sie hinter ihm sind, oder dass er zurückweichen wird, wenn sie vor ihm sind. Weiterhin wissen wir aus der Erfahrung, dass die Sonne sich wegen der großen Entfernung, die wir gar nicht einschätzen können, immer in der gleichen Entfernung zu dem zu befinden scheint, der vor ihr zurückweicht. Aus diesem Grund scheint es, dass die Sonne dem zurückweichenden Betrachter folgt, weil ansonsten die Entfernung nicht als gleichbleibend eingeschätzt werden würde. In ähnlicher Weise scheint die Sonne vor dem Betrachter zurückzuweichen, wenn er sich ihr nähert, weil sie doch immer in der gleichen Entfernung erscheint. Diese Erscheinung kann jedoch nicht gerettet werden, wenn die Augen nicht urteilen würden, dass die Sonne sich vor ihnen mitbewegt. Die gleiche erscheinende Bewegung sehen wir auch ganz deutlich, wenn die Sonne sich über einem Wald oder über anderen sich in die Luft erhebenden Dingen bewegt, vor denen sie zurückweicht oder denen sie sich nähert. Zudem wissen wir, dass die Sonne sich immer vor dem Betrachter zu befinden und sich in gleicher Entfernung zu bewegen scheint, und dass dies wegen der übermäßig großen Entfernung [ so erscheint ]. Aus diesem Grund scheint die Sonne auch immer gegenüber dem Betrachter des Regenbogens zu sein, wohin auch immer er sich in gleicher Entfernung zum Regenbogen bewegt. Als Beispiel: Wenn die Sonne sich im Süden befindet und der Regenbogen im Norden, dann sieht der Betrachter die Sonne während ihrer Bewegung nach Osten, und den Regenbogen sich gegenüber auf der anderen Seite, sodass eine Linie von dem Mittelpunkt der Sonne ausgehend durch den Mittelpunkt des Auges des Betrachters und des Regenbogenmittelpunkts verläuft; die

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Bewegung des Regenbogens ändert sich nämlich deshalb, weil die Sonne sich in gleichem Abstand zum Betrachter und zum Regenbogen zu bewegen scheint. Denn wenn die Sonne dem Gesichtssinn entsprechend unbeweglich stehen bleiben würde, würde sich der Regenbogen entsprechend der Bewegung des Betrachters bewegen, aber er würde auch eine größere Strecke zurücklegen als der Betrachter und den Betrachter überholen. Denn es verhält sich im Allgemeinen so, dass bei einem gesehenen Gegenstand, der sich nicht bewegt, das Abbild bewegt wird, wenn der Betrachter sich bewegt; doch wenn ein gesehener Gegenstand gleichzeitig in die Richtung des Betrachters bewegt wird, durchläuft das Abbild [ des Gegenstandes ] genau den Raum, der dem des Betrachters gleich ist. Wenn der gesehene Gegenstand jedoch in Ruhe verharrt, wird das Abbild einen größeren Raum durchqueren. Denn in der Linie abc sei a der unbewegliche Mittelpunkt der Sonne, b der Mittelpunkt des Auges und c der Mittelpunkt des Regenbogens. Man lasse nun b und c sich bewegen, sodass b zu d und c zu f verläuft. Dann ist deutlich, dass der Raum zwischen c und j f größer ist, als der Raum zwischen b und d, und dass daher die Linien ac und af nicht parallel verlaufen, g d sondern | bei a zusammenkommen h und sich im anderen Teil voneinander trennen, wie anhand des Diagramms [ Fig. 2 ] deutlich wird. a Wenn nun jedoch a zu g in die c b Richtung von d bewegt wird, dann Fig. 2 wird c bei h sein. Weiterhin werden die Linien bd, ch und ag gleich sein, und die Linien ac und gh werden parallel verlaufen. Doch der Mittelpunkt des Regenbogens befindet sich immer in gerader Linie zum Mittelpunkt des Auges, der im gegenüberliegt. Aus diesem Grund muss man annehmen, dass die Sonne sich immer in Richtung des Betrachters zu bewe-

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gen scheint, sodass sich der Regenbogen ebenfalls parallel zum Betrachter bewegt. Ferner wissen wir, dass die Sonne in den Augen eines jeden Betrachters erscheint. Wenn 1000 Menschen in einer Reihe von Osten nach Westen aufgestellt werden würden, wären ihre Schatten für die Sinne parallel, ebenso wie die Sonnenstrahlen, die über ihnen einfallen. Das liegt daran, dass wir die Konvergenz der Sonnenstrahlen im Mittelpunkt der Sonne wegen ihrer großen Entfernung nicht wahrnehmen. Wegen derselben Entfernung nehmen wir auch die tägliche Bewegung der Sonne in einem kurzen Zeitraum nicht wahr, sodass es uns scheint, als ob die Sonne am Himmel stehen würde. Auch daraus geht hervor, was wir schon durch die Erfahrung wissen: dass es nämlich genauso viele Regenbögen wie Betrachter gibt. Denn nehmen wir an, dass zwei Betrachter gleichzeitig an einem Ort stehen und einen Regenbogen im Norden anschauen: Wenn einer von ihnen nach Westen geht, wird sich der Regen­ bogen parallel zu ihm in die gleiche Richtung bewegen. Wenn der andere von ihnen nach Osten geht, wird sich der Regenbogen ebenfalls parallel zu ihm in dessen Richtung bewegen. Und wenn er still stehen bleibt, wird der Regenbogen auch stehen bleiben. Daran wird ganz eindeutig klar, dass es so viele Regen­bögen wie Betrachter gibt. Daher ist es auch unmöglich, dass zwei Personen ein- und denselben Regenbogen sehen, wenn der Unerfahrene das auch nicht so einschätzen mag. Denn der Schatten eines jeden Betrachters teilt den Bogen des Regenbogens in zwei gleiche Teile, weshalb die Schatten sich nicht in der Mitte desselben Bogens treffen, auch wenn sie parallel zueinander sind. Aus diesem Grund muss jeder Beobachter seinen eigenen Regenbogen sehen. Das ist auch daran ersichtlich, dass auch in dem Fall, dass sich zwei Regenbögen in verschiedene und entgegengesetzte Richtungen bewegen, sie doch entsprechend der Bewegung der Betrachter bewegt werden, weshalb es so viele Regenbögen wie Betrachter gibt.

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Aus diesen Argumenten folgt zudem, dass ein Regenbogen durch | reflektierte Sonnenstrahlen gesehen wird. Denn wenn er durch geradlinig einfallende Strahlen gesehen werden würde, müsste der Regenbogen ein feststehendes Objekt an einem bestimmten Ort in einer Wolke sein, das sich nicht entsprechend der Bewegung oder der Anzahl der Betrachter ändern würde. Denn wenn die Sonnenstrahlen durch eine dünne Wolkenschicht hindurchgehen, scheinen die Wolken eine weiße Farbe zu haben; wenn sie eine dichtere Wolkenschicht durchdringen, scheinen die Wolken eine schwarze Farbe zu haben; und wenn sie eine Wolkenschicht von dazwischen liegender Dichte durchqueren, scheint auch die Färbung dazwischen zu liegen. Doch verschiedenen Betrachtern scheint die Farbe einer Wolke stets die gleiche zu sein, und dies folgt nicht aus der Bewegung der Betrachter, weil sie [ die Wolke ] nicht durch reflektierte Strahlen gesehen wird, sondern durch geradlinig einfallende oder gebrochene Strahlen. Ebenso findet eine Brechung statt, wenn eine Färbung durch einfallende Strahlen in einem Kristallstein entsteht, und doch wird von verschiedenen Beobachtern dieselbe Farbe in derselben Position gesehen. Daher ist es deutlich, dass ein Regenbogen nicht durch geradlinig einfallende Strahlen oder durch gebrochene Strahlen entsteht. Also muss er durch reflektierte Strahlen entstehen, weil es nur drei grundsätzliche Arten von Strahlen gibt. Er kann auch nicht durch akzidentielle Strahlen entstehen, weil diese ihren Ort nur aufgrund von Reflexion ändern. Das folgt aus der Eigenschaft der Reflexion, weil der Ort der Reflexion und des [ durch Reflexion entstandenen ] Abbildes sich entsprechend einer [ Orts ]veränderung des Betrachters ändern. Und eben dies ist hier der Fall: Also muss der Regenbogen durch Reflexion verursacht werden. Zudem kann man nicht sagen, dass die Substanz des Regen­ bogens bestehen bleibt und sich der Ort des Abbildes durch die Brechung der Strahlen verändert, weil der Ort der Verände­rung im Regenbogen im Einklang mit einer sehr wahrnehm­baren Ent-

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fernung geschieht, nämlich mit einer Geschwindigkeit, die ein Mensch hat, wenn er so schnell wie möglich rennen oder reiten würde. Doch der Ort des Abbildes eines sich in Ruhe befindenden Dinges ändert sich nicht mit derselben Geschwindigkeit wie der Regenbogen, auch wenn er sich freilich ändern mag, weil die gesamte Veränderung eines Abbildes an einem gemeinsamen Ort geschieht, weshalb dies auch als ein Hindurchgehen des Raumes bezeichnet wird. Weiterhin folgt das Abbild eines Gegenstandes, der durch Brechung wahrgenommen wird, dem Betrachter nicht, wenn er zurückweicht. Ebenso wenig weicht das Abbild selbst zurück, wenn er darauf zugeht. Und es bewegt sich auch nicht parallel zu ihm. Das ist deutlich, wenn wir im Wasser einen Fisch betrachten, der sich nicht bewegt, oder einen Stock, der sich an einem feststehenden Ort im Wasser befindet, oder wenn wir die Sonne oder den Mond durch Dunst wahrnehmen, oder wenn wir Buchstaben durch Glas oder Kristall betrachten. Dagegen kann freilich eingewendet werden, dass sich nur der Ort des Abbildes bewegt, weshalb alles dies auch ebenso durch Brechung wie durch Reflexion hervorgerufen werden kann. Aber es ist offensichtlich, dass die einzige Veränderung am Ort des Abbildes stattfindet, weil der Spiegel – also die Materie, die für den Regenbogen geeignet ist  – unbeweglich ist. | Da dies der Fall ist, gibt es nur am Ort des Abbildes eine Veränderung, auch wenn der Betrachter sich dem Spiegel nähert, sodass der Sehstrahl schneller die Kathete schneidet, wodurch sich der Ort der Reflexion verändert. Das liegt vor allem daran, dass der Spiegel sich nicht an der Oberfläche, sondern in der Tiefe der Wolke befindet, weil schließlich alle Regentropfen die Natur eines Spiegels haben, weshalb der Ort der Reflexion sich in Übereinstimmung mit dem Urteil des Gesichtssinns ändert. Doch auch wenn das alles so ist, gibt es keinen Unterschied in der Stunde des Erscheinens des Regenbogens, den wir in Betracht ziehen müssten, da die Sonne sich tatsächlich in derselben Entfernung zu dem Spiegel befindet, wobei es gleichgültig ist,

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ob die Sonne sich vom Krebs nach Süden oder vom Steinbock nach Norden bewegt, weil sie sich während eines natürlichen Tages nicht um einen Grad bewegt. Aus diesem Grund gibt es zur Zeit des Auftretens des Regenbogens keinen Unterschied in der Entfernung von der Sonne zur Wolke, den wir in unsere Untersuchung mit einbeziehen müssten. Deshalb wird der Sonnenstrahl dieselbe Feuchtigkeit oder denselben Teil der Feuchtigkeit erreichen, nämlich den ersten Teil oder den zweiten, weshalb ein bestimmter Teil – bzw. die ganze Feuchtigkeit – ein unbeweg­ licher Spiegel wird. Und es reicht hier nicht, zu sagen, dass der Regenbogen vor dem Betrachter so schnell zurückweicht, wie die Sonne ihm zu folgen scheint (auch wenn das wahr sein mag), sodass sich auf diese Weise der Ort der Reflexion und des Regenbogens zu ändern scheinen, weil die Sonnenstrahlen die gesamte Materie der Feuchtigkeit durchdringen und weil von jedem Tropfen eine Reflexion stattfindet. Aus diesem Grund – wenn es denn nicht noch einen anderen Grund geben sollte – würde ein Regenbogen unbeweglich und in der ganzen Feuchtigkeit [ der Wolke ] feststehend erscheinen, der genau dieselbe Dichte hätte wie die ganze Feuch­tigkeit. Deshalb muss festgehalten werden, dass der Regenbogen nur bei einer bestimmten Beschaffenheit der Luft erscheint, die von einer größeren und geringeren Helligkeit abhängig ist, sodass für das Auge eine geeignete Helligkeit gegeben ist. Außerdem muss es am Ort des Regenbogens eine entsprechende Dunkelheit geben, weil er ein schwaches Phänomen ist, das nur an einem dunklen Ort erscheint. Wenn die Luft zwischen dem Auge und dem Regenbogen also in geeigneter Weise beschaffen ist, geht die [ Seh -]Pyramide vom Auge aus, deren Basis der Kreis des Regenbogens ist, und endet in der feuchten Wolke, die sich an einem Ort von entsprechender Dunkelheit befindet: Dann erscheint an diesem Ort ein Regenbogen. Doch wenn sich [ die Position ] des Auges gegenüber dem Regenbogen ändert, trifft [ der Sehstrahl ]

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auf die weiter hinten liegende Luft, die heller ist. Hierdurch nähert er sich | einem Ort an, der vor dem Regenbogen liegt, sodass es aufgrund der Nähe des Betrachters [ zum Regenbogen ] keinen Ort mit derselben Beschaffenheit gibt, weil dieser Ort heller ist, als es für ein Erscheinen des Regenbogens notwendig ist. Ein Regenbogen kann nämlich nicht an jedem Ort mit der bereits genannten Beschaffenheit auftreten, denn auch, wenn die Materie bis zum Auge hin feucht sein sollte, wird ein Regenbogen trotzdem nur an einem Ort mit entsprechender Dunkelheit gesehen; aus diesem Grund ist es notwendig, dass die Basis der Pyramide weiter hinten auf die Wolke an einem Ort mit entsprechender Dunkelheit trifft. Auf diese Weise verändert die ganze Pyramide ihren Ort entsprechend der Bewegung des Betrachters, so als ob die Pyramide vor das Gesicht der sich bewegenden Person gehalten werden würde, deren Spitze im Auge fixiert ist, und deren Körper sich in der Luft bis zum Ort des Regenbogens ausdehnt, wo aufgrund der Entfernung vom Auge die Dunkelheit durch die Dichte der Dünste und der sie überschattenden Wolke entstanden ist. Es verhält sich hier so ähnlich wie bei einem Menschen, der einen feuchten Nebel aus der Entfernung anschaut, den er aus der Nähe nicht sehen kann, weil durch die Entfernung die species des Sehsinns geschwächt wird, wodurch die Dichte des Nebels begrenzt wird, die sie aus der Nähe durchdringen könnte. Des­wegen ist es klar, dass zwar überall in der feuchten Materie eine Reflexion stattfindet, dass aber dennoch nicht überall ein Regenbogen erscheint, sondern nur an einem bestimmten Ort. So wird der erste Einwand gelöst. Der zweite [ Einwand ] wird durch dieselbe Überlegung gelöst: Denn in diesem Fall bleibt der Spiegel nicht derselbe, und er bleibt auch nicht an demselben Ort; das liegt an der Dunkelheit, die für das Erscheinen der Farben benötigt wird, weshalb der Regenbogen nun in einem Teil der Feuchtigkeit [ der Wolke ] erscheint, dann wieder in einem anderen Teil.

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Wenn gesagt wird, dass die Sonne nach Westen bewegt wird, wenn der Betrachter sich nach Osten bewegt, und dass daher der Punkt der Reflexion entsprechend der Sonnenbewegung bewegt wird, weshalb der Regenbogen sich mehr der Sonne annähert als dem Betrachter, geht aus dem oben Gesagten hervor, dass dies nicht der Fall ist; denn die Bewegung der Sonne nach Osten ist während der Stunde der Regenbogenerscheinung nicht wahrnehmbar, weshalb sie als am Himmel feststehend gesehen wird, das heißt, dass sie sich [ f ür den Betrachter in dieser Zeit ] nicht nach Westen bewegt.

KAPITEL 8 Daraus folgt auch, dass es am Ort des Regenbogens nichts [ Wirkliches ] außer einer Erscheinung der Farben gibt, und dass diese Erscheinung [ der Farben ] nur auftritt, wenn [ der Regenbogen ] erscheint. Denn es ist gesagt worden, dass sich der Regenbogen entsprechend der verschiedenen Betrachter verändert. Doch der Anblick [ des Regenbogens ] lässt keine Farben entstehen. Das Sehen | kann nämlich offensichtlich in der Wolke keine Farben hervorbringen, weshalb es dort nichts als eine Erscheinung geben wird. Zudem hat das Sehen durch Reflexion seinen sichtbaren Gegenstand am Ende des reflektierten Sehstrahls, wie oben erklärt worden ist, und daher nicht am Punkt der Reflexion oder anderswo; denn der gesehene Gegenstand ist die Grenze der Reflexion und des reflektierten Strahls, weshalb in der Wolke nichts durch Reflexion gesehen wird. Wenn dagegen gesagt wird, dass das Sehen doch wahrnehmbar und lebhaft durch den Regenbogen verändert werde, und dass die Farben sehr lebhaft [ und wirklich ] im Regenbogen erscheinen, weshalb es sich dabei nicht nur um ein Erscheinen von Farben handeln kann, muss man antworten, dass es hier ebenso, wie es nur ein Erscheinen der Farben gibt, auch nur eine Erscheinung von Wahrnehmung und einer lebhaften Veränderung des

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Sehens gibt. Denn eine solche Veränderung hat keinen anderen Grund als eine Schwäche des Sehens, wie anhand von Beispielen ersichtlich ist. Wenn zum Beispiel jemand an einem Sommermorgen seinen Kopf zur Erde hinunterneigt, sodass er die Tautropfen an den Rändern der Grashalme sehen kann, und wenn er nachlässig und träge hinschaut, die Augen halb geschlossen, wird er alle Farben eines Regenbogens erscheinen sehen. Ähnlich verhält es sich auch bei dem Lichtkreis, der um eine Kerze herum erscheint, oder wenn ein Mensch im Sommer aus dem Schlaf erwacht, die Augen noch nicht ganz geöffnet und voller Feuchtigkeit, und wenn er auf ein kleines Loch schaut, durch das ein Sonnenstrahl hereinfällt: Dann werden ihm dieselben Farben erscheinen. Das gilt vor allem für kurzsichtige Menschen mit schwachen Augen. Aus diesem Grund muss dieses [ Farbphänomen ] eine Erscheinung sein, deren Grund in einer Schwäche des Sehens zu suchen ist, weshalb es sich dabei auch nur um eine nicht wirklich existierende Erscheinung handelt. Diese Erscheinung wird jedoch verstärkt, so als ob sie sich wirklich am Ort des Regenbogens befinden würde, weil der Sehstrahl mit der Kathete aufgrund der Kleinheit der Regentropfen sehr schnell zusammentrifft: Deshalb entsteht diese Erscheinung sehr nahe am Reflexionspunkt, in der Materie selbst und am Ort des Regen­ bogens. Wenn man dagegen einwendet, dass die Sonnenstrahlen wirkliche und klar lokalisierbare Farben hervorbringen, wenn sie durch einen Kristall hindurchgehen, die eine species entstehen lassen und daher wirklich in dem Gegenstand sind, muss man antworten, dass es sich hier und dort [ beim Regenbogen ] anders verhält. Denn nur der Anblick lässt den Regenbogen entstehen, und es findet dort nichts weiter als eine Reflexion statt. In dem Fall des Kristalls gibt es jedoch eine natürliche Ursache, nämlich den Strahl und einen unebenen Stein, der eine Vielfalt an Oberflächen hat, sodass aus der Vielzahl der Winkel, in denen das Licht einfällt, auch eine Vielzahl an Farben resultiert.

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Und der Anblick von diesen bringt dort die Farben hervor, denn es gibt Farben, bevor sie hier [ in dem Kristall ] gesehen werden, und sie werden von verschiedenen Menschen an demselben Ort verschieden gesehen. Doch [ im Fall des Regenbogens ] ergibt sich | die Erscheinung aus dem Anblick, weshalb [ der Regenbogen ] nicht wirklich, sondern nur eine Erscheinung sein kann. Das geht auch klar aus dem oben Gesagten über die Sehpyramide hervor: Denn wenn sie vollständig mit dem Ort der Pyramide des Regenbogens zusammenfällt, erscheint der ganze Regenbogen in der Größe, die ihm zu haben in Verbindung mit dem Sonnenstand und der geeigneten Materie möglich ist. Daher erscheint ein halber Regenbogen oder auch ein größerer Teil der Kugel, wenn die Sonne sich am Horizont befindet und die Materie dafür geeignet ist, vorausgesetzt, dass die Sehpyramide vollständig mit dem Ort der Pyramide des Regenbogens zusammenfällt. Denn wenn die Sonne sich zwar am Horizont befindet und die Materie geeignet vorbereitet ist, doch die Sehpyramide nicht vollständig mit dem Ort der Pyramide des Regenbogens zusammenfällt, erscheint nur so viel von dem Bogen des Regenbogens, wie die Basis der Sehpyramide vom Ort des Regenbogens aufnimmt. Daraus wird ersichtlich, dass der Regenbogen nur durch den Anblick existiert.

KAPITEL 9 Ferner ist zu bedenken, dass der Regenbogen ein Abbild der Sonne ist. Damit wir uns das vorstellen können, müssen wir die Ansicht Senecas in dessen Buch Über den Regenbogen314 überdenken, weil wir uns eine in der Luft schwebende Wolke vorstellen müssen, von der ausgehend der Regen nach unten fällt. Die Spitze [ des Regens ] fällt auf die Erde, während seine kreisrunde Basis die konkave Oberfläche der Wolke berührt. Es gibt aber unendlich viele kleine Regentropfen, wobei von

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jedem Tropfen eine Reflexion wie von einem runden Spiegel ausgeht. Weil die Regentropfen unaufhörlich und ohne Intervall nach unten fallen, scheinen sie aus der Entfernung ein Kontinuum zu sein, weshalb das Abbild der Sonne [ a lso der Regen­ bogen ] zusammenhängend zu sein scheint, und nicht – entsprechend der einzelnen Regentropfen – vielfältig. Ähnlich verhält es sich auch bei farbigen Kreisen bei Wasserspritzern. Auf diese Art wird der Einwand gelöst, der bezüglich einer Vielzahl von Abbildern erhoben werden könnte. Doch über die Gestalt, Größe und Farbe [ des Regenbogens ] bleiben noch immer Zweifel. Wir müssen hierzu daher festhalten, dass kugelförmige Spiegel (besonders kugelförmige kleine Spiegel) die Größe und Gestalt von gesehenen Dingen auf viele Arten verändern. Sie verzerren die Gestalten sehr stark und zerstören jede Proportion der Dinge untereinander, wie aus der Perspektivik deutlich geworden ist. Und nachdem sie Gestalt und Größe zerstört haben – und daraus folgend auch die richtige Anordnung der Qualitäten, die der Gestalt und der richtigen Größe bedürfen – sind sie auch in der Lage, die Farbe zu verändern, also aus etwas Farblosem etwas Farbiges zu machen (und umgekehrt). Weil Licht, das in der Materie eingeschlossen ist, einer Farbe gleicht, auch wenn es in Wahrheit keine Farbe ist, so wie dünne Wolken weiß und dichte Wolken schwarz zu sein scheinen, | wenn die Strahlen sie durchdringen, kann auch in diesem Fall das Sonnenlicht, das auf derartige Spiegel fällt, etwas erscheinen lassen, was einer Farbe ähnelt; besonders, weil dort, wie gesagt, nichts weiter gegenwärtig ist als eine Erscheinung.

KAPITEL 10 Nachdem das alles behandelt worden ist, müssen wir noch die Verschiedenheit der Farben betrachten. Alle sagen, dass sie aus der Vielfalt der Tropfen in der Wolke resultiere, was man auch

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im verbreiteten Text des Ari­sto­te­les315 findet. Daher behaupten sie, dass eine Wolke dunkler erscheint, wenn ihre Materie dichter ist; wenn sie weniger dicht ist, erscheint sie blau; wenn sie noch weniger dicht ist, erscheint sie grün; wenn sie noch weniger dicht ist, erscheint sie weinrot und rot; wenn sie noch weniger dicht ist, erscheint sie gräulich und rosa; und wenn sie noch weniger dicht ist, erscheint sie weiß. Als Beleg dafür wird auch das Beispiel des Ari­sto­te­les316 über die Flamme angeführt, die entsprechend der Dünnheit oder Dichte des Rauches, das aus dem Holz entsteht, auf verschiedene Arten hell, rötlich und dunkel erscheint. Doch dieses Beispiel passt nicht hierher, wie man anhand der Erfahrung mit einem kristallenen Stein sehen kann: denn auch dort entstehen Farben, ohne dass es in diesem Fall jedoch eine Vielzahl von verschiedenen Graden der Dünnheit oder Dichte in der Materie gibt; dennoch sind die Farben, die dort entstehen, aber wirkliche Farben. Außerdem müssen wir – da die Farben in einem Regen­bogen keine wirklichen Farben, sondern nur eine Erscheinung sind – nur die Ursache für die Erscheinung bzw. die erscheinende Ursache angeben. Bei Wasserspritzern und bei Tautropfen an Grashalmen kann man keine solche Erfahrung machen, die eine derartige Verschiedenheit [ verschiedener Grade von Dichte ] aufweisen würde, weshalb es offensichtlich ist, dass diese Ursache der Verschiedenheit [ der Dichte ] falsch ist. Das spricht auch nicht gegen Ari­sto­te­les, weil noch viele andere Falschheiten im Kapitel über den Regenbogen und an anderen Orten der lateinischen Übersetzungen [ der aristotelischen Texte ] enthalten sind. Das kann man überdies an der gesamten Philosophie der Lateiner ersehen, wenn man sich die verschiedenen Übersetzungen anschaut und sie mit dem Griechischen selbst vergleicht, aus dem das übersetzt worden ist, was den Lateinern vorliegt. Daher ist die Ansicht des Ari­sto­te­les nicht überall [ richtig ] übersetzt worden, sondern es gab schon in den griechischen und arabischen Handschriften Fehler bzw. Fehler der Übersetzer, von

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denen niemand die Sprachen und Wissenschaften vollkommen kannte, wie bereits dargelegt worden ist. Weiterhin ist es notwendig, dass noch ein weiterer Fehler, der im Kapitel | über den Regenbogen gefunden wird, beseitigt wird; dieser Fehler wird ebenso aufgelöst wie der, den wir bereits berichtigt haben. Denn damit der Geist hier nicht in der Schwebe bleibt, sage ich, dass auch das falsch ist, was man in dem verbreiteten Text317 [ des Ari­sto­te­les ] lesen kann, nämlich, dass ein Regenbogen vom Mond nur zweimal alle 50 Jahre verursacht wird. Denn immer, wenn es einen Vollmond gibt, wenn der Vollmond nicht durch Wolken verdeckt wird, und wenn es feuchte Materie gibt, die ihm gegenüberliegt, kann dort genauso wie bei der Sonne ein Regenbogen erscheinen. Das kann jeder durch die Erfahrung bestätigt finden, und es ist auch bereits durch sichere Erfahrungen belegt worden.

KAPITEL 11 Doch bezüglich der Gestalt des Regenbogens gibt es die größten Schwierigkeiten. Denn einige sind der Ansicht, dass er wie die Basis der Pyramide eines niederfallenden Tropfens geformt sein muss, was jedoch unmöglich ist. Denn bei den Tropfen von Wasserspritzern ist durch die Erfahrung ersichtlich, dass bei einer Menge von Spritzern ungleichmäßiger Gestalt dennoch die Gestalt eines Regenbogens erscheint. In ähnlicher Weise irren sich auch die­jeni­gen, die der Ansicht sind, dass der Regenbogen durch Brechung verursacht werde, sodass er die Form einer Pyramide habe, die mit der gekrümmten Linie der Oberfläche einer Pyramide übereinstimme, die sich gegenüber der Sonne erstrecke, weshalb er – dieser Annahme nach – eine bogenförmige Gestalt habe. Und weil die Spitze dieser besagten Pyramide, wie sie sagen, sich nahe der Erde befindet, von wo aus sie sich gegenüber der Sonne erstreckt, sei es

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notwendig der Fall, dass die Hälfte oder mehr ihrer Gestalt auf die Oberfläche der Erde fallen müsse und dass die andere verbleibende Hälfte oder weniger gegenüber der Sonne in eine Wolke fallen müsse. Doch [ diese Annahme ] wird dadurch widerlegt, dass ja schon gezeigt worden ist, dass ein Regenbogen nicht durch Brechung entsteht, weil wir bei Wasserspritzern keine derartige Ursache für seine Gestalt angeben können. Denn sie sagen, dass die Strahlen zuerst an dem Kontaktpunkt der Luft und der Wolke gebrochen werden, danach jedoch an dem Kontaktpunkt der Wolke und ihrem oberen Feuchtigkeitsteil, sodass die Strahlen durch diese Brechungen in dem niederen und dichteren Teil der feuchten Wolke zusammenkommen; denn der dichtere Teil liegt weiter unten, da er schwerer ist. Von dort nämlich verbreiten sich die gebrochenen Strahlen wie von der Spitze einer Pyramide nicht kegelförmig, wie sie sagen, sondern in einer Gestalt, die mit der gekrümmten Linie der Oberfläche eines Kegels übereinstimmt. Daher ist es offensichtlich, dass | die Strahlen diese Form durch drei Brechungen annehmen. Doch es kann bei Wasserspritzern keine drei Brechungen der Strahlen geben, sondern nur eine; und doch findet man dort dieselbe Gestalt [ des Regenbogens ] wie [ bei demselben Phänomen ] am Himmel. Daher kann die Ursache keine derartige Brechung sein. Zuletzt: Warum formen die Strahlen keinen Kegel, sondern haben eine Gestalt, die mit der gekrümmten Linie der Oberfläche eines Kegels übereinstimmt ? Denn das ist nicht in Übereinstimmung mit dem Brechungsgesetz, da bei Brechung schließlich ein regelmäßiger Kegel entstehen muss: Denn jede Brechung von Strahlen, die auf einen Kreis eines runden Körpers fallen, muss rechtwinklig sein, sodass die Gestalt in einem Teil nicht gekrümmter sein wird als in einem anderen Teil, sondern überall gleichförmig ist. Diese Kurvigkeit kann auch nicht durch die Feuchtigkeit hervorgerufen werden, weil die Feuchtigkeit ihrer Ansicht nach keine solche Form hat. Vielmehr ist sie [ die Feuch-

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tigkeit ] eine runde und kegelförmige Menge, die aus unendlich vielen Tropfen besteht, weshalb auf diese Art die Gestalt nicht erklärt werden kann. Daher muss man nach einer anderen Erklärung suchen; und man kann hierzu sagen, dass der Regenbogen die Gestalt eines kreisrunden Bogens haben muss. Denn entsprechend der Vielzahl der Positionen eines Gegenstandes zum Licht erscheinen auch verschiedene Farben, so wie beim Hals einer Taube. Da in dem Kreis eines Regenbogens von einem Ende zum anderen | dieselbe Farbe erscheint, müssen auch alle Teile dieselbe Lage in Bezug auf das Auge und auf die Sonnenstrahlen haben. Doch solch eine identische Lage ist wegen der Gleichheit der Krümmung nur in einer Kreisform möglich. Zudem können in einer Dunstwolke von runder Gestalt zwei Arten von Kreisen angegeben werden. Einer von ihnen verläuft durch die Pole, wie Koluren bei einer Kugel; der andere besteht aus parallelen Kreisen, die diese Koluren schräg schneiden. Der Kolurkreis ist in der Entfernung immer verborgen, weil er in Bezug auf das Auge nicht immer die gleiche Lage an den Enden und in der Mitte hat, doch die Parallelkreise sind wegen ihrer gleichen Lage zum Auge gut sichtbar, wie in der Perspektivik318 auch über den Mond gesagt worden ist. Da der Kreis des Regenbogens aus Parallelkreisen besteht, kann er in seiner Kreisform gesehen werden. Man könnte dagegen einwenden, dass dann nicht nur der Bogen der Pyramidenbasis in seiner Wölbung farbig sein würde, sondern auch die Flächen anderer Teile [ des Regenbogens ], so wie auch der ganze Mond auf der uns zugewandten Seite beleuchtet wird, und dass daher die ganze Fläche der Basis, die sich über der Erde befindet, farbig sein müsste. Darauf lässt sich antworten, dass sich nicht überall Tropfen befinden, von denen die Strahlen zu den Augen in gleichen Winkeln zum Eintrittswinkel reflektiert werden. Denn das geschieht nur bei einer Kreisform, wie anhand von Reflexionen und Brechungen bei konkaven Spie-

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geln und bei anderen Spiegelarten deutlich wird. Da es also nur vier oder fünf Regenbogenkreise in den Tropfen geben kann, von denen Reflexionen zum Auge in gleichen Winkeln zum Eintrittswinkel stattfinden, kann in ihnen Farbe entstehen, wodurch der Eindruck des Regenbogens erscheint.

KAPITEL 12 Einige waren der Ansicht, dass Regenwolken überall farbig sind, weil eine Reflexion in jedem Regentropfen stattfindet und weil der Regenbogen durch Reflexion entsteht. Außerdem [ müssten Regenwolken überall farbig sein ], weil entsprechend der Anzahl der Betrachter und entsprechend der Position desselben Betrachters der Regenbogen überall erscheine. Doch zu der ersten Ansicht muss man sagen, dass es zwar überall die Möglichkeit für das Erscheinen eines Regenbogens gibt, dass er aber aktualiter nur dort entsteht, wo es Tropfen gibt, von denen eine Reflexion [ von Strahlen ] das Auge erreicht. Denn es gibt – wie gesagt – nur eine Erscheinung von Farben, die aus dem Vorstellungsvermögen und der Täuschung des Sehens resul­tiert. Daher gibt es in der Wolke keine wirkliche Farbe und auch keine Erscheinung [ einer Farbe ], außer in den Tropfen, von denen ausgehend eine Reflexion zu den Augen hin stattfindet. | Doch wegen der Gleichheit der Eintritts- und der Reflexionswinkel geht nicht von jedem Tropfen gleichzeitig eine Reflexion aus, während das Auge sich an einem bestimmten Ort befindet. Zu der zweiten Ansicht ist zu sagen, dass wir uns zwei Gründe dafür vorstellen können, dass die Farben überall erscheinen, auf die eine Art nämlich derartig, dass die Farbe [ des Regenbogens ] feststehend ist, so wie auch bei anderen Dingen; sie würde dann eine species von sich selbst zum Auge hin hervorbringen, wäre also überall. Dann würde man immer dort, wo es Wasserspritzer gibt, Farben sehen. Doch das ist hier nicht der Fall, weil es hier

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keine wirklichen Farben gibt, sondern nur Farbvorstellungen, die sich aus dem Sehen ergeben. Der Grund für das Erscheinen [ der Farben ] ist ein falsches Urteil des Sehsinns, weshalb [ der Regenbogen ] nur an einem Ort auftritt, von dem aus das Auge eine Reflexion erreicht. Aus diesem Grund (und nicht aus dem ersten) verändert er sich entsprechend einer Veränderung des Betrachters. Es gibt fünf Grundfarben, nämlich Weiß, Blau, Rot, Grün und Schwarz. Rot liegt zwischen den Extremen und daher in der Mitte zwischen Weiß und Schwarz. Ari­sto­te­les’ Aussage in Über die Wahrnehmung und das Wahrnehmbare319 , dass es sieben Farben gibt, ist wahr, wenn wir Blau in verschiedene Abstufungen einteilen, wie Dunkelblau und Purpur, und wenn wir Grün in verschiedene Abstufungen einteilen. Aber die fünf Grundfarben sind von Natur aus verschieden. Denn die fünf ist die beste Zahl von allen, wie Ari­sto­te­les im Buch der Geheimnisse 320 sagt, was sicher gilt, wenn man die [ quantitative ] Anzahl der Dinge unterscheidet, auch wenn für die Qualitäten der Dinge die drei die bessere Zahl ist. Denn diese Zahl [ drei ] entnehmen wir der Natur der Dinge, wie Ari­sto­te­les im ersten Buch von Über den Himmel und die Welt 321 meint, weil in allen Dingen (sowohl in den geschaffenen Dingen als auch im Schöpfer) eine Dreiheit existiert. Weil die Zahl fünf aber alles besser und sicherer unterscheidet, beabsichtigt die Natur dennoch, dass es fünf Farben gibt. Daher sind diese fünf Farben mehr als alle anderen in dem Regen­bogen: wegen der Ordnung der Natur, die das ausführt und intendiert, was besser ist. Das Blau aber, das auch als Himmelsblau bezeichnet wird, ist eigentlich schwarz mit der Süße eines gewissen Glanzes, und wird deshalb unter die Farbe Schwarz gerechnet. Die Fachleute sind der Ansicht, dass diese Farben von der Flüssigkeit und den Häutchen des Auges hervorgerufen werden. Denn diese Farben existieren vor allem in der Erscheinung, und die Teile der Augen haben einiges von der Natur der Farben – wenn auch nur schwach –, die den Farben des Regenbogens ähn-

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lich sind. | Es gibt im Auge auch fünf Körper: Drei Flüssigkeiten und zwei Häutchen, nämlich die mittlere Augenhaut und die Hornhaut; die harte Augenhaut trägt zum Sehvorgang nichts bei, weshalb die fünf Farben entsprechend der Eigenschaften dieser fünf Teile [ des Auges ] erscheinen. Manchmal haben diese Körper jedoch auch keine verschiedenen Farben. Denn die Farben sind in den Augen verschiedener Menschen unterschiedlich, und auch die Regenbögen verändern sich in derselben Stunde, ebenso wie zu verschiedenen Stunden entsprechend der Veränderung der Luft zwischen dem Auge und zwischen dem Regenbogen und dessen Anordnungen von hellen und dunklen Teilen. Ein Zeichen für das Erscheinen der Farben im Auge ist auch, dass diese Farben entstehen, wenn man einen sechseckigen Stein an einem dunklen Ort vor das Auge hält, weshalb sie genauso in der geeigneten Materie in einem dunklen Ort einer Wolke erscheinen können. Aus dem bis hierher Gesagten wird auch der Grund für die Kränze leichter ersichtlich, ebenso wie die geradlinigen Wet­ terphäno­mene, die Seneca als ›Rute‹ und Ari­sto­te­les als ›Senk­ rechte‹ bezeichnen; diese Phänomene sind nämlich farbig, die anderen hingegen nicht. Seneca322 sagt [ zur Erläuterung ], dass du, wenn du die Feuchtigkeit geradebiegst, eine ›Rute‹ hast. Wenn du sie in der Form eines Kreises krümmst, einen Regenbogen. Wenn du sie zu einem vollständigen Kreis krümmst, hast du einen Kranz. [ Diesen Kranz ] nennt Ari­sto­te­les einen Kreis um die Sonne und den Mond, oder auch ›Halo‹ und ›Halaleti‹. Und als weiteren Unterschied geben sie an, dass der Regenbogen gegenüber der Sonne entsteht, die Rute an der Seite, der Kranz unter der Sonne. Die Äußerungen über den Kreis und den Kranz können ohne einen Irrtum [ in dieser Art ] wiedergegeben­ werden. Bei der Senkrechten – oder auch der Rute – verhält es sich jedoch anders [ a ls sie sagen ]. Denn diese ist nichts als ein kleiner Teil des Kranzes, der aus großer Entfernung eine gerade Linie zu

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sein scheint, weil die Materie nicht ausreicht [ um den Kranz zu schließen ]. Eine Menge von dichter Feuchtigkeit kommt manchmal in Richtung der Sonne unter ihr zusammen. Diese Feuchtigkeit ist zwar dichter als die Sonne, aber sie ist dennoch nicht so dicht, dass sie dieses Phänomen verhindern würde, sondern so dicht, um dieses Phänomen zu ermöglichen. Ich sage | also, dass dann, wenn jene Feuchtigkeit dichter als die Luft und von kugelförmiger Gestalt ist, und wenn sie soweit wie es ihrer schweren Natur nach möglich ist, von der Erde entfernt ist, dass dann alle Strahlen, die von dem Punkt o unterhalb der Senkrechten od ausgehen, auf der Oberfläche der Feuchtigkeit zwischen ihrem geradlinigen Eintritt und der Senkrechten, die zum Ort der Brechung gezogen wird, gebrochen werden. Alle Strahlen, die kreisförmig um diese Achse herum einfallen, werden unter gleichen Winkeln gebrochen, weil alle Winkel der einfallenden Strahlen gleich sind, so wie a und f, und weil auch die Brechungswinkel in dem Körper gleich sind. Das gilt auch für alle Strahlen, die in dem Umkreis einfallen, der durch die Punkte agf hindurchgeht; und ebenso werden alle Strahlen, die in den Umkreis einfallen, und die durch bg hindurchgehen, in gleichen Winkeln gebrochen, weil sie unter gleichen Winkeln einfallen, wie durch geometrische Beweise deutlich wird. Die Strahlen eines Umkreises, wie oa und of und alle anderen Strahlen, die den Umkreis durch a und f durchlaufen, fallen ein und bewegen sich nach der Brechung in den Körper des gleichweit entfernten Dunstes. Wenn die Luft, die ein dünnerer Körper ist, die konkave Oberfläche des Dunstes trifft, werden die Strahlen von den Senkrechten, die von dem Brechungspunkt gezogen werden, gebrochen und abgelenkt. Daher treffen sie sich notwendigerweise an einem Punkt, wie in diesem Fall dem Punkt o. Ähnlich ist es auch bei den Strahlen, die in einen anderen Umkreis einfallen, wie ob und cg: Sie grenzen an denselben Umkreis an und überschneiden sich nach einer zweiten Brechung an einem weiter hinten gelegenen Punkt (dem Punkt d), weil sich in

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einen größeren Umkreis einfallende Strahlen an einem weiter hinten gelegenen Punkt schneiden. Es gilt nämlich allgemein von allen in Umkreise einfallenden Strahlen: Alle Strahlen, die in einen Umkreis einfallen, fallen in einem anderen Punkt ein, als die Strahlen, die in einem Punkt eines anderen Umkreises einfallen. Und so wie die Strahlen eines Umkreises während ihres Eintritts in den Dunst eine kreisförmige Gestalt über ihm bilden, so bilden sie auch eine runde Basis, wenn sie ihn verlassen, und kommen in einem Punkt der Pyramide zusammen. Denn das ganze Licht, das von einem Punkt der Sonne kommt und das durch den Dunst hindurchgeht, wird in unendlich viele Strahlen gebrochen und ist sozusagen ein Kegel; es hat zudem eine kugelförmige Gestalt an beiden Enden, während es sich in dem Dunst befindet. Doch nachdem das Licht aus dem Dunst ausgetreten ist, werden die Strahlen in einer Pyramide abgelenkt, deren Basis die Grenze des Lichtzylinders ist, und | deren Spitze auf die Erde fällt. Wenn das Auge daher die Spitze einer Pyramide wahrnimmt, wird es auch die Basis jener Pyramide sehen, und da der Dunst von solch einer Dichte ist, dass er sichtbar ist – vor allem, da er in sich selbst Licht hat –, kann das Licht zwischen den Basen der Pyramide gesehen werden: und wird daher in einer Kreisform gesehen. Doch ebenso, wie man die Natur des Regenbogens, seine Farbe und seine Gestalt nur durch viele Erfahrungen bestimmen kann, verhält es sich auch hier, wobei stets zu bedenken ist, dass Strahlen auf zwei Arten verstanden werden können; nämlich entweder als von einem Punkt zu einem Kreis in dem Dunst hinkommend, wo sie bei der Spitze einer Pyramide zusammenlaufen; und andere [ Strahlen ], die von demselben Punkt in einen anderen Kreis einfallen, bilden eine andere Pyramide, und dies gilt auch für die weiteren [ Strahlen ]; doch die Spitzen aller dieser Pyramiden fallen auf die Achse und auf die Senkrechte, die von jenem Punkt herkommen, von dem auch die gebrochenen Strahlen herkommen, wodurch unvollständige Pyramiden geformt werden. Die Strahlen gelangen aber wegen ihrer Zwischenstellung nicht zum

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Punkt der Überschneidung, weshalb niemand etwas durch diese unvollständigen Pyramiden sehen wird. Wenn mehrere Betrachter einen Kranz sehen, muss man eine der beiden Erklärungen auswählen: Entweder, dass von verschiedenen Punkten der Sonne gebrochene Strahlen in eine Pyramide fallen, sodass die Strahlen von verschiedenen Punkten der Sonne zu den verschiedenen Betrachtern kommen. Oder, dass von der Basis einer Pyramide, deren Spitze in das Auge eines Betrachters fällt, auch zu anderen Betrachtern andere Pyramiden kommen, die aus Nebenstrahlen entstehen, sodass die prinzipielle Pyramide, die zum Auge eines Betrachters reicht, von den anderen Betrachtern durch eine Nebenpyramide gesehen wird: wie ja auch die­jeni­gen, die sich in der Ecke eines Hauses befinden, das durch das Fenster einfallende Licht durch Nebenstrahlen sehen. Doch die zweite Möglichkeit kann nicht eintreten, weil das Urteil, das durch prinzipielle Strahlen hervorgerufen wird, nicht dem Urteil gleicht, das durch Nebenstrahlen gebildet wird, wobei die Betrachter eines Kranzes gleichzeitig dasselbe Urteil darüber treffen. Außerdem urteilt jeder Betrachter, dass die Sonne der Mittelpunkt des Kranzes ist. Des­wegen sieht jeder von ihnen die Sonne; doch Nebenstrahlen führen das Sehen nicht zu einem Gegenstand, sondern nur zu einer species [ des Gegenstandes ], so wie auch eine Person in der Ecke eines Hauses nicht die Sonne sehen kann, auch wenn sie einen durch ein Loch einfallenden Strahl sieht. Es ist daher klar, dass zum Auge eines jeden Betrachters eine Pyramide gelangt, deren Strahlen von einem bestimmten Punkt der Sonne ausgehen, sodass die Strahlen von einem Punkt zu einem Auge kommen, von einem zweiten Punkt zu einem zweiten Auge, und von einem dritten Punkt zu einem dritten Auge usw. | Doch alle diese Dinge lehrt die Erfahrung, wie es am Beispiel des Regenbogens ersichtlich geworden ist. Deshalb beweisen keine Argumente [ diese Dinge ], sondern es werden weitreichende Erfahrungen benötigt, die wir durch Instrumente und

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andere notwendige Dinge erhalten können. Aus diesem Grund kann diese Phänomene keine theoretische Erörterung belegen; denn alles hängt hier von der Erfahrung ab. Daher denke ich auch von mir, nicht die volle Wahrheit ergriffen zu haben, weil ich bis jetzt noch nicht alle Erfahrungen gemacht habe, die dafür notwendig sind, und weil ich mit diesem Werk eine Überzeugungsschrift verfasse, die zeigen soll, was für das Studium der Weisheit notwendig wäre, ohne jedoch einzelne [ ausführliche ] Abhandlungen über sie zu schreiben. Des­wegen ist es zur Zeit nicht an mir, einen unmöglichen Beweis [ f ür alle diese Dinge ] zu geben, sondern ich schreite vielmehr so voran, dass ich vom Studium der Weisheit überzeugen möchte. Von dem um eine Kerze herum entstehenden Lichtkreis wird angenommen, dass er sich durch die Feuchtigkeit bildet, die von den Nahrungsmitteln und den Getränken auf dem Tisch aufsteigt; oder durch die Feuchtigkeit der Luft; oder auch, dass er in einiger Entfernung der Kerze in der Feuchtigkeit des Auges entsteht. Hieran wird jeder Weise mit Leichtigkeit einsehen, dass kein Argument, sondern nur die Erfahrung diese Fragen auflösen kann. Doch nun gehe ich zum zweiten Vorzug der Erfahrungswissenschaft über. |

KAPITEL ÜBER DEN ZWEITEN VORZUG DER ­ERFAHRUNGSWISSENSCHAFT Der [ zweite Vorzug der Erfahrungswissenschaft ] besteht darin, dass nur diese Herrin der spekulativen Wissenschaften die herrlichen Wahrheiten an den Grenzen der anderen Wissenschaften angeben kann, welche diese allein auf keinem Weg erreichen können: Denn diese Wahrheiten liegen nicht in den Prinzipien [ der anderen Wissenschaften ], sondern vollständig außerhalb von ihnen. Selbst wenn sie an den Grenzen der anderen Wissenschaften liegen, sind sie dort doch weder Konklusionen noch Prinzi-

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vorzug der erfahrungswissenschaft

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pien, wofür aussagekräftige Beispiele angeführt werden können. Doch in allem nun Folgenden darf der unerfahrene Mensch nicht nach Vernunftgründen verlangen, damit er alles zuerst versteht, weil er diese niemals verstehen kann, wenn er nicht zuerst Erfahrung gesammelt haben wird. Deshalb muss man zuerst glauben, worauf zweitens sodann die Erfahrung folgt, die in einem dritten Schritt von Vernunftgründen begleitet wird. Denn wenn ein Mensch keine Erfahrung davon hat, dass ein Magnet Eisen anzieht und dies auch von anderen nicht gehört hat, wird er diese Tatsache niemals durch Vernunftgründe wissen, wenn er nicht eine Erfahrung davon gemacht hat. Des­wegen muss er zuerst den­jeni­gen glauben, die diese Erfahrung bereits gemacht haben oder die verlässliche Informationen von anderen über diese Erfahrung bekommen haben, und er darf diese Wahrheit nicht deshalb zurückweisen, weil er sie nicht kennt oder nicht durch Argumente bekommen kann. Ich werde daher nun Beispiele aufschreiben, von denen ich meine, dass sie durch die Erfahrung bewiesen sind.

BEISPIEL 1 Die Mathematik kann leicht ein sphärisches Astrolabium herstellen, mit dem alle für den Menschen notwendigen Himmels­ phänomene entsprechend ihrer sicheren Längen- und Breitenangaben beschrieben werden können. Doch auch, wenn das Instrument von Ptolemäus, das er in seinem achten Buch des Almagest 323 beschrieben hat, mit Hilfe von Kreisen und Sternen funktioniert, die – wie ich bereits erklärt habe – durch gewisse Ähnlichkeiten bestimmt werden, wird das ganze Themengebiet durch dieses Instrument nicht vollständig erklärt, weshalb hier | noch weitere Arbeit notwendig sein wird. Dass dieses so hergestellte Gerät jedoch auf natürliche Weise entsprechend der täglichen Bewegung [ der Sterne ] bewegt wird, liegt nicht in der Macht der Mathematik. Der vollkommene Experimentator

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kann die Wege dieser Bewegungen dennoch bestimmen, indem er zu deren Betrachtung durch viele Dinge angeregt wird, die der Himmelsbewegung folgen: zum Beispiel durch die drei Elemente, die sich durch den Einfluss des Himmels kreisförmig bewegen, wie Alpetragius im Buch über die Himmelsbewegungen324 und Averroes im ersten Buch von Über den Himmel und die Welt325 sagen. Sodann durch Kometen, Meere, das Fließen von Flüssen, durch Knochenmark, Gehirne und durch die Substanzen, die Krankheiten verursachen. Auch Pflanzen öffnen und schließen viele ihrer Teile entsprechend der Sonnenbewegung. Es können noch viele weitere Dinge gefunden werden, die durch eine Lokalbewegung vollständig oder  – zumindest teilweise  – durch die Himmelsbewegung bewegt werden. Der Weise wird durch eine Betrachtung dieser Dinge, die dem, was er eigentlich erforschen möchte, ähnlich sind, also in dieser Art angeregt, damit er irgend­wann zu Höherem fortschreiten kann. Dieses Instrument wäre daher den Schatz eines Königs wert, und es würde alle anderen astronomischen Instrumente sowie alle Uhren überflüssig machen, weshalb es eine wunderschöne Zurschaustellung der Weisheit wäre. Doch nur wenige wüssten, wie sie ein derartiges oder vergleichbare wundervolle und nützliche Wunder an den Grenzen der Mathematik herstellen könnten. |

BEISPIEL 2 Ein weiteres Beispiel liegt an den Grenzen der Medizin: die Verlängerung des Lebens, wofür die Medizin kein anderes Heilmittel bereitstellt als eine gesunde Lebensführung. Dabei ist doch eine weit größere Verlängerung der Lebenszeit möglich. Zu Beginn der Welt war das Leben nämlich weitaus länger, doch bis heute ist es über alle Maßen verkürzt worden. Viele waren der Ansicht, dass der Grund für diese Verlängerung und für diese Verkürzung [ des Lebens ] beim Himmel zu suchen sei; sie meinten nämlich, dass die Disposition des Him-

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mels zu Beginn am besten gewesen sei, und dass alle Dinge zu schwinden beginnen, wenn die Welt älter wird. Denn sie meinten, dass die Sterne ursprünglich an passenderen Orten geschaffen worden waren, an denen die Sterne ihre Dignitäten haben, die ›Haus‹, ›Erhöhung‹, ›Triplizität‹ ›Facies‹ und ›Grenze‹ genannt werden; und dass sie gemäß der Vielfalt ihrer Aspekte und ihrer unsichtbaren Strahlen in einem besseren Verhältnis zueinander standen. Sie haben auch gedacht, dass sie schrittweise von ihren ursprüng­lichen Positionen zurückgewichen sind, und dass sie diesem Zurückweichen entsprechend eine verkürzte Lebensspanne bis zu einer bestimmten Grenze setzten, an der es einen Stillstand gibt. Diese Vorstellung ist aber mit vielen Widersprüchen und Schwierigkeiten verbunden, von denen jetzt gesprochen werden muss. Doch unabhängig davon, ob das wahr ist oder nicht, lässt sich ein anderer Grund nennen, der für uns naheliegend und offensichtlich ist, dem man nicht widersprechen kann und den wir durch die Erfahrung kennen. Daher müssen wir diesen Grund behandeln, damit die wunderbare und herrliche Nützlichkeit der Erfahrungswissenschaft aufscheint, und damit der Weg zum größten Geheimnis aller Geheimnisse eröffnet wird, das Ari­sto­ te­les im Buch über die richtige Lebensführung 326 verborgen hat. Denn auch wenn die richtige Lebensführung bei der Nahrung und den Getränken, beim Schlafen und Wachen, bei der Bewegung und der Ruhe, beim Zurücknehmen und der Beibehaltung, bei der Zusammensetzung der Luft und den Leidenschaften des Geistes von Kindheit an eingeübt und beibehalten werden sollte, will sich doch kein Mensch um diese Ausgeglichenheiten ­kümmern. Das gilt sogar für die Ärzte, weil unter 1000 von ihnen doch fast nicht einmal ein einziger diesen Dingen auch nur die geringste Beachtung schenkt. Es geschieht äußerst selten, dass sich jemand genug darum kümmert, und vor allem sorgt sich niemand in seiner Jugend darum. Einer von 3000 denkt vielleicht manchmal darüber nach, wenn er alt geworden ist und sich­

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bereits | dem Tode zuneigt: denn dann fürchtet er sich und wünscht, gesund zu sein. Doch dann kann er aufgrund seiner schwachen Kraft, seiner nachlassenden Sinne und seines Mangels an Erfahrung kein Heilmittel mehr anwenden. Daher werden die Väter immer schwächer und zeugen noch schwächere Söhne, die ebenfalls eine Veranlagung zu einem vorzeitigen Tod haben. Daraufhin schwächen sich die Söhne durch ihre mangelhafte Lebensführung noch weiter selbst, wodurch der Sohn der Söhne eine doppelt schlechte Veranlagung hat. Sodann schwächt sich dieser selbst wegen seiner falschen Lebensführung noch weiter: So wird vom Vater auf den Sohn eine immer verdorbenere Mischung vererbt, bis die letztmögliche Verkürzung des Lebens ­erreicht ist, wie es in unseren Tagen der Fall ist. Allerdings gibt es nicht nur diese akzidentielle Ursache, sondern noch eine weitere, nämlich den Verfall der Moral. Denn die Sünden schwächen die Kräfte der Seele, sodass sie für die natürliche Kontrolle des Körpers nicht mehr die Kraft hat, weshalb die Kräfte des Körpers geschwächt und das Leben verkürzt wird. Auch diese Verschlechterung geht von dem Vater auf den Sohn über usw. Wegen dieser beiden Gründe konnte die natürliche menschliche Langlebigkeit natürlich seit dem Ursprung nicht erhalten werden, sondern ist gegen die Natur verkürzt worden. Darüber hinaus ist durch sichere Erfahrungen bewiesen, dass diese übermäßige Verkürzung des Lebens in vielen Fällen verzögert worden ist, und dass das Leben durch geheime Experimente für viele Jahre verlängert worden ist. Es gibt viele Autoren, die über dieses Thema geschrieben haben, weshalb diese übermäßige Verkürzung des Lebens nur akzidentiell sein kann und ein mögliches Heilmittel haben muss. Nachdem gezeigt worden ist, dass der Grund für die Lebensverkürzung nur akzidentiell und ein Heilmittel daher möglich ist, kehre ich nun zu dem Beispiel zurück, das ich an den Grenzen der Medizin beschreiben wollte, und das die Medizin selbst nicht vollenden kann. Doch in diesem Teil kann die Erfahrungswis-

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senschaft den Mangel der Medizin ergänzen, da die medizinische Kunst [ ohne die Erfahrungswissenschaft ] nur eine ausreichende Regel einer richtigen Lebensführung für alle Lebensalter angeben kann. Denn auch wenn die Autoren nur unzureichend über eine gesunde Lebensführung der Älteren gesprochen haben, ist es für die Medizin doch möglich gewesen, Regeln für solch ein Leben anzugeben. Und eine gesunde Lebensführung besteht in einem ausgeglichenen Gebrauch von Essen und Trinken, Bewegung und Ruhe, Schlafen und Wachen, dem Zurücknehmen und Anstrengen, der Luft und [ in der Ausgeglichenheit ] der Leidenschaften der Seele. Wenn der Mensch seit seiner Geburt solch eine Lebensführung bis zum Lebensende beachten würde, könnte er jene Lebensgrenze erreichen, die Gott und die Natur in Übereinstimmung mit der | Möglichkeit einer richtigen Lebensführung ursprünglich gesetzt hatten. Doch weil es unmöglich ist, dass diese Lebensführung von allen beachtet wird, und weil sich nur wenige (oder vielmehr überhaupt niemand) darum seit seiner Jugend kümmert, und weil nur ganz wenige alte Menschen in dem eigentlich möglichen Maße darüber nachdenken, treten die Nebenerscheinungen des Alters noch vor dem fortgeschritten und Greisenalter auf; also in der Blüte des Lebens, das doch eigentlich das Lebensalter der menschlichen Schönheit und Stärke ist, das in unserer Zeit aber nicht länger als 45 oder 50 Jahre andauert. Die Erscheinungen des fortgeschrittenen und des Greisen­ alters sind: Weiße Haare, Blässe, Falten, erhöhte Schleimbildung, Schleimauswurf, Entzündung der Augen und eine allgemeine Schädigung der Sinnesorgane, Verminderung des Blutes und der Lebensgeister, Schwäche in der Bewegung, der Atmung und im ganzen Körper, Mangel an Kräften der tierischen und natürlichen Seelenteile, Schlaflosigkeit, Zorn, Unruhe der Seele und Vergesslichkeit, von welcher der königliche Haly327 sagt, dass das fortgeschrittene Alter das Zuhause der Vergesslichkeit ist; und Platon nennt dieses Alter die Mutter der Lethargie.

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Wegen mangelhafter Lebensführung treten alle diese und viele weitere Begleiterscheinungen des Alters bei den Menschen in höherem oder geringerem Maß bereits in der Lebensblüte auf: Je nachdem, ob die Menschen sich besser oder schlechter um ihre Gesundheit gekümmert haben, ob sie eine bessere und stärkere Konstitution haben, und je nachdem, ob sie sich im Bereich der Moral besser oder schlechter beherrscht haben. Doch die medizinische Kunst gibt keine Heilmittel gegen diese Verschlechterung, die mit dem Unvermögen und dem Mangel einer richtigen Lebensführung einhergeht, wie alle in ihrer Kunst erfahrenen Medi­ziner wissen. Und die Autoren im Bereich der Medi­zin geben zwar zu, dass es mögliche Heilmittel gibt, lehren sie jedoch nicht. Denn diese Heilmittel sind schon immer nicht nur vor den Medizinern verborgen gewesen, sondern auch vor der ganzen Menge der Weisen. Sie waren nur den Bekanntesten unter ihnen geläufig, die | Ari­sto­te­les im ersten Buch der Topik328 erwähnt, wo er vom Möglichen spricht. Solche Heilmittel sind nicht nur gegen Altersleiden möglich, die bereits im mittleren Alter vor dem hohen Alter auftreten, sondern sie können auch noch angewendet werden, wenn die richtige Lebensführung im hohen Alter bereits unmöglich sein sollte, um die Altersleiden zu verzögern, damit sie nicht in dem dafür vorherbestimmten Alter auftreten. Wenn sie in diesem Alter auftreten, können sie aber doch gemildert und abgeschwächt werden, damit das Leben durch ihre Verzögerung und Milderung über seine eigentliche Grenze hinaus verlängert werden kann, die der richtigen Lebensführung nach von den sechs genannten Vorschriften abhängig ist. Es gibt jedoch noch eine weiter entfernt liegende Grenze, die von Gott und der Natur in Übereinstimmung mit den Eigenschaften der Heilmittel, welche die Begleiterscheinungen des fortgeschrittenen und Greisenalters verzögern und deren Leiden mindern, gesetzt worden ist. Die erste dieser beiden Grenzen kann man überschreiten, die zweite jedoch nicht. Wegen

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dieser beiden Grenzen sagt die Heilige Schrift öfter: »Du hast ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann«329; denn die letzte Grenze zu überschreiten ist zwar unmöglich, doch die erste Grenze kann – wenn auch selten – überschritten werden. Die zweite Grenze kann hingegen nicht überschritten werden. Eine richtige und gesunde Lebensführung könnte, soweit es in der Möglichkeit des Menschen stünde, das Leben über die allgemeine akzidentielle Grenze hinaus verlängern (die der Mensch aufgrund seiner Torheit meist nicht erreicht), weshalb einige Menschen viele Jahre über die eigentlich mögliche Lebenszeit hinaus gelebt haben. Eine besondere Lebensführung mit entsprechenden altersverzögernden Medikamenten könnte das Leben noch viel mehr erweitern als über den genannten allgemeinen Zustand hinaus, den auch die normale medizinische Kunst der Lebensführung nicht überschreiten kann. Dass dies möglich ist, geht aus den Aussagen des Dioskurides330 hervor, der sagt, dass es eine gewisse Medizin geben könnte, die den Menschen vor schnellem Altern, vor Kälte und vor der Austrocknung der Glieder schützen könnte, durch welche das Leben des Menschen verlängert werden könnte. Dies bestätigt auch Haly gegen Ende der Tegni. Und weiter sagt er: »Diejenigen, welche eine lange Zeit gelebt haben, haben Medizin benutzt, durch welche ihr Leben verlängert worden ist.« Ferner sagt Avicenna im zweiten Buch des Kanon der Medizin: »Es gibt eine Medizin, die jede Mischung so einrichtet und einteilt, wie sie sein sollte.« Doch die medizinischen Autoren geben jene Medizinen nicht an, und sie haben auch in ihren Büchern nichts darüber geschrieben, weil sie nur auf die Kunst der | richtigen Lebensführung geachtet haben – und dies auch nicht in dem Maße, wie es für alte Menschen ausreichend wäre, wie bereits gesagt worden ist. Doch weise Menschen, die etwas von der Erfahrungswissenschaft verstanden haben, haben darüber nachgedacht; und dies nicht nur wegen der Nützlichkeit [ einer solchen Medizin ], sondern auch, weil sie durch das Verhalten wilder Tiere dazu ermuntert wor-

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den sind, die auf viele Arten einen vorzeitigen Tod verhindern. So verlängern viele Tiere  – wie zum Beispiel der Hirsch, der Adler, die Schlange und viele weitere – durch natürliche Bemühungen ihr Leben, wie die Autoren schreiben und wie die Erfahrung gezeigt hat. Durch diese Beispiele beeinflusst, haben sie geglaubt, dass Gott selbst den Tieren diese Kräfte gegeben hat, um die Menschen zu unterweisen. So haben sie die Tiere beobachtet, um die Kräfte von Pflanzen, Steinen, Metallen und anderen Dingen herauszufinden, durch die sie ihre Körper auf vielen wunder­baren Wegen verbessert haben, wie aus den Büchern von Plinius331 und Solinus332 , aus Avicennas Über die Tiere 333, aus Tullius [ Ciceros ] Über die göttliche Natur 334, aus der Philosophie des Artephius und aus weiteren Büchern anderer Autoren mit allergrößter Sicherheit zusammengetragen werden kann und wie es viele in Erfahrung gebracht haben. In Paris gab es vor kurzem zum Beispiel einen Weisen, der Schlangen gesucht und auch eine gefangen hat. Er hat sie dann in kleine Stücke geschnitten, wobei er nur die Schlangenhaut am Bauch unverletzt gelassen hat. Die Schlange kroch, so gut sie konnte, zu einer Pflanze, durch deren Berührung sie sofort geheilt wurde, woraufhin der Experimentator diese Pflanze mit ihrer wunderbaren Wirkkraft eingesammelt hat. Und weil die menschliche Vernunft alle tierische Klugheit übersteigt, haben weise Menschen – durch die Beispiele der Tiere angeregt – sich noch bessere und größere Methoden überlegen können. Diese Weisheit ist der Welt vor allem durch die ersten Menschen geschenkt worden, nämlich durch Adam und dessen Söhne, die von Gott selbst ein besonderes Wissen über die Verlängerung des Lebens empfangen hatten. Das kann man auch aus Ari­sto­te­les’ Buch der Geheimnisse 335 lernen, wo er sagt, dass der erhabene und ruhmreiche Gott eine Möglichkeit und ein Heilmittel bereitgestellt hat, um die Körpersäfte auszugleichen und die Gesundheit zu erhalten und um viele Dinge zu bekommen, mit denen man die Leiden des Alters vermeiden, verzögern und

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abmildern kann. Diese Dinge hat Gott seinen Heiligen, seinen Propheten und einigen anderen (etwa den Patriarchen) offenbart, die er ausgewählt und durch den Geist der göttlichen Weisheit erleuchtet hat, usw. Und weiter unten sagt er336, dass es eine Medizin gibt, die ›unaussprechlicher Ruhm‹ und ›Schatz der Philosophen‹ genannt wird, die den ganzen Körper in den | richtigen Zustand bringt. Von dieser Medizin sagt man, dass sie von Adam oder Enoch durch eine Vision gefunden worden sei, wie er selbst sagt, auch wenn nicht ganz klar gezeigt werden konnte, welcher von den Beiden diese Medizin zuerst hergestellt hat. Doch diese Dinge sowie ähnliche weitere geheime Geheimnisse sind vor der Menge der Philosophen immer verborgen worden, ganz besonders, nachdem die Menschen die Weisheit missbraucht haben, indem sie das, was Gott den Menschen zu deren vollständigem Wohl und zu deren Nützlichkeit übergeben hatte, ins Schlechte gekehrt haben. Es sind überdies viele weitere Beispiele dieser Art aufgezeichnet worden. Artephius, der alle Regionen des Orients auf der Suche nach Weisheit bereist hat, fand einmal Tantalus, den Lehrer des indischen Königs, auf einem goldenen Thron sitzend vor, während dieser über die Natur und die Bewegungen des Himmels lehrte. Derselbe Tantalus wurde demütig und zum Schüler des Artephius, von dem im Buch seiner eigenen Philosophie gesagt wird, dass er durch geheime Experimente viele Jahrhunderte gelebt hat. Zudem berichtet uns Plinius im 22. Buch seiner Na­ turgeschichte 337, dass einmal ein Mann vor Augustus stand, der sein Leben auf mehr als 100 Jahre verlängert hatte, und der zum Erstaunen der anderen Anwesenden so stark, robust und kräftig war, dass der Kaiser ihn verwundert fragte, was er denn gemacht hätte, um so lange zu leben. Wie Plinius weiter schreibt, antwortete der Mann mit einem Rätsel, indem er sagte, dass er äußerlich Öl, innerlich aber Honigwein angewandt habe. Weiterhin wird im Buch von den Begleiterscheinungen des ­Alters 338 von einem Mann zur Zeit des Königs Wilhelm von

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­ izilien berichtet, der seinen jugendlichen Zustand an Kraft, S Sinnesschärfe und Klugheit jenseits aller menschlichen Vorstellungskraft um 60 Jahre erneuert hatte und von einem bäuer­ lichen Pflüger zum Boten des Königs wurde. Als dieser Mann nämlich einmal gepflügt hatte, fand er auf seinen Feldern unter der Erde verborgen ein goldenes Gefäß, das eine hervorragende Flüssigkeit enthielt. Nachdem er dieses Gefäß ausgegraben hatte, hat er sie getrunken und sein Gesicht damit gewaschen, weil er annahm, dass es sich bei der darin enthaltenen Flüssigkeit um eine himmlische Flüssigkeit handelte, wodurch sein Geist und sein Körper über jedes Maß hinaus erneuert worden sind. In dem eben erwähnten Buch wird auch von einem Mann erzählt, der einmal seinen ganzen Körper – außer seinen Fußsohlen – mit einer hervorragenden Salbe eingeschmiert hat. Er lebte daraufhin viele Jahrhunderte in kerngesundem Zustand, nur dass | seine Füße, die er einzuschmieren vergessen hatte, alterten, weshalb er immer geritten ist. Ferner wird vom Autor dieses Buchs belegt, dass er einen Mann gesehen und mit ihm gesprochen hat, der mehrere Jahrhunderte gelebt hatte, weil er eine Medizin zu sich genommen hatte, die von einigen Weisen eigentlich für einen großen König hergestellt worden war. Da der König jedoch für sich die Hoffnung verloren hatte und wollte, dass ein ungelehrter Mensch diese Medizin einnehmen sollte, hat er sie erhalten. Dadurch ist das Leben dieses Mannes verlängert worden, wofür er offizielle Briefe des Papstes dieser Zeit und anderer Personen bei sich führte, die diese Wahrheit belegen. Daher sagt der tüchtige Experimentator im Buch über die ­Lebensführung der Alten339, dass dann, wenn das, was in der vierten Stufe temperiert ist, was im Meer schwimmt, was in der Luft wächst, was aus dem Meer geworfen wird, und eine indische Pflanze, und was in den Venen eines langlebigen Tieres ist, und die zwei Schlangen, welche die Speise der Menschen aus Tyrus und Äthiopien sind, hergestellt und in der richtigen Weise benutzt werden, und wenn auch die ›Mine‹ eines edlen Tiers an-

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wesend ist, das Leben sehr verlängert und die Leiden des Alters und des hohen Alters verzögert und gemildert werden können. Was in der vierten Stufe temperiert ist, ist Gold, wie im Buch der Geister und Körper gesagt wird, das unter allen Dingen der größte Freund der Natur ist. Und wenn Gold durch Experimente so gut wie möglich werden kann, oder noch viel besser als es die Natur und die Kunst der Alchemie vermögen, war von dieser Art sicherlich das Gefäß, das der Bauer gefunden hat. Wenn dieses Gefäß nun in Wasser von der Art aufgelöst werden würde, wie es der Pflüger getrunken hat, würde es im Körper des Menschen die wunderbarsten Effekte hervorrufen. Dann wird noch das hinzugefügt, was im Meer schwimmt, nämlich eine Perle, die eine für den Erhalt des Lebens äußerst wirksame Sache ist, und es wird weiterhin noch das Ding, das in der Luft wächst, hinzugefügt. Dieses ist anthos, die Blüte eines Rosmarinstengels, die eine unbeschreibliche Kraft gegen die Leiden des Alters hat. Doch das dianthos, das in eine Latwerge340 getan wird, ist keine Blüte, sondern eine Mischung aus Blättern, Holzstückchen und einem Bisschen der Blüte. Die reine Blüte muss in der dafür geeigneten Zeit gesammelt werden, und sie wird auf viele Arten bei Speisen, Getränken und Latwergen benutzt. Dazu muss noch das hinzugefügt werden, was aus dem Meer geworfen wird, nämlich Amber. Darunter versteht man Walrat, eine Sache mit wunderbarer Wirkung in dieser Angelegenheit. Die indische Pflanze ist diesem sehr ähnlich; bei ihr handelt es sich um gutes Aloeholz, das frisch und nicht gelagert ist. Zu diesen Zutaten wird noch das hinzugefügt, was sich im Herzen | eines langlebigen Tieres befindet, nämlich des Hirsches. Dabei handelt es sich um einen Knochen, der im Herzen eines Hirsches entsteht, und der eine gegen das vorzeitige Altern sehr starke Wirkung hat. Die Schlange, die Nahrung der Menschen in Tyrus, ist die tyrische Schlange, aus der Theriak gemacht wird, und deren Fleisch richtig zubereitet und mit Gewürzen gegessen werden muss. Dies ist ein äußerst wirksames Heilmittel gegen

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das Leiden des Alters und gegen alle Verschlechterungen der Mischungen [ im Körper ], wenn es mit Stoffen eingenommen wird, die zu den Mischungen und Leiden eines jeden passen, wie im Buch über die Lebensführung der Alten341 gesagt wird. Zudem empfiehlt Ari­sto­te­les im Buch der Geheimnisse 342 nachdrücklich das Fleisch der tyrischen Schlange gegen schlimme Leiden. Die Schlange, die die Nahrung der Äthiopier ist, ist der Drache, wie auch David in den Psalmen343 sagt: »[ Du hast den Kopf des Drachen zerschlagen; ] hast ihn zum Fraß gegeben den Völkern Äthiopiens.« Denn es ist sicher, dass weise Menschen aus Äthiopien nach Italien, Spanien, Frankreich, England und in andere christliche Länder, in denen es gute fliegende Drachen gibt, gekommen sind, wo sie durch die geheime Kunst, über die sie verfügen, die Drachen aus ihren Höhlen hervorlocken. Sie haben stets Sättel und Zaumzeug zur Hand, mit denen sie die Drachen in der Luft mit schneller Geschwindigkeit reiten, sodass die Zähigkeit und Härte ihres Fleisches gemildert wird, ebenso wie es auch bei Wildschweinen, Bären und Stieren gemacht wird, die von Hunden gejagt und auf vielerlei Arten geprügelt werden, bevor sie für den Verzehr getötet werden. Nachdem sie die Drachen auf diese Weise domestiziert haben, verfügen sie auch über die Kunst, ihr Fleisch zuzubereiten, die der Kunst der Fleisch­ zubereitung der tyrischen Schlange ähnlich ist, und sie benutzen deren Fleisch gegen die Begleiterscheinungen des Alters: sie verlängern damit ihr Leben und schärfen den Verstand über jede Vorstellbarkeit hinaus. Denn keine menschliche Unterweisung kann solch eine Weisheit hervorbringen wie der Verzehr dieses Fleisches, wie wir von Menschen mit geprüfter Glaubwürdigkeit ohne Trug und Zweifel gelernt haben. Wenn die Elemente in solch einer Mischung hergestellt und bereinigt werden könnten, dass es keine gegenseitige Beeinflussung zwischen ihnen gäbe, sondern dass sie alle in einen Zustand der puren Reinheit zurückgeführt werden würden, haben die Weisesten angenommen, die beste Medizin zu haben. Denn dann

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wären die Elemente alle ausgeglichen. Außerdem nimmt Averroes im Widerspruch zu Galen im zehnten Buch seiner Meta­ physik344 an, dass dann, wenn eine Mischung aus der Gleichheit aller vermischten Zutaten hergestellt werden würde, die Elemente weder selbst agieren noch | beeinflusst würden, und dass es dann auch kein Vergehen [ der Elemente ] gäbe. Dasselbe will auch Ari­sto­te­les im fünften Buch der Metaphysik345, wo er ganz klar gesagt hat, dass es keine Verschlechterung gibt, wenn die aktiven Potenzen ausgeglichen sind; und das ist sicher wahr. Denn auf diese Weise wird es sich mit den Körpern nach der Auferstehung verhalten, weil eine solche Ausgeglichenheit der Elemente in den Körpern deren Vergehen in alle Ewigkeit ausschließt. Diese Ausgeglichenheit ist nämlich das letzte Ziel der natürlichen Materie in gemischten Körpern, weil sie am edelsten ist, weshalb in diesem Zustand das Verlangen der Materie zur Ruhe kommen und sie nichts weiter begehren würde. Im Körper Adams waren die Elemente nicht in vollkommener Ausgeglichenheit, weshalb es in ihm ein Handeln und Erleiden der entgegengesetzten Elemente gab, woraus der Verlust folgt, weshalb er auch Nahrung zu sich nehmen musste. Deshalb ist ihm auch vorgeschrieben worden, nicht von der Frucht des Lebens hätte essen können. Doch weil die Elemente [ im Körper Adams ] nahe an der vollständigen Ausgeglichenheit waren, gab es darin nur einen geringen Verlust, weshalb er für die Unsterblichkeit geeignet war, die hätte folgen können, wenn er immer vom Baum des Lebens hätte essen können. Denn von dieser Frucht glaubt man, dass in ihr die Elemente fast ausgeglichen waren; aus diesem Grund konnte sie die Unsterblichkeit Adams aufrecht erhalten, was auch geschehen wäre, wenn er nicht gesündigt hätte. Daher haben die Weisen daran gearbeitet, die Elemente in einigen Nahrungsmitteln und Getränken zu einer Ausgeglichenheit – oder nahe daran – zu führen, und sie haben auch die Methoden gelehrt, um dies zu erreichen. Doch wegen der Schwierigkeit solch großer Experimente, und weil sich nur wenige mit solchen Ex-

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perimenten beschäftigen, weil die A ­ rbeit daran aufwendig und teuer ist, und weil viele Menschen sich nicht den Geheimnissen der Natur und den Möglichkeiten der Kunst zuwenden, haben nur sehr wenige in einer derartig geheimen Wissenschaft gearbeitet, und noch weniger haben lobens­werte Resultate erreicht. Jene genannten Männer, die ihr Leben um Jahrhunderte verlängert haben, hatten jedoch eine derartige Medizin, die besser oder schlechter hergestellt worden ist. Denn Artephius346, von dem gesagt wird, dass er 1025 Jahre gelebt hat, hatte eine bessere Medizin als der alte Pflüger, in dem die Jugend für 60 Jahre wiederhergestellt worden ist. Über das Getränk, das jener Bauer getrunken hat, denkt man, dass es eine Ausgeglichenheit der Elemente an sich hatte, | die weit über normale Nahrung und Getränke hinausgeht; dennoch war es aber weit davon entfernt, vollständig ausgeglichen zu sein. Schließlich gibt es viele Stufen bis hin zur vollkommenen Ausgeglichenheit, die auch die Medizin des Artephius nicht erreichen konnte, ebenso wenig wie die Medizin, die den Mann 500 Jahre lang hat leben lassen, der den päpstlichen Brief als Beweis eines so großen Wunders bei sich hatte, von dem weiter oben gesprochen worden ist. Es ist auch gar nicht verwunderlich, dass weder Ari­sto­te­les noch Platon oder andere der berühmten Philosophen so lange gelebt haben; denn in seinen Kategorien347 sagt Ari­sto­te­les, dass ihm die Quadratur des Kreises unbekannt sei, die sich mit solch einem Wunder [ w ie der Verlängerung des Lebens ] gar nicht vergleichen lässt. Und Avicenna sagt im dritten Buch seiner Phy­ sik348, dass er bis jetzt die Kategorie des ›Habens‹ noch nicht gekannt hätte. Ich denke heute jedoch, dass das ganz leicht gelernt werden kann, und wir wundern uns, dass sie solch offensichtliche Dinge nicht gewusst haben. Denn alle Weisheit kommt von Gott dem Herrn: Daher werden manchmal den einfachsten Menschen Dinge gegeben, die selbst die Gelehrtesten und Berühmtesten nicht wissen können. Aber die Medizin kann uns diese Dinge

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nicht bereitstellen, sie kann nicht einmal darüber sprechen; die Herrlichkeit des Geheimnisses der Erfahrungswissenschaft hat sie jedoch bewiesen. Was die Heilmittel sind, und welche Zutaten sie enthalten, kann man im Buch der Geheimnisse des Ari­sto­te­ les, in der Philosophie des Artephius, im Buch von den Begleit­ erscheinungen des Alters, in der Abhandlung Über die richtige Lebensführung der Alten, in den Büchern des Plinius und auch in anderen Büchern nachlesen. |

BEISPIEL 3 Drittens kann die Dignität der Erfahrungswissenschaft anhand der Alchemie beispielhaft gezeigt werden. Denn diese ganze Kunst reicht kaum bis dorthin, die wertloseren Metalle in wertvollere Metalle umzuwandeln, wie etwa Gold aus Blei oder Silber aus Kupfer. Diese Kunst reicht aber niemals bis dahin, die natürlichen und künstlichen Grade des Goldes und deren Arten aufzuzeigen. Doch die Erfahrungswissenschaft hat beides erhellt, da sie die Karate [ gradus ] des Goldes gefunden hat, sowohl die natürlichen vier Grade und deren 17 Arten, als auch die künstlichen. Denn durch das Experiment ist es möglich, Gold mit einem Reinheitsgrad herzustellen, der noch über 24 Karat hinausgeht. Auch das Gefäß, in welchem die Flüssigkeit enthalten war, durch die der Pflüger zum Boten des Königs wurde, hat einen Reinheitsgrad von mehr als 24 Karat gehabt, wie seine Wirkung und sein Wert gezeigt haben. Doch wenn diese 24 Karat in einem Goldklumpen gefunden werden, ist es das beste Gold, das von der Natur hervorgebracht werden kann. Wenn das Gold aber 24 Karat hat und zudem einen Teil oder ein Karat Silber, ist das Gold minderwertiger als das vorige [ mit 24 Karat ], und auf diese Weise geht die Verminderung des Goldwertes bis zu 16 Karat, sodass darin 8 Karat Gold mit einer Mischung aus Silber enthalten sind. Doch die Kraft der Minerale im Schoß der Erde schafft es manchmal nicht, die Materie und Form des Goldes

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hervorzubringen, und tut aus diesem Grund, was sie kann, um sie als Silber entstehen zu lassen. Dass ich mir das alles nicht nur ausdenke, kann man daran sehen, dass Menschen in verschiedenen Teilen der Erde gefunden werden können, die diese 16 Arten des Goldes haben herstellen können, und die auch Goldstücke und –klumpen der 17 Arten gefunden haben. Danach haben sie eine Mischung aus Silber, Luft und den genannten Goldarten hergestellt, sodass sie 17 künstlich hergestellte Goldstücke hatten, durch die sie auch die natür­lichen Arten des Goldes erkennen konnten. Da diese Kunst bei der nach Gold begierigen Menge der Menschen unbekannt ist, treten in dieser Welt viele Betrügereien auf. Die Kunst | der Alchemie lässt nicht nur diese Arten aus, sondern auch Gold mit 24 Karat werden in dieser Kunst nur ganz selten und unter größten Schwierigkeiten gefunden. Es gab immer nur wenige, die dieses Geheimnis in ihrem Leben kannten, und weiter kann diese Kunst nicht gehen. Die Erfahrungswissenschaft weiß mit der Hilfe von Ari­sto­ te­les’ Buch der Geheimnisse nicht nur, wie sie Gold mit 24 Karat herstellen kann, sondern sogar mit 30 oder 40  Karat, oder wieviel auch immer wir wollen. Daher hat auch Ari­sto­te­les zu Alexander gesagt: »Ich will dir das größte Geheimnis zeigen«349; und es ist wirklich das größte Geheimnis, weil es nicht nur ein Gut für das Gemeinwesen und  – aufgrund der ausreichenden Menge an Gold – für alles weitere bereitstellen würde, was wir begehren, sondern (was noch unendlich wertvoller ist) weil es auch das Leben verlängern würde. Denn das Heilmittel, dass alle Unreinheiten und Verschlechterungen unedler Metalle beseitigen kann, damit daraus das reinste Silber und Gold wird, wird auch von den Weisen so eingeschätzt, alle Verschlechterungen des mensch­lichen Körpers im Ganzen aufzuheben, sodass das Leben um viele Jahrhunderte verlängert werden würde. Und das ist der Körper aus ausgeglichenen Elementen, von dem vorher gesprochen worden ist.

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KAPITEL ÜBER DEN DRITTEN VORZUG ODER DIE DRITTE DIGNITÄT DER ERFAHRUNGSKUNST Es gibt noch einen dritten Vorzug dieser Wissenschaft. Er liegt in den nur dieser Wissenschaft eigenen Eigenschaften, die sie nicht gegenüber den anderen Wissenschaften hat, sondern mit denen sie aus ihrer eigenen Macht heraus die Geheimnisse der Natur betrachtet. Dieser [ Vorzug ] besteht aus zwei Teilen: In der Erkenntnis der zukünftigen, vergangenen und gegenwärtigen Ereignisse, und in den wunderbaren Werken, durch die sie die verbreitete Astronomie in ihrer vorhersagenden Macht übertrifft. Denn Ptolemäus sagt in seiner Einführung zum Almagest350, dass es einen anderen und sichereren Weg als die verbreitete Astronomie gibt; und dies ist der Weg der Erfahrung, der dem Lauf der Natur folgt | und den viele zuverlässige Philosophen beschritten haben, wie zum Beispiel Ari­sto­te­les und viele andere Autoren, die über astronomische Vorhersagen geschrieben haben (wie er selbst sagt), und wie wir auch aus unserer eigenen Praxis wissen, der man nicht widersprechen kann. Diese Weisheit ist aber als ein reines Heilmittel gegen die menschliche Unwissenheit und Torheit erfunden worden; denn es ist schwierig, ausreichende und sichere astronomische Instru­ mente zu haben, und noch schwieriger, beglaubigte astronomische Tafeln zu haben, vor allem solche, in denen die Planetenbewegungen untereinander gleichgesetzt worden sind. Auch ihr Gebrauch ist schwierig, doch noch schwieriger ist die Benutzung der Instrumente. Doch diese Wissenschaft hat die Begriffsbestimmungen und Wege gefunden, auf denen sie unbehindert alle Fragen beantworten kann, soweit es einer Disziplin der Philosophie möglich ist, und auf denen sie uns alle Formen der himmlischen Kräfte sowie die Einflüsse der Himmelskörper auf diese Welt ohne die Schwierigkeiten der verbreiteten Astronomie zeigen kann. Dieser Teil der Astronomie hat vier grundlegende Wurzeln bzw. geheime Wissenschaften:

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Einige haben bezeugt, dass die Werke dieser Wissenschaft, die die Philosophie zeigen, in der Veränderung einer Region [ der Erde ] bestehen, sodass auch die Gewohnheiten der dort lebenden Menschen verändert werden. Dementprechend hat der berühmteste aller Philosophen – Ari­sto­te­les – auf die Frage Alexanders bezüglich der Völker, die er erobert hatte (ob er sie nämlich aufgrund ihrer wilden Sitten auslöschen oder ihnen zu leben gestatten solle) im Buch der Geheimnisse auf folgende Weise geantwortet: »Wenn du ihre Luft ändern kannst, gestatte ihnen zu leben; wenn nicht, töte sie.«351 Er wollte nämlich, dass ihre Luft auf nützliche Art geändert wird, sodass – durch die damit einhergehende Veränderung der Mischungen ihrer Körper – auch deren Geist aus freiem Willen zu guten Sitten emporgehoben wird. Und dies ist eines der Geheimnisse. Ferner nehmen einige auch an, dass eine Veränderung durch die Sonne stattfindet. Ein Beispiel dafür gibt wiederum Ari­sto­ te­les an, wenn er zu Alexander sagt: »Gib, wem auch immer du willst, einen heißen Samen einer Pflanze, und er wird dir dein ganzes Leben lang gehorchen.«352 Einige sagen auch, dass eine Armee zum Erstarren und zur Flucht getrieben werden könnte; zu ihnen gehört ebenfalls Ari­ sto­te­les, der zu | Alexander sagt: »Nimm solch einen Stein und jede Armee wird vor dir fliehen.«353 Die Wahrheit von diesen und unzähligen weiteren Beispielen ist bezeugt, ohne dass dabei jedoch dem freien Willen Gewalt angetan wird: denn Ari­sto­te­les selbst, der diese Beispiele anführt, sagt in seiner Ethik354, dass der freie Wille nicht gezwungen werden kann. Man kann aber den Körper durch die Kräfte der Dinge verändern, woraufhin die Geister soweit angeregt und bewegt werden, dass sie vollkommen frei das wollen, wohin sie geführt werden: Wir sehen zum Beispiel anhand der vielen Tränke und Arzneimittel in den Büchern der Ärzte, dass Menschen nicht nur körperlich, sondern auch in ihren seelischen Eigenschaften und in ihren Willensneigungen verändert werden können.

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Es gibt aber noch zahlreiche und verschiedene weitere Werke [ dieser Wissenschaft ], die mehr in den Bereich der Natur gehören und sich nicht auf eine staunenswerte Veränderung des Willens richten. Einige [ von diesen Werken ] haben neben anderen Nützlichkeiten auch die Schönheit der Weisheit an sich, wie zum Beispiel Bäder, die immerfort für den menschlichen Gebrauch hervorragend geeignet sind und keiner Erneuerung bedürfen, oder wie immerbrennende Lampen. Wir kennen nämlich viele Dinge, die durch Feuer nicht beschädigt, sondern sogar reiner werden, wie die Haut des Salamanders und viele weitere derartige Dinge, die so hergestellt werden können, dass sie von sich aus leuchten und die Kraft des Feuers beibehalten, sodass sie Flammen und Licht abgeben können. Gegen die Feinde des Gemeinwesens haben sie zudem große Künste entwickelt, sodass sie ohne Eisen und ohne jemanden zu berühren alle vernichten können, die ihnen Widerstand leisten. Es gibt wirklich viele solcher Erfindungen. Einige [ von diesen Erfindungen ] können nicht durch die Sinne – oder doch nur durch den Geruchssinn – wahrgenommen werden. Diese [ Erfindungen ] beschreibt Ari­sto­te­les in seinem Buch bezüglich der Veränderung der Luft; doch [ f unktionieren diese Erfindungen ] nicht in der Weise, die ich vorher bereits geschildert habe, sondern durch andere Mittel, die durch Infektion wirken. Es gibt auch [ andere Erfindungen ], die einen bestimmten Sinn verändern, und die für alle Sinne existieren. Einige von ihnen wirken tatsächlich ausschließlich durch den physischen Kontakt und töten auf diese Weise. Denn malta, eine Art von Erdpech, das es in großer Menge auf der Welt gibt, verbrennt einen bewaffneten Mann, wenn es auf ihn geworfen wird. Dieses [ Erdpech ] hat die Römer einen hohen Blutzoll auf ihren Eroberungszügen gekostet, wie durch Plinius im zweiten Buch seiner Naturgeschichte 355 und durch viele andere Berichte belegt wird. Auch gelbes Petroleum, was ›Öl aus einem Stein entstanden‹ bedeutet, verbrennt – richtig hergestellt – alles, auf das

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es trifft. Denn durch Petroleum entsteht ein brennendes Feuer, das nur schwer | eingedämmt werden kann, weil Wasser es nicht löscht. Einige [ Erfindungen ] verstören den Gehörsinn zudem der­ maßen, dass keine Stadt und kein Heer es aushalten kann, wenn sie unvorhergesehen, bei Nacht und mit der richtigen Sachkenntnis eingesetzt werden. Kein Donnerkrachen lässt sich mit ihnen vergleichen. Einige [ Erfindungen ] sind auch für das Auge so furchteinflößend, dass selbst Blitze aus den Wolken unvergleichlich weniger verwirrend sind; man nimmt an, dass Gideon356 solche Erfindungen im Lager der Midianiter benutzt hat. Als ein Erfahrungsbeispiel für eine solche Sache können wir ein Kinderspielzeug anführen, das in vielen Teilen der Welt benutzt wird: dabei handelt es sich um ein Gerät, das die Größe eines menschlichen Daumens hat. Aus der Gewalt des [ darin enthaltenen ] Salzes, das ›Salpeter‹ genannt wird, entsteht beim Zerspringen selbst eines kleinen Gegenstandes (in diesem Fall eines kleinen Stücks Perga­ment) solch ein furchtbarer Knall, dass wir es empfinden, als ob er das Brüllen eines scharfen Donners und das Licht eines den Donner begleitenden Blitzes übertrifft. Es gibt auch noch andere Dinge, die jedes giftige Tier bei der Berührung ganz leicht töten. Und wenn man mit diesen Dingen einen Kreis um eines dieser Tiere zieht, können sie ihn nicht verlassen, sondern sterben auch dann, wenn sie nicht davon berührt worden sind. Wenn ein Mensch von einem giftgen Tier gebissen wird, kann er durch die Anwendung eines aus diesen Dingen hergestellten Pulvers geheilt werden, wie Beda [ Venerabilis ] in seiner Kirchengeschichte 357 schreibt, und wie wir aus Erfahrung wissen. Es gibt unzählige Dinge dieser Art mit fremden Kräften, deren Macht wir nur wegen des Mangels an Erfahrung nicht kennen. Doch es gibt noch weitere Werke, die zwar keinen so großen Nutzen für das Gemeinwesen haben, die aber trotzdem als Wunder der Natur angesehen werden müssen, wie es für die Expe-

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rimente mit dem Magneten gilt, nicht nur in Bezug auf Eisen, sondern auch in Bezug auf Gold und andere Metalle. Denn wenn die Experimente mit dem Magneten der Welt unbekannt wären, würde seine Wirkung als großes Wunder angesehen werden. Und sicherlich gibt es bezüglich der Wirkungen des Magneten auf Eisen noch ganz andere Möglichkeiten, die den Benutzern von Magneten nicht bekannt sind, und die die Natur auf ganz wunderbare Art übersteigen. Denn der zuverlässige Experimentator kann davon ausgehend auch die Anziehungsbewegungen anderer Dinge in Erfahrung bringen, wie die des Steins, der sich zu Essig hinbewegt, und die des Erdpechs, das durch Feuer aus einiger Entfernung entzündet wird, wie es Plinius im zweiten Buch der Naturgeschichte 358 berichtet; und von anderen Dingen, die sich durch eine natürliche Bewegung gegenseitig anziehen, obwohl sie örtlich voneinander entfernt sind. Das ist wirklich | wundervoller als alles, was ich bisher gesehen und gehört habe. Denn seitdem ich solches gesehen habe, ist mir nichts mehr zu glauben schwer gefallen, wenn es ein würdiger Autor geschrieben hat. Eurer Reverenz möge zudem nicht verborgen bleiben, dass so etwas auch zwischen Pflanzenteilen geschieht, die voneinander getrennt und örtlich separiert sind. Denn wenn man einen Setzling von einem Jahr nimmt, der neben den Wurzeln eines Haselnussbaums wächst, und ihn der Länge nach durchschneidet, und wenn die so getrennten Teile eine Handbreit oder in der Entfernung von vier Daumenlängen voneinander separiert werden, und wenn einer auf der einen Seite die beiden Enden des einen Teils und ein anderer die beiden Enden des anderen Teils festhält, und wenn die beiden Personen die Teile immer gleich und sanft halten, sodass die Teile immer gegenüber in derselben Position gehalten werden, die sie vor der Durchtrennung hatten, dann werden die beiden Teile des kleinen Zweigs innerhalb [ des Zeitraums, den man braucht, um ] eine halbe Meile [ zu durchlaufen ], beginnen, sich langsam wieder einander anzunähern, wobei

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sie sich am Ende mit größerer Kraft annähern, wieder zusammen kommen und eins werden. Die Enden [ der beiden Teile, die von den Personen gehalten werden ], bleiben jedoch voneinander getrennt, weil sie von der Kraft der sie haltenden Personen am Zusammenwachsen gehindert werden. Und das ist wirklich eine wundervolle Sache. Deshalb benutzen auch Magier dieses Expe­ riment, sagen dazu Zaubersprüche auf und denken, dass das wegen ihrer Zauberformeln geschieht. Ich habe diese Zaubersprüche aber unterlassen und herausgefunden, dass es sich dabei um ein wunderbares Werk der Natur handelt. Es verhält sich hier ganz ähnlich wie bei dem Magneten und dem Eisen. Denn so wie dort das Eine das Andere wegen der natürlichen Ähnlichkeit des Eisens und des Magneten anzieht, ist es auch in diesem Fall: [ Die beiden Teile ] bewegt eine natürliche Kraft, die in beiden Teilen der Pflanze ähnlich ist, und bringt sie zu einer neuen Vereinigung. Wenn [ d ie Teile des Zweiges ] auf die entsprechende Weise zurechtgemacht werden würden, würden sie sich auch an den Enden genauso wie in der Mitte treffen – und sogar schneller. Dafür müsste man die Enden nur vorsichtig durchbohren und Fäden in die Löcher ziehen, sodass sie ohne Hindernis in der Luft hängen würden. Das gilt nicht nur für Setzlinge des Haselnussbaumes, sondern auch für viele andere [ Bäume ], wie zum Beispiel für Weiden, und vielleicht für alle [ Pflanzen ], wenn sie nur in der richtigen Weise präpariert werden würden. Aber weil in solchen Angelegenheiten der Geist passender denkt als der Schreibgriffel schreibt, gehe ich für den Moment darüber hinweg. Denn ich schreibe das hier nur auf, um die Aussprüche und Taten der Weisen wiederzugeben, deren Verstandesfülle ich mehr bewundere als verstehe. Um mit der Erfahrungswissenschaft zu einem Ende ohne Einschränkungen zu kommen, wende ich sie noch auf den Nutzen für die Theologie an, wie ich es bei den anderen [ Wissenschaften ] in ähnlicher Weise gemacht habe. Da ich nun die Eigenschaften dieser Wissenschaft | für sich genommen gezeigt habe, ist es je-

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dem deutlich geworden, dass diese Wissenschaft die nützlichste Wissenschaft nach der Moralwissenschaft ist. Das gilt vor allem für die Theologie, wegen des Literal- und Spiri­tualsinns, die sie behandelt. Denn ich habe weiter oben bereits gezeigt, dass der Literalsinn im Ausdrücken der Wahrheit der geschaffenen Dinge durch deren Definitionen und Beschreibungen besteht, und ich habe weiterhin gezeigt, dass man das nicht durch Argumente, sondern durch die Erfahrung erreichen kann. Aus diesem Grund wird diese Wissenschaft nach der Moralwissenschaft am besten die Wahrheit des Literalsinns der Schrift angeben, damit durch dazu passende Übertragungen und Ähnlichkeiten auch die Spiritualsinne entsprechend der Eigenschaften der Heiligen Schrift und der Wege aller Heiligen und Weisen abgeleitet werden ­können. Diese Wissenschaft hat zudem einen Wert, wenn man sie auf das Gemeinwesen der Gläubigen bezieht, wie sowohl anhand der Erkenntnis der zukünftigen, gegenwärtigen und vergangenen Ereignisse im Besonderen angesprochen worden ist, als auch in der Zurschaustellung ihrer wunderbaren Werke für die Kirche und das Gemeinwesen, damit alle nützlichen Tätigkeiten befördert und alle Hindernisse beseitigt werden können. Das gilt, wie bereits beispielhaft erläutert worden ist, sowohl für wenige, als auch für die Menge der Menschen. Und wenn wir zur Bekehrung der Ungläubigen übergehen, zeigt sich, dass [ die Erfahrungswissenschaft ] auf zwei grundlegende Arten einen Wert hat, die sich in viele weitere Verzweigungen unterteilen. Denn eine Überzeugung vom Glauben kann nur durch sie wirksam erreicht werden: nicht durch Argumente, sondern durch Taten, was stärker ist. Einem Menschen, der die Wahrheit des Glaubens verneint, weil es ihm nicht möglich ist, sie zu verstehen, kann ich die gegenseitige Anziehung der Dinge in der Natur zeigen, wie sie erläutert worden ist. Ebenso [ kann ich einem solchen Menschen zeigen ], dass ein Fass ohne menschliche Gewalt zerbrochen werden kann, und

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dass der darin enthaltene Wein für drei Tage unbeweglich und ohne auszufließen stehen bleibt; oder dass Gold und Silber in einem Geldbeutel und ein Schwert in der Scheide zerstört werden können, ohne dass deren Behältnisse beschädigt werden, wie Seneca in seinen Naturwissenschaft­lichen Untersuchungen359 schreibt. Und dass eine gewisse Vogelgattung, die man ›Eisvögel‹ nennt, das stürmische Meer im tiefsten Winter beruhigen und solange zurückhalten können, bis sie ihre Eier abgelegt und ihren Nachwuchs geboren haben, wie Basilius360 und Ambrosius361 in ihren Büchern Über das Sechstagewerk schreiben, und wie die Philosophen und Dichter bestätigen. Diese Beispiele und andere Beispiele dieser Art müssen solch einen Menschen bewegen und ihn zur Akzeptanz der göttlichen Wahrheiten ermuntern. Denn da sogar in der niedersten Kreatur Wahrheiten gefunden werden, die den intellektuellen Hochmut des Menschen überwältigen, auf das er glaubt, auch wenn er nicht versteht, weil andernfalls die unaussprechliche Wahrheit verletzt wird, um wieviel mehr | muss der Mensch erst seinen Geist vor den glorreichen göttlichen Wahrheiten demütigen. Sicherlich gibt es hier keinen Vergleich. Es gibt aber noch einen anderen äußerst nützlichen Anwendungsbereich [ d ieser Wissenschaft ]. Denn diese Wissenschaft urteilt – wie ich bereits gesagt habe – darüber, was durch die Natur oder durch die Bemühung der Kunst geschehen kann und was nicht. Daher kann sie die magischen Illusionen erkennen und alle ihre Fehler bei ihren Zaubersprüchen, Anrufungen, Beschwörungen, Opferhandlungen und Kulten aufdecken. Die Ungläubigen beschäftigen sich nämlich mit diesen Verrücktheiten, glauben daran und dachten, dass auch die Christen solches bei ihren Wundern benutzt haben. Deshalb ist diese Wissenschaft von ganz außerordentlichem Nutzen für die Überzeugung vom Glauben, weil man von allen Teilen der Philosophie nur mit ihr in dieser Frage Fortschritte machen kann, da nur sie diese Praktiken betrachtet, und da man nur durch sie alle Falschheit, allen Aberglauben und alle Fehler der Ungläubigen aufheben kann,

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soweit sie derartige magische Praktiken wie Zaubersprüche und die anderen genannten Dinge, betreffen. Inwiefern sie für die Zurückschlagung starrsinniger Ungläubiger nützlich ist, wird aus den Gewalttaten deutlich, die schon angesprochen worden sind, weshalb ich sie hier übergehe. Weiterhin muss ebenfalls bedacht werden, dass andere Wissenschaften zwar auch viele wunderbare Dinge hervorbringen, so wie beispielsweise die praktische Geometrie, die Spiegel herstellt, die jeden spröden Gegenstand verbrennen, und dasselbe gilt auch für die anderen Wissenschaften; doch alle diese wunderbaren Nützlichkeiten für das Gemeinwesen gehören grundlegend zu dieser Wissenschaft. Denn diese Wissenschaft steht gegenüber den anderen Wissenschaften in demselben Verhältnis wie die Navigationskunst zum Zimmermannshandwerk und wie die Kriegskunst zur Waffenherstellung: Sie lehrt nämlich, wie wunderbare Instrumente hergestellt werden können, sie benutzt sie, wenn sie hergestellt worden sind, und sie bedenkt deren Geheimnisse für den Nutzen des Gemeinwesens und der einzelnen Menschen; und sie herrscht über die anderen Wissenschaften wie über ihre Mägde, weshalb alle Macht der spekulativen Weisheit vor allem ihr zugerechnet wird. Aus diesen drei Wissenschaften geht der wunderbare Nutzen in dieser Welt für die Kirche Gottes gegen die Feinde des Glaubens hervor, da sie sie mehr durch die Werke der Weisheit als durch Waffengewalt vernichtet. Auch der Antichrist wird ihre Mittel vielfach und wirkungsvoll benutzen, damit er jede Macht dieser Welt niederdrücken und verwirren wird. Und auch die Tyrannen vergangener Zeiten haben sie benutzt, um sich den Erdkreis zu unterwerfen, wie durch unzählige Beispiele belegt ist. Ich gebe jetzt nur ein Beispiel für alle anderen an, nämlich das Beispiel von Alexander dem Großen, der nur 32 000 Fußsoldaten und 4500 Berittene hatte, | als er von Griechenland aufgebrochen ist, um die Welt zu erobern. Dennoch ist es anhand dieser geringen Zahl, mit der Alexander gegen die ganze Welt Krieg geführt

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hat, ungewiss  – wie Orosius zu Augustinus in seiner Antiken Weltgeschichte 362 sagt –, was erstaunlicher ist: dass Alexander gewonnen, oder dass er solches überhaupt gewagt hat. In seiner ersten Schlacht gegen König Dareios hat er 600 000 Perser mit nur einem Verlust von 20 Berittenen und neun Fußsoldaten besiegt. In der zweiten Schlacht hat er 400 000 Mann bezwungen, wobei von seiner Armee nur 130 Fußsoldaten und 150 Reiter gefallen sind. Danach hat er mit Leichtigkeit den Rest der Welt unterworfen, weil alle Angst vor ihm hatten. Doch Orosius sagt, dass er nicht weniger durch die Kunst als durch die Tapferkeit der Make­donen gesiegt hat, was auch kein Wunder ist, da Ari­sto­te­les in diesen Kriegen an seiner Seite war, wie wir in der Lebensbeschreibung des Ari­sto­te­les363 lesen. Schließlich sagt doch auch Seneca in seinen Naturwissenschaft­lichen Un­ tersuchungen364 , dass Alexander die Welt gewonnen hat, weil Ari­sto­te­les und Kallisthenes seine Führer waren, die ihn in aller Weisheit unterrichtet haben. Doch Ari­sto­te­les war der höchste seiner Lehrer, und aus dem hier Gesagten ist leicht ersichtlich, auf welche Weise Ari­sto­te­les die Welt an Alexander auf den Wegen der Weisheit übergeben konnte. Dies sollte auch die Kirche gegen die Ungläubigen und Widerspenstigen bedenken, damit christliches Blut verschont bleibt. Das gilt besonders in Hinblick auf die Zeiten des Antichrist, die mit Gottes Gnade leicht vermieden werden könnten, wenn die Prälaten und Herrscher das Studium vorantreiben und die Geheimnisse der Natur und der Kunst erforschen würden.

BRIEF ÜBER DIE GEHEIMEN WERKE DER NATUR UND DER KUNST UND ÜBER DIE NICHTIGKEIT DER MAGIE •

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KAPITEL 1 1 Über und gegen falsche Erscheinungen sowie über und gegen die Anrufung von Geistern

Auf Euer Ersuchen möchte ich sorgfältig antworten. Denn obschon die Natur von sich aus mächtig und wunderbar ist, geht doch die Kunst, die die Natur als Werkzeug benutzt, noch weit über die natürliche Kraft hinaus, wie wir an vielem sehen. Was aber außerhalb der Werke der Natur und der Kunst liegt, ist entweder nicht menschlich, oder es ist erlogen und voller Betrug. Freilich gibt es Menschen, die durch schnelle Bewegungen ihrer Glieder, durch Stimmverstellung, durch die Subtilität ihrer Werkzeuge, in der Dunkelheit und durch geheime Verabredungen falsche Erscheinungen hervorbringen. Damit stellen sie den Sterblichen vieles als wunderbar und erstaunenswert hin, was in Wirklichkeit gar nicht existiert. Die Welt ist voll solcher Menschen, wie jeder leicht sehen kann, der sich mit diesem Thema beschäftigt. Denn die Gaukler täuschen sehr häufig durch die Geschwindigkeit ihrer Handbewegungen, und die Wahrsager bringen durch bestimmte Täuschungstechniken des Bauches, der Kehle und | des Mundes eine Vielzahl an Stimmen hervor, die den menschlichen Stimmen mehr oder weniger gleichen, je nachdem, wie sie es gerade bezwecken: So können sie einem vorgaukeln, dass ein Geist mit einem sprechen würde, und so ahmen sie auch die Laute wilder Tiere nach. Doch Rohrpfeifen, die unter dem Gras oder an anderen verborgenen Orten in der Erde versteckt sind, zeigen uns, dass es sich hier um eine menschliche Stimme handelt, und nicht um die eines Geistes. Was solche Leute dort veranstalten, ist daher nichts weiter als eine große Lüge. Wenn solche unbelebten Dinge also in der Morgen- oder der Abenddämmerung durch schnelle

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Bewegungen bewegt werden, dann handelt es sich hier nicht um Wahrheit, sondern um Täuschung und Betrug. Zudem bringt das Einverständnis aller alles hervor, was die Menschen wollen, wenn sie sich nur gegenseitig darin bestärken. Alle diese Dinge sind der philosophischen Betrachtung fremd, und in ihnen findet sich weder die Kunst noch die Kraft der Natur. Doch es gibt neben [ diesen Taschenspielertricks ] eine noch wesentlich unnützere Beschäftigung: Wenn Menschen nämlich gegen die Gesetze der Philosophie und gegen jede Vernunft frevelhafte Geister anrufen, damit sie ihren Willen erfüllen mögen. Der Fehler liegt hier darin, dass solche Leute glauben, sie könnten sich diese Geister unterwerfen, sodass sie der menschlichen Kraft gehorchen. Das ist aber unmöglich, weil die menschliche Kraft viel geringer ist als die der Geister. Weit mehr irren sich diese Menschen jedoch darin, zu glauben, sie könnten durch die Anwendung irgendwelcher natürlicher Mittel solche Geister herbeirufen oder vertreiben. Außerdem ist es ein Irrtum, wenn solche Menschen durch Anrufungen, Bitten und Opfer versuchen, diesen Geistern zu gefallen und sie vom Nutzen des Beschwörers zu überzeugen. Denn es wäre unvergleichlich leichter, das, was ein Mensch für nützlich hält, von Gott oder von guten Geistern zu erbitten. Doch böse Geister können bei unnützen Dinge keine Macht haben, außer soweit dies wegen der Sünden der Menschen von Gott gestattet wird, der das Menschengeschlecht | leitet und regiert. Daher verlaufen diese Wege entgegen der Weisheit und wirken sich gegenteilig aus, weshalb sich die wahren Philosophen niemals mit diesen Dingen beschäftigt haben.

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KAPITEL 2

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KAPITEL 2 Über Zauberformeln, Zaubersprüche und ihren Gebrauch

Welche Ansicht man über Zaubersprüche, Zauberformeln und andere ähnliche Dinge vertreten sollte, wird man an den folgenden Überlegungen sehen. Alle diese Dinge sind heutzutage nämlich falsch und äußerst zweifelhaft: Denn einige [ der Zaubersprüche ], welche die Philosophen in die Werke der Natur und der Kunst eingeführt haben, sind vollkommen unverständlich, weil sie die Geheimnisse [ der Natur und der Kunst ] vor den Unwürdigen verbergen wollten. Ein Beispiel hierfür: Wenn es vollkommen unbekannt wäre, dass ein Magnet Eisen anzieht, und wenn irgendjemand dieses Werk vor einem Publikum ausführen wollte, würde er Zauberformeln und Zaubersprüche benutzen. Man würde daher gar nicht merken, dass dieses ganze Phänomen der Anziehungskraft auf natürlichen Ursachen beruht und die ganze Prozedur wäre ein Irrtum. Auf diese Weise sind viele Dinge hinter den Worten der Philo­ sophen verborgen. Der Weise muss hier die Klugheit haben, die Zaubersprüche und Zauberformeln unbeachtet zu lassen, und nur das Werk der Natur und der Kunst zu betrachten, denn dann wird er sehen, dass die belebten und unbelebten Dinge durch die Übereinstimmung mit der Natur auftreten, nicht aufgrund der Kraft von Zauberformeln oder Zaubersprüchen. So werden viele Geheimnisse der Natur und der Kunst von den Ungelehrten für Magie gehalten, und die Zauberer vertrauen in ihrer Torheit in diese Formeln und Sprüche, denen sie eine besondere Kraft zuschreiben. Indem sie diesen folgen, verlassen sie das Werk der Natur und der Kunst und betrügen sich selbst mit Zaubersprüchen und Zauberformeln. Auf diese Weise werden | beide Arten dieser Menschen [ d iejenigen, die sich in Unkenntnis befinden, und die Magier ] der Nützlichkeit der Weisheit beraubt, woran allein ihre Torheit schuld ist.

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Es gibt natürlich auch einige Fürbitten, die in früheren Zeiten von wahrhaftigen Menschen oder vielmehr von Gott selbst und den Engeln erfunden worden sind. Diese [ Fürbitten ] behalten ihre ursprüngliche Kraft. So werden heute noch in vielen Regionen gewisse Gebete über glühendem Eisen und über dem Wasser von Flüssen gesprochen. Zudem gibt es gewisse [ Gottesurteile ], durch welche die Unschuldigen freigesprochen und die Schuldigen verdammt werden. Diese Dinge finden jedoch aufgrund der Autorität der Kirche und ihrer Prälaten statt. Denn die Priester selbst betreiben Exorzismen mit heiligem Wasser. Und ähnlich kann man auch im alten Gesetz vom Wasser der Reinigung lesen, durch das eine Frau darauf geprüft werden kann, ob sie ihrem Mann treu oder eine Ehebrecherin ist. Es gibt zwar noch viele weitere Beispiele dieser Art, aber dennoch: Was in den Büchern über Magie geschrieben steht, müsste sämtlich durch das Gesetz verboten werden, wenn sie auch einiges an Wahrheit enthalten mögen. Denn es findet sich auch soviel Falsches in diesen Büchern, dass man zwischen dem Wahren und dem Falschen in ihnen nicht unterscheiden kann. Was auch immer solche Leute über Salomon oder auch andere weise Menschen sagen, dass sie dieses oder jenes Buch geschrieben haben, muss daher zurückgewiesen werden. Denn diese Bücher haben nicht die Autorität der Kirche oder weiser Männer hinter sich, sondern sie sind von Betrügern verfasst worden, welche die Welt täuschen wollen. Sie verfassen immer weiter neue Bücher und vervielfältigen so ihre neuen Erfindungen, wie wir aus Erfahrung wissen; und sie versuchen die Menschen anzu­ locken, indem sie ihren Werken wohlklingende Titel voranstellen und sie unverschämterweise berühmten Verfassern zuschreiben; und um den äußeren Schein auch richtig zu wahren, bedienen sie sich eines wohlklingenden Tones und kleiden ihre Lügen in schöne Texte. Solche Zauberformeln sind entweder Worte, die aus Buchstaben zusammengesetzt sind und den Sinn der gesprochenen Rede

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KAPITEL 2

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enthalten, oder sie repräsentieren Sternenkonstellationen zu bestimmten Zeiten. | Über erstere muss man urteilen, wie ich es bereits über die Zaubersprüche gesagt habe. Bezüglich letzterer ist zu sagen, dass sie absolut keine Wirkung haben, wenn sie nicht zu den richtigen Zeiten ausgeführt werden. Wer sie daher einfach nur so ausführt, wie es in den Büchern beschrieben ist, und dabei nur auf die in den Büchern stehenden Zeichen achtet, wird nichts ausrichten. Dieser Ansicht sind jedenfalls alle weisen Männer. Diejenigen aber, die wissen, bei welcher Sternenkonstellation sie die Werke im Angesicht der Himmelskörper ausführen müssen, können nicht nur die Formeln, sondern alle ihre Werke – und zwar sowohl entsprechend der Kunst, als auch entsprechend der Natur – entsprechend der Kraft des Himmels ausrichten. Da es jedoch äußerst schwierig ist, über die Himmelskörper Gewissheit zu erlangen, gibt es hier bei vielen Menschen schwere Irrtümer, und es gibt nur sehr wenige, die etwas hiervon nützlich und wahrhaftig einschätzen können. Daher gelingt es der Menge der Mathematiker auch nicht, sehr weit voranzukommen oder etwas Nützliches zustande zu bringen, wenn sie über die Sterne urteilt und versucht, sich nach ihnen zu richten. Doch diejenigen, die davon etwas verstehen und über genügend Kenntnisse in dieser Kunst verfügen, können sehr viele nützliche Dinge hervorbringen, sei es durch richtige Vorhersagen, sei es durch die richtigen Werke zu den richtig ausgewählten Zeiten. Man muss auch beachten, dass ein fähiger Arzt – und jeder andere, der die Seele aufmuntern muss – durchaus Zaubersprüche und Zauberformeln nutzbringend anwenden kann (wenn wir dem Arzt Constantinus [ A fricanus ] folgen), mögen sie auch nur erfunden sein. Und dies nicht, weil diese Sprüche und Formeln wirklich etwas bewirken, sondern weil der Patient seine Medizin hierdurch mit größerem Vertrauen und bereitwilliger einnimmt. Die Seele des Patienten wird dadurch aufgeweckt, sein Vertrauen wächst, er fasst Hoffnung und freut sich, denn eine begeisterte Seele kann im Körper viel Gutes bewirken, sodass der

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Patient von der Krankheit aus Freude und Vertrauen gesundet. Wenn der Arzt sich daher solcher Mittel bedient, um sein Werk zu vervollkommnen und den Patienten | zur Hoffnung und zum Vertrauen in die Gesundheit zu führen, ist das nicht verwerflich, da es hier nicht um der Täuschung oder um dieser Mittel selbst willen so geschieht (wenn wir auch hier dem Arzt Constantinus2 glauben). Denn derselbe [ Constantinus Africanus ] räumt [ diesen Mitteln ] in seinem Brief 3 , der von den Dingen handelt, die mit dem Hals zusammenhängen, eine wichtige Rolle für den Hals ein und verteidigt sie in diesem Anwendungsfall. Die Seele hat nämlich durch ihre starken Affekte eine große Macht über den Körper, wie auch Avicenna im vierten Buch von Über die Seele 4 und im achten Buch von Über die Tiere 5 lehrt, was auch alle Weisen übereinstimmend zugeben. Deshalb werden vor den Kranken auch Spiele aufgeführt und es werden ihnen angenehme Dinge präsentiert, weil viele Gegensätze das Verlangen anregen, sodass der Affekt und die Begierde der Seele [ nach Genesung ] über die Krankheit siegen.

KAPITEL 3 Über die Kraft der Rede und die Widerlegung der Magie

Weil man die Wahrheit in nichts verletzen darf, wollen wir nun darauf eingehen, dass jedes Agens seine Kraft und seine species6 von sich auf die äußere Materie abgibt, was nicht nur für Substanzen, sondern auch für aktive Akzidentien der dritten Art von Qualitäten gilt. Dinge geben nämlich verschiedene Arten von Kräften ab, von denen einige spürbar sind, andere hingegen nicht. Der Mensch kann seine Kräfte und species aber am besten auf die Dinge außerhalb seiner selbst übertragen, weil er das edelste aller körperlichen Dinge ist. Auch wenn dies vor allem aufgrund seiner Vernunftseele geschieht, gehen doch ebenso wie bei den Tieren auch geistige Kräfte und Hitze von ihm aus. Wir

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KAPITEL 3

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sehen auch, dass Tiere die Dinge verändern können, | mit denen sie in Kontakt kommen, wie etwa der Basilisk, der nur mit seinem Blick töten kann, und wie der Wolf, der menschliche Laute nachahmt, wenn er das erste Mal einen Menschen sieht; oder wie die Hyäne, die einem Hund das Bellen nicht erlaubt, wenn dieser ihren Schatten berührt, wie Solinus in seinem Buch Über die Wunder der Welt 7 ebenso wie andere Autoren be­richten. Auch Aristoteles sagt in seinem Buch Über die Pflanzen 8, dass die Früchte des weiblichen Palmbaums durch den Geruch der männlichen Palmbäume reifen, und Solinus9 erzählt, dass in einigen Regionen die Stuten durch den Geruch der Hengste befruchtet werden. Viele solche und noch viel staunenswertere Dinge geschehen durch die species und die Kräfte der Tiere und der Pflanzen, wie Aristoteles in seinem Buch der Geheimnisse10 berichtet. Da Pflanzen und Tiere nicht an die Würde der Natur des Menschen heranreichen, kann er noch viel größere Dinge durch seine Kräfte und species bewirken; er kann zum Beispiel Hitze aussenden, welche die Körper um ihn herum verändert. Den Beweis dafür erbringt Aristoteles, der im zweiten Buch Vom Schlafen und Wachen11 von einer Frau während ihrer Menstruation erzählt: Wenn diese Frau in den Spiegel schaut, infiziert sie ihn [ mit ihrem Blick ] und es erscheinen in ihm Wolken aus Blut. Solinus berichtet außerdem, dass es in Skythien Frauen gibt, »die zwei Pupillen in einem Auge haben«12. Daher schreibt auch Ovid: »Die doppelte Pupille fügt Schaden zu.«13 Wenn solche Frauen wütend werden, töten sie Männer nur mit ihrem Blick.14 Und wir wissen auch, dass ein Mensch in schlechter gesundheitlicher Verfassung, wenn er etwa eine ansteckende Krankheit wie Lepra, Fallsucht, akutes Fieber, kranke Augen oder etwas anderes derartiges hat, die anderen in seiner Gegenwart ansteckt und verseucht. Umgekehrt trösten vor allem junge Menschen in einer guten und gesunden Verfassung | die anderen, und die Menschen freuen sich über ihre Anwesenheit. Das liegt an dem angenehmen Hauch, den heilsamen und erfreulichen Ausdünstungen,

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der von Natur aus guten Hitze und an den species und Kräften, die von diesen Menschen ausgehen, wie auch Galen in seinen Tegni lehrt. Die Übel werden hingegen vermehrt, wenn die Seele durch viele und große Sünden verdorben ist und in einem kranken Körper von schlechter Zusammensetzung wohnt. [ Noch weiter werden die Übel vermehrt ] wenn sie dann auch noch viele Überlegungen anstellt und einen steten Wunsch hat, zu schaden und Böses zu tun. Denn dann folgt die Natur der Gesundheit und der Krankheit den Überlegungen und Wünschen der Seele und handelt weit stärker. Wenn daher ein Leprakranker aus einem starken Wunsch und ständiger Überlegung heraus beschließen sollte, einen anderen Anwesenden anzustecken, wird ihm das schneller und stärker gelingen, als wenn er nicht daran gedacht, es gewünscht und beabsichtigt hätte. Denn die Natur des Körpers (wie Avicenna an den bereits genannten Stellen lehrt) gehorcht den Überlegungen und den heftigen Begierden der Seele soweit, dass kein menschliches Werk geschieht, wenn die natürliche Kraft in den Gliedern nicht durch die Überlegungen und Wünsche der Seele gelenkt wird. Avicenna lehrt nämlich im dritten Buch seiner Metaphysik15, dass der erste Antrieb der Gedanke ist. Darauf folgt das Verlangen in Übereinstimmung mit dem Gedanken, danach kommt die Kraft in den [ körperlichen ] Gliedern, die dem Gedanken und dem Verlangen gehorchen; und zwar nicht nur beim Schlechten (wie gesagt worden ist), sondern gleichfalls beim Guten. Wenn in einem Menschen solches gefunden wird, also gute Gesundheit, ein kräftiger Körper, Jugend, Schönheit, Eleganz der Glieder, eine von Sünden freie Seele, ein starker Geist und das heftige Begehren nach einem großartigen Werk, dann wird das, was auch immer durch die Kraft, die species, den Geist und die natürliche Hitze eines Menschen erreicht werden kann, notwendig stärker und heftiger durch die species, den Geist, die Ausdünstungen und Einflüsse dieser Art erreicht, als wenn eines dieser Dinge fehlen

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KAPITEL 3

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würde, | wobei die Wirkung besonders stark ausfällt, wenn ein heftiges Verlangen und eine feste Absicht hinzu­kommen. Sind alle diese Ursachen gegeben, kann durch die Worte und die Werke eines Menschen etwas bewirkt werden. Denn die Worte entstehen von innen durch die Gedanken und das Verlangen der Seele, durch die Bewegung des Geistes, durch die natürliche Hitze und durch die Luftröhre. Das Hervorbringen von Worten geschieht auf offenen Wegen, da es einen weiten Ausgang für die Geister, die Hitze, die Ausdünstungen, die Kräfte und die species gibt, die von der Seele und vom Herzen produziert werden. So entstehen auch Veränderungen in den anderen geistigen Teilen durch Worte, wie es ihnen von Natur aus zukommt. Denn wir sehen, dass durch diese offenen Wege vom Herzen und vom Inneren [ des Körpers ] der Atem, Seufzer und viele Auflösungen der Geister und der Hitze herkommen, die manchmal schädlich sind, wenn sie von einem kranken Körper in einem schlechten Zustand ausgehen. Manchmal sind sie jedoch auch gut und förderlich, wenn sie von einem reinen und gesunden Körper hervorgebracht werden, der sich in einem guten Zustand befindet. So können auch andere große Werke der Natur durch das Sprechen und Vortragen von Wörtern erreicht werden, wenn man die Absicht und den Wunsch hat, etwas zu bewirken. Daher sagt man zu Recht, dass die Stimme eine große Macht hat; nicht etwa, weil sie diese Art von Kraft hätte, welche die Zauberer erdichten und von der sie denken, sie könnten durch sie etwas ausrichten und verändern, sondern in der hier von mir beschriebenen Art, die die Natur bestimmt. Daher muss man sehr vorsichtig sein, denn der Mensch kann sich hier sehr leicht irren, und viele gehen in der einen oder anderen Weise fehl: denn einige verneinen jede Wirkung, andere übertreiben sie und gleiten in die Magie ab. Vor vielen Büchern muss man sich aufgrund der darin enthaltenden Zaubersprüche, Formeln, Werke, Schwüre, Opfer und anderer derartiger Dinge daher in Acht nehmen, weil sie ausschließlich magisch sind. Zu diesen Büchern16 zählen etwa

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das Buch Über | die Aufgaben der Geister, das Buch Über den Tod der Seele, das Buch Über die anzeigende Kunst und unzählige andere ähnliche Bücher, die weder die Kraft der Kunst noch die Kraft der Natur enthalten, sondern nur die Betrügereien der Zauberer. Man muss jedoch auch beachten, dass die Zauberer viele Bücher dieser Art [ a ls zu ihnen gehörig ] einschätzen, die es gar nicht sind, sondern welche die Würde der Weisheit enthalten. Welche Bücher suspekt sind und welche nicht, wird daher die Erfahrung eines jeden weisen Mannes lehren. Wenn man in einigen dieser Bücher also das Werk der Natur und der Kunst finden sollte, kann man es annehmen, wenn nicht, muss man es als suspekt beiseite lassen. Denn es ist ebenso unerlaubt und unwürdig wie überflüssig und unnötig für einen Weisen, sich mit der Magie zu beschäftigen. Denn – wie Isaac in seinem Buch Über Fieber 17 schreibt –, wird die vernünftige Seele in ihren Werken nur behindert, wenn sie durch die Unkenntnis zurückgehalten wird. Und Aristoteles sagt in seinem Buch der Geheimnisse18, dass der gesunde und gute Intellekt alles für den Menschen Notwendige erreichen kann, wenn auch mit göttlicher Hilfe. Im dritten Buch der Meteo­ rologie19 fügt er hinzu, dass die Kraft bei Gott liegt, was er gegen Ende seiner Nikomachischen Ethik20 bestätigend weiter ausführt, wo er meint, dass es weder eine moralische noch eine natür­ liche Tugend ohne göttlichen Einfluss gibt. Wenn wir aber von der Kraft einzelner Agentien sprechen, schließen wir nicht die Leitung des universellen Agens und der Erstursache aus. Denn jede Erstursache beeinflusst das Verursachte mehr als die Zweit­ ursache, wie [ Aristoteles ] in der ersten Proposition seines Buches Über die Ursachen21 schreibt.

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KAPITEL 4

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KAPITEL 4 Über wunderbare künstliche Instrumente

Ich werde nun zuerst erstaunliche Werke der Kunst und der Natur vorstellen, über die man sich nur wundern kann; daraufhin werde ich ihre Ursachen sowie die Art und Weise derselben bestimmen, an denen nichts magisch ist, | damit man sieht, dass alle Magie diesen Werken untergeordnet und ihrer unwürdig ist. Zuerst die Dinge, die allein durch die Vernunft und Gestaltung der Kunst erreicht werden können: Es können zum Beispiel Maschinen für die Seefahrt hergestellt werden, die ohne Ruderer auskommen. So können die größten Schiffe sowohl für die Binnenschifffahrt als auch für das Meer hergestellt werden, die nur durch einen Menschen gelenkt werden, und die doch schneller sind, als wenn sie voller Menschen wären. Es können Wagen gebaut werden, die ohne vorgespannte Tiere mit unglaublicher Geschwindigkeit bewegt werden können; derartig müssen auch die Sichelwagen gewesen sein, mit denen in alten Zeiten gekämpft worden ist. Es können auch Fluggeräte hergestellt werden, in denen ein Mensch sitzt, der eine gewisse Art von Apparat bedient, durch den künstliche Flügel die Luft bewegen, so wie es bei den Vögeln der Fall ist. Ebenso ein ganz kleines Instrument, mit dem man fast unendliche Gewichte heben und senken kann. Manchmal gibt es nichts Nützlicheres, denn durch ein Werkzeug, das nur drei Fingerbreit hoch und ebenso breit ist (und sogar noch kleiner), könnte ein Mensch sich selbst und seine Gefährten aus jedem Kerker befreien, sich hochheben und entkommen. Es könnte auch leicht ein Instrument hergestellt werden, mit dem ein Mensch tausend Menschen durch Gewalt und gegen deren Willen mitziehen könnte; und so könnte er es auch mit vielen anderen Dingen tun. Es können Instrumente hergestellt werden, mit denen man unter Wasser laufen könnte, sowohl im Meer als auch in Flüssen, und zwar auf dem Grund und ohne Gefahr für

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den Körper. Denn Alexander der Große hat diese Instrumente benutzt, um die Geheimnisse des Meeres zu erforschen, wie Ethicus22 der Astronom erzählt. Alle diese Dinge sind im Altertum hergestellt und mit Sicherheit auch in unserer Zeit angefertigt worden. Bei der Flugmaschine bin ich mir freilich nicht so sicher, weil ich sie nicht gesehen habe und auch niemanden kenne, der sie gesehen hätte; doch ich kenne zumindest einen Weisen, der weiß, wie man eine solche Maschine baut. Noch unendlich weitere solcher Dinge können hergestellt werden, wie zum Beispiel Brücken, die sich ohne Pfeiler über Flüsse erstrecken, und andere Maschinen und weitere unerhörte Erfindungen. |

KAPITEL 5 Über künstliche optische Experimente

Doch es sind noch der Philosophie würdigere Erfindungen gemacht worden. Denn Spiegel können so gebogen werden, dass ein Ding als mehrere erscheint, ein Mann als eine Armee, und dass viele (so viele wie wir wollen) Sonnen und Monde erscheinen. Denn die Natur hat schon manche Male solche Dünste hervorgebracht, dass es so schien, als gäbe es zwei oder drei Sonnen und Monde in der Luft, wie Plinius im zweiten Buch seiner Natur­ geschichte 23 berichtet. Aus diesem Grund können viele  – und sogar unendlich viele – von ihnen in der Luft erscheinen; denn wenn die Einzahl überschritten ist, gibt es kein numerisches Maß mehr, wie Aristoteles im Kapitel über das Vakuum24 lehrt. Auf diese Weise kann man jede gegnerische Stadt und jedes feind­ liche Heer in endlosen Schrecken versetzen, sodass sie entweder wegen der Vervielfältigung der Erscheinungen der Sterne oder der Menschen, die gegen sie zusammenzukommen scheinen, verzweifeln. Vor allem, wenn das nun folgende Argument mit diesem ersten gemeinsam betrachtet wird:

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KAPITEL 5

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Linsen können nämlich so geschliffen werden, dass sie ganz weit entfernte Dinge ganz nah erscheinen lassen würden und umgekehrt, sodass wir die kleinsten Buchstaben aus weitester Entfernung lesen und die kleinsten Dinge aufzählen könnten. Wir könnten auch Sterne an jedem Ort erscheinen lassen. Daher denkt man auch, dass Julius Caesar durch die Kraft großer Spiegel die Orte und Eigenschaften der britannischen Städte entdecken konnte. Auch können gewisse Körper so geformt werden, dass die größten Dinge klein erscheinen und umgekehrt, und dass die höchsten Dinge unten erscheinen und umgekehrt, und dass das Verborgene | ganz deutlich sichtbar ist. Auf diese Art hat auch Sokrates herausgefunden, dass ein Drache, der die Stadt und die Region durch seinen verpesteten Atem verdorben hatte, in geheimen Verstecken in den Bergen gelebt hatte; so könnte auch alles über gegnerische Städte und Armeen von den Feinden in Erfahrung gebracht werden. Außerdem könnten Körper so geformt werden, dass giftige und ansteckende species und Einflüsse dorthin gelenkt werden, wohin immer ein Mensch will. So wird von Aristoteles berichtet, dass er dies Alexander [ dem Großen ] beigebracht habe. Deshalb konnte dieser den tödlichen Blick eines Basilisken, der auf der Stadtmauer gegen sein Heer aufgestellt worden war, in die Stadt selbst zurücklenken. Auch könnten solche Spiegel gemacht werden, dass jedem Menschen Gold, Silber und Edelsteine und alles, was man nur will, erscheinen; und wer immer zum Ort dieser Erscheinungen hineilen würde, würde dort nichts finden. Wir müssen daher keine magischen Illusionen anwenden, wenn uns die Macht der Philosophie zeigt, wie wir das, was wir brauchen, ausreichend umsetzen können. Doch noch feinere und erhabenere Kräfte erfordert es, einen Spiegel so einzustellen, dass die Strahlen durch verschiedene Formen und Brechungen so geführt und vereint werden, dass wir Dinge, von welcher Art auch immer, aus jeder Entfernung verbrennen können; dass dies möglich ist, wird durch Brennspiegel25

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belegt, die Dinge vor ihnen und hinter ihnen in Brand stecken können, wie es die Autoritäten in ihren Büchern lehren. Doch die herrlichste aller Erfindungen und erfundenen Dinge ist jenes In­ strument, mit dem die himmlischen Konstellationen gemäß ihrer Längen- und Breitengrade beschrieben werden können, indem man [ durch dieses Instrument ] ihre täglichen Bewegungen nachvollzieht. Dieses Instrument würde für den Weisen ein ganzes Königreich aufwiegen. Diese Beispiele genügen, um einen Eindruck all der herrlichen Erfindungen zu geben, auch wenn man noch fast unzählige weitere staunenswerte Erfindungen hinzufügen könnte. |

KAPITEL 6 Über wunderbare Experimente

Es gibt sogar einige Dinge, die zwar mit [ den vorhergenannten ] verbunden sind, die aber noch über diese Erfindungen hinausgehen. So können wir zum Beispiel aus jeder beliebigen Entfernung ein künstliches Feuer entstehen lassen. Die Zutaten hierfür sind Salpeter, rotes Petroleum und andere Zutaten. Auch malta [ Erdpech ], Bergöl und ähnliche Stoffe sind dafür geeignet: Plinius berichtet uns nämlich im zweiten Buch seiner Naturgeschichte 26, dass die Stadt [ Syrakus ] sich damit gegen die römische Armee zur Wehr gesetzt hat, weil geschleudertes malta selbst einen schwer gerüsteten Gegner verbrennt. Doch auch das griechische Feuer und andere brennbare Substanzen sind diesen ähnlich. Zudem kann man auch ewig brennende Lampen und warme Bäder herstellen. Denn wir haben bereits viele Dinge kennengelernt, die durch die Flammen nicht verzehrt werden, wie die Haut des Salamanders, Talg und weitere ähnliche Dinge. Wenn man diesen etwas hinzufügt, werden sie zwar entflammt und glühen, werden aber nicht verbrannt, sondern vielmehr veredelt. Außer diesen gibt es noch weitere Wunder der Natur. Denn man kann künstlich Donnerschläge und Blitze in der Luft her-

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KAPITEL 6

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vorrufen, die noch größeren Schrecken verursachen als jene, die durch die Natur entstehen. Denn nur eine kleine Menge des entsprechenden Materials, sagen wir von der Größe eines Daumens, bringt einen furchtbaren Ton hervor und lässt einen heftigen Blitz entstehen. Dies kann man auf viele Weisen herstellen, und alle Städte und Heere können dadurch vernichtet werden. Als Beispiel kann hier Gideon27 dienen, der mit nur dreihundert Mann das Heer der Midianiter vernichtete, indem er Lampen und zerbrochene Flaschen benutzte, aus denen mit unglaub­ lichem Lärm Feuer austrat. Das alles sind wahrhaftige Wunder, man muss nur wissen, wie man sie richtig benutzt und wieviel man von den verschiedenen Stoffen dafür braucht. | Von einer anderen Art sind viele Wunder, die zwar nicht so nützlich, aber trotzdem eine unbeschreibliche Darstellung der Weisheit sind, und die für den Beweis aller verborgenen Geheimnisse angewendet werden können, denen die unerfahrene Menge widerspricht. Diese [ Wunder ] sind der Anziehung von Eisen durch gehärteten Stahl sehr ähnlich. Denn wer würde glauben, dass es eine solche Anziehung gibt, wenn er es nicht selbst gesehen hätte ? In dieser Anziehungskraft des Eisens sind viele Wunder der Natur enthalten, die der Menge unbekannt sind und die nur die Erfahrung zu lehren vermag. Doch es gibt sogar noch weitere und großartigere Wunder: zum Beispiel einen Stein, der Gold, Silber und alle anderen Metalle anzieht. So bewegt sich ein fallender Stein zum Essig; Pflanzen nähern sich einander an, und die Teile von Tieren, die örtlich voneinander entfernt sind, kommen durch eine natürliche Bewegung zusammen. Nachdem ich diese Dinge betrachtet habe, finde ich nichts schwer zu glauben, wenn ich es recht bedenke, weder bei den göttlichen noch den menschlichen Dingen. Doch es gibt weitere Wunder, die noch größer sind als diese. Denn die gesamte Macht der Mathematik ist in dem Instrument der Sphären enthalten, das gemäß den Anleitungen des Almagest 28 von Ptolemäus hergestellt worden ist. In ihm sind

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alle himmlischen Dinge wahrhaftig gemäß ihren Längen- und Breitengraden beschrieben. Doch dass diese durch die tägliche natürliche Bewegung bewegt werden, liegt nicht in der Macht des Mathematikers. Wenn man jedoch einen zuverlässigen und großartigen Experimentator an diese Sache derartig herangehen lassen würde, dass er durch künstliche Mittel herausfinden würde, wie die Himmel täglich bewegt werden (was durchaus möglich wäre, weil viele Dinge durch die Himmelsphänomene beeinflusst werden, wie etwa Kometen oder die Wellen des Meeres, und viele andere Dinge insgesamt oder teilweise), wäre das ein größeres Wunder als alle vorherigen und von fast unendlichem Nutzen. Denn dann wären alle astronomischen Instrumente, sowohl die verbreiteten als auch die speziellen, nicht mehr notwendig, und man könnte so etwas nicht einmal mit dem Schatz eines Königs kaufen. Noch weit größere Dinge können vollbracht werden, zwar nicht in Hinblick auf Wunder, aber zum Nutzen des privaten und öffentlichen Gebrauchs. | So kann zum Beispiel eine große Menge Gold und Silber in Umlauf gebracht werden; und zwar nicht nur nach den Möglichkeiten der Natur, sondern durch die Hilfe der Kunst. Denn von den siebzehn Goldarten bestehen acht aus einer Mischung aus Silber und Gold. Die erste Art [ d ieser Mischungen ] besteht zu 16 Teilen aus Gold, denen einige Teile Silber beigemengt sind, wodurch der 22. Grad des Goldes erreicht werden kann, weil ein Goldgrad immer durch einen Silbergrad erhöht wird. Genauso viele Grade gibt es auch durch die Mischung von Luft mit Gold, sodass die letzte Goldstufe in 24 Karat besteht, die rein und ohne eine Hinzufügung eines anderen Metalls sind. Und weiter kann die Natur hier nicht voranschreiten, wie es die Erfahrung lehrt; doch die Kunst kann die Qualität des reinen Goldes ins Unendliche steigern. Genauso kann sie auch Silber ohne jeden Betrug vervollkommnen. Doch noch größer als alles Vorherige ist dieses: Zwar kann die vernünftige Seele nicht gezwungen werden, weil sie sich des

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freien Willens erfreut, sie kann aber dennoch wirksam eingerichtet, angetrieben und gelenkt werden, sodass sie freiwillig ihre Gewohnheiten, Affekte und Wünsche entsprechend dem Willen eines anderen ändert. Und dies gilt nicht nur für Einzelpersonen, sondern für ganze Heere, Städte und die ganze Bevölkerung ­einer Gegend. Aristoteles führt hierfür in seinem Buch der Ge­ heimnisse 29 Beispiele sowohl für die Bevölkerung einer Gegend, als auch für ein Heer und einzelne Personen an. Hier wird fast die Grenze der Natur und der Kunst erreicht.

KAPITEL 7 Über das Hinauszögern der Erscheinungen des Alters und über die Verlängerung des menschlichen Lebens

Der höchste Grad, in dem die Kunst alle Kraft der Natur vervollständigen kann, ist die Verlängerung des menschlichen Lebens für eine lange Zeit. Dass dies möglich sein kann, zeigen viele Erfahrungen. So berichtet zum Beispiel | Plinius im 22. Buch seiner Naturgeschichte 30 von einem Soldaten, der an Körper und Geist so gekräftigt war, dass er über das für Menschen gewöhnliche Alter hinaus gelebt hat: Als Augustus ihn fragte, was er denn getan habe, um so lange zu leben, antwortete dieser mit einem Rätsel: dass er nämlich für Außen Öl und für Innen mulsum (nach den Autoren besteht mulsum zu acht Teilen aus Wasser und zu neun Teilen aus Honig) genommen habe. Auch später sind noch viele ähnliche Dinge passiert. So hat ein Bauer beispielsweise einmal eine goldene Vase mit einer edlen Flüssigkeit gefunden, als er mit seinem Pflug sein Feld umgegraben hatte. Weil er dachte, es sei das Tau des Himmels, hat er sie getrunken und damit sein Gesicht gewaschen; dadurch wurden sein Körper, sein Geist und seine Weisheit so erfrischt, dass er vom Knecht zum Verwalter des Königs von Sizilien aufgestiegen ist. Dies geschah in der Zeit, als Wilhelm König [ von Sizilien ] war. 31 Ebenso ist durch päpst-

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liche Briefe belegt, dass ein Deutscher, der von den Sarazenen gefangen genommen worden war, eine Medizin bekommen hat, die sein Leben um fünfzig Jahre verlängert hat. Denn der König, der jenen Deutschen gefangen genommen hatte, hatte von den Boten eines großen Königs diese Medizin erhalten. Doch weil er sich über die Wirkung der Medizin nicht sicher war, wollte er sie an einem Gefangen ausprobieren, der zu ihm gebracht worden war. Ähnlich sagt man auch, dass die Herrin von Nemore in Großbritannien einmal eine weiße Hirschkuh gejagt habe, wobei sie eine Salbe gefunden hätte, die der Wächter des Waldes auf seinem ganzen Körper aufgetragen habe, wobei er seine Fußsohlen ausgelassen habe. Er lebte 30 Jahre lang ohne zu altern, nur dass er Fußprobleme hatte. Und viele haben in unseren Zeiten erfahren, dass die Landbevölkerung ohne ärztliche Hilfe mitunter 160 Jahre oder ähnlich lange gelebt hat. Dies wird auch durch das Verhalten vieler Tiere bestätigt: Hirsche, Adler, Schlangen und viele andere Tiere erhalten ihre Jugend durch den Gebrauch der Heilkräfte von Pflanzen und Steinen. Daher haben sich viele Weise derartigen Geheimnissen gewidmet, weil sie aufgrund der Beispiele der Tiere | davon ausgegangen sind, dass das, was den Tieren vergönnt ist, auch den Menschen vergönnt sein müsste. Aus diesem Grund hat Artephius stolz von sich behauptet, er habe 1025 Jahre gelebt, weil er in seiner Weisheit die geheimnisvollen Kräfte der Tiere, Steine, Pflanzen und anderer Dinge untersucht habe, um die Geheimnisse der Natur und eines langen Lebens kennenzulernen. Die Möglichkeit der Verlängerung des Lebens zeigt sich auch daran, dass der Mensch von Natur aus eigentlich unsterblich ist und daher nicht sterben kann, da er sogar nach der Erbsünde noch ungefähr tausend Jahre lang leben konnte. Erst danach hat die Länge des Lebens nach und nach abgenommen, weshalb diese Verkürzung des Lebens nur akzidentiell ist und insgesamt – oder doch zumindest teilweise – behoben werden kann. Doch wenn wir den akzidentiellen Grund für diese Verkürzung betrachten,

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finden wir, dass sie nicht vom Himmel oder von etwas anderem kommt, sondern von einem Defekt unserer Lebensführung. Denn da die Väter bereits in bestimmten Bereichen Verdorbenheiten aufweisen, zeugen sie auch Söhne mit einer verdorbenen Mischung und Konstitution. Und die Söhne verderben sich selbst aus demselben Grund [ einer falschen Lebensführung ] wie die Väter, weshalb die Verkürzung des Lebens von den Vätern zu den Söhnen immer mehr zunimmt, wie es in unseren heutigen Tagen der Fall ist. Daraus folgt jedoch nicht, dass es immer weiter verkürzt wird, weil dem Menschengeschlecht eine Grenze gesetzt ist, sodass die meisten Menschen eigentlich 80 Jahre leben, »obwohl ihre Arbeit und Mühe größer sind«32. Jeder könnte aber ein Heilmittel gegen seine eigene Gebrechlichkeit haben, wenn er sich von Jugend an in einer gesunden Lebensweise üben würde. Diese Lebensweise besteht in einer ausgewogenen Ernährung, Getränken, Schlaf, Wachen, Bewegung, Ruhe, Ausleerung des Körpers, Entspannung, Luft und den Leidenschaften der Seele. Wenn jemand diese Regeln von Geburt an beachten würde, würde er solange leben, wie es die von seinen Eltern geerbte Natur erlauben würde; und er könnte die äußerste Grenze erreichen, | welche der menschlichen Natur (nach ihrem Fall in die Erbsünde) gesetzt ist. Er könnte jedoch nicht darüber hinausgehen, weil auch diese Lebensweise kein Heilmittel gegen die durch die Eltern vererbte Verdorbenheit ist. Zudem ist es unmöglich, dass der Mensch so in aller Ausgeglichenheit von diesen Regeln gelenkt werden kann, wie es eine gesunde Lebensführung erfordert, weshalb das Leben auch aus diesem Grund – und nicht nur wegen der Verdorbenheit der Eltern – verkürzt wird. Dennoch beschreibt die Kunst der Medizin diese Lebensweise in ausreichendem Maße. Doch weder der Reiche noch der Arme, weder der Weise noch der Unverständige, ja nicht einmal die Ärzte, wie fähig sie auch sein mögen, können bekanntermaßen diese Lebensweise bei sich oder anderen Menschen vollständig umsetzen. Doch die Natur

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fehlt nicht in den notwendigen Dingen, und ebenso wenig die vollständige Kunst, sondern sie wirken gegen die akzidentiellen Leiden des Menschen und arbeiten ihnen entgegen, damit sie teilweise oder sogar ganz überwunden werden. Zu Beginn, als das Alter des Menschen gerade erst abzunehmen begann, war es leicht, ein Heilmittel zu finden; doch jetzt, nach 6000 Jahren oder sogar noch mehr, ist dies äußerst schwierig. Die Weisen aber, die auch schon die genannten Überlegungen sorgfältig bedacht haben, haben sich viele Wege gegen den Mangel in der eigenen Lebensführung eines jeden und gegen die Verdorbenheit der Vererbung durch die Eltern überlegt; dies jedoch nicht, um den Menschen zu der Lebenszeit eines Adam oder eines Artephius zurückzuführen, weil die bereits fortgeschrittene Verdorbenheit das nicht erlaubt, sondern damit das Leben der Menschen über die heutige gewöhnliche Lebenszeit hinaus auf 100 Jahre oder mehr verlängert werden könnte, damit die Leiden des Alters hinausgezögert und – wenn schon nicht aufgehalten –, doch zumindest gemildert werden könnten. Denn es ist über alle menschliche Einschätzung hinaus nützlich, das Leben zu verlängern, natürlich immer in den äußersten Grenzen, welche die Natur gesetzt hat. Die äußerste Grenze ist jene, die den ersten Menschen nach der Erbsünde auferlegt worden ist; und eine andere Grenze besteht für jeden in der eigenen Verdorbenheit und in der durch die Eltern vererbten Verdorbenheit. Diese beiden Grenzen kann man zwar nicht überschreiten, man kann aber sehr gut die Grenze der | eigenen Gebrechlichkeit hinausschieben. Von der ersten Grenze hingegen denke ich nicht, dass sie irgendjemand, wie weise er in der heutigen Zeit auch sein mag, erreichen kann; und doch könnte vielleicht sogar das möglich sein, denn die menschliche Natur war in den ersten Menschen durchaus so eingerichtet. Es wäre nicht einmal verwunderlich, wenn sich diese Möglichkeit bis hin zur Unsterblichkeit erstrecken würde, wie es vor der Erbsünde schließlich war, und wie es nach der Auferstehung

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sein wird. Wenn du dagegen einwendest, dass weder Aristoteles und Platon, noch Hippokrates und Galen bis zu dieser Verlängerung des Lebens gelangt sind, dann antworte ich, dass sie auch viele eigentlich leicht erkennbare Wahrheiten, die danach anderen Forschern bekannt geworden sind, nicht kannten. Daher ist es sicher möglich, dass sie auch die höchste Wahrheit nicht kannten, auch wenn sie auf sie hingearbeitet haben. Doch sie haben sich zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt und sind schnell alt geworden, indem sie ihr Leben mit schlechteren und niederen Wahrheiten verbracht haben, obwohl ihnen die Wege zu diesen Geheimnissen bekannt waren. Wir wissen nämlich, dass Aristoteles in seinen Kategorien33 sagt, dass die Quadratur des Kreises ein lösbares Problem sei, und doch gesteht er ein, dass er und alle seine Zeitgenossen es nicht lösen konnten. Doch wir kennen in unseren heutigen Tagen die Lösung dieses Rätsels; und daher ist es noch wahrscheinlicher, dass Aristoteles viel abgelegenere Geheimnisse der Natur nicht kannte. Ebenso wissen die heutigen Weisen vieles nicht, was in der Zukunft jedem Studenten offensichtlich sein wird, weshalb dieser Einwand absolut nichtig und ohne Bedeutung ist.

KAPITEL 8 Wie man die Geheimnisse der Natur und der Kunst verbergen kann

Wir haben nun einige Beispiele über die Macht der Natur und der Kunst aufgezählt, damit wir aus Wenigem Vieles machen, aus den Teilen das Ganze, aus den Bruchstücken das Allgemeine; damit wir sehen, dass es nicht notwendig ist, sich den magischen | Künsten zu widmen, wenn die Kunst und die Natur ausreichen. Nun möchte ich eins nach dem anderen durchgehen und die Gründe und die richtige Methode in den einzelnen Fällen angeben. Doch ich muss auch bedenken, dass die Geheimnisse der

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Natur nicht auf der Haut von Ziegen und Schafen weitergegeben werden dürfen, sodass sie von jedem verstanden werden könnten, wie es auch Sokrates und Aristoteles wollen. Denn Aristoteles sagt in seinem Buch der Geheimnisse 34, dass es die Siegel des Himmels zerbrechen hieße, wenn man die Geheimnisse der Natur und der Kunst verbreite; und er fügt hinzu, dass demjenigen, der solche Geheimnisse öffentlich macht, viele üble Dinge zustoßen. Zudem sagt in diesem Fall auch Aulus Gellius in seinen Attischen Nächten35, dass es töricht sei, einen Esel mit Kopfsalat zu füttern, wenn ihm auch Disteln reichen würden. Es steht auch im Buch der Steine 36 geschrieben, dass der­jenige, der die Geheimnisse verbreitet, die Majestät der Dinge verringert, weil das, in was die Menge eingeweiht ist, nicht geheim bleibt. Man kann die Menge aufgrund einer wahrscheinlichen Einteilung jedoch in einen Gegensatz zu den Weisen stellen. Denn das, was allen so erscheint, und zwar der Menge und den Weisen, ist bekannt und wahr. Doch was nur den Meisten, also der Menge, als wahr erscheint, ist meistens falsch: Ich spreche hier von der Menge, die durch eine wahrscheinliche Trennung von den Weisen unterschieden wird. Denn in den allgemeinen Begriffen der Seele stimmt sie mit den Weisen überein, doch in den spezifischen Prinzipien und Schlussfolgerungen der Künste und Wissenschaften weicht sie von den Weisen ab, da sie sich mit unnützen Scheinfragen beschäftigt, an welche die Weisen keinen Gedanken verschwenden. In den speziellen oder geheimen [ Wissenschaften ] irrt sich die Menge also, was sie von den Weisen unterscheidet. Doch in den allgemeinen Begriffen der Seele, in deren Gesetz alles inbegriffen ist, ist sie mit den Weisen einig. Allerdings haben die allgemein bekannten Dinge nur einen geringen Wert und müssen nicht für sich selbst gesucht werden, sondern wegen der spezifischen und eigentümlichen Dinge. Doch der Grund für die Weisen, [ die Geheimnisse ] vor der Menge zu verbergen, lag darin, dass die Menge seit jeher über die Weisen gelacht | und die Geheimnisse der Weisheit verschmäht hat. Sie

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weiß nicht, wie sie die würdigsten Dinge benutzen soll, außer es kommt ihr irgendetwas Herrliches durch Zufall zu Bewusstsein. Doch sie verliert auch dies wieder und missbraucht es zu vielfältigem persönlichen und gemeinschaftlichen Schaden. Daher ist jeder nur wahnsinnig zu nennen, der etwas Geheimes schreibt und es nicht vor der Menge verbirgt. Er muss sogar so schreiben, dass er selbst von den Belesensten und Weisesten kaum verstanden werden kann. Darin ist sich die ganze Schar der Weisen von Beginn an einig gewesen, und sie haben dementsprechend auf vielfache Weise die Geheimnisse der Weisheit vor der Menge verborgen. Einige haben durch spezielle Formeln und Sprüche vieles geheim gehalten, andere durch rätselhafte und umschreibende Worte, wie auch Aristoteles im Buch der Geheimnisse zu Alexander [ dem Großen ] sagt: »O Alexander, ich will dir das höchste aller Geheimnisse zeigen, und möge die göttliche Macht dir dabei helfen, das Geheime zu verbergen und deinen Vorsatz auszuführen. Nimm daher den Stein, der kein Stein ist. Er ist in jedem Menschen, an jedem Ort und zu jeder Zeit. Er wird ›philosophisches Ei‹ und auch das ›letzte Ei‹ genannt.«37 In dieser Art wurden in vielen Büchern und in verschiedenen Wissenschaften unzählige Dinge erfunden, die durch solche Worte verdunkelt worden sind, damit sie nicht ohne einen Eingeweihten verstanden werden können. Auf eine dritte Art haben sie [ d ie Geheimnisse ] durch die Schreibweise verborgen, vor allem durch den Gebrauch von Konsonanten, sodass niemand die Wörter lesen kann, außer er kennt die Bedeutungen der Sätze. So haben die Hebräer, die Chaldäer, die Syrer und die Araber ihre Geheimnisse aufgeschrieben. Auch jetzt schreiben sie fast alles zum größten Teil so auf, weshalb bei ihnen eine große Weisheit verborgen liegt, vor allem bei den He­ brä­ern. Deshalb sagt auch Aristoteles im schon genannten Buch38, dass Gott ihnen die gesamte Weisheit gegeben hatte, noch bevor es die Philosophen gab. Und von den Hebräern haben alle Länder den Ursprung der Philosophie übernommen. Dies lehren auch

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Albumasar in seiner großen Einführung 39 und Josephus im ersten und achten Buch der Altertümer40 ganz deutlich. Viertens kann man [ d ie Geheimnisse ] auch durch die Vermengung | von Buchstaben aus verschiedenen Bereichen verbergen. So hat Ethicus der Astronom seine Weisheit verborgen, indem er hebräische, griechische und lateinische Buchstaben in demselben Text benutzt hat. Fünftens benutzten einige auch solche Buchstaben zur Verschlüsselung, die weder bei ihnen, noch bei anderen Völkern bekannt waren, sondern die sie sich selbst nach ihrem Gutdünken ausgedacht haben. Dies ist ein Hindernis, das man am schwierigsten überwinden kann. Es wird zum Beispiel von Artephius in seinem Buch Über das Geheimnis der Natur gebraucht. Sechstens werden nicht nur Buchstaben benutzt, sondern andere geometrische Figuren, die aufgrund der Vielzahl an Punkten und Zeichen die Macht von Buchstaben haben. Artephius hat auch vieles in dieser Art aufgeschrieben. Siebentens gibt es ein noch größeres Kunststück des Verbergens, welches ars notatoria heißt, das ist die Kunst, etwas so kurz und so schnell, wie man will, aufzuzeichnen und aufzuschreiben. Auf diese Weise wurden viele Geheimnisse in den Büchern der Lateiner notiert. Ich habe es für nötig gehalten, diese Verschlüsselungstechniken anzusprechen, weil ich wegen der Größe der Geheimnisse einige von ihnen benutzen werde, sodass ich Dir – so gut ich es vermag – helfen kann.

KAPITEL 9 Von der Art und Weise, das ›Ei der Philosophen‹ herzustellen

Ich sage Dir also, dass ich nun der Reihe nach das, was ich weiter oben erzählt habe, näher erklären möchte. Daher möchte ich das ›Ei der Philosophen‹ auflösen und die einzelnen Teile des philosophischen Eies untersuchen, weil dies der Anfang für alles wei-

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tere ist: Reinige zuerst Kalk sehr gründlich mit Alkaliwasser und anderen scharfen Wassern, reibe es mehrmals mit Salzen ein, und verbrenne es durch mehrere Brände, bis es zu Erde wird, die rein und von den anderen Elementen befreit ist. Diese Erde halte ich für dich gemäß meiner Körpergröße für würdig. | Verstehe dies, wenn du kannst, weil es ohne Zweifel aus den Elementen zusammengesetzt sein wird und daher ein Teil des Steins ist, der kein Stein ist, der in jedem Menschen und in jedem Teil des Menschen ist, und den du zu jeder Zeit des Jahres an seinem Ort finden kannst. Nimm danach Öl in Form eines gelben Käses, vor allem, damit man es nicht durchschneiden kann. Dessen ganze Kraft sollte durch Verbrennen geteilt und durch Auflösung abgelöst werden; es muss in scharfem Wasser aufgelöst werden, dessen Schärfe durch ein leichtes Feuer temperiert wird. Dann muss es gekocht werden, bis sein Fett abgelöst wird, so wie das Fett beim Fleisch. Das muss durch Destillation geschehen, damit nichts von seiner Fettigkeit verloren geht. Diese feurige Kraft wird in Urinwasser destilliert. Dann wird es in Essig gekocht, bis noch der letzte Teil des Verbrennungsgrundes abgetrocknet ist und die reine feurige Kraft erhalten bleibt. Doch wenn man hierbei nicht vorsichtig ist, muss man es nochmals machen. Wache und schüttele deinen Geist aus, denn dies ist eine schwere Rede: Das Öl wird in scharfem Wasser über dem Feuer aufgelöst, oder in [ einem anderen ] allgemeinen Öl, welches noch wirksamer ist, oder in scharfem Mandelöl. So wird das Öl getrennt, damit ein verborgener Geist in den Teilen der Tiere, des Schwefels und des Arsens zurückbleibt. Denn die Steine, in denen die Flüssigkeit des Öls überfließt, haben eine Grenze in der Vereinigung ihrer Teile, weil die Vereinigung nicht so stark ist, dass nicht eines von dem anderen durch die Natur des Wassers aufgelöst werden könnte, welches der Träger der Verflüssigung in dem Geist ist, der seinerseits das Mittlere zwischen den trockenen Teilen und dem Öl ist. Wenn diese Auflösung durchgeführt worden ist, wird uns in dem Geist eine

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reine Feuchtigkeit zurückbleiben, die stark mit trockenen Teilen gemischt ist, die in ihr bewegt werden. Dennoch sollte das Feuer sie auflösen, das von den Philosophen manchmal ›flüssiger Schwefel‹, manchmal ›Öl‹, manchmal ›humor aereus‹, manchmal ›verbindende Substanz, die kein Feuer trennt‹, manchmal auch | ›Kampfer‹ genannt wird. Wenn du so willst, ist dieses das ›Ei der Philosophen‹ oder vielmehr das Ziel und das Ende des Eies. Und dieses Ei kommt zu uns von jenem Öl, wird aber zu den feinen Dingen gezählt, wenn es von dem Wasser oder dem Öl, in dem es sich befindet, gereinigt und getrennt ist. Zudem wird das Öl verdorben, wenn man es mit Dingen einreibt, die es trocken machen, wie etwa Salz oder Tinte. Ebenso [ w ird es verdorben ], wenn man es brät, denn ein Leiden entsteht aus seinem Gegenteil. Danach muss es verfeinert werden, bis es von seiner Öligkeit befreit ist. Und weil es sich wie Schwefel und Arsen bei den Mineralien verhält, kann es auch wie diese präpariert werden. Doch ist es besser, wenn es in temperiert scharfem Wasser gekocht wird, bis es gereinigt ist und weiß wird. Die heilsame Erhöhung des Wassers muss aus trockenem oder feuchtem Feuer geschehen. Dann muss es wiederum destilliert werden, damit es in ausreichendem Maße die gute Wirkung erhält, und zwar solange, bis es ausgeglichen ist. Die neuen Zeichen der Ausgeglichenheit sind die glänzendweiße Farbe und die kristallene Helle. Denn wo das andere durch das Feuer schwarz wird, wird dieses weiß, rein, hell und wundervoll glänzend. Aus diesem Wasser und seiner Erde entsteht lebendes Silber [ Quecksilber ], welches genauso ist, wie das lebende Silber [ Quecksilber ] der Minerale. Und wenn die Materie auf diese Weise heiß geworden ist, gerinnt sie. Der Stein des Aristoteles, der kein Stein ist, wird auf eine Pyramide an einem warmen Ort gesetzt, oder auch, wenn du so willst, in den Bauch eines Pferdes oder Ochsen. Und so wird das scharfe Fieber nachgeahmt. Denn es schreitet von sieben auf vierzehn und ebenso manchmal auf einundzwanzig fort, damit die Hefen der Elemente in

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KAPITEL 9

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seinem Wasser aufgelöst werden, bevor sie abgetrennt werden. Diese Auflösung und Destillation soll mehrere Male wiederholt werden, bis sie ausgeglichen ist. Und das ist das Ende dieser Absicht. Doch musst du auch wissen, dass du erst wirklich damit anfängst, wenn du aufgehört hast. Ich möchte dir auch noch ein anderes Geheimnis mitteilen. Denn du kannst lebendes Silber [ Quecksilber ] herstellen, indem du es mit Dunst von Zinn anstatt der Perlen tötest und mit Dunst von Blei anstatt des irischen | Steins. Danach muss es mit trockenen Dingen abgerieben werden, mit schwarzer Tinte und dergleichen, wie bereits gesagt worden ist. Und es muss gebraten werden. Dann muss es verfeinert werden; wenn es zur Einigung kommen soll, zwölfmal; wenn es bis zur Röte kommen soll, siebenmal, bis die Feuchtigkeit darin vollkommen verdorben ist. Es ist auch nicht möglich, dass seine Feuchtigkeit durch den Dunst getrennt wird, wie es bei dem vorhergenannten Öl geschieht, weil es sehr stark mit trockenen Teilen vermischt ist. Es hat auch keine derartig bestimmte Grenze, wie es von den genannten Metallen gesagt worden ist. In diesem Kapitel wirst du getäuscht werden, wenn du die Bedeutung der Worte nicht unterscheidest. Es ist an der Zeit, das dritte Kapitel einzufügen, damit du den Kalk des Körpers, den du ersehnst, erhältst. Der Körper wird kalziniert, wenn die Flüssigkeit in ihm durch Salz verdorben wird, durch Ammoniumsalz und Essig und manchmal auch durch brennbare Dinge, wie etwa Schwefel und Arsen. Manchmal wird das lebende Silber auch verzehrt und verfeinert, bis nur Pulver zurückbleibt. Dies sind also die Schlüssel der Kunst: Das Gefrieren, die Auflösung, das Weichmachen und das Ausstrecken. Auf andere Weise die Reinigung, die Destillation, die Trennung, das Ausglühen und das Feuerbeständigmachen. Und nun kannst du ruhig sein.

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KAPITEL 10 Von derselben Sache, aber auf andere Art

Als nach der Zeitrechnung der Araber 602 Jahre vergangen ­waren, hast du mich nach einigen Geheimnissen gefragt. Nimm also einen Stein und erwärme ihn durch ein schwaches Feuer, durch starkes Reiben oder durch scharfe Dinge. Doch am Ende vermische es mit ein wenig süßem Wasser; und stelle ein medizinisches Abführmittel aus sieben Dingen (wenn du willst) oder sechs oder | fünf Dingen her, oder aus so vielen, wie du möchtest; doch mein Geist beruhigt sich mit zwei Dingen, nämlich damit, dass das beste Verhältnis darin besteht, ungefähr anderthalbmal soviel zu nehmen oder soviel, wie dich die Erfahrung lehren kann. Löse dennoch das Gold durch Feuer auf und mache es durch Hitze weich; doch wenn du mir glaubst, nimmst du nur eine Sache, und diese ist das Geheimnis der Geheimnisse und das stärkste Wunder der Natur. Wenn es dann aus zwei oder mehr Dingen vermischt ist, oder aus dem Phönix, der ein einzigartiges Tier ist, tue es hinzu und füge es durch eine starke Bewegung zusammen. Wenn nun noch vier oder fünfmal eine warme Flüssigkeit hinzugegeben wird, bekommst du das letzte Vorhaben. Danach aber wird die himmlische Natur geschwächt, wenn du drei- oder viermal warmes Wasser hinzugießt. Trenne daher das Schwache vom Starken, indem du es in verschiedene Gefäße tust, wenn du mir glaubst: so wird das gerettet, was gut ist. Nimm dann das Pulver und drücke das Wasser, das übrig geblieben ist, sorgfältig aus. Denn mit Sicherheit wird es die Teile des Pulvers, die nicht direkt enthalten sind, abführen. Sammle daher das Wasser für sich, weil das getrocknete Pulver einiges von der abführenden Medizin angenommen hat. Mache es dann noch einmal wie vorher, bis du das Starke von dem Schwachen geschieden hast, und füge noch drei-, vier- oder fünfmal, oder auch noch mehrere Male, das Pulver hinzu: und mache es im-

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KAPITEL 10

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mer auf die gleiche Art. Wenn du dies mit warmem Wasser nicht schaffen kannst, mache Alkaliwasser. Auf diese scharfe Art wirst du die Gewalt der Medizin herausbringen können. Wenn es aber wegen der Härte oder der Weichheit der Medizin zerbricht, dann tue Pulver hinzu und füge vorsichtig mehr von dem Harten und Weichen hinzu. Wenn es dann aber zuviel Pulver ist, füge noch mehr von der Medizin hinzu. Wenn das Wasser zu stark ist, nimm den Mörser, zerstoße es und füge den Stoff so gut zusammen, wie du kannst: schöpfe langsam das Wasser ab, und es wird zu seinem richtigen Maß kommen; dieses Wasser musst du austrocknen, denn es enthält Pulver und Wasser der Medizin, welches man darunter mischen muss, | wie das erste Pulver. Hierbei musst du sehr aufmerksam sein, weil es etwas sehr Nützliches ist und ein großes Geheimnis enthält. Wenn du dann Teile von Haselstauden oder Weidenbäumen in der richtigen Ordnung hinzufügst, werden sie ihre natürliche Verbindung beibehalten, was du nicht vergessen darfst, weil es für viele Dinge wertvoll ist. Mische unter diese flüssige Verbindung Zitronensaft, und es wird daraus etwas entstehen, das, wie ich glaube, dem irischen Stein ähnlich ist, und das ohne Zweifel das tötet, was durch die Ausdünstung des Bleis bereits getötet worden ist. Du findest Blei, wenn du das Lebendige aus dem Toten herausdrückst. Und das Tote wirst du im Ofen und im persischen Gummi begraben. Ergreife dieses Geheimnis, denn sein Nutzen ist nicht gering. Genauso musst du es auch mit dem Dunst der Perle oder dem Stein vom Fluss Tagus machen. Und begrabe deine toten Dinge, wie ich es gesagt habe.

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brief über die geheimen werke …

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KAPITEL 11 Von demselben, aber auf andere Art

Nachdem in der Zeitrechnung der Araber 630 Jahre vergangen sind, antworte ich deiner Bitte auf folgende Weise: Es ist notwendig für dich, dass du eine Medizin hast, die in der Flüssigkeit aufgelöst wird, und die in sie hineingetaucht wird, und die in ihr Inneres eindringt und sich mit ihr vermischt; und sie sollte kein flüchtiger Sklave sein, sondern sie sollte sie verändern. Der Geist soll mit dem Verstand vermischt und durch den Kalk dem Metall angeheftet werden. Man glaubt, dass die Fixierung vorbereitet wird, wenn der Körper und der Geist an ihre Stelle gestellt und verfeinert werden; es soll so geschehen, dass der Körper Geist wird und der Geist Körper. Man möge also von den Knochen Adams und vom Kalk die gleiche Menge nehmen; es sollen sechs für den Stein des Tagus sein und fünf für den Stein der Vereinigung; und sie sollen mit Lebenswasser, dessen Eigenschaft es ist, alle natürlichen Dinge aufzulösen, eingerieben werden, damit sie darin aufgelöst und gebraten werden. Dieses Reiben | und Brennen muss so oft wiederholt werden, bis sie weich geworden sind. So werden die Teile wie beim Wachs vereinigt. Das Zeichen für die richtige weiche Konsistenz ist, dass die Medizin über stark erhitztem Eisen flüssig ist; danach muss sie in demselben Wasser an einen warmen und feuchten Ort gestellt oder über dem Dunst von sehr warmem Wasser aufgehängt werden; dann müssen sie sich auflösen und in der Sonne gerinnen. Danach nimm Salpeter und mache das lebende Silber zu Blei. Dann wasche das Blei und reinige es, damit es dem Silber ähnlich werde; dann wiederhole den Vorgang. Das ganze Gewicht muss bei 30 liegen. Doch Salpeter LURU VOPO VIR CAN UTRIET41 Schwefel; so wirst du Donner und Blitz machen können, wenn du diese Kunst beherrschst. Du wirst dann sehen, ob ich in Rätseln oder entsprechend der Wahrheit spreche. Und einige haben das anders eingeschätzt. Denn mir ist gesagt worden, dass du alles

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KAPITEL 11

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zum ersten Stoff auflösen sollst. Über diesen kannst du bei Ari­ sto­teles42 an den verbreiteten und bekannten Orten nachschlagen, weshalb ich hier davon schweige. Wenn du diesen haben würdest, wirst du die reinen, einfachen und gleichen Elemente haben. Dies tue durch entgegengesetzte Dinge und durch die verschiedenen Arbeitsschritte, die ich vorher die Schlüssel der Kunst genannt habe. Und Aristoteles sagt, dass die Gleichheit der Kräfte die Handlung, das Leiden, und die Verderbnis ausschließt. Dies sagt auch Averroes, indem er Galen zurückweist. Und dies wird auch für die einfachste und reinste Medizin gehalten, die man finden kann; sie hilft gegen Fieber und gegen die Leiden der Seele und des Körpers. Lebe wohl. Wer dies aufschließen wird, wird den Schlüssel haben, der öffnet. Und niemand schließt es: Und wenn er zuschließt, wird niemand öffnen. Hier endet der Brief Bacons über die Geheimnisse der Natur und der Kunst und über die Nichtigkeit der Magie. Geschrieben an Wilhelm aus Paris.

A N M ER K U NGEN

Brief an Papst Clemens IV.   Der Brief des Papstes befindet sich nicht beim Manuskript des Briefes Roger Bacons, sondern ist von mir aus der Edition John S. Brewers übernommen, der den Brief des Papstes abgedruckt hat, um den Kontext zu erläutern, in dem Roger Bacon sein Projekt dargestellt hat und auf den sich Bacon in diesem hier übersetzten Brief bezieht. – Vgl. Roger Bacon, Opus tertium, in: Opera quaedam hactenus in­edita, hg. v. John S. Brewer, London 1859, S. 1 – 310, S. 1. – Der Brief des Papstes an Roger Bacon findet sich ursprünglich in: Thesaurus Novus Anecdotorum, hg. v. Edmond Martène O. S. B. u Ursin Durand O. S. B., Bd. 2, Paris 1717, Epistola CCCXVII, S. 358 [ Ü bers. N. E. ]. 2   Zur Entstehungsgeschichte des Opus tertium siehe: Eugenio Massa, Roger Bacons Werke für Papst Clemens IV. Textkritische Untersuchungen zur Entstehungsgeschichte von Opus maius, Opus mi­ nus und Opus tertium, in: Roger Bacon in der Diskussion, hg. v. Florian Uhl, 2 Bde., Frankfurt/M. 2001/2002, Bd. 2, S. 13 – 100. 3   Die Kapiteleinteilungen sind von mir eingefügt worden, um die Lektüre des Textes zu erleichtern. 4   Die Übersetzung (mit Seitenangaben in den Kopfzeilen) folgt der Edition von: F. A. Gasquet, An unpublished fragment of a work of Roger Bacon, in: The Historical Review 12, 1897, S. 494 – 517. – Siehe für die Gründe, aus denen ich mich bewusst dagegen entschieden habe, der Edition von Effrem Bettoni aus dem Jahr 1964 zu folgen, meine Bemerkungen »Zu dieser Übersetzung« in der Einleitung, S. LXV. 5   Augustinus, Die christliche Bildung (De doctrina christiana), übers., komment. u. mit einem Nachwort vers. v. Karla Pollmann, Stutt­ gart 2002, II, 40, 60, S. 97 f. 6   Die ursprüngliche Formulierung »veritas studio medentium« scheint hier keinen Sinn zu ergeben. Hier liegt ein Fehler des Abschreibers vor. Auch Effrem Bettoni und Francesco Bottoni übernehmen in 1

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anmerkungen

ihren Editionen und Übersetzungen diesen Fehler, ohne dafür eine Erklärung geben zu können. Es sei jedoch auf das Opus tertium verwiesen, denn dort heißt es an der entsprechenden Stelle: »varietas studio legentium medetur« (»die Vielfalt hilft den Lesenden beim Lernen« [ Brewer, Opus tertium, S. 9 ]). Dies stimmt sinngemäß mit der von Bacon zitierten Plinius- bzw. Solinus-Passage überein und passt auch in den Kontext der Passage. – Vgl. hierzu Anm. 7. 7   Die Stelle findet sich bei Solinus, Die Wunder der Welt, lat.-dt., hg. u. übers. v. Kai Brodersen, Darmstadt 2014, Praefatio, 4, S. 16 f. 8   Vgl. Alanus ab Insulis, De planctu naturae. Die Klage der Natur, lat.-dt., übers., hg. u. komm. v. Johannes B. Köhler, Münster 2013, Prosa 5, S. 136 f. 9   Publilius Syrus, Sententiae. Sprüche, lat.-dt., hg. v. Hermann Beckby, München 1969, I, 10, S. 32 f. – Bacon schreibt es Seneca zu. 10   Vgl. Aristoteles, Physikvorlesung, übers. v. Hans Wagner, in: Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung, begr. v. Ernst Grumach, hrsg. v. Hellmut Flashar, Bd. 11, Berlin 51995, 247 b25. 11   Vgl. Aristoteles, Über Schlafen und Wachen, in: ders., Kleine naturwissenschaftliche Schriften (Parva naturalia), übers. u. hg. v. ­Eugen Dönt, Stuttgart 1997, S. 101 – 115. 12   Aristoteles, Vom Himmel. Von der Seele. Von der Dichtkunst, übers. u. hg. v. Olof Gigon, München 1983, 433a 9 ff., S. 340 f. 13   Vgl. Platearius, De febribus, in: Ioannis Serapionis, Opus totius medicine practice, hg. v. Octavianus Scotus, Venedig 1530, f. 169r. 14   Sallust, Bellum Iugurthinum. Über den Krieg gegen Jugurtha, in: ders., Werke, lat.-dt., hg. u. übers. v. Werner Eisenhut u. Josef Lindauer, Zürich 21994, 64, 6. 15   Publilius Syrus, Sententiae. Sprüche, a. a. O., E, 3, S. 26 f. 16   Seneca, De beneficiis. Über die Wohltaten, lat.-dt., in: ders., Philosophische Schriften, Bd. 5, übers., eingel. u. mit Anm. vers. v. Manfred Rosenbach, 22011, I, 7, 2. 17   Die Sentenz, auf die Bacon hier anspielt, ist wahrscheinlich dem mittelalterlichen Gedicht »vetula« entnommen, von dem man im Mittelalter meinte, es sei von Ovid verfasst worden. Heute wird es aber Richard de Fournival zugeschrieben. Er scheint dieses Zitat jedoch aus Statius’ Thebais übernommen zu haben. – Siehe dazu: Roger Bacon, Compendium Studii Theologiae. Compendium of the Study of



Brief an Papst Clemens IV.

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Theology, hg. u. übers. v. Thomas S. Maloney, Leiden u. a. 1988, S. 121, Anm. 7; die Passage bei Statius lautet (in: Statius, Thebais, hg. v. Alfred Klotz, Leipzig 1908, I, 322–323): »spes anxia mentem / extrahit et longo consumit gaudia voto.« (»Angst und Hoffnung benebeln den Sinn, er nimmt schon in endlosem Wünschen alle Freuden vorweg.« In: P ­ ublius Papinius Statius, Der Kampf um Theben, eingel., übers. u. Anm. v. Otto Schönberger, Würzburg 1998, S. 28). 18   Sinngemäß nach: Sprüche 13, 12. 19   Boethius, De hypotheticis syllogismis, lat.-ital., hg. u. übers. v. Luca Obertello, Brescia 1969, I, 1, S. 204. 20   Seneca, Epistulae morales ad Lucilium. Briefe an Lucilius, lat.dt., hg. u. übers. v. Gerhard Fink, Düsseldorf 2007, VI, 4. 21   Anonymus, Collatio, in: Alexander der Große und die »nackten Weisen« Indiens. Der fiktive Briefwechsel zwischen Alexander und dem Brahmanenkönig Dindimus, hg. v. Marc Steinmann, Berlin 2012, I, 2. 22   Das heißt zu der Zeit, als Clemens IV. noch Kardinalbischof von Sabina war. Bacon bezieht sich hier auf den Brief des Papstes an ihn – s. S. 4 in dieser Übersetzung. 23   Die Anordnung, auf die sich Roger Bacon hier bezieht, ist jene des Generalkapitels zu Narbonne von 1260, das Bonaventura einberufen hatte. Der Text besagt: »Item inhibemus ne de cetero aliquid scriptum novum extra ordinem publicetur, nisi prius examinatum fuerit diligenter per generalem ministrum vel provincialem et definitores in capitulo provinciali; et quicumque contra fecerit, tribus diebus tantum in pane et aqua ieiunet et careat illo scripto.« (»Auch verbieten wir, daß in Hinkunft irgendeine neue Schrift außerhalb des Ordens publiziert wird, wenn sie nicht zuvor sorgfältig vom Generalminister oder vom Provinzial und den definitores im Provinzialkapitel geprüft wurde. Und wer immer dagegen verstößt, soll drei Tage bei Wasser und Brot fasten und der Schrift verlustig gehen.« In: Eugenio Massa, Roger Bacons Werke für Papst Clemens IV. Textkritische Untersuchungen zur Entstehungsgeschichte von Opus maius, Opus minus und Opus tertium, a. a. O., S. 16. – Dort auch weiterführende Angaben.) 24   Vgl. Plinius, Naturalis historia. Naturkunde, lat.-dt., hg. u. übers. v. Gerhard Winkler u. Roderich König, Düsseldorf/Zürich 21997, VIII, 17, 44, S. 43.

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anmerkungen

  Also in Bezug auf die Kirche, die Gläubigen, die Bekehrung und die Zurückdrängung der »Ungläubigen«. 26   Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, übers. u. komm. v. Franz Dirlmeier ( = Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung, Band 6 ), Berlin 91991, IV, 2, 1120b I, 3, 1094b11 – 14. 27   Plinius, Naturalis historia, a. a. O., I, 15, S. 13 f. 28   Hieronymus, Commentariorum in Esaiam libri XVIII (= CCSL 73 u. 73A), 2 Bde., hg. v. Marcus Adriaen, Turnhout 1963, Bd. 1, III, 7, S. 50. 29   Dieser Absatz, beginnend mit den Worten »Auch wenn ich diese allgemeinen Gründe [ … ]« bis hin zu »[ … ] leichter vollenden können«, ist bis auf wenige Abweichungen identisch mit Kapitel 16 des Opus maius, Teil I. 30   Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, a. a. O., VI, 8, 1142a14 – 15. 31   Vgl. Aristoteles, Über die Seele, übers. u. hg. v. Olof Gigon, München 1983, IV, 4, 429b6 – 9. 32   Vgl. Cicero, Cato maior de Senectute. Cato der Ältere, über das Alter, lat.-dt., übers. u. hg. v. Max Faltner, München 21983, VI, 17, S. 27. 33  Vgl. Opus maius, Teil I: Über die vier Ursachen des Irrtums in diesem Band. 34  Vgl. Opus maius, Teil II: Über die Verwandtschaft zwischen Phi­ losophie und Theologie in diesem Band. 35  Vgl. Pseudo-Aristoteles, Secretum Secretorum, in: Robert Steele, Opera hactenus inedita Rogeri Baconi V, Oxford 1920, S. 64. 36   Vgl. Roger Bacon, Moralis Philosophia, hg. v. Eugenio Massa, Padua 1953; eine deutsche Übersetzung in Auszügen liegt vor: Roger Bacon, Opus maius. Eine moralphilosophische Auswahl, übers. u. hg. v. Pia A. Antolic-Piper, Freiburg u. a. 2008. 37  Vgl. Opus maius, Teil VI: Über die Erfahrungswissenschaft in diesem Band, S. 163 f. 38   Mit diesem Titel meint Bacon die ersten Kapitel des Almagest von Ptolemäus. – Vgl. Claudius Ptolemäus, Des Claudius Ptolemäus Handbuch der Astronomie, übers. u. hg. v. Karl Manitius, 2 Bde., Leipzig 1912. 39   Vgl. Aristoteles, Physikvorlesung (= Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung, Bd. 11), hg. u. übers. v. Hans Wagner, Berlin 1995, II, 2, 194b1 – 8. 25



Brief an Papst Clemens IV.

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  Vgl. J. L. Heiberg u. E. Wiedemann, Ibn al Hautams Schrift über parabolische Brennspiegel, in: Bibliotheca Mathematica 10, 1910, S. 201 – 237; Bacon selbst hat ebenfalls eine Abhandlung über Brennspiegel geschrieben, siehe: Roger Bacon, Roger Bacon’s Philosophy of Nature. A Critical Edition, with English Translation, Introduction, and Notes of De multiplicatione specierum and De speculis com­ burentibus, hg. u. übers. v. David C. Lindberg, Oxford 1983, S. 271 –  400. 41   Vgl. Roger Bacon and the Origins of Perspectiva in the Middle Ages. A Critical Edition and English Translation of Bacon’s Perspec­ tiva with Introduction and Notes, hg. u. übers. v. David C. Lindberg, Oxford 1996. 42   Vgl. Aristoteles, Metaphysik, übers. u. hg. v. Franz F. Schwarz, Stuttgart 1970, I, 1, 980a21 – 27. 43   Vgl. Roger Bacon, Opus majus, Pars IV, in: ders., Opus majus, hg. v. John H. Bridges, 3 Bde., Oxford 1897 – 1900, Bd. 1, S. 97 – 404. 44   Cicero, Tusculanae disputationes. Gespräche in Tusculum, lat.dt., hg. u. übers. v. Ernst Alfred Kirfel, Stuttgart 1997, II, 1, S. 153. 45   Vgl. zu Bacons Theorie von der »Vervielfältigung der species« ausführlicher dessen Schrift: Roger Bacon’s Philosophy of Nature, a. a. O. 46   Vgl. Aristoteles, Vom Himmel, übers. u. hg. v. Olof Gigon, München 1983, I, 5, 271b8 – 10. 47   Vgl. Aristoteles, Vom Himmel, a. a. O., I, 9, 279a30 – 36. 48   Vgl. Averroes, Aristotelis De caelo, cum Averrois commentariis, Bd. 5, Venedig 1562 [ Nachdruck Frankfurt/Main 1962 ], S. 68r-v. 49   Vgl. Marshall Clagett, The Science of Mechanics in the Middle Ages, Madison 1959; Ernest A. Moody u. Marshall Clagett, The Medieval Science of Weights, Madison 1952. 50   Bacon meint hiermit die ›scientiae mediae‹, die nach Aristoteles zwischen der Physik und der Mathematik liegen – die ›Wissenschaft von den Gewichten‹ ist ein Beispiel für eine solche ›scientia media‹. 51   Vgl. 2 Samuel 7, 1 ff. 52   Vgl. 2 Könige 20, 1 ff. 53   Vgl. Jona 3, 1 ff. 54   Vgl. Roger Bacon, Opus maius, a. a. O., Bd. 1, S. 66 – 96. 55   Vgl. Paulus, Brief an die Hebräer 7, 7; Römerbrief 9, 12. 40

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anmerkungen

  Vgl. Isidor von Sevilla, Die Enzyklopädie des Isidor von Sevilla, übers. u. hg. v. Lenelotte Möller, Wiesbaden 2008. 57   Vgl. Papias, Papias vocabulista. Elementarium doctrinae erudimentum, hg. v. B. Mombricio, Venedig 1496 [ Neudruck Turin 1966 ]. 58   Vgl. Aristoteles, Physikvorlesung, a. a. O., I, 1, 184a21-b14. 59   Vgl. Seneca, Briefe an Lucilius, in: ders., Philosophische Schriften, lat.-dt., 5 Bde., hg. u. übers. v. Manfred Rosenbach, Darmstadt 1984, Bd. 4, XIV, 89, 1, S. 327. 56

Opus maius · Teil I   Die Übersetzung (mit Seitenangaben in den Kopfzeilen) folgt der Edition von: Roger Bacon, Opus maius, 3 Bde., hg. v. John H. Bridges, Oxford 1897–1900, Bd. 3: Supplementary Volume. 2   Vgl. den voranstehenden Brief an Papst Clemens IV. in diesem Band, S. 5–54. 3   Vgl. Aristoteles, Metaphysik, übers. u. hg. v. Franz F. Schwarz, Stuttgart 1970, 1029b 3, S. 168. 4   Vgl. Seneca, De Beneficiis. Über die Wohltaten, in: ders., Philosophische Schriften, lat.-dt., 5. Bde., hg. v. Manfred Rosenbach, Bd. 5, Darmstadt 1989, VII, I, 5, S. 527. 5   Vgl. Seneca, Naturales quaestiones. Naturwissenschaftliche Untersuchungen, lat.-dt., hg. u. übers. v. M. F. A. Brok, Darmstadt 1995, 7, 32, 4, S. 467. 6   Vgl. Cicero, Lucullus, in: Hortensius. Lucullus. Academici libri, lat.-dt., hg. übers. u. komm. v. Laila Straume-Zimmermann, Ferdinand Broemser u. Olof Gigon, Düsseldorf/Zürich 1997, 7, S. 118. 7   Vgl. Aristoteles, Metaphysik, a. a. O., 993b 10, S. 52. 8   Vgl. Avicenna, Liber de philosophia prima sicut de scientia divina, IX, 7, hg. v. Simone van Riet, 3 Bde., Bd. 2, Leiden 1980, S. 509, Z. 46. Eine deutsche Übersetzung liegt vor: Avicenna, Die Metaphysik. Enthaltend die Metaphysik, Theologie, Kosmologie und Ethik, übers. u. erl. v. M. Horten, Halle/New York 1907, S. 636. 9   Seneca, Briefe an Lucilius, in: ders., Philosophische Schriften, lat.-dt., 5 Bde., hg. u. übers. v. Manfred Rosenbach, Darmstadt 1984, Bd. 4, 123, 6, S. 837. 1



Opus maius · Teil I

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  Vgl. Aristoteles, Metaphysik, a. a. O., II, 3, 994b32 – 995a5, S. 56.   Seneca, De vita beata. Vom glückseligen Leben, in: ders., Philosophische Schriften, a. a. O., Bd. 2, I, I, 4, S. 5. 12   Ders., De ira. Über den Zorn, in: ders., Philosophische Schriften, a. a. O., Bd. 1, II, XVIII, 2, S. 181. 13   Ders., De vita beata. Vom glückseligen Leben, a. a. O., I, I, 4, S. 5. 14  Ebd. 15   Ebd., I, II, 1, S. 7. 16  Ebd. 17   Cicero, Tusculanae disputationes. Gespräche in Tusculum, lat.dt., hg. u. übers. v. Ernst Alfred Kirfel, Stuttgart 1997, III, 1, 2, S. 217 f. 18   Cicero, Lucullus. Akademische Abhandlungen, lat.-dt., hg. u. übers. v. Christoph Schäublin u. a., Hamburg 1998, S. 13. 19   Cicero, De natura deorum. Über das Wesen der Götter, lat.-dt., hg. u. übers. v. Ursula Blank-Sangmeister, Stuttgart 1995, I, 83, S. 77. 20  Cicero, Tusculanae disputationes. Gespräche in Tusculum, a. a. O., II, 1, 4, S. 155. 21  Ebd., II, 64, S. 211. 22   Adelard von Bath, Quaestiones naturales, in: Adelard of Bath, Conversations with his nephew. On the Same and the Different, Questions on Natural Science and On Birds, lat.-engl., hg. u. übers. v. Charles Burnett, Cambridge 1998, VI, S. 102. 23   Johannes Philoponos, De aeternitate mundi. Über die Ewigkeit der Welt, gr.-dt., hg. u. übers. v. Clemens Scholten, 5 Bde. Turnhout 2009. 24 Averroes, Prologus in tertium physicorum, in: Horst Schmieja, Drei Prologe im grossen Physikkommentar des Averroes?, in: Aristotelisches Erbe im arabisch-lateinischen Mittelalter, hg. v. Albert Zimmermann, Berlin/New York 1986, S. 175 – 189, S. 177. 25   Averroes, Metaphysica, editio Iuntina, in: Opera, Bd. 8, Vene­d ig 1562 [ Nachdruck: Frankfurt/Main 1962 ], 2, 3, f. 35rC. 26   Hieronymus, In Hieremiam prophetam libri sex, hg. v. Siegfried Reiter, Wien/Leipzig 1913 [ = CSEL 59 ], lib. 5, S. 294. 27   Johannes Chrysostomos, Homiliarum in Matthaeum continuatio, in: S. P. N. Joannis Chrysostomi opera quae exstant omnia [ = PG 58 ], Paris 1862, 647C-D. 28   Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, übers. u. komm. v. Franz 10

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anmerkungen

Dirlmeier ( = Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung, Band 6 ), Berlin 91991, IV, 2, 1120b, S. 72. 29   Vgl. Alanus ab Insulis, De planctu naturae. Die Klage der Natur, lat.-dt., übers., hg. u. komm. v. Johannes B. Köhler, Münster 2013, Prosa 5, S. 136. 30   Vgl. Aristoteles, De memoria et reminiscentia (= Parva Naturalia II), übers. u. erl. von Richard A. H. King, Berlin 2004, 452a28. 31   Vgl. Aristoteles, Problemata physica, übers. v. Hellmut Flashar (= Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung, begr. v. Ernst Gru­ mach, hg. v. Hellmut Flashar, Bd. 19), Darmstadt 1962, IV, 26, 879b 36; ebd. XXVIII, 1, 949a 27 – 28. 32   Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, a. a. O., 10, 9, 1179b17, S. 236 f. 33   Vgl. Jeremias 13, 23. 34   Sallust, Bellum Iugurthinum. Über den Krieg gegen Jugurtha, in: ders., Werke, lat.-dt., hg. u. übers. v. Werner Eisenhut u. Josef Lindauer, Zürich 21994, 85, 41. 35   Seneca der Ältere (Rhetor), Excerpta controversiarum, in: ders., oratorum et rhetorum sententiae divisiones colores, hg. v. Hermann J. Müller, Hildesheim/Zürich/New York 1990, III, 7, S. 222. 36   Anonymus, Incomplete Commentary on Matthew (Opus imperfectum), übers. v. James A. Kellerman, hg. v. Thomas C. Oden, 2 Bde., Downers Grove Illinois 2010, Bd. 2, XLII, 23, S. 333. 37   Vgl. Johannes 19, 6; Lukas 23, 21; Markus 15, 13. 38   Vgl. Aulus Gellius, Die attischen Nächte, hg. v. Georg F. Weiß, 2 Bände, 1875–1876 [ Nachdruck Darmstadt 1981 ]. 39   Vgl. Matthäus 7, 6. 40   Vgl. Marbod von Rennes, Liber de gemmis, in: Marbodi redonensis episcopi, ipsius Hildeberti supparis opuscula, hg. v. Jean J. Bourassé, Paris 1854 (= PL 171), 1738 A. 41  Vgl. Pseudo-Aristoteles, Secretum Secretorum, in: Robert Steele, Opera hactenus inedita Rogeri Baconi V, Oxford 1920, S. 41. 42   Ebd., S. 40. 43   Vgl. Aristoteles, Topik, hg. u. übers. v. Eugen Rolfes, in: Aristo­ teles. Philosophische Schriften, 6 Bde., Hamburg 1995, Bd. 2, I, 1, 100b18, S. 1.



Opus maius · Teil I

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  Vgl. S. 23 in diesem Band.   Vgl. Aristoteles, Topik, a. a. O., II, 2, 110a15 ff. 46   Exodus 23, 2. 47  Cicero, Tusculanae disputationes. Gespräche in Tusculum, a. a. O., II, 26, S. 211. 48   Sedulius Scottus, Collectaneum miscellaneum (= CCCM 67), hg. v. Dean Simpson, Turnhout 1988, IV, 70, S. 17. (Von Bacon irr­t ümlich Seneca zugeschrieben.) 49   Cyprian von Karthago, Epistula 74, IX, 2, in: Cyprianus Epistularium. Epistulae 58 – 81 (= CCSL 3C), hg. v. G. S. Diercks, Turnhout 1996, 575, S. 181 f. 50   Augustinus, De baptismo, in: Sancti Aureli Augustini, Scripta contra Donatistas (= CSEL 51), hg. v. M. Petschening, Wien/Leipzig 1908, S. 145 – 375, III, 8, 11, S. 204. 51   Sancti Isidori Hispalensis Episcopi Synoyma de lamentatione animae peccatricis, in: Sancti Isidori Hispalensis Episcopi Opera Omnia (= PL 83), hg. v. Faustino Arevalo, Turnhout o. J., Sp. 826 – 868, Sp. 863. 52  Cicero, Tusculanae disputationes. Gespräche in Tusculum, a. a. O., I, 16, 38, S. 69. 53   Bacon bezieht sich darauf, dass Aristoteles im ersten Buch der Metaphysik die Ansichten seiner Vorgänger diskutiert. – Vgl. Aristoteles, Metaphysik, a. a. O., 980a-993a, S. 17 – 51. 54   Vgl. Aristoteles, Sophistische Widerlegungen, in: Aristoteles. Philosophische Schriften, a. a. O., Bd. 2, 34, 183b, S. 67. 55   Vgl. Seneca, Naturales quaestiones. Naturwissenschaftliche Untersuchungen, a. a. O., 6, 5, 2, S. 359. 56   Ebd., 6, 5, 3, S. 359. 57   Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, a. a. O., 1106b, S. 36 f. 58   Seneca, Naturales quaestiones. Naturwissenschaftliche Untersuchungen, a. a. O., 6, 5, 2, S. 359. 59   Vgl. ebd., 7, 25, 3 – 5. 60   Vgl. Priscian, Institutionum grammaticarum, hg. v. Martin Hertzius, Hildesheim/New York 1981 [ Nachdruck von Leipzig 1855 ], Pro­oemium, 3. 61   Ebd., Prooemium, 1. 62   Vgl. Aristoteles, Kategorien, in: ders., Philosophische Schriften, 44 45

272

anmerkungen

übers. u. hg. v. Eugen Rolfes, 5 Bde., Hamburg 1995, Bd. 1, S. 1 – 42, 7b30 – 32. 63   Vgl. Avicenna, Sufficientia, in: Opera philosophica, Venedig 1508 [ Nachdruck Löwen 1961 ], f. 26vb. 64   Vgl. Avicenna, Die Metaphysik. Enthaltend die Metaphysik, Theologie, Kosmologie und Ethik, übers. u. erl. v. Max Horten, Halle/ New York 1907, VIII, 7, S. 529 ff. 65   Vgl. ebd., IX, 9, S. 645 ff. 66   Vgl. Augustinus, Die Retractationen in zwei Büchern, lat.-dt., hg. u. übers. v. Carl Johann Perl, Paderborn 1976. 67  Vgl. Hieronymus, Commentariorum in Esaiam Libri XVIII (= CCSL 73 u. 73A), 2 Bde., hg. v. Marcus Adriaen, Turnhout 1963, Bd. 1, 5, 19, 14. 15. 68   Bacon bezieht sich hier auf die Lehre von der »Wiederherstellung aller« (»apokatastasis ton panton«) des Origines. – Vgl. H. Crouzel, Art. ›Origines‹, in: Lexikon für Theologie und Kirche, 11 Bde., Freiburg u. a. 1993 – 2001, Bd. 7, Sp. 1231 – 1235; Wilhelm Breuning, Art. ›Apokatastasis‹, in: ebd., Bd. 1, Sp. 821 – 824. 69  Vgl. Hieronymus, Hebraice quaestiones in Libro Geneseos (= CCSL 72), hg. v. Paul de Lagarde, Turnhout 1959, 32, 29. 70  Ebd. 71   Anonymus: Vita Aristotelis, in: Aristotelis qui ferebantur librorum fragmenta, hg. v. Valentin Rose, Leipzig 1884, S. 442–450, 2 – 5, S. 447. 72   Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, a. a. O., I, 6, 1096a13 – 16. 73   Vgl. oben Anm. 71. 74   Vgl. Pseudo-Aristoteles, Secretum Secretorum, a. a. O. 75   Seneca, Opera omnia, Bd. 19: Operum amissorum fragmenta et testimonia, Pisa 1984, S. 71. 76   Pseudo-Boethius, De disciplina scholarium, hg. v. Olga Weiers, Leiden/Köln 1976, S. 121, 5 – 9. 77   Vgl. Augustinus. Epistula 82, in: S. Aureli Augustini Operum Sectio II. S. Augustini Epistulae II (= CSEL 34), hg. v. Alois Goldbacher, Wien/Leipzig 1895, I, 3, S. 354. 78   Augustinus, De anima et ejus origine, in: Augustini Episcopi Opera Omnia, Tomus decimus, Pars prior (= PL 44), Paris 1865, IV, 1, Sp. 523.



Opus maius · Teil I

273

  Augustinus, De trinitate libri XV (= CCSL 50), hg. v. W. J. Mountain u. F. Glorie, Turnhout 1950, 128, 35 – 47. 80   Augustinus, Epistula 148, in: S. Aureli Augustini Operum Sectio II. S. Augustini Epistulae III (= CSEL 44), hg. v. Alois Goldbacher, Wien/Leipzig 1904, 4, 14, S. 344 f. 81   Vgl. Averroes, Prologus in tertium physicorum, a. a. O., S. 177. 82  Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, a. a. O., IV, 2, 1120b, S. 72. 83   Vgl. Seneca, Briefe an Lucilius, a. a. O., 94, 54, S. 446 f. 84   Vgl. Aristoteles, Über die Wahrnehmung und die Gegenstände der Wahrnehmung, in: ders., Kleine naturwissenschaftliche Schriften, hg. u. übers. v. Eugen Dönt, Stuttgart 1997, I, 436a, S. 47. 85   Vgl. Aristoteles, Physikvorlesung (= Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung, Bd. 11), hg. u. übers. v. Hans Wagner, Berlin 1995, I, 1, 184a10 ff., S. 5. 86   Vgl. Aristoteles, Metaphysik, a. a. O., 993b 10, S. 52. 87   Vgl. 2. Korinther 12, 2 – 5. 88   Gemeint ist hier Bacons Schüler Johannes, den er mit seinem Opus maius zu Papst Clemens IV. geschickt hat. Roger Bacon äußert sich ausführlicher darüber in dem in diesem Band übersetzten Brief an Clemens IV. (Kapitel 4) und in: Roger Bacon, Opus tertium, in: ders., Opera quaedam hactenus inedita, hg. v. John S. Brewer, London 1859, S. 3 – 310, Kap. 19, S. 60 – 62. 89   Vgl. Aristoteles, Über Traumdeutung, in: ders., Kleine naturwissenschaftliche Schriften, a. a. O., II, 463b, S. 133. 90   Vgl. Pseudo-Seneca, Ad Gallionem. De remediis fortuitorum liber, in: L. Annaei Senecae opera quae supersunt, hg. v. Fridericus Haase, Leipzig 1853, Bd. 3, VII, 1, S. 450. 91   Vgl. Roger Bacon, Opus maius, hg. v. John Henry Bridges, 3 Bde., Oxford 1897 – 1900, Bd. 1, Pars III u. IV, S. 66 – 403. 92   Vgl. Augustinus – Hieronymus, epistulae mutuae. Briefwechsel, 2 Bde., übers. u. eingel. v. Alfons Fürst, Turnhout 2002, Bd. 1, Hieronymus, Brief 102, 2, S. 143; Antwort des Augustinus: Augustinus, Brief 73, 2, 4, S. 239. 93   Hieronymus, Brief 112 an Augustinus, in: Des heiligen Kirchenvaters Eusebius Hieronymus ausgewählte Briefe. [ = Des heiligen Kirchenvaters Eusebius Hieronymus ausgewählte Schriften Bd. 2 – 3; 79

274

anmerkungen

Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 16 und 18 ], Kempten/ München: J. Kösel / F. Pustet, 1936 – 1937, S. 433 – 460, S. 433, S. 435, S. 454. 94  Bacon bezieht sich hier auf einen Text, der im Mittelalter Augus­tinus zugeschrieben wurde, der aber nicht von Augustinus stammt. Der Text ist unter dem Titel »Pseudo-Augustini Paraphrasis Themistiana« kritisch ediert, in: Categoriae vel Praedicamenta. Translatio Boethii, Editio Composite, Translatio Guillelmi de Moerbeka, Lemmata e Simplicii commentario decerpta, Pseudo-Augustini Para­ phrasis Themistiana (= Aristoteles Latinus I, 1 – 5), hg. v. Lorenzo Minio Palluello, Brüssel/Paris 1961. 95   Vgl. Augustinus, Vom Gottesstaat, übers. v. Wilhelm Timme, eingel. u. übers. v. Carl Andresen, München 1995, VIII, 12, S. 391 f. 96   Vgl. Pseudo-Augustinus, De decem categoriis, in: Categoriae vel Praedicamenta. Translatio Boethii, Editio Composite, Translatio Guillelmi de Moerbeka, Lemmata e Simplicii commentario decerpta, Pseudo-Augustini Paraphrasis Themistiana, a. a. O., 1, S. 133. 97   Ebd., 176, S. 175. 98   Alkuin, De dialectica, in: B. Flacci Albini seu Alcuini Oper Omnia (= PL 101), Paris 1863, Sp. 951 B. 99   Vgl. Agustinus, Die christliche Bildung (De doctrina Christiana), hg. u. übers. v. Karla Pollmann, Stuttgart 2002. 100   Vgl. Ambrosius von Mailand, In epistolam B. Pauli ad Collossenses, in: Sancti Ambrosii Mediolanensis Episcopi Opera Omnia (= PL 17), Paris 1845, Sp. 421 – 442. 101   Vgl. Hieronymus, Commentaria in Epistolam ad Titum, in: S. Eusebii Hieronymi Opera Omnia. Tomus septimus (= PL 26), Paris 1845, Sp. 555 – 599. 102   Vgl. Atto Vercelensis, De pressuris ecclesiasticis, in: Attonis Vercellensis Opera Omnia (= PL 134), Paris 1860, Sp. 51 – 94; vgl. auch: Petri Abaelardi Opera Theologica. Theologia Christiana (= CCCM 12), hg. v. Eligius M. Buytaert O. F. M., Turnhout 1969, S. 188, Anm. Z. 1883, wo das Werk De pressuris ecclesiasticis ebenfalls unter dem Namen von Rabanus auftritt. 103   Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, a. a. O., X, 10, 1181a, S. 240 ff. 104   Vgl. Exodus, Kap. 7 u. 8.



Opus maius · Teil II

275

  Vgl. H. Zapp, Art. ›Gratian‹, in: Lexikon des Mittelalters, 10 Bde., Stuttgart 1977 – 1999, Bd. 4, Sp. 1658. 106   Vgl. R. Quinto, Art. ›Petrus Comestor‹, in: Lexikon des Mittelalters, a. a. O., Bd. 6, Sp. 1967 – 1968. 107   Vgl. J. Ehlers, Art. ›Hugo v. St-Victor‹, in: Lexikon des Mittel­ alters, a. a. O., Bd. 5, Sp. 177 – 178. 108   Vgl. M.-A. Aris, Art. ›Richard v. St. Victor‹, in: Lexikon des Mittelalters, a. a. O., Bd. 7, Sp. 825 – 826. 109   Hieronymus, Commentariorum in Esaiam libri XVIII (= CCSL 73 u. 73A), a. a. O., Bd. 1, III, 7, S. 50 105

Opus maius · Teil II   Die Übersetzung (mit Seitenangaben in den Kopfzeilen) folgt der Edition von: Roger Bacon, Opus maius, 3 Bde., hg. v. John H. Brid­ ges, Oxford 1897–1900, Bd. 3: Supplementary Volume. 111   Vgl. Römer 1, 22. 112   Augustinus, Die christliche Bildung (De doctrina Christiana), übers. u. hg. v. Karla Pollmann, Stuttgart 2002, II, 42, 151, S. 100. 113   Decretum Gratiani. Emandatum et notationibus illustratum Gregorii XIII. Pont. Max (= PL 187), hg. v. Aemilius Ludovicus Richter, Paris 1855, 37, 7, Sp. 119. 114   Matthäus 12, 30. 115   Im Teil VII: De moralis philosophia des Opus maius. 116   Vgl. Decretum Gratiani, a. a. O., Sp. 47 ff. 117   Vgl. ebd., Sp. 43 f. 118   Vgl. Augustinus, Die christliche Bildung (De doctrina Christiana), a. a. O., II, 39, 59, S. 97. 119  Ebd., II, 40, 60, S. 97 f. 120  Ebd. II, 40, 60, S. 98. 121  Ebd., II, 38, 42, S. 82 f. 122  Ebd., II, 30, 47, S. 86 f. 123  Ebd., II, 39, 59, S. 96 (stark verändertes Zitat). 124   Vgl. ebd., II, 31, 48, S. 87 ff. 125   Vgl. Augustinus, Die Ordnung, übers. u. hg. v. Carl Johann Perl, Paderborn 1966, II, 4, 47, S. 79 (von Bacon stark modifiziert zitiert). 110

276

anmerkungen

  Hieronymus, Commentariorum in Epistolam ad Titum l­iber unus, in: S. Eusebii Hieronymi Opera Omnia (= PL 26), Paris 1845, Sp. 555 – 598, Sp. 558c-d. 127   Cassiodor, Institutiones divinarum et saecularium litterarum. Einführung in die geistlichen und weltlichen Wissenschaften, lat.-dt., übers. u. eingel. v. Wolfgang Bürgsens, 2 Bde., Freiburg u. a. 2003, II, 3, 22, S. 389 f. 128   Vgl. Aristoteles, Metaphysik, übers. u. hg. v. Franz F. Schwarz, Stuttgart 1970, I, 2, 983a5 ff, S. 22 f.; XI, 7, 1064a35 ff., S. 282 ff. 129   Vgl. Avicenna, Die Metaphysik Avicennas. Enthaltend Die Meta­ physik, Theologie, Kosmologie und Ethik, übers. u. hg. v. Max Horten, Halle/New York 1907, S. 542 ff. 130   Augustinus, De doctrina christiana, a. a. O., II, 61, 146, S. 98. 131   Hieronymus, Brief 70: An Magnus, den Rhetor aus der Stadt Rom, in: Des heiligen Kirchenvaters Eusebius Hieronymus ausgewählte Briefe. (Des heiligen Kirchenvaters Eusebius Hieronymus ausgewählte Schriften Bde. 2 – 3; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Bde. 16 und 18) Kempten/München: J. Kösel/F. Pustet, 1936 – 1937 S. 289 ff. 132   Vgl. Beda Venerabilis, In regum librum XXX Quaestiones, in: Bedae Venerabilis Opera, Pars II, 2: In primam partem Samuhelis libri III, In regum librum XXX Quaestiones, (= CCSL 119), hg. v. D. Hurst, Turnhout 1962, S. 289 – 322, 30, S. 320 ff. (Englische Übersetzung: Bede, Thirty questions on the Book of Kings, in: ders., A Biblical Miscellany, übers. u. hg. v. W. Trent Foley u. Arthur G. Holder, Liverpool 1999, S. 81 – 144, S. 136 ff.). 133   Vgl. Beda Venerabilis, De templo, in: ders., De tabernaculo. De templo. In Ezram et Neemiam, in: Opera exegetica 2A (= CCSL 119A), hg. v. D. Hurst, Turnhout 1969, I, 2, 1 – 3, S. 148 ff. (Englische Übersetzung: Bede, On the temple, übers. u. m. Anm. vers. v. Seán Connolly, Liverpool 1995, S. 6 ff. 134   Beda Venerabilis, De templo, a. a. O., I, 2, S. 149 f. 135   Vgl. 1 Könige 5, 6. 136   Vgl. Johannes 1, 9. 137   Vgl. Alfarabi, Liber de intellectu et intellecto, hg. v. Étienne Gilson, in: Archives d’histoire doctrinale et littéraire du Moyen Age 4, 1929/30, S. 115 – 126, S. 121. 126



Opus maius · Teil II

277

  Vgl. Aristoteles, Von der Seele, übers. u. hg. v. Olof Gigon, München 1983, III, 4 – 5, 429a21 ff., S. 330 ff. 139   Vgl. Avicenna, Liber de anima seu sextus de naturalibus IV–V, (= Avicenna Latinus), hg. v. S. van Riet, Leiden 1968, V, 5 – 6, S. 126 –  153. 140   Vgl. Avicenna, Die Metaphysik, a. a. O., IX, 6, S. 595 ff. 141   Vgl. Aristoteles, Von der Seele, a. a. O., II, 1, 412a1 ff., S. 285. 142   Vgl. G. Jüssen, Art. ›Wilhelm v. Auvergne›, in: Lexikon des Mittelalters, 10 Bde., Stuttgart 1977 – 1999, Bd. 9, Sp. 162 – 163. 143   Vgl. J. McEvoy, Art. ›Robert Grosseteste›, in: Lexikon des Mittelalters, a. a. O., Bd. 7, Sp. 905 – 907. 144    Vgl. L. Ott, Art. ›Adam v. Marsh›, in: Lexikon des Mittelalters, a. a. O., Bd. 1, Sp. 109. 145   Aristoteles, Von der Seele, a. a. O., 430 a10, S. 333. 146   Die als falsch übersetzt bezeichnete Stelle ist wahrscheinlich: Aristoteles, De caelo. Über den Himmel, a. a. O., III, 8, 306a 22. 147   Vgl. Aristoteles, Meteorologie, übers. u. hg. v. Hans Strohm (= Ari­stoteles. Werke in deutscher Übersetzung 12), Berlin 1970, III, 2, 372a 21, S. 77. 148   Vgl. Roger Bacon, Opus maius, hg. v. John Henry Bridges, 3 Bde. Oxford 1897 – 1900, Bd. 1, S. 66 ff. 149   Vgl. Aristoteles, Physikvorlesung, übers. u. hg. v. Hans Wagner, Darmstadt 1967, II, 1, 193a 28–193b 12, S. 34. 150   Vgl. ebd., IV, 3, 210a 14–a 24, S. 79. 151   Vgl. etwa: Augustinus, Soliloquia de immortalitate animae. Selbstgespräche über Gott und die Unsterblichkeit der Seele, lat.-dt., hg. v. Harald Fuchs u. Hanspeter Müller, Zürich 1954, I, 12, S. 73 f. – Vgl. zur Bedeutung der Illuminationslehre in den Soliloquia die dortige Einführung, S. 19 ff. 152   Psalm 119, 34. 153   Römer 1, 19. 154   Vgl. Augustinus, Des Heiligen Kirchenvaters Aurelius Augustinus Vorträge über das Evangelium des Heiligen Johannes, übers. u. hg. v. Thomas Specht, Bd. 1, Kempten/München 1913, II, 4, S. 20 ff. 155  Vgl. Pseudo-Aristoteles. Secretum secretorum cum glossis et notulis, in: Opera hactenus inedita Rogeri Baconi V, hg. v. Robert Steele, Oxford 1920, S. 42. 138

278

anmerkungen

  Vgl. Cicero, Tusculanae disputationes. Gespräche in Tusculum, lat.-dt., übers. u. hg. v. Ernst Alfred Kirfel, Stuttgart 1997, I, 26, 64, S. 93. 157   Vgl. Augustinus, Vom Gottesstaat, übers. u. hg. v. Wilhelm Thimme, München 2007, 8, 3, S. 375. 158   Vgl. Porphyrios, Isagoge, in: Aristoteles, Kategorien. Hermeneutik oder vom sprachlichen Ausdruck (De Interpretatione), beigegeben sind Porphyrios: Einführung in die Kategorien des Aristoteles (Isagoge). Pseudo-Aristoteles: Einteilungen (Divisiones). Pseudo-Platon: Begriffsbestimmungen (Definitiones), gr.-dt., übers. u. hg. v. Hans Günter Zekl, Hamburg 1998, S. 155 – 188. 159   Vgl. Augustinus, Die christliche Bildung, a. a. O., II, 16, 24, 59, S. 66 f. 160   Matthäus 10, 16. 161   Vgl. Aristoteles, Meteorologie, a. a. O., III, 2 – 6,371b18 ff. 162   Vgl. Aristoteles, Physikvorlesung, a. a. O., 200a 7–10. 163  Vgl. Opus maius, Teil VI: Über die Erfahrungswissenschaft in diesem Band, S. 180 ff. 164   Genesis 9, 13 u. 15. 165   Vgl. Exodus 31, 1 – 12. 166   Vgl. Flavius Josephus, Jüdische Altertümer, übers. u. hg. v. Heinrich Clementz, Wiesbaden 22006, I, 3, 9, S. 24. 167   Vgl. ebd., I, 8, 2, S. 32. 168   Vgl. ebd., VIII, 2, 4, S. 363. 169   Vgl. Pseudo-Aristoteles, Secretum secretorum, a. a. O., S. 64. 170   Vgl. Aristoteles, Metaphysik, a. a. O., I, 1, 981b23, S. 19. 171   Vgl. Augustinus, Vom Gottesstaat, a. a. O., 21, 14, S. 708. 172   Vgl. Petrus Comestor, Scolastica historia. Liber genesis (= CCCM 191), hg. v. Agneta Sylwan, Turnhout 2005, 40, S. 77. 173   Vgl. Vincentius Bellovacensis (Vinzenz von Beauvais), Speculum historiale, Duaci 1624 [ Nachdruck Graz 1965 ], I, 101, S. 37. 174   Vgl. Augustinus, Vom Gottesstaat, a. a. O., 18, 3, S. 423; 18, 37, S. 479. 175   Vgl. ebd., 18, 37, S. 479. 176   Vgl. ebd., 18, 3, S. 423. 177   Vgl. ebd., 18, 8, S. 428. 178   Vgl. ebd. 156



Opus maius · Teil II

279

  Vgl. Isidor von Sevilla, Die Enzyklopädie des Isidor von Sevilla, übers. u. hg. v. Lenelotte Möller, Wiesbaden 2008, 8, 11, 74, S. 318. 180   Vgl. Plinius, Naturalis historia. Naturkunde, lat.-dt., hg. u. übers. v. Gerahrd Winkler u. Roderich König, Düsseldorf/Zürich 21997, 5, 28. 181   Vgl. Augustinus, Vom Gottesstaat, a. a. O., 18, 8, 428. 182  Vgl. Eusebius, Hieronymi Chronicon, in: Eusebius’ Werke, 7. Band, hg. v. Rudolf Helm, Leipzig 1913, 29, 19 (1807 v. Chr.). 183   Vgl. Augustinus, Vom Gottesstaat, a. a. O., 18, 3, S. 423. 184   Vgl. Solinus, Wunder der Welt, lat.-dt., übers. u. hg. v. Kai Brodersen, Darmstadt 2014, XI, 18, S. 129. 185   Vgl. ebd. 186   Vgl. Eusebius, Hieronymi Chronicon, a. a. O., 42, 20 (1527 v. Chr.). 187   Vgl. Augustinus, Vom Gottesstaat, a. a. O., 18, 3, S. 423. 188   Vgl. ebd., 18, 8, S. 427. 189   Vgl. ebd. 190   Vgl. Flavius Josephus, Jüdische Altertümer, a. a. O., I, 2,3, S. 20. 191   Vgl. Isidor von Sevilla, Die Enzyklopädie, a. a. O., 3, 25, 1, S. 140. 192   Vgl. Clemens von Alexandrien, Teppiche: Wissenschaftliche Darlegungen entsprechend der wahren Philosophie (Stromateis), übers. u. hg. v. Otto Stählin (= Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 17) München 1936, I, 5, 31, S. 34 f. 193   Vgl. Augustinus, Vom Gottesstaat, a. a. O., 18, 8, S. 427. 194   Vgl. Isidor von Sevilla, Die Enzyklopädie, a. a. O., 5, 39, 8, S. 200. 195   Vgl. Augustinus, Vom Gottesstaat, a. a. O., 18, 8, S. 428. 196   Vgl. ebd. 197   Vgl. ebd., 8, 26, S. 421. 198   Vgl. Isidor von Sevilla, Die Enzyklopädie, a. a. O., 4, 3, 1, S. 155. 199   Vgl. ebd., 4, 4, 1, S. 156. 200   Vgl. Pseudo-Aristoteles, Secretum secretorum, a. a. O., S. 98 f. 201   Vgl. Richter 3, 7 – 11. 202   Vgl. Beda Venerabilis, De temporibus liber, in: Bedae venerabilis opera, Pars VI, Opera didascalia 3 (= CCSL 123C), hg. v. Ch. W. Jones, Turnhout 1980, S.585 – 611, XVIIII. De Tertia Aetate, S. 603. 203   Vgl. Augustinus, Vom Gottesstaat, a. a. O., 18, 12, S. 434. 204   Vgl. ebd. 205   Vgl. Solinus, Die Wunder der Welt, a. a. O., I, 28, S. 27. 179

280

anmerkungen

  Vgl. Augustinus, Vom Gottesstaat, a. a. O., 18, 12, S. 434.   Vgl. ebd., 18, 13, S. 437. 208   Vgl. Isidor von Sevilla, Die Enzyklopädie, a. a. O., 8, 11, 56, S. 315. 209   Vgl. Hieronymus, Brief 53: An den Priester Paulinus, in: Des heiligen Kirchenvaters Eusebius Hieronymus ausgewählte Briefe. (Des heiligen Kirchenvaters Eusebius Hieronymus ausgewählte Schriften Bd. 2 – 3; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 16 und 18, Kempten/München 1936 – 1937), S. 243 f. 210   Roger Bacon bezieht sich hier auf den Astronomen Hipparch von Nicäa, auf den sich Ptolemäus in seinem ganzen Almagest als einen seiner wichtigsten Vorgänger sehr häufig beruft. 211  Vgl. Beda Venerabilis, De temporibus liber, a. a. O., XVIIII, S. 604. 212   Vgl. Augustinus, Vom Gottesstaat, a. a. O., 18, 14, S. 438. 213   Vgl. Solinus, Wunder der Welt, a. a. O., I, 10, S. 23. 214  Vgl. Beda Venerabilis, De temporibus liber, a. a. O., XVIIII, S. 604. 215   Vgl. Augustinus, Vom Gottesstaat, a. a. O., 18, 23, S. 453. 216   Vgl. Solinus, Wunder der Welt, a. a. O., I, 27, S. 27. 217   Vgl. Augustinus, Vom Gottesstaat, a. a. O., 18, 19, S. 445. 218   Vgl. Cicero, Tusculanae disputationes. Gespräche in Tusculum, a. a. O., I, 1, 3, S. 35. 219   Vgl. Augustinus, Vom Gottesstaat, a. a. O., 18, 21, S. 448. 220   Vgl. ebd., 18, 24, S. 453. 221   Vgl. Beda Venerabilis, De temporibus liber, a. a. O., XX, S. 605. 222   Vgl. Isidor von Sevilla, Die Enzyklopädie, a. a. O., 5, 39, 18, S. 201. 223   Vgl. Augustinus, Vom Gottesstaat, a. a. O., 18, 24, S. 454; 18, 25, S. 455. 224   Vgl. Isidor von Sevilla, Die Enzyklopädie, a. a. O., 5, 1, 3, S. 171. 225   Vgl. Augustinus, Vom Gottesstaat, a. a. O., 18, 25, S. 455. 226   Vgl. ebd., 8, 2, S. 373. 227   Vgl. ebd. 228   Vgl. ebd., 18, 25, S. 455. 229   Vgl. Cicero, Tusculanae disputationes. Gespräche in Tusculum, a. a. O., I, 16, 38, S. 71. 230   Vgl. Beda Venerabilis, De temporum ratione liber, a. a. O., LXVI, 152, S. 484. 206 207



Opus maius · Teil II

281

  Vgl. Cicero, Tusculanae disputationes. Gespräche in Tusculum, a. a. O., I, 16, 38, S. 71. 232   Vgl. Isidor von Sevilla, Die Enzyklopädie, a. a. O., 1, 42, S. 82. 233   Vgl. Augustinus, Vom Gottesstaat, a. a. O., 8, 2, S. 373 f. 234   Vgl. ebd., 18, 25, S. 455. 235   Vgl. Isidor von Sevilla, Die Enzyklopädie, a. a. O., 8, 6, 12, S. 299. 236   Vgl. Augustinus, Vom Gottesstaat, a. a. O., 8, 2, S. 374. 237   Vgl. Beda Venerabilis, De temporum ratione liber, a. a. O., LXVI, 168, S. 486. 238   Vgl. Augustinus, Vom Gottesstaat, a. a. O., 18, 37, S. 478. 239   Vgl. Beda Venerabilis, De temporum ratione liber, a. a. O., LXVI, 173, S. 487. 240   Vgl. ebd. 241   Vgl. Hieronymus, Brief 53: An den Priester Paulinus, a. a. O., S. 242 f. 242   Vgl. Hieronymus, Epistula Hieronymi adversus Rufinum Presbyterum Aquileiensem [ = Contra Rufinum, liber tertius ], in: ders., Contra Rufinum (= CCSL 79), hg. v. P. Lardet, Turnhout 1982, S. 73 – 116, 40, S. 110. 243   Vgl. Roger Bacon, Moralis philosophia, hg. v. Eugenio Massa, Turin 1953; Deutsche Übersetzung in Teilen: Roger Bacon, Opus maius. Eine moralphilosophische Auswahl, übers. u. hg. v. Pia A. Antolic-Piper, Freiburg 2008. 244   Vgl. Cicero, De finibus bonorum et malorum. Das höchste Gut und das schlimmste Übel, lat.-dt., hg. v. Alexander Kabza, München 1960 V, 29, 87, S. 421. 245   Vgl. Augustinus, Vom Gottesstaat, a. a. O., 18, 33, S. 470. 246   Vgl. ebd., 8, 11, S. 389. 247   Vgl. ebd. 248   Vgl. Cicero, Cato Maior de Senectute. Cato der Ältere. Über das Alter, lat.-dt., übers. u. hg. v. Max Faltner, München 21980, V, 13, S. 21. 249   Vgl. Beda Venerabilis, De temporum ratione liber, a. a. O., LXVI, 185, S. 487; ders., De temporibus liber, a. a. O., XXI, S. 606. 250   Vgl. Augustinus, Vom Gottesstaat, a. a. O., 8, 11, S. 389. 251   Vgl. ebd. 252   Gemeint ist der Dialog ›Timaios‹ von Platon. 253   Exodus 3, 14. 231

282

anmerkungen

  Vgl. Anonymus, Vita Aristotelis, in: Aristotelis qui ferebantur librorum fragmenta, hg. v. Valentin Rose, Leipzig 1884, S. 442 – 450, S. 443. 255   Vgl. Beda Venerabilis, De temporum ratione liber, a. a. O., Kap. LXVI, 178, S. 487. 256   Vgl. ebd. 257   Vgl. Anonymus, Vita Aristotelis, a. a. O., S. 443. 258   Vgl. Censorinus, Über den Geburtstag, lat.-dt., übers. u. hg. v. Kai Brodersen, Darmstadt 2012, 14, 16, S. 87. 259   Vgl. ebd. 260   Vgl. Plinius, Naturalis historia, a. a. O., VIII, 17, 44, S. 44 f. 261   Vgl. Anonymus, Vita Aristotelis, a. a. O., S. 450. 262   Vgl. Averroes, Commentarium Magnum in Aristotelis De Anima Libros, hg. v. F. Stuart Crawford, Cambridge MA, 1953, S. 433. 263   Vgl. S. Ackermann, Art. ›Michael Scotus›, in: Lexikon des Mittelalters, a. a. O., Bd. 6, Sp. 606 – 607. 264   Vgl. Avicenna, Liber sufficientiae. Prologus, in: Alexandre Bir­ kenmajer, Avicennas Vorrede zum »Liber sufficientiae« und Roger Bacon, in: Revue néo-scolastique de philosophie 41, 1936, S. 308 – 320, S. 318. 265   Vgl. Avicenna, ebd. 266   Prediger 12, 12. 267   Vgl. Flavius Josephus, Jüdische Altertümer, a. a. O., I, 3, 9, S. 24. 268   Vgl. ebd., VIII, 2, 4 – 5, S. 363 f. 269   Vgl. Pseudo-Aristoteles, Secretum secretorum, a. a. O., II, 1, S. 64. 270   Römer 1, 21. 271   Vgl. Alfarabi, De scientiis. Über die Wissenschaften, lat-dt., übers. u. hg. v. Franz Schupp, Hamburg 2005, V, S. 127. 272   Vgl. Pseudo-Boethius, De disciplina scholarium, in: Manlii Severini Boetii Opera Omnia (= PL 64), Paris 1847, Sp. 1223 – 1238, Sp. 1234 A. 273   Vgl. Siegbert Uhlig, Das äthiopische Henochbuch, in: Jüdische Schriften aus hellenistisch römischer Zeit, Bd. 5: Apokalypsen hg. v. Werner Georg Kümmel u. Hermann Lichtenberger, Gütersloh 1984, S. 461–780. 274  Vgl. Jürgen Becker, Die Testamente der zwölf Patriarchen, 254



Opus maius · Teil VI

283

­Gütersloh 21980; H. J. De Jonge, Die Patriarchentestamente von Roger Bacon bis Richard Simon, in: Studies on the Testaments of the Twelve Patriarchs, hg. v. A. M. Denis u. Marinus de Jonge, Leiden 1975, S. 3 – 44. 275   Vgl. Augustinus, Vom Gottesstaat, a. a. O., XV, 23, S. 264 ff. 276  Vgl. thematisch: Avicenna, Die Metaphysik, a. a. O., IX, 9, S. 633 ff.; X, 1, 650 ff. 277   Vgl. Augustinus, Vom Gottesstaat, a. a. O., 8, 11, S. 389 f. 278   Vgl. Pseudo-Aristoteles, Secretum Secretorum, a. a. O., S. 64. 279   Vgl. Hieronymus, Libri duo adversus Iovinianum, in: S. Eusebii Hieronymi Opera Omnia (= PL 23), Paris 1845, Sp. 211 – 337, II, 14, Sp. 305. 280   Vgl. Augustinus, Vom Gottesstaat, a. a. O., 18, 23, S. 453 f. 281   Vgl. Isidor von Sevilla, Die Enzyklopädie, a. a. O., 8, 8, S. 303. 282   Augustinus, Vom Gottesstaat, a. a. O., 18, 23, S. 453 (bei Bacon leicht abgewandelt und gekürzt). 283   Ebd., 18, 23S. 450 f. 284   Vgl. ebd., 18, 27, S. 456 f. 285  Vgl. Roger Bacon, Moralis philosophia, a. a. O., S. 187 – 2 43; Roger Bacon, Opus maius. Eine moralphilosophische Auswahl, a. a. O., S. 128 – 165. 286   Vgl. Aristoteles, Physikvorlesung, a. a. O., 200a 7–10. Opus maius · Teil VI   Die Übersetzung (mit Seitenangaben in den Kopfzeilen) folgt der Edition von: Roger Bacon, Opus maius, 3 Bde., hg. v. John H. Brid­ ges, Oxford 1897–1900, Bd. 2. 288  Teile III-V des Opus maius. – Vgl. Roger Bacon, Opus maius, hg. v. John Henry Bridges, 3 Bde. Oxford 1897 – 1900, Bd. 1, S. 66 – 404; Teil V (die Perspektivik) liegt in neuer Edition mit englischer Übersetzung vor: Roger Bacon, Roger Bacon and the Origins of Perspectiva in the Middle Ages, hg. u. übers. v. David C. Lindberg, Oxford 1996. 289   Vgl. Aristoteles, Analytica posteriora (= Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung 3, II/1), hg. u. übers. v. Wolfgang Detel, Berlin 1993, 71b17, S. 18. 287

284

anmerkungen

  Vgl. Aristoteles, Metaphysik, hg. u. übers. v. Franz F. Schwarz, Stuttgart 1970, 981a25 – 30, S. 18. 291   Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik (= Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung 6), hg. u. übers. v. Franz Dirlmeier, Berlin 91991, VI, 12, 1143b ff., S. 135 f. 292   Vgl. Plinius, Naturalis historia. Naturkunde, lat.-dt., hg. u. übers. v. Gerahrd Winkler u. Roderich König, Düsseldorf/Zürich 21997, 37, 15, 59, S. 51. 293   Vgl. Aristoteles, Meteorologie (= Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung 12, I/2), hg. u. übers. v. Hans Strohm, Berlin 1970. I, 12, 348a32 ff., S. 20. 294   Vgl. Plinius, Naturalis historia, a. a. O., VIII, 17, 44, S. 43. 295   Vgl. Pseudo-Ptolemäus, Centiloquium, § 1, auf: http://www. skyscript.co.uk/centiloquium1.html. 296   Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, a. a. O., 1110b30, A. 46. 297   Vgl. Algazel, Logica et philosophia, Kap. 2, hg. v. Walter A. Koch, Hildesheim u. a. 2001, a 2. 298   Vgl. Augustinus, Vom Gottestaat, übers. v. Wilhelm Thimme, eingel. u. komm. v. Carl Andresen, München 2007, 8, 3, S. 374 f. 299   Vgl. Weisheit 1, 4. 300   Vgl. Gregor der Große, Homiliarum xl. in evangelia, in: Sancti Gregorii Papaei cognomento Magni, Opera omnia (= PL 76), Turnhout o. J., II, 30, 1, Sp. 1220. 301   Vgl. Jesaja 11, 2. 302   Vgl. Matthäus 5, 3 – 12; Lukas 6, 20 – 36. 303   Vgl. Brief an die Philipper, 4, 7. 304   Vgl. 2 Korinther 12, 1 – 4. 305   Vgl. Aristoteles, Meteorologie, a. a. O., III, 2, 372a17 ff. 306   Vgl. Seneca, Naturales quaestiones. Naturwissenschaftliche Untersuchungen, lat.-dt., hg. u. übers. v. M. F. A. Brok, Darmstadt 1995, I, 9, 10, S. 67. 307  Ebd. 308   Vgl. Solinus, Die Wunder der Welt, lat.-dt., hg. u. übers. v. Kai Brodersen, Darmstadt 2014, XXXIII, 20, S. 247. 309   Vgl. Aristoteles, Meteorologie, a. a. O., 374a18, S. 81. 310   Vgl. Aristoteles, Meteorologie, a. a. O., III, 2, 371b31, S. 77. 311   Vgl. Seneca, Naturales Quaestiones, a. a. O., I, 8, 6, S. 65. 290



Opus maius · Teil VI

285

  Vgl. Aristoteles, Meteorologie, a. a. O., III, 2, 372a1 f., S. 77.   Vgl. Roger Bacon, Roger Bacon and the Origins of Perspectiva in the Middle Ages, a. a. O., III, 1, 2, S. 260. 314   Vgl. Seneca, Naturales Quaestiones, a. a. O., I, 3, 3, S. 45 ff. 315   Vgl. Aristoteles, Meteorologie, a. a. O., III, 4, 373b14 ff., S. 80 f. 316   Vgl. ebd., 374a4, S. 81. 317   Vgl. ebd., III, 2, 372a28, S. 78. 318   Vgl. Roger Bacon, Perspectiva, a. a. O., II, 3, 3, S. 108. 319   Vgl. Aristoteles, Über die Wahrnehmung und die Gegenstände der Wahrnehmung, in: ders., Kleine naturwissenschaftliche Schriften, hg. u. übers. v. Eugen Dönt, Stuttgart 1997, S. 47 – 86, 442a19, S. 64. 320  Vgl. Pseudo-Aristoteles, Secretum secretorum cum glossis et notulis, in: Opera hactenus inedita Rogeri Baconi V, hg. v. Robert Steele, Oxford 1920, S. 134. 321   Vgl. Aristoteles, Vom Himmel, hg. u. übers. v. Olof Gigon, München 1983, 268a10 – 13. 322   Vgl. Seneca, Naturales Quaestiones, a. a. O., I, 10, S. 67. 323   Bacon meint den Himmelsglobus, der im Almagest beschrieben wird. – Vgl. Claudius Ptolemäus, Des Claudius Ptolemäus Handbuch der Astronomie, übers. u. hg. v. Karl Manitius, 2 Bde., Leipzig 1912, Bd. 2, VIII, 3, S. 72 ff. 324   Vgl. Alpetragius, De motibus coelorum. A critical edition of the latin translation of Michael Scot, hg. v. Francis J. Carmody, Berkeley 1952, sect. IV, 2, S. 181. 325   Vgl. Averroes, Aristotelis De caelo et mundo cum Averrois commentaria, Venedig 1562 [ Nachdruck Frankfurt/M. 1962 ], Bd. 5, f. 8rb-va. 326   Bacon meint hier das pseudo-aristotelische Buch ›Secretum secretorum‹. 327   Vgl. Liber totius medicinae necessaria continens quem sapientissimus Haly filius Abbas discipulus Abimeker filii Moysi filii Seiar edidit regique inscripsit unde et regalis dispositionis nomen assumpsit, Frankfurt 1523, Pars II, lib. 1, cap. 24, De regimine senum. 328   Vgl. Aristoteles, Topik, hg. u. übers. v. Eugen Rolfes, in: Ari­ sto­teles. Philosophische Schriften, 6 Bde., Hamburg 1995, Bd. 2, I, 1, 100b18, S. 1. 329   Vgl. Hiob 14, 5. 312 313

286

anmerkungen

  Vgl. Dioskurides, Des Pedanios Dioskurides aus Anazarbos Arzneimittellehre in fünf Büchern, übers. u. hg. v. Julius Berendes, Stuttgart 1902. 331   Vgl. Plinius, Naturalis historia. Naturkunde, lat.-dt., hg. u. übers. v. Gerahrd Winkler u. Roderich König, Düsseldorf/Zürich 2 1997. 332   Vgl. Solinus, Wunder der Welt, lat.-dt., übers. u. hg. v. Kai Brodersen, Darmstadt 2014. 333   Vgl. Avicenna, De animalibus, Übersetzung von Michael Scotus, hg. v. Johannes und Gregorius de Gregorio, Venedig 1500. 334   Vgl. Cicero, Tusculanae disputationes. Gespräche in Tusculum, lat.-dt., hg. u. übers. v. Ernst Alfred Kirfel, Stuttgart 1997. 335   Vgl. Pseudo-Aristoteles, Secretum secretorum, a. a. O., S. 64. 336   Vgl. ebd., S. 98 f. 337   Vgl. Plinius, Naturalis historia, a. a. O., 22, 53, 114, S. 213. 338   Vgl. Roger Bacon, Appendix I, in: De retardatione accidentium senectutis. Cum aliis opusculis de rebus medicinalibus, hg. v. Andrew G. Little u. E. Withington, Oxford 1928, S. 181 – 186, S. 182. 339   Vgl. Roger Bacon, De retardatione accidentium senectutis, in: De retardatione accidentium senectutis. Cum aliis opusculis de rebus medicinalibus, hg. v. Andrew G. Little u. E. Withington, Oxford 1928, S. 1 – 83, 6, S. 52 ff. 340   Ein breiig zubereitetes Arzneimittel. 341  Vgl. Roger Bacon, De retardatione accidentium senectutis, a. a. O., S. 65. 342   Vgl. Pseudo-Aristoteles, Secretum secretorum, a. a. O., S. 105 ff. 343   Vgl. Vulgata, Psalmen 73, 14. 344   Vgl. Averroes, Aristotelis Metaphysicorum libri cum Averrois commentariis, a. a. O., Bd. 8, f. 271v. 345   Vgl. Aristoteles, Metaphysik, a. a. O., V, 12, 1019a20 – 27. 346   Bacon bezieht sich hier auf den Traktat De vita propaganda eines gewissen Artephius. Dort steht im Vorwort, dass er diesen Traktat mit über 1025 Jahren geschrieben haben soll. – Vgl zu Artephius und Roger Bacon: Sébastien Moreau, Appendix: A Note on Artephius, in: ders., Elixir atque Fermentum: New Investigations about the Link in Acivenna’s Alchemical De Anima and Roger Bacon: Alchemical and Medical Doctrines, in: Traditio 68, 2013, S. 277 – 325, S. 324 f. 330



Opus maius · Teil VI

287

  Vgl. Aristoteles, Kategorien, in: ders., Philosophische Schriften, übers. u. hg. v. Eugen Rolfes, 5 Bde., Hamburg 1995, Bd. 1, S. 1 – 42, 7b30 – 32. 348   Vgl. Avicenna, Sufficientia, in: Opera philosophica, Venedig 1508 [ Nachdruck Löwen 1961 ], f. 26vb. 349   Pseudo-Aristoteles, Secretum secretorum, a. a. O., S. 114. 350   Vgl. Claudius Ptolemäus, Des Claudius Ptolemäus Handbuch der Astronomie, übers. u. hg. v. Karl Manitius, 2 Bde., Leipzig 1912, Bd.1, I, 1, S. 1. 351   Pseudo-Aristoteles, Secretum secretorum, a. a. O., S. 114. 352   Ebd., S. 122. 353   Ebd., S. 118. 354  Vgl. die Diskussion bei Aristoteles, Nikomachische Ethik, a. a. O., III, 1 – 8, 1110a – 1114b. 355   Vgl. Plinius, Naturalis historia, a. a. O., II, 108, 235, S. 193. 356   Vgl. Richter 7, 15 – 23. 357   Vgl. Beda Venerabilis, Kirchengeschichte des Englischen Volkes. Historia ecclesiastica gentis Anglorum, lat.-dt., hg. u. übers. v. Günther Spitzbart, 2 Bde., Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1982, I, 1, S. 32. 358   Vgl. Plinius, Naturalis historia, a. a. O., II, 109, 235, S. 193. 359   Vgl. Seneca, Naturales Quaestiones, a. a. O., II, 31, 1, S. 133. 360   Vgl. Basilius von Cäsarea, Homilien über das Hexaemeron. Des heiligen Kirchenlehrers Basilius des Grossen ausgewählte Schriften, hg. v. J. Kösel u. F. Pustet (= Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Bd. 47), Kempten /München 1925, VIII, 5, S. 132. 361   Vgl. Ambrosius von Mailand, Des heiligen Kirchenlehrers Ambrosius von Mailand Exameron, hg. u. übers. v. Joh. Ev. Niederhuber (= Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Bd. 17), München 1914, V, 13, 40, S. 199 f. 362   Vgl. Paulus Orosius, Die antike Weltgeschichte in christlicher Sicht, übers. u. erl. v. Adolf Lippold, eingel. v. Carl Andresen, 2 Bde., Bd. 1, Zürich/München 1985, S. 175. 363   Vgl. Anonymus, Vita Aristotelis, in: Aristotelis qui ferebantur librorum fragmenta, hg. v. Valentin Rose, Leipzig 1884, S. 442 – 450, S. 446. 364   Vgl. Seneca, Quaestiones Naturales, a. a. O., VI, 23, 2, S. 391. 347

288

anmerkungen

Brief über die geheimen Werke der Natur und der Kunst   Die Übersetzung (mit Seitenangaben in den Kopfzeilen) folgt der Edition von: John S. Brewer, De secretis operibus artis et naturae et de nullitate magiae, in: Fr. Rogeri Bacon, Opera quaedam hactenus in­edita, hg. v. John S. Brewer, London 1859, S. 523–551. 2   Vgl. Constantinus Africanus, Opera omnia, Basel 1536, S. 39 – 42. 3   Vgl. ebd., S. 41. 4   Vgl. Avicenna, Liber de anima seu sextus de naturalibus IV–V (= Avicena Latinus 2), hg. v. S. Van Riet, Leiden 1968, IV, 4, S. 59 ff. 5   Vgl. Avicenna, De animalibus, hg. v. Johannes et Gregorius de Gregorio, Venedig 1500, VIII, 15r. 6   Vgl. zur Theorie der species bei Roger Bacon: Roger Bacon’s Philosophy of Nature: A Critical Edition, with English Translation, Introduction, and Notes, of De multiplicatione specierum and De speculis comburentibus, hg. v. David C. Lindberg, Oxford 1983. – Insbesondere die dortige hervorragende Einleitung, S. liii – l xxi. 7   Vgl. Solinus, Die Wunder der Welt, lat.-dt., hg. u. übers. v. Kai Brodersen, Darmstadt 2014, 27, 23, S. 201. 8   Vgl. Nicolaus Damascenus, De plantis libri duo, hg. v. E. H. F. Meyer, Leipzig 1841, I, 17, S. 23. 9   Vgl. Solinus, Die Wunder der Welt, a. a. O., 23, 7, S. 175 f. 10  Vgl. Pseudo-Aristoteles, Secretum Secretorum, in: Robert Steele, Opera hactenus inedita Rogeri Baconi V, Oxford 1920. 11   Vgl. Aristoteles, Über Träume, in: ders., Kleine naturwissenschaftliche Schriften, übers. u. hg. v. Eugen Dönt, Stuttgart 1997, 459b, S. 121. 12   Solinus, Die Wunder der Welt, a. a. O., I, 101, S. 49. 13   Ovid, Amores. Liebesgedichte, lat.-dt., hg. u. übers. v. Richard Harder u. Walter Marg, München 1956, I, 8, 15, S. 27. 14   Vgl. Solinus, Die Wunder der Welt, a. a. O., I, 101, S. 49. 15   Vgl. Avicenna, Die Metaphysik. Enthaltend die Metaphysik, Theologie, Kosmologie und Ethik, übers. u. erl. v. M. Horten, Halle/ New York 1907, III, 8, S. 212 ff. 16   Siehe hierzu einführend: David Pingree, The Diffusion of Arabic Magical Texts in Western Europe, in: La Diffusione delle Scienze Islamiche nel Medio Evo Europeo, Rom 1987, S. 57 – 102. 1



Brief über die geheimen Werke der Natur

289

  Isaac Israeli, liber de febrium, in: Ysaac Israelitae, Opera omnia, Lyon 1515. 18   Vgl. Pseudo-Aristoteles, Secretum Secretorum, a. a. O., S. 45, S. 61, S. 64. 19   Diese Angabe findet sich nicht in der Meteorologie des Aristoteles, sondern im Kommentar der Meteorologie des Alfred von Sareshel, den Bacon sicher kannte: Alfred of Sareshel’s Commentary on the Metheora of Aristotle, hg. v. James K. Otte, Leiden 1988, S. 38, 34 – 35. – Vgl. zur Verbindung Bacons mit Alfred von Sareshel auch: August Pelzer, Une source inconnue de Roger Bacon: Alfred of Sareshel, commentateur des Météorologiques d’Aristote, in: Archivum Franciscanum Historicum 12, 1919, S. 44 – 67. 20   Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, übers. u. komm. v. Franz Dirlmeier ( = Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung, Band 6 ), Berlin 91991, X, 7, 1177b; 1179b. 21   Vgl. Anonymus, liber de causis. Das Buch von den Ursachen, lat.-dt., übers. u. hg. v. Andreas Schönfeld, Hamburg 2003, I, 1, S. 4. 22   Vgl. Aethicus Ister, The Cosmography of Aethicus Ister, lat.engl., hg. u. übers. v. Michael W. Herren, Turnhout 2011, § 36c, 129, S. 41. 23   Vgl. Plinius, Naturalis historia. Naturkunde, lat.-dt., hg. u. übers. v. Gerahrd Winkler u. Roderich König, Düsseldorf/Zürich 21997, II, 31 – 32. 24   Vgl. Aristoteles, Physikvorlesung, a. a. O., IV, 8, 215b13 – 18. 25   Vgl. die Abhandlung von Roger Bacon: De speculis comburentibus, in: Roger Bacon’s Philosophy of Nature: A Critical Edition, with English Translation, Introduction, and Notes, of De multiplicatione specierum and De speculis comburentibus, hg. v. David C. Lindberg, Oxford 1983, S. 271 – 341. 26   Vgl. Plinius, Naturalis historia, a. a. O., II, 108, 235, S. 193. 27   Vgl. Richter 7, 15 – 23. 28   Bacon meint den Himmelsglobus, der im achten Buch des Al­ magest beschrieben wird. – Vgl. Claudius Ptolemäus, Des Claudius Ptolemäus Handbuch der Astronomie, übers. u. hg. v. Karl Manitius, 2 Bde., Leipzig 1912, Bd. 2, VIII, 3, S. 72 ff. 29   Vgl. Pseudo-Aristoteles, Secretum secretorum, a. a. O., S. 38. 30   Vgl. Plinius, Naturalis historia, a. a. O., 22, 53, 114, S. 213. 17

290

anmerkungen

  Vgl. Roger Bacon, Opus maius VI: Über die Erfahrungswissen­ schaft in diesem Band, S. 211. 32   Psalmen 90, 10. 33   Vgl. Aristoteles, Kategorien, a. a. O., 7, 7b31 – 33. 34   Vgl. Pseudo-Aristoteles, Secretum Secretorum, a. a. O., S. 41. 35   Vgl. Aulus Gellius, Noctes Atticae, hg. v. P. K. Marshall, Oxford 1968, S. 51. 36   Vgl. Marbod von Rennes, Liber de gemmis, in: Marbodi redo­ nensis episcopi, ipsius Hildeberti supparis opuscula, hg. v. Jean J. Bou­ rassé, Paris 1854 (= PL 171), 1738 A. 37   Pseudo-Aristoteles, Secretum secretorum, a. a. O., S. 114 f. 38   Vgl. ebd., S. 64. 39  Vgl. Albumasar, Introductorium in Astronomiam, Augusta 1489, f. 3 r. 40   Vgl. Flavius Josephus, Jüdische Altertümer, übers. u. hg. v. Heinrich Clementz, Wiesbaden 22006, I, 3, 9, S. 24; I, 8, 2, S. 32; VIII, 2, 4, S. 363. 41   Hierbei handelt es sich um ein Anagramm, dass zu verschiedenen Gelegenheiten gewählt worden ist und die richtigen Proportionen der Komponenten angeben soll. – Vgl. Robert Steele, Luru vopo vir can utriet, in: Nature 121, 1928, S. 208 – 209; Vernard Foley u. Keith Perry, In defense of ›Liber igneus‹: Arab Alchemy, Roger Bacon, and the Introduction of Gunpowder into the West, in: Journal for the History of Arabic Science 3, 1979, S. 200 – 218. 42   Vgl. Aristoteles, Metaphysik,. übers. u. hg. v. Franz F. Schwarz, Stuttgart 1970, VIII, 5, 1044b35 ff. 31

SIGLEN V ER Z EIC H N IS

CCCM Corpus Christianorum. Continuatio Medievalis, ­Turnhout 1966  ff. CCSL

Corpus Christianorum. Series Latina, Turnhout 1953 ff.

CSEL

Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum, Wien 1866 ff.

PG

Patrologiae cursus completus. Series Graeca, hg. v. Jaques Paul Migne, Paris 1857 ff.

PL

Patrologiae cursus completus. Series Latina, hg. v. Jaques Paul Migne, Paris 1844 ff.

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NA M EN R EGIST ER

Abdon (Prophet) 146 Abimelech (Richter des Volkes Israel) 131 Abrachis s. Hiarchus Abraham (Stammvater Israels) 22, 126 – 130, 142, 150 Achaz (König von Juda) 133 f. Adam (Stammvater der Menschen) 64, 126, 131, 211, 215, 250, 260 Adam Marsh s. Marsh, Adam Adelard von Bath (Adalardus) 63 Aethicus Ister (Ethicus der Astro­nom) 242, 254 Aggäus (Prophet) 136 Albumasar (Abu Ma’schar) 127, 254 Alexander III. von Makedonien (der Große) 10, 49 f., 132, 139, 160, 218, 220, 227 f., 242 f., 253 Alexander IV. (Papst) 150 Alfarabi (Abū Nasr Muhammad al-Fārābī) 99, 114, 144 f. Algazel (al-Ghazali) 160 Alkuin (Albinus Flaccus) 94 Alpetragius (Nur ad-Din al-Bitrudschi) 204 Ambrosius von Mailand 95, 104 f., 226 Amphion (legendärer Musiker und Herrscher von Theben) 131 f.

Anaxagoras 137 Anaximander von Milet 136 Anaximenes von Milet 137 Ancus Marcius (legendärer ­König Roms) 138 Aoth (Richter) 131 Apollo 130 – 132, 142 Apollo (»Philosoph«) 131 f. Aratos von Soloi 111 Archelaus von Athen 137 Archilochus (Lyriker) 134 Archytas von Tarent 136, 138 Aristoteles 8, 10, 16, 18, 27, 32, 34, 37 f., 44 f., 49, 50, 54, 58, 61, 64, 67, 69 f., 73 – 75, 78, 81 – 85, 88, 93, 94 – 96, 99, 105, 110, 114 – 118, 120, 123, 126 f., 131, 136 f., 139 – 142, 145, 147, 150, 152, 158 – 160, 164, 166, 171, 173, 192 f., 197 f., 205, 208, 210, 214 – 221, 228, 237, 240, 242 f., 247, 251 – 253, 256, 261 Artabanus von Persien 136 f. Artaxerxes I. (Longimanus) 136 f. Artaxerxes II. (Memnon) 139 Artaxerxes III. (Ochus) 139 Artephius 210 f., 216 f., 248, 250, 254 Asklepios 130 Äskulap (Großvater des Asklepios) 130, 142 Athene (Pallas A.) s. Minerva Atlas 129 f., 142



Namenregister

Augustinus von Hippo 7, 72, 76 – 78, 91 – 95, 104 f., 107, 111, 119 f., 122, 127 – 139, 147 – 149, 161, 228 Augustus (Gaius Octavius) 211, 247 Aulus Gellius s. Gellius, Aulus Averroes (Ibn Ruschd) 45, 63, 75 f., 80, 83 f., 99, 117, 123, 126, 140 f., 204, 214 f., 261 Avicenna (Ibn Sina) 58, 75 – 77, 83 f., 110, 114, 121, 123, 140 f., 144, 147, 150, 164, 209 f., 216, 236, 238 Bacon, Roger 4 f., 24, 261 Barak (Sohn Abinoams) 131 Basilius von Caesarea 226 Beda Venerabilis 112 f., 131 – 136, 139, 222 Bezaleel (Sohn des Uri) 125 Bias von Priene 134 Boethius (Anicius Manlius Severinus) 10, 78, 94, 140, 144 Bonecor, William 4 Caesar, Gaius Julius 243 Cambyses (II.) 135 Cassiodor (Flavius Magnus ­Aurelius Cassiodorus) 109 Chilon von Sparta 134 Censorinus 139 Cicero (Marcus Tullius) 27, 40, 58, 62, 72, 111, 120, 133, 135 f., 138, 145, 210 Clemens IV. (Papst) 4 f. Clemens von Alexandrien 128, 130

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Cleobolus (Kleobulos) aus Lydien 134 Constantin der Große (Flavius Valerius Constantinus) 150 Constantinus Africanus 235 f. Cyprian von Karthago (Thascius Caecilius Cyprianus) 72, 105, 110 Daniel (Prophet) 112 Darius I. (Dareios I.) 135 – 137 Darius II. (Dareios II.) 137, 139 Darius III. (Dareios III.) 228 David (König von Juda) 112, 214 Debora (Prophetin im AT) 131 Demokrit von Abdera 44, 137 Deukalion (Sohn des Prome­ theus) 129 Diana (Göttin) 132 Dindimus (legendärer Brah­ manenkönig) 10 Diogenes von Apollonia 137 Diogenes von Sinope 148 Dionysius Areopagita 113 Dionysius Exiguus 96 Dioskurides, Pedanios 209 Empedokles 137 Enoch 131, 211 Epimenides von Kreta 111 Esau (Sohn Isaaks) 128 Esdra (Prophet) 136 f. Ethicus s. Aethicus Eusebius von Caesarea 96, 128 f., 150 Evander (Sohn des Hermes) 133

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Namenregister

Flavius Josephus s. Josephus, Flavius Fortunatus (Manichäer, Gegner von Augustinus) 79 Galen 215, 238, 251, 261 Gellius, Aulus 69, 252 Gideon (Richter) 132, 222, 245 Goliath 112 Gratian (Flavius Gratianus) 99, 100, 135 Gregor I. (Papst, gen. »der Große«) 83, 105 Grosseteste, Robert 117 Haly Abenragel 207, 209 Ham (Sohn Noahs) 128 Helena, Flavia Julia 150 Hesekiel (Prophet) 47 Herkules 130 f. Herkules (»zweiter Herkules«) 131 f. Herkules (»dritter Herkules«) 132 f. Hermes (»der größere Merkur«) 130, 132 Hermes (Trismegistos) 130, 142 Hesekia (König von Juda) 133 f. Hesiod 133 Hiarchus (Abrachis) 132 Hieronymus (Sophronius Eusebius) 23, 63, 76 – 78, 83, 91 f., 95, 101, 105, 109, 111, 128 f., 132, 138, 148 Hilarius von Poitiers 105, 110 Hiob 150 Hippokrates 137, 251 Hiram I. (König von Tyros) 112 f.

Homer 133 Hugo von St.-Viktor 99 Inachus (legendärer König der Griechen) 128 Io (Isis) 128 Isaac Israeli 240 Isidor von Sevilla 51, 72, 105, 128, 130, 132, 134, 136 f., 148 Jakob (Sohn Isaaks) 128 f. Jair (Richter) 133 Jephtah (Richter) 131 Jeremia (Prophet) 67, 138 Jesaja (Prophet) 23, 47, 101, 147, 162 Jesus Christus 7, 13, 22, 31, 34, 47, 68, 82, 104, 112 f., 123, 145 – 148, 150 f. Johannes (Bote Roger Bacons) 24 f., 53, 87, 161 Johannes Chrysostomus 63, 68 Jona (Prophet) 47 Joseph (Sohn Jakobs) 125 Josephus, Flavius 126, 130, 142, 254 Josia (Königh von Juda) 134 Judas 146 Julian (Flavius Claudius Iulianus, röm. Kaiser) 112 Julius Caesar s. Caesar, Julius Kadmos von Theben 131 Kallisthenes von Olynth 228 Kambyses (II.) s. Cambyses (II.) Karl der Große 94 Kekrops (legendärer griechischer König) 129



Namenregister

Kyrill von Saloniki 96 Kyros (II.) 135 Labdon (Richter) 133 Laktanz (Lucius Caecilius ­Firmianus Lactantius) 110 Latona (Leto) 132 Leukipp 44 Linus (Bruder des Orpheus) 132 f. Malachi (Prophet) 136 Marsh, Adam 117 Matthäus (Evangelist) 122 Maurus, Rabanus s. Rabanus Maurus Menander 111 Merkur Trismegistos s. Hermes (Trismegistos) Merlin (Prophet) 47 Michael Scotus 140 Minerva 128, 132, 142 Mohammed (Religionsstifter des Islam) 47, 83, 140 Moses 22, 49, 68, 82, 97, 110 – 112, 125, 129 f., 139 Nathan (Prophet) 47, 146 Nemroth 142 Nikostrate (Nymphe, Mutter des Evander) 133 Noah 22, 126 – 128, 130 f., 142 Numitor Silvius 134 Ogygos (legendärer König von Achaia) 128 f. Oholiab (Sohn Achisamaks) 125 Optatus von Mileve 110

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Origines 77 Orosius, Paulus 228 Orpheus 132 f. Othniel (Richter in Israel) 131 Ovid (Publius Ovidius Naso) 9, 237 Papias (Vocabulista) 51 Parmenides 137 Paulinus (Briefpartner von ­Hieronymus) 138 Paulus von Tarsus (Apostel) 77, 86, 111, 113, 120, 140 Periander von Korinth 134 Petrus (Apostel) 27, 77 Petrus Comestor 99, 128 Pherekydes von Syros 136 Phoroneus (Sohn des Inachus) 128 f. Picus (legendärer König von Laurentum) 132 f. Pittacus von Mytilene 134 Platearius 9 Platon 78, 93, 120, 136 – 139, 142, 147, 207, 217, 251 Plinius der Ältere (Gaius Plinius Secundus) 7, 20, 128, 140, 160, 210 f., 217, 221, 223, 242, 244, 247 Porphyrius 92, 120 f. Priscian 74 Prometheus 129, 142 Ptolemäus, Claudius 37, 127, 132, 160, 203, 219, 245 Pythagoras von Samos 135 f., 142 Rabanus Maurus 95

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Namenregister

Raimund von Laon 4, 11 Richard von St.-Viktor 99 Robert Grosseteste s. Grosseteste, Robert Romulus (legendärer Gründer Roms) 133 – 135, 138 Rufinus von Aquileia 138 Sallust (Gaius Sallustius Crispus) 9, 67 Salomon (König) 9, 31, 49, 67, 111 – 113, 126, 141 f., 234 Samuel (Prophet) 133, 146 Scotus, Michael s. Michael Scotus Sem (Sohn Noahs) 127, 142 Seneca (Lucius Annaeus, der Jüngere) 7, 9 f., 54, 58, 61, 68, 72 – 74, 78, 81, 89, 145, 164, 171, 190, 198, 226, 228 Seneca der Ältere (Rhetor) 68 Serubbabel s. Zorobabel Seth (Sohn Adams und Evas) 126, 142 Simon (Magier) 27 Sogdianus (Pers. Großkönig) 137 Sokrates 69, 78, 120, 136 – 139, 142, 161, 243, 252 Solinus (Gaius Julius) 128 f., 132, 133, 164, 210, 237 Solon von Athen 134 Sybillen (Prophetinnen) 32, 47, 133, 149

Tantalus (hier: Lehrer eines indischen Königs) 211 Tarquinius Priscus (legendärer König Roms) 138 Tarquinius Superbus 135 Thales von Milet 134, 136, 142 Timaeus (Timaios) von Lokroi 136, 138 Titus (Schüler von Paulus) 111 Tobias (Prophet) 147 Tyrannius Rufinus s. Rufinus von Aquileia Victorinus (Gaius Marius) 96, 110 Vincentius von Cartenna (Bischof, Briefpartner von ­Augustinus) 78 Volcatius Sedigitus 111 Wilhelm von Auvergne (Bischof von Paris) 117 Wilhelm aus Paris 261 Wilhelm von Sizilien (König) 211 f., 247 Xerxes 136 Zacharias (Patriarch von Jerusalem) 136 Zarathustra 127, 142 Zorobabel (Statthalter von Juda) 136