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German Pages 155 [156] Year 1998
BEIHEFTE ZUR ZEITSCHRIFT FÜR ROMANISCHE
PHILOLOGIE
BEGRÜNDET VON GUSTAV GRÖBER FORTGEFÜHRT VON WALTHER VON WARTBURG UND KURT BALDINGER HERAUSGEGEBEN VON MAX PFISTER
Band 293
REINHARD MEISTERFELD
Numerus und Nominalaspekt Eine Studie zur romanischen Apprehension
MAX NIEMEYER VERLAG TÜBINGEN 1998
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
D 21 Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme [Zeitschrift für romanische Philologie / Beihefte] Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie. - Tübingen : Niemeyer Früher Schriftenreihe Reihe Beihefte zu: Zeitschrift für romanische Philologie Bd. 293. Meisterfeld, Reinhard: Numerus und Nominalaspekt. - 1998 Meisterfeld, Reinhard: Numerus und Nominalaspekt: eine Studie zur romanischen Apprehension / Reinhard Meisterfeld. -Tübingen : Niemeyer, 1998 (Beihefte zur Zeitschrift für Romanische Philologie ; Bd. 293) Zugl.: Tübingen, Univ., Diss. ISBN 3-484-52293-3
ISSN 0084-5396
© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1998 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz und Druck: AZ Druck- und Datentechnik GmbH, Kempten Einband: Industriebuchbinderei Norbert Klotz, Jettingen-Scheppach
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
VII
0. Eine evidente Kategorie?
i
1. Ein merkwürdiger Singular
4
2. Numerus und Nominalaspekt
11
2.1 Der Numerus 2.1.1 Die reine Numeruskategorie 2.1.2 Die empirische Numeruskategorie 2.2 Die Numerusopposition 2.3 Zwei Nominalklassen 2.4 Der Nominalaspekt 2.4.1 Der äußere Aspekt: die Kontur 2.4.2 Der innere Aspekt: die Kohäsion
11 12 14 17 25 34 36 44
3. Klasse und Grammatikalisierung 3.1 Die nominalen Klassen 3.2 Grammatikalisierung und Analyse 3.2.1 Grammatikalisierung 3.2.2 Die analytische Grammatikalisierung 3.2.3 Die Entstehung der analytischen Grammatikalisierung 3.3 Drei Beispiele 3.3.1 Zum Nominalaspekt im Deutschen 3.3.2 Zum präpositionalen Akkusativ im Spanischen . . . . 3.3.3 Zur Adjektivstellung im Italienischen
55 55 64 65 67 74 79 79 87 95
4. Der historische Hintergrund 4.1 Zwei alte Gestaltklassen im Indogermanischen? 4.2 Die historischen Numerus Verhältnisse 4.2.1 Die panchronische Genese des Plurals (nach Jerzy Kurylowicz) 4.2.2 Der Dualis 4.2.3 Der «doppelte Plural» 4.2.4 Der unkonturierte Aspekt im Lateinischen
102 102 107 107 109 114 121 V
4 3 Di e grammatische Herausbildung der Kontur
125
5. O Singular aspectual
128
Literaturverzeichnis
131
Sprachenindex
142
Personenregister
144
VI
Vorwort
Die folgende Untersuchung gehört zum weiteren Bereich der nominalen Determination, einem Problemkreis der Sprachwissenschaft, der in den letzten Jahrzehnten eine enorme Entfaltung erfahren hat. Dabei lassen sich drei Perspektiven der Forschung unterscheiden: die referenzsemiotische, die textuelle und die klassifikatorische. Die erste dieser Perspektiven - auf die sich die beiden anderen in letzter Instanz zurückführen lassen - ist unter logischen, psychologischen oder pragmatischen Leitgedanken betrachtet worden. Im engeren linguistischen Sinne hat man teils der syntaktischen, teils der semantischen Dimension den Vorzug gegeben. Die designativen Sektionen, wie die Fragen nach der Natur der metasprachlichen, generischen, partikulären, individuellen Ausdrücke u.a.m., sind fast alle von theoretischer Tiefe und großer Komplexität bei der einzelsprachlichen Beschreibung. Textlineare Aspekte der Determination werden bei der Erforschung der funktionalen Satzperspektive, der anaphorischen Koreferenz, der Textkonstitution, der Textkohärenz u. ä. behandelt. Die klassifikatorischen Implikationen der nominalen Determination sind unter dem Begriff der Apprehension in jüngerer Zeit vor allem im Rahmen der empirischen Universalienforschung zur Sprache gekommen. Dieser letzteren Perspektive, dem Verhältnis von nominaler Determination und Klassifikation, möchten sich unsere Überlegungen zuordnen. In den europäischen Artikelsprachen werden durch die Verwendung der Determinanten und des Numerus zwei Klassen nominaler Bedeutung voneinander abgegrenzt: die der diffusen, stoffartigen Vorstellungen und die der konturierten, gegenstandartigen. Ausgangspunkt der Untersuchung sind Fälle, in denen diese Klassifizierung als inkongruent erscheint, insbesondere eine designatorisch abweichende Weise der Numerusverwendung im Portugiesischen. Die Argumentation bewegt sich in drei konzentrischen Kreisen: Zunächst wird die Numeruskategorie behandelt und ihre Korrelation zur nominalen Klassifikation gezeigt. Zur Integration der von dieser Korrelation abweichenden Verwendungsweisen wird dann die Kategorie des nominalen Aspekts entwickelt. Schließlich kann die Entstehung dieser Kategorie, die bis zu einem gewissen Grade die freie Zuweisung distinktiver Klassenmerkmale voraussetzt, als Prozeß der A b lösung von der Wortsemantik beschrieben und zu den Verfahren der VII
Grammatikalisierung in Beziehung gesetzt werden. Z u diesem Z w e c k werden analoge Erscheinungen verglichen. D e r Blick auf die historischen Verhältnisse zeigt dann allerdings, daß analytische Befunde nicht einfach mit genetischen Prozessen gleichgesetzt werden dürfen: D a s Lateinische stellt die Kategorie des nominalen Aspekts dar, indem es syntaktische und kognitive Faktoren in deutlich anderer Weise heranzieht. A u c h wenn die vorliegende Arbeit ohne unmittelbaren Kontakt zur Universität Tübingen entstand, ist sie doch vom wissenschaftlichen D e n k e n meines Lehrers, Professor Dr. Eugenio Coseriu, geprägt. Unter den Früheren, denen sie verpflichtet ist, sei Ernst Cassirer genannt. D e n Tübinger Professoren Eugenio Coseriu, Brigitte Schlieben-Lange, Jochen Raecke und Carlo de Simone verdanke ich wichtige kritische Hinweise, die zum Teil bei der Endredaktion berücksichtigt werden konnten. Herrn Professor Dr. Max Pfister danke ich aufrichtig für die Aufnahme der A r beit in die von ihm herausgegebene Reihe der Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie. Mein Dank gilt auch der Deutschen Forschungsgemeinschaft für ihre Untersützung des Drucks. Schließlich danke ich meinem Bruder Lothar für seine selbstlose Hilfe bei der Erstellung des Manuskripts. Wegberg, im Januar 1998
VIII
Reinhard Meisterfeld
o.
Eine evidente Kategorie?
A l s Johan Nikolai Madvig im vorigen Jahrhundert meinte, die Bezeichnung der Mehrzahl der Substantive sei in allen Sprachen notwendig, 1 da war er wohl der letzte Gelehrte von Rang, der die nominale Numeruskategorie für eine universelle Erscheinung hielt. Und er wurde alsbald von Franz Misteli zurechtgewiesen: Unbedingt notwendig sind gar keine Formen, sondern nur der Stoff. 2
Seither ist gut bekannt, daß gewisse Sprachen ganz ohne eigentlichen Numerus auskommen, daß in anderen die entsprechende Kategorie sehr verschieden von unserer Opposition «Singular - Plural» gestaltet ist, und daß schließlich, wo diese Opposition verwirklicht ist, doch mancherlei Bezeichnungsdivergenzen auftreten. Nun stand aber hinter der offensichtlich unbegründeten Vermutung Madvigs noch eine andere Überzeugung, die in Abwandlungen und oft verdeckt oder uneingestanden bis heute zu finden ist, nämlich die der natürlichen Evidenz der Numerusfunktion. Denn Madvig wird angenommen haben, daß die Unterscheidung der sachlichen Einheit bzw. Vielheit annähernd abbildlich durch die Numeruskategorie geleistet werde, und daß diese Unterscheidung für die zwischenmenschliche Verständigung von solchem Belang sei, daß kaum eine Sprache darauf verzichten könne. Dies wird natürlich in der gegenwärtigen Sprachwissenschaft kaum ausdrücklich behauptet, es sei denn als rhetorische Figur.3
1
2
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«Als unbedingt notwendig erscheint die Bezeichnung der Mehrzahl der Substantive; weder Context noch Form des Satzes bieten ein Mittel, sie entbehrlich zu machen.» Johan Nikolai Madvig, Kleine philologische Schriften. Vom Verfasser deutsch bearbeitet, Leipzig 1875, S. 114. Franz Misteli, Charakteristik der hauptsächlichen Typen des Sprachbaues. Neubearbeitung des Werkes von Prof. H. Steinthal (1861), Berlin 1893, S. 600-601. So hat Harald Weinrich vor einiger Zeit einmal einen Beitrag eingeleitet:«Singular, Plural und die Zahlen - wo steckt da das Problem? Singular ist , Plural ist , und diese Frage bereitet... niemandem mehr Kopfzerbrechen.» Harald Weinrich, Skizze einer textlinguistischen Zahlentheorie, in: Michael Schecker, Peter Wunderli (Hgg.), Textgrammatik, Beiträge zum Problem der Textualität, Tübingen 1975, S. 1 - 1 9 , hier S. 1. Vgl. jedoch auch die Auffassung Godehard Links (1991, S. 419), die Madvig nicht allzu fern steht. I
Es entspricht eher einer Intuition, welche die Numeruskategorie als selbstverständlich und für die Beschreibung als unproblematisch erscheinen läßt. Die intuitive Evidenz, die der Numerus für uns hat, erklärt sich im wesentlichen aus drei Konstellationen: Aus seiner Fundierung in menschlicher Lebenswelt und Erfahrung, aus seiner Rolle in der abendländischen Wissenschaftsgeschichte und aus seiner tiefen Verwurzelung im Bau der indogermanischen Sprachen. Bei der gegenständlichen Wahrnehmung unserer Umgebung ist die Vorstellung von Einzahl und Mehrzahl von entscheidender Bedeutung. Bei unseren Handlungen wirkt sie kriterienhaft mit: Wir wählen das einzelne aus und lassen das übrige im Hintergrund. Wir unterscheiden mit ihrer Hilfe das uns Zugeordnete von dem anderen, und schließlich beschreibt sie uns die elementare Stellung des jeweils einzelnen Ichs in der Vielzahl der Mitexistenzen. Die Bedeutung von Einzahl und Mehrzahl für die Mathematik braucht nicht besonders erwähnt zu werden. Die Eins ist Urgrund und Bauprinzip des Zahlensystems. Für die Pythagoreer stand sie außerhalb der Zahlenreihe. Die Vielheit ist neben der Ordnung das zweite begriffliche Moment der Zahl. Die Zahlenrelation aber, oder der Funktionsbegriff, bestimmt die gesamte moderne Welterfassung durch Wissenschaft. 4 In logischer Hinsicht sind Einheit und Vielheit Grundkategorien. Kant nimmt sie, neben der «Allheit», der Tradition folgend, in seine Kategorientafel auf.5 In anderer Weise - nämlich ins Qualitative gewendet - hat die Frage des «Einen» und des «Vielen» seit Piatons wirkmächtigem Spätwerk 6 die ganze abendländische Metaphysik geprägt. Es geht dabei in verschiedenen Wandlungen um das Verhältnis zwischen Vielheit der Erfahrung und Einheit der Erkenntnis. 7 Drittens endlich formt die Unterscheidung von Einzahl und Vielzahl unsere Vorstellung durch das Wesen der sprachlichen Kategorie selbst. In den indogermanischen Sprachen ist der Numerus seit alter Zeit voll ausgestaltet, wenn sich auch in seiner Bedeutungsnatur ein gewisser Wandel vollzogen hat. Er erscheint beim Pronomen und Nomen, kongruent bei dessen Begleitern, und wiederum sinnverbindend beim nominalen und verbalen Prädikat. Gegenüber der historischen Veränderung hat er 4
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Vgl. hierzu das noch immer aufschlußreiche Buch von Ernst Cassirer: Substanzbegriff und Funktionsbegriff. Untersuchungen über die Grundfragen der Erkenntniskritik, Berlin 1910; zu den verschiedenen Auffassungen des Zahlbegriffs S. 35-87; zur Vielheit als begrifflichem Moment der Zahl S. 53-55. Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 1787, § 1 0 - 1 2 (= Kant (1911), Band III, S. 90-99). Sophistes 242 06-245 es; 251 a8-c6; Philebos 12 0 7 - 3 1 bi; der Parmenides im ganzen. Eigentlich steht aber Piatons ganzes Spätwerk in diesem Bezug. Solche ewige Fragen kommen auch in «nachmetaphysischer» Zeit nicht zur Ruhe. Sie erscheinen wieder in den sogenannten Kognitionswissenschaften, der psychologisierenden linguistischen Prototypensemantik u. ä. 2
sich immer robust gezeigt; wo er durch morphologisch-syntaktische Wechselfälle schwand, hat er sich, wie im Armenischen, aus verwandten Kategorien neuaufgebaut. In Sprachen mit starker morphologischer Reduktion, wie dem Englischen, ist die Numerusopposition gut charakterisiert geblieben. Diesem Sachverhalt entspricht die feste Verankerung der Numeruskategorie in der abendländischen Grammatiktradition. Ihre Beschreibung in den einzelsprachlichen Grammatiken erscheint mit den erwähnten Tatsachen im Einklang: Als Funktion des Plurals wird in der Regel die Bezeichnung der Mehrzahl, Vielheit o.ä. angegeben. Dazu wird das morphematische Inventar der Pluralbildung aufgeführt. Dann werden die Fälle abgehandelt, in denen der Plural aus sachlichen oder begrifflichen Gründen nicht in Frage kommen kann oder nur bei gleichzeitiger lexikalischer Konversion, also bei Stoffnamen, Abstrakta, Eigennamen. Gelegentlich wird der generische Gebrauch des Singulars vom Typ Der Mensch ist sterblich als Fall der Neutralisierung erwähnt. Ferner weist man auf die durch die lateinische Schulgrammatik so populären Pluralia tantum hin, also auf Beispiele der Lexikalisierung der Numerusopposition. Bei den lexikalischen Konversionen, bei Singularia und Pluralia tantum bietet sich dann meistens einiger Anlaß zur Diskussion der jeweiligen Gebrauchsschwankungen, Regeln und Normen. Es sei allerdings schon hier nicht verschwiegen, daß in den besseren Grammatiken und Handbüchern durchaus Bemerkungen zu finden sind, die das sprachliche Wesen der Numerusopposition hervorheben, das heißt die Tatsache, daß diese Kategorie keineswegs nur die gegenständliche Mehrzahl nachbildet. Eines steht allerdings außer Frage: Wenn eine Sprache zwischen Singular und Plural unterscheidet, und wenn dann von einer Mehrzahl konkreter individueller Gegenstände die Rede ist, wird zu deren Bezeichnung der Plural verwendet werden. Wozu sollte er sonst dienen?
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I.
Ein merkwürdiger Singular De quanta moga andava na roda dos vinte por toda aquela corda de aldeias acagapadas nas lombas Maria Vicènda era a mais perfeitaga. Adelaide Félix 1 'Von allen Mädchen um die zwanzig aus der Perlschnur an den Hang geduckter Dörfer war Maria Vicènda die schmuckste.5
W e r sich e t w a s mit der p o r t u g i e s i s c h e n S p r a c h e v e r t r a u t g e m a c h t hat, stellt n u n a b e r fest, d a ß d o r t in m a n c h e n F ä l l e n g e g e n d i e s e M i n i m a l v o r a u s s e t z u n g v e r s t o ß e n wird. D a s h e i ß t , d a ß b e i e i n e r gut a u s g e b i l d e t e n v o m L a t e i n i s c h e n e r e r b t e n N u m e r u s o p p o s i t i o n in g e w i s s e n R e d e z u s a m menhängen zur Bezeichnung konkreter gegenständlicher Vielheit trotz a l l e m g e r a d e d e r S i n g u l a r v e r w e n d e t wird, w i e es in d e m o b e n s t e h e n d e n literarischen Z i t a t g e s c h i e h t . Quanta
moga k a n n i m D e u t s c h e n nicht i m
S i n g u l a r w i e d e r g e g e b e n w e r d e n , es sei d e n n d u r c h das w e n i g e r t e x t a n g e messene «Mädchenschar». B e t r a c h t e n wir d a z u e i n i g e w e i t e r e B e i s p i e l e : (1) Ja estou a ver para ai muito carro parado. 'Ich sehe da drüben schon allerhand geparkte Wagen stehen.' (2) Mais de uma multa por dia e para um so automövel e muita multa. 'Mehr als ein Strafzettel am Tag für ein einziges Fahrzeug ist viel (Strafzettel).' (3) Hä muito quem pense tambem assim. 'Es gibt viele, die auch so denken.' (4) Hä tanto ano! 'Das ist so viele Jahre her!' (5) A aldeia jä näo tem nada de autentico - hä demasiado turista em toda a parte. 'Das Dorf hat seine Eigenart verloren - da laufen überall zu viele Touristen herum.' (6) Ho je em dia e pouco o pescador que pratica a pesca ä antiga. 'Heute sind nur noch wenige Fischer bei der alten Fangart geblieben.' (7) Ele remexeu quanta gravata havia na loja para no fim näo comprar nenhuma. (E. G.) 'Er durchwühlte alle Krawatten im Laden und kaufte dann doch keine.'
1
Adelaide Félix, Maria Vicência, in: Joäo Pedro de Andrade (Hg.), Os melhores contos portugueses, Bd. III, Lissabon 2I9Ô5, S. 97-107, hier S. 97.
4
Der wiederholten Rede gehören zu: (8)
Anda em capa de letrado muito asno disfargado. (E. G.) 'Unter dem Gelehrtenfrack verbirgt sich manches Eselspack.'
Die folgenden volkstümlichen Sprüche hat Joaquim das Neves Henriq u e s 2 in der Revista (9)
Lusitana
gefunden:
A aldeia de Casa Branca No meio tem uma ponte Por amor das raparigas muito sapato se rompe. (N. H. 25) 'Das Dorf Casa Branca Hat in der Mitte eine Brücke Aus Liebe zu den Mädchen Geht viel Schuhwerk in Stücke.'
(10) Tanto limäo, tanta lima Tanta laranja no chäo; Tanta menina bonita, nenhuma na minha mäo. (N. H. 25) 'So viele Zitronen, so viele Limonen So viele Orangen auf dem Sand; So viele hübsche Mädchen, Und keines an meiner Hand.'
2
Joaquim das Neves Henriques, Aspectos do nümero gramatical e lexical nos substantivos concretos em portugues, Coimbra 1963. Es handelt sich um eine Lizentiaturthesis in maschinenschriftlicher Ausfertigung, die im Romanischen Seminar der Universität Coimbra eingesehen werden kann. Die Arbeit von immerhin 214 Seiten geht nur kurz (S. 23-27, S. 39) auf die uns interessierenden Fälle ein und deutet sie u. E. nicht korrekt z. T. als generischen, z. T. als partitiven Gebrauch. Ihr Hauptaufwand gilt der Inventarisierung von lexikalischem Material zum Numerus. Dabei ist der interessanteste Beitrag zweifellos die Behandlung der typisch portugiesischen pejorativen Pluralspitznamen von der A r t ameixoas - 'Schlitzohr', tanigas - 'Schwächling' u.ä. (S. 142-164). Die meist nicht richtig erklärte Erscheinung hat in jüngerer Zeit Heinz Kröll wieder zur Sprache gebracht und ohne Bezug auf das Material von Neves Henriques 43 Beispiele angeführt: Aus dem ursprünglichen Femininum ins Maskulinum überführte Nomina in der Pluralform im Portugiesischen, Lusorama 16 (Oktober 1991), S. u o - 1 2 7 . In einen größeren Rahmen gestellt findet sie sich bei Leo Spitzer, Über Ausbildung von Gegensinn in der Wortbildung. I. Die epizönen Nomina auf -a(s) in den iberischen Sprachen, in: Ernst Gamillscheg, Leo Spitzer (Hgg.), Beiträge zur romanischen Wortbildungslehre, Genf 1921 (= Biblioteca dell' 'Archivum Romanicum', Serie II, Linguistica, vol. 2), S. 82-182. Mehr als bisher angenommen, wird hierbei die Namensimitation paradigmenbildend sein, die Leo Spitzer als mitmotivierend anführt (ibid., S. 97-108). Die Beispiele von Neves Henriques haben wir mit N. H. bezeichnet, mit E. G. solche, die wir Elisabeth Gon?alves von Strasser verdanken, die uns auch mit einiger anderer Auskunft behilflich war.
5
E t w a s a n d e r e r N a t u r sind die f o l g e n d e n F ä l l e : ( n ) Este ano a ervilha é pouca e näo presta. (N. H. 23) 'Dieses Jahr gibt es wenige Erbsen, und sie sind von schlechter Qualität.' (12) Para que aparecesse batata no mercado liberalizou-se o prego. 'Damit Kartoffeln auf den Markt kamen, wurde der Preis freigegeben.' (13) Vimos feijäo verde a x Esc. e tomate a y Esc. 'Wir sahen grüne Bohnen zu x Escudos und Tomaten zu y Escudos.' (aus einem Marktbericht) (14) A couve näo tem bicho. ' A n dem Kohl sind keine Tiere / ist kein Ungeziefer.' (15) As companhias de petróleo continuam a fazer negocio. 'Die Ölgesellschaften machen weiterhin Geschäfte.' A u f f ä l l i g ist b e i d e n z i e m l i c h p l a n l o s a u f g e g r i f f e n e n B e i s p i e l e n , d a ß hier der Singular unserem G e f ü h l einer natürlichen L o g i k und d e m deutschen S p r a c h g e b r a u c h z u w i d e r s p r e c h e n scheint. W e r n u n in d e n H a n d b ü c h e r n z u r p o r t u g i e s i s c h e n S p r a c h e A u f s c h l u ß ü b e r die D e u t u n g dieser E r s c h e i n u n g sucht, b l e i b t w e i t g e h e n d a u f sich gestellt. W a s e i n e d e r b e i d e n ältesten p o r t u g i e s i s c h e n G r a m m a t i k e n z u m N u m e r u s sagt, sei u m der a n r ü h r e n d e n A r c h a i k w i l l e n h i e r zitiert: - Do numero que tem o nome Numero e o nome, e aquella distingä per que apartamos hum de muitos. E ao numero de hü chamä os gramáticos Singulár, e ao de muitos, Plurár, e fálando pelo primeiro diremos, o hóme verdadeiro tem pouco de seu. E se disser, os hornees bulrröes tem pouca vergonha, fálo pelo numero plurár, por que sam muitos. 'Numerus beim Nomen ist jene Unterscheidung, durch die wir Eins von Vielen trennen. Und den Numerus des Einen nennen die Grammatiker Singular; und den der Vielen Plural. Und wenn wir mit dem ersten sprechen, so werden wir sagen: Der ehrliche Mensch hat wenig Besitz. Und wenn ich sage: Die Betrüger haben wenig Scham, dann spreche ich im Numerus Plural, denn es sind viele."3 I m L a u f e d e r Z e i t ist d i e s e r e l e m e n t a r e K e r n d e r N u m e r u s b e s c h r e i b u n g a u c h in d e n p o r t u g i e s i s c h e n H a n d b ü c h e r n i m S i n n e d e r o b e n g e g e b e n e n C h a r a k t e r i s i e r u n g , hier w e n i g e r , dort m e h r , a u s g e s t a l t e t w o r d e n . D o c h z u u n s e r e r F r a g e s c h w e i g e n sie meist. 4 3
4
Joäo de Barros, Gramática da Lingua Portuguesa, Lissabon 1540, in: Maria Leonor Carvalhäo Buescu (Hg.), Joäo de Barros, Gramática da língua portuguesa. Cartinha, Gramática, Diálogo em louvor da nossa linguagem e Diálogo da viciosa vergonha. Reprodugäo facsimilada, leitura, introdugäo e anotagöes, Lissabon 1971, S. 75 (S. 10 des Originals). So: Manuel Said Ali, Gramática histórica da língua portuguesa, Rio de Janeiro 7 1971. Leodegário A . de Azevedo Filho, Para urna gramática estrutural da língua portuguesa, Rio de Janeiro 2 I975- Francisco da Silveira Bueno, Gramática normativa da língua portuguesa. Curso superior. Sao Paulo 7 I968. Pilar Vázquez Cuesta, Maria Albertina Mendes da Luz, Gramática portuguesa, Madrid 3 i 9 7 i . Celso Cunha, Luís F. Lindley Cintra, Nova gramática do portugués contemporá-
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Diese auffällige Schweigsamkeit der Grammatik gegenüber einer sprachlichen Erscheinung, die in der Rede 'alle Augenblicke' («a todo o momento», Neves Henriques 1963, S. 23) vorkommt, könnte sich auf verschiedene Weisen erklären: Einmal könnte es sein, daß den muttersprachlichen Grammatikern einfach der Kontrast für die Auffälligkeit des Phänomens fehlt. Daß sich die Singulare auf in anderen Sprachen obligatorisch pluralisch bezeichnete Sachverhalte beziehen, wird schlicht gar nicht wahrgenommen. Zum anderen wäre es möglich, daß irgendetwas in den Vorräumen des Bewußtseins die Infragestellung der Gleichung: 'Plural = Mehrheit' ablehnt und damit eine sonst notwendige Umdeutung der Numeruskategorie. Schließlich - und dieses Argument hat vielleicht das größte Gewicht ist anzunehmen, daß der volkstümliche Charakter dieser Singulare sie als randständig und im Grunde nicht so recht korrekt erscheinen läßt, so daß man glaubt, in einer seriösen grammatischen Beschreibung auf sie nicht eingehen zu müssen. Hierzu ist allerdings zu sagen, soweit das ohne Einzelfalldifferenzierung überhaupt möglich ist, daß die erwähnten Formen zwar ein eigentümlich unintellektueller Duktus auszeichnet, sie aber allenfalls dem Bereich der informelleren Rede, nicht jedoch dem rein familiärer oder gar vulgärer Ausdrucksweise zugeordnet werden können. Die gleiche grammatische Erscheinung, die wir hier am Beispiel des Portugiesischen angesprochen haben, findet sich auch im Spanischen. Hier ist sie mehr beachtet und ausführlicher beschrieben worden, wenngleich meistens an marginaler Stelle. Immerhin hat schon Juan de Valdés in neo, Lissabon 9 I992. Joseph Dunn, A grommar ofthe Portuguese language, Washington D. C. 1928, Nachdr. 1970. Maria Teresa Hundertmark-Santos Martins, Portugiesische Grammatik, Tübingen 1982. Oscar Lopes, Gramática simbólica do portugués, Lissabon 2 1972, der den Numerus mengen theoretisch behandelt. Carl von Reinhardstoettner, Grammatik der portugiesischen Sprache. Auf Grundlage des Lateinischen und der romanischen Sprachvergleichung bearbeitet, Straßburg 1878, führt nur unter «Berichtigungen und Zusätze», S. 400, ein Beispiel an: «Seite 271, Zeile 6 v. o. ergänze: höchst selten sind Fälle eines collekti ven Singulars bei alten Schriftstellern = lat. miles, pedes statt milites, pedites z.B. Muito cavalleiro em Franca tanto como esses val (Hard. Rom. II, 22).» Einen Satz verzeichnet (mit Bezug auf die ältere Sprache) Augusto Epiphanio da Silva Dias, Syntaxe histórica portuguesa, Lissabon 4 1959, S. 58: «Acompanhado de muito, pouco, tanto, pode empregar-se o singular em vez do plural: muito hörnern, pouca laranja, tanta desgrana. » Und die Autorinnen Maria Helena Mira Mateus, Ana Maria Brito, Inés Silva Duarte und Isabel Hub Faria der Gramática da lingua portuguesa, Lissabon 1982, '1989, erwähnen zwar beiläufig (S. 73), daß bolo, 'Kuchen', obgleich zu der gegenständlichen zählbaren Klasse von Nomina gehörig, auch unbestimmt partitiv ohne Artikel erscheinen kann: Comi bolo ao jantar 'Bei dem Abendessen aß ich Kuchen', dies aber eher in Anlehnung an die bekannten Beispiele der Grenzfälle bzw. der Klassenspaltung in den Handbüchern {Ich kaufe Brot vs. Ich kaufe ein Brot) als unter Bezug auf die typisch portugiesischen Verhältnisse.
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seinem Diälogo de la lengua ( 1 5 3 5 ) 5 in nicht ganz unzutreffender Weise die Konstruktion mit dem numerusneutralen Ausdruck im Hebräischen verglichen. Und in den letzten hundert Jahren ist immer einmal wieder davon die Rede gewesen. 6 Doch kehren wir zu den Verhältnissen im Portugiesischen zurück. Wie läßt sich das Phänomen der scheinbar inkohärenten Singularverwendung begründen und deuten? In der zitierten Literatur wird es gelegentlich als «kollektiver Singular» angesprochen. Diese Bezeichnung ist für die ältere Zeit nicht ganz unberechtigt, da man den Ausdruck «Kollektivum» früher anders verwendete. Doch handelt es sich eigentlich weder um ein Kollektivum, noch um einen Singular, noch um einen kollektiven Singular. Aus neuerer methodischer Sicht könnte man an eine Erklärung der Erscheinung durch den Begriff der Neutralisierung denken. In der Numerusopposition stellt der Singular offensichtlich den merkmallosen Terminus dar, was in der Sprachwissenschaft zumindest seit Ludwig Tobler 1883 7 bekannt ist - wenn auch hier in Bezug auf den strukturellen Fachwortschatz ante litteram - und seither kaum bestritten wurde. Tatsächlich 5
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Juan de Valdés, Diälogo de la lengua. Edición y notas por José F. Montesinos, Madrid 1928, S. 37. In der Ausgabe von Juan M. Lope Blanch, Madrid 1969, findet sich die Stelle auf S. 65. Aus der älteren spanischen Literatur hat Henry R. Lang, The collective singular in Spanish, PMLA 1 (1886), S. 1 3 3 - 1 4 8 , schönes Material zusammengetragen und nach Lexembedeutungen gegliedert, dabei auch ein paar ältere portugiesische Belege. James E. Iannucci, Lexical number in Spanish nouns, Philadelphia 1952, geht kurz (S. 45-46) auf die Erscheinung ein, zitiert auch einige vorausgehende Handbucherwähnungen. Hinzufügen ließen sich u. a. noch: A. M. Badia Margarit, Aspectos formales del nombre en español, in: Problemas y Principios del Estructuralismo Lingüístico, Madrid 1967 (= Publicaciones de la Revista de Filología Española 16), S. 43-70, hier S. 69-70; Emilio Lorenzo, El español de hoy, Madrid 2 i97i, S. 37; Helmut Berschin, Julio Fernández-Sevilla, Josef Felixberger, Die spanische Sprache, München 1987, S. 166 und Jacques de Bruyne, Spanische Grammatik. Übersetzt von Dirko-J. Gütschow (=Spaanse Spraakkunst, Malle 1985), Tübingen 1993, S. 88-89. Doch mag dies alles lükkenhaft bleiben. Ludwig Tobler, Ueber den Begriff und besondere Bedeutungen des Plurals bei Substantiven, Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft 14 (1883), S. 410-434, hier S. 424-425: «Ueberhaupt aber kann von dem Singular nicht ohne weiteres ein Rückschluss auf den Plural gemacht werden, weil jener in der geschichtlich bestehenden Sprache nun einmal eine begriffliche Priorität, eine bevorzugte Stellung und Geltung besitzt, vermöge welcher er etwa auch den Plural mit umfassen oder vertreten kann, während dieser jenen voraussetzt und nur insofern auch involvirt, aber ihn nicht ersetzen kann.» Und schon eingangs S. 411: «der sog. Singular ... kann darum den Plural bereits implizirt enthalten ...». Es ist darum nicht gut zu verstehen, weshalb Walter Belardi, La questione del numero nominale, RicLing 1 (1950), S. 204-233, hier S. 204, Tobler eine rein sachlich-ontologische Begründung des Numerus vorwerfen möchte. 8
läßt sich unser Phänomen als Neutralisierung beschreiben, freilich erst, wenn zuvor die betroffenen Oppositionsverhältnisse korrekt dargestellt worden sind. Wenn wir die Beispiele ( n ) - (14) - und man könnte sie vermehren - betrachten, so stellen wir fest, daß sie mit Marktwaren zu tun haben, die im Gegensatz zu dem Gebrauch in anderen Sprachen auch in der Vielzahl ihrer Früchte, Schoten, Knollen, Pflanzen oder sonstigen Einzelexemplare singularisch angesprochen werden. Dies legt die Vermutung nahe, daß die Sprache sie als eine Art Schüttgut klassifiziert. Das heißt, sie werden behandelt wie die Nomina, die man in der älteren Literatur «Stoffnamen», in der neueren «Massennamen», «Kontinua» oder «nicht zählbare Substantiva» genannt hat, wie etwa Wasser, Mehl oder Obst. Das Inventar der so behandelten oder behandelbaren Substantive ist durch die sprachliche Norm bestimmt, die ihrerseits wieder eng mit kulturhistorischen Fakten in Zusammenhang steht. So wird man im Portugiesischen kaum sagen: * O morango aumentou. 'Die Erdbeeren sind teurer geworden.'
In anderen Fällen wird man auf auseinandergehende Beurteilungen der Sprecher treffen. Die alle von einem Quantifikator begleiteten Lexeme der ersten Gruppe ((1) - (10)) sind dagegen völlig unterschiedlicher Natur, und wir möchten annehmen, daß, bei entsprechenden Kontexten, der Nexus 'quantifizierendes Adjektiv + Substantiv in der Singularform' bei allen Nomina der zählbaren Klasse möglich ist, mag dies auch von einzelnen Sprechern des Portugiesischen im einen oder anderen Fall bestritten werden.8 Unsere These ist nun, daß bei dieser Gruppe, genauso wie bei der zuvor genannten, die Singularform darauf zurückzuführen ist, daß hier die gegenständliche Welt sprachlich gleichsam eingeebnet und als undifferenziertes Kontinuum gleicher Substanzen erfaßt wird, ähnlich wie dies bei den sogenannten Massentermini geschieht. Und daß dieser Ausdruck, da er alternativ neben der auch möglichen Pluralform erscheint, welche 8
Eine genauere Beschreibung der Norm steht noch aus und ist hier nicht beabsichtigt. Es scheint jedoch, daß die größte Frequenz und Akzeptanz des Phänomens bei den Quantifikationen mit muito, tanto, quanto, (hä) vorliegt, und zwar durch die Affinität zur Emphase. Auf die weitere Extension der Erscheinung im Brasilianischen hat Dieter Woll zu Recht hingewiesen: Die Eigenentwicklung des brasilianischen Portugiesisch: Der Artikelgebrauch, RF 94 (1982), S. 6 7 - 8 3 , hier S. 7 0 - 7 1 , obgleich wir nicht allen seinen Beispieldeutungen zustimmen, angesichts der Fülle des Materials im europäischen Portugiesisch auch nicht seine Meinung teilen, hier finde man - bei belebten Designata - «spurenweise Ansätze» (S. 70) dieses Gebrauchs. In zutreffender Weise vergleicht Woll gewisse Verwendungen des Teilungsartikels im Französischen.
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die Gegenstände bei ihrem diskreten Relief beläßt, eine besondere sprachlich gestaltete Sichtweise bedeutet. Diese These ist in ihrem übereinzelsprachlichen Gehalt freilich nicht völlig neu, wenn sie auch nicht als Allgemeingut der Sprachwissenschaft betrachtet werden kann. Sie soll aber im folgenden in ihrem Bezugszusammenhang begründet und in ihren Auswirkungen untersucht werden. Und diese beiden Aufgaben sind keineswegs trivial.
10
2.
Numerus und Nominalaspekt In die Bildung und in den Gebrauch der Sprache geht aber nothwendig die ganze Art der subjectiven Wahrnehmung der Gegenstände über. Wilhelm von Humboldt, Werke 3, S. 433
2.1
Der Numerus
Wir haben eingangs davon gesprochen, daß die Numeruskategorie vielfach als unproblematisch für die grammatische Beschreibung betrachtet wird, und zwar, weil ihre Bedeutung auf eine natürliche Art evident zu sein scheint. Und wir haben erwähnt, daß dies zum Teil auf ihre Verwandtschaft mit Begriffen der logischen und mathematischen Wissenschaftssprache zurückzuführen ist. Die genannte Auffassung hat aber auch aus eigentlich sprachwissenschaftlicher Sicht eine gewisse Berechtigung. Im konkreten Sprechen bezieht sich der Plural tatsächlich meist auf eine Mehrzahl von Objekten, und insofern kann man sagen: «Richtig angewendet, bezeichnet der Plural die Mehrzahl und der Singular die Einzahl» oder auch verkürzt: «Die Bedeutung des Plurals ist 'Mehrzahl'». Diese Übereinstimmung der vorgefundenen Sinnesdaten 'Einzahl' bzw. 'Mehrzahl' von Gegenständen mit dem sprachlichen Ausdruck 'Singular' bzw. 'Plural' gehorcht einem Regelwerk des sinnvollen Redens im allgemeinen, dessen Kenntnis Eugenio Coseriu «Äußerungswissen» oder «elokutionelles Wissen» genannt hat. Und er meint damit «eine universelle Norm der Kohärenz zwischen sprachlichem Ausdruck und bezeichneter Wirklichkeit.» 1 A b e r auch auf der Ebene der Sprache qua langue selbst, welche völlig außerhalb der Kriterien von Wahrheit, Falschheit und logischer Kohärenz steht, 2 weist die Numeruskategorie eine besondere Hinwendung zur Welt der Dinge als dem zu Bezeichnenden auf. Sie gehört nämlich wie das
1
2
Eugenio Coseriu, Logik der Sprache und Logik der Grammatik (1976), in Id., Formen und Funktionen. Studien zur Grammatik, Herausgegeben von Uwe Petersen, Tübingen 1987, S. 1 - 2 3 , hier S. 14; zum Äußerungswissen bes. S. 4 - 6 . Ferner zum sprachlichen Wissen allgemein: Eugenio Coseriu, Sincronia, diacronia e historia, Montevideo 1958, S. 32-35, d. Ü.: Synchronie, Diachronie und Geschichte. Übersetzt von Helga Söhre, München 1974, S. 49-54; und umfassend: Eugenio Coseriu, Die Ebenen des sprachlichen Wissens. Der Ort des «Korrekten» in der Bewertungsskala des Gesprochenen, in: Jörn Albrecht (Hg.), Schriften von Eugenio Coseriu (1965-1987), Tübingen 1988 (= Energeia und Ergon, Band I), S. 327-364, zum «elokutionellen Wissen»: S. 328-329, S. 333-336. Vgl. den zitierten Beitrag von E. Coseriu (1976), 1987, S. 6 - 1 5 . Ii
G e n u s z u d e n s p r a c h l i c h e n V e r f a h r e n , die sich u n m i t t e l b a r auf e i n e E r f a s sung und Klassifikation der gegenständlichen Vorstellungen
beziehen,
also auf etwas, das m a n in der U n i v e r s a l i e n f o r s c h u n g Apprehension
ge-
n a n n t hat. 3 I m G e g e n s a t z z u m G e n u s a b e r , das sich i m i n d o g e r m a n i s c h e n B e r e i c h fast n u r n o c h als F o r m k l a s s e darstellt, entspricht d e r N u m e r u s w e i t g e h e n d e i n e m a u c h in d e r W i r k l i c h k e i t f e s t s t e l l b a r e n S a c h v e r h a l t . 4
2.1.1
D i e reine Numeruskategorie
D i e g e n a n n t e n G e s i c h t s p u n k t e lassen e s n u n v e r s t ä n d l i c h e r s c h e i n e n , d a ß m a n v e r s u c h t hat, d e r N u m e r u s k a t e g o r i e e i n e u n i v e r s e l l e G ü l t i g k e i t zuz u s c h r e i b e n , die sich d a n n in d e n E i n z e l s p r a c h e n bis z u e i n e m g e w i s s e n G r a d e v e r w i r k l i c h t finde. S o g e s c h i e h t es e t w a i m R a h m e n v o n H u s s e r l s «Idee der reinen Grammatik»: Alle in der reinen Formenlehre herausgestellten, nach Gliederungen und Strukturen systematisch erforschten Bedeutungstypen - so die Grundformen der Sätze, der kategorische Satz mit seinen vielen Sondergestaltungen und Gliederformen, die primitiven Typen propositional komplexer Sätze, wie die konjunktiven, disjunktiven, hypothetischen Satzeinheiten, oder die Unterschiede der Universalität und der Partikulartät auf der einen, der Singularität auf der anderen Seite, die Syntaxen der Pluralität, der Negation, der Modalitäten usw. - all das sind durchaus apriorische, im idealen Wesen der Bedeutungen als solcher wurzelnde Bestände, wie nicht minder die in weiterer Folge nach den Operationsgesetzen der Komplexion und Modifikation und [sie! ~ 'aus1] solchen primitiven Formen zu erzeugenden Bedeutungsgestalten. Gegenüber den empirisch-grammatischen Ausprägungen sind sie also das an sich Erste und gleichen in der Tat einem absolut festen, sich in empirischer Umkleidung mehr oder minder vollkommen bekundenden «idealen Gerüst». Man muß es vor Augen haben, um sinnvoll fragen zu können: Wie drückt das Deutsche, das Lateinische, Chinesische usw. «den» Existenzialsatz, «den» kate3
4
Vgl. Eugenio Coseriu, Der romanische Sprachtypus. Versuch einer neuen Typologisierung der romanischen Sprachen, in: Jörn Albrecht (Hg.) 1988, S. 207224, hier S. 212 (die französische Erstfassung des Aufsatzes stammt aus dem Jahre 1971); Coseriu benutzt seine Unterscheidung von «inneren», «nicht-relationellen» Funktionen und «äußeren», «relationeilen» Funktionen, die Beziehungen innerhalb des Satzes herstellen, zu einer typologischen Beschreibung der romanischen Sprachen. Nur zum Teil deckt sich damit die Unterscheidung von Christian Lehmann, Der Relativsatz, Tübingen 1984, S. 149-153, zwischen «absoluten» und «relationalen» Ausdrücken. Vergleichbar mit Coserius «inneren» Funktionen sind die «syntaktischen Mittel der Objektreferenz» bei Johannes Heinrichs, Reflexionstheoretische Semiotik, 2. Teil: Sprachtheorie, Bonn 1981, S. 304. Zur Apprehension s. Hansjakob Seiler, Christian Lehmann, Franz Josef Stachowiak (Hgg.), Apprehension. Das sprachliche Erfassen von Gegenständen, 3 Bdd., Tübingen 1982-1986. «Das grammatische Geschlecht hat noch den Vorzug des internationalen, das formal und ideal genannt werden mag, weil es die Grenzen der gegebenen äusseren Thatsachen überschreitet. Die Zahl aber ist etwas ganz Sachliches, Stoffliches;...» Georg von der Gabelentz, Die Sprachwissenschaft. Ihre Aufgaben, Methoden und bisherigen Ergebnisse, Leipzig 2 i90i, S. 446. 12
gorischen Satz, «den» hypothetischen Vordersatz, «den» Plural, «die» Modalitäten des «möglich» und «wahrscheinlich», das «nicht» usw. aus? 5
Es ist leicht zu sehen, daß Husserl entgegen seiner eigenen Intuition auf der Ebene der «begrifflichen sprachlichen Universalien» 6 verbleibt und dazu auf der Ebene von begrifflichen Universalien, die durch die entsprechenden indogermanischen Kategorien geprägt sind.7 Nach Wolfgang Stegmüller (ibid., S. 86) hat erst Rudolf Carnap «die von Husserl aufgestellte Forderung nach einer reinen (apriorischen) und universellen Grammatik ... annäherungsweise erfüllt». Während aber Husserl noch meinte, mit der «reinen» Kategorie 'Plural' einen ideellen Festpunkt gefunden zu haben, sehen die verschiedenen modernen Ausprägungen der logischen Semantik, sofern sie sich mit ihrem Instrumentarium der Beschreibung natürlicher Sprachen widmen, bei der Behandlung der vergleichsweise einfachen Numeruskategorie doch vor beträchtlichen Schwierigkeiten, die sie zum großen Teil der eigenen Art der Fragestellung verdanken. 8 Was die Vorstellung von der Abbildlichkeit der Sprache gegenüber gewissen Grundkategorien des Denkens angeht, so war sie selbst Wilhelm von Humboldt, dem Philosophie, Semiotik und Linguistik die Erkenntnis von der Welterschließung durch die Einzelsprachen verdanken, nicht völlig fremd. 9 Wie er in diesem Zusammenhang den Numerus einstufte, ist wie so oft bei Humboldt - nicht ganz klar zu fassen. Denn einerseits nennt er ihn in seiner berühmten Akademierede vom 26.04.1827 «Über den Dualis» «eine der Sprache schlechterdings nothwendige Form», so daß man wegen des wörtlichen Anklangs versucht ist, in der eingangs zitierten Bemerkung Madvigs einfach eine Berufung auf die Autorität Humboldts zu sehen:
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Logische Untersuchungen II, 1, Tübingen 5 1968, S. 339. Auf die Erwähnung der weiteren historischen Vorläufe der Idee der universalen Grammatik mag hier verzichtet werden. Z u diesem Begriff s. Eugenio Coseriu, Die sprachlichen (und die anderen) Universalien, in: Brigitte Schlieben-Lange (Hg.), Sprachtheorie, Hamburg 1975, S. 1 2 7 - 1 6 1 (urspr. frz. 1974). S. Wolfgang Stegmüller, Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie, Bd. 1, Stuttgart 7 1989, S. 85. Einen guten Überblick über die Diskussion geben Lenhart K. Schubert und Francis Jeffry Pelletier, Problems in the representation of the logical form of generics, plurals, and mass nouns, in: Ernest LePore (Hg.), New directions in semantics, London 1987, S. 385-451; ebenso: Manfred Krifka, Massennomina, in: Arnim von Stechow, Dieter Wunderlich (Hgg.), Semantik. Ein internationales Handbuch der zeitgenössischen Forschung, Berlin - New York 1991, S. 399417, und Godehard Link, Plural, ibid., S. 418-440. Hierauf hat Jürgen Trabant, Apeliotes oder Der Sinn der Sprache. Wilhelm von Humboldts Sprach-Bild, München 1986, S. 89-90 hingewiesen.
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Der Dualis dagegen schliesst sich nicht nur an eine der Sprache schlechterdings nothwendige Form, den Numerus, an, sondern begründet sich, wie oben gezeigt worden, auch im Pronomen eine eigene Stellung.10
Andererseits bemerkt er in dem gleichen Beitrag (ibid., S. 134): Wenden doch mehrere Völker nicht einmal die in ihren Sprachen wirklich vorhandenen Pluralformen da an, wo die gemeinte Mehrheit aus anderen Umständen hervorgeht, einer hinzugefügten Zahl, einem Anzahlsadverbium, aus dem Verbum, wenn die Mehrheitsbezeichnung beim Nomen, oder dem Nomen, wenn sie beim Verbum weggelassen wird, u.s.f.
Aus dem letzten Zitat wiederum wird seine Kenntnis des Sachverhalts deutlich, daß manche Sprachen über keine Pluralformen verfügen und andere, die sie besitzen, die Numerusbezeichnung okkasionell dem Kontext überlassen. Im ganzen aber kann man festhalten, daß die Auffassung von dem abbildhaften Charakter des Numerus außerhalb des erwähnten Bereichs der intensionalen Logik eher im Nichtgesagten als im Gesagten anzutreffen war und ist. 2.1.2 Die empirische Numeruskategorie Doch kommen wir mit Wilhelm von Humboldt zu den «empirisch getrübten Vorstellungen» des «Grammatikers» (E. Husserl, LU II, 1, S. 339) zurück, um zu sehen, wie sich die scheinbar so sachgegebene und einleuchtende Numeruskategorie in der sprachlichen Wirklichkeit darstellt. Da kann man nun mit den Worten Ernst Cassirers als erstes sagen: Eine große Zahl von Sprachen läßt den Gegensatz von Singular und Plural völlig unbezeichnet."
Dies hängt mit dem zusammen, was man den «aposiopetischen», Verschweigenden' Charakter der Sprache genannt hat: Gerade das Naheliegende kann unbezeichnet bleiben, weil die Sprache mit den Dingen zusammen bedeutet, was sie bedeutet. Diese Indifferenz gegenüber der nominalen Numeruskategorie zeigen viele Indianersprachen, aber auch die meisten Sprachen Südostasiens. In den letzteren findet man bei Zahlangaben die sogenannten Numeralklassifikatoren, das heißt, zwischen Zahl und Gattung wird eine Art Maßeinheit eingeschoben, ähnlich wie es in unseren Sprachen bei Ausdrücken wie 'ein Kopf Salat' oder cdrei Stück Vieh' geschieht. 12 Die Sprachen mit 10
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12
Wilhelm von Humboldt, Über den Dualis, in Id., Werke in fünf Bänden, Band 3, Schriften zur Sprachphilosophie, Darmstadt 1963, S. 1 1 3 - 1 4 3 , hier S. 140. Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen. Erster Teil. Die Sprache (1923), Darmstadt 4I9Ö4, S. 195. Zu dem gesamten Komplex vgl. das Kapitel über die sprachliche Entwicklung des Zahlbegriffs bei Cassirer (1923), 1964, S. 1 8 4 - 2 1 2 ; zur Numerusindifferenz in Indianersprachen s. a. Franz Boas (Hg.), Handbook of American Indian Languages, Teil 1, Washington 1911, S. 37. Zu den Numeralklassifikatoren s. Joseph H. Greenberg, Numeral classifiers and substantival number: Problems in the 14
Numeralklassifikatoren kennen nun nach einem von Joseph H. Greenberg festgestellten implikativen Universale keine oder nur fakultative Numerussysteme (Greenberg 1974). Dies ist auch schlüssig, insofern sich das System der Numeralklassifikatoren in Sprachen ausgebildet hat, in denen die Substanzbedeutung eher als Kontinuum gesehen wird, aus dem dann beim Vorgang des Zählens mit Hilfe der Klassifikatoren Einheiten ausgegliedert werden. Wenn der Numerus nicht beim Nomen erscheint, so wird er zuweilen beim Verbum ausgedrückt. So klassifizieren einige nordamerikanische Indianersprachen die betroffenen nominalen Argumente des Satzes mit dem Verbalausdruck, nicht nur nach ihrer formalen Beschaffenheit, sondern auch nach dem Kriterium der Einzahl oder Mehrzahl. 13 In anderen Sprachen erscheint der Numerus beim Nomen nur bei Bedarf und mit eher lexikalisch zu nennenden Mitteln. 14 Manchmal ist der Numerusausdruck mit sonstigen nominalen Klassifikationssystemen verflochten. So klassifiziert das Ponca, eine Sioux-Sprache, den nominalen Ausdruck mit einem komplexen 'Artikelsystem', das neben völlig anderen Gesichtspunkten, wie Form und räumliche Anordnung, auch Merkmale wie 'Plural' oder 'Kollektivum' enthält. Der Terminus 'Artikelsystem' rechtfertigt sich insofern, als die gesamte Klassifizierung nur eintritt, wenn der entsprechende Nominalwert als 'bestimmt' vorgestellt wird. 15 Auch in einigen polynesischen Sprachen ist der Numerus an ein Bestimmtheitsmorphem gebunden.' 6 Mit den vielfältigen und phantasiereichen Merkmalgliederungen der afrikanischen Klassensprachen (ca. 600 Idiome) ist die Numeruskategorie
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genesis of a linguistic type, in: Luigi Heilmann (Hg.), Proceedings of the Eleventh International Congress of Linguists, Bologna - Florence, Aug. 28 - Sept. 2, 1972, Bd. I, Bologna 1974, S. 1 7 - 3 7 ; Ulrike Kölver, Klassifikatorkonstruktionen in Thai, Vietnamesisch und Chinesisch. Ein Beitrag zur Dimension der Apprehension, in: Hansjakob Seiler, Christian Lehmann (Hgg.), Apprehension. Das sprachliche Erfassen von Gegenständen, Bd. I, Tübingen 1982, S. 160-186. Roger Barron, Das Phänomen klassifikatorischer Verben, in Seiler, Lehmann (Hgg.), I, 1982, S. 1 3 3 - 1 4 6 , hier bes. S. 138 und S. 144; Wilfried Kuhn, Formale Verfahren der Technik KOLLEKTION, in: Hansjakob Seiler, Franz Josef Stachowiak (Hgg.), Apprehension. Das sprachliche Erfassen von Gegenständen, Bd. II, Tübingen 1982, S. 5 5 - 8 3 , hier S. 7 2 - 7 4 . So etwa im Chiriguano; s. Wolf Dietrich, El idioma chiriguano, Madrid 1986, S. 1 1 9 - 1 2 0 . Zu einer ganz anderen Numerusstruktur als der uns vertrauten s. auch Gerhard Doerfer, Der Numerus im Mandschu, Wiesbaden 1963 (= Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz. Abhandlungen der geistesund sozialwissenschaftlichen Klasse, Jahrgang 1962, Nr. 4). Im Mandschu betrifft die Pluralkategorie hauptsächlich menschliche Wesen, deren Vielartigkeit sie bezeichnet. Roger Barron, Fritz Serzisko, Noun classifiers in the Siouan languages, in: Seiler, Stachowiak (Hgg.), II, 1982, S. 8 5 - 1 0 5 . Vgl. W. K. Matthews, The Polynesian articles, Lingua 2 (1949), S. 1 4 - 3 1 . 15
ebenfalls oft eine Verbindung eingegangen. Gelegentlich erscheint sie, wie auch in manchen Indianersprachen, nur im Zusammenhang mit dem Kennzeichnen 'belebt5. Meist aber besteht eine Verflechtung von Numerus und Genus.' 7 Was die qualitative kategorielle Gestaltung des Numerus selbst angeht, so findet man auch hier vielfältige Konstellationen. So wird innerhalb dessen, was uns als 'Mehrheit' geläufig ist, oftmals zwischen mehreren Stufen des inneren Zusammenhalts unterschieden, so daß man Kategorien von kollektivartiger Integration über lockere Verbindung, diskretes Nebeneinander, bis hin zu distributiv-autonomer Vielheit hat. So unterscheidet etwa das Tolai, eine Sprache Papua-Neuguineas, zwischen diskretem Plural, Artenplural und distributivem Plural. 18 Ungleichartig ist auch die Basis der Kategorienentfaltung. Während wir es gewohnt sind, den Singular als Grundlage anzusehen, von dem sich der Plural logisch und morphologisch ableitet, hat man in anderen Sprachen etwas Kollektivähnliches als Ausgangsform, von der aus zunächst die Einheit als sogenannter Singulativ ausgegliedert wird, - so etwas hatten wir bei den Numeralklassifikatoren gesehen - und danach wiederum ein eigentlicher Plural entwickelt werden kann. Ein solches Verfahren findet man in den keltischen Sprachen, und die Keltologie hat den Terminus 'Singulativ' geliefert, aber auch im Arabischen. Hierzu hatte Humboldt bemerkt ((1827), 1963, S. 132): Diese Ansicht, den Gattungsbegriff gewissermassen als ausser der Kategorie des Numerus liegend zu betrachten, und von ihm durch Beugung Singularis und Pluralis zu unterscheiden, ist unläugbar eine sehr philosophische, deren Entbehrung andere Sprachen zu anderen Hülfsmitteln zwingt.
Dagegen hat Cassirer ((1923), 1964, S. 1 9 7 - 1 9 8 ) eingewandt: Der Unterschied, den die Sprache durch den Singular und Plural ausdrückt, ist an der Gattung nicht aufgehoben, sondern er hat sich an ihr noch nicht in voller Schärfe vollzogen; der quantitative Gegensatz von Einheit und Vielheit ist nicht durch eine übergreifende qualitative Einheit überwunden, weil er zunächst noch gar nicht bestimmt gesetzt ist. Die Einheit der Gattung bedeutet ein distinktes Eins gegenüber der nicht minder distinkten Vielheit der Arten - in der unbestimmten Kollektivbedeutung, aus der sich in einer großen Zahl von Sprachen die Singular- wie die Pluralbedeutung erst herausschält, bildet aber gerade die Indistinktheit das entscheidende Moment.
Und in der Tat kann im klassischen Arabisch die undifferenzierte Form für Singular wie für Plural eintreten. 19 17
18
19
S. Bernd Heine, African noun class systems, in: Seiler, Lehmann (Hgg.), I, 1982, S. 1 8 9 - 2 1 6 ; Heribert Walter, Genus- und Nominalklassensysteme und die Dimension der Apprehension, ibid., S. 2 1 7 - 2 2 8 ; Anna Biermann, Die grammatische Kategorie Numerus, ibid., S. 229-243, hier S. 2 4 1 - 2 4 2 . Ulrike Mosel, Number, collection and mass in Tolai, in: Seiler, Stachowiak (Hgg.), II, 1982, S. 1 2 3 - 1 5 4 Hierzu zitiert Greenberg, 1974, S. 29, zwei alte arabische Grammatikerzeugnisse;
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Schließlich ist auch das rein quantitativ-einteilende Moment des Numerus unterschiedlich ausgeprägt worden. Es ist einleuchtend, daß der Plural dort, wo er noch einen Dual, Trial oder Paukal neben sich hat, anders gedeutet werden muß, als da, wo dies nicht der Fall ist. Was den Dualis angeht, so hat er sich nur in Randbereichen des indogermanischen Sprachgebiets erhalten, überlebt aber auch sonst oft in lexikalisierten Kleinparadigmen zur Bezeichnung binärer Solidarität. Im übrigen vergleiche man noch immer Humboldts Dualis-Studie, die erst unlängst wieder mit hohem Lob bedacht wurde. 20 Diese zwar eher oberflächlichen Bemerkungen mögen dennoch einen Eindruck davon vermitteln, welche komplexe Mehrgestaltigkeit der begrifflich so klare Gegensatz von Einzahl und Mehrzahl in den Sprachen erfahren hat.
2.2
Die Numerusopposition
Im Vergleich dazu stellt sich die Numerusopposition im durchschnittlichen Standardeuropäischen, um einen Ausdruck Benjamin Lee Whorfs zu gebrauchen, nun verhältnismäßig einfach dar. Der Plural ist eine nominale Kategorie. Seine syntaktische (kongruierende) Funktion ist sekundärer Natur. 21 Der Plural ist meist deutlich suffixal gekennzeichnet, sei es mit einem kleinen relativ uniformen Morpheminventar, wie etwa im Englischen oder den westromanischen Sprachen, oder durch etwas komplexere morphologische Klassen, wie im Deutschen oder den slavischen Sprachen. Freilich hat das gesprochene Französisch die Numerusunterscheidung fast ganz auf die Determinantien des Nomens delegiert. 22 In den Sprachen mit Flexion erscheinen die Numerus-, Genus- und Kasusmorpheme verbunden.
20
21
22
zum Singulativ im Arabischen und anderen Sprachen vgl. Gerlach Royen, Die nominalen Klassifikations-Systeme in den Sprachen der Erde, Mödling 1929 (= Anthropos 4), S. 6 0 6 - 6 0 9 ; z u m Singulativ im Keltischen S. 635-637; ferner allgemein zum Singulativ Anna Biermann, Die grammatische Kategorie Numerus, in: Seiler, Lehmann (Hgg.), 1,1982, S. 229-243, hier S. 234-235. «Uno dei più geniali scritti di Wilhelm von Humboldt», Maria-Elisabeth Conte, Frammenti dipragmatica humboldtiana, LeSt 27 (1992), S. 504-521, hier S. 506, Anm. 2. S. Jerzy Kurylowicz, The inflectional catégories of Indo-European, Heidelberg 1964, S.31. Jacques Pohl, L'homme et le signifiant, Paris 1972, S. 63, möchte darin «une des plus notables singularités du français» sehen. Ausführlich behandeln die Numerus-Funktion im gesprochenen Französisch Quirinus Ignatius Maria Mok, Contribution à l'étude des catégories morphologiques du genre et du nombre dans le français parlé actuel, Diss. Amsterdam, den Haag - Paris 1968, S. 1 2 7 145, und Jürgen Eschmann, Die Numerusmarkierung des Substantivs im gesprochenen Französisch, Tübingen 1976 (= Beiheft 158 zur ZrP).
17
Das additive formale Verfahren der Pluralbildung kann schon als Hinweis darauf gesehen werden, daß der Plural das merkmalhafte Glied der Numerusopposition darstellt: A une charge sémantique supérieure doit normalement correspondre une masse phonique plus considérable ou, en d'autres termes, une marque sémantique doit être accompagnée d'une marque phonique. 23
Gleichwohl haben historische Wechselfälle im Gegenstandsbereich der Morphophonologie auch dem Prinzip zuwiderlaufende Beispiele geschaffen. Pohl 1972, S. 56, verweist auf: frz.
bœuf os
- bœufs - os
[bœf [os
: b0] : o],
letzteres erst seit dem 19. Jahrhundert. Und Anna Giacalone Ramat, Sistema, funzione e mutamento linguistico, LeSt 21 (1986), S. 329-348, hier S. 337, führt aus lombardischen Dialekten an: la candela - i candel und la scala - i scal (Ead., Le St 22 (1987), S. 639). Die morphologische Systemattraktion hat gelegentlich zu Fällen der Reinterpretation geführt. So finden wir im Altspanischen pechos < pectus, tiempos < tempus, cuerpos < corpus, lados < latus, huebos < opus 'Bedarf als Plurale gedeutet, die dann Singular-Rückbildungen zur Folge hatten. 24 Im allgemeinen aber kann man nach der Regel Greenbergs, Jakobsons und Martinets gelten lassen, daß aus dem zusätzlichen Pluralzeichen sowohl auf den Primat des Singulars gegenüber dem Plural als auch auf den Singular als merkmalloses und zugleich extensives Glied der Numerusopposition geschlossen werden darf. Allerdings hat man hier auch die gegenteilige Annahme versucht: Mais une telle supposition ne s'impose nullement, il se peut même que ce soit justement le pluriel qui soit «merkmallos», cp. le «pluriel de catégorie»,
meint Holger Sten 25 und verweist auf Jacob Wackernagel. Dieser hatte am Beispiel der homerischen forjrôôcxfxoç 'Rossebändiger' und VECpeXriye23
24 25
André Martinet, La linguistique synchronique, Paris 3 I970, S. 189. Ähnlich hat sich auch Roman Jakobson geäußert: «Il existe des langues dans lesquelles les formes du pluriel se distinguent du singulier par l'addition d'un morphème, alors que, d'après Greenberg, il n'existe aucune langue ou cette relation soit inversée, et ou, par opposition aux formes du singulier, celles du pluriel soient entièrement dépourvues d'un tel morphème additionnel. Le signifiant du pluriel tend à répondre à la signification d'une augmentation numérique par un accroissement de la longueur de la forme.» Roman Jakobson, A la recherche de l'essence du langage, in : Problèmes du Langage (= Diogène 51), Paris 1966, S. 22-38, hier S. 30. Vgl. Adolf Zauner, Altspanisches Elementarbuch, Heidelberg 2 i 9 2 i , S. 57. Holger Sten, Le nombre grammatical, Travaux du Cercle Linguistique de Copenhague 4 (1949), S. 47-59, hier S. 48.
18
QEta 'Wolkensammler' oder d. Zahnarzt dargetan, daß man den ersten Teil der Zusammensetzung sinngemäß pluralisch interpretieren müsse, und dazu bemerkt: Es gibt sogar Sprachforscher, die glauben, dass man a priori an den Plural denken solle. 26
Wackernagel selbst hat jedoch diese Meinung nicht vertreten. Vielmehr stellt er völlig korrekt fest: A b e r an und für sich ist der Begriff eines Substantivs gegenüber dem Unterschied des Numerus indifferent. Wenn wir aus einem Paradigma den Stamm herausschälen, müssen wir ihm sowohl pluralische als singularische Bedeutung zugestehen. Das geht deutlich daraus hervor, dass, wo der Stamm nackt erscheint, wie in der Komposita [sie!], wir das Vorderglied des Kompositums ebenso gut pluralisch als singularisch fassen können. (Wackernagel (1926), 31981, S. 84)
Zweitens könnte man die Pluralia tantum als Zeugnis für einen (auch möglichen) Primat des Plurals anführen. Denn in vielen dieser Fälle läßt sich mit guten Gründen vermuten, daß sie ursprünglich sind, das heißt, nicht auf einen älteren singularischen Gebrauch zurückgeführt werden können. Dies gilt auch für antike Volksnamen wie Mfjöoi, IleQaai,, die zunächst im Plural auftreten und erst in einer späteren Phase im Singular belegt sind.27 Hierbei darf man allerdings das historisch Primäre - zumal, wenn es Einzelfakten betrifft - nicht mit dem begrifflich Primären verwechseln. Es ist ohne weiteres möglich, daß ein Wort schon im Plural entsteht, weil die bezeichnete Wirklichkeit dies erfordert, ohne daß damit die Kategorie 'Plural' als begrifflich primär zu gelten hätte. Drittens schließlich kann man argumentieren, die Kategorie Mehrzahl umfasse die Kategorie Einzahl, ja, baue sich aus dieser auf und sei darum als extensiv zu interpretieren. Diese Argumentation ist natürlich korrekt. Sie betrifft aber nicht die sprachlichen Funktionen Singular und Plural, sondern deren jeweiligen Bezeichnungswert in Hinsicht auf die gemeinte Wirklichkeit oder, in anderer Terminologie, diese Aussage bewegt sich im Rahmen einer Beschreibung der Extension, nicht der Intension. Was nun die inklusive Opposition Singular - Plural angeht, so hat Harald Weinrich einen auf den ersten Blick ebenso bestechenden wie einfachen Vorschlag zu ihrer Erfassung gemacht: In diesem Sinne definiere ich nun die Numerus-Opposition Singular vs. Plural wie folgt: Singular bedeutet Menge (von Elementen). Plural bedeutet Element (einer Menge). (Weinrich 1975, S. 5) 26
27
Jacob Wackernagel, Vorlesungen über Syntax. Erste Reihe, Basel (1920), 1926, 3 i 9 8 i , S. 85. Vgl. zu diesen letzteren Fällen, besonders den mit ihrem Eigennamenstatus zusammenhängenden Problemen, Eugenio Coseriu, Der Plural bei den Eigennamen, in: Id., Sprachtheorie und allgemeine Sprachwissenschaft. 5 Studien. Herausgegeben von Uwe Petersen, München 1975, S. 234-252, hier S. 247-248.
19
In s e i n e r Textgrammatik
der französischen
Sprache,
Stuttgart 1982, h a t
W e i n r i c h d a n n d i e s e I d e e w i e d e r a u f g e g r i f f e n u n d n ä h e r erläutert: Wieviele unterscheidbare Elemente eine Menge auch umfassen mag, der Hörer soll von ihrer Zahl und Verschiedenheit absehen, sich die Menge als Bündel vorstellen. Wir beschreiben die syntaktische Bedeutung des Singulars daher mit dem Merkmal . (S. 55) D a m i t sei d e r u m f a s s e n d e n R o l l e d e s Singulars R e c h n u n g g e t r a g e n . W i e e i n e M e n g e j a nicht a u f die A n z a h l ihrer E l e m e n t e f e s t g e l e g t sei, s o sei a u c h b e i m S i n g u l a r die A n z a h l d e s B e z e i c h n e t e n v a r i a b e l v o n d e r G e s a m t m e n g e bis z u r « E i n e r m e n g e » : Im Einzelfall kann das Bündel eine sehr umfangreiche Menge von Elementen umfassen, im oberen Grenzfall die größte vorstellbare Menge, die der Kode der Sprache bei einem bestimmten Nomen zuläßt («Gesamtmenge»). Im unteren Grenzfall kann die Menge auch nur aus einem einzigen Element bestehen («Einermenge»), (ibid., S. 55) D e r P l u r a l a n d e r e r s e i t s b e z e i c h n e E l e m e n t e einer M e n g e nicht « g e b ü n delt», s o n d e r n n e h m e sie in i h r e r V e r s c h i e d e n h e i t w a h r : Umgekehrt ist für die Numerus-Kategorie Plural, die nur an den unterscheidbaren Elementen einer Menge interessiert ist, jede Bündelung zur Menge irrelevant. Sofern verschiedene Elemente zu einer Menge gebündelt sind, wird diese Bündelung in der Vorstellung aufgelöst, und die Elemente werden einzeln für sich genommen, vom oberen Grenzfall aller möglichen Elemente, die überhaupt unterscheidbar sind, bis zum unteren Grenzfall zweier unterscheidbarer Elemente einer Menge. (S. 55) D a g e g e n l ä ß t sich n u n freilich m a n c h e s e i n w e n d e n . E r s t e n s ist es fraglich, o b d e r hier v e r w e n d e t e B e g r i f f ' M e n g e ' d e m d e r M e n g e n l e h r e - auf d e n sich W e i n r i c h a u s d r ü c k l i c h b e z i e h t - entspricht. D e n n C a n t o r s b e r ü h m t e D e f i n i t i o n lautet: Unter einer 'Menge' verstehen wir jede Zusammenfassung M von bestimmten wohlunterschiedenen Objekten m unserer Anschauung oder unseres Denkens (welche die 'Elemente' von M genannt werden) zu einem Ganzen. 28 I n d e s s e n b e z e i c h n e t d e r S i n g u l a r e i n M e h r f a c h e s , w e n n er es tut, nicht kraft Zusammenfassung von wohlunterschiedenen
Objekten,
sondern,
w e i l er j e d e r W o h l u n t e r s c h e i d u n g v o n E i n z e l o b j e k t e n e i n f a c h v o r a u s g e h t . 2 9 F e r n e r s t e h e n sich N o r m a l f a l l u n d R a n d f a l l als ' E i n e r m e n g e ' bzw.
28
29
Georg Cantor, Beiträge zur Begründung der transfiniten Mengenlehre, Mathematische Annalen 46 (1895), S. 481-512, und 49 (1897), S. 207-246, hier 46 (1895), S. 481; und wieder in: Georg Cantor, Gesammelte Abhandlungen mathematischen und philosophischen Inhalts. Herausgegeben von Ernst Zermelo nebst einem Lebenslauf Cantors von A . Fraenkel, Berlin 1932, (Ndr. Berlin 1980), S. 282-356, hier S. 282. Zum phänomenologischen Begriff der Menge s. Edmund Husserl, Erfahrung und Urteil, Hamburg 4 I972, S. 296-299. 20
'Gesamtmenge' in der designativen Realität von Singular und Menge polar gegenüber. Was aber den Plural betrifft, so läßt sich auch schwerlich sagen, daß für diesen «jede Bündelung zur Menge irrelevant» ist. Vielmehr entspricht seine Verwendung mit dem bestimmten Artikel oder allgerade am ehesten dem mathematischen Mengenbegriff. Im allgemeinen jedoch kommt die übergreifende Funktion des Singulars in den neueren Grammatiken, wenn auch oft nur beiläufig, durch die Begriffe Inklusion und Neutralisierung zur Sprache. D a ß Ludwig Tobler dies bereits 1883 vorweggenommen hatte, wurde oben (S. 8) erwähnt. Und Hermann Paul spricht vom Singular als einer absoluten Form, an der die Kategorie des Numerus noch nicht ausgeprägt ist. 3 "
Auch Jacob Wackernagel ((1920) 1926, 3 i98i, S. 84) haben wir ähnlichlautend schon zu Wort kommen lassen. Roman Jakobson überträgt in seinem programmatischen Aufsatz Zur Struktur des russischen Verbums (in: Charisteria Gvilelmo Mathesio qvinqvagenario a discipulis et Circuli Lingvistici Pragensis sodalibus oblata, Prag 1932, S. 78-84) die präzisen strukturellen Beschreibungsbegriffe der Phonologie ausdrücklich auf die morphologischen Korrelationen und erkennt den Singular als merkmallose Kategorie, wobei er auf die vorlaufende gleiche Meinung Aksakovs verweist. Erwähnt seien ferner nur kursorisch Hennig Brinkmann, Die deutsche Sprache. Gestalt und Leistung, Düsseldorf 2 i 9 7 i , der S. 41 von der Neutralisierung des Numerus spricht, und Eugenio Coseriu, Einführung in die Allgemeine Sprachwissenschaft, Tübingen 1988, S. 218/219, der hier, wie an früheren Stellen, die Numerusopposition zur Illustrierung von Inklusion und Neutralisierung benutzt. Nun hat freilich der Begriff der Neutralisierung bei semantischen Funktionen nicht ganz den gleichen Inhalt wie in der Phonologie: Es gibt keinen distributioneil bedingten Automatismus beim Eintritt des neutralen Teils, und man muß entsprechend die Bedeutungsunterschiede zwischen merkmalhaftem und neutralem Gebrauch berücksichtigen. In diesem Zusammenhang hat z.B. Francisco R. Adrados gemeint, streng genommen könne man eigentlich nur in Fällen wie lat. de caelo von Neutralisierung sprechen, wo die Funktion des Ablativs einfach kontextbedingt und redundant sei. 31
30 31
Hermann Paul, Prinzipien der Sprachgeschichte, Halle 51920, S. 272. Francisco R. Adrados, Gramaticalización y desgramaticalización, in: Id., Estudios de lingüística general, Barcelona 19742, S. 221-254, hier S. 229. Einen Forschungsbericht zur Verwendungsvielfalt des Begriffs der Neutralisierung innerhalb des Strukturalismus, zur Problematik seiner Übertragung auf den morphematischen Bereich (s. u. a. die bekannte Umfrage Martinets aus dem Jahre 1957) sowie eine Übersicht über die angesprochenen Phänomene gibt Sabine Schmidt, Theorie der sprachlichen Leerstelle und ihre Anwendung auf das Fran21
Drei Bereiche werden in der Regel angeführt - wir folgen hier der Duden-Grammatik 32 in denen der Singular die Bezeichnung einer Vielheit mitübernehmen kann: - bei allgemeiner (generischer) Bedeutung: 'Der Mensch ist sterblich' - bei zusammenfassender (kollektiver) Bedeutung: 'Der Feind steht vor dem Tor' - bei zuteilender (distributioneller) Bedeutung: 'Alle hoben die Hand' Dazu werden gelegentlich quantifizierende Ausdrücke erwähnt, die der Form nach singularisch sind, aber eine Mehrzahl bedeuten wie it.'qualche eccezione, 'manche Ausnahme', 'manche Ausnahmen' oder das Fragepronomen zur Subjektsperson, wo meist nur die neutrale Form vom Typ 'wer?' erscheint, das Spanische aber zwischen ¿quien? und ¿quienes? unterscheidet. 33 Vom vornumeralen neutralen Gebrauch in der Komposition wie in Ö£Ö6|iT]T05 'von den Göttern gegründet' war schon im Zusammenhang mit der Meinung Wackernagels die Rede. Während aber in den zuletzt genannten Fällen die Sprache selbst die bezeichnete Vielheit unausgedrückt läßt, hat der Sprecher bei den drei zuerst angeführten Bereichen der Neutralisierung die Wahl zwischen Singular und Plural. Was den generischen Gebrauch angeht, so erscheint dabei der Unterschied zwischen Singular und Plural eingeebnet zu sein: Abstrakt gebraucht ist das Wort eigentlich keines Unterschiedes der Numeri fähig. Da aber der äusseren Form nach ein Numerus gewählt werden muß, so ist es gleichgültig welcher. Die Sätze der Mensch ist sterblich und die Menschen sind sterblich sagen in abstrakter Geltung das Nämliche aus. (Paul 1920, S. 271) (Dazu muß bemerkt werden, daß Paul mit 'abstrakt' - 'konkret' etwa meint: 'nicht individualisiert' - 'individualisiert', jedenfalls die generische mit unter seine Rubrik der 'abstrakten' Bedeutung faßt).
Die Meinung Pauls wird bis heute immer wieder vertreten und ist in Hinsicht auf die Bezeichnungsfunktion der beiden Beispielsätze auch nicht zu bestreiten. Gleichwohl haben wir bei der Verwendung des Plurals das Gefühl einer konkreteren Bedeutung ('konkret' jetzt außerhalb der Paulschen Terminologie), was schon Ludwig Tobler aufgefallen war - wenngleich in etwas anderem Zusammenhang:
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33
zösische, Tübingen 1989. Hier finden sich auch weitere Belege für die Beschreibung des Singulars als merkmallose Kategorie. Duden, Grammatik der deutschen Gegenwartssprache, Mannheim - Wien Zürich 19733 (= Der große Duden, Band 4), §382, S. 1 7 6 - 1 7 7 . Die DudenGrammatik orientiert sich hier an traditionellen Kategorien. Vgl. Hermann Fränkel, Grammatik und Sprachwirklichkeit, München 1974, S.77 u. 85; Eugenio Coseriu, Grundzüge der funktionellen Syntax, in: Id., Formen und Funktionen. Studien zur Grammatik. Herausgegeben von U w e Petersen, Tübingen 1987, S. 133-176, hier S. 171; und E. Coseriu, Über Leistung und Grenzen der kontrastiven Grammatik, in dem gleichen Sammelband, S.67-84, hier S. 79.
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Dass der Plural, auch wo er einen Singular neben sich hat, mehr zu concreter Bedeutung neigt, scheint ein bemerkenswertes Ergebnis unserer ganzen Untersuchung, übrigens psychologisch leicht erklärlich. (Tobler 1883, S. 433)
Historisch scheint der singularische generische Gebrauch nicht in die ältesten Schichten zurückzureichen. Wackernagel (I, 1926, 1981, S. 93) weist darauf hin, daß im homerischen Griechisch hier noch der Plural vorherrsche. Auf die vielfältigen Probleme, die man im Zusammenhang mit den generischen Sätzen aufgeworfen hat, kann hier nicht eingegangen werden. Sie betreffen vor allem ihre Abgrenzungskriterien, sprachlichen Merkmale und bezeichnungstypische Kasuistik. Hierzu ist gerade in den letzten Jahren eine Flut von Publikationen erschienen. Aus logisch-semantischer Sicht vergleiche man etwa die Monographie von Gerhard Heyer, Generische Kennzeichnungen. Zur Logik und Ontotogie generischer Bedeutung, München - Wien 1987. Die kollektive Bedeutung des Singulars mit dem Beispiel Der Feind steht vor dem Tor ist, zumindest was das Deutsche angeht, eigentümlich isoliert, das heißt, er findet sich fast ausschließlich in vergleichbaren Kontexten zwischenethnischer Auseinandersetzung. Wo Beispiele aus anderen Bedeutungsbereichen angeführt werden, liegen sie immer eher in der Nähe generischer Interpretation. Was die Geschichte des Bedeutungstyps angeht, so führt Wackernagel (1926, 1981, S. 93-94) folgendes aus: Homer und der griechischen Tragödie ist der Gebrauch fremd. Dagegen findet er sich bei den griechischen Historikern, und zwar zunächst vorwiegend zur Bezeichnung von Barbarenvölkern, wenn sie als Einheit handelnd vorgestellt werden. Wackernagel vermutet nun als Kern der Redeweise die Metonymie 'Herrscher - Volk', die vielleicht einem orientalischen Brauch entsprochen habe: 6 KiXü; - 'der Kiliker' - 'der König der Kiliker' - 'die Kiliker'. Der lateinische Gebrauch sei dann über die Historiographie nach dem Muster des griechischen aufgekommen oder zumindest gefestigt worden. Im Deutschen ist die singularische Wendung bei Völkernamen seit den Zeiten des Humanismus zu belegen, so daß Behaghel auch hier an eine Entlehnung gedacht hat. 34 Einar Löfstedt führt dagegen viele originär lateinische Beispiele an und verweist auf den volkstümlichen Charakter des kollektiven Gebrauchs im Deutschen und Schwedischen (ibid., S. 14-16). Löfstedt möchte die kollektiven Singularethnika nicht von den zweifelsfrei volkstümlichen kollektivsingularischen Sachtermini im Lateinischen trennen. Allerdings sind viele seiner Beispiele aus dem Namenbereich generisch interpretierbar, wie das alte bei Varro zitierte Romanus sedendo vincit. Auch muß berücksichtigt werden, daß die Völkernamen keine gewöhnlichen Gattungsnamen im Plural sind, sondern Eigennamen der betreffenden
34
Nach Einar Löfstedt, Syntactica. Studien und Beiträge zur historischen Syntax des Lateins. Erster Teil. Über einige Grundfragen der lateinischen Nominalsyntax, Lund - London - Paris - Oxford - Leipzig 1928, S. 21.
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Völker und daher einen Plural der Allheit, nicht der Vielheit darstellen, somit «allein auf die als Einheit bzw. Individuum betrachtete 'Klasse' beschränkt» bleiben (E. Coseriu, Der Plural der Eigennamen, 1975, S. 248). Dadurch aber stehen sie dem synekdochischen singularischen Gebrauch näher. Gegen eine volkstümliche Entstehung des Typs im Deutschen spricht wiederum die erwähnte Isolierung.35 Doch mögen auch kulturhistorische und kollektivpsychologische Sonderfaktoren dabei eine Rolle gespielt haben. Zu der distributiven Verwendung des Singulars schließlich wird bemerkt, daß man damit die Vielheit gleichsam aufgeteilt auf die jeweils einzelne Zugehörigkeit betrachtet: ... bei der Bezeichnung einer Vielheit wird der Singular gesetzt, wenn man den Einzelnen ins Auge fasst, der Plural, wenn man sich vergegenwärtigt, dass es mehrere sind. So quisque: omnes; beide können von einer gleich grossen Anzahl gebraucht werden. (Wackernagel (1920), 1926, 1981, S. 92)
Ausschlaggebend ist also die Sichtweise. Wenn wir aber die Numerusoppostion als inklusiv betrachtet haben und die erwähnten Fälle der Singularverwendung für den Plural im Einklang mit der heute vertretenen Lehre als Neutralisierung gedeutet, so hätte man eigentlich zuvor fragen müssen: Was macht den distinktiven Unterschied der Opposition aus, welches ist der unterscheidende Zug? Oder mit den Worten Wackernagels «Was ist aber die Bedeutung von Singularis und Pluralis verglichen miteinander?» (1926, 1981, S. 91). Wir hatten aber stillschweigend vorausgesetzt, daß der Plural gegenüber dem Singular die 'Mehrheit' ausdrücke. Bei genauerem Zusehen stellen sich die Verhältnisse aber komplexer dar. Ernst Cassirer hatte in seiner bereits zitierten Charakterisierung des Numerus (freilich mit Bezug auf die mathematische 'Mehrheit' und ihre wissenschaftliche Tradition) drei Merkmale aufgenommen: ... die Kategorie einer Vielheit (1), die sich aus klar geschiedenen (2) gleichartigen (3) Einheiten aufbaut. (Cassirer (1923), 1964, S. 195)
Und S. D. Kaznelson36 unterscheidet in vergleichbarer Weise drei inhaltliche Funktionen des Numerus: 1. «die quantitative Aktualisierung» 2. «die Diskontinuität der Gegenstandsklasse, ihre Gegliedertheit oder potentielle Gliederbarkeit in Elemente» 3. «die Gleichartigkeit oder Vergleichbarkeit der diskreten Elemente». 35
36
Man vergleiche dazu: Der Feind hatte die erste Verteidigungslinie durchbrochen. vs. * Der Demonstrant hatte die erste Absperrung durchbrochen. S. D. Kaznelson, Sprachtypologie und Sprachdenken, München 1974, S. 37.
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Was den dritten Gesichtspunkt angeht, so stellt er allerdings eine Voraussetzung für den konkreten Zählvorgang dar. Bei der Betrachtung der sprachlichen Fakten können wir ihn unberücksichtigt lassen, da wir annehmen dürfen, daß die Numerusopposition bei gleichem Grundlexem über potentiell gleichen Extensionen operiert (vgl. Kap. 4, Anm. 11). Die beiden ersten Kriterien sind weitgehend Allgemeingut der Literatur über die Nominalsyntax, wobei (3) eventuell als Korollar von (2) miterscheint. So schreibt Heinz Vater in seiner Arbeit über den Artikel im Deutschen: Der Plural hat also außer «Gliederung in (gleichartige) Einheiten» noch das Merkmal «mehr als eine Einheit». 37
Nun verhält es sich aber so: Wenn man bei der Analyse einer binären Opposition mehr als ein distinktives Merkmal feststellt, so ist das meistens ein Hinweis darauf, daß zuvor eine mögliche Unterscheidung nicht getroffen wurde. Und in der Tat stellt Vater ((1963), 1979, S. 52) fest: Nicht Gegliedertes impliziert «Nicht mehr als eine Einheit».
Es muß also noch einmal auf die Nominalklassen und ihre Abgrenzung zurückgegangen werden.
2.3
Zwei Nominalklassen
Die Substantiva unserer Sprachen hat man seit jeher in verschiedene Klassen eingeteilt. So unterschied man Eigennamen und Appellativa, Namen von Sachen und Lebewesen, Stoffnamen und Abstrakta usf. Diese zumeist sachgebundenen Klassifizierungen hat Otto Jespersen in den Numeruskapiteln seines bekannten Buches The philosophy of grammar, London 1924 (Kap. 14,15; S. 188-211) durch eine nur binäre, aber sprachbezogene Einteilung ersetzt. Nach dem Kriterium der Zählbarkeit unterschied er zwischen 'countables' ('thing-words') und 'mass-words', wobei er unter die 'mass-words' auch die Abstrakta faßte. Während die 'countables' ('thing-words') durch Numeralia oder etwa 'many' quantifiziert werden können, ist dies bei den 'mass-words' nicht der Fall; ihre Quantifizierung geschieht mit Wörtern wie 'much', 'little', 'less'. Die Unterscheidung der beiden Gruppen ist besonders wichtig für die Anwendbarkeit des Plurals und die Syntax des Artikels. Nun kann man sich hier fragen, weswegen eine späterhin als grundlegend betrachtete Unterscheidung in der Geschichte der Sprachwissen-
37
Heinz Vater, Das System der Artikelformen im gegenwärtigen Deutsch, Tübingen (1963), 2 i979, S. 51. Aus der Arbeit Vaters wurde der Gedanke in die Duden-Grammatik 1973, S. 176, übernommen.
25
schaft so spät auftaucht.38 D a s liegt sicher, n e b e n ihrer k r y p t o t y p i s c h e n Natur, g e r a d e an ihrem e l e m e n t a r e n C h a r a k t e r . D a ß m a n W a s s e r nicht z ä h l e n k o n n t e , g a l t e b e n als trivial. Tatsächlich a b e r w a r die U n t e r s c h e i d u n g nicht völlig u n b e k a n n t , sond e r n sie h a t t e i h r e n f e s t e n P l a t z i n d e r M e t a p h y s i k . S o s c h r e i b t E r n s t C a s s i r e r ( 1 9 1 0 , S. 328): D i e Logik scheidet von altersher zwischen diskreten und kontinuierlichen Ganzen. D a b e i w i r d sich ' v o n a l t e r s h e r ' a u f d i e M e t a p h y s i k d e s A r i s t o t e l e s b e z i e h e n , w o e s h e i ß t ( A 1 3 , 1020 a, 9 - 1 1 ) : nXfjdog (iev OIJV JTOOÖV xi a v agiftfiiytov FJ, ixeye'frog ÖE a v |i,eTQT)Tov FJ. X-eyetai de nXf|do5 |*ev xö öiaiQEtöv öuvä|iEi E15 |if| auvexfj, |i£y£'frog öe t ö elg auvExfj. Vielheit ist nun eine Quantität, die zählbar ist, eine G r ö ß e aber meßbar. Vielheit wird aber genannt, was potentiell in Nichtzusammenhängendes trennbar ist, G r ö ß e aber das in Zusammenhängendes (Trennbare). Terminologisch hat der v o n Jespersen festgestellte Sachverhalt verschiedene Fassungen gefunden: putation numerative blocalite discontinue
putation massive blocalite continue
Damourette, Pichon 1911
nom discontinu
nom continu
Guillaume 1919
thing words, countables
mass words
Jespersen 1924
bounded nouns
unbounded nouns
Bloomfield 1933
unit word
continuate word
Christophersen 1939
U n d die Liste ließe sich verlängern. D i e weiteste V e r b r e i t u n g i m englischs p r a c h i g e n P u b l i k a t i o n s r a u m h a t w o h l count
noun,
mass
noun
gefun-
den.39 38
39
Tatsächlich war Otto Jespersen nicht der erste, der diese Unterscheidung in die Sprachwissenschaft einführte. E r hat sich ja auch in den erwähnten Kapiteln mit seinen Vorgängern auseinandergesetzt. E r war aber der wirkungsreichste. Die Diskussion umfaßt gut dreißig Jahre vom Ausgang des 19. Jahrhunderts an. Kurios ist in diesem Zusammenhang, daß Gerlach R o y e n in seinem tausendseitigen Forschungsbericht Die nominalen Klassifikations-Systeme in den Sprachen der Erde, Mödling 1929, nicht auf Jespersens Unterscheidung eingeht, obwohl ihm die Philosophy of grammar bekannt ist. Jacques Damourette, Edouard Pichon, Des mots à la pensée. Essai de grammaire de la langue française, Band I, Paris 1911, S. 349; Gustave Guillaume, Le problème de /' article et sa solution dans la langue française, Paris 1919; Leonard Bloomfield, Language, N e w York 1933; Paul Christophersen, The articles, Kopenhagen 1939. Die Verbreitung von count noun vs. mass noun verdankt sich vielleicht der Verwendung in Handbüchern wie H. A . Gleason, An introduction to descriptive linguistics, London 1955, S. 224. Eine globalere Einteilung noch hat Hansjakob Seiler, Relativsatz, Attribut und Apposition, Wiesbaden i960, S. 1 5 - 1 7 , mit seinen Klassen I und II versucht: «Klasse I enthält Wörter und Wortformen, die ohne Artikel und auch außerhalb jedweden n-s-Syntagmas vorkommen können; sie können allerdings auch mit Artikel bzw. in einem n-s26
In Anbetracht der Tatsache, daß abstrakte Bedeutungen mitgemeint sind, sind manche der Termini noch zu sehr der konkreten Substanz verhaftet. Dazu gehören 'thing word', 'mass word'. Auch die Zählbarkeit mag ein gutes und zutreffendes heuristisches Kriterium sein, ist aber für eine grammatische Funktion noch zu sachgebunden. Besser geeignet erscheinen die mehr auf die vorgestellte Gestalt zielenden Charakterisierungen, wie sie die klassische Metaphysik verwendet hat und die neuere Psychologie. Dabei vergleichen die Ausdrücke 'kontinuierlich' bzw. 'diskontinuierlich' bereits die Mengen. Wir möchten dagegen von der Einzelvorstellung ausgehen und schlagen daher vor: Umrissen oder konturiert
vs.
diffus oder unkonturiert.
Dies steht Bloomfields Begriffen von 'umgrenzt' bzw. 'unumgrenzt' am nächsten. Hierbei ist zu betonen, daß 'konturiert' bzw. 'diffus' oder 'unkonturiert' natürlich nicht das Wort ist, sondern seine Bedeutung, genauer, die Vorstellung seiner Bedeutung. Was nun die Frage des Numerus angeht, so dient die soeben besprochene Erscheinung bzw. Klassifikation dazu, die Gruppe von Substantiven abzugrenzen, für die der Plural normalerweise nicht in Frage kommt. Es handelt sich um die traditionellen Stoffnamen oder 'mass words' oder 'unkonturierten' Bedeutungen. Die entsprechenden Lexeme werden daher in den Grammatiken meist unter den Singularia tantum angeführt. Kriterium der Abgrenzung ist dabei die mangelnde Zählbarkeit der bezeichneten Substanzen oder Abstrakta, respektive natürlich die Zählbarkeit der Gegenstände, denen die konturierten Bedeutungen zugeordnet sind. Wenn aber der Plural für die unkonturierten Nomina nicht in Frage kommt, dann handelt es sich eigentlich nicht um 'Singularia', auch nicht um 'Singularia tantum', da der Singular nur in Opposition zum Plural definiert werden kann. Es handelt sich vielmehr um etwas Drittes, das außerhalb der Numeruskategorie steht. Hierfür hatte Hermann Fränkel (1974, S. 63-99) den Neologismus 'Aptal' vorgeschlagen. Geeigneter und durchsichtiger erscheint der Terminus 'Transnumeral', wie er in dem UniSyntagma stehen. Klasse II enthält Wörter und Wortformen, die entweder einen Artikel haben müssen oder aber innerhalb eines n-s-Syntagmas stehen müssen.» (Seiler i960, S. 15; dabei steht n-s für: Nukleus-Satellit) Z u Klasse I werden dann neben Pluralformen, Massen-Nomina und Abstrakta auch Infinitive, Personennamen, gewisse Länder- und Ortsnamen, Farbnamen, starke A d jektivformen im Plural, Kardinalzahlen und Pronominalia gerechnet. Das allen Mitgliedern der Klasse I Gemeinsame sei die Funktion der designativen Verschiebbarkeit, also das Fehlen der Identifikation. Die Zusammenfassung erscheint uns zu heterogen.
27
Versalienforschungsbereich der Apprehension (vgl. H. Seiler u. aa. (Hgg.), 1982-1986) verwendet wird (man findet daneben in der Literatur auch 'common number' und 'numerus absolutus'): Während im Falle einer inhärenten Numerus-Differenzierung das Nomen obligatorisch entweder im Singular oder im Plural steht, sind transnumerale Nomina hinsichtlich einer Numerus-Unterscheidung zunächst indifferent. Die grammatikalisierten Ausdrucksformen einer sekundären Numerus-Differenzierung sind Singulativa und Pluralformen, die mit dem transnumeralen Nomen korrelieren, zu ihm aber nicht in Opposition stehen. Da das Nomen-Inventar einer Sprache sowohl transnumerale als auch numerus-differenzierende Nomina enthält, sind die Pluralarten mit der Bedeutung 'nichtdiskrete Vielheit' (Nd) und diejenigen, die eine 'diskrete Vielheit' bezeichnen (D), häufig koexistent. (Biermann 1982, S. 233)
Dies ist der Grund, weswegen die Bezeichnung «Singular» bei «kollektiver Singular» für Ausdrücke wie muita moga im Portugiesischen eingangs als verfehlt kritisiert wurde. Zur Verwirrung trägt allerdings bei, daß wir für die merkmallose Form auf der Ausdrucksebene auch nur über den Terminus 'Singular' verfügen. Man müßte eigentlich immer zwischen einem morphologisch nicht weiter gekennzeichneten 'Jedenfalls-nicht-Plural' und einem funktionellen Terminus 'Singular' unterscheiden. Zugleich ist hier die Erklärung dafür zu finden, daß wir scheinbar zwei unterscheidende Züge beim Plural gegenüber dem Singular feststellen: die eigentliche Vielheit, «mehr als eine Einheit» und das, was man als 'Gegliedertheit', 'Diskretheit', 'Diskontinuität' u.ä. beschrieben hat. Das letzte Merkmal ist nämlich einfach die pluralische Konversion der Kontur im Singular, also das, was den Singular vom merkmallosen Transnumerale unterscheidet, oder, wenn man so will, das aus dem merkmallosen Transnumerale einen Singulativ ausgeformt hat. Die Namen unkonturierter Stoffe erscheinen aber gelegentlich doch im Plural; allerdings unterliegen sie dann einer semantischen Konversion: So spricht man von Weinen, Stählen, Salzen etc. jeweils als Sorten Wein, Stahl, Salz etc. Diese Verwendungen herrschen in den entsprechenden Fachsprachen vor. Eine andere Art der Konversion ist die, wodurch mit der Verwendung des Diffuslexems als konturierter Einheitsname ein Gegenstand bezeichnet wird, der aus dem betreffenden Stoff besteht: ein Eisen, eine Bronze, ein Holz. Solche Verwendungen sind ohne weiteres pluralisierbar. Schließlich wird auch eine abgemessene Menge des Stoffes in Abkürzung oft als konturierter Name behandelt: ein Bier, ein Wasser etc. für ein Glas Bier, eine Flasche Wasser etc. Hier erscheint im Deutschen jedoch vor Neutra und Maskulina bei Zahlenangaben der Plural nicht: zwei Bier, drei Wasser etc. A n die zuletzt erwähnten Fälle schließt sich im Bairischen ein 'teilungsartikelhafter' Gebrauch des unbestimmten Artikels an: ein Geld für etwas Geld u.ä., diachronisch eine Konservation. 28
Das oben gegebene Beispiel ein Holz weist aber schon auf einen weiteren Sachverhalt hin: Wenn eine Bronze noch als abgekürzte konvertierte Bedeutung von 'eine Figur aus Bronze' verstanden werden kann, so ist bei ein Holz sowohl die Deutung 'ein Gerät, ein Gegenstand aus Holz' als auch die, hier noch näher liegende, 'ein willkürliches, in der Landschaft vorfindbares Stück Holz', das keinerlei weitere Bearbeitung erfahren hat. Das bedeutet, daß das Wort Holz nicht eindeutig der Klasse 'Stoffnamen', sondern genausogut in einem anderen Sinne der Klasse 'konturierte Gegenstandsnamen' zuzuordnen ist. Und in der Tat hat schon Otto Jespersen festgestellt, daß seine Einteilung nicht überall streng abgrenzt, sondern gelegentlich zu Kreuzklassifikationen führt: The delimitation of mass-words offers some difficult problems, because many words have several meanings. Some things adapt themselves naturally to different points of view, as seen, for instance in fruit, hair (much fruit, many fruits: «shee hath more hair then wit, and more faults then haires» Shakespeare); cf. also a little more cake, a few more cakes. (Jespersen 1924, S. 199)
Auch Bloomfield weist auf die Klassenspaltung hin: Particular lexical forms may, by class-cleavage exhibit unusual combinations of function. Thus, egg is in English a bounded noun, (the egg, an egg) but occurs also as a mass noun (he spilled egg on his necktie). (Bloomfield 1933, S. 265)
Wir wollen dazu noch einige Beispiele aus dem Deutschen anführen. Brot, Kuchen, Käse werden wegen ihrer üblichen Ausformung für den Handel entweder als konturierte Gegenstände betrachtet oder als Substanz. Bei Fisch ist die Form naturgegeben: Sie kaufte
Brot Kuchen Käse Fisch
-
ein Brot einen Kuchen einen Käse einen Fisch.
Stein Fels, Eisen, Holz, Tuch, werden als Material oder Stück des Materials gesehen: ein Stein, ein Fels, ein Eisen, ein Holz, ein Tuch und entsprechend der Plural davon. Man spricht von Münze: etwas mit gleicher Münze heimzahlen und Münzen, von Platz: Wir haben Iceinen Platz mehr und Plätzen: Hier sind noch drei Plätze frei, von Raum: Raum ist in der kleinsten Hütte und Räumen: Die Wohnung hat vier Räume. Im abstrakteren Bereich stehen neben der Geschichte die Geschichten, Erfahrung, Gefahr, Konflikt, Risiko haben Erfahrungen, Gefahren, Konflikte, Risiken zu ihrer Seite oder bleiben absolute Singulare. Die DudenGrammatik 1973, S. 179, zitiert: Die Leiden, die Schönheiten, die Tugenden, die Eitelkeiten, die Abneigungen, die Grausamkeiten, die Talente. Unter Sonderbedingungen können alle konturierten Gegenstandsnamen stofflich erscheinen: A l s Geschmack, Geruch, Fleck auf einer Oberfläche, Abrieb o.ä.: Das schmeckt nach Apfel, das riecht nach Erdbeere, hier 29
riecht es nach Mensch, Raubtier etc. Das ist Ei, Pfirsich (von einem Fleck gesagt), das ist Reifen, Wollfaser (von Materialspuren gesagt), dort liegt Ladung auf der Fahrbahn (aus dem Verkehrslagebericht). Gerade die moderne Sprache bietet viele weitere Beispiele: Man fordert Gespräch, mehr Dialog, die Hörer machen selbst Programm, die Zeit schreit nach Satire, die Sitzung wurde mit viel Geheimnis umgeben, man gibt unseren Ideen Perspektive, man zeigt die Fähigkeit zu wirksamer Aktion und die Gemeinde weist Gewerbefläche aus. Die Liste ließe sich mühelos erweitern. Wenn aber bei einer Klassifikation die Klassenspaltung überhand nimmt, d. h. die Zuordnung zur jeweiligen Klasse in vielen Fällen nicht eindeutig möglich oder zur Ansichtssache geworden ist, dann fragt es sich, ob der heuristische Wert die Klassifizierung rechtfertigt. Schon Jespersen hatte ja in dem soeben wiedergegebenen Zitat von 'different points of view' gesprochen, denen manche Wörter unterlägen. Und in der Tat findet sich in fast allen Handbüchern, die sich mit der Frage dieser Klassifikation beschäftigen, daß sie keinesfalls exklusiv zu verstehen sei, daß vielmehr oft die Sichtweise des Sprechers für die eine oder andere Verwendungsweise maßgeblich sei. Anna Biermann stellt zu Beginn ihres konzisen Aufsatzes zur Numerusproblematik (Biermann 1982, S. 229) folgendes fest: Die sprachliche Erfassung der außersprachlichen Wirklichkeit bedeutet nicht die Wiederspiegelung der perzeptorischen Eigenschaften von Gegenständen. Der Inhalt eines Nomens ist ein Stück sprachlich manipulierte Wirklichkeit. Eine wenig erforschte Phase dieser «Manipulation» ist die Konzeptualisierung nominaler Inhalte. Unter 'Konzeptualisierung' soll nicht die «Vergleichung der Vorstellungen nach Arten und Gattungen, sondern die Formung der Eindrücke zu Vorstellungen» (Cassirer 1973: 252) verstanden werden. Sie richtet sich nicht nach ontologischen Parametern außersprachlicher Gegenstände, sondern nach zwei gegensätzlichen Prinzipien, die sich aufgrund des Kriteriums der 'diskreten Ganzheit' unterscheiden: es gibt keine außersprachlichen Entitäten, die nicht als diskret, bzw. zählbar konzeptualisiert werden könnten; andererseits können perzeptorisch als diskrete Einzelheiten vorkommende Entitäten als nicht-diskrete «Massen» gedacht werden.
Diese wichtige Behauptung, die allerdings noch keineswegs zum linguistischen Allgemeinwissen zählt, bezieht sich auf das, was man im Rahmen typologischer Studien beim plurilateralen Sprachvergleich feststellen kann. Von hierher führt nun freilich kein Weg in die innereinzelsprachliche Argumentation. Gesagt wird nur, daß die ontologische und wahrnehmungspsychologische Evidenz für die einzelsprachliche Wirklichkeitserfassung durch die beiden Nominalklassen ohne Belang ist. Einige Hinweise darauf, daß diese sprachübergreifende Freiheit in der Zuordnung bis zu einem gewissen Grade auch innerhalb bestimmter Einzelsprachen wirksam sein könnte, haben wir soeben am Beispiel des Deutschen gesehen. Und für das Portugiesische (und Spanische) hatten wir
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eingangs auf der Grundlage des fälschlich so genannten 'kollektiven Singulars' eine dahingehende Hypothese aufgestellt. Ausformuliert worden aber ist die Theorie von der je nach Sichtweise freien Verwendung aller Nomina als diskret konturierte Einheitswörter oder als diffus unkonturierte Substanzlexeme zuerst für das Französische, und zwar in der Sektion über die «Quantitude» (den 'Numerus') von Jacques Damourette und Édouard Pichon, die Holger Sten (1949, S. 50) nicht zu Unrecht einen der gelungensten Teile ihres großen Werkes Des mots à la pensée genannt hat. Damourette, Pichon gehen aus vom Begriff des Substantivs. Die Substanz ist, was Subjekt sein kann, sagen sie mit Kant. Im Lateinischen freilich ist der Ausdruck der reinen Substanz durch die flexivischen Mittel noch verdunkelt, er scheint aber in der Funktion des Nominativs hervor. Im Französischen unterliegt das Substantiv der binären Wahl des Genus ('sexuisemblance' in der Terminologie der Autoren). Wichtiger ist aber die Quantität, die zwangsläufig mit den Qualitäten der Substanz verbunden ist. Nun unterschied das Lateinische zwei Arten von Substanzen, die in Hinsicht auf die Quantität jeweils anders behandelt wurden. Die erste waren Substanzen, die sich als Individuen darstellten. Sie nennen die Autoren 'substances nombrières', 'zählbare Substanzen' wie bos. Nur diese konnten einen flexivischen Ausdruck der Vielheit erhalten: bos - boves und durch tot, quot, pauci, multi u. ä. weiter quantifiziert werden. Die zweite Art, welche die Autoren 'substances massières' nennen, ließ sich nicht in Individuen aufgliedern. Die zu ihr gehörenden Substantiva traten daher in der Regel nur im Singular auf: aurum; und sie wurden durch eine andere Reihe von Ausdrücken wie tantum, quantum, parum, paulum, multum + Gen. quantifiziert. Das Französische hat aus diesem System nur bewahrt, was das Wichtigste war, nämlich die Fähigkeit des Lateinischen, mittels des Plurals eine Diskontinuität zu bezeichnen. Das Repertoire, das jedem französischen Substantiv zwei Formen zuteilen kann, eine mit -s, eine andere ohne dieses, also das, was traditionell der Numerus des Substantivs genannt wird, bezeichnen die Autoren als die Kategorie der 'blocalité'. Die 'blocalité' kann nun kontinuierlich sein oder diskontinuierlich. Wenn der Franzose sagt du mouton oder un mouton, bezieht er sich auf die kontinuierliche Phase, wenn er sagt des moutons, trois pains auf die diskontinuierliche. Bisher ist in der Einteilung jedoch der Unterschied zwischen einer als Masse gesehenen Quantität und einem Individuum noch nicht erfaßt. Hier kommt nun die zweite Kategorie der Autoren ins Spiel, die 'putation', was man etwa mit 'Einschätzung' oder 'Sichtweise' übersetzen könnte. Diese wird nicht wie die 'blocalité' mit flexivischen Mitteln ausgedrückt, sondern durch Morphemwörter. Die 'putation' ist ihrerseits 'massive' bei du mouton, 'numérative' bei un mouton, des moutons. Die beiden Einteilungen überschneiden sich also:
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Blocalité
Putation du mouton
Massive
Continue un mouton Numérative Discontinue
des moutons
Der große Vorteil des französischen Systems bestehe nun darin, daß die Kategorie der 'putation', die im Lateinischen eine zwischenvokabuläre, wortklassifikatorische gewesen sei, bos stand gegenüber aurum, im Französischen eine binnenvokabuläre werde, die jetzt für den Ausdruck bei jedem Wort frei verfügbar sei. Alle Wörter könnten nunmehr in der einen oder der anderen Weise verwendet werden: un bois, du bois. Die ursprünglich zählbaren Substanzen könnten sich in massiver Sicht darstellen: de la poire, du bœuf, acheter du franc, bouffer du curé, faire de la bicyclette etc.; und ursprünglich massive Substanzen könnten in numerativer Sicht erscheinen: un verre, des faïences, des ors éteints, les cuivres d'un orchestre. Zwar entgeht den beiden Autoren nicht, daß auch im Französischen vielfach die eine Verwendung das Normale, die andere aber eher am Rande der Norm, wenn nicht schon leicht außerhalb davon anzusiedeln ist. Doch bleiben sie dabei: C'est après avoir bien médité et pesé la question, et avoir observé la langue tant parlée qu'écrite, que nous osons affirmer ici qu'il n'est pas de substance nominale qu'il soit interdit à un locuteur plus ou moins hardi de concevoir soit comme numérative, soit comme massive. (Damourette, Pichon 1911, S. 444)
Soweit die etwas ausführlichere Paraphrase der Darstellung von Damourette, Pichon (Bd. I, 1911, S. 346-350).
Das Neuartige daran ist zweifellos neben dieser letzten Behauptung, die zum Teil bestritten worden ist (z.B. von Ianucci 1952, S. 13), die konsequente Anwendung der Sichtweise auf das Innere der Substanzvorstellung, wobei unter dem Kriterium der Kompaktheit die konturierten Wörter (im Singular) und die Massentermini zusammengefaßt sind. Einen Vorbehalt möchten wir freilich in Hinsicht auf die Ökonomie der Analysekategorien geltend machen. Wie schon gesehen, fallen die beiden Kategorien 'blocalité' und 'putation' weitgehend zusammen, d.h. die 'blocalité continue' entspricht der 'putation massive' und der 'blocalité discontinue' entspricht die 'putation numérative'. Der einzige Fall der Divergenz ist un mouton mit 'blocalité continue' und 'putation numérative'. Man könnte den Sachverhalt auch unter einem einheitlichen Begriff der 'putation' oder 'Schau' beschreiben, der sich wie folgt aufgliederte:
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konturiert
un mouton
'kontinuierlich' 'putation'
unkonturiert du 'diskret'
des
mouton
moutons
Man hätte dann freilich das Kriterium der Außenkonturierung hinzugezogen und die binäre Gliederung nach ererbtem Numerus und neuem Artikelsystem aufgegeben. Was die Bemerkungen der beiden Autoren zum lateinischen System angeht, so sind sie zum Teil unkorrekt, wie wir noch sehen werden. Festzuhalten aber ist aus dem 'Quantitude'-Kapitel von Damourette und Pichon ihre Auffassung von der grundsätzlichen Flexibilität des französischen Nominalwortschatzes in Hinsicht auf die Zuordnung zur konturierten, bzw. unkonturierten Wortklasse und damit in Hinsicht auf die fehlende oder vorhandene Pluralfähigkeit. Holger Sten, 1949, hat diese Meinung aufgenommen. Er möchte lediglich die Sonderrolle des Französischen, die Damourette, Pichon annehmen, relativieren und verweist auf Beispiele in anderen Sprachen. Im Einklang mit der erwähnten These steht auch Harald Weinrich, In Abrede gestellt: der Teilungsartikel in der französischen Sprache, in: W.-D. Lange, H. J. Wolf (Hgg.), Philologische Studien für Joseph M. Piel, Heidelberg 1969, S. 218-223; ähnlich in seiner Textgrammatik der französischen Sprache, Stuttgart 1982, S. 284-285. Unabhängig und ohne Bezug auf Damourette, Pichon hat Dwight Bolinger in einem knappen, aber wichtigen Beitrag, Catégories, features, attributes, Brno Studies in English 8 (1969), S. 3 7 - 4 1 , mit vielem überzeugenden Beispielmaterial («There is simply too much book here to read») die gleiche These für das Englische vertreten. Mass und count nouns seien eher als «ways of looking at an entity» zu deuten. Schon 1941 hatte Conrad T. Logan, The plural of uncountables, American Speech 16 (1941), S. 170-175, mehr aus normativem Blickwinkel auf die seiner Ansicht nach unnötige Pluralisierungstendenz bei abstrakten und anderen mass words hingewiesen. Eher beiläufig erwähnt die mögliche Konversion Wolfgang Raible, Satz und Text. Untersuchungen zu vier romanischen Sprachen, Tübingen 1972, S. 52. 'Vorkommensarten' statt einer Klasseneinteilung annehmen möchte auch Harry C. Bunt, Mass terms and model theoretic semantics, Cambridge 1985. Marc Wilmet, La détermination nominale, Paris 1986, S. 5 0 51, betont die mögliche Abweichung der sprachlichen 'représentation' vom gegenständlichen Bild, und mehrere Referenten eines thematischen Kolloquiums (Jean David, Georges Kleiber (Hgg.), Termes massifs et termes comptables, Paris 1988) haben die variable Zuordnung nominaler Lexeme zu beiden Klassen als Redeverfahren ausdrücklich behandelt. Um 33
der Tatsache Rechnung zu tragen, daß bestimmte Verwendungsweisen in der Norm gleichwohl als primär, andere als abgeleitet erscheinen, zieht Simon C. Dik, A typologie ofentities, in: Auwera, Goossens (Hgg.), 1987, S. 1 - 2 0 , eine Beschreibung der wechselnden Zuordnung als 'subkategorielle Konversion' vor (vgl. u. Anm. 45). Das Heraustreten der Erscheinung aus dem lexikalischen Bereich hat Manfred Krifka, 1991, S. 400, angesprochen und einige neuere Meinungen dazu notiert. Die Zusammenstellung zeigt, bei aller Unvollständigkeit, wie ein Phänomen ins analytische Bewußtsein tritt.
2.4
Der Nominalaspekt
In diese Reihe der Argumentation ordnet sich unsere Deutung des sogenannten kollektiven Singulars im Portugiesischen ein. Das heißt, wir möchten annehmen, daß die Unterscheidung zwischen solchen Nomina, die nur im Transnumeral auftreten, also weder des eigentlichen Singulars, noch des Plurals fähig sind, und solchen, die diesen beiden Kategorien unterliegen, im Portugiesischen ähnlich wie im Französischen weitgehend aufhebbar ist, und zwar in diesem Falle zugunsten des Transnumerals.Das wiederum bedeutet, daß eine sonst im Bereich des Wortschatzes feststellbare Klassenstruktur in die freie Verfügung der Grammatik gerät und selbst zur grammatischen Kategorie wird. Wo man diese Natur der Erscheinung bei der Beschreibung bemerkt hat, hat man sich ihr, wie schon erwähnt, mit der Ausdrucksweise genähert, die eine oder andere Einstufung hänge von der jeweiligen Auffassung, Anschauung oder Sichtweise ab. Indem wir diese Bemerkungen aufgreifen und zugleich an einen gut eingeführten Terminus aus dem verbalen Bereich anknüpfen, möchten wir diese grammatische Kategorie den nominalen Aspekt oder einfach Nominalaspekt40 nennen. 40
Tatsächlich hat von 'nominalen Aspekten' schon 1955 Johannes Benzing gesprochen: J. Benzing, Die tungusischen Sprachen. Versuch einer vergleichenden Grammatik. Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz, Abhandlungen der geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse, Jahrgang 1955, No. 11, Wiesbaden 1956, S. 67. Er meint damit ein morphologisch gekennzeichnetes nominales Klassifizierungssystem in den tungusischen Sprachen, das bewertende und kognitive Kriterien vereint, wobei in letzterer Hinsicht die Prominenz des Individuellen abgestuft wird. Die beschriebenen Erscheinungen sind jedoch sowohl in Hinsicht auf die klassifizierten Merkmale als auf den Status freier Grammatikalität heterogen, vgl. Drossard 1982, S. 100; bes. zum Mandschu s.a. Doerfer 1963. Davor noch hat Asgar Rosenstand Hansen, Artikel systemet i rumxnsk, Kopenhagen 1952, S. 163 ss., den Ausdruck verwendet, jedoch mit anderem Designat. Er nennt 'nominale Aspekte' die textphorischen Artikelfunktionen ('gegeben', 'neu eingeführt', 'prädikativ'). Schließlich ist vereinzelt die verbale Aspekt- bzw. Aktionsartbedeutung in der Nominalisierung als 'Nominalaspekt' bezeichnet worden ('Tat' vs. 'Tätigkeit' vs. 'Tun'). Vgl. Jo-
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Diese Kategorie verfügt nun allerdings nicht über ein eigenes Morpheminventar. Es gilt hier, was Ernst Cassirer in einem anderen Zusammenhang bemerkt: Sie (sc. die Sprache) schafft nicht für jeden neuen Bedeutungskreis, der sich ihr erschließt, neue Mittel des Ausdrucks, sondern ihre Kraft besteht eben darin, daß sie ein bestimmtes gegebenes Material in verschiedener Weise zu gestalten, daß sie es, ohne es zunächst inhaltlich zu verändern, in den Dienst einer anderen Aufgabe zu stellen und ihm damit eine neue geistige Form aufzuprägen vermag. (Cassirer (1923), 1964, S. 1 7 0 - 1 7 1 )
Wir wollen uns daher zunächst noch einmal die Gründe für die Annahme des Nominalaspekts vergegenwärtigen: Die aspektuellen Unterscheidungen werden mit dem morphologischgrammatischen Instrumentarium des Numerus und des Artikels getroffen. Sie lassen sich aber nicht einfach auf die Funktionen jener beiden Instrumente zurückführen. Denn in verschiedenen Fällen stellt man eine Asymmetrie zwischen diesen kategorialen Funktionen und den ihnen zugeordneten Denotaten fest. Erstens haben wir die grammatische Synonymie von Ausdrücken wie: - muito livro muitos livros
'viele Bücher 5
- Der Mensch ist sterblich. Die Menschen sind sterblich. -
Gold ist ein Metall. Das Gold ist ein Metall.
Die Unterschiede, die zwischen den Ausdrücken festgestellt werden, lassen sich nicht durch die Kategorie Numerus oder die Kategorie Artikel allein erklären. So kann der Unterschied zwischen muito livro und muitos livros nicht in der Quantität festgestellt werden, da in dieser Hinsicht das gleiche ausgesagt wird. Und wenn die Aktualität als Funktion des Artikels angenommen wird, so ist Gold ist ein Metall so aktuell wie das Gold ist ein Metall. Dies aber liegt zweitens daran, daß die genannten Kategorien selbst komplex sind. So enthält der Plural zwar das Merkmal der Quantität, aber nur für etwas, das zuvor konturiert gesehen wurde, wodurch das Merkmal der Diskretheit entsteht. Und der Artikel ist zwar Ausdruck der Aktualität, aber durch den in ihm enthaltenen deiktischen Rest zugleich Hinweis auf etwas im weitesten Sinne als gegenständlich konturiert Betrachtetes. Drittens schließlich lassen sich mit der Annahme hann Knobloch (Hg.), Sprachwissenschaftliches Wörterbuch, Band 1, Heidelberg 1961-1986, S. 175. Ohne terminologische Intention hat Joseph Vendryes (1921, S. 115) bedauert, daß in unseren Sprachen 'l'aspect collectif et l'aspect singulatif einer kategoriellen Unterscheidung ermangelten. Zum Verhältnis von Verbalspekt und Nominalaspekt s. hier w.u.
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des Nominalaspekts, wie gesehen, die lexikalischen Klassenunterscheidungen von Kontur- und Diffuswörtern in ein systematisches Regelwerk überführen. In Hinsicht auf diese Gesichtspunkte haben Jacques Damourette und Edouard Pichon tatsächlich ein vollgültiges System des Nominalaspekts entwickelt. Hierbei richtet die auf der alten Numeruskategorie beruhende 'blocalite' den Blick auf das 'Innere' der Nominalvorstellung, ob dort eine Kontinuität oder eine Diskontinuität vorliegt. Und die 'putation', die mit dem neuen Instrumentarium der Artikel arbeitet, betrachtet das 'Äußere' dieser Vorstellung, ob es sich um eine Masse oder zählbare Individuen handelt. Diese bei Damourette und Pichon freilich nicht ausdrücklich gemachte Unterscheidung zwischen «innen» und «außen» möchten wir für die Kasuistik des Nominalaspekts übernehmen. Dazu möchten wir eine weitere Ausdifferenzierung vorschlagen, die im Prinzip onomasiologischer Natur ist.41 Die äußere Seite des Aspekts ist in manchen Sprachen mit weiteren deskriptiven oder deiktischen Faktoren verflochten. Dies wollen wir hier unberücksichtigt lassen. Wir betrachten sie nur unter dem Gesichtspunkt der Kontur. Diese kann generell oder partikulär gestaltet sein. Die innere Seite des Aspekts kann nach dem Kriterium der Kohäsion differenziert werden. In dieser Hinsicht kann man Kontinua, Polymorphe, Amalgame, Solidaria und Diskreta unterscheiden. Das soll etwas genauer beschrieben werden. 2.4.1 Der äußere Aspekt: die Kontur Die Anschauung eines Gegenstandes kann man als Paradigma der Erfahrung und des Verstehens bezeichnen. Der konkrete Gegenstand begegnet uns als Gestalt, dessen Kontur sich vor einem Hintergrund abhebt. Nach diesem Vorbild hat sich der Erkenntnisprozeß gegenständlich durchgebildet. In den Anfängen des philosophischen Denkens waren Begriff und Gestalt eins. Im 61605 flössen sie zusammen (Cassirer 1910, S. 89). Der weitere Sinn des Wortes 'Gegenstand' meint alles, worauf wir uns durch Namen beziehen. Die Wortart zur Bezeichnung von Gegenständen und der vergegenständlichten Welt der Erfahrung ist das verdinglichende Substantiv. 41
Dabei schwebt uns als Vorbild jene an den Sprachen «ertastete» Onomasiologie vor, wie sie Eugenio Coseriu für den Bereich der Diathese und des Verbalaspekts vorgelegt hat: Eugenio Coseriu, Verbinhalt, Aktanten, Diathese. Zur japanischen Ukemi-Bildung, in: Coseriu 1987, S. 9 6 - 1 1 8 ; und: Verbalaspekt oder Verbalaspekte? Einige theoretische und methodische Fragen, ibid., S. 1 1 9 - 1 3 2 . Das Verfahren entspricht auch der Intuition Humboldts von einer Synthese des Empirischen und Spekulativen; vgl. Jürgen Trabant, Traditionen Humboldts, Frankfurt 1990, S. 52.
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Der Begriff der Konturierung bezieht sich nun auf die Bedeutung des Gegenständlichen in seinem engeren Sinne. Er meint jene Art der Umrissenheit, die uns den Gegenstand erst eigentlich erkennen läßt. Diese ist zunächst einmal perzeptorischer und nicht sprachlicher Natur, sie wirkt aber mit der sprachlichen Erfassung der Weltdinge zusammen.42 Eine grammatische Kennzeichnung der Bedeutung, die einer konturierten Gestalt entsprechen, und derjenigen, die amorphe Massen meinen, kann mit verschiedenen Mitteln erfolgen; oftmals fehlt sie ganz. Die betreffende Information wird dann von den substantivischen Bedeutungen selbst und von der Kenntnis der Welt erbracht. Und die uns vertrauten europäischen Sprachen, die über eine solche Kennzeichnung verfügen, haben sie erst spät ausgebildet und nicht durch ein primäres Instrumentarium, sondern sekundär durch das System der Artikel, die primär eine ganz andere Funktion haben. Man kann daher Elmar Holenstein (1982, S. 21) zustimmen, wenn er meint, es sei müßig, zu spekulieren, ob die Erfassung der Kontur, bzw. die Unterscheidung zwischen Stoffen und Individuen, nicht vielleicht sprachlich begründet sei. Andererseits hat Ernst Cassirer in einem Beitrag aus dem Jahre 1932 43 mit einigen guten Gründen die Auffassung vertreten, die geistige Ausformung der gesamten Gegenstandswelt gehe mit der Bildung der entsprechenden sprachlichen Begrifflichkeit einher. Doch mag dies in unserem Zusammenhang dahingestellt bleiben. Gegenüber der abgehobenen konturierten Bedeutung des Gegenständlichen erscheint nun die diffuse unkonturierte Bedeutung der Stoffe einfach als neutral und hintergrundhaft. Während der Gegenstand paradigmatisch für die Begriffsbildung wurde, verband sich mit der Unkontur des Stofflichen die Vorstellung des Grenzenlosen, des äjteiQov, das den antiken Philosophen verdächtig war. 44 Und noch heute haben analytische Philosophie und logische Semantik große Schwierigkeiten, es in ein System der Bezeichnung zu integrieren.45 Die Lösungsversuche gehen meist 42
43
44 45
Vgl. Heinrichs, 2. Teil, 1981, S. 1 1 4 - 1 1 5 . Zu dem phänomenologischen und psychologischen Hintergrund dieser Überlegungen s. auch Elmar Holenstein, Das Erfassen von Gegenständen in perzeptiver und sprachlicher Hinsicht, in: H. Seiler, Ch. Lehmann (Hgg.), I, 1982, S. 1 5 - 2 5 . Ernst Cassirer, Die Sprache und der Aufbau der Gegenstandswelt (1932), in: Id., Symbol, Technik, Sprache. Aufsätze aus den Jahren 1927-1933. Herausgegeben von Ernst Wolfgang Orth und John Michael Krois unter Mitwirkung von Josef M. Werle, Hamburg 1985, S. 1 2 1 - 1 6 0 . Vgl. Piaton, Philebos, 2 4 - 2 6 . Vgl. neben dem schon Anm. 7 erwähnten Überblick Schubert, Pelletier 1987: Francis Jeffry Pelletier (Hg.), Mass terms: Some philosophical problems, Dordrecht 1979; Alice Ter Meulen, Substances, quantities, and individuals. A study in the formal semantics of mass terms, Bloomington 1980; Harry C. Bunt, Mass terms and model theoretic semantics, Cambridge 1985; Simon C. Dik, A typology of entities, in: Johan van der Auwera, Louis Goossens (Hgg.), Ins and outs of the predication, Dordrecht 1987, S. 1 - 2 0 .
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in die Richtung, die Substanzen in Mengen von Quanten aufzuspalten, die dann wieder analog zu Kollektionen von Individuen behandelt werden können. Diese Vorstellungen haben eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Verfahren der Alten, dem Grenzenlosen mit Hilfe der Meßkunst beizukommen. Entsprechend ihrer neutralen hintergrundhaften Natur erscheint die unkonturierte Bedeutung in unseren europäischen Sprachen meist merkmallos, obgleich es vorkommt, daß sie auch morphologisch gekennzeichnet ist. Sichtbar wird die Trennung zwischen konturierter und unkonturierter Bedeutung in den sprachlichen Operationen der nominalen Determinierung, wie sie Eugenio Coseriu in einem Beitrag aus dem Jahre 1955 beschrieben hat. 46 Soweit die dort eingeführten Begriffe für unseren Zweck von Belang sind, sollen sie hier kurz in Erinnerung gerufen werden: «Determinierung» nennt der Autor die Gesamtheit jener Verfahren, mit denen im Sprechen die zunächst virtuellen Zeichen durch die Intention des Sprechers auf die konkrete Wirklichkeit gelenkt, bzw. dieser Bezug zur Wirklichkeit präzisiert wird. Innerhalb der Determination werden Aktualisierung, Diskrimination, Delimitierung und Identifizierung unterschieden. Die Aktualisierung ist der grundlegende Determinierungsvorgang. Durch ihn werden die zunächst Begriffe bedeutenden Namen der Sprache auf den Bereich der Gegenstände ausgerichtet, der Name eines «Seins» wird zur Bezeichnung eines «Seienden». Sprachliches Werkzeug der Aktualisierung ist der bestimmte Artikel, obgleich seine Präsenz nicht unabdingbar für diese Funktion ist und er andererseits auch noch weitere Funktionen haben kann. Während nun die einfache Aktualisierung lediglich das Seiende im allgemeinen bezeichnet, bedarf es für die speziellere Bezugnahme der Verfahren der Diskrimination, die sich ihrerseits in Quantifizierung, Selektion und Situierung unterteilt. Durch die Quantifizierung kommt die Zahl bzw. die Zählbarkeit der bezeichneten Gegenstände zustande. Sie kann bestimmt oder unbestimmt sein {hundert vs. viele). Zur Quantifizierung gehört auch die Numerusopposition. Die bloße Quantifizierung ist jedoch nur eine mögliche und interne Diskrimination, die nur die Anwendbarkeit des Namens auf eine Gruppe Einzelner bedingt, nicht aber die konkrete Anwendung.
46
Eugenio Coseriu, Determinación y entorno. Dos problemas de una lingüística del hablar, Romanistisches Jahrbuch 7 (1955), S. 29-54; d. Ü.: Determinierung und Umfeld. Zwei Probleme einer Linguistik des Sprechens, in: Id., Sprachtheorie und allgemeine Sprachwissenschaft. 5 Studien, München 1975, S. 253-290. Schon vor über zehn Jahren haben Robert-Alain de Beaugrande und Wolfgang Ulrich Dressler in ihrer Einführung in die Textlinguistik, Tübingen 1981, S. 2 3 24, die späte Rezeption von Coserius Beitrag bedauert. Dazu läßt sich sagen, daß er auch heute noch nicht in allen hierzu relevanten Bezügen zur Kenntnis genommen worden ist.
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Dagegen ist die Selektion eine wirkliche und externe Diskrimination, wodurch eine Trennung der bezeichneten Objekte von den übrigen ihrer Klasse vorgenommen wird. Die Selektion kann unbestimmt sein (Partikularisierung): irgendeiner, jeder, ein anderer, oder bestimmt (Individuierung): dieser, der erstere, derselbe. Als Individuatoren können auch Relativsätze und andere distinktive Zusätze funktionieren. Hinzu kommt die Bedeutung des Umfelds für die individuelle Bedeutung, so daß dann etwa mit dem bloßen bestimmten Artikel und unter Berücksichtigung der außersprachlichen Umgebung individuelle Bedeutungen entstehen. Durch die Situierung schließlich werden die Gegenstände mit den raumzeitlichen Gegebenheiten und den einbezogenen Personen der Rede verknüpft. Ihre Ausdrucksinstrumente sind Possessiva und Deiktika. Im Falle der deiktischen Situierung kann man auch von Lokalisierung sprechen. Die in ihrer Reihenfolge beschriebenen determinativen Funktionen schließen nur jeweils die vorausgehenden mit ein, nicht aber die folgenden. Die Abfolge ist jedoch nicht materiell oder genetisch, sondern rein ideell. Anderer Art sind die Redeinstrumente der Abgrenzung, die Delimitatoren. Während die zuerst genannten Verfahren die denotativen Möglichkeiten der Zeichen realisieren, verändern diese dessen Benennungsbereich durch Untergliederung des Begriffs. Bei der Delimitation läßt sich wiederum zwischen Explikation (ovis patiens iniuriae), Spezialisation (der Mond um Mitternacht) und Spezifikation (ein blonder Junge) unterscheiden. Die Identifizierung spezifiziert die Bedeutung einer vieldeutigen Form durch informative Zusätze. Ferner liefert der Aufsatz von Coseriu noch eine ausführliche Kasuistik der außersprachlichen und sprachlichen Umfelder. Was nun die Unterscheidung zwischen konturierten und unkonturierten Bedeutungen angeht, so betrifft sie innerhalb der Verfahren der nominalen Determination die Ebene der Quantifikation. Anhand von quantifizierenden Kontexten hatte man ja auch die Klassifizierung von zählbaren und unzählbaren Nomina vorgenommen. So lassen sich die lexematisch primär konturiert gekennzeichneten Nomina ohne weiteres mit bestimmten Zahlquantifikatoren verbinden: drei Stühle. Dazu sind sie der Kategorie des Plurals unterworfen. Bei der unbestimmten Quantifikation mit 'viel' erscheint der Quantifikator ebenfalls im Plural: viele Stühle^ (pg. muitas cadeiras, it. molte sedier das Englische unterscheidet lexikalisch zwischen much und many, während das Französische mit beaucoup de hier invariabel ist). Außer durch die unbestimmte oder bestimmte Quantifikation kann sich die Notwendigkeit des 47
Man findet im Deutschen gelegentlich auch Wendungen wie viel Touristen, wenig neue Impulse ohne Numeruskongruenz bei den Quantifikatoren. Vielleicht ließe sich auch hier an eine aspektuelle Deutung denken.
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Plurals auch aus der Sachkenntnis ergeben: Sie verkauft Blumen, Die Firma stellt Waschmaschinen her. In anderen Fällen ist die Numeruswahl natürlich frei und damit informativ. Aber die Pluralisierung betrifft die Konturierung eigentlich nur sekundär, genauer gesagt, die Konturierung ist die Voraussetzung für die Anwendung der Zahl und des Plurals. Die Plurale selbst sind dagegen primär unkonturiert. Die eigentliche Instanz für die Konturierung ist vielmehr der Singular, und zwar da, wo die obligatorischen Artikelpositionen erscheinen: - Er wollte sich noch eine Zeitschrift *Er wollte sich noch 0 Zeitschrift -
kaufen. kaufen.
Ein Wagen fuhr vor. *0 Wagen fuhr vor.
- Das Fenster war mit einem Hammer eingeschlagen worden. *Das Fenster war mit 0 Hammer eingeschlagen worden.
In diesen Fällen ist die Konturierung lexikalisch-klassematisch gegeben und ihre Bezeichnung durch die Artikel notwendig. Durch die Notwendigkeit der Artikel bei einer Klasse von Lexemen ist zugleich die Abgrenzung zu der anderen Klasse gegeben, die in diesen Kontexten artikellos und ohne das Merkmal der Kontur erscheinen kann. Wir haben oben bewußt Beispiele mit dem unbestimmten Artikel «ein» ausgewählt. Denn dieser ist sozusagen die Mindestbedingung für den Ausdruck der Konturierung im Bereich der Quantifizierung, und seine Entfernung - wo diese lexematisch möglich ist - nimmt der Vorstellung nur die Umrissenheit, nicht aber die unbestimmte Quantifizierung oder gar die Aktualität: -
Er wollte noch 0 Mineralwasser
kaufen.
Natürlich erscheint das Merkmal der Konturiertheit auch da, und erst recht da, wo über die Quantifizierung hinaus noch ein weitergehendes Verfahren der Diskrimination erfüllt ist, z. B. die Individuierung. In der Tat ist offensichtlich, daß eine individuell vorgestellte Substanz das Kennzeichen der Konturiertheit sozusagen «schon längst» voraussetzt. Allerdings zeigen die artikellosen Sprachen das Merkmal der Kontur erst auf der Ebene der Selektion (als Partikularisierung oder Individuierung) oder Situierung. Dagegen ist es eine schwierige Frage, ob und wie die Konturierung bereits das Verfahren der Aktualisierung als Korollar betrifft. Immerhin ist der bestimmte Artikel als Aktualisator historisch meist aus den situierenden Deiktika hervorgegangen, und es wäre denkbar, daß er das Konturierte der Vorstellung als verblaßten Rest der Deixis noch in sich trüge. Andererseits ist die generische Bedeutung des Nomens von so abstrakter Art, daß es fraglich ist, ob Merkmale wie 'Gestalthaftigkeit' oder 'konti40
nuierlich erscheinend' überhaupt auf sie Anwendung finden können. Wenn der bestimmte Artikel als reiner Aktualisator in generischer Bedeutung daher das Kennzeichen der Kontur vermittelte, so könnte er es nicht in der gleichen Weise tun wie bei der Unterscheidung zwischen 0 Wasser und ein Stein. Die Konturierung könnte dann nur als das 'ens rationis' in der Art umgebend gedacht werden, daß sie eine andere 'Washeit' ausschlösse, von der jeweils anderen Wesenheit abgrenzte. In den romanische Sprachen erscheint in generischer Bedeutung bei konturierten und unkonturierten Lexemen in Subjektposition immer der bestimmte Artikel als Aktualisator.48 Man könnte daraus schließen, daß auf dieser abstrakten Stufe Gestalten und Stoffe in gleicher Weise nur in ihrer Washeit umgrenzt werden. Oder aber, methodisch konsequenter, daß hier der Unterschied zwischen Konturiertem und Unkonturiertem keine Rolle spielt und einfach entfällt. Anders stellt sich das Bild im Deutschen dar. Hier wird unterschieden zwischen: -
Gold ist teurer geworden Das Gold ist teurer geworden,
und
wobei man geneigt ist, eine aspektuelle Differenz anzunehmen. Der Unterschied ist freilich subtil. Im Vergleich zu den Dingen, die schon aus sich selbst heraus begrenzt sind, haben die gestaltlosen Dinge einen Januskopf, der sie uns einmal als Ding unter Dingen, ein anderes Mal als ungeformte Masse erscheinen läßt. 49
Bei einfacher generisch zur Gattung aussagender Rede ist im Deutschen bei Stoffnamen der Nullartikel das Normale. Dagegen scheint es so zu sein, daß dem bestimmten Artikel der Vorzug gegeben wird, wenn in einer gewissen Situation von mehreren Genera die Rede ist, oder doch eine Abgrenzung zu namentlich nicht genannten Alternativen denkbar ist. Insbesondere ist dies der Fall, wenn das in Frage stehende Genus in seiner notwendigen Zuordnung zu menschlichen Handlungen, Bedürfnissen, Erlebnissektionen oder zur Lebenswelt des Menschen im allgemeinen gesehen wird. So hörte man am Tag des Wassers' die Mahnung «sparsam mit dem Wasser umzugehen», nicht die auch mögliche artikellose Wendung. Und von den beiden angeführten Sätzen zum Preis des Goldes würde der zweite eher in einem Lebenskreis vorkommen, in dem die Verarbeitung dieses Edelmetalls üblich ist. Dies würde mit der oben angeführten Deutung des Aktualisators als abstrakt konturierend vereinbar sein. Man kann daher sagen, daß im Deutschen - wie auch im Engli48
49
Überdies kommt in den romanischen Sprachen das unkonturierte Nomen als Satzsubjekt kaum vor (vgl. Raible 1972, S. 51). Judith Macheiner, Das grammatische Varieté oder Die Kunst und das Vergnügen, deutsche Sätze zu bilden, Frankfurt/M 1991, S. 220.
41
sehen - die Unterscheidung konturiert vs. unkonturiert bis in die A k t u a lisierung hineinreicht, während sie in den romanischen Sprachen im Bereich der Quantifizierung verbleibt. Im Zusammenhang mit den generischen Bedeutungen und dem Nominalaspekt muß noch eine andere Frage kurz angesprochen werden. Bei der lebhaften Diskussion um die generischen Ausdrücke in den letzten Jahren ist der Gedanke aufgekommen, die singularischen Generika ließen sich eventuell als 'Massennamen' interpretieren. 50 Hier liegt nun eine Verwechslung vor. E s ist zwar richtig, daß wir es in beiden Fällen mit einem Transnumeral zu tun haben, so daß die empirische Unterscheidung bei einigen Beispielen Schwierigkeiten machen kann. 5 1 Im Falle des nur aktualisierten (generischen) Namens aber deswegen, weil das Verfahren der Quantifikation noch nicht auf ihn angewendet wurde, er daher sozusagen in einer abstrakteren Sphäre verharrt. Beim unkonturierten 'Massennomen' dagegen sind Konturierung und Numerus aus semantischen Gründen nicht anwendbar. Die Konturierung der Bedeutung bzw. ihr Ausbleiben geschehen zwar zugleich mit und durch das Verfahren der Quantifizierung und in einigen Sprachen sogar der Aktualisierung, sie sind aber nicht mit diesen identisch. 52 Was die Merkmale des Unkonturierten bei der Determination betrifft, so wurden sie bei der Beschreibung der Kennzeichen des Konturierten zum Teil schon kontrastiv miterwähnt: D e m Plural und der Zählung sind die unkonturiert gesehenen Substanzen nicht unterworfen, sie verbleiben transnumeral. B e i der unbestimmten Quantifikation mit viel erscheint der Quantifikator im Singular: viel Zucker (engl. much). Ihr allgemeinstes Quantifizierungsverfahren erfordert eine Meßkonstruktion: drei Eimer Wasser.53 Vor allem aber zeigen sie in den Fällen, wo die Artikel bei konturiertem Nominalausdruck obligatorisch erscheinen, Artikellosigkeit: - Er wollte noch 0 Mineralwasser kaufen. - 0 Glatteis gefährdet den Verkehr. 50
51 52
53
Zu der Diskussion im allgemeinen s. neben dem schon erwähnten Buch von Gerhard Heyer 1987: Claudia Casadio, Interpretazione generica, LeSt 24 (1989), S. 175-198, bes. S. 179; ferner speziell zu der angesprochenen Frage: Georges Kleiber, «Le» générique: un massif?, Langages 94 (Juni 1989), S. 73-113. Z. B. ist es fraglich, ob Le sanglier abonde dans cette forêt (Kleiber 1989, S. 92) wirklich generisch zu interpretieren ist. Auch ließe sich bei Annahme der Hypothese kaum erklären, wieso im Englischen bei generischen Ausdrücken zwischen konturiert und unkonturiert unterschieden wird. Zu dieser allgemeinen Technik vgl. Drossard 1982. Man kann auch noch marginalere Kontextkennzeichen des Unkonturierten ausmachen. Z. B. erfordern arm an, reich an unkonturierte Ergänzungen, sei es als Transnumeral, sei es als Plural, so daß Goethes Arm an Beutel, krank am Herzen durch Konversion erklärt werden muß. 42
- Das Fenster war mit 0 Farbe beschmiert
worden.
Dies ist, wie erwähnt, die Stelle des plastischsten Kontrastes zwischen konturiertem und unkonturiertem Aspekt. Wenn die Determinierung der Lexeme aber über das rein Quantifizierte und eventuell das Partikuläre hinausgeht und das Niveau der Individuierung erreicht, so ist mit dem Individuellen zugleich die Konturierung gegeben. D e r Vorgang der Zumessung und die Bestimmung in Kontext und Situation haben das Unkonturiert-Diffuse gleichsam geformt und dem Konturierten gleichgestellt. Diese Ausformung kann natürlich lexikalisch beschrieben werden: 0 Wasser die Flasche Wasser. Sie kann aber auch rein virtuell bleiben und durch den Zusammenhang gegeben sein: - Er holte 0 Wasser an der Pumpe. - Er brachte das Wasser in die Küche. Hier erbringt die Vorstellung das Bild des eventuell in einen Eimer gefüllten Wassers. Die Probleme beim generischen Gebrauch des unkonturierten Substantives haben wir schon kurz dargestellt. In dem bisher beschriebenen Verfahren wurde das Konturierte positiv herausgehoben, während die unkonturierte Substanz merkmallos im Hintergrund verblieb. Es kommt aber auch vor, daß das Stoffliche durch gewisse sprachliche Verfahren gegenüber dem sonst in dieser Hinsicht Ungekennzeichneten abgegrenzt wird. Jerzy Kurylowicz (1964, S. 191) hat darauf hingewiesen, daß sich die partitive Genitivbedeutung im Indogermanischen vermutlich dem semantischen Einfluß der Stoffnamen verdankt. Hierdurch kann in artikellosen Sprachen, wie etwa dem Polnischen, der Unterschied zwischen konturiertem und unkonturiertem A s p e k t in einigen wenigen Kontexten ausgedrückt werden: -
daj mnie chleba daj mnie chleb
'gib mir Brot' 'gib mir das Brot', 'gib mir den Laib Brot'.
(Kurylowicz 1964, S. 16; vgl. auch Id., ibid., S. 184-186, wo der Genitiv in dieser Funktion im Griechischen und Balto-Slavischen behandelt wird; s. ferner hier w.u. S. 125). Deutlicher wird dieses Verfahren natürlich in Sprachen, welche einen eigenständigen casus partiüvus entwickelt haben und diesen zur Bezeichnung der Unkonturiertheit des direkten Objekts verwenden, wie es z. B. im Finnischen geschieht. In vielen Indianersprachen Amerikas erscheint gerade das Konturierte als merkmallos (vgl. zum Hopi: Whorf 1956, S. 140-142), während das Unkonturierte einer besonderen Kennzeichnung bedarf (s. z.B. Dietrich 1994 zum Tupí-Guaraní). Wo im Romanischen ein sogenannter Teilungsartikel auftritt, unterstreicht er die schon negativ abgegrenzte diffuse Nominalbedeutung gleichsam komplementär. 43
Daß das kollektivhafte Unkonturierte in vielen Sprachen das Primäre ist, aus dem das Einzelne nur bei Bedarf ausgesondert wird, haben wir schon bei dem Überblick über die Numerustypik angesprochen. In den uns vertrauten europäischen Sprachen erscheint der Nominalaspekt der äußeren Kontur - wo überhaupt - nur als Merkmal des Gegenständlichen generell gegenüber dem Ungeformten und Diffusen. Das heißt, es wird kategoriell nichts über die jeweils besondere Form des Gemeinten gesagt. Entsprechende Informationen liefert bei Bedarf natürlich das Lexikon, das mit dem Redeverfahren der Spezifikation das Gestalthafte weiter beschreiben kann. Dagegen gibt es Sprachen, die durch eine entwickelte klassematische Struktur das Konturhafte partikulär ausgestalten. Dazu gehören die schon erwähnten Klassensprachen und die Sprachen mit Numeralklassifikatoren. Hier kann dann die Gestalt nach 'rund', 'flach5, 'länglich' und ähnlichen Merkmalen ausdifferenziert werden. Die partikulären Konturierungsmerkmale erscheinen jedoch in der Klassifikation fast stets gemischt mit nicht konturhaften substanzbeschreibenden Eigenschaften. Auch in diesen Sprachen findet man aber Ansätze zu aspektuellem Verhalten bei der Anwendung der Klassifikation. Das heißt, die Zuordnung verläßt oftmals die sachlichen Kriterien und folgt einer subjektiven Sichtweise.
2.4.2 Der innere Aspekt: die Kohäsion Bei der Abgrenzung der beiden Klassen von Substantiven aufgrund ihres unterschiedlichen grammatischen Verhaltens hat man, wie wir oben gesehen haben, zum Teil indirekt, zum Teil direkt, aspektuelle Kriterien benutzt. So ist das Merkmal 'zählbar' bzw. 'unzählbar' indirekt an das Gestalthafte und Konturierte bzw. das Unkonturierte gebunden. Das gleiche gilt für die Bezeichnung 'Einheits-' oder 'Individualname', die beide die äußere Kontur begrifflich voraussetzen. Direkt auf den Umriß bezieht sich Bloomfields Terminologie 'bounded nouns', 'unbounded nouns'. In anderer Weise nähert sich dem Gestalthaften das Merkmalpaar der Kontinuität bzw. Diskontinuität. Während das Kontinuierliche auch als Gegensatz zu dem als zählbare Einheit Erscheinenden gesehen werden kann, bezieht sich das Diskontinuierliche eindeutig auf eine innere Gliederung. Den Bereich dieser inneren Gliederung wollen wir den inneren Nominalaspekt nennen. Zum Beispiel können wir ohne Berücksichtigung der äußeren Kontur im Inneren der Vorstellung etwas Unterbrochenes, Diskretes, feststellen. Dies geschieht bei den in unseren Sprachen üblichen Pluralen. Bei einem Plural wie Häuser in: Am Waldrand standen Häuser hat man eine Gesamtvorstellung aus diskreten Einheiten. Diese Gesamtvorstellung ist äußerlich unkonturiert. Die unbegleiteten Plurale von konturierten Einzelvorstellungen reihen sich in die äußerliche Diffusität der unkonturier44
ten Transnumerale ein. Insofern ist die traditionelle Zusammenstellung von frz. du (x) und des (x+s), die in anderer Hinsicht heute zu Recht bestritten wird - da des (x+s) natürlich nicht der Plural von du (x) ist tatsächlich gerechtfertigt. Das Konturierte der singularischen Einzelvorstellung ist zum Zeichen der inneren Diskretheit geworden oder anders, die äußere Kontur im Singular grenzt jetzt im Inneren der pluralischen Gesamtvorstellung die zusammengefaßten Einheiten voneinander ab, so daß sie in einem diskreten Nebeneinander erscheinen. Das zusätzliche Merkmal der Diskretheit, das wir beim Plural neben der Quantität feststellen, ist also nichts anderes als die Konversion der singularischen Kontur, wie wir bereits bei der Betrachtung der Numerusopposition gesehen haben. Diese Diskretheit, die auf der singularischen Kontur beruht, macht zugleich, in Zusammenhang mit der Quantifizierung, den Eindruck des Konkreteren aus, der gelegentlich an den Pluralen festgestellt wird (Tobler 1883, S. 433)Wie es bei den unkonturierten Stoffnamen und Abstrakta geschieht, so werden auch die ihnen im äußeren Aspekt vergleichbaren Plurale bei Individuierung äußerlich konturiert. So verbindet sich mit der fortschreitenden Determination im Text von Im Hof spielten Kinder zu Die Kinder machten großen Lärm beim zweiten Satz die Vorstellung der Konturierung, auch wenn die Gruppe nicht weiter beschrieben wurde. Bei generischem Gebrauch nähert sich der globale konturierte Plural der Vorstellung der Allheit. So stellt Antoine-Isaac Silvestre de Sacy, der Begründer der französischen Orientalistik, fest: Quand je dis: Les femmes ont la sensibilité en partage, mais la force est l'appanage des hommes, il est clair que j'oppose la classe entière du sexe masculin au sexe féminin, et l'article ajoute de l'énergie et de la précision à mon expression.54
Hierbei scheint er sich mit «de l'énergie et de la précision» auf den Effekt der Konturierung des Plurals zu beziehen. Was nun den inneren Aspekt angeht, so kann er nach dem Kriterium der Kohäsion weiter klassifiziert werden. Bei den üblichen Pluralen in den modernen Sprachen hatten wir ein diskretes Nebeneinander der Einheiten beobachten können. Über ihr Verhältnis zueinander ist in der Kategorie des Plurals normalerweise nichts enthalten. Es gibt aber auch Zusammenfassungen, deren Einheiten in einer solidarischen Beziehung miteinander gesehen werden. Hier kann man wieder zwischen homosemen und allosemen Komplexen unterscheiden. Und bei den homosemen Gesamtheiten kann man zwischen pluralen und binären (ternären, paukalen) differenzieren. Betrachten wir zunächst die pluralen Solidaria, die den üblichen Pluralen am nächsten stehen und nach verbreiteter Auffassung als deren histori54
Antoine-Isaac Silvestre de Sacy, Principes de grammaire Ndr. Stuttgart - Bad Cannstatt 1975, S. 43.
générale, Paris 2I8O3,
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sehe V o r l ä u f e r a n z u s e h e n sind. Z u ihnen g e h ö r e n die schon in a n d e r e m Z u s a m m e n h a n g e r w ä h n t e n antiken ethnischen N a m e n w i e M f j ö o i , I I É g o a i , Helvetii, w e l c h e die V ö l k e r nicht als S u m m e n diskreter Individuen bezeichnen, sondern als G a n z e s , so d a ß die E i n z e l p e r s o n e n erst in einer z w e i t e n P h a s e als ausgliederbar erscheinen. F e r n e r k a n n zu dieser G r u p p e ein groß e r Teil der traditionellen Pluralia t a n t u m gezählt w e r d e n , sofern sie nicht binäre Solidaria sind. D i e g e s a m t e G r u p p e der altgriechischen Plurale des N e u t r u m s m u ß n o c h ziemlich k o h ä s i v e m p f u n d e n w o r d e n sein, da der Singular des V e r b s hinzutrat. U n d schließlich h a b e n wir in d e n m o d e r n e n Sprachen m a n c h m a l D o p p e l f o r m e n des Plurals, v o n d e n e n eine die solidarische G e s a m t h e i t , die a n d e r e einen diskreten Plural b e z e i c h n e t , wie dt. Wort Worte - Wörter; o d e r it. membro
- membra
-
-
membri.
V o n den F o r m e n des solidarischen N o m i n a l a s p e k t s hat w e g e n seiner E i gentümlichkeit sicherlich der Dualis
bisher die g r ö ß t e A u f m e r k s a m k e i t
g e f u n d e n . D a ß es sich hierbei ü b e r d e n A u s d r u c k der Z w e i h e i t hinaus u m den einer binären Solidarität handelt, hatte schon W i l h e l m v o n H u m boldt in seinem A k a d e m i e b e i t r a g aus d e m Jahre 1827 b e m e r k t . I m Indogermanischen ist der D u a l i s altes E r b g u t . Meist ist die G r u n d l a g e der dualen B e z e i c h n u n g eine in der G e g e n s t a n d s w e l t g e g e b e n e Paarigkeit. D i e dualisch b e z e i c h n e t e n D i n g e sind j e d o c h nicht i m m e r gleichförmiger Natur, sondern o f t k o m p l e m e n t ä r . S o b e d e u t e t im Sanskrit dyavä
'der
H i m m e l als etwas Paarhaftes', ' H i m m e l und Erde'. Ä h n l i c h zu e r k l ä r e n ist gr. A i a v x E ' A j a x in seiner Z w e i h e i t ' , ' A j a x und Teukros'. D i e s e archaische V e r w e n d u n g s w e i s e läßt sich als integrierte S o n d e r f o r m der a l l o s e m e n Solidarität (s.u.) deuten. A l s K a t e g o r i e erhalten ist der D u a l i s e t w a im Slovenischen, Sorbischen, Litauischen. Lexikalisierte R e s t e sind in vielen modernen indogermanischen Sprachen bewahrt. A n a l o g solidarische N u m e r u s f o r m e n sind Trial und P a u k a l , w o sie vorkommen. Ä h n l i c h w i e nun in alter Z e i t der D u a l i s m a n c h m a l k o m p l e m e n t ä r e V o r s t e l l u n g e n v e r k n ü p f t hatte, k o n n t e n im L a t e i n i s c h e n durch die enklitische K o n j u n k t i o n -que z w e i B e g r i f f e solidarisch miteinander v e r b u n d e n w e r d e n . D a hier z w e i v e r s c h i e d e n e L e x e m e erscheinen, k ö n n e n wir v o n allosemer -
Solidarität
parentes liberique ipse meique fames sitisque fuga pavorque
sprechen: 'die Eltern mit ihren Kindern' 'ich und meine Familie' 'Hunger und Durst' 'Flucht und Schrecken'.
D a g e g e n fehlt b e i der K o o r d i n a t i o n mit et eine solche B e z i e h u n g . Z w i schen et und -que ist atque a n z u o r d n e n , das w i e -que G l i e d e r des gleichen semantischen Feldes verbindet, die aber anders als b e i -que nicht zugleich logisch äquivalent sein müssen. S o die strukturelle A n a l y s e v o n E u g e n i o 46
Coseriu. 55 Bei asyndetischen Reihungen steht oft -que zum Anschluß des letzten Gliedes: - Haec res vobis pacem, tranquillitatem, otium, concordiamque
afferat.
Auch hier liegt eine solidarische Interpretation nahe. Die Verbindungen mit que haben im Lateinischen vielfach formelhaften Charakter angenommen: -
Senatus populusque Romanus terra marique dies noctesque pro aris focisque dimicare
'Senat und Volk Roms 1 'zu Wasser und zu Lande' 'Tag und Nacht' 'für Altar und Herd kämpfen'
Allerdings findet man die Koordination mit -que nicht nur im nominalen Bereich, sondern z. B. auch zur Verbindung zweier Prädikate, so daß man nicht von einem exklusiven Instrument zum Ausdruck des allosemen solidarischen Nominalaspekts sprechen kann. In noch größerem Maße gilt diese Einschränkung für das etymologisch verwandte griechische te.. .TE. Im gesprochene Latein verliert sich -que seit der Kaiserzeit mehr und mehr. 56 In den romanischen Sprachen hat sich keine Spur davon erhalten. A b e r die romanischen Sprachen haben ebenso wie die übrigen europäischen Artikelsprachen in auffälliger Gemeinsamkeit ein neues Mittel zum Ausdruck der allosemen Solidarität entwickelt. Es handelt sich um die artikellose Zusammenfügung von der Art mit Frau und Kind. Dieser Typ, den wir in das System des nominalen Aspekts integrieren möchten, ist bisher kaum grammatisch interpretiert worden. In der Regel wird in den Grammatiken bei der Behandlung des Artikels erwähnt, daß er in «Aufzählungen» fehlen kann: -
55
56
Halten Sie Papier und Bleistift griffbereit! Man hatte ihr Geld, Ausweis und Fahrkarte gestohlen. Er nahm Hut, Stock, Gesangbuch und Brille.
Eugenio Coseriu, Lateinische und romanische Koordination, in: Id., Sprache. Strukturen und Funktionen: XII Aufsätze. Herausgegeben von Uwe Petersen, Tübingen 1970, S. 89-110. Z u der Rolle von *fcwe im Rahmen der parataktischen Verfahren des Indogermanischen vgl. Leszek Bednarczuk, Indo-European parataxis, Krakau 1971, S. 155-160. Die verschiedenen Funktionen dieser Partikel und ihre bisherigen Interpretationen hat Oswald Szemerenyi kritisch gesichtet und sie in stimmiger Weise aus dem Bedeutungskern 'wie' hergeleitet: Oswald Szemerenyi, Syntax, meaning, and origin of the Indo-European particle k w e, in: Günter Heintz, Peter Schmitter (Hgg.), Collectanea Philologica. Festschrift für Helmut Gipper zum 65. Geburtstag, Band 2, Baden-Baden 1985, S.747-775. Z u -que in der Diachronie des Lateinischen s. Manu Leumann, Johann Baptist Hofmann, Anton Szantyr, Lateinische Grammatik, Band 2, Lateinische Syntax und Stilistik, München 1965, 1972, S. 473-476.
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Die syntaktische Eigentümlichkeit der Artikellosigkeit wird oft in die Nähe der Idiomatik gerückt. So behandelt Hermann Paul die «Parallelverbindungen» oder «kopulativen Verbindungen» wie in Krieg und Frieden (Paul 1920, S. 194), Handel und Wandel (Id., ibid. S. 331) unter seinem Begriff der «Isolierung» («Jede Erstarrung durch gewohnheitsmäßige Verbindung mit einem bestimmten Worte ist eine Loslösung aus dem allgemeinen Proportionenverbande» (Id., ibid., S. 191). Ähnlich spricht Hennig Brinkmann, Die deutsche Sprache, 2 i 9 7 i , S. 14, von unserer Erscheinung unter dem Oberbegriff der «Erstarrung». Neben der Unartikuliertheit trete hier sogar gelegentlich der Verzicht auf den Kasus ein: - In der Güte, die er Mensch und Tier schenkte,
ein Merkmal, das aber unseres Erachtens hier mit der Artikellosigkeit zusammenhängt, denn die schwache Endung -en bei Mensch würde ohne Artikel als Plural interpretiert. Auch Harald Burger erwähnt die Verbindungen in ihrer binären Prägung unter dem Lemma «Zwillingsformeln» oder «Paarformeln» wie Lug und Trug und macht auf stilistische Zusatzmerkmale wie Alliteration, Reim u. ä. aufmerksam. 57 Das allgemeine Muster der Nominalreihung könnte die Phraseologie unter die «Modellbildung» fassen (Burger, Buhofer, Sialm 1982, S. 35), worunter man syntaktische Schemata der wiederholten Rede versteht, die lexikalisch je verschieden aufgefüllt werden können. Speziell mit den Paarformeln und ihren formalen und semantischen Besonderheiten hat sich auch Yakov Malkiel, Studies in irreversible binomials, Lingua 8 (1959), S. 113-160, und wieder in: Id., Essays in linguistic themes, Oxford 1968, S. 3 1 1 - 3 5 5 , befaßt. Ohne Rückgriff auf die Phraseologie versuchen Damourette und Pichon (Band 1, 1911, S. 505-506) die Fügung aus dem Artikelsystem (bei Damourette, Pichon «assiette») zu erklären. Der fehlende Artikel sei möglicherweise Ausdruck der 'assiette illusoire', des Inaktuellen. In Übereinstimmung mit den übrigen Fällen der Artikellosigkeit möchte auch Hansjakob Seiler die aufzählenden Gruppen deuten. Wie bei den Nomina seiner Klasse I (vgl. oben Anm. 39), sei auch hier das Merkmal der «Verschiebbarkeit», also das Fehlen einer eindeutigen Identifikation, feststellbar (Seiler i960, S. 17). Ferdinand Brunot, La pensée et la langue, Paris 31936, S. 165, teilt nur lakonisch mit, hier habe die alte Freiheit bei der Artikelsetzung im Französischen überlebt (wobei die Gleichheit des Phänomens in den anderen Sprachen unberücksichtigt bleibt). Stilistisch spricht er der artikellosen Folge eine größere Flüssigkeit zu:
57
Harald Burger, Annelies Buhofer, Ambros Sialm, Handbuch der Phraseologie, Berlin - New York 1982, S. 37-38. Zum weiteren Komplex der Phraseologie s. auch Harald Thun, Probleme der Phraseologie, Tübingen 1978 (= Beihefte zur ZrP, Nr. 168)
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Elle donne une allure plus rapide, tandis que l'article donne quelque chose de plus pesant ou de plus compassé. Elle donne aussi une généralité plus grande. (Brunot 1936, S. 165)
Soweit nur einige der Meinungen dazu. Diese artikellosen zwei- oder mehrteiligen Zusammenrückungen möchten wir nun, wie gesagt, innerhalb des nominalen Aspektsystems als Ausdruck der allosemen Solidarität deuten. Dabei ist materiell die artikellose Fügung der Enklise von -que als Zeichen der Bindung vergleichbar. Die Bedeutung dieser Gruppen enthält zwei Momente: die Zusammengehörigkeit der angeführten Glieder und ihre «Gegebenheit» durch Redekontext oder Umfeld. So seltsam es bei der Artikellosigkeit erscheinen mag, die Zusammenfügung ist determiniert. So können wir das oben angeführte Beispiel: Man hatte ihr Geld, Ausweis und Fahrkarte gestohlen paraphrasieren: 'Man hatte ihr alle für die Reise notwendigen Wertsachen gestohlen, die sie bei sich hatte.' Jedes der Elemente müßte bei Einzelnennung mit dem bestimmten Artikel erscheinen. Ganz allgemein kann man diese Solidaria mit der Formel umschreiben: 'Das / alles das / was für diesen Zweck / in diesem Zusammenhang / bekanntlich / in Frage kommt / kam.' Diese Bedeutung entsteht freilich nur aus der Aufhebung sonst obligatorischer Artikelpositionen. Die Nomina in: Sie kaufte Milch, Butter, Zucker, Eier bleiben auch semantisch asyndetisch - können allerdings in der direkten Anapher wiederum determiniert werden. Daß ein großer Teil der binären Wortgruppen dieses Typs, besonders, wenn noch weitere stilistische Merkmale wie semantische Polarität, Reim oder Alliteration hinzutreten, zur phraseologischen Fixierung neigt, liegt in der Natur der Sache und braucht nicht in Abrede gestellt zu werden. Dies war ja bei den lateinischen Verbindungen mit -que auch der Fall. Jedenfalls ist das Verfahren frei verfügbar, und die Semantik der einsetzbaren Elemente unterliegt keiner Beschränkung. Die Anzahl der Glieder ist nur der stilistischen Ökonomie unterworfen. Ein besonders großes Konglomerat haben Damourette und Pichon im Werk Corneilles gefunden: Beim vorgestellten Brand eines Hauses beschreibt Corneille (L'Illusion Comique III, 4) mit einer Reihung von sage und schreibe einundvierzig Substantiven, was alles in Flammen aufgehen würde, wobei alle Teile solidarisch empfunden werden mit der Bedeutung 'das ganze Haus bis in den letzten Winkel.' (Damourette, Pichon, 1, 1 9 1 1 , S. 506) Prägnanter wirken freilich die binären Verbindungen, da sich ihre Elemente wechselseitig stützen. Nicht immer sind die Solidargruppen (in der Germanistik findet man auch den Terminus 'Anknüpfungsgruppen') symmetrisch. Wenn das erste Glied einmal artikellos eingeführt worden ist, kann ein weiteres auch determiniert folgen: Er hinterläßt 0 Frau und drei Kinder. Ferner findet man Fälle, wo das zweite Glied untergeordnet angeschlossen ist: Herr 49
Meier mit Sohn; l'ancien français, dialectes compris. D i e Verbindung erfolgt nicht immer asyndetisch oder durch und, sondern auch durch wie: Mutter wie Kind, it. sia ... sia: sia madre, sia bambino', disjunktiv: Die Lektüre erfordert Brieföffner oder Brotmesser; koordinierte Negation: weder Vater, noch Sohn; zwischen: les rapports entre langue et civilisation. Aus der Formel gelöst, aber semantisch stimmig ist folgendes Beispiel: -
Comme dans ce cas 0 sujet ne vas pas sans prédicat, ni 0 prédicat sans sujet, on ne peut pas dire que l'un quelconque soit le déterminant de l'autre. (André Martinet, La linguistique synchronique, Paris 3I970, S. 213)
Bei gleichen Substantiven entsteht der E f f e k t der Reihung: Kiefer stand an Kiefer, Sie schrieb Drehbuch um Drehbuch, it. Aspettiamo di mese in mese u. v. a. m. D o c h stoßen wir hier an die Grenze unserer Kategorie. Während die Solidaria durch eine besondere innere Zusammengehörigkeit gekennzeichnet sind, haben wir bei den Amalgamen noch einen höheren Grad der Kohäsion. Sie tragen das zusätzliche Merkmal der materiellen Konnexität, ja der Verschmelzung. Dieser Sichtweise entsprechen besonders die eigentlichen Kollektive. Nun ist der Terminus 'Kollektivum' in sehr unterschiedlicher Weise verwendet worden und hat dadurch einen diffusen Charakter angenommen. Besonders in der älteren Literatur findet man ihn auch zur Bezeichnung der sogenannten Stoffnamen. Von daher hatte denn der Begriff des 'kollektiven Singulars' für die portugiesischen und spanischen Sekundärtransnumeralia eine gewisse Berechtigung. Dann hat man den Terminus zur Kennzeichnung bestimmter semantischer Z ü g e des Lexikons verwendet, wie man sie etwa in Familie, Herde, Dorf oder Verein antrifft. Einen noch anderen Gebrauch findet man in der Logik oder logischen Semantik, w o zum Teil die generische Bedeutung des Substantivs als 'kollektiv' bezeichnet wird. Wir präzisieren daher, daß wir hier die Kollektiva des derivativen Wortbildungstyps meinen oder andere Ausdrücke, die diesem Bedeutungsmodus entsprechen. 58 58
Auf die schwierige Aufgabe, «das Kollektivum» zu definieren, kann hier verzichtet werden, da es uns um den Nominalaspekt geht. Wir verweisen dazu auf die differenzierte Kasuistik in den beiden im folgenden zitierten Beiträgen von Kuhn. Das Kollektivum wird durch die empirische Universalienforschung in den Rahmen einer allgemeinen Technik «Kollektion» gestellt. S. hierzu die beiden Beiträge von Wilfried Kuhn, Kollektiva und die Technik KOLLEKTION am Beispiel des Deutschen, in H. Seiler u. aa. (Hgg.), Teil 1, 1982, S. 84-97; Formale Verfahren der Technik KOLLEKTION, in : H. Seiler u. aa. (Hgg.), Teil 2, 1982, S. 55-83. Ferner Hansjakob Seiler, Apprehension. Language, object, and order. Part III: The universal dimension of apprehension, Tübingen 1986, S. 41-59 («COLLECTION»), Zum Kollektivum in der galloromanischen Wortbildung ist weiterhin maßgebend Kurt Baldinger, Kollektivsuffixe und Kollektivbegriff. Ein Beitrag zur Bedeutungslehre im Französischen mit Berücksichtigung der Mundarten, Berlin 1950 (= Deutsche Akademie der Wissenschaften
50
Da haben wir dann im Deutschen den Typ mit Ge-: Gebälk, Gebüsch, Geäst, Gebirge, Gefieder, Gepäck, aber auch andere Bildungen wie Strauchwerk, Zaumzeug, Bruderschaft u. ä. m. Die Elemente des Kollektivums werden hier noch als konstitutiv empfunden, sind aber gleichsam in ein gemeinsames Gefüge aus räumlicher Nähe und Integration eingeschmolzen. Ähnliches findet man in anderen Sprachen. Aus dem reichen französischen Fundus Kurt Baldingers (Baldinger 1950) seien nur die Suffixe -âge, -aille, -erie, -ement, -ure, -is angeführt. Was die äußere Kontur angeht, so findet man bei den Amalgamen häufig eine Zwischenstellung zwischen Individual- und Massennomina (vgl. hierzu W. Kuhn in H. Seiler, Ch. Lehmann (Hgg.), I, 1982, S. 84-97). Dies hängt sowohl mit der semantischen Natur der Elementlexeme als auch mit dem Grad der Verschmelzung zusammen, der diese Bildungen in die Nähe der Kontinua rücken kann. Den Kontinua noch näher stehend, ja diesen eigentlich schon fast gleichwertig, sind die inneraspektuell polymorphen Bildungen. Hier haben wir eine einheitliche Substanz, die jedoch in vielgestaltiger Erscheinung gesehen wird. So kann es Unterschiede der Schüttung, Schichtung, Dichte, Oberfläche, Reflektorik u. ä. geben. Zum Ausdruck solcher Nuancen finden wir in den alten Sprachen oft den Plural von stofflichen Kontinua wie aquae, nives, arenae etc., gr. xoviai, aï^axa, die keiner eigentlichen Vielheit entsprechen. Zum Teil haben sich solche Bildungen auch in modernen, insbesondere in den romanischen Sprachen erhalten; manchmal sind sie dort lexikalisiert. Tobler 1883, S. 430, verweist auf span. puches, gachas 'Brei'; engl, ashes, embers 'Asche', raments 'SchabseP, ferner die abstrakten Kontinua ethics, metaphysics, linguistics, mathematics; frz. mathématiques. Den polymorphen Plural findet man in den alten Sprachen gelegentlich auch bei Konturnamen, wo man ihn oft dem poetischen Habitus oder augmentativer stilistischer Bedeutung zugewiesen hat. Er bedeutet aber eigentlich: 'das Ding in seiner Vielgestalt, in seinen Einzelheiten, Einzelteilen gesehen.' Aus einem so vorgestellten imaginären pontes 'Brücke', in ihren Teilen gesehen, möchte Holger Sten (1949, S. 51) dann sozusagen in einer Art «partiellen Schau» (ein Terminus, den wir ihm freilich hier unterlegen) lateinische Ausdrücke wie medius pons 'die Mitte der Brücke', summus mons 'der Gipfel des Berges' erklären und vergleicht dän. i det f0rste Foraar und frz. l'Extrême Orient. In die bisher vorgestellten Kategorien des inneren und äußeren Aspekts wäre diese partielle Schau nicht ganz einfach zu integrieren, es sei denn, man wollte um solcher Sonderfälle willen die Konturierung in zu Berlin. Veröffentlichungen des Instituts für Romanische Sprachwissenschaft, Nr. 1). Zum Kollektivum im Deutschen siehe noch die Dissertation von Hans Wellmann, Kollektiva und Sammelwörter im Deutschen, Bonn 1969.
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einen globalen und einen partiellen Aspekt aufspalten. Wir glauben aber eher, daß der Gedankengang hier in einen anderen Kreis eintritt, und lassen Holger Stens interessanten Gesichtspunkt zunächst einmal auf sich beruhen. Nach der polymorphen Innensicht haben wir das Ende unserer Kohäsionsskala erreicht und sind bei den Kontinua angelangt. Diese haben keine aspektuelle Innenstrukturierung und zeigen sich homogen. Dieser Sichtweise entsprechen die äußerlich unkonturierten Stoffnamen im Singular, besser: im neutralen Transnumeral, aber auch alle ihnen durch die Aspektwahl gleichgestellten Namen. Wenn wir uns nun die verschiedenen Abstufungen des inneren Aspekts vom homogenen Kontinuum über das Polymorph-Substanzhafte, das Amalgamierte, das Solidarische bis hin zum vollständig Diskreten noch einmal vergegenwärtigen, dann kann sich die Frage stellen, warum der aspektive Tausch, der ja der Ausgangspunkt unserer Überlegungen war, gerade zwischen den Extremen stattfindet, d. h. zwischen dem unstrukturierten Kontinuum und dem getrennten Diskreten, nicht aber zwischen eher benachbarten Aspektkategorien. Dazu kann man dreierlei sagen: Erstens ist zu betonen, daß unsere Skala der fortschreitenden Kohäsion eine rein ideelle und methodische ist, die zum Teil auch diachronisch verschiedene Stadien zusammenfaßt. Zweitens, und das hängt zum Teil mit dem ersten Argument zusammen, umfassen die sprachlichen Mittel der Differenzierung eigentlich immer nur den Plural, der einmal das Vielgestaltige, ein anderes Mal das Solidarische und ein drittes Mal das Diskrete ausdrückt, wenn wir die allosemen Solidaria und die Kollektiva in diesem Zusammenhang unberücksichtigt lassen. Drittens ist der Austausch zwischen Kontinuum und Diskretem zugleich einer zwischen Diffusem und Konturiertem des äußeren Aspekts. Diese Differenz aber ist nur zweipolig. Und eine zweite Frage könnte nach der Behandlung des nominalen Aspekts entstehen: Kann bei der Verflechtung von Aspekt und Numerus nicht einfach auf die Kategorie des Numerus oder der Quantifizierung verzichtet werden, so daß man als Wert des Zeichens 'Plural' nur das Diskrete hätte usf.? Dies ist nun nicht möglich, und zwar aus einem externen und einem internen Grund. Erstens kann nicht geleugnet werden, daß die Redebedeutung der meisten Pluralverwendungen dem Inhalt 'mehr als eine Einheit' (Vater (1963), 1979, S. 51) entspricht, und daß so auch die Intuition der Sprecher ist. Dagegen wird die Diskretheit, wenn überhaupt, nur über das vorgestellte Gegenständliche wahrgenommen. Zweitens aber bliebe bei der Ausschaltung der Quantität die Frage offen, was das kategoriell Primäre ist, und auf welche Weise die Vorstellung des Diskreten entstanden ist. Sie ist nämlich sekundär und additiv aus konturierten Einheiten
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der gleichen Natur entstanden. 59 Mit anderen Worten, gerade das Verfahren zur Gewinnung des Diskreten könnte nicht beschrieben werden. Ähnliches gilt für das Singulativum. Man kann zwar in Hinsicht auf den Aspekt sagen, daß es durch Konturierung entsteht. Dies geschieht aber nicht willkürlich aus dem Kontinuum des vorher Ungekennzeichneten, wie bei den Stoffnamen, sondern es wird gerade ein in sich geschlossenes partikuläres Exemplar der Gattung herausquantifiziert. So betrifft der Singulativ zwar die Konturierung, zugleich aber die partikuläre Selektion. 60 Und was das Kollektivum angeht, so kann es zwar in innerer Sicht als amalgamiert gesehen werden, es muß aber zugleich das Merkmal 'aus einfacheren Elementen zusammengesetzt' tragen. 61 Aus diesem Grund und weniger aufgrund der inneren Kohärenz der Darstellung kann man Damourette und Pichon entgegen unserem oben angeführten Vorschlag zugestehen, daß sie in ihrem Schema auf das Element des Numerativen nicht verzichten können. Die Unterschiede zwischen den als Mehrheit quantifizierten Ausdrükken sind dagegen rein aspektueller Natur: pg. muitas folhas - folhagem muita folha. Schließlich soll noch ein Wort zur Rechtfertigung des Terminus 'Nominalaspekt' gesagt werden. Die terminologische Innovation kann man im wesentlichen unter drei Gesichtspunkten bewerten: dem der Ökonomie, dem der Adäquatheit und dem der Kohärenz des Bezeichnungssystems. In der ersten Hinsicht mag die Eigenständigkeit der beobachteten Erscheinungen zur Rechtfertigung genügen. In der zweiten wäre die Bezeichnung 'Aspekt' nach ihrer Bedeutung und ihrer Herkunft (aus gr. EI805) der gestalthaften Vorstellung des nominalen Inhalts wohl adäquater als der des verbalen Geschehens. In der dritten Hinsicht aber ist der Terminus 'Aspekt' durch die grammatographische Tradition dem verbalen Bereich zugewiesen. Ausgehend von den slavischen Sprachen und der Opposition perfektiv - imperfektiv hat er sich dort fest eingeordnet. 62 Man kann 59
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61
62
Dies war bei den antiken Pluralen zum Teil anders, wie wir gesehen haben. Daher sind diese auch in höherem Maße als die modernen aspektueller Natur. Die neue Kategorie der 'Distribution', die Johann Knobloch, Reste von Singulativbildungen im Indogermanischen, Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft 3(1955), S. 207-215, neben den traditionellen Numerus stellt, Beispiele: Nomen unitatis, Kollektivum, Singulativum, betreffen zum Teil das quantitative Verfahren, zum Teil den nominalen Aspekt. Wilfried Kuhn stellt drei Bedeutungskomponenten des Kollektivums fest: 1. Elementqualität, 2. Vereinigungsqualität, 3. Gegenstandscharakter. Dabei wird freilich nicht ganz klar, mit welcher Komponente die eigentliche Quantität eingebracht wird (Kuhn in: Seiler, Lehmann (Hgg.), Teil 1,1982, S. 84-97, hier S.91). Zur Entstehung von Begriff und Bezeichnung des Aspekts - elöog - vid - Aspekt bezog sich ursprünglich nur auf die konkreten Formvarianten - sowie zu den unterschiedlichen diesbezüglichen Theorien s. Johann Knobloch (Hg.), Sprachwissenschaftliches Wörterbuch, Band 1, Heidelberg 1961 -1986, S. 172-180. Z u den verschiedenen möglichen Dimensionen der Kategorie s. E. Coseriu 1987 b.
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daher mit Recht fragen, ob sich Analogien der Inhaltsformen bei Verbum und Nomen finden lassen, welche die terminologische Zusammenrückung beider Kategorien begründen können. Solche Analogien sind nun in der Tat festgestellt worden. So hat Wolfgang Raible einmal in allgemeiner Weise die beiden Konturklassen des Nomens (die er durch das Kriterium der Zählbar- und Pluralisierbarkeit abgrenzt) mit den Valenzklassen des Verbums verglichen.63 Auf Entsprechungen des nominalen Numerus in der verbalen Semantik hat Eugenio Coseriu hingewiesen (u.a. 1988, S. 76). Über diese Analogien hinaus gibt es jedoch eine direkte Korrelation zwischen den Aspektkategorien des Verbums und denen des Nomens, und zwar gerade, was die Dimension der Perfektivität bzw. der Imperfektivität betrifft. Man hat nämlich zeigen können, daß in Sprachen ohne morphologische Bezeichnung des Verbalaspekts die perfektive bzw. imperfektive Bedeutung des Verbalgeschehens aus dem Zusammenwirken der klassematischen Züge des Verbums und seiner Nominalaktanten entsteht.64 Offensichtlicher und schon länger gut bekannt sind diese Relationen in Sprachen mit entwickeltem casus partitivus (z.B. im Finnischen). Dort bezeichnet der Partitiv einerseits das unkonturierte Objekt (vgl. o. S. 43). Andererseits erzeugt er mit dem konturierten Objekt zusammen die imperfektive Verbalbedeutung: finn.
-
vs.
-
rakensi uutta huonettansa (Partitiv) 'er baute an seinem neuen Haus' rakensi uuden huoneensa (Akkusativ) 'er (er)baute sein neues Haus'.65
Die Komplementarität der Phänomene legt also auch in Hinsicht auf die designative Kohärenz analoge Bezeichnungen nahe. Der Terminus 'Nominalaspekt' scheint daher schlüssig. 63 64
65
Raible 1972, S. 44. Vgl. z. B. Henk J. Verkuyl, On the compositional nature of the aspects, Dordrecht 1972; Manfred Krifka, Nominalreferenz und Zeitkonstitution. Zur Semantik von Massentermen, Pluraltermen und Aspektklassen, München 1989. Es scheint, daß diese Verhältnisse zuerst Wilhelm Schott im Jahre 1871 angesprochen hat: Altajische Studien. Philologische und historische Abhandlungen der Berliner Akademie aus dem Jahre 1871, Berlin 1872, V, S. 8. Aufgenommen haben den Gedanken Ernst Lewy, Betrachtung des Russischen, Zeitschrift für Slavische Philogie 2 (1925), S. 4 1 5 - 4 3 7 , hier S. 4 2 2 - 4 2 3 , 432, dann Hermann Jacobsohn, Aspektfragen, IF 51 (1933), S. 2 9 2 - 3 1 8 , hier S. 300-302. Ohne Bezug auf die ältere Literatur möchte Helen de Hoop, Nominal and aspectual factors in noun phrase Interpretation, LeSt 29 (1994), S. 4 3 7 - 4 5 6 , eine Korrelation zwischen dem 'telischen' Charakter des Verbums und der definiten Referenz zeigen, was ihr nicht überzeugend gelingt; allerdings bemerkt sie die Solidarität des Indefiniten (insofern es mit dem Unkonturierten zusammenfällt) mit dem Imperfektiven ('Atelischen'). An der Verwechslung zeigt sich wiederum die Notwendigkeit der Unterscheidung von determinativer und aspektueller Nominalbedeutung.
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3.
Klasse und Grammatikalisierung In solchen Klasseneinteilungen scheint sich daher bereits ein Trieb und eine Kraft zur Organisation zu bewähren, die auch dort, wo der Gegenstand selbst noch ganz im Kreis des anschaulichen Seins verharrt, doch ihrem Prinzip nach über diesen bereits hinausdrängt und auf neue und eigentümliche Formen der «Synthesis des Mannigfaltigen» hinweist, über die die Sprache verfügt. Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, I, 273
Im vorangehenden Kapitel haben wir gesehen, daß die Bedeutungsmodi, die wir Nominalaspekt genannt haben, zunächst an zwei Nominalklassen festgestellt wurden, die sich in dieser Hinsicht unterschieden, den konturierten Individualnamen und den unkonturierten Kontinua. Nicht zuletzt aufgrund des freien Wechsels zum Transnumeral im Portugiesischen hatten wir uns der Meinung angeschlossen, der nominale Aspekt sei nicht durch die jeweilige Wortklasse von vornherein festgelegt, sondern in weiten Teilen zum Ausdruck der entsprechenden Sichtweise verfügbar. Damit würde er in die Nähe der übrigen grammatischen Kategorien gerückt. Hieraus entstehen freilich einige Fragen, die das Verhältnis von Wortklasse, grammatischer Bedeutung und den Vorgang der Grammatikalisierung betreffen.
3.1
Die nominalen Klassen
Von der Bedeutung des Gegenstandsbegriffes als Paradigma des Erkennbaren war oben schon die Rede. Zur Förderung dieses Erkenntnisprozesses hat man von alters her Klassifikationen, gegenständliche Systeme, entwickelt, um das Vielfältige zu ordnen. 1 Einen Nachklang solcher enzyklopädischer Begriffsgebäude bemerkt man noch in mancher älteren Grammatik bei der Klassifikation der Nomina. 2 Da kann man neben den Kategorien der Appellativa, Eigennamen, Abstrakta, Konkreta, die Namen des Belebten und Unbelebten, der Naturgegenstände und Artefakte,
1
2
Einen neuen Versuch dieser Art hat noch unlängst Johannes Heinrichs vorgelegt: Johannes Heinrichs, Reflexionstheoretische Semiotik, 2. Teil: Sprachtheorie. Philosophische Grammatik der Semiotischen Dimensionen, Bonn 1981, S. 1 1 4 138: «Semantische Semantik: Deskriptionen (Wortarten)», wozu er selbst bemerkt: «Von einer eigentlichen Ontologie (Wirklichkeitslehre) unterscheidet sich solche ontologische Semiotik «nur» noch durch ihren sprachgebundenen, genauer: muttersprachlich gebundenen Charakter.» Die Tradition der universalen Grammatik wollen wir hier unberücksichtigt lassen.
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der Tiere, Pflanzen und Mineralien, der sozialen Aggregate und Institutionen und verschiedener Dinge mehr aufgegliedert finden. Auf derartige nominale Bedeutungsklassen wird heute meist verzichtet, da man der Auffassung ist, sie seien von außen herangetragen, und, wenn nicht überhaupt nur fachsprachlicher Natur, so doch allenfalls von lexikalischem und nicht von grammatischem Belang. Doch gibt es auch Stimmen, die vor der zu starken Reduzierung der grammatischen Beschreibung auf das Offensichtliche warnen. Bei genauer Betrachtung semantischer Zusammenhänge und kontextueller Möglichkeiten könne noch manches aus dem Bereich der latenten Kategorien entdeckt werden, das bisher unbeachtet geblieben sei: In dem Wort Apfel zum Beispiel stellt man außer dem kategorialen Merkmal der Gegenständlichkeit, das ohne Zweifel grammatikalischer Natur ist, auch noch andere Komponenten fest, unter ihnen die Merkmale spontanen Wachstums und des Reifens. Wie soll man diese Merkmale qualifizieren? Sind Spontaneität des Prozesses und Entwicklung kategoriale Merkmale? Für die latente Grammatik sind das keine müßigen Fragen. (Kaznelson 1974, S. i n )
Nun hat die grammatische Tradition natürlich neben ihren sachlich-lexikalischen Gliederungsversuchen, deren Kriterien oft inkohärent waren, auch die eigentliche, formal kenntliche Nominalkategorie gekannt, hier freilich - und nicht ohne Grund - in erdrückender Ausschließlichkeit das Genus. Tatsächlich steht dieses System wie ein Block in der Mitte dessen, was man in den indogermanischen Sprachen als nominale Ausdifferenzierung findet. Die Gliederung in drei Genera reicht bis in die Ursprache zurück, wenn sich auch ältere Phasen der Entstehung erschließen lassen. Im Verlauf der Geschichte hat sich das Neutrum in den romanischen Sprachen und im Litauischen verloren, das Hethitische hatte Maskulinum und Femininum zusammengefaßt und dem Neutrum gegenübergestellt. Das Englische und das Persische haben das Genus aufgegeben, das Armenische hatte es schon zu Beginn der Überlieferung nicht mehr. 3 Die Schulgrammatik betrachtet das Genus als grammatische Kategorie, aber es funktioniert nur selten, nämlich bei den sogenannten Nomina mobilia, kategoriell distinktiv. Man hat daher früh erkannt, daß es sich in Wirklichkeit um eine nominale Klassifikation handelt: Dans l'usage ordinaire, Genre ou Classe sont à peu près synonymes, et signifient une collection d'objets réunis sous un point de vûe qui leur est commun et propre. Il est assez naturel de croire que c'est dans le même sens que le mot Genre a d'abord été introduit dans la Grammaire, et qu'on n'a voulu marquer
3
Mit diesen drei Sätzen nehmen wir Bezug auf Oswald Szemerenyi, Einführung in die Vergleichende Sprachwissenschaft, Darmstadt 2 1980, S. 143-144. Für die gesamte ältere Diskussion zu dem Thema verweisen wir auf den schon erwähnten monumentalen Forschungsbericht Royen 1929; als neuere Synthese s. Kurylowicz 1964, S. 207-226, und unlängst Corbett 1991.
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par ce terme qu'une certaine quantité de noms réunis sous un point de vûe commun qui leur est exclusivement propre. Nicolas Beauzée, Grammaire générale ou exposition raisonnée des éléments nécessaires du langage, pour servir de fondement à l'étude de toutes les langues, Paris 1767, Band 2, S. 175.
Und Royen 1929, S. 332, fügt hinzu: ... würde es die beste Lösung darstellen, wenn man die Ausdrücke Genus, genre, gender, rod usw. ein für allemal aus den Grammatiken verbannen und bei der Einteilung der Nomina nur von Klasse, Gruppe, Kategorie, Klassifikation, Gruppierung sprechen würde.
Kenntlich wird das Genus durch die Kongruenz des Adjektivs und der adjektivischen Pronomina, am Nomen selbst erscheint es nur in gewissen Fällen. Die Entwicklung vom Lateinischen zu den romanischen Sprachen hat in dieser Hinsicht wohl zu einer gewissen Nivellierung, aber nicht zu einer eindeutigen Charakterisierung geführt. Das Merkwürdige an dieser historisch beständigen Klassifizierung ist nun, daß ihrer sorgfältigen formalen Ausgestaltung keine faßbare gemeinsame Bedeutung der einzelnen Klassen zu entsprechen scheint, das heißt, den Maskulina, Feminina oder Neutra haftet weder etwas Maskulines, Feminines oder Neutrales, noch sonst ein jeweils gemeinsames Merkmal an. Während daher der Europäer sich manchmal erstaunt fragt, was wohl das Dyirbal, eine australische Eingeborenensprache, dazu gebracht haben mag, Männer, Känguruhs, Beutelratten, Fledermäuse, Schlangen, Fische, Vögel, Insekten, den Mond, Sturm, Regenbogen, Bumerang und Speere in eine Klasse zusammenzufassen und dann schließlich doch mit Scharfsinn und ethnologischer Sachkenntnis den assoziativen Weg dieser Klasse bis zu ihrem prototypischen Kern zurückverfolgen kann, 4 dürfte die Suche nach dem gemeinsamen Nenner etwa der maskulinen Nomina in den indogermanischen Sprachen kaum Aussicht auf Erfolg haben. Die Erklärungsversuche der Genera reichen von verdunkelter Mythologie bis zum schlichten formalen Mechanismus mit vielen Schattierungen zwischen diesen Polen. Synchronisch betrachtet man das Genus heute meist als reine Formklasse mit Resten semantischer Motivation nur beim natürlichen Geschlecht. Eine gewisse Funktion billigt man ihm bei der Identifizierung satzinterner Relationen zu. Satzübergreifend ermögliche es zusätzlich, etwa im Deutschen, eine größere Ökonomie durch die pronominale Anapher, während im genuslosen Englisch der Rückgriff auf das Nomen erforderlich sei.5 4
5
George Lakoff, Classifiers as a reflection ofmind, in: Colette Craig (Hg.), Noun classes and categorization, Amsterdam - Philadelphia 1986, S. 1 3 - 5 1 , hier S. 14; das Beispiel entstammt einer Studie von R. M. W. Dixon. Vgl. zur Systemik der Klassifikation und ihrer Interpretation auch George Lakoff, Women, fire, and dangerous things. What catégories reveal about the mind, Chicago - London 1987. David Zubin, Klaus Michael Kopeke, Gender and folk taxonomy: The indexical relation between grammatical and lexical categorization, in: Colette Craig (Hg.),
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A b e r auch im Bereich der lexikalischen Organisation möchten manche Autoren den Genera eine bestimmte, wenn auch abstraktere Bedeutung nicht absprechen. So stellt Hennig Brinkmann ((1962) 1971, S. 16-40) eine subtil gegliederte Nominalklassifikation unter Einbezug von Semantik, Wortbildung und Genus auf. Und David Zubin und Klaus Michael Kopeke vertreten gar eine vollständige Motivation des Genus im Deutschen: Das Neutrum sei für die Oberbegriffe der taxonomischen Lexik typisch, der Wechsel der Genera dagegen für das sogenannte Basisniveau der normalen distinktiven Erfassung und Mitteilung. Hier wiederum gebe es phonetische, semantische und morphologische Gründe für die Einzelzuweisung. 6 Mag man solche funktionellen Zusammenhänge nun beurteilen, wie man will, das Genus ist jedenfalls die bedeutendste Nominalklassifizierung in den indogermanischen Sprachen, und zwar deswegen, weil es eine selbständige und, wenn auch an den nominalen Begleitern, sichtbar gekennzeichnete Kategorie ist. Benjamin Lee Whorf 7 hatte es dann auch als Beispiel für seinen Begriff der offenen - im Sinne von offenliegenden, an äußeren Merkmalen kenntlichen - Klasse gewählt. Hiervon unterschied Whorf die 'verdeckten' Klassen, die erst an ihrer syntaktischen Einbettung zu erfassen sind. Als Beispiel führt er die Gegenstandsklassifzierung in runde und lange Objekte im Navaho an, die durch die Wahl des Verbums geschieht. Ebenso hatten wir oben gesehen, daß der nominale Numerus in manchen Indianersprachen durch das Verbum bezeichnet wird. Die verdeckten Klassen könnten aber noch unauffälliger sein und nur im reaktiven Verhalten gegenüber anderen formal kenntlichen Kategorien bestehen. Hier handele es sich dann um Kryptotypen, dagegen bei den offenen Klassen um Phänotypen. Zum Beispiel sei die englische Resultativpartikel up mit der semantischen Natur bestimmter Verben unvereinbar. Z u dieser «verdeckten» Kategorie gehören nun die nominalen Klassen, die wir neben dem Genus in den indogermanischen Sprachen feststellen.
6
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1986, 139-180, hier S. 1 7 3 - 1 7 4 und die dort angeführten vorausgehenden Beiträge der beiden Autoren zu dem Thema. Stärker motivierte Genussysteme untersucht Heribert Walter, Genus- und Nominalklassensysteme und die Dimension der Apprehension, in: Seiler, Lehmann (Hgg.), I, 1982, S. 217-228. Z u Hjelmslevs Versuch einer motivierten Genusdeutung und seiner Annäherung von Genus und Numerus s. u. Anm. 8. Zubin, Kopeke 1986. Der Begriff des Basisniveaus der begrifflichen Hierarchie entstammt den psycholinguistischen Studien, die für die Entwicklung der sogenannten Prototypensemantik maßgebend waren, und meint die höchste Begriffsebene, die noch eine einheitliche psychische Vorstellung erlaubt, etwa «Hund». Er entspricht im großen und ganzen dem traditionellen Begriff der Gattung. Benjamin Lee Whorf, A linguistic consideration ofthinking in primitive communities, in: Id., Language, thought, and reality. Selected writings of Benjamin Lee Whorf, Cambridge (Mass.) 1956, S. 65-86.
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An erster Stelle zu nennen ist die schon beschriebene Einteilung in konturierte gegenständliche und unkonturierte diffuse Substantivbedeutungen. Diese entsteht, wie gesagt, dadurch, daß sich die unkonturierten Namen bei der Quantifizierung dem obligatorischen Artikel entziehen, ferner die Numeralquantifikatoren und den Plural abweisen, also durch kategorielle Unvereinbarkeit. Umgekehrt kann man sagen, daß der unbestimmte Artikel als Partikularisator, wie auch der Plural und die Zahlen, die gegenständliche Konturierung als Bedeutung voraussetzen. Eine weitere verdeckte Klassifizierung ist die Unterscheidung zwischen belebt und unbelebt in den slavischen Sprachen durch die verschiedene Kasus wähl beim direkten Objekt. Schon im Altkirchensla vischen finden wir den Gebrauch des Genitivs auf -a als Kasus des direkten Objekts bei 'belebten' Maskulina, und zwar in den Flexionsklassen (bei den -o- und -u- Stämmen), wo es zu einem formalen Synkretismus zwischen Nominativ und Akkusativ gekommen war: So konnte ein Konflikt um die Agensdeutung vermieden werden, der gerade bei den Bezeichnungen belebter Wesen störend war. Der Genitiv als Ersatzform aber wurde gewählt, weil er in einigen Fällen (als partitiver Genitiv bei Stoffnamen (vgl. o. S. 43) sowie nach negiertem Verb) bereits als Kasus des direkten Objekts eingeführt war. Dieser Zustand ist im Südslavischen im großen und ganzen erhalten. Im übrigen slavischen Bereich hat sich die Erscheinung in unterschiedlicher Weise ausgeweitet. Im Russischen findet sie sich auch im (homomorph gewordenen) Plural aller drei ererbten Genera, während im Singular die alte Beschränkung auf das Maskulinum bestehen bleibt. Das Polnische sowie einige andere slavische Sprachen unterscheiden in gewissen Sektionen des Paradigmas der belebten Wesen zusätzlich zwischen Personen und Nichtpersonen.8
8
Dies nach Kurylowicz 1964, S. 2 2 1 - 2 2 5 . Kurytowicz möchte zeigen, daß die neue Klassifizierung - wie die Genuskategorie überhaupt - leicht aus syntaktisch-funktionellen Faktoren und Wechselfällen des Lautwandels erklärt werden kann und keiner Motivierung durch die Sachwelt und ihre geistige Deutung bedarf. Er folgt damit eher der Brugmannschen Linie im älteren Genusdisput. Die im einzelnen recht komplexen Verhältnisse in den slavischen Sprachen genauer angesprochen hat Louis Hjelmslev, Animé et inanimé, personnel et nonpersonnel, Travaux de l'Institut de Linguistique. Faculté des Lettres de L'Université de Paris, 1 (1956), S. 1 5 5 - 1 9 9 und wieder in: Id., Essais linguistiques, Kopenhagen 1959, 1970 2 und rééd.: Paris 1971, S. 220-258. Die eigentümliche These Hjelmslevs, der Genus und Numerus in einer Kategorie zusammenfassen möchte (ibid. S. 257), ist kaum aufgegriffen worden. An anderer Stelle hat er den Gedanken etwas weiter ausgeführt: Om numerus og genus, in : Louis L. Hammerich, Max Kjaer-Hansen, Peter Skautrup (Hgg.), Festskrift til Christen M0ller. Pâ jo-Arsdagen 11. Juni 1956, Kopenhagen o.J. [1956], S. 167-190. Die dort festgestellte gemeinsame semantische Zone beider Kategorien steht in der Nähe unseres Nominalaspekts. Über die vermutete gemeinsame Wurzel von Femininum und Kollektivum s.u., 4.1.
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Die Trennung von Personen und Nichtpersonen ist auch der Kern einer verdeckten Nominalklassifizierung, die wir in den romanischen Sprachen antreffen. Ihr grammatischer Ausdruck ist der präpositionale Akkusativ für personelle Objekte. Am entwickeltesten ist die Erscheinung im Spanischen. Im Portugiesischen ist sie heute nur noch von marginaler Bedeutung und im wesentlichen auf wenige Verbindungen beschränkt, nachdem sie in früheren Epochen gebräuchlicher war. 9 Einen festen Platz hat sie in der rumänischen Grammatik, hier mit der Präposition pe. Sie findet sich auch im Gaskognischen, Sardischen und süditalienischen Dialekten. Im Spanischen hat die Anwendung des präpositionalen Akkusativs den engeren Bereich der Personen überschritten und bezieht heute in einem schwer beschreibbaren subjektiven Mechanismus auch andere Objekte ein, denen ein gewisses Maß an Individualität und Autonomie zugedacht wird. Weniger zentral ist die Klasse der Nomina adjecta die eine Affinität zu prädikativer Verwendung haben, wo sie als Berufs-, Funktions-, Rollen- oder Nationalitätsbezeichnungen in den romanischen Sprachen und im Deutschen artikellos erscheinen, während das Englische den unbestimmten Artikel verwendet und hier keine Ausgliederung vornimmt. Unter Einbezug lexikalisch-semantischer Faktoren ließe sich freilich noch manches andere beim Nomen klassifikatorisch erfassen. Bei den anderen Wortarten sei nur das Wichtigste erwähnt: Beim Verbum die Klassenbildung durch Valenz und durch die Wechselwirkung von lexikalischer Aktionsart und grammatischem Aspekt- und Tempussystem; beim Adjektivum durch Abweisung oder Attraktion der prädikativen bzw. attributiven Position und durch die Bevorzugung der explikativen, einschätzenden oder spezifizierenden Rolle durch die Stellung im Romanischen. Wenn wir nun die oben erwähnten verdeckten nominalen Klassen betrachten, so können wir uns fragen, ob diese eigentlich grammatischer Natur sind, oder in welcher Beziehung sie zu den grammatischen Strukturen stehen. Zwar erscheinen diese Klassen in der Grammatik, beschrieben werden sie dort aber nur indirekt, nämlich durch die Kategorien, an denen sie sichtbar werden. So wird bei der Behandlung der Kasusflexion im Slavischen festgestellt, daß bei «belebten» Substantiven der Genitiv statt des Akkusativs als Objektskasus eintreten muß. Ähnlich wird der präpositionale Akkusativ in den romanischen Sprachen bei der Behandlung des direkten Objekts (manchmal auch bei den Verwendungsweisen der Präposition a) angesprochen. Die Frage lautet aber, wie es um den grammatischen Status der abgegrenzten nominalen Klasse selbst bestellt 9
Vgl. hierzu die gut dokumentierte Arbeit von Karl Heinz Delille, Die geschichtliche Entwicklung des präpositionalen Akkusativs im Portugiesischen, Bonn 1970.
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ist. Denn die Abweichung von der grammatischen Regularität muß ja in einem Bedeutungsmodus dieser Klasse zu finden sein. Es ist zwar nicht von der Hand zu weisen, daß hier der bei dem Merkmal des Belebten besonders störende Kasussynkretismus eine Rolle gespielt hat, wie Kurylowicz (und schon vorher Meillet) meinte. Doch haben andere Sprachen dem auf andere Weise abgeholfen, etwa durch Stellungsfixierung, ein Verfahren, das auch dem Russischen mit seiner sonst recht freien Wortfolge bei Bedarf zur Verfügung steht (vgl. Hjelmslev (1956), 1970, S. 258, eine Bemerkung von Roman Jakobson aufgreifend). So dürfen wir gleichwohl annehmen, daß schon im Altslavischen der Akkusativ bei belebten Objekten an bestimmten Stellen des Paradigmas als unangemessen empfunden wurde. Ähnlich werden sich die Sprecher des Spanischen die belebten Objekte als in anderer Weise durch die Handlung des Subjekts affiziert vorgestellt haben als die unbelebten. Dagegen liegen die Gründe für die grammatische Ausdifferenzierung der gegenständlichen Konturwörter von den massenbezeichnenden Diffuswörtern offen. Die Anwendung des Partikularisators «ein», der Zahlquantifikatoren und entsprechend des diskreten Plurals setzt eben das Umrissene und Gegenständliche der Bedeutung voraus. Dies ist so einsichtig, daß man die darauf bezügliche nominale Klassifikation zunächst gar nicht als sprachlich erkannt hat. Die verdeckten Klassen entstehen also, wie Whorf (1956, S. 70) mit einer chemischen Metapher richtig bemerkt, durch «Reaktion» mit bestimmten offen gekennzeichneten Formen, eine Reaktion, die etwa zu gegenseitigem Ausschluß, Anpassung oder Attraktion führen kann. Dies bedeutet aber zugleich, daß die Sprache auch außerhalb des Systems der grammatischen Formen über abstraktere Bedeutungsmodi verfügt, die in der Lage sind, auf vergleichbarer Ebene mit diesen in Beziehung zu treten. In den indogermanischen Sprachen ist hier an erster Stelle auf ein eigentümliches System der Funktionsdoppelung hinzuweisen. Den meisten flexivischen grammatischen Kategorien entspricht nämlich noch einmal etwas Ähnliches, jetzt mit lexikalisch-derivationellen Mitteln ausgedrückt. So haben wir neben: flexivisch
lexikalisch-derivationell
Verbalaspekt Modus Diathese Partizip Infinitiv Plural konkreter Kasus adjektivische Genuskennzeichnung Komparativ
Aktionsart Modalverb transitives/intransitives Verb Verbaladjektiv Verbalabstraktum Kollektiv denominales A d v e r b substantivische Genusableitung nominale Intensivierung 10
Die Liste folgt mit leichten Veränderungen Kurylowicz 1964, S. 35.
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Hieraus entstehen nun einerseits kombinatorische Beschränkungen. Andererseits aber hat es zwischen den benachbarten Kategorien im Verlauf der Sprachgeschichte Austausch und gegenseitige Beeinflussung gegeben (Kurylowicz 1964, S. 36). Es gibt aber grammatisch relevante Bedeutungen, die noch stärker im lexikalischen Bereich verwurzelt sind, als die gerade angeführten. Hierzu gehören einmal die Wortarten (partes orationis) selbst, welche die Rolle des Lexikons in der Syntax bestimmen, dann aber auch gewisse allgemeine, den Wortschatz gliedernde Züge, wie beim Nomen die schon erwähnten Merkmale «belebt» oder «gegenständlich», oder beim Verbum «einen Zustand» oder «eine Bewegung bezeichnend» u.V.m. Bevor wir daher die Frage näher untersuchen können, inwieweit der Nominalaspekt als grammatische Kategorie anzusehen ist, muß genauer beschrieben werden, was wir unter grammatischer Bedeutung zu verstehen haben, und wie sie von der lexikalischen Bedeutung abzugrenzen ist. Diese Beschreibung hat Eugenio Coseriu in der notwendigen Differenzierung vorgenommen, und wir wollen sie hier heranziehen. In seinem Beitrag Semantik und Grammatik ((1973), Coseriu 1987, S. 85-95) unterscheidet er nach einigen analytischen Bemerkungen zur Natur der Grammatik und des Lexikons fünf Arten der Bedeutung als einzelsprachlicher Inhaltsgestaltung: 1. Die lexikalische Bedeutung Sie entspricht dem Was der unmittelbaren Erfassung der außersprachlichen Welt. 2. Die kategorielle Bedeutung Sie entspricht dem Wie der Erfassung der außersprachlichen Welt durch die verschiedenen Wortarten. So ist die lexikalische Bedeutung bei «warm», «erwärmen», «Wärme» gleich, die kategorielle aber verschieden. 3. Die instrumentale Bedeutung Es handelt sich um die Bedeutung der Morpheme und Morphemwörter. 4. Die innerstrukturelle oder syntaktische Bedeutung Sie umfaßt die Kombination von lexematischen bzw. kategorematischen Einheiten mit Morphemen innerhalb des Satzes. 5. Die ontische Bedeutung des Satzes (zum Beispiel behauptend oder interrogativ usw.). Mit Ausnahme der lexikalischen Bedeutung gehören alle Arten der Bedeutung zum Bereich der Grammatik. Allerdings ist die kategorielle Bedeutung sowohl dem Lexikon als auch der Grammatik zuzuordnen, weil in unseren Sprachen die Lexemwörter schon kategoriell bestimmt sind. In Sprachen, in denen die lexikalische Bedeutung unabhängig und getrennt von der kategoriellen auftritt, würde jedoch die kategorielle Bedeutung nur der Grammatik entsprechen. (Coseriu, ibid., S. 9 1 )
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Wenn also die Semantik im engeren Sinne als Bedeutungslehre des Wortes verstanden werde, dann erscheine die Bedingtheit des Grammatischen durch das Lexikalische eben an dieser kategoriellen Bedeutung. Jedoch gebe es auch innerhalb der ausschließlich lexikalischen Bedeutung eine Struktur, die in dieser Hinsicht von Belang sei. Es handele sich um die sogenannte klassematische Bedeutung. Seit man vor etwa dreißig Jahren begonnen hat, ein Instrumentarium zur strukturellen Analyse der lexikalischen Bedeutung zu entwickeln, hat man festgestellt, daß es neben den eigentlichen Paradigmen, den Wortfeldern, die sich aus oppositiv abgegrenzten Lexemen aufbauen, noch eine zweite Gliederung im Bereich des Wortschatzes gibt, die davon zum Teil unabhängig ist, die lexikalischen Klassen. Eine Klasse ist die Gesamtheit der Lexeme, die unabhängig von der Wordfeldstruktur durch einen gemeinsamen inhaltsunterscheidenden Zug zusammenhängen. Klassen manifestieren sich durch ihre grammatische und lexikalische 'Distribution'; d. h. die Lexeme, die zu derselben Klasse gehören, verhalten sich grammatisch, bzw. lexikalisch analog: sie können grammatisch gleiche Funktionen übernehmen und erscheinen in grammatisch, bzw. lexikalisch analogen Kombinationen."
A l s Beispiele für solche Klassen beim Nomen nennt Coseriu «lebende Wesen» gegenüber «Sachen», beim Verbum «adlative» gegenüber «ablativen» Verben (nehmen gegenüber geben ebenso wie kaufen gegenüber verkaufen), aber auch die bekannten Klassen der transitiven und intransitiven Verben. Abgegrenzt, bzw. definiert werden die Klassen durch die Klasseme, unterscheidende Züge, die über die Wortfeldgrenzen hinweg funktionieren. 12 Die Wortfelder können als ganze zur einen oder anderen Klasse gehören, sie können von einer klassematischen Grenze durchschnitten werden oder sich gegenüber dem klassematischen Unterschied neutral verhalten.
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Eugenio Coseriu, Lexikalische Solidaritäten, Poetica i (1967), S. 293-303, hier S. 294-295; und wieder in Horst Geckeier (Hg.), Strukturelle Bedeutungslehre, Darmstadt 1978, S. 239-253, hier S. 241. Der Terminus 'Klassem' stammt von Bernard Pottier, wurde aber von Eugenio Coseriu präzisiert und anders abgegrenzt. Vgl hierzu: Bernard Pottier, Recherches sur l'analyse sémantique en linguistique et en traduction mécanique, Nancy 1963, S. 19-26; Eugenio Coseriu, Lexikalische Solidaritäten, cit.; Id., Die lexematischen Strukturen, in Id., Sprache. Strukturen und Funktionen. XII Aufsätze, Tübingen 1970, S. 159-179, hier S. 1 7 1 - 1 7 4 ; Horst Geckeier, Strukturelle Semantik und Wortfeldtheorie, München 1971, S. 201-204; Jörn Albrecht, Linguistik und Übersetzung, Tübingen 1973, S. 5 6 - 5 7 . Etwas anders verwendet den Terminus 'Klassem' Algirdas-Julien Greimas, Sémantique structurale. Recherche de méthode, Paris 1966, S. 50-54. Ein gewisses Problem sehe ich in dem möglichen Konflikt zwischen klassematischer und kategorieller Bedeutung, wenn diese untergliedert wird. So könnte man sich auch vorstellen, die kategorielle Bedeutung 'Verb' in 'transitiv' und 'intransitiv' unterzukategorisieren.
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Die Frage, ob die Klassen und damit die Klasseme zum Wortschatz oder zur Grammatik gehören, möchte Coseriu nicht kategorisch in der einen oder anderen Weise beantworten. Seiner Ansicht nach gibt es Klassen, die ausschließlich zum Wortschatz gehören, da sie sich nur auf eine rein lexikalische Kombinatorik beziehen. Andere dagegen sind an grammatisch analogem Verhalten der zugehörigen Lexeme kenntlich. Die Bedeutung der zuletzt genannten Klassen ist nun die Sektion der eigentlichen lexikalischen Bedeutung, welche sich auf die Grammatik bedingend auswirkt. Einen Teil der in der strukturellen Semantik festgestellten klassematischen Bedeutungen und die entsprechenden Klassen hat man auch schon früher gekannt, wie wir gesehen haben. Neu ist die methodische Integration. Manches ist durch die strukturelle Analyse aber erst entdeckt worden und manches andere an «latenter Grammatik» wird wirklich noch zu entdecken sein. In jedem Falle kann man sagen, daß unsere Unterscheidung zwischen 'konturierten' und 'unkonturierten' Bedeutungen der Nomina, die wir als Grundlage des nominalen Aspekts ansahen, zu den klassematischen Bedeutungen gehört, und zwar zu jener Gruppe von klassematischen Bedeutungen, welche sich auf die Grammatik auswirken. Denn an den durch sie bedingten innerstrukturellen Kombinationen, die wir hier schon mehrfach angeführt haben, waren sie ja zunächst als Substantivklassen festgestellt worden.
3.2
Grammatikalisierung und Analyse
Wenn also die Klasseme meist von allgemeinerer Bedeutung sind als die übrigen Inhaltsstrukturen des Wortschatzes, so daß man von einer «Art Grammatik des Wortschatzes» gesprochen hat (Geckeier 1971, S. 2 0 1 202), so bilden sie doch nicht ohne weiteres Paradigmen wie die grammatischen Funktionen. Denn während man einem Substantiv die Bedeutung 'Plural' oder 'Dativ' beilegen kann und damit andere Funktionen der entsprechenden Paradigmen ausschließt, bleiben die Klasseme fest mit der lexikalischen Bedeutung verbunden, deren Teil sie sind. Sie können von ihr ja auch aus dem einfachen Grunde nicht getrennt werden, weil sie keinen eigenen materiellen Ausdruck haben. Sie müßten sich aber von der lexikalischen Bedeutung trennen lassen, wenn sie wahlweise angewandt werden sollten. Und dieses wäre eben die Voraussetzung dafür, sie als Unterscheidungskriterien einer grammatischen Kategorie zu betrachten. Der genannte Ablösungsprozeß aber fiele dann unter den Begriff der Grammatikalisierung. Dieser Begriff hat nun in der Tat etwas mit dem Wandel vom Lexikalischen zum Grammatischen zu tun. Es werden damit aber meist andere Sachverhalte beschrieben als der, um den es uns hier geht. 64
3-2.1 Grammatikalisierung Der Terminus «Grammatikalisierung» wurde 1912 von Antoine Meillet in seinem Aufsatz L'évolution des formes grammaticales eingeführt. 13 Zwei Verfahren, so Meillet, führten zur Konstitution grammatischer Formen. Das eine sei die Analogie. L'autre procédé consiste dans le passage d'un mot autonome au rôle d'élément grammatical. (Meillet (1912), 1921, S. 131)
Nach dem semantischen Gehalt könne man 'mots principaux' und 'mots accessoires' unterscheiden. Letztere neigten durch häufigen Gebrauch in festen Verbindungen zur semantischen und phonetischen Abschleifung und entwickelten sich zum grammatischen Instrument. So sei es mit Hilfe 'akzessorischer' Verben zum periphrastischen Perfekt und zur Erneuerung des Futurs gekommen. Der Begriff der Grammatikalisierung enthält die Gradualität: Grammaticalization consists in the increase of range of a morpheme advancing from a lexical to a grammatical or from a less grammatical to a more grammatical status, e. g. from a derivative formant to an inflectional one. 14
So haben wir in jeder Phase der Sprachgeschichte Verfahren, die schwächer, stärker oder voll grammatikalisiert sind, an denen sich in der Synchronie der Grad der Grammatikalisierung skalar feststellen läßt. Ein anschauliches Beispiel einer solchen Skala hat Christian Lehmann zu den lokalen Kasusrelationen gegeben. 15 Ohne sich auf eine theoretisch bestimmte Rasterung festzulegen, wählt Lehmann aus dem Kontinuum der Skala fünf exemplarische Positionen. Die schwächste Stufe der Grammatikalisierung vertreten relationeile Nomina wie an der Spitze von, im Rücken von, an der Seite von u.a. Dann folgen sekundären Adpositionen (Prä- oder Postpositionen), die noch eine objektive Bedeutung ausdrücken, wie während, unterhalb, inmitten, beiderseits und morphologisch komplex sein können. Stärker grammatischen Charakter tragen die primären Adpositionen, die morphologisch einfach sind, wie in, von, zu. Dann folgen die agglutinierten Kasusendungen, wie die finnischen Lokalkasus, und endlich die Kasusfusionen, die neben der lokalen Relation noch andere morphologische Kategorien ausdrücken und teilweise mit dem Wortstamm verschmolzen sind, wie lat. aedibus. Der Maßstab für die Einstufung auf dieser Skala
13
14
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Antoine Meillet, L'évolution des formes grammaticales (1912), in: Id., Linguistique historique et linguistique générale, Bd. 1, Paris 1921, S. 130-148. Jerzy Kurylowicz, The evolution of grammatical categories, Diogenes 51 (1965), S. 5 5 - 7 1 , hier S. 69; und wieder in: Id., Esquisses linguistiques II, München 1975, S. 38-54. hier S. 52. Christian Lehmann, Grammaticalization: Synchronic variation and diachronic change, LeSt 20 (1985), S. 303-318.
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ist die Autonomie des sprachlichen Zeichens. Diese wird näher bestimmt durch die paradigmatischen Merkmale der Integrität, der Paradigmatizität und der paradigmatischen Variabilität und die syntagmatischen des Wirkungsbereichs, der Gebundenheit und der syntagmatischen Variabilität. Mit solchen Kriterien läßt sich dann der Ort einer Erscheinung auf dem Weg von der lexikalischen zur grammatischen Bedeutung einstufen und zwischensprachlich vergleichen. Wenn Antoine Meillet den Terminus 'Grammatikalisierung' eingeführt hat, so hat man den entsprechenden Inhalt freilich schon früher gekannt. Denn die anfänglichen Spekulationen um die Herkunft der Flexionsmorpheme des Indogermanischen, die man auf die Agglutination selbständiger Elemente zurückführen wollte, waren natürlich nichts anderes als Fragen nach ihrer Grammatikalisierung. 16 Daß man die indogermanischen Endungen nicht mehr im einzelnen auf einsichtige Bedeutungen würde zurückführen können, war spätestens den Junggrammatikern klar (Meillet (1912) 1921, S. 131). Trotzdem läßt sich zur Genese der Paradigmen und zur Ausbildung ihrer Systematik manches herausfinden. Auch in diesem Zusammenhang spricht man von Grammatikalisierung, obgleich das Ausgangsmaterial hier nicht lexikalischer A r t ist. So definiert Francisco R. Adrados: Grammatikalisierung (oder Morphologisierung) als die Integration von Elementen in eine Opposition, deren ursprüngliche Funktion fast stets eine andere war. (Adrados 1969, S. 238; übers, von mir)
Dabei lassen sich verschiedene Verfahren feststellen. So können schon vorher morphematische Elemente einen neuen Bedeutungswert beigelegt bekommen oder durch Einfluß eines anderen Paradigmas neu gedeutet werden oder in eine Opposition integriert werden. Oder aber bisher nur formale Klassen erhalten morphematische Bedeutung. Oder Teile des Stammes werden als grammatische Morpheme ausgegliedert (nach Adrados 1969). Auch hier entsteht also grammatisches Material aus vorher anders bestimmten Elementen. 1 7
16
17
Vgl. zu dem Disput noch 1873 Alfred Ludwig, Agglutination oder Adaptation?, Prag, der gegen die Agglutinationstheorie in der vom Kontext bestimmten Varietät den Ursprung der später grammatikalisierten Verwendung sehen möchte. Auch hatte man schon vom «Uebergang der Stoff- und Formwörter in einander» gesprochen (Karl Wilhelm Ludwig Heyse, System der Sprachwissenschaft. Nach dessen Tode herausgegeben von Dr. H. Steinthal, Berlin 1856, S. 108109). Die Literatur zur Grammatikalisierung ist gerade in den letzten Jahren stark angeschwollen. Z u einem Überblick vergleiche man Hadumod Bußmann, Lexikon der Sprachwissenschaft, Stuttgart 19902, s. v. 'Grammatikalisierung' und Paul J. Hopper, Elizabeth Closs Traugott, Grammaticalization, Cambridge 1993.
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3.2.2 Die analytische Grammatikalisierung Wenn wir nun den Begriff der Grammatikalisierung auf den Nominalaspekt anwenden wollen, müssen wir zunächst sehen, wie sich die klassematischen Züge des Konturierten und des Unkonturierten von den übrigen lexikalischen Merkmalen abheben lassen und paradigmatisch alternativ werden können. Dies kann nur mit den Mitteln geschehen, durch die sie auf der Ausdrucksebene in Erscheinung treten. Weil es sich um verdeckte Klassen handelt, sind dies ihre syntaktischen Implikationen, d. h. die Art der Syntagmen, in die sie eingebettet sind. D a sich also das Unkonturierte durch den Ausschluß des Plurals und des obligatorischen Partikularisators bei der Quantifizierung kenntlich macht, müssen die konturierten Lexeme, wenn sie mit diesen syntaktischen Eigenschaften verwendet werden, ebenfalls unkonturiert gedeutet werden. Das heißt, sie haben dann den klassematischen Zug der Gestalthaftigkeit abgelegt und werden nur noch unter dem Gesichtspunkt ihrer substanzhaften Washeit betrachtet. So hat man im Deutschen bei einer Gelegenheit den Umfang eines Wörterbuchs mit zwanzig Kilo Buch angegeben, um sich allein auf die Menge an 'buchhafter Materie' zu beziehen. Regelhaft aber geworden ist dies Verfahren bei den sogenannten kollektiven Singularen im Portugiesischen und Spanischen, von denen unsere Überlegungen ausgingen. Umgekehrt müssen die unkonturierten Bedeutungen, wenn auf sie die Quantifizierungsverfahren der konturierten angewendet werden, durch Konversion einer entsprechenden Vorstellung zugänglich gemacht werden. Hier haben wir dann Redevorkommen wie ein Stein, ein Eisen, ein Holz für 'ein Gegenstand aus dem betreffenden Material', die wir schon im vorangegangenen Kapitel im Zusammenhang mit der Klassenspaltung erwähnt haben. Eine andere Konversion zeigen die Plurale der Art wie Salze, Weine, die virtuell auf delimitierte Singulare zurückgeführt werden können: ein Wein, der... im Sinne von eine Sorte Wein, die..., ein Salz, das... im Sinne von eine Art Salz, die... Die Entstehung einer solchen Wahlmöglichkeit zwischen zwei Klassen, von denen sonst jeweils eine jedem Lexem fest zugeordnet ist, kann nun auf den ersten Blick kaum mit dem oben beschriebenen Begriff der Grammatikalisierung verglichen werden. Denn dort haben wir es mit der Entwicklung von grammatischen Formelementen (Morphemen) aus vorher lexikalisch-semantischem oder unspezifischem phonischem Material zu tun, die in der Regel für die Rolle des Determinans in der Relation Determinans - Determinatum bestimmt sind. Vergleichbar erscheint allenfalls, daß in beiden Fällen eine Entwicklung vom Lexikalischen zum Grammatischen erfolgt. Diese große Verschiedenheit ist gleichwohl oberflächlicher Natur und beruht darauf, daß wir beim Begriff der Grammatikalisierung die Entstehung der instrumentalen Bedeutung im Morphem bzw. Morphemwort isoliert betrachtet haben. Das ist jedoch nicht zuläs67
sig, wie Eugenio Coseriu in seinem Entwurf einer funktionellen Syntax 18 einleuchtend dargelegt hat: Die funktionelle Syntax bzw. Grammatik Syntax und Grammatik seien als gleichbedeutend anzusehen - ist für ihn die Paradigmatik der grammatischen Bedeutung (1987, S. 133): Die grammatischen Paradigmen, die von der funktionellen Syntax oder Grammatik begründet werden, sind nun immer Kombinationsparadigmen, Paradigmen von Syntagmen, da eine grammatische Funktion prinzipiell immer durch eine Kombination von Elementen und nicht durch einfache und einzelne Elemente ausgedrückt wird. So ist bei der Mensch (oder frz. l'homme) nicht der bloße Artikel der (bzw. le), sondern das gesamte Syntagma der Mensch (l'homme) der Träger der grammatischen Bedeutung (der bestimmte Artikel ist dabei nur deren Instrument bzw. «Kennzeichen»). ... Demgemäß besteht kein Unterschied zwischen Grammatik und Syntax, zumal da jede Grammatik «syntaktische» Kombinationen voraussetzt (und dies, selbst wenn es sich um Kombinationen mit 0-Elementen oder suprasegmentalen Verfahren handelt bzw. um solche Kombinationen, welche die Abfolge der materiell erscheinenden Elemente ausnutzen). D. h. es gibt keine «nicht-syntaktische» Grammatik. (Id., 1987, S. 143)
Paradigmen können daher nicht durch die bloßen Instrumente gebildet werden, da diese nicht direkt in Opposition zueinander stehen (1987, S. 150), vielmehr sind die grammatischen Oppositionen notwendigerweise solche zwischen «Kombinationen» aus jeweils einem determinierten und einem determinierenden Element (1987, S. 151). Wenn sich aber das Grammatische aus Paradigmen von Syntagmen konstituiert, dann dürfen wir uns, streng genommen, beim Begriff der Grammatikalisierung auch nicht allein auf die Genese der grammatischen Instrumente beziehen, sondern auf die Genese solcher Paradigmen insgesamt. Die Entstehung einer grammatischen Kategorie wäre dann als die Entstehung eines grammatischen Paradigmas von Syntagmen durch die Instrumentalisierung ihrer determinierenden Elemente aufzufassen. Durch Oppositionen von Syntagmen aber stellen sich auch die aspektuellen Klassen des Nomens dar. Betrachten wir dazu ein italienisches Beispiel: - Ieri ho mostrato il lavoro a Paolo. - Ieri ho visto 0 Paolo.
Die Syntagmen a Paolo und 0 Paolo unterscheiden sich hier durch die Funktionen des indirekten bzw. direkten Objekts oder des Dativs gegenüber dem Akkusativ, wenn man die Namen der lateinischen Vorgängerstruktur benutzen will. Sehen wir demgegenüber: - Ieri ho comprato urt libro. - Ieri ho comprato 0 pane. 18
Eugenio Coseriu, Grundzüge der funktionellen Syntax, in Id., Formen Funktionen. Studien zur Grammatik, Tübingen 1987, S. 133-176.
68
und
Hier haben wir es in beiden Fällen mit dem direkten Objekt zu tun, entsprechend der Klasse des Lexems erscheint aber im ersten Satz un libro und im zweiten 0 pane. Verwenden wir nun in beiden Sätzen das Lexem pane so haben wir: - Ieri ho compralo un pane. - Ieri ho comprato 0 pane.
Die Syntagmen un pane und 0 pane unterscheiden sich nicht durch die Funktion im Satz, sondern durch das Merkmal der Konturierung im ersten Fall, mit anderen Worten durch den unterschiedlichen Nominalaspekt. Und eben diesen aspektuellen Unterschied finden wir auch zwischen portugiesisch: - muitos livros: muito livro.
Sowohl bei der Opposition a Paolo : 0 Paolo, wie bei un pane : 0 pane haben wir es mit Oppositionen von Syntagmen eines Paradigmas zu tun. Und was die Grammatikalisierung ihrer Determinanten a vs. un angeht, so fällt sie ungefähr in die gleiche Zeit, nämlich die frühromanische Phase. Wenn wir also die Oppositionen von Syntagmen betrachten, so sehen wir, daß die Unterscheidung des Nominalaspekts durchaus mit dem grammatischen Status anderer Kategorien zu vergleichen ist. Die scheinbare Andersartigkeit der sonst festgestellten Grammatikalisierungsprozesse aber beruht nicht nur darauf, daß man die Entwicklung ihrer instrumentalen Mittel isoliert betrachtet hat, sondern auch noch auf der überwiegenden Berücksichtigung der phonisch-morphologischen Seite dieser Entwicklung. Obgleich nun im Prinzip die oppositiven Syntagmen des Nominalaspekts mit denjenigen anderer grammatischer Funktionen vergleichbar sind, so gibt es doch auch einen grundlegenden Unterschied. Denn normalerweise sind die Syntagmen der grammatischen Paradigmen durch Komposition aufgebaut. Das heißt, dem Lexem wird durch ein instrumentales Determinans der Ausdruck einer Funktion hinzugefügt. So bedeutet a Paolo aus unserem obigen Beispiel 'Paolo + indirektes Objekt/Dativ' oder Kind-er 'Kind + Plural' oder scriverò 'scrivere + i. Person + Futur', was in der deutschen Übersetzung 'ich + werde + schreiben' explizit wird. Die Bedeutung dieser Syntagmen entsteht also durch Zusammensetzung oder Synthese. Dagegen läßt sich eine solche Zusammensetzung beim Vergleich von: - Sie hat ein Buch gekauft - Sie hat 0 Butter gekauft
mit
nicht feststellen. 19 Was ein Buch gegenüber 0 Butter «mehr» bedeutet, ist nur das Konturierte. Dieses Merkmal ist aber schon im Lexem Buch 19
Daß in anderem Zusammenhang ein Buch gegenüber das Buch steht, wobei
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enthalten. Daher konnte auch der Lateiner unbeschadet der Bedeutung sagen Paulus equum emit, wo der Italiener sagen muß Paolo ha comprato un cavallo. Durch ein und seine anderssprachigen Äquivalente wird also ein klassematischer Zug der nominalen Bedeutung sprachlich ausgedrückt und offenkundig, der in den artikellosen Sprachen in der semantischen Struktur beschlossen bleibt. 20 Das Nachaußentreten eines Zuges der semantischen Struktur, sei es durch offene Kennzeichnung, sei es durch die Selektion syntaktischer Umgebung, entspricht aber bereits einer sprachlichen Analyse. Das heißt, die Sprache hat dann selbst einen Teil der Aufgabe übernommen, die sich der Semantiker zu stellen pflegt. Das Bemerkenswerte ist nun, daß die Sprache, wie Ernst Cassirer in dem Zitat, das wir diesem Kapitel vorangestellt haben, sagt, schon immanent dazu neigt, jeden einmal erreichten Stand der Organisation zu überschreiten. In dem Augenblick, wo das Klassem der Konturiertheit sprachliche Form gefunden hat, beginnt bereits potentiell jener Ablösungsprozeß von der lexematischen Klassenbedeutung, den wir zum Kriterium der Grammatikalisierung gemacht hatten. Ansatzpunkte dazu sind die objektiv mehrdeutigen und die unbestimmten Fälle. Denn auch bei einem scheinbar so klaren Merkmal wie dem der konturierten Form gegenüber dem Amorphen gibt es doch Substanzen, die teils in dem einen, teils in dem anderen Zustand erscheinen. Das Beispiel des Brotes und anderer Nahrungsmittel hatten wir dazu schon mehrfach angeführt. Andererseits eröffnet die Anthropozentrik unserer Wahrnehmungsweise selbst einen breiten Saum des Überganges zwischen Kleinteiligkeit und Stofflichkeit. Schließlich gibt es einen Bereich, für den die Unterscheidung zwischen Gegenstand und Masse eigentlich gar nicht in Frage kommt, nämlich den der Abstrakta. Aus diesen Rand- und Übergangszonen nährt sich die subjektive Weise der klassematischen Zuordnung und damit der Zug zur Grammatikalisierung. Die erste Voraussetzung hierfür liegt aber bereits, wie gesagt, in der sprachlichen Ausformung der Klasse selbst. Diese Grammatikalisierung nun, die ihre distinktive Bedeutung aus der Lexemklasse selbst gewinnt, wollen wir analytische Grammatikalisierung nennen. Im Unterschied dazu kann man bei dem üblichen Verfahren, das auf der Komposition von instrumentalisiertem Determinans und Determinatum beruht, von synthetischer Grammatikalisierung sprechen. Es braucht kaum betont zu werden, daß wir die Termini 'analytisch' bzw. 'synthetisch' hier nicht in dem Sinne verwenden, wie es in der älteren
20
ein das 'Unbestimmte' bedeutet, wollen wir hier unberücksichtigt lassen, zumal das 'Unbestimmte' in diesem Paradigma auch wiederum das Merkmallose gegenüber dem durch den Kontext Bestimmten ist. Wenn er nicht indirekt, etwa, wie oben erwähnt, durch den Partitiv des Unkonturierten erscheint.
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Sprachtypologie seit August Wilhelm Schlegel üblich war. Denn dabei handelte es sich ausschließlich um morphologische Verfahren des Ausdrucks grammatischer Kategorien, wobei die Flexionsmorpheme als 'synthetisch', die Instrumentalwörter als 'analytisch' galten. 21 Dagegen hat die Unterscheidung zwischen synthetischer und analytischer Grammatikalisierung mit den morphologischen Mitteln des Ausdrucks eigentlich nichts zu tun. Sie bezieht sich vielmehr auf die Konstitution des funktionellen Inhalts. Es kommt zwar vor, daß wir auch auf der Ausdrucksebene eine Analyse feststellen. Wir hatten oben erwähnt, daß bei einer Art der Grammatikalisierung Teile des Stammes als grammatische Morpheme ausgegliedert werden. So wurde früher vermutet, daß der Auslaut bei idg. *gveneh2 und vielleicht wenigen weiteren Wörtern ursprünglich dem Stamm zugehörig war, sekundär aber als Morphem und Zeichen des Femininums gedeutet und in andere Bereiche übertragen wurde (s. Adrados 1969, S. 238, wo er auch eine analoge Meinung zur Genese der griechischen Medialmorpheme referiert). 22 Doch folgt auch hier die materielle der inhaltlichen Analyse. Andererseits kann der Gebrauch von 'analytisch' hier in gewisser Weise mit dem Sinn verglichen werden, in dem Kant von 'analytischen Urteilen' sprach. Denn beide Verwendungen beziehen sich auf eine inhaltliche Analyse. Weiter kann man fragen, wie die analytische Grammatikalisierung zu den drei von Hermann Paul beschriebenen Verfahren der Paradigmenbildung (Herausbildung von «etymologischen Wortgruppen») steht (Paul 1920, S. 325). Das dritte und üblichste dieser Verfahren ist die Zusammensetzung: Die eigentlich normale Entstehungsweise alles Formellen in der Sprache bleibt daher immer die dritte Art, die Komposition. (Paul 1920, S. 325)
Diese entspricht der synthetischen Grammatikalisierung. Die zweite Art ist «das Zusammentreffen konvergierender Bedeutungsentwickelung mit konvergierender Lautentwickelung.» Hierunter versteht Paul die sogenannten Volksetymologien: 21
22
Zum weiteren Schicksal dieser Unterscheidung s. Horst Geckeier, Zum Verhältnis der Kategorien «analytisch/synthetisch» und «prädeterminierend/postdeterminierend» in der Sprachtypologie, in: Günter Heintz, Peter Schmitter (Hgg.), 1985, Bd. 1, S. 203-233. Die Genese des Femininmorphems durch Metanalyse (in der älteren Literatur findet man auch den Terminus Sekretion) von *g[ien-eh-2 wird heute nicht mehr angenommen, vielmehr hält man das Etymon schon für eine affigierte Bildung (vor allem, weil man inzwischen im Altirischen das entsprechende Wurzelnomen nachweisen konnte). Vgl. Wolfgang Meid, «Frau»?, KZ 80 (1966), S. 271-272; Frank Starke, Das luwische Wort für «Frau», KZ 94 (1980), S. 74-86; Jon Axel Hardarson, Das uridg. Wort für «Frau», MSS 48 (1987), S. 1 1 5 - 1 3 7 . S. auch hier w.u. 4.1 und zu der Laryngalnotierung h2 dort Anm. 2.
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Dass ein derartiger Vorgang nur vereinzelt eintreten kann, liegt auf der Hand. (Id., ibid.)
Das erste Verfahren aber ist «eine Lautdifferenzierung, auf die eine Bedeutungsdifferenzierung folgt.» Hier nennt Paul als Beispiel die Spaltung des Imperfekts und Aorists im Indogermanischen, wo ein ursprünglich nur akzentbedingter Lautwechsel semantisch-grammatisch unterscheidend wurde. Dabei handelt es sich allerdings um ein analytisches Verfahren der Grammatikalisierung, wenn auch große Unterschiede zu den von uns oben beschriebenen Fällen der grammatischen Klassenanalyse bestehen: In dem von Paul angeführten Beispiel wird an schon morphematisch gestaltetem Material eine Bedeutungsdifferenzierung vorgenommen, wobei der funktionalisierte Ausdrucksstoff allomorphischer Natur ist. Das Beispiel zeigt aber, daß die Analyse als Verfahren nicht auf das Klassematische beschränkt ist. In einem anderen Zusammenhang spricht Paul kursorisch und indirekt die Analyse als Mittel grammatischen Wandels an, freilich mit Blick auf formale Paradigmen (Paul 1920, S. 113/114): Sobald eine Form ihrer Gestalt nach mehreren Klassen angehören kann, so ist es auch möglich von ihr aus die andern zugehörigen Formen nach verschiedenen Proportionen zu bilden.
Zu klären ist ferner der Bezug der analytischen Grammatikalisierung zu der sogenannten temporären Klassifikation, die wir nach einem Beitrag von Fritz Serzisko 23 kurz darstellen wollen. In den Numeralklassifikatorsprachen, die wir beim Überblick über die verschiedenen Numerusverfahren schon erwähnt haben, wird den Nomina durch die Klassifikation normalerweise keine semantische Information hinzugefügt, die nicht schon ohnehin in ihnen enthalten wäre. Vergleichbares hatten wir ja bei den zwei Nominalklassen der europäischen Artikelsprachen gesehen. Man hat daher auch von inhärenten Klassifikatoren gesprochen. Diese teilen die Gesamtmenge der Nomina einer Sprache in disjunkte Klassen ein und bezeichnen inhärente Eigenschaften der klassifizierten Nomina (Serzisko 1982, S. 152). Nun hat das Tzeltal, eine Maya-Sprache, neben einem Kern von 9 solchen festen Klassifikatoren die große Anzahl von 139 sogenannten temporären Klassifikatoren, die den Nomina relativ frei zugeteilt werden können. Da sie mit den inhärenten Klassifikatoren in einem festen Bezugssystem stehen, ist ihr klassifikatorischer Status fraglos, und sie können nicht einfach als qualifikative Adjektive betrachtet werden. Die temporären Klassifikatoren im Tzeltal sind aber nur die extreme Ausprägung eines allgemeinen Prinzips in den klassifizierenden Sprachen. Auch die inhärenten Klassifikatoren können zeitweilig semantisch differenzierend 23
Fritz Serzisko, Temporäre Klassifikation. Ihre Variationsbreite in Sprachen Zahlklassifikatoren, in: Seiler, Lehmann (Hgg.), I, 1982, S. 1 4 7 - 1 5 9 .
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mit
gebraucht werden. Sie übertragen dann sozusagen Merkmale ihrer Klasse auf die der Nomina, denen sie okkasionell zugeordnet wurden. Serzisko möchte hier lieber von Variabilität statt von temporärer Klassifikation sprechen, um Verwechslungen mit den festen Inventarien 'temporärer Klassifikatoren' zu vermeiden. Es kann nun kein Zweifel daran bestehen, daß wir es bei der zuletzt erwähnten Gruppe von Fällen mit der Art von Analyse zu tun haben, die wir analytische Grammatikalisierung genannt haben, und daß die Kategorien, die bei der freien Zuordnung entstehen, wenn auch in ganz anderer Ausprägung, solche des nominalen Aspektes sind. (Beiläufig sei empfohlen, auf die mißlungene Übersetzung «temporäre» Klassifikatoren, bzw. Klassifikationen für «temporary State classifiers» in Zukunft zu verzichten). Durch die speziellere Bedeutung der Klassifikationen gegenüber unseren Nominalklassen scheint es sich freilich um etwas Lexikalischeres zu handeln. Die Grammatikalisierung liegt jedoch in der Ablösung des Klassematischen aus dem festen Verbund der Wortsemantik, ein Vorgang, der durch die klassenfremde Zuordnung stets mit einer Verallgemeinerung einhergeht. Allerdings kann dieses Verfahren bei Lockerung der klassifikatorischen Bindung zur qualitativen Lexikalisierung führen, ein Entwicklungsgang, auf dem das Tzeltal sich zu befinden scheint. Da die analytische Grammatikalisierung die Genese des Grammatischen aus dem Klassematischen betrifft, muß auch das Genus noch einmal kurz zum Vergleich herangezogen werden, das ja, wie wir gesehen haben, die bedeutendste nominale Klassifikation in den indogermanischen Sprachen darstellt, aber gleichwohl seit eh und je als grammatische Kategorie betrachtet wird. Dafür können vier mehr oder weniger stichhaltige Gründe angeführt werden. Erstens ist das Genus teilweise formal an den Nomina gekennzeichnet, zweitens erscheint es durch Kongruenz an den pronominalen und adjektivalen Begleitern des Nomens, drittens ist es eine Unterscheidung, die den ganzen Wortschatz betrifft, und viertens ist es in einer Sektion des Nomens semantisch distinktiv. Davon kann der erste Grund wegen seiner unsystematischen Natur vernachlässigt werden. Dagegen ist der zweite immer wieder von den klassischen Autoren der vergleichenden Sprachwissenschaft als der eigentlich maßgebende bezeichnet worden, was durch die zentrale Stellung der historischen Morphologie in dieser Disziplin erklärlich ist. Die Kongruenz der Nominalbegleiter begründet zwar bei diesen morphologische Paradigmen, ist aber in Hinsicht auf das Nomen selbst nichts weiter als ein formales Merkmal der Klassifikation. Auch das dritte Argument, das zum Beispiel von Wladimir Admoni eingebracht wird, 24 vermag nicht zu überzeugen, wenngleich es die Autorität Humboldts für sich in Anspruch nehmen kann: 24
Wladimir Admoni, Der deutsche Sprachbau, München 3 1970, S. 89.
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Allein der der Wesen Wort gibt, Phantasie, 1963, 3, S.
Sprachsinn zeigt nur dann seine Herrschaft, wenn das Geschlecht wirklich zu einem Geschlecht der Wörter gemacht ist, wenn es kein das nicht, nach den mannigfaltigen Ansichten der sprachbildenden einem der drei Geschlechter zugetheilt wird. (Humboldt (1827), 141)
Die Ausweitung einer Klassifikation für sich allein führt nämlich nur zur Abstraktion der klassematischen Bedeutung, die im Falle des Genus nahezu die Stufe der semantischen Leere erreicht hat. Die Grenze zur grammatischen Kategorie wird erst da überschritten, wo der klassematische Zug, zumindest in gewissen Bereichen, den primären Bedeutungen in freier Technik zugeteilt werden kann. Dies finden wir aber nur in dem beschränkten Sektor der biologischen Grundbedeutung des Genus, dessen alternative Zuweisung sich hier denn auch der analytischen Grammatikalisierung verdankt. Das gleiche gilt für das kleine Wortfeld der sogenannten augmentativen Feminina und ihrer maskulinen Kontrastbedeutungen in den romanischen Sprachen, wo das Femininum jeweils das weitere, ausladendere Gefäß bedeutet wie sp. pg. jarra, jarro\ it. sp. pg. cesta, cesto u.v.a.m. Ferner finden sich hie und da lexikalisierte Genuskontraste: dt. der Verdienst vs. das Verdienst u. a. 3.2.3 Die Entstehung der analytischen Grammatikalisierung Nach diesen Bemerkungen zur Abgrenzung der analytischen Grammatikalisierung wollen wir noch einen Blick auf ihre mögliche Entstehung werfen. Wie bei allen Fakten der Grammatikalisierung haben wir es hier mit etwas Graduellem zu tun, so daß wir auch in der Synchronie verschiedene Stufen der Erscheinung antreffen können, manchmal sogar in der gleichen Sprache. Von diesen Stufen lassen sich nun mindestens fünf unterscheiden: 1. Die lexikalischen Wortklassen Ausgangspunkt sind die Klassen von Wörtern, wie sie sich in der semantischen Organisation des Primärwortschatzes darstellen. Manche davon sind so elementar, daß ihre Unterscheidung unabhängig von den Einzelsprachen ist. So haben jüngere neuropsychologische Forschungen ergeben, daß Eigennamen an anderen Stellen des Gehirns abgelegt werden als funktionsbezogene Bezeichnungen, und Begriffe für Lebewesen anders als solche für unbelebte Gegenstände gespeichert werden. 25 In der Sprache aber erscheinen sie zunächst einmal als lexikalische - archilexematische oder klassematische - Strukturen. Schon auf dieser Ebene 25
Vgl. Wolf Singer, Das Jahrzehnt des Gehirns. Annäherung in den Neurowissenschaften. Verbindungen zwischen Geist und Materie, FAZ, Do., 27/12/1990 [Nr. 300], S. N 1.
74
kommt es zu gewissen syntagmatischen Auswirkungen der Klassenbedeutungen durch «lexikalische Solidarität» (vgl. Coseriu 1967), Attraktionen oder Unvereinbarkeiten. So sind Prädikate wie reisen nur von Personen denkbar, schlafen nur von Lebewesen, reifen nur von pflanzlicher Frucht, reparieren nur bei Artefakten usw. Zuwiderlaufende Verwendungen müssen metaphorisch gedeutet werden. 2. Die grammatischen Wortklassen A n zweiter Stelle können solche Wortklassen eine offene oder verdeckte Kennzeichnung mit Mitteln des sprachlichen Ausdrucks erhalten. Auch wenn die Nominalklassen unserer Sprachen alle verdeckt gekennzeichnet sind - selbst das Genus ist ja vorwiegend durch die Kongruenz sichtbar - , so liegt doch darin schon, wie wir betont haben, die erste Voraussetzung zur Analyse der Bedeutung in einen klassematischen Zug und einen lexikalischen Restwert. Diese Voraussetzung bedeutet jedoch allenfalls etwas Virtuelles, indem sie mit einem sprachlichen Formungsprozeß verbunden ist, keine konkrete Möglichkeit. Denn in Hinsicht auf die Grammatik ist mit der Kennzeichnung zunächst einmal das Umgekehrte verbunden, die feste Einbindung der Wortklassen in die Syntax. Verstöße gegen deren Regelwerk gelten daher ohne weiteres als unannehmbar. So würde man einen Satz wie *Ich habe Baum gepflanzt als Interferenzfehler eines Ausländers mit artikelloser Muttersprache und nicht als Bedeutungskonversion ansehen. 3. Die Umprägung und die grammatische Metaphorik Wir haben oben schon davon gesprochen, daß es durch die Integration der grammatikähnlichen klassematischen Bedeutung in die lexikalischen Strukturen zu Konflikten mit den eigentlichen grammatischen Kategorien kommen kann, ein Umstand, dem sich ja die grammatische Kennzeichnung der verdeckten Klassen verdankt. Nun ist die Folge solcher Konflikte aber nicht immer die absolute Unvereinbarkeit und damit die Distributionsbeschränkung, sondern es kann auch zu einer Überlagerung der Bedeutungen kommen. So hat Eugenio Coseriu unter dem Stichwort «kontextbedingte Determinierung» darauf hingewiesen, daß die punktuelle Bedeutung des spanischen Verbs encontrar 'finden' eigentlich für einen Gebrauch im Präsens oder Imperfekt ungeeignet ist, also für Tempora, welche die Handlung in ihrer Dauer oder Entwicklung betrachten. Wenn das Verbum dennoch in diesen Formen verwendet wird, muß eine Umdeutung stattfinden. Zum Beispiel hat man für encuentro, encontraba häufig die Bedeutung einer wiederholten Handlung, die dann allerdings in ihrer Dauer betrachtet werden kann. 26 Was sich in diesen Fällen durchsetzt, ist das grammatische Determinans. Der punktuelle Zug der lexikali26
Eugenio Coseriu, Einführung in die Allgemeine 1988, S. 179-180.
Sprachwissenschaft,
Tübingen
75
sehen Bedeutung hat aber in dem iterativen Moment seine Spur hinterlassen. Die Art dieser Erscheinung ließe sich gut durch den Terminus Umprägung beschreiben. Eine ähnliche Umprägung finden wir im Slavischen, wo das Imperfektivsuffix an lexikalisch punktuellen Verben ebenfalls zur Deutung des Habituellen führt: z. B. poln. wygrac 'gewinnen', wygrawac 'immer wieder, üblicherweise gewinnen'. 27 In diesen Zusammenhang gehört auch die öfter erwähnte (z.B. Jacobsohn 1933, S. 294) Tatsache, daß im Russischen und anderen slavischen Sprachen das Präsens der perfektiven Verben eine futurische (oder verwandte) Modifizierung erfährt. In einem weiteren Sinne könnte man auch bei der Kategorienkonversion der Redeteile von Umprägung sprechen. 28 Während es sich aber in diesen Fällen um rede- und kontextbedingte Umdeutungen handelt, die den Sprechern als übliche Varianten bekannt, jedoch oftmals gar nicht bewußt sind, handelt es sich bei der grammatischen Metapher zunächst einmal um einen Regelverstoß. 29 Hier wird eine Einheit so verwendet, als ob sie zu einer anderen Klasse oder Kategorie gehörte. Die stilistische Absicht ist dabei, wie überhaupt bei metaphorischer Sprache, der Reiz der Verflechtung zweier Bedeutungsmodi. Wie kommt es aber, daß solche Verstöße überhaupt akzeptiert werden? Ohne daß wir uns hier auf ein diesbezügliches pragmatisches Regelwerk aus Normen und Erwartungen einlassen wollen, setzen wir dafür voraus, daß Sprachbeherrschung und Absicht des Autors ersichtlich sein müssen, 30 Kriterien, die schon in der Antike zur Abgrenzung von Stilismen und Fehlern herangezogen wurden. Sind diese Voraussetzungen gegeben, so gilt die Leitlinie der «Sinnkonstanz», 31 das Faktische als Aufgabe des Verstehens, das altehrwürdige Nachsichtsprinzip der Hermeneutik. 27
28
29
30
31
Vgl. Krzysztof Bogacki, Stanislaw Karolak, Fondements d'une grammaire à base sémantique, LeSt 26 (1991), S. 309-345, hier S. 322. Vgl. Paul 1920, S. 352-372. Noch allgemeiner hat den Terminus schon Tobler 1883, S. 417 gebraucht:«Aber der ganze Vorgang ist nicht von begrifflicher Art und scheint auf dem äußern Zufall zu beruhen, dass gewisse Pluralformen lautlich factisch mit Singularformen übereinstimmen, also in Singulare umgedeutet und umgeprägt werden konnten.» In einem etwas anderen Sinn spricht Hans Julius Schneider von «syntaktischer Metapher»: «Verwendung einer alten Komplexbildungsweise in einem neuen Sinn»; s. Hans Julius Schneider, Phantasie und Kalkül. Über die Polarität von Handlung und Struktur in der Sprache, Frankfurt/M 1992, S. 4 1 0 - 4 1 1 . In jüngerer Zeit hat es folgendes Beispiel für die Rolle der Erwartung bei diesem pragmatischen Prozeß gegeben. Als die deutschschreibende tschechische Autorin Libuse Monikovâ (1945-1998) ihren Roman Die Fassade, München 1987, veröffentlicht hatte, wurde ihr an einigen Stellen sprachliche Unsicherheit vorgeworfen, bis sie nachweisen konnte, daß sie die kritisierten Wendungen dem Werk Rilkes entnommen hatte. S. Hans Hörmann, Meinen und Verstehen. Grundzüge einer psychologischen Semantik, Frankfurt/M 1976, Kapitel 7.
76
Was nun die analytische Grammatikalisierung angeht, so finden wir auf der Stufe der grammatischen Metaphorik den individuellen regelwidrigen Wechsel der Wortklasse mit stilistischer Absicht. Die Umprägung betrifft in diesem Falle die gesamte kategorielle oder klassematische Bedeutung, so daß das Lexikalische sozusagen neu überformt wird: - Er ist nicht zurückgetreten, sondern zurückgetreten worden. - Wir haben alle an die Wand diskutiert. - Sie loben mich eitel!
Beim Nominalaspekt gehört zur Ebene der grammatischen Metaphern das oben angeführte Beispiel: - zwanzig Kilo Buch,
sowie manches, das der oft zitierte 'wagemutige' französische Sprecher Jacques Damourettes und Edouard Pichons hierzu beitragen könnte. Solche individuelle Verwendungen können durch Redewiederholung habituell werden oder sogar modellbildend. 4. Die habituelle Mehrklassigkeit Die nächste Stufe der Analyse ist die partielle Habitualität. Es handelt sich um die Erscheinung, die von den englischsprachigen Autoren unter dem Lemma der Klassenspaltung behandelt wird. Die habituelle Zuordnung von Lexemen zu - meist zwei - verschiedenen Klassen ist ein Faktum der sprachlichen Norm. Man kann zwar in den Bedeutungen oder in den Sachen selbst Hinweise darauf finden, warum es nach Sichtweise oder Beschaffenheit der Dinge zu der Einstufung in die eine und die andere Klasse kommen konnte, es läßt sich aber kaum begründen, weshalb dies bei ähnlichen Wörtern nicht üblich wurde. Man findet die Doppelzuordnung immer nur in bestimmten Sektionen des Wortschatzes. Was den Nominalaspekt betrifft, so haben wir die handbuchüblichen Beispiele aus dem Bereich der Waren schon erwähnt. Die Verwendung mit zwei verschiedenen Klassenmerkmalen führt vielfach zu leichter oder spürbarer lexikalischer Abgrenzung, manchmal zur Polysemie. So ist dt. Platz in: viel Platz, viele Plätze (im Saal), der Platz (in der Stadt) schon deutlich differenziert. Andererseits münden auch Verwendungen aus dem Okkasionellen in das Habituelle ein. So haben wir im Deutschen bei den deadjektivalen Verben mit dem Resultativpräfix be-, die eigentlich von typisch zweiwertiger Natur sind eine gewisse Tendenz zu elliptischer Einwertigkeit: Diese Musik beruhigt u. ä. 5. Die freie Zuordnung Die völlige Grammatikalisierung der Klassenzugehörigkeit, das heißt, die beliebige Freiheit der Zuordnung und damit die endgültige Ablösung der klassematischen Bedeutung aus ihrer lexikalischen Verhaftung findet sich 77
in unseren Sprachen kaum. Und wenn man sie anträfe, dann könnte man die analytische Entstehung dieser Verhältnisse nur noch diachronisch feststellen. Es gibt aber Sektionen relativ großer Freiheit in der Zuordnung. Dazu gehört der variable Nominalaspekt bei den Quantifikatoren im Portugiesischen und Spanischen ebenso wie die materiell anders realisierte, aber funktionell gleiche Unterscheidung im Französischen. Beim Verbum haben wir im Englischen eine große Variabilität zwischen der intransitiven und der transitiven Klasse, auch wenn der freie Wechsel hier häufig mit lexikalischen und idiomatischen Differenzierungen einhergeht. Wir haben zu Beginn dieses Abschnitts schon bemerkt, daß die Stufen der analytischen Grammatikalisierung je nach Art der betrachteten Erscheinung gleichzeitig in einer Sprache anzutreffen sein können. In der Tat entsprechen diese Stufen keiner historischen Abfolge, sondern stellen eine rein ideelle Auflösung dar. Schließlich wollen wir eine Schwierigkeit nicht verschweigen, die sich im Zusammenhang mit der analytischen Grammatikalisierung ergibt. Man könnte sie als die Dialektik des Bedingenden und des Bedingten bezeichnen. Wir haben bisher die Entwicklung so dargestellt, daß die Wortklassen auf Grund der lexikalischen Primärbedeutungen und der Weltkenntnis der Sprecher zunächst gewisse übliche Verkettungen eingehen, aus denen an bestimmten Stellen regelhafte Fixierungen und Beschränkungen der Verbindungsfreiheit entstehen, die dann als äußere Merkmale der Klasse gelten können. Ähnlich stellt man sich ja auch die Bildung der Wortkategorien in früher Zeit vor. 32 Danach wäre die lexikalische Klasse das Bedingende, der syntaktische Rahmen das Bedingte. Nun ist aber der Klassenbildung selbst schon das Ausgreifen und die Erweiterung inhärent, wie wir oben gesehen haben. Das heißt, die einmal gebildeten Klassen ziehen auch Einheiten an sich, für welche die betreffende Klassifizierung eigentlich gar nicht in Frage kommt. So hat das Genus von einer kleinen biologischen Zelle aus den ganzen Nominalwortschatz überzogen. In solchen Fällen scheint der syntaktische Rahmen das Bedingende und die abgegrenzte lexikalische Klasse das Bedingte zu sein, ja, man könnte meinen, die Klassifizierung und die Analyse fielen zusammen. Dies trifft allerdings solange nicht zu, wie die Klassen nicht paradigmatisch funktionell werden. Es kommt aber vor, daß die Bildung einer Klasse und ihre analytische Grammatikalisierung im wesentlichen synchron verlaufen. Auch in diesem Falle kann man jedoch meist noch einen lexikalischen Kern feststellen, dessen semantische Natur und grammatische Präferenz vorbildhaft wurde. 32
Vgl. dazu Paul 1920, passim; ferner André Martinet, La linguistique synch.ronique, Paris (1965), 3 i970, S. 207.
7«
3.3
Drei Beispiele
Die Sektionen der Grammatik, in denen wir die analytische Grammatikalisierung antreffen, stellen einer übersichtlichen Beschreibung immer besondere Schwierigkeit entgegen. Das liegt daran, daß die Sprachen einerseits einen festen Kern der Klassifizierung bewahren, ihn vielleicht sogar ausbauen, oder aber umstrukturieren, während in anderen Zonen die Klassenzugehörigkeit variabel bleibt oder sich lockert. Hierdurch entstehen freie klassematische Bedeutungsweisen, welche sich stilistisch entfalten lassen, zugleich aber einen Rand schwer bestimmbarer Grammatikalität schaffen. Gleichzeitig kristallisieren sich meist an anderen Stellen lexikalische Fixierungen der klassenbedingten Bedeutungen aus. Die Beschreibung hat es in diesen Bereichen mit wenigen Fakten des Systems, mit vielen einer, überdies flexiblen, Norm und mit einer Fülle von individuellen Anwendungen zu tun, wodurch sie der Kontroverse kaum entgehen kann. Wichtiger als die Abbildung alles Üblichen ist daher die Erfassung der energetischen Bewegungsachse. Wenn wir also im folgenden drei gut bekannte lexikalische Bereiche zwischen Klassen und Analyse kursorisch betrachten wollen, so soll dies vor allem dazu dienen, das Wirken der analytischen Grammatikalisierung vorstellbar zu machen. 3.3.1 Zum Nominalaspekt im Deutschen Obwohl wir oben bei der Behandlung der klassematischen Überschneidung schon verschiedene deutsche Beispiele zur nominalen Aspektparadigmatik gebracht haben, werfen wir noch einen Blick auf die diesbezüglichen Verhältnisse im Deutschen. Zu den erwähnten Fällen der habituellen Zweiklassigkeit wie Talent (Begabung) - ein Talent (eine begabte Person), Photographie (Aktivität) - eine Photographie (ein Lichtbild), Buche (Holz) eine Buche (ein Baum) mit Tendenz zur Lexikalisierung wollen wir hier nichts weiter ausführen. Stattdessen beschränken wir uns auf drei ausgewählte Teilbereiche, in denen die analytische Grammatikalisierung lebendig ist. Und auch da soll nicht die oft beschriebene «Vergegenständlichung», insofern damit die Konturierung gemeint sein kann, betrachtet werden, sondern vor allem ihr Gegenteil, die «Entgegenständlichung» oder die Einebnung der Kontur. 33
33
Z u der ersten Erscheinung bemerkt Brinkmann (1962) 1 9 7 1 , S. 38: «Sprachliche Gegenstände werden, wenn sie einmal substantivisch ausgeprägt sind, für die Sprache leicht wirklich zu Gegenständen»; für die Auffälligkeit der zweiten im aktuellen deutschen Sprachgebrauch hat Krifka 1991, S. 400, einige Beispiele angeführt, ebenso Marie-Hélène Pérennec für beide Richtungen aspektueller Konversion im Deutschen (in: David, Kleiber (Hgg.), 1988, S. 4 7 - 6 2 , bes.
S. 48-53)-
79
Bei den K o n k r e t a ist im Deutschen die Unterscheidung zwischen konturierten und diffusen Semantemen im allgemeinen gut bewahrt. Daher wurden ja im Portugiesischen die aspektuellen Transnumerale als abweichend empfunden. Trotzdem zeigen sich auch hier Ansätze zur Lösung der festen Klassenbildung. Dies gilt natürlich an erster Stelle für die sachlich gegebene Verstofflichung des Gegenstandes, die wir schon erwähnt haben. Wenn das konturierte Objekt nur als Materialspur erscheint, folgt die Sprache dieser Verflüchtigung. Von Flecken, Geschmack, Geruch und Staub kann nicht anders als mit dem Namen der unkonturierten Substanz gesprochen werden: Das ist Ei, das schmeckt nach Frucht, hier riecht es nach Mensch, das ist Reifen. A b e r auch wenn die Kunst den Umriß verläßt, kann der sprachliche Ausdruck zum unkonturierten Aspekt greifen: «Frau gestalten» hat man im Jahre 1993 einen Nachruf auf Wilhelm Loth überschrieben, da der Bildhauer bei seinen Werken flächige Körpersegmente verwandte. Noch in gewisser Weise sachgebunden sind die Umprägungen, wenn bei ausgedehnten Objekten die Meßverfahren von Substanzen eingesetzt werden: - Der Sturm hat 500 m2 Dach abgedeckt. - 20 km Damm konnten fertiggestellt werden.
A b e r auch ohne Maßzusatz kann die sachorientierte Konversion kenntlich sein: - Durch die untermeerischen Vulkane entsteht ständig neue Erdkruste. - Der ganze Stadtteil war aus Platte gebaut.
Durch die vorlaufende Quantifizierung umgeprägt, jedoch individueller Art sind: - Sie konnte vor lauter Hut nichts sehen. - die Hände voller Zeitung (Martin Walser). 34
Wie die letzten beiden Beispiele, so entsprechen die meisten der Umprägungen konkreter Bedeutungen in den unkonturierten Aspekt im modernen Deutsch der Stufe der grammatischen Metaphorik. Allerdings haben sich innerhalb dieser Metaphorik schon Muster der wiederholten Rede ausbilden können. Auffällig ist in der Zeitungs- und Werbesprache der letzten Jahre die Aspektkonversion mit viel und verwandten Quantifizierungen: -
34
Die Amerikaner konnten für wenig Geld viel Schiff bieten. Sie bekommen jetzt mehr Auto für Ihr Geld. Das neue Modell zeigt viel Heckflügel. Diese Technik ermöglicht viel Produkt und wenig Abfall.
Vgl. Kap. 2, Anm. 53.
80
- Soviel Stadthalle für ein so bescheidenes Budget! - Der Film kommt mit wenig Drehbuch aus. - Ein bißchen Lücke bleibt immer.
Dabei werden Größe oder Anzahl der Gegenstände durch die Menge der Substanz ersetzt. Eine gewisse Üblichkeit hat der unkonturierte Aspekt schon bei Körperteilen: - Er ist in die Jahre gekommen und trägt reichlich Bauch und wenig Haar. - Die Kälte schreckt sie nicht ab, viel Bein zu zeigen.
Etwas literarischer: - Die Hände sind kräftig, das Gesicht eine stark sich einprägende Landschaft, viel Augen, viel Nase, viel Mund, viel Stirne. (G. Nenning, Die Zeit 37/93, S. 69)
Bei abstrakten Bedeutungen kann das Verfahren zu substantieller Konversion führen: - Mehr Staat - mehr Chemie - mehr Markt
—* 'mehr behördliche Organisation' —* 'mehr chemische Produkte' —* 'mehr freie Handelstätigkeit'.
Ähnliches zeigt sich bei der Umprägung von idiomatischen Bedeutungen. Rückgrat, Profil zeigen wurden schon im unkonturierten Aspekt fixiert. Metaphorisch frischer ist Fassade im Sinne von 'bewahrter Haltung': - Kein anderer Denker hat die Wichtigkeit von Fassade als eigentlicher Existenz so betont wie Thomas Mann. (H. Karasek, Spiegel 46/91, S. 317) - Zuviel Maulkorb meint 'zuviel Meinungslenkung' - zuviel kalte Schulter 'zuviel Ablehnung' - zuviel Stammtisch 'zu viele Vorurteile'.
Selbst Eigennamen können in die unkonturierte Substanz umgedeutet werden; manchmal ganz konkret: - Der Steinbrocken Frauenkirche, den ich verwahre (H. Pleschinski, Die Zeit 44/ 90, S. 59),
meistens aber metonymisch, wie der Autor für das Werk, die Person für das Verhalten. In dieser Art ist: - Ein bißchen Köln ist überall.
'Etwas von den Kölner Mißständen kann man überall antreffen.'
Und wenn der Maler Walter Leistikow 1904 an Gerhart Hauptmann schreibt: «Die Welt will Grunewald von mir», so bezieht er sich natürlich auf seine Landschaftsstücke. Die V e r b a l a b s t r a k t a oder Nomina actionis sind Substantive, die sich auf Handlungen oder Vorgänge beziehen. Der Nominalaspekt ist hier besonders dazu geeignet, das unbegrenzte oder hypothetische vom abgeschlossenen und realisierten Geschehen zu unterscheiden. 81
-
Sie braucht viel Schlaf. Wir hoffen auf Verständigung. Heilung ist möglich. Wir erwarten rege Beteiligung. Warten ist immer lästig.
-
Der Schlaf war nur kurz. Eine Verständigung ist schwierig. Die Heilung dauert lange. Wir erwarten eine rege Beteiligung. Das Warten hat sich gelohnt.
Die allgemeine Entwicklung der Nomina actionis ist auf die Konturierung gerichtet. Das hängt sicher damit zusammen, daß es sich überwiegend um das handelt, was Brinkmann (1971, S. 3 1 ) «Prädikatsbegriffe» nennt. Während die reinen Vorgangsbegriffe das Geschehen für sich betrachten, betten es die Prädikatsbegriffe in seine Bezüge ein: Bei Vorgangsbegriffen ist das Geschehen aus dem Satzzusammenhang gelöst und objektiviert. Prädikatsbegriffe gehen aus dem Satzzusammenhang hervor; sie übernehmen nicht nur den Inhaltswert des Verbums, sondern zum Teil auch seinen Satzwert. (Brinkmann 1971, S. 3 1 )
Zwar impliziert die Bestimmung der Satzrelation nicht die Konturierung, sie ist ihr aber affin. Überdies neigen sowohl die «Vorgangsbegriffe» wie die «Prädikatsbegriffe» über die resultative Zwischenbedeutung zur Konkretisierung (Brinkmann 1971, S. 32-34). So hat man die Ausdrücke: - Der Bau, die Regierung, die Erschöpfung
u. v. a. m.
zugleich mit der Bedeutung des verbalen Vorgangs und der seines Resultats. Aus der Festigung im Konkreten kann nun der unkonturierte Aspekt zurückverweisen in das Vorganghafte. Der Ausdruck kann ein sprachliches Faktum bezeichnen, 0 Ausdruck aber geht zurück auf das Verbale. Die Forschung kann im Geflecht ihrer Institutionen gesehen werden, 0 Forschung wird als Tätigkeit betrachtet. Die Regierung ist oft ganz auf die Personen, die sie bilden, bezogen, - 0 Regierung verlangt andere Talente als
Opposition
zielt auf das Verhalten. Selbst die triviale Antwort geheimnisvollen Wirkens versetzt werden:
kann in die Sphäre
- Die unergründliche Schrift bedarf der tagtäglichen Glossierung. Diese aber schützt das Wort, umwebt die Wahrheit mit Antwort. (Botho Strauß, Die Zeit 26/ 90, S. 57)
Und wenn wir bemerken, daß - 0 Schöpfung immer noch
geschieht
meinen wir ein Werden. In ähnlicher Weise können Nomina, die längst pluralisierbar geworden sind, wieder an die Vorstellung des Geschehens herangeführt werden: Debatte, Dialog, Drama, Kampf, Konflikt, Revolution, Zweifel: - Das Fehlen öffentlicher Debatte. - Mehr Dialog soll die Forschung befruchten.
82
-
Die Zuschauer wollen Drama sehen. Da war viel Wahlkampf im Spiel. Die Welt ist voller Konflikt. Das ist für deutsche Verhältnisse viel Ich glaube nicht, daß Zweifel möglich
Revolution. ist.
Manchmal nähert sich die unkonturierte Bedeutung Aktivität und Vorgang, ohne daß ein eigentliches Verbalabstraktum zugrunde liegt: - Es hat viel Echo darauf gegeben. - Der Vertrag wird viel Geschäft bringen. - Dort können Sie sehen, wie eine kleine Bühne Programm
macht.
Charakteristisch für den Nominalaspekt der deutschen Gegenwartssprache ist auch das, was man die Flucht vor dem Absoluten nennen könnte. Es handelt sich um die Vermeidung des bestimmten Artikels bei generisch verwendeten A b s t r a k t a . 3 5 Die Namen abstrakter Vorstellungen verhalten sich im allgemeinen wie die unkonturierter Substanzen, so daß sie bei der Unterscheidung zwischen Zählbarem und Unzählbarem seit Jespersen nicht mehr getrennt erwähnt werden. So haben wir auch im Deutschen beim generischen Gebrauch die aspektuelle Unterscheidung zwischen 0 Gold und das Gold, die wir oben (2.4.1.) angesprochen haben, analog bei den Abstrakta zwischen 0 Mut und der Mut, wobei wie im Falle der Konkreta der artikellosen Form der Vorzug gegeben wird, wenn die Rede keinen Gattungskontrast enthält. Etwas anders verhalten sich normalerweise die Namen der Wissenschaften. Während man ohne weiteres Philosophie, Mathematik oder Biologie studieren oder sich mit Geographie oder Kunstgeschichte beschäftigen kann, werden die entsprechenden Disziplinen in ihrer globalen Bedeutung in der Regel mit dem bestimmten Artikel eingeführt. So sagt man: - Die Philosophie
hat sich seit ihren Anfängen
mit dem Sein
befaßt.
und so auch die Mathematik, die Sprachwissenschaft, die Logik, wenn es sich um diese Wissenschaften als Ganzes, um ihren Gegenstandsbereich, ihre Geschichte oder ähnliches handelt. Gerade in diesen Verwendungen erscheint aber immer häufiger der unkonturierte Aspekt: -
0 Transzendentalphilosophie einführend darzustellen hat seine besonderen Schwierigkeiten. - So stellt 0 Philosophie durchaus den Anspruch, rationale Vermittlung auch dort zu leisten, wo im Sinne exakter Sprachkritik die Begriffe fehlen. - 0 Naturwissenschaft wird beschränkt, wenn sie sich nicht als Unterpfand menschlicher Emanzipation begreift. 35
Den Streit um die Abgrenzung dieses Begriffs wollen wir hier zurückstellen und uns auf ein traditionelles Verständnis des Abstrakten als des nicht konkret Erscheinenden beschränken.
83
Hier entsteht der Eindruck von Unverbindlichkeit, als handelte es sich nur um Teilbereiche der entsprechenden Wissenschaften oder um eine Tätigkeit auf ihrem Gebiet, nicht um die Disziplin selbst. Eine Einführung in ein artikelloses Fach stellt sich gleichsam selbst unter Vorbehalt. 36 Auch bei Religionen, Weltanschauungen, Leitideen findet man immer häufiger die artikellose Verwendung: 0 Christentum, 0 Islam, 0 Mystik, 0 Aufklärung, wodurch das Praktizierte, Erscheinungshafte vor dem faßbaren Gedankengefüge in den Vordergrund tritt. Sprache, Geschichte, Literatur und ähnliche Begriffe können durch den Aspekt sinnvoll differenziert werden, je nachdem, ob sie mehr im Sichereignen oder in ihrem Wesen, ob sie mehr partiell oder global gemeint sind: - Nichts Geringeres erstrebt Henscheid, als das vorbegriffliche Leben, das von 0 Sprache meist zerstört wird, in der Sprache hörbar zu machen (G. Seibt, FAZ 42/89 'Literatur'). - Der Film will 0 Geschichte erlebbar machen.
Subtil, aber spürbar ist der Unterschied bei: - 0 Literatur hat kaum Einfluß auf 0 Politik. - Die Literatur hat kaum Einfluß auf die Politik.
Dagegen sollte man im nächsten Satz dem Artikel den Vorzug geben: - Diese Stücke gehören zum Glänzendsten,
das 0 Literatur heute zu bieten hat.
Nur wenn man sich auf einen festen Rahmen, eben die heutige Literatur bezieht, kann man die besten Stücke auswählen. Ebenso erscheint im folgenden Beispiel die Artikellosigkeit als Manier: -
Überall in Europa wurde 0 Sprache im neunzehnten Jahrhundert nach diesem Vorbild zum wichtigsten Symbol des Nationalismus. (F. Coulmas, FAZ 51/90,
S-33) Denn es geht gerade um die (jeweilige) Nationalsprache in ihrem historischen Kontext, nicht um irgendwelche sprachlichen Manifestationen. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, Welt, ja auch Identität, Individualität und ähnliche Begriffe sind natürliche Bezugspunkte der Existenz und ohne weitere delimitierende Bestimmung für die Verwendung mit dem bestimmten Artikel prädestiniert: In der Vergangenheit leben, die Zukunft bejahen, die Welt kennen usw. Sie erscheinen aber in der modernen Spra36
Schön gesehen hat dies Hans Eggers, als er einleitend schreibt: «Indem wir für dieses Buch den bescheidenen Titel 'Deutsche Sprache im 20. Jahrhundert' wählen, erlangen wir die Freiheit, uns innerhalb des zwanzigsten Jahrhunderts umzusehen und auszuwählen.» Hans Eggers, Deutsche Sprache im 20. Jahrhundert, München 2 1978, S. 8.
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che oft im unkonturierten Aspekt. Mit der Verwendung als unbestimmt quantifiziertes Kontinuum ist allerdings eine Umprägung verbunden: -
Die Autorin beschränkt sich auf eine Inszenierung von Vergangenheit (von vergangenen Ereignissen). Der Film zeigt Alltag (alltägliches Geschehen). Diese Technologie erschließt Zukunft (zukünftige Erfolge). Sie brachte Welt in die gute Stube (Eindrücke von Welterfahrung). eine andere Sicht von Welt (von kosmischen Zusammenhängen). Der Schriftsteller hat eigene Biographie ausgebeutet (Teile seiner Lebensgeschichte). Deutsche Identität bildet sich heute höchst uneinheitlich aus (Verständnis von sich selbst als Nation).
Und was Manfred Frank dazu bewogen hat, ein Buch Die Unhintergehbarkeit von Individualität zu nennen (statt: Die Unhintergehbarkeit der Individualität), wird entweder der Bezug auf den inaktuell gesehenen Begriff oder auf die sachliche Ausfächerung seines Inhaltes sein. Besonders auffällig ist in der deutschen Gegenwartssprache die Vermeidung des Artikels bei generisch gebrauchten Namen von Institutionen und Organisationsformen: Ehe, Familie, Verwandtschaft, Gesellschaft, Heimat, Schule, Kirche, Polizei, Staat, Rechtsstaat, Demokratie, Ordnung, Herrschaft, Theater, Film, Fernsehen, Presse, Museum u. v. a. m. Sehen wir dazu einige Beispiele aus den Medien: (1) (2) (3) (4) (5) (6)
Ehe ist für sie Zumutung. Familie ist wieder gefragt. Das Selbst kann nicht aus Gesellschaft überhaupt heraustreten In diesen Gedichten wird uns Heimat lebendig gemacht. Darauf muß Schule aufbauen können. ... welche Zerrbilder von Kirche sie hindern, den Kontakt zu ihrer Gemeinde wieder aufzunehmen. (7) ... wenn sie Rechtsstaat erleben und umsetzen wollen. (8) die ständige Auflehnung gegen Ordnung. (9) die naturrechtliche Begründung von Herrschaft. (10) Das sind kompositorische Grundmuster von Film überhaupt. (11) Museum kann regelrecht süchtig machen.
So sehr diesen unkonturierten Generika auch allen eine gewisse Lockerheit der Referenz eigen ist, so lassen sie sich doch - zumindest nach dem jeweiligen Schwerpunkt - unterschiedlich deuten und damit ihre mögliche Motivation. An erster Stelle kann die Bedeutung der Substanz zum zeitlichen Kontinuum hin umgeprägt sein. So könnte man etwa bei den Sätzen (1), (2), (7), (8) und ( 1 1 ) Ehe, Familie, Rechtsstaat, Ordnung und Museum überwiegend als etwas wahrnehmen, das man erlebt und erfährt. Besonders deutlich ist eine solche Umprägung im folgenden Beispiel: 85
- So fromm, so schön, so fröhlich, aber auch so nachdenklich stimmend kann 0 Kirchentag sein. (RP 133/89, S. 9)
Der Vergleich mit ein Kirchentag zeigt, wie das Ereignis in sein Geschehen aufgelöst ist. Zweitens aber kann für die Artikellosigkeit auch die Absicht maßgeblich sein, den aktuellen Bezug abzuweisen. Der Staat, die Regierung, die Heimat, die Kirche und ähnliche Bezeichnungen sättigen sich im historischen Kontext leicht mit bestimmter Referenz. Wenn aber nicht von der Regierung, dem Staat usw. der Mitteilungsteilnehmer die Rede sein soll, wird in den artikellosen Ausdruck ausgewichen. So könnten die Beispiele (4), (6), (9) zu erklären sein. Je nach Art des umgebenden Satzes entsteht manchmal eine Nähe des Unkonturierten zum Inaktuellen, Metasprachlichen, das in der Rede keineswegs immer so einfach abzulösen und zu identifizieren ist, wie es zunächst den Anschein haben könnte. Schließlich wird bei vielen unkonturierten Verwendungen die Neigung ausschlaggebend sein, sich nicht auf das Absolute, das Allgemeingültige festlegen zu lassen, so als solle Friedrich Kainz' Warnung vor der «Sprachverführung des Denkens» durch den Artikel beherzigt werden.37 Oder aber man möchte durch die Redeweise 0 Familie, 0 Ehe, 0 Schule vorgreifend auf jenen ebenso trivialen wie unvermeidlichen Beitrag zu jeder Diskussionsrunde («Die moderne Familie gibt es nicht!») reagieren, der zur Berücksichtigung des Individuellen mahnt. Wer etwas nur von 0 Schule und nicht von der Schule behauptet hat, kann durch ein Gegenbeispiel nicht widerlegt werden. Diese Motivation wäre bei den Beispielen (3), (5) und (10) denkbar, die eigentlich auf das Globale der Bedeutung zielen. Auch bei den folgenden Sätzen wird man in der artikellosen Verwendung nur schwer eine sinnvolle Unterscheidung des Nominalaspekts sehen: - 0 Schule ist auf dem Weg, Parkinson ein Denkmal zu setzen. - Wir sehen hierin ein Zeichen der Hoffnung, daß 0 Kirche wieder beginnt, sich auf das Evangelium zu berufen. - Es darf gerade nicht dahin kommen, daß man die Regierung für moralisch gut, die Opposition für schlecht oder gar böse erklärt. Das wäre die Todeserklärung für 0 Demokratie. (Niklas Luhmann, FAZ 302/88, S. N3)
Gelegentlich werden sogar generische Konkreta so gebraucht: - Wenn 0 Auto noch eine Zukunft haben soll, ...
37
Friedrich Kainz, Über die Sprachverführung des Denkens, Berlin 1972 (= Erfahrung und Denken, Bd. 38), S. 231: «Der Artikel schließt gewisse Gefahren im Sinne einer Sprachverführung des Denkens in sich, als er den Substantialitätscharakter von substantivierten Eigenschaften, Tätigkeiten und Vorgängen verstärkt und das Denken veranlaßt, das damit Symbolisierte für ontische Realitäten zu halten.»
86
Wo aber zwei Glieder eines syntagmatischen Paradigmas ihre semantische Differenz so weit reduzieren, nähern sie sich dem Status freier Varianten, von denen sich in der weiteren Entwicklung in der Regel eine durchzusetzen pflegt. Nicht auszuschließen ist, daß für die Zunahme der Artikellosigkeit bei abstrakten Generika der Einfluß des Englischen mitbestimmend ist. Es mag aber auch sein, daß wir es in diesem Bereich mit einem spontanen Rückzug des Artikelgebrauches zu tun haben, ähnlich wie er im Englischen über einen längeren Zeitraum hinweg stattgefunden hat. Wir sehen also, daß wir im Deutschen bei den Konkreta außerhalb einer lexikalisch umschriebenen Sektion die freie Anwendung des Nominalaspekts hauptsächlich da finden, wo sachliche oder kontextuelle Faktoren umprägend wirken, und daß die meisten Vorkommen dieser Art noch als grammatisch-metaphorisch kenntlich sind. Der eigentliche Wirkungsraum der analytischen Grammatikalisierung ist aber da, wo die Unterscheidung zwischen dem Gestalthaften und dem Stofflichen eigentlich gar nicht in Frage kommt, nämlich bei den Bezeichnungen von Vorgängen, Eigenschaften, abstrakten Gegenständen. Dies ist auch nicht verwunderlich. Denn durch die Entfernung aus dem konkreten Bezug erfordert die alternative Anwendung des nominalen Aspekts kaum eine semantische Umprägung, sondern kann zur Herausarbeitung von naheliegenden Redebedeutungen dienen: bei den Nomina actionis, ob mehr das Geschehen oder die Abgeschlossenheit der Handlung im Vordergrund steht, bei den Abstrakta, ob sie eher partiell oder global, eher phänomenhaft oder im Wesenskontrast zu ihren Nachbarbegriffen gemeint sind, und bei den Institutionalia, ob sie mehr in ihrem Wirken erlebt oder statisch gesehen werden. Bei zunehmender Subtilität der Unterscheidung kann die analytische Grammatikalisierung zur Ausbildung freier Varianten führen. 3.3.2 Z u m präpositionalen Akkusativ im Spanischen Auch beim präpositionalen Akkusativ im Spanischen haben wir es mit der analytischen Grammatikalisierung zu tun. Die Verhältnissen liegen hier allerdings etwas anders als im Falle des nominalen Aspekts. Denn während dort die Merkmale zweier Klassen, das Gestalthafte und das Unkonturierte in gewissen Sektionen alternativ anwendbar wurde, finden wir hier die Auffächerung nur einer eng umschriebenen Kategorie, nämlich der des identifizierten Persönlichen. Und bei einem ihrer Merkmale, dem Individuellen, handelt es sich, streng genommen, nicht einmal um etwas Klassematisches, sondern um eine Rededetermination. Drittens schließlich geht es bei dem präpositionalen Akkusativ im Spanischen auch um eine Relation zwischen Subjekt und Objekt, die neben dem rein Klassifikatorischen berücksichtigt werden muß. Doch betrachten wir die Tatsachen etwas näher. Die Funktion der Präposition a beim direkten Objekt kann als Ausdruck eines Antagonismus zwischen Objekt und Subjekt angesehen 87
w e r d e n . 3 8 E s wird so gleichsam ein z w e i t e r S a t z s c h w e r p u n k t gesetzt. D e r Vorbildfall f ü r ein solches s c h w e r p u n k t h a f t e s O b j e k t d e r transitiv-verbalen A f f i z i e r u n g ist die individuelle P e r s o n mit i h r e m E i g e n n a m e n : -
César venció a Pompeyo. ( R A 192, E 372) Hemos visto a la María. Han despedido a Gómez.
D i e individuelle R e f e r e n z k a n n a b e r a u ß e r durch E i g e n n a m e n
auch
durch die sprachliche B e s c h r e i b u n g o d e r die U m s t ä n d e g e g e b e n sein, mit a n d e r e n W o r t e n , es k a n n sich u m das handeln, das m a n in L o g i k und sprachanalytischer Philosophie « K e n n z e i c h n u n g » genannt hat. 3 9 - Ahí viene aquel joven amigo tuyo, que mantiene a su madre y a sus hermanas. - He saludado al profesor de mi hijo. - Antonia sólo podía recordar a la mujer que había conocido (vereinfacht für: a quien había conocido). (CR 324) In diesen F ä l l e n sind d a h e r die b e i d e n M e r k m a l e des Persönlichen und des Individuellen n o c h e b e n s o fest v e r b u n d e n wie b e i d e n E i g e n n a m e n . S o z u s a g e n virtuell, mit Individualität auffüllbar, ist die R e f e r e n z bei d e n Indefinitpronomina. - Los inquilinos del desván somos unos hidalgos que no envidiamos a nadie. (CR 325; s. a. V M 423) - Yo, cuando me encuentro a alguien que calla mucho, me digo: «Luisa, aquí hay gato encerrado.» (CR 325) D i e Q u a n t i f i z i e r u n g durch die Z a h l o d e r durch u n b e s t i m m t e Q u a n t i f i k a toren wird bei P e r s o n e n meist als S e l e k t i o n g e s e h e n , so d a ß wir auch hier die Präposition finden. 38
39
Jean Coste, Augustin Redondo, Syntaxe de l'espagnol moderne, Paris 1965, 4 1984, S. 320: «La préposition «A» apparaît ainsi comme le signe de la Dualité, et même, de P Antagonisme de l'objet et du sujet.» Bei den Fakten beziehen wir uns im folgenden auf die Kasuistik bei Coste, Redondo, die knapperen Angaben in der spanischen Akademie-Grammatik (Real Academia Española, Gramática de la lengua española, Nueva edición, reformada, de 1931, Neuauflage, Madrid 1959), bei Gili y Gaya (Samuel Gili y Gaya, Curso superior de sintaxis española, Barcelona 91964) sowie auf die Arbeit von Horst Isenberg, Das direkte Objekt im Spanischen, Berlin 1968 (= Studia Grammatica 1X)\ ferner auf: Real Academia Española, Esbozo de una nueva gramática de la lengua española, Madrid 1973 u.ö; Jacques de Bruyne, Spanische Grammatik. Übersetzt von Dirko-J. Gütschow, Tübingen 1993; Emilio Alarcos Llorach, Gramática de la lengua española, Madrid 1994; José Vera-Morales, Spanische Grammatik, München - Wien 1995. Soweit die Beispiele diesen Referenzen entstammen, sind sie gekennzeichnet: Coste, Redondo: CR; Akademie-Grammatik: R A ; Gili y Gaya: G G ; Horst Isenberg: I; Esbozo: E; de Bruyne: B; Alarcos Llorach: A L ; Vera-Morales: VM. Zur modernen Debatte um die singulären Termini vgl. Ursula Wolf (Hg.), Eigennamen. Dokumentation einer Kontroverse, Frankfurt/M 1985, besonders die übersichtliche Einleitung, S. 9 - 4 1 .
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-
Había bajado Lucas, el capataz del amo, a contratar a dos o tres hombres, a los más fuertes. ( C R 321) - Al pasar frente al quiosco del Araño vio a un grupo de individuos que apuraban copas. ( C R 325)
D e m bestimmten Artikel scheint die Präposition bei den generischen Pluralen zu folgen. -
Tigre Juan, aquejado de ciega nostalgia de paternidad, adoraba a los niños. (CR 321; s. a. V M 422) - Jaime conocía bien a las mujeres.
Und auf diesen Gebrauch und die genannten Indefinita verweist a bei todos, todo el mundo
u. ä.
Die letzten Fälle haben sich von der Bezeichnung der individuellen Person schon ziemlich weit entfernt und können höchstens als Rahmen für eine singulare Referenz betrachtet werden. Trotzdem liegt hier noch keine analytische Grammatikalisierung vor, sondern nur eine Erweiterung dessen, was als bestimmt angesehen werden kann. Anders verhält es sich, wenn das persönliche Nomen mit dem unbestimmten Artikel erscheint. Normalerweise fehlt hier die Präposition. -
Vimos un niño en el jardín. ( G G 69)
Sie kann aber erscheinen, wenn das Substantiv doch in irgendeiner Weise bestimmt gedacht wird. A m bekanntesten ist die oft zitierte Abweichung zwischen dem Kenntnisstand des Sprechers und dem des Hörers. Mit dem unbestimmten Artikel kann der Sprecher nämlich etwas bezeichnen, wovon er keine individuelle Kenntnis hat; er kann sich damit in bestimmten Kontexten aber auch auf etwas beziehen, das er selbst sehr wohl individuell kennt, von dem er aber annimmt, daß es dem Hörer unbekannt ist. Diese auffällige Mehrdeutigkeit, die in der Sprachwissenschaft, aber mehr noch in der Logik, im Zusammenhang mit den sogenannten intensionalen Verben unter dem Lemma 'attributive vs. referentielle Lesart' 40 Anlaß zu einiger Diskussion gegeben hat, kann im Spanischen durch die Akkusativpräposition manchmal aufgelöst werden: - Busco un médico. - Busco a un médico.
Beim zweiten Satz hat der Sprecher eine Vorstellung von der Identität des Arztes, setzt aber eine entsprechende Kenntnis bei dem Hörer nicht voraus. Ebenso bei einem Subjekt in der dritten Person: 40
Keith S. Donnellan, Reference and definite descriptions, PhR 75 (1966), S. 2 8 1 304. Da die Unterscheidung bei Donellan definite Beschreibungen betrifft, bezeichnet sie, genau genommen, nur annähernd Analoges. Der anschließende Disput hat aber in den weiteren Rahmen des Verhältnisses von 'speaker's reference' vs. 'semantic reference' geführt.
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-
El jefe buscó un empleado. El jefe buscó a un empleado.
Wenn wir nun die Präposition beim direkten Objekt distinktiv verwenden können, haben wir bereits eine analytische Grammatikalisierung vor uns, vorausgesetzt allerdings, wir betrachten in diesem Zusammenhang und für diesen Zweck das Merkmal der Bestimmtheit als ein klassematisches. Ähnliches gilt für die unbestimmten Substantive, die knapp oder etwas komplexer im Satz beschrieben sind: - Jacinto acompañó hasta la puerta a un hombre de mediana edad. ( C R 324) - Vio a una vieja que marchaba a la jineta en las ancas de un burro. ( C R 324) - Veía Daniel a una mujer, en la orilla, las faldas remangadas por mitad de los muslos, enjabonando a un niño desnudo. ( C R 324)
Hier pflegt man die Präposition auf die Delimitation zurückzuführen: Mais, la préposition «A» apparaît fréquemment s'il y a une détermination complémentaire (un ou plusieurs adjectifs qualificatifs, un complément de nom, un complément circonstanciel, une subordonnée relative...). (Coste, Redondo (1965), 1984, S. 324)
In Wirklichkeit aber ergänzen sich beide Verfahren. Man findet sie nämlich meistens da, wo Personen in den Ablauf des Berichts, der Erzählung einbezogen oder eingeführt werden sollen, so daß die Präposition nicht als Bestimmtheit aufnehmend, sondern als Bestimmtheit setzend erscheint. Auch dies ist wiederum ein Hinweis auf die analytische Grammatikalisierung. Nur einer geringen Konversion bedarf es, wenn das bestimmte Lebewesen ein größeres Tier ist. Die Nennung des Namens oder die Textbekanntheit erfüllen die Voraussetzung für die Akkusativpräposition. Bisher hatten wir es immer mit persönlichen Objekten zu tun, die entweder im Text bestimmt waren, oder doch diese Bestimmtheit zugeschrieben bekamen. Die Klasse «human» oder «belebt» allein genügt für die Präposition im Akkusativ nicht: - Pedro no vio mujer alguna. (I 108)
Insbesondere der unbestimmte (artikellose) Plural erscheint regelmäßig ohne a: -
En esta ciudad ... sólo veo enemigos. ( C R 325)
Dagegen wird auch hier die Präposition gesetzt, wenn es zu einem Rangkontrast zwischen Subjekt und Objekt kommt. Isenberg (1968, S. 170) bringt dazu folgende Beispiele: (a) Este hombre es muy peligroso. Ha matado mujeres. (b) Esto león es muy peligroso. Ha matado a mujeres.
Während im ersten Satz bei unbestimmtem Plural der Regel entsprechend kein a steht, erscheint die Präposition im zweiten zur Kennzeich90
nung des ranghöheren menschlichen Objekts. Den gleichen Rangkontrast finden wir bei unbelebtem Subjekt und belebtem, menschlichem oder nicht-menschlichem Objekt: -
La'solución
de este problema
convenció
a expertos
de todas partes del
mundo.
(I 173) -
Los truenos inquietaron a muchos niños. (I 172) Esta tormenta mató a muchos animales. (I 171) El forraje atraía a corzos y ciervos. (I 173)
In den letzten beiden Sätzen genügt das Merkmal der Belebtheit, um die Präposition erforderlich zu machen, während das Merkmal der Bestimmtheit entfallen ist, so daß der Eindruck entsteht, die Hervorhebung des Menschlichen oder auch des nur Belebten gegenüber dem unbelebten Subjekt könne dieses Merkmal bedingt vertreten. Auch diese Erscheinung kann als Zug der analytischen Grammatikalisierung gedeutet werden. Obgleich das Kennzeichen der Person in den letzten allerdings etwas marginalen Beispielen nur noch als die Eigenschaft «belebt» anzutreffen war, so haben wir doch bis jetzt hauptsächlich von der Abschwächung und Relativierung der Anforderung «Bestimmtheit» an das präpositionale Objekt gesprochen. Es gibt im Spanischen aber auch Fälle, in denen der präpositionale Akkusativ bei unbelebten Objekten erscheint. An erster Stelle nennen die älteren Grammatiken hier stets die sogenannten Personifizierungen: - temer a la Muerte - amar a la Virtud ( G G 70; R A 192/193)
Dies bedarf keiner weiteren Erklärung. Man sieht aber, daß das Zeichen der Konversion - wenn man von graphischen Konventionen absieht gerade in der Präposition besteht, welche die «personifizierte» Deutung durch Umprägung auslöst. Der umprägende Faktor ist häufig im verbalen Ausdruck enthalten: La préposition «A» apparaît si le nom de chose dépend d'un verbe dont le complément est normalement un nom de personne, ou bien si ce nom de chose est comparé, implicitement ou explicitement, à un nom de personne; dans un cas comme dans l'autre, l'animation inhérente à la personne est communiquée à la chose. (Coste, Redondo (1965), 1984, S. 328)
Damit sind Verben wie begrüßen, segnen, wecken u. ä. gemeint, die, ohne im strengen Sinne solidarisch mit menschlichen Objekten zu sein, doch üblicherweise mit solchen erscheinen. -
Hay español que bendice al telégrafo ... porque le ahorra el tener que cartas ... (CR 328; s. a. B 293) - Abril ha besado al árbol en cada una de sus ramas ... (CR 328) - Saludaban al tren. (CR 328)
escribir
91
Hierzu stellen Coste, Redondo die expliziten Vergleiche: - Miraba a sus amigos y parientes como a los figurines de las sastrerías. ( C R 329; s. a. V M 426) - Ahora amaba a Joaquín como a un recuerdo por el que se siente gran cariño. ( C R 329)
Diese Fälle, welche die Präposition allerdings ziemlich bindend erfordern, gehören jedoch schon eher zum Erscheinungsbild der syntaktischen A t traktion, eines Bereiches, in dem wir auch die meisten der wenigen noch üblichen Gebrauchsweisen des präpositionalen Akkusativs im modernen Portugiesisch antreffen (Delille 1970, S. 152-161). Es ist nämlich charakteristisch für Anreihungen, daß die gleiche Funktion durch die gleiche Form ausgedrückt wird. So hat Isenberg bei der Überprüfung dreigliedriger Textkonstrukte festgestellt, daß jeweils das erste Objekt die Form der beiden folgenden bestimmte, während Reihen mit Wechsel von präpositionaler und präpositionsloser Form von den spanischen Sprechern als abweichend empfunden wurden (Isenberg 1968, S. 6 2 - 7 1 ) . Doch sind die Beispiele Isenbergs nicht alle überzeugend, und man findet auch ohne weiteres Fälle strikterer Regularität: -
Cruzaba por el salón como buscando algo o a alguien. (B 293)
Funktionell und in Hinsicht auf die Entwicklung der analytischen Grammatikalisierung sind diese Übertragungen von geringerem Interesse. Bemerkenswert ist nur, daß dadurch der Einbezug des Unbelebten in die präpositionale Form gefördert wird und andererseits, daß man auch unter diesen Bedingungen gleichwohl die unkonturierten und vorgangsbezeichnenden Substantive nicht mit der Präposition finden kann. Nicht ohne Vorbehalte zu betrachten ist auch die Verwendung, die Isenberg die kontrastive nennt. Wenn aus einer koordinativen Reihung im Folgesatz ein Nomen ausgewählt und anaphorisch in die Objektposition genommen werde, dann erscheine es, obgleich unbelebt, mit der Präposition (Isenberg 1968, S. 1 1 3 - 1 1 9 ) . Bei affektiver Überlagerung einer solchen anaphorischen Selektion ist die beschriebene Verwendung denkbar. Das anaphorisch bestimmte Sachobjekt mit der Präposition findet man aber in der Regel, wenn ein gleichfalls dingliches Subjekt so auf es einwirkt, wie es bei Lebewesen denkbar wäre: -
Una moto adelantó al Mercedes. ( V M 425; vgl. a. I 181-187)
Charles E. Kany hat darauf hingewiesen, daß solche Verwendungen der Präposition in gewissen Zonen Südamerikas weiter gehen und Boden zu gewinnen scheinen (Sintaxis hispanoamericana, Madrid 1969, S. 20-21). Diese beiden letzten Gebrauchsweisen des präpositionalen Akkusativs bezeichnen ein vorerwähntes unbelebtes Objekt. Die Hervorhebung 92
durch die Präposition erscheint dabei gleichsam kompensativ für die Rolle des Subjekts, die im Fortgang des Berichts den anaphorischen Nomina durchaus hätte zufallen können, wenn die sachlichen Relationen dies gestattet hätten. Die begleitende Präposition des direkten Objekts hat sich also in diesen Fällen vom Merkmal der (potentiell handelnden) individuellen Person zum Zeichen des (potentiell subjektfähigen) vorerwähnten Gegenstands reduziert. Rein synchronisch betrachtet denn auch Emilio Alarcos Llorach (u.a. 1994, S. 278-280) die Unterscheidung von Subjekt und Objekt - natürlich vorzugsweise bei Nominalbezeichnungen belebter Wesen - als Hauptfunktion der 'Akkusativpräposition'. Weiterführend hat Karl-Hermann Körner 41 den folgenden typologischen Gedanken entwickelt: Ausgehend von der oben (Kap. 2, Anm. 48; Raible 1972, S. 5 1 ) schon erwähnten Tatsache, daß in den romanischen Sprachen die unkonturierten Nomina, im Französischen vom sogenannten Teilungsartikel begleitet, in der Regel die Rolle des Subjekts abweisen, möchte er zeigen, daß der Teilungsartikel im Französischen und der präpositionale Akkusativ im Spanischen in Hinsicht auf diese syntaktische Disposition komplementär seien. Während der Teilungsartikel die Ungeeignetheit des Substantivs für die Subjektsrolle bezeichne, unterstreiche die Objektspräposition gerade die Eignung für diese Funktion. Obgleich dieser Gedanke durch Fälle wie die soeben angeführten gestützt wird, wie auch durch die Tatsache, daß man bei unkonturierten Substantiva im Spanischen tatsächlich keine präpositionalen Akkusative findet, behandelt er doch die komplexe Kasuistik des Spanischen zu pauschal. Denn die «subjektsgeeigneten» Substantive können keineswegs alle und immer mit der Akkusativpräposition erscheinen. Auch wird nicht ausreichend klar, was der bestimmte Artikel als Merkmal der Subjektseignung bedeutet, und was der präpositionale Akkusativ darüber hinaus. Schließlich vermag die Reduktion der klassematischen Verhältnisse auf ihre syntaktischen Rollenimplikationen nicht zu überzeugen, so sehr auch deren Vernachlässigung mit Recht zu kritisieren war. 42 Die Bemerkungen, die wir hier gemacht haben, beanspruchen nun keineswegs, was man als Gebrauchsnorm des präpositionalen Akkusativs im Spanischen beobachten kann, angemessen beschrieben zu haben, zumal 41
42
Karl-Hermann Körner, «Teilungsartikel» im Französischen und «präpositionaler Akkusativ» im Spanischen: Komplementäre Lösungen des gleichen syntaktischen Problems, in: Manfred Kohrt, Jürgen Lenerz (Hgg.), Sprache: Formen und Strukturen. Akten des 15. Linguistischen Kolloquiums, Münster 1980, Band I, Tübingen 1981, S. 1 5 1 - 1 6 0 ; und wieder in: Karl-Hermann Körner, Korrelative Sprachtypologie, Stuttgart 1987, S. 1 4 - 2 1 . Um der Korrektheit willen sei nicht verschwiegen, daß es Körner im Schlußteil seiner Ausführungen für möglich hält, semantische Begründungen in seine Deutung des präpositionalen Akkusativs einzubeziehen. Auch die Meinung von Alarcos Llorach ist nicht unwidersprochen geblieben.
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da sie nicht primär belegt sind.43 Doch genügt es für unseren Zusammenhang folgendes festzuhalten: Die Analyse der Klasse 'individuelle Person' als Bedingung für den präpositionsbegleiteten Akkusativ folgt einer doppelten Linienführung. Z u m einen kann das Merkmal 'individuell', zum anderen das Merkmal 'Person' zurückgenommen werden. In der ersten Hinsicht finden wir von Eigennamen, über die Kennzeichnung, die vorgestellte, als vorstellbar berichtete, Individualität eine Ausbleichung bis hin zur generischen und gelegentlich sogar zur unbestimmten, aber gegenüber dem Subjekt gattungskontrastierenden Bedeutung. In der zweiten Beziehung führt die Abschwächung vom Persönlichen, über das Humane, Belebte, als handelnd Vorgestellte oder Vorstellbare zum unbelebten, aber thematischen Objekt, dessen aktives Handeln auf seine potentielle Rolle als Satzsubjekt reduziert worden ist. Das jeweils nicht zurückgenommene Merkmal bleibt im Anforderungsprofil besser erhalten; so die Bestimmtheit bei den unbelebten Objektthematika und die Bedingung 'menschlich' oder 'belebt' bei den Objekten mit geringerer Bestimmtheit. Nicht erfaßt vom präpositionalen Akkusativ werden unkonturierte Namen und Vorgangsabstrakta. Es entstehen also durch die analytische Grammatikalisierung Abstufungen der Determination und der Autonomie des Objekts je nach Art des Kontexts und der einbezogenen Substantive. Distinktionen durch die Objektpräposition haben wir bei der Determination hauptsächlich im Bereich der unbestimmten Beschreibungen und bei der Autonomie durch die mehr oder weniger umprägend gesehenen Verben 44 und die unterschiedlich deutbare Aktivität nicht-persönlicher Objekte. So ist nicht ausgeschlossen, daß in dem öfter angeführten Beispiel: -
El ácido ataca (a) los metales
die Präposition dem Einfluß von atacar zu verdanken sein kann, während derribar
un avión vs. derribar
a un avión
( K ö r n e r 1981, S. 1 5 1 ) d u r c h die
verschiedenen Sichtweisen des Objekts zu erklären ist. Bei: -
Esta combinación del método histórico y el estructural puede sacar a la historia lingüística del atomismo, que consiste en estudiar los fenómenos aisladamente ... (Adrados (1969), 1974, S. 236)
könnten beide Faktoren mitspielen, der zweite, indem la historia lingüística mehr in ihren Adepten gesehen wird. 43
44
Für die Fälle des präpositionalen Akkusativs, die nach Coste und Redondo ((1965) 1984, 329-330) auftreten, «si l'opposition entre le sujet et l'objet est manifeste» ist nach dem angeführten Material keine gemeinsame Begründung ersichtlich. Bei einigen Verben kommt es durch Gebrauch bzw. Nichtgebrauch der Objektspräposition zu Bedeutungsdifferenzierungen (s. de Bruyne 1993, S. 295; zur komplexen Idiomatik bei tener s. Vera-Morales 1995, S. 403, 422, 427).
94
Was den Stand der Grammatikalisierung angeht, so finden wir neben den erwähnten Sektionen der distinktiven Zuordnung einen ziemlich großen Bereich der festen, wenn auch komplexen Organisation, welcher mutatis mutandis der vierten Stufe des oben beschriebenen ideellen Entwicklungsgangs entspricht. Es kommen aber auch Fälle der grammatischen Metaphorik vor, diese vor allem da, wo es darum geht, das Unbelebte zu «beleben». 3.3.3 Zur Adjektivstellung im Italienischen Weniger komplex ist die Frage der Adjektivstellung im Romanischen, obwohl sich hier ebenfalls Generationen um eine angemessene Beschreibung bemüht haben. 45 Auf den ersten Blick scheinen die vorwiegend pränominalen bzw. postnominalen Adjektive mit den beiden Klassen des Nominalaspekts vergleichbar zu sein, doch besteht ein deutlicher Unterschied in der klassematischen Anlage. Zur Erläuterung der analytischen Grammatikalisierung wollen wir kurz die Verhältnisse im Italienischen betrachten.46 Die Kernzelle der Voranstellung ist eine relativ kleine Gruppe von Adjektiven mit meist einsilbigem Stamm, deren Bedeutung eine bewertende Verwendung nahelegt. An dieser Stelle des Systems ist seit lateinischer Zeit aus einer okkasionellen Emphaseposition ein Habitus entstanden.
45
46
Die wichtigsten Grundzüge hatte schon Friedrich Diez angegeben: Friedrich Diez, Grammatik der romanischen Sprachen, Dritter Theil, Bonn 1877 4 , S. 4 4 9 453. Besonders zum Französischen mit seiner stärker fixierten Norm hat es Untersuchungen in dichter Folge gegeben. Erinnert sei an fünf neuere Arbeiten: Erwin Reiner, Studien zur Stellung des attributiven Adjektivs im neueren Französischen, Wien 1976; Linda R . Waugh, A semantic analysis ofword order. Position of the adjective in French, Leiden 1577; Mats Forsgren, La place de l'adjectif épithète en français contemporain. Etude quantitative et sémantique, Uppsala 1978; Susanne Leischner, Die Stellung des attributiven Adjektivs im Französischen. Eine rechnergestützte Analyse, Tübingen 1990; Björn Larsson, La place et le sens des adjectifs épithètes de valorisation positive. Etude descriptive et théorique de 113 adjectifs d'emploi fréquent dans les textes touristiques et dans d'autres types de prose non-littéraire, Lund 1994 (= Études Romanes de Lund 50). Wir orientieren uns an den drei neuen Grammatiken der italienischen Sprache: Lorenzo Renzi (Hg.), Grande grammatica italiana di consultazione. Volume I, La frase. I sintagmi nominale e preposizionale, Bologna 1988 ( G G I ) , darin: Marina Nespor, Il sintagma aggettivale, S. 4 2 5 - 4 4 1 (= Kapitel 8); Christoph Schwarze, Grammatik der italienischen Sprache, Tübingen 1988 (GIS); Luca Serianni con la collaborazione di Alberto Castelvecchi, Grammatica italiana. Italiano comune e lingua letteraria, Turin 1989 (Gl); ferner an: Abondio Giuseppe Sciarone, La place de l'adjectif en italien moderne, den Haag 1970 (S). Soweit die Beispiele diesen Referenzen entstammen, sind sie mit den in Klammern angegebenen Abkürzungen gekennzeichnet.
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Als Regelanordnung wird für das indogermanischen Adjektiv die postnominale angenommen. Im Lateinischen findet sich die Voranstellung in rhythmisch bedingten Fällen, bei den sogenannten einreihenden Adjektiven durch ihre Nähe zu den Deiktika, sowie, zunächst wohl unter dem Ton, bei affektischen Qualifizierungen. Dieses Verfahren, schon zu klassischer Zeit zum Ausdruck der Subjektivität verblaßt, hat sich bei entsprechen disponierten Adjektiven zum Normalfall entwickelt. 47 Bei vier besonders häufigen haben sich im Italienischen proklitische Kurzformen für das Maskulinum gebildet: bel, buon, gran, san. Bello verfügt sogar über den Plural bei (vgl. GIS, S. 195-197). Aus der ursprünglichen semantischen Disposition für die emphatische Stellung ist also bei einer Gruppe von Adjektiven ein klassematischer Zug geworden, der sich formal in der Merkmallosigkeit der Voranstellung äußert, wobei den Hauptton gerade das Substantiv trägt. 48 Wie es dahin gekommen ist, kann man sich gut vorstellen, wenn man die weitere Abschwächung von bello betrachtet: -
Ora ti preparo una bella minestra u. ä.
Diese bewertenden Adjektive sind von der semantischen Art wie: bello, bravo, brutto, buono, caro, cattivo, insopportabile, losco, noioso, odioso, piacevole, sciocco, simpatico, strano, triste u. v. a. m. - Ho visto Lucia col suo odioso compagno. - Il buon tempo era finito. - La brava professoressa era sorpresa.
Es kann sich aber auch um weniger subjektive Eigenschaften handeln, deren Beurteilung jedoch relativ ist: alto, breve, celebre, chiaro, famoso, forte, giovane, grande, grave, interminabile, lento, nuovo, oscuro, pesante, preciso, piccolo, vecchio u. v. a. m. - Si tratta di un lento processo. - Abbiamo conosciuto un celebre poeta. - Devi assaggiare il famoso pollo in umido di mia nonna.
Bei Vorherrschen der distinktiven Intention können die Adjektive, besonders die der zweiten Gruppe, natürlich nachgestellt werden. Daran aber sehen wir schon, daß die analytische Grammatikalisierung in die Adjektivklassenausbildung von Anfang an tief eingreift. Durch die alternative Stellungsmöglichkeit wird die Voranstellung selbst alsbald zum Zeichen der subjektiven Bedeutung des Adjektivs über dessen semantischen Wert hinaus. Umgekehrt tritt die betonte objektiv abgrenzende Natur des Adjektivs in der Nachstellung schärfer hervor. 47 48
Leumann-Hofmann-Szantyr, Bd. 2, 1965, S. 406-407. Obwohl ihn unter Emphase auch wiederum das Adjektiv erhalten kann.
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Wenn ein guter Teil der bewertenden Adjektive - diesmal merkmalhaft - auch in der Nachstellung erscheint, so liegt es nahe, daß man im Gegenzug Adjektive ohne subjektive Bedeutung in der Voranstellung findet. Dies ist nun tatsächlich der Fall: - Mi ricorderò sempre quel rosso tramonto tra gli alberi. ( G G I 431) - Mi piacciono molto le aride colline del Volterrano. ( G G I 4 3 1 ) - Amava passeggiare nelle limpide mattine di primavera. ( G G I 431)
Da es sich um objektive Eigenschaften der bezeichneten Nominalinhalte handelt, kann die Funktion der Voranstellung nicht einfach in der Bewertung gesehen werden. In der Tat haben wir es hier mit einer beschreibenden, explikativen Bedeutung der Adjektive - gegenüber der restriktiven in der Nachstellung - zu tun. Naturgemäß findet man in dieser Verwendung vorwiegend Adjektive, die den Dingen inhärente Eigenschaften aufnehmen. Eine Spur des subjektiven Wertes hat sich dabei aber gleichwohl erhalten. Diese liegt in der Auswahl der beschreibenden Merkmale beschlossen, welche durchaus die Empfindung anzusprechen vermag. Die Adjektive mit stärker differenzierender Bedeutung, welche «eine rein sinnliche Eigenschaft» (Diez 1877, S. 451) bezeichnen, wie Form, Farbe, Zustand, Raum u. v. ä. oder allgemein Gegenstands- und Begriffsbereiche untergliedern, sind für die Nachstellung bestimmt: -
la finestra ovale, la veste nera, l'erba secca, il cavallo selvaggio, le case vuote, il cancello rugginoso, gli strati inferiori, la soluzione ideale usw.
Doch kommt auch hier die Voranstellung vor, wobei die Umprägung schon deutlicher wird. Zum Teil lassen sich die Adjektive durch die merkmalhafte Behandlung in die Nähe von Bewertungen rücken: -
il bellicoso discorso (S 78) l'imparziale amore di pace (S 79) il rischioso rapimento (S 80) u. ä.
In anderen Fällen werden sie dadurch von der distinktiven auf die beschreibende Ebene zurückgenommen. Die Eigenschaft wird als inhärent gesehen, als bekannt vorausgesetzt oder suggeriert: -
i distratti studi di giurisprudenza (S 75).
Unter stilistischer Sonderintention können alle Adjektive dieser Art vorangestellt werden, auch wenn die italienischen Muttersprachler solche Syntagmen, isoliert betrachtet, für unannehmbar halten würden. Wir haben hier wieder einen jener für die analytische Grammatikalisierung typischen Randbereiche vor uns, in denen die Norm weit hinter dem systematisch Möglichen zurückbleibt, die aber der gewagten Stilintention nicht verschlossen sind. Das gilt noch mehr für die sogenannten Bezugsadjektive, die das Verhältnis zwischen zwei Nominalinhalten beschreiben: 97
- l'anno accademico, le autorità statali, il salone automobilistico, la statua equestre, la tesoreria municipale, la superficie terrestre, l'ufficiale giudiziario, l'istruzione musicale, i disturbi cardiaci usw.
Sie sind nicht steigerbar, können nicht prädikativ verwendet und eigentlich nicht vorangestellt werden. Trotzdem findet man in der Literatursprache mit stilistischer Motivation auch bei diesen die Voranstellung: - l'africano mare (Vittorini, G l 201) - il marmoreo gigante (Carducci, G G I 431)
Und auch sonst ist sie nicht völlig ausgeschlossen. Nötig ist dazu freilich eine Umprägung von doppelter Natur. Zunächst wird das Adjektiv aus seiner Bindung an das Basiswort gelöst und erhält einen beschreibenden Wert, der sich selektiv oder global auf dessen Wesenstypik bezieht. A n zweiter Stelle wird dieser Wert den subjektiven oder inhärenten Qualitäten des übergeordneten Substantivs beigeordnet. So erklärt sich: - con paterna dolcezza ( G G I 431) - con burocratica lentezza ( G G I 431) - un'elettrica atmosfera ( G G I 433).
Die Metaphorik solcher Verwendungen ist kulturhistorisch mitbedingt, worauf Marina Nespor zu Recht verweist ( G G I 432-433). Bei Adjektiven, die ohne größeres Relief sowohl prä- wie postnominal erscheinen, kann die Stellung sachlich distinktiv sein und die explikative von der restriktiven Bedeutung unterscheiden: -
Le vecchie tubature hanno ceduto. Le tubature vecchie hanno ceduto. ( G ì 201)
Im ersten Satz wird gesagt, in dem überalterten Rohrnetz habe es Brüche gegeben, während im zweiten nur von den alten (bisher nicht erneuerten) Leitungen des Systems die Rede ist. In ähnlicher Weise werden appositive und spezifizierende Bedeutung in folgenden Paaren getrennt: -
Ho conosciuto la giovane sorella di Mario. Ho conosciuto la sorella giovane di Mario. ( G ì 201)
- I poveri ragazzi vivevano male. I ragazzi poveri vivevano male. ( G ì 201)
A n dem letzten Beispiel wird schon deutlich, daß die habituelle Doppelposition des Adjektivums leicht zu lexikalischer Differenzierung führen kann: Während povero im ersten Satz als 'bedauernswert' verstanden wird, ist im zweiten von objektiver Armut die Rede. In der Tat haben sich wie im Falle des nominalen Aspekts bei einer Anzahl von Lexemen aus den jeweiligen klassematischen Funktionen hier geringere, dort größere, Bedeutungsunterschiede herauskristallisiert, wobei die Voranstellung meist den übertragenen Wert zeigt. 98
Eine ähnliche Abstufung wie povero haben: -
caro : il caro amico dolce : il dolce sorriso cieco : la cieca ira nuovo : un nuovo libro semplice : i semplici fatti
vs. vs. vs. vs. vs.
la merce cara il vino dolce l'uomo cieco un libro nuovo i fatti semplici etc.
(Wobei freilich in den ersten drei Beispielen die nominale Basis die Bedeutungsmodifikation der Adjektive mitbestimmt, die hier auch bei Nachstellung erschiene). Stärker ist die Differenz bei einigen Adjektiven, die pränominal quantifizierend interpretiert werden ( G G I 433): - certe notizie notizie certe
'gewisse (einige) Nachrichten' 'sichere Nachrichten'
- diverse persone persone diverse
'verschiedene (einige) Personen' 'unterschiedliche Personen'
- numerose famiglie famiglie numerose
'zahlreiche Familien' 'große Familien'
-
'ein einziges Buch' 'ein einzigartiges Buch'.
un unico libro un libro unico
Die weitere semantische und syntaktische Kasuistik der Adjektivstellung im Italienischen betrifft die Herausarbeitung von Bedeutungsgruppen mit Neigung zur Voranstellung (s. hierzu Sciarone 1970, Kap. 4), die Reihenfolge und Hierarchie bei mehreren Adjektiven sowie die Syntax der A d jektivergänzungen. Uns ging es hier nur um die klassematischen Verhältnisse und den Grad ihrer Grammatikalisierung, wozu wir zusammenfassend folgendes bemerken können: Im Unterschied zu den beiden Grundklassen des Nominalaspekts liegt bei den romanischen Adjektiven zunächst eine asymmetrische Konstellation vor. Eine kleine Gruppe von Adjektiven mit subjektiv bewertender Bedeutung steht dem übrigen Gesamtfundus gegenüber, ein Bild, das eher mit dem Primärstadium des spanischen präpositionalen Akkusativs zu vergleichen ist. Ähnlich wie in diesem Fall zeigt sich dann eine Attraktion in wachsenden Kreisen um den Nukleus herum, 49 wodurch die Bedeutung der Voranstellung auf die explikative Funktion zurückgenommen wird. Zugleich ist aber die Voranstellung auch bei dem primär für sie disponierten Kern nicht exklusiv, sondern nur merkmallos. Es scheint also, daß wir es hier mit der schon oben erwogenen Möglichkeit zu tun
49
Diese Bewegung möchte Sciarone im 4. Kapitel seiner Studie nachzeichnen, indem er Kernen wie hello - brutto, buono - cattivo, lungo - breve, chiaro oscuro u.a. (S. 42) semantische Höfe zuordnet (S. 60-92), die sich zur Voranstellung disponieren.
99
haben, daß Klassifizierung und analytische Grammatikalisierung Hand in Hand gehen. Das bedeutet indes nicht, daß es dabei kein bestimmendes Element gäbe. Bestimmend ist natürlich das lexematische, indem sich die Grammatikalisierung durch die Verallgemeinerung des Lexikalischen definiert. Im übrigen ist das Verhältnis zwischen Klasse und analytischer Grammatikalisierung seinem Wesen nach nicht chronologischer Natur. Da die Nachstellung der Adjektive aber immer möglich ist, wenn auch für eine Gruppe von ihnen merkmalhaft, liegt auch insofern eine Asymmetrie vor, als die Grammatikalisierung nur in einer Richtung, nämlich in Hinsicht auf die potentielle Voranstellung erfolgt. Im Italienischen hat sie diesen Weg fast vollständig durchschritten, das heißt, fast alle Adjektive können vorangestellt werden, wiewohl manche nur unter Sonderbedingungen und bei deutlicher Entfernung von der Norm. 5 " In einigen Fällen entscheidet die Stellung des Adjektivs über die Restriktivität des Syntagmas, in anderen haben sich stellungsbedingte Bedeutungsdifferenzierungen herausgebildet. Die Entwicklungsphasen der analytischen Grammatikalisierung sind alle vertreten, die statisch-klassifikatorischen freilich nur als merkmallose Präferenz. Die grammatisch-metaphorische Stufe finden wir bei der Vorstellung von sachlich-distinktiven Adjektiven und Denominalia (wie rettangolare oder episcopale). Die habituelle Doppelposition bei einer Gruppe besonders häufiger Adjektive, welche meist lexikalisch differenziert sind, und schließlich auch die weitgehend freie Zuweisung der Stellung, je nachdem, ob es sich um eine beiläufige appositive Beschreibung oder eine reliefhaltige Distinktion handeln soll. Die drei Beispiele zeigen also unterschiedliche Konstellationen der analytischen Grammatikalisierung. Da es sich um unterschiedliche klassematische Faktoren und verschiedene Sprachen handelt, ist das nicht verwunderlich. Bemerkenswert ist eher schon, daß man in anderer Hinsicht weitgehende Übereinstimmung feststellt. Dies betrifft besonders die Tatsache, 50
Die generelle Anwendbarkeit der funktionellen Stellungsunterscheidung des Adjektivums im Romanischen hat auch Wolf Dietrich betont: Lateinische und romanische Adjektivstellung, in: Christian Schmitt (Hg.), Grammatikographie der romanischen Sprachen. Akten der gleichnamigen Sektion des Bamberger Romanistentages (23. - 29. 9 . 1 9 9 1 ) , Bonn 1993, S. 78-96, hier S. 79, S. 84. Weniger überzeugt dagegen seine Meinung vom Primat der «mit der Stellung verbundenen grammatisch-syntaktischen Funktion des jeweiligen Adjektivs» vor der Gliederung der romanischen Adjektive in zwei Gruppen (Id., ibid., S. 90), da sie der allgemeinen Empirie der Grammatikalisierung widerspricht. Zwar sind, wie erwähnt, gerade in diesem Bereich Klassifizierung und Grammatikalisierung in eigentümlicher Weise verflochten (vermutlich durch die Überordnung der Proklise), doch läßt sich das klassifikatorische Element bei einer adäquaten Beschreibung nicht einfach vernachlässigen (u.a. werden erst bei seiner Berücksichtigung die Fälle der Neutralisierung sichtbar, vgl. Id., ibid., S. 83). 100
daß wir bei allen drei Beispielen die Randbereiche mit diffuser Grammatikalität finden, von denen wir zu Beginn dieses Abschnitts schon gesprochen haben. Die stilistische Präferenz in diesen Zonen kann Zeiten und Personen kennzeichnen. So haben wir in einigen Wortfeldern die auffällige Vorliebe der deutschen Gegenwartssprache für den unkonturierten Nominalaspekt beobachtet. Im Italienischen ist die bevorzugte Adjektivvoranstellung für gewisse Lyriker des 18. bis 20. Jahrhunderts charakteristisch ( G G I 4 3 1 - 4 3 2 ; vgl. Bruno Migliorini, Storia della lingua italiana, Florenz 4i9Ö3, S. 545). Und im Portugiesischen macht der Schriftsteller Ferreira de Castro (1898-1974) einen sonst unüblichen Gebrauch vom präpositionalen Akkusativ (Delille 1970, S. 1 6 1 - 1 6 3 ) . Den schwer bestimmbaren Grenzen der Grammatikalität bei der Auflösung der Klassen entspricht die Fluktuation der Stadien dieser Auflösung. Wir haben bei unseren Beispielen gesehen, daß die Stufen der analytischen Grammatikalisierung gleichzeitig nebeneinander vorkommen, was nicht unverständlich ist. Denn die semantische Natur der betroffenen lexikalischen Bedeutung bestimmt den Grad der Umprägung, die für die Konversion erforderlich ist. Die lexikalischen Kristallisierungen mit dem einen und dem anderen klassematischen Merkmal stellen gleichsam eine Gegenbewegung zur analytischen Grammatikalisierung dar. Obgleich die ungewohnte klassematische Zuordnung, welche die analytische Grammatikalisierung bedingt, meist von der Absicht bestimmt wird, eine bestimmte Einschätzung oder Sichtweise auf eine lexikalische Bedeutung zu übertragen, kommt es doch dadurch in manchen Fällen, sozusagen als Nebenergebnis, zu grammatischen Unterscheidungen, wie wir sie beim präpositionalen Akkusativ des Spanischen (busco a un medico, busco un medico) und bei der italienischen Adjektivstellung (Trennung von explikativer und restriktiver Bedeutung) gesehen haben. In ähnlicher Weise sind beim Nominalaspekt die Funktionen der Konturierung und der Partikularisierung bzw. Individuierung verbunden (0 Regierung vs. die Regierung). Die Erscheinungsweisen der analytischen Grammatikalisierung haben also trotz unterschiedlicher Konstellation manchen gemeinsamen Zug.
101
4-
Der historische Hintergrund Quis multa gracilis te puer in rosa perfusus liquidis urget odoribus grato, Pyrrha, sub antro ? Horaz, C. I, 5, 1 - 3
D i e B e o b a c h t u n g e n , die wir z u m N o m i n a l a s p e k t im D e u t s c h e n g e m a c h t h a b e n , b e t r a f e n die deutsche G e g e n w a r t s s p r a c h e und in einigen F ä l l e n s o g a r dort feststellbare N e o l o g i s m e n . D e r variable G e b r a u c h des Transnumerals im Portugiesischen z e i g t e sich d a g e g e n in d e r L i n i e einer längeren Tradition. U n d das Verhältnis v o n Klassifizierung und analytischer G r a m m a t i k a l i s i e r u n g hatten wir d e m Prinzip nach als achronisch bezeichnet. E s liegt d a h e r nahe, d a ß wir z u m S c h l u ß versuchen, d e n historischen H i n t e r g r u n d des portugiesischen N o m i n a l a s p e k t s mit einigen Strichen nachzuzeichnen, u m zu sehen, in w e l c h e r Weise die G e s c h i c h t e für eine solche E r s c h e i n u n g b e s t i m m e n d sein kann.
4.1
Zwei alte Gestaltklassen im Indogermanischen?
W a s die älteste erschließbare Schicht des I n d o g e r m a n i s c h e n betrifft, so hat M a n f r e d O s t r o w s k i 1 einen Z u s a m m e n h a n g zwischen d e r G e n u s k a t e gorie und d e m Prinzip der K o n t u r i e r u n g gesehen. W i e schon H u m b o l d t wußte, geht das G e n u s auf eine ältere U n t e r s c h e i d u n g zwischen «belebt» und «unbelebt» zurück, w o b e i d e m « B e l e b t e n » das alte N e u t r u m g e g e n übersteht. Innerhalb dieses N e u t r u m s k a n n m a n nun nach f o r m a l e n K r i terien z w e i A r t e n v o n L e x e m e n unterscheiden, eine erste endungslose und eine z w e i t e auf -m. B e i d e G r u p p e n z e i g e n die G l e i c h h e i t v o n N o m i nativ und A k k u s a t i v und d e n Plural auf
-H2.2
D i e erste endungslose F o r m g r u p p e u m f a ß t die älteren W ö r t e r des ind o g e r m a n i s c h e n E r b g u t s w i e die S t o f f b e z e i c h n u n g e n ai. äsrt 'Blut',
äyah
' M e t a i r , mäh 'Fleisch', gr. JTÖQ 'Feuer', XQI 'Gerste', |IEM 'Honig', lat. glüs ' L e i m ' , a b e r auch die N a m e n v o n K ö r p e r t e i l e n wie ' A u g e ' , ' K n o c h e n ' , ' L e ber', und V e r b a l a b s t r a k t a w i e ai. düvah
1
2
' G a b e , Ehrerweisung', ökah
'Ge-
Manfred Ostrowski, Zu den substantivischen Kategorien des Urindogermanischen, in: H. Seiler, Ch. Lehmann (Hgg.), I, 1982, S. 270-274. Dabei steht H2 (bzw. h2) nach der heute üblichen Notation für einen Laryngal, der im Zusammenwirken mit e zu dem historischen Ergebnis ä führt. Zu einer kurzen Erklärung der Laryngaltheorie, ihrer verschiedenen Ausformungen und Schwierigkeiten s. Szemerenyi 1980, S. 114-123. 102
wöhnung, Heim', gr. tdcpog 'Staunen', Verwunderung', xfjöog 'Sorge, Trauer'. Das Gemeinsame in der Bedeutung dieser Wörter sei, daß sie keine zu zählenden bzw. für sich selbst existierenden, diskreten Einzeldinge bezeichnen, also keine Individual-Terme darstellen. (Ostrowski 1982, S. 272)
Jünger sei die zweite Gruppe von Neutra auf -m und dadurch entstanden, daß bestimmte -o-stämmige Wörter das Akkusativ-m der Maskulina und Feminina auch im Nominativ verwendeten; eine Möglichkeit, die in der ursprünglichen Funktion des -m angelegt gewesen sein wird. (Id., ibid.)
Die Bildungen beruhten entweder auf Verben oder auf komplexen nominalen, hauptsächlich adjektivalen Stämmen. Semantisch seien zwei Bereiche feststellbar: Individualnamen, die nicht als handelnd gedacht werden könnten, wie ai. dröna-m 'Holzgefäß', goträ-m 'KuhstalP yugä-m 'Joch'; gr. JITTJOV 'Wurfschaufel', amov 'Birne'; lat. folium 'Blatt'; andererseits aber auch wie bei den alten Neutra nicht-diskrete Bedeutungen wie ai. ksirä-m 'Milch', visä-m 'Gift', l a t . aurum 'Gold', ferrum 'Eisen'. Dabei scheine die Verwendung in dem zweiten Bereich jünger zu sein. Ostrowski führt dann die Tatsache an, daß die Neutra den Nominativ/ Akkusativ Plural auf -H 2 bilden und die Subjektsplurale des Neutrums im Griechischen, Hethitischen und teilweise im Altindischen singularisch kongruieren: ö o a (pi3>.ÄA x a i ä v d e a yiyveTai CÜQT], woran sich die kollektive Natur des Suffixes zeigt. Ähnlich wie Johannes Schmidt 3 möchte Ostrowski die Gleichheit der Formantien von Femininum und Plural des Neutrums miteinander in Verbindung bringen, jedoch durch eine andere, originelle Deutung: In beiden Fällen ist die Unterscheidung in der Derivation begründet. Die Interpretation könnte naheliegen, daß hier ein- und dasselbe Morphem (je nach den Eigenschaften der lexikalischen Einheit, an die es antrat) verschiedene Funktionen zu erfüllen hatte. Bei Lexemen mit dem Merkmal [-diskret] repräsentiert -H2 deutlich ein morphologisches Korrelat zum Prinzip der Individualisierung (Ausgliederung). Könnte es das als Feminin-Kennzeichnen nicht auch tun, wenn neben einer «Gattungsbezeichnung» wie lat. equus «Pferd» ein ausgegliedertes, markiertes Femininum equa «Stute» steht? (Id., ibid., S. 273)
Im ganzen erscheint Ostrowskis Beitrag nicht genügend kohärent, und von einer alten indogermanischen Klassifizierung in konturierte und unkonturierte Nomina vermag er nicht zu überzeugen. Die zwei Schichten von Neutra, die im übrigen der amerikanische Komparatist Benjamin Ide Wheeler (The origin of grammatical gender, The Journal of Germanic Philology 2 (1898/99), S. 528-545, hier S. 539540), bereits um die Jahrhundertwende in gleicher Weise dargestellt und
3
Johannes Schmidt, Die Pluralbildungen 1889.
der indogermanischen
Neutra, Weimar
103
interpretiert hatte, e r g e b e n k e i n e schlüssige A b g r e n z u n g in dieser Hinsicht, w i e aus O s t r o w s k i s B e i s p i e l e n selbst hervorgeht. S c h o n der beiläufige Hinweis, d a ß die erste G r u p p e der N e u t r a auch B e d e u t u n g e n u m f a ß t , d e n e n nicht die D i s k r e t h e i t , sondern die A u t o n o mie der E x i s t e n z fehlt (gedacht ist an die B e z e i c h n u n g e n v o n K ö r p e r o r g a n e n ) , zeigt ein A b g e h e n v o m reinen K r i t e r i u m der G e s t a l t . D a z u findet m a n in der j ü n g e r e n K l a s s e der N e u t r a auf -m konturierte wie u n k o n t u rierte B e d e u t u n g e n . Wahrscheinlicher ist daher, d a ß in der K l a s s e der N e u t r a nach der A u s g l i e d e r u n g des B e l e b t e n einfach alles übrige verblieb. D a es sich bei d e m B e l e b t e n zugleich u m Konturiertes handelte, w e g e n der r e k o n s t r u k t i v e n M e t h o d e z u d e m nur ein beschränkter genüg e n d alter W o r t b e s t a n d f ü r d e n Vergleich in F r a g e k o m m t , k a n n b e i d e n N e u t r a leicht d e r E i n d r u c k der D o m i n a n z des U n k o n t u r i e r t e n entstehen. W a s das -m der j ü n g e r e n N e u t r a betrifft, so m a g m a n seine E n t s t e h u n g beurteilen, w i e m a n will (zu einer strukturellen E r k l ä r u n g s. K u r y l o w i c z 1964, S. 2 1 0 - 2 1 1 ) , das M e r k m a l der K o n t u r i e r u n g läßt sich hieraus k a u m gewinnen. D i e Plurale der N e u t r a auf -// 2 hat m a n g e r a d e w e g e n der n o c h in historischer Z e i t f o r t b e s t e h e n d e n S i n g u l a r k o n g r u e n z f r ü h als K o l l e k t i v a erkannt, die erst s e k u n d ä r in das N u m e r u s p a r a d i g m a integriert w u r d e n . 4 D i e historische Identität des neutralen Pluralsuffixes mit d e m Femininm o r p h e m ist teils b e h a u p t e t , teils bestritten w o r d e n (zu der älteren D i s kussion vgl. w i e d e r u m R o y e n 1929 an der a n g e g e b e n e n Stelle, zu der j ü n g e r e n hier w. u.). D e r H y p o t h e s e O s t r o w s k i s j e d e n f a l l s k a n n nur insofern zugestimmt w e r d e n , als eine ursprünglich g e m e i n s a m e B e d e u t u n g v o n F e m i n i n u m und K o l l e k t i v u m ziemlich allgemeiner N a t u r sein m u ß . D a ß diese g e m e i n s a m e B e d e u t u n g a b e r nicht in einer « A u s g l i e d e r u n g » g e s e h e n w e r d e n kann, ist o f f e n k u n d i g . E r s t e n s f a ß t « A u s g l i e d e r u n g » (der parallel v e r w e n d e t e Terminus «Individualisierung» ist fachsprachlich wied e r u m anders b e l e g t ) hier etwas z u s a m m e n , das sich in Wirklichkeit gar nicht auf der gleichen S t u f e befindet. D e n n in einer Weise ist v o n einer G l i e d e r u n g stofflich-kontinuierlicher B e d e u t u n g e n in diskrete E i n h e i t e n die R e d e , also v o n etwas, das den inneren N o m i n a l a s p e k t betrifft. In d e r a n d e r e n Weise a b e r ist die H e r a u s l ö s u n g eines m e r k m a l h a f t e n B e g r i f f s aus einer a l l g e m e i n e r e n B e d e u t u n g gemeint. Z w e i t e n s a b e r h a b e n wir es bei d e n -// 2 -Bildungen der N e u t r a in dieser älteren P h a s e g e r a d e nicht mit diskreten Pluralen z u tun, sondern mit p o l y m o r p h e n o d e r amalgamierten A s p e k t b e d e u t u n g e n , w i e aus der S i n g u l a r k o n g r u e n z ersichtlich ist, und z w a r u n a b h ä n g i g d a v o n , o b die B a s i s konturiert o d e r u n k o n t u riert war. F e r n e r g e l a n g e n die S p r a c h e n aus h o m o g e n e n K o n t i n u a in der R e g e l nur ü b e r Singulativbildungen zu diskreten Pluralen. D e r R e d e v o n
4
Zur älteren Literatur über das Verhältnis Kollektivum - Plural vgl. Royen 1929, S. 594-659104
der «Ausgliederung» als F u n k t i o n der alten indogermanischen Plurale des N e u t r u m s fehlt also die G r u n d l a g e . Jerzy K u r y l o w i c z (1964, S. 2 0 7 - 2 2 6 ) hat Feminin- und Kollektivbild u n g gleichfalls miteinander in Z u s a m m e n h a n g gebracht. A l s gemeinsame Basis betrachter er ein A b s t r a k t i v u m und nimmt damit ältere G e d a n k e n g ä n g e w i e d e r auf. 5 D i e E n t w i c k l u n g stellt er in der f o l g e n d e n Weise dar (1964, S. 212): 1. D a s S u f f i x -ä diene ursprünglich zur B i l d u n g abstrakter N o m i n a auf der Basis v o n A d j e k t i v e n und V e r b e n : xofiôç
'scharf
:
JUVUTÔÇ
'klug'
:
T| TOfxfj 'der Schnitt' MVUTFJ
'Klugheit'
noxius
'schuldig'
:
noxia
'Schuld'.
2. S e k u n d ä r k ö n n e -ä dann durch d e n o m i n a l e B i l d u n g e n k o n k r e t e F u n k tionen ü b e r n e h m e n , und z w a r die a. des Femininums (von b e l e b t e n N o m i n a ) b. des K o l l e k t i v u m s (von u n b e l e b t e n N o m i n a ) , daraus die Pluralia der N e u t r a auf -o c. (eventuell und theoretisch) des Singulativs (von S t o f f n a m e n ) . 3. F e m i n i n u m und K o l l e k t i v u m (= Plural des N e u t r u m s ) w ü r d e n dann in die M o r p h o l o g i e des N o m e n s und in die F l e x i o n des A d j e k t i v s in attributiver F u n k t i o n integriert. E i n e Schlüsselstellung k o m m e j e d e n f a l l s der adjektivischen V e r w e n d u n g zu. In seinem letzten B u c h Problèmes
de linguistique
indo-européenne6
hat K u r y l o w i c z diese weithin geteilte M e i n u n g präzisiert und in Teilen modifiziert, und z w a r g e r a d e in der Einzelheit, die uns hier angeht, nämlich der E n t s t e h u n g des i n d o g e r m a n i s c h e n Plurals. D e n n w ä h r e n d m a n bis dahin w e i t g e h e n d darin übereinstimmte, d a ß der Plural des N e u trums - der w i e d e r u m ursprünglich mit d e n A b s t r a k t i v b i l d u n g e n des G e nus c o m m u n e identisch w a r -
in der V o r g e s c h i c h t e des Indogermani-
schen eine verhältnismäßig j u n g e E r s c h e i n u n g sei, m ö c h t e K u r y l o w i c z u m g e k e h r t nach e r n e u t e r R e f l e x i o n der relativen C h r o n o l o g i e v o n G e n u s und N u m e r u s e n t s t e h u n g und des L a u t b e f u n d e s in d e m bisher als v o r g e g e b e n betrachteten Plural des B e l e b t e n die N e u e r u n g und in d e m Plural der N e u t r a die ältere, früher g e m e i n s a m e , K a t e g o r i e sehen. Z u s ä t z l i c h weist er auf die E r f a h r u n g s t a t s a c h e hin, d a ß N e u e r u n g e n v o m Persönlic h e n und B e l e b t e n a u s z u g e h e n p f l e g e n . A u c h in d i e s e m Falle sei j e d o c h die V o r s t u f e in e i n e m alten A b s t r a k t u m auf -é der Singularform z u su5
6
Vgl. zum Beispiel Ludwig Tobler 1883, S. 414-420; Karl Brugmann, Kurze vergleichende Grammatik der indogermanischen Sprachen, Straßburg 1904, S. 361 362; zur Auffassung Jozef Schrijnens s. Royen 1929, S. 652-655. Jerzy Kurylowicz, Problèmes de linguistique indo-européenne, Breslau-Warschau-Krakau-Danzig 1977 (= Polska Akademia Nauk, Prace Jezykoznawcze 90), S. 134-141. Jerzy Kurylowicz ist am 29. Januar 1978 verstorben.
105
chen, die über einen kollektiven den pluralischen Wert erreicht habe. Auf die Singularkongruenz der nunmehr als alt angesehenen Plurale des Neutrums, welche die bisherige chronologische Beurteilung immerhin mitbestimmt hatte, geht Kurylowicz in diesem Zusammenhang nicht ein. Diese Auffassung Kurylowiczs scheint wenig Resonanz gefunden zu haben. Die neueren Meinungen zur Rolle der Kollektiva bei der Ausbildung der indogermanischen Nominalkategorien hat Eva Tichy7 unlängst noch einmal in den Blick genommen und bekräftigt, daß die Bildungen auf * -h2-: a. in den Nom./Akk. PI. des Genus indistinctum (Neutrums) durch Suppletion eingerückt sind (möglicherweise zur Beseitigung einer morphematischen Homonymie); b. die Basis für die Entstehung des Femininums waren. Bei der Rekonstruktion des komplexen Entwicklungsganges vom Kollektivum zum Femininum folgt sie dem Vorschlag Martinets,8 der die anaphorischen Pronomina als Ausgangspunkt ansieht. Die oft vernachlässigte semantische Seite dieses Wandels hat die Gelehrte mit einer schönen Beispielprojektion anschaulich gemacht: Aus dem Kollektivum *h2'Hdhe>iah2'die Angehörigen, die Familie des tödlich Getroffenen' konnte sich leicht 'die Frau des tödlich Getroffenen', 'die Witwe' herleiten. Freilich bleibt die angenommene doppelte Richtung kategorieller Zuordnung der * -h2Kollektiva auch weiterhin noch von mancher Frage überschattet. In der erschließbaren vorhistorischen Phase des Indogermanischen scheint der äußere Nominalaspekt also nur lexikalisch-semantisch und deiktisch kenntlich zu sein und keine kategorielle Ausbildung erfahren zu haben. Der innere Aspekt mußte jedenfalls, welchen der beiden Plurale man auch für den älteren halten möchte, solange neue Abstrakta, dann Kollektiva, in das Paradigma integrierbar waren, noch die Stufen ziemlich großer Kohäsion zwischen Homogenität und Solidarität zeigen.
7
8
Eva Tichy, Kollektiva, Genus femininum und relative Chronologie im Indogermanischen, Historische Sprachforschung 106 (1993), S. 1 - 1 9 . Dort findet sich kein Bezug auf Kurylowicz 1977. Der Versuch Jean-Pierre Levets (Particules et pluriel: genèse du nombre en japonais et en proto-indo-européen, in: Jacques Fontanille (Hg.), La quantité et ses modulations qualitatives, Limoges - Amsterdam - Philadelphia 1992, S. 2 3 - 4 1 ) , die Entwicklungsansätze einer Numeruskategorie im Japanischen mit Verfahren in rekonstruierten Stadien des Urindogermanischen zu vergleichen, ist spekulativ und überzeugt nicht. André Martinet, Le genre féminin en indo-européen: examen fonctionnel du problème, BSL 52 (1956), S. 8 3 - 9 5 .
106
4.2
Die historischen Numerusverhältnisse
Der kurze Blick auf die Entstehung der indogermanischen Numerusmorpheme hat schon deutlich werden lassen, daß wir es vor allem mit einer tiefreichenden Entwicklung der Bedeutung zu tun haben, daß die Pluralkategorie nicht fertig in die Geschichte eintritt. Ähnliche Entwicklungslinien findet man auch außerhalb des indogermanischen Bereichs. Ernst Cassirer ((1923), 1964, S. 184-212) hat beschrieben, wie sich in ganz unterschiedlichen Sprachen die Zahlvorstellung nur langsam aus dem Kompakten, dann Kollektiven, herausarbeitet. Es scheint daher, als gebe es gewisse genetische Regelmäßigkeiten bei der Bildung des Pluralbegriffs, von der Art, die man «dynamische Universalien» genannt hat. 9 4.2.1 Die panchronische Genese des Plurals (nach Jerzy Kurylowicz) Diese Regelmäßigkeiten bei der Entstehung grammatischer Kategorien möchte Kurylowicz aus der Allgemeinheit der Sprechsituation erklären. 10 So zeigt er, wie sich beim Tempus die Ausdrucksformen der Vergangenheit und der Zukunft ständig aus denen der Gegenwart als der Zeit des Sprechens nähren und umgestalten. Auch das Genus weise letztlich auf das Verhältnis persönlich-unpersönlich, die Konfiguration der Personalpronomina und damit auf die Sprechsituation zurück. Das gleiche gelte für die Kasussysteme, die in den alle Rede bestimmenden Grundkoordinaten ego - hic - nunc ihre Wurzeln hätten. Ebenso sei auch der Plural aus der Konstellation des konkreten Sprechens entstanden, wobei die Personalpronomina wir, ihr den Ausgangspunkt bildeten. Diese seien zwar auf den ersten Blick von den Pluralen der nominalen Numerusoppostion ziemlich verschieden. Denn wir bedeute eigentlich 'ich (der Sprecher) zusammen mit anderen Personen' und ihr 'du (der Hörer) mit anderen'. Doch erscheine dieser Bedeutungstyp gelegentlich auch bei den Nomina, so bei sp. padres im Sinne von 'Eltern', eigentlich 'der Vater, zusammen mit der Mutter' oder den Familiennamen Müllers (= 'Müller mit seiner Frau (und ihren Kindern)'). Diese Art des Plurals nennt Kurylowicz im Einklang mit der schulgrammatischen Tradition elliptischen Plural (vgl. Wackernagel I (1920), 1926, 1981, S. 91). Die
9
10
Coseriu (1974), 1975, S. 135. Coseriu weist darauf hin (ibid., Anm. 39), daß Hermann Pauls Prinzipien der Sprachgeschichte «in Wirklichkeit eine bemerkenswerte Abhandlung über die dynamischen Universalien» seien. Jerzy Kurylowicz, The evolution of grammatical categories, Diogenes 51 (1965), S. 5 5 - 7 1 , zum Plural S. 6 1 - 6 2 ; und wieder in Id., Esquisses linguistiques II, München 1975, S. 38-54, zum Plural S. 44-45. Kurylowicz bringt seine Sicht der Numerusentstehung noch einmal als Beispiel in Linguistics ofto-day, Scientia 105 (1970), S. 483-503; und wieder in Id., Esquisses linguistiques II, S. 9 29, hier S. 2 1 - 2 2 .
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Vielheit werde dabei durch ein hervorgehobenes Gruppenmitglied dargestellt, dem andere nicht genannte zugeordnet seien. Diese Vielheit beruhe auf der Vorstellung räumlicher Kontiguität. Die nächste genetische Stufe, das Kollektivum, setze diese Kontiguität im Verbund mit dem Kriterium der Ähnlichkeit voraus, wie frz. feuillage gegenüber feuille. Gleichzeitig stelle man einen Übergang zur dominanten Anwendung auf Unbelebtes fest. In vielen Sprachen sei dies die einzige Form der Mehrzahl. Das dritte Stadium schließlich sei das, was man gemeinhin unter einem Plural verstehe, eine diskrete Vielheit gleichartiger Gegenstände. Hier spricht Kurylowicz vom mathematischen Plural. In unseren modernen Sprachen finde sich im allgemeinen diese letzte Form, doch kämen je nach Kontext auch die ersten beiden Stufen vor, so daß die genetische Verbindung von räumlicher Kontiguität und abstrakter Gleichartigkeit bewußt bleibe. Nun ist der diachronische Zusammenhang der beiden letzten Phasen, des «kollektiven» und des «mathematischen» Plurals seit langem gut bekannt, ebenso wie auch die überzeitliche Regelhaftigkeit ihrer Abfolge (vgl. oben Anm. 4). Daß Kurylowicz den «elliptischen» Plural als Keimzelle der Kategorie annehmen möchte, ist dagegen originell und problematisch zugleich. In der Tat lassen sich drei Einwände geltend machen. Erstens ist nicht einzusehen, weshalb der Plural die Gleichheit seiner Designata nur über den Begriff der räumlichen Kontiguität erreichen soll. Denn die Kategorie ist derivativ (suffixal) gekennzeichnet, und diese Kennzeichnung operiert auf einer lexikalischen Basis, welche die Gesamtbedeutung des Derivats bestimmt. Wie im allgemeinen, so gilt dies selbst für die «elliptischen» Plurale, die zunächst einmal - wenn wir das Basislexem 'L' nennen wollen - von L her benannt sind, also so etwas wie 'das L-hafte' oder 'die L-Zugehörigen' oder ähnliches bedeuten, und erst in zweiter Linie 'L und diejenigen, die dabei sind'. Und sogar die charakteristischen pronominalen Plurale teilen mit dem Singular das Merkmal des Menschlichen und der Person. 11 Zweitens aber hätten wir bei der Annahme elliptischer Plurale als Ausgangspunkt der Kategorie schon von Anfang an einen Grad der Diskretheit, der durch die spätere Entwicklung zum Kollektivum (das Beispiel feuillage wäre nach unserer Skala ein Amalgam) wie-
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Wir haben oben (S. 25) gesehen, daß man die Gleichartigkeit neben Quantität und Diskretheit als drittes Strukturmerkmal des Plurals angeführt hat und es als entbehrlich bezeichnet. In der Tat ist das Merkmal der Gleichartigkeit nur in Hinsicht auf die historischen Fälle der Ellipse nicht tautologisch, deren Ausschluß aber nicht sinnvoll. Vermutlich ist das Kriterium aus Ernst Cassirers Überlegungen zur Genese des Zahlbegriffs (Cassirer (1923), 1964, S. 184-212) herangetragen worden, wo es seine Berechtigung hat. Dorther scheint auch Kurylowiczs Gedanke, daß die Vorstellung der Gleichartigkeit über die räumliche Kontiguität erreicht werde, zu stammen.
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der unterschritten würde. Dieser Ausgangspunkt steht zudem in einem seltsamen Kontrast zu dem von Kurylowicz 1964 und 1977 selbst morphologisch und semantisch rekonstruierten Kollektivabstraktum als Basis der Entwicklung. Drittens schließlich kann man am Alter der elliptischen Plurale außerhalb des pronominalen Bereichs zweifeln. Das von Kurylowicz zitierte sp. padres (wie auch das rum. Etymon) hat nämlich eine Entsprechung in lat. patres und gr. JiatEQEg, die aber der jüngeren Geschichte dieser Sprachen angehören. 12 Kurylowiczs Hypothese vom genetischen Zentrum des Plurals dürfte es daher an Zustimmung fehlen. Es hat den Anschein, als sei der große Gelehrte dabei der Faszination erlegen, alle nominalen Grundkategorien symmetrisch aus der Sprechsituation ableiten zu können. Die Triftigkeit des zweiten Einwands ist Kurylowicz wohl selbst bewußt geworden. Denn in einem späteren Beitrag aus dem Jahre 1972, 13 in dem er wiederum die universelle Rolle der Sprechsituation bei der Entstehung der grammatischen Kategorien behandelt, möchte er den Einfluß der pluralischen Personalpronomina gerade beim Übergang vom kollektiven zum diskreten Plural annehmen, allerdings ohne seine frühere Auffassung zu benennen oder zu korrigieren. Was aber die panchronische Genese des Plurals angeht, so bewegt sich seine Bedeutungsentwicklung tendenziell entlang den Kohäsionsstufen des inneren Nominalaspekts vom Kompakten hin zum Diskreten. 4.2.2 Der Dualis Der Dualis ist als besondere Numeruskategorie in vielen Sprachen des indogermanischen Kreises schon in vorhistorischer Zeit geschwunden, so im Italischen und Germanischen. Im Slavischen und Griechischen ist er mit Beginn der Überlieferung noch im Rückzug faßbar. Das Slovenische, Sorbische und Litauische haben ihn bis heute bewahrt.' 4 Vom Dualis als 12
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«Es handelt sich also bei fratres und patres sowohl wie bei Castores um verhältnismässig späte Erscheinungen. Nun ist es bemerkenswert, dass auch im späteren Griechisch jtatÉQËç = 'Eltern' begegnet (die älteren Beispiele sind unsicher, und in der ältesten Sprache kommt es jedenfalls nicht vor).» Einar Löfstedt, Syntactica. Studien und Beiträge zur historischen Syntax des Lateins. Erster Teil. Über einige Grundfragen der lateinischen Nominalsyntax, Lund etc. 1928, S. 64. The role of deictic elements in linguistic évolution, Semiotica 5 (1972), S. 1 7 4 183, hier S. 1 7 6 - 1 7 7 ; und wieder in Id., Esquisses linguistiques II, München 1975, S. 121-130, hier S. 123-124. Karl Brugmann 1904, S. 415. Etwas ausführlicher vom Dual in den indogermanischen Sprachen, besonders im Griechischen, handelt Jacob Wackernagel I, (1920), 1926, 1981, S. 73-84; vgl. ferner: Albert Cuny, La catégorie du duel dans les langues indo-européennes et chamito-sémitiques, Brüssel 1930 (= Académie royale de Belgique. Classe des Lettres. Mémoires, 2. Série, 28,1). Zur geographischen Verteilung des Duals s.a. Wilhelm Schmidt, Die Sprachfamilien und Sprachenkreise der Erde, Heidelberg 1926, S. 322, und die - freilich etwas grob
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dem Ausdruck binärer Solidarität und der Beachtung, die er bei Humboldt fand, haben wir oben (S. 13, 14, 17, 46) schon gesprochen ebenso wie von seiner elliptischen Bedeutungsvariante (S. 46). Es soll aber noch eine Bemerkung über seine Verflechtung mit der Determination im Griechischen angefügt werden. Es war den Grammatikern nicht verborgen geblieben, daß der Dualis manchmal zusätzlich von dem Zahlwort óúco 'zwei' begleitet wurde, andere Male nicht. Auch die entsprechende Regularität ließ sich ohne weiteres feststellen: Der bloße Dual wurde verwendet, wenn die Zweiheit natürlich oder sachgegeben war, zum Beispiel bei den doppelt ausgeprägten Körperorganen, Paaren von Lebewesen, Zwillingen, Gespannen, binären Gerätschaften und ähnlichem; ferner auch, wenn sich die Form anaphorisch auf eine im vorausgehenden Text beschriebene Zweiheit bezog. Dagegen erschien 8t3co vor dem Dual, wenn eine solche Paarung im Text neu dargestellt werden sollte. Hieraus schloß man, daß der bloße Dual eine stärkere kollektive Bindung bedeute, während die vorangesetzte Zahl auf die losere, eher pluralische Fügung der Zweiheit hinweise. Walter Belardi (1950, S. 225) hat dagegen mit Recht geltend gemacht, daß die An- oder Abwesenheit des Zahlwortes lediglich durch das Kriterium der Determination (Belardi spricht von «anaphorischem Wert» und verwendet «anaphorisch» in einem weiteren Sinne) geregelt werde. In der Tat sei der unbegleitete Dual immer entweder durch die Sachkenntnis der Sprecher oder die Situation oder aber durch den Kontext bestimmt. Wenn dagegen dieser Bezug fehle und die Zweiheit in den Text eingeführt werden solle, müsse die Quantifizierung hinzugefügt werden. Die numerische Bestimmung sei also implizit oder explizit gegeben. Mit der impliziten Quantifizierung ließen sich im Griechischen die Fälle vergleichen, wo durch die Mitwirkung der Umfeldkenntnis das Individuelle gerade durch das artikellose Nomen bezeichnet werde, wie ó ßaaiAetjg 'der König', aber ßcxaiXeijg 'der König von Persien'; cd vfjaoi 'die Inseln', aber vfjaoi 'die Ägäischen Inseln'; xö aoru 'die Stadt', aber ä o i u 'die Stadt Athen' u. ä. 15 Unterschiede der Kohäsion, die manche Interpreten bei den zwei Verwendungen hätten bemerken wollen, gebe es nicht.
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gerasterte - Numeruskarte (Nr. XI) im zugehörigen Atlas von 14 Karten. Den Schwund des Duals hat Humboldt als ästhetischen Verlust bedauert, Brugmann sieht hierin einfach das Wirken der sprachlichen Ökonomie, Joseph Vendryes, Le langage. Introduction linguistique à l'histoire, Paris 1921, S. 4 1 5 - 4 1 7 , dagegen einen intellektuellen Fortschritt, ebenso Viggo Br0ndal, Essais de linguistique générale, Kopenhagen 1943, S. 47. Im Anschluß an Vendryes weist Jacques Pohl 1972, S. 2 0 - 2 1 , den Dual den «langues natives» als Merkmal zu (gegenüber den «langues élaborées»). Anthropologische und kulturhistorische Konstanten der Dualität hat Teresa Keane, Les sources mythiques du binarisme, in: Jacques Fontanille (Hg.), 1992, S. 1 7 - 2 2 , zusammengestellt. Der Vergleich ist in der Tat zutreffend. Die interessante Erscheinung der umfeldbestimmten Artikellosigkeit findet sich auch in den romanischen Sprachen;
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D e m weiteren Gedankengang des Autors hierzu möchten wir allerdings nicht folgen. Belardi ist nämlich der Meinung, er habe mit seiner Argumentation nachgewiesen, daß die Funktion des Dualis in beiden Verwendungsweisen quantitativer Natur sei, das heißt, eine diskrete Zweiheit bezeichne. 1 6 Die besondere Zusammengehörigkeit der dualen Bedeutungen erwähnt er nicht. Alte «kollektive» Dualia habe man nur in öooe und wenigen anderen defektiven Formen. Wenn aber Belardi zu Recht kritisiert, daß man die implizit und die explizit als Zweiheit gekennzeichneten Dual-Nomina nach dem Grad ihrer Kollektivität hat unterscheiden wollen, so ist damit noch nicht die Funktion des Dualis beschrieben. Denn die implizite oder explizite Zweiheit ist eben die V o r a u s s e t z u n g für die Anwendung des Duals, nicht seine Funktion selbst. Sonst bedürfte es j a im zweiten Falle des Zahlwortes 6t3cö nicht, und man könnte mit der dualen Form die Zweiheit «setzen» ähnlich wie man in den modernen Sprachen mit dem Plural die Mehrheit setzt. O b dies in alter Zeit, insbesondere im Sanskrit, möglich war, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls enthält das für den «nackten okkasionellen Gebrauch» (Belardi 1950, S. 225) manchmal angeführte Beispiel yüJte öe |j.iv exdiEQ'&e jtaQTmevco f)jtaQ exeiqov die binäre Quantifizierung in exdtegde. Was aber bedeutet der Dualis selbst? D e r Dualis ist, wie Belardi zunächst richtig feststellt (S. 225), anaphorisch. E r nimmt Bezug auf eine Zweiheit, die durch Situation oder Text bestimmt ist - die umfeldgegebene Quantität ist notwendig zugleich identifiziert (vergleichbar ist dt. beide, das j a ein binäres und ein deiktisches Element aufweist). Die vorausgehende Zweiheit greift er auf und faßt sie zusammen: 'dieses beides gemeinsam', 'diese Paarhafte', 'dieses in seiner Zwiegestalt', wobei die letzte Umschreibung wohl die zutreffendste ist. D i e Bedeutung des Duals ist also nicht quantitativ, sondern rein aspektuell. 1 7 Im Einvernehmen mit der sprachwissenschaftlichen Tradi-
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Mario Wandruszka hat in diesem Zusammenhang einmal von dem «Paradox des Artikels» gesprochen (Das Paradox des Artikels, Die Neueren Sprachen 5 (1966), S. 212-220, hier S. 219). Daß die allosemen Solidaria artikellos determiniert sind, haben wir oben (S. 49) erwähnt. Belardi verwendet «quantitativ» im Sinne von 'diskret', 'individuierbar' und «kollektiv» im Sinne von 'kontinuierlich', 'nicht zählbar' (Belardi 1950, S. 207/ 208). Vgl. hier 4.2.3. Dies hat Robert Gauthiot richtig gesehen, als er für ÖOOE die Bedeutung 'l'œil en tant que double' vorschlug: Robert Gauthiot, Du nombre duel, in: Festschrift. Vilhelm Thomsen zur Vollendung des siebzigsten Lebensjahres am 25. Januar içi2 dargebracht von Freunden und Schülern, Leipzig 1912, S. 1 2 7 - 1 3 3 , hier S. 131; vgl. Royen 1929, S. 341; Belardi 1950, S. 228. Dazu stimmt auch Gustave Guillaumes Deutung des Duals als letzter Instanz der 'internen Pluralität' (vor dem Erreichen der numerischen Einheit): Gustave Guillaume, Langage et science du langage, Paris - Québec 1964, S. 169-172 und 225-228. Doch ist Guillaumes 'interne Pluralität' eigentlich keine aspektuelle Kategorie. Richtig III
tion halten wir daher, wie schon erwähnt, die Dualisformen für binäre Solidaria, vielleicht in älterer Zeit für bimorphe Amalgame und öaae für eine Lexikalisierung ohne aspektuellen Sonderstatus. Was die prähistorische Entstehung des Duals angeht, so hat die Vermutung Kurylowiczs einiges für sich, daß es sich um ein altes Kollektivum handelt (Kurylowicz 1964, S. 197), das durch die semantische Anlagerung an das Dialogische des Sprechens und die organischen Binaria spezialisiert wurde (Humboldt (1827), 1963, S. 113-143, passim; Cassirer (1923), 1964, S. 206-208). Die Einleitung des Dualis mit dem Zahlwort ÖTJOO hat aber noch einen anderen bemerkenswerten Aspekt. Durch die Quantifizierung der nicht referenzanaphorischen Dualia erfolgt gleichzeitig eine Redeeinführung, welche sie thetisch mit situationsbestimmten Zweiheiten gleichstellt. Beim Singular entspricht diesem Verfahren der unbestimmte Artikel, der ebenfalls die Funktion der Quantifizierung und der Redeeinführung zugleich wahrnimmt. Ja, wir gehen vermutlich nicht zu weit, wenn wir öticu in dieser Verwendung selbst als unbestimmten Artikel des Duals bezeichnen. Das Griechische hat also auf diesem kleinen Sektor seiner Grammatik eine Funktion vorgebildet, die später gestaltungsmächtig in ihrer Bedeutung und flächig in ihrer Anwendung wurde. Es trügt mithin der erste Anschein, der uns Ausdrücke wie ÖUCO IJIJICÜ als pleonastisch oder redundant empfinden läßt. Gleichwohl hat man in solchen Wendungen den Schlüssel für den Schwund der dualischen Kategorie sehen wollen: War bei zwei attributiv oder prädikativ zusammengehörigen Nomina die Dualität an dem einen ausgedrückt, war namentlich das eine von ihnen das Wort für zwei oder beide, so brauchte das andre nicht auch noch dualisch geprägt zu sein (hom. YIKAC, MQI xetQE, ÖTJCD %QVO010 xaKavxa) Zwei und beide konnten auf das Verschwinden der Dualendung in ähnlicher Weise einen Einfluss üben, wie das Vorhandensein von Präpositionen das Verschwinden von Kasusformen gefördert hat. (Brugmann 1904, S. 415)
Brugmanns Gedanken kann Einleuchtendes nicht abgesprochen werden. Doch gehört er zu jenen verkürzten Kausalerklärungen der historischen Sprachwissenschaft, die sich meist als unzureichend oder zirkulär erwiesen haben.18 Die kategorielle Kennzeichnung der paarigen Zwiegestalt wird den Sprechern des Griechischen ab einer bestimmten Zeit nicht mehr bedeutsam genug erschienen sein, um das ohnehin nur defektiv entwickelte Ausdrucksgerüst des Duals zu erhalten. Auch fügt sich der Verlust des Dualis in die stärkere Prägung des Numerussystems durch das quantitative Moment und in die Bewußtwerdung der Zahlenäquivalenz (vgl. Cassirer (1923), 1964, S. 210).
ist seine Ansicht vom historischen Primat der Internität (ibid., S. 171); vgl. u. 18
4-2-3-
Vgl. Coseriu 1958, d. Ü. 1974, passim; Lehmann 1985, bes. S. 3 1 2 - 3 1 7 . 112
Im schriftsprachlichen Slovenisch, das den Dualis - zum Teil durch restauritive Bemühung - bis heute bewahrt, stellt sich sein Gebrauch etwas anders dar als im frühen Griechisch. 19 Insbesondere wird er gerade im für das Griechische zentralen Bereich der natürlichen Anaphorik nicht oder nur ausnahmsweise verwendet. Bei den paarigen Körperteilen, Bekleidungsstücken und ähnlichem gilt der Dualis als gesucht und überdeutlich, so wie es im Deutschen einer ausdrücklichen Kontrastierungsabsicht bedarf, um von seinen beiden Schuhen, statt einfach von seinen Schuhen zu sprechen. Es gibt nämlich zwei Grundweisen des Bezugs zwischen Umfeld und Kategoriellem: Entsprechung und Ergänzung. Von den beiden Verfahren, deren wechselnde Anwendung auch für das «Paradox des Artikels» (s. Anm. 15) verantwortlich ist, finden wir hier das zweite wirksam. Im Gegensatz zum frühgriechischen Gebrauch kann der Dual im Slovenischen auch die Zweiheit begründen: -
Tovarisa sta hodila poleg njega. 'Zwei Kameraden gingen neben ihm'.
Nach 'zwei' und 'beide' erscheint er kongruierend beim Nomen und beim Verb. Der slovenische Dual hat also einen deutlich quantitativeren Charakter als der griechische. Eigentümlich sind die folgenden dualischen Konstruktionen: -
Midva z Lojzom sva sadila. 'Lojz und ich pflanzten', eigentlich: 'Wir zwei mit Lojz pflanzten'.
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«Hvala lepa na pogacah!» sva rekla z Vanekom. '«Vielen Dank für die Kuchen!» sagten Vanek und ich'.
[sva und sta sind dualische Formen von biti 'sein', die zum periphrastischen Präteritum gehören.]
Diese Wendungen sind jedoch nicht für das Slovenische charakteristisch, sondern finden sich auch (z. T. mit pluralischem Morphem) in anderen slavischen Sprachen und sonst im Indogermanischen (sylleptische Figur). Brugmann (1904, S. 416) stellt sie neben die «aufgefüllten» elliptischen Duale wie A ' I O V T E TeüxQÖg xe und vergleicht lit. müdu sü dedüku 'ich mit dem Alten', eigentlich: 'wir beide mit dem Alten'; und Gauthiot 1912, S. 129, führt an: aengl. wit Scilling 'wir beide, ich und Scilling'.
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Wir folgen hier Gunnar Olaf Svane, Grammatik der slowenischen Schriftsprache, Kopenhagen 1958, S. 134-135. Ausführlicher informiert: Lucien Tesnière, Les formes du duel en slovène, Paris 1925 (= Travaux publiés par l'Institut d'Études slaves, 3).
"3
4.2.3 Der «doppelte Plural» Der langen schulgrammatischen Tradition der beiden klassischen Sprachen ist es zu verdanken, daß ihre Gestalt auch in den marginaleren Einzelheiten gut bekannt ist. Intuitiv oder bewußt sind durch den didaktischen Bezug oftmals kontrastive Gesichtspunkte mit in die Beschreibung eingegangen. Z u m Numerusgebrauch fassen neben den großen Grammatiken Tobler 1883, Wackernagel I, (1920), 1926, S. 84-105, und Löfstedt 1928, S. 1 1 - 6 8 , die älteren Erträge zusammen. Dabei widmen sie ihre Darstellung vorwiegend den «interessanteren Fragen» (Wackernagel 1926, S. 84), d. h. den Fällen, in denen man Abweichungen vom Erwarteten findet. So hat Löfstedt die Kapitel II und III seiner Syntactica «Singular statt des Plurals» und «Plural statt des Singulars» genannt. D a die numerische Quantität im üblichen Bereich der menschlichen Perzeption sachgegeben ist, können wir nach den vorangehenden Überlegungen schon vermuten, daß diese Abweichungen in irgendeiner Weise mit dem nominalen Aspekt zusammenhängen. Einen unvermuteten «Plural statt des Singulars» finden wir zunächst bei den unkonturierten Kontinua. Die diffusen Stoffbezeichnungen sollten eigentlich der Numerusopposition fernstehen und im Transnumeral - oder nach herkömmlicher Redeweise im Singular - verbleiben. Wir haben aber oben (S. 51) zur Illustrierung der polymorphen Stufe des Innenaspkets bereits angeführt, daß sie in den alten Sprachen nicht selten im Plural verwendet werden, um die Vielfalt der stofflichen Struktur zu bezeichnen. So haben wir gr. xoviai 'Staub 1 cctyxciTa 'Blut', tÖQCöxeg 'Schweiß', yakay.Tiz> 'Milch', fi^ioi 'Sonnenglut', i|)ä|in.aTa 'Gebäude' (Tobler 1883, S. 421); die bei Löfstedt (1928, S. 28) in diesem Zusammenhang zitierten lateinischen Wörter clitellae 'Packsattel', crepundia 'Klapper', cunae 'Wiege' sind schon im Plural lexikalisiert. Doch ist bei allen Beispielen ursprünglich an eine innere Gliederung zu denken. Soweit die wichtigsten Besonderheiten und Abweichungen zum Pluralgebrauch in den alten Sprachen. Diesen Befund möchte Walter Belardi (1950) zusammen mit den homologen Fällen übersichtlicher erfassen, und zwar durch ein System struktureller Orientierung. Er weist zunächst darauf hin, daß die morphologische Opposition 'Singular - Plural' nicht immer eine parallele Quantitätsdifferenz des Inhalts 20
Wir zitieren Ingerid Dal, Kurze deutsche Syntax auf historischer Grundlage, Tübingen 3ig66, S. 3. Die Beispiele stammen aus Otfrids Evangelienbuch.
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bezeichnet. Doch würden 'Singular' und 'Plural' dessen uneingedenk einmal für beide Seiten des sprachlichen Zeichens, ein anderes Mal nur für seine Ausdrucksseite verwendet (Belardi 1950, S. 205; hier: S. 27/28). Es geht ihm daher vorab darum, die Fälle zu isolieren, in denen der Plural die quantitative Mehrzahl bedeutet. Hierzu trifft er die Unterscheidung in zählbare und unzählbare Substantive (vgl. oben. S. 25-27) und nennt die Klasse der ersten A , die der zweiten B (Belardi 1950, S. 206). In Klasse B finden sich sowohl morphologische Singulare wie fumo 'Rauch' als auch Plurale wie spezie 'Gewürz', die jedoch keine numerische Vielzahl bedeuten (als vergleichbare deutsche Beispiele könnte man etwa Masern oder Trümmer wählen). Letztere nennt er «analytische Juxtapositionen», erstere «Synthesen». Plurale der zählbaren Klasse bezeichnet er als «Summen», Singulare als «Individuen». Singulare und Plurale der Klasse B faßt er als «Kollektiva», Singulare und Plurale der Klasse A als «Quantitativa» zusammen (S. 207-208). Bei den analytischen Kollektiva handelt es sich nun gerade um die Fälle des «Plurals statt des Singulars», die wir soeben aufgeführt haben, wie taióg - Xaoí, ebenso ahd. liut 'Volk' - liuti > Leute, X " ^ 'Kies' XáX-ixeg 'Kieselsteine' usw., so daß wir zwei völlig verschiedene Arten der Pluralbedeutung haben: einmal die uns vertraute der aus individuellen Einheiten aufgebauten quantitativen Vielheit, und zum anderen die gleichsam nach innen gerichtete, analytische Gliederung. Belardi stellt denn auch fest: Se ora, al termine di questo paragrafo, ci si chiede quale sia l'unica distinzione, lingüísticamente fondamentale, fra tutti gli usi del plurale, considerata da un punto di vista obiettivo e interno al sistema, si puö rispondere che é la seguente: il morfema plurale o segna la proiezione del valore lessicale in un numero x di volte, o non indica verun superamento dell' estensione inerente al detto valore. (S. 215) 'Wenn man uns nun am Ende dieses Abschnittes fragt, welches, objektiv und systemintern betrachtet, die einzige Unterscheidung von elementarer linguistischer Bedeutung unter all diesen Gebrauchsweisen des Plurals sei, so kann man die folgende Antwort geben: Das Pluralmorphem bezeichnet entweder die Projektion des lexikalischen Wertes in eine um x vervielfachte Anzahl, oder aber es gibt keinerlei Überschreitung der jenem Werte inhärenten Extension an.'
Im System des indogermanischen Numerus sei daher nicht nur die Opposition Einzahl - Mehrzahl festzustellen, sondern zusätzlich noch die, freilich geringer ausgelastete, zwischen Quantitativum und Kollektivum: Quantitativum
singularisches
pluralisches
I Kollektivum 21
synthetisches
I ~
analytisches
(S. 216). 21
Gegenüber einem Beitrag vom Alter eines halben Jahrhunderts ist Rezensorik unangebracht. Doch sei der Hinweis gestattet, daß Belardis strukturelle Interpretation dieser Relationen (S. 2 1 5 - 2 1 6 ) unzutreffend ist.
116
D a ß sich das Kollektivum in der zweifachen Ausprägung als synthetisches und analytisches darstellt, mutet Belardi seltsam und schwer erklärlich an. D e n n da ihm die numerische Quantifizierung fremd ist, müßte es auch außerhalb der Numerusunterscheidung stehen. Verständlich und kohärent wäre daher seiner Auffassung nach ein System mit drei Bezugspunkten: Singular
Plural
Kollektivum
Eine solche Konstellation sei nun tatsächlich nachweisbar, etwa im klassischen Georgisch oder im Serbokroatischen sowie in marginalen Kleinparadigmen wie it. frutto - frutti - frutta oder dt. Wort - Wörter - Worte u. ä. Besonders aber habe man Grund zu der A n n a h m e , daß diese ideale ternäre Struktur zu vorhistorischer Z e i t die des indogermanischen Numerussystems gewesen sei, indem es nämlich ein einheitliches Kollektivum gegeben habe, und zwar in Gestalt der Bildungen auf *ä/a [*-h2]. Diese hätten ursprünglich allen G e n e r a als singularische Kollektiva zur Verfügung gestanden, wie man an Paradigmen wie: Singular |ir|Qc>5 'Schenkel', Plural fir|Qoi, Kollektivum [if|Qa 'Schenkelmasse' (beim Opfer); Singular r)viQ 'Zügel', Plural f)viai, Kollektivum f)via 'Zügelwerk', ' Z a u m z e u g ' sehen könne. Erst später sei die Form ins Paradigma des Neutrums integriert worden (Belardi S. 2 1 9 - 2 2 3 , vgl. Wackernagel 1926, S. 1 0 1 - 1 0 3 ; s. a. oben S. 1 0 3 - 1 0 6 ) . D e r G r u n d für den Funktionswandel sei möglicherweise im lexikalischen B e reich zu suchen: da manche L e x e m e sich v o m Quantitativum zum Kollektivum entwickelt hätten (wie ÖÖQXJ 'Baumstamm' > 'Holz') habe das Kollektivsuffix für andere Funktionen freiwerden, an seine Stelle aber analog zu den Verhältnissen bei den Quantitativa die morphologische A l t e r n a n z Singular-Plural treten können (S. 223-224). 2 2 D i e beiden Weisen pluralischen Bedeutens in den alten Sprachen stehen sich für Belardi unverbunden gegenüber. D i e zweite, die des analytischen Kollektivums, hat nach seiner Auffassung keine eigentliche Funktion. Z w a r weist er darauf hin, daß sie einer «analytischen Intuition» entspreche, daß hier die «Vorstellung der Teile» überwiege (S. 208), wobei er sich der älteren Literatur anschließt (vgl. Löfstedt 1928, S. 26), doch soll der Wellenstrich in seinem Schema andeuten, daß synthetisches und analytisches Kollektivum «austauschbar» sind (S. 216). D e r Begriff des Kollektivums stellt sich bei Belardi ambivalent dar. Einmal bezeichnet er die lexikalische Klasse der unkonturierten Nomina, 22
Hierauf läßt Belardi die B e h a n d l u n g des Dualis folgen, die wir schon diskutiert haben.
117
zum anderen den grammatischen Status einer dritten Funktion gegenüber Singular und Plural. Dadurch kann es zu der irrigen Vermutung kommen, die alten Kollektivbildungen auf *a/a [*-/z2] seien durch lexikalisch-amorphe Bedeutungen abgelöst worden. Natürlich haben Suffixkollektiva und klassematische Kontinua immer zusammen existiert, wie dies auch heute der Fall ist. Auf die linguistische Tradition der Nominalklassifizierung in umrissene und diffuse Bedeutungen nimmt Belardi keinen Bezug. Auch scheint ihm das Numeruskapitel bei Damourette, Pichon 1911 unbekannt zu sein. A n beides knüpft dagegen Holger Sten mit seinem etwa zur gleichen Zeit (1949) erschienenen Beitrag Le nombre grammatical (TCLC 4, S. 4 7 - 5 9 ) an, ja er gesteht, durch die Lektüre des Quantitude-Kapitels von Damourette und Pichon zu seinen Überlegungen angeregt worden zu sein (S. 50). Holger Sten geht also noch einmal auf deren Unterscheidung von «putation» und «blocalité» zurück (vgl. oben S. 3 1 - 3 3 ) , wobei die «blocalité» der Numerusunterscheidung entspricht. Danach ist die Opposition «kontinuierlich», «diskontinuierlich» maßgebend für den Numerus (Sten 1949, S. 50). Wie gelangt man nun von der Kontinuität zur Diskontinuität? Durch zwei mögliche Verfahren. Einmal kann man an die Einheit weitere anfügen: I
I > I
II
II
II
I ....,
was der üblichen Pluralauffassung entspricht. Man kann aber auch umgekehrt vorgehen und die Einheit in kleinere Einheiten aufgliedern: la beauté - des beautés. Il peut donc arriver qu'une unité devienne pluralité par division en éléments portant la même dénomination que la totalité première. (Sten 1949, S. 51) 23
Mit diesem zweiten Verfahren lassen sich die sogenannten analytischen Plurale in den alten Sprachen beschreiben. Sten erwähnt hier besonders die Stoffnamen und Abstrakta, deren Pluralisierbarkeit Damourette, Pichon zu Unrecht dem Lateinischen abgesprochen hatten. Entgegen der landläufigen Auffassung bezeichne der Plural also schlicht eine Vielheit (pluralité), was nicht zwangsläufig mit einer quantitativen Mehrheit gleichbedeutend sei (S. 55). Insgesamt aber scheint ihm die Figur zweier sich partiell überschneidender Kreise A und B am geeignetsten, um die Funktion des Plurals darzustellen, wobei A die Idee der Diskontinuität und B die der Quantität bezeichnet. Während beide Merkmale im größeren Teil, der Intersektion, zusammenfallen, bleibt doch in den zwei Randbereichen jedes für sich allein bestimmend (S. 57-58). 23
A n dieser Stelle bringt Sten seine Idee von der virtuellen Mehrteiligkeit bei
Ausdrücken wie medius pons; s. oben S. 51. 118
Dadurch, daß Holger Sten auf die aspektuelle Kategorie der «blocalité» von Damourette und Pichon zurückgreift, nähert er sich tatsächlich dem Schlüssel der Deutung der auf den ersten Blick befremdlichen Doppelnatur des Plurals in den alten Sprachen. Seiner richtigen Intuition fehlt nur die funktionelle Zentrierung des durch Analyse oder Synthese erreichten Plurals sowie eine gewisse historische Differenzierung. So sehr nämlich der Numerus für die synchronische Untersuchung geeignet scheint, auch ein ziemliches Maß an zwischensprachlicher Allgemeinheit aufweist, wie der Autor eingangs bemerkt, so wenig steht er doch außerhalb des historischen Wandels. Indem Sten aber immer die antiken und die modernen Numerusverhältnisse zugleich im Auge hat, gelingt es ihm nicht, sich ganz von der quantitativen Vorstellung der Substanz zu lösen. Dagegen ist der Plural in den alten Sprachen eine rein aspektuelle Kategorie. Hierfür hat sich Belardi den Blick verstellt, als er gleich zu Beginn seiner Untersuchung die numerische Quantität zum Bezugspunkt machte. Die «analytischen Juxtapositionen» lassen sich danach nicht mehr in den verengten Rahmen integrieren. Ironischerweise verfällt Belardi damit in eben den Fehler, den er der traditionellen Behandlung des Themas vorwerfen möchte, nämlich eine «ontologische Rechtfertigung» für die Numeruswahl zu suchen (S. 204).24 In Wirklichkeit aber bedeutet der Plural einfach die Vielgestalt. So können wir verstehen, daß die Alten 'Rauchschwaden' als xanvoi, 'Schneemassen' als nives, 'Staubwolken' als xoviai, 'Flammengezüngel' als
ignes bezeichneten; aber ebenso das 'Fleisch zerlegter Tiere' als adQxeç, 24
Gerade bei ziemlich allgemeinen Kategorien ist man oft versucht gewesen, ihre Funktion mit einer besonders markanten Redevariante gleichzusetzen. So hat man etwa die Bezeichnung des Individuellen als die Bedeutung des bestimmten Artikels ansehen wollen oder die Bezeichnung der Gegenwart als die Bedeutung des Präsens. Hierauf bezieht sich Hjelmslev mit seiner folgenden Bemerkung, die also auch für den Numerus ihre Berechtigung erweist, obgleich sie in dieser Hinsicht oft mit Verwunderung aufgenommen wurde: «Il est évident a priori que la conception traditionnelle, selon laquelle le nombre indique la quantité, le genre indique le sexe, et l'aspect indique le temps, est une erreur fondamentale. Ces faits ne constituent que des variantes qui se manifestent assez souvent il est vrai, mais qui par ailleurs ne se manifestent pas sans exceptions, et qui ne constituent qu'une seule des possibilités renfermées en germe dans la signification générale ou valeur des morphèmes en question.» Louis Hjelmslev, Essai d'une théorie des morphèmes, Actes du Quatrième Congrès International de Linguistes tenu à Copenhague du 27 août au Ier septembre 1936, Kopenhagen 1938, S. 140-151, hier S. 148. Interessant und konvergent ist in diesem Zusammenhang die Pluraldeutung Aleksandr Vasiljevic Isacenkos, der die verschiedenen im Russischen feststellbaren Redebedeutungen - um lexikalisierteres Material einbeziehen zu können - unter dem Merkmal der 'Gegliedertheit' (rasclenennost') zusammenfassen möchte: Aleksandr Vasiljevic Isacenko, O grammaticeskom znacenii, Voprosy Jazykoznanija, 10 (1961), S. 2 8 43, S. 37.
119
'Holzstücke' als ligna und 'Metallgeräte' als aera. A n die Vielfalt der Gestalt läßt sich die Verschiedenheit der Art bruchlos anfügen, die auch in den modernen Sprachen pluralische Stoffnamen erzeugt. Und selbst bei den Abstrakta bedarf es nur schwacher Metaphorik, um sie analog von ungleicher Äußerung und wechselndem Wesen zu empfinden. Das Bild der Vielgestalt mag bei den Menschen auch manches Funktionsgefüge von Bauwerken und Gerätschaften beherrscht und die Wahl des pluralischen Ausdrucks bestimmt haben. Wie gelangen wir aber von da aus zum «quantitativen» Plural der zählbaren Namen, der die Auffassung von der Kategorie so sehr dominiert? Zunächst einmal bedeutet der Plural hier das gleiche wie in den zuvor erwähnten Fällen: das Ding in seiner Vielgestalt, als etwas Vielgestaltiges. Die semantische Natur der Lexeme aber, welche das dingliche Wesen als einheitlich erfaßt, und der klassematische Zug der Konturiertheit läßt dieses kategorielle Merkmal als Vielheit von Individuen erscheinen. Das synthetische, additive Element entsteht also durch die Anlagerung der Bedeutung 'vielgestaltig' an die lexikalische Klasse der Konturnamen. Ja, man kann sagen, daß die summierenden Plurale das Ergebnis einer Umprägung der kategoriellen Bedeutung durch die klassematische der Kontur sind. Es verhält sich daher nicht etwa so, daß die quantitative Vorstellung außerhalb des numerisch erfaßbaren Bereichs gleichsam metaphorisch abgeschwächt wirksam wäre, sondern so, daß die eigentliche allgemeine Bedeutung des Plurals bei den Konturnamen eine besondere Ausformung erfährt: Die beiden Kreise in Holger Stens Figur wären inklusiv - mit Einbeschreibung der Quantität - zu zeichnen. Wie die semantische Struktur der Wörter mit der Pluralkategorie zusammenwirkt, zeigt sich auch an den lexikalischen Kollektivbedeutungen. Wir haben gesehen, wie hier eine Gliederung nach innen erfolgt, so daß der Sammelname in seinen Bestandteilen erscheint: Xaög - kaoi Die Übersetzung des Plurals durch 'in seiner Vielgestalt gesehen' macht die Funktion ohne weiteres verständlich. Die analytische Deutung des Plurals erfordert jedoch eine bestimmte semantische Disposition. Löfstedt (1928, S. 33) hat darauf hingewiesen, daß wir im poetischen Stil des Lateinischen zwar currüs pluralisch für 'einen Wagen' finden, nie aber equi für 'ein Pferd'; ebenso sei zwar pectora statt pectus geläufig, nicht aber viri statt vir. Gelegentlich kann es gleichwohl zum Konflikt zwischen den beiden Deutungen der Vielgestalt kommen. So hat Belardi schön gezeigt, wie die Sprachen auf Synonyme zurückgreifen, wenn es darum geht, die Sammelnamen selbst als additive Vielheit darzustellen (Belardi 1950, S. 2 1 0 213): gr. kaöq —» eOvr|, ahd. liut —*• felkir. Und die poetische Sprache muß sich zur Klärung der gemeinten Extension ihrer Plurale meist auf das sachlich-kontextuelle Sinngefüge verlassen. Nur durch die aspektuelle Deutung gelingt es uns also, die scheinbar auseinanderstrebenden Verfahren der Pluralisierung in den alten Spra120
chen als einheitliche Funktion zu erfassen. Dieser aspektuellen Deutung steht die Meinung der älteren Forschung übrigens nicht fern: 25 A b e r auch wenn wir uns an die Appellativa halten, können wir nicht einfach sagen, dass der Plural zu einer Vervielfältigung des singularischen Ausdrucks dient, sondern man wird besser so sagen: beim Singular fasst man den Nominalbegriff als Einheit, beim Plural als Vielheit. Eine materielle Verschiedenheit ist damit nicht ohne weiteres gegeben. (Wackernagel (1920), 1926, 1981, S. 91-92; s. a. oben S. 23) Begriffe der Masse eignen sich, wie man bemerkt hat, im Grunde genommen gleich gut für den singularischen wie für den pluralischen Ausdruck, wobei natürlich im Sing, die Vorstellung des zusammenhängenden Ganzen überwiegt, im Plur. dagegen die Vielheit der einzelnen Teile oder Stücke vorschwebt. (Löfstedt 1928, S. 26)
Eine gewisse Sonderstellung kommt der Pluralverwendung zu, welche Löfstedt die generelle, rhetorische oder emphatische genannt hat, und die er zu Recht von der sogenannten poetischen trennt. Er hat diesen Gebrauch, der den klassischen wie den modernen Sprachen angehört («Ja, wenn er unbedingt Paläste bauen muß...»), treffend charakterisiert: Das Wesen desselben besteht darin, dass man das Einmalige und Individuelle generalisiert, entweder einfach um den allgemeinen Charakter einer Erscheinung anzudeuten oder um eine rhetorische Steigerung hervorzurufen, indem man das Vereinzelte in pathetischer, ironischer oder anderer Weise als wiederholt und typisch hinstellt ... (Löfstedt 1928, S. 34)
Die semantische Natur dieser gnomischen Plurale läßt sich über die Vielartigkeit oder die Iteration ohne weiteres an die Grundbedeutung anschließen. 4.2.4 Der unkonturierte Aspekt im Lateinischen Ebenso wie die für uns ungewohnten Weisen des Pluralgebrauchs hat die Grammatik der klassischen Schulsprachen auch Abweichungen bei der singularischen Nominalverwendung beschrieben. Auch hierbei ist es, mehr als nur der zwischensprachliche Kontrast, die unterschiedliche Sicht der Dinge, die uns auffällt. Während der Plural stoffliche Substanzen gleichsam auflockern und in sich gliedern kann, vermag umgekehrt der Singular eine solche durch die Wortsemantik vorgezeichnete Gliederung einzuebnen. Man hat diese Erscheinung unter das Bezugswort «kollektiver Singular» gestellt. Unsere Vorbehalte gegenüber diesem Terminus haben wir schon geäußert (vgl. oben S. 8, 28, 50). Auch Löfstedt bemerkt: Dass die Bezeichnung 'kollektiver Singular' insofern wenig zweckmässig ist, als man unter dieser Rubrik strenggenommen recht verschiedenartige Erscheinungen zusammenzuführen pflegt, ... 25
Hierauf hat schon Holger Sten (1949, S. 50) im Zusammenhang mit dem Begriff der blocalite bei Damourette und Pichon aufmerksam gemacht. 121
Er meint damit insbesondere den Einbezug des generischen Gebrauchs, möchte dann aber doch zur Vermeidung unnötiger Subtilität auf eine Differenzierung verzichten (vgl. oben S. 23). Uns interessieren die Fälle, die explizit oder implizit eine Quantifizierung enthalten, da sich der Nominalaspekt auf dieser Stufe der Determination symptomatisch darstellt. Sachlich und kulturhistorisch haben sich gewisse Bedeutungsgruppen für eine solche Singularverwendung disponiert. 26 Dazu gehören zunächst die Personennamen aus dem militärischen Umkreis wie miles, eques, pedes, hostis u. ä., die singularisch auf die feste Fügung der Formation verweisen sollen. Semantisch vergleichen läßt sich die deutsche Wendung zehn Mann, obgleich sie historisch anders begründet ist.27 Den Typus hostis 'der Feind' haben wir oben (S. 23-24) schon kurz angesprochen. Zweitens findet man diesen Gebrauch bei Tieren, wenn diese undifferenziert betrachtet wurden. Hierzu wird meist eine Stelle aus Ciceros Cato maior (16, 56) angeführt: «villaque tota locuples est: abundat porco, haedo, agno, gallina, lacte, caseo, melle». In weitem Umfang üblich war der Singular bei Pflanzen, Früchten und Gewächsen, sofern nicht gerade von ausgewählten Exemplaren die Rede war. Gleiches läßt sich von Ausdrücken verschiedener Sachgebiete sagen, die materialhafte
26
27
Wir beschränken uns hier auf das Lateinische. Die Verhältnisse im Griechischen sind ähnlich (vgl. das oft zitierte ÖCBIOU "/EÜJV). Die Kasuistik folgt der Zusammenstellung von Raphael Kühner, Ausführliche Grammatik der lateinischen Sprache, Teil 1, Elementar-, Formen- und Wortlehre. Neubearbeitet von Friedrich Holzweissig, Hannover 2ign (= Kühner-Stegmann, Bd. 1; Ndr.: Darmstadt 1989), S. 67-70, die auch Löfstedt 1928 aufnimmt. Humboldt (1827), 1963, S. 134-135, Anm., hat darin «eine schöne Feinheit» gesehen: «Der Singular soll hier andeuten, dass die angezeigte Zahl als ein geschlossenes Ganzes angesehen wird; darum wird das Wort aus der unbestimmten Mehrheit des Pluralis herausgerissen.» (S. 135) Dagegen hat man geltend gemacht, hier handele es sich nur um einen morphologischen Zufall: «Dass im Deutschen Wörter für Maße wie P f u n d , Fass, G l a s , S t ü c k , B u c h (als Papiermaß) nach Zahlen im Sing, stehen, ist nur Schein; jene Formen sind vielmehr alte Plurale der Neutra ohne Endung, ebenso M a n n bei Zählung von Soldaten der alte Plural dieses Wortes.» (Tobler 1883, S. 412, Anm.) Daß sich alte endungslose Formen gerade nach Zahlen erhalten haben - wo der Plural redundant ist - , betonen Hermann Paul 1920, S. 272-273, und Johannes Erben, Deutsche Grammatik. Ein Abriß, München "1972, S. 164, Anm. 670, ebenso wie schon Johann Christoph Adelung in seinem grammatisch-kritischen Wörterbuch (1774-1786; vgl. Humboldt a.a.O.). In der Tat verzichten viele Sprachen nach Zahlen auf Pluralmorpheme, z.B. das Ungarische, Türkische, Mongolische. Auf den durch Redundanz prekären Status von Pluralendungen nach Kardinalzahlen im indogermanischen Bereich hat Jerzy Kurylowicz 1964, S. 22, hingewiesen, so bei Maßangaben im Mittelenglischen und Deutschen, generell im Neupersischen. Gleiches stellt man im Neuarmenischen fest. Diese Gesichtspunkte ändern jedoch nichts an der synchronischen Korrektheit der aspektuellen Deutung Humboldts.
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Gegenstände bezeichneten, besonders, wenn diese in größerer Anzahl verwendet wurden, wie lapis, tegula, caespes etc. Diese vier Anwendungsbereiche des «kollektiven Singulars» werden immer wieder genannt. Eher beiläufig in einer Fußnote (S. 70, Anm. 3) macht aber Kühner noch eine wichtige Bemerkung: N o c h weiter gehen vielfach Dichter und spätere; namentlich fallen hier kollektive Singulare in Verbindung mit multus, plurimus, frequens u.a. auf.
Er führt dazu eine Reihe von Belegen an, deren semantische Basis sehr verschiedenartig ist: -
milite multo, incola rarus, multus numerosa
heres;
bucula, multa cane, multa
nux plurima,
oleaster plurimus,
multa
victima; cedro;
crebra cuspide, multo fune etc.
Dabei liegt der Gedanke nicht fern, ja er drängt sich eigentlich auf, daß dieser quantifizierte Singulargebrauch im Lateinischen in bestimmter Aussageabsicht bei allen konkreten Konturnamen möglich war. Uns Späteren aber ist diese Tatsache durch die Beschränktheit der Überlieferung nicht recht bewußt geworden. Was die Einordnung dieses «kollektiven Singulars» in das Lateinische als Diasystem angeht, so hat man ihn gelegentlich als bezeichnend für die Sprache der Soldaten, Bauern, Jäger, Gärtner oder Handwerker angesehen. Doch meint Löfstedt zu Recht, dies seien nur ebenso viele Schattierungen dessen, was wir Volks- oder Alltagssprache nennen (1928, S. 17).
Stilistisch habe dieser Gebrauch denn auch einen «urwüchsigen und volkstümlichen Charakter» (1928, S. 23). Merkwürdig ist dabei allerdings, daß der «kollektive Singular» auch in der Dichtung erscheint, ja daß er gerade in der hohen Poesie der augusteischen Zeit an Häufigkeit zunimmt. 28 Löfstedt kommt daher nicht umhin, ihm zugleich «ein ausgesprochen poetisches Kolorit» (1928, S. 20) zuzuschreiben, einen «feierlichen und eindrucksvollen Ton» (ibid.): ..., und so stehen wir, wenn ich nicht irre, vor einem der nicht allzu seltenen Fälle, wo volkstümliche und poetische Freiheit der Ausdrucksweise bei näherer Betrachtung zusammentreffen . . . (ibid.).
Volkstümlicher Ausdruck und hoher poetischer Ton sind freilich nicht ohne weiteres als benachbart zu sehen. Welches aber in unserem Fall der gemeinsame Bezug zwischen beidem ist, hat Löfstedt richtig empfunden: D e r kollektive Singular ist etwas Uraltes und Einfaches, das die Dichter und R h e t o r e n aufgegriffen und als Kunstmittel benutzt haben, (ibid.) 28
Vgl. Einar Löfstedt, Philologischer Kommentar zur Peregrinatio Aetheriae. Untersuchungen zur Geschichte der lateinischen Sprache, Uppsala 1911, S. 178. 123
Es handelt sich um die Schlichtheit des Archaischen als des Primären. 29 Der Verzicht auf den Plural sammelt nämlich die Kraft der Vorstellung in der Grundbedeutung und betont die Vertrautheit des Gemeinten. Dadurch eben ist der undifferenzierte Singular den Berufssprachen geläufig: er evoziert die bekannten Materialien, deren Ein- oder Vielgestalt keiner weiteren Beschreibung bedarf. Der Aufruf des vertrauten Bildes ist aber auch die Stilabsicht des Dichters. Im ganzen aber wird man sagen können, daß unsere Wendung zwar dem kolloquialen Diskurs affin, den meisten Sorten der Schriftsprache aber nicht fremd ist. Die Diskussion um die stilistische Bewertung des «kollektiven Singulars» darf allerdings nicht dazu führen, daß seine funktionelle Deutung in den Hintergrund gerät. In welchem diaphasischen Zusammenhang er auch verwendet wird, er steht in Opposition zu der pluralischen Form, und zwar zum Ausdruck des unkonturierten Aspekts. Der kollektive Singular faßt nicht die einzelnen Individuen oder Dinge ins Auge, sondern die Gruppe, die Masse, das Material - die Vielheit von Individuen wird als Einheit betrachtet. (Leumann-Hofmann-Szantyr 1965, 1972, S.I3)
Wie die Konturierung eingeebnet wird, zeigt schön die oben zitierte Stelle aus Ciceros Cato maior, wo beide Nominalklassen im gleichen Aspekt nebeneinandergestellt sind: abundat porco, haedo, agno, gallina, lacte, caseo, melle. Allerdings müssen wir uns hier noch einmal fragen, wie es eigentlich kommt, daß wir die merkmallosen Formen als Ausdruck des unkonturierten Aspekts verstehen. Das Lateinische verfügt ja nicht über ein Artikelsystem, so daß Konturiertes, Unkonturiertes und Generelles zusammenfallen. So können wir ohne weitere Information gallina als 'ein Huhn', ' 0 Huhn' oder 'das Huhn' übersetzen, letzteres dazu noch individuell oder generisch interpretieren. In der Tat wirken drei Faktoren bei diesem Verständnis mit. Der erste ist die Singularform, die freilich zunächst die genannte Mehrdeutigkeit aufweist. Der zweite besteht in dem semantisch-klassematischen Zug der Konturiertheit bei den in Frage stehenden Substantiven. Der dritte Faktor schließlich ist die Quantifizierung. 29
Die stilistische Verwendung des Archaischen, besonders in Hinsicht auf die römische Literatur, haben wir an anderer Stelle behandelt: Reinhard Meisterfeld, Stilistischer Archaismus, Biblos 51 (1975), S. 493-516, zum Verhältnis von Primärem und Archaischem S. 510-511. Daß Volkstümliches und Poetisches im Lateinischen manchmal Ähnlichkeiten aufweisen, hatte Löfstedt schon früher (1911, S. 15-17) angemerkt, dies aber mit der spontanen Emphase beider Sprachstile in Zusammenhang gebracht. In solchen Fällen lassen sich freilich keine allgemeinen Feststellungen treffen, sondern jede Einzelerscheinung, ja eigentlich jedes Textvorkommen, muß für sich beurteilt werden.
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Die Quantifizierung ist oft lediglich in der sachlichen Kenntnis gegeben, daß für einen bestimmten Sinnzusammenhang nicht nur ein einzelnes Exemplar der Gattung in Frage kommen kann (vgl. oben S. 40). In ähnlicher Weise können Situation oder Kontext informativ sein. Eindeutig aber ist die Quantifizierung, wenn sie explizit im Satze selbst erscheint. 30 Wenn nun die Quantifizierung bei einem klassematisch konturiert gegebenen Nomen die singulare Referenz ausschließt, gleichwohl aber die singularische Form erscheint, muß diese als Transnumeral und das Nomen als unkonturiert gedeutet werden. Die impliziten Quantifizierungen vermögen nicht immer eindeutig den individuellen Bezug abzuweisen. Es ist daher eine gewisse kulturhistorisch bedingte Kodifizierung entstanden, die bestimmte Sachklassen eher als gemessene Substanzen - und daher im unkonturierten Aspekt - denn als gezählte Summen erscheinen läßt. Diese Bedeutungsklassen sind es, die man in den Handbüchern unter dem Lemma «kollektiver Singular» angeführt findet. Die explizite Quantifizierung aber durch multus und seine Synonymgruppen vermag die singuläre Referenz eindeutig auszuschließen. Aus diesem Grunde konnte hier der unkonturierte Aspekt ohne Beschränkung bei allen konkreten Konturnamen auftreten, auch wenn sich dies nicht in jedem Einzelfall belegen läßt. 31
4.3
Die grammatische Herausbildung der Kontur
Wir haben oben (S. 43) schon angedeutet, daß zur Zeichnung der Kontur auch die Differenzierung des Hintergrundes beitragen kann, bzw. die A b hebung des Unkonturierten; und wir haben gesehen, daß dies im indogermanischen Bereich tatsächlich in manchen Sektionen mit Hilfe des partitiven Genitivs geschieht. So finden wir bei Homer JUEÍV oivoio, XCOTOIO (¡paycóv, die Kurylowicz, ebenso wie vergleichbare Fälle im Baltischen und Slavischen, historisch durch die Ellipse eines quantitativen Direktobjekts erklären möchte; doch hat das Griechische hier keine Systematik entwikkelt und das Baltoslavische in deutlicher Weise nur bei den Verben des Gebens und Nehmens (Kurylowicz 1964, S. 184-186). Weiter scheint der Gebrauch in den italischen Dialekten gegangen zu sein, wo man diesen Genitiv auch als Subjektskasus belegt findet (Leumann-Hofmann-Szantyr 1965, 1972, S. 54), während er im Lateinischen hauptsächlich adnominal auftrat. Kategoriell distinktiv wird das Unkonturierte erst im Romani30
31
Gedacht ist natürlich an die determinativen Begleiter des Nomens wie multus, paucus, frequens etc., doch zeigt unser Cicero-Zitat, daß auch das verbale abundare in gleicher Weise wirkt. Aus diesen Beobachtungen mag man entnehmen, daß Damourettes und Pichons Bemerkungen zum Nominalaspekt im Lateinischen (vgl. oben S. 3 1 - 3 3 ) unzutreffend sind.
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sehen, und zwar in den Systemen, wo sich der sogenannte Teilungsartikel durchgesetzt hat. A b e r auch das Konturierte findet zunächst nur in sehr mittelbarer Weise einen grammatischen Ausdruck. Es erscheint, wie wir soeben am Beispiel des Lateinischen gesehen haben, durch die Kategorie des Plurals. A b e r es erscheint noch keineswegs durch die Kategorie des Plurals als solche, sondern nur dort, wo diese ihre aspektuelle Natur der Vielgestaltigkeit mit der Semantik der Konturnamen verbindet und so die summierende Vorstellung erzeugt. Oder noch genauer: Daß innerhalb des Plurals als allgemeiner aspektueller Kategorie der Vielgestalt die Konturnamen eine eigene Bedeutung ausbilden, ist der erste Zug ihrer Darstellung mit grammatischen Mitteln. Diese Bedeutung ist quantifizierbar, das heißt, sie kann in der konkreten Rededetermination eine Vielheit von Individuen bezeichnen. Das ist aber zunächst nur ein, wenn auch markanter, Sonderfall der Pluralfunktion insgesamt, die ja auch die analytische Innengliederung der Semanteme umfaßt. Dadurch wird zugleich der Grad der inneren Kohäsion bestimmt, der in dieser Phase noch zwischen Verschmelzung und Solidarität angesetzt werden muß. Dies gilt natürlich ebenfalls für die summiert verstandenen Konturnamen, deren Plurale zu jener Zeit keineswegs als diskret gedeutet werden können, wie es fälschlich oft geschieht. Sonst hätten die stark kohäsiven Kollektivplurale des Neutrums nicht in das Paradigma integriert werden können. Die weitere Herausarbeitung der Kontur erfolgt durch die zunehmende Dominanz des additiven Pluraltyps, der eine Zurücknahme des analytischen Verfahrens entspricht. So trägt zu historischer Zeit der analytische Plural von Gegenständen schon ein poetisches Kolorit, das darauf hinweist, daß diese Bildung sich dem normalen Sprachgebrauch entfremdet hatte. Daß es hier zu Verwechslungen der beiden Pluraldeutungen kommen konnte, mag die Entwicklung erklären. Dadurch werden die kollektiven Innengliederungen isoliert und neigen zur Lexikalisierung. Die analytischen Plurale beschränken sich schließlich auf die lexematischen Kontinua, also Stoffnamen und Abstrakta, so daß sich Kontur- und Diffusnamen erstmals durch die Natur ihres Pluralisierungsverfahrens einander gegenüberstellen. Nach dem Vorbild der dominierenden Additivplurale werden dann aber auch die Kontinuaplurale leicht als Konversionen interpretiert oder als lexikalische Fixierungen. So wird der Plural endlich zu einer Kategorie, die überhaupt nur für Konturnamen in Frage kommt, und seine Bedeutung ist die additive Vielheit. Umgekehrt aber wird die Pluralisierbarkeit zum Merkmal der klassematischen Kontur. Die unmittelbare Kennzeichnung der Konturnamen freilich geschieht erst durch die Entstehung des unbestimmten Artikels und seiner obligatorischen Positionen. Diese Innovation kristallisiert die Diskretheit der 126
Plurale weiter aus und betont die Zählbarkeit als sinnvolles Kriterium der Pluralfähigkeit. Die verbliebenen Kontinuaplurale aber stellen sich als Lexikalisierungen dar oder als gleichsam übertragene Anwendungen des eigentlichen Pluralwertes. Diese Überlegungen sind zudem von einer gewissen bisher zu wenig beachteten typologischen Bedeutung für die Genese des unbestimmten Artikels. Es wird nämlich klar, daß diese sich kohärent in den graduellen Vorgang der grammatischen Konturausbildung einreiht. Mit der fortschreitenden Prägung der Pluralkategorie durch die Konturnamen wandelt sich ihr Charakter vom Aspektuellen zum Quantitativen. Allerdings darf dabei nicht übersehen werden, daß die Quantifizierung, auch die durch den Numerus, zunächst nur die Möglichkeit der Anwendung auf reale Mengen bedeutet, nicht aber diese Anwendung selbst (vgl. oben S. 38).32 Wo aber die konkrete Anwendung auf die materielle Vielheit ausgeschlossen ist, verbleibt als Bedeutung des Plurals die der Diskretheit als Aspekt. 3 3 Im übrigen haben wir schon deutlich machen können, daß der nominale Aspekt energetisch in Bewegung bleibt und nicht etwa in der Quantität seine logische Bestimmung erreicht hat, ebenso wenig wie der Verbalaspekt im Tempussystem.
32
33
Es steht damit im Einklang, daß nach Frege die Z a h l e n über B e g r i f f e n , nicht über D i n g e n operieren. Diese finden wir zum Beispiel bei der V e r w e n d u n g des N o m e n s in beschreibender (un romanzo a puntate) oder generischer Funktion, w o man aus quantitativer Sicht auf die Indifferenz des N u m e r u s hingewiesen hat (Paul 1920, S. 271, vgl. o. S. 22). B e i Kontinua hatte O t t o Jespersen die Numeruswahl für funktionslos gehalten: « A s there is no separate grammatical «common-number», languages must in the case of mass-words choose one of the two existing formal n u m b e r s ; . . . » (Jespersen 1924, S. 199). Ä h n l i c h auch, wie erwähnt, Belardi 1950, S. 215.
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5-
O Singular aspectual Que se pode deseidr na lingua portuguesa que ella tenha? conformidade com a latina? nestes ugrsos feitos em louuor da nossa pätria, se pöde uer quanta tem, por que assi sam portugueses que os entende o portugues, e tarn latinos que os nam estranhara que soubgr a lingua latina. Joäo de Barros, Diälogo em louvor da nossa linguagem1
Wenn wir uns nun noch einmal dem Nominalaspekt im Portugiesischen zuwenden, so bemerken wir an erster Stelle die überraschende Ähnlichkeit mit den lateinischen Verhältnissen. Dies bedeutet, daß wir den Wechsel zwischen konturiertem und unkonturiertem Aspekt und damit die analytische Grammatikalisierung des klassematischen Zugs der Konturiertheit in den iberischen Sprachen als ererbte lateinische Erscheinung und nicht als romanische Entwicklung anzusehen haben. Bestand hat seit lateinischer Zeit die Affinität bestimmter gängiger Marktprodukte zur unkonturierten Nennung. Maßgebend ist hier die Üblichkeit und das Meßverfahren, nicht die Tradition der Gattung. So sind die Kulturpflanzen der Neuen Welt batata, tomate, feijäo ohne weiteres in die substantiell betrachteten Sorten integriert worden, während ovos 'Eier' als gezählte Ware dafür nicht in Frage kamen. Wie wir auch für das Lateinische angenommen hatten, können aber bei adjektivischer Quantifikation, also im wesentlichen bei muito, pouco, mais, menos, tanto, quanto, demasiado, bastante, auch der Existenzquantifikation hä, alle Konturnamen eingeebnet werden. Das geschieht selbst bei Lexemen mit individuellem Relief wie pessoa. Hier tritt eine Reduzierung auf das Meßbare der Art ein. Bei dia etwa, ja selbst bei minuto und segundo, gelangen wir zur Substanz der Zeit; aber zum Beispiel bei muito segundo zur Bedeutung 'viel Zeit von der Art, wie sie üblicherweise in Sekunden gemessen wird'. Die unbeschränkte Anwendbarkeit des unkonturierten Aspekts bei expliziter Quantifikation wird sich zu einem guten Teil der lateinischen Tradition verdanken. Denn im Portugiesischen als Artikelsprache ist die merkmallose Form der Nominallexeme nicht mehr in gleicher Weise funktionell überlastet, wie dies im Lateinischen der Fall war. Hier kann zwischen comprar päo und comprar um päo unterschieden werden. 2 1
2
Joäo de Barros, Diälogo em Louuor da Nóssa Linguägem, Lissabon 1540, in: Maria Leonor Carvalhäo Buescu (Hg.), Joäo de Barros, Gramática da lingua portuguesa. Cartinha, Gramática, Diálogo em louvor da nossa linguagem e Diálogo da viciosa vergonha. Reprodugäo facsimilada, leitura, introdugäo e anotaföes, Lissabon 1971, S. 163 (S. 54 des Originals). Im Falle des Zweifels griff auch der Römer zum Zahlwort, und aus solchen Verwendungen wird ja die Entstehung des unbestimmten Artikels hergeleitet.
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Gleichwohl haben die Quantifikatoren beim Ausdruck des unkonturierten Aspekts auch im Portugiesischen noch eine vereindeutigende Stützfunktion. Denn die artikellose Verwendung von Substantiven im konturierten Aspekt ist im Portugiesischen nicht ausgeschlossen. Und zur richtigen Deutung von A sardinha custa ... vs. A mesa custa ... bedarf es weiterhin der Sacherfahrung. Die Existenz der Artikel stellt also in mittelbarer Weise einen gewissen Unterschied zwischen dem unkonturierten Aspekt im Lateinischen und dem portugiesischen Äquivalent dar. Dies gilt auch in Hinsicht auf die Plurale in beiden Sprachen: Die portugiesischen Plurale sind durch die Artikelkonturierung im Singular diskreter als die lateinischen, so daß der unkonturierte Aspekt stärker kontrastiert, als dies im Lateinischen der Fall war. Von diesen analytischen Überlegungen abgesehen aber stellt sich der Aspektwechsel im Lateinischen und Portugiesischen so gleichartig dar, daß es sich geradezu anbietet, bei defektiver Belegsituation in der alten Sprache die iberische Quelle rekonstruktiv zu nutzen. Hierzu trägt ein Umstand bei, den man durchaus ungewöhnlich nennen kann. Wir stellen nämlich fest, daß auch die stilistische Bewertung der Erscheinung, bzw. ihre Einstufung in das komplexere Diasystem im Lateinischen und Portugiesischen weitgehend übereinstimmen. Bemerkenswert ist dies, weil die romanischen Sprachen ja ihre Emanzipation vom Lateinischen nicht zuletzt umfangreichen Verwerfungen in dessen innersystematischer Schichtung und Einteilung verdanken. In unserem Falle jedoch könnte man die stilistische Charakterisierung, die man dem «kollektiven Singular» im Lateinischen beigelegt hat, ohne weiteres auf das Portugiesische übertragen: der etwas volkstümliche, nicht aber vulgäre Zug, das schlichte lyrische Moment, der kolloquiale, souveräne Ton, der scheinbar beiläufig auf die intellektuelle Überdeutlichkeit des Plurals verzichtet. A l s Merkmal des Portugiesischen insgesamt aber entspricht der unkonturierte Aspekt jener leicht rustikalen, gleichwohl konservativen, die klassische Wölbung unterquerenden Sprachschicht, die für die iberische Latinität bezeichnend ist. Was nun die synchronische Interpretation des «merkwürdigen Singulars» angeht, so läßt sich sein Gebrauch tatsächlich als Neutralisierung beschreiben (vgl. S. 8/9). Allerdings sind hierbei zwei oppositive Stufen zu beachten, durch die unsere Form jeweils als merkmallos hindurchgeht. Zuerst nämlich steht das Konturierte dem Unkonturierten, der Singular dem Transnumeral merkmalhaft gegenüber. 3 A n zweiter Stelle erscheint der Plural als gekennzeichnet gegenüber dem Singular, der Transnumeral aber verbleibt wiederum indifferent gegenüber der Kategorie. Nur unter 3
Mit Recht verweist Johann Knobloch (1955, S. 208-209) darauf, daß das vom unbestimmten Artikel begleitete Nomen in gewisser Hinsicht als eine Art Singulativ betrachtet werden kann.
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der Berücksichtigung beider Stufen kann der Transnumeral als neutral gegenüber dem Plural gelten. 4 Ob man indes zwischen syntaktisch relevanten Klassen Neutralisierung annehmen kann, ist fraglich. Terminologisch wird man sich nicht so leicht von dem Ausdruck «kollektiver Singular» lösen können. Da die Bezeichnung «Singular» nicht unberechtigt ist, wenn nur morphologischer Status und Ausdrucksebene betrachtet werden, könnte man der portugiesischen Grammatik einen Kompromiß vorschlagen: «Singular aspectual».
4
Ist der Transnumeral quantifiziert: muita sardinha: muitas sardinhas, so scheint allerdings die Diskretheit direkt und merkmalhaft der Kontinuität gegenüberzustehen. Da die Diskretheit aber wiederum die pluralische Konversion der Kontur ist, handelt es sich auch hier analytisch um zwei Stufen. Historisch waren die Verhältnisse, wie gesagt, andere.
130
Literaturverzeichnis
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Sprachenindex
Altenglisch 1 1 3 Althochdeutsch 1 1 5 , 116, 120 Altirisch 71 Altkirchenslavisch 59, 61 Arabisch 16, 17 Armenisch 3, 56, 122 Bairisch 28 Baltisch 43, 125 Bantu 16, 44 Brasilianisch 9 Chinesisch 12, 15 Chiriguano 15 Dänisch 51 Deutsch 12, 17, 19, 21, 22, 23, 24, 25, 28, 29, 30, 35. 38, 39. 40, 41. 42. 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 5 i , 56, 57, 65, 67, 68, 69, 70, 73, 74, 75, 77, 79-87, 101, 107, 1 1 5 , 116, 1 1 7 , 1 2 1 , 122 Dyirbal 57 Englisch 3 , 1 7 , 25, 26, 29, 30, 33, 39, 48, 5 i , 56, 57, 58, 60, 87, 1 1 5 Finnisch 43, 54, 65 Französisch 17, 18, 20, 21, 22, 26, 3 1 33, 34, 39, 42, 45, 48, 49, 5, 51, 68, 77, 78, 93, 95, 108 Gaskognisch 60 Georgisch 1 1 7 Germanisch 109 Griechisch 18, 19, 22, 23, 36, 37, 43, 46, 47, 51, 102, 103, 109, 110, i n , 1 1 2 , 1 1 3 , 1 1 4 , 1 1 5 , 1 1 6 , 1 1 7 , 119, 120, 122, 125 Guarani 43 Hamito-Semitisch 109 Hebräisch 8 Hopi 43 Indogermanisch 2, 3, 17, 46, 53, 56, 57, 58, 61, 66, 71, 72, 73, 1 0 2 - 1 0 7 , 109, 1 1 2 , 1 1 3 , 116, 1 1 7 , 118, 122, 125
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Italienisch 22, 39, 46, 50, 68, 69, 74, 9 5 100, 101, 116, 117, 127 Italisch 109, 125 Japanisch 36, 106 Keltisch 16 Lateinisch 3, 21, 23, 24, 31, 32, 33, 46, 47, 49, 5 i , 57, 65, 70, 96, 102, 103, 105, 107, 109, 114, 115, 119, 120, 1 2 1 - 1 2 5 , 128, 129 Litauisch 46, 56, 109, 1 1 3 Lombardisch 18 Luwisch 71 Mandschu 15, 34 Mittelenglisch 122 Mongolisch 122 Navaho 58 Persisch 56, 122 Polnisch 43, 59, 76 Polynesisch 15 Ponca 15 Portugiesisch 4 - 1 0 , 28, 30, 3 1 , 34, 35, 39, 53, 60, 69, 74, 78, 92, 101, 1 2 8 130 Romanisch 12, 17, 41, 43, 56, 60, 69, 93, 99, 110, 115, 129 Rumänisch 34, 60, 109 Russisch 21, 54, 59, 61, 76, 1 1 9 Sanskrit 46, 102, 103 Sardisch 60 Schwedisch 23 Serbokroatisch 1 1 7 Sioux 15 Slavisch 17, 43, 53, 59, 60, 61, 76, 109, 125 Slovenisch 46, 109, 1 1 3 Sorbisch 46, 109 Spanisch 7, 8, 18, 22, 30, 5 1 , 60, 61, 74, 75, 78, 87-95, 101, 107, 109 Süditalienisch 60
Südslavisch 59 Thai 15 Tolai 16 Tungusisch 34 Türkisch 122
Tupí 43 Tzeltal 72, 73 Ungarisch 122 Vietnamesisch
Personenregister
Adelung, Johann Christoph 122 Admoni, Wladimir 73 Adrados, Francisco R. 21, 66, 71, 94 Aksakov, Konstantin Sergejevic 21 Alarcos Llorach, Emilio 88, 93 Albrecht, Jörn 11, 12, 63 Ali, Manuel Said 6 Andrade, Jäo Pedro de 4 Aristoteles 26 Augustinus, Aurelius 115 Augustus, Gaius Julius Caesar 123 Auwera, Johan van der 34, 37 A z e v e d o Filho, Leodegärio 6 Badia i Margarit, Antoni Maria 8 Baldinger, Kurt 50 Barron, Roger 15 Barros, Joäo de 6, 128 Beaugrande, Robert-Alain de 38 Beauzée, Nicolas 56, 57 Bednarczuk, Leszek 47 Behaghel, Otto 23 Belardi, Walter 8, 110, i n , 115, 116, 117, 118, 119, 120, 127 Benzing, Johannes 34 Berschin, Helmut 8 Biermann, Anna 16, 17, 28, 30 Bloomfield, Leonard 26, 27, 29, 44 Boas, Franz 14 Bogacki, Krzysztof 76 Bolinger, Dwight 33 Brinkmann, Hennig 21, 48, 58, 79, 82 Brito, A n a Maria 7 Br0ndal, Viggo 110 Brugmann, Karl 59, 105, 109, 110, 112, 113 Brunot, Ferdinand 48 Bruyne, Jacques de 8, 88, 92, 94 Bueno, Francisco da Silveira 6 Buescu, Maria Leonor Carvalhäo 6, 128 Buhofer, Annelies 48 Bunt, Harry C. 33, 37
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Burger, Harald 48 BuBmann, Hadumod 66 Cantor, Georg 20 Carducci, Giosuè 98 Carnap, Rudolf 13 Casadio, Claudia 42 Cassirer, Ernst 2, 14, 16, 24, 26, 30, 35, 36, 37, 55. 70, 107, 108, 112 Castelvecchi, Alberto 95 Castro, José Maria Ferreira de 101 Christophersen, Paul 26 Cicero, Marcus Tullius 122, 124, 125 Cintra, Luis Filipe Lindley 6 Conte, Maria-Elisabeth 17 Corbett, Greville G. 56 Corneille, Pierre 49 Coseriu, Eugenio 11, 12, 13, 19, 21, 22, 24, 36, 38, 39, 46, 47, 53, 54, 62, 63, 64, 68, 75, 107, 112 Coste, Jean 88, 89, 90, 91, 92, 94 Coulmas, Florian 84 Craig, Colette 57 Cunha, Celso 6 Cuny, Albert 109 Dal, Ingerid 115 Damourette, Jacques 26, 31, 32, 33, 36, 48, 49, 53, 77, n 8 , 119, 121, 125 David, Jean 33, 79 Delille, Karl Heinz 60, 92, 101 Demosthenes 115 Dias, Augusto Epiphanio da Silva 7 Dietrich, Wolf 15, 43, 100 Diez, Friedrich 95, 97 Dik, Simon C. 34, 37 Dixon, Robert Malcom Ward 57 Doerfer, Gerhard 15, 34 Donnellan, Keith S. 89 Dressler, Wolfgang Ulrich 38 Drossard, Werner 34, 42 Duarte, Ines Silva 7 Duden, (Konrad) 22, 25, 29 Dunn, Joseph 6, 7
Eggers, Hans 84 Erben, Johannes 122 Eschmann, Jürgen 17
Jacobsohn, Hermann 54, 76 Jakobson, Roman 18, 21, 61 Jespersen, Otto 25, 26, 29, 30, 83, 127
Faria, Isabel Hub 7 Félix, Adelaide 4 Fernández-Sevilla, Julio 8 Fontanille, Jacques 106, 1 1 0 Forsgren, Mats 95 Fraenkel, Abraham 20 Frankel, Hermann 22, 27 Frank, Manfred 85 Frege, Gottlob 127
Kainz, Friedrich 86 Kant, Immanuel 2, 3 1 , 71 Kany, Charles Emil 92 Karasek, Hellmuth 81 Karolak, Stanislaw 76 Kaznelson, Solomon Davidovic 24, 56 Keane, Teresa 1 1 0 Kjaer-Hansen, Max 59 Kleiber, Georges 33, 42, 79 Knobloch, Johann 34, 35, 53, 129 Kohrt, Manfred 93 Kölver, Ulrike 15 Kopeke, Klaus Michael 57, 58 Körner, Karl-Hermann 93, 94 Krifka, Manfred 13, 34, 54, 79 Krois, John Michael 37 Kröll, Heinz 5 Kuhn, Wilfried 15, 50, 53 Kühner, Raphael 122, 123 Kurylowicz, Jerzy 17, 43, 56, 59, 61, 62, 65, 104, 105, 106, 107, 108, 109, 1 1 2 , 122, 125
Gabelentz, Georg von der 12 Gamillscheg, Ernst 5 Gauthiot, Robert I i i , 1 1 3 Geckeier, Horst 63, 64, 71 Gili y Gaya, Samuel 88, 89, 91 Gipper, Helmut 47 Gleason, Henry Allan 26 Goethe, Johann Wolfgang von 42 Goossens, Louis 34, 37 Greenberg, Joseph H. 14, 15, 16, 18 Greimas, Algirdas-Julien 63 Guillaume, Gustave 26, I i i , 1 1 2 Gütschow, Dirko-J. 8, 88 Hammerich, Louis L. 59 Hardarson, Jon Axel 71 Hauptmann, Gerhart 81 Heilmann, Luigi 15 Heine, Bernd 16 Heinrichs, Johannes 12, 37, 55 Heintz, Günter 47, 71 Henriques, Joaquim das Neves 5, 7 Henscheid, Eckhard 84 Heyer, Gerhard 23, 42 Hjelmslev, Louis 58, 59, 61, 1 1 9 Hofmann, Johann Baptist 47, 96, 124, 125 Holenstein, Elmar 37 Holzweissig, Friedrich 122 Hoop, Helen de 54 Hopper, Paul J. 66 Horatius Flaccus, Quintus 102, 114 Hörmann, Hans 76 Humboldt, Wilhelm von 1 1 , 13, 14, 16, 17, 36, 46, 73, 74, 102, HO, 1 1 2 , 122 Hundertmark-Santos Martins, Maria Teresa 7 Husserl, Edmund 12, 13, 14, 20
Lakoff, George 57 Lang, Henry R. 8 Lange, Wolf-Dieter 33 Larsson, Björn 95 Lehmann, Christian 12, 15, 16, 17, 37, 51, 53, 58, 65, 66, 72, 102, 1 1 2 Leischner, Susanne 95 Leistikow, Walter 81 Lenerz, Jürgen 93 LePore, Ernest 13 Leumann, Manu 47, 96, 124, 125 Levet, Jean-Pierre 106 Lewy, Ernst 54 Link, Godehard 1, 13 Löfstedt, Einar 23, 109, 114, 115, 1 1 7 , 120, 1 2 1 , 122, 123, 124 Logan, Conrad T. 33 Lope Blanch, Juan M. 8 Lopes, Oscar 7 Lorenzo, Emilio 8 Loth, Wilhelm 80 Ludwig, Alfred 66 Luhmann, Niklas 86 Luz, Maria Albertina Mendes da 6
Iannucci, James 8, 32 Isacenko, Aleksandr Vasiljevic 1 1 9 Isenberg, Horst 88, 90, 91, 92
Macheiner, Judith 41 Madvig, Johan Nikolai 1, 13 Malkiel, Yakov 48 145
Martinet, André 18, 21, 50, 78, 106 Mateus, Maria Helena Mira 7 Mathesius, Vilém 21 Matthews, William Kleesmann 15 Meid, Wolfgang 71 Meillet, Antoine 61, 65, 66 Meisterfeld, Reinhard 124 Migliorini, Bruno 101 Misteli, Franz 1 Mok, Quirinus Ignatius Maria 17 M0ller, Christen 59 Monikovâ, Libuse 76 Montesinos, José F. 8 Mosel, Ulrike 16 Nenning, Günther 81 Nespor, Marina 95, 97, 98, 99, 101 Orth, Ernst Wolfgang 37 Ostrowski, Manfred 102, 103, 104, 105 Otfrid von Weißenburg 115 Paul, Hermann 21, 22, 48, 7 1 , 7 2 , 76, 78, 107, 122, 127 Pelletier, Francis Jeffry 13, 37 Pérennec, Marie-Hélène 79 Petersen, Uwe 11, 19, 22, 47 Pichon, Édouard 26, 31, 32, 33, 36, 48, 49, 53, 77, 118, 119, 121, 125 Piel, Joseph M. 33 Piaton 2, 37 Pleschinski, Hans 81 Plinius Secundus, Gaius 115 Pohl, Jacques 17, 110 Pottier, Bernard 63
Raible, Wolfgang 33, 41, 54, 93 Ramat, Anna Giacalone 18 Redondo, Augustin 88, 89, 90, 91, 92, 94 Reiner, Erwin 95 Reinhardstoettner, Carl von 7 Renzi, Lorenzo 95, 97, 98, 99, 101 Rosenstand Hansen, Asgar 34 Royen, Gerlach 17, 26, 56,104, 105, m Sacy, Antoine-Isaac Silvestre de 45 Schecker, Michael 1 Schlegel, August Wilhelm 71 Schlieben-Lange, Brigitte 13 Schmidt, Sabine 21, 22 Schmidt, Wilhelm 109, 110 Schmitt, Christian 100 Schmitter, Peter 47, 71 Schneider, Hans Julius 76 Schott, Wilhelm 54 Schrijnen, Jozef 105
146
Schubert, Lenhart K. 13, 37 Schwarze, Christoph 95, 96 Sciarone, Abondio Giuseppe 95, 97, 99 Seibt, Gustav 84 Seiler, Hansjakob 12, 15, 16, 17, 26, 27, 28, 37, 48, 50, 53, 58, 72, 102 Serianni, Luca 95, 98 Serzisko, Fritz 15, 72, 73 Sialm, Ambros 48 Singer, Wolf 74 Skautrup, Peter 59 Söhre, Helga 11 Spitzer, Leo 5 Stachowiak, Franz Josef 12, 15 Starke, Frank 71 Stechow, Arnim 13 Stegmann, Carl 122 Stegmüller, Wolfgang 13 Steinthal, Heymann 1, 66 Sten, Holger 18, 31, 33, 51, 118, 119, 121 Strasser, Elisabeth Gon^alves von 5 Strauß, Botho 82 Svane, Gunnar Olaf 113 Szantyr, Anton 47, 96, 124, 125 Szemerényi, Oswald 47, 56, 102 Ter Meulen, Alice 37 Tesnière, Lucien 113 Thomsen, Vilhelm 111 Thun, Harald 48 Tichy, Eva 106 Tobler, Ludwig 8, 21, 22, 23, 45, 51, 76, 105, 114, 115, 122 Trabant, Jürgen 13, 36 Traugott, Elizabeth Closs 66 Valdés, Juan de 7, 8 Vater, Heinz 25, 52 Vázquez Cuesta, Pilar 6 Vendryes, Joseph 35, 110 Vera-Morales, José 88, 89, 92, 94 Verkuyl, Henk J. 54 Vittorini, Elio 98 Wackernagel, Jacob 18, 19, 21, 22, 23, 24, 107, 109, 114, 115, 117, 121 Walser, Martin 80 Walter, Heribert 58 Wandruszka, Mario m , 113 Waugh, Linda R. 95 Weinrich, Harald 1, 19, 20, 21, 33 Wellmann, Hans 51 Werle, Josef 37 Wheeler, Benjamin Ide 103, 104
Whorf, Benjamin Lee 17, 43, 58, 61 Wilmet, Marc 33 Wolf, Ursula 88 Woll, Dieter 9 Wunderli, Peter 1
Wunderlich, Dieter 13 Zauner, Adolf 18 Zermelo, Ernst 20 Zubin, David 57, 58
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