Medium und Reflexiv: Eine Studie zur Verbsemantik [Reprint 2017 ed.] 9783110919714, 9783484304895

Unlike other diatheses, medium can display different versions. The study proposes a unified analysis for all versions of

206 38 21MB

German Pages 286 [288] Year 2004

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Glossar
Liste der Tabellen
1. Einleitung
2. Überblick über die Lesarten des Mediums im Fula und Altgriechischen
3. Die Semantik von Aktiv und Medium: kanonische und abweichende Kontrollverhältnisse
4. Die Repräsentation der differenzierenden Lesarten des Mediums
5. Die Analyse der Mediumlesarten im Altgriechischen
6. Das Voice-System des Altgriechischen
7. Die Entwicklung des griechischen Voice-Systems nach der Etablierung der Passivform
8. Mediale Reflexivkonstruktionen in einigen europäischen Sprachen
9. Das Reflexiv als Derivationsmechanismus zur Ableitung markierter Kontrollstrukturen
10. Fazit: Der Status des Mediums
Literatur
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Medium und Reflexiv: Eine Studie zur Verbsemantik [Reprint 2017 ed.]
 9783110919714, 9783484304895

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Linguistische Arbeiten

489

Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Klaus von Heusinger, Ingo Plag, Beatrice Primus und Richard Wiese

Ingrid

Kaufmann

Medium und Reflexiv Eine Studie zur Verbsemantik

Max Niemeyer Verlag Tübingen 2004

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-484-30489-8

ISSN 0344-6727

© Max Niemeyer Verlag G m b H , Tübingen 2004 http./Avww. niemeyer. de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck und Einband: Digital PS Druck AG, Birkach

Vorwort

Diese Arbeit hat eine lange Entwicklungszeit durchgemacht und manche Wendungen genommen, die ursprünglich nicht geplant waren. In dieser Zeit hat es Phasen gegeben, in denen mir das Medium als etwas erschienen ist, von dem man besser die Finger lassen sollte: zu viele Überschneidungen mit anderen Bereichen der Grammatik, die eine ganz eigene Untersuchung erfordern würden, zu viele Grauzonen und Unklarheiten in den Daten und zu wenige Sprecher, die zur Klärung beitragen können. Nachdem es nun doch zu einer Form gefunden hat, möchte ich an dieser Stelle all denen danken, die mich in verschiedenen Phasen durch Diskussionen, Anregungen, kritische Anmerkungen oder Kommentare unterstützt haben: Kerstin Blume, Miriam Butt, Stefan Engelberg, Thomas Gamerschlag, Willi Geuder, Birgit Gerlach, Janet Grijzenhout, Carmen Kelling, Martin Krämer, Peter Kuhlmann, Ewald Lang, Anja Latrouite, Sebastian Löbner, Claudia Maienborn, Albert Ortmann, Teresa Parodi, Chris Piñón, Ilse Zimmermann und Katerina Zombolou. Dieter Wunderlich gilt mein besonderer Dank für die inzwischen langjährige Betreuung und Unterstützung und die vielen Anregungen, die er mir in dieser Zeit gegeben hat. Erste Vorüberlegungen zu dieser Arbeit entstanden während meiner Zeit in dem von ihm geleiteten Projekt „Verbstrukturen" im Sonderforschungsbereich 282 „Theorie des Lexikons". Die weitere Ausarbeitung wurde mir durch ein Habilitandenstipendium der DFG ermöglicht. Ich möchte an dieser Stelle auch denen danken, die mir bei der Korrektur der Daten wertvolle Hilfe geleistet haben, für das Altgriechische waren das Lars Thißen und Peter Kuhlmann; für das Neugriechische Efthemia Dimitriou, die sich mir freundlicherweise auch als Informantin zur Verfugung gestellt hat. In diesem Zusammenhang möchte ich auch Katerina Zombolou noch einmal danken, sowohl für die Bereitstellung von Daten als auch für die leidenschaftlichen Diskussionen über den wirklichen Charakter des Mediums. Für Hilfe bei den spanischen Daten ebenso wie für regelmäßige Aufmunterungen danke ich Teresa Parodi. Natürlich bin ich für alle Fehler, die sich trotzdem eingeschlichen haben, selbst verantwortlich.

Inhalt

Glossar Liste der Tabellen

XI XII

1 Einleitung 1 1.1 Der Begriff .Medium' und seine Verwendungen 1 1.2 Annahmen zur Funktion des Mediums in der Literatur 3 1.2.1 Die Funktion des Mediums in der traditionellen Grammatik 3 1.2.2 Die Funktion des Mediums in neueren typologischen Ansätzen 5 1.2.2.1 Geniu5ien6 (1987): Eine Typologie der Reflexivkonstruktionen ....5 1.2.2.2 Kemmer (1993): Reduzierte Ereigniselaboration 8 1.2.2.3 Klaiman (1991): Medium als basic voice - Affiziertheit im Kontext von Kontrolle 11 1.3 Der Charakter des Mediums 14 1.4 Neuere Theorien zur Behandlung von Voice 18 1.5 Der Aufbau der Arbeit 20 2 Überblick über die Lesarten des Mediums im Fula und Altgriechischen 2.1 Fula 2.1.1 3-Voice-Verben: Die differenzierenden Lesarten des Mediums 2.1.2 1 - und 2-Voice-Verben 2.2 Altgriechisch 2.2.1 1-Voice-Verben 2.2.2 Die differenzierenden Lesarten des Mediums 2.3 Vergleich der Mediumlesarten im Fula und im Altgriechischen

22 22 22 26 29 29 31 35

3 Die Semantik von Aktiv und Medium: kanonische und abweichende Kontrollverhältnisse 3.1 Grundannahmen der Analyse und Repräsentationsformat 3.2 Der Status von Kontrolle für die Semantik von Aktiv und Medium 3.2.1 Die relevanten Repräsentationsebenen 3.2.2 Kontrolle 3.3 Die Kontrollverhältnisse bei Activa und Media tantum im Fula 3.4 Die Kontrollverhältnisse bei den differenzierenden Lesarten des Mediums 3.4.1 Die kausativ-reflexive Lesart 3.4.2 Die direkt-reflexive Lesart 3.4.3 Die indirekt-reflexive Lesart 3.4.4 Die dekausative Lesart 3.4.5 Die modale Lesart

36 36 43 43 44 49 54 54 56 58 60 61

VIII 4 Die Repräsentation der differenzierenden Lesarten des Mediums 4.1 Die reflexiven Lesarten der Mediums: Bedingungen für den Aufbau des ©-Rasters 4.2 Die dekausativen Lesarten des Mediums: Die Interaktion zwischen ©-Raster und Ereignisstruktur 4.3 Die „aspektuell beschränkten" Lesarten: Die Interaktion von S-Kontrolle und Situationsreferenz 4.3.1 Die resultative Lesart des Mediums im Stativ 4.3.2 Die modale Lesart 4.4 Zusammenfassung: Interagierende Faktoren beim Zustandekommen der differenzierenden Mediumlesarten 4.5 Das Medium als basic voice: Morphologische Evidenz 4.5.1 Probleme bei der morphologischen Unterscheidung von basic und derived voice 4.5.2 Überblick über die morphologische Struktur des Verbs im Fula 4.5.3 Voice-sensitive Extensionen: Morphologische Evidenz für die Unterscheidung von basic voice und derived voice 4.5.4 Die morphologische Repräsentation der Voice-Information

63 63 68 75 75 81 85 88 88 89 91 96

5 Die Analyse der Mediumlesarten im Altgriechischen 5.1 Die reflexiven Lesarten 5.1.1 Direkt-reflexive und kausativ-reflexive Lesart 5.1.2 Die reziproke Lesart 5.1.3 Indirekt-reflexive und indirekt-kausativ-reflexive Lesart 5.2 Die dynamische Lesart 5.3 Die dekausativen Lesarten 5.4 Die passivische Lesart 5.5 Activa und Media tantum 5.5.1 Activa tantum 5.5.2 Media tantum und „Passiva tantum" 5.6 Fazit: Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Lesarten des Mediums im Altgriechischen und Fula

99 99 99 101 103 107 108 116 117 117 118

6 Das Voice-System des Altgriechischen 6.1 Probleme des altgriechischen Voice-Systems 6.1.1 Die Verbmorphologie des Altgriechischen 6.1.2 Diskrepanzen zwischen Morphologie und Semantik im altgriechischen Voice-System 6.1.3 Bakker (1993): Interaktion von Aktionsart, Aspekt und Voice im Altgriechischen 6.2 Aorist-Passivformen mit scheinbarer Mediumfunktion 6.2.1 Der primäre Status der Aoristform 6.2.2 Die historische Entwicklung des Mediums im Indoeuropäischen 6.3 Das Passiv im Altgriechischen 6.3.1 Die Entwicklung der Passivform im Altgriechischen 6.3.2 Die Entwicklung der passivischen Lesart des Mediums

122 122 123

121

127 132 135 135 138 140 140 141

IX 6.3.3 Die Entwicklung des altgriechischen Perfekts 6.3.4 Fazit: Der Status der passivischen Lesart 6.4 Die Repräsentation der altgriechischen Verbmorpheme 6.4.1 Die Personalendungen 6.4.2 Die TA-Stämme 6.4.3 Die stammbildenden Affixe 6.4.4 Die Klassifizierung der Stämme in Bezug auf Voice 6.4.5 Embick (1997): Eine syntaktische Analyse des altgriechischen VoiceSystems 6.5 Fazit: Der Status des Passivs im altgriechischen Voice-System 7

8

144 146 147 147 148 149 153 155 157

Die Entwicklung des griechischen Voice-Systems nach der Etablierung der Passivform 7.1 Mögliche Veränderungen der Mediumfunktion nach Integrierung der passivischen Lesart 7.2 Das Medium in der post-klassischen Zeit 7.2.1 Morphologische Veränderungen in der Koiné 7.2.2 Veränderungen der Lesarten von Aktiv und Medium 7.2.3 Die Uminterpretation des Mediums im klassischen und post-klassischen Griechisch 7.3 Neugriechisch 7.3.1 Diglossie im Neugriechischen 7.3.2 Das neugriechische Verbsystem 7.3.3 Die passivische Lesart des neugriechischen Mediums 7.3.4 Die Funktion des Mediums im Neugriechischen 7.3.5 Voice-Markierung bei kausativ/inchoativ-Verbpaaren 7.3.6 Die nicht-passivischen Lesarten des Mediums 7.3.6.1 Die direkt-reflexive und die kausativ-reflexive Lesart 7.3.6.2 Die reziproke Lesart 7.3.6.3 Die modale Lesart 7.4 Parameter in der Entwicklung des griechischen Voice-Systems

165 165 165 166 167 171 174 183 183 186 186 187

Mediale Reflexivkonstruktionen in einigen europäischen Sprachen 8.1 Starke und schwache Reflexiva 8.2 Die Reflexivmarkierungen 8.3 Direkt-, indirekt- und kausativ-reflexive Lesart 8.4 Die reziproke Lesart 8.5 Die dekausative Lesart 8.6 Die modale Lesart 8.7 Die passivische Lesart 8.8 Reflexiva tantum 8.9 Nicht-mediale Lesarten der Reflexivkonstruktion 8.9.1 Die unpersönliche Konstruktion 8.9.2 Objektlose Verben 8.9.3 Aspektuelle Lesarten 8.9.4 Reflexive Kontrollverben im Isländischen

191 191 193 195 200 202 204 205 208 210 210 211 212 213

159 159 161 161 162

X

8.10 Zusammenfassung und Diskussion der Lesarten 8.11 Erweiterungen und Einschränkungen der Lesarten in Reflexivsystemen 8.11.1 Isländisch: Ein intaktes „Medium"-System 8.11.2 Russisch: Das Reflexivum als Markierung einer Detransitivierung 8.11.3 Schwedisch: Das Reflexivum als Markierung der Agensblockierung

213 215 215 217 218

9 Das Reflexiv als Derivationsmechanismus zur Ableitung markierter Kontrollstrukturen 219 219 9.1 Ansätze zu lexikalischen Reflexivkonstruktionen: Ein Überblick 9.2 Neuere Sichtweisen auf lexikalische Reflexivkonstruktionen: Eine Auswahl 223 9.2.1 Reinharts Analyse der lexikalischen Argumentreduktion 223 9.2.2 Steinbachs post-syntaktische Analyse 225 9.2.3 Bierwisch (1997b): Die Markierung unechter Argumentpositionen durch Reflexivierung 227 9.3 Die historische Entwicklung der medialen Lesarten 228 9.4 Das Reflexivum als nicht-thematisches Argument: Alternativen 233 9.5 Veränderungen des ©-Rasters bei der semantischen Entwicklung der Lesarten.. 235 9.5.1 Direkt- und indirekt-reflexive Lesart: Konzeptuell motivierte Neuzuordnung der S-Kontrolle 235 9.5.2 Die pseudo-reflexive Lesart: Reanalyse des Reflexivums als Markierung der Nicht-Projektion des Agens 237 9.5.3 Die pseudo-passivische Lesart: Relevanz der höchsten ©-Position für das Vorliegen von S-Kontrolle 239 9.5.4 Die kausativ-reflexive Lesart: Trennung von S-Kontrolle und Prädikatskontrolle 243 9.5.5 Die modale Lesart 244 9.5.6 Die passivische Lesart 248 9.6 Zusammenfassung und Fazit 252 10 Fazit: Der Status des Mediums

254

Literatur

259

Glossar

A ABL AKK AOR BEN DAT DEF DEM DET EXH FG FUT GEN IMP IMPERF INDEF INKL INKMPL INF INSTR KAUS KL KMPL KOMIT M MASK NEG NEGINKMPL NOM O

Aktiv Ablativ Akkusativ Aorist Benefaktiv Dativ definit Demonstrativum Determinierer Exhortativ finale Glottalisierung Futur Genitiv Imperativ Imperfektiv indefinit Inklusiv Inkompletiv Infinitiv Instrumental Kausativ Nominalklasse Kompletiv Komitativ Medium Maskulin Negation Negativ Inkompletiv Nominativ Objekt

OPT P PART PERF PERFEKT PL PNKT PRÄS PRÄT PRF PRT POSS

Q REALIS REFL REL RES RET REV REZIPR RINKMPL RKMPL RM S SG STAT SUBJ VF ZIRK

Optativ Passiv Partizip Perfektiv Perfekt Plural punktuell Präsens Präteritum Präfix Partikel Possessiv Fragepartikel Realis Reflexiv Relativpronomen resultativ Retaliativ Reversiv Reziprok Relativ Inkompletiv Relativ Kompletiv Reflexivmarker Subjekt Singular Stativ Subjunktiv Verbfokus Circumstantial

Liste der Tabellen

Tabelle 2.1: Tabelle 4.1: Tabelle 4.2: Tabelle 5.1: Tabelle 5.2: Tabelle 6.1: Tabelle 6.2: Tabelle 6.3: Tabelle 6.4: Tabelle 6.5: Tabelle 6.6: Tabelle 6.7: Tabelle 6.8: Tabelle 6.9: Tabelle 6.10: Tabelle 7.1: Tabelle 7.2: Tabelle 7.3: Tabelle 7.4: Tabelle 8.1: Tabelle 8.2: Tabelle 9.1: Tabelle 9.2:

Das Voice-Potenzial von 1550 Verben im Fula 22 Interagierende Faktoren bei den differenzierenden Lesarten des Mediums.. 86 Konjugationssuffixe im Maasinankoore 90 Eigenschaften von Verben mit dekausativer Lesart des Mediums 115 Häufigkeit von Passiv- und Aktivkonstruktionen 117 Tempusaffixe im Altgriechischen 124 Personalendungen im Indikativ 125 Personalendungen des Perfekts (Aktiv) 126 Interpretation der Verbformen bei Verben mit direkt-reflexiver Lesart des Mediums 128 Interpretation der Verbformen bei Verben mit indirekt-reflexiver Lesart des Mediums 129 Interpretation der Formen bei Verben mit dekausativer Lesart des Mediums 130 Aoristformen im Altgriechischen 132 Morphologische Komplexität von Aorist- und Imperfektformen 134 Aufbau der Stämme und Produktivität der Affixe bei Homer 148 Aufbau der Stämme und Produktivität der Affixe im klassischen Griechisch 149 Aktiv- und Mediopassivformen bei Verben mit dekausativer Lesart 180 Vorkommen der neugriechischen Verben mit dekausativer Aktivform im Altgriechischen 181 Vorkommen der neugriechischen Verben mit dekausativer Mediumform im Altgriechischen 182 Entwicklung der Funktion des griechischen Mediums 189 Sprachen mit starkem und schwachem Reflexivum 192 Mediale und nicht-mediale Lesarten der Reflexivkonstruktion 214 Veränderung der Kriterien für die Reflexivmarkierung bei der Entwicklung der Lesarten 230 Entwicklung der Reflexivkonstruktion in den romanischen Sprachen 233

1

Einleitung

1.1

Der Begriff .Medium' und seine Verwendungen

Mit dem Begriff ,Medium' (englisch middle) werden in der Literatur verschiedene Konstruktionen bezeichnet (vgl. z.B. Abraham 1995, Klaiman 1992). In generativen Ansätzen wird unter Medium häufig die in (1) für das Englische und Deutsche illustrierte Medialkonstruktion verstanden. In dieser Konstruktion bleibt der Agens des Basisverbs unrealisiert, es muss im allgemeinen ein Modaladverb und in vielen Sprachen ein Reflexivum realisiert sein. Die Medialkonstruktion schreibt dem als Subjekt realisierten Patiens oder, bei intransitiven Basisverben, einem durch ein Adverbial realisierten „Partizipanten" die Eigenschaft zu, von einem beliebigen Agens auf die durch das Modaladverb spezifizierte Art verwendbar zu sein. (1)

a. This book reads easily. b. In diesen Schuhen läuft es sich gut.

In einer anderen Verwendung wird unter Medium nicht eine einzelne Diathese verstanden, sondern die semantische Funktion bestimmter, durch sogenannte .Mediummarker' gekennzeichneter Konstruktionen (Kemmer 1993), zu denen auch die Medialkonstruktion gezählt werden kann. Als Mediummarker fungiert häufig das Reflexivum bzw. eine schwache Form des Reflexivums (vgl. Kapitel 8). Neben der Veränderung der Argumentstruktur können die Mediummarker ein ganzes Spektrum von Bedeutungsveränderungen, die Mediumlesarten, markieren. Einige Beispiele für die Lesarten medialer Reflexivkonstruktionen im Spanischen sind unter (2) angegeben. (Die Beispiele sind Oesterreicher 1992, 238-239 entnommen, die Benennung der Lesarten entspricht der üblicherweise vorgenommenen Klassifizierung.) (2)

a. Juan se

lava.

direkt-reflexive Lesart

J. REFL.3 wäscht ,Juan wäscht sich.'

b. Pedro se afeita en la barbería. P. REFL.3 rasiert in DET Frisörsalon ,Pedro lässt sich beim Frisör rasieren.' c. La cuerda se rompe. DET Seil REFL.3 reißt ,Das Seil reißt.' d. El libro se publicó en 1952. DET Buch REFL.3 publizierte in 1952 ,Das Buch wurde 1952 veröffentlicht.'

kausativ-reflexive Lesart dekausative Lesart Reflexivpassiv

Während in (2a) die typische Funktion des Reflexivums (Kodierung der Koreferenz zweier Argumente) sichtbar ist, gehen mit der Reflexivierung in (2b)-(d) zusätzliche Bedeutungsveränderungen des Verbs einher. Auch die inhärent reflexiven Verben in (3) aus Babcock

2 (1970, 16) belegen, dass die Funktion des Reflexivums im Spanischen nicht auf die Kodierung von Koreferenz beschränkt ist. (3)

a. El Er

se

queja.

REFL.3 beschwert

,Er beschwert sich.'

b. Nos

arrepentimos. bereuen ,Wir bereuen.'

REFL.1PL

In der dritten und ursprünglichen Verwendung bezeichnet der Begriff .Medium' eine morphologische Kategorie, die zur Kodierung eines bestimmen Verbalgenus (,genus verbi', engl, voice) dient. 1 Sprachen, die das Verbalgenus Medium durch Flexionssuffixe am Verb kodieren, sind das Fula, das Altgriechische und das Neugriechische. 2 Die Mediumformen des Verbs kontrastieren mit Aktiv- und zum Teil auch mit Passivformen. Die Übertragung des Begriffs Medium auf die zuvor vorgestellten Konstruktionen ist dadurch motiviert, dass die Lesarten, die die Mediumformen aufweisen können, weitgehend den in (2) illustrierten entsprechen, wie die Beispiele in (4) aus dem Altgriechischen illustrieren.3 (4)

Aktivform a. ksure-ö rasier-1SG.A

,ich rasiere jmdn.' b. misthö-ö ,ich vermiete' c. egeir-ö 'ich wecke' d. plepö-5 ,ich fülle'

Mediumform ksureo-mai rasier-lSG.M ,ich rasiere mich' ,ich lasse mich rasieren' misthoü-mai ,ich miete mir* egeiro-mai ,ich wache auf plepo-mai ,ich werde gefüllt'

Lesart des Mediums

direkt-reflexive Lesart kausativ-reflexive Lesart indirekt-reflexive Lesart dekausative Lesart passivische Lesart

Gegenüber anderen argumentstrukturverändemden Operationen zeichnet sich das Medium dadurch aus, dass eine einheitliche Charakterisierung seiner Funktion in Anbetracht der verschiedenen Lesarten kaum möglich zu sein scheint, bzw. so allgemein sein muss, dass eine Grammatikalisierung dieser Information wenig sinnvoll erscheint. Es scheint zwar eine Argumentstruktur-reduzierende Operation zu sein, ohne dass jedoch festgelegt ist, welches Argument reduziert wird. Bei der dekausativen, der passivischen und der kausativ-reflexiven Lesart scheint es der Agens zu sein, bei der direkt-reflexiven der Patiens und bei der indirekt-reflexiven der Rezipient. Anders als bei anderen Diathesen finden sich auch Mediumformen von Verben, die keine korrespondierende Aktivform aufweisen, d.h. eine 1

2

3

Aufgrund der Sperrigkeit der im Deutschen verwendeten Begriffe .Verbalgenus' bzw. genus verbi, werde ich im Folgenden meist den englischen Begriff Voice verwenden. Wie das Altgriechische wiesen auch die anderen indoeuropäischen Sprachen ursprünglich Aktiv/ Medium-Systeme auf, die jedoch relativ früh zugunsten von Aktiv/Passiv-Systemen abgebaut wurden. Ich zitiere im Folgenden einzelne Verben in der üblichen ZitierfoTm (1. Person Singular Präsens) nach der in Menge (1984) verwendeten Schreibweise. Bei längeren Beispielen behalte ich die Schreibweise der jeweils zitierten Autoren bei, wobei ich folgende Umschrift verwende: a: a, ß: b, y: g, 8: d, e: e, C ts, T|: 5,0: th, i: i, K: k, X: 1, n: m, v: n, ks, o: o, JI: p, p: r, a: s, T: t, u: u, :5, spiritus asper: h.

3 Mediummarkierung kann auftreten, ohne dass eine Ableitung stattgefunden hat. Beispiele fiir solche ,Media tantum' aus dem Altgriechischen sind in (5) aufgeführt. (5)

aideo-mai aisthano-mai oio-mai makho-mai

'ich schäme mich' 'ich fühle, nehme wahr' 'ich denke, glaube' 'ich kämpfe, streite'

Vor diesem Hintergrund ist es überraschend, dass Sprachen aus den unterschiedlichsten Sprachfamilien die Mediumfunktion grammatikalisieren. Wie die Arbeiten von Geniuäienö (1987) und Kemmer (1993) gezeigt haben, gibt es jedoch eine Fülle von Sprachen, die die durch das Medium kodierten Lesarten grammatisch auf die eine oder andere Weise markieren. Das Medium muss daher an einer sehr grundlegenden Eigenschaft des Verbsystems ansetzen, da andernfalls eine derartige Verbreitung nicht zu erwarten wäre. In der linguistischen Forschung basieren die meisten Analysen der Mediumfunktionen auf der Untersuchung von Sprachen, die die entsprechenden Lesarten durch Reflexivkonstruktionen markieren. Daher wird Reflexivierung meist als die zentrale Funktion des Mediums betrachtet. Eine Analyse von Sprachen, die das Medium durch Flexionssuffixe kodieren (im Folgenden ,Medium-Voice-Systeme'), ist nun insofern interessant, als sie deutlich zeigen, dass das Medium bei den meisten Verben keine reflexivierende Funktion haben kann. Die reflexiven Lesarten des Mediums können dementsprechend nicht a priori als die zugrundeliegenden oder primären Lesarten klassifiziert werden. Das legt den Verdacht nahe, dass eine Analyse der medialen Lesarten, in der die Reflexivierung als Kernfunktion betrachtet wird, den Blick auf die eigentlich relevanten Faktoren verstellt. In dieser Arbeit bilden deshalb die Lesarten des Mediums in Medium-Voice-Systemen den Ausgangspunkt der Untersuchung. Die für das Medium entwickelte Analyse wird dann in einem zweiten Schritt auf die Lesarten von medialen Reflexivkonstruktionen übertragen. Bevor ich in Abschnitt 1.3 die in dieser Arbeit vorgeschlagene Analyse kurz skizzieren, möchte ich im nächsten Abschnitt einen Überblick über die verschiedenen in der Literatur vertretenen Annahmen zur Funktion des Mediums geben.

1.2

Annahmen zur Funktion des Mediums in der Literatur

1.2.1

Die Funktion des Mediums in der traditionellen Grammatik

Traditionell wird das Medium anhand der indoeuropäischen Sprachen, speziell des Altgriechischen, diskutiert. Meist beschränken sich die Diskussionen des Mediums darauf, eine relativ allgemeine Charakterisierung der Funktion zu geben, und dann die verschiedenen ,3edeutungsnuancen" (wie z.B. bei Wackernagel 1926/1981) aufzufuhren. Dabei besteht Uneinigkeit, inwieweit die verschiedenen Lesarten einen gemeinsamen Kern aufweisen. So geht Jespersen (1924) beispielsweise davon aus, dass das Medium keinen eigenständigen begrifflichen Charakter hat, sondern in verschiedenen Fällen unterschiedliche, teilweise idiosynkratische Bedeutungen haben kann.

4 Unter den Ansätzen, die eine zugrundeliegende semantische Kernfunktion des Mediums annehmen, sind zwei Positionen zu unterscheiden. Nach der einen Position drückt das Medium eine besondere Beteiligung" bzw. ein besonderes Interesse des Subjekts an der Handlung aus. Dass dieser Aspekt als zentral für die Funktion des Mediums betrachtet wurde, lässt sich zum einen durch die als Media tantum realisierten Verbklassen erklären, zu denen u.a. die Emotionsverben gehören, zum andern aber wohl auch daraus, dass die indirekt-reflexive Lesart des Mediums im Altgriechischen sehr häufig ist (z.B. misthoü-mai ,ich miete mir'). Die Interpretation des Subjekts als Possessor, Rezipient oder Benefizient legt es nahe, diesem ein „besonderes Interesse" an der Handlung zu unterstellen. Diese Vorstellung von der Funktion des Mediums vertreten z.B. Brugmann (1904), Meillet (1909) und Schwyzer (1953, 229). Benveniste (1971) kritisiert die Vagheit dieser Charakterisierung, gerade auch im Kontrast zu anderen am Verb markierten grammatischen Kategorien. Benvenistes Vorwurf gegenüber zu vagen Charakterisierungen der Funktion des Mediums lässt sich auch auf viele modernere Ansätze übertragen, die auf die Affiziertheit des Subjekts Bezug nehmen (vgl. z.B. Bakker 1994, Shibatani 1988.) Der Begriff .Affiziertheit' wurde von Bloomfield (1933) eingeführt, der die Mediumform als eine Form charakterisiert, in der der Agens von der Handlung affiziert ist. Sicking & Storck (1996, 13lf) kritisieren an dieser Sicht zu Recht, dass sie die vielen Verwendungen des Mediums, in denen das Subjekt unbelebt ist, als Randfälle behandeln muss. Die zweite traditionell vertretene Sicht betont eher den reflexiven Charakter des Mediums. Diese Sichtweise geht auf Panini zurück, der für das Sanskrit die Aktivform als „Wort für ein anderes" {parasmaipada) und die Mediumform als „Wort für sich" (atmanepada) bezeichnet. Ähnlich beschreibt Kühner das Medium als eine „Thätigkeitsäußerung, welche von dem Subjekte ausgeht und wieder auf dieses zurückgeht" (vgl. Kühner & Gerth 1898/1966, 100). Autoren, die diese Sicht vertreten, verweisen vor allem darauf, dass die Mediumfunktionen in vielen Sprachen durch Reflexivkonstruktionen kodiert werden. Benveniste (1968) kritisiert auch diese Charakterisierung mit dem Hinweis, dass sie nicht alle Bedeutungen des Mediums abdeckt. Nach seiner Vorstellung basiert die Unterscheidung von Aktiv und Medium auf der Beziehung zwischen dem Subjekt und dem vom Verb kodierten Prozess. Verben im Aktiv bezeichnen demnach einen Prozess, der sich ausgehend vom Subjekt und außerhalb seiner selbst vollzieht (diathese externe), während Verben im Medium einen Prozess bezeichnen, dessen „Sitz" das Subjekt ist. Das Subjekt befindet sich demnach innerhalb des Prozesses (diathese interne). Wenn typisch mediale Verben mit einer sekundären Aktivform versehen werden, wird dementsprechend das Subjekt nicht mehr als innerhalb des Prozesses befindlich, sondern als Agens interpretiert. Die Verben werden transitiviert, der Prozess findet dann relativ zum Objekt des (kausativen) Verbs statt. Bei Verben, die Aktiv- und Mediumformen aufweisen, ergibt sich der gleiche Kontrast: Der Subjektreferent der Aktivform führt die entsprechende Handlung aus, während der Subjektreferent der Mediumform ebenfalls dem Prozess unterliegt. Während Benveniste für seine Überlegungen eine genauere Betrachtung der Media tantum vornimmt, vertritt Wackernagel (1926/81) den Standpunkt, dass die Untersuchung der differenzierenden Funktionen des Mediums am deutlichsten den Kontrast zwischen Medium und Aktiv aufzeigt, da die Klassen der Media und Activa tantum sowohl in den verschiedenen Dialekten zum Teil unterschiedliche Verben umfassen, als auch im Laufe der Sprachentwicklung Veränderungen unterliegen. Allerdings bietet er selbst keine alle Lesarten umfassende Charakterisierung der Funktion des Mediums an.

5 Gonda (1960) äußert sich ebenfalls kritisch gegenüber den vorgeschlagenen Charakterisierungen der Funktion des Mediums. Er gelangt nach einer detaillierten Untersuchung der verschiedenen Verwendungen des Mediums in den klassischen indoeuropäischen Sprachen zu dem Schluss, dass die Funktion des Mediums darin besteht, zu markieren, dass ein Prozess relativ zu einer Person oder einem Gegenstand stattfindet, ihr/ihm zustößt oder sie/ihn affiziert. Dabei schließt er in diese Charakterisierung explizit die Fälle mit ein, in denen das Subjekt selbst die Handlung ausfuhrt oder „eine Macht" auf das Subjekt einwirkt.

1.2.2

Die Funktion des Mediums in neueren typologischen Ansätzen

In den letzten Jahren sind zwei Ansätze entwickelt worden, die sich sprachübergreifend mit Medium-Voice beschäftigen: Klaiman (1991) und Kemmer (1993). Während Klaiman sich aus typologischer Perspektive mit verschiedenen Voice-Systemen befasst, betrachtet Kemmer das Medium als eine semantische Kategorie, die morphologisch unterschiedlich kodiert sein kann. Ein dritter wichtiger funktionaler Ansatz stammt von Geniusienö (1987), die sich allerdings nicht mit Medium-Voice sondern mit Reflexivkonstruktionen befasst. Da die Lesarten der Reflexivkonstruktionen die des Mediums einschließen, möchte ich auch diesen Ansatz kurz vorstellen, da er wichtige Erkenntnisse über die Interaktion verschiedener Repräsentationsebenen enthält.

1.2.2.1 Geniuäienö (1987): Eine Typologie der Reflexivkonstruktionen Geniusien6 legt den Schwerpunkt ihrer Untersuchung auf die Analyse der Reflexivkonstruktionen in den baltischen Sprachen und erstellt anhand der dabei entwickelten Klassifizierung eine Typologie von Reflexiv- und Mediumkonstruktionen indoeuropäischer und außer-indoeuropäischer Sprachen. XolodoviC (1970) folgend, unterscheidet Geniusiend zwischen Diathese und Voice. Xolodoviö versteht unter Diathese die Abbildung zwischen der Ebene der semantischen Rollen und der Ebene der syntaktischen Repräsentation. Voice dagegen ist die grammatische Markierung einer Diathese. Geniusienö erweitert das Diathesemodell von Xolodoviö um eine weitere Ebene, so dass Diathese definiert ist als ein Korrespondenzmuster zwischen den Konstituenten der referenziellen Struktur (den Partizipanten der Situation), denen der semantischen Rollenstruktur (den semantischen Argumenten) und denen der syntaktischen Struktur (den grammatischen Relationen). Bei nicht abgeleiteten Verben besteht eine Eins-zu-eins-Beziehung zwischen den Konstituenten der drei Hierarchien, wobei die relativen hierarchischen Positionen der Konstituenten auf allen Ebenen korrespondieren. Die höchste Konstituente der Referentenstruktur ist demnach assoziiert mit der höchsten Konstituente der semantischen Rollenstruktur und der syntaktischen Struktur; entsprechendes gilt für die übrigen Konstituenten. Reflexive Verben bilden nach Geniusieni eine morphologische Verbklasse, die durch Derivation von nicht-reflexiven Basisverben abgeleitet ist. Nicht abgeleitete Reflexiva tantum werden als morphologisch komplexe Einheiten aus einem Stamm und dem Reflexivmarker analysiert. Geniusienö nimmt an, dass der Reflexivmarker eine semantische Funktion hat, aber nicht notwendigerweise eine Bedeutungskomponente zur Verbbedeutung hin-

6 zufugt. Demnach muss das morphologisch komplexere reflexive Verb nicht unbedingt auch semantisch komplexer sein als das Basisverb. Um die semantischen Veränderungen der Verbbedeutung zu erfassen, berücksichtigt Geniusiene drei Bedeutungsebenen: Die Dekompositionsstruktur, die semantischen Rollen und die Referentenstruktur. Aufgrund der Dekompositionsstruktur lassen sich die Verben in bestimmte semantische Klassen unterteilen (stative Verben, inchoative Verben, Handlungsverben, kausative Verben). Die Möglichkeiten der Reflexivierung ist durch die Dekompositionsstruktur der Basisverben bestimmt. Auf der Ebene der semantischen Rollen setzt Geniusienö zur Analyse der reflexiven Verben drei „Hyperrollen" („Semantisches Subjekt", „Semantisches Objekt" und „Semantischer Dativ") an, die abhängig von der Verbklasse weiter spezifiziert werden. Die Hierarchie der Rollen (Sb > Ob > Dat > Instr/Loc) bestimmt die syntaktische Realisierung der Argumente. Die Anzahl und die semantischen Eigenschaften der Partizipanten der Situation („Referenten") gehört ebenfalls zur lexikalischen Bedeutung der Verben. Geniusienö unterscheidet die folgenden Referentenrollen: Potenten (Referenten, die aus eigener Kraft Handlungen durchfuhren oder verursachen können), Nicht-Potenten (unbelebte Objekte, die keine Handlungen durchführen können) und partitive Referenten (Körperteile sowie Merkmale und inhärente Eigenschaften von Personen, die in einer inalienablen Besitzrelation zu diesen stehen, aber auch Objekte, die üblicherweise am Körper getragen werden). Die Referentenrollen bilden ebenfalls eine Hierarchie, die mit der Hierarchie der semantischen Rollen insofern korreliert, dass Personen als die höchsten Individuen der Referentenhierarchie typischerweise mit hohen semantischen Rollen auftreten (Agens, Actor, etc.), während die hierarchieniedrigen Nicht-Potenten typischerweise als Patiens auftreten. Auf der syntaktischen Ebene schlägt sich die Reflexivierung im Allgemeinen in einer Valenzreduktion gegenüber dem Basisverb nieder. Geniusiend nimmt an, dass Verbargumente sowohl Information über ihre grammatische Relation als auch über ihre Kasusmarkierung haben. Valenzreduktion kann entweder darin bestehen, dass eine grammatische Relation getilgt oder zurückgestuft wird, oder auch darin, dass eine obligatorische grammatische Relation fakultativ wird. Grammatische Relationen bilden eine Hierarchie S > DO > 10 > OblO > AgO. Bei nicht abgeleiteten Verben korrelieren die ersten drei Positionen dieser Hierarchie mit den semantischen Hyperrollen Semantisches Subjekt, Semantisches Objekt und Semantischer Dativ. Die Ableitung von reflexiven Verben kann nach Geniuäienös Analyse Veränderungen auf allen drei Repräsentationsebenen beinhalten. Die wichtigsten Veränderungen sind Tilgung und Mutation. Hinsichtlich der Veränderungen in der syntaktischen Struktur unterscheidet Geniu§ien6 vier Hauptklassen der reflexiven Verben: (1) subjektive Reflexiwerben, bei denen das Subjekt des reflexiven Verbs identisch ist mit dem des Basisverbs, während das Objekt getilgt oder zurückgestuft ist; (2) objektive Reflexiwerben, bei denen das Objekt des reflexiven Verbs mit dem des Basisverbs identisch ist, während das Subjekt getilgt oder zurückgestuft ist; (3) transitive Dativ-Reflexiwerben, bei denen das indirekte Objekt getilgt wird und (4) Reflexiwerben, bei denen keine syntaktische Veränderung vorliegt. In Bezug auf die semantischen Veränderungen unterscheidet Geniu§ien6 zwischen Reflexiwerben mit reflexiver und mit nicht-reflexiver Interpretation. Die verschiedenen Diathesen, die sich so charakterisieren lassen, stellt sie schematisch anhand der jeweiligen Veränderungen auf den einzelnen Repräsentationsebenen dar. Ich illustriere im Folgenden

7

nur diejenigen der von Geniusienö angesetzten Diathesen, die den in (2) und (4) aufgeführten Lesarten des Mediums entsprechen. 'Ao' bezeichnet jeweils die Diathese des Basisverbs, 'A„' die Diathese des Reflexiwerbs. Wie die Schemata zeigen, sind für die einzelnen Lesarten thematische Beschränkungen ebenso wie sortale Beschränkungen vorgegeben. Dadurch ergibt sich eine wesentlich feinere Klassifizierung, als sie durch die sonst übliche Charakterisierung der Lesarten vorgenommen wird. (6)

direkt-reflexive Lesart:

waschen —> sich waschen

(7)

dekausative Lesart 1:

verstecken —> sich verstecken

(8)

dekausative Lesart 2:

biegen —> sich biegen

(9)

kausativ-reflexive Lesart:

rasieren -> sich rasieren lassen

(10) indirekt-reflexive Lesart: Ao

Pers Sb S

1

2

Pers Dat 10

nähen —> sich (etwas) nähen - >

NonPers Ob DO

1

A 14

Pers NonPers Sb Dat Ob S DO

Obwohl Geniusienö eine sehr systematische Klassifikation der Daten vornimmt und einen hervorragenden Datenüberblick bietet, enthält ihre Arbeit keinen Erklärungsansatz. Die syntaktische Klassifikation spiegelt vor allem die in den baltischen und slawischen Sprachen vorliegende Datenlage, ist jedoch für Mediumsysteme insgesamt nicht charakteristisch. Wichtig erscheint mir jedoch die von ihr vorgenommene systematische Unterscheidung der drei Repräsentationsebenen und die dort angesetzten Eigenschaften, da sie, wenn auch rein deskriptiv, die für das Zustandekommen der einzelnen Lesarten wesentlichen Eigenschaften der verschiedenen Basisverben erfassen.

8

1.2.2.2 Kemmer (1993): Reduzierte Ereigniselaboration Kemmer (1993) nimmt eine Analyse des Mediums im Rahmen von Langackers .Kognitiver Semantiktheorie' vor. Sie betrachtet das Medium als semantische Kategorie, deren charakteristische Eigenschaften die semantische Transitivität des Ereignisses im Sinne von Hopper & Thompson (1980) betreffen. Zentral für ihre Analyse ist die Annahme, dass das Medium nicht wie das Passiv als Detransitivierungsmechanismus zu betrachten ist, sondern dazu dient, bestimmte 'Situationstypen' zu kodieren. Unter Situationstypen versteht Kemmer Mengen von situativen Kontexten, die systematisch mit bestimmten Ausdrucksformen verbunden sind. Im Fall der medialen Situationstypen kann es sich dabei um Derivationsoder Flexionsaffixe oder um Reflexivmarker handeln. Charakteristisch für Mediumsituationstypen ist nach Kemmer die geringe „Elaboration der Ereignisse" (elaboration of events), wobei sie die relative Elaboration eines Ereignisses definiert als den Grad, zu dem die Partizipanten und die wahrnehmbaren Teilereignisse der Situation unterschieden sind (vgl. Kemmer 1993, 208). In den verschiedenen Mediumsituationstypen spielen unterschiedliche Faktoren für die geringe Elaboration des Ereignisses eine Rolle. Kemmer unterscheidet die unter (11) aufgeführten Verwendungen des Mediums, die sie aufgrund der Elaborationskriterien in vier Klassen unterteilt: (11) Mediumsituationstypen bei Kemmer I. Reflexives Medium: Ein Partizipant übernimmt zwei Partizipantenrollen; geringe Unterscheidbarkeit der Partizipantenrollen a. Körperpflegeverben: sich waschen, sich anziehen, sich rasieren b. Körperbewegungsverben: sich strecken, sich drehen, sich verbeugen c. Positionsveränderungsverben: sich setzen, sich hinknien, sich hinlegen d. Fortbewegungsverben: sich entfernen, sich begeben e. Indirektes Medium: sich etwas mieten, sich etwas leihen, sich etwas nehmen II. Emotions- und Kognitionsmedium: Die Partizipantenrollen sind nicht unterscheidbar a. Emotionsverben: sich erschrecken, sich ärgern, sich grämen b. Emotive Sprechakte: sich beschweren, sich beklagen c. Kognitionsverben: sich überlegen III.

Reziprokes Medium: Identifizierung von Teilereignissen und Partizipantenrollen a. Natürlich reziproke Ereignisse: sich umarmen, sich unterhalten, sich einig sein b. Natürlich kollektive Ereignisse: sich versammeln, sich drängen

IV.

Spontane und passivische Situationstypen und Facilitativ: Nicht-Realisierung einer Partizipantenrolle/eines Partizipanten a. Spontane Ereignisse: sich bilden, sich auflösen b. Passivische Ereignisse: norweg. Lysene lyse-s 'Die Lichter werden angezündet.' frz. Laforges'allume 'Die Fackel wird angezündet.' c. Facilitativ: Das Buch verkauft sich gut

9 Kemmer geht davon aus, dass es grammatische Prototypen gibt, die in der Sprachentwicklung stabiler sind als nicht-prototypische Verwendungen, und deren morphosyntaktische Markierungen auf andere semantische Bereiche übertragen werden können. In Bezug auf Situationstypen unterscheidet sie prototypische 2-Partizipantenereignisse, prototypische 1Partizipantenereignisse, prototypisch passivische und direkt-reflexive Ereignisse. Sie nimmt an, dass Situationen in Bezug auf die Unterscheidbarkeit der Partizipanten eine Skala bilden, deren positives Ende durch 2-Partizipantenereignisse und deren negatives Ende durch 1-Partizipantenereignisse gebildet wird. Reflexive Ereignisse sind dazwischen angesiedelt, da zwar zwei Partizipantenrollen unterschieden werden (Initiator/Causer einerseits und Endpunkt/affizierte Entität andererseits), diese jedoch durch dieselbe Entität ausgefüllt werden. Als die zentrale Lesart des Mediums betrachtet Kemmer das reflexive Medium, was sie unter anderem damit begründet, dass die Mediummarker in vielen Sprachen historisch vom Reflexivum abgeleitet sind.4 Sie nimmt an, dass die reflexiven Mediumsituationstypen eng mit den reflexiven Situationstypen verbunden sind und dass die geringe Elaboration der Ereignisse hier auf die geringere Unterscheidbarkeit der Partizipantenrollen zurückzufuhren ist. Mediale Situationstypen wie Körperpflege, Körperbewegung, Positionswechsel und Fortbewegung sind auf der Skala der Situationstypen zwischen reflexiven und 1-Partizipantenereignissen angesiedelt, da hier nicht nur ein einziger Referent vorliegt, sondern auch die Rollen selbst weniger deutlich unterschieden sind. Die geringere Unterscheidbarkeit der Rollen fuhrt Kemmer darauf zurück, dass bei den entsprechenden Verben dasjenige Individuum, das den Endpunkt der Handlung bildet, stärker am Ereignis beteiligt ist als in anderen Situationstypen. Voraussetzung für eine solche stärkere Beteiligung ist die Belebtheit des entsprechenden Partizipanten. Evidenz dafür, dass ein semantischer Unterschied zwischen echt reflexiven Verben und den korrespondierenden Mediumtypen vorliegt, liefert die Tatsache, dass in einigen Sprachen, die nicht über ein Mediumsystem verfügen, die entsprechenden Verben intransitiv realisiert werden (z.B. Englisch wash, turn, sit down, move), während echt reflexive Verben mit Reflexivum realisiert werden müssen. Im Fall der Emotions- und Kognitionsverben besteht nach Kemmer ein Zusammenhang zu den reflexiven Mediumsituationstypen, da auch hier die geringe Elaboration des Ereignisses die Partizipantenrollen betrifft. Anders als beim reflexiven Medium sind bei diesen Verben allerdings Endpunkt und Initiator gar nicht mehr unterscheidbar. Damit stellt sich m.E. allerdings auch die Frage, inwieweit es gerechtfertigt ist, von einem Vorliegen von zwei Partizipantenrollen auszugehen, anstatt ein 1-Partizipantenereignis anzusetzen. Am deutlichsten lässt sich das relevante Kriterium der geringen Elaboration des Ereignisses beim reziproken Medium aufzeigen, wo sich offensichtliche Interpretationsunterschiede zwischen echt reziproken Situationstypen und dem reziproken Medium nachweisen 4

Kemmer (1993, 26) zeigt, dass in vielen Sprachen der Mediummarker eine phonologisch schwächere Form des Reflexivmarkers ist, wie beispielsweise im Russischen -sja vs. sebja. Zumindest im Fula ist das von ihr angeführte Paar -o (Medium) -it-o (Refl.) allerdings irreführend, da es sich bei -it um ein reflexivierendes Derivationsaffix handelt, das lediglich (wie auch einige andere Derivationsaffixe) Mediumflexion verlangt. Der Mediummarker kann in diesem Fall nicht wie von Kemmer angenommen als Teil des Reflexivums analysiert werden. Generell scheint sich die Entwicklung von Mediummarkern aus Reflexiva auf Reflexivpronomen zu beschränken.

10 lassen. Den reziproken Situationstypen ist gemeinsam, dass beide Partizipanten sowohl als Initiator als auch als Endpunkt der Handlung fungieren. Kemmer zeigt jedoch, dass bei den echt reziproken Konstruktionen zwei unterschiedliche Ereignisstrukturen möglich sind, während das reziproke Medium nur eine Ereignisstruktur zulässt: Beide Teilereignisse müssen gleichzeitig stattfinden, während im ersten Fall die beiden Teilereignisse auch nacheinander stattfinden können, siehe Beispiel (12). Kemmer erklärt diesen Unterschied damit, dass bei Mediumsituationstypen Partizipantenrollen und Teilereignisse nicht als unabhängige Komponenten konzeptualisiert werden. Diese Art der Konzeptualisierung kann eine Reinterpretation des Verbs zur Folge haben, bei der eine symmetrische Interpretation zustande kommt, wie in (13). (12) a. Sie haben einander (nacheinander) umarmt, b. Sie haben sich (?nacheinander) umarmt. (13) a. Birbiri-ni gör-dü-ler. REZ-AKK

Türkisch

seh-PRÄT-3PL

'Sie haben einander gesehen.' b. Gör-ü§-tü-ler

(* 'Sie haben sich getroffen.')

seh-REZ.M-PRÄT-3Pl

'Sie haben sich gesehen.'

(= 'Sie haben sich getroffen.')

Problematisch ist die Annahme, dass die Funktion des Mediums in der geringen Elaboration des Ereignisses besteht, für die spontanen und passivischen Situationstypen. Kemmer betrachtet die entsprechenden Lesarten dementsprechend auch als Randfälle. Bei diesen Konstruktionen liegt keine geringere Unterscheidbarkeit der Partizipanten vor als bei entsprechenden Aktivformen. Eine geringere Elaboration des Ereignisses besteht nur insofern, als nicht alle Partizipanten des Ereignisses syntaktisch realisiert sind, die bei der korrespondieren Aktivform realisiert werden. Die syntaktische Realisierung von Argumenten kann allerdings kaum als relevant für den kodierten Situationstyp betrachtet werden. Bei diesen Lesarten zeigt sich eine Schwäche von Kemmers Ansatz, die daraus resultiert, dass für die Funktion des Mediums ausschließlich die semantischen Eigenschaften der medial markierten Konstruktion berücksichtigt werden, ohne dass der Zusammenhang mit den korrespondierenden nicht-medialen Verbformen berücksichtigt wird. Der Grund dafür, dass Kemmer nur die semantische Eigenschaften der medial markierten Verbformen berücksichtigt, liegt in der Existenz der Media tantum. Da die Mediumform in diesen Fällen keine mit einer Aktivform kontrastierende Bedeutung kodieren kann, nimmt Kemmer (berechtigterweise) an, dass die relevante Information der Verbform inhärent sein muss. Will man jedoch erfassen, dass gerade dekausative Verben häufig medial markiert sind, während inchoative Verben ohne kausatives Gegenstück im Aktiv realisiert sind (vgl. Kapitel 2), dann ist der Bezug auf die kausative Form unverzichtbar. Diese Schwäche von Kemmers Ansatz zeigt, dass für die Analyse der differenzierenden Funktionen des Mediums ein Zugriff auf die durch die Aktivform repräsentierte Bedeutung möglich sein muss.

11 1.2.2.3 Klaiman (1991): Medium als basic voice - Affiziertheit im Kontext von Kontrolle Klaiman (1991) gehört zu den wenigen Arbeiten, die sich nicht auf die Betrachtung eines Voice-Systems beschränken. Ihr Ziel ist es, auf der Basis einer umfassenden typologischen Untersuchung verschiedener Voice-Systeme eine allgemeine Theorie der Funktion von Voice zu entwickeln. Klaiman unterscheidet drei Typen von Voice-Systemen: derived voice-Systeme, pragmatic voice-Systeme und basic voice-Systeme. Die verschiedenen Typen unterscheiden sich darin, in Bezug aufweiche Art von grammatischer Hierarchie die Prominenz der Argumente bewertet wird. Ich werde im Folgenden nur auf den Unterschied zwischen derived voice-Systemen und basic voice-Systemen eingehen. Derived vo/ce-Systeme verfügen über eine Default-Voice, in der alle Basisverben auftreten. Von dieser Basisform können andere Voice-Formen abgeleitet werden. Ein typisches derived voice-System ist das Aktiv/Passiv-System, da die Passivform stets von einer korrespondierenden Aktivform abgeleitet ist (vgl. (14)). (14) a. Deutsch: essen b. Türkisch: ver-mek'geben' geb-lNF

-

gegessen werden ver-il-mek 'gegeben werden' geb-PASS-INF

In derived voice-Systemen ist beim Basisverb die grammatische Hierarchie der Argumente durch die thematische Hierarchie bestimmt. Das thematisch höchste Argument ist somit auch das grammatisch prominenteste Argument. Bei der davon abgeleiteten Form wird ein thematisch tieferes Argument als grammatisch prominentestes Argument realisiert. Die Umstufung kann pragmatisch oder grammatisch motiviert sein. Basic vo/ce-Systeme sind dadurch charakterisiert, dass es für jede Voice Verben gibt, die ausschließlich in dieser Voice auftreten können. Nach Klaiman dienen die verschiedenen Voice-Marker in basic voice-Systemen dazu, das Verbinventar aufgrund semantischer Eigenschaften zu klassifizieren. Alle Verbformen weisen demnach overte Voice-Markierungen auf. Aktiv/Medium-Systeme sind nach Klaiman 'basic voice '-Systeme. Klaiman (1991) argumentiert überzeugend gegen die Annahme, dass die Funktion des Mediums in der Kodierung von Detransitivierung oder Reflexivierung besteht. Evidenz gegen Detransitivierungsanalysen liefert die Existenz von Media tantum und von Verben, die Aktiv- und Mediumformen gleicher Stelligkeit oder sogar intransitive Aktiv- und transitive Mediumformen aufweisen (vgl. Kapitel 2). Evidenz gegen Reflexivierungsanalysen ergibt sich aus der Tatsache, dass die Sprachen mit Aktiv/Medium-Systemen über vom Medium unabhängige Reflexivierungsstrategien verfügen. Lediglich bei einer semantisch beschränkten Gruppe von Verben kann eine reflexive Interpretation durch die Mediummarkierung zustande kommen (vgl. Kapitel 2). Zentral für Klaimans Analyse der Funktion des Mediums ist der Begriff der Kontrolle. Aufgrund des Vergleichs von Media tantum und Activa tantum, die physische oder psychische Eigenschaften von belebten Individuen bezeichnen, kommt Klaiman zu dem Schluss, dass die prototypische Funktion der basic voi'ce-Strategien die unterschiedliche Markierung von kontrollierten und nicht-kontrollierten Prädikaten ist. So sind die von den Activa tantum bezeichneten physischen und mentalen Vorgänge im Allgemeinen unkontrolliert. Die Funktion des Mediums bei Media tantum besteht nach Klaiman in der Kodierung der „deponentiellen Bedeutung" dieser Verben. Deponentien sind nach Klaimans Definition

12 Verben, die physische oder mentale Zustände bezeichnen sowie Belebtheit und Kontrolle ihres Subjekts voraussetzen.5 Obwohl die Kodierung von Kontrolle nach Klaiman für basic voice-Systeme zentral ist, geht sie davon aus, dass die differenzierende Funktion des Mediums (d.h. die Verwendung von Mediumformen mit korrespondierender Aktivform) darin besteht, die Affiziertheit des Subjektreferenten durch den vom Verb bezeichneten Vorgang zu kodieren. Diese Annahme ist dadurch begründet, dass die reflexiven Lesarten des Mediums (,ich wasche mich') gegenüber den entsprechenden Aktivformen keinen Unterschied in den Kontrolleigenschaften aufweisen. Die Kodierung der Affiziertheit des Subjekts allein kann jedoch ebenfalls nicht als Funktion des Mediums angesetzt werden, da z.B. inchoative Verben, die nicht über eine kausative Variante verfügen, ebenso wie die zuvor erwähnten Verben der unkontrollierbaren physischen und mentalen Vorgänge zu den Activa tantum gehören (vgl. die Beispiele in Kapitel 2). Um einen Zusammenhang zwischen diesen auf den ersten Blick völlig unterschiedlichen Funktionen herzustellen, versucht Klaiman zu zeigen, dass eine ontologische Beziehung zwischen Kontrolle und Affiziertheit besteht. Sie nimmt an, dass die Affiziertheit eines Patiens (undergoers) in kontrollierten Kontexten durch die Anwesenheit des kontrastierenden Agens eher wahrgenommen wird. Da die Anwesenheit eines Kontrolleurs die Wahrscheinlichkeit erhöht, ein Argument als affiziert wahrzunehmen, kann demnach bei nichtagentiven Prädikaten ein Argument, das aufgrund seiner sortalen Eigenschaften ein Kontrolleur sein könnte, mit höherer Wahrscheinlichkeit als affiziert konstruiert werden. Belebte Partizipanten werden demnach eher als affiziert interpretiert als unbelebte. Diese Überlegung dient vermutlich dazu, zu motivieren, dass im Fall der Media tantum, die physische und mentale Zustände kodieren, das (belebte) Argument als affiziert interpretiert werden soll, obwohl es nicht den Status eines Undergoers hat (d.h. nicht der Handlung eines Agens ausgesetzt ist). Allerdings ist Klaimans Argumentation an dieser Stelle nicht überzeugend, da die Affiziertheit des Undergoers im Kontext von Kontrolle zuvor ja aus dem Kontrast zum (auf dem Undergoer operierenden) Agens motiviert wurde. Insofern ist die Belebtheit eines nicht-agierenden potenziellen Kontrolleurs kein ausreichender Grund, ihn als affiziert zu interpretieren. In ihrer Analyse konkretisiert Klaiman die Interaktion von Kontrolle und Affiziertheit, indem sie die Affiziertheit eines Partizipanten davon abhängig macht, dass die Situation im Prinzip kontrollierbar ist. Eine Situation ist kontrollierbar, wenn für sie eine Menge von potenziellen Kontrolleuren P definiert ist. Eine solche Menge besteht aus den Partizipantenrollen, die auf der relevanten ontologischen Salienzhierarchie nicht den niedrigsten Rang einnehmen. Klaiman fuhrt nicht aus, worin die relevante ontologische Salienzhierarchie bei Aktiv/Medium-Systemen besteht. Gemäß der Belebtheitshierarchie, die sie für Inverssysteme ansetzt (l./2.Pers > 3.Pers.Pron. > proper noun > human common noun > animate common noun > inanimate common noun), müssten alle belebten Partizipanten potenzielle Kontrolleure sein. Die Menge der potenziellen Kontrolleure wird nun allerdings nicht in Bezug auf die Partizipanten einer individuellen Situation festgelegt, sondern, sondern in Bezug auf die Partizipanten der Menge aller möglichen Situationen, die mit einem s

Traditionell versteht man unter Deponentien Verben mit medialer Form, die die mediale Bedeutung „abgelegt" haben, also aktivisch interpretiert werden. Der Begriff Deponentien wird häufig synonym mit 'Media tantum' verwendet.

13 Verbkonzept (verbal idea) assoziiert sind. Da Aktiv- und Mediumformen mit demselben Verbkonzept assoziiert sind, liegt auch bei der dekausativen Lesart des Mediums ein potenzieller Kontrolleur vor, selbst wenn der einzige Partizipant der Situation unbelebt ist. Die Bedingung, dass der entsprechende Partizipant als affiziert betrachtet werden kann, ist demnach erfüllt. Für jede individuelle Situation definiert Klaiman wiederum die Menge von Kontrolleuren C, die auf der relevanten ontologischen Salienzhierarchie den höchsten Rang einnehmen. Einem von diesen Kontrolleuren kann die Rolle des tatsächlichen Kontrolleurs der Situation zugewiesen werden. In jeder Prädikation kann es nur einen einzigen tatsächlichen Kontrolleur geben. Vor diesem Hintergrund formuliert Klaiman die Bedingung für die Verteilung der Voice-Markierungen.6 Sie nimmt an, dass für die Organisation von Aktiv/MediumSystemen die Hierarchie der thematischen Rollen (Agens > Benefizient > Thema/Patiens > Lokation) relevant ist. Diese Hierarchie kann nach ihrer Auffassung als eine grammatikalisierte Hierarchie des Kontrollpotentials der Partizipanten verstanden werden. Je höher die thematische Rolle eines Arguments, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass sein Referent die Bedingung erfüllt, ein 'tatsächlicher Kontrolleur' zu sein. Dementsprechend nimmt die Bedingung für die Zuweisung der Voice-Marker auf die thematische Hierarchie Bezug: (15) „Assign Middle marking just when the thematically superior core theta-role assigned by a basic predicate coincides with a nominal position representing the relation of affected entity; or when the basic predicate's thematically superior theta-role is not assigned as a core syntactic relation; active otherwise." (Klaiman 1991,269) Klaiman hat nicht den Anspruch, mit dieser Bedingung eine endgültige Formulierung zu präsentieren und diskutiert auch nicht, wie sich die verschiedenen Lesarten des Mediums jeweils ergeben. Ich möchte daher im Folgenden selbst versuchen, die Analyse einiger Lesarten zu skizzieren. Die dekausative Lesart Die Mediumformen mit dekausativer Lesart sind mit der gleichen Menge von Situationen assoziiert wie die entsprechenden kausativen Aktivformen. Damit ist die Menge der potenziellen Kontrolleure nicht leer, so dass die Bedingung für die Affiziertheit eines Partizipanten erfüllt ist. Da das einzige Argument der Mediumformen einer Veränderung unterliegt, liegt Affiziertheit des höchsten semantischen Arguments vor. Die zweite Bedingung, dass die thematisch höchste Rolle des Basisprädikats nicht realisiert ist, kann hier nicht angewendet werden, da Klaiman davon ausgeht, dass Medium- und Aktivformen unabhängige Lexikoneinträge aufweisen. Diese Annahme ergibt sich aus ihrer Vorstellung von basic voice: Da in basic voice-Systemen das Verbinventar aufgrund der semantischen Information klassifiziert ist, kann keine Voice-Form von einer anderen abgeleitet sein.

6

Klaiman schlägt zwei alternative Bedingungen vor, von denen die eine dem System des Tamil und die andere dem in den klassischen indoeuropäischen Sprachen Rechnung tragen soll. Ich stelle hier nur die zweite Bedingung vor.

14 Die reflexiven Lesarten Nach Klaimans Charakterisierung liegt bei den reflexiven Lesarten Affiziertheit des höchsten Arguments vor. Da die Verben bei allen reflexiven Lesarten einen Agens aufweisen, ist gewährleistet, dass ein potenzieller Kontroller vorhanden ist, so dass ein Argument als affiziert ausgezeichnet werden kann. Die passivische Lesart Die passivische Lesart gehört nach Klaiman nicht zu den zentralen Lesarten des Mediums. Klaiman weist jedoch darauf hin, dass Verbformen mit passivischer Bedeutung die Bedingungen für die Zuweisung der Mediummarkierung erfüllen, da das Argument mit der höchsten O-Rolle nicht realisiert ist. Das trägt den Daten im Sanskrit Rechnung, wo passivische Verben immer medial flektieren (Klaiman 1991,270). Media tantum Klaiman geht selbst darauf ein, wie die Medium-Markierung bei Media tantum motiviert ist: Diese Verben präsupponieren nach ihrer Analyse Kontrolle, so dass die Bedingung für Affiziertheit erfüllt ist. Der relevante Affiziertheitsbegriff muss allerdings sehr vage sein, so dass die Angemessenheit dieser Erklärung schwer zu beurteilen ist.

1.3

Der Charakter des Mediums

Die Übersicht über die verschiedenen Ansätze hat gezeigt, dass es zwei Grundpositionen zur Funktion des Mediumss gibt, die tendenziell damit korrelieren, welchem Phänomenbereich die Autoren jeweils Priorität einräumen. Ansätze, die die mit Aktivformen konstrastierenden Lesarten in den Vordergrund stellen, betrachten meist Reflexivierung als die zentrale Funktion des Mediums. Ansätze, die primär das Vorliegen der Media tantum erfassen wollen, betrachten die Markierung der Affiziertheit des höchsten Arguments als die zentrale Funktion. Alle neueren Ansätze - am explizitesten Geniusienö - gehen davon aus, dass mehrere Repräsentationsebenen berücksichtigt werden müssen. Im Unterschied zum Passiv spielt nicht nur die Abbildung zwischen semantischen Argumenten und syntaktischer Realisierung eine Rolle, sondern darüber hinaus auch die „Partizipantenstruktur". Kemmers mediale Situationstypen, die von den semantischen Vorgaben der korrespondierenden Aktivform abweichen, indem sie „weniger elaboriert" sind, und auch Klaimans Annahme eines Verbalkonzepts, das sowohl mit den Aktiv- als auch mit den Mediumformen verbunden ist, zeigen m.E. eine zentrale Eigenschaft des Mediums auf: Verben, die über Aktiv- und Mediumformen verfügen, sind charakteristischerweise solche Verben, die Handlungen oder Vorgänge charakterisieren, an denen ebenso häufig einer wie auch zwei Partizipanten beteiligt sind (waschen - sich waschen, biegen - sich biegen). Die unmarkierte Aktivform ist dabei semantisch und syntaktisch zweistellig und charakterisiert eine Situation mir zwei Partizipanten. Die markierte Mediumform charakterisiert dagegen eine Situation mit nur einem Partizipanten und ist syntaktisch einstellig.

15 Eine der zentralen Fragen, die eine Analyse der Funktion des Mediums zu beantworten hat, ist demnach, durch welche semantische Operation ein systematischer Zusammenhang zwischen der semantisch zweistelligen Aktivform und der teils semantisch einstelligen (dekausative Lesart: sich biegen) teils semantisch zweistelligen (kausativ-reflexive Lesart: sich rasieren lassen) und teils semantisch reflexiven Mediumform herstellen lässt. Die hier vorgestellten Ansätze unterscheiden sich in Bezug auf die Frage, ob die Mediumformen semantisch einstellig oder wie die Aktivform semantisch zweistellig sind. Bei GeniuSienö sind die reflexiven Lesarten semantisch zweistellig, die dekausative Lesart ist semantisch einstellig. Kemmer scheint ebenfalls davon auszugehen, dass zumindest die reflexiven Lesarten zweistellig sind, wobei aber nicht ganz klar ist, worin die „geringere Unterscheidbarkeit der Partizipantenrollen" besteht. Wenn man in Klaimans Ansatz die der Aktiv- und Mediumform zugrundeliegende verbal idea als die Ebene der semantischen Repräsentation betrachtet, wäre die Mediumform wie die Aktivform semantisch zweistellig. Da Klaiman allerdings für beide Formen unabhängige Lexikoneinträge ansetzt, könnte auch jede Form über eine eigene semantische Repräsentation verfügen. Ich möchte in dieser Arbeit dafür argumentieren, dass den differenzierenden Lesarten des Mediums (also denen, die mit einer Aktivform korrespondieren) stets die gleiche semantische Repräsentation zugrunde liegt wie der Aktivform. Die unterschiedlichen Lesarten ergeben sich in Abhängigkeit der semantischen Eigenschaften unterschiedlicher Verbklassen als Effekt der gegenüber der Aktivform veränderten Argumentrealisierung. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Beobachtung, dass in vielen Sprachen intransitive Varianten bestimmter transitiver Verben eine gemeinsame grammatische Markierung aufweisen, obwohl sie ganz unterschiedliche Lesarten aufweisen, damit erklären, dass hier eine grammatische Strategie vorliegt, einen generellen Konflikt bei der Abbildung der konzeptuellen Information auf die syntaktische Oberfläche zu markieren. Für die meisten Verben ist die syntaktische Stelligkeit eindeutig festgelegt. Sie ergibt sich aus der Konzeptualisierung der von den Verb charakterisierbaren Situationen als Situationen mit einem, zwei, oder auch drei Partizipanten. Die Abbildung zwischen Konzept und Syntax wird vermittelt durch die Ebene der semantischen Repräsentation, auf der die Anzahl der relevanten Argumente ebenso festgelegt ist wie ihre spezifische Rolle in der Situation. Bei den meisten Vorgängen ergibt sich die semantische Klassifizierung des jeweiligen Verbs als transitiv oder intransitiv relativ eindeutig aus der Anzahl der üblicherweise an der Situation beteiligten Partizipanten. An Wahrnehmungssituationen beispielsweise sind typischerweise zwei Partizipanten beteiligt (der Wahrnehmende und das Wahrgenommene), ebenso an Situationen, in denen durch eine bestimmte Einwirkung eine substantielle Veränderung bewirkt wird (Situationen wie Essen, Trinken, Bauen etc.). Es gibt allerdings auch Einwirkungen, bei denen weniger eindeutig ist, wie viele Partizipanten typischerweise aq der entsprechenden Situation beteiligt sind. Dazu gehört z.B. Situationen des Waschens oder Kämmens, also Handlungen, die man zwar an anderen ausführen kann, die in den meisten Fällen aber jeder an sich selbst ausführt. Hier ergibt sich die Möglichkeit, sprachspezifisch unterschiedliche Klassifizierungen vorzunehmen. In Sprachen, die die entsprechenden Vorgänge als semantisch zweistellig klassifizieren, muss die einstellige Verwendung abgeleitet werden. Ein Mittel dafür ist die Reflexivierung. Da die Situationen mit nur einem Partizipanten jedoch ebenso häufig, wenn nicht häufiger sind, kann die ent-

16

sprechende Situation ebenso gut als einstellig konzeptualisiert werden, so dass ein intransitives Basisverb vorliegt. Dass die entsprechenden Verben trotzdem meist zugrundeliegend transitiv sind, ergibt sich daraus, dass bestimmte Argumentpositionen typischerweise mit bestimmten semantischen Eigenschaften assoziiert sind. So ist das externe Argument dasjenige, das bei prototypischen transitiven Verben mit Agentivität und Kontrolleigenschaften assoziiert ist, das direkte interne Argument dagegen dasjenige, das bei prototypischen transitiven Verben einer Veränderung unterliegt. Da Agentivität und Veränderung einer Eigenschaft nur selten Eigenschaften eines einzigen Partizipanten sind, liegt es näher, auch Verben wie waschen und kämmen als semantisch zweistellig zu kategorisieren. Bei einem anderen Typ von Vorgängen können sich Sprachen darin unterscheiden, welchen „Ausschnitt" sie durch Basisverben lexikalisieren. In Sprachen, die überwiegend intransitive Basisverben aufweisen, können Veränderungen, die mit oder ohne Verursacher zustande kommen können, durch intransitive Basisverben lexikalisiert sein, während in Sprachen, die überwiegend transitive Basisverben aufweisen, das entsprechende Basisverb transitiv sein kann. Die korrespondierende transitive bzw. intransitive Variante kann dann durch eine Kausativierungs- bzw. eine Dekausativierungsoperation abgeleitet sein. Sprachen, die keine solchen Präferenzen aufweisen, können entweder die gleiche Verbform verwenden, um beide Varianten zu kodieren, oder unterschiedliche Verbformen. Haspelmath (1993) klassifiziert die verschiedenen Alternationstypen, die sich aus den unterschiedlichen Lexikalisierungsstrategien ergeben, als Antikausativ-Alternation (Basisform transitiv - abgeleitete Form intransitiv), Kausativ-Alternation (Basisform intransitiv - abgeleitete Form transitiv), Equipollent-Alternation (transitive und intransitive Form von einem gemeinsamen Stamm abgeleitet), labile Alternation (eine Form für transitive und intransitive Verwendung) und Suppletiv-Alternation (unterschiedliche Stämme für transitive und intransitive Form). Beispiele für diese Alternationstypen sind in (16) aufgeführt (vgl. Haspelmath 1993, 91f). (16) a. Kausativ-Alternation: b. Antikausativ-Alternation: c. Equipollent-Alternation: d. labile Alternation: e. Suppletiv-Alternation:

Französisch:

fondre faire fondre Russisch: katat'-sja katat' Japanisch: atum-eru atum-aru Neugriechisch: svino Russisch: goret' zeö

.schmelzen' intr. .schmelzen' tr. .rollen' intr. .rollen' tr. .sich sammeln' .sammeln' .erlöschen'/,löschen' .verbrennen' intr. .verbrennen' tr.

Obwohl Sprachen unterschiedliche Klassifizierungspräferenzen aufweisen können, gibt es in gewissem Umfang auch sprachübergreifende Regularitäten, die durch die Konzeptualisierung von Situationen bestimmt sind. So besteht eine Tendenz, dass bei Ereignissen, die im Allgemeinen durch Einwirkungen von außen verursacht werden, die AntikausativAlternation das präferierte Muster ist, während bei Ereignissen, die typischerweise ohne solche Einwirkungen zustande kommen, die Kausativ-Alternation das präferierte Muster ist (vgl. Croft 1990, Haspelmath 1993). Solche Regularitäten werden mit der Ikonizität der

17 Sprache begründet, die bewirkt, dass kognitive Markiertheit mit struktureller Markiertheit korreliert (vgl. z.B. Haiman 1980, 1983). Bei den Verben, die in Sprachen mit Mediummarkierung über eine Aktiv- und eine Mediumformverfugen, handelt es sich unter anderem um solche, die aufgrund der konzeptuellen Eigenschaften prinzipiell mit unterschiedlicher Stelligkeit lexikalisiert werden können, da die spezifischen Vorgänge ein oder zwei Partizipanten aufweisen können. Dabei sind es die Aktivformen (bzw. die Basisverben), die die transitiven Varianten kodieren, und die Mediumformen (bzw. die reflexiven Verben), die die intransitiven Varianten kodieren. Demnach sind in Mediumsystemen die entsprechenden Situationstypen als semantisch transitiv klassifiziert. Die Ableitung der intransitiven Form ist morphologisch markiert. Die relative Vielfalt der Kodierung der Mediumlesarten lässt sich nun damit in Zusammenhang bringen, dass die Ableitung der semantisch intransitiven Verbformen an unterschiedlichen Repräsentationsebenen ansetzen kann: Sie kann als Operation auf der Argumentstruktur die syntaktische Realisierung der Argumente verändern, oder aber an der Abbildung der semantischen Argumente in die Argumentstruktur ansetzen. Wie die medialen Reflexivkonstruktionen zeigen, kann sie darüber hinaus durch die Realisierung eines Arguments als Reflexivum erzwungen werden. Eine weitere wichtige Eigenschaft des Mediums macht GeniuSienés Formulierung der verschiedenen Diathesen explizit: Ob eine bestimmte Lesart zustande kommen kann, ist zum einem von der Verbklasse, zum anderen aber auch von den sortalen Eigenschaften der Partizipanten abhängig. Auch diese Eigenschaften müssen demnach semantisch zugreifbar sein. Klaiman berücksichtigt die sortalen Eigenschaften der Partizipanten indirekt, indem sie die Partizipanten in Bezug auf ihre Kontrollfahigkeit klassifiziert. Allerdings schöpft sie meines Erachtens das Potential, das in der Unterscheidung unterschiedliche Arten von Kontrolleigenschaften liegt, nicht aus, sondern zieht es nur heran, um den Begriff der Affiziertheit einzuschränken. Ich möchte im Folgenden auf Klaimans Erkenntnisse in Bezug auf die Relevanz des Kontrollbegriffs aufbauen, und eine Analyse des Mediums vorschlagen, die ganz auf den Bezug auf die Affiziertheit der Argumente verzichtet. Dazu ist es erforderlich, nicht nur die Eigenschaften der Partizipanten der kodierten Situation zu berücksichtigen, sondern eine explizite semantische Repräsentation anzusetzen, auf der das Medium operiert. Anders als Klaiman vertrete ich die Vorstellung, dass die Funktion des Mediums gerade in den differenzierenden Lesarten systematisch zum Ausdruck kommt, da diese Lesarten anders als die Media tantum nicht lexikalisiert sind, sondern produktiv von einem Basiseintrag abgeleitet werden. Bei dieser Ableitung ist der von Klaiman eingeführte Kontrollbegriff zentral. Nach meiner Vorstellung ist allerdings nicht relevant, ob ein als Subjekt realisiertes Argument bestimmte Kontrolleigenschaften aufweist, sondern ob der tatsächliche Kontrolleur der Situation auch ein präferierter potenzieller Kontrolleur ist. Die Affiziertheit des Subjekts in Mediumformen ergibt sich lediglich als ein Effekt. Auch eine Analyse, die die differenzierende Funktion des Mediums in den Vordergrund stellt, muss eine Erklärung dafür bieten, warum die gleichen Markierungen, die zur Kodierung der Detransitivierung verwendet werden, auch zur Markierung bestimmter Basisverben, der Media tantum, verwendet werden. Ich möchte zeigen, dass auch hier der Bezug auf die Kontrolleigenschaften der Argumente ausreicht. Zum Abschluss des Kapitels gehe ich noch kurz auf zwei Ansätze ein, die sich zwar nicht mit dem Medium beschäftigen, aber insofern interessant sind, als sie sehr unterschied-

18

liehe Sichtweisen auf Voice vertreten. Obwohl sich keine der beiden Analysen direkt auf das Medium übertragen lässt, beinhalten beide Aspekte, die auch in der von mir vorgeschlagenen Analyse eine Rolle spielen werden.

1.4

Neuere Theorien zur Behandlung von Voice

In der theoretischen Linguistik sind in den letzten Jahren zwei Sichtweisen von Voice entstanden, die im Folgenden kurz daraufhin betrachtet werden sollen, inwieweit sie zur Analyse des Mediums geeignet sind. Kratzer (1996) fuhrt eine Voice-Phrase als funktionale Projektion des Verbs ein, deren Kopf die syntaktische Einführung des externen (Agens-)Arguments lizensiert. Nach dieser Vorstellung liegen im Aktiv syntaktische Strukturen vor, die eine Voice-Projektion aufweisen, während das Fehlen einer Voice-Projektion charakteristisch für Nicht-Aktiv-Voice ist. Diese Vorstellung ist stark an Aktiv/Passiv-Systemen orientiert, in denen sich der Unterschied zwischen den Verbalgenera an der overten Realisierung des externen Arguments festmachen lässt. Die Funktion von Voice besteht damit darin, die syntaktische Realisierung von Argumenten, genauer des externen Arguments, zu lizensieren. Kratzers Ansatz ist weniger vor dem Hintergrund der Analyse unterschiedlicher Typen von Voice-Systemen interessant als vor dem der Organisation von Lexikoneinträgen. Nach der von ihr vertretenen Vorstellung ist das externe Argument nicht Teil der Verbrepräsentation und unterliegt deshalb anderen Realisierungsbedingungen als die anderen Argumente. Auf diesen Aspekt von Kratzers Voice-Theorie werde ich in Kapitel 10 noch einmal zurückkommen. Eine andere Sicht auf Voice bildet den Hintergrund für einige Analysen im Rahmen der Optimalitätstheorie. Diese Ansätze setzen an der Eigenschaft von Voice-Systemen an, unterschiedliche Hierarchien miteinander in Beziehung zu setzen. Die erste optimalitätstheoretische Analyse der Interaktion von Kasus und Voice findet sich in Legendre, Raymond & Smolensky (1993). Aissen (1999) präsentiert einen Ansatz, in dem die relevanten Hierarchien durch Harmonie Alignment (Prince & Smolensky 1993) miteinander assoziiert werden, so dass jeweils Paare aus Elementen verschiedener Hierarchien als Elemente abgeleiteter, komplexer Hierarchien fungieren können. Bei den durch Harmonie Alignment konstruierten komplexen Hierarchien handelt es sich um Markiertheitshierarchien: Das höchste Element einer binären Hierarchie (z.B. Subj > Obj) wird mit allen Elementen einer zweiten Hierarchie (z.B. der Hierarchie der thematischen Rollen) kombiniert, wobei die Rangfolge der zweiten Hierarchien bei der komplexen Hierarchie bewahrt wird (Subj/Agens > ... > Subj/Patiens). Parallel dazu wird eine komplexe Hierarchie mit dem tiefsten Element der binären Hierarchie und allen Elementen der komplexen Hierarchie gebildet, bei der jedoch die Rangfolge der Elemente gegenüber der Ausgangshierarchie umgedreht wird (Obj/ Patiens > ... > Obj/Agens). Durch die so konstruierten Hierarchien lässt sich erfassen, dass unmarkierte Subjekte typischerweise eine ranghohe thematische Rolle (Agens) aufweisen, während Subjekte mit rangniedriger thematischer Rolle (Patiens) markierter sind. Dagegen weisen Objekte typischerweise eine rangniedrige thematische Rolle auf, während Objekte mir ranghoher thematischer Rolle markiert sind.

19 Abbildungen zwischen Hierarchien, wie sie Klaiman zur Charakterisierung der Verbalgenera verwendet, lassen sich als solche Paare formulieren: Subj/Agens 'realisiere den Agens als Subjekt', Subj/Patiens 'realisiere den Patiens als Subjekt'. Da die Markiertheitshierarchien eine Ordnung dieser Paare vorgeben, folgt, dass auch die Verbalgenera unterschiedlich markiert sind. Die Elemente der Markiertheitshierarchie können dann bei Umkehrung der Hierarchie als geordnete Avo«/-Constraints (*Subj/Patiens » ""Subj/Agens) rekonstruiert werden. Der Vorteil dieser Analyse besteht darin, dass auch mehrere Hierarchien miteinander in Beziehung gesetzt werden können, so dass sich beispielsweise die unterschiedliche morphologische Markiertheit von Nominalen in Aktiv- und Passivkonstruktionen abhängig von ihrem Rang auf der Personenhierarchie erfassen lässt. Eine Verbindung zum Argumentlinking ergibt sich, wenn man sich Stiebeis (2000) folgend statt auf die grammatischen Relationen Subjekt und Objekt direkt auf die für das Argumentlinking relevanten Merkmale bezieht. Weder unter der optimalitätstheoretischen noch unter der syntaktischen Sichtweise auf Voice ist ohne weiteres ersichtlich, wie sich die medialen Lesarten erfassen lassen, da die thematischen Eigenschaften des medialen Subjekts anders als beim Passiv keine eindeutige Klassifizierung zuzulassen scheinen. Kratzers Ansatz steht vor dem Problem, dass die Lesarten des Mediums agentiv oder nicht agentiv sein können, so dass bei einem Teil der Fälle eine Voice-Phrase vorliegen müsste, bei einem anderen dagegen nicht. Obwohl der Unterschied zwischen Aktiv und Medium nicht wie der zwischen Aktiv und Passiv durch die Anwesenheit oder Abwesenheit eines durch die funktionale Kategorie Voice lizensierten Agens-Arguments erfasst werden kann, spielt aber die Interaktion zwischen der Position des externen Arguments und den semantischen Eigenschaften der Argumente auch hier eine zentrale Rolle. Allerdings möchte ich im Folgenden dafür argumentieren, dass eine einheitliche Analyse des Mediums voraussetzt, dass die Realisierung von Argumenten mit bestimmten thematischen Eigenschaften in bestimmten Argumentpositionen lediglich der Default ist (Aktiv), von dem Mediumformen abweichen. Für die Harmonie A/ignment-Analyse stellt sich im Fall des Mediums das Problem, dass gegenüber der Aktivform auch semantische Veränderungen vorliegen. Sofern bei der Analyse auf Markiertheitshierarchien zugegriffen wird, müssen sich diese semantischen Veränderungen als zusätzliche Effekte aus den unterschiedlichen für Aktiv und Medium relevanten Abbildungen ergeben. Auch hier möchte ich zeigen, dass eine entsprechende Analyse der semantischen Veränderungen möglich ist, so dass sich die Unterschiede zwischen Aktiv und Medium im Kern tatsächlich auf markierte und unmarkierte Abbildungen zwischen verschiedenen Hierarchien analysieren lassen. Klaimans Klassifizierung des Mediums als basic voice ist dadurch motiviert, dass die Klassifizierung einer Verbform als Mediumform auch dann möglich ist, wenn es keine als Aktivform klassifizierte Basis gibt. Wenn für die Mediummarkierung eine Abbildung zwischen verschiedenen Hierarchien eine Rolle spielt, muss es sich demnach um Hierarchien handeln, für die in Bezug auf ein einzelnes Verb markierte oder unmarkierte Abbildungen vorliegen können. In Klaimans Analyse des Mediums spielt die Abbildung zwischen den Hierarchien nur indirekt eine Rolle: relevant ist, dass das höchste Argument auf der thematischen Hierarchie identisch ist mit dem affizierten Argument. Da Affiziertheit vom Vorliegen eines Partizipanten mit Kontrolleigenschaften abhängt, ist neben der Hierarchie der thematischen Rollen indirekt eine zweite Hierarchie (die Belebtheitshierarchie) beteiligt.

20 Ich möchte im Folgenden eine Analyse vorschlagen, die an Klaimans Überlegungen zu Funktion des Mediums anknüpft, dabei aber die Kontrolleigenschaften der Partizipanten in den Mittelpunkt stellt. Kontrolleigenschaften spielen auf unterschiedlichen Repräsentationsebenen eine Rolle. Im unmarkierten Fall fallen die auf den verschiedenen Ebenen relevanten Kontrolleigenschaften zusammen, d.h., ein Argument ist auf allen Ebenen als Kontrolleur ausgezeichnet. Es kann aber auch zu Abbildungen zwischen den verschiedenen Ebenen kommen, die gegenüber dem Default abweichend sind. Das Vorliegen solcher abweichender Kontrollverhältnisse zu markieren ist die Funktion des Mediums. Durch die Annahme verschiedener Ebenen von Kontrollinformation ähnelt die hier vorgeschlagene Analyse den Voice-Analysen, die auf Markiertheitshierarchien aufbauen. Eine dieser Ebenen lässt sich mit der von Kratzer vertretenen Sicht auf Voice in Zusammenhang bringen, indem sie bestimmte agentive Eigenschaften mit einer bestimmten Argumentposition assoziiert.

1.5

Der Aufbau der Arbeit

Ziel der vorliegenden Arbeit ist eine semantische Analyse des Mediums, die für die verschiedenen Lesarten eine gemeinsame Funktion ansetzt. In einem zweiten Schritt soll diese Analyse dann auf Reflexivkonstruktionen übertragen werden. Die Arbeit ist inhaltlich in drei Teile untergliedert. Im ersten Teil wird die Analyse anhand des Mediums im Fula entwickelt. Kapitel 2 gibt zunächst einen Überblick über die Lesarten, die das Medium im Fula und im Altgriechischen aufweisen kann. In Kapitel 3 werden dann die für die Analyse notwendigen Grundannahmen eingeführt. Die zentrale Annahme ist, dass die Mediummorphologie dazu dient, vom Default abweichende Kontrollverhältnisse zu markieren. Danach wird anhand des Mediums im Fula gezeigt, welche Art von abweichenden Kontrolleigenschaften bei den Media tantum einerseits und den differenzierenden Lesarten andererseits vorliegen. In Kapitel 4 wird dann das Repräsentationsformat für die differenzierenden Lesarten des Mediums im Fula entwickelt. Dabei werden zunächst anhand der reflexiven Lesarten die Bedingungen eingeführt, die für die Interaktion zwischen den Kontrolleigenschaften und der Argumentstruktur (©-Raster) verantwortlich sind. Anhand der dekausativen Lesart des Mediums wird dann die Interaktion zwischen Argumentstruktur und Ereignisstruktur diskutiert. Ein zentraler Aspekt der Analyse wird anhand der modalen Lesart entwickelt: die Interaktion zwischen den Kontrolleigenschaften der Argumente, der Argumentstruktur und den referenziellen Eigenschafen des Verbs. Der zweite Teil der Arbeit behandelt das Mediumsystem des Griechischen, das sich in einigen Punkten von dem des Fula unterscheidet. Kapitel 5 präsentiert zunächst die semantische Analyse der Lesarten des Mediums im Altgriechischen parallel zu der Analyse des Fula. In Kapitel 6 wird der Status der passivischen Lesart des Mediums im Altgriechischen hinterfragt. Die passivische Lesart des Mediums stellt ein Problem für die Analyse dar, da sie mit den für die Ableitung der übrigen Lesarten relevanten Prinzipien in Konflikt steht. Ich argumentiere deshalb, dass die passivische Lesart durch eine Veränderung des griechischen Verbsystems entstanden ist, und seine Integration in die Lesarten des Mediums zu Veränderungen bei den übrigen Les-

21 arten geführt hat. In Kapitel 7 wird das Voice-System des Neugriechischen betrachtet, wobei der Status der passivischen Lesart im Vordergrund steht. Der dritte Teil der Arbeit beschäftigt sich mit Reflexivkonstruktionen. Kapitel 8 gibt einen Überblick über einige Sprachen, die über Reflexivkonstruktionen mit unterschiedlich vielen medialen Lesarten verfugen. Ich argumentiere auch hier dafür, dass die passivische Lesart keine „reguläre" mediale Lesart ist, und dass ihre Integration eine Funktionsveränderung der Reflexivkonstruktionen zur Folge hat. In Kapitel 9 wird die Entstehung der medialen Lesarten der Reflexivkonstruktion skizziert und ihre Analyse vorgestellt. Kapitel 10 beinhaltet eine abschließende Einschätzung zum Status des Phänomens Medium.

2

Überblick über die Lesarten des Mediums im Fula und Altgriechischen

2.1

Fula

Fula gehört zum westatlantischen Zweig der Niger-Kongo-Sprachen. Die Sprecher des Fula sind über ein großes Gebiet verteilt, das (Teile des) Senegal, Gambia, Guinea, Mali, Obervolta, Niger, den Norden Nigerias, den Süden des Tschad, Kamerun, Süd-Mauretanien, Nord-Sierra Leone, Ghana und den Sudan umfasst. Arnott (1970) unterscheidet 6 Hauptdialekte. Nicht alle Dialekte weisen das Medium noch auf, so liegen z.B. im Adamawa (OstNigeria), das als lingua franca verwendet wird, nur noch lexikalisierte Mediumformen vor (vgl. Mclntosh 1984, 4). Die folgende Darstellung der Lesarten des Mediums im Fula stützt sich auf die Beschreibung des Gombe-Dialekts (Nord-Nigeria) in Arnott (1956, 1970) und die darauf aufbauende Darstellung in Klaiman (1993). Fula verfügt über drei Verbalgenera: Aktiv, Medium und Passiv. In welchen Verbalgenera die einzelnen Verben auftreten können, wird durch ihre Semantik bestimmt. Arnott (1970) klassifiziert die nicht erweiterten Verbwurzeln (radicals) dementsprechend nach ihrem „Voice-Potenzial", d.h. danach, wie viele und welche Verbalgenera sie zulassen. Bei 1550 untersuchten Verben ergab sich im Gombe-Fula die folgende Verteilung: Aktiv Medium Passiv Aktiv/Medium Medium/Passiv Aktiv/Passiv Aktiv/Passiv/(Medium nur in bestimmten Konjugationen) Aktiv/Medium/Passiv

31 % 13,5 % 0,5 % unter 1 % 10% 1% 24%

1-Voice-Wurzeln gesamt: 45% 2-Voice-Wurzeln gesamt: 11 % 3-Voice-Wurzeln gesamt: 44%

20%

Tabelle 2.1: Das Voice-Potenzial von 1550 Verben im Fula (Arnott 1970, 188) Die Verbalgenera werden durch unterschiedliche Konjugationssufiixe markiert, die zusätzlich Aspekt, Modus, Fokusinformation und Polarität kodieren (vgl. Abschnitt 4.5.2). 2.1.1

3-Voice-Verben: Die differenzierenden Lesarten des Mediums

Während die Interpretation des Mediums bei 1- und 2-Voice-Verben zumindest teilweise idiosynkratisch ist, zeigt sich bei 3-Voice-Verben, dass die Mediumformen im Kontrast zu den Aktivformen jeweils bestimmte Lesarten haben, die von der Semantik des Basisverbs abhängen. Diese Lesarten bezeichnet Arnott als die 'differenzierenden Lesarten' des Me-

23 diums. In (l)-(8) sind jeweils Aktiv-, Medium- und Passivformen von 3-Voice-Verben mit verschiedenen Mediumlesarten aufgeführt. Bei den Mediumlesarten handelt es sich um die direkt-reflexive Lesart (l)-(2), die kausativ-reflexive Lesart (3)-(4), die indirekt-reflexive Lesart (5)-(7) und die dekausative (neuter) Lesart (8)-(9). Die direkt-reflexive Lesart Bei der direkt-reflexiven Lesart bleibt das direkte Objekt der korrespondierenden Aktivform unrealisiert und wird als koreferent mit dem Agens interpretiert. Die direkt-reflexive Lesart des Mediums ist jedoch keine generelle Reflexivierungsstrategie, sondern kommt nur bei einer bestimmten semantischen Verbklasse zustande.1 Nach Arnott (1956, 1970) handelt es sich dabei um Verben, die Handlungen bezeichnen, die man präferiert am eigenen Körper ausfuhrt, wie etwa die Verben der Körperpflege.2 (1)

a. o

loot-ii

6iyiko

Aktiv

3SG.Swasch-KMPL.A Kind 'Er/sie wusch das Kind.'

b. o

loot-ake

Medium

3SG.Swasch-KMPL.M

'Er/sie wusch sich.' c. o loot-aama

Passiv

3sG.Swasch-KMPL.P 'Er/sie wurde gewaschen.' (2)

a. o 6om-ii ßiyiko 3SG.Sanzieh-KMPL.A Kind 'Er/sie zog ihr/sein Kind an.'

Aktiv

b. o

Medium

6orn-ake

3SG.S anzieh-KMPL.M

'Er/sie zog sich an.' c. o 6orn-aama

Passiv

3SG.Sanzieh-KMPL.P

'Er/sie wurde angezogen.' Die kausativ-reflexive Lesart Die Mediumformen mit kausativ-reflexiver Lesart sind ebenfalls intransitiv, hier ist der Agens jedoch nicht koreferent mit dem Patiens, sondern implizit. Der Patiens fungiert bei dieser Lesart als Causer der an ihm ausgeführten Handlung. Die kausativ-reflexive Lesart 1

2

Zur Reflexivierung wird im Fula statt dessen entweder das Reflexivaffix -it oder das reflexive Nomen hoore 'Kopf verwendet. Fula weist ein Nominalklassensystem auf, in dem das Pronomen o für die Klasse 1 ('menschlich, Singular') und 6e für die Klasse 2 ('menschlich, Plural') steht. Der Einfachheit halber glossiere ich die Klassen 1 und 2 mit '3SG' und '3PL'. 'Kompletiv'/'Inkompletiv (KMPL/INKPML) sind die traditionellen Bezeichnung für perfektiven und imperfektiven Aspekt. Ich behalte die traditionellen Bezeichnungen im Folgenden auch in den Glossierungen bei. A, M und p steht für 'Aktiv', 'Medium' und 'Passiv'; s für 'Subjekt', O für 'Objekt'.

24

kommt nur bei Verben zustande, die Handlungen bezeichnen, die ein Fulani präferiert von jemand anderem an sich ausführen lässt. Nach Arnott (1970, 256) kann bei diesen Verben die Mediumform nicht direkt-reflexiv interpretiert werden. Eine reflexive Interpretation kommt nur durch die Reflexivierungsextension -it zustande (femmb-it-ake 'er rasierte sich'). (3)

a. o

femmb-ii-mo

3SG.Srasier-KMPL.A-3SG.O 'Er/sie rasierte ihn.' b. o femmb-ake 3SG.Srasier-KMPL.M 'Er ließ sich rasieren.' c. o femmb-aama 3SG.Srasier-KMPL.P 'Er wurde rasiert.' (4)

a. mi ich

moor-ii-mo frisier-KMPL.A-3SG.O

Aktiv

Medium

Passiv

Aktiv

'Ich frisierte ihn/sie.' b. mi ich

moor-ake fhsier-KMPL.M

Medium

'Ich ließ mich frisieren.' c. mi moor-aama ich frisier-KMPL.P 'Ich wurde frisiert.'

Passiv

Die indirekt-reflexive Lesart Bei der indirekt-reflexiven Lesart wird der Benefizient als koreferent mit dem Agens interpretiert. Diese Lesart ist nach Arnott (1956, 1970) im Fula sehr beschränkt. Er fuhrt lediglich drei Beispiele für diese Lesart an: (5)

a. Aktiv o res-ii-diim

b. Medium o res-ake-dum

3SG.S absetz-KMPL.A-KL23

3SG.S absetz-KMPL.M-KL23.0

'Er/sie legte es ab/deponierte es.'

'Er/sie legte es sich beiseite.'

(6)

a. Aktiv mi wu'y-ii-mo deptere ich Ieih-KMPL.A-3SG.0 Buch 'Ich lieh ihr ein Buch.'

b. Medium mi wu'y-ake deptere ichleih-KMPL.M Buch 'Ich lieh mir ein Buch.'

(7)

a. Aktiv fe'y'y-a '(Geld) leihen'

b. Medium fe'y'y-o 'sich (Geld) leihen' 3

Während die Mediumform von wu 'y- 'leih-' in (6) ein Argument weniger aufweist als die entsprechende Aktivform, liegt in (5) in Aktiv und Medium die gleiche Stelligkeit vor. Da 3

Amott (1956,1970) verwendet als Zitierform der Verben den durch einen Voice-spezifischen Vokal erweiterten Stamm, -a markiert die Aktivform, -o die Mediumform und -e die Passivform.

25 so wenige Belege für die indirekt-reflexive Lesart existieren, nehme ich an, dass es sich nicht um eine produktive Lesart, sondern um lexikalisierte Formen handelt. Dafür spricht auch, dass die Mediumlesart in (5) gegenüber der Aktivform eine Bedeutungsveränderung aufweist. Die dekausative Lesart Die dekausative Lesart des Mediums ist nach Arnott im Fula sehr häufig. Sie tritt bei kausativen Verben auf, die Vorgänge bezeichnen, die auch ohne externen Verursacher stattfinden können. Je nachdem, ob der Referent des einzigen Arguments der Mediumform den Vorgang selbst verursachen kann oder nicht, ergibt sich die Interpretation, dass der Vorgang intern verursacht (agentiv) ist (vgl. (9)), oder dass der Vorgang spontan, ohne Einwirkung eines Agens, stattfindet (vgl. (8)). Die dekausative Lesart mit agentivem Argument ergibt sich nach Arnott häufig bei Verben, die Körperbewegungen bezeichnen. (8)

a. Aktiv o

ma66-ii

3SG.S

yolnde

schließ-KMPL.A T ü r

b. Medium yolnde ma66-ake Tür

'Er/sie schloss die Tür.' (9)

a. Aktiv o

moo6t-ii-6e

3SG.S

sammel-KMPL.A-3PL.O

schließ-KMPL.M

'Die Tür schloss sich.' b. Medium 6e

mooßt-ake

3PL.S

sammel-KMPL.M

'Er/sie versammelte sie.'

'Sie versammelten sich.'

Die aspektuell beschränkten Lesarten Unter den 3-Voice-Verben gibt es auch solche, bei denen das Medium nur in bestimmten Konjugationen mit speziellen Bedeutungen auftritt. Außerhalb dieser Konjugationen verfügen diese Verben nur über Aktiv- und Passivformen. Bei den Konjugationen, die im Medium (auch bei regulären 3-Voice-Verben) spezielle Interpretationen haben können, handelt es sich zum einen um Inkompletiv und Negativ Inkompletiv, die häufig mit einer modalen Interpretation verbunden sind, und zum anderen um den Stativ, in dem das Medium eine resultative Lesart aufweist.4 4

Nach Arnott (1956) kann darüber hinaus der Kompletiv Medium passivisch interpretiert werden, mit der zusätzlichen Bedeutung, dass die Handlung besonders gründlich durchgeführt wurde (vgl. (i)-(iii)). Ich behalte die von Amott (1956, 138) angegebenen Übersetzungen bei. (i)

o

fiy-ake

'He got a thorough beating.'

3SG.S schlag-KMPL.M

(ii)

o

hucf-ake

'He was roundly abused.'

3SG.S schimpf-KMPL.M

(iii)

ndi KLlO.S

nam-ake mahl-KMPL.M

'lt was thoroughly grounded.'

Arnott (1970) relativiert diese Beobachtung allerdings dahingehend, dass diese Verwendung sehr selten ist und vor allem bei zweisprachigen Sprechern auftritt, die vermutlich eine Übertragung aus dem Hausa vornehmen. Diese Konstruktionen sind demnach nicht als produktive Verwendungen des Mediums zu betrachten.

26 Die resultative Lesart ist bei Verben möglich, die im Kompletiv/Inkompletiv Medium die dekausative (10a) oder die direkt-reflexive Lesart (10b) aufweisen, aber auch bei bestimmten Verben, die in anderen Aspekten keine Mediumlesart zulassen (10c). 5 (10) a. yolnde don ma66-ii Tür

STAT schließ-RKMPL.M

'Die Tür ist geschlossen/zu' b. o don loot-ii 3SG.S STAT wasch-RKMPL.M

'Er/sie ist gewaschen/sauber' c. gawri ndin don nam-ii Korn

KLlO STAT mahl-RKMPL.M

'Das Korn ist gemahlen'

(Arnott 1970, 281/258)

Bei der modalen Lesart wird die Möglichkeit (Inkompletiv) oder Unmöglichkeit (Negativ Inkompletiv) ausgedrückt, den Patiens auf die verbspezifische Weise zu handhaben: (11) a. dum KL23.S

wacf-ataako mach-NEG.INKMPL.M

'Es kann nicht gemacht werden, es ist unmöglich.' b. dam yar-oto na KL22.S trink-INKMPL.M Q

'Ist es trinkbar?' c. d u m hooc-ataako KL23.S heb-NEG.INKMPL.M

'Es kann nicht gehoben werden.'

2.1.2

(Arnott 1956, 138)

1 - und 2-Voice-Verben

1-Voice-Verben sind im Fula meist intransitiv. Viele der 'Media tantum' (einschließlich der Verben, die nur Medium und Passiv zulassen) lassen sich den folgenden semantischen Klassen zuordnen: -

Positions- und Positionierungsverben Körperhandlungsverben Verben der (selbstkontrollierten) Bewegung relativ zu einem Bezugsobjekt Emotionsverben Verben, die mentale Handlungen bezeichnen

Nach Klaiman (1991) handelt es sich bei den Media tantum immer um Verben, die Handlungen der physischen oder mentalen Disposition bezeichnen und Belebtheit und Kontrolle des Subjekts präsupponieren (vgl. Abschnitt 1.2.2.3). Sind die Verben transitiv, verfügen sie neben dem Medium über eine Passiv-Form. Beispiele für Media tantum finden sich in (12). 5

Der Stativ ist eine periphrastische Konstruktion, die mit dem Stativ-Auxiliar cfon und der RelativKompletivform des Verbs gebildet wird.

27 (12) Semantisch motivierte Media tantum dar-o 'stehen, anhalten' joo C/1 CO

et

O H

PRÄT-wasch-AOR.P-1 .SG.A wasch-P-FUT-l.SG.M 'ich bin gewaschen worden' 'ich werde gewaschen werden'

Tabelle 6.4: Interpretation der Verbformen bei Verben mit direkt-reflexiver Lesart des Mediums

129

>

«

g

. 1 • o V

Präsens poie-ö mach-lSG.A 'ich mache etwas' transitiv: indirekt-reflexiv/ intransitiv: passivisch poieo-mai mach-lSG.M 'ich mache mir etwas/ ich werde gemacht'

> CA CA (3 PH

Aorist e-poie-sa-0 PRÄT-mach-AOR-1 .SG.A 'ich habe etwas gemacht' indirekt-reflexiv e-poie-sa-men PRÄT-mach-AOR-1 SG.M 'ich habe mir etwas gemacht' passivisch e-poie-the-n PRÄT-mach-AOR.P- l.SG.A 'ich bin gemacht worden'

Futur poie-s-ö mach-FUT.lsG.A 'ich werde etwas machen' indirekt-reflexiv poie-so-mai mach-FUT-lSG.M 'ich werde mir etwas machen' passivisch poie-the-so-mai mach-P-FUT-l.SG.M 'ich werde gemacht werden'

Tabelle 6.5: Interpretation der Verbformen bei Verben mit indirekt-reflexiver Lesart des Mediums Bei den Verben mit reflexiven Lesarten beschränkt sich die Irregularität also auf die in (5a) illustrierte Korrespondenz der passivisch interpretierbaren Mediumform im Präsens mit der Passivform im Aorist (und eventuell im Futur). Dass im Präsens und im Imperfekt die Mediumform auch die Bedeutung abdeckt, die im Aorist die Passivform aufweist, ist ein relativ systematisches Phänomen, das auch dann zu beobachten ist, wenn die Aorist-Passivform eine nicht-passivische Lesart aufweisen (vgl. (9)). (9)

a. Präsens Aktiv: paüö Präsens Medium: paüo-mai Aorist Passiv: epaüsthen Aorist Medium: epausämen b. Präsens Aktiv: pseüdö Präsens Medium: pseüdo-mai Aorist Passiv: epseüsthen Aorist Medium: epseusämen

,ich beende etwas, halte etwas an' 'ich werde angehalten, halte (absichtlich) an' 'ich wurde angehalten' 'ich hielt (absichtlich) an' 'ich belüge jemanden, führe irre (tr.)' 'ich werde getäuscht, irre mich, lüge, täusche' 'ich wurde getäuscht, irrte mich' 'ich log (intr.), täuschte (tr.)'

Wenn im Aorist (und Futur) eine Medium- und eine Passivform vorliegen, ist nach Rijksbaron (1984, 148) die Passivform nicht-agentiv, die Mediumform dagegen agentiv. Allerdings ist das Auftreten von nicht-passivisch interpretierten Aorist-Passivformen weniger häufig als das der passivisch interpretierten. Es findet sich vor allem bei den Verben mit dekausativer Lesart des Mediums und den Passiva tantum (vgl. Kapitel 5). Verben mit dekausativer

Lesart des

Mediums

Bei den Verben mit dekausativer Lesart finden sich die meisten Irregularitäten bei den Voice-Markierungen. Neben der dekausativen Lesart weisen Mediumformen von kausativen Verben häufig auch die indirekt-reflexive Lesart auf. Im Aorist wird diese Lesart durch eine transitive Mediumform kodiert.

130 Nach Rijksbaron (1984, 144ff) verfügen die meisten Verben mit dekausativer Lesart im Aorist und Futur über eine Passivform, die je nach Kontext entweder intransitiv oder passivisch (insbesondere bei unbelebtem Subjekt) interpretiert werden kann. Im Präsens korrespondiert diese Form mit einer Mediumform, so dass sich bei intransitiver Bedeutung die in (5b) illustrierte Irregularität ergibt. Bei einigen Verben liegen im Aorist aber auch unterschiedliche Formen für die dekausative und die passivische Lesart vor, z.B. bei histe-mi 'ich stelle': Aorist Aktiv I (stark): esten 'ich trat hin' (dekausativ) - Aorist Passiv II (schwach): estäthen 'ich wurde gestellt' (passivisch). Bei den Verben mit dekausativer Lesart kann darüber hinaus, wie in (7) illustriert, mit der dekausativen Präsens-Mediumform eine intransitive Perfekt-Aktivform korrespondieren, die den Resultatszustand kodiert (z.B. hesteka 'ich stehe'). In Tabelle 6.6 ist exemplarisch für ein solches Verb das Paradigma von pegnumi 'befestigen, erstarren lassen* aufgeführt. Aus Platzgründen kürze ich in der Interlinearübersetzung die Stammbedeutung mit V ab.

Aktiv plgnu-mi

transitiv Medium pignu-mai

¡3 V.IMPERF-1 SG.A 2 'ich lasse erstarren, Ol mache fest, befestige' e-pek-sa-0 K/I

!

W

V.IMPERF-lSG.M

V.IMPERF-lSG.M

'ich baue mir etwas'

'ich werde fest'

e-pek-sä-mgn

e-pagen

PAST-V-AOR- lSG.M

PAST-V.AOR.P. 1 SG.A

pSk-s-ö

'ich habe mir etwas 'ich bin fest gebaut' geworden' plk-so-mai (Fut. I)

pagi-so-mai

V-FUT-lSG.A

V-FUT-lSG.M

V.P-FUT-lSG.M


politeüomai (Med.) 'ich handele als Bürger', skopeö (Akt.) 'ich sehe an' —> skopeomai (Med.) 'ich betrachte, untersuche', bouleuö (Akt.) 'ich plane' —> bouleuomai (Med.) 'ich denke nach, berate'.15 Die Ableitung von „eventiven" Verben basierte auf Stativen Formen wie Nomen oder Adjektiven: melan (n.) 'schwarz' —> melainetai 'ist/wird schwarz'. Diese Mediumformen bildeten wiederum die Basis für die Ableitung von Aktivformen, die dann eine kausative Interpretation erhielten: melainetai 'ist/wird schwarz' -> melainein 'schwärzt', histatai 'steht' —> histesi 'stellt', phü-etai 'entsteht —> phü-ei 'produziert'. Auch Rix (1992, 191) vermutet aufgrund der Ähnlichkeit zwischen den Mediumpersonalendungen und denen des Perfekts, dass sich das Medium aus der ursprünglichen Aktionsart Perfekt (das entspricht vermutlich der Inaktivform von Gamkrelidze & Ivanov, nicht der reduplizierten Perfektform) entwickelt hat. Er nimmt ähnlich wie Justus an, dass dabei das Medium nicht wie das Perfekt einen Zustand, sondern eine Tätigkeit oder einen Vorgang mit Affizierung des Subjekts kodierte. Da das Medium im Kontrast zum Perfekt zeitlich strukturierte Vorgänge kodierte, wurde es mit der Zeit in das Aspektsystem integriert, so dass sich aus der ursprünglichen Aktionsart eine Voice-Kategorie entwickelte. Im Gegensatz dazu wurden die reduplizierten statischen Perfektformen nicht in das VoiceSystem integriert. Ohne dass die hier vorgestellten Überlegungen zur Entwicklung des Mediums im Indoeuropäischen abschließend bewertet werden können, ist festzuhalten, dass die Forschungsergebnisse zur Entwicklung des Indoeuropäischen zeigen, dass das Vorliegen von Aktivbzw. Mediumformen im selben Paradigma seine Wurzeln in der Entstehung der Kategorie Medium im indoeuropäischen Verbsystem hat. Welche Bedeutung man auch immer als ursprünglich für das Medium ansetzt, spricht das Vorliegen von Präsens Mediumformen mit häufig erweiterten Stämmen neben Aorist-Aktivformen mit nicht-erweiterten Stämmen ls

Nach der Analyse von Justus handelt es sich bei der dynamischen Lesart des Mediums demnach um ein Relikt aus einer Phase, in der dem Medium eine andere Funktion zukam. Spätere Bildungen wären dann als Parallelbildungen zu betrachten. Das steht in Einklang mit der Annahme, dass diese Lesart keine reguläre Lesart des Mediums ist.

140 dafür, dass sich die Mediumformen nach den entsprechenden Aoristformen entwickelt haben, und als korrespondierende imperfektive Formen in das Aspektsystem integriert wurden. Dass das Nebeneinander von Medium- und Aktivformen im Altgriechischen erhalten blieb, lässt sich durch das Vorliegen von verschiedenen Aoristformen mit unterschiedlicher Stelligkeit begründen. Insbesondere im Bereich der Kausativ/ Inchoativ-Verbpaare ist das Voice-System aufgrund dieser Entwicklung nicht transparent. Für die Passiva tantum lässt sich die gleiche Analyse ansetzen, anders als bei den Verben mit dekausativer Lesart entstand aber keine korrespondierende kausative Aktivform. Das Auftreten von sogenannten Passiv-Aoristformen im Paradigma der dekausativen Verben ist also durch die Entwicklung des Verbsystems in einer sehr frühen Phase zu erklären. In dieser Phase hatten die entsprechenden Aoristformen keine passivische Funktion, sondern waren intransitive Aktivformen. Während das Nebeneinander bedeutungsgleicher Aktiv- und Mediumformen auf die Entwicklung der Mediumformen im Indeuropäischen zurückgeht, ergab sich das Nebeneinander von Passiv- und Mediumformen zur Kodierung der passivischen Lesart aus der Entwicklung der Passivform im Altgriechischen, die im nächsten Abschnitt vorgestellt wird.

6.3

Das Passiv im Altgriechischen

6.3.1

Die Entwicklung der Passivform im Altgriechischen

Während die Wurzelaoriste auf das Indoeuropäische zurückgehen (vgl. Bammesberger 1985) haben sich die Aorist-Formen auf -ë und -thë erst im Griechischen entwickelt (vgl. Rix 1992, 218f.). Wie im letzten Abschnitt dargestellt, handelte es sich dabei ursprünglich um Aorist-Aktivformen mit intransitiver Bedeutung. Die passivische Verwendung entwickelte sich später und hat sich auch nicht bei allen Verben durchgesetzt. Bei Homer (8./7.Jh. v. Chr.) tritt der th5-Aorist nur vereinzelt mit passivischer Bedeutung auf, im klassischen Griechisch (Attisch, 500-330 v.Chr.) dient diese Form dagegen zur regulären Passivbildung im Aorist und im Futur.16 Trotzdem bleibt bei vielen Verben die nicht-passivische Bedeutung erhalten, teilweise zusätzlich zur passivischen, teilweise als einzige Lesart (z.B. ekinëthën 'wurde bewegt', 'bewegte mich', dielékhthën 'unterredete mich', vgl. Kühner & Gerth 1898/1966, 222). Im Gegensatz zum -thë-Aorist wurde die Bildung der Aorist-Passivform mit Hilfe des Suffix -ë nicht produktiv und hat in vielen Fällen die intransitive Bedeutung (teilweise zusätzlich zur Passivbedeutung) behalten. Nach Schwyzer (1953) treten häufig bei Verben mit Formen auf -ë jüngere Bildungen auf -thë auf. ë-Aoriste bezeichneten nach Rix (1992) ursprünglich das Eintreten eines Zustands am Subjekt (vgl. (18a)), und konnten nur von Wurzeln, die Zustände bezeichnen, gebildet

16

Die Futur-Passivformen bestehen aus dem Aorist-Passiv-Stamm (g- oder th6-Aorist) und dem Futursuffix -so/e. Diese Formenfindensich erst im klassischen Griechisch ab dem 5. Jh. v. Chr.

141 werden. Die the-Aoriste bezeichneten dagegen das Einsetzen eines Vorgangs (vgl. (18b)), bevor sie die passivische Bedeutung übernahmen.17 (18) a. e-Aoriste e-rrü-ee-khar-ge-säp-ge-da-ge-pag-g-

'geriet ins Fließen' 'geriet in Freude' 'geriet in Fäulnis' 'lernte kennen' (Horn.) 'wurde fest'

b. the-Aoriste kniph-thg- 'verbarg sich' (Horn.) e-peis-thg- 'ließ sich überzeugen' hörml-thg- 'brach auf (Rix 1992, 218f)

Rix (1992) geht davon aus, dass die produktive Verwendung des thg-Aorists als Aorist Passiv dadurch entstand, dass der thg-Aorist aufgrund seiner Bedeutung mit dem Aorist Medium in Konkurrenz stand, wie etwa bei Attisch e-peirä-the-n 'ich versuchte' und epeirä-sa-to 'er versuchte'. Mit der Zeit übernahm der thg-Aorist dann die Passivfunktion, die sonst vom Medium abgedeckt wurde. Die Annahme, dass vor der Entwicklung der Passivform das Medium auch im Aorist die passivische Lesart abdeckte, findet sich sehr häufig in den traditionellen Grammatiken (vgl. z.B. Schwyzer 1953, 236/237). Sie ist vor allem darin begründet, dass in fast allen indoeuropäischen Sprachen das Mediumsystem durch ein Passivsystem ersetzt wurde. Unklar ist allerdings, warum sich im Altgriechischen aus einer Aktivform eine Passivform entwickelt haben sollte, wenn die passivische Lesart schon von einer Mediumform abgedeckt wurde, die im Präsens und Imperfekt auch weiterhin diese Bedeutung behielt. Wenn die Mediumform die passivische Lesart erlaubt hätte, wäre eher zu erwarten gewesen, dass die von Rix beobachtete Konkurrenz des thg-Aorists mit gleichbedeutenden Medium-Aoristen zum Abbau der thg-Aoriste gefuhrt hätte, so dass sich das Aorist-System dem in Bezug auf das Formeninventar einheitlicheren Präsens-System angeglichen hätte. Nach dem hier vertretenen Ansatz sollte das Medium die passivische Lesart nicht aufweisen können. Ich gehe deshalb davon aus, dass auch das altgriechische Medium diese Lesart ursprünglich nicht aufwies und sie erst übernahm, als sie sich auch bei den e- und thg-Aoristen entwickelte. Wie im nächsten Abschnitt gezeigt wird, wird diese Annahme durch die historische Entwicklung der passivischen Lesart gestützt.

6.3.2

Die Entwicklung der passivischen Lesart des Mediums

Auch in dem folgenden Zitat von Brugmann findet sich die Behauptung, dass die passivische Lesart des Mediums schon auf das Indoeuropäische zurückgeht. Die zur Illustration angeführten deutschen Beispiele zeigen allerdings, dass es sich bei den relevanten Lesarten des Mediums nicht um eine echt passivische Lesart gehandelt haben muss, bei der ein impliziter Agens Partizipant der kodierten Situation ist. (19) Die Media hatten seit uridg. Zeit zumteil zugleich Passivbedeutung. Sie bezeichneten, dass das Subjekt an dem Vorgang intensiv beteiligt ist und von ihm betroffen wird, und näherten sich der Natur der Intransitiva, ähnlich wie nhd. etwas verbreitet sich. 17

Während der Ursprung des 5-Aorists unumstritten ist, finden sich in Bezug auf den Ursprung des thg-Aorists in den traditionellen Grammatiken unterschiedliche Positionen. Vgl. dazu Rix (1992).

142 Kam dabei die als Agens wirkende Potenz zum Ausdruck, z.B. durch den Instr., so war passivischer Sinn etwa so wie in nhd. durch ihn hat sich das Gerücht verbreitet gegeben. (Brugmann 1904, 601) Der Unterschied zwischen der passivischen Lesart und der dekausativen Lesart besteht darin, dass die passivische Lesart auch von Verben gebildet werden kann, die Situationen bezeichnen, die ohne impliziten Agens nicht möglich sind. Bei dem von Brugmann gewählten Beispiel handelt es sich zwar um eine Passiv-ähnliche Konstruktion, da an der spezifischen Situation ein Agens beteiligt sein muss, das Verb sich verbreiten ist jedoch semantisch einstellig, wie Verwendungen wie Der Gestank verbreitet sich in der ganzen Stadt zeigen. Die gleiche Situation lässt sich durch intransitive Verben wie Das Gerücht lief in Windeseile durch die ganze Stadt erfassen. Obwohl also in der realen Welt ein Agens vorhanden sein muss, kann das Verb, durch das die entsprechende Situation beschrieben wird, intransitiv sein. Die Möglichkeit, einen Verursacher zu realisieren, wird häufig als Nachweis dafür betrachtet, dass eine passivische Verwendung vorliegt. Allerdings erlauben auch intransitive Verben häufig die Angabe einer Ursache. Im Deutschen zeigt sich der Unterschied zwischen agenslosen Konstruktionen und der passivischen Lesart bei der Kombinierbarkeit mit der Präposition von. Während bei semantisch intransitiven Zustandswechselverben die Angabe einer Ursache nur mit einer 'ich besteche' tsäö (Aor. etsesa) 'ich lebe, führe ein Leben, ernähre mich' -» ' ich ernähre' methüö 'ich bin betrunken' -» 'ich mache betrunken' kopätsö 'ich werde müde ' —> 'ich mache müde' agönothetein 'Kampfordner sein' -> 'entscheiden' hugiainein 'gesund sein/werden' —> 'heilen' b. Aktiv transitiv —> Aktiv intransitiv & transitiv deiknüeiti 'zeigen' —> 'erscheinen' khalö 'ich mache schlaff —> 'ich lasse nach, werde schlaff Auch bei Verben, bei denen eine Mediumform mit dekausativer Lesart vorlag, übernahmen Aktivformen diese Lesart. In diesen Fällen ergab sich eine Konkurrenz zwischen bedeutungsgleichen Aktiv- und Mediumformen. Das ist insofern von Bedeutung, als die Ersetzung von dekausativen Mediumformen durch Aktivformen eine Systemveränderung aufzeigen könnte, durch die die dekausative Lesart nicht mehr als produktive Lesart des Mediums zur Verfügung stand. Blass, Debrunner & Rehkopf (1979, 261) erwähnen explizit, dass im hellenistischen Griechisch eine Ersetzung von intransitiven Mediumformen durch Aktivformen stattfand.2 Auch in Hatzidakis (1909, 361) findet sich ein Verweis auf die veränderte Verwendung ursprünglich transitiver Aktivformen:

2

Hiersche (1976) kritisiert in einer Rezension diese Passage, da seines Erachtens die Einführung von dekausativen Aktivformen durch die generelle Tendenz zu erklären ist, parallel zu transitiven Aktivformen intransitive Verwendungen dieser Formen einzuführen, und damit unabhängig vom Voice-System ist. Da Synonymenbildung jedoch generell markiert ist, kann man m. E. davon ausgehen, dass die Ersetzung dekausativer Mediumformen durch Aktivformen auch in diesem Bereich durch eine Veränderung der Mediumfunktion motiviert ist.

164

(12) „... viele neugriechischen Verba aktiver Formen nach alten Mustern [werden] elleiptisch, ohne Objekt, gewissermaßen als Media gebraucht. [...] Bei all diesen wird die Beziehung auf das Objekt fallen gelassen und die Thätigkeit als eine am Subjekt allein vorgehende aufgefaßt." Hatzidakis (1909, 361). Beispiele für Aktivformen, die dekausative Mediumformen verdrängt haben, finden sich in (13). Die Beispiele stammen aus Hatzidakis (1892/1977, 202) und Blass, Debrunner & Rehkopf (1979, 256f). (13) Mediumform mit dekausativer Lesart wird ersetzt durch die Aktivform kinéò 'ich setze in Bewegung' kinéomai 'ich bewege mich' —> kinö 'ich setze in Bewegung, bewege mich' skhitsö 'ich (zer)spalte' skhitsomai 'ich spalte mich' -» skhitsö 'ich (zer)spalte, spalte mich' kathitsö 'ich setze nieder' kathitsoma 'ich setze mich nieder' -» kathitsö 'ich setze nieder, setze mich nieder' auksänö 'ich vergrößere' auksànomai 'ich wachse' auksänö 'ich vergrößere, ich wachse' phüomai 'ich entstehe' phüö 'ich erzeuge, bringe hervor' —> phüö 'ich erzeuge, bringe hervor, ich entstehe' düö 'ich versenke' düomai 'ich versinke' —>• düö 'ich versenke, ich versinke' brékhò 'ich benetze' brékhomaì 'nass werden' —> brékhó 'ich benetze, werde nass' hupostréphó 'ich wende, hupostréphomai 'ich wende mich, bringe zurück' kehre zurück' —» hupostrépho 'ich wende, bringe zurück, wende mich, kehre zurück' epiphainomai 'ich zeige mich' -> epiphainö 'ich zeige mich' Im heutigen Neugriechisch wird bei einem Teil dieser Verben die dekausative Lesart durch die Mediumform realisiert (kinóme 'ich bewege mich', shizome 'ich reiße, gabele mich', anafiome 'ich entstehe', vréhome 'ich werde nass', fénome 'ich bin sichtbar, erscheine'), bei anderen dagegen durch die Aktivform (kathizo 'ich setze mich', auxäno 'ich wachse', dio 'ich gehe unter', epistréfo 'ich kehre um')(vgl. Abschnitt 7.3). Obwohl die Verteilung der Aktiv- und Mediumformen bei der dekausativen Lesart relativ unübersichtlich ist, kann festgehalten werden, dass in der Folge der Etablierung der passivischen Lesart des Mediums eine Veränderung der Stelligkeit transitiver und intransitiver Aktivformen stattfand, so dass viele sowohl transitiv als auch intransitiv verwendbar waren. Sofern diese Veränderung kausative Verben mit dekausativer Lesart des Mediums betraf, führte das dazu, dass die Mediumform auf die Kodierung der passivischen Lesart beschränkt wurde. Es liegen also Hinweise darauf vor, dass tatsächlich eine Veränderung deijenigen Bedingungen stattgefunden hat, die die referenziellen Eigenschaften von Mediumformen betreffen.

165 7.2.3

Die Uminterpretation des Mediums im klassischen und post-klassischen Griechisch

Der Verlust der dekausativen Lesart des Mediums ist sowohl dann zu erwarten, wenn der kanonische Kontrolleur als S-Kontrolleur interpretiert wird, obwohl er nicht ins ©-Raster abgebildet wird (Strategie A), als auch dann, wenn das Medium signalisiert, dass der kanonische Kontrolleur nicht mit dem höchsten strukturellen Kasus gelinkt wird, also nicht als Subjekt realisiert wird (Strategie B). In Bezug auf diesen Punkt lässt sich also nicht entscheiden, auf welche Art sich die Funktion des Mediums geändert haben könnte. Die beiden Strategien unterscheiden sich jedoch in den Vorhersagen in Bezug auf die Weiterentwicklung des Systems. Strategie A lässt erwarten, dass sich das Mediumsystem entweder zugunsten eines Passivsystems abbaut, oder dass sich das Medium zu einer generellen Intransitivierungsmarkierung entwickelt. Das ist dadurch begründet, dass das Medium nicht mehr zur Kodierung von abweichenden Kontrollverhältnissen dienen kann. Diese Vorhersagen werden durch die Entwicklung des Griechischen nicht bestätigt, da sich die direkt-reflexive Lesart und die kausativ-reflexive Lesart weiter ausdehnen, ohne dass sich jedoch weitere Lesarten entwickeln. Bei Annahme der Strategie B ist die tatsächliche Entwicklung des Griechischen dagegen zu erwarten, da diese Strategie die Möglichkeit beinhaltet, dass das Medium generell die Blockierung der strukturellen Realisierung der Agens-@-Rolle kodiert. In einem solchen System kann das Vorliegen der reflexiven Lesarten und der passivischen Lesarten dadurch erfasst werden, dass die blockierte ©-Rolle entweder als existenziell gebunden, oder als koreferent mit dem Patiens interpretiert wird. In Bezug auf Strategie C (Uminterpretation des Merkmals CNTR) ist kein Urteil möglich, da mir keine Informationen zu eventuellen Beschränkungen der passivischen Lesart vorliegen. Da die Interpretation der passivischen Lesart im Neugriechischen jedoch ausfuhrlich dokumentiert ist, erlauben die neugriechischen Daten eine Bewertung der Strategie C. Im modernen Neugriechisch ist die Kodierung der dekausativen Variante von Verben mit kausativer Aktivform immer noch uneinheitlich. Hatzidakis weist daraufhin, dass auch Ende des 19. Jh. innerhalb der neugriechischen Dialekte noch Unterschiede beim Gebrauch der Aktiv- und Mediumformen der Transitiva und Intransitiva bestehen (vgl. Hatzidakis 1892/1977, 203). Wie der folgende Abschnitt zeigt, herrscht auch in der aktuellen Literatur zum Neugriechischen nicht immer Einigkeit über die Daten.

7.3

Neugriechisch

7.3.1

Diglossie im Neugriechischen

Das Neugriechische war lange geprägt vom Nebeneinander der Volkssprache (dimotiki) und der formalen Sprache (katharevousa). Bei der katharevousa handelt es sich um eine künstliche Wiederbelebung des Altgriechischen, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Nationalsprache eingeführt wurde. Holton, Mackridge & Warburton (1997)

166 charakterisieren die katharevousa als „a hybrid made up of lexical, morphological and syntactic features from Ancient and Modem Greek thrown together somewhat haphazardly". Trotz des offiziellen Status der katharevousa blieb die dimotiki die Sprache der Literatur. Nachdem die katharevousa zu Beginn des 20. Jahrhunderts an den Schulen durch die dimotiki ersetzt wurde, wurde sie unter der Militäijunta erneut als Unterrichtssprache eingesetzt. Erst nach der Wiedereinführung der parlamentarischen Demokratie wurde die dimotiki 1976 als offizielle Nationalsprache in allen öffentlichen Bereichen verwendet (vgl. Browning 1983). Seitdem hat sich nach Mackridge (1985) mit dem Standard-Neugriechischen eine weitgehend einheitliche Sprache entwickelt. Obwohl die katharevousa ihren offiziellen Status verloren hat, findet sich ihr Einfluss allerdings immer noch in formalen Kontexten. In Bezug auf das Voice-System ist die Unterscheidung von formaler Sprache und Umgangssprache insofern relevant, als die Verwendung der passivischen Lesart in der Umgangssprache wesentlich beschränkter ist als in der formalen Sprache. Da die katharevousa direkt auf das Altgriechische zurückgreift, könnte dieser Unterschied ein Indiz dafür sein, dass die passivische Lesart nicht mehr (oder zumindest nur sehr begrenzt) als produktive Lesart des neugriechischen Mediopassivs zu betrachten ist und lediglich durch die künstlich aufrechterhaltene Diglossie weiterhin zur Verfügung steht.

7.3.2

Das neugriechische Verbsystem

Auch im Neugriechischen kann ein Großteil der Verben transitiv oder intransitiv verwendet werden. Nur intransitiv werden Verben verwendet, die keine gerichteten Handlungen bezeichnen, wie xekourazome 'ich ruhe aus', anapnéo 'ich atme', hamogeló 'ich lächele', ergàzome 'ich arbeite', méno 'ich bleibe, wohne' undponó 'ich habe Schmerzen'. Bei transitiven Verben kann das direkte Objekt obligatorisch sein (miräzo 'verteilen') oder optional (grafo 'schreiben'). Das indirekte Objekt von ditransitiven Verben kann entweder im Genitiv oder als PP realisiert werden. Genitiv-Objekte bezeichnen im Allgemeinen belebte, oft menschliche Individuen, die durch die Handlung affiziert sind (Rezipient, Source oder Benefizient). Die Realisierung des indirekten Objekts als einfache Genitiv-NP ist allerdings nicht verbreitet, da Genitiv-NPs auch als Possessoren interpretierbar sind. Alternativ kann das indirekte Objekt durch eine PP mit den Präpositionen se 'zu', gia 'für' oder apó 'von' realisiert werden, oder aber mit zusätzlichem Genitiv-Klitikum, das nicht als Possessor interpretierbar ist. Bei der Argumentrealisierung spielen Belebtheits- und Topikeigenschaften eine wichtige Rolle. Generell scheint zu gelten, dass das als Subjekt realisierte Argument auf der Belebtheitshierarchie nicht unter dem als Objekt realisierten Argument angesiedelt sein soll. Diese Bedingung beeinflusst die Wahl der Voice-Form der Verbs. (Vgl. die Diskussion der passivischen Lesart in Abschnitt 7.3.3.) Für das Mediopassiv geben Holton et al. (1997) vier reguläre Lesarten an. Neben der passivischen Lesart liegt die direkt-reflexive, die kausativ-reflexive und die reziproke Lesart vor. Obwohl die indirekt-reflexive Lesart im Allgemeinen nicht als produktive Lesart angegeben wird, finden sich Belege dafür (vgl. (14)). Es ist also anzunehmen, dass diese Lesart immer noch vorliegt, wenn auch nicht so häufig wie im Altgriechischen. Ob sie allerdings produktiv ist und sich nur die Möglichkeiten, durch Argumenterweiterung

167 potenzielle Kontrolleure einzuführen, verringert haben, oder ob es sich wie im Fula um vereinzelte lexikalisierte Formen handelt, kann hier nicht entschieden werden. (14) a. Danistik-a ena vivlio apö tin vivliothiki leih.PERF.PRÄT.M-1SG ein Buch von der Bibliothek 'Ich habe mir ein Buch von der Bibliothek ausgeliehen' b. Promithev-ome tsigära ke pota apö tu Mihali besorg.lMPERF-l.SGZigaretten und Getränke von dem M. 'Ich besorge mir Zigaretten und Getränke bei Michali' (Zombolou 1997, 6) Darüber hinaus weist auch das Neugriechische Media und Activa tantum auf sowie eine ganze Reihe von Verben, die neben der Aktivform über eine Mediopassivform verfügen, deren Bedeutung lexikalisiert ist („Semi-Deponentien"). Nach einer Auswertung von Smirniotopoulos (1992) verfügen 120 aus einem Korpus von insgesamt 366 transitiven Verben nicht über eine Mediopassivform. Bei 105 Verben weist die Mediopassivformen eine lexikalisierte Bedeutung auf, zum Teil zusätzlich zu einer regulären Lesart. Das spricht dafür, dass es sich beim neugriechischen Mediopassiv immer noch um eine basic voice handelt. Die passivische Lesart ist im Neugriechischen prinzipiell bei vielen, aber nicht bei allen agentiven transitiven Verben möglich. Zu den Verben, die nicht über eine Mediopassivform verfügen, und dementsprechend auch nicht über die passivische Lesart, gehören z.B. ferno 'bringen', malöno 'anschnauzen', fonäzo 'rufen' (vgl. Holton et al. 1997, 212). Nach Smirniotopoulos (1992, 100) tritt die passivische Lesart des Mediopassivs in Konstruktionen auf, in denen der Agens nur geringe Volitionalität und Agentivität aufweist, und der Patiens wenig affiziert ist. Allerdings lassen sich daraus keine semantischen Restriktionen für das Vorliegen einer Mediopassivform bei bestimmten Verbklassen ableiten. Smirniotopoulos (1992,102) weist daraufhin, dass sich zum Teil sogar synonyme Verben darin unterscheiden, ob sie über eine Mediopassivform (und dementsprechend über die passivische Lesart) verfügen oder nicht.3 Ich möchte im nächsten Abschnitt zeigen, dass die Restriktionen für die passivische Lesart Aufschluss darüber geben, wie sich die Bedingungen für die Funktion des Mediums gegenüber der ursprünglichen Funktion verändert haben.

7.3.3

Die passivische Lesart des neugriechischen Mediums

Anhand der passivischen Lesart lässt sich überprüfen, ob das Neugriechische trotz der Integrierung der passivischen Lesart noch über ein Mediumsystem (also ein basic voiceSystem) verfügt, oder ob das Mediopassiv lediglich die Blockierung der Agens-©-Rolle kodiert, so dass Mediopassivformen durch eine Operation auf dem ©-Raster von Aktivformen abgeleitet sind. 3

Beispiele für solche Synonymen-Paare sind simvulevo 'ich rate, berate' - simvulevome 'ich lasse mich beraten, konsultiere' vs. arminevo 'ich rate' - *arminevome; vithizo 'ich versenke' - vithizome 'ich versinke' vs. vuliazo 'ich versenke' - *vuliazome; akuo 'ich höre' - akugome 'ich werde gehört, bin bekannt' vs. griko 'ich höre, verstehe' - *grikome; apoteliono 'ich beende, mache fertig' - apotelionome 'ich bin erledigt' vs. teliono 'beenden' - *telionome.

168

Wie in Abschnitt 7.1 ausgeführt, kann die passivische Lesart nur dann in die Mediumlesarten integriert werden, wenn die durch das Merkmal CNTR repräsentierte Kontrollinformation so uminterpretiert wird, dass nicht jedes Agensargument die entsprechende Kontrolleigenschaften aufweist, sondern lediglich diejenigen Agensargumente, die im ©-Raster realisiert sind. Demnach müssten die im ©-Raster realisierten Agensargumente Eigenschaften aufweisen, die den impliziten Agensargumenten in der passivischen Lesart fehlen. Das Merkmal CNTR repräsentiert dann genau diese Eigenschaften. Zu prüfen ist also, ob Unterschiede zwischen dem Agens der passivischen Lesart und dem Agens einer Aktivform vorliegen, und worin sie bestehen. Da die Repräsentation der passivischen Lesart zentral für die Bestimmung der Mediumfunktionen ist, werde ich sie im Folgenden ausführlicher diskutieren. Nach Holton et al. (1997) dient die passivische Lesart im Kontrast zum Aktiv dazu, das Resultat der Handlung hervorzuheben (vgl. (15); Holton et al. 1997, 214). (15) a. I anáptixi tu turismú katéstreps-e to horió DEF Entwicklung DEF Tourismus zerstörte.PERF.A-3sG DEF Dorf 'Die Entwicklung des Tourismus zerstörte das Dorf.' b. To horió katastráfik-e (apó tin anáptixi tu turismú) DEF Dorf zerstörte.PERF.M.PAST-3SG. von DEF Entwicklung DEF Tourismus 'Das Dorf ist durch die Entwicklung des Tourismus zerstört (worden). Die passivische Lesart tritt daher überwiegend im Aorist auf, der bei Verben, die einen Zustandswechsel beinhalten, resultativ interpretiert wird (d.h. der Nachzustand der Handlung dauert in der Gegenwart an). Obwohl der Agens prinzipiell durch eine PP (apó 'von') realisierbar ist, ist das Auftreten einer Agensphrase sehr beschränkt, in den meisten Fällen wird keine Agensphrase realisiert. Bei unbelebtem oder abstraktem .Agens" wird apó nach Warburton (1970) eher instrumental oder kausativ als agentiv interpretiert, und kann häufig durch me 'mit, durch, wegen' ersetzt werden. Im imperfektiven Aspekt dürfen nach Roland (1994) nur instrumental oder kausal zu interpretierenden „Agens"-Phrasen realisiert werden (vgl. (18)). ApóPPs, die auf einen belebten Agens referieren, sind ungrammatisch. (16) Kiriarh-ite

apó mia mónimi nevrikí endasi von INDEF ständigen nervösen Spannung 'Sie ist von einer ständigen nervösen Spannung beherrscht.' (Roland 1994,241)

herrsch-3SG.PRÄS.M

Für den perfektiven Aspekt gilt, dass die Akzeptabilität einer apó-PP davon abhängt, ob der Agens einen niedrigeren Rang als der Patiens in bezug auf die Hierarchie der semantischen Eigenschaften in (17) einnimmt (vgl. Warburton 1970, Mackridge 1985, Roland 1994). Ich bezeichne diese Hierarchie im Folgenden als ,3elebtheitshierarchie". (17) Belebtheitshierarchie abstrakt/unbelebt < indefinit belebt < definit belebt Plural < definit belebt Singular Demnach ist die Realisierung des Agens in (18a) akzeptabel, die in (18b) dagegen sehr markiert (vgl. Roland 1994, 240).

169 (18) a. I

María

DEF Maria.NOM

ñlí-thike

apó poll-us

küss-3SG.PERF.M.

von viel-MASK.PL

'Maria ist von vielen geküsst worden.' b.?? To déndro kóp-ike apó ton DEF Baum.NOM

Jánni

fáll-3SG.PERF.M von DEF J.

'Der Baum wurde von Jannis gefällt.'

(Roland 1994, 240)

Roland (1994) weist daraufhin, dass man in von der katharévousa beeinflussten journalistischen Texten zwar häufig Passivkonstruktionen mit singularischem definitem Agens findet, diese allerdings oft abstraktere, weniger prototypische transitive Verben beinhalten: (19) To ktirio htis-tike apô ton arhitéktona P. DEF Struktur.NOM bau-3SG.PERF.M von DEF Architekt P. 'Die Struktur wurde von Architekt P. entworfen. ' (Roland 1994,240) Die Belebtheitshierarchie in (17) ist nicht nur für die Realisierbarkeit der Agensphrase bei der passivischen Lesart relevant, sondern spiegelt nach Smimiotopoulos (1992) auch die typischen Eigenschaften von Subjekt- und Objektargumenten.4 Objekte von Aktivformen sind demnach wie der Agens von Mediopassivformen typischerweise unbelebt und indefinit, während Subjekte von Aktivformen und Mediopassivformen mit passivischer Lesart typischerweise belebt und définit sind: (20) définit belebt Singular - définit belebt Plural - indefinit belebt - abstrakt/unbelebt


'mache jemanden lächerlich',pethéno 'sterbe' -> 'töte', zontanévo 'lebe wieder auf -> 'ich wiederbelebe' (Holton et al. 1997,213)

183 werden, andererseits könnten aber auch ursprünglich passivisch interpretierte Formen zu dekausativen Verben uminterpretiert worden sein. Für den Status der dekausativen Lesart in der heutigen gesprochenen Sprache könnte das Verhalten der Verben aufschlussreich sein, die neben der etablierten dekausativen Mediumform eine inchoative Aktivform aufweisen (vgl. (37) und (38)). Interessant ist, dass die intransitive Aktivform dieser Verben als ungrammatisch gilt, obwohl sie in der Umgangssprache verwendet wird. Es handelt sich bei den Aktivformen also offensichtlich um Neubildungen. Wenn sich neben intransitiven Mediumformen neue Aktivformen etablieren, ist davon auszugehen, dass die Mediumformen die von den neu gebildeten Aktivformen abgedeckte Bedeutung nicht (mehr) aufweisen. Im Fall der Verben in (37) und (38) wäre dementsprechend anzunehmen, dass die Mediumform zwar verursachte, aber nicht spontane Zustandswechsel bezeichnen kann. Da die neu eingeführte Aktivform verwendet wird, wenn keine Ursache vorliegt, ergibt sich ein Bedeutungskontrast zur Mediumform, der das Fehlen bzw. Vorliegen einer Verursachung betrifft. Ein solcher Bedeutungskontrast ist nicht zu erwarten, wenn die dekausative Lesart des Mediums nicht produktiv ist. Dass sich ein Kontrast zwischen intransitiven Aktiv- und Mediumformen erst in jüngerer Zeit etabliert, lässt sich damit begründen, dass zuvor die „echte" passivische Lesart die dekausative Lesart blockiert hat, so dass (lexikalisierte) Mediumformen ebenso wie intransitive Aktivformen nur nicht-verursachte Zustandswechsel bezeichnen konnten. Erst mit dem Verschwinden der passivischen Lesart (bzw. ihrer Beschränkung auf nicht-spezifisch referierende Verwendungen) können die Mediumformen im Kontrast zu den Aktivformen wieder die typische dekausative Lesart übernehmen, in der eine kausative SF zugrunde liegt, das referenzielle Argument aber auf die verursachte Teilsituation festgelegt wird. Wenn diese Überlegungen richtig sind, ist zu erwarten, dass sich auch bei anderen kausativen Verben, die die inchoative Variante durch eine Mediumform kodieren, intransitive Aktivformen etablieren und die Mediumformen als verursachte Zustandswechsel reanalysieren. In diesem Fall muss wie für das Fula gelten, dass das referenzielle Argument des Verbs unter Berücksichtigung der im 0-Raster repräsentierten Partizipanten festgelegt ist.

7.3.6

Die nicht-passivischen Lesarten des Mediums

7.3.6.1 Die direkt-reflexive und die kausativ-reflexive Lesart Wie im Altgriechischen und im Fula ist die direkt-reflexive Lesart des neugriechischen Mediopassivs keine generelle Reflexivierungsstrategie, sondern tritt lediglich bei einer beschränkten Anzahl von (Simplex-)Verben auf, bei denen es sich überwiegend um Körperpflegeverben handelt (vgl. (40)). Allerdings gibt Hatzidakis (1909) an, dass die reflexive Lesart gegenüber dem Altgriechischen zugenommen hat. Beispiele finden sich unter (40). (40) direkt-reflexive Lesart pleno-me 'ich wasche mich' htenizo-me 'ich kämme mich' (Holton et al. 1997, 215)

xirizo-me dino-me

'ich rasiere mich' 'ich ziehe mich an'

184 Nach Holton et al. (1997) können diese Mediumformen auch kausativ-reflexiv interpretiert werden, wobei im allgemeinen der Kontext die Interpretation bestimmt (vgl. (41)). (41) a. Din-ete ston kalitero rafti anzieh-3sG.M beim besten Schneider 'Er lässt sich beim besten Schneider (ein-)kleiden.' b. hteniz-ete sto komotirio tis jitoniäs kämm-3SG.M beim Frisiersalon DEF Nähe 'Sie lässt sich beim Friseur in ihrer Gegend frisieren.' (Holton et al. 1997, 216) Die reflexiv interpretierten Mediumformen sind intransitiv. Wenn zur Disambiguierung das Vorliegen der direkt-reflexiven Lesart hervorgehoben werden soll, wird nicht das Reflexivum ton eaftö mu/su/tu 'mich/dich/ihn ... selbst' verwendet, das normalerweise zur Reflexivierung als direktes Objekt realisiert wird, sondern mönos mu/su/tu 'ich/du/er allein/ selbst'. Ebenso kann kein Objekt realisiert werden. Dieser Unterschied zum Altgriechischen kann sowohl damit zusammenhängen, dass die indirekt-reflexive Lesart im Neugriechischen wesentlich beschränkter ist, als auch damit, dass das Neugriechische anders als das Altgriechische keine freien Akkusativ-NPs mit der entsprechenden Funktion zulässt. Da es sich jedoch bei der Möglichkeit, bei der direkt-reflexiven Lesart des Mediums ein Reflexivum bzw. eine zusätzliche Akkusativ-NP zu realisieren, um eine Besonderheit des Altgriechischen handelte, ergibt sich für die Verhältnisse im Neugriechischen kein besonderer Erklärungsbedarf. Sofem das Neugriechische über ein „echtes" Mediumsystem verfügt, lässt sich die direkt-reflexive Lesart wie im Fula und Altgriechischen dadurch erfassen, dass das Patiensargument der entsprechenden Verben als potenzieller Kontrolleur ausgezeichnet ist, der abweichend als S-Kontrolleur fungiert. Da erst durch kontextuelle Information festgelegt wird, ob die direkt-reflexive oder die kausativ-reflexive Lesart zustande kommt, ist davon auszugehen, dass die entsprechende Bindung des kanonischen Kontrolleurs nicht in der SF festgelegt ist. Eine Besonderheit das Neugriechischen gegenüber dem Altgriechischen besteht darin, dass die direkt-reflexive Lesart des Mediopassivs nach Präflgierung von afto- 'selbst' auch bei transitiven Verben möglich ist, die sie sonst nicht zulassen, vgl. (42):17 (42) a. katastref-o b. katastref-ome c. afto-katastref-ome

'ich zerstöre' 'ich werde zerstört' 'ich zerstöre mich'

(Holtonetal. 1997, 216)

Joseph & Philippaki-Warburton (1987) charakterisieren die Funktion von afto- folgendermaßen:

17

Nach Smirniotopoulos (1992, 252ff) weisen einige wenige mit afto- präfigierte Verben eine Aktivform auf. Diese Verben unterscheiden sich von denen mit Mediopassivform darin, dass die Koindizierung nicht das Patiensargument einbezieht. Das gleiche gilt für das Reziprok-Präfix alilo-, Smirniotopoulos & Joseph (1998) zeigen, dass nicht alle Verben, die in einer syntaktischen Reflexivkonstruktion auftreten können, die ö/io-Präfigierung zulassen. Aus den Daten lässt sich allerdings nicht entnehmen, ob sich die Beschränkung semantisch motivieren lässt.

185 (43) "The addition of the prefix afto- [...] indicates not where the action ends [...] but rather where the action begins, i.e. afto- marks the agent as identical with the recipient (patient), the latter being expressed through the personal ending of the mediopassive verb." (Joseph & Philippaki-Warburton 1987, 77) Joseph & Smirniotopoulos (1998, 464) kontrastieren diese Sichtweise mit der von Rivero (1990), die annimmt, dass afto- wie andere Reflexive das Objekt des Basisverbs repräsentiert. Die von Josephs & Philippaki-Warburton und Josephs & Smirniotopoulos vertretene Sicht, dass der Agens mit dem Patiens zu identifizieren ist und nicht umgekehrt, entspricht der hier vertretenen Annahme, dass der Agens mit dem als S-Kontrolleur ausgezeichneten Patiens koindiziert wird. Das Präfix afto- dient demnach dazu, in der semantischen Repräsentation eines transitiven Verbs den Patiens als S-Kontrolleur festzulegen, und den Agens mit diesem Argument zu koindizieren. Das ist bei Verben möglich, für die die direkt-reflexive Lesart nicht konzeptuell zugänglich ist, aber auch bei Verben, deren Mediumform mehrere Lesarten zulässt, und die durch die Präfigierung von afto- disambiguiert werden. Für die Repräsentation von afto- stellt sich die Frage, ob afto- mit der transitiven (Aktiv-)Variante oder mit der intransitiven (Mediopassiv-)Variante kombiniert wird. Während die Semantik nahe legt, dass die Basisform transitiv ist, muss die morphologische Repräsentation der Tatsache Rechnung tragen, dass die resultierende Mediopassivform im Aorist über einen eigenen Stamm verfügt (vgl. (44)). Es scheint also ein klassisches Klammerungsparadox vorzuliegen. (44) katestrepsa 'ich habe zerstört' katastrafika 'ich wurde zerstört/ich bin ruiniert' afto-katastrafika 'ich habe mich zerstört' Um die mit afto- präfigierten Verben kompositional abzuleiten, ist eine Repräsentation erforderlich, die es erlaubt, das in der Mediopassivform nicht im ©-Raster repräsentierte Agens-Argument bei der semantischen Komposition durch funktionale Applikation zu sättigen. Das lässt sich dadurch erreichen, dass das Argument zwar durch einem X-Abstraktor gebunden wird, aber nicht als ©-Rolle, also als syntaktisch zu realisierendes Argument fungiert. Die Tatsache, dass das Agensargument für die semantische Komposition zur Verfugung steht, lässt sich mit der Beobachtung in Zusammenhang bringen, dass es auch bei der passivischen Lesart anders als andere ungebundenen Variablen nicht als Konstante interpretiert wird. In der Repräsentation in (45) ist der Sonderstatus des Agensarguments daran zu erkennen, dass es nicht mit den für das Argumentlinking relevanten Merkmalen [hr,lr] ausgezeichnet ist, die die hierarchische Position im ©-Raster angeben. (45) afto-: katastref-

Xu Xs [V(upk0(vi)(s)] Xx Xs {DESTROY ACT (x,y)}(s)

XV[+MED] [+MED]:

Xy [-hr,-lr] CNTR

aftokatastref-

[+MED]: A.u Xs {DESTROYACT (VJ, u PK 0}(s)

[-hr,-lr] CNTR

186 Bei den nicht präfigierten Verwendungen der Mediumform muss das ^.-abstrahierte, nicht als ©-Rolle fungierende Argument geeignet gebunden werden, so dass sich die üblichen Mediumlesarten ergeben.

7.3.6.2 Die reziproke Lesart Auch die reziproke Lesart wird im Neugriechischen üblicherweise durch eine reziproke NP (o enas ton ällo 'der eine den anderen') mit der Aktivform des Verbs gebildet (46a). Alternativ kann eine mit dem Präfix alilo- abgeleitete reziproke Verbform verwendet werden, die im Medium realisiert wird (46b). Reziprozität kann auch nur durch das Medium markiert werden (vgl. (47)). Nach Smirniotopoulos (1992, 98) wird die Mediumform von Verben wie agapö 'lieben' typischerweise reziprok interpretiert wenn ein pluralisches Subjekt vorliegt, während das Vorliegen eines singularischen Subjekts die passivische Lesart auslöst. Es ist davon auszugehen, dass auch hier eine Beschränkung auf Verben vorliegt, die typischerweise wechselseitig ausgeführte Handlungen bezeichnen, da es auch Verben gibt, bei denen die reziproke Lesart erst nach Präfigierung von alilo- 'einander' möglich ist. Ich nehme an, dass alilo- wie afto- die abweichende S-Kontrollzuweisung vornimmt. Olga agap-un poli o enas ton alo (46) a. O Takis ke i DEF Takisund DEF Olga lieb-3.PL.PRÄS.A viel DEF eine DEF andere 'Takis und Olga lieben einander sehr.' b. Alilo-kitäht-ikan ägria REZLPR-seh-3.PL.PERF.M ärgerlich 'Sie sahen sich ärgerlich an.' (Holton et al. 1997, 216) (47) a. O Takis ke i Olga agapiünte poli DEF Takis und DEF Olga lieb-3.PL.PRÄS.M viel 'Takis und Olga lieben sich sehr.' b. Den prepi na fili-este etsi brostä ston kösmo NEG soll küss-3.PL.PERF.SUBJ.M so vor im Leute 'Ihr solltet euch nicht so vor den Leuten küssen.' (Holton et al. 1997, 216) Wie für das Altgriechische gehe ich davon aus, dass der für die Mediumauszeichnung relevante Anteil der semantischen Repräsentation dem der direkt-reflexiven Lesart entspricht (abweichende S-Kontrollzuweisung an einen potenziellen Kontrolleur), wobei es sich bei dem potenziellen Kontrolleur in diesem Fall um ein komplexes Individuum (eine Gruppe) handeln muss.

7.3.6.3 Die modale Lesart Im Präsens (und Imperfekt) weist das Medium häufig die modale Lesart auf (vgl. (48)). Die modale Lesart entspricht der modalen Lesart des Inkompletivs im Fula. Wie im Fula ist die modale Interpretation selbst nicht charakteristisch für das Medium, sondern aspektbedingt. Bei Verben, die einen kanonischen Kontrolleur aufweisen, dem keine S-Kontrolle zuge-

187 wiesen wird, ergibt sich die modale Interpretation, wenn der kanonische Kontrolleur generisch gebunden wird. (48) a. Ine änthropos pu simpathi-ete poli ist Mensch REL mög-3.SG.PRÄS.M sehr 'Er/sie ist ein Mensch, der sich leicht liebt.' b. To fai aftö den tröj-ete das Essen dieses NEG ess-3SG.PRÄS.M 'Dieses Essen ist nicht essbar.' c. Aftö to domatio zesten-ete dieses DEF Zimmer.NOM heiz-3 SG.PRÄS.M 'Dieses Zimmer heizt sich leicht.'

efkola leicht

(Holton et al. 1997, 215) efkola leicht (Mackridge 1985, 87)

Während im Fula alle transitiven Verbformen, in denen der kanonische Kontrolleur bei der modalen Lesart generisch interpretiert wird, durch die Mediumform realisiert werden, können im Neugriechischen bestimmte transitive Basisverben auch eine intransitive Aktivform mit modaler Interpretation aufweisen (vgl. (49)). (49) a. (den) späs-i aftö to xilo NEG zerbrech-3SG.PRÄS.A. dieses DEF Holz 'Dieses Holz zerbricht (nicht) leicht.' b. xevidön-i abschraub-3SG.PRÄS.A

'abschrauben, abschraubbar sein'

(Mackridge 1985, 86)

Dieser Unterschied zum Fula ergibt sich daraus, dass im Neugriechischen auch die dekausative Lesart häufig durch die Aktivform kodiert wird. Das Verb späzo in (49a) gehört zu den Verben, die die dekausative Lesart durch die Aktivform realisieren, so dass die Möglichkeit der modalen Lesart hier nicht überraschend ist. Das Verb xevidötii dagegen ist transitiv, die Mediumform weist im Aorist die passivische bzw. resultative Lesart auf (xevidöthike 'es ist abgeschraubt'). Wie zu erklären ist, dass auch bei diesem Fall die Aktivform die modale Lesart aufweist, kann hier nicht geklärt werden. Möglicherweise handelt es sich um eine Legalisierung.

7.4

Parameter in der Entwicklung des griechischen Voice-Systems

Wie die Diskussion der passivischen Lesart im Neugriechischen gezeigt hat, unterscheiden sich die für das neugriechische Medium in der dimotiki relevanten Bedingungen nur unwesentlich von denen im Fula und damit auch von denen im homerischen Griechisch, das die passivische Lesart noch nicht aufwies. Im klassischen Griechisch und in der Koiné müssen jedoch andere Bedingungen vorgelegen haben, da die passivische Lesart weniger beschränkt war als in der dimotiki. Diese veränderten Bedingungen blieben auch in der katharévousa erhalten.

188 Für das klassische Griechisch, in dem die passivische Lesart des Mediums neben dem morphologischen Passiv vorlag, lässt sich wie im letzten Kapitel skizziert annehmen, dass zwischenzeitlich eine Ambiguität von passivischer Lesart und Mediumlesart vorlag. Spätestens mit dem Zusammenfallen der Medium- und Passivformen im Aorist und Futur ist jedoch nicht mehr von einer Ambiguität auszugehen. Ich möchte dieses Kapitel deshalb mit einigen Überlegungen dazu abschließen, unter welchen Bedingungen ein Mediopassiv mit relativ unrestringierter passivischer Verwendung zu erwarten ist. Dabei muss berücksichtigt werden, dass das Medium stets den Charakter einer basic voice bewahrt hat, da andernfalls der Rückgang der passivischen Lesart im gesprochenen Neugriechisch nicht zu erwarten wäre. Um zu erfassen, dass das Medium nach der Integrierung der passivischen Lesart im klassischen Griechisch diese zumindest für einen gewissen Zeitraum abdecken konnte, muss man annehmen, dass der kanonische Kontrolleur als Partizipant der Situation verstanden werden konnte, auch wenn er nicht im ©-Raster repräsentiert war. Das referenzielle Argument kann demnach nicht erst in Abhängigkeit von den im ©-Raster repräsentierten Argumenten bestimmt werden, sondern muss wie in Aktiv/Passiv-Systemen durch die SF eindeutig festgelegt sein. Die Bedingung, dass die höchste ©-Rolle den ersten in die Situation involvierten Partizipanten repräsentiert, kann demnach nur dann gelten, wenn das Agensargument bei der passivischen Lesart ins ©-Raster abgebildet wird. Wenn der Charakter des Mediums als basic voice erhalten bleibt, müssen sich Mediumformen jedoch weiterhin darin von Aktivformen unterscheiden, dass sie ein anderes ©-Raster aufweisen. Demnach kann auch bei der passivischen Lesart das Agensargument nicht im ©-Raster repräsentiert sein, so dass die Bedingung, dass die höchste ©-Rolle den ersten Partizipanten repräsentiert, aufgegeben werden muss. In diesem Fall gibt es keine Motivation für eine Reduktion der von der Mediumform charakterisierten Situation auf eine Teilsituation, so dass zu erwarten ist, dass die dekausative Lesart verloren geht. Damit die reflexiven Lesarten weiterhin abgeleitet werden können, muss jedoch immer noch auch der durch die höchste ©-Rolle repräsentierte Partizipant als S-Kontrolleur interpretiert werden können. Das Vorliegen von S-Kontrolle ist damit nicht mehr abhängig davon, ob ein S-Kontrolleur im ©-Raster realisiert ist, sondern allein von der Verbbedeutung. Anders als im Neugriechischen muss jedoch auch ein nicht im ©-Raster repräsentierter S-Kontrolleur spezifisch interpretierbar sein, damit die passivische Verwendung uneingeschränkt möglich ist. In Bezug auf die Interpretation des Mediums im Griechischen sind demnach vier Phasen zu unterscheiden: Die Phase, in der die passivische Lesart noch nicht vorliegt (Homer), die Phase, in der sich die passivische Lesart etabliert und neben der dekausativen Lesart besteht (klassisches Griechisch), die Phase, in der die passivische Lesart etabliert ist und die dekausative Lesart von der Aktivform übernommen wird (Koiné und katharévousà) und schließlich die Phase, in der die passivische Lesart des Mediums wieder zurückgeht, und in der sich möglicherweise die dekausative Lesart des Mediums wieder etabliert (heutige dimotiki). Bezogen auf die für das Medium relevanten Bedingung sind diese Phasen unterschiedlich zu charakterisieren.

189 Homer Agens nicht ins 0-Raster abgebildet höchste ©-Rolle = erster Partizipant S-Kontrolle an CNTR gebunden

Koiné, katharévousa ja

dimotiki

ja

klassisches Griechisch ja

ja

ja

nein

ja

nein

nein

beschränkt auf spezifische Situationsreferenz nein

ja

Tabelle 7.4: Entwicklung der Funktion des griechischen Mediums Die Entwicklung des griechischen Voice-Systems liefert m.E. Evidenz dafür, dass es sich bei der passivischen Lesart nicht um eine reguläre Lesart des Mediums handelt. Dass die Lesart sich etablieren konnte, ist damit zu begründen, dass die charakteristische Eigenschaft der differenzierenden Lesarten des Mediums, nämlich die Nicht-Projektion des kanonischen Kontrolleurs ins ©-Raster, zu einer unterspezifizierten Repräsentation fuhrt, so dass zusätzliche Mechanismen nötig sind, bevor sich referenziell verwendbare Repräsentationen ergeben. Die Etablierung der passivischen Lesart erweitert die Möglichkeit einer referenziellen Interpretation auf eine große Klasse von Verben, die in „reinen" Mediumsystemen nur nicht-referenziell verwendbar sind. Zum anderen schränkt sie aber die Lesarten ein, die durch die Reduktion der Situationsreferenz zustande kommen. Auch wenn die passivische Lesart in das Mediumsystem integriert werden kann, ist nicht zu erwarten, dass das System stabil ist. Das ergibt sich daraus, dass die passivische Lesart eine andere Funktion hat als die übrigen Mediumlesarten. Die passivische Lesart charakterisiert die gleiche Situation wie die korrespondierende Aktivform, im Neugriechischen unterscheidet sie sich nur in Bezug auf die Topikalisierungseigenschaften. Aktivformen und Mediumformen mit „regulären" Lesarten dienen dagegen dazu, unterschiedliche Situationstypen zu charakterisieren, die zu einem gemeinsamen Handlungskonzept gehören. Die konzeptuelle Motivation für Mediumsysteme besteht darin, dass es bestimmte Vorgänge gibt, die eine schematische Klassifizierung als 1-Partizipanten-Ereignis oder 2-PartizipantenEreignis weniger leicht zulassen als andere Verben. Im Fall der Verben, die reflexive Lesarten aufweisen, ergibt sich das daraus, dass die Handlungsstruktur eindeutig transitiv ist, die Ausfuhrung der Handlung an sich selbst jedoch einen im Alltag dominierenden Status hat. Bei den Verben mit dekausativer Lesart ergibt es sich daraus, dass die 1Partizipanten-Ereignisse ontologisch von einer Einwirkung von außen unabhängig sind, aber im Alltag häufig durch einen zweiten Partizipanten in Gang gesetzt werden. Im ersten Fall ist es die 1-Partizipanten-Variante, die aufgrund des Weltwissens dominiert, während die 2-Partizipanten-Variante aufgrund der deutlicheren Handlungsstruktur eher die Lexikalisierungseigenschaften bestimmt, im zweiten Fall ist es dagegen umgekehrt. Nur wenn eine Sprache auch im zweiten Fall die transitive Struktur als die zugrundeliegende lexikalisiert, ist ein System sinnvoll, das die Ableitung der 1-Partizipanten-Variante einheitlich markiert. Wie die Entwicklung des Griechischen zeigt, ist es prinzipiell möglich, dass die dekausative Lesart durch die passivische Lesart verdrängt wird und neue Formen eingeführt werden, die die entspechenden 1-Partizipanten-Varianten lexikalisieren. Vor dem Hintergrund, dass dann aber nur noch ein Teil der „ambivalenten" Ereignisse durch das VoiceSystem abgedeckt ist, und zusätzlich durch die passivische Lesart eine ganz andere

190 Funktion in das System integriert wird, ist nicht zu erwarten, dass das System in dieser Form erhalten bleibt. Ich möchte im folgenden Kapitel zeigen, dass das nicht nur für Mediumsysteme gilt, sondern auch für Systeme, die die entsprechenden Lesarten durch Reflexivkonstruktionen ableiten. Auch hier kommt dem ©-Raster und den mit den ©-Positionen assoziierten semantischen Eigenschaften eine zentrale Rolle bei der Ableitung der Lesarten zu.

8

Mediale Reflexivkonstruktionen in einigen europäischen Sprachen

8.1

Starke und schwache Reflexiva

Viele europäische Sprachen verwenden zur Realisierung der verschiedenen Lesarten, die das Medium aufweisen kann, reflexive Verben. Zur Illustration sind unter (1) die verschiedenen Lesarten reflexiver Verben im Spanischen illustriert, die zum Teil schon in Kapitel 1 aufgeführt wurden. (1)

a. Juan se lava. 'Juan wäscht sich.' b. Los hermanos se construyeron una casa estupenda 'Die Brüder bauten sich ein phantastisches Haus.' c. Pedro se afeita en la barbería. 'Pedro lässt sich beim Barbier rasieren.' d. La cuerda se rompe. 'Das Seil reißt.' e. Estas frutas se comen. 'Diese Früchte sind essbar.' f. El libro se publicó en 1952. 'Das Buch wurde 1952 publiziert.' g. Se vive bien aquí. 'Man lebt gut hier.'

direkt-reflexive Lesart indirekt-reflexive Lesart kausativ-reflexive Lesart dekausative Lesart modale Lesart passivische Lesart unpersönliche Konstruktion

Allerdings markieren nicht alle europäische Sprachen diese Lesarten durch Reflexivierung, So werden im Englischen die entsprechenden Verbformen intransitiv realisiert, auch wenn sie, wie die direkt-reflexive Lesart in (2a), semantisch reflexiv sind. (2)

a. b. c. d.

He shaved. He got shaved. The door shut. The bread cuts easily.

direkt-reflexive Lesart kausativ-/direkt-reflexive/passivische Lesart dekausative Lesart modale Lesart (Medialkonstruktion)

Dass die Reflexivmarkierungen bei den medialen Lesarten einen anderen Status haben als bei anderen transitiver Verben, zeigt sich in Sprachen, die über morphologisch weniger komplexe, sogenannte „schwache" („leichte") und morphologisch komplexere „starke" („schwere") Reflexiva verfügen. In diesen Sprachen werden die medialen Lesarten der lexikalischen Reflexivkonstruktionen durch das schwache Reflexivum markiert, während syntaktische Reflexivierung durch das starke Reflexivum markiert wird (vgl. Faltz 1985, Kemmer 1993).' Während es sich bei den starken Reflexiva in den europäischen Sprachen 1

Die Klassifizierung der Reflexivkonstruktionen als 'syntaktisch' (= nicht-medial) und 'lexikalisch' (= medial) ist nicht für alle Sprachen angemessen, da z.B. im Französischen Reflexivierung generell mit Detransitivierung einhergeht und damit immer als lexikalisch zu betrachten ist (vgl.

192 um Pronomen handelt, können die schwachen Reflexiva Pronomen, Klitika oder Affixe sein, die sich aus starken Formen entwickelt haben. Charakteristisch für schwache Reflexiva ist, dass sie immer unbetont sind. Nach Steinbach (2000, 2002) handelt es sich immer um die am wenigsten spezifizierten Formen des pronominalen Paradigmas. Beispiele für schwache und starke Reflexiva sind in Tabelle 1 aufgeführt, illustrierende Verwendungen finden sich in (3)-(5).2 Niederländisch Russisch Polnisch Isländisch

schwach zieh -sja si? -st

stark zichzelf sebja sibie sig

Tabelle 8.1: Sprachen mit starkem und schwachem Reflexivum (3)

(4)

(5)

Niederländisch a. Jan ziet zichzelf in de Spiegel. 'Jan sieht sich im Spiegel.'

b. Jan heeft zieh gewassen. 'Jan hat sich gewaschen.'

Russisch a. Ivan uvidel sebjav zerkale. Iwan sah REFL in Spiegel 'Iwan sah sich im Spiegel.'

b. Ivan moet-sja. Iwan wäscht-RM 'Iwan wäscht sich.'

Polnisch a. Nie zdradzaj

b. Umylam

NEG betriig.IMPERF

sibie. REFL.AKK

'Betrüg dich nicht selbst.' (Dancygier 1997, 323/313)

si$.

wasch.PRÄT.lSG RM

'Ich wusch mich.'

Sprachen, die Reflexiva zur Markierung der medialen Lesarten aufweisen, unterscheiden sich zum Teil erheblich darin, welche Lesarten reflexiv markiert werden. Das Niederländische markiert lediglich die direkt-reflexive Lesart und die dekausative Lesart durch das schwache Reflexivum zieh, während in der Medialkonstruktion (modale Lesart) wie im Englischen kein Reflexivum auftritt. Das Deutsche verfugt im Verhältnis dazu über mehr reflexiv markierte mediale Lesarten, weist aber im Gegensatz zum Spanischen und Italienischen nicht die passivische Lesart und die kausativ-reflexive Lesart auf. Das Russische

2

Kayne 1975, Grimshaw 1982). Ich behalte der Einfachheit halber diese Terminologie jedoch bei. Traditionell wird der Unterschied zwischen starken und schwachen Reflexiva darin gesehen, dass starke Reflexiva einen Antezendens in einer lokalen Domäne erfordern, während schwache Reflexiva long-distance binding zulassen. Darüber hinaus ist der Antezendens von schwachen Reflexiva im Allgemeinen auf das Subjekt beschränkt. (Vgl. Faltz 198S, Reinhart & Reuland 1993; zu einer Relativierung der Gültigkeit dieser Annahmen König & Siemund 1999). Da mein Ziel nicht eine Analyse der Reflexiva ist, sondern lediglich die Funktion der Reflexiva bei der Ableitung der medialen Lesarten, beschränke ich mich im Folgenden auf die medialen Kontexte und lasse das Vorkommen von schwachen Reflexiva in long-distance-Kontexten außer Acht. Ich glossiere die schwachen Reflexiva im folgenden mit RM, die starken durch REFL.

193 und das Spanische verfügen auch über Reflexivkonstruktionen mit Lesarten, die das Medium nicht abdeckt. Wie die historische Entwicklung der Reflexivkonstruktionen zeigt, etablieren sich die verschiedenen Lesarten erst nach und nach (vgl. Kapitel 9). Es ist also anzunehmen, dass das unterschiedliche Spektrum an Lesarten auf unterschiedliche Entwicklungsstadien der medialen Reflexivkonstruktion zurückzuführen ist. Die verschiedenen Stadien unterscheiden sich darin, welche der für die verschiedenen Lesarten relevanten Interpretationsbedingungen etabliert sind. Die Entwicklung neuer Lesarten der Reflexivkonstruktion geht häufig mit einer Entwicklung des Reflexivpronomens zu einem Reflexivaffix einher (vgl. Haspelmath 1990). Dieses Kapitel gibt zunächst einen Überblick über die Lesarten, die Reflexivkonstruktionen aufweisen können. Der Überblick erfolgt exemplarisch anhand des Spanischen, des Russischen, des Schwedischen und des Isländischen. Die Auswahl der Sprachen ist dadurch motiviert, dass sie sich in Bezug auf die Lesarten, die die Reflexivkonstruktionen aufweisen können, zum Teil erheblich voneinander unterscheiden. Das Spanische und das Isländische entsprechen in Bezug auf die vorhandenen Lesarten weitgehend den diskutierten Mediumsystemen und können deshalb als relativ typische Vertreter der Sprachen betrachtet werden, die die Mediumlesarten durch Reflexivkonstruktionen markieren. Das Deutsche weist nur einen Teil der Lesarten auf, und ist damit als eine Sprache zu betrachten, in der das System nicht vollständig entwickelt ist. Das Russische und das Schwedische weichen von dem „prototypischen" System auf unterschiedliche Weise ab und illustrieren damit unterschiedliche Alternativen der Grammatikalisierung von Reflexivkonstruktionen.

8.2 Die Reflexivmarkierungen Deutsch Das Deutsche verfügt nur in der dritten Person über ein Reflexivpronomen, während in den übrigen Personen die Personalpronomen verwendet werden. In syntaktischen Reflexivkonstruktionen kann das Reflexivpronomen sich betont sein oder mit der emphatischen Partikel selbst auftreten, während betontes sich ebenso wie sich selbst bei medialen Verwendungen nicht möglich ist. Steinbach (2002, 188f) weist jedoch darauf hin, dass eine Klassifizierung des unbetonten sich als schwaches Reflexivum und des betonten sich (selbst) als starkes Reflexivum für das Deutsche nicht angemessen ist, da das unbetonte sich auch in nicht-medialen Reflexivkonstruktionen auftritt (vgl. (6a)). Dass sich selbst in medialen Reflexivkonstruktionen nicht auftreten kann, ergibt sich allein aus der fokussierenden Funktion von selbst, die mit nicht-thematischen Reflexiva nicht kompatibel ist.3 (6)

3

nicht-medial a. Peter sieht sich. b. Peter sieht sich. c. Peter sieht sich selbst.

medial d. Der Ast biegt sich. e. *Der Ast biegt sich f. *Der Ast biegt sich selbst

Zur Funktion von Intensivierern wie selbst vgl. König & Siemund (1999).

194 Spanisch Das Spanische weist wie das Deutsche nur für die 3. Person ein (klitisches) Reflexivpronomen se auf. In den anderen Personen werden zur Reflexivierung die Personalpronomen (me 'mich', te 'dich', nos 'uns', os 'euch') verwendet. Sie dienen sowohl zur syntaktischen Reflexivierung als auch zur Markierung der Mediumfunktionen. Bei nicht medialem Gebrauch kann zusätzlich das emphatische a si mismo realisiert sein (vgl. (7)), das wie das deutsche selbst nur als fokussierendes Element zu betrachten ist. (7)

Juan se mirö (a si mismo). 'Juan sieht sich (selbst).'

Russisch Im Russischen werden die Mediumlesarten und eine Reihe von weiteren Lesarten durch das Reflexivsuffix -sja bzw. -s' (nach Vokal) markiert. Bis zum 13./14. Jh. diente sja als Reflexivpronomen im Akkusativ, das betont und unbetont vorkommen konnte. Parallel zur Verbreitung des Reflexivpronomens sebe entwickelt sich sja zum Klitikon. Ab dem 17. Jh. tritt -sja nur noch bei reflexiven Verben auf, während sebjä als syntaktisches Reflexivum fungiert und sowohl betont als auch unbetont auftreten kann (vgl. Kiparsky 1967, 134). Isländisch Das Isländische verfügt über ein aus dem Reflexivum abgeleitetes Verbalaffix -st zur Ableitung von Verben mit medialen Lesarten, das an die flektierte Verbform suffigiert wird. Das Affix -st hat sich aus dem altisländischen Reflexivpronomen sik entwickelt, das, nachdem es an das Verb klitisiert wurde, zunächst zu -sk reduziert und später zu -st wurde.4 Im modernen Isländisch kann -st an alle finiten Verbformen suffigiert werden, es folgt also den Kongruenzaffixen. Anderson (1990) führt allerdings eine Reihe von phonologischen Gründen an, die dafür sprechen, dass nicht -st an die flektierte Verbform suffigiert wird, sondern die Kongruenzaffixe zwischen den Stamm und das Suffix -st infigiert werden. Für die Annahme, dass -st als Derivationssuffix einen medialen Verbstamm ableitet, spricht auch, dass Kinder -st manchmal vor dem Kongruenzaffix realisieren (förustum statt förumst 'wir sterben'), vgl. Anderson (1990, 270 Fn. 5). Bei Einarsson (1945/1972, 100) wird die Abfolge -ust-um auch als umgangssprachliche Form erwähnt, „a form that is hardly to be recommended." Schwedisch Das Schwedische weist zwei unterschiedliche Strategien zur Markierung der medialen Lesarten auf. Während einige Funktionen durch das Verbalaffix -s markiert werden, werden andere durch das Reflexivpronomen sig markiert. Nach Ureland (1974, 337) war die Klitisierung von -s bis zum 14. Jahrhundert produktiv. Auch im Schwedischen liegt nur in der 3. Person ein echtes Reflexivpronomen vor, während in den anderen Personen die entsprechenden Personalpronomen (meg, dig, oss, er) verwendet werden. Nach Kiparsky (1992b; 2002,188) unterscheidet sich das Schwedische vom Deutschen darin, dass die meisten Verben nur mit sig själf reflexivierbar sind (vgl. 4

Anderson (1990) vermutet den Grund für die phonologische Veränderung darin, dass das Cluster sk im Isländischen nicht in der Coda von finalen, unbetonten Silben auftritt.

195 (8)). Das schwache Reflexivum sig allein kann nicht zur Reflexivierung transitiver Verben verwendet werden.5 (8)

hata *sig/sig själf föredra *sig/sig själf undersöka *sig/sig själf första*sig/sig själf

'sich 'sich 'sich 'sich

hassen' vorziehen' untersuchen' verstehen'

Direkt-, indirekt- und kausativ-reflexive Lesart

8.3

Deutsch Im Deutschen scheint es auf den ersten Blick keinen Unterschied zwischen syntaktischen Reflexivkonstruktionen und lexikalischen Reflexivkonstruktionen mit direkt-reflexiver Lesart zu geben. So ist das Reflexivum bei Verben mit direkt-reflexiver Lesart wie bei syntaktischen Reflexivkonstruktionen mit einer anderen NP koordinierbar und mit dem fokussierenden selbst kombinierbar. Das Reflexivum scheint demnach den gleichen syntaktischen und semantischen Status zu haben wie andere Reflexivpronomen in Objektposition. (9)

a. b. c. d.

Er kämmte sich und die Kinder. Er kämmte sich selbst. Er betrachtete sich und seine Kinder. Er betrachtet sich selbst.

direkt-reflexive Lesart syntaktische Reflexivierung

Ein Unterschied zwischen syntaktischen Reflexivkonstruktionen und lexikalischen Reflexivkonstruktionen mit direkt-reflexiver Lesart zeigt sich im Deutschen jedoch darin, dass letztere ein unpersönliches Passiv zulassen (Nerbonne 1982, Seils, Zaenen & Zec 1987, Plank 1993, vgl. (10a)). Bei syntaktischen Reflexivkonstruktionen ist Passivierung dagegen zumindest markiert (10b).6 Ebenfalls ungrammatisch ist die Passivform von Verben, die die direkt-reflexive Lesart zulassen, wenn das Reflexivum wie in (9) mit einer NP koordiniert ist oder wenn zusätzlich die intensivierende Partikel selbst realisiert ist (vgl. (10c, d)). In diesem Fall verhalten sich die entsprechenden Reflexivkonstruktionen wie andere transitive Verben (lOe). (10) a. b. c. d. e.

5

6

Jetzt wird sich aber gewaschen! ?Jetzt wird sich aber betrachtet! *Jetzt wird sich selbst aber gewaschen! ""Jetzt wird sich und die Kinder aber gewaschen! *Jetzt wird den Brief aber geschrieben!

Diese Beschränkung gilt für Koargumente. Sig kann zur Reflexivierung verwendet werden, wenn sein Antezedens das Subjekt eines übergeordneten Matrixverbs ist (vgl. Kiparsky 1992b, 15ff). Sprecher scheinen in Bezug auf die Akzeptabilität von Konstruktionen wie (10b) unterschiedlich tolerant zu sein. Ich markiere sie deshalb nur mit einem Fragezeichen.

196 Der Unterschied zwischen der Konstruktion in (10a) und denen in (lOb-e) zeigt, dass das Reflexivum in der direkt-reflexiven Lesart in Bezug auf Passivierbarkeit einen anderen Status hat als gewöhnliche direkte Objekte. Die Fälle, in denen das Reflexivum mit einer anderen NP koordiniert ist oder in denen selbst realisiert ist, sind also nicht als Instanzen der direkt-reflexiven Lesart zu betrachten, sondern als syntaktische Reflexivierungen des transitiven Verbs. Seils, Zaenen & Zec (1987) betrachten die Passivierbarkeit der reflexiven Verben mit direkt-reflexiver Lesart als Evidenz dafür, dass es sich um eine syntaktisch intransitive Konstruktion handelt. Diese Annahme wird durch einen weiteren Unterschied zwischen syntaktischen Reflexivkonstruktionen und Verben mit direkt-reflexiver Lesart gestützt. Nur letztere können in präsentationellen Kontexten auftreten, in denen generell nur intransitive Verben zulässig sind (vgl. Hellan 1988 für das Norwegische, Kiparsky 1992b für das Schwedische und das Deutsche).7 (11) a. Es wuschen sich Menschen am Strand. b. ?Es sah sich ein Mann im Spiegel. c. *Es wusch mich eine Gruppe Soldaten am Strand. Weitere Evidenz dafür, dass das Reflexivum mit direkt-reflexiver Lesart einen anderen Status hat als bei syntaktischen Reflexivkonstruktionen, liefern Korpusdaten von Infinitivnominalisierungen reflexiver Verben (Kaufmann 2003). Während bei Infinitivnominalisierungen reflexiv verwendeter transitiver Verben entweder eine entsprechende Argument-NP oder das Reflexivum realisiert wird, fehlt es typischerweise bei Nominalisierungen von direkt-reflexiven Verben ebenso wie bei den anderen lexikalisch-reflexiven Verben mit medialen Lesarten. (12) syntaktische Reflexivierung a. Und sie wankte ins Wohnzimmer zurück, wo ihr Gatte, der Bürger, irren Blicks nach dem erwähnten Strick zum Sich-Aufhängen kramte. (Süddeutsche 1995) b. Nie käme er auf die Idee, von Messe zu Messe, von TV-Auftritt zu TV-Auftritt zu eilen, um durch das andauernde Sich-Zeigen wichtig zu wirken. (TAZ 1990) c. [...] die ihm ein besseres Verstehen seiner selbst ermöglicht. (Mannheimer Morgen 1996) (13) direkt-reflexive Lesart a. Außerordentliche Mühe bereitete ihm jeden Morgen das Waschen mit Hut. (Mannheimer Morgen 1998) b. Beim Anziehen kam ein neuer Zettel zum Vorschein. (Mannheimer Morgen 1989) c. Selbstverteidigung steht ebenso auf dem Programm wie Schminken und SichVerkleiden. (Mannheimer Morgen 1998) (14) dekausative Lesart a. Illegal verwendete brennbare Wärmedämmung soll dann das rasche Ausbreiten des Feuers im Flughafengebäude ermöglicht haben. (Mannheimer Morgen 2000) 7

Kiparsky (2002, 212) weist darauf hin, dass die Verben mit direkt-reflexiver Lesart anders als inhärent reflexive Verben auch transitiv sein können, d.h. wie die entsprechenden deutschen Verben auch syntaktisch reflexiviert werden können.

197 b. Auf einem Wandschirm sieht man in einer Laryngoskopaufnahme das pulsierende, von einem hohen Ton begleitete öffnen und Schließen einer Glottis (Stimmritze). (Frankfurter Rundschau, 1998) c. Das fröhliche Bewegen auf den ausgelegten Matten ist jedoch anderer Natur als das Wandern nach des Müllers Lust. (Mannheimer Morgen 1998) d. Anzeichen wie ruckartiges Aufrichten mit Anzeichen von fehlender Orientierung [....] (Mannheimer Morgen 1996) Aufgrund der Nominalisierungsdaten lassen sich die reflexiven Verben mit direkt-reflexiver Lesart eindeutig von den syntaktischen Reflexivkonstruktionen abgrenzen und den übrigen lexikalisch reflexiven Verben zuordnen. Ob das Deutsche über die indirekt-reflexive Lesart verfugt, ist weniger leicht festzustellen, da oberflächlich kein Unterschied zur syntaktischen Reflexivierung vorliegt. Von den bei der direkt-reflexiven Lesart verwendeten Tests ist nur der Nominalisierungstest anwendbar, da es sich bei den Kandidaten für die indirekt-reflexive Lesart um ditransitive Verben handelt, so dass auch bei Argumentreduktion transitive Verben vorliegen würden. Der Nominalisierungstest ist weniger eindeutig als bei den direkt-reflexiven Verben, da es generell sehr wenig Belege für Nominalisierungen von dreistelligen Verben mit reflexivem Benefizienten gibt. Dadurch fehlen eindeutige Belege für die Realisierung des Reflexivums bei den syntaktisch reflexiven Konstruktionen. Wie bei den anderen lexikalisch reflexiven Verben fehlt jedoch das Reflexivum bei den Kandidaten für die indirekt-reflexive Lesart. (15) indirekt-reflexive Lesart a. Das Leihen von Fahrrädern am Urlaubsort kann günstiger sein. b. Das Waschen der Hände sollte selbstverständlich sein. Auch die Markiertheit des emphatischen selbst kann als Evidenz für das Vorliegen der indirekt-reflexiven Lesart betrachtet werden. (16) a. Er lieh sich (?selbst) das Auto von seinem Bruder, b. Er wusch sich (?selbst) die Hände. Die kausativ-reflexive Lesart kann im Deutschen nicht durch eine einfache Reflexivkonstruktion zustande kommen, sondern nur bei zusätzlicher Realisierung von lassen. (17) a. Er lässt sich beim Friseur rasieren, b. *Er rasiert sich beim Friseur.8 Spanisch Mit direkt-reflexiver Lesart kann se bei Körperpflegeverben vorkommen. Wie bei anderen transitiven Verben ist auch der Zusatz des Reflexivpronomens a st mismo möglich, so dass eine Abgrenzung von echten Reflexivkonstruktionen auch im Spanischen schwierig ist (vgl. (18a)). Ähnlich wie im Altgriechischen kann auch ein Körperteil des Agens als direktes Objekt realisiert werden. Diese Konstruktion könnte als Instanz der indirekt-reflexiven Lesart eingestuft werden, bei der ein Benefaktiv-Reflexivum im Dativ auftritt. Dafür spricht, dass das emphatische a si mismo in dieser Lesart nicht möglich ist. 8

Mit direkt-reflexiver Lesart ist dieser Satz natürlich grammatisch.

198 (18) a. Juan se lavó (a sí mismo). 'Juan wäscht sich.' (Babcock 1970,31)

b. Juan se lavó las manos (*a sí mismo). 'Juan wäscht sich die Hände.'

Dativ-Reflexiva sind generell möglich, wenn der Patiens ein (Körper-)Teil des Subjektreferenten ist (Possessoriesart). Dabei kann die agentive Interpretation verloren gehen, so dass sich die Interpretation einer „unwillkürlichen Handlung" ergibt. Der gleiche Effekt lässt sich auch bei den deutschen Übersetzungen beobachten. (19) a. Juan se rompió la pierna. 'Juan brach sich das Bein.' (Babcock 1970, 31)

b. Juan se cortó el dedo. 'Juan hat sich den Finger geschnitten.'

Das Vorliegen dieser Konstruktion ist im Zusammenhang damit zu sehen, dass im Spanischen wie auch im Deutschen der Possessor als Dativ-Komplement des Verbs realisiert werden kann („Possessor-Raising", vgl. z.B. Wunderlich 1996a). Semantisch entspricht diese Lesart eher der dekausativen Lesart als der indirekt-reflexiven. Bei geeignetem Kontext (Erschließbarkeit des Agens) kann auch bei spanischen Reflexivkonstruktionen die kausativ-reflexive Lesart zustande kommen. Wie die Beispiele in (20) zeigen, kann sowohl der Patiens als auch der Possessor als S-Kontrolleur fungieren. Wie im Altgriechischen korrespondiert also sowohl mit der direkt-reflexiven als auch mit der indirekt-reflexiven Lesart eine kausativ-reflexive Lesart.9 (20) a. Pedro se afeita en la barbería. 'Pedro lässt sich beim Friseur rasieren.' b. Isabel se arregla el coche en ese taller. 'Isabel lässt ihren Wagen in der Werkstatt reparieren.' c. Me corta el pelo. 'Ich lasse mir die Haare schneiden.'

(Oesterreicher 1992, 238)

Russisch Wie die Mediummarkierungen tritt -sja z.B. bei Verben der Körperpflege auf (21), kann aber nicht generell verwendet werden, um Reflexivierung auszudrücken. Verben, die Handlungen charakterisieren, die nicht typischerweise selbstgerichtet sind, müssen mit dem Reflexivum sebja kombiniert werden (vgl. Geniusiené 1987, 11). (21) a. Ma§-a odevajet devoök-u. Masa anziehJMPERF Mädchen-AKK 'Mascha zieht das Mädchen an.'

b. Maä-a odevajet-sja. Masa anzieh.lMPERF-RM 'Mascha zieht sich an.'

Weitere reflexive Verben, die die direkt-reflexive Lesart aufweisen, sind brit'sja 'sich rasieren', kupát'sja 'baden', gotovit'sja 'sich fertig machen', myt'sja 'sich waschen', grimipovät'sja 'sich schminken', razdevát'sja 'sich ausziehen' (Wade 1995, 313f). Die kausativ-reflexive Lesart scheint im Russischen relativ produktiv zu sein. Bei Isacenko (1962/68) finden sich die folgenden Beispiele: 9

Im lateinamerikanischen Spanisch ist die kausativ-indirekt-reflexive Lesart bei nicht alienabeler Possession wie in (20b) nicht möglich (Teresa Parodi, pers.).

199 (22) a. Japobril-sja u parnikmäxera. ich rasier.PERF-RM bei Friseur 'Ich ließ mich beim Friseur rasieren.' c. On snimal-sja u fotögrafa. er fotografier.PERF-RM bei Fotograf 'Er ließ sich beim Fotografen fotografieren.'

b. On er

razvel-sja. scheid.PERF-RM

'Er ließ sich scheiden.' d. On vzvel-sja. wieg.PERF-RM

'Er ließ sich wiegen.'

Als Belege für die indirekt-reflexive Lesart gibt Isaöenko (1962/68, 459) die Beispiele in (23) an. Es handelt sich jedoch nur um vereinzelte Belege, so dass die indirekt-reflexive Lesart für das Russische nicht als produktiv zu betrachten ist. (23) sapasat' 'versorgen' sobirät' 'fertigmachen' -

sapasat'sja 'sich versorgen' sobirat' 'sich fertig machen'

Isländisch Die direkt-reflexive Lesart wird im Isländischen durch Suffigierung von -st an transitive Basisverben markiert. Anderson (1990) gibt an, dass st-Verben mit dieser Interpretation aus den meisten transitiven Verben ableitbar zu sein scheinen, da die meisten Verben auch reflexive Objekte zulassen. Er fuhrt allerdings überwiegend Beispiele von st-Verben auf, die präferiert selbstgerichtet sind (vgl. (24)). (24) klaeöa setja dirfa baöa

'anziehen' 'setzen' 'ermutigen' 'jmdn. baden'

-

klaeöa-st'sich anziehen' setja-st 'sich setzen' dirfa-st 'wagen' baöa-st 'baden' (Anderson 1990,251)

Da in den mir bekannten Daten keine st-Verben mit reflexiver Lesart zu finden sind, die nicht in die Klasse der selbst-gerichteten Verben gehören, gehe ich davon aus, dass auch im Isländischen -st nicht generell zu Reflexivierung verwendet werden kann. Nach Einarsson (1945/1972), Valfells (1970) und Thrainsson (1990) kann die direktreflexive Lesart auch mit nicht-reflexivem Verb und Reflexivpronomen gebildet werden (raka sig 'sich (Akk) rasieren', pvo ser 'sich (Dat) waschen', greida ser 'sich (Dat) kämmen'). Die kausativ-reflexive Lesart scheinen die st-Verben nicht zuzulassen. Die indirektreflexive Lesart ist nach Einarsson möglich, aber selten. Er gibt lediglich ein Beispiel an. Ich gehe wie für das Russische davon aus, dass es sich nicht um eine reguläre Lesart handelt. (25) a. taka ser ferö a hendur nehmen REFL Reise in Hand 'eine Reise unternehmen' (Einarsson 1945/1972, 148)

b. taka-st ferö k hendur nehmen-REFL Reise in Hand 'eine Reise unternehmen'

Schwedisch Im Schwedischen wird die direkt-reflexive Lesart durch das schwache Reflexivum sig markiert. Sie findet sich wie in den anderen Sprachen vor allem bei Körperpflegeverben.

200 (26) a. Han tvättar sig. 'Er wäscht sich.'

b. Han rakade sig. 'Er rasierte sich.'

c. Han försvarade sig. 'Er verteidigte sich.'

Wie im Deutschen können im Schwedischen Verben mit direkt-reflexiver Lesart in präsentationeilen Kontexten vorkommen. Kiparsky (2002) klassifiziert diese Verben deshalb als intransitiv. (27) a. Det tvättade sig en grupp soldater vid stranden. 'Es wusch sich eine Gruppe Soldaten am Strand.' b. Dett satt en grupp soldater vid stranden. 'Es saß eine Gruppe Soldaten am Strand.' c. *Det tvättade mig en grupp soldater vid stranden. 'Es wusch mich eine Gruppe Soldaten am Strand.'

(Kiparsky 2002, 212)

Die kausativ-reflexive Lesart liegt im Schwedischen nicht vor. Nach Geniusiene (1987) erlaubt jedoch das schwedische sig die indirekt-reflexive Lesart. Geniusiene unterscheidet zwischen (Selbst-)Benefaktiv-, Rezipient- und Possessor-Lesart, die nach ihren Angaben für sig alle möglich sind, während das Reflexivaffix nicht mit indirekt-reflexiver Lesart vorkommen kann (vgl. Geniusiene 1987, 291, Tabelle 12). Beispiele für die indirektreflexive Lesart gibt sie allerdings nicht an.

8.4

Die reziproke Lesart

Deutsch Das Reflexivum kann im Deutschen generell auch reziprok interpretiert werden, so dass eine mediale reziproke Lesart möglich sein sollte. Wie bei den Verben mit direkt-reflexiver Lesart lässt sich die mediale reziproke Lesart dadurch identifizieren, dass die entsprechenden reflexiven Verben unpersönliches Passiv zulassen (28b) vs. (c), in präsentationellen Kontexten auftreten können (28d) vs. (e) und dass bei Inflnitivnominalisierungen kein Reflexivum auftritt (28f) vs. (g). (28) a. b. c. d. e. f.

Die Männer streiten sich. In meiner Wohnung wird sich nicht gestritten! ?Danach wurde sich regelmäßig beobachtet. Es stritten sich drei Männer in der Kneipe. ?Es beobachteten sich drei Frauen mit Ferngläsern. [...] abends in der Kneipe, wo er einem Paar beim Küssen zusieht. (Frankfurter Rundschau 1997) g. kleine Psycho-Dramen, etwa das Sich-Beäugen zweier [...] Potentaten (Zeit 1985)

Spanisch Se kann im Spanischen reziprok interpretiert werden. Zur Hervorhebung der Gegenseitigkeit kann zusätzlich una a otra 'eine die andere' realisiert werden. Für das Spanische liegt

201 mir jedoch keine Evidenz dafür vor, dass es sich bei der reziproken Verwendung um eine mediale Lesart handelt, die auf eine bestimmte Klasse von Verben beschränkt ist. (29) a. Nos reuniamos en casa de Federico. 'Wir trafen uns bei Federico.' (Vera-Morales 1996,251)

b. Esos vecinos se odian. 'Diese Nachbarn hassen sich.'

Russisch Die reziproke Lesart ist im Russischen nur bei sja- Verben möglich, die typischerweise reziproke Handlungen bezeichnen. Bei allen anderen Verben wird die reziproke Interpretation durch die transitive Verbform und die Reziprokpronomen drug drüga gebildet. Das Reziprokpronomen kann auch durch das Reflexivum sebja ersetzt werden. Beispiele ftir Verben mit reziproker Lesart finden sich in (30). (30) vstreöät'sja proäcät'sja celovat'sja obnimat'sja covetovat'sja

'sich treffen' 'sich verabschieden' 'sich küssen' 'sich umarmen' 'sich beraten'

Isländisch Anderson (1990) gibt an, dass für die meisten transitiven Verben die reziproke Lesart durch Suffigierung von -st ableitbar zu sein scheint, da die meisten Verben auch reziproke Objekte zulassen. Er gibt allerdings auch hier überwiegend Beispiele von -st- Verben, die zu den inhärent reziproken Verben gehören (vgl. (31)). (31) Reziproke Lesart maeta 'treffen' bita 'beißen' drekka 'trinken'

-

maeta-st bita-st drekka-stä

'sich treffen' 'sich beißen' 'sich zuprosten'

(Anderson 1990,251)

Schwedisch Die reziproke Lesart wird im Schwedischen bei Verben, die typischerweise wechselseitig ausgeführte Handlungen bezeichnen, durch das Affix -s markiert. Bei anderen transitiven Verben wird das Reziprokpronomen varandra verwendet. Das Reflexivpronomen sig kann dagegen nicht reziprok interpretiert werden (vgl. Ritte 1986). (32) a. De träffa-s och tala-svid. 'Sie treffen sich und unterhalten sich.' b. De träffar varandra och talar med varandra. 'Sie treffen einander und unterhalten sich mit einander.' c. ""De träffar sig (Holmes & Hinchliffe 1994, 307) Weitere Verben mit reziproker Lesart der -s-Form sind in (33) aufgeführt (Holmes & Hinchliffe 1994,307).

202 (33) krama kyssa se slás reta

8.5

'umarmen' 'küssen' 'sehen' 'kämpfen' 'ärgern'

-

-

krama-s kyssa-s se-s släs-s reta-s

'sich umarmen' 'sich küssen' 'sich sehen, treffen' 'kämpfen' 'sich ärgern'

Die dekausative Lesart

Deutsch Das Deutsche weist sowohl Verben mit pseudo-reflexiver dekausativer Lesart auf, als auch Verben mit pseudo-passivischer Lesart. Obwohl nicht alle intransitiven Verben mit kausativer Entsprechung reflexiv sind, spricht die Tatsache, dass gerade deadjektivische Verben unter die reflexiv markierten Verben fallen (sich vergrößern, sich verlängern, sich verdunkeln) für die Produktivität der dekausativen Lesart. Die Charakterisierung der reflexiv markierten Verben im Deutschen entspricht der im Spanischen, so dass ich hier auf eine unabhängige Auflistung verzichte. Spanisch Die Menge der dekausativen reflexiven Verben ist im Spanischen sehr umfangreich. Wie im Fula und Altgriechischen lassen sich vor allem von Positionierungs- und Bewegungsverben agentive (pseudo-reflexive) dekausative Verben ableiten. Diese Verben erlauben die Realisierung des intensivierenden Reflexivums a si mismo nicht. (34) aburrir preocupar acercar alejar retirar

'jdn. langweilen' 'jdn. mit Besorgnis erfüllen' 'näher heranbringen' 'etwas entfernen' 'etwas zurückziehen'

(35) a. Juan se sentó (*a sí mismo). 'Juan setzte sich.'

-

aburrirse preocuparse acercarse alejarse retirarse

'sich langweilen' 'sich sorgen' 'sich nähern' 'sich entfernen' 'sich zurückziehen'

b. Juan se levantó (*a sí mismo). 'Juan stand auf.'

Ebenso können nicht-agentive (pseudo-passivische) dekausative Verben abgeleitet werden. Die Realisierung von a sí mismo ist bei diesen Verben ebenfalls ausgeschlossen. (36) a. La puerta se abre (sola/*a sí misma). 'Die Tür öffnet sich (allein/selbst).' c. La ropa se seca al sol. 'Die Wäsche trocknet in der Sonne.'

b. La cuerda se rompe. 'Das Seil reißt.'

Russisch Auch im Russischen ist sowohl die pseudo-reflexive als auch die pseudo-passivische dekausative Lesart sehr häufig. Beispiele finden sich in (37) (Geniusiene 1987, 9/44).

203 (37) a. Kto-to otkryl dver'. jemand öffnete Tür 'Jemand öffnete die Tür.' c. Onvystruil soldat. er stellte_auf Soldaten 'Er stellte die Soldaten auf.'

b. Dver' otkryla-s'. Tür öffiiete-RM 'Die Tür öffnete sich.' d. Soldat-y vystruil-s'. Soldaten stellten_auf-RM 'Die Soldaten stellten sich auf.'

Nach Wade (1995, 315) wird die dekausative Lesart im Russischen nie durch die gleiche Verbform kodiert wie die kausative, sondern entweder durch eine reflexive Form oder ein unabhängiges Verb. Isländisch Beide dekausativen Lesarten liegt auch bei ff-Verben im Isländischen vor. Allerdings gibt es im Isländischen auch viele nicht-reflexive dekausative Verben (vgl. Zaenen & Maling 1990). Mir liegt keine Information darüber vor, welcher Realisierungstyp häufiger ist. Beispiele für st- Verben mit dekausativer Lesart finden sich in (38a). (38b) und (c) illustrieren, dass dekausative st- Verben agentiv oder nicht-agentiv interpretierbar sind, während mit sig reflexivierte Verben nur agentiv sein können. gleöja 'erfreuen' gleöja-st 'sich freuen' kvelja 'quälen' kvelja-st 'leiden' lyja 'müde machen' lyja-st 'müde werden' opna 'öffnen' 'sich öffnen' opna-st hefja-st hefja 'anfangen (tr.)' 'anfangen (intr.)' 'existieren, sich finden' finna 'finden' finna-st 'verloren gehen' tyna 'verlieren' tyna-st dylja 'verstecken' 'sich verstecken' dylja-st 'verstecken' fela-st 'sich verstecken' fela b. Jon meiddi-st. 'John verletzte sich (selbst).' c. Jon meiddi sig. 'John verletzte sich selbst.' (Anderson 1990,252) Zaenen & Maling (1990) weisen daraufhin, dass alle unakkusativen st- Verben mit kausativer Variante ihr einziges Argument im Nominativ realisieren, während bei nicht-reflexiven unakkusativen Verben das Subjekt des intransitiven Verbs den gleichen lexikalischen Kasus trägt wie das Objekt des transitiven. Schwedisch Im Schwedischen sind Kausativ/Inchoativ-Verbpaare im Allgemeinen durch zwei unabhängige Verbformen realisiert. (39) sänka 'versenken' spräcka 'spalten' fälla 'fällen'

-

sjunka 'versinken' spricka 'sich spalten' falla 'fallen'

Es gibt aber auch eine Reihe von kausativen Verben, deren intransitive Variante mit dem schwachen Reflexivum sig markiert ist. Dabei ist das Subjekt in allen Fällen agentiv (pseudo-reflexive Lesart). Belege für sig-Verben mit pseudo-passivischer Lesart liegen mir für das Schwedische nicht vor.

204 (40) spänna 'spannen' spänna sig arhälla 'zurückhalten' arhalla sig akta 'schützen' akta sig anpassa 'anpassen' anpassa sig närma 'näherbringen' närmasig böja 'biegen' böja sig hejda 'anhalten' hejda sig gömma 'verstecken' gömmasig (Holmes & Hinchliffe 1994, 142f)

8.6

'sich anspannen* 'sich zurückhalten' 'sich in acht nehmen' 'sich anpassen' 'sich nähern' 'sich biegen' 'anhalten' 'sich verstecken'

Die modale Lesart

Deutsch Die modale Lesart wird im Deutschen durch die sogenannte Medialkonstruktion abgedeckt. Charakteristisch für diese Konstruktion ist, dass immer ein modal interpretierbares Adverb realisiert sein muss.10 Die Medialkonstruktion ist sehr produktiv und kann anders als in den meisten anderen Sprachen im Deutschen auch von intransitiven Verben gebildet werden. In diesem Fall wird neben dem Reflexivum ein nicht-thematisches es realisiert, das als formaler Antezedens für das Reflexivum fungiert. (41) a. Dieses Buch liest sich leicht, b. Es schläft sich gut hier. Die Medialkonstruktion unterliegt allerdings bestimmten semantischen Beschränkungen, die nach Fagan (1992) aspektueller Natur sind: Lediglich Verben, die sich nach der Vendler-Klassifikation als Activities oder Accomplishments charakterisieren lassen, erlauben die Medialkonstruktion. Fagan erwähnt noch eine weitere Beschränkung, die sie als responsibility bezeichnet: Demnach muss das Objekt des Basisverbs in irgendeiner Form „verantwortlich" sein dafür, dass das durch die Medialkonstruktion charakterisierte Ereignis zustande kommen kann. Meines Erachtens lässt sich diese Beschränkung damit in Zusammenhang bringen, dass (aus unabhängigen Gründen, siehe Abschnitt 10.2.6) ein Modaladverb realisiert sein muss. Damit das möglich ist, muss das Subjekt der Medialkonstruktion eine Eigenschaft aufweisen, die in Bezug auf seine (durch das Verb ausgedrückte) Handhabbarkeit durch den Agens bewertet werden kann. Durch diese Beschränkung werden Medialkonstruktionen wie die in (42) blockiert. (42) a. §Dieses Buch kauft sich gut. b. §Freunde laden sich leicht ein.

10

Steinbach (2002) führt einige Medialkonstruktionen ohne Adverbial auf, die ich allerdings nicht völlig akzeptabel finde. Möglicherweise gibt es auch hier idiolektale Unterschiede.

205 Spanisch Eine modale, nicht ereignisbezogene Interpretation ergibt sich im Spanischen unter anderem bei reflexiven Verben, die auch die dekausative Lesart zulassen, wenn ein Modaladverbial realisiert ist. Das Subjekt ist in dieser Konstruktion dem Verb häufig nachgestellt (43a). Auch ohne explizites Adverbial ist die modale Lesart möglich (43b). (43) a. Se rasga el papel fâcilmente. 'Das Papier reißt sich leicht.'

b. Estas frutas se comen. 'Diese Früchte sind essbar.'

Russisch Im Russischen ist die modale Lesart bei imperfektiven 57'a-Formen möglich. Ein Modaladverbial ist wie im Spanischen nicht erforderlich. (44) a. Prövoloka gnèt-sja. Draht bieg-RM 'Der Draht lässt sich biegen. ' (Geniusienè 1987, 13)

b. Dver' ne otkryvajet-sja Tür nicht öffhet-RM 'Die Tür lässt sich nicht öffnen. '

Isländisch Die modale Lesart weist nach Anderson (1990, 252) das Verb heyra-st 'hörbar sein' auf. Valfells (1970) führt die Beispiele in (45) an, die der deutschen Medialkonstruktion entsprechen. Nach Valfells finden sich entsprechende Konstruktionen im Isländischen häufig. (45) a. Bökin sel-st vel. 'Das Buch verkauft sich gut.'

b. Hann Jjekki-st auöveldlega 'Er ist leicht zu erkennen.'

Schwedisch Im Schwedischen scheint die modale Lesart weder für sig- Verben noch für s-Verben vorzuliegen.

8.7

Die passivische Lesart

Deutsch Das Deutsche weist die passivische Lesart nicht auf. Es finden sich allerdings vereinzelte reflexive Verben, die eine Passiv-ähnliche Interpretation haben. (46) a. Das Buch findet sich schon irgendwann, b. Das tritt sich mit der Zeit platt. Spanisch Die passivische Lesart reflexiver Verben ist im Spanischen nur bei unbelebtem Subjektreferenten möglich. Dementsprechend sind Subjekte der 1. und 2. Person ganz ausgeschlossen. Anders als bei den dekausativen reflexiven Verben ist nach Babcock (1970) das

206 Subjekt bei der passivischen Lesart dem Verb im Allgemeinen nachgestellt. Bei unspezifischem Subjekt ohne Determinierer ist das die einzig mögliche Stellung, bei definitem, spezifischem Subjekt ist diese Stellung die weniger markierte. Eine oblique Agensphrase gilt nach den Grammatiken als ungrammatisch, wird aber produziert, wenn es sich um einen unbelebten, schwach kontrollierenden Agens handelt. (47) a. Se abren las puertas a las nueve. 'Die Türen werden um 9 geöffnet.'

b. Se cantaron himnos 'Hymnen wurden gesungen.'.

Obwohl auch die Möglichkeit der periphrastischen Passivbildung besteht, Uberwiegt in der gesprochene Sprache das Reflexivpassiv. Nach Butt & Benjamin (1988) und Cartagena & Gauger (1989) wird vor allem im imperfektiven Aspekt (Imperfekt, Präsens, Progressiv) das periphrastische Passiv vermieden und statt dessen das reflexive Passiv oder die Aktivform verwendet. Allerdings besteht nach Butt & Benjamin vor allem im lateinamerikanischen Spanisch eine wachsende Tendenz zur Verwendung des periphrastischen Passiv mitser 'sein'. Sowohl das periphrastische Passiv als auch das Reflexivpassiv unterliegen bestimmten Beschränkungen. Das periphrastische Passiv ist nach Butt & Benjamin nicht möglich (a) bei Verben, die kein eindeutig agentives Subjekt haben, (b) bei Verben, die mit einem indirekten Objektpronomen realisiert sind, sowie (c) in Kontexten, die ein zufälliges oder unbeabsichtigtes Zustandekommen der Handlung implizieren. Das ser-Passiv scheint demnach auf transitive Verben beschränkt zu sein, die einen S-Kontrolleur aufweisen. Das Reflexivpassiv dagegen kann nicht verwendet werden, um auf eine spezifische, abgeschlossene Situation zu referieren (vgl. (48)). (48) a. Se violaron las cerraduras Reflexivpassiv Tueron violadas las cerraduras. periphrastisches Passiv ,Die Schlösser wurden beschädigt.' b. ""'Guernica" se pintö en seis semanas Reflexivpassiv „Guernica" fue pintada en seis semanas. periphrastisches Passiv .„Guernica" wurde in sechs Wochen gemalt.' (Sole 1989) Russisch Während -sja im imperfektiven Aspekt Passivfunktion haben kann, liegt im perfektiven Aspekt eine periphrastische Passivkonstruktion mit dem Hilfsverb byt' 'sein' und dem Passivpartizip vor (vgl. (50)). Die Passivinterpretation eines mit -sja markierten imperfektiven Verbs scheint allerdings gegenüber den übrigen möglichen Lesarten nicht die präferierte zu sein, da sie nur zustande kommen kann, wenn das Subjekt nicht belebt ist oder das Verb eine andere Interpretation nicht zulässt, wie im Fall von obvinjät 'sja 'angeklagt werden' oder 'pojmät'sja 'ertappt werden'. Wie die Beispiele zeigen, kann auch beim Reflexivpassiv eine oblique Agensphrase realisiert werden. (49) Imperfektiv a. Myzakryvali ¿tu dver'. wir schließ.lMPERF DET Tür 'Wir schlössen diese Tür.'

207 b. Etadver' DET T ü r

zakryvala-s'

nami.

schließ.IMPERF-RM wir.INSTR

'Diese Tür wurde von uns geschlossen.' c.*Eta dver' byla zakryvana nami DET T ü r

(50) Perfektiv a. Myzakryli

AUX schließ.IMPERF.PART

wir.INSTR

(Babby 1975,298)

etudver'.

w i r schließ.PERF DET T ü r

'Wir haben diese Tür geschlossen.' b. Eta dver' byla zakryta nami. DET T ü r

AUX schließ.PERF.PART wir.INSTR

'Diese Tür ist von uns geschlossen worden.' c. *Eta dver' zakryla-s' nami DET Tür schließ.PERF-RM wir.INSTR

(Babby 1975,298)

Isländisch Nach Einarsson (1945/1972) können einige der st- Verben passivisch interpretiert werden, offensichtlich liegt aber kein produktives Reflexivpassiv wie im Russischen oder Spanischen vor. Das Beispiel in (51) legt darüber hinaus eher eine modale Lesart nahe.11 (51) Ekkert nichts.NOM

heyri-st

fyrir

fossinum.

hör-RM

wegen

Wasserfall.DEF.DAT

'Wegen dem Wasserfall kann man nichts hören.'

(Einarsson 1945/1972, 148)

Als weitere Belege für die passivische Lesart gibt Einarsson frettast 'gehört werden (Nachrichten)', spyrjast 'gehört werden (durch Fragen)', sjäst 'gesehen werden', fceöast 'geboren sein', reynast 'bewiesen seia\finnast 'gefunden sein' und skiljast 'verstanden sein' an. Schwedisch Neben dem periphrastischen Passiv mit bli 'werden' und Partizip Perfekt dient im Schwedischen das Suffix -s zur Passivierung. Das ¿-Passiv ist nach Ritte (1986) durativ, wird also nur für wiederholte, andauernde und habituelle Handlungen verwendet. Das periphrastische Passiv wird im Gegensatz dazu für abgeschlossene Handlungen verwendet. ¿-Passive können von transitiven und intransitiven Verben gebildet werden. Die Realisierung einer obliquen Agensphrase ist auch beim ¿-Passiv möglich (52c). (52) a. Bankerna stängs klockan 3. 'Die Banken werden um 3 geschlossen.' b. Han värda-s pä Dander dys djukhus. 'Sie wird im Krankenhaus von Dander behandelt.' c. Vardagsrummet städa-s av Sven. 'Das Wohnzimmer wird von Sven sauber gemacht.' (Ritte 1986,72) 11

Auch Valfells (1970) weist auf den semantischen Unterschied zwischen der passivischen Verwendung der st- Verben und der echten Passivinterpretation hin.

208

d. Nu ska det arbetas! 'Jetzt wird gearbeitet!' e. Här ska dansas, ser jag. 'Hier wird getanzt, wie ich sehe.'

(Hohnes & Hinchliffe 1994, 310)

Nach Holmes & Hinchliffe (1994) wird das Reflexivpassiv in der Umgangssprache selten gebraucht. Es findet sich eher in formalen Texten, insbesondere in Zeitungen. In der Umgangssprache wird das periphrastische Passiv (bli + Partizip) oder die unpersönliche Konstruktion (man + Aktivform) präferiert. Tendenziell wird das periphrastische Passiv eher mit belebtem (persönlichem) Subjekt verwendet, das Reflexivpassiv eher mit unbelebtem (unpersönlichem) Subjekt. Bei abstraktem Verursacher wird das Reflexivpassiv gegenüber dem periphrastischen Passiv präferiert.

8.8

Reflexiva tantum

Spanisch Parallel zu den Media tantum liegen in Sprachen mit Reflexivkonstruktionen „Reflexiva tantum" vor, die den gleichen semantischen Klassen angehören wie die Media tantum. In (53) sind Beispiele für die verschiedenen semantischen Klassen aufgeführt. (53) a. Emotionsverben entusiasmar-se 'sich begeistern' encaprichar-se 'versessen sein auf apiadar-se de 'Mitleid haben mit' b. Verben der Körperbewegung und Positionierung prosternar-se 'sich niederwerfen' arrodillarse '(niederknien' agazapar-se 'sich ducken' avecinar-se 'sich nähern' retraer-se 'sich zurückziehen' c. Verben, die emotive Sprechakte bezeichnen quejar-se 'sich beschweren' ufanar-se 'sich einer Sache rühmen' desdecir-se 'sich lossagen von, widerrufen' d. Verben, die nicht kontrollierbare Zustandswechsel bezeichnen agostar-se 'verdorren' ajar-se 'verblühen' desangrar-se 'verbluten' recrudecer-se 'sich verschlimmern' desmoronar-se 'zerfallen' encapotar-se 'sich bedecken (Himmel)'

209 Russisch Im Russischen fallen unter die Reflexiva tantum Verben der Bewegung und Positionierung, Emotionsverben und inhärent reziproke Verben, vgl. octanáblivat'sja 'stehen bleiben', sadit'sja 'sich setzen', otpravljáí'sja 'sich begebenpodmimát'sja 'sich erheben, steigen'; rádovat'sja 'sich freuen', veselit'sja 'sich vergnügen', bespokónt'sja 'besorgt sein', serdit'sja 'sich ärgern', interesová'sja 'sich interessieren', borót'sja 'kämpfen, ringen'. Die Positionswechselverben in (54) sind allerdings nur im imperfektiven Aspekt reflexiv, nicht im perfektiven: (54) Perfektiv le£' sest' stat'

Imperfektiv lozit'sja 'sich legen' sadit'sja 'sich setzen' stanovitsja 'sich stellen'

Isländisch Auch im Isländischen gehören zu den Reflexiva tantum unter anderem Emotionsverben, Kognitionsverben und Bewegungsverben. Pétursson (1981) fuhrt die folgenden Verben als Reflexiva tantum auf: eldast 'alt werden', ottast 'furchten', hnysast 'nachforschen', skjätlast 'sich irren', leidast 'sich unwohl fühlen', idrast 'bereuen*. Anderson (1990) erwähnt auch reziproke Reflexiva tantum wie agnúast 'ineinander greifen'. Nach Anderson (1990) können im Isländischen aus nominalen Personenbezeichnungen agentive reflexive Verben abgeleitet werden, deren Lesart der dynamischen Lesart des Mediums im Altgriechischen entspricht. Nach Anderson ist diese Ableitung relativ produktiv (Anderson 1990, 253). (55) draugur 'Geist' bjálfi 'Idiot' agöi 'unordentliche Person'

- drauga-st - bjálfa-st - agö-st

'langsam/wie ein Geist gehen' 'sich wie ein Idiot benehmen' 'unordentlich sein'

Unter die Media tantum fallen im Isländischen außerdem noch eine Reihe von Verben mit Satz- oder Infinitivkomplementen. Dazu gehören Raising-Verben wie virdast 'scheinen', synast 'scheinen', teljast 'geglaubt werden' und sjast 'gesehen werden' und Kontrollverben wie vonast 'hoffen', bjööast 'anbieten' und böglast 'verpfuschen'. Schwedisch Das Schwedische weist sowohl mit -s als auch mit sig gebildete Reflexiva tantum auf. Unter den Reflexiva tantum auf -s finden sich Emotionsverben, Kognitionsverben, Bewegungsverben und reziproke Verben (vgl. Holmes & Hinchliffe 1994, 307f). (56) Reflexiva tantum auf -s: a. Emotionsverben trivda-s 'gefallen' tyckta-s 'zufrieden sein.' blyga-s 'sich schämen' hoppa-s 'hoffen' c. Kognitionsverben minna-s 'sich erinnern'

b. Reziproke ena-s skilja-s brotta-s

Verben 'sich vereinigen' 'sich trennen' 'ringen'

d. Bewegungsverben färda-s 'reisen'

210 Im Gegensatz zu den nicht-agentiven Emotionsverben in (54a) sind agentive Emotionsverben nur mit sig möglich, einige können allerdings eine -i-Form und eine s/g-Form aufweisen (Ureland 1974, 337): (57) Agentive Emotionsverben mit sig brösta sig 'sich brüsten' förlita sig 'sich verlassen auf jämra sig 'jammern' äbäka sig 'sich lächerlich machen' (58) Emotionsverben mit -s- oder sig-Form glädja-s, glädja sig 'sich freuen' förivra-s, förivra sig 'sich ereifern' Auch sonst scheinen die mit sig gebildeten Reflexiva tantum überwiegend agentiv zu sein. Bei vielen handelt es sich um Bewegungsverben oder um Partikel- oder Präfixverben. (59) a. Han lär sig svenska. 'Er lernt Schwedisch.' b. Det färgar av sig. 'Das färbt ab.' c. Han angrade sig. 'Er bereute.' (Holmes & Hinchliffe 1994, 304)

8.9

d. gifta sig bege sig infinna sig förkyla sig förrira sig förivra sig

'heiraten' 'gehen' 'sich präsentieren' 'sich erkälten' 'verloren gehen' 'übertreiben'

Nicht-mediale Lesarten der Reflexivkonstruktion

Die hier betrachteten Sprachen unterscheiden sich in der Anzahl der nicht-medialen Verwendungen. Trotzdem finden sich aber auch Überschneidungen. Ich berücksichtige hier nur solche Konstruktionen, die relativ häufig sind. 8.9.1

Die unpersönliche Konstruktion

Sowohl im Spanischen als auch im Russischen findet sich eine unpersönliche Verwendung der Reflexivkonstruktionen. Das Status dieser Konstruktionen ist in den beiden Sprachen allerdings sehr unterschiedlich. Spanisch Die unpersönliche Konstruktion im Spanischen unterscheidet sich von der passivischen Lesart darin, dass keine Kongruenz zwischen dem thematischen Argument und dem Verb vorliegt. Das Verb ist in der unpersönlichen Konstruktion immer in der 3. Person Singular realisiert. Wie bei der passivischen Lesart ist das thematische Argument dem Verb nachgestellt. Die Konstruktion kann von intransitiven Basisverben ebenso gebildet werden wie

211

von transitiven Verben mit belebtem Objekt, bei denen die passivische Lesart nicht möglich ist. Nach Campos (1989) ist die unpersönliche Konstruktion auch mit unbelebtem Objekt möglich, generell scheint sie jedoch weniger etabliert zu sein. (60) a. Se vive bien aquí. 'Man lebt gut hier.'

b. Se mató a los cristianos 'Man tötete die Christen.'

(Babcock 1970,46)

Russisch Bei der unpersönlichen Konstruktion im Russischen handelt es sich nach Isacenko (1962/ 68) um eine sehr produktive Verwendung, die allerdings ebenfalls auf den imperfektiven Aspekt beschränkt ist. Das Subjekt des Basisverbs wird beim reflexiven Verb als Dativ-NP („Dativ der Person") realisiert. Die Konstruktion kann eine modale Interpretation haben. (61) a. Mne ne spit-sja. mir nicht schläft.lMPERF-RM 'Ich kann nicht schlafen.' b. Mne ne rabótaet-sja. mir

nicht arbeitet.lMPERF-RM

'Die Arbeit geht mir nicht so recht voran.' c. dúmaet-sja 'man möchte denken'

(Isacenko 1962/1968,455)

In dieser Konstruktion signalisiert das reflexive Verb im Kontrast zum Basisverb fehlende Kontrolle des Subjekts über die Handlung (vgl. (62)). Bei transitiven Verben wird das Subjekt des Basisverbs oblique realisiert, während das Objekt des Basisverbs als Subjekt fungiert. (62) a. Javspómnil étunoó' ich erinnere DET Nacht 'Ich erinnere mich an diese Nacht.' 8.9.2

b. Mne vspómnila-s' étanoó' mir erinnert-RM DET Nacht 'Diese Nacht kam mir in den Sinn.'

Objektlose Verben

Russisch und Schwedisch Eine kleine Klasse von transitiven Verben treten im Russischen und Schwedischen reflexiv ohne Objekt mit habitueller Interpretation auf: (63) a. Sobáka kusáet-sja. Hund beißt-RM 'Der Hund beißt/ist bissig.'

b. Krapíva zzét-sja. Brennessel brennt-RM 'Die Brennessel brennt.'

(64) a. Hunden bit-s. 'Der Hund beißt/ist bissig.' b. Kattenriv-s. 'Die Katze kratzt.' c. Nässlorna bränn-s. 'Die Brennessel brennt/kann brennen.'

Russisch

Schwedisch

(Holmes & Hinchliffe 1994, 308)

212 8.9.3

Aspektueile Lesarten

Das Reflexivum bei Partikel- und Präfixverben Im Deutschen, Schwedischen und Russischen finden sich bei den Präfix- und Partikelverben häufig reflexive Formen. Da die entsprechenden Verben oft resultativ sind, ist anzunehmen, dass das Reflexivum wie bei Resultativkonstruktionen ereignisstrukturell motiviert ist (vgl. Kaufmann & Wunderlich 1998, Rappaport Hovav & Levin 1999). (65) a. Er überfraß sich an der Torte, b. Er tobte sich aus. (66) a. Rebenok ob'-el-sja (blinami) Kind.NOM PRF-ess.perf-rm Blini.INSTR.PL 'Das Kind überaß sich an Blini.' b. u-bégat'-sja 'sich müde laufen' c. na-bégat'-sja 'sich auslaufen' (67) a. äta sig matt 'sich voll b. dricka sig otörstig 'sich satt trinken' c. gasig trött

'sichmüde laufen'

Russisch (Levin 1985, 183)

fressen'

Schwedisch

(Geniusiené 1987, 298)

Spanisch Ein aspektueller Effekt liegt auch im Spanischen bei den Konstruktionen unter (68) vor, die immer das Zuendefuhren der Handlung implizieren. (68) a. Juan se comió todo. 'Juan hat alles aufgegessen.' b. Juan se bebió toda la cerveza 'Juan hat das ganze Bier ausgetrunken.' c. Juan se leyó el libro en dos horas. 'Juan hat das Buch in 2 Stunden ausgelesen.' Eine rein aspektueile Funktion hat se in dem folgenden Beispiel, in dem es das Eintreten in einen Zustand markiert. Eine inchoative Interpretation haben im Spanischen auch reflexive deadjektivische Verben. (69) a. Juan durmió. 'Juan schlief.' b. Juan se durmió 'Juan ist eingeschlafen.' Nach Babcock (1970) tritt se bei Fortbewegungsverben mit belebtem Subjekt obligatorisch dann auf, wenn keine Ziel-PP realisiert ist. Ist eine Ziel-PP realisiert, bewirkt die (fakultative) Realisierung von se eine deiktische Interpretation ('weg von hier'). (70) a. Juanseva. 'Juan geht weg.' b. Juan va a le escuela. 'Juan geht zur Schule.'

213 c. Juan se va de Madrid. 'Juan geht von Madrid weg.' d. Juan (se) fue a la biblioteca. 'Juan ging (weg) zur Bibliothek.' Isländisch Nach Anderson (1990) verfügt das Isländische über deadjektivische reflexive Zustandswechselverben. Da kein kausatives Basisverb vorliegt, ist hier ebenfalls von einer aspektuellen Funktion der Reflexivmarkierung auszugehen. (71) eldast drapa-st 8.9.4

'älter werden' 'traurig werden'

-

eldri dapur

'älter' (Komparativ zu gamall 'alt') 'traurig'

Reflexive Kontrollverben im Isländischen

Wie schon in Zusammenhang mit den Reflexiva tantum erwähnt, verfügt das Isländische über reflexive Kontrollverben. Verben des Sagens können im Isländischen sowohl reflexiv als auch nicht reflexiv vorkommen. In der nicht-reflexiven Variante verhalten sie sich wie Kontrollverben: Das höchste Argument des eingebetteten Verbs wird als Objekt des Matrixverbs realisiert. Als Objekt kann auch ein Reflexivum realisiert werden. In der reflexiven Variante liegt dagegen kein Objekt vor. (72) a. Sigga segir sig elska Svein. S. sagt REFL lieben.iNF Sven 'Sigga sagt, sie liebt Sven.'

b. Sigga segi-st elska Svein. S. sagt-RM lieben.lNF Sven 'Sigga sagt, sie liebt Sven.'

Während bei anderen Kontrollverben das Subjekt des Matrixverbs im Nominativ realisiert wird, kann bei diesen reflexiven Kontrollverben das Subjekt alternativ den lexikalischen Kasus des eingebetteten Verbs aufweisen. Das gilt insbesondere, wenn es sich um einen Dativ handelt (vgl. Andrews 1990,206f). Obwohl eine entsprechende Konstruktion meines Wissens weder in den anderen Sprachen mit Reflexivkonstruktionen noch in Mediumsystemen vorliegt, gehe ich davon aus, dass die reflexiven Kontrollverben auf die gleiche Art analysiert werden können, wie die anderen reflexiven Verben mit medialen Lesarten (vgl. Abschnitt 9.2.9).

8.10

Zusammenfassung und Diskussion der Lesarten

Tabelle 8.2 gibt einen Überblick über die Lesarten, die die vorgestellten Sprachen aufweisen. Im oberen Teil der Tabelle sind die medialen Lesarten aufgeführt, im unteren die nicht-medialen. Die passivische Lesart ist keiner der beiden Gruppen zugeordnet, um ihren besonderen Status anzudeuten. Die Tabelle zeigt, dass das Russische über die meisten Lesarten verfügt, sowohl was die medialen als auch was die nicht-medialen Lesarten betrifft. Das Spanische weist ebenfalls

214 alle medialen Lesarten auf, mit der aspektuellen und der unpersönlichen Konstruktion aber weniger nicht-mediale. Das Isländische verfugt zwar über fast alle medialen Lesarten, anders als im Spanischen und Russischen liegen viele aber anscheinend nur bei wenigen Verben vor. Im Schwedischen liegen ebenso viele Lesarten vor wie im Deutschen, wobei sie sich jedoch komplementär auf zwei Markierungen verteilen. Deutsch Spanisch Russisch Isländisch Lesart direkt-reflexiv reziprok indirekt-reflexiv dekausativ: pseudo-reflexiv dekausativ: pseudo-passivisch modal kausativ-reflexiv passivisch aspektuell unpersönlich objektlos

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Schwedisch sig -s

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Tabelle 8.2: Mediale und nicht-mediale Lesarten der Reflexivkonstruktion Ich nehme an, dass das unterschiedliche Inventar an Lesarten unterschiedliche Entwicklungsstadien der Reflexivkonstruktion widerspiegelt. Bei der Auswertung der Tabelle ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Lesarten zum Teil einen unterschiedlichen Status haben. So handelt es sich bei der unter den medialen Lesarten aufgeführten reziproken Lesart nicht um eine unabhängige, genuine Mediumlesart, sondern um eine Lesart, die neben der direktreflexiven Lesart vorliegen kann, wenn eine reziproke Interpretation reflexiver Ausdrücke generell möglich ist. Die reziproke Lesart sollte also nur dann vorliegen, wenn beide Bedingungen erfüllt sind. Vor diesem Hintergrund ist das Vorliegen der reziproken Lesart bei den Schwedischen sVerben unerwartet. Zum einen kann das Reflexivpronomen sig im Schwedischen nicht reziprok interpretiert werden, so dass (a) nicht erfüllt ist. Zum anderen können s-Verben nicht die direkt-reflexive Lesart aufweisen (b). Da s-Verben neben der reziproken Lesart nur die objektlose und die passivische Lesart aufweisen, kann man davon ausgehen, dass sie nicht als mediale Verben zu klassifizieren sind. In Bezug auf die nicht-medialen Lesarten fällt auf, dass in allen Sprachen eine als 'aspektuell' klassifizierte Verwendung reflexiver Verben vorliegt. Das gilt auch für die schwedischen sig-Verben, die nur relativ wenige mediale Lesarten aufweisen. In den letzten Kapiteln habe ich dafür argumentiert, dass die Integration der passivischen Lesart zu einer Uminterpretation der Mediumfunktion führen muss. Evidenz für eine Uminterpretation kann sowohl ein Verlust als auch ein Zugewinn an Lesarten sein. Für die russischen sja-Verben und die schwedischen s-Verben scheint sich diese Annahme zu bestätigen: Beide weisen die passivische Lesart auf und verfügen daneben über auffällig viele (Russisch) bzw. wenige (Schwedisch) weitere Lesarten.

215 Die aspektuelle Lesart liegt jedoch auch in den Sprachen vor, die die passivische Lesart nicht aufweisen. Der Grund dafür liegt m.E. darin, dass die medialen Lesarten in Reflexivkonstruktionen durch ein nicht-thematisches nominales Element kodiert werden, das eine Position im 0-Raster besetzt. Untersuchungen zu Resultativkonstruktionen haben gezeigt, dass die syntaktische Realisierung der tiefsten Position im ©-Raster (das direkte Objekt) für die Interpretation der Ereignisstruktur relevant ist (vgl. z.B. Kaufmann 1995a, Kaufmann & Wunderlich 1998, Rappaport Hovav & Levin 1999). Unter der Annahme, dass das schwache Reflexivum bei den medialen Reflexivkonstruktionen eine nicht-thematische Position im 0-Raster besetzt, ist es naheliegend, dass es auch dazu verwendet werden kann, ereignisstrukturell erforderliche, aber thematisch nicht gestützte 0-Positionen zu realisieren. Ich gehe deshalb davon aus, dass das Auftreten des Reflexivums bei Präfix- und Partikelverben mit den medialen Lesarten von Reflexivkonstruktionen nur insoweit zusammenhängt, als sich seine nicht-thematische Verwendbarkeit erst mit der Entwicklung der medialen Lesarten etabliert. Hat sich diese Funktion erst einmal etabliert, dann kann es auch in anderen Konstruktionen mit nicht-thematischen ©-Positionen realisiert werden. Das Auftreten des Reflexivums bei Präfix- und Partikelverben ist demnach dadurch motiviert, dass das Präfix bzw. die Partikel eine Veränderung der Ereignisstruktur des Basisverbs bewirkt, die im ©-Raster durch eine nicht-thematische ©-Position reflektiert wird. Im Spanischen ist die aspektuelle Lesart noch produktiver. Ich möchte hier offen lassen, wie sie im Einzelnen abzuleiten ist, da mir keine Informationen über ihre Entwicklung vorliegen. Ich gehe jedoch davon aus, dass auch diese Verwendung dadurch motiviert sind, dass die tiefste Position im ©-Raster bei syntaktisch zweistelligen Verben ereignisstrukturell relevant ist. Damit ergibt sich aus Tabelle 8.2 folgendes Bild. Die passivische Lesart liegt im Russischen, Spanischen und beim schwedischen -s vor, im Deutschen und Isländischen dagegen nicht. Das Deutsche und das Isländische weisen keine relevanten nicht-medialen Lesarten auf. Auffallig ist, dass die Sprachen, die über ein Reflexivaffix verfugen, die indirektreflexive Lesart nicht zulassen. Es wäre zu prüfen, ob sich diese Beobachtungen auch bei weiteren Sprachen bestätigt. Ich möchte im nächsten Kapitel anhand des Deutschen und Spanischen diskutieren, wie die einzelnen Lesarten der Reflexivkonstruktionen zu analysieren sind. Zum Abschluss des sprachvergleichenden Überblicks über die Lesarten der reflexiven Verben sollen deshalb nur die Systeme des Isländischen, Russischen und Schwedischen bewertet werden.

8.11

Erweiterungen und Einschränkungen der Lesarten in Reflexivsystemen

8.11.1 Isländisch: Ein intaktes Medium-System Das Isländische weist außer der indirekt-reflexiven Lesart alle medialen Lesarten auf. Dass auch reflexive Verben mit idiosynkratischer Bedeutung in gewissem Umfang vorliegen, ist nicht überraschend. Auffällig ist, dass die st- Verben anders als andere Ableitungen eventuell vorliegende lexikalische Kasusmarkierungen ihres Subjekts nicht beibehalten. Sowohl

216 bei passivischer als auch bei dekausativer Lesart realisieren sie das höchste Argument immer im Nominativ, während sowohl beim periphrastischen Passiv als auch bei nichtreflexiven dekausativen Verben die lexikalische Kasusmarkierung des Basisverbs beibehalten wird. 12 Lexikalische Kasusmarkierungen der internen Argumente bleiben dagegen auch bei st-Verben generell erhalten (vgl. Anderson 1990, Zaenen & Maling 1990). Für die st- Verben liegt also Evidenz dafür vor, dass sich ihr ©-Raster von dem anderer abgeleiteter Verben unterscheidet. Die höchste Position im 0-Raster ist immer mit dem Merkmal - h r ausgezeichnet, während bei Passivierung die lexikalische Merkmalsauszeichnung erhalten bleibt. 13 Ich nehme deshalb an, dass st-Verben mit differenzierender Lesart im Kontrast zu den korrespondierenden nicht-medialen Verben ein anderes Argument als den kanonischen Kontrolleur in der höchsten, als - h r ausgezeichneten Position im 0-Raster realisieren, während der kanonische Kontrolleur unrealisiert bleibt. Wie bei den entsprechenden Mediumverben ergibt sich die jeweilige Lesart abhängig davon, wie der kanonische Kontrolleur gebunden wird. Wenn Andersons Annahme, dass die Personalendungen vor dem Reflexivaffix infigiert sind, richtig ist, kann man für das Isländische eine Analyse ansetzen, die der der Aktiv/Medium-Systeme entspricht, -st ist dann als eine Mediummarkierung zu betrachten, die einen als [+med] ausgezeichneten Stamm ableitet. 14 Von den so abgeleiteten Stämmen kann wie von den Aktivstämmen eine Passivform gebildet werden. Die reflexiven Kontrollverben lassen sich wie die anderen si-Verben analysieren, wenn man annimmt, dass sie das Argument des abhängigen Verbs ins ©-Raster projizieren. 15 (73) segjast: XV Xy Xs (SAY (x i; V(yO)(s) -hr

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Nach Anderson werden lediglich Experiencer-Subjekte bei 5/-Verben wie auch bei allen anderen Verben im Dativ realisiert. Welchen Status diese Dative im Gegensatz zu anderen lexikalischen Kasus haben, kann hier nicht geprüft werden. Zu einer Analyse des isländischen Kasussystems im Rahmen der LDG vgl. Wunderlich (2001). Ob für die lexikalische Merkmalsauszeichnung bei nicht-reflexiven „dekausativen" Verben das gleiche gilt, hängt davon ab, ob die intransitive Variante tatsächlich von der kausativen Variante abgeleitet ist. Andernfalls muss man davon ausgehen, dass das intransitive Verb eine lexikalische Kasusmarkierung aufweist, die das kausative Verb übernimmt. Ich möchte hier offen halten, ob die st-Verben mit differenzierenden Lesarten von den korrespondierenden Aktivformen durch eine Operation auf dem 0-Raster abgeleitet werden, oder ob wie für die Mediumformen ein unabhängig aufgebautes 0-Raster anzunehmen ist. Für eine Ableitung durch eine Operation auf dem ©-Raster könnte sprechen, dass die reflexiven Verben die gleichen lexikalischen Kasusauszeichnungen aufweisen wie die nicht-reflexiven Verben. Sofern diese Kasusauszeichnungen nicht semantisch motiviert sind, ist davon auszugehen, dass sie vom nicht-reflexiven Basisverb geerbt werden. Eine ähnliche Analyse schlägt Marantz (1984) vor. Er betrachtet Verben wie segjast als RaisingVerben, deren einziges Argument in der Subjektposition des eingebetteten Verbs basisgeneriert ist und in die Subjektposition des Matrixverbs bewegt wird. Marantz geht davon aus, dass die AgensRolle wie bei anderen medialen Verben dem Affix -st zugewiesen wird.

217 8.11.2 Russisch: Das Reflexivum als Markierung einer Detransitivierung Die produktivsten Lesarten von -sja sind die passivische, die unpersönliche und die dekausative Lesart. Die passivische Lesart steht demnach im Russischen nicht in Konflikt mit der dekausativen Lesart. Nach Kiparsky (1967, 196) besteht die heutige Verteilung von -sja seit dem 17. Jahrhundert. Über die Entwicklung der Lesarten liegt mir keine Information vor. Nach Vlasto (1986) lag die passivische Lesart der sja-Verben schon im Altslawischen vor, wenn sie auch, wie das Passiv überhaupt, nicht sehr häufig verwendet wurde. Babby (1998) betrachtet -sja als ein Diathesesuffix, das die zweit-prominenteste ©-Rolle externalisiert. Er geht davon aus, dass ein Diatheserahmen für jedes Verb festlegt, welche Abbildungen zwischen semantischen Argumenten und morphosyntaktischen Realisierungen möglich sind. Babby argumentiert, dass auch die Realisierung des Subjekts lexikalisch festgelegt sein muss, da sie nicht vorhersagbar ist. Welche Lesarten ein Verb aufweisen kann, ist durch seine Semantik bestimmt. Babbys Analyse ähnelt der hier für das Medium vorgeschlagenen Analyse insofern, als die Festlegung eines Diatheserahmens einen ähnlichen Status hat wie die Annahme von verschiedenen Stämmen mit gleicher SF, aber unterschiedlicher Argumentstruktur. Babbys Analyse von -sja erfasst allerdings nicht die objektlose Lesart. Das ist für seine Analyse insofern nicht von Bedeutung, als es sich bei den Verben, die diese Lesart aufweisen, nur um eine kleine Klasse handelt. Für die Frage, welche Funktionsveränderungen sich aus der Integrierung der passivischen Lesart ergeben können, spielt diese Frage allerdings eine Rolle.16 Obwohl die Entwicklung der Lesarten nicht zur Unterstützung herangezogen werden kann, lässt sich das Spektrum der im Russischen vorliegenden Lesarten mit einer der in Kapitel 7 vorgeschlagenen Strategien zur Integrierung der passivischen Lesart in Zusammenhang bringen: Eine Systemveränderung, die bewirkt, dass lediglich die Nicht-Realisierung eines (strukturellen) Arguments im ©-Raster kodiert wird, wurde in Kapitel 7 als mögliche Konsequenz der Strategie A angegeben. Nach Strategie A wird die passivische Lesart dadurch integriert, dass auch ein nicht ins ©-Raster abgebildeter kanonischer Kontrolleur als S-Kontrolleur interpretierbar ist. Die Mediummarkierung kann nach dieser Annahme nicht mehr dazu dienen, markierte Kontrollverhältnisse zu kodieren. Vor dem Hintergrund, dass alle Lesarten der i/a-Verben mit einer Intransitivierung einhergehen, wobei das realisierte Argument aufgrund seiner thematischen Eigenschaften aber entweder als Agens oder als Patiens bzw. Thema betrachtet werden kann, erscheint die Argumentreduktion als einzige verallgemeinerbare Gemeinsamkeit. Ich nehme deshalb an, dass die generelle Funktion von -sja darin besteht zu markieren, dass ein strukturelles Argument nicht ins ©-Raster abgebildet wird. Für die verschiedenen Lesarten sind jeweils unterschiedliche Ableitungsstrategien anzusetzen. Das Vorliegen der Reflexiva tantum wäre dann dadurch zu motivieren, dass es sich um Lexikalisierungen handelt, deren Reflexivmarkierung synchron nicht mehr transparent ist. Wie zu begründen ist, dass sich die passivische Lesart der sja-Verben nur im imperfektiven Aspekt etabliert hat, kann hier nicht endgültig entschieden werden. Eine mögliche Erklärung besteht darin, dass die passivische Lesart aus einer Übergeneralisierung der 16

Babby (197S) betrachtet auch die Tilgung des Objekts als eine mögliche Funktion von -sja.

218

modalen Lesart entstanden ist, die nur im imperfektiven Aspekt zur Verfügung steht. Allerdings scheint sprachübergreifend zu gelten, dass das Reflexivpassiv im Kontrast zum echten Passiv immer prozesshaft ist, auch wenn die Aspekte morphologisch nicht unterschieden sind. Das spricht dafür, dass ein prinzipieller Unterschied in der Repräsentation von Reflexivpassiv und echtem Passiv besteht, der auch dann erhalten bleibt, wenn, wie im Schwedischen, die passivische Lesart die einzige produktive Lesart des Reflexivmarkers ist.

8.11.3 Schwedisch: Das Reflexivum als Markierung der Agensblockierung Historisch geht das schwedische Suffix -s auf dasselbe Reflexivpronomen wie das Isländische -st zurück. Bis zum 7. Jahrhundert unterschieden sich die skandinavischen Dialekte nach Faarlund (1994) nur unwesentlich. Erst im Altskandinavischen (7. bis 15. Jahrhundert) entwickelten sich die beiden Hauptdialektregionen Westskandinavisch (Isländisch und Norwegisch) und Ostskandinavisch (Schwedisch und Dänisch). Während sich das -s im Schwedischen immer mehr zu einem Passivsuffix entwickelte, hat sich die passivische Lesart im Isländischen nicht als produktive Lesart etabliert. Im heutigen Schwedisch ist die passivische Lesart die einzig produktive Lesart der sVerben. Abgesehen von den Reflexiva tantum weisen s-Verben auch keine medialen Lesarten mehr auf. Da sowohl die reziproke als auch die objektlose Lesart nicht produktiv sind, kann man davon ausgehen, dass abgesehen von der passivischen Lesart im Schwedischen nur lexikalisierte s-Verben vorliegen. Im Schwedischen scheint demnach die zweite bei Strategie A anzunehmende Systemveränderung stattgefunden zu haben, bei der die medialen Lesarten verloren gehen und nur die passivische Lesart bleibt. Dass einige Verben die objektlose Lesart aufweisen, könnte möglicherweise darauf hindeuten, dass auch die sVerben im Schwedischen zwischenzeitlich dazu dienten, nicht nur die Blockierung des Agens, sondern die Blockierung eines beliebigen Arguments zu markieren.

9

Das Reflexiv als Derivationsmechanismus zur Ableitung markierter Kontrollstrukturen

9.1

Ansätze zu lexikalischen Reflexivkonstruktionen: Ein Überblick

Sowohl in der typologisch ausgerichteten Linguistik als auch in der theoretischen Linguistik liegt eine Fülle von Untersuchungen zu lexikalischen Reflexivkonstruktionen („Reflexiv") vor. Den umfangreichsten typologischen Überblick über Reflexivkonstruktionen sowohl in indoeuropäischen als auch in außer-indoeuropäischen Sprachen gibt Geniusiené (1987), deren Ansatz schon in Kapitel 1 vorgestellt wurde. Da Geniusienés Untersuchung wie auch die von Kemmer (1993) funktional ausgerichtet ist, ist sie nicht auf Reflexivkonstruktionen beschränkt, sondern bezieht auch Sprachen mit ein, die die relevanten Lesarten durch Derivationsaffixe kodieren. Geniusiené unterteilt die Lesarten aufgrund ihrer Argumentstruktur in drei Hauptklassen: Subjektive, objektive und transitive Reflexive. Unter die subjektiven Reflexive fasst sie diejenigen Lesarten, die trotz Argumentreduktion die thematischen Eigenschaften des Subjekts bewahren, also die direkt-reflexive, die pseudo-reflexive, die reziproke und die absolute (objektlose) Lesart.1 Unter die objektiven Reflexive fallen die pseudo-passivische, die modale, die passivische, die unpersönliche und die kausativ-reflexive Lesart. Bei den transitiven Reflexiven handelt es sich um die verschiedenen Varianten der indirekt-reflexiven Lesart. Geniusienés Unterscheidung von subjektiven und objektiven Lesarten macht ein Problem deutlich, das sich allen Analysen stellt, die eine einheitliche Behandlung der Lesarten anstreben. Obwohl die Reflexivierung eine semantische Detransitivierung markiert, unterscheiden sich die Lesarten darin, welche thematischen Eigenschaften das realisierte Argument aufweist. Vor dem Hintergrund, dass zumindest das Reflexivpronomen selbst syntaktisch als Objekt fungiert, stellt sich die Frage, wie die Abbildung zwischen den syntaktischen Komplementen und den semantischen Argumenten bei reflexiven Verben erfasst werden kann. Lexikalische und syntaktische Analysen im Rahmen von generativen Grammatikmodellen gehen davon aus, dass Reflexivkonstruktionen durch veränderte Selektionsbedingungen oder durch veränderte Linkingbedingungen des Verbs zustande kommen. Den Hintergrund für beide Analysetypen bildet das ©-Kriterium, nach dem semantische und syntaktische Argumente in einer l:l-Beziehung stehen. Das Problem, das die Reflexivkonstruktionen für das ©-Kriterium stellen, ist offensichtlich: Dem als Akkusativ-NP auftretenden Reflexivum entspricht zumindest bei einigen Lesarten kein semantisches Argument. Bei der dekausativen Lesart liegt nur ein einziges semantisches Argument vor, bei der passivischen und der modalen Lesart liegen zwar zwei semantische Argumente vor, das Agensargument lässt sich jedoch nicht ohne weiteres mit dem Reflexivum assoziieren. 1

Geniusiene setzt neben diesen Lesarten noch eine weitere an, die sie als 'partitive object' bezeichnet. In dieser Lesart ist lediglich ein Körperteil von der Handlung betroffen (sich rasieren, sich schminken, sich schneiden). Ich setze für diese Lesart keine eigene Klasse an.

220 Die meisten generativen Analysen behandeln das Auftreten des Reflexivums in der dekausativen Lesart als eine lexikalische Eigenschaft des Verbs, während ihm bei den Lesarten, bei denen ein impliziter Agens angenommen werden kann, die Funktion zukommt, dessen overte Realisierung auf die eine oder andere Art zu verhindern. Syntaktische Analysen (z.B. Haider 1985, Hoekstra & Roberts 1993, Manzini 1986, Rizzi 1986, Schachtl 1991, Streik 1992, 1998) gehen davon aus, dass Verben in Reflexivkonstruktionen die gleichen thematischen Eigenschaften aufweisen wie in nicht-reflexiven Kontexten. Die externe 0-Rolle wird in diesen Analysen entweder an das Reflexivum zugewiesen oder an ein syntaktisch leeres Objekt, das durch das Reflexivum gebunden wird (und als Anapher selbst vom Subjekt gebunden ist). Die Analysen unterscheiden sich darin, welcher syntaktische Status dem Reflexivum zugewiesen wird, was zum Teil auch durch den einzelsprachlich unterschiedlichen Status des Reflexivums als Klitikon (Italienisch) oder Pronomen (Deutsch) begründet ist. Eine ausführliche Diskussion verschiedener syntaktischer Ansätze findet sich in Steinbach (2002). Steinbach kommt zu dem Schluss, dass diese Analysen empirisch und konzeptuell nicht motiviert sind, da sie Strukturen ansetzen, für deren Vorliegen es keine sprachliche Evidenz gibt und die immer zusätzliche ad hocAnnahmen beinhalten. Darüberhinaus bieten sie keine Erklärung für die systematische Mehrdeutigkeit von Reflexivkonstruktionen. Sie beschränken sich entweder auf eine Lesart oder müssen mehrere Reflexiva mit unterschiedlichen syntaktischen Eigenschaften annehmen. Die meisten lexikalischen Analysen von Reflexivkonstruktionen gehen davon aus, dass Reflexiva neben ihrer anaphorischen Verwendung auch detransitivierende Funktion haben können. Das schwache Reflexivum wird in diesen Fällen als valenzreduzierendes Morphem behandelt, das die Projektion des externen Arguments blockiert bzw. die externe 0-Rolle absorbiert (vgl. z.B. Williams 1981, Grimshaw 1982, Wehrli 1986, Cinque 1988, Fellbaum & Zribi-Hertz 1989, Fagan 1992, Ackema & Schoorlemmer 1994, 1995). Gegen Analysen, die eine Absorption der Agens-0-Rolle durch das Reflexivum annehmen, wendet Dobrovie-Sorin (1998) ein, dass 0-Rollen an Argumentpositionen zugewiesen werden müssen und nur über Kettenbildung auf andere Argumente oder Klitika übergehen können. Bei den nicht-agentiven Lesarten können Reflexivum und Agensrolle aber nicht Glieder einer Kette sein.2 Für die verschiedenen Lesarten werden auch in lexikalischen Analysen meistens unterschiedliche Ableitungen angenommen, in vielen Fällen auch die Existenz von mehreren Reflexiva. Zubizaretta (1982, 1987) setzt beispielsweise für das Französische drei verschiedene se an: 1. die nominale Anapher se, die in den reflexiven Lesarten und der unpersönlichen Konstruktion auftritt, ein Verbalaffix se, das die externe ©-Rolle bei der dekausativen Lesart tilgt und das Medium se, das die Zuweisung der externen 0-Rolle an den Agens blockiert. Cinque (1988) nimmt für das Italienische sogar fünf unterschiedliche si an, die sich unter anderem in ihrem Argumentstatus unterscheiden. Wehrli (1986) ist einer der wenigen, die eine einheitliche Funktion des Reflexivums bei den reflexiven und den übrigen medialen Lesarten ansetzen. Er nimmt für das Französische 2

Dobrovie-Sorin selbst nimmt an, dass die verschiedenen Lesarten dadurch zustande kommen, dass Prädikate generell ihre externe 0-Rolle nicht zuweisen müssen. Welche Lesart bei den einzelnen Verben zustande kommen kann, ergibt sich aus der Semantik des Verbs. Diese Analyse ähnelt der hier vorgeschlagenen.

221 an, dass se die Funktion hat, ein Argument zu absorbieren. Welches Argument absorbiert wird, ist nicht festgelegt. Die reflexive Lesart kommt zustande, wenn das interne Argument absorbiert ist, die modale Lesart, wenn das externe Argument absorbiert ist. Bei der dekausativen Lesart ist ebenfalls das externe Argument absorbiert, hier ist die Absorption jedoch lexikalisiert. Bei inhärent reflexiven Verben liegt ebenfalls eine lexikalisierte Absorption vor, hier geht Wehrli davon aus, dass das interne Argument absorbiert ist. Wehrlis Analyse unterscheidet sich von anderen generativen Analysen vor allem darin, dass auch die reflexive Lesart durch Argumentabsorption abgeleitet wird. Als Evidenz für die Absorptionsanalyse gilt, dass reflexivierte Verben sich in bezug auf NP-Extraktion (präsentationeile Kontexte) und Kausativierung wie intransitive Verben verhalten (Grimshaw 1982, Wehrli 1986).3 Wie die Beispiele in (1) für das Französische illustrieren, ist NPExtraktion bei intransitiven und reflexiven Verben möglich, bei transitiven dagegen nicht. (1)

Französisch a. Un train passe toutes les heures. 'Stündlich fahrt ein Zug vorbei.' b. II passe un train toutes les heures. 'Es fahrt stündlich ein Zug vorbei.' c. Trois mille hommes ont dénoncé la décision. 'Dreitausend Menschen haben die Entscheidung verurteilt.' d. *I1 a dénoncé la décision trois mille hommes. *Es haben dreitausend Menschen die Entscheidung verurteilt.' e. Il s'est dénoncé trois mille hommes ce mois-ci. 'Es haben sich dreitausend Menschen in diesem Monat verurteilt.' (Grimshaw 1982, 112)

Bei Kausativierung verhalten sich reflexive Verben ebenfalls wie intransitive, indem sie den Causee im Akkusativ realisieren, während der Causee bei kausativierten transitiven Verben im Dativ realisiert wird. (2)

Französisch a. Il fera boire un peu de vin '"son enfant/à son enfant 'Er wird sein Kind (*AKK/DAT) ein bisschen Wein trinken lassen.' b. J'ai fait partir Jean/*à Jean 'Ich habe Jean (AKK/*DAT) gehen lassen.' c. J'ai fait s'endormir les enfants/*aux enfants 'Ich habe die Kinder (AKK/*DAT) einschlafen lassen.' (Grimshaw 1982, 120/123)

Als Evidenz dafür, dass die romanischen reflexiven Verben als unakkusative Verben zu betrachten sind, wird häufig die Perfekt-Auxiliarselektion im Italienischen angeführt: Wie

3

Carmen Kelling hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass die Grammatikalität der Belege in (le) und (2c) fraglich ist. Möglicherweise ist also eine Klassifizierung der reflexiven Verben im Französischen als intransitiv nicht angemessen.

222 unakkusative Verben werden reflexive Verben mit dem Auxiliar esse 'sein' realisiert, während transitive und unergative Verben mit avere 'haben' auftreten:4 (3)

Italienisch a. Gianni e arrivato. 'Gianni ist angekommen.' b. Gianni ha camminato. 'Gianni ist gegangen.' c. Gianni ha veduto un gatto. 'Gianni hat eine Katze gesehen.' d. Gianni si e veduto. 'Gianni hat sich gesehen.' (Grimshaw 1990, 156)

unakkusativ unergativ transitiv reflexiv

Auch wenn Wehrlis Ansatz für Sprachen angemessen zu sein scheint, in denen reflexivierte Verben als intransitiv zu klassifiziern sind, übergeneralisiert er aber in Bezug auf Sprachen, in denen syntaktische Reflexivkonstruktionen sich anders verhalten als Reflexivkonstruktionen mit direkt-reflexiver Lesart (vgl. die Tests in Abschnitt 8.3). Für diese Sprachen stellt sich bei Wehrlis Analyse das Problem, wie gewährleistet werden kann, dass nur bei einer Teilklasse der transitiven Verben das interne Argument absorbiert werden kann. Reinhart & Reuland (1993) unterscheiden zwischen intrinsisch und extrinsisch reflexiven Prädikaten, um die Verben mit direkt-reflexiver Lesart von anderen transitiven Verben abzugrenzen. Bei intrinsisch reflexiven Prädikaten ist das Verb selbst reflexiv markiert und kann zusätzlich morphologisch (durch ein schwaches Reflexivum) als reflexiv markiert sein oder nicht. Transitive Verben können dagegen nur durch ein starkes Reflexivum extrinsisch reflexiviert werden. Nur starke Reflexiva sind demnach Reflexivierer, während schwache Reflexiva lediglich das Vorliegen einer reflexiven Interpretation markieren können.5 Unter dieser Annahme ist die Absorption einer 0-Rolle durch das Reflexivum nicht erforderlich. Eine solche Analyse verlagert die Ableitung der Lesarten der Reflexivkonstruktionen in die Semantik. Reinhart (1996,2000) beschäftigt sich dementsprechend mit der Frage, durch welche semantischen Prinzipien die jeweiligen Lesarten abgeleitet werden können.

4

5

Aisina (1996) zeigt allerdings, dass sich die Subjekte reflexiver Verben in Bezug auf eine Reihe von Tests nicht wie interne Argumente und damit auch nicht wie Subjekte unakkusativer Verben verhalten. Diese Tests betreffen jedoch nur die thematischen Eigenschaften des Arguments, nicht die Tatsache, dass es sich um intransitive Verben handelt. König & Siemund (1999) wenden gegen diese Klassifizierung ein, dass zur Reflexivierung im Deutschen im Allgemeinen das moiphologisch einfache sich und nur in Ausnahmefällen das morphologisch komplexe sich selbst realisiert wird. Dieser Einwand ist berechtigt, wenn (wie bei Reinhart & Reuland) die Klassifizierung als starkes oder schwaches Reflexivum allein aufgrund der morphologischen Komplexität vorgenommen wird. Eine differenziertere Klassifizierung der Reflexiva schlägt Kiparsky (2002) vor.

223 9.2

Neuere Sichtweisen auf lexikalische Reflexivkonstruktionen: Eine Auswahl

9.2.1

Reinharts Analyse der lexikalischen Argumentreduktion

Reinhart (1996) geht davon aus, dass Verbvarianten, die sich in ihrer Stelligkeit unterscheiden, auf einem Lexikoneintrag mit einer gemeinsamen thematischen Struktur basieren. Die verschiedenen Varianten werden durch lexikalische Operationen aus diesem Eintrag abgeleitet. Für die Argumentreduktion stehen zwei Operationen zur Verfügung: 'Sättigung' (.Saturation) und 'Reduktion' (reduction). Sättigung besteht in der existenziellen Bindung eines Arguments und liegt z.B. bei Passivierung vor, während Reduktion zwei Argumente identifiziert, und so eine Relation zu einem einstelligen Prädikat reduziert. Ein typisches Beispiel für Reduktion ist die intrinsische Reflexivierung, wie sie bei der intransitiven Variante des englischen Verbs wash vorliegt. Die beiden Operationen sind in (4) aufgeführt. (4)

Operations on © roles a. wash: ©1 ©2 b. Saturation: 3x (wash (x ©2)) Max was washed 3x (x washed Max) c. Reduction: R(wash) ©1 (R(wash))(x) (x wash x)

(Reinhart 1996, 6)

In einem zweiten Schritt modifiziert Reinhart die Reduktionsoperation, um auch Dekausativierung zu erfassen: (5) Reduction-. a. V©, © 2 -> R(V) (©„) b. R(P)(x) P(x,x)

(Reinhart 1996, 10)

Reduction legt damit nicht mehr fest, welche ©-Rolle des Verbs syntaktisch offen bleibt. Durch die Reduktionsoperation wird ein syntaktisch intransitives Verb abgeleitet, das in manchen Sprachen durch ein schwaches Reflexivum markiert werden muss, in anderen nicht. Dass nicht beliebige Argumentstrukturen abgeleitet werden können, erklärt Reinhart durch Beschränkungen, die die Reduktion bestimmter thematischer Rollen ausschließen. Dazu klassifiziert sie die thematischen Rollen mit Hilfe der Merkmale [c] 'cause change' und [m] 'mental State involved'. Das Merkmal [m] soll die Eigenschaften Intentionalität und Volitionalität umfassen, die Agensargumente von Verursachern und Experiencer von Thema- und Patiensargumenten unterscheiden. (6) [c]

[m]

agent +

+

cause/instrument +

-

theme(patient)

-

experiencer

+

(Reinhart 1996, 16) Mit Hilfe dieser Merkmale definiert Reinhart verschiedene Verbklassen. So charakterisiert sie unakkusative Verben als solche, deren Konzept eine reduzierte [+c]-Rolle enthält. Demnach sollte es keine unakkusativen Verben geben, die nicht über eine korrespondierende kausative Variante verfugen. Darüber hinaus muss nach dieser Annahme bei allen

224

kausativ/inchoativ-Verbpaaren die transitive Variante die zugrundeliegende sein.6 Reinhart (1996) argumentiert, dass die Anwesenheit eines [+c] Arguments für den von Levin & Rappaport (1995) beobachteten Effekt verantwortlich ist, dass bestimmte intransitive Verben mit von selbst kombinierbar sind {Die Vase ist von selbst zerbrochen.) andere dagegen nicht (§Die Juwelen funkelten von selbst.). Während Levin & Rappaport diesen Unterschied darauf zurückführen, dass verschiedene Ereignistypen vorliegen, geht Reinhart davon aus, dass unterschiedliche Lexikoneinträge vorliegen, die sich durch die Anwesenheit oder Abwesenheit eines [+c]-Arguments charakterisieren lassen. Während die kausative Variante von kausativ/inchoativ-Verbpaaren lediglich über eine [+c]-Rolle verfügt, ist nach Reinharts Vorstellung für lexikalische Kausativierungen charakteristisch, dass ein [+c +m]-Argument eingeführt wird. Dass nicht bei beliebigen Verben eine Reduktion der höchsten @-Rolle vorgenommen werden kann, erklärt Reinhart nun durch eine Reduktionsbeschränkung: (7)

Constraint on role reduction A thematic role specified as [+m] cannot be reduced.

Daraus ergibt sich, dass zwar von kausativen Verben, deren höchste 0-Rolle als [+c] ausgezeichnet ist, eine nicht-agentive Variante abgeleitet werden kann, aber nicht von Verben wie waschen, deren höchstes Argument als [+c +m] ausgezeichnet ist.7 Die Merkmalsauszeichnung [+m] erfüllt damit die gleiche Funktion wie die von mir vorgenommene Forderung, dass Aktivitätsverben einen S-Kontrolleur aufweisen müssen: Sie verhindert die Reduktion eines Agensarguments bei Aktivitätsverben. Während Reinhart dementsprechend die Reduzierbarkeit des Causers mit dem Fehlen des entsprechenden Merkmals erklärt, ergibt sich die Reduzierbarkeit im hier vorgestellten Ansatz daraus, dass aufgrund der Verbsemantik auch bei fehlendem Causer die Referenz auf ein Ereignis möglich ist. Der Vorteil der S-Kontrolleur-Analyse gegenüber der 'mental s/a/e'-Analyse zeigt sich bei der modalen Lesart. Auch hier nimmt Reinhart an, dass der Agens nicht reduziert werden darf, und geht dementsprechend davon aus, dass das Argument wie beim Passiv 6

7

Reinhart gibt zwar zu, dass es schwierig ist, Argumente dafür zu finden, dass generell die inchoative Verbform von der kausativen Form abgeleitet sein soll und nicht umgekehrt, bezeichnet aber moiphologische Evidenz als irrelevant, da es sowohl Verbpaare gibt, bei denen die kausative Variante morphologisch komplexer ist, als auch Verbpaare, bei denen die inchoative Variante komplexer ist, ohne dass sich dadurch syntaktische Unterschiede ergeben. Diese Argumentation ist m.E. schwer nachzuvollziehen, da sich syntaktische Unterschiede nur dadurch ergeben sollten, dass unterschiedliche Argumentstmkturen vorliegen, und nicht dadurch, ob eine abgeleitetes Verb oder ein nicht abgeleitetes Verb vorliegt. Festzuhalten ist, dass Reinharts Analyse der kausativ/inchoativ-Verbpaare nicht mit der Beobachtung von Haspelmath (1993) verträglich ist, dass die höhere Wahrscheinlichkeit des spontanen (nicht verursachten) Vorkommens eines transitiv oder intransitiv konzeptualisierbaren Ereignisses sich im typologischen Vergleich darin niederschlägt, dass die intransitive Variante häufiger weniger komplex ist als die transitive. Obwohl es sowohl Sprachen gibt, die präferiert transitive Verben aufweisen, als auch Sprachen, die präferiert intransitive Verben aufweisen, können in den meisten Sprachen beide Muster vorliegen. Vor diesem Hintergrund ist morphologische Evidenz m.E. zentral für eine Beurteilung der Ableitungsrichtung. Unklar ist, wie Reinhart (1996) Verwendungen wie Der Regen wäscht den Staub von den Blättern Rechnung trägt.

225 existenziell gebunden ist ('Sättigung'). Damit erfasst sie allerdings nicht den Zusammenhang zwischen der Realisierung/Nichtrealisierung des Agens und den Referenzeigenschaften des Verbs, der deshalb stipuliert werden muss. Während das Merkmal 'mental State' nicht mit den Referenzeigenschaften in Verbindung gebracht werden kann, ist SKontrolle für die Referenzeigenschaften des Verbs relevant. Da sich die Beschränkung der dekausativen Lesart auch ohne das Merkmal [+m] erklären lässt, ergibt sich aus Reinharts Klassifizierung der @-Rollen kein Vorteil gegenüber der hier vertretenen Analyse. Reinharts Analyse geht davon aus, dass die verschiedenen medialen Lesarten durch lexikalische Operationen zustande kommen, die die syntaktisch zu realisierenden Argumente reduzieren. Die Operationen zur Argumentreduktion stehen universal zur Verfügung. Ihre Anwendung ist lediglich dadurch beschränkt, dass bestimmte Argumente aufgrund ihrer thematischen Eigenschaften nicht reduzierbar sind. Ob diese Reduktionsoperationen morphologisch markiert werden, ist sprachspezifisch festgelegt. Unklar ist nach Reinharts Analyse, warum die medialen Lesarten in Sprachen wie dem Englischen nicht morphologisch markiert werden müssen, während das Passiv immer morphologisch markiert sein muss. Da die medialen Lesarten entweder durch Reduktion oder (wie das Passiv) durch Sättigung zustande kommen, ist ein solcher Unterschied eher unerwartet. Dieses Problem ließe sich möglicherweise umgehen, wenn alle medialen Lesarten durch Reduktion abgeleitet würden, so dass sie vom Passiv abgrenzbar sind. Das ist jedoch nur dann möglich, wenn man die Beschränkung fallen lässt, dass durch [+m] ausgezeichnete Argumente nicht reduziert werden dürfen. Nur dann kann auch die modale Lesart durch Reduktion abgeleitet werden. Da beide Operationen zur Ableitung der medialen Lesarten herangezogen werden können, erscheint es in Reinharts Analyse eher zufällig, dass zur morphologischen Markierung gerade ein Reflexivum verwendet wird, da die Koindizierung der Rollen nur eine Möglichkeit der Argumentreduktion darstellt. Eine Analyse, die eine einheitliche Ableitung der medialen Lesarten vornimmt und in der Vindizierende Funktion des Reflexivums eine Rolle spielt, schlägt Steinbach (2001, 2002) vor. Da die Grundannahmen dieser Analyse einige Parallelen zu der in Abschnitt 9.5 zu entwickelnden lexikalischen Analyse aufweisen, möchte ich sie hier kurz vorstellen.

9.2.2

Steinbachs post-syntaktische Analyse

Steinbach (2001, 2002) analysiert die Reflexivkonstruktionen des Deutschen im Rahmen des 'Minimalistischen Programms' von Chomsky (1995), in dem die syntaktische Struktur den Input der semantischen Interpretationen bilden. Die verschiedenen Lesarten ergeben sich demnach erst post-syntaktisch, bedingt durch die Eigenschaften des schwachen Reflexivums und die spezifische Bedeutung der jeweiligen Verben. Steinbach geht davon aus, dass sich die syntaktische Struktur medialer Reflexivkonstruktionen im Deutschen nicht von der von nicht-medialen Reflexivkonstruktionen unterscheidet. Die charakteristischen Unterschiede ergeben sich allein daraus, dass die schwachen Reflexiva, die in den medialen Konstruktionen auftreten, in Bezug auf das Merkmal [R] ('referenzielle Unabhängigkeit') unterspezifiziert sind. Schwache Reflexiva können deshalb entweder selbst an ein semantisches Argument gelinkt werden, oder das Linking eines anderen Arguments vermitteln. Im ersten Fall haben sie Argument-Status, im zweiten Fall nicht. Nicht-

226 Argument-Reflexiva können Valenzreduktion anzeigen. In diesem Fall markieren sie, dass das höchste Argument des Verbs nicht syntaktisch gelinkt ist. Es kann entweder semantisch implizit oder getilgt sein. Steinbach nimmt die von Reinhart & Reuland (1993) eingeführte allgemeine Bedingung für A(rgument)-Ketten an, die sowohl für die Argument-Bindung als auch für die Argument-Bewegung relevant ist. Dabei folgt er der Annahme von Fox (1993), dass Koindizierung reflexiv ist, so dass auch einzelne Argumente maximale A-Ketten bilden.8 (8)

Generelle Bedingung für A-Ketten (Reinhart & Reuland 1993) Eine maximale A-Kette (ai, ..., otn) enthält genau ein Element - a t - , das sowohl [+R]- als auch Kasus-markiert ist.

Für [-R]-Elemente gilt, dass sie immer Glied einer A-Kette sein müssen, deren Kopf ein [+R]-Element ist. Da schwache Reflexiva in bezug auf [R] nicht spezifiziert sind, können sie beide Werte annehmen. Im ersten Fall müssen sie den Kopf einer eigenen maximalen Kette bilden und werden damit als Argumente interpretiert. Im zweiten Fall müssen sie in eine andere Kette integriert werden, deren Kopf ein [+R]-Ausdruck ist. Dann ergibt sich die Nicht-Argument-Lesart. Steinbach nimmt Chomsky (1995) folgend an, dass die strukturellen Kasusmerkmale von DPs in einer erweiteren Projektion von V gecheckt werden müssen (AgrS für Nominativ und AgrO für Akkusativ). Durch die Bewegung der DPs werden in transitiven Sätzen zwei Ketten gebildet: (9)

Ugrsp NP-Nom, [ AvOP NP-Akk2 [VP t, [v-12 Vo]]]]

Die Ketten werden in den VP-internen Positionen interpretiert. Die Position Spec VP wird immer mit dem ersten semantischen Argument des Verbs gelinkt, die Komplement-Position von Vo mit dem zweiten. Reflexivpronomen in Spec AgrOP können entweder als [+R] oder als [-R] interpretiert werden. Wenn das Reflexivum ein [+R]-Pronomen ist, bildet es selbst eine Kette, so dass beide Ketten jeweils an ein semantisches Argument gelinkt werden. Aufgrund der Forderung, dass lokal o-kommandierte Reflexiva lokal o-gebunden sein müssen (Pollard & Sag 1994), werden die beiden Argument koindiziert. O-Kommando definiert Steinbach in Bezug auf eine generelle Obliqueheitshierarchie (Nom > Akk > Dat > andere). O-Bindung ist Koindizierung bei O-Kommando. Da ein [-R]-Reflexivum Element einer Kette sein muss, die einen [+R]-Kopf aufweist, muss es mit der ersten Kette koindiziert werden. Daraus ergibt sich, dass ein [-R]-Reflexivum immer Teil einer komplexen Kette sein muss, deren Kopf über die Komplementposition von Vo gelinkt wird. Die komplexe A-Kette ist also immer an das zweite semantische Argument des Verbs gelinkt, während das erste nicht gelinkt werden kann. 8

Um zu erfassen, dass das schwache Reflexivum in der deutschen Medialkonstruktion nicht im Dativ auftreten kann, nimmt Steinbach an, dass zu den syntaktischen Argumenten, für die die AKetten-Bildung relevant ist, nur die gehören, denen struktureller Kasus zugewiesen wird. Als strukturelle Kasus betrachtet Steinbach für das Deutsche Nominativ und Akkusativ. Daraus ergibt sich, dass die Dativ-Reflexiva bei der direkt-reflexiven Lesart nicht als schwache Reflexiva analysiert werden können. Die indirekt-reflexive Lesart kann demnach nicht parallel zur direktreflexiven abgeleitet werden.

227 Nicht gelinkte Argumente werden durch entsprechende semantische Operationen entweder getilgt oder durch einen Operator gebunden. Steinbachs Analyse ist insofern attraktiv, als sie eine einheitliche strukturelle Behandlung der verschiedenen Reflexivkonstruktionen vornimmt. Damit ist es möglich, das sprachübergreifend zu beobachtende Auftreten der verschiedenen Lesarten der Reflexivkonstruktion zu motivieren: Es ergibt sich daraus, dass die semantische Klassifikation der Verben, die bestimmt, welche semantische Bindungsmöglichkeiten für das nicht realisierte Argument zur Verfugung stehen, in allen Sprachen gleich ist. In dieser Hinsicht entspricht Steinbachs Ansatz der hier vertretenen Analyse, die allerdings keine syntaktische, sondern eine lexikalische Ableitung der Reflexivkonstruktionen annimmt.9 Wie Steinbach gehe ich davon aus, dass es das Vorliegen des schwachen Reflexivums ist, das erzwingt, dass die höchste ©-Rolle nicht realisiert werden kann. Ich nehme jedoch an, dass das Auftreten des schwachen Reflexivums ein Effekt davon ist, dass das ©-Raster eine nicht-thematische, mit einer anderen ©-Rolle koindizierte Argumentposition aufweist. Reflexive Verben verfugen damit über eigene Lexikoneinträge, und werden nicht, wie von Steinbach angenommen, erst in der Syntax abgeleitet. Die von mir vertretende Position entspricht damit eher der von Bierwisch (1997b), die im nächsten Abschnitt vorgestellt werden soll.

9.2.3

Bierwisch (1997b): Die Markierung unechter Argumentpositionen durch Reflexivierung

Bierwisch nimmt ein generelles semantisches Prinzip an, nach dem einer Argumentposition das Merkmal [+refl] zugewiesen wird, wenn sie von einer „unechten" (= nicht-thematischen) Argumentposition dominiert wird. Dabei ist unter einer unechten Argumentposition eine Position im ©-Raster zu verstehen, der kein Argument in der Semantischen Form entspricht. Für Verben mit kausativer und reflexiv markierter dekausativer Variante setzt Bierwisch einen gemeinsamen Lexikoneintrag an, in dem die kausative Komponente als fakultativ markiert ist. In der dekausativen Lesart fehlt die kausative Komponente, so dass Xx als unechtes Argument zu betrachten ist. Dementsprechend wird dem tieferen Argument das Merkmal [+refl] zugewiesen. (10) a. öffnen: b. kausative Lesart: c. dekausative Lesart:

Xy Xy Xy

Xx Xs [s INST [(x CAUSE) [BECOME [OPEN y]]]] Xx Xs [s INST [x CAUSE [BECOME [OPEN y]]]] Xx Xs [s INST [BECOME [OPEN y]]] [+refl]

Zur Ableitung der Medialkonstruktion setzt Bierwisch Templates an, die das höchste Argument intern binden und die Argumentstruktur des Basisverbs um ein unechtes Argument (bzw. bei intransitiven Verben um zwei unechte Argumente) erweitern und so die Einfuhrung eines Reflexivums erzwingen. Steinbach (2001, 94ff) kritisiert an dieser Analyse £

Steinbach beschränkt sich nicht auf die hier skizzierte syntaktische Analyse, sondern diskutiert ausfuhrlich auch die semantischen und pragmatischen Eigenschaften von Reflexivkonstruktionen, wobei er in vielen Punkten zu Ergebnissen kommt, die den hier vorgestellten entsprechen.

228

allerdings, dass sie zum einen Medialkonstruktionen von ditransitiven Verben nicht erfassen kann und zum anderen bei zweistelligen Verben mit lexikalischen Dativ-Objekten zu falschen Strukturen fuhrt. In beiden Fällen wäre nach Bierwischs Analyse zu erwarten, dass das Dativ-Argument als Subjekt realisiert wird. Statt dessen sind jedoch Medialkonstruktionen, in denen das frühere Dativ-Argument als Subjekt realisiert ist, ungrammatisch (vgl. (IIa)), während im Fall von zweistelligen Verben mit lexikalischen Dativ-Objekten der Dativ in der Medialkonstruktion erhalten bleibt und wie bei Medialkonstruktionen von intransitiven Verben ein expletives es als Subjekt fungiert (vgl. (1 lb) vs. (c)). (11) a. * Japaner verkaufen sich diese Souvenirs leicht. b. * Gelbe Autos folgen sich gut. c. Gelben Autos folgt es sich gut. Unbefriedigend an Bierwischs Analyse ist auch, dass sie es nicht erlaubt, die reflexiven Lesarten auf die gleiche Art abzuleiten wie die nicht-reflexiven. Steinbachs Analyse wiederum deckt nur solche Reflexivkonstruktionen ab, die das schwache Reflexivum in der direkten Objektposition realisieren. Reflexivkonstruktionen mit indirekt-reflexiver Lesart lassen sich mit dieser Analyse nicht erfassen. Ich möchte im Folgenden eine lexikalische Analyse der Reflexivkonstruktionen vorschlagen, die der des Mediums weitgehend entspricht. Ich nehme an, dass in Sprachen mit Reflexivkonstruktionen für Aktivitätsverben generell die Möglichkeit besteht, eine Variante mit einem nicht-thematischen Reflexivum zu bilden. Die Funktion dieser Variante entspricht der der Mediumformen: Markierung von abweichenden Kontrollverhältnissen. Beschränkt sind Reflexivkonstruktionen lediglich dadurch, dass Interpretationsstrategien zur Verfügung stehen müssen, durch die sich die einzelnen Lesarten ableiten lassen. Während bei den differenzierenden Lesarten des Mediums der kanonische Kontrolleur nicht ins ©Raster abgebildet wird, besetzt das (schwache) Reflexivum, sofern es sich um ein Pronomen oder Klitikon handelt, eine Position im ©-Raster. Die Veränderung der Kontrollverhältnisse muss sich also daraus ergeben, dass durch das nicht-thematische Reflexivum die Interpretation des Agens als S-Kontrolleur verhindert wird. Ich werde in Abschnitt 9.3 zunächst die historische Entwicklung der Lesarten von Reflexivkonstruktionen skizzieren und vor dem Hintergrund dieser Entwicklung diskutieren, welche Eigenschaften die Reflexivkonstruktionen in den verschiedenen Stadien aufweisen müssen, damit die jeweils verfügbaren Lesarten ableitbar sind. Auf der Basis dieser Überlegungen wird dann in Abschnitt 9.4 eine Analyse der medialen Lesarten vorgeschlagen.

9.3

Die historische Entwicklung der medialen Lesarten

Die Entwicklung der medialen Lesarten beginnt mit Verwendungen, die ein belebtes, kontrollierendes Subjekt aufweisen. So entwickelt sich aus den syntaktischen Reflexivkonstruktionen über die direkt-reflexive Lesart zunächst die pseudo-reflexive dekausative Lesart, dann erst die pseudo-passivische dekausative Lesart und schließlich die passivische Lesart. Nach Selig (1998) weist das Lateinische seit Beginn der Überlieferung neben echten

229 reflexiven Verwendungen Reflexivkonstruktionen mit direkt-reflexiver, pseudo-reflexiver und pseudo-passivischer Lesart auf. Allerdings sind bei altlateinischen Autoren wie Plautus (ca. 250-184 v. Chr.) nur sehr wenige reflexive Verbformen mit unbelebtem Subjekt zi* finden (vgl. Reichenkron 1933, 17f). Auch bei diesen Verwendungen ist das Subjekt nach Reichenkron jedoch „personifiziert", also agentiv, so dass man davon ausgehen kann, dass in allen Lesarten das Subjekt als S-Kontrolleur fungiert.10 Die pseudo-passivische Lesart weitet sich erst im Spätlateinischen stark aus." Weder die passivische Lesart noch die unpersönliche Konstruktion sind im Lateinischen belegt. Die Entwicklung im der Lesarten im Deutschen erfolgt parallel. Nach Hermodsson (1952) finden sich im Gotischen neben syntaktischen Reflexivkonstruktionen agentive reflexive Verben mit direkt-reflexiver und pseudo-reflexiver dekausativer Lesart, aber keine mit pseudo-passivischer dekausativer Lesart. Generell gilt, dass nur sehr selten Belege mit nicht-belebtem Subjekt zu finden sind. Bei den meisten davon handelt es sich bei den Subjekten um Körperteile oder Abstrakta. Auch reflexive Verben, die psychische Vorgänge bezeichnen, finden sich nur vereinzelt. Im Althochdeutschen finden sich wesentlich häufiger Verwendungen von pseudo-reflexiven Verben mit nicht-belebtem Subjekt und die Zahl der Verben mit pseudo-passivischer dekausativer Lesart steigt stark an. Ebenso wächst die Zahl der reflexiven Emotionsverben. Wie in den Romanischen Sprachen finden sich in keinem Stadium Belege mit passivischer oder unpersönlicher Lesart. Da die direkt-reflexive Lesart von den syntaktischen Reflexivkonstruktionen nur dann unterschieden werden kann, wenn sich Unterschiede in der morphologischen Kodierung oder dem syntaktischen Verhalten zeigen, lässt sich die Ausbildung einer medialen Reflexivkonstruktion erst an der Etablierung der pseudo-reflexiven Lesart festmachen, bei der die Unterscheidung der mit den beiden Relatpositionen des korrespondierenden kausativen Verbs assoziierten thematischen Rollen keine Rolle mehr spielt. Im nächsten Schritt verliert sich die agentive Interpretation, die mit der ersten Relatposition der kausativen Basisverben verbunden ist. Diese Entwicklung ist schematisch in Tabelle 9.1 dargestellt.

10

11

Als Beispiele fuhrt Reichenkron unter anderem die folgenden Konstruktionen an: (i) nam ñeque se septentriones quoquam in caelo commovent. nämlich NEG-und REFL Siebengestirn.PL irgendwohin in Himmel.ABL bewegen ' u n d sich n ä m l i c h der G r o ß e W a g e n nicht a m H i m m e l i r g e n d w o h i n b e w e g t ' (ii) ñeque se luna quoquam mutat NEG-und REFL Mond irgendwohin wegbewegt 'und sich der Mond nicht irgendwohin wegbewegt' (iii) ubi se sudor cum unguentis consociavit wo REFL Schweiß mit Salbe verbindet 'wo sich der Schweiß mit der Salbe verbindet' Parallel zu dieser Entwicklung geht die mediale Verwendung der älteren r-Formen zurück. Vgl. Reichenkron (1933).

230 semantisch transitiv agentives Subjekt Ausgangsbedingung syntaktisch reflexiv

+

+

Stufe 0

direkt-reflexiv

?

+

Stufe I

pseudo-reflexiv

-

+

Stufe II

pseudo-passivisch

-

-

Tabelle 9.1: Veränderung der Kriterien für die Reflexivmarkierung bei der Entwicklung der Lesarten Reflexiva tantum scheinen sich erst zu entwickeln, wenn die produktive Ableitung medialer Lesarten durch das Reflexivum etabliert ist. So weist Selig (1998, 30) darauf hin, dass gerade im Spätlateinischen und Altitalienischen (also parallel zu Entwicklung der pseudopassivischen dekausativen Lesart) häufig reflexiv verwendete Verben auftreten, die nicht von einer transitiven (oder ditransitiven) Form abgeleitet sind. Diese Verben sind nach ihrer Einschätzung nicht lexikalisiert, sondern werden produktiv gebildet. Fast alle diese Reflexiva tantum weisen ein menschliches, oder zumindest belebtes Subjekt auf. Sie lassen sich den Klassen zuordnen, die auch für die Media tantum relevant sind: Emotionsverben, Wahrnehmungsverben, Kognitionsverben, Positionierungs- und Bewegungsverben und bestimmte Zustandswechselverben. Dem Stadium, in dem sich die dekausative Lesart etabliert, kommt demnach eine besondere Bedeutung bei der Entwicklung der medialen Reflexivkonstruktion zu. Die Veränderung, die diese Lesart ermöglicht, fuhrt auch dazu, dass das Reflexivum zur Kodierung derjenigen semantischen Eigenschaften verwendet werden kann, die für die Reflexiva tantum charakteristisch sind. Die passivische Lesart entwickelt sich erst nach der modalen Lesart und die unpersönliche Konstruktion wiederum nach der passivischen Lesart.12 Im Lateinischen gibt es nach Selig (1998, 37) nur zwei Belege, die als Reflexivpassiv eingestuft werden, beide mit modaler Lesart (facile sese regit 'handhabt sich leicht' und mela toto anno servare se possunt 'Äpfel lassen sich das ganze Jahr aufbewahren'). Während sich im Spanischen und Italienischen eine referenzielle passivische Lesart entwickelt hat, weist das Französische nur generische Verwendungen der passivischen Lesart auf.13 Allerdings ist die passivische Lesart auch im Spanischen und Italienischen stark beschränkt: Ist das Subjekt belebt, ergibt sich eine agentive Interpretation. Eine Passiv-ähnliche Lesart mit einem Patiens in der ersten und zweiten Person kann deshalb nur in der unpersönlichen Konstruktion zustande kommen, bei der der Patiens als Objekt realisiert ist (It.: mi si vede 'man sieht mich, ich 12

13

Im Spanischen ist die passivische Lesart nach Barry (1985) seit dem 15.Jh. belegt. Die unpersönliche Konstruktion findet sich ab dem 17.Jh. Authier & Reed (1994) weisen darauf hin, dass sich in einigen ost-kanadischen Dialekten des Französischen eine nicht-generische passivische Lesart entwickelt hat, die allerdings nur dann zustande kommt, wenn eine Agens-Phrase realisiert ist: (i) En général, ces débats s'enregistrent par Anne, qui est notre technicienne la plus qualifiée. 'Meistens werden diese Debatten von Anne aufgezeichnet, die unsere qualifizierteste Technikerin ist.' Generell gilt für die romanischen Sprachen, dass die Realisierung einer Agens-Phrase ungrammatisch oder zumindest sehr markiert ist.

231 werde gesehen'). Die Beispiele in (12) illustrieren die generische passivische Lesart im Französischen, Italienischen und Spanischen. Die Realisierung einer Agensphrase ist generell nicht möglich (vgl. (13)). In (14) sind Beispiele fur die referenzielle passivische Lesart aufgeführt. (12) a. Ces sakés japonais se boivent frais en été. 'Diese japanischen Sakes werden im Sommer kalt getrunken.' b. Ouesti sakè giapponesi si bevono freddi d'estate. 'Diese japanischen Sakes werden im Sommer kalt getrunken.' c. Esos sakes japoneses se beben fresco. 'Diese japanischen Sakes werden kalt getrunken.'

Französisch Italienisch Spanisch

(13) a. '"Ces sakés japonais se boivent frais par les gents. Französisch 'Diese japanischen Sakes werden von den Leuten kalt getrunken.' b. *Ouesti sakè giapponesi si bevono freddi dalla gente. Italienisch 'Diese japanischen Sakes werden von den Leuten kalt getrunken. ' c. *Esos sakes japoneses se beben fresco por los estudiantes. Spanisch 'Diese japanischen Sakes werden von den Studenten kalt getrunken.' (14) a. *Ces lunettes se sont nettoyées hier à huit heures et quart. 'Diese Brille wurde gestern um viertel nach acht gekauft.' (Cinque 1988, 566) b. Oggi, a Beirut, si è ucciso un innocente. 'Heute wurde in Beirut ein Unschuldiger getötet.' (Cinque 1988, 542) c. Se abrió la puerta a las nueve. 'Die Tür wurde um neun geöffnet.'

Französisch Italienisch

Spanisch

Selig (1998) bringt das Fehlen der referenziellen passivischen Lesart im Französischen damit in Verbindung, dass die Nachstellung des Subjekts im Französischen sehr beschränkt ist. Während der Patiens im Spanischen und Italienischen in der Position hinter dem Verb detopikalisiert sein kann, ist das im Französischen nicht möglich:14 (15) „Die Topikalisierung des Patiens ohne gleichzeitige Nennung des Agens ist aber offensichtlich nur dann möglich, wenn es sich um generische Aussagen handelt, die als Aussagen über eine Eigenschaft des Patiens gewertet werden können und einen maximal untypischen Agens, nämlich einen generischen Agens implizieren, der vom Patiens in den Hintergrund gedrängt werden kann [...]. Im Italienischen und Spanischen ist die Nachstellung des Subjekts - und damit die Kennzeichnung als NichtTopik - dagegen frei handhabbar. Auffalligerweise sind die Subjekte der reflexivpassivischen Konstruktionen, wenn diese nicht generische, sondern punktuelle Sachverhalte kodieren, in beiden Sprachen in der Regel nachgestellt. Hier schließt an, dass diese nachgestellten Patiens-Aktanten häufig auch die syntaktische Auszeichnung als Subjekte, nämlich die Verbkongruenz, verlieren und wieder als Objekte kodiert sind. 14

Topiklose (thetische) Sätze können im Französischen mit Hilfe eines unpersönlichen il 'es' in der Topikposition gebildet werden: II est vertue trois femmes 'Es sind drei Frauen gekommen.'

232

Die nicht-generische reflexivpassivische Konstruktion scheint also geradezu auf dem Vermeiden der Identität von Patiens und Subjekt zu beruhen." (Selig 1998, 36f) Seligs Formulierung, dass die passivische Lesart der Reflexivkonstruktion auf „dem Vermeiden der Identität von Patiens und Subjekt beruht' erscheint mir nicht sehr glücklich, da diese Vermeidung ja erst durch die Entwicklung der unpersönlichen Konstruktion möglich wird. Statt dessen entwickelt sich die passivische Lesart obwohl eine starke Präferenz besteht, die Identität zu vermeiden. Nur bei Vermeidung der Identität von Patiens und Subjekt lässt sich jedoch die für die medialen Lesarten zentrale Bedingung beibehalten, dass bei Aktivitätsverben das Argument in der höchsten ©-Position den S-Kontrolleur repräsentiert. Die Beschränkung der passivischen Lesart im Spanischen und Italienischen zeigt, dass auch bei Reflexivkonstruktionen das Argument in der höchsten ©-Position als S-Kontrolleur interpretiert werden muss, sofern seine sortalen Eigenschaften das zulassen. Die Reanalyse des Patiens als Objekt in der unpersönlichen Konstruktion erlaubt es, das Reflexivum als Repräsentanten des unpersönlichen S-Kontrolleurs in der höchsten ©-Position zu reanalysieren. Der Unterschied zwischen passivischer Lesart und der unpersönlichen Konstruktion liegt in der syntaktischen Transitivität der Verben. Wie in Abschnitt 9.1 gezeigt wurde, gibt es Evidenz dafür, dass die Reflexivkonstruktionen in den romanischen Sprachen intransitiv sind. In der impersönlichen Konstruktion, in der das thematische Argument im Akkusativ realisiert wird und das Verb nicht mit dem thematischen Argument kongruiert, liegt offensichtlich eine transitive Struktur vor. Das zeigt zum einen die Verbkongruenz, zum anderen aber auch die Interpretation. Wie die Beispiele in (16) und (17) illustrieren, verhält sich die unpersönliche Konstruktion in Bezug auf die Informationsstruktur wie das transitive Verb, nicht wie die passivische Lesart. (16) Qué hacen en las fiestas en tu país? 'Was macht man bei den Festen in deinem Land?' a. Cantan canciones de protesta en las fiestas.' 'Sie singen Protestlieder bei den Festen.' b. §Se cantan canciones de protesta en las fiestas.' 'Es werden Protestlieder bei den Festen gesungen.' c. Se canta canciones de protesta en las fiestas.' 'Man singt Protestlieder bei den Festen.' (Campos 1989,2) (17) Qué productos son exportados a Europa? 'Welche Produkte werden nach Europa exportiert? a. §Exportan vinos a Europa. 'Sie exportieren Weine nach Europa.' b. Se exportan vinos a Europa. 'Es werden Weine nach Europa exportiert.' c. §Se exporta vinos a Europa. 'Man exportiert Weine nach Europa.' (Campos 1989, 3)

transitiv Reflexivpassiv unpersönliche Konstruktion

transitiv Reflexivpassiv unpersönliche Konstruktion

233

semantisch transitiv

nur charakterisierend

Agens nicht referenziell

nicht-agentives Subjekt

syntaktisch intransitiv

Tabelle 9.2 gibt einen schematischen Überblick über die Entwicklung der Reflexivlesarten in den romanischen Einzelsprachen.

Ausgangspunkt

modale Lesart

+

+

+

+

+

Stufe I

generische passivische Lesart

+

-

+

+

+

Stufe II

referenzielle passivische Lesart

+

-

-

+

+

Stufe III

unpersönliche Konstruktion

+

-

-

-

-

Tabelle 9.2: Entwicklung der Reflexivkonstruktion in den romanischen Sprachen

9.4

Das Reflexivum als nicht-thematisches Argument: Alternativen

Den Hintergrund für die Ableitung der Mediumlesarten durch ein nicht-thematisches Reflexivum bildet die Eigenschaft von Aktiv/Passiv-Systemen, den kanonischen Kontrolleur stets als S-Kontrolleur in die höchste Position des ©-Rasters abzubilden. Der kanonische Kontrolleur ist das einzige Argument, das S-Kontrolle aufweisen kann. S-Kontrolle ist demnach semantisch festgelegt. Bei Passivierung wird die höchste ©-Position für das strukturelle Linking blockiert, aber weiterhin als Position des S-Kontrolleurs interpretiert. Da bei den medialen Lesarten abweichende Kontrollverhältnisse vorliegen, muss die Reflexivierung dazu dienen, die Interpretation des kanonischen Kontrolleurs als S-Kontrolleur auszuschließen. Das geschieht offensichtlich dadurch, dass die Position des S-Kontrolleurs mit einer tieferen ©-Position koindiziert wird, die nicht mit Kontrolleigenschaften assoziiert ist. Das Argument, das bei der transitiven Variante in der tieferen ©-Position realisiert ist, besetzt beim reflexiven Verb die höchste Position im ©-Raster. S-Kontrolle liegt bei reflexiven Verben nur dann vor, wenn dieses Argument Kontrolleigenschaften aufweisen kann. Die zentrale Frage bei der Ableitung der Reflexivkonstruktionen ist, in welcher Position des ©-Rasters das nicht-thematische Reflexivum eingeführt wird. Da durch die Reflexivierung die Realisierung des kanonischen Kontrolleurs blockiert werden soll, erscheint es naheliegend, dass das nicht-thematische Argument die höchste Position des ©-Rasters besetzt. Unter dieser Annahme dient die Koindizierung mit einer tieferen ©-Position dazu, einen anderen Partizipanten als den kanonischen Kontrolleur als ersten Partizipanten der Situation zu identifizieren. Läge keine Koindizierung vor, würde sich aufgrund des Expleti-

234

vums in der höchsten ©-Position eine kausale Interpretation ergeben, wie sie sich bei den unpersönlichen Bewegungsverbvarianten in (18) zeigt.13 (18) a. Es trug ihn aus der Kurve, b. Es zog ihn in die Ferne. Bei den Verben in (18) dient das nicht-thematische es in der höchsten 0-Position dazu, den relationalen, gerichteten Charakter des Verbs zu bewahren. Das ist deshalb möglich, weil aufgrund des HIERARCHIEPRINZIPS der Rang des thematischen Arguments in der SF aus seiner Position im 0-Raster eindeutig abgeleitet werden kann. Bei Koindizierung der nichtthematischen Position mit einer anderen ©-Position ist der semantische Rang des thematischen Arguments jedoch nicht durch das ©-Raster identifizierbar. Lediglich die sortalen Eigenschaften lassen einen Schluss auf den semantischen Status des Arguments zu. Es ist also zu erwarten, dass sich die verschiedenen Lesarten der Reflexivkonstruktion wie beim Medium abhängig von den verbspezifischen Eigenschaften ergeben. Eine Analyse, die davon ausgeht, dass die höchste ©-Position durch ein nicht-thematisches Argument besetzt ist, muss eine Restrukturierung des ©-Rasters annehmen. Diese Restrukturierung lässt sich dadurch motivieren, dass die tiefere von zwei koindizierten 0 Rollen nur durch ein Reflexivum realisiert werden kann. Da das Reflexivum einen Antezedens fordert, muss das thematische Argument dementsprechend in der höheren Position realisiert werden. Obwohl sich eine solche Restrukturierung motivieren lässt, ist eine Analyse vorzuziehen, die keine solche zusätzliche Operation erfordert. Eine Analyse, in der das nicht-thematische Argument in der ©-Position eingeführt wird, in der das Reflexivum erscheint, steht vor dem Problem, welcher Zusammenhang zwischen der tiefsten (bei Reflexiva im Akkusativ) oder der mittleren Position im ©-Raster (bei Reflexiva im Dativ) und der Blockierung des kanonischen Kontrolleurs hergestellt werden kann. Eine Möglichkeit besteht darin, ähnlich wie von Bierwisch angenommen, das nichtthematische Reflexivum unterhalb von dem Argument einzuführen, das in der höchsten Position im ©-Raster realisiert (und damit als erster Partizipant der Situation interpretiert) werden soll. Ein Zusammenhang mit der Blockierung des kanonischen Kontrolleurs kann dann dadurch hergestellt werden, dass die nicht-thematische Position mit der als [-hr] ausgezeichneten ©-Rolle koindiziert ist. In diesem Fall ergibt sich allerdings die Blockierung des kanonischen Kontrolleurs nicht als Effekt aus der Einführung des Reflexivums, sondern muss unabhängig vorausgesetzt werden. Die Analyse kann lediglich motivieren, warum ein nicht-thematisches Reflexivum realisiert wird, wenn der kanonische Kontrolleur nicht ins ©-Raster abgebildet werden soll: Mit der Besetzung der höchsten ©-Position durch das mit dem Reflexivum koindizierte thematische Argument ist gewährleistet, dass die höchste ©-Position für den kanonischen Kontrolleur blockiert ist. Damit ist gleichzeitig gewährleistet, dass es sich bei dem ersten in das Ereignis involvierten Partizipanten nicht um den kanonischen Kontrolleur handelt.

13

Zu beachten ist, dass bei der Besetzung der höchsten ©-Position durch ein nicht-thematisches Argument eine Bewegungsinterpretation nur dann zustande kommen kann, wenn eine physikalische Kraft identifizierbar ist, die auf den Patiens wirkt. Andernfalls wird die Relation als psychische Einwirkung (Zustand) reanalysiert. Auch hier haben die Kontrolleigenschaften also einen Einfluss auf die Ereignisstruktur.

235 In diesem Fall wären reflexive Verben wie Mediumformen als unabhängige Stämme zu betrachten, die den kanonischen Kontrolleur nicht ins ©-Raster abbilden. Für die Annahme, dass es sich bei den reflexiven Verben um unabhängige Einträge handelt, spricht die allmähliche Entwicklung der verschiedenen Lesarten. Das in den verschiedenen Stadien jeweils nur bestimmte Verbklassen die Bildung reflexiver Formen zulassen, spricht dafür, dass die einzelnen Lesarten durch unterschiedliche Interpretationsbedingungen lizensiert sein müssen. Ich möchte im Folgenden die semantischen Eigenschaften der verschiedenen Lesarten gemäß ihrer historischen Entwicklung beleuchten und parallel dazu die Repräsentation der Lesarten und die relevanten Interpretationsbedingungen entwickeln. Bei den Lesarten, die auch im Deutschen vorliegen, diskutiere ich die semantischen Eigenschaften anhand der deutschen Daten, bei denen, die im Deutschen nicht vorliegen, beziehe ich mich auf das Spanische. Ausgangspunkt ist die Abgrenzung der syntaktischen Reflexivkonstruktionen von den lexikalischen Reflexivkonstruktionen mit direkt-reflexiver Lesart.

9.5

Veränderungen des ©-Rasters bei der semantischen Entwicklung der Lesarten

9.5.1

Direkt- und indirekt-reflexive Lesart: Konzeptuell motivierte Neuzuordnung der S-Kontrolle

Aus den möglichen Lesarten von elliptischen Komparativkonstruktionen mit Reflexivum ergibt sich Evidenz dafür, dass bei den direkt-reflexiven Verben eine Koindizierung der semantischen Argumente (der Relatpositionen) vorliegt (vgl. Seils, Zaenen & Zec 1987). Der Satz in (19) lässt zwei Lesarten zu: In der strikten Lesart wird die referenzielle Belegung des Reflexivums (= Max) beibehalten (i), in der „sloppy" Lesart dagegen wird das Reflexivum in der elliptischen Konstruktion an den neu eingeführten Agens gebunden (ii). (19) Max betrachtete sich kritischer als Petra. (i) strikte Lesart: Max betrachtete sich kritischer als Petra ihn betrachtet. (ii) sloppy Lesart (gebundene Variablenlesart): Max betrachtete sich kritischer als Petra sich betrachtet. Bei Verben, die die direkt-reflexive Lesart aufweisen, besteht dagegen eine klare Präferenz für die „sloppy" Lesart: (20) Max wusch sich gründlicher als Petra. (i) strikte Lesart: ? Max wusch sich gründlicher als Petra ihn wusch. (ii) sloppy Lesart: Max wusch sich gründlicher als Petra sich wusch.

236 Die strikte Lesart kommt bei Verben, die die direkt-reflexive Lesart aufweisen, nur dann zustande, wenn ein emphatisches Reflexivum verwendet wird, also nicht die direkt-reflexive lexikalische Reflexivkonstruktion, sondern eine syntaktische Reflexivierung des transitiven Verbs vorliegt. Seils, Zaenen & Zec (1987) erklären das Verhalten von Verben wie sich waschen damit, dass sie in der semantischen Repräsentation nur eine Variable aufweisen (WASH (x,x)), so dass die Belegung des Patiensarguments stets von der des Subjekts abhängt. Für waschen ist demnach neben dem Lexikoneintrag für die transitive Variante ein weiterer Eintrag für die intransitive (reflexiv markierte) Variante anzusetzen. Transitive Verben, die die direkt-reflexive Lesart nicht aufweisen, verfügen dagegen nur über einen Eintrag, in dem für Agens und Patiens unterschiedliche Variablen vorliegen (WATCH (x,y)). Beide Variablen sind als Antezedenten zugänglich. Auch Hellan (1988) und Kiparsky (1992b, 2002) gehen aufgrund der Beobachtung, dass reflexive Verben mit direkt-reflexiver Lesart in präsentationellen Kontexten auftreten können (vgl. Abschnitt 8.3), davon aus, dass es sich um intransitive Verben handelt, da transitive Verben in diesem Kontext nicht möglich sind. Sie setzen dementsprechend für waschen und sich waschen zwei Lexikoneinträge mit unterschiedlicher Argumentstruktur an. Das Reflexivum wird als intransitivierendes Klitikon analysiert.16 Alternativ lässt sich das Verhalten der reflexiven Verben aber auch dadurch erklären, dass das Reflexivum kein thematisches Argument realisiert.17 Da präsentationelle Kontexte eine bestimmte Gliederung der Informationsstruktur kodieren, kann die semantische Intransitivität allein ausschlaggebend sein, da nicht-thematische Argumente informationsstrukturell nicht relevant sind. Dass bei Passivierung im allgemeinen kein Akkusativ-Objekt auftreten kann, ergibt sich daraus, dass das entsprechende Argument als Subjekt realisiert wird, nicht daraus, dass ein Akkusativ aus syntaktische Gründen nicht möglich ist. Vor diesem Hintergrund lassen sich auch die Verben mit direkt-reflexiver Lesart als syntaktisch transitiv analysieren. Da es sich bei den Verben mit direkt-reflexiver Lesart um die gleiche Klasse von Verben handelt wie in Medium-Systemen, gehe ich davon aus, dass auch hier eine Klassifizierung des Patiens als potenzieller Kontrolleur vorliegt. Ich nehme deshalb nicht wie z.B. Geniusiené (1987), Seils, Zaenen & Zec (1987), Hellan (1988) oder Reinhart (1996) an, dass das einzige thematische Argument der mit dem Patiens semantisch koindizierte Agens ist,

16

17

Abraham (1995), der in Bezug auf die semantische Ableitung der Reflexivkonstruktion eine ähnliche Position wie die im Folgenden vorgeschlagene vertritt, geht davon aus, dass das Reflexivum bei der direkt-reflexiven Lesart ein Argument, bei der intransitiven modalen Lesart (Das Geschirr wäscht sich leicht.) dagegen ein Adjunkt ist, da es nach seiner Analyse keinen strukturellen Kasus aufweisen kann. Da ich davon ausgehe, dass strukturelle Kasuszuweisung nicht von den thematischen Eigenschaften des Subjekts abhängt, sondern lediglich mit dem Status der 0-Roilen zusammenhängt, nehme ich an, dass in beiden Fällen ein nicht-thematisches strukturelles Argument vorliegt. Diese Position vertritt auch Steinbach (2002), der zum einen aufzeigt, dass im Deutschen Reflexiva in Reflexivkonstruktionen (,non-argument reflexives') den gleichen Wortstellungsrestriktionen unterliegen wie bei syntaktischer Reflexivierung (,argument reflexives'), und zum anderen argumentiert, dass die Unterschiede, die sich in Bezug auf Fokussierbarkeit, Koordination (sich und NP) und Topikalisierung zeigen, durch den unterschiedlichen semantischen Status der Reflexiva erklärt werden kann.

237 sondern gehe stattdessen davon aus, dass der Patiens ins ©-Raster abgebildet und als SKontrolleur interpretiert wird. Die Entwicklung der direkt-reflexiven Lesart lässt sich durch die Uminterpretation des Nominativarguments vom mit dem Patiens koindizierten kanonischen Kontrolleur zum Skontrollierenden potenziellen Kontrolleur erfassen. Dabei verliert das Reflexivum seine thematische Funktion, da diese Uminterpretation die semantische Koindizierung von Agens und Patiens voraussetzt. Es fungiert lediglich als overte Markierung der semantischen Reflexivität. Dass das Patiensargument als S-Kontrolleur interpretiert werden kann, ergibt sich aufgrund der Koindizierung mit dem Agens. Die reanalysierte direkt-reflexive Lesart wäre demnach wie in (21) zu repräsentieren.18 (21) direkt-reflexive Lesart © ky sich waschen: +hr -hr

Xs {WASHACT (x i ,y plc i )}(s)

REFL

Obwohl mir aus der Entwicklung der romanischen Sprachen keine Information über die Entstehung der indirekt-reflexiven Lesart vorliegt, spricht die Tatsache, dass das schwedische sig diese Lesart neben der direkt-reflexiven und der pseudo-reflexiven Lesart aufweist, dafür, dass sie sich parallel zur direkt-reflexiven Lesart entwickelt. Bei der indirektreflexiven Lesart besetzt das nicht-thematische Reflexivum die Dativ-Position. Ich nehme an, dass sie parallel zu der direkt-reflexiven Lesart zu repräsentieren ist. (22) indirekt-reflexive Lesart sich leihen: Xy 0 +hr +hr -lr +lr

Xz -hr +lr

Xs {LEND ACT (x;,y) & BEC

poss (z pk j,y)}(s)

REFL

9.5.2

Die pseudo-reflexive Lesart: Reanalyse des Reflexivums als Markierung der NichtProjektion des Agens

Bei der pseudo-reflexiven dekausativen Lesart ist das einzige thematische Argument wie bei der direkt-reflexiven Lesart agentiv. Wie die direkt-reflexive Lesart wird die pseudoreflexive Lesart von transitiven Verben gebildet, die Handlungen bezeichnen, an denen sehr häufig nur ein einziger Partizipant beteiligt ist, der als Agens und Patiens fungiert. Auch hier liegt deshalb eine konzeptuell motivierte semantische Koindizierung der Argumente nahe. Da für die reanalysierten Verben mit direkt-reflexiver Lesart schon eine Repräsentation zur Verfügung steht, die es erlaubt, dass nicht der Agens, sondern der potenzielle

18

Ich repräsentiere die nicht-thematische 0-Rolle durch ' 0 ' , um zu illustrieren, dass zwar eine Position im 0-Raster besetzt wird, aber keine X-Abstraktion über eine semantische Variable vorliegt. Diese Notation ersetzt die in der LDG verwendete, häufig kritisierte 'leere XAbstraktion'.

238 Kontrolleur als S-Kontrolleur fungiert, kann die pseudo-reflexive Lesart auf die gleiche Art abgeleitet werden. Während allerdings bei Verben mit direkt-reflexiver Lesart die vom Verb spezifizierte Handlung bei der transitiven und der reflexiven Variante weitgehend gleich ist, unterscheidet sich bei den Verben mit pseudo-reflexiver Lesart die Art und Weise, in der der Patiens die relevante Veränderung bei sich selbst bewirkt, von der Einwirkung des Agens auf den Patiens bei der kausativen Variante. Dadurch entwickeln pseudo-reflexive Verben häufig eine spezifische Bedeutung: Die ursprünglich kausative Ereignisstruktur wird als nicht-kausatives, agentives Ereignis reanalysiert. Dass eine solche Reanalyse vorliegt, zeigt sich, wenn ein emphatisches Reflexivum realisiert wird oder das Reflexivum mit einer NP koordiniert wird. In diesem Fall wird echte reflexive Interpretation erzwungen, der die kausative Verbform zugrunde liegt. Wie (23b) und (c) zeigen, ist diese Interpretation allerdings sehr markiert. (23) a. Das Kind versteckte sich im Badezimmer. b.??Das Kind versteckte sich selbst im Badezimmer. c.??Das Kind versteckte sich und seine Bücher unter dem Bett. Die Markiertheit ist um so größer, je deutlicher sich die Handlungen unterscheiden, die durch die pseudo-reflexive und die transitive Verbform kodiert werden, bzw. je stärker die pseudo-reflexive Lesart lexikalisiert ist. (24) a. b. c. d.

?Er stellte sich und seine Mannschaft an der Seitenlinie auf. ?Jeden Morgen bewegte er sich und seine Hunde, bevor er zur Arbeit ging. ??Das Kind legte die Kleider auf den Stuhl und sich (selbst) ins Bett. §Der Mann hängte erst die Bilder und dann sich (selbst) auf.

Es ist also anzunehmen, dass die pseudo-reflexive Lesart zwar ursprünglich auch nach dem Muster der direkt-reflexiven Lesart gebildet wurde, die einzelnen Verben aber zumindest teilweise als (semantisch) intransitive Verben mit einer nicht-komplexen Ereignisstruktur reanalysiert wurden. (25) Reanalyse von Verben mit pseudo-reflexiver Lesart: I)k Xy Xs {MANLPACT(xi,y)&PRED(y i)}(s) © Xy 0 +hr -hr +hr -hr REFL

Xs {PRED

(y"k)}(s)

REFL

Bei den reanalysierten pseudo-reflexiven Verben liegen zum ersten Mal abweichende Kontrollverhältnisse vor, da es sich bei dem verbspezifischen Prädikat nicht um ein Aktivitätsprädikat handelt, das einzige Argument aber als S-Kontrolleur interpretiert wird. Das Reflexivum kann hier nicht mehr als Kodierung der semantischen Koindizierung dienen, sondern lediglich die Nicht-Projektion des Agensarguments anzeigen. Hier ergibt sich also ein Ansatzpunkt dafür, dass S-Kontrolle nicht ausschließlich durch die SF des Verbs, sondern in Zusammenhang mit der (reflexiven) Argumentstruktur festgelegt wird. Diese Reanalyse bilden vermutlich auch die Motivation dafür, dass sich die Reduzierung der Ereignisstruktur auf ein Teilereignis etabliert hat, die für die Ableitung der pseudopassivischen Lesart notwendig ist

239 9.5.3

Die pseudo-passivische Lesart: Relevanz der höchsten ©-Position für das Vorliegen von S-Kontrolle

Bei der pseudo-passivischen Lesart ist das einzige thematische Argument nicht agentiv. Die Kontrolleigenschaften sind nicht von den sortalen Eigenschaften abhängig, wie der Vergleich der Beispiele in (26) zeigt. Die instrumentale mii-Phrase ist nur dann möglich, wenn ein agentives Subjekt vorliegt (syntaktische Reflexivierung), die an-Phrase nur wenn kein Agens vorliegt (dekausative Lesart). (26) a. b. c. d.

Er hat sich mit einem Messer verletzt. Er hat sich an einem Messer verletzt. Er hat sich selbst mit einem Messer verletzt. *Er hat sich selbst an einem Messer verletzt.

Dass die pseudo-passivische Lesart sich erst nach der pseudo-reflexiven Lesart entwickelt, zeigt, dass die nicht-agentive Interpretation eine erneute Uminterpretation der Konstruktion erfordert. Für die pseudo-passivische Lesart ist relevant, dass das Reflexivum im ©-Raster nicht mehr nur die semantische Koindizierung der Argumente kodiert, sondern als Koindizierung der Positionen im ©-Raster reanalysiert wird. Die Koindizierung ermöglicht es, dass das Argument in der höchsten Position im ©-Raster als nicht-kontrollierend interpretiert wird, indem die thematischen Eigenschaften des durch die tiefste ©-Rolle repräsentierten Arguments auf die höchste ©-Rolle übertragen wird. Die Information, dass keine Kontrolle vorliegt, kommt nur bei Koindizierung mit der tiefsten, als [+hr, -lr] ausgezeichneten Position zustande. Das ist dadurch begründet, dass das Argument in der tiefsten Position das letzte Glied in der kausalen Kette repräsentiert. Der entsprechende Partizipant ist demnach einer Einwirkung ausgesetzt, ohne selbst auf einen weiteren Partizipanten zu wirken.19 (27) [+hr, -lr] -» -cntr Die Annahme, dass nur bei Koindizierung der [-hr]-Position mit der [+hr, -lr]-Position die Kontrollinformation unterdrückt werden kann, erklärt die Beobachtung von Steinbach, dass Dativ-Argumente (spezifiziert als [+hr, +lr]) in der Medialkonstruktion nicht als Subjekte realisiert werden können. Die in der Medialkonstruktion vorliegende modale Lesart setzt fehlende Kontrolle des Subjekts voraus, die lediglich bei Koindizierung mit dem tiefsten Argument vorliegen kann. Ein mit einem Dativ-Reflexivum koindiziertes Subjekt partizipiert demnach immer an den Kontrolleigenschaften des Agens. Auf den ersten Blick scheinen allerdings die Lesarten der reflexiven Verben in (28) gegen diese Annahme zu sprechen: Hier liegt ein Dativ-Reflexivum vor, trotzdem kommt eine Lesart zustande, die der der pseudo-passivischen zu entsprechen scheint.

19

Zweistellige Verben wie helfen oder folgen, die von diesem Default abweichen, realisieren sprachübergreifend häufig das tiefste Argument im Dativ ([+lr, +hr]) statt im Akkusativ ([-lr, +hr]). Die lexikalische Zuweisung des Merkmals [+lr] reflektiert die abweichenden Kontrolleigenschaften des tiefsten Arguments (vgl. Joppen-Hellwig 2001).

240 (28) a. Ich habe mir den Arm verletzt. b. Ich habe mir in den Finger geschnitten. Die Kombinierbarkeit mit PPs, die ein Instrument der Handlung bezeichnen, zeigt jedoch, dass sich diese Verwendungen anders verhalten als die korrespondierenden Verwendungen mit pseudo-passivischer Lesart in (26b). Während bei Verben mit pseudo-passivischer Lesart eine an-PP aber keine mit-PP realisiert werden kann, verhält es sich bei den Verben in (28) umgekehrt. (29) a. Ich habe mir mit einem Messer/??an einem Messer den Arm verletzt. b. Ich habe mir mit einem Messer/??an einem Messer in den Finger geschnitten. Bei den Verben mit Dativ-Reflexivum liegt also lediglich fehlende Intentionalität vor, aber nicht fehlende Kontrolle. Es handelt sich also um Instanzen der indirekt-reflexiven Lesart, nicht der pseudo-passivischen Lesart. Mit der Etablierung der pseudo-passivischen Lesart wird die bei den Verben mit reflexiver Lesart vorliegende Option, ein nicht-höchstes Argument in die höchste Position im 0-Raster abzubilden, ausgeweitet auf Verben, bei denen Agens und Patiens nicht koreferent sein können. Damit ergibt sich eine Repräsentation, in der der von der SF bereitgestellte Kontrolleur nicht im 0-Raster realisiert ist. Damit liegen gegenüber der transitiven Verbform abweichende Kontrollverhältnisse vor. Seligs Beobachtung, dass im Lateinischen mit der Etablierung der pseudo-passivischen Lesart auch die Klasse der Reflexiva tantum wächst, spricht dafür, dass die Reflexivierung ab dieser Phase dazu dient, abweichende Kontrollverhältnisse zu kodieren. Damit wird die [-hr]-Position von Aktivitätsverben für die Festlegung der Kontrolleigenschaften relevant. Während zuvor allein die Prädikatskontrolleigenschaften relevant waren, und sich der Zusammenhang zwischen Kontrolle und der [-hr]-Position allein aus dem HIERARCHIEPRINZIP ergab, muss nun die Möglichkeit bestehen, die Kontrolleigenschaften des Verbs in Abhängigkeit von den (thematischen und sortalen) Eigenschaften des Arguments festzulegen, das die [-hr]Position besetzt. Da die Referenzeigenschaften des Verbs von den Kontrolleigenschaften abhängen, kann auch die Ereignisstruktur nicht mehr allein durch die SF festgelegt sein, sondern muss abhängig von den Kontrolleigenschaften des höchsten Arguments im 0 Raster bestimmt werden. Wie bei der entsprechenden Mediumlesart spielt die Verursachungsinformation bei der pseudo-passivischen Lesart der reflexiven Verben keine Rolle. Ich nehme an, dass auch hier zwei Einträge anzusetzen sind, denen eine gemeinsame SF zugrunde liegt (vgl. (31)). Das ©-Raster dient dazu, die Teilproposition zu identifizieren, die über das referentielle Argument prädiziert. Da das Reflexivum bei der dekausativen Lesart die tiefste ©-Position besetzt, sind die höchste und die tiefste 0-Position koindiziert. Die Bedingungen zur Festlegung des referenziellen Arguments entsprechen denen in Mediumsystemen (vgl. (30)). (30) Bedingung zur Einführung des referenziellen Arguments: Ein propositionaler Teil PREDJ & ... & PRED„ einer SF kann auf ein als referenzielles Argument fungierendes Situationsargument s bezogen werden, wenn - die ©-Rolle [-hr] das höchste Argument des höchsten Prädikats PREDJ der Teil-SF bindet,

241 - die 0-Rolle [-lr] das tiefste Argument des tiefsten Prädikats PRED„ der Teil-SF bindet und - es ontologisch unabhängige Situationen gibt, die PREDJ & ... & PRED„ instanziieren können. (31)

Xy

MANIP a c t ( x , y ) & PRED ( y )

Xx Xs {MANlP(x,y) & PRED(y)}(s)

+hr -hr -lr +lr

©j

Xyi