Nürnberger Fastnachtspiele des 15. Jahrhunderts von Hans Folz und seinem Umkreis: Edition und Kommentar 9783110452006, 9783110446203

For the first time, this edition provides a modern reproduction of the Shrovetide plays ascribed to Hanz Folz and his ci

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German Pages 818 [820] Year 2020

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Einführung
Werkverzeichnis
81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga– 89 – Das Nürnberger [kleine] Neidhartspiel KF
90 – Hans Folz: Kaiser und Abt– 103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung I)
103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II) KF Nr. 60– 111 – Hans Folz: Von einem Arzt und einem Kranken
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Nürnberger Fastnachtspiele des 15. Jahrhunderts von Hans Folz und seinem Umkreis: Edition und Kommentar
 9783110452006, 9783110446203

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Nürnberger Fastnachtspiele des 15. Jahrhunderts von Hans Folz und aus seinem Umkreis

Nürnberger Fastnachtspiele des 15. Jahrhunderts von Hans Folz und aus seinem Umkreis Edition und Kommentar Herausgegeben von Stefan Hannes Greil und Martin Przybilski unter Mitarbeit von Theresia Biehl, Christoph Gerhardt und Mark Ritz Mit einem Beitrag von Nikolaus Ruge

ISBN 978-3-11-044620-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-045200-6 Library of Congress Control Number: 2019938707 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

https://doi.org/10.1515/9783110452006-200

VIII  Inhaltsverzeichnis

3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.4 3.4.1 3.4.2 3.5 3.5.1 3.5.2 3.5.3 3.5.4 3.5.5 3.5.6 3.6 3.6.1 3.6.2 3.7

Morphologie  LXVI Verb  LXVI Substantiv  LXX Adjektiv  LXX Pronomen  LXX Numeralia  LXXI Wortbildung  LXXII Komposition  LXXII Derivation  LXXII Syntax  LXXV Verbalgruppe  LXXV Nominalgruppe  LXXVII Präpositionalgruppe  LXXVII Negation  LXXVIII Topologie  LXXIX Gesprochene Sprache  LXXIX Pragmatik  LXXXI Interjektionen  LXXXI Anrede  LXXXII Lexik  LXXXIII

4

Konkordanz Neuedition – Ausgabe Keller  LXXXVII

5 5.1 5.2 5.3

Literaturverzeichnis  XCI Abgekürzt zitierte Literatur  XCI Wörterbücher und Lexika  XCII Quellen und Literatur  XCVI

Werkverzeichnis 81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga KF Nr. 1  3 82 – Der Wallbruder KF Nr. 2  59 83 – Das böse Weib KF Nr. 4  71 84 – Der Ehestreit KF Nr. 5  85 85 – Die Heilung eines kranken Bauern KF Nr. 6  97 86 – Hans Folz: Die Bauernhochzeit (Fassung II) KF Nr. 7  113 86 – Hans Folz: Die Bauernhochzeit (Fassung I) KF Nr. 7  131 87 – Hans Folz: Die drei Brüder und das Erbe KF Nr. 8  141 88 – Hans Folz: Der Herzog von Burgund KF Nr. 20  173 89 – Das Nürnberger [kleine] Neidhartspiel KF Nr. 21  21

Warum Fastnachtspiele?  IX

90 – Hans Folz: Kaiser und Abt KF Nr. 22  241 91 – Hans Folz: Das Spiel vom Dreck KF Nr. 23  267 92 – Hans Folz: Liebesnarren vor Venus KF Nr. 32  287 93 – Der Hasenkauf KF Nr. 35  303 94 – Vier Reden KF Nr. 36  311 95 – Domherr und Kupplerin KF Nr. 37  319 96 – Hans Folz: Weibernarren vor Venus KF Nr. 38  331 97 – Hans Folz: Zwölf buhlerische Bauern KF Nr. 43  345 98 – Hans Folz: Weibernarren KF Nr. 44  361 99 – Hans Folz: Die Handwerker KF Nr. 50  371 100 – Hans Folz: Die Fastnacht vor Gericht KF Nr. 51  389 101 – Der törichte Tausch KF Nr. 55  411 102 – Hans Folz: Der Ehevertrag KF Nr. 58  425 103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung I) KF Nr. 60  443 103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II) KF Nr. 60  479 104 – Zeugenaussagen KF Nr. 61  517 105 – Hans Folz: Der Berner und der Wunderer KF Nr. 62  529 106 – Hans Folz: Das Rätselspiel (Fassung I) KF Nr. 63  543 106 – Hans Folz: Das Rätselspiel (Fassung II) KF Nr. 63  559 107 – Die zwölf faulen Pfaffenknechte KF Nr. 64  569 108 – Hans Folz: Kaiser Konstantin und Silvester KF Nr. 106  583 109 – Hans Folz: Ein Marktschreierspiel KF Nr. 105  635 110 – Hans Folz: Ein Bauerngericht KF Nr. 112  649 111 – Hans Folz: Von einem Arzt und einem Kranken KF Nr. 120  661

 Einleitung . Warum Fastnachtspiele? Den vorreformatorischen Fastnachtspielen Nürnberger Provenienz begegnete die Forschung lange Zeit zumindest mit Distanz, meist jedoch mit Ekel, 1 vernichtende Urteile begleiteten sie über Jahrhunderte. 2 Es ist das Verdienst E. Catholys, dass die Spiele trotz aller unstrittigen Defizite erstmals überhaupt als literarische Werke wahrgenommen wurden. In der Folge etablierten sich zunehmend ästhetisch wertneutrale literaturwissenschaftliche, 3 volkskundliche 4 und kulturwissenschaftliche 5 Herangehensweisen, deren Ziel das Verstehen, nicht die Verurteilung der Spieltexte ist. Seit den 90er Jahren geriet das Genre zunehmend und in verschiedenerlei Hinsicht in den Fokus des soziohistorischen bzw. soziokulturellen Interesses, 6 insbesondere unter dem Aspekt der Erörterung des subversiven Potentials. 7 Dabei sind die teilweise kontroversen Versuche der Verortung der Spieltexte keineswegs unumstritten. Der 2009 erschienene Tagungsband Ridder: Fastnachtspiele des Kolloquiums von 2007 in Blaubeuren spiegelt den aktuellen Forschungsstand und vermittelt die gegenwärtig verhandelten Fragestellungen und verschiedenartigen Herangehensweisen an den Komplex des vorreformatorischen Fastnachtspiels. Die Spiele sind trotz ihrer robusten Schlichtheit als literarisch-dramatische Kunst- und Ausdrucksform zu verstehen. Eine abschließende literatur- bzw. kulturgeschichtliche Einordnung oder gar Würdigung blieb und bleibt aufgrund der Fremdartigkeit der Texte, ihrer historischen wie sozialen Implikationen, ihrer thematischen Derbheiten und strukturellen wie auch ästhetischen Defizite jedoch schwer. 8 Seitens der Forschung ging man vorzugsweise eben jene Spiele an, die aufgrund ihrer literarischen oder thematischen Qualitäten modernen Rezeptionsgewohnheiten eher entgegenkommen und beleuchtete sie primär aus dieser Position. Infolgedessen wurden

 1 Vgl. Bastian: Mummenschanz, S. 52; Froning: Drama, S. 961f.; Goedeke: Grundriss, S. 325ff. 2 Vgl. Linke: Aspekte, S. 11. 3 Vgl. Catholy: Fastnachtspiel; Janota: Orientierung, S. 375ff; Grafetstätter: Ludus. 4 Vgl. Bachtin: Literatur; Moser: Fastnacht. 5 Vgl. Dietl: Drama. 6 Vgl. Grafetstätter: Ludus; Ridder/von Lüpke/Nöcker: festival; Przybilski: Bändigung. 7 Vgl. von Lüpke: Fastnachtspiele. 8 Vgl. Michael: Drama. https://doi.org/10.1515/9783110452006-001

XII  Einleitung

lange die Spiele ausgeblendet, die scheinbar ohne ästhetischen Reiz oder wahrnehmbaren Sinn auskommen: Texte, in denen prahlende Bauern, wütende Ehefrauen, skatologische Speisevorschläge und überzeugte Arbeitsverweigerer im Zentrum standen, wurden zu Unrecht kaum berücksichtigt. Aufgrund ihes hohen Anteils am Gesamtvolumen der Fastnachtspiele ist das unangebracht. Bei der Rekonstruktion der Rezeptionsgewohnheiten des Zuschauers müssen diese Spiele stärker berücksichtigt werden, möglicherweise müssen diese Thematiken als primär gattungskonstituierend angenommen werden. Die Texte werfen vor allem Fragen auf nach dem seinerzeit gültigen Verständnis von Komik und deren Verhältnis zu sozio-ökonomischen Zusammenhängen und politischen Hintergründen, vor denen sie inszeniert wurden. Insbesondere die Übertretung bzw. Einhaltung sozialer Standards in den Spieltexten liegt für den heutigen Betrachter oft unstrukturiert nebeneinander. Der seinerzeit beteiligte Zuschauer war hingegen offensichtlich imstande, die innerhalb der vergnüglichen Unterhaltung angelegte Didaxe herauszufiltern. Die Spiele können insofern trotz oder gerade wegen all der noch zu beschreibenden kompositorischen und stilistischen Schwächen, brachialen Derbheiten und logischen Brüche bei der Rekonstruktion von Realitätskonzeptionen einer sich emanzipierenden stadtbürgerlichen Bevölkerung behilflich sein. Die wirtschaftlichen Entwicklungen und geistigen Strömungen des 15. Jahrhunderts führten in weiten Teilen der Bevölkerung zu erheblichen Verlustängsten und metaphysischen Irritationen (siehe: 1.5.1 Die historische Situation – Allgemein). Die Lübecker Spiele bspw. thematisierten den Wertverlust bürgerlicher Tugenden gegenüber ökonomischen Partikularinteressen. 9 Hieraus eröffnete sich jedoch die Möglichkeit zur Herausbildung neuer literarischer Konzepte: Die Bindungskraft tradierter Muster ist gemindert, die Anzahl erprobender, neuer Spielarten potentiell erweitert. Die Spieltexte sind aber noch nicht als Produkte kritisch argumentierender Individuen im modernen Sinne zu verstehen, zu stark sind die habituellen Verwurzelungen in älteren Strukturen und Mustern. Die Spiele spiegeln nicht nur einen historisch messbaren Wertewandel, sie werden in rezeptionsästhetischer Hinsicht gleichzeitig von ihm getragen. Vor dieser Folie des Möglichen, vor der sich in bis dato unbekannter Weise das Schaffen des Einzelnen herausbilden und organisieren konnte, stärker herausgelöst aus kollektiven, allgemeingültigen Verbindlichkeiten und Konzeptionen, sind die Spiele auch als Schöpfungen von Privatpersonen für Privatpersonen innerhalb eines lokal umschriebenen Raums mit seinen spezifischen Ordnungs- und Deutungsmodellen zu sehen. Es ist bislang unzureichend versucht worden, diese neuen Funktionen und deren Folgen für die Inhalte und für das Arrangement der Spiele in Verbindung zu den konkreten

 9 Vgl. Linke: Aspekte, S. 15.

Was sind Fastnachtspiele?  XIII

Produktionsbedingungen und -möglichkeiten der Verfasser zu setzen. Stattdessen erfolgten Untersuchungen allzu häufig zu thematischen Ausreißern politischen oder religiösen Inhalts, die eine Annäherung vermittels eines neuzeitlichen literaturwissenschaftlichen Werkzeugkastens aufgrund ihrer argumentativen Strategien zwar erleichtern, die aber eben bei Weitem nicht die Mehrheit innerhalb des frühen Nürnberger Fastnachtspielkorpus ausmachen.

. Was sind Fastnachtspiele? Trotz bestehender Einigkeit bezüglich der literaturwissenschaftlichen Verortung bzw. Abgrenzung der Spiele ist eine spezifische Beschreibung der gattungskonstituierenden Merkmale kaum möglich. 10 Wenn im Folgenden von Fastnachtspielen die Rede sein wird, so bezieht sich dies stillschweigend auf die vorreformatorischen Fastnachtspiele aus der Reichsstadt Nürnberg. Auf Fastnachtspiele aus der Schweiz, Lübeck oder Sterzing sind die Äußerungen ebenso wenig zu beziehen wie auf die nachreformatorischen Nürnberger Spiele, insbesondere die des Hans Sachs, des Peter Probst und des Jakob Ayrer. Der folgende Versuch kann insofern nur als Mittel zum Zweck in Bezug auf die vorliegende Edition verstanden werden. So sollen im Folgenden solche Texte als Fastnachtspiele verstanden werden, die meist um die Fastnacht öffentlich dramatisch umgesetzt wurden oder aufgrund der Textstruktur zumindest dramatisch umgesetzt werden konnten. Meist eingerahmt von einer Ein- bzw. Ausschreierrede, die die Bühnensituation erklären und in das Spielgeschehen ein- und aus ihm herausführen soll, werden oftmals in loser Reihung, seltener dialogisch, Alltagsszenen derb-komisch überspitzt bzw. in ihr Gegenteil verkehrt umgesetzt. Die Anzahl der Verse liegt in der Mehrzahl der Texte bei 200 – 350, deutlich umfangreichere Spiele bleiben die Ausnahme. Es handelt sich dabei häufig um die Schilderung von Szenen des stadtbürgerlichen Alltags: Streitereien unter Eheleuten, Gerichts- und Werbeszenen, Eheschließungen, mehr oder minder erfolgreiche Liebesabenteuer, kulinarische Ausschweifungen, Szenen aus dem Arbeitsleben oder Schilderungen körperlicher Dysfunktionen und deren Therapierung. Anknüpfungen an literarisch-poetische Traditionen, politische Ereignisse oder religiöse Themenkomplexe sind die Ausnahme, 11 historische Inhalte in unserem modernen Verständnis fehlen abgesehen von R 16 ,Klerus und Adel‘ und R 47 ,Des Türken Fastnachtspiel‘ im Werk des Hans Folz gänzlich. Die Art der Schilderung dieser meist banalen Szenen steht häufig in Opposition zu seinerzeit gültigen ästhetischen wie ethischen Normen. Die intendierte Absicht der Spiele ist zunächst komische Unterhaltung im Rahmen fastnächtlichen Brauchtums.  10 Vgl. Brett-Evans: Hrotsvit, S. 143; Habel: Motiv- und Stoffbestand, S. 130ff. 11 Vgl. Grafetstätter: Ludus; anders von Lüpke: Fastnachtspiele, S. 53 und passim.

XIV  Einleitung

In dem ambivalenten Spiel mit der Einhaltung bzw. Übertretung sozialer Standards korrespondieren sie jedoch zusehends mit diesen, wie an späterer Stelle noch zu zeigen sein wird. Das Personal der Spiele besteht aus wahlweise tumben oder schimpfenden Bauern, zänkischen Frauen, Liebesnarren und Ehebrechern, meist niederen Vertretern der Geistlichkeit, fahrenden Händlern, Juristen und vagierenden Ärzten sowie deren Dienern. In Ausnahmefällen treten ferner auf: Vertreter sozialer Randgruppen (Kupplerinnen, Bettler, Müller), religiöser Minderheiten (Juden, Muslime) sowie historische Persönlichkeiten (Aristoteles, Helena), fiktive geistliche und weltliche Potentaten (Kaiser, Hochadel, Ritter, Bischof, Abt, Domherr), allegorische Figuren bzw. Personifikationen (Ecclesia, Synagoge, Fastnacht) sowie religiös bzw. mythisch (Antichrist, Wunderer, Teufel, wilder Mann), mythologisch (Venus), oder literarisch (Narr, Dietrich, Neidhart, Artus, Lunete, Salomon und Markolf) etablierte Figuren. Das Fehlen von Handwerkern und städtischen Händlern in dieser Liste wird von der Forschung als Hinweis darauf verstanden, dass Produzenten und Rezipienten aus eben jenen Schichten stammten.

. Begründung der Neuedition Die editorische Erschließung des Fastnachtspielkorpus entspricht bis dato dem gestiegenen Interesse der Forschung in keiner Weise. 12 Die von Keller erarbeitete und bislang maßgebliche Ausgabe der vorreformatorischen Nürnberger Fastnachtspiele aus den Jahren 1853 und 1858 ist in vielerlei Hinsicht heute allenfalls eingeschränkt zu gebrauchen. 13 So bieten die dort vorgenommenen Normalisierungen keinen Zugriff auf den historischen Sprachstand, die Zusammenstellung der Texte ist unsystematisch und primär durch die Verfügbarkeit der Überlieferungsträger gestützt. Die stellenbezogenen sowie die Einzeltexte abschließenden, in lokaler, kultureller und historischer Hinsicht erschließenden Kommentierungen und grammatischen Erläuterungen der Neuausgabe sollen eine zeitgemäße Nutzung der Texte gewährleisten. Die in der Keller-Ausgabe in Band III gegebenen Erklärungen sind für das Verständnis und die Verortung der Spieltexte unzureichend, bisweilen sogar irreführend, ebenso zahlreiche der vorgenommenen Konjekturen. Neuzeitliche Interpunktion soll den Zugang darüber hinaus erleichtern.

 12 Vgl. Nöcker/Schuler: Überlieferung, S. 363; Habel: Zeugniswert, S. 106. 13 Grafetstätter: Ludus, S. 8ff.

Editionsprinzipien  XV

Einige Teileditionen 14 konnten die genannten Defizite partiell ausgleichen und waren bei der Entwicklung der Editionsprinzipien und Kommentierungskonventionen überaus hilfreich.

. Editionsprinzipien Es wurde nach dem Leithandschriftenprinzip unter Einbeziehung aller ermittelbaren Textzeugen verfahren. Die Texte sind, sofern dort enthalten, nach der Wolfenbütteler Handschrift G ediert. Varianten weiterer Zeugen wurden im Lesartenapparat verzeichnet. 15 Der Editionstext ist diplomatisch widergegeben, lediglich Abbreviaturen wenig sinnvoll erscheinender Dittographien am Wortende wurden zwecks besserer Lesbarkeit nicht umgesetzt. Notwendige Eingriffe in den Editionstext sind markiert und im textkritischen Apparat aufgelöst. Ergänzungen werden in spitze Klammern gesetzt, Streichungen werden in eckige Klammern gesetzt, Änderungen werden durch Kursivierung markiert. In der jeweiligen Fußnote erscheint zunächst die rekonstruierte, dahinter, durch eine eckige Klammer abgesetzt, die in der Handschrift vorgefundene Schreibung. Die Seitenzahlen der Kellerausgabe (KF) werden ebenso wie die Paginierung der Überlieferungsträger rechts mitgeführt. Formale wie motivische Parallelen innerhalb des Fastnachtspielkorpus werden ebenfalls in den Marginalien geführt. In drei Fällen lag ein Spiel in jeweils zwei Fassungen vor, die einen zusätzlichen Abdruck rechtfertigten (siehe auch die Endkommentare zu den Spielen F 86, F 103 und F 106). Hier wurde jeweils zunächst die Leithandschrift wiedergegeben, gefolgt vom jeweiligen Endkommentar und daran anschließend die Variante. Zu Beginn des Editionsvorhabens wurden die bei Keller abgedruckten Spieltexte in zwei Teilkorpora gesplittet. Da sind zum einen diejenigen, die aufgrund einer Autorsignatur mit Sicherheit aus der Feder Hans Rosenplüts (geb. um 1400, gest. um 1460) stammen, 54 an der Zahl, sowie 26 Spiele, für deren Verfasserschaft Rosenplüt mit einiger Gewissheit anzunehmen ist. Daneben steht das in dem vorliegenden Band bearbeitete, weniger konkret umrissene Teilkorpus. Hier finden sich neben von Folz signierten Spieltexten auch solche, die seitens der Forschung Hans Folz mehr oder minder wahrscheinlich zugewiesen bzw. in dessen literarischem Umfeld verortet werden. Diejenigen der bei Keller gedruckten Texte, die keinem der beiden Verfasser zuzuschreiben sind und für die Nürnberg als Entstehungsort nicht in Frage kommt, sind in der vorliegenden Edition nicht berücksichtigt.

 14 Vgl. Ridder/Steinhoff: Nürnberger Fastnachtspiele; Spriewald: Folz-Auswahl; Thomke: Deutsche Spiele; Wuttke: Fastnachtspiele. 15 Vgl. Nöcker/Schuler: Überlieferung, S. 364ff.

XVI  Einleitung

Insgesamt nennt sich Folz selbst als Verfasser in sieben Spielen, aufgrund formaler wie inhaltlicher Aspekte galt seine Verfasserschaft bislang für weitere sechs Spiele als gesichert. 16 Im Zuge der vorliegenden Arbeiten konnten sieben weitere Texte Folz zugewiesen werden. Es handelt sich dabei um F 87, F 90, F 91, F 92, F 102, F 105 und F 106. Für die nicht zuweisbaren Spieltexte wurden seitens der Forschung wenig konkrete und ebenso wenig dienliche Konstruktionen entwickelt wie „Folz-Umkreis“ vs „Folz-Tradition“. Eine Unterscheidung in derartige Kategorien behebt aber nicht die Probleme, sie belegt diese allenfalls: Da keiner dieser Begriffe ausreichend begründet und abgesteckt wurde, soll diese Terminologie in der vorliegenden Edition dahingehend überwunden werden, dass die Folz nicht eindeutig zugewiesenen Spiele nicht weiter binnendifferenziert werden. Bei diesen Spielen, die aus Nürnberg stammen und in die Zeit vor 1494 zu datieren sind, wurde auf eine Autorzuweisung durch die Herausgeber verzichtet. Die Spiele wurden entsprechend ihrer Reihenfolge in den Handschriften G, N und X sowie der Drucke f und b in der Neuedition angeordnet (siehe: 2 Überlieferung). Dabei wurden die 80 Rosenplütspiele mit den Nummern R 1 bis R 80 versehen, das Folzkorpus umfasst die Nummern F 81 bis F 111. Die nur bei Keller, nicht aber in der Neuedition abgedruckten Spiele sind mit K gekennzeichnet. Eine Konkordanz findet sich im Anschluss an die Handschriftenbeschreibung dieser Edition.

. Die historische Situation 1.5.1

Allgemein

Der gottgewollte ordo befand sich im 15. Jahrhundert in Auflösung. Dies manifestierte sich nicht zuletzt in der Ablösung des grundherrschaftlichen Prinzips, dem Adel und Bauern genuin gleichermaßen folgten. Die Konzentration von Kapital aufgrund von Spekulationen, also der Loslösung des Preises vom eigentlichen Produkt, ließ eine bislang kaum in Erscheinung getretene Schicht stark an Einfluss gewinnen: die Händler. Diese Ersetzung der Natural- durch die Geldwirtschaft verschob ökonomische Fundamente: Nicht der Besitz an sich, sondern die Arbeit wurde Grundlage für materiellen Wohlstand. Beide Seiten erkannten diese Erosionsprozesse und wurden in deren Verlauf zu erbitterten Opponenten, an deren Ende der Adel jedoch seine ordnungspolitische Funktion weitgehend verloren hatte. Dieses neue Wirtschaftssystem war wesentlich dynamischer als die mittelalterliche fest gefügte Ständeordnung, es ließ dem Einzelnen mehr Optionen des Gelingens. Individueller wirtschaftlicher Aufund Abstieg lagen hier deutlich näher beieinander und wurden ebenso zu Möglichkeit, Bedrohung und schließlich Lebenswirklichkeit weiter Teile der Bevölkerung.  16 Vgl. Janota: Art. ,Hans Folz‘, Sp. 779.

Die historische Situation  XVII

Kollektiv erfahrene ökonomische Krisen wie Teuerungen infolge der Spekulation mit Lebensmitteln sind ebenfalls Folgen dieses neuen Wirtschaftsgefüges. Gleichzeitig erwuchs mit der Westexpansion des Osmanischen Reiches eine Bedrohung von außen. Demgegenüber schwand der Glaube an die Autorität und Legitimität des Kaisers, das Ende des Heiligen Römischen Reiches als Garant für eine verlässliche Grundordnung schien nahe zu sein. Aus diesen ökonomischen und politischen Verschiebungen sowie regelmäßigen Seuchenzügen erwuchs eine allenthalben anzutreffende, literarisch wie historisch mannigfaltig belegbare Verunsicherung weiter Teile der Bevölkerung. Die hieraus resultierenden kulturellen Entsprechungen und Entwicklungen (R 47 ,Des Türken Fastnachtspiel‘, die Visionen Johannes Lichtenbergers, zahllose Praktiken, Apokalypsen und Totentänze, die weit verbreitete Ars moriendi-Literatur) sind als Begleiterscheinung, als Eindruck und Ausdruck für das kollektive Bewusstsein maßgeblich und prägend. Hiermit einhergehend formierte sich ein distanzierterer Umgang mit religiösen Institutionen, die den Ansprüchen einer zunehmend irritierten Bevölkerung in ihren erstarrten Strukturen kaum mehr zu genügen vermochten. Den Menschen der Vormoderne ist generell ein deutlich geringeres Maß gesellschaftlicher Regulierung des Trieblebens zu unterstellen, sie sind wesentlich unvermittelter agierend zu denken. 17 Auch die Intimisierung körperlicher Funktionen ist gegenüber unseren Auffassungen noch wenig vorangeschritten. 18 Man kann ihnen schließlich eine deutlich höhere Bereitschaft zu dem modernen Menschen unvernünftig erscheinenden Handlungen unter Ausblendung möglicher Konsequenzen und Sanktionen attestieren. 19 Diese Unmittelbarkeit gegenüber thematischen Komplexen wie Diätetik, Sexualität und Gewalt gilt es auf dem langen Weg hin zu Einordnung und Verständnis der Spieltexte stets zu bedenken, wenngleich in stadtbürgerlichen Kontexten eine allmähliche Privatisierung einsetzte und die ostentativunreflektierte Präsentation von Körperlichkeit zumindest tendenziell seinerzeit bereits als abwegig und anachronistisch angesehen wurde.

.. Stadtgeschichte Die Reichsstadt Nürnberg war im ausgehenden Mittelalter das florierende und pulsierende Zentrum für Kultur, Handwerk und Handel auf deutschem Reichsgebiet. 20 Infolgedessen regten sich seitens des umliegenden Landadels Begehrlichkeiten hinsichtlich des städtischen Erzabbaus und Versuche der juristischen Einflussnahme.  17 Vgl. Elias: Prozess, S. 269. 18 Vgl. Elias: Prozess, S. 261. 19 Vgl. Elias: Prozess, S. 276f. 20 Vgl. Diefenbacher/Beyerstedt: Nürnberg.

XVIII  Einleitung

Die Zwistigkeiten mündeten in die kriegerischen Auseinandersetzungen der Jahre 1449/1450, während derer städtische Hintersassen außerhalb der Stadtmauern Opfer von Brandschatzung und Wüstungen wurden. Diese erfolgten zumeist auf Betreiben der Markgrafen. 21 Das Verhältnis der Gegner in diesem Konflikt blieb trotz des Friedensschlusses von 1453 dauerhaft angespannt, gewalttätige Übergriffe und Handgreiflichkeiten des umliegenden Adels gegenüber Nürnberger Hintersassen und Händlern außerhalb der Stadtmauern blieben über Jahrzehnte hinweg die Regel. Obwohl Nürnberg direkt dem Kaiser unterstellt war, konnte dieser während der gesamten Epoche der Blüte der Stadt keinerlei dauerhaften militärischen Schutz gewähren. Nürnberg musste die Sicherung der eigenen Position stets eigenverantwortlich durchsetzen, was der Rückversicherung der eigenen Stärke und des bürgerlichen Selbstvertrauens zuträglich war. 22 Der wirtschaftliche Aufschwung und die europaweit reichenden Handelsbeziehungen waren Folgen von Neuerungen in Fertigung und Warenaustausch, namentlich das auf Vorfinanzierung gründende Verlagswesen ermöglichte eine effektivere Produktion. 23 Diese Entwicklung wiederum wurde getragen durch technische Optimierungen und Innovationen in der Massenfertigung. Ganz im Gegensatz dazu stellte sich die administrative Position eben jener prosperierenden Schicht der Handwerker und aufstrebenden Händler dar: Im Rat waren sie weitgehend ausgeschlossen, das ebenfalls durch das genuin stadtadelige Patriziat bestimmte Rugamt (Gewerbeamt) erstellte Handwerksordnungen und verantwortete deren Einhaltung. 24 Trotz formaler Öffnungsprozesse war der Aufstieg in diese Oberschicht bis 1794 praktisch unmöglich. So positionierten sich neue Eliten gegenüber der mittelalterlichen Führungsschicht. Auf diese Weise wandelte sich das soziale Gefüge der Stadt. Die Bauern der umliegenden reichsstädtischen Territorien wurden in der gesellschaftlichen Hierarchie vollends nach unten durchgereicht, die Spanne zwischen arm und reich vergrößerte sich. Für den Entstehungszeitraum des Folzkorpus scheint dieser Prozess abgeschlossen: Das merkantile Prinzip hatte sich zu diesem Zeitpunkt durchgesetzt, auch der Landadel spielte keine ernst zu nehmende Rolle mehr. Die Figur des Bauern dient nur mehr als Projektionsfläche für Komisches und Abnormes. Sie nimmt, wie noch zu zeigen sein wird, hierin andere Aufgaben wahr, als lediglich Vertreter eines sozialen Standes bzw. gesellschaftlichen Systems zu sein. Spitzen gegenüber dem adelsähnlich agierenden, ebenfalls im Handel tätigen Patriziat ließen sich aufgrund genannter hierarchischer Strukturen indes kaum in die Spieltexte einbauen.

 21 Vgl. Diefenbacher/Beyerstedt: Nürnberg, S. 1575; Hirschmann: Zeitalter, S. 117; Garber: Nürnberg, S. 243. 22 Vgl. Hirschmann: Zeitalter, S. 115, 120; anders Diefenbacher/Beyerstedt: Nürnberg, S. 1572. 23 Vgl. Kellenbenz: Wirtschaftsleben, S. 186ff. 24 Vgl. Endres: Handwerk, S. 51ff.; Kellenbenz: Gewerbe, S. 176.

Die historische Situation  XIX

Auch innerhalb der Handwerkerschaft und des Händlertums verschärfte sich zusehends die wirtschaftliche Situation. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wuchs der ökonomische Druck insbesondere auf die kleineren Produzierenden und Gewerbetreibenden, die verstärkt untereinander in Konkurrenz gedrängt wurden. In dieser Zeit verloren insbesondere die kleinen Handwerksbetriebe wirtschaftlich und sozial zusehends an Boden. 25 Immer mehr Mitglieder der anfänglich handwerklichen Mittelschicht sahen sich im Zuge dieser sozialen Marginalisierung und ökonomischen Deklassierung gezwungen, Schuldner jüdischer Geldverleiher zu werden. 26 Hiermit einhergehend lassen sich verstärkt wirtschaftlich motivierte Agitationen gegen Angehörige dieser Religionsgemeinschaft konstatieren. 27 Grundsätzlich waren weite Teile des sozialen Lebens wie auch des dichterischen Schaffens durch eine Unzahl reglementierender Dekrete und Erlasse des Rats der Stadt geprägt. 28 Unter anderem war es Handwerkern nicht gestattet, sich offiziell gemeinschaftlich zu organisieren. 29 Janota vermutet, dass die Entstehung der allerorten neu entstehenden Singschulen, in denen das stark religiös angebundene Meisterlied von Handwerkern eingeübt wurde, gewissermaßen als Umgehung dieses Versammlungsverbots zu bewerten ist. 30 Gleiches gilt für die Laienspielertruppen, die gemeinsam die Fastnachtspiele einstudierten. Daneben belegen zahlreiche Ratsverlässe die in den Spieltexten häufig thematisierte sexuelle Promiskuität indirekt und zeigen die auch hier weit reichende Einflusssphäre städtischer Regulierungsbestrebungen auf Bereiche, die heute intim oder privat verhandelt werden. 31 Die auf wirtschaftliches Prosperieren angelegte kaufmännische Führungsschicht schickte die männliche Nachkommenschaft zunehmend zu vorzugsweise juristischen Studien nach Italien. Hier kamen die Bürgersöhne erstmals mit Ideen und Inhalten des Humanismus in Kontakt. 32 Als Niederschlag dieses so importierten Gedankenguts sind die Nürnberger Chroniken Sigmund Meisterlins und Hartmann Schedels aus den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts zu verstehen. Nahezu zeitgleich ge-

 25 Vgl. Bastian: Mummenschanz, S. 38ff.; Endres: Sozialstruktur, S. 198. 26 Vgl. Michelfelder: Tätigkeit, S. 255ff.; Toch: Geldhandel, S. 309. 27 Auf ökonomische Interessen als ein zentrales Movens für antijüdische Agitation hat die Forschung bereits mehrfach im Zusammenhang mit dem Folzschen Œuvre hingewiesen (vgl. hierzu Wenzel: Judenproblematik, hier bes. S. 104 und Janota: Hans Folz, hier bes. S. 82). Kritisch zu dieser Annahme äußert sich dagegen Rautenberg: Werk, die in ihrem Beitrag Drucke Folzscher Reimpaarsprüche untersucht. 28 Vgl. Baader: Polizeiordnungen; Kusch: Nürnberg, S. 266. 29 Vgl. Endres: Handwerk, S. 52f. 30 Vgl. Janota: Hans Folz, S. 79. 31 Vgl. Bastian: Mummenschanz, S. 49. 32 Vgl. Pfanner: Humanismus, S. 127.

XX  Einleitung

langten Nürnberger Künstler wie Peter Vischer d. Ä. und Albrecht Dürer, Hans Schäufelein, Wolf Traut, Hans Baldung und Hans Suess 33 sowie der dort zumindest zeitweise ansässig gewordene Veit Stoß zu höchster Meisterschaft und festigten den Ruf Nürnbergs als kulturelles Zentrum des Reiches. 34 Im Gegensatz zu dieser kulturellen und wirtschaftlichen Blüte stand die desolate Verfasstheit der städtischen Hygiene. Ein Kanalsystem bestand nicht, ebenso wenig eine hinreichende Entsorgung der Abfälle und Tierkadaver. 35 Schweinehaltung innerhalb der Stadtmauern war üblich, gepflasterte Straßen und Plätze waren noch nicht die Regel und die Reihenfolge von Wasserentnahme und Einleitung von Brauchwasser bzw. Fäkalien in die Pegnitz war allenfalls rudimentär reguliert. 36 Die Präsentation des Fäkalischen in zahlreichen der Fastnachtspiele von Hans Folz muss vor dieser Allgegenwart von Kot und Unrat gesehen werden.

. Hans Folz Hans Folz wurde um 1435/40 in Worms geboren. In einem Reimpaarspruch gibt sich Folz selbst als Bewohner Nürnbergs für das Jahr 1473 zu erkennen, 37 die metrische Unwucht in Vers 656 in F 108 lässt sogar auf literarisches Schaffen im Jahr 1470/71 schließen (vgl. den Endkommentar zu F 108: Datierung). Eine Urkunde von 1459 lässt bereits dieses Datum wahrscheinlich für Folzens Ankunft in Nürnberg erscheinen, 38 ohne es jedoch zweifelsfrei zu belegen. Aus diesen Angaben errechnet sich die oben genannte Zeitspanne für sein Geburtsdatum. 39 Sein Sterbedatum fällt aufgrund der Erwähnung in einem Totengeläutbuch auf den Anfang des Jahres 1513. 40 Man muss ihm in wirtschaftlicher Hinsicht Tüchtigkeit unterstellen. So war er zunächst als Barbier und Wundarzt tätig. Daneben betrieb er von 1479 bis mindestens 1488 eine Druckerpresse zur Publikation seiner Texte. 41 Zusätzlich versuchte er, die

 33 Vgl. Knappe: Malerei, S. 259. 34 Vgl. Diefenbacher/Beyerstedt: Nürnberg, S. 1572f. und passim; Endres: Sozialstruktur, S. 194; Kusch: Nürnberg, S. 153f.; Reicke: Geschichte, S. 556. 35 Vgl. Endres: Sozialstruktur, S. 198. 36 Vgl. Reicke: Geschichte, S. 557f. 37 Vgl. Fischer: Hans Folz, S. 217. 38 Vgl. Fischer: Hans Folz, S. 234. 39 Vgl. Fischer: Hans Folz, S. 235. 40 Vgl. Burger: Totengeläutbücher, S. 188, Nr. 6019. 41 Vgl. Spriewald: Hans Folz, S. 252f.

Hans Folz  XXI

Aufführung seiner Spiele zur Erhebung eines Entgelts von seinem Publikum 42 zu nutzen, das explizite Verbot dieser Praxis aus den Jahren 1474 43 bzw. 1486 belegt diese Ambitionen. 44 Schließlich stellte er die wirtschaftlich lukrative Produktion eigens angefertigter Drucke spätestens 1493 ein, in eben jenem Jahr, in dem er eine einträgliche Immobilie erwarb. 45 Innerhalb kurzer Zeit gelang ihm ein erstaunlicher sozialer wie ökonomischer Aufstieg: Bezieht man die oben genannte Erwähnung von 1459 auf den aus Worms stammenden Folz, dann belegt sie dessen zunächst wirtschaftlich randständige Stellung, entstammt sie doch einer städtischerseits erstellten Liste minderbegüterter Bürger. 46 Im Anhang zu Traktat 103 teilt er mit, dass er die Abschrift für den Ehrbaren Anton Haller angefertigt hat, seit 1487 Schwiegervater des berühmten Arztes und Verfassers der Weltchronik, Hartman Schedel, 47 im Prolog des Pestregimens Nr. 45 nennt er diesen ebenfalls einen besundern guten freunt. 48 Seit 1498 war Folz geschworener Meister der Wundarznei der Stadt Nürnberg, ein hohes und äußerst angesehenes Amt innerhalb der Handwerkerschaft. 49 Gegen Ende seines Lebens bemühte er sich zunächst vergebens im Jahr 1506 bei den Augustinern, 1509 dann erfolgreich im Spital der Heilsbronner Zisterzienser um Aufnahme, wo er seine letzten Jahre verbrachte, 50 was ebenfalls als Beleg seines wirtschaftlichen Aufstiegs zu bewerten ist. Neben den Fastnachtspielen tat sich Hans Folz als Verfasser von Reimpaarsprüchen 51 und Meisterliedern 52 hervor. Insbesondere auf letzterem Gebiet gelangte er zu stilistischen und kompositorischen Möglichkeiten, die in den Fastnachtspielen kaum angelegt sind. Hans Folz nahm zunächst eine eher skeptische Haltung gegenüber der Gattung Fastnachtspiel ein, die er für eine Fingerübung geringen literarischen Werts für den Einsteiger hielt. 53 Die früheren Werke der 1470er Jahre sind vorzugsweise geistlichen Inhalts, die 1480er Jahre können als die produktivsten angenommen werden und Mitte der 1490er Jahre stellte Folz den Literaturbetrieb gänzlich ein. 54

 42 Vgl. Janota: Art. ‚Hans Folzʻ, Sp. 779. 43 Vgl. Hampe: Entwicklung II, S. 101, Nr. 3. 44 Vgl. Fischer: Hans Folz, S. 216; Hampe: Entwicklung II, S. 102, Nr. 9. 45 Vgl. Janota: Hans Folz, S. 82, Anm. 86; Fischer: Hans Folz, S. 215. 46 Vgl. Fischer: Hans Folz, S. 234. 47 Vgl. Fischer: Hans Folz, S, 220. 48 Folz: Reimpaarsprüche, S. 429 49 Vgl. Fischer: Hans Folz, S. 215, Anm. 1. 50 Vgl. Fischer: Hans Folz, S. 215f. 51 Folz: Reimpaarsprüche. 52 Folz: Meisterlieder. 53 Vgl. Folz: Meisterlieder, Nr. 91, 38 – 42; Folz: Reimpaarsprüche, Nr. 25, 286f.; vgl. Janota: Art. ,Hans Folz,ʻ Sp. 779. 54 Vgl. Fischer: Hans Folz, S. 227.

XXII  Einleitung

Sein Gesamtwerk sowie dessen Zustandekommen muss in engem Zusammenhang mit den seinerzeit üblichen Praktiken der Produktion und des Vertriebs von Handelsgütern gesehen werden. Als Poet verarbeitete Folz unter anderem bekannte Stoffe und Muster, legte Reimwortregister an 55 und verfertigte Vorabversionen seiner Werke. Es treten unterschiedliche Bearbeitungszustände seiner Spiele zutage, die Zeugnis ablegen von einzelnen Arbeitsgängen und Glättungsprozessen. Hatte ein auf diese Weise zusammengestelltes und abgerundetes Spiel den gewünschten Status, ging es in Druck und wurde vermarktet. Folz tritt in dieser Vorgehensweise als Handwerkerdichter auf, der sich als Teil einer sich eben erst ausdifferenzierenden sozialen Neuordnung versteht, der seine Rolle dort aber energisch zum eigenen Vorteil zu nutzen sucht. Den Themenkreis der Reihenspiele älteren Formats erweitert Folz um literarische Traditionen und Topoi: das Heldenepos, die Adversus-Judaeos-Tradition, den Faulheitstopos aus der Exempeldichtung, das Rätsel, den Kaiser-und-Abt- sowie den Salomon-und-Markolf-Stoff. Außerdem kommt er für die dramatische Bearbeitung des Neidhartschwanks und des Schwanks ,Frau Metze‘ als Verfasser zumindest in Frage. Darüber hinaus installiert Folz Tanzschluss und Stichreim. 56 Eine weitere Innovation ist in der strukturierenden und kommentierenden Rolle des Narren zu sehen, die dieser in den Spielen F 88 ,Der Herzog von Burgund‘, F 90 ,Kaiser und Abt‘ sowie F 103 ,Salmon und Markolf‘ einnimmt. 57 Vor allen Dingen aber ist es Folzens Verdienst, die schlichte Reihung der älteren Revuen mit lediglich lose untereinander verbundenen Einzelreden um zusätzliche Momente dramaturgisch bereichert zu haben. Die einzelnen Reden sind in der alten Tradition allenfalls formal durch die Überbietung des Vorredners verknüpft, inhaltliches Aufgreifen oder thematischer Anschluss an die vorige Redepartie erfolgen in dieser dramatischen Darreichungsform hingegen kaum. Frei von gestischen und mimischen Herausforderungen vollführen die Akteure in den frühen Reihenspielen lediglich den mündlichen Vortrag eines solchen Textes auf einer Bühne. Folz ergänzt die seriell geschalteten Einzelmonologe der älteren Fastnachtspieltradition um dialogische Sequenzen. Hier werden nicht Ereignisse berichtet, vielmehr werden sie in sich geschlossen inszeniert, die Bühne wird zum Raum einer prinzipiell fiktiven Alternative zum Seienden. 58 Solchermaßen dramatisches Geschick beweist er insbesondere in F 86 ,Die Bauernhochzeit‘, F 90 ,Kaiser und Abt‘, F 102 ,Der Ehevertrag‘, F 103 ,Salomon und Markolf‘, F 105 ,Der Berner und der Wunderer‘ und F 111 ,Von einem Arzt und einem Kranken‘. Sie finden sich ferner in den Folz nicht eindeutig zugewiesenen

 55 Vgl. Folz: Meisterlieder, S. IX. 56 Vgl. Biehl: Narrenfigur, S. 14ff. 57 Vgl. Biehl: Narrenfigur, S. 17ff. 58 Vgl. Catholy: Fastnachtspiel, S. 35.

Fastnachtspiele: Wurzeln  XXIII

Spielen F 89 ,Das Nürnberger [kleine] Neidhartspiel‘, F 93 ,Der Hasenkauf‘, F 95 ,Domherr und Kupplerin‘: Tempo- und wendungsreiche Dialoge bzw. dramatische Wendepunkte heben diese Spiele auf ein deutlich höheres Niveau als die Revuen Rosenplüts. Die Spiele weisen eine stringente Handlung auf, die Charaktere steuern miteinander interagierend auf ein Ziel, eine Pointe hin, und die Ereignisse sind chronologisch strukturiert.

. Fastnachtspiele: Wurzeln .. Brauchtum Seitens der Forschung wurde die Fastnacht in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts teilweise in direktem Zusammenhang mit zweifellos vorhandenem vorchristlichem Brauchtum gesehen. Insbesondere Robert Stumpfls Theorie einer bruchlosen Anknüpfung an germanische Kultspiele 59 ist zu verstehen als aus dem damaligen Zeitgeist heraus fehlgeleiteter und fehlgeschlagener Versuch einer derartigen Einordnung. Er belegt jedoch die Schwierigkeiten, die der sperrige, wenig zugängliche Stoff dem modernen Rezipienten bereitet. Diesem paganen Brauchtum in seinen zahlreichen Ausprägungen ist das fastnächtliche Prinzip zeitlich begrenzter Entgrenzung sozialer Muster und Hierarchien bis hin zur Inversion der Gesamtheit verfügbarer Enkulturationsprozesse zweifellos zu eigen. 60 Es bleibt jedoch an dieser Stelle kaum zu beantworten, ob es sich bei diesem Phänomen um eine historische Entwicklung oder aber um ein ubiquitär-universelles Ritual, ein gewissermaßen anthropologisches Radikal handelt, das sich unabhängig von raum-zeitlichen Bedingungen Bahn zu brechen vermag. 61 Bei den Fastnachtspielen hingegen handelt es sich trotz Übernahme und Vollzug des Musters der verkehrten Welt 62 mit Sicherheit nicht um die Fortführung eines präliterarischen, kultisch-magisch inspirierten Improvisationsspektakels im Sinne der unreflektierten Übernahme einer kaum formgebundenen Rolle. 63 Vielmehr spiegeln sich in den Spieltexten aktuelle soziale, diätetische und ästhetische Diskurse. Ebenso wenig haltbar, da zu eindimensional, erscheint der Versuch Mosers, das Fastnachtspiel in konkret christlicher Tradition Augustinusʼ als civitas diaboli zu verstehen und das exzessive Treiben als unmittelbar religiös funktionalisierten Gegenentwurf zur gottgewollten, richtigen Welt der Fastenzeit zu stilisieren. 64 Hier werden  59 Vgl. Stumpfl: Kultspiele. 60 Vgl. Nielen: Prozessionsfeste, S. 82ff.; Zobenica: Fastnachtspiele, S. 289f.; Kuper: Semiotik, S. 36f. 61 Vgl. Kuper: Semiotik, S. 10. 62 Vgl. Ortmann/Ragotzky: zeit, S. 210. 63 Vgl. Sachs: Fastnachtspiele, S. 5ff. 64 Vgl. Moser: Fastnachtsbrauch.

XXIV  Einleitung

Wechselwirkungen städtischer ökonomischer und sozialer Realitäten, die häufig damit in engem Bezug stehenden Spieltexte sowie deren dramatische Umsetzung innerhalb der städtischen Gemeinde weitgehend und zu Unrecht ausgeblendet. Alte Rügebräuche wie das Eggenziehen oder Jungfernsalzen, die heiratsunwillige Mädchen zwecks demographischer Stabilität zum Umdenken bewegen sollten, 65 sind sporadisch im Werk des Hans Rosenplüt zu finden (R 71 ,Das Eggenziehen‘, R 14 ,Gertraud einsalzen‘, R 15 ,Magdtum einsalzen‘ R 33 ,Das Jungferneinsalzen‘). In den älteren Tanzspielen (R 5 ,Der alte Hahnentanz‘, R 29 ,Der kurze Hahnentanz‘, R 61 ,Moriskentanz‘) sowie in den Schlusstänzen bei Folz spiegelt sich die Praxis der fastnächtlichen Schautänze. Diese Motive kommen ohne Erläuterungen aus, die Symbolik dieser Handlungen ist dem Fastnachtspielzuschauer offensichtlich noch geläufig. Thematisch werden im Fastnachtspiel des Hans Folz allenfalls punktuell Motive präliterarischen karnevalistischen Brauchtums aufgegriffen wie bspw. die Praxis der Eheschließung um diese Zeitspanne, die in die Spiele F 86 ,Die Bauernhochzeit‘ und F 102 ,Der Ehevertrag‘ Eingang fand. Die anstehende, religiös motivierte Fastenzeit ließ es ökonomisch geboten erscheinen, die Speisekammern zu leeren und legte die Ausrichtung derartiger Feierlichkeiten um die Fastnacht nahe. Aber auch unabhängig davon motivierte die kulinarisch stark reglementierte Fastenzeit, die vorhandenen Vorräte in üppigem Schwelgen zu verbrauchen. Theologisch unterfütterte Traditionen stifteten insofern unmittelbar neue Rituale der Maßlosigkeit und der Völlerei, die wiederum in den Fastnachtspieltexten thematisiert und literarisiert wurden. So ist die thematische Emanzipation des Fastnachtspiels aus dem Themenkreis eines Gegenentwurfs zur Fastenzeit und das zeitlich versetzte Absterben der gesamten Tradition zu Beginn des 17. Jahrhunderts im Zusammenhang mit dem Verbindlichkeitsverlust der Fastenkultur zu sehen. 66 Inhaltliche Anknüpfungen an jenes ältere, durch die Nürnberger Handwerkerschaft gepflegte Brauchtum wie Schembartlauf und Gesellenstechen lassen sich bei Folz kaum mehr nachweisen. Allenfalls in der in F 100, Z 303 thematisierten Schlittenfahrt greift er auf Praktiken und Gebräuche zurück, die um die Fastnachtszeit verbreitet waren. Es wird vielmehr der äußere Anlass stadtbürgerlicher Vergnügungen und das Prinzip der fleischlich-materiell geprägten fastnächtlich verkehrten Welt (vgl. auch F 100 ,Die Fastnacht vor Gericht‘, Z. 140-146) als Bühne einer neuen, sehr bewussten und reglementierten Form der Unterhaltung genutzt. In diesem Sinne werden wohl kalkuliert neuartige, kunstfertige literarische Effekte eingesetzt.

 65 Vgl. Schindler: Leute, S. 179f. 66 Vgl. Zobenica: Fastnachtspiele, S. 294.

Fastnachtspiele: Wurzeln  XXV

.. Geistliches Spiel Das szenische bzw. dramatische Prinzip ist seit dem späten 10. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum präsent, wenn auch die Spieltexte selbst bis in die Mitte des 13. Jahrhundert ausnahmslos in Latein abgefasst waren. Weihnachts-, Passions-, Fronleichnams-, vor allen Dingen jedoch Osterspiele verorteten das Als-ob-Prinzip mit verteilten Sprecherrollen auf der Bühne, zunächst als liturgischen Bestandteil der Ostermatutin. 67 Inhaltlich steht dabei stets die Verkündigung und mimisch-gestisch unterfütterte Präsentation des Heilsgeschehens im Zentrum. Die den Inszenierungen geistlicher Spiele zugrunde liegenden Texte imitieren dabei eschatologisch exponierte Situationen, sie generieren sie nicht und sind insofern von den vorgenannten paganen Kultspielen strukturell zu unterscheiden. Es lassen sich für das Folzkorpus des Nürnberger Fastnachtspiels punktuelle Überschneidungen bzw. Anknüpfungen an das geistliche Spiel nachweisen. So wurden diese unter anderem auch zur Zeit der Fastnacht aufgeführt. Der Salbenkrämer Rubin bzw. die Situation des Salbenpreises in den Arztspielen ist aus den Osterspielen übernommen. 68 Diese nach unserem Geschmack wenig in den Passionskontext passende Szene sollte die Aufmerksamkeit für die Textteile sakralen Inhalts erhöhen. 69 Insbesondere dort, wo eine Szene aus dem sakralen Textzusammenhang herausgelöst und im Fastnachtspiel in eine neue Reihung gebracht wird, sind zuweilen Ungereimtheiten an den Nahtstellen zu konstatieren. 70 Neben szenischen Motiven sind auch Teile des Fastnachtspielpersonals (Antichrist, Juden, Narr, Salomon) aus dem geistlichen Spiel übernommen. Der auf Seelenfang befindliche Teufel ist ebenfalls als Versatzstück aus den Osterspielen zu bewerten. 71 Linke hingegen argumentiert dahingehend, dass eine Unterscheidung zwischen weltlichem und geistlichem Spiel in zwei gesonderte Bereiche an sich eine Konstruktion späterer Zeiten sei denn eine der Vormoderne genuin inhärente. 72 Zweifellos ist eine kategorische Trennung beider Bereiche für das späte Mittelalter nicht in letzter Konsequenz anzunehmen, 73 eine gänzliche Auflösung kann jedoch ebenfalls nicht unwidersprochen bleiben: Das Fastnachtspiel ist bei aller Intertextualität und literarischer Bezugnahme per se wesentlich weniger formgebunden als das eng an alt- und neutestamentliche Stoffe gekoppelte geistliche Spiel. Das Fastnachtspiel schließt in wesentlich höherem Maße an kotextuelle und kontextuelle Diskurse an und verlässt

 67 Vgl. Dietl: Drama, S. 22ff.; Haug: Wiederkehr, S. 362. 68 Vgl. Dauven-van Knippenberg: berg, S. 346; Simon, E.: Fastnachtspiele, S. 21. 69 Vgl. Hess: Schauspiel, S. 158. 70 Vgl. Sachs: Fastnachtspiele, S. 41. 71 Vgl. von Bloh: Macht, S. 327ff. 72 Vgl. Linke: Aspekte, S. 16, Anm. 35; Linke: Opposition, S. 75 ff. 73 Vgl. Simon, E.: Fastnachtspiele, S. 36.

XXVI  Einleitung

die heilsgeschichtliche Dimension. 74 Für die Mehrzahl der Spiele profanen Inhalts (Ehe, Sexualität, Beruf) ist die thematische Emanzipation aus dem geistlichen Spiel trotz gelegentlicher Interferenzen abgeschlossen, die Verhandlung dieser Bereiche ist in das Gravitationsfeld stadtbürgerlicher Normen gerückt. Dieses Selbstverständnis kondensiert in der Ausschreierrede zu F 108, wenn das Spielgeschehen ausdrücklich in Bezug auf den Bereich des Geistlichen positioniert bzw. abgegrenzt wird. Die antijüdischen Spiele von Folz sind trotz F 108, Z. 786 nicht als Inszenierung bzw. Verhandlung religiöser Inhalte zu verstehen, sie verhandeln primär soziale Konflikte. Lediglich das frühere R 6 ,Des Entchrist Vasnacht‘ kann als mehr oder minder konkrete Umarbeitung eines geistlichen Spiels in ein Fastnachtspiel verstanden werden. 75

.. Weltliches Spiel Als erste uns zugängliche Form weltlichen Spiels gelten die höfischen Spiele ,Mai und Herbst‘ sowie der ,St. Pauler Neidhart‘. 76 Vermutlich vom Ende des 14. bzw. vom Anfang des 15. Jahrhunderts stammt das Spiel ,Aristoteles und die Königin‘. 77 Diese Stoffe wurden auch innerhalb der vorreformatorischen Fastnachtspiele bearbeitet. Die Plots liefern wenn auch in geringem Maße Anlass zu Bühnenaktion: Nicht nur die Handlung schreitet chronologisch fort, dieser Fortgang fordert, zumindest punktuell, Bewegung der Figuren auf der Spielfläche sowie eine Kostümierung der Akteure.

.. Mären Die Reihenspiele älteren Typs weisen strukturelle wie inhaltliche Ähnlichkeiten mit schwankhaften Mären auf. Dabei handelt es sich um profane, in Reimpaaren abgefasste Kleindichtung von 150 bis 2000 Versen Umfang. 78 Folz war auch in dieser Gattung aktiv, 20 Mären mehr oder minder derb-komischen Inhalts stammen aus seiner Feder. Hierbei werden, poetisch, metrisch und inhaltlich durchaus anspruchsvoll gestaltet, menschliche Torheiten und körperliche Dysfunktionen geschildert und anschließend in einer dem Text nachgestellten moralisatio getadelt. Dieser Themenkanon (Ehebruch in diversen Kontexten, komisches Missverständnis, ritterliche

 74 Vgl. von Bloh: Macht, S. 328. 75 Vgl. Simon, E.: Fastnachtspiele, S. 20; Christ-Kutter: Schweizerspiele, S. 32. 76 Vgl. Simon, E.: Anfänge, S. 32ff.; Margetts: Neidhartspiele. 77 Vgl. Michels: Studien, S. 47. 78 Vgl. Fischer: Studien, S. 62f.; zur Kontroverse bezüglich der Gattungsbeschreibung sei verwiesen auf Heinzle: Märenbegriff, S. 124ff. und Ziegeler: Erzählen, S. 4ff.

Fastnachtspiele: Funktionen  XXVII

Aventiure, treue Minne, Lasterdemonstration) 79 wurde ohne größere Verluste in das Fastnachtspiel überführt.

.. Fazit Das Fastnachtspiel bündelt dramatische Elemente sowie Teile des Personals des geistlichen Spiels, bindet neben religiösen Streitgesprächen (disputationes) und älteren literarischen Traditionen (Heldendichtung, Neidhart) insbesondere Themenkreise der Mären ein, entwickelt im weltlichen Spiel angelegte mimisch-gestische Möglichkeiten weiter und positioniert die Inszenierung in einer Jahreszeit, die älteren, kollektiv gelebten Bräuchen vorbehaltenen war. 80 Es knüpft hier nur formal an, tatsächlich überwindet es eben kultische bzw. religiöse Momente und installiert, teilweise durchaus kunstvoll, derb-komische Übertreibungen des Alltags. Didaktische Ambitionen treten insbesondere dann offen zutage, wenn in Gerichtsszenen menschliches (Fehl-)Verhalten thematisiert und explizit benannt wird bzw. in Gestallt des Narren der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Im Gegensatz zu den dramatisch dürren älteren Gehversuchen des weltlichen Dramas schimmert das Prinzip der fastnächtlich verkehrten Welt als Begründung für allerlei Derbes, Abnormes und Körperliches in den überlieferten Fastnachtspieltexten allerorten durch und erweitert bzw. bereichert den Kanon des Zeigbaren erheblich. Und diese Art des dramatischen Arrangements scheint überaus populär gewesen zu sein (vgl F 88, Z. 13f.)

. Fastnachtspiele: Funktionen Woher rührt die den Fastnachtspielen augenscheinlich so typische Opposition zu seinerzeit gültigen Normen und gesellschaftlichen Konventionen? Welche Rolle spielt die allerorten anzutreffende Präsentation des Abnormen, Obszönen, Monströsen und die gleichzeitige Beschwörung kulturell etablierter Muster? Wie funktionieren die Spiele in Bezug auf das kollektiv Anerkannte, moralisch Richtige und obrigkeitlich Verordnete? Die Aufhebung der Norm und deren Affirmation sind im karnevalesken Brauch als grundsätzlich einander dialektisch bedingende Komponenten zu sehen, 81 und sie oszillieren anscheinend auch im frühen Fastnachtspielkorpus. Bei Folz ist das Spiel mit dem Tabubruch jedoch differenziert, die Außerkraftsetzung bzw. die Bestätigung

 79 Vgl. Fischer: Studien, S. 94ff. 80 Vgl. Burke: Helden, S. 196. 81 Vgl. Quast: Zwischenwelten, S. 206; Przybilski: Bändigung.

XXVIII  Einleitung

der Norm erfolgen unter verschiedenen Voraussetzungen und müssen innerhalb dieser Zusammenhänge jeweils ausgeleuchtet werden. Welche Ziele also verfolgte der Barbier und Meistersinger mit seinen Spielen?

.. Politisch Politische Ambitionen im heutigen Verständnis sind im vorreformatorischen Nürnberger Fastnachtspielkorpus allenfalls rudimentär angelegt bzw. punktuell ausgebaut: In Rosenplüts R 47 ,Des Türken Fastnachtspiel‘ drückt sich grundsätzliches, jedoch eher diffuses Unbehagen an den seinerzeit aktuellen administrativen und juristischen Zuständen sowie der wirtschaftlichen Unordnung des Reiches aus. 82 In R 16 ,Klerus und Adel‘ wird ebenfalls der allmähliche und zwangsläufige Verfall des Rittertums thematisiert und dessen Versuche des Machterhalts durch militärische Gewalt gerügt. R 4 ,Wie man Ritter wird‘, R 13 ,Die feigen Ritter‘ sowie R 44 ,Das Fest des Königs von England‘ bringen Hohn und Spott gegenüber dem anmaßenden, großspurig und lächerlich gezeichneten Hoch- bzw. Landadel auf die Bühne. Es bleiben die einzigen Ausreißer bei Rosenplüt, konkrete, historisch rekonstruierbare Ereignisse werden kaum thematisiert. Es gibt somit keinen Anlass, die frühen Nürnberger Fastnachtspiele in toto politisch nennen zu dürfen. Wenn bei Rosenplüt noch eine gewisse Ambivalenz dahingehend zu erkennen ist, dass er punktuell die alten Eliten zur Wahrnehmung ihrer Pflichten ermahnt, sie ihrer tradierten Funktionen erinnert, die Bauern vor Maßlosigkeit warnt 83 und gleichzeitig deren historische Überkommenheit betont, spielt Folz fast ausschließlich mit dem Bild des lächerlich-anachronistischen, triebgesteuerten und tölpelhaften Bauern. Seine Ermahnungen den alten Eliten gegenüber erfolgen dagegen streng dosiert. In F 87 ,Die drei Brüder und das Erbe‘ wird allenfalls am Rande und stark metaphorisch verklausuliert die Schwäche des Kaisers angedeutet. Solches ist jedoch in der Reichsstadt mit regelmäßiger kaiserlicher Präsenz kaum auf der Bühne umzusetzen, das Spiel bleibt unfertiges Fragment. In F 90 ,Kaiser und Abt‘ werden in der Einschreierrede in nuce ebenfalls bestehende Unzulänglichkeiten bezüglich der Einhaltung der Sicherheit im Reich erwähnt, sie zeichnet den Kaiser als ebenso ahnungslos wie uninspiriert. Und auch der Adel wird in der Vernachlässigung seiner Pflichten allenfalls punktuell negativ gezeichnet: In F 100 ,Die Fastnacht vor Gericht‘ und in F 90 ,Kaiser

 82 Anders Linke: Aspekte, S.18ff., der das politisch-kritische Potential deutlich höher bewertet; so auch Dietl: Drama, S. 80f; ebenso von Lüpke: Fastnachtspiele, S. 118.

83 Vgl. Linke: Aspekte, S. 25ff.

Fastnachtspiele: Funktionen  XXIX

und Abt‘ sorgt er sich ebenfalls nicht in ausreichendem Maße um die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. In F 110 ,Ein Bauerngericht‘ werden Vertreter der Justiz als genussfreudig und arbeitsscheu gezeichnet, in dem ebenfalls als Gerichtsspiel aufgebauten F 104 ,Zeugenaussagen‘ unterbleibt indes Juristenschelte, allerdings ist die Autorschaft Folzens hier umstritten. Die scherzhafte Nennung der vornehmen, obrigkeitlich besetzten Tuchscherergasse in Zusammenhang mit einem exorbitanten merdum in F 91 ,Das Spiel vom Dreck‘ ist ebenso kaum politisch zu nennen. Diese Aspekte bleiben jedoch Randerscheinungen und streifen den inhaltlichen Kern der Mehrzahl der Spiele kaum. Die seinerzeit aktuellen kriegerischen Auseinandersetzungen und Übergriffe des umliegenden Adels oder politisch kontemporäre Gegebenheiten wie die Westexpansion des Osmanischen Reiches werden bei Folz nicht thematisiert, ebensowenig makroökonomische Krisen. Er positioniert punktuell allgemein angelegte Platzhalter, rekurriert aber nicht auf zeitaktuelle Ereignisse. In F 102 ,Der Ehevertrag‘ bestätigt die Rede des Cuntz Meir dagegen bestehende Hierarchien (Z. 184ff.). In F 101 ,Der törichte Tausch‘ wird soziale Dynamik ebenfalls diskreditiert, zusätzlich kommt mit der konkreten Bezugnahme auf den Ort Niklashausen (Z. 111ff.) und den dortigen Aufruhr eine grundsätzliche Distanz gegenüber radikalen Neuerungen zum Ausdruck, die mit der Position des Nürnberger Rats absolut in Einklang steht. In F 88 ,Der Herzog von Burgund‘ wird der Vertreter des Hochadels ergebenst willkommen geheißen (Z. 8-18) und in F 89 ,Das Nürnberger [kleine] Neidhartspiel‘ werden Aufwiegelungen und Anmaßungen der Bauern gegenüber dem Adel zumindest aus dessen Position als Teufelswerk (Z. 951, 953, 956) 84 bewertet. Es scheint insbesondere für das Neidhartspiel allerdings kaum belegbar, ob sich hierin eine dezidierte Affinität zur mittelalterlichen Ständeordnung niederschlägt. Es gilt in diesem Zusammenhang die stoffliche Gebundenheit zu berücksichtigen. Auch hier manifestiert sich der abgeschlossene gesellschaftliche Wandel, indem die Angehörigen der alten Ordnung, die Bauern, nahezu ausschließlich als Projektionsfläche für derb-komische Späße des stadtbürgerlichen Publikums genutzt werden und nicht als sozial relevante Akteure. Daneben verhandeln die Spiele implizit soziale Ordnungsmuster. 85 Im Falle der Schilderungen bäuerlicher Mahlzeiten werden nicht-kodierte Standards stabilisiert: Gegenüber späteren Jahrhunderten floss seinerzeit ein relativ hoher Anteil des erwirtschafteten Einkommens in den Erwerb von Nahrungsmitteln. 86 Die Zusammenstellung, wie diese Nahrungsmittel aussahen, definierte ergo soziale Rangordnungen. Wenn also den Bauern in den Spielen brachiale Milch- und Gemüsemahlzeiten (vorzugsweise Kraut, Kohl und Rüben sowie Getreidebrei) verabreicht werden bzw. sie diese in ihren Namen führen, dann spiegelt und bestätigt sich hierin indirekt nicht  84 Vgl. Linke: Aspekte, 27. 85 Vgl. Ridder: Fastnachtstheater, S. 65. 86 Vgl. Endres: Sozialstruktur, S. 197.

XXX  Einleitung

nur diätetische, sondern auch soziale Praxis. All dies geschieht innerhalb eines städtischen und somit der neuen bürgerlichen Ordnung verpflichteten Milieus. Das Gesundheitswesen oblag zunächst kirchlichen, später städtischen Institutionen sowie privatwirtschaftlich agierenden ortsansässigen Badern. Konkurrenz erwuchs diesen durch fahrende Wundärzte und Quacksalber. Deren theatrale Präsentation als inkompetent und geldgierig ist im Sinne der Stadtobrigkeit. Die im Folzkorpus auftretenden Ärzte (F 85 ,Die Heilung eines kranken Bauern‘, F 111 ,Von einem Arzt und einem Kranken‘) bedienen die genretypischen Klischees allerdings nur bedingt, insbesondere das letzte Spiel geht über die Verfestigung von Vorurteilen hinaus und bietet der Figur neue Handlungsoptionen. Unehrenhaftes Berufsgebaren wie unehrlicher Handel oder verfemte Berufe werden in den Spielen F 99 ,Die Handwerker‘, F 101 ,Der törichte Tausch‘ und F 109 ,Ein Marktschreierspiel‘ der Lächerlichkeit preisgegeben, die Affirmation sozialer Marginalisierung wirkt ebenfalls systemstablisierend. Die Spiele thematisieren an einigen Stellen auch expressis verbis die seinerzeit gültigen, einigermaßen rigiden sexuellen Kodizes: Ehebruch stellte einen Straftatbestand dar, 87 Prostitution war verbreitet, aber geächtet. 88 In F 82 ,Der Wallbruder‘ wird der Besucher des Frauenhauses der Lächerlichkeit preisgegeben, F 95 ,Domherr und Kupplerin‘ rät von dem Besuch bei Dirnen ab. Der an späterer Stelle noch näher zu erörternde literarische Umgang mit erotischen Eskapaden im Fastnachtspielkorpus stellt diese Reglementierungen und Disziplinierungsmaßnahmen nicht ernsthaft in Frage. Den Spielen waren auch keine allzu großen Freiräume diesbezüglich gegeben: Generell hatte der Rat der Stadt Nürnberg ein hohes Maß an Einfluss auf zahlreiche Lebensbereiche der Bürger, und so regelten zahlreiche Ratsverlässe auch die Inszenierungen. 89 Die Texte mussten vor der Aufführung dem Rat vorgelegt werden, allzu missliebige Passagen hätten kaum Chancen auf Verbleib im Spieltext gehabt. Auch in seinen Meisterliedern geht Folz nicht auf Distanz zu bestehenden Ordnungsmodellen und erprobten Deutungsgepflogenheiten. Gegenüber kirchlichen Institutionen waren Spitzen leichter unterzubringen als gegenüber der Stadtobrigkeit: Der triebgesteuert und wenig verantwortungsbewusst handelnde Siegler (F 95 ,Domherr und Kupplerin‘), die arbeitsscheuen Pfaffenknechte (F 107 ,Die zwölf faulen Pfaffenknechte‘) und der genussvolle Abt (F 90 ,Kaiser und Abt‘) werden weltlichen Freuden gegenüber allzu empfänglich gezeichnet. Allerdings erscheinen auch diese Sequenzen eher als spielerischer Umgang mit literarisch

 87 Vgl. von Lüpke: Fastnachtspiele, S. 25. 88 Vgl. Baader: Polizeiordnungen, S. 117; Bastian: Mummenschanz, S. 47; von Lüpke: Fastnachtspiele, S. 25. 89 Hampe: Entwicklung I, S. 101, S. 117f.

Fastnachtspiele: Funktionen  XXXI

etablierten Topoi 90 denn als ernst gemeintes Aufbegehren gegen Inhalte der christlichen Lehre bzw. dem konkreten Handeln von deren Vertretern: Zu wenig Raum nehmen sie im Gesamtkorpus ein, zu wenig Gewicht kommt ihnen angesichts der gerade in den Spielen F 90 und F 95 zahlreich vorhandenen Rezeptionsanreize zu. Sie stehen schlichtweg nicht im Vordergrund und dürfen weder als primäres Anliegen des Verfassers noch als identitätsstiftend beim Publikum überbewertet werden. Im Gegensatz dazu kommen bspw. die Schweizer Spiele in ihrer reformatorisch motivierten Aburteilung weltlichen Machtstrebens des Papstes, der Ausbeutung durch den Klerus und des Ablasshandels um Längen kritischer daher. 91 Eine Ausnahme bilden die Spiele antijüdischen Inhalts F 81 ,Ecclesia und Synagoga‘, F 88 ,Der Herzog von Burgund‘ und F 108 ,Kaiser Konstantin und Silvester‘. Wie in den entsprechenden Endkommentaren gezeigt wird, werden hier konkrete, wenn auch unterschiedlich scharf formulierte (wirtschafts-)politische Ambitionen auf der Bühne installiert. Hans Folz agiert und agitiert dabei geschickt: In der Absicht, mehr oder minder offen angelegte Aversionen der städtischen Bevölkerung gegenüber der jüdischen Bevölkerung zu befeuern, bewegt sich der Dichter sehr bewusst innerhalb seiner variierenden individuellen Möglichkeiten. Er lotet und testet aus und nutzt jeweils unterschiedlich scharfe Töne in dem Bemühen, selbst nicht anzuecken.

.. Moralisch Das Prinzip der Fastnacht steht als hoch emotionalisierte, triebfixierte mittelalterliche Lustbarkeit grundsätzlich der christlichen Morallehre, später vor allem aber dem frühneuzeitlichen Prinzip der Affektbeherrschung und dem verstärkt nachweisbaren bürgerlichen Arbeitsethos in maximaler Opposition gegenüber. Es bestand insofern ein grundlegendes Interesse der Obrigkeit, diesen eruptiven Charakter im Dienste höherer ökonomischer Effektivität wenn nicht zu eliminieren, so doch zumindest neu zu justieren 92 und nach Möglichkeit zu kontrollieren. 93 Es treten in dem Folz bzw. seinem Umfeld zugewiesenen Fastnachtspielkorpus grundsätzlich zwei Erscheinungsformen des Umgangs mit Normen auf: Da ist die Präsentation der Verkehrung der Norm in ihr Gegenteil (negativer Schönheitspreis: F 86 ,Die Bauernhochzeit‘, F 94 ,Vier Reden‘, F 102 ,Der Ehevertrag‘; aufbegehrende Wei-

 90 Vgl. Greil: Faulste. 91 Vgl. Spiewok: Geschichte, S. 273ff.; Creizenach: Geschichte 3, S. 253ff. 92 Vgl. Bastian: Mummenschanz, S. 44ff. 93 Vgl. Ridder: Fastnachtstheater, S. 74. – vgl. hierzu auch das zunehmend unter Legitimationsdruck geratene sozial-utopische Cokaygne, das in seiner Umdeutung als Ort der Völlerei im Schlaraffenland ebenfalls neu funktionalisiert wurde (Kuper: Semiotik, S. 12f.).

XXXII  Einleitung

ber: F 83 ,Das böse Weib‘, F 84 ,Der Ehestreit‘; Promiskuität: F 86 ,Die Bauernhochzeit‘, F 102 ,Der Ehevertrag‘; überzogene Neigung für das andere Geschlecht: die Narrenrevuen F 92, F 96, F 98 sowie F 98 ,Zwölf buhlerische Bauern‘ und sogar Inzest: F 86 ,Die Bauernhochzeit‘; Faulheit: F 87 ,Die drei Brüder und das Erbe‘, F 107 ,Die zwölf faulen Pfaffenknechte‘; Betrug: F 99 ,Die Handwerker‘, F 109 ,Ein Marktschreierspiel‘; die parodierte Herrschaftslegitimation im Geschlechtsregister bei F 103 ,Salomon und Markolf‘; ästhetisch höchst zweifelhafte Entwürfe: F 91 ,Das Spiel vom Dreck‘, F 111 ,Von einem Arzt und einem Kranken‘ sowie die Bestrafungsphantasien insbesondere in F 88 ,Der Herzog von Burgund‘ 94). Und es gibt die explizite Verurteilung des Regelverstoßes, verbunden mit formaler Ermahnung zu dessen Einhaltung. In F 104 ,Zeugenaussagen‘ fordert der Richterspruch am Ende die Einhaltung der ehelichen Regeln. In F 95 ,Domherr und Kupplerin‘ wird explizit empfohlen, sich käuflicher Liebesdienste zu enthalten (Z. 149), F 96 ,Weibernarren vor Venus‘ rät von fremder Buhlschaft ab (Z. 124), und F 110 ,Ein Bauerngericht‘ betont den ehelichen Charakter geschlechtlichen Verkehrs. Diesbezüglich etwas unentschlossen bleibt F 100 ,Die Fastnacht vor Gericht‘. Hier werden zwar ebenfalls die Konsequenzen der verkehrten Welt dargelegt, die sexuellen, ökonomischen und kulinarischen Verfehlungen der einzelnen Gruppen werden explizit gegeißelt. 95 Gleichzeitig betont die Fastnacht ihre prinzipielle, temporär begrenzte Existenzberechtigung. Die letztliche Entscheidung zugunsten eines temporären Außerkrafttretens kultureller Muster verwirrt zunächst. Es spiegelt sich hierin die wachsende Diskrepanz zwischen alltäglich erfahrener Praxis des kirchlich-moralisch Gebotenen gegenüber dem individuell empfundenen Bedürfnis. Die allmähliche Verschiebung zwischen diesen beiden Ebenen in der öffentlichen Wahrnehmung wird hier sichtbar. 96 Dieser Text bleibt jedoch der einzige von Folz, der dem Begehren seinen Platz einräumt und expressis verbis auf Distanz zu kollektiv ausgehandelten moralischen Konzeptionen geht. 97 Es gilt noch einmal zu berücksichtigen, dass der Druck sozialer Normenkomplexe hoch, die Regeln zur Einhaltung ehelicher Treue streng und Zuwiderhandlungen prinzipiell gerichtlich zu ahnden waren. Kontrazeptive sowie abortive Maßnahmen als Voraussetzung bzw. Folge sexueller Übertritte standen ebenfalls unter Strafe. Insbesondere in den Zirkeln junger Männer kann also generell ein hohes Maß obszönverbaler Kompensation dieses Verdikts unterstellt und als Motivation für dessen Thematisierung innerhalb der theatralen und somit nicht realen (Bühnen-)Welt angenommen werden.

 94 Vgl. Weis-Diehl: Gewaltstrategien, S. 247 ff. 95 Anders Barton: schimpf, S. 177. 96 Vgl. Linke: Aspekte, S. 35; anders Quast: Zwischenwelten, S. 208. 97 Vgl. R 10 und R 11.

Fastnachtspiele: Funktionen  XXXIII

Nicht ausdrücklich sanktionierte, häufig misslungene sexuelle Ausschweifungen sowie weibliches Aufbegehren gegen das Subordinationsprinzip werden in den Heiratsspielen, Bauernrevuen und Ehestreitspielen ins lächerliche und explizit hässliche bäuerliche, närrische oder sozial randständige Umfeld verlegt und auf diese Weise a priori entwertet. 98 Hier erfolgt der Hinweis auf die fehlgesteuerte Handlungsweise der Figuren, wenn auch sehr dezent, darüber hinaus gelegentlich in den Worten des Ein- bzw. Ausschreiers, analog den moralisationes der Reimpaarsprüche. Sie schaffen formal Distanz zum präsentierten Abwegigen und verorten gleichzeitig die Akteure im ehrbaren Milieu. 99 Anders aber als in den Reimpaarsprüchen, wo die scherzhafte Präsentation devianter sozialer Konzepte ausdrücklich am Ende aufgehoben und korrigiert werden muss, ist eine solche Richtigstellung in den Spielen nicht mehr zwangsläufig auf Textebene notwendig. Sie wird vielmehr in der überzogenen Präsentation und der kollektiven, ironisch-distanzierten Rezeption durch die Lachgemeinschaft sowie der äußerlichen oder namentlichen Kenntlichmachung der Vertreter des Verrückten eben als Narren bzw. Bauern gewährleistet. Die in frühester Zeit im Mythos als rituell inszenierte und faktisch gelebte soziale Übereinkunft konkretisiert sich in ihrer moralischen Dimension in ihrer literarischen Realisierung. 100 Der individuell abgefasste Text ist in seiner jeweiligen Ausgestaltung deutlich freier im Umgang mit der Präsentation des kollektiv Ausgehandelten, als dies in Brauch und Ritual der Fall ist. In der auf private Rezeption angelegten Aneignung von Lesetexten ist eine ausdrückliche Richtigstellung des u.a. bei Folz in den Reimpaarsprüchen geschilderten Abnormen also formal notwendig, soll der soziale Friede nicht in Frage gestellt werden. Der den Fastnachtspielen zugrunde liegende Fiktionalitätskontrakt macht diese Richtigstellung verzichtbar. 101 So wird die dramatische Situation dahingehend erweitert, dass in der öffentlichen Inszenierung angelegte kotextuelle Momente zur Richtigstellung dessen genutzt werden, was der Text für sich so nicht hergibt: Gemeinsam lacht das Publikum über die grotesk überzeichneten Normverweigerer, 102 deren Agieren eben dadurch als potentielle Handlungsmaxime außer Kraft gesetzt wird und hierdurch die scheinbar in Frage gestellte Ordnung stabilisiert. 103 In der kollektiven, ironisch gebrochenen Rezeption ist anderweitiges, die Norm tatsächlich erschütterndes (Miss-)Verstehen ausgeschlossen. Die angelegte Ironie bedarf ihrerseits eben dieser gemeinsamen Form der Rezeption: Der Konsens ist durch die Mehrheit im Publikum gewährleistet, in der gegenseitigen Überwachung der Reaktion auf die gezeigte Normübertretung wird deren Ablehnung sichergestellt.

 98 Anders Krohn: Bürger, S. 140. 99 Vgl. Coxon: Spiel, S. 233. 100 Vgl. Röcke: Text, S. 88ff. 101 Vgl. Coxon: Spiel, S. 234. 102 Vgl. Coxon: Spiel, S. 223. 103 Vgl. auch Kuper: Semiotik, S. 31.

XXXIV  Einleitung

Er wird zudem durch den, wenn auch nur punktuell gestreuten, Hinweis abgesichert, dass alles nur Scherz sei bzw. durch den Verweis auf die uneigentliche Bedeutung des Geäußerten (vgl. F 86, Z. 66). Das fastnächtliche Prinzip der Verkehrung verortet sich nunmehr im fiktiven Bereich der Inszenierung, nicht in der Sphäre des potentiell Realen, die als zumindest zeitlich begrenzte Handlungsoption für das Publikum verstanden werden könnte in der temporären Sprengung der Norm. 104 Insofern speichern und sichern die Spiele in ihrer engen Anbindung an Ratsverlässe und Aufführungsgenehmigungen trotz scheinbarer fastnächtlicher Verkehrung der Welt mehrheitlich die rigiden, sozial und ökonomisch motivierten moralischen Standards der stadtbürgerlichen Eliten. Die Spiele F 83 ,Das böse Weib‘ und F 84 ,Der Ehestreit‘ thematisieren in despektierlicher Weise die seinerzeit gängige Praxis, dass junge Gesellen zwecks Erwerbs des Bürgerrechts deutlich ältere Meisterwitwen ehelichten. 105 Diese Praxis entsprach jedoch nicht dem Zeitgeist, der deutlich vitalere Formen erotischen Lustempfindens einforderte als die Ehe mit einem alten Weib. 106 An diesen Stellen spiegeln sich die zunehmende Unterwanderung des Dogmas von der Unauflöslichkeit der Ehe sowie Konflikte bürgerlicher Begehrlichkeiten mit stadtobrigkeitlichen Reglementierungen. Daneben gibt es Spieltexte, die einer Didaxe komplett entbehren: F 91 ,Das Spiel vom Dreck‘ und weitere skatologische Derbheiten belegen ihrerseits, dass das fastnächtliche Postulat der Verkehrung, hier ästhetischer Konzepte, innerhalb des Folzschen Werks sich in vielen Bereichen auf formale Momente reduziert. Hierin aber entwickelt dieses in weiten Teilen sinnentleerte Prinzip eine erhebliche Dynamik. Ähnlich verhält es sich zunächst mit der Salbenkrämerszene des geistlichen Spiels, die stoffgeschichtlich wie gezeigt nur unzureichend begründbar ist (Mk. 16, 1). Im geistlichen Spiel wird unangemessen erscheinende Komik zunächst lediglich als Gegenentwurf zum darüber stehenden Erlösungsgedanken installiert. 107 Diese komischen Aspekte der Szene gewinnen in der literarischen Tradition des geistlichen Spiels rasant an Eigendynamik 108 und werden mit Liebe zum Detail Projektionsfläche für scheinbar sinnlos-absurde Phantasien. Ihre ursprüngliche Funktion lag jedoch in der Bindung der Zuschauer an die dargebotenen Glaubensinhalte und Heilswahrheiten. Im Fastnachtspiel dagegen werden die Prinzipien der Komik bzw. der verkehrten Welt zum ästhetischen Selbstzweck, der alle Mittel des Vulgär-Grobianisch-Obszönen zum erklärten Ziel heiligt: der Erzeugung von Komik innerhalb des städtischen Nor-

 104 Anders: Ortmann/Ragotzky: zeit, S. 216f. 105 Vgl. Bastian: Mummenschanz, S. 39; Maschke/Sydow: Unterschichten: S. 41. 106 Vgl. Fuchs: Sittengeschichte I, S. 194. 107 Vgl. Linke: Sozialisation, S. 64; Warning: Funktion, S. 57f. 108 Vgl. von Bloh: Macht, S. 329.

Fastnachtspiele: Funktionen  XXXV

menkanons. Die den Spielen innewohnende Dynamik ist Ausdruck der Innovationsbereitschft der Verfasser jener Zeit. Von dem Moment an, in dem neue Möglichkeiten und Spielarten des Komischen erschlossen sind, werden diese aufgegriffen, angewandt, weitergetrieben und in immer neuen Formen und Zusammenhängen kombiniert und inszeniert. Der Umgang mit den eigenen ethischen Positionen stand für Hans Folz augenscheinlich im Hintergrund, er erweist sich diesbezüglich als ausgesprochen flexibel. Seine dramatischen Frühversuche beinhalten geistliche Stoffe (F 81 ,Ecclesia und Synagoga‘, F 108 ,Kaiser Konstantin und Silvester‘), in denen er das aus dem Rosenplütkorpus bekannte Themenfeld erweiterte (Eheleben, Liebesabenteuer, Krankheit). In der Präsentation moralischer Konzepte verfuhr er nach anfänglichen Versuchen der Hebung des Genres weniger konsequent eigenen Überzeugungen entsprechend als innerhalb des Rahmens, den die öffentliche Meinung respektive Ordnung vorhielt (vgl. Endkommentar zu F 88 ,Der Herzog von Burgund‘). Folz positioniert sich gegenüber sozialen Mustern grundsätzlich konservativ, seine Intentionen und Ambitionen gehen kaum in Richtung der Entwicklung neuer Rollen und Modelle. Er kann hierin jedoch nicht als durchdrungener Eiferer gesehen werden: Wenn es opportun erschien, vermochte er wie in F 100 ,Die Fastnacht vor Gericht‘ durchaus seinen Wertekanon neu zu justieren und sexuelle wie lukullische Ausschweifungen zumindest im Rahmen der Fastnacht temporär zu tolerieren. 109 In seinen Meisterliedern und Reimpaarsprüchen geistigen Inhalts, die dem Marienlob und sittlicher Unterweisung, aber auch der Erörterung religiöser Komplexe wie der Trinität gewidmet sind, tritt Folz dagegen als eifriger Proklamator christlicher Werte auf. Und auch in seinem bedingt variablen Umgang in der Auseinandersetzung mit dem jüdischen Glauben (siehe Endkommentar zu Spiel F 108), seinem selbstbewussten Auftreten 110 und seiner ökonomischen sowie sozialen Entwicklung treten weniger primär normstabilisierende als privatwirtschaftliche Handlungsmotive hervor. Konkrete, historisch rekonstruierbare politische Ereignisse werden so gesehen konsequenterweise kaum thematisiert. 111 Sein Grundsatz ist offensichtlich nicht die Didaxe, sondern der reibungslose und effiziente Vertrieb zweifellos innovativer literarischer Produkte innerhalb eines streng reglementierten Marktes. Folz kann insofern weniger als Mahner gesehen werden denn als Profiteur mit einem erheblichen Maß an Sensibilität für die Ansprüche seines Publikums und für die eigenen Möglichkeiten, diesen Ansprüchen im jeweiligen Kontext zu entsprechen, ohne dabei unangenehm aufzufallen. Hans Folz war vor allem an wirtschaftlichem Erfolg gelegen, nicht an einer fundamentalen Neuausrichtung des thematisch Verhandelten. Insofern halten merkan-

 109 Vgl. Ortmann/Ragotzky: zeit, S. 215. 110 Vgl. Folz: Meisterlieder, S. 8. 111 Vgl. Rautenberg: Werk, S. 33ff.

XXXVI  Einleitung

tile Prinzipien Einzug in einen Kosmos, der bis dahin vorzugsweise der Repräsentation transzendenter Inhalte bzw. der Aufrechterhaltung unverrückbar gültiger Ordnungen und Prinzipien vorbehalten war. Infolge dieser Entwicklung verlieren die Spiele im Gegensatz zur ursprünglichen Fastnacht ihre konkrete soziale Ventilfunktion, da sie weniger in Opposition zu sozialen Ordnungsmodellen traten, sondern vielmehr in den Dienst ökonomischer Verwertbarkeit.

. Traditionen und Topoi Im Aufgreifen und in der Dienstbarmachung etablierter Stoffe und dramatischer Weiterentwicklungen erweitert Hans Folz den ästhetischen Kanon des Fastnachtspiels, er opfert hierbei aber auch Positionen: Die älteren Stoffe und Topoi werden oftmals nur der äußeren Form nach aufgegriffen, 112 der literarische Gehalt spielt dabei eine untergeordnete Rolle, der Mythos wird zur Posse degradiert. Faulheit wird nicht mehr allegorisch verstanden als Blindheit gegenüber der Ewigkeit Gottes, sondern als lediglich abwegig lächerliches Verhaltensmuster. Und auch hierin stellt er die Spiele in den Dienst frühbürgerlicher Interessen und kann sich der Rückendeckung durch deren Eliten gewiss sein. Die Fastnachtspiele von Hans Folz lassen einen Autor rekonstruierbar werden, der selbstbewusst literarische Traditionen aufgreift (Neidhart, Heldendichtung, Schwankliteratur, Adversus-Judaeos-Literatur, geistliches Spiel) und eigenen Ambitionen in neuem Gewand und teilweise unter Preisgabe inhaltlicher Konsistenz und formaler Richtigkeit dienstbar macht. Hierbei nutzt er das seinerzeit verfügbare Spektrum dramatischer wie metaphorischer Möglichkeiten bzw. entwickelt dieses weiter. 113 Er tritt weniger als Vollstrecker eines ästhetischen Konzepts auf denn als arrangierender Gestalter im modernen Sinne. In dieser ästhetischen Dynamik und Flexibilität ist auch ein mehr oder minder unvermeidliches Ausweichmanöver gegenüber der rigiden Ratspolitik zu sehen, die eben nur die formale Weiterentwicklung der Texte zulässt: Innerhalb der thematischen Enge verschaffte sich der Dichter Raum im neuen, spielerischen Umgang mit Bekanntem, das inhaltlich eng an der Auffassung des Rats angebunden blieb. Konfliktvermeidung mit den städtischen Eliten muss als starke Motivation des Dichters Hans Folz angenommen werden, der der Umgang mit der jeweiligen Vorlage untergeordnet wurde.

 112 Vgl. Greil: Faulste. 113 Vgl. Klimczak: Bildlichkeit, S. 239f.

Komik  XXXVII

. Komik Komik ist als zentrales, vom Publikum erwartetes Rezeptionskriterium für die Mehrzahl der vorreformatorischen Fastnachtspiele anzusehen, dies legt gerade die Ausschreierrede zu dem wenig erheiternden F 108 ,Kaiser Konstantin und Silvester‘ nahe. 114 Dabei ist Komik keineswegs als Konstante zu verstehen, innerhalb derer sich jederzeit gültige Mechanismen isolieren ließen, sie wird vielmehr in hohem Maße permanent kulturell ausgehandelt. 115 Innerhalb der Märenkonzeption lassen sich grob zwei Grundmuster bzw. Funktionsweisen des Komischen isolieren. Neben der Präsentation menschlicher Torheit, bspw. in übersteigertem Begehren, Hochmut und Trunksucht, 116 geben teilweise drastisch überzeichnete und derb bis obszön geschilderte soziale wie auch materiell-körperliche (Fehl-)Funktionen dort wie im Fastnachtspiel Anlass zur Heiterkeit. Beiden zu eigen ist die Unangemessenheit, die Verletzung der Norm, das nicht aus der erfahrbaren Wirklichkeit heraus Kalkulierbare dieser Handlungsweisen und Zustände. Diese grobianische Überzeichnung ist als Grundmuster volkstümlicher komischer Rezeption für das 15. Jahrhundert anzunehmen. 117 Das Lachen über fleischlich-menschliche und damit irdisch-diesseitige Aspekte des Daseins muss ursprünglich als ritualisierte Form der Überwindung des bedrohlichen, da geistlicher Erlösung entgegen gestellten Prinzips des Bösen angenommen werden. 118 Diesbezüglich ist in den Fastnachtspielen eine funktionale Emanzipierung zu konstatieren. Im geistlichen Spiel ist dieser Nexus zumindest in nuce noch angelegt. 119 Im Märe und weniger noch im Fastnachtspiel dagegen ist das Lachen kaum mehr als konkreter Triumph über das Böse zu verstehen, die Anbindung an heilsgeschichtlich-kultische Aspekte ist gekappt. Die moralischen Kategorien enthobene dezidierte Präsentation des rein Skatologischen, die Verkehrung des Ästhetischen (F 91 ,Das Spiel vom Dreck‘, F 99 ,Die Handwerker‘, F 109 ,Ein Marktschreierspiel‘) oder die negativen Schönheitspreise (vgl. EK zu den Heiratsspielen F 86 ,Die Bauernhochzeit‘, F 102 ,Der Ehevertrag‘ sowie F 94 ,Vier Reden‘) belegen die selbständige Funktion des abnormen Komischen als eigene Instanz. Das Monströse bzw. Niedrige fungiert nicht mehr in der Bewältigung der erfahrenen Bedrohung der eigenen Existenz, sondern in der scheinbaren temporären Erschütterung kulturell ausgehandelter Konzepte. Es steht nur mehr im Dienste bestmöglicher, ausgelassener Unterhaltung des Zuschauers, es bleibt im Hier und Jetzt verankert.

 114 Vgl. Barton: schimpf, S. 168ff. 115 Vgl. Dauven-van Knippenberg: berg, S. 345. 116 Vgl. Hübner: Hans Folz, S. 271. 117 Vgl. Bachtin: Rabelais, S. 114. 118 Vgl. Bachtin: Rabelais, S. 141ff.; Röcke: Text, S. 96ff.; anders Wolf: Inszenierung, S. 306ff. 119 Vgl. Wolf: Inszenierung, S. 309.

XXXVIII  Einleitung

Als Beleg ex negativo mögen die wenigen Spiele dienen, die sich eben nicht des Abnormen bedienen: In F 93 ,Der Hasenkauf‘, F 90 ,Kaiser und Abt‘, F 103 ,Salomon und Markolf‘ sowie F 106 ,Das Rätselspiel‘ kommen die oben genannten Momente allenfalls nachrangig zum Tragen. Das gemeinsame Ziel aber, die Erzeugung von Komik, wird auch hier verfolgt, wenn auch mit anderen Mitteln wie hohem Tempo in der Argumentation, Antonymien oder semantischer Polyvalenz. Folz greift in seinen Fastnachtspielen gängige Muster des Komischen auf, und er geht über die überzogene Darstellung des Abnormen an anderer Stelle hinaus. In den Spielen F 86 ,Die Bauernhochzeit‘ und F 58 ,Der Ehevertrag‘, aber auch in F 100 ,Die Fastnacht vor Gericht‘ Z. 279ff. werden die Tabuverletzungen nicht nur präsentiert, sondern elaboriert metaphorisch verklausuliert. Nicht allein die derbe Unmittelbarkeit, sondern darüber hinausgehend reflektierter Sprachgebrauch erzeugen hier Komik. Und auch über die inhaltliche Gestaltung der Spiele hinaus beweist Folz Reflexions- und Innovationsvermögen. Er entwickelt, gewissermaßen auf einer Art Metaebene, weitere Spielarten des Komischen: Wenn er in F 96 ,Weibernarren vor Venus‘ den Einschreier feststellen lässt, es handele sich nicht um das von der Spieltruppe ursprünglich anvisierte Haus, dann bezieht er die Situation der Aufführung bewusst als Teil der Inszenierung in diese ein. Gleiches gilt für zahlreiche Szenen, in denen die Akteure bspw. mit der Bitte um einen Trunk das eigentliche Spielgeschehen unterbrechen oder im Schlusstanz das Publikum in die Bühnenaktion integrieren. Folz überwindet die Unmittelbarkeit der Suggestion und funktionalisiert das Bühnengeschehen als durch den Zuschauer bewusst wahrgenommenen Bestandteil der Inszenierung im Dienst der Komik um.

. Die Inszenierung Die Spieltexte wurden bislang vorzugsweise philologisch bzw. literaturwissenschaftlich ausgeleuchtet. 120 Zu wenig wurde dagegen berücksichtigt, dass es sich nicht primär um Lesetexte handelt, 121 sondern um Spieltexte, die in ihrem Funktionieren im Raum elementar durch explizite (Rollenbezeichnungen, Regieanweisungen) und implizite (äußere Aufführungsbedingungen, theatrale Konventionen) Parameter determiniert waren. Wie bereits erwähnt waren die Spiele in hohem Maß durch die patrizische Stadtobrigkeit reguliert. Maskierungsverbote 122 belegen zum einen die Befürchtung um gewalttätige Auswüchse und Exzesse fastnächtlichen Treibens, zum anderen geben sie Zeugnis, dass die Kennzeichnung einzelner Figuren lediglich über die Verkleidung

 120 Vgl. Janota: Performanz, S. 381. 121 Vgl. Grafetstätter: Ludus, S. 5ff. 122 Vgl. Hampe: Entwicklung I, Nr. 95; II, Nr. 7, 1483; Nr. 18, 1495 und Nr. 19.

Die Inszenierung  XXXIX

erfolgte. Ein Eintrittsgeld durfte zumindest im vorreformatorischen Fastnachtspiel nicht erhoben werden. 123 In Ermangelung institutionalisierter Aufführungsorte und weil öffentliche Plätze zeitgleich durch anderweitiges Fastnachtsbrauchtum belegt waren, wurden die Spiele mehrheitlich in Bürgerhäusern und Wirtsstuben von Laienspieltruppen aufgeführt. 124 Hier korreliert der Aufführungsort signifikant mit der meist familiär-alltäglichen, diätetischen Thematik der Spiele. Zahlreiche Bürgerhäuser des ausgehenden Mittelalters hatten ebenerdig eine durchgehende zweigeschossige Halle. Diese diente der Produktion, als Warenlager und als Kontor. 125 Hier ließen sich derartige Spektakel, wenn auch räumlich beengt, aufführen. Sozialtopographisch exponierte öffentliche Räume, auf denen die späteren Schweizer Spiele zur Aufführung gelangten, 126 wurden mit wenigen Ausnahmen in Nürnberg nicht genutzt. Den Rotten stand ein Spielleiter vor. Seinem Geschick war es zu verdanken, ob der Rezeptionsprozess erfolgreich vonstatten ging: Die Wirtshäuser und Bürgerstuben sind schlecht ausgeleuchtet zu denken, das Publikum befand sich seit geraumer Zeit in gelöster Stimmung, einen Vorhang zwecks Eröffnung des Spielgeschehens gab es nicht. Diesem Umstand verdankt sich die Rolle des Precursors, er organisierte die Darbietung und trat als Vermittler zwischen Text und Zuschauer. Die zu Beginn der Aufführung herrschende Atmosphäre ist bei der Rezeption der Texte ebenfalls zu bedenken: Man kann kein dramatisch geschultes oder im modernen Sinn politisch ambitioniertes Publikum annehmen, das über einen reflektierten Umgang mit der Bühnensituation verfügt oder das zum Anknüpfen an virulente oder historische Diskurse befähigt ist. 127 Vielmehr handelte es sich bei den Inszenierungen um launige Unterbrechungen der im vollen Gange befindlichen, bacchantischen und alles andere als literarischen Fastnachtsvergnügungen. Insofern musste das Spiel nicht nur inhaltlich, sondern in möglichst vielerlei Hinsicht schrill und laut sein, um in dieser Umgebung überhaupt wahrgenommen werden zu können. Die Vorblätter einiger Drucke belegen, dass dies auch vermittels der Kostümierung der ausnahmslos männlichen Mimen 128 erreicht wurde. Das Publikum ist somit nicht allein in rezeptiver Funktion zu denken, sondern integraler Teil der Inszenierungen 129 und somit der Gestaltung der Spieltexte. 130 Einige der Folzspiele sprengen allerdings diesen Rahmen. So lassen der Umfang, vor allen Dingen aber die große Anzahl beteiligter Mimen auf eine größere Bühne  123 Vgl. Hampe: Entwicklung II, Nr. 3, 1474; Nr. 9, 1486; Nr. 22, 1498. 124 Vgl. Ehrstine: Aufführungsort, S. 83. 125 Schwemmer: Bürgerhäuser, S. 12 ff. 126 Pfrunder: Pfaffen, S. 19. 127 Anders Wolf: Inszenierung. 128 Vgl. Habel: Zeugniswert, S. 109; Grafetstätter: Ludus, S. 14f. 129 Vgl. Grafetstätter: Ludus, S. 49. 130 Vgl. Ridder: Fastnachtstheater, S. 76.

XL  Einleitung

schließen. Ein solches Freiluftspektakel hat zweifellos jahreszeitlich bedingte Nachteile. Der Reimpaarspruch ,König Maximilian in Nürnberg‘ von Hans Folz belegt jedoch bereits die Emanzipation des Spektakels vom ursprünglichen Aufführungstermin. Die Akteure und insbesondere deren Leiter müssen mit den für die Inszenierung notwendigen Praktiken, Gesten und Mimiken einigermaßen vertraut gewesen sein: Außerordentlich sparsame Regieanweisungen in den überlieferten Texten lassen das Bühnengeschehen kaum auf Textebene rekonstruierbar machen. Ferner legen wenig konkrete Rollenbezeichnungen wie ein bauer, ein ander nahe, dass die Truppe ausreichend organisiert war, die notwendigen Absprachen selbständig zu treffen. Und offensichtlich bestand stets die Möglichkeit des Scheiterns in der Inszenierung, einige der Ausschreierreden belegen dies. 131 Die Bestrebungen des Rats der Stadt Nürnberg, den sozialen Frieden zu gewährleisten und für Stabilität zu sorgen, spiegeln sich, wie bereits dargelegt, in zahlreichen Reglementierungen. Es ist durchaus möglich, dass die Teilnahme junger Handwerker an derartigen Ereignissen von der Obrigkeit auch gerne gesehen war: Einerseits wurden sie an eine für Nürnberg Identität stiftende Institution angebunden, andererseits war ihnen der Besuch bedrohlicher Orte wie beispielsweise Gasthaus oder Bordell während der Proben faktisch nicht möglich. Im Gegensatz zur parallel aufgebauten Bühne des mittelalterlichen geistlichen Spiels, das Gleichzeitigkeit der Ereignisse suggerierte, wird die Bühne des Fastnachtspiels zunehmend als Schauplatz chronologisch einander folgender Ereignisse genutzt. Das neuzeitliche Prinzip der Kausalität, das einer Aktion eine Reaktion folgen lässt, überwiegt in der Aufführung zusehends gegenüber der Gleichzeitigkeit und Allgemeingültigkeit transzendent verorteter, ewig gültiger Parallelität des Dargestellten im geistlichen Spiel. Die Simultanbühne weicht allmählich der Sukzessionsbühne, 132 wobei dieser Prozess sich beileibe nicht gradlinig entwickelt, zahlreiche Spiele des älteren Typs der Narrenrevuen und der Rügespiele sind auf diesem Weg in neue theatrale Dimensionen wenig weit gekommen. Die Schweizer Spiele nutzten noch 30 Jahre später vorzugsweise den dialogischen Aufbau und lassen eine Handlung bzw. deren Fortschreiten nahezu vollständig vermissen. Dennoch ist die oben beschriebene Neuausrichtung in einigen der Nürnberger Fastnachtspiele in nuce angelegt, insbesondere F 95 ,Domherr und Kupplerin‘ oder F 105 ,Der Berner und der Wunderer‘ bezeugen einen fast modern anmutenden Umgang mit der Spielsituation. Die Bühne ist hier ein in sich geschlossener Raum, der allerdings durch dramaturgische Tricks punktuell aufgebrochen werden kann, wenn sich die Figuren bspw. an den Wirt richten oder via Teichoskopie nicht Inszeniertes in das Bühnengeschehen integrieren.

 131 Vgl. Coxon: Spiel, S. 235ff. 132 Vgl. Sachs: Fastnachtspiele, S. 58.

 Überlieferung Die Wolfenbütteler Handschrift G 4° des Claus Spaun Einband: Holz, mit braunem Leder überzogen, florale Elemente sowie ursprünglich jeweils vier Metallecken an Vorder- und Rückseite sowie zwei Schließern. 133 Aufbau: Das erste Blatt ist vorder- und rückseitig leer, auf vier ungezählten Blättern folgt ein Register. Wieder folgt ein leeres Blatt. Die folgenden 409 Blätter sind fehlerlos durchgezählt. Bl. 202 fehlt, scheint aber leer gewesen zu sein. Textverlust ist nicht erkennbar. Am Ende befinden sich nochmals zwei nicht im Register gezählte Blätter mit einem Priamel. Die Handschrift befindet sich in einem guten Zustand. Format: 210 mal 153 mm, Schriftspiegel schwankend zwischen 125 bis 160 mal 110 bis 140 mm. Entstehungsort: Das Idiom von Ga und Gc ist schwäbisch, Gd nürnbergisch und Ge tirolisch. Gb fällt durch Vorlagentreue auf, ein eigenständiger Dialekt kann nicht isoliert werden. Der aus dem Schwäbischen stammende Claus Spaun, der als Sammler der Hs. angesehen werden kann, ist für die Jahre 1500 – 1520 als Kaufmann in Nürnberg nachweisbar. 134 Da ferner die beiden bekannten Fastnachtspielautoren Folz und Rosenplüt ebenfalls in Nürnberg lebten und arbeiteten und das Fastnachtspiel hier im lokalen Brauchtum etabliert war, kann die Reichsstadt als Herkunftsort angenommen werden. Entstehungszeit: vor 1494, dieses Datum findet sich auf dem letzten Blatt 409v und markiert das Ende der Arbeiten. Ga ergänzt auf Bl. 201v „Finis am Erichtag vor Viti 1486 jar“ (15. Juni). Dieses Datum bezieht sich jedoch nur auf die 18. Lage, die die Spiele R 47 und R 41 enthält. So beinhaltet der davor liegende Teil das Spiel F 88, das zweifelsfrei nach 1486 entstanden sein muss. Schreiber: Insgesamt fünf einander ähnliche, jedoch deutlich unterscheidbare Hände, 135 von denen vier Fastnachtspieltexte zu Papier gebracht haben, drei davon Nürnberger Spieltexte (Ga, Gb, Gd). Schreiber Ga = Spaun. 136 Ga.: Kursive; Regieanweisungen und Initiale des ersten Verses sind in den meisten Fällen rot. Ga (= Spaun) greift als Kompilator bspw. In Sprecheranweisungen ergänzend auch in die übrigen Spieltexte ein; Bl. 184 – 188v, Bl. 196v – 227v; Spiele:  133 Vgl. von Heinemann: Handschriften, S. 245. 134 Vgl. Simon: Fastnachtspieltradition, S. 112. 135 Vgl. Habel: Zeugniswert, S. 119ff. 136 Vgl. Habel: Zeugniswert, S. 126.

XLII  Überlieferung

R 22, R 30, R 32, R 41, R 62, F 86, F 96 – 98, Anfang R 47 sowie Anfang und Ende R 4 und R 28. Abbreviaturen: Nasalstrich, hauptsächlich für Nasale, behauchte Labiale und unbetonte Konsonanten. Gb.: Fraktur; Zeilenanfänge und Sprecher sind meist rot unterstrichen, möglicherweise aber erst durch Spaun nachträglich; Bl. 1 – 183v, Blatt 250 – 273v, Bl. 332 – 344v, Bl. 365 – 409v; Spiele: R 35, R 38, R 47, R 51, R 54 – 76, F 81 – 95, F 99 – 107 und Spruchdichtungen. Simon vermutet aufgrund der Textauswahl, dass Gb Folz nahestand. 137 Abbreviaturen: Nasalstrich, hauptsächlich für Nasale, behauchte Dentale und unbetonte Konsonanten: Apostroph für –er; Schleife für –en und verschiedenen frequente Buchstabenkombinationen; Spirale für lat. Endsilbe –us. Gc.: Fraktur; Überschriften sind rot; Bl. 189 – 196v, Spiele: R 47 ohne erste Seite. Abbreviaturen: Nasalstrich für Nasal und Gemination; er-Haken. Gd.: Bastarda; Redeanfänge und Überschriften sind rot unterstrichen, möglicherweise aber erst nachträglich von Spaun; Es finden sich hier Ergänzungen (Überschriften, Anfangs- und Schlusspartien) von Ga; Bl. 228 – 248v, R 4, R 28, R 51, R 75. Abbreviaturen: Nasalstrich für Nasale, unbetonte Konsonanten und Gemination; erHaken. Ge.: Bastarda; Zeilenanfänge mit rotem Strich, Redeanfänge sind rot unterstrichen, Überschriften sind rot Bl. 274 – 328v, Bl. 345 – 364v; Keller 53, 54, 56 und 57, allesamt nicht aus Nürnberg. Abbreviaturen: Nasalstrich und Apostroph in unterschiedlichen Funktionen. Material: Verschiedene Sorten Tinte (grau-braun und schwarz für Spieltext sowie rot und rotbraun für Versanfänge und Regieanweisungen) auf Papier mit insgesamt 40 Wasserzeichen. 138 Signatur: Bl. IIr „18 – 12 Ms“ , darüber Stempel der Bibliothek zu Wolfenbüttel (springendes Pferd). Inhalt: Die Handschrift beinhaltet 70, meist Nürnberger Fastnachtspiele bzw. Fassungen, davon 33 dem Korpus Rosenplüts zugeschlagene, 16 Folzspiele und 11 Spiele, deren Verfasser sich nicht mit Gewissheit ermitteln ließ. Drei Reimpaar- (Bl. 254 v; 255 v; 258 r) und zwei Klopfansprüche (Bl. 344 r) ergänzen die Sammlung. Auf der vorletzten, nicht mehr mitgezählten Seite findet sich ein nachträglich hinzugefügtes Priamel mit Nennung des Namens Sophia Remin und dem Datum 1533. Das auf dem Hinterdeckel aufgeklebte Vorsatzblatt führt das Datum 1521 (15 ^ 21 Jch entgillt meiner frombkait). Ferner sind die Texte über ein ebenfalls nachträglich von Spaun erstelltes Register erschlossen, das der Kompilation vorangestellt wurde. Hier werden die vom Spieltext teilweise abweichenden Registertitel fehlerfrei mit der Stelle des entsprechenden Textes in der Handschrift verknüpft. Es nennt in der ersten Zeile als

 137 Vgl. Simon: Fastnachtspieltradition, S. 20. 138 Vgl. siehe Simon: Fastnachtspieltradition, S. 108ff.

Die Münchner Handschrift N 4 des Anton Haller  XLIII

weiteren temporären Eigentümer den Namen Hanns Peter Hainzel von Degerstein sowie das Jahr 1602. 139 Aufbewahrungsort: Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel.

Die Münchner Handschrift N 4° des Anton Haller Einband: Neuerer Pappeinband mit Papierüberzug, roter Lederrücken. Aufbau: Ein Vor- und ein Nachblatt, 112 meist beschriebene Blätter, doppelte Zählung: Da die ältere Zählung mit 111 beginnt, muss man davon ausgehen, dass 110 Blätter verloren gingen. Die neuere Zählung beginnt mit 1 und zählt an zwei Stellen vier bzw. fünf leere Blätter nicht mit. Der Bestand weist drei Faszikel unterschiedlichen Alters aus. Format: 201 mm mal 146 mm, Schriftspiegel schwankend zwischen 145 bis 175 mm mal 100 bis 120 mm. Entstehungsort: Auf Bl. 18r lässt sich folgende Eintragung rekonstruieren: Dys puchlein ist Anthonny Hallers zu der grünen linten in Nur[emberg]; Anton Haller war der Schwiegervater des ebenfalls in Nürnberg ansässigen Arztes Hartmann Schedel, durch dessen Hand die Paginierung vorgenommen wurde. 140 Die nachgewiesenen Dialekte verorten die Sammlung zusätzlich im oberdeutschen Raum. Entstehungszeit: Fischer datiert die Handschrift auf 1480. 141 Dieses Datum bezieht sich auf die Zusammenstellung der zweifellos älteren drei Einzelteile. Simon setzt das Folz-Spiel von Kaiser Konstantin aufgrund Vers 656 auf das Jahr 1473/74. Diese Datierung ist für die Entstehungszeit des Textes in Zweifel zu ziehen, dazu siehe Endkommentar bzw. Datierung zu F 108, für die vorliegende Abschrift kann sie indes angenommen werden. Schneider glaubt, die Teile seien Ende des 15. Jahrhunderts zusammengefügt worden. Der Verweis auf Anton Haller scheint auf ein Datum vor 1489, dem Jahr, als er das genannte Haus veräußerte, 142 könnte sich aber auch lediglich auf den ersten Teil beziehen und gibt dann keinen Hinweis auf den Zeitpunkt der Zusammenführung. Schreiber: Na.: Bastarda; Sprecheranweisungen rot, ebenso Teile der Buchstaben zu Zeilenanfang; Bl. 1r – 18r; Spiel F 108; Abbreviaturen: Nasalstrich und er-Haken, die aber nur mehr ergänzend zu den vollwertig ausgebildeten Buchstaben verwandt werden. Mundart: Nürnbergisch.

 139 Vgl. Habel: Zeugniswert, S. 124. 140 Vgl. Habel: Zeugniswert, S. 113. 141 Vgl. Fischer: Märendichtung, S. XXI. 142 Vgl. Fischer: Hans Folz, S. 222.

XLIV  Überlieferung

Nb.: Bastarda; Bastarda; Teile der Buchstaben zu Zeilenanfang rot, Überschriften unterstrichen; Bl. 20r – 83r; Abbreviaturen: Vereinzelt er-Haken Mundart: Nürnbergisch. Nc.: Bastarda; Einzelne Stichwort rot; Abbreviaturen: Wenige Nasalstriche, Bl. 86r – 89 v; Mundart: Nordbairisch. Nd.: Bastarda; Abbreviaturen: Sehr häufig Nasalstriche und er-Haken, geringer Zeilenabstand, daher schwer lesbar; Bl. 90rv; Mundart: Mittelbairisch. Ne.: Bastarda; Papier an den Seiten ausgefranzt; Abbreviaturen: Nasalstrich, erHaken, teilweise obsolet; Bl. 91rv, 92v, 86r; Mundart: Mittelbairisch. Nf.: Bastarda; Bl. 93rv – 112rv; 93r Bastarda, Rote Überschrift in Textura, Überschriften rot und gerahmt, Textteile unterstrichen; Abbreviaturen: Nasalstrich, er-Haken; Mundart: Bairisch. Material: Unterschiedliche Tinten auf Papier; Fünf Wasserzeichen (drei verschiedene Ochsenköpfe mit Krone sowie Glocke und Traube). Signatur: Im vorderen Deckel Exlibris der Hofbibliothek München, darüber N° 235 (um 1800); Bl Iv: Hinweis auf Docens Repertorium II. Cod. Germ. chart. Cat. p. 629. Inhalt: Ein Fastnachtspiel F 108, sieben Minnereden in Reimpaaren, ein Schwankmäre in Reimpaaren, ein kürzerer Prosatext über die Bedeutung von Blättern, eine medizinische Einführung, eine Sammlung von Rezepten und Segensprüchen für Pferde, ein Beichtspiegel sowie kaum entzifferbare Minimalfragmente fragwürdigen Inhalts. Aufbewahrungsort: Bayerische Staatsbibliothek München.

Die Weimarer Handschrift X 4° des Hans Folz Einband: Holzdeckel mit Pergament überzogen. Aufbau: 256 Blätter aus 17 Faszikeln ohne Vorblatt. Die Blätter 36 bis 84 waren als 1 bis 49 nummeriert und weisen somit die Faszikel III, IV und V als eigenständiges Werk aus. 143 Nach Bl. 28 scheint Textverlust vorzuliegen. 144 Zahlreiche unbeschriebenen Seiten und offensichtlich unvollständige, teilwiese über die Sammlung verstreute Fragmente und Bearbeitungen sowie ein rudimentär entwickeltes Register (Bl. 134v) weisen die Sammlung auf Arbeitsebene aus, gewissermaßen als text in progress. Die Texte wurden nachträglich punktuell ergänzt, aufgrund der Zusammenführung konnte dies allerdings nicht immer an der numerisch sinnvollen Blattzählung erfolgen, vielmehr wurden hierfür bestehende Leerstellen genutzt. Die Überschriften einzelner Texte sind teilweise wesentlich später nachgetragen. Folgende Blätter sind leer: 16v ab Z. 8, 17 – 21, 51, 58 – 60, 69 – 76r, 84v – 88, 97v – 98, 132r ab Z. 10– 134,  143 Vgl. Schanze: Liedkunst, S. 303f. 144 Vgl. Keller: Fastnachtspiele, S. 1447.

Die Weimarer Handschrift X 4 des Hans Folz  XLV

137v; 142, 149 – 153 (153r lediglich Überschrift), 160r ab Z. 10 – 164, 170v, 178v – 186r, 209r ab Z. 8 – 211, 214r ab Z. 14 – 214v, 227 – 230 (228v vier Hexameter), 246r ab Z. 10 – 248, 255r ab Z. 19 – 256v (256r kurzes Reimwortregister); 175 – 178r zweispaltig; Blatt 35 untere Hälfte abgerissen; doppelte Paginierung der Blätter 52 – 84 (17 – 49); auf Blatt 1, 22, 36, 61 befinden sich zusätzlich röm. Ziffern 1 – 4; Stempel: Vorblatt, Bl. 1 und Bl. 141v Stempel der großherzoglichen Bibliothek Weimar (1815 – 1920). Die Handschrift befindet sich in einem mäßigen Zustand. Format: 210 mm auf 155 mm; Schriftspiegel: 130 – 183 mm auf 77 – 120 mm. Entstehungsort: Da Hauptschreiber Hans Folz die Texte wohl auch zusammenbinden ließ, 145 kann man die Heimatstadt des Dichters und Barbiers Nürnberg als Entstehungsort annehmen. Entstehungszeit: Simon 146 und Mayer 147 datieren aufgrund 57r (1479 ante purificacionis) und Bl. 81r (1475) um 1480, vgl. auch Schanze: Liedkunst, S. 305. Der siebente, nicht von Folz stammende Faszikel scheint 30 bis 40 Jahre älter zu sein. 148 Schreiber: Xa.: Bastarda, linker Rand des Schriftspiegels teilweise rot markiert; Xa, Hauptschreiber, ist Hans Folz. 149 Er ist unter anderem Schreiber der Fastnachtspiele F 109 (Bl. 22r-26v) und R 47 (Bl. X 89r-X 96v). 150 Lediglich einige Gedichte, religiöse Abhandlungen und Traktate, meist in Latein, scheinen von anderer Hand. Es lassen sich innerhalb dieser Hand drei Gruppen isolieren. Diese unterscheiden sich durch abweichende Verwendung des Schluss-s (s bzw. ſ), durch die Größe der Buchstaben und den leicht flüchtigen Charakter der zuletzt entstandenen Gruppe. 151 Daneben weitere vier Schreiber. Anders Stackmann, er isoliert zehn verschiedene Schreiberhände; 152 Abbreviaturen: Nasalstriche und er-Kürzel. Material: Unterschiedlich schwarze, teilweise ins Grünliche spielende Tinte auf Papier; Wasserzeichen: Ochsenkopf mit Stange und Blume. Inhalt: Zwei Fastnachtspiele, eines Rosenplüt (R 47) und eines Folz (F 109), Abschriften bzw. Umarbeitungen älterer Gedichte (Heinrich von Mügeln, Suchenwirt, Hätzlerin, Altswert, Hans Kugler, Elblin von Eselsberg), Reimpaarsprüche, 24 Meisterlieder von Folz, 153 geistliches Liedgut, teilweise fragmentarische Reimpaarsprüche und Lieder von Folz, naturwissenschaftliche, historische, religiöse und alchimisti-

 145 Vgl. Heinrich von Mügeln: Dichtungen, S. XXI. 146 Vgl. Simon: Fastnachtspieltradition, S. 19. 147 Vgl. Folz: Meisterlieder, S. X. 148 Vgl. Heinrich von Mügeln: Dichtungen, S. XXI. 149 Vgl. Folz: Meisterlieder, S. VIII; Habel: Zeugniswert, S. 116. 150 Anders Habel: Zeugniswert, S. 116. 151 Vgl. Folz: Meisterlieder, S. VIII. 152 Vgl. Heinrich von Mügeln: Dichtungen, S. XXI. 153 Vgl. Folz: Meisterlieder, S. IX.

XLVI  Überlieferung

sche Abhandlungen und Notizen, Reimregister, lateinische Verse, ein Bücherverzeichnis (Bl. 174v), ein Prosatext über die Fechtkunst, Adam und Eva sowie die Adversus-Judaeos-Texte ,Pharetra contra Judaeos‘ und ,Traktat 103‘. Aufbewahrungsort: Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar.

l/1 8° GW 10103 Aufbau: Vier Blätter, Bl. 1 führt Titel und einen Holzschnitt, auf dem fünf als Narren gekennzeichnete Männer eine am linken Bildrand positionierte Frau bedrängen. Der gleiche Schnitt findet sich auch vor den Drucken l/2, a und x; 23 Zeilen, Bl. 4v leer. Entstehungsort: Nürnberg. Drucker: Hans Folz.

Entstehungszeit: um 1485. Schrift: Gotische Minuskel, linksbündig, Sprecherbezeichnungen nach rechts eingerückt; Abbreviaturen: Nasalstrich, er-Haken und Querstrich über n zur Ergänzung von d bei und. Inhalt: Ein Fastnachtspiel F 98. Aufbewahrungsort: Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Eth. 117.7, Nr. 9.

l/2 8° GW 10104 Aufbau: Vier Blätter, Bl. 1 führt Titel und einen Holzschnitt, auf dem fünf als Narren gekennzeichnete Männer eine am linken Bildrand positionierte Frau bedrängen, der gleiche Schnitt findet sich auch vor den Drucken l/1, a und x; 23 Zeilen; Bl. 4v leer. Entstehungsort: Nürnberg. Drucker: Hans Folz. Entstehungszeit: um 1485. Schrift: Gotische Minuskel, linksbündig, Sprecherbezeichnungen nach rechts eingerückt; Abbreviaturen: Nasalstrich, er-Haken und Querstrich über n zur Ergänzung von d bei und. Inhalt: Ein Fastnachtspiel F 96. Aufbewahrungsort: Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Eth. 117,7, Nr. 10.

a 8° GW 10105 Aufbau: Vier Blätter, Bl. 1 führt Titel und einen Holzschnitt, auf dem fünf als Narren gekennzeichnete Männer eine am linken Bildrand positionierte Frau bedrängen. Der gleiche Schnitt findet sich auch vor den Drucken l/1, l/2 und x; 23 Zeilen; Bl. 4v leer. Entstehungsort: Nürnberg.

e 8 VD16 ZV 5943  XLVII

Drucker: Peter Wagner. Entstehungszeit: um 1495. Schrift: Gotische Minuskel, linksbündig, Sprecherbezeichnungen nach rechts eingerückt; nachträgliche Paginierung der Blätter in arabischen Ziffern von 1-4 beginnend recte/verso; Titelblatt trägt Nr. 13. Inhalt: Ein Fastnachtspiel F 96. Aufbewahrungsort: Staats und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky Hamburg, Scrin. 229d, Nr. 13.

e 8° VD16 ZV 5943 Aufbau: Sieben Blätter, Bl. 1 führt Titel und denselben Holzschnitt wie o, auf dem ein Brautpaar und drei Bauern abgebildet sind; 16-20 Zeilen; Bl. 1v leer; dahinter leeres Blatt mit Stempel der Bibliothek des Börsenvereins der deutschen Buchhändler zu Leipzig. Entstehungsort: Nürnberg. Drucker: Jobst Gutknecht. Entstehungszeit: 1519. Schrift: Gotische Minuskel, linksbündig, Sprecherbezeichnungen nach rechts eingerückt und meist durch Leerzeilen abgesetzt; Abbreviaturen: Nasalstrich zur Kennzeichnung der m-Gemination. Inhalt: Ein Fastnachtspiel F 86. Aufbewahrungsort: Deutsche Nationalbibliothek Leipzig, Bö C VII 780.

x 8° VD 16 F 1768 Aufbau: Vier Blätter, Bl. 1 führt Titel und einen Holzschnitt, auf dem fünf als Narren gekennzeichnete Männer eine am linken Bildrand positionierte Frau bedrängen. Der gleiche Schnitt findet sich vor den Drucken l/1, l/2, und a; 23 Zeilen; Bl. 4v leer. Entstehungsort: Leipzig/Nürnberg. Drucker: Martin Landsberg (VD 16 digital); Johann Stüchs (VD16 Abt. 1); Georg Stüchs (HAB)[gest. 1517] . Entstehungszeit: um 1520. Schrift: Gotische Minuskel, linksbündig, Sprecherbezeichnungen zentriert. Inhalt: Ein Fastnachtspiel F 98. Aufbewahrungsort: Herzogin Amalia Bibliothek Weimar, 14,6:60d, Nr. 15.

XLVIII  Überlieferung

o 8° VD 16 F 1774 Aufbau: Sieben Blätter, Bl. 1 führt Titel und denselben Holzschnitt wie e, auf dem ein Brautpaar und drei Bauern abgebildet sind, darunter Stempel der preußischen Staatsbibliothek Berlin 1919-1945; dahinter leeres Blatt; 16-20 Zeilen. Entstehungsort: Nürnberg. Drucker: Jobst Gutknecht. Entstehungszeit: 1521. Schrift: Gotische Minuskel, linksbündig, Sprecherbezeichnungen eingerückt; nachträgliche Paginierung der Blätter in arabischen Ziffern von 72-78. Inhalt: Ein Fastnachtspiel F 86. Aufbewahrungsort: Staatsbibliothek Berlin, YD 7820, Nr. 5.

b 8° VD16 F 1769 Aufbau: Zwölf Blätter, Bl. 1 führt Titel und einen Holzschnitt, auf dem ein Arzt sowie drei Bauern eine Urinprobe in einem bauchigen Glas betrachten, darunter Stempel der preußischen Staatsbibliothek Berlin 1919-1945; dahinter leeres Blatt; 20 Zeilen. Entstehungsort: Nürnberg. Drucker: Johannes Stüchs. Entstehungszeit: um 1520. Schrift: Gotische Minuskel, linksbündig, Sprecherbezeichnungen größere Type, teilweise eingerückt, nachträgliche Paginierung der Blätter in arabischen Ziffern von 152-163. Inhalt: Ein Fastnachtspiel F 111. Aufbewahrungsort: Staatsbibliothek Berlin, YD 7820, Nr. 15.

f 8° VD16 F 1770 Aufbau: Vier Blätter, Bl. 1 führt Titel und einen Holzschnitt, auf dem vier Bauern drei sitzenden Richtern bzw. Schöffen gegenüberstehen; darunter Stempel der Staatsbibliothek Berlin 1795-1840; 20-22 Zeilen. Entstehungsort: Nürnberg. Drucker: Johannes Stüchs. Entstehungszeit: um 1520. Schrift: Gotische Minuskel, linksbündig, Sprecherbezeichnungen größere Type, eingerückt; Nachträgliche Paginierung der Blätter in arabischen Ziffern von 1-4. Inhalt: Ein Fastnachtspiel F 110. Aufbewahrungsort: Staatsbibliothek Berlin, YP 7091.

q/r 8 VD16 F 1781  XLIX

q/r 8° VD16 F 1781 Aufbau: 16 Blätter, Bl. 1 führt Titel und einen Holzschnitt, auf dem König Salomon auf einem Thron sitzend und ihm zur Seite ein Narr abgebildet ist, dieser Gruppe gegenüber stehen Markolf und eine alte Frau, darunter Stempel der preußischen Staatsbibliothek Berlin 1919-1945; 22-23 Zeilen. Entstehungsort: Nürnberg. Drucker: Johannes Stuchs. Entstehungszeit: um 1521. Schrift: Gotische Minuskel, linksbündig, Sprecheranweisungen eingerückt; doppelte nachträgliche Paginierung der Seiten in arabischen Ziffern von 1-31 und der Blätter von 116-131. Inhalt: Ein Fastnachtspiel F 103. Aufbewahrungsort: Staatsbibliothek Berlin, YD 7820, Nr. 11.

z 8°

Rom, BAV, Palat. V. 432

Aufbau: Bl. 1 führt den Titel und einen Holzschnitt, auf dem zwei junge Männer eine junge Frau zu einem Amtmann führen; 16-22 Zeilen. Entstehungsort: Nürnberg. Drucker: Friedrich Gutknecht. Entstehungszeit: o.J. Schrift: Gotische Minuskel. Inhalt: Ein Fastnachtspiel F 86. Aufbewahrungsort: Rom: Vaticana, Palat. V. 432 (int. 45).

h 8°

VD16 F 1775

Aufbau: 16 Blätter, Bl. 1 führt den Titel und einen Holzschnitt, auf dem ein in der Bildmitte stehender Mann die zu seiner Rechten und linken positionierten Brautleute per Handschlag verbindet. Auf Seiten des Bräutigams befinden sich drei weitere Männer, auf Seiten der Braut drei Frauen; dahinter leeres Blatt mit Stempel der Staatsbibliothek Berlin 1795-1840; 17-19 Zeilen. Entstehungsort: Nürnberg. Drucker: Georg Merckel. Entstehungszeit: um 1555. Schrift: Gotische Minuskel, linksbündig, Sprecherbezeichnungen zentriert, teilweise größere Type; nachträgliche Paginierung der Blätter in arabischen Ziffern von 1-7. Inhalt: Ein Fastnachtspiel F 86. Aufbewahrungsort: Staatsbibliothek Berlin, YP 7106.

 Zur Sprache der vorreformatorischen Nürnberger Fastnachtspiele (Folz und Anonymi) 154 Von Nikolaus Ruge . Zum sprachhistorischen Zeugniswert der Überlieferung Wenn im Zusammenhang einer überlieferungsnahen Neuausgabe der Folzschen und anonymen vorreformatorischen Nürnberger Fastnachtspiele auch einige Überlegungen zu deren Sprache angestellt werden sollen, liegt es nahe, an deren Anfang eine Bewertung eben der Überlieferungsträger nach ihrem jeweiligen sprachhistorischen Zeugniswert zu stellen. Grundsätzlich stellt sich die Lage ungewöhnlich günstig dar: Die Gattung selbst ist räumlich situiert (‚Nürnberger Fastnachtspiel‘), viele der Korpustexte sind entweder mit dem Namen Hans Folz signiert oder dem Namensträger von philologischen Spezialuntersuchungen 155 mit mehr oder minder großer Übereinstimmung zugewiesen worden. Hinzu kommt für eine Reihe von Texten eine ungewöhnlich autornahe Überlieferungslage, konkreter gesprochen der Umstand, dass im Falle von ‚Ein Marktschreierspie‘ (F 109), ‚Neun Weibernarren‘ (F 98) und ‚Weibernarren vor Venus‘ (F 96) Autor und Schreiber bzw. Drucker 156 identisch sind. Unter Berücksichtigung der Parameter Sprachlandschaft, Autor, Traditor sowie unter Einbeziehung des Zeitfaktors ergibt sich folgende Gliederung der Überlieferung: 157

 154 Für kritische Lektüre und wertvolle Hinweise danke ich Christoph Gerhardt (†). 155 Namentlich Michels: Studien; Catholy: Fastnachtspiel des Spätmittelalters; Simon, G.: Fastnachtsspieltradition. 156 Dieser Fall ist medien- wie literaturhistorisch von besonderem Interesse, handelt es sich bei der Folzschen Praxis doch um nicht weniger (und nicht mehr) als den „ersten bekannten Selbstverlag“ (Rautenberg: Werk, S. 1) der Literaturgeschichte. 157 Aus technischen Gründen berücksichtigt die vorliegende Studie nicht die folgenden Texte des Folzkorpus: ,Ecclesia und Synagoga‘ (F 81), ,Die Heilung eines kranken Bauern‘ (F 85), ,Die drei Brüder und das Erbe‘ (F 87), ,Das Nürnberger [kleine] Neidhartspiel‘ (F 89), ,Zeugenaussagen‘ (F 104), ,Das Rätselspiel‘ (F 106), ,Kaiser Konstantin und Silvester‘ (F 108). Diese Einschränkung gilt es zu beachten, wenn im Folgenden vom ‚Folzkorpus‘, von ‚den Korpustexten‘ o.ä. die Rede ist.

LII  Zur Sprache der vorreformatorischen Nürnberger Fastnachtspiele .. Nürnberger Autograph Ein Marktschreierspiel (F 109, X 158)

.. Nürnberger Druck aus Folzens Offizin Weibernarren vor Venus (F 96, l/2, zusätzlich Ga, 159 a) Weibernarren (F 98, l/1, zusätzlich Ga, x)

.. Zeit- und ortsnahe Zeugen Der Wallbruder (F 82, Gb) Das böse Weib (F 83, Gb) Der Ehestreit (F 84, Gb) Die Bauernhochzeit (F 86, Gb; zusätzlich Ga, e, o, h, z) Der Herzog von Burgund (F 88, Gb) Kaiser und Abt (F 90, Gb) Das Spiel vom Dreck (F 91, Gb) Liebesnarren vor Venus (F 92, Gb) Der Hasenkauf (F 93, Gb) Vier Reden (F 94, Gb) Domherr und Kupplerin (F 95, Gb) Die Handwerker (F 99, Gb) Die Fastnacht vor Gericht (F 100, Gb) Der törichte Tausch (F 101, Gb) Der Ehevertrag (F 102, Gb) Salomon und Markolf (F 103, Gb) Der Berner und der Wunderer (F 105, Gb) Die zwölf faulen Pfaffenknechte (F 107, Gb)

.. Zeitnahe Zeugen Die Bauernhochzeit (F 86, Ga; zusätzlich Gb, e, o, h, z) Zwölf buhlerische Bauern (F 97, Ga)

 158 Ausführlich zur Hs. X J. Janota: Hans Folz, S. 77f. 159 Ausführliche Beschreibung der Hs. G bei Simon, G.: Fastnachtsspieltradition, S. 107-118.

Zum sprachhistorischen Zeugniswert der Überlieferung  LIII

.. Späte Nürnberger Zeugen [‚Die Bauernhochzeit‘ in e, o, h, z] Salomon und Markolf (F 103, q/r) Ein Bauerngericht (F 110, f) Von einem Arzt und einem Kranken (F 111, b)

.. Späte Zeugen außerhalb Nürnbergs [‚Weibernarren‘ in x] Ein erster Überblick zeigt, dass ein einziger Korpustext weder autor- noch ortsnah überliefert ist, die unikal in Ga überlieferten ‚Zwölf buhlerischen Bauern‘ (F 97). Für den Sprachhistoriker ergibt sich daraus, dass auf Grundlage dieses Textes Rückschlüsse auf den Folzschen Ideolekt oder die Nürnberger Stadtsprache nicht möglich sind. Abgesehen von ‚Ein Bauerngericht‘ (F110) und ‚Von einem Arzt und einem Kranken‘ (F 111) sind alle anderen Korpustexte entweder in Gb (die große Mehrzahl), l/1 (‚Neun Weibernarren‘, F 98), l/2 (‚Weibernarren vor Venus‘, F 96) oder X (‚Ein Marktschreierspiel‘, F 109) und damit zumindest zeit- und ortsnah überliefert, womit die Konsistenz des zugrunde liegenden Textkorpus hinreichend gesichert ist. Während der überlieferungsbedingte Fokus auf Nürnberg bzw. Folz nicht bedeutet, dass Spezifika von Ga oder autorfernerer Drucke wie a keinerlei Berücksichtigung finden sollen – darauf wird im Apparat der Ausgabe sowie verschiedentlich im Rahmen der folgenden Ausführungen eingegangen –, rechtfertigt der exzeptionelle Umstand einer autographen Überlieferung des ‚Marktschreierspiels‘ (F 109) eine etwas ausführlichere Betrachtung. Die Überlieferungslage ist methodisch deswegen besonders günstig, weil das Spiel ‚Die Handwerker‘ (F 99) abgesehen von einer Reihe von Plusversen sowie Umstellungen eine solche Vielzahl von Parallelen zum autograph tradierten Text aufweist, dass von einer späteren Fassung des ‚Marktschreierspiels‘ ausgegangen werden kann. ‚Die Handwerker‘ ist unikal in Gb überliefert: Sieht man von möglichen zeitlichen Faktoren ab, die den Rahmen eines Jahrzehnts aber ohnedies kaum überschreiten sollten, dürften sprachliche Auffälligkeiten in F 109 gegenüber F 99 mit hoher Wahrscheinlichkeit auf ideolektale Folzsche Besonderheiten gegenüber dem Usus eines zeitgenössischen Nürnberger Berufsschreibers hinweisen. Im Bereich der Phonographie findet sich in F 109 gegen F 99 und das restliche Korpus ein Reflex nicht durchgeführter Rundung; 160 was die graphischen Reflexe

 160 anzinden (109.10*) vs. anzunden (99.140*). Position im Reim wird im Folgenden mit Asterisk nach der Stellenangabe gekennzeichnet; die Markierung entfällt, wenn ganze Verse zitiert werden.

LIV  Zur Sprache der vorreformatorischen Nürnberger Fastnachtspiele der Medienverschiebung anbelangt, erscheinen die mhd. labialen Plosive von wenigen Ausnahmen abgesehen 161 wort- und silbeninitial als

, 162 die mhd. dentalen Plosive in identischer Position als . 163 Pränasaler bzw. präliquider Palatoalveolar erscheint in F 109 bereits als Trigraph. 164 Schließlich tendiert F 109 dazu, s-Laute gegen den sonstigen Usus mit wiederzugeben, meistens wortfinal, 165 ausnahmsweise aber auch in anderen Positionen. 166 Ein generelles Urteil über die F 109 spezifische Metrik abzugeben, bleibt auch nach Vergleich mit F 99 heikel. Einer Reihe von Versen, in denen F 99 gegenüber F 109 alternierenden Rhythmus herzustellen scheint, 167 stehen Verse entgegen, deren in F 109 noch bestehende rhythmische Alternanz in F 99 gestört erscheint. 168 Zumindest in einem Fall liegt jedoch ein materieller Hinweis auf ein Interesse des Schreibers von X (=Folz) vor, alternierenden Rhythmus zu produzieren. In wan mit geschrey du wir offenbern (109.23) streicht er das semantisch redundante Auxiliar du und erhält so geglättetes wan mit geschrey wir offenbern, ohne dass er ansonsten etwas gegen die tun-Periphrase einzuwenden gehabt hätte. 169 Die Wortbildung von F 109 weist einige im gesamten Korpus unikale Suffixvarianten auf, 170 ebenso wenige Lexemvarianten. 171 Im syntaktischen Bereich zeichnet sich F 109 durch gewisse Abweichungen in der Markierung der Negation aus, 172 besonders auffällig sind aber Differenzen im Auxiliargebrauch: F 99 ersetzt trauen durch wollen, 173 sollen durch müssen 174 und wollen durch werden, 175 beim Gebrauch des Futurauxiliars werden liegen allerdings keine varianten Verwendungsweisen vor. 176

 161 Die Hyperkorrektur bech (109.5); daneben bewarn (109.38*), benaschen (109.101*), betragen (109.117*). 162 Darpey (109.12) vs. Darbey (99.18), pey (109.66) vs. Bey (99.32). 163 Dret (109.32) vs. Tret (99.14), dick (109.14*) vs. tück (99.20*), drag (109.65) vs trage (99.31), daneben aber auch tragen (109.91*). 164 schmercz (110.16*) vs. smertz (99.22*), verschlag (109.75*) vs. verslag (99.43*). 165 Allz (109.5) vs. Als (99.135). 166 allzo (109.48) vs. also (99.76). 167 Jch weyß, jr wer jr bej mir suchen (99.62) vs. Jch weiß, jr wer jr mer pey mir suchen (109.82). 168 Das keim an fingern nichtz pleib kleben (109.90) vs. Das keinem an fingern nicht bleib kleben (99.70). 169 Er verwendet sie etwa in Vnd dut euch mit frumern gesten bewarn (109.38). 170 hiplin (109.65) vs. hipplein (99.31), faulkyt (109.94) vs. faulkheit (99.54). 171 meinster (109.145) vs. meister (99.45); auch sonst nur meyster (111.6), maisterlich (94.75); Plaben (109.121) vs. Ploben (99.155). 172 Das sie mir offt kein faden an lan (109.72) vs. Das sie mir offt ein faden am halß nit lan (99.38), Vnd laß auch kein nit van mir gan (109.172), Vnd laß auch kein von mir gan (99.201). 173 ich [...] draw zu machen (109.58*) vs. ich [...] wil machen (99.88*). 174 ich [...] sol sagen (109.118*) vs. ich [...] muß sagen (99.118*). 175 Jch wollt [...] anzinden (109.10*) vs. Jch wurd [...] anzunden (99.140*). 176 Allz ir von vnß wert horen gar (109.25), Als jr von vns wert horen gar (99.7).

Zum sprachhistorischen Zeugniswert der Überlieferung  LV

Auf der Textebene neigt F 109 zu nicht selten auf konzeptuell-fingierte Mündlichkeit verweisende Verdeutlichungen durch Demonstrativpronomen, 177 Relativadverbien 178 oder Konnektoren, 179 die F 99 regelmäßig glättet. Als Verfahren zur Steigerung von textueller Kohärenz lassen sich der Ersatz von bestimmtem Artikel durch Personalpronomen 180 oder die Tendenz zur Vereinheitlichung von Substitutionsketten 181 auffassen. Als weniger ertragreich für die Einkreisung des Folzschen Ideolekts erweist sich vorerst, von wenigen Ausnahmen abgesehen, 182 ein Versuch der linguistischen Operationalisierung der Opposition ‚signierte Texte vs. Anonyma‘ bzw. ‚Ideolekt vs. Genolekt‘. 183 Wenn an dieser traditionellen Unterscheidung im Rahmen der vorliegenden Untersuchung festgehalten wird, so hat dies in erster Linie praktische Gründe, soll doch dem Benutzer die Identifizierung der Texte nicht unnötig erschwert werden. Was den Einfluss des Faktors Sprachlandschaft auf die Sprache der Korpustexte betrifft, ist noch einmal auf die bereits erläuterten überlieferungsbedingten Besonderheiten zu verweisen. Nur unter dieser Bedingung sowie unter Ausblendung gewisser anekdotischer Einzelfälle in überlieferungsgeschichtlich unauffälligen Texten gilt das oft gefällte Urteil einer relativen Mundartferne. Bereits Michels hatte aufgrund phonographischer Evidenz die „gemeinbairische Sprache“ der Folzschen Fastnachtspiele konstatiert, 184 ein Befund, der von Henß mit morphologischen und lexikalischen Argumenten gestützt werden konnte. 185 Die von Moser beschriebene „sonderstellung des nürnb.“ 186 betrifft, wie die folgenden Detailuntersuchungen zeigen werden, im Fall der Folzschen Fastnachtspiele wie der Anonyma tatsächlich

 177 mein pest kram schacz die ist ligen (109.79) vs. mein pest kramschatz ist ligen (99.47). 178 Do hin, do sie jr pulschafft haben (109.140) vs. Do sie jr heimlich pulschaft haben (99.124). 179 Vnd hab dar vm ein sulichs kauffen / Das mir die sew stetz nach drum lauffen (109.53f.) vs. Vnd hab darumb ein solches kauffen / Das mir die sew stetz nach lauffen (99.81f.). 180 den magen (109.92*) vs. sein magen (99.52*), das deller (109.63) vs. mein teler (99.93). 181 hauß dirn (109.111) – meyt (109.115) – meid (109.137) vs. haußmeid (99.111) – meit (99.115) – meyd (99.121). 182 So scheint Folz die synkopierte Partizipialform worn zu meiden. Sie kommt ausnahmslos bei den Anonymi vor (82.41*; 84.10*; 90.326*; 101.130*; 101.181*; 111.292*), während in Folz-Spielen nur die Explizitform worden steht (94.15 u.ö.), die daneben auch in den anonym überlieferten Texten belegt ist (so 90.246*; 92.75*). Umgekehrt kommt das alte Proklitikon en- nur bei Folz vor (88.280; 103G.90, 103G.178, 103G.475, 103q.112, 103q.359, 103q.160, 103q.388). Weiterhin scheinen initiale Fortisschreibungen für mhd. /d/ bei den Anonymi zu fehlen: tungt (102.176; 103a.183; 103q.165) erscheint neben häufigerem dunk (83.45), dunkt (93.42), dunckt (82.132, 79.64 u.ö.). 183 Der Terminus meint hier die für eine literarische Gattung charakteristische sprachliche Varietät, eine abweichende Verwendung im Sinne einer spontan erworbenen, durch keinerlei metasprachliche Reflexion überformten Varietät findet sich bei Kailuweit: Sprechen. 184 Michels: Studien, S. 108. 185 Henß: Studien. 186 Moser: Nürnbergische, S. 381.

LVI  Zur Sprache der vorreformatorischen Nürnberger Fastnachtspiele in erster Linie das Oberdeutsche. Jene oberdeutsch-mitteldeutsche Ausgleichsvarietät, auf die das Nürnbergische im Zuge der Entwicklung großräumigerer Schriftlichkeit im 15. und 16. Jahrhundert und erleichtert durch Nürnbergs geographische Lage sowie seine gleichzeitige ökonomische und kulturelle Blüte den Ausführungen von Müller und Van der Elst zufolge hinsteuert, 187 kann auf der Basis des hier untersuchten Materials noch nicht erwiesen werden. Evidenz in dieser Richtung liefert ein Vergleich der beiden Fassungen von ‚Neun Weibernarren‘, deren erste, oberdeutsche die Augsburger Handschrift G (1494) und der Nürnberger Druck l (1485) überliefern, und gegenüber der die Fassung des Leipziger Drucks x (1520) eine Reihe sprachlicher Mikrovarianten aufweist, die auf den Gegensatz Mittel- vs. Oberdeutsch zurückgeführt werden können. 188 1) Die auffälligste Variation betrifft die durchgehende Schreibung in x gegenüber

in G/l 189 in wort- 190 und silbeninitialer Position. 191 Stellenweise ist auch der Dental betroffen, ohne dass sich hier eindeutige sprachlandschaftliche Zuordnungen ergäben. 192 2) Einer generellen Tendenz entsprechend, der zufolge sich die Umlautbezeichnung vom (Süd-)Westen nur langsam nach Osten durchsetzt, 193 weist x noch 1520 eine deutlich geringere Anzahl entsprechender Schreibungen auf als G und l. 194 3) Analog zum ostmitteldeutschen Usus 195 ist die Tendenz zur Synkope in x weit weniger ausgeprägt als in G und l, 196 wobei auch hier stellenweise der umgekehrte Fall belegt ist, 197 ein Hinweis darauf, dass neben den sprachlandschaftlichen auch metrische Faktoren nicht außer Acht gelassen werden dürfen. 198

 187 Müller: Usus; Van der Elst: Stadt. 188 Eine Reihe auffälliger Varianten von x gegenüber G und l sind nicht auf sprachlandschaftliche Faktoren zurückführbar, etwa die durchgehende Schreibung vmb in x gegenüber vm in G und l (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr: § L 44,4) oder die Diminutivform pettlin (98.44) gegenüber bettlein in x (vgl. Moser/Stopp/Besch: GrdFrnhd 1.3, § 28, S. 133ff.). 189 Vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr: § L 44. 190 puler (98.13) – buler (x), pesten (98.22) – besten (x), pald (98.90) – bald (x) u.ö. 191 Verpluͤ men (98.94*) – vorbluͤ men (x*). 192 Bei tun schreibt x durchgehend gegen in G und l, vgl. dut (98.36, 98.111) – thut (x); besonders bei Namengraphien ergibt sich jedoch kein einheitliches Bild: Drol (96.18*) – Trol (x*); Treck (98.23*) – dreck (x*). 193 Vgl. Moser: Grammatik, § 16. 194 Gruͤ ß (98.2) – gruß (x), euͤ ch (98.4) – euch (x), schoͤ n (96.10) – schon (x) u.ö. 195 Vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr: § L 39. 196 gstanden (98.30*) – gestanden (x*), einr (98.62) – einer (x), spacirn (96.78*) – spaciren (x*). 197 genossen (98.74*) – gnossen (x*). 198 Vgl. dazu Heinen: Gestaltung, S. 48f.

Phonologie und Graphematik  LVII

4) Schon zur mhd. Zeit ist o im Ind. Präs. Pl. von wellen mitteldeutsches Charakteristikum, 199 wohingegen das seit dem 15. Jahrhundert zu beobachtende Auftreten von / im Obd. 200 in G und l, anders als in x, noch nicht durchgeführt ist. 201 5) nachbar statt mhd. nach(ge)bur tritt im 15. Jahrhundert zuerst im Mitteldeutschen auf. 202 Im engeren Sinne sprachhistorische Interessen verknüpfen die folgenden Ausführungen mit einer eher pragmatischen Orientierung. Dem Benutzer der Ausgabe sollen sie eine syntheseartige Übersicht der wesentlichen graphischen bzw. phonographischen, morphologischen, syntaktischen, pragmatischen und lexikalischen 203 Elemente liefern, die auch insofern der Erläuterung bedürfen, als sie sich vom Normalmittelhochdeutschen einerseits und vom späteren Neuhochdeutschen andererseits unterscheiden. In dieser Hinsicht bildet das vorliegende Kapitel eine Ergänzung zum kommentierenden Apparat, der insbesondere hinsichtlich der Lexik hier nur überblicksartig systematisierend ausgewertet wurde und für Detailfragen immer gesondert zu konsultieren ist.

. Phonologie und Graphematik .. Rein graphische Phänomene Die Verwendung von Diakritika zur Bezeichnung des Umlauts scheint von den Faktoren Text und Überlieferungsträger sowie insbesondere davon abzuhängen, ob letzterer Druck oder Handschrift ist, wobei hier innerhalb des Korpus signifikante Unterschiede bestehen. Vergleicht man etwa nur die e-Superskripte über in den Folz-Textzeugen F 103a (‚Salomon und Markolf‘-Hs. G) und F 103b (‚Salomon und Markolf‘-Druck), ergibt sich eine eindeutige Verteilung: Hs. G weist genau zwei -Graphien auf, 204 der Druck q/r 48. 205 Analoge Tendenzen liegen für die anonym überlieferte F 83 (‚Das  199 Vgl. DWb 14.2, Sp. 1327. 200 Vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr: § M 146. 201 wir weln (98.129) – wir wollen (x), Weln vns (98.132) – Woͤ ln vns (x). 202 Vgl. DWb 7, Sp. 22. nachpaurn (98.11) – nachparn (x). 203 Zur Phraseologie vgl. Gottwald: Formelhaftigkeit. 204 Hoͤ r (103a.216, 103a.232). 205 Doͤ rst (103b.38), schoͤ ner (103b.44), Hoͤ r (103b.51, 103b.410, 103b.693), Gynoͤ ffel (103b.82f.*), Gensloͤ ffel (103b.83*), hoͤ r (103b.102), toͤ rlich (103b.106), poͤ ser (103b.118), poͤ ß (103b.132, 103b.159, 103b.233, 103b.475), zerstoͤ rn (103b.132), stoͤ st (103b.203), gespoͤ t (103b.205), hoͤ rt (103b.206, 103b.209, 103b.416), schoͤ n (103b.251, 103b.535, 103b.588), poͤ sen (103b.257, 103b.294), loͤ cherter

LVIII  Zur Sprache der vorreformatorischen Nürnberger Fastnachtspiele böse Weib‘) in Hs. G vor, die eine diakritikonhaltige Umlautgraphie aufweist, 206 ohne entsprechende Kennzeichen treten aber syntaktisch eindeutige Konjunktivformen wie dunckt (83.36), dunk (83.45) oder lag (83.56) auf. Ganz anders der Befund für F 82 (‚Der Wallbruder‘, ebenfalls anonym in G): e-Superskripte sind gut belegt, in fünf von acht type-Fällen aber mit entsprechenden Varianten ohne Superskript. In drei dieser fünf Fälle ist die Schreibung ohne Superskript mehr oder weniger deutlich Leitgraphie (hören, euch, müssen). Tab. 1: -Superskripte in Nr. 83 Basisgraphie

-Superskript

keine -Superskript

Fehlt

n/a

Fehlt

n/a

Vıͤlst (.)

viel (.)

Hoͤ rt (.*) Betoͤ rt (.*)

hort (.), Hort (.), Hor (.) fehlt

Euͤ ch (.) Muͤ g (.*) Tuͤ g (.*) Muͤ ß (.) Huͤ t (.)

euch (. u.ö.) fehlt fehlt must (., .), mustu (.) hut (., .; jeweils Sg.)

Die Schreibung der Auslautverhärtung zeigt die für die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert charakteristischen Ungleichzeitigkeiten. Beim Labial und Velar dominieren bereits eindeutig Lenisgraphien wie (83.1, 103a.384) oder (84.139) bzw. (83.56, 96.69) oder (100.173), Schreibungen wie (100.301), (103a.411*) – daneben dominant (86a.33, 103a.439 u.ö.), (86a.50 u.ö.) – bzw. (103a.245) sind marginal, wobei für Velar eine Reihe von Kompromissgraphien wie (91.140) oder (103a.175) zu verzeichnen sind. Eine Ausnahme stellt die Handschrift von ‚Salomon und Markolf‘ dar, die in großer Zahl Schreibungen wie (103a.245), (103a.247), (103a.265 u.ö.) aufweist. Dem zeitgenössischen Usus entsprechend stellt sich die Situation beim Dental genau umgekehrt dar: Fortisschreibungen wie (82.87) oder (83.6, 102.90) dominieren marginale Lenisschreibungen wie

 (103b.271), schnoͤ de (103b.316), moͤ cht (103b.321, 103b.464), groͤ sser (103b.321), hoͤ her (103b.339), groͤ ssern (103b.368), woͤ lst (103b.394, 103b.642), toͤ dt (103b.427), groͤ rich (103b.478), ertoͤ dten (103b.488), froͤ ligkeit (103b.536*), moͤ chstu (103b.597, 103b.602), gespoͤ ttigen (103b.608), boͤ ß (103b.625*, 103b.638), koͤ ß (103b.626*), schoͤ nsten (103b.706), woͤ ln (103b.709), Woͤ ll (104b.713), hoͤ rn (104b.714). 206 ich fürcht (83.54).

Phonologie und Graphematik  LIX

(83.21), daneben vorherrschend (83.113, 88.578 u.ö.). Wie beim Velar tritt eine Reihe von Kompromissgraphien wie (84.135, 103b.468*) oder (103b.289) auf, die nicht mit hochfrequenten Synkopierungsschreibungen wie findet vermengt werden dürfen. Die Schreibung von /l/ zeigt in wortfinaler Position „das [...] typische Nebeneinander von l und ll“, 207 wobei die Entwicklung zu den gegenwartssprachig vorherrschenden morphem-identifizierenden Schreibungen durch vereinzelte Synkopierungsgraphien wie gestört wird: Tab. 2: /l/-Graphien bei wollen und sollen



Einsilber

(., ., . u.ö.) (., . u.ö.)

(nur .) (b., .)

Silbengelenk

kein Beleg für *

(., .*, ., ., . u.ö.) (., b.)

(., b.)

Dem zeittypischen Schreibusus folgt die Distribution wortmedial 208 vs. wortinitial , 209 daneben steht aber auch häufig und (83.22, 88.631 u.ö.). Isoliert tritt die Schreibung wmbher (96.54, Variante des Nachdrucks x zu ymer) auf. Bei der graphischen Umsetzung von diphthongiertem mhd. /iu/ bzw. gesenktem mhd. /öu/ alternieren 210 und , 211 ohne dass eine Tendenz zur Leitgraphie auszumachen wäre. Bei gesenktem mhd. /ou/ bzw. diphthongiertem mhd. /û/ alternieren entsprechend 212 und , 213 einen analogen Befund für den zeitgenössischen Nürnberger Usus bietet Müller. 214 Langvokal wird in den Korpustexten kaum markiert, sieht man von einigen wenigen bei Folz belegten Namengraphien wie Naason (103b.67) oder Boos (103b.68) ab.

 207 Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 64.2. 208 muter (86a.32, 76.459). 209 vnd (82.4, 88.170 u.ö.), vbel (82.3, 88.332) etc. 210 fewres (92.160), aubentewrischst (95.5) – ewgen (84.4), prewt (86a.18), Frewlein (103a.197). 211 euch (83.5, 88.4), freunt (83.6, 102.90) u.ö. – preut (86b.31, 102.142), freud (103a.318). 212 frauen (91.241, 100.395, 103a.435* u.ä.) – auff (83.12). 213 fraw (83.89, 100.44 u.ö.) – hawß (83.48, 103a.315). 214 Müller: Usus, S. 62.

LX  Zur Sprache der vorreformatorischen Nürnberger Fastnachtspiele Wie schon bei Besch, Müller und Van der Elst bemerkt, 215 tendiert der Nürnberger Graphieusus dazu, diphthongiertes mhd. /î/ als oder , 216 mhd. /ei/ hingegen als bzw. deutlich seltener 217 zu repräsentieren. 218 Die entsprechend von P.O. Müller – allerdings auf der Basis eines quantitativ nicht vergleichbaren Korpus – angedeutete komplementäre Distribution liegt weder im Folzkorpus noch bei den Anonymi vor, im Fall vom mhd. heizen bildet sogar die Leitgraphie. 219 Der Druck x ändert das Temporaladverb Dan (98.134) in Den; die Alternanz des Lexems scheint prinzipiell ideolektal geregelt, im Folzkorpus und in den Anonyma ist dan(n) die eindeutige Leitgraphie, denn kommt nur marginal bei Folz vor. 220 Das Korpus zeigt die üblichen Alternanzen bei der Schreibung der ehemaligen Halbvokale /w/ und /j/, wobei die Initialallographie / 221 nach Moser sowie daran anschließend Pfanner, Koller und Müller einen spezifisch bairischen und insbesondere nürnbergischen Schreibusus darstellt. 222 Was mhd. /j/ betrifft, herrschen im Frühneuhochdeutschen bekanntlich komplexe Graphieverhältnisse. 223 Dass bei den Anonymi zumindest einzellexembezogen die Alternanz punktuell zu aufgelöst erscheint, 224 hängt möglicherweise damit zusammen, dass „normalmhd. und frnhd. j seit dem 13. Jahrhundert im Omd., Nordobd. und Nordbair. verbreitet zum Verschlußlaut g geworden war (z.B. gar, geger, goch, guk, gung)“. 225 Die /-Distribution ist positionell geregelt, für (gedeckten) Silbenauslaut steht , 226 wortmedial dominiert eindeutig , einen analogen Befund für Dürer hat Koller; 227 auffällig ist allein, dass die -Graphie nur in den schwäbischen  215 Besch: Sprachlandschaften, S.78; Müller: Usus, S. 62; Van der Elst: Stadt, S. 2346. 216 weÿb bzw. weyb (83.13, 84.99, 84.123, 86a.51*, 86b.51*, 102.53*, 103a.285), daneben aber häufig auch weib (88.396 u.ö.). 217 Auffälligerweise dominiert v.a. in den schwäbischen Textzeugen, vgl. ainem (86b.182, 95.1), daneben einer (86a.21, 88.20), eynen (96.59). Sieht man vom unbestimmten Artikel ab, ist die Verteilung jedoch selten eindeutig, vgl. mainst (82.107, 97.91), maynst (86a.31, 100.72), meinst (83.23), meynst (83.163, 103b.73*); hail (86b.3, 88.131), heyl (96.125*, 103b.12*; nur die beiden), nur in heilig (103a.540); pain (86b.116), waiß (91.59), vrtail (88.446). 218 Diese Differenzierung verzeichnet Blosen: Ständebuch noch für das Hans Sachssche Autograph (1565) des ‚Ständebuchs‘ gegenüber der vereinheitlichenden Graphie des Frankfurter Erstdrucks (1568). 219 heyßt (83.16, 100.101), heist (83.160, 98.20), daneben hayst (83.142) und haissen (100.257). 220 denn (91.73). 221 wibel ‚Bibel‘ (90.96); häufiger der umgekehrte Fall, so in albeg (83.15, 84.30, 84.85, 92.120, 95.125, 100.30, 100.250, 102.143, 102.148), daneben aber alweg (96.48, 97.191, 98.97) bzw. allweg (103a.181, 109.153, 111.328). 222 Moser: Grammatik, § 32, 43; Pfanner: Schreibsprache, S. 183f.; Koller: Schreibusus, S. 110 u. 140; Müller: Usus, S. 62. 223 Vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 55,3. 224 gene (82.75), gener (83.153) ‚jene(r)‘; Graphien wie yen-, jen-, ien- sind nicht belegt. 225 Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 55,3. 226 ich (82.3, 88.60), secht (83.7, 88.518), erspecht (83.8). 227 Vgl. Koller: Schreibusus, S. 144; 192.

Phonologie und Graphematik  LXI

Textzeugen vorkommt. 228 Die oberdeutschem und speziell bairischem Usus entsprechende wortmediale Neutralisierung von h/ch liegt also im hier untersuchten Korpus höchstens in Ansätzen vor.

.. Phonographien 3.2.2.1 Vokalismus Der in Folzkorpus und Anonyma nicht sonderlich reich bezeugte Zusammenfall der mhd. /o/ und /a/ 229 durch Rundung stellt in Textzeugen der gehobenen Tradition ein bairisches Spezifikum dar, 230 es findet sich aber immerhin ein recht aussagekräftiger Reimbeleg für die gerundete Aussprache: Aminadab gepar Naasan / Vnd Naason gepar Salomon (103b.66f.) Frequentiell wesentlich günstiger ist die Bezeugungslage für den Rundungszusammenfall von mhd. /ô/ und /â/, 231 der sprachlandschaftlich allerdings wesentlich weiter ausgreift als die Rundung des Kurzvokals. 232 Für die bei Marwedel konstatierte Dominanz pränasaler Fälle 233 gibt es hier keine Anhaltspunkte. Auf Rundung von mhd. /e/ (Primärumlaut) deuten Graphien wie schoͤ pffen ‚Schöffen‘ (110.17 u.ö.) oder oͤ pffel (110.78) hin, die allerdings keine Nürnberger Besonderheit sind, sondern gegen Ende des 15. Jahrhunderts auch im Hessischen, im Schwäbischen sogar noch Ende des 16. Jahrhunderts vorkommen 234 und, wie schon der Befund bei Besch für fremd/froͤ md 235 nahelegt, keineswegs die Leitgraphie darstellen. 236 Wie in diesem Zusammenhang die -haltigen Formen von mhd. wellen wie woͤ l wirs (96.11) zu beurteilen sind, ist unentschieden: „Rundungsform zu wellen oder auch als dem Konj. entlehnte Umlautform“. 237 Nicht gerundetes (altes) /ë/ ist

 228 geschehen (86a.140*, 88.289 u.ö.) gegenüber geschechen (86b.197*) bzw. gschechen (97.4*), nehen (88.83 u.ö.) gegenüber nechen (97.75*). 229 an : dauon (62.114ff.). 230 Vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 14; für das Nürnberger Frühneuhochdeutsch Müller: Usus, S. 62. 231 Och ‚Aachen‘ (82.11), oß ‚Aas‘ (83.22), Dofur (83.127), loß ‚lass‘ (96.130), rotschlager ‚Ratgeber‘ (102.56*) sowie die Reime gelogen : frogen (86b.37f.*), or : jor (97.130f.*), enhot : rat (103a.90f.*), tot : hot (103a.313f.*), persan : han (103a.531f.*); aber: persaw : genaw (94.44f.*), schan : han (105.99f.*) ‚schön‘, drat : tat (105.160f.*) ‚tot‘. 232 Vgl. Moser: Grammatik, § 75 mit Bezug auf das Nürnberger Frühneuhochdeutsch;Van der Elst: Stadt, S. 2345. 233 Vgl. Marwedel: Untersuchungen, S. 312ff. 234 Vgl. Moser/Stopp/Besch: GrdFrnhd 3, § 80, S. 229, 237. 235 Vgl. Besch: Sprachlandschaften, S. 98ff. 236 epfel (86a.138, 86a.146), epffel (86b.138, 86b.142). 237 Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 146.

LXII  Zur Sprache der vorreformatorischen Nürnberger Fastnachtspiele zwar charakteristisch für Dürer, 238 für das Nürnbergische des 15./16. Jahrhunderts sonst eher untypisch. 239 Im Korpus kommt es gelegentlich vor, 240 aber seltener als bei Dürer. Analog ist nicht gerundetes mhd. /i/ charakteristisch für Dürer, 241 für das Nürnbergische des 15./16. Jahrhunderts gleichfalls eher untypisch. Im Folzkorpus sind Okkurrenzen zu verzeichnen, 242 aber in geringerer Frequenz als bei Dürer, daneben aber auch wenige Rundungen, die über die neuhochdeutsche Standardsprache hinausgehen, 243 sowie vereinzelte, gegenüber dem Mittelhochdeutschen entrundete Formen. 244 Wenn Müller – allerdings nur mit Beispielen für /uo/ – die durchgehende „Verwendung von Monophthonggraphien für die Schreibung der mittelhochdeutschen Diphthonge /ie/, /uo/, /üe/“ konstatiert, 245 muss dies v.a. für die Anonyma, in Teilen aber auch für das Folzkorpus differenziert betrachtet werden. Für mhd. /ie/ irritieren zum einen isolierte Schreibungen wie ryeb (83.40); charakteristisch für Nürnberg ist laut Moser zum anderen eine frühe Monophthongierung von ie, uo, üe und (sekundäre) Diphthongierung der Resultate zu ei, ou, öu; 246 genau das ist eingetreten im unmittelbar folgenden Scheyßt (83.41) < äfnhd. *schîzt < mhd. schiezt. Die Nachfolger von mhd. /uo/ treten auffällig oft mit superskribiertem auf, 247 belegt sind aber genauso Fälle wie vernůmen (90.334 reimt auf kumen), wo kein mhd. Diphthong zugrunde liegt. Im letzteren, in den Korpustexten isolierten, in Nürnberger Texten bis ins 16. Jahrhundert aber nicht ungewöhnlichen Fall ist fraglich, ob ein Reflex der Hebung o > u oder eine Analogie zu den Verben der Ablautreihe IIIa vorliegt, 248 oder ob das Diakritikon nicht einfach zur graphischen Unterscheidung des vom folgenden diente. Ähnlich stellt sich der Befund für mhd. /üe/ dar, also eine auffällige Frequenz von 249 bzw. 250 bei Leitgraphie . 251

 238 Vgl. Koller: Schreibusus, S. 219. 239 Vgl. Marwedel: Untersuchungen, S. 307ff. 240 gewelb (109.176), erleschen (108.443). 241 Vgl. Koller: Untersuchungen, S. 219. 242 wirdig (88.39; 103.264; 103b.523 u.ö.). 243 zu rün (83.94), aber nur, wenn es sich um eine 3. Sg. Konj. Präs. handelt; die Graphie ist insofern bemerkenswert, als die Hss. bei der Vokalgraphie wesentlich sparsamer mit Diakritika umgehen als die Drucke. 244 vnglick (103b.650). 245 Vgl. Müller: Usus, S. 63. 246 Vgl. Moser: Grammatik, § 81. 247 walbrůder (82.1; im Register), trůg (84.40), gůt (97.18) usw. Die Leitgraphie dürfte gleichwohl sein, vgl. etwa můt (1 token) vs. mut (2 tokens), gůt (2 tokens) vs. gut (29 tokens). 248 Vgl. Moser/Stopp/Besch: GrdFrnhd 4, § 127.3, S. 384ff. 249 Gruͤ ssen (96.31*), gruͤ ß (98.2), gruͤ s (110.3). 250 Der Digraph kommt nur in Gb vor, vgl. vngenuet (86b.56), grues (97.3). 251 gruß (82.2, 90.113, 94.49, 95.3, 100.3, 101.3, 103a.3), grussen (102.61).

Phonologie und Graphematik  LXIII

Eine Reihe von Vokal- bzw. Diphthongschreibungen sind zu isoliert und regional zu unspezifisch, als dass man darin Reflexe einer dialektnahen Nürnberger Schreibsprache sehen dürfte. Für die mittelhochdeutsch anmutende Schreibung friunt (83.74) bieten die Grammatiken keine Parallelstellen. Die Graphie reyst (83.102*) dürfte einen Reflex der für das Ostoberdeutsche bzw. Österreichische charakteristischen Kontraktion aus redest darstellen, 252 laff (97.108) steht wohl im Zusammenhang mit der sowohl bairisch als auch schwäbisch belegten Monophthongierung von mhd. /ou/, 253 für letzteres spricht die ausschließliche Bezeugung in Ga. Für das gesamte Oberdeutsche gilt die Bewahrung von mhd. /u/ vor Nasal, 254 einige Belege weist das Folzkorpus schließlich auch für die regional aber sehr unspezifische Entrundung von mhd. /öu/ auf. 255 Charakteristisch bairisch, aber auch mitteldeutsch 256 sind die bei Folz und bei den Anonymi an den einschlägigen Positionen des Paradigmas dominant belegten Varianten gên 257 bzw. stên. 258 Einen bemerkenswerten Fall repräsentiert demgegenüber persaw (:genaw) (94.44*) ‚Person‘: mhd. /ô/ wird im Nordbairischen bzw. Nürnbergischen zu /ou/ diphthongiert. 259 Resultate dieses Wandels waren, wenn auch mit lexemabhängig starker soziolektaler Variation, noch im späten 20. Jahrhundert im Nürnberger Dialekt zu beobachten, 260 hier läge also eine der wenigen spezifisch dialektnahen Vokalgraphien des Korpus vor, das daneben aber auch Monophthongschreibungen aufweist. 261 Auffällig ist schließlich eine Reihe von -Graphien für mhd. /â/, deren Interpretation als Reflexe schwäbischer Diphthongierung 262 durch die Überlieferung gestützt wird: nauch (96.136) und spaunzirn (98.78*) in Ga erscheinen in l als noch bzw. spacirn, was nahelegt, auch die unikal überlieferten in begauben (: haben) (97.7f.*) oder in waͧ (97.225) entsprechend zu deuten. Für das gesamte Frühneuhochdeutsche und damit auch für alle Korpustexte charakteristisch ist eine verstärkte Tendenz zur Apo- und Synkopierung. Apokope  252 Vgl. Zwierzina: Studien, S. 386 und Paul MhdGr 25, § L 79, Anm. 1. 253 Vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 18, Anm. 5. 254 Vgl. Koller: Schreibusus, S. 68 u. Van der Elst: Stadt, S. 2346. Im Folzkorpus und bei den Anonymi stehen etwa durchgehend frumen (82.6; 100.67* u.ö.) und sunst (86a.29; 88.506 u.ö.); daneben auch die üblichen u/o-Dubletten (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 16, Anm. 2), so forcht (88.135*, 103b.123) neben furchtet (91.232). 255 Vgl. Moser: Grammatik, § 65. mit freyden (103a.562*), streyt : getreyt (103b.152f.*, mhd. ströuwet). 256 Vgl. Besch: Sprachlandschaften, S. 82-87. 257 82.11, 83.140, 84.49, 88.137, 88.224 u.ö., gan steht nur im Reim, so in persan : gan (88.35*), han : gan (88.79*), daran : gan (90.145*) u.ö. 258 83.146, 84.43, 86b.195, 88.74, 88.355, 102.28 u.ö., stan findet sich nur im Reim, so in an : stan (96.79*), getan : stan (99.199*), stan : kan (109.170*). 259 Vgl. Moser: Grammatik, § 78, Anm. 3; zur vorliegenden Stelle Michels: Studien, S. 113. 260 Vgl. Klepsch: Lautsystem, S. 171-174. 261 persan : han (103a.531f.*). 262 Vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 28.

LXIV  Zur Sprache der vorreformatorischen Nürnberger Fastnachtspiele wird nur in Ausnahmefällen vermieden, etwa im Reim, 263 und steht ansonsten weitgehend unabhängig von der Qualität des Wurzelauslauts; 264 Ähnliches gilt prinzipiell auch für die Synkope, 265 die bei Folz und bei den Anonymi in besonders auffälligem Umfang sowie in ungewöhnlicher lautlicher Umgebung auch die Präfixe betrifft. Synkopen vor s 266 nämlich sind auch für Nürnberger Texte die große Ausnahme, 267 allerdings nicht in Dramentexten (Ayrer), was mindestens auf metrische Bedingtheit, eventuell auch auf stilisierten mündlichen Sprachgebrauch hinweist. Ähnliches lässt sich für die hohe Frequenz von Klitisierungsgraphien sagen. 268 Auch allgegenwärtige Doppelformen wie gsotten/gesotten, gsehen/gesehen verweisen Heinen zufolge darauf, dass der Nebensilbenvokalismus kein reines Dialektphänomen gewesen sein kann, insbesondere, wenn man Folzens Dialektbiographie mitberücksichtigt: Wir wissen z.B., dass im 15. Jahrhundert Synkope des unbetonten e besonders beim Präfix ge-, aber auch in einigen Wörtern bei be- in der Nürnberger Mundart weitgehend durchgeführt war, in den Texten spürt man selten etwas davon, bis Hans Folz, dessen wmd. Mundart die synkopierten Formen in weit geringerem Maße aufwies, die kurzen Schreibungen konsequent durchführte, wenn er aus metrischen Gründen die apokopierte Aussprache wollte. 269 Wenige Auffälligkeiten weist der nicht syn- oder apokopierte Nebensilbenvokalismus auf, sieht man vom für das Bairische bis ins 16. Jahrhundert charakteristischen Auftreten des Präfix zer- als zu-, 270 von dem für das Nürnbergische ungewöhnliche, für das Schwäbische im 15. Jahrhundert aber durchaus geläufige 271 und entsprechend auch nur in Ga überlieferte Nebensilben- in am reisigosten (95.112) sowie von gewissen einschlägigen Überlieferungsvarianten 272 ab.

 263 thue (83.52*, reimt mit rwe); floe : gnoe (100.149f.*). 264 kum (82.3; 83.3; 76.487), hoff (83.4), mein (not etc.) (82.5; 88.283), mein freunt (83.6, Akk. Pl.), Dasselb (82.15; 88.494), hab (83.8; 88.75) entrin (83.10), hur (83.13), sprod (83.13), schnod (83.14), mocht (83.17; 99.139). 265 gotwilkum (83.5) < kum(e)n; (fur) ein (atzen) (83.15); (an) ein (ort) (88.94); ein (herten stein) (83.17); zurynn (83.25); wein (84.89*) > weinen; Ratt (83.52) < ratet – speziell zur Ekthlipsis Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 39 Anm. 5, als (83.55; 88.370) < al(le)s, deim (83.77) < deinem. 266 gschlecht (86b.69*), gsotten (86b.76), gsehen (96.120*); gschechen (97.4*); gschir (103b.248) u.ö.; daneben aber auch gesoten (86a.76), gesehen (88.216). 267 Vgl. Moser/Stopp/Besch: GrdFrnhd 1.1, § 2, S. 27-30. 268 also yßs (83.28) < yß(t) es; ichs (83.30; 103a.19 u.ö.); sprechens (83.31) < sprechen si; helffens (100.278) < helfen si; lebtz (83.58) < lebt si; aber: So knopptz sie mich (83.59); bleibstu (83.50); zun (83.60) < zu den; kundstu (103b.641) < kundest du. 269 Heinen: Gestaltung, S. 48f. 270 zuspringen (83.96), zuschlagen (83.99); zurissen (88.241*) u.ö. 271 Vgl. Moser/Stopp/Besch: GrdFrnhd 1.2, § 53.1, S. 216f. 272 Der späte Leipziger Druck x (1520) ersetzt vermaurt (98.71*) durch vormaurt sowie verschlossen (98.73*) durch vorschlossen; ein Reflex mitteldeutschen Schreibusus ist aber unwahrscheinlich, da

Phonologie und Graphematik  LXV

... Konsonantismus Die mit Abstand größte Auffälligkeit im Bereich der Konsonantenschreibung betrifft die Reflexe der mittelhochdeutschen Plosive und insbesondere der Labiale. Wie insbesondere für das Ostoberdeutsche charakteristisch, erscheint mhd. /b/ in wortbzw. silbeninitialer Position regelmäßig als

, 273 ohne dass dies durchgehend zu konstatieren 274 oder textinterne Varianz 275 ausgeschlossen wäre. Für mhd. /p/ tritt in den einschlägigen Positionen

als Leitgraphie auf, 276 daneben kommen aber auch Lenisschreibungen vor. 277 Ursache ist die binnendeutsche (also sowohl mittelals auch oberdeutsche) Konsonantenschwächung, 278 die in den Nürnberger Quellen des 15./16. Jahrhunderts eine tendenziell herkunftsunabhängige wort- und silbeninitiale Neutralisierung der Fortis-Lenis-Opposition nach sich zieht. 279 Diese betrifft nicht nur den Labial, sondern auch den Dental, wo /-Alternanz für mhd. /t/ 280 zu konstatieren ist. Unterschiedlich zu beurteilen ist die Lage beim Velar. In wort- und silbeninitialer Position tritt hier, anders als bei den Labialen und Dentalen, keine Alternanz auf, das Korpus trennt also durchgehend got und kot, gunnen und kunnen etc., was nach Müller dem zeitgenössischen Nürnberger Usus entspricht. 281 Umgekehrt steht für mhd. /g/ in allen nichtinitialen Positionen mitteldeutschem und daran anschließend oberdeutschem Usus entsprechend . 282 Vom Komplex der Plosivschreibungen einmal abgesehen zeigen die Konsonantengraphien des Korpus vergleichsweise wenige Auffälligkeiten. Eine gewisse Varianz herrscht, wie im Oberdeutschen üblich, hinsichtlich des Auftretens von Nasalen vor f, s, d und t. 283 Reflexe von Assimilationstendenzen sind nur ganz marginal zu

 die Präfixvariante vor- statt ver- (selten) im Bair. vorkommt, mitteldeutsch konkurrieren eher verund vir- (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 38). 273 erparmen (82.5), pach (82.22), armprust (83.20), piet (88.45); ploß (96.31); puben (90.14); pist (103a.78) u.ö.; vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 44. 274 walbruder (82.1); bauer (83.51), erbarmen (83.33); bringt (88.536). 275 Poͤ ß (103b.132 u.ö.) vs. Boͤ ß (103b.625*). 276 pein ‚Schmerz‘ (88.207*; 88.252; 93.25; 95.65*). Homonymien mit mhd. /b/ entstehen etwa in Die Alheit legt mich an grosse pein (102.35) gegenüber Si hat ein großen ars und dicke pein (102.42). 277 brufen (88.264); briester (100.179, 103a.89), aber priester (103b.111, 111.231). 278 Vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 78. 279 Vgl. Müller: Usus, S. 62; Pfanner: Schreibsprache, S. 184ff. u. Koller: Schreibusus, S. 108; 113f. 280 trunken (110.16), trincken (86b.201) neben drunck (97.145), drinchen (86b.45). Bei Dürer dominiert initial (vgl. Koller: Schreibusus, S. 114). 281 Müller: Usus, S. 62. 282 schlecht (83.105; 88.120) ‚schlägt‘. Vgl. Reichmann/Wegera, § L 56, 3, analoger Befund bei Koller: Schreibusus, S. 124. 283 vnuernuft (83.83); vernuft (100.84) neben vernunft (84.81); meister (99.45 u.ö.) neben meinster (109.77 u.ö.); vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § 62, 4.

LXVI  Zur Sprache der vorreformatorischen Nürnberger Fastnachtspiele beobachten, 284 häufiger ist ihre dem zeitgenössischen Nürnberger Usus entsprechende Vermeidung 285 oder sogar Tendenz zur Dissimilation. 286

. Morphologie .. Verb Das Nebeneinander von fand und fund im Ind. Prät. Jch fand in keiner historj nicht / Darynn ich fund solch schwenck (90.98f.) reflektiert den langsamen und alles andere als linear verlaufenden Übergang von den historischen Ablautverhältnissen zur neuhochdeutschen Unterscheidung von Präsens- und Präteritumstamm. 287 In den Korpustexten liegt eine leichte Dominanz von fand (82.62; 78.99) bzw. fandt (103a.536*; 111.298*) gegenüber fund (91.20; 100.351) vor. Andere Fälle legen nahe, dass die Herausbildung der Tempusstämme bei Folz wie auch den Anonymi zeitgenössischem Nürnberger Usus entsprechend, der sich bis ans Ende des 15. Jahrhunderts am Oberdeutschen orientiert, 288 noch als unvollkommen zu bezeichnen ist: 289 Ich sich (83.164; 96.7) und sicht sie (83.167) etwa bewahren die alten Präsensstämme. Entsprechend zu beurteilen sind auch Diphthongierungsfälle wie schleufft er (83.169) < mhd. sliufet zu schlieffen (83.62*) < mhd. sliefen. Gleichfalls zögerlich verläuft laut Korpusbefund die Vereinheitlichung zum Präteritumstamm in Ablautreihe Ia, worauf Formen wie streich (97.89) oder bescheyd (111.8*) verweisen. Inwieweit es sich bereits um Archaismen handelt, ist schwer zu beurteilen, da ausweislich Moser die Vereinheitlichung bei einer Reihe von Verben (schreiben, streiten, steigen, vertreiben, verzeihen) in Nürnberger Texten des ausgehenden 15. Jahrhunderts durchgeführt war, 290 für streichen und bescheiden aber kein Vergleichsmaterial vorliegt.

 284 wem(m) man(n) (81.113). 285 Durchgehend darumb (82.9; 88.15 u.ö.); vgl. Müller: Usus, S. 62. 286 mender (103b.605). 287 Zur Entwicklung der Ablautreihe IIIa vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 128; zum Prozess allgemein Nübling: Sprachwissenschaft, S. 63-66. 288 Vgl. Moser/Stopp/Besch: GrdFrnhd 4, § 148,3, S. 446f. 289 So auch der Befund von Henß: Studien, S. 150 und passim mit Bezug auf das gesamte Folzsche Œuvre. 290 Vgl. Moser/Stopp/Besch: GrdFrnhd 4, § 101, S. 286f.

Morphologie  LXVII

Auch die bewahrten grammatischen Wechsel in so lebtz gleich sam der hagel schlach (83.58) 291 bzw. facht (83.83) oder, analog zum Befund bei Besch, 292 in verliesen (100.75*) – daneben allerdings verlewrt (103b.217) – verweisen auf eine zögerliche Herausbildung des Tempusstamms der starken Verben, ohne dass dies spezifisch nürnbergisch wäre: „Da noch im Zeitraum V (1550-1600) in den md. Texten ebenso wie in den obd. -h- im Präsens allein oder überwiegend vertreten ist, scheint die Entwicklung nicht großregional unterschiedlich verlaufen zu sein“. 293 Bei sein ist die Herausbildung des Präteritumstamms erst ganz marginal angedeutet, 294 nur zweimal steht war, 295 Leitform ist was. 296 Funktional ähnlich einzuschätzen ist eine gewisse Tendenz zur Nivellierung rückumlautender Präteritumsformen, die eigentlich für den Usus des 15. Jahrhunderts in Nürnberg ungewöhnlich ist. 297 Lässt sich rentten : pfenten (82.47f.*) noch auf Reimzwang zurückführen, gilt dies nicht für das Part. Prät. erkennt hast (103a.213 u.ö.), auch wenn hier im 15.Jahrhundert in Nürnberg vereinzelter Rückumlaut belegt ist. 298 Weitere Formen ohne Rückumlaut liegen vor in geprent (103b.134) oder gedechst (83.72; 82.120). Ungleichzeitigkeiten sind auch hinsichtlich der Herauskristallisierung eines zweisilbigen Paradigmas für mhd. hân zu beobachten. So ist hand, die mhd. Normalform für die 3. Pl. Ind. Präs., im Folzkorpus noch zweimal belegt, 299 öfter stehen han (88.687, 90.9, 91.116 u.ö.) oder die unkontrahierte Form haben (88.241, 99.98, 103a.528* u.ö.), ein für das 15. Jahrhundert charakteristisches Nebeneinander. 300 Im Paradigma von sein koexistieren dem zeitgenössischen Usus entsprechend alte und neue Formen: „In der 1. Pl. Ind. Präs. stehen (mhd.) sîn und sint z.T. noch im 17. Jahrhundert nebeneinander, es scheint sîn vor allem oobd. deutlicher erhalten; es ist sint z.T. bereits im 14. Jahrhundert die überwiegendere Variante [...]“. 301 In den Korpustexten liegt eine fast gleichgewichtige Distribution vor: wir sein (90.280, 90.281; 98.4; 103a.47) gegenüber wir sind (82.157, 88.398, 99.229).

 291 DWb 4.2, Sp. 148 interpretiert die Passage als Erstbeleg für das Komposition Hagelschlag. 292 Vgl. Besch: Sprachlandschaften, S. 113ff. 293 Moser/Stopp/Besch: GrdFrnhd 4, § 166, S. 517. 294 Vgl. den entsprechenden Befund bei Besch: Sprachlandschaften, S. 133. 295 97.87 sowie als Variante zu ward (96.47) im späten Druck x (Leipzig 1520). 296 86a.76, 90.293, 97.115 u.ö. 297 Vgl. Moser/Stopp/Besch: GrdFrnhd 4, § 161, Abb. 31, S. 502. 298 Vgl. Moser/Stopp/Besch: GrdFrnhd 4, § 161, Abb. 31, S. 502. 299 104a.512, 109.100. 300 Vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 151. 301 Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 149.

LXVIII  Zur Sprache der vorreformatorischen Nürnberger Fastnachtspiele Die auf den Singularstamm zurückgehende Imperativform bis ist noch bis ins 16. Jahrhundert bezeugt und steht in Folz-Spielen wie in Anonyma in eindeutig imperativischen Kontexten 302 anstelle von sey. An manchen Stellen scheint es aber heikel zu entscheiden, ob nun ein Konjunktiv oder ein Imperativ vorliegt. 303 Die bei Müller und D. Fertig als Leitvariante für das Partizip von sein gebuchte Form gewest (100.390) 304 ist nur im Folzkorpus und nur hier belegt (die bei den Anonymi auftretenden Homographien 86a.176, 86b.171 und 90.18 gehören zu wissen), Leitform ist gewesen (83.64*, 88.338 u.ö.). 305 Als Erklärung für die schwache Form wäre neben metrischen Argumenten (das starke Partizip würde den alternierenden Rhythmus in Ob yemant wer gewest verdrossen zerstören) auch an Folzens wmd. Herkunft zu denken, dominiert das schwache Partizip dort doch im 14./15.Jahrhundert. 306 Wechsel zwischen starker und schwacher Flexion ist daneben an anderen Stellen dokumentiert. Die schwache Flexion bei weisen wird zuerst im Part. Prät. aufgegeben, in Nürnberg aber erst Ende des 16. Jahrhunderts, 307 sodass beide im Korpus belegten Formen 308 durchaus zeitgenössischem Usus entsprechen. Die schwache Flexion bei heben 309 kommt in Nürnberg im 15. Jahrhundert auf, „ohne jedoch eine parallele Gültigkeit st. Bildungen ganz zu verdrängen“, 310 dementsprechend ist im Folzkorpus auch das starke Partizip belegt. 311 Einige Auffälligkeiten in der Verbalmorphologie betreffen das Part. Prät., in erster Linie zu nennen wäre Präfixlosigkeit bei gehen 312 und tun. 313 Letzteres erscheint zwar „häufig ohne präfix“ 314, im Folzkorpus und bei den Anonymi sind die präfixlosen Belege aber marginal. 315 Ausschließlich im Reim tritt die Partizipialform worn 316 auf, ansonsten die präfixlose frnhd. Normalform worden. 317 Auch bei treffen und

 302 Und wer dich vast und piß nit faul (82.142); piß wilkum (102.65*). 303 Des kuͤ nigs red sey yederman gnuͤ g! (103b.223). 304 Müller: Usus, S. 63; Fertig: Change, S. 118f. 305 Eine vergleichbare Konkurrenz dokumentiert Besch: Sprachlandschaften, S. 324ff., der für zwei Nürnberger Hss. der 1470er Jahre einmal Dominanz von gewest (Bamberg, SB, Msc. Theol. 59) und einmal Dominanz von gewesen (St. Gallen, StiftsB, Cod. 982) nachweist. 306 Vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 149. 307 Vgl. Moser/Stopp/Besch: GrdFrnhd 4, § 106, S. 308f. 308 Jch weißt mein gut gesellen dar (92.70), wir sein wol vnter weißt (103a.47). 309 In solcher wachsung erhebt hab (91.104*). 310 Moser/Stopp/Besch: GrdFrnhd 4, § 117, S. 349. 311 auff gehaben (100.215*). 312 gangen (83.49; 99.66); vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 148 313 hat tan (103a.400*), het [...] than (110.6f.*). 314 DWb 11.1.1, Sp. 435. 315 getan (83.178, 84.106, 86a.117*, 88.325; 95.99*; 99.198*; 109.169* u.ö.). 316 82.41*; 84.10*; 90.326*; 101.130*, 101.181*; 111.292*. 317 Vgl. Moser/Stopp/Besch: GrdFrnhd 4, § 83, S. 225f.

Morphologie  LXIX

bringen 318 ist hier analog zum Befund bei Besch 319 der ursprüngliche Zustand konserviert, allein bei finden konkurrieren präfixlose und präfixhaltige Formen. 320 Eine nicht ursächlich morphologische, sondern graphematisch bedingte Schwierigkeit betrifft die Identifizierung von Konjunktivformen, etwa in Was gult ein keyßer, solt man jn kauffen? (90.157) oder Hoͤ rt, wes entguͤ lt das bey der nacht? (111.239). Aufgrund der nicht durchgehenden Markierung des Umlauts (v.a. von /u/) sind die Formen des Konj. Prät. oft allein aus der syntaktischen Umgebung heraus zu erschließen. Betrachtet man nur die Fälle der alten Ablautreihe IIIa, lässt sich für die Folz-Texte und die Anonyma konstatieren: jeweils eine deutliche Dominanz von (84.108; 88.247 u.ö.) gegenüber (96.100 u.ö.) bzw. (96.7 u.ö.) sowie von (86b.21; 103b.641) bzw. (90.170; 99.165 u.ö.) gegenüber unikalem (111.224), andererseits eine leichte Dominanz von (92.9 u.ö.) gegenüber (92.136; 96.99). Für die Flexionsendungen sind abschließend einige Auffälligkeiten zu vermerken. Die alte Form wiltu (82.86; 102.26 u.ö.) entspricht durchaus dem Usus des 15. Jahrhunderts, willst beginnt erst im 16. Jahrhundert aufzutreten. 321 In welcher Form die 1. Pl. Ind. Präs. von haben erscheint, ist u.a. stellungsbedingt: Noch verschiedentlich belegt ist Vollform mit Ausfall der Flexionsendung (hab wir), 322 die Kontraktionsform steht nie in Inversionsstellung, 323 wohingegen Vollform immer mit Flexionsendung auftritt. 324 Ähnliches lässt sich bei wollen 325 beobachten, aber auch bei Vollverben finden sich entsprechende Belege. 326 Im Folzkorpus kommt ein Infinitiv auf -e vor, 327 in mitteldeutschen und ostfränkisch-nürnbergischen Quellen des 14. und 15. Jahrhunderts ist diese Variante aber signifikant häufig. 328 Reim als einzige Erklärung scheidet aus, reimt Folz andernorts (99.23f.*) doch durchaus -e auf -en (kauffe : hauffen) Die Flexionsendung -nt der 3. Pl. Ind. Präs. ist Ende des 16. Jahrhunderts in der Regel weitgehend abgebaut, 329 ihr Vorkommen in dein freunt wischent (84.116) ist also wohl als Archaismus zu werten.

 318 troffen (90.329), worden (90.246*, 91.209*, 92.7 u.ö.), bracht (90.243*, 103a.438). 319 Vgl. Besch: Sprachlandschaften, S. 320-324. 320 funden (90.94, 97.71*) neben gefunden (95.105*). 321 Vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 146. 322 82.154, 83.178, 88.42, 88.46, 88.369, 100.406. 323 wir han (88.40, 88.349, 100.163, 100.191). 324 wir haben (84.137, 88.89, 88.657, 111.121). 325 woll wir (88.206, 102.206, 102.216, 103a.87), in Standardstellung immer wir wollen (84.147; 100.401 u.ö.). 326 Das schlah wir gen einander wett (101.186); Leg wir dann mannes kleider an (100.319). 327 zu erkenne (103a.53*, reimt auf nenne). 328 Vgl. Moser/Stopp/Besch: GrdFrnhd 4, § 80, S. 215f. 329 Vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 94.

LXX  Zur Sprache der vorreformatorischen Nürnberger Fastnachtspiele .. Substantiv Wie bei der Verbflexion weisen die Korpustexte gewisse Ungleichzeitigkeiten auf, v.a. was die großen Linien der Entwicklung der frühneuhochdeutschen Morphologie betrifft. Exemplarisch zeigt sich dies an der Kasusnivellierung, die schon weit fortgeschritten ist wie etwa bei krafft in Vermagst du dann auß eigener krafft (88.284). Besonders, wenn die Kasusmarkierung nicht nur durch die apokopeanfällige Flexionsendung, sondern auch durch Umlaut an der Wurzel realisiert werden kann, sind im 15. Jahrhundert aber durchaus noch Ausnahmen denkbar wie in vntter der penck (83.146), daneben aber auff der panck (100.239*)

.. Adjektiv In der Regel dominiert auch in den Texten des Korpus bereits das Prinzip der Monoflexion der Nominalgruppe, die Ausnahmen sind marginal, 330 treten hier aber keineswegs „besonders im Dat. Sg. Mask./Neutr. auf“. 331 Ähnlich, wenn nicht überhaupt als Fehler zu bewerten ist die Flexion von mêr in vil merß hares (103a.45), die allerdings nur hier vorkommt. 332 Die verschiedentlich zu beobachtende 333 schwache Flexion des Anredenominativs ist im Plural im 14./15.Jahrhundert dominant. 334

.. Pronomen Folz-Texte wie Anonyma bieten aussagekräftiges Material für die Ausdifferenzierung des neuhochdeutschen Systems der Personal- und Possessivpronomen. Mein etc. tritt auf: 1) als marginal belegtes endungsloses Possessivpronomen: auff sein nack (83.21*), ob ich mein trollen hab erwischt (83.133); 335 mit sein reten (88.11); in sein acker (103b.152), 2) als altes endungsloses Personalpronomen: Vnd schonet ich dein als wenig als mein (82.125), Das dein gedacht wurd nymmer me (88.247),

 330 irs gewalts (82.28), mit einem posem altem weyb (83.1), mit irem keuschem plut (88.361); außerdem ändert der späte Druck x ir hoͤ chster hort (98.119*) in irer hoͤ chster hort. 331 Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 37. 332 Zu ähnlichen Fällen vgl. Paul: Grammatik, § 230. 333 Ach lieben (83.19), lieben herren (82.2, 82.37; 83.28; 83.52; 88.6*). 334 Vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § 41. 335 Der endungslose Formtyp zeigt sich „bevorzugt in obd. Quellen. Die md. Texte verwenden ihn wesentlich seltener, im Omd. ist er völlig vereinzelt nachgewiesen“ (Moser/Stopp/Besch: GrdFrnhd 7, § 40.4, S. 347).

Morphologie  LXXI

3) gegen den Befund der historischen Grammatiken 336 ansatzweise auch als neues flektiertes Possessivpronomen: Zumindest der Gen. der 2. Sg. ist in einem anonymen Spiel aber schon einmal mit neuhochdeutscher -er-Flexion belegt: Ich fleuch dich nit, weren halt deiner zwen (82.115); -er-Flexion im 15. Jahrhundert gilt dabei gewöhnlich als mitteldeutsches Spezifikum. 337 Der Ersatz des Dat. Sg. des Reflexivpronomens mhd. im durch sich ist im 14. Jahrhundert auf das Mitteldeutsche und Westoberdeutsche beschränkt und zeigt sich im Nord- und Ostoberdeutschen erst im 16. Jahrhundert. 338 Die bei Folz und den Anonymi belegten alten Formen 339 entsprechen also regionalem Usus. 340 Das Reflexivpronomen sich kommt in den Korpustexten folglich ausschließlich im Akk. vor. 341 Schließlich sorgt die noch nicht durchgesetzte Ausdifferenzierung von mhd. ir in unflektiertes nhd. Personalpronomen und flektiertes nhd. Possessivpronomen punktuell für Erklärungsbedarf, namentlich bei substantivischer Verwendung, 342 ebenso der unflektierte Gen. Pl. des Relativpronomens. 343

.. Numeralia Die Genusdifferenzierung zwen (M) – zwo (F) – zwei (N) herrscht gewöhnlich bis ins 16. Jahrhundert, 344 in den Korpustexten ist aber schon eine weitestgehend durchgeführte Vereinfachung zwen (M) 345 – zwei (FN) 346 zu konstatieren, mit Ausnahme der Druckfassung von ‚Salomon und Markolf‘. 347 Hier steht im Maskulinum zwen, 348 im

 336 m(e)iner erscheint in Nürnberg erst bei Ayrer 1610-18 (vgl. Moser/Stopp/Besch: GrdFrnhd 7, § 3.2, S. 31f., Übersicht 1), d(e)iner immerhin schon bei H. Sachs 1524 (vgl. Moser/Stopp/Besch: GrdFrnhd 7, § 6.2, S. 53). 337 Vgl. Moser/Stopp/Besch: GrdFrnhd 7, § 6.2, S. 53; vgl. den analogen Befund für Nürnberg bei Besch: Sprachlandschaften, S. 292ff. 338 Vgl. Moser/Stopp/Besch: GrdFrnhd 7, § 14.2, S. 173ff. 339 Markolff, niemant geb jm selber lob! (103a.107), Er hat jm kremerej erkorn (101.131), Nymant geb jm selbst das lob (103b.169). 340 Vgl. auch Besch: Sprachlandschaften, S. 295. 341 Er laßt kein vngeluck sich erschrecken (84.91); Hie legen sich die juden vntter die saw (88.551). 342 Ir ist gereitt (86a.51) ‚Ihrer ist bereit‘; vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 66, Anm. 3. 343 Wie vil an irem leben getaubt, / Der ertzet wir gewesen sein (88.357f.); vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 68. 344 Vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 58. 345 die zwen hofmeister (88.506). 346 zweyen junckfrawen (88.20) – zwey jar (86b.71). 347 In der Fassung von Gb ist das System gestört. Im Femininum erscheint zwar zwu frawen (103a.190), im Maskulinum aber nicht zwen, sondern zwayer weg (103a.156). 348 zwen weg (103 b.308), auß einem schaden *zwen (103b.380).

LXXII  Zur Sprache der vorreformatorischen Nürnberger Fastnachtspiele Neutrum zwei, 349 im Femininum zwo. 350 Zieht man in Betracht, dass das alte Dreiersystem in Folzens Meisterliedern laut Henß noch vergleichsweise größere Verbreitung aufweist, 351 mit anderen Worten also in funktionaler Form nur in Drucken der Folzschen Offizin und in Autographen vorkommt, spricht einiges für eine ideolektale Besonderheit.

. Wortbildung .. Komposition Hinsichtlich der sprachhistorisch verknüpften Prozesse der Verdrängung des pränominalen Genitivs 352 einerseits und der Profilierung des Genitivkompositums 353 andererseits repräsentieren die Korpustexte ein Übergangsstadium. Neben graphisch mehr 354 oder weniger 355 integrierten Genitivkomposita begegnen auch noch pränominale Genitive wie des fursten figur (88.225, unmittelbar neben das gluckßrat), All deiner freunt hilff (83.26) oder der vergleichbare Fall in jrs herzen grundt (103b.505*). Ein Kuriosum im Grenzbereich von Komposition und Derivation stellt die Kontaminationsbildung offitzagel ‚schwanzfixierter Offizial‘ (84.54) dar, deren Bedeutungskonstitution durch die Kombination von official ‚Offizial‘ und zagel ‚Schwanz‘ einerseits und durch die Reinterpretation der Endung -el im Sinne des alten nomenagentis-Suffix (vgl. noch nhd. Büttel) andererseits erfolgt.

.. Derivation Da für die Wortbildung des Nürnberger Frühneuhochdeutschen um 1500, also unmittelbar nach der Kernüberlieferung der hier zugrundeliegenden Teile des Fastnachtspielkorpus, Einzeluntersuchungen zur wortartenspezifischen Derivation vorliegen, bietet sich ein kurzer Vergleich an. Für die Substantivderivation, die Müller an Dürers Autographen und Druckschriften untersucht hat, 356 überschneiden sich

 349 schedlicher geschir zwey (103b.248). 350 zwo frawen (103b.408). 351 Vgl. Henß: Studien, S. 143. 352 Vgl. Nübling: Sprachwissenschaft, S. 102f. 353 Vgl. Nübling: Sprachwissenschaft, S. 84f. 354 das gluckßrat (88.224). 355 das narren ort (83.12). 356 Vgl. Müller: Substantiv-Derivation.

Wortbildung  LXXIII

die Affixinventare in einem Kernbereich von 19 Fällen, 357 wobei die niedrige Frequenz der Suffixe -ung 358 und -nis 359 – für letztere dominiert in Nürnberg -nus gegenüber md. -nis 360 – bemerkenswert erscheint. Regionalsprachlich ist von Interesse, dass - lein und nicht das dialektnähere -la, aber auch nicht das im Nürnberger Usus um 1500 ansonsten konkurrierende -le 361 das durchgehende Diminutivsuffix darstellt. Insgesamt 13 Affixe sind nur bei Dürer, nicht jedoch bei Folz bzw. den Anonymi belegt, 362 wobei das Fehlen der Lehnsuffixe -ation, -anz, -atur, -ist, -itet textsortenbedingt sein dürfte. Der umgekehrte Fall einer nur bei Folz belegten Affigierung betrifft das nicht mehr produktive mhd. -ot. 363 Bei der Verbalderivation, die Habermann an einem Korpus aus Texten Dürers, Deichslers und Dietrichs untersucht hat, 364 sind die Differenzen der Affixinventare deutlich geringer. Überschneidung herrscht in einem Kernbereich von 23 Fällen, 365 während entgegen-, hinder- (in den Korpustexten – in anderer Funktion – meist hinter), miß-, ver-ig-, und -ig- weder bei Folz noch bei den Anonymi belegt sind. Das Fehlen von ver-ig- 366 und - ig- 367 dürfte sich dadurch erklären lassen, dass Folz bzw. die Anonymi im Zweifelsfall und oft wohl auch aus metrischen Gründen interfixlose

 357 In den Korpustexten: vngeluck (82.16), affter koß (103 a.405*) bzw. affter koͤ ß (103b.626*; auch bei Dürer nur ein Beleg, Müller: Substantiv-Derivation, S. 125), vrteil (91.43 u.ö. sowie weitere Bildungen, bei Dürer nur vrsach), gespey (60.38 sowie div. weitere Bildungen), geuerde (102.80*), herschung (88.221, 88.631), dütlein (86b.185), barwirer (98.139*), eyl (103a.277*), pildnuß (88.633, aber sehr niedrige Frequenz), keckheit (86a.173), gepurt (88.363), nerrin (88.197), pulschaft (88.5), frewd (111.350), stadel (86b.72), leckerey (103b.613), reichtum (95.19), jungling (61.95). 358 meynung (88.455, 88.490), schankung (88.630), gastung (95.157), anleütung (97.81), losung (100.253), gattung (102.189), zierung (103a.38), zweyung (103b.157), auß werffung (103b.363), wandlung (103b.500). Die von Henß: Studien, S. 160 aufgestellte und ausweislich der Belege nicht allein auf die Wortbildung der Folzschen Meisterlieder bezogene Behauptung, „sehr häufig“ seien „bei Folz die Substantive auf -ung“, kann für das Fastnachtspielkorpus also keinesfalls aufrecht erhalten werden. 359 getzeugnuß (88.78), zeugknuß (88.177, 88.180), pildnuß (88.633), pildtnuß (76.639), ratnuß (90.164), besorgnuß (103b.346). 360 Vgl. Müller: Usus, S. 73. 361 Vgl. dazu Müller: Usus, S. 60; 63 u. Müller: Substantiv-Derivation, S. 205-236. 362 haubt-, -erz, ab-, miß-, -werk, -ation, -anz, -atur, -ist, -itet, -lich, -rich, -sal. 363 kleinat (88.662). 364 Vgl. Habermann: Wortbildung. 365 abbescheissen (84.112*), ange (82.74)/anget (88.125*), Wach auff (82.146)/stiegen auff (95.68), treybt [...] auß (83.75)/außreyssen (88.408*), wonen bey (100.14*), durchport (86a.92*), schenckt (...) ein (86a.8), mit ging (91.232*), nach slichen (82.77), vberhebt (86a.88), vmb schut (91.177*), vnterwunden (95.106*), wider roten (86a.77*), zu loß (83.23) – beschissen (82.71), entran (82.13), erparmpt (109.16), vermaurt (98.71*), gschechen (97.4*), zuspringen (83.96, Variante von zer-) – bestetigen (102.229) – gepersoniert (86a.121*) – grübeln (109.102) ‚intensiv graben, wühlen‘. 366 In den Korpustexten kommen nur interfixlose Varianten wie verkundt (103a.290) statt verkundig(e)t oder versundt (90.333*) statt versundig(e)t vor. 367 In den Korpustexten nur interfixlose Varianten wie fleyssen (103a.156*, 103b.308*).

LXXIV  Zur Sprache der vorreformatorischen Nürnberger Fastnachtspiele Varianten wie verkundt (103a.290) statt verkundig(e)t, versundt (90.333) statt versundig(e)t oder fleyssen (103a.156*, 103b.308*) statt fleyss(ig)en vorziehen. 368 Nur bei Folz, nicht aber im von Habermann (1994) untersuchten Korpus belegt ist Präfigierung durch vol-. 369 Verglichen mit der Substantiv- und Verbderivation ist die von Thomas 370 am selben Korpus wie Habermann 371 untersuchte Adjektivderivation durch ein quantitativ wesentlich begrenzteres Affixinventar gekennzeichnet. Überschneidung herrscht in einem Kernbereich von 11 Fällen, 372 wobei die niedrige Frequenz von -bar auffällt. 373 Nur bei Dürer/Deichsler/Dietrich belegt sind groß-, -echtig, -haftig, -selig sowie - fach, das in den Korpustexten durchweg zugunsten des mittelhochdeutschen Wortbildungsverhältnissen entsprechenden -falt 374 fehlt. 375 Spezifisch für die Nürnberger Fastnachtspiele und daher bei Thomas auch nicht gebucht ist laut DWb die lexemgebundene Variante -lein für -lich in werlein, 376 die in den Anonyma dreimal vorkommt, 377 ohne dass freilich an der Dominanz der -lich-Variante 378 der geringste Zweifel bestünde.

 368 Schon bei -l- dominieren neben grübeln (109.102) ‚intensiv graben, wühlen‘ und schlegeln (111.29) ‚hin und her schlagen; baumeln‘ interfixlose Varianten, vgl. etwa Ge dannen, das dich schutt der rit (88.117). Bildungen wie zabelt (97.20), gekutzelt (97.55, 97.166) oder rumpelt (97.104) sind Lautsymbolika, nestelt (97.102) oder sigeln (95.10) affixlose Desubstantiva. 369 volbracht (88.509*). 370 Vgl. Thomas: Ajektivderivation. 371 Vgl. Habermann: Wortbildung. 372 vnabbeschissen (84.51*), hochgeporn (88.644), erbars (103b.4), pucklet (103b.333), warhafft (88.266), růssigß (86b.184), huntische (84.37), leckerlich (88.242), grundlosem (88.246, nur hier), frewdenreich (103b.354*), grausamen (88.649). 373 Nur in erbars (103b.4), erbern (88.6, 98.211), erberg (103a.531), ansonsten noch in Basen wie dankperleich (88.673*). 374 tausent falt (103a.452), zwentzigfalt (103b.668), vgl. dazu Klein/Solms/Wegera: Grammatik, § A 144-148, S. 337ff. 375 Betrachtet man nur den Fall dreifach/dreifalt, so ist ausweislich der Belege in DWB Neubearbeitung 6, Sp. 1360ff. mit einer zeitlichen Überschneidung ca. 1300 (Erstbeleg drîvach) bis 1580 (Letztbeleg dreyfalt) zu rechnen. 376 Vgl. DWb 13, Sp. 925. 377 werlein : nerrlein (82.129f.), die beiden anderen Okkurrenzen (86a.68, 86a.129) stehen im Versinneren. Für die kleinräumige Bindung spricht zudem, dass die Suffixvariante in der ‚Bauernhochzeit‘ nur beim Nürnberger Schreiber Gb vorkommt (Ich hab mir jr werlein wol gelacht), während der Augsburger Claus Spaun den Vers in Ich hab mir jr doch wol gelacht (86b.129) ändert. 378 warlich (60.86, 83.71, 88.156, 90.176, 94.60, 100.15, 100.298, 103a.295), werlich (60.102, 60.117, 86b.68, 100.128, 100.245, 100.329, 101.16, 103b.602, 111.63, 111.228, 111.254, 111.369).

Syntax  LXXV

. Syntax Die Einsicht, dass die Untersuchung der Syntax von Korpussprachen vorzugsweise auf der Basis von Prosatexten erfolgen sollte, hat sich mittlerweile auch in den einschlägigen Handbüchern durchgesetzt. 379 Daher erübrigen sich an dieser Stelle ausführliche Erläuterungen, warum Aussagen über Syntax, die auf einem Korpus gebundener Sprache beruhen, stets mit Skepsis zu begegnen ist; einige grundsätzliche Hinweise mögen genügen. In unserem Korpus werden die syntaktischen Oberflächenstrukturen im Wesentlichen durch zwei stilistische Restriktionen überformt, a) den Endreim, b) (in weniger rigidem Maße) den alternierenden Rhythmus. Das bedeutet zum einen, dass Daten über Phänomene wie die Rechtsheraustellung kaum erhebbar sind: Ach lieben, helfft im clagen, dem armen (83.19) steht nicht, um auf dem armen zu fokussieren, sondern, weil *Ach lieben, helfft dem armen clagen nicht mit Es mocht ein herten stein erparmen (83.17) reimt. Mit besonderer Vorsicht zu behandeln sind weiterhin alle (nicht nur syntaktischen) Phänomene, in deren Rahmen Einsilber funktional sind: Das eigentliche veraltete Proklitikon en- 380 steht nur deswegen in Der er doch selber nit enhot (103a.90) und anderswo, 381 weil es alternierenden Rhythmus erzeugt.

.. Verbalgruppe Das frühneuhochdeutsche Subjektpronomen kann bei Folz und den Anonymi zeitgenössischem Usus entsprechend nach einer Reihe von Verben, insbesondere Auxiliaren, wegfallen. 382 Vergleichbares gilt, wenn das Subjekt aus dem vorangehenden Kontext erschließbar ist. 383 Das Korpus weist eine Reihe mehr oder weniger frequenter periphrastischer Konstruktionen auf, die gegenüber dem klassischen Mittelhochdeutschen wie der neuhochdeutschen Gegenwartssprache erklärungsbedürftig sind. So ist die gegenüber der synthetischen Konstruktion weitgehend bedeutungsneutrale Periphrase

 379 Vgl. Paul: MhdGr 25, S. VIIf. 380 Vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 230. 381 des enthun wir nit furwar (88.56); des englaub ich nymer dir (88.280); Das kein vnweyser nit enthut (103a.178), Seyt du doch anders nit enkanst (103a.475), Der er doch selber nit enhot (103b.112), Ob es der selbig nit enhot (103b.359): Das kein vnweyser nit enthuͤ t (103b.160), Dein red ich nit versten enmag (103b.388). 382 Vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 57. Oder must zu der stuben hinaus fliehen (82.144); Genediger hochgeborner furst, / Den ye nach eren hat gedurst (88.644f.); [...] Hort vnserm herrn keyßer zu. / Wil sich an seinen reten erfaren (90.4f.). 383 Vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 58. Die ere floch ich vnd gelobt mich schir / Zu dreÿen heiligen, hulffen mir (103a.533f.).

LXXVI  Zur Sprache der vorreformatorischen Nürnberger Fastnachtspiele aus tun + Infinitiv 384 hochfrequent und laut Reichmann/Wegera „schon in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts in Süddeutschland reich ausgebildet. Die Periphrase kommt häufig im Vers vor, wobei der Infinitiv überwiegend den Reim bildet [...]. In Prosaquellen ist sie weitaus seltener anzutreffen. Sprechsprachlich gefärbt ist die Konstruktion vielleicht erst am Ende des Frnhd. [...]; sie erscheint noch im 17. Jahrhundert in Kanzleitexten.“ 385 Eher stilistisch als semantisch motiviert ist auch die Periphrase aus sein + Inf. 386 Reichmann/Wegera zufolge „begegnet [sie] unter Einfluß der lateinischen Bibelsprache [...], unter Einfluß lateinischer appositiver Partizipien der Kanzleisprache und in einheimischen, sowohl kanzleisprachlichen als auch weiter verbreiteten Formeln [...]. Bei verschiedenen Dichtern erscheinen zahlreiche Verben in dieser periphrastischen Form, besonders zur Herstellung des Reims [...]. Hans Sachs verwendet die Periphrase noch massenhaft, aber in der Prosa des frühen 16. Jahrhunderts ist sie schon sehr selten.“ 387 Von einer „massenhaften“ Verwendung kann im Korpus hingegen nicht die Rede sein, die hier einschlägige Stelle ist isoliert. Eine ebenfalls charakteristisch frühneuhochdeutsche periphrastische Konstruktion bildet werden + Inf. in ingressiver Verwendung, wobei die hier vorliegende Präsensform wegen der sich verschärfenden Ambiguität im Zusammenhang mit dem Aufkommen der werden-Futurparaphrase insgesamt nur „vereinzelt belegt“ 388 ist. 389 Das Aussterben der Konstruktion im 16. Jahrhundert reflektiert der mitteldeutsche Druck x (Leipzig 1520), der er ward sich strauben (98.47*) in nicht ingressives er war sich strauben ändert (zu sein + Inf. s.o.). Die Passage Vnd ich hoff, ich wil des tags erleben, / Man werd dir den weck zu dem kwfenster hinauß geben (82.95f.) schließlich illustriert plastisch den Übergangszustand in der Herausbildung der Futurperiphrase. Neben wollen + Inf. (möglicherweise durch vorangehendes hoffen ausgelöst, man vgl. die Hans-Sachs-Stelle bei Behaghel 390) steht hier gleichfalls die laut Reichmann/Wegera im Frnhd. eigentlich

 384 Vnd thut ewr hilff mir heint zu frumen (82.6), Sie tut mich aber [...] kratzen (83.32); Das yderman ye tut erbarmen (83.33); wie sie mein thut ramen (83.111); das du vor sie tust fliehen (83.167); was man euch verkunden thu (88.4); Ich thu euch [...] erkleren (88.7); Das man solch puben henken tet (90.14); Vnd tut es nicht lanck machen (102.226); Der priester thut die ee geloben (103b.111). 385 Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 175. 386 Des wolt mein herr euch danken sein (95.12). 387 Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 174. 388 Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 173. 389 ich [...] wird naschen (98.86*); Marckolffus wirdt husten (103a, 26). 390 Behaghel: Syntax 2, S. 260.

Syntax  LXXVII

noch marginale Paraphrase mit dem Konj. Präs. von werden + Inf. 391 Global betrachtet ist die wollen-Paraphrase bei Folz und den Anonymi relativ frequent. 392 Interessanter schließlich als die Tatsache, dass es sich bei muͤ g und tuͤ g in Jr stewrt mich armen auff den weck, / Ee in dem aprill kum der dreck, / Das ich vor kot nit wandern muͤ g. / Darumb stewrt mich aus ytzo weyl es tuͤ g (82.30-33) um Konj.-PräsFormen handelt, 393 ist die Frage nach der Motivation der Modusmarkierung. Während Konjunktiv in von Imperativen abhängigen Temporalsätzen vereinzelt belegt ist, 394 ist der Konjunktiv in Konsekutivsätzen die große Ausnahme. 395

.. Nominalgruppe In einer Reihe von Fällen, so in Piß das der pfarrer meße hat gelesen (83.63), treten im Korpus Substantive ohne Artikel auf. Es handelt sich zum einen um Fälle, in denen „ein Substantiv ein beliebiger Vertreter seiner Gattung ist“ 396, dort werden als Beispiele für das Neuhochdeutsche auch Messe hören, Messe lesen erwähnt. In Fällen wie Lere, kunst und tugend sol alle stundt / Gen auß des weysen mannes mundt (103a.173f.) dürfte die Artikellosigkeit dadurch begründet sein, dass das „Substantiv als Vertreter einer ganzen Gattung“ 397 steht. Die im Frühneuhochdeutschen ansonsten „relativ selten“ 398 bezeugte Verbindung bestimmter Artikel + Possessivpronomen + substantivischer Kern tritt nur im anonymen Korpustext Nr. 95 (‚Domherr und Kupplerin‘) auf, dort aber mehrfach. 399

.. Präpositionalgruppe Im Gegensatz zu den bei Reichmann/Wegera aufgelisteten Fällen frühneuhochdeutscher Präpositionalgruppen, die im Unterschied zur Gegenwartssprache keinen Determinierer aufweisen, nämlich formelhaften Verbindungen (unter handen), abstrakten Substantiven mit nachgestelltem Genitivattribut (in Kraft) sowie Varianten

 391 Vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr § S 171. 392 Etwa in Jch mayn, ich woll dir manns genug sein (82.123) oder in Wenn es sich wolket, so wil es regen (103a.165). 393 Vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr § M 138. 394 Vgl. Behaghel: Syntax 3, S. 620 und passim. 395 Vgl. Behaghel: Syntax 3, S. 622. 396 Behaghel: Syntax 1, S. 124. 397 Behaghel: Syntax 1, S. 125. 398 Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 16. 399 Berurt jr nit den jren leib (95.26), den seinen stamen ‚sein Geschlecht‘ (95.55*), den mein leip han ich verlorn (95.97).

LXXVIII  Zur Sprache der vorreformatorischen Nürnberger Fastnachtspiele in nichtformelhaften Verbindungen (in Himmel kommen), 400 dürfte für die Mehrzahl der im Folzkorpus und Anonyma belegten einschlägigen Fälle, die nicht zufällig sämtlich Präpositionen auf –n betreffen, gelten: 401 „Scheinbar artikellose Fälle können auch auf Verschmelzung von Artikel und Präposition beruhen.“ 402 Die im Frühneuhochdeutschen wie auch in rezenten Dialekten 403 frequente Konstruktion des preposition stranding (nhd. da habe ich nicht dran gedacht 404) lässt sich auch bei Folz und den Anonymi nachweisen, 405 die Belege machen aber wahrscheinlich, dass die Konstruktion dort in der Regel im Rahmen des Reims funktionalisiert wurde.

.. Negation Im Großen und Ganzen gilt für die Negation bei Folz und den Anonymi Ähnliches wie im klassischen Mittelhochdeutschen oder in den rezenten Dialekten, mehrere Negationspartikel oder -angaben heben sich also nicht auf. 406 Ausnahmen liegen dann vor, wenn syntaktische und Wortbildungsnegation aufeinandertreffen wie in nit unmer (83.86*), wo „ein Stilmittel der vorsichtigen Bejahung“ 407 vorliegt. Einige auffällige Stellungsvarianten der Negationspartikel 408 sind kaum reimbedingt, sondern analog zu entsprechenden Positionen in Imperativsätzen zu betrachten, für die sich diverse Parallelen aus der Prosa anführen lassen 409. Zum – mutmaßlich metrisch bedingten – Auftreten der proklitischen Negationspartikel en- s.o., 3.5.

 400 Vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 5. 401 an Rein (82.11), in vischpach (82.49), in sack (83.20), jn mist (88.129). 402 Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 5. 403 Vgl. dazu Fleischer: Syntax. 404 Vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 129. 405 Vnd wenn ich bin gangen auß (83.49), Do merckt jr weyber selber bey (103a.344), Do hat mich diser schalk bracht zu (103a.438). 406 Wann kein vernunft in dir nicht ist (84.81); das nindert ist weder fried noch sun / Sich tut begeben an keinen ort (88.31f.); Von mir wirt nymant nichtz gesait / zu keinem menschen, junck noch alt (103a.244f.); vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 232. 407 Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 232. 408 schweig vnd nit fluch! (82.102), Die redt fur jr gespilen gar wol, / Nit das man die man geringern sol (103a.388f.). 409 Vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 231.

Syntax  LXXIX

.. Topologie Die für die Syntax des Mittelhochdeutschen charakteristische, 410 aber auch für das Frühneuhochdeutsche noch hochfrequente Teilsatzfolge Nebensatz 2. Grades (wer frawen...) – Nebensatz 1. Grades (das der...) lässt sich auch hier nachweisen. 411 Das Relativum welch- begegnet ab dem 15. Jahrhundert „zuerst in adjektivischer Verwendung“, 412 entsprechend ist es auch im Folzkorpus belegt. 413 Eine gleichfalls kommentierungsbedürftige Pronominalstellung liegt vor in O liebes weyb meins (83.129), da – zumindest für das vergleichbare Adjektivattribut – gewöhnlich gilt: „Die frnhd. mögliche Nachstellung des attr. Adj. [...] geht tendenziell mit Flexionslosigkeit einher.“ 414 Vergleichbares ist bei Behaghel verzeichnet, wo die hier vorliegende Konstruktion aber ebenfalls keine Erwähnung findet: „Im Mhd. und Nhd. erscheint das nachgestellte Pron. ohne Unterschied in der erstarrten unflektierten Form – diese Stellung ist durchaus archaisch.“ 415 Im Folzkorpus wie in den Anonyma lassen sich zumindest für meins, deins, seins keine Parallelstellen beibringen. Einige aussagekräftige, da reimunabhängige Stellungsvarianten bietet der späte Druck x (Leipzig 1520) von Nr. 98, wobei allerdings keine einheitliche Tendenz auszumachen ist: Während die Varianten sey zu gstanden (x) gegenüber zu sey gstanden (98.30*, nach l) und wart mich in der finstern um thirn (x) gegenüber wart in der der finstern mich um thirn (98.79, nach l) ‚ich begann mich in der Finsternis herumzutreiben‘ bzw. ‚ich trieb mich in der Finsternis herum‘ in Richtung der gegenwartssprachigen Standard-Serialisierung gehen, ist die Tendenz in ehr ich was recht bei der thuͤ r (x) gegenüber ee ich recht was bei der thuͤ r (98.124, nach l) ‚ehe ich überhaupt an der Tür angelangt war‘ eher als gegenläufig zu beurteilen.

.. Gesprochene Sprache Ist der im Vergleich mit der Gegenwartssprache unüberseh- bzw. -hörbare Eindruck einer weniger fest gefügten Syntax für ältere Sprachstufen aus vielerlei Gründen 416  410 Vgl. Paul: MhdGr 25, § S 227. 411 Vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 227; Behaghel: Syntax 4, S. 281-284. Wir sprechen: wer frawen schent all frist, / Das der keinß weybs nit wirdig ist (103a. 309f.). 412 Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 266; ausführlich zum attributiven Gebrauch Behaghel: Syntax 1, S. 347f. 413 Welche mawß mit katzen schimpfen wil, / Die mag es treiben... (103a.477f.). 414 Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 48; Moser/Stopp/Besch: GrdFrnhd 6, § 40, S. 110ff. zitiert i.d.R. nur die isolierten Pronominalformen, sodass sich hier keine vergleichbaren Belege finden. 415 Behaghel: Syntax 1, S. 350. 416 Grundsätzlich zum Zusammenhang von Oberflächengrammatik und mündlicher Konzipierung von Äußerungen Koch/Oesterreicher: Sprache. Eine Liste entsprechender Phänomene für das Mhd. bietet Grosse: Reflexe.

LXXX  Zur Sprache der vorreformatorischen Nürnberger Fastnachtspiele ohnedies nicht untypisch, kommt im Falle der Gattung Fastnachtspiel zumindest als denkbare Möglichkeit hinzu, dass Autoren die sprachlichen Mittel unter der Maxime einer plausiblen Fingierung mündlichen Sprechens auswählen. Aus der schon überlieferungsbedingt unhintergehbaren Perspektive einer schriftlich konzipierten Syntax und im Rahmen der Herstellung eines dementsprechend orientierten Editionstextes treten dann Schwierigkeiten auf, die hier wenigstens exemplarisch angesprochen seien. Ein regelmäßig wiederkehrendes Problem besteht in der Auflösung syntaktischer Ambiguitäten. In orthographisch normierten Texten tritt diese Schwierigkeit aufgrund einer syntaktisch geregelten Interpunktion nicht auf. Die Interpunktion unserer Ausgabe legt etwa nahe, die Präpositionalgruppe gen ainer pauren maid (97.164) als Lokalergänzung zu kam aufzufassen. Dagegen spricht gleichwohl, dass mit jn ain raine walck (97.165) eine weitere Lokalergänzung zu kam vorliegt. Entweder muss man gen ainer pauren maid [...] jn ain raine walck als eine diskontinuierliche Präpositionalgruppe auffassen, oder die gen-Gruppe auf ergieng (97.163) beziehen: Hört, wie eß mir ainß malß ergieng: Gen ainer pauren maid, weyl sy malk, Da kam ich jn ain raine walck. (97.163-165)

Vor allem ist aber vielen der in unserem Zusammenhang erklärungsbedürftigen Passagen gemeinsam, dass die Sinnkonstitution eher über pragmatische als über syntaktische Verfahren erfolgt. Dies betrifft viele Erscheinungen, die in der traditionellen Grammatik/Rhetorik unter der terminologisch etwas irreführenden Rubrik ‚Constructio ad sensum‘ abgehandelt werden. Dabei kann es sich um einen oberflächensyntaktisch nicht realisierten Subjektwechsel handeln, etwa wenn aus dem Kontext klar wird, dass als Nominativergänzung zu wirt (97.8) nur der pawr (97.5) und nicht die durch die syntaktische Operation der Koordination durch vnd eigentlich naheliegendere Instanz man (97.7) in Frage kommt: Welch pawr daß aubentewrischt sag, Das jm mit půlen begeget sein tag, Den wirt man mit aim krantz begauben Vnd wirt darczů den vortantz haben (97.5-8)

Nicht nur die satzsyntaktische, auch die sprechsituative Identifikation kann durch unterlassene oberflächensyntaktische Realisierung prekär werden. Als Subjekt zu streich (97.89) würde zunächst ainr (97.87) aufgefasst werden und nicht das unmittelbar vorausgehende ich (97.89), fungiert dieses doch auf einer satzsyntaktisch subordinierten Ebene. Pragmatik und weiterer Kontext, nämlich das seinerseits subordinierte ich (97.89), lassen jedoch keine andere Möglichkeit, als ein Subjekt ich zu inferieren:

Pragmatik  LXXXI

Do war ainr mitt aim knüttel alß pall Vnd schlůg mich, daß ich kam entran, Vnd streich auch, waß ich mocht, daruon Vnd můst meinß geltz vnd klaider enperen (97.87-90)

Auch der pragmatische Modus muss bisweilen wegen fehlender oberflächengrammatischer Aktualisierung erschlossen werden. Wie durch fragt signalisiert, handelt es sich beim ersten waß-Satz um eine Frage in indirekter Rede, gefolgt von einer durch sol signalisierten Aufforderung. Der zweite waß-Satz nun wird durch kein explizites Signal mehr als Frage markiert, der Rezipient wird mithin versuchen, ihn als Ergänzungssatz zu jch sol [...] naher gen oder zu Jch ways nit aufzulösen, bevor er sich doch als von fragt (97.45) abhängig erweist: Vnd fragt mich, waß ich pey der tů, Jch sol – deß tewffelß nam – naher gen, Waß ich nu pey der sein hab zů sten. Jch ways nit, wie ich hin wider prum (97.45-48)

Ein typisches Stilmittel (nicht nur) mündlichen Erzählens ist schließlich der vergegenwärtigende Wechsel vom Präteritum (wolt, nestelt, puckt) ins Präsens (will): Vnd [ich] wolt deß schimpffß bald machen endt Vnd nestelt mich vor auff behendt Vnd puckt mich vnd will zů ir hin ein (97.101-103)

. Pragmatik .. Interjektionen Textsortenbedingt ist eine auffällige Tendenz zur Verwendung eines allerdings begrenzten Inventars an Interjektionen konstatierbar, namentlich pox ‚(verhüllend für:) Gott (=Teufel)‘ (82.119 u.ö.) in den Syntagmen pox leichnam ‚Zum Teufel!‘ (60.119 u.ö.), Pox haut (63.82 u.ö.) ‚Zum felligen Teufel!‘, Sammer poxlung (86a.35), pox grint ‚Bockskopf!‘ (88.139 u.ö.), unikal allein das besonders obszöne 417 Potz fut (100.296) ‚Zum Fotzenteufel‘. Ergänzt wird der Bestand durch se (83.108) ‚Siehe da!‘, samer (86b.35) ‚Gott steh mir bei!‘, plaw (88.529; vermutlich Verlesung aus plan) ‚Wohlan!‘ sowie die Onomatopoetika mum, mum (88.481 u.ö.) 418 und Schnip [...], Schnap (96.19*)  417 Eine Zusammenstellung der von Folz verwendeten Flüche bietet Michels: Studien, S. 227f. 418 Die in DWb 6, Sp. 2660 aufgelisteten Belege für mum ‚Kot‘ stammen aus dem 16. Jahrhundert, insofern ist eine Anspielung hier unwahrscheinlich.

LXXXII  Zur Sprache der vorreformatorischen Nürnberger Fastnachtspiele .. Anrede Dass Hans Folz besondere Sorgfalt auf die dramaturgische Ausgestaltung sprachlicher Dialogizität verwendet, ist schon vielfach am Beispiel der Stichomythie gezeigt worden 419 und gilt auch für das Anredeverhalten, wie hier am Beispiel einer Passage aus ‚Salomon und Markolf‘ (Hs. G) demonstriert werden soll. Die Verwendung der Anredeformen basiert auf dem mittelalterlichen Zweiersystem du/ir, 420 das aber größtenteils zu einem einstelligen du-System neutralisiert erscheint. Ausnahmen sind durch die Variablen a) soziale Position und b) Geschlecht/Gesprächssituation 421 determiniert: Zu Gesprächsbeginn wendet sich Markolf lexikalisch (Lieber junckher) wie pronominal (got geb euch hail (103a.12*)) im markierten Höflichkeitsmodus an den ständisch Höhergestellten. Nachdem Salomon den Modus regelgerecht durch Verwendung des Pluralis Majestatis in Pawr, wir sein wol vnter weißt (103a.47; eine andere Funktion hat das Pronomen der 1. Pl. in Wir sprechen (103a.402), wo es Salomon als Träger der Weisheit charakterisiert) aktualisiert und gleichzeitig seine hierarchische Überordnung geklärt hat (Wie du gar falsch und kleffisch seist (103a.48)), begeht Markolf insofern einen kommunikativen Fauxpas, als er nur den zweiten Teil der Äußerung in Betracht zieht und nicht den kommunikativen Modus ‚Respekt‘, sondern nur eines seiner Ausdrucksmittel, das Duzen, aktualisiert. Die Variablen Geschlecht und/oder Situation kommen ins Spiel, wenn sich Salomon zum ersten Mal an einen ständisch unmarkierten weiblichen Allokutor (Die poß fraw) wendet und dabei pronominal wie lexikalisch den Höflichkeitsmodus wählt: Frewlein, was sagt jr darzu? (103a.197). Ob hier Geschlecht oder Situation die maßgebliche Variable bildet, ist schwer zu beurteilen, hat der König sich doch bis dahin nicht an weibliche Figuren und insbesondere nicht an die gut fraw gewandt, die ihrerseits den König in der Gesprächseröffnung duzt: Herr konig, nw gib vns vrtail darumb (103a.191). Die poß fraw jedenfalls aktualisiert den Höflichkeitsmodus zunächst regelgerecht (Herr kunigk [...]! Laßt jr jr totes kindelein (103a.199ff.); Determiniertheit durch die Variable soziale Position ist allerdings nicht ganz auszuschließen), verfällt jedoch bei ihrer zweiten Anrede zumindest pronominal in den Standardmodus (Herr konick, dein vrtail halt fest (103a.212)), den der König dann seinerseits auf pronominaler Ebene zu aktualisieren scheint: Hoͤ r, weÿp, raich jr das kint allein (103a.216). Die Wechsel zum pejorativen Lexem weÿp 422 signalisiert jedoch, dass hier eher durch die überlegene soziale Position des Königs ermöglichtes  419 Grundlegend, wenngleich skeptisch Herrmann: Stichreim, S. 423f., im Anschluss daran etwa Michels: Studien, S. 226 oder Simon, G.: Fastnachtsspieltradition, S. 71ff. 420 Vgl. Besch: Anredeformen, S. 2605. 421 Dazu Besch: Anredeformen, S. 2601-2605. 422 Die Konnotationen der Bezeichnungen für weibliche Figuren entsprechen bei Folz weitgehend dem nhd. Usus, wie sich gut aus der Distribution in den Didaskalien der Druckfassung ablesen lässt:

Lexik  LXXXIII

abwertendes Duzen vorliegt; die Variable soziale Position hat die Variable Geschlecht überformt.

. Lexik Wenn ein Abschnitt zur Lexik das Kapitel zur Sprache der Fastnachtspiele abschließt, steht dahinter keinesfalls die Anmaßung, eine erschöpfende Analyse des Umgangs des Dramatikers mit dem Lexikon geben zu wollen – dies verbietet allein schon die thematische und gattungstypologische Ausdifferenzierung des einschlägigen Œuvres. 423 Dennoch ist die Lexik diejenige sprachliche Ebene, die beim Rezipienten der Fastnachtspiele die unmittelbarste Aufmerksamkeit erregen wird, was sich linguistisch darauf zurückführen lässt, dass hier anders als in Phonologie, Morphologie oder Syntax funktionaler Raum für Abweichungen vom neutralen Sprachgebrauch gegeben ist. Gleichermaßen auffällig und für den Benutzer vielfach erklärungsbedürftig (vgl. die ausführlichen Anmerkungen zu den Einzeltexten) ist an vorderster Stelle die Tendenz zu expressiven Verwendungsweisen. 424 Weniger charakteristisch sind dabei die Verfahren der Ironie 425 und die diversen Spielarten des rhetorischen understatement 426 als der Hang zu Euphemismus und Dysphemismus. Die euphemistischen Verwendungsweisen betreffen die im christlich-abendländischen Kulturkreis tabuisierte Domäne des mangelhaften bzw. mangelbehafteten

 Hier steht fraw als neutraler Ausdruck für weibliche Figuren (z.B. 103b.423), während weyb für negativ konnotierte Figuren verwendet wird, etwa für die poß fraw der Handschriftenfassung: Antwort das ander weyb (103b.417). 423 Vgl. zu Folz überblicksartig Janota: Art. ‚Hans Folz‘, Sp. 778-782. 424 Die Beschreibungssprache der folgenden Übersicht orientiert sich mit gewissen terminologischen Abweichungen weitgehend an Fritz: Einführung, S. 105-108. 425 Im Übergangsbereich von Lexik und Pragmatik liegt eine ironische Verwendung der Anrede Herr vor in Herr Nasen tropff (92.38). Passagen wie der Schönheitspreis in der ‚Bauernhochzeit II‘ (86b.113-131 und 86b.177-189) oder in ‚Vier Reden‘ (94.30-47) bedienen sich gerade nicht der Ironie, sondern der parodistischen Hyperbolik, wohingegen in der Schönheitspreis-Parodie des ‚Ehevertrags‘ zumindest eine ironische Verwendungsweise des Adjektivs subtil ‚zart‘ vorliegt: Adelheit Milch schlunt verfügt über einen derart subtilen munt (102.44*), dass diesem auch rohe Gewalt nichts anhaben könnte. Generell gilt, was Knapp: Erzählen, S. 37 zur Schwierigkeit des Nachweises ironischen Sprechens in vormodernen Texten angemerkt hat, nämlich dass solches „in jedem Einzelfall erst zu beweisen“ ist. Knapp: Ironie diskutiert dies an einer Reihe von Beispielen, die allerdings eher der Meiosis als der Ironie im engeren Sinne zuzurechnen sind. 426 Wenn derlei bei den Anonymi bzw. im Folzkorpus überhaupt vorkommt, dominieren konventionelle Verwendungsweisen wie selten ‚nie‘ in Wann es nymt selten ein gut endt (101.79) oder in Gen posen selten niemant gelingt (103a.133).

LXXXIV  Zur Sprache der vorreformatorischen Nürnberger Fastnachtspiele Körpers, stellenweise im allgemein-medizinischen Sinn, 427 in erster Linie aber hinsichtlich der Domäne der Sexualität. 428 Die dabei verwendeten Verfahren sind vielfältig: Metapher, 429 Metonymie, 430 aber auch Wortbildung wie die oben besprochene Kontamination offitzagel ‚schwanzfixierter Offizial‘ (84.54). Eine ganze Reihe euphemistischer Verwendungen dienen zur Bezeichnung des Penis. Konventionalisierte Verwendungsweisen euphemistischer Metaphern bzw. Metonymien 431 dürften ausweislich der von den einschlägigen Wörterbüchern bzw. Spezialuntersuchungen verzeichneten Vorbezeugungen vorliegen bei zagel (84.54;106b.106), 432 Ocker (92.37), 433 der mein (92.44 u.ö.), 434 Fisel (99.11 u.ö.), 435 Nagel (102.94*), 436 strigel (102.211 u.ö.) 437 und Knebel (103a.73), 438 schwierig ist die Beleglage bei Truͤ ller (90.115) und henßlein (92.79). 439 Die ursprüngliche Verwendungsweise von Genß(loffel) (91.28 u.ö.) schließlich ist ‚Werkzeug der Wundärzte‘, 440 was eine Folzsche lexikalische Innovation zumindest nicht unwahrscheinlich macht. Hinsichtlich der

 427 stok, storn ‚Zahnstümpfe‘ (109.169); druß ‚Drüse; Pestbeule‘. Daneben verwendet der barwirer Folz auch semantisch neutrale medizinische Fachterminologie wie conplex ‚Konstitution‘ (91.183*), harm schawen ‚Harnschau‘ (109.163) u.ä. Auch gailen ‚Hoden‘ (88.571) ist laut DWb 4.1.2, Sp. 2593 ursprünglich ein medizinischer Fachterminus. 428 Einschlägig für die historische Lexikographie dieser und angrenzender Domänen sind Kratz: Wortschatz, Müller: Schwert, Zeyen: liebe und Herchert: Feld. 429 pusch ‚Schamhaar‘ (109.163); gaden ‚(Kammer, übertragen auf:) Vagina‘ (88.50*), zu vergleichbaren Verwendungsweisen Müller: Schwert, S. 46f.; enspen ‚(Anspinn übertragen auf:) Vulva‘ (100.279), zahlreiche Belege aus dem Bildbereich ‚spinnen‘ haben Herchert: Feld, S. 222f. und, für die Fastnachtspiele, Müller: Schwert, S. 85; zum verwandten Bereich des Flachsspinnens vgl. auch Zeyen: liebe, S. 95f.; oder die anspruchsvolle Verknüpfung von Rechtssprache und Sexualmetaphorik ir liegendes gut (102.179*). 430 Das auf den Sündenfall verweisende epfel essen mögen ‚potent sein‘ (86a.138; 110.78*); auffällig an den einschlägigen Belegsammlungen bei Herchert: Feld, S. 196f. und Zeyen: liebe, S. 51-60 ist, dass die Birne dem Apfel trotz vergleichbarer symbolischer Potenz den Rang als Bildspender abläuft. 431 Der als Euphemismus im 15. Jh. nicht mehr durchschaubare mhd. Standardausdruck zers ist „in Mären, Fastnachtspielen und Priameln ubiquitär“ (Gerhardt: spruch, S. 324) und kommt auch in unserem Korpus vor (89.153; 106a.103). 432 Vgl. DWb 15, Sp. 24. 433 Ausweislich DWb 7, Sp. 1140 vorwiegend in den Nürnberger Fastnachtspielen belegt; die dort angeführte Stelle aus dem Liederbuch der Clara Hätzlerin ist als Beleg zu ‚Acker‘ zu lesen. 434 Eine entsprechende Formulierung für die weiblichen Brüste findet sich bei Wittenwiler 6410 (die iren); analoge Stellen listet der Kommentar von Wießner: Heinrich Wittenwiles Ring, S. 228 auf. 435 Vgl. DWb 3, Sp. 1690. 436 Vgl. Gerhardt: spruch, S. 316. 437 Vgl. Lex II, Sp. 1239. 438 Vgl. Lex I, Sp. 1644. 439 DWb 4.2, Sp. 464 führt nur die vorliegende Stelle als Beleg an. 440 Vgl. DWb 4.1.1, Sp. 21; zum Namen auch Arndt: Personennamen, S. 65, der allerdings eine Vermischung mit Ginlöffel vermutet.

Lexik  LXXXV

Frage nach einem möglichen Autorenideolekt ist gleichwohl grundsätzlich zu beachten, dass an lexikalische Innovationen vormoderner Autoren nicht die gleichen Maßstäbe wie an genieästhetische Wortschöpfungen 441 oder moderne Verfahren von auf Intertextualität basierender Neologie vom Schlage der Mann-Goetheschen Kreuzung beiträtig 442 angelegt werden dürfen. Die von Folz bzw. den Anonymi benutzten dysphemistischen Verwendungsweisen stammen neben der sexuellen 443 auch aus der Domäne des kulturell einschlägig konnotierten Exkrementiellen, 444 ohne dass diese sich auf das menschliche Ausscheiden beschränken würden. 445 Besonders augenfällig ist die dysphemistische Verwendung sprechender Personennamen, 446 deren hohe Frequenz durch eine Reihe von Namenkatalogen begünstigt wird. 447 Besonders auffällig ist die Verknüpfung von Dysphemismus und Zoomorphie, 448 Verwendungsschwerpunkte liegen hier wiederum in der Domäne des Sexuellen, 449 die vereinzelt auch im Bereich der Toponymik 450 sowie einschlägig fingierter Heiligennamen 451 funktionalisiert wird. Zoomorphisierende Dysphemismen finden sich daneben auch im appellativischen Bereich, besonders zur Bezeichnung von Juden. 452

 441 Diverse Beispiele bei Handler: Wortbildung 1993. 442 Vgl. dazu Ruge: Wortbildung, S. 283. 443 Etwa laß mich ungeheyt ‚lass mich in Ruhe (wörtl. lass mich ungefickt)‘ (83.66); Jch doͤ rst dir schier dein muͤ tter geheyen (103b.38). 444 abbescheissen ‚durch Betrug abgewinnen‘ (84.112*), daneben auch die wörtliche Lesart; bescheyß ‚besudeln‘ (91.14*); dreck ‚Scheiß‘ (97.16 u.ö.). Dreck stellt ein Schulbeispiel der durch Dysphemismus ausgelösten Meliorisierung dar (vgl. Fritz: Einführung, S. 106) und kommt im Folzkorpus in Ansätzen auch schon in übertragener Verwendung vor, nämlich als ‚Mist, schlechte Ware‘ (101.29) und als ‚Schwachsinn‘ (110.69). Verknüpft sind die Domänen des Sexuellen und des Exkrementiellen in Wendungen wie sie hat ein quellenden prunn (102.169*). 445 Kalbß eutter ‚Dummkopf‘ (103a.51*). 446 Spÿnnenfist (92.33) ‚Spinnenfurz‘ sowie der Heiligenname send Merdum (103a.540), dazu Arndt: Personennamen, S. 93. 447 Teilweise umfangreiche Namenkataloge finden sich etwa 92.30-38, 96.121ff., 97.208-11, 99.813, 109.26-31, auch in genealogischer Form (103a.55-75). Personennamen setzt Folz auch zur sozialen Charakterisierung der Trägerfiguren ein, etwa Bauernnamen wie Gewt (86a.20) oder Kunz (86a.79). Zwar sind Namenkataloge in der spätmittelalterlichen Epik alles andere als ungewöhnlich (vgl. Müller; Namenkataloge, S. 345-501), in der Gattung Fastnachtspiel, die nicht Gegenstand von Müllers Untersuchung ist, scheinen sie in dieser Form und Frequenz nur bei Folz vorzukommen. 448 Affenschmaltz ‚Narr‘ (91.25*). 449 Mucken russel (92.32*) ‚Mückenrüssel; Stummelschwanz‘, Sew fridel (109.30) ‚Geliebter einer Sau; Sodomist‘. 450 Vnd ist an dem Leckfeld gelegen (102.177). 451 sant Schweinhart (103a.535). 452 schwartzer hunt ‚Jude‘ (88.116; 88.559).

LXXXVI  Zur Sprache der vorreformatorischen Nürnberger Fastnachtspiele In diesen Zusammenhang gehört auch Folzens Instrumentalisierung des Hebräischen im ‚Herzog von Burgund‘, 453 ein weiteres Beispiel des Einsatzes (verballhornter) Fremdsprachen zur Negativcharakteriserung ihrer Sprecher stellt das dem Müller in den Mund gelegte fehlerhafte Latein in ‚Kaiser und Abt‘ dar. 454 Auf einer ganz anderen, nämlich der metasprachlichen Ebene angesiedelt ist die weit über das ansonsten übliche dicit hinausgehend Verwendung lateinischer Didaskalien in ‚Der Ehevertrag‘. 455 Regional geprägte Lexik schließlich findet sich, analog zum Befund auf den anderen sprachlichen Ebenen, nur in anekdotischem Umfang. Einigermaßen sicher auf Nürnberg verweisen nur zwei Fälle, die beide auf regionale Spezifika referieren, nämlich guten můt ‚Mahl mit Tanz einige Tage nach der Hochzeit‘ (102.163*) 456 und weisen ‚Tätigkeit des nur in Nürnberg bezeugten Weinkiesers‘ (109.119*), für weitere Lexeme lässt die Bezeugungslage keine eindeutigen Schlüsse zu. 457 Ansätze von Dialektlexik weist auch ‚Frau Venus’ Urteil‘ auf, dessen späterer Nürnberger Druck a gegen den Folz-Druck l/2 obd. kirwey (96.57) in md. Kirmeß 458 und obd. prun (96.87) in md. porn ändert. 459

 453 Vgl. dazu Przybilski: Hebräischkenntnissen. 454 90.196-215, für Näheres vgl. den Stellenkommentar. 455 Habel: Zeugniswert, S. 119, Anm. 73 zufolge handelt es sich bei der Praxis, lateinische Didaskalien zu verwenden, im Bereich des vorreformatorischen Nürnberger Fastnachtspiels um ein Alleinstellungsmerkmal des Schreibers Gb. 456 Vgl. DWb 6, Sp. 2786. 457 Die Belege für karn fuder ‚Karrenladung‘ (103b.199) sind zwar nach Ausweis von DWb 5, Sp. 228 und DRW 7, Sp. 451 mehrheitlich nürnbergisch (Polizeiordnungen und Tucher, Baumeisterbücher), das Lexem wird aber auch – ohne Beleg – im MHW 2, Sp. 521 verzeichnet. Im Falle von loch ‚Gefängnis‘ (103b.295) ergibt der Wörterbuchbefund für das 15. Jh. eine gewisse Nürnberger Bezeugungsdominanz (vgl. DWb 6, Sp. 1094; DRW 8, Sp. 1375ff.). 458 Vgl. zur regionalen Verteilung der Varianten DWb 5.4, Sp. 836. 459 Vgl. zur regionalen Verteilung der Metathese in diesem Fall Besch: Sprachlandschaften, S. 150ff.

 Konkordanz Neuedition – Ausgabe Keller Korpus Tübingen: Rosenplüt Neuedition 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31

Titel Die Narren Der Heiratsrat Mönch Berchthlt Wie man Ritter wird Der alte Hahnentanz Des Entchrist Vasnacht Der Bauern Rügefastnacht Vom Werben um die Jungfrau Aschermittwochfastnacht Streit zwischen Fastnacht und Fastenzeit Prozess zwischen Fastnacht und Fastenzeit Liebhabervasnacht Die feigen Ritter Gertraud einsalzen Magdtum einsalzen Klerus und Adel Der König aus Schnokenland Krone Luneten Mantel Die Rosskur Die Wiletzkinder Meister Uncian Warum die Männer Frauen lieben Die Harndiagnose Die verhibnderten Ehemänner Frauenverleumder vor Gericht Ein Ehebrecher vor Gericht Küchenspeise Der kurze Hahnentanz Das Chorgericht Weltabkehr

Keller Nr. 116 65 66 47 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 48 84 85 86 87 88 49 89 42 90

LXXXVIII  Konkordanz Neuedition – Ausgabe Keller 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72

Wann man heiraten soll Das Jungferneinsalzen Büßerrevue Wettstreit in der Liebe Die blaue Farbe Bauernprahlereien II Mädchen und Burschen Die sieben freien Künste und die Liebe Die Witwe und ihre Tochter Das Hofgericht vom Ehebruch Die vier Ärzte Die Geharnischten Das Fest des Königs von England Die drei Arztbüchsen Die verklagten Ehemänner Des Türken Fastnachtspiel Bauernprahlereien III Die sieben Farben Die karge Bauernhochzeit Der Bauer und der Bock Drei Eheverweigerer Bauernrevue Eheliche Verdächtigungen Ehekrieg Lügenmärchen und Prahlreden Ein Ehebruch-Prozess Frauenpreis Bäuerliche Ehekandidaten Buhlerrevue Moriskentanz Das Liebeswerben Das Aristotelesspiel Der elfte Finger Vier Bauern vor Gericht Frag und Antwort Das Narrenseil Das ungleiche Paar Bäuerliche Großsprecher Die Unersättlichen Das Eggenziehen Die böse Ehe

41 91 92 16 93 94 95 96 97 40 98 99 100 101 102 39 45 103 104 46 108 109 19 3 9 10 11 12 13 14 15 17 18 24 25 26 27 28 29 30 31

Konkordanz  LXXXIX

73 74 75 76 77 78 79 80

Wettstreit im Frauenlob Prozess zweier Buhler Bauernprahlereien I Die Holzfäller Parisurteil I Das Salomonische Urteil Parisurteil II Missglückte Werbung

33 34 45 52

Korpus Trier: Folz und Anonymi Neuedition 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100 101 102

Titel Ecclesia und Synagoga Der Wallbruder Das böse Weib Der Ehestreit Die Heilung eines kranken Bauern Die Bauernhochzeit Die drei Brüder und das Erbe Der Herzog von Burgund Das Nürnberger [kleine] Neidhartspiel Kaiser und Abt Das Spiel vom Dreck Liebesnarren vor Venus Der Hasenkauf Vier Reden Domherr und Kupplerin Weibernarren vor Venus Zwölf buhlerische Bauern Weibernarren Die Handwerker Die Fastnacht vor Gericht Der törichte Tausch Der Ehevertrag

Keller Nr. 1 2 4 5 6 7 8 20 21 22 23 32 35 36 37 38 43 44 50 51 55 58

XC  Konkordanz Neuedition – Ausgabe Keller 103 104 105 106 107 108 109 110 111

Salomon und Markolf Zeugenaussagen Der Berner und der Wunderer Das Rätselspiel Die zwölf faulen Pfaffenknechte Kaiser Konstantin und Silvester Ein Marktschreierspiel Ein Bauerngericht Von einem Arzt und einem Kranken

60 61 62 63 64 106 105 112 120

 Literaturverzeichnis . Abgekürzt zitierte Literatur Archiv Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen. ArtB The Art Bulletin. ATB Altdeutsche Textbibliothek. BLVS Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart. Das Mittelalter Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung. Zeitschrift des Mediävistenverbands. DVjs Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte. EM Enzyklopädie des Märchens. Hrsg.: Kurt Ranke. GAG Göppinger Arbeiten zur Germanistik. GRM Germanisch-Romanische Monatsschrift. HdA Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Hrsg.: Hanns Bächtold-Stäubli, Eduard HoffmannKrayer. IASL Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur. JWarburg Journal of the Warburg and Courtauld Institutes. MGH Monumenta Germaniae Historica. MTU Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters.

XCII  Literaturverzeichnis MVGN Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg. Neoph Neophilologus. An International Journal of Modern and Mediaeval Language and Literature. NLH New Literary History. A Journal of Theory and Interpretation. PBB Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur. WW Wirkendes Wort. Deutsche Sprache und Literatur in Forschung und Lehre. ZfdA Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur. ZfdPh Zeitschrift für deutsche Philologie. ZGL Zeitschrift für germanistische Linguistik.

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Wörterbücher und Lexika  XCIII

Brockhaus Enzyklopädie 20. Aufl. Brockhaus. Die Enzyklopädie in 24 Bänden. 20., überarb. und aktual. Aufl. Leipzig, Mannheim 1996-1999. BWb Bayerisches Wörterbuch. Hrsg.: Johann Andreas Schmeller. 2 Bde. in 4 Tln. München 1985 [Nachdr. d. von Georg Karl Frommann bearb. 2. Ausg. München 1872-1877]. DRW Deutsches Rechtswörterbuch. Wörterbuch der älteren deutschen Rechtssprache. Hrsg.: Preußische Akademie der Wissenschaften, ab Bd. 5: Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Weimar 1931ff. DWb Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. 33 Bde. München 1984-1991 [Nachdr. d. Ausg. Leipzig 1854-1954]. DWb Neubearbeitung Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Neubearbeitung. Hrsg.: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Stuttgart, Leipzig 1983ff. Etymologisches Wörterbuch Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. Hrsg.: Wolfgang Pfeifer. 3 Bde. Berlin 1989. Fischer: Schwäbisches Wörterbuch Schwäbisches Wörterbuch. Auf Grund der von Adelbert v. Keller begonnenen Sammlungen und mit Unterstützung des württembergischen Staates bearb. von Hermann Fischer. 6 Bde. Tübingen 1904-1936. FrnhdWb Frühneuhochdeutsches Wörterbuch. Hrsg.: Robert R. Anderson, Ulrich Goebel, Oskar Reichmann u.a. Berlin 1989ff. Götze: Frnhd. Glossar Götze, Alfred: Frühneuhochdeutsches Glossar. 7. Aufl. Berlin 1971 (Kleine Texte für Vorlesungen und Übungen 101). Höfler: Krankheitsnamen-Buch Höfler, Max: Deutsches Krankheitsnamen-Buch. Hildesheim 1970 [Reprogr. Nachdr. d. Ausg. München 1899]. HRG Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. Hrsg.: Adalbert Erler, Ekkehard Kaufmann unter philologischer Mitarb. von Ruth Schmidt-Wiegand; mitbegr. von Wolfgang Stammler. 5 Bde. Berlin 1971-1998. ²HRG Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. Hrsg.: Albrecht Cordes, Hans-Peter Haferkamp, Heiner Lück u.a. 2., völlig neu überarb. und erw. Aufl. Berlin 2008ff.

XCIV  Literaturverzeichnis

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Wörterbücher und Lexika  XCV

Mühlmann: Pferdekunde Mühlmann, Hans-Georg: Wörterbuch der Pferdekunde. Düsseldorf 1976. Pflanzennamen Wörterbuch der deutschen Pflanzennamen. Hrsg.: Heinrich Marzell. 5 Bde. Leipzig, Stuttgart 19431979. Pschyrembel Pschyrembel Klinisches Wörterbuch. Bearb. von d. Wörterbuch-Redaktion des Verlages; begr. von Willibald Pschyrembel, 259., neu bearb. Aufl. Berlin, New York 2002. PWB Pfälzisches Wörterbuch. Begr. von Ernst Christmann, fortgef. und bearb. von Sigrid Bingenheimer, Julius Krämer, Rudolf Post u.a. 6 Bde. Wiesbaden, Stuttgart u.a. 1965-1997. Reallexikon Reallexikon der Medizin und ihrer Grenzgebiete. A-C. München, Wien, Baltimore 1977. Röhrich: Redensarten Röhrich, Lutz: Das große Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten. 3 Bde. Freiburg/Breisgau 1991-1992. Sprichwörter-Lexikon Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Ein Hausschatz für das deutsche Volk. 5 Bde. Hrsg.: Friedrich Wander. Darmstadt 1964 [Unveränd. Nachdr. d. Ausg. Leipzig 1867-1880]. Springer-Lexikon Medizin Springer-Lexikon Medizin. Hrsg.: Peter Reuter. Berlin 2004. Stadtlexikon Stadtlexikon Nürnberg. Hrsg.: Michael Diefenbacher, Rudolf Endres. 2., verb. Aufl. Nürnberg 2000. Tirolisches Idiotikon Tirolisches Idiotikon. Hrsg.: Johann Baptist Schöpf. Wiesbaden 1968 [Nachdr. d. Ausg. Innsbruck 1866]. TPMA Thesaurus proverbiorum medii aevi. Lexikon der Sprichwörter des germanisch-romanischen Mittelalters. Hrsg. vom Kuratorium Singer der Schweizer Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften; begr. von Samuel Singer. 13 Bde. u. Quellenverzeichnis. Berlin, New York 19952002. ²VL Verfasserlexikon. 2., völlig neu bearb. Aufl. Hrsg.: Kurt Ruh, Gundolf Keil, Werner Schröder u.a. 11 Bde. u. 3 Registerbde. Berlin, New York 1978-2008.

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. Quellen und Literatur Adam: Fastenzeit Adam, Adolf: Die Fastenzeit. Vorösterliche Bußzeit. Leutesdorf 2000. Aichele: Antichristdrama Aichele, Klaus: Das Antichristdrama des Mittelalters, der Reformation und Gegenreformation. Den Haag 1974. Alberus: Fabeln Die Fabeln des Erasmus Alberus. Abdruck der Ausgabe von 1550 mit den Abweichungen der ursprünglichen Fassung. Hrsg.: Wilhelm Braune. Halle/Saale 1892. Anderson: Kaiser Anderson, Walter: Kaiser und Abt. Die Geschichte eines Schwanks. Helsinki 1923 (Folklore Fellows' Communications 42). Arndt: Personennamen Arndt, Wilhelm: Die Personennamen der deutschen Schauspiele des Mittelalters. Hildesheim, New York 1977 (Germanistische Abhandlungen 23) [Nachdr. d. Ausg. Breslau 1904]. Arnold: Niklashausen Arnold, Klaus: Niklashausen 1476. Quellen und Untersuchungen zur sozialreligiösen Bewegung des Hans Behem und zur Agrarstruktur eines spätmittelalterlichen Dorfes. Baden-Baden 1980 (Saecula spiritalia 3). Ayrer: Dramen Ayrers Dramen. Hrsg.: Adelbert von Keller. Stuttgart 1884-1865 (BLVS 76-80). Baader: Polizeiordnungen Nürnberger Polizeiordnungen aus dem XIII bis XV Jahrhundert. Hrsg.: Joseph Baader. Amsterdam 1966 (BLVS 63) [Photomechan. Nachdr. d. Ausg. Stuttgart 1861]. Baader/Hoffmann-Axthelm: Entwicklung Baader, Gerhard/Hoffmann-Axthelm, Walther: Die Entwicklung der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde im europäischen Mittelalter. In: Medizinhistorisches Journal 6, 1971, S. 113-159. Bach: Namenkunde Bach, Adolf: Deutsche Namenkunde. Bd. 1: Die deutschen Personennamen. 1. Teil: Einleitung. Zur Laut- und Formenlehre, Wortfügung, -bildung und -bedeutung der deutschen Personennamen. 3., unveränd. Aufl. Heidelberg 1978.

Quellen und Literatur  XCVII

Bachtin: Literatur Bachtin, Michail Michailowitsch: Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Lachkultur. Frankfurt/Main 1985. Bachtin: Rabelais Bachtin, Michail Michailowitsch: Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur. Hrsg.: Renate Lachmann. Frankfurt/Main 1995. Bader: Encyclopedia Bader, Gershom: The encyclopedia of talmudic sages. Northvale, New Jersey, London 1988. Barack: Lobgedicht Barack, Karl August: Ein Lobgedicht auf Nürnberg aus dem Jahre 1490 von dem Meistersänger Kuntz Haß. Nürnberg 1858. Barton: schimpf Barton, Ulrich: Was wir do machen, das ist schimpf. Zum Selbstverständnis des Nürnberger Fastnachtspiels. In: Fastnachtspiele. Weltliches Schauspiel in literarischen und kulturellen Kontexten. Hrsg.: Klaus Ridder. Tübingen 2009, S. 167-185. Bastian: Mummenschanz Bastian, Hagen: Mummenschanz. Sinneslust und Gefühlsbeherrschung im Fastnachtspiel des 15. Jahrhunderts. Frankfurt/Main 1983. Bauer: Sterzinger Spiele Sterzinger Spiele. Die weltlichen Spiele des Sterzinger Spielarchivs nach den Orginalhandschriften (1510-1535) von Vigil Raber und nach der Ausgabe Oswald Zingerles (1886). Hrsg.: Werner Bauer. Wien 1982. Baumann: Landsknechte Baumann, Reinhard: Landsknechte. Ihre Geschichte und Kultur vom späten Mittelalter bis zum Dreißigjährigen Krieg. München 1994. Becker-Cantarino: Frau Becker-Cantarino, Barbara: Die Böse Frau und das Züchtigungsrecht des Hausvaters in der frühen Neuzeit. In: Der Widerspenstigen Zähmung. Studien zur bezwungenen Weiblichkeit in der Literatur vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Hrsg.: Sylvia Wallinger, Monika Jonas. Innsbruck 1986 (Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft 31), S. 117-132. Behaghel: Syntax Behaghel, Otto: Deutsche Syntax. Eine geschichtliche Darstellung. 4 Bde. (Bd. 1: Die Wortklassen und Wortformen. A. Nomen. Pronomen; Bd. 2: Die Wortklassen und Wortformen. B. Adverbium. C. Verbum; Bd. 3: Die Satzgebilde; Bd. 4: Wortstellung. Periodenbau). Heidelberg 1923-1932. Behnisch: Tracht Behnisch, Franz Joachim: Die Tracht Nürnbergs und seines Umlandes vom 16. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Nürnberg 1964.

XCVIII  Literaturverzeichnis Ben Sira Das Alphabet des Ben Sira. Hebräisch-deutsche Textausgabe mit einer Interpretation. Hrsg.: Dagmar Börner-Klein. Wiesbaden 2007. Benary: Salomon et Marcolfus Salomon et Marcolfus. Kritischer Text mit Einleitung, Anmerkungen, Übersicht über die Sprüche, Namen- und Wörterverzeichnis. Hrsg.: Walter Benary. Heidelberg 1914 (Sammlung mittellateinischer Texte 8). Besch: Sprachlandschaften Besch, Werner: Sprachlandschaften und Sprachausgleich im 15. Jahrhundert. Studien zur Erforschung der spätmittelhochdeutschen Schreibdialekte und zur Entstehung der neuhochdeutschen Schriftsprache. München 1967 (Bibliotheca germanica 11). Besch: Anredeformen Besch, Werner: Anredeformen im Deutschen im geschichtlichen Wandel. In: Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. 3. Teilbd. Hrsg.: Ders., Anne Betten, Oskar Reichmann u.a. 2., vollst. neu bearb. u. erw. Aufl. Berlin, New York 2003, S. 2599-2628. Beth: Art. ‚Fluch‘ Beth, Karl: Art. ‚Fluch'. In: HdA, Bd. 2. 1987, Sp. 1636-1652. Biehl: Narrenfigur Biehl, Theresia: Zur Narrenfigur im ,Salomon und Markolf‘ des Hans Folz. In: Studien zu ausgewählten Fastnachtspielen des Hans Folz. Hrsg.: Martin Przybilski. Wiesbaden 2011, S. 1-36. Bilfinger: Horen Bilfinger, Gustav: Die Mittelalterlichen Horen und die Modernen Stunden. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte. Wiesbaden 1892. Bismark: Rätselbücher Bismark, Heike: Rätselbücher. Entstehung und Entwicklung eines frühneuzeitlichen Buchtyps im deutschsprachigen Raum. Mit einer Bibliographie der Rätselbücher bis 1800. Tübingen 2007. Blosen: Ständebuch Blosen, Hans: Zum ‚Ständebuch‘ des Hans Sachs. Sprachhistorische Begründung einer Neuedition. In: Sprachwissenschaft 18, 1993, S. 188-212. Bobertag: Narrenbuch Narrenbuch: Kalenberger. Peter Leu. Neithart Fuchs. Markolf. Bruder Rauch. Hrsg.: Felix Bobertag. Berlin, Stuttgart 1884 (Deutsche National-Literatur 11). Bolhöfer: Gruß Bolhöfer, Walther: Gruß und Abschied in ahd. und mhd. Zeit. Göttingen 1912. Bolte/Polivka: Anmerkungen Bolte, Johannes/Polivka, Georg: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm. Hildesheim 1963.

Quellen und Literatur  XCIX

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C  Literaturverzeichnis Burke: Helden Burke, Peter: Helden, Schurken und Narren. Europäische Volkskultur in der frühen Neuzeit. Stuttgart 1981. Catholy: Fastnachtspiel Catholy, Eckehard: Fastnachtspiel. Stuttgart 1966 (Sammlung Metzler 56). Catholy: Fastnachtspiel des Spätmittelalters Catholy, Eckehard: Das Fastnachtspiel des Spätmittelalters. Gestalt und Funktion. Tübingen 1961 (Hermaea, NF 8). CDS 4 Die Chroniken der fränkischen Städte. Bd. 4: Nürnberg. Stuttgart 1961 (Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert 10) [Photomechan. Nachdr. Aufl. Leipzig 1872]. CDS 5 Die Chroniken der fränkischen Städte. Bd. 5: Nürnberg. Stuttgart 1961 (Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert 11) [Photomechan. Nachdr. Aufl. Leipzig 1872]. Christ-Kutter: Schweizerspiele Frühe Schweizerspiele. Hrsg.: Friedrike Christ-Kutter. Bern 1963 (Altdeutsche Übungstexte 19). Cicero: Laelius Cicero, Marcus Tullius: Laelius de amicitia. Hrsg.: Wilhelm Trimborn. 16. verb. Aufl. Münster 1973 (Aschendorffs Sammlung Lateinischer und Griechischer Klassiker). Coxon: Spiel Coxon, Sebastian: Weltliches Spiel und Lachen. Überlegungen zur Literarizität, Theatralität und Performativität des Nürnberger Fastnachtspiels im 15. Jahrhundert. In: Fastnachtspiele. Weltliches Schauspiel in literarischen und kulturellen Kontexten. Hrsg.: Klaus Ridder. Tübingen 2009, S. 221-238. Creizenach: Geschichte 1 Creizenach, Wilhelm: Geschichte des neueren Dramas. Bd. 1: Mittelalter und Frührenaissance. 2., verm. u. verb. Aufl. Halle/Saale 1911. Creizenach: Geschichte 3 Creizenach, Wilhelm: Geschichte des neueren Dramas. Bd. 3: Renaissance und Reformation. Zweiter Teil. Halle/Saale 1903. Curschmann: Art. ‚Dialogus‘ Curschmann, Michael: Art. ‚Dialogus Salomonis et Marcolfi‘. In: ²VL, Bd. 2, 1980, Sp. 80-86. Curschmann: Art. ‚Salman und Morolf‘ Curschmann, Michael: Art. ‚Salman und Morolf‘. In: ²VL, Bd. 8, 1992, Sp. 515-523. Curschmann: Art. ‚Volksbuch‘ Curschmann, Michael: Art. ‚Salomon und Markolf‘ (Volksbuch). In: ²VL, Bd. 8, 1992, Sp. 535-542.

Quellen und Literatur  CI

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CII  Literaturverzeichnis Eichler/Walther: Ortsnamenbuch Eichler, Ernst/Walther, Hans: Historisches Ortsnamenbuch von Sachsen. 3 Bde. Berlin 2001 (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte 21). Eitschberger: Musikinstrumente Eitschberger, Astrid: Musikinstrumente in höfischen Romanen des deutschen Mittelalters. Wiesbaden 1999 (Imagines medii aevi 2). Elias: Prozess Elias, Norbert: Über den Prozess der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Bd. 1: Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes. 2. Aufl. Bern 1969. Endres: Handwerk Endres, Rudolf: Das Handwerk in Nürnberg im ausgehenden Mittelalter. In: Ders. (Hrsg.): Nürnberg und Bern. Zwei Reichsstädte und ihre Landgebiete. Erlangen 1990, S. 49-79. Endres: Sozialstruktur Endres, Rudolf: Sozialstruktur Nürnbergs. In: Nürnberg - Geschichte einer europäischen Stadt. Hrsg.: Gerhard Pfeiffer. München 1971, S. 194-199. Erasmus von Rotterdam: Opera Opera omnia Desiderii Erasmi Roterodami. Recognita et adnotatione critica instrvcta notisqve illvstrata. Amsterdam, London, New York u.a. 1993. Espig: Bauerngericht Espig, Horst: Das Bauerngericht von Nürnberg (Geschichte und Organisation). Erlangen 1937. Eser/Schoch: Zockern Eser, Thomas/Schoch, Rainer: Zockern und Zänkern in die Karten geschaut: Zur Ausstellung „Aller Laster Anfang. Altdeutsche Spielkarten 1500-1650“ im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg vom 9.11.1995-25.2.1996. In: Monatsanzeiger/Germanisches Nationalmuseum 178, 1996, S. 3-5. Euling: Priameln Ueber hundert noch ungedruckte Priameln des fünfzehnten Jahrhunderts. Hrsg.: Karl Euling. Paderborn 1887. Fassbender: Münzsammler Fassbender, Dieter: Lexikon für Münzsammler. Über 1800 Begriffe von Aachener Mark bis Zwittermünze. Reinbek 1983. Fertig: Change Fertig, David: Morphological Change Up Close. Two and a Half Centuries of Verbal Inflection in Nuremberg. Tübingen 2000 (Linguistische Arbeiten 422). Filzeck: Bildung Filzeck, Karl: Metaphorische Bildung im älteren deutschen Fastnachtsspiel. Würzburg 1933.

Quellen und Literatur  CIII

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CIV  Literaturverzeichnis Froning: Drama Froning, Richard: Das Drama des Mittelalters. Die lateinischen Osterfeiern und ihre Entwicklung in Deutschland. Die Osterspiele, die Passionsspiele, Weihnachts- und Dreikönigsspiele, Fastnachtsspiele. Darmstadt 1964 (Deutsche National-Litteratur 14) [Unveränd. fotomech. Nachdr. d. Ausg. Stuttgart 1891-1892, drei Teile in einem Band]. Fuchs: Sittengeschichte Fuchs, Eduard: Illustrierte Sittengeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart. 6 Bde. Frankfurt/Main 1985 [Nachdr. d. Ausg. München 1909-1912]. Fuks: Schemuelbuch Das Schemuelbuch des Mosche Esrim Wearba. Ein biblisches Epos aus dem 15. Jahrhundert. Einl. u. textkrit. Apparat von Felix Falk. Hrsg.: Leib Fuks. Assen 1961 (Publications of the Bibliotheca Rosenthaliana 1). Futilitates Germanicae Futilitates Germanicae Medii Aevi Ad Fidem Codicum Manu Script. Nunc Primum Editae. o.O. 1864. Garber: Nürnberg Garber, Klaus: Nürnberg in der Frühen Neuzeit als Paradigma. Versuch einer geschichtlichen Rekonstruktion. In: Ders.: Wege in die Moderne. Historiographische, literarische und philosophische Studien aus dem Umkreis der alteuropäischen Arkadien-Utopie. Hrsg.: Stefan Anders, Axel E. Walter. Berlin 2012, S. 243-267. Gerdes: Art. ‚Gesta Romanorum‘ Gerdes, Udo: Art. ‚Gesta Romanorum‘. In: ²VL, Bd. 3, 1981, Sp. 25-34. Gerhardt: Diätetik Gerhardt, Christoph: Grobianische Diätetik. Zu den sieben größten Freuden in Rede, Lied und Priamel sowie zu dem Fastnachtspiel ‚Das Ungetüm‘. Trier 2007 (Kleine Reihe 3). Gerhardt: Hans Folz Gerhardt, Christoph: Hans Folz, der Berner und der Wunderer. In: Studien zu ausgewählten Fastnachtspielen des Hans Folz. Hrsg.: Martin Przybilski. Wiesbaden 2011, S. 37-97. Gerhardt: Kalvarienberg Gerhardt, Christoph: Der tierreiche Kalvarienberg. Ikonographische Untersuchungen zu den bemalten Kreuzigungsreliefs in Schwerin, Anklam, Ratzeburg und Lübeck. In: Waltende Spur. Festschrift für Ludwig Denecke zum 85. Geburtstag. Hrsg.: Heinz Rölleke. Kassel 1991, S. 34100. Gerhardt: Kröte Gerhardt, Christoph: Kröte und Igel in der schwankhaften Literatur des späten Mittelalters. In: Medizinhistorisches Journal 16, 1981/4, S. 340-357. Gerhardt: spruch Gerhardt, Christoph: ‚Ein spruch von einer geisterin‘ von Rosenplüt, vier Priamel und ‚Ein antwúrt vmb einen ters‘. In: „Texte zum Sprechen bringen“. Philologie und Interpretation. Festschrift für Paul Sappler. Hrsg.: Christiane Ackermann, Ulrich Barton. Tübingen 2009, S. 309-328.

Quellen und Literatur  CV

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CVI  Literaturverzeichnis

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Quellen und Literatur  CVII

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CVIII  Literaturverzeichnis Hartmann: Farbatlas Hartmann, Walter: Farbatlas alter Obstsorten. Unter Mitarb. von Hans-Thomas Bosch. 2., stark verb. Aufl. Stuttgart 2003. Haug: Wiederkehr Haug, Walter: Rainer Warning, Friedrich Ohly und die Wiederkehr des Bösen im geistlichen Schauspiel des Mittelalters. In: Ritual und Inszenierung. Geistliches und weltliches Drama des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Hrsg.: Hans-Joachim Ziegeler. Tübingen 2004, S. 361-374. Haug/Wachinger: Fortuna Fortuna. Hrsg.: Walter Haug, Burghart Wachinger. Tübingen 1995 (Fortuna vitrea 15). Heinen: Gestaltung Heinen, Hubert Plummer: Die rhythmisch-metrische Gestaltung des Knittelverses bei Hans Folz. Ann Arbor, London 1977 [Reprogr. Nachdr. d. Ausg. Austin 1964]. Heinrich von Laufenberg: ,Regimen‘ Das ,Regimen‘ Heinrich Laufenbergs. Textologische Untersuchung und Edition von Heinz H. Menge. Göppingen 1976 (GAG 184). Heinrich von Mügeln: Dichtungen Heinrich von Mügeln: Die kleineren Dichtungen Heinrichs von Mügeln. Zweite Abteilung. Mit Beiträgen von Michael Stolz. Hrsg.: Karl Stackmann. Berlin 2003 (Deutsche Texte des Mittelalters 84). Heinzel: Abhandlungen Heinzel, Richard: Abhandlungen zum altdeutschen Drama. Wien 1896 (Sitzungsberichte der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien CXXXIV). Heinzle: Dietrichepik Heinzle, Joachim: Einführung in die mittelhochdeutsche Dietrichepik. Berlin, New York 1999. Heinzle: Märenbegriff Heinzle, Joachim: Märenbegriff und Novellentheorie. Überlegungen zur Gattungsbestimmung der mittelhochdeutschen Kleinepik. In: ZfdA 107, 1978, S. 121-138. Helbing: Tortur Helbing, Franz: Die Tortur. Geschichte der Folter im Kriminalverfahren aller Zeiten und Völker. Völlig neubearb. und erg. von Max Bauer. Aalen 1973 [Neudr. d. Ausg. Berlin 1926]. Helmsdörfer: Kunstsymbolik Helmsdörfer, Georg: Christliche Kunstsymbolik und Ikonographie. Ein Versuch die Deutung und ein besseres Verständnis der kirchlichen Bildwerke des Mittelalters zu erleichtern. Frankfurt/Main 1839. Hempel: Wunderer Hempel, Heinrich: Untersuchungen zum Wunderer. Halle/Saale 1914.

Quellen und Literatur  CIX

Hengel: Zeloten Hengel, Martin: Die Zeloten. Untersuchungen zur jüdischen Freiheitsbewegung in der Zeit von Herodes I. bis 70 n. Chr. 2., verb. u. erw. Aufl. Leiden, Köln 1976 (Arbeiten zur Geschichte des antiken Judentums und des Urchristentums 1). Henisch: Sprach Henisch, Georg: Teütsche Sprach vnd Weißheit. Thesaurus linguae et sapientiae Germanicae. Hildesheim, New York 1973 (Documenta Linguistica, Quellen zur Geschichte der deutschen Sprache des 15. bis 20. Jahrhunderts, Reihe II: Wörterbücher des 17. und 18. Jahrhunderts) [Nachdr. d. Ausg. Augsburg 1616]. Henß: Studien Henß, Rudolf: Studien zu Hans Folz. Berlin 1934 (Germanische Studien 156). Herchert: Feld Herchert, Gaby: Acker mir mein bestes Feld. Untersuchungen zu erotischen Liederbuchliedern des späten Mittelalters. Mit Wörterbuch und Textsammlung. Münster, New York 1996 (Internationale Hochschulschriften 201). Herrmann: Forschungen Herrmann, Max: Forschungen zur deutschen Theatergeschichte des Mittelalters und der Renaissance. Teil 1. Berlin 1955. Herrmann: Stichreim Herrmann, Max: Stichreim und Dreireim bei Hans Sachs und anderen Dramatikern des 15. und 16. Jahrhunderts. In: Hans-Sachs-Forschungen. Festschrift zur vierhundertsten Geburtsfeier des Dichters. Hrsg.: Arnold Ludwig Stiefel. Nürnberg 1894, S. 407-471. Hess: Schauspiel Hess, Rainer: Das romanische geistliche Schauspiel als profane und religiöse Komödie. München 1965 (Freiburger Schriften zur romanischen Philologie 4). Heyne: Bücher Heyne, Moriz: Fünf Bücher deutscher Hausaltertümer von den ältesten geschichtlichen Zeiten bis zum 16. Jahrhundert. Ein Lehrbuch von Moriz Heyne. Leipzig 1899-1903. Heyne: Handwerk Heyne, Moriz: Das altdeutsche Handwerk. Aus dem Nachlass von Moriz Heyne. Straßburg 1908. Hintner: Beiträge 1 Hintner, Florian: Beiträge zur Kritik der deutschen Neidhartspiele des 14. und 15. Jahrhunderts. Teil 1. In: III. Jahresbericht des städt. Gymnasiums in Wels. 1903-1904, S. 3-39. Hintner: Beiträge 2 Hintner, Florian: Beiträge zur Kritik der deutschen Neidhartspiele des 14. und 15. Jahrhunderts. Teil 2. In: IV. Jahresbericht des städt. Gymnasiums in Wels. 1904-1905, S. 3-48. Hintner: Beiträge 3 Hintner, Florian: Beiträge zur Kritik der deutschen Neidhartspiele des 14. und 15. Jahrhunderts. Teil 3. In: V. Jahresbericht des städt. Gymnasiums in Wels. 1905-1906, S. 3-52.

CX  Literaturverzeichnis

Hintner: Beiträge 4 Hintner, Florian: Beiträge zur Kritik der deutschen Neidhartspiele des 14. und 15. Jahrhunderts. Teil 4. In: VI. Jahresbericht des städt. Gymnasiums in Wels. 1906-1907, S. 3-59. Hinz: Venus Hinz, Bertold: Venus im Norden. In: Venus. Bilder einer Göttin. Hrsg.: Bayerische Staatsgemäldesammlungen. Katalog zur Ausstellung der Alten Pinakothek. München 2001, S. 33-49. Hirschmann: Zeitalter Hirschmann, Gerhard: Zeitalter des Markgrafen Albrecht Achilles. In: Nürnberg. Geschichte einer europäischen Stadt. Hrsg.: Gerhard Pfeiffer München 1971, S. 115-120. Holtorf: Art. ‚Lügenreden‘ Holtorf, Arne: Art. ‚Lügenreden‘. In: ²VL, Bd. 5, 1985, Sp. 1039-1044. Holtorf: Markttag Holtorf, Arne: Markttag - Gerichtstag - Zinstermin. Formen von Realität im frühen Nürnberger Fastnachtspiel. In: Befund und Deutung. Zum Verhältnis von Empirie und Interpretation in Sprach- und Literaturwissenschaft. Hrsg.: Klaus Grubmüller, Ernst Hellgardt, Heinrich Jellissen, Marga Reis, Tübingen 1979, S. 428-450. Honemann: Art. ‚Mirabilia Romae‘ Honemann, Volker: Art. ‚Mirabilia Romae‘. In: ²VL, Bd. 6, 1987, Sp. 602-606. Hübner: Hans Folz Hübner, Gert: Hans Folz als Märenerzähler. Überlegungen zum narrativen Konzept. In: GRM 54, 2004, S. 265-281. Hugo von Trimberg: Renner Hugo von Trimberg: Der Renner. Hrsg.: Gustav Ehrismann. Berlin 1910. Huschenbett: König Salomon Huschenbett, Dietrich: Von dem König Salomon und Markolf und einem Narren. Zu Eckehard Catholy: Das Fastnachtsiel des Spätmittelalters, Gestalt und Funktion. In: ZfdPh 84, 1965, S. 369-408. Jacobus de Voragine: Legenda Jacobus de Voragine: Die Elsässische Legenda Aurea. Bd. 1: Das Normalcorpus. Hrsg.: Ulla Williams, Werner Williams-Krapp. Tübingen 1980 (Würzburger Forschungen, Texte und Textgeschichte Bd. 3). Janota: Art. ‚Hans Folz' Janota, Johannes: Art. ‚Folz, Hans‘. In: ²VL, Bd. 2, 1980, Sp. 769-793. Janota: Art. ‚Kaiser und Abt‘ Janota, Johannes: Art. ‚Kaiser und Abt‘. In: ²VL, Bd. 4, 1983, Sp. 941-943.

Quellen und Literatur  CXI

Janota: Hans Folz Janota, Johannes: Hans Folz in Nürnberg. Ein Autor etabliert sich in einer stadtbürgerlichen Gesellschaft. In: Philologie und Geschichtswissenschaft. Demonstrationen literarischer Texte des Mittelalters. Hrsg.: Heinz Rupp, Eberhard Lammert. Heidelberg 1977, S. 74-91. Janota: Orientierung Janota, Johannes: Orientierung durch volkssprachliche Schriftlichkeit (1280/90-1380/90). Tübingen 2004 (Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit. Hrsg.: Joachim Heinzle. Bd. III: Vom späten Mittelalter bis zum Beginn der Neuzeit, Teil 1). Janota: Performanz Janota, Johannes: Performanz und Rezeption. Plädoyer für ihre Berücksichtigung im Kommentar zur Edition spätmittelalterlicher Spiele. Die Nürnberger Fastnachtspiele als Beispiel. In: Fastnachtspiele. Weltliches Schauspiel in literarischen und kulturellen Kontexten. Hrsg.: Klaus Ridder. Tübingen 2009, S. 381-400. Jones: middle ages Jones, Malcolm: The secret middle ages. Stroud 2004. Jöst: Historien Die Historien des Neithart Fuchs nach dem Frankfurter Druck von 1566. Hrsg.: Erhard Jöst. Göppingen 1980. Jungmann: Missarum Sollemnia Jungmann, Josef Andreas: Missarum Sollemnia. Eine genetische Erklärung der römischen Messe. Bd. 2: Opfermesse. Wien 1948. Kailuweit: Sprechen Kailuweit, Rolf: Vom eigenen Sprechen? Eine Geschichte der spanisch-katalanischen Diglossie in Katalonien (1759-1859). Frankfurt/Main, Berlin, Bern u.a. 1997 (Vario Lingua. Nonstandard Standard - Substandard 4). Kapitzke: Pferdesport Kapitzke, Gerhard: Pferdesport von A-Z. München 1977. Karnein: Salman und Morolf Salman und Morolf. Hrsg.: Alfred Karnein. Tübingen 1979 (ATB 85). Kasper: Rittern Kasper, Christine: Von miesen Rittern und sündhaften Frauen und solchen, die besser waren. Tugend- und Keuschheitsproben in der mittelalterlichen Literatur vornehmlich des deutschen Sprachraums. Göppingen 1995. Kellenbenz: Gewerbe Kellenbenz, Hermann: Gewerbe und Handel am Ausgang des Mittelalters. In: Nürnberg - Geschichte einer europäischen Stadt. Hrsg.: Gerhard Pfeiffer. München 1971, S. 176-186. Kellenbenz: Wirtschaftsleben Kellenbenz, Hermann: Wirtschaftsleben im Zeitalter der Reformation. In: Nürnberg – Geschichte einer europäischen Stadt. Hrsg.: Gerhard Pfeiffer. München 1971, S. 186-193.

CXII  Literaturverzeichnis

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Quellen und Literatur  CXIII

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CXIV  Literaturverzeichnis

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Quellen und Literatur  CXV

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CXVI  Literaturverzeichnis Lier: Studien Lier, Leonhard: Studien zur Geschichte des Nürnberger Fastnachtspiels. In: MVGN 8, 1889, S. 87160. Linke: Aspekte Linke, Hansjürgen: Aspekte der Wirklichkeits-Wahrnehmung im weltlichen deutschen Schauspiel des Mittelalters. In: Fastnachtspiele. Weltliches Schauspiel in literarischen und kulturellen Kontexten. Hrsg.: Klaus Ridder. Tübingen 2009, S. 11-61. Linke: Opposition Linke, Hansjürgen: Unstimmige Opposition. ,Geistlich‘ und ,weltlich‘ als Ordnungskategorien der mittelalterlichen Dramatik. In: Leuwense Bijdragen 90, 2001, S. 75-126. Linke: Sozialisation Linke, Hansjürgen: Sozialisation und Vergesellschaftung im mittelalterlichen Drama und Theater. In: Das Theater des Mittelalters und der frühen Neuzeit als Ort und Medium sozialer und symbolischer Kommunikation. Hrsg.: Christel Meier, Heinz Meyer, Claudie Spanily. Münster 2004 (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertsysteme, Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 496, Bd. 4), S. 63-93. Lomnitzer: Verhältnis Lomnitzer, Helmut: Das Verhältnis des Fastnachtspiels vom ‚Kaiser Constantinus‘ zum Reimpaarspruch ‚Christ und Jude‘ von Hans Folz. In: ZfdA 92, 1963, S. 277-291. Lotter: Judenbild Lotter, Friedrich: Das Judenbild im volkstümlichen Erzählgut dominikanischer Exempelliteratur um 1300: Die ‚Historia memorabiles‘ des Rudolf von Schlettstadt. In: Herrschaft, Kirche, Kultur. Beiträge zur Geschichte des Mittelalters. Festschrift für Friedrich Prinz zu seinem 65. Geburtstag. Hrsg.: Georg Jenal. Stuttgart 1993. Maak: dörper Maak, Hans-Georg: Mhd. dörper - Nhd. Tölpel. Zur Frage des Fortlebens der höfisch-ritterlichen Lehnbildung im Neuhochdeutschen. In: ZfdA 105, 1976, S. 318-333. Maccoby: Judaism Maccoby, Hyam: Judaism on trial. Jewish-Christian disputations in the middle ages. Rutherford, Madison, Teaneck 1982. Malke: Narren Malke, Lutz S.: Narren. Porträts, Feste, Sinnbilder, Schwankbücher und Spielkarten aus dem 15. bis 17. Jahrhundert. Leipzig 2001. Margetts: Neidhartspiele Neidhartspiele. Hrsg.: John Margetts. Graz 1982 (Wiener Neudrucke 7). Marrow: canes Marrow, James: Circumdederunt me canes multi. Christ's tormentors in Northern European art of the late Middle Ages. In: ArtB 49, 1977, S. 167-181.

Quellen und Literatur  CXVII

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CXVIII  Literaturverzeichnis Mezger: Narrenidee Mezger, Werner: Narrenidee und Fastnachtsbrauch. Studien zum Fortleben des Mittelalters in der europäischen Festkultur. Konstanz 1991 (Konstanzer Bibliothek 15). Michael: Drama Michael, Wolfgang F.: Das Drama des Mittelalters: Ein Forschungsbericht. In: DVjs 62, 1988/1, S. 145-195. Michael: Frühformen Michael, Wolfgang F.: Frühformen der Deutschen Bühne. Berlin 1963 (Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte 62). Michelfelder: Tätigkeit Michelfelder, Gottfried: Die wirtschaftliche Tätigkeit der Juden Nürnbergs im Spätmittelalter. In: Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte Nürnbergs. Bd. 1. Nürnberg 1967 (Beiträge zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg 11, 1), S. 236-260. Michels: Studien Michels, Victor: Studien über die ältesten deutschen Fastnachtsspiele. Straßburg 1896 (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker 77). Moser: Fastnacht Moser, Dietz-Rüdiger: Fastnacht-Fasching-Karneval. Das Fest der „Verkehrten Welt“. Graz, Wien, Köln 1986. Moser: Fastnachtsbrauch Moser, Dietz-Rüdiger: Fastnachtsbrauch und Fastnachtsspiel im Kontext liturgischer Vorgaben. In: Fastnachtspiele. Weltliches Schauspiel in literarischen und kulturellen Kontexten. Hrsg.: Klaus Ridder. Tübingen 2009, S. 151-165. Moser: Grammatik Moser, Virgil: Frühneuhochdeutsche Grammatik. Bd. I: Lautlehre. 1. Hälfte: Orthographie, Betonung, Stammsilbenvokale. Heidelberg 1929. Moser: Nürnbergische Moser, Virgil: Das Nürnbergische. In: PBB 56, 1932, S. 378-382. Moser/Stopp/Besch: GrdFrnhd Grammatik des Frühneuhochdeutschen. Beiträge zur Laut- und Formenlehre. Bd. 1-6. Hrsg.: Hugo Moser, Hugo Stopp. Bd. 7 zusätzlich von Werner Besch. Heidelberg 1970-1988. MSH III Minnesinger. Aus den Jenaer, Heidelberger und Weingarter Sammlungen und den übrigen Handschriften und früheren Drucken ergänzt und hergestellt von Friedrich Heinrich von der Hagen. Aalen 1963 (Deutsche Liederdichter des zwölften, dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts 3) [Neudr. d. Ausg. 1838]. Müllenhoff/Scherer: Denkmäler Denkmäler deutscher Poesie und Prosa aus dem VIII-XII Jahrhundert. Hrsg.: Karl Müllenhoff, Wilhelm Scherer. 2 Bde. Berlin, Zürich 1964 [Unveränd. fotomech. Nachdr. d. Ausg. Berlin 1892].

Quellen und Literatur  CXIX

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CXX  Literaturverzeichnis Nelson: Wheels Nelson, Alan H.: Mechanical Wheels of fortune 1100-1547. In: JWarburg 43, 1980, S. 227-233. Nielen: Prozessionsfeste Nielen, Holger: Prozessionsfeste und dramatische Spiele im interreligiösen Vergleich. Eine religionsphänomenologische Studie zu Fastnacht, Fronleichnam, Asura und Purim. Berlin 2005. Niesner: juden Niesner, Manuela: Wer mit juden well disputieren. Deutschsprachige Adversus-Judaeos-Literatur des 14. Jahrhunderts. Tübingen 2005 (MTU 128). Nöcker/Schuler: Überlieferung Nöcker, Rebekka/Schuler, Martina: Überlieferung, Edition, Interpretation. Zur Neuausgabe Nürnberger Fastnachtspiele des 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts. In: Fastnachtspiele. Weltliches Schauspiel in literarischen und kulturellen Kontexten. Hrsg.: Klaus Ridder. Tübingen 2009, S. 363-375. Noonan: Empfängnisverhütung Noonan, John Thomas Jr.: Empfängnisverhütung. Geschichte ihrer Beurteilung in der katholischen Theologie und im kanonischen Recht. Mainz 1969 (Walberger Studien der Albertus-MagnusAkademie, Theologische Reihe, Bd. 6). Nopitsch: Wegweiser Nopitsch, Christian Conrad: Wegweiser für Fremde in Nürnberg, oder topographische Beschreibung der Reichsstadt Nürnberg nach ihren Plätzen, Märkten, Gassen, Gäßchen, Höfen, geistund weltlichen öffentlichen Gebäuden. In alphabethische Ordnung gebracht. Hrsg.: Christian Conrad Nopitsch. Neustadt 1992 [Unveränd. Nachdr. d. Ausg. Nürnberg 1801 mit einem Nachwort von Peter Fleischmann]. Nübling: Sprachwissenschaft Nübling, Damaris: Historische Sprachwissenschaft des Deutschen. Eine Einführung in die Prinzipien des Sprachwandels. In Zusammenarbeit mit Antje Dammel, Janet Duke und Renata Szczepaniak. 3. Aufl. Tübingen 2010. Origenes: Kommentar Origenes: Der Kommentar zum Evangelium nach Matthäus. Eingeleitet, übers. u. mit Anm. vers. von Hermann J. Vogt. 3 Bde. Stuttgart 1983-1993 (Bibliothek der griechischen Literatur: Abteilung Patristik, Bde. 18; 30; 38). Ortmann/Ragotzky: zeit Ortmann, Christa/Ragotzky, Hedda: Itlicher zeit tut man ir recht. Zu Recht und Funktion der Fastnacht aus der Sicht Nürnberger Spiele des 15. Jahrhunderts. In: Ritual und Inszenierung. Geistliches und weltliches Drama des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Hrsg.: HansJoachim Ziegeler. Tübingen 2004, S. 207-218. Patschovsky: Talmudjude Patschovsky, Alexander: Der „Talmudjude“. Vom mittelalterlichen Ursprung eines neuzeitlichen Themas. In: Juden in der christlichen Umwelt während des späten Mittelalters. Hrsg.: Alfred Haverkamp, Franz-Josef Ziwes. Berlin 1992, S. 13-27.

Quellen und Literatur  CXXI

Paul: Grammatik Paul, Hermann: Deutsche Grammatik. Bd. 3. Teil 4: Syntax (Erste Hälfte). Tübingen 1968. Paul: MhdGr Mittelhochdeutsche Grammatik. Hrsg.: Hermann Paul. 24. Aufl. überarb. von Peter Wiehl u. Siegfried Grosse. Tübingen 1998 (Sammlung kurzer Grammatiken germanischer Dialekte A, Hauptreihe, 2). Paul: MhdGr 25 Mittelhochdeutsche Grammatik. Hrsg.: Hermann Paul 25. Auflage, neu bearb. von Thomas Klein, Hans-Joachim Solms u. Klaus-Peter Wegera. Mit einer Syntax von Ingeborg Schöbler [sic], neubearb. u. erw. von Heinz-Peter Prell. Tübingen 2007. Pfanner: Humanismus Pfanner, Josef: Humanismus. In: Nürnberg - Geschichte einer europäischen Stadt. Hrsg.: Gerhard Pfeiffer. München 1971, S. 127-133. Pfanner: Schreibsprache Pfanner, Josef: Die deutsche Schreibsprache in Nürnberg von ihrem ersten Auftreten bis zum Ausgang des 14. Jahrhunderts. In: MVGN 45, 1954, S. 148-207. Pfrunder: Pfaffen Pfrunder, Peter: Pfaffen, Ketzer, Totenfresser. Fastnachtskultur der Reformationszeit - Die Berner Spiele von Niklaus Manuel. Zürich 1989. Pross: Art. ‚Tempelkult‘ Pross, Harry: Art. ‚Tempelkult‘. In: Neues Lexikon des Judentums. Hrsg.: Julius H. Schoeps. Gütersloh, München 1992, S. 449. Przybilski: Bändigung Przybilski, Martin: Bändigung der Subversion? Die Gattung Fastnachtspiel, Hans Sachs und die Brüder Beham. In: Von der Freiheit der Bilder. Spott, Kritik und Subversion in der Kunst der Dürer-Zeit. Hrsg.: Thomas Schauerte, Jürgen Müller, Bertram Kaschek. Petersberg 2013, S.218-231. Przybilski: Böse Przybilski, Martin: Das menschgewordene Böse zwischen Grauen und Lächerlichkeit. Der Antichrist in der deutschen Literatur des späteren Mittelalters. In: WW 56, 2006, S. 181-198. Przybilski: Hebräischkenntnissen Przybilski, Martin: Zu den Hebräischkenntnissen des Nürnberger Fastnachtspieldichters Hans Folz. In: Archiv 233, 1996, S. 323-326. Przybilski: Kulturtransfer Przybilski, Martin: Kulturtransfer zwischen Juden und Christen in der deutschen Literatur des Mittelalters. Berlin, New York 2010 (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 61).

CXXII  Literaturverzeichnis Quast: Zwischenwelten Quast, Bruno: Zwischenwelten. Poetologische Überlegungen zu den Nürnberger Fastnachtspielen des 15. Jahrhunderts. In: Fremdes wahrnehmen - fremdes Wahrnehmen. Studien zur Geschichte der Wahrnehmung und zur Begegnung von Kulturen im Mittelalter und früher Neuzeit. Hrsg.: Wolfgang Harms, C. Stephen Jaeger in Verbindung mit Alexandra Stein. Stuttgart, Leipzig 1997, S. 205-219. Rabbinowitsch: Probleme Rabbinowitsch, Jacob Faiwusch: Probleme der Neidhartforschung. Bussum 1928. Raddatz: Entstehung Raddatz, Alfred: Die Entstehung des Motivs „Ecclesia und Synagoge“. Hintergründe und Deutung. Berlin 1959. Ragotzky: Bauer Ragotzky, Hedda: Der Bauer in der Narrenrolle. Zur Funktion „verkehrter Welt“ im frühen Nürnberger Fastnachtspiel. In: Typus und Individualität im Mittelalter. Hrsg.: Horst Wenzel. München 1983, S.77-101. Ragotzky: Fastnacht Ragotzky, Hedda: Fastnacht und Endzeit. Zur Funktion der Antichrist-Figur im Nürnberger Fastnachtspiel des 15. Jahrhunderts. In: ZfdPh 121, 2002, S. 54-71. Ragotzky: pulschaft Ragotzky, Hedda: „pulschaft und nachthunger“. Zur Funktion von Liebe und Ehe im frühen Nürnberger Fastnachtspiel. In: Ordnung und Lust. Bilder von Liebe, Ehe und Sexualität in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Hrsg.: Hans-Jürgen Bachorski. Trier 1991, S. 427-446. Rautenberg: Werk Rautenberg, Ursula: Das Werk als Ware. Der Nürnberger Kleindrucker Hans Folz. In: IASL 24, 1999, S. 1-40. Reichel: Spruchdichter Reichel, Jörn: Der Spruchdichter Hans Rosenplüt. Literatur und Leben im spätmittelalterlichen Nürnberg. Stuttgart 1985. Reichmann/Wegera: FrnhdGr Frühneuhochdeutsche Grammatik. Hrsg.: Oskar Reichmann, Klaus-Peter Wegera. Tübingen 1993 (Sammlung kurzer Grammatiken germanischer Dialekte A, Hauptreihe, 12). Reicke: Geschichte Reicke, Emil: Geschichte der Reichsstadt Nürnberg von dem ersten urkundlichen Nachweis ihres Bestehens bis zu ihrem Übergang an das Königreich Bayern (1806). Neustadt/Aisch 1983 [Nachdr. d. Ausg. Nürnberg 1896]. Relleke: Instrument Relleke, Walburga: Ein Instrument spielen. Heidelberg 1980. Richter: Schlaraffenland Richter, Dieter: Schlaraffenland. Geschichte einer populären Phantasie. Frankfurt/Main 1989.

Quellen und Literatur  CXXIII

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CXXIV  Literaturverzeichnis Saalfeld: Landwirtschaft Saalfeld, Diedrich: Die Landwirtschaft Niedersachsens. Ihre sozialen und wirtschaftlichen Wandlungen seit 1945 und ihre Entwicklungstendenzen. Hannover 1965. Sachs: Fastnachtspiele Sachs, Hans Günter: Die deutschen Fastnachtspiele von den Anfängen bis zu Jakob Ayrer. Tübingen 1957. Salmen: Ikonographie Salmen, Walter: Ikonographie des Reigens im Mittelalter. In: Acta musicologica 52, 1980, S. 14-26. Salmen: Tanz Salmen, Walter: Tanz und Tanzen von Mittelalter bis zur Renaissance. Hildesheim 1999 (Terpsichore. Tanzhistorische Studien, Bd. 3). Salzer: Sinnbilder Salzer, Anselm: Die Sinnbilder und Beiworte Mariens in der deutschen Literatur des Mittelalters. Mit Berücksichtigung der patristischen Literatur. Eine literar-historische Studie. Darmstadt 1967. Schäfer: Studien Schäfer, Peter: Studien zur Geschichte und Theologie des rabbinischen Judentums. Leiden 1978. Schanze: Liedkunst Schanze, Frieder: Meisterliche Liedkunst zwischen Heinrich von Mügeln und Hans Sachs. Bd. 1. München, Zürich 1982 (MTU 82) Schanze: Kartenspiel Schanze, Frieder: Kartenspiel der Mächte. Zu einem unbekannten politischen Spiel von 1513 aus der Schweiz. In: Festschrift Walter Haug und Burghart Wachinger. 2 Bde. Hrsg.: Johannes Janota, Paul Sappler, Frieder Schanze u.a. Tübingen 1992, S. 849-872. Schieber: Geschichte Schieber, Martin: Geschichte Nürnbergs. München 2000. Schiel: würm Schiel, Regine: Die giftigen würm das seit ir. Antijudaismus in Fastnachtspielen des Nürnberger Meistersängers Hans Folz (Ende 15. Jahrhundert). In: Judentum und Antijudaismus in der deutschen Literatur im Mittelalter und an der Wende zur Neuzeit. Ein Studienbuch. Hrsg.: Arne Domrös, Thomas Bartoldus, Julian Voloj. Berlin 2002, S. 147-177. Schindler: Leute Schindler, Norbert: Widerspenstige Leute. Studien zur Volkskultur in der frühen Neuzeit. Frankfurt/Main 1992. Schipperges: Garten Schipperges, Heinrich: Der Garten der Gesundheit. Medizin im Mittelalter. München, Zürich 1985.

Quellen und Literatur  CXXV

Schlumpf: puren Schlumpf, Viktor: Die frumen edlen puren. Untersuchungen zum Stilzusammenhang zwischen den historischen Volksliedern der alten Eidgenossenschaft und der deutschen Heldenepik. Zürich 1969. Schmid-Cadalbert: ,Ortnit AW‘ Schmid-Cadalbert, Christian: Der ,Ortnit AW‘ als Brautwerbungsdichtung. Ein Beitrag zum Verständnis mittelhochdeutscher Schemaliteratur. Bern 1985. Schönleber: juden Schönleber, Matthias: der juden schant wart offenbar. Antijüdische Motive in Schwänken und Fastnachtspielen von Hans Folz. In: Juden in der deutschen Literatur des Mittelalters. Religiöse Konzepte - Feindbilder - Rechtfertigungen. Hrsg.: Ursula Schulze. Tübingen 2002, S. 163182. Schramm: Bilderschmuck Schramm, Albert: Der Bilderschmuck der Frühdrucke. Bd. 18: Die Drucker in Nürnberg (außer Kolberger). Leipzig 1935. Schreckenberg: Juden Schreckenberg, Heinz: Die Juden in der Kunst Europas. Ein historischer Bildatlas. Göppingen 1996. Schreckenberg: Texte I Schreckenberg, Heinz: Die christlichen Adversus-Judaeos-Texte und ihr literarisches und historisches Umfeld (1.-11. Jh.). 3. Aufl. Frankfurt/Main, Berlin, Bern u.a. 1995 (Europäische Hochschulschriften, Reihe 23: Theologie 172). Schreckenberg: Texte II Schreckenberg, Heinz: Die christlichen Adversus-Judaeos-Texte und ihr literarisches und historisches Umfeld (11.-13. Jh.). Mit einer Ikonographie des Judentums bis zum 4. Laterankonzil. 2. Aufl. Frankfurt/Main, Berlin, Bern u.a. 1991 (Europäische Hochschulschriften, Reihe 23: Theologie 335). Schreckenberg: Texte III Schreckenberg, Heinz: Die christlichen Adversus-Judaeos-Texte und ihr literarisches und historisches Umfeld (13.-20. Jh.). Frankfurt/Main, Berlin, Bern u.a. 1994 (Europäische Hochschulschriften, Reihe 23: Theologie 497). Schröter: Ehe Schröter, Michael: Wo zwei zusammenkommen in rechter Ehe. Sozio- und psychogenetische Studien über Eheschließungsvorgänge vom 12. bis 15. Jahrhundert. Frankfurt/Main 1985. Schultz: Leben Schultz, Alwin: Das höfische Leben zur Zeit der Minnesinger. Bd. 1. Osnabrück 1965. Schulz: Bürgerhäuser Schulz, Fritz Traugott: Nürnbergs Bürgerhäuser und ihre Ausstattung. Bd. 1: Das Milchmarktviertel. Leipzig 1933.

CXXVI  Literaturverzeichnis Schupp: Rätselbuch Deutsches Rätselbuch. Hrsg.: Volker Schupp. Stuttgart 1972. Schuppener: Zahlwörter Schuppener, Georg: Germanische Zahlwörter. Leipzig 1996. Schuster: Frauenhaus Schuster, Peter: Das Frauenhaus. Städtische Bordelle in Deutschland (1350-1600). Paderborn, München, Wien u.a. 1992. Schuster: Frieden Schuster, Peter: Der gelobte Frieden. Täter, Opfer und Herrschaft im spätmittelalterlichen Konstanz. Konstanz 1995. Schwarz: Bedeutung Schwarz, Ingeborg: Die Bedeutung der Sippe für die Öffentlichkeit der Eheschließung im 15. und 16. Jahrhundert (besonders nach norddeutschen Quellen). Tübingen 1959 (Schriften zur Kirchen- und Rechtsgeschichte, Darstellungen und Quellen 13). Schweikle: Neidhart Schweikle, Günther: Neidhart. Stuttgart 1990 (Sammlung Metzler 253). Schwemmer: Bürgerhäuser Schwemmer, Wilhelm: Die Bürgerhäuser der Nürnberger Altstadt aus Reichsstädtischer Zeit. Erhaltener Bestand der Sebalder Seite. Nürnberger 1961 (Nürnberger Forschungen, Einzelarbeiten zur Nürnberger Geschichte 6). Shachar: Judensau Shachar, Isaiah: The Judensau. A medieval anti-Jewish motif and its history. London 1974. Siefken: Kudrunepos Siefken, Hinrich: Überindividuelle Formen und der Aufbau des Kudrunepos. München 1967 (Medium Aevum, Philologische Studien 11). Siller: Anmerkungen Siller, Max: Anmerkungen zu den Neidhartspielen. In: ZfdPh 104, 1984, S. 380-403. Siller: Aspekte Siller, Max: Ausgewählte Aspekte des Fastnachtspiels im Hinblick auf die Aufführung des Sterzinger Spiels ,der scheissennd‘. In: Fastnachtspiel - Commedia dell'arte. Gemeinsamkeiten - Gegensätze. Akten des 1. Symposiums der Sterzinger Osterspiele (31.3.-3.4.1991). Hrsg.: Max Siller. Innsbruck 1992 (Schlern-Schriften 290), S. 147-159. Simon: Anfänge Simon, Eckehard: Die Anfänge des weltlichen deutschen Schauspiels 1370-1530. Untersuchung und Dokumentation. Tübingen 2003 (MTU 124). Simon: Art. ‚Neidhartspiele‘ Simon, Eckehard: Art. ‚Neidhardspiele‘. In: ²VL, Bd. 6, 1987, Sp. 893-898.

Quellen und Literatur  CXXVII

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CXXVIII  Literaturverzeichnis Stiefel: Fastnachtspiel Stiefel, Arnold Ludwig: Ein Fastnachtspiel des Hans Folz und seine Quelle. In: Archiv 90, 1893, S. 1-12. Stolz: Handwerke Stolz, Susanna: Die Handwerke des Körpers. Bader, Barbier, Perückenmacher, Friseur. Folge und Ausdruck historischen Körperverständnisses. Marburg 1992. Störmer-Caysa: Name Störmer-Caysa, Uta: Der Name des Unholds. Überlegungen zum Wunderer mit einem spekulativen Ausblick auf Laurin und Rosengarten. In: Retextualisierung in der mittelalterlichen Literatur. Hrsg.: Joachim Bumke. Berlin 2005, S. 182-204. Straßner: Schwank Straßner, Erich: Schwank. 2., überarb. Aufl. Stuttgart 1978. Strauss: Nuremberg Strauss, Gerald: Nuremberg in the Sixteenth Century. City Politics and Life between Middle Ages and Modern Times. Bloomington 1976. Stumpfl: Kultspiele Stumpfl, Robert: Kultspiele der Germanen als Ursprung des mittelalterlichen Dramas. Berlin 1936. Sumberg: Schembart Carnival Sumberg, Samuel L.: The Nuremberg Schembart Carnival. New York 1966 (Columbia University Germanic Studies 12). Tauber: Würfelspiel Tauber, Walter: Das Würfelspiel im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Eine kultur- und sprachgeschichtliche Darstellung. Frankfurt/Main, Bern, New York 1987 (Europäische Hochschulschriften, Reihe 1: Deutsche Sprache und Literatur 959). Thomas: Adjektivderivation Thomas, Barbara: Adjektivderivation im Nürnberger Frühneuhochdeutsch um 1500. Eine historisch-synchrone Analyse anhand von Texten Albrecht Dürers, Veit Dietrichs und Heinrich Deichslers. Berlin, New York 2002 (Wortbildung des Nürnberger Frühneuhochdeutsch 3). Thomke: Spiele Deutsche Spiele und Dramen des 15. und 16. Jahrhunderts. Hrsg.: Hellmut Thomke. Frankfurt/Main 1996 (Bibliothek deutscher Klassiker 136). Toch: Geldhandel Toch, Michael: Der jüdische Geldhandel in der Wirtschaft des Deutschen Spätmittelalters: Nürnberg 1350-1499. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 117, 1981, S. 283-310. Toch: nutz Toch, Michael: „umb gemeyns nutz und notturfft willen“. Obrigkeitliches und jurisdiktionelles Denken bei der Austreibung der Nürnberger Juden 1498/99. In: Zeitschrift für historische Forschung 11, 1984, S. 1-21.

Quellen und Literatur  CXXIX

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CXXXII  Literaturverzeichnis Wolf: Inszenierung Wolf, Gerhard: Komische Inszenierung und Diskursvielfalt im geistlichen und im weltlichen Spiel. Das ‚Erlauer Osterspiel‘ und die Nürnberger Arztspiele K 82 und K 6. In: Fastnachtspiele. Weltliches Schauspiel in literarischen und kulturellen Kontexten. Hrsg.: Klaus Ridder. Tübingen 2009, S. 301-326. Wolf: Verfremdung Wolf, Klaus: Verfremdung oder Identifikation? Zur Problematik einer Rekonstruktion des Kostüms im geistlichen Spiel des Spätmittelalters. In: Forschungen zur deutschen Literatur des Spätmittelalters. Festschrift für Johannes Janota. Hrsg.: Horst Brunner, Werner Williams-Krapp. Tübingen 2003, S. 255-264. Wunder: Sonn' Wunder, Heide: Er ist die Sonn', sie ist der Mond. Frauen in der frühen Neuzeit. München 1992. Wuttke: Fastnachtspiele Fastnachtspiele des 15. und 16. Jahrhunderts. Hrsg.: Dieter Wuttke. 6. Aufl. Stuttgart 1998. Wuttke: Druckfassung Wuttke, Dieter: Die Druckfassung des Fastnachtspieles ,Von König Salomon und Markolf‘. In: ZfdA 94, 1965, S. 141-170. Zeyen: liebe Zeyen, Stefan: ...daz tet der liebe dorn. Erotische Metaphorik in der deutschsprachigen Lyrik des 12.-14. Jahrhunderts. Essen 1996. Ziegeler: Erzählen Ziegeler, Hans-Joachim: Erzählen im Spätmittelalter. Mären im Kontext von Minnereden, Bispeln und Romanen. München, Zürich 1985 (MTU 87). Ziemlich: ,Machsor‘ Ziemlich, Bernhard: Das ,Machsor Nürnberg‘. Ein Beitrag zur Erforschung des Ritus und der Commentarliteratur des deutschen Machsor. Berlin 1886. Zingerle: Fastnachts-Spiele Fünfzehn Fastnachts-Spiele aus den Jahren 1510 und 1511 nach Aufzeichnungen des Vigil Raber. Hrsg.: Oswald Zingerle. Wien 1886 (Sterzinger Spiele Bd. 1, Wiener Neudrucke 9). Zink: Wunderer Le Wunderer. Fac-Simile de l’Edition de 1503 avec introduction, notes et bibliographie par Georges Zink. Paris 1949 (Bibliothèque de philologie germanique 14). Zobenica: Fastnachtspiele Zobenica, Nikolina: Fastnachtspiele als Medien des kollektiven Gedächtnisses. In: Neoph 98, 2014, S. 287-301.

Quellen und Literatur  CXXXIII

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81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga

KF Nr. 1

Ein vasnacht spil die alt vnd new ee die sinagog von vberwindung der juden jnn jr talmut etc. Gb 1r KF 1

Der erst pawr:

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20

Weycht ab, tret vmbe vnd raumet auff, Ee man euch blupffling vberlauff. Vnd alles, das durch einander rutt Vnd nicht darzu de[i]n wein auß schut. Hebt von den pencken polßter vnd kussen, Das jr geschant werd mit den fussen. Tragt kind vnd wiegen als vom weg, Das nit jr ains ein plossen leg. Ruck stuͤ l vnd penk als auff ein ort Vnd, das dest pas werd zugehort, So stet darauff vnd spitzt die oren Vnd seyt still hinden, neben vnd foren. Dann wer sein mawl alltzu vil wer peren, Must man den wegk zu der tur auß leren. Das reg sich keins von seiner stat, Dann wo man nit recht ordnung hat, Do wirt kunst vnd vernufft gespart, Des braucht weißheit vnd rechte art.

1 alt vnd new ee: ‚Altes und Neues Testament‘ (vgl. Z. 21, 51, 125, 204) 4 blupffling vberlauffen ‚jählings umrennen‘ 5 rutten (zu mhd. rütten): ‚in Erschütterung bringen‘, hier: ‚springen‘ 8 schanen: ‚schonen‘; zur Schreibung mit a anstelle von o vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 11, seinerzeit üblicherweise mit Gen. 9 als ‚alles, ganz und gar‘ 10 ein plossen legen: Die Bedeutung der Phrase ‚bloß stellen, lächerlich machen‘ scheint hier kaum gemeint. Durch Streichung von ein ergäbe sich der näher liegende Sinn ‚bloß, nackt, ungeschützt herumliegen‘. 12 dest pas ‚umso besser‘ 15 peren ‚kneten, werken, betätigen‘ 16 auß leren ‚hinaus weisen‘ 19 kunst ‚Verständnis, Wissen‘ 19 sparen ‚hemmen‘

1 im Register G: Ein vasnachtspil von vberwindung der juden die alt vnd die new ee vnd die sinagog vnd der juden talmuͦ t am ersten plat 1 talmuͦ t] talnuͦ t: Konjektur bei Keller (S. 1) 6 den] dein: Konjektur bei Keller (S. 1) 8 jr: Keller (S. 1) erwägt Konjektur zu jr nit; dieser Eingriff geht von der Zuweisung des Verbs zum Lemma schänden aus, s.u. https://doi.org/10.1515/9783110452006-002

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Des leßt die alt vnd die new ee, Euch kunden gar mit grosser fle. Ein ander redner:

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45

Jr herren, noch eins ist hie zu kunden: Ob etlich bey dem schimpff hie stunden, Die her weren kumen vngebeten Vnd vns zu nahend würden treten? Dieselben wurd ich dannen weysen, Das sie der kurtzweil nit vast breÿsen. Darumb ge keiner zu nahet bej, Der nit zum spil gewidemt sej. Vnd hab niemant kein geschwatz da hindten, Vor auß, wo zwey einander finden, Die etlich zeit weren vmb geschloffen, Piß sie einander haben troffen. Vnd das man auch die hund auß jag, Das kainer an keim pein nit nag Oder mit pellen so vngestum sej, Das keiner seins worts nit hor dabej. Wann fremd vnd kund gesamelt sein, So sperrt zu vnd laßt niemant herein. Ob yemantz pulschalffthalb herein kem, Der hab dabej ein kleine schem Vnd nem jm nit zu gach der sach, Das er kein sunder auffrur mach. Seit still, was ewr sej jm hauffen, Ee wir an ends daruon selbs lauffen.

G 1v

KF 2

G 2r

25 schimpff ‚Scherz, vergnügliche Darbietung‘ 29 breÿsen ‚preisen, loben‘; hier: ‚genießen‘ 31 gewidemt sein zu: ‚zu etw. zugelassen, zugehörig sein‘; vgl. DWb 29, Sp. 1422 mit Verweis auf diese Stelle. 32 Mehrere Negationswörter heben einander nicht zwangsläufig auf (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 232). 32 kein ‚irgendein‘ 33 Vor auß ‚Besonders, Vor allem‘ 34 geschloffen (zu mhd. sliefen): ‚schleichen, umherstreifen‘ 40 fremd vnd kund formelhaft ‚Fremde und Freunde‘ 44 jm: ‚sich‘; im Obd. erscheint sich als Reflexivpronomen im Dat. erst seit dem 16. Jahrhundert (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 64). 44 gach (zu mhd. gâch bzw. gæhe): ‚heftig, übereilt, ungestüm‘; vgl. Z. 401 47 an ends ‚unverrichteter Dinge‘

23 Im gesamten Handschriftentext sind sowohl Redeeinleitung bzw. handelnde Person als auch die ersten zwei bis drei Wörter der jeweils folgenden Redepassage unterstrichen. Der jeweils erste Vers der einzelnen Redepassagen ist häufig durch ein Paragraphenzeichen am linken Rand markiert. 47 an ends: Keller (S. 1478) erwägt Konjektur zu am end; der Eingriff erscheint nicht notwendig, s.u.

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Der hofmeister:

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55

60

65

Nu hort, jr fremden vnd jr kunden, Es han hie an einander funden, Das alt gesetz vnd auch das new Vnd han gelobt bej jrer trew, Was do jr ydes werde fragen, Das als ein ander zu zu sagen. Jedoch wirt in der clag erstreckt, Was die judischeit darzu bewegt, Wann sie gar lang sein vmb gesloffen Vnd han jr pucher vber loffen, Vor auß das schentlich puch talmut, Welchs titel souil melden tut, Vnd gantz piß an das end sind weit, Der menschen hertz gemindert seit. Vnd laut sein vberschrifft verste, Rabina Rabinasche. Das erst 〈heißt〉 tzoder Kadoschim 〈...〉 Vnd helt der heiligen ordnunge, Darjnn sich vbt die alte vnd junge.

KF 3

49 kund ‚bekannt‘ 50 an einander ‚das eine das andere, gegenseitig‘ 53 jr ydes ‚jeder von ihnen, beide‘ 54 zu sagen ‚bekennen‘ 55 clag ‚Anklage, Disputation‘ 55 erstrecken ‚ausbreiten, darlegen‘ 56 judischeit ‚Judenschaft, Gesamtheit des jüdischen Volkes‘ 58 vber loffen ‚[eine Schrift mit den Augen] überlaufen, lesen‘ 60 melden ‚kundtun, verraten‘ 61 Der Vers bezieht sich auf den entfernt liegenden Schluss und damit den großen Umfang des Talmuds. 62 mindern ‚verschlechtern‘ 63 laut ‚deutlich, klar‘ 63 vberschrifft ‚Aufschrift‘ 64 Rabi Ascha gilt als einer der Kompilatoren des Babylonischen Talmuds. 65 tzoder Kadoschim: Seder Kodaschim (‚Heiliges‘), die fünfte (!) der sechs Ordnungen der Mischna, enthält Opfer- und Schlachtbestimmungen, außerdem eine Abhandlung über die Ausstattung des Tempels. 67 halten ‚enthalten‘ 68 Die Bedeutung des Verses ist nicht eindeutig zu bestimmen. Entweder ist der Vers bezogen auf alte vnd junge zu verstehen ‚jedermann‘, oder eine Konjektur zu jung e verweist auf AT und NT, vgl. die Überschrift.

50 an einander: Keller (S. 1478) erwägt Konjektur zu einander; der Eingriff wirkt weder morphologisch noch semantisch oder metrisch bessernd. 63 laut: Keller liest lant; als Imp. Pl. des kontrahierten Verbs lassen müsste der Infinitiv verstehen einen Nasal führen. Hiermit wäre der Reim unsauber. Der Imp. Sg. des Verbs verstehen richtet sich nicht an die Vielzahl der Zuhörer (vgl. Z. 49), sondern das theatrale Gegenüber. 64 rot unterstrichen 65 erst heißt] erst: Konjekturvorschlag bei Keller (S. 1478); es bleibt indes unklar, ob die ausgefallenene Z. 66 den Eingriff rechtfertigt bzw. erübrigt. 65 tzoder Kadoschim rot unterstrichen 66 Fehlender Reim auf Z. 65 lässt Versausfall vermuten. 68 vbt die alte vnd junge: Keller (S. 1478) erwägt Konjektur zu vben alt und jung; der Eingriff verschlechtert den Reim.

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85

Vnd Scharim, das ander puch, Do man der kreuter krefft jn such. Vnd Thaharatd, das dritt puch ist, Von jrer reynigung, das wist. Das vierd puch, zeder Nesokin, Da man vns scheden vrteilt jnn. Das funfft, tzeder Mohet, vernempt, Do man ordnung der zeit jn rempt. Zeder Naschim helt die sechst stat, Do man der weyb ordnung inn hat. Noch sind jr bucher ane tzal: Rabj Racha, Jsack, Smohel, Judas, Alltza vnd Naaman, Walin, Schlame, Symetan. Auch sie den Targen forbesteten, Das puch preschitz vnd der propheten Elle Schamets vnd Malachim, Mischle, Schemots, Hadebarin, Valdaber vnd Vaikra,

G 2v

69 Scharim: Seráim (‚Saatgut‘), die erste (!) der sechs Ordnungen der Mischna, enthält Vorschriften zur Landwirtschaft. Die Ordnung beginnt mit einem ausführlichen Traktat über das Gebet und die liturgischen Vorschriften. 71 Thaharatd: Tohorot (‚Reinheitsgebote‘), die sechste (!) Ordnung der Mischna, enthält Vorgaben zur rituellen Vermeidung von Unreinheit. 73 zeder Nesokin: Seder Nesikin (‚Beschädigungen‘), die vierte der sechs Ordnungen der Mischna, umfasst Zivil- und Strafrecht, zudem den einzigen nicht gesetzlichen Traktat der Mischna, Pirke Awot, der eine Brücke von Moses zur rabbinischen Tradition schlägt. 75 tzeder Mohet: Seder Móetzoder Kadoschimd (‚Festzeiten‘), die zweite (!) Ordnung der Mischna, regelt die Gesetze zu Fest- und Feiertagen und beinhaltet die entsprechenden Gebete. 76 rempt (zu mhd. ræmen): ‚ins Auge fassen, verfolgen‘; hier: ‚festsetzen, bestimmen‘; zur Graphemkombination mp vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 61; ebenso Z. 74, 1034. 77 Zeder Naschim: Seder Naschim (‚Frauen‘), die dritte (!) der sechs Ordnungen der Mischna, regelt die Gesetze Ehe und Familie betreffend; vgl. Z. 350. 79 Noch ‚Und doch, Gleichwohl‘ 80–82 Teilweise deutlich korrumpierte Namen von Talmudisten. 83 Targen: Der Targum (aram.): ‚Übersetzung‘; Übersetzung der Tora ins Aramäische, vgl. Döpp: Art. ‚Targum‘, S. 446f., (s.a. Z. 130). 83 forbesteten ‚im Voraus bestätigen, prophezeihen‘ 84 preschitz: Das Buch Bereschit (hebr.): ‚Das erste Buch Mose, Genesis‘; vgl. Z. 618, 665 85 Elle Schamets: Das Buch Elle Schemot (hebr.): ‚Das zweite Buch Mose, Exodus‘; vgl. Z. 812 85 Malachim: Das Buch Melachim (hebr.): ‚Buch der Könige‘; vgl. Z. 88 86 Mischle (hebr.): ‚Sprichwörter Salomos‘ 86 Hadebarin: Das Buch Dewarim (hebr.): ‚Das fünfte Buch Mose, Deuteronomium‘. 87 Valdaber: Das Buch Bemidbar (Vajedaber) (hebr.): ‚Das vierte Buch Mose, Numeri‘ 87 Vaikra: Das Buch Wajikra (hebr.): ‚Das dritte Buch Mose, Leviticus‘

71 Thaharatd: Keller liest Thaharats 80 Smohel: Keller (S. 3) erwägt Konjektur zu Smohal; der Eingriff dient lediglich der Besserung des Reims und soll daher nicht umgesetzt werden.

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Vehamelech, Joha schua. Auß welchem sie beweren wollen Vnd vor der cristen schar ertzelen, Das man vnbillich sie versag, Als jr wert horen jn jrer clag. Der juden clag:

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Got gruß den wirt vnd die weisen h〈e〉rn! Wir juden mayn euch zu erklern Vnd klagen, das die cristenlich macht, Die sinagog so gar veracht, Die got vor cristenlicher zeit Hoch hat gewirdigt vnd gefreit, So ewr gelaub ein new ding ist. Nw hab wir geschwigen lange frist, Piß es gantz nymmer stat hat. Darumb ist vnnser weiser rat, Die synagog zu stellen hie Gen ewr kirchen als jr die Hie sehet gegenwurtig stan. Das vns groß vrsach prenget an, Der hie ein teil sein zu ertzelen: Das erst, wie wir vns gen euch stellen, So kunen wir kein gunst mer erlangen. Wir werden verclagt vnd gefangen,

G 3r

KF 4

88 Vehamelech: Das Buch Weha-melekh (hebr.): vermutlich ‚Das [erste] Buch der Könige‘ 88 Joha schua: ‚Josua‘; Prophet des AT bzw. des Tanach. 89 beweren ‚beweisen, als wahr darlegen‘ 91 vnbillich ‚unrechtmäßig‘ 91 versagen ‚ablehnen, verleumden‘ 94 wirt ‚Ehemann, Familienvater‘ 95 maynen (zu mhd. meinen): ‚beabsichtigen, sinnen auf‘ 98 vor cristenlicher zeit ‚vorchristliches Zeitalter‘ 99 gefreit (zu mhd. vrîen): ‚frei machen, erlösen‘ 100 So ‚Während doch‘ 101 hab: Zur Möglichkeit des Flexivausfalls bei nachgestelltem Pronomen vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 94. 102 stat ‚Würde, Ansehen‘ 104–105 stellen gen ‚jemanden [als Kläger, Zeuge] gegen einen anderen stellen, zum Vergleich in Oppostion einander gegenüberstellen‘ 106 gegenwurtig sten ‚[als Zeuge] bereitstehen‘ 107 vrsach ‚Klagegrund, Vergehen‘ 107 anprengen: ‚öffentlich, vor Gericht vorbringen‘; syntaktisch wie auch semantisch ist die Verbform sinnvollerweise Part. Prät., dieses ist jedoch anderweitig nicht ohne Rückumlaut und Nasalschwund nachweisbar.

89 wollen: Keller (S. 3) konjiziert zu wellen; der Eingriff bessert lediglich den Reim. 94 hern] hrn: Konjektur bei Keller (S. 3) 110 kunen: Keller (S. 4 bzw. 1478) erwägt Konjektur zu künn; der Eingriff ist rein metrisch zu begründen und bessert die Stelle nicht nachhaltig.

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Gestockt, geplocht, erhenckt, verprent, Vnd schir jn aller werlt erkent Fur lotter puben, ketzer hunt, An das jr vns sunst zeyhen tunt, Wir nyessen ewr kinder plut. Nw was vnser getraw so gut, Messiam schir kunftig zu sein. Dadurch wir hoffen gemein, Je lenger, ye pas sein gehalten. So tut sich newr mer von vns schalten Geluck, fried, schirm jn aller welt, Das vns je lenger je mer felt. Nw secht vmb den ferlichen schaden, Hab wir die zwej gesetz furgeladen, Den g〈r〉unt jr baider hie zu melden, Das der gerecht hart mag entgelden. Nw vnsern gelauben zu besteten, Beweren wir auß den propheten Vnd durch den Targum, das jrs wist, Vnd habt euch gleich ewren Crist.

G 3v

112 gestockt, geplocht (zu mhd. stoc, ploch): ‚ins Gefängnis stecken, an den Pranger stellen‘; Stock und Block waren Strafwerkzeuge des Mittelalters, später werden die Begriffe synonym für Gefängnis verwendet (vgl. Röhrich: Redensarten, S. 220). 113–114 erkenen fur ‚wahrnehmen, [an-]erkennen‘ 114 Prinzipiell könnten die beiden Komposita auch als Realisierungen vierer eigenständiger Lemmata verstanden werden, wie es die Handschrift nahelegt.. 114 lotter pube ‚sittlich verwahrloster Mensch, Vagabund‘ 115 zeyhen ‚bezichtigen, beschuldigen‘ 115 tunt: Zur Flexion der 2. Pers. Pl. Ind. Präs. mit Nasal vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 94. 116 nyessen ‚genießen, trinken‘ 117 getraw ‚Vertrauen, Zuversicht‘ 118 schir: ‚bald‘; Anhänger jüdischen Glaubens sind von der noch ausstehenden Ankunft des Messias überzeugt. 119 gemein ‚gemeinschaftlich‘ 120 ‚Je länger [wir hoffen], desto mehr sind wir [diesem Gedanken] verbunden.‘ 121 sich schalten refl. ‚sich trennen‘ 122 schirm ‚Schutzdach, Schutzschild‘ 123 ‚Die uns, je länger [wir ihrer entbehren], desto mehr mangeln.‘ 124 ferlich (zu mhd. værlich): ‚hinterlistig, verfänglich‘ 124 schaden ‚Schädigung, Nachteil‘ 126 grunt ‚Grundlage, [Glaubens-]Fundament‘ 127 der gerecht: Bedeutung nicht eindeutig, evtl. ‚der Gerechte, der Richter‘, hier also ‚Gott‘. 127 hart mag entgelden ‚kaum zu vergelten vermag‘ 128 besteten (zu frnhd. bestet(ig)en) ‚bestätigen, festlegen‘ 129 Beweren ‚Beweisen‘

113 Vnd] Vns: Konjektur bei Keller (S. 4) 126 grunt] gunt: Konjektur bei Keller (S. 4)

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Die kirch:

135

Sag, allte, wohin ist dein frag? Wann gest, wo ist dein niderlag? Antwort, als du gehissest mir, Des geleichen wil ich wider dir.

KF 5

Die sinagog:

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145

Jch haÿß vnd bin die sinagog. Gen Jherusalem was mein frag, Ein pock zu opffern fur mein sund. Nw, des mein augen mir we tund, Hat an dem auf steigen der glast Der sunnen mich geplent so fast, Das ich jn der wusten jrr ging Vnd kaum vor durr ein odem fing. Vnd hab also verlorn das pfat, Steig, weg vnd auch die oppfer stat.

G 4r

Die kirch:

150

Hor, allte, ains das sag ich dir: Als du oppferst das stinckent tir, Als dein oppfer stinckt vor got, Der vil anders gepoten hat. Moyses spricht in der konig puch:

133–134 Pharetra contra iudeos, S. 373, Z. 16 134 Wann: entweder temporal ‚Wann‘ oder lokal ‚Wohin‘ 134 gest (zu mhd. gân): ‚gehen‘; die Bedeutung des Verses bleibt unklar. In der Bedeutung ‚Niederlassung, Unterkunft‘ für niderlag fügt er sich wenig sinnvoll in den Kontext ein, auch eine Konjektur wo zu do in der Bedeutung ‚Wohin du auch dich auch wendest, du wirst dort unterlegen sein‘ ist nicht zwingend. 135 gehissest (zu mhd. heizen): ‚verheißen, versprechen‘ 138–147 Pharetra contra iudeos, S. 373, Z. 17–21 139 frag ‚Frage, Ansinnen‘ 140 Der Ziegenbock diente als Sühnopfer und gewährleistete ritualgerechte Reinheit sowie die Wirksamkeit weiterer Opfer (vgl. Künzl: Art. ‚Tempel‘, S. 448f.; Pross: Art. ‚Tempelkult‘, S. 449). 142 glast ‚Glanz, strahlende Helligkeit‘ 145 odem fangen ‚atmen‘ 146 pfat: ‚Pfad, Weg‘; Neutr. seinerzeit verbreitet nachweisbar. 147 Bei der Belagerung Jerusalems im Jahr 70 n. Chr. wurde auch der Tempel zerstört und damit den Juden die Möglichkeit des Opferns genommen; vgl. auch Z. 490–491. 150–151 Pharetra contra iudeos, S. 373, Z. 34–35 152 Zu den Opfervorschriften vgl. Lev 1; Jes 1, 10–13. 153–155 Eine entsprechende Stelle konnte im Buch der Könige nicht nachgewiesen werden, in Gen 14, 18 dagegen opfert der Hohepriester Melchisedek erstmals Brot und Wein und kann insofern als Vorausdeutung auf die Opferrituale Christi verstanden werden. Zu einer möglichen Verwechslung mit dem Buch der Könige in Z. 153 könnte der Name des Priesters geführt haben, hebräisch melech bedeutet ‚König‘.

8 | 81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga

155

160

Jm stadel fort dein oppfer such Vnd von peren in der presse gelegen, Das got die werck ewr hende gesegen. Bey dem stadel merck das weitzen prot, Vnd bey der preß den wein ist not Zu unserm oppfer vnd sacrament, Vnd beleibt auch piß der welt zu endt. Die sinagog:

165

170

Ach junge, kleffische bey den weyben, Sag, was darfst du also vmbtreyben Mich alte, lang erfaren jn jaren? All propheten hab ich geporen, Die patriarchen gar ertzogen, All konig haben mein prust gesogen, Vnd du, junge, der witz gantz ploß, Machst dich so hochmutig vnd groß. Sag, wer pist du, wor stet dein sin? Ob ich vor dir mocht kumen hin?

G 4v KF 6

Die kirch:

175

180

Ich bin die cristenlich samnung, Ein diern demutig, frey vnd jung. Ein end, gesetzt allen propheten, Die ye beschreibung von mir teten Jn gut, fursichtig, senfft vnd milt. Durch mich dein hoffart wirt gestilt. Der Vaste geleich wirst du versmeht, Wann ich als die Hester zu recht

154 fort ‚künftig‘ 155 peren ‚Weinbeeren, Trauben‘ 162–166 154 stadel ‚Getreidespeicher‘ Pharetra contra iudeos, S. 373, Z. 42–44 162 kleffisch ‚geschwätzig‘ 163 vmbtreyben ‚belästigen, verspotten‘ 168 der witz gantz ploß ‚der Weisheit ganz leer, bar jeder Erfahrung‘ 171 ‚Ob ich dieses Ziel wohl vor dir erreichen werde?‘ 173–176 Pharetra contra iudeos, S. 373, Z. 45-S. 374, Z. 47 173 samnung ‚Sammlung, Gemeinschaft‘ 174 diern ‚Magd‘ 175 end ‚Ziel, Vollendung‘ 179–181 Pharetra contra iudeos, S. 374, Z. 47–49 179 Vaste: Vor ihrem Mann, König Ahasveros, wegen Ungehorsams in Ungnade gefallene und verstoßene Königin, vgl. 1 Est 1, 10–19. 180–181 vgl. Est 2, 7–9 bzw. 2, 16–18 180 Hester ‚Ester‘, Buch des AT bzw. des Tanach.

158 den: Keller (S. 5) erwägt Konjektur zu der

81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga | 9

Bin kumen jn des konigs palast, Des du auch wirst sein ein gast. Die sinagog:

185

190

Ja, pist du die, so hor mich fort! Recht hab ich all mein tag gehort: Die alten kessel remen gern. So aber du nit wilt enpern, Du wilt dich durstlich an mich reiben, So sol dir nit vil vberbleiben Der weißheit, die du meinst zu haben. Fragst du weißlich, ich thu dich loben, Suchst du aber furbitzlich, Furwar, es wirt gerewen dich.

G 5r

Die kirch: 195

200

Ach, toretz alter, sitz vnd rw, Auff dich ich doch ertzurnen thu. Dein alter swachet, vnd dein lem, All gifft mach ich dir wider zem, Die in deiner schrifft verporgen leit Vnd deine kint verfurt lange tzeit. Die sinagog:

205

KF 7

O, all mein raby, tret her fur Vnd habt jn meiner talmut spur, Ob wir die new, vntuchtig, veygen, Jn jr poßheit mochten geschweigen. Doch ruffet vor Messiam an, Der hat vns vormals nie verlan.

186 remen: ‚beschmutzen, dreckig machen‘; vgl. Simrock: Sprichwörter, S. 287 und TPMA, Gefäss, 14, 6; vgl. auch Z. 912. 187 wilt: Zum fakultativen Spiransausfall in der 2. Pers. Sg. Ind. Präs. vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 146. 187 enpern ‚entbehren, verzichten‘ 188 durstlich (zu mhd. turstic): ‚kühn, mutig‘ 192 furbitzlich ‚übermütig, vermessen‘ 195 toretz ‚töricht‘ 197 lem ‚Leben‘ 198 gifft ‚[Auf-]Gabe, Vermächtnis; Gift‘ 198 wider zem (zu mhd. wider-zæme): ‚widerwärtig; abspenstig‘ 203 ‚Und stellt in meinem Talmud Nachforschungen an,‘ 204 vntuchtig ‚untauglich, falsch‘ 204 veig ‚verflucht, unselig‘ 205 geschweigen: Die Präfigierung betont den Aspekt der Initialisierung ‚zum Schweigen bringen‘.

10 | 81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga

Hie singen die juden vn zwen jung juden halten das puch dartzu:

210

215

220

Adan holana ascher molach pethorem Koll jhetzir niffra lehet nathasa be Heftzo kol asahi meloch schemonicra Vehare kichalas lebade hunilach nara Vehu haja vehu hauhe vehu jheihe Vers yffera vehu ehadne an schonyler Ham schil lo [v]labirca beli reschitzs bely Tachlits velo haos vehamizra vehu Eli vehai[m] goal ve tzur hofly behet zara Vehe nizi aimamizi minnats kosi Boyam ekra beiado afkud ruͮ hi behet Ÿschan veahrach vehim ruhy govyatj Adonaÿ li yeloirae in jn

G 5v

209–221 Es handelt sich um eine geringfügig korrumpierte Wiedergabe des Adon Olam. In diesem Hymnus wird am Ende des Sabbatgottesdienstes die Ewigkeit Gottes gepriesen. Zum Grad der Abweichungen und deren Wirkung vgl. Przybilski: Hebräischkenntnissen, S. 322–326.

209–221 Die Wörter sind in dieser Passage durch rote Punkte voneinander abgesetzt. 210 lehet] behet: Die Konjektur erscheint angesichts der Vorlage léet notwendig. Keller (S. 7) liest bohot. 211 Keller (S. 7) liest Hefizo. Dieser Eingriff ist angesichts der Vorlage chefzo nicht zu rechtfertigen. 212 Keller (S. 7) liest Vehate. Dieser Eingriff ist angesichts der Vorlage ve acharei nicht zu rechtfertigen. 212 kichalas] tichalas: Die Konjektur erscheint angesichts der Vorlage kichlot notwendig. Keller (S. 7) liest tichlas. 212 nara] naia: Die Konjektur erscheint angesichts der Vorlage nora notwendig. Keller (S. 7) liest naia. 213 haja] hara: Die Konjektur erscheint angesichts der Vorlage haja notwendig. Keller (S. 7) liest hara. 213 hauhe Keller (S. 7) liest hanha. Diese Lesart erscheint angesichts der Vorlage hoveh nicht vertretbar. 214 schonyler] schonyfer: Die Konjektur erscheint angesichts der Vorlage scheni lehamschil notwendig. Keller (S. 7) liest schonyfer. 215 labirca] vlabirca: Die Konjektur erscheint angesichts der Vorlage lehachbirah notwendig. Keller (S. 7) liest vlabirca. 215 bely] vffly: Die Konjektur erscheint angesichts der Vorlage bely notwendig. Keller (S. 7) liest vffly. 216 vehamizra Keller (S. 7) liest vehamizca. Diese Lesart erscheint angesichts der Vorlage vehamisrah nicht vertretbar. 217 vehai] vehaim: Die Konjektur erscheint angesichts der Vorlage ve chai notwendig. Keller (S. 7) liest vehami. 217 goal Keller (S. 7) liest geal. Die Lesart erscheint angesichts der Vorlage goali nicht vertretbar. 217 tzur Keller (S. 7) liest tzut. Die Lesart erscheint angesichts der Vorlage zur nicht vertretbar. 218 minnats] vinnats: Die Konjektur erscheint angesichts der Vorlage menat notwendig. Keller (S. 7) liest viunats. 219 afkud] aflud: Die Konjektur erscheint angesichts der Vorlage afkid notwendig. Keller (S. 7) liest aflud. 219 behet: Keller (S. 7) liest bohet. Die Lesart erscheint angesichts der Vorlage be et nicht vertretbar. 220 veahrach] veabrach: Die Konjektur erscheint angesichts der Vorlage véairah notwendig. Keller (S. 7) liest veabrach. 220 govyatj] gomaytj: Die Konjektur erscheint angesichts der Vorlage geviati notwendig. Keller (S. 7) liest gomyati.

81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga | 11

Der doctor: Hor, jud, eins meld vns offembar: Was deut doch das gesang? sag dar! 225

230

235

240

245

Hie tulmescht der rabj das gesang vn laut in deutsch also: Der herr, der ewigklich regnirt, Ee wann er alle dingk formirt, Was er vnd schuff fort himel und erden. Von konigen er genent ist worden Got vnd herscht hell, himel vnd erden. Er ist gewest, ist vnd wirt werden Ein eyniger, nit zwifeltig, vernÿm, Allein die sterck vnd herschaft jm. Vor jm kein erster wirt gedicht, Noch auch nach jm kein laster nicht. Er, mein erloßer vnd mein got, Mein sterck vnd hoffnung in der not, Jn an ruffung jn zu erweichen, Mein trost, mein leben vnd mein zeichen, Mein schlaff vnd rw von jm all frist, Des gleich mein mwe vnd vbung ist. Er leben vnd auch sterben heist, Des send ich in sein handt mein geist Vnd er setzt meiner sel ein tzil. Fort ich niemant mer furchten wil.

KF 8 G 6r

225–245 Die folgende Übertragung ist inhaltlich fehlerfrei (vgl. Przybilski: Hebräischkenntnissen, S. 324), punktuelle Abweichungen bzw. Aussparungen gegenüber der Vorlage sind weitestgehend durch Metrum und Reim bedingt. 227 formieren ‚Form geben, erschaffen‘ 232 zwifeltig ‚zweimalig, doppelt‘ 234 gedicht ‚erfunden, geschaffen‘ 235 laster ‚letzter‘ 239 zeichen: Bedeutung nicht eindeutig; entweder zu Subst. zeichen ‚Anzeichen, Wunder‘ oder subst. Inf. des Verbs ziehen ‚streben, sinnen, trachten‘. Der Vorlage ist eine Entscheidung nicht zu entnehmen. 241 mwe ‚Mühe, Anstrengung‘

228 menschen am linken Rand der Handschrift nachgetragen; Keller (S. 7) erwägt Konjektur zu himel und menschenorden. Jeweils ein rotes Kreuz bei menschen und bei himel lässt die Ersetzung des Firmaments durch den Erdenbürger ebenfalls denkbar erscheinen. 242 Er] Ee: Konjektur bei Keller (S. 8)

12 | 81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga

Der doctor spricht zum rabj:

250

255

Hor, mein rabj, vnd merck mich eben: Enpfor hast du mir Jhesum geben, Des gleich hab dein Messiam dir. Vnd gib hie schnell die antwurt mir. Sag, was tut got fur die sach? Gespot, gefencknuß, schand vnd smach, Die jr stet von den goim leit Vnd von allem volk auff erden weit. Der rabj: Jm tzefer machor wirt bescheint, Das got teglich vmb vns weint Zwen zeher jn das mer hin ein. Hor, ob wir nit sein liebes volk sein.

260

265

Der doctor:

G 6v

Hör, jud, das das ein jrrung sej. Weint got, so wont jm leiden bej. Mag got jm zeher sich ergissen, So ist er teillich vnd zu fliessen. Wandelt dann got jn wasser sich, So wer auch das wasser gotlich Vnd villeicht ein materj vor her,

248 Enpfor ‚Zuvor‘ 249 ‚Genau so sollst du deinen Messias haben‘ 253 goim: ‚Gojim, Ungläubiger, Christ‘; vgl. Z. 1018, 1022 253 leit (zu mhd. lîden): ‚erleiden, erdulden‘ 256–258 Pharetra contra iudeos, S. 374, Z. 76–78; Traktat 103, S. 387, Z. 5–7 256 tzefer machor: In der seinerzeit ebenfalls verbreiteten Aufteilung des Talmuds in vier anstatt in sechs Abschnitte war Moed der erste (Kirn: Bild, S. 133, vgl. auch Folz: Meisterlieder, S. 374, 387, 466, 528, 548; anders Keller III, S. 1479). Der ‚Sefer Machsor‘ ist eine Sammlung jüdischer Feiertagsgebete. Eine entsprechende Stelle war dort indes nicht nachzuweisen. Im Jahr 1331 entstand der ‚Nürnberger Machsor‘, eine überaus prächtig geschmückte Handschrift. Über deren Besitzverhältnisse zur Zeit der Abfassung der Handschrift G kann lediglich spekuliert werden, möglicherweise jedoch war sie Eigentum der jüdischen Gemeinde in Nürnberg und damit Folz lediglich bekannt, jedoch nicht zugänglich (vgl. Ziemlich: ‚Machsor‘, S. 7f.). 257–258 vgl. bBerakhoth 59a 258 zeher ‚Zähre, Träne‘ 262–267 Traktat 103, S. 387, Z. 8–10 263–267 Pharetra contra iudeos, S. 374, Z. 79–84 264 teillich ‚teilbar, physisch‘ 264 zu fliessen ‚fließbar, flüssig‘

263 jm: Keller (S. 1479) erwägt Konjektur zu in; mhd. zaher wurde maskulin flektiert, angesichts Z. 258 ist der Plural denkbar.

81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga | 13

270

Daruon das gotlich wesen wer, Welchs schentlich zu gedencken ist. Jch schweig, das mans mit red auß mist.

KF 9

Der rabj:

275

280

Jch sach allein nit weynen got, Sunder als ein leeben hewlen, an spot, Vnd vmb vns schreyen: we, we, we! Vnd tut dabej, das ist noch me, Sein fueß stet an den himel stossen, Vmb das er hat sein volk verlossen Vnd lan zu einer wustung werden Vnd jn der cristen macht auff erden Vns hat gesetzt, vnd lest auch nit, Alle tag er selber fur vns pit. Der doctor:

285

290

Nu hoͤ r, jud, tut got weynens pflegen, Allein von ewr verfluchung wegen, Vnd kan das wider pringen nicht, Wer ist dann, der jm gotheit gicht? Kan aber er vnd saumt sich mit, Hor, jud, so traurt er vmb euch nit. Auch so er einen hohern bet, Frag ich, welcher die gotheit 〈het〉. Pit er ein mindern, das ist spot, Welchs als ketzerisch muß sein von not.

G 7r

270 auß messen (zu mhd. ûzmëzzen): ‚überlegen, beraten, betrachten‘; vgl. Z. 408, 787 272–279 vgl. bBerakhoth 3a 273–281 Pharetra contra iudeos, S. 374, Z. 84-S. 375, Z. 89; Traktat 103, S. 387, Z. 12–16 273 leebe ‚Löwe‘ 273 an spot ‚ohne Scherz, im Ernst‘ 277 verliesen ‚verlieren‘ 278 wustung ‚Wüste, Verbannungsort‘ 280 lesen ‚lösen, erlösen‘ 283–292 Pharetra contra iudeos, S. 375, Z. 89–94 283 pflegen ‚üblicherweise tun‘ 285–292 Traktat 103, S. 387, Z. 17–22 285 wider pringen ‚umkehren, rückgängig machen‘ 286 gehen (zu mhd. jehen): ‚(nach-)sagen‘ 287 saumen (zu mhd. sûmen): ‚säumen, zögern‘

274 vns: am linken Rand nachgetragen 287 saumt] sammt: Konjektur bei Keller (S. 9) 289 bet] het Konjektur bei Keller (S. 9) 290 gotheit het] gotheit: Konjektur bei Keller (S. 9)

14 | 81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga

Der rabj:

295

300

305

Hor, crist, du verachtest das gar ser, Das got zeher vmb mich verrer. Vnd du sagst, got, den schopfer dein, Vmb deinen willen gekreutzigt sein Vnd darzu gar hertigklich gestorben, Darmit er euch hab heyl erworben. So meldt ir selbs auch teglich mit, Wie Ihesus stet sein vater pit Fur euch, vmb ewr seligkeit. Sag, was hat das vil vnderscheit Gen dem, das got pit fur vns juden? Dormit du dich ser wilt bekruden. Sag, so Ihus auch got sol sein, Welcher ist hoher? thu mir schein.

KF 10 G 7v

Der doctor:

310

315

320

Hor, jud, das vnser muß bestan, Seit das jn got sein drey person: Got vater, got sun vnd got geist, Welch drey ein gotheit ist vnd heist, Dauon jr juden haltet nicht, Wie vast man euch des vntterricht. So wir nw gelauben von gotis sun, Gen got die pitt fur vns zu thun, Bit er als got mensch fur vns hie, Dem von mensch got versagt ward nie. Wann newr des suns person mensch ist, Ein got jn dreÿen, das du es wist,

F 108, 87f.

294–298 Pharetra contra iudeos, S. 375, Z. 96–99 294 verachten ‚übersehen, falsch einschätzen‘ 295 verreren (zu mhd. verrêren): ‚vergießen‘ 298 hertigklich ‚in aller Härte, auf schmerzhafte Weise‘ 301 stet ‚stets, regelmäßig‘ 305 bekruden: ‚beschäftigen‘; vgl. Z. 998 309 bestan ‚Bestand haben, [auf ewig] bleiben‘ 314 vast ‚beständig, unermüdlich‘

318 Keller (S. 10) streicht mensch bzw. erwägt (S. 10) Konjektur zu mensch von got. Die Konjektur erübrigt sich, nimmt man Gottmensch und Menschgott als mystisch inspirierte Komposita an. 320 du: Keller (S. 10) erwägt Konjektur zu ir; zwar spricht der Christ vorher die Juden im Plural an (vgl. Z. 313f.), in Z. 324 wendet er sich jedoch ein weiteres Mal dezidiert im Singular an sein Gegenüber.

81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga | 15

325

330

335

340

Durch welchs Jhus wirt gewert, Was er vmb vnsern willen begert. Auch sunst kein mensch an sund nit was, Dann Jhus, das du es merckest pas. So hat got keinem sunder nicht, Als dich die schrift vntterricht. Nu was an sund niemant, dan got, Des menscheit got erhoret hot. Das aber wir got sterbens jehen, Sich, das ist newr ein mal geschen Vnd ploßlich an der menscheit sein. So sagst du, got stets leiden pein An der gotheit an auffhor vns pflicht, Wann jr gelaubt seiner menscheit nicht.

F 108, 481

G 8r

Der rabj: Dich wundert ser gots trauren vmb mich. Vnd jm schopffung puch, do stet nemlich, Mit schmertzen sein berewet got, Jn dem als er gesprochen hot: Jch wil den menschen tilgen ab, Mich rewet, das ich jn beschaffen hab.

KF 11

Der doctor:

345

Hor, jud, das wort jn got mich rewt Hat newr sein schnelle straff bedewt, Die als bald volgt dem wortte nach. Wann got also rewt ewr rach,

325 sunder ‚Sünder, Sterblicher‘ 328 menscheit ‚Menschwerdung, 324 pas ‚[um so] besser‘ menschliche Erscheinungsform‘ 331 ploßlich ‚allein, ausschließlich‘ 332 Die Konstruktion entspricht der des lat. AcI, vgl. Z. 438, 463, 673. 333 auffhor ‚Aufhören, Ende‘ 333 pflichten ‚verpflichten‘ 336–341 Pharetra contra iudeos, S. 375, Z. 107–111 337–341 Traktat 103, S. 387, Z. 34–36 340–341 Pharetra contra iudeos, S. 375, Z. 115f.; vgl. Gen 6, 6–7 345 Gemeint ist die in Gen 7 beschriebene Sintflut. 346 ewr rach ‚die an euch vollzogene Strafe‘

330 geschen: Keller (S. 10) konjiziert zu geschehen; der Eingriff dient lediglich der Besserung des Reims. 333 vns: Keller (S. 1479) erwägt Konjekur zu vnd; die Bedeutung der Stelle bleibt unklar, die Besserung kann die Defizite jedoch nicht beheben.

16 | 81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga

Jr hett alßlang nit durffen lauren, Darumb tet got nie vmb euch trauren. Der rabj: 350

355

Wir haben jm Nasassim stan: Was alle menschen leiden han, An henden, an haubt, an pain, jm pauch, Das selbig leidet got teglich auch. Sich, so das got vmb jeden tut, Weis nicht vmb ains weib jm talmut. Der doctor:

360

G 8v

Jud, wo hat [n]ie die welt vermiten? Also het got albeg geliten. Welchs Malachias wider spricht: Jch 〈bin〉 der her vnd wandel mich nicht. Der ̲ rabj:

365

Stet nit jm puch des außgangs her, Das got pharon versencket jns mer, Sungen die engel wunigklich? Do sprach got: warumb frewt jr, So jr sacht jn verdurpnuß sein, Mein hend gegen den feinden mein?

347 lauren ‚warten, in falscher Hoffnung verharren‘ 350–355 347 durffen ‚bedürfen, müssen‘ Pharetra contra iudeos, S. 375, Z. 119-S. 376, Z. 123 355 ‚Weiß jedes Weib, dass das im Talmud steht.‘ 357 vermiten: ‚unterlassen, schonen‘; der Vers wirkt defekt, es fehlt ein Objekt. 358–360 Pharetra contra iudeos, S. 376, Z. 129–131 358 albeg ‚stets‘ 359 Malachias: ‚Maleachi‘, Prophet des AT bzw. des Tanach. 360 vgl. Mal 3, 6 362–367 Pharetra contra iudeos, S. 376, Z. 131–135 363 vgl. Ex 14, 26–15, 4 365 frewen: Im Frnhd. nicht zwangsläufig reflexiv, der defekte Reim lässt die Ergänzung des Pronomens euch zumindest denkbar erscheinen (vgl. Keller: Fastnachtspiele, S. 1479). 366 sacht ‚saht‘ 367 Die Zurückweisung des Lobs durch Gott wird in Ex nicht erwähnt; vgl. evtl. Ps 75, 4f. Die in der jüdischen Exegese verankerte Trauer Gottes in Bezug auf den Auszug aus Ägypten basiert wohl auf einer Umdeutung von Ex 13, 17 und bezieht sich auf die erschlagenen Ephraimiten (vgl. Kuhn: Gottes, S. 63–84).

357 ie] nie 355 Weis: Keller (S. 11) erwägt Konjektur zu Waß nicht vmb vns bin] : Konjekturvorschlag bei Keller (S. 11). 363 Das: Keller (S. 11) erwägt Konjektur zu Do

360

81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga | 17

Der doctor:

370

375

380

Mit nicht hat got das lob veracht Vmb willen pharaonischer schlacht. Noch ist verhindert von des wegen, Seim volk mit hilff nit zu begegen. Darumb sagt Jsaias war: Nerrisch ding, die redt der tor Vnd sein hertz tut poßheit volbringen, Das er gelaubt den toretten dingen. Darumb ich eins dich weitter frag: Sag, was ist, rabj, Judas sag: Der werck halb, die got teglich thu Durch die zwelff stunt, do antwor ̲t zu. Der rabj:

385

390

KF 12

G 9r

Die ersten drey stund vngejrrt Got stetigs jm talmut studirt. Die andern drey er vrteil fellt Jn zweien stuelen vber all die welt. Vnd so er die verdampten kennt, Vom stul der gerechtigkeit behendt, Sitzt 〈er〉 auff den der barmhertzigkeit. Die dritten drey die gantzen welt preit Got speyßt auß seinen wirden hoch, Vom eingehurn piß auff den floch. Die vierden drey got vnbefilt Stet mit dem Leuiassan spilt.

369–393 Pharetra contra iudeos, S. 376, Z. 136–147 371 von des wegen ‚aus diesem Grund‘ 373 Jsaias: ‚Jesaja‘, Prophet des AT bzw. des Tanach. 374–376 vgl. Jes 32, 6 378 Judas sag ‚jüdische Legende‘ 379 Der werck halb Bezüglich der Werke 382–393 vgl. bAboda Zara 3b; Traktat 103, S. 388, Z. 44–48 389 preit groß 391 eingehurn Einhorn 391 floch Floh 392 vnbefilt (zu mhd. beviln): ‚unverdrossen‘ 393 Leuiassan ‚Leviathan‘: biblisches wie talmudisches (s.u.) Seeungeheuer, vgl. Hiob 40, 25–41, 26; Psalm 104, 26

380 stunt] stent: Konjektur bei Keller (S. 11) 388 er] : Konjekturvorschlag bei Keller (S. 12); die Ergänzung des Personalpronomens bessert die Syntax nachhaltig.

18 | 81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga

Der doctor: 395

400

405

Hor, jud, studirt den talmut got, So sind sie mer dann er von not, Die den talmut haben geticht, Vnd wer jm got genuglich nicht. Welchs erstes stuck erklert nit mer, Dann lernt got, das er durftig wer. Jm andern vngerecht vnd gech, So er sein vrteil wider sprech. Jm dritten kein fursichtigkeit, So er newr drey stund speiß auß spreit. Zum vierden wurd got schnod geacht, So jm der trach sein kurtzweil macht. Das als zu reden ketzerisch ist. Jud, sag, was er die nacht auß mist?

G 9v KF 13

Der rabj: 410

415

Do steigt er hoch auff cherubin, Den thron, vnd vberlauffet jn Durch achtzehen leng welt alle nacht, Nach dem spruch Dauit, des hab acht: Der wagen jn cherubin, wist, Stets mit zehen tausenten ist.

396 ‚Es wären Andere außer ihm notwendig‘ 400 durftig ‚[des Wissens] bedürftig‘ 404 außspreiten ‚ausbreiten, verteilen‘ 405–406 Pharetra contra iudeos, S. 376, Z. 150 405 schnod ‚armselig, verachtet‘ 406 trach ‚Drache‘ 409–422 Pharetra contra iudeos, S. 376, Z. 153–158 410–412 vgl. bAboda Zara 3b; Traktat 103, S. 388, Z. 52f. 410 cherub: Geflügeltes Fabelwesen, meist bestehend aus menschlichem Kopf und Tierleib. 411 vgl. 2 Sam 22, 11–14; Ez 1, 5–26; Ps 18, 10; Ps 80,1; Ps 99, 1 bzw. in den apokryphen Schriften Das Leben Adams und Evas Kap. 22 (Weidinger: Apokryphen, S. 33). Die Stelle bleibt unklar. In Ez wird von den Cherubim als den Trägern des göttlichen Throns berichtet, Talmud, die Psalmen und Sam wissen um die Cherubim als Reittiere bzw. Transportgefährte Gottes. Die vorliegende Passage wirkt dahingehend defekt, dass zur letztgenannten Auslegung die Präp. auf fehlt, in Ez dagegen der Thron nicht mobil ist. 411 vberlauffen ‚überziehen‘ 411 jn ‚darin‘ 412 leng welt: Das Wort konnte anderweitig nicht nachgewiesen werden. Kontextbedingt scheint die Bedeutung ‚Erdumfang, Erdumrundung‘ denkbar. 413–415 vgl. Ps 68, 18

395 den] dan: Konjektur bei Keller (S. 12) 395 talmut] talmit: Konjektur bei Keller (S. 12) welt: Keller (S. 1479) erwägt Konjektur zu weltleng

412 leng

81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga | 19

Der doctor:

420

425

430

435

Hor, der hat vberlauffen bald, Der alle ding sust hat zu gewald, Vnd der ain augen blickes frist, An hundert tausent enden ist, Als er von jm selbs gibt bescheid: Himel vnd erde erfull ich beid. Des ich dein red spotlich vernim, Sag, was habt ir doch frewd bej jm? Der rabj: Rabj Aliza zu Naam spricht: Bej got, kein freud sein seit der pflicht, Das er sein tempel hie verlies. Das ich auß diser red beschlies: Got hat gefordert an dem tag Peid, zu dem wein vnd zu der clag, Das kleit des sax, plossung des hauptz. Darauff redt Naam vnd glauptz, Das got die weil kein freud won bej, Piß der tempel new gepawt sej.

G 10r

Der doctor:

440

Hore, jud, das diß gelogen sej, So spricht Dauit, got wonen bej Freud, wollust, die kein ende nemen nicht, Zier, schon, kunst in seim angesicht, Glorj vnd reichtum zu vorauß Alle der, die da wonen jn seim hawß. Sag, was wer freud dem jngesind, So got selbs traurt vnd wer geschwind?

KF 14

417–422 Traktat 103, S. 388, Z. 55f. 420 ende ‚Ort‘ 421 bescheid ‚Bescheid, Bericht‘ 422 vgl. Jer 23, 24 423 ‚Daher verstehe ich deine Worte als spottend,‘ 426–435 Pharetra contra iudeos, S. 376, Z. 159-S. 377, Z. 164 426–432 bAboda Zara des Babylonischen Talmuds berichtet auf Bl. 3b von R. Aha und R. Nahman, die Gottes Trauer erörtern; vgl. Kuhn: Gottes, S. 240–243. 427 sein: Zur Flexion der 3. Pers. Pl. Präs. vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 149. 430–432 vgl. Jes 22, 12 und bAboda Zara 3b 431 wein ‚Weinen‘ 438–444 Pharetra contra iudeos, S. 377, Z. 166–171 439–440 vgl. Ps 16, 11 443 jngesind ‚Gefolge, Dienerschaft‘ 444 geschwind ‚zornig, streng‘

20 | 81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga

445

Darumb, mein rabj, mich bescheidt, Was tut got fur solch traurigkeit? Der rabj:

450

Do antwort rabj Judas tut: Er ler die kinder jm talmut, Die hie abscheiden vngelert, Als er durch jr scham bewert. Welch wirt er leren das gericht? Die entwenten von der milch, er spricht.

G 10v

Der doctor: 455

460

Was ist in himel not der ler, Do kein gepruch ist ymmer mer? Auch so got augen blicks jm leben Dem menschen sunst all kunst mag geben, Als der prophet spricht: wist, das Got, Das feur von oben geben hot, Jn mein marck vnd hat mich gelert. Jud, eins stet mir noch vnbewert: Jr sprechet, got gesundiget han, Sag pald: wie sol man das verstan?

446–450 Pharetra contra iudeos, S. 377, Z. 176f. 448–453 vgl. bAboda Zara 3b; Traktat 103, S. 388, Z. 57–59 450 hie ‚auf Erden‘ 450 abscheiden ‚sterben‘ 451 scham ‚Reue, Umkehr‘ 452–453 Pharetra contra iudeos, S. 377, Z. 178 452 gericht ‚Gesetz, Gebot Gottes‘ 453 entwent ‚entwöhnt‘ 455 not ‚notwendig‘; seinerzeit üblicherweise mit Gen. 456 gepruch ‚Gebrauch, Notwendigkeit‘ 457–461 Pharetra contra iudeos, S. 377, Z. 181–183 457–458 Traktat 103, S. 388, Z. 61f. 457 augen blicks ‚augenblicklich, schlagartig‘ 463 Pharetra contra iudeos, S. 377, Z. 189 463 han: Die Verwendung des Infinitivs in der Funktion der 3. Pers. Sg. Präs. scheint reimbedingt, vgl. Z.473.

448 Do: Keller (S. 14) konjiziert zu Die; der Eingriff ist nicht zwingend, Antwort tun in der Bedeutung ‚antworten‘ ist vielfach nachweisbar. 455 in: Keller (S. 14) liest zu; Stelle verderbt

81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga | 21

465

470

Der rabj: Jn ieschuor rabi Racha Auff die wort Dauits get dar na, Da Got dann spricht: ich han geschworn, Auff israhel jn meinem zorn. Des bringt die absolutzen mir, Doch wer ist, der mich absoluir? Der doctor:

475

480

Hoͤ r, jud, seit got gesundigt han Vnd wurd nit absoluirt dauon, Vnd solt verdamnung jm zu sachen, Wie kund er vns dan selig machen? Das aber das gelogen sej, So hor der endrung puch dabej: Got ist getrew, warhaft, gerecht. Darumb, so ir got sunden sprecht, Solt jr als Gotz lestrer auf erden Noch dem gesetz all versteint werden.

KF 15

G 11r

Der rabj:

485

Hor, rabj Jahel legt hie auß Die wort: jch han verlorn mein hauß, Vnd spricht: drey hut der engel sein. Auff der obern sitz got vnd wein Vnd sprech: ich sej gemaledeit,

466–471 Pharetra contra iudeos, S. 378, Z. 202–205 466 ieschuor: Die Ordnung Jeschnor, evtl. aus dem Beginn der vierten Ordnung der Mischna, des älteren Teils des Talmuds, abgeleitete Bezeichnung (vgl. Kirn: Bild, S. 133; Folz: Meisterlieder, S. 374; vgl. auch Z. 528, 548; anders Keller III, S. 1479). Möglicherweise ist auch der Sefer Jetzira gemeint, allerdings konnte in dieser mystischen Schrift eine entsprechende Stelle nicht nachgewiesen werden. 468–471 vgl. bBaba Bathra 74a 468–469 vgl. 2 Sam 24; die in Z. 471 formulierte Problematik ist an dieser Stelle jedoch nicht angelegt. 470 absolutzen ‚Absolution, Vergebung‘ 475 zu sachen ‚zusagen, verheißen‘ 478–482 Pharetra contra iudeos, S. 378, Z. 207–210 478 puch der endrung ‚fünftes Buch Mose, Deuteronomium‘ 479 vgl. Deut 32, 4 480 sprechen ‚zusprechen, unterstellen‘ 481–482 vgl. Lev 24, 11–16 482 versteinen ‚steinigen‘ 484–493 Pharetra contra iudeos, S. 378, Z. 211–215; Traktat 103, S. 388, Z. 64f. 484 Jahel evtl. ‚Joel‘; vgl. auch Z. 504 486 ‚Und sagt: Drei seiner Engel hüteten es.‘ 488 gemaledeit ‚verflucht‘

466 Keller (S. 1479) erwägt Konjektur zu In en Jisrael rabi Aba 475 solt: Keller (S. 5) erwägt Konjektur zu sagt; der Eingriff bessert die Stelle nicht entscheidend.

22 | 81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga

490

Das ich mein hauß je liesse seit Verprent vnd auch verwustet werden, Mein palast vnd tempel auff erden Vnd mein sun werden geletzt Vnd das ich sie in der cristen macht hab gesetzt. Der doctor:

495

500

O, wie mocht jr werden gefreyt, So ir so groß gots lestrer seit Vnd schetzt got so leichtfertigklich. Waint er vnd maledeiet sich, Vnd kan jm selbs nit widerstan, Wes ruff wir jn vmb hilff dan an? Vnd wie rufft jr jn an? sagt her, Wann mich keins dings nye wundert mer.

G 11v

Der rabj:

505

510

Hor, do schreibt rabj Jahel von: Wenn wir an vnser pett wollen gan, So schrey wir lawt alle sam: Gelobet sej sein grosser nam. Dann antwort einer an gotis stat oben: Selig ist der konig, den jr tut loben. Darnach so schreit die gantz gemein: We jm vnd auch den sunen sein. Vnd jn dem pete meÿnen wir got, Der vns also verlossen hot.

KF 16

492 geletzt (zu mhd. letzen): ‚verletzen, töten‘ 495 gefreyt ‚befreit‘ 497 leichtfertigklich ‚gering, unwert‘ 498–499 Pharetra contra iudeos, S. 378, Z. 215–217 499 widerstan ‚widerstehen, entgegentreten‘ 505 pett ‚Gebet‘ 506 sam ‚gemeinsam‘ 507–511 Pharetra contra iudeos, S. 378, Z. 225–229

81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga | 23

Der doctor: 515

520

An tzweifel, we euch hie vnd dort. Dauon so hort Moyses wort: Wer arck an sein vater werben, Der sol tzeitlich des todes sterben. So jr dann got selbs flucht an not, Nempt jr mit recht ewigen tot. Dann eines, jud, des bericht mich noch: Was halt jr von vns cristen doch? Der rabj:

525

530

Daruon spricht rabj Symean: Mit welcher list ein cristen man Durch ein juden werd betrogen, Werd jm kein sund darumb zu getzogen. Vnd jm zefer ieschuor stat: Den pesten cristen schlagen tot Ist pesser, als yeder jud gelaubt, Dann zu mischen einer schlangen haubt Oder zu toten vmb gotis er Den grosten gotis lestrer.

G 12r

Der doctor: 535

Hoͤ r, jud, nw schreibt doch Josephus Von dem zwelffpoten Jacobus, Das vmb seins todes willen geschach,

516–520 Pharetra contra iudeos, S. 378, Z. 230–232; Traktat 103, S. 389, Z. 83–85 516–517 vgl. Ex 21, 17 517 arck ‚Arges, Übles‘ 517 werben ‚Werk, Tat‘ 524–533 Pharetra contra iudeos, S. 378, Z. 233–237 524–531 Traktat 103, S. 389, Z. 86-Z. 88 525–527 vgl. bBaba Qamma 113b 529 Es ist nach einem verbreiteten Irrglauben gemäß bSoferim 15 den Juden gestattet, Christen zu töten (vgl. Maccoby: Judaism, S. 159). 531 vgl. Gen 3, 15 531 zu mischen: ‚zerstoßen, zerquetschen‘; vgl. BWb 1, Sp. 1681 535 Josephus: Flavius Josephus (37/38 bis nach 100 n. Chr.), römisch-jüdischer Historiker. 536 zwelffpote ‚Apostel‘ 536 Jacobus: Früher Führer der Jerusalemer Christengemeinde, der Legende nach Bruder Jesu (vgl. Gal 1, 19), und eben nicht nicht identisch mit einem der Apostel Jacobus maior bzw. minor des NT. Flavius XX 9, 1 (Flavius: Altertümer S. 666f.) berichtet, dass er von den Juden um das Jahr 62 durch den Hohepriester Ananos gesteinigt worden sei, dies bei den Jerusalemer Juden jedoch auf tiefe Ablehnung stieß.

516 Moyses] Meyses: Konjektur bei Keller (S. 16)

24 | 81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga

540

545

Das man Jherusalem zu prach. Darauß euch Josephus verkundt, Das ir euch schwerlich mit versundt. Jr secht wol, was gefallens got hat An euch vmb vnser kinder tot. Jch main, solt jr halbs mit erlangen, Es wer euch langst pas auß gangen. Des schweig newr solchs vnd pald mir sag, Was jr von vnser kirchen haldt?

KF 17

Der rabj:

550

Da find wir jm jeschuer fort, Das wir all schmech vnd schentlich wort Mit allen cristen sollen fliehen, An die sich wider Jhesum tziehen, Vnd all cristenliche sacrament. Daruon vns juden niemant wendt.

G 12v

Der doctor: 555

Mein jud, eins bescheid mich noch: Wie pitt ir vmb der cristen rach, Vnd was ist doch die weiß darzu? Dasselb mir auch zu wissen thu. Der rabj:

560

Jm zefer toldots do stet clar, Das wir all tag die cristen gar,

538 Origenes, theologischer Schriftsteller (185–253/254 n. Chr.), berichtet dies in seinem Kommentar zum Matthäusevangelium X, 17 (Origenes: Kommentar 1, S. 82) unter Verweis auf Flavius Josephus. Doch weder in der erwähnten Passage über die Steinigung des Jacobus noch in dem Bericht über die Zerstörung des Tempels (Flavius: Krieg VII, S. 139ff.) wird dieser Bezug hergestellt. 549 schmech ‚schmählich, verachtungswürdig‘ 551 tziehen ‚beziehen‘ 553 ‚Davon kann uns Juden niemand abbringen.‘ 557 weiß ‚[Vorgehens-]Weise, Art‘ 560 zefer toldots: Der ‚Toledot Jeschu‘ ist eine im 15. Jahrhundert ins Lateinische übersetzte jüdische Sagensammlung über das Leben Jesu. Die Passagen, die die totale Ablehnung der Christen vonseiten der Juden zum Inhalt haben, befinden sich nicht im hebräischen Originaltext, sondern in dem Einleitungstext der Übersetzung (Toledot Jeschu, S. 37) und der Kommentierung eines Gedichts (Toledot Jeschu, S. 85–87), beide aus der Feder des Übersetzers Thomas Ebendorfer. 561–581 Pharetra contra iudeos, S. 379, Z. 250–262 561–564 Traktat 103, S. 389, Z. 89–91

81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga | 25

565

570

575

580

Babst, keyßer, konig, bischoff vnd ept Vnd was vns juden widerstrebt, Dreÿ mal jm tag verfluchen mussen, Auff das got woll jr hoffart pussen. Vnd wer den fluch tut, fraw vnd man, Mussen mit gleichen fussen stan Vnd viel ein schlang einem vmb sein keln. Noch tar es vmb ein wort nit felen, Noch auff kein seiten sich [ver] ver ̲endten, Solang, piß sie die red volendten. Vnd lautt der fluch jn solchem schein: Den cristen sol nit hoffnung sein. Herr, tilg sie schnell ab, vber all Vnd minder jn die cleinsten zal, Das gantz schalkhaftig cristen reich. Zu stor vnd brich sie schnelligkleich. Herr, thuß, erfulß jn vnsern tagen, Wann wir mit nichte mugen ertragen, Den grossen gewalt furter von jn. Vnd disen fluch nenn wir minienn.

G 13r

KF 18

562–565 Jüdische Verwünschungsformeln gegen die Anhängerschaft Jesu bzw. gegen verschiedene Gruppen von Häretikern sind als Bestandteil des Gottesdienstes seit 100 n. Chr. nachweisbar (vgl. auch bBerakhoth 29a: Verweis auf die Birkat ha-Minim; vgl. Z. 573). Sie sind u.a. ferner belegt bei Epiphanius von Salamis (um 315–403 n. Chr.), dreimal pro Tag wird laut seinem Bericht die christliche Gemeinde durch die Juden verflucht (vgl. Schäfer: Studien, S. 45ff.). Nikolaus Donin schließlich, ein Pariser Konvertit, klagte 1240 offiziell gegen die angebliche Irrlehre des Talmuds und brachte im Rahmen der Disputation in Paris 35 Anklagepunkte vor, darunter eben auch denjenigen, die Juden verfluchten Vertreter des Christentums (Maccoby: Judaism, S. 161). 562 ept ‚Äbte‘ 565 pussen (zu mhd. büezen): ‚strafen, vergelten‘ 567 Traktat 103, S. 389, Z. 95 568 keln ‚Kehle, Hals‘ 569 Es entsprach der Praxis um 200 n. Chr., den Vorbeter vom Rednerpult zu entfernen, der die Fluchformel Birkat ha-Minim fehlerhaft wiedergibt; vgl. auch bBerakhoth 29a. 569 turren ‚[be-]dürfen‘ 570 ‚Es darf an keiner Stelle abweichen,‘ 572 schein ‚Erscheinungsform, Weise‘ 573–580 Es handelt sich um eine stark entstellte Wiedergabe der zwölften der 18 Bitten des Birkat ha-Minim. An dieser Stelle wird Gott um die Auslöschung der Christen und Häretiker angerufen; Traktat 103, S. 389, Z. 91–98. 579 mugen ‚vermögen, können‘ 580 furter ‚fürderhin, weiter‘ 581 minienn (hebr. mîn, Pl. mînîm): ‚Häretiker‘

570 verendten] ver verendten: Konjektur bei Keller (S. 17) numienn

581 minienn] mimienn: Keller liest

26 | 81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga

Der doctor:

585

590

Mein jud, so jr nw also pitt Vnd doch erhort wirt nymmer nit, Denckt ir euch nit darauß von not, Jn grosser feintschaft sein gen Got? Zu vorauß: was ir von jm begert, Das Got desselben euch gewert? Vnd sich vermert der cristen reich, Als jr das selber sprecht tegleich. Der rabj:

595

Crist, do sej vns der turck fur gut. Secht jr nit teglich, wie er tut Die cristen mindern, wo er mag? Dardurch wir hoffen alle tag, Wir werden schir von euch erloßt, Piß vns Messias selber trost. Der doctor:

600

605

G 13v

Jud, das diß ein gemeine straff sej, So merck von turcken das darbej: Wo er verfolgt hat cristlich lant, Wart jr albeg mit in der schant. Vnd seit sein herr ̲schaft hat gewert, Seit jr vil mer dann vor beschwert: Geschetzt, gepfent, getot, vertrieben Vnd vil schand von euch eingeschrieben:

586 gen ‚gegenüber‘ 592 Die militärische Expansion des 585 von not ‚notwendigerweise‘ Osmanischen Reiches und damit die Expansion des muslimischen Glaubens stellte seit Mitte des 15. Jahrhunderts eine zunehmende, wenn auch noch nicht konkrete Bedrohung des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation dar. 594 mindern ‚zahlenmäßig verringern‘ 596 schir ‚bald‘ 599 gemein ‚[für beide Lager] gemeinsame‘ 603 seit ‚seither, danach‘ 605 geschetzt (zu mhd. schatzen): ‚Lösegeld fordern‘ 605 gepfent (zu mhd. phanden): ‚etwas wegnehmen, einen Verlust beibringen‘ 606 eingeschrieben: evtl. in der Bedeutung ‚ins Gedächtnis geschrieben, in dauerhafter Erinnerung befindlich‘

588 Keller (S. 1479) erwägt Konjektur zu Da got desselben euch nicht gewert; versteht man den Vers als Frage, entfällt die Notwendigkeit der Negation. 590 sprecht: Keller (S. 1479) erwägt Konjektur zu specht; der auf diese Weise gewonnene Text ist besser als der Befund, der Eingriff ist jedoch nicht zwingend.

81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga | 27

610

615

Gehenckt, verprent, zuzerrt mit zangen. Kundt jr nit anders huld erlangen Von ewrem Messias, dann die, So beleib wir noch lang vor euch hie. Sol aber euch der turck vor fechten, So zugt jr billich all mit mechten Zu hilffe jm vnd stundt jm bej. Sust gelaub ich hart, das euch ernst sej. Nw dar, wir lassen das bestan. Was habt jr von Adam? nw sagt an.

KF 19

Der rabj:

620

625

Jm buch broschitz Adam, der rein, Spricht: das gepein von meinem pein. Da nimpt rabj Elezer ab, Das Adam sich vermischet hab Mit allen tyren daruon alß baldt. Kemen man so wunderlich gestalt Der menschen nach gestalt der tir. Darauff redt rabj Schlams schir, Das Adam vor Euen gewiß Ein frawen hett, genant Lilis, Die eitel teufel jm gepar. Vnd rabj Ezerej, der sagt clar,

G 14r

612 billich ‚zu Recht‘ 614 hart ‚schwerlich, kaum‘ 611 vor fechten ‚verfechten, verteidigen‘ 618–624 Pharetra contra iudeos, S. 379, Z. 275–278 619 vgl. Gen 2, 23 620–624 vgl. bErubin 18b 620–622 vgl. bJabmuth 63a; Traktat 103, S. 389, Z. 99f. 620 abnemen ‚ableiten, schließen‘ 625–628 Pharetra contra iudeos, S. 380, Z. 283–286; Traktat 103, S. 389, Z. 109f. 627 Lilis: Lilith ist in der christlichen und jüdischen Legende sowie im Talmud die erste Frau Adams (vgl. auch Gen 2, 18–22, wo sie jedoch nicht explizit benannt wird). Sie gilt als Nachtmahr (bSabbath 151b), das einsame Knaben und Männer im Schlaf heimsucht. Im ‚Alphabet des Ben Sira‘ verweigert sie explizit sexuelle Unterordnung (Ben Sira, S. 72ff.) und widersetzt sich göttlicher Anweisung (ebd. S. 186). Der Sohar weist ihr die Rolle als Sinnbild der Verführung, aber auch des Dämonischen und der Verwüstung zu. Sie ist als sexuell entgrenzter und insofern nicht kanonischer Gegenentwurf zur subalternen Figur der Eva zu verstehen. 628 In bErubin 18b zeugt Adam Teufel, von Lilith ist jedoch nicht die Rede. 629–631 Pharetra contra iudeos, S. 380, Z. 295f.; Traktat 103, S. 390, Z. 117

616 habt: Keller (S. 19) erwägt Konjektur zu halt; haben in der Bedeutung ‚urteilen‘ ist mehrfach belegbar. 625 Schlams: Keller (S. 19) liest Schlanis; aus Hs. nicht erkennbar. In bErubin 18a erörtern Rabbi Jeremia ben Eleazar und Rabbi Semuel die Erschaffung der Gefährtin Adams, ohne dass jedoch der Name Liliths genannt wird.

28 | 81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga

630

Das Eua mit der schlangen sich Auch hab vermischt vnleutterlich. Der doctor:

635

640

645

650

Vermischt sich Adam mit den tiern, Was kan ich mer darauß studiern, Dann das effin, eßlin vnd schwein Ewr juden stiffmuter sein. Hat der Adam dann je gewiß Teufel geporn auß der Lilis, Auß diser red am tag klar leit, Das ir der teufel bruder seit. Darumb, so wurd sich nit wol zemen, Solt jr nit erbteil mit jn nemen. Sol dann die schlang, als ich verstan, Mit Euen sich vermischet han, So sein all vnrein wurm vnd schlangen, Trachen vnd was gifft hat vmbfangen, Auch ewr stiffveter zu recht. Nw schaw selbs wol ein feins geschlecht! War hort es anders, dann gen hell, Do sust ewiges vngeuell, Vnd was gifft, schand vnd sund gepirt, Zu letst alls sampt hinkumen wirt?

F 81, 889f.

F 81, 891f.

G 14v

F 81, 887f.

KF 20

Der rabj:

655

Was Adam vnd Eua getan Haben, sag, trifft es euch nit an?

630–631 vgl. bSabbath 146a und bAboda Zara 22b 633–636 Pharetra contra iudeos, S. 379, Z. 277–279 636 stiffmutter ‚böse Erzeugerin‘ vgl. Z. 647 637–640 Pharetra contra iudeos, S. 380, Z. 285–287 640 Traktat 103, S. 389, Z. 110f. 641 zemen ‚ziemen, passen‘ 642 ‚Solltet ihr nicht mit ihnen gemeinsam als Erben angesehen werden.‘ 643 verstan: Zur Flexion der 1. Pers. Sg. Ind. Präs. vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 88. 645–647 Pharetra contra iudeos, S. 380, Z. 296f.; Traktat 103, S. 389, Z. 118 646 vmbfangen ‚umfassen, beherbergen, in sich aufnehmen‘ 649 War ‚Wohin‘ 650 vngeuell ‚Unglück‘ 654–655 Traktat 103, S. 389, Z. 102f.

631 vermischt] vernischt: Konjektur bei Keller (S. 19) 646 vmbfangen: Keller (S. 5) erwägt Konjektur zu empfangen; der Eingriff bessert semantisch, ist aber nicht zwingend, s.u.

81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga | 29

Der doctor:

660

Jn keinen weg geschicht das nicht. Allein die jhenen, die man sicht Jren eltern solche schand noch sagen, Sollen auch das laster mit jn tragen. Do gelaub ich, das es beÿ bestee. Was weist du sust von Adam me? Der rabj:

665

670

675

Her, rabj Anelin schreibt das vnd ditz Auff das dritt capitel bereschitz: Der her beschuff jn weib vnd man. Da got die vngestalt sach an, teilt er erst von einander die Vnd hat je seit versmehet sie.

G 15r

Der doctor: Jud, das ist gerichts wider got, Der alle ding gut gemachet hot. Vnd du sprichst, got Adam versmehen, Das er sein vngestalt hab gesehen. Welch gloß an alle form doch ist! Sag an, was jr von Moyse wist?

658–660 Traktat 103, S. 389, Z. 107 658 sicht zu sehen 661 ‚Ich glaube, dass es dabei bleibt.‘ 666 vgl. bBerakhoth 61a; bJabmuth 63a; Gen 1, 27 und 5,2 667–669 Pharetra contra iudeos, S. 380, Z. 306 667 vngestalt ‚missratene Erscheinungsform, Verderbtheit‘ 668 teilen: ‚voneinander absondern, unterscheidbar machen‘; bezogen auf den Sündenfall 671 gerichts: Entweder Gen. Part. zu Gericht in der Bedeutung ‚Dies ist Bestandteil einer Gerichtsverhandlung gegen Gott‘ oder Konjektur zu gericht als Part. Prät. des Verbs richten in der Bedeutung ‚wenden‘. 675 gloß ‚Gloße, Auslegung‘

661 beÿ: Keller (S. 20) erwägt Konjektur zu beÿ euch; bei in der Bedeutung ‚dabei‘ ist mehrfach nachweisbar. 664 Her: Keller (S. 20) erwägt Konjektur zu Hör; der Eingriff lässt sich angesichts der innerhalb des Spiels zahlreich verwendeten Imperative des Verbs hören rechtfertigen, die Möglichkeit der direkten Anrede Herr ist gleichwohl nicht völlig auszuschließen.

30 | 81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga

Der rabj:

680

685

690

KF 21

Hor, es spricht rabj Anelin, Do Moise zwelff auß speher hin Jn das gelobt lant het geschickt, Eins rysen tochter die erplickt Des geschlechtz Enachim vnd fing sie. Jn jrs vaters went satzt sie die All zu vertzeren. doch halff jn got, Das sie entrunen von dem todt. Des ward des risen weip gewar Vnd pruntzet so vast noch jn dar, Das sie die schir ertrencken tet, Wann sie got nit ernert selbs het. Der doctor: Mein jud, nu laß dich nit jrr machen. Sag fort, sein ist vast gut zu lachen.

G 15v

Der rabj:

695

Hor was dieser rabj mer ret Vber die wart: sein eysrein pet, Vnd spricht, das mensche angefer Zwelff mans elenpogen lanck wer,

678–689 Pharetra contra iudeos, S. 380, Z. 307–312 679–688 Traktat 103, S. 390, Z. 125–128 679–682 vgl. Num 13: Hier werden zwölf Boten ausgeschickt, die Kanaan erkunden sollen. Nach 40 Tagen kehren sie zurück und berichten u.a. von der hünenhaften Gestalt der Einwohner der Region. 682–689 Die prekäre Situation bzw. Flucht und Entkommen der Späher sind nicht Teil der biblischen Erzählung, sie basieren vielmehr auf einem hebräischen Pseudo-Moses des 12./13. Jahrhunderts. Die Tochter eines Riesen isst einen Granatapfel, die Kundschafter verstecken sich im Kerngehäuse und werden mit diesem aus dem Garten Enachs geworfen (vgl. EM 11, Sp. 682). 682 Enachim: ‚Enak‘; Riese des AT, vgl. Num 13, 22, 33 683 went: Pl. zu ‚Wand‘, hier wohl metonymisch für ‚Raum, Gefangenschaft‘ 684 vertzeren ‚vernichten, zerstören‘ 687 prunzen ‚brunzen, urinieren‘ 689 ernern ‚am Leben halten, erretten‘ 695–701 Pharetra contra iudeos, S. 380, Z. 313–316 695–698 vgl. Deut 3, 11. Die Argumentation in Z. 737–742 legt nahe, dass im Fastnachtspiel die folgende Beschreibung auf Moses gemünzt ist. 695 eysrein ‚eisern‘ 696 Traktat 103, S. 390, Z. 136 696 angefer ‚ungefähr‘

695 wart: Keller (S. 21) erwägt Konjektur zu wort; die Passage bleibt trotz eines solchen Eingriffs syntaktisch defekt, die zumindest bedingt naheliegende Umstellung der Reihenfolge der Z. 696 und 697 bessert die Stelle ebenfalls nur unzureichend.

81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga | 31

700

705

710

715

720

Als auch sein pett. vnd do er wolt Konig Ocken toten, als er solt, Eylet er jm mit einem peyhel noch, Ein stil zwelff mans elenpogen hoch. Aber Ock lud auff sich ein pergk, Darmit er meint, sein in dem werck, Gantz Jßrahel zu werffen tot. Darauff ein widhopff flog vil drot Vnd pecket mit dem schnabel sein Ein loch schnell durch den felß hinein, Das er an den halß jm sanck. Do wuchsen jm die zen als lanck, Das er den felß nit ab kund legen. Die weil so was Mosche engegen Vnd must darzu, solt jm gelingen, Wol zwelff elenpogen hoch springen Vnd macht in an einer fersen wunt, Darvon er fiel vnd starb zu stunt. Sich, crist, die hilff tet jm got schein. Schaw, ob wir nicht sein liebes volk sein. Vnd darnach, vber etlich jar, Als nw der rÿß verweßen war, Ward in seiner pein roren, als man sagt, Ein hirsch ein gantzen tag gejagt.

KF 22

G 16r

Der doctor:

725

Hor, jud, noch eïns, dabej es beleib. Der riß, sein tochter vnd sein weyb, Daruon du sagst, ist fantesej. Do ich nit anders merck bej, Dann so ein jud studirn wolt Jn den propheten, als er solt,

698–715 vgl. bBerakhoth 54b 699 Ocken: ‚Og‘; riesenhafter König von Basan 700 peyhel ‚Beil, Axt‘ 701 Im Traktat sind es 10 Ellenbogen. 702–710 Pharetra contra iudeos, S. 380, Z. 319-S. 381, Z. 323; Traktat 103, S. 290, Z. 129f. 703 werck ‚Vermögen, Lage‘ 705 Im Traktat sind es Ameisen, die den Stein zerkleinern. 711–715 Pharetra contra iudeos, S. 380, Z. 316–318 711 ‚Unterdessen trat ihm Moses entgegen‘ 714 wunt ‚verwundet‘ 715 Traktat 103, S. 390, Z. 133 716 schein ‚offenkundig, deutlich‘ 718–721 Pharetra contra iudeos, S. 381, Z. 325f.; Traktat 103, S. 390, Z. 134f. 719 rÿß ‚Riese‘ 719 verweßen ‚zunichtewerden, auslöschen‘ 720 pein roren ‚Schienbeinknochen‘ 726 mercken ‚bemercken, sagen‘ 728 Die Propheten des AT wurden von christlichen Theologen christologisch ausgedeutet und als Bestandteil des Heilsplans anerkannt.

32 | 81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga

730

735

740

745

Das jr denselben noten tut Vber das schentlich puch talmut, Do man solich torheit jnnen findt. Das horen dann von euch ewre kint, Jn die es wurtzelt nacht vnd tag, Das man sie hart abtreiben mag, Das aber es gelogen sej. So ist das vorauß falsch dabej, Das Moÿses also lanck wer Dan der tabernackel, den er Jm selber pawen tet darnach, Was allersampt newr also hoch. Vnd so er hett hin ein sollen gan, Hett er am dach gestossen an. Sich, also ligt jr mit gewalt. Sag, was jr von den engeln halt.

G 16v

Der rabj: Crist, hor, das grost als ich verste, So plest jr got noch teglich me. Vber die wort Dauits, hab acht, Vnd der seine geist engel macht.

750

Der doctor:

755

Hor, plest vnd odemt got von sich, So wer gotis wesen zu storlich, So doch der lufft zu satzung nimpt, Welches der gotheit gar nit zimpt. Plest aber er engel von jm,

KF 23

729 not ‚Not, Mühe‘ 734 abtreiben ‚verdrängen, zerstreuen‘ 736–742 Pharetra contra iudeos, S. 381, Z. 332–335; Traktat 103, S. 390, Z. 136–139 738 tabernackel: ‚Stiftszelt, Heiligtum der Juden‘; vgl. Ex 25–27; 36–39. 743 ‚Siehe, so lügt ihr mit Absicht.‘ 746–757 Pharetra contra iudeos, S. 381, Z. 340–347 747 plasen ‚durch Lufthauch erschaffen‘ 749 vgl. Ps 33, 6 752 zu storlich ‚zerstörbar, sterblich‘ 753 zu satzung: Die Bedeutung des Verses bleibt ungewiss. Entweder ist das Kompositum zusatzung als ‚notwendiger Zusatz, Zuführung‘ zu verstehen, dann fehlt das Personalpronomen er. Satzung in der Bedeutung ‚Pfand‘ erscheint syntaktisch runder, die im vorliegenden Fall spezifische Bedeutung ‚Notwendigkeit‘ ist indes nicht nachweisbar.

752 Z. 752 und Z. 753 wurden vom Schreiber in der Handschrift vertauscht, Konjektur bei Keller (S. 23).

81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga | 33

760

765

770

So weren sie gots wesen von jm Vnd weren gotlicher substantz, Welchs als wider die schrifft ist gantz. Sag auch, wo nam den adem got, Ee er den lufft erschaffen hot? Darumb das kein gestalt mag han. Hor, von den teufeln laß verstan, Die du von Lilis sagst geporn, Han sie auch kopff, nasen vnd oren?

G 17r

Der rabj: Do sagt die talmut von gewis: Allein nicht geborn von Lilis, Sunder sie selbs geperen sich Vntter einander stetigklich. Vnd nemen darzu tranck vnd speiß Geleich als auch wir jn aller weiß. Der doctor:

775

780

Die red, die muß kein warheit han. Wie mocht einer jn ein menschen gan An schaden des, darauß er rett, So doch zwen leib an einer stet Zu einem mal nit sten muͤ gen. Auch wo sie in der welt vmbzugen, Sech man sie vnd jr spor gering Als ander leiphaftige ding.

759–760 Pharetra contra iudeos, S. 381, Z. 355–357 759 adem ‚Odem, Atem‘ 760 lufft: Mask. Flexion seinerzeit üblich. 761 gestalt: ‚angemessene Form‘, hier: ‚Richtigkeit‘ 767–769 Anders bSabbath 151b. Hier besucht Lilith Knaben und Männer im Traum, in der kabbalistischen Tradition evoziert sie dabei Samenergüsse, aus denen sich die Schar der Dämonen (Schobabim) rekrutiert bzw. ergänzt. 768–771 Pharetra contra iudeos, S. 381, Z. 360–361; Traktat 103, S. 390, Z. 143f. 774–777 Pharetra contra iudeos, S. 381, Z. 363–365; Traktat 103, S. 390, Z. 144–146 775 ‚Ohne dass der Schaden nimmt, aus dem heraus [der Dämon] spricht,‘ 776 stet ‚Stätte, Stelle‘ 779 spor ‚Spur‘ 780 leiphaftig ‚physisch existent‘

766 die: Keller (S. 1479) erwägt Konjektur zu der 767 Allein: Keller (S. 1479) erwägt Konjektur zu All sein; der Eingriff bessert die Stelle lediglich im Sinne der neuhochdeutschen Grammatik.

34 | 81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga

Des ist es torlich zu ertzelen. Sag an, was halt jr von den selen?

KF 24

Der rabj:

785

790

Dauon merck den spruch Dauits hie: Bedenck deiner geselschaft, die Du jn dem anfang hast besessen. Jn diser rede wirt auß gemessen, Wie das von got vor anbegÿnn All juden sel beschaffen sin, Vnd alle die ding verstanden haben, Darmit got wurd die werlt begaben.

G 17v

Der doctor:

795

800

805

Hor, jud, das wider red ich drat, Seit das jm puch der schopfung stat: Got goß jm ein den geist des leben Vnd ist Adam ein sel gegeben. Fort Zacharias red vernim, 〈...〉 Auß welcher zweyer sag verste, Das got den leip beschuff ee. Zum dritten: got vnutzlich hett Die sel mit solcher kunst bestett, So sie den leip lebendig mecht, Das sie der kunst nit mer gedecht, So doch der leip kein weißheit hat, Dann was jm von der sel zu stat. Darumb vernunft das grundet ein, Das diß ein tichte lug muß sein.

785 geselschaft 785–786 Pharetra contra iudeos, S. 382, Z. 370f.; Traktat 103, S. 390, Z. 148 ‚Beseeltheit‘ 791 begaben ‚beschenken‘ 794 puch der schopfung ‚Das erste Buch Mose, Genesis‘ 795 Traktat 103, S. 390, Z. 155 796 vgl. Gen 2, 7 797 Zacharias: ‚Sacharja‘; Prophet des AT bzw. des Tanach; eine entsprechende Stelle konnte nicht ermittelt werden. 799 zweyer sag ‚ein zweites Mal‘ 801 vnutzlich ‚unnützlicher Weise‘ 802 bestatten ‚ausstatten‘ 807 ‚So begründet die Vernunft,‘ 808 ticht: Entweder zu Adj. dicht ‚dicht, schwer‘ oder unzureichend flektiertes Part. Prät. zu dichten ‚erdichten, erfinden‘.

798 Fehlender Reim lässt auf Versausfall schließen

81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga | 35

810

Dann eins, jud, sag mir noch jn gut: Was thun die puchßen jm talmut? Der rabj:

815

820

Jm puch Alleschemes, hor zu, Do stet: mein hinderteil sich zu du, Jedoch mit nicht mein angesicht. Vber die wort der talmut spricht, Das got ein puchßen trag zu stunden Mit ryemen jn sein har gebunden Vnd an seim lincken arm auch ein. Darjnnen jn funff briefen sein Der juden lob geschrieben gar. Auß dem spruch Ieschma nim war, Bej seiner rechten schwert got, merck, Das ist jn seinem arm der sterck.

G 18r

KF 25

Der doctor: 825

830

835

Jud, wo got so vergeßlich wer, Das er ein puchßen oder mer Vnd brieff darjnn an jm gehefft solt tragen, Wes tet er von jm selbs dann sagen: Jch bin der die jnnerkeit Der hertz erforscht vnd bescheit. Darumb: jn dise brieff, ich sag, Sind eingeschriben ewer plag Von erst. so got verachten tut All ewre werck, poß vnd gut: Fasten, feyren, opffer, gepet,

G 18v

810 puchße: ‚Büchse, Kapsel‘; hier: ‚Teffilin, Gebetskapsel‘ 812–820 Pharetra contra iudeos, S. 383, Z. 413–418 813–814 vgl. bBerakhoth 61a, bErubin 18b 815–820 vgl. bBerakhoth 6a, 14b; Menahoth 34a-37a bzw. Ex 13, 9, 13 bzw. 16; Dt 6, 8, 11 bzw. 18; die Tefillin sind Gebetskapseln, die, mit Riemen an Arm und Stirne befestigt, Bibelverse enthalten. 821–823 Pharetra contra iudeos, S. 383, Z. 421f. 821 Ieschma: Entweder ‚Jesaja‘ (vgl. Jes 62, 8) oder ‚Schma Jisrael‘, das jüdische Glaubensbekenntnis. Dort wird das Anlegen der Tefillin angemahnt, eine dem vorliegenden Spieltext entsprechende Passage fehlt jedoch. 822–823 vgl. bBerakhoth 6a 823 der sterck: Die Konstruktion bleibt ungewiss. Entweder Gen. Part. oder anderweitig nicht nachweisbar mask. Flexion. 825–830 Pharetra contra iudeos, S. 383, Z. 425–427 829 Pharetra contra iudeos, S. 383, Z. 426f. 829 jnnerkeit ‚das Innere, die innere Verfasstheit‘ 831–835 Pharetra contra iudeos, S. 383, Z. 434–436 832 plag ‚Strafe‘ 833 Von erst ‚Zuerst, Von Anfang an‘

36 | 81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga

840

845

850

855

860

Vnd 〈was〉 auch jr seit ye guts getet, Wann jn euch ist gantz mer kein schemen. Jm puch des außgan〈g〉s, thu vernemen, Do Moyses piß an sein endt Euch widerspenig hat erkent, Vnd wie ir nach seim tod all tzil Noch poßheit wart volbringen vil. Darumb euch in den letzten tegen Noch vil vbels werd begegen. Hor, was Jeremias ertzel: Ob Moises vnd Samuel Von mir ansten solten gericht, Noch ist mein willfart zu euch nicht. Hor Oseam vber euch armen: Nicht mer wil ich mich fort erbarmen, Jßrahel, sunder mich vermessen Gentzlich vnd gar jr vergessen, Wann sie all sein gefallen in pen. Wer gibt jn wider auff zu sten? Malachias spricht: vom auff gang Jst mein nam piß zum nidergang Furter mer in den folkern groß. Auß diser red erscheinet ploß Ewr verwerffung, vnd das got Ein fremds volk auffgenomen hot.

KF 26

G 19r

836 getet: 2. Pers. Pl. Ind. Prät. mit Präfix zur Unterstreichung des resultativen Aspekts (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 160). 837 schemen: ‚Scham‘, hier wohl eher ‚Reue, Gewissen‘ 838–842 Zahlreiche Passagen des zweiten Buch Moses thematisieren Zweifel, Abfall vom Glauben und Übertretung der Gebote (vgl. Ex 15, 22–26; 16,2; 16, 20; 27–28; 17, 2–4; 32, 9). 838 puch des außgangs ‚Das zweite Buch Mose, Exodus‘ 839–844 Pharetra contra iudeos, S. 383, Z. 439–441 840 widerspenig ‚widerspenstig, unbelehrbar‘ 841 tzil ‚Begrenzung, Ende‘ 843 Die Auffassung, das Ende der Welt und das Jüngste Gericht stünden unmittelbar bevor, war seinerzeit weit verbreitet. 845–853 Pharetra contra iudeos, S. 384, Z. 443–446 845 Jeremias: Prophet des AT bzw. des Tanach 846–848 vgl. Jer 15, 1 847 ansten ‚anstehen, an der Reihe sein‘ 848 willfart ‚Willfährigkeit, Zuwendung‘ 849 Osea: ‚Hoseas‘; Prophet des AT bzw. des Tanach 850–852 vgl. Hos 1, 4–6; 4, 6 852 vergessen: seinerzeit üblicherweise mit Gen. 853 pen ‚Bann, Ungnade‘ 855–860 Pharetra contra iudeos, S. 384, Z. 447–450 855–856 vgl. Mal 1, 11 857 Furter ‚Fürderhin, Zukünftig‘ 857 folker groß: Offensichtlich sind damit die nicht-israelitischen Völker gemeint (vgl. Mal 1, 11). 858 ploß ‚rein, klar‘ 859 verwerffung ‚Verbannung, Verstoßung‘

836 Vnd was] Vnd: Konjekturvorschlag bei Keller (S. 1480) 838 ausgangs] ausgans: Konjektur bei Keller (S. 25) 842 wart: Keller (S. 1480) erwägt Konjektur zu wert 847 ansten] absten

81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga | 37

865

Darnach jm puch der endrung sucht! Do stet: du wirst fort sein verflucht Peid, in der stat vnd auff dem feld, Vnd sej der frucht deins leibs vnseld. Sich, dise maledeiung euch, wist, Jn die puchßen behalten ist. Jn einer das zeitlich vngefell, Jn die andern die ewig hell. Der rabj:

870

Ach, die ding sein gered gemein Wider das tzehend geschlecht allein, Die mit Oroboam abgingen Vnd do die aptgoterej anfingen. Der doctor:

875

880

Das das nit sej, so hor mich pas Jn dem anfang Ysaias: Das gesicht Jsaie hort wem? Gantz Juda vnd Jherusalem. In welchem allen, merck es recht, Begriffen sein die zehen geslecht. Der fallend jud:

885

O sinagog, sinagog! Ist nit ein laster vnd ein plog, Das du also newr magst zu horen Jn deiner schrifft dich lan betoren? Darjnn ich anders nit verstan, Dann all die tier, die gifft jnn han, Vnser stiffveter sollen sein. Vnd effin, eßlin vnd schwein

G 19v

F 81, 645–647

KF 27 F 81, 635f.

861–864 Pharetra contra iudeos, S. 384, Z. 452–454 862–864 vgl. Dtn 28, 16–18 864 vnseld ‚unselig, verflucht‘ 867 zeitlich ‚endlich, diesseitig‘ 870 gered gemein ‚allgemeines, verbreitetes Geschwätz‘ 871–873 Pharetra contra iudeos, S. 384, Z. 461f. 871 das tzehend geschlecht: Die Stelle bleibt unklar, möglicherweise soll in Analogie zu Dtn 23, 3 auf eine lange Ahnenreihe bzw. auf weit zurückliegende Ereignisse verwiesen werden; vgl. Z. 880. 872 Oroboam: Jerobeam I., (vgl. 1 Kön 12, 28–33) 876–878 Pharetra contra iudeos, S. 384, Z. 463–466 877–878 vgl. Jes 1, 21–3, 25; möglicherweise ist Konjektur von gesicht zu gericht zu erwägen. 877 gesicht ‚Weissagung, Prophezeiung‘ 885 betoren ‚zum Toren machen, zum Narren halten‘

38 | 81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga

890

895

900

905

910

915

Vnser stiffmuter sind nun war, Vnd die gantz teufelisch, hellisch schar Vnser bruder. vnd sej geschwigen Der gefengnuß, da wir noch jnn ligen. Je doch lawr wir jmmer vnd harren Je ein narr auff den andern narren. Einer kumt vns hewt, der ander morgen, Wir dorffen lenger nit sorgen, Sich laß Messias gar schir sehen. Das ist vor vil jaren auch geschehen, Das man ein eydt het geschworn, Es wer Messias schon geporn. Vnd schreib einer hin, der ander her, Was man von jm hort newer mer. New warens mer, altenß gelogen. Sag an: wie wurd wir pas betrogen, Dann das man hin vnd 〈her〉 briff schreibt vnd schickt Vnd ist als mit einer wurst verstrickt. Jch wil vil droe vnd fluch geschweigen, Der teufel tantz nach solchem geygen. Vnd als die cristen loß sich finden, So ist an  tzweifel noch do hinden, Das prait vnd russig an der pfannen. Wer weißt dann solch fluch von vns dannen, Die endtlich droe vnd auch den zorn, Den Got vns juden hat geschworn?

F 81, 640

G 20r

F 104, 108

893 gefengnuß ‚Gefangenschaft‘ 894 lawern ‚lauern, warten‘ 897 dorffen ‚bedürfen, müssen‘ 899–901 vgl. Hebr 7, 15–22 903 mer ‚Nachricht‘ 907 ‚Und es ist alles nicht stichhaltig‘; zu Wurst als Inbegriff des Wertlosen vgl. DWb 30, Sp. 2301. 908 droe (zu mhd. drouwe): ‚Drohung, Bedrohung‘ 910 loß ‚böse, betrügerisch‘ 912 ‚Das dicke und dreckige der Pfanne, das dicke Ende.‘

902 einer] immer: Konjekturvorschlag bei Keller (S. 27); der Eingriff erscheint angesichts des Aufbaus der Rede angemessen, vgl. Z. 895, 896, 904. 904 altenß gelogen: Keller (S. 1480) erwägt Konjektur zu allein gelogen bzw. zu alt warens logen; die Stelle bedarf zweifellos der Besserung, die genannten Vorschläge bleiben jedoch ebenfalls wenig sinnvoll. 906 her] : Keller (S. 1480) erwägt Konjektur zu Dann das man briff vns schreibt vnd schickt; der Eingriff bessert zweifellos, erscheint jedoch unverhältnismäßig massiv. Die Passage bezieht sich auf die 21 Briefe des NT, die von den Wundern Jesu berichten. 910 die] der: Konjekturvorschlag bei Keller (S. 1480)

81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga | 39

Der doctor:

920

925

Hor, rabj, mer han ich gelesen. Es ist bißher noch schimpff gewesen. Weist du auch, wie es darumb leit, Das jr all drifach hurnkinder seit? Wie euch das noch ein mol geschicht, So kenn ich erst euch juden nicht, Wann es treff jn die vierden sipp, Als ich dir des dann vrsach gip.

KF 28

Der fallend jud: Bey horum, crist, sag wie ist dem? Erst machst du mir gantz wider zem Vnnsern huntischen gelauben gar. Sag dar, mein doctor, sag doch dar!

930

935

940

Der doctor: Got strafft den Achas, das weist du. Von Pecka, sun Remeliahu, Vnd durch den kunig des lands Aram, Der von streitparn mennern vmb kam Von dem geschlecht Hehudaiwis, Wol hundert tausent man, ich lis, Vnd darzu zweintzigk tausent mit, An das sie darzu fiengen sit Zweihundert tausent weib vnd meid. Hor, von denselben gib bescheid:

G 20v

921 geschehen ‚widerfahren‘ 923 vgl. 2 Kön 15, 12; Ex 20, 5 und 34, 7 924 vrsach geben ‚begründen‘ 926 horum (hebr. cherem): ‚Bann, Eid‘; vgl. Z. 1023 927 wider zem ‚widerwärtig‘ 928 huntisch ‚hündisch, verlogen‘ 931–939 vgl. 2. Chr 28, 5–8; 2. Kön 15, 25f. und 16, 1f.; Jes 7, 1 933 Aram: Königreich, gelegen im heutigen Syrien. Der König ist Rezin (vgl. 2. Kön 16, 5). 935 Hehudaiwis: Juda, vierter Sohn Jakobs

920 hurnkinder: Keller (S. 27) erwägt Konjektur zu hurnkint; der Eingriff dient lediglich der Besserung des Rhythmus und ist insofern nicht ausreichend begründbar. 935 Hehudaiwis: Keller (S. 1480) erwägt Konjektur zu Hehudai, wis; es bleibt unklar, ob der appelative Charakter der Ansprache sich in diesem Imperativ niederschlägt (vgl. auch Z. 931) oder ob es sich bei der Flexion um eine reimbedingte Assimilation an den lat. Gen. der nicht-vokalischen Deklination handelt.

40 | 81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga

945

950

955

960

Was meinst du, das man mit jn wilt, Dann das man sie als kebß weib hilt, Do man newr panckhart peltzet von jn dar ̲ein. Dis sol mein erste bewerung sein. Dort, do Titus vnd Vespasian[us] Jherusalem gewunnen han, Do kund die schrifft kaum gnug dauon sagen, Was jr doselbst ward erschlagen. Vnd auch mit dreissigen hingetzalt, Die man mit einem pfennig vergalt. Sag, was mit ewren weibern da Die romer han geschickt darna Anders, dann zwidern darein gemacht. Nu hab der dritten zeugknus acht. Du weist doch, das mein sin nit jrrt. Do keyßer Adrian regnirt, Nam〈t〉 jr Barchoschham an gemein, Das er solt ewr Messias sein. Zu dem schlug sie alßpald darna Ein grosser behal ketzora Vnd sprach: Barchoschba heiß nit me, Wann der nam also zu teutschtz verste, Alßvil als ein sun〈 〉der lugen, Recht ob er sprech, es wurd nit tugen

F 108, 301f.

G 21r KF 29

941 Zur Flexion der 3. Pers. Sg. Ind. Präs. vgl. Paul: MhdGr, § 277. 942 kebß weib ‚Konkubine‘ 943 peltzen (zu mhd. belzen): ‚propfen, pflanzen‘ 944 bewerung ‚Beweis‘ 945–946 Traktat 103, S. 392, Z. 214 948 Was jr ‚Wieviel von euch‘ 949 hinzeln ‚abzählen‘ 950 Die Bewohner Jerusalems werden der Legende nach im Anschluss an die Niederlage zu einem Pfennig für 30 Personen in die Sklaverei verkauft; vgl. auch Mt 26, 15, wo das Zahlenspiel entgegengesetzt aufgebaut ist. Hier werden 30 Silberlinge für den Verrat Jesu bezahlt. 952 schicken ‚anstellen‘ 953 zwider ‚außereheliches Kind, Bastard‘ 956 Adrian: Hadrian, römischer Kaiser (reg. 117–138 n. Chr.) 957 Barchoschham: Simon Bar Kochba, Anführer des jüdischen Aufstand (132–135 n. Chr.) gegen die römischen Besatzer (vgl. Schäfer: Studien, S. 220f.). 958 Flavius Josephus äußert sich generell zurückhaltend zu den Messiasansprüchen des Bar Kochba bzw. zu den Erwartungen der Juden (vgl. Hengel: Zeloten, S. 300), im Talmud wird er als falscher Messias erkannt, der Lüge überführt und gerichtet (bSynhedrin 93b). 960 behal ketzora: Die Bedeutung bleibt unklar. Keller (S. 1480) vermutet korrumpierte Schreibung von Baal Kebala in der Bedeutung ‚Kenner der Kabbala‘. Möglich erscheint auch verballhornende deutsch-hebräische Mischform ‚Herr der Ketzerei‘.

943 peltzet von jn darein: Keller (S. 28) konjiziert zu pelzet darein; die Konjektur ist syntaktisch und semantisch nicht erforderlich und bessert lediglich die Metrik. 945 Vespasian] Vespasianus: Konjektur bei Keller (S. 28) 957 Namt] Nam: Konjektur bei Keller (S. 28) 963 sun der] sunder

81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga |

965

970

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980

985

Sunder Barchocaff heist du nwn, Das ist, du wirst genant ein sun Des sternß zu allen zeiten fort. Wann von dir lautten dise wort: Auff get der stern Jacob an fel Vnd ein zeppter von Jßrahel Vnd wirt kurtzlich in seinen zeiten Fort den fursten Moab bestreiten. Nu namen den Messiam an Zu zweÿ moln hundert tausent man. Vnd was streitpar ward geacht, Die gen Jherusalem mit macht All hin zuͦ gen jn dem getrawen, Den tempel widerumb zu pawen. Was sol ich weiter dauon sagen: Die juden wurden all erschlagen. Auch der keyßer mit eigner hant Messiam tot vnd vberwant. Wer meinst du, wann jrs recht bedecht, Der furpas ander juden mecht, Dann die, die lant darnach ein nomen? Daruon den aber hurnkind komen. Also es gentzlich am tag leit, Das jr nw drifach hurnkinder seit.

41

G 21v

Der rabj: 990

Hor, mochten dann nit etliche weib Sein gangen mit tragendem leib

967 Der Nachname Bar Kochba ist zu übersetzen mit ‚Sohn des Sterns‘ (vgl. Num 24, 17), die in der rabbinischen Literatur nach dem gescheiterten Aufstand verbreitete Schreibung Bar Koseba dagegen mit ‚Sohn der Lügen‘ (vgl. Keller: Fastnachtspiele, S. 1480). 969–972 vgl. Num 24, 17 969 an fel ‚ohne Fehl, makellos glänzend‘ 972 Moab: Kleinstaat östlich des Jordans 972 bestreiten ‚bekämpfen‘ 973 annemen ‚annehmen für, glauben an‘ 975 streitpar ‚kampftauglich‘ 982 tot: 3. Pers. Sg. Ind. Prät. zu töten, vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 91. 983 bedecht: Zu konsonsntischen Alternativen in der Präsensflexion von denken vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 106. 984 furpas ‚zukünftig‘

988 hurnkinder: Keller (S. 29) erwägt Konjektur zu hurnkint; der Eingriff bessert lediglich die Metrik, beide Formen sind im Spiel nachweisbar (vgl. Z. 920, 986).

42 | 81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga

Vor der manschlacht geschwengert 〈ein〉? Sag, sollen das nit recht eekinder sein?

KF 30

Der doctor: 995

1000

Hor, jud, die antwort tut gleich klecken, Als der sich mit hosen wolt decken. Merck, ee dieselben jungen juden Der weiber sich begunden kruden, Do sein wol funfftzehen jar hin gangen. Die weil wurden auch pasthart enpfangen. Des schweig, ee ich dir eins rechen, Das dem die augen auß mocht stechen. Der fallend jud:

1005

1010

F 106I, 198

G 22r

Ey, hat der teufel vns betort. Nu hab ich mein tag nie gehort Der schanden gleich, die vns antrifft, Vnd als erklert auß vnser schrift Vnd wider vnser gloß bewert. O sinagog, deiner gelert[e]! Jch went auch, jch wer einer der weisen, So wil mir all mein witz entreÿßen. Darumb, mein doctor, gib die stewr, Das ich den straffen vngehewr

992 manschlacht: ‚Totschlag‘, hier: ‚Völkermord, Gemetzel‘ 992 eingehen ‚eintreten‘ 995 klecken ‚gelingen, nutzen‘ 996 ‚Wie der, der sich so gut es eben geht zu behelfen weiß‘ 1001 rechen: Bedeutung unklar, evtl. ‚mit einem Rechen schlagen, kratzen‘ 1002 dem ‚davon‘ 1005 mein tag ‚mein Leben lang‘ 1008 gloß: Der Talmud besteht aus Kommentierungen des Tanach. 1011 witz ‚Weisheit, Verstand‘ 1011 entreÿßen: Reim und Valenz lassen darauf schließen, dass das Verb eher dem Lemma entreisen ‚entfahren‘ als entreißen ‚fliehen‘ zuzuordnen ist (vgl. DWb 3, Sp. 583). 1012 stewr ‚Hilfe, Unterstützung‘

992 geschwengert ein] geschwengert: Konjekturvorschlag bei Keller (S. 29). Keller (S. 1480) erwägt ferner Konjektur zu schwengert sein; diese Besserung behebt den fehlenden Reim nur unzulänglich. 1000 pasthart: Keller (S. 30) liest paschart und erwägt Konjektur zu pankhart bzw. pastart (S. 1490); ein Eingriff ist nicht notwendig, der Befund der Handschrift G ist eindeutig. 1009 gelert] gelerte: Konjektur bei Keller (S. 30); die Besserung bereinigt den Reim, der apokopierte Plural ist flexionsmorphologisch vertretbar (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 11). Keller (S. 1480) erwägt ferner Konjektur deiner zu dein er. Die Bedeutung wandelt sich hier völlig zu ‚deine entleerte Ehre‘. Da im folgenden Vers jedoch auf die Schar der Gelehrten Bezug genommen wird, scheint diese Deutung der Passage wenig angemessen.

81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga |

1015

43

Entge vnd auch dem grossen zorn, Den got vns juden hat geschworn. Der rabj:

1020

1025

1030

1035

1040

Ey, ey, das dich verschlint die erden! Wolst du dann auch zu gaym werden? Got geb, das du dein har verwerst, Seit du einer solchen smach begerst. Bej schirna, als ich ein jud bin, Vnd tziehen dich die gaym hin, So wiß, bej hermuß, das darzu, Das ich den gemeinen fluch dir thu: Das dir Got ewig sej gehaß, Vnd das die tefer vnd makaß, Die asira vnd die maropot, Die maschmaschuna vnd der tot, Dich vor an kumen zu aller erst Vnd das du zu kapora werst! Was meinst du, das ein wasser thu? Nemen sie doch ein wein dartzu Oder halt ein sussen met, So zorn es mir nymmer tet.

KF 31

F 88, 297–299

G 22v

F 88, 303

Der doctor: Hor, jud, mich wundert, wes jr rempt, Das jr euch nit ein gleichnuss nempt. Merckt: wo ein furst sein botschaft tut, Zu kumen dar, als er hat mut, So ist all ding vor vber summt. Alßpald die botschaft wider kumpt,

1017 verschlinden ‚verschlingen, verschlucken‘ 1019 verwerren: ‚in Unordnung bringen, [die Haare] raufen‘; topisch als Geste der Verzweiflung. 1021 schirna (hebr. schechina): ‚Wohnstatt Gottes auf Erden‘ 1026 tefer (hebr. defer): ‚Pest‘ 1026 makaß (hebr. makoth): ‚plagen‘ 1028 maschmaschuna (hebr. misamaschina): ‚verrecken‘ 1030 kapora (hebr. kapores): ‚zerstört, tot‘ 1033 met: ‚Honigwein‘; ein im späten Mittelalter kaum mehr verbreitetes Getränk. 1034 ‚Das machte mich weniger zornig.‘ 1037 gleichnuss ‚Beispiel‘ 1038 botschaft tun: Gebotene, vom Vogt eigens einberufene und durch Boten verkündete Gerichtstage waren der Aburteilung blutgerichtlich zu ahndender Fälle vorbehalten. 1039 dar kumen: ‚an einen Ort kommen‘, hier: ‚einen Gerichtstermin abhalten‘ 1039 mut ‚Gesinnung‘ 1040 ding ‚Gericht‘ 1040 vber summen ‚beschließen‘ 1041 ‚Sobald die von ihm ausgesandten Boten wieder bei Hofe eingetroffen sind‘

44 | 81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga

1045

1050

1055

1060

1065

Volfert der furst als er gehieß. Deßgleich ich mit Jhesu beschließ: So pald all proficej sich endt, Hat er sich zu vns her gewendt Vnd alles, das auff erden volbracht, Das je die schrifft von jm gedacht. Dann hett er noch nit wollen komen, Er het alßpald nit hin genommen Alle propheten von der erden. Darumb wolt ir betrogen werden, So jr gelaubt ewren forfarn, Die doch sein totlich feind all warn. Auch so er nit Messias wer: Got hengt an zweifel nit solch er, Die jm alle tag auff erd geschicht, Noch ließ solang euch juden nicht Von vns so gar werden veracht. Wie, das jr nit ein solchs betracht?

G 23r

Der fallend jud: Crist, dennoch ich ein jrrung hab. So man mein gut mir streuffet ab, Wie wurd ich armer dann ernert? Nu hab ich all mein tag vertzert Jn faulheit vnd jn fresserej, Spil, wucher vnd gewont dabej, Den cristen neyd vnd haß zu tragen.

KF 32

1042 Volfern ‚Vollstrecken, Vollenden‘ 1043 beschließen ‚schließen aus, beweisen‘ 1044 enden ‚vollenden‘ 1047 gedacht: Entweder zu mhd. tihten ‚dichten, berichten‘, starke Flexion anderweitig nicht nachweisbar, hier jedoch möglicherweise reimbedingt, oder zu mhd. gedenken ‚zugedenken, erwähnen‘. 1049 hin nehmen ‚in Anspruch nehmen‘ 1055 ‚Gott gewährt ohne Zweifel nicht solche Ehrbezeugungen,‘ 1055–1057 Die Passage ist syntaktisch problematisch. So fehlt das notwendige Objekt zu hengen, im Folgenden fehlt das Personalpronomen er. Versausfall erscheint angesichts der Reime jedoch unwahrscheinlich. 1061 jrrung ‚Verwirrung, Zweifel‘ 1062 abstreuffen: ‚wegnehmen‘; Proselyten wurden üblicherweise enteignet. 1063 ernern ‚am Leben erhalten‘ 1064 vertzeren ‚verbringen‘ 1066 gewont dabej ‚gewöhnt daran‘

1059 Wie: Keller (S. 1480) erwägt Konjektur zu We; der Eingriff ist nicht zwingend. (S. 1480) erwägt Konjektur zu vnd was

1066 vnd: Keller

81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga | 45

1070

1075

Wie kan ich mich des pald entschlahen, Vnd all tag drey mol jn zu fluchen, Wann mir Got das nit zu wolt suchen? Wer kan gewonheit vntter fachen, Vnd alten hunt pald peutig machen? So kan ich erst kein hantwerck lern. Sol ich dann meiner habe enpern, So ist gantz ab der anschlag mein. Jr wollet dann all beholffen sein, Mit hilff, rat vnd guͮ nst vnd auch mit stewr, Sunst kom ich je des schimpfs zu tewr.

G 23v

Der doctor: 1080

1085

Hor, jud, do wirt man rat jnn haben. Tet dich got mit seim geist begaben, Das dein hertz recht wurd erleucht, Der sach wurd keine von dir gescheucht. Wo aber noch die lieb ist kalt, Do hat der zweifel sein gewalt. Darumb schlag solch sorg gantz hin, Man findt jm sunst auch wol ein sin.

1068 des ‚dessen‘ 1068 entschlahen: ‚unterlassen‘, häufig mit Gen. 1070 zusuchen ‚vorwerfen, bestrafen‘ 1071 vntter fachen (zu mhd. undervâhen): ‚verhindern, unterdrücken‘ 1072 peutig: Die Bedeutung bleibt unklar. Sinnvoll erscheint die Bedeutung ‚begierig auf Beute, zur Jagd tauglich‘, diese konnte jedoch nicht anderweitig nachgewiesen werden (lediglich beutigen in FrnhdWb 3, Sp. 2201). Die bei Keller erwogene Konjektur zu pentig in der Bedeutung ‚gebändigt, zahm‘ spielt mit dem häufig belegbaren Bild vom alten, störrischen Hund. 1073 Den Juden der meisten Städte des deutschsprachigen Raums waren seit dem Mittelalter handwerkliche Berufe verboten. 1074 enpern ‚entbehren‘ 1075 anschlag ‚[finanzielle] Planung‘ 1076 Aktivische Bedeutung des Part. Prät. behelfen: ‚Ihr wollt alle helfen‘; etwas unklar ist die Funktion des Verbs wollen: Der Jude wendet sich syntaktisch (beholfen in der Bedeutung ‚behilflich‘) mit Jr an die Christen. In diesem Fall wäre das Verb sollen passender. Wendet er sich jedoch an die Juden, die christliche Unterstützung in Anspruch nehmen wollen, wäre das Part. Prät. des Verbs helfen: geholfen korrekt. 1077 stewr ‚Steuer, Abgabe‘ 1080 ‚Hör, Jude, darüber wird man zu beraten haben.‘ 1081 begaben ‚beschenken‘ 1083 gescheucht (zu mhd. schiuhen): ‚scheuen, ablehnen‘ 1086 hinschlagen ‚vertreiben‘ 1087 sin ‚Grund, Ursache‘

1068 entschlahen: Keller (S. 32) konjiziert zu entschlagen; die vorgefundene Form stellt eine durchaus verbreitete Variante des Verbs entschlagen dar, sodass ein Eingriff nicht notwendig ist. 1072 peutig: Keller (S. 1480) erwägt Konjektur zu pentig 1077 rat vnd: Keller (S. 32) konjiziert zu rat; der Eingriff dient lediglich der metrischen Besserung.

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Die sinagog:

1090

1095

1100

1105

Nw, dar bej dem es jtzund beleib, Dann das ich weitter mich beschreib An ander ortt, auch die beruffen, Ob wir mer oder minder schuffen, Vnd wil deßhalben appelliren, Wann itz, in disem arguiren, Sein wir allein worden gefragt. Zum nechsten werd vns auch gesagt, Wes wir zu fragen haben mut, Vnd ste die sach itz an jn gut. Dann sej wir pißher vor euch belieben, Wir werden die weil hart vertriben. Darumb, wem es sej offenbar, Der sej von yetz vber ein jar Den beschluß zu horen gefodert wider, Wann da hoffnung, je gar der nider Der cristen hoffart auch zu legen. Wir wollen vns itz von stat bewegen. Herr wirt, got danck euch vast vnd ser Der mwe, die jr mit vns gehabt habt piß her.

KF 33

G 24r

1090 sich beschreiben: Bedeutung dieses wie auch der folgenden Verse bleibt unklar; evtl. ‚jmdn. schriftlich auffordern zu kommen, sich begeben‘. 1091 beruffen ‚zusammenrufen, holen lassen‘ 1092 schuffen: ‚schaffen, hervorbringen‘; die präteritale Form scheint reimbedingt. 1094 arguiren ‚argumentieren, darlegen‘ 1095 Sein: Zur Flexion der 1. Pers. Pl. Präs. vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 149; vgl. Z. 1099. 1098 itz an ‚von jetzt an‘ 1099 belieben Part. Prät. zu bleiben: ‚dulden, verschont bleiben‘ 1100 die weil hart vertriben: ‚die Zeit unter schweren Umständen herumbringen‘ 1103 gefodert ‚eingefordert, einbestellt‘ 1104 Diesem bzw. dem folgenden Vers fehlt ein Prädikat. Höchstwahrscheinlich besteht oder gibt es die Hoffnung, der Christen Hochmut niederzuringen.

1104 Wann da hoffnung je: Keller (S. 33) erwägt Konjektur zu Wann hoffnung ist, je; die Konjektur bessert eindeutig (anders Keller, S. 1480), stellt jedoch gleichzeitig einen schwerwiegenden Eingriff in den vorgefundenen Text dar. 1107 Herr wirt: Keller (S. 1480) erwägt Konjektur zu Herr der wirt 1108 gehabt habt: Keller (S. 33) erwägt Konjektur zu gehapt; der Eingriff ist angesichts der syntaktisch einwandfreien Bildung des Plusquamperfekts nicht notwendig.

81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga |

Der tichter: 1110

1115

Fort sej zu wissen jn gemein, Wie itz die ding ergangen sein Der kirchen halb vnd jrer frag Vnd antwort halb der sinogag. Also piß jar! ob wir sein jn leben, Muß auch die kirch jr antwurt geben Der sinagog nach jrem willen, Die sie deßgleich auch meint zu stillen. Itzund von der materj nit mer Spricht Hans Faltz zu Nurmbergk balbirer etc.

1110 Fort ‚Ferner, Weiterhin‘ 1118 materej ‚Materie, Stoff, Thema‘

47

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Kommentar Bezeugung Gb, Bl. 1r–24r

Ausgaben Keller: Fastnachtspiele I, S. 1–33 (= Nr. 1, nach G); Bd. III, S. 1478ff.; Bd. IV, S. 336.

Textkritik Der Text ist unikal in Handschrift G überliefert. Aufgrund signifikanter Ähnlichkeiten, beinahe wörtlicher Entsprechungen und thematischer Überschneidungen werden die jeweiligen Passagen aus der ‚Pharetra contra iudeos‘, einer durch Hans Folz vorgenommenen Bearbeitung des seit dem zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts nachweisbaren Stoffes aus der Feder des Theobaldus de Saxannia, im Stellenkommentar geführt. Außerdem werden die inhaltlichen Parallelen zu ‚Traktat Nr. 103‘, ebenfalls von Hans Folz, vermerkt. Es wird für beide Texte die Ausgabe Folz: Meisterlieder zugrunde gelegt.

Autor Hans Folz nennt sich in der letzten Zeile explizit als Verfasser, gleichwohl drängen sich diesbezüglich Fragen auf. Seine Hebräischkenntnisse gehen über die seinerzeit üblichen augenscheinlich hinaus, seine Auseinandersetzung mit dem Judentum fand in zahlreichen weiteren Schriften Niederschlag (vgl. hierzu auch den Endkommentar zu F 108 ‚Kaiser Konstantin und Silvester‘). Und in eben diesen beiden Punkten weicht das Spiel F 81 von den übrigen aus der Feder des Barbiers ab: Im Spiel F 81 ist es neben vertiefter Kenntnis des Hebräischen vor allen Dingen profundes Wissen um jüdische Talmudexegese und Legende, das den Verfasser auszeichnet. Wenn auch der Zugriff insbesondere auf die durch die ‚Pharetra‘-Tradition populären Talmudpassagen deutlich erkennbar ist, – so auch in den Texten ‚Pharetra‘ und ‚Traktat 103‘ – sucht man das Kondensat jener Kenntnisse, die in F 81 zutage treten (vgl. insbesondere Z. 64–88), in seinem übrigen Werk vergeblich. Dort fehlen auch weitere Belege für die im vorliegenden Spiel nahezu regelkonforme Verwendung des Hebräischen (vgl. insbesondere Z. 209–245), wobei nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Verfasser hier auf externe Hilfe zurückgriff (s.u.). Darüber hinaus findet die Auseinandersetzung in einem für den Dramatiker Folz atypisch sachlichen Ton statt. Insbesondere die Erörterungen des Gravitationsfeldes der göttlichen Macht im Himmel und auf Erden

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(Z. 283–292, 301–304, 309–322, 395–402, 417–422, 455–461, 473–476, 498–500, 825– 830) sowie Fragen nach Gottes physischer bzw. metaphysischer Existenz (Z. 263–269, 751–760) erfolgen kenntnisreich, scholastisch und kaum polemisch. Auch Teile des lexikalischen Inventars (blupffling, Z. 4; gottmensch, menschgott, Z. 317f.) sind bei Folz anderweitig nicht nachweisbar, dagegen fehlen die dort allenthalben anzutreffenden antijüdischen Derbheiten (vgl. insbesondere F 88 ‚Der Herzog von Burgund‘, aber auch die zweite Fassung des Reimpaarspruchs ‚Die Wahrsagebeeren‘ sowie das Spruchgedicht ‚Der falsche Messias‘). Des Weiteren fehlen Stichreim und Tanzschluss. Es wird im Endkommentar zu F 108 auch auf die unterschiedlich stark ausgeprägten antijüdischen Ausfälle des Hans Folz verwiesen, die insbesondere zu Beginn seines sozialen Aufstiegs in Nürnberg noch durchaus zurückhaltend formuliert sind und um Konsens mit der öffentlichen Meinung bzw. diese auszuloten bemüht erscheinen. Es ist in diesem Zusammenhang zumindest denkbar, dass Folz im vorliegenden Fall einen vorhandenen fremden, an der ‚Pharetra‘-Tradition orientierten Text dramatisiert, seinen radikaleren antijüdischen Neigungen jedoch nicht dienstbar gemacht und lediglich geringfügig umgearbeitet sowie um einen Epilog samt Nennung seines Namens erweitert hat.

Datierung Catholy: Fastnachtspiel des Spätmittelalters, S. 177 und Michels: Studien, S. 237 datieren das Spiel post quem der Religionsdisputationen des Petrus Nigri in Nürnberg auf nach 1478. Mayer: Quellenstudien, S. 320 deutet ‚Pharetra‘ und ‚Traktat 103‘ als Skizzen und terminiert das Spiel nach 1479, dem frühestmöglichen Abschlussjahr der Weimarer Handschrift (vgl. dort die Datierung von Nr. 61). Dieser Ansatz berücksichtigt zu wenig den trotz genannter Parallelen durchaus eigenständigen Charakter der beiden Pamphlete, die in einer jeweils eigenen literarischen Tradition stehen. Darüber hinaus ist aufgrund des Epilogs insbesondere ‚Traktat 103‘ als unter Zeitdruck zustande gekommene Abschrift eines zumindest in seiner Konzeption bereits vorher bestehenden Textes anzusehen. Lomnitzer: Verhältnis, S. 287f. geht auch aufgrund theatraler Schwächen von einem gegenüber den Traktaten früheren Entstehungsdatum aus und datiert das Spiel infolge des Verweises in Z. 1114 auf das Jahr 1473, jenes Jahr also, das vor dem ersten Aufführungsbeleg für die dramatisierte Silvesterlegende F 108 lag. Setzt man F 108 bereits für das Jahr 1470 (vgl. dort: Datierung) an, dann erscheint es aufgrund von Z. 1114 wahrscheinlich, dass Folz das in seinem Ton gegenüber den Juden moderate F 81 bereits in der Spielzeit ein Jahr zuvor inszenierte, gewissermaßen als Test für die in der Gattung etwas abwegige Thematik.

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Rollen, Inhalt, Struktur Rollen: Zwei Bauern, die als Einschreier fungieren, ein Hofmeister, eine in ihrem Umfang nicht näher beschriebene Gruppe Juden, die Personifizierungen von Kirche und Synagoge, jeweils ein christlicher und ein jüdischer Schriftgelehrter sowie der Dichter. Die beiden Einschreier eröffnen das Geschehen, indem sie präventiv das typische Inventar potentieller Verfehlungen anlässlich einer Aufführung untersagen. Der Hofmeister erklärt die Disputationssituation und thematisiert deren Nukleus: Der Talmud und dessen Exegese. Eine Gruppe Juden beklagt Verachtung und Misshandlung, die sie seitens der Christen erfahren. Nun beschimpfen kirch und sinagog einander bezüglich der jeweiligen Legitimation und Opferrituale, woraufhin die sinagog den Messias (!) anruft. Die jüdische Gruppe betet das ‚Adon Olam‘ und der Rabbi übersetzt es anschließend in deutsche Sprache. Es schließt die eigentliche Disputation zwischen dem jüdischen Gelehrten und dem Vertreter des christlichen Glaubens an. Hier wiederholt sich stets folgendes Muster: Eine christlicherseits explizit gestellte Frage bzw. aus der Argumentation heraus sich ergebende Schlussfolgerung wird seitens des Rabbiners unter Verweis auf talmudische Passagen kommentiert und beantwortet, und diese Antwort im Anschluss wiederum durch den Christen als offensichtlich unschlüssig herausgestellt und demontiert. Im Einzelnen geht es um Gottes Weinen, um das irdische Schicksal des Volkes Israel und den Zorn Gottes ob dessen sündhaften Verhaltens. Der zwischenzeitlich durch den Juden vorgebrachte Aspekt bezüglich der Mittlerrolle Jesu wird christlicherseits ebenfalls abgeschmettert (Z. 293ff.). In Z. 356 wechselt kurzfristig der Stil: Im Folgenden begegnen sich die Kontrahenten in zitierender Wechselrede. Ab Z. 367 herrscht wieder das alte Muster bestehend aus christlicher Frage, jüdischer Antwort und christlicher Korrektur vor. Thematisch werden die Tätigkeiten Gottes am Tage und während der Nacht erörtert, seine Trauer über die Zerstörung des Tempels, seine Lehrtätigkeit im Jenseits und die Verfluchung des Volkes Israel. Das Schema wird ein weiteres Mal unterbrochen, als sich der Rabbi seinerseits fragend an den Vertreter des Christentums wendet, (vgl. Z. 471). Und wiederum erweist dieser unter Verweis auf das Alte Testament den scheinbaren Widersinn des Talmuds. In der Umkehrung der Richtung, aus der die Frage gestellt wird, zeigt die Figur des Juden einen erster Zweifel an der Wahrhaftigkeit der eigenen Position. Es folgt ein jüdischerseits vorgebrachter Verweis auf die Machtlosigkeit Gottes und die christlicherseits entgegengestellte Replik. Ein weiteres Mal werden Fragen des Doktors nach jüdischem Ritus (Z. 501), Einschätzung des Christentums (Z. 522) bzw. der Kirche (Z. 546), Praktiken des Verfluchens (Z. 555f.), der grundsätzlichen Situation der Juden im Reich (Z. 587f.) sowie der Herkunft Adams (Z. 616) vom Rabbi beantwortet, diese Antworten jeweils für falsch oder verwerflich erachtet und die Rolle des Judentums gegenüber dem Christentum herabgewürdigt. In Z. 653ff. richtet sich der Rabbi wiederum zweifelnd an sein Gegenüber, ob dieser denn nicht ebenfalls von der unvollkommenen Erscheinung Adams und Evas als deren Erbe betroffen sei.

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An dieser Stelle ist der Konfrontationskurs wiederum aufgebrochen, weitere Zweifel mischen sich in die Argumentation des jüdischen Gelehrten. Der doctor erkundigt sich nach der Beschaffenheit Adams (Z. 662), Moses (Z. 676), der Engel (Z. 744) und Teufel (Z. 762ff.), der Seele (Z. 782) und der Tephillin (Z. 810), wie schon zuvor wird jede der Antworten des Juden widerlegt bzw. für fantesej erklärt (Z. 725). Insbesondere in die umfangreiche christliche Entgegnung auf die Beantwortung der letzten Frage (Z. 824ff.) lässt der Verfasser einige antijüdische Vorurteile sowie gegen das Volk Israel gerichtete Prophetien einfließen, die Zweifel des Rabbis an der eigenen Lehre wachsen (Z. 869ff.). Der Widerstand eines Juden, des fallend jud, ist endgültig gebrochen, als er in den Z. 888–890 nahezu wörtlich die in Z. 635f. vorgebrachten Beschuldigungen auf sich bezieht und bestätigt. In der Folge beklagt er die eigene Blindheit und erkennt die Überlegenheit der christlichen Lehre an, dennoch ist die Auseinandersetzung nicht beendet. Anstelle der exegetischen Analyse zentraler Glaubensinhalte wird anschließend in allenfalls mittelmäßiger Textsichertheit, dafür mit ausgeprägter Phantasie, anhand biblischer Texte und Legenden dargelegt, dass das Blut des jüdischen Volkes in drei Generationen durchmischt worden sei. Der fallend jud tritt hervor und beklagt den lange währenden Irrglauben der jüdischen Religionsgemeinschaft, es entsteht ein handfester Streit mit dem jüdischen Gelehrten. Nun, da die religiöse Dimension endgültig überwunden ist, thematisiert der Jude Probleme seiner wirtschaftlichen Situation für den Fall seiner Konversion und bedient darin so manches seinerzeit verbreitete Klischee. Sachlich, im Ansatz sogar versöhnlich verweist der Doktor den potentiellen Proselyten auf die Gnade Gottes für den wahrhaft Reuigen (vgl. Z. 1079–1087). Die sinagog beendet das Spiel mit einem bemerkenswert selbstbewussten Verweis auf den Verlauf der Disputation, dass sie nämlich im folgenden Jahr ihrerseits Fragen an die kirch zu stellen gewillt sei und sich nicht ein weiteres Mal mit der Rolle des Antwortenden zufrieden geben werde und bedankt sich bei dem Wirt. Der Dichter wiederholt inhaltlich die Schlussrede der sinagog. Deutungsaspekte: Zu Beginn wird mit den Worten des als Einschreiers fungierenden Bauern explizit Ordnung innerhalb einer als chaotisch wahrgenommenen Situation geschaffen. Der Ort informeller Zusammenkunft wird zu einer Bühne geordneten Wissenstransfers formal umgedeutet (vgl. Weis-Diehl: Gewaltstrategien, S. 290f.) Dass diese Umfunktionierung eben durch eine sozial niedrig stehende Rolle erfolgt, ist im fastnächtlichen Postulat der Verkehrung zu begründen. Wie F 108 und F 88 ist das vorliegende Spiel in der Tradition der Adversus-JudaeosTexte zu sehen (vgl. hierzu ausführlicher den Endkommentar zu F 108). Im Gegensatz zu der in F 108 ausführlich dargelegten Tradition dieser Texte, die die Konfrontation von Angehörigen des jüdischen Glaubens mit christlichen Positionen thematisieren, steht bei F 81 wie auch in der ‚Pharetra‘ sowie dem ‚Traktat 103‘ (Folz: Meisterlieder) der Talmud und dessen Exegese im Mittelpunkt. So werden weniger die zentralen Fragen jüdischen Unglaubens gegenüber den Mysterien der Menschwerdung Gottes und der jungfräulichen Geburt erörtert, als dass das ureigenste Terrain des jüdischen Ge-

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lehrten, der Talmud, in seiner Glaubwürdigkeit erschüttert wird. Insofern liegt diesem Text eine anders gelagerte Strategie zugrunde: Er thematisiert nicht Blindheit der Juden für die vermeintliche, nämlich christliche Wahrheit, sondern die Falschheit deren eigener Glaubensinhalte. In diesem, in F 81 erstmals dramatisierten, in der ‚Pharetra‘-Tradition begründeten Austausch des Diskussionsgegenstandes ist implizit eine erhebliche Aufwertung des christlichen Gelehrten angelegt: Er begegnet seinem Gegenüber auf fremdem Terrain und schlägt ihn gewissermaßen mit dessen eigenen Waffen. Das Spiel bleibt in mancherlei Hinsicht Antworten schuldig. So ist kaum zu klären, ob bzw. warum die Rollen der Ecclesia und des Doktors bzw. der Synagoge und des Rabbi tatsächlich auf jeweils zwei Personen pro Partei verteilt sind. Dramaturgisch notwendig ist eine solche Verlagerung der Argumentation auf jeweils zwei Stellvertreter nicht. Auch die Rolle des fallend jud (Z. 881) erschließt sich nicht zwangsläufig: Der bestimmte Artikel lässt auf eine bereits eingeführte Rolle schließen, dass es sich jedoch nicht um den in den Disput verwickelten Rabbi handelt, ergibt sich aus Z. 1016ff. Die Annahme, die Argumentation des jüdischen Gelehrten sei auf mehrere Rollen verteilt gewesen (Häberli: Gelehrte, S. 284), trägt der Tradition der Disputation nicht in ausreichender Weise Rechnung. Die Diskussion wechselt zwischen Phasen dreiteiligen Aufbaus (Frage – Antwort – christliche Entgegnung) und Passagen direkter Erwiderung. Wiederholungen struktureller bzw. stilistischer Elemente alternieren mit Auflockerungen eben dieses Aufbaus. Innerhalb dieser Passagen erweist sich der Jude bezüglich des Talmuds als textsicher, der Christ verfügt neben Bibelkenntnissen über ausgeprägte argumentative Qualitäten. Gleichwohl wechselt die Textkohärenz: Je größer die Dichte an Bezugnahmen und Verweisen auf die jeweiligen Schriften ist, desto weniger können diese Textstellen in wechselseitigen Bezug gestellt werden und desto unzureichender begründbar lassen sie sich in logisch-argumentativen Zusammenhang setzen. Bei aller geistigen Beweglichkeit innerhalb der Argumentation weist das Stück dramaturgische Schwachstellen auf, die für eine überarbeitete Endfassung aus der Feder des Hans Folz ebenfalls untypisch sind. So entbehrt das Spiel weitestgehend fastnachtspieltypischer Rezeptionsanreize. Das Abstraktionsniveau ist hoch, Möglichkeiten, beim Publikum durch gestisch-theatrale Aktionen zu punkten, sind nur sehr dürftig angelegt (vgl. Häberli: Gelehrte, S. 286). Auch fehlt jede Form von Komik, die doch als ein zentrales Moment der Gattung anzusehen ist. Mit dem Fehlen derartiger Elemente bleibt die explizite Herausarbeitung der vermeintlichen Unterlegenheit und Herabwürdigung jüdischer Religion und Kultur weitgehend der sachlich geführten inhaltlichen Argumentation überlassen. Dies stellt eine gegenüber den übrigen Spielen des Hans Folz, die sich der Thematik widmen, abweichende, etwas dürr anmutende dramatische Vorgehensweise dar. Gleichwohl gilt es, den möglicherweise recht frühen Zeitpunkt der Abfassung zu berücksichtigen und die hierin begründete Unerfahrenheit des Verfassers in der bühnentauglichen Bearbeitung der Texte.

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Das Inventar jüdischer Vergehen gegenüber Christen ist recht umfänglich aus den gängigen Adversus-Judaeos-Texten zusammengetragen (ritueller Infantizid, Z. 116; Betrug, Z. 524ff.; Totschlag, Z. 528ff.; Verstocktheit gegenüber der Menschwerdung Gottes, Z. 547ff.; dreimalige Verfluchung der Christen pro Tag, Z. 559ff.), es steht jedoch keineswegs im Vordergrund der Handlung. Im vorliegenden Spiel begegnet man der jüdischen Religion in formaler Hinsicht vielmehr in weiten Teilen mit Respekt. So wird in den Z. 51–54 explizit eine ausgeglichene Kommunikationssituation heraufbeschworen. Zwar beschimpfen sich kirch und sinagog in den Z. 133, 149 und 195 als allt und toret bzw. jung und kleffisch, die Umgangsformen der beiden Stellvertreter sind jedoch scheinbar von größerer Wertschätzung getragen. So spricht der christliche Vertreter sein Gegenüber meist persönlich an und manövriert sich auf diese Weise gleichzeitig in die Rolle des zum Dialog bereiten Vermittlers. Dadurch, dass die Redepartien des Christen meist nicht wesentlich umfänglicher sind als die des Juden, wird der Eindruck eines Austauschs auf Augenhöhe gestützt. Auch die anderweitig thematisierten Exzesse wirtschaftlicher wie physischer Vernichtung der Juden, wie sie in den Spielen F 88 und in nuce in F 108 anzutreffen bzw. angelegt sind, fehlen, ebenso die in den Spruchgedichten ‚Die Wahrsagebeeren‘ und ‚Der falsche Messias‘ aggressiv hämische Grundausrichtung der jeweiligen Texte. Besondere Erwähnung verdienen in diesem Zusammenhang die in allenfalls mittelstark korrumpiertem Hebräisch gehaltenen Z. 209–221. Anders als in den Spielen F 88 und F 108 sowie ‚Erlauer Spiele I‘ und ‚V‘, ‚Frankfurter Passionsspiel‘, ‚Donaueschinger Passionsspiel‘, ‚Luzerner Osterspiel‘, ‚St. Galler Weihnachtsspiel‘ und ‚Bozner Himmelfahrtsspiel‘ (vgl. Frey: Pater, S. 58–71) sowie in den öffentlichen Religionsdisputationen des Petrus Nigri verwendet der Verfasser im vorliegenden Spiel nicht alleine judaistische Fachtermini (Przybilski: Hebräischkenntnissen, S. 324), er liefert vielmehr eine einigermaßen gelungene Transliteration des Originaltexts sowie eine durchaus geglückte Übersetzung. Möglicherweise griff er hierbei auf die Unterstützung eines Proselyten zurück (Wenzel: Judden, S. 207f.), die sephardisch anmutende Lautung in Kombination mit der aschkenasischen Struktur legt konkret eine Zusammenarbeit mit eben jenem Petrus Nigri nahe, der seine Hebräischkenntnisse in Spanien erwarb (vgl. Przybilski: Hebräischkenntnissen, S. 325f.). Anders als im Falle der sinnlosen Reihung einzelner Schlagwörter und Namen, die einerseits der Inszenierung jüdischen Kolorits dienen und andererseits die Herausstellung des Judentums als inhaltsleere Worthülse zur Aufgabe haben, belegt auch diese Form der Präsentation der fremden Sprache beiderseits inhaltsvolle Opposition. Bei aller Ablehnung, die alles Jüdische in der Adversus-Judaeos-Literatur im Allgemeinen erfährt, erfreuen sich die Propheten des Alten Testaments christlicherseits höchster Wertschätzung. Sie werden nicht chronologisch, sondern funktional vor das Neue Testament geschaltet, fungieren im Rahmen eines ewig gültigen Heilsplanes und sind als Künder an der Fleischwerdung Gottes beteiligt, vgl. Z. 129, 165ff., 175f.; vgl. auch ‚Traktat 103‘, Z. 428ff. Auf diese Weise erklärt sich das zähe Ringen um die Deutungshoheit über die von beiden Seiten anerkannten Weissagungen.

54 | 81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga

Das Motiv der im Titel geführten Ecclesia und Synagoga als komplementäre Symbole für die beiden Bücher der Bibel ist alt. Bildliche Darstellungen belegen die Behandlung der Thematik vom 9. bis ins 16. Jahrhundert (vgl. Weber: Schauspiel, S. 2), deren Vorkommen im Rahmen theatraler Inszenierungen ist erst später nachweisbar. Anders argumentiert Weber (Weber: Schauspiel, S. 35–38), der eine derartige Tradition ebenfalls seit dem 9. Jahrhundert nachzuweisen versucht, in diesem Unterfangen jedoch wenig glaubwürdig erscheint und Belege schuldig bleibt (vgl. auch Raddatz: Entstehung, S. 3). Seit karolingischer Zeit sind es zunächst insbesondere Elfenbeinreliefs, später unterschiedlich geartete figürliche Darstellungen, innerhalb derer die Vertreter stets ähnliche Attribute mitbringen. So wird Synagoga häufig mit Augenbinde (Blindheit), gebrochenem Stab, zerbrochenen Gesetzestafeln bzw. verrutschter Krone (Niederlage), vom Kreuz abgewandt (Irrlehre) dargestellt, Ecclesia hingegen wird auf einem Thron mit Fahnenlanze und Krone abgebildet, häufig mit einem Kelch, mit dem sie das Blut Christi auffängt. Allerdings verändert sich die Art und Weise des Arrangements. So zeigen die älteren Zeugnisse den Propheten Hoseas als neutrales Gegenüber der Ecclesia, bereits in karolingischer Zeit wird diese Aufteilung zunehmend durch das feindliche Gegeneinander von Ecclesia und Synagoga ersetzt. Für die Nürnberger Kirchen ließ sich eine solche Darstellung nicht nachweisen, im Bistum Bamberg jedoch, zu dem Nürnberg kirchenrechtlich gehörte (LexMA 1, Sp. 1398), befand sich eine derartige Figurengruppe am Fürstenportal des Doms. Aufführungshinweise: Die einleitenden Worte des ersten Bauern legen nahe, den Aufführungsort in einer bürgerlichen Wohnung zu sehen. So sind Kinder und Wiegen kaum in öffentlicher Gastronomie zu vermuten (vgl. Z. 9f.), und die Aufforderung, die Polster und Kissen zu schonen (vgl. Z. 7f.) ist wohl im Zusammenhang zu sehen mit einer spontan errichteten Zuschauertribüne zwecks besserer Bühneneinsicht, bestehend aus den Einrichtungsgegenständen des Wohnraums (vgl. Z. 11f.). Gestützt wird diese Vermutung durch die anspruchsvolle Thematik, die die derbhandwerkliche Tradition sprengt (vgl. Weis-Diehl: Gewaltstrategien, S. 291f.) Es bleibt ungewiss, inwieweit der Kenntnisreichtum des christlichen Verfassers um die talmudischen Texte dem Publikum bewusst wurde, da die Verweise auf die entsprechenden Quellen selbst meist von dem Rabbi vorgetragen wurden, um dann von dem christlichen Gelehrten widerlegt zu werden. Die Vertrautheit mit den schriftlichen Zeugnissen jüdischer Kultur, die der heutige Leser des Spiels dem Verfasser zu attestieren bereit ist, ist für den zeitgenössischen Zuschauer weniger offensichtlich, zu stark ist in der Aufführungssituation der gesprochene Text an die Rolle des Rabbiners innerhalb der Inszenierung gekoppelt. Die Worte des Dichters am Ende des Spiels in den Z. 1109–1119 könnten prinzipiell zur Partie eines Ausschreiers gehören. Die Passage erscheint indes entbehrlich, sie doppelt inhaltlich weitgehend die durch die sinagog in Z. 1088ff. bereits vollzogene Beendigung des Spielgeschehens. Mit Nennung seines Namens tritt uns hier Folz nicht nur als Verfasser bzw. Kompilator, sondern auch als Rolle auf der Bühne entgegen (Spricht Hans Faltz), daneben gibt er sich in der Sprecheranweisung in Z. 1109 eben-

81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga | 55

falls als solcher zu erkennen. Es ist also anzunehmen, dass die inhaltlich redundanten Worte des Barbiers nicht genuiner Bestandteil des vorliegenden Spiels sind, sondern an eine dramatisierte Vorlage angehängt wurden bzw. als Versatzstück für eine spätere Fassung gedacht waren oder als alternatives Ende für den Fall, dass Hans Folz tatsächlich seinen Auftritt auf der Bühne haben sollte. Die Disputanten müssen kostümiert gedacht werden, da ihre Identität sich vorzugsweise aus den Sprecheranweisungen ergibt und somit für das Publikum nicht ohne Weiteres erkennbar ist. So spricht der christliche Vertreter sein Gegenüber in Z. 223 mit jud an, der Status des Schriftgelehrten wird diesem verbal jedoch erst in Z. 247 attestiert. Er wird vermutlich durch Judenfleck und Kopfbedeckung gekennzeichnet sein. Da jedoch konkrete Hinweise auf das Ornat eines Rabbiners fehlen, ist lediglich von der allgemeingültigen Praxis auszugehen, dass er ein langes Obergewand trug. Der doctor wird überhaupt nicht als solcher aus dem Sprechtext heraus gekennzeichnet. Man könnte ihn zur Identifizierung mit einem Magisterhut versehen haben, vgl. auch den Holzschnitt ‚Christ und Jude‘ von 1479 (Schramm: Bilderschmuck, Nr. 360). Die Juden dagegen geben sich in Z. 95 explizit bzw. in Z. 209ff. durch den gesprochenen Text zu erkennen. Sie sind ebenfalls in erster Linie durch einen Judenhut bzw. den Judenfleck gekennzeichnet zu denken. Es lässt sich aus Regieanweisungen und Kostenzusammenstellungen rekonstruieren, dass Spielrotten zur Charakterisierung auch mit hebräischen Schriftzeichen bedeckte Kleidungsstücke trugen (vgl. Frey: Pater, S. 55–56). Kirch und sinagog werden in Z. 51 zwar als alt gesetz und new gesetz eingeführt und gewiss vermittels gestischer Hinwendung des hofmeisters als solche für den Zuschauer identifizierbar. Der verbreiteten Ikonographie entsprechend sind die Rollen jedoch mit den genannten Attributen Krone und Kelch bzw. Augenbinde und zerbrochenem Stab ausgestattet zu denken. Aufgrund Z. 133 und Z. 149 ist davon auszugehen, dass der Synagoge darüber hinaus Züge eines alten, zänkischen Weibes verliehen wurden. Anders als in den bildlichen Darstellungen verkörperten im Fastnachtspiel ausschließlich männliche Akteure diese Rollen. Es bleibt ungewiss, welche Wirkung von dieser Besetzung ausging. Trotz anzunehmender Maskierung und nonverbaler Rollenzuweisung funktioniert dieses Spiel mit der Stellvertreterschaft nur dann, wenn die Zuschauer mit der Tradition der disputationes bzw. deren Nachläufern, den Scheindisputationen, leidlich vertraut waren. Und dies ist für das Nürnberger Publikum aufgrund der Inszenierungen des Petrus Nigri sowie dem Märe ‚Die Disputation‘ von Hans Rosenplüt anzunehmen (vgl. Endkommentar zu F 108). Wenn diese sich auch erst ab 1478 nachweisen lassen (vgl. CDS 4, S. 351, 153f.), berichtet der Dominikaner in seinem Traktat ‚Contra perfidos Judaeos de conditionibus veri Messiae‘ von öffentlichen Predigten, die er im Jahr 1474 gehalten habe (vgl. auch ADB 33, S. 247). Die oben genannte Möglichkeit der Zusammenarbeit des Petrus Nigri mit Folz bzw. dem Bearbeiter der Vorlage stützt die These von weiteren, möglicherweise die eigentlichen Disputationen vorbereitenden konzertierten Auseinandersetzungen mit der Thematik. Dieser Befund lässt auf eine bereits früher einsetzende missionarische Tätigkeit des Dominikaners schließen bzw. belegt

56 | 81 – Hans Folz: Ecclesia und Synagoga

das allgemeine Interesse an derartigen Veranstaltungen und zeugt von der Neuformierung und -organisation sich verdichtender antijüdischer Agitation. Die Bühne muss zweigeteilt gedacht werden. Zahlreiche mittelalterliche Darstellungen legen nahe, dass auf der für den Zuschauer linken Seite im Hintergrund kirch, davor der christliche Gelehrte, rechts die sinagog und der rabj in derselben Staffelung positioniert waren. Neben der sinagog war die Gruppe der Juden aufgestellt. In Z. 202 wendet sich die sinagog an die Schar der Juden und heißt diese hervorzutreten. Insofern ist also davon auszugehen, dass diese nach Vorbringen ihrer Anklage sich in den Bühnenhintergrund zurückgezogen hat. Diese Aufstellung bleibt während des gesamten Spiels weitgehend stabil. Lediglich mit dem Streit innerhalb der jüdischen mansio (Z. 1003f.) wird die Ordnung dahingehend aufgelöst, dass die rechte Seite ihrerseits in zwei Teile zerfällt und im Gegensatz zu der christlich besetzten Bühnenhälfte ein augenfälliges Beispiel der Zwietracht und inneren Zerrissenheit liefert. Bemerkenswert ist schließlich die Regieanweisung Der fallend jud (vgl. Z. 881, 925, 1003, 1060). Es ist davon auszugehen, dass diese für den Zuschauer nicht erkennbare Information in Gestus bzw. Habitus durch den Akteur umgesetzt wurde, bspw. durch taumelnden Gang oder Zusammensinken auf die Knie.

Textbezüge Das Spiel zählt zu den politischen Stücken, wenn auch das Interesse an administrativen Zusammenhängen bei Folz generell wenig vielfältig bleibt (vgl. Michels: Studien, S. 233) und sich auf einige Momente reduzieren lässt. Die Disputation über die Richtigkeit des christlichen gegenüber dem jüdischen Glauben fügt sich in das etablierte Motivinventar der Fastnachtspiele nicht ein. Ausnahmen diesbezüglich bilden lediglich F 108 und F 88, wobei im letztgenannten deutliche Konzessionen an die für das Genre typische brachiale Komik gemacht werden. Hetze gegen Juden findet sich außerdem in R 47 ‚Des Türken Fastnachtspiel‘, hier wird auch die von der türkischen Streitmacht ausgehende Bedrohung (vgl. Z. 591ff.) zum Thema. Kirchliche Amts- und Funktionsträger treten des Öfteren im Fastnachtspiel auf. Anders als in den derb-komischen Spielen, in denen diese bzw. deren Angestellte als bigott (F 82), zaudernd bzw. genussfreudig (F 90), lüstern (F 95) und arbeitsscheu (F 107) dargestellt werden, sind in den Disputationsspielen die Kirchenmänner nicht als menschliche Vertreter des Klerus, sondern als Verkünder der wahrhaftigen Lehre uneingeschränkt mit positiven Eigenschaften ausgestattet. Bearbeiter: Greil, Przybilski

82 – Der Wallbruder

Ein spil, der walbruder genant

5

10

15

20

KF Nr. 2

Gb 25r KF 34

Got gruß euch, lieben herren mein, Habtz nit fur vbel, das ich kum herein Vnd hort mein klagen von mir armen Vnd laßt mein not euͤ ch erparmen Vnd thut ewr hilff mir heint zu frumen, Wann in groß armut bin ich kumen. Das clag ich euch in gotes namen, Darumb stopfft allesambt zu sammen Vnd last euch mich enpfolhen sein. Jch wolt gen Och sein hinab an Rein, Do stÿeß mich vntterwegen an Mort, rawben das ich kaum entran Mit meinem mantel, pack vnd hut. Dasselb mir geschach zu grossem gut: Nachdem mir gros vngeluck zu wiel, Das ich jn einen graben viel Daruon mit wasser vnd ich wart So nass auff derselben fart, Sam ich den Reyn hett vberschwummen. In dem zwen vngeuer dar kummen

1 walbruder ‚Wallfahrer, Pilger‘ 3 Habtz nit fur vbel ‚Nehmt es [mir] nicht übel‘ 6 heint ‚heute [Nacht]‘ 6 zu frumen ‚zugute kommen lassen‘ 7 Wann ‚Denn‘ 10 ‚Und nehmt euch meiner an.‘ 11 Och: ‚Aachen‘; Aachen war im Spätmittelalter das bedeutendste Pilgerziel nördlich der Alpen (LexMA 1, Sp. 3f.). 12 anstoßen ‚widerfahren, zustoßen‘ 14 mantel, pack vnd hut: Typische Pilgerkleidung seit dem 11./12. Jahrhundert (Kühnel: Bildwörterbuch, S. 196f.). 15 ‚Doch dies war noch harmlos:‘ 16 Nachdem ‚Danach‘ 16 zu wiel (zu mhd. wallen): ‚begegnen‘ 18 ‚[Gefüllt] mit Wasser und ich wurde davon‘; die Stellung des Adverbs daruon zu Versbeginn rührt wahrscheinlich daher, dass auf diese Weise wart die Endposition einnehmen und einen Reim auf fart bilden kann. 20 Sam ‚Als ob‘ 21 vngeuer ‚zufällig‘

1 im Register G: Ein spill von ainem pauren vnd ainem walbroͧ der wie sy mit ain ander kriegen 12 stÿeß: Keller (S. 34) erwägt Konjektur zu stÿeßn; der Eingriff erscheint lediglich im Verbund mit der Besserung in der Folgezeile sinnvoll. 13 Mort, rawben: Keller (S. 34) erwägt Konjektur zu Mortrawber 15 Dasselb: Keller (S. 1480) erwägt Konjektur zu Daselbst 18 Keller (S. 1480) erwägt Konjektur zu Daruon vnd ich mit wasser wart

58 | 82 – Der Wallbruder

25

30

35

Vnd hulffen auß dem pach mir gar. Erst hub sich an mein schaden zwar: Ich meint sie hulffen mir in gut, Do hett 〈ich〉 verspilt mein mantel vnd hut, Den mir die zwen do teten nemen. Erst must ich mich do lauffens remen Wann ich besorgt jrs gewalts noch mer. Darumb pit ich euch vast vnd ser, Jr stewrt mich armen auff den weck, Ee in dem aprill kuͦ m der dreck, Das ich vor kot nit wandern muͤ g. Darumb stewrt mich aus ytzo, weyl es tuͤ g. Gibt got, das pesser wirt vmb mich, So wil ich euch dancken fleissicklich.

Gb 25v

KF 35

Der pawr:

40

45

Hort liegen, lieben herren, hewt hoͤ rt, Wie euch der mit seinem gespey betoͤ rt! Wer sein nit kennet, der meint es wer! Das dich der rit schuten muͤ ß, sag her! Wo pist du doch also beraubt worn, Wo hastu den hut vnd den mantel verlorn, Wo ist der grab, da du ein  vıͤlst? Ich sach wol dar, das du es verspilst, Do die drey rauber an dich kamen Vnd dir das gelt mit aynliffen namen.

23 ‚Jetzt erst begann mein Verderben richtig:‘ 25 verspilen ‚verlieren, einbüßen‘ 27 remen (zu mhd. ræmen): ‚sich befleißigen‘ 28 ‚Denn ich war angesichts ihrer Gewalt in noch größerer Sorge.‘ 29 vast und ser ‚ganz arg, inständig‘ 30 stewren ‚führen‘ 31 dreck ‚Schlamm‘; hier aufgrund der Schneeschmelze zur Fastnachtszeit. 32 kot ‚Schmutz, Dreck‘ 33 ‚Darum bezahlt mich jetzt aus, solange es noch etwas bringt.‘ 33 tuͤ g: 3. Pers. Sg. Konj. Präs. (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 138). 38 gespey ‚leeres Gerede, Geschwätz‘ 40 rit (zu mhd. rite): ‚Fieber, Schüttelfrost‘, unspezifische Bezeichnung für diverse mit diesen Symptomen einhergehende Erkrankungen (Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 513f.), hier als Verwünschung zu verstehen. 40 schuten ‚schütteln, anfallen‘ 46 aynliffen: ‚elf‘; beim Würfelspiel entweder glücklicher oder auch unglücklicher Wurf (Tauber: Würfelspiel, S. 83); hier: unglücklich.

25 hett ich] hett: Konjekturvorschlag bei Keller (S. 34)

82 – Der Wallbruder | 59

50

55

Die aus dem lidren pusch her rentten, Darnach dich jm frawnhawß pfenten Vnd dich jn vischpach wurffen darzue. Da mustu jn, wolst sein mit rwe, Dein huͤ t vnd mantel jn do geben Vnd XXXV d zu pade daneben, Das sie in das loch nit furten dich. Ja lieben herren, so hub es sich!

Gb 26r

Walbruder: Lieben herren, gelaubts nit, er leugt furwar, Wie ich euch sag so ist jm gar Vnd mag sich anders nit erfinden! Der pawr:

60

Hor lieber, wie gings dir fert dahinden Mit den schon frawen bej dem korn haws, Da dich der Heintz Putz fand in der lawß Vnd heymlich pracht dein weyb darzu.

KF 36

47 lidrer pusch: ‚lederner Busch‘; Nopitsch weist, allerdings erst für das 18. Jahrhundert, die Gaststätte Der goldene Busch nach (Nopitsch: Wegweiser, S. 213). Diese befand sich in der Engelhardsgasse und damit in unmittelbarer Nähe des Frauenhauses. Vermutlich handelt es sich bei dem lidren pusch um eine Verballhornung des Namens der oben genannten Gaststätte, siehe auch Endkommentar. 48 frawnhawß: ‚Bordell‘; das in der Nürnberger Frauengasse (Maukental) ansässige städtisch geleitete Frauenhaus ist seit 1403 bezeugt. Es gewährte den Prostituierten die Bürgerrechte sowie eine Art Gewerbeschutz. In Folge der im Zuge der Reformation erheblich verschärften Beschränkungen wurde das Frauenhaus 1562 abgeschafft (Stadtlexikon, S. 303). 49 vischpach: Durch städtische Abwässer stark verunreinigter Bach durch Nürnberg. Mit dieser Stelle bezieht sich der Text wohl auf einen Verlass des Nürnberger Rates aus dem Jahr 1468, der ein Bad im Fischbach als angemessene Strafe für sich im Frauenhaus vergnügende Ehemänner vorsieht (Bastian: Mummenschanz, S. 167, Anm. 18; Michels: Studien, S. 229, Anm. 2). 50 wolst: 2. Pers. Sg. Konj. Prät. (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 222) 52 d: ‚Denarius‘; geringwertige römische Münze 52 zu pade: Das Bad steht in verschiedenen Wendungen als Symbol für [ökonomische] Bedrängnis (Röhrich: Redensarten S. 130; FrnhdWb 2, Sp. 1660ff.); vgl. die nhd. Wendungen baden gehen, etwas ausbaden. 54 hub: 3. Pers. Sg. Ind. Prät. zu frnhd. heben: ‚anfangen, sich ereignen‘ 56 laugen ‚lügen‘ 57 jm: ‚es‘; im Verbund mit sein wird das Pronomen, wenn es sich auf ein zuvor abgeschlossenes Ereignis bezieht, im Dativ verwendet (DWb 10, Sp. 2048). 58 sich erfinden ‚sich darstellen, sich zeigen‘ 60 fert ‚letztes Jahr‘, hier: ‚seinerzeit, damals‘ 61 korn haws: ‚Kornspeicher‘; hier wohl das in unmittelbarer Nähe in der Frauengasse, später als Zeughaus genutzte Gebäude. 62 lawß ‚Lauer‘

60 | 82 – Der Wallbruder

Bruder: 65

Ach lieber, du machest mir gern vnrw! Was bedarffest du solcher teding hierjnn. Pawr: Wie gieng es denn am vischmarckt in der rinn, Do dich gen zwen vmb ryssen?

70

Bruder: Es hat mich der teufel mit dir beschissen! Nw weyß ich doch vmb solichs nit. Pawr:

75

80

Ey das dichs faldubel ange vnd der rit! Weÿst nit dort gene, der du die hantsalb gabst Vnd mit jr vom tantz zum hawse ab drabest Vnd zwen gesellen dir nach slichen Vnd dir dein palk gar rayn zustrichen Vnd in dem dreck sulten hin vnd her.

Gb 26v

Bruder: Furwar, lieben herren, es ist ein mer Vnd ist mir nye zuhanden kumen. Wer hat solch luͤ g ÿe mer vernumen, Als mir der boßwicht tut zu eÿgen.

66 teding ‚Gerede‘ 68 vischmarckt: Nördlicher Teil des Hauptmarkts in der Stadtmitte (Stadtlexikon, S. 414). 69 gen ‚gegen, etwa‘ 74 ‚Auf dass dich der Schlag treffe!‘ 74 faldubel: Kontraktion aus fallend ubel ‚Fallsucht, Epilepsie‘; vgl. Z. 100. 75 hantsalb: ‚Handsalbung‘; scherzhafte Bezeichnung für Geschenke mit dem Ziel einer konkreten Gegenleistung. 78 palk ‚Balg, Fell‘ 79 sulen (zu mhd. süln): ‚suhlen, wälzen‘ 81 mer ‚Gerücht, Geschwätz‘ 84 ‚Wie sie mir der Bösewicht andichtet.‘

68 denn] dem: Konjekturvorschlag bei Keller (S. 36) 79 sulten: Keller (S. 36) erwägt Konjektur zu zarten bzw. dich zugen; die Eingriffe sind nicht notwendig, siehe Stellenkommentar.

82 – Der Wallbruder | 61

85

Pawr: Ich sag dir warlich, wiltu nit schweigen, Ich wil dir erst die rechten punt auff pinden. Bruder:

90

Nw kanstu doch ye kein warheit finden Vnd hoff, dein speyen sey verlorn

KF 37

Pawr:

95

Vnd wenn es dir gleich tet als noch als zorn Vnd dich gleich noch als vast test spitzen. Noch hastu ein hurn zum Gostenhoff sitzen Vnd ich hoff, ich wil des tags erleben, Mann werd dir den weck zu dem kwfenster hinauß geben. Bruder: Lieber, mach des dings nit al zuvil! Pawr:

100

Eÿ, so hab dirs faldubel vn sweig still! Bruder:

Gb 27r

Jch rat dir werlich: schweig vnd nit fluch!

87 ‚Ich werde dir zunächst die richtige, der Situation angemessene Last, Bürde auferlegen; dir das Leben richtig schwer machen.‘ 92 ‚Und wenn es dir gleichgültig wäre oder dich zornig machte‘ 93 ‚Oder du dich noch so gewaltig mit frechen Worten dagegen zur Wehr setztest.‘ 93 test: Kontraktion 2. Pers. Sg. Konj. Präs. zu tun 94 Gostenhoff: Die unmittelbar vor dem Spittlertor im Nordosten gelegene Vorstadt (Stadtlexikon, S. 372). 1448 entbrannte zwischen Stadt und Markgraf Albrecht Achilles ein Streit über den Anspruch auf die dortige Gerichtsbarkeit; in der Frühen Neuzeit als Ort illegaler Prostitution bekannt. 96 kwfenster: Das Fenster des Kuhstalls stand sinnbildlich für die Möglichkeit, sich ungebeten oder widerrechtlich Zutritt zu einem Gebäude zu verschaffen (vgl. DWb 11, Sp. 2553), hier wird auf den Weg heraus verwiesen 102 werlich ‚wahrlich, fürwahr, gewiss‘; vgl. Z. 726

92 als noch als: Keller (S. 37) konjiziert zu noch als bzw. erwägt Konjektur (S. 1480) zu als noch geben über der Zeile nachgetragen

96

62 | 82 – Der Wallbruder

Pawr:

105

Ja, vnd wenn du schon gleich schißt in die pruͦ ch, Noch gib ich nit vast vil vmb dich. Bruder: Wie mainst du es dan, verachßt du mich? Pawr: Jch sag dir, krum dich newrt nit ser.

110

Bruder: Lust dich dann etzwas, so ge her. Pawr: Wie, mainstu ich thurr nit zu dir gen? Bruder:

115

Ich fleuch dich nit, weren halt deiner zwen. Pawr: Ich wil dich werlich auch nit fliehen. Bruder:

120

KF 38

Pox leichnam, ich torst dich wol schier vmb  zyehen, Das du dein lebtag gedechst daran! Pawr: Lieber, lust dich mein, so reyb dich heran. Jch mayn, ich woll dir manns genug sein.

104 pruͦ ch hier: ‚Unterhose‘ 107 verachten ‚geringschätzen‘ 109 krumen ‚aufregen, aufbegehren‘ 109 newrt ‚nur‘ 111 lusten ‚Verlangen empfinden‘ 113 thurren ‚wagen‘ 115 fleuchen ‚flüchten‘ 119 ‚Bei Gott, ich wage dich recht bald zu verspotten,‘ 119 pox leichnam: Die seit dem 15. Jahrhundert auch als kotz oder potz in Flüchen auftretende Interjektion pox ist eine Entstellung des Genitivs Gottes. Sie entstand, um den Namen Gottes nicht in einem Fluch zu gebrauchen (HdA 2, Sp. 1638). leichnam bezeichnet hier den Leib Christi (DWb 12, Sp. 627f.). 122 sich reyben ‚sich wenden‘

82 – Der Wallbruder | 63

Bruder: 125

Vnd schonet ich dein als wenig als mein. Ich wolt mich freylich mit dir plewen.

Gb 27v

Pawr: Wie mocht man newr den rysen stewen. Bruder: 130

Lieber, spot nit vil, jch rat dirß werr ̲lein. Pawr: Jch mein, dich dunckt, du habst ein nerrlein. Bruder: Ge wegk oder ich slach dich werlich an den grint.

135

Pawr: Du leckst jm ars ein beschissens kint, Das dir das gelb am packen kleb. Bruder: Wart das ich dir eins in die rutzen geb.

125 ‚Und schonte ich dich so wenig wie mich.‘; dein und mein: Personalpronomen 1. und 2. Pers. Gen. Sg.; die hier noch nicht vollzogene Erweiterung mit -er (meiner, deiner) gilt als die wichtigste im Bereich der Personalpronomina zu beobachtende Entwicklung vom Mhd. zum Nhd. (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 61f.). 126 plewen ‚schlagen, prügeln‘ 128 stewen (zu mhd. stieben): ‚wie Staub umherwirbeln, in die Flucht schlagen‘, möglicherweise aber auch Verschreibung zu mhd. stiuren ‚mäßigen, bändigen‘. 130 werrlein: ‚wahrlich‘; die mundartliche Umbildung der zweiten Silbe von werlich zu werlein ist eigentümlich für die Nürnberger Fastnachtspiele und wohl auf eine Umbildung des dialektalen werli zurückzuführen; meist als Beteuerungspartikel verwendet (DWb 27, Sp. 926, 933; Michels: Studien, S. 228). 132 ein nerrlein haben: ‚einen zum Narren halten‘ (Röhrich: Redensarten, S. 4283). 134 grint ‚Kopf‘ 139 rutzen ‚Rotznase‘

130 werrlein] werrillen: Konjektur bei Keller (S. 38)

64 | 82 – Der Wallbruder

140

Pawr: Ey, so se hin vor das erst jns maul Vnd wer dich vast vnd piß nit faul, Ich wil mit dir der strebkatzen ziehen Oder must zu der stuben hinaus fliehen.

145

150

Pawr:

KF 39

Wach auff fried, der krieg ist auß! Vnd laßt vns leben in dem sawß Vnd die pecher leren, schewren vnd die krawßen Vnd trincken das vns die packen pawßen. Tantzen vnd springen frolich all, Pfeiff auff, spilman, ein tantz mit schall!

Gb 28r

Der ausschreyer spricht:

155

Alde herr wirt, zu guter nacht! Hab wir icht vntzucht hierjnn verpracht, Das sult ir vns nach lassen fein. Kumpt ÿemant nach vns fragen herein, So sagt jm wir sind allsampt auß, Man find vns in dem nechsten hawß.

R 55, 209f.; F 83, 178f.

142 sich vast weren ‚sich heftig widersetzen‘ 142 piß: Imp. Sg. von sein; diese Form bestand im Obd. teilweise noch bis in die 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 149). 143 die strebkatze ziehen: Spiel, bei dem sich zwei Personen an einem um den Nacken geschlagenen Seil hinund her zu ziehen versuchen (DWb 19, Sp. 1081f.); hier in der Bedeutung ‚raufen, zanken‘. 146 fried ‚Friede, Waffenruhe‘ 148 schewre (zu mhd. schiure): ‚Trinkgefäß, Becher‘ 148 krawße (zu mhd. krûse): ‚Krug‘ 149 pawßen ‚aufblasen, bauschen‘ 154 Hab: Zur Möglichkeit des Flexivausfalls der 1. Pers. Pl. Ind. Präs. bei nachgestelltem Personalpronomen vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 94. 154 icht ‚[nicht] etwa, vielleicht‘ 154 verpringen ‚an einen falschen Ort bringen, fehlleiten‘ 155 nach lassen ‚nachsehen, verzeihen‘

145 Pawr: Keller (S. 39) erwägt Konjektur zu ‚Bruder‘; der Eingriff bessert die Stelle dramaturgisch, ist jedoch nicht zwingend erforderlich. 152 abweichende Schreiberhand

82 – Der Wallbruder | 65

Kommentar Bezeugung Gb, Bl. 25r–28r

Ausgaben Keller: Fastnachtspiele I, S. 34–39 (= Nr. 2, nach G); Bd. III, S. 1480f.; Bd. IV, S. 336f.

Textkritik Der Text ist unikal in Handschrift G überliefert.

Autor Stichreim und Momente dramaturgischer Ausgestaltung sprechen für Folzens Verfasserschaft, nurmehr angedeuteter Tanzschluss und relativ geringer Umfang dagegen sind weniger typisch für ihn.

Datierung Terminus ante quem ist 1494, das Abschlussjahr von Handschrift G. Zu einer möglichen Eingrenzung auf das Jahr 1489 siehe unten.

Rollen, Inhalt, Struktur Rollen: Ein Wallbruder, ein Bauer sowie ein Ein- und Ausschreier (wohl identisch mit dem Wallbruder). Der Wallbruder schildert eine angeblich unternommene Pilgerreise nach Aachen, deren übler Verlauf im Raub seiner gesamten Ausstattung geendet habe und deren Weiterführung nur durch eine milde Gabe zu gewährleisten sei. Ein Bauer deckt nach und nach den wahren Grund des materiellen Notstandes auf: Seine Vergnügungssucht, Würfelspiel und Bordellbesuch haben den Wallbruder in die beklagte Lage geraten lassen. Zudem belegt der Bauer sämtliche Eskapaden mit genauen Ortsangaben, worauf sich der Pilger nur mit dem Vorwurf der üblen Nachrede zu rechtfertigen weiß. Im Zuge der immer wüster werdenden Beschimpfungen unterbricht der Bauer etwas unvermittelt den Zwist und ruft zu friedvollem gemeinsamem Trank und Tanz auf.

66 | 82 – Der Wallbruder

Formal entspricht F 82 am ehesten dem Typus des handlungsorientierten Reihenspiels. Der Schluss, der mit der allgemeinen Tanzaufforderung zusammenfällt, ist zudem ein charakteristisches Element des Einkehrspiels, ebenso der das Spiel beendende Ausschreier: Seine abschließenden Worte entschuldigen eventuelle Unzüchtigkeiten, werben aber zugleich für die an anderem Ort zu wiederholende Aufführung. Deutungsaspekte: Das vorliegende Spiel fällt zunächst durch die geringe Anzahl an Rollen auf, es agieren lediglich zwei Figuren. Der Wallbruder übernimmt die Funktion des Einschreiers, durch das Zusammenfallen der Rollen beginnt das Spiel in medias res. Auf diese Art wird das anwesende Publikum direkt in das Spielgeschehen integriert und erhält folglich die Rolle der lieben herren, die über Wahrheit oder Lüge in den Aussagen des Wallbruders richten dürfen. Neben dieser direkten Anbindung an die Aufführungssituation fällt das im Spiel angelegte Lokalkolorit auf. Der Wallbruder wird mit zahlreichen Örtlichkeiten und Gegebenheiten in Verbindung gebracht, die dem Nürnberger Publikum natürlich allzu bekannt waren. Es bleibt fraglich, ob in dieser detaillierten Benennung und Verortung die Absicht des Autors zu vermuten ist, eine konkrete historische Persönlichkeit rekonstruierbar werden zu lassen. Möglich scheint auch, dass hier auf die Omnipräsenz zahlloser Aachenfahrer aus Ungarn rekurriert wird, die sich für das Jahr 1489 nachweisen lässt (vgl. Müllner: Annalen, S. 101). Unsicher ist auch die Bedeutung des lidren pusch in Z. 47. Michels vermutet darin ein ledernes Polizeizelt und geht davon aus, dass es sich bei den drey raubern in Z. 45 um Stadtknechte handele, die dem Pilger ein Bußgeld für seine sittlichen Verfehlungen auferlegen (vgl. Michels: Studien, S. 229, Anm. 2). Diese Deutung übernimmt der Artikel des Verfasserlexikons (vgl. 2 VL, S. 621f.). Da der Text diese Auslegung jedoch nicht zwingend fordert, wird hier eine andere Lesart vorgeschlagen: In Übereinstimmung mit der eher allgemein gehaltenen Darstellungsweise des Spiels wird der lidre pusch als Verballhornung eines Nürnberger Gaststättennamens gewertet. Anhaltspunkte hierfür finden sich bei Nopitsch, der für die reichsstädtische Zeit ein Wirtshaus namens „Der goldene Busch“ ausweist, das sich in der Engelhardsgasse in unmittelbarer Nähe des Frauenhauses befand und somit in der Handlungsumgebung des Wallbruders läge (vgl. Nopitsch: Wegweiser, S. 213). Die drey rauber, die ihm das gelt mit aynliffen namen, wären dann auch keine Polizisten, sondern Zechkumpane, die den Pilger mit einem glücklichen Elfer beim Würfelspiel über den Tisch gezogen hätten. Insgesamt erscheint der Bauer, und das ist nicht die Regel innerhalb der Fastnachtspiele, nicht als Tölpel, sondern als gewitzte Figur, die, durchaus explizit moralisch argumentierend, den Wallbruder als falschen Frömmler und Ehebrecher entlarvt. Auch in diesem Punkt stellt das Spiel eine Ausnahme dar, werden Ehebruch und Prostitution in den Fastnachtspielen doch generell eher ins Lächerliche verkehrt (vgl. Bastian: Mummenschanz, S. 98) bzw. als Verhaltensweisen gehandelt, derer man sich rühmt. Gegen die Vorwürfe des Bauern setzt sich der Wallbruder heftig zur Wehr, es entwickelt sich im weiteren Verlauf ein derber Schlagabtausch, der stets in eine handfeste Prügelei zu kippen droht. Unvermittelt beendet der Bauer jedoch die Auseinanderset-

82 – Der Wallbruder | 67

zung mit den Worten Wach auff fried, der krieg ist auß!, und ruft zum ausgelassenen Tanz. Wie der Wallbruder die Zuschauer zu Beginn ins Spiel hineingeleitet hat, führen die Worte des Bauern nun aus der Handlung heraus. Dabei wird die aufgeheizte Stimmung des Spielgeschehens auf den Aufführungsort, die Gaststube, übertragen und soll dort in wildem Tanz und ausgiebigem Schlemmen fortgesetzt werden. Aufführungshinweise: F 82 lebt in hohem Maße vom Spiel mit der theatralen Situation. Die mit der Gattung leidlich vertrauten Zuschauer werden mit den Worten des eintretenden Wallbruders nicht wie üblich auf ein zu inszenierendes Bühnengeschehen vorbereitet. Vielmehr erscheint hier bereits zu Beginn eine der handelnden Figuren. Gleichzeitig wird das Publikum mehrfach von der Bühne aus angesprochen (Z. 37–39, Z. 56–58, Z. 81) bzw. die Bühnenhandlung wird für beendet erklärt und stattdessen die Aufführungssituation in einer Gaststätte thematisiert (Z. 147–151). Hierin zeigt sich ein reflektierter Umgang mit der Bühnensituation. Das Spiel läuft ab Z. 98 weitgehend ohne innere Handlung ab. Brachten Anschuldigungen und unterschiedliche Ausdeutungen des Verhaltens des Wallbruders vorher zumindest rudimentären inhaltlichen Progress, so stehen von Z. 98–145 die beiden Kontrahenten nurmehr drohend einander gegenüber. Diese für den Rezipienten schnell mühsam erscheinende Passage dürfte durch mimische Aktionen ausgestaltet worden sein. Um das Publikum bestmöglich zu unterhalten, dürften die Drohungen in Tonfall und Gestus variiert worden sein. In Z. 145 wird dies evident: Die Redeanweisung ergibt nur dann einen Sinn, wenn der bereits zuvor sprechende Bauer seinen Text unterbrochen hat und die Akteure einander wortlos drohend gegenüber stehen.

Textbezüge Inhaltlich wie auch in Bezug auf die personelle Besetzung steht das Spiel etwas außerhalb der klassischen Fastnachtspieltradition. Zwar werden lüsterne bzw. verlogene Angehörige des Klerus des Öfteren der Lächerlichkeit preisgegeben, hier jedoch handelt es sich um einen Laien, dessen Verfehlungen weniger im Übertreten kanonisierter Verbote zu sehen sind, denn in der zunehmenden Verstrickung in Lügen und Halbwahrheiten. In der Einschreierrede zu R 64 bezeichnen sich die Mitglieder der Spielrotte zwar selbst als ellend pilgrein (Z. 9), betonen darin jedoch ihr unstetes Umherziehen in der Inszenierung der Spiele an ständig wechselnden Orten. In R 31 treten ebenfalls lediglich bußfertig erscheinende Figuren auf, deren Abkehr von weltlichen Freuden jedoch darin begründet liegt, dass sie schlicht körperlich nicht mehr dazu in Lage sind. Der Typ des schimpfenden Bauern begegnet auch in R 55, R 59, F 72, F 83, F 86, F 87, F 101 und F 103I. Bearbeiter: Biehl, Greil, Przybilski, Ritz

83 – Das böse Weib

Ein pauren spil mit einem posem altem weyb

KF Nr. 4

Gb 32v KF 47

Der paur:

5

10

15

Herr wirt, ich kum herein gegangen, Vnd hoff von euch gar schon enpfangen. Vnd laßt mich euch gotwilkum sein Vnd auch mein freunt allsampt gemein, Die mit mir sein, als ir wol secht. Vnd hab ein guten wein erspecht, Den wil ich mit euch costen hin. Doch schlißt vest zu, das keines entrin. So wil ichs vragen von wort zu wort, Warumb mich offt auff das narren ort Mein weÿb hat gesetzt, die hur, die sprod, Die alzeit mich hat gehalten schnod Vnd helt mich albeg fur ein atzen Und heyßt mich stetigs schant katze. Es mocht ein herten stein erparmen.

8 erspechen ‚erspähen, ausfindig machen‘ 9 hin ‚hier 4 enpfangen substantivierter Infinitiv drinnen‘ 10 keines: Kollektives Neutrum in der Bedeutung ‚niemand‘. 11 vragen von wort zu wort ‚in aller Gründlichkeit erfragen‘ 12 narren ort: ‚Narrenecke‘; möglicherweise ist das Setzen auf den ‚Narren-‘ bzw. ‚Affenort‘ in R 55, Z. 155 in der Bedeutung von ‚Hörner aufsetzen‘ zu verstehen. 13 sprod: ‚spröde, abweisend‘ 14 schnod ‚karg‘ 15 albeg ‚auf allen Wegen, immer‘ 15 atze ‚Esel‘ 16 schant katze: Schimpfwort 17 vgl. Röhrich: Redensarten, S. 1542.

1 unterstrichen; im Register G: Ein spil von ainem alten pösen weyb, wie sy iren man schlecht vnd sein nachpauren 2 rechts neben der Überschrift mit roter Tinte ergänzt 3 Sprecherbezeichnungen und Handlungsanweisungen sowie die ersten Wörter der jeweiligen Rede sind unterstrichen. 8 Vnd hab ein: Keller (S. 1481) erwägt Konjektur zu Habt ir ein 16 schant katze: Keller (S. 1481) erwägt Konjektur zu schantkatzen; ausschließlich reimbedingte Konjekturen sollen in dieser Edition nicht umgesetzt werden.

70 | 83 – Das böse Weib

Das weyb:

20

25

Ach lieben, helfft im clagen, dem armen, Vnd gebt ein armprust im in sack Vnd tausend faldubel auff sein nack! Ge weck und schweig, du stinkendes oß! Wer meinst, der deim gespey zu loß? Vnd laß mich vnverlogen hynn, Oder dir wirt noch heint zu  rynn All deiner freunt hilff, das wiß! Der pawr:

30

35

Gb 33r

KF 48

Schawt, lieben herren, also yßs, So schilt vnd flucht sie mir alltag. Wenn ichs dan frumen leutten clag, So sprechens, ich sull flux mit ir katzen. Sie tut mich aber – bei meinem eyd – kratzen, Das yderman ye tut erbarmen. Nu erwischt sie mich mit beden armen Vnd warff mich an ein stertz, Daß mich dunckt: wie es mich smerz! Das ich vber vnd vber purtzelet in das kot.

19 lieben: Zur schwachen Flexion des Vokativs vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 41. 19 clagen: ‚Klage führen, Anklage erheben‘ (vgl. auch Z. 39, 71) 20 Bedeutung des Verses (evtl. Redensart) unklar. Möglicherweise liegt bei der Armbrust metonymischer Gebrauch in der Bedeutung von ‚Bolzen, Pfeil‘ vor. Ebenfalls denkbar ist die Bedeutung ‚Schulterblatt‘ (armpross, wörtl.: Arm-Spross, vgl. Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 482), die einer Person in die Bauchhöhle oder an den Hodensack gewünscht wird. 21 ‚Dass ihn der Schlag treffe!‘ 21 faldubel: Kontraktion aus fallend ubel ‚Fallsucht, Epilepsie‘. 22 oß ‚Aas‘ 23 meinst ‚meinst du‘ 23 gespey (zu mhd. spîwen): ‚spucken, geifern‘; hier: ‚Gespött, leeres Gerede‘ 23 zu loß (zu mhd. lûschen): ‚lauschen, zuhören‘ 24 vnverlogen: Part. Perf. mit Präfix un- in aktivischer Bedeutung war eine gebräuchliche Form der Negation (vgl. Paul: MhdGr, § 331) ‚unverleumdet‘. 24 hynn ‚hier drinnen‘ 25 zu  rynn ‚zerrinnen, abhanden kommen‘ 28 yßs ‚ist es‘ 31 katzen: ‚die [Streb-]Katze ziehen‘; Bezeichnung für ein verbreitetes Spiel, bei dem sich zwei einander gegenüberstehende Personen an einem Tuch, das um ihre Nacken geschlungen ist bzw. das sie zwischen den Zähnen halten, hin- und her zu ziehen versuchen (DWb 19, Sp. 1081); auch Ehrenstrafe für zänkische Eheleute. Hier in der Bedeutung von ‚streiten, raufen, zanken‘. 33 ye ‚immer‘ 35 stertz: ‚Wagensterz, Pflugsterz‘; am Hinterwagen hinausstehendes Stück der Langwied (BWb 2, Sp. 785). Nimmt man indes einen Schreibfehler an und konjiziert ein zu mein, dann wird für stertz die Bedeutung ‚Rücken, Hinterteil‘ möglich (vgl. DWb 18, Sp. 2532). 37 kot ‚Schmutz, Dreck‘

35 stertz: Keller (S. 1481) erwägt Konjektur zu wagensterz bzw. pflugsterz

83 – Das böse Weib | 71

Das weyb:

40

45

50

Auff mein eydt, dir ist wol zu clagen not. Laß sehen, wo sein dir die ryeb enzwey? Scheyßt auff pald dem krancken ein ey, Das er nit sterb der grossen plag. Pringt ein, der im ein adern schlag, Das von im rynn das vnrein plut. Ich mein furwar, es dunk dich gut, Das du so verlogen seyst. Den das ist das pest: wie lang du speyst, So bleibstu dennoch der narr im hawß. Vnd wenn ich bin gangen auß, So bleibstu die weil mit fried vnd rwe. Der pawr:

55

60

Gb 33v

Ratt, lieben herren, wie ich im doch thue, Wie sol ich doch newr mit ir leben? Ich fürcht, sie werd mir eins vergeben, Noch ließ ichs dennoch als sein wett. Newr, wann ich bey ir lag im pett, Es hebt sich erst mein schant vnd schmach, So lebtz gleich sam der hagel schlach. So knopptz sie mich ytzo hinten, ytzo forn, Pisweyl gibts mir ye eins zun oren, Das mir ye die augen trieffen.

39 dir ist wol zu clagen not ‚du hast es nötig zu klagen‘ 40 ryeb ‚Rippe‘ 41 Scheyßt auff (zu mhd. schieʒen): ‚stoßen, brechen‘ 41 ey: Im Mittelalter fanden Eier im Rahmen der Wundheilung allgemein und insbesondere zur Behandlung luxierter Gelenke Verwendung (Schipperges: Garten, S. 106). Gleichzeitig war das Eierlegen ein übliches Bild für Stuhlgang, vgl. F91, Z. 47, 120, 139, 144 bzw. F 111, Z. 109. 42 der ‚wegen der, aufgrund der‘ 43 Der Aderlass diente gemäß der Säftelehre dem Abfluss überschüssigen bzw. unreinen und somit schädlichen Blutes. 48 Persiflage der Redensart ‚Herr im Haus sein‘ (vgl. Röhrich: Redensarten, S. 702). 50 Das Ausgehen der Frau ohne den Mann galt als Demütigung (vgl. Brietzmann: Frau, S. 206). 52 Ratt ‚ratet‘ 52 wie ich im doch thue ‚wie ich dieser Situation begegnen soll‘ 54 eins ‚einstmals, irgendwann‘ 55 wett ‚angemessen, in Ordnung‘ 58 lebtz ‚lebt sie, benimmt sie sich‘ 58 sam ‚wie‘ 58 schlach: 3. Pers. Sg. Präs. Konj. des Verbs schlagen (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 88), vgl. aber auch DWb 10, Sp. 148, wo die Textstelle als frühester Beleg für das Kompositum Hagelschlag geführt wird. Die handschriftliche Lücke zwischen den beiden Elementen stützt jedoch die erste Deutung. 59 knoppen ‚knuffen, stoßen‘

72 | 83 – Das böse Weib

65

70

Offt tut sie dann zum rocken schlieffen, Piß das der pfarrer meße hat gelesen. Wenn ich sie dann frag, wo sie sey gewesen, Das sie nit auch kumpt zu rechter zeit, So spricht sie: laß mich ungeheyt! Vnd schnaupt mich so vnsauber an, So schweig ich newrt vnd ge darvon Vnd laß iren mutwillen allein treyben.

KF 49

Das weÿb: Du solst dir warlich die ersten clag lassen schreiben, Die weyl du als eben gedechst daran. Der pawr:

75

80

Schawt an, lieben friunt, schawt an, So treybt sie newr auß mir ir gehei.

F 87, 439

Das weyb:

Gb 34r

Ach ge vnd laß von deim gespey, Vnd laß die leutt mit rw hin sitzen, Ee ich dich werd in das antlutz smitzen! Meinst du, das man von dir hab genug?

62 rocken: Werkzeug, auf dem Flachs gesponnen wurde; hier: ‚Spinnstube‘; der Besuch der Spinnstube gehörte zum geselligen Leben. Mit zunehmender Anwesenheit junger Männer in der im Winter weitgehend dunklen Stube gewann die Institution sittlich zweifelhaften Charakter (vgl. Fuchs: Sittengeschichte 2, S. 134–140; Müller: Schwert, S. 131f.). Die Spindel selbst, auf die der Flachs gerollt wurde, galt als Waffe im Kampf unter Eheleuten. 62 schlieffen (zu mhd. sliefen): ‚schlüpfen, schleichen‘ 66 ungeheyt (zu mhd. hîwen): ‚heiraten‘, auch obszön ‚paaren, schänden‘; der Vers steht grob umgangssprachlich für ‚Lass mich in Ruhe!‘. 67 schnaupt (zu mhd. snûben): ‚[vor Wut] schnauben, fauchen‘ 68 newrt ‚nur‘ 71 Metrisch erscheint ersten hier als Fremdkörper. Tatsächlich steht die erste Klage für die Eröffnung eines Verfahrens. 72 eben ‚genau, gerade‘ 75 treybt auß ‚treiben mit‘ 75 gehei (zu mhd. hîwen): ‚Spott, Verhöhnung‘ 79 smitzen ‚schlagen‘

69 laß: Keller (S. 1481) erwägt Konjektur zu laß sie 72 du als eben: Keller (S. 1481) erwägt Konjektur zu als eben du 75 Keller (S. 1481) erwägt Konjektur zu So treibts auß mir neur ir gehei

83 – Das böse Weib | 73

Ein ander pawer:

85

90

95

Pox haut, ich mein, ir seit nit klug, Das ir solch vnuernuft facht an. Vnd ist doch ye ein man ein man, Vnd wenn er schon gleich stroen wer, Noch solt er auch so nit unmer Behalten sein als ir in habt. Ist ye der mesmer nit pesser dan der abt? So seyt ir ye fraw vnd er man. Darumb last in den forganck han, Vnd habt in nit so leg all frist. Ich red es, vnd sei gleich, wie im ist: Wert ir mein weyb, als ir sein seit, Mir zu rün dan prugel, holz vnd scheyt, Ich wolt euch lernen dultus singen, Pis euch drümet taten am kopff zuspringen.

82 Pox: Die seit dem 15. Jahrhundert auch als kotz oder potz in Flüchen auftretende Interjektion ist eine Entstellung des Genitivs Gottes, um dessen Namen nicht zu missbrauchen (HdA 2, Sp. 1638); das FrnhdWb vermutet hingegen bei pox bzw. bocks eine Anlehnung an den in Bocksgestalt auftretenden Teufel (FrnhdWb 4, Sp. 881f.). Im Kontext mit haut scheint hier die Vorstellung eines felligen Teufels vorzuliegen. 83 vnuernuft: Nasalausfall in druckstarken Stammmorphemen, insbesondere vor f, s, d und t seinerzeit üblich (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 62). 83 anfachen (zu mhd. ane vâhen): ‚anfangen‘ 85 stroen ‚aus Stroh‘; übertragen: ‚kraftlos, wertlos‘ 86 Aus doppelter Negation ist die Möglichkeit des Stilmittels einer vorsichtigen Bejahung geworden (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 232). 86 unmer (zu mhd. unmære): ‚unwert, verhasst‘ 87 Behalten ‚Behandeln‘ 88 mesmer: ‚Messner, Messe haltender Priester oder Küster‘; die Bedeutung der Phrase liegt möglicherweise im Gebot sexueller Enthaltsamkeit, dem der Abt unterliegt, und der Möglichkeit zu sexuellen Aktivitäten, die Küster bzw. Priester offenstehen, immerhin ist dem Priester die Ehe, nicht der Beischlaf verboten: Die Frau solle dankbar sein, keinen gänzlich inaktiven Abt im Schlafgemach liegen zu haben. Ein anderer Deutungsansatz liegt darin, dass hier darauf angespielt wird, dass der hierarchisch niedriger angesiedelte Messner sexuell verfügbarer ist als der Abt. 90 vgl. Gen 3, 16 90 forganck ‚Vortritt‘ 91 leg (zu mhd. læge): ‚gering, schwach‘ 94 zu rünnen ‚zukommen, zuteilwerden‘ 94 prugel, holz vnd scheyt: Topische Waffen bei Ehezwistigkeiten. 95 ‚Ich würde euch Geduld lehren‘; dultus ist entweder zu verstehen als latinisierte Form des mhd. dult in der Bedeutung von ‚Geduld‘, oder es liegt eine Kontraktion des Imperativs dulde es! vor. Lernen in der Bedeutung ‚lehren‘ ist für das Obd. seit dem 15. Jahrhundert belegt (vgl. Keller: Fastnachtspiele, S. 1481). 96 drümet (zu mhd. drum): Entweder man deutet drümet als ‚Holzteil, Splitter‘ oder als ‚Trompete‘. Im Zusammenhang mit dem liturgisch anmutenden dultus singen und weil Trompeten in handgreiflichen Zusammenhängen durchaus zum Einsatz kommen konnten (vgl. Eitschberger: Musikinstrumente, S. 205–221) liegt letztere Lesart näher, Z. 99 zeigt in Richtung der Holzscheite.

74 | 83 – Das böse Weib

Das weÿb:

100

KF 50

Ey, das du must den galgen tragen! Wiltu mir die scheyt am haubt zuschlagen? Nv laß dich sehen, was du seist! Der ander pawr: Pox leichnams willen, thu schon, wie reyst! Das weyb:

Gb 34v

Nein, narr, ich wil dich anders stillen. 105

Das weyb wirfft den pauren nyder vnd schlecht in, das er also schreit: O helfft, lieben friunt, pox leichnams willen! Das weyb: Se hin dirs scheytz, se, se, se! Der ander pawer:

110

O helfft, lieben freunt, ee ich gar verge! Secht ir nit, wie sie mein thut ramen? Das weÿb: Se, se, tausent teufel namen! So dro nur, zann mich mer an

98 Verwünschungsformel, die sich möglicherweise an das Tragen des Kreuzes durch Christus anlehnt (DWb 4, Sp. 1167f.). 102 schon ‚schön‘ 102 reyst ‚redest‘ 108 se: Interjektion in der Bedeutung ‚Siehe da!, Da!, Nimm!‘, häufig mit Genitiv (Paul: MhdGr, § 378). 110 vergen ‚umkommen‘ 111 ramen (zu mhd. ræmen): ‚zielen, trachten‘ 114 zann (zu mhd. zannen): ‚heulen, schreien, Zähne fletschen‘

102 wie reyst: Keller (S. 1481) erwägt Konjektur zu wie d‘ haißt

83 – Das böse Weib | 75

115

Der ander pawer: O helfft mir, lieben friunt, dauon! Owe, mordigo, mordigo! Sol ich dan also sterben do? O helfft, das ich bleyb beym leben!

120

Die zwen pauren fliehen vntter die panck vnd das weyb erwischt den ersten pauren etc. Das weyb spricht:

125

Nein, peyt, ich wil dir sein anderst geben. Wol furher, das dich die peulen an gen! Vor warst du allein, itzt sein dein zwen. Wol furher, ped, vnd wert euch mein. Ir must hewt ped mein aygen sein, Dofur hilfft weder helff noch bit.

Gb 35r KF 51

Der erst pawr:

130

O liebes weyb meins, vergiß dich nit. Halt, halt, pox leichnams willen, halt! Das weyb:

135

Stet umb vnd laßt mich sehen pald, Ob ich mein trollen hab erwischt, Von dem mein hertz newr werd erfrischt: Se leug, se clag, se clag, se und spey mer.

117 mordigo: Ruf, mit dem ein Mord oder ein anderes schweres Verbrechen laut kundgetan und zur Verfolgung des Mörders aufgefordert wurde (DWb 12, Sp. 2547). Das Gerüft als verpflichtende, unmittelbare Anzeige eines Vergehens ist seit germanischer Zeit etabliert und auch in der mittelalterlichen Rechtsprechung verankert (vgl. Hammerich: Clamor, S. 6–8). 122 peyt (zu mhd. bîten): ‚warten‘ 122 sein anderst ‚dessen, davon Weiteres‘ 123 furher ‚hervor, heraus‘ 123 peulen: ‚Beulen‘; metonymisch für Pest. 124 sein: Für das Obd. ist die Form sein für die 2. Pers. Pl. Ind. Präs. des Verbs nachgewiesen (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 150). 124 dein: Gen. Sg. des Personalpronomens (vgl. Keller: Fastnachtspiele, S. 1481). 125 ped ‚beide‘ 132 Stet umb ‚Dreht euch um‘ 133 trollen (zu mhd. trol): ‚grober Mensch, Tölpel‘ 135 leug ‚leugnen, lügen‘

124 dein] deu Konjekturvorschlag bei Keller (S. 1481); Keller (ebd.) erwägt außerdem Konjektur zu der bzw. ir. 129 meins: Keller (S. 1481) erwägt Konjektur zu mein

76 | 83 – Das böse Weib

Der erst pawr:

140

145

Hoͤ r auff, liebs weyp, es ist zu ser, Hor auff, schlag nymer, des pit ich dich. Was du furpas begerst an mich, Zum rocken gen oder anderst wo, Wil ich thun nach deinem willen do. Vnd was du mich hayst, das wil ich thun Vnd mit dir halten fried und sun. Vnd laß mich auff vnd laß von mir, Das wil ich ymer dancken dir. Nw lest in das weyb auff steen vnd der ander steckt vntter der penck. Der erst spricht:

150

155

Got sej gelobt, mein liebes weyp, Das er gefristet hat mein leyp Von deinen streichen manigualt. Schenckt ein vnd gebt mir trincken pald, Wann mir die anmacht ser streicht zu. Wo ist dan gener, der solch unrw Mit seim gespey hat zugericht?

Gb 35v

Der vnter der penck schreit: O nit, poxleichnams willen, nicht! Dein weyb erwurgt dich gantz vom leben! Das weÿb:

KF 52

Mich dunckt, ich hab dir sein genug geben!

137 ser ‚schmerzhaft, schlimm‘ 139 furpas ‚in Zukunft‘ 143 sun ‚Versöhnung‘ 149 fristen ‚bewahren, erhalten‘ 152 anmacht ‚Ohnmacht‘ 152 streicht zu (zu mhd. strîchen): ‚ereilen, anrühren‘ 153 gener ‚jener‘ 157 erwurgt ‚unterdrückt‘ 159 sein: ‚dessen, davon‘; das Pronomen bezöge sich dann auf die Tracht Prügel, von der im bisherigen Textverlauf berichtet wurde. Evtl. auch in der Bedeutung ‚langsam‘ (BWb 2, Sp. 286).

83 – Das böse Weib | 77

160

Der erst pawr heist den herfur: Ey kum, der zorn ist gar dohin. Der ander pawr: Lieber, meynst, das ich ein narr pin? Ich sich gar wol, wie sie thut.

165

Der erst pawr: Neyn, lieber, sie ist ytzund gut. Aber sicht sie, das du vor sie tust fliehen, So tut sie dich mit dem har herfur ziehen. Ytzund schleufft er herfur wnd das weÿb spricht zu im:

170

175

O narr, wie tropfftzt alsa herfur! Mich dunckt, wie du dich remst der thur. Wie dunckt dich, mich mit scheiten pleuen? Ich mein, es durff dich die sach nit mer rewen. Du hast gepeicht vnd pußt mit ein. Vnd tantz mit mir vnd laß wett sein.

Gb 36r

Der ausschreyer oder precursor:

180

Alde, mit guter nacht darvan! Hab wir vnzucht bej euch getan, Das sult ir vns haben vergut, Wann man ytzo gern nerrisch tut Zu vaßnacht mit mangerlej schimpff. Herr wirt, habt vns fur kein vngelimpff Vnser grobhait vnd nerrisch parn! Got muß euch haus vnd hoff bewarn.

F 82, 154f.; R 55, 209f.

F 103I, 555f.; F 108, 782f.

161 zorn hier: ‚Wutanfall‘ 170 tropfftzt: ‚krabbelst du‘; anstelle des verzögert-dynamischen Aspekts des Tropfens könnte auch ein Neologismus vorliegen, wenn zu dem Subst. Tropf ‚einfältiger, bedauernswerter Mensch‘ ein Verb gebildet worden wäre. 172 pleuen (zu mhd. bliuwen): ‚verprügeln‘ 173 sach ‚Streitsache, Rechtshandel‘ 177 Alde ‚Adieu‘ 178 Hab: Endungsausfall in der 1. Pers. Pl. Ind. Präs. bei Nachstellung des Personalpronomens (Paul: MhdGr, § 240). 178 vnzucht ‚unanständiges Benehmen‘ 182 vngelimpff ‚Nachteil, Schaden‘ 183 parn ‚Betragen‘

160 heist: Keller (S. 1481) erwägt Konjektur zu reißt 170 tropfftzt: Keller (S. 52) konjiziert zu tropfst

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Kommentar Bezeugung Gb, Bl. 32v–36r

Ausgaben Keller: Fastnachtspiele I, S. 47–52 (= Nr. 4, nach G); Bd. III, S. 1481.

Textkritik Der Text ist unikal in Handschrift G überliefert.

Autor Folz wird nicht explizit als Autor genannt, auf seine Verfasserschaft lassen stilistische und inhaltliche Momente wie Stichreim und Tanzschluss sowie punktuell durchscheinende dramaturgische Finesse schließen. Umfang und Thematik bleiben jedoch für eine zweifelsfreie Zuweisung zu gering bzw. zu unspezifisch.

Datierung Terminus ante quem ist 1494, das Abschlussjahr von Handschrift G.

Rollen, Inhalt, Struktur Rollen: Ein Bauer, dessen Frau und ein weiterer Bauer. Das Handlungsspiel wird eröffnet mit der Klage eines Bauern über seine gewalttätige Ehefrau, diese begegnet dem Gatten daraufhin mit Hohn und Spott. In Z. 81ff. tritt ein zweiter Bauer hinzu und rät dem Weib zur Mäßigung. Hierüber wird die Frau rasend und prügelt auf die Männer ein, sodass sich die beiden unter eine Bank retten müssen (Z. 120). Nach vergeblichen Versuchen, die Wütende zur Ruhe zu bewegen, lässt diese zunächst ihren Ehemann und schließlich den zweiten Bauern ziehen und fordert zum Tanz. Der Ausschreier bittet abschließend, das Treiben der Spielgesellschaft nicht zu ernst zu nehmen. Zunächst fällt der Stichreim ins Auge, den Folz als Stilmittel in zahlreichen seiner Fastnachtspiele nutzte (vgl. Simon: Fastnachtsspieltradition, S. 71ff.). Die Dialog-

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wechsel fallen sonst immer in den Reim, in Z. 96 ist es erstmals der Fall, dass ein Reim eine Dialogpassage schließt. Hier beendet der zweite Bauer seine Kritik an der Frau mit der Drohung, sie in die Schranken zu weisen, eine, wie sich später zeigen wird, leere Drohung. Es folgen noch drei weitere Ausnahmen. Insbesondere die zweite (Z. 145) markiert nicht nur formal, sondern auch inhaltlich einen Wendepunkt: Die Frau gewährt dem ersten Bauern unbeschadeten Rückzug aus seiner misslichen Situation unter der Bank. Deutungsaspekte: Die Anrede an das Publikum in Z. 5 ordnet den Bauern dem städtischen Publikum insofern unter, dass Gottwillkommen gemeinhin als Gruß gegenüber gesellschaftlich höher stehenden Personen verwendet wurde (vgl. Bolhöfer: Gruß, S. 37, 43). In Z. 71 wird der Bauer darüber hinaus des Schreibens unkundig gezeichnet. Seine Unbeholfenheit schlägt sich ferner nieder in der Wiederholung immer gleicher Wendungen: Potz Leichnams Willen, Liebe Freunde belegen den restringierten Code der Bauern, sind aber vielmehr noch als Hinweis auf die relativ starre Tradition literarischer Muster zu verstehen, in der auch das Motiv der zänkischen Ehefrau stoffgeschichtlich verwurzelt war. Neben der Minnethematik ist die Schilderung gewalttätigen weiblichen Aufbegehrens gegen das Prinzip der Unterordnung seit dem späten Mittelalter kontinuierlich belegt. Waren die Eheleute der ersten Umsetzungen des Stoffes noch gleich dem Personal der Minnedichtung in gesellschaftlich geachteten Kreisen angesiedelt, der Schläge austeilende Weiberzähmer ein hochnotabler Herr, erfuhr das Personal einen gesellschaftlichen Abstieg mit der zunehmenden Überlegenheit des Weibes in der Darstellung derartiger Zwistigkeiten (vgl. Brietzmann: Frau, S. 141). Verbunden mit diesem Abstieg war die Konzentration aller infrage kommenden negativen Attribute auf die jeweils dargestellte Frau. Das Züchtigungsrecht lag im Mittelalter beim Mann. Die Erklärung für das Aufbegehren der Frauen gegen den göttlichen Willen (vgl. Gen 3, 16) lautet in den frühen Dichtungen schlicht Teufelswerk. Insofern spiegelt sich in der Überlegenheit der Frau nichts Geringeres wider als die Verkehrung der gottgewollten Ordnung. Mit der Zeit waren es immer mehr die als vermeintlich typisch weiblich angenommenen Eigenschaften wie Geschwätzigkeit, Prunksucht, Schlemmerei, Faulheit, Lüsternheit und Geiz, die den männlichen Verfassern Anlass zu dichterischer Klage wurden. Dem Prinzip weiblicher Subordination wohnt gleichzeitig der Anspruch an den Mann inne, als Herr seinen Verpflichtungen in Sachen Haushaltsführung verantwortungsvoll nachzukommen. Tatsächlich waren es wohl weniger bäuerliche als zunehmend frühbürgerliche Schichten der Städte, die sich im Zuge der immer häufiger eingegangenen Konvenienzehen einem Interessenkonflikt zwischen individueller Neigung und wirtschaftlich gebotener Verehelichung ausgesetzt sahen (vgl. Fuchs: Sittengeschichte 1, S. 167ff.). Zwar war die Frau dem Mann in rechtlicher, wirtschaftlicher und sexueller Hinsicht (vgl. Merkel: Form, S. 214) unterworfen, in der Wahrnehmung konkreter Pflichten jedoch ein zunehmend ebenbürtiger Partner (vgl. Wunder: Sonn’, S. 220, 225). Das Aufbegehren der Frau, das Ringen um die Vorherrschaft bzw. Gleichberechtigung innerhalb (oder in sexueller Hinsicht außerhalb) der (vernunft-)ehelichen

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Gemeinschaft muss als ständig virulent angenommen werden, birgt die geschilderte Konstellation doch erhebliches Konfliktpotential. Für den Pantoffelhelden vergangener Jahrhunderte hatte man neben anfänglichem Mitleid mit dem Opfer dieses Treibens zunehmend Spott und Hohn übrig. Strafrechtliche Maßnahmen bereits im Mittelalter (vgl. Becker-Cantarino: Frau, S. 220–222) sowie soziale Stigmatisierung durch das Umfeld einer männlichen Dominanzkultur drohten noch bis in die Neuzeit demjenigen, der sich diesem Prinzip entzog und sich entweder aus körperlicher Schwäche heraus seiner Frau unterordnen musste oder seiner Frau aus Zuneigung heraus vermeintlich zu viel Freiraum schenkte (vgl. Metken: Kampf, S. 44). Besonders unappetitlich, wenn auch relativ weit verbreitet, erschien jedoch der Eheschluss mit einem ungleich älteren weiblichen Partner. Dem Empfinden des 16. Jahrhunderts, in dem Eigenschaften wie Vitalität und Zeugungskraft für zentral erachtet wurden, widersprach eine solche Verbindung mit einem abgelebten Partner völlig (vgl. Fuchs: Sittengeschichte 1, S. 194). Im Spiel vom bösen Weib präsentiert sich dieses traditionell zänkisch, geschwätzig, unberechenbar und wollüstig, hintergeht sie doch ihren Mann und schleicht heimlich in die anrüchige Spinnstube. Sie bezichtigt ihren Mann der Lüge, als dieser häusliche Gewalt beklagt und stellt diese gleichzeitig eindrucksvoll unter Beweis. Äußerungen des Mannes werden von der Frau konsequent als gespey (Z. 77) abqualifiziert. Konkrete Anschuldigungen gegenüber dem Gatten, seinen Aufgaben nicht nachgekommen zu sein, fehlen gänzlich. So bleibt das Rasen der Frau ein zusammenhangloses und unbegründetes Ereignis. Die Infragestellung der althergebrachten Geschlechterrollen scheint dem Verfasser verwerflich, der uns durchaus angemessen erscheinende Zweifel an der ewigen Gültigkeit der alten (Unter-)Ordnung (vgl. Merkel: Form, S. 252f.) wird ausgeblendet. Es wirkt nicht zufällig irritierend, wenn ein im Titel explizit alt genanntes Weib zwei gestandene Männer in Schach zu halten vermag und auch im Ehebett gewaltsam und unersättlich die Herangehensweise vorzugeben imstande ist. Die groteske Umkehrung der gottgewollten Verhältnisse ließ sich am besten durch eine nicht minder unglaubwürdige und absurde Inszenierung darstellen: Der erste Bauer dankt Gott, dass er noch am Leben ist (Z. 147ff.). Mehr noch macht er den anderen Bauern, der die Dominanz der Frau infrage stellt, für den Aufruhr verantwortlich (Z. 155ff.). Schließlich sind jene Passagen zu beachten, in denen das Vokabular zweier Berufsstände, nämlich des Barbiers und Wundarztes sowie des Juristen, in das Stück Eingang finden. In Z. 40–44 diagnostiziert die Frau kenntnisreich und schlägt die seinerzeit üblichen Therapiemöglichkeiten vor, wenn auch ironisch gebrochen. In Z. 151f. lässt der Autor den ersten Bauern Wein zwecks Stabilisierung des Kreislaufs ordern. Diese Passagen sprechen ebenfalls für die Verfasserschaft des Barbiers Folz. Juristische Terminologie der Klageführung (vgl. Z. 19, 39, 71) manifestiert bzw. institutionalisiert die Feindschaft der Parteien innerhalb der ehelichen Gemeinschaft. Dahinter verstecken sich Diagnostik und Verurteilung eines Zustandes durch den Verfasser. Aufführungshinweise: Den drei Figuren, die allesamt von Männern gespielt wurden, musste als Requisit eine Bank als Fluchtmöglichkeit zur Verfügung stehen, im-

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merhin zieht die Frau in Z. 132 und 133 einen der Bauern hervor, ohne jedoch zu wissen, welchen der beiden sie erwischt hat. Insofern konnte das Spiel sowohl in Privatals auch in Wirtshäusern zur Aufführung gelangen, war doch die Bank im 15. und 16. Jahrhundert das am weitesten verbreitete Sitzmöbel und deswegen an beiden infrage kommenden Spielorten vorhanden. Dem weiblichen Furor wurde Z. 135 rhythmisch angepasst: Der in vier Segmente zu jeweils einem eigenen Substantiv zerfallende vierhebige Vers ließ dem Darsteller Zeit, pro Hebung und Nomen einen Schlag gegen die anderen Figuren zu führen. Das Spiel bezieht seinen Reiz nicht zuletzt aus den in den Regieanweisungen angelegten Aktionen des Kampfes und der Verteidigung. Daneben weist das Spiel zahlreiche Passagen auf, innerhalb derer die Akteure aus dem Bühnengeschehen gewissermaßen ausbrechen und die theatrale Situation bewusst werden lassen. Neben der gattungstypischen Einschreierrede sowie dem Tanzschluss fallen in diesem Zusammenhang die Anrufungen an die im Saal versammelten Zuschauer in Z. 28, 52, 74, 106, 110 und 116 auf. Die Bauern wenden sich mit lieben friunt und lieben herren an das Publikum und dürften diesen Wechsel des Adressaten durch gestische Hinwendung zumindest angedeutet haben. In Z. 78 ermahnt das Weib den Gatten zur Besonnenheit, allerdings nicht im Dienste einer Entspannung der Spielsituation, sondern in Bezug auf die in ihrer Ruhe gestörte Zuhörerschaft. Ähnlich verhält es sich mit dem Heischen eines Trunks in Z. 151, auch hier wendet sich der Akteur vom Bühnengeschehen fort hin zu den äußeren Rahmenbedingungen, die die Inszenierung begleiten bzw. ermöglichen. In diesen Aktionen tritt ein stark ausgeprägtes Bewusstsein für die theatrale Situation hervor, die Akteure verzichten auf den Versuch einer illusorischen Inszenierung, der Rezeptionsanreiz entsteht vielmehr aus der Bewusstmachung der doppelbödigen Kommunikationssituation.

Textbezüge Auseinandersetzungen unter Eheleuten, die nicht im Rahmen eines Gerichtsprozesses verhandelt werden, finden sich in den Spielen R 55, R 72, F 84, F 95, F 101 und F 111 sowie K 56. Lediglich in F 95 geht die Gewaltausübung wie im vorliegenden Spiel primär vonseiten der Frau aus: In R 55 schlägt zunächst der Mann die Frau, und in F 84 sowie in R 72 beschimpfen sich die Eheleute gegenseitig. Männliche Gewalt gegenüber der Ehefrau wird außerdem in F 86I, Z. 163–166, F 86II, Z. 160–163 und in F 102, Z. 151–159 thematisiert bzw. anempfohlen. Lediglich in F 92, Z. 91–92 klagt ein erfolgloser Buhler über die Prügel, die er von einer Frau erhalten habe. Zu Folzens zeittypischer Auffassung von der Rolle der Frau innerhalb der Ehe vgl. ‚Ein Lied genannt der böse Rauch‘ und ‚Wider den bösen Rauch‘ (vgl. Folz: Meisterlieder, S. 357–363). Der Typ des schimpfenden Bauern begegnet auch in F 82, R 55, R 59, F 87, R 72, F 87, F 101, F 103I. Bearbeiter: Greil

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Ein ander spil von den pauren

5

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Got geb euch ein guten abent, jr frumen, Ich muß ye auch ein mol zu euch kumen Vnd muß mich ewgen gegen euch, Das jr ob mir habt kein scheuch. So wil ich euch, lieber schwager, ein hasen schencken. Vnd tut euch gar fleissicklich vor bedenken, Das wir so wol gefreunt sein ped, Von der vierden gesippt her, jch vnd mein Gred. Aber, lieber schwager, ir seit mir zu kostlich worn. Es tut euch villeicht auff mich zorn, Das ich euch also suchendt bin. Get, liebe geschwey, den keß nempt hin Vnd pacht die vaßnacht krapffen darauß, Ich trug jn heimlich meiner Greden auß dem hauß. Dann, lieber swager, last euchs nit versmahen: Ich tet den hasen erst gestern fahen, Vnd hab euch den in guter freuntschaft pracht, Vnd hab das auch bej meiner Greden bedacht. Ich wolt mein freunten auch etwas geben, Das sie mich auch erkennten darneben.

KF Nr. 5

Gb 36r KF 53

Gb 36v

1 gfatter: Ahd. in der Bedeutung ‚Taufzeuge‘ wird der Ausdruck im Frnhd. für Verwandtschaftsverhältnisse jedweder Art und freundschaftliche Verhältnisse im Allgemeinen verwendet, vgl. Z. 129ff. 4 ewgen (zu mhd. ougen): ‚zeigen, sehen lassen‘ 5 scheuch (zu mhd. schiuhe): ‚Angst‘ 8 ped ‚beide‘ 9 vierden ‚in vierter Generation‘ (vgl. Mos 2, 34, 7) 9 gesippt (zu mhd. sippen): ‚verwandt sein‘ 10 kostlich ‚teuer‘ 12 suchen ‚aufsuchen‘ 13 geschwey (zu mhd. geswige): ‚Schwager‘ 16 versmahen (zu mhd. versmæhen): ‚verachten, geringschätzen‘ 17 fahen ‚fangen‘ 21 erkennen ‚dankbar anerkennen‘ 21 darneben ‚darüber hinaus‘

1 unterstrichen; im Register G: Ein spil von ainem pauren wie er seim gfattern ain hasen schenckt vnd wie in sein weyb darumb handlet 2 Im folgenden Spiel sind die jeweils ersten Wörter einer Rede regelmäßig unterstrichen, die Unterstreichungen der Figurennamen sind dagegen unregelmäßig und nur in Z. 22, 123, 128 und 151 umgesetzt.

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Das weyb:

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30

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Ey, du verheÿter, vnendlicher schalk, Das dich der riet schut in den palk! Hab ich dich do erwischt als eben? Was hat dir dein schwager zu lon geben, Das du jm henckst mein armut an? Vnd dir doch dein freunt keins guten gan, Dan das du alle tag zu jm schleufst Vnd albeg mit jm frist vnd dich vol seufst Vnd lost mich vnd meine kint dorr maulen. – Das doch der hagel schlah in den hunt, faulen! – Vnd stilßt mir tag vnd nacht das mein, Vnd vertrinckst dan zum Cunz Satler zum wein, Vnd kumst dan herheim also studvol, Wie mocht mir dan das gefallen wol? Dein huntische weys, die du teglich treybst, Laß sehen, wielang du freunt dynnen seyst. Schaw, wie fro sie dein den sein: Man truͦ g dir nit ein pissen prots herein. Ich schatz, du seist dein freunten als genem,

R 61, 94f.

KF 54

R 72, 43f.; F 101, 141f.

Gb 37r

23 verheÿt (zu mhd. hîwen): ‚verheiraten, paaren‘; gleichermaßen obszön wie semantisch offen können sowohl Hohn und Spott als auch die derbsten sexuell besetzten Fluchformeln gemeint sein; vgl. auch Z. 46, 65, 79, 93. 24 riet schuten: Ie. hrite in der Bedeutung ‚wild sich bewegen‘, mhd. rite: Fieber; der rit wird aufgefasst als eine Erkrankung, von der man gerüttelt und geschüttelt wird (Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 513f.); der ganze Satz ist als Fluch zu verstehen, vgl. Z. 95. 24 palk ‚Körper‘ 28 keins guten ‚nichts des Guten‘ 28 gan (zu mhd. gunnen): ‚gönnen‘ 29 schlieffen (zu mhd. sliefen): ‚schlüpfen, schleichen‘ 31 dorr maulen ‚hungern‘ 32 hunt ‚Hund, Bösewicht‘ 32 faulen: Die ungewöhnliche Wortstellung am Ende des Verses erscheint reimbedingt. 34 Cunz: Koseform von Konrad (Arndt: Personennamen, S. 62). 35 herheim ‚nach Hause‘ 35 studvol ‚stark betrunken‘ 37 huntisch ‚maßlos, gierig; hündisch, anbiedernd‘; die Eigenschaften des Hundes wurden vielfältig, meist jedoch negativ bewertet. Bereits in der Antike trat er in Darstellungen im Zusammenhang mit invidia ‚Geiz‘ und gula ‚Völlerei‘ auf. Daneben galt er als Inbegriff für die Fähigkeit zu kriecherischer Unterordnung. 38 dynnen: Unklar ob ‚darinnen‘ oder ‚denen‘. 39 den ‚dann‘ 41 schatzen ‚einschätzen, glauben‘

24 riet: Keller (S. 1481) konjiziert zu rit; ebenso Z. 95 32 doch] dich; Keller (S. 1481) erwägt Konjektur zu ‚Das in der hagel schlah, den hunt, den faulen‘; der Besserungsvorschlag greift zu tief in den Text ein. 34 vertrinckst: Keller (S. 1481) erwägt Konjektur zu vertrinkstß; die Ergänzung des Pronomens in der flektierten Verbindung erscheint schlüssig, gleichwohl bleibt der Vers auch nach der Besserung nicht wohlgeformt.

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45

50

Als wenn ein saw in die juden schul kem. Noch meinst ye stetz, du seist vorn daran. Es sicht dich dein schwager als freuntlich an, Als habst jm vater vnd muͦ ter ermort. Du verheyter pub, hastu nye am suntag gehort, Das dich der pfarrer in den pan wil thun? Wie mainstu, das das peste werd nun? Ey, wie wirstu gen dem pfarrer besten als fein? Leyh her den hasen, des teufels namen, er ist mein! Vnd laß mir das mein vnabbeschissen, Vnd freßt mir vom keß auch dalung kein pissen! Vnd solt mir das mein nit also diplich außtragen, Oder ich wilß dem offitzagel vber dich clagen.

55

Der man:

60

Hoͤ rt, lieber schwager, nempt euchß nit an, Es tut [m]ir nichß alß zorn, das ich so gut freunt han Vnd mit euch so wol geschwegert pin. Auch wißt jr wol zu guter moß den rechten sin. Das der Steutz zum Altenperg unser freunt ist,

42 Das Schwein gilt im jüdischen Glauben als unrein (vgl. Lev 11, 7). Seine Anwesenheit in der Synagoge, dem kultischen Zentrum der jüdischen Gemeinde, stellt einen Tabubruch dar. Die Konfrontation von Juden mit Schweinen mit dem Ziel des Spotts ist in Zentraleuropa seit dem 13. Jahrhundert kontinuierlich belegt (vgl. Shachar: Judensau, S. 1; vgl. Euling: Priameln, S. 31). 42 juden schul ‚Synagoge‘ 43 Noch ‚Dennoch‘ 44 als ‚so‘ 47 pan: ‚Bann‘; das Setzen in den Bann, der Ausstoß aus der Gemeinde, war eine schwerwiegende Kirchenstrafe und scheint in diesem Zusammenhang überzogen. 49 besten (zu mhd. bestân): ‚standhalten, bestehen‘ 50 leyhen (zu mhd. lîhen): ‚[her-]geben‘ 51 mein ‚mein Eigentum‘ 51 vnabbeschissen ‚ohne mich zu betrügen‘ 52 dalung (zu mhd. tâlanc): ‚von jetzt an‘ 53 solt: Zum Spiransausfall der 2. Pers. Sg. Präs. Ind. im Falle der Präteritopräsentien vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 135; vgl. auch Z. 112. 53 diplich (zu mhd. diep): ‚nach Diebes Art‘ 54 offitzagel: ‚Offizial‘; Stellvertreter des Bischofs in der weltlichen Gerichtsbarkeit, der u.a. Urteile in Fragen der Nichtigkeit einer Ehe sprach. In der Entstellung des Wortes schwingt mhd. zagel ‚Schwanz‘, später ‚Penis‘ mit (vgl. KF 115, S. 991, 27). Zur Verbreitung und Beliebtheit derartiger Wortspiele während des frühen 16. Jahrhunderts vgl. Lefftz: Stilelemente, S. 68ff. 56 nempt euchß nit an (zu mhd. annëmen): Refl. mit Akk. ‚sich einer Sache annehmen, ernst nehmen‘. 57 Es tut ir nichß alß zorn ‚Es ärgert sie nur‘ 59 moß: ‚Maß‘; entweder Hohlmaß für Wein, in Bayern ca. 1,1 Liter (Kahnt/Knorr: BI-Lexikon, S. 180) oder ‚Einschätzung‘. 59 sin ‚Gesinnung‘ 60 Steuz vom Altenberg: Arndt schlägt Konjektur zu Steusz vor und bringt den Namen mit mhd. stiuz: ‚Steiß, Hintern‘ in Verbindung (Arndt: Personennamen, S. 81). Altenperg ist eine neun Kilometer südwestlich Nürnbergs gelegene kleine Ortschaft (Michels: Studien, S. 110).

52 dalung: Keller (S. 1482) erwägt Konjektur zu tâlanc 57 ir] mir

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65

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75

Das kan ich wol rechen zu aller frist. Vnd die Stollin zu der Loe, die gelb, Vnd der Puͦ ck zu Wetzendorff derselb, Sind pede geschwistret kint mit vns peyden. Noch ist die verheyt krot so gar vnbescheiden Vnd thut auch also vast schelden. Vnd der Feÿtlein von Obern puch, got gedenk seiner selden, Ich vergiß 〈nie〉 sein lebendig alle tag. Vnd der Knuttel zu Furt, der der kirchen pflag Vnd gotshaus gemainer was, genad im got Vnd helff seiner sele auß not, Der hett auch der schwester〈n〉 eine, Mich bedunckt, es leben derselben keine. Vnd laßt mich auch nit sein vnmer, Vnd laßt es besteen hin als her.

KF 55

Gb 37v

61 rechen ‚rechnen, vertrauen‘ 62 Stollin zu der Loe: Bäuerin, die mit einem Stoll verheiratet (Arndt: Personennamen, S. 59) und in Lohe ansässig war, einem nördlich Nürnbergs gelegenem Weiler (Michels: Studien, S. 110). 62 gelb: ‚blond‘; entsprach dem mittelalterlichen Schönheitsideal. 63 Puͦ ck zu Wetzendorff: Kurzform von Burchard (vgl. Arndt: Personennamen, S. 59). Wetzendorf ist ebenfalls eine nördlich Nürnbergs gelegene Ortschaft (Michels: Studien, S. 110). 64 pede ‚beide‘ 64 geschwistret kint: Die ehelichen Kinder von Geschwistern, also Neffen und Nichten. Grimm führt die Belegstelle unter dem Kompositum Geschwisterkind (DWb 5, Sp. 4007), sinnvoller erscheint indes die Annahme, dass es sich um ein Part. Perf. des Verbs [ver-]schwistern in der Bedeutung ‚als Bruder und Schwester verwandt sein‘ handelt (vgl. DWb 15, Sp. 2721; Euling: Priameln, S. 31). 65 vnbescheiden ‚unbedacht, dumm‘ 66 vast ‚heftig‘ 66 schelden ‚schelten, beschimpfen‘ 67 Feÿtlein von Obern puch: Diphthongierte Variante des Heiligennamens Vitus (Arndt: Personennamen, S. 23); Obernpuch liegt neun Kilometer nördlich von Nürnberg (Michels: Studien, S. 110). 67 selde ‚Seelenheil‘ 68 sein: vergessen mit Gen. 69 Knuttel zu Furt: Ein Knüttel ist ein plumper Mensch, ein Fettwanst. Ob sich die Bezeichnung aus mhd. knütel ‚Holzprügel, Knüppel‘ herleitet (Arndt: Personennamen, S. 69f.) oder ob aus mhd. knote ‚Knoten‘ bleibt ungewiss. Furt ist die Stadt Fürth. 69 pflegen mit Gen.: ‚Verantwortung übernehmen für etwas, etwas in Obhut nehmen‘ 70 gotshaus gemainer ‚Pfarrgemeinderatsmitglied‘ 71 not hier: ‚Fegefeuer‘ 72 schwestern: Die Pluralbildung vermittels Nasal ist um die Mitte des 15. Jahrhunderts üblich (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 20). 74 vnmer (zu mhd. unmære): ‚unwert, verhasst‘ 75 besteen ‚bestehen, beschaffen sein‘

67 Feÿtlein] Feÿrlein: Konjekturvorschlag bei Keller (S. 1482); vgl. F 88, Z. 198 67 selden über dem Zeilenende nachgetragen 68 nie] Konjekturvorschlag bei Keller (S. 1482); die Ergänzung ist notwendig, da nur so die tiefe Verbundenheit des Bauern mit seiner z.T. verstorbenen Verwandtschaft wiedergegeben wird. 72 schwestern] schwester

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Das weyb:

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Ey sich, aller teufel namen, sich, Das der teufel verpfwe dich. Sichstu nit, wie sie das gehaÿ auß dir treyben? Nw mustu doch dein lebtag ein narr belaiben. Wann kein vernunft in dir nicht ist Dan hurereÿ, fressen und sauffen zu aller frist, Darauff dein synn vnd gedanken steen, Ach, lieben freunt, es kumpt offt ein tag oder zwen, Das er albeg verseufft, das er hat. Er sol wol jn jrem hauß sitzen an einer stat Vnd trinckt vier oder funff seydein weins auß. So haben ich vnd meine kint nit ein pissen prots jm haus, Das sie offt an dem garben hunger wein. Aber er acht sein nit, es ist vmb kein, Er laßt kein vngeluck sich erschrecken. Nw kan ich doch kaum die torin bedecken, So verderbt mich der geheynd schalk mit seim wuten.

Gb 38r

78 verpfwen (zu mhd. phiu): ‚“Pfui“ ausrufen, verfluchen‘; einziger Beleg für das Lemma ‚verpfuwen‘ bei Grimm. 79 gehaÿ ‚Hohn, Spott‘ 79 auß dir treyben ‚mit dir treiben‘ 81 Mehrere Negationswörter in einem Satz heben einander nicht zwangsläufig auf (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 232). 82 dan ‚außer‘ 84 lieben: Zur schwachen Flexion des Vokativs vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 41. 85 albeg ‚auf allen Wegen, immer‘ 86 stat ‚Stelle‘ 87 seydein: ‚Seidel‘; aus lat. situla ‚Eimer‘; Hohlmaß für Flüssigkeiten, in Bayern ein guter halber Liter (Kahnt/Knorr: BI-Lexikon, S. 278). 88 prots: Genitivus Partitivus (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 38). 89 an dem‚aufgrund von‘ 89 garb (zu mhd. garwe): ‚völlig‘; der Gebrauch als garber hunger ist formelhaft und meint ‚reinen, blanken Hunger‘ (DWb 4, Sp. 1312). Der Endungsausfall des Infinitivs weinen ist, wenn auch veraltet, zumindest möglich (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 84). Keller erwägt indes garben als Infinitiv des obd. Verbs gerben im Sinne von ‚würgen, erbrechen‘ (vgl. BWb 2, Sp. 65) und hunger wein als Kompositum in der Bedeutung ‚bitterer Trunk‘ zu verstehen (Keller: Fastnachtspiele, S. 1482). Ein solches Substantiv ist anderweitig nicht belegt, ein syntaktisch einwandfreier Satz ließe sich ferner nur durch Umstellung des Verbs vor die Präposition erzeugen. 90 es ist vmb kein ‚es ist [ihm] nichts daran [gelegen]‘ 92 torin: Die Bedeutung ‚arme Narren‘ (Keller: Fastnachtspiele, S. 1482) erscheint zweifelhaft, eher zu mhd. tœrinne ‚Närrin‘. Ein Vergleich mit R 72, Z. 161 lässt die dort angelegte Vaginalmetaphorik für die vorliegende Passage weniger angemessen erscheinen. 93 geheynd (zu mhd. hîwen): ‚heiraten‘, auch obszön ‚paaren, schänden‘ 93 wuten (zu mhd. wüeten): ‚rasen, Gewalt ausüben‘

88 unter dem Zeilenende nachgetragen 89 an dem garben: Keller (S. 1482) erwägt Konjektur zu an dem harten bzw. Umstellung zu garben an dem hungerwein 92 torin: Keller (S. 1481) erwägt Konjektur zu toren 93 geheynd: Keller (S. 1482) erwägt Konjektur zu geheyt; das Partizip kann bis ins 15. Jahrhundert mit Nasal gebildet werden (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 87).

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Der man: 95

Du leugst, solt dich der riet schuten! Es tut dir sust in der kroten we, Das ich herein zu mein freunten ge. Neÿn, lieber schwager, sie treyb[s]tß als all tag. Das weÿb:

100

105

110

KF 56

Ach, das ichß Got von himel clag, Das ich so gar mit dir erschlagen bin! Es ist kaum einß ein wenig hin, So fechst ein newß nw wider an. Du darfst nimmer mer kein syn nit han, Das ich dir dein schant mer wil stillen, Als ich hab getan von deinen willen. Do du mit der Marschtzen gingst zu prawß, Das hintten noch wurd ein panckhart darauß. Noch tet ichs pest hintten vnd forn, So ist alles gut an dir verlorn. Vnd tust dich erst eins newen fleissen, Mir vnd mein kinden das vnser wilt abbescheissen, Vnd stilst mir heimlich spat vnd fru,

96 kroten: Keller schlägt die in Analogie zu Gesamtabenteuer III, S. 27 gebildete Bedeutung ‚weibliches Geschlechtsteil‘ vor (Keller: Fastnachtspiele, S. 1482), bestanden doch weniger in der Literatur als im Brauchtum jener Tage zahlreiche Praktiken, innerhalb derer Kröten zu therapeutischen Zwecken bei Frauenleiden eingesetzt wurden und als Votivgaben Verwendung fanden (Gerhardt: Kröte, S. 341–344). Konjiziert man indes zu krotzen (zu mhd. krotzen: ‚krächzen, schreien‘), könnte mit der Substantivierung des Infinitivs der Artikulationsort gemeint sein, die Kehle, schließlich sind und waren Bezeichnungen für Vorgänge aus dem Bereich des Mund- und Rachenraums in metaphorischen Wendungen für das Ertragen unangenehmer Zustände durchaus etabliert. 98 treyben (zu mhd. trîben): ‚tun, sich verhalten‘ 102 einß ‚eines, etwas, ein Ereignis‘ 103 anfahen ‚anfangen‘ 104 ‚Glaub bloß nicht‘ 104 syn ‚Meinung, Gedanke‘ 105 schant ‚Schandtaten, Verfehlungen‘; hier: ‚sexuelle Eskapaden‘ 105 stillen ‚auffangen, mittragen‘ 107 Marschtzen: Name, der zum ahd. mari, mhd. mære ‚bekannt, berühmt‘ gebildet wurde. In diesem Namen schlägt sich der große Bekanntenkreis und der enorme Erfahrungsschatz der Trägerin nieder (Arndt: Personennamen, S. 55). 107 prawß (zu mhd. brûsen): ‚brausen‘; später: ‚üppiges Treiben; Lärm, Getöse‘, hier: ‚Tanz, Gelage‘. 108 panckhart ‚Bankert, uneheliches Kind‘ 111 fleissen ‚bemühen‘ 112 wilt: 2. Pers. Sg. Ind. Präs. zu wollen (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 146). 112 abbescheissen ‚durch Betrug abgewinnen‘; einziger Beleg in FrnhdWb.

98 treybtß] treibstß: Konjektur bei Keller (S. 55); treybtß als: Keller (S. 1482) erwägt außerdem Konjektur zu als treibtß

84 – Der Ehestreit | 89

115

Und stoßt es hinnen dein freunden zu, Vnd verderbst deine kint und mich, Vnd dein freunt wischent die fuß nit an dich. Der man:

120

Ich mein, auff mein eydt, das du vnsynnig seist. Was hilffts dich doch, das du es gleich alles speyst Vnd trags mein freunten gleich als miteinander zu. Ich hett zwar gleich als wol zu klagen als du, Wie du ein mol dort mit eim munch den riten hest.

Gb 38v

Das weÿb:

125

Ey, das dich der hagel schlah, als du do stest, Das du dich solcher lug tust remen! Nw hab ich dich doch nye recht wollen beschemen Vnd die warheit vor dein freunten sagen, Das dein schwester wol drew kint bej eim pfaffen hat getra̲gen. Jr gevatter:

130

135

Ey ey, gevatter, was dorfft jr der wort? Nw hab ich solchs nÿe von meinem gefattern gehort, Als jr jn zeycht solicher nerrischer weiß. Jr macht sust gern sovil geheÿß Vnd wolt jn gern gen sein freunden verwerren. Es ist, auff mein eydt, war, lieben herren, Ich rede es mein gefattern nit zu lieb noch zu leyd: Wir haben in der gantzen pfarr kein, bej meÿm eÿd,

KF 57

114 hinnen ‚hier drinnen‘ 115 verderben ‚zugrunde richten‘ 116 wischent: Veraltete Form; gegen Ende des 16. Jahrhunderts ist die dentale Flexion der 3. Pers. Pl. Ind. Präs. insbesondere im Oobd. weitghehend aufgegeben (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 94). 119 speyen (zu mhd. spîwen): ‚ausspucken, geifern‘ 120 zu  tragen: ‚kundtun‘; zur Flexion der 2. Pers. Sg. Ind. Präs. ohne Dental vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 92. 120 als ‚alles‘ 122 rit obszön: ‚Ritt‘ 124 schlahen (zu mhd. slahen): ‚erschlagen‘; 3. Pers. Sg. Konj. Präs. 125 remen (zu mhd. ræmen): ‚zielen‘; reflexiv und mit Gen.: ‚sich befleißigen‘. 130 gevatter: Parallel zum mask. Gevatter entwickelte sich die suffixfreie fem. Form. 130 dürfen ‚gebrauchen, bedürfen‘ 132 zeychen (zu mhd. zîhen): ‚beschuldigen, bezichtigen‘ 132 weiß (zu mhd. wîse): ‚Handlungsweise, Wesensart‘ 133 sust ‚[auch] sonst‘ 133 geheÿß ‚Versprechung‘ 134 verwerren (zu mhd. verwërren): ‚entzweien, gegeneinander aufbringen‘ 137 pfarr ‚Pfarrbezirk, Kirchspiel‘

128 unter dem Zeilenende nachgetragen

90 | 84 – Der Ehestreit

140

145

150

Der also wol gesprech ist, als er, Vnd ein solich gut lob hat, als der, Vnd den man lieber zu heyrat vnd teding tut nemen. Dan, liebe gefatter, tut jn nit also beschemen, Vnd halt euch mit sein schwegern glimpflich vnd f〈ein〉. Jch bin mit jm jn erberrkeit gegangen herein. So wolt jr vns erst ein vnru machen Vnd meinem gefattern vil pubreÿ zusachen, Es mocht mich an der letz selbs wol verdrissen. Aber ich rat, wir wollen ein wein daran giessen. Darvmb, lieben freunt, nw rat das pest darein, Vnd laßt euch euren schwager ein wenig lieber sein! Vnd vertedingtz miteinander gar eben, Das sie furpas nit so krotisch miteinander leben.

Gb 39r

Ein pawr:

155

160

Ach, lieber nachtpaur, jr habt recht, Wir wollen die sach machen schlecht: Die fraw hat gar vnrecht getan, Das sie do alß beschemt jr man Vnd gegen sein freunden alß verclagt. Vnd zwar, er hat jrs auch genuͦ g gesagt. Doch wie dann allen sachen sej, So habt hinfur mer kein solch geschrey. Vnd laß〈t〉 vns dafur ein reyen tantzen Vnd mit den frawen gar seuberlich vmbher swantzen! Pfeiff auff, spilman, der erst rey ist mein, Vnd spring doher mit einer junckfraun fein.

138 gesprech (zu mhd. gespræche): ‚beredt‘ 140 teding ‚Gerichtsverhandlung, Versammlung‘ 142 glimpflich ‚angemessen, höflich‘ 143 erberrkeit ‚Ehre, Ansehen‘ 145 pubreÿ ‚Untat, Fehltritt‘ 145 zusachen ‚zusagen, nachsagen‘ 146 an der letz ‚am Ende‘ 148 raten ‚überdenken‘ 148 darein ‚darin, an der Angelgenheit‘ 150 verteidingen (zu mhd. tagedingen): ‚aushandeln, einigen‘ 151 furpas ‚in Zukunft‘ 151 krotisch zu Kröte: ‚giftig, reizbar‘ 154 schlecht ‚schlicht, gerade‘ 158 zwar ‚in der Tat‘ 161 reyen ‚Reigen‘ 162 swantzen ‚im Tanz schwenken, drehen‘

142 fein] f: Konkektur bei Keller (S. 57). Die Handschrift ist an dieser Stelle unleserlich, aus Reimgründen drängt sich genannnte Besserung auf. 161 laßt] laß: Konjektur bei Keller (S. 57)

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Kommentar Bezeugung Gb, Bl. 36a-39a

Ausgaben Keller: Fastnachtspiele I, S. 53–57 (= Nr. 5, nach G); Bd. III, S. 1481f.

Textkritik Das Spiel ist unikal in Handschrift G überliefert.

Autor Folzens Verfasserschaft ist wahrscheinlich, aber nicht gesichert (vgl. Catholy: Fastnachtspiel des Spätmittelalters, S. 182). Thematisch steht das Spiel in einer Reihe von Spieltexten aus seiner Feder, die Streit unter Eheleuten beinhalten (s.u.). Auch die bei Folz häufig anzutreffenden Fachtermini aus dem Bereich der Jurisprudenz sind in diesem Spiel mit heyrat vnd teding bzw. tedingen, eyd sowie pan anzutreffen. Der in den Z. 93f., 98f. und 122f. auftretende, für Folz typische Stichreim stärkt diese Auffassung ebenso wie der Tanz am Ende des Spiels. Gegen Folzens Autorschaft argumentiert Michels völlig zu Recht, der die jedes Maß sprengende Metrik zum Ausgangspunkt seiner Zuschreibung macht und es als nicht von ihm stammende Bearbeitung des Stoffs von R 72 behandelt (vgl. Michels: Studien, S. 231). Es wird nicht zu klären sein, ob es sich um ein nachahmendes Werk oder um einen Entwurf Folzens handelt, der in einem späteren Arbeitsgang metrisch und inhaltlich geglättet werden sollte. Eine solche Praxis verfolgte Folz nachweislich beispielsweise im Fall des Spruchgedichts ‚Der Stein der Weisen‘, der in einem autographen Entwurf und einer überarbeiteten Fassung vorliegt.

Datierung Terminus ante quem ist 1494, das Abschlussjahr von G.

92 | 84 – Der Ehestreit

Rollen, Inhalt, Struktur Rollen: Ein Bauer, dessen Ehefrau, ein Schwager des Bauern sowie ein Nachbar des Bauern. Darüber hinaus muss eine nicht näher definierte Anzahl an Bauern ohne Sprechrolle auf der Bühne angenommen werden (s.u.). Der erste Bauer begrüßt in vier Versen das Publikum, um sich unvermittelt an seinen Schwager zu wenden und das gute Verhältnis zwischen beiden zu rühmen sowie die über Generationen gewachsene Einheit der Sippe zu betonen. Als Zeichen der Freundschaft übergibt er dem Schwager einen Käse (da daraus Krapfen gebacken werden sollen, handelt es sich wohl um einen Topf mit Quark) und einen Hasen. Es folgt ein mit gegenseitigen Vorwürfen und Beschimpfungen gespicktes Streitgespräch zwischen dem Bauern und seiner Frau. Darin beklagt die Frau die eigene, wirtschaftlich desaströse Situation, der Mann dagegen wiegelt ab und unterstellt seiner Gattin lediglich Neid auf die ihm eigenen sozialen Kontakte. Schließlich meldet sich der Schwager zu Wort, der das allgemein hohe gesellschaftliche Ansehen des Bauern betont. Den Schlusspunkt setzt ein hinzutretender Bauer, der den ersten Bauern und dessen Schwager, insbesondere aber die Frau zur Ruhe gemahnt. Er gibt ohne Angabe von Gründen dem Mann recht und verwirft die vorgebrachten Klagen der Frau. Eine Erwiderung der Kontrahenten erfolgt nicht mehr. Ein weiterer Bauer nimmt die Rolle des Precursors wahr, indem er den Tanzschluss ausruft. Das dramatische Geschehen wird ohne eine explizite Verabschiedung des Publikums für beendet erklärt. Deutungsaspekte: Streit unter Eheleuten ist ein beliebtes Thema der Fastnachtspieltradition. Im Gegensatz zu F 83 ‚Das böse Weib‘ hätte die Frau des Bauern im vorliegenden Spiel tatsächlich Grund zur Klage, so denn ihre Anschuldigungen zuträfen. Ob dies der Fall ist, bleibt jedoch offen. Es geht dem Verfasser also offensichtlich nicht um die Klärung der Schuldfrage. Ähnlich der Szene in dem Spiel F 85, ‚Die Heilung eines kranken Bauern‘, wo die entscheidende Frage nach dem Inhalt des Harnglases ebenfalls unbeantwortet bleibt, liegt der primäre Rezeptionsanreiz in der drastischen Schilderung der Streitereien. Die Begleitumstände der Fragestellung treten gegenüber deren Beantwortung in den Vordergrund, sie avancieren gewissermaßen zum Selbstzweck und sind demzufolge als bewusst eingesetztes theatrales Mittel zu verstehen. Mit Familie bzw. Sippe waren zwei durchaus verschiedene Bereiche des spätmittelalterlichen (Privat-)Lebens gemeint. Aus germanischer Zeit hatte sich bis ins Mittelalter die Großfamilie als soziale, Rechtssicherheit sowie körperlichen Schutz gewährleistende Gemeinschaft etabliert. Erst allmählich übernahmen kirchliche bzw. öffentliche Institutionen diese Aufgaben. Gleichzeitig bestand die Kernfamilie aus dem väterlichen Vorstand, seiner Gattin und den gemeinsamen Kindern. An Amt und Ehre des Ehestandes waren Pflichten und Aufgaben gebunden, den Besitz zum Nutzen der Familie zu verwalten. Parallel zur Ablösung der Sippe durch offizielle Organisationsformen im bäuerlichen und städtischen Alltag blieben Dynastien im Adel von Bedeutung, daneben entwickelten zunehmend großbürgerliche, patrizische Schichten ähnlich hermetische Netzwerke.

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Der Mann im Spiel wird vonseiten seiner Frau bezichtigt, sich über nahezu alle seinerzeit geltenden Regeln des Anstands und der ehelichen Arbeitsteilung hinwegzusetzen, indem er veruntreut und schmeichelt, sich der Völlerei und außerehelichen Eskapaden hingibt. Er ist inkonsequent in seinem Handeln, wenn er dem Schwager eigentlich weitere Geschenke streichen will (vgl. Z. 10), und schon kurz darauf einen Topf mit Quark sowie einen Hasen herschenkt. Der Bauer frönt in seiner Gönnerhaftigkeit, der Betonung großfamiliärer Strukturen und weitreichender sozialer Netzwerke einem veralteten, zudem seiner Standessituation nicht angemessenen Modell und vernachlässigt dabei die ihm in seiner Rolle als pater familias zugeschriebenen Aufgaben. Ähnlich dem Waffen führenden Einschreier/Bauern in R 72 wirkt der Ackermann aufgrund seines Handelns anmaßend und lächerlich. Dennoch wird er durch die ebenfalls bäuerliche Sippe als ehrbares Mitglied der Gesellschaft gesehen, dem höchste Bürgerpflichten wahrzunehmen erlaubt ist. Die verwandtschaftlichen Verhältnisse sind dahingehend rekonstruierbar, dass die Frau sowie der Mann gleichermaßen zu dem bzw. über den schwager sprechen, dieser spricht seinerseits die Frau mit dem vagen Begriff gevatter (Z. 130) an. Ferner nennt die Frau die dazu gehörige Gesellschaft freunte. Es kann sich also bei dem Schwager nur um den Ehemann der Schwester des Mannes handeln sowie dessen verwandtschaftliches Umfeld. Aus dieser erweiterten Familie des Ehemannes erfährt jener schließlich Unterstützung und Rehabilitation. Aufführungshinweise: Zu Beginn wendet sich der Bauer in seiner Begrüßung an das Publikum mit der Anrede: Ich muß ye auch ein mol zu euch kumen (Z. 2). In dieser Äußerung spiegelt sich die Aufführungspraxis der Laienspieltruppen wider, die das Publikum in dessen Wohnhäusern oder in Gaststuben besuchten. Im Anschluss an diese Passage wendet sich der Bauer an seinen Schwager, dem er Lebensmittel schenkt. Es ist somit anzunehmen, dass ein Hase sowie ein Topf als Requisite zur Verfügung gestanden haben. Dabei muss der Empfänger der Gaben bis Z. 130 stumm auf der Bühne präsent gewesen sein, immerhin wird er vom beklagten Ehemann in den Z. 56, 58, 59 und 98 direkt angesprochen. Die Apologie des der Trunksucht und der Schmeichlerei bezichtigten Ehemannes durch dessen Schwager weist insofern eine Besonderheit auf, als dass sie verschiedene Personen(-gruppen) adressiert. So wendet sich dieser in Z. 130 und in Z. 141 an die Ehefrau. In Z. 135 richtet er seine Worte an die vorher nicht erwähnten lieben herren und in Z. 148 an seine lieben freunt, die ihrem Schwager mit mehr Achtung begegnen sollen. Könnte man im ersten der beiden letztgenannten Fälle, den lieben herren, noch davon ausgehen, dass das Publikum als Adressat der Äußerung zu denken ist (vgl. Z. 2), so funktioniert dies in der Aufforderung zu einem liebenswürdigen Umgang mit dem Schwager nicht mehr. Die Zuschauer können nicht mit dem Ehemann verwandt oder befreundet gedacht werden. Gegen die Gleichsetzung der mit der Anrede lieben freunt adressierten Personengruppe mit dem anwesenden Publikum spricht dessen stadtbürgerliches Selbstbewusstsein und seine in zahlreichen literarischen Zeugnissen greifbar werdende Abgrenzung von der bäuerlichen Sphäre. Ergo muss sich dieser

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Redeabschnitt an eine auf der Bühne anwesende Schar von Bauern aus dem Freundeskreis bzw. der Verwandtschaft des beklagten Bauern richten. Im Zuge seiner Appelle dürfte sich der den Gevatter mimende Akteur den jeweiligen Figuren bzw. Figurengruppen gestisch zugewandt haben. Bei dem erst rey in Z. 163 handelt es sich um den ersten Tanz, offensichtlich scheint die Truppe für das Publikum mehrere Tänze vorgesehen zu haben. Es wäre also denkbar, dass die beiden Männer, die die zankenden Eheleute mimen, nicht miteinander tanzen, sondern Mädchen aus dem Zuschauerkreis herbeiziehen (vgl. Z. 164) und so das Publikum zusätzlich animieren und integrieren.

Textbezüge Auseinandersetzungen unter Eheleuten, die nicht im Rahmen eines Prozesses vor Gericht verhandelt werden, finden sich außerdem in den Spielen R 55, R 72, F 83, F 95, F 101 und F 111 sowie in K 56. Männliche Gewalt gegenüber der Ehefrau wird überdies in F 86 und F 102 thematisiert, umgekehrt fürchtet sich ein Mann vor den Schlägen seiner Frau in F 92. Außerdem wird das seinerzeit überaus beliebte Thema Lüsternheit der Kleriker auf die Bühne gebracht (vgl. Straßner: Schwank, S. 97): Die Ehefrau habe ein Verhältnis mit einem Mönch gehabt (vgl. Z. 122), die Schwester des Bauern sogar drei Kinder vom Pfarrer empfangen (vgl. Z. 128). Bearbeiter: Greil, Przybilski

85 – Die Heilung eines kranken Bauern

Ein spil von einem artzt vnd einem krancken paur

5

10

15

Got gruß euch, jr herren vberal, Vnd alle, die do sitzen in disem sal. Hie kumen zu euch, ab got wil, frum leut als ir secht. Sie hoffen, sie werden von euch nicht versmeht Vnd 〈jr sult〉 jn nicht fur vbel haben, Dann es sein werlich gut knaben. In sunderlicher freuntschafft kumen sie her Vnd verkunden euch newe mer: Von einem artzt, der ist hochgelert, Als jr jn in seinen wercken sehen wert. Darumb biten wir die herren vnd die frawen, Das sie diesem werk wollen zu schawen Vnd sich des nit verdrissen lassen, Dan es ist kurtz auß der massen. Nw schweigt vnd habt rw! Knecht Quentzepeltzsch, trit herzu Vnd sag, was dein meister kan, Vnd was er sej fur ein man.

KF Nr. 6

Gb 39r KF 58

Gb 39v

4 ab ‚wenn‘ 4 frum ‚tüchtig, brav‘ 7 sein: 3. Pers. Pl. Ind. Präs., zur Flexion vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 149. 7 werlich ‚fürwahr, gewiss‘ 8 sunderlich ‚besonders‘ 9 newe mer ‚Neuigkeiten‘ 15 kurtz: Kürze galt als bevorzugtes Stilprinzip. 17 Quentzepeltzsch: Zusammensetzung aus quenzel: ‚ein Kartenspiel‘ oder quensel: ‚dicker Bauch‘ und pelz als Schimpfwort für einen unreinlichen oder unflätigen Menschen (vgl. Arndt: Personennamen, S. 94).

1 unterstrichen; im Register G: Ein spill von ainem krancken pauren vnd von ainem artzot wie er jm ain ertznej gab 2 Sprecherbezeichnungen und Handlungsanweisungen sowie die ersten Worte der jeweiligen Reden sind unterstrichen. 4 ab: Keller (S. 58) erwägt Konjektur zu ob; der Eingriff erscheint unmotiviert, die phonetische Opposition der Laute ist dialektal bedingt minimal. 6 jr sult] : Ohne Personalpronomen in Subjektfunktion und flektiertem Verb bliebe der Vers defekt. 11 jr jn in: Keller (S. 58) konjiziert zu ir in; der Eingriff erscheint nicht zwingend. 12 die] den; vgl. Z. 2

96 | 85 – Die Heilung eines kranken Bauern

20

25

30

35

Quentzepeltzsch servus: Ich bin Quentzepeltzsch genant, Vil abenthewr sind mir wol bekant. Von einem maister wil ich euch sagen newe mer, Der ist kumen auß fremden landen her, Ferre auß schlauraffen. Mit seiner ertznej hat er ertot munch vnd pfaffen, Die ist so gar kosperlich: Wer do ist gesunt, den macht er sich. Maister Viviam ist er genant, In diesen landen vnbekant. Auch macht er die geraden lam, Kein gut werck hat er nÿe getan. Er kan die gesehenten plint machen Vnd den gesunten vertreiben das lachen. Einen hat er pracht von dem leben, Daruber sult ir brieff vnd sigel sehen. Wer dieser ertznej begert, Der mach sich auff, er wirt gewert.

KF 59

Gb 40r

Maister Viuiam: 40

Knecht Quentzepeltzsch, du sagst gar war, Du verstest wol gar schon mein kunst gar.

25 ferre ‚von weither‘ 25 schlauraffen: Das unwirklich-ferne Utopia bzw. Nirgendwo (vgl. Richter: Schlaraffenland, S. 26). 26 ertot (Prät. zu mhd. ertœten): ‚töten‘ 27 kosperlich ‚kostbar, teuer‘ 28 sich (zu mhd. siech): ‚krank‘ 29 Maister Viviam (zu lat. vivere): ‚leben‘; Meister des Lebens und des Seins. 31 gerade ‚stattlich, gesund gewachsen‘ 32 Aus doppelter Negation ist die Möglichkeit des Stilmittels einer vorsichtigen Bejahung geworden (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 232). Hier ist die Doppelung zweifellos in der älteren Verwendung zu verstehen. 33 gesehent ‚sehend‘ 36 brieff vnd sigel: Ausdruck eines vollgültigen Richterspruchs. In frnhd. Zeit entstand der übertragene Sinn einer kräftigen Versicherung in der Bedeutung ‚dessen seid gewiss‘ (vgl. Röhrich: Redensarten, S. 995). 38 geweren (zu mhd. gewërn): ‚gewähren, geben‘ 40 war sagen ‚die Wahrheit sprechen‘

21 Paragraphenzeichen vor der Textzeile 28 sich: Keller (S. 59) erwägt Konjektur zu siech; der Eingriff erscheint unmotiviert, im Frnhd. ist die monophthongierte Nebenform üblich. 29 Viviam: Keller (S. 59) erwägt Konjektur zu Vivian und begründet dies mit Verweis auf den unreinen Reim in Z. 131; die hohe Frequenz des Namens im Spiel und die konsequente Schreibung mit alveolarem Nasal lässt den Eingriff wenig sinnvoll erscheinen. 32 Kein: Keller (S. 59) konjiziert zu Ein 36 Keller (S. 1438) erwägt Konjektur zu wart im brief und sigel geben, kan er brief und sigel geben, wil ich euch ... geben; die Änderungen dienen ausschließlich der Besserung des Reims und sind nicht zwingend.

85 – Die Heilung eines kranken Bauern | 97

45

Lauff hin zu dem pauren, Das er sich kein gelt laß tawren Vnd zu mir kum. ich hab ein kunst, Das von jm treyb den posen dunst. Nym mit dir Hulletusch, dein gesellen, Ob wir jn vber das seyl mochten gefellen! Hulletusch, 2 s servus:

50

Maister Viuiam, das sol sein, Dann ich pin Hulletusch, der lieb diener dein. Medicus Viuiam: Lauff hin, knecht Hulletusch, vnd eÿl, Vnd kum wider in kurtzer 〈w〉eÿl! Hulletusch servus:

55

60

Got gruß euch, jr pauren gut! Was habt ir die vaßnacht fur ein guten mut? Wie schmecken ewr wurst? Ich sag furwar, das mich ser durst Vnd wolt gern jn der warheit trincken, Dann ich bin geloffen, das ich muß hincken.

Gb 40v

KF 60

Rusticus primus: Gotwill kum, du gauch kint! Wann weet dich der windt? 43 tawren ‚[be-]dauern, reuen‘ 45 poser dunst ‚Blähungen‘ (vgl. Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 107f.). 46 Hulletusch: Zu mhd. tûsch: ‚Täuschung, Betrug‘ und frnhd. hulle: ‚Schleier‘; nicht bei Arndt: Personennamen, S. 93. 47 vber das seyl gefellen ‚betrügen [besonders beim Kauf]‘ 48 2 s: Die Kardinalzahl ist arabisch, die Flexion der Ordinalzahl folgt lateinischem Modus; anders Z. 69 und 95, hier wird das Flexiv an die lateinische Ziffer angefügt. 56 guten mut ‚gute Laune‘ 59 jn der warheit ‚wahrlich‘ 62 gauch kint: ‚Bastard‘ oder zu gaufkind/jaufkind: Ein Landstreicher, der sich hauptsächlich als Gaukler nährt. 63 Formelhafte Begrüßung umherwandernder Handwerksgesellen oder Landstreicher. Im Zentrum steht die Frage nach der Herkunft/Zugehörigkeit (vgl. Röhrich: Redensarten, S. 1733); vgl. hierzu auch F 106. 63 Wann (zu mhd. wannen): ‚woher‘

45 Das: Keller (S. 1438) erwägt Konjektur zu Die; der Eingriff versteht Das als Relativpronomen für das ausschließlich fem. bezeugte Substantiv kunst. Denkbar ist auch Subjektausfall des Personalpronomens ich bzw. es oder sie in zweiter Position. 53 weÿl] eÿl: Konjektur bei Keller (S. 59) 62 gauch kint: Keller (S. 1483) erwägt Konjektur zu jaufkint in Anlehnung an F 106

98 | 85 – Die Heilung eines kranken Bauern

65

Du solst wol ein guter gesell sein, Kum her vnd nym von mir den wein. Hulletusch servus: Ir pawren, der wein ist gut, Sitzt vnd habt ein guten mut! I s Rusticus:

70

75

Lieber gesell, gesegen[s] dirß got! Wirt, laufft, holt jm wein vnd prot, Vnd laßt in auch ein guten mut haben, Dan ich hab in gesehen fur ein guten knaben. Was sagst du fur newe mer, Du lauffest doch von fremden lannden her? Hulletusch seruus:

80

85

90

Ich wais nit vil newer mer, Sunder ich lauff von eine〈m〉 grossen meister her, Der hat ertznej, die ist gut, Als mich dunckt in meinem mut: Von einem frosch einen langen zagel Vnd stahel von einem pleyen nagel, Hasen staub vnd glocken clanck Vnd das knartzen von einer alten panck, Das ploe von dem himel vnd mucken hiern. Wen er mit bestreicht an die stiern, Den kan er mit gesunt machen, Das er nit vil mer mag lachen. Auch ist er gelert kostlich in der ertznej, Sein trünck die tut er frey. Das ich sein gleichen kaum hab gesehen,

Gb 41r

R 20, 30–59; R 22, 65–74; R 45, 20f.

KF 61

73 gesehen ‚erkennen‘ 75 herlauffen ‚herkommen‘ 80 ‚Wie mir gewiss scheint:‘ 81 zagel ‚Schwanz, Penis‘ 82 pleyen ‚bleiern‘ 83 Hasen staub: Es sind zahlreiche Formen der Arzneimittelherstellung aus Hasen nachweisbar, z.B. getrocknetes Hasenblut gegen Durchfall oder Ruhr. 85 ploe ‚blau‘; Anspielung auf Blau als Farbe der Täuschung, Verstellung und Lüge (vgl. Röhrich: Redensarten S. 800). 86 mit ‚damit‘ 89 kostlich ‚hervorragend, ausgezeichnet‘ 90 frey tun ‚spendieren‘

70 gesegen] gesegens: Konjektur bei Keller (S. 60) 78 einem] eine: Konjektur bei Keller (S. 60)

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Wil ich wol auff mein warheit jehen. Vnd wem zu wol wer in dem leibe, Dem kan er es maisterlich vertreiben. 95

I s Laÿcus: Pox pauch, das wer meinem nachpauren ein guter artzt! Der clagt sein pauch, vnd hab in acht tagen nit gefartzt. Ich wil jm das gern sagen Vnd wollen jn zu dem artzt tragen.

100

Idem laycus: Nachpaur, seyt ir noch kranck? Hat der schyß noch nit sein außganck? Sagt mirß pald, ich wil es wissen, Ich hab gelesen, das ich mich schir hab beschissen.

105

Infirmus:

Gb 41v

Lieber nachtpaur, ich danck euch, das ir tut fragen. Ich wil euchß in einem geheym sagen: Furwar, ich kans nit 〈anders〉 wissen, Dann das ich in dreien tagen nit hab gefartzt noch geschissen.

92 jehen ‚sagen, bekennen‘ 95 I s: Keller liest secundus; da der senkrechte Strich in der Handschrift jedoch im Gegensatz zu Z. 48 rot eingefärbt ist, ist er als lateinische Ziffer zu verstehen. Die in schwarz gehaltenen, kaum eindeutig zu entziffernden zusätzlichen Striche, die Keller als arabische Zahl 2 deutet, scheinen eine Eigenart des Schreibers zu sein. 96 Die seit dem 15. Jahrhundert auch als kotz oder potz in Flüchen auftretende Interjektion pox ist eine Entstellung bzw. Abwandlung des Genitivs Gottes, um den Namen Gottes nicht zu missbrauchen (HdA 2, Sp. 1638); das FrnhdWb vermutet hingegen bei pox bzw. bocks eine Anlehnung an den in Bocksgestalt auftretenden Teufel (FrnhdWb 4, Sp. 881f.). In der Kombination mit pauch wohl in der Bedeutung ‚Mist-, Drecksbauch‘. 97 clagen (zu mhd. einen clagen): ‚beklagen, klagen über‘ 102 schyß ‚Furz‘ 104 Die Bedeutung des Verses bleibt unklar. 107 in einem geheym ‚insgeheim‘ 108 wissen ‚wissen lassen, berichten‘

94 vertreiben: Keller erwägt Konjektur zu vertreibe (S. 1483); der Einfgriff dient lediglich der Besserung des Reims, ist jedoch nicht zwingend. In Z. 114 und 173 trifft man vergleichbare Reimunreinheiten an, in Z. 211 ist der finale Nasal des Infinitivs dagegen nicht graphemisch realisiert. Für den Verfasser spielte die sprachliche Umsetzung des Infintivmorphems offenbar keine Rolle. Der Schreiber Gb neigt indes nicht zum Flexivausfall. 108 anders] : Konjekturvorschlag bei Keller (S. 1483) 109 Dann: Keller erwägt Konjektur zu wan (S. 1483); der Eingriff ist nicht zwingend, mhd. danne in der Bedeutung ‚als‘ belegt. 109 schissen oberhalb der Zeile nachgetragen

100 | 85 – Die Heilung eines kranken Bauern

110

115

Des krancken geuatter: Lieber geuatter, ich wil euch ein guten rat geben, Domit ir mugt gefristen ewr leben: Mir was auch also in meinem leibe Vnd mocht nÿndert an einer stat beleiben. Do sprach mein fraw zu meinem puben: Lauff pald vnd bring mir ein schaff mit ruben, Vnd laß in derselbigen peyssen, So wirt er wider scheyssen. Infirmus:

120

Ich hab es auch versucht, Noch thut es als kein zucht. Es druckt mich so ser vmb die kerben, Ich hab sorg, ich muß sterben. Ein ander pawr:

125

KF 62

Wiltu mir volgen, so mustu den magen fegen Vnd wirst dann des artzt rat pflegen. Ich merck wol, das es dir leyt in dem magen. Kanst du nit gen, so woll wir dich tragen. So get der pawr vnd die andern vnd spricht zu dem maister:

130

135

Got gruß euch, maister Viuiam! Man sagt, ir seyt ein weyser man, Vnd seyt wol gelert in der ertznej. Ein trunck, drey oder vier thut jr frey: Wir bringen euch ein, der ist schwach in dem leibe. Wenn jr jm sein kranckheit mocht vertreiben, Darumb wolt wir euch geben ein guten soldt, Es wer halt silber oder golt.

Gb 42r

110 geuatter hier: ‚Nachbar, Freund‘ (vgl. DWb 6, Sp. 4651) 112 gefristen ‚erhalten, retten‘ 114 ‚Und konnte [rastlos vor Schmerzen] nicht ruhig sitzen bleiben.‘ 114 nÿndert ‚nirgendwo‘ 115 pube ‚Knecht‘ 116 schaff (zu mhd. haven): ‚Gefäß für Flüssigkeiten, Kübel‘, später ein Hohlmaß. 116 ruben: Topisch bäuerliche Mahlzeit mit abführender Wirkung. 121 zucht (zu mhd zuht): ‚Ordnung‘; hier: ‚Wirkung‘ 122 kerbe ‚Gesäßfalte‘ 125 volgen ‚Folge leisten, den Rat befolgen‘ 125 den magen fegen ‚den Magen reinigen‘ 126 Die Tilgung bzw. das Fehlen der Genitivflexion ist im Obd. häufig belegt (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 5). 126 pflegen ‚befolgen‘ 128 woll: Flexivausfall der 1. Pers. Pl. bei Nachstellung des Personalpronomens seinerzeit üblich (Paul: MhdGr § 240). 136 soldt hier: ‚Entgelt für geleistete Dienste‘

85 – Die Heilung eines kranken Bauern

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Viuiam:

140

Seyt mir gotwilkum, jr herren allzemal! Was begert ir, das ich thun sal? Ein pawr:

145

Maister Visiam oder Viuiam, wie ewr nam ist, Eylt pald zu dieser frist, Vnd macht mir mein gefattern gesunt, So woll wir euch geben hundert pfunt. Viuiam:

150

Furt jn hinauß vnd laßt jn harmen, Vnd bringt mir den saich so warmen, So wil ich gar pald sehen, Ob ich jn mug behalten bej dem leben. Ein paur, sein geuatter: Greifft an vnd laßt in außhin tragen, Vnd laßt in sein saich in das glas vahen! Ein pawr:

155

Maister Viuiam, hie habt ir sein saich. Sein zagel ist jm gantz waich. Ich furcht, es sej geschehen, In jm ist gantz kein leben.

Gb 42v KF 63

139 allzemal ‚alle zusammen‘ 142 Visiam: Evtl. Futur I von lat. visire: ‚ich werde furzen‘; das Verb ist dermaßen selten belegt, dass von einer absichtlichen Anspielung nicht zwangsläufig ausgegangen werden kann. 143 zu dieser frist ‚jetzt, sofort‘ 145 Ein Pfund entsprach dem Wert von 20 Schilling, dies wiederum 240 Pfennig (vgl. Krünitz: Encyklopädie 112, S. 466–469). 147 harmen: ‚Harn lassen, urinieren‘; vgl. Z. 167 148 saich: ‚Urin‘; die Harnschau mit der Prüfung auf Konsistenz, Farbe und Geschmack ist das meist angewendete Diagnoseverfahren des Mittelalters. 152 außhin ‚hinaus‘ 153 vahen ‚auffangen‘

153 vahen: Keller (S. 1483) erwägt Konjektur zu slagen; der Einfgriff dient lediglich der Besserung des Reims, ist somit nicht zwingend.

102 | 85 – Die Heilung eines kranken Bauern

Maister Viuiam: 160

165

Ir pawren, habt ein guten mut! Sein sach wirt noch alle gut. Setzt euch nyder auff die panck Vnd laßt euch die weil nicht sein lanck! Ich muß den harm pas schawen an, Darnach ich jm artznej geben kan. Et silet parum aspicundo. Viuiam:

170

Knecht Quentzepelzsch, das ist ein wilder harm, Ich wais nit, ob es jm leit jn dem magen oder jm darm. Bring mir her die parillen mein! Ich furcht, es sej geschissen darein. Quentzepelzsch:

175

Maister Viuiam, nempt euch der weile, Last euch die pauren nit vber eylen! Ich merck, der pawr ist gantz entwicht. Thut vor ̲ ein guten trunck, so werden euch die augen licht. Die weil wil ich suchen ewr parillen, Ob wir die pauren mochten gestillen.

164 pas ‚besser‘ 166 Defektes Latein, wahrscheinlich in der Bedeutung ‚Und Viviam schweigt ein wenig [das Glas] betrachtend‘; möglicherweise vermochte der Schreiber das geschwungene s der Vorlage, das den Part. Präs. aspiciens anzeigt, nicht zu deuten und erkannte darin stattdessen ein d. 167 wild: Hier Bezeichnung für eine irreführende pathologische Erscheinung (vgl. DWb 30, Sp. 35). 169 parillen (zu frnhd. baril): Aus Beryllen geschliffene Augengläser; häufig verwendet als Zeichen falscher Gelehrsamkeit und damit des Betrugs (vgl. Röhrich: Redensarten, S. 258). 173 vber eylen ‚hetzen, treiben‘ 174 entwicht: ‚unnütz, nichts [mehr] Wert‘, hier: ‚leblos, dem Tode nahe‘ 175 licht ‚klar‘ 177 Ob ‚Wenn‘ 177 gestillen ‚zufriedenstellen‘

166 aspicundo: Keller (S. 63) liest conspicundo 168 jn] jm 173 eylen: Keller (S. 1483) erwägt Konjektur zu eyle; der Einfgriff dient lediglich der Besserung des Reims, ist somit nicht zwingend.

85 – Die Heilung eines kranken Bauern

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Medicus:

180

Pfey, jr rotzigen pauren! Sol ich euch ewr kranckheit beschauren Vnd hab mich des saichprunnens ser geflissen, So habt ir mir in das glas geschissen.

Gb 43r R 20, 171f.; R 22, 36f.

Ein pawr:

185

190

195

Lieber meister Viuiam, Ewr waißigkeit seh den harm pas an: Er ist so dick von natur, Ich furcht, er hab die roten rur. Warumb solt wir vns fleissen Vnd euch in das glaß scheissen?

KF 64

Der artzt: Jr pawren, jr sult mirß nicht zu vbel haben, Es ist mir vor mer ̲ widerfaren. Ich wil jm ein purgatzen geben, Vnd jm domit verkurtzen das leben. Furt jn her vnd tut sein pflegen! Mein knecht muß vor vber jn sprechen ein segen Vnd jm geben ein wurtzlein in den mundt, Das er nymmer mer wirt gesunt. Der gefatter:

200

Lieber gefatter, stet auff vnd get herzu, So wirt man euch jn ewrem leib machen ru!

179 Pfey (Interjektion zu mhd. phiu, phî): Ausdruck des Ekels. 179 rotzig: Häufig für Bauern gebrauchtes Schimpfwort; eigentlich ‚verschleimt‘. 180 beschauren (zu mhd. beschiuren): ‚sich schützend einer Sache annehmen‘. Möglich ist auch die Bedeutung ‚beschauen, mit scharfen Augen prüfen‘, der Frikativ wäre dann ausschließlich reimbedingt. 181 saichprunnen ‚Harnstrahl, Urin‘ 181 sich fleißen ‚sich sorgfältig bemühen‘ 185 waißigkeit: Parodistische Verunstaltung von mhd. wîsheit als Titulatur gegenüber dem städtischen Rat (Lex III, Sp. 944). 187 rote rur: Entzündliche Erkrankung des Dickdarms in Folge bakterieller Infektion. 192 vor ‚zuvor, vorher‘ 192 mer ‚mehrfach, öfter‘ 193 purgatzen: ‚Purgation, Reinigung‘, hier: ‚Abführmittel‘; neben dem Aderlass das Allheilmittel des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. 196 Aderlass und Purgatio wurden traditionell durch Heil- und Segenssprüche ergänzt. 197 wurtzlein ‚Heilpflanze‘

104 | 85 – Die Heilung eines kranken Bauern

Seruus Halletusch:

205

210

Laß dich effen, du narren gawl! Wolt got, wer dein haubt fawl Vnd leg begraben dein or Vor vnser frawen chor, So nem furpas zu dein weip, An sel vnd an leip. Diesen segen setz ich dir zu puß: Das du sterbest vor meinem fuß, Vnd dein haubt muß furpas wute, Des gewer mich got durch sein gute!

Gb 43v

Seruus Halletusch:

215

Nym von mir das wurtzelein, Ich hoff, es soll dir gesunt sein. Viuiam:

220

Sun, thu ein guten trunck auff die wurtz, So wirstu dauon lassen ein guten furtz, Vnd dein sach wirt pesser, das sag ich dir. Thu ein guten trunk vnd gelaub mir! Idem Viuiam:

225

KF 65

Nw legt mir jn nyder auff die erden, So wirt er gar großlich scheissen werden. Darnach so wirt er gesunt, Also hab ich verdint hundert pfunt.

203 effen ‚verspotten, foppen‘ 206 frawen chor: 203–212 Persiflage eines Segensspruchs. Altarraum der Nürnberger Liebfrauenkirche auf der dem Markt abgewandten Ostseite. Da ein Friedhof nahe der Marktkirche nicht nachweisbar ist, ist möglicherweise die im Norden der Stadt gelegene Kapelle Unserer Frau gemeint. Der Stadtplan von Nopitsch (Nopitsch: Wegweiser) weist ein solches Bauwerk umgeben von Grünflächen aus. 207 furpas ‚künftig‘ 209 ‚Diesen Segen erteile ich dir zur Besserung:‘ 211 haubt wuten ‚Kopfschmerzen haben‘

211 wute: Keller (S. 1483) erwägt Konjektur zu wuten bzw. Streichung des muß; beide Eingriffe sind nicht zwingend.

85 – Die Heilung eines kranken Bauern

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Infirmus:

230

235

Lieben freunt, ich bin entledigt von meinem smerzen, Den ich hett vntter meinem hertzen! Gebt dem maister sein lon vnd schweigt still, Als vil, als er haben wil. Vnd tragt her krapffen vnd wein Vnd laßt vns frisch vnd frolich sein! Schlacht auff, das es muß erclingen, Ich wil forn an den reyen springen.

Gb 44r

Precursor: Herr wirt, ein ende hat vnser schallen, Laßt euch vnsern schimpff wol gefallen, Das hort wir gern. Du findest das in dem weiszen puch geschriben.

227 Lieben: Zur indeterminierenden Flexion des Vokativ Plurals vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 41. 227 entledigt ‚befreit‘ 231 krapffen ‚in Fett gesottenes Fastnachtsgebäck‘ 234 reyen ‚gesprungener Bauerntanz‘ 237 schimpff ‚Spaß, Scherz‘

235 Am Ende der Zeile et cetera. 237 Am Ende der Zeile et cetera. 239 Dieser Hinweis schließt direkt an den Text an. Davor und dahinter jeweils et cetera.

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Kommentar Bezeugung Gb, Bl. 39r–44r

Ausgaben Keller: Fastnachtspiele I, S. 58–65 (= Nr. 6, nach G); Bd. III, S. 1482f.; Bd. IV, S. 337.

Textkritik Das Spiel ist unikal in Handschrift G überliefert.

Autor Das Thema, ausführliche Beschreibung und anschließende Kurierung menschlicher Verstopfung, sowie der wenn auch unfertige Tanzschluss legen die Autorschaft Folzens zunächst nahe, ebenso der Segen, den der Knecht des Quacksalbers Hulletusch in Z. 203–212 spricht. Diese Passage weist signifikante Ähnlichkeiten mit den Versen 12231–12240 aus dem Spruchgedicht ‚Der Renner‘ des Hugo von Trimberg (um 1230– 1303) auf (vgl. Hugo von Trimberg: Renner II, S. 118 sowie Stiefel: Fastnachtspiel, S. 3). Aufgrund dessen Tätigkeit als Rektor des Stiftes St. Gangolf bei Bamberg kann man die Verbreitung seiner Schriften in Nürnberg annehmen. Wie in ‚Die drei Brüder und das Erbe‘ (F 87), ‚Der Herzog von Burgund‘ (F 88), ‚Das Nürnberger [kleine] Neidhartspiel‘ (F 89), ‚Kaiser und Abt‘ (F 90), ‚Domherr und Kupplerin‘ (F 95), ‚Salomon und Markolf‘ (F 103) oder ‚Die zwölf faulen Pfaffenknechte‘ (F 107), allesamt Folz zugewiesene Spiele bzw. solche, in denen seine Verfasserschaft sehr wahrscheinlich ist, greift auch der Autor des Spiels F 85 auf schriftlich vorliegende Zeugen zurück und macht den Stoff und/oder Passagen daraus den eigenen literarischen Ambitionen dienstbar. Man vermisst jedoch eine eigenständige Bearbeitung des Trimbergschen Textes weitgehend, die Passage orientiert sich stark der Vorlage. Nur an der Stelle, an der im ‚Renner‘ konkret auf den dortigen Kontext Bezug genommen wird und die aufgrund dessen nicht in das vorliegende Spiel passt, ersetzt der Verfasser des Spiels vier Verse (Z. 205–208). Diese weisen wiederum erhebliche metrische Defizite auf. Weitere stilistische wie orthographische Befunde nähren Zweifel an der Verfasserschaft Folzens: Unreine Reime in Z. 36, 131, 150, 153, 158 und 192, Wiederholungen in Z. 8/9, 23/24, 74/75 bzw. 77/78 und metrisch ausgesprochen unsaubere Passagen (überlange Verse, z.B. Z. 4, 26, 78, 96, 97, 106, 109, sowie zu kurze Verse, z.B. Z. 120, 121) weisen nicht unbedingt auf ein vollendetes Werk aus der Feder des Meistersingers hin. Dramatisch wenig ausgefeilt

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wirkt auch die Einführung des kranken Bauern auf der Bühne: In Z. 42 schickt der Medicus seine Knechte zu einem ihm offensichtlich bekanntermaßen erkrankten (dem) Bauern, um ihn gegen Bezahlung von seinen Bauchschmerzen zu kurieren. In Z. 96f. dagegen berichtet einer aus der Gruppe der Bauern seinerseits Hulletusch von dem an Verstopfung Erkrankten in der Weise, als wüsste der Gehilfe des Arztes nichts über dessen Beschwerden. Und in Z. 67 hat Hulletusch offensichtlich von dem Wein getrunken, aber erst in Z. 71 schickt der Bauer nach dem Getränk. Die relativ hohe Bandbreite unterschiedlicher Schreibungen einzelner Wörter, bspw. des Namens des Arztes, sind für Folz ebenfalls untypisch. Und nicht zuletzt der in Z. 94, 114, 135, 173 und 211 inkonsequent realisierte Nasal des im Reim stehenden Infinitivs entspricht nur bedingt den Befunden des Folzkorpus.

Datierung Terminus ante quem ist 1494, das Abschlussjahr der Handschrift G.

Rollen, Inhalt, Struktur Rollen: Ein- bzw. Ausschreier, der Quacksalber Viviam, dessen Knechte Quentzepeltzsch und Hulletusch, vier bis sechs Bauern, einer davon unter schwerer Verstopfung leidend. Das vorliegende Handlungsspiel ist eine Arzt- bzw. Bauernsatire. Der Einschreier kündigt die Gruppe der Akteure an und bittet um Aufmerksamkeit für die folgende Darbietung. Quentzepeltzschs Schilderung der Fähigkeiten seines Meisters liefert ausschließlich die Verkehrung medizinisch sinnvollen Handelns (Z. 28–36), Krankheit und Tod sind die Ergebnisse seiner Bemühungen um seine Patienten. Der Meister tritt auf und animiert seine Knechte, für seine Dienste Werbung zu machen. Hulletusch wendet sich an eine Gruppe von Bauern (Z. 55), heischt ein Getränk und berichtet auf Nachfrage der Bauern von den medizinischen Möglichkeiten des Viviam. Einer der Bauern erinnert sich seines unter Verstopfung leidenden Nachbarn, begibt sich mit einem Gefährten zu ihm und erkundigt sich nach der Befindlichkeit des Maladen. Dieser ist dankbar für die Möglichkeit, einen Arzt konsultieren zu können, seine Freunde versprechen reichen Lohn bei erfolgreicher Behandlung. Gemeinsam werden sie bei Meister Viviam vorstellig und der Kranke gibt eine Urinprobe ab. Nach intensiver Prüfung des Flascheninhalts kommt Viviam zu dem Schluss, dass ihm die Bauern in das glas geschissen (Z. 182) haben. Das bestreiten diese jedoch und verweisen auf die Krankheit als Grund für die Konsistenz des Urins. Der Arzt kündigt an, dem Patienten ein Abführmittel zu verabreichen, zuvor soll Hulletusch jedoch einen Segen sprechen. Es folgt eine wüste Verwünschungsformel, die Tod und Schmerz über den Kranken bringen soll. Gleichwohl wirkt das im Anschluss daran eingenommene Mittel und verschafft dem Patienten

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Linderung. Dieser bedankt sich und leitet mit dem Tanzschluss das Ende des Spiels ein. Deutungsaspekte: Der Verfasser parodiert in diesem Stück den Vorgang der Harnschau. Die Harnschau war seit dem Frühmittelalter das primäre diagnostische Verfahren, fußend auf dem Lehrgebäude der Humoralpathologie. Dabei wurde das bauchige Harnglas vor hellem Hintergrund betrachtet, wobei Farben, Schwemmteilchen, Bodensatz, Konsistenz, Geruch und Geschmack des Urins beurteilt wurden (LexMA IV, Sp. 1940). Der Arzt wird in der für die Gattung typischen Weise als unfähig, betrügerisch und geldgierig beschrieben. Nicht die Heilung des Patienten liegt ihm am Herzen, sondern eine üppige Besoldung für zweifelhafte Dienste. Besondere Erwähnung verdient die von Hulletusch in den Z. 81–85 geschilderte Liste der Zutaten für die Medizin seines Herrn. Es wird hier ein Sammelsurium unmöglicher, absurder, widersprüchlicher bzw. unwahrscheinlicher Substanzen und Gegenstände präsentiert. Diese sind jedoch nicht als spontaner Ausdruck der Sinnlosigkeit der medizinischen Maßnahmen des Arztes zu verstehen. Hierin greift der Verfasser vielmehr auf Textmuster zurück, die, auf Prinzipien der Lügendichtung fußend (vgl. Hartl: Drama I, S. 94), aus dem Osterspiel bekannt sind: Als Komik erzeugendes Element ist der Salbenmacher Rubin mit der Verarbeitung unsinniger Materialien dort fester Bestandteil des Spielgeschehens (vgl. das Erlauer Osterspiel bei Hartl: Drama II, S. 228, Vers 653ff.; S. 230, Vers 705ff., das Innsbrucker Osterspiel bei Hartl: Drama II, S. 169, Vers 830ff.; vgl. außerdem die Fabel des Erasmus Alberus bei Alberus: Fabeln, 40, Vers 90ff. sowie weitere Fastnachtspiele bei Zingerle: Fastnachts-Spiele, IV, VI, XXI und XXIV). Hans Folz greift dieses Spiel mit dem Sinnlosen bzw. Unsinnigen in Reimpaarspruch Nr. 33, Vers 19–36 sowie 61–80 auf. Die Ausführungen des Quentzepeltzsch, dass die angebliche Gesundung des Patienten in eine tatsächliche Verschlechterung des Zustands münde (Z. 21ff., Z. 86–88), verstehen die Bauern nicht, ebensowenig die Ankündigung des Arztes in Z. 198 sowie den von Hulletusch ausgesprochenen Fluch in Z. 203ff. Auch begreifen sie die lateinische Bedeutung des Namens des Arztes (vgl. Z. 142) nicht. Diese Passagen sowie die verunglückte Titulatur des Mediziners (Z. 185) beschreiben die Schlichtheit der Bauern, die die drohende Gefahr der Therapie nicht erkennen: Leichtgläubig fallen sie auf den Kurpfuscher herein, halten seinen Knecht für einen guten knaben (Z. 73) und kommen gleichzeitig als Urheber für den derben Scherz mit dem Harnglas zumindest in Frage. Darüber hinaus werden sie als großspurig und prahlerisch gezeichnet (vgl. Z. 137, 145). Generell waren peristaltische Irritationen zu Zeiten der Abfassung des Fastnachtspielkorpus weit verbreitet und wurden als teilweise erhebliche Beeinträchtigung des Wohlbefindens wahrgenommen (vgl. Schipperges: Garten, S. 68). Neben tatsächlich pathologischen Erscheinungen hinderte die ballaststoffreiche und oftmals blähende Ernährung insbesondere im bäuerlichen Millieu eine geregelte Verdauung. Die allgegenwärtige Präsenz der Problematik führte zu einem höheren Maß an öffentlicher

85 – Die Heilung eines kranken Bauern

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Wahrnehmung und zu einer für unsere Ohren einigermaßen brachialen literarischen Repräsentation, der Tabuisierung ging gewissermaßen die Lösung des Problems zwangsläufig voraus. Aufführungshinweise: Die Bühne muss in drei mansiones unterteilt gedacht werden, zwischen denen sich die Akteure bewegen: Aus der ersten Position heraus nähert sich der Knecht einer Gruppe von Bauern. Diese wiederum verweisen auf einen nicht anwesenden weiteren Bauern, den eine Abordnung der Bauern in einem dritten Teil der Bühne aufsucht und schließlich in den ersten, den Bereich des Arztes bringt. Der Erkrankte verlässt unter Mithilfe seiner Freunde in Z. 152f. die Sphäre des Medicus, um das Harnglas zu füllen. Es kann wohl davon ausgegangen werden, dass diese Handlung, über deren genauen Ablauf der Zuschauer, zumindest aber der Leser im Unklaren gelassen wird, dem Einblick des Arztes entzogen in einem hinteren Bühnenteil stattfindet. Die Wege zwischen den einzelnen mansiones waren aufgrund der Aufführungssituation in Bürgerhäusern bzw. Gaststuben und den daraus resultierenden geringen Abmessungen der Bühne kurz. Zahlreiche Passagen innerhalb des Spieltextes (Lauff hin, Z. 52) bzw. der Regieanweisungen (So get der pawr, Z. 129) sowie die Redeanweisung in Z. 100 (sie deutet eindeutig auf eine Unterbrechung des Redeflusses während der Hinwendung zu dem erkrankten Bauern im dritten Haus hin) belegen den häufigen Wechsel zwischen den einzelnen mansiones. Die Sprecheranweisungen in Z. 213 und 221 zeigen ebenfalls die Unterbrechung der jeweiligen Rede an. Während dieser nonverbalen Sequenz hatten die Akteure Zeit, die zu therapeutischen Zwecken verabreichte Wurzel sowie den Trunk in die Hand bzw. in den Mund zu nehmen. Die Harnschau selbst sowie der Zorn des Arztes über den vermeintlichen Kothaufen im Harnglas kann wohl als Dreh- und Angelpunkt des Spiels angesehen werden. Ohne Spieltext hatte der Akteur aufgrund der Anweisung in Z. 166 Zeit, den Vorgang gestisch und mimisch auszugestalten und das als Requist zweifellos auf der Bühne vorhandene Harnglas intensiv zu schwenken, es ausgiebig zu betrachten und daran zu riechen. In der Suche des Quentzepeltzsch nach der Brille des Meisters vertieft sich der Eindruck geschäftigen Eifers, den der Zuschauer von dem Bühnengeschehen in dieser Phase des Spiels hat. Neben dieser Brille, einem Weinglas (vgl. Z. 65ff.) und einer Bank (vgl. Z. 162) müssen als weitere Requisiten eine Wurzel auf der Bühne verfügbar gewesen sein, die Hulletusch in Z. 213 in die Hand nimmt und in Z. 215 dem Bauern übergibt, sowie ein Becher, aus dem der Kranke im Anschluss an die Anweisung Meister Viviams in Z. 220 trinkt. Weitere Bühnenaktionen werden in den Reden angedeutet: In Z. 17 (trit herzu), 46 (Nym mit dir), 68 (Sitzt), 71 (laufft), 152 (Greifft an), 162 (Setzt euch nyder), 200 (stet auff vnd get herzu) und 222 (legt ... jn nyder) müssen die jeweiligen Anweisungen seitens des Ensembles umgesetzt worden sein. Für zusätzliche Dynamik sorgen die dramatischen Unterbrechungen, die das Heischen eines Trunks im Einzelfall mit sich bringen (vgl. Z. 65, 231).

110 | 85 – Die Heilung eines kranken Bauern

Nicht zuletzt aufgrund zahlreicher Benennungen (vgl. Z. 17, 21, 40, 167, 29, 49, 130, 142, 155, 172, 184, 46, 50, 52) der einzelnen Figuren auf der Bühne treten diese nicht nur in den Regieanweisungen für den Leser bzw. Spielleiter, sondern als Bestandteil des Spieltextes auch für das Publikum als Rollenträger deutlich hervor: Hierin entsteht, zumindest aufseiten des Mediziners und seiner Mitstreiter, für den Zuschauer auf der Bühne ein strukturiertes soziales Geflecht. Aufseiten der Bauern ist die Verteilung der Rollen flexibler und die Regieanweisungen sind weniger konkret ausgebaut. Eindeutig identifizierbar ist hier ein Nachbar des Kranken, der erste Bauer (vgl. Z. 100, 101, 106). Daneben wird ein Gevatter des Kranken in den Regieanweisungen genannt (Z. 110, 199) und auch im folgenden Sprechtext wendet sich diese Rolle mit derselben Anrede an den Kranken. Diese sozialen Beziehungen erschließen sich dem Zuschauer. In Z. 141 dagegen wird lediglich Ein pawr genannt, aufgrund von Z. 144 handelt es sich jedoch um den bereits als solchen bekannten Gevatter des Erkrankten. Im Gegensatz zu Ein ander pawr (Z. 124) beherrscht er darüber hinaus die korrekte Verwendung des Namens des Arztes nicht (vgl. Z. 130, 142). Die übrigen bäuerlichen Rollen lassen sich kaum eindeutig quantifizieren oder zuweisen: Die nicht näher beschriebene Rolle Ein ander pawr (Z. 124) ist nicht recht in Bezug zu setzen zu den Rollen in Z. 154 und 183. In dieser Form kann der Text kaum zu Aufführungszwecken nutzbar gewesen sein, das Interesse des Schreibers galt eindeutig der Fixierung des Inhalts.

Textbezüge Erkrankungen, deren Diagnose durch einen Arzt sowie teilweise absurde, mehr oder minder erfolgreiche Therapievorschläge waren ein beliebtes Thema zahlreicher Fastnachtspiele (vgl. R 22, R 24, R 42, R 45, F 111; vgl. auch F 91, wobei hier der Vorgang, dort das Ergebnis mehr oder minder erfolgreichen Verdauens fokussiert wird). Zumindest am Rande wird das Thema Heilung bzw. Linderung von Schmerzen außerdem behandelt in F 89 und K 57. Weniger strukturelle als punktuelle Ähnlichkeiten weist das vorliegende Spiel zu R 20 auf, auch dort tritt die Figur Meister Viviams als Kurpfuscher auf. Die in den Spielen angelegten Verfahren zur Ermittlung der Ursache des Unwohlseins ähneln einander stark: Harn-, Schweiß- und Stuhlschau dienen der Erforschung der Krankheit, wobei die seinerzeit ebenso übliche Befragung der Gestirne unterbleibt (vgl. F 87, Z. 482). Die in Z. 76ff. geschilderte Arznei weist Meister Viviam im Gegensatz zum behandelnden Arzt in F 111 als Scharlatan aus. Bearbeiter: Gerhardt, Greil

86 – Hans Folz: Die Bauernhochzeit (Fassung II) KF Nr. 7

Gar ain vast spotische pauren heÿrat, gar kurtzweÿlig zuͦ lesen, jn der vasnacht zuͦ prauchen Ga 211v e 1r o 1r h 1r z 1r KF 66

5

Der ausschreyer spricht:

Ga 212r

Ir herren, got geb eüch hail darzuͦ ! Wir schaffen eüch nit geren vnruͦ , Doch sey wir sunder her beschiden, Ob wir ain frag rechten zu friden. Dan, wirt, habt ir ain guͦ tten wein, So tragt nun her vnd schenckt flux ein.

e 2r o 2r h 2r z 2r KF 67

Deß preutigamß vatter spricht: 10

Hört, lieben frewndt, daß ist die sach: Mein sun, der auch da volgt hernach,

1 Die Fastnachtszeit war als Hochzeitstermin beliebt, Eheschließungen in der anschließenden Fastenzeit waren untersagt. Zudem ergab sich aus dieser Terminierung die Möglichkeit, die in der Fastenzeit aufgrund der Fastenregeln ohnehin nicht zu verzehrenden Restbestände aus den Speisekammern aufzubrauchen (vgl. Schindler: Leute, S. 179). 5 sey: Obd. übliche Form der Flexion der 1. Pers. Pl. Ind. Präs. (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 149). 5 sunder her beschiden ‚zu dem Zweck hierher bestellt‘ 6 ‚Damit wir eine Streitfrage beilegen.‘ 10 lieben: Indeterminierende Form im Vokativ seinerzeit üblich (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 41; vgl. auch Z. 167, 170). 10 sach ‚Rechtssache, Streitpunkt‘

1 im Register G: Ain vast spotische pauren heyrat; Gar ain vast spotische pauren heÿrat, gar kurtzweÿlig zuͦ lesen, jn der vasnacht zuͦ prauchen] Ein hübsch faßnacht spil / von einer gar pewrischen pawrn heyrat / seer kurtzweylig vnd gut zu lachen e, o (das Titelblatt trägt einen Holzschnitt, auf dem ein Brautpaar und drei Bauern dargestellt sind); Gar ain vast spotische pauren heÿrat, gar kurtzweÿlig zuͦ lesen, jn der vasnacht zuͦ prauchen] Ein hübsch faßnacht spiel / von einer gar pewrischen pawrn heirat / sehr kurtz weilig vnd gut zu lachen h (der Holzschnitt auf dem Titelblatt zeigt ein Brautpaar, einen Priester und eine Hochzeitsgesellschaft vor einer Kirche); Gar ain vast spotische pauren heÿrat, gar kurtzweÿlig zuͦ lesen, jn der vasnacht zuͦ prauchen] Ein huͤ bsch faßnacht spil / von einer gar pewrischen pawrn heirat / sehr kuͤ rtzweilig vnd gut zu lachen z (das Titelblatt zeigt einen Priester, das Brautpaar und den Brautvater). Am Ende jeder Seite von h und z wird das erste Wort der nächsten Seite rechtsbündig vorweggenommen. 2 Sprecherbezeichnungen und Handlungsanweisungen sowie die jeweils ersten Worte der Reden sind, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in Ga unterstrichen; * fehlt e, o h, z 6 frag] sach * e, o, h, z 8 nun] nuͤ r * e, o, nur h, z

112 | 86 – Hans Folz: Die Bauernhochzeit (Fassung II)

15

Hat sich mit ainr ein weng vergint, Daß wir all drauff gefallen sindt, Vnd wöllen sy vollen zuo samen geben. Nun seyt ir vns besunder eben, Daß pest zuͦ reden jn den dingen, Ob man die ee zuͦ guͦ t mecht pringen.

F 86I, 15; F 102, 228

Der prewt vatter spricht:

20

Mein Gewt, gee her vnd las dich schawen. Du vergest dich jm zuͦ ainer frawen Vnd kundst nit ebner sein sein fuͦ g: Fud, ars vnd tutten hastu ye gnuͦ g! So hab ich dich mit fleys erzogen.

e 2v o 2v h 2v z 2v

Ir ainr auff deß preutigamß seytten spricht: 25

30

Ja, wan du vor nit hetst gelogen, Ich schetz, du habest ir vast geacht. Wer hat ir dan den panckhart gmacht? Da von du gabst dreizechen pfundt, An daß eß dich sunst mer gestuͦ ndt. Doch meinstu leicht, man wis nit drum.

Ga 212v

KF 68

Der preut vatter spricht: Wie, mainstü dan, sy sey nit frum? Nun hat dein weyb der panckhart drey Vnd treÿbt nit halb so vil gespey.

12 verginen mit ‚vergucken, verlieben in‘ 13 drauff gefallen ‚darauf verfallen‘ 14 vollen ‚vollends‘ 15 eben ‚passend, geeignet‘ 17 ‚Wenn man die Eheschließung vollziehen könnte.‘ 19 Gewt: Bauernname, Variante zu Jutta (Arndt: Personennamen, S. 54; Kunze: Namenkunde, S. 77). 20 vergehen (zu mhd. verjëhen): ‚erklären, bekennen‘ 21 fuͦ g sein (zu mhd. vuoc): ‚passen‘, hier mit Gen. 22 Fud ‚Vulva‘ 22 tutten ‚Brüste‘ 26 du habest ir vast geacht ‚du hast gut auf sie aufgepasst‘ 27 panckhart ‚Bankert, uneheliches Kind‘ 28 Das uneheliche Kind wurde offenbar außer Haus gegeben, was den Vater der Braut dreizehn Pfund kostete (vgl. Sprandel: Diskriminierung, S. 501). 28 Da von ‚Deshalb‘ 29 An daß ‚Auf dass, Weil‘ 29 gestehen ‚kosten‘ 30 leicht ‚vielleicht‘ 32 frum ‚anständig, unschuldig‘ 34 gespey ‚leeres Geschwätz‘

12 Keller (S. 1483) erwägt Konjektur zu Hat sich in eine diern vergient; der Gebrauch mit Dat. statt Akk. kann als verbreitet angenommen werden (vgl. DWb 25, Sp. 443). 12 vergint] vergimt: Konjektur bei Keller (S. 67) 13 wir] sie * e, o, h, z 14 vollen zuo samen] vol zamen e, o, h, z 16 pest zuͦ reden] beste redet e, o, h, z 22 ye fehlt e, o, h, z 25 nit] nie * e, o 25 hetst] hest * h, z

86 – Hans Folz: Die Bauernhochzeit (Fassung II)

35

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113

Gener schlecht auff den vnd spricht: Samer pox hawt, daß ist gelogen! Deß sol man ain gantz dorff meng frogen. See! bedenck dich zuͦ m nechsten paß.

e 3r o 3r h 3r z 3r

Ein ander pawr spricht: 40

45

Pox leichnam, wem soll aber daß? Waß vnfuͦ r wolt ir erst anfachen? Ich dörst ain auff sein maul schier schlachen, Daß ir sölch esel mugt gesein. Ach, lieber wirt, red selber drein Vnd gib ain mal zuͦ drinchen rum, Daß man gestill den numerdum. Der praut vatter spricht:

50

Ga 213r

Ge her, lieber aydem, ge her. Ich sag dir, sy lieff dir nit ler. Begreyff jr selbß alß pald iren leib. Ir ist yetz wie aim andren weÿb, Darum kem sy dir mit gewin. Ich riet dir zwar, du nemst sy hin.

35 Gener ‚Jener‘ 36 Samer pox: Samer ist eine aus sam mir kontrahierte Interjektion, die ursprünglich für sam mir got helfe stand (DWb 14, Sp. 1745). Die seit dem 15. Jahrhundert auch als kotz oder potz in Flüchen auftretende Interjektion pox ist eine Entstellung des Genitivs Gottes, um dessen Namen nicht in einem Fluch zu gebrauchen (HdA 2, Sp. 1638); das FrnhdWb. vermutet hingegen bei pox bzw. bocks eine Anlehnung an den in Bocksgestalt auftretenden Teufel (FrnhdWb 4, Sp. 881f.); vgl. Z. 40, 64. 38 See! ‚He!‘ 38 paß ‚besser‘ 40 wem soll aber daß? ‚wem soll das nutzen?‘ 41 vnfuͦ r (zu mhd. unvuore): ‚Unsinn‘ 41 anfachen ‚anfangen, beginnen‘ 42 dörren (zu mhd. turren): ‚wagen, sich zutrauen‘ 46 numerdum hier: ‚Lärm‘; Entstellung aus lat. in nomine domini: Bekräftigungsund Verwunderungsruf (Lex II, Sp. 119). Unkenntnis des Setzers des Drucks z um diese Phrase führte offensichtlich zu der abwegigen Verwendung. 48 aydem ‚Schwiegersohn‘ 49 sy lieff dir nit ler: ‚sie ist noch nicht verbraucht‘ bzw. ‚sie ist nicht ganz ohne‘ (vgl. Wuttke: Fastnachtspiele, S. 44); zur Flexion von laufen vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 133. 50 begreyffen ‚ergreifen, betasten‘

42 dörst] doͤ rfft h; toͤ rff z 43 mugt] muͤ g e, o numerdum] nuͤ mer drumb z

43 gesein] sein * h, z

45 gib] gebt * e, o, h, z

46

114 | 86 – Hans Folz: Die Bauernhochzeit (Fassung II)

Ein ander pawr: 55

60

Hör, frewndt, daß kom jm auch zuͦ frumen: Sy ist nit vngenuet her kumen. Schaw mir sy an der hinttern stiren, Sy ist gar ain versuͦ chte diren: Jm hew, jn stauden vnd im koren, Daß ichß halt selber het verschworn, Wern ir nit alß vil, die eß retten.

e 3v o 3v h 3v z 3v KF 69

F 102, 141

Einer auff der prewt seytten spricht: Hat dich der teẅffel deß gepetten? Samer pox lung, los der red no! 65

Genner antwurt her wider: So, narr, merckß, jch lob jmß also. Aber einer auff der praut seytten spricht:

70

75

Werlich, mein nachpawr hat sein recht, Sy ist alß von aim phenden gschlecht. Ich han gesechen in der eren Jeczunt, zwey jar vnd zwar auch veren, Daß mein stadel voll schnitter lag, Der sy des nachteß aller pflag, Vnd richtet sy so waidlich aus; Ich macht sunst so vil red nit drausß: Sy waß mein knechten gsotten vnd pratten, Deß jch jmß nit kan wider ratten.

e 4r o 4r h 4r z 4r Ga 213v

55 kom jm auch zuͦ frumen ‚wird ihm [dem Bräutigam] auch zu Nutzen sein‘ 56 vngenuet (zu mhd. niuwen): ‚stoßen‘ 57 hinttern stiren ‚Rückseite, Hinterteil‘ 58 versuͦ cht ‚erfahren‘ 61 eß retten ‚davon redeten‘ 63 bitten: Frnhd. üblicherweise mit Gen. 64 los der red no ‚lass das Gerede sein, halt die Klappe‘ 66 jch lob jms also ‚ich preise sie ihm vielmehr an‘ 69 phende ‚behände, umtriebig‘ 70 eren ‚Ernte‘ 71 veren ‚im vorigen Jahr‘ 72 stadel ‚Vorratsraum, Lager‘ 73 pflegen ‚kümmern, sich annehmen‘; frnhd. üblicherweise mit Gen. 74 ‚Und nahm sie sich so gründlich vor;‘ 76 gsotten vnd pratten ‚gegart, zum Verzehr geeignet‘, hier: ‚ein Leckerbissen‘

54 pawr] spricht e, o, h, z 55 kom] kem e, o, h, z 65 her wider] hinwider e, o, h, z 69 als fehlt e, o, h, z 71 zwar fehlt e, o, h, z 77 kan] wil * e, o, h, z

86 – Hans Folz: Die Bauernhochzeit (Fassung II)

Der praut vatter spricht:

80

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115

KF 70

Mein Heintz, daß du deß münder schichst, So gib ich dirs, alß du sy sichst. Darum so model sÿ ab gleich eben. Der preutigam spricht: Waß wurd man mir doch zuͦ ir geben? Ich miest ÿe auch ain haus rat han.

85

90

95

Ein ander spricht:

e 4v o 4v h 4v z 4v

Ach, lieber, sich mir sy recht an. Was solt man dir geben darzuͦ ? Sÿ vberhept dich ÿetz ainr kuͦ ; Schaw, wie ist sÿ oben so weyt, Ich ways, das sy gereid milich geÿt. Vnd hat ain wisen an aim ort, Dan sy di maul wurff hand durch port, Vnd ist gar peym mist graben glegen. Ja, lestu die ee vnder wegen, So ist dir ye nichß reinß beschaffen. Darzuͦ ist sy mit unserm pfaffen Baß ainß, dan ich ir kaine wais Halt yendert jn dem weytten kreyß.

Ga 214r

79 Heintz: Koseform von Heinrich (Arndt: Personennamen, S. 49); gemeint ist hier der Bräutigam, der in Fassung I Kunz (Koseform zu Konrad) heißt. 79 münder ‚weniger‘ 79 schichen (zu mhd. schiuhen): ‚scheuhen, zurückschrecken‘ 81 abmodeln ‚nachbilden, nachformen‘; hier: ‚die Formen mit den Händen prüfen‘ 83 doch ‚außerdem noch‘ 88 vberhepen ‚entledigen, überflüssig machen‘ 90 gereid ‚bereitwillig‘ 91–93 Zur sexuellen Metaphorik der Wiese vgl. Kratz: Wortschatz, S. 123, 225; Müller: Schwert, S. 37. 94 ‚Ja, unterlässt du die Ehe,‘ 95 ye nichß reinß beschaffen ‚niemals etwas Vollkommeneres vom Schicksal vorbestimmt‘ 97 Baß ainß ‚Besser einig‘; hier: ‚Vertrauter, Intimer‘ 98 Halt yendert ‚Eben irgendwo‘ 98 weytter kreyß ‚ganzer Umkreis‘

79 schichst] scheist h

81 so fehlt e, o, h, z

93 gar] noch e, o, h, z

116 | 86 – Hans Folz: Die Bauernhochzeit (Fassung II)

Ein ander spricht: 100

Hort, ich pin ir nun hold vmb daß, Sy zilt mir manch mal in ain was. Het ich eß sunst kainr dar geschlagen, Ich wolt mich ir noch wol betragen. Der preutigam spricht:

105

e 5r o 5r h 5r z 5r KF 71

Lieber, wan ich daß vor nit wist, Daß sÿ ewch allen so dinstlich ist, Ich wolt mir ir nit gwünschet han. Einer spricht zuͦ m preutigam:

110

Sich sy deß tewffels namen recht an! Ich wolt gleich wetten on gefer, Ob ain scheẅtzlichere jm dorff wer. Der praut vatter spricht:

115

Sy ist von antlütz nit ser klar, So hat sy nit vast gelbeß har. So wil ich auch ir füesß nit loben, Aber ir pain sind vnden alß oben. So ist sÿ an der hewt getan, Du ribst kes gnuͦ g zuͦ fladen dran.

Ga 214v

100 hold ‚zugeneigt‘ 101 was (zu mhd. wase): ‚Rasenfläche‘; ‚Sie bestellte mich manchmal auf eine Wiese.‘, vgl. Z. 91; die Druckfassungen o, h und z lassen ferner eine Verwendung in Anlehnung an mhd. vaz: ‚Gefäß‘ vermuten, zu dem die Braut dem Bauern Zugang verschafft (vgl. Thomke: Spiele, S. 37, Kratz: Wortschatz, S. 60ff.). 102 dar schlagen ‚versprechen, zusagen‘ 103 betragen ‚nutzen, bedienen‘ 110 on gefer ‚ohne böse Absicht, aufrichtig‘ 114 nit vast ‚nicht besonders‘ bzw. ‚überhaupt kein‘, vgl. Wuttke, der vast als Adjektiv in der Bedeutung ‚rein‘ auf gelb als ‚kein [rein] blondes Haar‘ versteht (Wuttke: Fastnachtspiele, S. 47); vgl. Z. 119. 117 getan ‚beschaffen‘ 118 Frischen Käse, also Quark, nahm man auf Brotfladen zu sich (vgl. Heyne: Bücher 2, S. 321). Um Frischkäse in dieser Weise zu bearbeiten, bedarf es einer besonders groben Reibefläche.

100 nun] nuͤ r * e, o, h, z 101 was] vaß e, o, h, z 105 Keller (S. 1484) erwägt Konjektur zu vor wist; der Kontext lässt die Streichung der Negation nur zum Teil sinnvoll erscheinen (der Bräutigam scheint sich der regen Aktivitäten seiner Zukünftigen tatsächlich zu erfreuen), die Parallelstellen führen diese ebenfalls konsequent. 107 Keller (S. 1484) erwägt Konjektur zu ir gewünschet; siehe Z. 105 113 Sy ist] So ist sie * h, z 115 * in h auch hinter füeß 118 ribst] ristb h; offensichtlich Verschreibung

86 – Hans Folz: Die Bauernhochzeit (Fassung II)

120

125

130

Auch hat sÿ nit vast subtill hendt, Doch schaw mir sÿ vber die lendt, Do ist sÿ dir gepersoniert. Ja, wan sÿ mir den hoff ÿe kert, So tätt sÿ freilich offt ain schis, Als der ain ochssen hawt zuͦ  ris. Vnd macht ain gstöber vndern hennen, Daß sÿ zuͦ hinterst flugen an tennen Vnd ainen schrecken auff sich numen, Alß weren sechß aren vndter sÿ kumen. Ich hab mir jr doch wol gelacht, Daß mirs hertz in der plasen kracht. Waß solt dir ain sprentziererin?

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117

e 5v o 5v h 5v z 5v

F 86I, 123f.; F 111, 171f.

KF 72

Ein ander spricht:

135

Auff mein eydt, Heintz, daß nÿm zuͦ synn: Wan alß jch an seiner red tuͦ spechen, So hat sÿ der siben schön dreýzechen. Die praut spricht: Daß wir daß nöttigest nit vergessen: Frag, ob er auch mug epffel essen.

Ga 215r R 65, 98; R 68, 44; F 110, 78

119 subtill ‚zierlich‘ 120 vber die lendt ‚um die Hüften herum‘ 121 gepersoniert ‚proportioniert‘ 123 schis ‚Furz‘ 124 zuͦ ris ‚zerriss‘ 126 tenne ‚Scheune‘ 127 numen: Zur Flexion von nemen vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 125. 128 ar ‚Adler‘ 129 mir jr gelacht: ‚über sie gelacht‘; reflexiver Gebrauch mit Gen. seinerzeit üblich. 130 mirs herz kracht ‚mir das Herz kracht, ich sterbe‘ (vgl. DWb 5, Sp. 1918) 130 plase ‚Blase‘; hier metonymisch für ‚Leib‘ 131 sprentziererin (zu mhd. spranzelieren): ‚einherstolzieren‘, hier: ‚eitle Frau, Püppchen‘ 133 daß nÿm zuͦ synn ‚begreife das‘ 134 spechen ‚erspähen, erkennen‘ 135 ‚So besitzt sie dreizehn der sieben Schönheiten.‘; bezieht sich auf die sprichwörtlichen sieben Schönheiten der Frauen (vgl. dazu Köhler: Gedicht, S. 217–221). 138 epffel essen: ‚potent sein‘; zur Bedeutung des Apfels vgl. Kratz: Wortschatz, S. 134ff.

120 die fehlt e, h, z 126 an] an den * o 130 kracht: Keller (S. 1484) erwägt Konjektur zu erkracht; der Befund in der Handschrift Gb erscheint für diesen Eingriff nicht ausreichend. 133 daß fehlt h, z 134 Wan] Dann h, z 138 Frag, ob er auch mug epffel essen] Fragt, ob er auch oͤ pffel muͤ g essen * e, o, h, z

R 58, 90

118 | 86 – Hans Folz: Die Bauernhochzeit (Fassung II)

Der preutigam: 140

145

e 6r o 6r h 6r z 6r

Hör, Gewt, nim dir deß kain vnwillen. Jch kam einß auff meinß vatters tillen, Do logen epffel, hutzlen vnd piren. Jch tat mich kain zwir drinn vmb t〈i〉ren Vnd hab ain loch darein gefressen, Daß er mir sein nit will vergessen, Darwm dir deß kain zweÿffel nÿm. Ein ander spricht:

150

Jr herren, verhört ir paider stym, Vnd nempt ir yedeß willen ein. Ich hör, daß sÿ der sach einß sein. Macht endt vnd lert dem wirt sein hawß. Die praut:

155

Jr herren, noch ainß, daß ding ich ausß: Jch will sein vngeschlagen gar. Oder jch nÿm in pey seim har Vnd werff in all die stiegen ein, Die jn dem gantzen hawsse sein.

KF 73 e 6v o 6v h 6v z 6v

Ein ander:

160

Ach, daß wer mir ain rechteß weyb. Jch wolt ir altag einß iren leib

Ga 215v

140 vnwill ‚Verdruss, Sorge‘ 141 tillen: ‚Speicher, Boden‘; gleichermaßen Vorratslager wie auch Schlafraum für das Gesinde. 142 hutzlen ‚Dörrobst‘ 142 Zur erotischen Bedeutung der Birne vgl. Kratz: Wortschatz, S. 508. 143 zwir ‚zweimal‘ 143 vmb tiren ‚sich herumdrehen‘ 149 ‚Und hört ihrer beider Willen an.‘ 153 ausßdingen ‚sich ausbedingen, zur Bedingung machen‘ 154 Das Züchtigungsrecht des Ehemanns war schon in den meisten Gewohnheitsrechten des Mittelalters verbrieft. Schlug die Frau jedoch ihren Mann, wurde dieser für die Preisgabe der Herrscherrolle im Haushalt sozial geächtet (vgl. Becker-Cantarino: Frau, S. 220–222). 156 ein ‚hinab‘ 157 sein: Zur Flexion der 3. Pers. Pl. Ind. Präs. vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 149. 160 einß ‚einmal‘

139 Der preutigam spricht e, o, h, z 140 des] das h, z 143 tat] thet e, o, h, z 143 kain] kaum * e, o, h, z 143 tiren] tren 151 lert] lat e, o, h, z 152 Die praut spricht e, o, h, z 155 seim] dem h, den z 156 werff] wuͤ rff e, o, h, z 156 ein] bin 158 Ein ander spricht e, o, h, z

86 – Hans Folz: Die Bauernhochzeit (Fassung II)

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119

Mit guͦ tten aichen flederwischen So rein zuͦ  plewen vnd zuͦ  mischen Vnd wolt ir freilich peren ir lendt. Die prewt spricht: 165

So wer dich, daß dich der tewfel schendt! Der selb pawr spricht: Helfft, lieben gsellen, auß diser not, Ee mich die teẅfflin schlach zuͦ tot! Der preütigam spricht:

170

O, lieben frewndt, halt sy nun vest, Deß hab ich nit an ir gewest. Jch sag sÿ gantz ledig vnd frey. Schafft, daß ich sicher vor ir sey.

e 7r o 7r h 7r z 7r

Die prawt spricht: 175

180

Zwar, Heintz, du wilt mich ÿe begeben. Erfürstu recht mein ordlichß leben, Jch wais ÿe, du wurdest mich lieben. Mein augen sind gespückt mit grüeben, Darzuͦ mein naß mit schwartzen putzen. Vnd so ich ainen an will schmutzen, So las ich fein mein meulin wandern Von ainem oren piß zuͦ dem andern, Vnd scheint mir jnwendig so liecht, Alß der jn ain ruͦ ssigß arsloch sicht.

KF 74

Ga 216r

R 25, 78

162 zuͦ  plewen (zu mhd. bliuwen): 161 flederwisch ‚Federwisch, Besen‘; auch ‚Knüppel, Prügel‘ ‚verprügeln‘ 162 zuͦ  mischen (zu mhd. [zer-]müschen): ‚zerschlagen, zertrümmern‘ 163 peren ‚schlagen‘ 171 gewest ‚gewusst, gekannt‘ 175 wilt: Zur Flexion der 2. Pers. Sg. Ind. Präs. vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 146. 175 begeben ‚aufgeben, verlassen‘ 176 ordlichß ‚richtiges‘ 178 gespückt ‚gespickt, übermäßig versehen mit‘ 178 grüeben: Ursprünglich ‚ausgebratene Speckstücke‘, später übertragen ‚Ausschlag, Pusteln‘ (vgl. Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 201). 179 putzen ‚Pusteln‘ 180 anschmutzen ‚anlächeln‘ 181 meulin ‚Mäulchen‘ 183 ‚Und [mein Mund] strahlt innen so hell,‘

162 zuͦ  mischen] zu knischen e, h, z, zerknischen o 170 nun] nuͤ r * e, o, h, z 177 wurdest] wirst h, z

120 | 86 – Hans Folz: Die Bauernhochzeit (Fassung II)

185

190

195

Meyn dütlein, oben klain vnd schmal, Vnd ye größer hinab gen tall, Geformet gleich zwen glogen schwenglen. Solt ich dich vmb dein maul mit denglen, Jch wais, du wurdest kurtzweÿl sat. Mein pauch gleich ainer pirsten glat. Vnd so pald ich mich ab gezewch Vnd plos vnder die deck gekreẅch, So ist mein pett gemalt vil reiner Dan vnser kwstall nüendert kainer. Vnd wisch ich stett den ars anß hembt, Daß wer dir von ainr andren fremdt. Doch las ich eß meinthalb geschechen, Du magst dich wol weytter versechen.

e 7v o 7v h 7v z 7v

Ausschreyer: 200

205

Her wirt, welt ir der gest ab kumen, So gebt ain mal zuͦ trincken rumen, Vnd lat vnß guͦ tte nacht dan nemen. Wir wellen ainß andren tageß remen, Der heyrat paß nach zuͦ  gedencken Vnd vnß yetzunt von stat gelencken. Wer waist, wie eß sich vort verker? Dütz spricht Hanß Foltz, der barbierer.

Ga 216v

185 dütlein ‚Brüste‘ 187 glogen schwengel ‚Glockenschwengel, Klöppel‘ 188 denglen ‚schlagen‘ 190 pirste ‚Bürste‘ 191 ab gezewch ‚ausgezogen habe‘ 192 plos ‚bloß, nackt‘ 193–194 gemalt: Entweder zu malen in der Bedeutung ‚bunt machen, mit Farbe versehen‘ oder zu meilen ‚mit einem Makel versehen, beflecken‘. 198 weytter versechen ‚weiter umsehen‘ 200 ab kumen ‚loswerden‘ 201 rumen ‚herum‘ 202 lat: Zur Flexion des Imp. Pl. der kontrahierten Form lân zu lassen vgl. Paul: MhdGr, § 187. 203 remen (zu mhd. ræmen): ‚versuchen‘ 205 gelencken (zu mhd. lenken): ‚wenden‘; die Präfigierung ist semantisch bedeutungslos. 206 waist: Zur Form vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 136.

191 ab gezewch] abzeuͤ ch o, abzeuch h 195 Vnd] So e, o, h, z 199 Aus schreyer] Der Ausschreyer spricht e, o, h, z 205 gelencken] lencken o, h, z 207 Dütz] Also e, o, h, z; der fehlt e, o, h, z; in e folgen drei weitere, durch eine Leerzeile abgetrennte Zeilen: Gedruͤ ckt zu Nuͤ rnberg / durch Jobst Gutknecht. / Anno. M.CCCCC. Xix.; in o folgen drei weitere, durch eine Leerzeile abgetrennte Zeilen: Gedrückt zu Nuͤ rnberg / durch Jobst Gutknecht / M.CCCCC. vnd. xxj.; in h folgen zwei weitere, durch eine Leerzeile abgetrennte Zeilen: Gedruckt zu Nuͤ rnberg durch / Georg Merckel.; in z folgen zwei weitere, durch eine Leerzeile abgetrennte Zeilen: Gedruckt zu Nuͤ rnberg / durch Friedrich Gutknecht

86 – Hans Folz: Die Bauernhochzeit (Fassung II)

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121

Kommentar Bezeugung Ga, Bl. 211v–216v (= Fassung II), Gb, Bl. 44r–47v (= Fassung I); e, Bl. 1r–7v; o, Bl. 1r–7v; h, Bl. 1r–7v; z, Bl. 1r–7v

Ausgaben Keller: Fastnachtspiele I, S. 66–74 (= Nr. 7, nach Gb mit Teilen von Ga); Bd. III, S. 1483f. Spriewald: Folz-Auswahl, S. 31–37 (nach Keller); Thomke: Spiele, S. 33–41 (nach Ga), S. 936f.; Wuttke: Fastnachtspiele, S. 42–51 (nach Ga).

Textkritik Handschrift G enthält das Spiel in zwei Fassungen von unterschiedlichen Händen (Ga und Gb). Aufgrund der erheblichen Unterschiede in der Metrik (vgl. Heinen: Gestaltung, S. 143ff.) wurde Gb gesondert als Fassung I ediert. Es gibt gute Gründe, sie für die ältere Version zu halten, möglicherweise muss sie als durchaus weit fortgeschrittener Entwurf gedacht werden, finden sich doch in Ga zahlreiche Änderungen, die auf eine gezielte Nachbearbeitung und Verbesserung schließen lassen. Es handelt sich hierbei um präzisierte Sprecheranweisungen, die Ga gegenüber Gb besitzt (vgl. Z. Ga 24, 31, 35, 62, 67, 108 bzw. Gb 23, 30, 34, 62, 67, 108), zahlreiche syntaktische, stilistische und metrische Glättungen, die Beseitigung des Dreireims in Z. Gb 42–44, 158–160, die Umstellung von Zeilen (vgl. Z. Ga 26–27, Gb 25–26), die vollständige Rede des Ausschreiers sowie den ironisch gebrochenen Schönheitspreis, den die Braut in Ga in Z. 175ff. über sich selbst ablegt. Es ist wohl davon auszugehen, dass die ältere Fassung I weiterentwickelt wurde, in Folzens Druck erschien und von Ga abgeschrieben wurde. Der dem Autor nahe stehende Schreiber Gb hatte ferner Zugriff auf den Entwurf und steuerte eine Abschrift bei. Ga wurde, obwohl nicht ältester Zeuge, als Leithandschrift gesetzt, um dem Anspruch der Ausgabe gerecht zu werden, eine in lautgestaltlicher Hinsicht möglichst homogene Textzusammenstellung zu liefern. Die Drucke weisen die meisten der inhaltlichen wie formalen Unterschiede der Überarbeitung Ga gegenüber Gb auf, sie sind in zahlreichen Lesarten (im Apparat mit * gekennzeichnet) jedoch Gb ähnlich. Diese Nähe lässt sich am ehesten durch einen verlorengegangenen Zeugen erklären, der als Überarbeitung der Fassung I dem Schreiber Ga ebenso wie bei den späteren Drucklegungen e, o, h und z verfügbar war (vgl. Heinen: Gestaltung, S. 135). Für eine solche Vorlage spricht auch die Verschreibung von Ga Z. 143. Der Reim von tren auf piren ist nur optisch rein und ist in einer Abschrift wohl wahrscheinlicher zu erwarten als in einer Niederschrift.

122 | 86 – Hans Folz: Die Bauernhochzeit (Fassung II)

Autor Autor ist Hans Folz, der sowohl in der Handschrift Ga wie auch in den vorliegenden Drucken e, o, h und z explizit als Verfasser genannt wird.

Datierung Sieht man Ga als Abschrift eines Druckes aus der Werkstatt des Verfassers, dann ist der Terminus post quem für diese Handschrift der Beginn der Drucktätigkeit im Jahr 1479. Terminus ante quem beider Texte ist 1494. Der älteste Druck e von Jobst Gutknecht (Nürnberg 1519) wurde zuletzt in einer Abschrift von Keller behandelt (vgl. Keller: Fastnachtspiele, S. 66–74) und galt bislang als verschollen (vgl. Wuttke: Fastnachtspiele, S. 335). Bei der Recherche für die vorliegende Edition wurde ein Druck ausfindig gemacht, der höchstwahrscheinlich aufgrund der Parallelen mit Kellers Angaben zu Druck e und dessen Varianten mit diesem identisch ist. Es bestehen geringfügige Abweichungen zu den von Keller im Apparat geführten Varianten, was jedoch darin begründet sein dürfte, dass der Text Keller eben nur in einer Abschrift zur Verfügung stand (vgl. Keller: Fastnachtspiele, S. 66), in die sich Fehler bzw. Normalisierungen eingeschlichen haben. Das Hauptargument für die Identifizierung des Druckes als e bildet die Übereinstimmung des Kolophons einschließlich der angegebenen Jahreszahl 1519, die Angabe 1419 bei Keller S. 66 kann als Verschreibung angesehen werden (vgl. Keller: Fastnachtspiele, S. 1465; Wuttke: Fastnachtspiele, S. 335). Druck o entstand zwei Jahre später ebenfalls durch Jobst Gutknecht, Druck h entstand 1555 (VD 16, F 1775) bei Georg Merkel und z wurde von Jobst Gutknechts Enkel Friedrich Gutknecht gedruckt, dessen Drucktätigkeit in die Jahre 1548–1584 fällt. Das Spiel wurde also über eine Zeitspanne von ca. 70 Jahren regelmäßig neu bearbeitet bzw. aufgelegt.

Rollen, Inhalt, Struktur Rollen: Ausschreier, Braut (Gewt), Bräutigam (Heinz bzw. Kunz), deren Väter sowie mindestens vier, maximal zwölf Bauern. Das Spiel gehört zur Gruppe der Handlungsspiele, wenn auch die blumige, facettenreiche Ausgestaltung der Hässlichkeit und Liederlichkeit der Braut dieser Bühnenaktion als Rezeptionsanreiz zumindest gleichwertig zur Seite steht. Der Ankündigung der anstehenden Hochzeit zweier Brautleute durch deren Väter folgt vonseiten der Gruppe des Bräutigams der Vorwurf, die zukünftige Gattin habe bereits ein uneheliches Kind. Deren Vater beschuldigt im Anschluss seinerseits die Gattin des ersten Klägers der Untreue, die Situation mündet in Handgreiflichkeiten, ein Bauer schlichtet die Situation und heischt beim Wirt ein Getränk. Der Brautvater preist dem Zukünftigen gegenüber die Vorzüge seiner Tochter an, und wiederum wird seitens der beteiligten Bauern die rege sexuelle Betrieb-

86 – Hans Folz: Die Bauernhochzeit (Fassung II)

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samkeit der Gewt grobianisch betont. Ein weiteres Mal beschwichtigt der Vater und lobt die äußere Erscheinung seiner Tochter gegenüber dem Schwiegersohn in spe. Dieser kümmert sich weniger um die Vorgeschichte der Braut und fragt stattdessen nach den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Eheschließung. Und wieder entgegnet man ihm unter indirektem Verweis auf die Leidenschaftlichkeit der Braut. Im Anschluss werden Fragen nach der körperlichen Beschaffenheit Gewts beantwortet, woraufhin diese dem zukünftigen Gatten die Frage nach dessen sexuellem Potential stellt. Ein erster Versuch eines Bauern, das Bühnengeschehen zu beenden (Z. 151), bleibt aufgrund Gewts Intervention zunächst erfolglos. Es schließen sich Erörterungen bezüglich der Rolle körperlicher Gewalt in der Ehe sowie eine Kampfszene an, in der die Braut gegen die Verfechter rigider Sanktionsmaßnahmen zu Felde zieht. Das Spiel schließt mit einer Schilderung ihrer eigenen äußeren Beschaffenheit durch die Frau, der Ausschreier beendet das Bühnengeschehen. Deutungsaspekte: Die Tochter kann als Projektionsfläche des Komischen schlechthin in diesem Stück gesehen werden. Ihre sexuellen Eskapaden werden grobianisch (Z. 58ff., 70ff. 96ff., 100ff.) bzw. agrarmetaphorisch ausgeleuchtet (vgl. Z. 91ff.), ihre körperlichen Unzulänglichkeiten werden nicht minder detailliert dargelegt, und schließlich schlüpft sie in die Rolle der prügelnden, bösen Frau. Dagegen bleibt der Bräutigam begriffsstutzig und blass, er wertet die Eskapaden seiner Zukünftigen nicht als Hemmnis für eine Heirat (Z. 104ff.) und missversteht die Frage nach den Äpfeln offensichtlich gründlich. Ob die tille hier als Schlafplatz für das Gesinde zu verstehen ist, unter dem auch er sexuelle Gehversuche gemacht hat, scheint doch eher zweifelhaft. Darüber hinaus lässt er sich durch den Bauern aufs Glatteis führen, der die Schilderung der Braut als Loblied auf diese verstanden wissen will (Z. 66). Durchaus geschickt wiederholt Folz im Verlauf des Spiels einzelne Momente: Die Schilderung der sexuellen Begierde der Frau oszilliert in unterschiedlichen Kontexten zwischen moralischer Abwertung (Z. 24ff.), heimlicher Bewunderung (Z. 76f.) und offensichtlichem Genuss (Z. 99ff.). Die ins negative verkehrte Auflistung ihrer körperlichen Reize (s.u.) wird einmal der Putz- und Prunksucht als in gewisser Hinsicht reizvolle, vitale Alternative gegenübergestellt (Z. 121ff.), an anderer Stelle werden Krankheit und Unreinlichkeit der Braut thematisiert (Z. 174ff.). Der Vater beschreibt die Braut als von antlütz nit ser klar (Z. 113), während im höfischen Schönheitspreis immer wieder das zarte, weiße Gesicht gerühmt wird (vgl. Schultz: Leben, S. 213, Knapp: Schönheitsideal, S. 181). Dem hellen, blonden Haar der schönen Frau (vgl. Schultz: Leben, S. 212, Knapp: Schönheitsideal, S. 182) wird das nit vast gelbe (Z. 114) der Braut gegenübergestellt. Die Beine der mittelalterlichen Schönen münden bei aller Zurückhaltung in der Beschreibung zumindest in zarte und schmale Füßen, während die Beine der im Spiel beschriebenen Braut vnden als oben (Z. 116) geschildert werden. Nicht nur im Gesicht, sondern allgemein wird die Haut der Schönen als weich, glatt und weiß hervorgehoben (vgl. Schultz: Leben, S. 219). An der Haut der Braut hingegen kann man Käse reiben (Z. 117f.). Außerdem hat sie nit vast subtill hendt (Z. 119) – dem Schönheitsideal entsprachen jedoch schmale, lange,

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weiße, glatte Hände (vgl.Schultz: Leben, S. 217). Die Beschreibung des Körpers durch den Brautvater endet mit der Bemerkung Doch schaw mir sÿ uber die lendt/ Do ist sÿ dir gepersoniert (Z. 120f.). Ein solch konkreter Hinweis auf das Gesäß der Frau wäre im höfischen Schönheitspreis undenkbar. Dort wurde der Rumpf bei der Beschreibung entweder ganz ausgespart, die Schilderung ging in ein Lob der kostbaren Gewänder der Frau über, oder aber die Partien wurden allgemein als vollkommen geschildert. In der zweiten Passage, in der die Braut sich selbst beschreibt, werden in höherem Maße Bilder und Vergleiche eingesetzt. So sind ihre Augen (wahrscheinlich eher die Augenpartie) gespückt mit grüeben (Z. 177), während die schöne Frau des Mittelalters klare und glänzende Augen und eine reine Haut hatte (vgl. Schultz: Leben, S. 213, Knapp: Schönheitsideal, S. 182). Die Nase, die im Idealfall wolgestalt ist, hat in diesem Spiel ebenfalls schwarze Pusteln, und der in der höfischen Dichtung außergewöhnlich ausführlich beschriebene Mund, der klein, zart, voll und rosenrot sein sollte (vgl. Schultz: Leben, S. 213f.), wird hier als von einem Ohr bis zum anderen reichende Öffnung geschildert und ist jnwendig so liecht/ Alß der jn ein ruͦ ssigß arsloch sicht (Z. 182f.). Dem Schönheitsideal entsprachen hingegen kleine, glatte, leuchtend weiße Zähne (vgl. Schultz: Leben, S. 215) und wohlriechender Atem. Die Brust der Schönen ist in der mittelhochdeutschen Minnelyrik klein (vgl. Schultz: Leben, S. 217) und wird mit Äpfeln oder Birnen verglichen (vgl. Knapp: Schönheitsideal, S. 190) – die Braut jedoch vergleicht ihre eigene mit glogen schwenglen (Z. 187), und bereits vorher wird zweimal auf deren enormen Umfang hingewiesen: tutten hastu je gnuͦ g (Z. 22), wie ist sÿ oben so weyt (Z. 89). Sogar der Bauch der Braut wird beschrieben, und auch dieser ist durch einen paradoxen Vergleich als hässlich erkennbar: gleich ainer pirsten glat (Z. 190). Man vergleiche zur Parodie des Schönheitspreises die Darstellung von Mätzli Rüerenzumph in Wittenwilers ‚Der Ring‘ (Wittenwiler: Ring, V. 76–96). Zum Idealbild weiblicher Schönheit im Mittelalter zählte auch die Beherrschung der gesellschaftlichen Umgangsformen. Das Wichtigste dabei war die mâze in Freude und Schmerz, in Gestik sowie im Gespräch. In jeder Beschreibung der zahllosen Eskapaden und der sexuellen Maßlosigkeit der Gewt bzw. deren Äußerungen wird deutlich, dass sie diese Beherrschung nicht besitzt (vgl. Köhn: Schönheitsideal, S. 92–106), ebensowenig die tugendhafte Scham, die ebenfalls Bestandteil des Schönheitsideals war. Die anstehende Hochzeit ist eindeutig im bäuerlichen Millieu zu verorten. Dies geht nicht allein aus dem Titel und den Rollenbezeichnungen hervor, sondern auch aus der bereits erwähnten agrarisch motivierten Metaphorik sowie aus zahlreichen weiteren Passsagen (Z. 59ff., 70ff., 88ff., 111, 194). Dieser bäuerlichen Sphäre wird das Gegenteil des höfischen Ideals zur Seite gestellt, das sich an dem Erscheinungsbild der Braut herauskristallisiert und durch die bereits erwähnte Schlichtheit des Bräutigams verstärkt wird. Gerade im bäuerlichen Milieu war die Eheschließung der eigenen Nachkommenschaft von großer ökonomischer Bedeutung. Erst die soziale Reproduktion, die Weitergabe der Hofstelle an die neue familiäre Einheit sicherte das

86 – Hans Folz: Die Bauernhochzeit (Fassung II)

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Altenteil. Die Bedenken der Jugend bezüglich der damit verbundenen Verantwortungen und Verpflichtungen wogen indes schwer (vgl. Schindler: Leute, S. 184f.). Insofern erfährt das karnevaleske Prinzip der verkehrten Welt konsequente Umsetzung: Elemente der hohen Minne werden ins Gegenteil verkehrt und verbunden mit sexueller Fixiertheit in eine fiktive dörperliche Umgebung übertragen. Die elterliche Überzeugungsarbeit wird entstellt, etablierte Handlungsmuster auf den Kopf gestellt. In dieser literarischen Übernahme karnevalistischen Brauchtums tritt die Ambivalenz, die Position der Fastnachtspiele zwischen der Tradition des geistlichen Spiels und der volkstümlichen Außerkraftsetzung sozialer Tabus, deutlich zutage. Das Spiel gibt aber auch Rätsel auf. Gleich Fassung I wird das Bühnengeschehen nicht im Anschluss an Z. 151 beendet, was durchaus sinnvoll gewesen wäre. Vielmehr folgt jeweils die etwas unmotiviert erscheinende Prügelszene. Die bis dahin mäßig selbstbewusst auftretende Braut, die weniger agiert als dass über sie und ihre Beschaffenheit berichtet wird, setzt sich erfolgreich gegen zwei Bauern körperlich zur Wehr und lässt sich erst von einer größeren Anzahl Beteiligter bändigen. Wiederum erfolgt ein Bruch, die anschließende Schilderung ihrer körperlichen Eigenschaften, die im Entwurf fehlt, lässt nichts mehr von der soeben noch zelebrierten Wut der Frau auf den Verfechter des weiblichen Subordinationsprinzips und männlichen Züchtigungsrechts erkennen. Man trifft hier wohl auf die bei Folz geläufige Praxis, die Spiele aus Einzelteilen zu arrangieren und im Verlauf der Bearbeitung immer stärker durchformte Fassungen zu erarbeiten. Im vorliegenden Fall gelang die Anbindung der beiden Textteile nur bedingt, sie erscheinen relativ autonom. Aufführungshinweise: In Z. 5ff. wird die Spielwirklichkeit dahingehend betont, dass der Einschreier die Echtheit einer notwendigen Entscheidungsfindung im Hier und Jetzt verortet. Mit der Bitte um Wein in Z. 7ff., 44ff. und 201 wird diese Unmittelbarkeit der Eheanbahnung betont. Der erste Versuch, das Spielgeschehen auf der Bühne zu beenden (Z. 151), und die Rede des Auschreiers thematisieren dagegen den spielerisch inszenierten Charakter. Hans Folz spielt mit den Möglichkeiten der Simulation und Imitation, seine Figuren wechseln zwischen ihrer Funktion als Aktant und Akteur. Diese Bühnenpraxis setzt theatrale Erfahrungen des Publikums voraus, das diesen Wechsel wahrnehmen und als Mittel zur Erzeugung von Komik erkennen können musste. Um den Abbruch des Bühnenspektakels in Z. 151 zu verhindern, meldet sich die Braut noch einmal zu Wort, wahrscheinlich mit einer großen Geste und erhobener Stimme, liegt es doch an ihr, dem vorzeitigen und gleichermaßen organischer erscheinenden Ende entgegenzuwirken und die dramatische Inszenierung insgesamt weiterzuführen. Hier erwächst aus der Zufälligkeit des Bearbeitungsstandes eines Textes eine konkrete Herausforderung an den Darsteller. Die Gesamtheit der Figuren teilt sich auf der Bühne in zwei Lager. So bilden die Bauern um den Brautvater eine Gruppe, dieser gegenüber war die Anhängerschaft des Bräutigams und dessen Vater postiert. Eine derartige Konstellation aus zwei mansiones heraus Agierender legen nicht zuletzt die Titelblätter der Drucke e, o und h nahe,

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deren Aufbau ebenfalls in erster Linie von der Gegenüberstellung der beiden Parteien geprägt ist. Zwischen ihnen gehen die Beschuldigungen über das ausschweifende Leben der Braut und diesbezügliche Relativierungen hin und her. Die Braut, in ihrer unvorteilhaften Erscheinung und als Gegenstand zahlreicher Vorwürfe immer im Zentrum des Geschehens, muss in der Bühnenmitte gedacht werden. Nur so lassen sich die physiognomischen und anatomischen Defizite, die in der Kostümierung Niederschlag gefunden haben dürften, für den Zuschauer erkennbar zur Geltung bringen. Möglicherweise wurde die Rolle durch einen älteren Mann gespielt, der einige der genannten Gebrechen wie Ausschlag und schlechte Zähne tatsächlich mitbrachte. Und auch der Bräutigam, gegenüber der Braut als Charakter außerordentlich blass, muss, wenn er auch erst in Z. 82 zu Wort kommt, von Anfang an auf der Bühne gewesen sein, wird er doch in den Z. 47 und 79 direkt angesprochen. Im Disput in Z. 31–38 wird in Ga gegenüber Gb der Brautvater als einer der aus diesen beiden Gruppen heraus Handelnden erwähnt. Tauschen in der ersten Fassung noch zwei relativ unbeteiligte Bauern Anschuldigungen aus, so ist die Situation in Ga wesentlich emotionaler, beschuldigt der Brautvater die Ehefrau und nicht die Mutter seines Widersachers der Untreue. In Z. 58 will der Bauer seine Beschreibung der Braut als versuͦ chte diren gegenüber dem Bräutigam als Lob verstanden wissen. Diese Absicht wurde jedoch durch einen anderen Bauern aufseiten der Braut nicht erkannt. So ist die Erklärung dieser Strategie bspw. mit gesenkter Stimme und übersteigerter Mimik und Gestik in Richtung des Bauern zu denken, auf dass nur dieser und nicht Heinz, über den in der 3. Pers. gesprochen wird (jmß), der Zweifelhaftigkeit dieses Lobes gewahr werde. Das Spiel bietet zwei kleinere Handgemenge. In Z. 31–38 geraten der Brautvater und ein Bauer aneinander, bevor sie von einem weiteren Mitglied der Hochzeitsgesellschaft getrennt werden. Die Anweisung in Z. 35 ist hier eindeutig. Im Anschluss an die Bedingung der Braut, in der Ehe keine körperliche Züchtigung zu dulden (Z. 154) und der Entgegnung des Bauern, solcher bedürfe es in jeder Ehe (Z. 160ff.), gerät die Frau in Zorn. Die Aufforderung, sich zur Wehr zu setzen (Z. 165) sowie die Hilferufe des Bauern und des Bräutigams (Z. 167f., 170f.) legen Gesten des Drohens, erhobene Fäuste und forsches Auftreten der Braut gegenüber den Männern sowie deren Fluchtversuche nahe. Anlass zur Freude für das Publikum war gewiss auch die Rede des Brautvaters in Z. 47ff. mit der Aufforderung an den zukünftigen Schwiegersohn, zu seiner Braut zu gehen und der wahrscheinlich gut ausgestopften Figur den Leib zu betasten.

Textbezüge Das Thema der Verhandlungen vor einer Eheschließung unter Bauern ist in R 2, R 3 sowie F 102 anzutreffen, insbesondere zu dem letztgenannten Spiel lassen sich im vorliegenden Text Ähnlichkeiten erkennen. So sind neben inhaltlichen Überschneidun-

86 – Hans Folz: Die Bauernhochzeit (Fassung II)

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gen vergleichbare Stilelemente zu finden, bspw. der (agrarmetaphorische) Verweis auf die sexuelle Betriebsamkeit der Braut vor der Eheschließung in Z. 69–77, 91–93 sowie 100–103 (vgl. F 102, Z. 132–139 bzw. 167–177), die Parodie des klassischen Schönheitspreises in den Z. 113–121 bzw. 178–190 (vgl. R 12, Z. 45–49, F 102, Z. 40–46, Z. 104 -108, aber auch R 25, Z. 73–80, F 94, Z. 30–42, R 71, Z. 44–48) sowie die Thematisierung körperlicher Gewaltanwendung unter Eheleuten in Z. 154–163 (vgl. F 102, Z. 152–157). Weniger die Braut als die mit einer Eheschließung verbundene Mitgift rückt in R 59 in den Mittelpunkt. Erörterungen bezüglich der Eheschließung bzw. deren Nichtzustandekommen erfolgen ferner in R 25, R 32 sowie den Rügespielen R 14, R 15, R 33 und R 71. Die Problematisierung der Rolle der Frau in der Ehe, angesiedelt zwischen männlicher Vorherrschaft verbunden mit Züchtigungsrecht bzw. weiblichem Aufbegehren gegen eben jene Dominanzkultur, findet sich ferner in den Spielen R 55, R 72, F 83, F 84, F 95, F 102 und F 111. Männliche Gewalt gegenüber der Ehefrau wird darüber hinaus in F 101, Z. 161 praktiziert. Bearbeiter: Greil, Przybilski

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Ein spil ein hochtzeit zu machen etc.

5

10

15

Ir herren, Got geb euch heÿl darzu! Wir machen euch nit gern vnrw, Doch sey wir sunder her beschiden, Ob 〈w〉ir ein sach kondten richten zu  friden. Dann, wirt, habt ir ein guten wein, So tragt newr her vnd schenckt flux ein, Vnd laßt vns pald ein leyckauff machen Vnd dan trincken, das vns die kopff krachen.

KF Nr. 7

Gb 44r KF 66

KF 67

F 101, 122

Des preutigams vater: Hort, lieben freunt, das ist die sach: Mein sun, der auch do trit hernach, Hat sich mit einer ee ein wenig vergint, Das sie alle darauff geuallen sint, Wir sullen sie vollent zusamen geben. So seit ir vns besunder eben, Das past zu reden zu denn dingen, Ob man die ee zu gut noch mocht bringen.

Gb 44v

F 86II, 14; F 102, 141

4 sey: Zu den Möglichkeiten der Flexion der 1. Pers. Pl. Ind. Präs. vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 149. 4 sunder her beschiden ‚zu dem Zweck hierher bestellt‘ 5 ‚Damit wir eine Rechtssache entscheiden können.‘ 8 leyckauff: Umtrunk, der zum Abschluß eines Handels ausgeboten wird, um das Einverständnis der Parteien zu bekräftigen (DWb 12, Sp. 693). 9 kopff ‚Trinkgefäß, Becher‘ 13 verginnen mit ‚vergucken, verlieben in‘ 14 darauff geuallen ‚darauf verfallen‘ 15 vollent ‚vollends‘ 15 zusamen geben: Redefigur zur Beschreibung der formellen Eheschließung im bäuerlichen Brauchtum des 15. Jahrhunderts (vgl. Schröter: Ehe, S. 266). 16 eben ‚passend‘ 17 past ‚Beste‘ 18 ‚Wenn man die Ehe noch zu einem guten Abschluss bringen könnte.‘

1 im Register G: Ein spill von ainer pauren hochzeit wie man ein pauren heyrat machet 2 Sprecherbezeichnungen und Handlungsanweisungen sowie die jeweils ersten Worte der Reden sind unterstrichen. 5 wir] ir: Die Parallelstellen sowie die Flexion des Verbs erfordern die Umstellung.

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Der prewt vater: 20

Gewt, ge herfur vnd laß dich schawen. Du vergest dich jm wol zu einer frawen. Ich hab dich ye mit fleyß ertzogen. Ein pawr:

25

30

Jo, wenn du vor nÿe hest gelogen, Wer hat jr dann den panckhart gemacht? Ich schatz, du habst ir fast geacht. Dovon du dann gabst iiij lb, An das es dich sunst mer gestund. Doch meinst du leicht, man wiß nichß darumb.

KF 68

Ein ander: Wie, maynst du dann, sie sey nit frum? Nw hat dein muter der panckhart wol drey, Und ich treyb nit halb souil gespey. Gener herwider:

35

Sammer poxlung, das ist gelogen! Do sol man ein gantze dorffgemein vmb fragen. Sese! bedenck dich zum nechsten paß.

20 Gewt: Bauernname, Variante zu Jutta (vgl. Arndt: Personennamen, S. 54 und Kunze: Namenkunde, S. 77). 21 vergehen (zu mhd. verjëhen): ‚erklären, bekennen‘ 25 panckhart ‚Bankert, uneheliches Kind‘ 26 du habst ir fast geacht ‚du habest gut auf sie aufgepasst‘ 27 Das uneheliche Kind wurde offenbar außer Haus gegeben, was den Vater der Braut vier Pfund kostete (vgl. Sprandel: Diskriminierung, S. 501). 27 Dovon ‚Deshalb‘ 27 iiij lb ‚4 Pfund‘ 28 An ‚Ohne‘ 28 gestehen ‚kosten‘ 29 leicht ‚vielleicht‘ 31 frum ‚anständig, unschuldig‘ 33 gespey ‚leeres Geschwätz‘ 34 Gener ‚Jener‘ 35 Sammer poxlung: Aus sam mir kontrahierte Interjektion, die ursprünglich für sam mir got helfe stand (DWb 14, Sp. 1745). Die seit dem 15. Jahrhundert auch als kotz oder potz in Flüchen auftretende Interjektion pox ist möglicherweise eine Entstellung bzw. Abwandlung des Genitivs Gottes, um dessen Namen nicht in einem pejorativen Zusammenhang zu gebrauchen (HdA 2, Sp. 1638); das FrnhdWb vermutet hingegen bei pox bzw. bocks eine Anlehnung an den in Bocksgestalt auftretenden Teufel (FrnhdWb 4, Sp. 881f.; vgl. auch Z. 39, 64, 158 und 164). 37 Sese! ‚He!‘ 37 paß ‚besser‘

36 vmb] vb

86 – Hans Folz: Die Bauernhochzeit (Fassung I)

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131

Ein ander pawr:

40

45

Ey, poxleichnam, was sol aber das? Was vnfur wolt ir do anfahen? Ich torst euch schier pede auff die mewler schlachen, Das ir solch esel bede mugt sein. Ach, lieben freunt, redt selbst darein, Und gebt ain mol zu trincken herein, Das man gestill den numerdum, Das nit mer unfals darein kum.

Gb 45r

Der prewt vater:

50

55

60

Ge her, lieber eyden, ge her. Ich sag dir furwar, sie luff dir nit ler. Kum her, greyff jr alßbald an leib. Ir ist gereitt, wie eim andern weÿb, Darvmb so kom sie dir mit gewin. Ich riet dir furwar, du nemst sie hin. Ein ander:

KF 69

Hoͤ r, lieber, das kom dir auch zu frumen. Sie ist also vngenÿt nit doher kumen. Schaw mir sie an der hinttern stiern, Ich sag dir, sie ist ein versuchte diern: Im hew, jm schneiden, jm korn, Das ich es selber het verschworn, Weren jr als vil nit, die es retten.

F 102, 141

40 vnfur ‚Streit‘ 40 anfahen ‚anfangen‘ 41 torren (zu mhd. turren): ‚wagen, sich zutrauen‘ 45 numerdum: ‚Lärm‘; Entstellung aus lat. in nomine domini: Bekräftigungs- und Verwunderungsruf (Lex II, Sp. 119). 46 unfal ‚Unheil‘ 48 eyden (zu mhd. eidem): ‚Schwiegersohn‘ 49 sie luff dir nit ler: ‚sie ist noch nicht verbraucht‘ bzw. ‚sie ist nicht ganz ohne‘ (vgl. Wuttke: Fastnachtspiele, S. 44); zur Flexion von laufen vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 133. 51 Ir ist gereitt ‚An ihr ist alles [so] vorhanden‘ 55 frumen ‚Nutzen‘ 56 vngenÿt (zu mhd. niuwen): ‚stoßen‘ 57 hinttern stiern ‚Rückseite, Hinterteil‘ 58 versucht ‚erfahren‘ 59 schneiden ‚Ernteschnitt‘ 61 es retten ‚davon redeten‘

49 furwar: Keller (S. 1483) erwägt Streichung des Adverbs; der Eingriff orientiert sich an Fassung II und bessert lediglich metrisch, ist inhaltlich aber keineswegs notwendig.

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Aber ain ander: Hat dich der teufel der rede gepeten? Samer poxleichnam, laß die dinck no! 65

Gener herwider:

Gb 45v

So, esel, merckß recht, ich lobß im also! Ein ander:

70

75

Nein, werlein, mein nachtpaur hat recht, Sie ist als von eim edeln geslecht. Ich han gesehen in der erntten Erst hewr des jars und zwar fernten, Das mein stadel vol schniter lag, Der sie des nachts aller pflag Und richt sie allein all weydelich auß; Ich machet sunst souil rede nit darauß: Sie was mein knechten gesoten und geproten, Das ich jm [ir] nit wil wider roten. Der prewt vater:

80

KF 70

Hoͤ r, Kunz, das du dest minder ob jr schihest, Ich gib dirß gleich, wie du sie sihest. Darumb ge her, beschawß gleich eben. Der preutigam: Was wurd man mir doch zu jr geben? Ich must ye auch ein wenig haußrats han.

63 bitten: Frnhd. üblicherweise mit Gen. 64 laß die dinck no ‚lass das Gerede sein‘ 66 ich lobß im also ‚ich preise sie ihm so an‘ 68 werlein ‚wahrlich‘ 68 nachtpaur: Variante zu nachbar, das t wird erst seit dem 15. teilweise sekundär eingefügt (DWb 7, Sp. 22). 71 zwar ‚wahrhaftig, tatsächlich‘ 71 fernten ‚im vorigen Jahr‘ 72 stadel ‚Vorratsraum, Lager‘ 73 pflegen: ‚kümmern, sich annehmen‘; frnhd. üblicherweise mit Gen. 74 ‚Und nahm sich allein alle so gründlich vor;‘ 76 gesoten und geproten: ‚gegart, zum Verzehr geeignet‘, hier: ‚ein Leckerbissen‘ 79 Kunz: Bauernname, Koseform zu Konrad (vgl. Arndt: Personennamen, S. 47). Gemeint ist hier der Bräutigam, der in Fassung II Hinz (Koseform zu Heinrich) heißt. 79 minder ‚weniger‘ 79 schihen (zu mhd. schiuhen): ‚scheuen, zurückschrecken‘

77 ] ir

86 – Hans Folz: Die Bauernhochzeit (Fassung I)

85

90

95

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133

Ein ander: Ach, lieber, sich mir sie recht an. Was solt man dir geben darzu? Sie vberhebt dich alßpald einer kw; Schaw, wie ist sie oben herumb so weyt, Ich weyß, das sie dir gereit selbs milch geyt. So hat sie ein wiesen an eim ort, Dann das sie die maulwerffen haben durchport, Und ist nit ferr von dem mistgraben gelegen. So, mein gesell, lest du die heyrat vntterwegen, So ist dir ye nit reÿnß beschaffen. Darzu ist sie mit vnserm pfaffen Paß eins, dann ich kaine weys Halt nindert jn dem weittem kreyß.

Gb 46r

Ein ander: 100

Sich, lieber, ich bin jr holt umb das newr. Sie hat unßer zehen wol an ein endt getzilt hewr. Ja, hett ichs einer andern nit dar geslagen, Ich wolt mich jr gleich wol betragen. Der preutigam:

105

KF 71

Ach, lieber, wenn ich das nit wißt, Das sie yderman so freuntlich ist, Ich wolt mir jr nit gewunscht han.

86 sich: Imperativ zu sehen. 88 vberheben ‚überflüssig machen‘ 90 gereit ‚bereitwillig‘ 91–93 Zur sexuellen Metaphorik der wise vgl. Kratz: Wortschatz, S. 123, 225 und Müller: Schwert, S. 37. 94 vntterwegen ‚auf halber Strecke, unvollendet‘ 95 beschaffen ‚vom Schicksal vorbestimmt‘ 98 nindert ‚nirgendwo‘ 98 weitter kreis ‚ganzer Umkreis‘ 100 holt ‚zugeneigt‘ 101 ‚Sie hat zehn von uns in diesem Jahr an einen Ort bestellt.‘ 102 dar slagen ‚versprechen‘ 103 betragen ‚bedienen, nutzen‘

92 Dann: Keller (S. 70) erwägt Konjektur zu Da 98 weittem: Keller (S. 70) konjiziert zu weitten; angesichts der analogen Flexion in Z. 111 muss man von absichtsvollem Vorgehen des Schreibers ausgehen. Die determinierende Form trotz Artikels war seinerzeit möglich (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 36; vgl. auch Z. 111). 105 nit: Keller (S. 1484) erwägt Konjektur zu vor; der Kontext lässt die Ersetzung der Negation nur zum Teil sinnvoll erscheinen (der Bräutigam scheint sich der regen Aktivitäten seiner Zukünftigen tatsächlich zu erfreuen), die Parallelstellen führen diese ebenfalls konsequent. 107 nit: Keller (S. 1484) erwägt Streichung der Negation; siehe Z. 105

134 | 86 – Hans Folz: Die Bauernhochzeit (Fassung I)

Ein ander:

110

Ey, das dich der rit schut, sich sie recht an! Ich wolt gleich wetten angefer, Ob ein scheuchtzliche〈r〉 in gantzem dorff wer. Der prewt vater:

115

120

125

Hör, lieber, sie ist von antlutz nit clar, So hat sie nit vast gelbes har. So wil ich jr fuß auch nit vast loben, Aber die pein sind ir gleich vntten als oben. So ist sie an jren hendten getan, Du riebst dir keß genug zu fladen daran. So sie aber nit hat vast subtil hendt, Schaw mirs aber hintten vber jr lendt, Do ist sie freylich gepersoniert. Vnd wenn sie mir daheÿm den hof keret, So tet sie dir ye ein solchen schiß, Als der ein durre kwhawt zu rieß, Vnd machet ein gestober vntter den hennen, Das sie zu hintterst flugen an den tennen Vnd einen solchen schrecken numen, Als weren sechß aren vntter sie kumen. Ich hab mir jr werlein wol gelacht,

Gb 46v

R 58, 90

F 86II, 123f.; F 111, 171f.

109 riet schuten: Ie. hrite in der Bedeutung ‚wild sich bewegen‘, mhd. rite: Fieber; der rit wird aufgefasst als eine Erkrankung, von der man gerüttelt und geschüttelt wird (Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 513f.); der ganze Satz ist als Fluch zu verstehen. 110 angefer ‚ohne böse Absicht‘ 114 nit vast ‚nicht besonders‘ bzw. ‚überhaupt kein‘, vgl. Wuttke, der vast als Adjektiv in der Bedeutung ‚rein‘ auf gelb als ‚kein [rein] blondes Haar‘ versteht (Wuttke: Fastnachtspiele, S. 47); vgl. Z. 119. 118 Frischen Käse bzw. Quark nahm man auf Brotfladen zu sich (vgl. Heyne: Bücher 2, S. 321). Um Frischkäse in dieser Weise zu bearbeiten, bedarf es einer besonders groben Reibefläche. 119 subtil ‚zierlich‘ 120 lendt: ‚Lende, unterer Teil des Rückens‘; vgl. Z. 166 121 freylich gepersoniert ‚wohl proportioniert‘ 123 schiß ‚Furz‘ 124 zu rieß ‚zerriss‘ 126 tenne ‚Scheune‘ 127 numen: Prät. zu nehmen; die ungewöhnliche aber nachweisbare Form ist hier reimbedingt. 128 ar ‚Adler‘ 129 mir jr gelacht: ‚über sie gelacht‘; reflexiver Gebrauch mit Gen. frnhd. üblich.

111 scheuchtzlicher] scheuchtzliche: Konjektur bei Keller (S. 71) 111 in: Keller (S. 70) konjiziert zu im 111 gantzem: Keller (S. 70) konjiziert zu gantzen

86 – Hans Folz: Die Bauernhochzeit (Fassung I)

130

Das mirß hertz in der ploßen dÿnnen kracht. Was solt jm halt ein sprentzlirerin?

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135

KF 72

Ein ander pawr:

135

Auff mein aydt, Cuntz, das nym dir zu sÿnn: Wann als ich an seiner redt thw spehen, Sie hat der siben schon wol dreÿtzehen. Die prawt:

140

Freunt, das wir des notigsten nit vergessen: Frag in doch, ob er auch epfel mog essen, Wann es wirt offt etwas vbersehen, Als mir villeicht auch mocht geschehen.

R 65, 98; R 68, 44; F 110, 78

Der preutigam:

145

Hör, Gewt, nim dir des kein unwilln. Ich kam dir eins auff meins vater dillen, Do lagen oppffel, ruben und pirn. Ich tat mich kaum zwir darinn umb tirn, Do het ich ein loch in die epfel gefressen, Das mir sein der vater nye wolt vergessen. Darumb du des kein zweifel nÿm.

Gb 47r

Ein ander: 150

Ir herren, verhort ir beder stÿm, Vnd nempt jr ydes willen ein. Ich hor, das sie der sach einß sein. Macht end, raumt dem wirt sein hauß.

130 ploßen: ‚Blase‘; hier metonymisch für ‚Leib‘ 130 dÿnnen ‚drinnen‘ 131 sprentzlirerin (zu mhd. spranzelieren): ‚einherstolzieren‘; hier: ‚putzsüchtige, eitle Frau‘ 133 das nym dir zu sÿnn ‚begreife das‘ 134 spehen ‚erspähen, erkennen‘ 135 der siben schon wol dreÿtzehen: ‚wohl dreizehn der sieben Schönheiten‘; bezieht sich auf die sprichwörtlichen sieben Schönheiten der Frauen (vgl. dazu Köhler: Gedicht, S. 217–221). 138 epfel essen mögen: ‚potent sein‘; zur Bedeutung des Apfels vgl. Kratz: Wortschatz, S. 134ff. 142 unwill ‚Verdruss, Sorge‘ 143 dillen: ‚Speicher, Dachboden‘; gleichermaßen Vorratslager wie auch Schlafraum für das Gesinde. 144 ruben: Zur erotischen Bedeutung der Rübe vgl. Kratz: Wortschatz, S. 136. 144 pirn: Zur erotischen Bedeutung der Birne vgl. Kratz: Wortschatz, S. 135; 508. 145 zwir ‚zweimal‘ 145 umb tirn ‚sich rühren, sich umdrehen‘ 151 einnemen ‚annehmen, vernehmen‘

148 du: Keller (S. 72) konjiziert zu dir

136 | 86 – Hans Folz: Die Bauernhochzeit (Fassung I)

Die prawt: 155

160

Ir herren, noch eins ding ich vorauß: Ich wil sein vngeschlagen gar, Das sag ich euch furwar. Oder, samer poxhaut, ich nim jn bey eim pein Und wirff jn alle die stiegen ein, Die jndert in dem gantzen hauß sein.

KF 73

Ein ander:

165

O, das wer mir ein rechts weyb. Ich wolt alltag eins jren leib Mit guten eychen flederwischen So feÿn erplauen vnd zu mischen Vnd auch so rein durch pern jr lend. Die prawt: Ey, so wer dich, das dich poxleichnam schend! Der selb pawr:

170

O helfft, lieben gesellen, auß dieser not, Ee mich die teuflin schlah zu tot! Ich wil mein wort furder paß verplümen Vnd mit keiner solchen keckheit berümen. Der preutigam:

175

Gb 47v

O, lieben herren, halt sie newr vest, Der litz han ich nit an jr gewest.

155 dingen ‚zur Bedingung machen‘ 156 Das Züchtigungsrecht des Ehemannes ist bereits in den meisten Gewohnheitsrechten des Mittelalters verbrieft. Schlug die Frau jedoch ihren Mann, wurde er für die Preisgabe der Herrscherrolle sozial geächtet (vgl. Becker-Cantarino: Frau, S. 220–222). 159 ein ‚hinab‘ 160 jndert ‚innerhalb‘ 163 eins ‚einmal‘ 164 flederwisch: ‚Federwisch, Besen‘, auch ‚Knüppel, Prügel‘ 165 zu mischen (zu mhd. [zer-]müschen): ‚verprügeln, zerschlagen‘ 166 durch pern ‚durchprügeln‘ 172 verplümen ‚ausschmücken‘ 173 berümen ‚prahlen‘ 176 litz (zu mhd. liz): ‚Laune, Art‘ 176 gewest ‚gekannt‘

160 sein: Keller (S. 73) erwägt Konjektur zu sin; der Eingriff ist angesichts der Parallelüberlieferungen und der seinerzeit üblichen Flexion des Verbs sein nicht notwendig (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 149). 172 verplümen: ver über der Zeile ergänzt 173 mit: Keller (S. 1485) erwägt Konjektur zu mich 176 litz: Keller (S. 73) erwägt Konjektur zu list

86 – Hans Folz: Die Bauernhochzeit (Fassung I)

|

Ich sag sie gantz ledig vnd frey. Schafft, das ich jr newr sicher sey. Außschreyer etc: 180

Her wirt, wolt ir der gest abkumen, So gebt noch eins zu trincken vmb vnd vmen, Es wurd sich sunst die ee ein raissen. Vns mocht der teufel noch domit bescheissen.

Bearbeiter: Greil, Przybilski

181 vmb vnd vmen ‚herum‘ 182 ‚Die Ehe wird sonst auseinander gehen.‘

KF 74

137

87 – Hans Folz: Die drei Brüder und das Erbe

KF Nr. 8

Ein spil von dreyen brudern, die rechtent vor eim konig umb ein mul, pock und umb ein paum Gb 47v KF 75

Außschreÿer:

5

10

15

20

Got gruß den wirt vnd wer hynn ist! Hie kumbt ein kunick, nit reich, das wißt, Auß einem landt, ich weiß nit wo, Vnd wil ein gericht besitzen do Vnd vrteil von sein reten erfragen, Im yeder bey seim eyd zu sagen Rein warheit hyn, das wißt bereit. Tut er des nit, es wirt jm leit Vnd von meins herren hofe geschrieben Vnd auß seim lande gantz vertrieben; Darumb, ir rett, betracht den has Vnd sagt meinem herren konig das, Das er furkum sein selbs vner. Darinn man jm ist so gever, Das jn manick spilman trit in das kot; Darumb seyt weys, es tut euch not. Darumb, her konick, tut euch besinnen, Ee jr must hintten noch gar entrinnen!

F 101, 3

Gb 48r

3 hynn ‚hier drinnen‘ 7 ret ‚Ratgeber‘ 9 bereit ‚bereits, schon jetzt‘ 11 ‚Und es wird urkundlich festgehalten‘ 13 has: Hier unklar, entweder ‚Hass, Streitfall‘ oder ‚[Angst-]Hase, lächerlicher Mensch‘, dann auf den machtlosen König bezogen. 15 furkumen (zu mhd. vürkomen): ‚zuvorkommen, vorbeugen‘ 15 selbs ‚eigen‘ 16 gever ‚feindlich gesinnt‘ 20 hintten ‚hinten, am Ende‘ 20 entrinnen ‚fliehen‘

1 unterstrichen; im Register G: Ein spil von dreÿen bruedern, die rechtent vor aim künig vmb̲ ain müll pock vnd vmb ain paum 2 Sprecherbezeichnungen und Handlungsanweisungen sowie die ersten Wörter der jeweiligen Reden sind unterstrichen.

140 | 87 – Hans Folz: Die drei Brüder und das Erbe

Der konick spricht:

25

30

Ir edeln ret, was mag das sein, Das man meins adels acht so klein Vnd mir solch vner tut ertzejgen, Das ich halt nÿmmer mag geschweigen, Vnd bit euch, jr edeln ret, allsant, Das ir mir eylent thut bekant, Vnd mir das pesten zu raten seit, Das ichß furnemen mug bey zeit, Ee es neme vester vber hant.

KF 76

Der erst rat spricht:

35

40

Her konick, ewr schaden tut vns ant. Darumb auff weißheit ich mich fleyß, Das ich euch rat, in welcher weyß Jr ewren feinten tut angesigen Vnd mit ewr furstlichkeit jn obligen, Als ich euch hie wil wissen lan. Doch peyt, pis ich die weißheit han, Do ich mein synn hab noch gericht. Herr konick, fragt auch vmb die geschicht Die andern ret, den vnd gen baide! Der konick: Nu rat all bey ewrem eyd, Als jr mir guts zu thun schuldig seit!

45

Gb 48v

Der ander rat: Herr ̲ konick, mir ist ewr schaden leit, Vnd thut mir die smach oft selber ant. Mocht ich, jch rechß mit meiner hant,

29 furnemen ‚vernehmen‘ 32 ant tun ‚verdrießen‘ 33 sich fleyßen ‚sich befleißigen, sich bemühen‘ 35 ansigen mit Dativ: ‚überwinden‘ 36 furstlichkeit ‚Hoheit, fürstliche Gesinnung‘ 36 obligen ‚überlegen sein‘ 37 Als ‚Wie‘ 38 peyten (zu mhd. bîten): ‚warten‘ 41 gen ‚jene‘

43 eyd: Keller (S. 76) konjiziert zu eide; der Eingriff ist ausschließlich reimbedingt und erscheint infolgedessen nicht notwendig.

87 – Hans Folz: Die drei Brüder und das Erbe

50

55

| 141

Vnd komm yeh einer, an dem ich mocht Zu rechen euch als es dann tocht, Dem wolt ich freylich denen sein haut, Das er wurd schreyen also laut, Vnd wenn jm einer noch darzu wolt auf die achsel sitzen, Dennoch wolt ich jn in sein prot tasche smitzen, Vnd geschwig des andern, das sich wurd machen. Der dritt rat:

60

65

70

75

Her konick, mich dunckt, es wol erwachßen Jn mir groß weißheit, als ich spür. Des solt ir geben mir die kür, Wann ich auch ye am pesten riet. Desgleichen thu ich ytz, war mit Jr ewren feinden tut an gewÿnnen; Doch wil ich mich vor darauff besynnen, Wann ich wil recht in die sach sehen, Das sich ewr genad nit mog verjehen, Wann ye gut dinck wil haben muß. Doch hoff ich, es sull werden puß All ewren feinden vmb das laster, Vnd euch oft werffen widers pflaster Vnd ab dem spil euch thun zu reyssen Vnd mit den fussen scheuchtzlich bescheissen. Doch wirt ewr adel wider bedacht Vnd zu aller foderst jnß kartten spil gemacht, Das ist ewr hochste wirdickeit, Daran ewr konickliche zyrheit leit.

KF 77

Gb 49r

50 togen (zu mhd. tugen): ‚nützen, angemessen sein‘ 51 denen sein haut: ‚die Haut dehnen, strecken‘; möglicherweise ‚ihn auf die Streckbank legen‘ 53 Die Äußerung ist zu verstehen entweder in Bezug auf die Wendung: Wer zulässt, dass man sich ihm auf die Schultern setzt, dem setzt man sich auf den Kopf in der Bedeutung: ‚Wer den König zu verspotten sucht‘ (vgl. TPMA, Schulter 3) oder in der Weise: ‚Wenn ihm [dem Feind des Königs] noch eine weitere Person helfend zur Seite spränge‘. 54 prot taschen ‚Mund‘ 54 smitzen ‚schlagen‘ 55 machen reflexiv ‚sich ereignen, geschehen‘ 57 wol: zu wollen; 3. Pers. Sg. Konj. Präs. 59 kür ‚Wahl, Beschluss‘ 61 war mit ‚womit‘ 65 verjehen (zu mhd. jëhen): ‚sagen‘; hier: ‚für besiegt erklären‘ 66 wil ‚Weile, Dauer‘ 67 puß ‚Besserung, Abhilfe‘ 68 laster ‚Schmähung‘ 70 zu reyssen ‚zerreißen, aus dem Spiel herausreißen‘ 71 bescheissen ‚beschmutzen‘ 74 wirdickeit ‚Würde‘ 75 zyrheit ‚Pracht‘

57 erwachßen: Keller (S. 76) konjiziert zu erwachen; der Eingriff ist ausschließlich reimbedingt und erscheint infolgedessen nicht notwendig.

142 | 87 – Hans Folz: Die drei Brüder und das Erbe

Solt ir euch an ydem rechen sein, Ewr konicklich reichthum wer zu klein Vnd all ewr gewalt wer zu schwach. Der vierd rat: 80

85

90

95

100

Herr konick, was hindert euch solch sach? Vnd solt der keyser an alle〈n〉 den rechen, Die jm mit wortten vbel sprechen, Er verkrieget wol ein gantzes lant. Kein mann ward nye auff erd erkant So reich, so edel von all sein genossen, Der sich des fleissen mocht noch mossen, Das jm mocht niemant nachred than; Darvmb, her konick, last darvan! Solt man ein itzlich vntat straffen, Es geb eim gantzen land zu schaffen; Darumb raͤ t ich euch, bleibt vnuerworn Vnd laß〈t〉 absincken ewren zorn! Das duncket mich das aller pest, Ee jr selbs kumpt in schand zu letzt. Schwert trager spricht zum kunig: Herr konick, der hat geraten recht. Wolt ir die krum all machen slecht, Die vberal jm land gen hin vnd her, Es mocht ewren genaden sein zu schwer. Darvmb richt hin das notigst auß, Dann wir noch mussen zum thor hinauß.

Gb 49v KF 78

76 sein ‚dessen‘ 83 verkriegen ‚durch Krieg verlieren‘ 84 Mehrere Negationswörter in einem Satz heben einander nicht zwangsläufig auf (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 232). 86 noch mossen ‚in höchstem Maße, nach Möglichkeit‘ 89 itzlich ‚jede‘ 91 vnuerworn (zu mhd. verwërren): ‚unverwirrt, klaren Geistes‘ 97 vgl. Lk 3,5 97 krum ‚Ungerechtigkeit‘ 97 slecht (zu mhd. slëht): ‚schlicht, gerade, gerecht‘; vgl Z. 163, 264

81 allen] alle: In der Bedeutung ‚Vergeltung üben an‘ fordert rechen ein Dativobjekt (vgl. DWb 14, Sp. 23). 85 von: Keller (S. 1485) erwägt Konjektur zu vor; der Eingriff erscheint möglich aber nicht zwingend. 92 laßt] laß: Konjekturvorschlag bei Keller (S. 1485) 94 letzt: Keller (S. 1485) erwägt Konjektur zu lest; der Eingriff dient ausschließlich der Glättung des Reims und ist daher nicht zwingend. 100 hin: Keller (S. 1485) erwägt Konjektur zu neur; der Eingriff ist unnötig. 101 Keller (S. 1485) erwägt Konjektur zu Sust müssen wir noch bzw. Dass wir nit; die Eingriffe erscheinen zu massiv und wenig zwingend.

87 – Hans Folz: Die drei Brüder und das Erbe

| 143

Nu kumen dreÿ bruder fur gericht, als die pauren angelegt, vnd verklagt einer den andern vmb sein erbteil. Der erst bruder:

105

110

115

Grüß euch got, kunick, lieber herr! Wir kummen do herein auß eim dorff nit ferr, Das ligt zu aller nechst daussen, do die Pegnitz 〈fleußt〉. Lieber herr, do hab ich ein bruder, der des mein wol geneußt, Meins veterlicher erbs, das clag ich dir Vnd bit dich, das du helfft mir, Das mir mein teÿl auch werd gereicht Vnd jn massen recht gleich geeicht, Eim als dem andern gantz vnd gar, Keinem mer noch minder als vmb ein har, Das keiner den andern dorff neyden. Darumb so thu vns hie bescheÿden, Wie wir das gut gleich sullen prauchen, Das das an jrrung vnd an strauchen Hie kurtzlich werd geendet noch. Der konick: Ach, lieber, was istß? Sag vns doch!

120

Erst bruder:

Gb 50r

Ja, lieber herr, das wil ich euch sagen. Es ist ein jar gewest leicht vor acht tagen, Do starb vns vnser vater, dem got genade. So hab ich werlein sider nach seim tode

104 ferr ‚fern‘ 105 Pegnitz Fluss durch Nürnberg 106 genießen: ‚Vorteil, Nutzen haben‘; mit Gen. seinerzeit üblich. 108 helfft: Flexion der 2. Pers. Sg. Ind. Präs. auf t im Obd. üblich (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 92 vgl. auch Z. 139). 110 geeicht ‚gemessen, aufgeteilt‘ 112 vmb ein har: Bildliche Verstärkung der Negation; siehe auch Z. 125, 221 und 347 bzw. ey in Z. 150. 113 dorffen ‚bedürfen, brauchen‘ 116 an ‚ohne‘ 116 strauchen ‚Stolpern, Wanken‘ 122 leicht ‚vielleicht‘ 124 werlein: ‚wahrlich‘; mundartliche Umbildung von werlich; die Form werlein ist eigentümlich für die Nürnberger Fastnachtspiele und wohl auf eine Umbildung des dialektalen werli zurückzuführen; meist als Beteuerungspartikel verwendet (DWb 27, Sp. 926 und Sp. 933; Michels: Studien, S. 228). 124 sider ‚seither‘

105 fleußt] : Keller (S. 78) konjiziert zu her fleußt; ein Eingriff erscheint aufgrund des ausgefallenen Reimworts notwendig, die metrisch eher hinderliche Präfigierung dagegen ist nicht zwingend.

144 | 87 – Hans Folz: Die drei Brüder und das Erbe

125

130

135

Seins guts nit vmb ein har genossen. Das mich offt vast vbel hat verdrossen. Darumb, lieber herr, secht an mein schaden, Domit ich ser bin vberladen. Vnd seit mit fleyß an mich gedencken! Ich wil euch werlein ein kreben vol eyr schencken Vnd ein guts frisch pfunt puttern oder zwey, Das ich euch dest pas enpfolhen sey, Wenn ichß werlein nit lenger wil lassen ligen, Vnd nimer schweygen als ich hab geschwigen, Wann ich sich wol, er zeiget mir hintten noch ein feygen Vnd tet das gut jm allein zu eygen, Das ich vnd mein bruder dan wurden schabab.

KF 79

Der ander bruder: 140

145

Hör, bruder, du solt nit lassen ab, Wann du sichst wol, wie er vns tat fern Vnd von dem gut meint gantz zu schern, Das jm allein beleib die hab. Neÿn, zwar, er sols halt nÿmer kein tag Mit lieb besitzen als vor, allein 〈...〉 Der dritt bruder:

150

Jch hoff, der konick nem nit an ewr gespey. Schweygt still ein weil vnd habt nit ein solch geschrey Vnd last mich auch reden ein wort oder zwey! Jch hab des ewren nichtz als vmb ein ey. Herr konick, jr klag, die last euch leyden. Wann ich der eltest bin vntter in beyden,

Gb 50v

129 seit an mich gedenken ‚seid meiner eingedenk, denkt an mich‘ 130 krebe ‚Korb‘ 132 pas ‚besser‘ 133 ligen ‚[auf sich be-]ruhen‘ 135 feyge: Ursprünglich ‚Feige‘, später auch Geste der sexuellen Verhöhnung (vgl. Röhrich: Redensarten S. 427f.). 136 jm: Zur seinerzeit üblichen Flexion der Reflexivpronomina vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 64. 136 zu eygen ‚zueignen, aneignen‘ 137 schabab: ‚verhasst‘; die imperativische Bildung von abschaben ‚verstoßen‘ kann adjektivisch, adverbial und substantivisch gebraucht werden (DWb 14, Sp. 1944). 140 fern ‚im letzten Jahr‘ oder ‚gefährden‘ (vgl. Z. 236) 141 scheren ‚übervorteilen‘ 147 gespey ‚Gespött, Geschwätz‘ 151 leyden refl. ‚geduldig ertragen‘ 152 vntter ‚gegenüber‘

145 Fehlende Reimzeile und unklare Bedeutung lassen Ausfall mindestens eines Verses vermuten (vgl. Keller: Fastnachtspiele, S. 1485)

87 – Hans Folz: Die drei Brüder und das Erbe

155

160

|

145

Darumb so dunckt mich pillich sein, Das ich das gut besitz allein, Wann albeg mein vater der eltest was Ob vns allen dreÿen, als ich nw das Bin ob den zweÿen. darumb dunckt mich recht, Das ich sey herr vnd yder mein knecht, Pis ich vor alter stirb als er. Darnach der eltest sey auch her, So wirt das gut besetzet recht. Der konick: Hore, freunt, es ist damit nit slecht, das du dir selber vrteil sprichstz.

165

170

Der erst bruder: Herr, ich bit dich, das du vns selber richstz Wie dann jm rechten wirt erkennt, Des ydem sein teyl werd muntlich genent Vnd des versigelt brieff genomen, Alß dann von alter her ist komen, Vnd zewgen darbej auch haben, die tügen, Vnd die an gut auch etwas vermügen, Das wir die dinck auff das gewist bestellen.

KF 80

Der konigk: 175

Ach, lieber, thu mir doch erzelen, Was doch das gut mit namen sey!

Gb 51r

Erst bruder: Nw wol an, lieber, so merkt gar eben dabey, Wie sich noch vnsers vater tot 153 pillich ‚gerecht‘ 155 albeg ‚immer‘ 156 Ob ‚Gegenüber‘ 158 yder ‚jeder [der beiden]‘ 164 sprichstz: Das überschießende z dieser wie der Folgezeile ist weder syntaktisch noch semantisch erklärbar. 166 richstz: Zum bis ins 16. Jahrhundert möglichen Dentalausfall bei der Flexion zur 2. Pers. Sg. Ind. Präs. vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 92. 167 rechten ‚Rechtsverfahren, Prozess‘ 169 versigelt brieff genomen ‚in einer Urkunde fixiert‘ 170 komen ‚[auf uns ge-]kommen, tradiert‘ 171 tügen (zu mhd. tugen): ‚taugen, der Situation angemessen sein‘ 172 Wirtschaftliches Vermögen erhöhte das Gewicht einer Aussage vor Gericht. 173 gewist Superlativ zu gewiss 176 ‚Wie das Gut zu nennen, Welcher Art es sei!‘ 179 vater: Zum möglichen Flexivausfall im Gen. Sg. vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 5.

146 | 87 – Hans Folz: Die drei Brüder und das Erbe

180

185

190

195

200

Die sach pißher verloffen hot: Das vnser eltester bruder sider Das gut allein hat vnd doch yder Des sein gar wol bedorfft allein, Das an vns zweÿen ist wol schein. Wann, herr, des guts ist etwas vil, Als ich an tag hie legen wil. Das erst ein pirpaum ist mit namen, Den gab vns vnser vater allen zamen. Vnd gar ein guten, herlichen pock, Der gult gern auffz aller minst zwey schock. Ich geschweig der pirn, die der paum jerlich treit. Ich hab wol gesehen zu etlicher zeit, Das ÿe funftzehen gulten pfennig also par. Lieber herr, die meint der allein zu haben gar. Nu gedenckt, lieber herr, ob das auch pillich sei. Vnd noch hab wir ein mül zu teÿlen all drey, Die auch von vnserm vater her ist kumen. Der hat sich der auch angenumen. Secht, lieber herr, das er vns also neckt Vnd so voller poßheit steckt. Darumb so hat ewr konicklich gnad macht Jn zu strafen, das er albeg nit treib solch pracht, Jch hab wol gesehen vor etlicher zeit. Ich hett jm das valdubel angeleit,

Gb 51v KF 81

184 schein ‚offensichtlich‘ 185 etwas ‚sehr, durchaus‘ 187 pirpaum ‚Birnbaum‘ 188 zamen ‚gemeinsam, zusammen‘ 190 schock: Ursprünglich ‚60 Stück von einer Sorte‘ [hier: Böcke], später ‚große Menge im Allgemeinen‘ bzw. ‚60 Münzen‘. 193 Die Stelle scheint besserungsbedürftig. Es bieten sich zwei Möglichkeiten eines Eingriffs an: gulten (Prät. zu mhd. gelten) ‚kosten‘ und bar als Adj. in der Bedeutung ‚echt, klar‘ erfordern die bei Keller vollzogene Ergänzung eines Numerals. Alternativ ließe sich ÿe zu er konjizieren. In diesem Fall stünde gulten in der Bedeutung‚golden‘, par wäre zu verstehen als Prät. des mhd. Verbs bërn: ‚hervorbringen‘; der senkrechte Strich lässt sich möglicherweise als Repräsentant des Numerals deuten und macht die erste der genannten Varianten näherliegend. 195 pillich (zu mhd. billich): ‚angemessen, recht‘ 196 hab: Zum Flexivausfall in der 1. Pers. Pl. Ind. Präs. im Falle nachgestellten Personalpronomens vgl. Paul: MhdGr § 240. 198 Der: Gen. Sg. fem. des Demonstrativpronomens (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 68). 202 pracht ‚Geschäftigkeit, Rühmen‘ 204 valdubel: Kontraktion aus fallend ubel ‚Fallsucht, Epilepsie‘. 204 angeleit ‚angelegt, gewünscht‘

193 gulten pfennig: Keller (S. 80) konjiziert zu gulten ein pfennig; in der Handschrift erscheint an dieser Stelle ein senkrechter Strich zwischen den beiden Lemmata.

87 – Hans Folz: Die drei Brüder und das Erbe

205

| 147

Vnd het im sein haut darumb volgeslagen, Das jm kracht het sein magen. Der konigk:

210

Hore, pawr, noch eins solt du mir sagen: Ist das ewrs vaters meynung gewest, Das jr den paum alle drey aufß best Solt vntter euch teÿlen als jr mugt? Erst bruder: Ja, herr, es hett am aller ersten wol tugt, So wer wir des dings ytz als vertragen.

215

220

225

Dritt bruder: Hort, lieber herr, ich muß ye auch ein wort sagen. Mein zwen bruder do, Heintz vnd Albrecht, Sein bede die zeit her gewest mein knecht Vnd solten mir gepawt haben die wiesen vnd ecker. Lieber herr, so sein sie die feulsten lecker, Das ich jr arbeit nit pruft vmb ein har, Vnd sein ob mir gelegen das jar, Vnd 〈han〉 mer gefressen, dan jr zwien Mochten vmb mich in dreyen jaren verdien. Secht, herr, des wollens nit versten.

209 gewest: Bis ins 16. Jahrhundert war schwache Flexion des Part. Prät. üblich (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 149; vgl. Z. 218). 213 aller ersten ‚von Anfang an‘ 214 ding ‚Angelegenheit, Streitfall‘ 214 vertragen ‚vertraglich regeln, eine Einigung erzielen‘ 217 Heintz: Sehr häufig verwendeter Name im Fastnachtspiel (vgl. Arndt: Personennamen S. 49). 217 Albrecht: In dieser Form nur hier belegt (vgl. Arndt: Personennamen S. 47). 218 Sein: Seinerzeit gängige Variante der 3. Pers. Pl. Ind. Präs. von sein (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 149; vgl. Z. 220). 220 lecker ‚Schmarotzer‘ 221 prufen ‚taxieren, wert schätzen‘ 222 ob mir gelegen ‚mir auf der Tasche gelegen‘ 223 jr: 3. Pers. Gen. Pl. des Personalpronomens (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 63). 223 zwien: Die ungewöhnliche Form ist wohl reimbedingt.

210 best] nest: Konjekturvorschlag bei Keller (S. 1485) 223 han]

148 | 87 – Hans Folz: Die drei Brüder und das Erbe

Ander bruder:

230

235

240

Ey, das dich muß der rit angen! Das ist dein gewonheit, die du hast, Mit der du stetigklich vmb gast, Vnd du verleugst yderman. Dann, lieber herr, kert euch nicht daran, Wann vns paiden ist als wol zu gelauben, Als jm allein. das nempt fur augen: Wann er vns vor offt hat erzeigt Solche falsche hinterlistigkeit Vnd vns mit seiner schalkheit 〈thet〉 fern. Darumb bit wir euch, als ein genedigen herr ̲en, Vnd tut als wol vnd helfft vns noch, Das er vns geb das vnser doch, Vnd mit an ein teylung tret.

Gb 52r

KF 82

Erst bruder:

245

250

Hör, Heintz, ich wolt, das ich langst het, Vnd jn mit recht het angetzogen, Seyt das der schalk ist so verlogen. Ich hett darauff gewettet groß: Wo er gewesen wer so los – Auff mein eydt, wenns einer zu mir het jehen, Dir wirt ein solchs von jm geschehen, So hett ichs nÿmmer mer getraut. Ich hett auff jn verwettet mein haut!

227 das dich muß der rit angen (zu mhd. rite): ‚Fieber, Schüttelfrost‘; unspezifische Bezeichnung für diverse mit diesen Symptomen einhergehende Erkrankungen (Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 513f.) in der Bedeutung ‚dass dich der Schlag treffen soll‘. 229 vmb gen (zu mhd. gân, gên): ‚umgehen‘ 230 verleugen ‚übel nachreden‘ 231 keren ‚wenden‘ 232 Wann ‚Denn‘ 232 als wol ‚genau so gut‘ 234 vor ‚vormals‘ 236 schalkheit ‚Bosheit‘ 240 ‚Und sich an einer Aufteilung [der Güter] beteiligt.‘ 242 Der Vers ist unvollständig, möglicherweise ist Part. [ge-]tan an vorletzter Position zu ergänzen. 243 angetzogen (zu mhd. ane ziehen): ‚anklagen‘ 244 Seyt ‚Weil‘ 246 los ‚feige, böse‘ 247 jehen: Zum Präfixausfall des Part. Prät. vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 87. 250 ‚Ich hätte meinen letzten Besitz, mein Leben auf ihn verwettet!‘

231 Dann: Keller (S. 1485) erwägt Konjektur zu Drumb; der Eingriff erscheint semantisch sinnvoll, ist aber syntaktisch nicht zwingend. 236 thet] : Konjekturvorschlag bei Keller (S. 1485) 239 vnser] vnder: Konjektur bei Keller (S. 82)

87 – Hans Folz: Die drei Brüder und das Erbe

255

Darumb seh einer, was trwe nw ist, So er vns solch vntrew zu mist! Do mügt ir, herr konigk, wol mercken bej, Wer vntter vns recht habend sej. Darvmb nempt die sach selbs vntter die hant, Wie von ewren reten wirt erkant, Des bit ich euch als ein genedigen herrn!

| 149

Gb 52v

Konigk:

260

Das ir der sach mugt eynig weren, So teylt im ersten gleich den paum! Erst bruder:

265

Herr, das ich mich nit gar versaum, So nym ich mir vom paum, secht, Alles, das krump ist oder slecht. Dasselb ich mir zu aygen wil. Hor, Heintz, so nym du auch als vil! Ander bruder:

270

Seyt ich mein teyl sol selber nemen, So wil ich mich des pesten remen, Vnd von dem paum mir nemen, wist, Alles, das durr oder grun ist. Das wir den wortten kumen noch, Die vnser vater zu vns gach, Das wir den paum gleich solten teylen.

KF 83

255 vntter die hant ‚in die Hand‘ 259 weren ‚werden‘; 252 zu messen ‚zuteil werden lassen‘ zum Dentalschwund insbesondere nach r vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 46, hier reimbedingt. 262 versaumen ‚benachteiligen‘ 264 slecht (zu mhd. slëht): ‚gerade‘ 265 zu aygen (zu mhd. zuo eigenen): ‚aneignen‘ 269 remen (zu mhd. ræmen): ‚streben, trachten‘ 273 gach: Prät. zu jehen

272 noch: Keller (S. 83) konjiziert zu nach; Schreibungen mit o anstelle von a insbesondere vor Nasal waren im Bairischen üblich (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 14). Zahlreiche weitere Fälle innerhalb des Korpus, in denen die beiden Vokale austauschbar verwendet werden, lassen in der sprachlichen Realisierung auf eine minimale phonetische Opposition schließen und den Reim somit nicht der Besserung bedürftig erscheinen.

150 | 87 – Hans Folz: Die drei Brüder und das Erbe

275

280

Dritt bruder: Pox lauß, ich mocht mich auch leicht verweylen, Das ich mich an der teylung saumpt. Doch hab ich an dem paum ergaumpt, Was mir fur mein teÿl zÿm am pesten: All wurtzel des paums vnd der stam mit den esten, Den nym ich geleich fur mein teyl ein. Gefeltß euch wol, so latß wett sein, Wann mich dunkt, ich hab im vast recht getun. Erst:

285

Gb 53r

Nw wol an, lieber herr, wie rat jr zu nw? Konigk:

290

295

Lieben herren, was rat ir zun sachen? Wer kan do zwischen ein richtung machen? Doch wil ich vntter jn erfragen, Wer vntter in dreyen am pasten mug gesagen, Das er am pasten hab erwelt, Dem sol der paum sein zu getzelt. Darumb sagt, ob ir so weyß seyt, Das euch hintten noch keiner vnrecht geyt. Erst: Herr, ich hoff, ich hab den pesten teyl.

276 Pox lauß: Die seit dem 15. Jahrhundert auch als kotz oder potz in Flüchen auftretende Interjektion pox ist eine Entstellung des Genitivs Gottes, die entstand, um diesen Begriff nicht pejorativ zu gebrauchen (HdA 2, Sp. 1638); das FrnhdWb vermutet hingegen bei pox eine Anlehnung an den in Bocksgestalt auftretenden Teufel (FrnhdWb 4, Sp. 881f.); lauß ‚Laus‘ (DWb 12, Sp. 352). 276 verweylen versäumen 277 saumen (zu mhd. sûmen): ‚verspäten, säumig werden‘ 278 ergaumen (zu mhd. goumen): ‚wahrnehmen, ausfindig machen‘ 279 zÿmen ‚gelegen, dienlich sein‘ 282 latß: Kontraktion aus dem Imperativ der kontrahierten Form lân (aus mhd. lâzen): ‚lassen‘ sowie Personalpronomen. 282 wett ‚rechtsverbindlich‘ 283 Der Bezug des Pronomens im ist unklar, möglicherweise ist der väterliche Wille bezüglich der Güterverteilung gemeint. 287 Lieben: Zur schwachen Flexion des Vokativs vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 41. 290 gesagen ‚begründen‘

87 – Hans Folz: Die drei Brüder und das Erbe

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Ander: Hör, werlein, gesell, nw ist mir ye der mein auch nit feyl, Wann es ist der pest, als ich wol sich. 300

Dritt:

KF 84

Lieber herr, wie gedunckt euch dan vmb mich? Sie haben stet gemeint, sie wollen mich effen, Aber ich gedacht wol hintten noch, ich wolt sie treffen, So es wurd an ein teylen gen. 305

310

Die ret: Her konigk, wir kunen nit versten, Wie wir ein vrteil sullen fellen. Dann heißt euch des pocks halben auch ertzelen, Wie jn jr vater enpfolhen hab, Das man doch jrs geschreÿß kum ab, Wann jr seht wol, es ist eÿtel lepperey. Konigk:

Gb 53v

Sagt mit dem pock, wie der euch sej Enpholhen von ewrem vater worn! 315

Erst: Hort, lieber herr, ee mein vater starb vor zorn Vnd vns allen dreÿen beschied das gut, So was sein letzter will vnd mut,

298 feyl ‚wohlfeil, billig‘ 299 sich (zu mhd. sëhen): Die Entwicklung zum einheitlichen Präsensvokal e ist im 16. Jahrhundert noch nicht abgeschlossen (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 102). 302 effen ‚zum Besten halten‘ 308 halben ‚bezüglich, wegen‘ 309 hab: Die Verwendung des Konjunktivs ist hier reimbedingt. 310 abkumen: Mit Gen. seinerzeit üblich ‚loswerden‘. 311 eÿtel ‚leer, wertlos‘ 311 lepperey ‚Torheit‘ 314 worn ‚[ge-]worden‘ 317 bescheiden ‚einem etwas zuweisen‘

300 Die Sprecherbezeichnung ist in der Handschrift Bestandteil des fließenden Textes der vorhergehenden Zeile. Sie steht zwischen der und pest und macht diesen Vers als nachträglich hinzugefügt erkennbar. Gleiches gilt für Z. 327. 308 Dann: Keller (S. 1485) erwägt Konjektur zu Drum bzw. Nu; keiner der Eingriffe ist zwingend.

152 | 87 – Hans Folz: Die drei Brüder und das Erbe

320

Das yder dem pock ein wunsch legt an. Von welchem man dan kund verstan, Der jn am grosten gewunschet het, Derselb den pock behalten tet. Vnd das daucht mich am pesten noch. Konigk:

325

So laßt ewr wunschen horen doch, Ob man ewr sach mocht zu gut bringen! Erst:

330

335

Herr konigk, ich hoff, mir werd gelingen, Vnd das der pock werd mein allein, Vnd prufft, herr, an dem wunsch mein! Nw geb got, das der pock als groß werd, Das er das mer vnd alle wasser auff erd Außtrinck zu einem trunck allein. Vnd jm zu rinn alle wasser gemein, Vnd dennoch sein durst nit mocht vertreiben.

KF 85

Ander:

340

Ich hoff, der pock sol mein beleiben, Wann ich wil in grosser wunschen, dan du. Nw wolt got, das der pock als groß were, So hoch vnd dick, wenn er stund auf der erde, Das in kein fade vmb gurtten kund, Vnd der so lanck halt wer gespunnen Vom anfang piß zum vnttergang der sunnen

Gb 54r

319 anlegen ‚mit etwas versehen‘; ausnahmslos mit Dat. 320 kund (zu mhd. kunnen): ‚können‘ 323 daucht: Zu dünken; hier: ‚erscheinen, vorkommen‘. 328 gelingen: In der ursprünglichen Bedeutung ‚das Ziel erreichen‘ fordert das Verb kein Objekt; vgl. Z. 449. 334 zu rinn 3. Pers. Sg. Konj. Präs. 334 gemein ‚insgemein, gesamt‘ 335 vertreiben: Die intransitive Konstruktion in der Bedeutung ‚vergehen‘ ist unüblich (vgl. DWb 25, Sp. 1970).

319 dem] den 321 jn] jm 332 er] jm: Konjekturvorschlag bei Keller (S. 85) 338 Fehlende Reimzeile lässt an dieser Stelle und in Z. 342 Versausfall möglich erscheinen, eine inhaltliche Lücke ist hingegen nicht zu erkennen. 339 were: Keller (S. 85) erwägt Konjektur zu werde; der Eingriff dient lediglich der Besserung des Reims. 343 anfang: Keller (S. 85) erwägt Konjektur zu aufgang; der Eingriff dient lediglich der stilistischen Besserung der Passage.

87 – Hans Folz: Die drei Brüder und das Erbe

345

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153

Auß allem hanff, werck, wollen vnd flachß Vnd was auff erden zu spÿnnen wachß – Wenn das alles wer ein faden gar, Das es nit klecket als vmb ein har, Das doch der pock vil dicker wer. Dritt:

350

355

360

Herr, ich weys, das ich jn grosser wunsch, dan der. Das hoff ich, er sull werden mein. Sein wunsch ist gen mir vil zu klein. Herr, wenn ein adler so hoch flüg Vnd die vier ort der werlt vmb züg Vnd vberseh den gantzen erden kloß, So wunsch ich, das der pock so groß Wer, das der adler 〈nit〉 mocht ersehen Vnd nit mit seinem flug erspehen Sein groß, sein preitten, leng vnd dicken, Noch an keinem ort jn vber plicken, Vnd wenn er halt flüg pis an die sunnen. Herr, hab ich nit den pock gewunnen? Konigk:

365

Lieben herren, wie gefelt euch die sach? Wer mocht sie dreÿ eynig machen, So yder meynt, er sej der pest? Doch sagt vns nw, wie hat zu letzt Ewr vater euch die mul ergeben?

Gb 54v KF 86

344 werck (zu mhd. âwirch): Ursprünglich Abfälle bei der Garnherstellung, später in der Bedeutung ‚Hanf, Flachs‘. 347 klecken ‚genügen, ausreichen‘ 351 Das ‚Deswegen‘ 354 vier ort: Biblisch dachte man sich die Welt aus vier Teilen bestehend (vgl. Jes 11,12 Jer 49,36 u. ö.), im Mittelalter ging man von insgesamt vier Weltreichen aus; hier: ‚die ganze Welt‘. 355 erden kloß: ‚Erdkugel‘; der Glaube an die Kugelform der Erde war im Mittelalter aufgrund zahlreicher gelehrter antiker Schriften opinio communis. 359 Zu den vier Erstreckungen vgl. Eph 3,18. 361 Der Flug des Adlers bis zur Sonne ist gemäß der Physiologus-Tradition fester Bestandteil auch volkssprachlichen naturkundlichen Wissens.

351 Das: Keller (S. 85) erwägt Konjektur zu Des; Schreibungen mit a anstelle von e, allerdings insbesondere vor Nasal, waren im Obd. üblich (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 11). 357 nit] : Der folgende Vers macht die Konjektur semantisch notwendig.

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Erst bruder: 370

375

380

385

390

395

So hort zu, lieber herr, vnd merckt gar eben, Das ir die sach tut recht verstan, Wann vns leit nit ein wenig daran. Wann, herr, meins vaters meynung was: Von welchem man erkennet pas Die aller großten lugerej Vnd am maisten faulheit wonet bej, Der solt der mul ein besitzer sein. Herr, so hoff ich trawn, die muͤ l sey mein, Wann ich der großt lugner bin, Vnd stet auff faulheit stet mein sin, Das ich vor faulkheit etlich jar Bin vntter einer trupff gelegen zwar In einem alten, oden haws. Vnd hat die trupff geflosset auß Das hyrn gar auß meinem kopff. Wann mir in das linck or gleich vil der tropff, Das mir ye zum rechten or wider auß fleußt, Vnd stet in meinem kopff noch seust. Noch mocht ich vor lüg den kopff nit regen, Vnd for faulkheit auß der trupff mich legen.

F 107, 34f.

Der ander:

Gb 55r

So, bin ich nit mit faulkheit gar besessen, Das niemant mein lugen kan außmessen, Das ich nw stetigklich begynn? Darumb hoff ich ye, ich werd gewynn, Wann ich keiner lüg nye hab vergessen, Vnd das ich in xiiij tagen nichtz het gessen;

F 107, 95–103

378 trawn ‚ja doch, wahrlich‘ 380 stet (zu mhd. stæte): ‚beständig, stets‘ 382 trupff ‚Traufe‘ 383 ode (zu mhd. œde): ‚leer, verlassen‘ 384 geflosset (zu mhd. vlœzen): ‚wegspülen, hinfortschwemmen‘ 386 tropff ‚Tropfen‘ 388 seusen (zu mhd. sûsen, siusen): ‚sich sausend bewegen‘ 392 besessen Part. zu besitzen: ‚ausgestattet‘ 394 begynnen ‚ausüben, betreiben‘ 395 gewynn: Zur Möglichkeit des Endungsausfalls im Infinitiv nach Nasal vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 84. 396 vergessen: Mit Gen. frnhd. gebräuchlich. 397 gessen: Bis ins 17. Jahrhundert gebräuchliche Form des Part. Prät von essen (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 87).

395 ich: Keller (S. 85) erwägt Konjektur zu mir; das im Reim stehende gewynn ist jedoch nicht als Substantiv aufzufassen, sondern als Infinitiv.

87 – Hans Folz: Die drei Brüder und das Erbe

400

405

Vnd mich got guter [guter] speyß beriet, So mocht ich doch vor lugen nit, Das ich zu essen ein hant auff hub, Mit der ich ein procken ein schub, Das ich vor hunger wurd erlost. Dann ob mir einer die zen auf lost Vnd mich vber danck notend wer, Sust wer die speiß mir gantz vnmer.

|

155

KF 87

Der dritt: Herr konick. Der konigk: 410

Seÿt man nit anders erkennen kan, Das jr yder wil sein synn han. Außschreyer:

415

Gb 55v

Gb 56r

Herr konick, die pauren laß heym gan Vnd laßt die vrteil ytzo an stan, Wann sie der hedrey stetigs haben gepflegen, Die weil ir vater ist tot gelegen, Vnd kont niemant nit richten sie. Nw bit ich euch, erlaubt mir hie Mit der haußmayd ein frischen reyen,

398 beriet (zu mhd. berâten): ‚versehen, austtatten mit‘; häufig mit Gen. 403 losen ‚lösen, öffnen‘ 404 ‚Und mich gegen meinen Willen zwänge,‘ 405 vnmer (zu mhd. unmaere): ‚verhasst, zuwider‘ 410 synn ‚Meinung‘ 413 an stan ‚unausgeführt, aufgeschoben bleiben‘ 414 hedrey (zu mhd. hadrîe): ‚Streit, Gezänk‘ 414 gepflegen (zu mhd. phlëgen): ‚betreiben‘; im Mhd. und Frnhd. noch stark flektiert. 418 reyen ‚Reigen, Tanz‘

398 guter] guter guter: Konjekturvorschlag bei Keller (S. 85) 410 Diese Stelle ist zweifellos unvollständig, fehlen doch neben den Erläuterungen des dritten Bruders auch Passagen aus der Entgegnung des Königs bzw. der Räte (vgl. Z. 424: Hier bezieht sich einer der Brüder auf einen ergangenen bescheyd, bzw. Z. 431, hier verweist er auf die mit recht erlangte Beibehaltung seiner Stellung). Mutmaßungen über Umfang bzw. Ursache des Ausfalls sollen im Endkommentar erfolgen. 411–422 Keller erwägt, die Rede des Ausschreiers an das Ende des Stücks zu setzen (vgl. Keller: Fastnachtspiele, S. 1485, ebenso Michels: Studien, S. 225). Eine derartige Umgruppierung ist formal nicht zwingend: Zwar erwartet man nach der Aufforderung zum Tanz nicht unbedingt ein über 83 Zeilen gehendes Streitgespräch, in F 103I ereignet sich aber dahingehend Ähnliches, dass ein längerer Monolog an den Tanzschluss anschließt. Die Vermutung, dass sich hedrey auf das erst noch folgende Gezänk der Bauern und nicht auf den Faulheitsstreit bezieht, ist nicht zwangsläufig.

156 | 87 – Hans Folz: Die drei Brüder und das Erbe

420

Das sich die fraw auch meg ermeyen Vnd in der vaßnacht frolich springen. Mach auff, spilman, das muß erclingen. Der eltzt bruder:

425

430

435

Wie dunckt euch nw, ir tiltappen beÿd, Wie geuellt euch von mein herren der bescheyd? Ich gedacht ein weil, jr würdt mich arm machen? Es war halt ewr, wol gut zu lachen, Das jr mir habt also gewunnen an, Das ich dester minder nichts nit han. Kumbt mer her auff die kwereÿben! Mich dunckt, jr must mich laßen beleyben, Das hab ich hie mit recht erlangt. Jungst bruder:

KF 88

Hor, lieber herr, hör wie vns der danckt Mit lachen, spotten vnd honischen wortten. Er meint nw zu bleyben gantz vngesortten, Das vnser keines furpas hin Soll nach dem gut han keinen sin, Vnd meint halt, das es gar sein sey.

Gb 56v

419 ermeyen ‚erfreuen‘ 421 Mach auff ‚Fang an‘ 423 tiltapp: Schimpfname für einen einfältigen Menschen (vgl. Arndt: Personennamen, S. 68). 426 wol ‚wohl, sehr‘ 427 angewinnen ‚abringen, abgewinnen‘ 429 kwereÿben: ‚Kuhreibe‘; Bedeutung unklar, einziger Beleg bei Grimm DWb 11, Sp. 2581; evtl. Konjektur zu kwereÿgen in der Bedeutung ‚tanzen bzw. ringen mit einer Kuh‘ als ‚Rangelei, Abreibung‘ (vgl. BWb 3, Sp. 7ff. und R 55, Z. 92. Hier werden ebenfalls musische Aktivitäten einer Kuh als Inbegriff des Skurrilen, Unwahrscheinlichen geschildert); vgl. in diesem Zusammenhang auch Gemarkungsnamen wie Rindertanzplatz (Jungandreas: Lexikon S. 871). Evtl. auch Verschreibung der zahlreichen Nebenformen von kerweyben in der Bedeutung ‚Kirchweihe, Fest‘, die nahezu zwangsläufig in handfesten Auseinandersetzungen endeten. In diesem Falle bliebe der Reim sauber. 430 beleyben ‚[in der alten Position, Stellung] bleiben, in Ruhe lassen‘ 434 honisch ‚höhnisch, schmähend‘ 435 vngesortten (zu mhd. sërten): ‚frei von Schmach und Schande, in Ruhe‘ 436 vnser keines ‚keiner von uns‘ 436 furpas ‚künftig‘

425 Ich: Keller (S. 1485) erwägt Konjektur zu Ir; der Eingriff bessert die Passage zweifellos, ist jedoch nicht zwingend.

87 – Hans Folz: Die drei Brüder und das Erbe

440

Sich, wie treybt er aus vns sein gehey. Wol wir sein auch lang sehen zu?

|

157

F 83, 75

Erst bruder:

445

450

Werlein, schweig, oder ich schlach dich, das du p〈r〉ülst als ein kw, Du verheyter, vnbehawer, grober narr, Du knebel, du schrol, du scheÿßkarr, Du stest vnd ragst, sam seist du gefrorn. Ich schlüg dich schier zwischen die orn, Das du furpas dein maul hiltzt vber ein dreck. Ich rat dir werlich, du gest hinweck Vnd danckest got, das dir ist gelungen, Ee ich dir selbs schieß auff die zungen, Das du konst furpas nymmer lappen. Eltest bruder:

455

Ach, jr verheytten jungen tiltappen, Was mocht jr außrichten mit ewrem schreyen? Wol wurdt ir ein jn eim veld geheyen. Man sol euch newr an die Turcken schicken, Ir wirdt sie mit dreck vnd mit al verslicken, Wann ich sich, jr duncket euch gar feyg.

439 gehey (zu mhd. hîwen): ‚verheiraten, paaren‘; gleichermaßen obszön wie semantisch offen können sowohl Hohn und Spott als auch die derbsten sexuell besetzten Fluchformeln gemeint sein; hier: ‚wie gießt er seine Beschimpfungen über uns aus‘vgl Z. 443, 453, 473. 443 vnbehawer: ‚plump, ungehobelt, unbehauen‘; zur Nebenform mit Nasalausfall vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 35. 444 Knebel: ‚Holzstück, Knüppel‘, übertragen auf einen Menschen etwa ‚Klotz‘, aber ebenso in der Bedeutung ‚Penis‘; als Schimpfwort u.a. in F 103I, Z. 73; Z. 502 und F 103II, Z. 83.; als fingierter Eigenname auch außerhalb der Fastnachtspiele belegt (DWb 11, Sp. 1374–1377; Lex I, Sp. 1644; vgl. auch R 48, Z. 19). 444 schrol (zu mhd. schrolle): ‚Klumpen, Scholle‘, auch ‚grober, ungebildeter Mensch‘ 444 scheÿßkarr: Gefährt zum Abtransport menschlicher Exkremente; einziger Beleg bei Grimm (vgl. DWb 14, Sp. 2470). 447 ‚Dass du dein Maul über einen Kothaufen hältst, Dass du nicht mehr aufrecht gehen kannst.‘ 450 schießen (zu mhd. schiezen): ‚stoßen‘ 451 lappen ‚schlürfen‘ 455 veld ‚Acker, Wiese‘; evtl. ‚Schlachtfeld‘ 455 geheyen ‚gedeihen, wachsen‘; evtl. ‚erschrecken‘ 457 Eine sinnvolle Bedeutung dieses sowie des folgenden Verses ließ sich nicht rekonstruieren. 457 dreck ‚Kot‘ 457 al ‚allem‘ 457 verslicken ‚verschlucken, auffressen‘ 458 duncken ‚scheinen‘

442 prülst] pülst: Konjektur bei Keller (S. 88) 450 schieß: Keller (S. 1486) erwägt Konjektur zu schiß; der Eingriff erscheint möglich, ist aber nicht zwingend.

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Jungst bruder: 460

465

Ich rat dir werlein, ge hin vnd schweig Vnd laß dein gespott hie dalung sein! Ja, schont ich niemant hinn dan mein vnd dein, Ich wolt eins spils mit dir begynnen, Das dir must alle deine freut [must] zu rynnen. Nw schweyg nwr pald, es ist dir not. Eltzt bruder:

470

Gb 57r

KF 89

Ich geb vmb euch all pede ein kot Vnd vmb ewr droen beder sant. Ja, werß mir hynnen nit ein schant Vnd 〈man〉 mir nit vbel darumb tet jehen, Ir muest mir bede jns arßloch sehen. Erst:

475

Ach, du verheyter, vnendlicher smaich koßer, Du zu tuttler, verreter vnd fenster loßer, Du lotter, du schalk vnd hurn treyber, Du orn krawer vnd nachreder frummer weyber, Du erloßer wicht, nit eren wert, Es ist sundt, das dich newr tregt die erdt, Wann aller posheit steckst gantz vol!

461 dalung (zu mhd. tâlanc): ‚von jetzt an‘ 462 schonen: ‚verschonen, Schaden ersparen‘; früher häufig mit Gen. 462 mein vnd dein: Gen. der Personalpronomina (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 61–62). 463 spil hier: ‚Verspottung, unflätiges Treiben‘ 463 begynnen: Frnhd. häufig mit Gen. 464 zu  rynnen ‚zerrinnen, abhanden kommen‘ 465 not ‚nötig‘ 468 droen (zu mhd. dröuwen): ‚drohen‘ 473 vnendlich ‚unnütz, erbärmlich‘ 473 smaich koßer: ‚Schmeichler, Heuchler‘; einziger Beleg bei Grimm (vgl. DWb 15, Sp. 991). 474 zu tuttler ‚Schranze, Parasit‘ 474 fenster loßer: ‚Lauscher am Fenster, Neugieriger‘; einziger Beleg bei Grimm (vgl. DWb 3, Sp. 1525). 475 hurn treyber ‚Bordellbesucher‘ 476 orn krawer ‚Ohrenbläser, Schmeichler‘ 476 nachreder frummer weyber ‚Verleumder‘

464 ] must: Konjektur bei Keller (S. 88) 468 droen beder: Keller (S. 1486) erwägt Konjektur zu beder droen; der Eingriff ist nicht zwingend. 470 man] : Keller (S. 1486) erwägt Konjektur zu Vnd tet man drum nit vbel jehen; ein Eingriff ist grammatisch notwendig, die bei Keller erwogene Änderung erscheint aber zu massiv.

87 – Hans Folz: Die drei Brüder und das Erbe

480

485

159

Eltzt: Ja, lieber gesell, sa[u]g mirß newr wol: Du kanst mir den planeten gar wol lesen. Ich mein, du seist ein jar ein artzt gewesen: Lieber, laß mich dich doch recht an schauen! Ich hab zu dir ein bessern trawen, Du woltest mir den brunn pas besehen, Ob du ichtz mechst an dem waydbach [mechst] spehen. Mich dunckt, du seyst gar ein feyner gsell. Jungst:

490

|

Gb 57v

Ey, nw wolt ich doch lieber sein in der hell, Dann ich mich also wolt mit jm schenten. Erst: Hor, wiltu, wir wollen gar pald wenten Sein gespott, das er vns hyn legt an.

495

Eltzt: Hor, lieber, ich hab do gar ein posen zan, Kust du mir nit ein rat darzu geben? Erst:

500

KF 90

Pox leichnam, solt ich sein kumen vmbß leben, So wil ich mich an dir rechen.

482 Es wird hier Bezug genommen auf die ‚Planetentraktate‘, die die Befragung der Gestirne als eine der Grundlagen ärztlichen Handelns verstehen (vgl. HdA 7, Sp. 36–294, bes. Sp. 75–263; Brévart/Keil: Art. ‚Planetentraktate‘, Sp. 715–723): ‚Du kannst mich diagnostizieren, meine Natur ergründen!‘ 485 trawen ‚Vertrauen‘; früher auch mask. 486 brunn ‚Harn‘ 487 ichtz (zu mhd. ihtes): ‚irgend etwas‘ 487 mechst: 2. Pers. Sg. Konj. Präs. zu mugen 487 waydbach: ‚Bach auf der Wiese‘; hier ironisch für den Urin im Glas. 491 schenten ‚streiten, zanken‘ 493 wenten ‚abwenden‘ 496 pose ‚krank, entzündet‘ 499 sein ‚[aufgrund] dessen, davon‘

481 sag] saug: Konjekturvorschlag bei Keller (S. 1485); auf S. 89 liest Keller fälschlicherweise fang. 487 ] mechst: Konjektur bei Keller (S. 89) 497 Kust: Keller (S. 1486) erwägt Konjektur zu Kunst; die Nebenform mit Nasalausfall ist nicht für die flektierte Verbform, wohl aber für das Substantiv Kunst nachweisbar (vgl. Keller: Fastnachtspiele, S. 821), die Flexion ohne Realisierung des Nasals ist als Folge oberdeutschen Idioms zu sehen.

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Eltzt: Lieber, wilt du mir ye den zan außprechen? Erst:

505

Ja, ich wil dir den zan jm ars außreyben, Das dir kein har in der schwartten muß bleyben.

502 außprechen: Im Gegensatz zur seitens der Schulmedizin empfohlenen Extraktion der Zähne durch Ziehen mitsamt der Wurzel war aufgrund häufig kariös-poröser Zähne bzw. unprofessionellen Vorgehens der Barbiere das Aushebeln und Abbrechen der Krone die seinerzeit übliche Form des Entfernens von Zähnen (vgl. Baader/Hoffmann-Axthelm: Entwicklung, S. 129–130). 505 schwartten ‚Haut‘

505 Kürzel für etc. zentriert unter der Zeile.

87 – Hans Folz: Die drei Brüder und das Erbe

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Kommentar Bezeugung Gb, Bl.47v–57v

Ausgaben Keller: Fastnachtspiele I, S. 75–90 (= Nr. 8, nach G); Bd. III, S. 1485f.

Textkritik Der Text ist unikal in Handschrift G überliefert.

Autor Als Verfasser ist Folz nicht genannt, kann aber als gesichert gelten (so bereits Michels: Studien, S. 224–226), sprechen doch stilistische Momente wie der über weite Strecken konsequent durchgehaltene Stichreim, zahlreiche Enjambements, die Wortwahl (werlein, pox, verheyt, remen) sowie der Tanzschluss für den Nürnberger Meistersinger (vgl. auch Stiefel: Fastnachtspiel, S. 1ff.; Catholy: Fastnachtspiel, S. 182). Z. 418–419 reimen auf dieselben Wörter wie Z. 684–685 in F 88 bzw. 526–527 in F 103I, und Z. 439 entspricht fast wörtlich Z. 75 in F 83. Ferner ist der freie Umgang mit älteren Stoffen, hier das Anknüpfen an die Tradition des Faulheitspreises, für dessen Arbeitsweise durchaus typisch. In F 107 wird in anderem Zusammenhang und mit anderen Mitteln derselbe Topos aufgerufen. In diesem Aufgreifen, Vermischen und Anreichern hinlänglich bekannter, literarisch tradierter Stoffe streift der Verfasser Gefilde, die nur in wenigen Ausnahmefällen in die Thematik der Fastnachtspiele integriert wurden (vgl. auch F 88, F 89, F 90, F 95, F 103 und F 105). Bei allen diesen genannten Spielen ist die Verfasserschaft Folzens zumindest wahrscheinlich oder aber gesichert. Das vorliegende Spiel lässt lediglich Nürnberg als Aufführungsort zu, kommen doch in Z. 105 die drei Bauern aus einem nahe gelegenen Dorf an der Pegnitz. Mit dem Erstellen eines Horoskops in Z. 482 und der Urinschau in Z. 487 werden zwei der seinerzeit wichtigsten Möglichkeiten zur Erstellung einer Diagnose erwähnt, insofern sprechen auch diese Passagen für den Barbier und Wundarzt Folz als Verfasser. Da obendrein der Autor aufgrund des ausgebliebenen Schlusses der Teile zwei und drei (s.u.) kaum die Möglichkeit hatte, sich zu Erkennen zu geben, kann man mit ausreichender Gewissheit von der Verfasserschaft Folzens ausgehen. Er ist aber nicht als Redaktor des vorliegenden Stückes anzusehen (s.u.). Zur Vorgehensweise Folzens,

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Textbausteine zu sammeln um sie zu einem späteren Zeitpunkt zu arrangieren, vgl. auch F 111.

Datierung Das Spiel ist wohl nicht vor dem Jahr 1476 entstanden, dem frühestmöglichen Erscheinungsjahr der Fabel ‚Die xiii fabel von ainem vatter und dryen sünen‘ in Steinhöwels ‚Äsop‘, und nicht nach 1494, dem Abschlussjahr der Handschrift G.

Rollen, Inhalt, Struktur Rollen: Ein Ausschreier, ein Schwertträger, ein König, dessen vier Räte und drei Bauern. Diese drei werden unterschiedlich bezeichnet: Der erst Bruder namens Albert, der ander namens Heinz stehen einem namentlich nicht näher gekennzeichneten dritt Bruder gegenüber. Die Rollennamen ändern sich im Verlauf des Spiels, der ander wird alternativ auch der jungest und der dritt der eltst genannt. 1. Teil: Ein König, der als nit reich beschrieben wird, fragt seine Räte nach der Ursache für die nach seinem eigenen Dafürhalten ihm gegenüber nicht in ausreichendem Maße erbrachte Hochachtung. Es folgen vier Entgegnungen: Die erste weicht der Fragestellung aus, die zweite schmeichelt dem König in der Art eines miles gloriosus (vgl. Merkel: Form, S. 239f.), die dritte verweist auf die ewige und immer wiederkehrende Ordnung und die letzte rät zu mehr Gelassenheit. 2. Teil: Der selbe König und seine Räte sollen ab Z. 102 eine Erbstreitigkeit dreier Brüder schlichten, die als Bauern gekennzeichnet sind. Zunächst beschuldigen sich die drei wechselseitig aufs Heftigste der Einfalt und Faulheit sowie wirtschaftlicher Ausbeutung. Der Älteste formuliert seinen alleinigen Anspruch auf das väterliche Erbe, hiergegen klagen die beiden Jüngeren. Anschließend sollen ein Birnbaum, ein Bock und eine Mühle unter folgenden Gesichtspunkten verteilt werden: Vom Baum wünscht ein jeder der drei jeweils antonyme Eigenschaften bzw. Teile des Baumes zur eigenen Nutzung. Eine Aufteilung des Baums diesen Ansprüchen gemäß scheitert zwangsläufig. Den Bock soll derjenige der drei erhalten, der ihm den größten Umfang wünscht, und die Mühle geht an den Faulsten der drei. Die Rede des dritten Bruders kommt über die Anrede an den König nicht hinaus, dessen unfertig wirkende Entgegnung wird vom Ausschreier unterbrochen. 3. Teil oder Teil 2.a: Im Anschluss an die Rede des Ausschreiers folgt eine weitere Sequenz gegenseitiger wüster Beschimpfungen und Verhöhnungen der jüngeren durch den älteren Bruder. Diese endet abrupt. Von diesem Teilstück ist in der Forschung umstritten, ob es sich ursprünglich um einen eigenständigen Block oder um die Fortführung des zweiten Teils handelt. Aufgrund der unterschiedlichen Sprecherbezeichnungen für die Brüder, die einmal durchnummeriert und ein anderes mal durch ihr

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relatives Alter voneinander unterschieden werden, kann man wohl eher von zwei separaten Teilen ausgehen. Deutungsaspekte: Das Stück wirkt in vielerlei Hinsicht unfertig (vgl. Simon: Fastnachtsspieltradition, S. 20). Die nicht entfaltete Rede des dritten Bruders (Z. 406ff.) beginnt auf Blatt 55r der Handschrift in der 16. Z. in der Mitte des Blattes. Die untere Hälfte ist unbeschrieben. Blatt 55v hat lediglich in der Mitte die Äußerung des Königs. Erst auf der folgenden Seite ist die Seitengestaltung wieder vergleichbar den übrigen Seiten der Handschrift. Nach dem Abbruch des brüderlichen Streites folgen drei unbeschriebene, aber von 48 bis 50 durchnummerierte Blätter. Die Lücken im Text scheinen indes nicht zufällig. Hat die Faulheitsschilderung des ersten Bruders einen Umfang von 21 Zeilen, so umfasst die des zweiten 14 Zeilen. Im Schnitt sind die Blätter mit 25 bis 26 Zeilen beschrieben. Die Lücke nach Z. 16 auf Blatt 55r bis zur Äußerung des Königs bietet mit ca. 22 Zeilen ausreichend Platz für den notwendigen Nachtrag der Darlegungen des dritten Bruders. Auch für eine Einbindung der in der vorliegenden Form wenig sinnvollen Entgegnung des Königs (Z. 408ff.) in einen größeren Kontext bietet das Blatt auf der unteren Hälfte Raum. Ob die drei leeren Seiten am Ende tatsächlich der Fortführung des doch etwas ermüdenden bäuerlichen Gezänks reserviert waren, oder ob hier ein eigenständiges kleines Stück vorgesehen war (vgl. Stiefel: Fastnachtspiel, S. 11), ist wohl eher im zweiten Sinne zu beantworten. Auch in metrischer Hinsicht erweist sich die Episode um die Teilung der Erbschaft häufig als unfertig und holprig. Zahllose Verse mit bis zu sechs Hebungen (vgl. Z. 105, 106 und öfter) sowie unreine Reime (vgl. Z. 174–176, 308f., 340f., 365–368, 399f.) spiegeln nicht die stilistische Meisterschaft, zu der Folz in der Lage war, und die im ersten Teil auch in wesentlich höherem Maße umgesetzt ist. Die zahlreichen Eingriffe, die notwendig waren, um den Text lesbar zu machen, verstärken diesen Eindruck. Die Worte des Schwertträgers, dessen Spielertruppe mit ihm zusammen zum thor hinauß muss (Z. 101), tragen Züge einer Ausschreierrede, Z. 103–117 weisen erhebliche Ähnlichkeiten mit zahlreichen Einschreierreden auf: Die Grußformel, die Betonung des Eintretens, der Verweis auf die Herkunft sowie die Darlegung der Problematik finden sich häufig zu Beginn Folzscher Spiele. Lediglich der Adressat dieser Grußworte, gemeinhin das Publikum, ist im vorliegenden Spiel ein anderer, nämlich der auf der Bühne agierende König. Die insbesondere in diesem Teil des Spieltextes in hoher Dichte anzutreffenden metrischen Ungenauigkeiten und ein ausgefallenes Reimwort (Z. 105) lassen vermuten, dass hier eine als Einschreierrede konzipierte Passage neu arrangiert wurde, dass also ein ursprünglich selbständiges Stück in einen Verbund integriert werden sollte, die notwendigen Umarbeitungen aber wie so vieles an diesem Spiel eben nicht als durch Folz abgeschlossen zu betrachten sind. Z. 193 schließlich trägt in dem senkrechten Strich möglicherweise eine Markierung, an der zu einem späteren Zeitpunkt Verbesserungen vorzunehmen geplant war. Zur Praxis Folzens, Konzepte als Arbeitsfassungen niederzuschreiben, vgl. auch die Überlegungen Kellers in Keller: Fastnachtspiele, S. 1446–1447, sowie Folz: Meisterlieder, S. IX. Zu Beginn des dritten Teils wechselt nicht das Bühnenpersonal, wohl aber die Be-

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zeichnungen für die drei Brüder in den Sprecheranweisungen (s.o.). Auch dieser Befund ist wohl in der nachträglichen Reihung einzelner Spielfragmente zu begründen. Es stehen hier zwei eigenständige Konzeptionen (König und seine Räte sowie Erbstreiterzählung mit integriertem Faulheitspreis) sowie anschließend ein unmotiviert langwieriges Streitgespräch unter einem Titel, der sich lediglich auf den zweiten Teil bezieht (anders Michels, der den abschließenden Disput dem Erbstreit genuin zugehörig denkt: Michels: Studien, S. 224). Insbesondere der zweite Teil greift auf tradierte literarische Motive zurück. Der Faulheitswettbewerb ist bereits in den ‚Gesta Romanorum‘ aufgenommen (Kap. 91), das Vererben eines Baums (Kap. 196 und 262) ist als einzelnes Moment ebenfalls hier bereits angelegt. Diese werden in Steinhöwels ‚Äsop‘ als Fabel unter der Nummer 93 erstmals modifiziert und neu zusammengestellt: Anstelle des Königreichs der älteren Vorlage soll der Faulste hier eine Mühle erben (ausführliche Erörterungen zur Stoffgeschichte vgl. Greil: Faulste). Die drei Teile erscheinen dabei in unterschiedlicher Hinsicht unfertig. Der einer Revue ähnelnde, gleichwohl durch die in zwei Blöcke zerfallenden vier Reden (zwei Schmeichel- und Aufschneider- sowie zwei Schmähreden) geringfügig strukturierte erste Teil weist die geringsten Defizite auf. Er fällt allenfalls aufgrund seines überschaubaren Umfangs etwas aus dem Rahmen. Die Episode um die drei Brüder und das Erbe dagegen enttäuscht insbesondere zu Beginn in metrischer Hinsicht, während die schimpfenden Bauern im dritten Teil jedweden dramatischen Progress vermissen lassen. Dennoch ist diese Passage nicht zu den bekannten und inhaltlich ebenfalls dünn unterfütterten Reihenspielen zu zählen: Im Gegensatz zu jener Spielform beziehen sich die Agierenden im vorliegenden Spiel aufeinander. Gleichzeitig lassen sich an verschiedenen Stellen nahezu wörtliche Entsprechungen zu Passagen des Folzkorpus nachweisen (s.o.). Es lässt sich für die Arbeitsweise Folzens rekonstruieren, dass er sich im Rahmen der ersten Arbeitsfassung (vgl. auch F 102) eines jeweiligen Spiels aus einem Register mit Reimwörtern (ein solches befindet sich auf Bl. 186v der Weimarer Hs. Q 566, vgl. Folz: Meisterlieder, S. IX) und modulartig verwendeten Textbausteinen für Pro- und Epiloge (vgl. Simon: Fastnachtsspieltradition, S. 36) bediente. Denkt man diese Arbeitsweise noch einen Schritt weiter, erscheint ein Register mit ganzen Versen durchaus naheliegend. Eine derartig im Stile handwerklichen Produzierens entstandene Rohversion erhielt dann in einem weiteren Arbeitsgang zu einem späteren Zeitpunkt ein individuelles Gepräge. Eine derartige Bearbeitung ist den Texten zwei und drei jedoch nicht mehr zuteil geworden. Stattdessen wurden die drei Entwürfe miteinander verbunden und durch zwei nach unseren Begriffen doch recht lose Klammern zusammengefasst. Es sind insbesondere die metrisch unsaubere Einschreierrede zu Anfang und die völlig unmotivierte Ausschreierrede gegen Ende des zweiten Teils, die schließlich die Vermutung nahelegen, dass dieses Arrangement der drei Fragmente und dessen Bearbeitung nicht durch Folz, sondern durch einen nachrangigen Redaktor erfolgte. Dieser sah sich von Beginn an mit Problemen konfrontiert. Geht man davon aus, dass Folz die Verse des Einschreiers, wie üblich ursprünglich zu Beginn des Spiels platziert, an

87 – Hans Folz: Die drei Brüder und das Erbe

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den Wirt und das Publikum richtete, so passt dies nicht in die Mitte der neu zusammengefügten Version. Dass die drei Bauern sich an einen König wenden, muss ebenso verwundern, ist in solchen Streitigkeiten doch wohl eher ein Richter zu konsultieren. Die Rolle des Königs ist aber im Rahmen der Verknüpfung der einzelnen Stücke an dieser Stelle unerlässlich, die Gelenkstellen funktionieren nur über identisches Bühnenpersonal. Bei den notwendigen Umarbeitungen der eingelagerten Einschreierrede konnte der im Reimen weniger geschulte Redaktor nicht das Niveau der Originalvorlagen halten bzw. ästhetisch den Charakter einer Werkstattfassung überwinden. Das Austauschen der Sprecheranweisungen von richter aus der Vorlage zu konigk in der vorliegenden Version sowie derselbe Wechsel in der Ausschreierrede bereitete ihm dagegen offensichtlich keine Schwierigkeiten. Die Umgruppierung bzw. Neufassung der Ausschreierrede erfolgte dagegen nicht mehr. Schreiber Gb war insgesamt um äußerste Vorlagentreue bemüht, er scheidet wohl als möglicher Kompilator aus. Gleichwohl muss ihm eine gewisse Autornähe unterstellt werden (vgl. Simon: Fastnachtsspieltradition, S. 113). Insofern könnte er die drei Rohfassungen beschafft, zwecks gemeinsamen Arrangements dem Kompilator zur Verfügung gestellt und schließlich eine Abschrift erstellt haben. Ob Gb hierbei im Auftrag Claus Spauns handelte, lässt sich nicht abschließend klären. Beleg für Spauns dichterischen Impetus, der über seine reine Redaktorentätigkeit hinausging, ist nicht zuletzt die Nennung seines Namens unter einem Reimpaarspruch in der Hollschen Handschrift, abgedruckt bei Fischer: Märendichtung, Nr. 39 (vgl. Simon: Fastnachtsspieltradition, S. 20; Kully: Art. ‚Spaun‘, Sp. 32–35). Und hier begegnet man punktuell vergleichbaren metrischen Defiziten. An drei Stellen liegt ursprünglicher Versausfall vor: Bei Z. 145 sowie in Z. 300 und in Z. 327. An den beiden letztgenannten Stellen sind die Sprecheranweisungen in der Handschrift derart in den vorausgehenden Vers eingeschoben, dass man davon ausgehen kann, dass der jeweilige Vers zu einem späteren Zeitpunkt um die bereits vorhandenen Anweisungen herum zusätzlich eingefügt wurde (vgl. Keller: Fastnachtspiele, S. 1485). Es handelt sich hier aufgrund des an diesen Stellen nachweisbaren, typischerweise von Folz angewandten Stichreims jedoch nicht um strategische Eingriffe des Schreibers in einen bestehenden Text, wie sie oben geschildert sind, sondern vielmehr um graphisch wenig elegante Behebungen schlichter Abschreibfehler, die auch nur dort durchgeführt wurden, wo es technisch möglich war. Immerhin belegt dieser Befund, dass der Schreiber, am Ende seines Werks angelangt, dieses einem Abgleichungsvorgang mit der Vorlage unterzog. Das ‚Sponnagelneue Rätzel-Büchlein‘ aus dem Jahr 1703 bringt das Fallen der Karten auf dem Tisch mit der politischen bzw. sozialen Funktion der auf den Karten Abgebildeten in der Realität spielerisch bzw. rätselhaft in Verbindung (Schupp: Rätselbuch, S. 110). Seit Michels (Michels: Studien, S. 224) bestand lange Zeit weitgehend Einigkeit darüber, dass es sich auch im vorliegenden Spiel um den König eines Kartenspiels handelt. Der Zuschauer gelangt also erst durch diese unerwartete Wendung innerhalb der Rede des dritten Ratgebers zur Beantwortung der entscheidenden Frage nach der

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Ursache für dessen Schwäche. So gesehen handelt es sich um ein Rätsel, dessen Auflösung vergleichsweise früh im Verlauf des Stücks erfolgt und diesem die Spannung nimmt. Das Genre Rätsel ist Folz indes vertraut: In zwei Fastnachtspielen (F 90, F 106), einem Reimpaarspruch (Folz: Reimpaarsprüche, Nr. 35, S. 35–297) und einem Sängerkriegzyklus (Folz: Meisterlieder, Nr. 39–49, S. 180–191) spielt er mit der Beantwortung von (Scherz-)Fragen zu Welt und Natur. Die dieser Deutung des Regenten als Kartenkönig zugrunde gelegten Z. 69–73 sind jedoch weniger eindeutig, als es zunächst den Anschein hat. Das werffen widers pflaster, das zu reyssen und das bescheissen lässt sich durchaus auch als drastischer Ausdruck für die Schwäche des Königs gegenüber seinen Widersachern verstehen. Bereits in Z. 17 berichtet der Ausschreier, dass der König von manchem spilman in den Dreck getreten werde. Da mit spilman aber kein Kartenspieler gemeint sein kann, sondern ein Gaukler bzw. Schauspieler (vgl. auch Z. 421), wird kot hier zwangsläufig metaphorisch im Sinne von Schande verwendet. Insbesondere aber das kartten spil in Z. 73 ist semantisch nicht auf die konkrete Tätigkeit des Spielens bzw. des hierzu notwendigen Spielgeräts zu reduzieren, zahlreiche metaphorische Verwendungen in der Weise Spiel = Leben erweitern die Möglichkeiten des Gebrauchs (vgl. Geiler v. Kaysersberg in DWb 11, Sp. 242 bzw. in TPMA, Kartenspiel, sowie Röhrich: Redensarten, S. 3206–3214). Darüber hinaus verweist Schanze auf die konkrete politische Bedeutung, die dem Kartenspiel in der Dichtung des 16. Jahrhunderts zukommen konnte (Schanze: Kartenspiel, S. 861–866). Es ist wohl anzunehmen, dass der Verfasser des vorliegenden Spiels mit dem papiernen, machtlosen Kartenkönig auf die zaudernde Rolle anspielt, die der militärisch allzu häufig erfolglose Kaiser Friedrich III. als Regent jener Jahre in den Augen seiner Zeitgenossen spielte, und der obendrein nach dem Verlust seiner Erblande um Wien an Matthias von Ungarn 1485 von Nürnberg aus die Rückeroberung der verlorenen Territorien organisierte (vgl. Lichnowsky: Geschichte, S. 117ff.) und 1487 dort einen Reichstag abhielt. Insofern könnte es sich hier um die metaphorische Inszenierung der Schwäche des alten Kaisers und dessen entweder schmeichlerisch oder respektlos auftretenden Beratern handeln. Die einleitenden Verse, und hier insbesondere Z. 5, erinnern in der Verortung des Spielgeschehens an einem unbekannten, entrückten Punkt stark an die eröffnenden Passagen von Lügenreden (vgl. Holtorf: Art. ‚Lügenreden‘, Sp. 1042) und brechen hierin formal den Bezug auf allzu Konkretes. Es kann folgendes Szenario zumindest für möglich gehalten werden: Da jedes Fastnachtspiel vor der Aufführung der Zensur unterstand, diese in der Reichsstadt Nürnberg allzu kritische Töne gegenüber dem Kaiser nicht zulassen konnte, wurden durch Folz zwar formal Elemente des Genres der Lügendichtung eingebaut, schließlich landete das Stück aus berechtigter Sorge vor Repressionen durch die Obrigkeit aber doch auf dem Stapel, auf dem auch die unfertigen Fragmente zwischengelagert wurden. Innerhalb der nicht als Spieltext konzipierten Privathandschrift G, die obendrein in Augsburg weniger Brisanz entwickeln konnte, ließ sich die politische Schelte durch den Bearbeiter und Kompilator weitaus gefahrloser platzieren.

87 – Hans Folz: Die drei Brüder und das Erbe

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Darüber hinaus lassen sich die vier Räte als Repräsentaten der vier Temperamente deuten: Die erste Rede trägt dahingehend leicht melancholische Züge, dass sie keinerlei positive Substanz aufweist und sich auf einen Verweis auf die übrigen Ratschläge reduzieren lässt. Wesentlich deutlicher ist der Befund im Fall der zweiten Rede: Hier tritt das Temperament des Cholerikers offen zutage. Der Phlegmatiker, der die natürliche Reorganisation der alten Ordnung als zwingenden Lauf des Schicksals hinnimmt, und der Sanguiniker, der den bedrohlichen Zusammenhängen nicht zu viel Bedeutung beimessen will, sind hinter den weiteren Reden zu vermuten. Derartig zyklische Typisierungen sind in der Frühen Neuzeit häufig in bildlichen Darstellungen (bspw. Dürers ‚Die vier Apostel‘ aus dem Jahr 1526) anzutreffen. Die auf Hippokrates zurückgehende humoralpathologische Auffassung war seinerzeit als Bestandteil der gelehrten Medizin nach wie vor gültig. Der dichterische Eifer des Hans Folz, der zahlreiche Stoffkreise und Themen dem Fastnachtspiel dienstbar machte, hielt möglicherweise auch vor der ironisch gebrochenen Inszenierung dieser Theorie bzw. künstlerischen Tradition nicht inne. Der im Spiel enthaltene Faulheitspreis schließt inhaltlich, stellenweise fast wörtlich, an die Prosaübersetzung in Steinhöwels ‚Äsop‘ an (vgl. Stiefel: Fastnachtspiel, S. 7ff.). Die Rolle des ältesten Bruders in Vertretung seines exklusiven Anspruchs auf den Erhalt der Erbschaft sowie die Kennzeichnung der Brüder als Bauern gehen dagegen über die Vorlage hinaus. Die drei Brüder im Spiel vertreten die im Mittelalter konkurrierenden Formen der Erbteilung: Ursprünglich dem germanischen Recht entstammend, war die gemeinsame Weiterführung des Haushalts als Vermögensgemeinschaft unter Leitung des ältesten Sohnes die ältere Rechtsauffassung gegenüber der Praxis der Erbteilung. Im Spiel wird dieses archaische Prinzip durch den ältesten der drei Brüder robust vertreten. Innerhalb des neueren Verfahrens der Erbteilung wurde der Besitz zu gleichen Teilen an die Nachkommenschaft verteilt. An einer solchen Vorgehensweise sind die beiden jüngeren Brüder interessiert, sie sind sogar bereit, einen offiziellen Bestechungsversuch zu wagen (vgl. Z. 130–132). In den Städten setzte sich in der Frühen Neuzeit die Möglichkeit der gezielten Weitergabe von Besitz via Testament durch, hierdurch erscheinen die im Alten verhafteten Bauern dem Publikum aus dem zeitlichen Rahmen gefallen. Innerhalb des Spiels werden diese beiden älteren Verfahren in unterschiedlicher Weise ad absurdum geführt bzw. ironisch gebrochen dargestellt: Im Fall der Unteilbarkeit eines Birnbaums versuchen die drei sinnloserweise die Teilung durchzusetzen, im Fall der Zuteilung von Bock und Mühle übertrumpfen sie sich im Komisch-Grotesken anstatt nach dem bewährten Prinzip des Teilen und Kiesens zu verfahren, wonach der älteste Sohn den Besitz in drei Partien aufteilt und die jüngeren jeweils ein Stück davon auswählen. Auffällig ist die semantische Nähe, die in den Selbstbezichtigungen die ersten beiden Söhne zwischen Lüge und Faulheit herstellen und beide Begriffe innerhalb einer totalen Verweigerungshaltung verorten. Im Spiel kommt der in den Vorlagen angelegte allegorische Gehalt jedoch nicht mehr zum Tragen: Dient dort das Verharren unter der Traufe, verbunden mit dem Verlust des Augenlichts, der Versinnbildlichung der

168 | 87 – Hans Folz: Die drei Brüder und das Erbe

Uneinsichtigkeit des Hoffärtigen in moralisierender Absicht (vgl. Weiske: ‚Gesta Romanorum‘, S. 200), so ist eine derartige Doppelbödigkeit im Spiel nicht zu erkennen bzw. zu unterstellen. Stattdessen tritt hier neben die Faulheit, wenn auch mit dieser bedeutungsgleich verwendet, die Lüge, eine Eigenschaft, die insbesondere dem randständigen Beruf des Müllers anhaftete (vgl. Danckert: Leute, S. 127). Dem moralischen Versagen im Rahmen der Faulheit tritt somit ein soziales Defizit an die Seite. Beide werden aber nicht näher thematisiert, sie dienen vielmehr der Befriedigung der Bedürfnisse eines nach derber Komik verlangenden Publikums nicht zuletzt dadurch, dass Vorurteile gegenüber sozial marginalisierten Gruppen bedient werden. Wir haben es hier mit dem Spiel mit einer topisch erstarrten, symbolisch entleerten Motivik zu tun (vgl. Greil: Faulste, S. 115f.), die von Folz jedoch im Detail mit viel Witz zu neuem Leben erweckt wird. Aufführungshinweise: Zu Beginn sind, wie häufig im Fastnachtspiel, zwei mansiones zu denken. Auf der einen Seite der Bühne befand sich der König, auf der anderen die Räte. Auf diese Weise wird die Inszenierung der dialogischen Struktur gerecht. Mit dem Hinzutreten der streitenden Brüder rücken König und Räte enger zusammen, gemeinsam bilden sie nun die judikative Instanz und treten in den Hintergrund, vor dem die Konfliktparteien ihren Zwist austragen. Die fehlenden Regieanweisungen, die den König notwendigerweise in die Reihe der Räte sich eingliedern lassen, belegen wiederum das nachträglich vollzogene Arrangement der einzelnen Spiele bzw. Fragmente. Die Bühne erscheint nun außerdem in zwei Ebenen in die Tiefe gestaffelt. Während sich die beiden jüngeren Brüder immer wieder klagend an den bzw. die Herren wenden (vgl. Z. 103, 121, 166, 178 und öfter), geht der älteste die Geschwister meist direkt an (Z. 147, 423 und öfter). Auf diese Weise wird die Bühne tatsächlich in ihrer Dreidimensionalität bewusst genutzt. Erst im letzten Teil erfolgt die Rede mit Ausnahme von Z. 433 wechselseitig zwischen den beiden Parteien. Die Brüder müssen insbesondere im dritten Teil in körperlicher Aktion gedacht werden. Da der Text hier ansonsten wenig Rezeptionsanreize liefert, müssen die drei immer wieder in handfeste Auseinandersetzungen verwickelt gewesen sein oder ihre Beschimpfungen gestisch untermauert haben. Teilweise sind im Text konkrete Anweisungen für zumindest angedeutete Handlungen angelegt (vgl. Z. 442, 450; zu Z. 135 vgl. auch die ‚Studie dreier Hände‘ von Albrecht Dürer). Das übrige Bühnenpersonal, insbesondere aber der König, ist jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgetreten: In Z. 433 wendet sich einer der Brüder an ihn und spricht ihn mit lieber herr direkt an (anders Stiefel: Fastnachtspiel, S. 11). In der Regieanweiseung in Z. 305 sind die Räte als Gruppe aufgefordert, die folgende Sentenz vorzutragen. Da es sich bei den Rotten um Laienspielgruppen handelte, ist von gleichzeitiger Intonation der Verse durch die vier nicht auszugehen: Die nicht als Schauspieler ausgebildeten Bürger würden allzu leicht ein unverständliches akustisches Chaos veranstalten. Stattdessen werden sie sich die Passage aufgeteilt und jeweils nacheinander einen Teil der Sequenz zum Besten gegeben haben. Da das Spiel als Zusammenfügung diverser Rohfassungen zu verstehen ist, kann

87 – Hans Folz: Die drei Brüder und das Erbe

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von einer Inszenierung in toto allerdings nicht zwangsläufig ausgegangen werden. Die bestehenden Textlücken beeinträchtigen die dramatische Umsetzung erheblich und der schwache thematische Zusammenhalt lässt den Aufwand für das Einstudieren des relativ umfangreichen Spiels nur bedingt gerechtfertigt erscheinen.

Textbezüge In F 107 verarbeitet möglicherweise ebenfalls Folz das Motiv des Faulheitswettbewerbs. Der Typ des schimpfenden Bauern begegnet auch in R 55, F 82, F 83, R 59, R 72, F 86, F 101, und F 103I, der unehrenhafte Müller tritt außerdem in F 90 auf. Gerichtsszenen, die sich mit der Regulierung eines Schadensfalls befassen, finden sich in R 7, R 50, R 57, R 64, R 65, R 74, R 76 und F 110. In F 103 ist es mit Salomon gleichermaßen ein König, der als Typus des weisen Richters einen Rechtsentscheid finden muss. In Z. 483–487 und 496–497 finden sich Anklänge an Arztspiele (vgl. R 20, R 22, R 24, R 42, R 45, F 85 und F 111). Rätselwettbewerbe findet man in F 90, F 103I/II und F 106I/II. Bearbeiter: Gerhardt, Greil

88 – Hans Folz: Der Herzog von Burgund

Ein spil von dem hertzogen von Burgund

KF Nr. 20

Gb 109v KF 169

Der Narr: Schweigt still vnd halt all die meuler zu! Hort, was man euch verkunden thu. 5

10

15

20

Der Herolt: Ir erbern, weysen, lieben herren, Ich thu euch ernstlichen erkleren, Das der jung hertzog von Burgun, Des romischen konigs Maximilian sun, Vnser genedigster herr, itz kumpt. Hat mit sein reten vber sumt, Die vasnacht hynn bey euch zu sein, Vrsach das in der werlt gemein Man nit der gleich von kurtzweil weis. Darumb sein furstlich genad sich fleiß, Die hie zu suchen vnd zu schawen, Vnd wil in sunderm wol getrawen Die tzeit bey euch zu herberg sein. Schickt euch, jetz wirt er treten ein.

Gb 110r

Sibilla get ein mit eym herolt vnd zweyen junckfrawen vnd einer nerrin, die spricht: O fraw, nw tret newr frolich herein. Schaw doch was schoner leut hynn sein.

9 Der Sohn Maximilians I. (1459–1519) war Philipp der Schöne von Burgund (1478–1506). 11 vber sumt ‚beschlossen‘ 12 hynn ‚hier‘ 13 Vrsach das ‚Weil‘ 13 gemein ‚überall‘ 15 sich fleißen (zu mhd. vlîzen): ‚sich bemühen‘ 17 in sunderm ‚außerdem‘ 20 Zur Figur der Sibilla vgl. den Endkommentar zu diesem Spiel.

1 unterstrichen; im Register G: Von dem hertzog von Burguny von der juden messias vnd wie jn Sibilla vertrib kurtzweylig zuͦ hoͤ ren 2 Sprecherbezeichnungen und Handlungsanweisungen sowie die ersten Wörter der jeweiligen Rede sind unterstrichen.

172 | 88 – Hans Folz: Der Herzog von Burgund

Der herolt:

25

30

35

Ir herren vnd alles, das do kumen sey, Seydt still vnd hort alle weil dar bey: Es hat zu kumen mut vnd sinn Ein sibilla oder prohetin, Zu kunden allem volke gar Die leuff, die jtzund her vnd dar Sich in der werlt nw vben thun. Ir seht vnd hort, das nindert [ist] weder fried noch sun Sich tut begeben an keinen ort, Als sie euch selbs von wort zu wort Wirt kunden jn eigner persan, Ob man ir hynn der herberg gan. Weicht vmb, gebt ir zu sitzen stat, Ob es form oder fug hynn hat.

KF 170

Gb 110v

Sibilla get ein vnd der furst enpheht sie vnd spricht:

40

45

Hochwirdige fraw, seyt got wilkumen. Wir han gar eigentlich vernumen, Wie ir ein ware prohetin seyt. Deßhalb hab wir jn langer tzeit Nye lieber newer mer gehort. Nw tret zu vns her an den ort. Hoffmeister, piet den wein der frawen, Wann zu ir hab wir den getrawen, Sie werd vns fremde dinck erkleren Vnd durch iren proheten beweren.

24 alles: Zur Genusinkongruenz vgl. Paul: MhdGr, § 426. 26 ‚Es hat sich zu kommen vorgenommen‘ 27 prohetin: Anderweitig nicht nachweisbare Nebenform zu Prophetin (vgl. auch Z. 41, 48). 29 leuff ‚Abläufe, der Welten Lauf‘ 31 sun ‚Versöhnung‘ 35 Ob ‚Wenn‘ 35 gunnen ‚gönnen‘ 36 stat ‚Platz‘ 37 Ob ‚Dass, Damit‘ 37 fug ‚Angemessenheit‘ 38 enphahen ‚empfangen‘ 43 mer ‚Nachricht‘ 46 Wann ‚Denn‘ 48 ‚Und durch ihre prophetische Gabe beweisen‘

31 Ir seht vnd hort, das nindert: Keller (S. 170) konjiziert zu Ir hort, das; die Behebung der rhythmischen Unreinheit ist nicht zwingend. 31 ] ist: Konjektur bei Keller (S. 170) 31 Das letzte Wort sun unterhalb des Zeilenendes nachgetragen

88 – Hans Folz: Der Herzog von Burgund | 173

Sibilla antwort: 50

Genedigster hertzog, das sol sein. Hofmeister: Sedt, edle fraw, enphaht den wein. Sibilla: Herr, das zimbt ewren genaden vor.

55

Der furst: Fraw, des enthun wir nit furwar, Trinckt vnd erkuckt ewr geplut. Sibilla:

60

Gb 111r KF 171

Genedigster herr, seyt vngemut. Sitzt doch, so wird ich euch zu willen. Sie trinckt vnd der furst dicit:

65

Weyse fraw, lat euch nit befilen Einer kleinen frag vnd gebt beschit, Tut vns solchs vertzeyhen nit: Was ist die vrsach ewres herkumen? Sibilla dicit:

70

Genediger herr, ich han vernumen, Wie das etlich judisch rabi Durch all gegendt verkunden, wy Ir messias vorhanden sey Vnd melden auch vorauß dabey,

52 Sedt (zu mhd. sê, sêt): Interj., ‚Siehe da, Hier, Nimm‘; vgl. Z. 557 57 erkucken ‚erquicken, erfrischen‘ 59 seyt vngemut ‚bemüht euch nicht‘ 62 befilen (zu mhd. bevillen): ‚züchtigen, schmerzhaft sein‘ 63 beschit ‚Bescheid, Nachricht‘ 64 vertzeyhen (zu mhd. verzîhen): ‚verwehren‘

52 Sedt: Keller (S. 170) konjiziert zu Set; die Äußerung wird hier als Imperativ des Verbs sehen und nicht als Variante der Interjektion sê verstanden; vgl. Z. 557.

174 | 88 – Hans Folz: Der Herzog von Burgund

75

80

Wie er alle konigkreich nem ein, Darzu alle furstenthum gemein, Laß auch nit hin all geistlich stent. Nw hab ich am gestirn erkent, Wiewol die zeit allein waiß got, Das es doch nyrgent stat noch hot, Des ich mecht vil getzeugknuß han, Die ich vmb kurtz willen fur laß gan. Darumb, so keren die rabj zu vns herein, So mach ich ir lug offenlich schein. Wann nach meiner waren proficey Nehen sie sich gar vast her bey.

Gb 111v

Hie get der messias mit dreyen rabj vnd einem schallat juden, der spricht: 85

90

Weycht auß, tret vmbe vnd ruckt von stat. Ir habt lang genug innen gehabt Gewalt, herschaft vnd regiment, Das nw alles wurdt sein endt. Wir haben doch so lang geharrt, Piß sich begeben hat ein fart, Das wir auch kumen sein zum pret, Das ir zwar nit noch gedacht het. Ein rabj:

95

KF 172

Ir cristen, do tret an ein ort. Weycht in die winckel da vnd dort, Vnd laßt vns auch herschen ein weil, Wann er ist nit von hynn ein meil. Hie stet er, der fort wirt regiren, Daran in niemant mer mag geirren.

73 gemein ‚sämtlich‘ 74 ‚Verschont auch die geistlichen Stände nicht.‘ 77–79 ‚Dass es nirgends stattgefunden hat, Dafür könnte ich eine Reihe von Beweisen vortragen, Die ich jedoch der Kürze halber auslasse.‘ 84 schallat jude: Der Begriff schalant jud (zu mhd. schalatzen: ‚müßiggehen‘) bezeichnet ein nicht steuerkräftiges Mitglied einer mittelalterlichen jüdischen Gemeinde im deutschen Sprachraum; vgl. dazu den Eintrag in den Nürnberger Ratsverlässen vom 3. April 1449: Jtem dem juden sagen, kein schalantjuden lenger zu halten denn einen tag und eine nacht, oder einem statknecht sagen, sie aufzuhalten (Stahl: Ratsverlässe, S. 66; vgl. dazu auch Kracauer: Geschichte, S. 279–281 und Wenzel: Judden, S. 242.) 90 fart ‚Entwicklung‘ 91 kumen sein zum pret: ‚einmal oben sitzen‘; sprichwörtliche Redewendung (Röhrich: Redensarten, S. 256). 94 do tret an ein ort ‚geht beiseite‘ 99 geirren ‚hindern‘

88 – Hans Folz: Der Herzog von Burgund | 175

100

Ir habt gemutwilt lange zeit, Dann ruckt zu samen vnd macht weit. Der narr:

105

Ey, hat dich der teufel herein getragen? Wolst du vns all jn die winckel jagen, Ich wolt dich ee selber arß possen, Ein har nit in deiner schwartten lossen.

F 90, 137

Gb 112r

Marschalk: Was sagst du jud dann darzu? Der ander rabi: 110

Merck eben, was ich darzu thu: Ich kund euch hie messiam, wist, Der vns lange zeit verkundt ist Vnd wirt die judischeit erheben. Der narr:

115

Ich torst dir wol eins auff das maul geben, Du schwartzer hunt. was meinst du damit? Ge dannen, das dich schut der rit.

100 mutwillen ‚willkürlich herrschen‘ 105–106 arß possen: ‚mit dem Hintern an einen Stein oder Mast stoßen‘; die Verbindung einer Prügelstrafe mit Haarscheren oder -ausreißen als zusätzlicher Schandstrafe war im frühneuzeitlichen Strafrecht gängige Praxis (HRG 1, Sp. 1886). 106 schwartten ‚Kopfhaut‘ 115 turren ‚getrauen, Lust verspüren‘ 116 schwartzer hunt: Dieses Schimpfwort für Juden ist vielfältig belegt und lässt sich unterschiedlich erklären. Zum einem spiegelt sich darin das Vorurteil der jüdischen Unsauberkeit, zum anderen war der mhd. Reim jüden – rüden weit verbreitet. Zur Tradition des Motivs und des Reims vgl. Wimmer: Deutsch, S. 240–242. Die Verbindung von Juden und Hunden ist vermutlich durch die Übertragung von Ps 21,17: Circumdederunt me canes multi auf die Meute der Jesus bei der Kreuztragung umkreisenden Knechte entstanden (vgl. Marrow: canes; Gerhardt: Kalvarienberg, S. 68–70; vgl. Z. 558). Zur Legendengestalt des Teufels in Form eines schwarzen Hundes vgl. EM 6, Sp. 1327; vgl. schließlich auch die bis in die Neuzeit praktizierte Sitte, zum Tode verurteilte Juden kopfüber zwischen zwei Hunden aufzuhängen (Grimm: Rechtsaltertümer, S. 261f.). 117 rit (zu mhd. rite): ‚Fieber, Schüttelfrost‘; unspezifische Bezeichnung für diverse mit diesen Symptomen einhergehende Erkrankungen (vgl. Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 513f.), hier als Verwünschung zu verstehen.

101 Dann: Keller (S. 1489) erwägt Konjektur zu Drum; der Eingriff bessert den Text zwar, ist jedoch nicht zwingend.

176 | 88 – Hans Folz: Der Herzog von Burgund

Der dritt rabi:

120

Was durfft jr des narren spil? Hie ist messias schlecht vnd wil, Das jr jm all gelobt vnd schwert. Der narr:

125

Ach, das man dir dein maul nit pert Mit einem tzellen auß einem prifet Vnd dich nit druß vnd pewlen anget.

KF 173

F 103II, 29

Hofmeister dicit zu dem rabj: Sag auch dein meynung, mach ein endt. Der narr:

Gb 112v

Ja, ee man mit dir jn mist rennt. 130

135

Der vierd rabj fellt dem messias zu fuß vnd spricht: O heiliger, vnser hail vnd trost, Durch den all juden sein erlost: Laßt pald ein zeichen werden schein, Es wil sust gantz nicht mit vns sein. Vnd macht dem volk ein wenig forcht, Sust wirt nichtz gutz an vns geworcht. Hie get ein trach vnd speyt feur auß.

119 durffen ‚bedürfen, brauchen‘ 120 schlecht: ‚schlechterdings, einfach; wahrhaftig‘; vgl. Z. 153 123 peren ‚schlagen‘ 124 tzellen (zu mhd. zol): ‚Klumpen; Knüppel‘; erwägt man Konjektur in Z. 123 pert zu spert erscheint auch sinnvoll ‚Knebel‘. 124 prifet ‚Abort‘ 125 ‚Und dich nicht Pest und Beulen befallen.‘; druß: wörtl. ‚Drüse‘; übertr. ‚Pestbeule‘ (vgl. Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 102f.), in dieser Bedeutung häufig in Verwünschungen (FrnhdWb 3, Sp. 2183); pewl: auch für ‚Pestbeule‘ (vgl. Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 41f.). 134 ‚Es wird sonst nicht gut um unsere Sache bestellt sein.‘ 136 Sust ‚Sonst‘ 136 geworcht ‚bewirkt‘

136 geworcht] gerucht

88 – Hans Folz: Der Herzog von Burgund | 177

Der narr spricht:

140

Pox grint, was teufels pist dann du? Seh einer dem schnoden merwolf zu. Sibilla spricht:

145

150

Ich pewt dir, trach, bey Jhesus crafft, Das von dir nit hie werd geschafft, Dann das du sitlich weichest ab, Piß ich hie klar geoffent hab, Was dise zauberey bedewt, Darmit ir juden dann ander lewt Vnd euch selber so grob an ligt Vnd mit dem falschen endecrist triegt. Dan eins bescheid mich, ob duß pist: Sag, warumb heist du der endt crist? Endcrist:

Gb 113r

Secht, das ist schlecht dauon der sin, Das ich ein endt der cristen bin.

139 Pox grint: Die seit dem 15. Jahrhundert auch als kotz oder potz in Flüchen auftretende Interjektion pox (Potz Blitz!) ist eine Entstellung bzw. Abwandlung des Genitivs Gottes zwecks Vermeidung der Nennung des Allmächtigen in derartigen Zusammenhängen (HdA 2, Sp. 1638). Das FrnhdWb vermutet bei pox bzw. bocks eine Anlehnung an den in Bocksgestalt auftretenden Teufel (FrnhdWb 4, Sp. 881f.), was zumindest an der vorliegenden Stelle durch die Verbindung mit grint ‚Kopf‘ (DWb 9, Sp. 370f.) durchaus sinnig erscheint: ‚Bockskopf‘; vgl Z. 227, 576. 139 was teufels ‚was für ein Teufel‘ 140 schnode ‚erbärmlich‘ 140 merwolf: Amphibisch lebendes Fabelwesen (lupus marinus), in frühneuzeitlichen Tierenzyklopädien angeführt: ‚mit seiner gestalt dem Irbischen Wolf sehr änlich / mit einem großen kopff / seine augen mit vil langen haaren vmbsetz mit nasen vnd zänen wie ein Hund / mit starckem bart bey dem maul. Sein haut von aufgereckten haaren rauch / gantz voller schwartzer flecken. Sein schwantz lang lecht / dick von fleisch vnnd haar / mit anderer gestalt dem Wolff geleich‘ (Gesner: Thierbuch, S. 158f.). 142 pewten ‚gebieten‘ 144 sitlich ‚sittlich, anständig‘ oder ‚seitlich, zum Bühnenrand hin‘ 148 anligen ‚anlügen‘ 150 Dan ‚Aber‘ 154 Die Etymologie des Antichrist wurde verschiedentlich gedeutet. Gegenüber der Bedeutung Widerchrist (anti ‚contra‘) haben sich Vorchrist (anti ‚ante, vor der Wiederkehr Christi zum Jüngsten Gericht‘) sowie die hier vorgenommene Erklärung jedoch nicht durchsetzen können.

140 merwolf: Keller (S. 1489) erwägt Konjektur zu werwolf; aufgrund der graphischen Ähnlichkeit der anlautenden Labiale ist der Vorschlag nicht abwegig, aber auch nicht zwingend.

178 | 88 – Hans Folz: Der Herzog von Burgund

155

Sibilla:

160

Das dis warlich gelogen sey, So wirst du pald des names frey Vnd hast dich selbs darzu erkorn, Du sagst dann, wann du seist geporn. Laß horen, ob du liegest nit.

KF 174

Messias: Trawen, von dem stammen Dauit. Sibilla:

165

170

Das selbig ist vnser herr Jhesus. Darumb dise red ein lug sein muß. Den von dem, falscher ende crist, Stet so geschrieben, ob dus pist, Er kum von dem geslechte Dan. Darumb dein red hie jderman Gelogen merckt vnd an gestalt. Nw sag, wie lang wert dein gewalt? Endcrist:

175

Trawn, des wirt nymmer ende nit, Dann ewig auff dem stul Dauit Wird ich herschen ymer vnd ÿe. Sibilla:

Gb 113v

Gib des ein ware zeugknuß hie.

158 erkorn (zu mhd. erkiesen): ‚erwählen‘ 159 wann ‚woher‘ 162 Trawen ‚Wahrhaftig‘ 166 falscher ‚betrügerischer‘ 168 Die Herkunft des Antichrist aus dem israelitischen Stamm Dan findet sich auch bei Adso von Mentier-en-Der aus dem 10. Jahrhundert. Sie erklärt sich durch die alttestamentliche Segnung von Jakobs Sohn Dan (Gen 49, 16f.), in der dieser mit einer Schlange verglichen wird, was schon die Bibelexegese des Frühmittelalters als allegorischen Hinweis auf den Teufel verstanden hat. 170 an gestalt ‚ohne realen Anhaltspunkt‘

170 an gestalt: Keller (S. 1489) erwägt Konjektur zu ungestalt; die Besserung erscheint vertretbar, jedoch nicht zwingend.

88 – Hans Folz: Der Herzog von Burgund | 179

Ein rabi:

180

185

190

In dreyen oder in viern mag man Einß yeden dings ware zeugknuß han, Sagt ewr Cristus vnd ist schlecht. Vnd wo ir dieselben versmeht, Schmeht ir die lere ewres gots Mitsambt der warheit seines rats Vnd hanthabt sein vrteil nicht. Darumb ob ich euch vnter richt: Vns vier des ware zeugen sein, Mag auch an vns noch werden schein, Dann ir selbs wert noch zeugen des, Das im kein macht nit ist gemeß: Konig, keyßer, furst, graff, hertzog, frey.

KF 175

Der narr:

195

Ey leug, das dich der teufel ghey. Ja, ee ich wolt, das dir mein herr Allein newr vnttertenig wer, Ich wolt euch selbs ee all zu kratzen vn krelln. Die nerrin: Feitlein, du hast zu mir ein gesellen. Geheyt naher, jr verfluchten hunt,

179–181 Der Rabbi bezieht sich vermutlich auf 1. Joh 5, 7: Quoniam tres sunt qui testimonium dant in caelo: Pater, Verbum, et Spiritus sanctus; et his tres unum sunt; das neutestamentliche Zitat ist allerdings korrumpiert und dient in dieser Form dazu, Unaufrichtigkeit bzw. Verständnislosigkeit des nur scheinbar gelehrten Juden zu zeigen. 181 ist schlecht ‚hat Recht‘ 185 hanthaben ‚ausführen‘ 187 Vns vier: Gen. Part. mit Flexivausfall in der Bedeutung ‚Vier von uns‘. 191 frey ‚Freiherr‘ 193 leugen ‚lügen‘ 193 das dich der teufel ghey: außerordentlich derbe Verwünschung; geheyen wörtl. ‚ficken‘ 196 zu kratzen vn krelln ‚zerkratzen und zerschrammen‘ 198 Feitlein: Diphthongierter Diminutiv des Heiligennamens Vitus (Arndt: Personennamen, S. 23); der Name ist insbesondere im obd. Raum in Redensarten in der Bedeutung ‚Dummkopf‘ nachweisbar (vgl. Röhrich: Redensarten, S. 1668). 199 Geheyt ‚Gehet, Kommet‘

187 Vns vier: Keller (S. 1489) erwägt Konjektur zu Wie vil; der Eingriff ist nicht zwingend. 196 zu kratzen vn krelln: Keller (S. 175) konjiziert zu zukrellen; die Besserung ist rein rhythmisch motiviert. 197 nerrin] Rabj (die männliche Rollenbezeichnung ist durchgestrichen) Nerrin 198 Feitlein] Feirlein: Konjektur bei Keller (S. 175); vgl. F 84, Z. 67

180 | 88 – Hans Folz: Der Herzog von Burgund

200

Vnd welcher nit zuhelt sein munt, Dem wil ich ein schellen an sein halß hencken, Er muß sein lebtag mein gedencken.

Gb 114r

Rabj:

205

Fraw, wir begeben vns darbej: Wan er nit war messias sej, Woll wir des fursten gefangen sein Vnd alles dulden, straff vnd pein, Die vns sein genad anlegen mag. Sibilla:

210

Nw das sol kumen an den tag. Messias:

215

220

Das mein red eigentlich hab stat, Enphilh ich das dem gluckß radt. Das sol hie vrtailen zwischen mir Vnd ewrem fursten, das dann schir Erkennt vnd klar gesehen wirt, Was herren auff erd furpas regirt. Auch wirt gesehen klar vnd pur An vnnser igklichs figur, Wer vnden oder oben sitzt Oder wes herschung sey verritzt.

201 ‚Den will ich zum Narren machen‘; die Schelle ist typisches Kenneichen von Narrheit (vgl. Röhrich: Redensarten, S. 1314f.). 204 wir begeben vns darbej: ‚wir lassen uns darauf ein‘ 212 eigentlich ‚deutlich‘ 213 Das Glücksrad war als Medium, vermittels dessen Fortuna ihre Macht ausübt, seit dem Frühmittelalter verbreitet (vgl. Gerhardt: Diätetik, S. 54) und etablierter Bestandteil dramatischer Inszenierungen, vgl. hierzu den Bericht einer Romfahrt aus dem Jahr 1452, wo sich für Venedig ein solches szenisches Arrangement erschließen lässt (Hack: Romzugsbericht, S. 86f.). Fortuna wurde seit Boethius’ De consolatione philosophiae mit göttlicher Providenz gleichgesetzt. Indem das Rad die Figur des Fürsten in der Siegerposition bereits zeigt, als es auf die Bühne getragen wird (vgl. Z. 224), wird das Glücksrad nicht als dynamisch-alternatives Prinzip zweier Möglichkeiten dargestellt, sondern als fixe Repräsentation ewigen göttlichen Willens. Diesem Willen ist und bleibt menschliches Streben stets unterworfen. Die darüber hinausgehende Vorstellung vom Rad der Fortuna als Sinnbild der Unbeständigkeit menschlichen Handelns vor Gottes Ratschluss ist insbesondere ikonographisch belegt (vgl. dazu Nelson: Wheels, sowie die einschlägigen Beiträge in Haug/Wachinger: Fortuna). 213 Enphilhen ‚Anempfehlen, Anvertrauen‘ 215 schir ‚schnell‘ 217 furpas ‚fürderhin, zukünftig‘ 221 verritzen ‚verletzen, verwunden‘

88 – Hans Folz: Der Herzog von Burgund | 181

225

Darumb halt als ein klar auf spehen, Wann do wirt man die warheit sehen.

KF 176

Hie get ein das gluckß rat vnd des fursten figur stet oben vnd des messias vnden.

Gb 114v

Die nerr ̲in: Pox leichnam, Feitlein, sich, was narren. Dein herr sitzt auff eim halben karren, Was mag er sunders haben tan? 230

Der narr: Was teufels hangt dan vnden daran? Der schalatz jud: Ey, eÿ, das du erhancht must werden. Henck〈s〉t du den kopff zu der erden?

235

Ein rabj: Das dich die tefer muß erwurgen. Wie tust du heut auff vns verpurgen Alle schand vnd smach der gantzn welt? Ander rabj:

240

Ey, das dich nit auff weittem feldt Die wolff vnd wilde pern habn zu rissen. Wie leckerlich hast du vns beschissen.

222 als ‚alle‘ 222 auf spehen ‚Aufmerksamkeit‘ 228 auff eim halben karren: Schwer zu deutendes Bild; eventuell Bezug auf den Armesünderkarren oder das Rad am Hochgericht (vgl. DWb 5, Sp. 226, unter Hinweis auf diese Stelle). Eine andere Deutungsmöglichkeit: Ein Karren hat zwei Räder, der Fürst, auf den die Aussage bezogen ist, befindet sich auf einem Rad und somit, rechnerisch, auf einem halben Karren. 233 erhanchen (zu mhd. erhenken): ‚aufhängen‘ 236 tefer (hebr. dewer ) ‚Pest‘ 237 verpurgen: ‚für etwas sorgen‘; semantisch passt hier besser das Verb verbürden im Sinne ‚zur Last auflegen‘, allerdings litte hierunter der Reim. 242 leckerlich ‚schändlich, schmachvoll‘

233 erhancht] erharcht: Konjekturvorschlag bei Keller (S. 1489) Konjekturvorschlag bei Keller (S. 1489)

234 Henckst] Henkt:

182 | 88 – Hans Folz: Der Herzog von Burgund

Dritt rabj:

245

250

Ey, sitzt du dann auff Dauits stul? Steckest du darfur jm tiefsten pful Oder in eim grundlosem see, Das dein gedacht wurd nymmer me. Sollen wir vor allen goyen auff erden Durch dich also versmeht hewt werden?

Gb 115r

Der vierd rabj: Sibilla, du hast recht geseit, Vnd was pein vns der furst an leit, Da sprich ich, das er recht daran thu. Der narr:

255

Da schlah jnnig der teufel zu. Warumb habt ir dann vor nit gelaubt? Ich wolt, ir wurt mir zu straffen erlaubt.

KF 177 F 103II, 36

Die nerrin:

260

Gar war, mein Feitlein, vnd mir auch, So schlug ich zu, das ruck vnd pauch Ir eins waich als das ander wur. Das euch all der teufel hin fur! Der furst:

265

Sibilla, wirdigste fraw, Wir brufen, das ewr getraw Gen got dem herrn gantz warhafft ist, Seyt des falschen messias list So gantz durch euch ist vberwunden. Hirumb so gebt vrtail zu stunden,

252 anlegen ‚auferlegen‘ 255 jnnig ‚aus dem Innersten 248 goyen (hebr. gojim) ‚Nichtjuden‘ kommend, von ganzem Herzen‘ 261 wur ‚würde‘ 265 brufen ‚prüfen, feststellen‘ 265 getraw ‚Vertrauen‘

255 innig: Keller (S. 1489) erwägt Konjektur zu einig; der Eingriff bessert die Passage nicht.

88 – Hans Folz: Der Herzog von Burgund | 183

270

Was ir rechte straff daruber sey, Wann do sol es beleiben bey. Messias:

275

Gb 115v

Herr furst vnd auch du, fraw, darzu, Mit nichte ich mich vertzeyhen thu Meines adels, gewalts vnd reich, Das thu ich ymmer ewigkleich, Wann ich von eygem gewalt mag han All ewr macht zu wider stan. Sibilla:

280

285

Sich, des englaub ich nymer dir, Es sey dann, das du trinckest mit mir Eins weinß, den ich selbs trincken thu Vnd mein ped junckfrawen darzu. Vermagst du dann auß eigner krafft, Das es kein schaden an dir schafft, So wol wir [wir] all gelauben das, Du seist der warhaft messias. Messias:

290

KF 178

Ich wolt nit, dan es must geschehen, Erst wert jr all die warheit sehen.

273 fraw ‚Herrin‘ 274 vertzeyhen ‚entsagen‘ 277 eygem ‚mir selbst‘ 282 Derartige Trinkproben gehören in den Bereich der sinnbildlichen Demonstrationen – wie auch das vorangegangene Urteil durch das Glücksrad – und setzen auf der Legende von den Jüngern Christi auf, denen Gifttränke nichts anzuhaben vermochten (vgl. Mk 16, 18). Verbreitung erfuhr das Motiv weiter in einigen apokryphen Evangelien als Beweis für die Jungfräulichkeit Mariens, später diente die Giftprobe dem Erweis von Heiligkeit christlicher Märtyrer, so in der ‚Legenda Aurea‘: Von Sankt Johannes dem Evangelisten. Daneben sind Gifttrankproben auch in der höfischen Epik gegenwärtig (vgl. dazu ausführlich Kasper: Rittern, S. 134–165). Es ist Ausdruck von Weisheit, dass die vom Herzog berufene Sibylle sich bei der Frage nach der Wahrheit nicht auf ein einziges Anzeichen verlässt. 282 Eins weinß: Gen. Part. (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 37).

286 wir] wir wir: Konjekturvorschlag bei Keller (S. 1489)

184 | 88 – Hans Folz: Der Herzog von Burgund

Hie enpheht messias das trincken vn dicit:

295

300

Abraham · Ysaack · Jacob, darbey die drey Schua · naschim · racha · dabey · Vaydabar · mische · schlemo · Die pucher walachim so ho · Hadebarim · elle · schemos · Darzu die tefer vnd mackes Die aschra · vnd die marrapot · Die maschnia · schamna · vnd der tot, Die wollen alle helffen mit, Das euch die druß, pewlen vnd der rit Erwurg vnd euch verschlint die erdt Vnd das ir all zu · kappera werdt.

Gb 116r F 81, 1026–1028

F 81, 1030

Messias trinckt, laufft auff vnd geschwilt vnd fellt hin.

292–303 Diese in verballhorntem Hebräisch gehaltene Verfluchung fungiert in verschiedenerlei Hinsicht. Zum einen zeichnet sie jüdisches Kolorit auf der Bühne, zum anderen wird darin der jüdische Brauch karikiert, vor der Einnahme von Speisen oder Getränken einen Segen zu sprechen. Es ist im Sinne Folzens nur folgerichtig, wenn ein jüdischer Segen den Christen zum Fluche gereicht. Diese Verfluchung besteht neben dem Aufgreifen einzelner hebräischer Lemmata vor allem aus Namen biblischer und talmudischer Bücher; vgl. dazu Przybilski: Hebräischkenntnissen. Folz schöpfte sein Wissen aus einer Quellentradition, die ins 13. Jahrhundert zurückreicht und aus lateinischen, später auch volkssprachigen Übertragungen einzelner talmudischer Stellen besteht, die vermeintlich antichristlichen oder blasphemischen Charakters waren und von christlichen Institutionen als Argumentationshilfe in Religionsdisputationen genutzt wurden (vgl. dazu Niesner: juden, sowie Patschovsky: Talmudjude). Einige Begriffe hat Folz auch in die Reden der Heiden einfließen lassen (Z. 400–433). 293 Schua (hebr. Jehoschua) ‚Josua‘ 293 naschim (hebr. naschim) ‚Frauen‘; 3. Ordnung der Mischna; vgl. Z. 412. 293 racha ‚Raw Aschi‘ 294 Vaydabar (hebr. Wajedabber) ‚Und es sprach‘; Numeri 294 mische · schlemo (hebr. mischle schlomo) ‚Sprüche Salomos‘ 295 pucher ‚Bücher‘ 295 walachim (hebr. melachim) ‚Könige‘ 296 Hadebarim (hebr. Haddewarim) ‚Die Worte‘; Deuteronomium 296 elle · schemos (hebr. elle schemot) ‚dies sind die Namen‘; Exodus 297 mackes (hebr. makkot) ‚Plagen‘ 298 aschra (hebr. aschre) ‚gebenedeit‘ 299 maschnia (hebr. maschiach) ‚Messias‘ 301 druß, pewlen vnd der rit ‚Beulen, Pest und Fieber‘ 302 Anspielung auf Karoch und dessen Anhänger, die sich gegen die alleinige Priesterschaft Moses und Aarons wandten und zur Strafe dafür von der Erde verschlungen wurden (vgl. Num 16, 31–34). 303 zu · kappera werdt (hebr. kappara) ‚zur Sühne dient‘ 303 kappera: Eine Besonderheit in Folzens Pseudohebräisch stellt die Wendung zu kappera werden: ‚verderben‘ dar, die so auch westjidd. schon im frühen 16. Jahrhundert belegt ist (vgl. Fuks: Schemuelbuch, V. 1735, 2; vgl. auch noch neujidd. a schene raine kappore). 304 aufflauffen ‚anschwellen, aufblähen‘

301 druß, pewlen: Keller (S. 1490) erwägt Konjektur zu druspewlen

88 – Hans Folz: Der Herzog von Burgund | 185

305

Die nerrin dicit: So, saw, so fass gar auß! Der narr:

310

Du werst mir lieber am galgen dauß. Sauff, das dirs der teufel gesegen, Wirffs in dich als ein platz regen. Der schalatz jud: Ey, das du ewig seist verflucht. Ein rabj: Wer hett die schalkheit bej in gesucht?

315

Der dritt jud:

320

Es ist allen juden ein rach Vnd erbt vns nicht dan schand vnd smach. Ey, nw lig da, aller teufel namen, Wann ewig muß wir vns forder schamen Des grossen lasters vnd der schandt. Der narr dicit:

Gb 116v

KF 179

Ey, wie thun euch sein trunck als ant. Marschalk dicit:

325

Ir juden, tragt jn an ein ort. Habt jr jm selbs getan das mort, So habt euch den spot vnd schand darzu.

306 ‚So, du Sau, leere alles aus!‘ 308 dauß ‚draußen‘ 314 schalkheit ‚Niedertracht‘ 316 rach ‚Strafe, Verhängnis‘ 318 aller teufel namen ‚Inbegriff aller Teufel‘ bzw. Interjektion 319 forder ‚künftig‘ 322 ant ‚weh‘

310 Wirffs] Wirfd 317 erbt: Keller (S. 1490) erwägt Konjektur zu wirbt

186 | 88 – Hans Folz: Der Herzog von Burgund

Sibilla dicit zum fursten:

330

Herr, ob ich mit jm wurcken thu Ein genad vnd mach jn wider leben, Auff das er vns tu antwort geben, Was jn zu der pubreÿ bewegt, Deucht mich nit vbel angelegt. Der furst: Fraw, jr habt gantz vollen gewalt.

335

340

Sibilla: Falscher messias, so ste auff paldt. Ertzel hie vor gantzer gemein, Was dein anschleg gewesen sein, Groß schalkheit vnd auch zaubrej, Das all cristen versten dabej, Ewr falsch anschleg vnd ewr poßheit, Des gib hie folligen bescheidt. Ende crist dicit:

345

Gb 117r

O genediger furst vnd werde fraw, Ir zwinget mich so hart vnd gnaw Mit ewrem cristenlichen gewalt, Das ich nichtz heimlichs dahinden behalt. Sunder das ist die grost vrsach: Wir han nw talast vngemach

328 mit jm wurcken ‚an ihm erwirken, vollbringen‘ 336 so ste auff paldt: Formel, mit der Jesus und seine Nachfolger Tote auferweckt haben (vgl. Lk 7, 14; Mt 9, 5; Mk 5, 41). 338 anschlag ‚Plan, Absicht‘ 344–379 In diesem Geständnis des betrügerischen Messias sind fast alle gängigen Vorurteile der Vormoderne gegenüber den Juden enthalten: die Juden hassen und verfluchen die Christen und missgönnen ihnen alles; sie berauben die Christen; sie schaden den Christen, die sie als Ärzte beschäftigen – eine vom Wundarzt Hans Folz oft wiederholte Anschuldigung; sie stehlen und töten Christenkinder, um ihr Blut zu rituellen Zwecken zu missbrauchen; sie verspotten die christlichen Feiertage und die kirchliche Lehre – vor allem Weihnachten als Geburtstag des christlichen Messias; sie streben danach, alle Christen der Welt zu unterjochen (vgl. dazu Rohrbacher/Schmidt: Judenbilder). 347 dahinden behalten ‚zurückhalten‘ 348 Sunder ‚Vor allem‘ 349 talast (zu mhd. dâlest): ‚mindestens, schließlich‘

349 talast: Keller (S. 1490) erwägt Konjektur zu talanc; der Eingriff bessert semantisch keineswegs, s. u.

88 – Hans Folz: Der Herzog von Burgund | 187

350

355

360

365

370

375

Gehabt wol xiiijc jar Vnd in solicher zeit furwar Gar vil geliden von den cristen. Ja, wann sie dennoch dabei wisten, Was grosser fluch, was haß vnd neit Wir jn stet han getragen seit; Wie vil groß guts jn ab geraubt; Wie vil an irem leben getaubt, Der ertzet wir gewesen sein; Wie vil der jungen kindelein Jn abgestolen vnd getot Vnd mit jrem keuschem plut gerot; Vnd die euch cristen ab gefurt Zu smach der jerlichen gepurt Jhesu, die jr ewig beget, Des haß vnd neyd vns so bestet, Das es all vnser frewd vertreibt Vnd messias solang aussen bleibt Vnd in kein wegk vns trostet nicht, Deshalb hab wir diß zu gericht: Meinten als volk gereitzet han Vnd gantz zu werden vnttertan. Das hat vns vil zu schir gefelt, Bleibt furpas mer wol abgestelt, Piß das er selber kumpt ein mal. Dann wer vns ietz dieser vnfal Allein darzu geschlagen nicht, So hetten wir die zuuersicht: Die gantz judischeit must sein verdorben, Oder all cristen darumb gestorben.

KF 180

Gb 117v

350 xiiijc ‚1400‘ 357 tauben ‚verderben‘ 358 Der ertzet ‚Deren Ärzte‘ 363 smach (zu mhd. smæhe): ‚Schmähung, Verunglimpfung‘ 372 hat ... gefelt ‚ist fehlgeschlagen‘ 373 abgestelt ‚eingestellt, beendet‘ 378–379 ‚Alle Christen wären gestorben, Es sei denn, die ganze Judenheit wäre zugrunde gegangen.‘

361 Vnd mit: Keller (S. 1490) erwägt Konjektur zu Vns mit; der Eingriff ist nicht zwingend. 363 Zu smach: Keller (S. 1490) erwägt Konjektur zu Zur nacht 366 Das es all vnser frewd vertreibt: Keller (S. 1490) erwägt Konjektur zu All unser freud es uns vertreibt, das; in diesem Falle müsste die Konjunktion zu Beginn der Folgezeile ebenfalls wegfallen. Das Ergebnis wäre besser als der vorliegende Text, gleichwohl erscheint der Eingriff nicht zwingend.

188 | 88 – Hans Folz: Der Herzog von Burgund

380

385

Hofmeister: Nw schweigt all vnd seit jn stillen. Es ist vnser genedigen fursten willen, Vrteil zu fellen, womit vnd wie Die juden sein zu straffen hie, So mit der falscheit sein verwant Alle[n] juden zu ewiger schant. Der furst: Hor, marschalk, thu der frawen schein, Die erst vrtailerin zu sein.

390

KF 181

Marschalk: Fraw, vnser edler herr der pitt, Wer es wider ewr wirde nit, Die ersten vrteil hie zu fellen. Sibilla dicit:

395

Gb 118r

Ach, tut seinen genaden ertzelen, Es tzym furwar keinem weibs pild nicht. Der furst:

400

Wir sind sein nw genugsam bericht. Marschalk, so frag der vrteil nach, Das man der ding ein ende mach.

385 verwant (zu mhd. verwenden): ‚ausgestattet‘ 388 thu der frawen schein ‚fordere die Dame auf‘ 396 tzymen ‚sich gehören‘ 398 ‚Wir wissen nun genug darüber.‘

386 Alle] Allen

88 – Hans Folz: Der Herzog von Burgund | 189

Hofmeister redt heimlich mit den heiden vn spricht zu einem: Sahart von fasse · mabla Gadar · rodel · lachan · dabla · Der erst haid fellt vrteil, haidnisch dicit: 405

Sabat · dare · meloch · nesßle · Fadis · melech · rabe · detze · Der erst heid fellt vrteil, heidnisch dicit vnd so teutzschtz jm der hofmeister itzo nach uolgendt: Er heyßt jn die zung zum nack auß reyssen. Der narr dicit:

410

So wolt ich jn allen jn die mewler scheissen.

F 88, 609; F 103II, 48

Der ander heyd vrtailt: Neschim · vellaham · barach · dosso · Stizun · kopis · lahen · sosso ·

Gb 118v

Hofmeister: 415

Er heyßt sie mit eim flachß vmb winden Vnd darnach mit einem licht antzunden Vnd lassen lauffen her vnd dar, Piß es an jn verprint als gar.

KF 182

401 heiden: Die Tatsache, dass sich im Gefolge des Herzogs von Burgund auch sogenannte heiden, also vorrangig Muslime im mhd. Sinne, befinden, ist dadurch erklärbar, dass Folz in seinem Stück die mittelalterliche Trias der Religionen vertreten wissen wollte. Die Verurteilung der Juden erfolgt nicht allein von christlicher, sondern auch von heidnischer Seite und isoliert hierin das Judentum. Bemerkenswert ist, dass der Hofmeister über die für diesen Dialog notwendigen Fremdsprachenkenntnisse verfügt. 405 Sabat (hebr. Schabbat) ‚Ruhetag‘ 405 meloch (hebr. melech) ‚König‘ 406 rabe (hebr. rabbi) ‚mein Lehrer‘ 408 Es handelt sich hier um eine nachweisbare Form rechtsbezogenen Handelns des Spätmittelalters (vgl. MGH Leges IV, II, S. 127; Gerhardt: Hans Folz, S. 90, dort zahlreiche weitere Belege) mit außerordentlich hohem symbolischem Gehalt. 412 barach (hebr. baruch) ‚gepriesen‘

411 In Handschrift G folgt in der ersten Zeile auf der nächsten Seite die wiederholte Sprecheranweisung Der ander

190 | 88 – Hans Folz: Der Herzog von Burgund

Hofmeister mit dem dritten haiden vrt〈eil〉l〈t〉: 420

Corpan · samech · Riffa · kune · Fehe · Moy · dale · schune · Hofmeister dicit: Er heißt jn stein an die helß pinden vn henckn, Darnach all in ein wasser sencken. Nerrin dicit:

425

Jdem ein dreck zum koder jn munt. Der narr: Das ist der aller peste funt: So faren sie doch nach vischen ein weil. Herolt:

430

Secht, das man jn der sach pas eyl. Der vierd haiden: Hamar · barara · saramanto · Neffti · mayba · bukeff · fugento · Hofmeister:

435

Gb 119r

Er heyßt sie allesamt verprennen, Kein pessern weck kund er erkennen.

420 Corpan (hebr. Korban) ‚Opfer‘ 420 samech: Fünfzehnter Buchstabe des hebräischen Alphabets. 420 Riffa (hebr. Riwka) ‚Rebekka‘ 420 Moy (lat. Moyses) ‚Mose‘ 420 dale: Möglicherweise Korrumption des vierten Buchstabens des hebräischen Alphabets (korrekt: daleth). 420 schune (hebr. schana) ‚Jahr‘ 422–423 vgl. Mt 18, 6; Mk 9, 42; Lk 17, 2 425 koder: ‚Auswurf, Sputum‘; in Bezug auf Z. 428 ist auch die Bedeutung ‚Köder, Lockmittel‘ naheliegend. 427 funt ‚Einfall‘ 436 weck ‚Weg‘

419 vrteilt] vrtl: Konjektur bei Keller (S. 182) 422 helß pinden vnd hencken: Keller (S. 170) erwägt Konjektur zu helß henken; die Behebung der rhythmischen Unreinheit ist nicht zwingend.

88 – Hans Folz: Der Herzog von Burgund | 191

Der narr: Samer got, da rat ich auch zu. Sag an, mein Leißgen, was rets du? 440

Nerrin dicit: Ach, wurd es newr nit abgeschlagen, Ich wolt gar redlich holtz zu tragen Vnd mich gar fein wermen dar bei. Hofmeister dicit:

445

KF 183

Vrteil, wem mer zu vrtailn seÿ. Des fursten ritter einer:

450

So vrtail ich, das man nit laß, Vnd die juden allsant ars paß Mit einer gantz gluenden pfannen, Vnd die als lang nit ruck von dannen, Piß das in das har alls sant verprynn.

R 26, 108f.; R 27, 118; R 46, 120; R 75, 258

Die nerrin: Du meinst villeicht jn der arß krynn. Es wer zwar meiner meynung auch eine. 455

Der ander ritter: Ich vrtail, das man sie gemeine Nacket abtziehe vnd nit erwind, Vnd yeden auff sein muter pind, Wie in halt darnach wirt geschehen.

Gb 119v

438 Samer got ‚Bei Gott‘ 439 Leißgen: Kurzform zu Elisabeth (Arndt: Personennamen, S. 22). 448–451 Die Androhung bezieht sich auf das Absengen der Afterhaare, eine Bestrafung, die vor allem im Rosenplütkorpus häufig genannt wird (vgl. auch DRW 1, Sp. 271). 453 arß krynn ‚Arschritze‘ 457 erwinden ‚ablassen‘

443 fein] rein 448 ars paß: Keller (S. 1490) erwägt Konjektur zu arspoß; die lautliche Opposition der beiden Vokale ist insbesondere im Obd. minimal (vgl. Z. 183–184 sowie Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 11 bzw. § L 14), zudem steht das Verb im Reim.

192 | 88 – Hans Folz: Der Herzog von Burgund

460

Der narr dicit: Die reutterey wolt ich lieber sehen, Dann kein scharpff rennen jn eym jar. Der 〈dritt〉 ritter dicit:

465

Ich vrtail, das man sie alle gar Gantz ploß vnd nacket zyhe auß, Setz yeden vnter ein scheyß hauß Vnd ließ ein tag auff sie schmaliern, Vnd darnach gar rein vber friren. Nerrin dicit:

470

Die sultze freß der teufel gern. Der vierd ritter:

475

Mein vrteil ich auch hie thu erkleren: Man geb in acht tagen weder tranck noch speis, Darnach sie vber ein sew trock weis, Darein gericht sey ein prifet, Do dicks vnd dunß zu samen get, Vnd sie dauon nit lasse frey, Die weil ein griblein dynnen sey.

KF 184

Narr dicit: 480

Maull auff, lecker, sprich: mum, mum, So wil ich sehen, das nyemantz kum.

F 103II, 60

461 reutterey ‚Reiten‘ 462 kein ‚irgendein‘ 462 scharpff rennen ‚Turnier‘ 467 schmalieren ‚scheißen‘ 475 prifet ‚stilles Örtchen‘ 478 griblein ‚Schmalzgriebe‘ 478 dynnen ‚darinnen‘ 480 lecker ‚Tellerlecker, Fresser‘ 480 sprich mum, mum: Vermutlich soll die Interjektion unartikulierte Laute aufgrund eines vollen Mundes imitieren, vgl. DWb 12, Sp. 2660, allerdings mit abwegiger Interpretation zur vorliegenden Stelle, und das abgeleitete Verb mummen: ‚undeutlich reden‘ (DWb 12, Sp. 2663); auch zu erwägen: Wortspiel mit mumm: ‚Kot‘ (DWb 12, Sp. 2660).

463 dritt] 464 gar: Keller (S. 183) konjiziert zu jar 473 in acht: Keller (S. 1490) erwägt Konjektur zu in in acht; die Änderung löst das grammatische Defizit des Verses, in metrischer Hinsicht besser erscheint jedoch stattdessen die Schreibung tag anstelle von tagen als flexionsloser Nom. Pl. In wäre dann als Personalpronomen zu verstehen.

88 – Hans Folz: Der Herzog von Burgund | 193

Der funft ritter:

485

Gb 120r

Kein pesser vrteil ich kann finden, Den jn alle vire zu samen pinden Vnd setz igklichen an ein straß. Er kum gefaren zu fuß, zu roß, Das sich ein yeder rech an in. Der vj. Ritter:

490

Einer solchen meynung ich pin: Man schieb sie in ein fudrigs faß, Das man ein pergk ab lauffen laß. Welcher dann vmbkum oder bleib, Dasselb man seinem geluck zu schreib. Der vij. Ritter:

495

500

Ich sprich, das man vor allem ding Die aller grost schweinß muter pring. Darvntter sie sich schmiegen all, Saug yeder ein tutten mit schall. Der messias lig vntter dem schwantz, Was jr enpfall, das sol er gantz Zu sammen jn ein secklein pinden Vnd dann dasselb zu einem mal verschlinden. Der acht ritter:

505

Auff dem vrteil ich auch beleib, Das man sunst nichtz besunders treib. Hie vrtailen die zwen hofmeister, der erst spricht:

510

Gb 120v KF 185

Noch eins hab ich hin zu gedacht: Vnd so nw dasselb sey volbracht, Henck man yedem ein plaßen an Vnd hetz dann mit hunden daran.

490 fudrig: ‚von der Größe eines Fuders‘; das Herabrollen eines innen mit Nägeln ausgeschlagenen Fasses mit dem bzw. der zu Bestrafenden darin war eine beliebte Strafe im Märchen (vgl. Bolte/Polívka: Anmerkungen 1, S. 108f.). 492 bleiben ‚am Leben bleiben‘ 498 tutten ‚Zitze‘ 504–505 ‚Bei der Strafe bleibe ich auch, Und weiter soll man nichts mit ihnen anstellen.‘ 509 plaße hier: ‚Schweinsblase‘

194 | 88 – Hans Folz: Der Herzog von Burgund

Marschalk dicit:

515

Noch eins ich zu dem allen setz: Das man dasselbig zu letz Narren vnd nerrin enphelhen thu, Sunst vrtail ich nit mer darzu. Der furst dicit: So secht, das man nit lang mit harr. Veitlein:

520

525

Ach herr, du pist ein rechter narr. Erlaub mir vnd 〈der nerrin eins〉, Das schat in allen gar vmb ein kleins Vnd hilfft doch gar wol mich vnd sie: Die weil sie also sawgen hie, Das wir das geltlein von jn schwaissen. Ir fursten kunt wol vil gehaissen Vnd gebt vns hinden noch ein dreck. Furst: Plaw, Feitlein, rur dich vnd pis keck. Nerrin:

530

Es sey dann, das vns die enpfliehen, Woll wir der strebkatzen mit in tzyehen,

Gb 121r

513 dasselbig kollektives Neutrum: ‚sie allesamt‘ 521 ‚Das schadet ihnen [den Juden] nur ein klein wenig‘ 524 schwaissen ‚bluten [lassen]‘ 525 gehaissen ‚versprechen‘ 528 Plaw: Interjektion, in dieser Form jedoch nicht belegt. Möglicherweise liegt diphthongierte Verschreibung zu mhd. wû als Ausruf der Verwunderung bzw. des Jammers und Schreckens vor (vgl. Weinhold: Bairische Grammatik, § 261). Möglich ist auch Verschreibung zu plan in der Bedeutung ‚wohlan‘. Diese Interjektion ist am Rhein gut belegt und ließe sich durch Folzens Herkunft aus Worms erklären (vgl. Michels: Studien, S. 228; vgl. auch F 110, Z. 104). 531 strebkatze tzyehen: Spiel, bei dem sich zwei einander gegenüberstehende Personen an einem Tuch, das um ihre Nacken geschlungen ist bzw. das sie zwischen den Zähnen halten, hin- und her zu ziehen versuchen (DWb 19, Sp. 1081). Hier in der Bedeutung von ‚streiten, raufen, zanken‘.

520 vnd der nerrin eins] vnd: Keller (S. 1490) erwägt Konjektur zu vnd hör jetzt (nu ?) auch meins

88 – Hans Folz: Der Herzog von Burgund | 195

Das sie sein nit vast sollen lachen, Piß sie vns vnnsern willen gemachen. Hofmeister: 535

So hawt pald hin vnd bringt ein saw, Auff das man ewr art doch schaw. Herolt:

KF 186

Ir juden, macht newr kurtze frist, Ir wißt wol, was geurtailt ist. 540

Der erst jud: Ëy · ëy · ëy · ëy · ëy · ëy · ëy · ëy · Der ander jud: Ach · ach · ach · ach · ach · ach · ach · Der dritt jud:

545

Trawen · trawen · trawen · trawen · trawen · Der vierd jud: Ey, das dich · ey, das dich ey, das dich. Messias: Peyta · peyta · peyta · peyta ·

550

Hie legen sich die juden vntter die saw vnd der messias vntter den zagel.

538 macht newr kurtze frist ‚macht es kurz‘ 540–547 Die Klage der Juden wurde in der Aufführungspraxis eventuell gleichzeitig gesprochen, um die christlichen Zuschauer an die vermeintlich unmelodiöse synagogale Liturgie zu erinnern. Für die Gleichzeitigkeit spricht außerdem die Reimlosigkeit der Verse; vgl. auch die sogenannten Judengesänge einiger mittelalterlicher Oster- und Passionsspiele. 541 vgl. das Märe Umgangene Buße (Fischer: Märendichtung, Nr. 30, S. 274–280): auwe, ach ach, peit peit, ei ei! (V. 110); Fischer erwägt (ebd., S. 545), den anonym überlieferten Text Folz zuzuschreiben. 545 Trawen (zu mhd. trûwen): ‚hoffen‘ 549 Peyta (zu mhd. bîten): ‚Warten, Einhalten‘; die Graphie der Flexionsendung -a soll den Imp. Sg. verstärken, sie tritt selten und vorwiegend obd. auf (Moser/Stopp/Besch: GrdFrnhd 1.2, § 25.1; 4, § 28, Anm. 4). 550 zagel ‚Schwanz‘

196 | 88 – Hans Folz: Der Herzog von Burgund

Der narr:

Gb 121v

Ir juden, suchet m〈u〉ntz herfür, Ee man euch in den peutel stür Vnd darnach allen die haut vol schlag. 555

Ein jud dicit: Se, Veitlein, nit mer ich vermag. Nerrin dicit:

560

Was gebt ir dann, jr schwartzen hunt? Sucht es newr als herfur zu stunt, Ich ließ euch nit ein hallers wert. Ein jud dicit: Ach, Leyßken, laß vns vnbeschwert, Pis wir die puß haben getan. Nerrin dicit:

565

Sawgt dar, es stet euch gar wol an. Der narr dicit:

570

KF 187

O messias, o messias, Der ein pawren dreck auß eim seuff fraß! Ein grossers must du von mir leyden: Ich muß dir ye die gailen auß schneiden. Messias dicit: Ach, liebs mein Veitlein, laß daruon.

552 muntz ‚Münzen, Geld‘ 553 stüren (zu mhd. stiuren): ‚stoßen, fahren‘ 556 vermögen ‚besitzen‘ 568 seuff: Entweder zu mhd. sûfe ‚Suppe, Brühe‘ oder zu mhd. sûfen ‚saufen‘ in der Bedeutung ‚Trog, Viehtränke‘; letzterer Gebrauch ist im rheinischen Dialektgebiet nachgewiesen. 570 gailen ‚Hoden‘ 572 Zum nachgestellten Possessivpronomen vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 17.

552 muntz] mntz: Konjektur bei Keller (S. 186) 568 eim seuff: Keller (S. 1490) erwägt Konjektur zu der seu bzw. eim senf; beide Vorschläge erscheinen nicht bessernd.

88 – Hans Folz: Der Herzog von Burgund | 197

Der narr dicit: Es hilfft dich nit, du must ye daran. 575

580

Der narr deckt in hinden an vnd spricht:

Gb 122r

Pox leichnam, stinckt der hund so vbel! Auß, hab dir tausent falle〈n〉[ ]d〈 〉vbel! Was posen winds get auß dem loch? Ey, nw sey der teufel ein koch In der finsten rauchigen kuchen, Es solt einer ein tag ein laffen dynnen suchen. Nerrin dicit:

585

Schaw, Feitlein, wie hat dann der ein schlat? Sich, wie er zoten darjnn hat, Da hangen die hertesten knoten daran. Der dich mit eim schlug an ein zan, Er must gluck han, solt er bestan. Der narr dicit:

590

Ge her, Leyßken, schaw mir die zwen. Es ist alles in ein ander geflossen, Als der ein schwartz pech het darein gossen

575 Es ist an dieser Stelle nicht ganz klar, ob der Narr den Messias hinten an die Sau anlegt oder dessen Rock anhebt und damit das Gesäß frei macht. In der in Z. 571 beschriebenen Absicht erscheint Letzteres wahrscheinlicher, zumal die folgenden Schilderungen der üblen Dünste dann ebenfalls der Herabwürdigung des falschen Propheten dienten. 577 Auß ‚Pack dich‘ 577 fallend vbel: ‚Fallsucht, Epilepsie‘ (vgl. Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 118f.). 579–581 ‚Wäre der Teufel Koch In dieser finsteren, verrauchten Küche, Man müsste den ganzen Tag lang nach einem Löffel darin suchen.‘; die Vorstellung der Hölle als Küche, in der der Teufel als Koch tätig ist, war allgemein verbreitet (vgl. das Exempel ‚Bruder Rausch‘) und spiegelt sich noch heute in der Redensart „in Teufels Küche kommen“ wieder (vgl. Röhrich: Redensarten, S. 1613). 583 schlat ‚Schlot, Kamin‘ 584 zote ‚durch Schmutz verklebtes Haarbüschel‘ 586–587 ‚Wenn dir jemand mit einem davon an einen Zahn schlüge, Dann verbliebe dieser Zahn nur mit viel Glück an seiner Stelle.‘

577 fallend vbel] falle dubel 580 finsten] fursten: Konjekturvorschlag bei Keller (S. 1490); beide Schreibungen beinhalten jeweils drei Hasten, eine Verlesung ist insofern durchaus wahrscheinlich. 587 bestan: Keller (S. 1490) erwägt Konjektur zu besten; das Verb stehen (zu mhd. stân) erscheint des Öfteren in der hier verwendeten Weise, zudem steht es im Reim (vgl. auch Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 18). 589 Die Unterbrechung des Reimschemas lässt Versausfall vermuten

198 | 88 – Hans Folz: Der Herzog von Burgund

Vnd ist mit lieb nit herab zu bringen Vnd muß newr mit eim schaub auß sengen. Die nerrin dicit: 595

Veÿt, schaw mir diesen schwartzen morn. Wie hat der diep die lengsten oren. Sie hangen im zu halben packen Geleich als einem alten leytpracken.

Gb 122v KF 188

F 103II, 482

Der narr dicit: 600

Ey, schneid sie im ab zu halben tzil, Er hat jr dennoch mer dann zu vil. Ein jud dicit: Ey, das der teufel die saw schend. Wenn hat die pubrey ein end?

605

Nerrin dicit: Ey, wie seit jr so vbel daran. Ir must ein wenig ein gedult han Vnd ye von der saw vor anpeissen, Solt sie euch allen in die meuler scheissen.

610

F 88, 410, F 103II, 48

Der narr greift eim juden in part, dicit: Jud, rat, gerad oder vngerad? Ey, kem ich eynest auß dem pad, Ich gelaubt keinem messias nymmer me.

592 mit lieb ‚auf freundliche Weise, ohne Gewalt‘ 593 schaub ‚Strohbüschel‘ 598 leytpracken ‚Leithund, Jagdhund‘ 600 zu halben tzil ‚zur Hälfte‘ 611 Es dürfte jenes Spiel gemeint sein, bei dem einer von zwei Spielern sich für Gerade oder Ungerade entscheiden muss, woraufhin beide gleichzeitig ihre Hände mit einer variierenden Anzahl ausgestreckter Finger heben. Aus der Addition beider Zahlen ergibt sich Übereinstimmung mit dem anfangs erklärten Verdacht oder eben nicht. 612 pad: Das Bad steht in verschiedenen Wendungen als Symbol für [ökonomische] Bedrängnis (vgl. Röhrich: Redensarten S. 130; FrnhdWb 2, Sp. 1660ff.); vgl. auch die nhd. Wendungen baden gehen, etw. ausbaden.

88 – Hans Folz: Der Herzog von Burgund | 199

Nerrin dicit: 615

Ir juden, das geschicht nit ee, Ir gurt dann die taschen ab. Geb yeder herauß was er drÿnnen hab. Hofmeister dicit:

620

Veit vnd Leißken, wist jr nicht, Was mer die vrteil vntterricht? Nw pindet jn die plasen an, Mit in zum tor auß vnd darvon.

Gb 123r

Sibilla dicit:

625

630

Ir junckfrawn, wagt euch von stat Vnd nembt mit euch das gelucks rat. Schenckt es dem herrn zu gedencken mein, Es zu haben jm gewalte sein, Die weil sein genad zeitlich regir, Wann im gewalt, herschung und tzir Auff erden dardurch geprichet nicht, Weil er sein pildnuß oben sicht.

KF 189

Sie nemen das gelucksrad mit jn, ein junckfraw dicit:

635

640

Genedigster herr, vnser wirdige fraw Hat durch jr innerliche schaw Bedacht die hoch groß mechtigkeit, Die euch das geluck hat angeleit, Auch ewr genaden pildtnuß hat Daran geben die obirst stat. Darumb es pillich hat in pflicht Ewr genad vnd sust niemant nicht.

621 plase: Zur Schweinsblase als Attribut des Narren vgl. Mezger: Narrenidee, S. 291ff. 624 wagen ‚bewegen‘ 627 gewalt ‚Besitz‘ 629 tzir ‚Pracht‘ 631 Weil: ‚Solange‘; auch kausale Bedeutung erscheint zumindest denkbar (vgl. DWb 28, Sp. 769). 632 jn: ‚sich‘; zur Flexion des Reflexivpronomens vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 64. 634 innerliche hier: ‚geistige‘ 639 pillich ‚rechtmäßig‘ 639 pflicht ‚Verwahrung‘ 640 Aus doppelter Negation ist die Möglichkeit der Betonung des negierten Sachverhalts geworden (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 232).

200 | 88 – Hans Folz: Der Herzog von Burgund

Die ander junckfraw:

645

650

Genediger hochgeborner furst, Den ye nach eren hat gedurst, Vnnser wirdige fraw vnd wir Haben mit fleyß geschickt, das jr Durch dieses geluckes rad vnd sein wal Entgingt dem schweren grausamen fal, Den des falschen messias pflicht Euch het zu schanden zu gericht. Nicht mer ich hie euch kunden thu, Den vnser frawen dinst darzu.

Gb 123v

Der furst:

655

Danck hab die wirdig fraw so rein. Get, marschalk, pringet auß dem schrein Die pesten kleinat, die wir haben, Sie auff das erlichßt zu begaben. Marschalk dicit: Genediger herr, alhie ich pring Die edeln stein, halßpant vnd ring.

660

665

Der furst nimbt kleinat herauß vnd spricht:

KF 190

Ir schon vnd zartten junckfrawn rein, Die ket, den rinck vnd die gestein Schenckt vns[ d]er werden frawen zart, Die des von adel, tugent vnd art Wol wirdig ist vnd tregt das pillich. Vnd jr junckfrawn minigklich Sol igkliche der halßpant eins tragen Vnd grossen danck der werden frawen sagen.

Gb 124r

645 schicken ‚erwirken‘ 646 wal ‚Entscheidung‘ 648 pflicht ‚Treiben‘ 651 Den ‚Als‘ 655 kleinat ‚Kostbarkeit, Geschmeide‘ 656 erlichßt ‚ehrerbietigst‘ 664 art ‚Herkunft‘

663 vnser] vns der: Konjekturvorschlag bei Keller (S. 1490)

88 – Hans Folz: Der Herzog von Burgund | 201

Die erst junckfraw dicit: 670

Genediger herr vnd furst reich, Vnnser wirdige fraw sol danckperleich Es weitter vmb ewr genad verschulden, Genad edler furst mit ewren hulden. Die ander junckfrau dicit:

675

Wirdige fraw, zu grossem danck Nam vnser herr genedigklich die schanck Vnd hat widerumb euch verert Mit schanckung grosses schatzes wert Auch vns, als ir noch wol wert sehen.

680

Herolt dicit:

685

Ir herren, wir wollen von hynnen nehen. Pfeiff auff, spilman, mach vns ein reyen, Auff das sich doch ein mol ermeyen Die frawen vnd junckfrawen zart, Die lang zeit han darauff gehart.

F 100, 394f.; F 103I, 526f.

Hie furen die zwen hofmeister dem fursten die sibilla zu, der ein spricht: Wirdige fraw, vnsers her ̲n begeren Ist, euch mit eim vortantz zu eren.

676 schank ‚Geschenk‘ 681 nehen ‚[sich] nähern, begeben‘, im 672 verschulden ‚verdienen‘ Zusammenhang mit von hynnen ungewöhnlich. 683 ermeyen ‚erfreuen‘ 685 gehart ‚gewartet‘

688 Unter der letzten Zeile ist mit roter Tinte nachgetragen: Hernach volget des Neithartz spill

202 | 88 – Hans Folz: Der Herzog von Burgund

Kommentar Bezeugung Gb, Bl. 109v–124r

Ausgaben Keller: Fastnachtspiele I, S. 169–190 (= Nr. 20, nach G); Bd. III, S. 1489f.; Bd. IV, S. 338. Ridder/Steinhoff: Nürnberger Fastnachtspiele, S. 85–108; S. 156–167.

Textkritik Der Text ist unikal in Handschrift G überliefert.

Autor Obwohl dieses Spiel ohne Autornennung überliefert ist, gibt es eindeutige Hinweise auf die Verfasserschaft Folzens. Zum einen zeigen sich Ähnlichkeiten in der sprachlichen Ausformung der Narrenrollen sowie des Tanzschlusses mit Druckfassung des Fastnachtspiels ‚Salomon und Markolf‘, das seitens der Forschung weitestgehend sicher für Folz bezeugt ist (= Druck q/r; F 103II; vgl. ferner Michels: Studien, S. 214, 239f. und Catholy: Fastnachtspiel des Spätmittelalters, S. 118). Zum anderen weist die Verwendung hebräischer Fragmente auf Folz als Autor hin, da zumindest im Nürnberger Raum nur von ihm Texte erhalten sind, die sich auf diese Weise antijüdisch bzw. jüdisches Brauchtum karikierend äußern (vgl. auch die Spiele F 81 und F 108). Zwar gibt es auch vor und nach Folz Fastnachtspiele, in denen Juden verhöhnt werden, doch Antijudaismus als die zentrale Aussage- bzw. Wirkungsabsicht des Textes findet sich nur in Folzschen Spielen, Reimpaarsprüchen und Traktaten (vgl. dazu weiter unter Textbezüge; zu analogen Eigennamen in F 81 ‚Ecclesia und Synagoga‘ vgl. Wenzel: Judden, S. 245). Im Aufgreifen literarischer Traditionen und Motive und in deren selbständiger dramatischer Entwicklung und Umsetzung begegnet man einer weiteren für Folz typischen Verfahrensweise.

Datierung Das Spiel muss nach 1486 entstanden sein, da der spätere Kaiser Maximilian I. (1459– 1519) als König eingeführt wird (Z. 9) – den Titel Rex Romanorum erhielt er im genannten Jahr. Dessen Sohn Philipp wurde 1478 geboren und 1482, wenn auch unter der Vor-

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mundschaft seines Vaters, Herzog von Burgund. Im Jahr 1488 erschienen die ‚Pronosticatio‘ aus der Feder Johannes Lichtenbergers. In dieser etwas unstrukturiert wirkenden Sammlung von Prophezeiungen heißt es unter anderem, dass der Name des neuen Heilsbringers an der Spitze des Reiches mit dem Buchstaben P beginne. Nimmt man an, dass für Hans Folz dieser Diskurs maßgeblich war und er im vorliegenden Spiel dem zukünftigen Herrscher huldigen wollte, könnte einschränkend das Entstehungsjahr dieser Schrift als Terminus ante quem angenommen werden. Tatsächlich verstarb Philipp bereits 1506. Keller geht davon aus, dass das Spiel anlässlich des von Maximilian in Nürnberg einberufenen Reichstags 1491 abgefasst und aufgeführt worden sei (Bd. III, S. 1530), hierzu s.u. Als weiterer möglicher Terminus ante quem gilt 1493, weil Maximilian als römischer König bezeichnet wird (Z. 9). In eben jenem Jahr allerdings starb dessen Vater Friedrich III., und Maximilian wurde römisch-deutscher König, nicht jedoch Kaiser, wie Simon (Fastnachtsspieltradition, S. 68) behauptet. Mit Sicherheit entstand das Spiel vor 1494, dem Schlussjahr der Handschrift G.

Rollen, Inhalt, Struktur Rollen: Es treten auf ein Narr, der auch als Einschreier fungiert, eine Närrin, ein Herold, ein Marschall, eine Sibylle, zwei Jungfrauen, der junge Herzog von Burgund, ein Hofmeister, der jüdische Messias bzw. Antichrist, drei Rabbiner, ein schallat jud, vier Heiden und acht Rittter (zu Drache und Judensau als stummen Rollen s.u.). Auffällig ist, dass in Z. 250 ein vierter rabj erwähnt wird (vgl. Z. 84). Wahrscheinlich liegt hier eine fehlerhafte Bezeichnung des schallat jud vor, zumal gerade in den Regieanweisungen häufiger Ungenauigkeiten anzutreffen sind (vgl. Simon: Fastnachtsspieltradition, S. 34f.; Z. 197). In der Einschreierrede verkündet der Herold, dass der Sohn des Königs aufgrund des hohen Unterhaltungswerts der Nürnberger Fastnacht Zeuge der Aufführung sei. Das eigentliche Spiel beginnt damit, dass der junge Herzog die Sibylle und ihr Gefolge empfängt. Nachdem ihr ein Willkommenstrunk angeboten wurde, schildert sie die von einem falschen Messias ausgehende Gefahr für das Reich. Gleichzeitig kündigt sie an, kraft ihrer seherischen Fähigkeiten das Ausmaß einer derartigen Bedrohung erkennen und einschätzen zu können. Der Messias und sein Gefolge betreten die Bühne und fordern die Herrschaft über die Welt für sich ein. Auf die Bitte seiner Anhänger nach einem Zeichen seiner Macht lässt der Messias einen Drachen auf die Bühne treten, den die Sibylle jedoch postwendend in die Kulisse verbannt (vgl. Z. 142–144). Es folgt eine Befragung des Messias bzw. Antichrist durch die Sibylle um sein Wesen und seine Herkunft. Einer der Rabbiner scheitert mit dem Versuch eines (theo-)logischen Beweises für die Echtheit des vermeintlichen Erlösers. Im Anschluss geloben die Juden, sich in christliche Gefangenschaft zu begeben, sollte sich die Echtheit des Messias nicht beweisen lassen. Der Messias unterwirft sich dem Urteil des Glücksrads und unterliegt. Die Juden erkennen die scheinbar betrügerische Absicht des falschen Mes-

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sias und beschimpfen den entlarvten angeblichen Erlöser. Der Fürst ermuntert die Sibylle zur Urteilsfindung, wogegen der Messias protestiert und die Niederlage nicht einräumen will. Die Seherin fordert ihr Gegenüber zu einer weiteren Prüfung, diesmal einer Trinkprobe, und unter Flüchen und Verwünschungen übersteht er auch diese Probe nicht. Wiederum verfluchen die Juden den falschen Propheten. Die Sibylle reanimiert den vorgeblichen Antichrist und befragt ihn nach den Ursachen und Formen seines gegen die Christen aufbegehrenden Verhaltens. Als Antworten werden in der mit 36 Versen umfangreichsten Rede des Spiels allgemeiner Hass auf die Christen, die Ermordung christlicher Patienten durch ihre jüdischen Ärzte, die Gier nach dem Blut von Christenkindern (Ritualmord) und Neid auf die Existenz des christlichen Erlösers genannt. Es handelt sich hierbei um eine umfassende Zusammenstellung jener Verbrechen und Auffassungen, um die man seinerzeit christlicherseits gegenüber den Anhängern der jüdischen Gemeinde zu wissen glaubte (vgl. Z. 344–379; vgl. Habel: Prototyp, S. 193; Wenzel: Judden, S. 250). Im Anschluss soll eine Bestrafung für die Juden gefunden werden, die Sibylle lehnt eine Entscheidungsfindung diesbezüglich jedoch ab. Vier heidnische Berater des Fürsten, acht Ritter und zwei Hofmeister äußern, teilweise aufeinander aufbauend, ihre Auffassung, wie mit den Juden zu verfahren sei. Es werden seitens der muslimischen Berater zeitgenössisch gängige, seitens der christlichen Ritter absurde Strafmaßnahmen genannt. Die Narren ermuntern den Herrscher, über die bis dahin genannten Schandstrafen hinaus den Verurteilten das Geld abzunehmen. Unter Wehklagen werden die Juden unter einer Sau platziert und an deren Zitzen gelegt, den falschen Messias positioniert man unter dem Schwanz des Tiers. Die Narren beginnen mit ihren sanktionsverschärfenden Aktionen: Wie angekündigt berauben sie die Juden ihres Geldes, drohen die Verstümmelung der Geschlechtsorgane und der Ohren an, ziehen einem Juden am Bart und jagen sie schließlich auf Geheiß des Fürsten zum Tor der Stadt hinaus. Die Sibylle übergibt dem Herzog das Glücksrad, dieser revanchiert sich, indem er sie und ihr Gefolge mit Schmuck beschenkt. Abschließend kündigt der Herold den Auszug der Spieltruppe an und fordert den Tanzschluss, den der Herzog und die Sibylle auf der Bühne beginnen lassen. Das vorliegende Handlungsspiel ist wesentlich umfangreicher als die meisten der übrigen Fastnachtspiele. Dies schlägt sich nicht zuletzt in der für einen Text dieser Art eminent hohen Anzahl von Akteuren nieder – immerhin treten mindestens 26 Personen auf. Auch die Gesamtstruktur des Stücks weist eine anspruchsvollere Durchformung auf als andere Handlungsspiele: Zahlreiche retardierende Momente, wie z.B. das zweimalige Gottesurteil sowie die Wiedererweckung des falschen Messias, hemmen immer wieder das Erreichen des erwarteten Endes – des vollständigen Siegs der Christen über die Juden – und bieten stets aufs neue Gelegenheit, deren Unterlegenheit und Scheitern zu thematisieren. Deutungsaspekte: Es lassen sich Angehörige dreier sozialer bzw. kultureller Schichten in dem Stück erkennen: Vertreter der höheren Stände (der Herzog, sein ritterliches Gefolge, dem wohl auch die heiden zuzurechnen sind) sowie die Sibylle

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mitsamt ihren Jungfrauen, der unteren Gesellschaftsschichten (die Juden mitsamt ihrem Messias nach seiner Entlarvung) sowie als dritte Gruppe die beiden Narrenfiguren, auf deren Sonderrolle an späterer Stelle näher eingegangen wird. Gemessen an der relativ komplexen Struktur des Handlungsspiels erscheint die Passage um die Suche nach einer angemessenen Strafe als ein Fremdkörper. Es scheint, dass hier ein weniger stark strukturiertes, in seinem Wesen und Aufbau deutlich schlichteres Reihenspiel eingefügt bzw. an das eigentlich abgeschlossene Spiel angehängt wurde (vgl. Wenzel: Judden, S. 244). Gleichwohl sind beide Blöcke, Disputation und Sanktion, gleichermaßen eingebettet in höfisches Zeremoniell. Im Rahmen der Aufführung wird der beschriebene Niveauabfall aufgrund der derben Thematik jedoch weniger signifikant wahrgenommen als dies bei der Lektüre der Fall ist: Die Kommunikation ist zunächst dialogisch-argumentativ zwischen den Parteien bzw. durch die Narren kommentiert aufgebaut, hierin werden dramatische gegenüber epischen Tendenzen aufgerufen. Dagegen fällt die inhaltlich und dramaturgisch flache, vor allen Dingen aber vorhersehbare Reihung der Sanktionsmaßnahmen im zweiten Block deutlich ab. Hier überwiegt der beim Publikum erzielte Affekt: Die ausführliche Ausbreitung der höchst unappetitlichen bis ekelerregenden Strafphantasien konnten allenfalls gestisch unterstützt werden, sie sind jedoch kaum dramatisch strukturiert. Im Anknüpfen an jene allenthalben angelegte antijüdische Stimmung (s.u.) sorgten sie beim Publikum vermutlich dennoch für ausgelassene Schadenfreude, die die theatralen und inhaltlichen Defizite in der Rezeption auszugleichen vermochte. Für Folz durchaus typisch fällt der Stichreim als gekonnt eingesetztes Stilmittel auch in diesem Spiel immer wieder ins Auge. Bemerkenswert ist insbesondere, dass auch die Sprechpartien von Narr bzw. Närrin in dieser Weise in die Reimfolge integriert sind (vgl. 113–115; 121–123; 127–129; 191–193; 253–255; 320–322; 408–410; 428– 430; 443–445; 451–453; 459–461; 470–472; 517–519; 526–528; 554–556; 560–562; 563– 565; 572–574; 613–615). Sie weisen sich hierin als genuine Bestandteile des Spiels aus und sind nicht wie im Falle des Spiels F 103 in der späteren Fassung nachträglich hinzugefügt. Folz verarbeitet in diesem Spiel zwei antijüdische literarische Traditionen, die Antichristberichte und die Sibyllen-Weissagungen (vgl. dazu Przybilski: Böse). Ein weiteres seinerzeit gängiges Motiv ist das der sogenannten Judensau (s.u). Darüber hinaus finden sich zwei Gottesurteile sowie Anklänge an die in Reihenspielen durchaus beliebten grobianischen Überbietungswettbewerbe (s.u.). Der seit dem frühen Hochmittelalter einflussreichste und in ganz Zentraleuropa am weitesten verbreitete Bericht vom Leben, Wirken und Scheitern des Antichrist ist ‚De ortu et tempore Antichristi‘ des Abts Adso von Mentier-en-Der (910/15–992). Diese zwischen 949 und 954 entstandene Schrift wurde stilbildend für die mittelalterlichen Antichristvorstellungen und wurde zur vorrangigen Quelle für die Antichristspiele des Mittelalters. Der Antichrist ist in Adsos Text ein in Babylon geborener Jude aus dem Stamme Dan, bei dessen Zeugung der Teufel selbst beteiligt war. Er wächst unter der Obhut von

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Dämonen und falschen Propheten auf. Nachdem er nach Jerusalem übersiedelt ist, verfolgt er die dort lebenden Christen, lässt sich beschneiden, gibt sich als Sohn Gottes aus, baut den Tempel wieder auf, nimmt darin Wohnung und versichert den Juden, er sei der ihnen verheißene Messias. Nach einer dreieinhalb Jahre währenden Weltherrschaft wird der Antichrist vom wiedergekehrten Jesus besiegt und nach misslungener Himmelfahrt vom Ölberg aus getötet. Diese Zusammenstellung seinerzeit kursierenden Wissens um den Gegenentwurf zum christlichen Messias ist in weiten Teilen apokalyptisch und zeichnet den Antichristen als konkrete Bedrohung der Christenheit von außen, an deren Ende jedoch zwangsläufig der Sieg des christlichen Erlösers und damit die Vollendung des göttlichen Heilsplans steht (vgl. Grundmann: Grundzüge, S. 421). Im ‚Tegernseer Ludus de Antichristo‘ (entstanden zwischen 1178 und 1186) mischen sich in dieses Konzept dezidiert persönliche Auffassungen des Verfassers zur seinerzeit gegenwärtigen politischen Lage in Europa. In dem Fastnachtspiel ‚Des Entchrist Vasnacht‘ (Hans Rosenplüt, um 1353/54) ist der Antichrist nicht primär Bestandteil jüdischen Unglaubens, er ist vielmehr der Gegenentwurf zu einer sittlich geordneten Gesellschaft, dem auch das Judentum zwischenzeitlich erliegt. Der Antichrist tritt hier nicht als apokalyptischer Christenverfolger auf, sondern als Vollstrecker des Prinzips der Korruption und der Maßlosigkeit. Die heraufbeschworene Bedrohung ist weniger extern und metaphysisch denn dem System inhärent und insofern moralischer Natur. Der Inhalt ist dahingehend in Teilen profanisiert, dass menschliches Versagen und Verführbarkeit klerikaler wie kaiserlicher Würdenträger beklagt werden, wenngleich die Nähe der Juden zum Antichrist gewissermaßen als Relikt beibehalten wird. Folz dagegen knüpft formal an die ältere Tradition an, die Personifizierung der invasiven Bedrohung durch das radikal Böse, das dem christlichen Heil letztlich jedoch unterlegen ist. Das 15. Jahrhundert weist eine große Fülle an Schriften auf, in denen das Ende der Welt und das unmittelbar bevorstehende Jüngste Gericht geschildert werden (vgl. Habel: Prototyp, S. 153). Die Existenz des Antichrist als Bedrohung der christlichen Welt galt weiten Teilen der Bevölkerung als gesichert, die von ihm ausgehende Bedrohung wurde als real wahrgenommen (vgl. Habel: Prototyp, S. 173) und war gemäß zeitgenössischer Auffassung nur durch die fortdauernde Existenz des Heiligen Römischen Reiches aufzuhalten. Im Spiel ‚Der Herzog von Burgund‘ erscheint jene sich selbst als Antichrist bezeichnende Figur jedoch kaum als wahrhaftiger Antichrist oder Messias, sondern in erster Linie als falscher Prophet und aufgeblasener Betrüger (vgl. Gerhardt: Hans Folz, S. 91 und Wenzel: Judden, S. 251). Nicht wie er selbst vorgibt dem Stamme Davids, sondern dem Dans entstammend, kann er keine der Proben bestehen. Das durch ihn herbeizitierte Untier verbreitet keinerlei Gefahr und schließlich unterliegt er nicht nach gescheiterter Himmelfahrt der Streitmacht Gottes, sondern der Urteilsschärfe der Sibylle bzw. der in den göttlichen Zeichen sich manifestierenden ewig gültigen Ordnung. Gegenüber den Höllenfahrten der älteren Bearbeitungen ist dieses Ende auffallend unspektakulär. Hierdurch wird dem mit Endzeitvisionen vertrauten Publikum, anders

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als in der Tradition des geistlichen Dramas, die Deutungsmöglichkeit angeboten, dass die letzten Tage eben doch noch nicht gekommen seien. Und hierin tritt zunächst die in so vielen Fastnachtspielen nachweisbare Idee der verkehrten Welt zutage, das Recht der Fastnacht, die Dinge neu zu arrangieren und gültige Regeln außer Kraft zu setzen (vgl. Ragotzky: Fastnacht, S. 56). Die seitens der Juden in ihn gesetzten Erwartungen kann der Messias zu keinem Zeitpunkt erfüllen. Dadurch erscheint dessen religiöse Anhängerschaft als leichtgläubig bzw. eschatologisch fehlgeleitet und ist infolgedessen scheinbar zwangsläufig übelsten Demütigungen ausgesetzt. Hierin verzichtet der Verfasser offensichtlich bewusst auf direkte Weiterführung des eigentlichen Antichriststoffs, er verlagert den Schwerpunkt aus dem Bereich des Transzendenten in den des Lächerlichen bzw. Obszön-Rabiaten und reduziert den Stoff semantisch (bezüglich der vorzüglichen Kenntnisse Folzens um die seinerzeit kursierenden Vorstellungen vom Erscheinen des Antichrist vgl. Folz: Reimpaarsprüche, Nr. 39, S. 331–357 aus dem Jahr 1479). Das Auftreten des endecrist in diesem Spiel weicht von den seinerzeit gängigen apokalyptischen Darstellungen noch in einer weiteren Weise entscheidend ab. Der zunächst noch nicht als falscher Prophet erkennbare Antichrist richtet sich mit seinen Drohungen an den Herzog von Burgund, also an einen jungen Mann, der bei der Abfassung zwischen acht und 16 Jahre alt war (siehe Datierung) und insofern kaum als politisch relevanter Akteur angenommen werden kann. Hierin projiziert der Verfasser seine Ambitionen auf einen zukünftigen Machthaber und betont den auf kommende Ereignisse angelegten Zug seiner Dichtung: Nicht das bevorstehende Weltenende ist Thema des Spiels, sondern der konkrete, wenn auch indirekt formulierte Appell an den Herrscher, seine Politik gegenüber der jüdischen Bevölkerung innerhalb der Reichsstadt zu ändern und die durch Geldmittel erkaufte Schutzfunktion über die jüdische Gemeinde aufzugeben. Seit 1473 hatte der Rat der Stadt Nürnberg des Öfteren um das Recht zur Ausweisung der in Nürnberg lebenden Juden ersucht. Im Jahr des kaiserlichen Besuchs veröffentlichte Folz ein weiteres judenfeindliches Pamphlet, den Reimpaarspruch, ‚Jüdischer Wucher‘ (= Folz: Reimpaarsprüche, Nr. 37, S. 310– 318), in dem er die Bamberger Judenvertreibung von 1478 mit folgenden Worten als vorbildhaft pries: Desgleichen hör ich künden mer. Wie unser geistlich prelat und her, Her Philip pischoff von Bamperg, Auch hab getan ein götlich werck Der jüden halb und die vertriben, Ewig verpant und außgeschriben. (V. 237–242)

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Die zweite Texttradition, derer sich Folz bediente, ist die der ‚Oracula Sibyllina‘. Es handelt sich dabei ebenfalls um einen während des gesamten Mittelalters häufig rezipierten Stoff, der auf die lateinische Übersetzung einer anonymen griechischen Sammlung von Weissagungen aus dem 5. Jahrhundert n. Chr. zurückgeht. Diese Sammlung vereinigt die damals noch bekannten Sibyllendichtungen – die alten, in Rom aufbewahrten sibyllinischen Bücher waren im Jahre 400 vernichtet worden – und enthält jüdische Bestandteile, die teilweise vor die Zeitenwende zurückreichen, sowie große Partien christlichen Ursprungs. Der Inhalt betrifft vor allem Bewertungen von Prozessen und Entwicklungen des öffentlichen Lebens, prophezeit werden meist Katastrophen, am Ende steht der Ausblick auf das messianische Friedensreich. Der unmittelbare Vorläufer der deutschsprachigen Sibyllinik des Mittelalters ist der Mythos der Tiburtinischen Sibylle. Sie wird häufig im Gespräch mit dem römischen Kaiser Augustus geschildert und abgebildet, dem sie die Zukunft des Römischen Reichs, der Kirche und die Geburt Christi bzw. die Ankunft des Antichrist prophezeit. Im Kreis der Erzählungen über die Tiburtinische Sibylle werden die deutsche Kaisersage und die Kreuzholzlegende mit der Antichristthematik verbunden. Auch Adso bediente sich dieses Motivs. Mit der Judensau greift der Verfasser auf ein seinerzeit ebenfalls beliebtes und verbreitetes Motiv zurück. Es handelt sich dabei um Darstellungen von äußerlich als Juden gekennzeichneten Personen, die eine Sau liebkosen und an deren Zitzen saugen. Sie ist vor allem in der bildenden bzw. plastischen Kunst des Mittelalters vom 13. bis zum 16. Jahrhundert anzutreffen. Derartige Darstellungen lassen sich sowohl an Sakral- als auch an Säkularbauten in verschiedenen Formen fast ausschließlich im deutschen Sprachraum nachweisen. In Nürnberg war und ist ein solches Arrangement an der Südostfassade der Sebalduskirche angebracht. Die grundlegende Arbeit Tradition der Judensau verzeichnet zahlreiche Belege in der mittelalterlichen Architektur (vgl. hierzu die Karte zu Beginn bei Shachar: Judensau). Die Judensau ist die mit Abstand diffamierendste Darstellung von Juden im Mittelalter. Juden werden hier zum einen mit einem Tier in Verbindung gebracht, das als das prominenteste Beispiel der durch die jüdischen Speisegesetze vom Verzehr ausgeschlossenen Tiere angesehen werden kann (vgl. Lev 11, 7–8), zum anderen trägt die konkrete Ausgestaltung dieser Verbindung oft pseudogenealogische und sodomitische Züge (vgl. Schreckenberg: Juden, S. 21 u. 343–349). Neben bzw. in Wechselwirkung mit den literarischen Zeugnissen antijudaistischer Positionierungen ist innerhalb der bürgerlichen Stadtbevölkerung ebenfalls von einer verbreiteten judenfeindlichen Stimmung auszugehen (vgl. auch den Endkommentar zu F 108 und Lomnitzer: Verhältnis, S. 288). Zu diesen literarischen, verbal tradierten bzw. ikonographischen Traditionen treten weitere Quellen, auf die Folz bei der Ausgestaltung des Spiels ‚Der Herzog von Burgund‘ zurückgegriffen hat. Da sind die zahlreichen religiösen Disputationen, die während des gesamten Mittelalters Juden in exponierter Position – in der Regel zwangsweise – seitens der christlichen Kirche auferlegt wurden. Zwar gibt es auch hier eine

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literarische Tradition, die schon um ca. 430 mit der ‚Altercatio Simonis Judaei et Theophili Christiani‘ einsetzt, doch waren christlich-jüdische Religionsdisputationen keine rein fiktive Erscheinung, sondern auch real erfahrbare Ereignisse. Zwei der berühmtesten Disputationen des Hochmittelalters waren die von 1240 in Paris und die von 1263 in Barcelona, in der einer der bedeutendsten jüdischen Bibelkommentatoren seiner Zeit, Moses ben Nachman, der Hauptvertreter der jüdischen Seite war. Zu Folzens Lebzeiten wurden in Nürnberg und den umliegenden größeren Städten zahlreiche Disputationen abgehalten, die der Dominikanermönch Petrus Nigri leitete (vgl. Michels: Studien, S. 236f.). Zwar lassen sich diese erst ab 1478 mit Sicherheit nachweisen (vgl. CDS 4, S. 353f.), der Dominikaner selbst berichtet jedoch in seinem ‚Tractatus contra perfidos Judaeos de conditionibus veri Messiae‘ von Predigten, die er bereits 1474 gehalten habe (vgl. ADB 32, S. 247). Diese religiösen Streitgespräche hatten allerdings eher den Charakter christlicher Zwangspredigten als den von Diskussionen zweier gleichberechtigter Parteien. Anders als im Zuge der real bezeugten Disputationen geht der Impuls zur Auseinandersetzung im vorliegenden Spiel von den Juden aus (vgl. Wenzel: Judden, S. 208). In der Beschreibung von Sanktionsmaßnahmen gegen die Juden ist der Verfasser ebenso kenntnisreich wie phantasievoll. So greift er in den Ratschlägen der vier Heiden auf seinerzeit praktizierte Formen innerhalb der Blutgerichtsbarkeit und hier insbesondere der üblichen Ketzerstrafen zurück (vgl. Wenzel: Judden, S. 251; Gerhardt: Hans Folz, S. 89f.). Die Ratschläge der Ritter dagegen sind nicht als manifeste, rechtlich relevante Sanktionen anzusehen. Sie stehen lediglich untereinander in Zusammenhang durch die jeweilige Überbietungsabsicht und nutzen hierin Rezeptionsanreize des Reihenspiels. Innerhalb des Spektrums der Spiele sowie der übrigen Texte des Hans Folz, die sich der Auseinandersetzung mit Vertretern bzw. Angehörigen des jüdischen Glaubens widmen (vgl. hierzu den Endkommentar zu F 108), ist eine mit der Zeit zunehmende Bereitschaft erkennbar, die bestehenden Ressentiments inhaltlich und stilistisch zu radikalisieren (vgl. dazu Martin: Representations, S. 125–136). Waren z.B. F 81 ‚Ecclesia und Synagoga‘ und F 108 ‚Kaiser Konstantin und Silvester‘ noch mehr oder weniger der Tradition verpflichtete Texte, die auf die Verhöhnung der als religiös verstockt geltenden Juden bzw. der nachbiblischen jüdischen Schriften abzielten, so verfolgt ‚Der Herzog von Burgund‘ darüber hinaus ganz ausdrücklich die Vertreibung der Juden, wenn nicht sogar deren physische Vernichtung. Der theologische Antijudaismus ist hiermit in eine Vorform profanen, politischen bzw. wirtschaftlich-merkantilen Antisemitismus umgeschlagen. Und in diesen Absichten stimmte der Autor Hans Folz, wie bereits angedeutet, mit der Politik des Rats der Stadt Nürnberg, dem alle Spiele im Vorfeld einer Aufführung vorzulegen waren, grundsätzlich überein (vgl. Toch: nutz). Im Jahr 1498 ergab sich der Kaiser schließlich dem Drängen des Rats und verfügte die Ausweisung der Juden aus der Stadt sowie die Konfiskation ihrer Güter (CDS 5, S. 601). Dieser Eifer ist nicht zuletzt als Grund dafür anzusehen, dass es dem nicht in Nürnberg geborenen Hans Folz, der erst 1459 das Bürgerrecht erworben hatte, gelingen

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konnte, einen rasanten sozialen Aufstieg zu vollziehen. Seit 1486 amtierte er als Meister bzw. seit 1498 als Geschworener Meister der Wundarznei und des Barbierhandwerks, also als von allen Meistern seiner Zunft gewählter Vertreter, der die Einhaltung der Handwerksordnung überwachte, gegenüber der Stadt berichtspflichtig war und die Belange seines Handwerks vor dem Rat verteidigte (vgl. dazu Janota: Hans Folz). Sein soziales Umfeld belegt diese steile Entwicklung: Folz unterhielt in den 70er Jahren bereits freundschaftliche Beziehungen zu Vertretern der Nürnberger Oberschicht, vor allem zu Anton Haller, der seit 1467 Genannter und damit Mitglied des Größeren Rats war. Zweifellos gehört ‚Der Herzog von Burgund‘ zu den wenigen politischen Fastnachtspielen. Diese greifen entweder zeitgenössische Ereignisse auf, wie z.B. R 47 ‚Des Türken Fastnachtspiel‘, das eine Reaktion auf die Einnahme Konstantinopels durch die Osmanen im Jahr 1453 ist, oder aber sie versuchen wie im vorliegenden Fall direkt über die öffentliche Meinungsbildung auf administrative Abläufe Einfluss zu nehmen. In der Einarbeitung einer konkreten Wirkabsicht aber wird der Mythos vom Antichrist in Teilen entladen, der Stoff wird aus dem heilsgeschichtlichen Kontext herausgelöst. Der Text hat nicht den die menschliche Hybris anmahnenden Appellcharakter traditioneller Antichristdarstellungen, sondern er wird neuen, vitaleren und konkreteren Zielen antijüdischer Agitation dienstbar gemacht. Und während in den meisten der übrigen Gerichtsspiele die Urteilsfindung vertagt wird (Catholy: Fastnachtspiel des Spätmittelalters, S. 202), wird hier eine Entscheidung explizit gefordert (vgl. Z. 381– 385). Hans Folz mischt also im Dienste wirtschaftlicher Interessen und sozialer Gemengelagen textexterne Motive und Momente (Judensau, historisch manifeste Judenpogrome, fastnachtspieltypische Derbheiten) in literarische Traditionen. Er greift nur formal auf die Rohform der Antichrist-Motivik zurück, blendet deren stoffgeschichtliche Entwicklung aus und ordnet das dramatische Produkt der Durchsetzung höchst aktueller Ambitionen unter. Diejenigen Spiele, die an die theologische Auseinandersetzung von Christen und Juden bzw. die soziale Herabwürdigung der letztgenannten Gruppe anschließen, also das vorliegende, F 81 und F 108, fallen dahingehend aus dem Rahmen, dass das für die Fastnacht übliche zuweilen ungeordnet wirkende Nebeneinander sozial etablierter sowie unerprobter Muster einer dezidierten, unmissverständlichen Haltung weicht (vgl. Quast: Zwischenwelten, S. 218). Die Spiele reichern die Darstellung der Verkehrung der Welt um den Appell nach Veränderung der Welt an. Diese Haltung kommt in den beiden mutmaßlich älteren Bearbeitungen noch nicht im Gewand des Komödiantischen daher, die dürr anmutenden Dramatisierungen der ‚Pharetra‘ bzw. ‚Disputation‘ streben in ihrer eindimensionalen Vehemenz nicht zum Komischen. Erst mit F 88 ist das Thema karnevalesk umschrieben und gewissermaßen im Genre Fastnachtspiel angekommen. Die Figur des Narren durchläuft bei Folz eine deutlich erkennbare Entwicklung. Die Äußerungen Veitleins und Leisgens sind nicht liebestoll, obstinat oder gottesleugnerisch, wie dies bei älteren Narrenfiguren und noch denen der Fastnachtspieltradition

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(vgl. auch F 92, F 96 und F 98) gemeinhin der Fall war. Wie auch in F 103II reicht die Funktion des Narren über die Verkörperung des Sinnlosen hinaus und wirkt nicht zuletzt in formaler Hinsicht strukturierend (vgl. Biehl: Narrenfigur, S. 18). Innerhalb der zwei Blöcke, in die das Spiel zerfällt, verändern sich Aufgabe und Funktion der Narren. Wenn sie zu Beginn die Geschehnisse kommentierten, so fungieren sie in ihren Verschärfungsvorschlägen für die Sanktionsmaßnahmen als Katalysator, der die folgenden, durch die Ritter vorgetragenen Bestrafungsmöglichkeiten deutlich in sexuellinzestuöser, anal-sadistischer sowie skatologischer Hinsicht verschärft. In ihrer kommentierenden Funktion belegen sie gleichwohl von Beginn an die Absicht der Bearbeitung des Stoffs durch Folz: Ihr respektloser Umgang mit dem angekündigten Messias zeugt von Anfang an von der thematischen Umdeutung, die der falsche Prophet unter der Hand des Verfassers erfuhr. Indem die Narren die Juden parallel zur eigentlichen Strafe um deren Barschaft erleichtern sowie den zweifelhaften Erlöser verstümmeln, greifen sie im zweiten Teil direkt in die Spielhandlung ein und steigern bzw. erweitern die Demütigung der Juden abermals. Im vorliegenden Spiel bilden die Narren eine vom übrigen Bühnenpersonal abgeschottete Einheit. In ihrer bühnentechnischen Verortung zwischen den Antagonisten sowie in ihrer derb-komischen Sprache agieren sie auf einer vom übrigen Bühnengeschehen zunächst in einer losgelösten Handlungsebene. Narr und Närrin interagieren mit Ausnahme Z. 518ff., 555ff. und 6218ff. vorzugsweise untereinander. Sie greifen zwar aktiv in das Geschehen ein, ohne jedoch unverzichtbarer Bestandteil der Handlung zu werden. Sie bleiben gewissermaßen ein irgendwo zwischen Bühne und Rezipient zu verortendes Bindeglied (vgl. Biehl: Narrenfigur, S. 20). Aus dieser Nähe zu den Rezipienten wiederum vertiefen sich analoge Denk- und Verhaltensweisen. Der Narr symbolisiert nicht mehr topisch die Gott abgewandte Seite des Menschen, sondern funktioniert als nur teilweise auf der Bühne platziertes Transportmittel persönlicher Intentionen des Verfassers. Gleichzeitig fungieren die Narren in der ungebührlichen Verspottung des Fürsten in Z. 519 in der Rolle des klassischen Hofnarren (vgl. Wuttke: Druckfassung, S. 170). Ausschließlich ihm war innerhalb des Hofstaats das Recht vorbehalten, den Potentaten auf Verfehlungen aufmerksam zu machen. Es ist schließlich nicht zu klären, ob Kaiser Maximilian tatsächlich Zeuge einer Inszenierung war. Der 1491 in Nürnberg einberufene Reichstag begann am 15. März und damit nach der Fastnacht (vgl. Simon: Fastnachtsspieltradition, S. 68 bzw. Fischer: Hans Folz, S. 219). Das Spiel weist sich durch Z. 12 jedoch eindeutig als Fastnachtspiel aus. Man kann es dem Verfasser allerdings zutrauen, diese eine Zeile anlässlich einer späteren Aufführung vor den Augen des Regenten ausgetauscht zu haben, oder aber das Spiel wurde als speziell nürnbergische Kunstform aus dem etablierten Kontext herausgelöst und bewusst als folkloristisches Moment außerhalb des ursprünglichen Kontextes präsentiert (zur offensichtlich gängigen Praxis, dem Regenten Schembartlauf und Fastnachtspiel vorzuführen vgl. Folz: Reimpaarsprüche, Nr. 38, S. 325–327). Für ein sozial höher stehendes Publikum spricht auch die außerordentlich huldvolle Anrede in Z. 6.

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Aufführungshinweise: Die Bühne ist zweigeteilt zu denken, stehen doch Christen und Juden einander, entsprechend der zeitgenössischen Ikonographie, feindselig gegenüber. In Z. 20 tritt die Sibylle auf die Bühne, wobei sie kaum in der Mitte steht, sondern aufseiten des Herzogs, der sie in Z. 38 in Empfang nimmt. Die andere Hälfte dürfte bis Z. 84 unbesetzt gewesen sein. Erst hier halten der angebliche Messias und sein Gefolge Einzug. Insgesamt befinden sich bis zu 26 Personen zuzüglich der Spieler der stummen Rollen (Drache und Judensau) auf der Bühne. Um diese Menge für den Zuschauer trotzdem übersichtlich zu strukturieren, werden immer wieder gewisse Gruppen angewiesen, sich an einer Stelle zusammenzufinden (vgl. Z. 44, 94). Der Verfasser begegnet hier Problemen, mit denen er im Zuge der Inszenierung bspw. einer Narrenrevue nicht konfrontiert war. In Z. 232ff. unterteilt sich jener Bühnenabschnitt, auf dem sich der vermeintliche Antichrist und die Juden aufhalten, wenn diese den Schwindel erkennen und gewiss auch gestisch in Opposition bzw. auf Distanz zu dem falschen Propheten treten. Aber auch in der anderen mansio formieren sich Substrukturen. So weist in Z. 387ff. der Fürst den Marschall an, der Sibylle eine Botschaft zu übermitteln, und auch die Antwort in Z. 394ff. ergeht scheinbar über den Boten. Diese Entgegnung indes gelangt ohne Umweg zum Herzog, der darauf mit der Befragung seiner Ratgeber fortfährt. Potentat und Seherin kommunizieren in dieser Szene indirekt, was auf eine gewisse, zumindest angedeutete räumliche Distanz zwischen den beiden schließen lässt. Das Glücksrad muss als Attrappe gedacht werden, da bereits zu dem Zeitpunkt, da es herbeigeschafft wird, (Z. 224f.) des fursten figur oben stet, es also nicht auf der Bühne in Bewegung versetzt wird. Gemäß den Äußerungen in Z. 551ff. bzw. 614ff. müssen außerdem Münzen oder gefüllte Lederbeutel vorgezeigt bzw. ausgetauscht worden sein, die Rede in Z. 659ff. erfordert Schmuck auf der Bühne. Der Giftbecher könnte entsprechend zeitgenössischer bildkünstlerischer Tradition durch eine heraushängende Schlange als solcher gekennzeichnet gewesen sein. Das gewiss wichtigste Requisit jedoch muss die Judensau gewesen sein. Sie wurde höchstwahrscheinlich von ein bis zwei zwei Schauspielern in entsprechender Kostümierung gespielt. Die Beschaffenheit der Sau, unter der die Juden und deren Messias sich positionieren müssen, kann jedoch nicht mit letzter Gewissheit rekonstruiert werden. Gleichwohl ist deren Präsenz auf der Bühne unabdingbar (vgl. die Regieanweisung in Z. 551). Aufgrund der zahlreichen nachweisbaren bildlichen Umsetzungen des Motivs und der infolgedessen hohen Präsenz im Bewusstsein der Zuschauer könnte man möglicherweise auf eine allzu detaillierte Ausgestaltung des Requisits verzichtet haben. In der Inszenierung geht der von der Judensau ausgehende Effekt weit über die Wirkung schriftlicher wie bildlicher Realisierungen hinaus (vgl. Habel: Prototyp, S. 194). Das Aussehen des Untieres, das der Messias auf die Bühne zitiert, bleibt einigermaßen ungewiss. In Z. 137 bzw. 142 wird es als trach eingeführt bzw. beschrieben, in Z. 140 dagegen benennen die Narren es als merwolf bzw. werwolf, setzt man eine derartige Verschreibung voraus (zu dessen möglichen Erscheinungsformen auf der Bühne vgl.

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Gerhardt: Hans Folz, S. 49). Insgesamt bleibt ein relativ hoher Aufwand an Requisiten wie auch die bereits erwähnte große Anzahl an Akteuren festzuhalten. Gemeinsam belegen sie die hohe Intentionalität des Spiels. Die historische Persönlichkeit des Herzogs ist zum Zeitpunkt der Abfassung zwischen acht und 16 Jahren alt. Gleichwohl wurde die Rolle des Knaben von einem erwachsenen Akteur gespielt. Die Ausrichtung des Spiels lässt jedoch vermuten, dass diese Möglichkeit, zotiges Kapital zu schlagen, nicht genutzt wurde. Das Spiel fällt wie bereits dargelegt thematisch gemeinsam mit F 81 und F 108 aus dem Rahmen der frühen Nürnberger Fastnachtspiele bzw. es erfordert deutlich mehr Vorkenntnisse seitens der Zuschauer (vgl. Wenzel: Judden, S. 208). Dies spricht wiederum für eine erkennbar differenzierte Spielsituation, aus der heraus sich die Inszenierung eben nicht ausschließlich in einer lärmenden Gastwirtschaft an ein zufällig anwesendes Publikum wendet, sondern sich bewusst an eine handverlesene Zuhörerschaft richtet. Hierfür spricht auch die bereits erwähnte Anrede. Daneben fordert die hohe Zahl der Akteure sowie der Requisiten eine Spielstätte mit deutlich größeren Ausmaßen, zu denken wäre an eine Bühne auf einem der Nürnberger Marktplätze. Insbesondere bei der möglichen Anwesenheit des Kaisers ist von einem derartigen Spielort auszugehen. Die Verse 3 und 4 wären dann bereits topisch, gewissermaßen als Relikt der typischen Fastnachtspieltradition in die neue Situation übernommen. Der Überbietungswettbewerb erweist sich in der Inszenierung als dramatisch weniger gelungene Passage, ihr Reiz liegt in der rüden Thematik. Bis dorthin ist die Struktur dialogisch zweidimensional angelegt bzw. um die Metaebene der Narren bereichert. Die Anwesenheit des Drachen unterhält den Zuschauer zusätzlich. In der Straffindung indes kreisen die Äußerungen über 115 Verse thematisch eng um einen Sachverhalt, (Inter-)Aktion auf der Bühne findet nicht mehr statt, Handlungsfortgang und Bühnengeschehen kommen nahezu vollständig zum Erliegen. Durch diesen Perspektivwechsel, der nicht die Bühnenfiguren als Kommunikationspartner erscheinen lässt, sondern das Publikum zum Empfänger einer expliziten Botschaft macht, verstärkt sich der appellative Charakter, der dem Spiel innewohnt. Im Anschluss wiederum wird die Sanktionsmaßnahme selbst mit großem Aufwand betrieben. Dabei bewegen sich die Narren zwischen den Delinquenten, beugen sich über den entlarvten Messias und berauben die unter der Sau liegenden Juden ihrer Barschaft. Die Figur des Narren war traditionell eng an erotische Begierde und den damit verbundenen Tanz angelegt. Nimmt man diese Anbindung als konstituierendes Merkmal der Narrenrolle an, dann liegt der Schluss nahe, dass deren Bewegungen möglicherweise tänzelnd, zumindest aber vom Ablauf her deutlich unterschieden waren von denen der übrigen Akteure. Da der schallat jud lediglich in der nicht an den Zuschauer gerichteten Sprecheranweisung als solcher gekennzeichnet ist, ist eine entsprechend ärmliche Kostümierung zu unterstellen. Dadurch, dass der jüdische Hegemonieanspruch von ihm vorgetragen wird, wird der Geltungsanspruch des falschen Messias bereits früh unterminiert. Daneben korrespondiert die Gewandung des schallat jud mit der letztendlich zu konstatierenden Erbärmlichkeit des falschen Messias, geschickt nutzt Folz nonverba-

214 | 88 – Hans Folz: Der Herzog von Burgund

le Mittel der Kommunikation zwecks Aufbaus von Stimmung und Erwartungshaltung beim Publikum. Die Rabbiner sind wohl mit Bart (vgl. Z. 610) und mit Judenhut oder einer sonstigen stigmatisierenden Kleidungsbesonderheit (gelber Fleck am Obergewand o.ä.) zu denken. In der Rede des Einschreiers wird der Herzog als Zuschauer des Fastnachtspieltreibens eingeführt (vgl. Z. 8), und in Z. 38 empfängt er als Bestandteil der Bühnenhandlung die Sibylle. Erst in Z. 50 löst die Sibylle diese Doppelbödigkeit auf und verortet den jungen Herrscher mit ihrer Anrede im Spielgeschehen. Ähnlich den beiden Narrenfiguren fungiert auch der Herzog insofern gewissermaßen als Fremdkörper auf der Bühne, als dass sie alle Teil des spielerischen Umgangs nicht alleine in, sondern mit der Bühnensituation sind.

Textbezüge Das Stück muss natürlich insbesondere in Bezug zu den übrigen antijüdischen Fastnachtspielen und Reimpaarsprüchen aus der Feder von Hans Folz gesehen werden. Im ‚Herzog von Burgund‘ gelingt Folz die literarische Umsetzung und dramatische Inszenierung antijüdischer Stereotype sicherlich am wirkungsvollsten, doch verdankt sein drittes antijüdisches Spiel seine Wirkkraft nicht zuletzt auch den Vorübungen und dramatischen Testfahrten, als die seine anderen Texte anzusehen sind (vgl. dazu Schiel: würm; Schönleber: juden; Wenzel: Judden). Um das Jahr 1470 veröffentlichte Folz sein erstes judenfeindliches Fastnachtspiel, ‚Ecclesia und Synagoga‘ (F 81). Spätere Bearbeitungen desselben Stoffs finden sich in der ‚Pharetra contra iudeos‘ sowie der ebenfalls bei Mayer (Folz: Meisterlieder, S. 372ff. bzw. 387ff.) als ‚Traktat Nr. 103‘ firmierenden titellosen Disputation, die in der Weimarer Handschrift Q 566 überliefert sind. Schon ein Jahr später wurde ein weiteres antijüdisches Fastnachtspiel von Folz, ‚Kaiser Konstantin und Silvester‘ (F 108), in Nürnberg aufgeführt. 1479 veröffentlichte Folz die antijüdischen Reimpaarsprüche ‚Die Wahrsagebeeren‘ (Folz: Reimpaarsprüche, Nr. 9, S. 60–72) und ‚Christ und Jude‘ (Folz: Reimpaarsprüche, Nr. 27, S. 226–242), eine Überarbeitung der Disputation aus Spiel F 108. Sie wurden in der gleichen Offizin gedruckt, aus der vier Jahre später auch der dritte judenfeindliche Reimpaarspruch, ‚Der falsche Messias‘ (Folz: Reimpaarsprüche, Nr. 12, S. 92–98) hervorging, der inhaltlich außer dem Motiv der Verspottung messianischer Erwartungen durch die Juden keine engeren Beziehungen zum ‚Herzog von Burgund‘ aufweist. Der Reimpaarspruch ‚Jüdischer Wucher‘ (Folz: Reimpaarsprüche, Nr. 37, S. 310–318) datiert aus dem Jahr 1491. Antijüdischen Ausfällen begegnet man schließlich in dem Reimpaarspruch ‚Das römische Reich‘ (Folz: Reimpaarsprüche, Nr. 39, S. 353). Juden finden sich im vorreformatorischen Fastnachtspiel außer in den bereits genannten Folzschen Spielen noch in ‚Bauernprahlereien III‘ (R 48), in ‚Des Entchrist Vasnacht‘ (R 6), im ‚Augsburger (südbairischen) Heiligkreuzspiel‘ (K 125) sowie im ‚Wiener Susanna-Spiel‘ (K 129).

88 – Hans Folz: Der Herzog von Burgund | 215

Grobianisch-absonderliche Bestrafungsorgien bzw. den Wetteifer der Agierenden um die Beschreibung einer absurderen Methode, als sie der Vorredner nennen konnte, finden sich auch in R 26, R 27, R 41, R 47, R 57, R 64 und R 70, in nuce ferner in F 110. Zwar trifft man auf detailverliebte Beschreibungen des Lassens und Verzehrens von Kot auch in F 91, allerdings wird dort der reinigende und genussvolle Aspekt reger Darmtätigkeit lustvoll beschrieben, während im vorliegenden Spiel der Umgang mit Fäkalien der Stigmatisierung und sozialen Ausgrenzung dient. In der überstandenen Weinprobe und der Auferweckung von den Toten greift Folz auf ein Motiv aus der ‚Legenda Aurea‘ zurück, einer seit dem Hochmittelalter weit verbreiteten Legenden- und Heiligenvitensammlung des Jacobus de Voragine (vgl. Jacobus de Voragine: Legenda, S. 64–65). Bearbeiter: Greil, Przybilski

89 – Das Nürnberger [kleine] Neidhartspiel

Das neithart spil

5

10

15

KF Nr. 21

Gb 124v KF 191

Nw hort jr herren all geleich, Hie kumpt der Neithart, der ritter reich, Der wil vns machen hie ein spil. Ob das yemant verdrissen wil, Der schließ taschen vnd peutel sein, Das jm niemant greiffe darein. Doch get daher ein erbergs geslecht. Wer seinen spot nit lassen mecht, Der wurd gar pald von vns geschlagen, Das man jn must von vns hie tragen. Wer vnser kurtzweil hat fur gut Vnd vns ein schenck hie darumb tut, Den woll wir verzeren allsant geleich Vnd wollen jm auch dancken tugentleich. Ein ritter dicit:

20

Ich bin ein ritter auß Meylandt. Ein hertzogin mich her sandt, Vnd in zuchten sej wir zusamen kumen Vnd all krieg sein hie auß genumen.

5 Ob ‚Wenn‘ 8 erberg (zu mhd. êrbærec): ‚ehrbar‘ 13 schenck (zu 3 reich ‚edel, mächtig‘ mhd. schanc): ‚Geschenk, Gabe‘; hier: ‚kostenlose Bewirtung, Runde‘ 14 woll: Zum Flexivausfall in der 1. Pers. Pl. Ind. Präs. bei nachgestelltem Personalpronomen vgl. Paul: MhdGr, § 240 und Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 94. 14 verzeren (zu mhd. verzern): ‚verzehren, konsumieren‘ 15 tugentleich ‚anständig, angemessen‘ 19 zucht ‚Liebenswürdigkeit, Anstand‘ 20 sein: Zur Bildung der 3. Pers. Ind. Pl. Präs. vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 149. 20 hie: Das Adverb kann sich sowohl auf das Bühnengeschehen als auch auf die Zuschauersituation beziehen.

1 unterstrichen; im Register G: Ain spill von dem Neithart 2 Sprecherbezeichnungen und Handlungsanweisungen sowie die ersten Wörter der jeweiligen Rede sind unterstrichen. 11 hie: Keller (S. 191) erwägt Konjektur zu hin

218 | 89 – Das Nürnberger [kleine] Neidhartspiel

Die hertzogin dicit:

25

Herr Neithart, lieber diener mein, Wenn pringest du mir den feyel fein? Ist dir der feyol worden kunt, So weyße mir den zu dieser stunt!

Gb 125r

Neithart spricht zu der hertzogin vnd setzt den feyel heimlich nieder vnd deckt jn mit eim hutlein zu: KF 192

30

35

Genedige fraw von Osterreich, Piet mir ewr hant gar tugentleich. Ich fur euch auff ein anger gruͤ n Vnd zeyg euch diesen feyel schuͤ n. Ich hoff, er bring euch frewd vnd mut. Ich han jn gedeckt mit einem hut. Wir wollen darumb tantzen ein reyen Mit ewren junckfrawen in dem meyen. Adelhait spricht zu jrem mann: Engel mayr, lieber man mein, Laß vns hie vmb den feyel fein Tantzen, das dunckt mich gut vnd eben. Ich wil dir ein leckuchen geben.

40

Engelmair dicit: Peiff auff, mein lieber spiel man! Ich tantz des pesten, das ich kan. Wir vnd auch mein acker trappen, Laßt vns vmb diesen feyel sappen!

Gb 125v

23 feyel ‚Veilchen‘ 24 kunt ‚bekannt‘ 26 Zum Hut als Gefäß zur Aufbewahrung von Exkrementen vgl. Gerhardt: Diätetik, S. 25; vgl. auch F 111. 28 Pieten ‚Bieten, Reichen‘ 29 anger ‚Wiese‘ 29 gruͤ n: Zum Lautstand auch des folgenden Verses vgl. Michels: Studien, S. 115 und Gusinde: Neidhart, S. 204. 33 reyen ‚Reigen, Tanz‘ 35 Adelhait: Der Name der Gattin Engelmars ist in der Neidharttradition verankert, wird in diesem Spiel allerdings nicht auf der Bühne verbalisiert. Der Verfasser geht offensichtlich davon aus, dass das Publikum aus dem folgenden Vers 36 lieber man mein den Namen der Frau ergänzen konnte. 38 eben ‚passend, angemessen‘ 39 leckuchen ‚Lebkuchen, Honigbrot‘ 43 acker trappe: Ursprünglich schwerfliegender, plumper Vogel, dessen Name später der Verunglimpfung von Bauern diente und bspw. im ‚Großen Neidhartspiel‘ eine Rolle bezeichnete (vgl. dort Z. 125, 171, 1564). Hier aufgrund der Verwendung im Plural wohl nicht als Name oder als Beschimpfung, eher: ‚Kumpel‘. 44 sappen ‚plump stapfen‘

89 – Das Nürnberger [kleine] Neidhartspiel | 219

45

Mach mir das gut vnd darzu eben, Ich wil dir ein eÿ zu lone geben. Neithart spricht zu der hertzogin:

50

Genedige edle frawe zart, Nw get mit mir zu dieser fart, So zaig ich euch den feyel fein: Der sol, fraw, ewr aigen sein. Die erst iunckfraw get mit dem Neithart.

55

Junckfraw, jr must den feyel schawen. Mit einem hut verdeckt ich jn vor disen pauren, Wann ich torst jn getrauen nye. Secht, junckfraw zart, wie stet es hie. Die junckfraw dicit:

60

KF 193

Zart allerliebste frawe mein, Dieser feyel dunckt mich nit der recht sein. Sag, Neithart, wie ist dir geschehen? Hast du ein dreck fur ein feyel ersehen? Die ander junckfraw dicit:

65

Mit vrlaub, fraw, jr sollet wissen: Die pauren han auff den feyel geschissen. Wir wollen jn alles hart seld fluchen. Wir wollen jn auß dem dreck suchen.

46 eÿ: Das Ei stand häufig für einen geringen Wert und ist hier nicht im übertragenen, sexuell metaphorisierten Sinne zu verstehen (Margetts: Neidhartspiele, S. 298; anders Hintner: Beiträge 2, S. 29); vgl. Z. 226. 51 aigen ‚Eigentum‘ 55 torren (zu mhd. turren): ‚wagen‘ 60 dir: Die Jungfrau wechselt die Anredeform gegen Neidhart und behält diese bei (vgl. Z. 53 und 56, wo Neidhart die Jungfrau seinerseits standesgemäß in der 3. Pers. Plur. anspricht). 61 fur ‚für, an Stelle von‘ 65 jn: 3. Pers. Dat. Plur. des Personalpronomens 65 hart ‚schwer, grob‘ 65 seld (zu mhd. sælde): ‚Heil, Glück‘

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Die dritt junckfraw:

70

Gb 126r

Fraw, diesen dreck stoß wir von dannen, Suͦ chen den stein mit vnser handen. Vnd fund wir den, so mocht wir jehen, Das Neithart hat den feyel gesehen, Das wir jm gelaubten dester paß, Das jm die pauren tragen haß. Die hertzogin spricht:

75

Neithart, heb dich auß dem lande! Du kumst anderß in spot vnd in schande. Neithart spricht zu der hertzogin:

80

85

Zart, edle fraw von Osterreich, Ich klag euch diese schand clegleich Vber diesen schnoden pawrßman Vnd ander, die mir das laster haben getan. Mein genediger herr das auch muß wissen, Das sie auff den feyel haben geschissen. Ee ich jn das laster wolt vertragen, Ich wolt ir ee zehen erschlagen. Engelmair auff der steltzen dicit: So heyß ich Engelmeir, hort mer, Vnd kumm auff meiner steltzen her. Her Neitha〈r〉t, ich hab ein knecht,

Gb 126v

69 Die Bedeutung des Verses bleibt unklar. Die Vermutung, es handele sich tatsächlich um einen Edelstein verwirft bereits Gusinde: Neidhart, S. 208 (vgl. auch Margetts: Neidhartspiele, S. 121). Ob es sich allerdings um die von Gusinde ebd. vermutete Fehlschreibung für feyel handelt, ist ebenfalls nicht zweifelsfrei. Möglicherweise ist von der metaphorischen Bedeutung des Steines als ‚Edelstein, Schatz‘ für den kostbaren Frühlingsboten auszugehen. 70 jehen ‚sagen‘ 72 paß (zu mhd. baʒ): ‚besser, mehr‘ 73 haß tragen ‚feindseliger Gesinnung gegenüber einer Person sein‘ 76 anderß ‚andernfalls‘ 79 clegleich ‚vor Gericht Klage vorbringend‘ 81 laster ‚Schmach, Schande‘ 84 vertragen ‚vergeben‘ 85 ‚Ich wollte eher ihrer [der Bauern] zehn erschlagen.‘ 86 steltze ‚Holzbein‘ 87 mer (zu mhd. mêr): ‚mehr, außerdem, ferner‘

89 Neithart] Neithat

89 – Das Nürnberger [kleine] Neidhartspiel | 221

90

Der ist geheissen Elltschenprecht. Tut er dir nit noch ein boßheit, So ist es mir jm hertzen leit.

KF 194

Elltschenprecht dicit:

95

So bin ich doch der Elltschenbrecht Vnd bin ein vngeheiter knecht. Neithart, du solt hie von mir wissen, Das ich den feyel han beschissen. Neithart dicit:

100

Ir grafen, ritter vnd knechte: Wir mussen mit den pauren fechte! Nw sagt jn ab, rust euch zu streit Mit jn vmb die poßheit vnd neydt. Ein ritter dicit:

105

Ich heyß ritter vom Satelpogen. Merck, Elltschenprecht, du pist betrogen! Ich wil dich schlagen vmb den kopff, Das du vmb lauffest als ein topff. Ein pawr dicit:

110

Ich bin ein pawr von Dingelfingen. Ir freund, laßt vns zusamen springen. Ich han ein schopen wol gedret Mit pantzer ringen wol durch neet, Vnd auch ein schwert, kost mich zwej pfunt.

Gb 127r

90 Elltschenprecht: Nebenform des Namens Elispert (vgl. Arndt: Personennamen, S. 48). 95 vngeheit (zu mhd. hîwen bzw. ungehîwet): ‚unverheiratet, jungfräulich‘; hier übertragen: ‚ohne Sorgen‘ 101 (jmdm.) absagen ‚Frieden aufkündigen, Fehde ansagen‘ 104 Satelbogen: Der Name deutet entweder auf Zugehörigkeit zum bayerischen Adelsgeschlecht derer von Sattelbogen oder auf die hohe Reitkunst des Trägers hin (vgl. Arndt: Personennamen, S. 40; DWb 14, Sp. 1825). 107 topff ‚Kreisel‘ 109 Dingelfingen: Vermutlich Dingolfing an der Isar (vgl. Gusinde: Neidhart, S. 211). Anders Siller, der das Spiel in Sterzing verortet und die dort ansässige Familie Dingelfinger hinter dem Namen vermutet (vgl. Siller: Anmerkungen, S. 395f.). 111 schopen ‚kurzer, rockartiger Überwurf‘; hier: ‚Kettenhemd‘

90 Elltschenprecht Keller (S. 1490) erwägt Konjektur zu Erkenpreht

222 | 89 – Das Nürnberger [kleine] Neidhartspiel

115

Darmit mach ich den Neithart wunt. Neithart, das solt du mercken eben: Ich wil dir mit dem schwert auß geben. Ein ritter dicit:

120

125

Ich pin ein ritter von dem Rein, An solt wil ich ewr diener sein. Ich wil gern mit den pauren streiten, Ich bin jn feint zu allen zeiten. Wir nemen jn kwe, gayß vnd pock Vnd wollen sie schlahen in die stock. Vnd kummen sie auff diesen plan, Ich wil die pauren allein bestan.

KF 195

Ein pawr dicit:

130

So pin ich gar ein werder helt. Wo man die hertten eÿr schelt Vnd schoner frawen pflegen sol, Do vertrit ich mein stat gar wol! Vnd wo man scharpfe schwert zeucht, Pin ich der erste, der do fleuht. Ein ritter dicit:

135

Ich bin ein junger starcker ritter, Ich wird den pauren noch vil zu pitter. Mit jn zu streiten stet mein gier, Ich schlah der rotzigen pauren vier Vmb jr kopff vnd vmb jr stifel, Das sie vor mir ligen als die zwifel.

Gb 127v

114 wunt ‚verwundet‘ 119 An ‚Ohne‘ 123 stock: ‚Gefangenenstock‘, aus Holz gefertigte Apparatur zur sicheren Verwahrung Gefangener; hier wohl bereits in der Bedeutung ‚Gefängnis‘. 124 plan ‚Fläche, (Kampf-)Platz‘ 125 bestan ‚standhalten, bekämpfen‘; vgl. Z. 144, 178 128 Weiche Eier wurden sprichwörtlich geschält, wenn der Schälende eine Tätigkeit besonders geschickt anging oder um jemandes Gunst buhlte (vgl. Röhrich: Redensarten, S. 356). 129 pflegen ‚sich einer Sache annehmen‘ 130 ‚Da fülle ich meinen Platz gut aus!‘ 135 pitter ‚zornig, gefährlich‘ 139 zwifel: ‚Zwiebel‘, in der Bedeutung vergleichbar ‚Kraut und Rüben‘.

89 – Das Nürnberger [kleine] Neidhartspiel | 223

140

145

Ein pawr dicit: Ich pin ein junger stoltzer pawr Vnd pin gantz auff den Neithart sawr. Ritter, wie dunckest du dich als kun? Wie, ob ich dich allein bestun? Ich wil das nit lenger vertragen, Ich wil dich hawen durch deinen kragen. Ein ritter dicit:

150

155

160

Ich bin ein ritter vom Hirsch horn. Es tut mir auff den pauren zorn. Sie mussen lassen schwere pfant: Den rechten fuß, die lincken hant. Ich wil der pauren kein vermeÿden Vnd wil jn die zerß vor dem arß abschneiden.

R 30, 211; R 32, 115; R 41, 139

Ein pawr dicit:

KF 196

Ich bin ein vnuertzagter pawr, Vnd bin auch auff den Neithart saur. Auff einer kirbej du vns all Ein salben du vns zu kauffen gabst, Das jdem der pauch geschwollen was. Darumb trag wir dir all semd haß. Darumb wil ich dir wider sagen: Von mir wirst du gar hart geschlagen.

Gb 128r

143 kun ‚kühn, tapfer‘ 144 bestun (zu mhd. bestân); die ungewöhnliche Graphie ist reimbedingt. 145 vertragen: Bezieht sich das auf die bis zu diesem Zeitpunkt geäußerten Schmähungen der Ritter, steht das Verb in der Bedeutung ‚dulden, hinnehmen‘. Bezieht man es auf die im folgenden Vers angedrohte körperliche Züchtigung, ist es mit ‚aufschieben‘ zu übersetzen. 146 kragen (zu mhd. krage): ‚Hals‘ 148 Hirsch horn: Der Name deutet entweder auf Zugehörigkeit des Trägers zum streitbaren Geschlecht derer von Hirschhorn/Neckar oder auf dessen Meisterschaft in der Jagd hin (vgl. Arndt: Personennamen, S. 40). 149 zorn tun ‚erzürnen‘ 151 lincken: Zur indeterminierenden Flexion des Akk. Sg. Fem. vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 36. 152 vermeÿden ‚verschonen‘ 153 zers ‚Penis‘ 157 kirbej ‚Kirchweih, Jahrmarkt‘ 160 semd ‚alle, samt [und sonders]‘ 161 wider sagen ‚den Kampf ansagen‘

157 Fehlende Reimwörter auf Z. 157 und 158 lassen den Ausfall des Endes von Z. 157 oder aber mindestens zweier Verse vermuten (vgl. Keller: Fastnachtspiele, S. 1490).

224 | 89 – Das Nürnberger [kleine] Neidhartspiel

Des Neithartz knecht dicit:

165

170

175

Herr Neithart, nempt jn ewr hant Ewr schwert! mich dunckt, es sej kein tant. Die pauren enpfinden des piers wol Vnd schlugen vns leicht die heut gar vol. Setzt auf ewren stehlein eyßen hut, Mein lieber herr, das dunckt mich gut. Neithart dicit: Nv kumt, jr ritter vnd jr knecht, Vnd weret den pawren jr groß geprecht. Jch man euch hie zu dieser stund vnd zeit, Das jr her kumpt in diesen streit. Yder setz auff sein eysen hut, Das ich beleib vor jrem vbermut, Vnd tret herzu auff diesen plan, Das wir die pauren hie bestan. Ein ritter dicit:

180

185

Jch bin ein junger ritter zart. Neithart, ich sag euch auff der fart: Wer es ewr aller diener rat, So gingen wir mit euch all in den tot Vnd wollen frolich zu euch springen. Jch hoff, vns soll gar wol gelingen.

Gb 128v

165 tant ‚Spielzeug‘ 166 enpfinden: ‚empfinden, spüren‘; erhöhter Alkoholkonsum vor der Schlacht sollte wohl die Aggressivität steigern und das Schmerzempfinden lindern. 168 stehlein ‚stählern‘ 168 eyßen hut ‚Eisenhut, Helm‘ 172 geprecht ‚Prahlerei, Anmaßung‘ 176 beleiben ‚verharren, nicht zurückweichen‘ 180 zart ‚anmutig, stattlich‘ 181 auff der fart ‚auf der Stelle‘ 182 rat ‚Befehl‘ 185 gelingen: Im Frnhd. auch noch einwertig, Verwendung ohne Pronomen üblich.

173 stund vnd zeit: Keller (S. 1490) konjiziert zu zeit; der Konjekturvorschlag ist rein metrisch motiviert.

89 – Das Nürnberger [kleine] Neidhartspiel | 225

Heben streit dicit: Hort, so heyß ich der Heben streit. Neithart, wer dich, wann es ist zeit.

KF 197

Nw schlahen sie aneinander. 190

195

Der teufel dicit: Jch pin der vbel teufel vnd quel Sie hart vnd nym jr aller sel. Die hie beligen vnd sein erschlagen, Die will ich in die hell all tragen Vnd sie bringen dem Lucifer: Der pawren sel sein vns nit vnmer. Ein paur dicit:

200

Waffen, jo vnd immer waffen! Wie han ich heut so lang verschlaffen! Das mir mein bruder ist erschlagen: Das wil ich Crist von himel klagen. Doch wil ich dich, Neithart, nit schelten, Ich wil dirs noch gar wol vergelten!

Gb 129r

Ein ander paur dicit: 205

Freunt Knopff, gehab dich gar wol! Ich weiß ein arzt, der selbig sol

186 Heben streit: Der Imperativ Heb an den Streit unterstreicht die Rauflust des Namensträgers (vgl. Arndt: Personennamen, S. 71). 190 Die Anwesenheit des Teufels im Falle des Todes ist hier zwangsläufig, vgl. den Endkommentar zu diesem Spiel. Ob es sich um ein Anknüpfen des Autors an die Teufelsrapportsszene des ‚Großen Neidhartspiels‘ (Z. 1602–1819) oder eine seinerzeit in geistlicher Literatur und Kunst topische Verwendung des Teufelsmotivik handelt, ist unklar. 193 beligen ‚liegen bleiben‘ 196 vnmer ‚verhasst, unlieb‘ 198 waffen: Der ursprüngliche Alarmruf in der Bedeutung ‚Zu den Waffen!‘ hat bereits frühzeitig eine semantische Erweiterung allgemein zu einem Hilferuf, einer An- bzw. Wehklage erfahren (DWb 27, Sp. 292). 199 verschlaffen: ‚verschlafen, wahrzunehmen versäumen‘; im Verbund mit waffen feste Reimformel (vgl. Michels: Studien, S. 28), die insbesondere Bestandteil der Klage der Grabwächter in den Osterspielen war. 205 Knopff: Aus der ursprünglichen Bedeutung ‚Knoten‘ heraus wird der Namensträger als plump und ungeschlacht ausgewiesen (vgl. Arndt: Personennamen, S. 70).

226 | 89 – Das Nürnberger [kleine] Neidhartspiel

Vnser wunden ymer haylen rein. Der artzt haißt maister Laurein. Laurein dicit: 210

Jch, Laurein, hab ein guts getranck. Welcher pawr ist wunt vnd kranck Vnd trinckt auß dem fleschlein, jm wirt pas. Fur ein warheit sag ich das. Hebenstreit dicit:

215

Laurein, du hast mir geholffen wol, Des ich dir ymer dancken sol. Ein ritter dicit:

220

Wol auff, her Neythart, es ist zeit, Seydt wir gewunnen han den streit. Die hertzogin wil vns zu lone geben Essen vnd trincken vnd ein frolichs leben. Das thw wir den pauren zu schandt, Nw gebt der herr ̲tzogin ewr handt!

KF 198

Der vrlaub nemer: 225

Rat mer, dann got spar euch gesunt, Pis das ein 〈ey〉 gelt hundert pfunt. Vnd laß euch got mit freuden leben, Piß wir euch ewr schenck wider geben.

Gb 129v

208 Laurein: Der Arzt wird nach der zwergenhaften Figur der Heldensage benannt. Eben jenen Zwergen brachte der Volksglaube hohe Verehrung aufgrund vermeintlicher Kenntnisse im Umgang mit den Heilkräften der Natur entgegen (vgl. Arndt: Personennamen, S. 26). Als Personenname selten, der Bezug zur Figur des Heldenepos scheint insofern trotz Schwierigkeiten (Laurin hat dort keine Heilkräfte) naheliegend. 216 Des ‚Dessen, Dafür‘ 219 Seydt kausal: ‚Da, Weil‘ 225 sparen ‚erhalten‘

225 dann: Keller (S. 1490) erwägt Konjektur zu und; die Stelle bleibt ohne Eingriff kaum verständlich. Denkbar und vor allen Dingen weniger stark eingreifend erscheint die Konjektur dann zu daz. Der Imperativ Pl. (mit ausgefallenem Flexiv, vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 94) wäre dann in der Bedeutung ‚erwägen, überlegen‘ zu verstehen. 226 ey] : Ein Eingriff erscheint nicht zuletzt aufgrund der in der Handschrift erscheinenden Lücke notwendig. Der Konjekturvorschlag bei Keller, der die Leerstelle mit ‚pfeninc‘ füllen will (S. 1490), ist metrisch holprig und semantisch nicht zwingend.

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230

Mit ‚guter nacht‘ ir sitzt leicht lenger, Ob euch die fasten wurd vil dest strenger, Dann euch die fasnacht ist gewesen. So man den passion tut lesen, So leg wir dann die sund all nyder. Wilß got, piß jar kum wir her wider.

229 leicht ‚vielleicht‘ 230 dest ‚desto, um so‘ 232 passion: ‚Passion, Leidensgeschichte Christi‘; im Mhd. immer Mask.

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Kommentar Bezeugung Gb, Bl. 124v–129v

Ausgaben Keller: Fastnachtspiele I, S. 191–198 (= Nr. 21, nach G); Bd. III, S. 1490; Bd. IV, S. 338.

Textkritik Das Spiel ist unikal in Handschrift G überliefert.

Autor Die Autorschaft bleibt letztlich ungeklärt, Folz erscheint als Verfasser eher unwahrscheinlich. Sehr wahrscheinlich dagegen stammt das Stück aus Nürnberg, lässt sich bspw. das Kompositum hart seld (Z. 65) nicht andernorts belegen (vgl. Gusinde: Neidhart, S. 211), und auch der leckuchen (Z. 39) spricht für fränkische Provenienz (vgl. Hintner: Beiträge 4, S. 17 und S. 59). Die bei Michels: Studien, S. 114f. und Siller: Anmerkungen, S. 395f. vorgebrachten Zweifel können kaum überzeugen. Die Bearbeitung älterer literarischer Stoffe entspricht zwar der Vorgehensweise Folzens, syntaktische Schlichtheit, fehlender Stichreim sowie unterbliebener Schlusstanz (anders: Gusinde: Neidhart, S. 210) und die stattdessen erfolgte Einbindung des Spielgeschehens in die folgende Fastenzeit sind dagegen für Folzspiele untypisch. Auch das Maß der Bauernverachtung überschreitet die ansonsten bei Folz anzutreffenden Schilderungen, die den Landmann der Lächerlichkeit aussetzen, nicht jedoch dessen systematische Verstümmelung zum Thema haben. Radikalität bis hin zur physischen Vernichtung formuliert Folz vielmehr gegenüber jüdischen Figuren, vgl. F 88 ‚Der Herzog von Burgund‘.

Datierung Für den 21. Februar 1479 gibt es eine offizielle Genehmigung des Rats zur Aufführung eines Neidhartspiels (Hampe: Miszellen, S. 254). In Anbetracht der über 100 Jahre zurückreichenden Tradition der Neidhartspiele kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die Verordnung sich auf eine inzwischen verloren gegangene Abschrift des St. Pauler Spiels bezieht. Zweifellos erfolgte die Fertigstellung von F 89 vor 1494, dem

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Jahr der Fertigstellung von Handschrift G. Weitergehende, allerdings reichlich spekulative Überlegungen bezüglich des relativen Alters finden sich bei Hintner: Beiträge 3, S. 51ff.

Rollen, Inhalt, Struktur Rollen: Einschreier, ein Ritter von Mailand, die Ritter von Sattelbogen, vom Rhein, von Hirschhorn sowie drei unbenannte, Neidhart, dessen Knappe, die Herzogin von Österreich, drei Jungfrauen, die Bauern Eltschenprecht, Engelmar und dessen Frau Adelheit, ein Bauer aus Dingelfingen, Hebenstreit und Knopf sowie vier unbenannte Bauern, der Teufel, der Arzt Laurin und der Abschiednehmer, der eventuell mit dem Einschreier identisch ist. Im Anschluss an die Rede des Einschreiers gebietet der Ritter aus Mailand Ruhe und Frieden. Darauf bittet die Herzogin von Österreich Neidhart, ihr und ihrem Gefolge das Veilchen auf der Wiese zu zeigen, das er vorgibt gefunden und mit einem Hut bedeckt zu haben. Gemeinsam ziehen sie zu der Blume auf der Wiese. Gleichzeitig tanzen Engelmar, dessen Frau und eine nicht näher beschriebene Anzahl an Bauern um den Frühlingsboten. Als die erste der drei Jungfrauen unter den Hut schaut, entdeckt sie anstelle der Blume einen dreck. Schnell beeilen sich die beiden anderen Jungfrauen die Herzogin davon zu überzeugen, dass der Streich nicht auf das Konto Neidharts, sondern auf das der Bauern gehe. Dennoch verbannt die Herzogin Neidhart, dieser rechtfertigt sich und kündet Rache an den Bauern an. Eltschenprecht wendet sich an Neidhart und gibt sich als Verursacher des Corpus delicti aus. Im Anschluss an dieses Geständnis formiert Neidhart seine Ritter hinter sich gegen die Bauern, es folgt ein Wechselspiel gegenseitiger Beschimpfungen zwischen den beiden Lagern. Nach längerem Hin und Her kommt es zu Kampfhandlungen, in deren Folge zumindest ein Bauer tödlich getroffen und ein anderer verwundet wird. Der Bericht des Teufels, der die Seelen der Gefallenen in die Hölle entführen will, lässt jedoch auf mehr Tote schließen. Der Klage eines Bauern über den Verlust seines Bruders entgegnet ein vom Kampfgeschehen gezeichneter Bauer mit dem Verweis auf den Arzt Laurin, der zumindest den Überlebenden Heilung verschaffen könne. Dieser verabreicht seine Medizin, und der verletzte Bauer dankt für die Linderung seiner Schmerzen. Ein Ritter kündigt den Rückzug der Hofgemeinschaft zur Wohnstätte der Herzogin und deren Versöhnung mit Neidhart an, und schließlich beendet ein Ausschreier das Bühnengeschehen. Margetts zählt das Spiel zu den Handlungsspielen (Margetts: Neidhartspiele, S. 297). Die insbesondere im zweiten Teil fast ausschließlich dialogische Struktur und das sich wiederholende Wechselspiel von wenig aufeinander aufbauender Rede und Gegenrede lassen das Stück in Teilen auch in die Nähe der Reihenspiele treten und so als Mischform erscheinen.

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Deutungsaspekte: Das Stück lässt sich in zwei Akte gliedern. Dabei kommt den Versen 86–97 eine Art Gelenkfunktion zu. Während dieser Passage wandelt sich das Bühnengeschehen von der inhaltlich dürftigen Verarbeitung des Veilchenmotivs hin zu polemischem Schlagabtausch und aktionsgeladenem Bühnenzauber. Lediglich gegen Ende spielt der Verfasser noch zweimal mit älteren Stoffen (Teufelsspiel und Laurin), ohne dass jedoch den verwendeten Motiven Eigenständigkeit im Sinne einer jeweils eigenen Szene zukäme. Auffällig ist der häufige Wechsel des Personals, das den jeweiligen Mittelpunkt einzelner Bühnenereignisse bildet. In dieser Hinsicht ähnelt das vorliegende Spiel der weiteren Neidhartspieltradition, insbesondere dem sogenannten ‚Großen Neidhartspiel‘, trifft man dort doch allenthalben pantomimische Aktionen und Positionswechsel auf der Bühne an. Diese werden, anders als im vorliegenden Spiel, in ausführlichen Regieanweisungen mitgeteilt. Das Stück gibt nichtsdestoweniger Rätsel auf. So fehlt eine Passage, innerhalb derer Neidhart den Fund der Blume am Hof der Herzogin meldet (vgl. Z. 23). Die Regieanweisungen in Z. 26 gehen der besagten Frage inhaltlich zwangsläufig voraus. In Z. 30 will Neidhart der Herzogin den feyel zeigen, in Z. 52 offenbart er dagegen der ersten Jungfrau die Blume. Es mutet zunächst auch irritierend an, dass Engelmar bereits in Z. 86ff. mit einem Holzbein auftritt, noch bevor die Auseinandersetzungen seine körperliche Unversehrtheit beeinträchtigen konnten. Michels nimmt an, Engelmair auff der steltzen sei aufgrund der dichten Erzähltradition bereits eine allseits bekannte, topische Figur geworden (Michels: Studien, S. 28; vgl. Margetts: Neidhartspiele, S. 299), die außerhalb des Bühnengeschehens stehe und mit fixierten Attributen ausgestattet sei. Dies ist allenfalls bedingt schlüssig: Zwar funktioniert auch die ebenfalls sehr ungenaue Passage mit der Salbe als wenig präzise Anspielung auf Neidharts Salbenschwank in Z. 157ff. (vgl. MSH III, S. 238ff.) nur mit Vorkenntnissen des Rezipienten, sie greift jedoch nicht in die Chronologie und Handlungsstruktur des Bühnengeschehens ein. Engelmars Verletzungen datieren doch wohl erst aus einem späteren Teil des Spiels, und in Z. 40 wird Engelmar in der Regieanweisung ohne Erwähnung der Gehhilfe eingeführt. Zweifelhaft erscheint in diesem Zusammenhang lediglich Z. 42, wo er ankündigt des pesten, das ich kan um das Veilchen zu tanzen. In dieser Formulierung spiegelt sich zumindest die Möglichkeit, dass Engelmars Bewegungsabläufe von Beginn an eingeschränkt sind. Die Funktion des ritters aus Meylandt in Z. 17ff. bleibt ebenfalls unklar, möglicherweise handelt es sich um den Rest eines ursprünglich umfänglicheren Prologs (vgl. Gusinde: Neidhart, S. 210), die silete- bzw. tacete-Formel wird bei diesem möglichen Schrumpfungsprozess indes gerettet (Z. 20). Gleichwohl ist die Passage in dieser Form kaum unverzichtbarer Bestandteil des Spiels. Die Unvollständigkeit der Anspielung auf den Salbenschwank, der im Übrigen der Witz der Vorlage gänzlich abgeht, wurde bereits vermerkt. Die Verehrung des ersten Veilchens als Frühlingsboten, die Freude über das Ende der kalten Jahreszeit und der gemeinsame Auszug auf die Dorfwiese mit Musik

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und Tanz scheint ursprünglich volkstümliche Sitte gewesen zu sein (Gusinde: Neidhart, S. 12; Simon: Anfänge, S. 53f.). In der Tradition der Neidhartspiele (s.u.) und insbesondere des stadtbürgerlichen Nürnberger Spiels ist dieser Brauch allerdings weniger als gelebtes Ritual denn als literarisches Motiv zu verstehen. Der Glaube an die Integration des Brauchtums in höfisches Zeremoniell zu Beginn des 13. Jahrhunderts (vgl. u.a. Gusinde: Neidhart, S. 12f.) beruht indes wohl eher auf einer Fehlinterpretation (Simon: Art. ,Neidhartspiele’, Sp. 895). Während das ‚Große Neidhartspiel‘ möglicherweise weniger als Fastnacht- denn als Frühlingsspiel zu sehen ist (vgl. Margetts: Neidhartspiele, S. 285) und keinesfalls als Einkehrspiel konzipiert gewesen sein kann, ist F 89 durch die Rede des Ausschreiers trotz der Erwähnung des Mais in Z. 34 eindeutig an den Beginn der Fastenzeit angebunden. Die Suche nach dem bereits im März blühenden Veilchen und der damit verbundene Tanz als jahreszeitlich gebundenes Brauchtum werden aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gerissen und als rein literarisches Motiv zu einem späteren Zeitpunkt innerhalb des Jahreszyklus im Fastnachtspiel neu arrangiert. Das Veilchen wird zunächst im Lied ausgetauscht gegen ein wenig spezifisches sor (MSH III, S. 202, wohl zu mhd. sôr: ‚dürr, trocken‘), im ‚St. Pauler Neidhartspiel‘ wird der Gegenstand überhaupt nicht näher beschrieben. ‚Neidhart Fuchs‘ ersetzt die Blume durch ein merdum und das ‚Große Neidhartspiel‘ durch dreck (Z. 677). Das vorliegende Spiel bleibt bezüglich des Streichs unentschlossen. Der etablierten Entwendung der Blume und ihrer Ersetzung wird die Variante ihrer Beschmutzung hinzugefügt. Diese Spielart wird jedoch nur unzureichend in die Tradition eingearbeitet: In Z. 26 befindet das Veilchen im Bereich der Herzogin, in Z. 37 und 44 scheint es bei den Bauern zu befinden, in Z. 64, 83 und 97 wird dagegen berichtet, es befinde sich unter dem Kothaufen. Die Möglichkeit, dass es sich dabei um ein und denselben Ort handelt, dass also die Bauern um das beschmutzte Veilchen tanzen und direkter Zeuge der Entdeckung des Streiches sind, wird lediglich im ‚Sterzinger Neidhartspiel‘, Z. 235 bzw. ‚Sterzinger Szenar‘, Z. 204 explizit genutzt. Diese Variante scheidet im vorliegenden Spiel jedoch aus, da die Szenen nicht ineinander verschachtelt sind, gemeinsame Bühnenhandlung bzw. Dialog zwischen den Gruppen unterbleibt. Blume, Kot und Hut sind trotz Z. 44 an einem anderen Ort zu denken als der bäuerliche Frühlingstanz. Darüber hinaus verweist Z. 88 (kumm) darauf, dass die Bauern sich der höfischen Runde nach den separat vollzogenen Tänzen nähern. Aus der Gleichzeitigkeit von feyel und dreck an einem Ort ergibt sich aber eine Möglichkeit zur Vergröberung des Stoffs: Austausch, Entwendung und Verbringung der Blume an einen anderen Ort und räumlich getrennter Tanz der höfischen von der dörflichen Gesellschaft, wie es im ‚Großen Neidhartspiel‘ anzutreffen ist, stellen mit Sicherheit das sinnvollere Arrangement dar, der Triumph der Bauern mündet hier in der Entwendung des Frühlingsboten im Stile eines militärischen Feldzeichens. Allerdings besteht nur in der Konstellation des ‚Kleinen Neidhartspiels‘ Anlass für die unappetitliche Recherche der drei Damen (vgl. Z. 66–73). Die sinnvolle Wiedergabe des Veilchenmotivs scheint dem Verfasser weniger am Herzen gelegen zu haben als die möglichst derbe Umsetzung des beim Publi-

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kum bekannten Stoffs als Voraussetzung für die anschließenden Prügeleien. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass trotz genannter handwerklicher Fehler, die insbesondere dem Philologen ins Auge fallen, das Spiel seine Wirkung erzielen und das Publikum unterhalten konnte (vgl. Margetts: Neidhartspiele, S. 301). Die im Rahmen der Prügelei entstandenen Verletzungen sind vor dem zeitgenössischen strafrechtlichen Kontext zu sehen. Ursprünglich war die Verstümmelung des linken Fußes und der rechten Hand (vgl. Z. 151) als Sanktionsmaßnahme zu verstehen, in deren Folge der Bestrafte nicht mehr reiten und kämpfen konnte: Der linke Fuß wurde als erster in den Steigbügel geschoben, mit der rechten Hand führte man das Schwert (vgl. Grimm: Rechtsaltertümer, S. 293). Die vorliegende Textstelle ist jedoch eine semantisch entleerte, festgefügte Reimformel, da die Verwechslung der Gliedmaßen wie auch an anderen Stellen nicht als Fehler wahrgenommen (vgl. auch Dahlberg: Laurin, V. 264, 378, 402 sowie Keller: Heldenbuch, S. 701, 6, dort aber auch in der althergebrachten Verwendung S. 710, 31 sowie 711, 6) bzw. der alte Brauch parodistisch konterkariert wird (Michels: Studien, S. 28). Die Anwendung der ritterlichen Strafe für den aus seiner Sphäre ausbrechenden Bauern erscheint zwar begründbar, ergibt sich jedoch kaum zwangsläufig aus dem vorliegenden Text bzw. den übrigen Bearbeitungen des Stoffs, die theatrale Verknüpfung beider Momente verfängt beim Rezipienten kaum, der Akt der Verstümmelung bleibt ein Fremdkörper bzw. ist ebenfalls topisch zu verstehen (vgl. auch Wernher der Gartenære: Helmbrecht, Z. 1690–1691). Es sind insbesondere die nachträglich eingefügten, wenig phantasievollen Ausführungen der Rache an den Bauern, auf die der Verfasser des vorliegenden Spiels die meisten Verse verwendet hat. Er nutzt hierin durchaus geschickt die für die theatrale Situation insbesondere geeigneten Passagen: Renommistische Reden der Ritter im Stile des miles gloriosus und großspurige Bauernprahlereien, die in einem tumultartigen Kampfgetümmel mit mindestens einem Verletzten und einem Toten münden, lassen auf großen Zuspruch seitens des Publikums schließen (vgl. F 105). Auf die in den lyrischen Bearbeitungen angelegten ausführlichen Schilderungen der Freude über das Ende der kalten Jahreszeit, der persönlichen Enttäuschung der Herzogin sowie des Friedensschlusses zwischen Neidhart und der Herzogin wird dagegen verzichtet. Generell sind die beiden gegeneinander ins Feld ziehenden Parteien, Bauern und Ritter, in ihren Eigenschaften überspitzt gezeichnet (überheblich und angriffslustig bzw. tölpelhaft und schließlich unterlegen), und gleichzeitig verstoßen sie gegen die ihnen zugewiesenen Verhaltensmuster: Der Bauer prahlt anmaßend in Z. 111–113, der Ritter verheert in Z. 122–123, wobei der das Schwert führende Bauer bereits in den echten Neidhartliedern, im ‚Neithart Fuchs‘, dem ‚Helmbrecht‘ Wernhers des Gartenæres und in Wolframs von Eschenbach ‚Willehalm‘ auftritt. Als Vertreter einer vergangenen Epoche um einen anachronistischen sozialen Konflikt ringend erscheinen sie dem stadtbürgerlichen Nürnberger Verfasser jedoch beide zu komischer Präsentation geeignet. Doch nicht in allen literarischen Zeugnissen überwiegt diese negative Wahrnehmung bzw. Schilderung des Bauernstandes. Im historischen Volkslied beispielsweise wird der Bauer nicht zuletzt aufgrund seines Beitrags bei der Stellung militä-

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rischer Kontingente und seiner kriegerischen Leistungsfähigkeit zumindest regional als Held gefeiert (vgl. Schlumpf: puren, S. 152ff.). Die Rolle des genedigen herren (Z. 82) bleibt unklar. In der Vormoderne wurde im Mai ausgehandelt, mit welchem männlichen Partner junge Frauen den verbleibenden Teil des Jahres verbringen sollten (Gusinde: Neidhart, S. 14). Insofern haftet der Überehrung des ersten Veilchens an die Herzensdame ein durchaus erotisches Konnotat an: An einen derartigen Vorgang waren Absichten und Erwartungen geknüpft. Eine solche Verbindung zwischen Mann und Frau wird im vorliegenden Spiel nicht ausdrücklich erwähnt, sie schwingt lediglich in der stofflichen Tradition des Veilchenmotivs mit. So kann im Falle einer Maibuhlschaft also kaum von einer verheirateten Frau ausgegangen werden. Im ‚Neithart Fuchs‘ werden herzogin (Z. 151, 173) und fürst (Z. 180) unterschiedliche Adelstitel zuerkannt. Die erste, in MSH noch von Payren (MSH III, S. 202, Nr. 16) landsmannschaftlich konkret zugewiesen, verbleibt im Schwank bezüglich ihrer Herkunft im Dunklen. In Z. 265 dagegen wird der Fürst dort als Herrscher in Wien verortet. Ob die unterschiedlichen Titel auf unterschiedliche Funktionen in verschiedenen Dynastien oder eine eheliche Gemeinschaft verweisen, bleibt zunächst unklar. Im Salbenschwank (MSH III, S. 238, Nr. 76) ist es Neidhart, der den aus seiner Sicht geglückten Streich mit den Bauern seinem Fürsten meldet. Für den Verfasser des ‚Neithart Fuchs‘ kann man annehmen, dass er sich am Wiener Hof aushalten ließ (vgl. Bobertag: Narrenbuch, S. 146). Insofern erscheint die Einbindung seines Dienstherren durchaus nachvollziehbar. Es handelt sich dort also höchstwahrscheinlich um den Brotherren des Autors und nicht um das eheliche gegenüber seiner potentiell amourösen Affäre. Der Verfasser des ‚Großen Neidhartspiels‘ erkennt jedoch nur die Möglichkeit, dass es sich um Eheleute handeln müsse (vgl. Z. 610, 1027, 1090, 1093 et passim). Er ersetzt den Fürsten durch den Herzog, auch die Rückmeldung bei Hofe wird nicht mehr in Wien angesetzt. Er verheiratet fälschlicherweise gewissermaßen die von Neidhart begehrte Maibuhle und belegt hierin indirekt die Inaktualität des zugrunde gelegten Brauchtums zumindest in städtischen Zirkeln. Da im vorliegenden Spiel die Rehabilitation Neidharts ausgespart wird, bleibt schlussendlich jedoch ungewiss, um wen es sich bei besagtem genedigen herren handelt. Der Verfasser des vorliegenden Spiels scheint also verschiedene Texte gekannt zu haben: Die Erwähnung des Teufels, der zunächst in Osterspiel und Exempel im Auftrag Luzifers Seelen akquiriert, erscheint im älteren ‚Großen Nürnberger Neidhartspiel‘, nicht aber in den Schwänken. Der Glaube an das Ringen des Teufels um die Seele eines Verstorbenen war aufgrund der Ars Moriendi-Literatur sowie der geistlichen Spiele weit verbreitet. Insbesondere im Zusammenhang mit vermeidbaren bzw. aus kirchlicher Sicht für verwerflich erachteten Todesfällen wie im Rahmen von Turnieren oder Duellen galt die Seele des Verstorbenen als an den Teufel verloren. Die Figur des Arztes, im ‚Großen Neidhartspiel‘ nur in nuce angelegt, ist möglicherweise über eine mit dem ‚Sterzinger Spiel‘ sowie ‚Szenar‘ gemeinsam genutzte Quelle aus den Osterspielen übernommen. Anders als dort bildet der Arzt im vorliegenden Spiel allerdings einen wenig in die Handlung eingebundenen Fremdkörper. In den Schwän-

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ken wiederum finden sich bspw. der zunächst eigenständige, später in den ‚Neithart Fuchs‘, Z. 1593ff. integrierte Salbenschwank (vgl. Z. 157ff.). Diesen greift der Verfasser des vorliegenden Spiels jedoch nur sehr lose auf, die Salbe der Vorlage bewirkte keine Bauchschmerzen, sondern bereitete dem damit Bestrichenen durch bestialischen Gestank Unbehagen (vgl. auch MSH III, S. 238ff.). Insgesamt kann eine Verwilderung und Vergröberung in späteren Bearbeitungen des Neidhartstoffes konstatiert werden (vgl. Brill: Pseudoneidharte, S. 9; Rabbinowitsch: Probleme, S. 2ff.). Aufgrund dieser Entwicklung des Neidhartstoffes und der Funktion der Rolle des Fürsten in Wien im ‚Neithart Fuchs‘ Z. 180 kann folgende Genese gedacht werden: Das Lied MSH III, S. 202, Nr. 16 erfuhr zum einen minimaldramatische Umsetzung im ‚Kleinen St. Pauler Spiel‘ und schwankhafte Umsetzung im ‚Neithart Fuchs‘. Die Annahme, dass der älteste erhaltene Druck um 1490 datiert (vgl. Brill: Schule, S. 220), schließt eine ältere, verloren gegangene Fassung nicht aus. Diese sowie Kenntnis um MSH III, S. 202, Nr. 16 (vgl. Gusinde: Neidhart, S. 70ff.) plus weitere Schwankliteratur können als Vorlagen für das ‚Große Neidhartspiel‘ angenommen werden. Aus diesem wiederum werden einzelne Motive im vorliegenden Spiel und in das ‚Sterzinger Szenar‘ bzw. ‚Sterzinger Neidhartspiel‘ übernommen. Ob dies auf direktem Wege oder über einen verlorenen Zeugen geschah (vgl. Gusinde: Neidhart, S. 222), bleibt ungewiss. Die vorliegende Bearbeitung kann als nur in Teilen gelungene, hastig vorgenommene Kürzung einer oder mehrerer Bearbeitungen des Stoffs gedacht werden (vgl. Gusinde: Neidhart, S. 210, 220). Gleichwohl liegt in der Absicht der Beschränkung grundsätzlich ein dramaturgischer Fortschritt gegenüber dem etwas ermüdenden ‚Großen Neidhartspiel‘. Der Verfasser ist augenscheinlich wenig um (chrono-)logische Konsistenz und ästhetische Ausgewogenheit bemüht, seine Absicht liegt in der kraftvollen Präsentation des Derb-Komischen. Literarische Traditionen werden semantisch reduziert nachgeahmt und den gröberen Interessen des Publikums angeglichen. Die Ferne zu der Sphäre des Wahrscheinlichen entspricht dem unpolitischen Charakter der Spiele insgesamt: Dem Gravitationsfeld realer Bedingt- und Gepflogenheiten gegenüber wirken die Agierenden als rein fiktive Figuren, die literarisch generiert, aber nicht soziohistorisch motiviert sind. Der Dichter Neidhart (zur Problematik des Beinamens von Reuental vgl. Schweikle: Neidhart, S. 50ff.) verknüpfte in seinen Liedern um die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts die höfische mit der dörperischen Liebes- und Lebensweise. Er tat dies, indem er die Form des hohen Minnesangs zur enstellten und verzerrten Spiegelung des agrarischen Milieus nutzte. Er sparte dabei nicht mit Spott für die zuweilen großspurig auftretende Landbevölkerung. Zahlreiche Pseudoneidharte folgender Jahrhunderte belegen das große Interesse an der Gattung, sie (re-)generieren die literarische Figur des Neidhart als Bauernfeind innerhalb der einzelnen Dichtungen (vgl. Schweikle: Neidhart, S. 64ff.). Dieser literarische Neidhart wiederum tritt aus dem lyrischen Kanon heraus, er wird fiktiver Akteur in zahlreichen Schwänken und Spielen.

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Die stoffliche Tradition dieses Schwanks war zur Zeit der Abfassung des vorliegenden Fastnachtspiels noch immer außerordentlich lebendig. Sowohl die Rotte musste mit dem Stoff grundsätzlich vertraut sein (s.u.), aber auch dem Publikum kann der Plot als bekannt vorausgesetzt werden, zumindest legt der bestimmte Artikel in Z. 3 dies nahe. Zwischen 1491 und 1495 wurde in Augsburg die Schwanksammlung ‚Neithart Fuchs‘ gedruckt (vgl. Margetts: Neidhartspiele, S. 271 bzw. Jöst: Historien, S. 4; siehe auch Bobertag: Narrenbuch, S. 144). Und einer dieser Drucke war in der Bibliothek des Nürnberger Arztes Hartmann Schedel vorhanden (vgl. Simon: Neidharte, S. 222). Zuvor, zwischen 1461 und 1466, entstand in Nürnberg die umfangreiche Papierhandschrift mgf 779 (vgl. Simon: Neidharte, S. 218), die zur Hälfte aus Neidhartliedern besteht. Und schließlich gibt sich auch der Nürnberger Meistersinger Hans Folz als intimer Kenner und großer Bewunderer des Neidhart zu erkennen (Folz: Meisterlieder, Nr. 93; Simon: Neidharte, S. 235ff.). Interesse am Thema sowie Verfügbarkeit des Stoffes lassen sich so gleichermaßen nachweisen. Im Vergleich zu den älteren Pseudoneidharten, die lexikalisch und phraseologisch unter erheblichem Einfluss Neidharts stehen, wird im vorliegenden Spiel ein relativ eigenständiges Vokabular genutzt. Einzig die nahezu wörtlich übernommene Formulierung aus Z. 44, vmb ... den feyel sappen weist eine konstante Nutzung innerhalb der Bearbeitungen des Veilchenmotivs auf (vgl. Boueke: Materialien, S. 174, sowie V. 266 des ‚Neithart-Fuchs‘-Drucks), insbesondere in der Bedeutung ‚tanzen‘ steht das Verb etwas seitab der gebräuchlichen Verwendungen. Aus dem Sprachschatz der älteren Neidhartdichtung werden im vorliegenden Spiel ferner verwendet Z. 168 stehlein eyßenhuot (vgl. Rabbinowitsch: Probleme, S. 91) sowie Z. 106/107 (vgl. Rabbinowitsch: Probleme, S. 98). Aufführungshinweise: Das Nebeneinander verschiedener Stränge des Spielgeschehens stellt eine dramaturgische Weiterentwicklung gegenüber den meisten Fastnachtspielen dar. So muss man die Bühne zumindest zweigeteilt in einen höfischen und einen ländlichen Bereich denken. Die Parallelität der in Aufbruch befindlichen Hofgesellschaft (Z. 34) und des Tanzes Engelmars und seiner Genossen (Z. 35ff.) erfordern dies zwingend. Auf der einen Seite der Spielfläche werden die Ereignisse bei Hofe dargestellt, wahrscheinlich sind die Akteure um eine auf einem Thron sitzende Herzogin gruppiert. Auf der anderen Seite werden die Geschehnisse auf dem Anger aufgeführt, der im zweiten Teil des Spiels auch als Kampfplatz fungiert. Michael dagegen geht von einem zusätzlichen Kampfplatz und somit drei mansiones aus (vgl. Michael: Frühformen, S. 65), Margetts setzt einen Teil des Spielraums als Hölle gekennzeichnet voraus (Margetts: Neidhartspiele, S. 300). Insbesondere letztere Annahme erscheint wenig zwingend, da der Teufel die Seelen dem Luzifer in Z. 195 bringen will, also von dem auf der Bühne angedeuteten Schlachtfeld fortzuführen gedenkt. Die Regieanweisungen bzw. deren Fehlen geben in Teilen Rätsel auf. Die oben geschilderten Schwierigkeiten bezüglich der Verortung des Veilchens in lassen sich möglicherweise durch einen theatralen Kniff beheben: Es scheint zumindest denkbar, dass der Akteur die Rolle des Neidhart kurzfristig verlässt und in Z. 26 die Funktion

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eines Bühnenarbeiters schlüpft. Er platziert die Requisiten Veilchen und Hut auf der Seite der Bühne, die den Szenen des bäuerlichen Lebens zugedacht ist. Diesen Wechsel muss er dann gestenreich dem Publikum mitteilen, bspw. durch das Schweigegebot des Zeigefingers vor dem gespitzten Mund. Erst danach, in der Wiederannahme der Rolle des Ritters Neidhart richtet er sich gemäß den fälschlicherweise zu Beginn der Zeile aufgeführten Anweisungen an die Herzogin. Unverzichtbare Handlungsanweisungen werden häufig auch gar nicht vermerkt. In Z. 48 bis 56 begeben sich die Figuren der Hofgesellschaft notwendigerweise vom Hof auf das Feld und der Streich wird entdeckt (Z. 58), ohne dass diese Aktion notiert ist. Es bleibt an dieser Stelle auch unklar, ob die beteiligte erste Jungfrau oder Neidhart den Hut von der Blume zieht, die Entscheidung scheint der Truppe zur spontanen Entscheidung überlassen gewesen zu sein. Die Aktion, innerhalb derer vorher der Kothaufen über dem Veilchen arrangiert wurde, lässt sich zeitgleich zum Auszug der Hofgesellschaft auf den Anger vermuten, sie fehlt aber eindeutig als konkrete Maßgabe. Sie muss entweder durch den Eltschenprecht mimenden Akteur pantomimisch umgesetzt gedacht werden, oder aber das Spiel setzt um die Vorkenntnisse des Publikums wissend den Schabernack stillschweigend als bekannt voraus. Die Zuschauer wissen um die Metamorphose unter dem Hut und benötigen keinen Hinweis aus dem konkreten Spielgeschehen heraus. In Z. 189 erschließt sich aus der spärlichen Regieanweisung kaum das Ausmaß der anschließenden Kampfhandlungen, und in Z. 210ff. verabreicht Laurin dem Bauern Hebenstreit offensichtlich eine Medizin, die dieser zu sich genommen haben muss, ohne dass dies jedoch expliziert wird. Im älteren ‚Großen Neidhartspiel‘ sind diese Anweisungen wesentlich eindeutiger, die Aktionen auf der Bühne sind in deutlich höherem Maße detailliert dargelegt. Dieses Unterbleiben konkreter Anweisungen auf der Bühne zu agieren bzw. das vorausgesetzte Wissen der Schauspieler um die Umsetzung genannter Momente lässt sich wiederum in der dichten Stofftradition begründen. Diese muss den Akteuren zumindest in Grundzügen bekannt gewesen sein, erst in Kenntnis der dort geschilderten Abläufe und Verhaltensweisen wird der vorliegende Text spielbar. Die Akteure müssen insofern als leidlich versierte Schauspieler zu denken sein, als ihnen nicht ausdrücklich formulierte Formen der gestischen Kommunikation geläufig gewesen sein müssen. Als Requisiten muss neben dem bereits genannten Hut ein Gegenstand gewesen sein, der einen Kothaufen repräsentierte und dem Publikum Anlass zur Heiterkeit bot (zu dessen Aussehen vgl. Gerhardt: Diätetik, S. 56 bzw. Bobertag: Narrenbuch, S. 155). Dieser befand sich von Beginn bzw. Z. 26 an unter der Kopfbedeckung. Darüber hinaus müssen Rüstungsteile und Waffen, auf die explizit verwiesen wird, als konkreter Bestandteil der Bühnenausstattung angenommen werden (vgl. Z. 111ff. und 165). Der Teufel muss an einem Kostüm, zumindest aber an einer Maske zu erkennen gewesen sein. Die Rede, in der Bauer Knopf den Tod des Bruders beklagt (Z. 198–203) und die anschließende Entgegnung des befreundeten Bauern stehen nur dann zueinander in

89 – Das Nürnberger [kleine] Neidhartspiel | 237

Beziehung, wenn der Trauernde eben auch als Verletzter markiert ist. Es muss also eine blutige Verfärbung von Körperpartien gedacht werden. Und hierin liegt möglicherweise auch die Ursache dafür, dass es nicht Eltschenprecht ist, der von Neidharts Rache gezeichnet ist: Der bislang nicht in Erscheinung getretene Knopf könnte sich während des Schlachtgetümmels für den Zuschauer unbemerkt mit den Attributen des Versehrten ausgestattet auf die Bühne begeben haben. Eine entsprechende nachträgliche Kostümierung eines der bäuerlichen Protagonisten wäre deutlich schwieriger umzusetzen gewesen. Es ist nicht zu klären, inwieweit im Anschluss an Z. 41–44 tatsächlich Musikeinlagen zum Vortrag gelangten (vgl. Brill: Schule, S. 205). Denkbar ist, dass eine solche stumme Rolle wie die des Spielmanns in Z. 41 spontan besetzt wurde, sofern ein solcher in der Spielsituation verfügbar war. Dass getanzt wurde scheint naheliegend nicht zuletzt aufgrund der Bedeutung, die dem Tanz im Lied MSH III, S. 202, Nr. 16 bzw. in der Sterzinger Miszellaneenhandschrift zugedacht wird. Bis zu 27 Sprecherrollen, die Kampfszenen mit mindestens jeweils zwei gleichzeitig fechtenden Bauern und Rittern erfordern eine große Spielfläche. Die Aufführung bleibt also auf einige wenige, größere Gasthäuser beschränkt, Bürgerhäuser kommen wohl kaum infrage. Erwähnung bedarf schließlich noch Z. 39. Das Verteilen des Gebäcks ist für den Handlungsverlauf völlig irrelevant, der Reimanschluss an die Vorzeile ließe sich auch anders herstellen. Der Sinn könnte stattdessen in der Inszenierung liegen: Möglicherweise wurde die Situation tatsächlich zum Austeilen von Süßwaren an Teile des Publikums genutzt. Das in unseren Augen zuweilen ungelenke Ausprobieren theatraler Innovationen innerhalb dieser Frühformen weltlichen Dramas ist allenthalben anzutreffen.

Textbezüge Innerhalb des Motivinventars der Fastnachtspiele finden sich mit Ausnahme des ‚Großen Neidhartspiels‘ kaum Anknüpfungspunkte (vgl. Gusinde: Neidhart, S. 218ff.). Die exponierte Stellung, die dem merdum zukommt, trifft man ein weiteres Mal in F 91 ‚Das Spiel vom Dreck‘, der Anschluss an die mittelhochdeutsche Epik erfolgt außerdem in F 105 ‚Der Berner und der Wunderer‘. Die zur Schau gestellten Treueschwüre der Ritter klingen entschlossener, aber ähnlich denen der ersten beiden Räte des Spiels R 66. Die wenig entwickelte Arztszene erinnert von Ferne an Diagnose bzw. Therapie menschlicher Malaisen in den Spielen R 20, R 22, R 24, R 42, R 45, F 85 und F 111. Bearbeiter: Greil, Przybilski

90 – Hans Folz: Kaiser und Abt

Ein spil von einem keyßer und eim apt

KF Nr. 22

Gb 129v KF 199

Precursor:

5

10

Nw schweigt vnd habt ein weil ewr rw, Hort vnserm herrn keyßer zu. Wil sich an seinen reten erfaren, Wie er sich sol gar wol bewaren, Das rawb und mort werd abgestelt. Ein poße rott hat sich zu samen geselt, Prunst, rach die schacher han bedacht, Die hie behausen tag vnd nacht. Die drey die sind jr heubt man. Jr namen ich nit aller nennen kan. Durchleuchtiger keyßer, fragt die ret, Das man solch puben henken tet.

Gb 130r

1 rett auffpieten (im Register) ‚Rätsel aufgeben‘ 5 sich erfaren an ‚sich erkundigen, Rat einholen bei‘ 6 bewaren (zu mhd. ‚bewarn‘) ‚sorgen für‘ 8 poße rott: ‚üble Schar, Räuberbande‘; folgt man der im Endkommentar vorgeschlagenen historischen Interpretation des Stücks, könnten mit der poßen rott die fehdeführenden Truppen der Bayernherzöge gemeint sein. 9 Prunst: ‚Verwüstung durch Feuer‘; Brandstiftung gehörte zu den zugelassenen Mitteln der Fehde. Im Zuge der hochmittelalterlichen Landfriedensbestrebungen wurde Brandstiftung unter strenge Strafen gestellt (vgl. LexMA 2, Sp. 568). 9 rach: ‚Verfolgung‘; neben der asyndetischen Reihung von prunst und rach ist, etwa in Anlehnung an prunstschaden (DRW 2, Sp. 547) auch das Kompositum prunstrache denkbar. 9 schacher ‚Räuber, Mörder‘ 10 behausen ‚einen Ort einnehmen‘ 13 Durchleuchtig keyßerformelhaft: ‚[Euer] Durchlaucht, durchlauchtiger Kaiser‘ 13 fragen, Das ‚vernehmen, Ob‘ 14 pube ‚Schurke‘ 14 henken tet: Zur Umschreibung des Infinitivs mit tun vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 175; Räuber wurden nach mittelalterlichem Recht enthauptet oder erhängt.

1 unterstrichen; im Register G: Von ainem kayßer vnd ainem appt vnd wie er jm drey rett auff peut vnd es jm sein muller erratn muͦ st 2 Im gesamten Handschriftentext sind sowohl Redeeinleitung bzw. handelnde Person als auch die ersten drei bzw. vier Wörter der folgenden Redepassage unterstrichen; der jeweils erste Vers der einzelnen Redepassagen ist häufig durch ein Paragraphenzeichen am linken Rand markiert. 2 Precursor: Neben der Überschrift wohl von Spaun nachgetragen 5 Wil: Keller (S. 199) konjiziert zu Er wil; zum Ausfall des pronominalen Subjekts bei Hilfsverben und Verben des Meinens, Schätzens, Begehrens vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 56–57; vgl. Z. 54. 8 zu samen geselt: Keller (S. 1491) erwägt Konjektur zu zamen gselt

240 | 90 – Hans Folz: Kaiser und Abt

15

Jr edeln ret, latz euch erparmen, Solch not get newr vber die armen. Der keyßer dicit:

20

Jch han nit gewest mein arme leut schaden. Rat vns, lieber herr marggraff von Paden, Was dunckt euch zu den dingen gut? Der marggraff:

25

Herr keyßer, es get mir nit zu mut. Was ich ye guts riet zu ewren sachen, Das west ewr apt als pesser zu machen. Den rufft in diesen dingen an.

KF 200

Der apt dicit: Keyßer, ich bin kein kriegs man, Sunst riet ich euch das peste schier. Der keyßer dicit: 30

Herr von Meychßen, was ratend jr?

16 vbergen ‚treffen, überkommen‘ 16 newr ‚nur, allein‘ 18 gewest (zu mhd. wizzen): ‚gewusst‘; zur Flexion vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 136; vgl. Z. 24. 19 marggraff von Paden: Wohl Albrecht (1456–1488) aus dem Hause der Zähringer, seit 1482 Markgraf von Baden in Hachberg (zur historischen Personeninterpretation vgl. auch den Endkommentar). 20 ‚Was haltet ihr angesichts dieser Lage für ratsam?‘ 22 zu mut gehen: ‚in den Sinn kommen‘; hier: ‚betreffen‘ 24 als ‚alles‘ 25 anruffen ‚sich wenden an‘ 27 kriegs man ehrhaft: ‚Soldat‘ 28 schier ‚schnell, innerhalb kurzer Zeit‘, vgl. Z. 126 30 Herr von Meychßen: Wohl Albrecht der Beherzte von Sachsen (1443–1500), albertinische Linie des Hauses Wettin, seit 1485 Herzog von Sachsen in Meißen. 30 Meychßen: Die Graphie mit eingschobenem ch ist ungewöhnlich, dient möglicherweise zur Bestimmung des stimmlosen s-Lauts oder ist Abbild einer dialektalen Aussprachevariante. Erste urkundliche Erwähnung als Misina/Misna, latinisiert Misni (vgl. Eichler/Walther: Ortsnamenbuch II, S. 25f.). 30 ratend: Zur Flexion der 2. Pers. Pl. Ind. Präs. mit Nasal vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 94.

18 arme leut: Keller (S. 1491) erwägt Konjektur zu armer; auch denkbar ist das Kompositum armeleut (zu mhd. armliute), vgl. Lex I, Sp. 94.

90 – Hans Folz: Kaiser und Abt | 241

Der von Meichßen:

35

Der apt hat euch ye wol geraten Zu gutem tranck vnd feistem praten. So es nw zu den streichen get, So secht ir wol wie er dort stet Vnd sorgt, wir reiten jm jns futer.

Gb 130v

Der apt: Ach herr von Meichßen, wie tut jr, Jr machet mir gern ungelimpff! 40

Der keyßer: Her apt, herr apt, es ist kein schimpff. Sagt, wie bleibt jr dan vor den feinten, Die sich ye an ewr kloster leinten? Sagt, wie jr euch gen jn kaufft ab?

45

Der apt: Herr keyßer, die weill ich gelt hab, Han ich mich pald mit jn verricht. Der keyßer: Ratet, herr von Sachßen, in die schicht.

50

Der von Sachßen dicit: Herr keyßer, den apt laßt metten singen. Last euch zu keiner richtung dringen.

33 feist ‚fett, nährend‘ 34 streich: ‚Hieb, Schlag‘, im Plural ‚Kampf‘ 36 sorgen ‚fürchten‘ 36 jns futer reiten: Metaphorisch für ‚Schaden zufügen‘; hier, mit Bezug auf Z. 33: ‚um seine Lebens-, Nahrungsmittel bringen‘. 39 ungelimpff ‚Schande, Ärger‘ 41 schimpff ‚Spott‘ 42 bleiben vor ‚bestehen, sich erwehren‘ 43 leinen an ‚auflehnen‘ 44 abkauffen ‚[sich] loskaufen‘ 46 die weill ‚solange, in der Zeit‘ 47 sich verrichten ‚aussöhnen‘ 49 herr von Sachßen: Wahrscheinlich Friedrich der Weise (1463–1525) aus der ernestinischen Linie des Hauses Wettin, seit 1486 Kurfürst von Sachsen. 49 in die schicht ‚zu dieser Geschichte‘ 52 richtung ‚Urteil; Versöhnung‘

49 schicht: Keller (S. 1491) erwägt Konjektur zu geschicht

242 | 90 – Hans Folz: Kaiser und Abt

Euch hat nÿe treulich geraten der apt, Habt jn allzeit liep gehabt. 55

KF 201

Der keyßer: Her apt, her apt, nw ratet an! 〈...〉

Gb 131r

Der apt:

60

Herr keyßer, ewr rett tragen mir haß. Fragt den pfalzgrafen am Rein vmb das. Der hat drey fursten vber rieten, Zu Preussen hat er auch gestriten. Man helt jn fur den pesten man. Pfalzgraff dicit:

65

70

Herr apt, sagt, was get euch das an? Jch bin an euren schaden da gewesen. Jr kundt mel plasen vnd feder lesen, Jr laßt euch nit auß der stuben treÿben. So muß wir aber offt auff dem veld bleiben. Dennoch wolt jrs alssamt auß richt. Der keyßer: Herr apt, furwar das taug vns nicht. Darumb das jr seit ein geistlich man,

60 pfalzgraf am Rein: Wohl Philipp der 59 haß tragen ‚Haß haben auf, feindselig sein gegen‘ Aufrichtige (1448–1508), seit 1476 Kurfürst der Pfalz. 61 vber reiten ‚reitend überfallen; im Kampf besiegen‘ 66 an ‚ohne‘, vgl. Z. 139 67 mel plasen ‚verklagen, verleumden‘ (DWb 12, Sp. 1866) 67 feder lesen ‚schmeicheln, gefällig sein‘ 69 muß: Zur Möglichkeit des Flexivausfalls der 1. Pers. Pl. Ind. Präs. bei nachgestelltem Personalpronomen vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 94. 69 auff dem veld bleiben ‚im Feld bleiben, im Krieg fallen‘ 70 auß richten hier: ‚verrichten, besorgen‘; die Tilgung des Infinitivflexivs -en bei zweisilbigen Stämmen begegnet bis zum Ende des 16. Jahrhunderts (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 84). 72 taug: 3. Pers. Sg. Ind. Präs.; diese dem Präteritopräsens eigene Flexion überwiegt noch bis ins 16. Jahrhundert, seit dem 17. Jahrhundwert ist auch die Flexion mit -[e]t neben der älteren Form bezeugt (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 138). 73 geistlich ‚gelehrt; von geistlichem Stande‘

54 Keller (S. 1491) erwägt Konjektur zu Ir habt jn doch allzu liep gehabt 57 fehlende Reimzeile; Ansatz der Lücke in Analogie zu Z. 41ff., 250f., 287ff.; vgl. Keller, S. 1491

90 – Hans Folz: Kaiser und Abt | 243

75

80

Drey sach must ir vns raten schon: Das erst, wie vil wassers jm mer sey? Vnd wem das geluck auff nechst wonet bey? Das dritt, was ein keyßer wert wer, Was man solt fur in zalen angever? Rat jr der dreyer ret nicht, So must jr mir das alles außricht, Was mir die feind thun schadens mer.

Gb 131v

Der apt:

85

Keyßer, die sach ist mir zu schwer. Acht tag gebt mir ein schup der sach, Piß ich ein capitel gemach, Wann ich nit allein der schrift durchgangen bin. Herr keyßer, damit far ich dahin.

KF 202

Der von Meichßen:

90

Herr keyßer, jr habt recht gesprochen. Jch hoff, wir werden an jm gerochen, Das er von vns hie werd erslichen, Das macht er mit sein hinter stichen. Der apt geht zu seim prior der hyeß herr Loy: Habt ir die rett funden, herr Loy?

74 raten ‚erraten‘ 74 schon ‚gut, gebührend‘ 76 bey wonen ‚sich einstellen‘ 78 angever ‚etwa‘ 80 außrichten ‚bezahlen‘ 84 schup: Rechtsbegriff in der Bedeutung ‚Aufschub, Vertagung‘ (DWb 15, Sp. 1819f. mit diesem Beleg). 85 capitel gemachen ‚Konvent einberufen‘ 86 durchgangen bin: Mit Genitiv ‚kundig, erfahren‘ (DWb 2, Sp. 1617). 87 damit far ich dahin ‚damit verabschiede ich mich‘ 90 gerochen: Part. Prät. von rächen (DWb 14, Sp. 21) 91 ersleichen: ‚überrumpeln‘; hier: ‚anfeinden‘ 92 hinter stich ‚versteckte Bosheit‘ 93 Loy: Abkürzung des Heiligennamens Eligius (Arndt: Personennamen, S. 25). 94 funden: Part. Prät. von finden; hier: ‚lösen‘

83 Keyßer: Keller (S. 1491) erwägt Konjektur zu Her keyßer

244 | 90 – Hans Folz: Kaiser und Abt

95

100

105

Der prior: Herr, ich han gelesen die wibel vnd Troy Damit vnd auch der Romer geschicht. Jch fand in keiner historj nicht, Darynn ich fund solch schwenck. Jch meyn, es sein newr poß klenck. Herr, vnser mulner vor dem wald, Der riet die rett alle dreÿ gar pald, Wann er ist solcher ding gar frey Vnd ist doctor in aller pubrey, Von allen puben ab gefaumt. Schickt nach jm, so seit jr vngesaumt. Die sach ist vns allen zw schwer.

Gb 132r

96 wibel ‚Bibel‘ 96 Troy: Die Sage vom Trojanischen Krieg war fester Bestandteil mittelalterlichen Erzähl- und Bildungsguts, jedoch setzte die tiefergehende literarische Aneignung des Stoffs erst im 11. Jahrhundert ein. Seine wirkungsmächtigste Adaption im deutschsprachigen Raum erfuhr der Trojastoff mit Konrads von Würzburg ‚Trojanerkrieg‘ (1281/1287), auf den die folgenden Trojadichtungen neben lateinischen Quellen meist zurückgriffen (vgl. LexMA 8, Sp. 1034–1036, 1039f.). 97 Romer geschicht: In direkter Übersetzung des Titels wären hier die ‚Gesta Romanorum‘ gemeint, die in Klöstern verbreitet waren, inhaltlich allerdings nur bedingt mit Rom verbunden sind. Als erste Chronik des Mittelalters, die sich auf die Geschichte des Römischen Reiches beschränkt, gilt die ‚Frühmittelhochdeutsche Kaiserchronik‘. Thematisch widmet sie sich der römischen Historie von Cäsar bis Konrad III., wobei nahezu jedem Herrscher eine exemplarische Erzählung zugeordnet und der Text insgesamt reich an Legenden und Sagen ist. Des Weiteren vermittelten Pilgerführer (basierend auf der ‚Indulgentiae urbis Romae‘), die seit dem 15. Jahrhundert auch in zahlreichen lateinischen und deutschen Drucken kursierten, Kenntnisse zur Geschichte Roms (vgl. Gerdes: Art. ‚Gesta Romanorum‘, Sp. 27; Honemann: Art. ‚Mirabilia Romae‘, Sp. 603–605; Nellmann: Art. ‚Kaiserchronik‘, Sp. 954–958). 98 historj ‚Geschichte, Geschichtsbuch‘ 99 fund: 1. Pers. Sg. Ind. Prät. von finden; bereits zu Beginn des 15. Jahrhunderts begann sich die konsequente Numerusablautung aufzulösen, wobei der Pural-Ablaut u dann auch im Sg. erscheint. Inflexionsvarianten, auch innerhalb eines Textes, sind im Frnhd. keinesfalls ungewöhnlich (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 128). 99 schwanck ‚Rank, Finte; Posse‘ 100 klanck ‚List‘ 103 frey ‚unbekümmert‘ 104 doctor: Bezeichnung für den Lehrenden an städtischen Schulen sowie an Universitäten, dort insbesondere in den Bereichen Rechtslehre und Theologie. Im 14.-15. Jahrhundert wird der Wert des Doktoren-Wissens auch aufgrund der inflationären Zunahme an Graden bzw. Graduierten vermehrt infrage gestellt (vgl. LexMA 3, Sp. 1155f.). 104 pubrey ‚Schurkerei‘ 105 ab gefaumt ‚abgeklärt, abgebrüht‘ 106 vngesaumt (zu mhd. sûmen): ‚nicht aufgehalten‘

98 Keller (S. 1491) erwägt Konjektur zu ich weiß kein historj

90 – Hans Folz: Kaiser und Abt | 245

Der apt dicit:

110

So gee vnd bring den mulner her. Sprich, das er kum zu mir gar drot. Sag jm, ich durff sein zu grosser not. Der munch spricht zum mulner: Nu gruß dich got, lieber muͤ lner! Der mulner:

115

Got danck euch, lieber bruder Truͤ ller! Der munch:

KF 203

Mulner, got frist gesunt dein leip! Der mulner:

120

Habt euch die druͤ ß! wes fragt jr nach meÿm weyb? Hat euch der teufel herein pracht! Der munch:

Gb 132v

Mulner, deins weybs jch nye gedacht. Wir keren vns nit an solich sachen. Der mulner: 125

Was den wolt jr dan hie machen? Jch wil dich schier in die kutten slagen!

110 drot (zu mhd. drâte): ‚schnell, eilig‘ 111 ‚Sag ihm, ich brauche ihn in einer großen Notlage.‘ 113 muͤ lner: An dieser Stelle liegt nicht zuletzt aufgrund des unreinen Reimes die Vermutung nahe, dass die ursprüngliche Form die umgelautete ohne n ist und dass das im übrigen Spiel stehende mulner auf den Schreiber zurückgeht. 115 Truͤ ller: Lexer übersetzt eben diesen Beleg mit ‚Gaukler, Spielmann‘ (vgl. Lex II, Sp. 1543); daneben vermutet Schmeller auch ‚Penis‘ (vgl. BWb 1, Sp. 662; DWb 22, Sp. 527); mit beiden Bedeutungen wird das Klischee des betrügerischen und hurenden Geistlichen bedient, das in der Schwankliteratur verbreitet ist (vgl. Straßner: Schwank, S. 97). 117 ‚Gott möge dich in Gesundheit bewahren!‘ 119 Habt euch die druͤ ß: ‚Dass euch die Drüse plagen möge‘; Verwünschung, wobei mit druͤ ß die Pestbeule gemeint ist (Röhrich: Redensarten, S. 1337).

113 Keller (S. 202) konjiziert zu müller; vgl. den Stellenkommentar

246 | 90 – Hans Folz: Kaiser und Abt

Der munch: Mein mulner, hor, ich wil dir sagen, Mein herr, der apt, der darff dein. 130

Der mulner: Wer wartt mir dan der mule mein Vnd schutt mir die weil korn auff? Der munch:

135

Ey, lieber mulner, lauff pald hin auff. Wolst du meim herren ein solchs versagen? Der mulner dicit: Ey, hat dich der teufel her getragen? Wie machest du dich newr so beschissen? Den weck kan ich an dich wol wissen.

140

F 88, 103

Der munch: Furwar der weck hat nit vil krum. Lieber mulner, mir ist nit darum. Meim herrn leyt nit ein kleins daran. Der mulner:

145

Gb 133r

Peyt mein, so wil ich mit dir gan. Der apt dicit:

KF 204

Mulner, piß mir gotwilkum her. Dreyer ret ich von dir beger.

129 durfen ‚nötig haben, brauchen‘ 134 Es kann sich hier also nicht um ein Zisterzienserkloster handeln, da diese meist in Talsenken siedelten und zudem eigene Mühlen betrieben. Wohl eher ist an ein Benediktinerkloster zu denken, da diese, in der Tradition der ersten Klostergründung auf Monte Cassino stehend, ihre Klosteranlagen meist auf einem Berg errichteten (vgl. Gleba: Klosterleben, S. 66, 134f.). 141 krum (zu mhd. krumbe): ‚Kurve, Biegung‘ 142 ‚Lieber Müller, mir geht es nicht darum.‘ 145 peyten (zu mhd. bîten): ‚warten‘

90 – Hans Folz: Kaiser und Abt | 247

150

Du pist ein abenteurlich man: Wer mag das geluck am nechsten han? Der mulner: Herr, das ist gar gut zu erraten Als wurst zu essen, wenn sie sein gepraten. Villeicht kan ich euch das gesagen.

155

Der apt: Mulner, jch wil dich mer fragen: Was gult ein keyßer, solt man jn kauffen? Der mulner dicit:

160

Must ich dann auß der muͤ le lauffen? Das wundert mich von hertzen ser. Der apt: Wie vil ist wassers in dem mer? Der mulner: Sein das die ratnuß alle drey?

165

Der apt: Ja, lieber mulner, hab fleyß da bey, Wann mir leit nit ein kleinß daran.

Gb 133v

149 abenteurlich: ‚beschlagen, kenntnisreich‘; aber auch frühneuhochdeutscher Sondergebrauch im Sinne von ‚possenhaft, schwankhaft‘, hier möglicherweise in doppelter Bedeutung verwendet (vgl. DWb Neubearbeitung 1, Sp. 167f.). 152 gar gut ‚ebenso gut wie‘ 153 wurst praten: Umschreibung für freundliche Behandlung; ebenfalls gebraucht in Wendungen in der Bedeutung von ‚eine Hand wäscht die andere‘ (vgl. DWb 30, Sp. 2302). 154 Villeicht ‚Sehr leicht‘ 157 gult: 3. Pers. Sg. Konj. Prät. von gelten: ‚kosten, wert sein‘; der Konjunktiv wurde im Oberdeutschen traditionell mit u gebildet (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 124). 164 ratnuß: ‚Rätsel‘; nicht gattungstheoretisch aufzufassen, sondern als Bezeichnung für eine geregelte Prüfungsfrage, teilweise im Spannungsfeld der [parodistischen] Scherzfrage (vgl. Tomasek: Rätsel, S. 88, 93). 166 fleyß haben ‚sich anstrengen, eifrig sein‘

159 dann: Keller (S. 1491) erwägt Konjektur zu darumb

248 | 90 – Hans Folz: Kaiser und Abt

Der mulner:

170

Ey, herr, was wer ich fur ein man, Kund ich des nit vnd het es gesehen. Der apt: Die ret mussen vor dem keyßer geschehen. Wann du sie erretst, so wil ich dir geben Genuck die weil, du magst ymer leben.

175

Der mulner:

KF 205

Herr apt, jr sult mir warlich getrauen Oder laßt mir den kopf abhawen. Der apt:

180

Mein mulner, ich gelaub dir gern. Du must dir lassen ein platten schern Vnd leg auch an ein kutten frey, Das der keyßer maint, das ich das sey. Kum, setz dich zu dem tisch herzu. Der mulner dicit:

185

Ja, lieber herr, wie gern ichß thu. Laßt mir newr ein kutten an schneiden, Wann ich wil sie gar wol an leyden. Die ret ich pald erraten sol. Der apt:

190

Gb 134r

Lieber mulner, du trost mich wol. Ge pald vnd leg die kutten an Vnd ge gleich her jn meiner person.

170 ‚Könnte ich das nicht [lösen], obwohl ich es erblickt hätte.‘ 180 platte: ‚Tonsur‘, klerikales Standesattribut; das Scheren der Tonsur und das Anlegen des Gewandes (vgl. Z. 181) bereiteten die niederen kirchlichen Weihen, d.h. die Aufnahme in die Diözese vor (vgl. LexMA 8, Sp. 861f.). 181 frey: ‚gar, fürwahr‘; hervorhebendes, bekräftigendes Füllwort (vgl. BWb 1, Sp. 813; DWb 4, Sp. 100). 186 an schneiden ‚anpassen, anmessen‘ 187 an leyden: Entweder zu mhd. anelegen in der Bedeutung ‚anziehen, anlegen‘; zur Kontraktion von mhd. ege zu ei vgl. Paul: MhdGr, § 107, das eingeschobene d ist vielleicht reimbedingt oder soziolektal; oder aber zu mhd. âne lîden: ‚ohne darunter zu leiden‘; wahrscheinlich Ersteres. 192 jn meiner person: ‚als ich, in meiner Rolle‘; siehe auch persona als mittelalterliche Bezeichnung für den Schauspieler (vgl. Heinzel: Abhandlungen, S. 18).

90 – Hans Folz: Kaiser und Abt | 249

Wann du nw fur den keyßer kumst, Wart, das du vor jm nit erstumst. 195

Der mulner kumpt in der kutten vnd spricht zu dem apt: Mein herr der apt, bone dies. Der apt: Semper quies, semper quies. Herr Cunradt, wie ratent jr in sachen

200

Der mulner dicit: Herr apt, heißt vns vor zu essen machen. Der apt: Wagen knecht, span an vnd eÿl. Der mulner:

205

Mein herr, es sein nit lange meil. Der wagen knecht dicit:

KF 206

Die pferd die han schon angefretzt. Herr apt, ich hab schon angesetzt, Jch fur euch zu dem keyßer hin ab. 210

Der mulner dicit:

Gb 134v

Peyt mein, wenn ich genug gessen hab. Der apt: Benedicite deus, gustate.

194 Wart, das (mit Konj. im Nebensatz): ‚Achtet darauf, dass‘ 196–198 Grußformeln der gehobenen Sprache (Bolhöfer: Gruß, S. 54). Der Müller wird durch sein fehlerhaftes Latein (bone statt bona) parodiert. 201 vor ‚zuvor, vorher‘ 207 anfretzen (zu mhd. verëzzen): ‚[anfangen zu] fressen, füttern‘ 208 ansetzen ‚anspannen‘ 209 vgl. Anm. zu Z. 134 209 furen ‚mit einem Fuhrwerk fahren‘ 213 Benedicite: Eröffnungsruf der benedictio mensae, der Gebete vor der Mahlzeit, denen eine weitere Gebetsreihe nach der Mahlzeit entspricht. Das angehängte gustate bezieht sich wohl auf den Kommunionsgesang aus Ps 34, 9 gustate et videte, quam suavis est Dominus (vgl. Ps 34, 9; Jungmann: Missarum Sollemnia, S. 476f.). Festzuhalten bleibt, dass der Abt an dieser Stelle in eine unangemessene Liturgiesprache verfällt und sich falschen Lateins bedient.

250 | 90 – Hans Folz: Kaiser und Abt

Der mulner: 215

Lieber herr, ich bin noch nit sate. Der apt dicit: Lieber herr, jch red nit mit euch. Der mulner: Herr apt, eßt, jr darfft niemant scheuh.

220

Der apt: Nw eßt vnd trinckt, seit guts mutz. Der mulner: Ja, lieber herr der apt, so tutz. Der wein, der leßt sich gar wol trincken.

225

Der apt: Wart, das euch nit die zung werd hincken, Wann euch der keyßer der ret wird fragen. Der mulner:

230

Es ist kein prun vntter wegen. Jch beleib dennoch bey meinen witzen. Der apt:

Gb 135r

Herr, jr wert nw auff sitzen. Nw sitzt der mulner auff das wegenlein, so zyehen jn die pauren in die KF 207 stuben fur den keyßer.

215 sate: Reimbedingte e-Epithese (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 41), möglicherweise auch parodistische Anlehnung an das lateinische Reimwort in Z. 213. 219 ‚Herr Abt, eßt, ihr braucht niemanden zu scheuen.‘ 226 zung werd hincken: ‚Vor Trunkenheit lallen‘, vgl. Lex I, Sp. 1299 (mit dieser Stelle). 229 prun (zu mhd. brunne): ‚Harn‘ 230 witz ‚Geisteskraft, Verstand‘ 233 wegenlein: Der Hinweis auf zu verwendende Geräte innerhalb der Regieanweisungen ist für die mittelalterliche Bühne reichlich belegt (Heinzel: Abhandlungen, S. 33).

90 – Hans Folz: Kaiser und Abt | 251

Der herolt: 235

Jr durchleuchtiger keyßer her, Ewr apt ist hie vnd hat beger, Woll euch die drey rete raten hie. Der keyßer:

240

Wir wollen jn gern horen wie. Wann grosser weißheit tut jm note, Sol er vns die dreÿ sach errote. Der keyßer: Herr apt, habt jr die sach nw bracht? Der apt:

245

Herr keyßer, ich habß kaum erdacht. Kein dingk ist mir nye seurer worden, Mir vnd mein brudern in dem orden, Piß wir die sach erfunden han. Der keyßer dicit:

250

Herr apt, herr apt, nw ratent an: Wie vil ist wassers in dem mer? Der new apt:

255

Gb 135v

Das sag ich euch, genediger herr, Das solt jr mir gelauben wol: Das mer ist newr dreÿ kuffen vol.

237 Woll: 3. Pers. Sg. Konj. Präs. wegen indirekter Rede (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 278); könnte aber auch die Höflichkeit des Auftretens unterstreichen. 240 ‚Denn große Weisheit muss er haben,‘ 245 kaum erdacht ‚mit Mühe herausgefunden‘ 246 sauer werden ‚schwer fallen, Mühe machen‘ 248 erfinden ‚ausfindig machen‘ 255 kuffe (zu mhd.) kuofe: Offenes Holzgefäß, ähnlich einem Fass oder Bottich. Eine Kufe entspricht zwei Fässern (vgl. Krünitz: Encyklopädie 54, S. 537f.).

237 Woll: Keller (S. 1491) erwägt Konjektur zu Will; siehe auch Stellenkommentar

252 | 90 – Hans Folz: Kaiser und Abt

Der keyßer dicit:

260

Herr apt, sagt, wie mag das gesein? Tet man all kuffen darauß vnd drein, So kunt man es vmb ein tropfen nit sehen. Wie tort jr dann ein solchs jehen, Des meres sej newr dreÿ kuffen vol? Der new apt:

265

KF 208

Des wil ich euch bescheiden wol. Wenn groß genuck weren die zuber, So belieb des merß nit ein tropff vber. Der keyßer spricht zu reten:

270

Jr herrn, wie gefelt euch die sach, Was sol ich thun, dan das ich lach? Muß mich daran benugen lan. Das ander muß er mich auch lassen verstan. Was sey wir keyßer an gelt wol wert? Der new apt: Herr, gilt der grosch hewr als fert?

258 darauß vnd drein ‚heraus und wieder hinein‘ 260 torren (zu mhd. turren): ‚wagen, sich trauen‘ 260 jehen ‚sagen‘ 263 bescheiden ‚Bescheid geben, unterrichten‘ 269 sich benugen lan ‚sich zufrieden geben‘ 270 lassen verstan ‚mitteilen‘ 271 sey: Bei nachgestelltem Pronomen wir kann in der 1. Pers. Pl. Ind. Präs. der Nasal abgeworfen werden, auch mit Silbenschwund (Sandhi bei Inversion; vgl. Paul: MhdGr, § 240). 273 grosch: Diese Kurzform ist in älterer Sprache sehr verbreitet (vgl. DWb 9, Sp. 448); als Groschen wurde zunächst jede dickere Münze im Gegensatz zur dünnen Blechmünze bezeichnet. Die engere Bedeutung bezieht sich auf eine überwiegend aus Silber geschlagene Münze. Ab 1300 wurde der Groschen neben dem Gulden zu einer der Hauptwährungsmünzen Europas. Seit der Wertfestsetzung im 15. Jahrhundert entsprachen 21 Groschen einem Gulden. In der Neuzeit war der Groschen (Gegenwert 12 Pfennige) dann die verbreitetste Silbermünze (Krünitz: Encyklopädie 20, S. 116f.; LexMA 4, Sp. 1726f.). 273 hewr ‚in diesem Jahr‘ 273 fert ‚im vorigen Jahr‘

261 Des meres: Keller (S. 1491) erwägt Konjektur zu Das mer

90 – Hans Folz: Kaiser und Abt | 253

Der keyßer dicit: 275

Gb 136r

Herr apt, er gilt der pfennig siben. Der new apt: Jch find jn mein puchern geschriben, Das ewr genade gult vier groschen. Der keyßer:

280

Maÿnt jr, wir sein als gar erloschen Oder wir sein auß taig gemacht? Der new apt:

285

Genediger keyßer, habt selbs acht! Cristus der ward vmb dreissig geben. Jr gelt kaum achtvndzwaintzigk darneben. Der keyßer: Herr apt, herr apt, ich straff euch nit. Nw ratend vns hie auch das dritt: Wer ye das geluck am nechsten gewan?

275 pfennig: Der Pfennig entwickelte sich zwischen dem 10. und dem 13. Jahrhundert aus dem karolingischen Denar und existierte seit dieser Zeit im deutschen Münzwesen. Durch den Import auswärtiger Groschen seit dem 14. Jahrhundert wurde der Pfennig sukzessive zur Unterwährung. Das hier angegebene Umrechnungsverhältnis – der Groschen gilt der pfennig siben - lässt sich nur schwer rekonstruieren, da hinsichtlich der Wertigkeit des Pfennigs unüberschaubare epochale wie regionale Unterschiede bestehen. Möglicherweise handelt es sich aber um den Rechnungswert Schwarze Münze, der in Bayern üblicherweise bei der Bezahlung von Grundzinsen oder gerichtlichen Strafen Anwendung fand. Ein Groschen entspricht hier siebeneinhalb Pfennigen (Krünitz: Encyklopädie 97, S. 2; LexMA 6, Sp. 2028f.). 280 als gar ‚derartig gänzlich, völlig‘ 280 erleschen: ‚auslöschen‘, hier in der Bedeutung ‚Verlust der Macht‘. 281 auß taig gemacht: Als Vergleich bzw. redensartlich, aber auch adjektivisch, übertragen auf Personen ‚feige, machtlos‘ (vgl. DWb 21, Sp. 236f.). 284 Aus Habsucht und Unglaube gab der Jünger Judas Iskarioth dem Drängen der Hohenpriester nach und verriet für dreißig Silberlinge den Aufenthaltsort Jesu (vgl. Mt 26, 14–16). 284 dreissig: Aufgrund des in Z. 275 fixierten Umrechnungsfaktors und Z. 285 sind hier Pfennige gemeint. 285 kaum ‚schwerlich, beinahe nicht‘ 287 straffen: ‚tadeln, schelten‘; die Gemination ist für das Obd. üblich (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 51).

254 | 90 – Hans Folz: Kaiser und Abt

290

Der new apt:

295

Genediger keÿßer, so hort an. Jch bin der, herr, des gelauben habt: Vor was ich ein mulner, yetz ein apt. Vnd kunt ich leßen, singen vnd schreiben, Man must mich lan jm closter bleiben. Der keyßer:

300

KF 209

Gb 136v

Nw tret zu vns, jr alter apt. Seÿt jr mit jm gwechselt habt Vnd er fur euch die dinck erriet, Darumb solt jr ewr lebtag nit Mer apt sein vnd gebt jm das regiment. Mulner, die schlussel nÿm in die hendt Vnd nÿm von jm weis vnd ler. Der new apt:

305

310

Ewren keyßerlichen genaden danck ich ser. Jch bit euch, erlaubt mir acht tag, Pis ich mein mul verkauffen mag, Das ich sag meiner mulnerin, Wie sie nw sej ein eptissin Vnd meinen tochtern vnd knaben, Das sie ein munch zu eim vater haben Jm kloster sey ich [ich] das hochste haupt. Der keyßer: Ja, mulner, das sey dir erlaupt.

315

Der new apt: Jr edeln fursten vnd herrn, seyt gewert, Wer fur mein kloster reyt, get oder fert,

292 ‚Ich bin derjenige, Herr, dessen seid gewiss:‘ 301 Die Einsetzung eines Abtes allein durch den Kaiser war gegen Ende des 15. Jahrhunderts nicht mehr möglich. Es handelt sich hier also um ein literarisches Motiv. 303 weis vnd lehr formelhaft: ‚[religiöse] Weisung und Lehre‘ 316 gewern ‚versichern‘

312 ich] ich ich

90 – Hans Folz: Kaiser und Abt | 255

320

Dem wil ich guten willen beweysen Mit kost, mit futer, nagel vnd eysen. Vnd tut mich darumb nit versmehen, Das man mich ein mulner hat gesehen.

Gb 137r

Ein pawr dicit:

325

330

Mulner, seyt jr der new apt vnd her, Jch bin ewr klosters nechster nachtper. Jr habt mir offt gemaln korn, Jr wißt wol, ob es mir ist als wider worn. Das mußt jr als jm closter puͤ essen, Darein wir pauren nit muͤ ssen. So euch das geluck dan troffen hat, So eßt newr ol, wasser vnd prot.

KF 210

Der ander pawr:

335

Du rotziger pawr, was hast du do verkunt? Vnd du hast dich jtzo an meym apt versundt. Jch han dein gespey wol vernuͦ men. Mein herr apt, der ist mir gotwilkumen. Warumb heist du jn ein mulner? Furpas geschweig du solicher mer! Der dritt pawr:

340

Herr apt, erlaubet vns ein tantz Newr piß hinauß die vas nacht gantz. Jch muß ye thun ein schnellen lauff. Mein herr der apt, zyeht auch auff, Jr must vns hie machen kirchweÿh.

Gb 137v

319 nagel ‚Hufnagel‘ 319 eysen ‚Hufeisen‘ 326 ‚Ihr wißt gut, ob mir alles zurückerstattet worden ist.‘; das Müllerhandwerk galt über das Mittelalter hinaus als unehrlicher Beruf und dem Müller wurde von jeher Getreidediebstahl und die Verschlechterung des Mehls durch Beimischung von Sand oder Holzspänen nachgesagt (vgl. Danckert: Leute, S. 127–129). 329 troffen: Das Part. Prät. ohne Präfix ge- seinerzeit üblich (vgl. Paul: MhdGr, § 243). 330 newr ‚nur‘ 330 ol: ‚Öl‘ der Traube, also ‚Wein‘; auch Bier (vgl. DWb 13, Sp. 1273). 333 versünden ‚versündigen‘ 334 gespey ‚Geschwätz‘ 337 Furpas ‚Fortan‘ 337 mer ‚Erzählung; Gerücht‘ 341 schneller lauff ‚närrisches Herumspringen‘ (vgl. DWb 12, Sp. 311) 343 kirchweÿh: Der ursprüngliche Sinn der Kirchweih war die Feier des Kirchenheiligen oder die Weihung der Kirche durch einen Festgottesdienst, häufig mit Prozession. Bald jedoch trat dieser Anlass in den Hintergrund und das zu dieser Gelegenheit gefeierte weltliche Ortsfest, meist mit angegliedertem Jahrmarkt, wurde zentral (vgl. DWb 11, Sp. 828–833; Stadtlexikon, siehe: Kirchweih).

256 | 90 – Hans Folz: Kaiser und Abt

345

Pfeiff auff vnd pfeyff in die schalmey! Der erst rey der ist mein, Es sol dir wol gelonet sein. Außschreyer:

350

355

Herr wirt, merckt, vnser herr der keyßer Vnd der new apt vnd sein mit rayßer Die dancken euch ewr miltigkeit. Vnser apt wil auch sein bereit, Euch in eÿm solchen wider eren. Hett wir euch mugen kurtzweil meren Vnd machen ein guten mut, Darumb so nempt von vns vergut: Ewr weÿp vnd kinder vnd das haußgesind, Got woll, das euch alles leÿt verschwind.

345 rey: Gruppentanz (vgl. Z. 13f.), bei dem die Tänzer in einer langen Kette oder einem Kreis paarweise hintereinander angeordnet einem Vortänzer folgen (Salmen: Ikonographie). 349 mit rayßer ‚Reisegefährten‘ 350 miltigkeit ‚Freigebigkeit, Gastlichkeit‘ 355 vergut nemen ‚hört diesen guten Wunsch‘

90 – Hans Folz: Kaiser und Abt | 257

Kommentar Bezeugung Gb, Bl. 129v–137v

Ausgaben Keller: Fastnachtspiele I, S. 199–210 (= Nr. 22, nach G); Bd. III, S. 1490f.; Bd. IV, S. 338f.

Textkritik Der Text ist unikal in Handschrift G überliefert.

Autor Michels und Catholy sprechen sich für die Verfasserschaft Hans Folzens aus und betonen den erfahrenen Blick bei der Auswahl älterer Quellen für die dramatische Bearbeitung (vgl. Michels: Studien, S. 223–230), die ausgefeilte Stichreimtechnik und die ebenso komplexe wie gut entwickelte Handlung (vgl. Catholy: Fastnachtspiel des Spätmittelalters, S. 150f.). Simon beurteilt das Spiel als „ästhetisch höher stehend“ (Simon: Fastnachtsspieltradition, S. 20) und plädiert wie auch Janota im Verfasserlexikon für die sogenannte Folz-Tradition (vgl. Simon: Fastnachtsspieltradition, S. 85, 89; Janota: Art. ‚Kaiser und Abt‘, Sp. 941). Bei näherer Betrachtung deuten dagegen zahlreiche Aspekte auf Folz selbst. Neben dem bereits erwähnten Stichreim ist es insbesondere der gekonnte Einsatz von Sprache bzw. Sprachwitz, der an den Dichter Folz denken lässt. So wird der Abt durch teilweise gebrochenes, formelhaftes Latein parodiert, darüber hinaus der Müller durch fehlerhaften Sprachgebrauch (Z. 187, Z. 196 sowie insbesondere die ausgefallenen grammatischen Endungen, Z. 219, Z. 273, Z. 277f.), der durchaus als Soziolekt bezeichnet werden kann, charakterisiert. Ein derart absichtsvoller Einsatz von Sprache ist allein Folz zuzutrauen, seine Lateinkenntnisse gelten ohnehin als erwiesen. Hinzu treten der beträchtliche Aufwand an Requisiten und Kostümen wie der planvolle Einsatz von Regieanweisungen (teilweise implizit). Auch das reichhaltige Personal legt einen theatererfahrenen Autor wie Folz nahe. Nicht zuletzt werden diese Vermutungen durch Folzens nachweisliches Interesse an der Gattung Rätsel (s. hierzu den Reimpaarspruch Nr. 35 ‚Zwei Rätsel‘) gestützt. Henß dagegen zweifelt nach einer sprachlichen Prüfung des Textes, bei der er die verkürzten Infinitive als folzuntypisch beurteilt, an dessen Autorschaft (vgl. Henß: Studien, S. 166–169).

258 | 90 – Hans Folz: Kaiser und Abt

Datierung Das Spiel nimmt wohl Bezug auf einige auf dem Nürnberger Reichstag des Jahres 1487 anwesende Personen, weshalb dieses Jahr als Terminus post quem gelten darf. Terminus ante quem ist 1494, das Abschlussjahr von Handschrift G. Michels dagegen identifiziert den im Spiel genannten Pfalzgrafen am Rhein als Friedrich den Siegreichen und setzt als Terminus a quo den 30. Juli 1462, das Datum der Seckenheimer Schlacht. Aufgrund der sagenhaften Gestaltung der Passage vermutet er jenes als weit zurückliegend (vgl. Michels: Studien, S. 223), womit die zeitliche Einordnung auch hier gegen Ende des 15. Jahrhunderts liegt. Ebenso legt das von Folz stammende Reimpaargedicht Nr. 35 ‚Zwei Rätsel‘, das laut Gesamtkatalog der Wiegendrucke um 1488 zu datieren ist, eine Beschäftigung des Autors mit dem Themenkomplex Rätsel in eben dieser Zeit nahe (vgl. Folz: Reimpaarsprüche, S. XXVIII).

Rollen, Inhalt, Struktur Rollen: Precursor, Kaiser, Markgraf von Baden, Abt, Herr von Meißen, Herr von Sachsen, Pfalzgraf am Rhein, Prior Loy, Mönch, Müller (neuer Abt), Wagenknecht, Herold, drei Bauern, Ausschreier (möglicherweise identisch mit dem Precursor). Das Spiel ‚Kaiser und Abt‘ ist die Dramatisierung eines bekannten Schwankstoffes. Es entspricht dem Typus des Handlungsspiels; die Bauern-Passage am Ende des Stücks erinnert strukturell an Reihenspiel-Reden und rahmt zusammen mit Ein- und Ausschreierrede die eigentliche Handlung. Darüber hinaus ist die versierte Stichreimtechnik hervorzuheben, die zusammengehörige Redepassagen verbindet, wichtige Wechselreden betont sowie Wortwitz und Rätsel herausstellt (vgl. Catholy: Fastnachtspiel des Spätmittelalters, S. 153f.; Brett-Evans: Hrotsvit, S. 172). Das Fastnachtspiel setzt ein mit der Rede des Precursors, worin dieser zunächst um Ruhe für den würdevollen Auftritt des Kaisers bittet und anschließend eine kurze Schilderung des Ausgangskonflikts liefert: Die Bevölkerung wird von einer brandschatzenden Räuberbande heimgesucht, weshalb man den Kaiser auffordert, sich der Sache anzunehmen. Mit dieser Problematik konfrontiert wendet sich der Kaiser an seine Räte, den Markgrafen von Baden, den Herrn von Meißen, den Herrn von Sachsen und den Pfalzgrafen am Rhein, und verlangt Lösungsmöglichkeiten. Die Räte verweisen den Kaiser an einen Abt, dessen zweifelhaften Rat er dem ihrigen bisher immer vorgezogen habe. Der Abt jedoch versucht, sich mit dem Hinweis, er sei kein kriegs man (Z. 27), aus der Affäre zu ziehen. In der Folge verlegt sich der Kaiser auf das Gebiet des Geistigen und prüft ihn mit drei Fragen. Erstens: Wieviel Wasser das Meer enthalte? Zweitens: Wen das Glück als nächsten ereile? Drittens: Wie hoch der (Geld-)Wert des Kaisers sei? Bei Nichtbeantwortung, dies die Bedingung, müsse der Abt allein mit den meuternden Horden fertig werden. Dem Abt wird die erbetene Bedenkzeit gewährt und da die von ihm konsultierte Literatur keine Lösung parat hält, schlägt sein Prior vor, sich zur Beantwortung

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der Rätselfragen an einen lebenserfahrenen Müller zu wenden. Dieser beteuert, die Aufgabe leicht erfüllen zu können, verlangt aber zunächst ein stärkendes Mahl, bevor er als Abt verkleidet vor den Kaiser tritt. Die Fragen eins und drei löst er listig und bauernschlau. Mit seiner Antwort auf Frage zwei, ihn selbst habe das Glück als nächsten ereilt, denn er sei gerade vom Müller zum Abt geworden, enttarnt er sich. Daraufhin setzt ihn der Kaiser als neuen Abt ein. Die abschließend auftretenden Bauern äußern sich zur Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung wie auch zu den Vor- und Nachteilen des Klosterlebens. Der letzte Bauer fordert den Tanz und übergibt an den Ausschreier, der zu fastnächtlicher Ausgelassenheit überleitet. Deutungsaspekte: Grundlage des Fastnachtspiels ‚Kaiser und Abt‘ ist ein weitverbreiteter Schwank, der seinen Ausgang um den Anfang des 7. Jahrhunderts n. Chr. in einer jüdischen Gemeinde des nahen Orients (möglicherweise Ägypten) nahm. Das erste literarische Zeugnis findet sich in Ibn ’Abd al-Hakams ‚Eroberung Ägyptens und des Okzidents‘ (ca. 850 n. Chr.). Nach Westeuropa (zunächst Südfrankreich und Oberdeutschland) gelangte der Schwank spätestens in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts (Anderson: Kaiser, S. 6, 382f.). Insgesamt lassen sich weltweit 571 Varianten des Stoffes nachweisen, davon 161 verschriftlicht. Im deutschsprachigen Raum kommen 15 literarische und 57 mündliche Varianten vor (Anderson: Kaiser, S. 76–78), die älteste literarische Verarbeitung ist ‚Der Pfaffe Âmîs‘ des Strickers (vor 1250). Ebenfalls populäre deutschsprachige Varianten, deren Entstehungszeiten allerdings nach derjenigen des Fastnachtspiels liegen, sind der Straßburger ‚Ulenspiegel‘ von 1515 bzw. 1519, Johannes Paulis ‚Schimpf und Ernst‘ (Nr. 55, 1519), Hans Sachsens Meistersang ‚Die drey frag dem abt‘ (1546) und Gottfried August Bürgers Ballade ‚Der Kaiser und der Abt‘ (1784), die direkt auf die englische Ballade ‚King John and the Abbot of Canterbury‘ von Thomas Percy (1756) zurückgeht. Auch ‚Das Hirtenbüblein‘ (1819) aus den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm ist eine Variation dieses Schwanks. Nicht nur bot die Handlungskomik der Schwänke Anlass, sie für eine ausgefeilte dramatische Gestaltung und das Stegreifspiel zu nutzen (vgl. Straßner: Schwank, S. 103), auch entsprach das zugrunde liegende Erzählmuster des Rätsels mit der Möglichkeit zur Dekodierung mehrdeutiger Metaphern und des gemeinsamen Rätselratens durchaus den Bedürfnissen fastnächtlicher Unterhaltung (Brett-Evans: Hrotsvit, S. 172), sodass die Umsetzung in ein Fastnachtspiel nicht verwundern kann. Dabei greift Folz verschiedene Elemente der zeitlich früheren Varianten auf, eine unmittelbare Quelle ist nicht auszumachen. Vielmehr erscheint das Stück als gekonnte Dramatisierung eines populären Schwankstoffes und ist daher als eigenständige Fassung zu werten. Daneben spiegelt das Fastnachtspiel den über die Jahrhunderte stattgefundenen stofflichen Wandel, bildet kulturelle wie mentalitätsgeschichtliche Einflüsse ab (Röhrich: Erzählungen, S. 285) und trägt zeitlichen Hintergründen Rechnung, wie etwa dem Wandel vom höfischen zum bürgerlichen Personal. So wird der Grundtypus, der nach Anderson aus drei Personen, dem Fragensteller (meist Monarch), dem Gefragten (ursprünglich Höfling, später Geistlicher), dem Antwortgeber (meist Untergebener des Gefragten) und drei Rätselfragen besteht, an die theatralen Bedürfnisse

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angepasst. Ob der Lebendigkeit des Geschehens erfährt das Personal eine deutliche Erweiterung, auch wird die Handlung an verschiedenen Orten entwickelt, die unterschiedlichen gesellschaftlichen Sphären, nämlich Exterritorium, Hof und Kloster entsprechen. Damit stellt der Verfasser diese mittelalterlichen Lebenswelten infrage und bleibt mit seiner literarischen Stellungnahme dennoch im Rahmen des Ratskonformen (vgl. Reichel: Spruchdichter, S. 163): Kursierende sozialpolitische Themen, die innerhalb des Fastnachtspiels Erwähnung finden, sind der schon genannte Hinweis auf das fehdeführende Raubrittertum, die Thematisierung der Unwissenheit des Herrschers angesichts der prekären Lage der Bevölkerung, die fragwürdige Sonderstellung des Klerus, der keine politische Verantwortung übernimmt, aber den Schutz des Landesherren genießt, sowie die Diskussion über den Wert geistig-literarischer Bildung gegenüber praktischer Erfahrung. Insbesondere die Figur des Müllers lässt dies offenbar werden: Der Müller zählte im Mittelalter zu den verfemten Berufen und lebte, wie es auch das Fastnachtspiel zeigt, vor den Toren der Stadt (vgl. Danckert: Leute, S. 127). Ausgerechnet eine Figur dieses Berufsstandes, ein sozialer Außenseiter, vermag nun mit Witz und Bauernschläue die gestellten Fragen zu lösen. Aus der Exklusion erfolgt der Aufstieg in die Sphäre des Geistlichen. Damit erweitert der Verfasser auch jenes Gerechtigkeitskonzept, das bereits die von Röhrich als „Schlüssel zum Schwank“ (Röhrich: Erzählungen, S. 286) hervorgehobene ursprüngliche Frage „Was tut Gott?“ mit der zugehörigen Antwort „Er erniedrigt die Hohen und erhöht die Niedrigen“ (vgl. Lk 1, 52) beinhaltet. Sie wird im Orient auch in den jüngsten Varianten noch gestellt, dagegen in Europa meist durch die Frage „Wie weit ist es vom Glück bis zum Unglück?“ (im Fastnachtspiel wem das geluck auff nechst wonet bey, Z. 76) ersetzt. Obgleich diese Fragenvariante nicht explizit von Erniedrigung und Erhöhung spricht, bleibt die mögliche Umkehr sozialer Positionen indirekte Kernaussage (Anderson: Kaiser, S. 217). Ebenso ergeben sich die beiden anderen Fragen aus der Stofftradition, in die nach und nach neue Rätselfragen (insgesamt typisiert Anderson 16) eindringen, sich mit den älteren Formen verbinden bzw. diese verdrängen (Anderson: Kaiser, S. 111f., 382f.): Die Frage des Kaisers „Wie viel bin ich wert?“ und ihre auf dem neutestamentlichen Bibeltext beruhende Antwort gehört zu einem spezifisch christlichen Fragenkomplex, der im Orient unter islamischem Einfluss frühzeitig ausgestorben ist (vgl. Anderson: Kaiser, S. 197f.). Die Frage nach der Wassermenge im Meer geht wohl auf die erstmals bei Plutarch belegte Aufgabe zurück, das Meer auszutrinken, in einer Biographie Aesops fand sie weite Verbreitung (Anderson: Kaiser, S. 139). Die Mengenangabe in Kufen wird allerdings erstmals im Fastnachtspiel gegeben (Anderson: Kaiser, S. 387). Finden sich innerhalb der Varianten ganz unterschiedliche Anlässe zur Fragestellung, etwa die Habsucht des Fragestellers oder die verschwenderische Lebensweise des Gefragten (Röhrich: Erzählungen, S. 286), ist es im Fastnachtspiel ein politischer Konflikt, der die Befragung des Abtes anstößt und die Handlung in Gang bringt. Diese Tatsache weist, neben anderen, auf das im Verfasserlexikon vermutete Zugrundeliegen einer konkreten Ursache hin (Janota: Art. ‚Kaiser und Abt‘, S. 942). Mit Hinblick

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auf die Traditionslinie von ‚Kaiser und Abt‘ wäre die historische Bezugnahme nicht ungewöhnlich, existieren doch einige Variationen des Schwanks, die konkretisierbares geschichtliches Personal aufweisen (Röhrich: Erzählungen, S. 286). Daneben läge der Verfasser auch auf der Linie des Nürnberger Rates, der Agitation gegen feindliche Mächte lange Zeit begrüßte (vgl. Reichel: Spruchdichter, S. 163f.). Michels identifiziert aufgrund der Informationen in Z. 59–62 den Pfalzgrafen am Rhein als Friedrich I. den Siegreichen (1425–1476; im Amt seit 1452, vgl. Michels: Studien, S. 223), woraus folge, dass es sich beim Markgrafen von Baden um Karl I. (gest. 1475; im Amt seit 1453) handelt. Damit stünden sich im Spiel die Kontrahenten des Badisch-Pfälzischen Krieges gegenüber und der Kaiser, zu dieser Zeit Friedrich III., begegnete seinem realhistorisch größten Widersacher. Problematisch wird diese Einordnung jedoch durch die Anwesenheit eines Herrn von Meißen und eines Herrn von Sachsen. Da die Markgrafschaft Meißen 1423 im Kurfürstentum Sachsen aufging, gab es historisch mit Friedrich II. dem Sanftmütigen (1412–1464; im Amt seit 1428) nur einen und nicht zwei Landesherren. Als zweite Möglichkeit können Inhalte und Personen des Fastnachtspiels daher auch auf den Nürnberger Reichstag von 1487 zurückgeführt werden. Hierfür spricht zum einen die Tatsache, dass seit der Leipziger Teilung von 1485 historisch wieder ein Herr von Sachsen und ein Herr von Meißen existierten. Die Figur des Kaisers wäre weiterhin Friedrich III. Als Pfalzgraf am Rhein könnte Philipp der Aufrichtige (1448–1505; im Amt seit 1476), als Markgraf von Baden Albrecht (1456–1488; im Amt seit 1482) aus dem Hause der Zähringer identifiziert werden. Beim Herrn von Meißen handelte es dann sich um Albrecht den Beherzten (1443–1500), seit 1485 Herzog von Sachsen in Meißen, mit dem Herrn von Sachsen wäre Friedrich III. der Weise gemeint, der gerade beerbte Kurfürst von Sachsen (1463–1525; im Amt seit 1486). Die Genannten befanden sich alle auf der Teilnehmerliste des Reichstags zu Nürnberg (RTA MR II,1, Nr. 500, S. 652). Es scheint lediglich schwierig, Philipp den Aufrichtigen, dessen Regierungszeit „von einigen Willkürakten abgesehen“ als friedlich gilt (LexMA 6, Sp. 2027f.), mit den im Fastnachtspiel erwähnten Kampfesmeriten zusammenzubringen. Darüber hinaus verweist die vom Precursor erwähnte Fehdeproblematik (Z. 5–16) auf die Inhalte des Nürnberger Reichstags von 1487. Hier wurde sowohl der erst 1486 in Frankfurt aufgerichtete zehnjährige Landfriede diskutiert als auch nach einer Lösung zur Eindämmung der aggressiven Expansionspolitik der Herzöge Albrecht und Georg von Bayern gesucht. Das aus diesen Verhandlungen hervorgegangene Schutzund Handlungsgebilde, der sogenannte Schwäbische Bund, wurde im Februar 1488 formell konstituiert und dabei gezielt auf den Frankfurter Landfrieden gegründet (vgl. RTA MR II,1, S. 68–70, 90–96). Die wiederholt vorgebrachte Klage der oberdeutschen Reichsstädte über die verderplichen belestigungen, so mit feden, mit seltzemen anhengen und beschwerlichen furniemen irer anstossern und ander sy taglichen belestiget (RTA MR I,1 Nr. 493, S. 488) und ihr Hinweis, sie bedürften dringend der Unterstützung des Kaisers, ließ Friedrich III. ferner die Gründung eines antiwittelsbachischen Schutzbündnisses zur eigenen Angelegenheit werden; nicht zuletzt, nachdem die

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Städte deutlich machten, dass sie ohne kaiserliche Unterstützung gegen die Bayernherzöge keinen Beitrag zur Ungarnhilfe (gegen Matthias Corvinus) leisten könnten (vgl. RTA MR II,1, S. 68–70, 90–96). Neben der hier vorgeschlagenen Parallelsetzung ist jedoch nicht auszuschließen, dass sich der Verfasser willkürlich bei der näheren Historie bediente und einzelne Versatzstücke kombinierte, ohne ein konkretes Ereignis oder eine bestimmte Absicht im Blick zu haben. Aufführungshinweise: Bei der Dramatisierung der literarischen Vorlage bedient Folz verschiedener Mittel. Er erzeugt Aktion auf der Bühne durch Wechsel zwischen den einzelnen Spielorten (Z. 93, Z. 111, Z. 145, Z. 195). So sind ein Bereich des Kaisers, eine Sphäre des Abtes sowie eine Mühle, wenn auch jeweils nur vage als solche gekennzeichnet, nebeneinander auf der Bühne zu denken. Ebenso sorgt bewegungsreiches Spiel, etwa der närrische Lauf des dritten Bauern (Z. 341), für die Lebendigkeit des Bühnengeschehens. Häufig werden auch zeitgleich ablaufende Handlungen suggeriert (Z. 87–94); ob diese tatsächlich im Simultanspiel umgesetzt wurden, ist nicht zu klären. Innerhalb der Sprechtexte verweisen mehrfach implizite Regieanweisungen auf das gefordete Bühnengeschehen (Z. 87, Z. 183, Z. 297, Z. 342). Ebenso legen einige Stellen eine besondere pantomimische Ausgestaltung nahe (Z. 93f., Beratungsszene: vor Z. 96 oder nach Z. 106, vor Z. 150). Diese Momente sowie die bereits erwähnten lateinischen Versatzstücke und die Requisiten lassen eine für das Spiel eigentümliche, in sich geschlossene Bühnenrealität entstehen. Besonders hervorzuheben ist hier der kleine Wagen, auf dem der Müller laut Regieanweisung von einigen Bauern vor den Kaiser gezogen wird. Dabei blieb es wohl dem Publikum überlassen, ob es diese Aktion als Element der Komik wertete oder zur kaiserlichen Staatskarosse ausphantasierte (Merkel: Form, S. 99). Denkbar ist außerdem die Markierung der verschiedenen Handlungsorte über spezifische Requisiten (ähnlich dem heutigen Bühnenbild). Auch der Einsatz rollengemäßer Kostüme ist wahrscheinlich, wird doch der Müller vom alten Abt detailliert angewiesen, wie er sich zu verkleiden habe, um als neuer Abt wahrgenommen zu werden (Z. 180f.). Folgerichtig werden auch der Kaiser, seine Entourage und die anwesenden Räte im entsprechenden Ornat kostümiert gewesen sein (Janota: Art. ‚Kaiser und Abt‘, Sp. 942). Die gedoppelte Anrede in Z. 56 ist mit gleichzeitigem Schütteln des Kopfes als Ausdruck der Missachtung zu denken. Derartige gestische Untermalungen des Geschehens durch die Akteure belegen theatrales Geschick.

Textbezüge Das Motiv des Prüfungsgesprächs und die hiermit verbundene Rätselthematik findet sich, unterschiedlich breit und in variierender inhaltlicher Ausprägung, auch in den Spielen F 87 ‚Die drei Brüder und das Erbe‘, F 103I/II ‚Salomon und Markolf‘ und in F 106I/II ‚Das Rätselspiel‘. In R 6 ‚Des Entchrist Vasnacht‘ fragt, dem vorliegenden Fast-

90 – Hans Folz: Kaiser und Abt | 263

nachtspiel in Ablauf und Wortlaut ähnlich, ein Kaiser nacheinander seine Ritter, dann seinen Vater um Rat (Z. 215–316). Das Muster wiederholt sich einige Zeilen später zwischen einem Bischof und seinem Kaplan (Z. 376–402). Die Verkleidung als Mittel der List wird ebenfalls eingesetzt in F 95 ‚Domherr und Kupplerin‘ sowie in F 103I/II ‚Salomon und Markolf‘. Bearbeiter: Biehl

91 – Hans Folz: Das Spiel vom Dreck

Ein vasnacht spil vom dreck

KF Nr. 23

Gb 137v KF 211

Einschreyer spricht:

5

10

15

Nw hort hie vnd merckt das wunder, Wie auß geschloffen ist ein kunter Mit namen in der tuchscherer gaß. Darob man souil rede auß maß, Jr einer sust, der ander so. Ein yder hett sein anschlagk do. Darumb so man ich euch hie gar: Trett auch herzu vnd nempt sein war, Wem dieses kunter geleichen mocht Vnd warzu es am pesten tocht. Darumb schawt es mit gantzem fleyß! Das keiner sein finger bescheyß!

103I, 449f.

Gb 138r

Nu hebt einer die deck vom dreck, dicit: Jr herrn, so heb ich auff die deck. Bedunckt euch nit, wie es hie schmeck,

F 111, 67f.

4 auß geschloffen (zu mhd. sliefen): ‚[aus-]geschlüpft‘ 4 kunter ‚Monstrum, Ungeheuer‘ 5 Mit namen ‚Namentlich, Und zwar‘ 5 tuchscherer gaß: Vornehmste Gasse in Nürnberg, in unmittelbarer Nähe des Rathauses gelegen (vgl. Klein: Art. ‚Ungetüm‘, Sp. 79). 6 auß messen ‚vorbringen‘ 7 Ir: 3. Pers. Pl. Gen. des Personalpronomens; im 14./15. Jahrhundert übliche Form (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 63). 7 sust ‚so, in dieser Weise‘ 8 anschlagk ‚Vorschlag, Plan‘ 9 manen ‚ermahnen‘ 10 sein: 3. Pers. Sg. Gen. des Personalpronomens (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 63); warnemen mit Gen. seinerzeit verbreitet. 12 tochen (zu mhd. tugen): ‚taugen, brauchbar sein‘ 13 Die Stuhlschau war neben der Harnschau ein verbreitetes Verfahren mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Diagnostik. 14 bescheyßen ‚besudeln‘ 17 bedunckt euch nit ‚kommt es euch nicht vor‘ 17 schmecken ‚riechen‘

1 unterstrichen; im Register G: Ain spill von dem dreck 2 Rechts neben der Überschrift mit roter Tinte ergänzt 3 Sprecherbezeichnungen und Handlungsanweisungen sowie die ersten Worte der jeweiligen Reden sind grundsätzlich unterstrichen. 5 namen: Keller (S. 211) vermutet, dass der eigentliche Name hier ausgefallen ist. Die Nennung eines Namens erscheint weder metrisch noch inhaltlich bessernd, an keiner weiteren Stelle wird ein solcher verwendet.

266 | 91 – Hans Folz: Das Spiel vom Dreck

20

Recht als jn einer apotecken, Darinn von welisch, von teutschtz, von greken Man fund vil mange spetzerey? Furwar, hie ist auch etwas bey. Daruor wol einer verhab sein nass. Tret doch herzu vnd schmeckt es pas. Nw rufft einer den pauren, das sie urteiln sollen:

25

Herr Saurtzapff vnd herr Affen schmaltz, Herr 〈Lullholtz〉 [Trottentanz] vnd herr 〈Trottentantz〉, Hawnolt, Gotz vnd Fritz Ginoffel, Herr Sudler vnd herr Genßloffel!

KF 212

19 welisch ‚romanisch, südländisch‘ 19 greken ‚griechisch‘ 20 spetzerey ‚Gewürz, aromatischer Pflanzenstoff‘ 22 verhaben ‚zuhalten, zukneifen‘ 23 pas ‚besser‘ 24 Die Sprecherbezeichnungen weisen in diesem Spiel den einzelnen Rollen nicht in erster Linie einen Namen zu, vielmehr werden die Figuren von dem Spielleiter, der die folgenden Zeilen spricht, aufgerufen. 25 Saurtzapff: Eigentlich Zapfen eines Essigfasses; dient auch der Bezeichnung eines mürrischen, verdrießlichen Menschen (vgl. Arndt: Personennamen, S. 81). 25 Affen schmaltz: Arndt: Personennamen, S. 64, erwägt reimbedingt Konjektur zu Affenschwantz, ein neben Affenzagel belegtes Schimpfwort für einen Narren. In Anbetracht der zahlreichen weiteren Varianten der Eigennamen im vorliegenden Spiel bedeuteten diesbezügliche Glättungen einen zu massiven Eingriff in die Gestalt des Textes, vgl. auch FrnhdWb 1, Sp. 670f. 26 Lullholtz: Zu lullen ‚saugen‘; das Kompositum ist zu verstehen in der Bedeutung ‚Säufer, Schluckspecht‘ (anders Arndt: Personennamen, S. 66). 26 Trottentantz (zu mhd. troten): ‚mit kurzen Schritten traben‘; der Name deutet auf Fertigkeiten beim Tanzen hin (Arndt: Personennamen, S. 68). 27 Hawnolt: Zu germ. hûn in der Bedeutung ‚hoch‘ und walten in der Bedeutung ‚herrschen‘ (Arndt: Personennamen, S. 49). 27 Ginoffel: ‚Narr‘, als Schimpfwort in F 96, Z. 53 und F 103I, Z. 72; aus gienen: ‚den Mund aufsperren‘, (DWb 7, Sp. 7349–7352) und wolf (Arndt: Personennamen, S. 65) oder als Anlehnung an auf -olf endende Personennamen; auch Kontaminationsform von gienaffe (‚Gähnaffe‘) und gienlöffel (‚Maulaffe‘) denkbar (DWb 7, Sp. 7353f.). 28 Sudler: ‚Garkoch‘, übertragen: ‚unsauberer Mensch‘ (BWb 2, Sp. 229). 28 Genßloffel: Entweder Erstglied zu gans mit den Bedeutungen ‚Dummkopf‘ bzw. ‚Penis‘ (DWb 4, Sp. 1263f.) und Zweitglied als Ableitung von laffe ‚Narr‘ (DWb 12, Sp. 1120) oder zu mhd. gansaffe ‚Narr‘; derselben Schwierigkeit, die ähnlich anmutenden, tatsächlich jedoch unterschiedlichen Namen jeweils zu realisieren, unterliegt der Schreiber in F 103I, Z. 72. Anstelle des aus dem Druck für diese Stelle sinnvollerweise rekonstruierbaren Gynoͤ ffel (F 103II, Z. 82) steht in der Handschrift Gnseffel. Von einer bewussten Vermischung beider Namen in der Handschrift ist dagegen nicht auszugehen, da deren Träger in der Genealogie beider Fassungen deutlich voneinander getrennt erscheinen.

20 man] Aldo: Keller (S. 1491) erwägt Konjektur zu Aldo man; der Eingriff geht in metrischer, syntaktischer und semantischer Hinsicht nicht weit genug, die Ersetzung ist der Ergänzung vorzuziehen. 26 Herr Lullholtz vnd herr Trottentantz] Herr Trotten tantz und herr; der Vers ist offensichtlich unvollständig. Da Trottentanz leidlich auf affenschmaltz reimt, wurde der fehlende Lullholtz aus Z. 53 zu Beginn der Zeile ergänzt (Arndt: Personennamen, S. 64). 28 Genßloffel] Ginloffel: Offensichtlich liegt auch hier eine Verwechslung infolge Augensprungs vor. In Z. 107 wird einer der Bauern Genßloffel genannt, er ist in Z. 28 gemeint.

91 – Hans Folz: Das Spiel vom Dreck |

30

Nw sitzt all nÿder vnd betracht, Wartzu das kunter werd geacht, Ob es doch zu etwan mocht frumen. Es ist ye von eim menschen kumen.

267

Gb 138v

Hie hebt er wider an vnd spricht contra Saurzapfen:

35

40

Jch sprich das auff die trewe mein: Wenn ich hett solcher kegel neun, Wolt vmb ein kleinot schieben lan. Welcher die hend beschieß daran, So er der kegel ein auff setzt – Vnd das man jm sein har mit fetzt Alßlang piß es wurd gel vnd krauß – Oder jm machet knodlein darauß, Das er die must auß einem pfeffer essen – Also wil ich mein vrteil messen. Nu rufft er dem Affen schwantz:

45

50

Ja, sprich ich, wann ich hett ein hennen, Die mir alle tag an meinem tennen Zwej solche eyr legen tet, Vnd igklichs ein solchen tottern het – Vnd weren mit einer solchen schalen bedegk〈t〉, Als ob ichs selber het gelegt, Die welt ich jn ein smaltz schlagen, So wurden die pauren die finger nach nagen.

30 achten ‚für etw. halten‘ 31 etwan: Entweder zu mhd. ëte-wenne in der Bedeutung ‚vielleicht‘, dann stört die Präposition das syntaktische Gefüge, oder Verschreibung zu mhd. ëte-wer bzw. ëte-waz ‚etwas‘. 31 frumen ‚nützen‘ 33 spricht contra ‚ruft den‘ 36 ‚Würde ich um einen Preis kegeln lassen.‘; Das Kegelspiel war im Mittelalter schlecht beleumundet und endete häufig in Exzessen. 38 ‚Wenn er einen der Kegel aufstellte –‘ 39 fatzen: ‚in Fetzen reißen‘; hier wohl eher ‚behandeln, traktieren‘. 40 gel vnd krauß: ‚blond gelockt‘; Inbegriff des mittelalterlichen Schönheitsideals und meist das erste Attribut der wohlgestalteten Frau (vgl. Bumke: Kultur, S. 453). 42 pfeffer ‚eine mit Pfeffer und anderen Gewürzen bereitete Brühe‘ 46 an ‚auf‘ 46 tenne: ‚Scheune, Stall‘; seinerzeit auch mask., neutr. 48 tottern ‚Dotter, Eigelb‘ 49 Und kann relativische oder konditionale Funktion haben, vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 268 und § S 290. 51 jn ein smaltz schlagen ‚in reichlich Fett braten‘

33 Kürzel für contra 49 bedegkt] bedegk: Konjektur bei Keller (S. 212)

268 | 91 – Hans Folz: Das Spiel vom Dreck

Nu rufft er dem Lullholtz:

55

60

Ich meÿn zu vrteiln nach dem pesten. Wann wo der morchen noch mer sten, Die wolt ich euch wol wurtzen vnd hacken klein. So weren sie dan also durch spicket rein, Als jr wol seht, mit guten grieben. Ich waiß, das sie euch wurden lieben, Das ir die feußt darnach wurdt lecken Vnd die pfann nach der poden schar schlecken. Nu rufft er herr Ottentantz:

65

70

Gb 139r

Ich vrteil hie von diesem quader, Es dunckt mich so ein edler flader, Wir solten es ein drechsel lassen seen, Ob er ein kopff darauß mocht dreen. Den dorfft man weder pichen noch wurtzen, Er smecket sust seuberlich von furtzen. Vnd wer darauß gern wird trinken, Dem mocht der adem wol darnach stincken.

KF 213

F 99, 77f.; F 109, 49f.

Nu rufft er dem Gumprecht:

75

So vrteil ich, ob man das riet, Das man den flader denn zu schniet Vnd einen tisch damit vberleit. Der wurd so krauß vnd so gemeit Fur palßam vnd fur pißam schmecken, Das man es ruch in allen ecken,

F 110, 81; F 111, 66

Gb 139v

55 morchen: ‚Morcheln‘; Pilze mit wabenartig gegliedertem Kopfteil, deren Erscheinungsbild die vorliegende Assoziation nahelegen. Neben hochwertigen Speisepilzen gibt es die ungenießbare Stinkmorchel mit aasartigem Geruch (vgl. Kult: Kosmos-Pilzfibel, S. 56–58). 57 durch spicket ‚durchzogen‘ 57 rein ‚vollkommen‘ 58 griebe ‚ausgelassener Speckwürfel‘ 59 lieben ‚gefallen, zusagen‘ 61 poden schar: ‚Bodenansatz‘; siehe auch Keller: Fastnachtspiele, S. 1491. 64 flader ‚gemasertes, zum Drechseln geeignetes Holzstück‘ 65 drechsel ‚Drechsler‘ 66 kopff ‚rundes Trinkgefäß mit Fuß‘ 67 dorffen ‚brauchen, müssen‘ 67 pichen ‚mit Pech bestreichen, abdichten‘ 67 wurtzen ‚mit Kräutern einreiben‘ 68 sust ‚sowieso, ohnehin‘ 74 überlegen ‚furnieren, überziehen‘ 75 krauß ‚gemasert, gemustert‘ 75 gemeit ‚wohlgeraten‘ 76 palßam: ‚Balsam‘; ein seit der Antike bekanntes und genutztes wohlriechendes Heilmittel. 76 pißam ‚Moschus‘; dem aus dem Drüsensekret des Moschushirsches gewonnenen Duftstoff wurde auch eine abführende Wirkung nachgesagt.

91 – Hans Folz: Das Spiel vom Dreck |

269

Das einer des geschmacks genug het, Ee er kein pissen daruon tet. 80

85

Nu rufft er dem Gotzen: Seyt ich dann auch hie vrteilen sol, So fugt es zu einem nacht kuß auch wol. Ob sich einem der schlaff vertzüg, Das er die weil ein zipfel süg, – Ein strayff must vmb das kuß auch gan, Darauff so must ein S auch stan – Ein ploß, ein piß auch mitten darein, Nit anders sol mein anschlag sein. Nw rufft er dem Ginoffel:

90

95

Wollen die frawen mir vergeben, Ob ich nit vrteil recht vnd eben, So fuget er jn doch mit namen Am pasten zu eim pad schwammen, Das sie den hielten fur die augen, Das sie jm pad nit pieß die laugen.

79 kein ‚einen‘ 81 Seyt: Kausaler Gebrauch neben temporaler Verwendung seinerzeit üblich. 82 nacht kuß: ‚Kopf- oder Wangenkissen‘ (vgl. Heyne: Bücher 1, S. 112). 83 verziehen ‚verweigern‘ 85 strayff ‚Borte, Zierband‘ 86 S: Es bleibt letztlich unklar, in welcher Funktion der Buchstabe S hier genutzt wurde. Es ist unwahrscheinlich, dass in der Inszenierung ein vollständiger Name an dieser Stelle eingefügt wurde, wie es in R 30, Z. 248 der Fall ist, wo Ga den Buchstaben N als Platzhalter für den in anderen Textzeugen belegten Namen Hanns Witzig führt (anders Ridder/Steinhoff: Nürnberger Fastnachtspiele, S. 153). Eine derartige Ersetzung des einzelnen Buchstabens durch einen ganzen Namen könnte im Falle der hier vorliegenden Stelle im Gegensatz zu der Passage in R 30 nur unter erheblichen rhythmischen Einbußen geschehen. Eher ist davon auszugehen, dass der Buchstabe gewissermaßen als Bilddevise für die Familie bzw. die Produkte der Familie Schürstab stand. Diese waren im Tuchhandel erfolgreich, waren über lange Jahre hinweg Ratsmitglieder und verfolgten darüber hinaus literarische wie medizinische Interessen (vgl. Ulmschneider: Art. ‚Schürstab, Erasmus, d.J.‘ 8, Sp. 881–883 und Ulmschneider: Art. ‚Schürstab, Erhard, d.J.‘ 8, Sp. 883–885). Infrage kommt ferner die ebenfalls international tätige, vielfältig vernetzte Nürnberger Tuchhändlerfamilie Scheurl. Eine andere Möglichkeit ist darin zu sehen, dass hier auf die Sitte angespielt wird, den Anfangsbuchstaben der/des Geliebten auf ein Band zu sticken. 87 ploß ‚Blasen, Atemhauch‘ 87 piß ‚Biss‘ 92 fugen ‚eignen‘ 92 jn: Dat. des Reflexivpronomens, vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 64; vgl. Z. 228. 95 pießen (zu mhd. bîzen): ‚beißen, stechen‘

82 nacht] am linken Rand eingefügt 93 pad schwammen] pad schawelmmen: Konjekturvorschlag bei Keller (S. 1491); Keller (S. 213) konjiziert zu padschamel amen

270 | 91 – Hans Folz: Das Spiel vom Dreck

Er legt sich gar genaw hin an, Ließ kein posen pradem hin ein gan.

KF 214

Nw rufft er dem Sudler:

100

105

Ir vrteilt all von waicher speyß, Ich mayn, die zen sten euch leyß. Ich rat, das man drey ertzt besendt, Durch die dann ernstlich wurd erkent, Wie sich das kunter durch menschlich lab In solcher wachsung erhebt hab – Wie es ist vom menschen getriben, Das jm sein mist pfort gantz ist belieben.

R 65, 86f.

Gb 140r

Nu rufft er dem Genßloffel:

110

115

Mein rat am pesten sol besten. Nach dreyen ertzten sol man gen, Das sie darauff gar fleissig spehen, Wie diesem menschen sej geschehen, Ob er icht schaden hab genumen, Wie das kunter sey von jm kumen. Ob vnser ein solich not wurd dringen, Das man solchen von jm mocht bringen.

97 pradem (zu mhd. brâdem): ‚Dunst, Duft‘ 99–100 vgl. Wander, s.v. Zahn, Nr. 69: Wer böse [d.h. schlechte] Zähne hat, muß Brei essen – Esto pulmentum, quia non est laesio dentum (Sprichwörter-Lexikon 5, Sp. 487), etwa: ‚Ihr seid schon vergreist/verkalkt‘. 100 leyß ‚locker, lose‘ 101 besenden ‚holen lassen‘ 103 lab ‚Speise‘ oder ‚Säure, Verdauungssaft‘ 104 Die schwache Flexion des Verbs heben im Part. Prät. ist für den obd. Sprachraum seit dem 14. Jahrhundert typisch (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 119). 106 mist pfort: Hier nicht grobianisch zu verstehen, der Begriff steht schon in Konrads von Megenberg ‚Buch der Natur‘ als Terminus technicus für den menschlichen Anus (Lexer, 1, Sp. 2177). 110 spehen ‚sehen‘ 112 icht ‚nicht etwa, irgendwie‘ 114 vnser ein ‚einen von uns‘ 114 dringen ‚drängen‘

91 – Hans Folz: Das Spiel vom Dreck | 271

Nu han die pauren ein end vnd rett der doctor:

120

125

130

Doctor Schlicken wurst, trett her, Herr Rubschnitz vnd her Nasen smer, Sagt, was disem menschen geprest, Wie er das ey hab pracht zu nest. Was ewr einer von eim torst fodern, Dem er sein pauch tut also plodern Als zweÿ mal radt luffen die wett, Piß einer ein solchs kunter vertzett.

Gb 140v

Nu spricht der Schlicken most: – Nach groß, nach form vnd noch gestalt – Ob der mensch sej junck oder alt, Bey dem benacht der vngeheur gast, So wißt, das er grossn vberlaßt Von jm gehabt hat frwe vnd spat, Piß er die herberg geraumpt hat. – Das er sein an schaden ist kumen ab – Das er jm nit die thur auß dem angel gerissen hat!

F 91, 228; F 111, 58

KF 215

116 ‚Nun hat der Auftritt der Bauern ein Ende‘ 117 Schlicken wurst: ‚Schling die Wurst‘; an späterer Stelle wird dieselbe Figur Schlicken most (Z. 125) genannt. Die Namen der Ärzte sind denen der Bauern entsprechend und geben keinen Hinweis auf den Beruf der Träger (vgl. Arndt: Personennamen, S. 94f.). 118 Rubschnitz: ‚abgeschnittenes Stück einer Rübe‘ (vgl. Arndt: Personennamen, S. 95) 118 Nasen smer (zu mhd. smër): ‚Fett, Schmalz‘ 119 gepresten ‚mangeln‘ 121 toren (zu mhd. turren): ‚wagen‘ 121 fodern: ‚fordern, verlangen‘; zur Möglichkeit des Liquidschwunds vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 65. 122 plodern ‚aufblähen‘; hier: ‚rumpeln‘ 123 ‚Als wenn zwei Mühlräder um die Wette liefen,‘; zur Bildung des Prät. vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 133. 124 vertzen: Entweder zu mhd. vërzen in der Bedeutung ‚furzen‘ oder zu mhd. verzetten: ‚fallen lassen‘. 126 Es handelt sich hierbei um die drei Hauptkriterien, die bei der Koproskopie Anwendung finden (vgl. Gerhardt: Diätetik, S. 67f.). Insofern sind diese Eigenschaften auf den vngeheur gast zu beziehen und nicht auf dessen Emittenten (so bei Ridder/Steinhoff: Nürnberger Fastnachtspiele, S. 154). 128 benachten ‚übernachten‘ 129 vberlaßt ‚Verdruss, Beschwerlichkeit‘ 131 geraumpt ‚geräumt, verlassen‘ 133 angel: Frnhd. ausnamslos mask.

116 Kürzel für etc. am Ende der Zeile 117 Schlicken wurst: Keller (S. 214) erwägt Konjektur zu Schlickenmost 122 tut] torst 133 hat: Keller (S. 215) konjiziert zu hab ; der Eingriff ist ausschließlich reimbedingt und erscheint infolgedessen nicht notwendig.

272 | 91 – Hans Folz: Das Spiel vom Dreck

Nu spricht der doctor Rubschnitz: 135

140

Ich sprich, welch man seinen leib hofirt, Das ein solchs kunter jn jm wirt, Da mit er jm tut grossen schaden. Vnd so er jm den ye ein purd tut laden, Das jm zu zaiten ein ey enpfert, Das sich ein saw ein tagk darob nert, Des darff niemant wundern ser, Wann er hat es an der schwer. Nu spricht herr Gutz in die kraußen:

145

150

Ich meyn, wer ein solichs zeitigs ey treyt Vnd das gefider bej zeit von jm leit, Vnd wenn er sich zu fast wil meren Vnd an kein gatzen nit wil keren Vnd sich derselb in noten fleißt, Das pant vnd rigel gar zu reÿßt, Ee er das schloß zu sturmt mit schall Vnd das jm ein solch golds knopff enpfal.

Gb 141r

Nu spricht wider der Rübschnitz:

155

Welch man die geschoß jm hindern hat Vnd der stein dem zunt puluer wider stat, Des solten alle ertzt geniessen.

135 hofiren ‚verwöhnen, mästen‘ 138 purd ‚Bürde, Traglast‘ 140 Es war verbreiteter Glaube, Schweine ernährten sich von Exkrementen. Die Kot verschlingende Sau gehört in der Genregraphik der Zeit zu den Begleitern der Gefräßigen und Trunksüchtigen und findet sich als Spielkartenmotiv (Eser/Schoch: Zockern, S. 72) sowie als Bestandteil antijüdischer Bildtraditionen; vgl. auch Z. 158, R 53, Z. 104, F 108, Z. 743 und F 111, Z. 316. 142 schwer ‚Beschwerde, Schmerz‘ 143 Gutz in die kraußen (zu mhd. guckezen): Intens. zu ‚gucken, schauen‘ und zu mhd. krûse: ‚Trinkgefäß, Becher‘; Spottname für einen Trinker (vgl. Arndt: Personennamen, S. 95); fehlt in der Aufzählung ab Z. 117. 144 zeitig ‚reif‘ 145 Semantisch ist der Satz ohne Negationspartikel defekt. 146 fast ‚sehr‘ 146 meren ‚vergrößern‘ 147 Bedeutung unklar; aufgrund des Kontextes erscheint gatzen in der Bedeutung ‚gackern‘ vertretbar, semantisch wäre der erwogene Eingriff in der Bedeutung ‚abführen, reinigen‘ zu lat. purgare besser: ‚Und sich um kein Gackern bzw. Abführmittel schert‘; vgl. Z. 168. 148 ‚Und wenn er sich in seiner Not bemüht,‘ 149 zu reÿßen ‚zerreißen‘ 150 zu stürmen ‚erstürmen‘ 151 golds knopff ‚Goldklumpen‘ 154 stein hier: ‚aus Stein gehauene Kugel für Geschütze, Geschoss‘ 155 geniessen (zu mhd. geniezen): ‚Nutzen haben‘

147 gatzen: Keller (S. 1491) erwägt Konjektur zu purgatzen

91 – Hans Folz: Das Spiel vom Dreck | 273

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175

180

Wann sie die puchßen recht kunnen schissen, Das sie ein solchen stein wurd treÿben, Das sich die sew wurden vmb jn reyben Als vmb den paldrian die katzen, So es wurd vnden von jm pratzen Vnd doch geringklich von jm fluß Als der ein schaff mit heffen vmb guß, Den wolt ich vmb ein trinckgelt gurten, Das er vns allen must zalen die vrten.

KF 216

Nu spricht der Nasen schmer: Die mer wil ich euch anders sagen, Der mer sej wir leicht all vertragen: Wir raten teglich zu purgatzen. Wer nit jm selbs hat ein luquatzen, Das er an alle mve alle tag Zweÿ solche quader setzen mag, Die er leichtlich pricht von der gruben, Do sie von kraut vnd auch von ruben Sich in den steinpruch wol gefestigt, Ob der sein leip do nit vast kestigt Vnd einen hubschlich außher rutt, Als der ein arbaiß hafen vmb schut, Dem sag ich gantz gesuntheit zu, Was halt ewr yder klaffen thu.

Gb 141v

Der paur, der den dreck geschissen hat, der hebt jn auff, dicit: Sag, dreck, was geluckß hast vor jn allen? Ich hab kein kraut jm pauch, was ist mir nur enpfall〈en〉?

156 puchße ‚Gewehr‘ 157 treÿben ‚schleudern, schießen‘ 159 paldrian: ‚Baldrian‘; auch als ‚Katzenwurz‘ bekannt 160 pratzen ‚heraussprudeln‘ 161 geringklich ‚leicht, ohne Anstrengung‘ 162 schaff ‚größere Wanne‘ 162 heffen ‚Töpfe‘ 163 gurten ‚hart angehen, bedrängen‘ 164 vrte ‚Zeche‘ 167 vertragen ‚verschont bleiben, befreit sein‘ 169 luquatzen (zu mlat. liquiritia): Süßholz‘; etabliertes Abführmittel 172 grube ‚Steinbruch‘ 175 kestigen ‚kasteien, durch Fasten züchtigen‘ 176 außher rutten ‚herausschütteln‘ 177 arbaiß hafen ‚Topf gefüllt mit Erbsen‘ 179 klaffen ‚reden, schwatzen‘ 181 geluck ‚Erfolg, Beifall‘

169 nit] mit: Konjekturvorschlag bei Keller (S. 1491); die Negation bessert die Stelle semantisch. 169 luquatzen: Keller (S. 1491) erwägt Konjektur zu liquatzen 182 enpfallen] enpfall: Konjektur bei Keller (S. 216)

274 | 91 – Hans Folz: Das Spiel vom Dreck

185

190

195

Ir habt gar wol kennt mein conplex: Ich pin ein vater diss drecks. Darumb danck ich euch vor jn allen, Wann mir der eckstein ist enpfallen. Ich bin auch dises drecks ein muter Vnd was sein doch nit lang ein pruͦ ter. Ee einer hett gesprochen “yß dar!“, Da gings dahin, das ichs nÿe ward gewar. Do druckt ich jn bey zeit entzwey, Behielt jn halpp auff ein andere strey. Ich gedacht, leg ichs alles auff ein hauffen, So wirt zu mal ein groß zu lauffen. Darumb druckt ich den zwiling darauß. Noch machen die narren souil red darauß, Das ich mich furpas nichs wil sparn Vnd ein dreck mit dem andern lassen farn. Der letzt doctor:

200

205

Gb 142r

KF 217

Mein lieber paur, seyt du pist der, Der an dem kunter trug als schwer, Wolst du jm nit ee vrlaup geben Dann in der tuchscherer gassen als eben Oder in lenger behalten han? Laß vns die sach doch recht verstan. Der pawr antwort: Mein herr, das wil ich euch wol sagen. Jch wolt jn lenger wol haben getragen,

183 conplex: ‚Konstitution, Körperzustand‘; nach der Humoralpathologie wurden körperliche Disposition und geistige Verfassung eines Menschen auf bestimmte Kombinationen der Qualitäten (feucht, trocken, warm, kalt) und Körpersäfte (Blut, Schleim, gelbe Galle und schwarze Galle) zurückgeführt. Daraus ergeben sich vier grundlegende Charaktertypen: sanguinicus, cholericus, melancholicus und phlegmaticus (vgl. LexMA V, Sp. 211 und VII, Sp. 533). 186 eckstein: Grundstein eines Gebäudes oder Schlussstein eines Gewölbes (vgl. Ragotzky: Bauer, S. 81; vgl. auch Mt 21, 42). 188 pruͦ ter: ‚Ausbrüter‘; möglicherweise ist in Anbetracht der Schilderung der Verwandtschaftsgrade Konjektur zu bruoder kontextuell sinnvoll, wenn auch nicht zwingend. 189 yß dar! ‚es ist da, es ist soweit!‘ 192 strey (zu mhd. ströuwe): ‚Streu, Unterlage‘ 197 furpas ‚zukünftig‘ 197 sparn ‚ersparen, zurückhalten, schonen‘ 202 ee vrlaup geben ‚früher verabschieden‘ 203 als eben ‚gerade, genau‘

188 pruͦ ter] pruͮ ter: Konjektur bei Keller (S. 216)

91 – Hans Folz: Das Spiel vom Dreck | 275

210

215

220

225

230

Piß er ein wenig zeitiger wer worden Als von recht nach dreckes orden. Doch ist es i[s]tzund dar zu kumen. Jch het ein tantz auff dem hauß vernumen, Wie dahin komen die schonsten frawen. Do dacht ich ye, die must du schawen. Vnd do ich in die tuchscherer gassen kam Vnd der trumeten stym vernam, Do hub ich gar girlich an zu lauffen. Von stund satzt sich der dreck zu hauffen, Das ich newr also nyder sas Vnd des tantz auff dem haus vergaß. Ich dacht, das ist ein suess seitten spil. Kein heller in die apotecken ich geben wil, Ich kan mir selber gar wol raumen. Ich wil den tantz auff dem hawß versaumen, Vnd solt ich nymmer kein darauff sehen: Mir ist ye hie vil pas geschehen. Darumb so rat ich eim das pest: Wer ein solchen gast bej jm west, Das er jn an ein end wol tragen, Vnd jm die herberg pald versagen, Ee er vor dem volk vor dem zorn an fing, Wenn man nit furchtet, das dreck mit ging.

Gb 142v

F 91, 128; F 111, 58

[Der]

235

Noch eins, des han ich nit vergessen, Das man mirs vbel dar hat gemessen,

KF 218

210 orden ‚Ordnung‘ 213 Wie ‚Und dass‘ 216 trumeten ‚Trompeten‘ 217 girlich ‚begierlich, begehrend‘ 220 Die Konstruktion mit Genitiv war im Mhd. und Frnhd. ebenso verbreitet wie die mit Akkusativ. 221 seitten spil: Ein auf einem Saiteninstrument gespieltes Stück, hier symbolisch für die Erleichterung nach dem Stuhlgang (anders in Z. 242). 222 heller: Ursprünglich leichter Pfennig aus Schwäbisch Hall, dessen im Verlauf des 14. Jahrhunderts sinkender Wert zur sprichwörtlichen Nutzung für etwas nahezu Wertloses führte (vgl. Kroha: Lexikon der Numismatik, S. 199). 223 raumen ‚Raum verschaffen‘ 228 wesen (zu mhd. wizzen): ‚wissen‘; zur Flexion des Konj. Prät. vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 136. 229 end ‚Ort‘ 230 versagen ‚verweigern‘ 231 Der Sinn dieser wie auch der folgenden Zeile bleibt vage. 235 ‚Dass man es mir übel genommen hat,‘

211 itzund] istzund: Konjektur bei Keller (S. 217) an dieser Stelle unwahrscheinlich erscheinen.

233 ] Der: Der Kontext lässt einen Sprecherwechsel

276 | 91 – Hans Folz: Das Spiel vom Dreck

240

245

Des ich gar pillich solt han frumen. Nw hab ich all mein tag ver〈n〉umen: Wenn all diß werlt eins eygen wer, Vnd hett all wirdickeit vnd er, Vnd wer begabt mit aller kunst, Vnd hett auch aller frauen gunst, Vnd wer beÿ allem seitten spil, Vnd hett er newr eins pfundß zu vil, Das abgesessen wer von dem magen – Was alle werlt tet singen oder sagen: Mocht er die nuß nit pald abdrucken, Sein hochste freud, die ging auff krucken.

Gb 143r

Der auß schreyer dicit:

250

255

260

Herr wirt, jr sult vns vrlaubs gunnen, Wann wir heur ye nit pessers kunnen, Dan das man etwas newß muß machen, Das sein die leut mugen gelachen, So man des alten nymer lacht. Ob wir das han zu grob gemacht, So trifft es doch kein vntzucht an, Darjnn man sich fast ergern kan Vnd frawen pild raytzen zu schanden. Nu gebt vns vrlaub allen sanden. Got woll, das wir zu ewrem frumen Piß jar wider frolich her kumen.

236 frumen ‚Gebrauch, Nutzen‘ 238 eins eygen ‚jemandem zu eigen‘ 244 absitzen ‚niedersteigen, abwärts bewegen‘ 245 singen oder sagen: ‚bezeugen‘; gebräuchliche Paarformel der klassischen mhd. Literatur, es drückt sich darin die zweifache Tätigkeit des Dichters aus (DWb 14, Sp. 1659). 249 vrlaubs gunnen ‚verabschieden‘ 250 heur ‚dieses Jahr‘ 252 sein ‚dessen, darüber‘ 255 vntzucht ‚Unanständigkeit‘ 256 ergern ‚Anstoß nehmen‘ 257 frawen pild ‚Frau‘ 258 sanden ‚samt‘

237 vernumen] verumen: Konjektur bei Keller (S. 218)

260 Kürzel für etc. am Ende der Zeile

91 – Hans Folz: Das Spiel vom Dreck | 277

Kommentar Bezeugung Gb, Bl. 137v–143r

Ausgaben Keller: Fastnachtspiele I, S. 211–218 (= Nr. 23, nach G); Bd. III, S. 1491; Bd. IV, S. 339. Ridder/Steinhoff: Nürnberger Fastnachtspiele, S. 75–83; S. 149–156.

Textkritik Das Spiel ist unikal in Handschrift G überliefert.

Autor Als Autor dieses Spiels kann Folz als gesichert gelten, dies lässt sich aufgrund offenkundiger Parallelen zu anderen Folzschen Fastnachtspielen belegen. So ist der Reim von Z. 3 bzw. 4 identisch mit F 103I, Z. 498 bzw. 499 von Folz; Z. 17 bzw. 18. spielen mit demselben Bild wie F 111, Z. 67 bzw. 68. Z. 67 und 68 reimen wiederum auf dieselben Wörter bzw. sind in Teilen nahezu identisch mit F 109, Z. 49–50 und F 99, Z. 77–78; Z. 76 weist schließlich deutliche Ähnlichkeiten mit F 110, Z. 81 von Folz auf, unduch die Namenreihen sind für ihn typisch. Des Weiteren sprechen sowohl der auf medizinischem Wissen gründende Inhalt als auch das stilistische Niveau des Spiels für die Autorschaft Folzens, der nicht nur auf der Bühne gerne seine Fachkenntnisse vorführte, sondern auch mehrere Prosatexte zu diesem Thema verfasste (vgl. Gerhardt: Diätetik, S. 75f.).

Datierung Terminus ante quem ist 1494, das Abschlussdatum der Handschrift G.

Rollen, Inhalt, Struktur Rollen: Einschreier, ein bis zwei Spielleiter, die Bauern Saurtzapff, Affenschwantz, Lullholtz, Ottentanz bzw. Trottentantz, Gumprecht, Götz, Fritz Ginoffel, Sudler und Genßloffel, die Ärzte Schlickenwurst bzw. Schlickenmost, Rubschnitz, Gutzindie-

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krausen und Nasenschmer sowie der Bauer, der den Dreck hervorgebracht hat. Das Geschehen wird von einem Einschreier eröffnet, der das Publikum sofort mit dem thematisch zentralen Gegenstand des Stücks, einem überdimensionalen Kothaufen, vertraut macht. Sieben der neun Bauern stellen im Anschluss Überlegungen zu möglichen (bzw. unmöglichen) Verwendungsweisen des Haufens in kulinarischer sowie kunsthandwerklicher Hinsicht an. Die beiden letzten Bauern stellen den Bezug der Ausmaße des Exkrements zur Gesundheit bzw. physischen Beschaffenheit desjenigen her, von dem es gekommen ist. Anschließend diskutieren vier Ärzte darüber, ob ein derartiges Produkt von Krankheit oder Gesundheit künde sowie über die Konstitution seines Erzeugers. In der Folge tritt der paur, der den dreck geschissen hat (Z. 180) auf und wundert sich über das große Interesse an seinem Haufen. Er klärt die Beteiligten dahingehend auf, dass es sich bei dem Fundstück lediglich um die Hälfte der ursprünglichen Menge handele. Auf dem Weg zu einer Tanzveranstaltung habe ihn der Drang übermannt und zu spontaner Defäkation gezwungen. Ob des sich einstellenden Gefühls der Erleichterung habe er das Fest vergessen. Alles Glück dieser Erde, so die weiteren priamelartigen Ausführungen des Bauern, sei wertlos, solange Dysfunktionen des Verdauungstrakts das Leben erschwerten. Mit dem Auftreten des Ausschreiers endet das Stück. Deutungsaspekte: Das vorliegende Spiel ist eine Mischform aus Reihen- und Handlungsspiel. Die Reden der Bauern und der Ärzte stehen weitgehend unverbunden hintereinander, lediglich der letzte Arzt bezieht Stellung gegenüber seinen Kollegen. Die Passage, in der der paur, der den dreck geschissen hat, die Fragen der Ärzte beantwortet, erfüllt in Ansätzen die Kriterien eines Handlungsspiels (vgl. Gerhardt: Diätetik, S. 65). Die Reden der Bauern zu Beginn des Stücks enthalten jeweils phantasievolle, jedoch zunächst sinnlos erscheinende Beschreibungen eines Verwendungszwecks für den dreck. Die absurden Vorschläge für den Gebrauch des Exkrements als Kegel (Z. 35), Pilzspeise (Z. 55), Nachtkissen (Z. 82) oder Badeschwamm (Z. 93) übertreffen die ansonsten in den Spielen anzutreffende bäuerliche Schlichtheit und Genussfreude. Die bizarren Ideen belegen insofern weniger den in Fastnachtspielen häufig anzutreffenden spöttischen Umgang mit dieser Bevölkerungsschicht, als dass sie vielmehr Ausdruck überbordender Phantasie anlässlich des ausgelassenen Treibens um die Fastnachtszeit sind. Auch in den Reden der Ärzte finden sich neben dem Gebrauch medizinischen Fachvokabulars (Z. 126f.) metaphorische Äußerungen. So schließt sich Gutz in die kraußen in den Versen 144–147, inspiriert durch die Gleichsetzung des Haufens mit einem ey durch seine Vorredner (Z. 45–48, Z. 120, Z. 139), an Sprachgebrauch aus dem Bereich der Hühnerzucht an. In der darauf folgenden Rede des Rübschnitz wird Nürnberger Brauchtum integriert (Z. 153–157), es ist hier an das sogenannte Stückschießen zu erinnern. Hier wurden im Rahmen eines Volksfests Innovationen der Nürnberger Geschützbauer erprobt, vgl. Ueberhorst: Volksbelustigungen, S. 303f., wenn auch die hier geführten Belege jüngeren Datums sind. Anlässlich des Aufenthalts von König

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Maxilian in Nürnberg wurde 1489 ein solches Schießen abgehalten (vgl. Mayer: Chronik, S. 150). Nasenschmer spricht seinerseits sinnbildlich von der Verdauung und der Defäkation als Maurer- oder Steinbrucharbeit (Z. 170–174). Wenn auch die Fülle uneigentlicher Sprachverwendung die punktuelle Meisterschaft Folzens auf diesem Gebiet eindrucksvoll belegt, geht es nur zum Teil um ein Höchstmaß an Unterhaltung durch derbste Fäkalkomik. Es verbergen sich hinter den scheinbar kaum untereinander in Beziehung gestellten Partien der Ärzte zwei Prinzipien. Es ist Rübschnitz, der die Ausmaße der Exkremente für pathologisch hält (Z. 137–142) und Krankheiten generell als allein dem Ärztestand dienlich erachtet (Z. 155). Dem widerspricht Nasenschmer ausdrücklich (Z. 166–167). In dieser Abkehr vom bisher Geäußerten sowie der Äußerung des Bauern in Z. 222 ist auch die Begründung für die vorgenommene Konjektur in Z. 169 zu sehen: Anders als sein Vorredner rät er zu täglichem Stuhlgang (Z. 168), wem diese purgatio aber ohne ein zusätzlich verabreichtes Abführmittel (luquatzen) gegeben sei, der sei ein vollauf gesunder Mensch, der sich keinerlei Fasten und Kasteiungen unterziehen müsse. Dem Prinzip des medicus curat wird das des natura sanat zur Seite gestellt. Und genau dies ist dem letzten Bauern widerfahren und wird als Voraussetzung jedweder menschlichen Freude und Verlustierung geschildert. Der Bauer erweitert insofern die vitale Auffassung des Arztes Nasenschmer. Er postuliert eine intakte Verdauung als elementar und wesentliche Voraussetzung eines guten Lebens, weit vor den Lustbarkeiten angesiedelt, denen der genussfreudige Bauer sonst so gerne maßlos frönt. Der Bauer erscheint keineswegs so schlicht, wie dies aus der Fastnachtspieltradition weithin bekannt ist, er tritt im vorliegenden Spiel wie auch in F 111 vielmehr aus seiner Funktion als reiner Projektionsfläche für Vorurteile stadtbürgerlicher Eliten hinaus. Und tatsächlich muss man die ballaststoffreiche und blähende bäuerliche Kost (vgl. Z. 173) als eine erhebliche peristaltische Herausforderung denken. Probleme in dieser Hinsicht waren an der Tagesordnung, die Verortung des Themas bzw. der Vollzug der Entleerung in die Sphäre des Privaten sind bei Weitem weniger weit gediehen, als dies im 21. Jahrhundert der Fall ist. Da offensichtlich gängige Praxis wird öffentliche Defäkation prinzipiell geächtet (vgl. R 32, Z. 132–136, R 35, Z. 132–136, F 110, Z. 48–54). In dieser Ambivalenz des Notwendigen und Unappetitlichen muss Verdauung als Spielwiese für Komik und gleichzeitig als Raum für die Entfaltung grundlegender Betrachtungen bezüglich menschlicher Gesundheit und irdischen Glücks herhalten. Das Stück gibt in verschiedenerlei Hinsicht Rätsel auf. So stimmen die in den Versen 25–28 genannten Namen der auftretenden Bauern nicht mit den im weiteren Spielverlauf auftretenden Figuren überein. Verschreibungen in Z. 26 und Z. 93, die unterschiedlichen Realisierungen jeweils eines Namens als Affenschmaltz (Z. 25) und Affenschwantz (Z. 44), Trottentanz (Z. 26) und Ottentanz (Z. 62) bzw. Schlickenwurst (Z. 116) und Schlickenmost (Z. 125) sowie die fehlerhafte Nennung in Z. 28 sind als mechanische Fehler in der Übertragung zu sehen und weniger als Defizite des Spiels. Dagegen erscheint der in Z. 27 gelistete Hawnolt im weiteren Textverlauf nicht, stattdessen tritt

280 | 91 – Hans Folz: Das Spiel vom Dreck

in Z. 71 Gumprecht auf. Ebenso fehlt in der Liste der drei nachfolgend auftretenden Ärzte (Z. 109, Z. 117–118) der in Z. 143 zum Sprechen aufgeforderte Gutz in die kraußen. Zu den möglichen Wirkungsweisen dieser Befunde siehe unten. Schlechter, da nur optischer Reim in Z. 54/55 sowie die inhaltliche Übereinstimmung der Reden Z. 98ff. und Z. 107ff. weisen ferner auf strukturelle Defizite des Spiels hin. Daneben scheinen einige der Reden unfertig. In der Rede des Saurzapf, Z. 33ff., werden insgesamt drei mögliche Verfahrensweisen angerissen, keine davon jedoch wird in irgendeiner Form zwingend zu einem Ende geführt, wie dies in den Reden der übrigen Bauern der Fall ist. Unter den Reden der Ärzte fällt wiederum diejenige des Gutz in die kraußen, Z. 144ff. auf. Während in den übrigen Stellungnahmen die beiden letzten Verse im Stile eines Priamels (vgl. auch Z. 238–247) der Auflösung einer durch Indefinitpronomen bzw. Relativpronomen welch man (Z. 135, 153) bzw. wer (Z. 169) aufgebauten Spannung dienen, bleibt das wer in Z. 144 ohne die notwendige Deixis: Die Rede bleibt unvollständig. Gleiches gilt für den Ratschlag, den der Bauer in Z. 227ff. gibt. Im Gegensatz zu Rosenplüt ist die Verfasserschaft Folzens für Priameln nicht belegbar, Kenntnis der Gattung bzw. einzelner Dichtungen spiegeln sich jedoch bspw. in F 87 ‚Die drei Brüder und das Erbe‘ wider (vgl. Greil: Faulste). Auffällig ist die Rolle, die dem Spielleiter zukommt. So werden in den Redeanweisungen für die Bauern diese nicht namentlich als sprechende bzw. handelnde Rollen geführt. Vielmehr werden sie von einem er aufgefordert, ihre Passagen zum Vortrag zu bringen und belegen somit eine verbale oder gestische Handlung des auf der Bühne präsenten Spielleiters. Aus diesem Grund verzichtet Folz auf den Stichreim, der durch eine derartige Unterbrechung erheblichen Schaden nähme. Anders, als es Z. 116 vermuten lässt, hat derselbe Spielleiter auch die Vorstellung der im Folgenden auftretenden Ärzte gesprochen. Diese werden jedoch nicht von der Bühne aus zu ihren Redepartien aufgefordert. Die Vermutung liegt nahe, dass Folz im Auftrag eines Spielleiters – möglicherweise zu einem konkreten Ereignis – kurzfristig und zeitnah zur Spielzeit einen Spieltext verfassen sollte. Dieser Spielleiter wird in Z. 15 und in Z. 24 ein weiteres mal einer genannt, scheinbar legt Z. 24 also einen Sprecherwechsel fest. Es ist jedoch mit der Abkehr vom Publikum und der Hinwendung an das Bühnenpersonal eine Unterbrechung verbunden, die die Benennung des selben Rollenträgers ein weiteres Mal erfordert (vgl. Z. 233). Es ist also eher von einer einzigen Rolle auszugehen, deren Träger zum Zeitpunkt der Abfassung bereits konkret fixiert war, sodass eine über den unbestimmten Artikel bzw. Personalpronomen hinausgehende Benennung nicht notwendig erschien. Der Spielleiter tritt, wie gezeigt, in einigen Passagen des vorliegenden Texts in ungewohnt starker Weise aus dem Spielgeschehen hervor und ist insofern mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit als historische, direkt mit Folz zusammenarbeitende Persönlichkeit zu denken. Die defizitären Textstellen lassen sich entweder aus der gebotenen Eile heraus erklären, oder aber der Spielleiter steuerte seinerseits Textbausteine bei, die nicht vollständig in den Rahmen integriert werden konnten. Als Ereignis bzw. Anlass für die Abfassung des Spiels kommt eine Episode des Auf-

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enthalts von König Maximilian in Nürnberg infrage. Am 3.9.1479, dem Tag der geplanten Abreise aus seiner Herberge, überzeugten ihn einige der ehrbaren Damen der Stadt zu einem ausgiebigen Tanz im Rathaus. Die Herberge des Königs, das Haus des Christoph Scheurl, war in unmittelbarer Nähe des Rathauses wie auch der Tuchscherergasse gelegen (vgl. von Soden: Scheurl, S. 117ff.; CDS 5, S. 503 und S. 723; Mayer: Chronik, S. 150). Die Assoziationen bei Nennung des Buchstabens S in Z. 86, die dem stadtbürgerlichen Publikum geläufig gewesen sein dürften, sowie der Ort der Defäkation, die in unmittelbarer Nähe zu der städtischen Obrigkeit bzw. des Königs Lustbarkeiten gelegene vornehme Tuchscherergasse, lassen auf zarte Ansätze zur Bezugnahme auf ein anrüchiges Ereignis schließen, das der Verfasser den städtischen Eliten im Spiel verarbeitet auftischte. Abschließend verdienen die Worte des Ausschreiers Beachtung. So entschuldigt sich dieser für das heur (Z. 250) Dargebotene und kündigt für das nächste Jahr etwas newß an. In nuce spiegelt sich hierin möglicherweise ein sich neu entwickelndes poetologisches Konzept der Fastnachtspiele: Weil man über das Bekannte kaum mehr lachen könne, müsse alljährlich Neues inszeniert werden, die Spiele erscheinen als zunehmend an aktuellen Themen ausgerichtete Einwegdichtung. Dies widerspricht dem bislang gültigen Bild von der nahezu unbegrenzten Perpetuierung der Inszenierung der relativ weit verbreiteten Spieltexte. Der Verfasser stellt insofern nicht weniger als eine neue Aufführungspraxis in Aussicht, deren zentrales Moment die Einmaligkeit anstelle der Wiederholbarkeit geworden ist. Aufführungshinweise: Der Spielleiter führt die an das Publikum gerichteten Worte des Einschreiers fort. Er spricht die Zuschauer dabei direkt an und thematisiert den erheblichen Gestank, der von dem Haufen ausgeht. Erst in Z. 25 richtet er seine Worte an das Bühnenpersonal und eröffnet damit das theatrale Spiel. Die Exkremente werden somit nicht exklusiv der Spielrealität subsumiert, sie werden als über das Spielgeschehen hinausgehende reale, olfaktorisch wahrnehmbare Gegebenheit etabliert. Im Anschluss an Z. 32 ist dahingehend gelagerte Aktion auf der Bühne zu vermuten, dass die Angesprochenen sich um den Haufen gruppieren und durch Gesten ihr Grübeln über die bestmögliche Verwendung zum Ausdruck bringen. Raum für diese Aktion wird durch die Sprecheranweisung in Z. 33 geschaffen, wo von dem Spielleiter gesagt wird, dass er wieder anhebe, die Unterbrechung der Redepartien also beendet wird. In den oben geschilderten Aktionen, aufgrund derer die Bauern ihre Redepassagen beginnen lassen, tritt ein Spielleiter aus der Szenerie hervor, der das Geschehen auf der Bühne offensichtlich lenkt. Hierin unterscheidet sich die Funktion des Spielleiters dieses Spiels signifikant von dessen Auftreten in den übrigen Spielen: Er führt nicht nur im Hintergrund Regie, er agiert auf der Bühne, übernimmt Redepartien und ist Dirigent, der den Figuren ihre Partien zuweist. Es hängt von der nicht mit Gewissheit zu rekonstruierenden Art und Weise der Umsetzung des Aufrufens der Rollen durch den Spielleiter ab, ob die oben geschilderten Defizite bei deren Benennung dem Publikum zugänglich waren. Erfolgte die Aufforderung durch Handzeichen, dann blieb der Feh-

282 | 91 – Hans Folz: Das Spiel vom Dreck

ler im Verborgenen. Die falsche Nennung in der Regieanweisung tritt nur dann zutage, wenn der Spielleiter den Namen tatsächlich verbal realisiert. Dass vier anstelle der drei angekündigten Ärzte das Bühnengeschehen bereicherten, dürfte den Zuschauern im Zuge der Inszenierung indes kaum entgangen sein. Z. 126 scheint syntaktisch defekt. Es liegt nahe, die Passage als mit Pausen durchsetzten Monolog des Arztes zu verstehen, der den Haufen unter den genannten Kriterien gestisch untermalt analysiert. Danach, spätestens jedoch in Z. 129 (wißt), wendet er sich an das Publikum und fährt in geordnetem Satzbau fort. In Z. 132 und 133 ist ein weiteres Mal keine wohlgeformte Struktur zu erkennen, ein flektiertes Verb fehlt. Wahrscheinlich wendet sich der Arzt hier wieder dem vngeheur gast zu und spricht die Worte kopfschüttelnd wiederum an sich selbst gerichtet. Der Bauer als Verursacher des Drecks spricht diesen in Z. 180 direkt an. Diese strukturell gewissermaßen dialogische Szene wird in Z. 183 aufgelöst, hier wendet er sich an die Ärzte. Derartige Monologe müssen dem theatralisch kaum geschulten Publikum gestisch unterfüttert als solche kenntlich und somit verständlich gemacht worden sein. Als Requisit muss ein Gegenstand gedacht werden, der auf der Bühne die überdimensionalen Exkremente repräsentierte. Von diesem wird in Z. 15 ein Tuch entfernt und er wird in der folgenden Zeile vom Einschreier emporgehoben. Man muss davon ausgehen, dass es sich hierbei um einen „geformten Haufen mit einer zipfelmützenartig gedrehten Spitze“handelte (Gerhardt: Diätetik, S. 56; vgl. auch Z. 84, wo ebenfalls der Zipfel erwähnt wird). Folz nutzte hier theatralisch bewusst einen Knalleffekt, mit dem er das Publikum an das Spielgeschehen zu binden vermochte. In Z. 233 bietet die Handschrift einen unklaren Befund. Die Redeanweisung Der ist zweifellos defekt. Ein Sprecherwechsel liegt nicht vor, möglicherweise jedoch eine Unterbrechung der Rede. Immerhin beginnt Z. 234 mit den Worten Noch eins und markiert hierin einen thematischen Neubeginn, der das Folgende vom Vorherigen scheidet. Nimmt man eine solche Unterbrechung an und geht ferner davon aus, dass die Handlungsanweisungen für den Bauern in der Handschrift ausgefallen sind, dann bietet sich auch hier Spielraum für Aktivitäten auf der Bühne. So könnte man annehmen, dass der Bauer sich in seiner allgemeineren, priamelartigen Conclusio nicht mehr den Ärzten, sondern von einer mittlerweile geleerten Bühne ausschließlich dem Publikum zuwendet und so die dialogisch angelegte theatrale Situation beendet.

Textbezüge Einem ungewöhnlich großen Haufen Kots begegnet man in F 111. Auch hier werden die Ausscheidungen unter den Aspekten des pathologisch Entarteten gegenüber der durch Ärzte herzustellenden Funktionalität des Verdauungstrakts thematisiert. Die Enthüllung eines Kothaufens findet sich außerdem im [kleinen] Nürnberger Neidhartspiel (F 89), allerdings wird dort das Augenmerk nicht auf dessen Zustandekommen als Ergebnis des Verdauungsprozesses gerichtet, vielmehr wird hier eine literarische

91 – Hans Folz: Das Spiel vom Dreck | 283

Tradition aufgegriffen. Anders als dort löst die Entdeckung des kunters im vorliegenden Spiel Erstaunen und in gewissem Sinne sogar Begeisterung unter den Umstehenden aus, sodass man allenfalls von einer scheinbar gleichen Motivik ausgehen kann. Öffentlicher Stuhlgang wird ferner in R 32, R 35, R 65 und F 110 thematisiert. Eine Erkrankung, deren Diagnose durch einen Arzt sowie mehr oder minder erfolgreiche Therapievorschläge waren ein beliebtes Thema mehrerer Fastnachtspiele (vgl. R 20, R 22, R 24, R 42, R 45, F 85 und F 111). Indisponiertheiten des Magen-Darm-Traktes und insbesondere Verdauungsprobleme scheinen als gravierende Beeinträchtigungen des Wohlbefindens wahrgenommen worden zu sein (vgl. Schipperges: Garten, S. 68). Anders als in den übrigen Spielen stellt die Verdauung im vorliegenden Spiel allerdings kein Problem dar, die Ärzte verzichten auf konkrete Therapievorschläge. Die seitens der Bauern vorgeschlagenen Möglichkeiten der Nutzung der Exkremente als Speise finden sich auch in F 99 und F 109. Bearbeiter: Gerhardt, Greil, Przybilski

92 – Hans Folz: Liebesnarren vor Venus

Ein spil von narren

KF Nr. 32

Gb 168r KF 258

Precursor:

5

10

Nv hort vnd schweigt vnd tut die red hie sparen Vnd hort ein spil hie von vns narren, Die jn jr pulschaft sein ertruncken Vnd den das hiern ist hin gesuncken. Dadurch sie worden sein zu toren, Darumb sie tragen esels oren, Gauchs federn vnd die narren kappen, Als jr sie wol all seht vmb trappen.

F 96, 13–18

Gb 168v

6 hiern ‚Hirn‘ 6 hin gesuncken ‚verschwunden‘ 7 sein: Zur Flexion der 3. Pers. Pl. Ind. Präs. vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 112. 8 esels oren: Die esels oren an den Narrenkappen entwickelten sich um die Mitte des 14. Jahrhunderts zum einen aus den Zipfeln, die eine Narrenkappe als solche auswiesen. Zudem könnte die schon im 13. Jahrhundert auftretende Metapher vom eselsohrigen Dummkopf Einfluss auf die Gestaltung der Narrenkappen genommen haben, denn der Esel symbolisierte neben Dummheit, Lächerlichkeit und Trägheit auch Lüsternheit (Mezger: Narrenidee, S. 239–243), weswegen er vor allem in bildlichen Darstellungen zum Hofgesinde der Venus gehört (Hanckel: Narrendarstellungen, S. 194). 9 Gauchs federn (zu mhd. gouch): ‚Kuckuck‘; Kuckucks- und andere Vogelfedern wurden als Schmuck an den Spitzhauben der Fastnachtskostüme befestigt (Sumberg: Schembart Carnival, S. 78). Mit gauch „waren die verliebten Männer, die Liebesnarren, gemeint. Das Buhlen der Gäuche wurde offenbar als die verbreitetste Form der Narrheit angesehen, sodass die beiden Begriffe Gauch und Narr schon bald deckungsgleich benutzt werden konnten“ (Malke: Narren, S. 35). Außerdem wurde der Kuckuck als Narr und Prahler betrachtet, da er unbeirrbar nur seinen eigenen Namen ruft (TPMA, Kuckuck, 1). 9 narren kappen: Die Narrenkappe, auch Gugel (von mlat. cucullus, cuculla ‚Kapuze‘) genannt, leitet sich von der Kleidung der so genannten natürlichen Narren, der Menschen mit geistiger Behinderung, her, die ein schlichtes Kleid mit einer Kapuze trugen. Allerdings gehörte die Gugel zur normalen mittelalterlichen Mode, sodass Narren sich durch eine auffallend geschnittene Gugel, z.B. mit einem übertrieben langen oder gleich mehreren Kapuzenzipfeln, als solche auswiesen (Mezger: Narrenidee, S. 237f.). 10 vmb trappen ‚herumtappen‘

1 im Register G: Wie die narren fir fraw Venuß komen vnd die sol vrtail geben welicher der grost narr seÿ 2 Auf einer Zeile mit der Überschrift; mit Ausnahme von Precursor alle Sprecher sowie die jeweils ersten Wörter einer Rede unterstrichen. 3 Nv hort vnd schweigt: Keller (S. 258) erwägt Konjektur zu Nu schweigt oder Nu hort 6 den] jn: Konjekturvorschlag bei Keller (S. 1492); das jn in der vorigen Zeile lässt auf einen Fehler in der Abschrift schließen. 7–8 Zeilen in Reihenfolge vertauscht, Konjekturvorschlag bei Keller (S. 258) 10 Als] All Konjektur bei Keller (S. 258)

286 | 92 – Hans Folz: Liebesnarren vor Venus

Der fursprech:

15

20

25

Nu hort, ich sol jr wort hie sprechen Vnd hab vernumen jren prechen: Jr yeder hat sich darzu geben, Das man sie sol verhoren eben. Wenn man ein narren hie erfer, Das der ein narr bleib hin als her. Das vrtail sol fraw Fenus offen, Welchen man zel fur ein goffen. Der Fenus junckfraw dicit: Fraw, so nemt auff jre wort, So ir doch seit der lieb ein hort, Wann wen verwundt ewrß pogen geschutz, Der waget dar nach allen trutz. Wer es jm zu hayß hab furgenumen, Das jr jm nit zu hilff mugt kumen, Den solt jr vrtailen auff vnd ab Nach dem, als er verschuldet hab.

KF 259

11 fursprech ‚Anwalt, Verteidiger‘ 12 jr wort hie sprechen ‚ihre Sache hier verteidigen‘ 13 preche (zu mhd. brëche): ‚Gebrechen, Fehler‘ 14 ‚Jeder von ihnen hat sich damit einverstanden erklärt,‘ 15 verhoren ‚verhören, ausfragen‘ 15 eben ‚gleichermaßen; genau‘ 16–17 ‚Und dass der, den man hier für einen Narren erkennt, Sein Leben lang ein Narr bleibt.‘ 16 erfaren ‚erkennen‘ 17 hin als her ‚weiterhin‘ 18 Fenus ‚Venus‘, römische Göttin der Liebe 18 offen ‚eröffnen, verkünden‘ 19 goffe (zu mhd. geffel): ‚Gaffer; Trottel‘ 20 junckfraw hier: ‚junge Begleiterin‘ 21 auffnemen ‚anhören, vernehmen‘ 22 So ‚Da‘ 23 Wann ‚Denn‘ 23 pogen geschutz ‚Pfeil‘ 24 trutz ‚verwerfliche Handlung, Kampf‘ 25 ‚Wer sein Ziel allzu hitzköpfig verfolgt,‘ 27 ‚Dem sollt ihr sein Urteil ganz und gar fällen‘

24 dar über der Zeile nachgetragen

92 – Hans Folz: Liebesnarren vor Venus | 287

Hie nennt sie einer all: 30

35

Der Vlein Kolb vnd Nasen stanck, Dietel, Fridel vnd Seyden stranck, Goppolt vnd Gotz vnd Mucken russel, Du, Spÿnnen fist, vnd Schnabel drussel, Du, Geÿgen kloß, vnd App vnd tapp Vnd du, Narren totschtz, vnd her, Lippen lapp, Her, Schlauraff, vnd her, Rudiger, Her, Ocker, vnd Lullzapff, tret her,

Gb 169r

30 Vlein Kolb: Vlein, Koseform zu Ulrich oder Ulman; Kolb zu frnhd. kolbe, ‚Narrenstab, -zepter, Marotte‘ als Erkennungszeichen eines Narren (Arndt: Personennamen, S. 65). 30 Nasen stanck: Wohl Anspielung auf Unsauberkeit des Namensträgers (Arndt: Personennamen, S. 72f.). 31 Dietel: Koseform zu den mit diet gebildeten Namen (Arndt: Personennamen, S. 47), aber auch als Schimpfwort in R 8, Z. 83 belegt (DWb 2, Sp. 1197). 31 Fridel (zu frnhd. vriedel): ‚Geliebter, Liebhaber‘ (DWb 4, Sp. 188); pejorativer Diminutiv zu „Namen, die zu frid ... gebildet sind“ (Arndt: Personennamen, S. 48). 31 Seyden stranck (zu mhd. stranc): ‚Zierstreifen an Kleidern‘ (Lex II, Sp. 1224); hier: Spottname für einen eitlen Modenarren (Arndt: Personennamen, S. 68). 32 Goppolt: Verbreiteter Personenname zu got- und pald (Arndt: Personennamen, S. 48; Bahlow: Namenlexikon, S. 178f.). 32 Gotz: Regulärer Vorname, auch als Schimpfwort in der Bedeutung ‚Dummkopf‘ (FrnhdWb 7, Sp. 225f.). 32 Mucken russel: ‚Fliegen-, Mückenrüssel‘ (Arndt: Personennamen, S. 78f.). 33 Spÿnnen fist (zu mhd. vist): ‚Furz‘ (Lex III, Sp. 375); die intendierte Wirkung besteht in der völligen Wertlosigkeit bzw. Geringfügigkeit des Namensträgers (Arndt: Personennamen, S. 79). 33 Schnabel drussel: Wahrscheinlich zu frnhd. schnaben: ‚schwätzen‘ und frnhd. drussel: ‚Schnauze, Maul‘, somit Bezeichnung für einen Schwätzer (Arndt: Personennamen, S. 67). 34 Geÿgen kloß: Entweder zu frnhd. geige: ‚Halsgeige‘ (Strafinstrument) und mhd. klôz: ‚Klotz‘ (für einen plumpen Menschen, Arndt: Personennamen, S. 69) oder geige in der Bedeutung ‚Vulva‘ und zu frnhd. kloß: ‚Hode‘ (DWb 5, Sp. 2573f.; 11, Sp. 1247). 34 App vnd tapp: ‚Trampel‘; als Schimpfwort in der Form appetapp auch in F 103I, Z. 72; tonische Duplikation zu frnhd. tappe: ‚Trampel‘ (Arndt: Personennamen, S. 67). 35–38 Es kann nicht mit Sicherheit bestimmt werden, ob es sich bei her (Z. 35–37) und Herr (Z. 38) um ironische Anreden (Herr) oder Aufforderungen (her!) handelt. Die Anrede der Narren mit du in Z. 33–35 sowie der Befehl tret her in Z. 37 legen nahe, dass Letzteres der Fall sein dürfte, dem trägt die Edition in der Interpunktion Rechnung, aufgrund der abweichenden Schreibung wurde lediglich in Z. 38 anders verfahren. 35 Narren totschtz (zu mhd. totsch): ‚Tölpel‘, das auch in F 101, Z. 45 als Schimpfwort belegt ist (Arndt: Personennamen, S. 66). 35 Lippen lapp: ‚törichter Mensch‘; zu frnhd. lippen: ‚schwätzen‘ (DWb 12, Sp. 1059) und frnhd. lap: ‚Depp‘ (FrnhdWb 9, Sp. 278f.) oder ablautende Bildung zu Ersterem (Arndt: Personennamen, S. 65). 36 Schlauraff (zu mhd. slûr bzw. slûraffe): ‚Faulenzen; faule Person, Schlaraffe, Müßiggänger‘ (Arndt: Personennamen, S. 67; DWb 15, Sp. 493ff.). 37 Ocker: ‚Penis‘; nur in den Nürnberger Fastnachtspielen belegt (DWb 13, Sp. 1140). 37 Lullzapff: Zu lullen: ‚saugen‘ und Zapfen als ‚Stöpsel eines Weinfasses‘: ‚Säufer, Schluckspecht‘ (DWb 12, Sp. 1287f.); Deutung von Arndt: Personennamen, S. 66: ‚Kind, das an einem Holzstück saugt‘ eher unwahrscheinlich.

288 | 92 – Hans Folz: Liebesnarren vor Venus

Herr Nasen tropff vnd Sawg die klawen, Verantwort euch vor diesen frawen! 40

45

Der erst dicit: Secht, so bin ich also geschickt, Wo mich ein schone fraw anplickt, So fellt [sie] mir jn mein sinn gar schir: Yetz denckt sie: wer der mein in dir! Wo sie mir darnach wurd begegen, So kan ich weder gatzen noch eÿer legen. So hebt sie selber auch nit an, Des lauff ich als ein narr dauon.

F 98, 32–39

Der ander dicit: 50

55

Mir offnet eynest eine jr gaden Vnd ward mich jn jr petlein laden. Da solt ich jr ein ygel stechen, Da west ich nichtz an jm zu rechen. Vnd greiff pald dar, da ward es sich strauben, Jch ruckt mein degen bej der hauben.

F 98, 43–50

Gb 169v

38 Nasen tropff: Wie Nasen stanck (Z. 30) wohl Anspielung auf Unsauberkeit des Namensträgers (Arndt: Personennamen, S. 72f.). 38 Sawg die klawen (zu mhd. klâwe): ‚Klaue‘; entweder in Bezug auf das ärmliche, aus Daumenlutschen bestehende Mahl des Genannten (Arndt: Personennamen, S. 76) oder zu sich etwas aus den Fingern saugen im Sinne von ‚lügen‘ (Röhrich: Redensarten, S. 445), dann als ‚Lügner, Angeber‘. 41 also geschickt ‚derartig beschaffen‘ 43 schir ‚sofort‘ 44 der mein: ‚der meinige [Penis]‘; ohne den erwogenen Eingriff bleibt die Stelle dahingehend brüchig, dass der Sprecher trotz des konkreten Verweises eben nicht die direkte Rede der schönen Frau wiedergibt, sondern indirekt und mit falschem Personalpronomen deren unterstellte Absicht äußert. Dieser scheinbare Denkfehler ist der Bühnensituation indes zuträglich: Die erwähnte Dame ist nicht anwesend, der daraus resultierend notwendige kurzfristige Rollenwechsel würde mit den korrekten Personalpronomina entsprechend des Konjekturvorschlags von Keller beim Publikum Verwirrung stiften; vgl. auch F 96, Z. 35. 45 begegen ‚begegnen‘ 46 gatzen ‚gackern‘ 47 ‚Wenn sie nicht selbst den Anfang macht,‘ 48 Des ‚Dann‘ 50 gaden: Zur sexuellen Metaphorik von gaden, eigtl. ‚Kammer‘, vgl. Kratz: Wortschatz, S. 51f.; vgl. Müller: Schwert, S. 46. 52 ein ygel stechen: Zum Bild des Igelstechens als Metapher für den Koitus vgl. Gerhardt: Kröte, S. 344–350 bzw. Klimczak: Bildlichkeit, S. 142. 53 ‚Da wusste ich nichts an ihm zu vergelten.‘ 54 es: Bezug unklar, entweder zu Penis (degen) oder zu Igel, aufgrund der semantischen Bandbreite des Verbs erscheint beides möglich. 54 strauben ‚sich aufrichten, rau sein‘ 55 Zur sexuellen Metaphorik von degen und haube vgl. Kratz: Wortschatz, S. 171, 193–195 und Müller: Schwert, S. 80f. 55 rucken ‚[eine Waffe] ziehen‘

43 fellt mir] fellt sie mir Konjekturvorschlag bei Keller (S. 1492) 44 mein in dir: Keller (S. 258) erwägt Konjektur zu dein in mir

92 – Hans Folz: Liebesnarren vor Venus | 289

Jch dacht: zuck ich, ich kum vmb das gelt! Jch hoff, das man mich kein narren darumb zelt. Der dritt: 60

65

Jch tet mich auch zu einer nehen, Das sie mich pat jr wißlein zu meen. Des han ich mich nw vil geruͤ mt Vnd habs mit wortten nit verpluͤ mt Vnd vnuersunnen herauß lan farn, Das man mich zelt dar ̲umb fur ein narrn. Furwar, so sol es nit mer geschehen, Wolt man mir newr das vbersehen.

KF 260

F 98, 93f.

Der vierd dicit:

70

75

So erwarb ich eine an eim ort, Vnd als ich darnach von jr kort, Jch weißt mein gut gesellen dar, Darmit verplettert ichß so gar, Das ich darnach nit torst dar kumen, Do ich die jungen vor auß hab genumen. Darumb lauff ich jn diesem leben vnd orden Vnd bin auch zu eim narren worden. Der funft:

80

Jch bin ye auch ertruncken darjnn. Mir lag ein weyp gar hart jm synn, Das ich jr wolt mein henßlein geben, Der wer jr jn die kuchen eben,

Gb 170r F 98, 95f.

56 zucken: ‚zurückziehen‘; evtl. im Zusammenhang mit der Möglichkeit der Verhütung durch Koitus interruptus. 59 sich nehen zu ein (zu mhd. næhen): ‚sich jmdm. nähern‘ 60 Das ‚Weil‘ 60 jr wißlein zu meen: Zum Bild des Wiesenmähens als Metapher für den Koitus vgl. Müller: Schwert, S. 36–39. 62 verpluͤ men ‚beschönigen, umschreiben‘; vgl. Z. 141. 66 das ‚dieses Vergehen‘ 68 erwerben ‚erobern‘ 69 keren (zu mhd. kêren): ‚[ab-]wenden‘ 70 weißt: Präteritum zu weisen, bis ins Frnhd. schwach flektiert (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 112). 70 dar ‚dorthin‘ 71 verplettern (zu mhd. verbleteren): ‚verderben‘ 72 torren (zu mhd. turren): ‚wagen‘ 73 ‚Wo ich vorher das Nest geplündert hatte.‘ 78 hart ‚sehr‘ 79 henßlein ‚Penis‘ 80–81 kuchen: Wörtl. ‚Küche‘, hier: ‚Vagina‘; zur sexuellen Metaphorik der beiden Zeilen vgl. Müller: Schwert, S. 126. 80 eben ‚nützlich, gefällig‘

57 zelt: Keller (S. 1492) erwägt Konjektur zu schelt 72 dar kumen aus darkumen mit Korrekturzeichen verbessert

290 | 92 – Hans Folz: Liebesnarren vor Venus

Da[s] man das fleisch bey dem ars anricht. Nw han ich lang noch jr geticht, Piß sie mir zilet an jren laden, Do wurd sie mich mit spul wasser baden. 85

90

Der sechst dicit: Secht, so bin ich geschickt von art: Wo mir von einer ye ein gruß wart Vnd mich an lacht vber ein zan, So dacht ich dann: die wil mich han! Vnd wolt newr vbernacht do sein. Darumb mir offt der rucke mein Mit einem scheyt ward zu plawen. Nu han mich solch fert offt gerawen.

KF 261

Der sibent: 95

100

So haißt man mich ein narren darumb, Das ich ge mit den pein so krumb Vnd mit den fuessen ge her geslorffen Vnd mir das maul ist auff geworffen Vnd mir die nass ist flach zu quetschtzt Vnd auff dem antlitz ligt zu fletscht. Wie vbel mir dasselb an stat, Jch seh dennoch gern, das man mich liep het.

Gb 170v

82 tichten noch ‚trachten nach‘ 83 zilen ‚bestellen‘ 83 laden ‚Fenster‘ 84 ‚Wo sie mich mit Spülwasser baden würde‘; die beiden Zeilen spielen auf das in den Fastnachtspielen häufig verwandte Motiv an, dass dem Verehrer am Fenster der Nachttopf über dem Kopf geleert wird. 88 ‚Und mich heimlich anlächelt,‘; im Gegensatz zum üblichen Lachen, bei dem alle Zähne entblößt werden, wird hier die intendierte Unauffälligkeit der Geste betont (vgl. DWb 31, Sp. 140f.). 91–92 Das Verprügeln des Mannes mit einer stumpfen Schlagwaffe ist eine typische Aktion der Figur der ‚bösen Frau‘ (Brietzmann: Frau, S. 168–175). 91 rucke ‚Rücken‘ 92 scheyt ‚Prügel‘ 92 zu plawen ‚verprügeln‘ 93 fert ‚Weg, Gang‘ 93 gerawen (zu mhd. riuwen): ‚reuen, Leid tun‘; starke Flexion seinerzeit möglich. 97 geslorffen ‚geschlurft‘ 98–100 Die physiognomische Beschreibung beinhaltet typische Erscheinungsformen, die in zahlreichen bildlichen Darstellungen den Narren als solchen kennzeichnen, vgl. die Abbildungen 3, 4 und 31 in Mezger: Narrenidee. 99 zu quetschtzen ‚zerquetschen‘ 100 zu fletschen ‚breit drücken‘ 101 mir an stet ‚mir steht, an mir aussieht‘

81 Da] Das Konjekturvorschlag bei Keller (S. 260) 101 an stat: Keller (S. 261) konjiziert zu stet

92 – Hans Folz: Liebesnarren vor Venus | 291

Der acht dicit:

105

110

So bin ich stetigß in dem wan, Mein pulschaft woll ein andern han. Wo jr einer zum pusem nascht Oder ein an den arß tascht, So wirfft sie pald ein an ein want, Damit ertzurnt sie ein zu hant, Das er mit jr flux vmb wirt gumpen, So schwur ich, er schlug jr auff der trumpen.

F 98, 97f.

F 98, 101f.

Der neundt:

115

120

Jch bin gar manche nacht vmb kneten Vnd meinet, mein narren schuch zu treten. So sprachen all gesellen zu mir, Die weil ich noch jm schne hofir. So sej mein geluck noch lang vermaurt, Nw han ich nye vmb sunst gelaurt: Wie vast das fleisch mir ward verslossen, So han ich doch albeg der prwo genossen. Der zehendt:

125

Jch kam einßmols zu einer gangen, Von der ward ich so wol enpfangen, Ward heimlich auff mein fuß getreten Vnd mit verdeckten wortten peten, Das ich mich gen jr solt gelimpfen Vnd solt ein wenig mit jr schimpfen.

F 98, 67–74

Gb 171r

KF 262 F 98, 84f.

107 taschen ‚tatschen‘ 108 ein an ein want werffen: Neben der wörtlichen Bedeutung auch ‚jmdn. beiseite schieben, nichts von jmdm. wissen wollen‘ (DWb 27, Sp. 1497f., 1503). 110 gumpen: ‚springen, tanzen‘; vgl. auch Kratz: Wortschatz, S. 536f. 111 trumpe: In Verbindung mit dem Verb schlagen entweder ‚Trommel‘ oder ‚Laute‘ (Relleke: Instrument, S. 72, 123, 324); zur sexuellen Metaphorik vgl. Müller: Schwert, S. 54. 113 vmb kneten (zu mhd. knëten): ‚herumtanzen‘ 114 ‚Und meinte, meine Narrenschuhe wären zertreten.‘ in der Bedeutung ‚Und glaubte, ich wäre kein Narr mehr.‘ 116 hofiren ‚tanzen‘ 117 geluck ‚Glück‘ 119–120 Zweideutige Redensart, mit der der Sprecher zum Ausdruck bringt, dass er zwar sein Ziel nicht erreicht habe, jedoch auch nicht vollkommen leer ausgegangen sei (TPMA, Suppe, 3; Kratz: Wortschatz, S. 128; anders Müller: Schwert, S. 127f.) 119 vast ‚sehr‘ 120 albeg ‚immer‘ 120 prwo ‚Brühe‘ 124 auf den Fuß treten: Die Wendung galt zunächst unter Liebenden als Ausdruck des Einvernehmens, bevor sich in neuerer Zeit die Bedeutung ins Gegenteil wandelte (Röhrich: Redensarten, S. 492). 126 gelimpfen ‚sich freundlich zeigen‘ 127 schimpfen ‚scherzen, schäkern‘

292 | 92 – Hans Folz: Liebesnarren vor Venus

Dennoch kund ich sein nit verstan Vnd must als ein narr dauon gan. 130

135

Der ainlifft dicit: So wird ich darumb ein narr geschetzt, Vmb das mein maul so vil schwetzt Vnd das es mir als offen stet. Wer fur mich hin vnd wider get, Der sicht mich an vnd gutzt hin ein Vnd wurff mir gern ein kwe dreck darein. So wurd ichß doch zu samen peissen, Solt ich ymmer die zen bescheissen.

F 96, 94–101

Der zwelfft: 140

145

So wil ich mich darmit nit ruͤ men, Wan ich kan meine wort wol pluͤ men, Das mir keine versagen kan, Dan wo ich wirff mein kletten an, Die hangen fast, das macht mein gelt. Des winckt mir manche jn jr zelt, Do man die wurst jm ofen pret Vnd mit zweien schellen hinden zu weet.

Gb 171v

Der dreytzehent:

150

Fraw Fenus, edle konigin milt, Die sach ist nw auff euch gespilt, Wann jr jm anfang seit der grunt, Die weyß vnd thumme hertzen verwunt, Junck, alt, reich vnd die armen gar.

128 ‚Dennoch war ich nicht in der Lage, das zu begreifen‘ 130 Der ainlifft ‚Der elfte‘ 133 als ‚immerzu‘ 134 ‚Wer an mir vorbeigeht,‘ 135 gutzen ‚glotzen‘ 136 kwe dreck ‚Kuhdreck, Kuhfladen‘ 138 ‚Wenn ich mir für immer die Zähne beschmieren sollte.‘ 142 versagen ‚einen Korb geben‘ 143 Dan ‚Denn‘ 143 kletten anwerffen: Meist in der Bedeutung ‚Übles nachsagen, verleumden‘ (Röhrich: Redensarten, S. 855; DWb 11, Sp. 1152f.); hier wohl eher wie ‚Finger ausstrecken nach‘, vielleicht mit Bezug auf klette: ‚Leimrute‘ (DWb 11, Sp. 1151). 145 Des ‚Deswegen‘ 146 Zur sexuellen Metaphorik dieser Stelle vgl. Kratz: Wortschatz, S. 66, 93, 132. 147 zu ween (zu mhd. zuo wæjen): ‚mit Wind [aus einem Blasebalg] anfachen‘ 150 ‚Die Angelegenheit ist nun an euch übergeben,‘ 152 weyß ‚weise, verständig‘ 152 thumm ‚dumm, schlicht‘

92 – Hans Folz: Liebesnarren vor Venus | 293

155

Mit fliegen fliegt jr her vnd dar, Ewr stral verwunt manch starckes hertz. Wenn ewr salb nit wendt den schmertz, Der muß jn flamen gar vertoben. Fraw, vrtailt, das man euch werd loben! Fraw Fenus dicit:

160

165

Jch vrtail: seit meins fewres stral Durch das weÿp Adam pracht zu fal, Dauit vnd Aristotilem, Den Salomon vnd Socratem, Sampson vnd Virgilium, Die pracht mein list mit weibern vmb, Das sie sich swerlich effen liessen. Vnd wes wolt jr thummen dan genissen, Seÿt gen durch weiber sein toren worden? So bleibt auch in dem selben orden!

170

Der auß schreyer:

175

Weycht ab, trett vmb vnd last vns fur! Wann als ich wol hor, merck vnd spur, So sagt mir, fraw, seidt ir es doch, Fraw Fenus mit dem stroem loch, Von der ich so vil han vernumen

KF 263

Gb 172r

154 her vnd dar: ‚hin und her, hierhin und dorthin‘; das Bild der geflügelten Venus scheint seinerzeit geläufig, vgl. die Abbildung Dürers in Hinz: Venus, S. 41, Abb. 10, wenngleich eine antike Begründbarkeit hierfür ausfällt, möglicherweise spielt hier die Vorstellung des geflügelten Amor in die Venustradition hinein. 156 salb: Die Salbenbüchse stellt das heilende Gegenteil zu ewrß pogen geschutz (Z. 23) bzw. zum stral (Z. 155) dar. Näheres zur Tradition dieser Symbolik bei Gerhardt: Diätetik, S. 12, Anm. 56. 156 den schmertz wenden ‚den Schmerz nehmen‘ 157 vertoben ‚rasen‘ 166 ‚Weil sie sich arg zum Narren halten ließen.‘ 167 ‚Und wovon wollt ihr Deppen denn genesen,‘ 168 Seÿt: Kausale Verwendung seinerzeit üblich. 168 gen ‚jene‘ 174 stroen: Eigentlich ‚aus bzw. wie Stroh‘, damit übertragen entweder ‚strohfarbig, blond‘ oder ‚leicht entflammbar wie Stroh, promiskuitiv‘ (DWb 19, Sp. 1654–1656); ferner scheint möglich die Bedeutung ‚wertlos, nicht zu gebrauchen‘; zur Möglichkeit der determinierenden Flexion trotz bestimmten Artikels vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 37.

156 Wenn: Keller (S. 339) erwägt Konjektur zu wem 163 Socratem: Keller (S. 1492) erwägt Konjektur zu Hippocratem; der Eingriff lässt sich weder aus der Handschrift noch aus der Tradition des literarischen Topos der Minnesklaven begründen. 164–165 Zeilen in Reihenfolge vertauscht 167 wes über der Zeile nachgetragen

294 | 92 – Hans Folz: Liebesnarren vor Venus

180

185

Vnd kundt doch lang nÿe auff euch kumen? Doch hab ich ewres schuß enpfunden, Wan leyden, trosten, he〈y〉len vnd wunden Kundt jr, wem ewr guet das gan. Doch schawet mich gar eben an! Mocht jr euch mein ein nacht betragen, Jch wolt euch eins die pritschtzen schlahen Oder ein reyen mit euch springen, Das man die schellen vor dem tor hort klingen. Wol auff vnd last dem volk sein rw! Wen nit benugt, der esß krawt zw!

R 54, 19f.

176 komen auff ‚erwischen, treffen‘ 177 enpfinden: Seinerzeit üblicherweise mit Gen. 178 leyden ‚Leid antun‘ 178 wunden ‚verwunden‘ 181 mein betragen ‚mit mir abgeben‘ 182 eins ‚einmal‘ 182 die pritschtzen schlahen: Einerseits zu frnhd. die pritschen schlahen: ‚mit einem Holzbrett schlagen‘, andererseits zu frnhd. pritsche: ‚Vulva‘ (DWb 2, Sp. 393; 13, Sp. 2134f.). 183–184 Zur sexuellen Metaphorik dieser Stelle vgl. Kratz: Wortschatz, S. 92f., 278. 186 Kraut bzw. Kohl war das billigste Gemüse und somit ein Grundnahrungsmittel, das häufig als Beilage gereicht wurde (Strauss: Nuremberg, S. 202); wahrscheinlich handelt es sich um eine sonst nicht bezeugte Redensart: ‚Wem das [dargebotene Fleisch bzw. Fastnachtspiel] nicht reicht, der möge Kraut dazu essen [und sich so seinen gierigen Magen stopfen, damit auch er satt wird und Ruhe gibt].‘

178 heylen] helen

92 – Hans Folz: Liebesnarren vor Venus | 295

Kommentar Bezeugung Gb, Bl. 168r–172r

Ausgaben Keller: Fastnachtspiele I, S. 258–263 (= Nr. 32, nach G); Bd. III, S. 1492; Bd. IV, S. 339. Wuttke: Fastnachtspiele, S. 82–90, 340f. (= Nr. 10).

Textkritik Bei Durchsicht der Handschrift fällt auf, dass Schreiber Gb bei der Abschrift unaufmerksam vorging, da gleich mehrfach konjiziert werden musste, wobei in zwei Fällen Verse in ihrer Reihenfolge offensichtlich vertauscht wurden. Bereits Keller bemerkte, dass Z. 7 und 8 in ihrer Abfolge umgekehrt wiedergegeben werden müssen (Keller: Fastnachtspiele, S. 258), um die Anreihung der närrischen Attribute (esels oren, / Gauchs federn vnd die narren kappen) und den logischen Anschluss an Z. 6 zu erhalten, was zudem der Parallelstelle im wahrscheinlich älteren Spiel F 96 entspricht. Die Vertauschung von Z. 164 und 165 erschien notwendig, um die Aufzählung von jeweils einem biblischen und einem antiken Liebesnarren (Dauit vnd Aristotilem, / Den Salomon vnd Socratem, / Sampson vnd Virgilium) nicht zu durchbrechen. Der Eingriff bessert zudem Syntax und logische Abfolge der Z. 165 und 166, schon Weinhold schlug diese Umstellung vor (Keller: Fastnachtspiele Nachlese, S. 339). Wuttke verfährt an dieser Stelle in seiner Edition anders, seine Zeilenabfolge lautet 165, 164, 162, 163 (Wuttke: Fastnachtspiele, S. 89), doch erscheint eine solch radikale Umstellung nicht zwingend.

Autor Das Spiel weist signifikante Parallelen zu F 96 als auch zu F 98 auf. Neben den teilweise wortgetreuen Entsprechungen verschiedener Textteile von F 92 mit den genannten Spielen ist es nicht zuletzt die Einarbeitung strukturierender Elemente aus den beiden Spiele von Hans Folz in F 92, die dessen Autorschaft auch für den vorliegenden Text gesichert erscheinen lässt. So findet sich bspw. die Nennung der auftretenden Narren in Z. 30ff. ebenfalls in F 96 (vgl. dort Z. 15ff.). Auch Michels und Wuttke vermuten (Michels: Studien, S. 214; Wuttke: Fastnachtspiele, S. 340) die Autorschaft Folzens. Darüber hinaus knüpft der Autor an die stets wiederkehrende Reihe der durch die Frau zu Fall gebrachten Männer an (Z. 161–164). Die Vorstellung, dass die schönsten (Ab-

296 | 92 – Hans Folz: Liebesnarren vor Venus

salom), stärksten (Samson) und klügsten (Salomon bzw. David) Männer schließlich doch Opfer ihrer Leidenschaft und Verführbarkeit werden, lässt sich literarisch bis ins Hochmittelalter zurückverfolgen (Reinmar von Zweter, Lamprecht von Regensburg). Heinrich von Meißen erweiterte diesen alttestamentlichen Zirkel um historische Personen wie Alexander und Aristoteles. Über die Verwendung in literarischen Zusammenhängen hinaus wurde die Thematik auch in zahlreichen bildlichen Darstellungen bearbeitet (vgl. Maurer: Topos, S. 182ff., 198ff.). Derartige Kenntnisse sind Folz zu unterstellen, sie schimmern innerhalb seines dramatischen Schaffens immer wieder durch und sind insofern ebenfalls als kulturhistorischer Fingerabdruck des Barbiers zu werten. Michels nimmt wegen der „viel gleichmässigere(n) Komposition“ an, dass das vorliegende Spiel nicht als kompilierende Bearbeitung der beiden ähnlich angelegten Spiele F 96 und F 98 angesehen werden könne, sondern älter sein müsse (Michels: Studien, S. 217).

Datierung Aufgrund unserer Überlegungen, das vorliegende Spiel als Bearbeitung von F 98 zu verstehen (vgl. Endkommentar zu F 98), wäre als Terminus post quem möglicherweise 1485 anzusetzen, das Jahr der Drucklegung der Spiele F 96 und F 98. Definitiv entstand das Spiel jedoch vor 1494, dem Abschlussjahr der Handschrift G.

Rollen, Inhalt, Struktur Rollen: Precursor, ein Fürsprecher, Frau Venus, deren Jungfrau, der Spielleiter, 13 Narren, der Ausschreier. Das Spiel ist den Reihenspielen bzw. den Narrenrevuen zuzurechnen. Nach einer längeren Einführung durch den Precursor, den fursprech, Der Fenus junckfraw und einen weiteren Sprecher (Z. 2–39) berichten zwölf Narren von ihren zumeist verhinderten oder desaströsen Liebesabenteuern (Z. 40–147). Auf die Aufforderung des dreytzehent (Z. 148–158) hin urteilt Frau Venus, alle seien dazu verdammt, Narren zu sein und zu bleiben (Z. 159–169). Nachdem der Ausschreier Frau Venus anzüglich begegnet, verkündet er den Auszug der Truppe (Z. 170–186). Bemerkenswert ist, dass fast die Hälfte des Spiels (75 von 186 Zeilen) für die Rahmenhandlung aufgewandt wird. Allein vier Vorredner sprechen, bevor der Narrenreigen beginnt, nach dessen Abschluss nochmals drei Sprecher auftreten. Sieben Reden der Rahmenhandlung stehen somit zwölf Reden der Liebesnarren gegenüber. Hierdurch erscheint das Spiel in seinem Gesamtaufbau weitaus strukturierter und elaborierter, als dies bei Narrenrevuen üblicherweise der Fall ist. Deutungsaspekte: Der Auftritt der personifizierten Liebe als Frau Venus – und nicht als Frau Minne – ist für die Fastnachtspiele typisch, da zahlreiche Spiele die ausgiebige Thematisierung fleischlicher Lust ins Zentrum rücken. Die das höfische Lie-

92 – Hans Folz: Liebesnarren vor Venus | 297

besideal verkörpernde Frau Minne der mittelalterlichen Literatur ist dem Genre nicht angemessen. Frau Venus dagegen kann zwar ebenfalls die Ideale der hohen Minne symbolisieren, steht aber darüber hinaus für erotische, dämonische Aspekte der Liebe, denn aufgrund ihrer paganen Tradition wurde Venus von christlichen Exegeten vielfach als Archetyp der meretrix verstanden (vgl. Hinz: Venus, S. 33, 39). Diese Komplexität lässt die Rolle der Venus für das im Umgang mit Sexualität unverblümt offene Fastnachtspiel besonders geeignet erscheinen (vgl. Glier: Personifikationen, S. 570f.). Am Ende dieses Spiels fällt insbesondere die Respektlosigkeit auf, mit der der Ausschreier die Göttin behandelt: Er bezeichnet sie als Fraw Fenus mit dem stroem loch (Z. 174) und offeriert mit derben Worten sexuelle Dienstleistungen (Z. 180–184). Diese Vorstellung von der Beschaffenheit der Venus scheint Ende des 15. Jahrhunderts populär gewesen zu sein: Im 13. Kapitel von Sebastian Brants ‚Narrenschiff‘ stellt sich die Personifikationsallegorie selbst als Frow Venus mit dem stroewen ars (V. 1) vor. Die über diesem Kapitel positionierte Druckgraphik wohl Albrecht Dürers (?) zeigt, wie es auch Z. 154 des Fastnachtspiels beschreibt, eine Venus mit Flügeln (vgl. Hinz: Venus, S. 41, Abb 10.). Ist sie bei Dürer noch bekleidet, wird die geflügelte Venus in weiteren Bildzeugnissen um und nach 1500 als unbekleidete Personifikation der voluptas dargestellt (vgl. Hinz: Venus, S. 46, Abb. 17). Ganz im Gegensatz zum derb-sexuellen Tenor der Rede des Ausschreiers stehen die durchaus klassischen Attribute, mit denen Frau Venus an anderer Stelle versehen wird und die aus allegorisch-literarischen Zusammenhängen wie auch von kunstgewerblichen Zeugnissen vertraut sind (vgl. Glier: Personifikationen, S. 577), so schießt Frau Venus beispielsweise in Manier des Amor mit Pfeil und Bogen auf die Liebesnarren (Z. 23). Eine entsprechende Abbildung aus dem 15. Jahrhundert findet sich in Kiening/Eichberger: Contemptus Mundi, Abb. 11, S. 449, dort sogar ebenfalls mit einem Salbentopf versehen (vgl. Z. 156). Es wird deutlich, dass die Göttin in der mittelalterlichen Literatur eine semantische Erweiterung erfahren hat, sie ist sowohl mächtige Gottheit als auch billiges Flittchen, sie oszilliert zwischen ästhetischem Ideal und übersteigertem Sexus (vgl. Lexikon der antiken Gestalten, S. 649). So seltsam das Aufeinandertreffen solch unterschiedlicher Aspekte in einem Text uns auch erscheinen mag, ist es nicht ungewöhnlich, spätmittelalterliche Texte vermeiden häufig die systematische Trennung der Idealisierung von der Entartung. Diese Extreme werden vielmehr kontrastiv nebeneinander gestellt und evozieren aus dieser Ambivalenz heraus Rezeptionsanreize insbesondere im Fastnachtspiel (vgl. Glier: Personifikationen, S. 578). Frau Venus wird zudem als Richterin eingeführt, was in der Tradition der Minnereden zu sehen ist (vgl. Klingner/Lieb: Handbuch, B 458b, B 459, B 460, B 462, B 462, Z 63). Im vorliegenden Fall präsentiert sich diese Funktion jedoch in einer für das Fastnachtspiel typischen sinnentleerten Weise. Die Hof haltende, belehrende und schließlich richtende Venus wird mehrfach als allmächtig über die Geschicke der Liebenden – und damit als Autoritätsperson – angesprochen, durch ihre Sexualisierung aber gleich den von ihr verurteilten Liebesnarren selbst in den Bereich des Närrischen verwiesen.

298 | 92 – Hans Folz: Liebesnarren vor Venus

Die geschilderten Eskapaden der Liebesnarren unterscheiden sich in verschiedener Hinsicht voneinander. So lassen sich erfolgreiche und vergebliche Bemühungen ausmachen, die Gründe des Misslingens sind in gestörter Kommunikation sowie abnormer Physiognomie begründet. Neben diesen Erscheinungsformen persönlichen Scheiterns wird in zwei Fällen die jeweils erfolgte soziale Sanktionsmaßnahme als zentrales Element des amourösen Amüsements herausgestellt. In dieser doch einigermaßen umfänglichen Zusammenstellung der Gelingensbedingungen von Zweisamkeit, der Bedingtheit durch individuelle wie soziale Dispositionen, agiert Folz nicht ausschließlich im Bereich der Narretei. Der auf zwölf Erscheinungsformen mehr oder minder katastrophalen Scheiterns reduzierte Kreis endet in der sichersten Methode, sich der Geneigtheit einer anderen Person zu versichern, nämlich vermittels Geldes. Hierin spiegelt das Spielgeschehen reale Vorgänge, es werden lediglich die in diesen Abläufen und Zusammenhängen Agierenden mit den Attributen des Närrischen versehen. Mit der Aussage der Venus, dass doch am Ende alle Männer ihrer Macht unterstünden, ganz gleich, wie weise oder stark sie seien, wird die männliche Geneigtheit gegenüber weiblichen Reizen als gewissermaßen gottgegeben begründet und die in der Thematik angelegte Didaxe relativiert. Aufführungshinweise: Wie in F 96 und F 98 werden in Z. 30–39 mehr Aktanten mit Namen genannt, als sich tatsächlich auf der Bühne befinden. Allerdings sind diese im vorliegenden Spiel im Sprechtext nicht zusätzlich mit Ordinalia versehen, der Zuschauer bemerkt die Abweichung infolgedessen kaum. Diese Namensnennung dient weniger der Bezeichnung einzelner Personen mit dem Ziel der Unterscheidbarkeit als der Beschreibung der Gruppe als Ganzes. Die Mimen waren als Narren verkleidet, zumindest müssen Eselsohren, Federschmuck und Narrenkappe als Attribute erkennbar gewesen sein (vgl. Z. 8–9). Die Beschreibung des Gesichts in den Z. 98–100 legt ferner die Vermutung nahe, der Darsteller habe eine Maske getragen. Diese waren in der Nürnberger Fastnacht jedoch verboten, die Schauspieler durften ihr Gesicht lediglich schminken (Simon: Anfänge, S. 298, 309). Vermutlich liegt in dieser Beschränkung der Kostümierung die Ursache, dass die närrisch deformierte Gesichtspartie dem Zuschauer so ausführlich dargelegt wird. Die in den Versen zuvor geschilderten unrhythmischen Bewegungen sind dagegen als Bestandteil der theatralen Inszenierung zu denken. Aufgrund Z. 23 ist Frau Venus mit Pfeil, Bogen und Köcher ausgestattet zu denken.

Textbezüge Neben den teilweise beinahe wörtlichen Parallelen zu den Spielen F 96 und F 98 bestehen inhaltliche Überschneidungen zu R 8, R 60, R 67 und F 97, die ebenfalls fehlgeschlagene Liebesabenteuer bzw. vergebliches thematisieren. Ähnlich F 96, Z. 128ff. wird im vorliegenden Spiel in der Rede des Ausschreiers despektierlich mit Frau Venus umgegangen. Das durchaus beliebte Motiv des über dem Buhlenden ausgegos-

92 – Hans Folz: Liebesnarren vor Venus | 299

senen Unrats (vgl. Z. 84) trifft man ferner an in R 1, Z. 34, R 43, Z. 115ff., R 60, Z. 55– 57, in F 96, Z. 51 und in F 97, Z. 16f. Inhaltliche Parallelen hinsichtlich der Thematik – Frau Venus oder eine an Frau Venus erinnernde Frauengestalt urteilt über Liebesnarren – ergeben sich darüber hinaus zu R 61 und R 67. Weitere Narrenrevuen sind R 1, R 25, R 38, R 43, R 53 und R 56. Spätere Fastnachtspiele mit einem Auftritt von Frau Venus und den Weibernarren sind ‚Die Gouchmat‘ von Pamphilus Gengenbach (Goedeke: Gengenbach, S. 117–152) und ‚Das hoffgsindt Veneris‘ von Hans Sachs (von Keller/Goetze: Hans Sachs XIV, S. 3–11). Es ist anzunehmen, dass die genannten früheren Fastnachtspiele die späteren Bearbeitungen maßgeblich prägten (Glier: Personifikationen, S. 579; Michels: Studien, S. 215). Das Spiel gehört darüber hinaus zu einer Gruppe von Fastnachtspielen, in denen Begriffe personifiziert werden. Außer der Liebe (vgl. F 96) werden in den Spielen üblicherweise Mai und Herbst, Farben (vgl. R 49) sowie Fastnacht und Fastenzeit (vgl. R 10, R 11 und F 100) als Figuren auf die Bühne gebracht. Die Schilderungen handfester körperlicher Auseinandersetzungen zwischen Mann und Frau wie in Z. 91–92 finden sich in R 55, R 72, F 83, F 84, F 95 und F 111. Männliche Gewalt gegenüber der Ehefrau wird darüber hinaus in F 86I, Z. 163–166, F 86II, Z. 160– 163, F 102, Z. 151–159 thematisiert bzw. anempfohlen. Als konkrete Regieanweisung kommt sie ferner in F 101, Z. 161 zum Tragen. Bearbeiter: Gerhardt, Greil, Ritz

93 – Der Hasenkauf

Ein spil von hasen

KF Nr. 35

Gb 176v KF 271

Der erst paur:

5

Mein lieber wirt, habt vns vergut! Wo hat man hie den pesten mut? 〈...〉 Mein weip hat mich kaum auß pracht, Ich solt mein gesten nach wiltpret lauffen. Der ander paur: Hie han ich ein hasen, gib ich dir zu kauffen.

10

Der erst paur: Wie wilt du mir den hasen geben? Ich wolt die vasnacht wol mit leben. Der ander paur:

15

Vmb zwenvndzweintzigk gib ich dirn Vnd auch nit neher, oder laß mirn. Der erst paur: Se hin, ist einer, zwen, ist drey.

3 habt vns vergut ‚nehmt mit uns vorlieb‘ 4 ‚Wo findet man hier die beste Stimmung?‘ 6 ‚Meine Frau hat mich mit Mühe dazu gebracht, aus dem Haus zu gehen,‘ 11 Wie ‚Für wieviel [Geld]‘ 11 wilt: Zur spiranslosen Flexion der 2. Pers. Sg. Ind. Präs. vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 146. 12 ‚Ich wollte es mir damit während der Fastnacht gut gehen lassen.‘ 15 neher ‚billiger‘

1 im Register G: Wie ainer ain hasen kaufft vnd wie er in zalt; Sprecherbezeichnung und die ersten Wörter einer Rede sind unterstrichen. 2 rechts neben dem Titel mit roter Tinte nachgetragen 5 Konjekturvorschlag bei Keller (S. 1492) 9 ich] Keller (S. 1492) erwägt Konjektur zu in 17 ist] Keller (S. 271) erwägt Konjektur zu hie ist

302 | 93 – Der Hasenkauf

Der ander paur: Halt, freunt! mich dunckt, der sej von pley. 20

Der erst: Nym den darfur oder laß sein! Der ander:

KF 272

Also hab danck, lieber freunt mein! Der erst: 25

Gb 177r

Das ist 4, ist 5, ist sechß, ist siben. Der ander: Halt, freunt! auff dem ist nichtz geschriben. Der erst: Ey, nym in hin, man nymt in gern.

30

Der ander: Lieber, du darfst mich des nit lern. Der erst: Wol hin, ist VIII, ist VIIII, ist zehen. Der ander:

35

Peyt, do hab ich ein posen gesehen. [Der erst:] Er hat ein fel, als sey er tzin.

19 pley ‚Blei‘ 31 du darfst mich des nit lern ‚du brauchst mich darüber nicht zu belehren‘ 35 peyten (zu mhd. bîten): ‚warten‘; vgl. Z. 42 35 posen ‚falschen, wertlosen‘ 37 fel (zu mhd. val): ‚fahle Farbe, Blässe‘ 37 tzin ‚zinnern‘

36 ] Der erst: Konjekturvorschlag bei Keller (S. 272); die folgende Zeile muss von dem Empfänger des Geldes gesprochen werden. Der Schreiber erkennt seinen Fehler und korrigiert sich selbst in Z. 38 durch den klärenden Zusatz aber in der Bedeutung ‚Jetzt aber‘.

93 – Der Hasenkauf | 303

Aber der erst:

40

Schweig, er ist gut vnd get gern hin. Das ist XI, XII, das ist dreyzehen. Der ander: Peyt, freunt, wie ist den zweien geschehen? Mich dunkt, wie sie kupfrein seien. Der erst:

45

Gb 177v

Ich torst dir wol dein muter geheyen, Ee ich dirß wechßelt nach deinem mut. Der ander:

KF 273

Halt, freunt! der ist auch nit gut. Der erst: 50

Nw dar, du kumst ir gar wol ab, Wann ich kein aigen mu〈n〉tzer nit hab. Das sein 14, vnd 2 hast du do. Leyh mir den hasen! hast genug also.

43 ‚Es will mir scheinen, dass sie aus Kupfer sind.‘ 45 torren (zu mhd. turren ): ‚sich unterstehen‘ 45 geheyen (zu mhd. hîwen): Grobe, höhnende Drohung und Beleidigung. Zur sexuellen Metaphorik von geheyen vgl. Müller: Schwert, S. 166ff. 46 mut ‚Gesinnung, Absicht‘ 50 du kumst ir gar wol ab ‚du wirst sie sehr leicht wieder los‘ 51 muntzer ‚Münzpräger‘ 53 Leyhen ‚Hergeben‘

40 dreyzehen] der gewin: Sowohl der theatrale Ablauf des Feilschens um den Endpreis bzw. die Qualität der Münzen wie auch die Reimstörung legen diese sowie die folgenden Änderungen nahe (vgl. Wuttke: Fastnachtspiele, S. 53; Michels: Studien, S. 232). 43 seien] sehen: Vermittels dieser Konjektur lässt sich die bereits erwähnte Reimstörung beheben, auch syntaktisch steht der Vers deutlich gebessert (vgl. Michels: Studien, S. 232). 51 Wann] Wam: Konjektur bei Keller (S. 273) 51 muntzer] mutzer; Keller (S. 1492) erwägt Konjektur zu nutz oder münzer 52 14] 12: Nur vermittels der Besserung kommt die in Z. 56 geforderte Summe durch die Geldstücke aus Z. 58 und 66 zustande. Zudem endete die Zählung in Z. 40 mit der Zahl 13.

304 | 93 – Der Hasenkauf

Der ander: 55

Das dich der riet wasch! merck das geding! Ich gab dir in vmb zweintzigk pfening. Der erst: So see, hab dir die zwen auch noch! Der ander:

60

Halt, freunt! der hat mitten ein loch. Der erst: Lieber, so hat dein schwester wol zwey, Man schub in iglichz wol ein ey. Der ander:

65

Mein lieber freunt, du hast gar war; Nw gib mir noch zwen pfenig dar!

Gb 178r

Der erst: So see hin, nw pist du betzalt. Der ander: 70

Peitt, lieber! der hat ein spalt. Der erst: Ge, oder ich gib dir eins an ein or! Der ander: So se hin, hab dir das vor!

55 riet: (zu mhd. rite): ‚Fieber‘, unspezifische Bezeichnung für eine Krankheit (Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 513f.); waschen ist hier zu verstehen als etwas Unangenehmes, eine Qual, die einen durchdringt (DWb 27, Sp. 2231). 55 merck das geding! ‚halte dich an die Abmachung!‘ 56 ‚Es waren 20 Pfennig vereinbart.‘ 74 hab dir das vor! ‚nimm diese [Ohrfeige] zunächst für dich!‘

93 – Der Hasenkauf | 305

Kommentar Bezeugung Gb, Bl. 176v–178r

Ausgaben Keller: Fastnachtspiele I, S. 271–273 (= Nr. 35, nach G); Bd. III, S. 1492; Bd. IV, S. 340. Wuttke: Fastnachtspiele, S. 52–55.

Textkritik Das Spiel ist unikal in G tradiert. Es handelt sich offensichtlich um ein unvollständig bzw. mangelhaft überliefertes Fragment. So fehlen Ein- und Ausschreierrede, Aussöhnung und ggf. Schlusstanz. Die Schwächen der Handschrift zeigen sich zudem in den zahlreichen notwendig gewordenen bessernden bzw. korrigierenden Eingriffen zur Wiederherstellung intakter Reime und der Vermeidung logischer Brüche. Die temporeiche und spannungsgeladene Szene scheint jedoch in hohem Maße dramatisch durchformt und bewusst konstruiert, sodass die genannten Mängel eher in einer unzureichenden Abschrift zu gründen scheinen und weniger in dem fragmentarischen Charakter.

Autor Der Verfasser dieses Spiels ist nicht belegt, Michels vermutet jedoch Folz als Autor aufgrund der elaborierten Ausgestaltung der Szenerie (vgl. Michels: Studien, S. 231; vgl. auch Catholy: Fastnachtspiel des Spätmittelalters, S. 150, 188). Keller hingegen verweist darauf, dass das Feilschen und Mäkeln am Geld im deutschen Schauspiel weit verbreitet gewesen und sogar in die Passionsspiele eingedrungen sei, was den möglichen Autorenkreis wiederum stark erweitere (Keller: Fastnachtspiele Nachlese, S. 340). Es entspricht allerdings durchaus der Vorgehensweise Folzens, Textbausteine zu sammeln und zu einem späteren Zeitpunkt zu kombinieren. So wäre F 93 als durchaus weit gediehener Entwurf eines solchen Textteils zu sehen, der unter der Hand des Schreibers gelitten hat. Aufgrund des geringen Umfangs des überlieferten Textes muss ein endgültiges Urteil jedoch unterbleiben.

306 | 93 – Der Hasenkauf

Datierung Terminus ante quem ist 1494, das Abschlussjahr von Handschrift G.

Rollen, Inhalt, Struktur Rollen: Zwei Bauern. Zwei Bauern streiten um den Preis eines Hasen und geraten während der Bezahlung in weiteren Zwist bezüglich der Güte der Münzen. Die Meinungsverschiedenheit endet in handfesten Auseinandersetzungen. Deutungsaspekte: Der Pfennig (Denar) war seit der Karolingerzeit in weiten Teilen Europas das einzige silberne Münznominal (12 Pfennig = 1 Schilling, 20 Schillinge = 1 Pfund). Der Wert einer Münze wurde im Mittelalter weniger durch ihre Prägung bestimmt. Relevant war vielmehr ihr Gewicht (Pfund und Mark waren Gewichtseinheiten), das bei Zahlungsvorgängen üblicherweise kontrolliert wurde. Seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts wurde der Schilling als Münze geprägt, in den folgenden Jahrhunderten sank der Pfennig allmählich zur Scheidemünze herab, die in manchen Regionen schon im 16. Jahrhundert in Kupfer geprägt wurde (Kahnt/Knorr: BI-Lexikon, S. 16). Konkurrierende Währungen, divergierende Güte bzw. Gewicht der Münzen und Falschmünzerei waren im 15. Jahrhundert weit verbreitete Probleme, die auch im Osterspiel thematisiert wurden (Linke: Opposition, S. 81). Im vorliegenden Spiel finden sich zum Beispiel Münzen aus unterwertigem Metall, vgl. Z. 19, 35f., 43. Des Weiteren war die vorsätzliche Verstümmelung von Münzen verbreitet, z.B. durch Beschneiden des Randes zur Gewichtsverringerung – das abgespaltene Metall wurde anderweitig weiterverwertet. Auf diese Methode weisen Z. 60 und 70 hin. Zahlreiche Aktivitäten des Rates zielten in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts darauf ab, den Umlauf auswärtiger Münzen zu regulieren und solche nicht in Nürnberg gedruckten Geldstücke mit abweichendem Materialwert aus dem Verkehr zu ziehen (vgl. Groebner: Ökonomie, S. 46.ff.). Das Stück ist trotz seiner Kürze und genannter Defizite in seiner dramatischen Geschlossenheit als ein sehr gelungenes Handlungsspiel zu bewerten. Die agierenden Personen geben ihre Absichten und Strategien zu keinem Zeitpunkt offen preis – alles konzentriert sich auf den jeweiligen Moment – und dennoch sind die Ziele der Beteiligten für das Publikum klar erkennbar: Der Verkäufer will einen möglichst hohen Gewinn erzielen, der Käufer den Preis so niedrig wie möglich drücken. Der Versuch, das Gegenüber zu übervorteilen, erfolgt dabei auf zwei Ebenen. Zunächst zahlt der Käufer mit Münzen fragwürdiger Qualität und schließlich unterbietet er für den Verkäufer unbemerkt die ursprünglich vereinbarte Summe. In dieser Ambivalenz divergierender Strategien bzw. Handlungsoptionen sowie dem über weite Teile stichomythischen Aufbau und der hochgradig durch numerische Steigerung geprägten Struktur liegt das hohe Tempo des Dialogs und damit schlussendlich der Reiz für den Rezipienten.

93 – Der Hasenkauf | 307

Aufführungshinweise: Es ist davon auszugehen, dass die Handelsgüter auf der Bühne repräsentiert waren, unabdingbar scheint ferner ein Tisch, auf den die Münzen abgezählt wurden. Während dieses Abzählens und Reklamierens sind die Akteure in ständiger Aktion zu denken: Der Verkäufer unterzieht die zweifelhaften Münzen einer genaueren Überprüfung, während der Käufer davon unbeindruckt ein Geldstück nach dem anderen hervorzieht und auf den Tisch legt. Ebenso lebhaft mag die Szene gegen Ende ausgestaltet gewesen sein, wo die Kontrahenten es kaum bei der Androhung körperlicher Züchtigungen belassen haben.

Textbezüge R 28, F 99, F 101 und F 109 thematisieren ebenfalls merkantile Situationen und persiflieren hierin Elemente des alltäglichen, mikroökonomischen Lebens. Bearbeiter: Greil, Przybilski

94 – Vier Reden

Ein spil

KF Nr. 36

Gb 178r KF 274

Der erst spricht:

5

10

15

Manchen man fint man, der sich vil tut rumen; Mocht ich das mein heimlich verplumen? Jch kam zu einer peurin, die malk, Do kam ich jn ein reine walk. Jch wolt sie kutzeln vntter den vchßen, Do weÿset sie mich zu der pfeffer puchßen. Das geschach nahet bej der kwo, Die schmitzt mit baiden füssen zwo, Schmitzet vns den kubel an den kopff, Das darjnn nit beleib kein milch tropff, Das ich nye wirßer erschrack auch sider: Jch meint, es gieng ein wolken dernÿder! Wir teten vns baide jm stall vmb walken Vnd in dem kwdreck vns betalken, Sam het man vns auß einer leÿmgrub getzogen. Do jn ein winckel wir vns schmogen, Ein solchen ranck gewan ich jr an.

F 97, 164–183

R 40, 152f.; R 75, 75f.

Gb 178v

F 100, 266f.

5 malk: seinerzeit übliches 4 ‚Könnte ich [da] mein [Abenteuer] im Geheimen ausschmücken?‘ Präteritum zu ‚melken‘ 6 walk: ‚Walke, Walkmühle‘; Mühle, in der Stoffe vor der Weiterverarbeitung mechanisch mit Holzhämmern und -stempeln bearbeitet wurden (Weber: Mühlen, S. 110–115); hier sexuell konnotiert, vgl. Müller: Schwert, S. 136f. 7 kutzeln vntter den vchßen: Kitzeln [insbesondere in den Achselhöhlen] galt als Liebkosung mit eindeutiger Absicht, Teil des sexuellen Vorspiels (HdA 4, Sp. 1435). 8 pfeffer puchßen: Zur sexuellen Metaphorik vgl. Kratz: Wortschatz, S. 142; dagegen Müller: Schwert, S. 41 wohl abwegig. 10 zwoschmitzen ‚ausschlagen‘ 11 Die Wiederholung von schmitzen ist stilistisch bedenklich, der Vergleich der Parallelstelle legt die Möglichkeit einer Fehlschreibung von Stirzt nahe, ohne dass diese Konjektur jedoch zwingend erforderlich ist. 13 wirß (zu mhd. wirs): ‚übel‘ 13 sider ‚seither, später‘ 14 wolken: Wohl im Sinn von ‚Wolkenbruch‘. 15 vmb walken ‚herumwälzen‘ 16 betalken ‚beschmieren‘ 17 leÿmgrub ‚Lehmgrube‘ 18 sich schmiegen ‚sich drücken‘ 19 ‚Da habe ich einen Vorteil erlangt.‘

1 unterstrichen; im Register G: Von vier gsellen wie si sich von der puͦ lschafft riemen 2 Auf einer Zeile mit der Überschrift 3 Die ersten Wörter der jeweiligen Rede sind unterstrichen. 12 j in darjnn nachträglich eingefügt

310 | 94 – Vier Reden

20

Sie sprach: du hast mir och getan! Jch wolt dich fragen, ob du schlifst, Piß ich seh, das du daruon lifst. Was geheÿt jr euch mit solcher lepperej? Sagt, wem solch pulschaft geschehen sej!

25

Der ander spricht:

30

35

Vil mancher fragt von saumen, Jch bestreich mich all morgen mit eim daumen, Das mich kein poser wint an we. Dann schatz mich ab, wie ich beste: Mein har gleicht eim schwartzem roß schwantz, Mein winpraun einer ygelßhaut gantz, Mein orlein raichen zu baiden wangen: Wen mocht solichs pißleins nit gelangen? Mein augen glitzen als eim pock, Mein nas geformirt als ein stock, Mein munt mit solchen wurtzen besteckt, Das alß suss sam ein scheißhauß schmeckt. Meine hentlein weÿß als eim pern. Mein fußlein sam sie eins esels wern,

KF 275

Gb 179r

20 du hast mir och getan: Entweder zu mhd. eht, oht: ‚eben, doch‘; ‚Du hast mir nun doch etwas getan!‘ oder zu mhd. ach in der Bedeutung ‚Weh, Unglück‘. 23 sich geheÿen ‚angeben‘; vgl. Z. 47 23 lepperej ‚Torheit, Narretei‘ 26 saum: Die Bedeutung der Zeile bleibt unklar. Wahrscheinlich zu saum als Nebenform von seim: ‚Honigseim, Nektar‘. Derjenige, den ein böser wind angewäyet hatte, litt unter einer Schweinung, dem Absterben eines Körpergliedes durch Nekrose (DWb 15, Sp. 2454; Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 617). Honig galt in der Volksmedizin als Heilmittel gegen viele Krankheiten und auch dem Daumen wurden Heilkräfte zugeschrieben, wenn man Körperteile mit ihm bestrich (HdA 2, Sp. 174–176; 4, Sp. 306–309). 28 poser wint: Die Überzeugung von der Wichtigkeit gesunder Luft taucht kurz zuvor in Heinrich von Laufenbergs ‚Regimen der Gesundheit‘ auf. So war es gängige Auffassung, dass die Trübung der Luft viele Krankheiten mit sich bringe (Heinrich von Laufenberg: ‚Regimen‘, S. 17). 29 ab schatzen ‚taxieren‘ 31 winprau (zu mhd. wintbrâ): ‚Wimper‘; seinerzeit in der Bedeutung ‚Augenbraue‘ 31 gantz ‚vollständig‘ 33 gelangen ‚lang genug sein, ausreichen‘ 34 glitzen ‚glänzen‘ 34 pock: Der Bock ist hier als Inbegriff der Geilheit zu verstehen (Leibbrand: Speculum, S. 130–133). 36 wurtzen: Die Bedeutung ‚Kräuter‘ erschließt sich kaum, evtl. ‚[durch Kräuter evoziertes] Aroma, Geruch‘; wenig besser erscheint die Konjektur zu wartze, da zu deren Eigenschaften übler Geruch eben nicht zählt. 36 besteckt ‚versehen‘ 37 suss ‚lieblich‘ 37 schmecken ‚duften‘ 38 per: ‚Bär‘; das Braun des Bären widerspricht dem seinerzeit gängigen Schönheitsideal von weißer Haut.

22 lifst] lufst 26 saumen] samein: Konjektur bei Keller (S. 274)

94 – Vier Reden | 311

40

45

Recht als ein [t]hun han ich ein waich. Subtil ich jn ein kutrolff seich, Der oben ist als ein prewkuff weÿt. So schlacht mich flux mit einem scheyt, Wer wolt nicht loben ein solche persaw! Jch hoff, das ich zu hoff gar genaw Vor fursten am pasten wil bestan. Was mugt jr euch all geheÿen an? Der drit spricht:

50

55

60

65

Got gruß euch alle, got gruß euch! Jr dorfft mir haben kein scheuh. Sagt mir auch, ob ich hie ge recht, Das jr mich fur kein andern seht. Vergint euch all nit an mir! Was schenckt man hynn, wein oder pier? Sitzt still, sitzt still, last ewr gnappen, Habt auff ewr hwͤt vnd kappen. Ey fraw, sitzt still an ewrem ort! Sich, was auff wischenß hebt sich dort? Trinckt an, ich thu sein nit vor euch! Jr macht warlich, das ich mich scheuch. Sich, wer hat ye des dings vernumen? Het ichß gewist, jch wer offter kumen. Ey, muß ich dann ye trincken, so sey! Wer weiß, ob es mir mer gedey. Nw dar, sitzt still vnd eßt mit rw Vnd nemt euch weil genug darzw.

Gb 179v

KF 276

40 waich ‚Bauch, Taille‘ 41 Subtil ‚Kunstvoll‘ 41 kutrolff: Bauchiges [Trink-]Gefäß mit engem Hals, auch als Harnglas für medizinische Untersuchungen genutzt (DWb 11, Sp. 2883). 41 seichen ‚pissen‘ 42 prewkuff ‚Braubottich‘ 43 scheyt ‚Knüppel‘ 44 persaw (zu mhd. përsôn): ‚Figur, Gestalt‘; mhd. o entwickelt sich im nürnbergischen und nordbairischen Frnhd. zum Diphthong ou, hier durch die Graphie aw bei zusätzlichem Nasalausfall wiedergegeben (Michels: Studien, S. 113). 46 pasten ‚besten‘ 50 mir ‚vor mir‘ 52 sehen fur ‚halten für‘ 53 sich verginen ‚sich vergaffen‘ 54 hynn ‚hier drinnen‘ 55 gnappen ‚herumzappeln; verneigen; tanzen‘ 58 auff wischen ‚Aufspringen, Unruhe‘ 59 antrinken ‚als erste[r] trinken‘ 60 scheuchen (zu mhd. schiuhen): ‚erschrecken‘ 64 gedeyen (zu mhd. gedîhen): ‚zupass kommen‘ 65 eßt mit rw: Einzige Stelle in den Fastnachtspieltexten, an der deutlich wird, dass während der Aufführungen nicht nur getrunken, sondern auch gegessen wurde.

40 hun] thun; Keller (S. 275) erwägt Konjektur zu tunc

312 | 94 – Vier Reden

Der vierdt spricht:

70

75

Ir herren, ich ge herein vergebenß Vnd maynt, wert jr eines guten lebens, Jch wolt die vasnacht bej euch beleiben Vnd vil kurtzweil mit euch hie treÿben. Jch kan piern proten, kesten vnd kuten Vnd kan der meÿd die agen ab schuten. Jch kan auch fechten, tantzen vnd springen Vnd maisterlich darzw singen Vnd hilff der meyd petten vnd kern, Ir zwu kunnen sich mein kaum erweren. Die pest kunst, die ich lernet ye, Die treyb ich: auß dem glaß ist die.

69 wert jr eines guten lebens ‚wenn bei euch etwas los wäre‘ 72 ‚Ich kann Birnen, Kastanien und Quitten braten‘; entweder ironisch-verhüllende Steigerung von Äpfel braten: ‚nichts tun, faulenzen‘ (Röhrich: Redensarten, S. 93; DWb Neubearbeitung 3, Sp. 129) und Bezug auf Birnbrater : ‚Stubenhocker‘ (DWb 20, Sp. 186; FrnhdWb 4, Sp. 459; siehe hierzu auch Müller: Schwert, S. 125, 127) oder ironisch übersteigertes Eigenlob eines Sexualprotzes, vgl. die obszöne Bedeutung von piern proten in R 56, Z. 89f. (vgl. auch Herchert: Feld, S. 196f.) und kute in der Bedeutung ‚Vulva‘ (Müller: Schwert, S. 70f.). 73 der meÿd die agen ab schuten: Ursprünglich Bezeichnung für die Tätigkeit, einem Mädchen in der Spinnstube die Flachsspreu von der Schürze abzuschütteln. In diesem Zusammenhang waren einvernehmliche sexuelle Handlungen in der spärlich beleuchteten Stube nicht die Ausnahme; zur sexuellen Metaphorik vgl. auch Müller: Schwert, S. 132f. 74 fechten, tantzen vnd springen: Durch die Nennung der zu den höfisch-adeligen Fertigkeiten gehörenden Disziplinen – springen hier in der Bedeutung ‚tanzen‘ – (Bumke: Kultur, S. 231f., 309–312) , die im 15. Jahrhundert auch das städtische Patriziat übernommen hatte (LexMA 6, Sp. 1797–1799), soll die Überheblichkeit des Sprechers zum Ausdruck gebracht werden. 76 petten: ‚Betten machen‘; zur sexuellen Metaphorik vgl. Kratz: Wortschatz, S. 323–328. 76 kern: Zur sexuellen Metaphorik vgl. Kratz: Wortschatz, S. 238f. 77 zwu Fem. von zwei 79 auß dem glaß ist die: Bedeutung nicht klar, möglicherweise ‚[aus dem Glas] trinken, saufen‘.

94 – Vier Reden | 313

Kommentar Bezeugung Gb, Bl. 178r–179v

Ausgaben Keller: Fastnachtspiele 1, S. 274–276 (= Nr. 36); Bd. 3, S. 1493; Bd. 4, S. 340.

Textkritik Das Spiel ist unikal in Handschrift G überliefert.

Autor Ein Verfasser ist nicht genannt, die erste Rede jedoch weist deutliche Übereinstimmungen mit F 97 und geringfügige mit F 100 von Hans Folz auf. Es greift allerdings zu weit, hieraus die Verfasserschaft des Barbiers auch für den vorliegenden Text zwangsläufig abzuleiten. Das Fehlen von Ein- und Auschreierreden zu Beginn und Ende des Textes, das Ausbleiben des Tanzschlusses sowie fehlender Stichreim machen es unwahrscheinlich, dass es sich um einen von Hans Folz fertiggestellten Bühnentext handelt.

Datierung Terminus ante quem ist 1494, das Abschlussjahr von G.

Rollen, Inhalt, Struktur Rollen: Vier Redner. Der erste Sprecher berichtet von einem etwas abenteuerlich anmutenden erotischen Ereignis in einem Kuhstall, der zweite liefert in der Beschreibung seiner körperlichen Beschaffenheit einen gegenüber dem mittelalterlichen männlichen Schönheitsideal umfänglichen Katalog negativer anatomischer und physiognomischer Erscheinungsformen. Die dritte und vierte Rede reduzieren sich auf handlungsfreie Interaktion der Mimen mit dem Publikum hinsichtlich karnevalesker Vergnügungen.

314 | 94 – Vier Reden

Deutungsaspekte: Das Spiel wirkt insgesamt roh und skizzenhaft. Dies liegt nicht zuletzt in der Ungleichmäßigkeit des Aufbaus begründet: Der erste Sprecher bleibt der einzige der vier Akteure, der einen inhaltlich einigermaßen überzeugenden Schwank zum Besten gibt und die Erwartung an ein Reihenspiel erfüllt. Eine Parodie des mittelalterlichen Schönheitspreises bildet den Inhalt der zweiten Rede. So gleicht das Haar einem schwarzen Pferdeschwanz, während das ideale Haar blond wie Gold leuchtete, auch die Taille eines Huhns entspricht nicht der von der mittelalterlichen Dichtung geforderten schlanken Körpermitte (vgl. Köhn: Schönheitsideal, S. 92–105). Ob sich diese Persiflage auf einen Mann oder eine Frau bezieht, bleibt letzten Endes unklar. Üblicherweise beziehen sich Lob körperlicher Schönheit sowie dessen Parodie auf Frauen, wie z. B. in Fassung II von R 65, Z. 178–190 oder die Beschreibung von Mätzli (Wittenwiler: Ring, V. 75–90). Der Sprecher wird zwar als Der ander (Z. 25) bezeichnet, also als Mann eingeführt, dieser Umstand muss allerdings nicht unbedingt von Bedeutung sein, denn die Frauenrollen in den Fastnachtspielen wurden durchweg von Männern übernommen (vgl. Ridder/Steinhoff: Nürnberger Fastnachtspiele, S. 13), was der Parodie des Schönheitspreises einer Frau potentiell zusätzlichen komödiantischen Reiz verlieh. Eine umfängliche Beschreibung der Merkmale männlicher Wohlbeschaffenheit findet man lediglich in ‚Flore und Blanscheflur‘ von Konrad Fleck (Fleck: Flore, V. 6816–6863). Ähnlichkeiten im Aufbau der Beschreibung dort lassen vermuten, dass der Autor den älteren Text kannte und seine Worte einer männlichen Rolle in den Mund legte. Der dritte Sprecher erfüllt offensichtlich die Funktion eines Einschreiers, wenn auch an ungewohnter Stelle innerhalb des Bühnengeschehens: Seine Rede bzw. Ansprache reduziert sich inhaltlich auf einen Gruß an die Zuschauer und die Ermahnung zur Ruhe (Z. 55, 57, 65). Insbesondere diese ungewöhnliche und wenig sinnvolle Position der Rede verstärkt den Eindruck, dass es sich um eine unfertige Arbeitsskizze handelt. Die das Spiel beschließende vierte Rede beinhaltet die zweideutigen Prahlereien eines Liebesnarren, der als Säufer und Nichtsnutz hervorragen möchte und sich großer sexueller Potenz rühmt. Die dramaturgischen Defizite und inhaltlichen Brüche werfen die Frage auf, ob das Spiel als Ansammlung von Redeentwürfen oder aber eine Kompilation von Versatzstücken aus anderen Fastnachtspielen zu verstehen ist. Ob und welche dieser beiden Annahmen zutrifft, lässt sich schlussendlich nicht feststellen, da das Spiel ‚Vier Reden‘ unikal in G überliefert ist und keine Rückschlüsse auf eine genauere Datierung gezogen werden können. Stilistische Ungenauigkeiten der ersten Rede gegenüber der Fassung in F 97 stützen die Annahme, dass es sich beim vorliegenden Text zumindest in Teilen um die Abschrift einer verloren gegangenen älteren Skizze handelt, die zu einem späteren Zeitpunkt nachbearbeitet und metrisch geglättet werden sollte. Die möglicherweise fehlerhafte, zweifellos defizitäre Schreibung Schmitzet (Z. 11) gegenüber dem deutlich sinnvolleren und eleganteren Stirzt (F 97, Z. 170) vermeidet die spätere Bearbeitung, gleichzeitig gelingt dort eine sinnvolle Anbindung der Z. 23–24.

94 – Vier Reden | 315

Aufführungshinweise: Bei allen Zweifeln, die an der theatralen Realisierbarkeit des etwas unausgegorenen Entwurfs bestehen, ist diese eben auch nicht gänzlich auszuschließen. In diesem Fall bietet insbesondere die dritte Rede Ungewöhnliches. Zwar sind Grußworte und Silete-Formeln genuiner Bestandteil der Einschreierreden, in dem vorliegenden Text wendet sich der Redner jedoch darüber hinaus mit Fragen an die Zuschauer (Z. 54), er spricht sogar eine Frau aus dem Publikum direkt an und erteilt ihr Anweisungen (Z. 57). Hierin bezeugt er die Anwesenheit von Frauen bei Fastnachtspielaufführungen. Mit der Frage nach der Ursache für die Betriebsamkeit im Auditorium (Z. 58) begegnet er einer möglicherweise sich tatsächlich ausbreitenden Unruhe als wohlkalkulierte Folge eben dieser seiner Interaktion mit dem Publikum. Und hierin hat der Mime enorme Freiheiten: Er kann sich an eine beliebige Dame im Saal wenden, er kann das Geschehen verzögern, bis sich der Lärmpegel erhöht, und die entsprechende Bemerkung angemessen erscheint. Als Possenreißer tritt er aus dem üblicherweise zweidimensional angelegten Figurenarrangement des Reihenspiels hervor, weil er nicht bloß Text rezitiert, sondern mit dem Publikum spielt und damit das Konstrukt einer fiktiven Grenze zwischen Bühnenraum und Publikum depotenziert. Dies erfordert deutlich mehr mimische Finesse und improvisatorisches Talent seitens des Akteurs als die überwiegende Mehrheit der übrigen Rollen des Fastnachtspielkorpus. Es bleibt die Frage, warum diese Passage nicht in einem späteren, bühnentauglicheren Arrangement ihren Platz fand.

Textbezüge Eine Parallele besteht zu F 97, einem Spiel Hans Folzens, in das wie bereits erwähnt die erste der vier Reden übernommen wurde. Die geschilderte Situation findet sich auch in Spiel F 100, Z. 263–268, in Hermanns von Sachsenheim ‚Grasmetze‘ und in Wittenwilers ‚Der Ring‘ (Lenk: Fastnachtspiel, S. 49f.). Einen ironischen Schönheitspreis, der ähnlich den Versen 30ff. die klassischen Schönheitsideale ins Negative verkehrt, trifft man außerdem an in den Spielen R 12, R 25, R 71, F 86 und F 102. Bearbeiter: Greil, Przybilski, Ritz

95 – Domherr und Kupplerin

Ein spil von eÿm thum herrn vnd einer kuplerin

KF Nr. 37

Gb 180r KF 277

Precursor:

5

10

Got gruß den wirt jn hohen eren Vnd was jm got ye tet bescheren Vnd alles, das das sein antrifft. Hie kumpt von Banberg auß dem stifft Vnsers herren bischofs sigler her. Herr wirt, der leßt euch piten ser, Das er bej euch hie sigeln tet. Ob jemant hie zu sigeln het, Der wird sich fugen wol herein, Des wolt mein herr euch danken sein. Die kupplerin dicit zum thumherrn:

15

Mein herr, get mit mir auff ein ort. Jch redet mit euch gar gern ein wort, Des mich ein fraw gar ser hewt pat. Dergleich ist nit jn dieser stat Mit schon von leib an hawt vnd har,

1 thum herr: Ursprünglich ‚Domherr‘, Spitze eines Dom- oder Ordenskapitels (LexMA 5, Sp. 938–941; ²LThK III, Sp. 496–498) aber auch weltlicher Beamter im Dienst eines geistlichen Fürsten; aufgrund Z. 7 hier eher Letzteres. 1 kuplerin: Meist alt gewordene Prostituierte, die gewinnbringend Gelegenheit zu außerehelichen Vergnügungen verschaffte (DRW 8, Sp. 119–124; Fuchs: Sittengeschichte 2, S. 76–80). 5 antreffen ‚betreffen‘ 6 Banberg: Nürnberg gehörte zum Bistum Bamberg (LexMA 1, Sp. 1398). 7 sigler: Dokumente bedurften zur Erlangung von Gültigkeit und Rechtskraft eines offiziellen Siegels (DWb 16, Sp. 941; LexMA 7, Sp. 1848–1850). 11 sich fugen ‚sich [an einen Ort] begeben‘ 12 danken sein: ‚danken‘; zur im 15. Jahrhundert verbreiteten Periphrase sein mit Infinitiv vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 174. 14 auff ein ort ‚um eine Ecke, beiseite‘; vgl. Z. 88 18 schon ‚Schönheit‘

1 unterstrichen; im Register G: Von ainer kupplerin wie sy ain fraw aim thuͦ mherren verkupplet vnd wie ir der her nit werden mag vnd wie sy der frawen iren man pringt vnd wie es jr ergieng 2 Neben Überschrift nachgetragen und unterstrichen; Sprecherbezeichnungen und Handlungsanweisungen sowie die ersten Worte einer jeden Rede sind unterstrichen.

318 | 95 – Domherr und Kupplerin

20

25

30

Mit reichtum an als wandel gar, Mit lieplichen plicken vnd schmutzen. Sie spricht, sie tet euch heut ergutzen Vnd durch denselben augen plick Viel jr hertz jn ewr liebe strick, Das sie an euch nit kan beleiben. Solich pein solt jr jr, herr, vertreiben. Berurt jr nit den jren leib Jn lieb, so stirbt das reine weyp. Mit euch zu reden sie mich pat. Her, wollet jr, so kumt sie zu euch drat.

Gb 180v

KF 278

Thumher dicit: Du altes weyp, so bring sie her, So lon ich dir nach deiner ger Vnd das wir vnuermert beide beleiben.

F 95, 84–86

Die kupplerin: 35

Herr, ich habs all mein tag getriben. Wann ich darumb nÿm mein solt Von euch und jr, wann jrs thun wolt, Die schenck, die trag ich hin vnd her vnd dar. Der thumher:

40

So see dir gleich den guldin par. Pring sie her, ich wil wartten hie.

19 an als wandel gar ‚ganz ohne jeden Makel‘ 20 schmutzen ‚Lächeln‘ 21 ergutzen (zu mhd. guckezen): ‚erblicken‘ 23 in der liebe strick fallen ‚in die Fesseln der Liebe geraten‘ 24 an ‚ohne‘ 24 beleiben ‚bleiben‘ 26 jren: Zur Verwendung des Possessivpronomens nach bestimmtem Artikel vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 16. 27 rein ‚schön‘ 29 drat (zu mhd. drâte): ‚rasch, schnell‘; vgl. Z. 76 32 ger ‚Begehren, Verlangen‘ 33 vnuermert beleiben (zu mhd. unvermæret): ‚nicht im Gerede, unbescholten‘ 35 habs getriben ‚habe dieses Gewerbe betrieben‘ 36 solt ‚Entgelt, Gabe‘ 38 schenck ‚Geschenk‘ 38 dar ‚[dort-]hin‘ 40 see (zu mhd. sê): ‚siehe da‘ 40 guldin: Seit Anfang des 15. Jahrhunderts auch in Nürnberg geprägte wertvolle Goldmünze; ein Gulden entsprach dem halben Monatslohn eines Handwerkers (Strauss: Nuremberg, S. 203f.; Brandl: Essen, S. 18). 40 par ‚bar‘

38 hin vnd her vnd dar] : Keller (S. 1493) erwägt Konjektur zu her und dar

95 – Domherr und Kupplerin | 319

Kupplerin dicit: Ja, lieber herr, pald bring ich sie. Der thumherrn knecht vnd ein pot: 45

Herr, pald und rasch sigelt den brieff, Wann dieser pot gern pald hin lieff Hewt vnd morgen zweintzigk meile. Als manche stund er mag er eyle, Fur yde stund ein guldin man jm geyt.

50

Thumher dicit:

Gb 181r

Ir mußt ye harren ein kleine zeit. Der pot dicit:

55

Mein herr, es mag nit haben craft. Mein herr bischoff hatz selbs geschaft, Wann es trifft an den seinen stamen. Thumher dicit:

KF 279

So sigel ich, des teufels namen! Kundt euch der teufel nit ee her bringen? Jch hett zu schaffen mit andern dingen. 60

65

Thumherr get auß vnd tut den langen mantel ab, als sej er der frauen man. Kuplerin dicit zu der frawen: O fraw, ich wayß ein schonen herren, Der wolt euch dienen also gern, Mit leib vnd gut, mit seiner macht. Er hat ewr genumen acht, Das er vor lieb leidt grosse pein,

Gb 181v

45 brieff ‚Urkunde‘ 47 In Nürnberg entsprach eine Meile seinerzeit 1479,5 Metern (Kahnt/Knorr: BI-Lexikon, S. 183). 48 er eylen: Die Präfigierung des Infinitivs eylen ist semantisch irrelevant. 49 geyt: Hauptsächlich im Oberdeutschen belegte Formvariante der 3. Pers. Sg. Ind. Präs. von geben (DWb 4, Sp. 1667). 53 ‚Mein Herr, das [Warten] kann nicht rechtens sein.‘ 54 schaffen ‚beauftragen, veranlassen‘ 55 stam ‚Geschlecht, Familie‘ 58 ee ‚eher‘ 60 abtun ‚ablegen‘ 60 mantel: Typisches Kleidungsstück eines Geistlichen (DWb 12, Sp. 1608). 62 dienen ‚gefällig sein‘ 64 acht nemen ‚Beachtung schenken‘

320 | 95 – Domherr und Kupplerin

70

75

Das jm nit wirßer mocht gesein; Das er nit lenger peiten mag, Es sej dann, das ich euchß sag, Von euch, das jr jn wolt geweren. O fraw, das solt ir thun gern, Sunst stirbt er jn seinem jungen plut. Set hin, von mir das nemen tut: Die ring von gold wegen ein marck. Kein helt ward sein tag nye so starck. Gewert jr jn nit, so ist er tot. Woll auff, ich fur euch zu jm drot. Die weil ist der thumherr daussen, so spricht die fraw zu der kupler ̲in:

80

85

Jch pflag der ding nye all mein tag, Anders man von mir nit sprechen mag, Dan das mich doch erparmt sein not, Die er durch mich in lieb hot. Solich not, die must pald von jm lan, Wurd es nit jnnen mein elich man Vnd das es mocht verschwigen beleiben.

Gb 182r

F 95, 33–35

Kuplerin dicit: Schweigt fraw! ich tetz mein lebtag treÿben, Das niemant kam darauß kein wort. Jch pring jn pald her auff ein ort.

66 gesein: Die Präfigierung des Infinitivs ist rhythmisch von 66 wirß (zu mhd. wirs): ‚schlecht‘ Bedeutung, semantisch jedoch irrelevant. 67 peiten (zu mhd. bîten): ‚warten‘; vgl. Z. 130 69 gewern (zu mhd. wërn): ‚etwas gewähren, jmdn. gewähren lassen‘ 73 marck: Gewichtsmaß für Edelmetalle, ca. 235 Gramm (Kahnt/Knorr: BI-Lexikon, S. 178). 77 daussen: Insbesondere im Obd. ist der Liquidausfall üblich. 78 pflegen ‚willentlich tun‘ 80 erparmen ‚anrühren‘ 82 lan (zu mhd. lâʒen): ‚ab-, nachlassen‘ 83 jnnen werden ‚inne werden, bemerken‘ 87 Mehrere Negationswörter in einem Satz heben einander nicht zwangsläufig auf (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 232). 87 kommen ‚erfahren, bekommen‘

87 niemant: Keller III (S. 340) erwägt Konjektur zu niemals

95 – Domherr und Kupplerin | 321

Nu laufft die kuppleri ̲n vnd sucht den thumherrn vnd fand sein nit pald. So spricht die fraw zu der meyd: KF 280 90

Mayt Elß, ge, sich zum fenster auß. Wo ist die alt so lang newrt auß? Des thumherrn sie villeicht nit finden kan. Die meit sicht zu fenster auß, dicit: O  fraw, sie bringt furwar ewren man!

95

100

Die fraw dicit: Waffen, das ich je ward geporn! Den mein leip han ich verlorn, Als pald er mich wirt sichtig an. Die hur hat es auff ein poßheit getan. Mein man hat jr zu lon gelt geben, Wil mich damit versuchen eben.

Gb 182v

Die meÿt:

105

110

Neyn fraw, es hat ein andern sin: Die kupplerin laufft her vnd hin Vnd hat des thumherrn nit gefunden Vnd hat sich unsers herren vnterwunden Vnd wais nit, das er ist ewr man, So hat er ewr hie kein wan Vnd kumet auch darumb nit herein. Die fraw dicit: O  meyt, das wer der wille mein, Das er kem durch einer andern willen.

89 meyd ‚Magd‘ 91 newrt: U.a. in Nürnberg belegte Formvariante zu newr: ‚nur‘, vgl. R 55, Z. 75. 92 finden: Mit Genitiv frnhd. geläufig, vgl. Z. 105. 96 Waffen: Droh- bzw. Hilferuf in der urspr. Bedeutung ‚an die Waffen!‘, später allgemein als Hilferuf bzw. Wehklage (DWb 27, Sp. 292); zum Topos der Existenzverwünschung in der europäischen Literatur vgl. Rölleke: Topos. 97 leip ‚Leben‘ 98 sichtig an: vgl. Lex II, S. 920 bzw. BMZ 3, S. 328. 100 zu lon geben ‚als Lohn geben‘ (DWb 12, Sp. 1133) 101 ‚Will mich damit ganz genau auf die Probe stellen.‘ 103 sin ‚Sinn, Grund‘ 106 sich vnterwinden: ‚sich aneignen‘; hier: ‚sich heranmachen‘ 108 wan ‚Erwartung, Verdacht‘

322 | 95 – Domherr und Kupplerin

Die meyt:

115

120

Mein fraw, gar pald tut jr jn stillen. Nw werfft den mantel von euch hin Vnd laufft gar zornicklich auff jn Mit krellen, schlahen und mit rauffen, So wil ich an die kupplerin lauffen, Der sach sie nemen keinen frumen. Die fraw:

KF 281

So schweig vnd laß sie ein her kumen! Do kumt der thumher jn gestalt der fraw man vnd get die kupplerin mit jm. So spricht die fraw: Gb 183r

125

130

Du hurn schalk, du kumst mir doch. Jch pin dir lang geschloffen noch. Du wilt sein albeg han kein wort – Tet ichß, von dir wurd ich ermort. Nu hilff mir, meÿt. es gilt sein leben! Du pist mir auff der hurereÿ hie eben. Jch wol dich reyssen, krellen vnd grymen. Peyt, wan dein hur hernach wirt kumen, So muß es euch an das leben gan. Eman dicit:

135

Mein liebes weyp, nw laß davon, Wann ich es vor nye mer getett, Das alt weyp mich sein vberrett, Vnd west nit, wer mein pul solt sein Vnd ging auff jre wort herein.

114 stillen ‚beruhigen, zum Schweigen bringen‘ 117 krellen ‚kratzen‘; vgl. Z. 129 117 schlahen ‚schlagen‘ 117 rauffen ‚an den Haaren ziehen‘ 119 frum (zu mhd. vrume): ‚Nutzen, Gewinn‘ 123 hurn schalk ‚Hurenbock‘ 124 geschloffen (zu mhd. sliefen): ‚geschlichen‘ 125 sein ‚dessen, darüber‘ 125 albeg (zu mhd. alle-wëc): ‚immer‘ 129 grymen ‚kratzen; brüllen; kneifen‘ 134 vor ‚vorher‘ 134 nye mer ‚niemals‘ 136 Zum Ausfall des Subjektpronomens vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 56–58. 136 mein pul: Das schwache Mask. pul kann sich bis ins 17. Jahrhundert sowohl auf einen Mann als auch auf eine Frau beziehen, feminines Genus bleibt insgesamt selten (Etymologisches Wörterbuch, S. 229).

95 – Domherr und Kupplerin | 323

Die weil hat die meit die kupplerin geslagen. So spricht der eman zu der kupplerin vnd greint den reymen vnd schlechtz zu letz:

140

145

Ey, du hell rigel vnd lucifer! Ey, das dein sel dein teufel wer! Der hencker dich verprennen well Vnd das der rauch riech in die hell! Dein leben aller werlt ist schad. Wie hast du mich pracht in ein pad. Jch wil dir bayde packen auff schlitzen, Vnd solt ich auff ein rad darumb sitzen.

Gb 183v

Des tumherrn knecht:

150

Hor, freunt, schlag nit die alten huren! Laß dich kein kupplerin an furen! Herr wirt, redt auch zu den sachen! Pauker, du solt ein tantz vns machen, Damit ein end vnd pald daruon, Wann wir noch weitt haben zu gan.

KF 282

Tumherrn knecht ist auß schreyer: 155

160

Herr wirt, nw gebt vns ewren segen, Nit von essens noch trinkenß wegen, Als man zu gastung laden tut, Newr das wir euch ein guten mut Mochten machen, was vnser sind hir jn. Got gesegen euch all! wir faren von hin.

138 greinen ‚schmerzverzerrt, unter Tränen sprechen‘ 138 reym ‚[Folge-]Zeile, Vers‘ 138 schlechtz ‚schlägt sie‘ 139 hell rigel ‚Teufelsweib‘ 141 verprennen: Der Tod durch das Feuer war eine im Mittelalter gängige Hinrichtungsart für vermeintliche Hexen und Sodomiten (Leder: Todesstrafe, S. 175–188). 144 einen in ein pad bringen: ‚jmdn. absichtlich in eine missliche Lage bringen‘ (FrnhdWb 2, Sp. 1664); das Bad steht in verschiedenen Wendungen als Symbol für Bedrängnis (Röhrich: Redensarten, S. 129ff.); vgl. die nhd. Wendungen baden gehen, etw. ausbaden. 145 packen auff schlitzen: Das Aufschlitzen der Backen scheint hier synonym für das häufig belegte Verbrennen der Wangen als brandmarkende Strafe u.a. für Betrüger, Ehebrecher und Kuppler zu stehen (FrnhdWb 2, Sp. 1653–1655; Helbing: Tortur, S. 58f.). 146 auff ein rad sitzen ‚gerädert werden‘ (DWb 14, Sp. 40) 149 an furen ‚[an-]leiten‘ 153 Wann ‚Denn, Weil‘ 157 Als ‚Wenn‘ 157 gastung ‚festliches Gastmal‘ 158 mut ‚Gesinnung, Stimmung‘ 159 sind: Nebenform zu sin ‚Ansinnen, Absicht‘

148 e über hurn nachgetragen

324 | 95 – Domherr und Kupplerin

Kommentar Bezeugung Gb, Bl. 180r–183v

Ausgaben Keller: Fastnachtspiele I, S. 277–282 (= Nr. 37, nach G); Bd. III, S. 1493; Bd. IV, S. 340.

Textkritik Das Spiel ist unikal in Handschrift G überliefert.

Autor Obwohl das Spiel mehrfach Hans Folz zugeschrieben wurde, lässt sich dies nicht mit letzter Gewissheit belegen. Zahlreiche stilistische Momente wie Stichreim, ebenmäßige Metrik, Teichoskopie sowie überaus rege Bühnenaktionen setzen einen bühnenerfahrenen Autor voraus und sprechen ebenso für die Verfasserschaft Folzens wie auch das Zurückgreifen auf ältere literarische Stoffe. Gleichwohl bleiben Zweifel im Falle irritierender Regieanweisungen (s.u.), die nicht dem allgemeingültigen Charakter der Folzspiele entsprechen, sondern den Text an eine konkrete Aufführungssituation angebunden erscheinen lassen. Es bleibt unklar, inwieweit hier die Hand des Schreibers oder des Verfassers maßgeblich war, die Auffälligkeiten wiegen jedoch für eine zweifelsfreie Zuschreibung zu schwer.

Datierung Terminus ante quem ist 1494, das Abschlussjahr von G.

Rollen, Inhalt, Struktur Rollen: Einschreier, möglicherweise mit dem Knecht des Domherrn identisch (Z. 154), ein Domherr, eine Kupplerin, zwei Eheleute, die Magd der Ehefrau. Der Einschreier eröffnet das Handlungsspiel und verkündet, dass ein Domherr aus dem Bamberger Stift zwecks Beglaubigung von Dokumenten in Nürnberg eingetroffen sei. Dieser begegnet einer Kupplerin, die ihm von einer hübschen Frau und deren Wunsch nach

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einem Schäferstündchen mit dem Domherrenzu berichten weiß. Der Kirchenmann stimmt einem Stelldichein zu, wird aber durch berufliche Aufgaben zunächst daran gehindert. Währenddessen überredet die Kupplerin eine Frau zu dem Treffen. Da der Domherr sich aber nicht mehr am vereinbarten Ort aufhält, organisiert die Kupplerin kurzerhand Ersatz und erwischt versehentlich den Ehemann der Frau. Als die Dienerin den Gatten zusammen mit der Kupplerin auf das gemeinsam bewohnte Haus zukommen sieht, befürchtet die Ehefrau das Schlimmste. Die Magd rät, den Mann des Umgangs mit leichten Mädchen anzuschuldigen. Der Plan geht auf: Der Gatte wird auf das Übelste beschimpft, die Kupplerin von der Magd geschlagen und schließlich vom Ehemann verflucht. Die Handlung des Spiels lässt sich grob gliedern in Verhandlungen zwischen dem Domherrn und der Kupplerin, den Vorgang des Siegelns, Verhandlungen zwischen der Ehefrau und der Kupplerin, Bericht der Magd sowie Beschimpfungen des Gatten durch die Ehefrau. Diese einzelnen Spielszenen sind zu großen Teilen jeweils in Stichreimen gehalten bzw. zusammengehalten, bei Szenenwechsel wird dieser ausgesetzt (vgl. Z. 43–45; 59–61; 88–90; 121–123; 137–139; 146–148; 153–155). Deutungsaspekte: Das relativ kurze Spiel weist durchaus modern anmutende, komplex durchformte dramatische Momente auf (vgl. Simon: Fastnachtsspieltradition, S. 9, 32), bleibt jedoch in Teilen unvollständig. So ist bspw. die Verwandlung des Domherrn zum Ehemann nur als Regieanweisung (Z. 60) angelegt. Ein Hinweis für das Publikum, dass es sich bei dem Mann, den die Kupplerin in Ermangelung des Domherrn aufgetan hat, um den Gatten der Frau handelt, unterbleibt. Erst in Z. 94 wird das Malheur für den Zuschauer offenbar. Eben die Anweisung in Z. 60 belegt jedoch die Absicht, dem Zuschauer diese Information frühzeitig zukommen zu lassen. Durch diese Konstellation stiege die Spannung, der in der Luft liegende Konflikt könnte länger antizipiert werden. Die genannte Regieanweisung gibt aber noch in weiterer Hinsicht Rätsel auf. Es hat den Anschein, als würde der Domherr sich als Ehemann der Frau verkleiden. Tatsächlich findet hier jedoch ein Rollenwechsel des Schauspielers statt: Er legt das Kostüm des Geistlichen, den Mantel, ab und verkörpert nun die Figur des Ehemannes (anders Simon: Fastnachtsspieltradition, S. 32). Dieser Sachverhalt wird aus dem Titel des Spiels der Handschrift G im Register deutlich, in dem explizit ein Domherr und der Ehemann der Frau als handelnde Bühnenfiguren genannt werden (Von ainer kupplerin wie sy ain fraw aim thuͦ mherren verkupplet vnd wie ir der her nit werden mag vnd wie sy der frawen iren man pringt vnd wie es jr ergieng), und auch die Vorlage (s.u.), das Märe ‚Frau Metze‘ des armen Konrad (vgl. V. 326–342) sowie die spätere Bearbeitung des Stoffs durch Jakob Ayrer (Ayrer: Dramen 4, S. 2754, Z. 22; 2755, Z. 20–31) erzählen die Geschichte mit dem tatsächlichen Ehemann weiter. Eine weitere Verständnisschwierigkeit tritt ab Z. 147 auf. Hier wendet sich des thumherrn knecht scheinbar an den Ehemann, bevor er den Wirt anspricht und einen Musikanten auffordert, zum Tanz aufzuspielen (Z. 150f.). Dazu ist die Figur innerhalb der Spielhandlung jedoch kaum befähigt. Die Erklärung hierfür liefert erst Z. 154, in der der Knecht des Domherrn als Ausschreier genannt wird. Hier wird abermals ein Rol-

326 | 95 – Domherr und Kupplerin

lenwechsel begründet, der bereits wenige Zeilen zuvor stattgefunden hat. Der Text scheint in seiner vorliegenden Form auf eine konkrete Spielsituation zugeschnitten gewesen zu sein. Offensichtlich musste die Rolle des Gatten und die des Domherrn mangels geeigneter Schauspieler von ein und demselben Akteur gegeben werden. Gleiches gilt für den Knecht und den Ausschreier, deren Rollen sogar in gewisser Weise ineinander verfließen, jedoch ebenfalls auf einen einzigen Mimen reduziert sind. Im Gegensatz zu den übrigen Fastnachtspielen wird die Frau dem Mann gegenüber nicht nachrangig behandelt. Gilt gemeinhin das Recht auf außereheliche sexuelle Abwechslung ausschließlich für den Mann, wird diese Dominanzkultur im vorliegenden Spiel durchbrochen. Zwar bekennt die Ehefrau die eigene Schuld (Z. 95ff.), die Magd indes verkehrt die präsupponierte Täter-Opfer-Konstellation. Und der Mann erkennt dies an, das anderweitig allenthalben anzutreffende männliche Vorrecht wird nicht formuliert. Aufführungshinweise: Über die Regieanweisungen hinaus sind zahlreiche weitere Bühnenaktionen anzunehmen. In Z. 43 bspw. erfordert es der Verlauf der Handlung, dass die Kupplerin die Bühne verlässt, wenn dies auch nicht explizit erwähnt ist (Janota: Performanz, S. 397). Ebenfalls unerwähnt bleibt das gleichzeitige Betreten der Spielfläche durch den Knecht des Domherren und einen Boten. Nachdem der Domherr widerwillig sein Siegel vergeben hat, verlässt er mit oder kurz nach Knecht und Boten ebenfalls die Spielfläche, möglicherweise sammelt er zuvor noch die für das Siegeln benötigten Utensilien zusammen (vgl. Janota: Performanz, S. 397). Die Bühne wird nun von der Kupplerin und der Frau betreten, bevor in Z. 89 die Kupplerin wiederum davoneilt. Insbesondere in der folgenden Szene, in der die Dienerin mit Blick aus dem Fenster das Geschehen um die vergebliche Suche der Kupplerin nach Ersatz für den verloren gegangenen Domherren beschreibt und das Herannahen des Ehemanns berichtet, beweist der Verfasser Geschick. Ihm stehen in der Aufführungssituation lediglich Teile einer Bürgerstube oder eines Gasthauses zur Verfügung, nicht genügend Raum also, um die Suche der Kupplerin und das Anbändeln mit dem Ehemann tatsächlich darzustellen. Anders als in den übrigen Fastnachtspielen, wo die Spielfläche in mehrere nebeneinander positionierte mansiones unterteilt ist, scheint im vorliegenden Spiel die Bühne nacheinander verschiedene Räume repräsentiert zu haben. Die einzelnen Szenen funktionieren weniger in der tradierten Parallelität und dem Wechsel zwischen diesen Positionen als in der zeitlich abfolgenden Umwidmung des Bühnenraums. Die Rede des Einschreiers schildert die Situation des Eintreffens des Domherren an einem öffentlichen Ort. Dieser wird nicht näher lokalisiert, sondern in seiner Funktion beschrieben (vgl. Z. 9, 45ff.). Möglicherweise begeben sich die Protagonisten ein wenig an den Bühnenrand (vgl. Z. 14). In Z. 60 verlässt der Siegler die Bühne und in Z. 77 ist er noch immer außerhalb des Spielgeschehens zu verorten. Die Spielfläche ist jetzt besetzt durch die Privatsphäre der Bürgerfrau. Und so lässt sich eine weitere

95 – Domherr und Kupplerin | 327

Schwachstelle des Spiels leicht umschiffen: Die Ehefrau müsste genau genommen zur Durchführung des Stelldicheins aus dem gemeinsam mit ihrem Mann genutzten Domizil in das Haus der Kupplerin gegangen sein, wie sonst wäre der Mann ahnungslos in das Gebäude getreten? Einen Hinweis auf diese Aktion sucht man im Text jedoch vergebens, das Geschehen bietet hierfür überdies keinen Platz. In nebeneinander positionierten mansiones wäre der Mangel wesentlich deutlicher. Da in der Aufführung jedoch kaum Requisiten zur Verfügung standen, die das Haus der Eheleute als solches repräsentieren konnten und somit identifizierbar machten, fällt der Mangel in der schlichten Inszenierung kaum auf: Die Eheleute treffen an einem Ort aufeinander, der lediglich logischerweise das gemeinsame Domizil ist, der aber in der Rezeption der konkreten Szene eben nicht zwangsläufig als solcher für den Zuschauer wahrnehmbar ist. Wesentlich eleganter aber dramatisch schwerer umzusetzen wäre es gewesen, das Aufeinandertreffen in die Sphäre der Kupplerin zu verlegen. Der Domherr muss mit einem langen Mantel auf die Bühne getreten sein (vgl. Z. 60). Eine gewisse Schwierigkeit dürfte in der Kostümierung der drei durch Männer gespielten Frauenrollen liegen. Die Kupplerin weist sich mit ihrer Rede an den Domherren recht schnell als Betreiberin ihres zweifelhaften Gewerbes aus, sie wird jedoch nicht explizit dem Publikum gegenüber als solche eingeführt. Es müssen sowohl in der Verkleidung als altes weyp, denn als solches wird die Figur in Z. 31 angesprochen, wie auch in der Gestik distinktive Merkmale angelegt gewesen sein, die die Rolle für den Zuschauer auch in Abgrenzung zu den übrigen Frauenfiguren wiedererkennbar machten. Es bleibt offen, ob die beschriebene Schönheit der Ehefrau bzw. des Domherrn mit der kostümierten Person auf der Bühne übereinstimmte oder kontrastierte (vgl. Janota: Performanz, S. 388). Im Anschluss an die möglicherweise mit angedeuteten Attacken der Ehefrau gegenüber dem Gatten versehenen Auseinandersetzung verprügelt die Magd die Kupplerin, danach wird auch noch der Ehemann gegenüber der Alten handgreiflich. Derartige Prügelorgien sind im Kanon der Nürnberger Fastnachtspiele sehr beliebte Bühnenaktionen und belegen die Freude des Publikums am schlichten aber handfesten Bühnenzauber.

Textbezüge Das vorliegende Spiel ist nach dem Märe ‚Frau Metze‘ des armen Konrad (2 VL 1, Sp. 454f.) gestaltet. Die Handlung der beiden Texte ist nahezu identisch, sie wurde im vorliegenden Spiel lediglich etwas komprimiert umgesetzt. Allein am Ende weicht das Fastnachtspiel von seiner Vorlage ab. Während sich die Kupplerin in ‚Frau Metze‘ dem Streit entzieht, wird sie in der dramatischen Bearbeitung von der Dienstmagd geschlagen und vom Ehemann verflucht. Diese Varianz liegt in Tradition und Absicht der Nürnberger Fastnachtspiele, für die Prügeleien und Verwünschungen willkommene Momente der Kurzweil auf der Bühne bedeuteten. Nürnberg gehörte zum Bistum

328 | 95 – Domherr und Kupplerin

Bamberg, in dem der Bischof kraft seines Amtes in Glaubensfragen volle Jurisdiktion besaß. Als Gerichtsstand für Eheangelegenheiten findet sich Bamberg auch in R 30, Z. 4 und in R 52, Z. 12. Auseinandersetzungen unter Eheleuten, die nicht im Rahmen eines Prozesses vor Gericht verhandelt werden, finden sich in den Spielen R 55, R 72, F 83, F 84, F 101 und F 111 sowie K 56. Lediglich in F 83 geht die Gewaltausübung wie im vorliegenden Spiel primär vonseiten der Frau aus: In R 55 schlägt zunächst der Mann die Frau, und in F 84 sowie in R 72 beschimpfen sich die Eheleute gegenseitig. Männliche Gewalt gegenüber der Ehefrau wird darüber hinaus in F 86I, Z. 163–166, F 86II, Z. 160–163 und in F 102, Z. 151–159 thematisiert bzw. anempfohlen. Lediglich in F 92, Z. 91–92 klagt ein erfolgloser Buhler über die Prügel, die er von einer Frau erhalten habe. Zu Folzens Auffassungen über die Rolle der Frau innerhalb der Ehe vgl. ‚Ein Lied genannt der böse Rauch‘ und ‚Wider den bösen Rauch‘ (Folz: Meisterlieder, Nr 95 und 96). In F 90 und in F 103I/II verkleiden sich ebenfalls Figuren während des Spiels. Die im Schwank häufig verhandelte Pfaffengeilheit (vgl. Straßner: Schwank, S. 97) kann im vorliegenden Spiel aufgrund des nach wie vor ungeklärten Status des Domherrn indes nicht als konstituierend angenommen werden (vgl. Z. 1). Bearbeiter: Greil, Przybilski

96 – Hans Folz: Weibernarren vor Venus

5

10

15

KF Nr. 38

Ein fasnacht spil von pulern, den fraw Venus ein vrteil fellt

l/2 1r Ga 184r a 1r KF 283

Ein schreyer:

l/2 1v a 1v

〈P〉ox grint, ich mein, wir gen nit recht! Get einher, liben freuͤ nt, vnd secht: Dis ist nit meyer Puͤ lczans haus. Dret hintersich wider hin aus! Ich sich, das wir vnrecht sein gangen. Wir wolten etwas an han gfangen, So hot vns gleich der ritt gefuͤ rt An end, do es sich nit gepuͤ rt, Doch woͤ l wirs hinnen  fahen an: Fraw Venus, so wellet verstan, Wie die sint in ir lib erdruncken, Do von das hirn yn ist gesuncken, Dar durch sie worden sint zu thorn,

F 92, 5–10

3 Pox grint: Pox, eine seit dem 15. Jahrhundert auch als kotz oder potz auftretende Interjektion (Potz Blitz!); Entstellung des Genitivs Gottes, um dessen Namen nicht in einem Fluch zu verwenden (HdA 2, Sp. 1636–1652, Sp. 1638); das FrnhdWb vermutet bei pox bzw. bocks eine Anlehnung an den in Bocksgestalt auftretenden Teufel (FrnhdWb 4, Sp. 881f.), was hier durch die Verbindung mit grint: ‚Kopf‘ (FrnhdWb 7, Sp. 438f.) durchaus sinnvoll erscheint: ‚Bockskopf‘; vgl. Z. 85. 5 meyer Puͤ lczans: Aus der Berufsbezeichnung meyer für den obersten Verwalter bzw. Vorsteher einer Dorf- oder Gutsgemeinschaft (DRW 9, Sp. 415–419) und dem Begriff Puͤ lczan für den Milchzahn eines Fohlens zusammengesetzt; auch übertragen auf Menschen, um Unreife zu kennzeichnen (DWb 4, Sp. 512f.); vgl. auch Bauer Fülizan in Heinrich Wittenweilers ‚Der Ring‘ (Arndt: Personennamen, S. 80). 6 hintersich ‚zurück, rückwärts‘ 9 ritt (zu mhd. rit): ‚Ritt, Fahrt‘ 10 end ‚Ort‘ 11 hinnen ‚hier drinnen‘ 11 anfahen (zu mhd. ane vâhen): ‚anfangen‘

1 Ein fasnacht spil von pulern, den fraw Venus ein vrteil fellt] Ein fasnachtspil von den die sich die weiber nerrn lossen Hans Folcz barbirer l/2, G, a; im Register G: Von denen die sich die weyber nerren lassen; das Titelblatt trägt einen Holzschnitt, auf dem fünf Narren eine Frau umwerben 2 Der einschreyer spricht G; Ein schreyer] Ein außschreyer a 3 Pox] Ox a 4 einher] einer a 5 Dis] Es G 5 meyer Puͤ lczans] meiner bulschafft a 8 etwas] otweß a 11 wirs] mirs a

330 | 96 – Hans Folz: Weibernarren vor Venus

Dar vm sie tragen esels orn, Gauches federn vnd narren kapen, Alls ir sie all do vm secht trapen. Der erst narr: 20

25

Ach libe fraw, was moͤ cht das schaden? Ich det mich eins zu eyner laden, Die mich ir tag nie hat erkent. Do sie mir nit auff hupfft behent, Alls wer sie stet an mir gehangen, Wolt mich ir gleich nicht mer gelangen. Sol ich ein narr geschaczt drum werden, So fint man ir ye vil auff erden.

Ga 184v KF 284 l/2 2r a 2r

Der ander thor: 30

So tuͤ nck ich mich so stolcz vnd frey, Alls ob mir keyne gut gnung sey, Vnd wan ich eyne ploß laß gruͤ ssen, Meint ich, sie solt mit hend vnd fuͤ ssen Dar noch selbs vm mich lossen werben. Des schneit mich gleich auch an die kerben!

16 esels oren: Die eselsorn an den Narrenkappen entwickelten sich Mitte des 14. Jahrhunderts zum einen aus den Zipfeln, die eine Narrenkappe als solche auswiesen (Z. 17); zudem könnte die schon im 13. Jahrhundert auftretende Metapher vom eselsohrigen Dummkopf Einfluss auf die Gestaltung der Narrenkappen genommen haben, immerhin symbolisierte der Esel neben Dummheit, Lächerlichkeit und Trägheit auch Lüsternheit (Mezger: Narrenidee, S. 239–243). Vor allem in bildlichen Darstellungen ist er Bestandteil des Hofgesindes der Venus (Hanckel: Narrendarstellungen, S. 194). 17 Gauches federn (zu mhd. gouch): Kuckuck; Kuckucks- und andere Vogelfedern wurden als Schmuck an den Spitzhauben der Fastnachtskostüme befestigt (Sumberg: Schembart Carnival, S. 78); zur speziellen Symbolik des Gauches bzw. Kuckucks vgl. Kommentar zu Z. 93. 17 narren kapen: Die narrenkappe, auch gugel (zu mlat. cucullus, cuculla ‚Kapuze‘) genannt, leitet sich von der Kleidung der so genannten natürlichen Narren, der Schwachsinnigen, her. Zwecks Unterscheidung von der in der mittelalterlichen Mode ebenfalls verbreiteten kapuzenartigen Kopfbedeckung stattete man Narren mit einer auffallend geschnittenen Gugel aus, z.B. mit einem übertrieben langen oder gleich mehreren Kapuzenzipfeln, die die Träger als psychisch erkrankt auswiesen (Mezger: Narrenidee, S. 237f.). 18 trapen ‚trampeln‘ 21 eins ‚einmal‘ 22 mich ... nie hat erkent: Bedeutung unklar, entweder erkennen in der Bedeutung ‚beschlafen‘ oder ‚zur Kenntnis nehmen, beachten‘; aufgrund Z. 105–106 erscheint die zweite Variante sinnvoller. 23 auffhupffen ‚sexuell begehrend entgegenstürmen‘ 25 ‚Gelüstete es mich gleich nicht mehr nach ihr.‘ 31 laß gruͤ ssen: lassen ist hier und in Z. 33 als verblasstes Hilfsverb aufzufassen. 34 ‚Schneide mir das auch auf das Kerbholz!‘

18 nach sy ist do (?) durchgestrichen G 30 gnung] gnuog G

33 Dar noch] Darnach G, a

96 – Hans Folz: Weibernarren vor Venus | 331

35

40

Der drit esel: O Venus, aller lib ein hort, Wan mir ein gipt ein freuͤ ntlich wort, Das ir denoch nit ist vms hercz, Das pflanczt in mir suͤ lch freid vnd schercz, Das ich geswuͤ r, sie het mich hollt. Hab ich dar mit mein wicz verzollt, So sint ir freylich noch gar vil, Die hoͤ rn zu disem naren spil.

Ga 185r

Der fird lap: 45

50

Venus, ich pin von mancher wegen Ein nacht auff eym laden gelegen, Des gleich gesessen vnd erfrorn Vnd het alweg ein eyt gesworn: Ir sollt traumen, das ich es wer, Vnd wart mir danoch drum nit mer Dan ye ein seich scherb an mein kopf. Pleib ich nit pillich auch ein tropf?

l/2 2v a 2v

38 ‚Auch wenn es nicht von Herzen kommt,‘ 39 freid ‚Freude‘ 39 schercz ‚Fröhlichkeit‘ 40 hollt ‚hold, liebreizend‘ 41 ‚Wenn ich damit meinen gesunden Menschenverstand abgegeben habe,‘ 43 hoͤ rn ‚gehören‘ 44 lap ‚Depp‘; vgl. Z. 121 46 laden ‚Fensterbrett‘ 47 Des gleich ‚Ebenso‘ 48 alweg ‚immer‘ 49 Ir sollt traumen ‚Es sollte ihr träumen‘; Konstruktion mit Dat. seinerzeit üblich (DWb 21, Sp. 1479); vgl. Z. 111. 51 seich scherb ‚Nachttopf‘ 52 pillich ‚mit Recht‘

332 | 96 – Hans Folz: Weibernarren vor Venus

Der fuͤ nff〈t〉 ginoͤ ffel:

55

60

O fraw, was fechtes vnd was ringen, Rennes, steches, danczen, springen, Trumeten, pfeiffen, lauten schlagen, Der kirwey kauffen, singen, sagen; Ich hab vm ein geuͤ bet stet, Die eynen an einr zehen het Vil liber dan mich gancz vnd gar. Schluͤ g einr mirs fuͤ r ein weisheyt dar, So swuͤ r ich selbs, er spotet mein. Wie moͤ cht ein groͤ ßer narr gesein?

KF 285

Ga 185v

53 ginoͤ ffel: Aus gienen ‚den Mund aufsperren‘ (DWb 7, Sp. 7349–7352) und wolf (Arndt: Personennamen, S. 65) oder als Anlehnung an auf -olf endende Personennamen; auch Kontaminationsform von ginaffe und ginloffel, das wiederum auf lap (Z. 121) zurückgeht, denkbar (DWb 7, Sp. 7353f.). 54 fechtes: ‚Kämpfen, Raufen‘; wie auch Rennes, steches in der Folgezeile offenbar nasallose Variante des Gerundiums zu fechten bzw. rennen, stechen, vgl. auch F 98, Z. 26. 55 steches: Möglich sind mehrere Wettkampfdisziplinen des späten Mittelalters: Das Fischerstechen, bei dem zwei Gegner sich gegenseitig mit Stäben von Booten ins Wasser zu stoßen versuchen, das Lanzenstechen im Rahmen eines Zweikampfs zu Pferd oder das Ringstechen, bei dem mit einer Lanze im Ritt ein Ring aufgenommen werden muss. Die ritterlichen Disziplinen erscheinen allerdings eher unwahrscheinlich; zwar hatte das Bürgertum im ausgehenden Mittelalter diese Form des adeligen Zeitvertreibs teilweise adaptiert, wie etwa das Nürnberger Gesellenstechen von 1446 belegt, aber es handelte sich bei den Teilnehmern schon aus finanziellen Gründen um Patrizier und nicht um das niedere Bürgertum oder Bauern, die üblicherweise Folzens Protagonisten stellen (DWb 17, Sp. 1231–1233; Zotz: Adel, S. 484–491). 56 Trumeten ‚Trompeten‘ 57 Der kirwey kauffen ‚Kaufen von Jahrmarktsgeschenken‘ 58 vm ein ‚wegen einer [Frau]‘ 59–60 ‚Die von einem eine Zehe Viel lieber hat als mich ganz und gar‘; andere Möglichkeiten: zehe zu zeche in der Bedeutung ‚Gemeinschaft, Kreis‘, wobei an einer zechen sitzen: ‚sprechen‘ häufig belegt ist (DWb 31, Sp. 422–426); .[in eine] zechen bedeutet ‚[mit einer Frau] schlafen‘ und tritt in den Fastnachtspielen mehrfach auf (DWb 31, Sp. 435). Als Frau Venus am Endes des Spiels die Sünden der Buhler nochmals aufzählt, verwendet sie beim fünften je nach Überlieferungsträger die Zahl 10 bzw. 20 (Z. 114), was als Wortspiel zu verstehen ist. In Folzens Originaldruck l/2 steht an dieser Stelle defekt x r, was darauf hindeuten könnte, dass ein weiteres intendiertes Wortspiel durch einen Druckfehler zunichte gemacht wurde, das die späteren Überlieferungen zu rekonstruieren versuchten.

53 fuͤ nfft] fuͤ nff l/2, funff a 53 ginoͤ ffel] ginloͤ ffel a 54 fechtes] fechtenß G, fechteß a 55 Rennes] Renneß G, a 55 steches] stechenß G, stecheß a 56 Trumeten] Trumenten a 57 kirwey] kirmeß a 61 vor Schlueg durchgestrichen: Schlueg G 63 groͤ ßer] grosserer G

96 – Hans Folz: Weibernarren vor Venus | 333

Der sechst diltap: 65

70

75

80

So zillt mir ein eins [s]nachts zu ir, So ich ir fuͤ r der thuͤ r hofir, Sas im fenster ein weisse kacz. Auch hort ich manchen kuß vnd smacz Von eim, der pey ir lag am pet. Dar durch ich dan gesworn het, Sie trib gen mir suͤ lch weis vnd art, Vnd ee das ich recht innen wart, Der kaczen smaczt, ich stet hin wider Vnd pleib ein nar seyt imer sider.

l/2 3r a 3r

Der sybent akertrap: Fraw, so hab ich vm einer gunst Pfert, harnasch vnd auch anders sunst Alls gar verzert vnd worden an. Sech sie mich icz im pranger stan, Sie sollt die erst sein, die mein spot. Ob man mich fuͤ r ein narn seyt hot, So han ich es ye wol verschult. Ich hab nit fast ins haus gepult.

Ga 186r

64 diltap: ‚Geistig oder körperlich unbeholfener Mensch‘; als Schimpfwort regional bis in die Gegenwart bekannt; Zweitglied von tappen, Erstglied etymologisch unsicher (DWb Neubearbeitung 6, Sp. 1075). 65 ‚So bestellte mich eine [Frau] eines Nachts zu sich,‘ 66 hofieren ‚den Hof machen‘ 67 Eine im Fenster sitzende weiße Katze mit erotischer Konnotation findet man auch in dem Bild ‚Mädchen bindet Vergissmeinnicht-Strauß‘ von Hans Suess von 1510 (Jones: middle ages, Abb. 20). 71 ‚Sie würde sich mir gegenüber auf diese Art und Weise benehmen,‘ 72 ee ‚bevor‘ 72 innen ‚gewahr‘ 74 sider ‚seither‘ 75 akertrap: Aus frnhd. acker: ‚Acker, Feld‘ und trapp: ‚Trampel, schwerfälliger Mensch‘ zusammengesetzt in der Bedeutung ‚Bauerntrampel‘ (DWb Neubearbeitung 1, Sp. 1441). 76 vm einer gunst ‚wegen der Gunst, für die Gunst einer [Frau]‘ 77 harnasch ‚Rüstung‘ 78 verzeren ‚aufbrauchen‘ 78 werden an ‚loswerden‘ 83 nit fast ‚kaum‘ 83 haus: Das Wort kann sich in der fastnachtspieltypischen Metaphorik auf das Schlafgemach sowie auf die Vagina beziehen (vgl. Kratz: Wortschatz, S. 53).

65 nachts] snahcts l/2, snachts G, natheß a 67 im] in dem G

76 vm] von a 79 mich] mir a

334 | 96 – Hans Folz: Weibernarren vor Venus

Der 〈achtet〉 diltap: 85

90

Pox swicz, mir gab eins eyne ler, Dar pey ich kent, das sie es wer: Der prun, der vor irm haus tett stan, Solt ich ein nacht stet schoͤ pfen an, Dar mit der dester freyer ret, Den sie die selb nacht pey ir het. Kunt die nit auch wol esel machen, So muß sein hallt der teuͤ fel lachen.

KF 286

Der neuͤ nt gauch:

95

100

Fraw, ich wird drum ein narr geschaczt, Vm das mein maul so vil geswaczt Vnd dar zu ymer offen stet. Wer fuͤ r mich auff vnd nider get, Der sicht mich an, guczt mir hinein Vnd wurff mir gern ein keuͤ dreck drein. So wuͤ rd ich doch zu samen peyssen, Solt ich ymer die zen bescheyssen.

l/2 3v a 3v

F 92, 131–138

Ga 186v

Fraw Venus:

105

Zu schaczen yden suͤ nder par, So nemet meyner vrteil war: Der erst zu lib ym noͤ ten meint,

85 Pox swicz ‚Potz Schweiß‘ 87–88 Das im Nominativus pendens vorausgestellte der prun wird im Hauptsatz, in dem ihm ein Dativ zukäme (an dem), nicht wieder aufgegriffen. 91 wol ‚gut‘ 92 ‚Darüber muss wahrhaft der Teufel lachen.‘ 93 gauch: Das von guck = gouch (guckgkguck = Kuckuck) abgeleitete Wort bezeichnete die ihrer Leidenschaft zum Opfer gefallenen Liebesnarren. Deren Buhlen wurde als Inbegriff närrischen Verhaltens angesehen, Gauch und Narr wurden frühzeitig synonym verwendet (vgl. Malke: Narren, S. 35). Zudem wurde der Kuckuck als Narr und Prahler betrachtet, da er scheinbar unbeirrbar nur seinen eigenen Namen ruft (vgl. TPMA, Kuckuck, 1). Der Kuckuck ist insbesondere auf bildlichen Darstellungen häufig Begleiter der Göttin Venus (vgl. Hanckel: Narrendarstellungen, S. 194). 97 fuͤ r mich ‚vor mir‘ 98 guczen ‚glotzen‘ 101 ‚Wenn ich mir je die Zähne beschmieren würde.‘ 103 suͤ nder par ‚einzeln, für sich‘ 105–106 ‚Der Erste meint, sich derjenigen zur Liebe aufdrängen zu müssen, Der er sich zuvor nie erklärt hat.‘

84 achtet: fehlt l/2, a 84 diltap] gugg G 87 prun] porn a 90 nacht] nach a 92 muß] in G übergeschriebenes o gestrichen 101 ich] ich halt G 102 Venuß] Venuß spricht G 103 par] dar a 104 nemet] nement G, a

96 – Hans Folz: Weibernarren vor Venus | 335

110

115

120

Der er sich vor nie hat bescheint. Der ander kein weibs pild auff erden Wil pitten, suͤ nder peten werden. Der drit nuͤ r vm ein freuͤ ntlichs wort Sich schaczt eins weibes hoͤ chster hort. Der fird meint, es sol traumen der, Die er vor andern libet mer. Der fuͤ nfft zu puln eyne nit lot, Die ein sunst zehen mol liber hot. Der sechst ein weisse kaczen wild Schatzt ein geschleyercz weibes pild. So rolt an einr keten der acht, Das  zwey dest pas haben irn pracht. Der neuͤ nd swaczt mer dan ander zehen, Alls hab man nie kein narn mer gsehen. Dar vm, Lap, Goͤ cz, Loͤ ffel vnd Drol, Maulfranck, Haunolt, Schlauraff vnd Knol, Molcken pauch vnd wer ir seyt, Seyt mit euͤ r pulschafft vort vngheyt.

l/2 4r a 4r Ga 187r KF 287

113 ‚Der Fünfte hört nicht auf, um eine zu werben,‘ 114 sust ‚sonstiger, anderer‘ 115–118 Auf die Nennung des sechsten Narren folgt direkt der achte. Diese Auslassung fällt in den Drucken mit einem Seitenwechsel zusammen. Da l/2 als Vorlage für die beiden anderen Überlieferungsträger diente, kann angenommen werden, dass die Auslassung dort ein Versehen war oder aus typographischen Gründen erfolgte und in G und a übernommen wurde. 118 pracht ‚Lärm‘ 121 Goͤ cz: Neben dem Auftreten als regulärer Vorname auch als Schimpfwort mit Bedeutung ‚Dummkopf‘ (FrnhdWb 7, Sp. 225f.). 121 Loͤ ffel: Variante zu laffe, einer Nebenform von lap: ‚Narr‘ (FrnhdWb 9, Sp. 603f.). 121 Drol: ‚plumper, ungeschlachter Mensch‘; häufig in Bezug auf Bauern verwendet (Arndt: Personennamen, S. 69; DWb 22, Sp. 798f.). 122 Maulfranck: ‚Prahler, Aufschneider‘ (Arndt: Personennamen, S.66) 122 Haunolt: Entweder zu dem germanischen Personennamen Hunolt (Arndt: Personennamen, S. 49) oder Anspielung auf hauen mit der frnhd. Bedeutung ‚ernten, Holz hauen‘ als Verweis auf bäuerliches Milieu, zweites Namensglied vom Namensbestandteil -old. 122 Schlauraff: Geht auf mhd. slûraffe zurück, Erstglied von mhd. slûr: ‚Faulenzen; faule Person‘ (Arndt: Personennamen, S. 67; DWb 15, Sp. 493ff.); Schlauraff entwickelte sich zum nhd. Schlaraffe weiter (Richter: Schlaraffenland, S. 14f.). 122 Knol: In Übertragung der eigentlichen Bedeutung ‚Knolle‘ auf einen Menschen als ‚plumper, ungeschlachter Kerl‘ wird dessen Derbheit verdeutlicht (Arndt: Personennamen, S. 70). 123 Molcken pauch: Anspielung auf die den Fastnachtspielen zufolge beliebteste Nahrung der Bauern, wobei molcken sämtliche Milchprodukte meinen kann (Arndt: Personennamen, S. 75). 124 ‚Lasst von eurer Liebschaft ab jetzt die Finger.‘

111 traumen] tramen G, a 114 Die] Dem G 114 zehen] x r l/2, zwaintzg G 115 sechst] vi l/2 116 in geschlayertz gestrichen: ertz, dahinter wiederholt: ertz G 116 weibes fehlt a 118 dest] dester a 120 vor gsehen gestrichen: gsch G 124 vort] vor G

336 | 96 – Hans Folz: Weibernarren vor Venus

125

Vnd pit euͤ ch voln zu wuͤ nschen heyl, Das ior zu zihen am narn seyl. Auß schreyer:

130

135

Pox grint, Els, war wilt mit dem narn? Span sie vns all in eynen karn Vnd loß dan mich vnd dich drauff siczen. Was soln sie sunst, die goͤ gel friczen, Dan das sie vnß den tag vm loͤ rn? Libe, folg, du wirst wunder hoͤ rn: Wie vnser yder man wirt  lachen. Wir weln ein narn oder tausent machen, Ee wir noch leng vnd uͤ ber zwer Farn in den gassen hin vnd her; Dar mit so wirt der narn dest mer, Also spricht Hans Folcz, barwirer.

Ga 187v

125 ‚Und [ich] bitte euch samt und sonders um euerer Gesundheit willen,‘ 126 ior ‚Jahr‘ 126 zu zihen am narn seyl: Ursprünglich das Seil, an dem ein Narr geführt wird (hergeleitet vom Seil, an dem ein Geisteskranker angebunden war), wurde das narn seyl im Frnhd. in zahlreichen Redewendungen gebraucht. Eynen am narn seyl füren meint ‚ihn zum Narren halten‘, umgekehrt bedeutet am narn seyl zihen ‚sich wie ein Narr gebärden‘ (DWb 13, Sp. 379f.). 128 Els: Els wurde zunächst als Druckfehler aufgefasst und zu Es konjiziert. Keller setzt Els als Eigenname an, der Bezug an dieser Stelle ist zunächst jedoch unklar. Arndt führt Else als Personennamen (Arndt: Personnennamen, S. 54), allerdings fehlt die vorliegende Stelle dort. Es fällt auf, dass der Nachdruck els war zu elß wu ändert, während sich der Schreiber von G beim l verschreibt, er setzt zu einem runden s an, das er zu einem l verbessert. Es scheinen also auch bei den anderen Überlieferungen Unsicherheiten bestanden zu haben. Am wahrscheinlichsten ist Els als allgemeine Anrede an eine Frau zu deuten, im vorliegenden Fall eben Frau Venus. Der Name Else wurde gemeinhin zur Benennung für eine bäuerliche Frau gebraucht bzw. in der Bedeutung ‚Xanthippe‘ verwendet. Aus dem 16. Jahrhundert ist ein Fastnachtspiel von Peter Probst mit dem Titel ‚Ein vasnacht spil von einer bauren heirat mit der pösen Elsen‘ überliefert (Kreisler: Probst, S. 75ff.) und Henisch führt 1616 die Redensarten Wehre liebe Else wehre / das wir reich werden / brichstu kruͤ g / so brich ich toͤ pffen in Bezug auf ein zankendes Ehepaar und Wie Henne vnd Else tantzen in Bezug auf einen bäuerlichen Reigen und ungünstiges Liebesinteresse auf (Henisch: Sprach, Sp. 873). 128 war wilt mit den narn? ‚wohin willst du mit den Narren?‘ 131 goͤ gel fricz ‚Hanswurst‘ 132 Dan das ‚Außer dass‘ 132 vm loͤ rn ‚herumkarren‘ 133 Libe: Anrede an Frau Venus 136 noch leng ‚der Länge nach‘ 136 uͤ ber zwer ‚über die Quere hin‘

127 Auß] Anß l/2 127 Außschreyer] Der Außschreier spricht G, Der außschreyer a 128 in Els wurde das l aus s verbessert G; els war] elß wu a 131 goͤ gel] guͤ gel a 135 tausent] tansent l/2 136 noch] nauch G 137 den] der a 138 dest] dester a 139 Also spricht Hans Folcz barwirer] Daß spil ist auß, ain andreß her! G; in G folgen durch eine Leerzeile abgesetzt noch drei unterstrichene Zeilen: Lieb ist laideß anfang, / Laid ist liebeß ausgang. / Finis 139 barwirer] carbirer a

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Kommentar Bezeugung l/2, Bl. 1r–4r; Ga, Bl. 184r–187v; a, Bl. 1r–4r

Ausgaben Keller: Fastnachtspiele I, S. 283–287 (= Nr. 38, nach G); Bd. III, S. 1493; Bd. IV, S. 340. Goedeke: Deutsche Dichtung, S. 981–982 (l/2); Spriewald: Folz-Auswahl, S. 38–41 (l/2).

Textkritik Der Text ist in zwei Drucken und der Handschrift G überliefert, wobei die Edition dem ältesten Druck l/2 folgt, der um 1485 wahrscheinlich in Hans Folzens Offizin entstanden ist, die ausschließlich seine eigenen Werke druckte. Der Nachdruck a wurde ca. zehn Jahre später von Peter Wagner angefertigt, die Handschrift G wird auf vor 1494 datiert. Sowohl a als auch G übernehmen den Fehler der vertauschten Titelblätter bzw. Überschriften sowie die Auslassung des siebten Narren in der Rede der Frau Venus aus dem ersten Druck. Die Titelblätter der Erstdrucke der Spiele F 96 und F 98 wurden offensichtlich nicht korrekt arrangiert. So zeigen l/1, ebenfalls um 1485 auf Folzens Druckerpresse entstanden, und l/2 den gleichen Holzschnitt mit fünf Narren, die eine Frau umwerben. In F 98 tritt Frau Venus jedoch gar nicht auf, es handelt sich um eine reine Narrenrevue. Der Titel des Drucks, der ebenfalls die Figur der Frau Venus führt, wie auch die Abbildung passen nicht zum Inhalt des Spiels. In dem in der Neuedition vorgenommenen Austausch der Spieltitel wird zumindest der Fehler der falschen Benennung behoben. Die Handschrift und a können somit sicher als sekundäre Überlieferung angesehen werden (vgl. Kiepe: Priameldichtung, S. 201ff.; Rautenberg: Werk, S. 10f., 38).

Autor Autor ist der Drucker der Erstüberlieferung (s.o.), Hans Folz, der in beiden Drucken l/2 und a explizit als Verfasser genannt wird.

Datierung Terminus ante quem ist 1485 (s.o.).

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Rollen, Inhalt, Struktur Rollen: Einschreier, neun Narren, Frau Venus, Ausschreier, möglicherweise mit dem Einschreier identisch. Das Spiel gehört zur Gruppe der Reihenspiele bzw. Narrenrevuen. Der Reigen der Liebesnarren wird von der in Z. 12 eingeführten Frau Venus zusammengehalten, der die erfolglosen Liebhaber ihr Leid klagen, um abschließend von ihr gerichtet zu werden. Mit Ausnahme des abschließenden Resümees von Frau Venus (Z. 102ff.) sind die einzelnen Reden voneinander unabhängig, beziehen sich nicht aufeinander und könnten problemlos in ihrer Reihenfolge vertauscht werden. Sechs dieser Reden richten sich vage an Frau Venus. Es wäre auch möglich, einzelne Redepartien ersatzlos zu streichen, ohne dass das Spiel dadurch in seinem Aufbau angegriffen würde. Die einzelnen Figuren befinden sich ebenso in relativer Anonymität, Rollennamen fehlen, die jeweiligen Sprecher werden als Der erst narr (Z. 19) oder Der sybent akertrap (Z. 75) durchnummeriert. Erst Frau Venus nennt am Ende die Namen der Figuren und auch dies nur als wahllose Reihung, sodass unklar bleibt, welcher Name welcher Rede zuzuordnen ist (Glier: Personifikationen, S. 577). Deutungsaspekte: Die Personifikation der Liebe als Frau Venus stellt kein Novum dar. In der mittelalterlichen Literatur repräsentiert (Frau) Venus die am häufigsten auftretende Gottheit des antiken Pantheons. Sie entspricht in Teilen Frau Minne, teilweise verkörpert sie tatsächlich die antike Gottheit, dies vor allem in mittelalterlichen Bearbeitungen antiker Stoffe. „Die Übergänge von dem Begriff ‚Minne’ zur Personifikation ‚Frau Minne’ und zur mythologischen Gestalt ‚V[enus]’ verlaufen dabei fließend“ (Lexikon der antiken Gestalten, S. 657). In der Figur der Frau Venus wird neben der hohen, höfisch idealen Minne gleichzeitig Sinnlichkeit, Fleischlichkeit und Sündhaftigkeit der Liebe versinnbildlicht. Venus ist Verführerin und macht Männer zu Minnesklaven, dies geschieht im vorliegenden Spiel auf metaphorischer und realer Ebene, wie weiter unten noch ausführlicher gezeigt wird. Insofern verwundert es nicht, dass in den mehr oder minder explizit obszönen Zoten der Fastnachtspiele nie Frau Minne, sondern nur Frau Venus auftritt, ihre Ambivalenz macht sie in besonderem Maß für das Spiel mit dem theamtisierten Tabubruch geeignet (Glier: Personifikationen, S. 570f.). In der Literatur des 15. und 16. Jahrhunderts entfernt sich Venus in einem stetigen Abstieg immer weiter von der Idee der hohen Minne und wird zur Allegorie fleischlicher Lust. Sebastian Brant bezeichnet sie im ‚Narrenschiff‚ abschätzig als Frow Venus mit dem stroͤ wen ars oder mit dem ströwen Loch (Brant: Narrenschiff, S. 15), ein Ausdruck, der in F 92 ebenfalls vom Ausschreier gebraucht wird, als er der Gottheit ein eindeutiges Angebot macht (Z. 174ff.), und in dem Fastnachtspiel ‚Die Gouchmat‘ von Pamphilus Gengenbach betreibt Frau Venus gar ein Bordell zuͦ Basel in der Malentzgassen (Goedeke: Gengenbach, S. 151, Z. 1281). Eine andere, äußerst konkrete Repräsentation innerhalb des Spiels ist die des Narrenseils. Frau Venus verurteilt die Delinquenten in dazu, das ior zu zihen am narn seyl (Z. 126), was als Aufforderung aufgefasst werden kann, sich sprichwörtlich ein Jahr lang zum Narren zu machen. Der Ausschreier dagegen legt den Urteilsspruch gemäß

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den Fastnachtstraditionen, bei denen Narren am Seil gehalten wurden, wörtlich aus: Span sie vns all in eynen karn / Vnd loß dan mich vnd dich drauff siczen (Z. 129f.). Auf diesem Karren gibt der Ausschreier vor, mit Frau Venus durch Nürnberg fahren zu wollen. Die metaphorisch umschriebene Abhängigkeit der Narren wird hier realiter dramatisch umgesetzt. Glier vermutet sogar, dass an einem tatsächlich vorhandenen Narrenseil „der Wagen der Frau Venus durch die Gassen der Stadt (bis zum nächsten Spielort?) gezogen wurde“ (Glier: Personifikationen, S. 579). Stimmt diese Vermutung, so würde das Fastnachtspiel an dieser Stelle mit der Tradition der karnevalistischen Umzugswagen bzw. der Höllen, um im Vokabular des Nürnberger Schembartlaufs zu bleiben, verschmelzen. Und beim Schembartlauf des Jahres 1518 fuhr tatsächlich eine Hölle durch Nürnberg, auf der Frau Venus mit Hofgesinde zu sehen war (Sumberg: Schembart Carnival, S. 164–169). Eine bildliche Darstellung von Frau Venus mit dem Narrenseil findet sich auch in einem Holzschnitt zu Sebastian Brants ‚Narrenschiff‘ von 1494 (vgl. Hinz: Venus, S. 41, Abb. 10), wobei ein Kupferstich um 1462 die älteste bekannte Abbildung dieses Sujets ist (Hanckel: Narrendarstellungen, S. 193–196). In jedem Fall zeigt diese dramatische Umsetzung einer Redensart die auch im spätmittelalterlichen Fastnachtspiel noch anzutreffende Macht bildlicher Realisierungen, die eben nicht mit neuzeitlicher Metaphorik verwechselt werden dürfen. Aufführungshinweise: Die Mimen müssen als Narren mit Eselsohren, Federn und Narrenkappen verkleidet gedacht werden (vgl. Z. 16–17). Sie waren möglicherweise auf einer Seite der Bühne, Frau Venus ihnen gegenüber auf der anderen platziert. So erfordert zum einen die persönliche Ansprache der Narren in Z. 1, 3–5, 7 und 9 an die Liebesgöttin die Möglichkeit zum wechselseitigen Blickkontakt. Ebenso unmittelbar wendet sich Frau Venus ihrerseits in ihrer Rede am Ende des Spiels an die Narren. Gleichzeitig betonen die Minnesklaven den eigenen Gruppencharakter. Die einzelnen Rollen reihen sich explizit in die Schar der Narren ein oder beschreiben sich selbst mit ir ye vil (Z. 27, 42) als deren Teil und treten somit als geschlossene Einheit auf. Frau Venus ist aufgrund Z. 23 in F 92 eventuell mit Pfeil und Bogen ausgestattet zu denken (vgl. auch Herrmann: Forschungen, S. 117). Zu Beginn des Spiels bedeutet der Einschreier seiner Rotte gegenüber, nicht den richtigen Weg gegangen zu sein und fordert sie auf, den Spielort wieder zu verlassen. In Z. 11 wiederum entschließt er sich, das Spiel dennoch beginnen zu lassen. In der folgenden Zeile wendet sich der Einschreier verbal wie auch gestisch an Frau Venus und leitet zum eigentlichen Thema des Spiels über. Es ist zu vermuten, dass die Akteure dem Einschreier folgend den Aufführungsort betraten, sich auf sein Geheiß hintersich (Z. 6) zum Gehen wandten, um im Anschluss an eine weitere Körperwendung schließlich doch am Ort zu verweilen. Auf diese Weise wird gleich zu Beginn ein für eine Narrenrevue relativ hohes Maß an Aktivität und Bewegung auf der Bühne erzeugt. In dieser Betonung der Inszenierung (vgl. auch Z. 139 in G: Das Spiel ist aus, ein andres her) wird aber Distanz zur Bühnenrealität aufgebaut. Die Akteure betreten den Bühnenraum von außen für das Publikum bewusst wahrnehmbar bzw. irren hierin, wodurch sich der Effekt verstärkt.

340 | 96 – Hans Folz: Weibernarren vor Venus

Während in den Drucken in Z. 139 jeweils Hans Folz als Sprecher des Geäußerten genannt ist, fehlt eine solche Angabe in der Handschrift. Es ist nicht mit letzter Gewissheit zu klären, ob besagte Zeile im Falle des Mitwirkens Folzens Teil der Inszenierung war. Durch den Dreireim, der außer an dieser Stelle nirgends im Spiel auftaucht, beschädigt die Anonymisierung in G den Text nicht. Es ist wie bereits erwähnt nicht möglich, die in Z. 121–123 genannten Namen einzelnen Bühnenfiguren zuzuordnen. Es erscheint also zumindest denkbar, dass Frau Venus sich an dieser Stelle nicht mehr den Narren zuwendet, sondern sich mit einer Drehung an das Publikum richtet und mit der Äußerung vnd wer ir seyt durch eine das gesamte Auditorium umfassende Geste alle Anwesenden zumindest andeutungsweise der Schar der Narren hinzufügt.

Textbezüge Parallelen bestehen insbesondere zu F 92, zahlreiche Verse aus der Rede des Einschreiers bzw. des neunten Liebesnarren entsprechen einander nahezu wörtlich. Auch das Thema der beiden Spiele – Frau Venus urteilt im Rahmen eines Reihenspiels über Liebesnarren – sowie der respektlose Umgang des Ausschreiers mit Frau Venus stimmen in weiten Teilen überein (Michels: Studien, S. 215–217). Die Grundidee wird in weiteren Fastnachtspielen aufgegriffen: In R 61 tritt eine Frau mit einem Apfel auf, die diesen demjenigen verspricht, der sich als größter Narr erweist. Auch wenn unsicher ist, ob mit dieser Figur konkret auf Frau Venus Bezug genommen wird, so weisen doch der Apfel und die Nennung der Minnesklaven der alten e (vgl. R 61, Z. 199–200), die in den mit Venus verbundenen Belegen der mittelalterlichen deutschen Literatur häufig aufgeführt werden (Moormann/Uitterhoeve: Lexikon der antiken Gestalten, S. 600f.), deutlich in diese Richtung. Die Königin auf dem Esel in R 67, die die verurteilten Männer ans Narrenseil bindet und am Narrenpflug ziehen lässt (vgl. Z. 166), erinnert nicht nur in ihrer Funktion als Richterin über Liebesnarren und durch die Symbolik des Esels (Mezger: Narrenidee, S. 242f.) an die Venus des vorliegenden Spiels, auch das Bühnenrealität gewordene Narrenseil belegt die enge Anbindung an ältere textliche Muster (vgl. Glier: Personifikationen, S. 576). Berichte, deren Inhalt sinnloses bzw. unerhörtes Liebeswerben ist, werden ferner in den Spielen R 8, R 25, R 60, F 97 und F 98 gegeben. Weitere Narrenrevuen finden sich in R 1, R 38, R 43, R 53 und R 56. Das Spiel gehört zu einer Gruppe von Fastnachtspielen, in denen Personifikationen mehr oder minder abstrakter Begriffe auftreten. Personifiziert werden in den Spielen darüber hinaus Mai und Herbst, die sieben Farben (R 46), die Liebe (vgl. F 92), sowie Fastnacht und Fastenzeit (vgl. R 10, R 11 und F 100). Die Szene, dass über dem am Fenster Wartenden Unrat ausgegossen wird, ist außer in Z. 51 noch in R 1, Z. 34, R 43, Z. 115f., in R 60, Z. 55–57, F 92, Z. 84 und in F 97, Z. 17 anzutreffen. In den späteren Fastnachtspielen ‚Die Gouchmat‘ von Pamphilus

96 – Hans Folz: Weibernarren vor Venus | 341

Gengenbach (Goedeke: Gengenbach, S. 117–152) und ‚Das hoffgsindt Veneris‘ von Hans Sachs (Keller/Goetze: Hans Sachs XIV, S. 3–11) treten ebenfalls Frau Venus und die Liebesnarren auf. Auf sie dürften die angeführten Nürnberger Fastnachtspiele einen nicht unerheblichen Einfluss gehabt haben (Glier: Personifikationen, S. 579; Michels: Studien, S. 215). Bearbeiter: Greil, Przybilski, Ritz

97 – Hans Folz: Zwölf buhlerische Bauern

KF Nr. 43

Gar ain vast spotisch[e] pauren spill, gar kurtzweyllig zu lesen, sagt yetlicher, waß jm auff der puͦ lschafft gegent ist Ga 216v KF 330

Der einschreyer:

5

10

Ga 217r

Got grues all, die wir hinnen sechen. Ir herren, eß ist ein anschlag gschechen: Welch pawr daß aubentewrischst sag, Das jm mit puͦ len begege〈n〉t sein tag, Den wirt man mit aim krantz begauben Vnd wirt darczuͦ den vortantz haben Darvmb, wer yederman still hinnen, So wert ir hübscher schwenck noch jnnen.

1 Gar ain vast spotisch pauren spill ‚Ein Bauernspiel voller Hohn und Spott‘ 1 gar kurtzweyllig zu lesen: Möglicherweise Hinweis darauf, dass es sich bei G um eine Sammelhandschrift bzw. um eine Abschrift eines Druckes zu Lektüre- und nicht zu Aufführungszwecken handelte. 1 [be-]gegenen ‚begegnen‘ 3 hinnen ‚hier drinnen‘ 4 eß ist ein anschlag gschechen ‚es wurde [ein Aushang an ein Brett] angeschlagen, es wurde bekanntgemacht‘ 7 begauben (zu mhd. begâben): ‚beschenken, zur Hochzeit ausstatten‘; die Diphthongierung au von mhd. â findet sowohl im Nürnbergischen als auch im Schwäbischen (Augsburg als Entstehungsort von G) statt (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 28); Spriewalds Konjektur ist somit zurückzuweisen (Spriewald: Folz-Auswahl, S. 237). 8 vortantz: Der Vortänzer, der hohes Ansehen genoss, hatte die Aufgabe, den Reigen anzuführen, die Umstehenden zu unterhalten und zum Tanz aufzufordern (Salmen: Tanz, S. 78f.). 10 jnnen werden ‚kundig werden, erleben‘ 10 hübscher schwenck ‚unterhaltsame Geschichte komischer Verhaltensweisen‘

1 im Register G: Gar ain spotisch pauren spill sagt yetlicher waß jm auff der puͦ llschafft begegnet ist 1 spotisch] spotische; spill über durchgestrichenem heyrat nachgetragen, Änderung der Adjektivform vermutlich vergessen (Keller: Fastnachtspiele, S. 1504) 6 begegent] begeget

344 | 97 – Hans Folz: Zwölf buhlerische Bauern

Der erst pawr:

15

20

Ir herren, jch kam einß an ain endt Vnd gab meim puͦ len zuͦ verstendt Durch ein warzeichen, daß ich eß wer, Vnd weys nit, wie sÿ vngefer Ein hafen mit dreck raus wirt schwingen, Daß mir die scherben am halß behiengen. Dan daß mir ains zuͦ guͦ t geschach: Mich jagten fier durch ainen pach, Da zabelt jch in als jn aim nuͦ sch, Pis ich mich gleich wol wider gewuͦ sch. Der ander pawr:

25

Waß gehewstu dich mit deiner puͦ lschafft an? Solstu mir auch ain halbe nacht stan Vnd auff aine an aim laden wartten, Alß ich auff meine, die vil zartten. Do stuͦ ndt ich wol pis sechß jn die nacht. Erst kam der verheÿt sack, der vngeschlacht,

Ga 217v KF 331

12 einß ‚einmal‘ 12 endt ‚Ort‘ 13 meim puͦ len: Das schwache Mask. puͦ le kann sich bis ins 17. Jahrhundert sowohl auf einen Mann als auch auf eine Frau beziehen, feminines Genus bleibt insgesamt selten (Etymologisches Wörterbuch, S. 229). 13 zuͦ verstendt: Wörtlich ‚zum Verstehen‘; das formal gekennzeichnete Gerundium tritt im Frnhd. fast ausschließlich in der Dativform mit der Präposition zu bis um das Jahr 1500 auf. Die vorliegende Form ist wohl aus Reimgründen apokopiert (Vollform: verstende), allerdings war die apokopierte Variante für das Schwäbische charakteristisch (Moser/Stopp/Besch: GrdFrnhd 4, § 81). 14 warzeichen ‚Erkennungszeichen‘ 15 vngefer ‚[scheinbar] zufällig, ohne [böse] Absicht, plötzlich‘ 16 hafen ‚Gefäß, Topf‘ 16 dreck ‚Kot, Exkremente‘ 16 schwingen ‚werfen, schleudern‘ 18 zuͦ guͦ t geschechen ‚zugutekommen‘ 20 zabeln ‚zappeln‘ 20 nuͦ sch ‚Rinne, Trog‘ 21 gleich wol ‚ganz, wie es sich gehört‘ 23 gehewstu dich an (zu mhd. hîwen): Gleichermaßen obszön wie semantisch offen können sowohl Hohn und Spott als auch die derbsten sexuell besetzten Fluchformeln gemeint sein; hier: ‚prahlst du‘ (Kratz: Wortschatz, S. 22; DWb 5, Sp. 2348); vgl. auch Z. 28, 34, 54, 63, 121, 125, 149, 182 und 187. 25 laden ‚Fensterladen‘ 27 sechß jn die nacht: Die Zeitangabe bezieht sich auf das spätestens ab 1374 bis mindestens 1804 auch in anderen süddeutschen Städten gültige System der Nürnberger Uhr. Es basierte auf einer Unterteilung in Tages- und Nachtstunden, wobei der Beginn der Abschnitte je nach Jahreszeit und dem damit verbundenen Sonnenauf- und untergang variierte, die Anzahl der Tages- bzw. Nachtstunden nahm dabei jeweils entsprechend zu bzw. ab (Bilfinger: Horen, S. 229–252). Die vorliegende Zeitangabe bringt somit keine feste Uhrzeit zum Ausdruck, durch sie wird nur die lange Wartezeit des Sprechers betont. 28 sack ‚Schlampe‘ 28 vngeschlacht ‚verdammt‘

16 wirt: Keller (S. 1504) erwägt Konjektur zu wart da dan oder das dan

18 Dan daß: Keller (S. 1504) erwägt Konjektur zu

97 – Hans Folz: Zwölf buhlerische Bauern | 345

30

35

40

Vnd sprach: mein Küntzlin, pistu do? Do sprach ich: eÿ pox leichnams willen, jo! Vnd die weÿl ich allso auff sÿ lauß, Reckt sÿ den ars zuͦ m venster raus. Do wolt ich gantz wen, eß wer der kopff, Vnd hielt mich hin zuͦ , ich verheytter dropff, Vnd meinet, sÿ kussen an den mundt, Vnd draff ir eben den hintteren spundt. Do plies sy mir ain staub vnder die augen, Daß mir kau̲m klegkt ein kübel voll laugen, Piß ich deß gschmachß ain wenig ward freÿ. Acht selb, welcher ain pesser puͦ ler seÿ!

R 7, 65–68

Der dritt pawr:

45

50

55

Schweig! ich eÿlt einß zuͦ meim puͦ len Vnd meint, mein hertz mit ir zuͦ er kuͦ len, So kumpt einr vngefar dartzuͦ Vnd fragt mich, waß ich pey der tuͦ . Jch soll – deß tewffelß nam – naher gen, Waß ich nu pey der sein hab zuͦ sten. Jch ways nit, wie ich hin wider prum Vnd auch mit wortten an jn kum, Daß er mich pey dem har er knaust Vnd rempt mir deß angesichtß mit der faust, Daß mirß maul gschwall alß ainr krotten, Vnd jn mein aller grösten nötten Stuͦ ndt die verheÿt huͦ r vnd kuttert stet, Alß der sÿ mit willen gekutzelt hett.

Ga 218r

29 Küntzlin: Koseform zu Konrad (Arndt: Personennamen, S. 47). 30 pox leichnams willen: Die seit dem 15. Jahrhundert auch als kotz oder potz in Flüchen auftretende Interjektion pox ist eine Entstellung des Genitivs Gottes. Sie entstand wohl in der Absicht, den Namen Gottes nicht in einem Fluch zu gebrauchen (HdA 2, Sp. 1638); leichnam bezeichnet hier den Leib Jesu Christi (DWb 12, Sp. 627f.); vgl. Z. 60. 31 laußen (zu mhd. lûʒen): ‚warten, lauern‘ 33 wen: (zu mhd. wænen): ‚wähnen, meinen‘; zur Möglichkeit des Flexivausfalls bei Endung des Stamms auf Nasal vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 84. 36 spundt: Wörtl. ‚Anstichöffnung eines Fasses‘; zur skatologischen Metaphorik vgl. Kratz: Wortschatz, S. 74. 38 klegken (zu mhd. klecken): ‚helfen, ausreichen‘ 39 gschmach (zu mhd. gesmac): ‚Gestank‘ 40 achten ‚erwägen, beurteilen‘ 43 er  kuͦ len ‚[Liebesfeuer] abkühlen‘ 46 naher gen ‚genauer erklären‘ 48 prumen ‚brummen, knurren‘ 49 an einen kumen ‚mit jmdm. aneinander geraten‘ 50 er knausen (zu mhd. knüsen): ‚packen, ziehen‘ 51 remen (zu mhd. ræmen): ‚zielen in, auf‘ 52 krotte ‚Kröte‘ 54 kuttern ‚kichern‘ 55 kutzeln ‚kitzeln‘

346 | 97 – Hans Folz: Zwölf buhlerische Bauern

Der fierdt pawr:

60

65

70

Auff mein sterben, du manst mich dran: Einß let ich ain karren mit meiner an. Ich wolt mich jn ir pet ÿe wagen, Samer pox leichnam, wass sol ich sagen, Ob ich zuͦ fruͦ oder zuͦ spat waß kumen? Eß hetten fier daß haws ein genomen Vnd zanckten sich vmb den verheytten sack. Do kam ich so eben auff den kirchtack, Daß sÿ deß kriegß vndter jn vergassen Vnd wurden jren zorn an mir aus lassen, Vnd firckelten mich hin vnd er wider, Ein stiegen auff, die ander nider, Piß ich über ein glender ab fill. Dan ainß ich mich drin riemen will: Het ich die tür alß pald nit funden, Ich het deß puͦ lnß hart vber wunden!

KF 332

Ga 218v

Der funfft pawr:

75

Nun höra, lieber, waß 〈m〉ir ist gschechen: Do gwan mÿr aine an ain nechen, Der ich vngfer kam an ir thür. So spricht sy: frewndt, wie schleicht ir für? Ir welt mir zuͦ hoffertig sein.

58 mit einem ain karren 57 Auff mein sterben ‚Bei meinem Leben‘ (vgl. DWb 18, Sp. 2432). anlegen: ‚mit jemandem einen heimlichen Plan schmieden‘, Herkunft unklar (DWb 11, Sp. 226f.; Röhrich: Redensarten, S. 809); let monophthongiert aus leit, dieses Kontraktion von legete (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 19, Anm. 3; § M 106, Anm. 2). 60 Samer: Aus sam mir kontrahierte Interjektion, die ursprünglich für sam mir got helfe stand (DWb 14, Sp. 1745). 64 eben ‚passend‘ 64 kirch tack: Kirchweihfest, zu dem ein Jahrmarkt veranstaltet wurde, daraus übertragen die Bedeutung ‚Aufruhr‘. 65 krieg ‚Streit‘ 65 jn: Zur Flexion des Reflexivpronomens vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 64. 67 hin vnd er wider firckeln (zu mhd. virgelen): ‚hin und her ziehen‘ 69 glender ‚Geländer‘ 70 ‚Denn eines will ich mir dabei zugutehalten:‘ 72 hart ‚kaum‘ 72 vber winden ‚überleben, überstehen‘ 74 höra: Das Rufsuffix -a verstärkt hier den Imp. Sg., im Frnhd. nur selten und vorwiegend obd., im Mhd. verbreitet (Moser/Stopp/Besch: GrdFrnhd, 1.2, § 25.1; 4, § 28 Anm. 4; vgl. auch F 88, Z. 549). 75 ‚Da kam mir eine nahe,‘ 75 nechen: frnhd. Nebenform zu nähe (DWb 13, Sp. 296). 78 hoffertig sein ‚hoffnungsvoll sein, sich Hoffnung machen auf‘

56 Der] Die: Konjektur bei Keller (S. 331) 74 mir] ir: Konjekturvorschlag bei Keller (S. 1504)

97 – Hans Folz: Zwölf buhlerische Bauern | 347

80

85

90

In dem tritt ich zuͦ ir hin ein Vnd will wen, die huͦ r ken mich gleich eben Vnd thet mir als pald anleütung geben Ein stiegen auff piß an ir pett. So pald [vnd] ich ain drit drein tätt Vnd het mein klaider abgezogen Vnd ploß vndter die deck geschmogen, So fall ich durch ab in ain stall. Do war ainr mitt aim knüttel alß pall Vnd schluͦ g mich, daß ich kam entran, Vnd streich auch, waß ich mocht, daruon Vnd muͦ st meinß geltz vnd klaider enperen. Wie mainst, kund die nit drucken scheren? Der sechst pawr:

95

100

Ach got, eß will nichtß mit eẅch sein! Ich puͦ lt einß wol ain jar vmb ein, Piß sie mir einß zilt jn ein faß, Do ein schweinßmuͦ tter mit jungen jn waß. Jch klopff dran vnd sprach: pistu do? Sich straupt die sau vnd sprach: jo, jo! Wer fröer dan jch? – vnd wandt, sy werß, Vnd daucht mir lauter kainß geferß Vnd wolt deß schimpffß bald machen endt Vnd nestelt mich vor auff behendt Vnd puckt mich vnd will zuͦ ir hinein, So rumpelt sÿ mir her zwischen die pein

Ga 219r

KF 333

80 gleich eben ‚ganz genau‘ 81 anleütung geben ‚anweisen; den Weg beschreiben‘ 83 so pald ‚sofort danach als‘ 85 ploß ‚nackt‘ 87 alß pall ‚alsbald‘ 88 kam: ‚kaum‘; aus der mhd. Nebenform koume entstandene sowohl ostfränkische (Nürnberg) als auch schwäbische Variante (DWb 11, Sp. 352f.; Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 18, Anm. 5). 89 ‚Und mich so schnell wie möglich davon machte‘ 89 streich: 1. Pers. Sg. Ind. Prät. (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 110). 91 drucken scheren: wörtl. ‚trocken scheren‘, hier: ‚einen übers Ohr hauen‘ (Röhrich: Redensarten, S. 1320). 95 einem zilen ‚jmdm. den Weg weisen, sich mit jmdm. verabreden‘ 98 sich straupen ‚sich sträuben, die Borsten aufrichten‘ 99 Wer fröer dan jch: Ellipse in der Bedeutung ‚Wer hätte froher sein können als ich?‘ 100 ‚Und war mir überhaupt keiner Gefahr bewusst‘ 101 schimpff ‚Spaß, Scherz‘ 102 auff nesteln: ‚Nesteln öffnen‘; nesteln sind Schnüre, Riemen oder Bänder, die als Gewandverschluss dienten, Knöpfe waren im Mittelalter hierzu ungebräuchlich (Kühnel: Bildwörterbuch, S. 141f., 177). 102 vor ‚vorne‘

83 ] vnd

348 | 97 – Hans Folz: Zwölf buhlerische Bauern

105

110

Vnd mit mir durch den hoff auss drat Piß jn ain aller düeffest kot. Do ich mit marter von ir kam, Den laff ich zuͦ meim haus hein nam. Dan waß darff man hie weytter fragen? Jch waß mit dreck also vberzogen, Daß ich het ab zuͦ  keren mit aim pesen. Rot, wer ist do am reisigosten gewesen? Der sibent pawr:

115

120

So, narr, waistu sunst nichtz dan daß? Jo, wer jch, do ich nechten was! Do puͦ let ich schier ain stund umb aine, Daß waß ain hübsche vnd ein raine, Deß mir daß hertz gleich nach ir echzet Alß ain hunlin, daß an der sunnen lechzett. Die pot mir jr handt gar nachet zwir, Alß sanfft waß der verheytten krotten mit mir. Mainst nit, het ich mir der weÿl genomen, Ich wolt auch einß guͦ tten sein bekomen?

Ga 219v

Der acht pawr: 125

Ach, schweig, du verheytteß göffel maul! Jo, wer ich mein tag nit gwesen so faul, Jch wolt mein neün gnuͦ ck han erpuͦ lt. Jch han wol ainr so süesß gespuͦ lt,

105 drat ‚schnell, rasch‘ 106 aller düeffest kot ‚ungeheuer tiefer Mist‘ 107 marter ‚Qual, Pein‘ 108 laff: ‚Lauf‘; bairische, ostfränkische sowie schwäbische Form (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 18, Anm. 5). 108 hein: Frnhd. Nebenform für heim im adverbialen Gebrauch (DWb 10, Sp. 855). 112 reisig: ‚kampfbereit [zum Minnekrieg], geil‘; die Realisierung des Nebensilbenvokals des Superlativs reisigosten ist eine oobd. Variante (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 53, Anm. 1). 115 nechten ‚letzte Nacht‘ 119 hunlin: ‚Hündchen; Hühnchen‘; Bedeutung unklar. Der Hund bellt den Mond und nicht die Sonne an, der Hahn und nicht das Huhn kündet den beginnenden Tag. 119 lechzen ‚hecheln‘ 120 gar nachet ‚ganz nahe‘ 120 zwir ‚zweimal‘ 121 krotte: Hier im Gegensatz zu Z. 52 als eher selten belegtes Mask. (DWb 11, Sp. 2415). 122 der weÿl (Gen.): ‚etwas Zeit‘ 123 sein: Hilfsverb zu bekomen (Part. Prät.); ohne weiteren Beleg (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 162). 125 göffel maul ‚Narrenmaul‘ 127 ‚Ich hätte neun von meiner Sorte im Buhlen zur Genüge übertroffen.‘ oder ‚Ich hätte mit neun [Frauen] ausreichend erobert.‘ 128 spuͦ len ‚säuseln, Süßholz raspeln‘

127 neün: Keller (S. 1504) erwägt Konjektur zu neur

97 – Hans Folz: Zwölf buhlerische Bauern | 349

130

135

140

145

Daß sÿ mir ein wörtlin stach in ein or. Vnd ist halt freilich noch nit ein jor – Ja, sichstuß, mein lieber hawt gesell Do het ich gen einr ain sollichß gefell, Daß ich mein, wer ich lenger da pliben, Ich wölt mich paß mit ir han zuͦ  geriben. Der neunt pawr: Ach, ir narren, wie habt ir ein riemen! Ir mochtß doch – aller teẅfel nam – verplüemen! Vnd hett irß alß guͦ tt, alß ichs gehabt han, Jch main, ir geẅt ewr lebtag daruan. Wan jch kam new lich an ain stat, Do hetten mich jr dreÿ geren gehabt. Jch lies sy aber alß vngluck han, Sÿ petten mich dan vor darvmb gar schon Vnd hetten dartzuͦ zuͦ spannen aus, Daß ich esß vnd drunck vnd lept jm saws Vnd ritt jn der stat spacieren vm. Sunst denck mir keinr, daß ich zuͦ ir kum.

KF 334

Ga 220r

Der zechent pawr: 150

Ach, du verheÿtter eselß kopff! Dir laust wol ein nar jm schopff, So du dein ruͦ meß dich nit schempst, Jo, wen du mein puͦ lschafft recht vernempst! Ich schutt hübschlich ab die aglen,

F 100, 97f.

129 stechen (zu mhd. stëchen): ‚mitteilen, sagen‘ 131 sichstuß ‚siehst du es‘ 131 hawt gesell: Wahrscheinlich soll mit der Anrede angedeutet werden, dass beide gleichermaßen in einer Narrenhaut stecken (DWb 10, Sp. 711), Bedeutung somit in etwa ‚Mitnarr‘. 132 gefell ‚Glück, Erfolg‘ 134 ‚Würde ich es besser mit ihr getrieben haben.‘ 137 verplüemen ‚schönreden‘ 139 geẅen (zu mhd. gëwen, giwen): ‚prahlen, das Maul aufreißen‘ 140 stat ‚Ort[schaft]‘ 141 jr dreÿ ‚ihrer drei‘, d.h. ‚drei Frauen‘ 142–143 ‚Ich ließ sie aber immer glücklos stehen, Es sei denn, sie hätten mich vorher ganz nett darum gebeten‘ 144 aus spannen ‚Geld ausgeben‘ 149 eselß kopff: Der Esel stand symbolisch außer für Dummheit und Trägheit insbesondere im Kontext der Narrenrevue auch für Lüsternheit (Mezger: Narrenidee, S. 239–243). 150 lausen (zu mhd. lûsen): ‚Läuse fangen, lausen‘ 151 ruͦ m ‚Prahlerei‘ 153 die aglen ab schuten: Ursprünglich Bezeichnung für die Tätigkeit, einem Mädchen in der Spinnstube die Flachsspreu von der Schürze abzuschütteln. In diesem Zusammenhang waren einvernehmliche sexuelle Handlungen in der spärlich beleuchteten Stube nicht die Ausnahme; zur sexuellen Metaphorik vgl. auch Müller: Schwert, S. 132f.

152 vor wen gestrichen: hab

350 | 97 – Hans Folz: Zwölf buhlerische Bauern

155

160

Daß ir die pein gen perg auff gaglen. Dan far ich vmher mit aim raschen Vnd wird ir zuͦ dem puͦ sen naschen, So hept sÿ ain lachen vnd kütren an Vnd weÿst mich seyberlich hindan. Wan ir ewch also zuͦ künt flicken, Eß hett all welt mit ewch zuͦ schicken. Der ailfft pawr:

165

170

175

Ach got, waß hört ir an dem ding? Hört, wie eß mir ainß malß ergieng: Gen ainer pauren maid, weyl sy malck, Da kam ich jn ain raine walck. Ich kutzelt sÿ ain weng vnter den vchssen, Do weÿs si mich zuͦ der gauggel püchssen, Vnd als wir straüchten pey der kuͦ , Schmitzt sÿ mit paiden fuessen zuͦ , Stirtzt vns die gelten vbern kopff, Daß nit drin plaib ain ainiger dropff, Vnd erschracken freilich sider, Alß gieng ain wolckenprunst der nider. Do wurden wir jm mist vmb walgen Vnd vnß jn dem küedreck bedalgen, Alß het man vnß aus ainr laimgruͦ b zogen. Deß wir vns in ein egen schmogen, Do gewan ich ir erst ain ranck an, Daß sÿ sprach: du hast mir och getan!

Ga 220v

F 94, 5–24

KF 335

R 40, 152f.; R 75, 75f.

F 100, 266f.

154 auff gaglen ‚schaukeln‘ 155 mit aim raschen ‚mit einer schnellen Bewegung‘ 157 kütren (zu mhd. kuttern oder kittern): ‚kichern‘ 158 seyberlich ‚höflich, nett‘ 158 hindan ‚hinweg; nach hinten‘ 159 zuͦ flicken ‚sich um jmds. Freundschaft bemühen, beliebt machen‘ 160 ‚Alle Welt hätte mit euch zu tun.‘ 164 weyl ‚während‘ 165 walck: ‚Walke, Walkmühle‘; Mühle, in der Stoffe vor der Weiterverarbeitung mechanisch mit Holzhämmern und -stempeln bearbeitet wurden (Weber: Mühlen, S. 110–115); hier sexuell konnotiert, vgl. Müller: Schwert, S. 136f. 166 kutzeln vnter den vchssen: Kitzeln (insbesondere in den Achselhöhlen) galt als Liebkosung mit eindeutiger Absicht, Teil des sexuellen Vorspiels (HdA 4, Sp. 1435). 167 weÿs: 3. Pers. Sg. Ind. Prät. (DWb 28, Sp. 1078) 167 gauggel püchssen: Zauberbüchse eines Gauklers oder Taschenspielers (DWb 4, Sp. 1549); zur sexuellen Metaphorik vgl. Kratz: Wortschatz, S. 65. 168 straüchen ‚[herum-]stolpern‘ 169 zuͦ  schmitzen ‚ausschlagen‘ 170 gelte ‚Milchkübel‘ 172 sider ‚daraufhin‘ 173 wolckenprunst (zu mhd. wolkenbrust): ‚Wolkenbruch‘ 174 vmb walgen ‚herumwälzen‘ 175 bedalgen ‚beschmieren‘ 176 laimgruͦ b ‚Lehmgrube‘ 177 in ein egen schmogen ‚in eine Ecke drückten‘ 178 ‚Da war ich zum ersten Mal im Vorteil,‘ 179 du hast mir och getan: Entweder zu mhd. eht, oht in der Bedeutung ‚eben, doch‘: ‚du hast mir nun doch etwas getan‘ oder zu mhd. ach in der Bedeutung ‚Weh, Unglück‘.

97 – Hans Folz: Zwölf buhlerische Bauern | 351

180

Jch wolt lang fragen, ob du schlieffst, Piß ich sach, daß du daruon lieffst. Waß gheit ir ewch mitt ewer puͦ lerey? Kum einer, dem ain söllichß begeget sey! Der zwelfft pawr:

185

190

195

200

Mych ant, daß jr sölch esel seyt Oder waß teẅffels aus eẅch speÿt. Eß gheit mich, daß ir so grob mügt sein. Jch hab ain puͦ lschafft, daß ist nit nein, Do pin ich selbß gantz her jm hawsß: Jch gee recht ein oder gee aus, So tuͦ t man alweg auff mich harren. Ich lies eẅch aber vnsinig werden, ir narren, Daß ich sy also wolt beschamen: Gept her den krantz, aller tewffel namen, Vnd fragt nit weytter mer dar no! Nun pfeiff auff, paucker, juch heÿa o! Mach vnß ain sewberlichß dentzlin behend, Wan ich hab noch sin an ein endt, Deß ewr kainr nit wirt gewar, Eß füer jn dan der tewffel dar! Einer, der die pauren vodert:

205

Ga 221r

KF 336

Nun dar, jr pauren drollen, dret her für, Dan, wan ich eẅer ein verlur, So leg einr dorff gmein so grosß dran, Daß mich der pfarrer verkünt jn pan! Dan wen ich voder mitt eim wort, Der drett schnell her auff disen ort:

185 Mych ant: ‚Ich ahne, Mir wird klar, Ich erkenne‘; reflexiver Gebrauch seinerzeit üblich oder zu mhd. anden ‚schmerzen‘ 187 Eß gheit mich ‚Es ärgert mich‘ 188 daß ist nit nein ‚das ist gewiss‘ 191 alweg ‚immer‘ 192–193 ‚Ich ließe euch doppelt närrisch werden, ihr Narren, Wenn ich sie ebenso [wie ihr] beschämen würde:‘ 196 Bis ins 16. Jahrhundert hinein wurden Tänze weitgehend von Einzelspielern oder kleinen Ensembles musikalisch begleitet. Der Vers legt nahe, dass es sich hier um einen Einzelspieler handelt, der zugleich Trommel und Einhandflöte spielt, zwei seinerzeit sehr gebräuchliche Instrumente zur Begleitung von Reigen (Salmen: Tanz, S. 100). 197 sewberlich ‚nett, hübsch‘ 198 ‚Denn ich habe noch ein Ziel im Sinn,‘ 201 vodern ‚auffordern‘ 202 pauren droll ‚Bauerntrampel‘ 203 Dan, wan ‚Denn, wenn‘

352 | 97 – Hans Folz: Zwölf buhlerische Bauern

210

215

Ruͦ dolt, Sewtutt vnd Molcken knoch, Maulfranck, Lüllarß vnd Lauß vmß loch, Lang halß, Schlot mock vnd Küestrick, Holtz pöck vnd Lüll zapff, merckett mich, Waß ich ewr genennet hab! Drett auff die seÿt vnd weich kainr ab, Dan, wan ich nit lieber ain lausß verlür Dan ewr ein, daß eẅch der teẅfel hin füer!

Ga 221v

Der ausß schreyer:

220

Jr herren, habt vnß nit vervbel: Der ain straucht newlich vber ein kubel Vnd hat daß maul zuͦ  fallen so gar, So laufft der ander herr vnd dar, Alß ob jn die amaissen peÿsen. Der dritt drappt vmb, sam well er scheÿsen, Der fierdt kan auff dem ars nit sitzen. So kan der funfft vor grossen witzen

208 Ruͦ dolt: Wohl kein sprechender Name für einen Narren, sondern regulärer Taufname eines Bauern (Arndt: Personennamen, S. 50). 208 Sewtutt: Aus Sau und frnhd. dutte: ‚Brustwarze‘ (DWb 22, Sp. 1946–1948). 208 Molcken knoch: Erstglied Anspielung auf die beliebte Nahrung der Bauern, wobei molcken sämtliche Milchprodukte meinen kann (Arndt: Personennamen, S. 75); Zweitglied im Zusammenhang damit Anspielung auf ein ärmliches Mahl oder aber spöttische Bezeichnung für einen Menschen (DWb 11, Sp. 1454–1457). 209 Maulfranck: ‚Prahler, Aufschneider‘ (Arndt: Personennamen, S. 66) 209 Lüllarß: Erstglied zu lullen: ‚saugen‘ bzw. Lulle: ‚Dummkopf‘ (DWb 12, Sp. 1287f.) 209 Lauß umß loch: Lauß als Tierbezeichnung (DWb 12, Sp. 351–353), daher insgesamt als Satzname ‚Laus ans/ums Loch‘; loch auf Anus oder Vulva bezogen (DWb 12, Sp. 1096); Arndt vermutet Anschluss an laußen (zu mhd. lûʒen): ‚lauern‘ (Arndt: Personennamen, S. 83). 210 Lang halß: Bezieht sich auf den langen Hals des Namensträgers (Arndt: Personennamen, S. 63). 210 Schlot mock: Zweitglied zu frnhd. mocke: ‚Klumpen‘ als Anspielung auf Rußablagerungen im Kamin (Arndt: Personennamen, S. 70); in Anlehnung an F 88, Z. 583ff. ist auch an eine unsaubere Gesäßpartie zu denken. 210 Küestrick: Weist auf die Arbeit des Bauern hin (Arndt: Personennamen, S. 81), strick kann jedoch auch eine Person bezeichnen, die des Strickes [des Henkers] würdig ist (DWb 19, Sp. 1572); vgl. auch das Sprichwort abgebrüt wie ein Kuestrick (BWb 2, Sp. 809). 211 Holtz pöck: Name für einen groben, unbeholfenen und störrischen Menschen (Arndt: Personennamen, S. 69; DWb 10, Sp. 1768). 211 Lüll zapff: Zu lullen: ‚saugen‘ (DWb 12, Sp. 1287f.) und Zapfen: ‚Stöpsel eines Fasses‘ (DWb 31, Sp. 258–261) in der Bedeutung ‚Säufer‘; belegt sind lüllzäpflein und zäpfleinlüller (DWb 12, Sp. 1289; 31, Sp. 266); Deutung von Arndt: Personennamen, S. 66 eher unwahrscheinlich. 219 zuͦ  fallen ‚verletzt‘ 224 vor grossen witzen ‚vor lauter Gelehrtheit‘

210 Küestrick: Keller (S. 1504) erwägt wegen des unreinen Reims Konjektur zu Küestrich

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225

230

Kau̲m wissen, waͧ er pleiben soll. Der sechst steckt pöß gespeÿß so voll, Daß jm daß maul nymer gestet. Jr yeder kan etwas, wie eß get. Solt ich dan lenger pey ewch pleyben, Jch west ewch auch ein gutten muͦ t zuͦ verdreyben. Dan got, der bewar ewch hin alß her, Spricht Hanß Foltz von Wurmß, barbierer.

F 98, 137

Est magnu〈m〉 mirum quod mulier vult regere virum etc.

225 waͧ : ‚wo‘; die Diphthongierung au von mhd. â findet sowohl im Nürnbergischen als auch im Schwäbischen statt (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 28), vgl. auch Z. 7: begauben; Spriewalds Konjektur ist somit zurückzuweisen (Spriewald: Folz-Auswahl, S. 237). 226 pöß ‚hohl, dumm‘ 226 gespeÿ ‚Geschwätz, Gerede‘ 230 ‚Wüsste ich euch ebenfalls die gute Laune zu vermiesen.‘ oder aber verdreyben in der Bedeutung ‚verkaufen, verschaffen‘. 231 hin alß her ‚in allem, alle, überall‘ 233 ‚Es ist ein großes Wunder, dass die Frau den Mann beherrschen will.‘

230 gutten: Keller (S. 1504) erwägt Konjektur zu bösen 233 magnum] magnu

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Kommentar Bezeugung Ga, Bl. 216v–221v

Ausgaben Keller: Fastnachtspiele I, S. 330–336 (= Nr. 43, nach G); Bd. III, S. 1504; Bd. IV, S. 340; Spriewald: Folz-Auswahl, S. 42–47; Thomke: Spiele, S. 45–53, S. 936f.

Textkritik Der Text ist unikal in Handschrift G überliefert.

Autor Als Autor wird am Ende des Spiels Hans Folz genannt.

Datierung Terminus ante quem ist 1494, das Abschlussjahr von Handschrift G.

Rollen, Inhalt, Struktur Rollen: Ein Einschreier, zwölf Bauern, Aufrufer, Ausschreier. Der Einschreier legt die Ausgangssituation dar: Zwölf Bauern werden aufgefordert, ihr jeweils aubentewrischst (Z. 5) Liebesabenteuer zu berichten. Die folgenden Episoden beinhalten unterschiedliche Formen amourösen Scheiterns, Prahlereien und schließlich ein Lob auf die konstant stabile Beziehung mit weiblichem Subordinationspostulat. Der letzte der Bauern fordert den Tanzschluss (Z. 201ff.), der Aufrufer benennt die Akteure mit ebenso genretypischen wie despektierlichen Namen, ordnet sie zum Abschied und der Ausschreier beendet das Bühnengeschehen. Deutungsaspekte: Die Bandbreite desaströser Ereignisse – Gewaltausübung Dritter, Zurückweisung durch das Objekt der Begierde, eigene Antriebslosigkeit – fügt sich in das aus dem Fastnachtspielkontext hinreichend bekannte Bild. Typisch für die Narrenrevue ist auch das Fehlen jeglicher Form von Bewertung oder gar Bestrafung auf der Bühne. Die Eskapaden werden ausgebreitet, ohne dass eine explizite Rückanbin-

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dung an den seinerzeit gültigen rigiden Wertekanon erfolgt. Ob dies durch dramaturgische Kunstgriffe dennoch möglich war, soll an späterer Stelle erörtert werden. Die Partien der zwölf Liebesnarren weisen untereinander kaum inhaltliche Bezüge auf, der jeweilige Redner beginnt seine Ausführung lediglich in einigen Fällen mit einer Schmähung des Vorredners. Die jeweils am Ende der Rede platzierten Ansprachen (Z. 40, 91, 112, 122f., 147, 159f., 183) beziehen sich wohl weniger auf den jeweiligen Vorredner als auf die zentrale Figur des Einschreiers, die den absurden Wettbewerb leitet. Die Abfolge der einzelnen Erzählungen ist insofern prinzipiell beliebig, als dass keinerlei thematischer Progress den Textpassagen eine fixe Position im Textganzen zuweist. Lediglich der zwölfte, der einzige Bauer, dessen Liebesleben problemlos verläuft (Z. 188–191) und der dementsprechend nicht als Narr agiert, ist sinnvollerweise am Ende positioniert. Es tritt hier die für die Narrenrevue typische lockere Reihung, der in dieser Darbietungsform wenig logisch bzw. chronologisch ausgearbeitete Aufbau zutage (vgl. auch Glier: Personifikationen, S. 577). Auffallend ist auch der stark variierende Umfang der einzelnen Reden. So weist die elfte Rede 22 (Z. 162–183), die achte lediglich zehn Verse (Z. 125–134) auf. Der Befund, dass die Anzahl der in Z. 208–211 genannten Namen (elf), die von der der tatsächlich auf der Bühne agierenden Figuren (zwölf) abweicht, ist dagegen in den übrigen Spielen ebenfalls zu konstatieren, s. u. Und schließlich legt der Umstand, dass die elfte Rede fast wörtlich auch in Spiel F 94 enthalten ist, die Vermutung nahe, dass es sich bei dem vorliegenden Text zumindest in Teilen um nicht endgültig durchgearbeitete Entwürfe handelt, die später an anderer Stelle in weiteren Spielen überarbeitet werden sollten. Aufführungshinweise: Nur elf der zwölf auftretenden Narren werden in der Rede des Aufrufers mit Namen genannt. Da dieser Befund des Öfteren in den Fastnachtspielen des Hans Folz anzutreffen ist, kann man zunächst davon ausgehen, dass in der Spielsituation die Angesprochenen trotz Benennung für den Zuschauer nicht einzeln identifizierbar werden. An ein wörtlich verstandenes Hervortreten wäre dann nicht zu denken, eher an ein kurzes Winken als Reaktion auf die Namensnennung. Eine der Bauernrollen müsste dann zweimal aufzeigen, ein größeres dramaturgisches Dilemma ergibt sich aus diesem Befund nicht zwangsläufig. Eine weitere mögliche Erklärung für die unterschiedlichen Zahlen besteht darin, dass es sich bei dem Sprecher um einen der zwölf Narren selbst handelt. Gestützt wird diese Vermutung zum einen dadurch, dass er am Ende der Namenreihe auf sich selbst verweist (merckett mich, Z. 211) und zum anderen in seiner Rede gleich zweimal den eventuellen Verlust eines der Bauern ausführt (Z. 203–205, Z. 213–215). Der hierin möglicherweise angelegte Aufführungswitz besteht also darin, dass ein Bauer sich noch während des Spielgeschehens für das Publikum sichtbar von der Bühne schleicht und mit einem neuen Kostüm (als Einer, Z. 201) auf die Bühne zurückkommt, sich selbst dann naturgemäß nicht mehr ansprechen kann und gleichzeitig den Verlust eines Mitglieds der Truppe beschwört. Man könnte dann davon ausgehen, dass mit dieser Rede die Schauspieler nach dem geforderten Tanz vor der Verabschiedung durch den Ausschreier noch

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einmal zum Applaus auf der Bühne sortiert werden und so deren endgültiger Abgang durch den Ausschreier vorbereitet wird (vgl. Catholy: Fastnachtspiel des Spätmittelalters, S. 179). Unterstellt man jedoch einen geringeren Grad an Unterhaltungsabsicht und ein höheres Maß an Belehrung, könnte schließlich der zwölfte der Bauern den elften auf der Bühne gegenübertreten: Sein systemkonformer Entwurf wird im Gegensatz zu den abenteuerlich gescheiterten nicht in die Schar der namentlich genannten und als Liebesnarren gekennzeichneten eingereiht, er verkörpert den positiven Gegenentwurf zu den triebgesteuerten drollen (Z. 202). Der Tanz, der bereits in der Rede des Einschreiers angelegt ist, bleibt eindeutig Bühnengeschehen: Er wird vom zwölften Bauern gefordert, die Bauern beziehen danach wieder Aufstellung, und mit dem Ende der Inszenierung entschuldigt der Ausschreier das Bühnenpersonal gegenüber dem Wirt für die Entgleisungen während des Tanzes (Z. 218–228). Sehr wahrscheinlich wurde der Tanz gestisch den in der Ausschreierrede thematisierten Verhaltensweisen entsprechend umgesetzt. Die ansonsten allenthalben anzutreffende Integration des Publikums unterbleibt. Keine der hier dargelegten Möglichkeiten der dramatischen Umsetzung des Stoffs lässt sich letztendlich verifizieren, nur die Auffälligkeiten der letzten beiden Reden bleiben mit Sicherheit bestehen. Und in diesen zumindest angelegten Möglichkeiten tritt der Schluss des Spiels in seinem artifizierten und reflektierten Umgang mit der Bühnenrealität und deren spielerischer Außerkraftsetzung dem etwas provisorischen Charakter des Hauptteils in qualitativer Hinsicht entgegen. Das kurze Aufgreifen bzw. Herabwürdigen der Worte des vorhergehenden Redners lässt vermuten, dass die Bauern sich zunächst an den Vorredner wandten, um dann zum Publikum zu sprechen. Die Rede des letzten, der die pauren vodert (Z. 201), richtet sich dagegen an die, wahrscheinlich als lose Gruppe beieinander stehenden Bauern. Die Bühne ist also in zwei mansiones geteilt zu denken: Die Sorge um den möglichen Verlust einiger der Bauern und die konkreten Anweisungen erheben den Forderer quasi in den Stand eines verantwortungsbewussten Hirten, der der ihm anvertrauten Herde gegenüber positioniert zu denken ist.

Textbezüge Das Spiel weist mehrere Parallelen zu anderen Nürnberger Fastnachtspielen auf. Allgemein sind die Schilderungen misslungenen Liebeswerbens bzw. in der Verfallenheit dem weiblichen Geschlecht gegenüber lächerlich gezeichnete Männerrollen anzutreffen in den Spielen R 25, R 60, R 61, R 67, F 92, F 96 und F 98. Anders als im vorliegenden Spiel rühmen sich die Bauern in R 75 in den Reden eins bis zwölf sowie in einigen Passagen von R 37 erfolgreich bestandener erotischer Situationen bzw. ihrer körperlichen Fähigkeiten. Weitere Narrenrevuen finden sich in R 1, R 8, R 38, R 43, R 53 und R 56. Insbesondere das durchaus beliebte Motiv des über dem Buhlenden ausgegossenen

97 – Hans Folz: Zwölf buhlerische Bauern | 357

Unrats (vgl. Z. 16) trifft man ferner in R 60, Z. 55–57, in F 92, Z. 84, F 96, Z. 51, in R 43, Z. 115ff., und in R 1, Z. 34. Auch außerhalb der Fastnachtspiele ist das Motiv des zum Kuss dargebotenen Hinterns sehr beliebt, u.a. in Wittenwilers ‚Der Ring‘ (Wittenwiler: Ring, V. 1380–1385). Zu weiteren Parallelen des Motivs vgl. Wießners Anmerkung zur Stelle (Wießner: Kommentar, S. 69). Die in Z. 164ff. geschilderte Situation des Liebesspiels im Kuhstall mit vergossener Milch ist ebenso in F 94 sowie Hermanns von Sachsenheim ‚Die Grasmetze‘ (286ff.) und in Wittenwilers ‚Der Ring‘ (1418–1445) angelegt (vgl. Lenk: Fastnachtspiel, S. 49f.). Bearbeiter: Greil, Przybilski

98 – Hans Folz: Weibernarren

KF Nr. 44

Ein fasnachtspil von den, die sich die weiber nerrn lossen / Hans Folcz barbirer l/1 1r x 1r KF 337

5

10

Got gruͤ ß den wirt vnd all sein gest Vnd was mer hynnen pey im rest! Her wirt, wir sein zu euͤ ch gewisen, Wan wir gleich wie die farn vm pisen Vnd suͤ chen neuͤ r schoͤ n meyd vnd frawen Vnd wuͤ rden hintern orn vnß krawen, Ob wir pei euͤ ch ein feler schuͤ ssen Vnd wuͤ rffen neuͤ r mit feder kuͤ ssen. Dan hapt ir nit schoͤ n leuͤ t im haus, So schickt zu euͤ ern nachpaurn aus. So wel wir euͤ ch gar rein her lesen, Wie yder ist ein puler gwesen.

l/1 1v Ga 222v x 1v

Der hoffnarr: 15

Her wirt, ob ir vnß gern wolt kennen, So wol wir vnß mit namen nennen:

3 hynnen ‚hier drinnen‘ 3 resten ‚rasten, verweilen‘ 5 gleich wie die farn vm pisen: Zu frnhd. varr: ‚Stier‘ und frnhd. umbpieszen ‚umherrennen‘, hier wohl in der Bedeutung ‚ebenso wie die [von den Bremsen gestochenen] Stiere herumrasen‘; sollte pisen zu ‚Bisam, Moschus‘ zu stellen sein und varr die ‚[Moschushirsch-]kuh‘ meint, fehlt ein flektiertes Verb. 7 hintern orn vnß krawen ‚uns [vor Verlegenheit] hinter den Ohren kratzen‘ 8 ein feler schuͤ ssen ‚einen Bock bzw. daneben schießen würden‘ 12 wel: Zum Flexivausfall in der 1. Pers. Pl. Ind. Präs. bei nachgestelltem Personalpronomen vgl. Paul: MhdGr, § 240 und Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 94. 14 Die Abweichung in G ist dahingehend interessant, dass Augsburg im Gegensatz zu Nürnberg Bischofssitz war. Hier wird offensichtlich die Vorlage dem Erfahrungsschatz des Schreibers angeglichen.

1–2 Ein fasnachtspil von den, die sich die weiber nern lossen / Hans Folcz barbirer] Ein fasnacht spil von pulern, den fraw Venus ein vrteil fellt l/1, x; fehlt G; im Register G: Von narren die sich riemen von der puͦ lschafft; die Titelblätter der Drucke tragen einen Holzschnitt, auf dem fünf Narren eine Frau umwerben (zur Verwechslung der Titelblätter vgl. das Kapitel zur Textkritik innerhalb des Endkommentars zu diesem Spiel). 1 nern] nrern 6 neuͤ r] nun G 7 Vnd] Darum wir G 7 wuͤ rden] werden x 8 euͤ ch] vnß x 10 Dan] Nun G 12 gar] gantz G 14 Der hoffnarr] Deß pischoffß hoffnar G

360 | 98 – Hans Folz: Weibernarren

20

25

Ich pin der erst vnd heiß der Mol, Der ander Toͤ lp, der drit heist Drol, Der fird Schnip vnd der funfft heist Schnap, Der sechst heist Kuͤ ßt vns die ars kap, Der sybend Goͤ cz, der acht heist Francz Vnd sint die pesten zwen am tancz, Der neuͤ nd heist Schlick, der 〈zechent〉 Treck, Der far euͤ ch aln im hals hin weg. Also hapt ir vns all benent, Wo ir sechs doͤ rfft, das ir kein kent.

l/1 2r Ga 223r x 2r KF 388

1:

30

Ir hern, woͤ lt ir dan hoͤ rn bescheid, Wie es in lib vnd auch in leid Vns in der pulschafft zu sey gstanden, So losset euͤ ch mein red nit anden, Wan ich pin schlecht also geschickt, Wo mich ein schoͤ ne fraw anplickt, So fellt mir in mein sin gar schir:

F 92, 41–48

17 Mol: Wahrscheinlich von der frnhd. Form mol für ‚Molch‘ (DWb 12, Sp. 2476); Arndt vermutet dagegen über moll: ‚Rindvieh‘ und molla: ‚Schmerbauch‘; Bezug auf einen dicken und dummen Menschen (Arndt: Personennamen, S. 63). 18 Toͤ lp: ‚Klotz, ungehobelter Mensch‘; lautmalerisch, verwandt mit nhd. Tölpel; über zeitlich paralleles dörpel oft fälschlich mit mhd. dörper in Verbindung gebracht (Kluge/Seebold: Etymologisches Wörterbuch, S. 919; vgl. Maak: dörper). 18 Drol: ‚Plumper, ungeschlachter Mensch‘, häufig in Bezug auf Bauern benutzt (Arndt: Personennamen, S. 69; DWb 22, Sp. 798f.). 19 Schnip, Schnap: Zum einen ablautende, lautmalerische Interjektion (DWb 15, Sp. 1341), zum anderen Bezug auf mhd. (snip und) snappen: ‚schwatzen‘ (Lex II, Sp. 1023). 20 Kuͤ ßt vns die ars kap: ‚Leckt uns am Arsch‘, wobei ars kap vermutlich ‚Hosenboden‘ meint; Übertragung wohl über frnhd. kappe: ‚Kutte, Kittel; Flicken‘ (DWb 11, Sp. 188–196). 21 Goͤ cz: Seinerzeit verbreiteter Vorname, auch als Schimpfwort mit Bedeutung ‚Dummkopf‘ (FrnhdWb 7, Sp. 225f.). 21 Francz: Neben dem verbreiteten Vornamen auch als Bezeichnung für einen „weiche[n] schwache[n] Mann“ (Wackernagel: Sprüche, S. 511). 23 Schlick: ‚Schlamm, Kot‘; Arndt argumentiert dagegen für Anschluss an die Bedeutung ‚Fresssack‘, doch erscheint ersteres wegen des folgenden Treck wahrscheinlicher (DWb 15, Sp. 675f.; Arndt: Personennamen, S. 75). 23 Treck: Frnhd. meist derb in der Bedeutung ‚Scheiße‘ (DWb Neubearbeitung 6, Sp. 1337). 24 far: Die im Leitdruck überlieferte, anderweitig nicht nachweisbare Verbform fer ist wohl auf einen Druckfehler zurückzuführen, bereits G und x verbessern zu far (3. Pers. Sg. Konj. Präs.), möglich wäre auch die Konjektur zu fert (3. Pers. Sg. Ind. Präs.). 26 ‚Falls ihr eine Erläuterung braucht, weil ihr keinen kennt.‘ 26 sechs: Gerundium des Verbs sachen: ‚darlegen‘ (DWb 14, Sp. 1601f.), zum Nasalschwund vgl. auch F 96, Z. 54f. 30 zu gestanden ‚ergangen‘ 31 ‚Dann lasst euch von meiner Rede nicht verdrießen,‘ 32 schlecht also geschickt ‚einfach derartig beschaffen‘ 34 schir ‚sofort‘

20 Kuͤ ßt] Kuͤ ß G, x sey] sey zu x

23 zechent] l/1, zechent G, zehent x

24 far] fer l/1

27 1] Der ander G

30 zu

98 – Hans Folz: Weibernarren | 361

35

Ycz denckt sie: wer der mein in dir! Noch dan, wo sie mir dut begegen, Kan ich weder gaczen noch eyr legen. So hept sie selber auch nit an, Des lauff ich wy ein narr dar van.

40

2:

45

50

Du keuͤ st ein dreck von pulschafft gaczen! Erlaupt mir, auch einmol zu swaczen: Mir oͤ ffnet eins mein pul ir gaden Vnd wart mich an ir pettlin laden. Do sollt ich ir ein igel stechen, Do west ich nicht an im zu rechen. Greiff in doch an, er ward sich strauben, Ich fast mein degen pey seinr hauben, Dacht doch: wer zuͤ ckt, der kumpt vmß gelt! Hoff, das man mich kein narn drum schelt.

F 92, 50–57

l/1 2v x 2v Ga 223v

3:

55

Was meinst mit der nerrischen sag? Ich kam eynest auff ein kirchtag Vnd wart mit einer ymer tanczen. Ich weiß, wie sich die sach wart schanczen, Das sie mir in ir haus heym zilt, Do man des her gots mit mir spilt. Sie fuͤ rt mich in ein keller tiff Vnd macht ein gschrey, das einr her liff

KF 339

35 der mein: ‚der meinige [Penis]‘; die Stelle bleibt bis zu einem gewissen Grad unlogisch bezüglich der Personalpronomina, vgl. F 92, Z. 44. 36 Noch ‚Dennoch‘ 36 begegen ‚begegnen‘ 37 gaczen ‚gackern‘ 41 keuͤ st ‚kannst‘, Nasalausfall 2. Pers. Sg. Präs. ungewöhnlich 43 gaden: Zur sexuellen Metaphorik von gaden, eigtl. ‚Kammer‘, vgl. Kratz: Wortschatz, S. 51f. 45 ein igel stechen: Zum Bild des Igelstechens als Metapher für den Koitus vgl. Gerhardt: Kröte, S. 344–350 bzw. Klimczak: Bildlichkeit, S. 142. 46 ‚Da wusste ich nichts an ihm zu vergelten.‘ 47 strauben ‚sich aufrichten; rau sein‘ 48 Zur sexuellen Metaphorik von degen und haube vgl. Kratz: Wortschatz, S. 171, 193–195 und Müller: Schwert, S. 80f. 49 zuͤ cken: ‚zurückziehen‘; evtl. im Zusammenhang mit der Möglichkeit der Verhütung durch Koitus interruptus. 53 kirchtag ‚Jahrestag der Kirchweihe, Kirmes‘ 54 ymer ‚ununterbrochen‘ 55 sich schanczen ‚sich fügen‘ 56 mir zilt ‚mich bestellt‘ 57 ‚Wo man mich martert.‘

37 weder] wider x 40 2] Der drit G 41 kuͤ st] kenst G 46 Do] So G vierdt G 52 der] deinr G 54 ymer] wmbher x 56 ir] das G

47 ward] war x

51 3] Der

362 | 98 – Hans Folz: Weibernarren

60

65

Vnd fragt behentlich, wer ich wer. In dem kumen noch zwen dort her, Schlugen mich zu einr guten schuͤ ssel, Das mir feuͤ st groß geswal mein truͤ ssel, Schaczten mich vm ein dix dar zu, Das ich noch lang nit sagen thu.

F 111, 338f.

4:

70

75

So pin ich so manch nacht vm kneten Vnd meint, mein narn schu han zu treten, So sprechen mein geseln zu mir, Die weil ich noch im schne hofir. So sey mein gluͤ ck noch lang vermaurt, Doch hab ich nie vm sunst gelaurt: Wie wol das fleisch mir was verschlossen, Hab ich doch offt der pruͤ genossen; Do sas ein kuͤ ng ye vnten in, In het ein saw zu uͤ ber gin.

F 92, 113–120

l/1 3r x 3r Ga 224r

5: Hoͤ rt mich, ich ging ein nacht spacirn, Wart in der finstern mich vm thirn,

60 behentlich ‚sogleich‘ 61 In dem ‚Währenddessen‘ 61 zwen: Mask. des Numerals zwei (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 58). 62 schuͤ ssel ‚Das in einer Schüssel Befindliche, Brei‘ 63 truͤ ssel (zu mhd. drüzzel): ‚Schnauze‘ 64 schaczen vm ‚berauben‘ 64 dix: Variante von dickes ‚dicke Geldsumme‘ (DWb Neubearbeitung 6, Sp. 902f.). 67 vm kneten (zu mhd. knëten): ‚herumtanzen‘ 68 mein narn schu han zu  treten ‚ich hätte meine Narrenschuhe zertreten‘, d.h. ‚ich wäre kein Narr mehr‘ 70 hofiren ‚tanzen‘ 73–74 Zweideutige Redensart, vermittels derer der Sprecher mitteilt, dass er zwar sein Ziel nicht erreicht habe, jedoch auch nicht vollkommen leer ausgegangen sei (TPMA, Suppe, 3; Kratz: Wortschatz, S. 128); anders Müller: Schwert, S. 127f. 75–76 Vermutlich eine Redensart mit Bezug auf Kartenspiele, wahrscheinlich auf das im 15. Jahrhundert im deutschen Sprachraum verbreitete Kartenspiel Karnöffel, bei dem die Rangfolge der Stiche teilweise umgekehrt war, sodass als Novum die Zwei, das so genannte Daus, als niederste Karte den König stechen konnte (Dummett: Tarot, S. 184–191); die saw war durch die häufige Darstellung von Schweinen auf Däusern zu einem Synonym für diese geworden (Klinkow: Spielkartenmakulatur, S. 92–97). 76 uͤ ber gin (zu mhd. überginen): ‚das Maul aufreißen, verschlingen‘ 79 sich vm thirn (zu mhd. umbe tieren): ‚sich herumtreiben‘

63 vor feust durchgestrichene Buchstabenfolge G 66 4] Der finfft G 67 kneten] knetten G 71 vermaurt] vormaurt x 73 verschlossen letztes Zeichen unleserlich, Ergänzung gemäß dem Reim und der übrigen Überlieferung; verschlossen] verschossen G, vorschlossen x 75 Do] So G 76 ein fehlt x 77 5] Der sechst G 79 in der finstern mich] mich in der finstern x

98 – Hans Folz: Weibernarren | 363

80

85

90

So find ich eine auff eim schragen, Die spricht zu mir: freuͤ nt, lat euͤ ch sagen: Schleicht doch nit fuͤ r, ret mir vor zu! Ich weiß, wie ich mich gen ir thu, Vnd wil en wenig mit ir schimpffen. Sie wart sich auch zu mir gelimpffen, Vnd weil ich so vm sie wird naschen, Raumpt sie mir hinten aus die taschen, Das ich her nach erst wart gewar. Es fuͤ r mich dan der teuͤ fel dar, Kum ich alls pald zwar nit hin wider, Also lag ich des schimpfs dar nider.

F 92, 126f.

6:

95

100

105

Pox grint, ich solt mich auch eins ruͤ men, Doch kan ichs leicht nit gnug verpluͤ men. So gar pin ich erdruncken drin Der halben, die mir ligt im sin, Wan ich pin alweg in dem wan, Sie nem sich vm ein andern an, Vnd dar ir doch nit druͤ m zu sprechen, Das moͤ cht mirs hercz im kroͤ s zu  prechen. Wan so ir einr zum pusem nascht Oder en weng ans arsloch tascht Vnd siczt neuͤ r pey ir auff der panck, Wirt mir die weil so swiczlich lank Vnd sorg, ir sey leicht we dar mit,

F 92, 61f.

l/1 3v x 3v KF 340 F 92, 77f.

Ga 224v

F 92, 104f.

F 92, 106f.

80 schragen ‚Gestell, Lager‘ 82 fuͤ rschleichen ‚vorbeischleichen‘ 84 schimpffen ‚schäkern‘ 85 gelimpffen ‚sich freundlich zeigen‘ 86 ‚Und während ich so anfange, sie zu betatschen,‘ 86 wird naschen: werden mit Infinitiv hier als Konstruktion mit ingressiver Bedeutung (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 173). 89 ‚Wenn mich nicht der Teufel dorthin führt,‘ 91 schimpf ‚Spott‘ 93 Pox grint: Pox, eine seit dem 15. Jahrhundert auch als kotz oder potz auftretende Interjektion; Entstellung des Genitivs Gottes, um diesen Begriff nicht in einem Fluch zu gebrauchen (HdA 2, Sp. 1638); das FrnhdWb vermutet bei pox bzw. bocks eine Anlehnung an den in Bocksgestalt auftretenden Teufel (FrnhdWb 4, Sp. 881f.), was hier durch die Verbindung mit grint: ‚Kopf‘ (FrnhdWb 7, Sp. 438f.) durchaus sinnvoll erscheint: ‚Bockskopf‘; vgl. Z. 116. 93 eins ‚einer Sache‘ 94 leicht ‚vielleicht‘ 94 verpluͤ men ‚ausschmücken‘ 96 Der halben ‚Wegen der [Frau]‘ 100 kroͤ s ‚Eingeweide; Leib‘ 102 en weng ‚ein wenig‘ 102 taschen ‚tatschen‘ 104 swiczlich ‚schweißtreibend‘

87 die] der G 90 zwar fehlt x 92 6] Der sibent G 98 vor an gestrichen: n G imß arßleck x 104 die] dis x 104 swiczlich] schwilich G

102 ans arsloch]

364 | 98 – Hans Folz: Weibernarren

110

115

120

125

Vnd gheyt mich wirs dan der herczrit. Vnd ist nicht das, mer kuͤ mert mich Dan, wie saur ich ein druͤ m an sich, Das er sich suͤ lcher schimpff ab thu, So spoten sie mein erst dar zu, Das dut der poͤ s hurn palck dan auch. Wer ich dan noch eins drum ein gauch, So kan ich doch vom sack nit lan, Vnd wuͤ rd sie mir noch so vil an. 7: Pox grint, dir ist genaw wie mir! Ich pult vm eine eins wol zwir. Die pot mir doch die suͤ sten wort, Meint ye, ich wer ir hoͤ chster hort, Vnd was sie dan begeren det. Das ich in meim vermuͤ gen het, Gab ich alls dar, sam wer es stro. Vnd kam eins zu irm haus so no, Vnd ee ich recht was bei der thuͤ r, Sperret sie schloß vnd rigel fuͤ r, Pis sie ir zwen dar in verschlug. Da daucht mich, ich het ir gleich gnug.

l/1 4r x 4r

Ga 225r

106 ‚Und [das] trifft mich schlimmer als der Schlag.‘ 106 herczrit: Wörtl. ‚Herzfieber‘; unspezifische Bezeichnung für eine Herzerkrankung (Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 513f.). 108 ein ‚einen [Mann]‘ 108 druͤ m ‚darum‘ 109 ‚Dass er sich selbst eine solche Schande zufüge,‘ 112 noch eins ‚noch einmal‘ 112 gauch ‚[Liebes-]Narr‘ 113 sack: Schimpfwort insbesondere für sexuell freizügige Frauen. 114 an (zu. frnhd and): ‚Leid, Verdruss‘; adjektivischer Gebrauch frnhd. üblich. 118 doch ‚schließlich‘ 126 verschlagen ‚verstecken‘

108 ein] in x 112 eins] s aus ß verbessert G 114 wuͤ rd: Keller (S. 1505) erwägt Konjektur zu tuͤ ty; der Eingriff ist nicht notwendig, siehe Stellenkommentar. 115 7] Der acht G 116 Pox] Por l/1 119 ir] irer x 124 ee] ehr x 124 recht was] was recht x

98 – Hans Folz: Weibernarren | 365

8:

130

135

Her wirt, wir weln gen Schrofen hausen, Do wirt man mit glesern vnd krausen Ein suͤ lch scharmuͤ czeln von vns sehen, Weln vns dan auff die penck verdrehen, Das vns die ruͤ ck pis fruͤ erstarn, Dan mit dem ars den dag an marn, Wer aber sich wolt gar pescheissen, Den wolt wir mit den zen zu reissen. Dan got bewar euͤ ch hin alls her, Verargt vns nit dis narren mer, Also spricht Hans Folcz, barwirer.

KF 341

F 97, 231

129 Schrofen hausen: Vermutlich Schrobenhausen in Oberbayern, für das die Namensform belegt ist (von Reitzenstein: Ortsnamen, S. 342), vgl. auch den Schwank des Hans Sachs ‚Der toll bawr von Schrobnhawsen‘ (Keller/Goetze: Hans Sachs IX, S. 262; Michels: Studien, S. 218). Es irritiert die große Entfernung des Ortes von Nürnberg, weitere Ortschaften des Namens sind nicht nachweisbar. 130 krause: Beutelförmiger Trinkbecher aus Keramik (Brandl: Keramik, S. 34). 132 verdrehen ‚umdrehen‘ 134 an marn ‚anknurren‘ 135 pescheissen ‚in die Hose scheißen‘ 137 hin alls her ‚alle miteinander‘

128 8] Der neundt G 134 vor arß gestrichen: . .g.d.. G 137 Dan] Den x 138 dis] daß G 139 fehlt G; in G steht anschließend noch der Titel des folgenden Spiels 139 barwirer] balbirer x

366 | 98 – Hans Folz: Weibernarren

Kommentar Bezeugung l/1, Bl. 1r–4r; Ga, Bl. 222v–225r; x, Bl. 1r–r

Ausgaben Keller: Fastnachtspiele I, S. 337–341 (= Nr. 44, nach G); Bd. III, S. 1504f.; Bd. IV, S. 340; Goedeke: Deutsche Dichtung, S. 980f. (nach l/1); Spriewald: Folz-Auswahl, S. 48–51 (nach l/1).

Textkritik Der Text ist in zwei Drucken und in Handschrift G überliefert. Die Edition folgt dem ältesten Druck l/1, der um 1485 in Hans Folzens Offizin entstand, wo dieser ausschließlich selbst verfasste Werke druckte. Handschrift G wird auf vor 1494 datiert, und der Nachdruck x wurde 1520 in Leipzig durch Martin Landsberg angefertigt. Während im Fall der Überschrift von F 96 in G der Fehler von l/1 übernommen wurde und sich die Handschrift insofern eindeutig als später zu datierende Abschrift ausweist (vgl. den Endkommentar zu F 96), fehlt ein Titel in der handschriftlichen Bearbeitung von F 98. Auch im Register findet sich kein Niederschlag des Fehlers der vertauschten Titelblätter, sodass auf diesem Wege kaum eine zwangsläufige zeitliche Reihung der Textzeugen erfolgen kann. Gleichwohl lässt die Anordnung der Spiele innerhalb der Sammelhandschrift auf eine entsprechende chronologische Folge schließen, sodass man die Niederschrift von F 98 doch zumindest mit einiger Wahrscheinlichkeit nach derjenigen von F 96 ansetzen kann, zumal sich der Schreiber seines Irrtums im Falle der Titelei von F 96 offensichtlich bewusst geworden ist und den Fehler nicht ein weiteres Mal begehen wollte. Der Druck x dagegen übernimmt das defizitäre Vorblatt von l/1. Der ursprüngliche Titel des Spiels gemäß ²VL, ‚Neun Weibernarren‘, resultiert aus der Zählung in G, in der mit Ausnahme des ersten Einschreiers alle Sprecher samt Hofnarr und Ausschreier durchnummeriert werden. Die vorliegende Edition folgt jedoch dem Überlieferungsträger l/1, in dem einschließlich des Ausschreiers bis acht gezählt wird. Streng genommen handelt es sich allerdings lediglich um sieben Weibernarren, wenn Ein- und Ausschreier sowie Hofnarr von der Zählung ausgeschlossen bleiben. Der Titel wurde deshalb, um Verwirrung zu vermeiden, in ‚Weibernarren‘ abgeändert. In Druck x fallen die zahlreichen Schreibvarianten auf, bei denen jeweils nur gemutmaßt werden kann, ob es sich tatsächlich um dialektale Varianten handelt, hier bestünde erhebliche Uneinheitlichkeit, oder um Druckfehler. In die vorliegende Edition wurden aus diesem Grund nur diejenigen Varianten in den textkritischen Apparat

98 – Hans Folz: Weibernarren | 367

aufgenommen, bei denen ein alternatives Lexem oder eine abweichende Flexionsform entsteht.

Autor Autor ist der in beiden Drucken l/1 und x genannte Hans Folz, der zudem Drucker der Erstüberlieferung ist (s.o.).

Datierung Terminus ante quem ist 1485 (s.o.).

Rollen, Inhalt, Struktur Rollen: Einschreier, Hofnarr, acht Narren. Das vorliegende Spiel gehört zur Gruppe der Reihenspiele bzw. Narrenrevuen. Nach einer kurzen Einleitung durch den nicht explizit genannten Einschreier (Z. 3–14) und den Hofnarren (Z. 15–27), der die Funktion eines zweiten Einschreiers übernimmt, treten sieben Liebesnarren auf, die der Reihe nach von ihren amourösen Fehlschlägen berichten (Z. 28–127). Mit der Ausschreierrede des achten Narren wird der Weiterzug der Truppe – im Text nach Schrofenhausen, realiter wohl zum nächsten Spielort – angekündigt (Z. 129–140). Deutungsaspekte: Die einzelnen Reden der sieben Narren sind kaum direkt aufeinander bezogen, lediglich die Reden des zweiten, des dritten und des siebten Narren beginnen mit einer recht allgemein gehaltenen Schmähung des jeweiligen Vorredners. Prinzipiell jedoch könnten die einzelnen Partien in der Abfolge beliebig vertauscht oder auch ausgelassen werden, ohne dass dies größere Auswirkungen auf den Spielablauf hätte. Diese Beliebigkeit manifestiert sich zudem darin, dass in den Redeanweisungen keine Namen genannt werden, sondern die Figuren lediglich von eins bis acht bzw. neun durchnummeriert werden. Allein der Hofnarr nennt eingangs die Namen der Akteure. Diese Reihung unterschiedlich stark schmähender Benennungen beschreibt die Gruppe als solche, sie leistet keine Zuordnung zu einzelnen Personen, keine individuelle Charakterisierung der Figuren oder gar eine Beschreibung von deren Beziehungen untereinander (vgl. Glier: Personifikationen, S. 577). Die enge Anbindung des vorliegenden Spiels an F 92, die sich in teilweise wörtlichen Entsprechungen niederschlägt, legt einen Vergleich beider Spiele nahe. Die wesentlich elaboriertere Struktur von F 92, die Rahmung durch die Frau-VenusThematik, insbesondere aber die dort thematisch erweiterten und deutlich strukturierteren Berichte fehlgeschlagener wie aber auch erfolgreicher Liebesabenteuer verfestigen den Eindruck, dass das vorliegende Spiel als Entwurf zu verstehen ist, der

368 | 98 – Hans Folz: Weibernarren

gleichwohl vom Verfasser durchaus für druckreif und damit bühnentauglich erachtet wurde. Ob die spätere Bearbeitung ebenfalls als Druck erschien, in dieser Form aufgrund Verlustes allerdings nicht auf uns gekommen ist, bleibt Spekulation, ist jedoch mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Aufführungshinweise: Der erste der Narren nennt insgesamt zehn Namen und nummeriert diese auch durch, nur für neun jedoch folgt Bühnentext. Möglicherweise war das Spiel ursprünglich für eine größere Anzahl an Akteuren vorgesehen, ein späteres Schrumpfen der Schauspieltruppe erforderte weniger Reden. Da sechs der Namen jedoch im Reim stehen, war problemloses Streichen einer Rolle nicht möglich. Insofern und aus den oben genannten Erwägungen hinaus ist davon auszugehen, dass der Hofnarr in seiner Vorstellung der Narren diese nicht jeweils einzeln vortreten lässt, sondern, eben auch um die Divergenz in deren Anzahl dem Publikum gegenüber zu verbergen, den Figuren innerhalb der Gruppe ihre Namen nur sehr vage zuweist. Die Nennung des eigenen Namens am Ende lässt es denkbar erscheinen, dass Folz auch als Mime in der Rolle des Ein- bzw. Ausschreiers seiner Spiele fungierte. Wahrscheinlich handelt es sich jedoch um eine Autorensignatur, steht die Berufsbezeichnung doch im Dreireim, sodass auch bei deren Ausbleiben im Zuge der Inszenierung der Reim nicht beschädigt würde.

Textbezüge Das vorliegende Spiel ist, wie gezeigt, in engem Zusammenhang mit den Spielen F 92 und F 96 zu sehen. Die Thematik – Liebesnarren erzählen von ihren Misserfolgen – wird darüber hinaus in den Spielen R 8, R 25, R 60, R 61, R 67 und F 97 aufgegriffen (Michels: Studien, S. 215). Weitere Narrenrevuen finden sich in R 1, R 38, R 43, R 53 und R 56. Bearbeiter: Greil, Ritz

99 – Hans Folz: Die Handwerker

Ein spil

KF Nr. 50

Gb 250r KF 372

Der einschreÿer:

5

10

Ir herren, erschreckt nit ob den gesten Vnd kert vns vnser sach zum pesten, Wann mit geschrey wir offenbern Die hendel, damit wir vns dan neren, Als jr von vns wert horen gar: Gotz Speckuch, Tiltapp vnd Sutzelmar, Lullapp, Sewtut vnd Studvol, Weÿdenstock, Schlauraff vnd Fleuch den zol, Fiselman, Lantschalk vnd der Feltrud,

F 109, 21–32

3 ob ‚wegen, vor‘ 4 ‚Und legt uns unsere Sache zum Besten aus,‘ 6 hendel ‚Gewerbe‘ 8 Gotz Speckuch: Nach der angebotenen Ware benannt; der Vorname Götz ist im 15./16. Jahrhundert auch als Schimpfwort mit der Bedeutung ‚Dummkopf‘ gebräuchlich (vgl. Arndt: Personennamen, S. 82; DWb 8, Sp. 1432f.). 8 Tiltapp: ‚Geistig oder körperlich unbeholfener Mensch‘; als Schimpfwort regional bis in die Gegenwart bekannt, auch in Redensarten noch gebräuchlich (Röhrich: Redensarten, S. 320f.). 8 Sutzelmar: Aus dem dialektal bezeugten Verb sutzeln: ‚saugen‘ (DWb 20, Sp. 1365) und dem gängigen Namensbestandteil -mar (vgl. Reimar oder Dietmar) zusammengesetzt (vgl. Arndt: Personennamen, S. 51; Bach: Namenkunde, S. 224). 9 Lullapp: Zu frnhd. lullen: ‚saugen‘ gehören viele Scheltwörter für einen dummen Menschen (vgl. Arndt: Personennamen, S. 65). 9 Sewtut: Aus Sau und frnhd. dutte: ‚Brustwarze‘ (DWb 22, Sp. 1946–1948). 9 Studvol (zu mhd. stud-vol): ‚sturzbetrunken‘; vgl. F 84, Z. 35. 10 Weÿdenstock: ‚Weidenstrunk‘; bezeichnet hier wohl einen vertrockneten, in sexueller Hinsicht inaktiven alten Mann (Arndt: Personennamen, S. 63). 10 Schlauraff (zu mhd. slûraffe; Erstglied von mhd. slûr): ‚Faulenzer, Müßiggänger, Schlaraffe‘ (DWb 15, Sp. 493ff.; Richter: Schlaraffenland, S. 14f.). 10 Fleuch den zol: Satzname mit der Bedeutung ‚flüchte vor der Abgabe‘; fleuch als Flexionsform zum Verb fliehen (DWb Neubearbeitung 9, Sp. 635), mitunter wird auch ein eigenes Verb fleuchen angesetzt (DWb 3, Sp. 1772; Götze: Frnhd. Glossar, S. 86). 11 Fiselman (zu frnhd. Fisel): ‚Penis‘; der Name bringt die Wollust des Namensträgers zum Ausdruck (vgl. Arndt: Personennamen, S. 77). 11 Lantschalk: ‚weithin bekannter Schalk‘ (DWb 12, Sp. 134); Schalk: ‚arglistiger Mensch‘ (DWb 14, Sp. 2069–2074). 11 Feltrud: Kompositum aus Feld und Rüde, soll die Derbheit der Figur verdeutlichen (vgl. Arndt: Personennamen, S. 69).

1 im Register G: Von den gsellen die sich erneren ain yeder mit ainem besundren hant werck 3 Sprecherbezeichnungen und Handlungsanweisungen sowie die ersten Wörter der jeweiligen Rede sind mit wenigen Ausnahmen unterstrichen.

370 | 99 – Hans Folz: Die Handwerker

Sewfridel, Pirnkuntz vnd der Tauft Jud, Schweinß or, Kalbß ewter, Ginloffel vnd Eberzan, Tret her vnd laßt ewr hendel verstan! 15

20

25

Tiltapp: Haußmeid, die alten korb herauß! Jr herren, die alten korb ich pletz. Darbej so richt ich an mein geswetz Bey den haußmeiden, wann ich jn flick, Das ich auß jn erforsch vil tück, Das sie mir offenbaren jr hertz. Secht, das mich dan erparmt jr smertz, Nochdem kum ich mit jn zu kauffe. Geret es dan zu einem hauffen, So schlah wir einß gen dem andern wett. Was darnach zwischen vns wirt gerett, Das wirt ein ander mol wol rat, So sie aber ein kor ̲p zu  flicken hat. Sewtut:

30

Hole hipp! So trage ich hole hipplein gern Beÿ fursten, grafen, freyen vnd herrn. Hab ich damit mein nider lag, Da wirt nach wurffeln pald ein frag.

F 109, 11–18

Gb 250v

KF 373

F 109, 65–72

12 Sewfridel: Aus Sau und frnhd. friedel: ‚Geliebter, Liebhaber‘ (DWb 4, Sp. 188), auch als Schimpfwort nachweisbar (DWb 14, Sp. 1885), verweist auf bäuerliches Milieu (vgl. Arndt: Personennamen, S. 61). 12 Pirnkuntz: Zu Birne, das Zweitglied ist Kurzform des Namens Konrad (vgl. Arndt: Personennamen, S. 60f.). 13 Kalbß ewter: Auch als Beleidigung, etwa ‚Dummkopf‘, in Spiel F 103I, Z. 50 bzw. F 103II, Z. 55 verwendet (vgl. Arndt: Personennamen, S. 79). 13 Ginloffel: Zu frnhd. gienen: ‚den Mund aufsperren, gähnen‘ und Laffe: ‚Narr‘ (DWb 12, Sp. 1120). 16 Trotz fehlenden Reimworts ist nicht von Versausfall auszugehen (vgl. Endkommentar). 17 pletzen ‚flicken‘ 20 tück ‚dick, viel‘ 23 ‚Danach werde ich mit ihnen handelseinig.‘ 24 hauffen ‚Gemeinschaft‘ 25 ‚Dann wird von uns das eine mit dem anderen vergolten.‘ 27 rat werden ‚beschließen‘ 28 aber ‚abermals‘ 30 Hole hipp: Röhrenförmige, gerollte Waffeln (Brockhaus Enzyklopädie 17. Aufl. 8, S. 609; DWb 10, Sp. 1719). 33 nider lag ‚Handel‘ 34–38 Würfelverleiher stellten den Spielern gegen Gebühr Würfel zur Verfügung, um gezinkten Spielinstrumenten vorzubeugen und veranstalteten auch selbst Würfelspiele (Tauber: Würfelspiel, S. 38f.). Hier begeht der Sprecher den Fehler, sich seinerseits an dem Spiel zu beteiligen bis er buchstäblich nackt dasteht (vgl. Z. 38).

22 Secht: Keller (S. 1508) erwägt Konjektur zu Seit

30 Auf einer Zeile mit dem Rollennamen

99 – Hans Folz: Die Handwerker | 371

35

Darumb wolher, wer lustig sey! Ich hab der pesten wurffel drej, Die mir so getreulich bei gestan, Das sie mir offt ein faden am halß nit lan. Lantschalk:

40

45

Allerley gelt an gulden vnd plapphart! Jr herren, kaufft auch mein kremerej, Lugt, was euch hie gefallens sej! Keinerlej muntz ich nit verslag, Doch gilt ich wider, wo ich mag. Er sej recht meister, der mich eff, Vnd ich jn nit hinwider treff: Wann mein pest kramschatz ist ligen, Sol ich anders gelt bey euch erkriegen? Fleuch den zol:

50

55

Rosch vnd weyß! Hort, rosch vnd weyß thu ich hie tragen, Domit einer selten fullet sein magen, Doch ist es mir fur hencken gut. Wann mir die faulkheit gar sanfft tut, So ich ge auff der gassen glunckern Vnd mich selber schatz fur einen junckherren.

F 109, 73–80

Gb 251r

F 109, 91–98

35 ‚Darum herbei, wer Lust dazu hat!‘ 40 gulden: Gulden wurden seit Anfang des 15. Jahrhunderts auch in Nürnberg geprägt und waren als Goldmünzen die wertvollsten Münzen im Umlauf und die Währungseinheit der Reichen. Ein Gulden entsprach in etwa dem halben Monatslohn eines durchschnittlichen Handwerkers (vgl. Strauss: Nuremberg, S. 203f.; Brandl: Essen, S. 18). 40 plapphart: Eine im 15. Jahrhundert verbreitete schweizerische und süddeutsche Silbermünze; zu frz. blafard: ‚bleich‘ bezieht sich der Name auf Farbe und geringen Wert der Münze (vgl. Fassbender: Münzsammler, S. 112; Kahnt/Knorr: BI-Lexikon, S. 228). 41 kremerej ‚Kram-, Kaufmannswaren‘ 42 gefallens: Bildung des Part. Präs. vermittels Spirans ungewöhnlich 43 verslagen ‚ausschlagen‘ 44 widergelten ‚[mit dem Gegenwert] vergelten‘ 45 effen ‚übers Ohr hauen‘ 46 ‚Und ich gegen ihn nicht meinerseits zurückschlage:‘ 47 ligen ‚lügen‘ 50 Rosch vnd weyß: ‚Rot und weiß‘; Söldner bzw. Wächter, die im Dienst einer Stadt standen, trugen deren Farben, im Fall von Nürnberg Rot und Weiß (vgl. Behnisch: Tracht, S. 20f.), noch heute gibt es dort eine Söldnersgasse (vgl. Mendheim: Söldnerwesen, S. 27; Schulz: Bürgerhäuser, S. 558). 53 ‚Doch ist es mir lieber als gehängt zu werden.‘ 55 glunckern ‚ziellos schlendern‘

50 Auf einer Zeile mit dem Rollennamen

372 | 99 – Hans Folz: Die Handwerker

Doch gen jr gar vil petteln am Rein, Die meinem adel gar nahet gleich sein. Gotz Speckkuch: 60

65

70

Heyß speck kuch! Jr herren, versucht mein speckkuchen! Ich weyß, jr wert jr bej mir suchen. Dan ich hab jr ein volles prifett. Ob yemant forschung darnach hett, So sagt jn, sie gern gern hinein, Wann sie den wegk vor auch gangen sein. Vnd sind durch spicket vntten vnd oben, Versucht sie, jch weyß, jr wert sie loben. Doch greifft sie hubschlich an vnd eben, Das keinem an fingern nicht bleib kleben.

F 109, 81–90

KF 374

Fridlapp:

75

80

Heyß fladen! Jr herrn, so trag ich fladen feyl. Wolt jr, so versucht jr doch ein teil. Die eyr legt ich selber heut frw Vnd gab sie also frisch dar ̲zw. Die poden sind von guten wurtzen Vnd smecken seuberlich noch furtzen. Ich gewer euch sie gut, kauft mir jr ab, Wann ich sie vor auch ein mol gessen hab,

F 109, 45–54

Gb 251v

F 91, 67f.

57 petteln am Rein: Aus dem Dienst entlassene Landsknechte zogen meist vagabundierend umher und waren gezwungen, ihren Lebensunterhalt durch Betteln zu verdienen (vgl. Baumann: Landsknechte, S. 132–134). Der Rhein steht hier wahrscheinlich als pars pro toto für das gesamte Gebiet des Deutschen Reiches (vgl. unter rînisch in BMZ II.1, Sp. 705a; TPMA, Rhein, 6. 22). 63 prifett ‚Abort‘ 64 ‚Wenn jemand Nachforschungen danach anstellt,‘ 69 hubschlich ‚behutsam‘ 69 eben ‚sorgfältig‘ 71 Fridlapp: Aus frnhd. friedel: ‚Geliebter, Liebhaber‘ (DWb 4, Sp. 188) und frnhd. lappe: ‚Dummkopf‘ (FrnhdWb 9, Sp. 278f.) soll der Name wohl Liebestorheit symbolisieren (vgl. Arndt: Personennamen, S. 64). 74 jr ein teil ‚einige davon, sie alle‘ 77 poden ‚Grundlagen‘ 77 wurtzen ‚Kräutern, Gewürzen‘ 78 seuberlich ‚leicht, zart‘ 79 Ich gewer euch sie gut ‚Ich bürge euch dafür, dass sie gut sind‘

60 Auf einer Zeile mit dem Rollennamen 65 gern: Keller (S. 1508) erwägt Konjektur zu gen; nimmt man Zugehörigkeit zu dem frnhd. Lemma geren in der Bedeutung ‚begehren, wollen‘ an, dann ist der Vers intakt, wenngleich der vorgeschlagene Eingriff zweifelsfrei eine Besserung darstellt. 72 Auf einer Zeile mit dem Rollennamen

99 – Hans Folz: Die Handwerker | 373

Vnd hab darumb ein solchs kauffen, Das mir die sew stetz nach lauffen. Pirn kuntz:

85

90

Heyß  kuchen! Jr herren, versucht meiner kuchlein auch, Der ich jn einem pferdes pauch Hewt frw vor tag hab abgeprochen Souil, das ich euch all sat wil machen, Wenn sie gar smaltzig sind vnd gut Vnd zu gen jn dem mund als ein viltzhut. Versucht jr doch alßpald vmb sust, Ich weiß, das euch jr hart mer gelust. Nw helffet mir mein teler ab ößen Vnd last mich auch ein wenig gelts bej euch loßen.

95

Felt rud:

100

Haderlump! Nach alten hadern ist mein fragen, Wenn sie die maid haben abgetragen, Vnd wenn die puben sie benaschen Vnd grubeln nach der vntern taschen Vnd oben sich des pusenß fleissen, Darmit sie jn die hemd zu  reissen. Auch alte leylach, die durch drieben, Nach dem nacht hunger sind gerieben,

F 109, 55–64

F 109, 99–108

KF 375 Gb 252r

82 Im Spätmittelalter war es verbreiteter Glaube, Schweine ernährten sich von Kot (vgl. Gerhardt: Diätetik, S. 4f., Anm. 15; S. 27, Anm. 107;Klinkow: Spielkartenmakulatur, S. 93–96). 86–87 ‚Die ich aus einem Pferdebauch Heute früh vor Tagesanbruch geholt habe‘; die Parallelstelle legt auch die Möglichkeit einer Verschreibung von abgepochen in der Bedeutung ‚[ab-]gebacken‘ nahe. 90 zu gen ‚zergehen‘ 92 hart ‚sehr‘ 93 ab ößen ‚leer essen‘ 94 loßen ‚erlösen‘ 96 Haderlump: ‚Lumpen; Lumpensammler‘; bis zum Ende des 19. Jahrhunderts dienten ausschließlich Hadern, d.h. Lumpen, als Grundstoff für die Papierproduktion. Nachdem 1390 bei Nürnberg die erste deutsche Papiermühle eröffnet worden war, entstand in der Stadt schon sehr früh ein reger Papierhandel (vgl. Sporhan-Krempel: Papiererzeugung). 100 grubeln ‚wühlen‘ 102 zu reissen ‚zerreißen‘ 103 leylach ‚Betttuch‘ 103 durch drieben ‚verschlissen‘ 104 nacht hunger ‚sexuelle Begierde‘

84 Auf einer Zeile mit dem Rollennamen 89–90 Die Verse sind in der Handschrift in der Reihenfolge vertauscht; Konjektur bei Keller (S. 374) 93 ab ößen Handschrift ab øßen 96 Auf einer Zeile mit dem Rollennamen

374 | 99 – Hans Folz: Die Handwerker

105

Das dient als wol zu meinen sachen Vnd wil erst gut pappir darauß machen. Schlauraff:

110

115

Kessel, pfannen machen! Alt pfannen pletzen, kessel flicken, Darzw kan ich mich also schicken, Das mir die haußmeid zu jn zilen, Do thu ich heimlich mit jn spilen Jn jrer vntter futer wannen Vnd nÿm zu wort ein alte pfannen Vnd flick alßpald die meit darneben, Das sie mir heimlich zu stossen vnd geben. Solchs pletzwergks muß ich mich betragen, So ich mein handel ye auch muß sagen.

F 109, 109–118

Taüfter Jud: 120

125

Nunen machen! Jr herren, die meyd kan ich versneiden, So sie des nachts hunger leyden Vnd vil des tags darumb außdraben, Do sie jr heimlich pulschaft haben, Dardurch jr frawen vn〈d〉 jrem herren Versaumbt wirt kochen, petten vnd kern.

F 109, 137–144

Gb 252v

109 Der Pfannenflicker war eine beliebte Figur in obszönen Witzen (vgl. Müller: Schwert, S. 134). 110 schicken ‚bereit machen‘ 111 ‚Sodass mich die Hausmädchen zu sich bestellen,‘ 113 futer wannen: Zur sexuellen Metaphorik vgl. Müller: Schwert, S. 40. 114 zu wort nemen ‚sich kümmern um, reparieren‘ 116 zu stossen: ‚zustecken, zustoßen‘; wahrscheinlich sexuell aufgeladen zu verstehen. 117 sich betragen ‚sich begnügen mit‘ 120 Nunen machen: ‚Nonnenmacher‘; Kastrierer von Tieren beiderlei Geschlechts (vgl. Danckert: Leute, S. 192), zumeist wurden aber unter Nonnen verschnittene Säue verstanden (Lex II, Sp. 120). Der Name des Sprechers spielt auf die rituelle Beschneidung im Judentum an, gläubigen Juden ist darüber hinaus die Gonadektomie von Tieren untersagt. Durch den doppelten Wortsinn von versneiden (Z. 121) und die im Mittelalter verbreitete Darstellung der Judensau (vgl. F 88) trägt die Passage eindeutig antijüdisch-sodomitische Züge. 121 versneiden ‚kastrieren‘; im vorliegenden Spiel ist die Figur durch Z. 120 als Sauschneider gekennzeichnet, anders in F 109, Z. 137ff. 126 petten ‚Betten machen‘

108 Auf einer Zeile mit dem Rollennamen 120 Auf einer Zeile mit dem Rollennamen 125 vnd] vn

99 – Hans Folz: Die Handwerker | 375

Einer solchen geb ich stewr vnd rett, Das sie jm gar kein gut mer tet. Schlotmarck: 130

135

140

Schlot fegen! Jr herren, schlotfegen ist mein ampt. Wenn sich jm hinttern hat gesampt Des alten ruß mit langen zoten, Das ein geseltz wer vnd geknoten, Als der jm ein swartz pech darein het gossen, Den kan ich seuberlich abher stossen. Wem ich es aber abher stieß Vnd er mir den staub vntter die augen pließ, Der mocht mich in dem lauͦ n wol finden, Ich wurd jm den schlot mit eim schaub an zunden.

F 109, 1–10

KF 376

Kalbß ewtter:

145

Huntzschlaher! So hort mich jeger meister auch! Mich schetzt manger jeger fur ein gauch, Ich fach mer wildß dan seiner hundert. Jr herren, darumb mich eins ser wundert, Das jr offt weÿt nach wiltpret schickt. Jo, wenn ir euch mit mir zuflickt,

F 109, 145–154

127 stewr vnd rett ‚Rat und Tat‘ 128 ‚Damit sie ihm [ihrem Liebhaber] gar keine Wohltat mehr gewährte.‘ 129 Schlotmarck: Mit doppeldeutigem Bezug auf die angebotenen Dienste; Zweitglied mit Anspielung auf ‚[Knochen-]mark‘. 132 Wenn: Die Parallelstelle führt das Pronomen Wem; bezieht man Z. 136 Den nicht auf den Träger des Übels sondern auf die Verstopfung selbst, erscheint eine Korrektur nicht notwendig, gleichwohl bleibt die mask. Flexion der geschilderten Verpfropfung unbegründbar. 132 versamet ‚versammelt, verklebt‘ 133 zote ‚Büschel‘ 134 ein geseltz ‚eingesalzen, getrocknet‘ 136 abher stossen ‚herabstoßen‘ 139 lauͦ n ‚Laune; Missmut‘ 140 schaub ‚Strohbüschel‘ 142 Huntzschlaher: ‚Hundefänger‘; die Stadt Nürnberg beschäftigte einen hauptamtlichen Hundsschläger, der notwendig geworden war, nachdem die Belästigung durch herumstreunende Hunde Überhand genommen hatte (vgl. Mummenhoff: Krankenpflege, S. 10f.). Der Hundsschläger oder Schinder zählte zu den am meisten geächteten Berufen (vgl. Danckert: Leute, S. 167ff.). 144 gauch ‚Narr‘ 145 fachen ‚fangen‘ 148 sich mit einem zuflicken ‚sich bei jemandem beliebt machen‘

130 Auf einer Zeile mit dem Rollennamen 142 Auf einer Zeile mit dem Rollennamen

376 | 99 – Hans Folz: Die Handwerker

150

Ich wolt euch sein auff ein mol darmessen, Jr hett all ewr lebtag daran zu essen. Stuͦ dvol:

155

160

Hor, weyst man her! Jr herren, so verkund euch die weysen: Das erst zu dem Abgeriben Eyßen, Das ander zu dem Ploben Stern, Das dritt in den heimlichen tafern, Das man do nennt die winckel wirt, Das vierd, wo man sust genaw schirt Vnd do sich die korbleinß meÿd enthalten, Das funfft, die des nachtz der schlupflocher walten. Der andern weiß ich nit zu erklern, Dan das ich mein handel auch muß bewern.

Gb 253r

F 109, 119–128

149 sein darmessen ‚davon zuteilen‘ 152–162 Die Rede ist die eines Weinkiesers. Diese waren in Nürnberg dafür zuständig, den von den Weinschenken angebotenen Wein auf seine Reinheit zu prüfen. Wenn der Wein den Anforderungen entsprach, so erhielt er je nach Qualität eines der drei sogenannten Weisen, eine Art Gütesiegel für Prädikatswein, was der Wirt auf der ausgehängten Weintafel vermerkte (vgl. Grönert: Entwicklung, S. 31; vgl. zur genauen Prozedur: Barack: Lobgedicht, V. 224–283). Zur Bedeutung von Z. 152 vgl. den Endkommentar. 152 weyst man her ‚schickt Männer her‘ 154 Das erst ‚Das erste [Weisen]‘ 154 Abgeriben Eyßen: In Nürnberg existierten in reichsstädtischer Zeit mehrere Wirtschaften, die den Namen „[Goldenes] Hufeisen“ trugen. Ob eine davon mit der hier erwähnten identisch ist, ist nicht nachweisbar. Das Abgeriebene Hufeisen deutet darauf hin, dass die genannte Wirtschaft in schlechtem Ruf stand (vgl. Nopitsch: Wegweiser, S. 44). 155 Ploben Stern: ‚Blauer Stern‘; in Nürnberg sind für die reichsstädtische Zeit mehrere Wirtschaften mit diesem Namen nachweisbar, wobei ungesichert ist, welche davon im 15. Jahrhundert bereits unter diesem Namen betrieben wurden (vgl. Nopitsch: Wegweiser, S. 50). 156 tafern ‚Spelunke‘ 157 ‚Sodass man euch dort die Bordelle nennt,‘ 158 genaw schiren ‚übervorteilen, betrügen‘ 159 korbleinß meÿd: ‚Huren‘; der Korb als obligatorisches Erkennungszeichen käuflicher Damen symbolisierte die Aufnahmebereitschaft der Trägerinnen (vgl. Danckert: Leute, S. 150). 159 enthalten ‚aufhalten‘ 160 schlupfloch ‚Kaschemme‘ 161–162 ‚Andere [Weisen] kann ich nicht verkünden, Es sei denn, ich muss meine Profession auch unter Beweis stellen.‘

152 Auf einer Zeile mit dem Rollennamen 162 bewern] erklern

99 – Hans Folz: Die Handwerker | 377

Ginloffel:

165

170

Nu hort vnd last euch sagen! Jr herren, so kund ich die stund der nacht. Welchem sein pul des nachtz zusacht Vnd jm desselben ein zeichen geit, Den man ich jn der rechten zeit. Deßgleichen warne ich jn gen dem tag, Das er beÿ zeit entrinnen mag. Der mancher sunst die schantz verschliff, Wenn ich jm nit so trewlich auff rieff.

F 109, 129–136

KF 377

Sewfridel:

175

180

Lieber meister, so schawt mir den zan Vnd helfft mir seuberlich dauon, So wil ich ewrß willens dann remen Vnd solt ichs gleich auß dem hindern nemen Vnd wil euchs gar gern geben Vnd wart, das es euch jm halß nit wert kleben.

F 109, 177–180

Gb 253v

Schweinß or: Wolauff gen pad! Jr herrn, mit lecken, paden vnd krawen Kan ich versehen wol die frawen Vnd mich so wol mit jn zu flicken,

F 109, 155–166

164 Dieser Vers spielt auf die erste Zeile aller Strophen des ‚Wächterruf‘ oder ‚Nachtwächterlied‘ genannten Volksliedes („Hört, ihr Herrn, und lasst euch sagen“) an, dessen älteste schriftliche Überlieferung vom Anfang des 17. Jahrhunderts stammt, das aber deutlich älter sein dürfte (vgl. auch Klusen: Lieder 1, S. 13f.; 2, S. 821). 166 des nachtz zusacht ‚die Nacht verspricht‘ 171 schantz ‚[richtiger] Moment‘ 176 ‚So will ich mich dann eurem Willen beugen‘ 179 wart, das (mit Konj. im Nebensatz): ‚achte darauf, dass‘ 181 Der Bader war im Mittelalter sowohl verantwortlich für die Betreuung der Badegäste als auch Friseur und Wundarzt (vgl. Martin: Badewesen, S. 70, 98–101). Zum Vorgang des Badens gehörten das Übergießen mit Flüssigkeit und das Schlagen mit Zweigen (leken), um die Schweißbildung zu verstärken, sowie ein Dampfbad, ein Haarschnitt und eine Rasur, das Abreiben des Körpers mit Tüchern (krawen) und ein Aderlass (vgl. Martin: Badewesen, S. 144–171). Zudem standen Badehäuser in dem Ruf Orte sexueller Freizügigkeit – Männer und Frauen badeten häufig gemeinsam nackt – und Begegnung zu sein (vgl. Stolz: Handwerke, S. 104–106; Schuster: Frauenhaus, S. 129–133).

164 Auf einer Zeile mit dem Rollennamen 181 Auf einer Zeile mit dem Rollennamen

378 | 99 – Hans Folz: Die Handwerker

185

190

Das sie mir heimlich potschaft schicken, Mit jn an sundern enden zu paden; Wo eine dan hat ein heimlichen schaden, Daran jr sunst kein genug mag geschehen, Die kan ich seuberlich auch versehen, Wann ich wone jn gar fleissig bey Mit pflastern, meisseln vnd ander artznej, Das sie des haben ein gantzes gefallen Vnd zu mir als zu eim nothelffer wallen. Eber ̲tzan:

195

200

Zen außprechen! Her an, heran, heran, Welcher da hat ein poßen zan! Stock, storren, wie sie sind getan, Vnd stumpff, die gantz jn dem fleisch stan, Kunstlich ich die gewinnen kan Vnd laß auch kein von mir gan, Ich full jm vor die lucken schon Mit roßfeigen, wagen smaltz vnd witwen laimen, So get er an alle sorg wider heyme.

205

Außschreÿer:

210

Jr herren, jr habt vns wol vernomen Vnd heyst vns newr nit wider kumen, Wann man mocht leicht schertz mit vns treyben, Wir wurden vber nacht do beleiben. Das ist das pest, jr laßt vns farn

F 109, 167–174

Gb 254r

KF 378

F 109, 33–44

186 sunder ‚besonders‘ 186 enden ‚Orten‘ 187 schaden: ‚Wunde‘, hier: ‚cunnus‘ 188 ‚Woran ihr sonst nicht Genüge getan werden kann,‘ 190 beywonen ‚beistehen, helfen; beschlafen‘ 191 meissel: Pflaster zum Ausstopfen von Wunden (DWb 12, Sp. 1984f.). 193 nothelffer: Gruppe von vierzehn Heiligen, deren Verehrung und Anrufung seit dem 14. Jahrhundert bezeugt ist. 193 wallen ‚pilgern‘ 198 Stock, storren ‚Zahnstümpfe, abgebrochene Zähne‘ 200 Kunstlich ‚geschickt, kunstvoll‘ 200 gewinnen ‚ziehen‘ 202 vor ‚vorher‘ 202 schon ‚schön; schon‘ 203 roßfeigen ‚Pferdeäpfel‘ 203 wagenschmalz ‚Wagenschmiere‘ 203 witwen laim: Wörtl. ‚Witwenlehm, -dreck‘; bezeichnet „ein phantastisches, wertloses medikament, das man für grobe behandlung empfiehlt“ (DWb 30, Sp. 850); Lehm wurde in der fraglichen Periode auch als Arzneimittel eingesetzt (FrnhdWb 9, Sp. 886–891), ebenso sind skatologische Assoziationen denkbar. 204 an ‚ohne‘

195 Auf einer Zeile mit dem Rollennamen

99 – Hans Folz: Die Handwerker | 379

215

Vnd tut euch mit erbern gesten bewarn Vnd hutt euch vor alten groschen all; Vnd ob ewr eim ein guldin enpfall, Der heb jn behendigklich wider auff, Das wir nit alle platzen darauff; Vnd ob yemant kom, der nach vns wurd fragen, So sprecht, jr wißt nichtz hubsch von vns zu sagen. Rotelstein:

220

225

Groß vnd klein! Jr herren, so trag ich rotel feyl, All mein gesellen zu vnheyl. Wo einer ein poßheit vernyt, Das ich jn anschrieb vnd verriet: Ein kreutz mal ich jm auff den rück, Dardurch man jnnen wirt seiner tück. Dach so getraw wir euch jungen vnd alten, Jr gebt vns allen nit vil zu behalten Vnd laßt vns zu der thur auß jagen, Wann wir sind fast vber ein leist geslagen.

Gb 254v

211 bewarn ‚versehen, umgeben‘ 212 alten groschen: Ab 1300 wurde zunächst der Prager, dann der Meißener Groschen zu einer der Hauptwährungen Europas. Für beide Varianten gilt, dass sich die Qualität und damit der Wert der Silbermünze mit fortlaufender Prägung immer weiter verschlechterte. Die Städte griffen daher zur Gegenstempelung, d.h. es wurde nachträglich ein Zeichen in die Münze einprägt, um die hoch- von den minderwertigen – alten – Groschen unterscheiden zu können (LexMA 4, Sp. 1172, 1726f.; 6, Sp. 480; 7, Sp. 165). 215 platzen darauff ‚darauf losstürzen‘ 218 Keller ist der Auffassung, die Rede des Rotelstein gehöre vor die Rede des Außschreÿers (vgl. Keller S. 341); vgl. hierzu den Endkommentar. 218 Rotelstein: Die Rolle ist nach der angebotenen Ware benannt (vgl. Arndt: Personennamen, S. 82). Rötel meint das seit der Steinzeit als roter Farbstoff verwendete Eisenoxidmineral Hämatit, das ab dem Ende des 15. Jahrhunderts in Stiftform auch als Zeichengerät gebraucht wird (Brockhaus Enzyklopädie 20. Aufl. 18, S. 558). Möglicherweise liegt hier ein doppeldeutiger Bezug auf die Zensur des Nürnberger Rates vor, der die Fastnachtspiele unterlagen (vgl Lenk: Fastnachtspiel, S. 8–11). 222 poßheit ‚[übler] Streich‘ 222 vernyten ‚ausüben, begehen‘ 225 jnnen wirt ‚gewahr wird‘ 226 Dach ‚Doch‘ 226 getraw: Zur Möglichkeit des Flexivausfalls in der 1. Pers. Pl. Ind. Präs. vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 94. 229 ‚Denn wir sind alle von der gleichen Sorte.‘; die auch bei Hans Sachs belegte Redensart beruht auf der Herstellung von Schuhen in Einheitsgröße nach Modellformen, den so genannten Leisten (vgl. Röhrich: Redensarten, S. 955f.).

219 Auf einer Zeile mit dem Rollennamen

380 | 99 – Hans Folz: Die Handwerker

Kommentar Bezeugung Gb, Bl. 250r–254v

Ausgaben Keller: Fastnachtspiele I, S. 372–378 (= Nr. 50, nach G); Bd. III, S. 1508; Bd. IV, S. 341.

Textkritik Die Handschrift ist Zeugnis einer späteren Bearbeitung von F 109. Auffällig gegenüber der älteren Version sind die mehr oder minder konkreten Hinweise auf die Berufe, die rechts neben bzw. unter dem jeweiligen Rollennamen positioniert sind und nicht im Reim stehen. Die Frage, inwiefern dieser Ausruf überhaupt der jeweiligen Rede zuzurechnen ist, stellte bereits Keller: „Vielleicht ist zuweilen der Name des Ausrufers und der Ausruf selbst identisch und somit auch im Context der Rede geschrieben zu denken“ (Keller: Fastnachtspiele, S. 1508). Der Umstand, dass die Ausrufe in der früheren Fassung fehlen, keine Reimpartner haben und in einigen Fällen nicht zum Inhalt der Rede passen, legt nahe, dass es sich hierbei um spätere Anfügungen handeln könnte.

Autor Hans Folz wird aufgrund zahlreicher Parallelen zu anderen seiner Werke und aufgrund der Tatsache, dass er der Schreiber der früheren Fassung F 109 ist, als Autor des Spiels angesehen (vgl. Janota: Art. ‚Hans Folz‘, Sp. 772f., 781).

Datierung Grundsätzlich gilt die in G vermerkte Datierung 1494 für den Abschluss der Handschrift als Terminus ante quem. Da sich die frühere Fassung in Handschrift X findet, die zwischen 1470 und 1480 entstanden ist, ist der letztgenannte Zeitabschnitt als frühestmöglicher Entstehungszeitpunkt anzusehen (vgl. Simon: Fastnachtsspieltradition, S. 19–20; Janota: Hans Folz, S. 77f.).

99 – Hans Folz: Die Handwerker | 381

Rollen, Inhalt, Struktur Rollen: Siehe Tabelle unten. Ein Einschreier kündigt seine gest dem Publikum gegenüber an, und diese schildern, ohne sich auf einen der übrigen Redner zu beziehen, ihre handwerklichen Tätigkeiten. In diese Darlegungen mischen sich neben der Veranschaulichung bürgerlicher Untugenden (Spielsucht, Betrug, Faulheit) skatologische, sexuelle und kulinarische Absurditäten. Das Spiel gehört zur Gruppe der Reihenspiele, wobei das Schema an einer Stelle kurz durchbrochen wird, als der Zahnausreißer als einziger tatsächlich einen Kunden findet und sich ein, wenngleich chronologisch defekter, Minimaldialog entwickelt. Die Tabelle im Anschluss soll einen Überblick über die Figuren bieten sowie Unterschiede der beiden Fassungen im Hinblick auf Sprecherreihenfolge und Namensgebung verdeutlichen. Die Reihenfolge ist die der Auftritte in F 99, am Ende der Tabelle werden jene Rollen gelistet, die vom Einschreier zwar angekündigt werden, denen jedoch nicht zwangsläufig Text zugewiesen wird. Deutungsaspekte: Es treten Vertreter verschiedener Berufe auf, die allesamt sozial mehr oder minder stigmatisiert waren bzw. zu den sogenannten unehrlichen Berufen zählten. Wenn auch in den ersten vier Partien Unredlichkeiten in der Ausübung ihrer Tätigkeiten erörtert werden, dient das Spiel nicht primär der Verhöhnung der Berufe an sich, sie fungieren zumeist nur als Aufhänger für skatologische und sexuelle Späße. So bieten die Lebensmittelverkäufer aus Exkrementen hergestellte Backwaren feil, der Korbflicker und der Kesselschmied wollen sich neben reparaturbedürftigen Gegenständen auch der Hausmädchen annehmen und der Zahnarzt schlägt unappetitliche wie sinnlose Therapiemöglichkeiten vor. Die in diesen Zoten Niederschlag findende Phantasie und leidenschaftliche Ausgestaltung des Nichtangemessenen überwiegt deutlich und spiegelt das Prinzip der verkehrten Welt der Fastnacht. Die Rede des Hundsschlägers scheint in diesem Zusammenhang besonders gelungen. In der sozialen Hierarchie ganz am unteren Ende stehend vergleicht er seine Tätigkeit dem edlen Weidwerk und konterkariert soziale wie lukullische Absprachen und Traditionen. So galt neben dem Verzehr von Hunden auch der Genuss von Pferdefleisch (vgl. Z. 86) im 16. Jahrhundert noch als Tabu (vgl. Heyne: Bücher 2, S. 280). F 99 ist als spätere Bearbeitung von F 109 zu sehen: Zahlreiche metrische und syntaktische Glättungen legen diesen Befund nahe, aber auch die Umarbeitung der Rede des Baders Schweinßor. So schlägt dieser in der älteren Fassung den therapeutischen Einsatz von Kot vor (F 109, Z. 176), die Bearbeitung nennt an der Stelle eine Auswahl sinnloser Substanzen (Z. 203). Auch in dieser thematischen Erweiterung zeigt sich die bessernde Hand des Autors. Einer der Hauptunterschiede zwischen den beiden Fassungen besteht darin, dass in F 109 die Rollennamen vollständig fehlen, obwohl die Figuren vom Einschreier angekündigt werden. Darüber hinaus sind einige der Reden in der früheren Fassung, also ohne den hinzugefügten Ausruf, ohne tiefere Kenntnis der Nürnberger Lebensumstände des 15. Jahrhunderts kaum verständlich. Beispielsweise gibt der Hundsschläger sein Gewerbe nicht expressis verbis zu verstehen, er selbst bezeichnet sich als jeger meister (F 99, Z. 143), sein Wild nennt er jedoch nicht.

382 | 99 – Hans Folz: Die Handwerker

Mag hier die Rede auch ohne größeres Wissen über das Nürnberger Leben des späten Mittelalters noch leicht zu deuten sein, so bereiten der Weinkieser und der Landsknecht bzw. Wächter in dieser Hinsicht größere Verständnisprobleme. Der Weinkieser spricht von den weysen (F 99, Z. 153), ein Ausdruck, der in Zusammenhang mit der Qualität des Weines nur in Nürnberg gebraucht wurde. Genauer erläutert er sein Gewerbe allerdings nicht, dem Nürnberger Publikum dürfte das Stichwort weysen genügt haben. Der Söldner nennt seinen Beruf lediglich indirekt über seine Kleidung: Hort, rosch vnd weyß thu ich hie tragen (F 99, Z. 51). Der Schreiber der späteren Fassung schien seinem Leser mit den erklärenden Ausrufen eine Hilfestellung geben zu wollen. Hierbei deutete er etwa den Hundsschläger richtig, scheiterte jedoch beim Weinkieser und beim Wächter: Hor, weyst man her! (F 99, Z. 152) gibt keinen Aufschluss über die Tätigkeit des Weinkiesers, offensichtlich war er nicht in der Lage, die Bedeutung des Begriffs weysen (F 99, Z. 153) sinnvoll wiederzugeben. Das Söldner- oder Wächtergewerbe wird mit Rosch vnd weyß! (F 99, Z. 50) ebenfalls nicht erhellend verdeutlicht und auch die Angabe in der Rede Rotelsteins Groß vnd klein zeugt nicht von vertiefter Kenntnis des Schreibers um die Zensurpraxis in Nürnberg. Diese Beobachtungen lassen einerseits darauf schließen, dass der Schreiber der späteren Fassung mit den Nürnberger Verhältnissen nicht vertraut d.h. kein Nürnberger war und deshalb Schwierigkeiten hatte, Folzens Anspielungen zu verstehen. Dass die Handschrift G für (und teilweise von) Claus Spaun, einen Augsburger Kaufmann, angefertigt wurde (vgl. Simon: Fastnachtsspieltradition, S. 20), deckt sich mit dieser Vermutung. Andererseits lassen sich die Beobachtungen dahingehend deuten, dass Folz die Berufe in der ursprünglichen Fassung teilweise absichtlich nicht explizit nannte. Ein Grund hierfür mag darin gelegen haben, durch die Selbsterhöhung einzelner Figuren humoristische Effekte zu erzielen, man denke an den vermeintlichen jeger meister (F 99, Z. 143) oder den junckherren (F 99, Z. 56). Denkbar ist auch, dass Folz die Gewerbe seiner Figuren an brisanten Stellen mit voller Absicht nicht beim Namen nannte, um etwaigen Problemen mit der Obrigkeit aus dem Weg zu gehen. Der Hundsschläger, der Weinkieser und der Söldner bzw. Wächter sind allesamt städtische Bedienstete, deren Verspottung, anders als die eines Bauern, für den Autor Folgen nach sich hätte ziehen können. Diese Annahme kann dadurch gestützt werden, dass Folz an anderen, nicht brisanten Stellen das Gewerbe der betreffenden Figuren gleich zu Beginn deutlich zu erkennen gibt, wie etwa beim Korbflicker: Ir herren, die alten korb ich pletz (F 99, Z. 17), beim Zahnausreißer: Her an, heran, heran, / Welcher da hat ein poßen zan! (F 99, Z. 196f.) oder bei sämtlichen Lebensmittelverkäufern. Das Spiel wirft in struktureller Hinsicht Fragen auf. Die wenig motiviert platzierten Reden des Ein- bzw. Ausschreiers in F 109 werden in der Bearbeitung sinnvoll an den Beginn und an das Ende des Textes gesetzt. Hierbei erscheint es nicht problematisch, dass der Rötelsteinverkäufer nach dem Ausschreier spricht. So ist er nicht einzureihen in die Schar der übrigen Händler, er thematisiert vielmehr die Risiken, die für die Rotte bei Abweichungen von der zensierten Spielerlaubnis seitens des Rats der Stadt drohten (Lenk: Fastnachtspiel, S. 8–11).

99 – Hans Folz: Die Handwerker | 383

Unglücklich und unverständlich bleibt hingegen das Arrangement der Redepartien von Zahnarzt und Patient. In der Rohfassung reagiert Letzterer auf die Anweisung des behandelnden Dentisten, die empfohlenen Maßnahmen über sich ergehen zu lassen. In der vorliegenden Bearbeitung klagt Seufriedel über Zahnschmerzen und bezieht sich hierbei konkret auf den Ratschlag des Meisters (Z. 176), einen solchen willen hat jedoch zu diesem Zeitpunkt des Spielgeschehens noch niemand geäußert. Und so bleibt auch das Einwilligen in den ungewöhnlichen Behandlungsvorschlag mit Heilmitteln auß dem hindern (Z. 177) wenig verständlich. Erst nach der zusätzlich eingeschobenen Rede des Badstubers, ab Z. 195, tritt der Zahnarzt explizit auf. Anders als in der älteren Fassung ist nun jedoch nicht mehr von latwergen aus dem gewelb die Rede (vgl. F 109, Z. 174 und 176), der skatologische Therapieansatz wurde durch den absurden abgelöst, ohne dass dies jedoch in der Rede des Patienten umgesetzt wurde (vgl. Z. 177). Aufführungshinweise: Die Partie des Einschreiers und ihr Bezug auf die einzelnen Szenen bleiben unklar. Nur wenn er die Figuren durch eine konkrete Referenzierung bei Nennung ihres Namens identifizierbar werden lässt, kann der Zuschauer die Tätigkeiten und die Benennung desjenigen, der sie ausführt, erkennen. In den meisten Fällen ist eine derartige Verbindung weitgehend irrelevant, insbesondere im Fall des Nonnenmachers jedoch stehen die Dinge anders. Folzens allenthalben anzutreffender Antijudaismus und sein Umgang mit dem Motiv der Judensau lassen vermuten, dass er insbesondere den Sauschneider eben auch als Proselyten identifizierbar werden lassen wollte. Auch im Falle des Fleuch den zol ist eine enge Anbindung des Namens an den Träger dahingehend zu vermuten, dass es gerade der Vertreter der städtischen Exekutive ist, der den Steuerbetrug im Namen führt. Und nicht zuletzt die Verquickung der Rolle des städtischen Weintesters mit dem Namen Studvol wird in der Inszenierung angelegt gewesen sein. So ist anzunehmen, dass der Einschreier vermittels gestischer Hinwendung an die Genannten die notwendige Verbindung von spöttischer Bezeichnung und beruflicher Betätigung der Bühnenfigur herstellte. Um aber identifizierbar zu bleiben, bis die jeweilige Rolle ihren Auftritt hat, müssen die Figuren unterscheidbar und wiedererkennbar sein. Und gerade im Fall der genannten drei Figuren kann eine Kostümierung genau dieses leisten: Den Sauschneider wird man anhand der Flaumfeder am Hut sowie dem Judenfleck erkennen und den Wächter an der Uniform. Für den Weinkieser könnte ein kleines Glas als Erkennungsmerkmal fungiert haben. Während die Reden der Handwerker frontal von der Bühne herab auf das Publikum gesprochen zu denken sind, wendet sich der Rötelverkäufer gewissermaßen im Anschluss an das eigentliche Spielgeschehen gleichermaßen an das Publikum wie an die Spieltruppe. Hierdurch verschafft er der Bühne Dreidimensionalität, die Spielsituation erhält eine Metaebene, in der das Spielgeschehen bzw. dessen Folgen reflektiert werden. Der Ausschreier ermahnt in Z. 213ff. das Publikum, kein Geld auf den Boden fallen zu lassen, da sich die Truppe andernfalls der Münzen bemächtigen könnte. 1486 wird Folz und dessen Rotte seitens des Rats verboten, Geld für die dargebrachten

384 | 99 – Hans Folz: Die Handwerker

Leistungen einzufordern (vgl. Simon: Anfänge, S. 314), möglicherweise wird hier auf dieses Verbot im Zuge der Aufführungspraxis ironisch Bezug genommen. Name

Beruf

Der einschreÿer – Tiltapp Korbflicker Sewtut Hohlhippenverkäufer (Würfelverleiher) Lantschalk Krämer Fleuchdenzol Söldner, Wächter Gotz SpeckSpeckkuchenverkuch käufer Fridlapp Fladenverkäufer

F 99

F 109

Ankündigung

1 (Z. 2–14) 2 (Z. 15–28) 3 (Z. 29–38)

3 (Z. 21–32) 2 (Z. 11–20) 7 (Z. 65–72)

– F 99, F 109 F 99, F 109

4 (Z. 39–48) 5 (Z. 49–58) 6 (Z. 59–70)

8 (Z. 73–80) 10 (Z. 91–98) 9 (Z. 81–90)

F 99, F 109 F 99, F 109 F 99, F 109

7 (Z. 71–82)

5 (Z. 45–54)

F 99 (als ‚Lullapp‘), F 109 F 99, F 109 F 99, F 109 F 99, F 109 F 99, F 109 F 109 (als ‚Schlotmok‘), F 99 (fehlt bzw. als ‚Fiselman‘) F 99, F 109 F 99, F 109 F 99, F 109 F 99, F 109

Pirnkuntz Feltrud Schlauraff Taüfter Jud Schlotmarck

Kuchenverkäufer Lumpensammler Kesselschmied Kastrator Schornsteinfeger (Klistierer)

8 (Z. 83–94) 9 (Z. 95–106) 10 (Z. 107–118) 11 (Z. 119–128) 12 (Z. 129–140)

6 (Z. 55–64) 11 (Z. 99–108) 12 (Z. 109–118) 15 (Z. 137–144) 1 (Z. 1–10)

Kalbßewtter Stuͦ dvol Ginloffel Sewfridel

Hundsschläger Weinkieser Nachtwächter Kunde des Zahnausreißers Bader Zahnausreißer – Rötelverkäufer – –

13 (Z. 141–150) 14 (Z. 151–162) 15 (Z. 163–172) 16 (Z. 173–179)

16 (Z. 145–154) 13 (Z. 119–128) 14 (Z. 129–136) 19 (Z. 177–180)

17 (Z. 180–193) 18 (Z. 194–204) 19 (Z. 205–217) 20 (Z. 218–229) – –

17 (Z. 155–166) 18 (Z. 167–176) 4 (Z. 33–44) – – –

Schweinßor Ebertzan Außschreÿer Rotelstein Sutzelmar Weÿdenstock

F 99, F 109 F 99, F 109 – – F 99, F 109 F 99 F 109 (fehlt bzw. als ‚Lullars‘)

Textbezüge Der Text hält sich eng an F 109 bzw. ist als gebesserte Bearbeitung zu sehen. So wurde die Metrik geglättet (z.B. F 109, Z. 163–166 gegenüber F 99, Z. 190–193), der Wortschatz bearbeitet (z.B. F 109, Z. 70 gegenüber F 99, Z. 36) und Zeilen gekürzt (z.B. F 109, Z. 153f. gegenüber F 99, Z. 149f.) sowie ausgetauscht (z.B. F 109, Z. 173–176 gegenüber F 99, Z. 201–204). Es treten in beiden Versionen mehrere Figuren direkt nacheinander auf, deren Reden inhaltlich starke Parallelen untereinander aufweisen, z.B. der Fladenund der Kuchenverkäufer in F 109 (Z. 45–64) und der Speckkuchen-, der Fladen- und der Kuchenverkäufer in F 99 (Z. 59–94). Dies führt zu der Vermutung, dass dem jewei-

99 – Hans Folz: Die Handwerker |

385

ligen Spielleiter hier verschiedene thematisch ähnlich gelagerte Rollen als Versatzstücke zur Auswahl angeboten worden sein könnten, die dieser zum Zweck der Aufführung letztlich selbst in die gewünschte Reihenfolge zu bringen hatte. Mag dieser Eindruck zutreffen oder nicht: Ob hier von einer endgültigen, abgeschlossenen Fassung die Rede sein kann, bleibt letzten Endes zweifelhaft. R 28 thematisiert ebenfalls eine merkantile Situation, dort stehen allerdings keine Dienstleistungen, sondern ausschließlich Lebensmittel unterschiedlicher Provenienz zum Verkauf. Die Abwicklung der Verhandlungen in F 93 ‚Der Hasenkauf‘ reduziert sich auf die Darstellung der Bezahlung eines einzigen Handelsguts. In F 101 schließlich wird das Händlertum in toto als zweifelhafte Form des Broterwerbs gezeichnet und die betrügerischen Maßnahmen der Verfälschung oder Streckung von Lebensmitteln fokussiert. Die Einarbeitung von Fäkalien in die Lebensmittelproduktion wird ähnlich leidenschaftlich in F 91 dargelegt. Bearbeiter: Greil, Przybilski, Ritz

100 – Hans Folz: Die Fastnacht vor Gericht

Ein spil von der vasnacht

KF Nr. 51

Gb 264v KF 379

Precur sor spricht:

5

10

15

Got gruß als volk hie jnnen gemein! Ir herrn, ich bin beschiden her ein, Ob ich die faßnacht hynnen fund, Der ich ein ernstlich furpot kund, Darmit das ander vnd das dritt, Vnd bringen vnnsern richter mit, Ob man sie an wurd klagen hie, Das sie antwort, war durch vnd wie Sie all jar jerlich die werlt beraub, Vor auß die cristen, das ich gelaub, Kein volk vor jr sei[n] so vnfrey Mit dinsten ir zu wonen bey, Des sie warlichen ein vrsach ist Mancher schalkheit vnd falschen list.

F 110, 3f.

Die vasnacht:

20

Hie pin ich vnd tar mich lan schawen Weys, toren, junck vnd alt, menner vnd frawen, Vnd wil betzeugen mit jn allen: Wer ich an dem karfreytag gefallen,

3 als ‚alles‘ 3 gemein ‚miteinander‘ 4 beschiden ‚bestellt‘ 5 hynnen ‚hier drinnen‘ 6 furpot: ‚Vorladung‘; es war Rechtspraxis in Nürnberg, dass bei dreimaligem Ausbleiben des Geladenen dieser in Acht fällt (vgl. DRW 8, Sp. 271; HRG 2, Sp. 1337; vgl. auch Z. 416). 7 Vermutlich ist mit das ander die Verhandlung und mit das dritt das Urteil gemeint. 16 falsche list ‚Arglist‘ 18 tarren (zu mhd. turren): ‚wagen‘; vgl. Z. 287

1 unterstrichen; im Register G: Von der vasnacht wie si regiert vnder allen stenden 13 sein] sei: 3. Pers. Sg. Konj. Präs. mit Nasal anderweitig nicht nachweisbar (vgl. Paul: MhdGr, § 282). 21 dem: Keller (S. 1509) erwägt Konjektur zu den; der Eingriff erscheint dahingehend begründbar, dass die Mehrzahl vergleichbarer Konstruktionen tatsächlich den Akkusativ führen, das Bild des Herniederfallens an einem Ort/Zeitpunkt lässt bedingt jedoch auch den Dativ zu.

388 | 100 – Hans Folz: Die Fastnacht vor Gericht

25

30

Man solt dennoch mein fest vnd zeit Began jn aller cristenheit weÿt, Vil ee, dann jndert eins zwelffpoten, Wie wol ich nit bey dem pann bin poten. Warumb seit jr mir so gefer? Nu kumbt jr selbs ytz darumb her, Mir auß zu feyren nach meinem willen. Der babst selber kond euch nit stillen Vnd zeicht mich albeg euch betoren. Ich wil newr ewr klag gern horen.

KF 380 Gb 265r

Anwalt des adels:

35

40

45

50

Ich nÿm mich vmb den adel an, Dem wirt solch groß mwe aufgetan Mit hofeln, tantzen, rennen, stechen, Mit rucken, piegen vnd sper zu  prechen Offt abgefallen vnd wider umb daran. Darnach hebt man ein tantzen an, Do sich vnser tochter vnd frawen Vor mutzen auff vnd lassen schawen In perlein, rocken, guldin kronen. Do wil ein yde vber schonen Die andern gar mit kostlickeit. Dar zwischen wirt manch fraw vnd mait Betast, gekußt vnd jr fur poten. Do wirt dan mancher zu eim Lotten, Der dann die eigen tochter sein Beschlieff, als sie waren durch den wein Entschemt, also hor, mein vasnacht, Dem gleich tust du mit deiner macht.

24 ‚Viel eher als [das Fest] irgendeines Apostels,‘ 25 ‚Obwohl ich nicht unter Androhung des [Kirchen-]bannes vorgeschrieben bin.‘ 26 gefer ‚feindselig‘ 28 außfeyren ‚bis zum Ende an der Feier teilhaben‘ 30 zeichen (zu mhd. zîhen): ‚zeihen, bezichtigen‘ 30 albeg ‚immer‘ 30 betoren (zu mhd. tôren): ‚betrügen‘ 35 Nichtadelige Reiterstechspiele sind ab ca. 1340 zu belegen. Sie lösten sich vom Hoffest, gewannen im Fastnachtstreiben einen neuen Stellenwert und waren bis ins 15. Jahrhundert ein prägendes Moment der öffentlichen Erscheinung der Fastnacht (vgl. Moser: Fastnacht, S. 246; von Lüpke: Fastnachtspiele, S. 136). 35 hofeln ‚eine fröhliche Gesellschaft mitmachen‘ 40 vor ‚vorher‘ 40 auffmutzen ‚herausputzen, schmücken‘ 42 vber schonen ‚an Schönheit übertreffen‘ 45 fur piten ‚sich zur Schau stellen‘ 46 Lotten: Lot, Stammvater der Moabiter und Ammoniter, wurde von seinen Töchtern betrunken gemacht und zum Inzest verführt (Gen 19, 30–38). 49 Entschemt ‚Ohne Scham, Enthemmt‘

100 – Hans Folz: Die Fastnacht vor Gericht | 389

Die vasnacht:

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Sich, diße dein klag hett wol schein, Ob man gern wolt geraten mein, Des ich jn mir nit finde zwar. Nw wird ich doch jn keinem jar Weder durch prediger noch auß schreyer Gepoten, als ander vest vnd feyr, Dann was ir selbs auff mich ticht. Nw getz doch vber das ewr nicht. Du darfft den adel leicht versprechen, Es zalenß die vntter den stroen dechen, Die armen peurlein in den dorffen, Vnd werden dardurch nider geworffen Vil guter kauffleut auff der strassen, Der mancher muß ein feder lassen, Vnd wollen wol zu hofe kumen, Beschutzten sie darfur die frumen Vnd rewtten auß manch poß rappen nest, Auch welch straß man nit sicher west, Alß dann der recht war adel tut. Kein pöß edler tet nÿe kein gut. Jch mayn, die jren adel schmehen Mit epruch, spil vnd gelt entlehen Vnd zalen ein auff der gruͤ en wiesen. Darumb hor auff, du wirst verliesen!

Gb 265v

KF 381

52 schein haben ‚einleuchten‘ 53 Ob ‚Wenn‘ 53 geraten ‚verzichten‘ 54 ‚Was ich an mir nicht entdecken kann.‘ 58 tichten auff ‚etwas zu erreichen versuchen‘; vgl. Z. 396 59 ‚Es betrifft doch das Eurige nicht.‘ 60 darfft: Zur Möglichkeit des Spiransausfalls bei der Flexion der 2. Pers. Sg. Ind. Präs. vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 92. 60 versprechen ‚verteidigen‘ 61 stroen ‚strohen, aus Stroh‘ 65 feder lassen ‚Schaden erleiden‘ 68 außrewtten ‚ausheben‘ 68 rappen nest ‚Rabennest‘, hier: ‚Räuberhöhle‘ 71 ‚Ein schlechter Adeliger tat nie etwas Gutes,‘ 73 entlehen (zu mhd. entlêhenen): ‚verleihen‘ 74 gruͤ ne wiese: Bedeutung der Wendung unklar, evtl. in dem Sinne ‚vor den Toren der Stadt, auf der Festwiese‘ 75 verliesen ‚verlieren‘

71 pöß] piß

390 | 100 – Hans Folz: Die Fastnacht vor Gericht

Anwalt der purger:

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100

Herr richter, jch klag der burger halb, Die fasnacht macht manig toret kalb, Affen vnd narren, esel vnd schwein, Der in den steten gar vil sein. Hor, fasnacht, vnd merck mein bescheyd! Tust vns burgern vil mer zu layd, Dann all hendell sust auff erden. Etlich jr vernuft so gar an werden Mit hawen, schawfeln vnd gabeln, Do mit sie in dem mist vmb krabeln, Mit grossen stifeln, peurischen kappen, Als trappen, appetappen vnd lappen, Vnd schmitzen mit jren geÿseln ryemen, Das mancher vmb ein aug mocht kemen. Vnd wo sie in die hewser trieffen, Do hebt sich ein solich winckel schlieffen, Einer sucht die mait, der ander die frauen, Sagen jn von reyben vnd von krawen. Do wirt einer in die oren gepfiffen, Die ander wie ein kalp begriffen, Der dritten schut man ab die ageln, Das jr die pein gen perg auff gageln, Als ob sie wolt ein paume sturtzen. Do enpfert jr ein wort, das reucht von wurtzen,

Gb 266r

F 97, 153f.

KF 382

78 kalb: Das Kalb steht für ausgelassene und kindliche Freude (DWb 11, Sp. 52). 79 affe: Der Affe gilt als Sinnbild des eitlen Narren bzw. sündig gewordenen Menschen (vgl. Leibbrand: Speculum, S. 117ff.) und steht sogar für den Teufel selbst (Mezger: Narrenidee, S. 116–117). 79 esel: Der Esel symbolisiert im Mittelalter neben Dummheit, Lächerlichkeit, Widerspenstigkeit und Trägheit auch Triebhaftigkeit (vgl. Mezger: Narrenidee, S. 239–243; Leibbrand: Speculum, S. 138f.). 79 schwein: Das Schwein versinnbildlicht im mittelalterlichen Lasterkatalog neben der Stumpfsinnigkeit die gula (vgl. Moser: Fastnacht, S. 146; Leibbrand: Speculum, S. 177f.). 83 hendell ‚Streitereien, zwischenmenschliche Schwierigkeiten‘ 84 an (zu mhd. âne): ‚ohne, frei von‘ 88 trapp ‚Trampel‘ 88 appetapp ‚Depp‘ 88 lapp ‚Dummkopf‘ 89 schmitzen ‚schlagen‘ 89 geÿsel ryemen: ‚Geißelriemen, Peitsche‘ 91 trieffen ‚einströmen‘ 92 winckel schlieffen ‚durch Ecken und Winkel schleichen‘ 94 krawen ‚streicheln‘ 95 pfeifen ‚flüstern‘ 97 ‚Der dritten schüttelt man die Spreu ab,‘; zur sexuellen Metaphorik und zur Bedeutung der Spinnstube als Ort vorehelicher Geschlechterbegegnung vgl. Münch: Lebensformen, S. 268f.; Filzeck: Bildung, S. 17; Müller: Schwert, S. 131–133; vgl. auch Z. 272ff. 98 gen perg auff gageln ‚schaukelnd in die Höhe fahren‘ 99 sturtzen ‚auf den Kopf stellen‘ 100 reuchen ‚riechen‘ 100 wurtze ‚Gewürz‘

100 – Hans Folz: Die Fastnacht vor Gericht | 391

Auß einem kram, heyßt quatterloch. Was sol solche puͦ brey doch? Fasnacht, do pist du schuldig an, Vnd wil dich gern darumb horen, sag an! 105

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120

125

Die vasnacht: Ach, lieber got, solt man euch klemen, Jr wurt der warheit selber remen. Es ist ein sunderliche plag, Die alle jar auff viertzehen tag Euch all an kumpt, piß jr vertobt. Die plag euch Adam hat gelobt, Vnd wie wol man euch anders nennt, Wert jr doch die zeit pauren erkent, So jr mein fest zu feÿern maint, Als jr habt in der klag beschaint, Wie wol es jm gesetz ist verpoten, Das niemant sol seiner eltern spotten. Doch so es ist ein plag, verstet, Darjnn jr ewr eltern beget, So sich ich darumb nit fast sawr. Du waist doch, Adam was ein pawr Vnd sprach zu vns allen: kinder mein! Jr wolt dann gern panckhart sein, Sust ich euch gleich dem selben spür, Es helff euch dan die mawr dafür. Darumb so schweig, du ligst der nÿder! Dan kumst du mir piß jar her wider,

F 103II, 447f.

Gb 266v

101 kram ‚Krämerladen, Bude‘ 101 quatterloch (zu mhd. quatern): ‚Arschloch‘ 102 puͦ brey ‚Schurkerei, Hurerei‘ 106 klemen: Gemeint ist das Anlegen der Daumenschrauben, das in der Frühen Neuzeit den ersten Teil der üblichen gerichtlichen Folterprozedur bildete, durch die ein Geständnis erzielt werden sollte (Helbing: Tortur, S. 190f.). 107 der warheit remen (zu mhd. ræmen): ‚auf die Wahrheit zielen‘; hier: ‚gestehen‘ 110 vertoben ‚austoben‘ 111 Adam und Eva verwirkten ihr Bleiben im Garten Eden durch das Pflücken der Frucht vom Baum in der Mitte des Gartens, durch diese Tat ist dem Menschen der Weg zum Paradies verstellt (Gen 3, 15–17). 113 ‚Werdet ihr doch seit dieser Zeit als Bauern erkannt,‘ 115 beschainen ‚zeigen‘ 116 gesetz: ‚zehn Gebote‘, hier ist das vierte gemeint. 119 begehen ‚nachfolgen‘ 120 sehen hier: ‚aussehen‘ 123 panckhart ‚illegitimes Kind‘ 124 ‚Sonst nehme ich euch dementsprechend wahr,‘ 125 helffen ‚schützen‘ 125 mawr ‚Stadtmauer‘ 126 du ligst dernÿder ‚du bist unterlegen‘ 127 piß jar ‚übers Jahr‘

392 | 100 – Hans Folz: Die Fastnacht vor Gericht

Ich wil dir werlich eins zu trincken, Du machst als sanfft eim plinden wincken. 130

135

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145

150

Anwalt der hantwercker: O faßnacht, ich zeych dich ein groß: Du machst hewser vnd herberg ploß, Stuben, kamer, keler vnd kuchen Der hantwercker, wo man wurt suchen, Jn truhen, casten, schrein vnd keltern, Was ÿe verwurffen vnser eltern, Zu  rissen, fawl ist vnd verlegen, Muß als her fur vnd sich erst regen Vnd auff der gassen lassen schawen. Der man verkert sich jn ein frawen, Die frawen sich jn mannes gestalt, Das junck geschaffen macht sich alt, Das forder man hin hinter kert, Das hinter teil her fur dan fert, Vnters gen perg, obers gen tal, Vnsynnig wirt man vber al, Hebt sich ein schrammen, fressen vnd sauffen, Dan hie vnd dort ye zwey ein hauffen, Hie vergagenß ein ander die floe, Dort gickes geckes, awe gnoe, Ein ander schlahens auff der trumppen, Gnyppen vnd gnappen, tantzen vnd gumppen Treibt junck vnd alt, groß vnd klein. Dann get es durch ein  ander rein,

Gb 267r

KF 383

129 eim plinden wincken: Die Redensart umschreibt eine vergebliche Handlung (vgl. Röhrich: Redensarten, S. 218). 132 ploß ‚leer‘ 133 kuche ‚Küche‘ 135 kelter ‚[Wein-]presse‘, hier wohl ‚Fass‘ 136 verwerffen ‚ablegen‘ 137 verlegen ‚verdorben [durch liegen]‘ 140–141 Seit dem 15. Jahrhundert kam es immer wieder zu Maskierungs- und Kleidertauschverboten für Narren beiderlei Geschlechts (vgl. Moser: Fastnacht, S. 111). 147 schrammen ‚Schlemmen‘ 149 ‚Hier verjagen sie sich gegenseitig die Flöhe,‘ 150 gickes geckes: Lautmalende Umschreibung für Gänsegeschrei, in übertragener Bedeutung auch für eine sich durch Dummheit oder Unerfahrenheit auszeichnende Handlung gebraucht (vgl. Röhrich: Redensarten, S. 548). 150 awe gnoe: Die Bedeutung bleibt unklar, es ist lediglich anzunehmen, dass es sich um eine verunglimpfende bzw. obszöne Wendung handelt (vgl. DWb 7, Sp. 7320 bzw. Folz: Reimpaarsprüche, Nr. 18, S. 138, 261). 151 trumppe: Welches Musikinstrument gemeint ist, ist nicht sicher zu sagen, denn sie tritt in Verbindung mit slahen, blasen und auch ohne Tonerzeugung auf (Eitschberger: Musikinstrumente, S. 164–167); im vorliegenden Kontext liegt aber die Übersetzung ‚Pauke‘ nahe; zur sexuellen Metaphorik vgl. Filzeck: Bildung, S. 48. 152 gnyppen vnd gnappen ‚schwancken, ungeschickt tanzen‘ 152 gumppen ‚springen‘

100 – Hans Folz: Die Fastnacht vor Gericht | 393

155

160

Knecht, maÿd vnd kint als wuten wirt, Piß man dem gelt ein wenig geschirt Vnd als das wider die juden get, Das dennoch noch den ostern stet. Sag, faßnacht, wer ist schuldig daran? Niemant, dan du, kan ich verstan, Du wilt sein aber han kein wort.

Gb 267v

Die Vasnacht:

165

170

175

180

Ach schweig, wir han sein genug gehort, Wann dein red ist newr ein gespot, Wann mein fest nyemant darzu not. Doch ist es den gar nutz vnd gut, Die sust die sund nit rewen tut, So rewet sie doch auff das minst jr gelt, Das vnter zweintzigen eim nit felt. Wenn sie auff stan oder gen nyder, Gedenket jder: het ich mein gelt wider! Solchs negt jn dan an seinem hertzen Vnd mag jm ein pilden ein smertzen, Das er erseufftzt vnd denkt da mit: Wolst du der sunden lassen nit Vnd vertzerst das gelt vnd die kleider dein! Do mag eim rew kumen ein, Das er jm zu thun nymer fursetzt Vnd im ein briester bald außwetzt Vil gleter seiner sunden scharten, Dann einer ein rostige helm partten Mit eim schuch fleck die wol polirt, Vnd seiner sund als ledig wirt,

KF 384

155 als ‚also, derart‘ 155 wuten ‚rasen, toben‘ 156 geschiren ‚scheren, kümmern‘ 157 ‚Und all das [Geld] geht an die Juden,‘ 158 Hier ist wohl gemeint, dass die jüdischen Geldverleiher das ihnen geschuldete Geld erst nach Ostern zurückerhalten. Damit wird der Blick auf den zeitlichen Ablauf Fastnacht, Fastenzeit, Ostern gerichtet. 161 ‚Du möchtest dich dessen, zu dieser Sache nicht äußern.‘ 165 noten ‚nötigen‘ 168 auff das minst ‚wenigstens‘ 169 ‚19 von 20 [Menschen] haben [grundsätzlich] zu wenig Geld.‘ 178 fursetzen ‚planen, erwägen‘ 180 gleter Komp. zu glat ‚glatt‘; vgl. Z. 218 181 helm partten ‚Hellebarde‘ 182 schuch fleck ‚Schuhputzlappen‘ 183 ledig ‚frei‘

179 im] in: Konjekturvorschlag bei Keller (S. 1509)

394 | 100 – Hans Folz: Die Fastnacht vor Gericht

185

Als ein grintiger kopff vol leuß Vnd ein alte scheuren der meuß. Darumb so schweig, du findest hie nicht!

Gb 268r

Der pauren anwalt:

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215

Wie, ob ich mich auch an dich richt, Du geheyst vns wol daussen in den dorffen. Was hast du jr des jars vmb geworffen? Wir han ein hawß wol ein genumen Vnd sein jn ein monat heraus nit kumen Vnd stetz gewesen trüncken vnd vol. Jch hab den tag gesehen wol, Das ich sechs oder siben mol speyt, Piß das ich traff die rechten zeit, Vnd es dan forn wider an hub Vnd nam mir auch kein lengern schub, Dann piß man mir gepriet ein wurst, So hett ich wider mein alten durst. Secht, ich hab wol ein sew sack fressen Vnd sovil pirß darauff auß gemessen Vnd darnach vber ein kleine zeitt Ein solchen hauffen grÿeben gespeyt, Das meine kinder vmb mich sassen, Die selben grÿeben all auff frassen Vnd sprachen: lieber vater, gock me! So tet mir je der hals als we, Die muter styeß mir zu dem hertzen, So wolten die kint dan mit mir schertzen Vnd gewunnen mir ye an ein ranck, Das wol einer ellen langk ein strangk Vntter die kinder von mir schoß. Kein stat was an in nyrgend ploß, Man hetz mit loffeln auff gehaben. So must ich mich dan wider laben. Die weyl leckten die hund die kind, Das sie jmer seyt des gleter sind.

KF 385 Gb 268v

185 scheure ‚Scheune‘ 189 geheyen ‚plagen‘ 198 schub ‚Aufschub‘ 201 sew sack ‚Saumagen‘ 202 pir ‚Bier‘ 202 außmessen ‚zumessen, verteilen‘ 204 grÿebe ‚Griebe, ausgelassenes Stück Fett‘, Rezeptbestandteil des Saumagens 207 gocken ‚aufstoßen, erbrechen‘ 211 ‚Und gerieten in ein Gerangel mit mir,‘ 212 strangk ‚Strahl‘ 214 ‚Keine Stelle an ihnen war unbedeckt,‘ 218 glatt ‚sauber, unbefleckt‘

100 – Hans Folz: Die Fastnacht vor Gericht | 395

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235

240

245

Vnd die weis han ich nit allein, Sunder all alt pauren gemein. Die jungen han anders zu wartten Mit pretspil, schantzen oder kartten, Fressen vnd sauffen stark darzu, Darnach getz vmb, da du, da du Mit kandel, gleßer, kraußen vmb stossen Vnd niemant zu der thur auß lossen. Ein ander sie auff dem grind vmb lauffen, Tisch, penck vnd stul get als zu hauffen. Ein teyl stossen die fenster auß, Ein teyl kriechen zum ofen herauß, Jr vil mit kandeln vnd schwerten schirmen, Pis sie ein ander pas gefirmen. So spilen der plinten meuß die meyd, Die haben darbey auch jren bescheyd Jn sundern stuben mit den knaben, Die sie darzu geladen haben. Die achten auch der licht nit vast. Welches das ander dan ertast Hinter dem ofen oder auff der panck, Die gewinnen ein ander an ein ranck, Das manche spricht: Heintz, hor doch auff, Ee ich dich bey dem hor rauff! Vnd halt dich, piß du auß getobst, Ob du mir nit die ee gelobst. Werlich, vasnacht, ich kan verstan, Das du fast schuldig pist daran Vnd beleibst vber das jar nit auß.

Gb 269r

KF 386

219 weis ‚[Verhaltens-]Weise‘ 221 han anders zu wartten ‚haben anderes zu tun‘ 222 schantzen ‚würfeln‘ 225 kandel ‚Kanne‘ 225 krause: Beutelförmiger Trinkbecher aus Keramik (Brandl: Keramik, S. 34). 227 grind: ‚Kopf‘; soll wohl bedeuten, dass die Betroffenen nicht mehr in der Lage waren, zu stehen. 231 schirmen ‚fechten‘ 232 ‚Bis sie sich gegenseitig ordentlich verdreschen.‘ 233 der plinten meuß spilen: Blindekuh spielen (vgl. Röhrich: Redensarten, Sp. 217). 234 bescheyd ‚Verabredung‘ 235 sundern ‚abgesondert‘ 237 nit vast ‚kaum‘ 238 ertasten ‚berühren‘ 243 halt dich ‚besinne dich‘

222 schantzen: Keller (S. 1509) erwägt Konjektur zu swanzen; der Eingriff ist weder erforderlich, da das Verb für Nürnberg nachweisbar ist (vgl. Baader: Polizeiordnungen, S. 88), noch bessert er semantisch.

396 | 100 – Hans Folz: Die Fastnacht vor Gericht

Die vasnacht:

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265

270

Jch han mit euch darumb kein strauß, Jr vbt euch albeg fast also, Ein zeÿt jm hew, ein weil jm stro: So Metz vnd Geut, Fridel vnd Frantz Jr losung haben vnd jr schantz. Die heben jm hew zu obirst an, Fassen sich in die arm gar schan, Walgen herab piß an den tennen, Das haissen sie dan jr scharpf rennen. Jm stroe fallt jr zwischen die schober, Welchs yetz ligt vnden, wirt dan das ober. Der wechsel wert so lang vnd vil: Man nenntz allein ein vasnacht spil. Ein teyl suchen ein ander jm hauß Oder richten jr sach jm kwestal auß, Die weil die maid jm melken sitzen. Da werden die kue zu den gelten smitzen, Das sie zu den wendten walgen Vnd sich in kue drecken betalgen, Als hetten sie einer saltzen fressen. Etlich die dick der wend ab messen, Visiern des nachts die maide dar durch Vnd ackern mer dann einerley furch. Jr vil der rocken stuben remen, Do rucken ye zwej vnd zwej zu samen

Gb 269v

F 94, 15f.; F 97, 174f.

249 strauß ‚Streit‘ 250 uben ‚betätigen‘ 252 Metz: Sehr häufig nachweisbarer Name, meist in pejorativer Verwendung (vgl. DWb 12, Sp. 2149; Arndt: Personennamen, S. 55). 252 Geut: Bauernname, Variante zu Jutta (vgl. Arndt: Personennamen, S. 54; Kunze: Namenkunde, S. 77). 252 Fridel: Einerseits Diminutivform zu Namen mit frid, andererseits auch als eigenständiges Lexem mit Bedeutung ‚Geliebter‘ (vgl. DWb 4, Sp. 188–192; Arndt: Personennamen, S. 48). 252 Frantz: Gängiger Vorname, laut Wackernagel auch als Bezeichnung für einen „weiche[n] schwache[n] Mann“ (Wackernagel: Sprüche, S. 511). 253 losung ‚Verabredung‘ 253 schantz ‚Gelegenheit‘ 255 schan ‚schön‘ 256 walgen ‚rollen‘ 256 tenne ‚Dreschplatz; Hausflur‘ 257 scharpf rennen ‚Ritterturnier‘ 258 schober ‚Strohhaufen‘ 265 gelte ‚Milchkübel‘ 265 smitzen (zu mhd. smîzen): ‚[aus-]schlagen‘ 266 walgen ‚rollen‘ 267 betalgen ‚beschmieren‘ 268 saltze (zu mhd. salse): ‚Soße‘ 269–271 Die Visierrute war ein seinerzeit verbreitetes Phallussymbol (vgl. Kratz: Wortschatz, S. 83; Filzeck: Bildung, S. 51), vgl R 27, Z. 100. 270 visiern ‚ausmessen [von Hohlräumen]‘ 272 rocken stube ‚Spinnstube‘

100 – Hans Folz: Die Fastnacht vor Gericht | 397

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Vnd spilen ein weil des kleinen genesch Vnd treyben mangerlej gewesch Mit worten vber ort geschliffen. Kumt dan der wint in das liecht gepfiffen, So helffens pald, das gar erlischt, Vnd welcher dan ein enspen erwischt, Do dann sein spindel jn hat raum, Der acht nicht, was dem andern traum. Solch vasnacht habt jr vber jar, Das jr mein nit vast achtent zwar, Das ich mich ewr nit vast an nim.

KF 387

Anwalt der frawen: Fasnacht, jr hort doch auch mein stim. Ich gelaub vnd torst wol bringen bey, Das mein klag noch die heftigst sey. Ach got, was vbt sich grosser schand Stet mit vns weÿbern allen sand! Nu kan ich doch keins syns gedencken, Wie ich mit red mich mug gelenken, Zu sagen, das mans klar verste Vnd nit zu grob red darauß ge. Doch kan ich es mit halben mund. Potz fut, ich ward gar zeitlich wund. Nu dar, ich wils noch pas beschneiden. Wir mussen warlich gar vil leyden, Man ficht vns all gar zeitlich an. Welche dan nit wol versagen kan, Der treufft jr keusch wol halp in die aschen. Das schon wil jderman benaschen.

Gb 270r

274 genesch ‚heimliche Liebelei‘, hier eher ‚erotisches Vorspiel‘ 275 gewesch ‚Geschwätz‘ 276 ‚Mit anzüglichen Worten.‘ 279 enspen: ‚Spinnwirbel‘; technische Vorrichtung, die in bzw. an der die Spindel rotiert, hier erotische Metapher in der Bedeutung ‚Vulva‘. 287 bey bringen ‚vorbringen‘ 290 allen sand ‚allesamt‘ 292 ‚Wie ich mich gewandt auszudrücken vermag,‘ 295 halber mund ‚nur halb sagen, andeuten‘ 296 Potz fut: Die seit dem 15. Jahrhundert auch als kotz oder pox in Flüchen auftretende Interjektion potz ist eine Entstellung bzw. Abwandlung des Genitivs Gottes (HdA 2, Sp. 1638). Der zweite Teil des Ausrufs zu mhd. votze: ‚Vulva‘. 296 zeitlich wund: ‚bei Zeiten verletzt, defloriert‘; zur sexuellen Metaphorik vgl. Müller: Schwert, S. 197f. 297 beschneiden ‚eingrenzen‘ 299 anfechten ‚angehen, sexuell bedrängen‘ 300 versagen ‚verweigern‘

398 | 100 – Hans Folz: Die Fastnacht vor Gericht

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Ich muß euch nu von schliten sagen. Do hebt sich ein rennen vnd jagen, Wenn ich dann gern sess an eim ort Vnd redet nit ein eÿnichs wort, Ee must ich en mitten in die schoß, Wo ich dann hab ein ecklein ploß, Do wil jder sein hend an wermen, Er heyß Fritz, Leupolt oder Hermen. Furt vns dan einer vntter den armen, So mag man leicht bey einer erbarmen, Das er ymer zu weitter nyst, Wie wol es in der finster ist. So remenß einer des munds als eben Vnd kussen gleich wol offt darneben Vnd han ein zwacken vnd ein drucken Vnd wollen vns newr in die winckel drucken. Leg wir dann mannes kleider an Vnd mayn, dest sichrer gan, So pald sie erfarn einer oder zwen, So wils keiner allein lassen gan. Jgklicher spricht: wol auff, ge mit mir! So wil der ander nit von jr, Vnd wartten jr bald fleissig auß. Wo sie dann ein gen jn ein hauß, So remen sie der winckel zu mal Vnd hett sie jeder lieber jm stal.

Gb 270v

KF 388

303 schliten: ‚Schlittenfahrt‘; Müller weist darauf hin, dass Schlittenfahrten Vorwand für körperliche Annäherungen gewesen seien. Dies artete vielerorts derartig aus, dass es zu Verboten dieser Vergnügung kam (vgl. Müller: Schwert, S. 62). 306 ‚Und dürfte nicht ein einziges Wort mitreden,‘ 307 schoß: Bedeutung unklar; schoß als Bezeichnung für die Körperpartie um die Leibesmitte bzw. das verhüllende Kleid in der Bedeutung ‚Schürze‘ ist zumindest denkbar. In diese Bekleidung muss die Klagende ihre Hände zur Abwehr der Annäherungen ziehen. Das ecklein ploß der Folgezeile wäre dann als Schambereich aufzufassen. Nicht nachweisbar ist das Lehnwort chaise: ‚Liege, Bank‘ als Ort für die Übergriffe. Dieser Deutung zufolge wäre in der folgenden Zeile auf die Zudringlichkeit der männlichen Begleiter verwiesen, aufgrund derer die Klagende nicht ausreichend Platz auf der Sitzgelegenheit habe. 310 Leupold: Aus liut und bald gefügter Name (vgl. Arndt: Personennamen, S. 50). 313 nyst: Entweder zu nesteln: ‚kraulen, mit den Fingern spielen‘ oder zu mhd niezen: ‚sich zu Nutze machen, genießen‘. 319 Leg: Zum Flexivausfall der 1. Pers. Pl. Ind. Präs. bei nachgestelltem Personalpronomen vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 94. 321 erfarn ‚kennen lernen‘ 325 außwartten ‚aufwarten‘

100 – Hans Folz: Die Fastnacht vor Gericht | 399

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Vnd ich sprich werlich: hor, vasnacht, Wan jr dann firbitz recht betracht, Den dann wir weyber han zu zeiten, Jr ließt vns nit als vil auß reitten. Wie wol wir sitzen hinter den mannen, So keren wir die oren doch nit dannen. Jch schweig, wo wir vns nachtz verhindern, Piß das die liechter verflindern. Jr wißt, das die nacht ist niemands freund. Ob ich zu ser wer auff geleundt Vnd het zu grob ein teyl gespunnen, Seit ir doch weder munch noch nunnen, Doch bit ich mir hie zu vertzeyhen. Eim andern mocht auch red gedeyhen. Des habt die leng mir nit fur argk.

Gb 271r

Die vasnacht: 345

350

355

O fraw, jr fecht mich an zu starck Vnd wist doch, das ich hab vergundt: Wo yemant ferlichkeit zu stundt Durch mein person, so wer wol recht, Das niemant mein zu gut gedecht Vnd auß der cristenheit mich rewt, Das mich fund weder vieh noch lewt. Deshalb mir paß zem, euch zu fluchen. Nu get jr offt ein menet suchen Nach mir, ee das mein rechte zeit ist, Vnd kum selbs nit an vrsach, wist! Hat nit ein yder heilig sin abet, Darmit die kirch jn hat begabet,

KF 389

330 firbitz (zu mhd. virwiz): ‚Begehrlichkeit, Lüsternheit‘ 332 als viel ‚so viel‘ 334 ‚So hören wir nicht weg.‘ 335 verhindern ‚aufhalten‘ 336 verflindern ‚verlöschen‘ 338 auffgeleundt (zu mhd. liunen): ‚aufgetaut, in Stimmung gebracht‘ 343 ‚Deshalb nehmt mir die Länge [meiner Rede] nicht übel.‘ 346 vergunden: Bedeutung unklar, entweder zu mhd. gunnen: ‚vergönnen, erlauben‘ oder zu kunden: ‚verkünden‘, eine vergleichbare Lenisierung ist im übrigen Korpus Folzens jedoch nicht nachzuweisen. 347 ferlichkeit ‚Gefahr‘ 347 zu stehen (zu mhd. zuo stân): ‚zukommen, entstehen‘ 350 cristenheit ‚christliche Gemeinschaft‘ 350 rewten ‚ausreißen, entfernen‘ 352 zemen ‚ziemen‘ 353 menet ‚Monat‘ 356 abet ‚Vorabend [zum Feiertag]‘ 357 begaben ‚beschenken‘

330 dann: Keller (S. 388) erwägt Konjektur zu den

400 | 100 – Hans Folz: Die Fastnacht vor Gericht

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Genen mit fasten vnd den mit feyern? Warumb wolt jr mir nit auch auß leyren? Ich bin nit abet eins tags allein, Sunder sechs wochen gantz gemein, Vnd ist mein abet keinem gleich, Man ißt vnd trinkt daran folligkleich, Vnd vastet die tag, der abent ich pin, Jn welchen tagen furbas hin Mer guter werk werden vollbracht, Dan jr das gantz jar wirt gedacht. Ob jr dann sprecht, sey vntzimlich, Das menigklich so verpindet sich, Da hab ich dran mein abent an, Das gantz sechs wochen wirt getan Vnd gib euch des ein wars exempel. Sag, werden nit jn jedem tempel Verpunden alle pild gemein? Das jr mir nit kundt sprechen: neÿn. Darumb, herr richter ich beger, Sagt frolich ewr vrteil her!

Gb 271v

Richter:

380

385

Nach klag vnd anwort aller tail Seidt fort all vasnacht frisch vnd geil! Lat sie der fasten abent sein, Bringt sie die sechs wochen wider ein, Wann darumb ist es furgenummen Vnd ist das alt vnd lanck herkumen. Jr habt all genugsamlich gefochten. Vnd wie es sey jn ein geflochten

358 genen ‚jenen‘ 359 auß leyren ‚Raum lassen‘ 360 ‚Ich bin nicht allein der Vorabend nur eines Tages,‘ 364 Die Fastnacht wird hier verstanden als Vorabend der Fastenzeit, welche mit dem Aschermittwoch beginnt (Mezger: Narrenidee, S. 467–482; DWb Neubearbeitung 1, Sp. 124b). 365 furbas ‚weiterhin‘ 369 menigklich ‚jeder, alle‘ 369 verpinden: In Anlehnung an Z. 374 wohl ‚verhüllen, verkleiden‘. 374 Seit dem 11. Jahrhundert verhüllte man am fünften Fastensonntag den Altar durch ein großes Tuch. Im 13. Jahrhundert ging man dazu über, auch die Kreuze und Bilder im Kirchenraum zu bedecken, vgl. Joh 8, 59 (vgl. Adam: Fastenzeit, S. 36f.). 380 geil ‚heiter‘ 383 furgenummen ‚vorweg genommen‘ 384 alt vnd lanck herkumen ‚von alters her Brauch‘

370 dran: Keller (S. 1509) erwägt Konjektur zu dann

100 – Hans Folz: Die Fastnacht vor Gericht | 401

390

Nach aller form antwort vnd clag, So beleibs furpas all vnser tag, Vnd sey hie mit die sach beschlossen. Ob yemant wer gewest verdrossen, Der wolls vns nit zum ergsten sachen. Wir wollens zum nechsten kurtzer machen.

Gb 272r

KF 390

Paur:

395

400

Pfeyff auff, pawker, mach vns ein rayen! Last sich die frauen eins ermeÿen! Sie haben lang darauff geticht. Darumb tracht , das jr all auff zÿht! So wil ich den vor raÿen treten Vnd wil so hofflich vmb her kneten, Als keiner hie auff dieser pan. Wol auff, junkfrau Ell, wir wollen daran.

F 88, 682f.; F 103I, 526f.

Gesegner:

405

410

Jr herrn, des schimpfs ist gleich genuk, Die narren weÿs ist nit yedermans fugk. Wir wolten die fasnacht han erschreckt, So hab wirß erst recht auff geweckt. Darumb rat ich den jungen gesellen, Sich die zeit jegerlich zu stellen, Ob sie doch mochten etzwas fahen. Es ligt den meyden also nahen, Vnd rat den jungen meyden auch, Wo sie sehen ein jungen gauch, Der wol gelt vnd gelts wert hab, Das sie dem hoflich straiffen ab.

Gb 272v

390 verdrossen ‚überdrüssig, gelangweilt‘ 391 sachen ‚auslegen‘ 395 389 sach ‚Streitfall‘ ermeÿen ‚erfreuen‘ 397 trachten ‚versuchen‘ 399 vmb her kneten ‚herumtrampeln‘ 400 pan ‚Bühne, Tanzfläche‘ 403 schimpf ‚Spaß, Spott‘ 404 fugk ‚Sache‘ 408 jegerlich: ‚nach Art des Jägers‘, hier eindeutig erotisch. 409 fahen ‚fangen‘ 412 gauch ‚Narr‘ 414 abstraiffen ‚abknöpfen‘

401 Ell: Keller (S. 1509) erwägt Konjektur zu Els; anders Arndt: Personennamen, S. 53

402 | 100 – Hans Folz: Die Fastnacht vor Gericht

415

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Vnd rat den vralten vnd graen, Das sie vns nit zwirent empfaen. Ob sie dann vnsern ein gank neÿden, So sehen sie vns dest lieber naher reÿden. Darmit sey niemantz vngeschlacht. Got geb vns tausent guter nacht!

415 graen ‚die Ergrauten‘ 416 zwirent empfaen: ‚[noch] zweimal empfangen‘; nach dem Sachsenspiegel kam es bei Gerichtsverhandlungen in vielen Fällen zu Verzögerungen. Des Weiteren war es wohl bei Bauerngerichten üblich, zweimal ohne Ergebnis zu verhandeln und erst im dritten Beratungsgang das Urteil abzugeben (Röhrich: Redensarten, S. 141). 417 ein gank ‚Einzug‘ 418 reÿden ‚drehen, tanzen‘ 419 vngeschlacht ‚ungnädig‘

100 – Hans Folz: Die Fastnacht vor Gericht | 403

Kommentar Bezeugung Gb, Bl. 264v–272v

Ausgaben Keller: Fastnachtspiele I, S. 379–390 (= Nr. 51, nach G); Bd. III, S. 1508f.; Bd. IV, S. 341.

Textkritik Das Stück ist unikal in Handschrift G tradiert.

Autor Hans Folz ist mit ziemlicher Sicherheit Autor von F 100, hierfür sprachen sich zuerst Victor Michels und im Anschluss auch Eckehard Catholy aus. Festzumachen sei die Autorschaft an dem lexematischen Inventar schmitzen sowie dem bei Folz häufig im Reim stehenden Verb remen (Michels: Studien, S. 222). Fischer: Hans Folz, S. 225 verweist des Weiteren auf die Gleichheit von Z. 94 und Reimpaarspruch 30, Z. 84f., Z. 150 sowie von Reimpaarspruch 18, Z. 261 bzw. Z. 337 und Reimpaarspruch 36, Z. 171f. Catholy schließlich führt den Stichreim an, den erst Folz im Fastnachtspiel etablierte. Darüber hinaus enthalte F 100 ebenso wie die als sicher Folz zugeschriebenen Spiele F 103, F 110 und F 111 die dritte Stufe des Schlußtanzes“ (Catholy: Fastnachtspiel des Spätmittelalters, S. 150, 185). Der Stichreim ist jedoch als eindeutiger Beleg zu relativieren. Er ist erst ab Z. 161 nachweisbar und obendrein häufig entbehrlich dahingehend, dass die letzte Zeile einer Rede, die den Reim zur ersten Zeile der nächsten Rede bildet, semantisch wie syntaktisch oftmals nicht zwingend ist (vgl. Simon: Fastnachtsspieltradition, S. 72f.), der Stichreim also nicht zwangsläufig als genuiner Bestandteil des Spiels anzusehen ist. Ob es sich bei diesen möglicherweise nachträglich hinzugefügten Versen um die Hand des Schreibers oder des seine Rohfassung bessernden Folz handelt, bleibt kaum eindeutig zu klären.

Datierung Terminus ante quem ist 1494, das Abschlussjahr der Handschrift G.

404 | 100 – Hans Folz: Die Fastnacht vor Gericht

Rollen, Inhalt, Struktur Rollen: Precursor, eine Personifikation der Fastnacht, Anwälte des Adels, der Bürger, der Bauern, der Handwerker und der Frauen, ein Richter, ein Bauer und der Ausschreier. Es wird ein Gerichtsprozess gegen die Fastnacht geführt, die von den Vertretern verschiedener weltlicher sozialer Gruppen angeklagt wird, die gottgegebene Ordnung der Dinge durch rauben, schalkheit und falsche list (Z. 1–16) zu stören. Gegen diese Anschuldigungen verwahrt sich die Fastnacht, schließlich werde sie von weys, toren, junck vnd alt, menner vnd frawen (Z. 19) Jahr um Jahr begangen und dies, obwohl sie weder durch weltliche noch geistliche Autoritäten festgeschrieben sei. Vom Anwalt des Adels angeklagt, zu Prunksucht, Gelagen und Inzest zu verführen, stellt die Fastnacht entgegen, dass der Schaden, der durch adelige Eskapaden anstelle der Gewährleistung von Rechtssicherheit und Frieden entstehe, wesentlich größer sei. Es folgt der Anwalt der Bürger, der die Fastnacht bezichtigt, seine Mandanten zu närrischem, bäurischem und enthemmtem Verhalten zu verleiten. Dagegen führt die Fastnacht an, dass die Bürger als Kinder Adams von Natur aus Bauern seien, die sich allein aufgrund ihres Wohnsitzes innerhalb der Stadtmauern wähnten, einem höheren Stand anzugehören. Der Anwalt der Handwerker beschuldigt sie der Verkehrung der Welt, die sexuellen, lukullischen und finanziellen Ausschweifungen Tür und Tor öffne. Gegen diese Anklagen setzt sich die Fastnacht nicht nur zur Wehr, sondern geht zum Gegenangriff über. Sie selbst habe sich nichts vorzuwerfen, denn mein fest nyemant darzu not (Z. 165). Ganz im Gegenteil, sie verhelfe sogar jenen zu Reue und Bußfertigkeit, die, wenn schon nicht ihre Sünden, aber nun doch wenigstens der Verlust ihres Geldes schmerzt. Der Vertreter des bäuerlichen Standes klagt über kulinarische Exzesse und daraus resultierende peristaltische Dysfunktionen. Auch die Bauern gäben sich ohne näheres Ansehen des Gegenübers ihren Trieben hin. Die Antwort folgt prompt mit dem Hinweis auf die im bäuerlichen Milieu auch sonst nicht allzu großen Skrupulositäten bei der Wahl von Sexualpartnern oder Defäkationsorten. Zuletzt verschafft sich die Anwältin der Frauen mit ihrer Klage über deren ständige sexuelle Bedrängung durch die Männerwelt Gehör. Dies nutzt die Fastnacht zum abschließenden Plädoyer: Sie betont ein weiteres Mal den grundsätzlich freiwilligen Charakter aller im Karneval angelegten Lustbarkeiten. Sie verweist auf ihre fest verankerte Position im Kirchenjahr und ihre Berechtigung als Gegenpol zur Fastenzeit, die nicht zuletzt auch aufgrund ihres, der Fastnacht, Treibens umso strahlender hervortrete. Der Richter entscheidet die Angelegenheit zu Gunsten der Fastnacht, der Bauer fordert den Tanzschluss und der Ausschreier wiederholt den Triumph der Fastnacht, indem er den ausschweifenden Lebensstil während jener Tage dringend empfiehlt und das Publikum verabschiedet. F 100 fügt sich nicht in das schematische Entweder-oder von Reihenspiel und Handlungsspiel. Im Aufbau unterscheidet es sich auch von den

100 – Hans Folz: Die Fastnacht vor Gericht | 405

übrigen Gerichtsspielen. Gerd Simon (Simon: Fastnachtsspieltradition, S. 72) erklärt es zu einer Mittelpunktsrevue, ein Befund, der nicht zuletzt dem Bühnenarrangement einigermaßen nahekommt. Deutungsaspekte: Das Spiel setzt sich kritisch mit seinerzeit üblichen Verfehlungen innerhalb der sozial integrierten Schichten auseinander. Es thematisiert bezeichnenderweise eben nicht primär die verkehrte Welt der Fastnacht, in der der Tabubruch zelebriert wird, sondern die Lebenswirklichkeit, die die Einhaltung von Übereinkünften bezüglich sozialer Verhaltensweisen notwendigerweise fordert. Insofern kommt das Spiel aus einer anderen Ecke, es wird nicht die Entgrenzung gefeiert bzw. sanktioniert, sondern die dem nichtfastnächtlichen Jahreslauf zugrunde liegenden Limitierungen legitimiert. Erst aus deren grundsätzlicher Gültigkeit ergibt sich die Möglichkeit zu punktueller Außerkraftsetzung im Rahmen der Fastnacht. Die Fokussierung auf die außerfastnächtliche Lebenswirklichkeit entlädt die auch im vorliegenden Spiel allenthalben anzutreffende skatologische und sexuelle Metaphorik ihrer Komik. Die Maßlosigkeiten werden im thematischen Umfeld der Sünde verortet, sie funktionieren insofern nicht im Dienste einer lächerlich verkehrten Welt. F 100 kann gewissermaßen als Hohlspiegel der Fastnachtspieltradition verstanden werden, das die allzu bekannten Zoten aus dem gewohnten Zusammenhang herauslöst und in einer neuen Funktion auf den Kopf stellt. Die Prinzipien Entsagung und Genuss stehen sich hier aber nicht unvereinbar gegenüber, die Gegensätzlichkeit wird durch das Postulat der Angemessenheit seitens der Fastnacht ausgehebelt. Als Ausnahme von der Regel hat die temporäre Regellosigkeit ihre Berechtigung, grundsätzlich aber wird die Einhaltung gefordert. In dieser wechselseitigen dialektischen Bedingtheit wird der oppositionelle Charakter zugunsten eines integralen aufgegeben. Die als groß mwe (Z. 34) des Adels durch dessen Anwalt dargestellten Aufgaben des Turnierens, Tanzens und Prunkens wirken in dieser Bewertung dagegen durchaus komisch, stellten sie doch die zentralen Höhepunkte der bürgerlichen Fastnacht dar. Auf diese Weise wird der Adel a priori von der Möglichkeit zur Vergnügung am fastnächtlichen Treiben freigestellt. Ihm wird in der Entgegnung die Wahrnehmung seiner Schutzfunktion für die ländliche Bevölkerung und Handel treibende anempfohlen. Diese Kritik ist zu verstehen im Zusammenhang mit den permanenten Zwistigkeiten, die zwischen den aufstrebenden bürgerlichen Eliten der Stadt und dem alten Herrschergeschlecht der Hohenzollern bestanden, deren Einfluss auf die Geschicke der reichsunmittelbaren Stadt mit der Abtretung ihrer hoheitlichen Rechte 1427 jedoch faktisch zum Erliegen kam (vgl. Schieber: Geschichte, S. 41). Die Bauern werden vergleichbar den übrigen Spielen als maßlos im Essen geschildert, gerade im Zusammenhang mit der gegenüber dem Adel vorgebrachten Klage jedoch auch als des Schutzes bedürftige Gruppe. Das mag damit zusammenhängen, dass die Eigentumsverhältnisse der bäuerlichen Lehensnehmer des Nürnberger Patriziats im Umland oftmals nur unzureichend geschützt waren, wodurch wiederum die Möglichkeit zur Leistung von Abgaben durch die Bauern gemindert wurde. Rechtsstreitigkeiten zwischen Markgra-

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fen und Stadt sind für die gesamte Frühe Neuzeit nachweisbar (vgl. auch Schieber: Geschichte, S. 44ff.). Auffälligerweise wird bei Anführung der arrivierten stadtbürgerlichen gesellschaftlichen Schichten und Stände der Klerus ausgespart, obwohl die Fastnacht zweifellos als Teil des Kirchenjahres verstanden wurde. Diese Auslassung sticht umso mehr hervor, als die Verhöhnung des geistlichen Standes in der Schwankliteratur des 15. Jahrhunderts ein beliebter Topos ist, auf den Folz auch in seinen Fastnachtspielen ansonsten nicht kategorisch verzichtet (vgl. z.B. F 95, F 110, Z. 84–86). Wenn nun Folz nicht auf die naheliegende Thematik eingeht, so müssen dafür gute Gründe vorgelegen haben. Es ist für die Zeit der Fastnacht grundsätzlich vom Prinzip der verkehrten Welt auszugehen, wie auch im vorliegenden Spiel deutlich zum Ausdruck gebracht wird (Z. 130–153). Der Klerus hat seine Macht und seinen Einfluss in dieser Welt für einen begrenzten Zeitraum verloren, erst mit dem Aschermittwoch gewinnt er sie zurück. Ebenso wie der Adel wird er grundsätzlich nicht für das Konzept der Fastnacht für tauglich erachtet und lediglich punktuell als Projektionsfläche für meist despektierliche Pointen genutzt. Bemerkenswert ist abschließend noch der Umstand, dass Folz auch in diesem Stück auf einen Seitenhieb gegen die Angehörigen des jüdischen Glaubens nicht verzichtet, ihnen wird der Geldwucher zum Vorwurf gemacht: Piß man dem gelt ein wenig geschirt / Vnd als das wider die juden get (Z. 156f.). Im Gegensatz zu anderen Fastnachtspielen des Autors, namentlich F 81, F 88 und F 108, belässt er es hier jedoch bei einer kurzen Anspielung und verzichtet auf die sonst übliche, mehr oder minder stark ausgebaute Polemik. Aufführungshinweise: Das Spiel zeichnet sich weder durch den dramatischen Aktionsaufwand der Handlungsspiele aus noch durch das unsystematische, lediglich additiv geordnete Nacheinander der Reihenspiele. Es herrscht ein etwas anders geartetes Gravitationsfeld, das sich in der Inszenierung in der Aufteilung der Bühne niederschlug. Die zentrale Position hatte wohl die vasnacht inne, die Anwälte sind aus dem Bühnenhintergrund ihr zur Seite tretend zu denken. Es ist nicht davon auszugehen, dass die zentrale Position, das dramatische Gewicht der personifizierten Fastnacht, die nicht zuletzt durch den Spruch des Richters in ihrer Funktion zusätzlich aufgewertet wird, an den Bühnenrand gedrängt der Gruppe der Anwälte gegenüber stand. Zweifellos wäre eine derartige Anordnung einer realen Gerichtssituation ähnlich, der enge Bezug der Inszenierung zum Inhalt, der sich auch in den übrigen Fastnachtspielen Bahn bricht, lässt ein derartiges Bühnenarrangement jedoch unangebracht erscheinen. Es ist davon auszugehen, dass die personifizierte Fastnacht, obwohl in Z. 17 u.ö. mit femininem Artikel bedacht, durch einen beleibten, lebensfrohen Mann gespielt wurde, zumindest legt dies das Gemälde Pieter Brueghels d.Ä. ‚Der Kampf zwischen Fastnacht und Fastenzeit‘ (1559, Wien, Kunsthistorisches Museum) sowie die männliche Besetzung in Rabers Spiel ‚Vaschang‘ nahe, s.u. Ob er ähnlich der bildlichen Darstellung auf einem Fass reitend zu denken ist bleibt unklar, immerhin erscheint

100 – Hans Folz: Die Fastnacht vor Gericht | 407

die Fastnacht im vorliegenden Spiel eben nicht als Verfechterin eines ungezügelten Hedonismus. In den Z. 375–377 wendet sich die Fastnacht von der Gruppe der Kläger an den Richter. In dieser Erklärung der Bühnensituation für den Zuschauer bzw. der Organisation des Bühnengeschehens übernimmt sie Aufgaben des Einschreiers. Die Anwälte geben sich nur indirekt in ihrer Rolle zu erkennen. Der erste betont, sich des Adels anzunehmen (Z. 33), der zweite klagt im Sinne der Bürger (Z. 77), und die Advokaten von Bürgertum und Bauern sind aus den Redepartien allein kaum in ihrer jeweiligen Funktion zu erkennen. Sie müssen in der Weise kostümiert gewesen sein, dass sich ihre Rolle dem Zuschauer aus der Verkleidung erschließt.

Textbezüge Das Ringen der Fastnacht mit der Fastenzeit wird, wenn auch in R 9 nicht als Gerichtsszene, außerdem in den Spielen R 10 und R 11 inszeniert. Des Weiteren schildert das Sterzinger Spiel ‚Vaschang‘ des Vigil Raber (Zingerle: Fastnachts-Spiele, S. 234) eine Gerichtsverhandlung, in der sich die heilig frau (Fasten), Z. 74 und der schedlich man (Fastnacht), Z. 77 gegenseitig verklagen. Gerichtsszenen finden sich in zahlreichen Fastnachtspielen (Vgl. R 7, R 26, R 27, R 30, R 40, R 41, R 46, R 50, R 52, R 57, R 64, R 65, R 68, R 70, R 74, R 76, F 87, F 104 und F 110). Anders als in dem vorliegenden Spiel, einer dialektischen Erörterung um die Rolle der Fastnacht, die per se nicht justiziabel ist, werden in den übrigen Spielen meist handfestere Themen verhandelt wie eheliche Untreue, übersteigertes sexuelles Begehren, die phantasievolle Entwicklung nicht rechtskonformer oder praktikabler Sanktionsmaßnahmen sowie Genussfreude bzw. berufliches Desinteresse aufseiten der Gerichtsbarkeit. Dabei wird die äußere Struktur der Gerichtsverhandlung lediglich in Teilen der Inszenierung derb-komischer Stoffe dienstbar gemacht, ohne dass das Verhandelte bzw. die verhängten Maßnahmen zwangsläufig juristischer Natur sind. R 47 weist dahingehend Gemeinsamkeiten auf, dass auch hier ein Stellvertreter für soziale bzw. ökonomische Krisen installiert, angeklagt und schließlich freigesprochen wird. In dieser Nennung empfundener Missstände ist das Spiel also in die Reihe der im weitesten Sinne politischen Spiele zu stellen, vgl. R 4, R 13, R 16, R 44, R 47 und F 88. Das Spiel gehört ferner zu einer Gruppe von Fastnachtspielen, in denen Personifikationen als Bühnenfiguren agieren. Personalisiert werden anderweitig Mai und Herbst, die sieben Farben (R 46), die Liebe (als Frau Venus, vgl. F 92, F 96), sowie eben Fastnacht und Fastenzeit (vgl. R 10, R 11; vgl. Glier: Personifikationen, S. 548). Die in den Z. 266–267 geschilderte Situation ist auch in Hermanns von Sachsenheim ‚Grasmetze‘ und in Wittenwilers ‚Der Ring‘ anzutreffen (Lenk: Fastnachtspiel, S. 49f.). Die Phantasien um den Verzehr von Exkrementen ähneln dem ‚Spiel vom Dreck‘ F 91. Bearbeiter: Greil, Przybilski

101 – Der törichte Tausch

Ein hubsch vasnacht spil

KF Nr. 55

Gb 338v KF 477

Precursor:

5

10

15

Got gruß den wirt vnd was hynn ist! Hie secht jr gar in kurtzer frist Mein kauffmanschatz vnd mein handel, Mit dem ich jn dem lannd vmb wandel, Jn Schwoben, Francken vnd Ungerlant, Jn Sachßen, Hessen vnd Prafant, Jn Polen, Prewssen vnd Rewssen, Jn Jndia vnd Prewssen. Gen Pruck in Flandern ich gern zeuch, Wann ich die posen merrkt gern fleuch, Do ich das mein verporgen muß. Mein kremerej wirt mir nit suß, Der ich mich nit verwegen kan,

F 87, 3

Gb 339r

3 hynn ‚hier innen‘ 5 kauffmanschatz ‚Ware‘ 5 handel ‚Handelsware‘ 7 Ungerlant ‚Ungarn‘ 8 Prafant: Im Herzogtum Brabant (Teile des heutigen nördlichen Belgien und der südlichen Niederlande) wurde vor allem Textilproduktion und -handel betrieben (LexMA 2, Sp. 532–534). 9 Prewssen: Auffällig ist die zweifache Nennung von Preußen (vgl. Z. 10). Da das Wort in Z. 10 zur Erhaltung des Reimes auf Rewssen (Z. 9) unabänderlich ist, geht Catholy davon aus, dass statt Prewssen hier Perßen: ‚Persien‘ gemeint ist. Diese Vermutung stützt sich darauf, dass bis zur zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts wichtige Handelsstraßen zur Verbindung der Märkte im Westen und im Fernen Osten durch Persien führten (vgl. Catholy: Fastnachtspiel des Spätmittelalters, S. 58; LexMA 6, Sp. 1898–1900). 9 Rewssen ‚Rußland‘ 10 Jndia: Indien galt als Land unvorstellbaren Reichtums und kostbarer Handelsgüter (LexMA 5, Sp. 404–405). 11 Pruck: Brügge war nicht nur der wichtigste Handelsplatz in Flandern, sondern seit dem 14. Jahrhundert auch der bedeutendste Warenumschlagplatz Europas nördlich des Mittelmeerraumes (LexMA 2, Sp. 741–742). 11 zeuchen ‚ziehen‘ 12 pos ‚schwach, wertlos‘ 12 fleuchen (zu mhd. vliehen): ‚fliehen‘; vgl. Z. 60, 72 13 verporgen ‚borgen, Kredit einräumen‘ 14 kremerej ‚Krämerei, Händlertum‘ 15 verwegen ‚ablassen, aufhören‘

1 unterstrichen; im Register G: Gar ain aubewtewrlichs spill von ainem kramer wie er ainem paurn sein kram vertawschet an ainen hoff kurtzweilig zuͦ hören 2 Links neben der Überschrift nachgetragen und unterstrichen; letzteres gilt ebenso für die Sprecher- und Handlungsanweisungen, sowie für die ersten 3–5 Wörter einer jeden Rede im Spiel. 13 verporgen] verpergen; vgl. Z. 21, 70

410 | 101 – Der törichte Tausch

20

25

Vnd gewynn werlich nichtz daran. Fraw wirttin, meinen kram schawt allen, Ob euch etwas mocht darjnn gefallen, Das ich ein zergelt bej euch loß. Fur war, mein wurtz sein je nit poß. Habt jr nit gelt, ich wil euch porgen. Die hausmeit wolt ich wol versorgen: Jch han gut schnur jn das vnterhemd, Auch hab ich nadeln, pursten und kem, Finger huͦ t, taschen vnd nestel vil, Hefftlein vnd hecklein, wie manß wil. Ein pawr:

30

35

Ich red, wer mir das maul verschoben, Das du dein dreck als wol kanst loben: Dein saffran hast zu Fenedig gesackt Vnd hast rintfleisch darvntter gehackt. Vnd melßt vntter negelein gepets prot, Vnd gibst fur lorper hin geyß kot, Vnd fichten spen fur zyment rintten, Vnd nimst das lawp von einer lintten,

Gb 339v KF 478

17 kram ‚Ware‘ 19 zergelt ‚Verpflegungsgeld für eine Reise‘ 19 loßen ‚erlösen, einnehmen‘ 20 Fur war ‚Fürwahr, wahrlich‘ 20 wurtz ‚Gewürze‘ bzw. ‚Wurzel‘, dann sexuell besetzt. 20 je ‚gewiß‘ 20 poß ‚schlecht, verdorben‘ 22 hausmeit ‚Magd des Hauses‘ 23 schnur: Schnüre an Rüstung und Kleidung zur Verzierung (vgl. DWb 15, Sp. 1397; Heyne: Bücher 3, S. 310f.). Da derartig verzierte Kleidungsstücke jedoch nicht der bäuerlichen Alltagswelt zuzuordnen sind, könnte der Händler obszön darauf verweisen, was er unter bzw. im Gewand trägt. Eine andere Möglichkeit besteht in der Konjektur von in zu v̄ n: ‚Schnur und Unterhemd‘. 24 pursten ‚Bürsten‘ 25 nestel ‚Schnürriemen, Band‘ 26 Hefftlein ‚Nadel, kleine Spange‘ 26 hecklein ‚kleiner Haken [zum Verschließen der Kleidung]‘ 28 verschieben ‚von Ort und Stelle rücken, abhandenkommen‘ 29 dreck ‚Mist, schlechte Ware‘ 30 Fenedig: Venedig war Handelsdrehscheibe zwischen Okzident und Orient und insbesondere Umschlagplatz für Gewürze (LexMA 8, Sp. 1466–1471). 30 sacken ‚in einen Sack füllen‘ 32 malen (zu mhd. maln): ‚mahlen, zerdrücken‘ 32 negelein ‚Gewürznelken‘ 32 gepet (zu mhd. bæhen): ‚erhitzen, trocknen‘ 33 lorper: ‚Lorbeer‘; aufgrund des vorliegenden Betrugs ist hier die schwarze, eiförmige Frucht des Lorbeerbaums gemeint, die zur Bereitung therapeutischer Öle verwendet wurde. 34 zyment rintten: ‚Zimt‘; aus der getrockneten Rinde des Zimtbaums gewonnenes kostbares Würz- und Heilmittel. 35 lintte: ‚Linde‘; zur unrechtmäßigen Vermehrung von Pfefferkörnern eignen sich eher die Knospen als das Laub des Lindenbaums.

23 schnur: Keller (S. 1511) erwägt Konjektur zu schmir bzw. schuur; keiner dieser Eingriffe erscheint zwingend, s.u. 32 gepets: Keller (S. 1511) erwägt Konjektur zu gripets bzw. gribens; keiner dieser Eingriffe erscheint zwingend, s.u.

101 – Der törichte Tausch | 411

40

Darmit tust du den pfeffer meren. Tust vnter mandel pfirsing keren, Vnd vntter weinper mucken kopff. Fur muskat aichen laubes knopff Vnd mucken schwamen fur rußin, Vnd gibst hutzeln fur feygen hin, Gibst weissen hundtz dreck hin fur zucker. Der kramer dicit:

45

Ey, wie machst du dich hië so mucker? Du trentsch, du totschtz, was get es dich an? Du solt ein dreck fur zucker han, Den kan man dir nit pas gemachen, Den schlint, das dir der hals werd krachen. Ein pawr:

50

Nerßt du dich mit der kremerey? Du leugst, du pettelst offt darbey. Den korp, den du tregst auff deim ruck, Darein tust du ayer vnd petel stuck, Erpettelst du daussen auff dem gew.

Gb 340r

38 weinper ‚Traube, Rosine‘ 38 mucken kopff ‚Mückenkopf‘ 37 pfirsing keren ‚Pfirsichkern‘ 39 aichen laubes knopff ‚Eichel‘ 40 mucken schwam ‚Fliegenpilz‘ 40 rußin ‚Rosine‘ 41 hutzeln ‚getrocknetes Obst‘ 42 weisser hundtz dreck: An der Luft ausgetrockneter Hundekot, der als Arzneimittel unter dem Namen graecum album Verwendung gegen die Ruhr und bösartige Geschwüre oder Warzen fand; auch als Gerbmittel gebraucht (DWb 10, Sp. 1933; Krünitz: Encyklopädie 26, S. 452). 44 mucker ‚laut, aufbegehrend‘ 45 trentsch (zu trensen): ‚langsam sein, langsam reden‘; hier: ‚Faulenzer, Dummschwätzer‘ 45 totschtz ‚Tölpel‘ 46 solt: Zum Spiransausfall der 2. Pers. Sg. Ind. Präs. im Falle der Präteritopräsentien vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 135. 47 pas ‚besser‘ 48 schlinten (zu mhd. slinden): ‚schlingen‘ 48 krachen ‚platzen‘ 50 Neren (zu mhd. nern): ‚Am Leben erhalten, Den Lebensunterhalt verdienen‘ 51 leugen ‚lügen‘ 53 petel stuck ‚Almosen‘ 54 gew ‚Gau, Land‘

52 deim: Keller (S. 1511) erwägt Konjektur zu dem; Kontraktionsformen des Possessivpronomens sind jedoch seinerzeit verbreitet (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 65), vgl. auch Z. 65. 54 Erpettelst: Keller (S. 1511) erwägt Konjektur zu Die erpettelst; die Besserung ist keineswegs zwingend, zum asyndetischen Relativsatz vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 261.

412 | 101 – Der törichte Tausch

55

60

Kremer: Ja, ich lig all nacht jn dem hew, Jch vnd auch etlich ander mer. Schweig still, du redest nur an mein er. Jch habß pißher fur ein schimpf gehabt: Fleuch, ee du von mir wirßt ertapt, Das ich dir geb ein solche rupfhauben. Pawr dicit:

65

Wirt, wolt jr mir das nit gelauben, Der stuck wil ich euch sehen lassen, Die er in seim korb hat verstossen.

KF 479

Nu sucht der paur dem kremer jm korb vnd zeucht zwey stucklein herauß. Secht, wirt, das ich euch hie sag war! Der schalk, der pettelt vber jar! Kramer dicit: 70

75

Jch han mich verporgt gen den pawren, Des muß ich vntter die hohen mawren. Darumb ich jr poß kauffen fleuch Vnd in die grossen stet mich zeuch, Ob ich mocht wider gewÿnnen gut.

Gb 340v

Pawr dicit: Gesell, du hast ein rechten mut. Wenn du dich newr guter wurtz flißt Vnd nit die leut vmb gelt beschißt, Wann es nymt selten ein gut endt.

58 an jmandes ere reden ‚ehrabschneidend sprechen‘ 59 schimpf ‚Scherz‘ 60 ertapen ‚erwischen‘ 61 rupfhaube ‚Haare raufen‘ (vgl. R 43, Z. 123) 65 verstossen ‚verstecken‘ 68 schalk ‚Verbrecher, Betrüger‘ 68 vber jar ‚das ganze Jahr hindurch‘ 71 ‚Deswegen muss ich mich in den Schutz einer Stadt begeben.‘ 74 Ob ‚Auf dass‘ 76 Gesell ‚Junger Mann, Freund‘ 76 rechter mut ‚richtige Einstellung‘ 77 sich fleiszen (zu mhd. vlîzen): ‚sich bemühen‘

65 seim: Keller (S. 1511) erwägt Konjektur zu seinn; der Besserungsvorschlag ist nicht zwingend, vgl. Z. 52.

101 – Der törichte Tausch | 413

80

85

90

95

Kramer dicit: Wann du mich newrt nit hast geschent So ser hie vor den frumen leuten! Jch kan nit ackern oder reuten, Jch muß mich neren mit solcher fat. Vnd zwar, es tet dir sein auch not, Das du solchen handel an fingst Vnd [nit] also klinckenschlahen gingst Vnd neren mit pescheissen vnd alfantz. Kanst du geben den wurtzen glantz Mit farben, jeder jr gestalt, Sie wurden dir vast wol betzalt, Wenn du sie konst mischen, mengen vnd mern. Was schenkst du mir? ich wil dichß leren. Der pawr dicit:

Gb 341r

Mein meyer hoff wil ich dir geben. Lere mich dein kunst hie wol vnd eben.

KF 480

Des pauren knecht:

100

Mein lieber herr, laßt doch von den sachen! Laßt euch zu keinem kremer machen! Frav Alheÿt wurd gar zornig werden, Verlure sie jren hoff mit solchen geuerden Vnd solt von jrem erbtail schaiden. Herr, die kremerey laßt euch laiden!

81 newrt ‚nur‘ 81 schenden ‚beschimpfen, schlecht machen‘ 83 reuten ‚roden, urbar machen‘ 84 fat ‚Art und Weise‘ 87 klinckenschlahen ‚sich hausierend herumtreiben, Klinken putzen‘ 88 alfantz ‚Betrug‘ 89 glantz ‚schönes Aussehen‘ 91 vast ‚sehr‘ 95 meyer hoff: Privilegierte Hofbzw. Hofgerichtsstelle, deren Verpachtung an einen Bauern zur Zeit der Abfassung des Spiels bereits in Erbrecht übergegangen war. 98 sache ‚Rechtshandel‘ 100 Alheÿt: Verkürzte Form des Namens Adelheit in der urspr. Bedeutung ‚schöne Gestalt‘, häufig für Bäuerinnen im Fastnachtspiel (Arndt: Personennamen, S. 53). 101 geuerde (zu mhd. geværde): ‚Betrug, Hinterlist‘ 102 erbtail: Frauen waren eigentlich vom Erbrecht ausgeschlossen (LexMA 3, Sp. 1630), hier könnte ein Fall von ehelicher Gütertrennung vorliegen, bei dem der Mann lediglich zu Lebzeiten als Verwalter des Frauenguts eingesetzt ist (vgl. HRG 1, Sp. 1874–1876). 103 laiden ‚verleiden, ausreden‘

84 fat: Keller (S. 1511) erwägt Konjektur zu fart; der Eingriff ist nicht notwendig, vgl. DWb 3, Sp. 1362. 87 ] nit

414 | 101 – Der törichte Tausch

Kremer dicit: 105

110

115

120

Laß knecht Rubling sagen, was er wil: An kremerej gewint man vil! Was wilt du deines knechts, des trollen? Laß jn zu treten selbs die schrollen. Auch ker dich an niemants schelten. Kauff vns wuͤ rffel vnd auch letzelten Vnd zeuch gen Niclaßhausen zu. Do gilt ein wue〈r〉ffel wol ein kw, Ein haselnuß gilt wol ein ey. Du vnd Alheyt, ewr sein zwey, Jr werdt pald reich, sag ich dir zwar. Pawr dicit:

Gb 341v

Knecht, dieser trost geuelt mir gar: Jch wil gen Niclaßhausen reitten. Lieber kremer, jr solt peitten. Mein mairhoff sol ewr eigen sein. Herr wirt, jr sult vns schencken ein, Das wir hie pald den leykauff machen.

F 86I, 8

105 Rubling: Eigenname, entstanden aus der Kurzform Rub für Rodbald oder Rodbert und patronymischem -ing (Arndt: Personennamen, S. 51). Mit diesem Namen steht er in der Tradition des derb-vitalen Arztknechts Rubin aus dem geistlichen Spiel (vgl. F 85). 107 wilt: Zur Flexion des Verbs wollen vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 146. 107 troll ‚plumper, grober Mensch‘ 108 zu treten ‚zertreten‘ 108 schrol: Maskuline Nebenform zu scholle ‚Erdklumpen‘ (DWb 15, Sp. 1766–1768). 109 keren ‚wenden‘; hier: ‚halten‘ 109 schelte ‚tadelnde Worte‘ 110 wuͤ rffel: ‚Spielwürfel‘; hier wohl synonym für ‚nichtige Tauschware‘ 110 letzelte ‚Lebkuchen‘ 111 Niclaßhausen: Ort südöstlich der Tauber, der 1476 für kurze Zeit Wallfahrtsort wurde und in dem infolgedessen gute Bedingungen für erfolgreichen Handel bestanden (Michels: Studien, S. 232f.). 115 zwar ‚wahrlich‘ 117 trost ‚Zuspruch, Ermutigung‘ 117 geuellen ‚gefallen‘ 119 peitten (zu mhd. bîten): ‚warten‘ 122 leykauff: Umtrunk, der zum Abschluss eines Handels ausgeboten wurde, um das Einverständnis der Parteien zu bekräftigen (DWb 12, Sp. 693).

110 letzelten: Keller (S. 1511) erwägt Konjektur zu lebzelten; die Assimilation mit Plosivausfall war verbreitet (DWb 12, Sp. 471). 112 wuerffel] wueffel: Keller (S. 480) liest fälschlicherweise wirfel

101 – Der törichte Tausch | 415

Des pauren knecht:

125

Ey, nw muß sein der teufel lachen. Das jr euch also laßt betoren, Das muß ewr fraw wol von mir horen. Der wil ichß jtzund sagen zwar. Secht, was jr habt vber ein jar. Der knecht dicit zu der Alhaiten:

130

135

KF 481

Hor, Alheit, was dein man ist worn. Er hat jm kremerej erkorn Vnd kert sich an des kramers klaffen. Sie machen dort auß jm ein affen! Vnd hat sein mayrhoff geben dem narrn Vnd wil jm kauffen roß und karrn Vnd kremerej jm land vmb furen. Die Alheit dicit:

140

Jch wil jn schlahen an sein gehuͤ rn! Der schnod pub, der schalk vnd lecker Hat mir verthan wiesen vnd ecker, Verhurt, verspilt vnd auch versoffen, Zu tentzen jn wirtsheuser geschloffen. Der teufel hat mich mit jm erschlagen, Das er erst wil ein kram korp tragen.

Gb 342r

R 72, 43f.; F 84, 29f.

124 sein ‚ob dessen, darüber‘ 125 betoren (zu mhd. tôren): ‚zum Narren machen, betrügen‘ 131 jm: Das im Dativ stehende Personalpronomen der 3. Pers. Sg. wird im Frnhd. auch noch reflexiv gebraucht (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 64). 131 erkorn (zu mhd. erkiesen): ‚erwählt‘ 132 klaffen ‚Geschwätz, unsinniges Gerede‘ 136 vmb furen ‚herumführen, feilbieten‘ 138 gehuͤ rn ‚Hörner, Geweih‘ 139 schnod ‚schlecht, verachtenswert‘ 139 pub ‚Spitzbube, Schurke‘ 139 lecker ‚Schmeichler, Schmarotzer‘ 142 geschloffen (zu mhd. sliefen): ‚geschlichen‘ 143 erschlagen ‚zu Grunde richten‘ 144 erst ‚jetzt auch noch‘

143 erschlagen: Keller (S. 1511) erwägt Konjektur zu geslagen; der Eingriff erscheint nicht zwingend, s.o. 144 erst: Keller (S. 1511) erwägt Konjektur zu itzt; der Eingriff erscheint nicht zwingend, s.o.

416 | 101 – Der törichte Tausch

145

150

Alheit spricht zu jrem mann: Du schalk, was fehst du aber an? Mainst, das ich dir den kram korp woll lan Vnd wollest mich vmb das mein bescheissen? Jch wil den korp zu drummern reÿssen. Hast vor nit poßheit genug getrieben? Du pist offt acht tag aussen belieben. Pawr spricht ̲zu dem weyb:

155

160

Du pist selber ein schnoder sack. Waist, das ein munch hewt auff dir lag, Do ich heym kam von vnserem acker, Vnd hett bestellt ein halmhacker. Do mir der munch gar kaum entran, Da wilt du hur nit denken an. Jch wolt dir schir dein maul zu plewen Vnd solt es mich ein jar gerewen. Der pawr slecht sein weyb vnd spricht zu dem kremer die peurin:

165

170

Kramer, ich mag dirß nit vertragen. Du schalk, was darfst mein man vor sagen, Er werd mit kremerey pald reich, Vnd gest selber einem petler gleich. Vnd het ich dich an einem ort, Ee du mit mir kemst zu wort, Jch wolt dich kratzen, zerren vnd reyssen. Du must dich an der marter bescheissen, Das dein maul jm kein lug mer seyt.

Gb 342v

KF 482

146 anfahen: ‚anfangen‘; als juristischer Terminus auch: ‚in Besitz nehmen‘, nämlich den im Besitz der Ehefrau befindlichen Hof. 149 zu drummern reÿssen ‚in Stücke reißen‘; vgl. Z. 168 150 vor ‚zuvor, vorher‘ 153 sack ‚Hure, Schlampe‘ 156 halmhacker: ‚Person, die Stroh kleinhackt‘; einziger Beleg bei Grimm (vgl. DWb 10, Sp. 241). 159 zu plewen ‚zerschlagen, verhauen‘ 162 vertragen ‚Nachsicht haben mit‘ 163 dürfen: ‚nötig haben, brauchen‘; vgl. Z. 195 163 vor sagen ‚vorhersagen‘ 166 Ort ‚Ecke, Winkel‘ 169 marter ‚Qual, Pein‘ 169 bescheissen ‚sich [vor Angst] in die Hose machen‘

163 mein: Keller (S. 1511) erwägt Konjektur zu meim; die Besserung ist überflüssig, dürfen mit Akk. ist frnhd. üblich (vgl. DWb 2, Sp. 1724).

101 – Der törichte Tausch | 417

Ein pawr dicit:

175

180

185

190

Fraw, last den kramer ungeheyt, Vnd laßt jn talung legen ein. Ewr man, der solt zu weyß des sein, Das er am ersten sein kram ser schent Vnd sprach, er beschieß die leut behendt, Vnd darnach er pald zu jm loff Vnd gab jm vmb sein kunst den hoff, Mochten woll all kw vnd kelber sein verlorn. Ein ander paur: Jm ist der hoff auch noch nit worn, Wir wollen ein teding dar ̲ein machen Vnd es bringen zu guten sachen. Hat jm des kaufs noch nit gewert, So hat er jn noch nichtz gelert. Das schlah wir gen einander wett, Was eins dem andern ye getet. Nw pfeiff auff, pauker, mir ein reyen, Ob ich mein feins liep mocht erfreyen. Find ich jr jtzund nit do, Villeicht find ich sie anderßwo.

Gb 343r

Der auß schreÿer: Alldo, her wirt, wir faren dahin Auff ander merckt durch unsern gewin.

172 ungeheyt ‚unbehelligt‘ 173 talung (zu mhd. tâlanc): ‚heute, den Tag hindurch‘ 173 einlegen ‚[ins Haus/Quartier/Gefängnis] hineinlegen‘ 174 weyß ‚klug‘ 175 am ersten ‚als erstes‘ 175 schenden ‚in der Ehre beschädigen, beschimpfen‘ 177 loff: Seinerzeit gebräuchliches Prät. zu laufen, vgl. DWb 12, Sp. 315. 182 teding: ‚[gerichtliche] Versammlung, Beratung‘ 182 darein ‚darüber‘ 183 zu guten sachen ‚zu einem guten Ende‘ 186 ‚Das rechnen wir gegenseitig auf,‘ 186 schlahen: Im Fall nachgestellten Pronomens kann in der 1. Pers. Pl. Ind. Präs. das komplette Flexiv wegfallen (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 94). 189 feins liep ‚Herzallerliebste‘ 189 erfreyen ‚umwerben‘ 194 durch ‚um, wegen‘

184 jm: Keller (S. 1511) erwägt Konjektur zu er; ein Eingriff an dieser Stelle erscheint berechtigt, da der Vers in der vorliegenden Form entweder ohne Subjekt steht, oder das Personalpronomen fehlerhaft flektiert ist. Insofern muss als weitere Besserungsmöglichkeit und in Analogie zum folgenden Vers er jm gedacht werden.

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195

Piß jar dorfft jr leicht mer der wurtz. Wir kumen nit wider in kurtz, Piß wir das jar gantz vber sumen. Got gesegen euch piß wir wider kumen.

195 piß jar ‚bis zum nächsten Jahr‘ 197 sumen ‚verstreichen lassen‘

101 – Der törichte Tausch | 419

Kommentar Bezeugung Gb, Bl. 338v–343r

Ausgaben Keller: Fastnachtspiele I, S. 477–482 (= Nr. 55, nach G); Bd. III, S. 1511.

Textkritik Das Spiel ist unikal in Handschrift G überliefert.

Autor Das Spiel kann kaum eindeutig einem Autor zugeschrieben werden, jedoch nimmt Michels aufgrund des Stichreims, der chronologisch entwickelten Struktur und derber Beschimpfungen die Autorschaft Folzens an (Michels: Studien S. 214, 226–228). Catholy schließt sich dieser Annahme an (Catholy: Fastnachtspiel des Spätmittelalters S. 58, 150, 185) und auch Simon verortet das Spiel in der Nähe zu seinem Werk (Simon: Fastnachtsspieltradition S. 85). Gleichwohl bleiben Zweifel. So ist bei Folz der Disput zwischen Bauer und Händler an anderer Stelle nicht belegbar, und im Folzkorpus lassen sich einige Lexeme des vorliegenden Spiels nicht anderweitig nachweisen (Z. 19: zergelt; Z. 44: mucker; Z. 45: trentsch; Z. 61: rupfhaube; Z. 84: fat; Z. 88: alfantz; Z. 156: halmhacker). Aufgrund der Datierung scheidet Rosenplüt als Verfasser aus.

Datierung Terminus post quem ist 1476, das Jahr, in dem der Ort Niklashausen kurzfristig Wallfahrtsort wurde (vgl. Z. 111, 118). Terminus ante quem ist 1494, das Abschlussjahr von Handschrift G.

Rollen, Inhalt, Struktur Rollen: In dem Handlungsspiel agieren ein Händler, der gleichzeitig die Aufgaben des Precursors übernimmt, ein Bauer und dessen Frau, deren Knecht sowie zwei weitere Bauern. Der Einschreier bzw. Krämer eröffnet das Spiel, indem er zunächst seine

420 | 101 – Der törichte Tausch

wirtschaftliche Misere beklagt und dann seine Waren anpreist. Daraufhin bezichtigt ihn ein Bauer des Betrugs: Der Krämer strecke seine Handelsgüter mit schlechten Zutaten bzw. verkaufe sie für etwas, das sie gar nicht seien. Ein kurzes Wortgefecht der beiden folgt, in dem der Bauer den Händler zudem als Bettler entlarvt. Der entehrte Krämer gesteht seine missliche Lage ein und gibt an, wieder in die Stadt zu ziehen, um dort seinen verlustreichen wie zweifelhaften Handel zu treiben. Unvermittelt eröffnet er dem Bauern die Möglichkeit, diesen zum fahrenden Händler und Betrüger (Z. 88: pescheissen vnd alfantz) auszubilden. Der Bauer bietet kurzentschlossen als Gegenleistung seinen Hof. Unterdessen informiert ein Knecht des Bauern dessen Gattin um die drohende Entwicklung. Ein mit derben Beschuldigungen gespicktes Wortgefecht, angereichert um Handgreiflichkeiten, entwickelt sich zwischen den Eheleuten. Die Frau wendet sich daraufhin gegen den listigen Krämer. Zwei weitere Bauern kommen hinzu. Der erste stellt das Törichte des Tausches noch einmal heraus, der zweite unterbricht die Transaktion bevor sie rechtskräftig wird und ruft anschließend zum Tanz. Der Ausschreier/Krämer verkündet schließlich, auf andere Märkte ziehen zu wollen und in Jahresfrist wiederzukommen. Deutungsaspekte: Der Bauer missversteht den Krämer zunächst als Gewürz- und Arzneihändler, wie er in den Osterspielen vorkommt, vgl. auch F 85. Dieser Berufsgruppe der Theriakskrämer haftete insbesondere der Ruch des Betrügerischen an (DWb 2, Sp. 1373). Tatsächlich bietet der fahrende Händler Kurzwaren feil (vgl. Z.*23– 26). Als sich indes herausstellt, dass er gegenwärtig gar nicht über ein Sortiment verfügt, deutet er an, über Kenntnisse um die Tricks der Gewürzhändler zu wissen. Seine Meisterschaft tritt allerdings nicht in der Ausübung seines Gewerks zutage, sondern in der glorreichen Beschreibung der Verdienstmöglichkeiten. Der Händler zeigt sich der Wahrheit gegenüber flexibel. So gesteht er durchaus die Risiken und Möglichkeiten wirtschaftlichen Scheiterns ein (Z. 11–16; 56–61; 70–74; 81–84) und preist im selben Atemzug seine Waren (Z. 17–26) und sein Geschäft (Z. 85–92). Der Bauer, obgleich er die betrügerischen Machenschaften des Krämers zunächst kritisiert, ist gewillt, diese zu adaptieren, um zu schnellem Reichtum zu gelangen. Für diese Option ist er in einem waghalsigen Manöver bereit, den von seiner Frau in die Ehe eingebrachten Meierhof und damit seine gesicherte Existenz aufzugeben. Dieser spontane und kaum begründbare Gesinnungswandel des ersten Bauern wird in den Z. 175–179 durch die Rede des dritten Bauern noch einmal pointiert zusammengefasst. In dem Spiel ‚Der törichte Tausch‘ ringt gewissermaßen das bäuerliche Prinzip des Mittelalters mit dem in der Frühen Neuzeit verstärkt hinzutretenden Konzept des von Grundbesitz und Wertschöpfung weitgehend losgelösten Handels, wenn auch in seiner erfolglosesten Ausprägung (vgl. Heyne: Handwerk, S. 155ff.). Die Akkumulation von Lebensmitteln und Waren sowie Spekulationen führten im 15. Jahrhundert oftmals trotz guter Ernten zu Versorgungsengpässen, was die notleidende Bevölkerung irritierte und in tiefes gegenseitiges Misstrauen versetzte. Der Verfasser des vorliegenden Spiels zeichnet dabei, wie es in zahlreichen weiteren Fastnachtspielen der Fall ist, den Bauern als rückständig und geistig unterlegen. Dem fintenreichen und skrupel-

101 – Der törichte Tausch | 421

losen Händler gelingt es dagegen fast, aus seiner temporären wirtschaftlichen Misere auszubrechen und in den Besitz des Meierhofes zu kommen. Das in Z. 111 und 118 erwähnte Dorf Niklashausen, auf halber Strecke zwischen Tauberbischofsheim und Wertheim an der Tauber gelegen, wurde im Jahr 1476 zum Wallfahrtsort. Hans Behem, der sogenannte Pauker von Niklashausen, hatte zur Pilgerfahrt dorthin aufgerufen und menschliche Eitelkeiten gegeißelt, die Gleichheit Aller auf Gottes Erdboden proklamiert und sogar die Abschaffung von Grundbesitz an sich thematisiert. Zahlreiche Sympathisanten folgten diesem Aufruf, eine rasch um sich greifende religiöse Hysterie weit über die Ortsgrenzen hinaus führte dazu, dass die Obrigkeit gegen den Initiator und die Bewegung vorging (Arnold: Niklashausen, S. 37–126). Für den Verfasser des Spiels bleibt Niklashausen ein Ort, an dem die Zustände und Gegebenheiten menschlicher und göttlicher Ordnung entrückt sind: Do gilt ein wuerffel wol ein kw,/ Ein haselnuß gilt wol ein ey (Z. 112f.). Die Welt ist hier aus den Fugen geraten, ver-rückt, und das herrschende Chaos begünstigt Betrug und Verbrechen (vgl. Bastian: Mummenschanz, S. 95–98; Arnold: Niklashausen, S. 77) bzw. ist der geeignete Ort für einen Bauern, der seine gesellschaftliche Position verlassen will. In der hier implizit formulierten Warnung vor Unzufriedenheit und hohlen Versprechungen (Bastian: Mummenschanz, S. 97) spiegelt sich eine Einstellung des Autors, die am Bestehenden orientiert ist und die Infragestellung etablierter Systeme ablehnt. Es führt jedoch zu weit, dem Spiel politische Absichten im modernen Sinne zu unterstellen. Es obsiegt lediglich das stabilisierende Konzept, die soziale Neuausrichtung unterbleibt, insofern ist der Plot konservativ im Sinne des Wertekanons der Fastnachtspiele. Aufführungshinweise: Das Spiel gliedert sich in drei Teile. Zunächst werden unternehmerisches Scheitern des Händlers und Leichtfertigkeit des Bauern inszeniert, bevor die Frau des Bauern von außen in das Geschehen eingreift. Dass dies in der Aufteilung der Bühne repräsentiert gewesen sein muss, ergibt sich aus Z. 126f. Wenn auch keine Regieanweisung den Ortswechsel konkret einfordert, ergibt sich die räumliche Trennung aus dem Wissensvorsprung des Knechts gegenüber der Bäuerin sowie dem pronominalen Wechsel von der dritten (Z. 138–144) zur zweiten Person (Z. 146ff.) zwangsläufig. Man kann also von zwei mansiones ausgehen, zwischen denen zunächst der Knecht vermittelt, bevor dann die Frau die ihrige verlässt und zu der der Männer tritt (Z. 145). Von dem Krämer wird in Z. 52 bzw. Z. 66 gesagt, dass er einen Korb bei sich führe, in dem er seine Waren transportiert. Dieses Requisit ist als auf dem Rücken getragene Kiepe zu denken. So wird es dem Händler auch unmöglich, den Zugriff des Bauern zu verhindern (vgl. Z. 66), der zwei als Bettelstücke eindeutig zu identifizierende Gegenstände herauszieht und sie dem Wirt zur Begutachtung vorlegt. Die Realitätsnähe des Gezeigten, zunächst erzeugt durch das durchaus wahrscheinliche Auftreten des Krämers in einem Wirtshaus und der dafür aufgegebenen Rolle des Precursors (vgl. Catholy: Fastnachtspiel, S. 26), wird dadurch verstärkt, dass der Bauer einmal die Wirtin (Z. 17) und zweimal den Wirt direkt anspricht. Er tut dies einmal als Zeugen (Z. 63 und 67) und einmal in seiner Funktion als Schankwirt

422 | 101 – Der törichte Tausch

(Z. 121). In den Z. 81f. ängstigt sich der Krämer um die Wirkung der entlarvenden Worte des Bauern, die das Publikum als potentielle Kundschaft für seine Waren nicht mehr infrage kommen lässt. Spielstätte und Zuschauer werden auf diese Weise in das Spielgeschehen integriert (vgl. Catholy: Fastnachtspiel des Spätmittelalters, S. 215f.). Hierin zeigt sich ein bemerkenswert reflektierter Umgang des Verfassers mit der Bühnensituation: Er vermittelt den Eindruck, es handele sich nicht um die dramatische Umsetzung eines Spieltextes, sondern um eine Begebenheit in einem Wirtshaus, deren Zeuge der Zuschauer lediglich zufällig ist. Das inszenierte Geschehen suggeriert, Bestandteil der Realität zu sein und negiert hierin die Trennung beider Bereiche, die für weltliches wie geistliches Spiel allenthalben gleichermaßen galt. Lediglich im Tanzschluss ist ein Zugeständnis an dramaturgische Gepflogenheiten zu sehen, das den spielerisch inszenierten Aspekt des Dargebotenen herausstellt.

Textbezüge Die Figur des Krämers im vorliegenden Spiel ist dem mercator oder apothecarius aus den geistlichen Spielen nachempfunden (vgl. Catholy: Fastnachtspiel des Spätmittelalters, S. 58f.). Diese Figur, die Tinkturen und Salben lautstark feil bietet, ist erstmals in einem französischen Osterspiel aus dem 12. Jahrhundert bezeugt und um das Jahr 1300 auch nachweislich in Deutschland bekannt (vgl. Creizenach: Geschichte 1, S. 8891). In den Spielen R 55, R 72, F 83, F 84, F 95 und F 111 sowie K 56 finden sich ferner Streitigkeiten unter Eheleuten, innerhalb derer die Rollenbilder und Verantwortlichkeiten von Mann und Frau innerhalb der ehelichen Gemeinschaft bzw. aus dieser Auseinandersetzung heraus entstehende Gewalt inszeniert werden. Männliche Gewalt gegenüber der Ehefrau wird ferner in F 86 und F 102 thematisiert, umgekehrt fürchtet sich ein Mann vor den Schlägen seiner Frau in F 92. Außerdem wird das seinerzeit genreübergreifend beliebte Thema der Pfaffengeilheit auf die Bühne gebracht (vgl. Z. 154ff.). Der Typ des schimpfenden Bauern begegnet auch in R 55, R 59, R 72, F 82, F 83, F 87 und F 103I. Bearbeiter: Greil, Przybilski

102 – Hans Folz: Der Ehevertrag

Ein vasnacht spil

5

10

15

KF Nr. 58

Gb 365r KF 512

Seyt gegrußt, wirt vnd wirtin Vnd alle, die jm hauß sin, Er sey gast oder nicht genant. In allen thw ich bekant, Das Folschen windt zu euch wil kumen Vnd hat vil pauren zu jm genumen Vnd wil ein heÿrat beschliessen – Daran wollet nit haben verdriessen – Mit seiner tochter Adelheit, Die do ist ein stolze meit. Auch kumpt Ss mit jm, Der hat auch denselben sin, Seinem sun ein weyp zu geben Vnd jn verknupfen zu dem elichen leben. Vnd hat jr jtlicher sechs nachpauren dobej, Was die sagen, das solchs war sej. Gantz hoflich werden sie es machen, Das jr sein werdt lachen.

4 genant: ‚bestimmt, bekannt‘; Lexer und FrnhdWb geben außerdem die naheliegende Deutung des genanten als Ratsmitglied und Repräsentant der Bürgerschaft an (Lex I, Sp. 853; FrnhdWb 6, Sp. 892). In diesem Falle wäre Streichung der Negation zu erwägen, auf diese Weise wäre das soziale Spektrum vom Fremden bis zum geachteten Bürger breitest möglich abgedeckt. 6 Folschenwindt: Wahrscheinlich ‚falscher, schlechter Wind‘, also ‚Blähungen‘. 7 jm: ‚sich‘; im Obd. erscheint sich als Reflexivpronomen im Dativ erst seit dem 16. Jahrhundert, vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 64. 9 verdriessen: Substantivischer Gebrauch des gleich lautenden Verbs. 10 Mit ‚In Bezug auf‘ 10 Adelheit: Häufig vorkommender weiblicher Bauernname, dessen zweiter Teil (got. haidus) ‚schöne Gestalt‘ bedeutet (Arndt: Personennamen, S. 53), typischer Name der bösen Frau (vgl. Brietzmann: Frau, S. 208). 11 stolz ‚stattlich ‘ 11 meit (zu mhd. maget): ‚Unverheiratete, Jungfrau‘ 12 Ss: Die konkrete Bedeutung des Kürzels war nicht zu ermitteln, gemeint ist jedoch zweifellos der Vater des Bräutigams. 13 sin ‚Absicht‘ 16 jtlicher ‚jeder‘ 16 nachpaur ‚Nachbar‘ 17 ‚Dass sie es bezeugen.‘ 18 hoflich ‚vornehm, genau‘ 19 sein ‚darüber‘

1 unterstrichen; im Register G: Von zweyen pauren wie sy jre kind zuͦ  samen verheyrat 2 Sprecherbezeichnungen und Handlungsanweisungen sowie die ersten Wörter der jeweiligen Reden sind unterstrichen.

424 | 102 – Hans Folz: Der Ehevertrag

20

Darumb, Hans Knodt, ge her schier, Nym die Adelheit vo̲n dem nachtpauren mit dir! Desselbigen gleichen sol Vll Schlunt thun Mit seinen Nachtpauren vnd sun. Hans Knot, pater, vocat filium suum dicens:

25

30

Jeckel Lentel, ge her, mein sun! Wie wiltu den sachen thun Mit der tochter Fridel Milch schlunt, Die dich stet manches pfunt Mit hofiren auff der sack pfeiffen? Wilt du mit jr zu der ee greiffen? Sag mirß pald! Ich wilß wissen. Ich merck, du pist auff sie verflissen.

Gb 365v

KF 513

Jeckel Lentel dicit: 35

40

Hans Knot, lieber vater mein, Die Alheit legt mich an grosse pein, Das ich die gantzen nacht muß wachen. An dem tag so muß ich la[s]chen, Wo ich sie sich auff der gassen, Vnd solt mich alle werlt hassen. Aller jr korper geuelt mir wol, In warheit ich es reden sol. Sie hat ein großen ars vnd dicke pein, Die prüst sind waich vnd nit klein.

20 Knodt: ‚Knorre, Knote‘; übertragen: ‚plumper, ungeschlachter Mensch‘ (Arndt: Personennamen, S. 70); der Vater des Bräutigams tritt in Z. 50 unter geändertem Namen auf, vgl. auch den Endkommentar zu diesem Spiel. 20 schier ‚schnell‘ 25 Jeckel Lentel: Jeckel ist Koseform von Jakob, Lentel ist diminuierte Koseform zu dem Stamm mhd. lant: ‚Land‘ (Arndt: Personennamen, S. 22, 52). 26 ‚Wie willst du die Angelegenheiten abwickeln‘ 27 Fridel: ‚Geliebter, Liebhaber‘ (DWb 4, Sp. 188) oder als diminuierende Nebenform zu frid ‚Schirm, Schutz‘ (Arndt: Personennamen, S. 48). 27 Milch schlunt: Bauernspottname, bei dem die Unmäßigkeit im Trinken von Milch mitschwingt. 28 stet manches pfunt ‚kostet sehr viel Geld‘ 29 hofiren: ‚musizieren, aufspielen‘; da die Tochter des Friedel Milchschlunt wohl kaum als Musikantin gedacht werden kann, ist obszöne Bedeutung der sackpfeiffen, eigentlich einer Art Dudelsack, für die weiblichen Brüste denkbar (vgl. Kratz: Wortschatz, S. 274 und R 38, Z. 121–123). 30 Wilt: Zum fakultativen Spiransausfall in der 2. Pers. Sg. Ind. Präs. vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 146. 32 verflissen ‚begierig, strebend nach‘ 35 anlegen ‚antun‘ 38 sich 1. Pers. Sg. Ind. Präs. akt. zu sehen 39 hassen ‚verachten‘

37 lachen] laschen: Konjektur bei Keller (S. 513)

102 – Hans Folz: Der Ehevertrag |

45

50

55

Sie hat ein subtilen munt: Man hieb wol herab ein gantz pfunt, Das jr an dem maul precht kein schaden. Darumb thu all dein freund laden Vnd das wir zu der kirchen gen, Wann ich wil sie zu de ee neme.

425

Gb 366r

Pater Vll Lentel convocat amicos suos dicens: Stet her all drat Vnd gebt mir euren rat! Mein sun wil die haben zu eim weÿb, Die jm den virbitz vertreib. Vnd nempt mit euch Nag jm arß, mein swager! Der sol auch sein ein rotschlager. Vnd sol dem Fridel Milchschlunt furhalten die sach, Ob wir mochten ein heÿrat gemach. Tunc accidentes habent[es] consilium et eunt ad〈 〉sponsum et pater sponse. Nag jm arß dicit:

60

Nachpaur Milchschlunt, Dich leßt grussen tausent stundt Vll Lentel und sein sun. Deßgleichen leßt dich dein tochter auch thun.

KF 514

Michel schlunt dicit: 65

Nag mich jm ars, piß wilkum.

Gb 366v

44 subtil ‚klein, zart‘ 46 precht 3. Pers. Konj. II zu bringen 46 schaden ‚Mangel, Verlust‘ 51 drat ‚schnell‘ 54 virbitz ‚Neugierde, Streben nach Sinnlichkeit‘ 55 Nag jm arß ‚Leck mich am Arsch‘ 56 rotschlager ‚Berater‘ 57 furhalten ‚vorschlagen, darlegen‘ 58 Ob ‚Damit‘ 58 gemach ‚wohl durchdacht, überlegt‘ 61 tausent stundt ‚unzählige Male‘

59 habent] habentes: Konjekturvorschlag bei Keller (S. 1512) 59 ad sponsum] adsponsam: Konjektur bei Keller (S. 513) 59 pater: Keller (S. 1512) erwägt Konjektur zu patri; der Vorschlag bessert nicht die insgesamt in defizitärem Latein gehaltene Passage, die Präposition fordert im Übrigen Akk.; immerhin ergibt sich aus der Bühnensituation bzw. der Redeanweisung, dass die Gruppe um den Bräutigam sich der Braut und deren Vater nähert. Insofern ist eine Besserung der Passage zu ad sponsam et patrem sponsae zu erwägen. 64 Michel schlunt: Keller (S. 1512) erwägt Konjektur zu Milchschlunt; die Vielfalt der vergebenen Namen soll im Endkommentar erörtert werden. 66 Nag mich jm ars: Keller (S. 1512) erwägt Konjektur zu Nagimars; siehe Endkommentar

426 | 102 – Hans Folz: Der Ehevertrag

Nag mich jm ars dicit: Das sol mein nechster nachpaur thun. Milchschlunt dicit: Nachpaur, nag mich jm ars gutlich! 70

Nag mich jm ars dicit: Thu es selber! Ich mein es freuntlich. Milchschlunt dicit: Was ist dein beger? Nag mich jm ars dicit:

75

80

85

Vll Lentel het gern zu eim sweher dich, Das rat ich dir fur mich, Vnd hat gantz vnd groß begier Vnd spricht, vnd werd jm dein tochter nit schir, So muß er vnsinnig werden. Das wer dan dem knecht ein groß geuerde. Darumb ist dir vnd deiner tochter zu synn: Er bedarff jr, das sie jm spÿnn. So laß michß vnd die piderleut verstan, Vnd nÿm zu dir V oder VI man, Die die sach annemen auf deiner seiten, Als sein dinck stet, er mag nit lenger peiten.

Gb 367r

75 sweher ‚Schwiegervater‘ 76 fur mich ‚was mich betrifft‘ 78 werden ‚zuteilwerden‘ 78 schir ‚bald, schnell‘ 79 vnsinnig ‚verrückt, geisteskrank‘ 80 knecht ‚Knabe‘ 80 geuerde ‚Gefahr‘ 82 vgl. Kommentar zu Z. 133. 83 piderleut ‚wackere, rechtschaffene Leute‘ 86 peiten (zu mhd. bîten): ‚warten‘

73 Fehlende Reimzeile lässt an dieser Stelle und in Z. 130 Versausfall möglich erscheinen, eine inhaltliche Lücke ist hingegen nicht zu erkennen. 81 Keller (S. 1512) erwägt Umstellung dieses und des folgenden Verses; der Eingriff bessert die Passage, ist jedoch nicht zwingend.

102 – Hans Folz: Der Ehevertrag |

427

Milchschlunt dicit ad Nag jm ars:

90

95

Nag jm arß, nym dirß nit zu gach! Ich wil vor mein tochter Adelheit besprach Vnd mein freunt Steffeffel Lewßenringk, Jeckel Schmutz in die gelten zu Schinling, Hanß Knoten jn der Kot gaß, Elbel von Lewßenpach, der den proten fraß Nickel von der Galgen mul vnd Fritz Nagel, Haintz von Schalkhausen vnter dem kwezagel; Die mussen mir all jren rat geben, Ob ich sie verknupffen sol zum elichen leben.

KF 515

Et vadit ad filiam dicens. Filia respondit et dicit: 100

Ich wil den Jeckel Lentel haben Fur alle die stoltzen pawrß knaben, Die ich waiß weÿt vnd prait, Vnd wer es allen mein freunden leit.

88 nym dirß nit zu gach ‚nicht so schnell, übereile es nicht‘ 89 besprach: ‚unterreden‘; der Flexivausfall ist primär reimbedingt; vgl. auch Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 84; vgl. auch Z. 119. 90 Steffeffel: Zur Verbreitung und Beliebtheit von Wortspielen und Silbendopplung im 16. Jh. vgl. Lefftz: Stilelemente, S. 68f. 90 Lewßenringk: Bauernspottname; der Leuchsenring ist der eiserne Ring, mit dem die Deichsel am Leiterwagen befestigt ist (Arndt: Personennamen, S. 81). 91 Schmutz in die gelten: Ein auf die Zank- und Rauflust der Bauern hinweisender Spottname; die gelte ist ein Gefäß, meist ein Milchkübel, der Name bedeutet gewissermaßen ‚Schlag in den Milchtopf‘ (Arndt: Personennamen, S. 72). 93 Elbel von Lewßenpach: Elbel ist Koseform zu Adalbert oder Adalbald, der Nachname von Lewßenpach ordnet die Figur einer nicht zu rekonstruierenden bzw. fiktiven Gemarkung zu (Arndt: Personennamen, S. 58; Michels: Studien, S. 111–112). 93 proten ‚Braten‘ 94 Nickel von der Galgen mul: Nickel ist Koseform zu Nikolaus; von der Galgenmühle deutet, wie Lewßenpach, einen ebenfalls kaum sicher zu rekonstruierenden örtlichen Bezug an (Arndt: Personennamen, S. 22; Michels: Studien, S. 111–112). 94 Nagel: ‚Penis‘ (vgl. Arndt: Personennamen, S. 77) 95 kwezagel ‚Kuhschwanz‘ 98 ad filiam dicens: Keller vermutet, dass es dem Spieler überlassen war, eine nun folgende Rede des Vaters an seine Tochter nach eigenem Ermessen auszugestalten (Keller: Fastnachtspiele, S. 1512). Anlässlich des Laienspielcharakters der aufführenden Gruppe erscheint diese These jedoch problematisch Es scheint sich jewohl eher um eine nachgestellte Regieanweisung zu handeln, die die Bewegung des Brautvaters von Nagimars (Z. 88) hin zu seiner Tochter im Verlauf der Nennung der Namen der Ratgeber beschreibt. Aufgrund von Z. 89 erscheint die folgende Partie gelungen platziert, eine Zwischenrede kaum notwendig. 101 Fur ‚Vor‘

90 Steffeffel: Keller (S. 1512) erwägt Konjektur zu Steffel; siehe auch Stellenkommentar

428 | 102 – Hans Folz: Der Ehevertrag

105

110

Er hat ein hubschen stoltzen leip, Die fuß sind preit vnd gescheipt Vnd hat schon gelb zen. Ich sach jn gestern vber die gassen gen: Sein wanst ist jm als ein pecken swein, Darumb wil ich sein weib sein. Pater Milchschlunt dicit ad amicos suos dicit:

Gb 367v

Ir freunt, ich wil euch der sach macht geben. Wie jrs macht, so ist es mir eben. Steffan Leussenrink dicit ad sponsam:

115

120

125

Mein freunt Milchschlunt hat die sach von jm geben, Darumb ist es dir vnd deinem sun eben. So gebt den leuten die sach an, Die sich vmb heyrat kunnen verstan, Vnd sag jn, was dein sun vermage. Ich merck, sie wirt sein auch nit vertzage. Kuntz Meyr: Mein freunt Lentel hat vns lang gesagt, E er vns her hat pracht, Wie wir sullen den sachen thun, Zu verheyraten sein sun. Darumb, hat Adelheit etwas, so leg sie es dar. So wirt sie gar pald gewar, Was man jr wirt setzen darauff, Ob wir mochten kumen zum kauff.

105 gescheipt ‚rund‘ 108 pecken swein: ‚Mastschwein eines Bäckers‘ oder zu frnhd. bache: ‚Schinken‘ in der Bedeutung ‚Speckschwein, fettes Schwein‘. 111 sach ‚Rechtssache‘ 112 eben ‚recht, lieb‘ 118 vermage: 3. Pers. Sg. Konj. Präs. zu mhd. vermugen: ‚vermögen, aufbringen können‘. 128 kauff ‚Abschluss, Geschäft‘

108 wanst] wußt: Konjekturvorschlag bei Keller (S. 1512); Keller erwägt weitere Konjekturen zu wutz bzw. wurst 108 pecken swein: Keller (S. 1512) erwägt Konjektur zu pachenschwein zu Bache: ‚weibliches Schwein‘; eher unwahrscheinlich, s.o. 114 geben: Oberhalb der Zeile nachgetragen

102 – Hans Folz: Der Ehevertrag |

Sponsus dicit: 130

429

KF 516

Jeckel Schmutz in die gelten, spey die sach auß. Jeckel dicit:

135

140

145

Die Adelheitt ist furwar ein schone diern, Sie spint auß der massen guten zwirn. Kein knecht hat nye vber sie clagt, Wann sie hat nye keinem versagt. Alles, das sie gepeten haben von jr, Das sein sie gewert worden gar schir, Vnd hat manchen offt versucht. Ist das nit ein schone zucht?

Gb 368r

Newmair dicit: Ist sie versucht, das hor wir gern. So ist der preutigam ein eytel kern, Fleissig albeg in sein sachen, Ein gantze nacht sol er nÿmer erwachen. Vnd ist ein gedultig man Vnd wol vberhoren kan, Wenn man jn fodert zu der arbeit, So ist er albeg langksam bereit.

F 86I/II, 58

132 diern ‚Mädchen, Jungfrau‘, aber auch ‚unzüchtiges Weib‘ 133 Das Spinnen ist stark erotisch besetzt. Noch bis ins 19. Jahrhundert hinein trafen junge Menschen beiderlei Geschlechts in den spärlich beleuchteten öffentlichen bäuerlichen Spinnstuben außer zur Garnherstellung zwecks erotischer Fühlungnahme aufeinander. Das Lob der Spinnkunst der Braut deutet an, dass sie viel Zeit in der anrüchigen Spinnstube verbracht hat und also sexuell erfahren ist (vgl. Müller: Schwert, S. 131f.). 135 Mehrere Negationswörter heben einander nicht zwangsläufig auf (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 232); vgl. Z. 184. 135 versagt ‚den Dienst verweigert‘ 137 sein: 3. Pers. Pl. Ind. Präs. zu sein (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 149). 138 versucht ‚erprobt‘ 139 zucht ‚Erziehung‘, aber auch ‚Keuschheit‘ 141 hor: Zur Möglichkeit des Flexivausfalls in der 1. Pers. Pl. Ind. Präs. vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 94; vgl. Z. 216. 142 eytel kern: Ursprünglich ‚Kerngehalt des Getreides‘, später sinnbildlich ‚gute Frucht‘; vgl. auch sprichwörtlichen Gebrauch des Gegensatzes grober kern (DWb 11, Sp. 602). 143 albeg ‚stets‘

129–131 Ist in der Handschrift unterstrichen und erscheint insofern wie eine Redeanweisung über dem folgenden Redeabschnitt. Eventuell ist hierein eine noch nicht entwickelte Passage des Spieltextes zu sehen, die lediglich inhaltlich entworfen, aber noch nicht ausformuliert ist, oder aber die konkrete Ausgestaltung der Szene war dem Ensemble freigestellt, vgl. Z. 230. Für den unfertigen Zustand spricht auch der fehlende Reim.

430 | 102 – Hans Folz: Der Ehevertrag

150

Darumb so ist er der Adelheit wol gleich. Lieber Hans, ist sie aber icht reich? Cuntz Meir:

155

160

Er sol ir geben ein gute morgen gabe: Hundert schleg alle tage, Gut knopffet fyst all morgen, Bereit, kein zu porgen. Darzu hundert eycher knottel vngespalten, Das hilfft auß der massen wol haus halten, Wo do ist ein vngedultig weib, Das man domit streich jren leib. Darumb, Elbel von Lewßenpach, heb an vnd sag, Was die prawt von farnder hab vnd gut hab Vnd solt do furlegen das gut, Ob wir mochten machen ein guten muͦ t. Elbel von Lewßenpach:

165

170

Gb 368v

KF 517

Cuntz Meir, sie hat vil erb stück, Als ich die jn meiner 〈red〉 auß drück: Ein wiesen, die primmel wieße genant, Die ist einer gantzen gemein wol bekant. Sie hat ein quellenden prunn, Wie wol auff sie nit scheint die sun, Noch tregt sie gut graß, Frw vnd spet ist sie naß.

150 icht ‚etwas; nichts‘ 152 morgengabe: Geschenk des Mannes an die Frau nach der Hochzeitsnacht (DWb 12, Sp. 2567). 154 knopffet fyst ‚grobe Fürze‘ 155 porgen ‚ersparen, nachlassen‘ 156 eycher knottel ‚eichene Knüppel‘ 158 vngedultig ‚rasend, missmutig‘ 159 streichen ‚schlagen, prügeln‘ 161 farnde hab ‚bewegliches Gut‘ 167 Zur sexuellen Metaphorik der Wiese vgl. Kratz: Wortschatz, S. 122ff., 224ff.; Müller: Schwert, S. 36, 44f. 167 primmel: Ob hier metaphorisch auf die Schlüsselblume (lat. primula) als Symbol der leichten Zugänglichkeit verwiesen wird oder die lautliche Nähe zu Bräme: ‚Pelzbesatz, Borte‘ als Ausdruck für das weibliche Geschlechtsteil mitschwingt, bleibt letztlich unklar. Der Verweis auf das Morgengebet ist wenig naheliegend (vgl. Klimczak: Bildlichkeit, S. 151). 172 Anspielung auf die Unersättlichkeit der Frau (Müller: Schwert, S. 44).

156 eycher: Keller (S. 1512) erwägt Konjektur zu eychen 160 sag: Oberhalb der Zeile nachgetragen 166 red] : Konjekturvorschlag bei Keller (S. 1512) 171 Noch: Keller (S. 1412) erwägt Konjektur zu Dennoch bzw. Doch; der Eingriff ist unnötig, noch in der Bedeutung ‚dennoch‘ ist verbreitet (vgl. R 61, Z. 205).

102 – Hans Folz: Der Ehevertrag |

175

180

Ein guten acker hat sie dabej ligen, Es muͤ sten mich dann all mein sin betriegen, Er ist einer solchen guten art, Er tungt sich selber alle fart Vnd ist an dem Leckfeld gelegen. Darumb solt jr nit weitter fregen. Das ist jr liegendes gut. Darumb, ist euch etwas zu mut, So last die sach die freund beschliessen! Wir wollen aber ye des schimpfs auch geniessen.

431

Gb 369r

Cuntz Meir: 185

190

195

200

Kein pesser heyrat wirt nit erdacht, Dann wo sich gleich und gleich zusam macht. Ein armer sol sich einer armen remen, Ein reicher sol ein reiche nemen, Plint vnd plint, lam vnd lam, Ein yde gattung gehoͤ rt zusam. Reich vnd arm thun bej einander selten gut, Zanck vnd hader ist allzeit jr guter muͦ t. So, muͦ ß der arm ein petler sein, Das reich spricht: Das gut ist mein. Dann flucht das arm jn dem hawss, Das reich spricht: Petler, heb dich hinauß! Des geleichen es ist mit junck vnd alt; Selten hat es ein rechte gestalt. So ein jungs hat begir, So hebt es an vnd spricht gar schir: Hat mich der teufel beschissen? Ich kan jr nymmer nit geniessen

KF 518 Gb 369v

173 Zur sexuellen Metaphorik des Ackers vgl. Kratz: Wortschatz, S. 223f.; Müller: Schwert, S. 36ff. 174 betriegen ‚täuschen‘ 176 alle fart ‚ständig‘ 177 Die möglichen Interpretationen von lecken an dieser Stelle erläutert Müller: Schwert, S. 44f. Das bei Augsburg gelegene Lechfeld als Austragungsort der Schlacht von 955 gegen die Ungarn dürfte bei dieser Namensgebung ebenfalls Pate gestanden haben. 179 Man beachte die Doppeldeutigkeit von liegendes gut als sexuelle Anspielung einerseits und korrekte Rechtsterminologie zur Bezeichnung immobilen Besitzes andererseits (DRW 4, Sp. 1332ff.). 182 schimpf ‚Scherz, Spaß‘ 186 remen (zu mhd. ræmen): ‚trachten nach‘ 201 geniessen: Seinerzeit üblicherweise mit Gen.

192 Keller (S. 1512) erwägt Umstellung dieses und des folgenden Verses; der Eingriff bessert die Passage, er ist jedoch nicht zwingend

432 | 102 – Hans Folz: Der Ehevertrag

205

210

215

220

Vnd ist zancken frwe vnd spat. Darumb ist mein rat, Das wir pawren vnd peurin zu sammen geben, Die wissen miteinander zu leben. Also woll wir der Adelheit hewt thun Vnd des alten Lentelß sun. Nickel von der Galgenmul, was sagst du? Gib dein rat auch darzu. Nickel von der Galgen muͤ l: Strigel meinr, merck mich schon vnd eben! Sie haben vns der sach macht geben. Was wir thun, da beleiben sie all bej. Zum letzten so wirt darauß ein gehey, Seit sie es als auff vns schieben. So woll wir jn geben geschrieben, Was ein ydes von dem andern sol wartten, Von wiesen, eckern oder gartten, Mit diesem Brieff auß speÿ. Gefelt es jn, so mogen sie beleiben dobej. Tunc legit quis fermiter dicit:

225

Also habt jr verstanden gar eben, Was einß dem andern sol geben. Darumb ist euch etzwas zu muͦ t, So hab die sach jn hut Vnd tut es nit lanck machen, Sunder kurtzlich schickt euch zu den sachen

Gb 370r

211 strigel: ‚Penis‘ (vgl. Kratz: Wortschatz, S. 251) 211 merck mich ‚versteh mich, jetzt hör mir mal zu‘ 212 ‚Sie haben uns eine Vollmacht in dieser Angelegenheit erteilt.‘ 214 gehey ‚Verdruss, Ärger‘ 219 außspeÿen ‚ausspucken, äußern‘ 221 fermiter: Zu lat. firmiter: ‚betimmt, laut‘ 225 ‚Nehmt die Sache in eure Obhut‘ 227 schicken ‚fügen‘

211 meinr: Keller (S. 1512) erwägt Konjektur zu Meir; der Eingriff ist unnötig, nachgestelltes Possessivpronomen ist üblich (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 11).

102 – Hans Folz: Der Ehevertrag |

Vnd laßt vns die zu samen geben, Das sie bestetigen das elich leben. 230

433

F 86I, 15; F 86II, 14

Vrlaub nemen.

228 zuo samen geben: Feststehende Wendung zur Beschreibung der formellen Eheschließung im bäuerlichen Brauchtum des 15. Jahrhunderts.

434 | 102 – Hans Folz: Der Ehevertrag

Kommentar Bezeugung Gb, Bl. 365r–370r

Ausgaben Keller: Fastnachtspiele II, S. 512–518 (= Nr. 58, nach G); Bd. III, S. 1512; Bd. IV; S. 343.

Textkritik Das Spiel ist unikal in Handschrift G überliefert.

Autor Der Autor wird nicht genannt, es gibt jedoch zahlreiche Anhaltspunkte, die in summa für die Verfasserschaft Folzens sprechen. Hier sind zu nennen die in teilweise nicht korrektem Latein gehaltenen Regieanweisungen. Man kann davon ausgehen, dass der Schreiber Gb, im Gegensatz zu Folz des Lateinischen unkundig, die Abbreviaturen der Vorlage nicht sinnvoll aufzulösen vermochte (vgl. Z. 59) und der vorliegende, ohne Rekonstruktion eben dieser verkürzt gehaltenen Passagen teilweise unverständliche Text entstand (vgl. auch Z. 221). Der Schreiber, erstmals in Z. 59 mit seinen Kenntnissen am Ende, wird während der Abschrift zunehmend unsicher, er verzichtet möglicherweise auf die Wiedergabe von Regieanweisungen, die über das schlichte x dicit y hinausgehen und lässt ab Z. 151 sogar die flektierte lateinische Verbform ausfallen. Erst in Z. 221 erfordert der Kontext deren Abschrift, und prompt gerät der Schreiber auf den Holzweg. Unsicher in maskuliner bzw. femininer Flexion richtet er die Rede Z. 113ff. fälschlicherweise an die Gruppe der Braut, während Leussenrinck zur Gruppe um den Brautvater zählt und er den Vater des Bräutigams persönlich anspricht (vgl. Z. 115, 118). Ein denkbarer Anlass für den Verfasser, die Anweisungen in Latein zu halten, besteht in der besseren optischen Unterscheidbarkeit gegenüber den dramatischen Passagen. Rätsel gibt dagegen die an sich für Folz durchaus typische Namensvielfalt auf. So tragen im vorliegenden Text die Väter von Bräutigam (Ss, Z. 12, Hans Knodt, Z. 20, 24, 34 bzw. Vll Lentel, Z. 50, 62, 207) und Braut (Milchschlunt Z. 22, 27, 57, 60, 64, 68, 72, 87, 110, 114 bzw. Folschenwint Z. 6) jeweils verschiedene Namen. Diese Namen sind beim Vater der Braut außerdem unterschiedlich realisiert (vgl. Z. 22 Vll Schlunt, Z. 27 Friedel Milchschlunt, Z. 64 Michel Schlunt). Darüber hinaus ist es in Z. 75 nicht der Vater Vll, sondern der Sohn Jeckel, der seine Begehrlichkeiten äußert, und der Name Hans Knot wird ein weiteres mal für einen Freund des Vaters verwendet (Z. 92). Be-

102 – Hans Folz: Der Ehevertrag |

435

merkenswert ist ferner, dass Nagimarß in Z. 66, 70 und 74 in den Regieanweisungen Nagmichimarß genannt wird. Der in den gesprochenen Teilen angelegte Wortwitz, die Verwechslung von Anrede und Beschimpfung, scheint auch den Schreiber im Schreibprozess verwirrt zu haben. Gleichwohl fehlen für Folz typische Mittel wie Tanzschluss und Stichreim. ‚Der Ehevertrag‘ ist aufgrund unserer Überlegungen nicht als fertig bearbeitetes Stück zu bewerten. Vielmehr ist anzunehmen, dass Folz ein eigenes älteres Werk oder das eines anderen Verfassers umarbeiten bzw. mehrere Konzepte zusammenführen wollte. Im Rahmen dieser Arbeiten sollten dann die Namen geändert bzw. angeglichen werden. Das Vorhaben blieb jedoch bruchstückhaft, und die geschilderte Verwirrung bezüglich der Referenzen stellte sich ein. Ferner fallen in diesem Zusammenhang die häufig unreinen Reime auf (vgl. Z. 12–13, 48–49, 79–80, 160–161; es fehlt ein Reim auf Z. 130. Sollte der Vers mit Z. 128 und 129 als Dreireim gedacht sein, muss er als misslungen bezeichnet werden), syntaktisch zweifelhafte und unverständliche Stellen (vgl. Z. 4, 89, 146, 166, 219) sowie handwerkliche Fehler wie die divergierenden Angaben bezüglich der Anzahl der anwesenden Bauern (vgl. Z. 16, 84 und Z. 90–95). Schreiber Gb gilt als vorlagengetreuer Bearbeiter, der aufgrund seiner Autornähe auch frühe Fassungen kopierte (vgl. Simon: Fastnachtsspieltradition, S. 113). Es ergibt sich also der Eindruck, dass es sich bei dem vorliegenden Stück um die vorläufige Version eines Werks von Folz handelt, die der getreue, aber in Latein nicht geschulte Kopist nicht nur in ihren Schwächen wiedergibt. Vielmehr belegt er in seiner Wiedergabe der Regieanweisungen zusätzliche Un- bzw. Missverständnisse seinerseits. Z. 184–207 fügen sich nicht recht in das Gesamtkonzept ein, erfolgt hier doch im Gegensatz zum eher zotigen, ungeordneten übrigen Spielgeschehen ein in sich geschlossenes theoretisches Argumentieren im Sinne des mittelalterlichen Ordogedankens (s.u.). Derartige Überlegungen, die grundsätzlich die Bewahrung und Stabilisierung etablierter, ratskonformer sozialer Systeme zum Thema haben, finden sich allenthalben im Œuvre des Nürnberger Barbiers. Es war Praxis bei Hans Folz, Fragmente und Reimwortlisten zu sammeln und möglicherweise als Bausteine weiterer Arbeiten zu verwenden (vgl. Folz: Meisterlieder, S. VII-XVI) bzw. daraus vorläufige Arbeitsfassungen mit Werkstattcharakter zu erstellen. Zahlreiche Ähnlichkeiten zu F 86 lassen sogar die Vermutung zu, dass das vorliegende Stück als Versatzstücklager für ‚Die Bauernhochzeit‘ gedient haben mag, so bspw. der (agrarisch-metaphorische) Verweis auf die sexuelle Betriebsamkeit der Braut vor der Eheschließung oder die Parodie des klassischen Schönheitspreises (s.u.).

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Datierung Terminus ante quem ist 1494, das Abschlussdatum der Handschrift G.

Rollen, Inhalt, Struktur Rollen: Einschreier, eine Braut und ein Bräutigam, deren Väter, mindestens zehn Bauern. Der Einschreier eröffnet das Handlungsspiel mit der Ankündigung, ein Paar hege die Absicht zu heiraten. Darauf spricht der Vater des Bräutigams, Hans Knot, seinen Sohn Jeckel auf dessen Pläne an und dieser bestätigt, dass er Adelheit, die Tochter des Fridel Milchschlunt, zur Frau nehmen wolle (Z. 49). Zur Begründung für diese Wahl lobt Jeckel die äußere Erscheinung der Braut, tatsächlich handelt es sich bei diesem vermeintlichen Schönheitspreis um die grobianische Parodie eines solchen. Der Vater bittet seine Freunde um Rat bei den Verhandlungen um Mitgift und Güterverteilung. Nagimarß als Delegierter der Runde um den Vater des Bräutigams trägt dem Milchschlunt die Heiratsabsichten vor (Z. 75ff.). Dieser kündigt an, zuerst mit seiner Tochter zu sprechen und hernach seine Freunde um Rat zu fragen. Die Tochter bestätigt die Heiratspläne und begründet sie ebenfalls in einer Persiflage des klassischen Schönheitspreises (Z. 100ff.). Darauf übergibt Milchschlunt seinen Freunden die Entscheidungsgewalt. Es folgt eine Verhandlung zwischen den Freunde der beiden Väter über die Güterteilung, wobei die in die Ehe einzubringenden Besitztümer und Qualitäten im Falle der Braut auf zweideutig obszöne Weise geschildert werden, die des zukünftigen Gatten reduzieren sich auf Faulheit und Brutalität. Cuntz Meir stellt schließlich fest, dass zum Zwecke einer glücklichen Ehe Gleiches sich mit Gleichem binden solle (Z. 184ff.). Als Ergebnis der Verhandlungen wird seitens der Unterhändler einvernehmlich beschlossen, die beiden Brautleute in die Ehe zu geben. Deutungsaspekte: Die Zeit der Fastnacht war wegen des Heiratsverbots während der Fastenzeit ein beliebter Termin für Eheschließungen, und so verwundert es nicht, dass sich mehrere Fastnachtspiele des Themas Ehe annehmen (vgl. F 83, F 84; insbesondere F 86). Wegen der durchaus rigiden Fastenregeln war man zudem bemüht, die gefüllten Vorratskammern zu leeren und ein letztes mal genussvoll zu schwelgen (Schindler: Leute, S. 179). Neben diesem religiös-pragmatischen Aspekt tritt im Spiel altes Brauchtum zutage. Eine Eheschließung war in der Vormoderne weniger an rechtliche oder kirchliche Organe (vgl. Z. 48) angebunden, sondern wurde unter Bekannten und Beratern der Väter der Brautleute geschlossen (vgl. Schröter: Ehe, S. 42). Die ursprünglich ausschließlich unter Männern anberaumte Verbindung bedurfte im Mittelalter noch nicht der Zustimmung der Braut (vgl. Schröter: Ehe, S. 68ff.). Erst im Lauf der Zeit wurde deren Einverständnis zunächst vorausgesetzt, später trat die gegenseitige Geneigtheit der Brautleute zumindest als alternativer Grund für eine Hochzeit hinzu (vgl. Schrö-

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ter: Ehe, S. 100ff.). Im vorliegenden Spiel betont die Braut ausdrücklich, mit der Wahl einverstanden zu sein (Z. 100ff.). Die Ehe wurde noch in der Frühen Neuzeit in erster Linie unter ökonomischen Aspekten eingegangen, wurden doch in Zweckehen Besitztümer zusammengeführt und Vermögensstände möglichst sinnvoll ergänzt (vgl. Z. 118, 125, 150, 161; vgl. Schwarz: Bedeutung, S. 22ff.). Die Bedingungen dieser Gütervereinigung wurden zuvor von den Eltern der zu Vermählenden ausgehandelt und in einem Schriftstück vertraglich fixiert. Die Ausarbeitung und Anerkennung dieses Dokuments kann als zentrales Element der Verehelichung angenommen werden. Die Hochzeitsfeierlichkeiten sowie die Eheschließung selbst fanden meist im direkten Anschluss an diese Absprachen statt. Beide Partner wurden so gemeinsam in die Ehe als neue wirtschaftliche Gemeinschaft gegeben (vgl. Z. 228; vgl. Schröter: Ehe, S. 266). Im vorliegenden Spiel werden diese Verhandlungen semantisch doppelt besetzt: Der Bräutigam in spe soll neben der ihm eigenen Lethargie die Bereitschaft zu körperlicher Züchtigung als Gut in die Ehe einbringen, und in der Schilderung des Landbesitzes der zukünftigen Braut wird dieser in körperliche und charakterliche Eigenschaften komisch umgedeutet. Der mittelalterlichen Vorstellung von der Schönheit eines kleinen, zarten Mundes wird der Mund der Braut entgegengesetzt. Von ihm könnte man problemlos ein Pfund abschlagen, es sei noch immer genug übrig (Z. 44–46). Die Beschreibung ihrer üppigen Brüste, der breiten Beine und des üppigen Gesäßes stellt in allen Punkten das Gegenteil des seinerzeit gültigen Ideals dar. Im klassischen Schönheitspreis geht das Lob der Schönheit zwischen Hals und Füßen meist in einen Kleiderpreis über und verhüllt die dazwischen liegenden körperlichen Partien (zum Schönheitsideal des Mittelalters vgl. Bumke: Kultur, S. 451f. Des Weiteren vergleiche man zur Parodie des Schönheitspreises die Darstellung von Mätzli Rüerenzumph in Wittenwilers ‚Der Ring‘, Wittenwiler: Ring, S. 20). Auch hierin werden etablierte Muster im Zuge karnevalesker Umarbeitung verkehrt und auf den Kopf gestellt. Die in Z. 184–202 enthaltene Argumentation des Bauern Cuntz Meir fällt im Gegensatz zu dem eher launigen Bühnengeschehen durch eine zumindest in Ansätzen feststellbare argumentatorische Schärfe bzw. Dogmatik auf und bedarf insofern der Erläuterung. Diese Passage wirkt, wie bereits erwähnt, wie ein Fremdkörper innerhalb des Spielgeschehens und unterstreicht den Patchworkcharakter des Textes. Cuntz Meir argumentiert im klassischen Sinne des soziale Strukturen affirmierenden Ordogedankens, wenn er einen jeden Menschen innerhalb seiner körperlichen, insbesondere jedoch seiner sozialen und wirtschaftlichen Bedingtheiten dauerhaft verortet. Und tatsächlich finden im Spiel die hässliche Braut und der unansehnliche Bräutigam zusammen, es finden sexuelle Maßlosigkeit und Faulheit zueinander. Die Namen tun ein Weiteres, die Bauern der Lächerlichkeit preiszugeben, charakterisieren sie doch auf komische Weise Vorlieben und Verhaltensweisen der Beteiligten wie das gierige Trinken der Milch im Milchschlundt oder dienen der Verspottung wie im Folschenwindt. Der städtisch-bürgerliche Verfasser des Spiels wendet also seinen Wertekanon positiv auf die verkehrt-komische Fastnachts- bzw. Bauernwelt an.

438 | 102 – Hans Folz: Der Ehevertrag

Aufführungshinweise: Zu Beginn ordnet der Precursor das Bühnengeschehen, indem er den Vater des Bräutigams mit der zukünftigen Schwiegertochter auf der einen Seite der Bühne und gegenüber den Vater der Braut und Jeckel Lentel Position einzunehmen anweist. Innerhalb dieses in zwei mansiones unterteilten Arrangements ist jedoch Bewegung. So ruft Ull Lentel in Z. 25 seinen Sohn aus der gegenüberliegenden Bühnenecke zu sich (ge her), und in Z. 50 lässt er seine Berater näher an sich herantreten (convocat). Prinzipiell bleibt die Bühne bis zu diesem Zeitpunkt jedoch in zwei Lager geteilt. In Z. 59 wird die Ordnung aufgelöst, die Gruppe der Berater um den Vater des Bräutigams begibt sich, angeführt von Nagimars, auf die Gegenseite zu. In Z. 98 bewegt sich der Vater der Braut weg von seinen Beratern hin zu seiner Tochter (vadit ad filiam). Offensichtlich befand sich diese noch in der Ecke, die sie zu Beginn eingenommen hatte. Trotz dieser Entfernung kann Milchschlunt an ihrer Seite auch zu seinen eigenen Beratern (Z. 110) sprechen, ein angesichts der Aufführung auf einer improvisierten Wirtshausbühne kaum überraschender Befund. Die komischen Schilderungen physiognomischer und anatomischer Defizite der Brautleute verlangen zum einen deren Umsetzung an der jeweiligen Rolle durch Kostümierung bzw. Maskierung, zum anderen treten die Akteure sehr wahrscheinlich während der Schilderung durch den Partner in den Bühnenvordergrund, um die Wirkung der Worte auf den Zuschauer zu verstärken. Als Requisite muss das Ergebnis der Verhandlungen in Form eines Schriftstücks (Z. 219) vorhanden gewesen sein, das in Z. 221 vorgelesen wird. Die Kostümierung der Braut, die von einem Mann gespielt wurde, dürfte aufgrund der reichlichen Ausmaße ebenso für Heiterkeit im Publikum gesorgt haben wie die Darstellung des wenig attraktiven, aber jugendlichen Liebhabers durch einen alten Mimen, möglicherweise korpulent und mit schlechten Zähnen. Besondere Erwähnung verdient ein weiteres Mal die Figur des Nagimars. Er wird in Z. 55 eingeführt und aufgrund der falschen Wiedergabe seines Namens entspinnt sich ein Streit. Damit der Witz jedoch funktionieren kann, das Publikum also das Verwirrspiel um Eigenname bzw. Beschimpfung versteht, muss insbesondere dieser Figur der Name in der Vorstellung seiner Mitstreiter durch den Vater des Bräutigams in Z. 55 vermittels einer Geste für die Zuschauerschaft nachvollziehbar zugewiesen worden sein. Der Verfasser arbeitet reflektiert und distanziert mit der Bühnensituation. Er unterstellt aber auch dem Publikum, dass dieses der wechselnden, aufgrund der Aufführung auf einer außerordentlich begrenzten Bühne jedoch räumlich nur unzureichend realisierbaren Distanz der einzelnen Gruppen zueinander folgen kann.

Textbezüge Verhandlungen vor einer Eheschließung unter Bauern finden sich in R 2, R 3 sowie in F 86. Insbesondere das letztgenannte Spiel weist Ähnlichkeiten mit dem vorliegenden Text auf. Auffällig ist in dieser Hinsicht sicherlich die Beschreibung der Mitgift der Braut, die jeweils ein Wiesen- bzw. Ackergrundstück beinhaltet, das jedoch meta-

102 – Hans Folz: Der Ehevertrag |

439

phorisch eindeutig sexuell besetzt ist (Z. 167–177, vgl. F 86II, Z. 91–93). Außerdem werden die sexuelle Betriebsamkeit der Braut (Z. 132–139, vgl. F 86II, Z 69–77, 100–103), der negative Schönheitspreis (Z. 40–46, 104–108, vgl. F 86II, Z. 113–121, 178–190) sowie körperliche Gewaltanwendung unter Eheleuten (Z. 152–157, vgl. F 86II, Z 154–163) dort ebenfalls thematisiert. Die Rolle der Frau in der Ehe, die zwischen männlicher Vorherrschaft verbunden mit Züchtigungsrecht und furiosem weiblichem Aufbegehren gegen eben jene Dominanzkultur schwankte, wird darüber hinaus in den Spielen R 55, R 72, F 83, F 84, F 86, F 92, F 95 und F 111 verhandelt. Männliche Gewalt gegenüber der Ehefrau wird ferner in F 101 in Z. 161 praktiziert. Weniger die Braut als die mit der Heirat verbundene Mitgift findet in R 59 Erwähnung. Erörterungen bezüglich der Eheschließung bzw. deren Nichtzustandekommen erfolgen ferner in R 12, R 25, R 32 sowie den Rügespielen R 14, R 15, und R 71. Einen ironischen Schönheitspreis, der ähnlich Z. 40ff. und 104ff. die klassischen Schönheitsideale ins Negative verkehrt, trifft man außerdem an in den Spielen R 25, R 71, F 86 und F 94. Bearbeiter: Greil, Przybilski

103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung I) KF Nr. 60

Ein spil von konig Salomon vnd Markolffo

Gb 376v KF 523

Dicit der herolt:

5

10

Got gruß den wirt, gest vnd gesind Vnd wen ich erberigß hÿnnen find! Rußt euch! es kumt vntter seiner kron Der reich vnd weiß konig Salomon, Der wirt hie bey jm han sein rett. Ob yemant vor jm zu schaffen hett, Der wurd hie kurtzlich auß gericht. Der des bedarff, der saum sich nicht.

F 103II, 3–16; F 106I, 2f.

Markolff dicit zum konig:

15

Lieber junckher, got gab euch hail! Hie han ich gar vil kramschaft fail Von peterlein, ruben, knoblauch vnd zwifel Vnd han dabey auch jn eim stifel Ein wiltpret, wil ich ewren genaden schencken. Jr herrn, des bit ich euch zu gedencken, Ob mir der konig schencket ein pferdt, Das ichs vmb sust nicht hab begert.

Gb 377r

4 erberigß: Genitiv ‚der Ehrbaren‘, bezeichnet die Nürnberger Oberschicht (vgl. Simon: Anfänge, S. 304); vgl. Z. 531. 4 hÿnnen ‚hier drinnen‘ 5 Rußt euch ‚Rüstet euch, Macht euch bereit‘ 7 bey jm ‚bei sich‘; zur seinerzeit üblichen Flexion des Reflexivpronomens vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 64. 7 rat ‚Berater‘ 8 zu schaffen ‚etwas zu erledigen, vorzutragen‘ 9 ‚Dem wird schnell Recht beschieden.‘ 14 peterlein ‚Petersilie‘ 14 zwifel ‚Zwiebel‘ 16 Zum asyndetischen Relativsatz vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 261.

1 unterstrichen; im Register G: Von dem kunig Salomon vnd von Markolffuß wie sy mit ainander redent 2 unterstrichen und zur Überschrift gestellt; Sprecherbezeichnungen und Handlungsanweisungen sowie die ersten drei bzw. vier Wörter der jeweiligen Rede sind auch nachfolgend meist unterstrichen.

442 | 103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung I)

20

Des konigs ret einer: Hor, pawr, vnd beschaid mich: Wer hat herein gelassen dich? Markolffus:

25

F 103II, 24–27

KF 524

Das hat die listigkeit getan, Gerechtigkeit het es lassen an stan. 〈Marckolffus wirdt husten〉 Der glatzet ritter dicit:

30

Pawr, du pist vnkeusch in der keln, Wirst du der plossen erden feln Mit dem auß speyen, so sag ich dir, Das du den sal must raumen schir.

F 103II, 31–34

Markolffus wirft dem glatzeten ritter auff den kopff. Pfwj dich, pawr, das dich der teufel schent, Wie hast du mir mein kopff geschent! 35

40

Markolffus dicit: Das dich der riet selbs muß an gen! Nu lißt du mich doch vor versten, Jch solt auff kein zierung nit speyen. Nu mocht mir kein ploße erden gedeyen Dan hie dein kopff, was kal vnd ploß Vnd hat nit hars eins fingers groß.

Gb 377v

22–24 Salomon et Marcolfus, S. 32, Z. 2f. 25 ‚Die Gerechtigkeit hätte es unterlassen.‘ 26–43 Salomon et Marcolfus, S. 32, Z. 5-S. 33, Z. 3; Salomon und Markolf, Z. 446–463. 26 wirdt husten: werden mit Infinitiv drückt im Frnhd. bis ins 16. Jahrhundert oft ingressiven Aspekt aus (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 173), zu übersetzen mit ‚anfangen zu, beginnen zu‘. 28 vnkeusch ‚unflätig‘ 29 feln ‚verfehlen‘ 31 schir ‚sogleich‘ 32 werfen ‚spucken, rotzen‘ 33 Pfwj dich ‚Pfui, Schande über dich‘ 36 riet: Wörtl. ‚Fieber, Schüttelfrost‘, unspezifische Bezeichnung für diverse mit diesen Symptomen einhergehende Erkrankungen (vgl. Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 513f.), hier als Verwünschung zu verstehen. 37 lißt: 2. Pers. Sg. Ind. Prät. zu lassen 38 zierung ‚Boden-, Wandzierrat‘ 39 gedeyen: Eigentlich ‚erwachsen, entstehen‘, hier wohl in der Bedeutung ‚vor dem geistigen Auge erscheinen‘.

26 fehlt, aus q ergänzt

103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung I)

45

| 443

Jch han dirß gantz zu gut getan, Ob dir auch har da wurd auff gan. Jch maÿn halt, schiß ich dir darauff, Dir ging vil merß hares da auff. Salomon dicit: Pawr, wir sein wol vnter weißt, Wie du gar falsch vnd kleffisch seist, Darumb du vns dein namen leutter!

50

F 103II, 51–58

Markolffus dicit: Junckher, ich hayß nit der Kalbß eutter! Lawr darauff ein weil, das ich mich nenne, Du gebst dich mir dan vor zu erkenne Vnd als dein geslecht an einer zeil.

55

60

Salomon dicit: Ge her, pawr, vnd schweig ein weil! Von den zwelff sun Juda sein wir: Judas gepar Fares in tzir, Fares Efraym, Efraym Aram, Aram Aminadas mit nam, Aminadas gepar Nason Vnd Nason gepar Salomon,

KF 525

F 103II, 62–71

42 ‚Ich habe es wirklich zu deinem Nutzen getan,‘ 43 Ob ‚Ob nicht‘ 44 maÿn halt ‚[ich] glaube eben‘ 47–48 Salomon et Marcolfus, 3a; Salomon und Markolf, Z. 51–53. 47 sein: Zur Flexion der 1. Pers. Pl. Ind. Präs. von sein vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 149. 47 vnter weißt: Part. Prät. von [vnter-]weysen, bis ins Frnhd. schwach flektiert (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 112). 48 kleffisch ‚geschwätzig; streitsüchtig‘ 49 leuttern ‚klar machen, erhellen‘ 51 Kalbß eutter: Etwa ‚Dummkopf‘, in Spiel F 109, Z. 31 bzw. F 99, Z. 13 auch als Eigenname gebraucht (vgl. Arndt: Personennamen, S. 79). 52–54 Salomon et Marcolfus, 1b; Salomon und Markolf, Z. 31–33. 53 vor ‚vorher‘ 53 erkenne: Finaler Nasalschwund begegnet häufig in der auslautenden druckschwachen Silbe des Infinitivs und ist hier wohl auch dem Reim geschuldet (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 62). 54 als dein geschlecht ‚alle deine Ahnen‘ 54 zeil ‚Reihe‘ 58–66 Die hier wiedergegebene Ahnenreihe wurde ursprünglich aufgrund der Namensformen und der Abfolge wohl Mt 1, 3–6 entnommen, wo sie als Teil der Genealogie Jesu steht. Sie findet sich auch in leicht variierter Form in Rut 4, 18–22, 1 Chr 2, 1–15 und Lk 3, 31–33. vgl. Salomon et Marcolfus, 2a; Salomon und Markolf, Z. 33–39. 58 geperen ‚zeugen‘ 58 in tzir ‚in Tugend, in seelischer Reinheit‘

45 merß: Keller (S. 1513) erwägt Konjektur zu mer

444 | 103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung I)

65

Salomon Boas, Boas Obeth, Obeth Jesse geperen tet Vnd Jesse Dauit in der zir Vnd Dauits sun Salomon sej wir.

Gb 378r

Marcolffus dicit:

70

So bin ich von zwelff geslechten der pauren, Die mit jren namen haissen die Knauren: Pawr Trol paur Knoll gepar, 〈Knoll〉 Lappen, Lapp gepar Dremel, Dremel Appetappen, Appatapp gepar Sew tut, Sewtut Gynoͤ ffel, 〈Gynoͤ ffel gepar Knebel / Knebel Gensloͤ ffel,〉 Genßloffel gepar Lultzappff, Lultzapff Starckolff,

F 103II, 76–86

68–75 Salomon et Marcolfus, 2b; Salomon und Markolf, Z. 39–45. 69 Knaure (zu mhd knûre): ‚Felsbrocken‘; in Bezug auf Bauern metaphorisch für Grobheit und Härte verwandt. 70 Trol: ‚plumper, ungeschlachter Mensch‘, gern in Bezug auf Bauern benutzt (Arndt: Personennamen, S. 69; DWb 22, Sp. 798f.). 70 Knoll: in Übertragung der eigentlichen Bedeutung auf einen Menschen ‚plumper, ungeschlachter Kerl‘, soll die Derbheit der Figur verdeutlichen (Arndt: Personennamen, S. 70). 70 Lapp: ‚Depp‘, auch als Beleidigung häufig gebraucht (vgl. F 96, Z 44; FrnhdWb 9, Sp. 278f.). 71 Dremel: ‚Balken, Knüppel‘, übertragen als Schimpfwort für einen groben Menschen etwa ‚Klotz‘ (Arndt: Personennamen, S. 69; DWb 2, Sp. 1399f.). 71 Appatapp: ‚Trampel‘, als Schimpfwort in der Form appetapp auch in F 100, Z. 88; tonische Duplikation zu frnhd. tappe, ‚Trampel‘ (Arndt: Personennamen, S. 67). 72 Sew tut: aus sau und frnhd. dutte: ‚Brustwarze‘ (vgl. DWb 22, Sp. 1946–1948). 72 Gynoͤ ffel: ‚Narr‘, als Schimpfwort in F 96, Z. 53; aus gienen, ‚den Mund aufsperren‘, (vgl. DWb 7, Sp. 7349–7352) und wolf (Arndt: Personennamen, S. 65) oder in Anlehnung an auf -olf endende Personennamen; auch Kontaminationsform von ginaffe und ginloffel, das wiederum auf lap zurückgeht, denkbar (DWb 7, Sp. 7353). 73 Knebel: ‚Holzstück, Knüppel‘, übertragen auf einen Menschen etwa ‚Klotz‘, aber ebenso Bedeutung ‚Penis‘; als Schimpfwort u.a. in Z. 502 und F 87, Z. 444, als fingierter Eigenname auch außerhalb der Fastnachtspiele belegt (vgl. DWb 11, Sp. 1374–1377; Lex I, Sp. 1644). 73 Gensloͤ ffel: Entweder Erstglied zu gans mit den Bedeutungen ‚Dummkopf‘ und ‚Penis‘ (vgl. DWb 4, Sp. 1263f.) und Zweitglied als Ableitung von laffe, ‚Narr‘ (vgl. DWb 12, Sp. 1120) oder Entstellung von gansaffe, ‚Narr‘ (vgl. Lex I, Sp. 736) mit Anklang an laffe; die von Arndt vermutete Vermischung mit Gynoͤ ffel ist nicht zutreffend, da beide Namen in der Genealogie des Druckes (F 103II) deutlich getrennt erscheinen (vgl. auch F 91, Z. 28 sowie Arndt: Personennamen, S. 65; Gerhardt: Diätetik, S. 65, Anm. 123). 74 Lultzapff: ‚Säufer, Saufaus‘, zu nhd. lullen: ‚saugen‘ (vgl. DWb 12, Sp. 1287f.) und nhd. Zapfen: ‚Stöpsel eines Fasses‘ (vgl. DWb 31, Sp. 258–261), belegt sind lüllzäpflein und zäpfleinlüller mit entsprechender Bedeutung (vgl. DWb 12, Sp. 1289; 31, Sp. 266); Deutung von Arndt: Personennamen, S. 66 eher unwahrscheinlich. 74 Starckolff: Regulärer Personenname (vgl. Förstemann: Namenbuch, Sp. 1362f.).

63 Boas] Baas Konjektur in Anlehnung an biblische Genealogie 70 Knoll] Konjektur in Anlehnung an die Druckfassung 72 Gynoͤ ffel] Gnseffel Konjektur in Anlehnung an die Druckfassung 73 Fehlt, wegen Reim und Genealogie erforderlich, aus der Druckfassung nachgetragen

103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung I)

75

Starckolff gepar mich, ich heyß Marckolff. Jch bin von zwelff geslechten der pauren hie, Sich, konick, darumb ich dir nicht vber sie, Du pist ein mensch als wol als ich. Salomon dicit:

80

| 445

F 103II, 101–123

Hor, Marckolff, merck vns fleissigklich: Wir werden dich fragen, wirst vns beschaiden? Markolffus: Ja, kunick, es sol mir nymantz leyden. Wer vbel redt, der selb heb an!

85

Salomon: Markolff, magst du vns allen red bestan, So woll wir dich erlich begaben.

Gb 378v

Marckolff dicit:

90

Lieber, der briester tut die ee geloben, Der er doch selber nit enhot.

75 Marckolff: Regulärer Personenname (vgl. Förstemann: Namenbuch, Sp. 1098). 77 ‚Siehe, König, darum bin ich dir nicht überlegen,‘; es scheint ferner möglich vbersehen in der Bedeutung ‚übersehen, aus dem Blick verlieren‘, mit Negation als Ausdruck der Erkenntnis um Salomos irdische Abstammung. 81 Salomon et Marcolfus, 3a; Salomon und Markolf, Z. 53f. 83 ‚Ja, König, ich will niemanden auf die Folter spannen.‘ 83 nymantz: Bei der Form mir handelt es sich um einen Dativus ethicus; nymantz ist regulärer Nominativ Singular, der in dieser Form häufig vorkommt (Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 73). 84 Salomon et Marcolfus, 3b: Qui male cantat, primus incipit: ‚Wer schlecht singt, beginnt als Erster‘; Salomon und Markolf, Z. 54f.: der vbel redt der heb an; vgl. TPMA, singen, 5. 2. 86 ‚Markolff, kannst du uns alle Fragen beantworten,‘ 87 erlich begaben ‚ansehnlich, großzügig beschenken‘ 89–90 Salomon et Marcolfus, 4b: Promittit presbyter sanitatem, vnde non habet potestatem; Salomon und Markolf, Z. 57f.: der priester verheist die gesuntheit in der er keinen gewalt hat; vgl. TPMA, Pfaffe, 12. 89 die ee geloben ‚die Trauung vollziehen; gutheißen‘

77 vber: Keller (S. 1513) erwägt Konjektur zu unter

446 | 103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung I)

Salomon:

KF 526

Got geb vns kunst vnd weysen rat, Das vns nye keiner vor was geleich, Macht vns ob allen konigen reich. 95

Markolffus: Welch man vil peser nachtpauren hat, Der lob sich selbs, das ist mein rat. Salomon: Wer stilt, der sorgt, man erfars.

100

Markolffus: So die ganß fleugt, so pfiff[p]t jr der ars. Salomon:

F 103II, 136–139

Zu weißheit hat vns got erwelt. Markolffus: 105

Der ist weyß, der sich fwr ein narrn zelt.

92 kunst ‚Wissen; Weisheit‘ 92 rat ‚Überlegung; Urteilskraft‘ 94 ob ‚vor; über‘ 96–97 Salomon et Marcolfus, 6b; Salomon und Markolf, Z. 62f; vgl. TPMA, Nachbar, 2. 4. 2. 96 pese ‚böse‘ 96 nachtpauren: Variante zu nachbar, das t wird erst im 15. bis 17. Jahrhundert teilweise sekundär eingefügt (DWb 7, Sp. 22.). 99 Salomon et Marcolfus, 7a: Fugit impius nemine persequente: ‚Der Frevler flieht von niemandem verfolgt‘; Salomon und Markolf, Z. 63f.: Der vngerecht flewhet so man sein namen vervolgt; vgl. Spr 28, 1 und TPMA, fliehen, 6. 2. 101 Salomon et Marcolfus, 7b: Quando fugit capreolus, albicat eius culus: ‚Wenn das Reh flieht, leuchtet sein Hintern weiß‘; Salomon und Markolf, Z. 65: Wen dy ganß flewgt so rert yr der arß; die Abweichung ist vermutlich auf einen Lesefehler (capreolus als gamß oder gaiß) zurückzuführen; vgl. TPMA, Reh, 1 und TPMA, Gans, 11. Zu den Varianten s.a. den Endkommentar und Biehl: Narrenfigur, S. 12. 103 Salomon et Marcolfus, S. 24, Z. 17f.: Deus ... repleuit me sapiencia; ‚Gott erfüllte mich mit Weisheit‘; Salomons Rede, die im Volksbuch auffallenderweise fehlt, und Markolfs Antwort (Z. 105) stammen nicht aus dem Streitgespräch, sondern aus einer späteren Passage des Dialogus. 105 Salomon et Marcolfus, S. 24, Z. 18f.; Salomon und Markolf, Z. 303; vgl. TPMA, weise, 9. 2.

92 geb: Keller (S. 1513) erwägt Konjektur zu gap (S. 1513)

101 pfifft] pfiffpt: Konjekturvorschlag bei Keller

103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung I)

Salomon:

| 447

F 103II, 168–177

Markolff, niemant geb jm selber lob! Markolffus:

Gb 379r

Schilt ich mich, man spricht, ich tob. 110

Salomon: Heimlicher schad ist pesser vil Dan offne schand, wer es mercken wil. Markolff:

115

Je lenger man den dreck versperrt, Je vester er herfur begert. Salomon: Vier tzeit halten jren lauff. Markolffus:

KF 527

Vier stollen halten das scheyßhaus auff. 120

Salomon:

F 103II, 210–213

Dem kleffischem gelaub nit seiner trew.

107 Salomon et Marcolfus, 20a: Laudet te alienus et non os tuum; Salomon und Markolf, Z. 97f.: ein ander schol dich loben. vnd nicht dein eigner mundt; vgl. Spr 27, 2 und TPMA, Lob, 1. 1 und 1. 3. 109 Salomon et Marcolfus, 20b: Si meipsum vitupero, nulli vmquam placebo; Salomon und Markolf, Z. 99f.: Ist das ich mich selber schend so gefal ich nyemant; vgl. TPMA, schelten, 2. 2. und 2.3. 109 toben ‚nicht bei Verstand sein‘ 111–112 Salomon et Marcolfus, 27a; Salomon und Markolf, Z. 102; vgl. TPMA, Schaden, 5. 7. 114–115 Sprichwort, von Folz eingefügt, weder im Dialogus noch im Volksbuch; vgl. TPMA, Dreck, 4. 1. 3. 117 Salomon et Marcolfus, 38a: Quatuor ewangeliste sustinent mundum; Salomon und Markolf, Z. 111f.: vier ewangelisten halten auf die welt; vgl. TPMA, vier, 10 und TPMA, Evangelist. 117 tzeit ‚Jahreszeit‘ 119 Salomon et Marcolfus, 38b: Quatuor subposte sustinent latrinam, ne cadat qui sedet super eam: ‚...damit derjenige, der darauf sitzt, nicht fällt‘; Salomon und Markolf, Z. 112: vier seuͤ l halten auff das scheiß hauß; vgl. TPMA, Stock, 3. 1. 119 stollen ‚Stützpfosten‘ 119 auffhalten ‚in die Höhe halten, stützen‘ 121 Salomon et Marcolfus, 47a: Cum homine litigioso ne habeas societatem; Salomon und Markolf, Z. 121f.: Mit den cleffischen hab kein gemeischaft; vgl. TPMA, Kampf, 3. 12. 121 trew ‚Zuverlässigkeit‘

448 | 103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung I)

Markolffus: Mischt du dich jn kleyen, dich fressen die sew. Salomon: 125

F 103II, 218–225

Recht freunt erkennt man jn der not. Markolffus: Jr gen wol hundert auff ein lot. Salomon:

Gb 379v

Des konigs red sej jdermann genug! 130

Markolff: Wer mit dem fuchß ackert, widerstet der pflug. Salomon:

F 103II, 256–271

Gen posen selten niemant gelingt.

123 Salomon et Marcolfus, 47b; Salomon und Markolf, Z. 122f.; vgl. TPMA, Kleie, 2. 125 Folz ersetzt Salomos Rede im mittellat. Originaltext (non est amicus qui non durat in amicicia: ‚derjenige ist kein Freund, der in der Freundschaft nicht beständig ist‘) und Markolfs skatologisch-sprichwörtliche Erwiderung (Salomon et Marcolfus, 51ab) bzw. deren Übersetzung im Volksbuch (Salomon und Markolf, Z. 125f.) durch ein seit dem 14. Jahrhundert in zahlreichen Varianten belegtes Sprichwort, in dem zum Ausdruck der Geringschätzung auf das Gewicht eines Lots angespielt wird, d.h. die Freunde werden als zu leicht befunden. Die erste Hälfte des Sprichworts ist in zahlreichen Sprachen bezeugt und geht wahrscheinlich auf ein durch Cicero überliefertes Zitat von Quintus Ennius zurück: amicus certus in re incerta cernitur: ‚der wahre Freund wird in unsicherer Lage erkannt‘ (Cicero: Laelius, 17, 64). Außerdem besteht schon im Originaltext ein sinngemäßer Bezug zu Sir 6, 8, diese Bibelstelle wurde von Luther ebenfalls mit dem genannten Sprichwort glossiert (vgl. TPMA, Freund, 1. 4. 1. und 3. 3. 1). 129 Salomon et Marcolfus, 53a: Sermo regis debet esse inmutabilis; Salomon und Markolf, Z. 129f.: des konigs rede sol nit wankel sein; vgl. TPMA, König, 3. 3. 5. 131 Salomon et Marcolfus, 53b: Cito retornat qui cum vulpe arat: ‚Rasch kehrt derjenige zurück, der…‘; Salomon und Markolf, Z. 130f.: der widerstrebt dem pflug der mit einem fuchs ackert; vgl. TPMA, Fuchs, 10. Das pflügen mit Füchsen soll die Absurdität und Sinnlosigkeit einer Handlung zum Ausdruck bringen (vgl. TPMA Fuchs, 9). 133 ‚Niemand hat jemals Erfolg gegenüber schlechten Menschen.‘; von Folz eingefügt, weder im Dialogus noch im Volksbuch, in F 103II anders lautend; ersetzt Salomon et Marcolfus, 77a; vgl. Catholy: Fastnachtspiel des Spätmittelalters, S. 79. 133 gelingen: ‚obsiegen, erfolgreich sein‘; seinerzeit ohne Objekt verbreitet.

103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung I)

| 449

Markolffus: 135

Je mer man den dreck rurt, je fester er stinkt. Salomon: Je mer der karg hat, ye mer jm gewirt. Markolffus: Was ist es nutz, der eim feistem schwein den ars smirt?

140

Salomon: Der tzornig kan sich torheit nit weren. Markolffus: Ein lochereter arß, der hat kein herr ̲en.

135 Salomon et Marcolfus, 77b; Salomon und Markolf, Z. 150f.; vgl. TPMA, Dreck, 2. 2. 2. 1; Bedeutung: ‚alte Dinge wieder aufwärmen‘ (Röhrich: Redensarten, S. 333f.). 137 Von Folz eingefügt, weder im Dialogus noch im Volksbuch; entweder gewirt (zu mhd. gewerren): ‚stören, verdrießen‘, dann entsprechend TPMA, Geiz, 5. 6. 3, oder (zu mhd. gewërden): ‚bekommen‘ (Wuttke: Fastnachtspiele, S. 63), in diesem Fall Anlehnung an Mt 13, 12 bzw. 25, 29, Mk 4, 25 und Lk 8, 18 bzw. 19, 26; wohl Ersteres, zumal die unpersönliche Konstruktion mit gewerren im Frnhd. sehr häufig auftritt. 137 karg ‚geizig‘ 139 Salomon et Marcolfus, 78b: Perdit suas penas qui crasso porcello culum saginat; Salomon und Markolf, Z. 152f.: Der verleust sein arbeit, der einem feißten swein sein arß schmirt: ‚Derjenige, der einem feisten Schwein den Hintern mästet, verschwendet seine Mühe‘; vgl. TPMA, Schwein, 20. 1. Sinn: ‚einem Reichen Geschenke machen‘ (vgl. Röhrich: Redensarten, S. 1283). 141 Salomon et Marcolfus, 82a: Crapulatus a vino non seruat tempus in eloquio: ‚Der vom Wein Berauschte hält sich in der Rede nicht zurück‘; Salomon und Markolf, Z. 160f.: Der ist einß zornigen gemutz der kein maß hat in der rede; vgl. TPMA, Zorn, 1. 5. 1. und 1. 8. 1. 143 Salomon et Marcolfus, 82b: Culus perforatus non habet dominum; Salomon und Markolf, Z. 162: Ein locherichter arß der hat kein horn; vgl. TPMA, Arsch, 3. 5; zu den Varianten dominum, horn und herr ̲en vgl. den Endkommentar zu F 103I und Biehl: Narrenfigur, S. 13. 143 locheret ‚löchrig‘

139 ars smirt über der Zeile nachgetragen 143 der am Rand nachgetragen

450 | 103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung I)

Salomon: 145

KF 528

F 103II, 286–289

Der mensch kranck ist, kans nit verheln. Markolff: Wenn der hunt scheißt, so kan er nit peln. Salomon dicit:

Gb 380r F 103II, 300–309

Wer hat, dem gibt man jmmer an. 150

Markolff: We dem, der prot hat vnd kein tzan! Salomon: We dem, der mancherley synn hat Vnd keinem aigentlich nach gat!

155

Markolff: Wer sich zwayer weg wil fleyssen, Der muß die pruch oder arßloch zureyssen.

145 Salomon et Marcolfus, 95a: Quando homo harpat, non potest parabolisare: ‚...Harfe spielt...‘; Salomon und Markolf, Z. 179f.: Wenn der mensch ist so mag er nit wol gereden; das schon im Volksbuch defekte Sprichwort wurde von Folz schließlich durch ein vollkommen anderes ersetzt. Das Verb parabolisare: ‚verdeutlichen, bereden‘ wird im Volksbuch noch richtig wiedergegeben; harpare, in der Übersetzung möglicherweise lirt (zu mhd. lîren), dagegen wird mit ist semantisch wie syntaktisch defizitär wiedergegeben. Zu Folzens dt. Sprichwort vgl. TPMA, krank, 3. 1. 147 Salomon et Marcolfus, 95b; Salomon und Markolf, Z. 180f.; vgl. TPMA, Hund, 9. 4. 149 Salomon et Marcolfus, 111a; Salomon und Markolf, Z. 199f.; vgl. TPMA, haben, 1. 2 sowie die dort angegebenen Bibelstellen. 149 an geben ‚Geld [an-]zahlen‘ 151 Salomon et Marcolfus, 111b; Salomon und Markolf, Z. 200; vgl. TPMA, Zahn, 1. 1. 153–154 Salomon et Marcolfus, 113a: Ve viro duplici corde et duabus vijs incedenti: ‚Wehe dem Mann mit zweigeteiltem Herzen und der zwei Wege geht‘; Salomon und Markolf, Z. 205: Wee dem der mangerlei gesind hat: ‚...Ansinnen hat‘ (gesind entstellt aus mhd. gesin); vgl. Sir 2, 14 und TPMA, Weg, 18. 5. 156–157 Salomon et Marcolfus, 113b; Salomon und Markolf, Z. 206f.; vgl. TPMA, Weg, 18. 5. 157 pruch ‚Unterhose‘ 157 zureyssen ‚zerreißen‘

145 kans: Keller (S. 1513) erwägt Konjektur zu kan ers

103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung I)

Salomon:

160

|

451

F 103II, 320–325

Wie mocht wir grosser er gehan, Dann macht wir got alle dinck vnttertan? Markolff: Der hunt wirt kaum halpp gewert, Was er mit seinem schwantz begert. Salomon:

165

F 103II, 330–337

Wenn es sich wolket, so wil es regen. Markolff: So sich der hunt krumpt, wil er scheissens pflegen. Salomon: Ein schwert bej vnserm haubt stetz steck.

170

Markolffus:

Gb 380v

Vnd bej meinem haupt ein pauren dreck!

159–160 Salomon et Marcolfus, 122a: Sufficeret michi temporaneus honor, si tantummodo deus vniuersum orbem terrarum mee dicioni subiugasset: ‚Mir würde zeitliche Ehre genügen, wenn mir nur Gott den ganzen Erdkreis unterworfen hätte‘; Salomon und Markolf, Z. 216f.: Ich het eren genug het mir newer got alle ding vntertenig gemacht. In Anlehnung an diese Passage wie auch an die Entgegnung Markolfs scheint das Personalpronomen hier wie in der folgenden Zeile 1. Pers. Sg. Dat. (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 61). 162–163 Salomon et Marcolfus, 122b; Salomon und Markolf, Z. 218f.; vgl. TPMA, Hund, 39. 12. 165 Salomon et Marcolfus, 128a; Salomon und Markolf, Z. 221; vgl. TPMA, Wolke, 1. 167 Salomon et Marcolfus, 128b; Salomon und Markolf, Z. 222; vgl. TPMA, Hund, 9. 3. 167 pflegen (zu mhd. phlëgen): ‚betreiben, besorgen‘ 169 Salomon et Marcolfus, 132a: Bene decet gladius honestus iuxta latus meum; Salomon und Markolf, Z. 226f.: Ein schwert zieret wol pey meinem pett oder haubt; vgl. TPMA, König, 11. Die Übernahme der freien Übersetzung von iuxta latus meum: ‚an meiner Seite‘ des Volksbuchs durch Folz spricht für dieses als seine Vorlage. 171 Salomon et Marcolfus, 132b: Bene decet strontus iuxta sepem meam; Salomon und Markolf, Z. 227f.: Ein großer dreck zieret wol pey meinem zaun; vgl. TPMA, Dreck, 3. 3. 3. 171 dreck ‚Mist-, Kothaufen‘

452 | 103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung I)

Salomon:

175

KF 529

F 103II, 154–167

Lere, kunst vnd tugent sol alle stundt Gen auß des weysen mannes mundt. Wenn wo kriegk oder zwitracht wer, Dasselbig als verkumet er. Er wendt das poß vnd mert das gut, Das kein vnweyser nit enthut. Markolff:

180

185

Der esel schaffet nutzes nit, Dann so er allweg wer jm schnit: Dann wo er ißt, do wechst es ser, Vnd wo er scheyst, do tungt es mer, Vnd wo er saicht, waicht er die knollen, So er sich weltzt, pricht er die schrollen. Salomon:

F 103II, 371–374

Jch schweig, zu kriegen fort mit dir. Markolff: So gib dich vber wunden mir!

173–178 Salomon et Marcolfus, 19a: Doctrina et sapiencia in ore sapientis debet consistere; Salomon und Markolf, Z. 91f.: Lere vnnd auch weyßheit sol sein in dem mund des weisen. 173 alle stundt ‚immer‘ 175 kriegk ‚Streit‘ 176 verkumen (zu mhd. vürkomen): ‚zuvorkommen, verhindern‘ 180–185 Salomon et Marcolfus, 19b: Asellus in messe semper debet esse. Vbi pascit, ibi renascit; ubi pascit unam plantam, quadraginta resurgunt; ubi cacat, ibi fimat; ubi mingit, ibi rigat; ubi se volutat, ibi frangit glebas: ‚...wo er weidet, dort wächst es wieder; wo er eine Pflanze frisst, gehen vierzig auf..‘; Salomon und Markolf, Z. 93–96: Ein esel solt alweg in dem schnidt sein wann warvmb wo er ist do wechst es vnnd wo er auch scheist do tuͤ nget es vnd wo er saicht do wessert er. vnd wo er sich auch weltzet do zubricht er die schrollen da mit yn dem feld; vgl. TPMA, Esel, 4. 4. 181 schnit ‚Ernte‘, hier: ‚abgeerntetes Feld‘ 182 wachsen hier: ‚nachwachsen‘ 184 saichen ‚pissen‘ 185 schroll: Maskuline Nebenform zu scholle (vgl.DWb 15, Sp. 1766–1768). 187 Salomon et Marcolfus, 142a: Non possum amplius loqui: ‚Ich kann nicht noch mehr reden‘; Salomon und Markolf, Z. 242: ich mag nymmer. 189 Salomon et Marcolfus, 142b: Si non potes, humiliter confitere te uictum et da quod promisisti!: ‚Wenn du nicht kannst, gestehe unterwürfig ein, dass du besiegt bist,...‘; Salomon und Markolf, Z. 242f.: So gibe dich vberwunden vnd gib mir das du mir versprochen hast.

103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung I)

| 453

190

Do kumen die zwu frawen. Die gut fraw spricht, so tregt die poß das kint:

195

Herr konig, nw gib vns vrtail darumb: Die fraw pracht heint jr kindlein vmb Vnd leget es tot zu mir verholn, Hat mir mein lebendigs kint gestoln, Jn einer kamer, was vnnser rw.

F 103II, 409–438

Gb 381r

Salomon: Frewlein, was sagt jr darzu? Die poß fraw:

200

Herr kunigk, sie leugt: mein kint, das lebt! Darumb jr mir das nit vergebt! Laßt jr jr totes kindelein. Salomon dicit:

205

KF 530

So tragt mir pald ein schwert herein! Das lebendig kint ich taylen wil, So werden wir des krieges stil. Die gut fraw:

210

O kunigk, gib jr das kint allein hin! Meines tails ich gern geraten wil. Des pit ich dich durch all dein er, Solt ich es sehen nymmer mer. Die poß fraw: Herr konick, dein vrtail halt fest, Als du erkennt hast zu lest. Acht nit, ob sie vast clag vnd wein!

215

Salomon:

Gb 381v

Hoͤ r, weÿp, raich jr das kint allein, Wann sie des kinds rechte muter ist.

190–221 Salomon et Marcolfus, S. 33, Z. 16-S. 34, Z. 7; Salomon und Markolf, Z. 468–480. 192 heint ‚letzte Nacht‘ 193 verholn ‚heimlich‘ 195 rw ‚Ruhestätte, Refugium‘ 200 vergeben ‚fortgeben‘ 208 geraten ‚verzichten‘ 209 durch all dein er ‚um all deiner Ehre willen‘ 214 vast ‚sehr‘

454 | 103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung I)

Die gut fraw:

220

O konick, zu loben du des pist! Du pist alltzeit gerecht vnd weiß, Des ich dich furpas ewig preyß. Salomon:

F 103II, 451–475

Markolff, sag mir, war ̲umb dein kopff sich senck. Markolff: 225

Jch schlaff nit, sunder ich gedenck, Wie keinem weyb zu trawen sey. Salomon:

230

Es seÿ dan, das du es bringest bey. Sunst sol man dir dein recht darumb thun, Seyt du die frawen schendest nwn. Markolff spricht zu seiner swester:

235

240

Hoͤ r, Fusita, trawt schwester mein: Der konick wil mir ye abholt sein, Jm gefelt gantz nichtz, was ich thw. Mein schwester, rat mir selbs darzu! Wolst du sein still vnd nit sein schwetzig, So wer ich an mir selbs so tretzig, Jch dorst jm dar ̲umb sein halß ab stechen, Ob ich mich an jm mocht gerechen, Darumb ich das messer zu mir thu. Mein schwester, nw schweig still darzu!

KF 531

Gb 382r

Fusita: Se hin, mein trew vnd mein ait! Von mir wirt nyemant nichtz gesait,

221 furpas ‚fortan‘ 223–229 Salomon et Marcolfus, S. 27, Z. 1–5; Salomon und Markolf, Z. 348–352. 228 beybringen ‚beweisen‘ 230 schenden ‚beschämen, schelten‘ 230 Seyt ‚Da‘ 233 abholt ‚nicht zugetan‘ 237 tretzig ‚gefühllos‘ 238 dorren (zu mhd. turren): ‚den Mut haben‘ 243 mein trew vnd mein ait ‚[auf] meinen Schwur und meinen Eid, auf mein Wort‘

103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung I)

245

|

455

Zu keinem menschen, junck noch alt. Thu es auff mich vnd nit verhalt, Seit wir jm nit gut genuck sein. Laß sehen, wer sich misch darein! Salomon:

250

Wo mag Markolffus hin kummen sein? Markolff:

255

Hie bin ich vnd die schwester mein, Die ist ein hur vnd wil doch je Geleichen erbtail haben hie, Die pillich abgeschiden ist Vmb jr hurerej vnd falsche list. Fusita dicit: Du schalk, dein mwe, die ist verlorn! Hat mich nit auch Starckolff geporn?

260

Markolffus:

Gb 382v

Ja, gleich als wol als par er mich, Aber all dein schuld verdammen dich. Fusita:

265

270

Nw dar, ich wil dir nit mer fluchen. Konick, laßt jm jn seim stifel suchen! Darein er hewt ein messer stieß, Damit er bey seiner trew gehieß, Euch ewres lebenß darmit remen. Findt jr des nit, so laßt mir nemen Mein erbtail vnd alles, das ich hab. Findt jrs aber, so tut jn ab, Ee das euch, herr, der schalk erfer.

F 103II, 483–490

KF 532

252–256 Salomon et Marcolfus, S. 28, Z. 22-S. 29, Z. 2, S. 29, Z. 11–15; Salomon und Markolf, Z. 390–392; Z. 398–401. 255 pillich ‚verdientermaßen, rechtmäßig‘ 255 abscheiden: ‚vermögensrechtlich abteilen‘; vgl. DRW 1, Sp. 238, hier wohl ‚enterben‘. 256 list ‚Arglist‘ 264–285 Salomon et Marcolfus, S. 30, Z. 6–10; Salomon und Markolf, Z. 410–414. 268 ‚Euch damit nach eurem Leben zu trachten.‘ 272 erfern ‚zur Gefahr werden‘

456 | 103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung I)

Der ritter, der das swert tregt:

275

Markolff, leyh pald das messer her! Wolst du ein solicher morder sein? Find ich es in dem stifel dein, So must du sterben in schneller eyl. Markolffus:

280

Suͤ ch an vnd nym dir wol die weil, Die hur hatz auff mich erticht. Ritter dicit: Her konigk, ich find kein messer nicht. Markolff:

285

Herr konick, sagt ich dir nit von frawen, Wie das keim weyb nit wer zu trawen? Darumb so wundert mich gar vast, Wa bey du vor erkennet hast, Welchs weybs vor das kindlein wer.

Gb 383r

F 103II, 492–513

Salomon: 290

Das haben vns verkundt jr tzeher Vnd verwandlu〈n〉g an jrem angesicht, Die vns mochten betriegen nicht. Markolffus:

295

Welcher, konigk, frawen zëhern gelaubt, Der wirt warlich von jn betaubt. Sie waÿn mit augen vnd mit mund Vnd lachen jn jres hertzen grund, Beweisen mit dem angesicht

KF 533

274 leyhen ‚geben‘ 280 ertichten ‚ausdenken‘ 286–307 Salomon et Marcolfus, S. 34, Z. 9–22; Salomon und Markolf, Z. 480–492. 287 vor ‚vorhin‘ 290 tzeher ‚Tränen‘

291 verwandlung] verwandlug

103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung I)

300

| 457

Vil anders, dan jr mut vergicht. Die frawen haben kunst an zil. Salomon:

305

Ja, zwar, sie haben liste vil, Darwider sie auch frumkheit haben: Ein weÿp tut mannes muͮ t offt laben, Vnd sein jn rechten trewen pieglich. Markolff: Ja, konick, du sprichst halt wol betrieglich. Salomon:

310

315

320

325

Wir sprechen: wer frawen schent all frist, Das der keinß weybs nit wirdig ist. Was nutzt golt, silber vnd edel gestein, Weren vns die frawen nit gemein? Jch sprich: der ist der werlt wol tot, Der nit freuntschaft zu frawen hot. Die fraw ein hawß regiren kan Vnd ist sorgueltig auff jren man, Wann sie pirt kint vnd nert die, Ein freud vnd lust des manns ist sie Ein tzier dem tag, wollust der nacht.

Gb 383v F 103II, 522–543

Markolff: Ja, konigk, des han ich auch gedacht. Dein adel, schon, reichtum, weißhait Stet wol bej weybes frolichkeit. Es tzimt nit, auß zu speyen drat, Was man gern lang jm munde hat. Du tust jn billich vbersehen, Dir ist vil guts von jn geschehen,

299 mut ‚Empfindung‘ 299 vergechen (zu mhd. verjëhen): ‚sagen, aussagen‘ 300 kunst ‚List‘ 300 an zil ‚ohne Ende, unaufhörlich‘ 303 frumkheit ‚Tugend, gute Eigenschaft‘ 304 laben ‚erfrischen‘ 305 jn rechten trewen ‚im Vertrauen‘ 305 pieglich (zu frnhd. biegenlich): ‚biegsam‘ 307 betrieglich ‚falsch, nicht wahrheitsgemäß‘ 309–334 Salomon et Marcolfus, S. 35, Z. 9-S. 36, Z. 11; Salomon und Markolf, Z. 503–523. 309 all frist ‚alle Zeit‘ 312 gemein ‚vertraut, innig zugetan‘ 317 pern (zu mhd. gebërn): ‚gebären‘ 324 drat ‚rasch‘ 326 vbersehen ‚nachsichtig sein‘

458 | 103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung I)

330

Aber eins merck auch darbej hie: Als fast du jtzund lobest sie, Noch fester wurst du sie heint schenden. Salomon:

Gb 384r KF 534

Ge, das dich der teufel muß pfenden, Von mein augen vnd kom nit mer, Du vnuerschemter lugner! 335

Markolff spricht zu den frawen:

F 103II, 549–578

O jr frawen, wes sitzt jr hie? Ein fraw dicit: Ey, lieber Markolff, sag vns, wie? Markolff dicit: 340

345

350

Wißt jr nit, das konig Saloman Ein gepot weÿt hat lassen auß gan, Wie das ein yederman furpas Mag siben weyber han an haß? Do merckt jr weyber selber bey, Was euch zu thun vnd zu lassen sey. Do wirt kein hauß nit mit befridt: Eine wirt geliebt, die ander nit. Die lieb, die wirt stetigs sein bey dem man, Die andern wirt man darben lan. Die lieb, die wirt nach wunsch gekleit,

329 Als fast ‚So sehr‘ 330 heint ‚heute Nacht‘ 332 ‚Geh, auf dass der Teufel dich holen möge,‘ 336–364 Salomon et Marcolfus, S. 37, Z. 1-S. 38, Z. 19; Salomon und Markolf, Z. 533–565. 338 wie ‚wie meinst du das‘ 342 Wie das ‚Dass‘ 342 furpas ‚in Zukunft‘ 343 an haß: ‚mit bestem Gewissen‘; Folz variiert hier offensichtlich den Stoff des Fastnachtspiels ‚Septem mulieres‘. Dessen inhaltliche Grundlage ist der Anfang von Jes 4, 1: et adprehendent septem mulieres virum unum in die illa dicentes panem nostrum comedemus et vestimentis nostris operiemur tantummodo vocetur nomen tuum super nos aufer obprobrium nostrum: ‚An jenem Tag klammern sich sieben Frauen an einen einzigen Mann und sagen: Wir wollen unser eigenes Brot essen und uns selber kleiden, nur lass uns deinen Namen tragen, nimm die Schande von uns‘. Von der traditionellen Bibelexegese werden die Frauen als sieben Gaben des Heiligen Geistes gedeutet, mit deren Hilfe der Mensch den sieben Todsünden widerstehen soll. In den ‚Septem mulieres‘ wird, der Fastnachtspielkomik entsprechend, der Vorgang jedoch wörtlich genommen, sodass sich ein Mann sieben lüsternen Frauen gegenüber findet (vgl. Simon: Fastnachtsspieltradition, S. 57, 65–69). 344 mercken bey ‚erkennen an‘

103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung I)

355

Die andern tragen hertzlich leit. Die lieb wirt schaffen vnd gepieten, Die andern sich groß vnmutz nieten. So man die lieben halßt vnd kußt, Wer wayß, was die andern gelußt? Sie sein nit witwen vnd han nit man Vnd wirt kein tag an krieg zu gan. Darumb so widerruftz bey tzeit, Ee es erschell in landen weÿt.

360

Ein fraw spricht zu den andern:

| 459

Gb 384v

Wol auff, jr weyber alle gar, Vnd laufft mit mir zum konig dar Vnd widerruft das gepot, Das er sich vnterstanden hot! 365

Salomon dicit:

KF 535

Was bedeut der aufflauff vnd die geschicht, Das es kan nÿemant stillen nicht? Ein fraw spricht fur die andern:

370

375

F 103II, 584–616

O konick, golt, silber vnd edel stein Wirt dir getragen zu allein, Darjnn du wol hast dein willen. Laß dich die schon der weiber stillen, Als vil du jr magst haben hie. Wir halten das gesetz Moisy. Erloß vns, als man von dir seit, Vnd halt dafur gerechtigkeit!

353 sich nieten ‚ertragen müssen‘ 353 vnmut ‚Ärger‘ 354 halßen 352 schaffen ‚befehlen‘ ‚umarmen, liebkosen‘ 364 sich vnterstehen ‚sich anmaßen‘ 369–400 Salomon et Marcolfus, S. 39, Z. 1-S. 40, Z. 6; Salomon und Markolf, Z. 576–605. 372–373 ‚Vergnüge du dich mit Frauenschönheit, sooft du sie hier erlangen kannst.‘ (vgl. Wuttke: Fastnachtspiele, S. 73). 374 das gesetz Moisy: ‚das Gesetz des Mose‘, hier die Zehn Gebote (Dtn 5, 1–22).

357 krieg] konig: Konjekturvorschlag bei Keller (S. 1513) 360 den] der

460 | 103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung I)

Salomon dicit:

Gb 385r

Du vnuerschemte, sag doch was vnd mir, Was vngerechtes thu ich dir? 380

385

Die fraw dicit: Was vngerechtes mochst du treyben, Dan ein man begaben mit siben weyben? Wie mag ein man siben halten mit sun, So ein man eim weyb kein genug mag tun? Gebst du einer frawen siben man, Da mochst du vil pas mit bestan. Salomon:

390

Die redt fur jr gespilen gar wol, Nit das man die man geringern sol, Sunder jr tzal mit siben mern. Die fraw dicit:

395

Wer sach je ein spotlichern herrn? Dein vrteil, die sein vngerecht, Darumb so ist es war vnd slecht, Man spricht: das pest kum selten hernach. Sawl tet seim volk vil schwerer rach, So was dein vater leckerley vol, 〈Bezeuͤ g ich bey der Petsabe wol〉,

KF 536

383 mit sun ‚in Frieden‘ 384 genug ‚Genüge, Befriedigung‘ 388 gespil ‚Gefährtin‘ 394 war vnd slecht ‚wahr und genau passend‘ 395 Man spricht ‚Wenn man spricht‘ 396 Saul, der die eigene Königswürde durch seinen Diener David, den späteren König Israels, bedroht sieht, beschuldigt die Priester von Nob der Unterstützung seines Widersachers und lässt alle 85 Priester sowie sämtliche Bewohner und Tiere der Stadt Nob umbringen; vgl. 1 Sam 22, 6–23. 396 rach ‚Strafe‘ 397 leckerley ‚Niedertracht‘ 398 Petsabe: Vermutlich die biblische Gestalt Batseba, die von König David verführt und geschwängert wurde. Uria, ihren Mann, ließ David in den Tod schicken, um sie heiraten zu können. König Salomon ist das zweite Kind der beiden (vgl. 2 Sam 11, 1–12, 24).

379 ich dir: Keller (S. 535) erwägt Konjektur zu doch mir 381 vngerechtes: Keller (S. 535) erwägt Konjektur zu ungerechters 397 leckerley: Keller (S. 1513) erwägt Konjektur zu leckerei 398 Fehlt, aus q ergänzt 398 Petsabe] Persabe; wahrscheinlich Druck- bzw. Lesefehler, möglicherweise mit fehlerhaftem Anschluss an die spezifisch nürnbergische Form persaw für frnhd. person, ‚Figur, Gestalt‘ (vgl. F 94, Z. 44).

103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung I)

400

Du pist der dritt vnd hebst mer an, Dan diser keiner nye hat tan. Salomon dicit:

405

410

| 461

Gb 385v

F 103II, 622–627

Wir sprechen: nach dem haupt der schlangen Jst kein haupt mit argem list durchgangen, Als ist das haupt eins weybes poß Mit nachred vnd mit affter koß. All poßheit wechßt mit frawen auff, Verstet man bey disem aufflauff. All sund von jn ein anfanck han: Zorn, fluch, getzenck an abelan. Nit posers ist dan ein poß weip. Straich solten nymer kumen von jrem leip! Der ritter, der das swert tregt:

415

Wer weyß, was mein herr mit remt, Das er frawen also beschemt, Sam wurd er nie keiner frawen holt.

F 103II, 630–651

Markolff spricht zum konig: Herr konigk, das ist, das ich vor wolt: Jn dem du, kunigk, mir gefelßt, Das du mich bej warheit beheltst. 420

Der ritter mit dem swert dicit: Markolff, du alter poser wicht, Die schand hast du selber zu gericht!

399–400 Salomon wird als nach Saul und David drittem König Israels vorgeworfen, dass er die Sünden und Verfehlungen seiner Vorgänger noch übertreffen würde; vgl. Lexikon der Bibel, S. 93–96, 379f., 389–391. 402–430 Salomon et Marcolfus, S. 40, Z. 8-S. 41, Z. 21; Salomon und Markolf, Z. 605–633. 402–404 Die biblische Vorstellung der Listigkeit und Tücke der Schlange ist in der Frühen Neuzeit verbreitet (vgl. LexMA 7, Sp. 1476), insbesondere auch als Sinnbild für hinterhältige Menschen (vgl. DWb 15, Sp. 446f.). 405 affter koß ‚Verleumdung‘ 408 Bezug auf den Sündenfall (vgl. Gen 3, 1–23). 409 an abelan ‚ohne aufzuhören‘ 411 Straich ‚Schläge‘ 413 mit remen (zu mhd. ræmen): ‚damit beabsichtigen‘; vgl. Z. 495 414 beschemen ‚beschimpfen‘ 415 ‚Gerade, als ob er nie eine lieb gewonnen hätte.‘ 418 gefelßt (zu mhd. gevallen): ‚gefallen, behagen‘ 419 behalten ‚bestätigen‘ 422 zu richten ‚verursachen‘

462 | 103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung I)

Markolff dicit:

425

Gb 386r

Konick, du kunst weyber vor wol loben, Nu schendest du sie, sam wolst du toben: Das han ich dir als vor geseit. Salomon: Das laster hast du jn zu bereit. Markolffus:

430

KF 537

Nit ich, sunder jr torheit groß. Die fraw: Ey, pfwj dich, Markolff, tugent loß! Hast vns das vngeluck zu gericht, Es beleibt dir vber sehen nicht.

435

Salomon spricht zu den frauen:

F 103II, 659–663

Jr weyber, tzÿeht mit fried daruon. Die red hab ich jm zorn getan, Do hat mich diser schalk bracht zu. Seit diser sachen halb mit rw. 440

445

Die fraw dicit: Konigk, lob vnd er sej dir geseit, Das du vnser einfeltigkeit So genedigklich hast angesehen, Es sol hinfur nit mer geschehen. Des Markolffus list han das getan. Laß vns mit vrlaub von dir gan.

Gb 386v

428 laster ‚Schmach‘ 434 vber sehen ‚vergessen‘ 436–449 Salomon et 425 sam ‚als ob‘ Marcolfus, S. 42, Z. 7-S. 43, Z. 7; Salomon und Markolf, Z. 638–648. 439 ‚Seid wegen dieser Angelegenheit beruhigt.‘ 446 vrlaub ‚Erlaubnis‘

430 Keller (S. 1513) erwägt Konjektur zu dein torheit

103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung I)

| 463

Konig dicit:

450

Das ich an euch gesundet han, Das muß an diesem schalk auß gan. Kumt, all mein diener, furt in hin Vnd henckt pald an ein paum jn, Das hat er tausent falt verschult!

F 103II, 664–674

Markolffus dicit:

455

O kunig, gib mir newr souil huldt, Das ich mir selbs ein paum außgang, An dem mich gelußt, das ich daran hang. Salomon: Wolhin, die genad sey dir getan, Nw eylt newr pald mit jm daruan!

460

465

Ein pawr greynt den reymen:

KF 538

Der teufel schlah zu disen schwencken! Sol man mir mein freunt darumb hencken? Des teufels namen, des vnseligen, Jch dacht bey zeit, es wolt an galgen. Wie wol hat er sich außgericht! Warumb schweigt er des teufels namen nicht? Der ander pawr vnd lacht den reymen:

470

Secht, lieben freund, dem gotzen zu: Er lwt vnd hewlt sam ein kw! Nw greyn du, aller teufel namen! Mochst dich doch vor den leuten schamen! Secht, lieben freund, wie tzannt der tropff. Sweig oder ich gib dir eins zum kopff,

Gb 387r

448 in einem sunden ‚sich an jmdm. versündigen‘ 449 auß gan ‚ein Ende nehmen‘ 450–459 Salomon et Marcolfus, S. 44, Z. 7–12; Salomon und Markolf, Z. 677–681. 454 huldt ‚Gnade‘ 455 außgehen ‚aussuchen‘ 460 greinen ‚weinen, schreien‘ 460 reym ‚gereimter Vers, kurzes Gedicht‘ 464 bey zeit ‚schon längst‘ 465 außrichten hier: ‚in die Klemme bringen‘ 468 gotze ‚Dummkopf, Narr‘ 469 lwen (zu mhd. leuen): ‚brüllen‘ 472 tzannen ‚heulen, flennen‘

464 | 103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung I)

475

Das du recht wißt, warumb du zannst, Seÿt du doch anders nit enkanst. Der dritt pawr singt das lyed von Markolffo:

480

485

490

495

Welche mawß mit katzen schimpfen wil, Die mag es treyben also vil, Jr wurd jr palk darumb zu rissen, So hat sie sich dan selbs beschissen. 〈...〉 Die schantz, die hat er vbersehen. Wer woltz im anders nachmols eÿgern, Seit der filtzpaur eim konig wolt schweigren? Wer mit herren kerschen essen wil, Der lug wol zu, das jm die stil Nit vnter sein augen polen. Die tzeißlein von der ewlen den tot muß dolen, Vil hund sein der hasen tot. Markolff, dich zwang darzu kein not! Du schmehest ser den konig mit worten, Dich klagen dest ninder all, die das horten. Wo sich der rab dem adler gleicht, Der fuchs dem leben nit entweicht, Vnd das die ewl des greiffen remt, Also wirt hoffart auf das letzst beschemt.

Gb387v

477 schimpfen ‚ein böses Spiel, einen üblen Scherz treiben‘ 482 schantz ‚Wagnis‘ 483 eÿgern: ‚vor Augen führen, zeigen‘; Suffigierung von eigen, dieses entrundete Variante von äugen (vgl. DWb Neubearbeitung 3, Sp. 882); verbale Modifikation mittels Suffix -er ist bereits mhd. nachweisbar, vgl. glimmen und glimmern (DWb 8, Sp. 98). 484 filtzpaur: ‚grober Kerl‘; da die typische Bauernkleidung aus grobem Filzstoff bestand, wurde filtz zum Scheltwort für einen bäuerlichen, ungehobelten Menschen (vgl. DWb 3, Sp. 1632f.). 484 schweigren: ‚zum Schweigen bringen‘; Metathese zu schweigern; zur Bildung vgl. Z. 483. 485 Die heute noch geläufige Phrase geht zurück auf die Redensart Mit großen Herren ist nicht gut Kirschen essen: sie schmeißen einem die Kerne ins Gesicht. Ursprünglich war der Anbau auf die Gärten von Adel und Klerus beschränkt, somit warnt die Redensart vor dem Verkehr mit den launenhaften Herren (vgl. Röhrich: Redensarten S. 844f.). 486 lugen (zu mhd. lûgen): ‚sehen, vorhersehen‘ 487 polen ‚werfen‘ 488 tzeißlein: ‚Zeisig‘; Lexer führt diese Stelle, korrigiert zu zîselin (vgl. Lex III, Sp. 1135); 488 dolen ‚ertragen‘ 492 klagen ‚beklagen‘ 492 ninder ‚nirgends‘ 494 lebe ‚Löwe‘ 495 greiff Fabeltier, halb Löwe halb Adler

481 Die Unterbrechung des Reimschemas lässt Versausfall vermuten 484 Keller (S. 1513) erwägt Konjektur zu schweigen 488 Keller (S. 1513) erwägt Konjektur zu Daz 492 klagen] klagt: Konjekturvorschlag bei Keller (S. 1513)

103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung I)

Der vierd pawr flucht dem reymen:

500

505

510

515

| 465

KF 539

Hort, lieben freund, hie dises wunder: Wer sach vnd hort je wilder kunder? Der lacht, der greynt, der dritt, der hennt, Hat euͦ ch der teufel all auff gelennt? Jr narren, knebel, esel vnd trollen, Wie seit jr doch die grobsten knollen! Seyt jr vnsynig oder besessen, Das jr solch geschreÿ mugt außmessen? Schweigt, das euch druß vnd pewlen ange! Mir tut ewr hewlen jm kopff so we. Ey, wayn, das es dir nymer vergang! Ey, so lach du kurtz oder lang! So sing, das du ewigklich singst Hye vnd dort, wie dus volbringst. Seht, lieben freund, wie hand sie ein weyß: Lacht, greint vnd singt ein wenig leyß, Jr kelber, tortschen vnd maulaffen! Habt jr dann nutzerß nit zu schaffen, So last das geschrey auch vntterwegen Vnd schweigt, das euch der riet gesegen!

F 91, 3f.

Gb 388r

Der den Markolff solt hencken:

520

Konick, der Markolff ist vns entslupft Auß vnser panden gantz gehupft. Niemant weis, wo er hin ist kumen, Wir mein, in hab der teufel vns genumen.

499 kunder ‚Ungeheuerlichkeit‘ 500 hennen ‚gackern‘ 501 aufleinen ‚sich erheben gegen jmdn., aufstacheln‘ 502 knebel ‚Flegel‘ 505 außmessen ‚ausschütten‘ 506 ‚Schweigt, auf dass der Schlag euch treffen soll!‘ 506 druß: Wörtl. ‚Drüse‘, auf Drüsenschwellungen ähnelnde Geschwüre und auslösende Krankheiten übertragen, u.a. auf die ‚Pest[-beule]‘ (vgl. Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 102f.), häufig in Verwünschungen (vgl. FrnhdWb 3, Sp. 2183). 506 pewl: Auch für ‚Pestbeule‘ (vgl. Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 40), häufig in Verwünschungen (vgl. DWb Neubearbeitung 6, Sp. 1454f.). 514 tortsch: Variante von totsch bzw. dotsch, torz, ‚beschränkter, plumper Mensch‘ (vgl. DWb 2, Sp. 1313, 1315; 21, Sp. 914). 515 nutzerß Komp. (zu mhd. nutz): ‚nützlich‘ 516 vntterwegen ‚unvollendet‘ 520 panden ‚Ketten und Fesseln‘

497 Keller (S. 1513) erwägt Konjektur zu den Keller (S. 1513) erwägt Konjektur zu geleunt

500 Keller (S. 1513) erwägt Konjektur zu heunt

501

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Der den tantz fodert, dicit:

525

530

535

540

545

Jr herrn, des schimpfs wer nw genug. Last das getzenck vnd den vnfug. Schlag auff, paucker, ein frischen reyen! Laß sich die weyber ein weil ermeyen, Wann sie lang darauff gehart haben, Vnd laßt vns darnach furpas draben.

F 88, 682f.; F 100, 394f.

Markolff kumpt in pilgramß weiß: Got gruß all frum erberg persan! Man solt mich newlich erhohet han, Die ere floch ich vnd gelobt mich schir Zu dreÿen heiligen, hulffen mir: Der erst sant Schweinhart ist genant, Den man jn eim sew stall fandt. Dem ich ein zwelff pfundig opfer gehieß, Nutzt jn vor mir selber, ee ich das ließ. Ey du, yß ein ding, das niemant weist. Der ander heilig sand Merdum heißt, Der fil zu tod in eim prifet, Darumb yß als, ob jr da verstet. Der dritt heilig heißt sand Maulfranck, Der aß sich auß einer leck vns kerben als kranck, Das er ein kubel vol scheyß man kewt, Domit man noch bestreicht die lewt. Er ersticket zu letz an einer muskat,

KF 540

Gb 388v

530 in pilgramß weiß ‚im Gewand eines Pilgers‘ 535 527 sich ermeyen ‚sich erfreuen‘ Schweinhart: Fingierter Heiligenname mit -hart als üblichem Bestandteil der Namensgebung (vgl. Arndt: Personennamen, S. 93). 537 ein zwelff pfundig opfer: Es war verbreiteter Glaube, Schweine ernährten sich von Exkrementen, gemeint ist somit ein Kothaufen (vgl. Gerhardt: Diätetik, S. 57). 538 jn: Als Variante der Flexion ins für 3. Pers. Sg. Neutr. des Personalpronomens (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 63) zumindest denkbar. Semantisch ist der Bezug auf das opfer der Vorzeile kaum zweifelhaft. 539 yß ein ding, das niemant weist ‚es ist eine Sache, die niemand zeigt‘ 540 Merdum: ‚Menschenkot‘ (vgl. Arndt: Personennamen, S. 93). 541 prifet ‚Abtritt, Abort‘ 542 ‚Deshalb ist das alles, falls ihr hier an dieser Stelle versteht.‘ 543 Maulfranck: ‚Prahler, Aufschneider‘ (vgl. Arndt: Personennamen, S. 66). 544 leck vns kerben: ‚Leck uns in der Arschritze‘; möglicherweise Verballhornung von lat. electuarium, dt. Latwerge: Brei aus pulverförmigem Arzneimittel mit Honig, Sirup oder Dickextrakten (vgl. Springer-Lexikon Medizin, S. 1218).

534 Keller (S. 540) erwägt Konjektur zu die hulfen 538 vor] von

103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung I)

550

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Darumb, jr herrn, helfft, steurt vnd rat. Die almusen gelobt ich dar. 〈...〉 Seht brieff vnd sigel, das nit felt. Helfft mir furpas, das got vergelt. Außschreier dicit:

555

560

Vnser herr, der kunig, gesegent euch all Vnd fragt, wie euch der schimpff gefall. Er west die vasnacht sust kein schimpff. Wolt jr vns han fur ein vngelimpff, So wolt er sich sein furpas massen, Ewr kurtzweil euch allein hie lassen. Hett jr jn aber gern gesehen, Er hofft, es solt noch mer geschehen. Die letz, die er euch hat bescheyden: Vertrinckt die vasnacht hie mit freyden!

F 83, 181f.; F 108, 782f.

548 steurt Imp. (zu mhd. stiuren): ‚unterstützen, helfen‘ 555 schimpff ‚Scherz, Spaß‘ 556 sust ‚sonst‘ 557 vngelimpff ‚Schmach‘ 558 massen ‚fügen, anpassen‘ 562 letz ‚das Trinkgeld zum Abschied‘ 562 bescheyden ‚überlassen‘

550 Fehlender Reim auf Z. 549 lässt Versausfall vermuten.

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Kommentar Bezeugung Gb, Bl. 376v–388v (= Fassung I); q, Bl. 1r–16v (= Fassung II)

Ausgaben Keller: Fastnachtspiele I, S. 523–540 (= Nr. 60, nach G); Bd. III, S. 1512f.; Wuttke: Fastnachtspiele, S. 57–81 (= Nr. 9, nach G); Wuttke: Druckfassung, S. 146–164 (nach q).

Textkritik Der Text ist in zwei Fassungen überliefert, zunächst in der Version der Handschrift G, darüber hinaus in einer Druckfassung q. Die in der älteren Forschung noch verbreitete Annahme zweier existierender Drucke q und r konnte von Spriewald (1961), Huschenbett (1965) und Wuttke (1965) endgültig korrigiert werden. Mit einiger Wahrscheinlichkeit kann davon ausgegangen werden, dass den beiden in G und q vorliegenden Spielvarianten eine nicht überlieferte Fassung X zugrunde liegt (vgl. Biehl: Narrenfigur, S. 11–14). Hieraus entstand unter Hinzufügung der Narrenfigur zum einen das Fastnachtspiel, wie es im Druck vorliegt, zum anderen die deutlich kürzere Variante in Handschrift G. Da Handschrift und Druck über weite Strecken nicht identisch sind, wurde der zweifache Abdruck mit je eigenem Stellenkommentar gewählt, die Parallelstellen der jeweils anderen Fassung sind über Marginalien referenziert. Der vorliegende Endkommentar bezieht sich auf beide Fassungen. Der Stellenkommentar verweist auf die entsprechenden Parallelstellen des nachweislich als Vorlage verwendeten mlat. ‚Dialogus Salomonis et Marcolfi‘ sowie des sogenannten ‚Volksbuch von Salomon und Markolf‘. Der Text des ‚Dialogus‘, angeführt als ‚Salomon et Marcolfus‘, wird zitiert nach der Ausgabe von Benary (Benary: Salomon et Marcolfus), derjenige des ‚Volksbuchs‘, angegeben als ‚Salomon und Markolf‘, nach dem Faksimile des Druckes mit dem Titel ‚Frag vnd antwort künig Salomonis vn Marcolfi‘, herausgegeben von Curschmann (Curschmann: Marcolfus). Bei Textlücken wurde die jeweils andere Version zur Konjektur herangezogen. Der Spieltext weist an drei Stellen Ungereimtheiten gegenüber den älteren Lesetexten auf. In Handschrift G, Z. 101 fliegt, entsprechend der Version des ‚Volksbuchs‘, eine gans davon, während der ‚Dialogus‘ in der entsprechenden Passage einen capreolus auf der Flucht beschreibt. In Z. 143 wird die Unbeherrschbarkeit eines lochereten arß durch einen herren beschrieben, der lateinische Text führt hier dominus, wogegen im Volksbuch horn steht. Und schließlich geht Z. 145 gegenüber beiden älteren Texten einen völlig eigenständigen Weg. Die Abweichungen lassen sich durch eine gewisse

103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung I)

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Distanz der Folz vorliegenden Version des ‚Volksbuchs‘ zum älteren ‚Dialogus‘ erklären. Es gab eine ältere, ins Deutsche übersetzende Bearbeitung des lateinischen Textes, die als Vorlage für das von Folz genutzte ‚Volksbuch‘ diente. Hier wurde die Übersetzung von capreolus in gamß oder gaiß fehlgelesen, ebenso die Übersetzung herrn. Das harpare des älteren Textes wird dort möglicherweise mit lirt übersetzt, die spätere Fassung führt hier ein kaum mehr reparables ist. Folz kannte neben der jüngeren Abschrift des ‚Volksbuchs‘ den ‚Dialogus‘, die gans beließ er, korrigierte originalgetreu das horn und ersetzte die in seiner deutschen Vorlage unverständliche Passage durch ein seinerzeit gängiges Sprichwort. Interessanterweise folgte er dabei syntaktisch der korrumpierten Wiedergabe seiner Fassung des ‚Volksbuchs‘: Das Verb wird als flektierte Form von sein mit ausgefallenem Adjektiv aufgefasst, die oben genannte Möglichkeit der Verschreibung der Übersetzung liren erkannte Folz nicht.

Autor Innerhalb der Forschung wird Hans Folz nahezu einhellig als Autor des Textes in Handschrift G wie der Druckfassung q angenommen. Hierzu berechtigt zunächst die Tatsache, dass im letzten Vers der Druckfassung der Verfassername explizit genannt wird und zwischen dieser und der Handschrift zahlreiche Übereinstimmungen bestehen. Lediglich Griese hält diesen im Kolophon der Druckfassung angegebenen Verfassernamen nicht für vollends beweiskräftig (Griese: Salomon, S. 239, Anm. 4), kann mit ihrer Begründung jedoch nicht überzeugen (vgl. Biehl: Narrenfigur, S. 9f.). Daneben lassen sich hinsichtlich Figurenkonzeption und Wortwahl Parallelen zu anderen Folzschen Spielen ziehen. So finden sich die Bauernnamen der markolfischen Genealogie (vgl. F 103 II, Z. 80–86; F 103 I, Z. 68–78) auch in ‚Das Spiel vom Dreck‘ (vgl. F 91), außerdem weist die Narrenfigur Ähnlichkeiten zu derjenigen in ‚Der Herzog von Burgund‘ (vgl. F 88) auf. Darüber hinaus entspricht das Vorliegen zweier Fassungen in sichtlich überarbeiteter Form dem Vorgehen Folzens, der eigene Texte häufiger einer Nachbearbeitung unterzog (vgl. hierzu auch das Weimarer Autograph Q 566, das die Prozesshaftigkeit Folzschen Arbeitens eindrücklich vor Augen führt). In Folzens Richtung deuten auch die Verwendung literarischer Vorlagen sowie das Aufgreifen von Rätseltradition und Spruchwettstreit.

Datierung Das Spiel kann auf zwei Vorlagen zurückgeführt werden: Das im 12. Jahrhundert anzusiedelnde mlat. Unterhaltungsbuch ‚Dialogus Salomonis et Marcolfi‘ (überliefert in 21 Handschriften und ca. 30 Drucken aus dem 15. und 16. Jahrhundert im Raum Deutschland bzw. Polen) und dessen deutsche Prosaübertragung, das sogenannte ‚Volksbuch von Salomon und Markolf‘ (vgl. die Hinweise im Stellenkommentar sowie Biehl: Nar-

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renfigur, S. 12f.). Früheste vollständig tradierte Druckfassung des ‚Volksbuchs‘ ist ein Ayrer-Druck aus dem Jahr 1487 (‚Frag vnd antwort künig Salomonis vn Marcolfi‘), das Fragment eines weiteren Ayrer-Druckes aus dem Jahre 1483 oder 1486 ist bekannt (vgl. Curschmann: Art. ‚Volksbuch‘, Sp. 535–537). Somit kann die den beiden Spielvarianten in G und q vermutlich zugrunde liegende Fassung X, eine gedruckte Volksbuchvorlage vorausgesetzt, frühestens um 1483 datiert werden; bei der aufgrund des viel geringeren Verbreitungsgrades eher unwahrscheinlichen Annahme einer handschriftlichen Volksbuchvorlage um 1470 (vgl. Curschmann: Art. ‚Volksbuch‘, Sp. 536). Für die Datierung des in q vorliegenden Textes ist – begründet durch die Übernahme der Narrenfigur – das Abfassungsdatum des ‚Herzogs von Burgund‘ (frühestens 1486 bzw. 1488, spätestens 1493/94; vgl. den Endkommentar zu F 88) maßgeblicher Terminus post quem. Der von Hans Stuchs gefertigte Druck q nennt zwar das Jahr 1521, hier bleibt jedoch zu berücksichtigen, dass es sich um einen Neudruck einer älteren Vorlage handelt. Als Terminus ante quem der handschriftlichen Fassungen gilt 1494, das Fertigstellungsjahr von Handschrift G.

Rollen, Inhalt, Struktur Rollen (G): König Salomon, Markolf, Fusita, Herold (Funktion des Einschreiers), glatzköpfiger Ritter, böse Frau, gute Frau, Frauen (unbestimmte Anzahl), vier Bauern (abweichend von q), Henker, Tanzforderer (wohl einer der Bauern), Ausschreier (wohl der Herold). Rollen (q): König Salomon, Markolf, Fudasa, Narr (abweichend von G), glatzköpfiger Ritter, Herold, erste Frau, zweite Frau, Frauen (unbestimmte Anzahl), Henker, Ein- und Ausschreier. Sowohl Handschrift G als auch die gedruckte Fassung q gehören zur Kategorie Handlungsspiel. Die eingeschobene Wechselrede der vier Bauern in G entspricht strukturell dem verbundenen Reihenspiel. Nach Markolfs Eintritt als Krämer verlangt König Salomon, Markolfs Namen zu erfahren, muss aber, von Markolf frech aufgefordert, zunächst die eigene Ahnenreihe offenlegen. Markolf karikiert diese mit einer Aufzählung seiner bäuerlichen Vorfahren, um sich letztlich in seinem Dasein als Mensch mit Salomon auf eine Stufe zu stellen: Du pist ein mensch als wol als ich (F 103 I, Z. 78). Daraufhin fordert Salomon ihn zum Redewettstreit heraus und verspricht im Falle von Markolfs Sieg großzügige Geschenke. Es folgt ein rasanter Dialog, in dessen Verlauf Markolf jedwede vorgetragene sprichwörtliche Weisheit des Königs intelligent und bauernschlau pariert. Nach erschöpfender Wechselrede gibt Salomon schließlich auf, erhält jedoch bald die Gelegenheit, seine sagenhafte Gerechtigkeit zu demonstrieren: Gemäß der biblischen Überlieferung (vgl. 1 Kön 3, 16–28) treten zwei Mütter vor den König und fordern dessen Urteil. Den Auftritt der Frauen nimmt Markolf zum Anlass, seinen generellen Zweifel an der Aufrichtigkeit von Vertretern des weiblichen Geschlechts zu äußern. Für

103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung I)

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diese Unterstellung verlangt Salomon nun einen Beweis, den Markolf durch die listige Instrumentalisierung seiner Schwester Fusita zu erbringen versucht: Er gesteht ihr, den König umbringen zu wollen und versteckt vor Fusitas Augen ein Messer in seinem Stiefel. Die Schwester gelobt, über den Mordplan zu schweigen. Vor den König getreten, beleidigt Markolf seine Schwester aufs Übelste, was wiederum dazu führt, dass diese den König über Markolfs Tötungsabsichten aufklärt und auf das Messer im Stiefel hinweist. Jedoch wird ein solches nicht gefunden, sodass Markolfs inszenierte Beweisführung zur Unaufrichtigkeit der Frau aufgeht. Die Messerszene im Druck q ist dahingehend abweichend gestaltet, dass hier das Messer tatsächlich in Markolfs Stiefel vorgefunden wird. Fusita (im Druck q Fudasa genannt) sagt somit die Wahrheit, was, wenn überhaupt, einen Beweis fehlender Loyalität, keinesfalls aber mangelnder Ehrlichkeit liefert. Es ist wohl davon auszugehen, dass der Druck an dieser Stelle verderbt ist (vgl. Huschenbett: König Salomon, S. 379), denn auf die Entdeckung des Messers folgt keine der erwartbaren Konsequenzen. Stattdessen wird der Text nahezu identisch mit dem der Handschrift fortgesetzt: Markolf nutzt den erbrachten Beweis, um die Gerechtigkeit des salomonischen Urteils anzuzweifeln und sich einer ausgiebigen Frauenschelte zu widmen, die auch Anspielungen auf die angebliche Vielweiberei König Salomons enthält (vgl. 1 Kön 11, 1–3). Salomon dagegen verteidigt die weibliche Ehrhaftigkeit, was Markolf zu einer weiteren Inszenierung veranlasst: Er bringt eine Gruppe Frauen gegen den König auf, indem er ihnen vorgaukelt, Salomon habe ein Gebot erlassen, das jedem Mann sieben Frauen zuspreche (vgl. Jes 4, 1). Als der König erkennt, dass Markolfs erneute List die Frauen zum Aufruhr und ihn selbst zu ungerechter Schmähung der Frauen getrieben hat, befiehlt er, den Spötter zu hängen. Markolf verlangt darauf, sich seinen Galgenbaum selbst aussuchen zu dürfen. In der handschriftlichen Fassung treten nun vier Bauern auf, die in teils mitleidiger, teils höhnischer Wechselrede sprechen und unter anderem Markolfs Hochmut gegenüber dem König kritisieren. Die Reden – der erste Bauer greynt, der zweite Bauer lacht, der dritte singt, der vierte Bauer flucht (vgl. F 103 I, Z. 460, 467, 476, 497) – sind auch als Realisierung der vier Temperamente zu lesen (vgl. Griese: Salomon, S. 250). Unterbrochen werden die Bauern von der Nachricht, Markolf sei die Flucht gelungen. Die folgende Tanzaufforderung scheint das Spiel bereits zu beschließen, als Markolf im Gewand eines Pilgers zurückkehrt, eine mit Fäkalkomik gespickte Heischerede zum Besten gibt und damit eine Parodie auf die Auswüchse des spätmittelalterlichen Ablasswesens liefert (vgl. Griese: Salomon, S. 251). Erst im Anschluss an diese prominent positionierte Kirchenkritik folgen dann die üblichen Worte des Ausschreiers. Im Unterschied hierzu weist der Druck ein anderes Ende auf: Der Wunsch, sich seinen Baum selbst zu suchen, erfährt eine komische Wendung, wenn Markolf der Strafe zu entgehen versucht, indem er vorgibt, keinen geeigneten Baum zum Sterben finden zu können. Der Narr fordert daraufhin Markolfs Einstellung als Zweitnarr, was König Salomon gewährt. Tanzaufforderung und Ausschreierrede beschließen die Druckfassung.

472 | 103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung I)

Deutungsaspekte: Das vorliegende Fastnachtspiel ist Teil einer langen Stofftradition, die bis in die Zeit vor 900 n. Chr. reicht und sich auch im Spätmittelalter äußerster Beliebtheit erfreute. Für die weiteren Betrachtungen nicht unwesentlich, soll diese vorab kurz skizziert werden: Das Spiel geht unmittelbar zurück auf den bereits erwähnten mlat. ‚Dialogus‘ aus dem 12. Jahrhundert. Dieser war als unterhaltsame Gelehrtendichtung konzipiert und aus einem lehrhaften Sprichwortteil sowie einem humoristischen Schwankteil zusammengesetzt. In dessen Verlauf befiehlt König Salomon Markolf immer neue Prüfungen, die dieser durch wortwörtliches statt sinnhaftes Verstehen stets zum eigenen Vorteil erfüllt. Damit greift der ‚Dialogus‘ die bereits im frühen Mittelalter gesamteuropäisch kursierende Erzähltradition des Streitgesprächs zwischen König Salomon und Markolf auf. Gründend auf dem biblisch-talmudischen Salomon-Mythos gilt diese Figur im Mittelalter als Inbegriff des weisen und gerechten Herrschers, dem die biblischen Proverbien, das Hohelied sowie Weisheitslehren und Psalme zugeschrieben werden. Aus diesen Texten angeblich salomonischen Ursprungs bedient sich der Sprichwortteil des ‚Dialogus‘; der Vulgata-Text wird dabei teilweise wörtlich übernommen (vgl. Lenk: Sprichwort-Antithetik, S. 152). Allerdings rekurriert die Handlung des ‚Dialogus‘ auch auf die weniger ruhmvolle Seite der Figur Salomon: Neben Weisheit und Gerechtigkeit lässt die literarische Umsetzung auch Vielweiberei und Götzendienst nicht außen vor und unterstreicht damit das mittelalterliche Bild von Salomon als Minnesklaven (vgl. Griese: Salomon, S. 24; LexMA, Sp. 1310; Maurer: Topos, S. 195–198). Dagegen treten bei der Rekonstruktion des Ursprungs von Markolf Schwierigkeiten auf. Sicher trägt er unter anderem Züge des Narren, der im Spätmittelalter exemplarisch für den die christliche Heilslehre ignorierenden und damit dem herrschenden Ordogedanken widersprechenden Menschen stand (vgl. LexMA Sp. 1023f.). Dennoch wird allein diese Beschreibung seiner vielschichtigen Ausgestaltung nicht gerecht. Nach der Charakterisierung im mlat. Text ist Markolf orientalischer Herkunft und weist verschiedene äußere Attribute auf, die auf Narreneigenschaften wie Obszönität und geistige Trägheit schließen lassen. Zudem wird er als besonders hässlich beschrieben, wobei es sich hier um die Hässlichkeit Äsops handelt, hinter der sich auch im Falle Markolfs Schlauheit und Redegewandtheit verbergen (vgl. Griese: Salomon, S. 12–15; Curschmann: Art. ‚Dialogus‘, Sp. 84). Was seine Antworten im Sprichwortteil betrifft, ist die Quellenlage eher vage. Zum einen finden sich Parallelen zu Notkers Sprichwörtern, dem ‚Florileg von St.-Omer‘, den ‚Proverbia Rustici‘ und insbesondere zu Egberts von Lüttich ‚Fecunda ratis‘. Zum anderen ist aber auch ein Rückgriff auf das mündlich verhandelte Erfahrungswissen der Zeit denkbar (vgl. Lenk: Sprichwort-Antithetik, S. 152). Insgesamt ist die Konfrontation von König Salomon und Markolf als das Aufeinanderprallen von höherer Weisheit und niederer Gnomik bzw. Lebenserfahrung zu werten. Die Rolle des Moralisten Salomon gerät durch die Begegnung mit Markolf ins Wanken, seine Weisheit verliert ihre Allgemeingültigkeit. Zugleich wirkt das Streitgespräch als Antithese von offizieller Morallehre der christlichen Kirche und inoffizieller Lebens- und Geistessphäre des einfachen Volkes (vgl. Lenk: Sprichwort-Antithetik, S. 153). Das ebenfalls als Vorlage dienende

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‚Volksbuch‘, 1483 oder 1486 erstmalig im Druck verbreitet, ist zwar als Übersetzung des mlat. ‚Dialogus‘ anzusehen, legt seinen inhaltlichen Schwerpunkt aber auf den unterhaltenden Schwankteil. Im gleichen Zuge wandelt sich auch die Markolf-Figur vom disputierenden und listig agierenden Narren zum bäuerlichen Schalk, wie er dann auch im Fastnachtspiel auftaucht. Ebenso tritt der unmittelbar biblische Bezug in der volkssprachlichen Fassung in den Hintergrund und ist bei Folz nur mehr unterschwellig vorhanden (vgl. Griese: Salomon, S. 9; Curschmann: Art. ‚Volksbuch‘, Sp. 539). Mit der Verkleidung Markolfs als Krämer kann ein Rückbezug zu einer weiteren Traditionslinie des Stoffes, nämlich derjenigen des Brautwerbungsepos ‚Salman und Morolf‘, hergestellt werden. Hier bedient sich Morolf, dem Brautwerbungsschema entsprechend, mehrfach der List des Verkleidens, wobei er sich im Pilgergewand Einlass bei Hofe verschafft (vgl. Karnein: Salman und Morolf, 173–178, 185, 204–206, 666) und ihm in Krämergestalt die Flucht gelingt (vgl. Karnein: Salman und Morolf, 708–711). Eben diese Verkleidungen wie die zugehörigen Kontexte von Aufnahme und Flucht übernimmt Folz (über die Verkleidung als Mittel der List siehe Curschmann: Münchener Oswald, S. 24; Siefken: Kudrunepos, S. 27f.). Dabei ist sowohl die Verwendung einer verschriftlichten Vorlage, die im 15. Jahrhundert gesichert vorliegt (vgl. Curschmann: Art. ‚Salman und Morolf‘, Sp. 515–518), als auch der Rückgriff auf gängige Topoi der weiterhin überwiegend mündlich kursierenden Brautwerbungsdichtung (vgl. Schmid-Cadalbert: ‚Ortnit AW‘, S. 97–99) denkbar. Beim Vergleich von Handschrift und Druckfassung ergeben sich im Wesentlichen vier Unterschiede. Zunächst wird dem Redewettstreit zwischen Salomon und Markolf im Druck mehr Platz eingeräumt, sodass den 52 Spruchpaaren in q nur 22 Spruchpaare der Handschrift gegenüberstehen. Da vordergründig nicht der Inhalt, sondern das erfolgreiche Parieren der gegnerischen Spruch- bzw. Bauernweisheit ist, erhält das Streitgespräch im Druck deutlich stärkeres Gewicht und unterstreicht Markolfs Überlegenheit. Ergänzt wird dieses Bild auch durch das nur in der gedruckten Fassung gestellte Familienrätsel, dessen Entschlüsselung dem weisen König Salomon nicht gelingt. Damit wird Markolfs Schlauheit doppelt herausgestellt, Salomons berühmte Weisheit jedoch relativiert. Bereits hingewiesen wurde auf die unterschiedliche Gestaltung der Messerszene, wobei hier für deren Verderbtheit im Druck q plädiert wird. Die markanteste Abweichung der beiden Versionen G und q besteht sicherlich in der Ausgestaltung des Schlusses, die an anderer Stelle schon skizziert wurde. So lässt das Ende von Handschrift G nach durchaus anspruchsvollem Redewettstreit und parodistisch vorgebrachter Kritik am kirchlichen Ablasshandel letztlich den Fastnachtsulk dominieren. Es erweist sich damit als überraschende, der Fastnachtstimmung zuträgliche Wendung. Aber auch die plötzliche Versöhnung der Druckfassung birgt unerwartete Komik und wird von Wuttke folgerichtig als „Lustspielfinale“ (Wuttke: Druckfassung, S. 170) bezeichnet. Dabei lehnt sich die in q ausgestaltete glückliche Aufnahme am Hofe Salomons eher an das Ende der Volksbuchvorlage an (vgl. Griese: Salomon, S. 250), wogegen die Bauernrevue vermutlich auf ein in Folzens Werkstatt in Teilen bereits ausgearbeitetes Textfragment zurückgeht (vgl. Biehl: Narrenfigur, S. 13). Ein

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wesentlicher Unterschied besteht schließlich in der Figur des Narren. Sie tritt nur in der Druckfassung auf und, dies unterstreicht bereits der Titel ‚Von dem kunig Salomon vnd Marckolffo vnd einem narrn‘, zählt zu den zentralen Figuren der Bearbeitung. Es ist davon auszugehen, dass Folz hier seine bereits in ‚Der Herzog von Burgund‘ (F 88) erprobte und beim Publikum vermutlich erfolgreiche Narrenfigur ein zweites Mal verwendet hat (zu Parallelen und Unterschieden der beiden Narrenfiguren vgl. Biehl: Narrenfigur, S. 21–26). Inhaltlich dient der Narr mit Fäkalsprache, Flüchen und Narrenverhalten zum einen als Gegenfigur zu Markolf, dem klugen Narren. Zum anderen ist die Rede des Narren meist kommentierend bzw. resümierend, teilweise auch warnend, was ihn zugleich zu einem Bindeglied zwischen Publikum und Bühne werden lässt; im Text der Handschrift wird diese Kontrastfunktion von den gegen Ende auftretenden Bauern sowie von Markolfs unflätiger Rede in der Rolle des Pilgers erfüllt (vgl. Biehl: Narrenfigur, S. 19–21). Darüber hinaus wird der Narr bewusst als strukturierendes Mittel der Textgliederung eingesetzt. Er markiert Einschnitte innerhalb des Handlungsgefüges, sodass die einzelnen Szenen des Fastnachtspiels durch die Rede des Narren beschlossen oder eingeleitet werden. Eine ähnlich strukturgebende Funktion kommt im Falle der handschriftlichen Fassung dem hier angewandten Stichreim zu (hierzu ausführlich Biehl: Narrenfigur, S. 14–18). Insgesamt können G und q als zwei eigenständige Versionen gewertet werden. Kürzungen bzw. Korrekturen haben allesamt unabhängig voneinander sowie an unterschiedlicher Stelle und verschieden umfänglich stattgefunden. Auch die zwischen G und q deutlich abweichende Gesamtverszahl (718 Verse in q gegenüber 562 Versen in G) verweist, neben der systematischen Verwendung des Stichreims und dem strukturierenden Einsatz der Narrenfigur, auf die planvolle Überarbeitung einer angenommenen Fassung X. Beide Fassungen erweisen sich als abgeschlossene, in sich stimmige Ausgestaltungen des Stoffs und können als solche alleine bestehen. Aufführungshinweise: Insgesamt setzt sich das Spiel aus eher lose verbundenen Einzelszenen zusammen, teilweise geht mit dem Wechsel der Szene auch ein Ortswechsel einher. Ob dieser etwa mittels Requisiten oder gar einer dem heutigen Bühnenbild vergleichbaren Ausstattung markiert wurde, ist nicht sicher nachzuweisen. Jedoch funktionieren die Listen des Markolf nur dann, wenn er und Fusita bzw. er und die Frauen unter Abwesenheit des Königs kommunizieren können. Um dem Publikum diese Privatheit zu vermitteln, muss sich der König jeweils zurückgezogen haben. Es fehlen jedoch konkrete Bühnenanweisungen, die eine räumliche Trennung der beiden Parteien auf der Bühne gewährleisten. Überdies liefern die Texte aus Handschrift und Druck einige Belege für die sprachliche wie performative Abgrenzung bzw. Rahmung der verschiedenen Handlungseinheiten, die es dem Publikum ermöglichten, sich auf die wechselnden Spielszenen einzustellen. Beispielhaft seien hier Stichreim und die Kommentare des Narren, aber auch Aussagen wie Kuͤ ntzlein, ge dan vnd schweyg ein weyl (F 103 II, Z. 95) und Szenenbeginn bzw. -ende markierende Redepassagen wie Hie bin ich vnd die schwester mein (F 103 I, Z. 252) oder Jch schweig, zu kriegen fort mit Dir (F 103 I, Z. 187) genannt (zur Bedeutung von Stichreim und Narrenrede für

103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung I)

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die Markierung abgeschlossener Handlungseinheiten vgl. Biehl: Narrenfigur, S. 16– 20). Für die Bereitung des Bühnenraumes sorgt der Auftritt König Salomons, der, angekündigt durch den Einschreier und begleitet von seinem Hofstaat, die Bühne betritt und die nachfolgenden Handlungen einleitet. Durch Markolfs erste (sowie auch durch die nachfolgende) Verkleidungslist wird ein kurzer Moment der Irritation evoziert, nach Auflösung des Krämerrätsels erfährt das Stück dann mit der Auswurfszene seinen ersten komischen Höhepunkt und das Publikum wird in die Handlung einbezogen. Zugleich wird hier der sich anschließende Redewettstreit vorbereitet, der zu einem rasanten Schlagabtausch gerät und durch die Gegenüberstellung von vermeintlich bekannter Spruchweisheit und deren unerwarteter Auflösung ins Derb-Komische das Publikum in höchstem Maße aktiviert. Es folgt die mit einer gewissen Spannung aufgeladene Szene des Salomonischen Urteils und die Messerszene, beide wohl mit eindrücklich gestischer Untermalung (etwa Antäuschung eines das Kind zerteilenden Schwerthiebs, ausgiebige Suche nach dem angeblich im Stiefel verborgenen Messer). Den absoluten Höhepunkt erreicht die Spannungskurve mit der angedrohten Todesstrafe, erfährt durch die eingeschobene Bauernrevue jedoch einen kurzen Abfall (Auflösung ins Komische, Steigerung der Schadenfreude, Ausgelassenheit). Auch das in der Art eines Bänkelsangs vorgetragene Lied des Markolf belegt die theatralische Ausgestaltung der Schlussszene. Als überraschende Wendung birgt dann Markolfs Flucht ein retardierendes Moment bis zum letztlichen Höhepunkt der zweiten Verkleidungslist, diesmal im Gewand des Pilgers. Hier treffen Irritation des Publikums, Fäkalkomik und hintergründiger Witz aufeinander, bevor das Spiel in die Fastnachtswirklichkeit überführt wird. In der Fassung des Druckes wird die Rasanz und derbe Komik durch die Einwürfe des Narren abermals gesteigert. Hier wird das Publikum, verglichen mit dem Text der Handschrift, noch stärker durch die Handlung geführt und zur Reaktion auf die komischen Szenen geradezu aufgefordert. Ein weiteres Rätselelement und somit eine Aktivierung des Publikums beinhaltet hier neben dem Spruchwettstreit auch das Familienrätsel und seine derb-komische Auflösung. Im Gegensatz zu dem mit dem Wechsel von Höhepunkt und nochmaligem Spannungsabfall spielenden Schluss der Handschriftenfassung bildet die Androhung der Todesstrafe im Druck den eigentlichen Höhepunkt. Die Handlung klingt schließlich aus in der komischen Pointe, dass Markolf nicht in der Lage ist, seinen Galgenbaum zu finden und der versöhnlichen Aufnahme als Zweitnarr.

Textbezüge Das Spiel ist thematisch an verschiedene Traditionen der späten Fastnachtspieltradition angebunden bzw. greift deren Techniken und Motive auf. So begegnet der Typ des schimpfenden Bauern auch in R 55, R 59, R 72, F 82, F 83 , F 87 und F 101. Die mehr oder minder geschickte Beantwortung gestellter Aufgaben bzw. aufgegebener Rätsel

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trifft man an in F 87, F 90 und F 106, wenn auch in einer anderen Funktion. So ist die komische Wirkung der Entgegnungen Markolfs weniger in der konkreten Anbindung an das vorher Geäußerte zu sehen als in dem rasanten Wechsel zweier Sprachstile. In F 95 verkleidet sich ebenfalls eine Figur während des Spiels in eine andere, der Typus des weisen Königs tritt in F 87 auf. Bearbeiter: Biehl, Przybilski, Ritz

103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II) KF Nr. 60

Von dem kunig Salomon vnd Marckolffo vnd einem narrn ein huͤ bsch faßnacht spil new gemacht q 1r

Ein schreyer:

5

10

Got gruß den wirt vnd als sein gsind Vnd wen ich erbars hinnen find! Ruͤ st euch! es kuͤ mpt vnter seiner kron Der weyß vnd reich kuͤ ng Salomon Vnd wirdt bey jm haben seine reth! Ob etwar hie zu schicken het, Der wirdt ku〈r〉tzlichen auß gericht. Wer sein bedarff, der saum sich nicht.

q 1v F 103I, 3–16; F 106I, 2–3

Marcolffus spricht:

15

Lieber juncker, ich wuͤ nsch dir heyl! Hie vinstu allerley kramschatz feyl: Peterlen, knoblach, abschlag, zwifel; Vnd hab dar bey hie in eim stifel Ein wilpret, mayn ich dir zu schencken.

3 als ‚all‘ 4 hinnen ‚hier drinnen‘ 5 Ruͤ st euch ‚Macht euch bereit‘ 7 bey jm: ‚bei sich‘; zur seinerzeit üblichen Flexion des Reflexivpronomens vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 64; vgl. Z. 169. 7 rath ‚Berater‘ 8–9 ‚Wenn jemand hier einen Streitfall zu verhandeln hat, Wird ihm schnell Recht beschieden.‘ 8 etwar: frnhd. Variante zu etwer: ‚irgendeiner, jemand‘ (vgl. Moser/Stopp/Besch: GrdFrnhd 7, § 115). 9 kurtzlichen ‚sogleich‘ 14 Peterlen ‚Petersilie‘ 14 abschlag: Entstellung aus (Allium) ascalonicum: heute ‚Schalotte‘; ob das Wort im 15. Jahrhundert bereits diese Bedeutung besaß, ist ungewiss, mit Sicherheit ist jedoch eine Art Zwiebel gemeint (Pflanzennamen I, Sp. 195f.; von Fischer-Benzon: Gartenflora, S. 138f.). 14 zwifel ‚Zwiebel‘ 16 Zum asyndetischen Relativsatz vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 261.

1 Das Titelblatt zeigt einen Holzschnitt, der einen König mit Krone und Zepter auf seinem Thron und einen Narren mit Eselsohren nebeneinander zeigt, ihnen gegenüber steht ein Mann, der auf eine alte Frau einspricht. 9 kurtzlichen] kutzlichen

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Des kunigs narr spricht:

20

Man solt dich in eim sack ertrencken! Kuͤ nig, ge, verpirg dich in ein ecken, Laß nit zu dir die scheutzlich precken! Wie lest du es so nacht her bey? Jch mein, das der tewfel in dir sey! Kuͤ nig Salomon spricht:

25

Sag an, pawr, vnd beschayde mich: Wer hat herein gelassen dich?

q 2r

F 103I, 21–24

Marckolffus: Das hat die listigkeit gethan. Der narr: Des ge dich die druͤ ß vnd die pewl an! 30

F 88, 125

Marckolffus wirdt husten vnd ein glatzeter ritter spricht: Pawr, du pist vnkeuͤ sch in der keln, Wirstu der plossen erden feln Mit deym auß werffen, so glaub mir, Das du den sal wirst raumen schir.

F 103I, 28–31

18 Die bis ins 18. Jahrhundert angewandte Todesstrafe des Säckens wurde gemeinhin über Frauen verhängt. Die Verurteilte wurde dabei zusammen mit einem Hund, einem Hahn, einem Affen bzw. in Mitteleuropa einer Katze und einer Schlange bzw. dem Bildnis einer Schlange in einen Ledersack gesteckt und mit Stangen unter Wasser gehalten und ertränkt. Die Symbolik der Tiere ist hierbei nicht gesichert (vgl. Leder: Todesstrafe, S. 162–166). 20 precken: Wörtl. ‚Hündin‘, meist als Schimpfwort für Frauen (vgl. FrnhdWb 4, Sp. 1032), hier auf Markolf bezogen. 21 es: Gemeint ist die precken, also Markolf. 21 nacht (zu mhd. nâhent): ‚nah‘ 25–27 Salomon et Marcolfus, S. 32, Z. 2f. 29 ‚Dafür soll dich der Schlag treffen!‘ 29 druͤ ß: Wörtl. ‚Drüse‘, auf Drüsenschwellungen ähnelnde Geschwüre und auslösende Krankheiten übertragen, u.a. auf die ‚Pest[-beule]‘ (vgl. Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 102f.), in dieser Bedeutung häufig in Verwünschungen (vgl. FrnhdWb 3, Sp. 2183). 29 pewl: Auch für ‚Pestbeule‘ (Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 40), in dieser Bedeutung häufig in Verwünschungen (vgl. DWb Neubearbeitung 6, Sp. 1454f.). 30–42 Salomon et Marcolfus, S. 32, Z. 5-S. 33, Z. 3; Salomon und Markolf, Z. 446–463. 30 wirdt husten: Werden mit Infinitiv drückt im Frnhd. bis ins 16. Jahrhundert oft ingressiven Aspekt aus (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 173), zu übersetzen mit ‚anfangen zu, beginnen zu‘. 31 vnkeuͤ sch ‚unflätig‘ 32 feln ‚verfehlen‘ 33 auß werffen Verb, hier: ‚Auswurf, Rotz‘ 34 schir ‚sogleich‘

103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II)

35

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Der narr: Das dich der jnnegklich tewfel plent, Wie hastu dem sein kopff geschent! Jch doͤ rst dir schier dein muͤ tter geheyen!

F 88, 255

Marckolffus: 40

Ich dorfft als auff kein zier nit speýen Vnd hab jms zwar zu guͤ t gethan, Ob jm do auch wolt har auff gan, Vnd mein halt, schyß ich jm gar drauff, Jm wuͤ chs noch hars ein schoͤ ner hauff.

45

Der narr: Eý, scheyß an liechten galgen nauß! Ja, het ich vor der stub dich dauß, Jch wolt dir mit dem ars aufs maul sitzen Vnd ein pfeyl einr eln lang in dich smitzen.

50

q 2v

F 88, 410, 609

Der kuͤ nig: Hoͤ r, pawr, man hat vns vnter weyst, Wie du gar falsch vnd gar kleffig seyst, Darumb dein namen mir erlewter!

F 103I, 47–54

Marckolffus: 55

Kuͤ nig, du felst, ich heyß nit Kalbs ewter. Laur drauff ein weýl, piß ich mich nenn, Du gebst dich mir dan vor zu erkenn Vnd als dein geschlecht in einer sum!

36 jnnegklich: ‚innerlich, innere‘ 38 Jch doͤ rst dir schier dein muͤ tter geheyen: Derbe Verwünschung; geheyen wörtl. ‚ficken‘ (vgl. Kratz: Wortschatz, S. 16). 40 als auff kein zier nit ‚auf überhaupt kein Dekor‘ 41 ‚Und habe es wirklich zu seinem Nutzen getan,‘ 42 Ob ‚Ob nicht‘ 43 mein halt ‚[ich] glaube eben‘ 46 Sinngemäß etwa ‚Verpiss dich!‘; der liechte galgen ist häufig in Verwünschungen belegt, über die genaue Bedeutung von liecht bestehen mehrere Vermutungen, von denen jedoch keine gesichert ist (vgl. DWb 4, Sp. 1169 und 12, Sp. 859f.; FrnhdWb 6, Sp. 43). 46 nauß ‚hinaus‘ 47 dauß ‚draußen‘ 49 smitzen ‚treffen‘; hier: ‚hineinstechen‘ 51–52 Salomon et Marcolfus, 3a; Salomon und Markolf, Z. 51–53. 51 vnter weyst: Part. Prät. von [vnter-]weysen, bis ins Frnhd. schwach flektiert (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 112). 52 kleffig ‚geschwätzig; streitsüchtig‘ 55 Kalbs ewter: Schimpfwort, etwa ‚Dummkopf‘, in Spiel F 109, Z. 31 bzw. F 99, Z. 13 auch als Eigenname gebraucht (vgl. Arndt: Personennamen, S. 79). 56–58 Salomon et Marcolfus, 1b; Salomon und Markolf, Z. 31–33. 57 vor ‚vorher‘ 58 als dein geschlecht ‚alle deine Ahnen‘ 58 in einer sum ‚kurz und bündig‘

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Der Narr: 60

Ja, ein dreck jns maul, sprich: mummum!

F 88, 480

Salomon:

65

70

Von zwelff geschlechten ich hie bin: Judas gepar Fares mit sin, Fares Esram, Esram Aram, Aram Aminadab mit nam, Aminadab gepar Naasan Vnd Naason gepar Salomon, Salomon Boos, Boos Obet, Obet Yesse geperen thet, Yesse Dauit vnd Dauit mich, Der kuͤ nig Salomon, der bin ich.

F 103I, 57–66

q 3r

Der narr: Kuͤ nig, mich wundert, wie dus meynst, Das du dich mit dem narn auf leynst. 75

Der pawer: So bin ich von dem geschlecht der pawrn.

F 103I, 68–75

Der narr: Du frist ein dreck hinter der mawrn.

60 dreck ‚Scheiße‘ 60 sprich: mummum!: Vermutlich soll die Interjektion unartikulierte Laute aufgrund eines vollen Mundes anzeigen, vgl. DWb 12, Sp. 2660 – allerdings mit abwegiger Interpretation zu F 88, Z. 480: Maull auff, lecker, sprich mum, mum – und das abgeleitete Verb mummen: ‚undeutlich reden‘ (DWb 12, Sp. 2663); auch zu erwägen ist das Wortspiel mit mum: ‚Kot‘ (vgl. DWb 12, Sp. 2660). 63–71 Die hier wiedergegebene Genealogie wurde ursprünglich aufgrund der Namensformen und der Abfolge wohl Mt 1, 3–6 entnommen, wo sie als Teil der Genealogie Jesu steht. Sie findet sich auch in leicht variierter Form in Rut 4, 18–22, 1 Chr 2, 1–15 und Lk 3, 31–33; vgl. Salomon et Marcolfus, 2a und Salomon und Markolf, Z. 33–39. 63 geperen ‚zeugen‘ 63 mit sin ‚in Weisheit, mit Bedacht‘ 74 sich auf leynen mit ‚sich streiten mit‘ 76–86 Salomon et Marcolfus, 2b; Salomon und Markolf, Z. 39–45. 78 ‚Du bist eine Sau.‘; Der Futterplatz der Schweine, die gemäß seinerzeit verbreiteter Auffassung auch ihren eigenen Kot fressen, lag außerhalb der [Stadt-]Mauer; möglicherweise auch eine Anspielung auf eine fehlende Toilette und damit auf den niederen Stand Markolfs.

103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II)

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Marckolffus: 80

85

Knoll gepar Troll / Troll gepar Lappen, Lap gepar Tremel / Tremel Appatapen, Appatap gepar Sew tut / Sew tut Gynoͤ ffel, Gynoͤ ffel gepar Knebel / Knebel Gensloͤ ffel, Gensloͤ ffel gepar Luͤ lzapff, Luͤ lzapff Strakolff Vnd der selb Strakolf gepar mich Vnd der selb Marckolff, der bin ich. Der Narr:

90

Ein dreck gepar frissen vnd frissen ein dreck, Der far dir in dem hals hin weck! Do nasch, do leck, do muff, do kew, Du vnflat, du fratz, du vogelschew!

80 Knoll: In Übertragung der eigentlichen Bedeutung auf einen Menschen ‚plumper, ungeschlachter Kerl‘, soll die Derbheit der Figur verdeutlichen (vgl. Arndt: Personennamen, S. 70). 80 Troll: ‚Plumper, ungeschlachter Mensch‘, gern in Bezug auf Bauern benutzt (vgl. Arndt: Personennamen, S. 69; DWb 22, Sp. 798f.). 80 Lap: ‚Depp‘, als Beleidigung häufig gebraucht (vgl. F 96, Z. 44) (vgl. FrnhdWb 9, Sp. 278f.). 81 Tremel: ‚Balken, Knüppel‘, übertragen als Schimpfwort für einen groben Menschen etwa ‚Klotz‘ (Arndt: Personennamen, S. 69; DWb 2, Sp. 1399f.). 81 Appatap: ‚Trampel‘, als Schimpfwort in der Form appetapp auch in F 100, Z. 88; tonische Duplikation zu frnhd. tappe, ‚Trampel‘ (Arndt: Personennamen, S. 67). 82 Sew tut: Aus Sau und frnhd. dutte: ‚Brustwarze‘ (vgl. DWb 22, Sp. 1946–1948). 82 Gynoͤ ffel: ‚Narr‘, als Schimpfwort in F 96, Z. 53; aus gienen: ‚den Mund aufsperren‘ (vgl. DWb 7, Sp. 7349–7352), und wolf (Arndt: Personennamen, S. 65) oder in Anlehnung an auf -olf endende Personennamen; auch Kontaminationsform von ginaffe und ginloffel, das wiederum auf lap zurückgeht, denkbar (DWb 7, Sp. 7353f.). 83 Knebel: ‚Holzstück, Knüppel‘, übertragen auf einen Menschen etwa ‚Klotz‘, aber ebenso Bedeutung ‚Penis‘, als fingierter Eigenname auch außerhalb der Fastnachtspiele belegt (vgl. DWb 11, Sp. 1374–1377; Lex I, Sp. 1644). 83 Gensloͤ ffel: Entweder Erstglied zu gans mit den Bedeutungen ‚Dummkopf‘ und ‚Penis‘ (vgl. DWb 4, Sp. 1263f.) und Zweitglied als Ableitung von laffe: ‚Narr‘ (vgl. DWb 12, Sp. 1120) oder Entstellung von gansaffe: ‚Narr‘ (vgl. Lex I, Sp. 736) mit Anklang an laffe; die von Arndt vermutete Vermischung mit Gynoͤ ffel bzw. Ginloffel (F 103I, Z. 71) ist nicht zutreffend, da beide Namen in der vorliegenden Genealogie deutlich getrennt erscheinen (vgl. Arndt: Personennamen, S. 65). 84–85 Der Reim auf Strakolff bzw. der folgende Vers fehlt, doch inhaltlich entsteht in der Genealogie kein Bruch, auch q weist keine Lücke auf und es folgt kein Seitenumbruch. Die Parallelstelle in F 103I (Z. 73f.) gibt wegen zu starker Abweichung keinen Aufschluss. 84 Luͤ lzapff: ‚Säufer, Saufaus‘; zu nhd. lullen: ‚saugen‘ (vgl. DWb 12, Sp. 1287f.) und nhd. Zapfen: ‚Stöpsel eines Fasses‘ (vgl. DWb 31, Sp. 258–261), belegt sind lüllzäpflein und zäpfleinlüller mit entsprechender Bedeutung (vgl. DWb 12, Sp. 1289; 31, Sp. 266); Deutung von Arndt: Personennamen, S. 66 eher unwahrscheinlich. 84 Strakolff: Vermutlich aus Starkolff verschrieben bzw. Druckfehler (vgl. Starckolff in F 103I, Z. 73f.), letzterer als regulärer Personenname belegt (vgl. Förstemann: Namenbuch, Sp. 1362f.). 86 Marckolff: Regulärer Personenname (vgl. Förstemann: Namenbuch, Sp. 1098). 90 muffen (zu nhd. muffeln): ‚essen, kauen‘ 90 kewen ‚kauen‘ 91 fratz: Entweder früher Beleg von fratz: ‚unverschämter, alberner Mensch‘ oder Druckfehler von frasz: ‚Fresssack‘ (vgl. DWb Neubearbeitung 9, Sp. 883f. bzw. 9, Sp. 879f.).

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Sich, kuͤ nig, ich wolt doch gern versten: Wes lest du dir also jm maul vmb gen?

q 3v

Der herollt: 95

Kuͤ ntzlein, ge dan vnd schweyg ein weyl, Ee das der pawr dich uͤ ber eyl Vnd dir den kopff setz zwyschen die orn! Der narr:

100

Er wer mir lieber uͤ bern kamp beschorn, Der verheyt filtz, der vnendlich! Salomon:

F 103I, 79–101

So hoͤ r, Marckolff, hoͤ r eben mich: Du wirst mich aller frag bescheyden? Marckolffus: 105

Das sol mir halt nymant leyden. Wer toͤ rlich red, der selb hab an! Salomon: Magst du mir alle red bestan, So wil ich dich reylich begaben.

93 ‚Weshalb lässt du dich so zum Narren halten?‘; vgl. Dan wir uns nicht im Bhart lassen u[mgehen] (vgl. Fischer: Schwäbisches Wörterbuch 6, Sp. 90). 96 uͤ ber eylen ‚plötzlich überfallen, übertölpeln‘ 97 den kopff zwyschen die orn setzen ‚den Kopf zurechtrücken, waschen‘ 99 uͤ bern kamp beschern: ‚mit Schmeicheleien so betrügen oder zum Narren halten, dass der Betroffene nichts davon bemerkt‘; der Kamm diente beim Haarschnitt auch dazu, unregelmäßiges Ausreißen der Haare zu verhindern, d.h. der Geschorene spürt nichts vom Haarschnitt (vgl. Sprichwörter-Lexikon 2, Sp. 1124). 100 verheyt ‚verdammt‘ 100 filtz ‚Filzkopf; [Bauern-]Tölpel‘ 100 vnendlich ‚liederlich, nichtsnutzig‘ 102 eben ‚genau‘ 103 Salomon et Marcolfus, 3a; Salomon und Markolf, Z. 53f. 105 halt ‚freilich‘ 106 Salomon et Marcolfus, 3b: Qui male cantat, primus incipit: ‚Wer schlecht singt, beginnt als Erster‘; Salomon und Markolf, Z. 54f.: der vbel redt der heb an; vgl. TPMA, singen, 5. 2. 109 reylich begaben ‚reich beschenken‘

103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II)

110

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Marckolffus: Der priester thut die ee geloben, Der er doch selber nit enhot. Salomon:

115

Got gab mir kunst vnd weysen rath, Das vor mir keiner was mein gleich, Macht mich ob allen kuͤ ngen reich.

q 4r

Marckolffus: Welch man vil poͤ ser nachtpawrn hot, Der lob sich selber, ist mein roth. 120

Salomon: Wer stilt, der sorgt stet, man erfars. Marckolffus: Wer sich forcht, dem pfupffert der ars. Salomon:

125

Ein frums weyb, reich vnd wol gethan, Die ist ein zierheit jrem man.

111–112 Salomon et Marcolfus, 4b: Promittit presbyter sanitatem, vnde non habet potestatem; Salomon und Markolf, Z. 57f.: Der priester verheist die gesuntheit in der er keinen gewalt hat; vgl. TPMA, Pfaffe, 12. 111 die ee geloben ‚die Trauung vollziehen‘ 114–115 Salomon et Marcolfus, 6a: Dominus dedit scienciam in ore meo, ut nullus sit similis mei in cunctis finibus terre: ‚Der Herr legte Wissen in meinen Mund, auf dass mir keiner auf der ganzen Welt ähnlich sei‘; Salomon und Markolf, Z. 6f.: Got hat mir gegeben die kunst das keiner mein geleich ist. 114 kunst ‚Wissen, Fertigkeit‘ 114 rath ‚Überlegung; Urteilskraft‘ 116 ob ‚vor; über‘ 118–119 Salomon et Marcolfus, 6b; Salomon und Markolf, Z. 62f.; vgl. TPMA, Nachbar, 2. 4. 2. 118 nachtpawr: Variante zu nachbar, das t wird erst im 15. bis 17. Jahrhundert teilweise sekundär eingefügt (vgl. DWb 7, Sp. 22). 121 Salomon et Marcolfus, 7a: Fugit impius nemine persequente: ‚Der Frevler flieht von niemandem verfolgt‘; Salomon und Markolf, Z. 63f.: Der vngerecht flewhet so man sein namen vervolgt; vgl. Spr 28, 1 und TPMA, fliehen, 6. 2. 123 Salomon et Marcolfus, 7b: Quando fugit capreolus, albicat eius culus: ‚Wenn das Reh flieht, leuchtet sein Hintern weiß‘; Salomon und Markolf, Z. 65: Wen dy ganß flewgt so rert yr der arß, vgl. auch F 103I, Z. 101. Die Abwandlung ist vermutlich ursprünglich auf einen Lese- bzw. Druckfehler (capreolus als gamß oder gaiß) zurückzuführen; vgl. TPMA, Reh, 1 und TPMA, Gans, 11. 123 pfupffern ‚furzen‘ 125–126 Salomon et Marcolfus, 8a: Mulier bona et pulchra ornamentum est viro suo; Salomon und Markolf, Z. 65–67: Ein frumme fraw vnd auch ein schone fraw dy ist ein zierd yrem man; vgl. Spr 12, 4 und TPMA, Frau, 3. 1. 4.

484 | 103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II)

Marckolffus: Ein guͤ tte milch muͤ st man vor jarn Gar wol vor den katzen bewarn. 130

Salomon: Ein frums weyb pawt jr hauß in gut, Die poͤ ß das gepew zerstoͤ rn thut. Marckolffus:

135

Ein hafen, der wol geprent ist, Der wert dest lenger zu aller frist. Salomon:

F 103I, 102–105

Zu weyßheit hat mich got erwelt. Marckolffus:

q 4v

Der ist weýß, der sich vnweyß zelt. 140

Salomon: Wer ein stet weýb weyß, der erweltzs. Marckolffus: Die ermel sein selten als der peltzs.

128–129 Salomon et Marcolfus, 8b; Salomon und Markolf, Z. 67f.; vgl. TPMA, Katze, 3. 1. 131–132 Salomon et Marcolfus, 10a; Salomon und Markolf, Z. 71f.; vgl. Spr 14, 1 und TPMA, Frau, 3. 1. 10. 131 in gut ‚im Guten, freundlich‘ 132 gepew ‚Bau, Gebäude‘ 134–135 Salomon et Marcolfus, 10b: Olla bene cocta melius durat, et qui merdam distemperat merdam bibit: ‚...und wer Scheiße anrührt, trinkt Scheiße‘; Salomon und Markolf, Z. 72f.: Ein hafen der wol geprent ist der wert dester lenger; vgl. TPMA, Gefäß, 1. 6. 134 hafen ‚Gefäß, Topf‘ 134 geprent: Part. Prät. von prennen, weist im Obd. keine Stammvokalalternation auf (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 96). 135 zu aller frist ‚immer‘ 137 Salomon et Marcolfus, S. 24, Z. 17f.: deus ... repleuit me sapiencia: ‚Gott erfüllte mich mit Weisheit‘. Salomons Rede, die im Volksbuch auffallenderweise fehlt, und Markolfs Antwort (Z. 139) stammen nicht aus dem Streitgespräch, sondern aus einer späteren Passage des Dialogus. 139 Salomon et Marcolfus, S. 24, Z. 18f.; Salomon und Markolf, Z. 303; vgl. TPMA, weise, 9. 2. 141 Salomon et Marcolfus, 12a: Mulier pudica est multum amanda; Salomon und Markolf, Z. 75: Ein schemige fraw sol man lieb haben; vgl. TPMA, Frau, 3. 1. 3 und 7. 6. 3. 141 stet ‚züchtig, treu‘ 143 Salomon et Marcolfus, 16b: Scriptum est: Non est talis pellicia quales manice; sub albo peplo sepe latet tinea; Salomon und Markolf, Z. 84–86: Es ist geschriben das die ermel nit sein als der peltz vnter einem weyßen schleir sein verporgen die schaben, d.h. die ‚Motten‘; vgl. TPMA, Ärmel, 5.

103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II)

| 485

Salomon: 145

Fleuch ein kleffig weyb vnd spars! Marckolffus: Huͤ t deinr naßn vor eim beschissen ars! Salomon:

150

Gerechtigkeit der selten meht, Der alweg schandt vnd laster set. Marckolffus: Wer sprewer in sein acker streyt, Der schneyt gar selten gut getreyt. Salomon:

155

160

F 103I, 172–185

Ler, kunst vnd tugent zu aller stundt Gen auß des weysen mannes mundt. Wan wo krieg vnd zweyung wer, Das selbig, das furkumet er, Er wendt das poͤ ß vnd mert das guͤ t, Das kein vnweyser nit enthuͤ t.

145 Salomon et Marcolfus, 15a: Subtrahe pedem tuum a muliere litigiosa; Salomon und Markolf, Z. 81f.: Huͤ te dich vor einer cleffigen frawen; vgl. TPMA, Frau, 4. 1. 1. 2. 1. 145 ein weyb sparen ‚sich fernhalten, verzichten‘ 147 Salomon et Marcolfus, 15b; Salomon und Markolf, Z. 82f.; vgl. TPMA, Arsch, 1. 1. 3. 149–150 Salomon et Marcolfus, 17a: Qui seminat iniquitatem, metet mala; Salomon und Markolf, Z. 86f.: Wer seet die vngerechtigkeit der schneidet ab die poßheit; vgl. Spr 22, 8 und TPMA, säen, 2. 2. 2. 4. 149 meen (zu mhd mæjen): ‚mähen, ernten‘ 150 alweg ‚immer‘ 152–153 Salomon et Marcolfus, 17b: Qui seminat paleas, metet miseriam: ‚... erntet Elend‘; Salomon und Markolf, Z. 88: Wer seet dy spreuͤ eren der schneit ab poß getreid; vgl. TPMA, Stroh, 6. 5; der Reim von frnhd. strewen (mhd. ströuwen) auf getreyt (mhd. getreide) erklärt sich durch die Entrundung bei streyt, die auf bairischen oder schwäbischen Einfluss zurückgehen dürfte (vgl. Moser: FrnhdGr, § 65). „Die frnhd. Dichter ... reimen gerundete und ungerundete Vokale infolge des Zusammenfalls durchweg und weitgehend miteinander“ (vgl. Moser: FrnhdGr, § 65, Anm. 11). 152 sprewer ‚Spreu, Getreidehülsen‘ 155–160 Salomon et Marcolfus, 19a: Doctrina et sapiencia in ore sapientis debet consistere; Salomon und Markolf, Z. 91f.: Lere vnnd auch weyßheit sol sein in dem mund des weisen. 155 zu aller stundt ‚immer‘ 157 krieg ‚Streit‘ 157 zweyung ‚Zank‘ 158 furkumen (zu mhd. vürkomen): ‚zuvorkommen, verhindern‘

149 meht] mhet

486 | 103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II)

Marckolffus:

165

q 5r

Der esel entschuͤ ff nuͤ tzers nit, Dan das er alweg wer jm schnit: Dan wo er ist, do wechst es ser, Vnd wo er scheyst, do tungt ers mer, Wo er seýcht, do weycht er die knoln, Wo er sich weltzt, pricht er die schroln. Salomon:

F 103I, 106–115

Nymant geb jm selbst das lob! 170

Marckolffus: Schent ich mich selb, spricht man, ich tob. Salomon: Heymlicher schad ist pesser vil Dan offne schand, wers glauben wil.

175

Marckolffus: Ye lenger man den dreck verspert, Ye vester er her fur begert.

162–167 Salomon et Marcolfus, 19b: Asellus in messe semper debet esse. Vbi pascit, ibi renascit; ubi pascit unam plantam, quadraginta resurgunt; ubi cacat, ibi fimat; ubi mingit, ibi rigat; ubi se volutat, ibi frangit glebas: ‚...wo er weidet, dort wächst es wieder; wo er eine Pflanze frisst, gehen vierzig auf;...‘; Salomon und Markolf, Z. 93–96: Ein esel solt alweg in dem schnidt sein wann warvmb wo er ist do wechst es vnnd wo er auch scheist do tuͤ nget es vnd wo er saicht do wessert er. vnd wo er sich auch weltzet do zubricht er die schrollen da mit yn dem feld; vgl. TPMA, Esel, 4. 4. 163 Dan ‚Denn, Als‘ 163 schnit ‚Ernte‘, hier: ‚abgeerntetes Feld‘ 166 seýchen ‚pissen‘ 167 schrol: Maskuline Nebenform zu scholle (vgl. DWb 15, Sp. 1766–1768). 169 Salomon et Marcolfus, 20a: Laudet te alienus et non os tuum; Salomon und Markolf, Z. 97f.: Ein ander schol dich loben. vnd nicht dein eigner mundt; vgl. Spr 27, 2 und TPMA, Lob, 1.1 und 1. 3. 171 Salomon et Marcolfus, 20b: Si meipsum vitupero, nulli vmquam placebo; Salomon und Markolf, Z. 99f.: Ist das ich mich selber schend so gefal ich nyemant; vgl. TPMA, schelten, 2. 2 und 2. 3. 171 schenten ‚schlecht reden von, lästern über‘ 171 toben ‚nicht bei Verstand sein‘ 173–174 Salomon et Marcolfus, 27a; Salomon und Markolf, Z. 102, vgl. TPMA, Schaden, 5. 7. 174 wers glauben wil ‚sofern das jemand glauben will‘ 176–177 Von Folz eingefügt, weder im Dialogus noch im Volksbuch; vgl. TPMA, Dreck, 4. 1. 3. Die Thematik ist ausführlich behandelt bei Gerhardt: Diätetik, S. 60.

103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II)

| 487

Salomon:

180

Den menschen got allzeit hie libt, Der miltigklich durch in auß gibt. Marckolffus: Wer selbs sein messer lecken wil, Der gibt seim knecht hart, das er wil. Salomon:

185

q 5v

Vier zeyt des jars haben jrn lauff. Marckolffus: Vier stoln halten das scheyß hauß auff. Salomon: Zwelff graf schafft ein fursten thum sachen.

190

Marckolffus: Zwelff truͤ ck sollen ein furtz machen.

179–180 Salomon et Marcolfus, 29a: Hilarem datorem diligit deus; Salomon und Markolf, Z. 103f.: Den frolichen geber hat got lib; vgl. 2 Kor 9, 7 und TPMA, geben, 5. 2. 182–183 Salomon et Marcolfus, 29b: Parum dat seruienti qui cultellum suum lingit; Salomon und Markolf, Z. 104: Wer leckt sein messer gibt wenig dem knecht; vgl. TPMA, lecken, 2. 183 hart ‚kaum‘ 185 Salomon et Marcolfus, 38a: Quatuor ewangeliste sustinent mundum; Salomon und Markolf, Z. 111f.: Vier ewangelisten halten auf die welt; vgl. TPMA, vier, 10 und TPMA, Evangelist. 187 Salomon et Marcolfus, 38b: Quatuor subposte sustinent latrinam, ne cadat qui sedet super eam: ‚...damit derjenige, der darauf sitzt, nicht fällt‘; Salomon und Markolf, Z. 112: Vier seuͤ l halten auff das scheiß hauß; vgl. TPMA, Stock, 3. 1. 187 auffhalten (zu mhd. ûfhalten): ‚in die Höhe halten‘ 189–199 Für die vorliegende Stelle benutzte Folz offensichtlich das Volksbuch als Vorlage. Im Dialogus umfasst die Passage fünf Paare aus Rede und Gegenrede (Salomon et Marcolfus, 30a-34b). Das Volksbuch verkürzt auf drei Paare in der veränderten Reihenfolge 32a, 30b, 33a, 31b, 34a, 32b/34b, die letzte Rede wurde aus den zwei genannten Reden des Dialogus zusammengefügt (Salomon und Markolf, Z. 104–108). Folz behält diese Reihenfolge und die zusammengefügte Rede bei und ersetzt nur 31b (Z. 195) durch einen eigenen Vers, der in der Vorlage nicht enthalten ist. 189 Zwelff: Der Zahl Zwölf kommt in der Symbolik des Mittelalters vor allem als Zahl der Apostel (mhd. zwelfbote) besondere Bedeutung zu, außerdem besteht Bezug auf u.a. die zwölf Stämme Israels und die zwölf Monate des Jahres. Die Zwölf wird „in zahlreichen Zahlenangaben der Bibel als stellvertretendes Zeichen des Ganzen, der Gesamtheit verstanden“ (vgl. Zahlenbedeutungen, Sp. 628). In der vorliegenden Passage bilden jeweils zwölf Dinge eine Gesamtheit, die etwas Neues ergibt (Zahlenbedeutungen, Sp. 620–645; TPMA, zwölf, 1). 189 sachen ‚ausmachen, begründen‘ 191 Zwelff truͤ ck ‚zwölfmal drücken‘

488 | 103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II)

Salomon: Zwelff fursten thum machen ein kuͤ ngreich. Marckolffus: 195

Zwelff truͤ nck machen ein folligen seych. Salomon: Zwelff kuͤ ng reich machen ein keyserthum. Marckolffus: Zwelff dreck soln ein karn fuder thun.

200

Salomon: Wer stet, der luͤ g, das er nit fall! Marckolffus: Wer sich stoͤ st, der schaut den stein so pall. Salomon:

205

Laß dein gespoͤ t vnd listig klenck, So hoͤ rt auff der krieg vnd zu get das zenck!

195 folliger seych ‚satter Strahl‘ 199 karn fuder ‚Karrenladung‘ 201 Salomon et Marcolfus, 18a; Salomon und Markolf, Z. 89; vgl. 1 Kor 10, 12 und TPMA, stehen, 1. 1. 201 luͤ gen ‚schauen, achten‘ 203 Salomon et Marcolfus, 18b; Salomon und Markolf, Z. 89f.; vgl. TPMA, stoßen, 3. 203 so pall ‚sofort, sogleich‘ 205–206 Salomon et Marcolfus, 46a: Eice derisorem, et exibit cum eo iurgium cessabuntque cause et contumelie: ‚Wirf den Spötter hinaus und mit ihm wird der Streit hinausgehen und...‘; Salomon und Markolf, Z. 119f.: Laß von dein gespot so zuergeen die krieg vnd horen auff die sach vnd getzenck; vgl. Spr 22, 10 und TPMA, Spott, 4. 2. 205 klenck (zu mhd. klanc): ‚Ränke, Intrigen‘ 206 zugen (zu mhd. zergên): ‚vergehen, aufhören‘

103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II)

Marckolffus:

| 489

q 6r

Laß auß den mist vnd den gestanck, So zerget der dreck vnd hoͤ rt auf das zwanck! 210

Salomon:

F 103I, 120–123

Dem kleffyschen glaub nit seinr trew! Marcko〈l〉ffus: Wer sich vnter kley mischt, fressn die sew. Salomon: 215

Vil sind, die guͤ t wider uͤ bel thon. Marckolffus: Wer seim feint dient, der verlewrt den lon.

208–209 Salomon et Marcolfus, 46b: Eice inflacionem de uentre, et exibit cum ea merda cessabuntque torciones et iusse: ‚Wirf die Blähung des Bauches hinaus und mit ihr wird die Scheiße hinausgehen und die Schmerzen und die Fürze werden aufhören‘; Salomon und Markolf, Z. 120f.: Laß auß den windt so zugeth der dreck vnd hort auff der getzwanck; vgl. TPMA, Bauch, 2. 1. 2. 209 zwanck: ‚Stuhlzwang‘, Tenesmus ani, „Stuhldrang bei sehr geringer od. fehlender Entleerung“ (vgl. Pschyrembel, S. 1641), ausgelöst durch Entzündung oder Infektion (vgl. Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 863; Pschyrembel, S. 1641). 211 Salomon et Marcolfus, 47a: Cum homine litigioso ne habeas societatem; Salomon und Markolf, Z. 121f.: Mit den cleffischen hab kein gemeischaft; vgl. TPMA, Kampf, 3. 12. 211 kleffysch ‚schwatzhaft, geschwätzig‘ 211 trew ‚Wort, Versprechen‘ 213 Salomon et Marcolfus, 47b; Salomon und Markolf, Z. 122f.; vgl. TPMA, Kleie, 2. 215 Salomon et Marcolfus, 50a: Sunt nonnulli qui benefacientibus mala pro bonis reddunt et odio eos habent: ‚Es gibt einige, die ihren Wohltätern Gutes mit Schlechtem vergelten und Hass gegen sie hegen‘; Salomon und Markolf, Z. 123f.: Vil sein die gut wider vbel thun; vgl. TPMA, schlecht, 6. 11. 2. 2. 217 Salomon et Marcolfus, 50b: Qui alieno cani panem suum dederit, malam mercedem habebit; talem graciam habet qui dormientem suscitat: ‚Wer einem fremden Hund sein Brot gibt, wird schlechten Lohn bekommen; solchen Dank erhält derjenige, der einen Schlafenden weckt‘; Salomon und Markolf, Z. 124f.: Wer den fremden sein brot gibt der verleust sein lon; vgl. TPMA, Hund, 24. 1 und TPMA, Feind, 5. 3. 4.

212 Marckolffus] Marckoffus

490 | 103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II)

Salomon:

F 103I, 124–131

Recht freundt erkent man in der noth. 220

Marckolffus: Jr gen wol hundert auff ein loth. Salomon: Des kuͤ nigs red sey yederman gnuͤ g! Marckolffus:

225

Der mit fuchsn ackert, dem widerstet der pfluͤ g. Salomon: Der sein orn kert von den armen, Des wil sich got nit erbarmen. Marckolffus:

230

Das wayn vnd klagen ist fur nicht, Das form richter vnd hencker gschicht.

q 6v

219–221 Folz ersetzt Salomos Rede im mittellat. Originaltext (Non est amicus qui non durat in amicicia: ‚Derjenige ist kein Freund, der in der Freundschaft nicht beständig ist‘) und Markolfs skatologisch-sprichwörtliche Erwiderung (Salomon et Marcolfus, 51ab) bzw. deren Übersetzung im Volksbuch (Salomon und Markolf, Z. 125f.) durch ein seit dem 14. Jahrhundert in zahlreichen Varianten belegtes Sprichwort, in dem als Ausdruck der Geringschätzung auf das Gewicht eines Lots angespielt wird, d.h. die Freunde werden als zu leicht befunden. Die erste Hälfte des Sprichworts ist in zahlreichen Sprachen bezeugt und geht wahrscheinlich auf ein durch Cicero überliefertes Zitat von Quintus Ennius zurück: Amicus certus in re incerta cernitur: ‚Der wahre Freund wird in unsicherer Lage erkannt‘ (Cicero: Laelius, 17, 64). Außerdem besteht schon im Originaltext ein sinngemäßer Bezug zu Sir 6, 8, diese Bibelstelle wurde von Luther ebenfalls mit dem genannten Sprichwort glossiert (vgl. TPMA, Freund, 1. 4. 1 und 3. 3. 1). 223 Salomon et Marcolfus, 53a: Sermo regis debet esse inmutabilis; Salomon und Markolf, Z. 129f.: Des konigs rede sol nit wankel sein; vgl. TPMA, König, 3. 3. 5. 225 Salomon et Marcolfus, 53b: Cito retornat qui cum vulpe arat: ‚Rasch kehrt derjenige zurück, der...‘; Salomon und Markolf, Z. 130f.: Der widerstrebt dem pflug der mit einem fuchs ackert; vgl. TPMA, Fuchs, 10. Das pflügen mit Füchsen soll die Absurdität und Sinnlosigkeit einer Handlung zum Ausdruck bringen (Erasmus von Rotterdam: Opera 2, 1, Adagia, S. 362). 227–228 Salomon et Marcolfus, 57a: Qui auertit aurem suam a clamore pauperis, ipse clamabit et non exaudietur; Salomon und Markolf, Z. 133–135: Wer sein oren abkert von den armen der wirt schreyen und got wirt in nicht erhoren; vgl. Spr 21, 13 und TPMA, arm, 7. 1. 5. 230–231 Salomon et Marcolfus, 57b: Perdit suas lacrimas qui coram iudice plorat; Salomon und Markolf, Z. 135: Der verleust sein zeher der vor dem richter weint: ‚Derjenige verliert vergebens seine Tränen, der...‘; vgl. TPMA, weinen, 5. 1. 231 form ‚vor dem‘

103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II)

| 491

Salomon: Wer jm selbs ein poͤ ß wicht ist, Wem frumet der zu langer frist? 235

Marckolffus: Wer selber kaum hat zu leben, Was sol er dan eim andern geben? Salomon:

240

Armuͤ t verhel kein man zu lang, Das jm nit ergers darnach gang! Marckolffus: Ye lenger man den dreck verhellt, Ye mer er eim den pauch geschwellt. Salomon:

245

Ein zenckisch vnd ein kleffyg zung Jst wol zu meyden alt vnd jung. Marckolffus: Jm hauß schedlicher gschir zwey sint: Ein zornigs weyb, ein pfan, die rint.

233–234 Salomon et Marcolfus, 61a: Qui sibi nequam, cui bonus erit, ‚...wem wird er nutzen‘; Salomon und Markolf, Z. 139f.: Wer im selber ein schalk ist mit wem ist er mit frid; vgl. Sir 14, 5 und TPMA, gut, 3. 1. 236–237 Von Folz eingefügt, weder im Dialogus noch im Volksbuch; vgl. TPMA, geben, 12. 3 und TPMA, haben, 1. 1. 239–240 Salomon et Marcolfus, 59a: Mortem et paupertatem celare noli; Salomon und Markolf, Z. 137f.: Den dot vnd armut soltu nicht verheln; vgl. TPMA, arm, 8. 242–243 Salomon et Marcolfus, 59b: Qui celat hirniam, crescunt illi maiora; Salomon und Markolf, Z. 138f.: Wer den dreck verpirgt dem wechst er ye lenger ye grosser; vgl. TPMA, Bauch, 2. 1. 2 und TPMA, Dreck, 4. 1. 3. 245–246 Salomon et Marcolfus, 75a: Proiciendi sunt de consorcio bonorum litigiosi et garruli; Salomon und Markolf, Z. 145f.: Die krigischen vnd die clefischen sol man treiben auß der geselschafft; vgl. TPMA, Kampf, 3. 12. 248–249 Salomon et Marcolfus, 75b; Salomon und Markolf, Z. 146f.; vgl. TPMA, Frau, 3. 2. 7. 2. 2. 248 gschir: ‚Gefäß, Gerät‘; in Verbindung mit negativen Adjektiven bildlich für Frau gebraucht; auch ‚Geschlechtswerkzeug‘ (vgl. DWb 5, Sp. 3889, 3892).

492 | 103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II)

250

Salomon: Was jungk, schoͤ n vnd schimpflich ist, Das wirdt geliebet alle frist. Marckolffus:

255

q 7r

Ein verlewmte fraw, ein alter hundt Gen trawrig an jr rw all stundt. Salomon:

F 103I, 132–143

Eren dem poͤ sen nymer gelingt. Marckolffus: Ye mer man ruͤ rt den dreck, ýe mer er stingt. 260

Salomon: Ye mer der karg hat, ýe mer jm gewirt. Marckolffus: Es ist verlorn, der eim sweyn den ars smirt.

251–252 Von Folz eingefügt, weder im Dialogus noch im Volksbuch oder in F 103I; ersetzt Salomon et Marcolfus, 76a. 251 schimpflich ‚lustig, kurzweilig‘ 254–255 Salomon et Marcolfus, 76b: Vulua despecta et canis incenatus tristes vadunt pausare: ‚Eine verschmähte Scheide und ein hungriger Hund...‘; Salomon und Markolf, Z. 148f.: Ein alter hundt get traweriglich an sein rwe. An dieser im Volksbuch abgeänderten und entschärften Stelle bleibt die benutzte Vorlage unklar. Einerseits rückt die wörtliche Übernahme von ain alter hundt den Text in die Nähe des Volksbuchs, andererseits spricht ein verlewmte fraw dafür, dass Folz den Dialogus zumindest kannte, denn vulua despecta wird im Volksbuch überhaupt nicht wiedergegeben. Hierbei wäre allerdings wiederum fraglich, wieso Folz die Formulierung des lateinischen Originals geändert haben könnte, da sie doch dem Ton der Fastnachtspiele angemessen gewesen wäre. 255 an jr rw ‚zur Ruhe‘ 257 Seltene Konstruktion von gelingen mit Gen. (vgl. DWb 5, Sp. 3034): ‚Ansehen erlangt der Schlechte nie‘; von Folz eingefügt, weder im Dialogus noch im Volksbuch, in F 103I anders lautend; ersetzt Salomon et Marcolfus, 77a; vgl. Catholy: Fastnachtspiel des Spätmittelalters, S. 79. 259 Salomon et Marcolfus, 77b; Salomon und Markolf, Z. 150f.; vgl. TPMA, Dreck, 2. 2. 2. 1; Röhrich: Redensarten, S. 333f.). 261 Von Folz eingefügt, weder im Dialogus noch im Volksbuch; entweder gewirt (zu mhd. gewerren): ‚stören, verdrießen‘, dann entsprechend TPMA, Geiz, 5. 6. 3, oder (zu mhd. gewerden): ‚bekommen‘ (vgl. Wuttke: Fastnachtspiele, S. 63), in diesem Fall Anlehnung an Mt 13, 12 bzw. 25, 29, Mk 4, 25 und Lk 8, 18 bzw. Lk 19, 26; wohl eher Ersteres, da sonst Abwandlung des Bibelzitats durch Salomon, zumal die unpersönliche Konstruktion mit gewerren im Frnhd. sehr häufig auftritt. 261 karg ‚geizig‘ 263 Salomon et Marcolfus, 78b: Perdit suas penas qui crasso porcello culum saginat; Salomon und Markolf, Z. 152f.: Der verleust sein arbeit der einem feißten swein sein arß schmirt: ‚Derjenige, der einem feisten Schwein den Hintern mästet, verschwendet seine Mühe‘; vgl. TPMA, Schwein, 20. 1. Das Sprichwort ist durch die Auslassung des Sinn gebenden feist unvollständig (vgl. dagegen F 103I, Z. 139; Röhrich: Redensarten, S. 1283).

103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II)

| 493

Salomon: 265

Dein lieb vmb gots wiln yederman gib! Marckolffus: Lieb ich, der mich nit liebt, verleuͤ r ich mein lieb. Salomon: Der zornig lest sich pald erfern.

270

Marckolffus: Ein loͤ cherter ars hat kein hern. Salomon: Reichtum stet wol bey gesundtem leyb. Marckolffus:

275

Jß, was du hast, sich, was dir uͤ ber bleyb!

265 Salomon et Marcolfus, 79a; Salomon und Markolf, Z. 153f.; vgl. TPMA, Liebe, 3. 4. 1. 267 Salomon et Marcolfus, 79b; Salomon und Markolf, Z. 154f.; vgl. TPMA, Liebe, 6. 2. 269 Salomon et Marcolfus, 82a: Crapulatus a vino non seruat tempus in eloquio: ‚Der vom Wein Berauschte hält sich in der Rede nicht zurück‘; Salomon und Markolf, Z. 160f.: Der ist einß zornigen gemutz der kein maß hat in der rede; vgl. TPMA, Zorn, 1. 5. 1 und 1. 8. 1. 269 erfern (zu mhd. erværen): ‚in Gefahr bringen‘ 271 Salomon et Marcolfus, 82b: Culus perforatus non habet dominum; Salomon und Markolf, Z. 162: Ein locherichter arß der hat kein horn; vgl. TPMA, Arsch, 3. 5. Die vorliegende Stelle weist im Vergleich zu F 103I, Z. 143 (herren) einen [Druck-]Fehler auf, der wohl auf einen typischen Lesefehler – die Verwechslung von h und st – zurückzuführen ist. Folzens ursprünglicher Text X (vgl. Biehl: Narrenfigur, S. 11–14) enthielt vermutlich eine korrekte Übersetzung des lat. Originals. Folz benutzte also entweder den Dialogus als Vorlage oder kannte ihn zumindest, sodass er den Fehler des Volksbuchs (horn) korrigieren konnte. 273 Von Folz eingefügt, weder im Dialogus noch im Volksbuch oder in F 103I; ersetzt Salomon et Marcolfus, 83a. 275 Salomon et Marcolfus, 83b; Salomon und Markolf, Z. 164f.; vgl. TPMA, essen, 7. 6. 275 sich: Imp. zu sehen; vgl. Z. 580

271 hern] stern

494 | 103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II)

Salomon:

q 7v

So wir genuͤ g gessen haben, Sol wir die armen auch begaben. Marckolffus: 280

Die droschel singt vnd schreyt der heer, Sie singen vngleich, der foll vnd leer. Salomon: Hewt essen vnd trincken, morn sterben. Marckolffus:

285

Der foll muͤ ß mit dem lern verderben. Salomon:

F 103I, 144–147

Wer kranck ist, kans nit wol verheln. Marckolffus: Ein scheyssender hundt kan nit peln.

277–278 Salomon et Marcolfus, 93a: Sacietate repleti sumus; referamus deo gracias!; Salomon und Markolf, Z. 174f.: So wir sat sein so sullen wir got danck sagen; vgl. TPMA, arm, 7. 1. 1. 280–281 Salomon et Marcolfus, 93b: Iubilat merulus, respondit ei cuculus; non equaliter cantant saturatus et ieiunus; Salomon und Markolf, Z. 175–177: Dy troschel singet der heher antwort ir der volle vnd der hungerige singen gar vngeleich mit einander; vgl. TPMA, singen, 1. 2. Bereits in einigen Drucken der mlat. Textfassung ist der Kuckuck (cuculus) durch den Häher (graculus) ersetzt. Auch das Volksbuch übernimmt diese Version, was wohl auch eine Anspielung darauf ist, dass der Häher den Fabelnamen Markolf trägt (vgl. DWb 10, Sp. 158). 280 droschel ‚Drossel‘ 280 heer ‚Häher‘ 281 foll ‚satt‘ 283 Salomon et Marcolfus, 94a; Salomon und Markolf, Z. 177f.; vgl. 1 Kor 15, 32 bzw. Jes 22, 13 und TPMA, morgen, 1. 2. 1. 283 morn: Kontraktion von morgen. 285 Salomon et Marcolfus, 94b; Salomon und Markolf, Z. 178f.; vgl. TPMA, morgen, 1. 2. 1. 285 verderben ‚zu Grunde gehen‘ 287 Salomon et Marcolfus, 95a: Quando homo harpat, non potest parabolisare: ‚...Harfe spielt...‘; Salomon und Markolf, Z. 179f.: Wenn der mensch ist so mag er nit wol gereden. Das schon im Volksbuch defekte Sprichwort wurde von Folz schließlich durch ein vollkommen anderes ersetzt. Zu Folzens Sprichwort vgl. TPMA, krank, 3. 1. 289 Salomon et Marcolfus, 95b; Salomon und Markolf, Z. 180f.; vgl. TPMA, Hund, 9. 4.

103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II)

290

| 495

Salomon: Wer einem wolff entweicht, Dem begeget ein lew villeicht. Marckolffus:

295

Von einem poͤ sen zu dem andern Jst vom loch an galgen wandern. Salomon: Nymant kan alle ding gehan. Marckolffus: Der kein pferd hat, muͤ ß zu fueß gan.

300

Salomon:

q 8r

F 103I, 148–157

Wer hat, dem gibt man ymer an. Marckolffus: We jm, der ein prot hat vnd kein zan! Salomon: 305

We jm, der vil anschleg hat Vnd keinem eygentlich nach gat!

291–292 Salomon et Marcolfus, 104a; Salomon und Markolf, Z. 183f.; vgl. TPMA, Wolf, 18. 294–295 Salomon et Marcolfus, 104b: De malo in malum, de coco ad pistorem; Salomon und Markolf, Z. 184f.: Von einem poßen zu dem andern von dem koch zu dem pecken: ‚Bäcker‘; vgl. TPMA, schlecht, 1. 2. 2; Bedeutung: ‚vom Regen in die Traufe‘. 294 poͤ se ‚schlecht‘ 295 loch: Insbesondere in Nürnberg für ‚Lochgefängnis‘ (vgl. DWb 12, Sp. 1094); verliesartige Anlage unter dem Nürnberger Rathaus, die als Untersuchungsgefängnis diente und die Folterkammer des im Rathaus untergebrachten Stadtgerichts beherbergte (vgl. Stadtlexikon, S. 635–638). 297 Salomon et Marcolfus, 106a: Non omnes omnia possunt: ‚Nicht alle können alles‘; Salomon und Markolf, Z. 189f.: Kein man der alle ding vermag; vgl. TPMA, können, 2. 299 Salomon et Marcolfus, 106b; Salomon und Markolf, Z. 190f.; vgl. TPMA, Fuß, 1. 2. 2. 301 Salomon et Marcolfus, 111a; Salomon und Markolf, Z. 199f.; vgl. TPMA, haben, 1. 2 sowie die dort angegebenen Bibelstellen. 301 an geben ‚Geld [an-]zahlen‘ 303 Salomon et Marcolfus, 111b; Salomon und Markolf, Z. 200.; vgl. TPMA, Zahn, 1. 1. 305–306 Salomon et Marcolfus, 113a: Ve viro duplici corde et duabus vijs incedenti!: ‚Wehe dem Mann mit zweigeteiltem Herzen und der zwei Wege geht‘; Salomon und Markolf, Z. 205: Wee dem der mangerlei gesind hat: ‚...Ansinnen hat‘ (gesind entstellt aus mhd. gesin); vgl. Sir 2, 14 und TPMA, Weg, 18. 5. 305 anschlag ‚Plan, Absicht‘

496 | 103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II)

Marckolffus: Wer zwen weg sich zu gen wil fleyssen, Muͤ ß die pruch vnd den ars zu  reyssen. 310

Salomon: Auß einem weysen hertzen redt der mundt! Marckolffus: Auß eim foln pauch kret der ars zu stundt. Salomon:

315

Huͤ t sich einer, die weyl er leb, Das er seim freundt kein schnoͤ de gab geb. Marckolffus: Ob ich eim vngern geben hab, Verlewr ich den freundt mit der gab.

320

Salomon:

F 103I, 158–163

Wer moͤ cht hie groͤ sser ere han, Dan dem all ding wern vnther than.

q 8v

Marckolffus:

325

Der hundt wirdt kaum halb gewert, Des er mit dem schwantz begert.

308–309 Salomon et Marcolfus, 113b; Salomon und Markolf, Z. 206f.; vgl. TPMA, Weg, 18. 5. 309–311 Die Passage Salomon et Marcolfus, 114a-115b wird im Volksbuch ebenfalls ausgelassen (Salomon und Markolf, Z. 206f.), was für dieses als Folzens Vorlage spricht. 309 pruch ‚Unterhose‘ 309 zu  reyssen ‚zerreißen‘ 311 Salomon et Marcolfus, 116a: Ex habundancia cordis os loquitur; Salomon und Markolf, Z. 207f.: Auß einem vollen hertzen redt der mundt; vgl. Mt 12, 34 bzw. Lk 6, 45 und TPMA, Herz, 3. 2. 313 Salomon et Marcolfus, 116b; Salomon und Markolf, Z. 208f.; vgl. TPMA, Arsch, 4. 1. 313 kren ‚krähen‘ 315–316 Salomon et Marcolfus, 121a; Salomon und Markolf, Z. 214; vgl. TPMA, geben, 6. 5. 318–319 Salomon et Marcolfus, 121b; Salomon und Markolf, Z. 215f.; vgl. TPMA, geben, 5. 3. 321–322 Salomon et Marcolfus, 122a: Sufficeret michi temporaneus honor, si tantummodo deus vniuersum orbem terrarum mee dicioni subiugasset: ‚Mir würde zeitliche Ehre genügen, wenn mir nur Gott den ganzen Erdkreis unterworfen hätte‘; Salomon und Markolf, Z. 216f.: Ich het eren genug het mir newer got alle ding vntertenig gemacht. 324–325 Salomon et Marcolfus, 122b; Salomon und Markolf, Z. 218f.; vgl. TPMA, Hund, 39. 12. 325–327 Die Passage Salomon et Marcolfus, 123a-125b wird im Volksbuch ebenfalls ausgelassen (Salomon und Markolf, Z. 218f.), was für dieses als Folzens Vorlage spricht.

103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II)

| 497

Salomon: Der thor kan nit von weyß heit sagen. Marckolffus: Dem hundt zympt kein satel zu tragen. 330

Salomon:

F 103I, 164–171

Wan es sich wolcket, so wil es regen. Marckolffus: Der pucklet hundt wil scheysse〈n〉s pflegen. Salomon: 335

Ein schwert stets bey meim haupt steckt. Marckolffus: Vnd bey meym zaun ein grosser dreck! Salomon:

340

Ye hoͤ her einer gewydmet ist, Ye demuͤ ttiger sey er zu aller frist.

327 Salomon et Marcolfus, 126a: Non decent stulto composita verba; Salomon und Markolf, Z. 219f.: Dem toren zimpet nit weise rede, ‚...ziemt...‘; vgl. Spr 17, 7 und TPMA, Wort, 16. 11. 329–331 Die Passage Salomon et Marcolfus, 127ab wird im Volksbuch ebenfalls ausgelassen (Salomon und Markolf, Z. 220f.), was für dieses als Folzens Vorlage spricht. 329 Salomon et Marcolfus, 126b; Salomon und Markolf, Z. 220; vgl. TPMA, Hund, 3. 6. 331 Salomon et Marcolfus, 128a; Salomon und Markolf, Z. 221; vgl. TPMA, Wolke, 1. 331 sich wolcken refl. ‚sich mit Wolken überziehen‘ 333 Salomon et Marcolfus, 128b; Salomon und Markolf, Z. 222; vgl. TPMA, Hund, 9. 3. 333 pucklet ‚bucklig, gekrümmt‘ 335 Salomon et Marcolfus, 132a: Bene decet gladius honestus iuxta latus meum; Salomon und Markolf, Z. 226f.: Ein schwert zieret wol pey meinem pett oder haubt; vgl. TPMA, König, 11. Die Übernahme der freien Übersetzung von iuxta latus meum: ‚an meiner Seite‘ des Volksbuchs durch Folz spricht für dieses als seine Vorlage. 337 Salomon et Marcolfus, 132b: Bene decet strontus iuxta sepem meam; Salomon und Markolf, Z. 227f.: Ein großer dreck zieret wol pey meinem zaun; vgl. TPMA, Dreck, 3. 3. 3. 337 dreck ‚Kot-, Mist[-haufen]‘ 339–340 Salomon et Marcolfus, 133a; Salomon und Markolf, Z. 228f.; vgl. Sir 3, 20 und TPMA, Demut, 4. 339 gewydmet sein ‚[zu etw.] bestimmt sein‘

333 scheyssens] scheysses

498 | 103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II)

Marckolffus: Der reyt gar fast wol in die weyt, Der alweg mit seim gleichen reyt. Salomon: 345

Der mensch gar vil sicherer get, Der alweg in besorgnuß stet.

q 9r

Marckolffus: Der schreyt aber ye vil zu spat, Den yetz der wolff erwuͤ rget hat. 350

Salomon: Ein weyser sun sein vater freyt, Ein thor sein muͤ ter trawrn an leyt. Marckolffus:

355

Der trawrig vnd der frewdenreich Singen mit ein ander vngleich. Salomon: Thuͤ all zeyt dem gerechten wol, Das wirdt vergolten, als es sol!

342–343 Salomon et Marcolfus, 133b: Bene equitat qui cum paribus equitat; Salomon und Markolf, Z. 230: Der reitet wol der mit seinem geleichen reitet; vgl. TPMA, reiten, 6. 342 fast wol ‚recht gut‘; vgl. Z. 431, 541 342 weyt ‚Weite, Ferne‘ 345–346 Salomon et Marcolfus, 134a: Beatus homo qui semper est pauidus; Salomon und Markolf, Z. 231f.: Ein frolicher mensch der alle zeit forchtsam ist; vgl. Spr 28, 14 und TPMA, Furcht, 1. 2. 1. 1. 348–349 Salomon et Marcolfus, 134b: Tarde clamat quem lupus strangulat: ‚Spät schreit derjenige, den der Wolf würgt‘; Salomon und Markolf, Z. 232f.: Der schreyet zu langksam den der wolff erwuͤ rgt; vgl. TPMA, Wolf, 37. 348 ye ‚stets, jedes Mal‘ 349–351 Das Spruchpaar Salomon et Marcolfus, 135ab wird im Volksbuch ebenfalls ausgelassen (Salomon und Markolf, Z. 233), was für dieses als Folzens Vorlage spricht. 351–352 Salomon et Marcolfus, 136a; Salomon und Markolf, Z. 233–235; vgl. Spr 10, 1 und TPMA, Kind, 2. 5. 1. 351 freyen ‚erfreuen‘ 352 an leyt: Kontraktion von an legen ‚zufügen‘. 354–355 Salomon et Marcolfus, 136b; Salomon und Markolf, Z. 235f.; vgl. TPMA, singen, 1. 3. 355–357 Das Spruchpaar Salomon et Marcolfus, 137ab wird im Volksbuch ebenfalls ausgelassen (Salomon und Markolf, Z. 236), was für dieses als Folzens Vorlage spricht. 357–360 Salomon et Marcolfus, 138a; Salomon und Markolf, Z. 236–238; vgl. Sir 12, 2.

103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II)

360

| 499

Ob es der selbig nit enhot, So wirdt dir doch der lon von got. Marckolffus:

365

Thuͤ wol dem pauch alle zil, So gewinestu auß werffung vil! Ob es nit von dem mund geschicht, So feyert doch das arsloch nicht. Der narr:

370

Ein dreck jns maul vnd sich nit vmb, Piß einer mit eym groͤ ssern kum, Der zwelff pfundt on die supen hab. Awe, des magst lachen, knab! Salomon:

q 9v

F 103I, 186–189

Ich schweyg zu kriegen mer mit dir. Marckolffus: So gib dich uͤ ber wunden mir! 375

Salomon: Marckolf, sag mir, wo mag der vater dein, Dein muͤ ter, schwester vnd bruͤ der sein? Marckolffus:

380

Mein vatter thuͤ t jm feld vmb gen Vnd macht auß einem schaden zwen. Mein muͤ ter thuͤ t einer frawen ein guͤ t,

359 nit enhot: ‚nicht hat‘; der Negationspartikel en- steht im Frnhd. noch häufig vor Modalverben (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 230). 362–365 Salomon et Marcolfus, 138b; Salomon und Markolf, Z. 238–240; vgl. TPMA, Arsch, 4. 1. 362 alle zil ‚zu jeder Zeit, immer‘ 365 feyern ‚müßiggehen‘ 367 sich nit vmb ‚sieh nicht hinter dich; kümmere dich nicht darum‘ 369 supe ‚Jauche, Gülle‘ 372 Salomon et Marcolfus, 142a: Non possum amplius loqui: ‚Ich kann nicht noch mehr reden‘; Salomon und Markolf, Z. 242: Ich mag nymmer. 374 Salomon et Marcolfus, 142b: Si non potes, humiliter confitere te uictum et da quod promisisti!: ‚Wenn du nicht kannst, gestehe unterwürfig ein, dass du besiegt bist,...‘; Salomon und Markolf, Z. 242f.: So gibe dich vberwunden vnd gib mir das du mir versprochen hast. 376–402 Salomon et Marcolfus, S. 23, Z. 11-S. 24, Z. 5; Salomon und Markolf, Z. 276–292.

500 | 103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II)

385

Das sie meinr muͤ ter nymer thuͤ t. Mein bruͤ der sucht auff klein gewin, Wan was er vindt, das wuͤ rfft er hin. So hat mein schwester sich besacht Vnd waint hewer, des sie fert lacht. Salomon: Dein red ich nit versten enmag, Du legst mir es dan recht an tag.

390

395

400

Marckolffus: Mein vatter, der vermacht ein weg, Darnach get oben vmb ein steg, Vnd macht auß einem schaden zwen. Von meiner muͤ ter woͤ lst versten? Sich, die thuͤ t gar mit guͤ ter ruͤ Eym todten weyb die augen zu. Mein pruͤ der sitzt beym hauß gesmogen Vnd hat die kleýder ab gezogen Vnd wuͤ rfft die weyl hin, was er vindt. Eins andern mein schwester begindt, Der was ferdt mit einr puͤ brey wol, Jst hewr ein gantze wiegen vol.

q 10r

383 gewin ‚Ertrag, Beute‘ 384 wuͤ rfft hin: Die sinnentstellende fehlerhafte Übersetzung für lat. occidit (Salomon et Marcolfus, S. 23, Z. 16) deutet auf den Dialogus als Vorlage für diese Passage hin, da das Volksbuch hier korrekt dot: ‚tötet‘ setzt (Salomon und Markolf, Z. 281), ebenso Z. 399. 385 besachen ‚versorgen‘ 386 hewer ‚in diesem Jahr‘ 386 fert ‚im vorigen Jahr‘ 389 an tag legen ‚erläutern‘ 391–393 Die kryptische Formulierung dieser Passage deutet darauf hin, dass der Verfasser den Dialogus (Salomon et Marcolfus, S. 23, Z. 18–21) als Vorlage benutzte und Verständnisschwierigkeiten mit dem lat. Text hatte, denn das Volksbuch übersetzt ausführlich und korrekt: Mein vater ist auff dem veld vnd vermacht den weck durch das koren mit dornen wann dann die leuͤ t kumen so machen sy ein anderen weck durch das koren. So hat er dann zwen schaden gemacht (Salomon und Markolf, Z. 283–286). 391 vermachen ‚versperren, verzäunen‘ 392 oben vmb ‚oberhalb davon, oben herum‘ 392 steg ‚Fußweg, Trampelpfad‘ 397 beym hauß gesmogen ‚ans Haus gelehnt‘ 398 abgezogen ‚ausgezogen‘ 399 Im Dialogus und im Volksbuch wird das Objekt der Suche genannt, das hier ausgelassen wurde: pediculos (Salomon et Marcolfus, S. 24, Z. 2) bzw. lewß (Salomon und Markolf, Z. 289). 400 beginnen ‚tun, treiben‘ 401 puͤ brey ‚Schandtat; Hurerei‘

103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II)

| 501

Der narr:

405

Gickes geckes ofenloch, Scheystu vil, so fristus doch. Jch weyß ein pawrn dreck oder drey, Do sind vil fayster griebe bey. Hie kumen zwo frawen fur den kuͤ nig vnd begern ein vrtheyl. Die erst spricht:

410

Hoͤ r, kuͤ nig, vnd gib vns vrtheyl drumb: Diß weýb pracht heint jr kindlein vmb Vnd legt das an mein peth verholn, Hat mir mein lebents kindt gestoln, Wan in einr kamern ist vnser ruͤ .

415

Salomon: Hoͤ rt, frewlein, was redt jr dar zu?

F 103I, 190–221

q 10v

Antwort das ander weyb: Herr kuͤ nig, sie leuͤ gt: mein kindt, das lebt! Darumb jr mir das nit vergebt! 420

Salomon: Es sol getheylt wern mit dem schwerdt, Auff das es yeder halbes werdt.

404 Gickes geckes: Lautmalende Umschreibung für Gänsegeschrei, in übertragener Bedeutung auch für eine sich durch Dummheit oder Unerfahrenheit auszeichnende Handlung gebraucht (vgl. Röhrich: Redensarten, S. 548). 407 griebe ‚ausgelassener Speckwürfel‘ 408–438 Salomon et Marcolfus, S. 33, Z. 16-S. 34, Z. 7; Salomon und Markolf, Z. 468–480. 408 fur ‚vor‘ 411 heint ‚letzte Nacht‘ 419 vergeben ‚weggeben‘

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502 | 103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II)

Die erst fraw:

425

Kuͤ nig, gib jr es also lebendt hin! Meins theyls ich gern geraten bin, Vnd solt ichs sehen nymer mer, Kuͤ ng, toͤ dt sein nicht durch all dein er! Das ander weyb:

430

Mit nicht, kuͤ ng, halt dein vrtheyl stet, Wie du erstlich verkuͤ nden thet. Acht nit, wie fast sie klag vnd wein! Salomon: Gebt es der ersten dar allein, Wan sie die war recht muͤ ter ist.

435

Die erst fraw: O kuͤ nig, zu loben du des pist! Man heýst dich wol gerecht vnd weyß Vnd wirst des ewig haben preyß. Der narr:

440

Zwar, kuͤ nig, hestu das kind erstochen, Jch wolt dir freylich han zu gesprochen, So dus nit weýten hest bedacht: Du haß lecht hinden nach selbs gmacht, Du pist mit frawen wol so gogel!

q 11r

425 ich gern geraten bin: ‚verzichte ich gern‘; das Part. Prät. zu geraten wird im Frnhd. häufig als Partizipialadjektiv gebraucht (vgl. DWb 5, Sp. 3576f.), jedoch wird auch das Perfekt meist mit sein als Hilfsverb gebildet (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 162), aufgrund der präsentischen Bedeutung erscheint Ersteres hier wahrscheinlicher. 427 durch all dein er ‚bei all deiner Ehre‘ 442 weýten ‚lange, gründlich‘ 443 ‚Du hast es [das Kind] vielleicht am Ende selbst gemacht,‘ 444 Der Narr spielt darauf an, dass Salomon einer der Minnesklaven ist, berühmte Weibernarren der Antike und des Alten Testaments, die durch ihre Liebestollheit zu Fall kamen. Der Topos verfügte im Mittelalter über eine breite Tradition in Literatur und bildender Kunst, z.B. bietet F 92, Z. 161–164 eine Aufzählung der Minnesklaven, in der auch Salomon nicht fehlt; vgl. Maurer: Topos. 444 gogel ‚liebestoll‘

103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II)

445

Mit dem zeygt der narr auff die ander frawen vnd spricht:

450

Zwar, du schewtzlicher schandt vogel, Solt ich dir eins die finger klemen, Du wuͤ rst der warheit selber remen, Wer an dem todten kindt schuld het. Wie weyst du so gar nit, wies zu get?

| 503

F 100, 106f.

Marckolffus schlefft vnd der kuͤ nig spricht:

F 103I, 222–256

Marckolffus, wie henckstu den kopff also? Marckolffus:

455

Jch schlaff nit, sunder ich denck darn[h]o, Wie keinem weyb zu glauben sey. Salomon: Es sey dan, das du es pringest bey, So sol man dir dein recht drum thun. Marckolffus spricht zu seiner swester:

460

465

Mein Fudasa, merck eben nun: Dem kuͤ nig gefelt nit, was ich thu, Vnd wolst du still schweygen dar zu, So wolt ich jm sein halß ab stechen, Ob ich mich an jm moͤ cht gerechen, Das messer ich dar zu verschlag. Schweyg still, das newr nit kum an tag!

q 11v

446 schandt vogel ‚Schnepfe, Lästermaul‘ 447–448 Das Anlegen der Daumenschrauben bildete in der Frühen Neuzeit den ersten Teil der üblichen gerichtlichen Folterprozedur, durch die ein Geständnis erzielt werden sollte (vgl. Helbing: Tortur, S. 190f.). 448 der warheit remen (zu mhd. ræmen): ‚nach der Wahrheit streben‘ 451–458 Salomon et Marcolfus, S. 27, Z. 1–5; Salomon und Markolf, Z. 348–352. 452 also ‚so‘ 454 ich denck darno ‚ich denke darüber nach‘ 457 bey pringen ‚beweisen‘ 459–469 Salomon et Marcolfus, S. 27, Z. 13–22; Salomon und Markolf, Z. 359–368. 465 verschlagen ‚verbergen‘ 466 newr ‚nur‘

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454 darno] darnho

459 Durch

504 | 103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II)

Fudasa spricht: Se hin, mein trew vnd mein eydt! Von mir wirdt nymant nicht geseýdt. 470

Marckolffus:

475

Hie bin ich vnd die schwester mein, Die ist vnendlich vnd wil doch ye Gleich erb theyl mit mir haben hie, Die pillich ab geschyden ist Vmb jr poͤ ß vnd verlewmet list. Der narr:

480

485

Schaw mir an, kuͤ ng, den Eysen grein! Was tewfels jm wilden groͤ rich sein, Wardt keiner so scheuͤ tzlich nýe gethan. Kleýdt man den wildsten pern an, Er het ein menschlicher gestalt Dan die schuͤ tzlich preckin, die alt.

F 88, 598

Fudasa spricht:

F 103I, 263–274

Marckolffus, ich wil dir nit vil fluͤ chen. Dan, kunig, laß bey dem schalck suchen, Der hewt ein ploß messer verstieß, Dar mit er bey sein eyd gehieß, Dich zu ertoͤ dten mit gefer!

q 12r

468 mein trew vnd mein eydt ‚[auf] meinen Schwur und meinen Eid, auf mein Wort‘ 471–475 Salomon et Marcolfus, S. 28, Z. 22-S. 29, Z. 2; S. 29, Z. 11–15; Salomon und Markolf, Z. 390–392; Z. 398–401. 472 vnendlich ‚nichtsnutzig, ehrlos, liederlich‘ 474 pillich ‚verdientermaßen, rechtmäßig‘ 474 ab scheyden ‚vermögensrechtlich abfinden; enterben‘ 475 list ‚Arglist‘ 477 Eysen grein: Îsengrîn, der mhd. Fabelname des Wolfs, tritt in der frnhd. Literatur auch als Personenname auf, insbesondere für Bauern. Hier bezieht er sich wohl auf das wölfische, d.h. wilde, Aussehen Markolfs (vgl. Arndt: Personennamen, S. 42, 47). 478–479 ‚Was an Teufeln in der Hölle sitzt, Davon sieht keiner so scheußlich aus.‘ 478 groͤ rich: Kollektivum zu roͤ rich (zu mhd. rôrach): ‚Schilf‘ (vgl. BWb 2, Sp. 134), mehrfach in Fastnachtspielen als Sitz des Teufels genannt (KF 111, Z. 1ff.; vgl. Ayrer: Dramen 4, S. 2696). 480 per ‚Bär‘ 482 die schuͤ tzlich preckin: Gemeint ist Markolf, vgl. Z. 20. 484–493 Salomon et Marcolfus, S. 30, Z. 6–10; Salomon und Markolf, Z. 410–414. 486 ploß ‚blank‘ 486 verstoßen ‚verbergen‘ 488 mit gefer ‚mit böser Absicht‘

471 Fehlender Reim auf Z. 471 lässt Versausfall vermuten, semantisch ist dieser nicht zwingend.

103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II)

| 505

Ein ritter spricht: 490

Marckolffus, gib pald das messer her! Marckolffus gibt das messer dar vnd spricht:

495

Sagt ich dir nit, kuͤ nig, vor von frawen, Das jr keiner sey zu getrawen? Darumb so wundert mich gar fast, War bey du vor erkennet hast, Welcher frawen das kindlein wer.

F 103I, 284–307

Salomon:

500

Das offenba〈r〉ten mir jr trer, Die mich betriegen mochten nicht, Vnd wandlung an jrm an gesicht. Marckolffus:

505

Kuͤ nig, wer der frawen zeher gelaubt, Der selbig wirdt gar offt getaubt. Sie weinen mit augen vnd mit mundt Vnd lachen in jrs hertzen grundt. Die frawen haben list an zil. Salomon:

510

Ja, doch nit mer dan also vil, Als sie her wider fruͤ mkeit haben: Ein weyb thut mans gemuͤ dt laben, Vnd sind in rechten trewen bieglich.

q 12v

Marckolffus: Ja, du sprichst halt wol betrieglich.

494–513 Salomon et Marcolfus, S. 34, Z. 9–22; Salomon und Markolf, Z. 480–492. 498 trer (zu mhd. traher): ‚Träne‘ 502 zeher ‚Tränen‘ 503 tauben ‚betäuben, täuschen‘ 506 an zil ‚ohne Ende, unaufhörlich‘ 509 fruͤ mkeit ‚Tugend‘ 511 ‚Und [sie] sind in wahrem Vertrauen anschmiegsam.‘

491 Durch vorangestelltes Paragraphenzeichen markiert 498 offenbarten] offenbaten

506 | 103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II)

Der narr: 515

Ey, hab dir den ritten, als groben knoln! Hat dir der tewfel die ding befoln, Das du dem kuͤ nig als wider speyst? Der dich, des tewfels nam, auß hin weyst, So liest vns doch hinnen vngeheyt.

520

Salomon:

525

530

Ich sprich: wer auß eim haß vnd neydt Die frawen also schent all frist, Das der keinr frawen wirdig ist. Was macht golt, silber, edelgestein, Wern vns die frawen nit gemein? Er ist wol halb erschlagen vnd todt, Der nit zu frawen lieb vnd gunst hot. Ein fraw ein hauß regiren kan Vnd ist sorgfeltig vmb jrn man, Sie gepirdt jm kind vnd neret die, Ein hertz vnd trost des mans ist sie, Ein zier dem tag, ein lust der nacht. Marckolffus:

535

540

F 103I, 308–332

q 13r

Ja, kuͤ ng, ich hab mirs wol gedacht: Dein adel, schoͤ n, reichtum, weyßheit Sten wol bey weybes froͤ ligkeit. Es zympt nit, auß zu speyen drat, Das man gern lang jm mund hat. Dan eins sag ich dir dar peý hie: So ser du yetz undt lobest sie, Als fast wirst du sie heint noch schenden.

515 ‚He, dich soll der Schlag treffen, [du] flegelhafter Bauerntrampel!‘ 515 rit: Wörtl. ‚Fieber, Schüttelfrost‘, unspezifische Bezeichnung für diverse mit diesen Symptomen einhergehende Erkrankungen (vgl. Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 513f.), hier als Verwünschung zu verstehen; vgl. Z. 618, 692. 517 als ‚also; derartig‘ 517 wider speyen ‚dumm widersprechen‘ 518 auß hin ‚hinaus‘ 519 ‚Dann würdest du uns hier drinnen in Ruhe lassen.‘ 521–543 Salomon et Marcolfus, S. 35, Z. 9-S. 36, Z. 11; Salomon und Markolf, Z. 503–523. 522 schenden ‚lästern über‘ 522 all frist ‚alle Zeit‘ 524 machen ‚bewirken‘ 525 gemein ‚vertraut, innig zugetan‘ 535 schoͤ n ‚Schönheit‘ 537 drat ‚rasch‘

103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II)

| 507

Salomon: Ge, das der tewfel dich muͤ ß pfenden! Der narr: 545

Wenn hatz doch ein end, das klaffen? Kuͤ nig, wie magstu dich mit dem affen Also erzuͤ rnen disen tag? Erlaub mir, das ich in jns mawl schlag! Marckolffus get zu den frawen vnd spricht:

550

F 103I, 335–364

Ey, jr weyber, 〈wes〉 sitzt jr dan hie? Der weyber eins spr〈i〉cht: Lieber Marcko〈l〉ff, sag vns doch, wie? Marckolffus:

555

560

Wist jr nit, das kuͤ ng Salomon Ein gepot hat lassen auß gan, Wie das ein yetlicher man fur paß Muͤ g siben weyber haben on haß? Do mercket selbst, jr frawen, bey, Was euch zu thun vnd lassen sey. Do wirdt kein hauß nymer mit fryd: Eine wirdt geliebt, die ander nit. Die lieb wirdt stettigs sein beym man, Die andern wirdt man darben lan.

q 13v

543 ‚Geh, auf dass der Teufel dich holen möge!‘ 545 klaffen ‚Geschwätz‘ 549–578 Salomon et Marcolfus, S. 37, Z. 1-S. 38, Z. 19; Salomon und Markolf, Z. 533–565. 552 wie ‚wie meinst du das‘ 556 Wie das ‚Dass‘ 557 on haß ‚mit bestem Gewissen‘; Folz variiert hier offensichtlich den Stoff des Fastnachtspiels ‚Septem mulieres‘. Dessen inhaltliche Grundlage ist der Anfang von Jes 4, 1. Von der traditionellen Bibelexegese werden die Frauen als sieben Gaben des Heiligen Geistes gedeutet, mit deren Hilfe der Mensch den sieben Todsünden widerstehen soll. In den ‚Septem mulieres‘ wird, der Fastnachtspielkomik entsprechend, der Vorgang jedoch wörtlich genommen, sodass sich ein Mann sieben lüsternen Frauen gegenüber findet (vgl. Simon: Fastnachtsspieltradition, S. 57, 65–69). 558 Do mercket bey ‚Daran erkennt‘

549 Durch vorangestelltes Paragraphenzeichen markiert 550 wes fehlt, aus G ergänzt 551 spricht] sprcht 552 Marckolff] Marckoff 557 on haß: Nachträglich durch senkrechten Strich voneinander getrennt

508 | 103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II)

565

570

Die ein, die wirdt nach wunsch gekleyt, Die ander tregt stet heymlichs leyt. Die ein wirdt schaffen vnd gebieten, Die andern wern sich vngluͤ cks nieten. So man die lieben halst vnd kuͤ st, Wer weyß dan, was die ander〈n〉 gluͤ st? Sie sind nit wytwen vnd haben nit man, Do wirdt kein tag on krieg zergan. Get pald vnd wider ruͤ fftz beý zeýt, Ee es erhell in landen weyt. Ein weyb spricht:

575

Wol auff, jr weyber alle gar, Lauffen wir zu dem kuͤ nig dar Vnd wider ruͤ ffen pald das pot, Des er sich vnter wunden hot! Der narr:

580

Pox leichnam, kuͤ ng, sich vmb auff, Das man dich nit beym har zerauff! Es sindt die weyber wuͤ dtend all, Jch riet, du lieff[ ]st  dar von als pall. Ein weyb spricht:

585

q 14r

F 103 I, 368–400

O kuͤ nig, schetz, re〈i〉chtum vnd gestein Wirdt dir zu pracht alsampt allein, Darumb du wol hast deinen wiln. Laß dich die schoͤ n der weyber stiln,

566 schaffen ‚befehlen, das Hauswesen verwalten‘ 567 sich nieten ‚ertragen müssen‘ 568 halsen ‚umarmen, liebkosen‘ 571 zergan ‚vergehen‘ 573 erhellen ‚ertönen‘ 575 alle gar ‚alle zusammen‘ 577 pot ‚Gebot‘ 578 sich vnter winden ‚sich erdreisten‘ 580 Pox leichnam: Die seit dem 15. Jahrhundert auch als kotz oder potz in Flüchen auftretende Interjektion pox ist eine Entstellung des Genitivs Gottes, die genutzt wurde, um den Namen Gottes nicht in einem Fluch zu gebrauchen (vgl. HdA 2, Sp. 1638). leichnam bezeichnet hier den Leib Jesu Christi, vgl. Fronleichnam (vgl. DWb 12, Sp. 627f.). 580 sich vmb auff ‚pass rundherum auf‘ 581 zerauffen ‚zerrupfen‘ 585–616 Salomon et Marcolfus, S. 38, Z. 21-S. 40, Z. 6; Salomon und Markolf, Z. 576–605. 588 stiln ‚beschwichtigen, besänftigen‘

569 andern] ander

583 lieffst] lieff st 585 reichtum] rechtum

103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II)

590

| 509

Als vil du jr magst haben hie. Wir halten die gesetz Moysi. Erlaß vns der newrung, die man seyt, Vnd halt darfur die gerechtigkeit! Salomon:

595

Ach, du vnuerschampte, sag mir, Was vngerechtikeit thu ich dir? Das weyb antwort:

600

Was vngerechters moͤ chstu treyben, Dan ein man begaben mit siben weyben? Wie sol einer siben han mit son, So siben einer kaum gnuͤ g 〈mag〉 thon? Gebstu einer frawen siben man, Do moͤ ch stu werlich paß bestan. Salomon:

605

Die reth fur jr gespiln gar wol: Nit das man die mender myndern sol, Sunder jr zal mit siben mern!

q 14v

Ein weýb spricht:

610

Ey, wer sah nie ein so gespoͤ ttigen hern? Des seindt dein vrtheyl vngerecht, Darumb so ist noch war vnd schlecht, Man spricht: da̲z pest kumpt selten hernach. Saul thet seym volck vil schwerer rach, So was dein vater leckerey vol,

589 jr ‚von ihr [der Schönheit]‘ 590 die gesetz Moysi: ‚die Gesetze des Mose‘, gemeint sind die Zehn Gebote (5 Mos 5, 1–22; vgl. Wuttke: Fastnachtspiele, S. 73). 599 mit son ‚in Frieden‘ 600 gnuͤ g thon ‚Befriedigung verschaffen‘ 601 Gebstu ‚Gäbest du‘ 602 werlich ‚wahrhaft‘ 604 reth: 3. Pers. Sg. Präs. Ind. Akt. zu reden 604 gespile ‚Genossin, Freundin‘ 605 mender: Ostfränkische und bairische, vor allem in Nürnberg gut belegte Formvariante zu menner (vgl. DWb 12, Sp. 1554f.). 608 nie ‚je‘ 609 ‚Deine Urteilssprüche hierüber sind ungerecht,‘ 610 noch ‚dagegen‘ 610 war vnd schlecht ‚recht und billig‘ 611 Man spricht ‚Wenn man spricht‘ 612 rach ‚Strafe‘ 613 leckerey ‚Niedertracht; Begehrlichkeit, Lüsternheit‘

600 mag] 613 dein] sein

510 | 103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II)

615

Bezeuͤ g ich bey der Petsabe wol. Nun pistu der dryt vnd fechst mer an, Dan der noch keinr hat gethan. Der narr spricht:

620

Ey, das euch der rit schuͤ dt, aller huͤ rn! Jr seyt vnschemiger dan die acker guͤ rn. Get naher, last den kuͤ ng mit ruͤ ! Jch slach – samer pox hawt! – mit pruͤ geln zu. Salomon:

625

Jch sprich, das nach dem hawbt der slangen Keins ist mit listen so durch gangen Als eins zornigen weybes boͤ ß Mit nach red vnd mit affter koͤ ß. All sundt von in ein anfang han. Ein ritter spricht:

630

F 103I, 401–408

Wer kan doch eygentlich verstan, Was vrsach sich der kuͤ nig rempt, Das er die frawen also beschempt, Recht als er keinr nie wuͤ rde holt.

q 15r

F 103I, 413–434

614 Petsabe: Vermutlich die biblische Gestalt Batseba, die von König David verführt und geschwängert wird. Uria, ihren Mann, lässt David in den Tod schicken, um sie heiraten zu können. König Salomon ist das zweite Kind der beiden (2 Sam 11, 1–12, 24). 615–616 Salomon wird als nach Saul und David drittem König Israels vorgeworfen, dass er die Sünden und Verfehlungen seiner Vorgänger noch übertreffen würde; vgl. Lexikon der Bibel, S. 93–96, 379f., 389–391. 615 fechst an (zu mhd. ane vâhen bzw. nhd. anfangen): 2. Pers. Sg. Präs. Ind. Akt. ‚begehst, stiftest an‘ 616 der noch keinr ‚noch keiner von ihnen‘ 618 aller huͤ rn: In dieser Wendung als Fluch gebraucht (vgl. Kratz: Wortschatz, S. 555). 619 vnschemig ‚schamlos‘ 619 acker guͤ re: Wörtlich ‚Ackergaul‘, hier als Schimpfwort für Frauen, besonders für Bäuerinnen (vgl. DWb Neubearbeitung 1, Sp. 1430; DWb 9, Sp. 1161–1165). 620 Get naher ‚Geht fort‘ 620 mit ruͤ ‚in Ruhe‘ 623–647 Salomon et Marcolfus, S. 40, Z. 8-S. 41, Z. 21; Salomon und Markolf, Z. 606–633. 623–625 Die biblische Vorstellung von Listigkeit und Tücke der Schlange war in der Frühen Neuzeit verbreitet (LexMA 7, Sp. 1476), sie stand auch als Sinnbild für falsche Menschen (vgl. DWb 15, Sp. 446f.). 626 affter koͤ ß ‚üble Nachrede, Verleumdung‘ 627 Bezug auf den Sündenfall (vgl. Gen 3, 1–23). 630 ‚Welches Ziel der König im Auge hat,‘ 632 ‚Gerade, als ob er nie eine lieb gewonnen hätte.‘; vgl. Z. 444

614 Petsabe] Persabe

103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II)

| 511

Marckolffus:

635

Sich, kuͤ nig, das ist als, das ich wolt: Jn dem du mir gar wol gefelst, Das du mich so bey ern behelst. Ein ritter: Marckolff, du alter boͤ ß wicht, Das vngluͤ ck hastu zu gericht!

640

Marckolffus: Kuͤ nig, vor kundstu die weyber loben, Yetz schentzstu sie, sam woͤ lst du toben: Das ist als, do ich vor von seýt. Salomon:

645

Hast du die schant vns zu bereyt? Marckolffus: Jch nit, sunder dein torheit groß. Ein weyb spricht:

650

Pfuy dich, Marckolff, du thugent ploß! Hast du das vnglick zu gericht, Das wirdt dir zwar vergessen nicht! Der narr spricht zum Marckolffus:

655

q 15v

Das dich pox leichnam schent als narn! Kuͤ nig, laß in setzen auff ein karn, Sein schwester Fudasa des gleich! Ja, wen nit reich vnd arm zu streich

636 bey ern behalten ‚in Ansehen halten‘ 639 zu richten ‚verursachen‘ 642 sam ‚als ob‘ 649 thugent ploß ‚der Tugend entblößter, unehrenhafter Mensch‘ 653 schenden ‚tadeln‘ 654–657 Die vorliegende Stelle bezieht sich auf den Karren als Instrument zum Vollzug einer Schandstrafe. Übeltäter wurden dabei auf einem offenen Wagen durch eine Ortschaft gefahren und zur Schau gestellt (vgl. DRW 7, Sp. 447f.). 656 zu streichen ‚nahe kommen‘

512 | 103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II)

Vnd schawen die vogel schewen an, So ge sie der ritt vnd das fallenduͤ bel an!

660

665

Salomon:

F 103I, 435–439

Jr weyber, ziecht mit fryd daruon. Die red hab ich auß zorn gethan, Do hat mich der schalcks pawr pracht zu. Pleybt diser sachen halb mit ruͤ . Das ich in euch gesundet han, Das sol zwar pald an jm auß gan. Get, all mein diener, furt in hin Zu einem paum, dar an henckt in, Das hat er zwentzigfalt verschuldt!

F 103I, 447–458

Marckolffus: 670

O kuͤ nig, thu mir nuͤ r so vil hu〈l〉dt, Das ich mir selbs ein paum auß gang, Dar an ich am aller liebsten hang! Salomon: Wol hin, die gnad sol dir geschehen.

675

Der narr: Das hencken wil ich lieber sehen Dan all mein tag kein puͤ brey ye. Ey nun, kundt dich der tewfel nye Geschwaygen, du er loser schalck?

q 16r

658 fallenduͤ bel: Nach Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 118f. die ‚Epilepsie‘, in F 111, Z. 39 jedoch auch ‚Durchfall‘. Für den vorliegenden Fluch, zumal in Verbindung mit dem unspezifischen ritt (vgl. Z. 515), ist die genaue Krankheit nicht erheblich, Bedeutung in etwa ‚So sollen Pest und Cholera über sie kommen‘. 660–665 Salomon et Marcolfus, S. 42, Z. 7-S. 43, Z. 7; Salomon und Markolf, Z. 639–648. 663 ‚Seid wegen dieser Angelegenheit beruhigt.‘ 664 in einem sunden ‚sich an jmdm. versündigen‘ 665 auß gan ‚ein Ende nehmen‘ 666–700 Salomon et Marcolfus, S. 44, Z. 7-S. 45, Z. 4; Salomon und Markolf, Z. 677–704. 668 zwentzigfalt ‚zwanzigfach‘ 670 huldt ‚Gnade‘ 671–672 Anspielung auf die Redensart, dass, wenn man schon hängen müsse, man sich an einen schönen Baum hängen solle (vgl. TPMA, hängen, 11). 671 auß gen ‚aussuchen‘ 679 geschwaygen ‚zum Schweigen bringen‘

670 huldt] hudt 678 tewfel] tewsel

103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II)

680

| 513

Ey, dent dem hurnsun rein sein palck! Es ist zeyt, das er puͤ ß ein fart, Man hat jms lang zu sam gespart. Der hencker spricht:

685

Pald, Marckolff, sich dich vmb vnd sag, Wo dir am liebsten zu hangen behag. Marckolffus:

690

Solt ich dan neuͤ n mal sterben sust, Sich ich kein paum, dar an mich glust, Weder zu hangen noch zu sterben. Lieber, thuͤ tz an den kuͤ nig werben. Der narr:

695

Ey, do schlach der hertz rit zu! Hoͤ r, kuͤ nig, was ich dir sagen thu: Du kanst an eim narrn harrt gnuͤ g han, Laß vns peyd an deym hoff bestan. Er vindt kein paum, es ist vmb sust, Do in an zu erworgen lust. Salomon:

700

Nun dar, so schwerdt mir peyde her, Das keinr weyter zu wegern ger.

q 16v

Marckolffus: O kuͤ nig, es sol dar bey bestan, Wie kanstu pesser narn zwen han?

680 denen ‚martern, Schmerzen zufügen‘ 680 rein ‚fein, säuberlich‘ 680 palck ‚Leib‘ 681 fart ‚Tat‘ 690 an einen werben ‚sich an jmdn. wenden, an jmdn. übergeben‘ 694 harrt ‚kaum, schwerlich‘ 695 bestan ‚bleiben‘ 697 erworgen ‚ersticken‘ 699 schweren ‚schwören‘ 700 wegern (zu mhd. und nhd. weigern): ‚sich widersetzen‘ 700 geren ‚begehren‘

694 harrt] hanrt 703 zwen] zmen; anders Wuttke: Druckfassung, S. 164: Er zieht zusammen zu narnzmen in der Bedeutung ‚Narrenmänner‘.

514 | 103 – Hans Folz: Salomon und Markolf (Fassung II)

Der narr: 705

Pawcker, pfeyff auff, es hat geschnapt! Dan welcher die schoͤ nsten meydt ertapt, Der sol den ersten reyen han. Marckolffus: Plauff, Kuͤ ntzlein, wir woͤ ln dar von!

710

715

Auß schreyer: Vnser gnedister herr gesegent euch all, Vnd ob euch dise kuͤ rtzweyl gefall, Woͤ ll sich sein gnad hin fur nit massen Vnd noch vil pessers hoͤ rn lassen, Dan man hat euch ein schenck bescheyden: Die vertrinckt die faßnacht mit freyden! Von der kurtzweyl ýetzundt nit mer Spricht Hanns Foltz, barwirer.

Bearbeiter: Biehl

705 es hat geschnapt ‚es ist zu Ende‘ 709 Plauffen (zu mhd. beloufen): ‚Schnell laufen, eilen‘ 713 sein gnad ‚seiner Gnaden‘, d.h. der König Salomons 713 hin fur ‚von jetzt an‘ 713 massen ‚zurückhalten‘ 715 schenck: ‚Geschenk‘, mit schwankendem Genusgebrauch, hier feminin (vgl. DWb 14, Sp. 2542). 716 ‚Versauft das [dieses Geschenk] die Fastnacht über mit Freuden!‘

104 – Zeugenaussagen

Ein faßnacht spil

KF Nr. 61

Gb 389r KF 541

Precursor:

5

Got gruß all die hynnen sein! Wir sein zu euch beschiden herein, Ein recht zu furen vmb ein sach, Als jr dann horen werdt hernach. Darumb gruß wir den wirt besunder, Ob es jn sust an nichte jrrt. Die fraw ist an klager:

10

15

Herr richter, ich klag vber mein man, Der gantz kein genug an mir wil han. Im lieben ander frawen mer, Des ich alltzeit engilt gar ser. Das es war sej, das es jm fast lieb, Desselben ich getzeugknuß gib, Die frawen all zu uerhoren darumb, Wann sie gemeinicklich wissen darumb.

3 hynnen ‚hier drinnen‘ 3 sein: 3. Pers. Pl. Ind. Präs., zur Flexion vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 149. 4 beschiden ‚laden, bestellen‘ 5 recht furen: ‚Führen eines Rechtsstreits‘, vgl. DRW 11, Sp. 351. 7 gruß: Zum Flexivausfall in der 1. Pers. Pl. Ind. Präs. bei nachgestelltem Pronomen vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 94; vgl. Z. 144. 7 besunder: Die Zeile fällt aus dem Reimschema, möglicherweise wurde besunder vom Schreiber nachgestellt. Keller konjiziert zu besunder den wirt ohne dies im Apparat zu vermerken. 8 ‚Wenn es ihn in solcher Weise nicht stört.‘ 10 klagen ‚beschweren, anklagen‘ 11 gantz kein: Im 15./16.Jahrhundert vielseitig bei Verneinungen, vgl. DWb 4, Sp. 1301 mit dieser Stelle: ‚Der kein völliges Genüge an mir haben will‘. 12 lieben: vgl. DWb 12, Sp. 932 mit dieser Stelle: ‚gefallen‘. 13 engelten: Mit Gen. ‚entgelten, ausbaden‘ 14 fast (zu mhd. vast): ‚sehr, stark‘ 15 getzeugknuß ‚Bezeugung vor Gericht‘ 17 gemeinicklich ‚insgesamt, von dem einen wie dem anderen‘

1 unterstrichen; im Register G: Wie ain fraw jren man verclaget vor dem richter kurzweiligt neben der Überschrift in Rot nachgetragen

2 rechts

516 | 104 – Zeugenaussagen

Der richter:

20

Hort, freunt, trifft euch die sach dan an? So laßt ewr antwort auch verstan. Der man:

25

30

Herr, so verantwort ich die klag. Sie klagt all wochen, siben tag. Ein hat sie peicht, zwen ist sie kranck, Den vierden macht sie mir ein schwanck, Es jrr sie an jr antlas fart. Am pfintztag sie zum pad begert, Am freitag dingt es sich sust auß, Am samstag werd ein meßner darauß. Das hab ich jr als nach gegeben Vnd han gehalten mich darneben. Trutz das vber mich jemant thut klagen, Do sullen piderleut vmb sagen.

Gb 389v

KF 542

Der richter: 35

Fraw, sagt, setzt jr zu recht die sach? Die fraw: Richter, ja, wie es sich halt mach. Der richter: Freunt, setzt jr ewrß auch zu recht?

19 antreffen ‚betreffen, angehen‘ 20 lassen verstan ‚mitteilen‘ 22 verantworten: mit Akk. ‚beantworten‘ 25 schwanck hier: ‚faule Ausrede, Vorwand‘ 26 jrren ‚hindern‘ 26 antlas ‚Ablass, kirchlicher Schulderlass‘ 27 pfintztag (zu mhd. pfinztac/phinztac): ‚Donnerstag‘ 28 außdingen ‚vorbehalten, ausschließen‘ 28 sust ‚auf andere Weise, anders‘ 29 meßner: ‚Küster, Kirchendiener‘; es war verbreiteter Glaube, ein am Samstag gezeugtes Kind würde unweigerlich diesen Beruf ergreifen. Solcherart als Ausrede gebraucht, um den Beischlaf zu verweigern, vgl. DWb 12, Sp. 2139 mit dieser Stelle. 31 sich darneben halten: ‚sich enthalten‘, vgl. DWb 2, Sp. 724 mit dieser Stelle. 32 Trutz das ‚Wenn trotzdem‘ 33 piderleut ‚Ehrenmänner‘ 33 vmb sagen: ‚[Vor Gericht] aussagen‘, vgl. DRW 11, Sp. 1417 35 Mit Bezug auf den Gegenstand des Rechtsverfahrens, vgl. DWb 14, Sp. 386 mit dieser Stelle: ‚Wollt Ihr in dieser Angelegenheit ein Verfahren einleiten?‘.

104 – Zeugenaussagen |

40

517

Der mann: Ja, herr, wurt leicht sust nit slecht. Der richter: Ir schopffen, ich frag euch rechts dar ̲um, Wie man der sach zu ende kumm?

45

Der erst schopff:

Gb 390r

Ich sprich, das man vor allen dingen, Der frawen zeugknuß fur sol bringen. Der ander schopff:

50

Ich sprich, das man darnach auch wol, Des mannes zeugknuß auch horen sol. Der richter: Ir frawen, sagt an argen list, Was euch von sachen wisselich ist. Die erst sagt:

55

Herr richter, jch muß der klag besten: Ich sach jn mit einer gen Rotenpach gen, Der man nit minder eren zu mißt, Dann das sie jdermann dinstlich ist.

KF 543

Die ander sagt: 60

Herr richter, ich sach jn gar eben, Einer frawen ein marck gelt geben, Die jn dennoch darzu tet versmehen. Bedeut es etwas guts, ich laß beschehen.

41 slecht (zu mhd. slihten): ‚geschlichtet‘ 43 Im Mittelalter trennte das Gericht zwischen Richtern und Urteilern. Der Richter leitete den Prozess, erfragte das Urteil bei der Gerichtsgemeinde bzw. den Schöffen und verkündete es schließlich, vgl. ²HRG 2, Sp. 135. 44 zu ende kummen ‚fertig werden‘, hier: ‚lösen, klären‘ 52 an ‚ohne‘ 53 wisselich ‚bekannt‘ 55 besten (zu mhd. bestân): ‚stehen lassen, bestätigen‘; vgl. Z. 85 56 Rotenpach: Heute Röthenbach bei Schweinau, Stadtteil im Südwesten Nürnbergs, vgl. Stadtlexikon, Artikel ‚Röthenbach bei Schweinau‘. 61 marck gelt ‚Geld‘ 63 beschehen ‚geschehen; etwas ereignet sich durch höhere Fügung‘

518 | 104 – Zeugenaussagen

Die dritt sagt: 65

Richter, ich laugen nit darfur. Ich sach jn vntter der rathauß thur, Ein andre zupfen vnd an lachen, Mit jr ein langen stentner machen.

Gb 390v

Die vierd: 70

Richter, zu sagen von sein litzen, Do sach ich jn zu Sand Moritzen, Einer die hent gar freuntlich drucken Vnd darnach jn eim ermel jucken. Die funft:

75

Herr richter, die mant mich eben daran: Ich sach jn bej einer am obßmarckt stan, Das wert so lang, das ich gedacht, Ich solt jn haben ein stul pracht. Die sechst:

80

Secht, also bringt ein rede die ander! Ich solt eins jn mein gartten wander, Do sach ich jn bej einer stan, Darnach am graben vmb hin gan. Die sibendt:

85

Ich muß dem weÿb jr klag bestan: Er pad mich eins mit jm heim gan, Ich het jn doch vor nye gesehen. Ich waiß nit, was er mit mir wolt an drehen.

Gb 391r KF 544

65 laugen ‚leugnen‘; vgl. Z. 144 67 zupfen ‚ziehen, zerren‘ 68 stentner ‚Plauderei auf der Straße‘ 70 litze (zu mhd. liz/litze): ‚Gelüste, Begehren‘ 71 Sand Moritzen: Moritzkapelle; im Jahr 1313 an die Nordfassade der Kirche St. Sebald verlegt. Nördlich angebaut war das Bratwurstglöcklein, zu Folzens Zeiten eine Garküche (vgl. Stadtlexikon, Artikel ‚Moritzkapelle‘; Nopitsch: Wegweiser, S. 203). 73 jucken ‚lustvolles Kitzeln‘, vgl. DWb 10, Sp. 2350. 75 manen ‚erinnern‘ 76 obßmarckt: ‚Obstmarkt‘; im 14. Jahrhundert wurde zusätzlich zum Nürnberger Hauptmarkt ein weiterer Marktplatz angelegt, wo hauptsächlich Früchte verkauft wurden, vgl. Stadtlexikon, Artikel ‚Obstmarkt‘. 77 weren ‚dauern‘ 81 wander: Flexivausfall wohl reimbedingt. 83 auf dem Graben gehen: Redewendung in Bezug auf die Tätigkeit von Dirnen, vgl. DWb 8, Sp. 1586. 85 bestan hier: ‚zugestehen‘ 87 vor ‚zuvor‘ 88 an drehen ‚anstellen‘

104 – Zeugenaussagen |

519

Die acht: 90

Ich wayß zwar nit, wie from er sej. Eins mols, auff sand Niclas kirbej, Kaufft er einer ein pewtel ring. Nit waiß ich, wo er mit jr hin ging? Die neundt:

95

Ich sach jn eins die kirch durch gutzen Vnd je zu zeiten eine an schmutzen. Ee einer tuͤ ten mocht ein horn, Hett ich sie baide sant verlorn. Die zehent:

100

105

Ich lud sie einest baide zu mir, Do sass er zwischen mir vnd jr. Do hett er mit den knyen ein kneten Vnd mit den fuessen ein solchs kneten vnd treten, Das ich kein rwe bej jm het. Ich waiß nit ob er der andern auch also tet? Die eilfft:

110

Jr frawen, was sagt man von mannen, Es ist noch do forn das prait an der pfannen! Ich kam in eines wirts hauß, Do sas er bej vieren vnd gab auß Vnd zalet fur sie all vier allein.

Gb 391v

F 81, 912

91 kirbej: Zu obd. kirwei, kirb; vgl. BWb 1, Sp. 1290. Der ursprünglich sakrale Aspekt der Kirchweihe war die Feier des Kirchenheiligen oder die [Ein-]Weihung der Kirche durch einen Festgottesdienst, häufig mit Prozession. Bald jedoch trat dieser Anlass in den Hintergrund und das zu dieser Gelegenheit gefeierte weltliche Ortsfest, meist mit angegliedertem Jahrmarkt, wurde zentral. In dieser Textstelle wird das Kirchweihfest zu Ehren der im 14. Jahrhundert errichteten St. Nikolauskirche im Nürnberger Vorort Kornburg begangen (vgl. DWb 11, Sp. 828–833; Stadtlexikon Kirchweih, S. Nikolauskirche). 92 pewtel ring: Bedeutung unklar; entweder ‚Tragebügel oder -ring einer Beuteltasche, Beutelbeschlag‘ (s.a. die zahlreichen Abbildungen des Ringmachers bzw. ringkelschmids in Hausbuch Mendel 1, 87v und Hausbuch Landauer 1, 37v, 38r sowie Krünitz: Encyklopädie 125, S. 33f.); möglich wäre auch Konjektur zu prewtel ring in der Bedeutung ‚Braut-, Verlobungsring‘ (s. DWb 2, Sp. 333); DWb 1, Sp. 1753 Lemma Beutelring allein mit dieser Stelle. 95 gutzen ‚neugierig, suchend umherblicken‘ 96 je zu zeiten ‚hin und wieder, von Zeit zu Zeit‘ 96 an schmutzen ‚anlächeln‘ 97 horn tuͤ ten: ‚Signal geben‘, auch als Warnung vor Gefahren, vgl. DWb 10, Sp. 1818 mit dieser Stelle. 108 ‚Das Beste kommt erst noch!‘

520 | 104 – Zeugenaussagen

Do gings durch ein ander gar rein. Sie errotten vor mir als ein plut, Darumb gelaub ich, er thu ir kein gut. 115

Der richter: Freunt, laßt ewr zewgen auch herfur, Das man die rechten warheit hie spuͤ r. Der erst zeug:

120

Ich sprich, als ich vom volk verste, Das er sovil walfart ge Vnd auch sovil almusen geb. Ich gelaub keim weyb, die weil ich leb!

KF 545

Der ander zeug:

125

Als ich offt hor von disem man, So tut er gern gen kirchen gan. Das er kein eck leßt, da er fur ge, Er lug ob nit ein altar do ste. Der dritt:

130

Ist es nit anders, als ich han gesehen, So gelaub ich nit, das es sej gesche〈n〉. Nachdem als han gesagt die frawen, Wir thun dem mann kein solchs zu trawen.

Gb 392r

Der vierd:

135

Ich sach jn eins bej meiner alten da forn, Die was zwar wol bej sechtzehen jarn. Was solt jm ein junge, die nit kund gan? Er tut kein solche vntzucht, der man.

112 ‚Da war ein gänzlich wirres Treiben.‘ 113 errotten ‚erröten‘ 117 rechten warheit ‚Tatbestand, rechtliche Sachlage‘ 117 spuͤ ren ‚herausfinden‘ 119 versten hier: ‚hören, vernehmen‘ 120–121 walfart gan ... almusen geben: Sexualmetaphorisch zu verstehen; ebenso legen Z. 125–127 eine sexuelle Ausdeutung nahe. 135 zwar (zu mhd. zewâre): ‚gewiss‘

130 geschen] gesche: Konjektur bei Keller (S. 545)

104 – Zeugenaussagen |

521

Der funft:

140

Er ist ein man, als ich verste, Im wer leit, der solchs von jm se. Secht sein person gestalt darzu, Ich gelaub ye nit, das er solchs thu. Der sechst:

145

Richter, ich wil selbs fur in laugen. Wann er errot nye vntter den augen, Das gibt mir gar ein guts antzaigen. Die weiber wollen jn sust vber faigen. Der richter:

150

155

160

Hort, fraw, als ich merck in den sachen, Ir mußt der heiligen tag minder machen Vnd peichten vnd kreisten ein teil lan farn. Hort, freunt, so must ir euch auch sparn, Furpas mer vber die schnur zu hawen Vnd tzyeht nit mer mit andern frawen. Ich rat, jr wert sust vber ein, Dann solt man rechtlich sehen darein, So forcht ich, freunt, jr schubt zu kurtz Vnd nemt der sachen ein vnter sturtz. Dan beleibt bej den leuten der ding Vnd secht, das mans nit weiter bring.

KF 546 Gb 392v

141 sein person gestalt: ‚Aussehen, äußeres Ansehen‘; person mit Possessivpronomen häufig nur zum Zweck pronominaler Umschreibung (vgl. DWb 13, Sp. 1564). 142 ye nit ‚niemals‘ 144 selbs ‚persönlich‘ 146 antzaigen ‚Anzeichen, Indiz‘ 147 vber faigen (zu mhd. veigen): ‚verderben, vernichten‘ 149 mercken ‚bewerten; begreifen‘ 150 heiliger tag ‚Feiertag; sexueller Fastentag‘ 150 minder machen ‚verringern‘ 151 kreisten (zu mhd. krîsten): ‚Ächzen, Jammern‘ 153 furpas ‚künftig‘ 153 vber die schnur hawen ‚übertreiben, zu weit gehen‘ 155 raten ‚entscheiden, verfügen; empfehlen‘ 155 vber ein werden ‚einig werden‘ 156 rechtlich darein sehen ‚rechtsgemäß strafen‘ 157 jr schubt zu kurz: ‚ihr zöget den Kürzeren‘; wohl abgeleitet von der Wendung einen kurzen schieben, ursprünglich beim Kegelspiel ‚einen Wurf zu kurz anlegen‘, vgl. DWb 14, Sp. 2669 und DWb 11, Sp. 2832. 158 ‚Und verliert den Prozess.‘ (vgl. DWb 24, Sp. 1845 mit dieser Stelle) 159 ‚Somit überlasse ich dem Publikum das Urteil‘ 160 weiter bringen ‚geheime Informationen ausplaudern‘

522 | 104 – Zeugenaussagen

Auß schreÿer:

165

Nw dar, jr herrn, jr sitzt lecht lenger, Wir mussen dauon, das ist nit weniger. Dem wirt danck wir aller seiner mwe, Wir mussen gedencken wie man jm thue. Ob wir das ee volk heint verainten Vnd sunst verrichten als wir meinten, Das wer das pest, das man mocht thun. Gesegen euch got, wir mussen dauon!

162 lecht ‚vielleicht, wohl‘ ‚aussöhnen‘

166 ee volk ‚Eheleute‘

F 106, 218; F 111, 393

166 heint ‚heute nacht‘

167 verrichten

104 – Zeugenaussagen |

523

Kommentar Bezeugung Gb, Bl. 389r–392v

Ausgaben Keller: Fastnachtspiele I, S. 541–546 (= Nr. 61, nach G); Bd. III, S. 1513; Bd. IV, S. 344.

Textkritik Der Text ist unikal in Handschrift G überliefert.

Autor Zur Frage der Autorschaft besteht in der Literatur keine Einigkeit. Aufgrund des in vier Versen ausgeführten Stichreims sowie der an einigen Stellen nichtstrophischen Rede nimmt G. Simon trotz der für Rosenplüt typischen Thematik zunächst einen späteren Autor an. Da er die Belastbarkeit der genannten Punkte jedoch bezweifelt (Simon: Fastnachtsspieltradition, S. 81, Anm. 52), spricht er sich letztlich auch gegen Folz als Urheber des Spiels aus. Dagegen hält Catholy Folzens Autorschaft zumindest für möglich, verweist aber zugleich auf den fehlenden Tanzschluss, was eher für einen frühen bzw. unbekannten Verfasser spreche (vgl. Catholy: Fastnachtspiel des Spätmittelalters, S. 173). Michels betont, dass sich die späteren, Folzschen Spiele im Vergleich zur früheren Spieltradition durch kürzere Urteilssprüche und feinere Komik auszeichneten (vgl. Michels: Studien, S. 220f.). Zu F 104 bemerkt er: „Andererseits setzen Gerichtsszenen, die im Dialog so behend sind, wie ... namentlich Stück 61, wenn man sie auch wohl nicht direkt Folz zuschreiben wird, bereits den Einfluss seiner dramatischen Technik voraus“ (Michels: Studien, S. 221). Die pointenreiche Zuspitzung der Einzelreden sowie die komische Steigerung der aufeinanderfolgenden Aussagen sprechen für einen versierten Dramatiker und lassen das Spiel in die Nähe Folzens rücken. Ebenso spricht die explizite Nennung Nürnberger Lokalitäten für Folz. Zweifel an dessen Verfasserschaft werden dagegen genährt durch die sich teilweise ungeschickt wiederholenden, häufig unreinen Endreime sowie eine insgesamt holprige Metrik.

Datierung Terminus ante quem ist 1494, das Abschlussjahr von Handschrift G.

524 | 104 – Zeugenaussagen

Rollen, Inhalt, Struktur Rollen: Precursor, Klägerin (Ehefrau), Richter, Angeklagter (Ehemann), zwei Schöffen, elf Zeuginnen, sechs Ehrenmänner (Zeugen). Eine Frau tritt vor den Richter und beklagt, dass ihr Ehemann sich mit anderen Frauen einlasse. Der Richter gibt dem Angeklagten Gelegenheit, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Dieser verteidigt sich, dass er sich seiner Ehefrau wegen diverser fadenscheiniger Befindlichkeiten schon seit geraumer Zeit nicht mehr körperlich habe nähern können, dies aber großmütig ertrage und sich streng enthalte. Nachdem beide Parteien ihre Sache in die Hände der Gerichtsbarkeit gelegt haben, erteilen die Schöffen zunächst den Zeugen der Ehefrau, dann denjenigen des Ehemannes das Wort. Der Reihe nach zählen elf Zeuginnen Verfehlungen des Ehemannes auf, die sie entweder selbst gesehen oder am eigenen Leibe erfahren haben. Sie berichten von kleinen Geschenken, bezahlten Wirtshausrunden und vom zärtlichen Umgang mit als käuflich, zumindest aber als zweifelhaften Rufes bekannten Frauen. Zusammenfassend ist die zuletzt Aussagende sich sicher: Darumb gelaub ich, er thu ir kein gut (Z. 114). Die sechs Ehrenmänner sind dagegen ganz anderer Meinung: Sie halten den Angeklagten für einen treuen Diener Gottes und beteuern mehrfach seine Redlichkeit. Umso stärker zweifeln sie an der Wahrhaftigkeit des Vorgebrachten und sind von der Falschaussage der Frauen überzeugt. Sein Votum gibt der Richter auf der Stelle: Der Ehefrau rät er, die Tage im Dienste der Kirche (und die damit verbundene Enthaltsamkeit) zu reduzieren, ebenso das ständige Jammern und Wehklagen. Den Ehemann fordert er auf, sich zu mäßigen und die Gesellschaft fremder Frauen zu meiden. Jenseits dieser guten Ratschläge setzt er ein Urteil allerdings aus, befürchtet er doch den schlechten Ausgang für den Ehemann. Stattdessen legt er das Urteil in die Hände des Publikums, welches er jedoch zugleich auffordert, die Angelegenheit diskret zu behandeln. Deutungsaspekte: Es handelt sich bei dem vorliegenden Text um ein typisches Gerichts- bzw. Prozessspiel, wie sich zahlreiche innerhalb der Gattung finden (siehe Textbezüge). Dabei bietet das vorliegende handlungsorientierte Reihenspiel keine vollständig ausgestaltete Gerichtsverhandlung, vielmehr markieren lediglich ausgewählte gerichtstypische Elemente wie die Zusammensetzung des Personals (anklager, richter, schopffen), die ordnungsgemäße Eröffnung des Verfahrens (Mitteilung der Klage durch die Klägerin, Aufforderung des Richters zur Verteidigung, Bestimmung der Klage zum Streitgegenstand, Aufforderung der Schöffen zur Urteilsfindung) und die Verwendung rechtssprachlicher Begriffe wie formelhafter Wendungen die Situation als solche. Zwar kann nicht sicher bestimmt werden, vor welchem Gericht eine solche Verhandlung im Nürnberg im ausgehenden 15. Jahrhundert stattfand, da Ehebruch bis zur Reformation jedoch im Wesentlichen kirchlicher Rechtssprechung unterlag, muss ein Sendgericht zuständig gewesen sein (vgl. Stadtlexikon, Artikel ’Stadtgericht’; Stadtlexikon, Artikel ’Rechtswesen’; LexMA 3, Sp. 1638, 1652f., 1655; 2 HRG, 1, Sp. 1214; 2 HRG, 2, Sp. 135; 2 HRG, 2, Sp. 5f.). Galt zunächst nur Klagerecht des Mannes, konnten

104 – Zeugenaussagen |

525

im relevanten Zeitraum auch Frauen als Klägerinnen und Zeuginnen auftreten. Ebenso war es beiden Streitparteien erlaubt, sich zu rechtfertigen und von den Vorwürfen freizusprechen – auch unter Zuhilfenahme sogenannter Glaubwürdigkeitszeugen (vgl. LexMA 3, Sp. 1652f.). Im vorliegenden Spiel stehen sich zwei Formen der Zeugenschaft gegenüber, die auch sprachlich markiert werden: Handelt es sich bei den Fürsprecherinnen der Frau mehrheitlich um Augenzeuginnen (Z. 56, 60, 66, 71, 76, 82, 95: ich sach), vermögen die Anwälte des Mannes nur auf der Grundlage von Gerüchten (Z. 119 ich sprich, als ich vom volk verste; Z. 124 als ich oft hor von disem man; Z. 139 als ich verste) bzw. ihrer Menschenkenntnis (Z. 145f. wann er errot nye vntter den augen, das gibt mir gar ein guts antzaigen) für ihn auszusagen. Nach mittelalterlichem Recht sind die Aussagen der Männer somit wertlos, denn Geltung hat nur, was ein Zeuge tatsächlich mit eigenen Sinnen wahrgenommen hat (vgl. HRG 2, Sp. 239; HRG 5, Sp. 1684). Überdies sorgen die Verkehrung von Anklage und Aussage – die ursprünglich beklagte Frömmelei der Frau wird als besondere Tugend des Mannes hervorgehoben – sowie deren vor dem Hintergrund der weiblichen Zeugenaussagen mehrdeutige Lesarten für besondere Komik. Ehebruch und die Vernachlässigung ehelichen Geschlechtsverkehrs waren durchaus zeittypische Konflikte: Realiter konnte die Verpflichtung zum Beischlaf von beiden Partnern eingefordert werden (vgl. LexMA 7, Sp. 1812f.), widerstreitende sexuelle Bedürfnisse wurden mitunter als Trennungsgrund akzeptiert (vgl. LexMA 3, Sp. 1638f.). Das Strafmaß bei Ehebruch variierte von Geld-, Leibes- und Schandstrafen bis zu Gefängnis und Todesstrafe (2 HRG 1, Sp. 1215) – insgesamt wurde im Spätmittelalter eher milde geahndet, wobei für das Ende des 15. Jahrhunderts eine Verschärfung der Sanktionspraxis festzustellen ist. Es handelt sich um wiederkehrende Themen der Fastnachtspiele (vgl. Ragotzky: pulschaft S. 438), die in besonderem Maße geeignet sind, gesellschaftliche Normbrüche öffentlichkeitswirksam zu präsentieren und jenseits gängiger Tabus zu verhandeln (vgl. Ragotzky: pulschaft S. 442f.). Daher ist es nur konsequent, dass ein Urteil wie im vorliegenden Spiel ausgesetzt wird (vgl. Z. 155f.), denn der Tatbestand des Ehebruchs muss im Schutze der Fastnacht nicht zwingend expressis verbis sanktioniert werden. Stattdessen kann ein bekannter Missstand zur Belustigung der Wirtshausgesellschaft verhandelt werden, zumal dieses wie auch alle anderen Fastnachtspiele zu Ehezwistigkeiten seinen Rezeptionsanreiz nicht aus moralisch tragfähigen, ausformulierten Urteilen, sondern aus dem Vergnügen am zur Schau gestellten Schlagabtausch und dem kollektiven Verlachen bezieht. Darüber hinaus fordert schlicht die Reihenspielstruktur den offenen Schluss (vgl. Catholy: Fastnachtspiel des Spätmittelalters, S. 198f.), um derart in die Wirtshausrealität hinüber zu leiten. Aufführungshinweise: Mit Blick auf die hohe Anzahl an Frauenrollen, die seinerzeit ausnahmslos von Männern übernommen wurden, ist zunächst auf die Notwendigkeit der Kostümierung und Verschleierung, möglicherweise auch des Sprechens in höherer Stimmlage hinzuweisen (vgl. Simon: Anfänge, S. 309). Auf der Ebene der Performanz deckt sich die Anhörung der Zeugen ausgezeichnet mit den Erfordernis-

526 | 104 – Zeugenaussagen

sen eines Reihenspiels: Nacheinander wird den Mimen das Wort erteilt, dabei gerät das Überbieten der Vorgängerrede zur Maxime. Neben permanenter Aktivierung mittels doppeldeutiger Aussagen wird das Publikum insbesondere am Spielende einbezogen, wenn das Urteil in dessen Hände gelegt und die vorgetragene Angelegenheit zur Diskussion in die Wirtshausrealität überführt wird.

Textbezüge Gerichts- und Prozessspiele bilden einen Schwerpunkt der Gattung Fastnachtspiel, darunter jene zu ehelichen Auseinandersetzungen, die Holtorf: Markttag, S. 434 als eigene Untergruppe führt. Dabei stehen meist die Vernachlässigung bzw. Nichterfüllung ehelicher Pflichten, häufig in Kombination mit Ehebruch, im Zentrum der Verhandlung (vgl. etwa R 7, R 26, R 27, R 30, R 40, R 41, R 46, R 57, R 68, R 70). Dass wie im vorliegenden Spiel die Frau über den Ehebruch des Gatten klagt und er im Gegenzug ihre fehlende Begierde kritisiert, ist jedoch seltener als der umgekehrte Fall (zum Themenkomplex des wollüstigen Weibes siehe auch F 83). Dagegen findet sich das Rechtfertigungsmuster, allein sexuelles Ungenügen sei ursächlich für den Ehebruch, in fast allen Spielen dieser Thematik (vgl. Ragotzky: pulschaft S. 440). Zur Verhandlung der Ehe als sexuelle Pflichtgemeinschaft, ebenso zum wiederkehrenden Motiv des aufgeschobenen Urteils siehe auch die Endkommentare zu R 7 und R 30 (Rosenplüt-Corpus). Besagte juristische Formeln zur Markierung der Spielsituation verwenden nahezu alle Gerichts- und Prozessspiele. Auseinandersetzungen von Eheleuten, die außerhalb eines Gerichtsprozesses verhandelt werden, finden sich in R 55, R 72, F 83, F 84, F 101 und F 111. Bearbeiter: Biehl, Greil, Przybilski

105 – Hans Folz: Der Berner und der Wunderer KF Nr. 62

Ein spil von dem Perner vnd Wundrer

5

10

Got gruͤ ß den wirt vnd sein gewalt, Wolt icliher sein red jnnhalt! Mein herr der kumt, weicht vmb all sant, Konick Etzel also ist er genant Auß Hewnen lant, der Perner, Von Pechlar margraff Rudiger. Auch kumt ein junckfraw vngeletzt, Die hat der Wundrer hart gehetzt Mit hunden. 〈in〉 tet der Perner straffen. Secht, do kumt die junckfraw gelaffen.

Gb 392v KF 547

Gb 393r

Die junckfraw:

15

O edler kunig, helfft mir auß not, Das ich nit leyd den pittern tot. Schlißt zu palast vnd auch die thor, Das der wild Wundrer bleib dauor. Jch furcht, er kum dennoch herein, Es must vnser aller ende sein.

1 Wundrer: Mhd. wunder ist nicht ausschließlich positiv konnotiert, vielmehr kann damit auch ‚erstaunende Furcht‘ gemeint sein (vgl. Störmer-Caysa: Name, S. 195), hier in der Bedeutung ‚wilder Mann, Dämon, der Schrecken verbreitet‘; möglicherweise als Eigenname zu verstehen, vgl. Z. 161. 2 gewalt ‚Hausgenossen, Gesinde‘ 3 iclicher ‚jeder, [ein] jeglicher‘ 4 vmb weichen ‚Platz machen‘ 6 Hewnen lant ‚Hunnenland, Ungarn‘ 6 Perner: Dietrich von Bern, Sagenheld und Waffengänger König Etzels. 7 Markgraf Rüdiger von Bechelaren, Gefolgsmann Etzels in Österreich aus der Nibelungensage, evtl. historische Persönlichkeit aus dem bayrischen bzw. fränkischen Adel. 8 vngeletzt (zu mhd. letzen): ‚unverletzt‘ 10 straffen: Die Gemination ist für das Obd. üblich (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 51). 18 vgl. H 76, 5–7: der wunderer kumpt behende, das wirt nit anderß sein, das ist unser aller ende; B 75, 4–6: der wundrer kompt behende, es württ nit anders sein, so württ es vnser ende; die Auflösung der Siglen der Parallelstellenangaben erfolgt im Endkommentar zu diesem Spiel.

1 unterstrichen; im Register von G: Von dem Perner vnd dem Wundrer wie sy an ain ander schlagent 1 Sprecherbezeichnungen und Handlungsanweisungen sowie die ersten Wörter der jeweiligen Rede sind unterstrichen. 10 in] : Konjekturvorschlag bei Keller (S. 547)

528 | 105 – Hans Folz: Der Berner und der Wunderer

Der konig: 20

Vnser thor sollen offen stan, Es ward jr keins nye zu getan. Junckfraw, jr sollet vns hie sagen, Warumb tat er euch mit hunden jagen? Die junckfraw:

25

30

Herr konig, er ist so vngehewr Vnd hat darzu geschworn tewr, Darumb, das ich sein zu mann nit wil, 〈...〉 Vnd wann er vast von nacht piß morgen. Des muß ich mich vor jm besorgen. Wo er bej tag vnd nacht mich findt, So weiß ich, das er mich verschlindt. Der konig:

35

KF 548

Gb 393v

Junckfraw, get hin jn den palast. Do han ich mangen werden gast. Suͤ cht, welcher woll ewr kempfer sein, Vmb das jr seit so hubsch vnd fein. Die junckfrau fint kein vnd spricht zum konig:

40

Herr konick, ich find hie keinen helt, Den ich zu kempfer han erwelt. Wenn ich die genad von got han

21 Mehrere Negationswörter in einem Satz heben einander nicht zwangsläufig auf (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 232). 26 vgl. H 36, 4: er hotz ein eid gesworn; B 35, 4: vnd hat ein eyd geschworn 26 tewr: Im Zusammenhang mit einem Schwur ‚in besonders hohem Maße, hoch und heilig‘. 29 vasten ‚fasten, sich in [sexueller] Enthaltsamkeit üben‘ 30 Des ‚Deswegen‘ 30 besorgen ‚fürchten‘ 32 verschlinden (zu mhd. verslinden): ‚verschlingen‘ 35 manger (zu mhd. manec): ‚mancher‘ 36 woll: 3. Pers. Sg. Konj. Präs. (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 146). 41 vgl. H 24, 8: die erst genad was das; B 23, 8: die erste genad das was 41 genad: Die Parallelstellen legen nahe, dass die Fähigkeit zu tiefgreifender Erkenntnis, das Gegenüber durchschauen zu können gemeint ist (vgl. H 24, 5–6: was eygenschaft er hete vnd was sein dancken was; B 23, 5–6: was eigentschafft er hette vnd sein tugent was).

28 Zum Ausfall eines Verses an dieser Stelle vgl. Hempel: Wunderer, S. 36

105 – Hans Folz: Der Berner und der Wunderer |

45

529

〈...〉 Sein conplex vnd sein aigenschaft. Jr hertz hat je nit mannes craft Den einer, kund sich nit bedecken, Sitzt bej dem konig dort in der ecken. Der konig:

50

Das ist Rudiger, wißt furwar, Jst bej mir yetz wol siben jar. Wil derselb ewr kempfer sein, So ist es auch der wille mein. Die junckfrau get zu Rudiger: O edler furst, ich pit euch ser, Fecht hie fur mich durch gotis er.

55

60

Rudiger: Junckfraw, hat ir mich auß erwelt, Jr findt wol hie ein kunern helt. Ob ich euch gern zu hilffe kem, Man sprech, ich wer selbs also furnem. Die fursten wurden mir gehaß. Darumb so sucht, junckfraw, furpas!

Gb 394r

KF 549

Die junckfraw: Rudiger ist mir abgestanden, Ain andern han ich vnterhanden,

43 conplex: ‚Temperament, Verfasstheit‘, bedingt durch das Verhältnis der humores, der menschlichen Körpersäfte. 45 den ‚ausgenommen‘ 45 bedecken ‚verbergen‘ 57 vgl. H 72, 6: eynen, der kuner sey, den ich; B 71, 5–6: einen, der kuͤ ner sey dann ich 58 Ob ‚Wenn‘ 59 vgl. H 72, 3: vnd sprechen, ich wer furneme; B 71, 3: vnd sprechen, ich wer fürneme 59 furnem ‚vor allen Anderen, herausragend‘; hier: ‚überheblich‘ 60 vgl. H 72, 2: wurden mir die helt gehass; B 71, 2: würden mir die helden gehaß 60 gehaß ‚feindlich‘ 61 furpas ‚weiter‘ 63 abgestanden ‚abgefallen‘ 64 vnterhanden ‚zur Verfügung, in der Hinterhand‘

42 Zum Ausfall eines Verses an dieser Stelle vgl. Keller: Fastnachtspiele, S. 1513 45 Den einer: Keller (S. 1513) erwägt Konjektur zu einer, der; zum asyndetischen Relativsatz vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 261.

530 | 105 – Hans Folz: Der Berner und der Wunderer

65

Der ist ein stoltzer jungling Vnd sitzt zwischen zweyen konigen jm ring. Der kunig:

70

Das ist der jung furst von Pern, Den verlu̇r ich furwar nit gern. Er facht vor nye! er mocht tot beleiben! Mich wurden die sein gar vertreiben! Die junckfraw get zum Perner: O edler Perner vnuerzeit, Euch sej geklagt mein hertze leit.

75

Perner dicit: Junckfraw, sagt mir, was euch geprist, Jch hilff euch yetz vnd alle frist. Durch got ere ich alle werde weip, Wann mich gepar auch frawen leip.

80

Wundrer klopfft an, so spricht die junckfraw:

Gb 394v

O leyt ob allem jamer, woffen! Der Wundrer kumt ytz her geloffen! Der Perner dicit:

85

Junckfraw, setzt euch her neben mich. Wil es der kunig, niemant ficht do dan ich,

66 vgl. H 87, 6: zwischen zweyenn kongein; B 86, 6: zwischen zweien künnigin 70 facht: Zur frnhd. Bildung des Prät. der Ablautklasse IV vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 117. 71 vgl. H 102, 6: vnnd triben mich dar von; B 101, 6: vnd triben mich do von 71 sein: ‚die Seinen, seine Verwandten‘; zur Flexion der Possessivpronomina vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 65. 73 vnuerzeit (zu mhd. verzagen): ‚furchtlos‘ 76 gepristen (zu mhd. gebrësten): ‚fehlen‘ 77 alle frist ‚zu jeder Zeit‘ 79 vgl. H 92, 7–8: dar umb, das vns gepare der reyne frawen leib; B 91, 7–8: dar vmb, das jnn gebare der reynen frawen leyb 80 vgl. H 135, 3: do fing er an zu stossen; B 134, 3: do fieng er an zuͦ stossen 81 jamer ‚Wehklage‘ 81 woffen: Droh- bzw. Hilferuf in der Bedeutung ‚Zu den Waffen!‘ 84 vgl. H 145, 2: nun setz dich neben mich; B 144, 2: nuͦ n setz dich neben mich

66 konigen] koniigen: Konjektur bei Keller (S. 549)

105 – Hans Folz: Der Berner und der Wunderer |

531

Trutz, das euch niemant thu kein leit, Wer jm sein maul halt noch als weit. Der Wundrer gewint die tur auff vnd dicit:

90

Du junger lapp, du wirst mir geben Die meyt, es gillt dir sust mein vnd dein leben! Der Perner:

95

KF 550

Nw sag mir, helt, wes ist die schuld, Dar mit sie hat verlorn dein huld? Die mechtz also gehalten han, Jch wolt dir sie gar gerne lan. Der Wundrer dicit:

100

Jr vater was ein konig reich, So was mein vater jm geleich. Die gaben vns zu ee gar schan, So wil sie mich fur gut nit han. Darumb so wil ich sie verschlinden, Vnd solt jr baide sant erplinden.

Gb 395r

Der Perner spricht zu der junckfraw:

105

Nw sagt mir, zartte junckfraw schon, Wolt jr jn noch zu einem man?

86 Trutz: Droh- bzw. Warnruf 88 vgl. H 142, 3: er tet ein stoß dem tore; B 141, 3: er gab ein stoß der thüre 89 lapp ‚schlapper, einfältiger Mensch‘ 94 mechtz 2. Pers. Sg. Ind. Präs (zu mhd. mugen): ‚vermögen, können‘; umgelautete Form anderweitig nicht nachweisbar (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 144). 99 schan: Schreibungen mit a anstelle von o insbesondere vor Nasal waren im Bair. üblich (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 18); vgl. Z. 161. 100 han ‚haben, halten‘ 102 Möglicherweise ist der Vers übertragen zu verstehen im Sinne von ‚Da könnt ihr machen, was Ihr wollt.‘ 102 sant (zu mhd. sament): ‚gemeinsam‘

90 mein vnd dein: Keller (S. 549) erwägt Konjektur zu dein; der Eingriff bessert semantisch und metrisch, ist aber kaum zwingend. 90 vnd dein: Zwischen Verweiszeichen am Rand von Hauptschreiber Gb nachgetragen 94 mechtz: Keller (S. 1513) erwägt Konjektur zu mechtst, hieraus ergibt sich die Bedeutung ‚Wenn du sie [sc. die huld] erhalten könntest‘; andere Möglichkeiten ohne Konjektur in der Bedeutung ‚Wenn sie [sc. die Jungfrau] sie [sc. die huld] auf diese Weise hätte aufrecht erhalten können‘ oder ‚Wenn sie [sc. die Jungfrau] sie [sc. die Schuld] trägt‘.

532 | 105 – Hans Folz: Der Berner und der Wunderer

Die junckfraw:

110

So het mein got erst gar vergessen! Ee wolt ich mich hie lassen fressen. Fecht, werder helt, fur mich durch got! So helfft jr mir vnd euch auß not. Der Perner dicit:

115

Merck, Wundrer, dir sey wider seyt: Du frißt mir nymer mer die meyt. Ein spital wil ich dir zu messen, Da findest du vil toter leut zu fressen. Der Wundrer:

120

Du junger narr, wilt du dein leben Hie vmb ein pose pubin geben? Ee ich euͮ ch paide sant vermied, Jch hencket euch ee baide an ein wied. Hie wappent die meyt den Perner:

125

Nw wer dich, Wundrer, es ist zeit: Dir wirt der strick selbs an geleit! Jch wil mit gotis hilff auff erden Dem galgen nit zu teyl werden.

KF 551 Gb 395v

Nu slecht Wundrer den Perner nyder. So springt Rudiger dar, dicit: Hast du herr Dietrich erschlagen, Des wil ich dir nymer vertragen.

107 mein: Gen. des Personalpronomens (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 61); vergessen mit Genitivobjekt war seinerzeit gebräuchliche Wendung (vgl. DWb 25, Sp. 414). 107 gar ‚völlig‘ 112 wider  seyt (zu mhd. widersagen): ‚widersprochen, den Kampf angesagt‘ 114 vgl. H 150, 6: so gen in ein spital; B 149, 6: gang in eyn spital 114 zu messen ‚zuweisen‘ 118 vgl. L 40: umb ain wilde magt geben 118 pose ‚verdorben‘ 118 pubin ‚Hure ‘ 119 vermieden (zu mhd. vermîden): ‚verschonen‘ 120 wied: Ein aus Reisern gedrehter Strang bzw. Strick, an dem Delinquenten hingerichtet wurden. 121 Es war traditionell Aufgabe der Frau, dem Mann beim Anlegen der Rüstung behilflich zu sein (vgl. Weinhold: Frauen, S. 200). 121 wappen (zu mhd. wâpenen): ‚rüsten‘ 125 vgl. H 165, 3–4: das ich auf disser erde dem galgen nit werd zu teil; B 164, 3–4: dz mir vff diser erden kein galg mir werd zuͦ teil 127 vgl. L 48: hastu mir den erschlagen 128 vertragen ‚durchgehen lassen‘

105 – Hans Folz: Der Berner und der Wunderer |

533

Perner springt auff, dicit: 130

Rudiger, du wolßt mich han gerochen, Des wirt dir lop vnd er gesprochen. Do schlahens an ein ander, so fellt der Wundrer. Der Perner spricht zu jm: Hor, helt, du solt gar pald auff stan, Wann ich dir ligend nichtz wil than.

135

140

〈Der Wundrer:〉 Sag, helt, wie heißt der name dein? Mir saget offt der vater mein, Wie mich einer erschlagen gund, Dem fewr ging auß seinem mund, Der wer genennet Dietrich. Pist du der, so ergib ich mich. Der Perner hawt jm das haupt ab. Die kunigin zeuht jm den harnasch ab. Perner dicit:

145

Junckfraw, ich han erloset euch vnd mich Vor hencken, erneret bede sametlich. Mir hat geholffen got gar ser, Das er euch frißt nymer mer.

Gb 396r

129 vgl. H 180, 5–6: also sprang er auf mit schalle her Diterich von Pern; B 180, 5–6: do sprang sich vff mit schalle herr Dietrich von Bern 130 vgl. L, 54: woltest mich han gerochen 130 gerochen (zu mhd. rechen): ‚gerächt‘ 133 vgl. H 189, 8: nun ste du auf pald wider; B 189, 7: nuͦ n stee du bald vff wider 137 vgl. H 187, 1: mir sagt der vater meyne; B 187, 1: mir sagt der vatter meyne 138 gund: Lenisierte Graphie bei Initialstellung verbreitet (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 49); wahrscheinlicher: Prät. mit Präfixausfall von beginnen in rein umschreibender Funktion (vgl. Lex I, S. 146). 139 vgl. H 187, 5–6: dem ging auß seinem munde ein glo von faür so rot; B 187, 5–6: dem gieng vß seinem munde das wild feuͦ r so rot 142 vgl. H 194, 4: vnd hawt ims gantz herab; B 202, 1–2: die junckfrauw band im abe den seinen helm 142 harnasch obd. ‚Brustpanzer‘ 144 erneren ‚retten‘

130 wolßt: Keller (S. 1513) erwägt Konjektur zu woltßt; vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 146 132 Das Ende der Regieanweisung ist markiert. 133 Paragraphenzeichen zu Zeilenbeginn 135 Es ist davon auszugehen, dass hier ein Sprecherwechsel vorliegt und der Wunderer die folgenden Zeilen spricht (vgl. De Leeuwe: Komposition S. 155; Keller: Fastnachtspiele, S. 551). 138 gund: Keller (S. 1513) erwägt Konjektur zu kund 142 Trennungszeichen zwischen Regie- und Redeanweisung

534 | 105 – Hans Folz: Der Berner und der Wunderer

Die junckfraw dicit:

150

Ein segen jr von mir erwerbt, Das jr von keinem waffen sterbt. Des habt zu pfand mein weiplich er, Jr seit behuet fort ymer mer. Ein pawr:

155

KF 552

Wirt, jr sullt nit fur vbel han, Mich deucht, eim tantz wolt ich recht than. Gib ein tantz dem Perner vnuertzagt, Wann er hat eren genuck erjagt. Darumb so schlag ein reyen auff, Seit wir sein kumen auß der trauff. Der herolt:

160

165

Herr wirt, nw gebt vns vrlaup drat! Jch frew mich, das Wundrerer ist tat. Meins lebens het ich mich verwegen. Hett jr vnser so wol nit pflegen Mit edler speiß vnd gutem wein, Vor schrecken must wir all tot sein. Des woll wir euch gar fleissig dancken. Got frist euch allzeit vor ̲ krancken.

148 vgl. H 209, 1: sie gesegnet in so susse; B 209, 1: vnd gesegnet jn gar schone; vgl. auch H 129, 5: ich wil dir thun ein segen; B 128, 5: ich thuͦ dir einen segen 149 waffen (zu mhd. wâfen): im Singular meist ‚Schwert‘, im Mhd. noch neutr. 157 reyen ‚Reigen, Tanzmusik‘ 158 sein: Die 1. Pers. Pl. Ind. Präs. wurde häufig aus dem Infinitiv gebildet (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 149). 158 trauff: ‚starker Regen‘; zum metaphorischen Gebrauch vgl. DWb 21, Sp. 1404. 160 vrlaup ‚Erlaubnis zu gehen, Abschied‘ 160 drat ‚schnell‘ 161 Wundrerer: Den Artikelausfall, der den Wunderer bereits als Eigennamen erscheinen lässt, bemerkt bereits Keller (Keller: Fastnachtspiele, S. 552); möglicherweise liegt in der Vorwegnahme des r eine Fehlschreibung vor. 162 verwegen ‚verloren geben‘ 163 pflegen (zu mhd. phlëgen): ‚sich annehmen, sorgen‘; die Bildung des Part. Perf. Verbs pflegen mit ge- ist noch nicht konsequent umgesetzt, mit Akk. oder Gen. 166 woll: Zur Möglichkeit des Flexivausfalls der 1. Pers. Pl. Ind. Präs. bei nachgestelltem Personalpronomen vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 94. 167 fristen (zu mhd. vristen): ‚behüten‘ 167 krancken ‚krank werden‘

161 das Wundrerer: Keller (S. 552) erwägt Konjektur zu das der Wundrer 161 tat: Keller (S. 552) erwägt Konjektur zu tot; vgl. Z. 99 166 Der Vers steht bis euch in derselben Zeile wie der Vorherige. Der Rest ist in der Folgezeile vor dem letzten Vers positioniert. Versanfang und -ende sind jeweils durch einen Trenner (am Anfang //, am Schluß etc.) markiert.

105 – Hans Folz: Der Berner und der Wunderer |

535

Kommentar Bezeugung Gb, Bl. 392r–396v

Ausgaben Keller: Fastnachtspiele II, S. 547–552 (= Nr. 62, G); Bd. III, S. 1513; Bd. IV, S. 344.

Textkritik Der Text ist unikal in Handschrift G überliefert.

Autor Als Autor ist Folz anzusehen, der zwar nicht explizit genannt wird, auf dessen Verfasserschaft jedoch zahlreiche stilistische wie inhaltliche Momente hinweisen (vgl. Gerhardt: Hans Folz, S. 37, 42, 60f.). Es sind dies der aufgehobene Tanzschluss (vgl. Catholy: Fastnachtspiel, S. 182) sowie der eng an andere Schlussreden angelehnte Aufbau der Worte des Herolds. Insbesondere die für das Genre ansonsten nicht belegte Thematik ist zu beachten, da Folz immer wieder neue bzw. in anderen literarischen Zusammenhängen etablierte Stoffbereiche für die Gattung Fastnachtspiel erschließt. Neben der thematischen Experimentierfreude lässt sich eine weitere Besonderheit bezüglich der Arbeitsweise erkennen. Wie in ‚Die drei Brüder und das Erbe‘ (F 87), ‚Der Herzog von Burgund‘ (F 88), ‚Von einem Arzt und einem Kranken‘ (F 111) ‚Domherr und Kupplerin‘ (F 95) oder ‚Salomon und Markolf‘ (F 103) greift der Verfasser auf einen oder mehrere schriftlich vorliegende Zeugen zurück und macht den Stoff und/oder Passagen aus der Bearbeitung den eigenen literarischen Ambitionen dienstbar. Die im ‚Dresdener Heldenbuch‘ enthaltene, im Jahr 1472 möglicherweise in Nürnberg fertiggestellte (vgl. Heinzle: Dietrichepik, S. 188) Fassung dürfte Folz zugänglich gewesen sein. Das 1480–1490 für den Nürnberger Bürger Lienhart Scheubel angefertigte ‚Heldenbuch‘ unterstreicht die Popularität und Beliebtheit heldenepischer Dichtung. Und nicht zuletzt das dramatische Vermögen des Autors lässt auf den Meistersinger Folz mit einiger Gewissheit schließen (vgl. De Leeuwe: Komposition, S. 157).

Datierung Terminus ante quem ist 1494, das Abschlussjahr von G.

536 | 105 – Hans Folz: Der Berner und der Wunderer

Rollen, Inhalt, Struktur Rollen: Einschreier, Jungfrau, König Etzel, Rüdiger von Bechelaren, Dietrich von Bern, der Wunderer, ein Bauer, der Herold (wohl mit dem Einschreier identisch). Das Handlungsspiel wird durch den Precursor eröffnet, der sich als Diener Etzels ausgibt. Zu einem Fest am Hofe des Königs kommt eine schöne junge Frau. Sie bittet um Einlass und Schutz in der Burg, da der Wunderer sie verfolge und fressen wolle. Etzel weigert sich, die Tore vor dem Eindringling zu schließen, bietet ihr aber an, sich einen Kämpfer aus der Schar der Gäste zu erwählen (Z. 13–37). Rüdiger von Bechelaren lehnt jedoch dankend ab (Z. 56–61), und so kommt der junge Dietrich zu seiner Chance (Z. 53–54). Im anschließenden Kampf gegen den Wunderer geht er zunächst zu Boden (Z. 126), Rüdiger springt ihm zur Seite, und schließlich schlägt Dietrich dem Ungeheuer den Kopf ab (Z. 142). Ein Bauer bittet zu Ehren des Helden um einen Tanz, bevor der Herold seinen Dank über den Tod des Wunderers äußert. Deutungsaspekte: Strukturell lassen sich Parallelen zur aventiure der Artusromane und zur Dietrichepik erkennen, weibliches Hilfebegehren und die Übernahme der Schutzfunktion durch den Mann sind aus diesen Kontexten bekannt. Die komplexe Struktur von Schuld, Einsicht und Umkehr in den Umsetzungen des Wundererstoffs jenseits des vorliegenden Spiels ist hier allerdings nicht angelegt. Vielmehr stehen im Fastnachtspiel komische Aspekte im Vordergrund. So kann die Jungfrau zunächst keinen Helden unter dem Gefolge des Hunnenkönigs ausmachen und Dietrich schickt den Wunderer mit seinem Hunger nach Menschenfleisch in ein Krankenhaus. In Z. 41 wähnt sich die junge Dame im Besitz einer genad, also einer Gabe, die jedoch nicht näher beschrieben wird, da vor oder nach besagter Zeile ein Vers ausgefallen ist. In den übrigen Umsetzungen des Stoffs (s.u.) wird an dieser Stelle jeweils von der Fähigkeit berichtet, sie könne Menschen durchschauen. Interessanterweise gelingt genau dies im Falle des Rüdiger nicht, der die in ihn gesetzten Hoffnungen zunächst enttäuscht. Im Verbund mit der Darstellung blutiger Kampfszenen sowie einem vergleichsweise elaboriert konstruierten Spannungsgefüge mit Exposition, sich steigernder Handlung, retardierendem Moment, Peripetie und fallender Handlung weist das Stück in nuce wesentliche Merkmale eines klassischen bzw. modern anmutenden Dramas auf. Der Tanzschluss, häufig der Abschluss der Inszenierung und Beginn einer neuen Phase fastnächtlichen Treibens, wird durch den Herold aufgehoben: Er beschwört ein weiteres Mal die Bühnenrealität herauf, bekennt, mit dem Leben abgeschlossen zu haben, solange das Ungeheuer nicht getötet sei und verbindet Freude über den Tod des Wunderers und Dank für die Regalierung durch den Hausherren mit dem Wunsch nach Gesundheit für den Wirt. Er doppelt in diesem Segen die Rolle der Jungfrau, die zuvor auf der Bühne ihrerseits Dietrich mit Unverwundbarkeit beschenkte. Auf diese Weise bleibt auch der Tanz der Protagonisten mit Frauen aus dem Publikum auf der Bühne und wird nicht in den Schankraum übertragen. Zum Verständnis des Textes muss die Stofftradition in aller Kürze umrissen werden. Die Sagengestalt des Dietrich spielt in zahlreichen schriftlich wie mündlich tra-

105 – Hans Folz: Der Berner und der Wunderer |

537

dierten Texten wie ‚Jüngeres Hildebrandslied‘, ‚Nibelungenlied‘, und ‚Eckenlied‘ sowie ‚Sigenot‘, ‚Laurin‘ und ‚Virginal‘ eine Rolle; die Überlieferungsgeschichte beginnt um 840 und reicht mindestens bis in in die Mitte des 16. Jahrhunderts. Diese Überlieferung scheint dem Verfasser sehr vertraut zu sein: In Z. 65 wird Dietrich zwischen zwei Königen im Ring sitzend geschildert, gemeint ist dessen Vermittlerrolle, die er im Nibelungenlied einnimmt, und in Z. 70 fürchtet sich der König vor Vertreibung durch die Verwandtschaft Dietrichs. Hier wird auf die Flucht Dietrichs vor seinem Onkel Ermanarich aus Bern an den Hof Etzels angespielt. Unter den vorreformatorischen Nürnberger Spielen ist F 105 das einzige, das sich dieses Stoffkreises annimmt. Erst in der Sterzinger Sammlung Vigil Rabers von 1511 erscheint das ‚Tiroler Reckenspiel‘ als dramatische Version des Stoffs, von 1533 datiert die Niederschrift der ‚Berliner Fragmente eines Rosengartenspiels‘ (Ms. germ. fol. 800, vgl. Krusenbaum/Seebald: Maximilian, S. 94). 1557 dichtete Hans Sachs schließlich das mit 1142 Versen wesentlich umfangreichere Bühnenspiel ‚Der hürnen Seufrid‘ (vgl. Gerhardt: Hans Folz, S. 43). Etwas abseits der übrigen Dichtungen steht der Stoff um die Episode mit dem Wunderer, die in fünf weiteren Fassungen auf uns gekommen ist (vgl. Hempel: Wunderer, S. 1 bzw. Heinzle: Dietrichepik, S. 188). Für einen Textvergleich wurden die Handschrift H aus dem ‚Dresdner Heldenbuch‘ Kaspars von der Roen (von der Hagen: Heldenbuch, S. 55–73), der bei Zink: Wunderer als Faksimile abgedruckte Straßburger Druck B sowie das aus Nürnberg stammende Linzer Druckfragment L (in: ZfdA 51, S. 416–421) herangezogen, da sie aufgrund des Entstehungsorts und -zeitpunkts für die Lektüre durch Folz infrage kommen. Und die Parallelstellen belegen dessen Kenntnis jener Texte, der Titel weist insbesondere eine gewisse Nähe zum Straßburger Druck auf (vgl. Gerhardt: Hans Folz, S. 68ff.). Über diese literarischen Bearbeitungen hinaus war der Wunderer als Ungeheuer im Volksglauben tief verwurzelt und spielte in zahlreichen Sagen eine Rolle (vgl. Gillespie: Wunderer, S. 100). F 105 lässt gegenüber den übrigen Umsetzungen des Stoffs starke Kürzungen in der Beschreibung der Hofhaltung Etzels und der Auswahl des Kämpfers Dietrich erkennen. Ferner lässt das Spiel das Verbot Etzels gegenüber dem recht jungen Dietrich unerwähnt, sich im Kampf dem Ungeheuer zu stellen. Darüber hinaus ist die mit der Segnung verbundene Unverwundbarkeit nicht vor, sondern nach dem Kampf angesetzt, was die Leistung des Helden nicht unerheblich steigert. Insbesondere jedoch in der Beschreibung der Eigenschaften der jungen Dame geht Folz eigene Wege. So gibt sie sich am Ende nicht explizit als Frau Saelde zu erkennen, und auch die in den übrigen Texten geschilderte Fähigkeit, jederzeit jeden Ort erreichen zu können, bleibt unerwähnt. Auf diese Weise verliert sie jede Form von Transzendenz und ordnet sich der handfesten Fastnachtspielsituation unter. Aufführungshinweise: In der genannten Reduktion geht Folz nicht nur inhaltlich hinter seine Vorlagen zurück: Bezüglich der dramatischen Inszenierbarkeit durch Laiendarsteller und der Rezeptionsgewohnheiten der Zuschauer stellen die Kürzungen eine Besserung dar. Die komprimierte Präsentation aktionsgeladener Kampfhandlungen scheint Folz und wahrscheinlich auch seinem Publikum wichtiger gewe-

538 | 105 – Hans Folz: Der Berner und der Wunderer

sen zu sein als inhaltliche Korrektheit gegenüber der etwas ausufernden und langatmigen Vorlage (vgl. Steinmeyer: Heldenbuch, S. 242). Man muss dem Verfasser theatrale Versiertheit auch dahingehend bescheinigen, dass er per Teichoskopie elegant die Notwendigkeit umgeht, Hunde auf der Bühne auftreten zu lassen, indem er den Precursor diese in Z. 10 erwähnen und den König in Z. 23 danach fragen lässt. Das Geschehen wird vergleichbar F 95 aus den traditionellen mansiones herausgelöst. Statt deren paralleler und gleichzeitiger Präsenz wird die Bühne als ein einziger Raum genutzt, außerhalb dessen sich nicht inszenierte Teile des Plots ereignen, die lediglich in Form verbaler Berichterstattung Bestandteil der Handlung werden. Aus dieser räumlichen Bedingtheit erwächst eine Betonung des Chronologischen: Während in den Reihenspielen des älteren Typus oder auch in den argumentativ aufgebauten Disputations- und Gerichtsspielen die Gleichzeitigkeit mehrerer Positionen stilbildend ist, überwiegt in den Handlungsspielen der Eindruck des zeitlichen Nacheinander. Die chronologisch-eindimensional angelegte Aktion führt zu einer anderen Wahrnehmung des Bühnengeschehens durch das Publikum gegenüber der Parallelität der Diskussionsspiele bzw. Achronizität der zusammenhanglosen Revuen: Das auf einen finalen Punkt zusteuernde Konzept nutzt die einzelnen Bausteine der Handlung zwingend aufeinander rekurrierend, das Gezeigte erscheint in höherem Maße in sich verzahnt, die Ereignisse bedingen einander zwangsläufig. Und gleichzeitig gibt es einen Punkt, an dem eine Wendung zum guten oder zum schlechten Ausgang möglich scheint. Der Betrachter wird auf der Reise zu diesem entscheidenden Punkt durch die Verdichtung der Ereignisse in höherem Maße an ein einziges Geschehen gebunden, als dies in der disparaten Parallelität der Erzählstränge einer Revue der Fall sein kann. Beginn, Verlauf und Ende der Inszenierung treten stärker in das Bewusstsein des Rezipienten als die auf zeitlose Gültigkeit angelegten Diskurse oder die ewig banalen Prahlereien und Schimpftiraden. Der Precursor nennt in seiner Einschreierrede alle Bühnenfiguren. Es ist wohl davon auszugehen, dass hierbei auf die einzelnen Rollen jeweils gestisch verwiesen wurde. Hierdurch enthebt sich Folz der Notwendigkeit, dem Publikum innerhalb des Spieltextes die einzelnen Charaktere nahezubringen. Es finden sich im vorliegenden Spiel implizite (Z. 36) und explizite Regieanweisungen (Z. 38, 80, 88, 121, 126, 129, 142). Insbesondere in den Zeilen, in denen das vergebliche Suchen der Jungfrau geschildert wird, muss man sich sprachlose Momente und Bewegungen des Umherschauens denken. Weitere Bühnenaktionen erschließen sich aus dem Sprechtext: Wenn die Jungfrau äußert, Rüdiger habe ihr einen Korb gegeben (Z. 63), so ist damit zu rechnen, dass dieser sich zuvor von ihr abwendet (vgl. auch Gerhardt: Hans Folz, S. 78). Wenn auch generell Aussagen über die Kostümierung schwierig sind, da sich die wenigen bildlichen Darstellungen theatraler Szenen meist auf geistliche Spiele beziehen (vgl. Wolf: Verfremdung, S. 258), muss im vorliegenden Spiel zumindest ein Brustpanzer für den Berner vorhanden gewesen sein, der ihm angelegt und später wieder ausgezogen wurde (vgl. Z. 121, 142), sowie ein Schwert, das er gegen den Wunderer

105 – Hans Folz: Der Berner und der Wunderer |

539

führte (vgl. Z. 142). Die Regieanweisungen sowie die gesamte Architektur des Spiels belegen, dass dem Verfasser die Darstellung von Aktion und Komik so stark am Herzen lag, dass ein Verzicht auf diese Requisiten unverhältnismäßige Einbußen bezüglich der intendierten Wirkung bedeutet hätte. Des Wunderers Verkleidung muss so angelegt gewesen sein, dass eine Enthauptung umsetzbar war, dass also nach Führen des tödlichen Schwerthiebs der Kopf des Fabelwesens zu Boden fiel. Es liegt nahe zu vermuten, dass der Akteur dieses künstliche Haupt über dem natürlichen trug, was Größe und Gefahr des Ungeheuers zusätzlich betonte. Da es sich um Laienspielgruppen handelte, ist jedoch nicht davon auszugehen, dass es sich um eine aufwendig geschnitzte Maske handelte, sonder vielmehr um ein aus Pappmaché angefertigtes Requisit (vgl. Herrmann: Forschungen, S. 82f.).

Textbezüge Inhaltlich weicht das Spiel von den übrigen Fastnachtspielen ab, mittelhochdeutsche Dietrich- bzw. Heldensage findet sich in keinem der übrigen frühen Nürnberger Spiele (vgl. Gerhardt: Hans Folz, S. 42), ebensowenig ist sie in der dem Fastnachtspiel verwandten Gattung des Märe vertreten (vgl. Gerhardt: Hans Folz, S. 59). Diesbezüglich ähnlich isoliert stehen R 18 und R 19 des Rosenplütkorpus, die Personal sowie Motivik der Artusepik aufgreifen (vgl. Lenk: Fastnachtspiel, S. 50). In der Bannung bzw. Tötung eines auf der Bühne dargestellten Dämons lässt sich eine gewisse Parallele zu F 88 ‚Der Herzog von Burgund‘ ziehen, dort verweist die Sibylle einen Drachen in die Schranken. Im Nürnberger Schembartlauf dagegen war der ‚Wilde Mann‘ fest verankert und betritt so gewissermaßen neben der Heldendichtung auch aus einer außerliterarischen Tradition fastnächtlichen Brauchtums heraus die Fastnachtspielbühne. Weniger eine thematische Konstante denn generell der Umgang mit einem bestimmten Stoff durch den Dichter Hans Folz spiegelt sich in der der Zeichnung der Jungfrau. Gegenüber der älteren Tradition gibt sich diese nicht als Frau Saelde zu erkennen, der Umfang ihrer Fähigkeiten ist deutlich reduziert. Hier geht Folz ähnliche Wege wie in F 87, F 88 und F 107, indem er den symbolischen Gehalt der stofflichen Traditionen in weiten Teilen aufgibt gegenüber der Nutzung von deren äußerer Form. Bearbeiter: Gerhardt, Greil

106 – Hans Folz: Das Rätselspiel (Fassung I)

Der freyheit frag stuk vnd antwort etc.

5

Got gruß den wirt vnd sein gesind Vnd alles, das ich hynnen find! An außgenomen einen man, Den ich mit wortten wil bestan.

KF Nr. 63

Gb 405r KF 553 F 103I/II, 3f.

Frager: Sag an, jauffkint, wann kumst du her? Du reitest weder esel oder pfer. Jauffkint: 10

Der teufel danck dir deines gruß! Seyt dan, das ich dir solchs sagen muß, Ich reitt weder esel noch pfer Vnd kum auff mein selbs fußsen daher. Frager:

15

KF 554

Warumb furest du ein pruͤ gel in der hant? Du pist keinem fursten nye worden bekant. Jauffkint:

20

Ich fur ein pruͤ gel in der hant, Damit so lauff ich durch die lant Vnd thu auch das mit gutem recht.

1 freyheit (zu frnhd. freihart): ‚Landstreicher, liederlicher Geselle‘ 1 frag stuk ‚Fragen, Fragenkatalog‘ 4 An außgenomen ‚Mit Ausnahme von‘ 5 bestan ‚widerstehen, im Kampf besiegen‘ 7 jauffkint ‚Gaukler, Landstreicher, der mit Possenreißen seinen Unterhalt verdient‘ 7 wann (zu mhd. wannen): ‚woher‘ 8 pfer: ‚Pferd‘; diese Reimform ist ebenfalls belegt in Z. 12 sowie in R 17, Z. 131. 11 Seyt ‚Weil‘ 15 pruͤ gel ‚Knüppel‘

1 unterstrichen; im Register G: Von dem freyhait vnd wie man jn frag stuck anlegen soll 2 Paragraphenzeichen am linken Rand 6 Sprecherbezeichnungen und Handlungsanweisungen sowie die jeweils ersten Wörter der jeweiligen Reden sind unterstrichen.

542 | 106 – Hans Folz: Das Rätselspiel (Fassung I)

Wann ich far fur ritter vnd knecht. Frager:

25

Gb 405v

Nw sag, was ist hoher dan got? Vnd was ist erger dan der spot? Vnd was ist tieffer dann alle prunnen? Vnd was ist klerer dan die sunnen? Jauffkint:

30

Die kron ist hoher dan got. Wucher ist erger dan spot. Lieb ist tieffer dann alle prunnen. Maria ist klerer dan die sunnen. Frager:

35

Sag, jauffkint, warumb ist der walt weiß? Warumb ist der wolff greyß? Warumb ist der schilt verplichen? Warumb sein gut gesellen von einander gewichen? Was ist schwertzer dan der rab? Was ist stoltzer dan der knab? Jauffkint:

40

Vor vngewiter ist der walt weyß. Vor alter ist der wolff greyß. Von stichen ist der schilt verplichen, Von vntrew ist einer von dem andern gewichen.

KF 555 Gb 406r

21 fur (zu mhd. vür): ‚als, an Stelle von; im Interesse von; zum Schutz vor‘ 21 knecht ‚Knappe‘ 24 arg ‚schlimm, verletzend, beißend‘ 26 klar ‚hell, licht‘ 28 kron: In bildlicher Verwendung ‚Königtum‘; Uhland: Volkslieder 3, S. 208 ergänzt in der Antwort „die Krone sei höher denn Gott [auf Gemälden]“. 29 Wucher: ‚Zinsnahme‘; kirchliches Verbot der Zinsnahme, ebenso weltliche Rechtsquellen (DWb 30, Sp. 1693–1695); siehe auch Folz: Reimpaarsprüche, Nr. 37. 29 spot ‚Hohn, Häme‘ 31 Zur Lichtmetaphorik in Bezug auf Maria vgl. Salzer: Sinnbilder, S. 32f. 34 greyß (zu mhd. grîs): ‚grau‘ 35 schilt ‚Schild im Kampf‘ 36 gewichen (zu mhd. wîchen): ‚gewichen, geflohen‘ 40 vngewiter hier: ‚Schneesturm‘ 42 stichen ‚Attacken mit dem Speer‘

23 Paragraphenzeichen am linken Rand

106 – Hans Folz: Das Rätselspiel (Fassung I)

45

| 543

Vnd pech ist schwertzer dan der rab. Die meÿt ist stoltzer dan der knab. Frager:

50

Sag was ist gruner dan der kle? Was ist weisser dan der schne? Warumb sein die glocken hell? Warumb sein die pferd so schnell? Warumb sein die wasser trieb? Warumb sein die schon frawen so lieb? Jauffkint:

55

60

65

70

Laub ist gruͤ ner dan der kle. Ein schwann ist weisser dan der schne. Von dem futer weren die pferd schnell. Von guter speyß werden die glocken hell. Von regen werden die wasser trieb. Von schon weren die frawen lieb. Frager: Warumb grunet der wa[ld]ß Vnd warumb hupfft der haß? Was wilt du mir auß der eychen geben? Fele nit vnd sich dich fur eben! Wann du solt die henndel wissen, Das man dich nit mit eim spulich werd gissen. Was wilt du mir sagen von der weyden? Doch soltu die warheit nit meyden. Vnd was wilt du mir von der puchen langen? Hut dich, das du nit werst erhangen!

Gb 406v

49 hell ‚wohlklingend‘ 52 lieb ‚liebenswert‘ 56–57 Die Reihenfolge dieser beiden Antworten ist umgestellt (vgl. Z. 49f.). 57 speyß: ‚Glockenspeise‘; Kupferzinnlegierung für den Glockenguss (vgl. DWb 8, Sp. 180f., 16, Sp. 2099). 59 schon ‚Schönheit‘ 61 waß (zu mhd. wase): ‚Rasen‘ 63 wilt: Zur Flexion der 2. Pers. Sg. Ind. Präs. des Verbs wollen vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 146. 64 sich fur (Imp. zu mhd. vürsëhen): ‚sich vorsehen‘ 64 eben ‚gut‘ 65 henndel (Pl. zu Handel): ‚Abmachung, Übereinkunft‘ 66 spulich ‚Spülwasser, Abwasser‘ 69 langen ‚greifen, holen‘; hier: ‚zustande bringen, herstellen‘

61 waß] waldß 66 gissen über der Zeile nachgetragen

544 | 106 – Hans Folz: Das Rätselspiel (Fassung I)

Jauffkint:

75

80

KF 556

Von doner so grunet der was. Von natur so hupft der haß. Auß der eychen wil ich machen ein nab Zum rad, domit man fert auff vnd ab. Auß der tannen wil ich langen Zu dem stechen vnd rennen ein stangen, Domit man muß hoch turniren Vnd schon frauen hofieren. Nw sag ich dir von der weyden, Dar auß wil ich die korb schneiden, Dann ich hab jn meinem sinn Wie die pewrin furen eÿr gen marckt darinn. Frager:

85

90

Nw sag, jauff kint, wo leit der stein, Den die sun nÿe beschein Vnd den kein han nye vberkret Vnd den kein wint nẏe vberwet. Den kein pfaff nye vbersang Vnd den kein glock nye vberklang? Kanst du mir das sagen, So wil ich dich fur ein rechts jauffkint haben.

Gb 407r

72 doner: Wohl in unüblicher Verwendung für ‚Regenguss, Schauer‘. 73 Von natur ‚Aus Instinkt‘ 74 nab ‚Radnabe‘ 76 tanne: Gefragt wurde in Z. 69 nach der puche. 77 stange: Waffe zum Stechen und Schlagen, hier: ‚Lanze‘. 78 hoch ‚edel, vornehm, stolz‘ 78 turniren: ‚sich im ritterlichen Lanzenkampf üben‘; hier ist wohl kein ernsthafter Kampf gemeint, sondern die zu dieser Zeit üblichen Schaukämpfe (vgl. DWb 17, Sp. 1231f., 1217f.). 79 hofieren: ‚aufwarten; schmeicheln‘, d.h. sich zu Ehren der Frau im Turnier üben (vgl. DWb 10, Sp. 1682 mit dieser Stelle). 83 eÿ ‚Ei‘ 87 vberkren: ‚über etwas hinweg krähen, ein Krähen über etwas hinweg ziehen lassen‘, siehe Z. 89, 95 und 97 (vgl. DWb 23, Sp. 353 mit allein diesem Beleg). 88 vberwen ‚darüber hinweg wehen‘ 89 vbersingen ‚über etwas hinweg singen‘ 90 vberklingen ‚klingend über etwas hinweg gleiten‘

106 – Hans Folz: Das Rätselspiel (Fassung I)

| 545

Jauffkint: 95

Hintter der hell, do leyt der stein, Den sun vnd mond nye vberschein Vnd den kein han nye vberkret Vnd den kein wint nye vberwet.

KF 557

Frager: 100

Sag, was sein die drew wunderlichen dinck, Die man nw in der werlt findt? Jauffkint:

105

110

Das sag ich dir allein: Ein zerß, der stet vnd hat kein pein. Ein fotz helt wasser vnd hat kein poden Vnd ist auch zwar nit gelogen. Ich rede es auch vnuerporr ̲gen, Das die hoden hangen vnd nit erworgen. Das sein die drew wunderlichen dinck, Die man nw in der werlt findt. Frager: Sag, welchs sein die vier vppigen dinck, Die mann jn der werlt findt? Jauffkint:

115

Ein pub auff einem roß Ein hurr auff einem schloß Vnd ein lawß auff einem grint Vnd ein feder jn einem wint.

Gb 407v

94 Gemeint ist hier der Höllenstein oder auch Dillestein, der als Grundfeste der Erde galt und vom Posaunenschall, der die Toten erweckt, entzwei brechen wird. Entgegengesetzt steht das Himmelsdach, s. Fassung II, Z. 95 (vgl. Uhland: Volkslieder 3, S. 208 und Konrad von Würzburg: Schmiede, S. 145, Anm. 32). 95 vberscheinen: ‚bescheinen, mit Glanz bedecken‘; zur Flexion vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 110. 99 wunderlich ‚seltsam‘ 103 zerß ‚Penis‘ 105 zwar ‚wahrhaftig‘ 106 vnuerporrgen: ‚frei heraus‘; häufig als Reimwort ohne Gehalt, vgl. DWb 24, Sp. 2009. 107 hangen ‚[am Galgen] hängen‘ 107 erworgen ‚ersticken‘ 111 vppig ‚eitel; übermütig‘ 114 pub ‚übler Bursche, Trossknecht‘ 116 grint: ‚Ausschlag‘, metonymisch ‚Kopf‘, hier: synekdochisch ‚Glatze‘. 117 Wohl Bezugnahme auf die Redensart „Federn in den Wind schütten“ in der Bedeutung ‚Sinnloses tun‘ (vgl. Röhrich: Redensarten 2, S. 424).

546 | 106 – Hans Folz: Das Rätselspiel (Fassung I)

Ob ich des nit beweret hab, So frag halt mer vnd laß nit ab! 120

125

Frager: Sag, ist ein straß an staub? Wo ist ein paum an laub? Wo ist ein junckfraw an heinnlich leyden? Wo ist ein wasser an weyden? Oder ein schone fraw an lieb? Vnd ein jarmarckt an dieb? Vnd kanst du mir das recht gesagen, So wil ich dich fur ein rechts jaufkint haben.

KF 558

Jauffkint: 130

135

Gen himel get ein straß an stawb. Im paradiß stet ein paum an laub. Der Jordan stet an weyden. Maria ist ein junckfraw an leyden. In dem himel ist ein jarmarckt an dieb. In der hell ein fraw an lieb. Nw thu mich halt fragen mere, Anders es get dir an dein ere. Frager:

140

145

Gb 408r

Sag, welcher vogel hat kein kragen? Vnd welcher vogel hat kein magen? Vnd welcher vogel hat kein mut? Vnd welcher vogel hat kein plut? Vnd welcher vogel hat kein zungen? Vnd welcher vogel saugt sein jungen? Vnd welcher vogel hat kein gallen? Laß schawen wie du das wollest kallen!

118 beweren (zu mhd. bewæren): ‚etwas durch Wort oder Text beweisen, darlegen‘ 123 heinnlich leyden: Belegt als ‚still ertragenes Leid‘, aber auch ‚Geschlechtskrankheiten‘ (vgl. DWb 10, Sp. 876); die Antwort legt indes die Bedeutung ‚heimliche Leidenschaft, sinnliches Begehren‘ nahe. 124 weyde ‚Weidenbaum, Weide‘ 125 lieb ‚Geliebter‘ 126 an ‚ohne‘ 128 haben fur ‚für etwas halten‘ 134–135 Die Reihenfolge dieser beiden Antworten ist umgestellt (vgl. Z. 125f.). 139 kragen ‚Hals‘ 146 kallen kallen ‚ausplaudern‘; vgl. Z. 155

106 – Hans Folz: Das Rätselspiel (Fassung I)

| 547

Jauffkint:

150

155

Der strauß hat kein magen. Vnd die muck hat kein kragen. Vnd die ewl hat kein mut. Vnd die pÿn hat kein plut. Vnd ein storch hat kein zungen. Vnd ein fledermauß sewgt jr jungen. Vnd ein turteltaub hat kein gallen. Also kan ich dirs gekallen!

KF 559

Frager: Nw sag mir eins an vntterschaid: Was tregt den wolff vber die heyd? Jauffkint dicit: 160

Das wil ich 〈dîr〉 pald sagen [dîr]: Die wulffin tut jn vber die heyd tragen.

148 Gemäß mittelalterlicher Auffassung ist der Strauß in der Lage, Eisen zu verdauen: „er izt eisen und verdäut daz, wan er ist gar haizer nâtûr“ (Konrad von Megenberg: Buch, S. 223), sollte demnach allerdings einen besonders robusten Magen besitzen. Möglicherweise ist hier der Reiher gemeint: „der raigel hât neur ainen darm sam der storch“ (Konrad von Megenberg: Buch, S. 168). 150 Dies, weil sie von anderen Vögeln belästigt wird und so des Nachts fliegen muss: „wan flüg er des tages, sô schriren in all ander vogel an und liezen in kain ruow haben“ (Konrad von Megenberg: Buch, S. 208). 151 „kain wurm hât pluot“ (Konrad von Megenberg: Buch, S. 287); Konrad ordnet die Biene unter die Kriechtiere. 151 pÿn (zu mhd. bin/bîn): ‚Biene‘ 152 zunge: ‚Zunge, Sprechwerkzeug‘; Konrad bemerkt, „daz der vogel kain stimm hab denne daz er cläpper mit dem snabel“ (Konrad von Megenberg: Buch, S. 175). 153 „der vogel under allen vogeln gepirt allain seineu kint als ain geperndez gêndez tier und säugt seineu kint“ (Konrad von Megenberg: Buch, S. 226); die Fledermaus wird im Mittelalter den Vögeln zugeordnet. 154 Dass die Taube keine Galle habe und sich daher durch besonderen Sanftmut auszeichnet, galt seit der Antike als Faktum (vgl. Konrad von Megenberg: Buch, S. 179–181). Darin gleicht sie Maria (s.a. Z. 31), als deren Sinnbild sie galt (vgl. Salzer: Sinnbilder, S. 134–140). 157 an vntterschaid ‚in aller Deutlichkeit, eindeutig‘

160 dîr pald sagen] pald sagen dir: Parallelstelle und Reim legen den Eingriff nahe.

548 | 106 – Hans Folz: Das Rätselspiel (Fassung I)

Frager:

165

Gb 408v

Nw sag mir, jauff kint, die geschicht, Das der teufel alle sund sicht Vnd got mag sein nit gesehen. Thu mir die abentewr verjehen! Jauffkint:

170

Dasselb ich dir sagen sol: Ein teufel sicht den andern wol. So mag got nymmer in seinem reich, Kein sehen driueltig, der jm sej geleich. Frager:

175

Nw sag mir, jauff kint, die drew stuck: Man sol sich huten vor grossem geluck. Das ander, vor einem berechten tot. Nw merck das dritt, es tut dir not: Man sol sich auch hueten vor gesunter speis. Was machst du souil geheyß?

KF 560

Jauffkint: 180

185

Wenn einer abfellt arm vnd pein, So spricht dan jderman gemein: Er het groß geluck, das er nit fiel zu tot, Das ist das geluck, das er dan hot. Das ander, der sich vor ̲ eÿm berechten tot hut nicht, Der wirt verurteilt vor gericht.

163 geschicht ‚Angelegenheit, Begebenheit‘ 164 sund (zu mhd. sunder): ‚einzeln‘, also ‚Dass der Teufel alle [anderen Teufel] je einzeln sehen kann‘. 164 sicht 3. Pers. Sg. Ind. Präs. zu sehen 165 sehen: mit Genitiv (vgl. DWb 16, Sp. 136); sein: Genitiv des Personalpronomens der 3. Pers. Sg. (vgl. Paul: MhdGr, § 214, Anm. 4; Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 63): ‚Gott kann seiner [selbst] nicht sehen‘. 166 abentewr ‚Begebenheit, Erzählung von Seltsamkeiten‘ 166 verjehen ‚erzählen, sagen‘ 170 so ‚dagegen‘ 171 ‚Keinen weiteren Dreifaltigen sehen.‘; Trinität als Alleinstellungsmerkmal. 175 berechter tot (zu mhd. swv. berehten): ‚verurteilen, hinrichten ‘, also ‚Tod aufgrund einer Verurteilung‘ 176 mercken ‚beachten, einprägen‘ 177 gesunte speis: ‚Kost gemäß der Diätetik‘; der medizinische Aspekt der Ernährung war im Mittelalter dominierend. Das Konzept der Diätetik umfasste dabei nicht bloß die Nahrungsaufnahme, sondern die gesamte menschliche Lebensführung (vgl. LexMA 3, Sp. 972f., 2170f.). 178 geheyß: Genitiv in Abhängigkeit von souil (zu frnhd. gehei) ‚Gespött, Verdruss, Ärger‘. 180 abfallen ‚brechen‘ (vgl. DWb Neubearbeitung 1, Sp. 228)

106 – Hans Folz: Das Rätselspiel (Fassung I)

Das dritt thu ich dir auch kunt. Wenn man spricht, die speyß wer dir gesunt, So tut dasselb mensch kranckheit leyden. Darumb sein die drey stuck zu meyden. 190

| 549

Gb 409r

Frager: Sag mir, jauffkint, mit welcher weiß, Hast du verdient herberg vnd speiß? Womit hast du dich bedeckt? Vnd wohin hast du dich gestreckt?

195

Jauffkint: Mit sprechen vnn mit des prugels weiß Han ich verdient die herberg vnd die speÿß. Vnn mich mit alten hoßen bedeckt. Vnd auff die erden han ich mich gestreckt.

200

F 81, 996

Frager: Jauffkint mich noch eins bescheydt: Wo ist der himel dreyer ellen preyt? Jauffkint:

205

Das wil ich dir verschweigen nicht. Wenn eins mein prunnen sicht, So hat das wasser des himels rist, Des scheins newr was des wassers ist. Frager:

210

KF 561

Gb 409v

Jauff kint, noch eins sag du mir: Wer lieber der teufel wonhaft jn dir, Dann das groß kreutz in der kirchen? Sag mirs, ich lob dich sicherlichen.

191 weiß ‚Handlungsweise‘ 196 sprechen hier: Vortrag von Liedern, Mären und anderen Dichtungen (vgl. Mundschau: Sprecher). 205 eins ‚jemand‘ 206 himels rist (zu frnhd. risz): ‚[gezeichnete] Himmelslinie‘ 207 ‚Davon erscheint allein, was im Wasser zu sehen ist.‘ 210 Ist hier wörtlich zu verstehen: Der Mensch als Behausung des Teufels.

204 Paragraphenzeichen am linken Rand 207 Keller (Nachlese, S. 344) liest Des schein weit wie des waßers ist

550 | 106 – Hans Folz: Das Rätselspiel (Fassung I)

Jauffkint:

215

Das kreutz ist mir lieber jn der kirchen, Wenn das der teufel solt jn mich kriechen. Hort auff ewrß fragens vnn gebt mir gelt! Ich han an keinem stuck nit gefelt.

215 Der Reim ist an dieser Stelle vokalisch unrein.

215 Wenn das ‚Als dass‘ 217 felen ‚sich irren‘

214 Paragraphenzeichen am linken Rand 217 Hier endet der Text mit dem Schlussmarker etc. und der Angabe 1494 jar in roter Tinte, danach Schwärzung wohl des Provenienzvermerks (zweizeilig) Claus Spaun an sant w, die Ausschreierworte fehlen.

106 – Hans Folz: Das Rätselspiel (Fassung I)

| 551

Kommentar Bezeugung Gb, Bl. 396v–401r (= Fassung II), Gb, Bl. 405r–409v (= Fassung I)

Ausgaben Keller: Fastnachtspiele II, S. 553–561 (= Nr. 63, nach G, 396v–401r); Bd. III, S. 1513f.; Bd. IV, S. 344.

Textkritik Das Spiel ist mit zahlreichen Abweichungen sowohl im Umfang als auch im jeweiligen Wortlaut zweifach in Handschrift G überliefert (Schreiber Gb), die beiden Fassungen sind in der Abfolge nur durch F 107 voneinander getrennt. Problematisch scheint die Überlieferung der Ein- und Ausschreierstrophen. Der fehlende inhaltliche Zusammenhang zwischen Textteil und ein- wie ausleitenden Versen in Fassung II legt die Vermutung nahe, dass hier Ein- und Ausschreierstrophe, unter Umständen von einem autorfremden Bearbeiter, ergänzt wurden. In Fassung I gestaltet sich die Einschreierstrophe mit nur vier Zeilen (üblich sind acht bis 14 Zeilen) außergewöhnlich kurz, ob sie zum Textbestand des Spieles gehört oder ebenfalls ergänzt wurde, ist nicht sicher zu entscheiden. Die Worte des Ausschreiers fehlen hier gänzlich (zur Überlieferung der Pround Epiloge vgl. auch Simon: Fastnachtsspieltradition, S. 35f.). Ebenso weisen auch einige Redepartien deutliche Spuren der Überarbeitung auf, möglicherweise handelt es sich bei Fassung II um eine spätere Stufe von Fassung I, wahrscheinlicher ist jedoch die Einbeziehung einer unbekannten Fassung X: In Fassung I wird der Landstreicher sowohl im Text als auch in der Rollenbezeichnung als jauffkint angesprochen. Fassung II ersetzt die Rollenbezeichnung im gesamten Spiel durch Freyheit, übernimmt diese Änderung jedoch nicht durchgängig im Redetext (vgl. II, Z. 12, 38). Die Überschriften führen in beiden Fällen die Bezeichnung Freyheit. In Fassung II, Z. 81–84 beantwortet der Freyheit eine Rätselfrage, die in Z. 66–71 nicht gestellt wird; hier wurde wohl im Fragenteil gekürzt, dabei die zugehörige Antwort zu streichen vergessen (vgl. dagegen Fassung I, Z. 67 und Z. 80–83). Darüber hinaus gibt es in dieser Rätselpassage weitere Ungereimtheiten (Fassung I, Z. 69 und unpassend Z. 76; II, Z. 69 ohne Antwort), die auf Kürzungen zurückzuführen sind. Daneben finden sich weitere Überarbeitungsfehler: In Fassung II, Z. 110 lautet das Rätsel Dreu dinck sollen von dir werden gemelt, der Freyheit hält darauf jedoch vier Antworten bereit (Z. 113–116; vgl. dagegen I, Z. 114–117). Des Weiteren sind in Fassung I, Z. 89f. zwei Eigenschaften genannt, die bei der Beantwortung der Frage nach dem Höllenstein nicht mehr auf-

552 | 106 – Hans Folz: Das Rätselspiel (Fassung I)

gegriffen werden (vgl. II, Z. 86–93 und Z. 95–100). Schließlich stimmen in Fassung I, Z. 125f. und 134f. sowie II, Z. 122f. und 131f. die Reihenfolge von Frage und Antwort nicht überein. Lier gibt, insbesondere wegen der o.g. unpassenden Anspielungen in Fassung II, Fassung I den Vorzug: „Die Unebenheit der Verse, die Unreinheit der Reime stützt die Vermutung, dass b [I] der originalen Gestalt näher stehe als a [II], das Vers und Reim sorgfältiger behandelt, sonst aber, wie in Einleitung und Schluß, ungeschickt ändert. Einen zuverlässigen Text bietet aber weder a noch b“ (Lier: Studien, S. 119). G. Simon listet I als „1. Fassung“ und II als „2. Fassung“ bzw. spricht an anderer Stelle von „Neufassung“ (Simon: Fastnachtsspieltradition, S. 35, 118). Keller druckt II, die wohl spätere Fassung, als Leithandschrift.

Autor Ein Autorname wird weder in Fassung I noch in II genannt. Jedoch gibt es Hinweise, die klar in Folzens Richtung deuten, weshalb ihm das vorliegende Fastnachtspiel mit Sicherheit zuzuschreiben ist. So weist die Einschreierstrophe in Fassung II zwei Verse auf (Z. 7f.), die sich identisch in zwei weiteren Folzschen Fastnachtspielen finden (F 98, Z. 45f.; F 92, Z. 52f.). In Fassung I lauten die Z. 2–3 nahezu identisch den Z. 3–4 in F 103. Für F 98 ist Folzens Autorschaft durch die Signatur Also spricht Hanz Folcz, barwirer in der Ausschreierrede sowie durch die Herkunft des Erstdruckes (l/1) aus seiner eigenen Offizin eindeutig belegt, genauso verhält es sich mit dem Druck q von F 103. Aufgrund einer „inneren Verwantschaft“ zu dem Spruchgedicht ‚Der witzige Landstreicher‘ (Folz: Reimpaarsprüche, Nr. 16) rückte bereits Keller das Spiel in die Nähe Folzens (vgl. Keller: Fastnachtspiele, S. 1082). Der Reimpaarspruch lässt Parallelen zum Spiel F 111 erkennen, welches Michels Folz „mit Sicherheit“ zuschreibt (vgl. Michels: Studien, S. 214). Darüber hinaus entspricht das Vorliegen zweier Fassungen in sichtlich überarbeiteter Form dem Vorgehen Folzens, der eigene Texte häufiger einer Nachbearbeitung unterzog (vgl. hierzu auch das Weimarer Autograph Q 566, das die Prozesshaftigkeit seines Arbeitens eindrücklich vor Augen führt). Ebenso erinnert die Verwendung literarischer Vorlagen und kursierenden Rätselguts an seine Arbeitsweise; die formale Fähigkeit, etwa das ‚Traugemundslied‘ in eine dramatische Form zu überführen, ist Folz zweifellos zuzutrauen (vgl. Michels: Studien, S. 223; Lier: Studien, S. 119). Das Folzsche Interesse an der Rätselthematik ist durch weitere Spiele gut belegt (s.a. Textbezüge), ebenso deutet die direkte Übernahme zweier Verspaare (Z. 113–116) aus dem Priamel ‚Ein hur auf einem schlos‘ (Euling: Priameln, Nr. LXVII) auf ihn. Schließlich schreibt auch Catholy das Spiel Folz zu und begründet dies mit dessen Neigung zum Frage- und Antwortspiel sowie seiner Vorliebe für rasante Dialoge (vgl. Catholy: Fastnachtspiel des Spätmittelalters, S. 18, 29, Anm. 1).

106 – Hans Folz: Das Rätselspiel (Fassung I)

| 553

Datierung Terminus ante quem ist 1494, das Abschlussdatum von Handschrift G.

Rollen, Inhalt, Struktur Rollen: Herold (nur II), Frager, Freiheit (II)/Jauffkint (I), Ausschreier (nur in II, wohl identisch mit Herold). Das Spiel entspricht weitestgehend dem Typus des handlungsorientierten Reihenspiels: Als Ausgangssituation steht die Ankunft des unbekannten Landstreichers, dessen persönliche Integrität durch eine beachtliche Bandbreite gestellter Fragen geprüft wird. Hierbei sind die verschiedenen Fragenkomplexe als Handlungssequenzen zu betrachten; dialogische Lebendigkeit ist in allen Phasen des Spiels gegeben. Das Spiel erreicht sein Ziel einerseits in der erschöpfenden Zufriedenstellung des Fragers, andererseits in der Lohnforderung des Landstreichers. Die Einschreierworte des Herolds, die inhaltlich unmotiviert auf ein nächtliches Liebesabenteuer mit einer Magd anspielen, leiten Fassung II ein. Dagegen bestehen die ersten Zeilen von Fassung I passender aus dem schlichten Gruß an Wirt und Gasthausgesellschaft sowie der Ankündigung der nun folgenden Prüfungsfragen. Letztere stehen im Zentrum des Spiels, in dessen Verlauf ein umherziehender Landstreicher, der sich Rast und Geld verdienen will, von der Figur des Fragers zu verschiedenen Erfahrungs- und Wissensgebieten befragt wird. Dabei reichen die teilweise literarischen, teilweise autochthonen Themenkomplexe von der Frage nach der Herkunft über scherzhaftes Allgemeinwissen aus alltäglichen Bereichen wie Natur, Handwerk, gesellschaftlichem Leben bis hin zu religiös hintergründigen Fragen. Die Antworten sind meist spitzfindig, manchmal wissensstolz, mithin auch obszön. Das Wechselspiel aus Frage und Antwort wird durch die Forderung des Landstreichers, für seine tadellosen Antworten nun angemessenen Lohn zu empfangen, jäh beendet. Ist dies zugleich das Ende von Fassung I, folgen in II die üblichen Ausschreierworte, erneut mit wenig Bindung an den Spieltext durch Anspielungen auf vergangene Liebesabenteuer. Deutungsaspekte: Das vorliegende Spiel speist sich aus diversen kursierenden, teilweise literarischen Stoffkreisen, wobei hier nicht der Herkunft jeder einzelnen Rätselfrage nachgegangen werden kann. Dafür sei insbesondere auf den Kommentar zum ‚Traugemundslied‘ in Müllenhoff/Scherer: Denkmäler 2, S. 305–312 verwiesen sowie speziell auf Uhland: Volkslieder 3, S. 189–194. Deutlich erkennbar jedoch ist die Verwandtschaft mit dem ‚Traugemundslied‘ (Müllenhoff/Scherer: Denkmäler 1, Nr. XLVIII). Dieses anonym überlieferte Prüfungsgespräch zwischen dem fahrenden meister Trougemunt (wohl abgeleitet von arab. targoman, mlat. drogamundus für Dolmetscher; bekannt als Figur der sogenannten Spielmannsdichtung) und einem Fragen stellenden Wirt wird unsicher ins beginnende 14. Jahrhundert datiert (vgl. Tomasek: Art. ‚Traugemundslied‘, Sp. 1008). Das Gespräch dreht sich um Fragen

554 | 106 – Hans Folz: Das Rätselspiel (Fassung I)

der Herkunft sowie Kenntnisse in den Bereichen Natur, Moral und Lebenslehre. Das ‚Traugemundslied‘ steht in der Tradition des Rätsels, ebenso sind Elemente der lateinischen Prüfungsfragentradition (insbesondere die stereotype Eingangswendung in Anlehnung an die dic mihi-Formel) und der im theologischen Denken begründeten Komparativfragen (Übertreffen eines Inbegriffs) erkennbar (vgl. Tomasek: Rätsel, S. 330–332). Es besteht aus insgesamt 88 paargereimten Verszeilen, eingeteilt in zwölf Strophen, wobei eine Strophe einer Dialogpartie entspricht. Die einzelnen Dialogteile sind meist parallel aufgebaut und bestehen aus vierteiligen Sammelfragen, die von repetitiven Ein- und Ausleitungsformeln gerahmt werden. Das Fastnachtspiel ist formal weniger klar strukturiert, was sich in der Uneinheitlichkeit von Syntax und Fragepronomina äußert. Im Gesamtaufbau weicht Folz mehrfach vom Sammelfragenprinzip ab und ergänzt priamelartige Scherzfragen wie einzelne Rätsel (vgl. Tomasek: Rätsel, S. 333). Dies deutet darauf hin, dass während der Bearbeitung das ‚Traugemundslied‘ nicht direkt vorgelegen hat, Folz vielmehr nach dem Gedächtnis gearbeitet hat. Beim inhaltlichen Vergleich finden sich dagegen zahlreiche Parallelen bis hin zu wörtlichen Entsprechungen der Prüfungsfragen: FS Fassung II (Zeile)

FS Fassung I (Zeile)

Traugemundslied (Strophe, Zeile)

38–41 45–48 52f. 133f. 137 140f. 145 149f. 188–190 193–195

33–36 40–43 47f. 136f. 140 143f. 148 152f. 191–193 196–198

9,3–6 10,3–6 11,3f. Schlußformel: 4,8f.; 6,8f.; 8,7f.; 12,6f. 3,6 3,4f. 4,6 4,4f. 1,3–5 2,3; 2,5f.

In Fassung II wurde gemäß dem Inhalt des ‚Traugemundsliedes‘ (vgl. Z. 2–3) gebessert: Wie auch im Text des Liedes hat sich der Landstreicher mit dem himel (Z. 195) und nicht wie in Fassung I mit alten hoßen bedeckt (Z. 198). Ob diese Besserung von Folz selbst oder einem späteren Bearbeiter vorgenommen wurde, kann nicht beantwortet werden. Inhaltliche Nähe und formale Offenheit zugleich verweisen jedoch darauf, dass Folz nicht daran gelegen war, den Stoff möglichst vorlagengetreu zu übernehmen, sondern vielmehr die Verarbeitung bekannter Rätselmotive und deren gleichzeitige Erweiterung im Vordergrund standen. So betont auch Lenk den Aspekt der Ausweitung, gleichwohl bei Übernahme des Kerns des ‚Traugemundsliedes‘: „Der volkstümliche Verfasser fühlt sich mit dieser Rätseldichtung in seinem Element, findet neue Fragen und Antworten und formt die überlieferten nach eigener Intention“ (Lenk: Fastnachtspiel, S. 46). Für Tomasek ergibt sich folgendes Fazit: „Die um etwa ein Jahrhundert ältere Schicht des ‚Traugemundsliedes‘ ist also vom Autor des Fastnachtspiels

106 – Hans Folz: Das Rätselspiel (Fassung I)

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für den Rätselgeschmack des bürgerlichen Publikums im 15. Jahrhundert erweitert und modernisiert worden“ (Tomasek: Rätsel, S. 334). Auch in weiteren Texten des 15. und 16. Jahrhunderts können einige der in das Fastnachtspiel eingeflossenen Rätsel und Fragen nachgewiesen werden. Die hierin relativ hoch zu veranschlagenden autochthonen Anteile verweisen darauf, dass zahlreiche Elemente über die orale Tradition in das Fastnachtspiel gelangten. In zwei volkstümlichen Kranzliedern (Uhland: Volkslieder 1, Nr. 2 und 3 und Uhland: Volkslieder 3, S. 206–211) entsprechen die Rätsel in Nr. 2, Strophen 5 und 6 sowie in Nr. 3, Strophen 3 und 5 den Z. 86–100/85–97, 28f./23f., 52f./47f., 33f./28f. und 59f./54f. des Fastnachtspiels (Fassung II/I). Auch ein im Handwerksbrauchtum überlieferter ‚Schmiedegruß‘ (Wissell: Handwerk, S. 252–254), eine Form der ritualisierten Befragung, mit der eingewanderte Handwerker zu ihrem Gesellenstand geprüft wurden, weist einige der Rätsel auf, die gleichfalls Eingang ins Fastnachtspiel gefunden haben (zum Handwerksgruß s.a. Uhland: Volkslieder 3, S. 199f.): FS Fassung II (Zeile)

FS Fassung I (Zeile)

Schmiedegruß (Seite)

28f. 33f. 38f. 45f. 56f. 63f. 66f. 73f. 118f. 136–143

23f. 28f. 33f. 40f. 51f. 58f. 61f. 72f. 121f. 139–145

252 252 252f. 253 253 253 253 253 254 253f.

Ebenso ergeben sich Parallelen zu einigen Eintragungen der Weimarer Sammelhandschrift Q 565, die in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts niedergeschrieben wurde (vgl. Kully: Codex, S. 18) und nach Köhler als „die älteste bis jetzt bekannte deutsche Rätselsammlung“ (Köhler: Rätsel, S. 329) gilt. Die Rätsel sind hier in kleineren Gruppen, mitunter als Blattfüllsel eingetragen, darunter wiederum ein Vogelrästel, weitere Stoffe des ‚Traugemundsliedes‘ sowie Wissensrätsel, die obszöne Antworten provozieren, sich dann aber unerwartet harmlos auflösen. Zudem steht hier eine Variante des Kapaun-Rätsels, wie es später von Folz bearbeitet wurde (vgl. Kully: Codex, S. 42). Schließlich finden sich einige Rätsel des Fastnachtspiels in ähnlicher Form auch in dem ins erste Viertel des 16. Jahrhunderts datierten ‚Straßburger Rätselbuch‘, was weniger auf eine gemeinsame Vorlage deutet, sondern wiederum das Vorhandensein einer oralen Rätseltradition stützt. „Die wenigen Rätsel und Scherzfragen, die in zwei oder mehreren Quellen überliefert sind, belegen ..., dass sie im ausgehenden 15. und frühen 16. Jahrhundert bereits europäisches Gemeingut waren und offenbar auch mündlich umliefen“ (Bismark: Rätselbücher, S. 87).

556 | 106 – Hans Folz: Das Rätselspiel (Fassung I)

Die Hauptfigur im Fastnachtspiel erfährt einen Wandel: Ist der meister Trougemunt des Liedes primär aufgrund seiner Weisheit Identifikationsfigur (vgl. Uhland: Volkslieder 3, S. 190), steht beim umherziehenden Freihart/Jauffkint der komische Aspekt im Zentrum (vgl. Tomasek: Rätsel, S. 334). Dieser Charakterwandel wird besonders deutlich, wenn der Landstreicher im Fastnachtspiel auf die Frage, womit er sich Herberge und Nahrung verdient habe, seinem sozialen Stand (und seiner Funktion) entsprechend antwortet mit sprechen vnd mit prugels weiss (I, Z 195, II, Z. 193), wogegen meister Trougemunt dies noch in eines stolzen knappen wîse (Str. 2, Z. 5) getan hatte. Die Figur des Freiheit/Jauffkint, die zum festen Personal der Literatur des 15. und 16. Jahrhunderts gehört, fungiert somit nicht mehr als Vorbild, sondern dient fastnächtlichem Klamauk. In Folzens ‚Der witzige Landstreicher‘ (Folz: Reimpaarsprüche, Nr. 16) avanciert sie schließlich im Dienste religiöser Didaxe zum Negativbeispiel. Aufführungshinweise: Da eine statische Spielsituation zugrunde liegt, resultieren Rezeptionsanreize größtenteils aus dem Wechsel von Fragen und Antworten. Aktionen, unterstützt durch Zuhilfenahme von Requisiten, sind selten, kommen jedoch durchaus vor: So mag der Landstreicher bei den Worten Vnd kumm her auff mein fussen ploß (II, Z. 18) auf seine nackten Füße gedeutet oder zu Ich fur ein pruͤ gel in der hant (II, Z. 23) den mitgebrachten Knüppel geschwenkt haben. Daneben hat sicherlich eine gestisch-pantomimische Unterstreichung einzelner Dialogpassagen stattgefunden, etwa durch das Deuten in den Himmel, die Nachahmung eines Hasensprungs, das Weisen einer Fingerzahl oder die Gestik des Ritterkampfes. Für das Publikum erwuchs die Lebendigkeit nicht zuletzt aus der steten Möglichkeit des Mitratens und der häufig unerwarteten Wendung der Antworten (hierzu auch Catholy: Fastnachtspiel des Spätmittelalters, S. 188). Das plötzlich herbeigeführte Ende des Frage-AntwortSpiels, verbunden mit der barschen Forderung nach Geld, ist ebenfalls durch Einhalt gebietende sowie heischende Gesten unterfüttert zu denken. In dem sich niederstreckenden Freihart wird das Spielende sichtbar ausagiert.

Textbezüge Parallelen auf Textebene ergeben sich bei Fassung II zu den Spielen ‚Weibernarren‘ und ‚Liebesnarren vor Venus‘ (F 98, Z. 45f. und F 92, Z. 52f.). Z. 113–116 entsprechen – bei umgekehrter Reihenfolge innerhalb der Reimpaare – Priamel Nr. LXVII ‚Ein hur auf einem schlos‘ bei Euling: Priameln (s.a. Kiepe: Priameldichtung, S. 409). Ebenso wurde die inhaltliche Nähe zum Reimpaarspruch ‚Der witzige Landstreicher‘ (Folz: Reimpaarsprüche, Nr. 16) bereits konstatiert. Mit dem Thema Rätsel beschäftigt sich Folz auch im Reimpaarspruch ‚Zwei Rätsel‘ (Folz: Reimpaarsprüche, Nr. 35) sowie in den Fastnachtspielen ‚Salomon und Markolf‘ (F 103), ‚Kaiser und Abt‘ (F 90) sowie ‚Die drei Brüder und das Erbe‘ (F 87). Bearbeiter: Biehl, Przybilski

106 – Hans Folz: Das Rätselspiel (Fassung II)

Ein spil von den freyhejt

KF Nr. 63

Gb 396v KF 553

Herolt:

5

10

Got gruß euch, wirt, jch such die meit! Die gab mir nechten her bescheit, Das ich mich solt mit jr zu flicken. Auch het ich wol bey jr zu schicken, Ich solt jr einen jgel stechen, So waiß ich nichtz an jm zu rechen, Sust tet ich gern als das ich solt. Mich dunckt, sie sej mir holt.

F 92, 52f.; F 98, 45f.

Der frager: Sag mir, jauffkint, wan kumst du her? Du reittest weder esel oder pfert. Freyheit dicit: 15

Der hencker danck dir deines gruß! Seyt das ich dir das je sagen muß, Des reyt ich weder esel noch roß Vnd kumm her auff mein fussen ploß.

1 freyhejt (zu frnhd. freihart): ‚Landstreicher, liederlicher Geselle‘ 4 bescheit geben ‚bestimmen; Weisung geben‘ 4 nechten ‚gestern Abend, in vergangener Nacht‘ 5 sich zu flicken ‚vertraulich werden; sich bei jmdm. einschmeicheln‘ 6 zu schicken haben ‚zu tun haben‘ 7 einen jgel stechen: Zu dieser Metapher für den Koitus vgl. Gerhardt: Kröte, S. 344–350 und Klimczak: Bildlichkeit, S. 142. 8 So ‚Aber‘ 9 Sust ‚Sonst, Andernfalls‘ 12 jauffkint: ‚Gaukler‘; Landstreicher, der mit Kunststücken unterschiedlicher Natur seinen Unterhalt verdient. 12 wan (zu mhd. wannen): ‚woher‘ 15 hencker: Euphemistisch für ‚Teufel, Satan‘ (s.a. Fassung I, Z. 10). 16 Seyt ‚Da, Weil‘

1 unterstrichen; im Register G: Von dem freyhait vnd wie man jn frag stuck anlegen soll 1 den: Keller (S. 553 und Nachlese S. 344) erwägt Konjektur zu dem 2 Sprecherbezeichnungen und Handlungsanweisungen sowie die jeweils ersten Wörter der Reden sind grundsätzlich unterstrichen; Keller (Nachlese S. 344) hält die Rollenangabe Herolt für falsch und erwägt diese durch Einschreier zu ersetzen; diesen denkt er als mit dem Frager identisch.

558 | 106 – Hans Folz: Das Rätselspiel (Fassung II)

Der frager: 20

KF 554

Wes furest du ein pengel in der hant Vnd wardest keim fursten nÿe bekant? Freyheit:

25

Ich fur ein pruͤ gel in der hant Vnd lauff darmit durch alle lant. Vnd thu das auch mit gutem recht. Vnd lauff fur ritter vnd fur knecht.

Gb 397r

Frager:

30

Sag mir, was ist hoher dan got? Vnd was ist erger dan spot? Was ist tieffer dann alle prunnen? Vnd was ist klerer dan die sunnen? Freiheit:

35

Nw hor, die kron ist hoher dan got. Wucher ist erger dan spot. Lieb ist tieffer dan all prunen. Maria ist klerer dan die sunnen. Der frager:

40

Sag, jauffkint, warumb ist der walt weiß? Vnd warumb ist der wolff auch greyß? Vnd warumb ist der schilt verplichen? Warumb ein gesell vom andern gewichen? Sag, was ist schwertzer dan der rab? Vnd was ist stoltzer dan der knab?

20 pengel ‚Knüppel‘ 21 Zum Ausgleich zugunsten des Sg.-Ablauts a im Obd. vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 127. 26 fur (zu mhd. vür, vüre): ‚als, an Stelle von; zum besten von; zum Schutz vor‘ 26 knecht ‚Knappe‘ 29 arg ‚schlimm, verletzend, beißend‘ 31 klar ‚hell, licht‘ 33 kron: In bildlicher Verwendung ‚Königtum‘; Uhland: Volkslieder 3, S. 208 ergänzt in der Antwort „die Krone sei höher denn Gott [auf Gemälden]“. 34 Wucher: ‚Zinsnahme‘; kirchliches Verbot des Zinsnehmens, ebenso weltliche Rechtsquellen (DWb 30, Sp. 1693–1695); siehe auch Folz: Reimpaarsprüche, Nr. 37. 34 spot ‚Hohn, Häme‘ 36 Zur Lichtmetaphorik in Bezug auf Maria vgl. Salzer: Sinnbilder, S. 32f. 39 greyß (zu mhd. grîs): ‚grau‘ 40 schilt ‚Schild im Kampf‘ 41 gewichen (zu mhd. wîchen): ‚sich zurückziehen, fliehen‘

106 – Hans Folz: Das Rätselspiel (Fassung II)

|

559

Freyheit: 45

50

Vor vngewiter ist der walt weyß. Vor alter ist der wolff auch greys. Von schlegen ist der schilt verplichen, Durch vntrew ein gesell vom andern gewichen. Das pech ist schwertzer dan der rab. Die meyt ist stoltzer dan der knab.

KF 555

Gb 397v

Der frager:

55

Sag was ist gruner dan der kle? Vnd was ist weisser dan der schne? Sag warumb sein die glocken also hell? Vnd warumb sein die pferd also schnell? Vnd warumb sein die wasser trub? Vnd warumb sein die schon weib so lieb? Der freyheit:

60

65

Das laub ist gruner dan der kle. Der schwann ist weisser dan der schne. Die pferd werden vom futer schnell. Von guter speyß die glocken hell. Von regenwasser die prunnen tryeb. Vmb jr schon do sein die frauen lieb. Frager: Sag, jauff kint, warumb grunet der was? Vnd sag warumb hupfft der haß? Was wiltu mir auß der aichen ruchen? Was wilt du auß den puechen suchen?

45 vngewiter hier: ‚Schneesturm‘ 47 schlag ‚Schwerthieb‘ 54 hell ‚wohlklingend‘ 57 lieb ‚liebenswert‘ 61–62 Die Reihenfolge der Antworten in Z. 61f. entspricht nicht der der Fragen. 62 speyß: ‚Glockenspeise‘; Kupferzinnlegierung für den Glockenguss (vgl. DWb 8, Sp. 180f., 16, Sp. 2099). 63 prunnen ‚Wasser, Quelle‘ 64 Vmb ‚Wegen‘ 64 schon ‚Schönheit‘ 66 was (zu mhd. wase): ‚Rasen‘ 68 ruchen hier: ‚herstellen, besorgen‘ 69 Diese Frage wird in Z. 72ff. nicht beantwortet. 69 pueche (zu mhd. buoch): ‚Buche; Buch‘; gemäß der Fragenfolge müsste hier der Baum gemeint sein. Da jedoch eine Antwort fehlt und die Kombination mit dem Verb suchen eher das Buch nahelegt, ist auch diese Deutung nicht ausgeschlossen.

560 | 106 – Hans Folz: Das Rätselspiel (Fassung II)

70

75

80

Was wilt du mir auß der tannen finden? Der mer beschaid mich forn vnd hinden!

KF 556

Freyheit:

Gb 398r

Hor, von dem taw so grunet der was. Von natur so hupfft der hass. Vnd merck mich eben, auß der aychen, Do wil ich machen nab vnd spaichen. Vnd auß der tannen machen wol Spiß, die man zum stechen nutzen sol, Domit man stechen tut vnd turniren Vnd hubschen frawen mit hofieren. So wil ich hoflich auß der weyden, Die korb zeunen vnd auß schneiden, Flechten vnd zeunen nach meinem synn, So furt man eyr gen marckt darjnn.

85

Frager:

90

Nw sag, jauff kint, wo leit der stein Vnd den kein sunne nye vberschein Vnd den kein han nye vber kreet Vnd den kein wint nye vber weet. Vnd den kein pfaff nye vber sang

71 Der mer beschaid mich ‚Gib mir darüber Kunde, Erläutere mir das‘ 71 forn vnd hinden: Oft verbunden, hier: ‚von vorn bis hinten‘ 74 Von natur ‚Instinktiv‘ 75 merck mich eben ‚pass genau auf‘ 76 nab ‚Radnabe‘ 78 Spiß ‚Lanze, Jagd- und Kampfwaffe‘ 79 stechen vnd turniren: ‚sich im ritterlichen Lanzenkampf üben‘; hier ist kaum ein ernsthafter Kampf gemeint, sondern die seinerzeit üblichen Schaukämpfe auf der Stechbahn (vgl. DWb 17, Sp. 1231f., 1217f.). 80 hofieren: ‚aufwarten; schmeicheln‘; sich zu Ehren der Frau im Turnier üben (vgl. DWb 10, Sp. 1682 mit dieser Stelle). 81–84 Eine Rätselfrage, die diese Antwort erfordert, wird in Z. 66–71 nicht gestellt. 81 hoflich hier: ‚handwerklich geschickt‘ 82 zeunen (zu mhd. ziunen): ‚flechten‘ 82 auß schneiden ‚Äste herausschneiden‘ 84 ey ‚Ei‘ 87 vberscheinen: ‚bescheinen, mit Glanz bedecken‘; zur Flexion vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 110. 88 vber kreen: ‚über etwas hinweg krähen, ein Krähen über etwas hinweg ziehen lassen‘, siehe Z. 89–91. (vgl. DWb 23, Sp. 353 mit allein diesem Beleg). 89 vber ween ‚darüber hinwegwehen‘ 90 vber singen ‚über etwas hinweg singen‘

82 zeunen] zeumen: Keller (S. 1514) liest zeinen ‚flechten‘, ebenso Lex III, Sp. 1051 mit Verweis auf diese Stelle 83 zeunen] zeumen

106 – Hans Folz: Das Rätselspiel (Fassung II)

| 561

Vnd den kein glock nye vber klang? Jauff kint, kanst du mir das gesagen, So lob ich dich bej alle meinen tagen. Freyheit: 95

100

Hintter der hell so leyt der stein, Den sun noch mond nye vberschein Vnd den kein han nye vberkreet Vnd auch kein wint vber weet Vnd den kein pfaff nye ob sang Vnd den kein glock nye vber klang.

Gb 398v KF 557

Der frager: Was sein die wunderlichsten ding So man sie findt? sag mir gering! Freyheyt: 105

Das thu ich gar pald hie schein: Ein zagel stet vnd hat kein pein, Das nit erworgen an jm die hoden. Ein fotz helt wasser hat kein poden. Frager:

110

Dreu dinck sollen von dir werden gemelt: Das vppigst in der werlt?

91 vber klingen ‚klingend über etwas hinweg gleiten‘ 95 Gemeint ist hier der Höllen- bzw. Dillestein, der als Grundfeste der Erde galt und vom Posaunenschall, der die Toten erweckt, entzwei brechen wird. Entgegengesetzt steht das Himmelsdach, s. Z. 195 (vgl. Uhland: Volkslieder 3, S. 208; Konrad von Würzburg: Schmiede, S. 145, Anm. 32). 99 ob (zu mhd. ob, obe): ‚über‘ 102 wunderlich ‚seltsam‘ 103 gering ‚schnell‘ 105 schein thun ‚offenbaren, bekannt geben‘ 106 zagel ‚Schwanz, Penis‘ 107 erworgen ‚ersticken‘ 110 Dreu dinck: Der Frager verlangt hier drei Antworten, der Freyheit nennt in Z. 113–116 jedoch vier Dinge. 110 melden: ‚kund tun‘; zur Endung vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 87. 111 vppig ‚eitel, übermütig‘

95 Paragraphenzeichen am Zeilenanfang

562 | 106 – Hans Folz: Das Rätselspiel (Fassung II)

Freyheit:

115

Ein armer pub auff einem ross Vnd ein hur auff eim schloss Vnd ein lauss jn eim grintt Vnd ein feder jn einem wintt. Frager:

120

125

Sag mir, wo ist ein straß an staub? Wo ist ein paum an lawb? Vnd wo ist ein wasser an weyden? Vnd ein junckfraw an heimlich leyden? Wo ist ein schone fraw an lieb? Wo ist ein jarmarckt an dieb? Sagst du mir das auff dieser fart, So hab ich dich fur ein freyhart.

Gb 399r KF 558

Freyheyt:

130

Gen himel get ein straß an stawb. Im paradiß stet auch ein paum an laub. Jordan das wasser hat kein weyden. Maria ist ein meÿt an leyden. Im himel ist jarmarckt an dieb. Vnd in der hell ein fraw an lieb. Nu thu mich, helt, hie fragen mer, Anders es get dir an dein er.

113–116 Die Verse finden sich in leicht veränderter Reihenfolge in Euling: Priameln, Nr. LXVII, s.a. Kiepe: Priameldichtung, S. 409. 113 pub ‚übler Bursche, Trossknecht‘ 115 grintt ‚[grindiger] Kopf; Glatze‘ 116 Wohl Bezugnahme auf die Redensart Federn in den Wind schütten: ‚Sinnloses tun‘ (vgl. Röhrich: Redensarten 2, S. 424). 118 an ‚ohne‘ 120 weyden ‚Weidenbaum, Weide‘ 121 heimlich leyden: ‚still ertragenes Leid‘, aber auch ‚Geschlechtskrankheiten‘ (vgl. DWb 10, Sp. 876); die Antwort legt indes die Bedeutung ‚heimliche Leidenschaft, sinnliches Begehren‘ nahe. 122 lieb ‚Geliebter‘ 124 auff dieser fart ‚auf der Stelle, sogleich‘ 125 haben für ‚für etwas halten‘ 131–132 Die Reihenfolge dieser beiden Antworten ist umgestellt (vgl. Z. 122f.). 133 helt: ‚Held‘ als Anrede eines Mannes.

112 Am linken Rand von Schreiberhand nachgetragen

106 – Hans Folz: Das Rätselspiel (Fassung II)

135

140

Frager: Sag mir, welch vogel hat kein kragen? Vnd welcher vogel hat kein magen? Sag, welcher vogel hat kein mut? Vnd welcher vogel hat kein plut? Vnd welcher vogel hat kein zungen? Welcher vogel seugt seine jungen? Vnd welcher vogel hat kein gallen? Wie mag dir das von mir gefallen! Freÿheyt:

145

150

| 563

Nw merck, der strawß hat kein magen. So hat die muck kein kragen. So hat die ewl kein frewd noch mut. So hat die pÿn furwar kein plut. So hat furwar der storch kein zungen. Ein fledermauß seuget jre jungen. So hat die turteltawb kein gallen. Wie tut dir hie mein kunst gefallen!

Gb 399v

KF 559

Frager:

155

Nw sag mir eins mit vntterschaid: Was tregt den wolff vber die haid?

136 kragen ‚Hals‘ 145 Gemäß vormoderner Auffassung war der Strauß in der Lage, Eisen zu verdauen: „er izt eisen und verdäut daz, wan er ist gar haizer nâtûr“ (Konrad von Megenberg: Buch, S. 223), sollte demnach allerdings einen robusten Magen besitzen. Evtl. ist hier der Reiher gemeint: „der raigel hât neur ainen darm sam der storch“ (Konrad von Megenberg: Buch, S. 168). 147 Dies, weil sie von anderen Vögeln belästigt wird und so des Nachts fliegen muss: „wan flüg er des tages, sô schriren in all ander vogel an und liezen in kain ruow haben“ (Konrad von Megenberg: Buch, S. 208). 148 „kain wurm hât pluot“ (Konrad von Megenberg: Buch, S. 287); Megenberg ordnet die Biene unter die Kriechtiere. 149 zunge: ‚Zunge, Sprechwerkzeug‘; Megenberg bemerkt, „daz der vogel kain stimm hab denne daz er cläpper mit dem snabel“ (Konrad von Megenberg: Buch, S. 175). 150 „der vogel under allen vogeln gepirt allain seineu kint als ain geperndez gêndez tier und säugt seineu kint“ (Konrad von Megenberg: Buch, S. 226); die Fledermaus wurde im Mittelalter den Vögeln zugeordnet. 151 Dass die Taube keine Galle hat und sich daher durch Sanftmut auszeichnet, galt seit der Antike als Faktum (vgl. Konrad von Megenberg: Buch, S. 179–181). In dieser Eigenschaft gleicht sie Maria (s.a. Z. 36; vgl. Salzer: Sinnbilder, S. 134–140). 154 mit vntterschaid ‚in aller Deutlichkeit, eindeutig‘

145 Paragraphenzeichen am Zeilenanfang

564 | 106 – Hans Folz: Das Rätselspiel (Fassung II)

Freÿheit: Das wil ich dir gar pald hie sagen: Die wulffin tut jn vber die heyd tragen. Frager: 160

Nu sag mir, jauff kint, die geschicht, Das der teufel alle sund sicht Vnd got der mag sein nit gesehen. Thu mir die abentheur verjehen! Freyheyt:

165

Dasselb ich dir pald sagen sol: Ein teufel sicht den andern wol. So mag got nymmer in seim reich, Kein sehen der jm sej geleich.

Gb 400r

Der frager: 170

175

Nu sag mir, jauff kint, die drew stuck: Man sol sich hueten vor grossem geluck. Das ander, vor eim rechten todt. Nu merck das dritt, das tut dir not: Das man sich huet vor gesuntter speiss. Sagst du mir das, ich gib dir preyss.

KF 560

Freÿheyt: Wenn einer abfellt arm vnd pein, So spricht dan yderman gemein:

160 geschicht hier: ‚Angelegenheit, Begebenheit‘ 161 sund (zu mhd. sunder): ‚einzeln‘, also: ‚Dass der Teufel alle [anderen Teufel] je einzeln sehen kann‘. 161 sicht 3. Pers. Sg. Ind. Präs. 162 sehen: mit Genitiv (vgl. DWb 16, Sp. 136); sein: Genitiv des Personalpronomens der 3. Pers. Sg. (vgl. Paul: MhdGr, § 214, Anm. 4; Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 63): ‚Gott kann sich selbst nicht sehen‘. 163 abentheur ‚Begebenheit, Erzählung von Seltsamkeiten‘ 163 verjehen ‚erzählen, sagen‘ 167 So ‚Dagegen‘ 172 rechter todt ‚Tod gemäß dem Recht, aufgrund einer Verurteilung‘ 173 mercken ‚beachten, einprägen‘ 174 gesuntte speiss: ‚Kost gemäß der Diätetik‘; der medizinische Aspekt der Ernährung war im Mittelalter dominierend. Das Konzept der Diätetik umfasste dabei die gesamte menschliche Lebensführung (vgl. LexMA 3, Sp. 972f., 2170f.). 175 preyss ‚Lob‘ 177 abfallen ‚brechen‘ (vgl. DWb Neubearbeitung 1, Sp. 228)

165 Paragraphenzeichen am Zeilenanfang

106 – Hans Folz: Das Rätselspiel (Fassung II)

180

185

| 565

Er hett geluck das er nit fil zu tot, Das ist das geluck das er dan hot. Das ander, wer sich vor rechtem tode nicht Huet, wirt verurteilt vor gericht. Das dritt, das thu ich dir auch kunt, Wenn man spricht, die speyß wer gesunt, So tut derselb mensch kranckheit leyden. Darumb die drew stuck weren zu meyden. Frager:

190

Nu sag, jauff kint, mit welcher weiss, Hast du verdient herberg vnd speiß? Vnd womit hast du dich bedeckt? Vnd wo hin hast du dich gestreckt?

Gb 400v

Der freyheit:

195

Mit sprechen vnd mit prugels weiss Han ich verdient herberg vnd speiß. Mit dem himel han ich mich bedeckt. Auff die erden han ich mich gestreckt. Frager: Jauff kint, noch eins du mich bescheidt: Wo ist der himel dreÿer spannen weyt?

200

Freiheit:

KF 561

Das wil ich dir verschweigen nicht. Wenn eins in ein prunnen sicht, So hat das wasser des himels rißt, Des scheinß newr was des wassers ist.

188 weiss ‚Handlungsweise‘ 193 sprechen: Vortrag von Liedern, Mären und anderen Dichtungen (vgl. z.B. Mundschau: Sprecher). 199 spanne: Raum- bzw. Längenmaß (vgl. DWb 16, Sp. 1894). 202 eins ‚jemand‘ 203 himels rißt (zu frnhd. risz): ‚[gezeichnete] Himmelslinie‘ 204 ‚Davon erscheint allein, was im Wasser zu sehen ist.‘

204 Keller (Nachlese S. 344) liest Des schein weit wie des waßers ist

566 | 106 – Hans Folz: Das Rätselspiel (Fassung II)

205

Frager: Jauff kint, noch eins sag du pald mir: Wer lieber der teufel wonhaft in dir, Dann das groß kreutz, das in der kirchen ist? Sag mirß, ich lob dich alle frist.

210

215

Freyheit:

Gb 401r

Das groß kreutz ist in der kirchen lieber mir Dan kruch der teufel in mich schir. Hort auff fragens vnd gebt mir gelt! Ich han an keinem stuck gefelt. Ich wil mich ein weil nyder secken, Piß man auff raumt in allen ecken. Frager und außschreyer:

220

225

Gesegen euch got, ich muß daruon. Ich waiß, was ich der mayd hab than, Das sie sich auff mich meulet heint Vnd zwar ich bin jr doch nit feint. Vnd wer sie bej mir anderßwo, So tet sie freylich nit also. Ich wil mich erßling von euch wenden, Das man mir kein poß wort nach tut senden.

F 104, 169; F 111, 393

Bearbeiter: Biehl, Przybilski

207 Hier wörtlich zu verstehen: Mensch als Behausung des Teufels. 212 Dan ‚Als dass‘ 212 kruch: Konj. Prät. ‚kröche‘ (vgl. DWb 11, Sp. 2207) 212 schier ‚schnell‘ 214 felen ‚sich irren‘ 215 secken: Evtl. zu sacken: ‚setzen‘, allerdings vorzugsweise im Ndd. belegt. 220 sich meulen auff ‚keifen über‘ 220 heint ‚heute Nacht‘ 221 Vnd zwar ‚Und wahrlich‘ 224 erßling (zu mhd. erslingen): ‚rückwärts, ärschlings‘

215 secken: Keller (S. 561) erwägt Konjektur zu strecken 218 Paragraphenzeichen am Zeilenanfang 219 waiß: Keller (S. 561) erwägt Konjektur zu waiß nit; Keller (Nachlese S. 344) erwägt Konjektur zu enwaiß

107 – Die zwölf faulen Pfaffenknechte

Ein spil von den zwelff pfaffen knechten

KF Nr. 64

Gb 401r KF 562

Precursor:

5

10

Got gruß euch, wirt, gar hoch besunnen! Ich fand dort ligen an der sunnen Zwelff die feulßten pfaffen knecht. Do dacht ich, ob ichß zu euch precht Mit jren reden, die ich hort. Do schlaich ich zu jn auff ein ort, Do hort ich do itlichen sagen, Was yder faulkheit tet jn jm tragen.

Gb 401v

Der erst:

15

Keiner faulkheyt ich mich verste, Dan do ich selber mit vmb ge. Ich iß nit wenick vnd trinck dest mer, Ich kumm nit pald vnd lauff nit ser. Ich yss vier mal vnd muß dan vasten, Dasselb geheyt mich am aller pasten. Leg mich vor mittag wider nyder, Der endlichkeit ist mir keine wider.

3 besunnen ‚besonnen, klug‘; hier: ‚geachtet, 1 pfaffenknecht ‚Diener in einem Pfarrhaushalt‘ angesehen‘ 10 jm: Zur seinerzeit üblichen Flexion des Reflexivpronomens vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 64. 13 umb gehen mit ‚sich befleißigen, betreiben‘ 15 pald ‚sofort‘ 15 ser ‚viel‘ 17 Dasselb geheyt mich ‚Das ärgert mich‘ 19 endlichkeit (zu mhd. endelich): ‚schnell, tüchtig‘ 19 wider: Bedeutung unklar, möglicherweise zu verstehen: ‚widerfahren‘.

1 unterstrichen; im Register G: Von zwelff pfaffen knechten wie sy sich riemen von grosser faulkait 2 Links neben der Überschrift auf dem Rand nachgetragen; Sprecherbezeichnungen sowie die ersten Wörter der jeweiligen Reden sind unterstrichen.

568 | 107 – Die zwölf faulen Pfaffenknechte

20

25

Der ander: Gesell, so pist du treg und faul. Ich loß das piß eim roß jm maul. Ein tag ich jm kein futer gab Vnd sprich dan, daß ichß gefutert hab, Vnd schlaff vier stund jm futer parn, Thu mit dem fuß auff jm vmb farn. Mit solchem wischem ich sein wart, Dennoch dunckt mich der dinst zu hart. Der dritt:

30

35

40

45

Hor, mein gesell, ich habs noch pesser. Wie naß ich wer, jch wurd noch nesser. Ich lag jm hoff dort an der sunnen Vnd schlieff, ein regen kam gerunnen, Das oben auff mich vil mancher tropff. Die schlugen mir da an den kopff So lang, piß mir das har abging, Das ich ein loch am kopff enpfing. Hab ein pflaster darauff geleit. Der scheden nim ich vil allzeit.

KF 563

Gb 402r

F 87, 385f.

Der vierd: Mich wundert, das jr seit solch leut. Kein solches ich euch hie bedeut. Wann ich vber ein arbeit kumb, So geh ich vor ein stund darumb, Wann ich meins leibes wol schonen kan Vnd greiff gar leyß die arbeit an.

22 loßen: ‚lassen‘; vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 22 22 piß: ‚Trensengebiss‘; die Trense war Bestandteil des Gebisszubehörs des Pferdes und diente dazu, das Maul zu schonen (vgl. DWb 2, Sp. 49; Mühlmann: Pferdekunde, S. 97). 25 futer parn ‚Futterkrippe‘ 27 ‚Mit solchem Striegeln pflege ich das Tier,‘ 33 rinnen: In Zusammenhang mit Flüssigkeiten: ‚sich [eilends] bewegen‘. 39 ‚Viele solcher Verletzungen bekomme ich immer ab.‘ 42 bedeuten ‚verkünden‘ 45 schonen: Häufig mit Genitiv (vgl. DWb 15, Sp. 1495). 46 leyß ‚sachte‘

22 loß: Keller (S. 1514) erwägt Konjektur zu saß 24 sprich: Keller (S. 1514) erwägt Konjektur zu sprach; die Konjektur erscheint nicht notwendig, sind doch Schreibungen mit i anstelle von e insbesondere im Bair. und Hess. belegt (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 14). Notwendigkeit zur Verwendung des Präteritums ist nicht gegeben, siehe Z. 25ff. 27 wischem: Keller (S. 1514) erwägt Konjektur zu wischen

107 – Die zwölf faulen Pfaffenknechte | 569

50

Vnd thu dan noch mer leuten fragen, So ich 〈mit〉 jr viere wol wolt tragen, Dennoch thu ich schwer daran heben. Sol mir das sein ein gutes leben? Der funfft:

55

60

65

70

Ach freunt, das ist als nit zu schwer. Ein gutes roß hat mein herr. Dem muß ich den mist außtragen Vnd darnach laden auff den wagen. So ich ein wenick auff die gabel hauff, So heb ich es kaum halb hin auff. Wann ich ein halbe stund gerw, Darnach ich vberwerffen thw. Ein tag ich ein fuder thu auß furen. Wie mocht mich grosser arbeit ruren?

Gb 402v

Der sechst:

KF 564

Pfuj euch, kein arbeit mich erschreckt. Ich lig offt dreÿ wochen angelegt. Wann ich ein solchen vorteil hab, So darff ich mich nit zyehen ab. An keim schuch thu ich ein kein schnallen, Wie offt sie mir von füssen enpfallen. Wann ich dann auff wil gen ein stiegen, So thu ich mich auff ein staffel schmiegen. Zu zelen die staffel ist mir gach, Das ich zw rwen wiß darnach.

47 noch ‚nach‘ 48 ir: Gen. Pl. des Personalpronomens (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 22). 58 gerwen: ‚ruhen‘; die Präfigierung verweist auf den perfektiven Aspekt: ‚Wenn ich ausgeruht sein werde‘. 59 vberwerffen ‚im Schwung umwenden, auf den Wagen werfen‘ 60 fuder ‚Wagenladung‘ 61 ruren ‚heftig treffen‘ 64 angelegt ‚angezogen, bekleidet‘ 66 ab zyehen ‚Kleider ausziehen‘ 67 Mehrere Negationswörter in einem Satz heben einander nicht zwangsläufig auf (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 232). 70 staffel ‚Absatz, Treppenstufe‘ 70 sich schmiegen ‚sich langsam hinaufschieben‘ 71 ‚Ich beeile mich, die Stufen zu zählen‘, d.h. ‚hinaufzukommen‘

48 mit ] 67 thu ich ein kein schnallen: Keller (S. 1514) erwägt Konjektur zu thu ich kein schnallen bzw. thu ich ein schnallen

570 | 107 – Die zwölf faulen Pfaffenknechte

Der sibend:

75

80

Solche faulkheit taug〈t〉 mir nicht, Wann mein herr all mein arbait siht. Der kumt den gantzen tag nit hein, Doch versaum ich jm arbeit kein. Ich lauff, was ich ersleichen kan, Das vier der aller stercksten man Mit macht an mir zu schieben hetten. Ich kam dar, do sechs ligen teten Vor fursten vnd herren auff eim schragen. Ich schlieff, das man mich heim must tragen.

Gb 403r

Der acht: 85

90

Ich hor, das ich gar resch bin allain. Wann es lag nw vor mir ein stain, 〈Ee〉 das ich schreiten wolt hin vber, Ee viel ich vor faulkheit nyder. Vnd was mir dennoch scheissens not Vnd viel, das mir auß ging das kot. Das arsloch tet ich auff rucken Vnd ließ mein loch die sunen trucken. Der neundt:

95

100

Ey, was solt ich dan dafur laugen! Mir lag das prot heut vor den augen. Noch was ich also faul vnd laß, Das ich schier hungers gestorben was. Von mir stund auch der krugk nit ferr, Der daucht mich vil zu groß vnd schwer. Ee das ich jn wolt heben enpor,

F 87, 397–402

KF 565 Gb 403v

76 hein ‚heim‘ 77 versaumen ‚unbeachtet lassen‘ 78 ersleichen: (zu mhd. slîchen): Intensiv zu sleichen, durch Präfigierung in der Bedeutung ‚so langsam ich schleichen kann‘. 82 schragen ‚Pranger‘ 85 gar resch ‚ganz rasch‘ 90 auß gen ‚herauslaufen‘ 90 kot: Im 15. Jahrhundert noch Neutr. 91 auff rucken ‚hochrecken‘ 92 trucken ‚trocknen‘ 94 laugen ‚lügen, leugnen‘ 96 laß ‚träge‘ 98 ferr ‚fern‘ 99 Der daucht mich ‚Der schien mir‘

74 taugt] taug 87 Ee] Konjekturvorschlag bei Keller (S. 1514); vgl. Z. 100

107 – Die zwölf faulen Pfaffenknechte | 571

Ee beleib ich da vngetruncken gar, Vnd wendt mich nit vmb an kein seiten Den gantzen tag bey xiiij zeyten. Der zehent: 105

110

115

120

125

Von faulkheit han ich grossen schaden, Ein prochens pein, geschwollen waden. Vnser drey an eim farweg lagen, Do kam einer mit einem wagen. Das pain zoch ich nit an mich schir, Darumb fur er daruber mir. Den wagen hort ich auch nit krumen, Vmb mich die mucken teten prummen, Kruchen vntter die augen mein, Zu dem maul auß, zu der nasen ein. Der ailifft: Gester tet ich mein dienst auff sagen. Jch mocht meinem herren sein puch nit tragen Vnd vber tag pucher auff heben, Darumb must er mir vrlaup geben. Er wolt auch mein nit lenger haben: Die klaider wurden jm vol schaben, Das ich jm sie jm dreck ließ ligen. Keiner endlichkeit ward ich nye tziegen Vnd laß auch nymmer auff mich kumen. Ee hett ich ewig vrlaup genumen.

Gb 404r

101 gar: Rundung von a zu o im Obdt. üblich; hier nicht graphemisch realisiert, in der Intonation durch einen Mundartsprecher verschwindet der Unterschied. 103 Die Länge eines Tages variierte in Nürnberg je nach Jahreszeit zwischen acht und sechzehn Stunden, die vierzehn Stunden [xiiij zeyten] verweisen auf einen äußerst langen Arbeitstag (vgl. Bilfinger: Horen, S 240). 109 schir ‚schnell‘ 111 krumen ‚grummen, knarren‘ 116 auff sagen ‚kündigen‘ 119 urlaup geben ‚Abschied erklären, verabschieden‘ 120 mein: Genitivobjekt zu haben war gebräuchliche Konstruktion (vgl. DWb 10, Sp. 63). 121 schabe ‚Motte, Ungeziefer‘ 123 ‚Des Fleißes wurde ich überhaupt nie bezichtigt‘

111 krumen: Keller (S. 1514) erwägt Konjektur zu kumen 123 tziegen: Keller (S. 1514) erwägt Konjektur zu zigen

572 | 107 – Die zwölf faulen Pfaffenknechte

Der zwelfft:

130

135

Jch solt meinem herren noch esten faren, Do tett ich mich mit schlaff bewaren. Das roß den wagen prach zu hant, Ein diep stal das geschirr als sant. So ich das roß ein setzen wil, Do het es verlorn den affter sil, Den satel, kumat, zaum vnd hacken, Der wagen stund in einer lagken. Do sprach ich: Stee, des teufels namen! Vor faulkheit ich kaum daruon kame.

KF 566

Der herolt haischt den tantz:

140

Pauck auff vnd mach die seiten klingen, Ob sie vor faulkheit mogen springen. Welcher der faulßt im tantzen ist, Dem sol man geben ein krantz, das wist. Der herolt dicit:

145

Herr wirt, treipt auß die faulen puben! Mich rewt, das sie den tantz anhuben Vnd den frawen den tantz langk machten, Die lieber tantzten, das die wendt krachten. So vermags jr keiner auff den faulen schincken. Wirt, gebt jn weder speys noch trincken,

Gb 404v

127 noch esten faren ‚Äste, Reisig sammeln fahren‘ 128 schlaff (zu mhd. slaf): ‚Schlaffheit‘; zur Substantivierung von Adjektiven vgl. Paul: MhdGr § 394; möglicherweise ist die Doppelgraphie als Kennzeichnung eines langen Konsonanten zu verstehen (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 1), dann wäre das Subst. Schlaf gemeint. 128 bewaren ‚versehen, ausstatten‘ 129 brechen ‚zerbrechen, zerstören‘ 129 zu hant ‚sogleich‘ 130 als sant ‚ganz und gar‘ 131 ein setzen ‚einspannen‘ 132 affter sil: ‚Hintergeschirr‘; Teil des Geschirrs für Gespannpferde (vgl. DWb 2, Sp. 24; Kapitzke: Pferdesport, S. 136). 133 kumat: ‚Kummet, Halsjoch‘; um den Hals des Pferdes gelegter ringförmiger Teil des Geschirrs (vgl. DWb 11, Sp. 2610f.; Kapitzke: Pferdesport, S. 165). 133 hacken: ‚Afterhaken‘; Haken an der Deichsel zum Einhängen des Hintergeschirrs (vgl. PWB 1, Sp. 143; 3, Sp. 589f.). 134 lagke ‚Lache, Pfütze‘ 137 haischen ‚bitten, fordern‘ 147 jr: 3. Pers. Pl. Genitiv des Personalpronomens (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 63).

127 esten: Keller (S. 1514) erwägt Konjektur zu gester 140 im] ist: Konjekturvorschlag bei Keller (S. 566)

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150

Jr beiagt an jn lützel eren. Sie han all tag vil dinst vnd herren. Darumb solt jr vnser enpern, Ewr miltigkeit danck wir euch gern.

149 lützel ‚wenig, gering‘

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Kommentar Bezeugung Gb, Bl. 401r–404v

Ausgaben Keller: Fastnachtspiele II, S. 562–566 (= Nr. 64, nach G); Bd. III, S. 1514; Bd. IV, S. 344.

Textkritik Der Text ist unikal in Handschrift G überliefert.

Autor Während Simon das Stück nicht zuweisen will (vgl. Simon: Fastnachtsspieltradition, S. 90), vermutet Catholy, dass es sich bei dem Autor um Hans Folz handelt (vgl. Catholy: Fastnachtspiel des Spätmittelalters, S. 177). Dem Spiel fehlen allerdings einige für Folz typische Elemente wie bspw. der Stichreim. In metrischer Hinsicht ist Hans Folz zumindest zu besseren Einzelfalllösungen imstande (vgl. Z. 48, 67, 101, 107, 123, 146, 147) und auch in Bezug auf die Reinheit der Reime (vgl. Z. 87–88; 98–99 sowie mehrere Reime, in denen das erst in der Sprechsituation nicht realisierte n am Wortende den Reim einigermaßen sauber ausfallen lässt) kann das Stück in der vorliegenden Form eher nicht als ein von Folz für fertiggestellt erachtetes Werk gedacht werden. Der Tanzschluss wiederum lässt zumindest Rosenplüt als Verfasser nicht infrage kommen. Anders auch als im Falle der meisten Folz-Spiele bleibt das Stück der Sphäre des Zuschauers entrückt, wenn der Einschreier die Knechte nicht auf der Bühne einführt sondern dort an der sunnen liegend schildert. Der Zuschauer muss dem Precursor an einen anderen Ort folgen, das Spielgeschehen wird nicht der Bühnensituation untergeordnet. Ob sich hierin mangelnde Phantasie gegenüber der Vorlage spiegelt oder ein sich entwickelndes Verständnis um die Kunst-Realität der Inszenierung (vgl. Catholy: Fastnachtspiel des Spätmittelalters, S. 176f.) ist wohl nicht zu klären, ebenso wenig die literarische Eigenleistung des Verfassers, die aufgrund der Stoffgebundenheit einerseits und der reichen Tradition (s.u.) kaum zu ermessen ist. Obendrein weist der Tanzschluss Eigenschaften auf, die bei Folz anderweitig nicht nachweisbar sind (s.u.). Das Aufgreifen und die Integration älterer Quellen bzw. Themen in den Fastnachtspielkanon entsprechen dagegen der Vorgehensweise Folzens durchaus (vgl. auch F 87, F 89, F 90, F 95, F 103, F 104 und F 105). Die Art und Weise des Umgangs mit diesen älteren Stoffen ist ähnlich der in F 87: Der ursprünglichen Möglichkeit zur Allegorese entle-

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digt dienen beide Texte nicht mehr der primär darin angelegten Absicht der Belehrung und Ermahnung, sie nutzen jeweils symbolisch entladene Textbausteine mit dem Ziel grotesker Unterhaltung (vgl. Greil: Faulste, S. 116). Die genannten Schwächen in der Gestaltung können auf den Status als Arbeitsfassung zurückgeführt werden, was der Vorgehensweise Folzens wiederum entsprach. Mit der letztlich bestehenden Unklarheit um die Intentionen, Ambitionen und Möglichkeiten des Verfassers entzieht sich dieser unserem Zugriff, der symbolisch entleerte Rückgriff auf chrestomatische Texte stellt das Spiel aber zumindest in die Nähe Folzens (vgl. F 87).

Datierung Terminus ante quem ist 1494, das Abschlussjahr der Handschrift G. Aufgrund des ungewöhnlichen Tanzschlusses, der bereits eine Etablierung dieses Folzschen Mittels voraussetzt, ist der Entstehungszeitpunkt des Stücks eher in den späten Jahren der Zusammenstellung von G zu vermuten.

Rollen, Inhalt, Struktur Rollen: Precursor, zwölf Pfaffenknechte, Herold. Das Spiel zählt zu den Reihenspielen. Nach der Einleitung des Einschreiers treten zwölf Knechte auf, die sich gegenseitig in ihren Erzählungen an Faulheit zu übertreffen versuchen. Im Gegensatz zu den meisten Spielen dieses Formats stehen die einzelnen Reden nicht unabhängig nebeneinander, vielmehr greift der jeweils Prahlende zu Beginn seiner Redepartie kurz auf das zuvor Geäußerte zurück, die Reden werden auf diese Weise in geringem Umfang miteinander verzahnt. Im Anschluss an diese Schilderungen läutet der Herold den Tanzschluss ein, zunächst als einen Wettstreit um den bewegungsärmsten Tanz unter den zwölf Knechten auf der Bühne, dann wird das Publikum aufgefordert, dem lahmen Treiben der Knechte ein Ende zu setzen und selbst am Tanz mitzuwirken. Deutungsaspekte: Pfaffenknechte galten generell als arbeitsscheu, das Sprichwort „pfaffenknechte essen im schweisz; von arbeit werden sie nicht heisz“ (DWb 13, Sp. 1590) wird in diesem Spiel eindrucksvoll bestätigt. Die Konstanz dieser Einschätzung lässt sich durch die wahlweise auch mit sieben Pfaffenknechten besetzten Bearbeitungen des Stoffs belegen. Die Eigenschaften, derer sich die Knechte rühmen, und die Belege dafür sind im Kontext der internationalen Verbreitung des Stoffs topisch (vgl. EM 4, Sp. 900–905; Bolte/Polívka: Anmerkungen 3, S. 207ff.; Greil: Faulste, S. 103). Sie lassen sich grob reduzieren auf Gefräßigkeit, Arbeitsverweigerung, Vernachlässigung des eigenen Körpers sowie Verweigerung jedweder körperlichen Regung bis hin zur Inkaufnahme gesundheitlicher Risiken (Greil: Faulste, S. 99f.). Zuweilen laufen die einzelnen Faulheitskonzeptionen einander zuwider: Preist der erste

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Knecht das arbeitsfreie und genussfreudige Wohlleben, verweigert der neunte in seinem Bestreben nach Überbietung bis dahin geschilderter Faulheit sogar die Zufuhr von Brot und Wasser. Es werden gleichermaßen einmalige Ereignisse wie grundsätzliche Einstellungen geschildert. Zudem ist eine wenn auch nicht kontinuierliche Verstärkung der jeweiligen Verweigerungshaltung gegenüber dem Vorredner zu erkennen. Die Reden eins bis drei beinhalten untereinander eine solche Steigerung, gleiches gilt für vier bis sieben und von acht bis zehn. Lediglich die beiden letzten Reden legen einigermaßen gleichrangig Zeugnis von Unlust und Unfähigkeit der Knechte ab. Das vorliegende Werk rückt insofern in die Nähe der Lügendichtung, als die Schilderungen trotz der Verweise auf den Wahrheitswert für den Zuschauer eindeutig als unwahr erkennbar sind. Faulheit als soziale Maxime kann für das Mittelalter und die Frühe Neuzeit nicht angenommen werden. Die auf die ‚Gesta Romanorum‘ zurückreichende Tradition der Schilderung vollendeter Faulheit ist ursprünglich metaphorisch zu deuten als Verweigerungshaltung göttlicher Wahrheit gegenüber (vgl. Greil: Faulste, S. 109ff.). Derartiges kann weder dem Spruchgedicht (s.u.) noch dem Fastnachtspiel unterstellt werden. Erst infolge der allegorisch entladenen Konstitution der jüngeren Tradition passen die disparaten Entwürfe in ein und denselben Text, wo sie eben nicht mehr für etwas stehen, sondern, in der Absicht bestmöglich zu unterhalten, ausschließlich für sich. In diesem Zusammenhang stellen sie aber auch keine tatsächliche Erschütterung der Norm dar. Um 1454 ist die in der Handschrift Cgm 379 überlieferte Fassung M zu datieren, in der ein Erzähler berichtet, welcher Faulheiten er sieben Pfaffenknechte sich habe rühmen gehört. Um 1471 bis 1473 entstand in Nürnberg die Handschrift 5339a, die die Fassung NW wiedergibt (vgl. Kurras: Handschriften, S. 47; Greil: Faulste, S. 118ff.). Das Spruchgedicht ist außerdem in Handschrift 13711 überliefert (vgl. Menhardt: Verzeichnis, S. 1337f.). Es gibt Anhaltspunkte, aber nicht zwingende Gründe, Rosenplüt als deren Verfasser anzunehmen (vgl. Wendeler/Steinmeyer/Wagner: pfaffenknecht, S. 436f.; anders: 2 VL 10, Sp 1641. Reichel entschied sich ebenfalls dagegen, das Spruchgedicht dem Rosenplütkorpus zuzurechnen). Ob Rosenplüt oder nicht, dem Verfasser muss Fassung M bekannt gewesen sein, liegen hier doch zahlreiche Bausteine für das Spruchgedicht: Lob der Völlerei, das vernachlässigte Pferd, die Regungslosigkeit im Regen, die in und aus dem Körper krabbelnden Insekten und die Kapitulation vor einem im Wege liegenden Stein finden sich bereits in der im Augsburger Liederbuch überlieferten Cgm 379. Allerdings reichert der Autor die ursprüngliche Version um fünf Episoden an und bedient sich dabei im Falle des durch einen Wagen abgefahrenen Fußes im Inventar der Priameldichtung Rosenplüts (vgl. Kiepe: Priameldichtung, S. 401). Der Verfasser des vorliegenden Fastnachtspiels wiederum könnte um die möglicherweise Rosenplüt zugedachte Bearbeitung NW gewusst haben, werden doch die dort vorgenommenen Erweiterungen aufgegriffen und der Bühnenfassung dienstbar gemacht. Folgend NW fällt im Fastnachtspiel die Begrüßung der Gäste mit einer

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einzigen Zeile gegenüber der Mehrzahl der übrigen Fastnachtspiele ausgesprochen knapp aus. Passagen, die nicht in das Konzept des inszenierten Wettstreits passen, wie bspw. die fünfte Rede in NW, eine Rechtfertigung bzw. Herleitung der Faulheit, werden dagegen umgearbeitet bzw. ersetzt. Aufgrund der oben bereits angedeuteten hohen Bearbeitungs- und Rezeptionsfrequenz des Stoffs kann der Beweis einer genetischen Abhängigkeit allerdings hier nicht erbracht werden. Das von Hans Guldenmundt gedruckte Spruchgedicht ‚Die faul Schelmzunft der zwelf Pfaffenknecht‘ von Hans Betz ist dagegen eindeutig eine Bearbeitung von NW (vgl. 2 VL 10, Sp 1641). Der Verfasser reichert die teilweise wörtlich übernommenen Ausführungen um ca. 50 Verse sowie eine ausführliche moralisatio an, innerhalb derer nachhaltig vor Nachahmung bzw. Ausleben der Faulheit gewarnt wird. Das trotz der Übereinstimmungen von NW mit dem Druck relativ enge Abhängigkeitsverhältnis der drei Handschriften untereinander wird dann deutlich, wenn man bspw. die im Druck abweichende Reihenfolge der ersten beiden Episoden betrachtet oder den Ausfall des gesonderten Erzählers: Im Druck werden die Geschehnisse und Einstellungen von einem der zwölf Knechte wiedergegeben. Die Abweichungen gereichen der gedruckten Fassung nicht zum Vorteil, lassen sich zwölf divergierende bzw. miteinander ringende Äußerungen nur schwer objektiv durch einen aus der Schar eben jener Zwölf wiedergeben. Möglicherweise war Hans Betz aber auch das Fastnachtspiel bekannt. Während NW in der zwölften Rede mit dem Diebstahl des Geschirrs endet, versinken in den beiden später angesetzten Fassungen Wagen, Sattel und Zaumzeug in einem Schlammloch (vgl. Z. 134). Aufführungshinweise: Der Tanzschluss weist einige Besonderheiten auf. Zunächst initiiert der Herold den Rollentanz als krönenden Abschluss des Faulheitswettstreits, um kurz darauf den Wirt aufzufordern, die Bühne von den faulen puben zu räumen. Innerhalb der nicht näher zu rekonstruierenden Frist, die als solche aber durch die nochmalige Sprecheranweisung in Z. 142 deutlich erkennbar wird, bleiben die Darsteller ihrer Rolle verpflichtet. Erst in Z. 143 wird das Tanzgeschehen als Bestandteil der Inszenierung beendet, und das reduzierte Tempo des Stücks aufgehoben. In der folgenden Passage werden explizit Frauen erwähnt, die auf der Bühne aber nicht als Rolle anzutreffen sind. Die Frage nach der Aufgabe dieser Frauen auf der Bühne lässt sich aufgrund mangelnder Bühnenanweisungen nicht beantworten. Zum einen lässt sich langk in Z. 145 in der Weise verstehen, dass durch das träge, aber einsame Tanzgeschehen auf der Bühne den anwesenden Frauen im Publikum der Schlusstanz über den längeren Zeitraum hinweg verwehrt geblieben sei. Oder sie waren bereits zuvor auf die Bühne getreten und Bestandteil des langsam umgesetzten Tanzes der Knechte, wie Catholy vermutet (vgl. Catholy: Fastnachtspiel des Spätmittelalters, S. 173f.), dann wäre ihnen der Tanz zu langk in der Bedeutung von ‚langweilig‘ gewesen. Sollten sie tatsächlich gleichermaßen Bestandteil der Inszenierung sowie der Aufhebung der Bühnenrealität gewesen sein, wäre dies ein sehr früher Beleg für einen derartig reflektierten spielerischen Umgang mit dem Tanzschluss. Bezüglich der Instrumentierung irritiert Z. 138. Hier ergeht die Auffor-

578 | 107 – Die zwölf faulen Pfaffenknechte

derung, zu paucken und die seiten klingen zu lassen im Singular. Wenn es sich bei paucken nicht um metaphorischen Gebrauch handelt, sind hier also zwei Musikinstrumente angesprochen, die ein Spielmann gleichzeitig zu bedienen hatte. Solche Doppelinstrumente waren verbreitet, nicht aber in Kombination mit einem Saiteninstrument. Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass sich der Herold nach der Ansprache an den Pauker mit einer deutlichen Wendung des eigenen Körpers an den Saitenspieler richtet, dass er die zwei Musikanten also nacheinander einzeln anspricht. Die Darsteller der Pfaffenknechte behaupteten die Trägheit sehr wahrscheinlich nicht allein in ihren verbalen Ausführungen, sondern sie waren wohl gleichermaßen bemüht, sie in ihren Gesten und auch mimisch umzusetzen. In dieser Lethargie unterscheiden sich die Bühnenaktionen ebenso wie bspw. hektisches Treiben von normalen, zweckmäßigen Verhaltensweisen. Die in Opposition zur gesellschaftlichen Norm stehenden szenisch realisierten Handlungen, die einen erheblich reduzierten Identifikationsanreiz liefern und somit für ironische Distanz innerhalb des Publikums sorgen, müssen über die inhaltlichen Übertreibungen hinaus als wesentliches Element der Komik gedacht werden, die speziell dieses Spiel ausmacht (vgl. Merkel: Form, S. 131f.; Knühl: Komik, S. 203f.).

Textbezüge Die Anzahl der Pfaffenknechte des vorliegenden Spiels ist nicht nur eine Konstante im Werk des Hans Folz bzw. der vorreformatorischen Fastnachtspieltradition (vgl. R 32, R 58, R 59, R 60, R 67, F 92 und F 97). Die Zahl Zwölf gewann ihre Sonderrolle innerhalb des germanischen Sprach- und Kulturraums dadurch, dass sie, die dezimale Struktur in der Beschreibung von Mengen überschreitend, die Grenze des elementaren Zählens (eins und zwei gegenüber der Vielheit des mit drei beginnenden) bildet (vgl. Schuppener: Zahlwörter, S. 51). Auch mythisch ist die Zahl seit alttestamentlichen Zeiten bis zur Anzahl der Apostel besetzt. In der Anzahl der Stunden eines Tages sowie der Monate eines Jahres wird vermittels ihrer schließlich der Alltag eines jeden Einzelnen strukturiert, und traditionell fand und findet sie Anwendung zur Beschreibung von Gruppenstärken in Märchen und im Volksglauben. Aufgrund der Stilisierungen, die ihr in den diversen geschilderten Zusammenhängen zuteil wird, dient sie als geeignete Zahl zur Beschreibung einer abgeschlossenen Gesamtheit, der nichts hinzuzufügen ist. Der Faulheitspreis findet sich ein weiteres mal im Fastnachtspielkorpus. In F 87 ‚Die drei Brüder und das Erbe‘ wird in Z. 376 demjenigen die Mühle angeboten, dem am maisten faulheit wonet bej. Es sind die dritte und die neunte Rede der Pfaffenknechte, die in ihrer Radikalität scheinbar unsinnig in gleicher Weise wie in F 87 ältere, ursprünglich symbolisch angereicherte Motive aufnehmen und im neuen Zusammenhang präsentieren. Im Rahmen des anschließenden Eiferns wird, leicht modifiziert,

107 – Die zwölf faulen Pfaffenknechte | 579

die Episode berichtet, innerhalb derer einer der Wettstreitenden durch Regenwasser zu Schaden kommt (Z. 380–389) und diejenige von der Verweigerung der Nahrung trotz größten Hungers. In R 53, Z. 37ff. thematisieren Bauern ihre eigene Faulheit, ohne jedoch diesbezüglich untereinander in Konkurrenz zu treten. Bearbeiter: Greil

108 – Hans Folz: Kaiser Konstantin und Silvester KF Nr. 106

Der herolt spricht:

5

10

N 111r KF 796

Nu hörtt, jr herren, es kumpt der keýsser Constantinus, der mechtig reyßer, Der hatt sein mutter Ellena besantt. Die hatt jren rabý pracht zu landt, Durch den sie meint, die jüdischeitt zu bewern Vnd meint jren sun wider zu〈 〉uerkeren Vnd noch jn jüdischem glauben bestetten, Der neülich zu den cristen ist getretten. Nun ist es also angesehen, Das dits argomentt pei euch sol geschehen. Darumb hörett zu vnd sweÿgett still! Das ist vnnser aller meinung vnd will. Der keiserin begerung:

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20

Hochwirdiger keýser vnd sunne mein, Welchs swachen gemütz mügt jr sein, Das jr gelaubt an ein kreützigten gott, Der selber starb vnd wartt zu spott, Vnd alle, die zu jm sindt getretten, Wann sie einen totten gott anpetten, Der jm selber nicht hillfflich was.

3 Constantinus: der römische Kaiser Konstantin (reg. 306–337) 3 reyßer (zu mhd. reisære): ‚fahrender Krieger‘ 4 besandt ‚herbei bestellt, eingeladen‘ 5 zu landt pringen ‚anlanden, über das Meer mitbringen‘ 6 bewern ‚beschützen, beschirmen; beweisen; vgl. Z. 49, 124, 546, 525, 600‘ 9 Kaiser Konstantin war der erste römische Herrscher, der zum Christentum übergetreten war, wenngleich er das Sakrament wohl erst sehr spät erhielt. Inwieweit er sich tatsächlich als Christ verstand bzw. ob er in Christus lediglich eine politisch opportune Inkarnation der älteren Gottheit sol invictus verehrte, bleibt ungeklärt. 11 argomentt ‚Argumentation, Disputation‘ 14 begerung ‚Begehren, Wunsch‘ 16 mugen ‚vermögen, können‘ 18 spott ‚Verspottung, Lästerung; Witz‘; vgl. Z. 92, 116, 148, 386, 417, 532 21 jm: Zur Flexion des Reflexivpronomens vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 64; vgl. Z. 399.

1 Im Register N: Der Juden und Christen streit vor kaiser Constantinus, ein fastnachtspil uerkeren] zuuerkeren

7 zu

582 | 108 – Hans Folz: Kaiser Konstantin und Silvester

25

Als jr von meinem rabi pas Wertt hören jn seinem argumentt Vnd auch kürtzlich wirtt geben endtt, Das er besteckt als eẃer weýssen, Das jr des glaubens nit mer wertt preýssen.

N 111v KF 797

Der keiser spricht:

30

35

40

45

Elena, wirdige muter gutt, Vernempt doch vor mit hertz vnd mutt Das zeichen, das Jhesus, mein herre vnd gott Besunder an mir begangen hatt. Verunreÿndt was mein leib vnd leben Vnd mit dem aussatz gantz vmbgeben, Das jüdisch ertzt, heýden vnd abtgött Nicht anders ritten, dann das man tëtt Dreẃ tausent kindlein keü[t]sch vnd rein. Jn jrem plutt allen gemein So solt mein leib gepadett werden. Ee jch einen sölchen mortt wolt thun auf erden, Ee gab jch mich selber jn das leytt Vnd beweist den kindern parmhertzigkeitt. Vnd jn der nacht gott Jhesu Crist, Der aller parmhertzigkeitt vatter ist, Der gab mir durch seiner jungern zwen Mein heüttige gesuntheitt zu〈 〉uerstëen. Dasselb jch Sillvester hab ermantt,

22 Helena war im Jahre 312 zum christlichen Glauben übergetreten. 22 pas ‚besser, mehr‘ 25 bestecken ‚schmücken, ausstatten‘ 26 preýssen: Mit Gen. seinerzeit üblich. 29 mutt ‚Geist, Verstand‘ 31 Im Zeichen des Kreuzes besiegte Konstantin der Legende zufolge in der Schlacht an der Milvischen Brücke Maxentius (reg. 306–312). 32–48 In der donatio Constantini ad Silvestrem I papam, einer um 800 nachträglich auf das Jahr 315/317 gefälschten Schenkungsurkunde, hofft der vom Aussatz befallene Kaiser Konstantin auf Anraten seiner römischen Ärzte, von seiner Erkrankung durch ein Bad im Blut unschuldiger Kinder geheilt zu werden. Aufgrund einer nächtlichen Vision wird er stattdessen von Papst Silvester I. (Pontifikat 314–335) getauft, er gesundet und verleiht dem Kirchenoberhaupt im Gegenzug Herrschaftsrechte über die Stadt Rom. 35 ritten Prät. zu ‚raten‘ 35 tëtt ‚tötet‘ 41 beweisen: Schwache Flexion seinerzeit gleichermaßen üblich. 44 jungern zwen: Laut Text der konstantinischen Schenkungsurkunde waren es die Apostel Petrus und Paulus, die in der nächtlichen Vision den Kaiser zur Umkehr ermahnten. 45 uerstëen ‚erkennen, erfahren‘

36 keüsch] keütsch: Konjektur bei Keller (S. 797) (S. 797)

45 zu uerstëen] zuuerstëen: Konjektur bei Keller

108 – Hans Folz: Kaiser Konstantin und Silvester |

50

Als pald die tauff mir wardt bekannt Der mich auch jn dem glauben hat gelertt. Dasselb von jm heútt wirtt bewertt, So er die juden wirtt verhoren, Dann wirtt er sie alle jn jr kunst betören.

583

N 112r

Die keiserin spricht:

55

Wollauff, mein rabý, fahetz an! Latt meinen sun den gruntt verstan! Sagt an, wo er jn dem glauben vell, Ob noch behallten wurd sein sell! Der stangen halter spricht:

60

Jr herren, so rüffett got vor an, Der vns auff erd nie hatt verlan! Dem söll wir ÿtzundt auch getrawen Vnd starck auff vnsern glauben pauen.

KF 798

Das singen zwen juden: Cados cadas adaneý ririos sým sym sechÿm jerimrios. Darnach ander zwen: 65

Sisstas stolla moheÿ runchý camahóy olalentze Ollalantze sobris labam liriba liribadam utt tam Miridam muridam nigra pagra pogra pýnn dultzý

51 betören ‚überlisten, verwirren, aus dem Konzept bringen‘ 49 Dasselb von ‚Dadurch, daher‘ 53 an fahen (zu mhd. ane vâhen): ‚anfangen, beginnen‘ 55 vellen ‚fehlen, irren‘ 56 behallten ‚erhalten, gerettet‘ 59 verlan ‚verlassen‘ 60 söll: Zur Möglichkeit des Flexivausfalls der 1. Pers. Pl. Ind. Präs. vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 94; vgl. Z. 568, 573, 666, 741, 788, 790. 60 ÿtzundt ‚jetzt‘ 63 vgl. Jes 6, 3; dieser sowie die folgenden Verse sind in einer pseudolateinischen bzw. -hebräischen Mischsprache verfasst. Folzens Kenntnisse des Hebräischen waren für seine Zeit und seine gesellschaftliche Position überdurchschnittlich (vgl. Przybilski: Hebräischkenntnissen, S. 324). Im Gegensatz zu F 81, wo das Gebet Adon Olam in einer deutlich erkennbaren Weise hervortritt, weisen die folgenden Passagen lediglich hebräische Schlagwörter (Z. 63 adaneý: ‚Herr‘, Z. 69 Jßrahöll, Z. 72 Abraham etc.) auf, die jedoch nicht als sinnhafter konsistenter Text anzusehen sind; vielmehr dienen sie der Installation jüdischen Kolorits auf der Fastnachtspielbühne.

47 Keller (S. 1525) erwägt Umstellung der Z. 47 und 48

584 | 108 – Hans Folz: Kaiser Konstantin und Silvester

Lumiarien esto mich papa fluriba troll troll aries genuÿtt Amÿnn adoneÿ sis snëe Jßrahöll sabios a nahin nahin nahin. 70

Aber zwen juden:

75

Esto patter pessimus truffantz gallileam arios Arapÿbus buferta Judea ariarios istiros in templos Abraham Moýses Jsack Jacob pepirem distarcham prolentz dollentz An güll an güll soll sol fammiróll sol fammirol oc parill Ob starýsse.

N 112v

Das singen aber zwen jüden: Achim cachim almepaptýsachim jm kadoch jnkadoch Kados melos roý reý telos roý reý est en mein eye oder Zweý gubernahu. 80

Das singen die letzten zwen juden: Benedicamus stirpe stirpe Jordam flordam flordam Amarilla dicentes troll rea damÿnne rea domine amÿn Jn in. Der rabi hebt an mit der tischpitatzen:

85

Hórtt, wirdiger vater, vnd sagt mir an, Warpeý sol ich dreý person verstan, Den vatter, den sun vnd auch den geist,

F 81, 311f.

71 Die folgenden Zeilen sind in ebenfalls verderbter lateinisch-hebräischer Mischsprache gehalten. Waren Kenntnisse des Hebräischen weitgehend auf Theologen und interessierte Laien beschränkt, die die Konversion von Juden zum Christentum zum Ziel hatten und insofern einem einigermaßen elitären Zirkel vorbehalten, waren zumindest rudimentäre Lateinkenntnisse verbreiteter. Entsprechend stärker an funktionstüchtiger Flexion und Syntax ist denn auch Z. 71 gehalten: ‚Er ist der schlechteste Vater‘. 81 Benedicamus: Das Benedicamus Domino war eine verbreitete Entlassungsformel am Ende der christlichen Messfeier. 81 stirpe: Evtl. zu lat. stirps: ‚Wurzel, Geschlecht‘ 84 tischpitatzen ‚Disputation‘ 85–100 Christ und Jude, V. 131–144. 86 Warpeý ‚Wobei‘

68 Lumiarien: Keller (S. 798) erwägt Konjektur zu luminarine bzw. zu luminarie (S. 1525); in Anbetracht der stark verderbten Sprache erscheint ein bessernder Eingriff nicht zwangsläufig notwendig. 72 ariarios: Keller (S. 798) konjiziert arioris; vgl. Z. 69 76 Sprecheranweisung rechts neben den letzten beiden Wörter des pseudohebräisch-lateinischen Textes nachgetragen 84 Sprecheranweisung rechts neben den letzten beiden Wörter des pseudohebräisch-lateinischen Textes nachgetragen

108 – Hans Folz: Kaiser Konstantin und Silvester | 585

90

95

100

Die jr die leütt anpetten heist, So doch ein got ist vnd nit me, Als vns verkündett Moýses ëe, Do got spricht: jch pin allein gott! Darumb ist eẅer gelaub ein spott. Drumm sagt mir auch, wie sich das schick: Sind sie auch alle dreÿ allmechtigk? Sagt, was ist dann der zweÿer nott? Ob dann neẅer einer allmechtigkeitt hott, So haben die zwen der gottheitt nicht. Sagt, was wer mit jn außgericht? Darumb muß es ÿe ein gott neẅr wessen, Durch den alle creatur genessen.

KF 799

N 113r

Der cristen doctor spricht:

105

Hörtt, wirdiger vater, nun gebt mir den segen Vnd last mich dem juden allein begegnen, Wann jch getraw doch gott souil, Das jch die juden vnd die keýßerin bekeren will. Nun antwurt der crist dem rabi:

110

115

Hór, jud, du smechst dein eÿgne geschrifft. Merck, wo die red Dauits hin trifft, Do er spricht jn der person got vaters clar: Mein sun du pist, heütt jch dich gepar. Vnd nun peý disem wortte heütt Wirtt vns sein ewige gepurtt bedeütt. Ach got, der creatur stercke heist, Das die seý seines mundes geist. Also sein ýe dreÿ person in gott

90 ëe ‚ehedem, vormals‘ 91 vgl. Dtn 32, 39. 93 schicken ‚fügen, stimmen, passen‘ 95 nott ‚Notwendigkeit, Aufgabe‘ 98 außrichten ‚bewirken, sinnvoll bezwecken‘ 99 wessen ‚sein, bleiben‘ 100 genessen ‚genesen; Seelenheil erfahren‘ 104 Wann ‚Denn‘ 107–112 Christ und Jude, V. 145–150. 107 smechs3n (zu mhd. smæhen):‚schmähen, herabwürdigen, entehren‘ 110 Der Glaube an die Abstammung Jesu aus dem Stamme Davids war bereits in frühchristlicher Zeit verbreitet (vgl. Mt 1,1–17; Lk 3, 23–38; 2. Tim 2, 8). Gleichzeitig galt David seit dem Mittelalter als Archetyp des singenden Dichters und wurde zum Patron der Meistersinger. 112 bedeütten ‚verkünden‘

113 Ach: Keller (S. 799) erwägt Konjektur zu Auch; der Eingriff ist weder semantisch notwendig noch metrisch bessernd.

586 | 108 – Hans Folz: Kaiser Konstantin und Silvester

120

125

130

Eins einigen wessens, sunder spott. Des nÿmm dir hie ein gleichnus peý: Dis einig tuch hatt fallten dreÿ, Vnd die dreÿ vallten ein tuch neür sindt. Wie mügt jr juden sein als plindt? Auch hör noch mer an argen list! Als das, darjnn du wider mich pist, Das will jch grüntlich dir ercleren Vnd allein auß dein profhetten bewern, Auß ewer eÿgen schrifft vnd lere. Nun nÿmm das erst puch genesiß her! Got spricht: ein menschen machen wir Nach vnserm pild. darauß nÿmm dir: Wann so geschriben stëett: gott spricht, Hie hat seins wessens einigkeit pflicht. Darnach wir süllen machen statt; Hie hastu nemlich die trinitatt.

N 113v

KF 800

Der jüd: 135

Mein crist, dastu nenst dreý person, Dasselb wir für dreý eýgenschafft hann: Das ist gotlich weißheitt, gut vnd macht, Der keins wirt kein person nÿmmer mer geachtt. Der crist:

140

Hör, jüd, was darff das sünder wortt? Gott ist ob aller tugentt der hortt, Dem setzt jr mit den dreien eygenschafften ein zill. Hie pei merckt wol, wers mercken will: So jr jn got dreÿ eÿgenschafft nentt

N 114r

117 gleichnus ‚Gleichnis, Beispiel‘ 120 als ‚so‘ 121 list: Die Form ist zweifellos flexionsloser Plural, der Ausfall ist reimbedingt. 122 ‚Alles, worin du anderer Meinung bist als ich,‘ 127–132 Christ und Jude, V. 153–158. 127–128 vgl. Gen 1, 26. 130 ‚Hieraus lässt sich verbindlich die Einheit seines Wesens ableiten.‘ 134–142 Christ und Jude, V. 177–184. 135 hann ‚halten‘ 136 gut ‚Güte‘ 137 ‚Keine dieser Personen wird mehr geachtet als eine andere.‘; mehrere Negationswörter heben einander nicht zwangsläufig auf (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 232). 139 durfen ‚bedürfen, brauchen‘ 139 sünder ‚besonders, weiter‘ 140 hortt ‚Schatz; Trost‘ 141 zill: ‚Zielpunkt, Ende‘; hier überwiegt semantisch eindeutig der limitiernde Aspekt. 143–144 Christ und Jude, V. 189–190. 143 nennen ‚benennen‘

119 nach tuch in Handschrift N gestrichen: mer

108 – Hans Folz: Kaiser Konstantin und Silvester |

145

150

155

160

165

Vnd doch nit anders die erkenntt, Dann das ein ÿder selbs auß mist, Das got weiß, gut vnd mechtig ist. Darumb so hör dauon noch mëe: Abraham erschin jm tall Mambree Dreý engel, vnd pett neẃr einen an: Herr, ob jch genad gefunden han Jn deinen augen, so gée jn mein hauß! Hastu nit dreý person darauß, Das Abraham dreý engel sach, Das aber er neẅr eine〈n〉 anßsprach? Hie hastu des wessens einigkeitt. Hör auch, was Jsaias seÿtt: Heillig, heillig, heillig ist der gott Her sabott! jüd, merck on spott: Dreÿ heillig sindt aber dreý person. Her sabot, darauß hat man Nun aber neẅr das einig wessen. Es spricht Dauitt, hastus gelessen? Gesegen vns gott, gott, vnser gott! Hie aber man dreÿ person verstëett. Darnach spricht Dauitt fürpas hin: Alle entt des ertterichs fürchten jn. Das aber das einig wessen meldt, Daran jr juden jrtt vnd veltt.

587

KF 801

N 114v

145 außmessen ‚ermessen‘ 147–151 Christ und Jude, V. 191–196. 148–151 vgl. Gen 18, 1–3, wo Gott Abraham in Gestalt dreier Männer erscheint. 155 wessen ‚Wesen‘ 156–168 Christ und Jude, V. 200–212. 156 Jsaias: Prophet des Tanach, der hebräischen Bibel. 157 vgl. Jes 6, 3. 163 gesegen: Die Präfigierung dient der Intensivierung, vgl. Z. 192, 387. 165 fürpas (zu mhd. vürbaz): ‚weiter‘; vgl. Z. 204. 166 vgl. Ps 67, 8. 166 entt ‚Enden, Ecken‘ 167 melden ‚verkünden, anzeigen‘

154 einen] eine: Weibl. Deklination anderweitig nicht belegt 154 anßprach] außsprach 158 Vers rechts neben dem vorhergehenden mit Kleinschreibung zu Versbeginn nachgetragen 160 Der Vers ist rechts neben dem vorhergehenden mit Kleinschreibung zu Versbeginn nachgetragen. 164 verstëett: Keller (S. 801) erwägt Konjektur zu verstat; der Eingriff bessert lediglich den Reim.

588 | 108 – Hans Folz: Kaiser Konstantin und Silvester

Der jüd spricht: 170

175

Mein crist, du kumpst mir nahett peÿ. Doch sag mir eins, wie jm seý, Wie das wir dann von dreien person So clerlich nÿndertt geschriben han, So lautter gantz vnd clar benenntt, Als dann jr cristen die erkenntt. Der [jüd] crist spricht:

180

185

Hör, jüd, do merck peý vnd verstée, Das alle geschicht der allten ée Vnd aller prohetten red gemein Ein figur der neẃen ee ist allein. Darjnn es clar verstanden wirtt. Das aber jr juden darjnn jrtt, Das ist drúm, das jr den nit kennt, Jn dem alle profeceý sich endt. Vnd jr gewüntt doch sÿder her Zwar keinen prohetten nÿmmer mer. Der jüd spricht:

190

Jch las pestëen, crist, als du seÿst, Es seÿ ein vatter, ein sun vnd ein geist: Wer ist dan der, den jr Jhesus nenntt Vnd jn auch für einen got erkenntt? Durch was mag gott ein mensch gesein? Heistu jn Messias, trauen, so sprich ich: neÿn,

N 115r

170 peÿ kumen ‚zu jmdm. hinkommen, jmdn. erreichen‘ 170 nahett ‚beinahe‘ 171 jm: Zur Verwendung des Dativs des Personalpronomens vgl. DWb 10, Sp. 2048; vgl. Z. 280. 173 Die Eigenschaft Gottes, als Einheit in drei Personen aufgefasst zu werden, entspringt tatsächlich dem christlichen Glaubensbekenntnis, das zuerst auf dem Konzil von Nicäa (325) formuliert und auf den Konzilien von Konstantinopel (381) und Chalcedon (451) bestätigt wurde. Die Verbindlichkeit der Konzilsbeschlüsse gilt für Juden selbstverständlich nicht. 178 allte ée: ‚Alter Bund [zwischen Gott und Menschen]‘, metonymisch für ‚Altes Testament‘; vgl. Z. 180, 509. 179 gemein ‚gemeinsam, zusammen‘ 181 clar ‚richtig, rein‘ 184 Zum reflexiven Gebrauch von enden vgl. DWb 3, Sp. 460. 185 gewinnen ‚erhalten, hervorbringen‘ 185 sÿder her ‚seither‘ 186 Zwar ‚Fürwahr, Tatsächlich‘ 188–210 Christ und Jude, V. 213–234. 188 als du seÿst ‚wie du sagst‘ 193 trauen (zu mhd. triuwe): ‚wahrhaftig, fürwahr‘

176 crist] jüd crist: Konjektur bei Keller (S. 801) 190 der über der Zeile nachgetragen

108 – Hans Folz: Kaiser Konstantin und Silvester |

195

Wann Messias ein plosser mensch neúr wirtt Vnd nicht gott, daran jr cristen jrtt. Der crist spricht:

200

205

210

215

220

589

Hör, jüd, das Jhesus Messias seý Vnd auch war got vnd mensch dapeÿ, Do spricht Jeremias do von. nÿm war: Es werden kummen die tage, zwar, Das jch von des Dauites samen Den gerechten erkücken wirt, mit namen. Peÿ Tauidts samen sein menscheitt erkenn! Nu spricht Jeremias furpas denn: Herr ̲ vnnser gerechter sein nam ist. Jüd, so man den ewer[n] wibel list, Do habt jr The〈t〉ragrammathon, Das man ÿe für gott muß verstan. Vnd Jsaÿas, der auß  erkorn, Der spricht: ein kint ist vns geporn, Ein sun ist vns gegeben zwar, Des herschung ist auf seinen schulltern gar. Hie hastu aber sein menscheitt jnn. Wie man sein gotheitt nun besÿnn, So hör den namen, den er hatt! Wunderlicher radt geb, starcker gott, Ein vatter vnd frid fürst kúnfftiger welt. Hör, ob das nit sein gotheitt meldt. Dartzu mich es die statt bestÿmbt: Von Betlahem den außgangk nÿmmpt Der herscher Jßrahel, das wist, Des herschung von ewigen tagen ist.

KF 802

N 115v

198 war ‚wahrhaftig‘ 198 dapeÿ ‚zugleich‘ 200–205 vgl. Jer 23, 5–6. 202 erkücken ‚zum Leben erwecken‘ 202 mit namen ‚wirklich, wahrhaftig‘ 204 furpas ‚weiter‘ 206 wibel ‚Bibel‘ 207 Thetragrammaton: Der aus vier hebräischen Konsonanten bestehende Name Gottes; im Lateinischen JHWH. 210–212 vgl. Jes 9, 5. 212 herschung ‚Herrschaft‘ 213–218 Christ und Jude, V. 235–240. 214 besÿnnen ‚ansehen, betrachten, deuten‘ 216 radt geb ‚Ratgeber‘ 218 melden ‚verkünden‘ 219 Die Bedeutung des Verses bleibt unklar. 220–222 Mi 5, 1; vgl. Z. 226.

197 Jhesus über der Zeile nachgetragen 199 Do: Keller (S. 802) konjiziert zu So 206 ewer] ewern: Keller (S. 802) konjiziert zu erwern: ‚ehrbar‘ bzw. erwägt Konjektur zu ewre; die erste Besserung erscheint unwahrscheinlich, da Bibel anderweitig nicht mask. belegt ist. 207 Thetragrammaton] Theragrammaton

590 | 108 – Hans Folz: Kaiser Konstantin und Silvester

225

Doch ob dus klerlicher wild verstan, So sich die kaldeischen wibel an. Die gibt dir klerlichen zu〈 〉uerstëen: Auß Betlahem wirtt Messias gëen. Nu muß er ÿe sein mensch vnd gott, So es so klar geschriben statt. Der jüd spricht:

230

235

Seÿtt Jhesus nun Messias ist, Wie led er sölch armutt jn der frist? Wann sein gröste er jn disser zeitt Das was, das er ein mall auf einer esßlin reÿtt, Wann er zwar gar ein kleine zeitt wertt. Was er ein herr ̲ nun hÿmels vnd ertt, Das hatt er darmitt gar v̈ bel bescheintt Sag, was hatt er mit sölcher armutt gemeint?

KF 803

N 116r

Der crist spricht:

240

245

Hör, jüd, Zacharius sagt von dem: Freẅ dich, du tochter Jerusallem, Wann der künig heillig vnd behallter dein Kummpt dir gantz arm auf einer eßelein. Nu weiß jch, das alle jr jüden wist, Das disse red 〈von〉 Messias ist. Vnd hie wirtt aber sein gotheitt erkennt, So jr jn künig, heillig vnd behallter nenntt Vnd durch die armutt ýe sein menscheitt, Darjnn er hie vil trübsals leÿtt.

223–280 Christ und Jude, V. 241–294. 223 wild: Zur Möglichkeit des Spiransausfalls der 2. Pers. Sg. Ind. Präs. vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 92. 224 sich Imp. zu sehen 224 kaldeisch: Die Chaldäer sind ein semitisches Volk des AT, chaldäisch ist wohl zu verstehen als auf diesen älteren Teil der Bibel bezogen (vgl. Z. 226); evtl. im Sinnne von ‚aramäisch‘. 226 gëen ‚hervorgehen‘ 230 Seÿtt ‚Weil, Wenn‘ 231 led zu leiden 232 er ‚Ehrerbietung‘ 233 reÿtt: Im 16. Jahrhundert übliche Form des Präteritums. 233 Hier wird auf den Einzug Jesu auf dem Esel am Palmsonntag in Jerusalem eine Woche vor Passion und Auferstehung Bezug genommen in der Bedeutung ‚Als ihm nurmehr eine kurze Zeit gegeben war‘; vgl. Sach 9, 9; vgl. Z. 240 ff. 236 bescheinen ‚beleuchten, ins rechte Licht setzen‘ 241 behallter ‚Retter, Heiland‘ 248 hie ‚hier, auf Erden‘ 248 leÿtt zu leiden, mit Gen. üblich

225 zu uerstëen] zuuerstëen: Konjektur bei Keller (S. 802) 244 ] von: Die Konjektur ist semantisch sowie in Anbetracht der Parallelstelle in Vers 260 in Christ und Jude erforderlich.

108 – Hans Folz: Kaiser Konstantin und Silvester |

591

Der jüd spricht: 250

255

260

Herr ̲ Crist, jch las bestëen darpeý. Du sagst aber, wie er kumen seÿ. Das ist ein lautter tantt für war, Wann Ysaÿas sagt für offenwar, Das zu des Messias getzeitt Das lamp vnd der wollff sindt on streitt, Der per peÿm pock, der leb vnd das kallpp Die wann peý einander frides halb. Gifftige thir vnd junge kintt Peý einander on schaden wonnen sindt. Das jst pei Jhesum noch nit geschehen, Noch wardt seitt her nÿe gesehen.

N 116v

Der crist spricht:

265

270

275

Mein jud, nun hör vnd merck mit vleis! Du weist, das gott jn peispill weiß Vill hatt durch die profetten gerett. Merckt neẅr, ob jr die glos verstëett! Die wilden vnd die heÿmischen thir, Das seÿtt jr juden vnd auch wir. Vnd als die schaff sindt one meÿll, Also pitten wir vmb ewer heÿll. So habt jr gëen vns wollffes mutt, Wiwol jr würcklich vns nichts thutt. Vnd also mag man exsponniren Die kinder peý den gifftigen thiren. Die kinder gotes, das sindt doch wir,

KF 804

250 darpeý ‚dabei, bei dem bis hierher Gesagten‘ 252 lautter ‚rein, bloß‘ 252 tantt ‚wertloser, gehaltloser Gegenstand‘ 254–259 vgl. Jes 65, 25. 254 getzeitt Intensivum zu Zeit 255 on ‚ohne‘ 256 leb ‚Löwe‘ 257 ‚Die wohnen friedlich beieinander.‘ 259 wonnen sindt: ‚wohnen‘; sein mit Inf. in der Funktion des Part. Präs. häufig (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 157). 264 peispill ‚Gleichnis, Exemplum‘ 264 weiß ‚weise, klug‘ oder‚in der Weise [eines Gleichnisses]‘ 266 glos ‚Erklärung, Deutung‘; vgl. Z. 341, 345 267 heÿmisch ‚gezähmt, harmlos‘ 269 als ‚wie‘ 269 meÿll ‚Makel, Farbfleck‘ 271 gëen ‚gegenüber‘ 271 mutt ‚Einstellung, Gesinnung‘ 272 würcklich ‚aktiv handelnd, Einfluss nehmend‘ 273 exsponniren ‚in eine wenig geschützte Position bringen‘

250 Herr: Keller (S. 1525) erwägt Konjektur zu Hor 253 Unleserliche Streichung eines Worts hinter für 264 pei über der Zeile nachgetragen

592 | 108 – Hans Folz: Kaiser Konstantin und Silvester

280

285

290

Die gifftigen wúrm, das seÿtt jr. Wann hett jr vns jn ewrem gewallt, Als jr jn vnnser seýtt getzallt, Kein crist erlebett jares frist. Das weistu selbs, das jm also ist. Wann jr habt Cristum selbs versmecht, Der sich durch trost her zu euch necht. Das er euch aber kumen seÿ, Hör, was vns sagt Jacob dapeý! Das zepter nÿmmpt euch nÿmant, das wist, Pis der kummpt, der zu senden ist. Sprichstu dann, er seý noch nit kummen, So sag, wer hatt euch das zeptter genummen? Sprichstu dann, es sol noch geschehen, So latt eẅer kúnig vnd fúrsten sehen!

N 117r

Der jud spricht:

295

Wir sindt des zepters noch nit beraubt. Der rómisch keÿsser ist noch vnnser haubt, Jn des beschirmung wir auch noch sein. Des hat nicht krafft die rede dein. Der crist spricht:

300

O jüd, du redstz dein schaden erst. Der römisch keÿsser, der der v̈ ber euch herscht, Das ist noch sÿder Thito her, Dem jr doch wardt so gar vmmer,

KF 805

277 gewallt: Mask. Flexion seinerzeit üblich. 278 getzallt (zu mhd. zeln): ‚bestimmt, eingeordnet‘ 282 durch ‚wegen, halber‘ 282 necht (zu mhd. næhen): ‚sich nähern‘ 283–290 Christ und Jude, V. 295–302. 284 Jacob: Patriarch der Israeliten in AT und Tanach. Aus seinen Söhnen gehen die zwölf Stämme Israels hervor. 285–286 Hinweis auf die Ankunft Jesu, bis zu dessen Eintreffen das Zepter nach Jakobs Prophezeiung bei dem Stamm Juda verbleiben solle (vgl. Gen 49, 10 und Num 24, 17). 290 latt (zu mhd. lâzen bzw. der kontrahierten Form lân): ‚lassen‘ 293 haubt ‚Befehlshaber‘ 294 sein: Zur Flexion der 1. Pers. Pl. Ind. Präs. vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 149. 295 ‚Somit sind deine Ausführungen entkräftet.‘ 297–312 Christ und Jude, V. 307–322. 297 erst ‚erst recht‘ 299 Thito: Der spätere römische Kaiser Titus (reg. 79–81), als militärischer Oberbefehlshaber maßgeblich an der Belagerung Jerusalems und der Zerstörung des Tempels im Jahr 70 beteiligt. Bis zu eine Million Einwohner Jerusalems kamen dabei ums Leben. 300 vmmer (zu mhd. unmære): ‚unwert, verhasst‘

290 eẅer: Keller (S. 804) liest eüer; in der Handschrift N finden sich eindeutig drei Hasten.

108 – Hans Folz: Kaiser Konstantin und Silvester |

305

310

315

320

Das er ein pfennig vill grósser acht, Dann ewer dreýssig, dasselb betrachtt! Jn des gefengknuß jr auch noch seÿtt Zu eins ýden romischen keÿssers zeitt. Sol das zepter ýe euch gepürn, Wer wirtt vns vnsser zepter dann füren? Dartzu jr dem keýsser nit williger sindt, Dann da die gefengknus euch zu pintt. Vnd des zu zeúgknus jr tegleichs Pitt vmb zu störung des römischen reichs, Wann es ist nit von ewrem stammen, Als Jacob hatt berürtt mit namen: Das zepter kum von Juda ichtt Noch von seiner hüfft der fúrer nicht. Darumb sag〈t〉 warlich mir hie peý, Ob er von eẃer hüffte seý. Das ist von ewrem samen geporn, So doch die ersten heýden worn. Vnd weleiben hin für ewig die cristen. Darjnn du dich gantz [nicht] magst fristen, Dann das Messias ýe ist kumen Vnd hatt euch allen ewren gewalt genummen.

593

F 81, 949f.

N 117v

302 Nach der Eroberung Jerusalems wurden der Legende nach die Überlebenden zu je 30 Personen für einen Pfennig in die Sklaverei verkauft (vgl. Graetz: Geschichte, S. 229). 303 gefengknuß ‚Gefangenschaft, Unfreiheit‘ 305 gepürn ‚gebühren, rechtmäßig zustehen‘ 307 sindt: Zur Verwendung der 1./3. Pers. Pl. anstelle der 2. Pers. Pl. vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 149. 309 tegleichs ‚täglich‘ 312 ‚Wie Jakob gesagt hat:‘ 313 ichtt (zu mhd. iht): ‚nicht‘ 314 Während seines Ringens mit einem Engel Gottes am Fluss Jabbok wird Jakob an der Hüfte verletzt und gesegnet (vgl. Gen 32, 23–26). 317–322 Christ und Jude, V. 323–328. 318 Die Nachkommen des Stamms Juda gelten als Vorfahren der späteren Juden. Im Gegensatz zu den übrigen elf Stämmen, deren Spur sich nach der assyrischen Gefangenschaft (733–722 v. Chr.) verliert, hat der Stamm Juda seine Identität gewahrt. Es bleibt unklar, warum hier auf das vermeintliche Heidentum der Nachfahren angespielt wird, möglicherweise wird auf deren Unterwerfung durch die Babylonier Bezug genommen. 319 weleiben ‚[übrig] bleiben‘ 320 fristen refl. ‚sich begnügen‘ 321 ýe ‚jedenfalls, mit Sicherheit‘

310 römischen] hÿmlischen: Die Konjektur ist semantisch sowie aufgrund der Parallelstelle in Vers 320 Christ und Jude zwingend (vgl. Lomnitzer: Verhältnis, S. 281). 315 sagt] sag: Konjektur bei Keller (S. 805) 320 ] nicht; vgl. Christ und Jude, V. 326

594 | 108 – Hans Folz: Kaiser Konstantin und Silvester

Der jüd spricht:

325

330

335

340

345

350

Du sagst mir neẃr vom zepter vnd vom keÿßer, Du weist le〈i〉cht sünst kein zeügnus mer. Ob vns das zepter nu ist genummen, Dannoch ist Messias noch nit kummen, Du sagst mir dann die zeitt vnd frist, Darjnn du mir bewerst, das er kumen ist.

N 118r

Der crist spricht: Hör, júd, wie Daniel hat gesprochen! Es sindt gekürtzt sibentzig wochen Über mein volk vnd v̈ ber die heillig statt, Das die v̈ bertrettung ein ende hatt. Es wirtt getillgt die sünd vnd poßheitt Vnd zu gefürtt die ewig gerechtigkeitt Vnd werden erfüllt alle gesicht, Do aller prohetten sag von spricht, Vnd dann so wirtt gesalbt für war Der heillig aller heilling gar. Ein glos v̈ ber Ezechiellen meldt: Ee der geporn wardt jn der weldt, Der alle juden ving jn zorn, Do was der erlösser schon geporn. Vnd disse glos ist gentzlich war: Wann Cristus was geporn darfor, Ee dann der Thitus, der euch ving. Dem seýt kein jud noch nÿe entging. Des ewer keiner gelaugen mag, So clerlich leýtt es an dem tag. [ich]

KF 806

325 leicht ‚vielleicht, etwa‘ 331–334 Christ und Jude, V. 357–360. 331 Daniel: Prophet des AT, Seher im Tanach. 332 ‚Es ist verkürzt auf siebzig Wochen‘ (vgl. Dan 9, 24) 334 v̈ bertrettung ‚Frevel‘ 337–348 Christ und Jude, V. 361–372. 337 gesicht: ‚Weissagung‘; vgl. Z. 697 341 Ezechiell: Prophet des AT und des Tanach. 343 vangen: ‚gefangen nehmen‘; hier in Bezug auf die Belagerung des Tempels zu Jerusalem: ‚belagern, besetzen‘. 348 Dem ‚Dem, Diesem Sachverhalt‘ 348 seýt ‚seither‘ 349 gelaugen ‚leugnen, in Abrede stellen‘

325 leicht] lecht: Konjekturvorschlag bei Keller (S. 805) 350 tag] tag ich: Konjektur bei Keller (S. 806)

108 – Hans Folz: Kaiser Konstantin und Silvester |

Der jud spricht:

355

595

N 118v

Mein crist, dem seý nun aber also! Bescheid mich aber eins darno! Jr sagt, als wie jn ein meýdt geper. Durch was pracht er die gewonheitt her? Der crist spricht:

360

365

370

375

Hör, jüd, es must also ergan, Wann Ÿsaÿs sagt dauon: Nemmpt war, ein junckfraw entpfahen wirtt, Die vns mit namen ein sun gepirtt Vnd wirt Emanuell genentt. Des nam wirt got péy vns erkennt. Vnd Jeremias spricht daruon: Ein neẃes wirt got auf erden than: Ein weib vmb geben wirtt ein mann. Do muß man ÿe ein junckfraw verstann Als alle geschrifft dann das bekenntt, Sünst wers kein neẅes dinck genenntt. So spricht Ezechiel: secht an, Die pfortt, die wirtt 〈nit〉 auf getan Vnd keiner wirtt dardurch ein gëen, Dann gott der herr ̲, sült jr verstëen. Vnd Daniel spricht: ein stein, der ist Vom perg geschnitten an henndes list Vnd gewachsen zu einem perge groß Vnd hatt erfüllt der erden clos.  Der pergk ist die zartt junckfraw rein,

KF 807

N 119r

352–355 Christ und Jude, V. 415–418. 353 darno ‚danach, überdies‘ 354 meýdt ‚Jungfrau‘ 355 gewonheitt ‚Eigenschaft‘ 359–362 vgl. Jes 7, 14. 359–360 Christ und Jude, V. 427–428. 360 mit namen ‚tatsächlich, ausdrücklich‘; vgl. Z. 379 362 Zur Möglichkeit des Ausfalls des Genitivflexivs vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 5. 363–370 Christ und Jude, V. 429–436. 364–365 vgl. Jer 31, 21–22. 367 geschrifft ‚Bibel‘ 367 bekennen ‚erklären, berichten‘ 369–372 Die Stelle bleibt ohne die Konjektur unverständlich. Das östliche Tor des vom Propheten Ezechiel entworfenen neuen Tempels solle verschlossen bleiben, nachdem der Gott Israels es durchschritten habe, allein der Fürst solle ferner das Recht haben, die Schwelle zu betreten (vgl. Ez 44, 2–3; 46, 1–2); vgl. auch Vers 436 in Christ und Jude. 373–376 vgl. Dan 2, 34–35; 45. 373 Christ und Jude, V. 439. 374 ‚Aus dem Berg herausgelöst, ohne dass Hand angelegt wurde‘ 376 erden clos ‚Erde‘

370 nit]

596 | 108 – Hans Folz: Kaiser Konstantin und Silvester

380

385

390

So muß Messias sein der stein, Der von jr kam on hend mit namen, Das ist on allen menlichen samen! Der wirtt erfüllen die erden gar Mit seinem glauben, wiß für war, Nemlichen vor dem jüngsten tag. Nu hör rabý Prachias sag: Er wirtt on vatter hie erkorn, Der dortt an mutter wirtt geporn. Das kan ÿe nýmantt gesein dann gott. Sich, jud, das ist euch allen ein spott. War zu habt jr doch zuuersicht, So das ewer rabi selber spricht? Doch traútt jr ewren synnen thumm, Die cristen süllen nicht wissen drumm. Der jud spricht:

395

Hor, crist, noch eins du mich bescheýt, Wie das er dann sölche martter leid, So er doch warer gottes sun was. Wie verhengt er den den juden das, Das sie jm tetten so ein smelichen tod Vnd das er jm selbs nit gehollffen hott?

400

Der crist spricht:

405

Hör, jüd, do merck die liebe sein! Do Adams sun〈d〉 vns pracht jn pein, Do mocht vns nÿmant retten mer, Dann einer, der gantz on sünde wer. Derselb on súnd, der must dann sterben

N 119v

KF 808

384–399 Christ und Jude, V. 442–456. 384 Prachias: Eine konkrete 381 gar ‚ganz, komplett‘ Zuweisung konnte nicht vorgenommen werden. Möglicherweise Nebenform zu Berachiah (vgl. Bader: Encyclopedia, S. 480). 389 zuuersicht ‚Vertrauen‘ 391 thumm ‚schwach, verwirrt, verstockt‘ 394 bescheýden ‚unterrichten, erklären‘ 395 martter ‚Folter, Qual‘ 397 verhengen (zu mhd. verhahen): ‚geschehen lassen, gestatten‘ 398 Die Kreuzigung wurde insbesondere an Sklaven sowie nicht-römischen Aufständischen vollstreckt und galt als besonders schmachvoll (vgl. Leder: Todesstrafe, S. 92f.).

402 sund] sun: Konjekturvorschlag bei Keller (S. 807, 1525) gestrichen: peý

403 nach retten in der Handschrift N

108 – Hans Folz: Kaiser Konstantin und Silvester |

410

597

Vnd den jn sünden gnad erwerben. Nu mocht nÿmant gefunden werden, Der gantz on sünde wer auf erden, Dann got allein jn seinem pallas. Nu hett got nichtz, das leÿdlich was, Vnd wardt darumb mensch, das er stürb Vnd hie den sterbenden gnad erwürb. Der jüd spricht:

415

Mein crist, bescheid mich fúrpas! Seitt er dann ÿe Messias was, Was led er nit ein ringern todt, Dann das er also wardt zu spott? Der crist:

420

425

Hör, jud, es must doch werden volbracht, Was alle prohetten hetten gedacht. Vnd ob du das nit wolst erkennen, So magstu mir einen andern nennen, An dem das als geschen sol? Thustu dasselb, das hör jch woll.

N 120r

Der jüd spricht: Mein crist, las mich es auch verstan, Was sagen die prohetten davon? Der crist spricht:

430

Dauidt spricht: als, das mich gesehen hott, Hott mich versmecht vnd auch verspott. Ÿsaias spricht: vom haubt pis zu den fúßen vnden So ist nichtz gantzes an jm gefunden Vnd ist vmb vnser schuld geschlagen Vnd hatt alle vnser sünd getragen.

406 ‚Und Vergebung für diejenigen erlangen, die in Sünde waren.‘ 409 pallas ‚Palast‘ 410 leÿdlich ‚unangenehm, fehlerhaft‘ 416 ‚Warum erlitt er nicht einen weniger öffentlich schmachvollen Tod,‘ 421–424 Christ und Jude, V. 459–462. 431–434 vgl. Jes 53, 4–5.

598 | 108 – Hans Folz: Kaiser Konstantin und Silvester

435

440

445

450

455

Moÿses spricht: er wirt noch als ein lamp auf erden Hin zu dem tod gefürtt werden. Dauit spricht: hend, füß durch löchtens mir gemein Vnd hann getzelt alle mein pein. Dauit spricht: geworffen haben sie das los Vmb meine cleÿd vnd liessen mich plos. Essig vnd gallen wardt eingeschenckt, Darmit jch wardt gespeist vnd getrenckt. Osee spricht: es werden erleschen sún vnd mon Vnd wirtt schreÿen der her von Sion. Jeremias spricht: den totten wirtt gewiß das leben Nach seiner begrebnus wider geben. Osee spricht: nach zweien tagen sucht den herren, So wirtt er eüch selligkeitt gewern Vnd an dem dritten gar erkücken. Sag, jüd, wo wiltu nu hin rücken? Doch hör vnd las mich auch verstan Die red, do Moÿses sagett von: Eüch wer zu glauben nit belangen, So jr das leben am holtz secht hangen.

KF 809

N 120 v

Der jüd spricht: Hor, crist, do wir durch die wüsten gingen Vnd schäden von den würmen entpfingen,

435–436 vgl. Gen 22. 436 Das Lamm symbolisiert im AT den gefügigen Gottesknecht, ist aber nicht als Vorausdeutung des Messias zu verstehen (Jes 53). Dessen typologische Gleichsetzung mit dem Lamm Gottes ist erst bei Joh 1, 29 u. 36 belegt. 437–438 vgl. Ps 22, 17. 438 pein ‚Gebeine, Knochen‘ 439 vgl. Ps 22, 19. 441–442 Christ und Jude, V. 479f.; vgl. Ps 69, 22. 443 Osee: ‚Hoseas‘, Prophet des AT; eine entsprechende Stelle konnte bei ihm nicht nachgewiesen werden (vgl. Jo 4, 15–16). 443 mon ‚Mond‘ 444 Sion: Der Berg Zion, nach jüdischem Glauben die Wohnstätte Gottes. 445–446 Eine entsprechende Stelle konnte bei Jeremias nicht nachgewiesen werden. 447–449 Christ und Jude, V. 509–511; vgl. Hos 6, 2. 450 hin rücken [hier argumentativ] ‚sich zurückziehen‘ 453–454 Christ und Jude, V. 491–492 bzw. 499–500. 453 belangen ‚erlangen, zuteil werden‘ 454 Von der Verblendung der Juden zeugt explizit keine Stelle bei Moses; zur Vollstreckung der Todesstrafe vgl. Dtn 21, 22–23 und Gal 3, 13. Lediglich in der Verdammung aller Gekreuzigten bzw. Gehängten teilt sich implizit die Unfähigkeit mit, den Messias zu erkennen. 454 holtz ‚Galgen, Kreuz‘ 456–459 vgl. Num 21, 6–9. 457 wurm ‚Schlange‘

452 nach red in Handschrift N gestrichen: die; do darüber nachgetragen

108 – Hans Folz: Kaiser Konstantin und Silvester |

599

Do ward ein erdne schlangen gemachtt. Das ist, do Moÿses von hatt gesagt. 460

465

Der crist spricht: Hör, jüd, das ist wider dich gerichtt, So Moýses von dem leben spricht, Das an dem kreütz do werde hangen. Wo hatt gelebt die erdnein schlangen? Auch habt jr on die selben gelaubt. Darjnn jr aber seýtt betaubtt, Wann Moÿses spricht, euch seý nit geben Am holtz zu glauben on das leben.

N 121r

Der jüd spricht: 470

Wir wissen wol, das vnnser vëtter Jn töten als ein v̈ bel tëtter, Vnd als jch deine wortt verstan, So meinstu, er hab nie kein súnd getan.

KF 810

Der crist spricht: 475

480

Mein jüd, du leügst daran nichtt. Nun hör, was Ÿsaias spricht! Póßwicht han jn genummen an, Wann er hatt nie kein sünd getan Vnd wardt nie trügnus an jm gefunden. Hör, ob du nit seist v̈ ber wunden: So nÿmant ist on sünd, dann gott, Vnd ewer prohett gesprochen hott,

F 81, 327

458 Die Schlange, von Anfang an Symbol für Satan und Sünde, deutet in ihrer Erhöhung typologisch auf den sühnenden Kreuzestod Jesu hin (vgl. auch Joh 3, 14). 458 erdne: ‚irden, tönern‘; aufgrund der alttestamentlichen Vorlage ehern ist entsprechende Konjektur zu erne denkbar, wenn auch nicht zwingend (vgl. auch Folz: Meisterlieder, Traktat 103, Z. 450, 461, 519; vgl. auch Z. 464). 461 wider ‚gegen‘ 465 on ‚an‘ 465 lauben ‚glauben‘ 466 betaubt (zu mhd. betouben): ‚verwirrt, verblendet‘ 467 Zur Möglichkeit des Präfixausfalls des Part. Prät. vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 87. 470–473 Christ und Jude, V. 527–530. 472 verstan: Zur Möglichkeit der Flexion der 1. Pers. Sg. Ind. Präs. auf n vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 88. 473 Zur Funktion der doppelten Negation vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 232. 475 leügen (zu mhd. liegen): ‚lügen, die Unwahrheit sagen‘ 477–479 vgl. Jes 53, 9. 477–478 Christ und Jude, V. 537f. 479 trügnus ‚Betrug‘ 480 v̈ berwinden ‚überzeugen‘ 481 dann ‚als, außer‘

600 | 108 – Hans Folz: Kaiser Konstantin und Silvester

Das er wer aller sünden an, Dem jr den todt habt angetan. 485

Der jüd spricht: Mein crist, bescheid mich, ob du weist: Was Jhesus gott, als du dan seýst, Wie hat der tod jn angenummen, So doch jn gott kein leÿden mag kummen?

490

495

N 121v

Der crist sagt ein exempel: Ein paum stund jn der sunnen schein, Die sunn erschin die esste sein. Wie fa[h]st 〈d〉u hibest jn die est, Was schadett das der sunnen glest? Also die menscheitt Cristi led den tod, Die gotheitt nicht geliden hott. Der jüd spricht:

500

505

Hör, crist, noch eins mir hie geprist. Seýtt Jhesus nun ein mensch auch ist, Wie zeigt mir dann die rede dein, Das er so an manigem end sol sein Vnd jn souil kleiner protes gestallt? Sich, crist, der glaub dunckt mich gar kalt. Es ist nit múglich, weýstu wol, Das ein mensch mer dann on einem end sein sol.

KF 811

486–489 Christ und Jude, V. 541–544. 487 Was: ‚War‘, vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 105. 488 annemen ‚sich einer Sache bemächtigen, übermannen‘ 491 stehen: Zur frnhd. Flexion des Verbs vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 148. 492 erscheinen ‚bestrahlen, bescheinen‘ 493 hibest: 2. Pers. Sg. Konj. II Präs. (zu mhd. houwen): ‚hauen, abschlagen‘. 494 glest (zu mhd. glast): ‚Glanz‘ 495 Die Bedeutung ist nicht ganz klar. Entweder ist menscheitt zu verstehen als die menschliche Komponente des Wesens des Messias, die ‚Menschwerdung‘ und led dem Verb leiden zuzuordenen, oder aber menscheitt ist zu verstehen als ‚Bevölkerung der Erde, Gesamtheit der Menschen‘ und led in der Bedeutung ‚[aufer-]legen‘. Für die erste Auslegung spricht der Genitiv Cristi sowie die semantische Opposition gotheitt in der folgenden Zeile. 498–499 Christ und Jude, V. 551–552. 498 geprsten (zu mhd. gebrësten): ‚mangeln, fehlen‘ 500 zeigen ‚erklären‘ 501 manig ‚manch, jedwedes‘ 501 end ‚Ort‘ 502 prot ‚Brot‘ 503 duncken ‚scheinen‘ 503 kalt ‚leblos, unbeseelt‘

493 fast du] fahstu: Konjekturvorschlag bei Keller (S. 810)

108 – Hans Folz: Kaiser Konstantin und Silvester |

601

Der crist spricht:

510

515

520

Hör, jüd, so gib auch anttwurtt mir, So mag jch recht bekumen dir. So jr nach eẃer ée nun wolt Ein kint beschneýden, als jr solt, So setzet jr zwen sessel drott, Getzirrt mit köstenlicher wott, Vnd sitzt doch nÿmantt darauf darnach. Sag mir, warumb stëen die sessel da?

N 122r

Der jüd spricht: Hör, crist, jn aller jüdischeitt weÿtt, Wo man ein kindlein beschneÿdtt, So hab dir gentzlich von mir das, Das do sind Enoch vnd Elias Vnd sitzen auf den sesseln peitt. Das gelaubet alle jüdischeitt. Der crist spricht:

525

530

Hör jüd, wann es sunst nÿmant hortt, So flucht jch dir vmb disse wortt, Das du gelaubst an wider stëen, Das Enoch vnd Elias, die zwen, Ein mall so an manchem end süllen sein Vnd nit Jhesus, der here mein, Von dem die gotheitt sich nit schitt. Pfuý, das du dich des schemest nicht!

508 bekumen ‚von Nutzen sein‘ 511 Im Rahmen der Beschneidungszeremonie kommt zwei Stühlen eine zentrale Rolle zu. Auf dem einen nimmt der Pate des Knaben Platz, im anderen wird die Anwesenheit des Propheten Elia angerufen. 511 drott (zu mhd. drâte): ‚schnell, zügig‘ 512 Der sogenannte Eliastuhl ist traditionell reich verziert. 512 wott (zu mhd. wât): ‚Stoff, Tuch‘ 514 Christ und Jude, V. 560. 518–520 Christ und Jude, V. 561–563. 518 ‚So vernimm insbesondere von mir,‘ 519 Enoch vnd Elias: Die Propheten Henoch und Elia wurden der Überlieferung nach ohne auf Erden zu sterben direkt in den Himmel entrückt (vgl. 2. Kön 2, 11 und Gen 5, 24). Beide sind in der Antichristtradition Widersacher bzw. Opfer des Antichrist. Folz mischt hier jüdisches Ritual und christliche Legende. 520 peitt ‚beiden‘ 524 fluchen ‚verfluchen‘ 524 vmb ‚um, wegen‘ 529 schiten (zu mhd. schîten): ‚[ab-]spalten‘

602 | 108 – Hans Folz: Kaiser Konstantin und Silvester

Der jüd spricht:

535

540

Crist, was du redstz, das ist ein spott, Wann Jhesus ist noch ward nie gott. Wann gottes namen kein kristen nit weist, Wie er nach dem aller höchsten heist. Den selben namen jch erkenn. Vnd alles das jn hórett nenn, Sich, das muß sterben on der statt; Sölch große krafft der name hatt.

N 122v

KF 812

Der crist spricht: Sag an, wie ward er dir dann kuntt, Das du nit auch starbst zu stundt? Der jud:

545

550

Dasselb dir pillich vnkuntt ist, Seint du wider die judischeitt pist. Aber disen namen jch dir bewer. Heÿs ein wilden ochsen wringen her! Dem will jch thun den namen kuntt, So muß er sterben an der stundt. Die keiserin spricht: Wringt pald ein wilden ochsen her, Das man den namen gotz bewer! So wirt erst kunt, war an es hafft Vnd welcher glaub hab rechte krafft.

533 ‚Weil Jesus weder Gott ist noch Gott war.‘ 534 weist: Zur Flexion der 3. Pers. Sg. Ind. Präs. des Verbs wissen vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 136. 537 ‚Und alles, was hört, wie er genannt wird,‘ 538 on der statt ‚auf der Stelle‘ 544 pillich ‚zu Recht‘ 545 Seint ‚Weil‘ 547 Heÿsen ‚Heißen, Anweisung geben‘ 547 ochse: Mit Ochse war nicht zwangsläufig ein verschnittenes und somit friedfertiges Tier gemeint; hier handelt es sich eindeutig um einen Stier, vgl. 572. 547 wringen ‚bringen‘ 553 war an es hafft ‚wie es liegt, wie die Dinge stehen‘

543 Sprecheranweisung nachträglich zwischen den Zeilen eingefügt

108 – Hans Folz: Kaiser Konstantin und Silvester |

555

560

603

Der jüd spricht: Secht, das sich die warheit nie verpargk! Der ochß ist gantz gesunt vnd starck, Heÿmlich jch jm den namen nenn, Von stund〈 〉an muß er sterben denn Als war als cristen gelauben ist plintt Vnd allein wir juden die rechten sindt.

N 123r

Der crist spricht:

565

Nu merck mich, jud! jch hab erkennt, Das du ein teúffel hást genenntt. Derselb kan tötten, aber das leben, Das kan er nÿmantt widergeben. Darumb so mach jn wider aufstan, So wöll wir gelauben on dich han. Der jüd spricht:

570

575

KF 813

Kein mensch noch jch vermag des nicht, Wann er ist todt von gottes gericht. Erweckst aber du den stier, So wöll wir alle gelauben dir, Das Jesus seý ein warer gott. Vnd wer auch des mit mir sÿnn hott, Der reck ein vinger auf ÿtzundt, Das er auch wöll gelauben an der stund. Der crist spricht:

580

O heilliger vatter, euch zýmett das: Bewertt den glauben selber pas Vnd auch die ere Jhesu Crist, Der tod vnd lebens mechtig ist.

N 123v

557 vgl. Lev 1, 3. 560 plintt ‚nichtig, gehaltlos‘ 568 on ‚an‘ 575 ‚Und wer mit mir dieser Überzeugung ist,‘ 579 zýmen ‚[ge-]ziemen, zu Recht zustehen‘

559 stund an] stundan: Konjektur bei Keller (S. 812)

604 | 108 – Hans Folz: Kaiser Konstantin und Silvester

Der kardinal spricht:

585

Jch peütt dir, ochs, peÿ Jhesus crafft, Der sterben vnd das leben schafft, Dast hie jn seiner krafft auf stest Vnd senffmúttig von hÿnnen gest. Der jüd spricht:

590

Gelobt seistu, Jhesu Crist, Wann du mein gott vnd herr ̲ pist. Der keiser spricht:

595

Mein muter, wie gedunckt euch nun? Ob Jhesus seý der war gottes sun, Der an dem creütze fúr vns starb Vnd vns das ewig heill erwarb? Die keiserin spricht:

600

605

O sun, jch danck euch eẅer potschafft, Wann jch han gesehen Jhesus crafft Vnd auch sein gotheitt hören erclern Mit aller schrifft gentzlich bewern. Vnd ist mir von gantzem hertzen leÿtt, Das jch vom weg der selligkeitt So lange zeitt pin jr gegangen. Wolt gott, hett jch die tauff entpfangen! Des gertt mein hertz vor allen dingen. Hellff, sun, last mir dartzu gelingen!

KF 814

N 124r

584 peütten ‚gebieten‘ 586 Dast ‚Dass du‘ 587 senffmúttig ‚sanft, friedlich‘ 592 Mein: Zur Möglichkeit des Flexivausfalls in der 1. Pers. Sg. fem. des Personalpronomens vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 65. 592 gedenken: Reflexiver Gebrauch mit Subj. im Dat. in der Bedeutung ‚sich vorstellen‘. 601 leÿtt ‚verleidet, zuwider‘ 603 jr ‚irr, falsch‘ 605 geren ‚begehren, verlangen‘ 606 mir gelingen ‚mein Ziel erreichen‘

595 nach das in Handschrift N gestrichen: heillig

108 – Hans Folz: Kaiser Konstantin und Silvester |

605

Der jud spricht:

610

615

620

Ach, vatter mein, nun weicht nicht ab! Seint das vns gott die beschneidung gab Vnd hatt vns auch sein liebes volk genanntt Vnd hallff Josue, das er v́ ber wandt Fünff methig küng der Amoleitten, – Jm leücht die sunn, jnd nacht zu streitten – Vnd fürt vns durch das rotte mer. Er trenckt vnnser feintt vnd alle jr her Vnd hatt vns auch verheýssen das lantt, Das honig vnd milich flússig wirt genanntt, Vnd gab vns trawen das hÿmel prott Vnd hallff vns sunst auß aller nott. Ach vatter, thu sein nÿmmer mee Vnd weleib ein jüd fürpas als ée. Der crist spricht:

625

Hór, jüd, jch las darpeÿ bestan, Got hab euch gnaden vil getan. Ýdoch einer frag du mich bericht, Dauon herr ̲ Amos nemlich spricht: V̈ber dreý súnd, Jßrahel, erparm jch mich Vnd v́ ber die virden nÿmmer ewigklich, Wann sie den gerechten haben hin gegeben

N 124v

608 abweichen ‚sich abwenden, jmdn. im Stich lassen‘ 609 Zur Beschneidung als Zeichen des auserwählten Volkes vgl. Gen 17, 14. 609 Seint ‚Seit‘ 611 Josue: Josua ist im AT Diener, Gefolgsmann und Nachfolger des Moses. 612 küng ‚König‘ 612 Amoleitten: Auf der Flucht aus Ägypten werden die Israeliten vom Volk der Amalekiter am Roten Meer angegriffen. Durch Gebete Moses unterstützt obsiegen die israelitischen Verbände unter Führung Josuas (vgl. Ex 17, 8–13). Eine andere Möglichkeit besteht darin, Amoleitten auf das Volk der Amoriter zu beziehen (vgl. Jos 24, 8), einen in Kanaan ansässigen Stamm. Gegen fünf Könige der Amoriter kämpft Josua in Jos 10, 5–10. 613 vgl. Jos 10, 13. 618 trawen ‚fürwahr‘ 618 hÿmel prott: ‚vom Himmel fallendes Brot, Manna‘ (vgl. Ex 16, 15) 626 Amos: Prophet des AT und des Tanach. 627–630 vgl. Am 2, 6. 629 Hier liegt ein verbreiteter, in der antijüdischen Texttradition (vgl. Alsfelder Passionsspiel) etablierter Verständnisfehler vor. Die Vulgata führt die Passage zwar im Singular (iustum), die bei Amos anderweitig allenthalben anzutreffende gegenwartsbezogene Kritik kann jedoch kaum auf Menschwerdung und gewaltsamen Tod des Gottessohnes umgedeutet werden, ebensowenig auf den Verkauf des Joseph (vgl. Z. 634f.).

615 Er trenckt: Keller (S. 1525) erwägt Konjektur zu Ertrenckt; trenken in der Bedeutung ‚ertränken‘ ist frnhd. nachweisbar, der Eingriff somit überflüssig.

606 | 108 – Hans Folz: Kaiser Konstantin und Silvester

630

Vnd vmb das selber verkaufft. merck eben! Darumb sag, jud, vnd leüg mir nicht: Welchs ist die vierd sündt, als Amoß spricht? Der jüd:

635

Hör, crist, das ist Josep für war, Den seine prüder gaben dar Vmb dreissig pfennig silberein, Vnd kan auch zwar kein ander sein.

KF 815

Der crist:

640

645

650

Hör, jüd, du leügst dich selber an, Als Moýses gibt zeugnus dauon. Wann Jenesis ist sein erstes puch, Darjnn du dise missetatt such! Darumb muß es die erst sünd sein. Die ander, do jr das kalb guldein Zu Arep habt jr gepettett an. Das dritt der mortt, den jr getan Habt an den prohetten, das ist war, Darumb jr dann sÿbentzig jar Gefangen wartt zu Babilon. Nu las mich die vierd sünd selb verstan Darumb jr ÿtz gefangen seýtt Vnd habt noch kein bestýmbte zeitt Von keÿm prohetten noch von gott,

N 125r

630 selber ‚Silber‘; vgl. Z. 636 631 leügen: ‚lügen‘; mit Dativ seinerzeit verbreitet. 636 Joseph, der zweitjüngste Sohn Jakobs, wird von seinen Brüdern in ägyptische Gefangenschaft verkauft. Infolge seiner Traumdeutungen gelangt Joseph in Ägypten zu Reichtum und Ansehen, vgl. Gen 37, 27–28; dort ist dagegen von lediglich 20 Geldstücken die Rede. 641 Jenesis: Genesis, das erste der fünf Bücher Mose. 644 guldein ‚golden‘ 645 Während Moses die Gebotstafeln auf dem Sinai bzw. Horeb (hier: Arep) von Gott erhält, errichten die am Fuße des Berges Zurückgebliebenen die Statue eines goldenen Kalbs und beten dieses an (vgl. Ex 32, 1–4). 649 Zum Exil des israelitischen Volkes in Babylon (598–539 v. Chr.) vgl. 2. Chr, 36; Jer 52, 28–29; Esr 2, 1–70; Dan 1–6. Die Prophetenmorde des AT (vgl. 1. Kön 19, 10; 2 Chr 24, 19–21; Jer 2, 30, 9, 26) stehen nicht kausal mit der Unterwerfung durch die Babylonier in Zusammenhang, diese werden erst neutestamentlich (vgl. 1. Thess 2, 15) in die antijüdische Apologetik integriert. 650 selb: Ohne Artikel meist in der Bedeutung: ‚selbst‘, hier wohl eher ‚genauso, in derselben Weise‘. 652 bestýmbt ‚[vorher-]bestimmt‘

635 nach seine in Handschrift N gestrichen: n

108 – Hans Folz: Kaiser Konstantin und Silvester |

655

607

Darjnn die gefengknuß ende hatt, Wann es nun lenger hat fúr war Gewert dan viertzehenhundertt dreýundsibentzig jar. Darumb es pillich wirtt erkennt Ein ewige gefengknuß, die Daniel benenntt. Der jüd spricht:

660

Ach vatter, veranttwurtt dem joien das, Wann jch mich nit weiß zu fristen pas. Jch pitt dich, du wölst dich sein nemen an Vnd las die judischeitt nit also on schanden bestan. Der rabi spricht:

665

670

O Adoneý, Adoneý, wir jren! Jr jüden, wie wöll wirs nun angeschiren? Jch hab euch lang verwessen vnd vertretten, Jn maß, als jr mich dann habt gepetten. Wer nu gelertt seÿ, der trett her zu, Das er daruber die antwortt thu, Wann jch will nun an Jhesus gelauben Vnd las mich nýmant dauon betauben. Ein ander sun:

675

KF 816

N 125v

Ach vatter, ker dich nit daran Vnd sich vor recht die talmutt an! Ker dich nit an des joien gespeien! Du must dich aller deiner freündt verzeihen: Weib, kind vnd ander habe dein, Vnd müsten wir alle pettler mit dir sein,

655–656 Christ und Jude, V. 411–412. 660 veranttwurten ‚beantworten‘ 660 joi hebr. ‚Goi, Nichtjude‘ 661 fristen ‚durch-, aushalten‘ 665 Adoneý hebr. ‚Herr‘, Gebetsanrede Gottes 666 angeschiren ‚ordnen, herrichten‘ 667 verwessen (zu mhd. verwësen): ‚Sorge, Obhut tragen für jmdn.‘ 668 Jn maß ‚In dem Maß, In dem Umfang‘ 673 sun: Es scheint sich zunächst um einen Bruder des Kaisers zu handeln (vgl. Z. 7 und 54). Da sich die Figur in der Folgezeile jedoch an den Rabbiner mit der Anrede vatter wendet und dieser die Anhänger seiner Religion in Z. 687 seinerseits mit sün anredet, ist sun hier zu verstehen in der Bedeutung ‚Jude‘. 675 vor ‚vorher‘ 675 talmutt: Üblicherweise mask. flektiert. Der Talmud, größtenteils entstanden zwischen 200 v. und 500 n. Chr., ist nach dem Tanach die bedeutendste normative Textsammlung der jüdischen Religion und Kultur. 676 gespei ‚Geschwätz, Gespött‘ 677 verzeihen: ‚Preis geben, entsagen‘; üblicherweise mit Genitivobjekt; vgl. Z. 703. 678 habe: ‚Habe, Besitz‘; mit der Taufe war für den Proselyten der Verlust sämtlicher materieller Güter verbunden.

608 | 108 – Hans Folz: Kaiser Konstantin und Silvester

680

685

Wolstu so pald abtrúnig werden. Vnd weistu nit, das Jhesus auf erden Eins armen zýmermans sun was, Vnd das er selber die spëen auf las Vnd sein mutter span den leútten vmb lan? Was machstu gelauben an einen solchen gockelman han? Der rabi:

690

695

700

705

Ach, lieben sün, last eẃer clagen! Habt jr nie von Jhesum hören sagen, Was grosser wunder er verpracht, Das er die totten lebendig macht, Die tauben hören, die plinden sehen? Wie möchten die wunder sein geschehen, Wann er nit wer der sun der magt, Von dem freilich alle prohetten han gesagt? Die Sara clagt: Ach Moße, mein man, weistu des nicht? Was Jhesus thett was neẃr ein gesicht Auß der kunst der nÿgramaceÿ, Der was er gantz ein meýster freÿ. Darmit hatt er die leütt betrogen Vnd fast jn seinen gelauben zogen. Also wiltu dich lassen treiben ab Vnd vertzeihen aller deiner hab Vnd ein petler werden, als Jhesus was? Ach, Moße, mein man, ÿch traw dir ÿe, du thust wol pas.

N 126r

KF 817

683 spëen (zu mhd. span): ‚Holzspäne‘; das seinerzeit verbreitete Bild von der Kindheit Jesu zwischen Spänen, Säge und Nägeln in der Werkstadt Josephs ist als Vorausdeutung auf den Kreuzestod zu sehen. 684 ‚Und seine Mutter nähte für die Leute für Lohn?‘; die Vorstellung dieses handwerklich geprägten Familienidylls beruht auf spätmittelalterlicher Legendenbildung, die an die Tradition anschließt, Maria habe zum Zeitpunkt der Verkündigung durch den Engel Garn für den Vorhang des Tempels gesponnen. 685 gockelman ‚Possenreißer, Hanswurst‘ 687 lieben: Zur indeterminierenden Flexion des Vokativs vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 41; vgl. Z. 723, 728. 689 verpringen ‚vollbringen, ausführen‘ 690 vgl. Lk 7, 7, 11–14 und 22; Mt 9, 18; Joh 11, 43–44. 691 vgl. Lk 7, 22; Mk 7, 31–37 bzw. Mk 10, 46–52 und 8, 22–26; Lk 7, 22 und 18, 35–43; Mt 9, 27–31 und 20, 29–34; Joh 9, 1–7. 698 nÿgramaceÿ: ‚Nekromantie, [Re-]animation Toter, schwarze Magie‘ 699 meýster freÿ ‚freier, ausgelernter Meister‘ 701 fast ‚fest‘ 702 abtreiben ‚zurückdrängen‘

108 – Hans Folz: Kaiser Konstantin und Silvester |

609

Der rabÿ:

710

Ach, Sara, las dein clagen sein! Jch gelaub an Jhesum, den herren mein. Jch han erst gehört den rechten gruntt, Der mir vor nÿe ist worden kuntt, Vnd will auch darjnn beleiben stëett, Vnd das gleich die gantz welt dafür pett. Der ritter spricht:

715

720

Hór, jüd, du hast ein rechten sÿnn. Las dich kein vngelauben zihen hin, Wann du pist auf dem rechten pfatt, Der jn das ewig leben gatt. Darumb las dich dein gut nicht reẅen Vnd rúff die leütt hie an mit treüen, Das man dir steür darjnnen thu, Die hellffen dir williglich dartzu.

N 126v

Aber ein ander jüd:

725

730

Ach, lieben cristen alle gemein, Seint dann der liebste vatter mein Den cristen gelauben hat außerkorn, Trauen, so will jch auch nit sein verlorn Vnd gelaub auch alles, das jch gelauben soll. Ach, lieben cristen, thutt so wol Vnd steürtt vns arme jüden kintt! Seint wir doch ÿe sein gewessen plint, So erleücht vns nun der meýt sun Crist, Der freýlich der war Messias ist. Vnd well des alle die gewern, Die des getreülich von jm begern.

711 stëett ‚stets, beständig‘ 714 sÿnn ‚Gesinnung‘ 719 mit treüen ‚getreulich, aufrichtig‘ 720 steür thun ‚Hilfe, Beistand leisten‘ 731 meýt ‚Magd, Jungfrau‘ 733 gewern ‚beweisen, bezeugen‘

707 nach sein in Handschrift N gestrichen: Jch gelaub 730 sein: Keller (S. 817) konjiziert zu sei

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735

740

745

Des Schmois gesang: O Schmoý, Schmoý, allter vater mein, Wir volgten ÿe nach der lere dein. Du hast versmecht das güldein kalp Vnd alle jrung des glaubens halb. Dich hat nach sweinem fleisch gedürst, So frew wir vns der gutten würst, Do wollen wir vnsern dreck mit spicken. Als offt jn dann die seẅ verschlicken, So werden ander würst auß jn. Hoýa, hoýa, das ist ein gutter sÿnn! Die essen wir dann aber gern. Des müßen die verheitten schelk, die jüden, entpern.

KF 818

N 127r

Der tauff schreier:

750

Nu hört, sweigt, lost vnd nempt acht! Es ist ein anschlag hie gemacht, Das man pis suntag vor der sunnen Dauorn am marckt peÿm schón prunnen Die juden vnd jüdin alle wirt tauffen. Vnd wer jm dann aplas will kauffen

735 Schmoi: Abzuleiten aus dem hebräischen Vornamen Schemaja. 739 halb ‚halber, wegen‘ 740 Schweine gelten dem jüdischen Glauben als zum Verzehr verbotene Speise (vgl. Lev 11, 7f.). 740 dürsten: Zur über die Zufuhr von Flüssigkiet hinausgehenden Bedeutung ‚gelüsten‘, hier: ‚hungern‘ vgl. auch F 110, Z. 71. 742 spicken ‚versehen, durchziehen‘: ‚Damit wollen wir unseren Kot anreichern, Damit wollen wir uns den Bauch vollschlagen‘ (vgl. Futilitates Germanicae, S. 15). 743 Es war verbreiteter Glaube, Schweine ernährten sich von Exkrementen. Die Kot verschlingende Sau gehört in der Genregraphik der Zeit zu den Begleitern der Gefräßigen und Trunksüchtigen und findet sich als Spielkartenmotiv (Eser/Schoch: Zockern, S. 72; vgl. auch F 91, Z. 140 und 158 sowie F 111, Z. 316; vgl. Gerhardt: Diätetik, S. 8 und S. 57. Zum ebenfalls einschlägigen Motiv der Judensau vgl. auch F 88). 743 verschlicken ‚verschlicken‘ 746 aber ‚abermals; dennoch‘ 747 verheÿt (zu mhd. hîwen): ‚verheiraten, paaren‘; gleichermaßen obszön wie semantisch offen können sowohl Hohn und Spott als auch die derbsten sexuell besetzten Fluchformeln gemeint sein. 748 tauffschreier: Anderweitig nicht belegtes Kompositum, offensichtlich phonetisch analog zur Rolle des Ausschreiers gebildet. Dem Publikum bleibt der Neologismus indes verborgen. 749 losen ‚lauschen, aufmerksam zuhören‘ 750 anschlag ‚Bekanntmachung‘ 752 Der Schöne Brunnen wurde Ende des 14. Jahrhunderts an der Nordwestecke des Hauptmarkts und damit auf dem Areal des 1349 zerstörten Judenviertels errichtet. 754 aplas ‚Ablass‘

108 – Hans Folz: Kaiser Konstantin und Silvester | 611

755

Vnd des auch hab zu sehen sÿnn, Der mach sich dester früer hin! Ein ander paur:

760

765

So kum jch auch da her geknetten Vnd will eins reden vngepetten. Die frawen vnd meit begeren eins reýen, Das sie sich mit euch soln ermeÿen, Pis sie jn hÿnndern weren switzen, So doch das hageln vnd das plitzen Von euch ein endt genummen hatt. Pfeüff auf, mein lieber spillman, drott, Wann sie gar lang darauff geharett haben, Vnd las vns darnach furpas traben!

N 127v

Ein paur:

770

775

So kum jch auch do her getraptt Vnd enther durch das kott gesaptt Vnd heÿß Ott Eüllen vist vom Pirn tan Vnd pin ein paur, der allerleý kan: Kempffen, vechten, lauffen vnd ringen, Mit frawen schertzen, tantzen vnd springen. Darümb so vach ichs pillich an Vnd will auch den ersten reien han. Gott geb, wem es zorn thu, Wann jch pin ýe ein seüberlicher knecht dartzu.

R 41, 140; R 48, 14

KF 819

758 knetten: ‚mit den Füßen tretend kneten‘; hier: ‚behäbig gehen‘; starke Flexion seinerzeit verbreitet. 761 ermeÿen ‚vergnügen‘ 763 Donner, Hagel und Blitz sind hier wohl zu verstehen in Bezug auf die nicht mehr von den Juden ausgehende Gefahr der Erscheinung eines Antichrist. 765 drott (zu mhd. drâte): ‚eilig, schnell‘ 766 haren ‚warten‘ 770 enther (zu mhd. ënne-hër): ‚von dort her‘ 770 sapen ‚schwerfällig treten, plump gehen‘ 771 vist ‚Furz‘ 771 Pirn tan: Birnthon ist eine östlich von Nürnberg gelegene Siedlung. Der Name bedeutet ‚Waldsiedlung mit Birnbäumen‘ (vgl. Stadtlexikon, S. 147) und steht insofern möglicherweise für das Abseitige, Nicht-Städtische. 778 seüberlich ‚anständig, höflich‘

761 soln] solt: Konjekturvorschlag bei Keller (S. 1526)

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Der herold: 780

785

790

Jr herr ̲n, teÿlt vns ewern segen mitt Vnd latt euch auch versmahen nicht Die kürtzweýll hie vnd auch den schÿmppff! Wann wir durch freüd vnd durch gelimpff Zu euch her kumen sindt jn treẅen, Ob wir euch alle möchten erfreẅen Vnd haben euch drüm ein geistlichs gemacht, Des púbischen wirt sünst vil verpracht, Dasselbig leg wir heúr der nÿder. Aber hillfft vns gott pis jar herwider, So wöll wir euch ein frolichs machen, Des jr vielleicht pas macht lachen.

F 83, 181f.; F 103I, 555f.

N 128r

782 schÿmppff ‚Spaß, Scherz‘ 783 gelimpff ‚artiges Benehmen, Höflichkeit‘ 785 Ob ‚Dass, Damit‘ 786 geistlich ‚geistliches, religöses [Spielthema]‘ 787 verpringen ‚vollbringen‘ 789 pis jar ‚bis in einem Jahr, übers Jahr‘ 791 Des: Genitiv für die Ursache des Lachens seinerzeit verbreitet (vgl. DWb 12, Sp. 19). 791 pas ‚besser‘

781 nicht: Keller (S. 819) erwägt Konjektur zu nit; die Konjektur dient lediglich der Besserung des Reims. 790 nach euch in Handschrift N gestrichen: s

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Kommentar Bezeugung N, Bl. 111r–128r

Ausgaben Keller: Fastnachtspiele II, S. 796–819 (= Nr. 106; nach N); Bd. III, S. 1525f.; Bd. IV, S. 349.

Textkritik Der Text ist unikal in Handschrift N überliefert.

Autor Das Spiel wird einhellig Hans Folz zugeschrieben. Diese Gewissheit stellt sich zum einen aufgrund von Textvergleichen ein (s.u.), zum anderen aufgrund thematischer (F 81, F 88), struktureller, metrischer und kompositorischer (Schlusstanz) Eigenschaften sowie den über weite Strecken wörtlichen Entsprechungen des Reimpaarspruchs ‚Christ und Jude‘ von Folz aus dem Jahr 1479. Die entsprechenden Passagen aus ‚Christ und Jude‘ werden im Stellenkommentar geführt. Es wird zitiert nach der Ausgabe Folz: Reimpaarsprüche. Darüber hinaus konnten Parallelen zu dem Meisterlied Nr. 14 aus Folz: Meisterlieder ermittelt werden (Z. 217f. vgl. 14, 94–97; Z. 340f. vgl. 14, 125f.; Z. 378 vgl. 14, 131). Zur Verfasserfrage vgl. auch Michels: Studien, S. 214, 238; Catholy: Fastnachtspiel des Spätmittelalters, S. 185 und Lomnitzer: Verhältnis, S. 277ff.; anders Henß: Studien, S. 171f. und Hampe: Entwicklung I, S. 115. Neben genannten phänotypischen Merkmalen weist das Spiel nicht zuletzt aufgrund des bei Folz allenthalben anzutreffenden Umgangs mit älteren literarischen Stoffen (hier: Silversterlegende, Exempeldichtung, Religionsdisputation) auf dessen Verfasserschaft hin.

Datierung Ein Aufführungsbeleg aus dem August des Jahres 1474 (vgl. Hampe: Entwicklung II, S. 101) bzw. für die Fastnacht des Jahres 1475 (vgl. Catholy: Fastnachtspiel des Spätmittelalters, S. 282) fixiert die Fertigstellung des Spiels ante quem, Z. 656 legt für die Handschrift N zunächst das Jahr 1473 nahe. Metrische Unebenheiten eben dieser Zeile lassen jedoch auf eine durch den Schreiber aktualisierte bzw. in Unkenntnis der historischen Zusammenhänge entstandene fehlerhafte Abschrift schließen: Die rhyth-

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misch saubere, wenn auch lediglich rekonstruiert angenommene Urfassung 1400 jar ließe, wenn man die Zerstörung des Tempels in Jerusalem für das Jahr 70 n. Chr. annimmt, auf 1470 als Jahr der Abfassung schließen, diese Kenntnisse sind Folz zu unterstellen (vgl. auch F 88 ‚Der Herzog von Burgund‘, Z. 350; ‚Christ und Jude‘, Vers 411 und ‚Pharetra contra iudeos‘, Z. 270 in Folz: Meisterlieder, S. 379; anders Michels: Studien, S. 239 und Hampe: Entwicklung I, S. 113f.). In F 88, entstanden nach 1486, beschreibt Folz die Zeitspanne jüdischen Leidens zwar ebenfalls mit 1400 Jahren und nimmt diese Zeitangabe offensichtlich nicht übermäßig genau. Der geschilderte Befund in der Abschrift des vorliegenden Spiels, die aus 1473 stammen muss, lässt jedoch auf ein älteres Abschlussjahr der Vorlage schließen.

Rollen, Inhalt, Struktur Rollen: Ein Herold, Kaiser Konstantin, dessen Mutter Helena, mindestens acht Juden, ein Rabbiner, dessen Frau, Papst Silvester, ein christlicher Gelehrter, ein Ritter, ein Taufschreier, zwei Bauern. Nachdem der Herold in der Manier eines Precursors das Spielgeschehen eröffnet hat, wendet sich die jüdische Mutter des Kaisers an ihren Sohn mit dem Aufruf, sich zum Judentum bekehren lassen. Dieser erwidert unter Verweis auf das erfahrene Heil, das ihm durch die Taufe zugekommen sei. Kaiserin und Herold beschwören im Anschluss die Situation des Religionsdisputs. Die Juden eröffnen mit hebräisch anmutenden Gesängen das Geschehen, bevor der Rabbiner mit seiner direkten Ansprache an sein christliches Gegenüber (vgl. Z. 85) den eigentlichen religiösen Dialog beginnen lässt. Die Wortführer der beiden Glaubensgemeinschaften, der Rabbiner und der christliche Gelehrte als Stellvertreter des Papstes, erörtern kontrovers Fragen bezüglich der Trinität, der anthropomorphen Gestalt des Messias und den Beginn des Zeitalters des neuen Jerusalems. Zwischenzeitlich mischen sich unter die argumentierenden Erwiderungen Wertungen, wenn bspw. der Christ dem Rabbiner wollffes mut (Z. 271) unterstellt und die Juden insgesamt mit Schlangen gleichsetzt (Z. 276), den Angehörigen seiner eigenen Religion dagegen eine Existenzform one meÿll (Z. 269) attestiert und sie zu den Kindern Gottes zählt (Z. 275). Die Kontrahenten diskutieren den aktuellen Status des jüdischen Volkes. Der Rabbiner argumentiert, noch immer Untertan des römischen Kaisers zu sein, in dessen Tradition sich das Heilige Römische Reich (deutscher Nation) spätestens mit der Eroberung Konstantinopels 1453 sah. Der Christ dagegen ist der Auffassung, seit der Zerstörung des Tempels durch Titus im Jahr 70 befinde sich das jüdische Volk in römischer Gefangenschaft. Der Jude beharrt darauf, dass der Messias noch nicht auf Erden erschienen sei und fordert den Gegenbeweis. Dieser fällt mit Verweis auf Dan 9, 24 und einer nicht lokalisierbaren Ezechielübersetzung nur scheinbar überzeugend aus. Der scholastische Beleg der Virginität Mariens dagegen ist deutlich besser unterfüttert. Dem seitens des Juden formulierten Unverständnis, warum sich der Messias nicht aus seiner misslichen Lage im Verlauf der Passion zu befreien vermochte, wird die

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unabdingbare Notwendigkeit eines weithin sichtbaren, in prophetischer Tradition zwangsläufigen, unschuldigen Opfers entgegengestellt. Wiederum ist die Argumentation mehrfach typologisch abgesichert. Der Jude äußert im Anschluss Zweifel an der Omnipräsenz Jesu in der Vielzahl gewandelter Brote, der Christ entgegnet unter Verweis auf die gleichzeitige und damit ebenso wenig logisch nachvollziehbare Anwesenheit der Propheten Henoch und Elia bei der jüdischen Beschneidungsfeier. Der Verfasser lässt den Juden die Strategie wechseln. In seiner Auslegung der Bibelstellen durch sein Gegenüber bislang in allen Fällen scheinbar widerlegt, bedient dieser sich nun aus aus dem Bereich der Legende, wenn er die Unaussprechlichkeit des Namens Gottes postuliert bzw. demonstriert. Auf Geheiß der Kaiserin wird ein Stier auf die Bühne gebracht und die Situation eines Gottesurteils simuliert. Der Jude tötet den Stier durch Namensnennung des Gottes der Juden, dem Papst gelingt durch Nennung des Namens Christi die Wiederbelebung des Tieres. Auch auf diesem Feld manifestiert sich so die Unterlegenheit des Rabbiners. Der jüdische Gelehrte preist nun den Namen Jesu, auch Helena zeigt sich bekehrt. Einer der Juden hingegen ermahnt den Rabbiner, nicht vom Glauben abzufallen. Ein weiteres Mal betreiben die Antagonisten Bibelexegese, wiederum glaubt sich der Christ überlegen, und wiederum wenden sich die Juden an ihren Wortführer mit der Bitte um argumentative Unterstützung. Dieser ist jedoch nicht mehr bereit, dem Irrglauben seiner Gemeinde zu folgen bzw. voranzugehen, er erkennt entgegen der Ansicht der übrigen Juden die Wunder Jesu und deren alttestamentliche Ankündigungen an. Der Ritter ermahnt den Rabbi, seinen Entschluss umzusetzen und der materiellen Güter zu entsagen. Zwei Mitglieder der Gemeinde folgen ihrem Lehrer, wobei der zweite nicht das Wunder der Menschwerdung, sondern die Außerkraftsetzung der jüdischen Speisegesetze feiert. Eine Massentaufe wird für den nächsten Sonntag angesetzt, zwei Bauern leiten den Tanzschluss ein. Die Struktur des Spiels ist in verschiedener Hinsicht bemerkenswert. Innerhalb der Exposition werden seitens der Christen sowie der Helena zunächst die Ausgangssituation expliziert und das Geschehen für eröffnet erklärt. Demgegenüber entbehrt der von der Gegenseite kommende Beitrag der Judengesänge jedweder Klarheit. Die Argumentation selbst zerfällt ebenfalls in zwei Blöcke, die einander im Aufbau entsprechen: Die zentralen Fragen nach dem Mensch gewordenen Gott und dessen zurückhaltendem Umgang mit seiner Machtfülle werden jeweils zweimal verhandelt. Der erste Block endet gewissermaßen mit der Generalabrechnung des Christen mit den Juden und deren historischer Verortung in römischer Gefangenschaft, der zweite mündet über das Exempel mit dem Baum in Tötung und Wiedererweckung des Ochsen. Das Exempel über die Unsterblichkeit Gottes seinerseits wird eingerahmt durch das relativ kurze Elia-Henoch-Paradoxon (Z. 507ff.) und die ebenfalls nicht umfangreiche ambivalente Amosexegese (Z. 623ff.). Im Anschluss an den argumentativen Teil werden drittens als Folge des Wunders die Konversion des Rabbi sowie Helenas und die innere Zerrissenheit innerhalb der jüdischen Gemeinde als logische Folge christlicher Überlegenheit auf der Bühne anschaulich gemacht. Diese bipolare bzw. replizierende Struktur zeugt von der Überzeugung des Autors Hans Folz von der fundamentalen

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Opposition beider Religionen, die im inneren Aufbau des Spiels ebenso angelegt ist wie in der Argumentation und dem Bühnenarrangement (s.u.). Deutungsaspekte: Die Auseinandersetzung mit dem Judentum, der zuweilen fruchtbare Dialog, die meist jedoch in unterschiedlich scharfer Rhetorik formulierten Anklagen zwischen Juden und Christen durchziehen das Schrifttum des Abendlandes von der Antike bis ins 21. Jahrhundert. So sind insbesondere jüdischerseits formulierte Zweifel an der jungfräulichen Geburt und göttlichen Abstammung Jesu alt, ebenso die schriftlichen Niederschläge christlicher Erwiderungen. Christlicherseits in thematischer Abgrenzung gegen das Judentum verfasste sogenannte Adversus-Judaeos-Texte lassen sich seit Origenes (‚Contra Celsum‘, um 246/248) nachweisen (vgl. Schreckenberg: Texte I, S. 228ff.). Sie sind seit dem 5. Jahrhundert Bestandteil der Texte der Kirchenväter, insbesondere die pseudoaugustinische ‚Sermo contra Judaeos, Paganos et Arianos‘ (vgl. Wenzel: Synagoga, S. 59) gilt als früher und einflussreicher Beleg. Die althochdeutsche, um 810 entstandene Übersetzung Isidors von Sevilla ‚De fide catholica ex veteri et novo testamento contra Judaeos‘ ist der erste Niederschlag innerhalb des deutschsprachigen Schrifttums. Zu Beginn des 12. Jahrhunderts postulierte Anselm von Canterbury in seinen Schriften Trinität und Inkarnation als zentrale Dogmen der christlichen Lehre und spitzte insofern thematisch den Konflikt zu, ohne dabei jedoch konkret jüdische Irrlehren anzuprangern. In dem fiktiven Dialog ‚Cur deus homo‘ steht Anselm ein Schüler gegenüber, der die Position des Ungläubigen vertritt. Die Texte Anselms sind exegetisch bis apologetisch, jedoch frei von antijüdischer Polemik (vgl. Schreckenberg: Texte II, S. 50f.). Unter den zahlreichen Bearbeitern des Werks Anselms fällt zunächst Guibert von Nogent auf. Er setzt sich im ‚(Tractatus) De incarnatione contra Judaeos‘ in einem fiktiven Dialog zwischen einem Juden und einem Christen intensiv mit der Problematik der Menschwerdung Gottes im Leib einer Jungfrau auseinander, wobei der jüdischen Argumentation gegenüber der christlichen deutlich weniger Gewicht zugestanden wird, als dies im gegenseitig respektvolleren Umgang in den älteren Vorlagen der Fall ist (vgl. Schreckenberg: Texte II, S. 90ff.). Mit dem ‚Dialogus inter Philosophum, Judaeum et Christianum‘ (1141/42) des Petrus Abaelardus hält mit dem Islam die dritte monotheistische Religion Einzug in die Stofftradition, hierdurch erweitert sich der Argumentationskanon beträchtlich (vgl. Schreckenberg: Texte II, S. 137ff.). Deutlich feindseliger ist schließlich der Judentraktat des Petrus Venerabilis (vgl. Schreckenberg: Texte II, S. 180ff.). Die Juden werden stets als schuldig am Tod des christlichen Messias, als blind für die Zeichen dessen Wirkens und als verstockt gegenüber den in der Schrift anzutreffenden Zeichen von der Inkarnation des Gottessohnes gezeichnet. Thematisch werden neben den erwähnten Erörterungen bezüglich der Jungfräulichkeit Mariens und der Menschwerdung Gottes alttestamentliche Prophezeiungen und Fragen nach dem Wesen der Trinität besetzt. Derartige religiöse, auf auctoritates gründende, oder philosophische, sich auf die ratio beziehende Texte sind nur in Teilen direkt missiona-

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risch eingesetzt zu verstehen, sie belegen vielmehr den von christlicher Seite ebenfalls geführten Versuch, theologische Zweifel innerhalb der eigenen Reihen zu zerstreuen und in potentiellen religiösen Diskursen argumentativ stabilisierend zu wirken (vgl. Weis-Diehl: Gewaltstrategien, S. 287 ff.). Diese beiden Absichten sind in jeweils unterschiedlicher Gewichtung als die ursprünglichen Intentionen der Adversus-JudaeosTexte zu verstehen, nicht Vernichtung oder Vertreibung der jüdischen Bevölkerungsteile. So befand Bernhard von Clairvaux 1146, dass der Gegner vermittels des Wortes zu überzeugen und nicht durch das Schwert zu töten sei (vgl. Schreckenberg: Texte II, S. 170). Die Argumentation gegenüber den Juden verschärfte sich im Laufe der Zeit. Caesarius’ von Heisterbach ‚Dialogus miraculorum‘ und ‚Libri VIII miraculorum‘ berichten, wenn auch augenzwinkernd, so doch mit einer unüberhörbaren Schadenfreude über jüdisches Ungemach, von glücklich an jüdischen Kindern vollzogenen Taufen und verfestigen nur mehr locker theologisch begründbare Vorurteile. Im ‚Passauer Anonymus‘ von 1260–1266, einem enzyklopädischen apologetischen Nachschlagewerk zur Behauptung des christlichen Glaubens (vgl. Schreckenberg: Texte III, S. 222), wird u.a. das einstmals auserwählte Volk als von Gott verstoßen dargestellt. Und auch der ausgesprochen populäre Prediger Berthold von Regensburg verspottete zumindest am Rande Juden als verdammt und stinkend, wenn er auch physische Übergriffe dezidiert ablehnte. Raimund von Penyafort schlug im Vergleich zu den einigermaßen moderaten Dekreten Gratians in seinen ‚Decretales Gregorii IX‘ von 1234 einen harscheren Ton gegenüber Juden an (vgl. Schreckenberg: Texte III, S. 261). Die Schriften von Raimundus Martini (1267 ‚Capistra Judaeorum‘, 1278 ‚Pugio fidei adversus Mauros et Judaeos‘, vgl. Schreckenberg: Texte III, S. 290ff.) belegen gleichfalls deutlich einen stärker werdenden Hang zu aggressiver, kaum mehr durch Argumente begründeter Herabwürdigung jüdischer Religion und Kultur. Raimundus Lullus (1229–1306) propagierte gegen diesen allgemeinen Trend eine auf Dialog der Religionen ausgerichtete Vorgehensweise, gleichwohl mit eindeutig missionarischem Eifer versehen. Grundlage der Attacken blieben kompromisslos zugespitzte theologische Argumente, zu denen zunehmend Unterstellungen bezüglich charakterlicher Eigenschaften und Lebensweise der Anhänger des jüdischen Glaubens gestellt wurden. Diese wurden innerhalb kürzester Zeit kanonisiert und gewissermaßen als geschlossener thematischer Block in den Dienst der antijüdischen Polemik gestellt. Wenn auch im Duktus formal noch immer dialogisch aufgebaut, gestehen die Texte dem jüdischen Gegenüber immer weniger Raum zu, seine Ideen und Positionen zu vertreten (vgl. Niesner: juden, S. 9). Innerhalb des breiten Spektrums an Schriften, die das Verhältnis von Juden und Christen thematisieren, spielt die Silvesterlegende eine herausragende Rolle. Vom historischen Papst Silvester I. sind zwei Fragmente einer Adversus-Judaeos-Schrift erhalten, deren Inhalt sich zwar kaum mehr rekonstruieren lässt, die Legende indes war in hohem Maße Bestandteil der christlichen Erinnerungskultur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit (vgl. Schreckenberg: Texte I, S. 255ff.). Gemäß dieser Tradition

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wird Kaiser Konstantin vom Aussatz geheilt und durch Silvester getauft. Des Kaisers Mutter Helena, die dem Judentum zugeneigt, jedoch in der Mehrzahl der Überlieferungen noch nicht beigetreten war, wird Zeugin einer von ihrem Sohn inszenierten Religionsdisputation. Silvester, Wortführer des christlichen Lagers, betreibt erfolgreich christologische Bibelexegese. Weiterer Bestandteil ist die Wiederbelebung eines durch jüdischen Zauber getöteten Stiers durch den Papst. Im Anschluss kommt es zu einer Massentaufe, der sich auch die Mutter des Kaisers anschließt. Das ‚Spiel von der heiligen Helene‘ (um 1500; Keller Nr. 125) thematisiert den Diebstahl des Kreuzes Christi und die Wiederauffindung durch Helena und bedient dabei den Topos des hinterlistigen Juden. Hier wird auf eine ebenfalls ausgesprochen weit verbreitete Legende zurückgegriffen (vgl. Brett-Evans: Hrotsvit, S. 19), wobei die den Juden zufallende Rolle nachrangig bleibt, zumindest militärischer Hauptgegner sind die Heiden. Neben verbal tradierte Legenden und literarische Erörterungen traten neue, schriftlich fixierte Beschreibungen konkret vollzogenen jüdischen Frevels. 1144 berichtete Thomas von Monmouth erstmals von einem jüdischen Ritualmord an einem Christenkind (vgl. Schreckenberg: Texte II, S. 154), Caesarius von Heisterbach (1. Hälfte 13. Jahrhundert, vgl. Schreckenberg: Texte III, S. 145) wusste ebenfalls um jüdische Gewalt gegen unschuldige Christenkinder, und Matthaeus Parisiensis (1. Hälfte 13. Jahrhundert) ließ die rituell Mordenden in einer Art Imitatio der Passion Christi agieren (vgl. Schreckenberg: Texte III, S. 202). Daneben gehörten Hostienfrevel, Gottes- und insbesondere Marienlästerung, Kollaboration mit den im 13. Jahrhundert in Europa einfallenden Mongolenstämmen sowie Brunnenvergiftung zum verbindlichen Inventar derartiger Texte. Insbesondere gebündelt und zugespitzt werden die angeblichen Frevel in den Schriften Rudolfs von Schlettstadt, dessen ‚Historiae memorabiles‘ (1303) weite Verbreitung erfuhr. Neben diesen schriftlich bzw. verbal tradierten Erscheinungsformen christlichjüdischer Konfrontation stellte das öffentliche Religionsgespräch eine weitere Form der Textübermittlung dar. 1240 in Paris waren es Nikolaus Donin und Moses ben Jakob, die sich vor der Königin einfanden, 1263 erschienen in Barcelona der bereits erwähnte Raimund von Penyafort und Moses ben Nachman vor dem König und diskutierten öffentlich die hinreichend bekannten Fragen (Inkarnation, Virginität, Trinität) die Unterschiedlichkeit ihrer Religionen betreffend. 1413/1414 fand in Tortosa ein weiteres, einer begrenzten Öffentlichkeit zugängliches Streitgespräch zwischen Vertretern beider Religionen statt (vgl. Schreckenberg: Texte III, S. 455ff.). Wenn auch der Zuhörerkreis recht eingeschränkt war, konnten doch die angefertigten Berichte eine größere Leserschaft erreichen (vgl. Schreckenberg: Texte III, S. 208ff.). Insbesondere innerhalb des letztgenannten Diskurses ist kein dialektischer Austausch angelegt, vielmehr hat das Gespräch die Struktur eines juristischen Verfahrens. Sinn und Zweck ist explizit die Hinführung der Juden zu den Inhalten des christlichen Glaubens, insbesondere der Anerkennung der Inkarnation (vgl. Schreckenberg: Texte III, S. 456ff.).

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Petrus Nigri, ein deutscher Dominikaner, hielt im 15. Jahrhundert u.a. in Worms und Nürnberg (vgl. Schreckenberg: Texte III, S. 544) formal an den Religionsgesprächen von Barcelona orientierte öffentliche Scheindisputationen ab, in denen er unter anderem die hebräische Bibel wörtlich zitierte. Diese Gespräche entsprachen jedoch allenfalls dem Aufbau, nicht dem Inhalt nach einer echten Disputation. Vielmehr wurde der inhaltlich kaum entwickelten Argumentation die hinlänglich bekannte antijüdische Polemik beigemischt und anschließend offiziell zur Diskussion gestellt, diese kam aber mangels ernsten Interesses des Initiators nicht zustande. Wenn derartig theoretisch aufgeladene Texte wie die Adversus-Judaeos-Literatur kaum zur täglichen Lektüre der Nürnberger Stadtbürger zu zählen sind, war die Thematik sehr wohl unter der Stadtbevölkerung eben aufgrund der gestellten Inszenierungen interreligiöser Disputationen präsent und Bestandteil konkret erlebter Realität. Mehr oder minder stark ausgeprägte antijüdische Agitation findet sich auch im geistlichen Drama. Möglicherweise aus dem 12. Jahrhundert stammt das altfranzösische Adamsspiel, in dem Jesaja und ein Jude über die christologische Ausdeutung alttestamentlicher Passagen disputieren (vgl. Schreckenberg: Texte II, S. 163). Um das Jahr 1160 ist der Tegernseer ‚Ludus de Antichristo‘ zu datieren, der zum einen auf die Abhandlung ‚De ortu et tempore Antichristi‘ des Adso von Mentier-en-Der aus dem 10. Jahrhundert, zum anderen auf die Schrift ‚Ordo Prophetarum‘ zurückzuführen ist (vgl. Brett-Evans: Hrotsvit I, S. 76f.). Thematisiert werden Aufstieg und Fall des in Gestalt eines falschen Messias auftretenden Antichrist als konkreter Gegenentwurf zur christlichen Weltordnung. Das als Synagoga auf der Bühne personifizierte Judentum erliegt den Verlockungen des vermeintlichen Erlösers. Letztlich steht die zwar Kirche jedem offen, der zum wahren Glauben bereit ist. Jedoch steht dieser Aspekt als einer von mehreren neben unverhohlener Kritik an den Zuständen im Deutschen Reich bzw. den Machtverhältnissen in Europa (vgl. Brett-Evans: Hrotsvit I, S. 81f.), Eschatologie und Weltgeschehen werden gewissermaßen parallel abgearbeitet. Im ‚Benediktbeurer Weihnachtsspiel‘ (1. Hälfte 13. Jahrhundert) diskutieren die Propheten Daniel und Jesaja, deren Weissagungen nach christlicher Auffassung die Ankunft des Messias beinhalten, sowie der Hohepriester die Ausdeutung alttestamentlicher Wunder. Das um 1400 abgeschriebene ‚Amorbacher Spiel von Mariae Himmelfahrt‘ (vgl. Brett-Evans: Hrotsvit II, S. 26) und das 1391 entstandene ‚Spiel von der Himmelfahrt Mariae‘ (um 1400, vgl. Schreckenberg: Texte III, S. 328f.) thematisieren dagegen letztendlich die Versöhnung von Christen und Juden. Schon um 1330 anzusetzen ist das ‚Spiel von der Zerstörung Jerusalems‘. Dieses Fragment ist im Anhang eines weiteren, des ‚Innsbrucker Mariae Himmelfahrtspiel‘, erhalten. Die Juden verweigern hier die Herausgabe des Leichnams Mariens, wollen diesen sogar verbrennen, was die Eroberung und Zerstörung Jerusalems zur Folge hat (vgl. Schreckenberg: Texte II, S. 362). Im ‚Künzelsauer Fronleichnamsspiel‘ (1479) streiten Ecclesia und Synagoga um die Jungfernschaft Mariens. Auch hier erweist sich der jüdische Vertreter jeweils als unbelehrbar und starrsinnig. Den Juden des Erlauer ‚Ludus in cunabilis Christi‘ kommt die Aufgabe zu, den Glauben an die Vaterschaft Josephs zu formulieren und damit die

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Gottessohnschaft Jesu zu leugnen. Im ‚Sterzinger Spiel von der Verkündigung‘ wird eine Disputation zwischen alttestamentlichen Propheten und Vertretern des Judentums inszeniert. Der trotz der Heterogenität dieser Texte naheliegende Schluss, die Spiele bzw. Disputationsszenen dienten zumindest teilweise auch der Bekehrung der jüdischen Bevölkerung, lässt sich kaum mit den historischen Gegebenheiten in Einklang bringen. Zahlreiche Ratsbeschlüsse belegen, dass es den Juden zum Zeitpunkt der jeweiligen Aufführung nicht gestattet war, ihre Häuser zu verlassen und Zeugen der Inszenierung zu sein (vgl. Wenzel: Synagoga, S. 59), ein direkter Aufruf zu sozialem Handeln bzw. metaphysischer Umkehr kann also nicht unterstellt werden. Einen anderen Aspekt fokussieren einige der Passions- bzw. Osterspiele. Hier werden neben der Verhandlung der hinlänglich bekannten religiösen Streitfragen zuweilen intrigante, an anderer Stelle sadistische, das Leiden Jesu verstärkende bzw. angesichts der Passion zynische Verhaltensweisen der Juden präsentiert, so im ‚Mittelrheinischen Passionsspiel‘ von 1330/40, dem ‚Donaueschinger Passionsspiel‘ von 1470/1500, dem ‚Egerer Passionsspiel‘ (Aufführungsbeleg von 1443, Abschrift von 1480, vgl. Brett-Evans: Hrotsvit II, S. 66), dem ‚Frankfurter Passionsspiel‘ von 1493 und dem ‚Alsfelder Passionsspiel‘ von 1501 (vgl. Brett-Evans: Hrotsvit II, S. 84). Besonders zugespitzt dargestellt wird die Personifizierung bzw. Verkörperung aller schlechten Eigenschaften, die man Juden im Umgang mit Christus unterstellte, in der Figur des Rufus im ‚St. Galler Passionsspiel‘. Hier übernehmen Juden die Aufgaben der römischen Soldaten, die, wenn auch in den Evangelien nicht explizit benannt, für die Ausführung der Sanktionsmaßnahmen verantwortlich waren. Das ‚Frankfurter Passionsspiel‘ nutzt als Quelle eine Dirigierrolle aus der Zeit vor 1350. Im Gegensatz zur Vorlage, in der Synagoga noch als ernst zu nehmende Gegnerin im Glauben gezeichnet wird, sind in der späteren Bearbeitung den Juden deutlich zu deren Nachteil gereichende Eigenschaften und Verhaltensweisen zugewiesen. So betont die Bearbeitung in aller Ausführlichkeit die mitleid- und respektlose Haltung der anwesenden Juden gegenüber dem gemarterten Christus. Die Tendenz, Juden als die primären Peiniger Jesu zu stilisieren, findet auch in der Ersetzung des römischen Offiziers Longinus in einer Übertragung des ‚Stabat mater‘ aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts Niederschlag (vgl. Häberli: Gelehrte, S. 37). Das ebenfalls auf der Dirigierrolle gründende ‚Fritzlarer Passionsspiel‘ (1460) vertieft diesen Graben indem es dem christlichen Ritus der Verehrung des Osterlammes die Anbetung einer Kuh durch die Juden gegenüberstellt (vgl. Steinbach: Oster- und Passionsspiele, S. 161ff.). Die Charaktere und Verhaltensweisen bleiben zunächst Eigenschaften der historischen bzw. mythologischen Figuren und insofern im weitesten Sinne Bestandteil des religiösen Streits um die Tötung des Messias. Sie dienen jedoch bspw. in der aktualisierten, im Osterspiel seinerzeit beliebten Nennung jüdischer Namen und der despektierlichen Behandlung jüdischer Gepflogenheiten wie der des Geldverleihs im ‚Frankfurter Passionsspiel‘ zunehmend der Verunglimpfung der zeitgenössischen jüdischen Bevölkerung.

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Besonderer Erwähnung bedarf die Rolle der Zwangstaufe. In der ‚Frankfurter Dirigierrolle‘ werden die Juden nach der Zwangstaufe noch als Mitglieder der Gemeinschaft Christi gezeichnet. Keines der folgenden geistlichen wie weltlichen Spiele ist zu einem derartigen Akt mehr bereit. Die Taufe dient mit der Zeit immer weniger der geistigen Annäherung oder sozialen Assimilation, sondern wird zusehends zum sinnfälligen Beleg für den finalen Sieg der Christen über die Juden. Es bleibt schließlich offen, ob und inwieweit bereits in den frühen Spielen die Rolle des geschäftstüchtigen Salbenkrämers Rubin durch einen mit jüdischen Attributen versehenen Mimen gegeben wurde (vgl. Brett-Evans: Hrotsvit I, S. 96). Die in Teilen erkennbare Radikalisierung despektierlicher Darstellungsformen von Juden, die kaum mehr thematisierte Möglichkeit einer Überwindung des Konflikts ist jedoch auch im Zusammenhang mit einer generell zunehmenden Derbheit von Inhalt und Form der Spieltexte zu sehen. So richtet sich der Spott auch gegen das Rittertum in persona der Wächter (vgl. Brett-Evans: Hrotsvit I, S. 120), und das ‚Spiel von Frau Jutten‘ (Keller Nr. 111) spart nicht mit höchst unappetitlichen Details bei der Schilderung der Qualen der Verdammten. Bestandteil weltlichen Dramas wird der Themenkomplex antijüdischer Polemik in dem Fastnachtspiel R 6 ‚Des Entchrist Vasnacht‘, überliefert in einer vermutlich um 1453 zu datierenden Handschrift (vgl. Brett-Evans: Hrotsvit II, S. 40). In Aufnahme der Motive des geistlichen Antichristspiels verneigen sich die Juden vor einem falschen Messias, der im Gegensatz zu dem auf einem Esel reitenden Jesus hoch zu Ross erscheint. Anders als im Tegernseer ‚Ludus de Antichristo‘ spielt der Aspekt der Bekehrung und der Heraufbeschwörung des Jüngsten Gerichts hier keine Rolle. Der Stoff dient der Bühneninstallation antijüdischer wie aber auch antiklerikaler und antikaiserlicher Polemik. Die Rolle des Antichrist ist nicht die des jüdischen Messias als potentieller Vernichter der Christenheit von außen, sie ist vielmehr Kulminationspunkt häretischer und frevelhafter Lebensentwürfe innerhalb sowie außerhalb der Christenheit im Heiligen Römischen Reich. In den lyrisch-prosaischen Bestand des Sangspruchs wurden Beschreibungen des Umgangs mit dem Judentum bereits Ende des 13. Jahrhunderts von Friedrich von Sonnenburg, Hawart und besonders hasserfüllt im ‚kleinen Lucidarius‘ sowie von Barthel Regenbogen übernommen, während Freidank und Walther von der Vogelweide noch in der eher neutralen Tradition der älteren Disputationen zu verorten sind. Schnell etablierten sich Juden als Figuren in Märendichtung, Meistersang und Schwankliteratur (vgl. Wenzel: Synagoga, S. 51). Das von Michel Beheim (1420–1474/78) entworfene Judenbild ist dahingehend besonders aufschlussreich, dass hier zum einen theologisch fundierte wie auch sozial gewachsene Vorurteile zusammenfließen, aggressiv formuliert werden und in harte Sanktionsforderungen münden (vgl. Schreckenberg: Texte III, S. 549). Mit der ‚Disputation eines Landstreichers und eines Juden‘ von Hans Rosenplüt gewann das Genre weiteres Gewicht: In die Überlegenheit des Ahnungslosen gegenüber dem jüdischen Gelehrten mischt sich Ironie, der Text ist als Parodie der Disputationen älteren Zuschnitts zu verstehen, in der ausgerechnet das sozial rand-

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ständige Element der christlich-mittelalterlichen Gesellschaft der Summe jüdischer Intelligenz überlegen ist. Die literarischen und sozialagitatorischen Aspekte des Antijudaismus haben endgültig die Oberhand gewonnen, die Loslösung aus dem Theologischen ist abgeschlossen. Zu den jüdischen Vorbehalten gegenüber der christlichen Lehre vgl. das Antievangelium ‚Toledot Jeschu‘ und den ‚Sefer Nizzachon‘, einer gegen die christliche Bibelauslegung positionierten Streitschrift, datierend vom Beginn des 15. Jahrhunderts. Darüber hinaus nehmen sich auch die noch nicht von der Legende zu trennende Geschichtsschreibung (‚Kaiserchronik‘, um 1150) und juristische Texte (‚Sachsenspiegel‘, Anfang 13. Jahrhundert, ‚Judenordnung für Wien‘, 1238, ‚Stadtrecht von Iglau‘, 1249, ‚Schwabenspiegel‘, 1275/76, ‚Statuten der Stadt Dortmund‘, um 1300) zumindest in Teilen des Themas an und bestätigen bzw. vertiefen zunehmend die allgemeine Wahrnehmung der Juden als gottesferne und randständige Gruppe der Gesellschaft, zu der die Kontakte streng reglementiert waren. In plastischer Ausarbeitung war das an zahlreichen Sakralbauten noch heute sichtbare Motiv der Judensau ein ebenso beliebter wie aus moderner Sicht geschmackloser Typ der Verunglimpfung der Juden (vgl. Shachar: Judensau). Das Motiv der opponierenden Ecclesia als Allegorie des Neuen Bundes bzw. Christentums und der Synagoga als Symbol für den Alten Bund, das Judentum, hat neben der literarischen auch in Skulptur und Malerei, Buchdruck und Elfenbeinschnitzereien eine lange Tradition. Seit dem 9. Jahrhundert lassen sich Darstellungen nachweisen, wobei die Ecclesia innerhalb einer Kreuzigungsszene dem Messias zugewandt auf der rechten Seite dargestellt wird, während Synagoga auf der linken Seite sich vom Kreuz abwendet. Reliefs und Skulpturen sind seit dem 11. Jahrhundert nachgewiesen. Die Attribute der Synagoga sind verbundene Augen, sie hält wahlweise einen abgebrochenen Stab, ihr entgleitende Gesetzestafeln oder einen Bockskopf in den Händen, trägt eine herabfallende Krone und tritt in gebückter Haltung sich das Haar raufend auf, wobei die Attribute in unterschiedlicher Form kombiniert auftreten. Ecclesia dagegen führt eine flammula, Krone sowie Kelch und, seltener, ein Kirchenmodell mit sich. Dieser latent abweisende, dennoch hochgradig heterogene Umgang mit der jüdischen Religion und Kultur ist vor dem Hintergrund wirtschaftlicher und sozialer Wandlungserscheinungen zu sehen, die sich zu Zeiten der Abfassung der Texte ereigneten. Während die religiös fundierte Opposition prinzipiell stabil war, zeigten sich soziale Standards wesentlich dynamischer. Ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts änderten sich Betätigungsfeld und Geschäftspraktiken zahlreicher jüdischer Geldverleiher. Zum einen wurden Juden zunehmend aus ihren angestammten Betätigungsfeldern des Handels und des Warenverkehrs ausgeschlossen. Mit der Ausbreitung der Geldwirtschaft wuchsen im späten Mittelalter gleichzeitig die Chancen auf wirtschaftliches Prosperieren für jüdische Gläubiger, sodass zusehends mehr berufstätige Juden in dieser Branche eine Möglichkeit des Gelderwerbs sahen. Zunehmend zählten nicht mehr primär weltliche Potentaten als in ökonomische Schieflage geratene städtische Handwerker zum Kundenkreis der jüdischen Pfandleiher, die Anbindung jüdischen

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Geschäftsgebarens an die kleinbürgerliche Lebenswirklichkeit stieg binnen kurzer Zeit erheblich. Der Mythos vom reichen Juden trat in Konkurrenz zur eigenen wirtschaftlichen Notsituation und vertiefte den kulturellen bzw. sozialpsychologischen Konflikt nachhaltig (vgl. Wenzel: Judenproblematik, S. 94ff.). Die daraus resultierenden Vorurteile jedoch sind immer zu sehen als Folge der sozialen Realität, der die Juden im Zuge ihrer fortschreitenden Randständigkeit ausgesetzt waren. Das Kreditwesen im großen Stil war gleichzeitig in die Hände des Patriziats übergegangen (vgl. Weis-Diehl: Gewaltstrategien, S. 274), das sich der jüdischen Konkurrenz endgültig entledigen wollte und deren wirtschaftlichen Niedergang betrieb. Enteignung, Ausweisung oder sogar der Tod der Kreditgeber bzw. der Konkurrenz waren insofern für alle sozialen Schichten nicht nur der radikalste, sondern auch der effektivste Weg hin zur Besserung der eigenen wirtschaftlichen Situation. Obendrein ließ sich der Anspruch auf jüdischen Besitz mit Verweis auf den angeblichen Stand der Juden als Sklaven aufgrund der Eroberung Jerusalems durch Rom scheinbar mühelos legitimieren. Grundsätzlich war eine unterschiedlich stark ausgeprägte und motivierte judenfeindliche Haltung verschiedenster Motivation jedoch nicht nur omnipräsent, sie hatte auch ihre Vorläufer in historisch manifesten Judenverfolgungen (1096 zu Beginn des ersten Kreuzzugs; 1298 die Rintfleischpogrome; 1336–1339 die Armlederverfolgung; 1349 Pogrome im Gefolge der europaweiten Pestepidemien) und insbesondere Übergriffen um die Fastnacht (vgl. Baader: Polizeiordnungen, S. 96) bzw. Plünderungen im Anschluss an geistliche Spiele zumindest teilweise antijüdischen Inhalts (vgl. Wenzel: Judenproblematik, S. 95). Das vorliegende Spiel verquickt mehrere dieser höchst disparaten Stränge. In erster Linie, das legt der Titel nahe, ist es als Dramatisierung der Legende um Papst Silvester I. zu sehen, dem die Bekehrung zahlreicher Juden nachgesagt wird. Hier finden sich auch die zum Judentum konvertierte Helena (vgl. Z. 6) sowie der durch Nennung des Namens Jesu zum Leben wiedererweckte Stier. Anders als in den Vorlagen ist jedoch auch Konstantin im vorliegenden Spiel originär Jude (vgl. Z. 8–10). Es greift daneben aber auch auf talmudische Traditionen zurück und belegt darüber hinaus durchaus realistische Selbsteinschätzungen der Juden bezüglich ihrer aktuellen gesellschaftlichen Situation. Zweifellos ist das Spiel auch in der Tradition der Disputationen zu sehen, insbesondere im Zusammenhang mit deren Imitationen durch Petrus Nigri (vgl. Lomnitzer: Verhältnis, S. 290). Wenngleich diese sich erst ab 1478 in Nürnberg nachweisen lassen (vgl. CDS 4, S. 353f.), berichtet der Dominikaner in seinem Traktat ‚Contra perfidos Judaeos de conditionibus veri Messiae‘ von öffentlichen Predigten, die er im Jahr 1474 gehalten habe (vgl. auch ADB 33, S. 247) und belegt damit eine bereits früher einsetzende, antijüdisch agitierende Tätigkeit bzw. ein allgemeines Interesse an derartigen öffentlichen Veranstaltungen. In der Einarbeitung weiterer legendenhafter Motive wie dem zumindest am Rande erwähnten Ritualmord (vgl. Z. 35–37) in die Silvesterlegende sowie der offensichtlich jüdischen Umgarnungen erlegenen Helena erweiterte Folz das Spektrum negativer Eigenschaften

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und verschärfte den letztlich deutlich moderateren Ton der älteren Bearbeitungen der Stoffe. Als konkrete Quelle des Spiels wie auch des Reimpaarspruchs ‚Christ und Jude‘, das als eine Weiterbearbeitung des vorliegenden Spiels anzusehen ist, ist die Silvesterlegende des dritten Buchs des Passionals anzusehen (vgl. Lomnitzer: Verhältnis, S. 286; Wenzel: Synagoga, S. 65). Darüber hinaus hatte Folz sehr wahrscheinlich die ‚Legenda aurea‘ vor Augen, findet sich dort doch erstmals das Gleichnis des von der Sonne durchschienenen, Axthieben ausgesetzten Baums für den gemarterten Christus. Dass Folz dieses Werk offensichtlich gut kannte, belegt auch die Verwendung des Motivs der überstandenen Weinprobe, die ebenfalls dort enthalten ist (vgl. Jacobus de Voragine: Legenda, S. 64–65). Ergänzend zu dieser eklektizistischen, für das Fastnachtspiel atypischen Themenauswahl steht die für Folz auffällige Zurückhaltung bei burlesken Zoten. Beide Befunde lassen den unterhaltsamen Tenor, der in der Mehrzahl der Spiele als Hauptrezeptionsanreiz zu sehen ist, in den Hintergrund treten und stattdessen einen didaktisch-dogmatischen Charakter hervortreten. Dies geschieht zu einem relativ frühen Zeitpunkt seines dramatischen Wirkens in Nürnberg; offenbar trat Folz nur zögernd aus dem anspruchsvollen Themenkanon der Meistersinger heraus und näherte sich erst mit der Zeit den für das Fastnachtspiel typischen Anzüglichkeiten (vgl. auch F 81 ‚Ecclesia und Synagoga‘, das möglicherweise bereits auf das Jahr 1470 datiert werden kann). Während der Auseinandersetzung werden wiederholt Passagen des Alten Testaments von dem cristen doctor bemüht, die mit der Fleischwerdung Gottes typologisch in Bezug gesetzt werden. Da der Jude auf diese argumentative Strategie weitestgehend verzichtet (in den Z. 254–259 und 456–459 tut er dies, wird aber in der Gegenrede durch den Christen einer falschen Auslegung der Worte geziehen), wird implizit die Deutungshoheit über das Alte Testament dem Christentum zugeschlagen. Doch auch in Gleichnissen und Exempeln (drei Falten; Baum) erweist sich der christliche Gelehrte als weit überlegen. Folz verwendet in einigen Passagen ein pseudohebräisch-lateinisches Mischidiom (Z. 64ff.). Er kommt dabei mit wenigen Schlagworten aus, die die intendierte Nähe zum Hebräischen bei den Zuschauern nachvollziehbar werden lassen. Es sind dies Namen (Abraham, Moses, Israel) oder zentrale kultische Begriffe (adon, cados), die dem Publikum offensichtlich zumindest als das Hebräische charakterisierende sprachliche Zeichen bekannt gewesen sein mussten. Sie waren Bestandteil der jüdischen Alltagskultur und konnten augenscheinlich von jedermann wiedererkannt werden. Der Verfasser (vgl. auch F 81, Z. 209ff., hier allerdings fast korrektes Hebräisch) greift in dieser Nutzung einer Hebräisch anmutenden Kunstsprache auf eine lange Tradition zurück: Zahlreiche geistliche Spiele kennen die in allenfalls rudimentärem Hebräisch sich äußernden Gruppen von Juden (vgl. ‚Erlauer Spiele‘ I und V, ‚Frankfurter Passionsspiel‘, ‚Donaueschinger Passionsspiel‘, ‚Luzerner Osterspiel‘, ‚St. Galler Weihnachtsspiel‘ und ‚Bozner Himmelfahrtsspiel‘; vgl. Frey: Pater, S. 58–71). Das Pseudohebräisch soll zum

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einen jüdisches Kolorit auf der Bühne installieren und hierin die Andersartigkeit jüdischer Kultur und jüdischen Glaubens betonen. In der Nutzung eines nur scheinbar intakten hebräischen Idioms nutzt der Autor obendrein die Möglichkeit, durch übersteigerte lautmalerische Momente die Erwartungshaltung der Zuhörer zu übertreffen, hiermit Komik zu erzeugen und gleichzeitig die auf der Bühne agierenden Juden als tatsächlich sprachlos zu charakterisieren. Die Juden, die die Göttlichkeit Jesu nicht verstehen, werden seitens der Zuhörer ihrerseits nicht verstanden, ihre Äußerungen bleiben im wahrsten Sinne un-sinnig. Hierin weicht der Aspekt der Andersartigkeit und Fremdheit dem der Unterlegenheit der jüdischen Kultur. Gleichzeitig fließen lateinische Elemente in ihre Ausführungen ein. Diese etwas krude Mischung ist möglicherweise auf die als falsch wahrgenommene Gelehrsamkeit der Juden zu beziehen, die lediglich in ihrer Erscheinungsform, nicht aber in ihrem Wesen jener Sprache ähnelt, in der eben auch die christliche Heilswahrheit verkündet wird (vgl. Frey: Pater, S. 61). Um ihre Rolle, nämlich der Repräsentation von Starrsinnigkeit und einer in jeder Hinsicht unterlegenen Gemeinschaft in vollem Umfang nachkommen zu können, müssen die Juden jedoch weite Teile ihrer Redepassagen in für den Zuschauer verständlichem Deutsch sprechen. Sehr bewusst wird für einen begrenzten Zeitraum der Inszenierung also eine Kommunikationsform genutzt, die über eigentlich verbalen oder gestischen Austausch hinausgeht und ein ausgesprochen reflektiertes und elaboriertes Sprachspiel darstellt. Der Text ist auch im Zusammenhang mit den übrigen antijüdischen Texten aus der Feder von Folz zu sehen. Um das zweite Viertel des 14. Jahrhunderts verfasste Theobaldus de Saxannia den Text ‚Pharetra fidei contra Judeos‘, der in zahlreichen Abschriften und Drucken präsent war. Diesen fiktiven Disput übersetzte Folz 1495 ins Deutsche (‚Der köcher wider die juden‘, Folz: Meisterlieder, Nr. 100), zahlreiche Parallelen lassen auf dessen strukturbildenden Charakter auch für das Spiel F 81 ‚Ecclesia und Synagoga‘ schließen (vgl. Schreckenberg: Texte III, S. 585), einer weitgehend sachlichen Disputation der beiden Religionen über die Wahrhaftigkeit und Deutbarkeit alttestamentlicher und talmudischer Textstellen. Während man für das 11. bis 13. Jahrhundert über die historisch georteten, auf obrigkeitlichen Druck hin zustande gekommenen Streitgespräche (s.o.) hinaus wohl gelegentlich tatsächlich jüdisch-christliche Dispute annehmen kann (Haeberli: Gelehrte, S. 191ff.; s.o.), für die die ‚Pharetra‘ den christlichen Vertretern argumentatives Material liefern sollte, ist diese Funktion für die Übersetzung Folzens nicht zu unterstellen. Wie die Scheindisputationen des Petrus Nigri als ritualisierte Inszenierungen anzusehen sind, so bedient sich auch die ‚Pharetra‘Bearbeitung einer alten Erscheinungsform mit gewandelten Absichten. In ihr ist eine literarisch fixierte Sammlung von Anschuldigungen bezüglich jüdischer Verhaltensweisen und Eigenschaften und insofern ein Antijudaismus forcierendes Pamphlet zu sehen. Gleichwohl zeugen beide Texte, Spiel und Disput, von erheblicher Kenntnis des Verfassers um die jüdische Religion. Im vorliegenden Spiel werden die Unterschiede zwischen den beiden Kulturen pointiert thematisiert, die Auseinandersetzung bleibt zumindest oberflächlich über

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weite Strecken theoretischer Natur und auf Glaubensinhalte reduziert. Folz belässt es bei einem relativ geringen Maß despektierlicher Momente, nimmt man einige der im Folgenden gelisteten Werke zum Vergleich. In derselben, höchstwahrscheinlich autographen Handschrift wie die ‚Pharetra‘ (vgl. Folz: Meisterlieder, S. VIII) befindet sich auch ‚Traktat 103‘ (Folz: Meisterlieder, Nr. 103). Wiederum disputieren die personifizierten Religionen die grundlegenden Differenzen ihrer zentralen Glaubensauffassungen, wiederum wird die jüdische Seite teilweise heftig attackiert und es wird ihr wenig Raum zur Entfaltung der eigenen Position gelassen. Wie schon in der ‚Pharetra‘ sind hier neben biblischen auch talmudische Positionen Gegenstand der Verhandlungen. Im Jahr 1479 erschien als Neubearbeitung des Fastnachtspielstoffs von ‚Kaiser Konstantin und Silvester‘ der Reimpaarspruch ‚Christ und Jude‘ (Folz: Reimpaarsprüche, Nr. 27). Ähnlich dem vorliegenden Spiel werden dort christologische Ausdeutungen alttestamentlicher Prophezeiungen verhandelt bzw. gegenüber der Vorlage neu arrangiert, geglättet und gestrafft (vgl. Lomnitzer: Verhältnis, S. 281). Der Text verzichtet auf die antijüdische Polemik des Spiels und bleibt im Ton weitgehend abstrakt und sachlich, bis zu einem gewissen Maße sogar versöhnlich. Ganz anders die zweite Fassung des Reimpaarspruchs ‚Die Wahrsagebeeren‘ (Folz: Reimpaarsprüche, Nr. 9) von 1485/86, die die erste Fassung von 1479 insbesondere gegen Ende in ihrem skatologisch-despektierlichen Ton den Juden gegenüber deutlich übertrifft. Folz greift hierin auf eine Erzählung des Italieners Franco Sacchetti aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts zurück, nicht ohne diese jedoch explizit antijüdisch umzuarbeiten. Unverhohlen tritt nun Häme gegenüber dem Juden zutage, der von einem christlichen abentewrer aus Exkrementen gedrehte Kügelchen als kostbare, der Wahrheitsfindung über die Ankunft des Messias dienende Beeren erwirbt. Es finden sich neben der Verhöhnung vermeintlichen jüdischen Irrglaubens Passagen, in denen in ausgesprochen aggressiver und herablassender Weise Belesenheit, Reichtum und Geschäftstüchtigkeit, aber auch Leichtgläubigkeit und Naivität karikiert und die Überlegenheit noch des christlich Randständigen thematisiert werden. Folz erweiterte das Inventar zur Diffamierung um alltäglich anzutreffende kulturelle Verhaltensmuster und verbreitete Ressentiments. Um 1483 datiert der Reimpaarspruch ‚Der falsche Messias‘ (Folz: Reimpaarsprüche, Nr. 12). Auch hier dominiert die hinreichend bekannte hämische Grundhaltung des Hans Folz. Die Tochter eines Juden bringt anstelle des listenreich in Aussicht gestellten Messias ein Mädchen zur Welt, woraufhin der christliche Vater und die junge Mutter vor dem Zorn der jüdischen Gemeinde fliehen müssen. Und auch in diesen, bereits in Cäsarius’ von Heisterbach ‚Dialogus miraculorum‘ bearbeiteten Stoff webt Folz über den originären Bestand hinausgehende antijüdische Fäden, indem er jüdisches Ritual (Beschneidung in Kombination mit dem Motiv der Judensau, vgl. dort V. 189–191) verhöhnt (vgl. Wenzel: Judenproblematik, S. 79ff.). 1491 erschien das Spruchgedicht ‚Jüdischer Wucher‘ (Folz: Reimpaarsprüche, Nr. 37). Hier werden Zinspraxis und theologische Aspekte handwerklich durchaus

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geschickt verquickt und daraus eine religiös motivierte Ablehnung jüdischen Zinsgebarens scheinbar begründet. Erstmals wird explizit ebenso radikal wie polemisch der angeblich hieraus resultierende wirtschaftliche Schaden angeprangert und indirekt die Ausweisung der Juden dem Beispiel Bambergs im Jahr 1478 (vgl. Eckstein: Geschichte, S. 13) folgend gefordert. Des Weiteren wird jüdische Finanzpraxis zumindest am Rande Niederschlag in den Reimpaarsprüchen ‚Das römische Reich‘ (1479, Folz: Reimpaarsprüche, Nr. 39) und ‚Hausratbüchlein‘ (1488, Folz: Reimpaarsprüche, Nr. 40) angeprangert. Das Spiel F 88 ‚Der Herzog von Burgund‘ (zwischen 1486 und 1494) behandelt den gegenüber den Adversus-Judaeos-Traktaten und der Antichristtradition deutlich radikalisierten Stoff des jüdischen Messias als Antichrist der vorgibt, die Weltherrschaft zu errichten und das Ende aller Christen zu sein, sich tatsächlich aber nur als ein aufgeblasener Betrüger herausstellt. Das Spiel bestätigt das gängige Repertoire antijüdischer Legenden und wiederholt die Forderung nach Ausweisung der jüdischen Bevölkerung aus der Stadt. Theologische Exegese und religiöser Disput erfolgen allenfalls rudimentär, Fragen nach dem wahren Glauben stellen sich in dieser Konstellation per se nicht. Darüber hinaus werden spontane physische Gewalt gegen Juden auf der Bühne präsentiert und ausgesprochen brutale wie demütigende Sanktionsmaßnahmen gegen die Juden zur Aufführung gebracht. Im Werk des Hans Folz mischen sich theologisch unterfütterte Argumentationslinien mit Legenden und kollektiven Vorverurteilungen. Das rücksichtslose Streben nach Reichtum wird zum Schlussstein jüdischen Denkens erklärt, dem religiöse und moralische Aspekte untergeordnet sind. Erlösung wird darüber hinaus in Z. 740ff. sowie ansatzweise im Spruchgedicht ‚Der falsche Messias‘ gleichgesetzt mit Völlerei, die Taufe im vorliegenden Spiel wird schlicht als Aufhebung der Reinheitsgebote und Speisevorschriften verstanden. Auch hierin ist eine dezidierte Abwertung zu sehen bzw. der Ansatz zur Herauslösung des Judentums aus dem Status einer transzendent orientierten Religion hin zu genussfreudigem, diesseitsbezogenem Hedonismus. Bezeichnenderweise sind es also insbesondere profane Texte, die solchermaßen unversöhnlich aggressiven Zuschnitts sind. Hier mischen sich nur noch der äußeren Form nach theologisch motivierte Differenzen mit mehr oder minder begründbaren Vorurteilen, zunehmend literarisch emanzipierten Traditionen und privatwirtschaftlichen Befindlichkeiten und Interessen. Letztere sind schließlich prägend geworden. Dem mittelalterlichen Menschen kann ein chronologisch ausgeprägtes Geschichtsbewusstsein nicht unterstellt werden. Die Vormoderne verstand historische Abläufe funktional in Relation zum Heilsplan und dessen Kulmination im Jüngsten Gericht (vgl. auch die Verse 570–602 ‚Christ und Jude‘). Nur so ist wohl zu erklären, dass man den Jesus kündenden Propheten des Alten Testaments in liturgischen Texten als integralem Bestandteil eben jenes Heilsgeschehens des Neuen Testaments mit Respekt begegnete, dieselben Texte jedoch durchaus antijüdisch bezüglich der Figuren des Neuen Testaments positioniert waren (vgl. Häberli: Gelehrte, S. 42ff.). Das Alte Testament wurde, exklusiv christlicher Exegese unterstellt, nicht als chronologisches Vorher ge-

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genüber dem Neuen Testament verstanden, sondern als Bühne für dessen notwendige Vorausdeutung (vgl. Z. 180). In dieser Ambivalenz liegt aber eben auch die Möglichkeit zunehmend rigider Polemik in den weltlichen Spielen und Reimpaarsprüchen. Das Werk des Hans Folz deckt insofern ein breites Spektrum ab, als der Autor gleichermaßen die literarische Adversus-Judaeos-Tradition imitiert wie auch gesellschaftspolitische Agitation betreibt. Er tritt auf im Gewand theologisch geschulter missionarischer Gottesstreiter (‚Kaiser Konstantin‘, ‚Ecclesia und Synagoga‘, ‚Traktat‘, ‚Pharetra‘), ohne jedoch das Abstraktionsniveau der gelieferten Argumente allzu hoch zu hängen, meist bleibt er auch für weniger gebildete Rezipienten verständlich. In einigen der genannten Texte erfolgen die Herabwürdigungen noch relativ zurückhaltend. Es lässt sich bei Folz mit den Forderungen nach ökonomischer Enteignung, Austreibung und Verstümmelung eine Tendenz dahingehend erkennen, dass er zunehmend bereit ist, seine möglicherweise länger schon angelegte latente Ablehnung der jüdischen Bevölkerung und des jüdischen Glaubens immer unverhohlener und forciert aggressiv zu formulieren. Lediglich das erst 1479 entstandene ‚Christ und Jude‘ entspricht nicht dieser Entwicklung. Der aus Worms zugezogene Folz wurde 1559 Bürger der Stadt Nürnberg. Erst allmählich etablierte er sich beruflich wie gesellschaftlich, und mit der Zeit stieg der Mut des sozialen Aufsteigers, den allerorten unter den Mitgliedern des Rates sowie der Bevölkerung der Stadt anzutreffenden antijüdischen Tendenzen zu entsprechen und diese sogar zu radikalisieren. Diese Entwicklung mündete schließlich in die Ausweisung der Juden im Jahr 1498/99 auf Betreiben des Rats hin (vgl. Müller: Geschichte, S. 81ff.). Der opportunistische Aufsteiger Folz positionierte sich also innerhalb des sich bereits seit Längerem entwickelnden ambivalenten Spannungsverhältnisses mitleidvoller Anteilnahme aus dem Gefühl metaphysischer Überlegenheit heraus, der theologisch motivierten Ablehnung jüdischer Denk- und Verhaltensweisen, der ökonomischen und sozialen Trennung der Vertreter beider Kulturen und der wirtschaftlichen oder gar physischen Eliminierung eindeutig aufseiten der radikalen, zwischen ethnischer und sozialer Ächtung der Juden noch unentschlossenen Eiferer. Keiner der Texte der übrigen Verfasser stellt Antijudaismus als zentrales Element solchermaßen konsequent in den Mittelpunkt, wie dies im ‚Herzog von Burgund‘ umgesetzt ist (vgl. Przybilski: Kulturtransfer, S. 262). Hierin überwindet Folz den mittelalterlichen, in der Figur des Antichrist apokalyptisch besetzten Antijudaismus, der sich dem Weltende und dem Jüngsten Gericht zuwendet, und macht das Inventar neuen, stadtbürgerlichen Ambitionen und privatwirtschaftlichen Interessen theatral dienstbar. Die älteren Adversus-Judaeos-Texte dienten zunächst der Schärfung der Argumente, zunehmend der christlichen Glaubensbestätigung in metaphysisch und ökonomisch unsicheren Zeiten (vgl. Schreckenberg: Texte I, S. 16) bzw. der Manifestation vulgärreligiöser Legenden (vgl. Lotter: Judenbild, S. 432). Folz führt die Intention von der dezidierten Herabwürdigung jüdischer Glaubensinhalte und der Betonung christlicher Hoheitsrechte weiter, nämlich zum Appell zur kontrollierten widerrechtlichen Aneignung jüdischen Privateigentums. Der Erwerb einer Druckpresse durch Folz im Jahr

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1479 bezeugt daneben dessen Bedürfnis, die zunehmend antijüdischen Ressentiments der Bevölkerung wirtschaftlich auch für sich selbst zu nutzen und die Erwartungshaltung der Käufer seiner Druckerzeugnisse zu bedienen (vgl. Häberli: Gelehrte, S. 281; Wenzel: Judenproblematik, S. 88f.). Aufführungshinweise: Zentrale Elemente der Kostümierung der Juden sind der Judenhut und der Judenfleck, darüber hinaus lassen sich Bärte und mit hebräischen Schriftzeichen besetzte Kleidungsstücke aus Regieanweisungen und Kostenzusammenstellungen für Requisiten rekonstruieren (vgl. Frey: Pater, S. 55–56). Die Kostümierung des Taufschreiers ist in der Weise eines Bauern zu denken, die für die Zuschauer unsichtbare Redeanweisung ein ander bauer (Z. 757) macht dies wahrscheinlich. Der Herold muss ebenfalls durch Kostümierung als solcher gekennzeichnet gewesen sein, aus dem Text heraus erschließt sich diese Funktion nicht, seine Rolle unterscheidet sich auch nicht von der des Precursors. Die Legende um Papst Silvester I. ist beim Publikum als bekannt vorauszusetzen, die Ansprache wirdiger vater kennzeichnet den Papst jedoch nicht zwangsläufig als solchen. So müssen auch in dessen Kostümierung klare, die Rolle anzeigende Elemente angelegt sein. Da es sich bis auf Z. 584–587 um eine stumme Rolle handelt, erscheint es zumindest denkbar, dass sie aus der Spielsituation heraus spontan durch ein Mitglied der städtischen Obrigkeit besetzt wurde. Hierin wäre wiederum ein Beleg für die Koketterie des Autors zu sehen, mit der dieser den sozialen Eliten begegnete. An den Papst wendet sich auch der christliche Gelehrte in Z. 102ff. mit einer Drehung des Körpers. In Z. 107 wendet er sich von dem im Bühnenhintergrund zu verortenden Silvester ab und richtet seine Rede gegen den Rabbiner. In dieser Opposition, der Christ für den Zuschauer links und der Jude rechts, verharren die Antagonisten für die Dauer der folgenden Wechselrede einander gegenüber positioniert in ihren beiden mansiones. Es bleibt zunächst unklar, inwieweit die Inszenierung dem Stoff der Legende bzw. den komödiantischen Gepflogenheiten des Fastnachtspiels verpflichtet war (vgl. Catholy: Fastnachtspiel des Spätmittelalters, S. 285). Das Datum des Ratsverlasses, der 22.08.1474, führt das Spiel über die Fastnachtszeit hinaus und verortet es im Genre des geistlichen bzw. Legendenspiels (anders Catholy: Fastnachtspiel des Spätmittelalters, S. 282, der den langen Vorlauf von fast einem halben Jahr dem Umstand geschuldet sieht, dass das umfangreiche Spiel einer längeren Vorbereitung bedurft habe und es als Fastnachtspiel bewertet). Genannter Verlass schließt weitere Aufführungen zur Fastnacht natürlich nicht aus, fixiert es aber eben auch nicht zwangsläufig in dieser Spieltradition. Die für das Fastnachtspiel typischen zotigen Beimischungen fehlen wie gezeigt weitestgehend. Lediglich die skatologisch unterfütterte Freude der Konvertiten an den neuen Speisen in den Z. 740–745, der Schlusstanz und der Auftritt der Bauernfiguren am Ende des Spiels sind als Konzession an die Erwartungshaltung eines Publikums zu verstehen, das fastnachtspieltypisch unterhalten sein will. Diese Aspekte deuten insofern auch auf einen möglichen Spieltermin zur Fastnacht hin. Diese Erwartungshaltung wurde wohl kalkuliert enttäuscht, wie Z. 786 vermuten lässt. Die Synthese bzw. Opposition beider Traditionen spiegelt sich auch in den Worten des

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Herolds, der das geistliche (Z. 786) dem pübischen (Z. 787) ergänzend an die Seite stellt und insofern als Rechtfertigung unter anderem für die Inszenierung des politisierten geistlichen bzw. Legendenspiels um die Fastnacht zu verstehen ist, jedoch eben nicht primär in der derb-komischen Tradition. Hierfür bieten Stoff und Text zu wenig Spielraum. Die Ausweisung des Fastnachtspiels als solches im Register ist lediglich als eine persönliche Einschätzung des Schreibers zu verstehen. Innerhalb der Disputation beginnen die Redepartien der Beteiligten häufig mit direkter Anrede (Hör, jud bzw. Hör, christ). Die dialogische Struktur der alten Disputationes ist hier zumindest formal noch präsent: Folz lässt die Akteure auf der Bühne gestisch unterfüttert frontal miteinander kommunizieren. Der Verfasser stellt zumindest szenisch die Protagonisten beider Lager zwischenzeitlich auf eine Augenhöhe, was den Inhalt und den Umfang der einzelnen Reden betreffend indes zu keinem Zeitpunkt gegeben ist. Die Bühnensituation suggeriert eine nie gewährleistete Waffengleichheit. Um so großartiger muss angesichts dieser Ausgangssituation für den Betrachter der Sieg des Christentums ausfallen, wenn dieser auch durch Kenntnis des Stoffes von Beginn an bekannt ist. Im Gegensatz zu den Lesetexten besteht in dieser polarisierten Inszenierung auch eine optische Repräsentation der fundamentalen Opposition. In dieser Gleichzeitigkeit mehrerer Reize und der Rezeptionssituation innerhalb einer größeren Gesellschaft ist nicht nur der Multiplikator deutlich größer als in der individuellen Lektüre, auch die emotionale Aufladung ist gesteigert zu denken. Möglicherweise sind es Erfahrungen mit dem Publikum, die Folz dazu veranlasst haben, das Vexierspiel in wesentlich enthemmterer Form Jahre später im ‚Herzog von Burgund‘ aufs Neue auf der Bühne zu platzieren. Im dritten und letzten Teil des Spiels erscheint es zumindest wahrscheinlich, dass sich aufseiten der Juden ebenfalls zwei Lager bilden, das der Proselyten und das der nicht zur Konversion Bereiten, die sich zu beiden Seiten des Rabbiners gruppieren. Die Rolle des Stiers ist in der Legende ambivalent. Zum einen wird er als wildes und bösartiges, kaum zu zähmendes Tier geschildert, an anderer Stelle tritt er eher als Opfer jüdischen Zaubers auf (vgl. Häberli: Gelehrte, S. 247). In beiden Fällen jedoch scheint er über enorme Kräfte zu verfügen. In der Inszenierung ist an ein Kostüm zu denken, in dem sich möglicherweise zwei oder mehr Akteure um ein möglichst imposantes Erscheinungsbild des Tieres bemühen. Die Regie- bzw. Redeanweisungen sind generell nicht nur schwach ausgebaut, sondern nachlässig umgesetzt. In Z. 176 irrt der Schreiber schlichtweg. Die Disputation ereignet sich zwischen dem Rabbi (vgl. Z. 53 und 84) und dem gelehrten Christen (Z. 101). Beide werden in der Folge jeweils aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit (Jude, Christ) unterschieden, nicht aufgrund ihres Status (Rabbi, Doktor). Im Anschluss an Z. 561 fehlt eine Regieanweisung, die den Juden an den Stier herantreten, diesem etwas ins Ohr flüstern und schließlich das Tier zusammenbrechen lässt. Gleiches gilt für Z. 587. Auch hier fehlt ein entsprechender Hinweis darauf, dass sich das Wunder ereignet und der Stier sich erhebt, immerhin preist der Jude unter diesem Eindruck in den folgenden Zeilen den Namen Jesu, und auch die Mutter des Kaisers zeigt sich von den

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Ereignissen bewegt. In Z. 608 und 660 wendet sich ein Jude an den Rabiner (vatter), und dieser antwortet in den Z. 634 und 664, an letztgenannter Stelle in der korrekten Rollenbezeichnung als Rabbi. Da der bis dahin in den Regieanweisungen meist ebenfalls als der jud bezeichnete Schriftgelehrte nicht mit einem Mitglied seiner Gemeinde identisch sein kann, muss also in den Z. 607 und 659 eine andere Rolle gemeint sein, ohne dass dies allerdings aus der Rollenbezeichnung hervorginge. Z. 673 legt durch den Zusatz ander nahe, dass an besagten Stellen zuvor ebenfalls sun zu stehen hätte. Ebenso defekt scheint Z. 735ff.: Mit Schmoý, allter vater mein (Z. 736) wendet sich der Sprecher eindeutig an den Rabbiner, derselbe ist jedoch ausweislich Z. 735 gleichzeitig Sprecher der fraglichen Stelle. In den Z. 429–449 fallen an den Stellen rhythmische Unreinheiten auf, an denen die Propheten genannt werden. So ist zu vermuten, dass diese Textstellen (Dauidt spricht, Ÿsaias spricht) nicht zum Sprechtext des Doktors gehören. Wahrscheinlich haben einzelne, vermittels eindeutig zuweisender Attribute gekennzeichnete Propheten diese Passagen zum Vortrag gebracht. Aufgrund der seinerzeit verbreiteten ikonographischen Darstellung ist im Falle der Rolle des Moses zu denken an Gesetzestafeln oder aufgrund des verbreiteten Fehlers der Vulgata in Ex 34, 35 an Hörner, Jesaia und Jeremia könnten mit Schriftrollen oder Rute bzw. Säge (vgl. Helmsdörfer: Kunstsymbolik, S. 155), Joel durch einen Löwen (vgl. Helmsdörfer: Kunstsymbolik, S. 122) und David mit einer Leier identifizierbar gemacht worden sein. Sollten derartige Attribute nicht verfügbar gewesen sein, kann immer noch davon ausgegangen werden, dass die Sprecheranweisungen dem Spielleiter zur Unterscheidung gedient haben, die einzelnen Rollen indes durch eine einheitliche Kostümierung bestehend aus Dalmatica und Schriftrolle als Propheten gekennzeichnet waren. Für das Publikum ist die konkrete Identifizierung der einzelnen Propheten nicht unbedingt notwendig. Unklar bleibt in diesem Zusammenhang die Sprecheranweisung in Z. 428. In Z. 523f. wird die Bühnensituation dahingehend thematisiert, dass der Christ sich durch das anwesende Publikum in der Wahl seiner sprachlichen Mittel eingeschränkt sieht und die gewünschten Verfluchungen nicht äußern kann. Die jüdische Position ist in einer Hinsicht ambivalent ausgebaut: Die grundsätzlich hoch angesehene Mutter des Kaisers ist zunächst der jüdischen Seite zugeordnet. Es bleibt schwierig, die Wirkung dieser darüber hinaus von einem Mann gespielten Rolle abzuschätzen. Eine nachhaltige Herabwürdigung ihrer Person ist angesichts der, wenn auch späten, Erkenntnis und Hinwendung zum Christentum jedoch nicht zu unterstellen. Auffällig ist schließlich das Bild der Dreifaltigkeit in den Z. 117–119. In keiner der übrigen Bearbeitungen bei Folz findet es Aufnahme, insofern ist der bewusste Einsatz in der Bühnenfassung dahingehend zu verstehen, dass der Autor hierfür ein konkretes Requisit in Form eines Tuches zur Unterstreichung der Argumentation vorsah.

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Textbezüge Man wird Folz kaum gerecht, wenn man ihn einen politischen Dichter nennt, in zu geringem Maße schlägt sich allgemeines Interesse an administrativen Abläufen in seinen Werken nieder. Einzig mehr oder minder offensichtlich hasserfüllte Äußerungen gegenüber Angehörigen des jüdischen Glaubens finden sich im dramatischen Werk (F 88 ‚Der Herzog von Burgund‘ und F 81 ‚Ecclesia und Synagoga‘) wie auch in den Reimpaarsprüchen (‚Die Wahrsagebeeren‘, ‚Der falsche Messias‘, ‚Christ und Jude‘, ‚Jüdischer Wucher‘) sowie Traktaten (‚Pharetra contra iudeos‘, ‚Traktat 103‘). Neben Folz nimmt sich auch Rosenplüt der Thematik an. In R 6 ‚Des Entchrist Vasnacht‘ wird das Scheitern des falschen jüdischen Messias geschildert, in R 47 ‚Des Türken Fastnachtspiel‘ wird jüdisches Zinsgebaren als eines unter zahlreichen Übeln innerhalb des Reichs eher am Rande erwähnt. Bearbeiter: Greil, Przybilski

109 – Hans Folz: Ein Marktschreierspiel

5

10

Jr hern, schlot fegen ist mein ampt. Wem sich jm hintern het gesampt Des allten ruͦ ß mit langen zotten, Das ein geselczt wer vnd geknoten, Allz der jm ein bech dar uber het gossen, Dem kan ich ez seuberlich aber stossen. Wem ich das aber [aber] her ̲ abe stiez Vnd er mir den staub vnter die augen plis, Der mocht mich jn dem laun finden, Jch wollt jm den schlot mit schaub anzinden.

20

Jr hern, die allten korb ich plecz. Dar pey richt ich dan an mein gswecz Gen den hauß meiden, wo ich dan flik, Das ich auß jn erforsch fil dick, Das sie mir offen barn jr hercz. Nach dem mich dan erparmpt jr schmercz, Nach dem wirt pas mit jn geret Vnd schlach ye einß gein ander ̲n wet Vnd kan mich sein offt nit er  wer ̲n, Wan ich mus mich doch ye mit plecz werk ner ̲n.

25

Jr hern, erschrekt nit ab den gesten Vnd kert vnß vnser ̲ sach zum pesten, Wan mit geschrey [du] wir offenber ̲n Die hendel, dar mit wir vnß dan ner ̲n, Allz ir von vnß wer ̲t horen ga̲r:

15

KF Nr. 105

X 22r KF 789 F 99, 131–140

F 99, 17–26

X 22v KF 790 F 99, 3–14

3 Des allten ruͦ ß: Gen. Part. ‚Etwas vom alten Dreck‘ 3 zotten ‚Zotteln‘ 4 ein geselczt ‚gesalzen, eingetrocknet‘ 5 Allz der jm ‚Als ob jemand ihm‘ 6 aber stossen ‚herabstoßen‘ 9 laun ‚Missmut‘ 10 schaub ‚Strohbüschel‘ 11 pleczen ‚flicken‘; vgl. Z. 20, 109 14 ‚Dass ich sie ganz intensiv aushorche,‘ 18 ‚Und das eine wird mit dem anderen vergolten.‘ 21 ab ‚wegen, vor‘ 22 ‚Und legt unsere Sache zum besten aus,‘ 24 hendel ‚Gewerbe‘ 24 nern ‚ernähren, erhalten‘

7 aber] aber aber: Konjektur bei Keller (S. 789) 18 gein: Keller (S. 789) erwägt Konjektur zu gem 23 geschrey du] geschrey: Konjektur bei Keller (S. 790)

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Gotz Spek kuch· Dil tap· vnd Suczel mar· Frid lapp· Sew tut· vnd der Stud vol· Lullars· Schlauraff· vnd Fleuch den zol· Schlot mok· Lant schalk· vnd der ̲ Feltrud Sew fridel· Pirn kuncz· vnd der Taufft Jud Sweinß or· Kalbz ewter· Ginloffel· vnd Eberza̲n, Dret her vnd last ewr hendel fer ̲stan! Jr hern, nun gept vrlaub vnß tumen Vnd heist vnß neur nit wider kumen,

F 99, 206–217

26 Gotz Spek kuch: Nach der angebotenen Ware benannt. Der Vorname Götz ist im 15./16. Jahrhundert auch als Schimpfwort mit der Bedeutung ‚Dummkopf‘ gebräuchlich (vgl. Arndt: Personennamen, S. 82; DWb 8, Sp. 1432f.). 26 Dil tap: ‚Geistig oder körperlich unbeholfener Mensch‘; als Schimpfwort regional bis in die Gegenwart bekannt, auch in Redensarten noch gebräuchlich (vgl. Röhrich: Redensarten, S. 320f.). 26 Suczel mar: Aus dem dialektal bezeugten Verb sutzeln: ‚saugen‘ (DWb 20, Sp. 1365) und dem gängigen Namensbestandteil -mar, vgl. Reimar oder Dietmar, zusammengesetzt (vgl. Arndt: Personennamen, S. 51; Bach: Namenkunde 1, S. 224). 27 Frid lapp: Aus frnhd. friedel: ‚Geliebter, Liebhaber‘ (DWb 4, Sp. 188) und frnhd. lappe: ‚Dummkopf‘ (FrnhdWb 9, Sp. 278f.), soll wohl Liebestorheit kennzeichnen (vgl. Arndt: Personennamen, S. 64). 27 Sew tut: Aus Sau und frnhd. dutte: ‚Brustwarze, Zitze‘ (DWb 22, Sp. 1946–1948). 27 Stud vol (zu mhd. stud-vol): ‚sturzbetrunken‘ (vgl. F 84, Z. 35) 28 Lullars: Zu lullen: ‚saugen‘ bzw. Lulle: ‚Dummkopf‘ (DWb 12, Sp. 1287f.) 28 Schlauraff (zu mhd. slûraffe, Erstglied von mhd. slûr): ‚Faulenzer, Müßiggänger, Schlaraffe‘ (DWb 15, Sp. 493ff.; Richter: Schlaraffenland, S. 14f.) 28 Fleuch den zol: ‚Flüchte vor der steuerlichen Abgabe‘; fleuch als Flexionsform des Verbs fliehen (DWb Neubearbeitung 9, Sp. 635). 29 Schlot mok: Mit doppeldeutigem Bezug auf die angebotenen Dienste; Zweitglied von frnhd. mocke: ‚Klumpen‘ als Anspielung auf ‚Rußablagerungen‘ (vgl. Arndt: Personennamen, S. 70). 29 Lant schalk: Auch als eigenständiges Wort mit der Bedeutung ‚weithin berufener Schalk‘ (DWb 12, Sp. 134), wobei Schalk ‚arglistiger Mensch‘ bedeutet (DWb 14, Sp. 2069–2074). 29 Feltrud: Kompositum aus Feld und Rüde, soll die Derbheit der Figur verdeutlichen (vgl. Arndt: Personennamen, S. 69). 30 Sew fridel: Aus Sau und frnhd. friedel: ‚Geliebter, Liebhaber‘ (DWb 4, Sp. 188), auch als Schimpfwort nachweisbar (DWb 14, Sp. 1885), verweist auf bäuerliches Milieu (vgl. Arndt: Personennamen, S. 61). 30 Pirn kuncz: Zu Birne, das Zweitglied ist Kurzform von Konrad (vgl. Arndt: Personennamen, S. 60f.). 30 der Taufft Jud: Wird von Arndt als Bei- und nicht als Eigenname betrachtet (vgl. Arndt: Personennamen, S. 82). Dagegen spricht allerdings, dass er im vorliegenden Spiel wie die meisten übrigen Personennamen von Folz unterstrichen wurde. Die Namensgebung ist in Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Nonnenmacher zu sehen (vgl. F 99, Z. 120). 31 Sweinß or: Arndt bezieht den Namen auf die Form der Ohren (vgl. Arndt: Personennamen, S. 80); vielleicht auch lediglich komische Wirkung ohne Verweis auf Herkunft oder Aussehen beabsichtigt. 31 Kalbz ewter: Auch als Beleidigung, etwa ‚Dummkopf‘, in Spiel F 103I, Z. 50 bzw. F 103II, Z. 55 verwendet (vgl. Arndt: Personennamen, S. 79). 31 Ginloffel: Zu frnhd. gienen: ‚den Mund aufsperren‘ (DWb 7, Sp. 7349f.) und Laffe: ‚Narr‘ (DWb 12, Sp. 1120). 31 Eberzan: Anspielung auf den Beruf des Namensträgers, nämlich Zahnbrecher. 33 gept vrlaub ‚verabschiedet‘

26–33 Sprecherbezeichnungen außer Suczel mar, Lullars, Schlot mok und Sew fridel sind unterstrichen. 29 Schlot mok: Keller (S. 790) erwägt Konjektur zu Schlotmark

109 – Hans Folz: Ein Marktschreierspiel | 635

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Wan man mocht leicht scher ̲cz 〈mit〉 vnß treiben, Wir wollten lecht uber nacht do pleiben. Dez ist daz pest, jr lat vnß farn Vnd dut euch mit frumer ̲n gesten bewar ̲n Vnd hut euch vor ̲ allten groschen all; Vnd ob ewer ein ein gulden enpfall, Der heb jn phant lich wider auff, Daz wir nit alle platzen drauf; Vnd ob imant kem nach vnß her ein, So sagt nimant, da̲z wir do gewesen sein. Jr 〈hern〉, so drag ich fladen feyl. Wellt jr, so versucht jr doch ein teil. Die ayr leit ich selbs hewt fru Vnd gab sie allzo frisch dar zu. Die podem sint von guten wurczen Vnd schmeken zwar seuberlich nach furczen. Jch wer sie gut, kaufft jr mir jr ab, Wan ich sie vor auch ein mol gessen hab,

X 23r

F 99, 73–82

F 91, 67f.

KF 791

36 lecht ‚vielleicht‘ 38 bewarn ‚versehen, umgeben‘ 39 allten groschen: Ab 1300 wurde zunächst der Prager, dann der Meißner Groschen zu einer der Hauptwährungsmünzen Europas. Für beide Varianten gilt, dass sich die Qualität und damit der Wert der Silbermünze mit fortlaufender Prägung immer weiter verschlechterte. Die Städte griffen daher zur Gegenstempelung, d.h. es wurde nachträglich ein Zeichen in die Münze einprägt, um die hoch- von den minderwertigen – allten – Groschen unterscheiden zu können (LexMA 4, Sp. 1172, 1726f.; 6, Sp. 480; 7, Sp. 165). 40 gulden: Gulden wurden seit Anfang des 15. Jahrhunderts auch in Nürnberg geprägt und waren als Goldmünzen die wertvollsten Münzen im Umlauf und die maßgebliche Währungseinheit der Reichen. Ein Gulden entsprach in etwa dem halben Monatslohn eines durchschnittlichen Handwerkers (vgl. Strauss: Nuremberg, S. 203f.; Brandl: Essen, S. 18). 41 phant lich: ‚behände, rasch‘; Lexer schlägt die Passage fälschlicherweise dem Lemma mhd. phantlîche: ‚zum Pfand, als Pfand‘ zu, vgl. F 99, Z. 214. 42 platzen drauf ‚darauf losstürzen‘ 46 jr ein teil ‚einige davon‘ 48 allzo ‚ganz‘ 49 podem ‚Grundlagen‘ 49 wurczen ‚Kräuter, Gewürze‘ 51 Jch wer sie gut ‚Ich bürge dafür, dass sie gut sind‘

35 mit] 40 Keller (S. 790) erwägt Konjektur zu einem man; der Eingriff basiert auf der Fehllesung einer statt ewer, die auch im Editionstext umgesetzt wurde (vgl. auch F 99, Z. 213). 45 hern] : Konjektur bei Keller (S. 790)

636 | 109 – Hans Folz: Ein Marktschreierspiel

Vnd hab dar vm ein sulichs kauffen, Das mir die [swe] sew stetz nach drum lauffen. 55

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70

75

Jr hern, versucht meinr kuchlin auch, Der jch jn einem roß pauch Hewt frü fur dag hab ab gepachen, Daß ich euch all mit sat draw zu machen, Wan sie gar schmalczig sint vnd gut Vnd zurgen jm mu〈n〉d allz ein filcz hut. Ver ̲sucht jr doch allz pald vm sust, Jch weiß, das jr euch hart mer gelust. Das hellfet mir das deller ab ösen Vnd lost mich auch en weng gelltz pey euch lösen. So drag ich hole hiplin gern. Pey fursten, freien, grafen vnd hern, Hab ich dar mit mein nider lag. Do ist nach wurfeln pald ein frag. Nun wol her an mich, wer lustig sey! Hie hab ich guter wurffel drey, Die mir so trewlich pey gestan, Das sie mir offt kein faden an lan. Jr hern, kaufft auch meinr kremerey, Lugt, waß euch hie gefallens sey! Kainerlay muncz ich nit verschlag, Doch gillt ich wider, wo ich mag.

F 99, 85–94

X 23v

F 99, 31–38

F 99, 41–48

54 Es war verbreiteter Glaube, Schweine ernährten sich von Exkrementen. Die Kot verschlingende Sau gehört in der Genregraphik der Zeit zu den Begleitern der Gefräßigen und Trunksüchtigen und findet sich auch als Spielkartenmotiv (vgl. Eser/Schoch: Zockern, S. 72). 55 kuchlin hier: ‚Pferdeäpfel‘ 57 fur dag ‚vor Tagesanbruch‘ 57 ab gepachen ‚gebacken‘ 58 mit ‚damit‘ 58 drawen ‚sich zutrauen‘ 60 zurgen ‚zergehen‘ 62 hart ‚sehr‘ 63 ab ösen ‚leer essen‘ 64 en weng ‚ein wenig‘ 65 hole hiplin: Röhrenförmig gerollte Waffeln (Brockhaus Enzyklopädie 17. Aufl. 8, S. 609; DWb 10, Sp. 1719). 67 ‚Treibe ich damit meinen Handel.‘ 68–72 Würfelverleiher stellten den Spielern gegen Gebühr Würfel zur Verfügung, um gezinkten Spielinstrumenten vorzubeugen und veranstalteten auch Würfelspiele (vgl. Tauber: Würfelspiel, S. 38f.). Hier begeht die sprechende Figur den Fehler, sich ebenfalls an dem Spiel zu beteiligen bis er buchstäblich nackt dasteht (vgl. Z. 72). 69 ‚Jetzt herbei zu mir, wer Lust hat!‘ 73 meinr kremerey ‚etwas von meiner Kram-, Kaufmannsware‘ 75 verschlagen ‚ausschlagen‘ 76 widergellten ‚[mit dem Gegenwert] vergelten‘

54 die] die swe: Kojnektur bei Keller (S. 791) kremerey] kremere

60 mund] mud: Konjektur bei Keller (S. 791)

73

109 – Hans Folz: Ein Marktschreierspiel | 637

80

85

90

95

Er sey recht meinster, der mich eff, Vnd ich jn nit hin wider dreff: Wan mein pest kram schacz, die ist ligen, Sal ich anderz gellt pey euch erkrigen. Jr hern, versucht meinr spek kuchen! Jch weiß, jr wert jr mer pey mir suchen. Auch hab ich jr noch ein follz prifet, Ob ymant forschung dar nach het, So sagt jn, sie gen gar gern hin ein, Wan sie den weg vor auch gangen sein. Vnd sint durch spiket vnten vnd oben, Ver ̲sucht sie, ich weiß, jr wert sie loben. Doch greifft sie seuberlich an vnd eben, Das keim an fingern nichtz pleib kleben. Hort, rosch vnd weiß thu ich hie tragen, Dar mit einr sellten fult den magen, Doch ist ez mir fur henken [h] gut. Wan mir die faulkyt gar wol dut, So ich ge auff der gassen glunckern Vnd mich selb schacz für einen junkern.

KF 792 X 24r

F 99, 61–70

F 99, 51–58

77 Er sey ‚Er sollte sein‘ 77 meinster ‚Meister‘; vgl. Z. 145 77 effen ‚übers Ohr hauen‘ 78 ‚Und ich gegen ihn nicht meinerseits zurückschlage:‘ 79 ligen ‚lügen‘ 80 erkrigen ‚erlangen, bekommen‘ 83 prifet ‚stilles Örtchen‘ 84 ‚Wenn jemand Nachforschungen danach anstellt,‘ 85 hin ein ‚[in den Mund] hinein‘ 89 eben ‚sorgfältig‘ 91–98 Die Stadt Nürnberg unterhielt stets eine kleine Anzahl von Söldnern bzw. Wächtern, die innerhalb der Stadtmauern lebten, wovon noch heute der Name der Söldnersgasse zeugt (vgl. Mendheim: Söldnerwesen, S. 27; Schulz: Bürgerhäuser, S. 558). 91 rosch vnd weiß: ‚rot und weiß‘; Söldner oder Wächter, die im Dienst einer Stadt standen, trugen üblicherweise auch deren Farben, im Fall von Nürnberg Rot und Weiß (vgl. Behnisch: Tracht, S. 20f.). 93 ‚Doch ist es mir lieber als gehängt zu werden.‘ 95 glunckern ‚sich faul herumtreiben‘

93 henken] henken h: Das h ist durchgestrichen

638 | 109 – Hans Folz: Ein Marktschreierspiel

Doch gen jr gar fil peteln am Rein, Die meinem adel gar nach gleich sein.

100

105

110

115

Nach allten hadern ist mein fragen, Wan sie die meid hant ab getragen, Wan so die puben sie benaschen Vnd jn grübeln nach der vntern taschen Vnd oben sich des pusems fleissen, Dar mit sie jn die hemd zu reissen. Auch allte leilach, die durch driben, Nach dem nacht hunger ̲ sint geriben, Das [ist] dint allz wol zu meinen sachen Vnd wil erst gut papier drauß machen.

X 24v

F 99, 97–106

Allt pfannen pleczen, kessel flicken, Dar zu kan ich mich allzo schiken, Das mir die hauß dirn zu jn ziln, Do thu ich heimlich mit jn spiln Jn jrer ̲ vnter ̲n futer ̲ wannen Vnd nym zu wort ein allte pfannen Vnd pflaster auch die meyt dar neben, Daß sie mir heymlich zu stossen vnd geben.

KF 793

F 99, 109–118

97 peteln am Rein: Aus dem Dienst entlassene Landsknechte zogen meist vagabundierend umher und waren gezwungen, ihren Lebensunterhalt durch Betteln zu verdienen (vgl. Baumann: Landsknechte, S. 132–134). Der Rhein steht hier als pars pro toto für das gesamte Gebiet des Deutschen Reiches (vgl. unter rînisch in BMZ II.1, Sp. 705a; TPMA, Rhein, 6. 22). 99 Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts dienten ausschließlich Hadern, d.h. Lumpen, als Grundstoff für die Papierproduktion. Nachdem 1390 bei Nürnberg die erste deutsche Papiermühle eröffnet worden war, entstand in der Stadt schon sehr früh ein reger Papierhandel (vgl. Sporhan-Krempel: Papiererzeugung). 102 grübeln ‚wühlen‘ 102 vntere tasche: Zur sexuellen Metaphorik vgl. Müller: Schwert, S. 67 und Filzeck: Bildung, S. 48. 104 zu reissen ‚zerreißen‘ 105 leilach ‚Betttuch‘ 105 durch driben ‚verschlissen‘ 106 Nach ‚Gemäß, Entsprechend‘ 106 nacht hunger sexuelle Begierde 109 Der Pfannenflicker ist eine beliebte Figur in obszönen Witzen (vgl. Müller: Schwert, S. 134). 110 schiken ‚eignen‘ 111 ‚Sodass mich die Hausmädchen zu sich bestellen,‘ 113 futer wanne: Zur sexuellen Metaphorik vgl. Müller: Schwert, S. 40. 114 zu wort nemen ‚sich kümmern um, reparieren‘ 115 pflastern ‚flicken, stopfen‘ 116 zu stossen: ‚zustecken, zustoßen‘; evtl. sexuell aufgeladen zu verstehen.

107 Das] Das ist: Das ist ist durchgestrichen

109 – Hans Folz: Ein Marktschreierspiel | 639

Allzo mus ich mit flikwerk mich betragen, So ich mein handel ye auch sol sagen.

120

125

130

Jr hern, so kund ich euch die weisen: Das erst zu den Ab geritten Eysen, Das ander zu dem Plaben Stern, Daz drit jn den heymlichen tauern, Daz man do nent die winkel wirt, Daz 4., wo man sunst genaw schirt Vnd wo sich die korblins meid enthallten, Das 5., die des nachtz der [sl] schlupflocher wallten. Der andern weiß ich nit zu erclern, Dan das ich mein handel auch mus bewern. Jr hern, ich kund die stunt der nacht. Wem von der liben ist zu gesacht Vnd sie jm dez ein zeichen geit, Den man ich an die rechten zeit. Dez gleich warn jch jn gen dem dag, Daz er pey zeit entrinen mag.

X 25r

F 99, 165–162

F 99, 165–172

117 sich betragen ‚sich begnügen mit‘ 119 Die Rede ist die eines Weinkiesers. Weinkieser waren in Nürnberg dafür zuständig, den von den Weinschenken angebotenen Wein auf seine Reinheit zu prüfen. Wenn der Wein den Anforderungen entsprach, so erhielt er je nach Qualität eines der drei sogenannten Weisen, ein Gütesiegel, was der Wirt auf der ausgehängten Weintafel vermerkte (vgl. Grönert: Entwicklung, S. 31; zur genauen Prozedur vgl. Barack: Lobgedicht, V. 224–283). 120 Das erst ‚Das erste [Weisen]‘ 120 Ab geritten Eysen: In Nürnberg existierten in reichsstädtischer Zeit mehrere Wirtschaften, die den Namen ‚[Goldenes] Hufeisen‘ trugen. Ob eine davon mit der hier erwähnten identisch ist, ist nicht nachweisbar. Das Abgeritten (F 99: Abgeriben) Hufeisen deutet darauf hin, dass die gemeinte Wirtschaft in schlechtem Ruf stand (vgl. Nopitsch: Wegweiser, S. 44). 121 Plaber Stern: ‚Blauer Stern‘; in Nürnberg sind für die reichsstädtische Zeit mehrere so benannte Wirtschaften nachweisbar, wobei ungesichert ist, welche davon im 15. Jahrhundert bereits unter diesem Namen existierte (vgl. Nopitsch: Wegweiser, S. 50). 122 tauern ‚Spelunke‘ 123 winkel wirt ‚Hurenwirt, Zuhälter‘ 124 genaw scheren ‚übervorteilen, betrügen‘ 125 korblins meid: ‚Huren‘; der Korb als obligatorisches Erkennungszeichen von Prostituierten symbolisierte die Aufnahmebereitschaft der Trägerinnen (vgl. Danckert: Leute, S. 150). 125 enthallten ‚aufhalten‘ 126 schlupfloch ‚Kaschemme‘ 127–128 ‚Andere [Weisen] kann ich nicht verkünden, Es sei denn, ich muss meine Profession auch unter Beweis stellen‘. 130 zu gesacht ‚[ein Schäferstündchen] versprochen‘

126 der] der sl

640 | 109 – Hans Folz: Ein Marktschreierspiel

135

140

145

150

155

Der manch sunst die maß verschliff, Wan ich jm nit so trewlich auff riff. Jr hern, die meid kan ich verschneiden, So sie dez nachtez hunger leiden Vnd fil dez dagz dar vm auß draben Do hin, do sie jr pulschafft haben, Dar durch, jr frawen vnd jrem hern, Versaumpt wirt kochen, peten vnd kern. Einer sulchen [thet] geb ich steur vnd ret, Das sie jm gar kein gut mer det. So hört mich jeger meinster auch! Mich heist gar mancher jeger ein gauch, Den kost ein wilt zu fahen mer, Dan do ich mich ein jar von ner, Vnd ich fach mer willtz dan seiner hundert, Dar vm hört einß, daß mich verwundert, Daz jr offt weit nach wilpret schikt. Ja, wan jr euch mit mir zu flikt, Jch wolt euch sein allweg zu einem mol dan messen, Jr het all samen ein gancz jar dran zu essen. Jr hern, mit leken, paden vnd krawen Kan ich versehen die meid vnd die frawen Vnd mich so wol mit jn zu fliken,

X 25v

F 99, 121–128

KF 794

F 99, 143–150

X 26r

F 99, 182–193

135 manch: Flexivausfall des Gen. Part. 135 maß: entweder ‚Frist‘ oder aufgrund fem. Art. ‚Messe‘. 137 meid ‚Dienstmagd‘ 137 verschneiden: ‚kastrieren; befriedigen‘; da die Rolle, die in F 99 explizit als nunen machen: ‚Sauschneider, Kastrierer‘ ausformuliert wird, für den Zuschauer durch den Text allein nicht erkennbar ist, liegen zunächst beide Bedeutungen nahe, es sei denn, der Akteur ist mit beruflichen Insignien ausgestattet wie Adlerflaum am Hut (siehe Endkommentar). 142 peten ‚Betten machen‘ 143 steur vnd ret ‚Rat und Tat‘ 144 ‚Damit sie ihm [ihrem Liebhaber] gar keine Wohltat mehr täte.‘ 145–154 Die Stadt Nürnberg beschäftigte einen hauptamtlichen Hundsschläger, der notwendig geworden war, nachdem die Belästigung durch herumstreunende Hunde überhand genommen hatte (vgl. Mummenhoff: Krankenpflege, S. 10f.). Der Hundsschläger oder Schinder zählte zu den am meisten geächteten Berufen (vgl. Danckert: Leute, S. 167ff.). 146 gauch ‚Narr‘ 147 fahen ‚fangen‘ 152 sich mit einem zu fliken ‚sich bei jemandem beliebt machen‘ 153 sein messen ‚davon zuteilen‘ 155 leken ‚[in der Badstube] mit Zweigen schlagen‘ 155 krawen ‚abreiben mit Tüchern‘

143 geb] thet geb; thet gestrichen und geb über der Zeile nachgetragen Konjektur bei Keller (S. 794)

146 mancher] mamcher:

109 – Hans Folz: Ein Marktschreierspiel | 641

160

165

170

175

180

Daz sie mir offt jr potschafft schiken, Mit jn an sundern orten zu paden; Wo eine dan hat ein heymlichen schaden, Dar an jr mag kein gnug gescheen, Die kan ich seuberlich auch versehen Mit harm schawen, pusch greiffen vnd won jn pey Mit pflastern, salben, meyßeln vnd ander arczney. Dar an sie haben ein sulchz wol gefalln, Daz sie allz zu eim grossen not hellfer zu mir waln. Heran, hera〈n〉, heran, heran, Welcher hat ein bosen zan! Stök, storn, wie sie sint getan, Stumpf, die jn gein fleische stan, Die ich kunstlich gewinnen kan Vnd 〈laß〉 auch kein nit von mir gan, Jch ful jm for die luken schan Mit einr lat wergen, die ich han, Der ich mich zwar nit fast wil schemen, Wan ich pflig, sie auß meim eigen gewelb zu nemen. Ach, liber meinster, so schaut mir den zan Vnd hellfft mir seuberlich dar van, So wil ich ewers willns drum remen Vnd sollt ichz auß dem hintern nemen.

F 99, 196–202

KF 795

X 26v

F 99, 174–179

160 heymlich ‚verborgen‘ 160 schaden: ‚Wunde‘; hier: ‚cunnus‘ 161 ‚Woran ihr sonst nicht genüge getan werden kann,‘ 162 versehen ‚versorgen‘ 163 harm schawen ‚Harnschau‘ 163 pusch ‚Schamhaar‘ 163 peywonen ‚beistehen, helfen; beschlafen‘ 164 meyßel: Verbandsstoff, der außer zum Verbinden auch zum Ausstopfen von Wunden diente (DWb 12, Sp. 1984f.; Reallexikon, C 76). 166 not hellfer: Zusammenfügung einer Gruppe von vierzehn Heiligen, deren Verehrung und Anrufung seit dem 14. Jahrhundert bezeugt ist. 166 waln ‚pilgern‘ 169 Stök, storn ‚Zahnstümpfe, abgebrochene Zähne‘ 170 gein ‚gegen‘ 171 kunstlich ‚geschickt, kunstvoll‘ 171 gewinnen ‚ziehen‘ 173 for ‚vorher‘ 173 schan ‚schon; schön‘ 174 lat werge: ‚[Zahn-]latwerg‘ (Electuarium dentifricium), eine Mischung aus Zahnpulver und Honig, die noch im 20. Jahrhundert zur Zahnhygiene benutzt wurde (Moeller/Thoms: Real-Enzyklopädie 4, S. 592). 175 nit fast ‚kaum‘ 176 gewelb ‚Verkaufsgewölbe; Darm‘ 179 ‚So will ich mich deswegen eurem Willen beugen‘

162 darunter gestrichen: Mit harm schawen püsch greiffen vnd ander arczney 165 nach dar gestrichen: s 167 heran] hera: Konjekturvorschlag bei Keller (S. 794) 170 jn gein: Keller (S. 795) erwägt Konjektur zu jn dem; der Besserungsvorschlag basiert auf der Fehllesung gem. 172 laß] : Ergänzung nach F 99

642 | 109 – Hans Folz: Ein Marktschreierspiel

Kommentar Bezeugung X, Bl. 22r–26v

Ausgaben Keller: Fastnachtspiele II, S. 789–795 (= Nr. 105, nach X); Bd. III, S. 1525.

Textkritik Der Text ist unikal in Handschrift X überliefert. Er muss als Entwurf des später entstandenen Spiels F 99 gewertet werden. So fehlen Sprecheranweisungen bzw. Rollennamen, ferner weist die Struktur schwerwiegende Mängel auf (s.u.).

Autor Hans Folz wird wegen Parallelen zu anderen seiner Werke und aufgrund der Tatsache, dass er der Schreiber der vorliegenden Fassung ist, als Verfasser des Spiels angesehen (vgl. Janota: Art. ‚Hans Folz‘, Sp. 772f., 781); anders Simon: Fastnachtsspieltradition, S. 19, der das Spiel aufgrund von Verschreibungen lediglich für eine durch Folz vorgenommene Abschrift hält. Die dort vorgebrachte Argumentation verfängt nicht, da Abschriften und Überarbeitungen von älteren Textbausteinen sowie die darin angelegten Möglichkeiten für Verschreibungen für das literarische Schaffen des Hans Folz auch andernorts anzutreffen sind (vgl. auch Keller: Fastnachtspiele, S. 1446 und Folz: Meisterlieder, S. X).

Datierung Handschrift X entstand zwischen 1470 und 1480 (vgl. Janota: Hans Folz, S. 77f.; Simon: Fastnachtsspieltradition, S. 19; Fischer: Hans Folz, S. 226).

Rollen, Inhalt, Struktur Rollen: Siehe Tabelle unten. Der Schlotfeger eröffnet das Spiel mit der Schilderung seiner beruflichen Tätigkeiten, es folgt der Korbmacher. Erst dann beginnen die Ausführungen des Einschreiers und völlig deplatziert im direkten Anschluss daran die des

109 – Hans Folz: Ein Marktschreierspiel | 643

Ausschreiers. In den folgenden Reden der Handwerker werden bürgerliche Untugenden (Spielsucht, Betrug, Faulheit) thematisiert und sexuelle, skatologische oder auch lukullische Absurditäten präsentiert. Das Spiel gehört zur Gruppe der Reihenspiele, wobei das Schema an einer Stelle kurz durchbrochen wird, als der Zahnausreißer als einziger tatsächlich einen Kunden findet und sich ein rudimentäre Dialog entwickelt. Deutungsaspekte: Die Figuren sind allesamt Vertreter mehr oder minder unehrenhafter Berufe. Im vorliegenden Spiel werden jedoch nicht die Tätigkeiten selbst verhöhnt, diese dienen vielmehr als Aufhänger für in erster Linie skatologische und sexuelle Späße. So bieten die Lebensmittelverkäufer aus Exkrementen hergestellte Backwaren feil, und der Korbflicker sowie der Kesselschmied wollen außer an den reparaturbedürftigen Haushaltsgeräten auch an den Hausmädchen Hand anlegen. Daneben würfelt der Würfelverleiher, der Krämer ist ein Betrüger und der Wächter ein Blender. Die phantasiegeladene Ausgestaltung des Nichtangemessenen feiert das fastnächtliche Prinzip der verkehrten Welt. Die Ein- bzw. Ausschreierreden sind wie bereits dargelegt wenig sinnvoll zwischen der zweiten und dritten Redepartie positioniert. Da die beiden Reden in der Handschrift auf einem einzigen Blatt stehen und sich auf dieser Seite kein weiterer Sprechtext findet, erscheint es naheliegend, dass es sich bei der vorliegenden Version des Spiels um ein Manuskript auf losen Blättern handelt, das die Einzelteile, aber nicht die Struktur des Stücks führt. In der Sammelhandschrift konnten diese Blätter dann nicht angemessen in Serie gebracht bzw. an Anfang und Ende platziert werden. Hierin schlägt sich das bewusst angewandte Prinzip der Materialsammlung als Arbeitsschritt nieder, der einem strukturierenden Arrangement vorgeschaltet ist. Aufführungshinweise: In Anbetracht des provisorischen Charakters von F 109, der über eine lose Materialsammlung kaum hinausgeht, bleibt es sehr fraglich, ob der Text in der vorliegenden Form tatsächlich jemals dramatisch realisiert wurde. Die folgende Tabelle soll einen Überblick über die auftretenden Figuren im vorliegenden Spiel sowie F 99 bieten und Unterschiede der beiden Fassungen in Hinsicht auf Sprecherreihenfolge und Namensgebung verdeutlichen. Die Reihenfolge ist die der Auftritte in F 99, am Ende der Tabelle werden Figuren gelistet, die vom Einschreier zwar angekündigt werden, denen jedoch kein Text zugewiesen wird.

644 | 109 – Hans Folz: Ein Marktschreierspiel

Name

Beruf

Der einschreÿer – Tiltapp Korbflicker Sewtut Hohlhippenverkäufer (Würfelverleiher) Lantschalk Krämer Fleuchdenzol Söldner, Wächter Gotz SpeckSpeckkuchenkuch verkäufer Fridlapp Fladenverkäufer

F 99

F 109

Ankündigung des Einschreiers

1 (Z. 2–14) 2 (Z. 15–28) 3 (Z. 29–38)

3 (Z. 21–32) 2 (Z. 11–20) 7 (Z. 65–72)

– F 99, F 109 F 99, F 109

4 (Z. 39–48) 5 (Z. 49–58) 6 (Z. 59–70)

8 (Z. 73–80) 10 (Z. 91–98) 9 (Z. 81–90)

F 99, F 109 F 99, F 109 F 99, F 109

7 (Z. 71–82)

5 (Z. 45–54)

F 99 (als ‚Lullapp‘), F 109 F 99, F 109 F 99, F 109 F 99, F 109 F 99, F 109 F 109 (als ‚Schlotmok‘), F 99 (fehlt bzw. als ‚Fiselman‘) F 99, F 109 F 99, F 109 F 99, F 109 F 99, F 109

Pirnkuntz Feltrud Schlauraff Taüfter Jud Schlotmarck

Kuchenverkäufer Lumpensammler Kesselschmied Kastrator Schornsteinfeger (Klistierer)

8 (Z. 83–94) 9 (Z. 95–106) 10 (Z. 107–118) 11 (Z. 119–128) 12 (Z. 129–140)

6 (Z. 55–64) 11 (Z. 99–108) 12 (Z. 109–118) 15 (Z. 137–144) 1 (Z. 1–10)

Kalbßewtter Stuͦ dvol Ginloffel Sewfridel

Hundsschläger Weinkieser Nachtwächter Kunde des Zahnausreißers Bader Zahnausreißer – Rötelverkäufer – –

13 (Z. 141–150) 14 (Z. 151–162) 15 (Z. 163–172) 16 (Z. 173–179)

16 (Z. 145–154) 13 (Z. 119–128) 14 (Z. 129–136) 19 (Z. 177–180)

17 (Z. 180–193) 18 (Z. 194–204) 19 (Z. 205–217) 20 (Z. 218–229) – –

17 (Z. 155–166) 18 (Z. 167–176) 4 (Z. 33–44) – – –

Schweinßor Ebertzan Außschreÿer Rotelstein Sutzelmar Weÿdenstock

F 99, F 109 F 99, F 109 – – F 99, F 109 F 99, F 109 (fehlt bzw. als ‚Lullars‘)

Textbezüge Das vorliegende Spiel ist, wie bereits geäußert, als Rohfassung von F 99 anzusehen, dies lassen nicht zuletzt auch metrische Ungenauigkeiten und lexikalische Defizite vermuten. Einer der Hauptunterschiede besteht in der Reihenfolge der Reden. In F 99 wurden diese in eine sinnvoll erscheinende Abfolge gebracht, mit dem Einschreier zu Beginn und dem Ausschreier am Ende, nur noch gefolgt von Rotelstein, der jedoch eine Sonderstellung einnimmt, wie im Kommentar zu F 99 ausgeführt ist. Zudem wurden den Rollen in der späteren Bearbeitung Namen zugewiesen, die für den Spielleiter in den Proben und der Inszenierung unverzichtbar waren. Auf der anderen Seite wurden die Reden des Zahnausreißers und seines Kunden voneinander getrennt, sodass der Kunde nicht nur vor dem Zahnausreißer spricht, sondern zusätzlich noch die Re-

109 – Hans Folz: Ein Marktschreierspiel | 645

de des Baders dazwischen geschoben wurde. Außerdem treten in beiden Versionen mehrere Figuren direkt nacheinander auf, deren Reden inhaltlich starke Parallelen untereinander aufweisen, z.B. der Fladen- und der Kuchenverkäufer in F 109 (Z. 45– 64) und der Speckkuchen-, der Fladen- und der Kuchenverkäufer in F 99 (Z. 59–94). Dies lässt vermuten, dass dem jeweiligen Spielleiter hier verschiedene, thematisch ähnlich gelagerte Rollen als Versatzstücke zur Auswahl angeboten wurden, die dieser zum Zweck der Aufführung letztlich selbst in die gewünschte Reihenfolge zu bringen hatte. R 28 ‚Küchenspeise‘ thematisiert ebenfalls eine merkantile Situation, dort stehen allerdings keine Dienstleistungen, sondern ausschließlich Lebensmittel unterschiedlicher Provenienz zur Disposition. Die Abwicklung der Verhandlungen in ‚Der Hasenkauf‘, F 93, ist auf die Darstellung der Bezahlung eines einzigen Handelsguts reduziert. In F 101 ‚Der törichte Tausch‘ schließlich wird der Handel in toto als höchst zweifelhafte Form des Broterwerbs gezeichnet und die betrügerischen Maßnahmen der Verfälschung oder Streckung von Lebensmitteln fokussiert. Die Einarbeitung von Fäkalien in die Lebensmittelproduktion wird ähnlich leidenschaftlich in F 91 ‚Das Spiel vom Dreck‘ dargelegt. Bearbeiter: Greil, Przybilski, Ritz

110 – Hans Folz: Ein Bauerngericht

5

10

KF Nr. 112

Ein faßnacht spil von einem pawrn gericht Hans Foltz

f 1r KF 956

Der ein schreyer:

f 1v

Got gruͤ s euch, liebs folck als gemein! Es ist zu euch gelegt herein Ein recht, das wirdt man hin besitzen. Wer, yemant het mit falschen litzen Vnrath, freuel vnd schaden than, Der gebs den schoͤ pffen zu uerstan. So sol man jm ein vrteyl sprechen, Das er sich mag an schwert schleg rechen.

F 100, 3f.

Der erst klager:

15

Herr richter, ich klag uͤ ber mein nachtpawrn, Der nachts thuͤ t an mein fenstern lawrn Vnd helt sich gantz in einer stilln Vnd das vmb zweyer sachen willn: Die erst, ob ich als truncken wer Vnd redt den schoͤ pffen an jr er Vnd straffet sie an jrem eyd, Des jr mir hart vertruͤ get beýd.

3 als gemein ‚alle miteinander‘ 5 ‚Ein Gericht, das man hier drinnen abhalten wird.‘ 6 litze (zu mhd. liz): ‚Laune, Eigenart‘ 7 Vnrath ‚Unfug‘ 7 freuel ‚Rechtsverletzung‘ 7 than: Zum Part. Prät. von tun ohne Präfix vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 147. 10 an schwert schleg: ‚ohne Messerstechereien‘; im Mittelalter waren Auseinandersetzungen mit Stichwaffen an der Tagesordnung. Das Zücken des Messers wurde als rituelle Beendigung des vorausgegangenen Wortgefechts verstanden (vgl. Schuster: Frieden, S. 96–118). 12 nachtpawr: Variante zu nachbar, das t wurde erst im 15. bis 17. Jahrhundert teilweise sekundär eingefügt (vgl. DWb 7, Sp. 22). 13 lawrn ‚lauern‘ 18 ‚Und ob ich ihre Amtsführung tadelte,‘ 19 hart vertruͤ gen ‚kaum hinnehmen‘

1 Das Titelblatt trägt einen Holzschnitt, der vier Bauern vor einer Gerichtsbank zeigt, auf der drei Personen sitzen. 1 einem] eimem: Konjekturvorschlag bei Keller (S. 956) 6 litzen: Keller (S. 956) erwägt Konjektur zu listen oder witzen; ein Eingriff erscheint nicht notwendig, s.o.

648 | 110 – Hans Folz: Ein Bauerngericht

20

Das ander, ob ich dan nit ließ Vnd in ein gots verreter hieß, Das er dan lang zeyt ist gewesen, On was ich jm sunst her moͤ cht lesen. Der erst antwortter:

25

30

Herr richter, eins bescheydet mich: Ist er ein kleiner schalck dan ich, Der einen grossen kennen kan? Was gibt er dar bey zu verstan? Er darff mich leicht mit recht anlangen, Wir truͤ gen wol wasser an einer stangen.

f 2r

KF 957

Der richter: Ir schoͤ pffen, vrtheylt vmb die sach, Das man das recht dest kuͤ rtzer mach. Der erst schopff: 35

40

Ich vrtheyl: wer also stet losen, Zu pruͤ fen der lewt heymlichs kosen, Das man von oben mit eym dopff Vol drex jm seuͤ sset auff den kopff Vnd er den drey tag dran muͤ st tragen, Das man solchs west von jm zu sagen. Der ander schopff:

45

Ir herrn, das wer ein leckerey! Ein anders ich vrtheyl darbey: Wo wir zu negst an einer zech sein, Das sie ein weck vnd vier maß wein

f 2v

20 lassen ‚unterlassen‘ 23 On ‚Abgesehen davon‘ 23 herlesen ‚vortragen, zur Last legen‘ 24 antwortter ‚Angeklagter‘ 26 kleiner: ‚kleinerer‘; zur scheinbar endungslosen Form des Komparativs Nom. Sg. vgl. Paul: MhdGr, § 203. 29 anlangen ‚belangen‘ 30 Die sehr verbreitete Redensart mit der Bedeutung ‚vom gleichen Schlag sein, mit jemandem gemeinsame Sache machen‘ konnte positiv wie negativ gebraucht werden (vgl. DWb 17, Sp. 802; TPMA: Wasser, 16. 17). 35 stet losen ‚stehen, um zu lauschen‘ 36 pruͤ fen ‚genau anhören‘ 36 kosen ‚Gerede‘ 38 seuͤ ssen ‚sausen lassen‘ 40 ‚Dass man dadurch seine Schandtat wüsste.‘ 42 leckerey ‚Leckerei; Schelmerei‘ 44 zu negst ‚als Nächstes‘ 44 zech ‚gemeinsames Mahl‘

110 – Hans Folz: Ein Bauerngericht | 649

Pringen vnd mit vns drein zechen. Ich weyß kein pesser recht zu sprechen. Ein ander klager:

50

55

Ir herrn, ich klag uͤ ber den folln: Wan er des nachts zu hauß sol trolln, So schleicht er mir auff meinen mist, Schuͤ t rauß, was in seym koͤ rper ist, Vnd macht ein gesmack vor meinr thuͤ r, Das ichs zu oͤ berst in der kamer spuͤ r.

R 65, 68

Der antwortter: Ir herrn, ich thu jms zu dienst vmb das, Das er sein ecker thung des pas Oder ein schwein darmit erner Vnd mich dan mit den wuͤ rsten er.

60

R 65, 46

R 65, 79

KF 958

Der richter: Ir schoͤ pffen, richt die sach pald auß, Das man dem wirt schier laß sein hauß. Der vrtheyler:

65

Ich sprich: wer solch marckstein thuͤ t setzen, Das man sein zen darin solt wetzen Vnd sein payd packen dar mit fulln, Dar mit sie solches puͤ ssen sulln.

f 3r

46 drein: Hier sind zwei Bedeutungen denkbar. Zum einen kann es sich um ein präfigiertes Verb dreinzechen: ‚kräftig reinhauen‘ handeln, zum anderen kann drein für die flektierte Form des Zahlworts drei stehen. Auf dem Titelholzschnitt werden drei Personen auf der Richterbank gegenüber den Bauern dargestellt, die als Richter und zwei Schöffen aufzufassen sind. 49 folln: Entweder zu voll: ‚Vollgefressener, Betrunkener‘ oder zu mhd. vâlant: ‚böser Geist, Teufel‘. 50 trollen ‚sich begeben, aufhalten‘ 53 gesmack ‚Gestank‘ 58 Im Spätmittelalter war es verbreiteter Glaube, Schweine ernährten sich von Kot (vgl. Gerhardt: Diätetik, S. 8, Anm. 15; S. 56f., Anm. 107; Klinkow: Spielkartenmakulatur, S. 93–96). 59 eren ‚beehren, beschenken‘ 61 richt die sach pald auß ‚bringt den Streitfall zum Abschluss‘ 65 Zur Zahnpflege nutzte man vorzugsweise Salbeiblätter, teilweise gab es bereits Zahnpulver (vgl. Heyne: Bücher 3, S. 90f.); insbesondere die letztgenannte Methode zur Erhaltung der Zähne kann als Ausgangspunkt für die vorliegende Sanktionsmaßnahme gesehen werden.

650 | 110 – Hans Folz: Ein Bauerngericht

Ein ander schopff:

70

75

80

Ein dreck, was kewstu von dem ding. Ein anders ich dar bey fur pring Vnd vrtheyl: so vns eins ser duͤ rst, Das sie vns bayd schicken jr wuͤ rst Vnd pring yeder ein schweinen praten, Do well wir guͤ ts zun sachen rathen.

R 65, 88f.

Ein klager: Ir herrn, ein sach mich diser zeýcht Vnd spricht, ich sey meim weyb zu leicht, Wan ich muͤ g nymer oͤ pffel essen, Vnd hab mich jr newlich als vol gefressen, Das ich ein hauffen hinter mich legt, Der fur palsam vnd fur pysem schmeckt.

R 65, 98; R 68, 44; F 86I/II, 138

F 91, 76; F 111, 66

Der antwortter:

85

Ir herrn, ich hab es anders gemeint, Als sich dan an seym weýb erscheint: Die vindt man mer jns pfarrers hauß, Dan suchet man das gantz dorff auß. Wie vil sie zu dem ein thuͤ t fliehen, Noch muͤ ß der narr die kinder ziehen.

f 3v

69 dreck ‚Mist, Schwachsinn‘ 69 kewstu ‚schwätzt du‘ 71 eins ‚einmal‘ 71 dürsten: Zur über die Zufuhr von Flüssigkeit hinausgehenden Bedeutung ‚gelüsten‘, hier: ‚hungern‘; vgl. auch F 108, Z. 740. 73 schweinen praten: Die Form schweinen praten ist durch Kontraktion des Adjektivs schweinen und des Substantivs praten entstanden (vgl. DWb 15, Sp. 2444). 74 well: Zur Möglichkeit des Flexivausfalls der 1. Pers. Pl. Ind. Präs. insbesondere bei nachgestelltem Pronomen vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 94. 76 zeýchen ‚bezichtigen‘ 78 oͤ pffel essen mugen ‚potent sein‘ 81 fur ‚besser als‘ 81 pysem: Bisam bzw. Moschus wurde im 15. Jahrhundert als Duftstoff wie auch als Heilmittel genutzt. Da das Rohmaterial aus dem Genitaldrüsensekret verschiedener Tierarten gewonnen wurde, liegen Assoziationen mit Exkrementen nahe. So gebraucht Folz in seinem Reimpaarspruch ‚Die Wahrsagebeeren‘ (Folz: Reimpaarsprüche, Nr. 9, S. 60–72) pisem als Bezeichnung für Kot (vgl. Brandt/Fröhlich: Bisam). 81 schmecken ‚riechen‘ 84 sich erscheinen ‚sich zeigen‘ 86 außsuchen ‚durchsuchen‘ 88 Noch ‚Dazu noch‘

69 kewstu: Keller (S. 1528) erwägt Konjektur zu kenstu 72 vns: Keller (S. 958) liest vnd

110 – Hans Folz: Ein Bauerngericht |

651

Der richter: 90

Ir schoͤ pffen, secht die sach recht an. Mich duͤ rstet, machts kurtz, last vns gan.

KF 959

Der vrtheyler:

95

100

Ich sprich: welch man ein schoͤ ns weyb hat Vnd die zum pfarrer naschen lat, Der meint, jm freundtschafft kauffen mit, Der ich vil lieber lang gerit. Dan kurtz ich vrtheyl vmb die stoͤ ß, Das man sich morn zu samen gnoͤ ß Vmb zweý zum Halbwachsen hin auff, Do selbst man disen krieg versauff. Do solt jr zwen bezalen das trincken, So lang, piß wir an pencken hincken.

R 41, 40f.

Der tantz fordrer:

105

Plant, lieben herrn, es pleyb dar beý! Secht vmb euch, wo der spilman sey, Das man wol pald ein reyen pfeyff. Darnach ein yeder zum wein glas greyff

f 4r

94 naschen: Euphemistisch für koitieren (vgl. Müller: Schwert, S. 123f.). 95 jm: Zur Flexion des Reflexivpronomens vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 64. 96 geraten ‚verzichten‘ 97 stoͤ ß ‚Zank, Streitigkeiten‘ 98 sich zu samen gnoͤ ßen (zu mhd. genôzen): ‚sich zueinander gesellen‘ 98 morn ‚morgen‘ 99 Vmb zweý: Wegen der Besonderheit der Nürnberger Zeitmessung lässt sich diese Zeitangabe nicht genau mit einer heute gültigen Tageszeit bezeichnen (vgl. Bilfinger: Horen, S. 229–252). 99 Halbwachsen: Die Nürnberger Kaufmannsfamilie Halbwachs betrieb im 15./16. Jahrhundert in der Nähe des Rathauses, in dem das Bauerngericht tagte, die Weinschenke ‚Zum goldenen Hirsch‘ (heute Burgstraße Nr. 5). Offensichtlich erfreute sich das Lokal großer Beliebtheit, denn es wird auch in R 72, Z. 142 erwähnt (vgl. Schulz: Bürgerhäuser, S. 144 und 329). 100 krieg ‚Streit‘ 104 Plant: Entweder kontrahierte Form des Imperativs Plural von belassen: ‚Hört auf‘. Derartige Kontraktionen sind für as 15. Jahrhundert noch vereinzelt nachweisbar, meist für den oberdeutschen Raum. Die Interjektion blan: ‚wohlan‘ ist hingegen gut belegt, allerdings nur am Rhein sicher nachweisbar, was durch Folzens Herkunft aus Worms erklärt werden könnte (vgl. DWb 2, Sp. 62–64; Michels: Studien, S. 228; Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 150); vgl. auch F 88, Z. 528. 106 reyen ‚Tanz‘

652 | 110 – Hans Folz: Ein Bauerngericht

Vnd sauff nit mer, dan drin muͤ g sein, So schenckt man yedem ein folles ein. 110

115

Der ausschreyer: Ir herrn, got gesegen viech vnd lewt! Ob wir ein wenig vol sindt hewt, Das muͤ get jr dar bey verstan. Es ist nit oͤ l, das wir truncken han. Habt yetz verguͤ t. zum negsten me! Es ist zeit, das man heymwertz  ge. Ein ander pawr spricht:

120

125

130

135

Ir herrn, ich muͤ ß ýe auch drein speyen, Wie so offt eine jrn man thuͤ t zeyen, Er nasch zu andern weýben auß, Wie wol er sein gnug hab jm hauß. Dannoch lieb er die fremden mer, Der er hab weder nutz noch er. Do wil ich vier ding von erklern: Das erst, das er sie spart zun ern. Das ander, so sie stetigs wundert, Pey schoͤ nem weter plitzt vnd thundert, Dar durch er nach der thuͤ r sicht vmb, Das nit ein platz regen auff jn kum. Das drit, die nechst die er er sicht, Die jn an lacht, jm schoͤ n zu spricht, Von der fellt jm von stund an ein: Do moͤ cht ich uͤ ber nacht wol sein. Das vierd, wan er zu hauß dan kert, Das sie in als der tewfel an fert Vnd mit jrem gesicht zum hauß auß treybt, Das er ein stundt nit gern drin pleybt.

KF 960 f 4v

114 oͤ l: Typische Fastenspeise, hier kontrastiv zu den Ernährungs- und Trinkgewohnheiten zur Fastnacht. 115 ‚Jetzt nichts für ungut. Beim nächsten Mal mehr!‘ 118 ich muͤ ß ýe auch drein speyen ‚ich muss mich jetzt auch einmal auskotzen‘ 125 ern ‚pflügen, beackern‘ 126 wundern ‚phantasieren‘ 130 er sechen ‚erblicken‘ 132 von stund an ‚sofort‘ 136 gesicht ‚Anblick‘

110 – Hans Folz: Ein Bauerngericht |

140

653

Erst schreyt sie in als ein sawrs pier auß, Dar von sich aber hebt ein strauß. Wem mit solcher kurtz weyl sey wol, Dem bescher [sein] got hauß vnd hoff vol.

138 Die Redensart geht auf den Brauch zurück, den beendeten Brauprozess öffentlich auszurufen (vgl. Röhrich: Redensarten, S. 193). 139 strauß ‚Streit‘

141 ] sein: Das Possessivpronomen erscheint angesichts des Objekts, auf das es bezogen ist, deplatziert. Die Streichung behebt die metrischen Ungenauigkeiten nicht vollständig.

654 | 110 – Hans Folz: Ein Bauerngericht

Kommentar Bezeugung f, Bl. 1r–4v

Ausgaben Keller: Fastnachtspiele II, S. 956–960 (= Nr. 112, nach f); Bd. III, S. 1528f.; Spriewald: Folz-Auswahl, S. 51–55.

Textkritik Der Text ist unikal in Druck f überliefert.

Autor Als Autor wird auf dem Titelblatt von f Hans Folz genannt.

Datierung Der Druck f wird in VD 16, Bd. 7, F 1770 um 1520 datiert. Da Folz bereits 1513 verstarb, ist diese Angabe für den Zeitpunkt der Entstehung des Spiels wenig erhellend. Davon ausgehend, dass spätere Drucke Folzscher Fastnachtspiele im Normalfall Nachdrucke von Erzeugnissen seiner eigenen Offizin sind, die er von 1479 bis 1488 betrieb, wäre die Abfassung des Spiels auf vor 1489 zu verlegen (vgl. Rautenberg: Werk, S. 2f.). Im Spiel wird das willkürliche Vorgehen des Richters und der Schöffen parodiert, was darauf hindeuten könnte, dass Folz es vor den Rechtsreformen des Jahres 1479 verfasste (s.u.). Nopitsch datiert das Spiel auf 1470 und den ersten Druck auf 1474 (vgl. Will: Gelehrten-Lexicon, Bd. 5, S. 342), worin ihm Keller folgt (vgl. Keller: Fastnachtspiele, S. 1076). Für beide Datierungsvorschläge liefern jedoch weder Text noch Überlieferung weitergehende Anhaltspunkte.

Rollen, Inhalt, Struktur Rollen: Einschreier, drei Kläger, drei entgegnende Beklagte, ein Richter, zwei Schöffen/Urteiler, ein Ausschreier, ein Tanzforderer und ein Bauer. Im Anschluss an die eröffnenden Worte des Einschreiers ergreift der erste der Kläger das Wort und beschul-

110 – Hans Folz: Ein Bauerngericht |

655

digt seinen Nachbarn, dieser belausche ihn des Nachts. Jener entgegnet, der Kläger selbst stehe ihm in nichts nach. Der Richter leitet die Urteilsfindung an die Schöffen weiter, diese schlagen zunächst das kaum praktikable Ausbreiten von Exkrementen über dem Kopf des Lauschers vor. Der zweite Schöffe dagegen will die Kontrahenten ganz ohne Urteil ziehen lassen und fordert lediglich eine Gerichtsgebühr in Naturalien. Der nächste Kläger gibt an, sein Gegenüber entleere über Nacht seinen Darm auf der Hofstelle des Klagenden. Der Angeklagte verweist auf den Nährwert seiner Exkremente für Boden und Vieh. Wiederum fallen die Sanktionsmaßnahmen absurd aus (der Verursacher möge sich das Corpus Delicti in den Mund stecken) bzw. unterbleiben anstelle des Einforderns von Speis und Trank. Der dritte Kläger streitet die ihm unterstellte Appetitlosigkeit ab, erkennt jedoch die darin angelegte Sexualmetaphorik nicht. Der Beklagte legt den Sachverhalt dar, dass die Ehefrau des Klägers eine Liaison mit dem Pfarrer eingegangen sei. Der urteilende Schöffe will sich wiederum mit den Beteiligten auf ein Vertrinken der Strafe einigen. Tanzforderer und Ausschreier beenden das Geschehen, danach erörtert ein Bauer die Phasen einer ehelichen Entfremdung. Deutungsaspekte: Das Spiel parodiert eine Gerichtsverhandlung. Der Richter wirkt dabei ausgesprochen desinteressiert, er verweigert ein Urteil und wendet sich mit dürren Worten an seine Schöffen mit der Bitte um Urteilsfindung. Deutlich mehr Aufmerksamkeit als dem Gerichtsbeschluss widmet er einer zügigen Beendigung der Sitzung und einer raschen Verlagerung des Geschehens ins Wirtshaus. Seine Beisitzer bringen die für das Fastnachtspiel typische Phantasie bezüglich der Sanktionsmaßnahmen mit. Sie beantragen, den Beschuldigten mit Exkrementen zu bewerfen, oder ihn dazu zu zwingen, diese zu verschlingen. Am Ende behält jedoch stets die Gefräßigkeit der Schöffen die Oberhand: In jedem der drei Fälle wird entschieden, dass der jeweilige Verurteilte als Strafe die Mitglieder des Gerichts mit Speisen und Getränken zu versorgen habe. Hierin entspricht die Darstellung, wenn auch im Spiel komisch überzeichnet, durchaus der Realität des 15. Jahrhunderts, das gemeinschaftliche Vertrinken von Bußgeldern war weit verbreitet. Der Umtrunk, an dem neben dem Gericht ebenso der Exkulpierte wie auch der Verurteilte teilnahmen, war gleichermaßen Sanktionsmaßnahme wie auch Versöhnungsritual, immerhin handelte es sich bei den geahndeten Straftaten zumeist um geringe Vergehen. Bemerkenswert ist im Zusammenhang mit dem Verlangen des Richters und der Schöffen nach Speisen und Getränken ein Verlass des Nürnberger Stadtrats aus dem Jahr 1513, der diese anweist, „in den drei Stunden so sie zu sitzen schuldig seien ganz nicht zu essen, trinken oder zechen“ (Espig: Bauerngericht, S. 29). In späterer Zeit wurden die niederen Gerichte angewiesen, das Vertrinken der Bußgelder gänzlich zu unterlassen (vgl. Kramer: Art. ‚Bußen‘, Sp. 578), zu verlockend erschien die Möglichkeit, die Wahrheitsfindung dem leiblichen Wohlergehen unterzuordnen. Für Nürnberg ist eine derartige Aufforderung aus dem 16. Jahrhundert überliefert (vgl. Graf: Lage, S. 17), sie belegt die Aktualität der Thematik.

656 | 110 – Hans Folz: Ein Bauerngericht

Das Nürnberger Bauerngericht, zuständig für geringfügige Vergehen bäuerlicher Hintersassen des Nürnberger Umlandes (vgl. dazu im Einzelnen Espig: Bauerngericht), tagte jeweils samstags im Rathaus. Es setzte sich aus einem Richter und einer nicht festgelegten, von Fall zu Fall wechselnden Anzahl Schöffen zusammen. Söhne der städtischen Ratsherren konnten sich durch ihre Schöffentätigkeit an diesem Gericht für Aufgaben an höheren Gerichten oder gar im Rat selbst qualifizieren. Und so mangelte es beim Eintritt in dieses Bauerngericht den mit der Urteilsfindung beauftragten Schöffen in der Regel an juristischem Fachwissen, das sie während ihres Schöffenamts erst erwerben sollten. Das Nürnberger Rechtssystem des 15. Jahrhunderts muss als anachronistisch bewertet werden. Ursprünglich am ‚Schwabenspiegel‘ ausgerichtet hatte die Anzahl der einzelnen Vorschriften und Verordnungen im Verlauf des 14. Jahrhunderts stark zugenommen und war dadurch völlig unübersichtlich, teilweise sogar widersprüchlich geworden. In Verbindung mit dem Umstand, dass die Rechtsprechung obendrein unerfahrenen Laien oblag, die sich im Labyrinth der Einzelvorschriften selbst nur unzureichend zurechtfanden, waren verbindliche Urteile kaum mehr zu erwarten. Um diesen Missständen Abhilfe zu verschaffen, wurde das Nürnberger Recht im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts grundlegend reformiert. 1477 konstituierte sich eine Kommission aus Ratsmitgliedern und Berufsjuristen, die das bürgerliche Recht überarbeitete, zwei Jahre später trat das neue Recht in Kraft. Eine grundlegende Änderung betraf die starke Formalisierung des vormals eher informell verlaufenden Prozesses. Schriftliche Dokumente und Berufsjuristen beherrschten von nun an das Verfahren, ein Umstand, der für die Schöffen, die das alte System gewohnt waren, verwirrend gewesen sein muss. Möglicherweise ist Folzens Fastnachtspiel als Parodie auf dieses alte System zu verstehen. Es bestehen jedoch erhebliche Zweifel, ob die ironisierende Darstellung der Gerichtspraxis vergangener Tage als im weitesten Sinne politischer Text zu werten ist. Stärker als den Willen zur Veränderung atmet das Spiel den Wunsch nach skatologisch motivierter, komischer Unterhaltung sowie punktuell moralischer Unterweisung. Der Aufbau des Spiels wirft Fragen auf. So beenden Tanzforderer und Ausschreier das Spielgeschehen, Letzterer ruft sogar zum Aufbruch auf, bevor ein Bauer die dramaturgisch irrelevanten vier Phasen des Ehebruchs monologisch darlegt. Die Rede endet in einem minimal-priamelartigen Schluss, deren letzter Vers metrische Unreinheiten aufweist und semantische Probleme bereitet. Die Passage weist bezüglich des lexikalischen Inventars (ern, strauß, sawrs pier) gegenüber dem übrigen Folzkorpus eine gewisse Eigenständigkeit auf. Auch die Rede des Richters in Z. 90f. irritiert dahingehend, dass mehrere Schöffen angesprochen werden, das Spiel jedoch lediglich Text für eine weitere Person vorhält. Diese Mängel schaden der Inszenierbarkeit kaum, es gilt sie jedoch im Auge zu behalten, wenn man den Status des Drucks f einzuschätzen bzw. die Urfassung zu rekonstruieren beabsichtigt. Ein von Folz autorisierter bzw. in seiner Offizin hergestellter Druck kann derartige Schwachstellen kaum mitgebracht haben. Insofern erscheint es zumindest denkbar, dass der Drucker Hans Stuchs die

110 – Hans Folz: Ein Bauerngericht |

657

Rede eines weiteren Schöffen gegenüber dem Folzdruck strich, um stattdessen die abschließende Rede als eigenhändig verfasste Ergänzung dem Text beizufügen. Aufführungshinweise: Das Spiel ähnelt im Aufbau stark einer realen Gerichtsverhandlung, und so wird auch die Aufteilung der Bühne entsprechend einer solchen Situation angelegt sein. Der Aufführungsort, eine Gaststätte oder eine Bürgerstube, bot kaum eine erhöhte Spielfläche, und die Schauspieler verfügten weder über eine dramatische Ausbildung noch über eine geschulte Sprechstimme. Insofern könnte die Konfrontation der Beklagten mit dem Gericht dahingehend realisiert gewesen sein, dass auf der einen Seite der Spielfläche die in den Streitfall involvierten Bauern und auf der anderen die Vertreter der Jurisprudenz platziert waren. Eine mit dem Rücken zum Publikum vorgetragene Klage bzw. deren Entgegnung hätte den Stimmen der Laiendarsteller deutlich größere Probleme bereitet. Ein solches Arrangement ist ohne größeren Aufwand auf der Bühne zu installieren, was nicht zuletzt als Anlass für die große Verbreitung und Beliebtheit der Thematik im frühen weltlichen Spiel gesehen werden kann (s.u.). Ausgehend von der beschriebenen Praxis, dass sich die Söhne der städtischen Eliten ihre ersten Sporen in besagten Sitzungen erwarben, ist eventuell davon auszugehen, dass diese Rollen für die jüngeren Mitglieder der Schauspielrotte reserviert waren. Die Mimen der Klageführenden haben reichlich Gelegenheit, gestisch auf ihren Widersacher einzugehen, zahlreiche im Text angelegte direkte wie pronominale Bezugnahmen lassen hierfür Raum.

Textbezüge Gerichtsszenen finden sich in zahlreichen Fastnachtspielen (Vgl. R 7, R 10, R 11, R 26, R 27, R 30, R 40, R 41, R 46, R 50, R 52, R 57, R 64, R 65, R 68, R 70, R 74, R 76, F 87, F 100, und F 104). Es werden in diesen Spielen Themen verhandelt wie eheliche Untreue, übersteigertes sexuelles Begehren, die ausgiebige Darlegung bedingt rechtskonformer oder nicht praktikabler Sanktionsmaßnahmen sowie Genussfreude bzw. berufliches Desinteresse aufseiten der Gerichtsbarkeit. Dabei wird lediglich die äußere Struktur der Gerichtsverhandlung der Inszenierung derb-komischer Stoffe dienstbar gemacht, ohne dass das Verhandelte bzw. die verhängten Maßnahmen zwangsläufig juristischer oder justiziabler Natur sind. Im vorliegenden Fall werden mehrere dieser Muster aufgegriffen. So ergänzen sich die Schöffen in der phantasievollen Ausgestaltung der Bestrafung bzw. der Hingabe an lukullische Freuden, und auch der Aspekt sexueller Aktivität oder Passivität wird aufgegriffen. Der Verzehr von Exkrementen (vgl. Z. 65f.) findet sich in F 91, Z. 41f. sowie 55–61. Da offensichtlich gängige Praxis, wird öffentliche Defäkation prinzipiell geächtet (vgl. R 32, Z. 132–136, R 35, Z. 132–136, R 7, Z. 17f. und F 91). Vigil Raber bearbeitete das Spiel zusammen mit mehreren anderen Nürnberger Fastnachtspielen für Tiroler Spieltruppen, wobei weite Teile von ‚Ein Bauerngericht‘

658 | 110 – Hans Folz: Ein Bauerngericht

nur geringfügig abgeändert wurden (vgl. Simon: Anfänge, S. 165f.). Die Bearbeitung findet sich unter dem Titel ‚Ain vnzucht recht kurtz, Mit fünf personn‘ in Bauer: Sterzinger Spiele, S. 413–416. Grobianisch-absonderliche Bestrafungsphantasien als bewusste Abgrenzung von gängiger Rechtspraxis finden sich auch in R 26, R 27, R 41, R 47, R 57, R 64, R 70 und F 88. Bearbeiter: Greil, Przybilski

111 – Hans Folz: Von einem Arzt und einem Kranken KF Nr. 120

5

10

Ein faßnachtspil von einem artzt vnd einem krancken

b 1v KF 1N

Ein schreyer:

b 2r

Liebs volck, seyt als sampt gegruͤ st! Wo vind wir einen, der vns puͤ st Ein kranckheit hie an disem man? Welchs ist der meyster, der solchs kan? Man hat vns wunder von jm geseyt, Wie er so trewlich eins bescheyd. Ach, weyst vns in! wo mag er sein? Ein pawr spricht: Hat dich der tewfel tragen rein? Jch doͤ rst euch wol als vngluͤ ck fluͤ chen, Das jr ertzney woͤ lt hinnen suchen. Geheyt außhin, aller ritten namen!

15

Des kranken weyb spricht: Ach, herr, verschmecht nit den lamen

4 vind: Zum Flexivausfall der 1. Pers. Pl. Ind. Präs. bei nachgestelltem Pronomen vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 94; vgl. auch Z. 353. 4 puͤ sen (zu mhd. büezen): ‚durch bessernde Hilfeleistung beseitigen, heilen‘ 6 meyster ‚Magister, Gelehrter‘ 7 geseyt: Zum möglichen Palatalausfall in kontrahierten Formen vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 87. 8 eins ‚einen, jemanden‘ 8 bescheyden: ‚Bescheid geben‘; zur Flexion der 3. Pers. Sg. Ind. Prät. vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 110–111. 11 tragen: Zum Präfixausfall des Part. Prät. vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 87. 12 doͤ ren (zu mhd. turren): ‚wagen‘ 13 hinnen ‚hier drinnen‘ 14 Geheyt (zu mhd. hîwen): Semantisch offen, ursprünglich ‚sich verheiraten‘, später obszön ‚sexuell verkehren‘ sowie derbe für ‚plagen‘ und ‚sich entfernen‘, hier: ‚Verpisst euch!‘, vgl. Z. 133, 323. 14 aller ritten namen: Von der ursprünglichen Bedeutung ‚Fieber‘ für rite losgelöste, festgefügte Verwünschungsformel; vgl. Z. 364. 16 lam ‚kraftlos‘

1 Auf dem Titelblatt befindet sich unter der Überschrift ein Holzschnitt, auf dem ein Arzt in einem Saal einem Mann gegenübersteht, der von einer Frau und einem weiteren Mann gestützt wird. Der Arzt hält der Gruppe erläuternd ein Harnglas entgegen. Im Hintergrund ist ein kübelartiges Gefäß mit Deckel zu erkennen.

660 | 111 – Hans Folz: Von einem Arzt und einem Kranken

20

25

30

Vnd vngesunden, krancken man! Hoͤ rt doch, es kam in also an: Er hat die laffscheyssen gehat, Das macht jn in dem ars als frat, Das jm das hemd stet pecht darein. Sechts warzeichen, lieben freundt mein, Vnd sunst auch ein mercklichen schaden. Secht, wie rintz jm uͤ ber die waden. Noch hat er vor dem hindern ein gschicht, Als wer jm ein rosschwantz einhin picht, Vnd hangen jm so vil wulgern dran, Das er weder gen noch ligen kan, Als schlegeln sie jm vmb die bayn.

b 2v KF 2N

Der pawr: Ja freylich, das ist ýe nit nayn: Als er ein estrich daruor hat. Solt er ein furtz thuͤ n in einr nath, Es muͤ st jm ee der pauch zu reyssen!

35

Der kranck: Ach, lieben freundt, ich wolt gern scheyssen! Helfft mir doch pald auff den kuͤ bel!

19 laffscheyssen: ‚Durchfall‘; entweder zu mhd. laffen in der Bedeutung 17 kranck ‚schwach‘ ‚schlürfen‘, zu mhd. loufen in der Bedeutung ‚laufen‘ (vgl. Tirolisches Idiotikon, S. 358) oder zu mhd. lâ in der Bedeutung ‚schlaff, laff‘. Die Bedeutung ‚Angstschiss‘ aus FrnhdWb 9, Sp. 57 erscheint aus dem vorliegenden Zusammenhang heraus wenig zwingend. 20 frat (zu mhd. vrat): ‚wund, entzündet‘ 21 stet ‚stets, ständig‘; vgl. Z. 45, 170 21 pechen (zu mhd. bichen): ‚mit Pech bestreichen, kleben‘ 22 warzeichen ‚die Zeichen, die es bewahrheiten, Beweis‘ 22 lieben freundt: Zur Verwendung des indeterminierenden Anredenominativs vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 41. 23 schaden ‚Beeinträchtigung‘ 25 Noch ‚Dazu noch‘ 25 gschicht ‚aus mehreren Schichten bestehende Anhäufung‘ 26 pichen: Entweder zu mhd. bichen: ‚kleben‘ oder zu mhd. bicken: ‚stecken‘. 27 wulger (zu mhd. wulgern, walgern): ‚drehen, vermengen‘; hier: ‚Exkrement in Wurstform‘ (vgl. Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 786.), vgl. Z. 313. 29 Als ‚So‘ 29 schlegeln ‚baumeln‘ 31 das ist ýe nit nayn ‚das ist tatsächlich wahr‘ 32 estrich ‚Boden-, Steinplatte‘ 33 nath: ‚Not, Bedrängnis‘; zur Schreibung a anstelle von o bzw. umgekehrt vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 18 bzw. 22, vgl. auch Z. 73, 177, 304 und 327; die geringe phonetische Opposition der beiden Vokale wird auch in den Reimen der Z. 243 und 244, 282 und 284 sowie 392 und 393 deutlich. 34 zu reyssen ‚zerreißen, platzen‘

19 laffscheißen: Keller (N, S. 1) erwägt Konjektur zu laufscheißen

111 – Hans Folz: Von einem Arzt und einem Kranken | 661

Der pawr:

40

Eý, nun glaub sein das fallenduͤ bel. Als du ein pech hawb hast dar vor, Bedoͤ rffstu wol einr gantzen or, Darumb so laß vns nuͤ r mit ruͤ .

b 3r

Die fraw:

45

Secht, hie ist ein negber dar zu, Do muͤ ß man jm stet vor mit porn. Der pawr:

50

Ach, lieben frundt, seyt vnuerworn. Dan wo die guͤ ß erst an wuͤ rd gen, Der tewfel moͤ cht dar vor besten, Sie wuͤ rd vns all darnider reyssen. Der kranck:

55

Ach, lieben freundt, ich muͤ ß ye scheyssen! Tragt mich hin auß ee fur die thuͤ r Oder leint mir hinten ein filtz dar fur, Dar mit das man mirs loch verstell.

39 fallenduͤ bel: ‚Fallsucht‘; hier ist sicherlich nicht die Epilepsie gemeint (vgl. Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 118f.), sondern der Durchfall. 40 pech hawb: Bei Befall des Kopfes durch Grind wurde das Haar vermittels eines mit Pech bestrichenen Pflasters herausgerissen (vgl. Krünitz: Encyklopädie, S. 20, 58f.; Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 203f.); hier ist wohl die übertragene Bedeutung ‚feste Verklebung, Verkrustung‘ gemeint. 41 Bedoͤ rffstu: Kontraktion der 2. Pers. Sg. Ind. Präs. bedürfen und des Personalpronomens; vgl. Z. 182, 192, 213, 231, 236, 250, 282. 41 or ‚Stunde‘ 44 negber (zu mhd. nabegêr): ‚Bohrer‘; vgl. Z. 291 47 vnuerworn (zu mhd. verwërren): ‚unerschrocken, beruhigt‘ 48 guͤ ß (zu mhd. güsse): ‚Schwall, Überschwemmung‘ 49 besten ‚bestehen, nicht vergehen‘ 54 leint: Imp. Pl. zu leinen in der Bedeutung ‚lehnen, stützen‘ oder zu legen; zwischenvokalischer Velarausfall (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 106) sowie Bildung des Imp. Pl. mit Nasal (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 94) waren seinerzeit verbreitet. 54 filtz: ‚Gewalkter Stoff‘, hier: ‚Hut‘; vgl. Z. 98, 99, 107, 175 55 verstellen: ‚verdecken, abdichten‘; 3. Pers. Sg. Konj. Präs.

55 loch] doch: Konjekturvorschlag bei Keller (S. 1529)

662 | 111 – Hans Folz: Von einem Arzt und einem Kranken

Der pawr:

60

Ach, halt nuͤ r vhest zu, lieber gsell! Behalt bey dir den warmen gast! Sich, das du kein füncklein daruon last. Wan du erfruͤ st sunst, kemst hin auß, Es ist yetzundt wol so kalt dauß. Die fraw:

65

Ja wol, muff, es hilfft werlich nit. Nempt ee die kruck, halt fur do mit! Dan hebt die naß jm an zu pluͤ ten, Weyß ich kein pysem hie so guͤ ten. Wers halt ein gantze apotecken, Der dreck wuͤ rd fur es alles schmecken.

KF 3N

F 91, 128, 228

b 3v

F 91, 76; F 110, 81 F 91, 17f.

Hie stossen sie den krancken mit der krucken von der panck. 70

Der kranck spricht: Habt fur, mein geseln, es get do hin! Der pawr:

75

Hart, hart, ich weyß ein guͤ ten sin: Legt jm paldt vntern ars ein kuͤ ß. Last sehen, ob man jms mit puͤ ß.

60 erfruͤ st (zu mhd. ervriesen): ‚erfrieren‘ 61 dauß ‚draußen‘ 63 muff (zu mhd. mupf): ‚Stinkstiefel, Griesgram‘ 64 kruck ‚Krücke‘ 66 pysem: Bisam bzw. Moschus wurde im 15. Jahrhundert als Duftstoff sowie als Heilmittel genutzt. Da das Rohmaterial aus dem Genitaldrüsensekret des Moschushirsches gewonnen wird, liegen Assoziationen zu Exkrementen nahe. So gebraucht Folz auch in seinem Reimpaarspruch ‚Die Wahrsagebeeren‘ (Folz: Reimpaarsprüche, Nr. 9, S. 60–72) pysem als Bezeichnung für Kot (vgl. Brandt/Fröhlich: Bisam). 68 dreck ‚Kot‘ 68 fur ‚mehr als‘ 68 schmecken ‚riechen‘ 71 fur haben: Ohne Objekt scheint das Verb defekt, hier wahrscheinlich in der Bedeutung ‚unterlassen, innehalten‘. 73 Haren ‚Hören‘ 74 kuͤ ß ‚Kissen‘ 75 mit ‚damit‘

73 Hart, hart: Keller (S. 1529) erwägt Konjektur zu Hört, hört; Umlaute sind jedoch im gesamten Druck nicht nachweisbar.

111 – Hans Folz: Von einem Arzt und einem Kranken | 663

Der kranck: Ach, lieben, schawt mir vor zum spunt, Ee jr mirs kuͤ ß hin vnter thunt, Das es an keinem ort nit rin. 80

Die fraw:

b 4r

Ach, secht, ob nit ein artzt sey hin. Der pawr:

85

90

Ach, hoͤ rt, der kranck lest pitten ser, Ob jrn ein arzet hinnen wer, Der jm sein wetagen moͤ cht lindern, Wer durch den prun oder den hindern, Vnd was durch die zwen weg gefil, Gibt er jm halbes, ob er wil, Oder lest jms als wider farn, Auff das man nichts duͤ rff an jm sparn.

KF 4N

Der artzet:

95

Jr herrn, ich bin beschiden rein Vnd sich, das das der kranck muͤ ß sein Vnd habt jr nit sein prunn gefangen, So bin ich gantz vergebens gangen.

77 spunt: ‚Spundloch‘, hier metaphorisch für ‚Arschloch‘. 78 thunt: Zur Flexion der 2. Pers. Pl. Ind. Präs. vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 94. 79 rinnen ‚hervor-, herausquellen‘ 84 jrn: Kontraktion von irgend 85 wetagen ‚Leiden‘ 86 Wer ‚Wäre [es]‘ 86 prun ‚Harn‘ 87 ‚Und was auf diesen beiden Wegen herauskommt,‘ 88 halbes: Es bleibt unklar, worauf sich die relative Mengenangabe bezieht, möglicherweise ist im Zusammenhang mit der Aufführungspraxis in einer Gaststätte eine Menge Weins gemeint, die die Akteure bei dem Wirt ordern. Die derb-komischere Lesart bezöge halbes bzw. in Z. 89 als auf die Ausscheidungen als absurde Form der Entlohnung des Arztes. 89 als ‚alles‘ 89 wider farn ‚zuteil werden‘ 92 bescheiden rein ‚herein bestellen‘ 94 Die Uroskopie war das meist angewandte Diagnoseverfahren des Mittelalters. Hierbei wurde der Harn auf Farbe, Schwemmteilchen, Bodensatz, Konsistenz, Geruch und Geschmack hin untersucht (vgl. LexMA 4, Sp. 1940). Entscheidend war, dass die Ausscheidungen vor äußeren Einflüssen wie Licht oder Wärme bis zur Diagnose geschützt wurden. 95 gangen ‚[hierher] gegangen, gekommen‘

84 arzet] atzet: Konjekurvorschlag bei Keller (N, S. 3); zur Verwechslungsgefahr der Typen t und r vgl. auch Z. 117 und 187.

664 | 111 – Hans Folz: Von einem Arzt und einem Kranken

Der pawr:

100

105

Herr, hie man euch den zeygen sol Vnd seins gemachs diß huͤ tlein vol. Doch ee der huͤ t euch werd enteckt, Das jr die kacheln vor beleckt. Dan wie er ýsst nuͤ r gerst vnd prey Mit einer guͤ tten specerey, Krawt vnd ruͤ ben, milch vnd schotten, Muͤ st ich ye dennoch ewer spotten, Wuͤ rd es euch stieben jn die naß, Darumb verstopfft euch all des paß.

b 4v

Er schawt zum prunn vnnd schmeckt zum hut vnd spricht:

110

Der prun, der ist zwar nit gar guͤ t. Wer dan das ay hat auß gepruͤ t, Dem pricht es in der hintern reyhen. Das nym ich auß, dem welt verzeyhen: Wer wolt ein solches ay bezaln, Wer es nit kumen an ein schaln? Der pawr:

115

Ach, herr, jr habts nit recht vernumen, Der dreck ist von dem krancken kumen.

98 gemach: Entweder zugehörig zum Verb machen in der Bedeutung ‚Gemachtes, getätigtes Werk‘ oder zum Substantiv gemach in der Bedeutung ‚Erleichterung‘; vgl. Z. 159. 98 Zum Hut als Gefäß zur Aufbewahrung von Exkrementen vgl. Gerhardt: Diätetik, S. 25; vgl. auch F 89. 99 entecken ‚aufdecken‘ 100 kachel: ‚[Nacht-]Topf‘ 100 belecken ‚abschmecken‘; der Diagnosevorschlag erscheint sinnlos, die Überprüfung des Kots mit der Zunge gehörte nicht zu den Verfahrensweisen der Koproskopie 101–103 Kraut, Rüben sowie Milchprodukte und Getreidebreie waren die grundlegenden Nahrungsmittel der Bauern. Sie zeichnen sich insbesondere durch schwere Verdaulichkeit aus (vgl. LexMA 1, Sp. 1573; Saalfeld: Landwirtschaft, S. 59–76; weitere Belege siehe Gerhardt: Diätetik, S. 74). 102 specerey ‚Gewürz‘ 103 schotte ‚Molke, Quark‘ 105 stieben ‚wie Staub umherfliegen‘ 106 paß ‚besser‘; vgl. Z. 122 108 zwar ‚wahrlich‘ 110 prechen ‚fehlen‘ 110 hintern reyhen ‚Hinterteil‘ 113 Eier ohne Schale zu scheißen bedeutet im Kontext der Narrheit, Unvollkommenes zu produzieren (vgl. Röhrich: Redensarten, S. 355).

111 – Hans Folz: Von einem Arzt und einem Kranken | 665

Der artzet: Jr habt kein torhait mit begangen, Das jr yeds habt besunder gfangen. 120

125

130

135

b 5r KF 5N

Die fraw: Ach, herr, wir habens drum gethan, Das jr des paß gebt zu verstan, Ob es jm ab seß in den magen, Das es in als jm ars thut nagen. Dar zuͤ so klagt er nuͤ r die lendt Vnd klendt vns freýlich do heim die went Mit beyden henden, wie er kan, Das wir vns all verwundern dran, Wo er die kunst des schreybens nam, So er doch in kein schuͤ l nye kam Vnd macht an federn die reinsten schmitz. Das jm der tewfel auffs tintnfaß sitz. Vnd eins geheyt vns all so wol: Wen er ein brieflein sigeln sol, So klaybt er eytlichs wachs daran, Es het ein schreyber ein jar dran. Der artzt: Sag, hastu nit zuͤ zeyten windt? Die fraw:

140

b 5v

Mein herr, das sagt etwen eim kindt. Als vnser hauß zu hadert stet,

119 besunder ‚gesondert, einzeln‘ 119 gfangen ‚aufgefangen, aufgehoben‘ 123 ab sitzen ‚absetzen, niederschlagen‘, hier: ‚verstopfen‘ 124 Das ‚Weil‘ 124 nagen ‚beißen, quälen‘ 125 die lendten klagen ‚über Bauchschmerzen klagen‘ 126 klenden (zu mhd. klënen): ‚beschmieren‘ 126 freýlich ‚unbekümmert‘ 131 schmitz ‚Strich‘ 132 Zu dieser Phrase vgl. Gerhardt: Diätetik, S. 64. 134 brieflein ‚kleine Urkunde‘ 135 klayben (zu mhd. klîben): ‚kleben, anhängen‘ 138 zuͤ zeyten ‚von Zeit zu Zeit‘ 138 windt ‚Darmwind, Blähungen‘ 140 etwen (zu mhd. ëtewenne): ‚vielleicht‘ 141 Als ‚Weil‘ 141 zu hadert ‚zerrissen‘, hier: ‚undicht, baufällig‘

117 Der] Det: Konjekturvorschlag bei Keller (N, S. 4)

666 | 111 – Hans Folz: Von einem Arzt und einem Kranken

Weyß ich, das windts genug drein get. Darumb thut jm der lufft so we. Der artzt: 145

Jch frag, ob er zu stuͤ l auch ge. Die fraw: Ach, lieber, lasset doch dar von. Was solt er doch zu schuͤ l erst gan, Er kam sein lebtag nye in kein.

150

Der artzt:

KF 6N

Ey, verstedts recht, wie ichs mein: Grympt es in nit, ye verstet, Dar durch er offt zu stuͤ le get? Die fraw: 155

Ach, herr, was sagt jr von den schwencken? Er get weder an stuͤ ln noch an pencken. Der artzt:

160

Mein zarte fraw, eins mich bericht: Sagt, get er seins gemaches icht Oder wie ýß darmit gestalt?

b 6r

143 lufft: ‚Zugluft‘; mask. Flexion neben fem. im Obd. bis ins Nhd. verbreitet. 148 erst ‚jetzt noch‘ 149 Mehrere Negationswörter heben einander nicht zwangsläufig auf (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § S 232). 152 Grymen (zu mhd. krimmen): ‚schmerzen, zwicken‘ 152 verstet Imp. Pl. 155 ‚Ach, Herr, was erzählt ihr für Geschichten?‘ 156 an ‚auf‘ 158 berichten: Mit Akk. bis ins 18. Jahrhundert nachweisbar. 159 icht ‚nicht‘ 160 gestalt ‚beschaffen‘

146 Die] Dei: Konjekturvorschlag bei Keller (N, S. 5)

111 – Hans Folz: Von einem Arzt und einem Kranken | 667

Die fraw: Secht, herr, er get wider gmach noch palt, Man muͤ ß in stets furn oder tragen. Der artzt: 165

Ach, als ein anders thu ich fragen Vnd west ye gern, wie es drum wer. Sagt, fartzt er oder scheyst er ser? Die fraw:

170

175

180

Ja, lieber herr, ist das die sach, Dem jr stet also fraget nach? Do thet er freýlich hewt ein schyß, Als der ein ochsen hawt zu ryß, Vnd in eim druck, so ichs sagn sol, Scheyß er ein gantze gelten vol. Das uͤ brig fieng ich in ein huͤ t, Ob es halt schad sey oder guͤ t, Das gib ich ewer kunst zu roten.

F 86I/II, 123f.

Der artzt:

b 6v

Hoͤ r, freundt, mich dunckt, dir smeck der oten Oder du sitzt sunst in eim schweyß?

KF 7N

162 palt ‚zügig, eilig‘ 166 wesen (zu 162 wider ‚weder‘ 162 gmach ‚gemächlich, langsam‘ mhd. wizzen): ‚wissen, erfahren‘ 170 Dem: Sache im Frnhd. neben fem. auch mask. 170 also ‚auf diese Art und Weise‘ 171 schyß ‚Furz‘ 173 in eim druck ‚mit einem Schlag‘ 174 gelte ‚Wasserkübel, Wanne‘ 176 Die Stuhlschau spielte im mittelalterlichen Diagnoseverfahren gegenüber der Harnschau eine eher untergeordnete Rolle. Man beurteilte den Stuhl nach seiner Größe, Konsistenz und Farbe sowie dem Auftreten von Flatulenz, Blut und Schmarotzern ( vgl. LexMA 3, Sp. 936). 176 schad ‚krankhaft verändert‘ 179 oten ‚Atem‘ 180 Neben der Harn- und Stuhlschau war die Untersuchung des Schweißes ein weiteres diagnostisches Verfahren. Die Analyse der Ausscheidung zielte auf Einschätzungen bezüglich der Verdauung und wertete Temperatur, Viskosität sowie zeitliches und lokales Auftreten des Schweißes während des Krankheitsverlaufs aus (vgl. LexMA 3, Sp. 935–939).

162 wider: Keller (N, S. 6) erwägt Konjektur zu weder; die vorgefundene Form ist im 16. Jahrhundert zumindest im Mitteldeutschen nachweisbar (vgl. DWb 27, Sp. 2834) und insofern dem aus Worms stammenden Folz potentiell geläufig, wenn auch die Verwendung im späteren Druck sich hierdurch nicht erklären lässt.

668 | 111 – Hans Folz: Von einem Arzt und einem Kranken

Sag, ist dir zu kalt oder zu heyß, Wie heltstu in dem selben dich? Der kranck:

185

Herr, het ich kuͤ nnen halten mich, So wer ich doch vor euch allen So schentlich nit vom panck gefalln. Der artzt: Sag mir doch schlecht, wie es dir ge. Der kranck:

190

Herr, druck ich flux, so gets dest ee. Der artzt: So sag mir aber, wie magstu? Der kranck:

195

Herr, da man mir mein weyb legt zu, Do mocht ich paß jm ersten jar Dan sider nýe, das glaubt fur war. Der artzt:

b 7r

Was ligt dir aber an? sag mir! Der kranck: 200

Mein herr, das schawet selber jr: Ein alts wames, ein zu risses hembd, Dem zwar die leuͤ ß nye warn frembd.

186 panck: Im Obd. im Frnhd. neben fem. auch mask. 188 schlecht ‚einfach, gerade heraus‘ 190 flux ‚flugs, sofort‘ 192 mögen ‚können, vermögen‘; hier: ‚Kraft, Gesundheit haben‘ 194 ‚Herr, als ich mit meiner Frau Beilager hielt,‘ 196 sider ‚seither‘ 198 anligen ‚bedrücken, belasten‘ 201 wames (zu mhd. wambeis): ‚Wams, Jacke‘ 201 zu risses: Die Tilgung des Partizipialflexivs -[e]n starker Verben ist die Ausnahme (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 87).

187 Der] Det: Konjekturvorschlag bei Keller (N, S. 7)

111 – Hans Folz: Von einem Arzt und einem Kranken | 669

Der artzt: Sag mir her schlecht, wo pistu kranck? 205

Der kranck: Secht, mein herr, hie auff diser panck. Der artzt:

KF 8N

Warumb doch auff der panck? sag an! Der kranck: 210

Herr, vmb den arß, wellet verstan, Wan ich wolt ymmer gern scheyssen. Der artzt:

215

220

Ein solchs soltu vorm volck verpeyssen! Dan ich riet dir vor alln dingen, Ee das wir kein ertzneý an fiengen, Das du dich vor gar eben peichtest, Dein hertz von alln sunden leichtest, So kumbt dir all ertzney zu gnist Vnd uͤ ber windts des tewfels list.

b 7v

Der kranck: Herr, er muͤ ß starck sein, halt ich wol, Der den tewfel uͤ ber winden sol. So bin ich yetz in solchen noͤ tten, Jch kuͤ ndt nit wol ein floch getoͤ ten.

213 verpeyssen ‚unterdrücken‘ 215 kein ‚irgendein‘ 216 gar eben ‚ganz und gar sorgfältig‘ 216 peichten: Reflexiver Gebrauch ist anderweitig nicht nachweisbar und semantisch kaum überzeugend. Insofern erscheint Besserung des Pronomens zu mir denkbar. 218 gnist ‚Nutzen, Genesung‘ 219 Flexion der 2. Pers. Sg. Ind. Präs. auf s noch im 15. Jahrhundert üblich (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 92). 221 halt ich wol ‚davon bin ich überzeugt‘ 224 floch ‚Floh‘

205 kranck] krancr: Konjekturvorschlag bei Keller (N, S. 7)

670 | 111 – Hans Folz: Von einem Arzt und einem Kranken

225

Der artzt: Noch dan wer peichten gar guͤ t mit. Der kranck: Ach, herr, ich kan sein werlich nit, Mir ist nye wol dar mit gewesen.

230

Der artzt: Kenstu nit eim priester her lesen, Was du poͤ ß hast begangen ye? Der kranck: Herr, ich lernet doch kein buͤ chstab nye.

235

b 8r

Der artzt: Hoͤ r, kenstu aber eim nit sagen, Was du ye tetest bey dein tagen?

KF 9N

Der kranck: Hoͤ rt, wes entguͤ lt das bey der nacht? 240

Der artzt: Wen du dan uͤ bels hest verbracht. Der kranck:

245

Do kan ich nit vil singen von, Secht jrs, do heym jm zuber stan, Was ich nuͤ r thet sider gestjrn, Knolln sam die grossen regel pirn. Jch mein, jr solt nit weyter fragen.

239 Entweder steht die Nacht hier symbolisch für das Ende aller Tage, das Jüngste Gericht, dann stünde der Vers in der Bedeutung ‚Was bringt mir das im Ernstfall?‘; eine andere Möglichkeit besteht darin, dass der Bauer auf Z. 237 Bezug nimmt und dem Arzt mit der Gegenfrage ausweichen will in der Bedeutung ‚Gilt das [auch] für das, was ich nachts getan habe?‘. 241 verbringen ‚vollbringen‘ 244 zuber ‚großes Wassergefäß‘ 245 gestjrn ‚gestern‘ 246 regel pirn: Birnensorte, hier wohl großes Exemplar der ansonsten eher kleinwüchsigen Regelbirne, vergleichend für die Größe und Form der Ausscheidungen (vgl. Hartmann: Farbatlas, S. 246).

111 – Hans Folz: Von einem Arzt und einem Kranken | 671

Der artzt:

250

Ey, sol ich[s] nit von wunder sagen! Sag, kanstus pater noster icht? Der kranck: Mein lieber herr, ein woͤ rtlein nicht. Der artzt:

b 8v

Das ist doch werlich vnrecht ye. 255

Der kranck: Herr, darumb wolt ich es lernen nye. Der artzt: Kanst aber das aue Maria? Der kranck:

260

Mein lieber trauter herre, ja. Jch habs ob hundert mal gelewt, Ob anders es ichts guͤ ts bedewt. Der artzt: Du solst kuͤ nnen peten, das dus wist!

265

Der kranck:

KF 10N

Ey, wen dan ein ding so gemein ist, Wist jr selbs wol, so veracht mans. So ist yetz schier kein pawr, 〈d〉er kans.

249 wunder ‚wunderliche, erstaunliche Dinge‘ 254 Seit dem Jahr 1200 forderten Synoden rechtsverbindlich die Kenntnis von Vaterunser, Ave Maria und Glaubensbekenntnis (vgl. ²LThK I, Sp. 1306f.). 261 ob ‚über‘ 261 lewten (zu mhd. liuten): ‚verlautbaren, ertönen lassen‘ 262 ‚Falls es zu irgendetwas gut ist.‘ 266 gemein ‚verbreitet, gewöhnlich‘ 268 schier ‚fast‘

249 ich] ichs; das kontrahierte Personalpronomen ist überflüssig. erfordert hier Relativpronomen statt Personalpronomen.

268 der] er; die Konstruktion

672 | 111 – Hans Folz: Von einem Arzt und einem Kranken

Der artzt: 270

Jst dir der glaub auch nit vermeint? Der kranck:

b 9r

Herr, nun ist man den ketzern drum feint. Der artzt: Die gehoͤ rn in ein fewr hin ein. 275

Der kranck: So wil ich auch vnuerworn mit sein. Der artzt: Du forchst got nit, als ich vernym. Der kranck:

280

Nun darff ich in kein kirch vor ym. Der artzt: O ho, wie pistu mir ein man! Der kranck: Jch wil michs an all dorffmeyd lon.

285

Die fraw: Mein herr, was duͤ rfft jr fragen ymmer? Er hat vorm arß ein solchs gewymmer Vnd ist jm durch ein ander geflossen,

270 glaub ‚das Apostolische Glaubensbekenntnis‘ 270 vermeinen ‚fest im Sinne haben‘ 276 vnuerworn (zu mhd. verwërren): ‚nicht involviert, nicht verwickelt‘ 278 forchst: Das DWb weist Dentalausfall neben Fulda auch für den Raum Coburg in ca. 60 Kilometern Entfernung von Nürnberg nach (vgl. DWb 4, Sp 696). 280 dürfen (zu mhd. durfen): ‚bedürfen, brauchen‘ 284 lon: Es bleibt unklar, ob zu mhd. lônen: ‚geben, gewähren‘ oder lazen in Verbindung mit an in der Bedeutung ‚sich verlassen‘. 287 gewymmer: Entweder zu mhd. wimmer in der Bedeutung ‚Schwiele, Narbe‘ oder zu gewimmer: ‚zusammengewachsenes Strauchwerk, Dickicht‘. 288 durch ein ander geflossen ‚ineinander gewachsen‘

111 – Hans Folz: Von einem Arzt und einem Kranken | 673

290

295

300

305

Als het man jm swartz pech drein gossen. So kan er kein stuͤ l selten han, Jch muͤ ß vor mit dem negber dran Vnd bin offt wol drey mal muͤ d worn, Ee ich ye durch das nest kundt porn. Wan ich dan eylent an mich zoch, So gieng ein so〈l〉cher schwal hernoch, Es het ein in gem winckel droffen. So bin ich ye wol vmb geschloffen, Ee das ich ein thamm hadern fandt. Wan ich dan lang daran verbandt, Wolt ich, das es nit tropffet mer, Nam ich ein heysse schaufel her, Hielt yms ein guͤ tte weyl hin an, Das hat mir ye gar guͤ tlich than. Darumb, mein herr, gebt vns ein roth, Wan es thet sicher nýe so no〈t〉h.

b 9v

KF 11N

Der artzt:

310

Fraw, wan man meysterschafft solt remen, So muͤ st er ein purgatzen nemen, Die jm den mist eins gar auß trib, Das nit die grundtsawff dinnen plib. Dann, fraw, das wirdt der sin sein: Gebt jm der pillulein funfftzig ein, Wulgert jms in eim hebren brey, Last jns eins mals verschlinden frey.

b 10r

290 selten ‚nie‘ 294 ‚Wenn ich dann zügig [den Bohrer] zu mir herauszog,‘ 296 gem: ‚jedem‘; zur initialen Schreibung mit g vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § L 48. 297 vmb schliefen ‚umherschlüpfen, umherrennen‘ 298 thamm hader (zu mhd. doumhader): ‚Lumpen zum Verstopfen‘ 304 roth ‚Rat‘ 307 remen (zu mhd. ræmen): ‚zielen, trachten nach‘; vgl. Z. 365 308 purgatzen: ‚Abführmittel‘ (vgl. Gerhardt: Diätetik, S. 62 und 71f.) 309 eins ‚mit einem Mal‘ 310 grundtsawff ‚Bodensatz, der letzte Rest‘ 310 dinnen ‘da innen‘ 311 sin ‚Rat‘ 312 pillulein: Diminutiv zu lat. pila: ‚Ball‘, hier in der Bedeutung ‚Kügelchen, Pille‘. 313 Wulgern ‚unterrühren‘ 313 hebren brey: ‚Haferbrei‘, typisch bäuerliche Mahlzeit (vgl. Heyne: Bücher 2, S. 323). 314 verschlinden ‚verschlingen‘

295 solcher] socher: Konjekturvorschlag bei Keller (N, S. 11) Keller (N, S. 11)

305 noth] noh: Konjekturvorschlag bei

674 | 111 – Hans Folz: Von einem Arzt und einem Kranken

315

Das wirdt ein jamer von jm treýben, Das sich die sew acht tag drum reyben. Der pawr:

320

Ach, last den schelm nuͤ r verderben! Jn sicht sein weýb nit vngern sterben, Er lebt offt wol so ubel mit jr. Der kranck:

325

330

335

340

Jch hab erst grosse lieb zu jr Vnd gheyt mich yetzund nichs als wol, Als das ich von jr sterben sol, Wan wir doch auff die trewe mein Vnser sach hewr gantz eins sein. Wan ee ich sie erwysch beim hor, So raufft sie mich allwegen vor. Zeuch ich sie dan piß zu der wendt, Dent sie mich an das ander endt Vnd helt yeds das ander beym schopff. Gib ich jr dan ein guts an kopff, So schlecht sie mir die fawst an grint, Das ich offt wen, ich sey erplint, Also schlecht mirs fewr zun augen rauß. Dan gib ich jr eins auffs red hauß Vnd per sie zu einr gutten schuͤ ssel, So gibt sie mir eins auff mein druͤ ssel, Das mir das maul feust groß geschwilt. Ob ich sie dan ein wenig schilt, So flucht sie, sich moͤ chtz erdtrich biegen. Vnd wan ichs zwentzigmal hieß liegen, Sprech sie als offt, ich het nit war.

KF 12N b 10v

F 98, 63f.

316 Die kotverschlingende Sau gehört in der Genregraphik der Zeit zu den Begleitern der Gefräßigen und Trunksüchtigen und findet sich häufig auch als Spielkartenmotiv (vgl. Eser/Schoch: Zockern, S. 72); vgl. F 91, Z. 140, 158 sowie F 108, Z. 743; vgl. Gerhardt: Diätetik, S. 8, S. 57. 322 erst ‚anfangs‘ 323 geheyen ‚plagen‘ 323 nichs als wol ‚nichts weniger als so erfolgreich‘ 326 hewr (zu mhd. hiure): ‚dieses Jahr, zur Zeit‘ 327 hor ‚Haar‘ 328 allwegen ‚immer‘ 329 zeuchen Nebenform zu ‚ziehen‘ 330 denen ‚zerren‘ 333 grint ‚[grindiger] Kopf‘ 334 wenen ‚wähnen, glauben‘ 336 red hauß: Gebäudeteil eines Konvents, in dem die Kommunikation mit Laien stattfand; hier: ‚Maul‘. 337 peren ‚schlagen‘ 337 schuͤ ssel: Hier metonymisch für ‚[eine Schüssel gefüllt mit] Brei‘. 338 druͤ ssel ‚Schnauze‘ 342 liegen ‚lügen‘

111 – Hans Folz: Von einem Arzt und einem Kranken | 675

Der pawr: 345

Man sagt mirs vor eim halben jar, Sie sewst mit gutten stein zu dir. Der kranck:

350

355

360

365

Lieber, so wuͤ rff ich wider zu jr, Das es offt an der gaß erhilt. Wir heýssens: der siben frewd gespilt. Wan trifft sie mich, so iß sie fro, Triff ich, so ist mir auch also. Fel wir dan oder wie jm sey, So ist alweg ein freud dar bey. Sprich ich dan zu jr: Schweyg du! So spricht sie: Esel, halts maul zu! Eßs ich dan etwas guts ýe gern, Des wil sie vorauß nit entpern. Eins reysts dem andern vom teler Vnd thet yeds nit gern ein feler. Wysch ich d〈a〉z maul, sie greyfft zum glaß. Dro ich jr dan schlag an die naß, Weyst sie mich paldt zum arß darmit. Vnd sein so eins als der hertz rit, Vnd remen vns des pesten lebens,

b 11r

KF 13N

346 sewsen: ‚sausen, zischen‘, hier wohl bezogen auf das Geräusch der geschleuderten Wurfgeschosse. 348 wuͤ rff: Die mhd. Ablautverschiedenheit zwischen Sg. und Pl. des Prät. war im 15. Jahrhundert noch nicht ausgeglichen (vgl. Reichmann/Wegera: FrnhdGr, § M 124). 349 erhellen (zu mhd. erhëllen): ‚erschallen‘ 350 siben frewd: Hans Folz bezieht sich hier auf die sieben Freuden Mariens, dem Gegenentwurf zu deren sieben Schmerzen, als Inbegriff der Glückseligkeit. Gleichzeitig liegt die Bedeutung frewd spiln als ‚Freude, Spaß [am Geschlechtsverkehr] haben‘ nahe (vgl. Kratz: Wortschatz, S. 410; Müller: Schwert, S. 137–142). In dieser Vermischung religiöser wie obszöner Momente innerhalb einer Phrase provoziert der Verfasser über das im übrigen Spielkorpus nachweisbare Maß hinaus. 353 felen ‚verfehlen‘ 358 vorauß ‚insbesondere‘ 358 entpern: ‚entbehren‘, mit Gen. üblich. 360 feler ‚Fehlgriff‘ 361 Da sich die Tischgemeinschaft ein Glas teilte, gebot es die Höflichkeit, unmittelbar vor der Benutzung den Mund zu säubern (vgl. Brandl: Essen, S. 23). 364 hertz rit: wörtlich ‚Herzfieber‘; unspezifische Bezeichnung für eine Herzerkrankung (vgl. Höfler: Krankheitsnamen-Buch, S. 513f.); vgl. Z. 381.

361 daz] dz: Konjektur bei Keller (N, S. 12)

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Gerdt keins des andern muͤ e vergebens. Wie moͤ chten wir einander entpern! Der artzt:

370

Ey, ey, das hoͤ r ich werlich gern, Got bestet euch in eim gutten wiln! Vnd last vns nun der hauß thuͤ r ziln, Es ist nit pessers dan dar von.

b 11v

Die fraw:

375

380

Herr, schaut mirn doch noch ein mal an. Jch mein, ich woͤ ln in fischpach setzen Vnd jm den ars die nacht ein netzen, Ob jm der estrich eins erweicht, – Got geb, er scheyß drein oder seich – Ob ich sein dester ee kem ab. Der kranck: Schlacht die hur! Das sie den ritten hab! Oder leichet mir mein krucken her, Last sehen, wer dem andern scher! Auß schreyer:

385

Pawcker, pfeyff auff, laß vns verdrehen! So wil ich meyster stuck lan sehen. Man tantzt, dan spricht wider der ausschreyer:

390

Jr herrn, vernempt von dem krancken: Er vnd sein weyb lassen euch dancken, Vorauß dem artzt vnd seiner ertzney. Vnd sagt, wie jm not scheyssen sey,

b 12r

366 geren ‚begehren‘ 366 muͤ e ‚Kummer, Anstrengung‘ 371 ziln: ‚anvisieren‘, mit Gen. üblich 374 mirn: Kontraktion des Reflexiv- und Personalpronomens, vgl. auch Z. 375. 375 fischpach: Der Fischbach entspringt südöstlich Nürnbergs und durchquerte vor seiner Verlegung im Jahr 1496 Zerzabelshof, Gleißhammer und Tullnau, bevor er in die Pegnitz mündete (vgl. Koller/Schaffer: Verzeichnis). 376 ein netzen ‚einweichen‘ 379 ‚Wenn ich ihn dann umso eher los wäre.‘; der Bezug des Pronomens auf den estrich ist wahrscheinlich, der auf den kranck aber ebenso möglich. 382 leichen (zu mhd. lîhen): ‚hergeben‘ 383 ‚Lasst sehen, wer den anderen übers Ohr haut!‘ 385 verdrehen ‚abtreten‘ 386 meyster stuck ‚Kunststücke‘

111 – Hans Folz: Von einem Arzt und einem Kranken | 677

Darumb er nymmer pleyben kan. Got gesegen euch, wir weln dar von.

F 104, 169; F 106II, 218

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Kommentar Bezeugung b, Bl. 1r–12r

Ausgaben Keller: Fastnachtspiele II, S. 1056–1064 (= Nr. 120, nach einem unvollständigen Exemplar); Bd. N, S. 1–13 (= Nr. 120, vollständig); Bd. III, S. 1529.

Textkritik Das Stück ist unikal in Druck b überliefert. Der defektive Druck (vgl. Keller: Fastnachtspiele, Nachträge, S. 334), der Kellers Ausgabe in Bd. II zugrunde liegt, ist verschollen.

Autor Das Stück ist ohne Autornennung überliefert, der Hinweis auf den Drucker Johannes Stüchs deutet aber auf Hans Folz. Victor Michels spricht Folz das Spiel ohne Vorbehalt zu (vgl. Michels: Studien, S. 214; Janota: Art. ‚Hans Folz‘, 779). Tatsächlich sprechen die glatte Metrik, Stichreim, Tanzschluss, die Ähnlichkeit von Z. 171f. mit F 86I/II, 123f., von Z. 362f. mit dem Meisterlied ‚Ein Lied genannt der böse Rauch‘, 9, 3f. (Keller: Fastnachtspiele, S. 1279f.), von Z. 182–208 sowie weiterer Passagen mit dem Reimpaarspruch ‚Der witzige Landstreicher‘, Z. 25–40 und schließlich die Thematik (siehe auch das Kapitel Textbezüge) eindeutig für den Meistersinger und Wundarzt Hans Folz.

Datierung Der Druck b wird in VD 16, Bd. 7, F 1769 um 1520 datiert. Da später hergestellte Drucke Folzscher Fastnachtspiele meist Nachdrucke von Erzeugnissen aus seiner eigenen Offizin sind, die er zwischen 1479 und 1488 betrieb, ist diese Zeitspanne für die Entstehung des Textes anzunehmen.

Rollen, Inhalt, Struktur Rollen: Einschreier, ein Bauer, ein Kranker, dessen Frau (beide ebenfalls Bauern), ein Arzt. Der Einschreier beginnt das Handlungsspiel mit der Suche nach einem Arzt.

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Eine Frau beklagt daraufhin detailreich die schwerwiegenden Verdauungsprobleme ihres Mannes, dieser sowie ein weiterer Bauer bestätigen die geschilderten Nöte. Gemeinsam mit dem Bauern stößt die Ehefrau den Kranken von einer Bank und ruft nach einem Arzt. Dieser erscheint, es folgen Harn- und Stuhlschau, wobei insbesondere auf die eindrucksvollen Ausmaße des mitgebrachten Kothaufens eingegangen wird. Nun schildert die Frau dem Arzt die Leiden ihres Mannes und berichtet von dessen (krankheitsbedingter?) Fähigkeit des Schreibens. Es folgt ein von Missverstehen geprägtes Zwiegespräch zwischen dem Arzt und der Gattin des Patienten, innerhalb dessen die Frau medizinische Fachtermini (windt, stuͤ l, gemach) falsch deutet. Erst auf die derb formulierte Frage in Z. 167 hin erhält der Arzt die gewünschte Auskunft über die Verdauung des Erkrankten. Im anschließenden Zwiegespräch zwischen Arzt und Patient kommt es wiederum zu Missverständnissen der ärztlichen Fragen durch den Kranken. Schließlich empfiehlt der Arzt, vor Beginn einer Therapie die Beichte abzulegen. Der Kranke fühlt sich zu schwach, dem Teufel entgegenzutreten, er erweist sich als überheblich und wenig bibelfest. Als er dem Arzt gegenüber mit seiner Potenz zu prahlen beginnt, interveniert die Frau. Sie gemahnt den Arzt der Symptomatik und schildert ein weiteres mal metaphernreich den Zustand ihres Mannes. Hierbei greift sie in Z. 291 mit dem Bohrer, vermittels dessen die Verstopfung zu lösen sei, ein bereits in Z. 44 etabliertes Bild ein zweites Mal auf. Der Arzt empfiehlt daraufhin ein Abführmittel. Im Anschluss beschreibt der Kranke die täglichen handfesten Auseinandersetzungen, in die die Eheleute verwickelt seien, wobei sie auch vorgeben, in diesem ständigen Kampf nicht aufeinander verzichten zu können. Die Frau erwägt, ihren Mann in einen Bach zu setzen, um auf diese Weise den estrich zu lösen und nimmt dabei dessen Tod durch Ertrinken in Kauf. Der Mann flucht seinerseits zurück und der Ausschreier beendet das Spiel. Nach kurzem Tanz tut wiederum der Ausschreier dem Publikum kund, dass die Medikation erfolgreich war, die Verstopfung in Auflösung begriffen sei und die Rotte infolgedessen von der Bühne verschwinden müsse. Deutungsaspekte: Das Spiel lässt sich gliedern in insgesamt acht unterschiedlich stark miteinander verzahnte Einzelteile. Der Anamnese, die der Patient und dessen Frau liefern, folgt ab Z. 91 die ärztliche Diagnose. Bis hierhin herrscht der Ton derbster Fäkalkomik. Unvermittelt und wenig zwingend folgt die Szene des Beschreibens der häuslichen Wände. Im Anschluss an eine Reihung von Missverständnissen erweist sich der Kranke als unreflektiert, verzagt und wenig gefestigt im Umgang mit christlichen Glaubensinhalten und Ritualen. Ein wenig zusammenhanglos wird ein weiteres Mal ab Z. 285 auf die Beschwerden eingegangen, und wieder wird die Szenerie mit bunten Bildern lebhaft ausgestaltet, woraufhin der Arzt einen Therapievorschlag unterbreitet. Unvermittelt geht das Spiel im Anschluss (ab Z. 317) in die Darstellung eines ehelichen Streits über. Hans Folz arbeitet mit unterschiedlichen dramatischen Mitteln. Neben der Reihung aufeinander aufbauender Abschnitte nutzt er die Wiederholung einzelner Themen (Fäkalkomik und Missverständnis). Er greift auf tradierte Muster innerhalb des Fastnachtspielkorpus zurück (Arztthematik, skatologische Inhalte, Ehestreitereien, bäu-

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erliche Tumbheit) und fügt weniger stark etablierte Stoffe hinzu wie Juristenschelte (s.u.) und mangelnde Festigkeit im Glauben. Neben die Absicht, in bestmöglicher Weise zu unterhalten, tritt zaghaft das Bedürfnis des Verfassers, Themen zu inszenieren, denen eine gewisse, seinerzeit aktuelle Brisanz zu unterstellen ist. Beides gelingt unterschiedlich gut: In den Bereichen Fäkalmetaphorik und der Schilderung ehelicher Zwistigkeiten erreicht er höchstes Niveau, wohingegen das eher exotisch anmutende Terrain wesentlich unsicherer betreten wird. Hier fehlt die logische Einbindung, die Fähigkeit des Schreibens will nicht zu den Attributen des im übrigen Fastnachtspielkanon tumnb auftretenden Bauern passen. Auch dessen Verhältnis gegenüber Gott gestaltet sich weniger homogen, als dies in den typischen Argumentationsmustern der übrigen Spiele angelegt ist (s.u.). Dabei ist das Spiel weit davon entfernt, offen Gesellschaftskritik zu üben oder eine politische Botschaft zu formulieren. Folz präsentiert also lediglich zum Teil die aus der Fastnachtspieltradition bekannten sozialen Stereotypen und bedient Klischees bezüglich der Eigenschaften und Verhaltensweisen verschiedener Berufsstände zurückhaltender, als dies innerhalb der Gattung die Regel ist. Im Gegensatz zu zahlreichen, aus der Salbenkrämerszene der Osterspiele hervorgegangenen Arztspielen wird der – im Gegensatz zu Folz studierte – Mediziner erstaunlich positiv dargestellt. Es werden ihm weder Scharlatanerie noch Wucher oder Unfähigkeit als Eigenschaften an die Seite gestellt (vgl. Spiele R 20, R 22, R 42 und F 85), stattdessen eine fast grenzenlose Geduld bei der Befragung der Frau und des Kranken. Der Arzt stellt, nachdem er von der Frau des Kranken ausdrücklich herbeigerufen wurde, seine Diagnose. Die Therapie ist, frei von leeren Versprechungen, ebenso schlicht wie brutal und wirkungsvoll, ein Preis für die Medikation wird nicht erhoben. Daneben hebt der Verfasser in einigen Passagen zu einer für die Fastnachtspiele typischen Parodie des Bauernstandes an. Die ausführliche Anamnese bietet Anlass für allerlei Missverständnisse, die vor allem auf das wesentlich einfachere Sprach- und Ausdrucksniveau der Bauern zurückzuführen sind. Hier finden sich Formen semantisch wie phonetisch fehlgeleiteter Kommunikation (vgl. Z. 137ff.). Der Bauer verhält sich dahingehend für einen Vertreter seines Standes völlig atypisch, dass er zu Hause die Zeit damit verbringt, die Wände zu beschreiben (Z. 126– 132). Möglicherweise lässt sich die Passage als „Verspottung des ... blühenden Notarund Kanzleiwesens“ (vgl. Siller: Aspekte, S. 156) verstehen. Zu Zeiten der Abfassung scheint zumindest in Schmähschriften und Schandbildern das Wachs in den Händen siegelnder Betrüger des Öfteren durch Exkremente ersetzt worden zu sein (vgl. Rupp: Scheltbriefe, S. 8). Eine andere mögliche Bedeutung des Schreibens liegt in der seinerzeit gängigen metaphorischen Verwendung für den Geschlechtsverkehr (vgl. WienkerPiepho: gelehrter, S. 183ff.; vgl. auch R 51, Z. 185f.), allerdings lässt sich auch diese Lesart nicht nahtlos in den Fortgang des dramatischen Geschehens integrieren, zumal in den übrigen Textbefunden die Härte des Federkiels oder der Vorgang des Eintauchens in das Tintenfass für das sprachliche Bild sinnstiftend sind. Ein weiterer Bestandteil des vorliegenden sowie zahlreicher weiterer Spiele (s.u.) ist die Ehezankszene. Sie hat bereits in der Dichtung des Hochmittelalters Konjunk-

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tur und ist fester Bestandteil der Schwankliteratur. Das Thema hat außerdem Niederschlag in zahlreichen Holzschnitten und Kupferstichen des 15. Jahrhunderts gefunden und muss als allgegenwärtiges und häufig problematisiertes Phänomen jener Jahre angesehen werden (vgl. Keller: Darstellung, S. 141–144). Typische Szenen des Kampfes mit der ‚bösen Frau‘ sind etwa das Niederreißen an Ohr oder Schopf, dem die Malträtierung des Körpers folgt oder auch das gegenseitige Missgönnen und Wegnehmen guter Speisen (Brietzmann: Frau, S. 169–174). Hierin spiegelt sich die seinerzeit verbreitete Ablehnung eben jenes weiblichen Aufbegehrens gegen die Jahrhunderte währende männliche Dominanzkultur, das im Zuge der Um- bzw. Neustrukturierung des familiären Verbundes allerorten anzutreffen war. Besonderer Erwähnung bedarf schließlich die Erkrankung des Bauern. In dem vorliegenden Spiel divergieren die Symptome erheblich. Zunächst in Z. 19 als laffscheissen und somit als Diarrhoe gekennzeichnet, erhebt der Kranke an anderer Stelle Klage, dass er nicht in gewünschter Regelmäßigkeit Stuhlgang habe (Z. 36), und in Z. 308 wird ein purgatzen, ein Abführmittel verabreicht. Zuvor, in Z. 98ff., hatte der Arzt jedoch bereits eine Stuhlprobe als Bestandteil eines exorbitanten Haufens erhalten, der Verhalt kann also nicht lang anhaltend gewesen sein (vgl. auch Z. 174). Hans Folz mischt hier offenbar unterschiedliche Formen peristaltischer Irritationen. Er tut dies nicht in der Absicht der Zeichnung eines in sich geschlossenen Krankheitsbildes, sondern er nutzt die Vielfalt potentieller Erscheinungen als Arsenal, innerhalb dessen sich seine unerschöpflich scheinende Phantasie bezüglich koprolalischer Phrasen bedient. Trotz dieser bis hierher aufgeführten scheinbaren Ungereimtheiten oder Widersprüche erscheint das Spiel in wesentlich höherem Maße als Ganzes am Stück durchgearbeitet zu sein, als dies bspw. bei F 87 ‚Die drei Brüder und das Erbe‘ der Fall ist. Der Stichreim wird dahingehend sehr bewusst verwendet, dass die einzelnen Textteile an den Schnittstellen (bis auf Z. 213) eben nicht durch diese ansonsten sehr häufig genutzte Form des Reims untereinander verbunden sind. Neben zahlreichen stichomythischen finden sich außergewöhnlich lange Redepartien. Und auch diese sind meist nicht über Stichreim an den übrigen Spieltext angebunden. Schließlich weisen Metrik sowie die Reime an keiner Stelle signifikante Abweichungen bezüglich der Reinheit auf, sie sind durchgehend auf relativ hohem Niveau ausgearbeitet. Es lassen sich somit für alle Teile gemeinsame strukturbildende Momente isolieren. Überdies lässt sich auch thematisch eine Klammer beschreiben, die die zunächst als Einzelteile herausgearbeiteten Textbausteine zusammenhält. So stehen einander in unterschiedlicher symbolischer Repräsentation die Prinzipien der Gottesferne und der Gottesnähe in Opposition gegenüber. Krankheit, geistige Schlichtheit, mangelnde Gottesfurcht und das Aufbegehren gegen das weibliche Subordinationspostulat sind als unterschiedliche Ausdrucksformen bzw. Folgen menschlichen schuldhaften Handelns zu deuten. Der Bauer fungiert also nicht nur als Vertreter einer sozialen Schicht, sondern auch als Verkörperung eines Lebens in Sünde. Dem Kranken, von dem gesagt wird, dass jm der tewfel auffs tintnfaß sitz (Z. 132), wird als Grundlage

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körperlicher Genesung die Reinigung des Gewissens durch die Beichte anempfohlen. Dieser Versuch scheitert, und auch hier verhält sich der Bauer anders, als es aus der Fastnachtspieltradition vertraut ist. Er argumentiert zunächst mit seiner Dummheit, dann mit seiner Überheblichkeit und schließlich mit seiner tiefen Verderbtheit gegen das Ansinnen des Arztes. Innerhalb dieser Passagen ist eine Klimax zu erkennen, auf deren Höhepunkt der Kranke Züge des stultus (vgl. Psalm 53,2: „dixit stultus in corde suo non est deus“) trägt. Hier tritt zur gemeinhin auf der Fastnachtsbühne gezeigten bäuerlichen Blödheit (fatuitas) dessen Dummheit (stultitia) als anderweitig im Fastnachtspielkorpus nicht nachweisbare Eigenschaft hinzu. Der Bauer tritt in dieser Ambivalenz zumindest ansatzweise aus seiner Funktion als schlichte Projektionsfläche für die Vorurteile stadtbürgerlicher Eliten heraus und ist gewissermaßen offen, neue Aufgaben auf der Bühne zu übernehmen. Demgegenüber verkörpert der Arzt in seiner, wie bereits geäußert, ausgesprochen positiv gezeichneten Darstellung die Möglichkeit der Heilung von Körper (Purgatzen) und Seele (Aufforderung zu Gebet und Beichte). Innerhalb des Spiels, das sehr wahrscheinlich aus einzelnen Textbausteinen zusammengesetzt wurde, erscheinen diese wesentlich bewusster arrangiert und stärker aufeinander abgestimmt zu sein, als dies in dem bereits genannten Spiel F 87 ‚Die drei Brüder und das Erbe‘ geschehen ist. In beiden Fällen ist die Vorgehensweise der Nutzung bestehender Einzeltexte prinzipiell dieselbe, im vorliegenden Spiel wurden die notwendigen Arbeitsgänge der Vernetzung, Verzahnung und Glättung des finalen Arrangements allerdings durch Folz vollzogen, während in F 87 die Zusammenstellung zu einem späteren Zeitpunkt durch einen Redaktor erfolgte, der nicht mit Folz identisch war. Das Nebeneinander einer rigiden Didaxe und grenzwertig übersteigerter Fäkalkomik erscheint nur dem neuzeitlichen Betrachter als Widerspruch. Generell wurden Dysfunktionen des Verdauungstrakts durch die Zeitgenossen Folzens als erhebliche Beeinträchtigung des allgemeinen Wohlbefindens wahrgenommen (vgl. Schipperges: Garten, S. 68). Ernährung und mangelnde Möglichkeiten zur Einhaltung neuzeitlicher hygienischer Standards waren deutlich problematischer und verschafften den Themenbereichen Verdauung und Ausscheidung ein wesentlich höheres Maß an öffentlicher Wahrnehmung. Insofern spiegelt sich in der derben Präsentation der Notdurft nicht allein der komisch-spielerische Umgang mit einem ästhetischen Tabu, vielmehr wird hier ein stets und ständig virulentes Problem weiter Teile der Bevölkerung thematisiert und funktionalisiert. Aufführungshinweise: Die detaillierten Darstellungen der Leiden des Bauern lassen eine Kostümierung vermuten, die der verbalen Schilderung seiner Verdauungsprobleme Rechnung trug. Möglich erscheinen aus Stoff gewirkte Würste, die dem Kranken in der Art eines Schweifs an die Hose genäht waren (vgl. Z. 27), oder die Hose könnte um das Gesäß mit einem Brett verstärkt gewesen sein, womit der Metaphorik in Z. 32 entsprochen wäre. Die Gestik des Kranken muss wohl so gedacht werden, dass der Mime die eingeschränkte Bewegungsfähigkeit und die körperliche

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Ermattung eines schwer Erkrankten nachzuahmen bemüht war. Ausgestattet mit einer Krücke (vgl. Z. 64) wurde er vermittels dieser von einer Bank gestoßen (vgl. Z. 69). Für die Umsetzung dieser Aktion stand die notwendige Spielzeit dahingehend zur Verfügung, dass durch ausbleibenden Stichreim an dieser Stelle der folgende Vers nicht unmittelbar im Anschluss vorgetragen werden musste. Auf diese Bank muss der Kranke sich schließlich auch wieder gelegt haben, in Z. 206 entgegnet er dem Arzt dementsprechend. Da die ehelichen Streitereien lediglich berichtet, nicht aber handfest auf der Bühne umgesetzt wurden, konnte der Kranke bis zum Ende des Spiels in dieser liegenden Position verharren. Und bevor seiner Aufforderung bzw. Drohung in Z. 381 Folge hätte geleistet werden können, war das Bühnengeschehen bereits durch den Ausschreier für beendet erklärt. Ob über die erwähnte Bank hinaus als weiteres Mobiliar ein Kübel (vgl. Z. 37) bzw. ein Kissen (vgl. Z. 74) auf der Bühne platziert war, bleibt unklar. Aufgrund des Titelblattes des Druckes b ist ein fassartiger Gegenstand anzunehmen, war der Holzschneider doch mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit bereits Zeuge einer Aufführung und insofern durch die Aufführungspraxis inspiriert (Hans Folz vollendete das Spiel wohl vor 1489, der Druck datiert von 1520). Ein Gefäß, in dem der Urin aufgefangen wurde sowie ein Hut, der die Stuhlprobe beherbergte, sind weitere, unverzichtbare Bestandteile der Inszenierung. Sie wurden durch den Arzt eingehenden, gestisch untermalten Prüfungen unterzogen. So wurde der Urin vermutlich entsprechend seinerzeit gängiger ärztlicher Praxis gegen das Licht gehalten und intensiv in Augenschein genommen, während die Exkremente auf ihren Geruch hin mit fächelnder Armbewegung und gegebenenfalls entstellter Mimik aufgrund des Gestanks untersucht wurden. Die allen Beteiligten zu unterstellende Freude an der Thematik lässt eine üppige nonverbale Ausgestaltung diesbezüglich bestehender Freiräume vermuten: Die Regieanweisung in Z. 107 ist ebenfalls nicht durch Stichreim überbrückt, der ein zügiges Fortschreiten im Sprechtext erforderlich gemacht hätte. In den Z. 111–113 gibt der Arzt an, das Exkrement aus dem Nest zu nehmen, im Anschluss sinniert er ob der gewaltigen Ausmaße über dessen pekuniären Wert. Es ist also, vergleichbar F 91 ‚Das Spiel vom Dreck‘, von einem Requisit auszugehen, das auf der Bühne einen Kothaufen repräsentierte (vgl. Gerhardt: Diätetik, S. 56). Ein erwähnenswertes Detail findet sich in den Z. 57–61. Hier wendet sich der Bauer zunächst an den Kranken, in Z. 60 indes spricht er den Kothaufen direkt an. Es muss hier eine Aktion in der Weise gedacht werden, dass der Bauer sich vom Gesicht seines Gegenüber ab-, und sich im Anschluss dessen Gesäß zuwendet, indem er sich über den liegenden Kranken beugt. Die Positionierung der Figuren auf der Bühne ist statisch. Zunächst bilden Bauer, Kranker und dessen Frau eine Einheit, der der Mediziner schließlich gegenübertritt (vgl. auch den Holzschnitt des Titelblatts). In dieser Konstellation sind die Darlegung der Symptomatik, Harn- und Stuhlschau sowie die Befragung der Frau und des Kranken zu denken. Und auch in den Berichten aus dem zankreichen Ehealltag wenden

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sich die Kontrahenten nicht gegeneinander, sondern richten ihre Worte jeweils an den Arzt. In diesem Arrangement spiegelt sich die soziale bzw. moralische Abgrenzung der bäuerlichen Schicht gegenüber der bürgerlichen Sphäre. Diese Polarität auf der Bühne zu installieren scheint dem Verfasser wichtiger gewesen zu sein als die Präsentation eines turbulenten, mimisch-gestisch gestützten Ehezwistes. Trotz dieser scheinbar klassischen Organisation bietet das Spiel auch Unerwartetes. So unterscheidet sich die Rolle des Einschreiers von der, die er in anderen Spielen einnimmt. Während der Precursor zu Beginn meist die Bühnensituation erklärt bzw. ordnet, erkundigt er sich im vorliegenden Spiel beim Publikum nach einem Arzt. Insofern wird der einleitenden Geste der Begrüßung eine Handlung gefolgt sein, die intensives Spähen imitierte. Das Auftreten des Arztes erfolgt nicht aus dem Bühnenhintergrund, sondern aus dem Zuschauerraum heraus (vgl. Z. 81 und 84). Hierin wird die Distanz zum Publikum abgebaut und der Zuschauer gewissermaßen in das Spielgeschehen integriert. Der Text belegt insofern einen reflektierten, spielerischen Umgang mit der Bühnensituation gegenüber der rein referierenden Präsentation des Geschehens älteren Formats. Die Situation der dramatischen Inszenierung, die prinzipiell Opposition von Bühne und Publikum wird implizit thematisiert, reduziert und als Rezeptionsanreiz in die eigentliche Handlung integriert. Das Bild des Gastes, den man nicht hinaus in die Kälte schicken dürfe (vgl. Z. 58– 61), reduziert den Zeitpunkt der Aufführung auf die Wintermonate und lässt es um die Zeit des Karnevals aktuell erscheinen.

Textbezüge Krankheit, deren Diagnose durch einen Arzt sowie mehr oder minder erfolgreiche Therapievorschläge sind Thema zahlreicher Fastnachtspiele (vgl. R 20, R 22, R 24, R 42, R 45 und F 85). Ähnlich exklusiv wie im vorliegenden Spiel wird Verdauung und Ausscheidung auch in F 91 behandelt. Am Rande werden Heilung bzw. Linderung von Schmerzen außerdem verhandelt in F 89 und K 57. Die Verfahren zur Ermittlung der Ursache des Unwohlseins ähneln einander stark: Harn- bzw. Stuhlschau dienen der Erforschung der Krankheit, wobei die jeweiligen Proben durch Größe und Konsistenz den Rahmen des Üblichen sprengen. Die seinerzeit ebenso geläufige Befragung der Gestirne unterbleibt dagegen im vorliegenden Spiel (vgl. hierzu F 87, Z. 482). Die Schilderungen handfester ehelicher Auseinandersetzungen finden sich in R 55, R 72, F 83, F 84, F 95 sowie K 56. Männliche Gewalt gegenüber der Ehefrau wird darüber hinaus in F 86I, Z. 163–166, F 86II, Z. 160–164, F 102, Z. 151–159 thematisiert bzw. anempfohlen, lediglich in F 92, Z. 92–92 klagt ein erfolgloser Buhler über die Prügel, die er von seiner Frau erhalten habe. Als konkrete Regieanweisung kommt sie ferner in F 101, Z. 161 zum Tragen. Ein besonders hohes Maß an Übereinstimmung besteht zu dem Spiel ‚Der Scheissend‘ aus der Feder Vigil Rabers von 1516. Es ist mit Siller davon auszugehen, dass es

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sich dabei um eine Umarbeitung der Folzschen Vorlage handelt (vgl. Siller: Aspekte, S. 151). Dies und der Neudruck von 1520 belegen den Erfolg, der dem Spiel offensichtlich beschieden war. Bearbeiter: Greil, Przybilski