Nürnberger Blätter für Literatur #4 : Sonderband Poesie 3884010026

Autoren: Richard Anders Erich Arendt Cyrus Ataby Rose Ausländer Hans Bender Wolfgang Berg Volker Braun Heinz Czechowsk

225 85 3MB

German Pages [99] Year 1978

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Nürnberger Blätter für Literatur #4 : Sonderband Poesie
 3884010026

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Nürnberger Blätter für Literatur begründet und herausgegeben von Gerhard Wagner

Nürnberger Blätter für Literatur Heft 4

Martin Klaußner • Fürth 1978

Nürnberger Blätter für Literatur Heft 4 SONDERBAND POESIE eine Anthologie, zusammengestellt von

Christoph Meckel

Martin Klaußner • Fürth 1978

GEBRAUCHSANWEISUNG »man bedenke was das gedicht ohne die im gedicht nicht vorkommenden Wörter überhaupt wäre das gedicht ist ein populäres< (Oskar Pastior)

Jedes Buch ist - oder soDte sein - ein Trojanisches Pferd. In dieser Nummer der Nürnberger Blätter stehn neue und ältere, altmodische und modische, windige, würzige, wichtige und wahrscheinliche, gute, bessere und ein paar - wie ich weiß - unvergleichliche Texte. Die Autoren befinden sich im Anhang (das Alphabet verhält sich freundlich neutral), die bekannten und unbekannten, die älteren und jungen. Es bestand nicht die Absicht, verschiedene Autoren auf öffentlichem Papier zu bestätigen. Es handelt sich um einen Versuch, die Vielfalt poetischer Sprache in diesen Jahren zu zeigen.

Der Name des bekannten Autors und der Name des Namenlosen hat gleiches Recht. Weder Gratisrespekt für den einen, noch Schulter­ klopfen für den andern. Der Leser (es gibt ihn zu hunderten, aber ich kenne ihn nicht) hat die Wahl, kann die von ihm selbst ausgesuchten Verse mit den Autoren im Anhang vergleichen und seine Schlüsse ziehn. Soll er kommen mit Kritik und Neugier, mit seinem für Poesie zunächst nicht vorgesehenen Taschengeld. Die Beiträge sind in fünf Kapiteln gesammelt und gesetzt auf eine Weise, die Gegensätze deut­ lich macht, das Buch soll knistern. Möglich, daß ein paar Texte vom Interesse des Lesers gleichsam überlaufen werden. Möglich, daß andere unbemerkt bleiben. Es geht in diesem Buch um Gedichte aus beiden Teilen Deutschlands, die Verfasser sind auch da. Die Beiträge kommen aus der Werkstatt unterschiedlicher Verfasser. Keiner noch hat sie beglaubigt oder verneint. Als erster und einziger hat der Unterzeichnete sie auf dem redaktionellen Verschiebebahnhof ein- oder ausgewunken mit kritischen Fähnchen. Gerecht oder unge­ recht, das bleibt nicht aus. Es ist möglich, daß das Beste nicht auf den Tisch kam, denn einige Autoren haben abgesagt, andere haben nicht reagiert. Einige schreiben jetzt nichts, oder sie schreiben Romane und Hörspiele, verdienen das tägliche Geld und müssen es tun. Andere wollen mit ihren Gedichten noch warten, zögern und zweifeln noch, können jetzt nichts veröffentlichen, nichts im Westen oder aber nichts in diesem Nürnberg.

7

Das Buch gehört dem kritischen Leser, zusätzlich gehört es den Au­ toren. Der Dank gilt allen Mitarbeitern, Herausgebern, Spendern, Druckern und kritischen Spürnasen. Der Undank gilt allein den schlechten Autoren und schlechten Lesern.

Christoph Meckel

8

POST Irgendwo auf der Welt steht mein Baum, denn ich weiß, daß jedem Menschen ein Baum zusteht. Ebenso eine Grasart und ein bestimmter Vogel. So kann mein Vogel schon Körner fressen, auf einen Baum sich niederlassen, ein Ereignis erkennen. Das Ereignis meines Vogels sollte in diesem naßkalten Februar ein erfreuliches sein, kein Riesenregen, eher die Ankunft eines Postwagens mit Briefen von Dick und Doof, Schilderungen vom Leben auf dem Land. Die Grenzbehörden kleben das Abziehbild einer geschützten Vogel- oder Menschenart auf den Wagen und winken »Rot Front«. Die ausgestreckten Daumen zeigen die Weltrichtung an.

Sperrschilderwald säumt meine Wege verbietet zu träumen verbietet verbietet Wolken aus Glas über dem Fallbeil zerbrechen im Herbstwind zerbrechen zerbrechen Heute um dich stürzen die Sorgen gespenstisch auf Furchen die zitternd ich pflüge immer in Not

BRIEF AUS BERLIN Auf dem Papier sowas wie Sonne Feucht und gelb drücken die Industrien Sommer herunter es bleibt reglos liegen

11

Überleben wäre schon viel oder eine Straße langgehen ohne auf Wunden zu stoßen oder eine Einladung annehmen um danach zu wissen: es ist abgewickelt und ausgeträumt und die Rezepte sind verteilt und die Bewegungen das letzte Zucken bevor wir uns alle zusammentun zur Großen Narbe Stell dir vor du würdest ersticken und nicht sterben daran immer nur ersticken schrieb sie das ist meine Lage Nimm dieses Bild wenn du an mich denkst ich bin am Ende Keine Erklärungen ! Ich nahm die Einladung an gleich nach der Entlassung Die Musik eine eingestüizte Brücke Trümmerrauschen Folklore aus dem Niemandsland Drei englische Rotznasen Sicherheitsnadel in der Backe sangen von der Berliner Mauer An den Tischen blieb das Problemproblem übrig und leere Köpfe leere Gläser leere Körper Abgrenzungen in den Grenzen der Sprache es ist zum Sterben Wenn ich den Wörtern genauer zuhörte waren sie ausgeräumt und beim zweiten Satz war ich längst am ersten erstickt Ich gehe zurück zu den alten Liedern alten Filmen alten Büchern und weiß nicht wie durch diese Kälte kommen In der Klinik ging alles gut Tief innen sagte der Doktor hat es eine kleine Narbe hinterlassen als Erinnerung an sein Leben

12

THE LAST OF NOVEMBER Erst in die Wechselstuben am Zoo, die letzten Silbernen Pferdchen aus allen Manteltaschen. Umtausch - ein toller Kurs, es blieb noch was übrig. Der Wind, der Wind, unhimmlisches Kind Blies uns im schönen Kabriolett an den Reichstag. Schneebeeren rieselten, kleines Getier Raschelte an dem furchtbaren Ort. Das ist die Mauer. Stellenweis grüner Kalk. Türmchen und Aussichtspodeste hüben und drüben. Alles registrieren sagt er, wie Hemingway Auf dem Rückzug in Spanien das stinkende Pferd. Wir fuhren und flogen Dreimal um den frischvergoldeten Engel, trafen Unsere toten Dichter in ihren Wagen (die flogen Schneller und schöner als wir)

Bricht wieder auf böse die alte Verwundung hilft kein verband

heimwehgegilbt dreht sich nach osten das segel schnellfeuerlauf zielt auf die brust meute die schäumt hetzt sie der posten halswärts posten sind dumpf

drüben im rohr streichelt der nachtwind den reiher drüben im rohr wartet der schwan

ruft er und lockt dreht sich nach osten das segel heimwehgegilbt

13

RUSSENLADEN Ein sächsisch ministerielles Gebäude Quadersteine demonstrieren alte Macht. Aus königlichen Zeiten. Die Decke im Treppenhaus ist renoviert in Petersburger Grün. Schmutzigweiße Flügeltüren flattern hilflos auf und zu. Ein langer desinfizierter Gang führt zum Kasino. Goldene Herbstsonne fällt schräg durch die Fenster. Man könnte sagen: sie rubelt.

Hinter der Theke lächelt die Russin. Dir Haar ist geschmückt mit durchbrochnem Gardinenstoff.

Salm ist zerstückelt und in Dosen eingelegt, Dosen wie Scheiben eines Kanonenrohrs.

Mehlige Schokolade ist folkloristisch verpackt. Lila Eierfrüchte: Ovarien des Balkans. Auf einem Teller liegen hellrote Kalbszungen, herausgeschnitten aus weichen Mäulern. Die werden gern gekauft. Das Leder wird zu Stiefeln verarbeitet. Die sind zu hören.

14

ALLEE AN DER ELBE Lebkuchenhäuser. Totenwassergärten. Die Villenschlößchen im Elbgeruch der schwarzen Wollhandkrabben.

Hier wesen alte Damen hin, mit vielen Mietparteien. Die Klingelschilder sind mit Namen übersät. Romanik, Gotik. Westpakete. Kirche. Kulturbimd. Kleines Lebensabend-Licht. Schrank, Eiche oder Mahagoni, aus großen engen Zimmern abgestellt. Auf die Veranda, in den Wintergarten.

Hier wurde früher Eis gemacht mit Viehsalz. Erdbeeren wurden weiß bestäubt mit Puder und Kristall. Waldmeister-Bowle wurde angesetzt, mit Rheinwein. Kräftige Bouillon im schweren eisernen Patenttopf.

Bock’s Buch vom gesunden und kranken Menschen zeigt das menschliche Knochenwerk. Teerosen duften. Taxus schüchtert ein. Turm ist emporgetürmt und Erker angemauert. Die Sprechanlage trifft nur taube Ohren.

Unnahbar ist die Macht und Pracht von einst. Unnahbar auch in der Zerstorbenheit.

Die Essigbäume treiben dunkelroten Plüsch in ihre Krallen.

15

ICH WAR PAUSENLOS AUF ACHSE GEWESEN, HATTE Die Dörfer gesehn in der Lausitz und Auch Großsteinberg bei Leipzig, wo mir ein cleverer Mann Seinen Landsitz gezeigt und auch den Steinbruch, Wo senkrecht die Felsen Ins Wasser stürzen (und nicht nur die !). Ja, du mein gutes, sauberes Ländchen hinter den Wäldern Stehn die Fabriken, Rauchsäulen Stützen den Himmel und Flüsse durchziehn dich, Von ölen und Abfällen schwarz. Endlich Ist mein Verhältnis zu dir So, wie es sein soll: Ganz unsentimental Fahre ich Meile um Meile durch dich Und nehm an dir Maß. Ach, wie böse Du sein kannst: zornig Schrauben sich hoch deine drei oder vier Dialekte, vornehmlich Sächsisch, Bannflüche Lasten auf manchem, Eine will gehn, will In den anderen Staat, niemand hält sie, ich Habe ein Buch in der Hand, Doch ich lese es nicht. Immer wieder Wenden sich meine Gedanken, unbeständig Wie dieser Sommer sind sie und führen Mich weg von der Arbeit, Unrast und Müdigkeit treiben mich Hinaus auf die Straßen, Freunde Suche ich auf, spreche mit ihnen In unvollendeten Sätzen Über den Zwiespalt, der dieses Land Innerhalb seiner Grenzen geteilt. In welcher Währung Werd ich bezahlt ? Welche Liebe Wird mich erreichen ? Ich hoffe schon nichts mehr. Und all meine Briefe Schreibe ich schließlich und endlich an mich.

IM SEEKREIS Bauemgeschlechter, Grabgelegt hangwärts: der Toten Blick Gerichtet ins Tal. Wer Bewahrt ihr Gedächtnis ?

16

Das Rad der Geschichte In Fördertürme montiert: Zwölf Stunden am Tag Im Achtzig-Zentimeter-Streb, Den Berg auf dem Buckel. Drei Morgen Wind hinterm Haus, Und im Gasthof, Wenn der Stammtisch Des Ortsbauemführers leer war, Die alten Legenden Von Max Hölz (aus Moritz bei Riesa), Geflüstert. Wenn jetzt Früh halb fünf der Schichtbus nach Eisleben Abgefahren ist, schlappen später Die alten Weiber des Dorfes Zum Konsum nach Milch. Ein einsamer Hund Schläft auf der Treppe der Kirche, Deren Uhr Keine Zeiger mehr hat. Die alte Schnapsbrennerei, Eine Apsis der Herrschaftskapelle, Wo hinter erblindeten Scheiben Das Blut der Rebellen Den Mäiz 23 markierte. Dahinter Der Blick auf langsam Sich wiederaufrebende Hänge und Seeaugen, aus denen, fast über Nacht, Das Wasser verschwand: Senkungsgebiet, eine Von unzählbam Geschlechtern Um- und umgewendete Landschaft, Seit Luthers und Müntzers Zeiten Abgetäuft und unterminiert. An der Efeumauer von Zscherben Das Grab des verarmten Barons, Der zu Buche gebracht hat, Was die Lebenden langsam vergessen, Während unten die Stadt aus weißem Beton Ihre Straßenzungen bergan schickt Und die Kinder die neuen Legenden Zu buchstabieren beginnen.

17

UNÜBERSTEIGBAR Buchstaben die ich eine Menge brauche und Licht das ich eine Menge brauche auf diesem Erdteil der zerklüftet ist wie von Sandwisch zerklüftet aber weit weit unübersteigbar

alle mit A der fünfte mit E Europa ein Gebinse von Erdteilen aber weit weit unübersteigbar ein Gebüsch sich zu strecken Gehege explodierend Kaps mit Namen fernen aber weit einsinkend in Meerfläche unübersteigbar ein Ball Buchstabe Licht Sandwisch unübersteigbar

Oder die Fahnen am Markusplatz. Masten wie Schornsteine. Ich war Komparse in einem Film ohne Ende, dessen Handlung mir niemand erklärte. Es zogen, die ich im Lauf meines Lebens sah, am Café FLORIAN vorbei, und die Kapelle spielte dreimal die ganze Fair Lady. Mein Kind, das als Geisel in Berlin-Mitte geblieben war, ging in seiner grünen verblichenen Hose über den Platz und fütterte Tauben. Die Körner waren teurer geworden. Aber wir hatten einen Scheck in der Tasche und kauften den schrecklichsten Kronleuchter von Venedig.

18

REGEN Rom schwimmt, die Häuser machen sich los, wie Schiffe und oben aus dem Fenster die Donnas mit den mütterlichen Brüsten groß wie Zuckersäcke, stehen da und gucken in die Richtung des Meers. Der Tiber schwillt an und Brückenbögen lösen sich, weiß Überspannen sie den Fluß und von hier und von da höre ich Pfiffe der Straßen­ jungen. Sie schmeißen die Leine los im Regen der poltert. Der Papstgarten fließt den Hügel hinunter, die Fahrgäste vom Bus Nummer 64 gucken erstaunt. Halb im Wasser und paar Spritzer nasser Blumenerde aufm weißen Talar segnet der Mann die Vorüberfahrenden. Ein Liebespaar unten in Trastevere küßt sich im Regen und glitscht aus dicht am Gully, auf dem glatten Stein. Es ist alles dunkel, die Katakomben laufen voll, traurig betrinkt sich der Wächter mit heißem Kaffee. Die Römer frieren und ich mit der Jacke am Tisch und doppeltem Hemd steckte den Kopf aus der Tür und sehe bißchen weiter, am Ende der Via Barberini die Sonne absaufen, im gelb bekleckerten Brunnen die Sonne. Ertrinkt und Regen spült um sich wie Berserker. Aus den Häusern die aufs offene Meer schwimmen geben die Menschen Notsignale. Mit Kerzen Bengalischen Feuern mit Ölfunzeln Ewigen Lämpchen. Angekommen am Meer, rutschend überm schwarzen Strand, schwimmen die Delphine voraus und springen aus den Tropfen. Die Kinder basteln Papierschiffchen und die Portiers schöpfen aus den Kellern das Wasser mit winzigen Eimern.

19

Nun, seit morgen Nachmittag, steht vor der Mündung vom Tiber, im Meer, das alte Rom mittendrin und der Bürgermeister telefoniert nach Venedig. Über die Berge ziehen die Gondolieres, jeder sein Boot auf dem Rücken, voller Mitleid zur Küste.

ANSICHTSKARTENGEDICHT Scirocco, Wolken vor der Sonne, Bergbrände über einer Armut, die den Schatten weiter wirft. Ich fühl mich noch nicht hier wo die Städte am Ende sind und Friedhöfe voller Lebensbesessenheit. Herb ist die Landschaft die Gegend bitter. Ich trink nicht, schreib nicht hab noch das Fremde in mir war kaum fort und bin schon wieder zurück.

DIE WOLKE Wir sassen bei Schafskäse, Oliven, Tomatensalat, als wir die Wolke sahen, die ihren Schatten über einige Häuser des Dorfs legte, dann über den Hügel, dann ihre Fahrt verlangsamte, anhielt und in der leuchtenden Luft Wurzeln schlug.

20

ZU EINEM FLUSS WERDEN Zwischen den Lichtem, die die Dämmerung zusammenträgt, oder über Nacht zu einem Fluss werden. Nicht mehr fahrig oder unentschieden oder wetterwendisch seinen Traum verletzen. Das Meer finden.

ELEGIE warum vergeß ich nicht das Viereck Garten unnütz zerstört zum Gebrauch als eine Heimat mir wohl zu Gebrauch warum nicht die einsilbig lärmenden Sträucher angeklammert an Mauerwerk von gestern die Sträucher von gestern

warum nicht dies Gelände von Erdbeben zerstört weil jungfräulich Erde von Höhlen fiir Engerlinge durchbohrt und Ungeziefer aber aufschwirrend was der Mensch birgt und hegt in Decken und Netzen und auch schon eine Garage aus Blech unermüdlich

wachsam ob das Feuer noch brennt das gestriges Feuer ihm zerstört hat was er nennt sein Eigentum

DER REST DES FADENS Drachensteigen. Spiel Für große Ebenen ohne Baum und Wasser. Im offenen Himmel Steigt auf Der Stern aus Papier, unhaltbar Ins Licht gerissen, höher, aus allen Augen Und weiter, weiter

Uns gehört der Rest des Fadens, und daß wir dich kannten.

21

Stumm trinkt der fisch staub am nordhang des kaukasus hört nicht die glocken der schiffe mehr schrumpft zu haut

rührt in die schuppen ein steppenwind schauderts ihn perlt von dem kiemenhaar nachtfrost dann rudert er rudert mit träumenden äugen zum nebelland jagt durch kanäle zerbeißt tobend netzmaschen wälzt sich im blutschaum der feinde sein herz bebt und singt bis der tag ihn zurück auf die felsen schlägt

rührt dann die schuppen ein steppenwind schauderts ihn

stumm trinkt der fisch staub am nordhang des kaukasus

WIR TRÄUMER Unsere Träume müssen nicht unmittelbar mit uns, unseren Aufstiegen, Verheißungen zu tun haben. Wenn sie leuchten, leuchten sie auch als Alptraum, oft aus alten Zeiten herüber, haben Geschichte, bringen Er­ innerung herauf, durch Generationen geht das. UNTERM BIRN­ BAUM, DER GRAF VON MONTE CHRISTO, ROSA VON TANNENBURG, DER FREMDE AUS INDIEN, sie sind ganz hinten als schöne Drohung immer bei uns. Wir halten Finsteres, auch im kleinen Bereich, ab Arabeske, als trivialen Schnörkel des Verbrechens, für möglich, Familienmord oder Kindesunterschiebung, Flaschenpost, unterirdische Gefängnisse, Aussetzung, vermummte Meuchelmörder. Träumend, erstaunt uns das alles zusammen nicht, reimen wir es erst richtig zur Eisernen Maske, zum falschen Demetrius, zur Gräfin von Eishausen, zum Uhrmacher Naundorff als Sohn Ludwigs XVI., zur Zarentochter Anastasia, auch und immer wieder zum wunderbar als »Kind von Europa« geträumten Findling Kaspar Hauser mit seinem Kometenschweif von fünftausend Büchern, den ihm Autoren von vor­ gestern, gestern, heute und wieder gestern angehängt haben.

22

Kaspar Hauser, er starb am 17. Dezember 1833, ist seit 140 Jahren tot, vergessen ist er nicht. Die Träume leuchten noch, von fernher. Groß­ mutter, erinnern wir uns, zeigte sie nicht manchmal in einem alten Buch aus der Fenstertruhe ein Bild. Seht, das ist ein Findelkind. Was der für große Augen hat. Mehr nicht. Dann wurde das Buch wieder weggelegt. Wir erinnern uns des Bildes; Hut in der rechten, Brief in der linken Hand, die leicht ausgestreckt, so trat er, zögernd vielleicht oder zurückschreckend, in unsere Welt; die seine ist bis heute dunkel geblieben, ist eines der großen Rätsel des 19. Jahrhunderts gewesen. Um einen kleinen, geheimnisvollen Kem, jene Herausforderung des Scharfsinns, die das Auftreten des Findlings war und die auch der Minister und Freiherr Krug von Nidda und von Falkenstein im Sommer 1833 in Frohburg annahm, als er die Kiste mit den ersten zwanzig Schriften zum Thema öffnen ließ, haben seine Deuter, auch Hauser hat sich selbst deuten wollen oder zu deuten versucht, Schale auf Schale, Nachricht auf Nachricht, Märchen auf Märchen gelegt; die Einzelhaft über Jahre, wenn nicht ein Jahrzehnt; der Traum vom Schloß, vom Wappen; sein Somnambulismus; die übernatürlichen Kräfte; Kaspar Hauser als Sohn eines ungarischen Magnaten, als Grafensohn, als illegi­ timer Sohn Napoleons, als Thronerbe von Baden, als »nicht unwahr­ scheinlich ein Betrüger«, als »neuzeitliche Legende«; der Nürnberger Mordversuch; die oberrheinische Flaschenpost von 1816; ominöse Freundschaft eines Lords; Mord oder Selbstmord im Ansbacher Hof­ garten; der Spiegelschriftzettel. Mit solchen Farben, den goldenen oder den düsteren, malte das Publikum seine Bilder, erst in Nürnberg, dann in Süddeutschland, endlich in ganz Europa. Das waren auch Zeiten, die alles für möglich hielten, im Kleinen aber.

Wir Träumer wissen wenig mehr. Am zweiten Pfingstfeiertag des Jahres 1828 wird gegen Abend in Nürnberg ein etwa siebzehnjähriger Bursche aufgegriffen. Er ist alltäglich gekleidet, kann kaum mehr als »Dös woiß ih nit« sagen, diese Abwehrformel, den Schutzspruch, und hält dauernd einen Brief in der ausgestreckten Hand. Der Brief trägt als Adresse Namen und Titel des Rittmeisters eines in der Stadt gamisonierenden Reiterregiments. Der Rittmeister nimmt den Briefträger nach der Lektüre nicht an, sondern läßt ihn, samt Brief, den städtischen Behör­ den zuführen. Auf der Wache wird offenbar, daß der Fremdling ledig­ lich zwei Wörter, den Namen Kaspar Hauser, zu schreiben versteht, außer zwei, drei stereotypen Wendungen wie »Hamweisen« und »Ih will a Reuter wem, a sechener woi mei Vater gwesn« kaum etwas spricht, wiederholt Anstalten macht, nach der Art kleiner Kinder in die offene Kerzenflamme zu greifen und bis auf Wasser und Brot alle Nah­ rung ablehnt. Dieses wunderliche Verhalten, der märchenhafte Brief eines angeblichen Pflegevaters, der Hauser insgeheim aufgezogen haben will und ihn nun unter die Soldaten zu bringen versucht (»Wen Sie im

23

nicht Kalten = behalten so müßten Sie im abschlagen = töten oder in Raufang auf henggen«), machen aus Hauser eine Sensation. Gerüchte wuchern im gleichen Tempo, in dem der Stumme sprechen lernt, er beginnt vom Kerker zu reden, von Gefangenschaft und Aussetzung, das ist der Fingerzeig in Richtung Verbrechen. Dann träumt er von einem Schloß; wer hätte damals, in einer Hütte lebend, nicht vom Schloß ge­ träumt, von Bogengängen, Brunnen, hohen prächtigen Räumen, drin er als Kind, eine vornehme, weißgekleidete Dame beugt sich über ihn, er ist das Opfer eines Verbrechens, ein hochgeborenes Opfer. Man hat es in ihn hinein- und aus ihm herausgefragt, Schale um Schale, »Wie wars, Kaspar«, »Wars nicht so«, »Es kann nicht anders gewesen sein«. Alles ist möglich im Verhör, im Gespräch.

Das Rätsel des in Isolationshaft außerhalb der menschlichen Gesell­ schaft aufgewachsenen »Wilden«, wie ihn die Literatur des 18. Jahr­ hunderts besonders genau gekannt hat, beginnt, seine Anziehungskraft auszuüben. Der große Feuerbach, Verfasser der epochalen »Akten­ mäßigen Darstellung merkwürdiger Verbrechen«, vom reaktionären Münchner Hof nach Ansbach verbannt, sucht Hauser mehrmals auf, dienstlich, und veröffentlicht privat die Schrift »Beispiel eines Ver­ brechens am Seelenleben eines Menschen«, der er, später und unter­ derhand, ein »Memoire über Kaspar Hauser« und dessen Prinzentum folgen läßt. Damals hat Nürnberg Kaspar Hauser, hat Kaspar Hauser auch Nürn­ berg ? Zwei Jahre lebt der Dahergelaufene in ersten Familien der Stadt, erst erhält er Privatunterricht, besucht dann das Gymnasium, soll Akademiker, Künstler und endlich Buchbinder werden. Die großen Verheißungen scheinen sich, auf lange Sicht, dem Fremdling nicht zu erfüllen.

Das Interesse an ihm, allmählich schwächer geworden, weil auch die grellste Sensation bei genügender Dauer alltägliche Züge annimmt, wächst nach einem halbherzigen Mordversuch ins Unmeßbare. Auch uns, träumend, drohen vermummte Mörder bisweilen: »Du mußt doch noch sterben, ehe du aus der Stadt kommst«. Kaspar Hauser, der Ver­ folgte, Mißhandelte, um einen Thron Betrogene, wird das »Kind von Europa«. Das Kind aus der Nachbarschaft, auch wenn es verhungert, schert einen da nicht so sehr. Das Kleinbürgertum der Restauration so gut wie unserer Zeit traut doch, hinter vorgehaltener Hand oder bei­ seite gesprochen, denen da oben manches, alles zu; das 18. Jahrhundert mit seinen absolutistischen Abstrusitäten ist auch noch nicht weit. Mehr Sinn hat, wenn deutsche Demokraten, nach 1830 in die Schweiz und anderswohin geflüchtet, das Haus Baden und bezeichnete Helfershelfer

24

anschwärzen; das hat eben politische Funktion. Noch heute, erstaunli­ cherweise, werden Indizienketten geschmiedet, die zeigen sollen, wo es langging in Karlsruhe, als 1812 ein wenige Wochen alter Erbprinz, der Sohn Großherzog Karls und seiner Frau Stephanie, Adoptivtochter Napoleons, gegen ein sterbendes Kind ausgetauscht und verschleppt, unterschlagen wurde, wie es sich erklärt, daß dieser Anwärter auf den Thron von Baden 1828 in Nürnberg der Welt und ihren Träumern wiedergegeben wurde. Auf Befehl Feuerbachs mußte Hauser, inzwischen an Kindesstatt ange­ nommen, von einem den Kontinent rastlos bereisenden Lord namens Stanhope, der sich eilig ins Ausland entfernte, nachdem er seinen Adoptivsohn gierig auf ein Leben ganz oben, ganz nahe an der Sonne gemacht hatte, in die enge Kleinstadt Ansbach umsiedeln, 1831. Die Schreiberlehre im Appellationsgericht war Endstation.

Hauser, der sich einerseits vor seinem Logisgeber und Lehrer wegen eines zerbrochenen Leuchterhenkels rechtfertigen mußte, andererseits in den provinziellen Salons, im Haus des Regierungspräsidenten ver­ kehren durfte, dem so Großes prophezeit und so wenig erfüllt worden war, starb am 17. Dezember 1833 an den Folgen eines Messerstichs. Drei Tage vorher war er, aus dem Hofgarten kommend, bei hereinbre­ chender Dämmerung durchs Schneegestöber nach seinem Quartier gestürzt, schwer verwundet. Am Tatort, nahe einem Denkmal, ausge­ rechnet, auch noch dem des Dichters Uz, blieb ein kleiner Beutel zurück. Ein Zettel wurde gefunden, in Spiegelschrift, was anders. »Hauser wird es Euch ganz genau erzählen können, wie ich aussehe und woher ich komme.«

Der wunderbare Findling, der lebendiggewordene Traum, unser flakkemder Stern, dem alles zu versanden drohte, hatte sich ein neues, endgültiges, eigenes Ziel gesetzt und hinterließ, als er starb, ein kunst­ volles Arrangement von Rätseln, Geheimnissen, Möglichkeiten. Auf dem Sterbebett sagte er: »So abkratzen müssen in Schimpf und Schande«. Aber bereits am Anfang hatte er mehr gewußt. »In der Nacht sitzt das Finstere auf der Lampe und brüllt.« Es war wie ein Traum, es blieb wie ein Traum.

25

VIELLEICHT Vielleicht lebt jeder allein im Schutz seines Mantels vergessen in seiner Wohnung Auf der Strasse nicht zu erkennen Wer hätte mehr als seinen Mantel und seine entfernte Behausung

NOTWENDIG Notwendig daß es ihn gibt der dich hereinläßt und holt einen Stuhl aus dem Nebenzimmer ein kleines Sofa als ob er wüßte wie lange du rumläufst und wo du schon warst er legt seine Jacke dir über die Schultern eine wollene Decke Notwendig daß es ihn gibt der dich nicht ausfragt und verlangt keine Ausweispapiere als ob er selber mal rumgelaufen wäre nachts ohne Namen

29

Verflucht die nächte die mich wieder zwingen den köpf an eine wand zu schlagen die mir für lange zeit kein beil zertrümmern kann

jetzt braucht der tag den mann das steuer eine feste hand und jedes neue fremde land braucht eine neue list

was noch ganz zärtlich lebt lebt oben tief im aug lebt hinten tief im mund lebt innen tief im ohr

lebt wo sich weiches weidegras für heimwehherden wiegt und lebt an jeden hauch geschmiegt der aus den jugendwäldern weht verflucht die nächte hinter unendlicher wand

30

MEDUSA ich habe, medusa, dein äuge gesehn zu den großen tagen des lichts erschien es zur ernte, als die steine aus dem schatten des roggens zurückkehrten in die trockenheit der furche und der staub abends aufduftete wie zum feuer

ich habe, medusa, dein äuge gesehen als ich die haube trug aus weißem asbest und mein glied umspannte, die riesige frucht blauen metalls, damit ich das feuer erfrische, wenn es zur seite sich legt eine dunkelnde garbe

was willst du, hast du gesagt, was willst du tot sein, habe ich gesagt, stein sein nichts mehr wollen und nichts mehr werden nur den gesang noch schüren, daß die glut rosig auf mein erstarrtes gesicht fällt wie aus schäm geh nach new york und küsse den stein hast du gesagt, geh nach london, berühr sie im dunkel, die Stadt, in marseille wenn der hafen den atem der fische anhält folge dem sanfteren wink einer frau in den abend ich habe, medusa, dein äuge gesehen dem man dies, und jenes, und den schreck nachsagt aber mich abgewandt, wie ich mich abwandte von den frauen, die mir tröst boten zur ernte da ich ins licht stürze aus dem schatten die zu mir sagten: sprich dein gedicht in den staub

31

ZU NEUEN MORGEN Wir liegen und warten auf unseren Tod das ist mein erster Gedanke heute aber du liegst einfach da kleiner Held mit der Grenze der Bettkante und der Reichweite eines langen Blicks und lachst mich breit an Du willst die Wörter ? Hier hast du die Wörter Sie sind so weichgeworden daß das Schönste an ihnen ist sie zu drehen bis sie fast stimmen Eine Fliege ! sage ich und sie fliegt weg nur das Wort ist noch da und du verstehst mich nicht Du sagst deinen Namen und ich habe Angst dein Name könnte eine Nummer sein Wirst du stärker sein müssen als ich und meine Väter ? Wir werden zu den verborgenen Eindrücken gehen den Rückseiten der Schönen Welt Niemandsland weil alles jemandem gehört zu den verschwiegenen Bildern und den Orten wo die Rahmen platzen Nichts soll fertig sein vor deinen Augen niemals diese Kulissenstürze eines Tages ! Ich will dich stark machen für deinen Kampf aber reicht meine Phantasie aus deine Kämpfe zu ahnen ? Am Ende scheinen einfache Wahrnehmungen zu genügen Du lachst weil ich den Zucker nicht finde und ich liebe es nicht stark sein zu müssen vor dir sondern hilfreich Das Wasser reißt die Teeblätter auf vor deinen großen Augen in denen ich die Gräber meiner Ahnen betrachte Ich schau dich an wie ich weiterlebe am Rand der Maschinen unaufhaltsam in unserer Art

32

DIE MÄRZLICHE UNGESTIMMTHEIT 1978 Meine Unruhe führt den Bleistift Über das Geschehen auf dem weißen Papier, Wörter, die auf und ab gehen, dunkel gefärbt. In Rom wurden fünf Begleiter um Moro erschossen, als die Sonne heute auf meine Straßenseite schien, blutige Erde, wir feiern bald wieder Auferstehung. In unserm Land täuscht der Friede ohne Zeitungen, bei Streik und Aussperrung stirbt man weiter in der Tagesschau. Krieg im Libanon, im Krimi, auf den Straßen, über die stürzenden Helden und herumliegenden Leichen sucht jeder nach seinem Alibi. Welcher Zorn ist hier gerecht ? Gestern noch Thomas Manns Tagebücher von 1933 offengelassen, mache ich mir jetzt Musik, bei Brahms lege ich meine Beine ruhig. Über den Rücken fährt immer wieder ein Zucken und verbindet meine Gedanken auf vollkommene Weise mit dem Schmerz. Weit bin ich durch die märzliche Ungestimmtheit in meinem Gedicht gegangen, wo keine Amsel singt. Nur im Fenster spiegeln sich jetzt einige Wünsche doppelt beim Nachtlicht. Bald werde ich in Polen meine frühere Heimat besuchen, gefrorenen Mundes und auf homerisch blind sein bei dem Anblick, von jenem zweifelhaften Glück ergriffen, das hinter der Wirklichkeit ein Zeichen gibt, wieder zu suchen das zertrümmerte Auge auf dem Weg ins Nichts, das noch sagt: »Es ist vollbracht!« Hier ist ein Tuch von mir.

33

ABER EBEN MEINE GESCHICHTE Vorhin besuchte uns der arme Mann aus dem Toggenburg, erzählte von seinen Wanderungen, seinen Grillen, seiner Neigung, aus der Haut zu fahren, seinen Selbstmordgedanken dem Salpeter, den er siedet, dem Gam, mit dem er handelt. Ein Wirrwarr, meinte er, aber eben meine Geschichte.

ZWISCHENGEDICHT Fertig von der Arbeit, meinem einzigen Leben fall ich durchs Fenster und flieg davon. April ist es, die Sonne scheint auf den Kazetbauplatz und Gerüchte schwirren, winzige Wahrheiten mit mir durch den Mief DKPler haben einen KPler zusammengeschlägert und ich sack mit der Frage ab die heißt: Genossen, was veranstaltet ihr noch ? Bestimmt putzt jemand sein Auto auf Hochglanz wenn die Neutronenbombe hochgeht und ganz sicher jaulen dann die Sirenen bis in alle Ewigkeit. Kaputt vom Dichten, dem verarschten Geschäft bleib ich auf den Landkarten sitzen es ist April, und auf den Kompressoren taut der Schnee. Ich möcht grüne Farbe auf die Straße schütten das Blut wird mir zu rot.

34

WINDSTOSS Wars ein Hauch, der mich betrog, Dass ich auch von dannen flog, Wenn der Zweige Weisse Neige Blühend unterm Wind sich bog ? Blüten haben kurze Dauer, Schwirm wie Vögel aus dem Bauer. Aufgescheucht, Regenfeucht Weht ein Wind sie von der Mauer.

Streut ein voller Zweig sich aus, Schweif ich selber mit hinaus. Doch es endet, Wie’s versendet, Denn ich selbst hab auch kein Haus.

ZERFALL Wenn wir die Erde aus unserem Zeitgefüge fallen ließen Wenn wir genössen nur hier zu sein wahrzunehmen das wuchernde Gras Stille machte sich breit und wir lebten ohne den unaufhaltsam uns weiterdrängenden Zeitbegriff ohne Uhren am Arm und erlebten gelassen den schönen Zerfall des Entbehrlichen

35

RUHEN Wär es möglich zu ruhn in sich selber einen Augenblick Schöpfer Geschöpf vollkommen im Gleichgewicht wie ein Berg ohne Erregung im Angesicht der Gestirne einen Augenblick der den Weltatem anhält Wär es möglich den Blick ihrer Augen aufzufangen einen zeitlosen Augenblick

du schläfst und liegst bei deinem haar dein weißes bein ist aufgestellt und ich, darauf es ruht, ich bin die weit bedrückt von deinem schlaf, bin die gefahr die leise deinen träum in atem hält

du schläfst und liegst bei deinem haar ein flüstern hab ich an dein ohr gebettet es spricht zu dir, daß ich der abend war die trunkenheit, das zittern im pessar es spricht zu dir das dunkle, das mich rettet

36

ZEITDRUCK Fünf Minuten hab ich noch YOUR SAVING GRACE eineinhalb Zentimeter Kippe am Filter und Coca-Cola-Zähne keine Lust zu wichsen keinen Bock zu pennen es ist wirklich nichts genaues mit mir los. Wo bleibt der kluge Satz voll Poesie, das dicke Ende ? Ahja, jetzt hat es mich. Ich melde mich freiwillig gestorben.

MONSTERMÄSSIG Im Hausflur klemmt die Nacht zwischen den Speichen der Kinderwagen Da hock ich die Stirn tief im Gesicht und schieb eine Kugel aus Luft im Mund herum Besoffen bin ich Ausschlafen möcht ich nochmal bevor ich mich umbring

37

SO EIN TAG Soll ich etwa nicht ausrasten nicht mit der Faust auf den Kantinentisch haun nicht brüllen daß selbst der Kaffeeautomat sich verschluckt wenn in diesem Frühjahr die Sonne durchs drahtverstärkte Fensterglas die ersten Fetzen wirft auf meine Sicherheitsschuh soll ich da gelassen die Knöpfe drücken die Hebel ziehn die verstaubten Sprüche der Vorarbeiter schlucken und alles so laufen lassen wie immer als wär nichts geschehn mit mir seit Jahrzehnten

Schon gut ich raste nicht aus ich drücke die täglichen Knöpfe ziehe die täglichen Hebel und schaue gelassen in diese scheinbar ewige Maschinenhalle durch die sich manchmal immerhin die Sekretärin schlängelt (aus dem Lohnbüro) Der hefte ich einen Pfiff an den Rock sie lächelt und abends blinzeln wir in unser Bier und reden über den Tag der schön war wie wir von der Kellnerin hören

38

ER FINDET SEINE HUMMEL TOT Hausgenosse im Holzgiebel. Über das Wort Erdanziehung konntest du nur lächeln. Märchenhaft deine ballistischen Reisen. Und wie stand dir der kaffeeschwarze Pelz mit dem goldbraunen Kragen ! Dein Auge sah rundum, mit deinen Antennen empfingst du Radio Kopenhagen. Zornig, ja wenn es sein mußte; viel eher leutselig und Gevatter den Bienen.

Aber sobald du heranbrummtest, zogen wir lieber die köpfe ein.

Ich hielt dich für einen Bernhardiner inkognito. Einen leicht aus der Art geschlagenen Dickhäuter. Auf dein rundes Leben und die zwei großen, zwei kleinen Flügel blickte ich neiderfüllt.

39

NOCH vor der Hütte, hölzernes Schweigen, er stand, Frauen, breithüftige Schatten (er streift sie). Auf Eisenrosten sand­ entwundene Früchte. Ihm unter der Zunge das Meer, er aß, er trank Bittres den haarigen Fischern zu.

Als im rissigen Holz spät das Dorf anschlief den Tod, seine Adem, sagt man, haben in anderem Fleisch gesungen, das bog sich oder war’s draußen ? Wind, der in die schneidenden Schalen der Muscheln griff-

40

EINS MIT dem Dunkel die unpaaren Steine, es spricht: ZERBRECHT Zeit über euch ! und, als vom Atem der Wogen bewegt, sie: DAURE !

die in Hauses Blässe Gelaßne !

Fleischgeboren der Schmerz in dir: hell die Stele ihres Blicks. Bis blutrot der Stamm schäl die Rinde, mit ihr schwimmt es sich sicher.....

Daß, die verstummt’, nicht plagen wird ein Schatten, ich gab den Eichen das asphodelengültige Wort:

weißblütig, es fliegt mit den Spatzen den Himmel ab

für Peter Wessels

41

NIE ZURÜCK Blut­ kehliges Gestern,

hinab­ spülen den klebrigen Schluck. War einer umarmt ? Bei Tag wer sind wir ? Sand­ dicht aneinander die Schläfen, noch. Schlaf, Steinhaar der Stunden. Bald vorm Gesicht das Leersegel, breit gespannt.

42

BOTENBLUME Nun ich hier lebe, Schenkt es mir einer ? Daß ich hier sterbe, Wehrt es mir keiner ? Jene rote Blume Mohn Nehm ich als Botenblume in Lohn.

Feurige Lettern Zeichnet sie heute; Doch ihr Entblättern Rechnet für morgen. Mancher Tote nimmt mich schon Für eine rote Blume Mohn.

Heute zu sterben, wünscht mir nicht einer; Morgen zu leben, Rät mir keiner.

ICH GEHE JETZT Ich gehe jetzt. Das ist nicht so leicht, wie es gesagt wird. Türen stehn nicht einfach offen zum Weggehn. Vieles bleibt an seinem Platz Blumen, Stühle, Leute in Sesseln. Ich muß an ihnen vorüber. Draußen erwartet mich niemand. Nichts ist draußen anders als in einer Wohnung, die man verläßt dieselben Schatten, die zurückweichen, ein paar Bürgersteige, bekannte Gebäude. Man lächelt draußen wie drinnen über die, die gehn wollen oder wenigstens den Versuch machen, zu entkommen. Darf ich jetzt gehn ? Ich gehe schon, während Augen mir ausweichen.

43

BALLADE Als die beiden nach Hause kamen, war der Tee in den Tassen getrocknet. Ein Paar Hosen hingen locker über der Sofalehne, die Schallplatten waren aus den Hüllen genommen und nicht wieder zurückgeschoben. Die Stühle standen an ihrem Platz die ganze Zeit, die sie weggewesen waren, auf den Straßen, unter Fahnen, in Räumen mit schlechter Akustik. Die beiden ächzten, während sie die Schuhe auszogen, sie streckten sich und sahen einander nicht an. Tatsächlich, sie hatten alles sofort wiedererkannt und gingen mit denselben Bewegungen wie früher durch die Zimmer, um die Fenster zu öffnen und ihr voriges Leben neu zu beginnen.

IMHOF Unterhosen, lauter weiße Unterhosen, so locker über die Wäscheleine geschwungen. Darunter steht sie, stämmig, den Korb leer, und schaut hoch, schaut hinauf in diesen Zug luftig gebauschter Wolken, wie sie still über die Leine schweben und nicht fortziehen Die Arme in die Hüften gestemmt, den Kopf gehoben, sieht sie die Wölbung ihrer Formen vom Hintern in den Himmel gehängt.

47

ERWACHEN Nachts, an meinen geschlossenen Augen, War es ein Blumenzweig ? War es der Todesvogel ? Mit so lieblichem Duft Und so dunklem Geraschel Drängten sich beide in eins ? Nimm und halte mich, Freund, Denn oh, die betäubende, Schläfen umrauschende Liebe sie naht mir !

NACHTKAFFEE Schon wieder wir beide. Liegen auf dem Bauch und sagen »Eine rauch ich noch«, schauen auf zwei Tassen heißen Kaffee. Ich streiche die dir Spannung aus den Schultern. Vor zwei Stunden flog die Tasche mit Büchern in die Ecke und du erschöpft aufs Bett. In den Büchern sind die klarsten Sätze markiert, »Je mehr, desto.....«, und so viel von uns kommt nicht vor in ihnen. Die Erklärungen reichen, solange ein andrer über dich und mich reden kann. Sie reichen nicht in dieses Zimmer in diesem Augenblick, höchstens als Erinnerung an die Angst zu leben. Geht es dir nun besser ? Ich war heute in den Kaufhäusern und habe niemanden gesehen. Ich wollte nichts lesen, nichts schreiben alles schien entdeckt. Die Gedanken an dich waren Gedanken ohne Unruhe. Wie schnell es geht nebeneinander stumm zu werden, obwohl die Münder sich noch bewegen. Ist das ein Selbstgespräch ? Wir einigen uns auf das Frühstück machen das Licht aus und wollten wach sein wenn die Sonne aufgeht in den dunkelgrünen Tassen mit heißem Kaffee.

48

UNSERE BÄUME Finsteres Auge verwünschender Mund Augenweide ich kenne mich nicht nur durch dich Meine Augen niemals gesehn aber deine Und die Farbe des Himmels Wenn wir an der oder jener Ecke uns trennen Ein Baum macht den Abschied leicht die Blätter Gehn zugrunde und seine Wurzeln Die Rinde bricht ab der Mauersegler Kalt aufgewachsen fliegt durch die Bäume Wir gehören ins Laub.

KADENZ Wir sehn uns selten. Sehn wir uns so treibt uns eine Strömung auseinander weiter als zwischen diesen Stühlen dieser Raum Die Luft wie jeder sie für sich verbraucht! Wir reden dennoch so als wäm wir heiter

Wir sagen alles was wir tun allein mit andern, seis bei Tag Nacht oder Traum sind leer und ohne Heimlichkeiten vor einander, loben die vergangne Zeit Verstohlenes Zimmer weißt du mit dem Flur in dem die Hirschgeweihe hingen. Dein Atmen und nebenan die alte Frau als gäb es keine Wette was da bleibt

Du atmest, aber nicht für mich. Verlor ich schon die Wette ? Ich will so genau nicht wissen wann der Kerzenstumpf verraucht Bist du noch da ? Ich will dich halten, nur die Hand der ich befehle kommt nicht weit

49

NACHTRAG ZUM JANUAR Als wärs noch eben gewesen: Der wolkentreibende Himmel das Winterzimmer Gitarren im Kopfhörer in Pausen rauscht die Spülmaschine die Kinder radeln am Gartenzaun vorbei ohne herüberzusehn Du auf dem Sofa lesend (glaubst du dem alten Kalendermann der die Zigarre nicht ausgehn ließ ?) Waren wir gestern verstritten haben wir uns versöhnt ? Keine Antwort ist auch eine Antwort Nein sagst du keine Antwort ist keine Antwort Das war gestern oder das war vor zwei Jahren Gestern da sprachen wir über Geld und die Noten der Kinder waren uns einig darüber mehr Leute leben jetzt allein Aber es war das gleiche Licht in dem Zimmer als ich fortging und ich könnte dir sagen jetzt wies weiterging damals: ich stand am Fenster (wie gestern) zeigte auf den orangeroten Ball der vom Sommer noch übrig war Du sahst zur anderen Seite und sagtest Die Zaubemuß blüht!

50

KLEINE JEMINA An den Geländern aus Staub die Abstiege der flitterbehängten Damen, circusumweht aus der Sahara gekommen. Kleine Jemina ! von einem Fischer über das Meer gesegelt und dutzendmal in seiner Kajüte und den zerknüllten Bettüchern genommen, schon ganz ohne rot zu werden gelangt sie in die übertünchte Stadt, steht an den Straßen winkelt zur Seite ihr leichtes Kleid, wo zu sehen sind die Beine, so oft angefaßt. Schön wie immer mit Sandalen aus Tuch auf Holzsohlen klappert sie übers Trottoir und die Männer alle mit ihren ausgebeulten Hosen ziehen sie aus bis auf ihre wundersame Seele, die zeigt sie niemanden. Nun schon drei Jahre zaghaft im Geschäft und schlecht bezahlt mit Zerriebenem unterm Bauch, doch unschuldig noch immer geht sie hinunter die Treppe. Leckt sich die warmen Regentropfen von den Lippen, wo herab der Lippen­ stift rinnt in dünnen Strähnen bis in ihr Heiz. Das weint nach innen. Aus Sehnsucht zurück zur Wüstenstadt am Rande des Meers zurück zum Mann, der sie in den Mantel nimmt, in eine der großen Taschen, die er hat. Aber der schreibt seitenlang Briefe per poste restante, die nie ankommen. Es gibt zuviele Postsäcke. Zuviele fallen hinab in den nahen Fluß. Die Schrift verwischt, die Zeichen zum Wiederkommen bleiben irgendwo versteckt und nur morgens der Postbote im hellblauen Hemd und gescheitelter Hose, nickt ihr zu und hat Mitleid drei Sekunden.

51

Wehte die erste, Wehte die märzliche Sonne im Beet, Hob sich das reine, Erste und purpurne Primelgesicht.

Hob ich das meine, Weil mich ein feuriger Schatten umfing.

Traf ich das deine, Weil mich die schwärzliche Wimper gestreift.

AUS DER MENGE HERAUS Ich geh heut aufs Ganze, Schwester, ich bin offenbar in Form, der Dichter in mir fühlt sich noch jung, täuscht euch bloß nicht mit eurer Wissenschaft. Vor Heckenrosen ziehe ich mal tief den Atem ein, aber dahinter habe ich schon lieber eine Verabredung mit dir. Der Kosmos hat nichts zu lachen, aber du wirst auf mich warten, denk ich, aus der Menge heraus erkenne ich dich an deinen hell strömenden Augen, die ich in mir nicht überwinden kann.

52

ZUGLUFT Ich werde jetzt nicht duschen unter Trauerweiden der paar Dreckränder wegen die jedes zweite Bild auf der Tapete hinterlassen hat oder mich verscharren unter einem Haufen morschen Pergaments und mit den Zähnen knirschen nur weil du meinen Mantel genommen hast im Sommer und ihn geschleudert in diesen flammenden Herbst Mir fehlt der Glauben an diese Männer hinter verregneten Windschutzscheiben die zwischen den Zigaretten im Standgas beschließen jetzt erstmal Helden zu werden so mit Happy-End im Handschuhfach das Theater möchte ich uns doch ersparen Wir gehören nicht zu jener Generation die ihre Sehnsucht im blonden Hollywood verbluten ließ

Ich möchte meinen Schmerz nicht in Formeln verpacken und per Nachnahme verschicken an irgendwelche Utopien kein Fahnentuch ausbreiten über diesen täglich splitternden Spektakel - ich möchte zu dir Ich weiß ich war kein Engel in letzter Zeit aber ist das hier der Himmel hier wetzt dir die Zugluft die Schultern wund hier brennt dir der Asfalt unter den Sohlen hier kleben wir fest an verflusten Gefühlen komm wir reparieren unsere Flügel

53

JUNGE FRAU, ALS STUDENTIN Am Nachmittag Schampoo ins Schamhaar gewaschen, das Radio ans Fenster gestellt, später ans Bett, unter den Kleidern Haut gesucht, sanft, auf der Couch. Überall sonst ist was los, die Kassen klingeln, Autos werden repariert, Fleckenmittel verkauft, neue Schlüssel treffen ein, Halteschilder neu. Hier ist nichts los, Urin, gelb im Becken, Mann hat »abgespritzt«, Mann weg. Im Eimer unter dem Waschbecken löst sich die Farbe vom Pinsel, verstaubte Kosmetikdose auf dem Sims, Tube zerknüllt.

Finger in den Schamhaaren, sie zupfen, dann gehen sie tiefer, ins Zentrum, locker, mit Nachdruck. Später neue Vokabeln, Lehrsätze, Kaffee, zarte Fahne ! Abendbrote, ein rosa Streifen am Himmel knapp über den Dächern, Gisela ruft an, Mann krank vor Ichsucht, »brauchst du Hilfe ?«, »alles in Ordnung«, ein Brief, die Gründe klarzulegen, folgt.

Nochmals das Badezimmer, Gedanken an morgen, zärtliches Gefühl, wenn der Dozent spricht, aber zuerst der Text gegen Gewalt an Frauen.

Schließlich »poems«, auf englisch, Sehnsucht unter dem Lampenschein, sie hört, im Traum, die Rufe aus der Kindheit, nein, Tochter der Erde, nicht zurück zu Haarspray, Augenaufschlag, Demut.

54

Steck dir Dein Schweifchen an Glitzernder Stern komm Unter mein Dach Kriegst auch Bier

55

Alle diese Wörter seien zum Erfahrungmachen gemacht - außer dem Wort ERFAHRUNG selbst. Es sei untauglich, dies Wort, undienlich, in diesem Kontext zu nichts zu gebrauchen.

GEDICHT FÜR DADELSEN Ich hätte Sie niemals gelesen vermutlich Aber an einem Abend in den sechziger Jahren nachdem man getrunken und ausgiebig politisiert hatte drückte der Hausherr klein etwas dicklich Buchhändler und Neffe des örtlichen Bischofs welcher die Pfaffen (wie er immer wieder sagte) »gefressen« hatte und Adenauer dazu (bei dem ich nicht verstand wieso er soviel Gefühl erregte) Ihren JONAS mir in die Hand weil (wie er sagte) ich etwas für Lyrik übrig hätte und weil der Verlag ohnehin auf dem Buch sitzenbliebe Ihr Buch Dadelsen schön gedruckt und in grünem Leinen: da las ich es wie man Bücher halt liest halb interessiert süchtig nach schönen Stellen stellte es wieder fort und wußte zugleich ich würde es nie ganz vergessen Auch den Neffen wie ich ihn nannte vergaß ich nicht weil er gern seine Weine trank weil er aß mit Lust (Aal gabs an jenem Abend) weil er schwitzte und schimpfte (auf Pfaffen und alles Schwarze): weil er fromm war Dann Jahre später wurden die Reden maßlos eine Schimpfimühle mechanisch der ganze Mann ein Tumor wurde entfernt er zog fort verschwand

59

Man erzählt nicht umsonst solche Geschichten: Sie wissen das: doch wie wenig weiß ich von Ihnen ? Von Ihrem Lachen hörte ich von Ihrem Charme den Sie zu nutzen wußten bei Fraun was immer das heißt von Ihren großen strahlenden Augen Jemand lebt und schreibt, über und unterm Nabel Der beschreibt wie Onkel Hans sein Spätzle in die Baseler Butter seiner Cousine taucht Der den Ewigen anruft wer immer das ist weil Gott uns ZERSCHLÄGT und ZERSTÖRT — und ich versteig mich rede Sie an wie einen älteren Bruder der den Weg schon gegangen ist und mir zuwinkt

Niemals hätte ich Sie gelesen: nun hab ichs Es ist nicht der Text das Geweb: die Löcher sinds die plötzlich klaffen das grundlose Leben ists die Ängste der Augen des Körpers des Geschlechts und Tode Trennungen sind die Lesezeichen Was wird man denn fortan tun ? Ich habe Angst vor Ihrer Antwort Dadelsen vor den Tröstungen die ich nicht begreife weil sie größer scheinen als Ihr unbegriffener Schmerz Was soll man tun ? Wer möchte nicht GENESEN STERBEN Nicht wie ein alter Kürbis der im Wind zerplatzt

JEAN PAUL DE DADELSEN, 1913 in Straßburg geboren, starb 1957 in Zürich an Krebs. Sein dichterischer Nachlaß, zunächst Albert Camus, dem gleichaltrigen Freunde, anvertraut, wurde nach dessen Tod 1962 unter dem Titel ‘Jonas’ bei Gallimard herausgegeben. Die deutsche Ausgabe ‘Jonas’, übertragen und mit einem Nach­ wort von Oswalt von Nostitz, erschien 1964 bei Jakob Hegner (Köln & Olten). An­ spielungen und Zitierungen in meinem Gedicht, das seinerseits Dadelsens Zitier­ technik aufhimmt, beziehen sich auf Texte Dadelsens und auf das Nachwort Oswalt von Nostitz’. H.H.

60

ICH KANN DAS NICHT Ich kann das nicht im Gedicht: Rosen zerbrechen, Grenzpfähle anerkennen, ein Kaufhaus stürmen, den Himmel für unsere Ungerechtigkeit einnehmen oder denkend ohne Menschen auskommen, das alles kann ich nicht, macht mein Gedicht nicht mit. Retten wo noch etwas zu retten ist.

IM SCHLOSS Ich spreche mehrere Sprachen in meiner, Das macht, daß ich bin, der ich war, der ich werde, Sein könnte, nicht war und nicht werde, nicht bin. So regiert Sprache den Raum und die Räume, Zutritt zu diesen gestattend, verwehrt sie Bei Strafe des Todes den Eintritt in jenen. So liebt Sprache den Menschen, denn was sie Vor ihm und seinen Sinnen sorgsam verbirgt, Ist der Reflex des eigenen Nichts und der Leere Im Spiegel verbotenen Raumes, den er, wenn Sprache Vermeintlich entschwindet, sich öffnet, den Schlüssel, Das Bein schnell erdrosselten Vogels Geduld, In den im Nichts sich verlierenden Händen.

Wo ist sein Schatten, und wo ist Schlemihl ?

61

SPROSSER Rezitativ und Koloratur. Im sensiblen Stakkato des Marders der Regen Auf tönenden Ziegeln. Alarmiertem Gehör Wächst inmitten sich weitenden Dunkels Entwarnend die Lilie.

Zwischen nächtlichem Singen einzigen Sprossers Und allmorgendlichem Prélude Zahlloser Vögel augenblickslang Die melancholische Stummheit unwiderruflich Sich vollendender Frühe. Vorm verblassenden Fenster des Halbschlafs Im nassen Gezweig vielleicht letzten Von dir nicht gepflanzten, niemals erblühten Blühenden Baums filigran das Geflecht Einer leeren Voliere.

AM ENDE STEHT DAS WORT Nach einer Aufführung von Becketts »Warteii auf Godot«

Wenn ich über Blumen nachdenke, vermisse ich Zärtlichkeit, es wird Abend in mir. öffne ich das Fenster, möchte ich einige Wünsche nennen, so frisch am Morgen sein einen Leser zu umarmen. Mit jedem Flügelschlag der Möwe fällt mir eine neue Silbe ein auf ihrem Flug, zu einem schönen Satz. Estragon kann seinen verdammten Fuß nicht mehr mit jenem Schächer tauschen, der am Kreuz gesegnet wurde. Er kann auch keine Möwe sein und ihr Traumziel mit Worten nicht mehr beschreiben. Warte nur, warte bald kannst du das Wort auch nicht mehr finden.

62

WARTEN An meinem alten Tisch auf alte Weise schreibend, immer noch mit der schwarztintigen Feder auf altes Papier - auf der Rückseite steht ein verbrauchtes Gedicht

schrieb ich: die Freiheit ist Recht und Unrecht zugleich, und das Leiden schmälert sie nicht. Aufblickend dann in den hellen Himmel über der Stadt, sucht mein Auge den Schatten, der fallen wird, lauscht mein Ohr auf die Schritte, die ums Haus gehn und auf den doppelten Ton der Schelle.

Denn was beschlossen ist über mich, kann jeden Augenblick in meine Tür treten.

CARAVAGGIO & CO. Es ist das schöne Leben von einem Augenblinzeln zum andern ver­ scherzt. Aber so ganz lautlos ist die Vorstellung nicht aus. Man wird immer noch ein Wort oder ein Flüstern hören, ehe der Vorhang fällt, obschon nicht alles anmutig wie ein Kartenhaus zusammenfällt. Die aufwendigen Überbauten stürzen ein als wären sie ein happening, die glückverheißenden Vorbedeutungen erweisen sich als Finten.

Vielleicht noch knapp am Knast vorbei, aber man wird schon mal vom Streifenwagen angehalten, der Promillegehalt geprüft, der Name akten­ kundig gemacht. Ab 1600 taucht beispielsweise Caravaggios Name immer häufiger in den römischen Polizeiberichten auf. Es bleibt nicht bei den nächtlichen Schlägereien, er verwundet einen päpstlichen Ser­ geanten, verletzt einen Nebenbuhler mit dem Degen am Kopf, tötet einen Partner beim Schlagballspiel. Zuletzt natürlich das heimtückische Fieber, dem man erliegt. Armer Platen, der fern der Heimat stirbt, armer Pasolini, dem Amor Vincitore an einem nächtlichen Strand den Rest gibt.

63

DIE VENUS VON URBINO Sie liegt splitternackt, wie es sich gehört, eine unüberschreitbare Schranke aus Marmor, ihr zu Füßen schlummert ein Hündchen, das sich um die Schaustellung nicht kümmert, es hat sich fröstelnd zusam­ mengerollt, denn von dieser Herrin geht keine Verführung aus. Eher läßt sich der Betrachter in den Hintergrund des Zimmers führen, zu den wärmenden Schatten und zu dem Purpur, wo ein Mädchen in einem weißen Kleid vor einer geöffneten Truhe hockt, betört von den Rätseln, die sie enthält: ach, immerzu in diesem golddurchwobenen Dunkel kramen und darüber die Zeit vergessen !

BOSCH Diese Schädelöffnung in der Geschichte Europas, Malerei in den Marmorgruben der Angst: die graugewordene Winterratte im Auge, Verrat unter der Zunge wie Ölpest, Fische aus Blei und Blut wie Teer, Kutten, Kreuze Kniefälle und Schweiß als Einstieg ins Nest der Sommerratten, überheizte Kathedralen gegen die Aufklärung da vom: Bosch kämpft.

»Ich werd mein Auge, kopflastig dies Küken am Galgen, nicht warnen. Ich verschiebe mein eigenes Glück auf morgen, ins nächste Bild.«

64

RECHTFERTIGUNG DES PHILOSOPHEN Aber Marx wußte was er sagte, was weiß ich ? In diesem neunzehnten Jahrhundert, voll Von nackten Tatsachen, und keine Kunst Die sie auffraß, sah man noch durch Auf den Tag, an dem die Ketten reißen. Was immer kommen mußte, schrecklicher So rettender wars. Das hätte schwächeres Fleisch Befeuert fortzudenken. Die grinsende Gewißheit der Klassiker und die langen Gesichter der Nachwelt. Wohin soll ich denken ? Nach vom immer durch den Vorhang von Blut Der Blick auf die Kulissen und nicht hinter. So viele Kunst und hat nichts zu bedeuten. Im Programmheft steht nichts über den Ausgang Und in der Vorstellung verbrauchen sich die Köpfe. Was immer kommt ist besserschlechter oder als. Was mir die Augen, öffnet nicht die Lippen.

PROZESS GALILEI Galilei, die nackten rosigen Füße Auf dem heißen Fleck in der Kirche der Jungfrau Wo der Verbrannte kürzlich schwieg, er aber An diesem Vormittag in der Stadt Rom Schien es wirklich, als stünde die Erde Still, und nur er, der Eine, konnte sie Jetzt bewegen mit einem Satz, er wußt es Und war Gott gleich, riesig und überflüssig Ging gebückt ins Licht in den Gassen mit seinem Gespickten Leib, ein so großer Verräter Daß genug Hände auf ihn zeigen würden.

65

BRUNO Schwieriger Umgang mit dem Abweichler Es hilft nicht, die Instrumente zu zeigen: Er hat sie beschrieben Er beharrt auf seinem feindlichen Standpunkt Daß sich die Erde bewegt Die Vemehmer glauben sich zu verhören Im Knast agitiert er die Mönche Als wüßten sie nicht wo Gott wohnt Die Folter verfängt nicht: er singt ein Tedeum Wohin mit ihm ? die Hölle nimmt ihn nicht auf Verbrennen wäre die Lösung, doch die ist nicht neu

AN FREUND UND FEIND Wie wir das lesen, Ist unsere Sache: Jeder gegen jeden, noch immer ? Und der Gegen die symmetrische Welt.... Die Wahrheit ? Ja, Doch nicht die ganze. Sicher: Hier läutet nicht nur die Galle, Hier Wird die Trommel Kaum noch gerührt. Sandkorn um Sandkorn Rieselt die Eisenzeit Ein in das Unsere Und durch die Welt Der Schafe und Sterne. Wir sagen uns Zaubersprüche. Wir schreiben uns Briefe mit blauen Siegeln. Wer aber Soll das re-zensieren ? Wo wir auch hinsehn: Die goldenen Stühle Längst schon besetzt Von Kopien nach Originalen.....

66

HÖLDERLIN IN DEUTSCHLAND Wir bringen aber die Zeiten Untereinander, kopflastiges Herzfleisch brüllt, überhaupt Rattenfalle Erde und Filme über uns laufen wie Regen ab und Tauben ein in den Blutschlag, als gäbs nur dies. Dies andre Land, gründlich verdoppelt, Schlachtschüssel gefüllt mit Gedichten, reimlose Rezepte für den Bußort von Deutschland, Masse Traurigkeit, satte Fettspalte in der Geschichte Europas. Gedichte, ach ja, senkrechter Start in die Gummizellen der öffentlichen Meinung (»das kannst du laut sagen« »ich bin doch verrückt, da können Sie fragen wen Sie wollen«), geil auf die schiefgegangenen Liebschaften die krumme Geschichte der Führer die streikenden Karosserien des Alltags die amerikanische Biografie blauäugige Ordnung des Lebens, Schlagfluß Kommentar. Die Einsicht in den größeren Zusammenhang ist die Bedingung für den beispielhaften, kleineren Totschlag, immer schon Zukunft: wir und nicht sie, kopfunter und kopfab

das Fremde, schöne Andere, anders als wir, auch dein Gedicht. März gegen die Öfen des Winters, ausgeschrieben auf Teufel komm raus, Sperrstunde Gedicht, kleines Leben, immerhin das.

Laß uns färben den Schnee mit roten Mützen, den Schnee färben mit grauer Sehnsucht, laß uns liegen, wie der später aus Hessen und Straßburg sich gewaltig den Bräuten in den Schoß legte mit seinen Frühlingsbriefen gegen den deutschen Tod, gegen die Sprache da oben, immer Knecht der praktischen Vernunft, wenn deutsche Grammatik über Länder geht wie Lemminge, lautes Zittern. Heillose Vermischung, unbelichtete Filme, Erde.

67

Laß uns färben diesen Schnee nachts, Stottern, ein Gedicht lang gerecht. Als gäb’s nur dies noch im Land, aus Gründen und gründlich verdoppelt, wir färben den Schnee mit Lerchen, mit Schatten von Sonne hoch oben im Turm, die Füße im Wasser, das friert.

METAPHORISCH Von Erde zu Erde. Die Metapher bin ich. Das Ahnen unserer Ahnen im Unschlüssigen, nicht geschlossenen Bild einer Ahnung: Ich Bin die Metapher. Von Mund zu Mund. Von Bild zu Bild scheine ich auf Und hindurch. Reduziert auf die Syntax. Bin ich unnennbar, ungreifbar, Verloren von Erde zu Erde. Erst Was ich sage, sagt mich.

Weder Pfosten noch Tür, doch'im Dunkel Der Spalt. Das Durchscheinende Verrät ihn, verrät uns. Unmetaphorisch Sind wir Labiale. In stummer Erwartung Vokalisierenden Lichts. Von Himmel zu Himmel.

Um auf eine Erfahrung zu stoßen, mußt du dich dümmer stellen, als du bist. Stößt du auf sie, bist du dümmer als du dich stellst - sie aber ein bissel klüger als zuvor. Am klügsten sind ohnehin die dummen Wörter.

68

Obwohl mein Vater nicht nur Zeichenlehrer war sondern auch später einmal starb, hat meine Mutter mich zwar sowohl in Siebenbürgen als auch in jenem Jahre, das für mein weiteres Leben ausschlaggebend werden sollte, aber doch geboren.

Ähnlich komplexe Sachverhalte sind seither in zunehmendem Maße daran schuld, daß ich nicht nur Gedichte schreibe, sondern auch andere nicht. Vielleicht hängt alles auch damit zusammen, daß ich in der Schule Platons Schule natürlich; wo gesprochen wird, wann immer, dem blüht sie — nicht genau aufgepaßt hab, wie Schuld und Sühne sich zu Krieg und Frieden verhalten (wie Romane nämlich, einerseits, doch anderer­ seits biographisch, jeweils wie reziprok), und zwar weil ich grad damals unter den Dampfkesseln Nachtschicht hatte, um gegen Ursache und Wirkung ein bissel historisch und ein bissel immun zu werden.

Später war ich Kistennagler, Betonmixer, Wohnbaukostenvoranschlag­ kalkulator, in einer kraus waldigen und ondulatorischen Landschaft, die mit Musik zu tun hat; kurzum, was ich so über mich erzählen kann, ist nachher (d.h. bedeutsam betrachtet) auch wieder künstlich, also kom­ poniert; freilich hab ich dann studiert, in Bukarest, und sogar beim Rundfunk gearbeitet; als Reporter war ich aber schwach. Trotzdem, auch nach ein paar geographisch weiteren Hupfern und Ein­ sichten, krieg ich noch immer eine komische, das heißt freiberufliche Gänse- und Vagantenhaut, wenn ich so sag: »Ich bin Poet« - oder gar: »Ergo sum«. Suspekt, suspekt. Denn von all den Erkenntisgeschäften, über die ich dann Buch führe, sind zwar auch manche abwesend, doch selbst die Vordrucke entbehren fahrlässig der Vollständigkeit.

Ansonsten erkläre ich hiermit, daß ich im Nageln von Butterkisten weniger gut bin als im Nageln von Auberginenkisten, bei denen ich es einmal auf 800 Nägel die Stunde gebracht habe. Es lebe die Aubergi­ nenkiste, sie ist eine Naturschönheit. »Unterschiedenes ist gut«.

69

drei gedichte aus

SO BEGINNEN AM KÖRPER DIE TAGE

alles das je gesiedelt im äuge alles unversehrte, ersehnte den abenden versprochene von kindheit an, alles das ich abgeschaut der leise gewirbelten brust, das unvorhergewünschte auf die körper gespielte licht du hast es, ich sag das nicht bitter, gelöscht hast du es du hast es, - blinden lassen

unentbehrlich sind uns die spiele, die stunden sanfterer fieber um die einsame achse des körpers sind uns die blicke, ihre Tötungen und köstlichen lichtgepflogenheiten, sind uns, gewürfelt, auch worte für die wir uns öffnen wie becher, wie becher darinnen das blut in die lichtbahn rollt betrachtet dagegen die zeit, betrachtet die zeit den dorn, der nach dem äuge geht, dem offenen dem unverschlossenen geschlecht

sprechen wir nicht vom äuge sprechen wir vom apfel. der apfel ist die sich rötende frucht unseres körpers, er ist die sonnenbeschlafene Seite unseres den Witterungen zugekehrten gesichts. der apfel. sein fleisch ist süß wie das herbstgeschenk der bilder, aufgeschnitten ist der apfel der ungelinderte schmerz der durchtrennten pupille sprechen wir vom äuge nicht vom apfel

70

AUFZEICHNUNGEN Wie schön ist die Tischrede, die mir eben durch den Kopf zieht - einen Tag danach, zu spät. Alles, was ich noch hätte sagen wollen, und was in den Augenblicken des Sprechens weggeblendet war. Das Zusammen­ treffen der Gäste werde ich in Erinnerung behalten. Unten, vor dem Stapelhäuschen, kamen sie nacheinander aus den dunklen Seitengassen: die Bekannten mit ihren Frauen oder die Frauen allein. Theaterfiguren des Lebens, auftauchend aus der Vergangenheit, aus Städten, wo ich vor vielen Jahren gewohnt habe.

☆ Kleine, rechteckige Fotografien, neben- und übereinander, auf einem Plakat. Nicht ganz deutliche Gesichter sind zu sehen, unfreundliche. Langes, ungekämmtes Haar; engstehende Augen. Das Fahndungsblatt der Terroristen ? Nein, das Ensemble unserer Städtischen Bühnen; Schauspieler und Schauspielerinnen.

☆ Zum Fotografieren postieren sie sich vor einem großen Schiff, das ihnen nicht gehört, und mit dem sie nicht wegfahren werden.

☆ Ich schreibe ICH und DU und MAN. WIR schreibe ich, wenn wir mehrere sind. Den Pluralis majestatis, den mir ein Kritiker unterschob, als er meine AUFZEICHNUNGEN EINIGER TAGE rezensierte, gebrauche ich nie. Ich verabscheue ihn.

☆ Ein Kosmologe sagt: STERNE HABEN EINE LEUCHTKRAFTGE­ SCHICHTE.

☆ Der Einbrecher nimmt eben die schwarze Binde ab und grinst mich an. Er erkennt mich. Ich erkenne ihn. Ein Freund aus früherer Zeit. Er ist zurückgekehrt in einer anderen Rolle.



71

S-BAHN

1. Eindrücke auf einer S-Bahn-Fahrt Richtung Neukölln: isoliert auf­ ragende Gründerzeithäuser. Auf den riesigen Brandmauern verwasche­ ne Reklame aus den Zwanziger Jahren. Die goldenen Buchstaben der Marke einer Nähmaschine mit Fußantrieb. Fabriken mit zugenagelten Fenstern inmitten dunkelgrüner Brennesselfelder: sie widmen sich der Produktion einer immer neuen Stille, die gestern schon verbraucht wurde. Übrigens: das Grün wirkt handkoloriert.

2. Gegen elf Uhr abends mit einem eiligen Brief zur durchgehenden Post im Bahnhof Zoologischer Garten. In der Halle gerate ich in Blick­ winkel von Männern, die, einzeln oder in lockeren Gruppen scheinbar untätig herumstehend, durch fortwährendes Wegsehen nicht auffallen wollen. Das Gemurmel hinter meinem Rücken verdichtet sich in mei­ nem Kopf zu einem gezischelten Satz: DER SIEHT JA WIE EINE RATTE AUS ! Als mir nach dem Briefeinwerfen einfällt, daß ich einen pechschwarzen Anorak anhabe, fällt mir ein Stein vom Herzen.

WORTKRIEG - WORTFRIEDEN Sind Worte unter sich, entscheiden sie. Der rechtschaffene Bürger - der Bettler. Es gibt nicht einmal Streit zwischen beiden, der Bettler löscht den Bür­ ger aus. Wo der Bettler steht, kann nicht auch der Bürger stehn. Es steht einem vielleicht frei zu sagen, der Bettler sei stärker, weil er kein Adjektiv mitschleppe. Prüfen wir es: Der rechtschaffene Bürger - der kranken Bettler. Der rechtschaffene Bürger gewinnt nichts, der Bettler aber darf auch noch krank sein.

72

Der rechtschaffene Bürger - der alte Bettler. Man fühlt sich zusätzlich unwirsch zurechtgewiesen dafür, daß es den Bürger überhaupt gegeben haben konnte. Der rechtschaffene Bürger - der hinkende Bettler. Auch der Hinkende hilft dem Bürger nicht auf, bei weitem nicht! Der rechtschaffene Bürger - der zerlumpte Bettler. Das geht, zur Not, auf irgendeinem miesen Boden. Welche Macht hat der Bettler, daß man ihn derart hudeln muß? Der Bauer - der Bettler. Auch der Bauer hält sich nicht, ist gewesen. Das Feld und der Bettler. Das Haus und der Bettler. Die Stadt und der Bettler. Der Direktor und der Bettler Der Arbeiter und der Bettler. Sie bleiben zusammen stehn, aber nur mit eisernen Banden verbunden in einem engen Raum, dessen Spannung sie verkleinert und in der Per­ spektive verschwinden läßt: das Haus und der Bettler - entweder be­ kommt er was oder er bekommt nichts. Aus. Der Arbeiter und der Bettler - Geschichte, Kampf, Hölle und Verdammnis. Der Gendarm und der Bettler - ein Witz ! Und in die freie Natur gebracht ? Der Baum und der Bettler. Ja, da stehen beide, frei. (Diese unverbindliche Wortbetrachtung ist, wie ich sehe, ein Beitrag auch zur Theorie des Titels). Um auszuprobie­ ren, ob nicht der Stabreim hier am Ende die Prüfung verschaukelt hat: Der Fluß und der Bettler. Natürlich, das ist es ! Poesie ! Noch mehr davon: Der Wald und der Bettler. Ja. Der Winter und der Bettler. Freilich, sie sind Kollegen, aber sie stehn nicht so gut wie der Baum und der Bettler. Der Frühling und der Bettler. Der Sommer und der Bettler. Der Herbst und der Bettler. Sie sollen gehn, sie wirken künstlich, sie sind aufdringlich; ohne sich zu erklären, ohne sich aufzuhellen, schießen sie irgendwelche Blitze auf uns ab. Ach, der Bettler und der Frühling! Ein Glöckchen scheppert einen zersprungenen Mißklang her auf uns. Der Bettler und das Pferd. Etwas Schweres lastet auf ihnen. Die Heizkranzgefäße verengen sich von ihnen. Eine herzlose Mischpoke stellt man sich vor, die auf sie blickt, sie malend, die Augen hinter ihrem Zaun, hinter ihrem Brett

73

vorm Kopf, ja, ihrem Jahrbuch. Wie das schrillt im Vorfeld von: der Bettler und das Pferd. Aber: der rechtschaffene Bürger und das Pferd. Das Pferd können wir drangeben, es ist nicht mehr zu retten. Und der rechtschaffene Bürger allein: der rechtschaffene Bürger ? - Aus der Sonne ! Aus der Sonne !

74

Man kann dies drehen und man kann dies hin und her wenden, es ist einem hier und dort freigestellt, dies her oder hin zu wenden oder zu drehen, immer läßt sich dies drehen und wenden; denn kann man dies hin und her wenden und drehen wie man hier und dort will, so kann man es anstellen wie man

will, es wird sich hier oder dort drehen oder wen­ den wie man will, denn es ist einem freigestellt, dies zu drehen oder zu wenden; oder nicht zu dre­ hen oder nicht zu wenden; man kann tun was man will, dies läßt sich hin und her wenden und, ob man es nun will oder nicht, hier und dort bewerkstelligen;

es ist einem ja völlig freigestellt; dies kann jetzt lesen oder nicht lesen wer will, es bleibt ihm ein­ fach keine Wahl als es zu lesen oder nicht zu lesen; dies wenigstens kann jeder; denn man kann dies dre­ hen und man kann dies hin und her wenden oder nicht, es bleibt einem einfach nichts anderes übrig oder nicht.

MIT EINS

»Da kommt was. - Wahrhaftig, kommt was !« sagte eine Latte zur an­ dern des rund unsere Sommervilla umschließenden Zauns. (Die Latte meinte, die Allee herauf nämlich.) »Struzzi kommt da an«, dachten die Fenster still hinter den Stirnen (verschrumpelter Jalousie). Es wurden ebenso still drinnen die Frühstücksbrötchen, happ!, verzehrt. Wahr­ haftig, mit eins flog die versonnene Tür auf, schwuppdich durchs Ventil, die Diele, herein mit ihrem ständigen Sturzbach der Ohs und Jehs und Neuigkeiten und der Artigkeiten trat soeben die geborene Altwienerin. (»Wahrhaftig, ’s kommt!« hatte die Latte schon richtig erkannt in der Allee.) »Struzzi, Mädel!« rief man vom Frühstückstisch aus auch ihr zu.

77

DAS OHR IN DER STILLE Die Stille einer Nacht, gemacht wie für den alles zerreißenden Knall eines Schusses - meint jener, der lange schon statt in Stunden in Schüs­ sen denkt. Er liegt vielleicht seit vielen dieser geflohenen Stunden im Bett und hört der Stille zu. In den Schlaf zu verfallen, fürchtet er, wäre das Ende der Stille und ihrer Unterbrechungen, ohne die sie in ihrer Wirkung an Intensität verlöre. Doch ob er nicht schlafen kann oder nicht will: Sein Ohr bringt ihn den nicht gemachten Geräuschen näher, bringt ihn seinen Organen näher und damit IHN SICH SELBST. Er hört, wie es arbeitet, das dem Raum ausgesetzte Ohr, still, aber nicht zu überhören. Und ohne die Stille zu zerbrechen.

Er liegt in der Stille und denkt in Schüssen, sich fragend: macht Stille kriegerisch ? Nein. Da die Stille ihn auf ihn selbst verweist, gibt sie Gelegenheit zu entdecken. Was er entdeckt, lastet er der Stille nicht an. Was macht ihn so kriegerisch und aggressiv ? Etwas außerhalb der Stille muß es sein. Er legt sich auf den Bauch und unterbricht damit die Stille. Gleich darauf ist sie viel mächtiger wieder da. Er liegt auf dem Bauch und hört der Stille zu. Sein Herzschlag unter­ streicht die leisesten Stellen.

STATUE Im Innern der Statue befindet sich - ja was befindet sich im Innern der Statue.

Eine Maus ? Die wäre demnach gestorben, ohne Ausschlupf. Wie das Meer in der Muschel rauscht, so rauscht im Innern der Statue - ja was rauscht im Innern der Statue. Dunkelheit, sie befindet sich nicht, sie rauscht nicht. Nimmt nichts an und gibt nichts her. Dunkelheit. Um die Statue herum der Alliance-Platz und im Weiteren die ganze Welt. Daß es auf dem Alliance-Platz eine Sache gibt, in die nichts hineinkommt, ganz und gamichts hinein, weder Licht noch Laut, weder Ungeziefer noch Staub — diese Tatsache hat etwas für sich.

Man begibt sich auf den Alliance-Platz und geht um die Statue herum, immer wieder um die Statue herum, umkreist die Statue, versetzt sich in das Innere der Statue, beginnt unversehens zu meditieren, geht um die Statue, denkt nach, denkt nach, immer wieder um die Statue, denkt, um die Statue, denkt.

78

LANGE SACHE Im Vorbeigehn schellten wir an seiner Tür, wollten bloß mal fragen wie es ihm geht. Er schob die Dachluke über den Kopf und rief: Komme runter ! Wir warteten vor der verschlossenen Tür, warteten unter dem Regen und hinter dem Licht, warteten, warteten immer noch. Das Haar wuchs endlos, wurde dicht, brach ab. Wir aßen mehrmals seinen Garten leer. Zählten die Steine vorm Haus, zuerst die großen, zuletzt die kleinen, machten noch Witze darüber. Erzählten uns was, um bei der Sache zu bleiben. Warteten, blieben da. Immemoch da. Als er das Loch öffnete, taumelten wir in sein Haus, alte Rauschebärte mit lockeren Knochen. Längst vergessen, was wir ihn fragen wollten. Er aber schien sich immemoch zu freuen und rief: Großartig! Was kann ich für euch tun !

VOR UNSEREM HAUS Vor unserem Haus wuchs ein Haselstrauch, dessen Gabeln von den Strahlen der Morgen- und Abendsonne beschienen wurden. Wenn du einmal in die weite Welt ziehst, riet mir mein Großvater, dann schneide dir eine Rute von diesem Strauch, die wird dir schon zeigen, wo das Gold versteckt ist. Als die neuen Bauherrn kamen, als unser Haus abgerissen wurde, als ich über alle sieben Berge zog, da nahm ich aus der Staude eine Rute mit. Aber sie hat keine besondere Neigung zu dem edlen Metall und fühlt sich hingezogen zu hüpfenden Wellen.

Weiß ich denn die Wünschelrute zu gebrauchen, bin ich ungescholten und trage Sonnenblumenkeme in der Tasche ?

EIN NACHMITTAG DER AUFKLÄRUNG Sein Vater, sagte man ihm, sei an einem zu engen Himmel gestorben. Die Weite seines Herzens habe sich daran wundgestoßen. Er, der Sohn, müsse sich anders einrichten, wolle er überleben. Er schaute aus dem Fenster, maß den Himmel mit seinen Blicken. Sein Herz fühlte er sowenig wie dessen Grenzen. Doch nahm er die Vibra­ tionen des Bodens wahr, die Wühlarbeit der Maulwürfe. Früchte ver­ ließen ihre Bäume, und Vogelgezwitscher fiel vom Ast.

Er ging hin und spielte mit der Landschaft.

79

MÖGLICHKEIT Ich stehe gern unbeweglich da, um den Dingen Gesellschaft zu leisten. Es ist mir dabei noch immer gelungen, mich von ihnen überzeugen zu lassen.

Einem Standbild vergleichbar stehe ich auf freiem Feld und lasse geschehn, was geschieht. Und ich stelle mir vor, daß es nicht schwer zu sein brauchte, mich in diesem Stand zu verlieren, sofern es mir gelänge, mit Ausdauer auf einer Stelle zu stehn und mich der Zeit zu über­ lassen. Bei gutem Wetter ist alles in Ordnung. Ich stehe im Einklang mit Wille und Vorstellung und spüre, wie die Zeit - vergeblich - ver­ sucht, sich mit meinem Körper gegen mich durchzusetzen. Bei schlechtem Wetter ist das schon komplizierter. Warme Mäntel und feste Schuhe helfen, ich befestige einen Regenschirm an mir und bleibe trocken, solange das möglich ist. Aber irgendwann später setzt sich das Wetter gegen mich durch und der Hunger erinnert mich an meine Pflichten. In meiner Wohnung ist es nicht besser. Ich stehe oder liege zwar unab­ hängig vom Wetter, aber dann kommt der Hunger oder die Notdurft und macht alles kaputt. Meine Vorstellung ist es, von einer nicht sehr belebten Gegend als Gegenstand akzeptiert zu werden, etwa als Anschlagsäule. Es kämen Leute, um Zettel oder Plakate an mir zu befestigen, andere kämen, um die Plakate zu lesen, man stünde vermittelnd zwischen dem einen und dem andern ohne mehr zu tun als da zu sein.

Besser noch die Vorstellung vom Standbild. Mit einem Standbild verwechselt zu werden, ein Standbild zu sein und zu bleiben — diese Vorstellung hat etwas Betörendes. Meine Lieblings­ vorstellung. Ich stünde an einem geeigneten, also völlig gleichgültigen Platz, ohne etwas zu tun oder zu berücksichtigen, zu erklären oder zu begründen, ohne Bewußtsein von Zeit und Bewegung, ohne Name und Hinweis, ein beliebiges Ding. Ich stünde im Einklang mit Wille und Vorstellung in gänzlicher Übereinstimmung mit der Gleichgültigkeit einer Umwelt und überließe alles Weitere sich selbst. Und alles Weitere bliebe aus, das eben wäre das Gute daran. Ich wäre die Bio­ grafie auf anständige Weise los und uneingeschränkt in der Lage, da zu sein oder schmerzlos beseitigt zu werden. Man hat genug erlebt, das heißt: hinnehmen müssen, um nicht nach etwas anderem bedürftig zu sein. Man möchte jetzt von der eigenen Vorstellung leben. Zum Fremdkörper seiner selbst geworden, wäre man seinen Unannehmlich­ keiten nicht länger im Weg. Den Annehmlichkeiten nicht länger im Weg. Man stünde als Standbild in der richtigen Dimension, würde besichtigt ohne erkannt zu werden und hätte womöglich den Vorzug, komisch zu sein.

80

IN DEN HEXENRINGEN DER VERWANDTSCHAFT

Ich habe eine schiefe Schulter. Auch mein Mann hat eine schiefe Schulter. Meine wahren Freunde haben einer wie der andre schiefe Schultern. Das ist Schicksal. Nie war jemands ohne schiefe Schulter Freundschaft mit mir von Bestand. Ich umgehe Leute ohne schiefe Schulter immer, wenn ich kann. In den Hexenringen der Verwandt­ schaft ist die schiefe Schulter häufig, und bekomme ich ein Kind, so möchte ich mit einer schiefen Schulter eins erwarten.

Du hast rote Lippen. Auch dein Mann hat rote Lippen. Deine wahren Freunde haben alle rote Lippen. Das ist zauberhaft. Nie hat jemands ohne rote Lippen Lüge dich getäuscht. Immer, wenn du konntest, hast du Leute ohne rote Lippen stehenlassen. In den Hexenringen der Ver­ wandtschaft ist die Häufung roter Lippen auffällig. Bei jeder Schwan­ gerschaft erwartest du ein Kind mit roten Lippen. Er hat Halluzinationen. Auch die Frau hat Halluzinationen. Seine wah­ ren Freunde haben alle Halluzinationen. Hat er Freunde ohne Hallu­ zinationen, sind sie unwahr. Das steht fest. Wenn es geht, umgeht er Leute ohne Halluzinationen. In den Hexenringen der Verwandtschaft hat man bei ihm häufig Halluzinationen. Wenn er ein Kind zeugt, wird es auch mal Halluzinationen haben. Sie hat das gewisse Etwas. Auch ihr Mann hat das gewisse Etwas. Alle ihre Freunde zeichnet das gewisse Etwas aus. Das ist die Bedingung. Nie war jemand ohne das gewisse Etwas ihr ein wahrer Freund. Men­ schen ohne das gewisse Etwas meidet sie soweit als möglich. In den Hexenringen der Verwandtschaft haben bei ihr viele das gewisse Etwas. Wenn sie ein Kind kriegt, ist es möglich, daß es auch schon das gewisse Etwas hat.

Es hat keinen Sinn. Es regnet. Wir aber haben einen guten Kem. Auch unsere Männer haben einen guten Kem. Alle unsere wahren Freunde haben einen guten Kem. Freunde ohne guten Kem erweisen sich als falsch. Da ist was dran. Ungern sehn wir Leute ohne guten Kem. In den Hexenringen der Ver­ wandtschaft hat nicht selten einer einen guten Kem. Auch die Kinder, die wir unterm Herzen tragen, haben einen guten Kem.

81

Ihr habt Schwierigkeiten. Auch eure Männer haben Schwierigkeiten. Alle eure wahren Freunde haben Schwierigkeiten. C’est la vie. Freunde ohne Schwierigkeiten gibt es für euch nicht. Ihr umgeht die Leute ohne Schwierigkeiten gradezu. In den Hexenringen der Verwandtschaft haben viele Schwierigkeiten. Eure ungeborenen Kinder haben Schwie­ rigkeiten. Sie haben Recht. Auch ihre Männer haben Recht. Alle ihre wahren Freunde haben Recht. Das ist recht so. Kein Recht haben nur die fal­ schen Freunde. Unrecht haben alle jene, die gemieden werden. In den Hexenringen der Verwandtschaft hat man häufig Recht. Ihre Kinder, die das Licht der Welt erblicken, haben Recht. Sie haben keinen Sinn, ihr habt Schwierigkeiten, wir haben schiefe Schultern, es hat das gewisse Etwas, sie hat rote Lippen, er hat Recht, du hast Halluzinationen, ich habe einen guten Kern, kommt Zeit, kommt Rat.

HEIM ZU DEN GENÜSSEN ! Es ist eine einzelne Sau mit vierzehn oder wieviel prallen Zitzen und ein einsames, einzelnes Ferkel, das an ihnen, ohne nachzuzählen, saugt. Es weiß der Stall vor Scham, vor Stall, vor Unbill nicht, wo er sich lassen soll.

Die Kohlen für morgen stehn schon bereit. Das neue Blumenbuch, »Balkonblumen«. Die frische Zeitung zum Essen. Die schmauchenden Trümmer. Es sang die ganze Wintemacht. Die Stimm tät laut erschallen.

82

ZUM TOTLACHEN

Der Flöhe wegen hüpft er, der Flöhe wegen einzig allein der verdammten Flöhe wegen raus aus den alten Kleidern und wieder rein und raus aus den neuen, der neuen Flöhe wegen und raus aus dem alten Hut, der Filzflöhe wegen und raus aus dem Hemd, der Hemdkragenflöhe wegen und raus aus dem Bett, der Matratzenflöhe wegen Flöhe Flöhe, wenn es bloß Wanzen wären ! Und daß er aus der Haut fährt und wieder rein und daß er um sich schlägt und daß seine Augen flüssig werden und seine Gelenke locker der furchtbaren Flöhe wegen, und daß er am Ende immer noch glaubt: es war bloß der Flöhe wegen !

IM ZUSTAND FORTRÜCKENDER BEGRIFFE I Was dich krank macht macht dich unfroh Kranksein und Unfrohsein ist dein Verderben das dich krank und unfroh macht

Wenn du krank bist macht dich das Kranksein krank und das Unfrohsein unfroh und das macht dich krank und ist dein Verderben

Dein unfrohes Kranksein macht dein krankes Unfrohsein nicht froh du wirst von einem Fort­ rücken gebeutelt es ist ein Verderben mit dir daß es nichts umkehrt wenn du dein Ver­ derben bist ja es verdirbt dir dein Krank­ sein und macht dein Unfrohsein krank

Wenn du dein Verderben bist und es dein Verderben ist bist du und bist du es nicht und das macht dich beuteln denn es ist etwas mit dir was krank macht

83

II Während du unwillig und verdrossen bist hast du dich in der Hand und während du dich in der Hand hast bist du Klafterstöße weit von dir

Du bist es leid dich in der Hand zu haben und Klafter­ stöße weit von dir unwillig und verdrossen zu sein während du es nicht in der Hand hast es leid zu sein

Während du es leid hast unwillig und verdros­ sen zu sein bist du weit von dir und hast wäh­ rend du es leid bist nichts in der Hand

während während du des Habens und Seins leid bist du dich in der Hand hast ja du bist Klafter­ stöße weit von dir in deiner Hand

Unwillig und verdrossen willst du während du in dei­ ner Hand bist dich in der Hand haben unverdrossen willst du unwillig sein während du deiner leid bist

III Wenn dich die Angst befällt und an dir entlang nur du bist verlierst du den Mut und wenn an dir entlang nur du bist ist nur Geduld an dir entlang

Blickst du mutlos an dir entlang erblickst du kei­ ne Geduld und keine Angst du blickst mutlos und voller Angst an der Geduld entlang an dir entlang Wenn nur du bist und du den Mut verloren hast an dir entlang keine Geduld und keine Angst zu er­ blicken befallt dich die Geduld und die Angst

und du verlierst den Blick und die Angst und die Ge­ duld und an dir entlang kehrt nichts um und wie du den Verlust auch wendest du kannst ihn nicht verlieren

denn wenn an dir entlang nur du bist kannst du nichts verlieren du kannst die Angst nicht verlieren denn wenn nichts umkehrt befällt dich die Angst.

84

LUST AUF GOTTES MÜHLE Wenn die Rede ist von einer Gestalt, welche bekannt ist aus mehreren Geschichten, darunter der Geschichte von Kirchen, Bewegungen, Sonnenstaaten, größerer Anschaulichkeit wegen genannt G., Mann oder Frau, G. ist, von Jugend auf, hingegeben an, überzeugt von, verschworen mit (weder nüchterne noch erhebende Wortwahl kann Achtbarkeit in Zweifel ziehen).

Verschworene Hingebung, hingegebene Überzeugtheit etc. bringe, zu­ nächst, hervor eifrige oder eifernde Tat, eingeschlossen zuversichtliche Unduldsamkeit, welche, in leichtem Fall, des Wortes sich bedient (später folge kleine, jedoch unnachgiebige Gelassenheit). Die innewohnende Neigung, dem Tum, als der Lehre, in reiner Strenge nachzufolgen, verleitet G. zur Blindheit für wiederkehrendes Mißver­ hältnis: zwischen Idee und irdischer Schaffung. In dunklem Anspruch, das Höchste zu gewinnen bereits für Montag, Dienstag, stoße G. auf das Wirkliche. G. verwickle sich trotz warnenden Fingerzeigs oder kumpanischer Ermahnung, beharre, widerstehe (außer Glaubenswissenshärte tue Wirkung, daß Umstehende herblicken, ferner: Stolz), und äußere, besten Vermögens, Irr-Tum. Die Geschichtemacher, Lenker des Verwirklichten, denen G. nah ver­ bunden im Wissenglauben, wissen aber, da sie, Überblicks halber, höherstehen, besser als G., ob Lehre und Erde verträglich.

Nicht erbittlich wie gegen Schmäher und Hasser muß, der Reinheit zu­ nutze, verfahren werden gegen solches, das an Werdung sich stößt, gegen G. Als Strafe soll gelten, daß waltender Brüderundschwestembund, mit welchem G. Hirn, Herz, Atmung teilt, von sich abtrenne den Bessermacher. Alsobald, kaum ist Wundschmerz erträglicher, faßt Fuß in Herz, Hirn bittere Liebe zur Hand, die gezüchtigt hat. Nur Unabtrennlichem keimt sie, dem, abgeschnitten, der Atem geht in hündischem Zeitmaß.

85

Denen, die hergeblickt, zeigt sich stützendes Dennoch: vereinzelter Ge­ stalt G. zugänglich wie vormals: Lehre, Idee. Umgeben bleibt G. von Ungeformtem (Mensch, Verhältnis usw.), dessen Formung Zweck ge­ nannt wird, höchster, des Daseins.

Fortgetan, nur bestärkt im besseren Wollen und Drang von innerem Organ, lebe G. in doppeltem, verzehrendem Streit: mit Schmähern und Hassern, mit Brüdern und Schwestern. Kaum Bewegung gelingt G., von brüderlichschwesterlicher Strenge um­ stellt. So daß alle Tat in den Kopf gerät, durch den Mund nur hervor­ geht. Die Hände bleiben der Geste.

Noch tatloser Wortschall wird erwidert mit Härte, daß G. fast stillsteht, knapp verloren, und bloß gehalten von magenziehender Schwäche für immer strahlende brennende Idee, Lehre, Liebe, die G., liebendes, aus­ brennt. - ist die Rede von G. in der Geschichte.

86

Das kommt nicht auf diese Art, das geht vorbei; geht auf jene Art, die nicht vorbeikommt, vor­ bei; auf diese Art kommt es nicht, nur auf jene; es kommt auf eine besondere Art und Weise einher wie etwas, das vorbeigeht auf jene Art, die nicht vorbeikommt; immer geht es bloß vorbei;

so kommt es, daß es nie anders als auf jene Weise oder Art vor sich geht, die anders ist als diese; es kommt anders als es geht, und jene Art zu kommen ist nicht diese Art zu kom­ men, und jene zu gehen nicht diese zu gehen, und auch jene Art zu kommen ist auf diese Weise vor­ bei; auch jene Art und Weise, so einherzukommen als käme es darauf an, wie es vorbeigeht, geht vorbei; ja auf eine Art und Weise kommt es, daß es auch kaum darauf ankommt, wie es kommt, daß es auf diese Weise nicht ankommt; es kommt eben auf jene und geht doch auf diese vorbei; die

nicht vorbeikommt; daran kommt es nicht vorbei; es ist eine Art Kommen und Gehen im Gange, es ist direkt schlampig, wie Dieses und Jenes ein­

hergeht, eins klüger als das andere; aber das geht vorbei; diese vorwitzige Art und Weise im Gehen und Kommen ist ja bloß jene, nicht diese.

87

ZU DIESEM HEFT Mit dieser Ausgabe soll ein Brauch begründet sein: die Gastheraus­ geberschaft. Christoph Meckel, dem ich an dieser Stelle danke, hat den Anfang gemacht. In überschaubaren Abständen werden Autoren künftig die Möglichkeit haben, einen Band nach eigenen Vorstellungen herauszugeben.

Die erste Ausgabe der »Nürnberger Blätter« ist vergriffen, die Hefte zwei und drei sind weiterhin lieferbar. Heft 5 wird voraussichtlich im Frühsommer ’79 erscheinen.

Gerhard Wagner

88

INHALT 34 59 15 70 62 66 20 71 52

Aber eben meine Geschichte (Walter Helmut Fritz) Alle diese Wörter (Oskar Pastior) Allee an der Elbe (Dieter Hoffmann) Alles das je gesiedelt im äuge (Gerhard A. Falkner) Am Ende steht das Wort (Rudolf Langer) An Freund und Feind (Heinz Czechowski) Ansichtskartengedicht (Ludwig Fels) Aufzeichnungen (Hans Bender) Aus der Menge heraus (Rudolf Langer)

Seite Seite Seite Seite Seite Seite Seite Seite Seite

Ballade (Jürgen Theobaldy) Bosch (Gregor Laschen) Botenblume (Georg von der Vring) Bricht wieder auf (Roger Loewig) Brief aus Berlin (Bodo Morshäuser) Bruno (Volker Braun)

Seite 47 Seite 64 Seite 43 Seite 13 Seite 11 Seite 66

Caravaggio & Co. (Cyrus Ataby)

Seite 63

Das kommt nicht auf diese Art (Oskar Pastior) Das Ohr in der Stille (Jürgen Wellbrock) Der Rest des Fadens (Sarah Kirsch) Die märzliche Ungestimmtheit (Rudolf Langer) Die Venus von Urbino (Cyrus Ataby) Die Wolke (Walter Helmut Fritz) Du schläfst und liegst bei deinem haar (Gerhard A. Falkner)

Seite Seite Seite Seite Seite Seite Seite

87 78 21 33 64 20 36

Ein Nachmittag der Aufklärung (Jürgen Wellbrock) Eins mit dem Dunkel (Erich Arendt) Elegie (Franz Turnier) Er findet seine Hummel tot (Heinz Piontek) Erwachen (Georg von der Vring)

Seite Seite Seite Seite Seite

79 41 21 39 48

Gedicht für Dadelsen (Harald Hartung)

Seite 59

Heim zu den Genüssen (Elke Erb) Hölderlin in Deutschland

Seite 82 Seite 67

89

Ich gehe jetzt (Karl Krolow) Ich kann das nicht (Rudolf Langer) Ich war pausenlos auf Achse gewesen (Heinz Czechowski) Im Hof (Jürgen Theobaldy) Im Schloss (Jürgen Rennert) Im Seekreis (Heinz Czechowski) Im Zustand fortrückender Begriffe 1/2/3 (Oskar Pastior) In den Hexenringen der Verwandtschaft (Elke Erb)

Seite 43 Seite 61 Seite 16 Seite 47 Seite 61 Seite 16 Seite 83 Seite 81

Junge Frau, als Studentin (Jürgen Theobaldy)

Seite 54

Kadenz (Harald Hartung) Kleine Jemina (Johannes Schenk)

Seite 49 Seite 51

Lange Sache (Wolfgang Berg) Lust auf Gottes Mühle (Hans Joachim Schädlich)

Seite 79 Seite 85

Man kann dies drehen (Oskar Pastior) Medusa (Gerhard A. Falkner) Metaphorisch (Jürgen Rennert) Mit Eins (Elke Erb) Möglichkeit (Wolfgang Berg) Monstermässig (Ralf Rothmann)

Seite Seite Seite Seite Seite Seite

77 31 68 77 80 37

Nachtkaffee (Bodo Morshäuser) Nachtrag zum Januar (Harald Hartung) Nie zurück (Erich Arendt) Noch (Erich Arendt) Notwendig (Uwe Michael Gutzschhahn)

Seite Seite Seite Seite Seite

48 50 42 40 29

Obwohl mein Vater (Oskar Pastior) Oder die Fahnen am Markusplatz (Sarah Kirsch)

Seite 69 Seite 18

Post (Sarah Kirsch) Prozeß Galilei (Volker Braun)

Seite 11 Seite 65

Rechtfertigung des Philosophen (Volker Braun) Der Rest des Fadens (Sarah Kirsch) Regen (Johannes Schenk) Ruhen (Rose Ausländer) Russenladen (Dieter Hoffmann)

Seite Seite Seite Seite Seite

90

65 21 19 36 14

S-Bahn (Richard Anders) So beginnen am Körper die Tage, 3 Gedichte (G.A.Falkner) So ein Tag (Ralf Rothmann) Sperrschilderwald (Roger Loewig) Sprechen wir nicht vom äuge (Gerhard A. Falkner) Sprosser (Jürgen Rennert) Statue (Wolfgang Berg) Steck dir (Sarah Kirsch) Stumm trinkt der Fisch (Roger Loewig)

Seite 72 Seite 70 Seite 38 Seite 11 Seite 70 Seite 62 Seite 78 Seite 55 Seite 22

The Last of November (Sarah Kirsch)

Seite 13

Um auf eine Erfahrung zu stossen (Oskar Pastior) Unentbehrlich sind uns die spiele (Gerhard A. Falkner) Unsere Bäume (Sarah Kirsch) Unübersteigbar (Franz Turnier)

Seite Seite Seite Seite

Verflucht die nächte (Roger Loewig) Vielleicht (Michael Ulrich Gutzschhahn) Vor unserem Haus (Cyrus Ataby)

Seite 30 Seite 29 Seite 79

Warten (Walter Neumann) Wehte die erste (Georg von der Vring) Die Wolke (Walter Helmut Fritz) Windstoss (Georg von der Vring) Wir Träumer (Guntram Vesper) Wortkrieg - Wortfrieden (Elke Erb)

Seite Seite Seite Seite Seite Seite

63 52 20 35 22 72

Zeitdruck (Ludwig Fels) Zerfall (Ulrich Michael Gutzschhahn) Zu einem Fluss werden (Walter Helmut Fritz) Zu neuen Morgen (Bodo Morshäuser) Zum Totlachen (Unbekannter Autor) Zugluft (Ralf Rothmann) Zwischengedicht (Ludwig Fels)

Seite Seite Seite Seite Seite Seite Seite

37 35 21 32 83 53 34

Autorenverzeichnis Gebrauchsanweisung (Christoph Meckel) Inhalt Zu diesem Heft (Gerhard Wagner)

Seite Seite Seite Seite

92 7 89 88

91

68 70 49 18

DIE AUTOREN Richard Anders, geboren 1928, lebt als Schriftsteller und Übersetzer in Berlin, Prosa und Lyrik. Publikation: »Preussische Zimmer«, 1976

(S-Bahn, Seite 72)

Erich Arendt, geboren 1903, lebt in Berlin/DDR. Zahlreiche Über­ setzungen aus dem Spanischen (Neruda, Alberti, Aleixandre, Her­ nández u.a.). Zahlreiche Gedichtbände, zuletzt »Memento und Bild« 1976, »Zeitraum« 1978. (Nie zurück, Seite 42 Noch, Seite 40 Eins mit dem Dunkel, Seite 41) Cyrus Ataby, geboren 1929 in Teheran. Jugend in Persien, Deutsch­ land und in der Schweiz. Danach abwechselnd Europa und Persien. Lebt zur Zeit in London. Lyriker und Übersetzer iranischer Lyrik. Zahlreiche Gedichtbände, u.a.: »An- und Abflüge« 1958, »Doppelte Wahrheit« 1969, »An diesem Tage lasen wir keine Zeile mehr« 1974. (Caravaggio & Co., Seite 63 Die Venus von Urbino, Seite 64 Vor unserem Haus, Seite 79)

Rose Ausländer, geboren 1907 in Czernowitz. Lebte in USA, Wien und heute in Düsseldorf. Zahlreiche Gedichtbände, u.a.: »Gesammelte Gedichte« 1977.

(Ruhen, Seite 36)

Hans Bender, geboren 1919 in Mühlhausen/Kraichgau. Lebt in Köln. Erzählung, Roman, Lyrik, Essay. Vielfach tätig als Herausgeber. Mitherausgeber der »Akzente«. (Aufzeichnungen, Seite 71)

92

Wolfgang Berg, geboren 1939 in Trier, lebt als Werbefachmann in Berlin. Bisher keine Veröffentlichungen. (Statue, Seite 78 Möglichkeit, Seite 80 Lange Sache, Seite 79)

Volker Braun, geboren 1939 in Dresden, lebt in Berlin/DDR als Schriftsteller und Dramaturg. Lyrik, Prosa, Drama. »Provokation für mich« 1965, »Vorläufiges« 1966, »Wir und nicht sie« 1970, »Gegen die symmetrische Welt« 1974, »Unvollendete Geschichte« 1977.

(Rechtfertigung des Philosophen, Seite 65 Bruno, Seite 66 Prozeß Galilei, Seite 65)

Heinz Czechowski, geboren 1935, lebt in Halle-Neustadt/DDR als Schriftsteller und Lektor. »Schafe und Sterne« 1975. (An Freund und Feind, Seite 66 Ich war pausenlos auf Achse gewesen, Seite 16 Im Seekreis, Seite 16)

Elke Erb, geboren 1938 in Scherbad/Eifel, übersiedelte 1949 in die DDR. Studium der Germanistik und Slawistik in Halle. Landarbeit. Lektorat. Übersetzungen (Gogol, Block, Zwetajewa), Kinderthea­ ter. Lebt in Berlin/DDR. »Einer Schreit: Nicht!« 1976 (In den Hexenringen der Verwandtschaft, Seite 81 Heim zu den Genüssen !, Seite 82 Mit eins, Seite 77 Wortkrieg - Wortfrieden, Seite 72)

93

Gerhard A. Falkner, geboren 1951, lebt in Nürnberg. Gedichte und Prosa in Zeitschriften. »so beginnen am Körper die tage« Privatdruck mit Photos von J. Lorbeer 1978, Gedichtband in Vorbereitung.

(sprechen wir nicht vom äuge, Seite 70 alles das je gesiedelt im äuge, Seite 70 unentbehrlich sind uns die spiele, Seite 70 [alle aus: »so beginnen am körper ...«] du schläfst und liegst bei deinem haar, Seite 36 medusa, Seite 31)

Ludwig Fels, geboren 1946 in Treuchtlingen, lebt als Schriftsteller in Nürnberg. Lyrik, Kritik, Roman. »Anläufe« 1973, »Alles geht weiter« 1977, »Ernüchterung« 1975. (Ansichtskartengedicht, Seite 20 Zwischengedicht, Seite 34 Zeitdruck, Seite 37) Walter Helmut Fritz, geboren 1929 in Karlsruhe, lebt dort. Sein Werk wird fortlaufend im Verlag Hoffmann und Campe publiziert.

(Aber eben meine Geschichte, Seite 34 Zu einem Fluss werden, Seite 21 Die Wolke, Seite 20) Uwe Michael Gutzschhahn, geboren 1952 in Langenberg/Rheinland. Studium der Germanistik und Anglistik in Bochum, lebt in Waltrop/Westfalen. »Windgedichte« 1978. (Notwendig, Seite 29 Vielleicht, Seite 29 Zerfall, Seite 35)

Harald Hartung, geboren 1932 in Heme/Westfalen. Lehrt an der PH Berlin. Verschiedene Gedichtbände. »Hase und Hegel« 1970, »Reichsbahngelände« 1974, »Das gewöhnliche Licht 1976, »Augenzeit« 1978. Ferner: »Experimentelle Literatur und Konkrete Poesie« 1975.

(Gedicht für Dadelsen, Seite 59 Kadenz, Seite 49 Nachtrag zum Januar, Seite 50)

94

Dieter Hoffmann, geboren 1934 in Dresden. Lebt als Schriftsteller und Redakteur in Frankfurt/Main. Zahlreiche Gedichtbände, u.a.: »Mohnwahn« 1956, »Eros im Steinlaub« 1961, »Ziselierte Blut­ bahn« 1964, »Veduten« 1969, »Villa Palagonia« 1976. Die hier publizierten Gedichte sind dem Zyklus »Neue Gedichte aus der Augustäischen DDR« entnommen. (Allee an der Elbe, Seite 15 Russenladen, Seite 14)

Sarah Kirsch, geboren 1935 in Limmingerode. Übersiedelte 1977 aus der Hauptstadt der DDR nach West-Berlin. »Landaufenthalt« 1969, »Zaubersprüche« 1974, »Rückenwind« 1977, sowohl in der DDR, als auch in der BRD publiziert. »Die Pantherfrau« 1976, »Katzenkopfpflaster« 1978.

(Steck dir, Seite 55 Oder die Fahnen am Markusplatz, Seite 18 The Last of November, Seite 13 Der Rest des Fadens, Seite 21 Unsere Bäume, Seite 49 Post, Seite 11)

Karl Krolow, geboren 1915 in Hannover, lebt in Darmstadt, zahlreiche Gedichtbände, darunter: »Tage und Nächte«, »Fremde Körper«, »Alltägliche Gedichte«; Übertragungen von Verlaine und Apolli­ naire; Prosa. Erhielt 1960 den Büchner-Preis.

(Ich gehe jetzt, Seite 43)

Rudolf Langer, geboren 1923, begann 1972, nach zwanzigjähriger Pause, wieder Gedichte zu schreiben. Lebt in Ingolstadt. »Ortswechsel« 1973, »Überholvorgang« 1976, ein weiterer Ge­ dichtband in Vorbereitung.

(Aus der Menge heraus, Seite 52 Am Ende steht das Wort, Seite 62 Ich kann das nicht, Seite 61 Die märzliche Ungestimmtheit 1978, Seite 33)

95

Gregor Laschen, geboren 1942 in Genua. Seit 1972 Dozent für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Rijks-Universität in Utrecht. »Ankündigung der Hochzeitsnächte« 1967, »Lyrik aus der DDR Essays zur Sprachverfassung des modernen Gedichts« 1971, »Lyrik aus der DDR« Anthologie (Hg.) 1973.

(Hölderlin in Deutschland, Seite 67 Bosch, Seite 64) Roger Loewig, geboren 1930 in Striegau/Schlesien. Seit 1972 in Berlin. Zeichner, Graphiker und Lyriker. Bibliophile Bücher, Mappen­ werke, etc. (Bricht wieder auf, Seite 13 Stumm trinkt der Fisch, Seite 22 Sperrschilderwald, Seite 11 Verflucht die nächte, Seite 30)

Bodo Morshäuser, geboren 1953 in Berlin, lebt dort. Gedichte in Anthologien und Zeitschriften. Ein Gedichtband in Vorbereitung. (Nachtkaffee, Seite 48 Zu neuen Morgen, Seite 32 Brief aus Berlin, Seite 11) Walter Neumann, geboren 1926 in Riga. Seit 1946 wohnhaft in Biele­ feld. Lektor der Stadtbibliothek. »Biografie in Bilderschrift« 1969, »Grenzen« 1972, »Stadtplan« 1974, »Jenseits der Worte« 1976, »Lehrgedicht zur Geschichte« 1977.

(Warten, Seite 63) Oskar Pastior, geboren 1927 in Hermannstadt/Siebenbürgen, lebt seit 1969 in West-Berlin. Freier Schriftsteller. Lyrik, Hörspiel, Über­ setzungen aus dem Russischen und Rumänischen. »Offene Worte« und »Gedichte« bei Bukarester Verlagen. Ab 1969 in Deutschland: »Vom Sichersten ins Tausendste« 1969, »Gedichtgedichte« 1973, »Höricht« 1975, »Fleischeslust« 1976, »An die Neue Aubergine« 1976, »Der krimogotische Fächer« 1978, »Ein Tangopoem« 1978

(Alle diese Wörter, Seite 59 Um auf eine Erfahrung zu stoßen, Seite 68 Im Zustand fortrückender Begriffe 1/2/3, Seite 83 Das kommt nicht auf diese Art, Seite 87 Man kann dies drehen, Seite 77 Obwohl mein Vater, Seite 69)

96

Heinz Piontek, geboren 1925 in Kreuzberg/Oberschlesien. Lebt in München. Roman, Erzählung, Essay und Lyrik. Sein Werk wird fortlaufend vom Hoffmann & Campe Verlag publiziert. (Er findet seine Hummel tot, Seite 39)

Jürgen Rennert, geboren 1943 in Berlin, siedelte 1953 in die DDR über. Freiberuflicher Übersetzer und Schriftsteller. »Poesiealbum« 1975, »Märkische Depeschen« 1976, »Ungereimte Prosa« 1977 (alles DDR).

(Metaphorisch, Seite 68 Im Schloss, Seite 61 Sprosser, Seite 62)

Ralf Rothmann, geboren 1953, lebt in Berlin und arbeitet als Hilfs­ arbeiter in einer Druckerei. Bisher keine Veröffentlichungen. (Zugluft, Seite 53 So ein Tag, Seite 38 Monstermässig, Seite 37)

Hans Joachim Schädlich, geboren 1935 in Reichenbach/Vogtland. Bis 1976 an der Akademie für Wissenschaft in Berlin/DDR tätig. Übersiedelte 1977 nach Hamburg. »Versuchte Nähe« 1977 (Lust auf Gottes Mühle, Seite 85)

Johannes Schenk, geboren 1941 in Berlin, lebt dort. War mehrere Jahre Seemann. Initiator des Berliner Straßentheaters. Gedichte. »Bilanzen und Ziegenkäse« 1968, »Zwiebeln und Präsidenten« 1969, »Die Genossin Utopie« 1973, »Jona« 1976, »Zittern« 1977.

(Kleine Jemina, Seite 51 Regen, Seite 19)

Jürgen Theobaldy, geboren 1944 in Straßburg, lebt in Berlin. Gedichte. »Sperrsitz« 1973, »Blaue Flecken« 1974, »Zweiter Klasse« 1976.

(Junge Frau, als Studentin, Seite 54 Im Hof, Seite 47 Ballade, Seite 47)

97

Franz Turnier, geboren 1912 in Gries bei Bozen. Lebt als freier Schrift­ steller in Berlin. Romane, Erzählungen, Reiseprosa, Gedichte. Sein Werk wird fortlaufend vom Piper-Verlag publiziert.

(Elegie, Seite 21 Unübersteigbar, Seite 18)

Unbekannter Autor, weder Name noch biographische Angaben. Ent­ nommen einer 1976 veröffentlichten Beilage der ‘Osnabrücker Nachrichten’. (Zum Totlachen, Seite 83)

Guntram Vesper, geboren 1941 in Frohburg/Sachsen. Seit 1957 in Westdeutschland. Industrie-, Land- und Bau-Arbeiter, Studium. Lebt als Schriftsteller in Göttingen. »Fahrplan« 1964, »Kriegerdenkmal ganz hinten« 1970, sowie Hör­ spiele und Features.

(Wir Träumer, Seite 22) Georg von der Vring, geboren 1889 in Brake/Oldenburg. Freitod 1968 in München. Romane, Erzählungen, Hörspiele, Übersetzungen aus dem Französischen und Englischen. Er schrieb vor allem Verse, Balladen, Lieder und Gedichte, die ihn berühmt machten (u.a. »Die Lieder des Georg von der Vring« 1957, »Der Mann am Fenster« 1964, »Gesang im Schnee«, 1967). Werk und Name sind heute vergessen. Keines seiner Bücher wurde wiederaufgelegt, kein Gedichtband ist greifbar. Kritik, Literaturwissenschaft, Verleger und Redaktionen haben sich in Gleichgültigkeit überboten. Um den Nachlaß hat sich niemand gekümmert (die hier veröffent­ lichten Gedichte sind ihm entnommen).

(Wehte die erste, Seite 52 Erwachen, Seite 48 Botenblume, Seite 43 Windstoss, Seite 35)

Jürgen Wellbrock, geboren 1949 in Bremen. Lebt seit 1972 als Schrift­ steller in Berlin. »Land an den Füßen« 1977. (Ein Nachmittag der Aufklärung, Seite 79 Das Ohr in der Stille, Seite 78)

98

Nürnberger Blätter für Literatur herausgegeben und begründet von Gerhard Wagner Heft 4/1978

Fotosatz und Druck: Reichenbach KG, Nürnberg Bindearbeiten: Otto Albang, Nürnberg

Copyright bei den Autoren ISBN 3-88401-002-6

Manuskripte an den Herausgeber: Gerhard Wagner • Friedrichstraße 57 • Nürnberg

Bestellungen an den Verlag: Martin Klaußner Blumenstraße 3-8510 Fürth (Bayern)

Beiträge von Walter Helmut Fritz, Ute Erb und Dieter Hoffmann erscheinen 1978 in eigenen Publikationen.

Reproduktionen: Franz Xaver Leipold Lithographische Kunstanstalt Zirndorf

Zeichnungen von Christoph Meckel

99