Notdürftiger Unterhalt und gehörige Schranken: Lebensbedingungen und Lebensstile in württembergischen Dörfern der frühen Neuzeit 9783110506686, 9783828253537


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German Pages 518 [524] Year 1992

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
1. Einleitung
2. Quellen
3. Konjunkturen und Krisen, Trends und Rhythmen
4. "Nahrung" und "Gewinn": die dörfliche Wirtschaft
5. Demographie
6. Sozialstruktur
7. Begriffe und Institutionen
8. Schluß: Lebensbedingungen und Lebensstile
9. Graphiken
10. Quellen
11. Literatur
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Notdürftiger Unterhalt und gehörige Schranken: Lebensbedingungen und Lebensstile in württembergischen Dörfern der frühen Neuzeit
 9783110506686, 9783828253537

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A n d r e a s Maisch Notdürftiger Unterhalt und gehörige Schranken

Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte Herausgegeben von Günther Franz f und Peter Blickle Band 37

Notdürftiger Unterhalt und gehörige Schranken Lebensbedingungen und Lebensstile in württembergischen Dörfern der frühen Neuzeit

von Andreas Maisch

105 Abbildungen und 182 Tabellen

Gustav Fischer Verlag SEMPER m

Stuttgart • Jena • New York • 1992

Adresse des Autors: Dr. A n d r e a s Maisch Im W i e s e n g r u n d 17 7014 K o r n w e s t h e i m

Mit der der und

freundlicher Unterstützung Stadt L c o n b e r g Gemeinde Bondorf der Stiftung der Landesgirokassc

Die Deutsche Bibliothek - C l P - E i n h e i t s a u f n a h m e Maisch, Andreas: Notdürftiger Unterhalt und gehörige Schranken: Lebensbedingungen und Lebensstile in W ü r t t e m b e r g s D ö r f e r n der frühen Neuzeit / von A n d r e a s Maisch. - Stuttgart; J e n a ; New York: G . Fischcr, 1992 (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte; Bd. 37) ISBN 3-437-50353-7 NE: G T

© Gustav Fischer Verlag • Stuttgart • Jena • New York • 1992 Wollgrasweg 49 • D-7000 Stuttgart 70 ( H o h e n h e i m ) Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen G r e n z e n des Urheberrechtsgesetzes ist o h n e Z u s t i m m u n g des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ü b e r s e t z u n g e n , Mikroverfilmungen und die Hinspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck und Bindung: Wilhelm Röck, Weinsberg Printed in G e r m a n y

Inhalt Abkürzungen

6

Vorwort

7

1.

9

2.

3.

4.

Einleitung

Quellen

15

2 . 1 . Kirchenbücher

15

2 . 2 . Ortssippenbücher

18

2 . 3 . E i n i g e Indikatoren für d i e Qualität der Registrierung

19

2 . 4 . Inventuren und T e i l u n g e n

21

Konjunkturen und Krisen, Trends und R h y t h m e n

29

3 . 1 . B e v ö l k e r u n g , P r e i s e und L ö h n e

29

3.1.1. Bevölkerungsentwicklung 3.1.2. Natürliche Bevölkerungsbewegung 3.1.3. Preise 3.1.3.1. Getreidepreise 3.1.3.2. Viehpreise 3.1.3.3. Landpreise 3.1.4. Löhne 3.1.5. Zusammenfassung: Preise, Löhne und Bevölkerungsentwicklung

29 32 35 35 41 42 46 49

3 . 2 . D e m o g r a p h i s c h e Krisen

53

372.1. Krisenrhythmus 3.2.2. Beispiel einer Krise: 1635-1639

53 54

3.3. Saisonale Rhythmen

59

3.3.1. Saisonaler Rhythmus der Hochzeiten 3.3.2. Saisonale Variationen der Geburten und Konzeptionen 3.3.3. Saisonaler Rhythmus der Todesfälle

59 61 63

"Nahrung" und "Gewinn": die d ö r f l i c h e Wirtschaft

67

4 . 1 . Berufsstruktur

70

4.1.1. Berufsstruktur aufgrund der Kirchenbücher 4.1.2. Berufsstruktur aufgrund der Eventualteilungen

70 73

4 . 2 . Landwirtschaft

75

4.2.1. Bauern im 17. und 18. Jahrhundert: vier Beispiele 4.2.2. Strukturen des Landbesitzes 4.2.2.1. Die rechtliche Lage: eigene Güter und Lehen 4.2.2.2. Umfang des Landbesitzes 4.2.2.3. Landbesitz nach Berufsgruppen 4.2.3. Nutzung der Markungen 4.2.4. Umwandlung von Ackerland in Wiesen

75 81 81 83 88 92 98

1

5.

4.2.5. Angebaute Produkte 4.2.6. Vorratshaltung 4.2.7. Besitz von Arbeitsgeräten 4.2.8. Viehbesitz 4.2.9. Pflüge, Pferde und Landbesitz 4.2.10. Saatgut 4.2.11. Ertragsschätzungen 4.2.12. Düngung 4.2.13. Arbeitskräfte 4.2.14. Investitionen 4.2.15. Zusammenfassung: Expansion in der Landwirtschaft

99 101 105 106 110 111 111 129 130 134 141

4.3. Handwerk

143

4.3.1. Bondorfer Handwerker im 18. Jahrhundert: einige Beispiele 4.3.2. Berufsstruktur des Handwerks 4.3.2.1. Interne Zusammensetzung der Handwerker nach Kirchenbüchern 4.3.2.2. Handwerk nach Eventualteilungen 4.3.3. Wirtschaftliche Situation des Handwerks 4.3.4. Besitz von Arbeitsgeräten

143 147 147 148 149 161

4.4. Sonstiges

163

4.4.1. 4.4.2. 4.4.3. 4.4.4. 4.4.5. 4.4.6. 4.4.7.

163 168 174 175 176 178 180

Medizinische Versorgung Gastwirtschaften Krämer Niedere Gemeindeämter Schulmeister Handelsaktivitäten Geldleihe

4.5. Zehnten, Abgaben und Steuern

187

4.6. Marktbeziehungen

197

4.7. Dörfliche Wirtschaft

202

4.7.1. 4.7.2. 4.7.3. 4.7.4.

202 206 208 209

Familienwirtschaft Kooperation und Konfrontation zwischen einzelnen Familienwirtschaften Dorfwirtschaft Regionale Verflechtung der dörflichen Wirtschaft

Demographie

211

5.1. Typisierung der Familien

211

5.1.1. Typisierung der Familien 5.1.2. Repräsentativität der verschiedenen Typen

5.2. Migrationen

215

5.2.1. Migrationen bestehender Familien 5.2.2. Heiratsmigrationen 5.2.2.1. Lokale Endogamie 5.2.2.2. Herkunft der Ehepartner

215 217 217 220

5.3. Nuptialität 5.3.1. Definitives Zölibat 5.3.2. Zivilstand der Heiratenden 5.3.3. Heiratsalter

2

211 213

223 223 224 226

5.3.3.1. Alter bei der Erstehe 5.3.3.2. Heiratsalter bei beiderseitigen Erstehen 5.3.3.3. Anteil der Ehen mit älterer Frau 5.3.3.4. Altersabstände zwischen den Ehegatten 5.3.3.5. Heiratsalter nach Berufsgruppen 5.3.3.6. Heiratsalter nach sozialen Schichten 5.3.3.7. Heiratsalter in Abhängigkeit von der Sterblichkeit 5.3.4. Wiederheirat

5.4. Fruchtbarkeit 5.4.1. 5.4.2. 5.4.3. 5.4.4.

Altersspezifische eheliche Fruchtbarkeitsziffern Indizes für die altersspezifische eheliche Fruchtbarkeit Ehedauerspezifische Fruchtbarkeitsziffern und Descendance complète "Indice Houdaille"

226 233 234 235 236 239 240 242

245 246 248 249 251

5.5. Familie

270

5.5.1. Ehedauer 5.5.2. Die durchschnittliche Geburtenzahl einer MF-Familie 5.5.3. Anteil steriler Familien an allen vollständigen Familien 5.5.4. Alter bei der letzten Mutterschaft 5.5.4.1. Das durchschnittliche Alter bei der letzten Mutterschaft 5.5.4.2. Das Alter bei der letzten Mutterschaft in Abhängigkeit vom Heiratsalter 5.5.4.3. Häufigkeitsverteilung des Alters bei der letzten Mutterschaft 5.5.5. Der Index Dupäquier-Lachiver

270 271 271 273 273 274 274 276

5.6. Kontrazeption im Gäu?

281

5.7. Mortalität

284

5.7.1. Säuglings- und Kindersterblichkeit 5.7.2. Sterblichkeit Erwachsener 5.7.3. Kindbettsterblichkeit

284 288 291

5.8. "Sie seyen eben ein paar mal beyeinander gewesen": die "Sünde" und ihre Folgen

294

5.8.1. Voreheliche Konzeptionen 5.8.2. Illegitimität 5.8.2.1. Entwicklung der Illegitimitätsquoten 5.8.2.2. Illegitimität, Fruchtbarkeit und Heiratsalter 5.8.3. Mütter illegitimer Kinder 5.8.3.1. Anzahl illegitimer Geburten pro Frau 5.8.3.2. Heiratsverhalten der Mütter illegitimer Kinder 5.8.3.3. Alter bei der ersten illegitimen Geburt 5.8.3.4. Heiratsalter der Mütter illegitimer Kinder 5.8.3.5. Soziale Einstufung der Mütter illegitimer Kinder 5.8.4. Anmerkungen zum Schicksal illegitimer Kinder 5.8.4.1. Anteil der Totgeburten an den illegitimen Geburten 5.8.4.2. Säuglingssterblichkeit illegitimer Kinder 5.8.4.3. Heiratschancen illegitimer Kinder 5.8.5. Väter illegitimer Kinder 5.8.5.1. Anzahl verschiedener Väter bei Frauen mit mehreren illegitimen Kindern 5.8.5.2. Anteil der Geburten mit unbekannten Vätern 5.8.5.3. Väter unehelicher Kinder nach ihrem Zivilstand 5.8.6. Die "Bastardy Prone Sub-Society" am Beispiel Mötzingen 5.8.7. Schluß: Einstellungen zur vor- und außerehelichen Sexualität

295 298 298 301 301 302 303 305 307 309 310 310 311 312 312 312 314 314 316 317

3

5.9. Mikrodemographie: Ergebnisse

322

5.9.1. Zeit und Raum 5.9.2. Soziale Ungleichheit 5.9.3. Ordnung und Unordnung

322 322 323

Sozialstruktur

325

6.1. Hierarchie der Vermögen

325

6.1.1. 6.1.2. 6.1.3. 6.1.4. 6.1.5. 6.1.6. 6.1.7.

325 326 327 330 331 332 337

Methodisches zur Sozialstruktur Schichtungsmodelle Sozialstruktur Lorenzkurven Sozialstruktur: Klassifikation nach absoluten Kriterien Soziale Schichtung nach Steuerquellen Vermögensdifferenzierung nach Berufen

6.2. Dynamik der Vermögen 6.2.1. Vermögenszusammensetzung und Verschuldung 6.2.2. Vermögensentwicklung 6.2.3. Die Rekrutierung von Inhabern höherer Gemeindeämter: ererbtes Vermögen und Zugewinn

342 342 344 347

6.3. Soziale Mobilität

351

6.3.1. Soziale Endogamie 6.3.1.1. Soziale Endogamie nach Berufen 6.3.1.2. Soziale Endogamie nach Gemeindeämtern 6.3.1.3. Soziale Endogamie nach Erbteilen 6.3.2. Vererbung von Berufen 6.3.3. Vererbung von höheren Gemeindeämtern 6.3.4. Plazierung der Töchter: Berufe und höhere Gemeindeämter der Schwiegersöhne

351 351 356 357 360 362 363

6.4. Demonstrativer Konsum

366

6.4.1. 6.4.2. 6.4.3. 6.4.4. 6.4.5.

366 368 369 371 372

Kleiderbesitz Möbelbesitz Wertsachen Bargeld Lebensstile

Begriffe und Institutionen

377

7.1. Das Dorf und die Schriftkultur

377

7.1.1. Zugänge zur Schriftkultur: Alphabetisierung 7.1.2. Bücherbesitz

377 380

7.2. Grundbegriffe

384

7.2.1. Besitz als Zentrum des Denkens 7.2.1.1. Die Grenzen der Freiheit: Üppigkeit und Verschwendung 7.2.1.2. Arbeit, Fleiß und Sparsamkeit 7.2.1.3. Belohnung wirtschaftlichen Erfolgs - Bestrafung von Mißerfolgen 7.2.1.4. Genealogisches Verhaftetsein von Besitz 7.2.1.5. Diebstähle und ihre Sanktion 7.2.2. Ehre und Ehrverletzungen 7.2.3. Widersetzlichkeit, Gewohnheit und Recht

384 384 389 390 392 393 395 397

7 . 3 . Grundinstitutionen

400

7 . 3 . 1 . Eheleben 7 . 3 . 1 . 1 . Eheschließung 7 . 3 . 1 . 2 . Mann und Frau 7 . 3 . 1 . 3 . Das Scheitern von Ehen 7 . 3 . 1 . 4 . Funktionierende Ehen 7 . 3 . 2 . Eltern und Kinder 7 . 3 . 3 . Verwandtschaft 7 . 3 . 4 . Nachbarschaft 7 . 3 . 5 . Gemeinde 7 . 3 . 5 . 1 . Bürgerschaft und Magistrat 7 . 3 . 5 . 2 . Dörfliche Dialoge 7 . 3 . 5 . 3 . Das "Gemeine Beste" und der Friede im Dorf 7 . 3 . 5 . 4 . Die Macht im Dorf 7 . 3 . 5 . 5 . Solidaritäten und Konflikte 7 . 3 . 5 . 5 . 1 . Die Hexe von Bondorf 7 . 3 . 5 . 5 . 2 . Ein Aufruhr entsteht 7 . 3 . 5 . 5 . 3 . Zornige junge Kapitalisten und regierende Oligarchie 7 . 3 . 5 . 5 . 4 . Drei Konflikte

400 400 405 406 411 412 423 425 426 426 429 432 435 437 437 441 443 445

8.

S c h l u ß : L e b e n s b e d i n g u n g e n und Lebensstile

447

9.

Graphiken

453

1 0 . Quellen

485

1 0 . 1 . U n g e d r u c k t e Quellen

485

1 0 . 2 . G e d r u c k t e Quellen

491

11. Literatur

493

5

Abkürzungen ADH AE AEFZ AESC Bd BON Bû D EHR fl GA GEB GG GRU h HSTAS HZ I JIH M MOE MS N NEB OBR OS OSB R Reyscher

TLF US V VSWG Württ. Jbb. x ZAA ZHF ZWLG

6

Annales de démographie historique Ackereinheiten (s. Kap. 6.1.1.) Altersspezifische eheliche Fruchtbarkeitsziffern Annales. Economies, Sociétés, Civilisations Band Bondorf Büschel Durchschnitt (in Tabellen) The Economic History Review Gulden Gemeindearchiv Gebersheim Geschichte und Gesellschaft Gniorn Heller Hauptstaatsarchiv Stuttgart Historische Zeitschrift Inventur Journal of Interdisciplinary History Morgen ( = 150 Ruten = 31,5174 ar) Mötzingen Mittelschicht Anzahl der Fälle (in Tabellen) Nebringen Oschelbronn Oberschicht Ortssippenbuch (Quadrat-)Ruten ( = 0,2101 ar) L.A.Reyscher, Vollständige, historisch und kritisch bearbeitete Sammlung der württembergischen Gesetze, Stuttgart, Tübingen 1828ff Tailfingen Unterschicht Viertel eines Morgens ( = 7,8794 ar) Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Württembergische Jahrbücher für vaterländische Geschichte, Geographie, Statistik und Topographie Kreuzer Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie Zeitschrift für historische Forschung Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte

Vorwort

Die vorliegende Untersuchung ist die gekürzte und überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die unter dem Titel "Lebensbedingungen und Lebensstile in einer ländlichen Gesellschaft der frühen Neuzeit. Beiträge zur Sozialgeschichte altwürttembergischer Dörfer" im Sommersemester 1990 von der Geschichtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen angenommen wurde. Für seine Unterstützung danke ich meinem Doktorvater, Prof. Dr. Hans-Christoph Rublack. Prof. Dr. Peter Blickle und Prof. Dr. Günther Franz bin ich für die Aufnahme in die Reihe "Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte" verbunden. Historiker in Rechenzentren gehören immer noch zu den schwereren Betriebsstörungen. Den Mitarbeitern des Rechenzentrums der Universität Tübingen danke ich für ihre Geduld und Hilfsbereitschaft. Ohne die Unterstützung von Herrn Bürgermeister Kilian wären die Arbeiten im Gemeindearchiv Bondorf nicht möglich gewesen. Dasselbe gilt von den Mitarbeitern des Hauptstaatsarchivs Stuttgart, die die Gewichtigkeit quantitativer Geschichte am Gewicht der ausgehobenen Archivalien zu spüren bekamen. Bei den Korrekturen half Dr. Ulrich Nieß, dessen nicht immer freudig begrüßten Hinweisen diese Arbeit etliche Verbesserungen verdankt. Prof. Dr. Neithard Bulst, dem Graduiertenkolleg der Universität Bielefeld "Sozialgeschichte von Gruppen, Schichten, Klassen und Eliten", dem ich leider nur kurzzeitig angehören konnte, und der Stiftung Volkswagenwerk bin ich ebenfalls zu Dank verpflichtet. Andreas Maisch

7

"... unsereins gehört zu jenen Mädchen vom Lande, die, wenngleich adeliger Herkunft, doch stets ein zurückgezogenes Dasein geführt haben in entlegenen Burgen und sodann in Klöstern; abgesehen von den religiösen Pflichten, den Triduen und Novenen, von Feldarbeiten, vom Dreschen, von Weinlesen, Stäupen der Knechte, Blutschande, Feuersbrünsten, Exekutionen am Galgen, Einbrüchen fremder Heere, Plünderungen, Vergewaltigungen, Pestilenzen, haben wir nie etwas erlebt."

Italo Calvino, Der Ritter, den es nicht gab, S.34

1. Einleitung Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist das soziale Handeln frühneuzeitlicher Dörfler. 1 Da die Rekonstruktion sozialen Handelns nur unter Einbeziehung der Bedingungen, unter denen es stattfindet, sinnvoll ist, 2 wird auf diese Rahmenbedingungen gleichwertiges Gewicht gelegt. Der doppelte Zugriff über Lebensbedingungen und Lebensstile soll dieser Konstellation von sozialem Handeln und Handlungsbedingungen Rechnung tragen. 3 Die Abgrenzung von Lebensbedingung und Lebensstil folgt der Weberschen Opposition von "Lebensführung/Lebensstil" und "Klasse". 4 Bezieht sich "Klasse" bei Max Weber auf den Erwerb und die Verteilung von Gütern, so "Lebensführung/Lebensstil" auf "die einem Stand, im weiteren Sinn: einem Berufsstand, einer Statusgruppe typische Form des Konsums sowie des Anspruchs auf 'Ehre' und soziale Anerkennung." 5 Der konkurriende Begriff der "Lebensweise" vermischt, in der Marxschen Definition, die beiden Aspekte, ganz abgesehen von seiner Reduktion menschlichen Lebens auf die Produktion. 6 Innerhalb der Alltagsgeschichte wird "Lebensweise" dagegen zum "Orientierungsmuster", dessen Verhältnis zu den "Formen täglichen Verhaltens und Erfahrens" aufgehellt werden soll. 7 Ärgerlicherweise lassen sich für die frühe Neuzeit und die nicht so redseligen Sozialschichten die Orientierungsmuster in der Regel aber nur aus den Formen des täglichen Verhaltens und Erfahrens erschließen, womit die "Lebensweise" entweder zu einem abstrahierenden Konzentrat aus den alltäglichen Handlungsformen oder zu einer (unkontrollierbaren) creatio ex nihilo wird. Demgegenüber schien mir der Begriff des "Lebensstils" die Vorteile der empirischen Überprüfbarkeit und der Fundierung im Alltäglichen zu vereinen. "Lebensstil" - der weniger gebräuchliche Begriff - soll mit Lüdtke als "unverwechselbare Struktur und Form eines subjektiv sinnvollen, erprobten (d.h. zwangsläufig angeeigneten, habitualisierten oder bewährten) Kontextes der Lebensorganisation (mit den Komponenten: Ziele bzw. Motivationen, Symbole, Partner, Verhaltensmuster) eines privaten Haushalts ..., den dieser mit einem Kollektiv teilt und dessen Mitglieder deswegen einan1 2 3 4 5

6

7

zur Definition von "sozialem Handeln": M.Weber, Wirtschaft, S. 1-13. Um die Anmerkungen kurz und übersichtlich zu halten, wird die Sekundärliteratur nur unter ihrem Kurztitel zitiert. vgl. M.Weber, Wirtschaft, S.6 vgl. A.Lüdtke, Einleitung, S. 11-13, 28; H.Medick, Missionare, S.63f (Lebensverhältnisse und Lebensweise) s. M.M.Tumin, Schichtung, S.83-93 (Lebensbedingungen), 94-112 (Lebensstile) H.Lüdtke, Ungleichheit, S.24, vgl.a. S.25f zu den sozialen Funktionen des Lebensführungskonzepts bei Weber und S.30-36 zum Lebensstilbegriff P.Bourdieus; zur Bedeutung des Konzepts "Lebensführung" bei M.Weber s.a. W.Hennis, Fragestellung, passim, bes. S.17f, 22f, 31-34, 73; P.Bourdieu, Unterschiede, S.12, 277; M.M.Tumin, Schichtung, S.94-112; D.Peukert, Diagnose, S.39; a. die Bürgertumsforschung betont stark die "Lebensstile" als Differenzierungskriterium: vgl. z.B. W.Kaschuba, Bürgerlichkeit, S.12f, 16f, 25; U.Frevert, Bürgerlichkeit, S.103 K.Marx, F.Engels, Ideologie, S.20-22; Medick sieht diese Vermischung als Vorteil: H.Medick, Missionare, S.62f, 64. Dies mag für eine abschließende Gesamtinterpietation richtig sein, für die Zwecke der Analyse und Darstellung scheint mir eine Trennung aber nach wie vor sinnvoll. A.Lüdtke, Einleitung, S.21

9

der als sozial ähnlich wahrnehmen und bewerten" definiert werden. 8 Lüdtke unterscheidet vier Dimensionen der Lebensorganisation:9 die sozialökonomische Situation ("... das ökonomische, teiweise auch soziale Kapital im Sinne Bourdieus, verbunden mit den Bedingungen der Arbeitsorganisation ..., der Haushaltsstruktur ... und der Wohnumwelt ... Die Dimension ... enthält ein komplexes Bündel objektiver Ressourcen und Zwänge des Handelns, aus denen für jedes Individuum, aber auch als Gruppenmerkmal des Haushalts eine bestimmte Status-Rollen-Konfiguration (aus Rechten, Pflichten und Mitteln) resultiert. Sie richtet sich in ihrer Entstehung nach dem bisherigen Lebenslauf des einzelnen, seiner sozialen 'Verortung' im Prozeß der Allokation von Positionen, knappen Gütern, allgemein: Lebenschancen, und dem Statuserwerb aufgrund eigener Leistungen und Bemühungen"), 10 die Kompetenz ("... die im Sozialisationsprozeß, insbesondere durch Bildung und Ausbildung erworbenen kognitiven, sprachlichen und sozialen Qualifikationen und Berechtigungsnachweise. Bourdieus kulturelles Kapital in der Form von Wissen und Fähigkeiten gehört dazu, aber auch soziale Kompetenzen, z.B. Fähigkeiten der Gestaltung sozialer Rollen, der Kommunikation, der Konfliktverarbeitung"), 11 die Performanz ("... die Gesamtheit der relevanten Handlungs- und Interaktionsäußerungen, ihrer Formen, Begleitumstände und Resultate")12 und die Motivation (" ... kulturell geformte Bedürfnisse (Bedürfnis-Wert-Orientierungen), Einstellungen, Ziele, allgemeiner auch: Sinn des Handelns, ... Von besonderer Lebensstilrelevanz sind dabei auf spezielle Wertbindungen, Gruppen und Ziele gerichtete Präferenzen"). 13 Operationalisiert wird dieses Konzept, indem Lebensstile zunächst unter Performanz-, z.T. auch Motivationsaspekten (z.B. geäußerte Präferenzen) beschrieben werden. Diese Lebensstile werden erklärt, indem sie zu den Dimensionen Sozialökonomie, Kompetenz und Motivation in Beziehung gesetzt werden. 14 Der Vorteil eines doppelten Zugriffs über Lebensbedingungen15 und Lebensstile scheint mir auch darin zu liegen, daß " 'ökonomistische1 Einseitigkeiten" von Schichtungsmodellen 16 wenn schon nicht vermieden, so doch problematisiert werden. Außerdem läßt sich so soziale Ungleichheit von ihrer strukturellen wie ihrer prozessualen Seite erfassen:

8

9 10 11 12 13 14 15

16

10

H.Lüdtke, Ungleichheit, S.40; Bourdieu verbindet sein Lebensstilkonzept mit den Klassenverhältnissen in entwickelten Konsumgesellschaften (ebd., S.35), was ihn für meine Zwecke weniger geeignet macht; mein Interesse richtet sich im wesentlichen auf die heuristischen Funktionen solcher Theorien und auf ihre Instrumentalisierbarkeit für empirische Untersuchungen. Die Differenzen zwischen dem Lüdtke'sehen und dem Weber'sehen Konzept scheinen mir eher gering, sofern sie auf historische Tatbestände angewendet werden. Richtet sich das Interesse dagegen auf moderne Lebensstile, mag das anders sein. deren Definition s. H.Lüdtke, Ungleichheit, S.46 H.Lüdtke, Ungleichheit, S.42 (zum ökonomischen und sozialen Kapital Bourdieus s. ebd., S.33) H.Lüdtke, Ungleichheit, S.42 (zum kulturellen Kapital Bourdieus s. ebd., S.33) H.Lüdtke, Ungleichheit, S.42 H.Lüdtke, Ungleichheit, S.42 und 44; vgl. Schema S.43 H.Lüdtke, Ungleichheit, S.45 Lebensbedingungen begreift Weber als Resultate der Klassenlage, wobei hier sein universeller Klassenbegriff zugrundeliegt, den ich mit Schicht übersetze: H.U.Wehler, Vorüberlegungen, S.13; M.Weber, Wirtschaft, S.177f; W.Hennis, Fragestellung, S.79f; M.M.Tumin, Schichtung, S.36f, 8393 H.Lüdtke, Ungleichheit, S.50

"Ressourcen und Verhalten, Kompetenz und Performanz, soziale Lage und Selbstdarstellung, Status und expressive Kommunikation" rücken in das Blickfeld. 17 Regelmäßigkeiten sozialen Handelns können am leichtesten statistisch einsichtig gemacht werden, 1 8 wobei Statistiken keinen anderen Bedingungen als andere Quellen unterliegen und ebenso wie diese auf ihre Aussagekraft zu überprüfen sind. 1 9 Dies zwang zu mitunter langen methodologischen Teilen, die aber gerade nicht abschrecken, sondern die Kritisierbarkeit der Ergebnisse erhöhen sollen. Totalitätsansprüche, eo ipso schon verdächtig, sind dabei keineswegs impliziert. 20 Die Untersuchung beschränkt sich auf das ökonomische und demographische Verhalten, die soziale Schichtung und die sozialen Institutionen, klammert aber weite Bereiche, so vor allem die religiöse Praxis, aus. Der Verzicht auf diese Bereiche schien mir zugunsten einer breiteren Fundierung des sozioökonomischen Teils gerechtfertigt, obwohl dies im Gegensatz zu aktuellen Forschungstrends steht. Als Resultat entsteht ein dezidiert diesseitiges Bild der ländlichen Gesellschaft, dessen Ergänzungsbedürftigkeit keineswegs in Abrede gezogen werden soll, das mir aber immerhin einen wesentlichen Teil zu zeigen scheint. Die Agrargeschichte Südwestdeutschlands beschäftigte sich bislang eher mit globalen Entwicklungen, ohne sonderlich auf das wirtschaftliche Handeln von Bauern als Individuen Rücksicht zu nehmen, soweit sie sich nicht gar auf Agrarverfassungsgeschichte beschränkte. 21 Einen differenzierten Einblick in die Erwerbsverhältnisse der ländlichen Gesellschaft erlauben die Forschungen, die im Rahmen der Protoindustrialisierungsdiskussion entstanden sind. 2 2 Zur/Demographie Württembergs liegen außer einigen älteren Arbeiten keine Beiträge vor, die dem Standard der historischen Demographie genügen. 2 3 Soziale Schichtung wurde eher für Städte thematisiert, kaum aber für das Land, 2 4 17 18 19 20 21

22

23 24

H.Lüdtke, Ungleichheit, S.49 vgl. M.Weber, Wirtschaft, S.6 vgl. W.Fischer, Sozialgeschichte und Wirtschaftsgeschichte, S.61-63; F.Lenger, Kleinbürgertum, S. 19f H.U.Wehler, Sozialgeschichte und Gesellschaftsgeschichte, S.34f, 38; R.Koselleck, Sozialgeschichte und Begriffsgeschichte, S.92f; vgl.a. F.Füret, Methoden, S.153f s. W.Abel, Geschichte; W.Abel, Agrarkrisen; B.H.Slicher van Bath, History; J.Kulischer, Wirtschaftsgeschichte II, S.34-98; abschreckendes Beispiel: W.A.Boelcke, Wirtschaftsgeschichte, v.a. S.93-116; W.V.Hippel, Bauernbefreiung; W.v.Hippel, Bevölkerung; vgl. zur Kritik H.U.Wehler, Gesellschaftsgeschichte I, S.74, 567 Anm. 19 P.Kriedte, H.Medick, J.Schlumbohm, Industrialisierung; J.Mooser, Klassengesellschaft; kurzer Abriß bei D.W.Sabean, Schwert, S. 14-23; zur Kritik an der Protoindustrialisierung s. W.Mager, Haushalt; W.Mager, Protoindustrialisierung; P.Jeannin, Protoindustrialisation; D.C.Coleman, Proto-Industrialization; H.Linde, Proto-Industrialisierung; E.Schremmer, Industrialisierung; vgl. a. P.Kriedte, H.Medick, J.Schlumbohm, Proto-Industrialisierung außer zuletzt J.Knodel, Behaviour (für Oschelbronn); W.Kaschuba, C.Lipp, Überleben (für Kiebingen im 19. Jahrhundert); zum Forschungsstand s. H.Duchhardt, Zeitalter, S. 163-165 H.Grees, Unterschichten; V.Trugenberger, Schloß; T.Robisheaux, Society; für das 19. Jahrhundert: W.Kaschuba, C.Lipp, Uberleben (für Kiebingen); A.Gestrich, Jugendkultur (für Ohmenhausen); S.Schraut, Industrialisierungsprozeß und dies., Wandel (für Esslingen); vgl. H.Rebel, Peasant classes, S.10-20 11

oder beschränkte sich auf Momentaufnahmen. 25 Wesentliche Anregungen verdankt diese Arbeit der französischen Agrar- und Bevölkerungsgeschichte,26 deren Fragenkataloge und Ergebnisse mir weder veraltet noch für den deutschen bzw. württembergischen Raum genügend aufgegriffen worden zu sein scheinen.27 Eine Vernachlässigung der Politikgeschichte wird man hierzulande kaum beklagen können. Die Vertiefung in Erfahrungs-, Kultur- oder Alltagsgeschichte ohne vorgängige oder gleichzeitige Sozialgeschichte führt dagegen leicht zur Wiederbelebung von Mythen 28 und zur willkürlichen Auswahl von Einzelfallen, die qua Willensentschluß zu typischen Beispielen erklärt werden, während die nach eigenem Eingeständnis für die Interpretation wichtigen sozialgeschichtlichen Informationen in der Einleitung und im Nachwort präsentiert werden. 29 Der Arbeitsaufwand schon der historisch-demographischen Untersuchung erfordert eine lokale Beschränkung; 30 die Untersuchung nur eines Dorfes aber führt leicht zu einem historischen "Bondorfismus" als Äquivalent des ethnologischen "Bongo-Bongoismus", 31 der durch die Einbeziehung weiterer Dörfer vermieden werden sollte. Die schließlich untersuchten Dörfer können Repräsentativität für Württemberg in keiner Weise beanspruchen, weisen aber doch genügend unterschiedliche Merkmale auf, um Einseitigkeiten zu vermeiden und Differenzierungen vornehmen zu können. Administrativ gehörten Bondorf, Tailfingen, Nebringen und Mötzingen zum ehemaligen Oberamt Herrenberg, Gebersheim zum ehemaligen Oberamt Leonberg (heute alle Kreis Böblingen) und Gruorn zum Oberamt Urach. 32 In allen Dörfern dominierte der Getreidebau, in Gebersheim wurde bis ins 18. Jahrhundert etwas Weinbau betrieben. 33 Die Qualität der Böden war in den Dörfern der Oberämter Herrenberg und Leonberg sehr gut, in Gruorn sehr viel schlechter. 34

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K.O.Bull, Vermögen (anhand der Türkensteuerlisten); Referenz auf Berufsangaben bei J.Knodel, Behaviour P.Goubert, Provinciaux; E.Le Roy Ladurie, Paysans; F.Braudel, Méditerranée; G.Cabourdin, Gens; M.Garden, Lyon; J.P.Bardet, Rouen; J.P.Kintz, Société; P.Bois, Paysans; G.Bois, Crise; für das Mittelalter G.Duby, Economie und ders., Société; M.Bloch, Société; zu den "Annales" s. G.G.Iggers, Geschichtswissenschaft, S.55-96; F.Furet, Geschichte; F.Furet, Methoden vgl. Überblicke bei C.Zimmermann, Dorf und C.Dipper, Bauern; s.a. H.Lutz, Reformation, S.174f s. z.B. das "ganze Haus" bei R. van Dülmen, Kultur I, S. 12-16 wie z.B. bei D.W.Sabean, Schwert Die historisch-demographische Untersuchung bildete den Ausgangspunkt: vgl. A.Maisch, Ansätze M.Douglas, Ritual, S.7: "Das ist ja alles soweit gut und schön, aber bei den Bongo-Bongo sieht die Sache völlig anders aus! " Gruorn fiel einer Vergrößerung des Truppenübungsplatzes Münsingen zum Opfer, die Gemeinde wurde 1937-1942 aufgelöst, ihre Bewohner umgesiedelt: s. A.Bischoff-Luithlen u.a., Gruorn, S.6 vgl. Beschreibung Herrenberg, S.157f, 234f, 240f, 293f; Beschreibung Leonberg, S. 125-127; Beschreibung Urach, S.651f Beschreibung Herrenberg, S.157, 235, 240, 293; vgl. a. ebd., S.18, 36, 44f, 47; Land Baden-Württemberg, S.225f; H.Schwenkel, Landschaft, S.3f; P.Amtsfeld, Struktur, S.4, 6, lOf, 13; G.Dehlinger, Überblick, S.63; G.Ernst, Bauerntum, S.9; Beschreibung Leonberg, S.125; K. von Varnbüler, Landwirtschaft, S.192f; Beschreibung Urach, S.651; W.Schlegel, Gruorn, S.25; K.Göriz, Abhandlung, S.14 zur Umgebung von Münsingen; K.Göriz, Beiträge, S.88

Nach der Präsentation der Quellen und einem kurzen Blick auf konjunkturelle Entwicklungen rückt zuerst das wirtschaftliche Handeln der Dörfler in den Mittelpunkt. Darauf folgt die Untersuchung des demographischen Verhaltens. Beide Kapitel erfordern gelegentlich einen Vorgriff auf die soziale Schichtung, die anschließend zusammenhängend thematisiert wird. Das letzte Kapitel ist den grundlegenden sozialen Normen und Institutionen gewidmet.

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2. Quellen 2.1. Kirchenbücher Zur Einschätzung der Quellenlage sollen beispielhaft die Kirchenbücher von Tailfingen (und Nebringen: die Bücher des Filials entsprechen in allen Stücken denen der Hauptpfarrei) vorgestellt werden. 1 Das Taufbuch von Tailfingen beginnt 1558; bis 1586 wurden die Täuflinge alphabetisch nach dem Anfangsbuchstaben des Vornamens eingeschrieben, was den Pfarrer zwang, große Lücken zwischen den einzelnen Anfangsbuchstaben zu lassen, um immer genügend Platz für Nachträge zu haben. Diese Lücken wurden später teils mit Taufeinträgen, teils mit Totenlisten aufgefüllt. Das erste Kirchenbuch von Tailfingen (1558-1687) macht von daher einen etwas konfusen Eindruck. Immerhin sind die drei verschiedenen Arten von Einträgen von Beginn an getrennt - sieht man von den Todeseinträgen vor 1613 ab, die lediglich als Randbemerkungen zu den Taufen erscheinen (und damit mindestens bis zu diesem Jahr sehr unvollständig sind). 2 Die Taufeinträge enthalten außer dem Namen des Täuflings auch den Vor- und Nachnamen seines Vaters und den Vornamen der Mutter, das Datum der Taufe und die Namen der Paten. 3 Mit einer Ausnahme 1654-1657 wird mit wechselnden Überschriften und in variabler Reihenfolge die spaltenweise Anordnung der Informationen beibehalten. Der Informationsgehalt bleibt über die ganze Zeit annähernd gleich. Ab ca. 1690 werden zusätzlich die Berufe für die Väter angegeben, ab 1728 außer dem Taufdatum auch das Geburtsdatum (in der Form "natus et renatus"). Die Taufe erfolgte fast immer am Tag der Geburt oder am Tag danach. Ab 1774 schließlich erscheint in den Taufeinträgen auch der Geburtsname der Mutter: 4 beim Eintrag der Geburt von Michael Dußling am 29.März 1777 etwa erscheinen die Eltern als "Martin Dußling, Bürger und Bauer uxor Catharina nata Breuningin". 5 Ab 1808 wurden in die 1790 neu begonnenen Kirchenbücher Formulare eingezeichnet, die genau den Vorlagen, die dem Generalreskript vom 15.11.1807 beigegeben waren, entsprachen. Daneben wurde 1808 ein Taufbuch begonnen, das die vorgedruckten Formulare enthielt. 6 Bis 1827 (als das alte Kirchenbuch voll war) wurde das vorgedruckte Formular offenbar nur sporadisch benutzt. Auf fol. 190a/191 des ersten Taufbuchs wurden vier illegitime Geburten (die erste von 1562) eingetragen. Die Überschrift dazu lautet: "Hie findestu die Bastarts Kinder nachem ander eingeschriben wer sie, ir Vatter und Mutter gewest und wie sie gehaissen." Mangelnde Aufmerksamkeit für Illegitimität wird man den Tailfinger Pfarrern also auch im 16. Jahrhundert nicht unterstellen können. Ansonsten sind illegitime Geburten bei den legitimen eingeschrieben. 1 2 3 4 5 6

Für die Erlaubnis zur Einsicht und freundliche Hilfe danke ich Frau Schittenhelm und Frau Fuchs vom Pfarramt in Tailfingen. O S B T L F , S.13 s. Kirchenordnung von 1559, in: Reyscher VIII, S.256; vgl.a. H.E.Walter, Gültstein, S.152 vgl. General-Rescript vom 23.12.1773, in: Reyscher VIII, S.681 vgl. Familie Nr. 253 im OSB TLF; in Zukunft werden Familiennummem zitiert als: OSB TLF 253 General-Rescript vom 15.11.1807, in: Reyscher IX, S. 106, llOf; s. schon Instruction vom 21.11.1804 (ebd., S.39) und Verordnung vom 22.11.1810 (ebd., S.202f)

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Das Ehebuch beginnt 1561. Die Eheeinträge enthalten außer 1623-1633 das Datum, die Namen beider Ehegatten, die Namen der Väter beider Ehegatten (mit einem Vermerk ob noch lebend oder schon tot) und die Herkunft der Ehepartner. Als Beispiel sei ein Eheeintrag von 1588 zitiert: "Anno 1588 den 12. November haben Michel Heinrich, weylandt Michel Heinrichs allhie hinderlaßner ehelicher Sohn undt Anna Caspar Faisen selig von Bieringen eheliche verlaßene Tochter Ihr ehelichs Pflicht vor einer christlichen Gemein allhie zu Tailfingen bestätigen lassen ,..". 7 Bei Witwen werden Angaben zum ersten Mann gemacht. 1623-1633 sind die Eheeinträge sehr kurz: "Anno 1623 5. Februarii Blasii Feißler und Maria." Mit dem Beginn des 18. Jahrhunderts wird der Beruf des Mannes und der Beruf des Vaters seiner Frau regelmäßig verzeichnet. Ab 1808 werden auch die Eheeinträge im alten Kirchenbuch in ein handgezeichnetes, im neuen in ein vorgedrucktes Formular eingetragen, die beide exakt den gesetzlichen Vorgaben entsprechen. 8 Todeseinträge enthalten nach 1613 anfänglich nur den Namen des Verstorbenen und das Datum, bei Kindern den Namen ihres Vaters, bei Frauen den Namen des Ehemannes (entweder als "Frau von" oder als "Witwe von"). Altersangaben erscheinen ab 1643 und werden ab 1660 zur Regel. Berufe werden ab 1640 sporadisch, aber erst nach 1700 regelmäßig erwähnt. Todesursachen werden in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts recht häufig, dann bis in die 1770er Jahre selten, danach fast immer aufgelistet. Ab 1778 wurde das Totenbuch in Spalten geführt: dies mortis, nomina defunctorum, aetas, status morti. 9 Diese Spalten sind fast immer vollständig ausgefüllt. Angaben zum Familienstand, die im Schema keinen Platz hatten, fehlen dafür oft. Ab 1796 wird bei verstorbenen Frauen auch der Geburtsname aufgeführt. Wie bei den anderen Büchern erfolgen ab 1808 die Einträge in ein handgezeichnetes Formular im alten Kirchenbuch bzw. in Vordrucke im neuen. 1 0 Das Familienregister wurde ab 1808 exakt nach den Vorschriften geführt. 1 1 Mit der Einführung der Familienregister sind auch auswärtige Ereignisse systematisch in den lokalen Quellen verzeichnet. 12 Ab 1724 enthält das Kirchenbuch auch die jährlichen Listen der Konfirmanden. Das Tailfinger Taufbuch weist 1567 eine Lücke auf, die Registrierung der 1620er Jahre scheint nicht über jeden Verdacht erhaben: der von 1622 bis 1633 amtierende Pfarrer Bartholomäus Eberhard entledigte sich seiner Pflicht eher summarisch, wie gerade die Eheeinträge zeigen. 1633 wurde eine Liste von Toten nachgetragen. Im Jahr 1639 wurde

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vgl. O S B T L F 7 1 2 General-Rescript vom 15.11.1807, in: Reyscher IX, S.106, 112f; s.a. Verordnung vom 24.5.1816 über die Aufnahme von Geburtsjahr und -ort in die Eheeinträge (ebd., S.349) und schon die Instruction vom 21.11.1804 (ebd., S. 39) Eine Auswertung der Todesursachen war aus zeitlichen Gründen nicht möglich. General-Rescript vom 15.11.1807, in: Reyscher IX, S.106, 114f; Verordnung vom 24.5.1816 über die Aufnahme von Geburtsjahr und -ort in die Todeseinträge (ebd., S.349) und die Instruction vom 21.11.1804 (ebd., S.39f) General-Rescript vom 15.11.1807, in: Reyscher IX, S.107, 116; vgl.a. M.Schaab, Herausbildung, S.166, 169f General-Rescript vom 15.11.1807, in: Reyscher IX, S.107; vgl. Verordnung vom 11./29.12.1829 über die Einschreibung auswärtiger Ereignisse in die Kirchenbücher, in: Reyscher IX, S.828f

keine Geburt registriert, was aber nicht unbedingt auf eine Lücke zurückgehen muß, sondern genauso eine Folge von Tod, Hunger und Flucht sein kann. 1 3 In Nebringen beginnt das Taufbuch 1558, das Ehebuch 1565 und das Totenbuch 1619. 14 Die kleinen Zahlen machen es aber schwierig zu entscheiden, ob eine Lücke vorliegt oder ob tatsächlich kein Ereignis vorfiel. Burkhart Oertel vermerkt eine Lücke von 1636 bis 1641, als in sechs Jahren lediglich zwei Geburten eingetragen wurden. 1 5 In den Jahren 1583 bis 1590 scheint das Ehebuch defizitär: nur eine einzige Eheschließung wurde in diesen Jahren registriert. In Bondorf setzt das Ehebuch 1562, das Taufbuch 1563 und das Totenbuch 1609 ein. 1 6 Vom Juni 1598 bis zum Juni 1608, vom Februar 1614 bis September 1616 klaffen im Ehebuch Lücken; das Taufbuch ist von Januar 1609 bis April 1614 lückenhaft; das Totenbuch schließlich fehlt vom Februar 1614 bis zum März 1624. Außerdem fehlen die Todeseinträge vom Januar 1669 bis zum Oktober 1671: ein Blatt ging da verloren. 1 7 In den Jahren 1634/35 und 1638 bis 1641 wurde auch in Bondorf keine Taufe registriert. 18 Bis 1575 einschließlich wurden in den Bondorfer Büchern lediglich Jahresangaben gemacht, Monate und Tage fehlen. 1 9 Das Taufbuch beginnt in Mötzingen 1560, das Ehebuch 1564 und das Totenbuch 1563, 2 0 wobei Todeseinträge von 1569 bis 1617 sporadisch sind und 1618 bis 1630 nur Erwachsene im Totenbuch vermerkt wurden. 21 Lücken hat das Ehebuch von 1594 bis 1600, von 1604 bis 1608 und von 1610 bis 1616. 22 Im Taufbuch fehlen 1562/63 Einträge. 1639 wurde in Mötzingen keine Taufe registriert. 23 Der Informationsgehalt der württembergischen Kirchenbücher entspricht dem gehobenen kontinentaleuropäischen Standard; abgesehen von Lücken vor 1620 und einer wahrscheinlich defizitären Registrierung im Dreißigjährigen Krieg ist die Kontinuität und Qualität der Kirchenbuchführung beeindruckend. 24

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OSB TLF, S.13; bei den nachgetragenen Todeseinträgen vom April 1633 besteht vielleicht ein Zusammenhang mit der Verordnung vom 2.4.1633, die die Wiederherstellung verlorener Kirchenbücher vorschrieb, in: Reyscher VIII, S.309 (kein Abdruck des Gesetzestextes) OSB NEB, S.13 OSB NEB, S. 13 OSB BON, S. 14 OSB BON, S. 14 OSB BON, S. 14 OSB BON, S. 14 OSB MOE, S. 12 OSB MOE, S. 12 OSB MOE, S. 12 OSB MOE, S. 12 vgl. z.B. die Luzerner Kirchenbücher bei: H.R.Burri, Bevölkerung, S.8-16; J.Ganiage, Trois villages, S.115-117; L.Henry, Fécondité, 618-620; vgl. die zum Teil sehr schlechten englischen Register: J.T.Krause, Adequacy, S.379-393; die Führung der Kirchenbücher lag der württembergischen Obrigkeit sehr am Herzen: vgl. Reyscher VIII, S.309, 429f, 610, 671f, 681f; Reyscher IX, S.324, 733, 826

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2.2. Ortssippenbücher Alle vier ausgewerteten Ortssippenbücher wurden von Burkhart Oertel zusammengestellt und veröffentlicht (Nebringen 1980, Tailfingen 1981, Bondorf 1983 und Mötzingen 1984). 25 Um die Sicherheit der Rekonstitution zu testen, wurde für das Ortssippenbuch Tailfingen die Zuordnung der Geburten zu den Familien überprüft. Eine Geburt galt als unsicher zugeordnet, wenn 1) der Nachname der Väter, ihr Vorname und der Vorname der Mutter in zwei verschiedenen Familien übereinstimmten. Identität der Vornamen galt bei mehrteiligen dann, wenn mindestens ein Vorname gleich war, wobei Johannes bei den Männern, Anna und Maria bei den Frauen - wenn Teil eines mehrteiligen Vornamens - außer Betracht blieben. 2) außerdem beide (oder alle) Ehen zum Zeitpunkt der fraglichen Geburt "funktionsfähig" waren, d.h. sie mußten bereits geschlossen sein und durften noch nicht durch den Tod eines Teils gebrochen worden sein. Die Frau durfte weiterhin ihr 50. Lebensjahr in beiden Ehen noch nicht überschritten haben. Bei fehlenden Angaben galt die Ehe als 30 Jahre vom Datum der Eheschließung an als funktionsfähig, wurde das Heiratsalter der Frau auf 15 Jahre festgesetzt und - fehlte auch das Datum der Heirat - wurde die Ehe stets in den weitest möglichen Grenzen als bestehend angenommen. Diese Annahmen dürften zur Ermittlung der maximalen Fehlerzone geführt haben (alle unterstellten Angaben sind in den Kirchenbüchern bei den Taufen vermerkt), da von zusätzlichen Informationen der Taufeinträge (Übernamen, Berufe) kein Gebrauch gemacht wurde, die im Zweifelsfall die Wahl bestimmen - eindeutig bestimmen. 26 Auch die angenommenen pauschalen Zeiträume bei fehlenden Angaben laufen auf eine Maximierung hinaus. Die Untersuchung wurde nur für Einträge vor 1774 durchgeführt, da danach die Geburtsnamen der Mütter in den Taufeinträgen vermerkt wurden, so daß Verwechslungen kaum mehr möglich sind. Das Resultat war, daß vor 1620 (also vor dem Beginn der systematischen Notierung der Todesfälle) sechs von 872 Geburten als unsicher zugeordnet eingestuft werden mußten (0,7%). Von 1620-1689 waren es 12 von 689 (1,7%) und nach 1690 schließlich 27 von 1083 (2,7%). Die Zahl der "Risiko"-Geburten ist damit außerordentlich klein. Die Zuordnung der Geburten zu den Familien erscheint sicher, von dieser Seite aus ergeben sich keine Einwände gegen die Verwendung von Ortssippenbüchern für eine historischdemographische Untersuchung. 27 25

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zum Quellenwert der Ortssippenbücher vgl.: J.Knodel, Ortssippenbücher, S.288-324; J.Knodel, E.Shorter, Reliability, S. 115-153; J.Knodel, Natural Fertility, S.482f; J.Houdaille, Résultats, S.649f, 654; J.Houdaille, Remmesweiler, S. 1184; A.E.Imhof (Hrsg.), Demographie, S.42-50, 283-286; A.E.Imhof, Familienstrukturen, S.200f; A.E. Imhof, Einführung, S. 19-28; A.E.Imhof, Généalogie, S.77-107; A.E.Imhof, Übersterblichkeit, S.495f; J.Knodel, Behaviour, S. 12-17 zur Rolle der Ubernamen s.a.: L.Henry, Fécondité, S.620; vgl.a. G.Emst, Bauerntum, S.461-463 auch nach L.Henry, Fécondité, S.621 bringt die Rekonstitution wenig Probleme mit sich, die Lücken in den Quellen, Unterregistrierung und Migrationen sind gefährlicher. Zur Datenstruktur s. A.Maisch, Ansätze, S. 16-18

2 . 3 . Einige Indikatoren für die Qualität der Registrierung Als Indikatoren für die Qualität der Registrierung lassen sich die Sexualproportion, der Anteil von Totgeburten und sofort gestorbener Kinder verwenden. Die Sexualproportion gibt die Anzahl der männlichen Kinder auf hundert weibliche bei der Geburt an. Sie ist im folgenden nur auf Lebendgeburten bezogen, da das Geschlecht der Totgeburten oft nicht bekannt ist (abgesehen davon weicht die Sexualproportion der Totgeburten deutlich von der der Lebendgeburten ab). 2 8 Der Richtwert für die Sexualproportion liegt bei 105 männlichen auf 100 weibliche Lebendgeburten, wobei es manchmal zu Abweichungen zu kommen scheint. 29 Signifikante Differenzen zu diesem Richtwert gibt es nur in Mötzingen 1585-1619 und in Bondorf 1655-1689, in allen anderen Fällen gehen Variationen auf das Konto des Zufalls. 30 In beiden Fällen wurden zu viele männliche Kinder registriert, womit ein Unterregistrierungseffekt eigentlich auszuschließen ist, da bei fehlerhafter Registrierung früh verstorbener Kinder wegen der größeren Anfälligkeit von Knaben in den ersten Lebenstagen dies zu einer niedrigen, nicht aber zu einer hohen Sexualproportion führen müßte. 31 Ansonsten scheint eine hohe Sexualproportion nur zustande zu kommen, wenn systematisch Kinder des unerwünschten Geschlechts beiseite geschafft werden: ein Verdacht, der für Württemberg im 16. und 17. Jahrhundert wohl etwas zu entlegen ist. 3 2 Im übrigen lassen sich Zufallseffekte trotz Signifikanztest nicht ausschließen. Als Fazit bleibt festzuhalten, daß sich aus den Abweichungen der Sexualproportion kein Rückschluß auf eine systematische Unterregistrierung eines der beiden Geschlechter ergibt.

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Definition der Sexualproportion: G.Mackenroth, Bevölkerungslehre, S.40; L.Henry, Techniques, S.46f; zu Abweichungen bei Totgeburten s. G.Mackenroth, Bevölkerungslehre, S.43-46; A.F.Stimmel, Untersuchungen, S.12; H.R.Burri, Bevölkerung, S.51 Anm. 10; F.Krauss, Legibus, S. 14 G.Mackenroth, Bevölkerungslehre, S.41f, 48-50; J.A.Hauser, Bevölkerungslehre, S.65; J.Knodel, Centuries, S.360; L.Henry, Techniques, S.46f; P.Goubert, Theories, S.467; J.Dupâquier, Introduction, S.72 "Kleine Zahlen" können bei der Sexualproportion recht groß sein: vgl. z.B. die Schwankungen bei: Königreich Württemberg 1863, S.321; T.Frölich, Geburtsverhältnisse, S.3; A.F.Stimmel, Untersuchungen, S.9; J.Gmelin, Bevölkerungsbewegung, S.254-256; E.Weismann, Bevölkerungsbewegung, S.349; G.Cleß, G.Schübler, Versuch, S.51f; H.Ebel, Familie, S.574; F.Krauss, Legibus, S.10; I.Müller, Untersuchungen, S.193, 195f; J.Knodel, Centuries, S.359f; T.H.Hollingsworth, Study, S.377; G.Heckh, Bevölkerungsgeschichte, S.134; J.Dupâquier, Introduction, S.72 so L.Henry, Techniques, S.47; in Württemberg wurde im 18. Jahrhundert (und vielleicht auch früher) am Tag der Geburt oder am Tag danach getauft, so daß eine derartige Selektion unwahrscheinlich ist: vgl. dazu H.Höhn, Sitte, S.82 vgl. zum Kindsmord aber: General-Rescript vom 1.3.1658, in: Reyscher VI, S. 11-13, und Dritte Eheordnung vom 30.8.1687, in: ebd., S.96f (bezieht sich auf ledige Frauen, die eine Schwangerschaft verleugnen)

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Totgeburten werden nicht getauft, sind in Taufbüchern also theoretisch auch nicht enthalten. Im 18. Jahrhundert werden sie aber zunehmend registriert, aus den Tauf- werden Geburtenbücher. 33 1550-1619 wurden Totgeburten nirgendwo registriert, danach in Bondorf offenbar schon recht gut, während sich in den anderen Dörfern die Unterregistrierung fortsetzt. 16551689 zeigt sich in Mötzingen, Tailfingen und Nebringen ein starker Anstieg, der - wäre er real, und nicht nur auf die Registrierung zurückzuführen - ein Licht auf die Lebensumstände unmittelbar nach dem Dreißigjährigen Krieg werfen würde. Wird der Durchschnitt 1760-1829 als Normalniveau genommen, dann ist in Bondorf mit 4,06%, in Mötzingen mit 4,87%, in Tailfingen mit 5,3% und in Nebringen mit 4,81% Totgeburten zu rechnen, was ziemlich konsistente Ergebnisse sind. 34 Oschelbronn wies vor 1750 einen Anteil von 4,6%, 1750-1849 von 6% auf. 35 Die Vermutung, daß dies auch für das 16. und 17. Jahrhundert der normale Anteil war, bleibt eine Hypothese. Einen Hinweis auf einen wesentlich höheren Anteil könnte die hohe Zahl illegitimer Totgeburten 1620-1654 in Bondorf sein: Von 16 unehelichen Geburten waren vier Totgeburten. Bei außerehelichen Geburten dürfte die Aufmerksamkeit des Pfarrers größer gewesen sein als bei legitimen, die Registrierung damit also besser. 16 Geburten als Basis lassen aber keinen sicheren Schluß zu. Bei Kindern, die am ersten Tag oder unmittelbar nach der Geburt verstarben, besteht von vorneherein der Verdacht auf Unterregistrierung bis ins 18. Jahrhundert - und zwar sowohl der Geburten wie der Todesfälle. 36 Nimmt man die Periode 1760-1829 als Maßstab und versucht im Vergleich mit den Werten dieser Zeitspanne den Umfang der Unterregistrierung festzustellen, zeigt sich, daß der Anteil solcher Geburten in Bondorf nur vor 1620 und 1655-1689 um mehr als ein Prozent unterhalb des Wertes von 1760-1829 (1,96%) liegt. Dasselbe Resultat ergibt sich für Mötzingen mit einem etwas niedrigeren Vergleichswert (1760-1829: 1,43%). In Tailfingen, wo der Wert vom Ende des 18. Jahrhunderts noch unter dem Mötzinger liegt (1,33%), ist dagegen nur vor 1620 mit einer Unterregistrierung zu rechnen. Nebringen ist wegen der kleinen Zahlen schwer zu beurteilen. Der Prozentsatz von 1760-1829 (1,69%) wird schon 1585-1619, dann aber erst wieder nach 1725 erreicht.

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Vorschriften über die Registrierung von Totgeburten scheint es erst im 19. Jahrhundert gegeben zu haben: General-Rescript vom 5.5.1814, in: Reyscher IX, S.318; vgl. a. M.Schaab, Herausbildung, S.170; I.Esenwein-Rothe, Einführung, S.220f; M.Reiling, Bevölkerung, S.28 In späterer Zeit hatte Württemberg 1810 3,8% Totgeburten, 1813-1822 bei den ehelichen 3,65%, bei den unehelichen 4,31%. 1813-1822 gab es im Oberamt Herrenberg 5,16% Totgeburten. 1846-1856 belief sich der Anteil im ganzen Königreich auf 4,07%, Ende des 19. Jahrhunderts waren es noch immer 3,2%. Vgl. G.Cleß, G.Schübler, Versuch, S.54; A.F.Simmel, Untersuchungen, S. 11; F.Krauss, Legibus, S.12f; Königreich Württemberg 1863, S.321; vgl. Beschreibung Herrenberg, S.31; W.R.Lee, Germany, S.156; J.E.Knodel, Decline, S.26; L.Pfeiffer, Säuglingssterblichkeit, S.44; Grassl, Gebährfähigkeit, S.283f; H.Ebel, Familie, S.574f; G.Mackenroth, Bevölkerungslehre, S.39 J.Knodel, Natural fertility, S.486 (dort auch weitere Dörfer); vgl. P.Sauer, Not, S. 141; I.Müller, Untersuchungen, S. 198-200; G.Cleß, G.Schübler, Versuch, S.54; E.Weismann, Bevölkerungsbewegung, S.348; J.Gmelin, Bevölkerungsbewegung, S.278; A.F.Simmel, Untersuchungen, S . l l f ; T.Frölich, Geburtsverhältnisse, S.12; G.Heckh, Bevölkerungsgeschichte, S.141; A.E.Imhof, Jahre, S.118f; A.M. van derWoude, G.J.Mentink, Population, S.1171f; J.Knodel, Centuries, S.359 vgl. General-Rescript vom 5.5.1814, in: Reyscher IX, S.318; zu Nottaufen: H.Höhn, Sitte, S.81

Verglichen mit dem Anteil der Notgetauften in Weinsberg 1641-1840 liegen die Prozentsätze der Gäudörfer erheblich niedriger; der Grund könnte eine erhöhte Sterblichkeit in der Stadt Weinsberg sein, aber vielleicht auch nur ein größerer Abstand zwischen Geburt und Taufe. 3 7 In Frankreich wird im allgemeinen mit einem Anteil von 3% ondoyes decedes gerechnet, wobei diese Notgetauften sowohl Lebend- wie Totgeburten umfassen, 3 8 ein Anteil, der nur mit den Lebendgeburten gerechnet im Gäu nicht erreicht wird, mit Tot- und Lebendgeburten aber um das Doppelte überschritten wird.

2.4. Inventuren und Teilungen Ausgewertet wurden die Inventuren und Teilungen von drei Dörfern: 3 9 Bondorf, Gebersheim und Gruorn. In Bondorf liegen die Inventuren von 1709-1713 und ab 1724 in geschlossenen Serien vor; für die Zeit davor ist die Überlieferung sehr lückenhaft. Die früheste erhaltene Bondorfer Inventur stammt von 1618. 40 Bis ca. 1560 zurück reichen die Gebersheimer Inventuren, 41 sie sind allerdings vor 1690 lückenhaft. Für Gruorn wurden die Inventuren von 1704-1808 ausgewertet, wobei die Inventuren der Jahre 17301742 fehlen. Insgesamt wurden für Bondorf 1953, für Gebersheim 728 und für Gruorn 601 Inventuren durchgesehen, summa summarum also 3282. 4 2 Der Aufbau der Inventuren ist seit dem 16. Jahrhundert relativ einheitlich, 43 wenn auch nicht so streng geregelt wie manchmal behauptet. 44 Bei Verlassenschaftsinventaren folgen nach Angaben zur Person des Verstorbenen und zu seinen Erben zuerst die Liegenschaften (an erster Stelle die Gebäude, dann der Landbesitz nach Zeigen bzw. in frühen Inventuren auch nach Lehngütern und Eigenland), dann die Fahrnis (manchmal stehen bis ins frühe 18. Jahrhundert die Aktiva an zweiter Stelle), darauf die Aktiva (bzw. die Fahrnis). Wurden die Besitztümer ihrem Wert nach eingeschätzt (was in den ganz frühen Inventuren des 16. Jahrhunderts nicht der Fall ist), 37 38 39 40 41 42 43

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E.Weismann, Bevölkerungsbewegung, S.348 L.Henry, Techniques, S.79; L.Henry, Fécondité, S.615; J.Ganiage, Trois villages, S.105f; B.Derouet, Démographie, S. 18, s. aber a. S. 17 zum Quellenwert vgl. H.Medick, Handelskapital, S.291 Anm.40; F.Quarthai, Leseverhalten, S.339350, passim; s.a. die Bibliographie von H.Mannheims, K.Roth, Nachlaßverzeichnisse, S. Vif Für die Erlaubnis zur Einsichtnahme und freundliche Unterstützung danke ich Herrn Bürgermeister Kilian und Herrn Kreisarchivar Prantl. Die erste datierte Inventur trägt das Datum 5.7.1565. Davor finden sich acht undatierte und eine nur mit dem Jahr auf 1562 datierte Inventuren: HSTAS A 584 Bd 707. Für Gruorn wurden nur die Eventualteilungen und die Realteilungen Verheirateter detailliert ausgewertet, bei Zubringensinventaren aber nur die Unterschriftsleistung notiert. Inventuren wurden von den Stadt- und Amtsschreibem erstellt: General-Rescript vom 18./28.2.1716, in: Reyscher VI, S.273; Commun-Ordnung vom 1.6.1758, in: Reyscher XIV, S.594f. Das zweite und das dritte Landrecht waren diesbezüglich unbestimmter: vgl. Zweites Landrecht vom 1.7.1567, in: Reyscher IV, S.376f und Drittes Landrecht vom 1.6.1610, in: Reyscher V, S.289f. In Württemberg scheint es weniger das Problem gewesen zu sein, Personen zur Teilnahme an der Inventierung zu bewegen, als sie davon abzuhalten, sich auch noch hinzuzudrängen: s. Commun-Ordnung vom 1.6.1758, in: Reyscher XIV, S.594f. F.Quarthal, Leseverhalten, S.350

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wird nun das Aktivvermögen berechnet und werden im Anschluß die Passiva aufgeführt. Zum Abschluß erfolgt die Bilanzierung des Gesamtvermögens.45 Zubringensinventare sind genauso aufgebaut, nur umfassen sie eben zwei Einzelinventare: zuerst das des Mannes, dann das der Frau. 46 Das früheste Gebersheimer Zubringensinventar wurde übrigens 1604 aufgenommen, 1612 folgen weitere. 47 Vier Kategorien von Inventuren sind zu unterscheiden: Zubringensinventare, Verlassenschaftsteilungen, Übergaben und Schuldverweisungen.48 Zubringensinventare wurden nach der Heirat erstellt und führen das jeweilige Beibringen des Mannes und der Frau getrennt auf. Die von den Eltern an die Ehepartner abgegebenen Heiratsgüter wurden damit zugleich notariell beglaubigt. Bei der Vermögensteilung am Eheende dienten sie als Grundlage zur Berechnung des von beiden Seiten beigebrachten Vermögens, bei Erbteilungen der Eltern zur Berechnung des erhaltenen Heiratsgutes und zu dessen Vergleich, wenn mehrere Geschwister vorhanden waren. 49 Da bei solchen Anlässen eine Revision der Zubringensinventur fallig war, die die Schätzungen des Wertes der Liegenschaft auf den beim Eheende aktuellen Stand brachte, unterließ man es bis 19. Jahrhundert, die Liegenschaften in Zubringensinventaren überhaupt wertmäßig einzuschätzen. Zubringensinventare enthalten deshalb vor dem 19. Jahrhundert nie den Wertanschlag der Liegenschaft vom Zeitpunkt ihrer Entstehung, dafür aber die Werte von einigen Revisionen, die in der Regel nicht genau zu datieren sind. 50 Verlassenschaftsinventare zerfallen in drei Gruppen: Realteilungen Lediger, Eventualteilungen und Realteilungen Verheirateter und drittens Realteilungen Verwitweter. 51 In Gebersheim wurde der Terminus Eventualteilung zum ersten Mal 1677 im Titel einer Verlassenschaftsteilung verwendet. 52 Die Sache aber existiert bereits vorher. Realteilung bedeutet, daß die Erbschaft real geteilt wurde, daß also jeder Erbe sein Erbteil ausgehändigt bekam, Eventualteilung aber, daß die Teilung nur eventualiter erfolgte, daß die Nutznießung des gesamten Vermögens aber dem überlebenden Ehegatten verblieb. 53 Die Unterschiede zwischen diesen drei Kategorien von Inventuren scheinen mir so gravierend, daß sie bei einer Untersuchung nicht vermischt werden sollten. 45 46 47 48

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A.I.Röslin, Abhandlung 1761, S.12-48 A.R.Benscheidt, Besitz, S.9f Vorschrift, Zubringensinventare zu erstellen, im Dritten Landrecht vom 1.6.1610, in: Reyscher V, S.289. zu Inventuren und Teilungen allgemein: A.R.Benscheidt, Besitz, S.8f; P.Borscheid, Textilarbeiterschaft, S.14f; P.Borscheid, Inventaires, passim; vgl.a. die anderen Beiträge in diesem Band v.a. G.Cabourdin, Jalons, S. 17-30; R.E.Mohrmann, Quellen, S.71-74; S.Sander, Handwerkschirurgen, S.269f Anm. 76; P.Schad, Beiträge, S.31-36; M.Garden, Lyon, S.145-149; H.Rebel, Peasant classes, S.53-63; für das 19. Jahrhundert s. S.Schraut, Industrialisierungsprozeß, S.339-345 General-Rescript vom 24.7.1620, in: Reyscher V, S.371; falsch bei M.Burkhardt, K.Walter, Konstanz, S.90 Zubringensinventare waren vergleichsweise unbeliebt: General-Rescript vom 24.7.1620, in: Reyscher V, S.371; s.a. die Konflikte GA BON I 577 (Michel Schurer, 1756); HSTAS A 584 I 236 (Hans Michel Besserer und Anna Magdalena Hardmann, 1728); vgl. F.L.Hochstetter, Anleitung 1805, S.39f F.L.Hochstetter, Anleitung 1780, S.48; F.L.Hochstetter, Anleitung 1805, S.61-63 HSTAS A 584 I 164 (Jung Jacob Khaym, 1677) s. Zweites Landrecht vom 1.7.1567, in: Reyscher IV, S.376; Drittes Landrecht vom 1.6.1610, in: Reyscher V, S.290f

Die Realteilungen Lediger dürften die unvollständigste Untergruppe der Realteilungen darstellen, da bei den Todesfällen Lediger nur dann eine Inventur erstellt wurde, wenn eigenes Vermögen vorhanden war, wobei es theoretisch keine Rolle spielte, ob dieses eigene Vermögen selbstverdient, Übergabsweise erhalten oder ererbt worden war. Praktisch aber wurden die Teilungen für Minderjährige oder auch für Volljährige ohne Leibeserben (d.h. Kinder), aber mit noch lebenden nutzungsberechtigten Eiternteilen en passant in den Teilungen der Eltern mitaufgeführt und in der Regel keine eigene Inventur erstellt. Ausnahmen wurden gemacht, wenn das an minderjährige Kinder gefallene Vermögen beträchtlich war. 5 4 Eventualteilungen und Realteilungen Verheirateter wurden bei Auflösung einer Ehe durch den Tod eines Teils erstellt. Bei der Eventualteilung behielt der überlebende Ehegatte die lebenslange Nutznießung des gesamten Vermögens, die Kinder wurden lediglich auf Teile des Vermögens versichert, was die Verfügungsgewalt des Nutznießers erheblich einschränkte. 55 Eine Realteilung am Ende einer Ehe wurde vorgenommen, wenn keine Kinder oder Kinder aus verschiedenen Ehen des oder der Verstorbenen vorhanden waren. 5 6 Bei kinderlosen Ehen erbten die Verwandten des verstorbenen Ehepartners, der überlebende hatte kein Recht auf weitere Nutznießung, sofern es sich um Eltern oder Vollgeschwister handelte, er mußte ihnen die an sie gefallene Erbsportion ausfolgen. Dies unterblieb, wenn es sich um Halbgeschwister oder weitläufigere Verwandte handelte. In diesem Fall behielt der überlebende Ehegatte die Nutznießung bis zu seinem Tod, wenn er das wollte. In der Regel kam es in solchen Fällen zu einem Vergleich, in dem Ansprüche der Seitenverwandten abgegolten wurden. Die Teilung hieß übrigens auch in diesen (seltenen) Fällen Real- und nicht Eventualteilung. Waren Kinder aus mehreren Ehen vorhanden, erhielten die Kinder aus den früheren Ehen ihre Erbteile sofort, während die Kinder aus der zuletzt bestehenden Ehe deren Nutznießung ihrem überlebenden Elternteil überlassen mußten. Diese Teilungen waren also genau genommen Realteilungen für die Kinder aus den früheren Ehen, Eventualteilungen für die der zuletzt bestehenden Ehe. Bei Eventualteilungen und Realteilungen Verheirateter (wenn im folgenden von Eventualteilungen die Rede ist, sind stets auch die Realteilungen Verheirateter darunter begriffen) wurde im Anschluß an die Ermittlung des aktuellen Vermögensstandes Zugewinn bzw. Einbuße berechnet, indem der aktuelle Stand des Vermögens mit dem beigebrachten und ererbten Vermögen der beiden Eheleute verglichen wurde. Das beigebrachte Vermögen (gleichgültig ob Heiratsgut oder Erbe) wurde dabei revidiert, d.h. die Wertangaben auf den Stand beim Ende der Ehe gebracht. 57 Inflationseffekte spielen also bei diesen Berechnungen keine Rolle. Der überlebende Ehegatte erhielt dann sein Beibringen und 54

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s. z.B. die Teilung der Maria Catharina Kogel, 11 Jahre alt, einzige Tochter erster Ehe des Wirts Georg Friedrich Kogel: bei der Eventualteilung ihrer Mutter und der Eventualteilung ihrer Großmutter hatte sie 1045 fl 44 x geerbt, die auf von ihrer Mutter beigebrachtes Vermögen versichert worden waren und in Nutznießung bei ihrem Vater standen, der auch ihr einziger Erbe war: HSTAS A 584 I 395 (Maria Catharina Kogel, 1770) falsch bei A.Bischoff-Luithlen, Sprachschichten, S. 109 Eventualteilungen wurden also nicht dann vorgenommen, wenn ein Ehegatte den anderen überlebte (wie bei F.Quarthai, Leseverhalten, S.344 definiert), sondern wenn ein Ehegatte überlebte und wenn Kinder aus dieser Ehe vorhanden waren. F.L.Hochstetter, Anleitung 1805, S.75-80

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den halben Zugewinn bzw. die halbe Einbuß zugeschrieben, ebenso der verstorbene. 5 8 Das Vermögen des verstorbenen wurde anschließend verhauptrechtet 59 und schließlich durch die Zahl der Erben geteilt. Der überlebende Ehegatte bekam seinen Teil sofort zugeschrieben; zu den Erbteilen der Kinder aber wurden zuerst die hälftigen Heiratsgüter der bereits verheirateten addiert, dann die Gesamtsumme durch die Zahl der Kinder geteilt. Damit war zugleich ein Ausgleich der Kinder über die Hälfte der Heiratsgüter herbeigeführt, die vom verstorbenen Elternteil stammte; die Einwerfung der anderen Hälfte erfolgte erst bei der Realteilung des überlebenden. Die Kinder wurden bei der Eventualteilung versichert, 60 bei der Realteilung erhielten sie ihre Erbteile ausgehändigt. In diese Kategorie gehören auch die wenigen Inventuren, die im Anschluß an Scheidungen erstellt wurden und bei denen das Procedere genau dasselbe war - außer daß natürlich keine Erbteile der Kinder berechnet wurden, sondern das Vermögen nur unter die beiden getrennten Ehegatten verteilt wurde. Diese Eventualteilungen gewähren m.E. den besten und genauesten Überblick über den Vermögensstand und die Veunögensentwicklung. Sie dürften außerdem der am vollständigsten vertretene Typ sein. 61 Realteilungen Verwitweter führten zur Teilung des Vermögens unter die Erben, wobei die zweite Hälfte der Heiratsgüter aufgerechnet und verglichen wurde (bzw. die gesamten Heiratsgüter, wenn das betreffende Kind sich nach der Eventualteilung des zuerst verstorbenen Elternteils verheiratet hatte). Für die Untersuchung der Sozialstruktur und des Sachgüterbesitzes sind diese Inventare problematisch, da in aller Regel Witwer und vor allem Witwen schon bei Lebzeiten Teile ihres Vermögens an ihre Erben übergaben (wobei sowohl an die Heiratsgüter wie an Übergaben zu denken ist), was sich auf der Ebene dieser Realteilungen nur schlecht kontrollieren läßt. Übergaben fanden auch - obwohl illegal - ohne Inventur statt; kleinere Besitztümer wechselten sowieso unauffällig den Besitzer. Manchmal wurden bei der Realteilung die Erben ermahnt sich genau an das zu erinnern, was sie bereits (ohne Bezahlung des Hauptrechts) erhalten hatten. Daß das Gedächtnis der Hinterbliebenen in solchen Fällen Lücken aufwies, wird kaum von der Hand zu weisen sein. Eine Vermischung von Realteilungen Verwitweter und Eventualteilungen führt zu einer beträchtlichen Anzahl von Pseudo-Armen, d.h. Personen, die kaum noch über Besitztümer verfügten, da sie von ihren Erben versorgt wurden und keine eigene Haushaltung mehr führten. Außerdem würde, zieht man beide Kategorien undifferenziert heran, jede nach der Eventualteilung nicht mehr heiratende Person doppelt vertreten sein, was ebenfalls die Ergebnisse verfälscht. Schließlich bieten die Inventuren ja gerade (im Unterschied zu Steuerlisten etwa) die Chance, Effekte, die aus der unterschiedlichen Stellung der einzelnen Personen im Lebenszyklus erwachsen, auszugleichen, auf die man kaum 58

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Drittes Landrecht vom 1.6.1610, in: Reyscher V, S.291-294; zu Möglichkeiten, einem Ehegatten mehr oder weniger als die halbe Einbuße zuzuscheiden: Commun-Ordnung vom 1.6.1758, in: Reyscher XIV, S.596 Hauptrecht als Anlaß für die strengere Kontrolle des Inventierens: General-Rescript vom 24.7.1620, in: Reyscher V, S.371 s. Commun-Ordnung vom 1.6.1758, in: Reyscher XIV, S.596 s. zu den Maßnahmen der Obrigkeit, die Vollständigkeit verbürgen sollten: Zweites Landrecht vom 1.7.1567, in: Reyscher IV, S.376; ebenso a. Drittes Landrecht vom 1.6.1610, in: Reyscher V, S.290f

durch die Vermischung von an verschiedenen Stellen dieses Lebenszyklus angesiedelten Inventuren wieder verzichten sollte. Auch bei Übergaben war das Hauptrecht zu entrichten, also eine Inventur zu erstellen, was aber bei der Tradition von Fahrnisstücken wohl häufig umgangen wurde. 6 2 Übergaben sind häufig mit Eventualteilungen gekoppelt, sofern der überlebende Ehegatte bereits entsprechend alt war. Übergaben von Ehepaaren fanden nur selten statt. In diesen Fällen wurde von mir das tradierte Vermögen zu dem bei der Eventualteilung vorhandenen hinzugezählt, um die Vergleichbarkeit mit den anderen Eventualteilungen zu gewährleisten. Mit der Aufhebung der Leibeigenschaft wurde auf die Eventualteilung häufig verzichtet und nur noch die ehemals anschließende Übergabe dokumentiert. 63 Schuldverweisungen als separate Gattung von Inventuren sind relativ selten, kommen aber im Anschluß an Verlassenschaftsteilungen häufiger vor. 6 4 Für Schuldverweisungen und Vergantungen waren die Stadtgerichte, nicht die Dorfgerichte, zuständig, die entsprechenden Inventuren waren an diese Behörden einzusenden. 65 Die soziale Repräsentativität der Inventuren ist vor allem bei den Eventualteilungen sehr gut, wenn auch in einzelnen Fällen Inventuren fehlen. 66 Sie wurden entweder gar nicht erstellt oder sind eben zwischenzeitlich verloren. Systematische Verzerrungen kommen nicht vor, sofern die jeweils herangezogene Zahl von Inventuren groß genug ist. Bei kleinen Zahlen können selbstverständlich immer Abweichungen auftreten. Neben der äußeren Vollständigkeit der Inventuren könnte auch die innere problematisch sein: Wurden in diesen Inventuren wirklich alle beigebrachten oder hinterlassenen Vermögenswerte aufgeführt oder existieren systematische Auslassungen, die das Bild verfalschen? Die geringste Bedeutung für die Abschätzung der Vollständigkeit haben Vereidigung und Obsignation. 67 Die Auswirkung der Eidesleistung ist schwer abzuschätzen, über den Druck, den ein Eid auf die Eidesleistenden ausübte, lassen sich nur Vermutungen anstellen. Zumindest aufgrund der von mir herangezogenen Quellen lassen sich dazu keinerlei Aussagen machen. 68 Die Obsignation, die auf dem Land erst im frühen 19. 62 63 64 65 66

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auch sonst: GA BON I 155 (Alt Jacob Schelling, 1726): Übergabe von 1710 wurde 1726 entdeckt und beschrieben! S.a. GA BON I 479 (Hans Kußmaul, 1749) vgl. z.B. GA BON I 1925 (Christina Wörner, 1829) Forderungen waren vor Vornahme der Teilung abzugelten: Commun-Ordnung vom 1.6.1758, in: Reyscher XIV, S.595 General-Rescript vom 29.5.1714, in: Reyscher VI, S.267; General-Rescript vom 14.4.1781, in: ebd., S.634; vgl. a. Commun-Ordnung vom 1.6.1758, in: Reyscher XIV, S.590-592 Unterlassung von Inventuren wegen hoher Kosten: General-Rescript vom 3.9.1642, in: Reyscher V, S.428; General-Rescript vom 5.4./31.7.1645, in: Reyscher V, S.437f; General-Rescript vom 29.9.1648, in: Reyscher V, S.443; General-Rescript vom 8.4.1656, in: Reyscher VI, S.9f; GeneralRescript vom 12.2.1661, in: Reyscher VI, S.21f; General-Rescript vom 25.10.1781, in: Reyscher VI, S.655; Nachholung von Inventuren und Teilungen innerhalb eines Jahres: General-Rescript vom 12.2.1661, in: Reyscher VI, S.22; Nachlässigkeit bei Inventuren und Teilungen: General-Rescript vom 22.12.1736, in: Reyscher VI, S.422-424; Anschluß der Amtsschreiber-Rechnungen an die Eventualteilungen: General-Rescript vom 18./24.12.1748, in: Reyscher VI, S.491; vgl. M.Burkhardt, K.Walter, Konstanz, S.89, S.92-94 A.l.Röslin, Abhandlung 1761, S.4; A.R.Benscheidt, Besitz, S.7 zur Obsignation; Vorschriften s. Drittes Landrecht vom 1.6.1610, in: Reyscher V, S.289f; General-Rescript vom 3.9.1642, in: Reyscher V, S.428; vgl.a. Commun-Ordnung vom 1.6.1758, in: Reyscher XIV, S.592f; vgl. M.Burkhardt, K.Walter, Konstanz, S.93 A.l.Röslin, Abhandlung 1761, S.10-12

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Jahrhundert in Gebrauch kam, betraf nur einzelne Möbelstücke (in der Regel Truhen), niemals aber ganze Zimmer oder gar Häuser. Für das Unterschlagen von Vermögenswerten blieb also genug Spielraum. Da die Hauptrechtsabgabe relativ gering war (bei Lokalleibeigenschaft in Bondorf z.B. 1,4% des Vermögens), der größte Teil der Vermögen in der Regel in Liegenschaften bestand, die nicht unterschlagen werden konnten, dürfte die Veranlassung, Stücke aus dem Nachlaß verschwinden zu lassen, ebenfalls gering gewesen sein, zumal die anderen Erbinteressenten mit Argusaugen über den vollständigen Erhalt des Nachlasses gewacht haben dürften. Gegenstände von ganz niedrigem Wert (unter einem Kreuzer) wurden nicht "inventiert", 69 alltägliche Kleider (alles, was während der Inventarisierung getragen wurde) dürften ebenfalls fehlen. 70 Besitztümer, die zum Voraus des überlebenden Ehegatten gehörten und die wenig wert waren, wurden mitunter übergangen (dies gilt vor allem für das Handwerkszeug, wenn die Frau zuerst verstarb). 71 Der sporadische Bargeldbesitz flößt ein gewisses Mißtrauen ein. Allerdings war unmittelbar nach einem Todesfall der Bedarf an Bargeld sicher besonders groß. Geld, das zum alltäglichen Verbrauch bestimmt war, brauchte nicht inventiert zu werden. Trotzdem finden sich immer wieder kleinere Geldsummen, was das Vertrauen in die Genauigkeit der Inventarisation wieder herstellt. 72 Nicht ganz vollständig sind sicherlich die Listen der Aktiva und der Passiva. Zum einen ließen sie sich leicht unterschlagen, zum anderen waren hinterbliebene Witwen oder Kinder über ausstehende Guthaben und zu bezahlende Schulden wohl nicht immer gut unterrichtet. Das Verschweigen von Passiva lag auch dann nahe, wenn ein Zwangsverkauf von Liegenschaften vermieden werden sollte, oder wenn eine Witwe ihre Chancen auf eine Wiederheirat nicht schmälern wollte. 73 Die Fristen zwischen Ereignis und Erstellung der Inventur bewegen sich häufig in der Größenordnung von einem Vierteljahr, aber auch längere Abstände kommen vor. 7 4 Ob in diesen Fällen immer das Vermögen, wie es zum Zeitpunkt des Ereignisses bestand, in-

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Der Quellenterminus "inventiert" bedeutet inventarisiert. Er wird zukünftig ohne besondere Kennzeichnung verwendet. s. GA BON I 1910 (Maria Mayer, 1828): Scham hinderte die Erben an der Vorlage der Fahrnis; vgl. A.R.Benscheidt, Besitz, S . l l zum Voraus s. Drittes Landrecht vom 1.6.1610, in: Reyscher V, S.292f vgl. GA BON I 1150 (Hans Michel Weinmar, 1794): Miterben äußerten gegen die Witwe den Verdacht auf Unterschlagung von Bargeld; vgl.a. I 1724 (Anna Katharina Weinmer, 1821): Bestrafung wegen der Unterschlagung von Vermögen. vgl. GA BON I 1794 (Elisabeth Weinmer, 1824): Unterschlagung von Schulden. vgl. Zweites Landrecht vom 1.7.1567, in: Reyscher IV, S.376 (Monatsfrist); dort auch Verweis auf das Erste Landrecht vom 6.5.1555, wo dieselbe Frist gesetzt war (ebd., S.376 Anm. 372); das Erste Landrecht ist in Reyscher IV nicht abgedruckt, da weitgehend identisch mit dem Zweiten (ebd., S.95 Anm. 75); Drittes Landrecht vom 1.6.1610, in: Reyscher V, S.289 (drei Monate für Zubringensinventare und einen Monat für Verlassenschaftsinventare); General-Rescript vom 24.7.1620, in: Reyscher V, S.372 (einen Monat); General-Rescript vom 8.4.1656, in: Reyscher VI, S.9f; General-Rescript vom 12.1.1661, in: Reyscher VI, S.21f; General-Rescript vom 24.4.1724, in: Reyscher VI, S.327f; General-Rescript vom 6.4.1725, in: Reyscher VI, S.329f; General-Rescript vom 18./24.12.1748, in: Reyscher VI, S.491

ventiert wurde oder eher der aktuelle Stand, muß offen bleiben. Die Differenzen dürften insgesamt nicht sehr erheblich sein. Inventuren liegen zeitweise in zwei Serien vor: einmal in Form von Akten, zum anderen in Bänden. Bei den Bändeserien kann es sich um Abschriften oder um die gebundenen Originale handeln. 75 Akten sind immer die Originale; sie enthalten oft auch Beilagen wie Teilzettel, 76 Testamente, Schuldverschreibungen oder Briefe. Testamente allerdings wurden auch bei Abschriften mitaufgenommen. Für die vorliegende Arbeit wurden beide Serien, soweit vorhanden, ausgewertet. Die Exzerpte der einen Serie wurden mit der anderen abgeglichen. Um dennoch einfach und einheitlich zitieren zu können, erhielt jede Inventur eine Nummer. Die Konkordanzen zwischen Nummern und Signaturen wurden den Pflichtexemplaren, die dem Gemeindearchiv Bondorf und dem Hauptstaatsarchiv Stuttgart überlassen wurden, beigegeben.

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zur Anfertigung von Abschriften s. Commun-Ordnung vom 1.6.1758, in: Reyscher XIV, S.598 zu Teilzetteln s. Commun-Ordnung vom 1.6.1758, in: Reyscher XIV, S.598

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3. Konjunkturen und Krisen, Trends und Rhythmen Ein allgemeiner Rahmen für die Lebensbedingungen wird durch die Bevölkerungsentwicklung, durch Preis- und Lohnkonjunkturen gesetzt, womit über die Auswirkungen dieses Rahmens auf jeden Einzelfall allerdings noch nichts ausgesagt ist. Eindeutig negativ sind lediglich die Auswirkungen von Krisenjahren mit erhöhter Sterblichkeit. Zu diesen allgemeinen Rahmenbedingungen rechnen auch die saisonalen Rhythmen im Verlauf eines Jahres, die in hohem Maß durch natürliche Bedingungen verursacht sind.

3.1. Bevölkerung, Preise und Löhne 3.1.1. Bevölkerungsentwicklung Die absoluten Einwohnerzahlen sind in den Kirchenvisitationsprotokollen überliefert. In denen der ersten Jahre des 17. Jahrhunderts sind allerdings nur die grob geschätzten Zahlen der "Communicanten" und der "Catechumenen" enthalten, nicht aber die der "Infantes".1 Sie werden deshalb hier nicht verwendet. Für die Orte des Oberamts Herrenberg sind Kirchenvisitationsprotokolle erst ab 1763 erhalten (s. Graphik 9 . 1 . ) . 2 Setzt man die Bevölkerungszahl von 1763 gleich 100, dann erreicht Bondorf 1654 den Index 43, 1699 61, 1741 79, 1790 111, 1802 122 und 1826 153. In etwa parallel verlief das Bevölkerungswachstum Tailfingens (1790 111, 1802 124 und 1826 161). Anfänglich stärker wuchs die Bevölkerung in Nebringen: 1790 lag der Index bei 129. Von da an stagnierte die Bevölkerung fast, für 1802 errechnet sich der Index 132, für 1826 beträgt er 137. Außerordentlich stark war das Bevölkerungswachstum in Mötzingen; schon 1790 hatte sie sich um 50% gegenüber 1763 vergrößert (Index 152), 1802 war sie um 90% ge-

1 2

W.Troeltsch, Zeughandelscompagnie, S.394f; V.Trugenberger, Quellen, S.44 Bondorf: HSTAS A 281 Bü 1581 - 1597, 1601 (Visitationsberichte der Superintendenz Wildberg); Tailfingen und Nebringen: HSTAS A 281 Bü 623 (Visitationsberichte der Superintendenz Herrenberg); Mötzingen: HSTAS A 281 Bü 619 (Visitationsberichte der Superintendenz Herrenberg); Gebersheim: HSTAS A 281 Bü 737 - 755, 760 (Visitationsberichte der Superintendenz Leonberg); Gruom und Trailfingen: HSTAS A 281 Bü 1370 - 1403, 1412 (Visitationsberichte der Superintendenz Urach); Kayh und Altingen: HSTAS A 281 Bü 617 (Visitationsberichte der Superintendenz Herrenberg) und Pfarrgemeindearchiv Kayh, Notizen zur Pfarrey Kayh und Altingen von M. Hartmann (enthält beigebunden die Kirchenvisitationsprotokolle von 1746 bis 1785). Die Angaben für Altingen beziehen sich nur auf den protestantischen Teil des Dorfes. Wangen: HSTAS A 281 Bü 310a, 313 340, 351 (Visitationsberichte der Superintendenz Cannstatt). Ergänzungen aus: Kgl. Adreßbuch 1806; Kgl. Hof- und Staatshandbuch 1807/1808; Kgl. Hof- und Staatshandbuch 1809/1810; Kgl. Hof- und Staatshandbuch 1824 (Bevölkerungszählung vom 1.11.1821); Kgl. Hof- und Staatshandbuch 1828 (Bevölkerungszählung vom 1.11.1826). Die Bevölkerungszählung vom 1.11.1826 ist auch abgedruckt in: Württembergische Jahrbücher 1822, l.Heft, S.89-176. Die Angaben in den Staatshandbüchern und die in den Kirchenvisitationsprotokollen stimmen nicht überein. Bei den Angaben der Staatshandbücher für die Jahre zwischen 1803 und 1809/10 ist nicht klar, auf welches Jahr sie sich beziehen. Vgl. dazu: M.Schaab, Herausbildung, S.198f; H.Lang, Entwicklung, S.2f; Königreich Württemberg 1863, S.307 zum Zählverfahren, a. S.309; W.Kaschuba, C.Lipp, Überleben, S.51 zu den Abweichungen zwischen ortsangehöriger und ortsanwesender Bevölkerung. Die Angaben für Tailfingen und Nebringen im Staatshandbuch von 1809/1810 scheinen etwas außer der Reihe; falsch ist die für Kayh 1826 im Handbuch von 1828.

29

genüber dem genannten Basisjahr gewachsen (Index 187). Bis 1826 hatte sich die Bevölkerungszahl verzweieinhalbfacht (Index 248). Das Wachstum der Gebersheimer Bevölkerung begann auf einem sehr niedrigen Niveau, betrug doch 1654 die Bevölkerung nur 22% ihres Standes von 1763, d.h. das Wachstum bis dahin war wesentlich stärker als in Bondorf. 1703 hatte sich die Gebersheimer Bevölkerung bereits mehr als verdoppelt (Index 51) und erreichte 1741 schon beinahe den Stand von 1763 (Index 99). Von 1726 bis 1763 ergab sich lediglich ein Anstieg des Index von 91 auf 100 (in Bondorf von 67 auf 100). Bis 1790 verlief die Entwicklung in Gebersheim dann parallel zu der in Bondorf, danach aber stieg die Gebersheimer Bevölkerung wieder (wie vor 1726) schneller als die Bondorfer: Index 131 1802, Index 193 1826. Von einem ebenso niedrigen Ausgangsniveau wie Gebersheim startete die Entwicklung in Gruorn: Der Index stieg von 20 1654 über 58 1703 auf 94 1741. Gruorn verfünffachte wie Gebersheim seine Bevölkerung zwischen 1654 und 1763, wobei der wesentliche Anstieg bis Mitte der 1730er Jahre erfolgte, danach ergab sich nur ein relativ bescheidener Zugewinn. Im Unterschied zu allen anderen Dörfern wuchs aber die Gruorner Bevölkerung nach 1763 nicht weiter: sie stagnierte bis 1773, sank dann auf den Stand der 1730er Jahre ab, verharrte auf diesem Niveau bis 1794 und wuchs erst dann wieder. 1802 war sie wieder auf dem Stand von 1763 (Index 100) und erhöhte sich bis 1826 nur schwach um ein Fünftel (Index 118). Im Gruorner Filial Trailfingen verlief die Entwicklung bis 1763 wie die in Gruorn, der anschließende Einbruch aber blieb hier aus. 1790 wurde der Index 119, 1802 134 und 1811 149 erreicht, d.h. Trailfingen entwickelte sich ähnlich wie Gebersheim. In Kayh und Altingen war das Wachstum von den 1740er Jahren bis 1763 ebenfalls eher gering, bis 1790 erhöhte sich die protestantische Bevölkerung von Altingen wie die von Bondorf, während die Kayher etwas stärker zulegte. 1802 erreichten sie die Indexziffer 131 (Kayh) bzw. 127 (Altingen). Bis 1821 wuchs die Bevölkerung dann nicht mehr (Index 131 für Kayh). Die Angabe von 1826 ist offensichtlich falsch. Der Weingärtnerort Wangen verzeichnete vor 1763 eine zu Bondorf parallele Entwicklung (Index 39 1654, 76 1702 , 86 1741). Bis 1790 wuchs er wesentlich stärker als Bondorf (Index 1790 130), erreichte 1802 den Index 167 und 1811 180. Ordnet man die Dörfer nach der Stärke ihres Wachstums, liegt Mötzingen eindeutig an der Spitze, gefolgt von Wangen, dann mit einigem Abstand Gebersheim, Trailfingen, Nebringen, Kayh und Altingen, schließlich Bondorf und Tailfingen. Das Schlußlicht bildet Gruorn. 3 Mit dem Wachstum vor 1763 scheint diese Reihenfolge nicht zusammenzuhängen (was aber wegen der fehlenden Herrenberger Daten schwierig zu beurteilen ist): Wangen und Bondorf einerseits, Gebersheim, Gruorn und Trailfingen andererseits begannen 1654 auf vergleichbarem Niveau, lagen aber 1802 deutlich auseinander. Mötzingen und Wangen haben kaum Gemeinsamkeiten, außer daß sie die beiden stadtnähsten der ausgewählten Dörfer sind. Die als reich geltenden Gäudörfer (Bondorf, Tailfingen und Nebringen) wuchsen recht mäßig, die ärmeren - mit Ausnahme Gruorns - stärker. Da für das 16. Jahrhundert allenfalls die Zahl der Haushalte (Bürger und Witwen) in Steuerquellen überliefert ist, eine Erhellung der langen Wellen des Bevölkerungswachstums aber sinnvoll erschien, wurden in Abbildung 9.2.A. und 9.2.B. die Zahl der Haushalte umgesetzt, was einen Gesamtüberblick vom Ende des 15. bis in den Anfang des 19. 3

30

vgl. dazu Laichingen: H.Medick, Weben, S.42

Jahrhunderts e r m ö g l i c h t . D i e s e Graphik soll lediglich d i e T r e n d s v e r a n s c h a u l i c h e n , für Z e i t r ä u m e , in d e n e n sie allzu glatt wirkt, fehlen Q u e l l e n . 4 D i e b e s t e S e r i e , d i e für G e b e r s h e i m , liefert fast das Lehrbuchbeispiel einer W e l l e : 1 6 5 0 w a r d i e B e v ö l k e r u n g auf das N i v e a u , das schon 1 4 7 0 erreicht w o r d e n war, a b g e s u n k e n , w o r a n sich e i n langer Anstieg bis wurde).

1 8 0 0 s c h l o ß (als die Haushaltszahl

Insgesamt

lassen

sich acht

Phasen

von

1 6 2 9 erreicht und

unterscheiden.

Auf

ein

überschritten

kontinuierliches

W a c h s t u m bis e t w a 1 6 0 0 f o l g t e e i n e sehr schneller Z u n a h m e b i s 1 6 3 0 . In den frühen 1 6 3 0 e r Jahren sank d i e Zahl der Haushalte bereits ab, d i e Katastrophenjahre

1634-1639

reduzierten sie drastisch. Bis 1 7 0 0 erhöhte sich d i e Haushaltszahl w i e d e r l a n g s a m , w u c h s v o n 1 7 0 0 - 1 7 3 0 stärker, stagnierte 1 7 3 0 bis 1 7 6 0 und trat danach in e i n e P h a s e sehr starken W a c h s t u m s e i n , d i e allerdings 1 7 8 0 bis 1 8 0 0 durch e i n e P e r i o d e g e r i n g e r e r Zun a h m e unterbrochen w u r d e . 5 In T a i l f i n g e n und N e b r i n g e n wirkt der W a c h s t u m s p r o z e ß nach 1 6 5 0 s t e t i g e r , 6 stärkere Steigerungen traten in M ö t z i n g e n , W a n g e n und B o n d o r f auf.7

4

5 6 7

HSTAS A 4 Bü 4 (Berichte über die Anzahl Städte, Dörfer, Flecken, Weiler, Höfe, Mühlen und Untertanen in jedem Amt, 1598); A 8 Bü 85-92 (Statistische Verfassung Württembergs, 14.1.1769 und dass., 27.4.1774); A 54 a St. 10 (Schatzungsliste Herrenberg 1471), 16 (Schatzungsliste Urach 1470), 30 (Herdstättenliste Cannstatt 1525), 34 (Herdstättenliste Herrenberg 1525), 37 (Herdstättenliste Leonberg 1525), 40 (Herdstättenliste Nagold 1525), 46 (Herdstättenliste Urach 1525), 131 (Türkenschatzungsliste Cannstatt 1545), 139 (Türkenschatzungsliste Herrenberg 1545), 146 (Türkenschatzungsliste Leonberg 1545), 149 (Türkenschatzungsliste Nagold 1545), 162 (Türkenschatzungsliste Urach 1545); A 261 Bü 1051 (Errichtung des Steuerfußes, Herrenberg, 1629), 1053 (Summarische Tabellen zur Steuerrevision, Herrenberg, 1720), 1055 (Summarische Tabellen zur Steuerrevision, Herrenberg, 1720), 1062 (Protokoll über die Untersuchung der Steuersubrevision von 1729, Herrenberg, 1737), 1128 (Steuerrevision, Leonberg, 1713), 1263 (Landschaftliches Steuerkataster, Nagold, 1720), 1267 (Steuersubrevisionsrelation mit Beilagen, Nagold, 1730); A 584 Bd 1, 6, 8, 13, 20, 183, 188, 198, 207, 213, 217, 226, 234 (Bürgermeisterrechnungen); A 281 Bü 322-340, 351, 619, 623, 744-755, 760, 1385-1403, 1590-1597, 1601 (Kirchenvisitationsprotokolle); in den Kirchenvisitationsprotokollen für Gruom waren ab 1763 die Zahlen der Bürger und Witwen nicht mehr getrennt für Gruorn und Trailfingen angegeben. Vor dem 18. Jahrhundert fehlen solche Angaben in den herangezogenen Kirchenvisitationsprotokollen. Die Angaben in A 8 Bü 85-92 weichen mitunter stark von denen in den Kirchenvisitationsprotokollen ab; den letzteren wurde von mir der Vorzug gegeben, weniger aus Gründen der Richtigkeit oder Falschheit als aus Interesse an einer langen Serie auf möglichst einheitlicher Quellengrundlage. Zu den Quellen s. U.Mocker, Quellen, passim vgl. V.Trugenberger, Schloß, S.12f für Leonberg; T.Robisheaux, Society, S.70f, 75f für HohenloheLangenburg zum langsamen Wachstum Tailfingens vgl. G.F.Roesler, Natur-Geschichte des Oberamts Herrenberg, 1774 (Kopie des Ms. im Stadtarchiv Herrenberg), S.86 Die Bürger- und Witwenzahlen spiegeln demographische Entwicklungen mit Zeitverzögerung wider. Die Voraussetzung für das Bürgerrecht war die Heirat, so daß z.B. eine Zunahme bei den Bürger ab 1600 auf stärkere Generationen ab 1575 hindeutet. Darüber hinaus federn Bürgerzahlen Krisen wie starkes Wachstum ab. Nach Krisen reduziert sich die Bürgerzahl weniger stark als die Einwohnerzahl, da die Heirat durch die Krise erleichtert wurde und eine erhöhte Anzahl von Witwen vorhanden ist. Bei starkem Wachstum wird die Heirat (höheres Heiratsalter, mehr Zölibatäre) bzw. der Erwerb des Bürgerrechts erschwert, die Bürgerzahlen steigen langsamer als die Einwohnerzahl. Bürger- und Witwenzahlen sind außer von der Mobilität abhängig vom Heiratsalter, von den Wiederverheiratungsquoten für Männer und Frauen und von der Sterblichkeit beider Geschlechter, was ihre Interpretation nicht gerade erleichert. Der Rückschluß auf Einwohnerzahlen ist - zumal für einzelne Orte - nur mit breiter Toleranz möglich. Eine summarische Auswertung der Landesaufnahmen in HSTAS A 8 Bü 85-92 für die Amter Cannstatt, Herrenberg, Leonberg, Nagold und Urach er31

3.1.2. Natürliche Bevölkerungsbewegung Die Betrachtung der natürlichen Bevölkerungsbewegung geht von der absoluten Zahl der Geburten, Todesfälle und Hochzeiten pro Jahr aus, die dann zu längeren Perioden zusammengefaßt werden, um Trends sichtbar zu machen. 8 Die Jahreskurven (beispielhaft Abb. 9.3.A.) 9 zeigen die erwarteten starken Fluktuationen. 10 Auf eine graphische Darstellung der Hochzeiten wurde verzichtet, da die Zahlen im Vergleich zu Geburten und Todesfällen zu klein sind. Für das 17. Jahrhundert ist im übrigen mit der Unterregistrierung von Todesfällen (v.a. von Kindern) zu rechnen, so daß die Kurve der Todesfälle zu niedrig liegt. Die Zusammenfassung der jährlichen Zahlen zu 10-Jahres-Durchschnitten eliminiert zumindest die heftigsten zufälligen Variationen. Fiel in eine 10-Jahres-Periode eine Lücke, wurde der Durchschnitt aufgrund der erhaltenen Werte berechnet (s. Abb. 9.4.A. - D.). Zur Verdeutlichung der unterschiedlichen Entwicklung der Zahl der Geburten pro Jahrzehnt in den vier Dörfern wurden die Zahlen der Geburten indiziert (Tabelle 3.1.2.a.).

8

9 10

32

gab folgende Quotienten für die Zahl der Seelen pro Haushalt: Cannstatt 1769: 4,08, 1774: 4,10; Herrenberg 1769: 4,14, 1774: 4,17; Leonberg 1769: 4,04, 1774: 4,10; Nagold 1769: 3,84, 1774: 4,26; 13 Dörfer des Oberamts Urach 1769: 3,99, 1774: 4,08; Unterschiede nach der dominierenden Beschäftigung (Fruchtbau, Weinbau, Weberei, Wollespinnen) spielten keine Rolle; für einzelne Dörfer scheint jeder Quotient zwischen 3 und 5 möglich. Interessant ist der Trend zwischen 1769 und 1774: in allen Oberämtern steigt die Seelenzahl pro Haushalt von 1769 bis 1774 leicht an, wobei zweierlei eine Rolle gespielt haben könnte. Einerseits erloschen Haushalte von Witwen und Witwern durch eine stärkere Sterblichkeit älterer Menschen in den ausgesprochenen Krisenjahren um 1770, andererseits wurden Haushaltsgründungen auf die Zeit nach Ende der Krise verschoben. Die Haushaltszahlen dürften auf jeden Fall etwas zu hoch liegen, da zahlreiche Witwen (und etliche Witwer) tatsächlich keinen eigenen Haushalt mehr führten. In allen Fällen wurden die jährlichen Zahlen von mir etabliert, sie weichen damit manchmal von der Oertelschen Statistik der Kirchenbucheinträge ab (OSB TLF, S. 13-15; OSB NEB, S. 13-15; OSB BON, S. 14f; OSB MOE, S.12f). Der Hauptteil der Abweichungen geht auf die Trennung der Totgeburten von den Geburten und den Todesfällen zurück. Des weiteren wurden von mir nur Ereignisse gezählt, die in den analysierten Dörfern stattfanden, also nicht auch solche, die zwar in den Kirchenbüchern erwähnt, aber anderweitig lokalisiert wurden. Im übrigen kann es sein, daß bei unklaren Ortsangaben die Geburt oder der Todesfall von mir nicht einem der Orte zugeschrieben wurde, obwohl sie oder er dazu gehört hätte. Die bedeutendsten Differenzen treten nach 1800 bei den Hochzeiten auf: B.Oertel zählt hier offenbar auch die Proklamationen mit, lediglich in Bondorf trennt er die beiden Komponenten: die Ubereinstimmung ist folglich groß (OSB BON, S.15). zu den Jahreskurven der übrigen Dörfer s. A.Maisch, Ansätze, S.27-29 vgl. zu diesem Rhythmus etwa den der drei Dörfer der Ile-de-France bei: J.Ganiage, Trois villages, S.29 und 101-103; E.A.Wrigley, Bevölkerungsstruktur, S. 70 notiert die starken Fluktuationen in vorindustrieller Zeit, wobei es auch Ausnahmen gibt wie Hartland, ebd., S.71-74; D.E.C.Eversley, Population, S.52; H.J.Habakkuk, Population, S.271f; H.Charbonneau, Tourouvre, S.47-50; vgl.a. die Jahreskurven bei: A.E.Imhof (Hrsg.), Demographie, S.214-217, 231; R. van Dülmen, Kultur I, S.35

Tab. 3 . 1 . 2 . a . Indizes der Geburtenzahl pro Jahrzehnt ( 1 6 8 0 - 1 7 0 9 = Mötzingen Tailfingen Bondorf Jahrzehnt 80 73 61 1560/69 127 92 96 1570/79 114 119 112 1580/89 122 130 93 1590/99 136 101 80 1600/09 74 117 121 1610/19 87 96 136 1620/29 83 93 78 1630/39 41 62 61 1640/49 47 104 88 1650/59 32 91 59 1660/69 65 52 1670/79 96 117 100 1680/89 99 97 79 98 1690/99 114 85 104 1700/09 102 122 1710/19 105 111 133 1720/29 108 144 98 1730/39 120 144 122 1740/49 122 111 115 1750/59 135 157 86 1760/69 173 1770/79 166 189 79 250 119 1780/89 170 1790/99 231 311 131 271 1800/09 316 140 259 148 1810/19 206 1820/29 236 348 150

100)

Nebringen 56 86 84 111 103 117 91 59 44 62 43 48 100 91 110 100 98 143 149 127 141 157 164 179 130 176 183

Dies zeigt den unterschiedlichen Zeitpunkt der Maxima vor dem Dreißigjährigen Krieg: Mötzingen erreicht den höchsten Stand bereits 1580/89, Tailfingen 1600/09, Nebringen 1610/19, Bondorf aber erst 1620/29. Die Vorkriegsmaxima von Bondorf und Tailfingen liegen genau gleich hoch und deutlich höher als die von Mötzingen und Nebringen. Nach dem Krieg liegt das Minimum der Zahl der Geburten pro Jahrzehnt in Bondorf 1640/49, in Mötzingen und Nebringen 1660/69, in Tailfingen aber erst 1670/79. Mötzingen und Nebringen verzeichnen dann bis 1700 eine stärkere Zunahme als Tailfingen und Tailfingen eine stärkere als Bondorf. 1 1 Im 18. Jahrhundert verdreifacht Mötzingen seine Geburtenzahl, Bondorf erreicht 1790/99 den Index 2 3 1 , Tailfingen nur 131 und Nebringen immerhin 179. Bis 1829 verzeichnet Mötzingen einen weiteren beträchtlichen Anstieg, Bondorf und Nebringen nur noch einen leichten Zugewinn, Tailfingen schließlich macht nun doch einen Sprung nach v o r n e . 1 2

11

zu Verlusten durch die Pest und ihrem Ausgleich vgl. z . B . M.Mattmüller, Einsetzen, S . 3 9 8 (Pestepidemie in St.Gallen, Rekuperationszeit von 2 6 Jahren); G.Mehring, Schäden, S . 8 5 f gibt an, daß die Schäden in Württemberg erst um 1700 ausgeglichen gewesen seien.

12

vgl. zu Württemberg im 19. Jahrhundert: W . von Hippel, Bevölkerungsentwicklung, S . 2 7 7 - 2 8 3 ; zur Zeit vor dem Dreißigjährigen

Krieg:

W.

von Hippel,

Bevölkerung,

S.417.

Um

die

Bevölke-

rungsbewegung der untersuchten Dörfer ansatzweise in einen regionalen Rahmen einzuordnen, wurden

33

Die Trendlinien wurden in die Abbildung der 10-Jahres-Schnitte (Abb. 9 . 4 . A . - D . ) miteingetragen. Auf einen Anstieg der Geburtenlinie bis 1585-1619 folgt 1620-1654 in Bondorf ein Rückgang, an den sich eine stagnierende Phase 1655-1689 anschließt. In den beiden folgenden Perioden zeichnet sich ein zunehmend schnelleres Wachstum ab, das 1760-1794 in einen starken Anstieg übergeht, der sich auch 1795-1829 fortsetzt. Nach einer negativen Bilanz auch auf der Ebene der Perioden 1620-1654 ist sie ab 1655-1689 stets eindeutig positiv, wobei der Effekt der unterregistrierten Todesfalle (für das 17. Jahrhundert) noch einmal in Erinnerung gerufen werden sollte.

1690-1759 verringert sich

gegenüber 1655-1689 der Abstand zwischen den beiden Trendlinien, da die Sterbelinie schneller steigt als die Geburtenlinie. 1760-1794 fällt die erstere gegenüber der letzteren zurück; der Geburtenüberschuß erreicht sein Maximum. Der Abstand reduziert sich in der letzten Periode leicht. Die Mötzinger Geburtenlinie sinkt bis 1655-1689 kontinuierlich ab, ändert dann aber die Richtung und steigt zunehmend schneller an. Auf die negative Bilanz 1620-1654 folgt im Laufe der nächsten Periode ein ständig wachsender Überschuß der Geburten, die größte Differenz herrscht dabei 1760-1794. Auf ein Ansteigen der Geburtenlinie in Tailfingen von 1550-1584 bis 1585-1619 folgt ein starker Rückgang 1620-1654 und eine Phase der Stagnation 1655-1689. 1 6 9 0 - 1 7 2 4 folgt eine Wachstumsperiode, aber schon 1725-1759 schwächt sich der Anstieg ab. 1760-1794 ist gar eine Periode des Rückgangs, erst in der letzten Periode ändert sich der Trend

für einige andere Dörfer ebenfalls Indizes errechnet, wobei die Basis nicht einheitlich ist, da es sich manchmal um Geburtenzahlen, manchmal um Einwohnerzahlen handelt. Der Vergleich ist von daher beschränkt. Die Basis ( = 100) liegt immer um 1700. Deckenpfronn (G.Ernst, Bauerntum, S.430) hatte 1700 421 Einwohner ( = 100), es erreichte in folgenden Jahren die Indexwerte: 1621 116, 1653 84, 1661 79, 1676 102, 1684 99, 1700 100, 1711 116, 1721 122, 1731 119, 1741 127, 1763 151, 1783 168, 1800 197, 1811 230, 1816 242, und 1831 289. Tamm (P.Sauer, Tamm, S.91f, 124, 231, 385f) (Einwohnerzahlen, Basis: 1692, 1703, 1706) hatte 1603/05 den Index ca. 127 (Angabe nur ungefähr), 1654 21 (!), 1661 36, 1676 48, 1692 88, 1703 102, 1706 110, 1726 121, 1731 121, 1741 128, 1742 120, 1763 125, 1773 128, 1779 138, 1784 147, 1788 162, 1794 199, 1800 198, 1801 205, 1809 223, 1824 232 und 1831 257. Auf der Basis der Geburtenzahlen (1700/09 = 100) (P.Sauer, Tamm, S.231, 386) erreichte der gleiche Ort 1750/59 den Index 117, 1790/99 195 und 1820/29 190. Böhringen (G.Heckh, Bevölkerungsgeschichte, S. 131) (Einwohnerzahlen, Basis 1690, 1702, 1708) hatte 1598 den Index 209, 1634 220 (die Einwohnerzahlen sind wohl nicht ganz so sicher wie G.Heckh anzunehmen scheint), 1652 30, 1684 75, 1708 116, 1743 174, 1794 256, 1802 241, 1830 349. Für Göttelfingen (I.Müller, Untersuchungen, S. 191) (Einwohnerzahlen, Basis: 1692, 1703, 1706) wurden errechnet: 1584 ca. 111, 1621 123, 1653 68, 1684 105, 1706 103, 1743 153, 1797 281, 1799 285, 1800 281, 1811 307, 1824 340 und 1834 396. Weinsberg (E.Weismann, Bevölkerungsbewegung, S.348) (Geburtenzahlen, Basis: 1681-1710) hatte 1572-1580 den Index 129, 15911600 180, 1621-1630 145, 1641-1650 98, 1751-1760 91, 1791-1800 120, 1821-1830 143. Altensteigdorf (B.Oertel, Ortssippenbuch Altensteigdorf, S.127f; ders., Ortssippenbuch Berneck, S.17) schließlich erreichte auf der Basis der Geburtenzahlen (1681-1710 = 100) 1621-1630 52, 1651-1660 79, 1751-1760 124, 1791-1800 138 und 1821-1830 137. Bemeck (B.Oertel, Berneck, S.16f) (Geburtenzahlen, Basis: 1681-1710) hatte 1662-1670 (das erste Jahrzehnt, für das Angaben vorliegen) den Index 63, 1751-1760 125, 1791-1800 122, 1821-1830 153. Die Bevölkerungsbewegung des Amtes Herrenberg (Württembergs Bevölkerung, S.128f) zeigte nach den kirchlichen Seelentabellen folgende Entwicklung: (Basis: 1679, das nächste Jahr zu 1700 wurde gewählt) 1622 163, 1634 168, 1639 64, 1645 54, 1652 69, 1673 100, 1679 100, 1750 158, 1754 156, 1759 141, 1771 181, 1782 196, 1784 200, 1788 207, 1790 208, 1794 220.

34

erneut. Die Abstände zwischen der Geburten- und Sterbelinie bleiben moderat:

1690-

1724 wird ein erstes Maximum erreicht, dem erst wieder die Differenz in der letzten Periode gleichkommt. Die Entwicklung in Nebringen verläuft bis 1654 parallel zu der in Tailfingen - auf niedrigerem Niveau, versteht sich. Danach scheint das Nebringer Wachstum stärker, auch gibt es

1760-1794 keinen Rückgang.

1795-1829 allerdings ist hier eine Phase der

Beinahe-Stagnation. Der Abstand zwischen der Geburten- und der Sterbelinie wird 17601794 maximal, ein Maximum, das aber nur wenig über den Differenzen in den Perioden 1690-1724 und 1725-1759 liegt. Im gesamten 18. Jahrhundert fehlen schwere Krisen, die Überschüsse der Todesfälle über die Geburten sind in den Jahren, in denen es welche gibt, gering. Die Beschreibung Pierre Gouberts für die neue demographische Struktur in Frankreich ab 1740 trifft schon für die Zeit ab 1700 zu: "Au temps de Louis X I V , des crises plus ou moins violentes, mais fréquentes; un excédent de naissances très réguliers (sic, irrégulier, A . M . ) et souvent négativ. Dans la seconde moitié du XVIII siècle, une absence complète de crises, ou des crises tellement 'larvées' qu'elles deviennent imperceptibles, ce qui entraine un excédent de naissances régulier." 1 3 Krisen bleiben in den untersuchten Dörfern allerdings häufig, aber der Überschuß der Geburten ist mindestens auf der Ebene der Jahrzehnte gesichert.

3.1.3. Preise Im Anschluß an die globale demographische Entwicklung sollen nun Wirtschaftskonjunkturen untersucht werden, wobei vor allem der Zusammenhang der Preise für Getreide, Land und Vieh sowie der Löhne thematisiert werden soll. Der Nachdruck wird eher (auch von der Quellenlage her bedingt) auf der Untersuchung von Trends liegen als auf der Hervorhebung einzelner Jahre oder gar von Preisbewegungen innerhalb eines Jahres.14 3 . 1 . 3 . 1 . Getreidepreise Die Getreidepreise (genauer gesagt die Preise für einige besonders wichtige Getreidearten) gelten als Indikator für die gesamte konjunkturelle Entwicklung "der" Landwirtschaft, 1 5

wobei allerdings nicht übersehen werden darf, daß nur ein Teil

der

ländlichen Bevölkerung von steigenden Getreidepreisen profitieren konnte, da nur er überhaupt Getreide zum Verkauf produzierte. Für einen zweiten Teil war die Landwirtschaft lediglich zur Selbstversorgung von Bedeutung: für diesen Bevölkerungsteil be-

13

P . Goubert, Provinciaux, S . 8 2 , s.a. S . 4 3 2 f ; vgl. aber P. Goubert, Theories, S . 4 7 1 ; F . L e b r u n , Crises, S . 2 1 3 f ; M . H . J o u a n , Originalités, S . 9 2 ; J.Ganiage, Trois villages, S . 3 0 ; R . D e n i e l , L . H e n r y , Population, S . 5 6 6 f ; M.Reinhard, Population, S . 6 2 4 f ; H.J.Habakkuk, Population, S . 2 8 3 ;

D.E.C.Eversley,

Population, S . 5 8 ; K.F.Helleiner, Vital Revolution, S . 8 3 , 85 14 15

zu diesen vgl. D.Ebeling, F.Irsigler, Getreideumsatz B . H . S l i c h e r van Bath, History, S. 113; W . A b e l , Agrarkrisen, S. 1 4 2 - 1 4 9 , 1 6 2 - 1 6 8 , 1 7 2 - 1 7 6 , 1 8 2 - 1 8 6 , 2 0 5 - 2 1 5 ; H.Freiburg, Agrarkonjunktur, S . 2 9 1 f , 3 2 5 f

35

deuteten steigende Getreidepreise im Gegensatz zum erstgenannten wirtschaftliche Schwierigkeiten. 16 Preisangaben, die aus den Inventuren und Teilungen gewonnen wurden, haben einen Vorteil: sie geben die Preise wieder, die auf dem Dorf selbst erzielt wurden, also sozusagen Erzeugerpreise, während die meisten Untersuchungen der Preisbewegungen auf städtischen Marktpreisen beruhen. 17 Dem stehen drei Nachteile gegenüber: einerseits lassen sich die Preise nicht innerhalb eines Jahres differenzieren, da die Anzahl der Inventuren zu gering und ihre Streuung innerhalb des Jahres zu ungleichmäßig ist, andererseits hängen die zur Verfügung stehenden Preisangaben von der Anzahl von Inventuren mit Getreidevorräten ab, d.h. in Jahren mit extrem schlechter Ernte und dementsprechend geringen Vorräten fehlen mitunter Preisangaben völlig. Drittens tritt, wenn zwischen Tod bzw. Heirat und Inventarisierung eine größere Zeitspanne liegt, eine Verschiebung bei den Preiskurven auf, die bis zu einem halben Jahr betragen kann. In Graphik 9.5.A. und 9.5.B. wurden die Dinkel- und Haferpreise pro Jahr für Bondorf zusammengefaßt. Die Zahlenbasis für die anderen Dörfer ist für Jahresangaben zu schwach. Deutlich werden die enormen Schwankungen der Getreidepreise von Jahr zu Jahr, wobei zwischen 1720 und 1790 allein das Jahr 1771/1772 besonders hervorragt. Die etwas dünnen Angaben für das 17. Jahrhundert lassen auf wesentlich stärkere Ausschläge schließen: von 1624 auf 1625 etwa fiel der Dinkelpreis in Bondorf von 4 fl pro Scheffel auf 1,6 fl. Den enorm hohen Preisen der dreißiger Jahre (vor allem 1636 mit den höchsten Preisen vor 1817) stehen sehr niedrige Preisangaben aus der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg gegenüber. 18 1694 und 1713 bilden weitere Spitzen. Nach 1790 werden die Kurven deutlich unruhiger: 1790, 1795, 1812 und 1817 brechen jeweils alle Rekorde seit den 1690er Jahren. Die Haferpreise bieten im großen und ganzen dasselbe Bild, wobei allerdings der enorme Preisanstieg der 1790er Jahre besonders auffällt. 19 Um einen schnelleren Überblick über die Trends der Getreidepreisentwicklung zu erhalten, wurden in Tabelle 3.1.3.l.a. die Preisangaben nach Jahrfünften zusammengefaßt. 20 Die Dinkelpreise, die vor 1620 unter 2 fl pro Scheffel gelegen zu haben scheinen, lagen nach 1665 noch etwas unter diesem Niveau, sieht man von einzelnen Krisenjahren ab. Zwischen 1700 und 1740 schwanken sie zwischen 2 und 3 fl, bewegen sich dann bis 1784 zwischen 3 und 3,5 fl (mit Ausnahme des Krisenjahrfünfts 1770-1774), steigen dann aber rasch auf 4 fl, erreichen bzw. überschreiten in Gruorn bzw. Gebersheim 1795-1799 die 6 16 17

18

19 20

36

U.Dirlmeier, Untersuchungen, S.15; H.Freiburg, Agrarkonjunktur, passim Die von K. von Varnbüler, Fruchtpreise, S. 149-152 und G.Dehlinger, Uberblick, S.55 mitgeteilten Frachtpreise liegen generell etwas höher. Ab 1780 werden die Unterschiede markanter. Vgl. a. W.Troeltsch, Zeughandelscompagnie, S.238 HSTAS A 261 Bü 1051 (Errichtung des Steuerfußes, Herrenberg, 1629), Sehr. v. 25.6.1655: Dinkel könne unter zwei Gulden nicht angebaut werden, es könnten aber 1655 nur 40-48 x dafür erlöst werden. Vgl. J.Mantel, Wildberg, S.68; T.Robisheaux, Society, S. 148-150 D.Ebeling, Bürgertum, S. 139-146; s.a. K. von Varnbüler, Fruchtpreise, S. 149-152; W.Abel, Geschichte, S.247, 310; J.Mooser, Klassengesellschaft, S.132 Zu Vergleichen zwischen den drei Dörfern eignet sich diese Tabelle nicht, da in den kleineren Dörfern nicht alle Jahre in jedem Jahrfünft repräsentiert sind, d.h. es würden verschiedene Jahre miteinander verglichen.

fl-Grenze und pendeln auch danach zwischen 4 und 6 fl. Nach 1820 fallen sie auf das Niveau der 1780er Jahre zurück (3,5 - 4 fl). 2 1 Wird als Basis das Jahrzehnt 1760-1769 genommen, dann erreichen die Dinkelpreise Ende des 17. Jahrhunderts in Normaljahren 60-70% des Standes von 1760-1769, schwanken vor 1740 um etwa 70%, steigen dann auf 90%, verharren bis 1784 auf dem Niveau der 60er Jahre und erhöhen sich anschließend äußerst schnell: Schon 1785-1789 liegen sie um 20% über den Preisen in der ersten Hälfte dieses Jahrzehnts, 1795-1799 gar um 80%. Bis 1814 bleiben sie um 46% - 64% über den Preisen der 1760er Jahre, in den 1820er Jahren allerdings nurmehr um 20%. Während sich die Entwicklung der Dinkel- und Haferpreise im großen und ganzen deckt, fallt für die Zeit nach 1790 der wesentlich stärkere Anstieg der Haferpreise auf (Tabelle 3.1.3.1 .b.)' die Dinkelpreise erreichen 1790-1794 gemessen an der Ausgangsbasis 17601769 erst den Index 133, die Haferpreise 182; im folgenden Jahrfünft verhalten sie sich wie 182 zu 212. Auch danach bleiben bis 1829 die Haferpreise bezogen auf die 1760er Jahre stets relativ höher als die Dinkelpreise - mit Ausnahme des Jahrfünfts 1815-1819 mit seinem extremen Krisenjahr. Dieser starke Anstieg und das hohe Niveau der folgenden Jahre dürften sich aus der Kriegsnachfrage erklären. 22

21 22

s. W . von Hippel, Bevölkerungsentwicklung, S.343f für die weitere Entwicklung im 19. Jahrhundert; G.Dehlinger, Überblick, S.55; H.Jänichen, Beiträge, S.108; F.Göttmann, Getreidemarkt, S.368 vgl. G.Dehlinger, Überblick, S.55

37

Tab. 3.1.3.1.a. Entwicklung der Dinkelpreise nach Jahrfünften Gebersheim Gruorn Bondorf Jahrfünft 1580-1584 1,5 1585-1589 1,5 1590-1594 2,0 2,0 1595-1599 1600-1604 2,0 1,67 1605-1609 1610-1614 1615-1619 1,33 1620-1624 4,0 1625-1629 1,6 1630-1634 1635-1639 5,11 1640-1644 1645-1649 1650-1654 1655-1659 1660-1664 2,0 1665-1669 1670-1674 0,63 3,0 1,88 1675-1679 1680-1684 2,93 1,0 1,73 1685-1689 2,75 1690-1694 3,0 7,0 1695-1699 1700-1704 2,0 2,08 2,95 1705-1709 2,25 1710-1714 3,32 3,06 3,0 1715-1719 1,99 2,0 1720-1724 2,74 2,0 2,09 2,04 2,5 1725-1729 2,23 1730-1734 2,12 2,15 2,17 2,62 1735-1739 3,0 1740-1744 3,09 2,83 2,98 3,01 2,85 1745-1749 2,71 1750-1754 2,92 3,0 3,04 2,95 3,05 1755-1759 1760-1764 3,07 3,38 2,9 3,44 1765-1769 3,36 3,09 4,6 1770-1774 4,38 4,5 2,97 T , U 3,33 1775-1779 2,77 1780-1784 3,11 3,2 3,71 3,89 3,89 1785-1789 3,84 1790-1794 4,55 4,45 5,18 6,53 5,96 1795-1799 1800-1804 4,32 4,27 5,43 5,44 4,63 5,89 1805-1809 1810-1814 5,07 5,81 5,72 9,0 1815-1819 1820-1824 4,8 3,51 3,79 4,15 1825-1829

38

alle

2,16 1,97 1,99 5,0 2,38 3,18 1,99 2,28 2,22 2,14 2,45 2,98 2,95 2,87 3,01 3,11 3,31 4,48 3,16 3,06 3,83 4,27 5,84 4,68 5,27 5,4 6,95 3,88 3,97

Tab. 3 . 1 . 3 . l . b . Entwicklung der Haferpreise nach Jahrfünften Gruorn Gebersheim Bondorf Jahrfünft 1580-1584 1,17 1585-1589 1,33 1590-1594 1595-1599 1,5 1600-1604 1605-1609 1610-1614 1,0 1615-1619 1620-1624 1625-1629 1,2 1630-1634 1635-1639 3,75 1640-1644 1645-1649 1,0 1650-1654 1655-1659 1660-1664 1,18 1665-1669 1670-1674 0,63 1,74 1,83 1675-1679 1680-1684 0,78 1,72 2,0 1685-1689 2,59 1690-1694 4,0 1695-1699 1,54 1700-1704 1,8 1,48 1705-1709 1,76 1710-1714 1,73 1,75 2,01 1,42 1715-1719 1,31 1720-1724 2,23 1,31 1,5 1,38 1,42 1,36 1725-1729 1,29 1730-1734 1,31 1,57 1,52 1735-1739 1740-1744 1,88 1,98 1,99 1,88 1,89 1745-1749 1750-1754 2,11 1,71 1,9 1755-1759 1,86 2,46 1,9 1760-1764 2,0 2,23 2,16 2,28 2,22 1765-1769 2,14 1770-1774 2J 3,03 2,9 2,09 1775-1779 2,06 2,09 1780-1784 2,48 2,5 2,22 1785-1789 2,39 2,7 2,52 1790-1794 3,79 4,63 3,72 4,77 1795-1799 4,81 4,2 3,94 1800-1804 3,38 2,78 3,17 3,97 1805-1809 3,5 3,67 1810-1814 3,48 1815-1819 4,04 3,5 1820-1824 2,85 3,0 2,82 1825-1829 3,0

alle

1,76 1,81 3,3 1,7 1,87 1,35 1,68 1,38 1,3 1,55 1,94 1,92 1,9 1,99 2,14 2,21 2,85 2,08 2,41 2,53 3,96 4,61 3,24 3,48 3,56 3,95 2,88 2,9

Beim Vergleich der Dinkelpreise in den einzelnen Dörfern in bestimmten Jahren ergeben sich interessante Differenzen:

Tab. 3.1.3.I.e. Dinkelpreise in den drei untersuchten Dörfern. Nur Jahre, in denen für alle Dörfer Preisangaben vorliegen Jahr Bondorf Gebersheim Gruorn 1712 3,5 3,85 3,5 1714 2,67 4,0 2,5 2,0 1725 2,5 2,5 3,68 4,0 1746 2,99 1747 3,51 3,01 2,33 1748 2,39 2,2 3,89 1752 3,38 2,57 3,0 2,75 1753 2,53 2,0 1754 3,0 3,0 3,0 3,95 1755 3,0 3,0 1757 2,95 3,5 3,0 1758 3,0 3,0 3,15 3,02 1762 3,0 2,84 3,03 3,51 1763 2,88 1764 3,5 4,0 3,43 1765 3,15 3,03 3,4 3,0 1766 3,39 2,83 1767 2,94 3,25 3,5 3,97 1769 3,55 3,0 5,14 1771 4,52 5,26 5,0 4,54 1772 5,0 4,32 3,98 4,0 1773 2,78 3,13 2,31 1775 1784 3,11 2,18 3,0 3,2 2,96 2,95 1785 3,34 1787 3,48 3,0 4,67 4,5 4,0 1788 4,5 1789 5,13 4,59 4,0 3,0 1791 4,1 3,72 3,59 3,92 1792 4,17 4,98 3,85 1793 5,23 1794 4,76 4,38 6,49 8,0 6,1 1795 6,0 8,36 5,8 1796 5,17 1797 5,0 5,75 4,74 4,0 7,0 1799 3,54 4,03 4,0 1801 4,0 5,0 1804 3,4 5,6 7,13 6,18 1805 4,5 6,0 1806 6,91 4,29 5,0 5,0 1808

In den 41 repräsentierten Jahren entfiel 21 mal auf Gruorn der niedrigste Preis, nur 9 bzw. 7mal auf Gebersheim bzw. Bondorf (4mal wiesen zwei oder drei Dörfer gleiche 40

Preise auf), wobei sich die Jahre vor und nach 1799 deutlich unterscheiden: vor 1799 hatte Gruorn in 35 Jahren 21mal den niedrigsten Preis, nach 1799 in 6 Jahren kein einziges Mal mehr. Auf Bondorf entfielen dagegen vor 1799 nur 2mal die niedrigsten Dinkelpreise (zudem 1771 und 1773, also Jahre mit sehr hohen Preisen), nach 1799 aber 5mal in 6 Jahren. 2 3 Die Preisentwicklung der übrigen Getreidearten wird am leichtesten greifbar, wenn man sie auf die beiden Leitgetreidearten Dinkel und Hafer bezieht. Dabei konkurrieren die Winter- bzw. Sommerfrüchte innerhalb der Dreifelderwirtschaft nur untereinander. Die Alternative, z.B. an der Stelle von Roggen etwa Erbsen anzubauen, stellte sich nicht; die einzelnen Arten sind nicht beliebig austauschbar. Innerhalb der Fruchtarten des Sommerfeldes schwanken die Relationen deutlich: die Hülsenfrüchte und Gerste verlieren gemessen am Hafer an Wert, was allerdings für die einzelnen Früchte in unterschiedlichem Ausmaß gilt. Erbsen und Wicken verlieren mehr als Linsen und Gerste, Bohnen gar nicht. Was die Wintergetreidearten angeht, so gibt es keine ähnlich markanten Tendenzen. Diese Wertänderungen müssen berücksichtigt werden, wenn die Frage der für jede Getreideart verwendeten Anbaufläche behandelt wird. Festzuhalten ist, daß seit den 1760er Jahren nach einer langen Phase stagnierender Getreidepreise ein starker Anstieg der Preise für alle Getreidearten zu beobachten ist, der bis 1820 andauerte. Dinkel, Roggen und Gerste stiegen dabei in etwa dem gleichen Ausmaß, während sich der Preis für Hafer deutlich stärker erhöhte als die Preise der Hülsenfrüchte. 2 4 3.1.3.2. Viehpreise Ebenso wie die Getreidepreise wurden die Viehpreise aus den Inventuren ermittelt (Tabelle 3.1.3.2.a.). Während bis 1760 die Viehpreise keine deutlichen Steigerungen erkennen lassen, erhöhen sie sich danach stark. Gebersheim hat dabei ab 1690 bei den Kühen und ab 1725 bei den Pferden stets die höchsten Preise, gefolgt von Bondorf, während Gruorn stets die niedrigsten aufweist. Hier wirkt sich offenbar die Nähe zum städtischen Markt Stuttgarts aus. 2 5 Die Korrelation zwischen Getreidepreisen und Viehpreisen auf der Ebene der Perioden ab 1690 ist nahezu perfekt. Auch die Werte pro Jahrfünft sind (im Falle Bondorfs, wo diese Berechnung aufgrund der größeren Basis möglich ist) sehr hoch miteinander korreliert. Beide landwirtschaftlichen Hauptprodukte unterliegen denselben Tendenzen.

23 24

25

Diese Unterschiede sind auch statistisch signifikant. vgl. B.H.Slicher van Bath, History, S.102f, 200, 222f zu Preisen allgemein, S.224 zum Haferpreis; A.Straub, Oberland, S.40f, 48-50 zu Getreidepreisen im badischen Oberland; F.Göttmann, Getreidemarkt, S.368 P.Steinle, Vermögensverhältnisse, S. 138-144 für Hohenlohe

41

Tab. 3.1.3.2.a. Wertangaben für Bondorf Periode Pferde vor 1690 27,2 1690-1724 26,8 1725-1759 26,8 1760-1794 44,4 1795-1829 77,4 Kühe vor 1690 15,8 1690-1724 12,9 13,4 1725-1759 1760-1794 18,8 1795-1829 30,1 Schafe vor 1690 2,1 1690-1724 1,5 1725-1759 2,2 1760-1794 4,1 1795-1829 5,5 Schweine vor 1690 5,3 1690-1724 4,8 1725-1759 5,6 1760-1794 7,4 1795-1829 10,8

(fi/Stück) Gebersheim

Gruorn

31,6 19,6 40,7 74,4 86,1

_ 20,9 24,1 29,4 43,1

12,1 15,4 14,8 23,0 36,0

_ 10,1 12,0 17,9 28,6

1,6 2,2 2,1 4,7 5,0

_ 2,0 3,3 4,6 6,0

2,5 6,2 4,2 6,4 10,5

_ -

6,9 12,0

3.1.3.3. Landpreise Die Entwicklung der Wertangaben für Ackerland zeigt Graphik 9.5.C. Diese Wertangaben sind keine Verkaufspreise, sondern Taxationswerte, die von den Inventur- und Waisenrichtern und den Erben angegeben wurden. Das Verhältnis zu den Verkaufspreisen läßt sich leider nicht angeben, einige Beispiele zeigen aber, daß letztere erheblich über ersteren lagen (ca. 50%). 26 Andererseits hieß es manchmal, daß der höchstmögliche Anschlag genommen worden und aus den Gütern kein Überlös zu erzielen sei. 27 Da es hier mehr auf die Entwicklung und weniger auf die absolute Höhe ankommt, spielt dies eine geringe Rolle, zumal Verkauf von Liegenschaften im Aufstreich eher die Ausnahme, Vererbung (zu den Taxwerten) aber der Regelfall war. In Bondorf folgen auf Werte vor 1635, 28 wie sie erst wieder in den 1740er Jahren erreicht wurden, außerordentlich niedrige Angaben im Rest des 17. Jahrhunderts, die sich

26 27 28

42

Chronologisch scheint das Verhältnis zwischen Verkaufs- und Taxwerten relativ konstant; M.Burckhardt, K.Walter, Konstanz, S.91, 95f zu Wien und Konstanz GA BON I 573 (Margaretha Rothfelder, 1756); I 1829 (Anna Sautter, 1825) 1638 war der Anschlag nur noch halb so hoch wie 1618: GA BON I 1 (Hans und Catharina Böcklen, 1638).

zwischen 4 und 6 fl pro Viertel eines Morgens Ackerland bewegen. 2 9 Bis 1740 oszillieren sie zwischen 6 und 7 fl, überschreiten aber erst nach 1760 die 10 f l . 3 0 Nach 1765 werden 16 - 18 fl erreicht (mit einem tiefen Einbruch 1775 - 1777). A b 1785 explodieren die Werte geradezu: 1793 wird ein durchschnittlicher Wert von 37 fl erreicht, das Doppelte des zehn Jahre früher geschätzten. Daran schließt sich eine Phase mit deutlich niedrigeren Werten an, die aber alle höher liegen als die von vor 1785. A u f den T i e f punkt von 1805 mit 21 fl folgt ein neuer scharfer Anstieg bis auf 40 fl 1808. Eine erneute Steigerung schließt sich an den Einbruch von 1813 an: 1822 wird ein Viertel Ackerland auf 54 fl "ästimiert", was den Rekordwert im gesamten betrachteten Zeitraum darstellt. D i e nächsten Jahre bis 1827 werden durch einen Rückgang bis auf 30 fl markiert; aber schon die Jahre 1828 und 1829 sehen einen neuen Anstieg. D i e Gebersheimer Entwicklung, die aufgrund der geringeren Zahlenbasis nur auf der Ebene der Jahrfünfte verfolgt werden kann, bestätigt im wesentlichen die Bondorfer: Das Maximum scheint in den ersten beiden Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts erreicht worden zu sein, woran sich ein Rückgang anschließt, der nach dem Dreißigjährigen dramatische Formen annimmt. Wurden

Krieg

1620-1654 im langfristigen Schnitt immerhin

noch 6,65 fl erreicht, liegt der Wert 1655-1689 nur noch bei 2,60 fl. V o r 1715 sind kaum Zeichen für eine Erhöhung auszumachen, erst danach steigt der Wert von Ackerland an: 1745-1754 werden zum ersten Mal wieder Werte wie vor 1620 erreicht. Nach 1760 folgen drastische Steigerungen: Liegt der Wert 1760-1764 noch bei 8 fl, überschreitet er 1765-1769 schon die 16 fl, um 1790-1794 fast 27 fl zu erreichen. Eine Phase niedrigerer Schätzwerte schließt sich an, die 29 fl von 1795-1799 werden erst 1815-1819 überboten (34 f l ) . W i e in Bondorf wird das Maximum mit 56 fl 1820-1824 erreicht. Die zweite Hälfte der 1820er Jahre ist durch einen Rückgang auf 24 fl gekennzeichnet, also in etwa auf das Niveau des ersten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts. Die Entwicklung in Gruorn ist durch außerordentlich niedrige Werte zu Beginn des 18. Jahrhunderts charakterisiert: der Wert eines Viertels Ackerland liegt um oder unter 2 fl, beträgt also nur die Hälfte des in Gebersheim und nur ein Viertel des in Bondorf verzeichneten Wertes. Bis 1740 ist allerdings auch hier ein deutlicher Anstieg auf 4,5 fl zu registrieren. W i e in den anderen Dörfern markieren die 1760er Jahre einen scharfen Anstieg, der sich in den Jahren danach mit Unterbrechungen fortsetzt: 1795-1799 wird das Maximum in dem für Gruorn betrachtbaren Zeitraum mit 14,8 fl erreicht, was mit dem doppelt so hohen Gebersheimer Wert (28,8 f l ) und den 27,6 fl Bondorfs zu vergleichen ist. 3 1

29

H S T A S A 261 Bü 1051 (Errichtung des Steuerfußes, Herrenberg, 1629), Sehr. v. 28.7.1630: Herrenberg schilderte 1630 das große Angebot an Gütern und die geringe Nachfrage ("allgemeinen Gelldt mangels halber"). Resultat: "Je Lenger ye mehr von dem rechten Weerth Abfallen: Und woll failer werden ..."

30

1757 galten die Güter als wohlfeil: G A BON I 693 (Jacob und Maria Böckle, 1764)

31

vgl. Slicher van Bath, History, S.225; P.Steinle, Vermögensverhältnisse, S. 105-113; G.Dehlinger, Überblick, S.55; W . A b e l , Agrarkrisen, S. 124-127, 144-149, 197-200, 220

43

Tab. 3.1.3.3.a. Wertangaben für ein Viertel eines Morgens Ackerland nach Jahrfünften Jahrfünft Bondorf Gebersheim Gruorn 1580-1584 1585-1589 6,99 1590-1594 8,83 1595-1599 8,39 1600-1604 10,87 1605-1609 8,60 1610-1614 14,80 6,21 1615-1619 7,61 1620-1624 10,72 7,49 1625-1629 6,58 1630-1634 4,99 1635-1639 5,00 6,65 1640-1644 4,33 1645-1649 6,07 1650-1654 4,29 3,94 1655-1659 3,76 1660-1664 1665-1669 1,90 1670-1674 2,96 1675-1679 4,85 2,35 1680-1684 2,54 10,43 1685-1689 2,72 3,13 1690-1694 5,81 2,11 1,34 1695-1699 1700-1704 3,38 1705-1709 6,18 2,45 1,30 1710-1714 2,21 7,08 1,48 3,74 1715-1719 2,03 1720-1724 6,64 4,38 1,85 6,31 4,08 1725-1729 1,75 1730-1734 3,97 5,98 1735-1739 6,22 2,48 1740-1744 7,20 6,06 4,50 9,57 1745-1749 8,88 4,33 8,32 1750-1754 7,85 5,49 4,62 1755-1759 9,92 5,29 1760-1764 7,97 10,19 8,36 1765-1769 14,16 16,18 7,53 1770-1774 18,03 16,53 11,21 14,42 8,04 1775-1779 13,31 1780-1784 17,14 18,43 12,83 24,76 26,69 1785-1789 9,23 1790-1794 29,91 26,94 14,18 28,80 14,77 1795-1799 27,59 1800-1804 20,91 12,96 25,30 26,21 14,17 1805-1809 32,08 33,97 27,27 1810-1814 45,41 34,07 1815-1819 1820-1824 46,68 56,29 38,21 23,54 1825-1829 -

44

Während der Wert eines Viertels Ackerland in Gebersheim vor dem Dreißigjährigen Krieg 70 - 80% des entsprechenden Bondorfer Wertes erreicht zu haben scheint, pendelt er in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts nur noch zwischen einem Drittel und der Hälfte. Im Krieg scheint sich die Relation zuungunsten Gebersheims verschoben zu haben. Zu Anfang des 17. Jahrhunderts liegen die Gebersheimer Wertangaben bei 40% der Bondorfer, steigen aber nach 1720 schnell auf 60 - 70%. 1750-1754 und 1765-1799 herrscht Parität. Vor 1820 werden dann nur noch 75 - 80% erreicht, 1820-1824 überwiegen die Gebersheimer Werte, liegen 1825-1829 aber wieder deutlich unter den Bondorfern (60%). Der Verfall der Gebersheimer Ackerlandpreise war nach dem Dreißigjährigen Krieg also deutlich stärker als in Bondorf, die Erholung langsamer; von 1720 an aber holt Gebersheim auf, bis um 1800 Gleichstand erreicht ist, anschließend liegen die Steigerungsraten in Bondorf wieder höher. Gruorns Ausgangsbasis zu Anfang des 18. Jahrhunderts beträgt nur ein Fünftel der entsprechenden Bondorfer Werte. Nach 1740 ist die Steigerung allerdings viel stärker als in Bondorf: die Gruorner Werte liegen jetzt bei 50 - 60% der entsprechenden Bondorfer. Nur 1760-1764 und 1780-1784 ergibt sich kurzzeitig eine stärkere Annäherung. 18051809 scheint sich die Distanz eher wieder etwas vergrößert zu haben. Diese sich ändernden Verhältnisse machen mißtrauisch gegen jeden Versuch die Landpreise an die Bodenqualität bzw. die Erträge anzubinden. Wie bei den Wertangaben für Ackerland gibt es auch bei den anders genutzten Landflächen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts einen tiefen Einbruch, der auf relativ hohe Werte in der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg folgt. Die Entwicklung im 18. Jahrhundert zeigt Tabelle 3.1.3.3.b. Wiesen stiegen in Bondorf und Gebersheim bis 1760 schneller im Wert als Ackerland, danach deutlich langsamer; in Gruorn kletterte bis 1760 Ackerland auf den sechsfachen Wert, Wiesen "nur" auf den 4,5fachen. Danach decken sich die Trends in allen drei untersuchten Dörfern. Auffalligerweise hat Bondorf sowohl bei Wiesen wie bei Äckern die geringsten Steigerungen, aber den weitaus höchsten Ausgangswert. 32 Nur in Bondorf existierten Privatwaldungen, nur in Gebersheim wurde Weinbau betrieben und Mäder waren eine Besonderheit von Gruorn, so daß diese drei Kategorien von Land sich nur jeweils an einem Beispiel darstellen lassen: Der Wert der Wälder stieg bis 1760 nur leicht (hätte man den Wert von 1755-1759 herausgegriffen, wäre allerdings eine Steigerung auf das Anderthalbfache herausgekommen), dann aber sehr stark (parallel zum Ackerland). Die Gebersheimer Weinberge verhalten sich ähnlich wie die Bondorfer Wälder, wobei allerdings die Steigerungsraten stets hinter den extrem hohen von Ackerland in Gebersheim zurückbleiben. Übrigens stellt sich hier noch die Frage, ob in diesen Weinbergen Ende des 18. Jahrhunderts tatsächlich noch Weinstöcke wuchsen, oder ob sie nicht eher als Gärten genutzt wurden: Nach der Leonberger Oberamtsbeschreibung wurden die Weinberge zu diesem Zeitpunkt ausgestockt. 33

32 33

K. von Varnbüler, Beitrag, S.7: hoher Wert der Wiesen bei herrschender Dreifelderwirtschaft. Das Zurückbleiben könnte auf Änderungen eben dieser Wirtschaft hindeuten. Vgl. a. ebd., S. 11 Beschreibung Leonberg, S. 127

45

Die Gruorner Mäder wurden bis 1760 gleichlaufend mit den Wiesen wertvoller, stiegen dann aber deutlich rascher.

Tab. 3.1.3.3.b. Wertsteigerung von Land im 18. Jahrhundert (Basis 1705-1709 = 100) Bondorf Gruorn Gebersheim Ackerland 1705-1709 100 100 100 1760-1764 165 325 643 1805-1809 519 1070 1090 1825-1829 618 961 Wiesen 1705-1709 100 100 100 1760-1764 223 457 376 305 791 1805-1809 575 . 277 1825-1829 669 Wald 1705-1709 100 1760-1764 108 1805-1809 499 1825-1829 705 Weingärten 1705-1709 100 1760-1764 119 1805-1809 580 1825-1829 457 Mäder 1705-1709 100 1760-1764 431 1805-1809 822

3.1.4. Löhne Die Höhe der Löhne war nach Jahreszeiten differenziert; im Winter wurde weniger gezahlt (ca. 2 x pro Tag) als im Sommer. 34 Während der Hauptsaison der landwirtschaftlichen Arbeiten waren Arbeitskräfte offenbar nur zu höheren Löhnen zu bekommen, außerdem waren die Tage länger. Auffällig ist die lange Konstanz der Löhne. 35 Bis ca. 1765 lag der Sommerlohn eines Meisters bei 24 x, der eines Gesellen bei 22 x und der eines Jungen bei 18 x. In den 34

35

46

Die Lohnangaben beziehen sich, wie häufig, hauptsächlich auf Bauhandwerker. HSTAS A 303 Bd 12093-12103, 12125 (Beilagen zu den Rechnungen der Bebenhäusischen Pflege Roseck); A 302 Bd 8875, 8881, 8883-8895, 8897-8903 (Beilagen zu den Rechnungen des Oberamts und der Kellerei Nagold); HSTAS A 573 Bd 1489-1514 (Bürgermeisterrechnungen der Stadt Wildberg): Diese Lohnangaben wurden mir freundlicherweise von Petra Schad zur Verfügung gestellt; HSTAS A 584 Bü 402 (Pflegrechnung über Maria Agnes Isler); Bü 547 (Baurechnungen Gebersheim 1725-1728); HSTAS A 584 I 378 (Alt Georg Friedrich Kogel, 1767); HSTAS A 584 provisor. B 3 (Gerichtsprotokolle, 1795-1819), fol. 134V-R; K. von Varnbüler, Beitrag, S.48 (für 1812) W.Abel, Agrarkrisen, S. 182-186

Jahren danach folgte eine leichte Erhöhung, 1780 wurden für den Meister 26 x und für den Gesellen 24 x bezahlt. Bei den Jungen scheint sich wenig verändert zu haben. Bis 1795 erhöhte sich der Sommerlohn aller Kategorien um weitere 2 x auf 28 x für die Meister, 26 x für die Gesellen und 20 x für die Jungen. 1796 stiegen die Löhne stark. Die Meister erhielten nun 40 x, die Gesellen 36 x und die Jungen 24 x. In den folgenden Jahren sank zumindest der Gesellenlohn wieder etwas. Zum ersten Mal erhöhten sich 1796 auch die Löhne der Taglöhner; während sie vorher stets 20 x bekommen hatten, wurden sie nun mit 28 x entlohnt, 1800 hatten sie sich um weitere 2 x verbessert. Bis 1812 änderte sich dann nichts mehr. 3 6 1751 konnte der Bondorfer Kuhhirt mit 30 x pro Tag rechnen. 37 1808 erhielt der Gebersheimer Waldschütz 24 x pro T a g . 3 8 Der Polizeidiener bekam 1817 42 x in der Woche, also 36,5 fl pro Jahr (bei Beschäftigung über das gesamte Jahr), 1818 30 fl pro Jahr. 3 9 Der Bondorfer Nachtwächter wurde schon 1752 mit 28 fl pro Jahr besoldet. 40 1813 und 1815 wurden einem Boten für einen versäumten Tag 20 x gezahlt, was sich wohl mit einem Taglohn decken dürfte. 41 Die Löhne für landwirtschaftliche Arbeiten waren durchweg sehr viel niedriger: für das Dreschen wurden 1736 4,2 x, 1769 6-12 x, 1802 16 x und 1828 19 x pro Tag in Bondorfer Inventuren berechnet. 42 Schneiden wurde 1776 mit 12 x pro Tag vergütet. 43 In Gebersheim verdiente ein Drescher 1788 8 x, 1806 20 x pro T a g . 4 4 Eine Näherin erhielt 8 x pro T a g . 4 5 In Gruorn wurde 1794 für einen Tag Schneiden und Binden der Taglöhnerlohn von 20 x gezahlt. 46 Die Liedlöhne von Knechten lagen 1724 bei 30 fl, 1740 wurden 24 fl angegeben, 1757 26 fl und 1819 40 fl. 4 7 In Gruorn konnte ein Knecht 1800 mit 36 fl Geldlohn, 2 Paar Schuhen, 8 Ellen Zwilch und 2 Hemden pro Jahr rechnen. 48 Höher lag der Jahreslohn

36

37 38 39 40 41 42

43 44 45 46 47

48

B.H.Slicher van Bath, History, S. 102-104, 222f, 226; zur weiteren Entwicklung s. W.A.Boelcke, Sozialgeschichte, S.68; W. von Hippel, Bevölkerungsentwicklung, S. 333-342; W.Troeltsch, Zeughandelscompagnie, S.224f; Anhebung in den 1790er Jahren auch in Köln: D.Ebeling, Bürgertum, S.173 GA BON I 516 (Anna Lehemann, 1751) HSTAS A 584 provisor. B 3 (Gerichtsprotokolle, 1795-1819), fol. 89V-R HSTAS A 584 provisor. B 3, fol. 243V, 272R GA BON I 535 (Stephan Fahmer, 1752) HSTAS A 584 Bü 404 (Pflegrechnung über Georg Friedrich Kogel); 1740 in Bondorf 20 x (GA BON I 367 (Hans Breuning, 1740)); 1828 24 x (GA BON I 1917 (Katharina Wörner, 1828)) GA BON I 304 (Benedict Weinmar, 1736); I 767 (Hans Michel Scheurer, 1767): die 6 x galten für einen Ledigen, die 12 x für einen Verheirateten; I 1387 (Magdalena Bühler, 1802); I 1917 (Katharina Wörner, 1828) GA BON I 859 (Alt Hans Philipp Wörner, 1776) HSTAS A 584 I 471 (Peter und Anna Maria Gunser, 1788); Bü 406 (Pflegrechnung über Paul Ißler) HSTAS A 403 (Pflegrechnung über Johann Georg Besserer) HSTAS A 575 1 160 (Jakob Rung, 1794); vgl. G.Dehlinger, Überblick, S.56; K. von Vambüler, Glemsgau, S.199 HSTAS A 261 Bü 1053 (Summarische Tabellen zur Steuerrevision, Herrenberg, 1720), Knechte des Ammermüllers; GA BON I 360 (Jacob Schelling, 1740); I 589 (Catharina Weinmer, 1757); I 1698 (Michael Kußmaul, 1819) HSTAS A 575 I 181 (Jonas Kuhn, 1800): Dort auch Lohn eines Dienstbuben: 9 fl Geld, 1 Hemd, 1 Paar Schuhe pro Jahr.

47

eines Schmieds mit 40 f l . 4 9 Mägde verdienten deutlich weniger: 1676 9 fl, 1726 12 fl, 1740 9 fl, 1747 8 fl, 1757 8 fl, 1777 9 fl, 1819 17 fl, 1821 15 fl, 1830 15 fl.50 In Gruorn bekam 1800 eine Magd 4 fl Geldlohn, 12 Ellen Tuch und 1 Paar Schuhe für ein halbes Jahr. 5 1 Eine Haushälterin erhielt 1740 24 f l . 5 2 Spezialisiertere Tätigkeiten wurden besser bezahlt: Der Feldmesser Johann Martin Böckle berechnete 1801/02 für einen Tag Arbeit in Bondorf 1 fl, für einen Tag außerhalb seines Wohnorts 1 fl 20 x . 5 3 Ein Orgelmacher rechnete 1823 mit 1 fl Tageslohn. 5 4 Wie "marktgerecht" diese Löhne waren, zeigt die Situation nach 1648. Mangel an Arbeitskräften führte zu höheren Löhnen (wobei dann die Obrigkeit zum Einschreiten aufgefordert wurde), ein Überschuß an Arbeitskräften (im 18. Jahrhundert) zur Stagnation (wobei dann von Interventionen der Obrigkeit keine Rede war). 5 5 So wurden 1647 die unverschämten Forderungen von Knechten und Mägden, Taglöhnern und Handwerkern beklagt. Schuhmacher wollten für ein Paar Schuhe, Wagner für ein Paar Räder einen Scheffel Dinkel. 5 6 Der "Haußman uff dem Land" werde außer durch "allerhand ohnerhörte Kriegs beschwerdten, und anderen trangsalen" auch dadurch beschwert, "das nunmehr fast alle Ehehalten, alls Knecht und Mägdt, insgemein, sich hallßstarrig erzaigen, In dem dieselbige über Jeniges das sie vorhin den lohn wider billigkheit, unerschwünglich hoch staigern, auch sonsten noch disen vortheil gebrauchen, das Sie sich uff kein gantzes Jahr mehr verdingen wollen, Und mehreren theilß darumb, weilen das halbe Jahr uff Johannis Baptistae sein Endtschafft erraicht, Und der betrangte Bauersman eben zue solcher Zeit, die Ehehalten am nothwendigsten bedarff, auff das sie Ihre Herren und Maister gleichsamb aigens gefallens und zue Ihrem belieben erzwingen können, . . . . " Die Knechte und Mägde würden den Dienst quittieren, um für Taglohn zu arbeiten. "Nun laufft solches nicht allein Schnuerstrackhs wider die Christliche Liebe" und gegen die fürstlichen Landes- und Taxordnungen, sondern der durch die Kriegskontributionen bedrängte Bauer muß dadaurch "vollendtz zue grundt gehen". Zur Abhilfe wurde vorgeschlagen, die Ehehalten sollten nur auf ein ganzes Jahr (von Weihnachten bis Weihnachten) eingestellt werden, der Lohn ihnen nach der Taxordnung bezahlt werden, sie aber nicht daran gebunden sein, wenn sich eine Heiratsgelegenheit oder ein anderer glücklicher Zufall anbieten würde. In solchen Fällen sollte die entstehende Streitigkeit durch das Amt oder das Gericht entschieden werden. 57 In Nagold hieß es 1655: " . . . Und da man Vermeint, es hete ein solcher taglohner der wie bekhant seines zue hoch gestanten 49 50

51 52 53 54 55 56 57

48

GA BON I 697 (Maria Catharina Rauser, 1766) HSTAS A 584 I 162 (Martin Mauch, 1676); GA BON I 150 (Anna Schelling, 1726); I 360 (Jacob Schelling, 1740); HSTAS A 584 I 299 (Alt Jacob Maurer, 1747); GA BON I 589 (Catharina Weinmer, 1757); I 865 (Agnesa Fortenbacher, 1777); I 1698 (Michael Kußmaul, 1819); I 1724 (Magdalena Weinmar, 1821); I 1953 (Andreas Weimer, 1830) HSTAS A 575 I 181 (Jonas Kuhn, 1800) GA BON I 360 (Jacob Schelling, 1740); U.Dirlmeier, Untersuchungen, S.89-99 zu den Löhnen von Knechten und Mägden; G.Dehlinger, Überblick, S.56; W.Achilles, Lage, S . 9 9 f HSTAS A 302 Bd 8902 (Beilagen zu den Rechnungen des Oberamts und der Kellerei Nagold 1801/1802) GA BON I 1777 (Maria Barbara Weinmar, 1823) W.Abel, Agrarkrisen, S . 1 5 0 f HSTAS A 230 Bü 97 (Produktionskosten für Getreide, 1647) für Leonberg und ähnlich Herrenberg HSTAS A 230 Bü 99 (Aufsässigkeit der Knechte und Mägde, 1648), Eingabe vom 2 3 . 3 . 1 6 4 8 (darunter Leonberg und Herrenberg)

taglohn halber etwas in Parschafft, würdt denselben etwan 10, 20 oder mehr gülden zue seiner Steuer geschlagen, Und darauff in der Anlaag Proportioniret." 58 Wie relativ diese hohen Löhne aber waren, zeigt die Stellungnahme des Amtes Herrenberg: "... Inn dißem Statt und Ambt mehr nicht dann Inn die 15 Personen, ... seindt mehrerthails Schweitzer, oder Tyroler, und nehren sich mit Taglohnen, warmit Sie doch kaumb denn Hauß Zinnß, Klaidung und Nahrung neben etwas wenigs Beysitzgelt Erwerben mögen, und weilen, der Geschäfft vil, hingegen der Leuth wenig, So werden Selbige zur Contribution nicht angelegt, und ist mann nur froh, wann Sie nicht außweichen, sondern dißer gegend, Inn Mangel Gesindts sich uffhalten thuen." 59 Für die Perzeption des Landes aus obrigkeitlicher Sicht interessant ist übrigens, daß hier aus dem Blickwinkel der bäuerlichen Wirtschaft Taglöhner, Handwerker und Gesinde in einen Topf geworfen werden. Auf der einen Seite stehen die förderungswürdigen Belange der Vollbauern, auf der anderen die zu bekämpfenden Ansprüche der Lohnempfänger. 60 3.1.5. Zusammenfassung: Preise, Löhne und Bevölkerungsentwicklung Um die Konsequenzen dieser Preisentwicklungen für die Lebensbedingungen der Bewohner der betrachteten Dörfer zusammenzufassen, wurden folgende Übersichten erstellt: Tab. 3.1.5.a. Wert eines Viertels Ackerland in Scheffel Dinkel Bondorf Gebersheim Jahrfünft 1585-1589 4,66 1615-1619 5,72 1,62 1675-1679 1,25 1705-1709 2,75 1,18 2,37 1,14 1735-1739 4,21 1765-1769 5,24 5,33 4,41 1795-1799 1825-1829 10,08 5,67

Gruorn -

0,44 l^O61 2,19 2,48 -

Tab. 3.1.5.b. Wert eines Viertels Ackerland in Arbeitstagen eines Handwerksmeisters Jahrfünft Bondorf Gebersheim Gruorn 1715-1719 16,6 11,0 4,6 1745-1749 20,5 22,1 10,0 32,7 1765-1769 37,3 17,4 1775-1779 33,3 30,7 18,6 1790-1794 66,5 59,9 31,5 43,6 1795-1799 45,5 23,3 49,4 1805-1809 40,3 21,8

58 59 60 61

HSTAS A 261 Bü 1262 (Einrichtung des Steuerfußes, Nagold, 1607) HSTAS A 261 Bü 1051 (Errichtung des Steuerfußes, Herrenberg, 1629), Sehr. v. 25.6.1655; zu Löhnen 16. - 18. Jahrhundert s. B.H.Slicher van Bath, History, S. 197-199, 208-210 vgl. W.Abel, Agrarkrisen, S. 172-174 1740-1744

49

Tab. 3.I.5.C. Wert der Arbeit eines Taglöhners in Scheffel Dinkel Jahrfünft Bondorf Gebersheim 1725-1729 0,15 0,16 1775-1779 0,11 0,10 1795-1799 0,09 0,07 1810-1814 0,10 0,09

Gruorn 0,13 0,11 0,08 0,096 2

Tab. 3.1.5.d. Wert eines Scheffels Dinkel in Arbeitstagen eines Handwerksmeisters eines Taglöhners Bondorf Jahrfünft Gebersheim Gruorn M T M T M T 5,2 6,3 5,0 5,0 1715-1719 6,0 6,0 6,7 5,1 6,1 1725-1729 5,6 6,3 7,5 9,0 7,2 9,0 6,8 8,6 1745-1749 7,1 1755-1759 8,9 9,2 7,2 7,3 7,1 9,1 10,1 7,2 8,0 1765-1769 7,8 9,3 10,3 6,9 1775-1779 7,4 9,6 7,7 10,0 8,9 1790-1794 10,1 9,9 8,5 8,2 9,4 1795-1799 9,8 10,3 14,0 12,8 8,4 1805-1809 9,3 11,8 10,9 7,1 9,1 Ein Bauer, der in Bondorf vor dem Dreißigjährigen Krieg 5,72, in Gebersheim 4,66 Scheffel Dinkel verkaufen mußte, bevor er ein Viertel Ackerland erwerben konnte, mußte in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts nur noch ein Drittel dieser Menge dafür verkaufen; der Zukauf von Land dürfte dementsprechend einfach gewesen sein. Bis 1740 veränderte sich in Gebersheim dieses Austauschverhältnis noch zugunsten des Bauern, verschlechterte sich dann aber zusehends: 1765-1769 mußten schon 4,2 (Bondorf) bzw. 5,2 (Gebersheim) Scheffel verkauft werden, um den Landbesitz um ein Viertel erweitern zu können, 1795-1799 5,3 (Bondorf) bzw. 4,4 (Gebersheim). Außerordentlich ungünstig schließlich war das Verhältnis 1825-1829: 10 Scheffel Dinkel mußten nun in Bondorf für ein Viertel Ackerland hingegeben werden. Gemessen an den Steigerungsraten schnitt das älblerische Gruorn schlechter ab als Bondorf: die für ein Viertel Ackerland zu verkaufende Dinkelmenge verfünfeinhalbfachte sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts, während sie in zweitem Ort nur auf das Dreieinhalbfache stieg. Dabei muß übrigens die obige Bemerkung ins Gedächtnis gerufen werden, daß die Schätzwerte der Inventuren in Betreff des Ackerlandes keine Verkaufspreise sind, sondern deutlich niedriger liegen. Die tatsächlichen Verhältnisse beim Zukauf von Land waren also für den Dinkelverkäufer wesentlich ungünstiger. Noch ungünstiger gestalteten sich die Verhältnisse für die Handwerker: mußten sie 17151719 in Bondorf 16,6 Tage arbeiten, um ein Viertel Ackerland zu erwerben, waren es 1765-1769 schon doppelt, 1790-1794 viermal und 1805-1809 immer noch dreimal so 62

50

1805-1809

viele. Für Gebersheim lauten die entsprechenden Daten: 11, 37,3, 59,9 und 40,3; für Gruorn: 4,6, 17,4, 31,5 und 21,8 Tage. In allen Dörfer erhöhte sich also in diesen 90 Jahren die zum Kauf von einem Viertel Ackerland erforderliche Arbeitsleistung auf das Drei- bis Sechsfache. Auch relativ zum Dinkel verloren die Löhne stark: 63 War 1725-1729 ein Taglöhnertag noch 0,13 bis 0,16 Scheffel Dinkel wert, waren es 1812 nur 0,09 - 0,10, d.h. ein Verlust von einem Drittel. Die Bauern dürften von diesem Verfall der Taglöhnerlöhne profitiert haben, wurden doch die Arbeitskräfte billiger. 64 Was dieses Zurückbleiben der Löhne gegenüber den Dinkelpreisen für die betroffenen Handwerker und Taglöhner bedeutete, zeigt schließlich die letzte Tabelle: Mußte 17151719 ein Meister noch 5 Tage arbeiten, um einen Scheffel Dinkel erwerben zu können, waren es 1765-1769 schon 7 - 8 , und 1805-1809 in Gebersheim und Gruorn 8 - 9 (in Bondorf scheint aufgrund des niedrigeren Dinkelpreises die Situation etwas günstiger gewesen zu sein). Ein Taglöhner hatte 1715-1719 6 Arbeitstage auf den Kauf eines Scheffels Dinkel verwenden müssen, 1765-1769 dagegen 10, 1805-1809 in Gebersheim und Gruorn 12 bzw. 11. Am ungünstigsten waren die 1790er Jahre, als in Bondorf und Gebersheim ein Meister 10 Tage arbeiten mußte, um einen Scheffel Dinkel kaufen zu können. Noch schlechter schnitten die Taglöhner ab, für die 10-14 Tage Arbeit erforderlich waren. Setzt man den Jahresbedarf einer Person mit drei Scheffel Dinkel an (reine Nahrungskosten, ohne sonstige Ausgaben und ohne Steuern), dann hatte ein Handwerksmeister zu Beginn des 18. Jahrhunderts seinen eigenen Nahrungsbedarf als Gegenwert zu 15 Arbeitstagen eintauschen können (vorausgesetzt die Ernte fiel mindestens durchschnittlich aus). Hundert Jahre später brauchte er je nach Dorf 2 1 - 2 7 Arbeitstage. Ein Taglöhner konnte zu Beginn mit 18 Tagen Arbeit seinen Nahrungsbedarf decken, am Ende brauchte er 27 - 36 Tage. Bezieht man schließlich noch ein, daß es mit dem bloßen Nahrungsbedarf nicht getan war, daß in der Regel eine Familie mehr oder minder großen Umfangs mitzuversorgen war, so gelangt man schnell zu Zahlen von Arbeitstagen, die zu erbringen keinem Handwerker oder Taglöhner mehr möglich war (schon die oben berechneten ca. 30 Tage dürften Schwierigkeiten gemacht haben). 6 5 Korreliert man die Werte für Ackerland und Dinkel und die durchschnittliche Bevölkerungszahl, 66 zeigt sich der engste Zusammenhang zwischen Bevölkerungsentwicklung und dem Wert eines Viertels Ackerland (zumindest in Bondorf und Gebersheim), der lockerste zwischen Bevölkerung und der Entwicklung des Dinkelpreises. 67 63 64 65 66 67

zu Kornlöhnen s. W.Abel, Agrarkrisen, S.131 B.H.Slicher van Bath, History, S.226f; W.Abel, Massenarmut, S.63 zu den drei Scheffel Dinkel: s.u. Kap. 4.2.11.; vgl. HSTAS A 243 a Bü 8, 9 (Fruchtvorräte, 1771); vgl. M.Burkhardt, K.Walter, Konstanz, S. 149-151 B.H.Slicher van Bath, History, S. 114 Korrelation Bevölkerung - Dinkelpreis: Bondorf 0,63 Gebersheim 0,74 Gruorn 0,67 Korrelation Bevölkerung - Wert eines Viertels Ackerland Bondorf 0,87

51

Steigende Bevölkerungszahlen führen zu einer steigenden Nachfrage nach Land, vor allem Ackerland, daneben auch Gartenland, während Wiesenland weniger unter Druck gerät, zumal schlechte Äcker in Wiesen verwandelt werden, der Kleeanbau noch außerdem dazutritt. Wälder - in Bondorf sowieso knapp, in den anderen Dörfern als Privatbesitz nicht vorhanden - dürften einerseits anfangs etwas unterbewertet gewesen sein (wodurch sich ein Teil der extremen Steigerung erklärt), andererseits steigt mit wachsender Bevölkerung auch die Nachfrage nach Holz (Brenn- sowohl als Bauholz). Durch Anlage von Wäldern auf ehemaligem Ackerland wird die Nachfrage nicht ausgeglichen. Zum Anstieg der Schätzwerte für Ackerland trägt außerdem der steigende Dinkelpreis mit bei: steigende Preise (und höhere Erträge) erhöhen den Wert des Landbesitzes. Der Bevölkerungsanstieg schlägt keineswegs voll auf den Dinkelpreis durch. Andere Faktoren wie höhere Erträge und Ausweichen auf neue Anbauprodukte verhindern eine solche Verknappung des Nahrungsspielraums.

Gebersheim 0,83 Gruom 0,75 Korrelation Wert eines Viertels Ackerland - Dinkelpreis Bondorf 0,76 Gebersheim 0,78 Gruom 0,80

52

3.2. Demographische Krisen 3.2.1. Krisenrhythmus Um Krisen methodischer zu erfassen, als es durch die simple Ermittlung eines Überschusses der Gestorbenen über die Geborenen möglich ist, 1 wurde der von Jacques Dupâquier vorgeschlagene Krisenindex verwendet. 2 Das Ausmaß einer Krise errechnet sich danach mit der Formel: I x = (D x - M x ) / 15 ha) vor 1620 6 13,3 1620-1654 13 54,2 2 9,5 1655-1724 6 20,0 1 3,6 1725-1759 21 2 13,0 5,3 1760-1794 17 11,6 3 4,0 1795-1829 25 11,2 2 2,9 Mittelbauern ( 5 - 1 5 ha) vor 1620 11 24,4 1620-1654 8 4 33,3 19,1 1655-1724 11 36,7 3 10,7 71 44,1 12 1725-1759 31,6 1760-1794 53 11 14,7 36,3 65 7 1795-1829 29,1 10,1 Kleinbauern (2 - 5 ha) vor 1620 16 35,6 1620-1654 2 8,3 8 38,1 1655-1724 11 36,7 57,1 16 1725-1759 26,7 12 43 31,6 1760-1794 47 32,2 33 44,0 29,2 24 1795-1829 65 34,8 Unterbäuerliche (0 - 2 ha) vor 1620 10 22,2 1620-1654 1 4,2 5 23,8 1655-1724 21,4 2 6,7 6 1725-1759 22 13,7 23,7 9 1760-1794 22 25 33,0 15,1 59 1795-1829 26,5 33 47,8 Landlose vor 1620 2 4,4 1620-1654 0 2 9,5 1655-1724 0 2 7,1 4 1725-1759 2,5 3 7,9 1760-1794 7 3 4,8 4,0 1795-1829 9 4,0 3 4,3 -

-

-

-

-

-

-

-

-

-

Gruorn N % -

-

-

6 7 12 7 -

4 10 29 11 -

2 7 23 8 -

2 7 34 18

37,5 18,9 11,2 14,9 -

25,0 27,0 27,1 23,4 -

12,5 18,9 21,5 17,0 -

12,5 18,9 31,8 38,3

-

-

-

-

2 6 9 3

12,5 16,2 8,4 6,4

Der Anteil der Kleinbauern fällt sowohl in Bondorf wie in Gebersheim bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts stark, stabilisiert sich aber anschließend: in Bondorf bei ca. 30%, in Gebersheim bei 35 - 45 %. Den geringsten Prozensatz von Kleinbauern hat Gruorn mit konstant um die 20%. 43 Eine außerordentlich kräftige Expansion erfahren die Unterbäuerlichen: Sie verdoppeln in Bondorf wie in Gebersheim und Gruorn im Laufe des 18. Jahrhunderts ihren Anteil und stellen am Ende in Gebersheim fast die absolute Mehrheit der Haushalte. Das demographische Wachstum des 18. Jahrhunderts zeigt sich gerade in dieser Kategorie, in der sich die abgesunkenen Mittel- und Kleinbauern ansammelten. 43

86

vgl. K.Herrmann, Pflügen, S.100; T.Robisheaux, Society, S.87f

Eine nur marginale Rolle spielten die völlig Landlosen, zumal ein Teil der hier Klassifizierten alte Haushaltsvorstände sein dürften, die ihr Land bereits ihren Nachfolgern überlassen hatten. Der hohe Gruorner Anteil von 8,4% 1760-1794 ist aber immerhin bemerkenswert. Insgesamt fallen auch die Unterschiede zwischen den Dörfern auf. während in Bondorf die eigentlichen Bauern mit mehr als 5 ha Land bis 1794 mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, danach immer noch 40% der Bevölkerung stellen, erreicht diese Gruppe in Gebersheim zum gleichen Zeitpunkt nicht einmal 15%. In Gruorn liegt ihr Anteil immer um die 40%, wobei hier einer großen Gruppe von sehr großen Landbesitzern eine eher schwache mittelbäuerliche gegenübersteht, wie auch die kleinbäuerliche stets die kleinste aller Dörfer ist. 55% klein- und unterbäuerliche Haushalte in Bondorf und Gruorn 1795-1829 und 83% in Gebersheim verdeutlichen noch einmal die gewaltigen Unterschiede. Bondorf weist die ausgeglichenste Verteilung des Landbesitzes auf, Gruorn ist deutlich polarisierter und in Gebersheim stellen Bauern, die tatsächlich von ihren Äckern leben konnten, eine schwache Minderheit dar. 4 4 Einen Einblick in die Konzentration des Landbesitzes geben die Lorenzkurven (s. Abb. 9.7.A. - O.). 4 5 Die Verteilung ist um so gleichmäßiger je mehr sich die Kurve der Diagonale annähert, um so ungleichmäßiger um so mehr sie sich von ihr entfernt. Insgesamt steigt in allen Dörfern die Konzentration des Landbesitzes an: Hatten die 10% reichsten Familien in Bondorf vor 1655 nur 21% des Landes in Besitz, waren es 1655-1724 28%, 1725-1759 30%, 1760-1794 33% und 1795-1829 41%. Nimmt man die reichsten 20%, so besaßen diese vor 1655 in diesem Dorf 38% des Landes, 1655-1724 45%, 17251759 48%, 1760-1794 52% und 1795-1829 59%. Noch ungleicher war die Verteilung des Landbesitzes in Gebersheim: die reichsten 10% der Familien besaßen hier vor 1620 34%, 1620-1654 glatte 50%, 1655-1724 36%, 1725-1759 ebenfalls 36%, 1760-1794 39% und 1795-1829 wie in Bondorf 41%. Das reichste Fünftel der Haushalte nannte vor 1620 schon 56%, 1620-1654 66%, 1655-1724 51%, 1725-1759 53%, 1760-1794 55% und 1795-1829 56% sein eigen. Danach scheint vor dem Dreißigjährigen Krieg in Gebersheim die Konzentration des Landbesitzes ebenso hoch gewesen zu sein wie Ende des 18. Jahrhunderts. Die extremste Konzentration aber weist Gruorn auf: Die 10% größten Landbesitzer verfügten schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts über 35% allen Landes, 1725-1759 über 40%, 1760-1794 über 44% und 1795-1808 über 42%, die 20% größten 1709-1724 über stattliche 55%, dann gar über 64% (1725-1759 und 1760-1794) und schließlich über 65% (1795-1829). Hier zeigt sich der Effekt der Erhaltung der Lehen bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Gruorn: große Landflächen bleiben in der Hand weniger Besitzer, während sich die übrigen 80% der Gruorner Familien auf ein Drittel des Landes beschränkten (beschränken mußten). 46

44

45 46

für eine völlig andere Verteilung des Grundbesitzes: P.Steinle, Vermögensverhältnisse, S.68-84; s.a. F.W.Henning, Paderborn, S. 15-28, 30, 32 für eine ähnliche Verteilung in Paderborn wie in Württemberg; C.Borcherdt, Land, S.56-61 zu den Betriebsgrößen 1882-1983; K.H.Schröder, P.Schröder, Neckarland, S.284; Ergebnisse, S.XXVII; W.Kaschuba, C.Lipp, Überleben, S.18; A.Gestrich, Jugendkultur, S. 183-189 (mit anderen Grenzen); P.Bohl, Studien, S.58 zu den Lorenzkurven s. Kap. 6.1.2. vgl. V.Trugenberger, Schloß, S.300-308 zu Leonberg; C.Simon, Untertanenverhalten, S.178f

87

4.2.2.3. Landbesitz nach Berufsgruppen Differenziert man den Landbesitz nach Berufsangaben, so ergibt sich Tabelle 4.2.2.3.a.

Tab. 4.2.2.3.a. Landbesitz (in ha) nach Berufsgruppen47 Beruf Bondorf Gebersheim 1655-1724 keine Angabe 4,0 Bauer so. Lw. 3,3 Handwerker 2,9 Sonstige 7,4 1725-1759 keine Angabe 6,5 5,6 Bauer 11,8 7,6 so. Lw. 2,2 2,2 Handwerker 4,9 1,9 nied. GA 2,8 Sonstige 13,2 1,6 1760-1794 keine Angabe 5,6 3,8 Bauer 10,5 6,2 so. Lw. 2,2 1,3 Handwerker 4,4 2,1 nied. GA 3,0 Sonstige 16,3 11,1 1795-1829 keine Angabe 4,1 11,8 Bauer 11,3 4,2 so. Lw. 1,7 1,3 Handwerker 2,7 2,1 nied. GA 1,3 1,1 Sonstige 9,4 1,3

Gruorn 33,9 2,2 7,0 13,0 11,5 14,1 0,9 5,4 3,7 2,7 7,0 14,9 0,9 3,3 0,1 0,4 11,8 11,1 1,0 3,1 2,4 1,1

Die Unterschiede zwischen den beiden wichtigsten Gruppen der Bauern, wozu auch ein beträchtlicher Teil der Fälle ohne Angabe zählen dürfte, und der Handwerker sind deutlich. Während der Landbesitz der Bauern in allen Orten bemerkenswert konstant bleibt, reduziert sich der der Handwerker drastisch. Schlechter gestellt als die Handwerker waren die sonstige Landwirtschaft (d.h. im wesentlichen Taglöhner) und die Inhaber der niederen Gemeindeämter, die eben diese aufgrund ihrer Armut bekamen. Die "Sonstigen" weisen vor allem in Bondorf sehr hohe Werte auf, was am Reichtum der Wirte liegt: Diese hatten hier 1725-1759 durchschnittlich 20,6, 1760-1794 25,7 und 1795-1829 9,1 ha in ihrem Besitz. Auch der hohe Gebersheimer Wert von 1760-1794 beruht auf den beiden Wirten, die im Schnitt 20,6 ha besaßen. Daneben waren auch die Bondorfer Schulmeister, die ebenfalls in diese Kategorie fallen, wohlhabend. Dies gilt für die beiden anderen Dörfer nicht. 47

88

in Bondorf vor 1725 keine Berufsangaben; erste Periode in Gruorn 1709-1724

Tab. 4.2.2.3.b. Landbesitz (in ha) nach einzelnen Handwerken Handwerk Bondorf Gebersheim 1725-1759 Bäcker 8,8 2,0 Schuster 7,9 1,8 Wagner 5,3 Schmied 5,0 Metzger 4,8 Sattler 3,8 Schneider 3,4 Weber 3,4 2,2 Maurer 3,1 Zimmerer 1,5 Schreiner 1760-1794 Bäcker 5,3 2,6 Schuster 3,7 1,5 Wagner 9,3 2,6 Schmied 4,2 2,3 Metzger 3,9 Sattler 6,8 Schneider 3,7 1,9 Weber 2,5 2,2 Maurer 1,8 Zimmerer Schreiner 3,4 1795-1829 Bäcker 3,5 0,7 Schuster 1,8 1,9 Wagner 4,0 2,2 Schmied 2,4 Metzger 3,1 Sattler 1,4 Schneider 2,4 1,4 Weber 2,2 2,2 Maurer 2,3 1,9 Zimmerer 1,9 3,7 Schreiner 3,3

Gruorn

0,2 2,6

8,9 0,5 5,6 4,7 5,1 2,7 0,2 2,5 4,8 2,1 8,6 0,6

0,8 3,5 5,2 0,3

Während sich in Gebersheim kaum eine Diversifizierung des Dorfhandwerks erkennen läßt, sondern alle Handwerke konstant bei etwa 2 ha Grundbesitz liegen, zeigt die (am dichtesten besetzte) Bondorfer Spalte deutliche Unterschiede zwischen den Handwerken und den Perioden: Hatten die sechs Bäcker 1725-1759 noch durchschnittlich 8,8 ha Land hinterlassen, vererbten die ebenfalls sechs von 1795 - 1829 nur noch 3,5 ha; der Grundbesitz der Schmiede reduzierte sich im selben Zeitraum auf die Hälfte; Wagner und Sattler, die 1760-1794 gegenüber 1725-1759 deutlich gewonnen hatten, verloren extrem stark. Metzger, Weber und Schneider erreichten 1795-1829 immerhin noch zwei Drittel des Standes von 1725-1759. Reichte es 1725-1759 selbst dem Durchschnittsmetzger noch zu einer mittelbäuerlichen Existenz mit ca. 5 ha Land, kamen 1760-1794 nur noch Wag-

89

ner, Sattler und Bäcker von den stärker besetzten Handwerken auf einen Grundbesitz dieser Größenordnung, 1795-1829 keines mehr. Der Grundbesitz einzelner Handwerksmeister in schwach besetzten Gewerben konnte dagegen auch 1795-1829 noch beträchtliche Ausmaße erreichen: Der Orgelmacher Johann Jacob Weinmar besaß 12,8 ha, während sein Vater und Großvater, die denselben Beruf ausgeübt hatten, 1760-1794 auf 12,7 ha gekommen waren. 48 Trotz der größeren Flächen dürften die Gruomer Handwerker sich kaum von ihren Gebersheimer Kollegen unterschieden haben, rechnet man die geringeren Erträge auf der Alb mit ein. Um eine etwaige Polarisierung einzelner Berufsgruppen erfassen zu können, wurde für die stärker vertretenen Berufsgruppen jeweils unterschieden, ob mehr oder weniger als 5 ha Land vorhanden waren. Diese Untersuchung war nur für Bondorf in einigem Umfang möglich (s. Tabelle 4.2.2.3.C.). Von fünf Gebersheimer Bauern überschritten 1725-1759 alle die 5 ha-Grenze, 1760-1794 dagegen nur acht von 21 und 1795-1829 nur vier von zehn. 16 von 20 Gruorner Bauern lagen 1760-1794 darüber, zehn von 15 1795-1829. Alle fünf Gruorner Taglöhner 17601794 und alle acht 1795-1829 vererbten weniger als 5 ha. Ebenso besaßen alle neun Gebersheimer Taglöhner 1760-1794 und alle elf von 1795-1829 weniger als 5 ha. Alle vier Gebersheimer Handwerker lagen 1725-1759 unterhalb der 5 ha-Grenze, ebenso alle 27 von 1760-1794. Nur 1795-1829 kamen zwei von 37 über diese Grenze. In Gruorn vererbten 1725-1759 fünf von zehn Handwerkern weniger als 5 ha, 1760-1794 35 von 46, 1795-1829 elf von 17. Der Anteil der Handwerker mit weniger als 5 ha, der im 18. Jahrhundert immer deren Mehrheit ausmacht, wächst in allen Dörfern an (sofern das noch möglich war). Der entscheidende Bruch liegt dabei in Bondorf (wo allein ein Urteil möglich ist) ganz am Ende des 18. Jahrhunderts. Die im Detail aufgeführten stärker besetzten Handwerke weisen eine ungünstigere Verteilung auf als alle Handwerke; die Massenhandwerke waren eben die Handwerke der Armen, während die spezielleren wie Orgelmacher, Seiler, auch Wagner und Sattler selbst von Mitgliedern angesehener Familien ausgeübt oder zumindest erlernt wurden - wie auch Bäcker und Metzger stets Berufe waren, die Söhne der Oberschicht erlernten: der Bäcker Johann Georg Weinmar und sein Bruder, der Orgelmacher Johannes Weinmar, waren die Söhne des sehr reichen Gerichtsverwandten Alt Jacob Weimar; 49 Jacob Weinmar, Schultheiß und Sohn des gleichnamigen Schultheißen,50 war Metzger wie Michael Jüngling, Sohn und Bruder zweier Gebersheimer Schultheißen,51 wie Martin Kohler, Sohn eines Gebersheimer Gerichtsverwandten. 52 Der Wagner Hans Philipp Werner war Bondorfer Bürger-

48

49 50 51 52

90

GA BON I 1794 (Elisabeth Weinmer, 1824); I 1761 (Johann Jacob und Maria Barbara Weinmer, 1822); I 922 (Maria Catharina Weinmar, 1780); vgl. den Grundbesitz der Zeugmacher im Schwarzwald: W.Troeltsch, Zeughandelscompagnie, S.258-262 GA BON I 428 (Alt Jacob Weimar, 1745) GA BON I 422 (Jacob Weinmar und Christina Bruckner, 1745) HSTAS A 584 I 363 (Johann Michael Jüngling und Anna Catharina Kogel, 1763) HSTAS A 584 I 296 (Agnes Kohler, 1746): Johann Martin Kohler lernte zu diesem Zeitpunkt Metzger in Ditzingen.

meister, 5 3 die beiden Sattler Jacob Kußmaul (Vater und Sohn) saßen im Gericht. 5 4 Schneider, Weber, Schuster und Maurer dagegen gab es in allen diesen Verwandtschaften keine. Die Gebersheimer Schneider (N = 6 bzw. 4) und Weber (N = 8 bzw. 14) lagen 17601794 und 1795-1829 alle unter 5 ha, ebenso 1795-1829 die Maurer (N = 5), während zwei von sechs Zimmerleuten diese Grenze überschritten. Von fünf Gruorner Weber besaßen 1725-1759 vier mehr als 5 ha, 1760-1794 nur noch drei von 17, 1795-1829 aber wieder drei von sieben. Von acht Zimmerleuten 1760-1794 hatten sechs weniger als 5 ha, von elf Maurern acht.

Tab. 4.2.2.3.C. Anteile der mehr als 5 ha Land Besitzenden und der weniger als 5 ha Besitzenden an einzelnen Berufsgruppen in Bondorf Beruf < 5 ha > = 5 ha N % N % 1725-1759 Bauer 8 12,5 56 87,5 Taglöhner 8 100,0 0 0,0 Handwerker 33 68,8 15 31,3 71,4 Metzger 5 2 28,6 7 87,4 Schneider 1 12,5 Schmied 3 60,0 2 40,0 Bäcker 3 50,0 3 50,0 Weber 6 75,0 2 25,0 1760-1794 Bauer 16 28,1 41 71,9 Taglöhner 5 100,0 0 0,0 Handwerker 46 65,7 24 34,3 Metzger 4 80,0 1 20,0 Schneider 8 72,7 27,2 3 Schmied 4 66,7 2 33,3 Bäcker 5 50,0 5 50,0 Weber 12 92,3 1 7,7 Schuster 5 71,4 2 28,6 1795-1829 Bauer 24 26,7 66 73,3 Taglöhner 18 94,7 1 5,3 Handwerker 70 87,5 10 12,5 Metzger 3 75,0 1 25,0 Schneider 15 88,2 2 11,8 Schmied 4 100,0 0 0,0 Bäcker 5 83,3 1 16,7 Weber 12 100,0 0 0,0 Schuster 8 100,0 0 0,0 Zimmerer 8 100,0 0 0,0 Wagner 4 66,7 2 33,3 Wirt 5 55,6 4 44,4

53 54

GA BON I 201 (Johann Philipp Wörner, 1729) GA BON I 219 (Jacob Kußmaul, 1730); I 747 (Jacob Kußmaul, 1767)

91

Insgesamt scheint die Entwicklung auf eine Vereinheitlichung der Handwerker hinausgelaufen zu sein: auf einem Niveau geringen Grundbesitzes. 4.2.3. Nutzung der Markungen Wie die Markung der einzelnen Dörfer genutzt wurde, läßt sich aus den Steuereinschätzungsakten aus den Jahren 1720-1740 und den Landesaufnahmen der Jahre 1769 und 1774 ersehen.

Tab. 4.2.3.a. Nutzung der Bondorfer Markung (Morgen) 1734 1720 1730 Art der Nutzung Äcker - baubar 3526,88 3565,38 3450,00 - neuöd 55 16,63 161,38 - altöd 118,38 21,88 21,88 - unbaubar 28,50 - Weiden 96,50 96,63 Wiesen 103,00 103,00 103,00 Weingärten 0,00 0,00 0,13 Gärten 40,50 40,50 40,50 Wälder 301,88 301,88 301,88 steuerfrei 299,13 Markungsgröße (Morgen)

4135,90

4428,27

4175,27

1769

1774

4038,88

4038,88

102,88

102,88

40,25 326,01

40,25 326,01

4508,02

4508,02

1769 und 1774 werden auch die Höfe Reuthin und Wurmfelden mitaufgeführt: Reuthin umfaßte 1769 200,75 M Äcker, 21,38 M Wiesen, 2 M Gärten und 58,75 M Wälder, Wurmfelden 138 M Äcker, 11 M Wiesen, 2 M Gärten und 16 M Wälder. 1774 kamen zu Reuthin noch 0,25 M Allmand hinzu, ansonsten gab es keine Veränderungen. 56 Deutlich wird der sehr hohe Anteil des Ackerlandes, die geringfügige Rolle der Wiesen und Gärten. Bedeutende Veränderungen scheinen 1720-1774 nicht vorgekommen zu sein, wobei zu beachten ist, daß die steuerfreien Äcker nur 1730 aufgeführt sind. Die Reserven an kultivierbarem Ödland waren schon Anfang des 18. Jahrhunderts unbedeutend. Sie umfaßten je nach Schätzung nur zwischen 2,8 und 6,7% der Gesamtfläche. Ein Teil dieses Ödlands wurde außerdem zu Wäldern umgelegt: zumindest umfaßten diese 1769 und 1774 25 Morgen mehr. Die Höfe Reuthin und Wurmfelden weisen im Vergleich zum Dorf deutliche Abweichungen auf, der Wiesen- und Waldanteil liegt deutlich höher, der Prozentsatz des Ackerlandes ist mithin geringer.

55 56

92

neuöd = 1720: seit dem letzten französischen Krieg öde s. HSTAS A 261 Bü 1263 (Landschaftliches Steuerkataster, Nagold, 1720) 1720: HSTAS A 261 Bü 1263; 1730: HSTAS A 261 Bü 1267 (Steuersubrevisionsrelation mit Beilagen, Nagold, 1730); 1734: HSTAS A 261 Bü 1266 (Untersuchung über die Steuersubrevision von 1730, Nagold, 1734); 1769: HSTAS A 8 Bü 88 (Statistische Verfassung Württembergs 14.1.1769, Nagold); 1774: HSTAS A 8 Bü 91 (Statistische Verfassung Württembergs 27.4.1774, Nagold)

Vor allem der Mangel an Wiesen wurde schon 1720 beklagt, da er zusammen mit dem Mangel an Weiden nur eine geringe Viehhaltung erlaube: Waldweide existiere gar nicht und ansonsten nur die Stoppelweide nach der Ernte. 5 7 Damit fehle es an Dung wiederum vor allem für die Wiesen, die nur mit teuren Salzaschen gebessert werden könnten, so daß sie nur geringen Ertrag gäben. 5 8 Der gleiche Circulus gelte auch für die Gärten. 5 9 Die Weide auf den altöden Feldern (seit 1635 wüst) sei kein Ersatz, da diese in trockenen Jahren gar nichts brächten: 60 " . . . nun ist wahr, daß dißer sonst wohl Situirte Fleckh der Waiden halber gegen andern orthen im Land sehr Unglückl. ist, dann wann selbiger mit derg. und mehrern Wisen versehen wäre, so würde es in allen Stückhen besser stehen, ..." 6 1 Der Viehbesitz in Bondorf war reglementiert: Jeder Bürger dürfte nur so viel Großvieh halten, wie er aus eigenem Futter über den Winter bringen konnte. 6 2 Die altöden Felder wurden daneben auch zum Spreitten von Flachs und Hanf vom ganzen Ort genutzt. 63 Wiesen und Gärten konnten nur zum kleinen Teil bzw. gar nicht gewässert werden. 6 4 Als Ausweg aus dem Dilemma von wenig Wiesen und geringen Weiden mit der Folge geringen Viehbestands, wenig Dungs und geringer Erträge bot sich die Stallhaltung des Viehs an: " . . . in Betrachtung ein Bürger diß orths in ermanglung der Commun-Waldungen ganz keine Beholzung, Wegen deß Wenigen Wieß-Wachßes auch also schlechte Weidung zu genießen habe, daß dahero das Vieh die meiste Zeit deß Jahrs im Stall erhalten werden müße ... " 6 5 , die aber 1722 offenbar noch als schwerer Nachteil galt - mindestens gegenüber den Steuereinschätzungskommissaren. 66 1734 wurden die Bondorfer Wiesen und Gärten gleich schlecht beurteilt. 67 Die Weiden auf den altöden Felder konnten nur mit Schafen genossen werden. 68 Im Vergleich mit den übrigen Orten des Amtes Nagold 1720 bestätigt sich der geringe Wiesenanteil Bondorfs. 69 Den Gäugemeinden mit sehr hohen Anteilen an Ackerland, stehen die Schwarzwaldgemeinden mit niedrigen Anteilen gegenüber. Bondorf, Schietingen, Hochdorf, Haiterbach und Nagold haben Anteile von dauernd genutzten Äckern von über 85%, eine vermittelnde Gruppe von Dörfern mit Schwandorf, Emmingen und Iselshausen liegen um die 70%, Bösingen, Beihingen, Ebershardt und Warth erreichen keine 50%. Die Kehrseite sind entsprechend kleine Wiesen- und Weidenflächen in den Dörfern und Städten der ersten Kategorie, wobei Bondorf mit 5,3% Wiesen und Weiden die letzte 57

58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69

HSTAS A 261 Bü 1264 (Bericht über die Steuerrevision, Bondorf, 1720); vgl. die Regelung der Weidenutzung in: GA BON R 116 (Flecken- und Grenzbeschreibung, 1716), fol. 717R - 753R; W . A . B o e l c k e , Wohlstand, S.257-259 H S T A S A 261 Bü 1264 (Bericht über die Steuerrevision, Bondorf, 1720) HSTAS A 261 Bü 1264 H S T A S A 261 Bü 1264 H S T A S A 261 Bü 1264, fol. 28R G A BON R 116 (Flecken- und Grenzbeschreibung, 1716), fol. 717V HSTAS A 261 Bü 1264 (Bericht über die Steuerrevision, Bondorf, 1720) H S T A S A 261 Bü 1264 HSTAS A 261 Bü 1265 (Kanzleiakten über die Steuerrevision, Nagold, 1720-1730): Schrr. vom 6 . 2 . 1 7 2 2 und 18.5.1722 vgl. W.A.Boelcke, Wirtschaftsgeschichte, S.98; K. von Vambüler, Beitrag, S.65-68 zur Bedeutung der Stallfütterung; D.Saalfeld, Produktion, S.148 H S T A S A 261 Bü 1266 (Untersuchung über die Steuersubrevision von 1730, Nagold, 1734) HSTAS A 261 Bü 1267 (Steuersubrevisionsrelation mit Beilagen, Nagold, 1730) H S T A S A 261 Bü 1263 (Landschaftliches Steuerkataster, Nagold, 1720)

93

Stelle einnimmt. Acker ist dabei natürlich nicht gleich Acker: wurde ein Morgen Bondorfer Ackers 1720 um 18,8 fl angeschlagen, war dieselbe Fläche in Bösingen nur um 8,0 fl eingeschätzt worden. Bondorf hatte nach der Stadt Nagold den höchsten Steueranschlag der Äcker. 7 0 Auf der Ebene des ganzen Amtes läßt sich auch der Vergleich mit der Zeit vor 1635 ziehen: 1655 gab das Amt an, 1629 seien 13485 Morgen 1 Viertel Äcker vorhanden gewesen, 71 1655 nur noch 7324 Morgen (1720 waren es alle Kategorien zusammen 13318,8 Morgen), an Wiesen, Gärten und Ländern seien es 1629 wie 1655 1365 Morgen 1,5 Viertel (1720: 1795,9 Morgen), an Wäldern 1629 897,5 Morgen, 1655 826,5 Morgen. 7 2 1720 waren die Schäden des Dreißigjährigen Krieges völlig ausgeglichen. Eine Rodungs- und Kultivierungsphase hatte um 1700 begonnen: 1717 baten die Nagolder um Genehmigung, 210 Morgen Ödland kultivieren zu dürfen, wobei herauskam, daß sie schon seit zwanzig Jahren Wald gerodet und in Ackerland verwandelt hatten. 73 Auch die Einwohner von Warth hatten einige Jahre vor 1716 angefangen 60 Morgen Egarten und Wald zu roden, wofür sie vom Forstamt Altensteig, da sie nicht vorher angefragt hatten, bestraft worden waren. 1716 waren 12-13 Morgen angeblümt. 74 1730 wurde den Bondorfer Besitzern ödliegender Güter bedeutet, "daß sie solche in Cultur bringen oder anderen inner Jahrsfrist überlaßen müßten."75 1728 fanden sich auch in Gebersheim angebaute Neubrüche, die also in den Jahren zuvor kultiviert worden sein müssen. 76 Die Rodungen zogen sich hier allerdings länger hin: Noch 1767 wurden sieben Morgen zur Rodung freigegeben, 77 1776 wurden junge Bürger vom Flecken ermutigt, ein Stück Land zu kultivieren, das ihnen umsonst überlassen wurde. 78

70

71

72 73 74 75

76 77 78

94

HSTAS A 261 Bü 1263: Nagold 20,9 fl/M, Bondorf 18,8 fl/M, Hochdorf 10,9 fl/M, Schietingen 14,2 fl/M, Haiterbach 10,1 fl/M, Bösingen 8,0 fl/M, Beihingen 11,1 fl/M, Schwandorf 13,5 fl/M, Warth 9,4 fl/M, Ebershardt 9,6 fl/M, Emmingen 11,0 fl/M, Iselshausen 12,5 fl/M; bei den Wiesen sah es anders aus: 1 Morgen Wiese ergab in Nagold 67,2 fl Steuerkapital, in Bondorf 37,3, in Hochdorf 37,7, in Schietingen 67,6, in Haiterbach 35,6, in Bösingen 17,2, in Beihingen 26,9, in Schwandorf 45,2, in Warth 12,4, in Ebershardt 15,5, in Emmingen 16,3, in Iselshausen 49,3. 1734 blieb die Abstufung ähnlich: Nagold 23 fl/M, Bondorf 22 fl/M, Haiterbach 19 fl/M, Hochdorf 20 fl/M, Schwandorf 18 fl/M, Emmingen 19 fl/M, Schietingen 18 fl/M, Iselshausen 18 fl/M, Warth 10 fl/M, Bösingen 14 fl/M, Ebershardt 14 fl/M, Beihingen 15 fl/M, wobei jetzt allerdings zelgliche von unzelglichen Ackern getrennt wurden (letztere außer in Hochdorf (7 fl/M) um 4 fl/M angeschlagen) (HSTAS A 261 Bü 1266 (Untersuchung über die Steuersubrevision von 1730, Nagold, 1734)) Darunter seien aber sehr "rawe" Güter gewesen "mit brennen, hackhen Ußreutten underschidliche Fleckhen, alß zue Wartt, Ebershardt Beyhingen Und Bößingen müeßen zueweeg gebracht, Hochdorff desgleichen noch in 300 Jaucherten, die der darauff stehenden gülten nicht wert seyen": HSTAS A 261 Bü 1262 (Einrichtung des Steuerfußes, Nagold, 1607) HSTAS A 261 Bü 1262 HSTAS A 206 Bü 3990 (Urbarmachungen, Nagold, 1717-1718) HSTAS A 206 Bü 3989 (Novalzehnt, Warth, 1716) HSTAS A 261 Bü 1268 (Beilagen zur Steuersubrevisionsrelation, Nagold, 1730), fol. 27R - 28V (Marginalie zu Punkt 17); vgl.a. GA BON I 814 (Catharina Kußmaul, 1773): 7,5 Viertel Wüstfeld so jetzt als Acker gebaut. HSTAS A 584 I 238 (Clara Kohler, 1728) HSTAS A 584 provisor. B 2 (Gerichtsprotokolle, 1753-1794), fol. 71R (20.11.1767) HSTAS A 584 provisor. B 2, fol. 123R-124V (23.4.1776); selbst 1800 wurden Neubrüche erwähnt: HSTAS A 584 I 574 (David Schäfer und Ester Dorothea Mörk, 1800); B.H.Slicher van Bath, History, S.200-204 zu Landgewinnung und Getreidepreisen

1769 waren es im gesamten Amt Nagold 16156,7 Morgen Äcker, 532,6 Morgen Mehefelder, 1939,1 Morgen Wiesen, 355,4 Morgen Gärten und 6926,8 Morgen Wald sowie 2663 Morgen Allmand. Die seit 1720 sichtbar werdende Expansion kann allerdings auch nur scheinbar sein, da 1720 nur die steuerbaren Güter, 1769 aber alle erfaßt wurden. 1774 waren es 16538 Morgen Äcker, 512,8 Morgen Mehefelder, 1944,6 Morgen Wiesen, 355,5 Morgen Gärten, 6909,7 Morgen Wald und 2522 Morgen Allmand, d.h. in diesen fünf Jahren dehnten sich Äcker und Wiesen aus, während Wälder, Mehefelder und Allmanden kleiner wurden: 16,5 Morgen Wald und 170,5 Morgen Allmand wurden neu angebaut; in Bondorf ergab sich dabei keine Veränderung. Allerdings hatte sich zwischen 1769 und 1774 auch die Markung von Schietingen um 200 Morgen vergrößert (wohl ein früherer Meßfehler), so daß prozentual nur unwesentliche Veränderungen auftraten. 7 9 Die Tabellen von 1769 und 1774 modifizieren durch die Einbeziehung der Communwaldungen außerdem das Bild der Landnutzung von 1720: Bondorfs enormer Anteil von Ackerland (90%) hebt sich deutlich von allen anderen Gemeinden ab, von denen keine auch nur 70% erreicht (die Höfe Reuthin und Wurmfelden beiseite gelassen). 80 Als das Amt Herrenberg 1655 Bilanz über die Verluste durch den Krieg zog, ermittelte es folgende Werte für die einzelnen Landkategorien: 81 Tab. 4.2.3.b. Landnutzung im Amt Herrenberg 1628 und 1655 (Morgen) Landnutzung 1628 1655 1655 in % von 1628 Äcker 19239,0 13191,0 69 Wiesen/Gärten 1524,5 1463,0 96 Weingärten 452,6 106,0 23 Privatwälder 791,0 728,0 92

Die Angaben für 1628 beziehen sich auf die damals versteuerten Güter, während die für 1655 die umgebrochene und angebaute Ackerfläche angeben, d.h. die Zahl für 1628 könnte durch die Einbeziehung wüstliegender Güter überhöht sein. Insgesamt erscheinen die Verluste geringer als im Amt Nagold. Tab.8 24.2.3.C. Nutzung der Markungen von Tailfingen, Nebringen und Mötzingen 1724 (%) Nutzung Äcker Wiesen Gärten Länder Weingärten Weiden Wälder

79 80 81 82

Tailfingen 81,0 5,5 0,7 0,2 0,7 11,9

Nebringen 80,0 3,1 0,3 0,8 1,1 14,7

Mötzingen 73,3 4,3 1,1 0,0 4,3 17,0

HSTAS A 8 Bü 88 (Statistische Verfassung Württembergs 14.1.1769, Nagold) und 91 (Statistische Verfassung Württembergs 27.4.1774, Nagold) HSTAS A 8 Bü 91 HSTAS A 261 Bü 1052 (Berichte in Steuerrevisionssachen, Herrenberg, 1718) HSTAS A 261 Bü 1053 (Summarische Tabellen zur Steuerrevision, Herrenberg, 1720): Tailfingen und Nebringen, 1055 (Summarische Tabellen zur Steuerrevision, Herrenberg, 1720): Mötzingen

95

Alle drei Dörfer passen sehr gut zu Bondorf: läßt man die Wälder unberücksichtigt, erreichen die Ackerlandflächen überall ca. 90%. 8 3

Tab. 4.2.3.d. Nutzung der Markungen von Tailfingen, Nebringen und 1774 Tailfingen Nebringen 1774 1774 1769 1769 Äcker 81,8 79,8 77,2 75,6 4,5 7,2 8,0 Wiesen 6,4 0,7 0,0 Weingärten 0,0 0,0 Gärten/Länder 0,8 0,8 0,3 0,3 Wald 11,6 11,6 15,0 15,0 0,5 Allmand 0,5 1,1 1,1

Tab. 4.2.3.e. Nutzung der Markung von Gebersheim (%) 84 1629 1655 1718 1731 81,4 92,7 Äcker 91,0 68,3 Wiesen 4,8 14,5 4,1 3,1 Weingärten 2,0 1,5 4,2 4,1 Länder 0,2 0,1 1,0 0,7 Gärten ? ? ? Wald 26,3

und Mötzingen 1769 Mötzingen 1769 1774 73,0 71,7 8,0 7,9 0,0 0,0 1,6 1,6 17,4 18,9 0,0 0,0

1769 69,4 3,1 0,8 -

0,7 26,0

1774 69,4 3,1 0,8 -

0,7 26,0

Die Gebersheimer Steuersetzer beklagten die Qualität der Wiesen ("daß das Wüßenthäle zimlich tieff und zwischen beeden ackher Zellgen So an bergen und Rheinen situirt lige, von welchem bei entstehendem Waßergüßen, das Wüßen Thälen sogleich von Stein, Küß und Erden überschwembt und öffters vollkommen ruinirt werde, über dises haben die Wüßen nicht nur Einen gar dürren und Schwartzen Boden worauff alles außbrenne, sondern seyen auch der völligen Wildfuhr underworffen ,..") 8 5 und des Weins ("... der Wein zu Geberßen fast nicht änderst als wie Essich seye ..."). 8 6

83 84

85 86

96

HSTAS A 8 Bü 86 (Statistische Verfassung Württembergs 14.1.1769, Herrenberg), 90 (Statistische Verfassung Württembergs 27.4.1774, Herrenberg); vgl. Ergebnisse, S.XIX für Oschelbronn HSTAS A 261 Bü 1126 (Errichtung des Steuerfußes, Leonberg, 1629): auch für 1655 (Communwälder nicht aufgeführt, unter Wiesen auch Gärten und Länder), Bü 1128 (Steuerrevision, Leonberg, 1713): für 1718, Bü 1134 (Protokoll der Steuersubrevision, Leonberg, 1731); A 8 Bü 87 (Statistische Verfassung Württembergs 14.1.1769, Leonberg), 90 (Statistische Verfassung Württembergs 27.4.1774, Leonberg) HSTAS A 261 Bü 1134 (Protokoll der Steuersubrevision, Leonberg, 1731), fol. 193V HSTAS A 261 Bü 1134, fol. 194R; Weingärten wurden denn auch in Äcker umgewandelt: HSTAS A 584 I 459 (Catharina Deeg, 1783); vgl. K.H.Schröder, Weinbau, S.152; s.a. P.Bohl, Stockach, S.229 für Stockach

Tab. 4.2.3.f. Nutzung der Markung von Gruorn (%) 8 7 1738 1769 39,4 44,1 Äcker Wiesen 2,6 3,1 Gärten 0,8 0,7 Mäder 21,1 19,1 Weiden 17,7 17,3 18,0 16,2 Wald

1774 44,8 2,7 0,7 17,9 17,6 16,4

In Gruorn war alles mit Fehlern behaftet: die Äcker waren sehr steinig und hart zu bauen, Wild und Schnee schadeten ihnen. Die Mäder waren schlecht, den Gärten fehlten die Bäume und der Futternutzen wurde eher gering veranschlagt, die kommunalen Weiden schließlich trugen schlechtes Heidegras, waren teilweise überwachsen und in nassen Jahren mit dem Vieh kaum zu gebrauchen. 88

Tab. 4.2.3.g. Nutzung der Markung von Wangen (%) 8 9 1717 1731 5,2 Äcker 5,2 Wiesen 17,7 8,7 Weingärten 22,3 22,3 Gärten 3,0 3,0 Länder 2,2 1,6 "Bandheggen" 1,4 39,8 39,9 Wald Allmand 17,3 öd 0,1 Weide 10,3

1769 6,0 13,8 21,9 4,0 -

40,0 14,4

1774 6,1 14,1 22,3 4,1 -

40,9 12,5

-

1731 wurden die "Bandheggen" zu den Wiesen gezählt, außerdem wurde die Allmand auf Wiesen und Weide aufgeteilt. Die übrigen Kategorien bleiben weitgehend stabil. Wechselt man von der dörflichen auf die Ebene der einzelnen Haushalte, zeigt sich, daß in Bondorf nach 1655 der Wiesenanteil um so höher liegt, je mehr Land ein Haushalt besaß, der Ackeranteil dagegen um so niedriger. Beim Anteil des Waldes gibt es keine eindeutige Tendenz, ebenso wie vor 1655 größere und kleinere Landbesitzer kaum differieren. In Gebersheim haben große Landbesitzer vor 1724 einen höheren Anteil an

87

88 89

HSTAS A 261 Bü 1620 (Weitere Untersuchung über die Steuersubrevision von 1729, Urach, 1738); A 8 Bü 88 (Statistische Verfassung Württembergs 14.1.1769, Urach), 92 (Statistische Verfassung Württembergs 27.4.1774, Urach) HSTAS A 261 Bü 1620 (Weitere Untersuchung über die Steuersubrevision von 1729, Urach, 1738), fol. 294V - 301R; W.Schlegel, Gruorn, S.29f; Beschreibung Urach, S.651f HSTAS A 261 Bü 901 (Spezialtabelle und Berechnung des Fundum collectabilum, Wangen, 1717), 912 (Steuersubrevision, Cannstatt, 1728-1732): für 1731; A 8 Bü 85 (Statistische Verfassung Württembergs 14.1.1769, Cannstatt), Bü 89 (Statistische Verfassung Württembergs 2 7 . 4 . 1 7 7 4 , Cannstatt)

97

Äckern und einen niedrigeren an Weinbergen als kleine; für Wiesen gibt es keine klare Tendenz. 1725-1759 nehmen bei großen Landbesitzern Ackerland und Wiesen einen größeren Teil, Weinberge einen kleineren ein als bei kleineren Besitzern. Nach 1760 schließlich sind die Ackeranteile bei allen Landgrößen ausgeglichen, große Landbesitzer aber haben einen höheren Wiesenanteil und einen niedrigeren Weingartenanteil als kleine. In Gruorn steigt mit dem Umfang des besessenen Landes auch der Anteil an Äckern, während der Anteil an Mädern fallt. Die Struktur der landwirtschaftlichen Betriebe ist um so günstiger je größer sie sind. Große Bauern haben in Bondorf nicht nur absolut, sondern auch relativ mehr Wiesen, in Gebersheim mehr Ackerland und in Gruorn weniger Mäder als kleine. Der Mangel an Wiesen in Bondorf wirkte sich auf die reichen Bauern weniger aus als auf die armen. Zwischen den drei betrachteten Dörfern gibt es - wie erwartet - deutlich Unterschiede in den relativen Anteilen von Äckern, Wiesen, Gärten etc.: In Bondorf nehmen die Äcker etwa 90% der Fläche ein, die Wiesen 2%, die Gärten 1% und die Wälder ca. 8%. In Gebersheim waren vor 1725 nur etwa 80% der Gesamtfläche Ackerland, aber 7% Wiesen und 8-9% Weingärten. Nach 1725 gleicht sich Gebersheim an Bondorf an: 90% Äcker, 4% Wiesen, 3% Weingärten. 90 Völlig andere Verhältnisse herrschten in Gruorn: vor 1760 waren nur 60% der Gesamtfläche Äcker, 4% Wiesen, aber 38% Mäder; nach 1760 lag der Ackeranteil noch niedriger (bei ca. 50%), der Wiesenanteil deutlich höher (6-8%), der Mäderanteil etwas (40%). 91 4.2.4. Umwandlung von Ackerland in Wiesen 92 Da der Bondorfer Zehntherr, das Kloster Bebenhausen, eine Einbuße an seinen Einkünften erlitten hätte, wenn Äcker in Wiesen umgewandelt wurden (der Heuzehnt stand der Pfarrei zu), war es durch die Abreichung eines Geldbetrages zu entschädigen. Dasselbe galt für Äcker, auf denen Klee angebaut wurde. Aufgrund dieses Surrogatzehnten läßt sich der Umfang der zu Wiesen umgelegten Äcker nachvollziehen.93

90 91

92 93

98

zur Entwicklung des Weinbaus s. B.H.Slicher van Bath, History, S.217; K.H.Schröder, Weinbau, passim zur Markungsnutzung s.a. P.Steinle, Vermögensverhältnisse, S. 127-130; P.Bohl, Studien, S.96-98; F.W.Henning, Paderborn, S.37-45 (dort Typologie aufgrund des Wiesenanteils: Bondorf, Tailfingen, Nebringen, Mötzingen und Gebersheim gehören danach zur Getreidewirtschaft, Gruorn zur GetreideFutterwirtschaft. Wangen läßt sich aufgrund dieser Typologie nicht einordnen); C.Borcherdt u.a., Landwirtschaft, S.48-50; F.Göttmann, Getreidemarkt, S.334-336 auch die umgekehrte Erscheinung kam vor: Wiesen, die in Ackerland verwandelt wurden: HSTAS A 584 I 677 (Christian Maier, 1821) HSTAS H 102/8 Bd 163 (Beilagerbuch der Pflege Roseck, II.Teil, 1772-1800), S.655-657, 659, 673f, 1, 29f zum Surrogatgeld; im Herrenbergischen gab es vor 1635 eine etwas diffuse Bewegung: "... Veld Güether nicht beständig in ihrem Esse verbleiben, sondern Ain ackher etwan zum Wißwachß gerichtet, dann wider zum paw Umbgebrochen, oder nachdem er Leberküßig oder sonsten kain nütz, auch der Inhaber im paw fahrläßig ist, bald gahr zuo ainer Eagrth und wüest gelegt würdt, Inmaßen sich dißer Zeit im Ambt derselben Egarth Und wüstinen nicht nur Ainhundert Jauchert ... befunden ..." (HSTAS A 261 Bü 1051 (Errichtung des Steuerfußes, Herrenberg, 1629): Sehr. v. 6.10.1629); zum Kleeanbau s. B.H.Slicher van Bath, History, S.278-280; O.Ulbricht, Landwirtschaft, S.280-307;

1710 reichten diesen Surrogatzehnten 6 Morgen (0,14% des Ackerlandes), wobei es bis 1747 blieb. 1747 waren es 94 Morgen (2,23%), 1749 101 Morgen (2,39%), 1751 115 Morgen (2,73%), 1753 129 Morgen (3,06%), 1754 152 Morgen (3,6%), 1755 183 Morgen (4,34%), 1756 188 Morgen (4,45%), 1762 242 Morgen (5,74%) und 1773 245 Morgen (5,8%). 1779 waren es ebenfalls 245 Morgen, wobei aber jetzt die Fläche des Hofes Hohenreuthin, der eine besondere Zehntvereinbarung getroffen hatte, an der Gesamtackerfläche abgeht, so daß diese 245 Morgen 5,98% ausmachen. 1780 wurden 317 Morgen Ackerland als Wiesen genutzt (7,74%), 1783 331 Morgen (8,08%), 1784 362 Morgen (8,83%), 1798 419 Morgen (10,22%), 1800 505 Morgen (12,32%), 1804 541 Morgen (13,2%). 1803 waren es ebenfalls 541 Morgen gewesen - unter Einschluß von Hohenreuthin, so daß diese nur 12,83% ausgemacht hatten. Genannt wurden jeweils die Jahre, in denen die Fläche, die den Surrogatzehnten reichte, sich vergrößert hatte. Ali Zeiten eines schnellen Anwachsens der umgelegten Ackerflächen (s. Abb. 9.8.) erscheinen die Jahre zwischen 1747 und 1756, worauf für fünf Jahre keine weitere Ausdehnung folgte. 1762 wuchs sie dagegen wieder stark, stagnierte danach aber bis 1780. Von 1780 bis 1784 folgt eine neuerliche starke Expansion, an die sich wieder eine längere Phase der Stagnation bis 1798 anschließt. Die letzte erfaßte starke Ausdehnungsphase umschließt den Rest der dokumentierten Zeit bis 1804. Insgesamt existieren also drei starke Wachstumsperioden: 1747-1762, 1780-1784, 1798-(1804). Ein Zusammenhang der Stagnationsphasen mit den Krisenjahren der frühen 1770er und 1790er scheint zumindest wahrscheinlich. Der Prozentsatz für solcherart genutzte Äcker aus den Inventuren und Teilungen beträgt nur die Hälfte dieser 13%, was einerseits daran liegen könnte, daß diese künstlichen Wiesen in den Inventuren zum Teil als Wiesen aufgeführt wurden, andererseits aber seinen Grund darin hat, daß die Inventuren Änderungen nur mit Zeitverzögerung widerspiegeln und Durchschnitte, die auf ihnen basieren, sich stets über einen längeren Zeitraum erstrecken. 4.2.5. Angebaute Produkte Um Veränderungen bei der Nutzung des Ackerfeldes zu erfassen, wurden alle Inventuren herangezogen, die Angaben zur Aussaat im Winter- und Sommerfeld enthielten. Ab 1804 allerdings wurde in Bondorf die Blum nur noch summarisch ohne genaue Spezifikation angegeben, nämlich als "Dinkelblum", wenn es sich um das Winterfeld handelte, als "Haberblum" bezüglich des Sommerfeldes. 94 Für diese Zeit wurden dementsprechend nur Inventuren herangezogen, die die ausgesäte Frucht tatsächlich spezifizieren. In Gebersheim war die Verzeichnung der genauen Winter- bzw. Sommerblum wesentlich ungleichmäßiger: vor 1725 enthielt nur eine einzige Inventur detaillierte Angaben; 95

94 95

vgl. a. T.Knapp, Neue Beiträge I, S.154; K.Herrmann, Pflügen, S.144f; A.L.Head-König, Prestations, S.261f Angaben wie in GA BON I 1589 (Anna Maria Kußmaul, 1814): Haberblum als Wald: 0 oder Haberblum als Garten: 0 finden sich häufig. HSTAS A 584 I 216 (Hans Sautter, 1718)

99

1725-1759 fanden sich in den meisten Inventuren nur Angaben über Dinkel- und Haferblümen, ob es sich tatsächlich um ausgesäten Dinkel bzw. Hafer handelt oder nur um die Synonyme für Winter- bzw. Sommerblum, war im Einzelfall nicht zu entscheiden. Hier ist also Vorsicht geboten. Auch danach enthielt eine beträchtliche Anzahl von Inventuren immer nur die pauschalen Angaben. Nach 1806 wurde die detaillierte Blum in keinem Fall mehr verzeichnet, wie es auch 1795-1798 schon der Fall gewesen war. Die Pauschalität der Angaben läßt sich wie in Bondorf an Formulierungen wie: "Dinkelblum 0 fl, weil es Waßboden" oder "Dinkelblum 0 fl, weil es Hanfland" ablesen. 9 6 Für Gruorn war die Untersuchung dieser Frage nicht möglich: Für die Lehen wird die Blum stets nur pauschal als Winter- oder Sommerblum (bzw. Dinkel- oder Haberblum) angegeben. Die Dreifelderwirtschaft wird im gesamten Zeitraum beibehalten. Der Anbau von Winterfrüchten im Haberfeld bzw. von Sommerfrüchten im Dinkelfeld bleibt quantitativ unbedeutend. Leider können für das Brachfeld keine ähnlichen Angaben gemacht werden: Werte für Klee und "Wieswachs" gingen in die Inventuren nicht ein (dasselbe gilt für Kraut, Flachs, Hanf), d.h. künstliche Wiesen oder Kleefelder auf der Brache brauchten für die Inventur nicht berücksichtigt zu werden, da sie ohne Auswirkung auf die Höhe des Vermögens waren. Lagen sie dagegen in den bebauten Ackerteilen, wurden sie spezifiziert, um das Fehlen eines Wertes für eine andere Blum zu begründen. Immerhin gibt es verstreute Hinweise auf Anlage von Wiesen und Kleefelder, auch für den Anbau anderer Produkte im Brachfeld. 97 Schon 1734 hieß es, daß es in Bondorf keine Länder gebe, sondern alljährlich Kraut, Flachs und Hanf in der Brache angebaut würden. 9 8 1756 wurden "außer Zeig" Hanf und Dinkel auf kleinen Parzellen der eigentlich brachliegenden Zeig Wolfenhausen angebaut, 99 1825 "Grundbiren". 1 0 0 Berücksichtigt man die Pauschalität der Angaben ab 1804, werden die Hinweise auf die Einbeziehung der Brache in den Anbau ab den 1790er Jahren dichter. 1 0 1 Im Winterfeld steigt nach 1760 der Dinkelanteil von ca. 60% auf 75%, während die Anteile von Roggen und Gemischtkorn 102 von 25 auf 12% bzw. von 8% auf nahezu 0 fallen. Der Roggenanteil reduziert sich dann 1795-1829 noch einmal auf die Hälfte (6%). Außer Dinkel erhöht allein die Gerste ihren Anteil nach 1760, zuerst auf immer noch bescheidene 1,2%, dann aber auf 5,5% (1795-1829). Schlechtere Böden, die vor 1760 mit Roggen und Gemischtkorn bebaut worden waren, wurden danach auch in Wiesen und Kleefelder umgewandelt (1760-1794: 3,6%, 1795-1829: 6,4%). 1 0 3 Da die Länder, die es 96 97

98 99 100 101 102 103

100

s. HSTAS A 584 I 504 (Tobias Prophet, 1793); I 550 (Johann Martin Bauser, 1797) GA BON I 582 (Hans Kußmaul, 1756); I 799 (Barbara Kußmaul, 1773); I 989 (Ursula Müller, 1784); I 1036 (Hans Katz, 1787); I 1095 (Anna Maria Gauß, 1791); I 1191 (Maria Magdalena Lutz, 1795); I 1209 (Urban Weinmar, 1796); I 1281 (Anna Maria Kußmaul, 1799); I 1286 (Anna Maria Egeler, 1799); I 1588 (Jacob Kußmaul, 1814); I 1804 (Anna Maria Raißle, 1824); I 1825 (Jung Johannes Wörner, 1825); zu den einzelnen Produkten: H.Jänichen, Beiträge, S.98-104; K.Göriz, Beiträge, S.91-110; K. von Varnbüler, Glemsgau, S.269 zu Hemmingen; s.a. HSTAS A 284/81 Bü 217 (Zehntgeldnachlaßgesuch, Bondorf, 1798-1799); auch für zu Wald umgelegte Äcker war ein Surrogatgeld zu entrichten (wie für Kleewiesen). HSTAS A 261 Bü 1266 (Untersuchung über die Steuersubrevision von 1730, Nagold, 1734) GA BON I 582 (Hans Kußmaul, 1756) GA BON I 1825 (Jung Johannes Wörner, 1825) vgl. K. von Varnbüler, Glemsgau, S.189f; K. von Varnbüler, Beitrag, S.VIf zum Gemischtkorn s. B.H.Slicher van Bath, History, S.263f K. von Varnbüler, Glemsgau, S.193f; vgl.a. F.Göttmann, Getreidemarkt, S.336-338

auch in der Brache gegeben zu haben scheint, 104 ebenfalls mit Hanf, Flachs, Kraut, Rüben und Kartoffeln bepflanzt wurden, außerdem die "leeren" Parzellen wahrscheinlich zu "Ländern" bestimmt waren, empfiehlt sich die Zusammenfassung all dieser Kategorien: 1690-1724 1%, 1725-1759 1,6%, 1760-1794 2,1%, 1795-1829 3,0%. Trotz dieses immer bescheidenen Anteils darf die Bedeutung dieser Produkte für die Selbstversorgung (und im Falle von Hanf und Flachs wohl auch den Handel) 105 nicht unterschätzt werden. Auch für das Sommerfeld markiert 1760 einen Einschnitt: der Haferanteil fällt von 70% auf 50% bei gleichzeitiger Expansion der Hülsenfrüchte (v.a. der Wicken) mit Ausnahme der Erbsen, die 1795-1829 deutlich verlieren. Bohnen treten gar erst nach 1760 auf. 1 0 6 Wie im Winterfeld erhöht auch im Sommerfeld Gerste ihren Anteil von 0,7 - 0,8% auf 1,8% (1760-1794) und 3,8% (1795-1829). Die in Ländern angebauten Produkte (zusammen mit den leeren Parzellen) erhöhen ihren Anteil von 0 (1690-1724) auf 2,1 (1725-1759) und 5,9% (1760-1794). Danach halten sie 3,8%, d.h. ihr Anteil ist bedeutender als im Winterfeld. 107 Klee und Wiesen steigern ihren Anteil von 1,5 über 3,5 auf 7,4%, also in etwa im gleichem Ausmaß wie im Winterfeld. 108 Festzuhalten ist also, daß die Fruchtarten, die für die menschliche Ernährung von zentraler Bedeutung waren (Dinkel, Hülsenfrüchte, "Länder"), ihre Anteile nach 1760 ausdehnen. Hierzu rechnet auch die Gerste - im Zusammenhang mit der Konjunktur der Bierbrauerei im späten 18. Jahrhundert. Expansiv entwickeln sich auch diejenigen Produkte, die als hochwertiges Viehfutter Verwendung finden (Wicken, Klee, Wiesen). 109 Demgegenüber verlieren die typischen Kompromißprodukte "kalter" und schlechter Böden, Roggen und Gemischtkorn, und der weniger vielfaltig einzusetzende und ertragsschwache Hafer. Drei von den vier Fruchtarten, in denen die Feudalabgaben zu entrichten waren (Roggen, Dinkel, Hafer und Erbsen), 110 konnten nach 1760 ihre Bedeutung nicht wahren - ein Hinweis auf bessere Erträge und sinkende Feudallasten? 4.2.6. Vorratshaltung Die bei der Inventarisation aufgezeichneten Vorräte der einzelnen Haushalte spiegeln einerseits die angebauten Produkte, andererseits aber auch die ökonomische und soziale Situation der Haushalte wider. Je nach Gunst der Ernte ergeben sich mehr oder weniger Haushalte mit Dinkelvorräten: 1760-1794 gab es mehr Haushalte mit Dinkelvorräten als 1725-1759. Höher als 80% stieg allerdings deren Anteil niemals, im Regelfall bewegte er sich um 50-60%. Nun hängt dieser Prozentsatz auch vom Zeitpunkt der Inventur ab, dennoch deutet er darauf 104 HSTAS A 261 Bü 1266 (Untersuchung über die Steuersubrevision von 1730, Nagold, 1734), fol. 79 105 GA BON I 664 (Susanna Bühler, 1763): Rudolf Bühler, Engelwirt und Hanfhändler; B.H.Slicher van Bath, History, S.271 zum Flachs; W.Achilles, Bedeutung, passim 106 zum Hafer A.L.Head-König, Prestations, S.260; zu den Bohnen vgl. F.Braudel, Alltag, S.171 107 s.a. D.Sabean, Intensivierung, S.148, 150; vgl. a. P.Steinte, Vermögensverhältnisse, S.191f 108 vgl. B.H.Slicher van Bath, History, S.247, 252-254; A.Straub, Oberland, S. 116-122; C.Borcherdt, Fnichtfolgesysteme, S. 18-26, 33f für Bayern 1810; W.A.Boelcke, Wirtschaftsgeschichte, S.108; W.Achilles, Lage, S.34-40; R.Beck, Ökonomie, S.42f (unterschätzt die Veränderungen) 109 zu den Wicken s. K. von Varnbüler, Glemsgau, S.210f, 272f; W. Achilles, Lage, S.33 110 s.a. H.Jänichen, Beiträge, S.93f

101

hin, daß knapp die Hälfte der Bevölkerung nicht genug Dinkel erwirtschaftete, um das ganze Jahr über davon zu leben. Die niedrigsten Prozentsätze hatte Gebersheim, was sich mit den anderen bisherigen Beobachtungen deckt, die höchsten (aber stark schwankend) Bondorf und die gleichmäßigsten (ohne klare Tendenz) Gruorn. Die übrigen "Früchte" spiegeln außer dem Ernteertrag auch den Umfang ihres Anbaus wider: in Gruorn finden sich in den Vorräten nur sehr wenig Hülsenfrüchte, in Bondorf dagegen sehr viele. Auffällig ist vor allem die starke Ausdehnung der Wickenvorräte 1760-1794 in Bondorf und Gebersheim, die auf eine Intensivierung der Viehhaltung schließen läßt, da die Wicken sicherlich im wesentlichen als Viehfutter Verwendung fanden. Ebenso auffällig ist die sehr starke Zunahme bei den Bohnen in denselben beiden Dörfern. Alle diese Entwicklungen laufen an Gruorn vorbei (hier verzeichnen nur die Linsenvorräte einen Zuwachs). Roggen verliert in Bondorf und Gebersheim an Bedeutung, während er sich in Gruorn auf sehr hohem Niveau hält, ein Resultat der schlechten Böden und des strengeren Klimas auf der Albhochfläche. Die Trends bei der Gerste sind sehr uneinheitlich: Expansion in Bondorf, Stagnation in Gebersheim und gleichbleibend hohes Niveau in Gruorn. Insgesamt bleibt der Eindruck einer sich nur geringfügig ändernden Landwirtschaftschaft in Gruorn im Vergleich zu den rapideren Entwicklungen in den beiden anderen Dörfern. Haushalte ohne Getreidevorräte machen vor 1655 einen sehr hohen Anteil aller Haushalte aus, was einerseits an einer geringeren Zuverlässigkeit der Inventuren liegen könnte, andererseits aber sicherlich ein Resultat des Dreißigjährigen Krieges ist. Die Gebersheimer Werte von vor 1620 lassen auf eine ähnliche Situation wie 1620-1654 schließen. Bis um 1700 scheint sich die Versorgung der Haushalte wesentlich verbessert zu haben, während sie sich in Bondorf und Gruorn 1725-1759 verschlechterte: ein Drittel aller inventierten Haushalte waren ohne Vorräte. In Gebersheim stagnierte der Prozentsatz bei 45%. 17601794 läßt sich eine allgemeine Verbesserung erkennen: nur noch 20% der Bondorfer und Gruorner Haushalte, aber immerhin noch 30% der Gebersheimer, waren ohne Getreidevorräte. 1795-1829 erhöht sich der Prozentsatz der Haushalte ohne solche Vorräte wieder deutlich: auf 25% in Bondorf und 40% in Gebersheim (die Gruorner Werte sind nicht vergleichbar, da die Inventuren schon 1808 enden, also die Krisenjahre des zweiten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts nicht abdecken). Diese 20-30% (Bondorf und Gruorn) bzw. 30-45% (Gebersheim) der Haushalte stellen den Teil der Bevölkerung dar, der seine Subsistenz sicherlich nicht aus eigener Landwirtschaft decken konnte, also auf Zuverdienst gleich welcher Art angewiesen war. 1 1 1 Betrachtet man die gerade erwähnte Abhängigkeit des Prozentsatzes von Haushaltungen mit Vorräten von der Jahreszeit, ergibt sich Abbildung 9.9.; eine Differenzierung nach Perioden war nicht möglich, da ansonsten die Zahlen zu klein geworden wären. Der Kurvenverlauf ist in allen drei Dörfern ähnlich: ein Rückgang des Prozentsatzes der Haushalte mit Vorräten in der ersten Jahreshälfte, der Tiefpunkt im Juli, ein scharfer Anstieg nach der Ernte und fortdauernd hohes Niveau bis mindestens November (in Bondorf Dezember). Im einzelnen gibt es erhebliche Differenzen im jeweils erreichten Niveau: in Bondorf haben selbst im Juli noch 40% der Haushalte Vorräte, in Gebersheim und Gruorn aber nur 18% bzw. 11%. In Bondorf waren in jedem Monat 20% der 111 T.Robisheaux, Society, S.90

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Haushalte ohne Dinkelvorräte, in Gebersheim gegen 25%. Für Gruorn ist es wegen der starken Schwankungen aufgrund der kleinen Zahlen schwierig, ein Bild zu gewinnen; die Verhältnisse scheinen aber denen in Bondorf geähnelt zu haben - mit stärkerem Rückgang vor der Ernte. Dies bestätigt die obige Aussage über den Bevölkerungsteil, der auf jeden Fall seine Subsistenz nicht aus der Landwirtschaft gewinnen konnte. Durch die Einbeziehung von Produkten der Gärten und Länder, der Viehhaltung und der Wiesen lassen sich weitere Differenzierungen der ländlichen Gesellschaft ermitteln. Wie erwartet expandiert die Bevorratung von Kartoffeln nach 1795 sehr stark, 1 1 2 wobei in Gruorn der Prozensatz am höchsten (fast 3/4 aller Haushalte hatten Kartoffel Vorräte), Gebersheim am schwächsten ansteigt. Bei den tierischen Produkten Schmalz, Schmeer, Fleisch und Speck zeigt sich im 18. Jahrhundert ein deutlicher Anstieg der Vorratshaltung, was auf eine Verbesserung der Ernähungslage hindeutet, zumindest für eine Minorität. Kraut und Rüben fanden sich in einer beachtlichen Anzahl von Inventuren, ihre Bedeutung für die Ernährung vor dem Aufkommen der Kartoffel war sicherlich erheblich. Die Prozentsätze liegen im übrigen mit Sicherheit zu niedrig, da derartige Vorräte nicht immer separat aufgeführt wurden, sondern auch unter den Gefäßen, in denen sie aufbewahrt wurden, subsumiert wurden: Die Aussage ein "Krautstand mitsamt Kraut" tritt häufig auf. Bei Fehlen des Beisatzes braucht es sich aber nicht um einen Krautstand ohne Kraut zu handeln; dies würde die Genauigkeit der Inventarisation wohl überschätzen. Mehlvorräte tauchen erst im Laufe des 18. Jahrhunderts häufiger auf, nehmen dann aber stark zu. Auch hier könnte es sich zum Teil um einen Registrierungseffekt handeln. Weinvorräte sind in Bondorf und Gruorn selten, nehmen in Bondorf aber zu, was auf die steigende Anzahl von Wirtschaften zurückzuführen ist (dasselbe gilt für Branntwein und Bier, wenn man die Branntweinbrenner und Bierbrauer zu den Gastwirten rechnet). In Gebersheim nehmen die Weinvorräte stark ab, der Gebersheimer Weinbau geriet nach 1760 in Verfall. 1 1 3 Wein wird in diesem Dorf vom Most abgelöst, der auch in Bondorf eine stärkere Rolle zu spielen beginnt, während er in Gruorn völlig fehlt, was nicht weiter verwunderlich ist. 1 1 4 Die starke Zunahme der Heuvorräte in Bondorf läßt auf eine Ausdehnung des Viehbesitzes bzw. der Stallfütterung schließen. Der Anteil von Inventuren mit solchen Vorräten stagniert dagegen in Gebersheim und Gruorn (bei 50% bzw. 70%). Das wichtige - auch für die dörfliche Weberei - Handelsgewächs Hanf expandiert in Bondorf und Gebersheim (vor 1795) ebenfalls, geht dann aber in Gebersheim zurück. Gruorn hat das höchste Niveau vor 1760, woran sich dann aber ein Rückgang schließt, der die Gruorner Verhältnisse an die der beiden anderen Dörfer angleicht. Bezieht man nun noch die Menge der Vorräte (wobei ich mich auf die wesentlichsten Dinkel, Hafer, Erbsen und den "Newcomer" Kartoffeln - beschränke) mit ein, so ergibt sich Tabelle 4.2.6.a.: 112 zur Kartoffel s. B.H.Slicher van Bath, History, S.266-271; D.Grigg, Population growth, S.35; F.Braudel, Alltag, S. 173-176; K.Herrmann, Pflügen, S. 145-147 113 s. K.H.Schröder, Weinbau, S.152 114 s. die Gärten ohne Bäume: HSTAS A 261 Bü 1620 (Weitere Untersuchung über die Steuersubrevision von 1729, Urach, 1738); weniger Bier als Most wurde also um 1800 zum Unterschichtsgetränk: gegen R. van Dülmen, Kultur I, S.69; vgl. a. H.Medick, Kultur, S.173f

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Tab. 4.2.6.a. Durchschnittliche Menge an Vorräten (in Scheffel) pro Inventur mit Vorräten Hafer Dinkel Erbsen Kartoffeln Bondorf 1620-1654 11,6 12,0 0,6 1655-1689 (135,0) (25,0) (5,0) 1690-1724 22,9 5,3 1,5 1725-1759 15,6 6,4 1,6 1760-1794 21,2 5,0 0,6 1,8 18,4 1795-1829 6,7 1,6 2,9 Gebersheim 1550-1619 18,0 14,6 1,4 1620-1654 14,7 12,3 3,0 13,4 1655-1689 4,4 0,4 1690-1724 0,7 5,5 4,0 21,2 9,7 1725-1759 1,3 1760-1794 14,0 4,5 0,6 0,5 13,2 1795-1829 5,3 0,9 2,9 Gruorn 1690-1724 8,6 10,6 0,5 6,7 1725-1759 9,2 0,4 1760-1794 9,0 6,4 0,5 1,0 7,7 1795-1829 6,7 1,6 1,1

In allen Dörfern sind in den frühen Perioden die Hafervorräte ziemlich umfangreich, zum Teil umfangreicher als die Dinkelvorräte, während sie im 18. Jahrhundert nur ein Drittel der letzteren umfassen. Die größten Vorräte an Erbsen finden sich in Bondorf mit 1,5 Scheffel pro Inventur, während ansonsten sich ein Durchschnitt von unter einem Scheffel ergibt. Eine ausgeprägte Tendenz läßt sich nicht feststellen: wer Vorräte hatte, hatte immer annähernd gleich viel. Die Vorratshaltung in Bondorf und Gebersheim bewegt sich auf gleichem Niveau, in Gruorn dagegen waren die Dinkelvorräte deutlich geringer, die Hafervorräte aber sowohl absolut wie vor allem relativ zu den Dinkelvorräten sehr viel umfangreicher als in Bondorf oder Gebersheim. Rechnet man mit drei Scheffel Dinkel pro Person und Jahr, dann hätten die Bondorfer Vorräte für 5-7 Personen gereicht, die Gebersheimer für 4-7 (Ausnahme 1690-1724) und die Gruorner nur für 2-3. Diese geringen Dinkel Vorräte wurden 1760-1794 durch doppelt so hohe Kartoffel Vorräte ausgeglichen, die Ärmlichkeit der Verhältnisse scheint einen frühen intensiveren Kartoffelanbau bedingt zu haben. 1 1 5

115 zur Vorratshaltung vgl. U.Dirlmeier, Untersuchungen, S.47-51

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4.2.7. Besitz von Arbeitsgeräten Tabelle 4.2.7.a. gibt einen Überblick über den Besitz von zwei der wesentlichen Arbeitsgeräte von Bauernwirtschaften - Pflüge und Wägen: 116

Tab. 4.2.7.a. Durchschnittliche Anzahl Pflüge und Wägen pro Inventur Pflüge Wägen N Pflüge pro Periode Inventur Bondorf 1620-1654 4 25 15 0,6 1 1655-1689 3 3 (1,0) 14 0,54 11 1690-1724 26 0,52 151 78 35,5 1725-1759 1760-1794 0,64 49 140 89 161,5 0,74 144,5 1795-1829 218 Gebersheim 11 0,24 45 10 1550-1619 2 1 1620-1654 21 0,10 2 2 11 0,18 1655-1689 1690-1724 2 19 3 0,16 12 7 38 0,32 1725-1759 1760-1794 77 28 0,36 16,5 1795-1829 69 26 0,38 19 Gruorn 0,47 1690-1724 16 7,5 5 37 9 0,24 1725-1759 9 1760-1794 107 24 0,22 31 47 1795-1829 13 0,28 18

Wägen pro Inventur 0,16 (0,33) 0,42 0,26 0,35 0,66 0,22 0,05 0,18 0,11 0,18 0,21 0,28 0,31 0,24 0,29 0,38

Die Tendenz ist überall die gleiche: die Ausstattung mit Pflügen und Wägen bessert sich im 18. Jahrhundert wesentlich, während in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ein Rückgang gegenüber dem Stand von vor 1654 stattgefunden zu haben scheint. Die Unterschiede im Niveau zwischen den einzelnen Dörfern allerdings sind beträchtlich. Bondorf weist eine doppelt so hohe durchschnittliche Anzahl von Pflügen auf wie Gebersheim und Gruorn. Der Entwicklung bei den durchschnittlichen Zahlen korrespondiert auch die der Verteilungen. Der Anteil der Haushalte ohne Pflug sinkt - allerdings auf ein völlig unterschiedliches Niveau. Waren in Bondorf um 1800 noch ein Drittel aller Haushalte ohne Pflug, so waren es in Gebersheim zwei Drittel und in Gruorn drei Viertel. Bondorf hatte auch den höchsten Anteil von Bauern mit zwei und mehr Pflügen, der allerdings in Gebersheim vor 1620 ebenfalls recht bedeutend gewesen zu sein scheint. Die Entwicklung bei den Wägen verläuft parallel; am Ende des betrachteten Zeitraums waren in Bondorf 50% der Haushalte ohne Wagen, in Gebersheim 75% und in Gruorn 70%. Wie bei den Pflügen fand sich der höchste Anteil von Besitzern mehrerer Wägen in Bondorf. 116 vgl. H.Jänichen, Beiträge, S.32f; T.Gebhard, H.Sperber, Geräte, S.151; U.Jeggle, Kiebingen, S.129; J. de Vries, Peasant demand, S.214

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4.2.8. Viehbesitz Arbeitsgeräte allein reichen als Bedingung für Produktivitätsfortschritte nicht aus, die verfügbare tierische Arbeitskraft ist mindestens ebenso wichtig.

Tab. 4.2.8.a. Durchschnittliche Anzahl Großvieh pro Inventur Periode Pferde Ochsen/Stiere Bondorf 1620-1654 0,71 0,0 1655-1689 (2,33) (0,0) 1690-1724 1,39 0,0 0,75 1725-1759 0,08 1760-1794 0,17 0,55 0,55 1795-1829 0,31 Gebersheim 0,44 1550-1619 0,0 1620-1654 0,10 0,0 0,09 1655-1689 0,0 1690-1724 0,26 0,16 1725-1759 0,50 0,0 1760-1794 0,16 0,32 0,16 0,32 1795-1829 Gruorn 1690-1724 1,50 0,75 0,87 1725-1759 0,78 1760-1794 0,41 0,66 0,47 1795-1829 0,68

Kühe 0,29 (1,00) 1,73 1,49 2,28 2,74 0,80 0,19 1,27 0,53 0,90 1,16 0,91 2,00 1,46 1,52 1,64

Die durchschnittliche Anzahl von Pferden pro Inventur verringert sich im Laufe der Zeit, während die der Ochsen und Stiere sich erhöht, d.h. das Pferd als Arbeitstier wird zumindest partiell von letzteren abgelöst. 117 Der Bestand an Kühen nimmt im Laufe der Zeit eher zu, wobei Bondorf erstaunlicherweise (s.o. den viel beklagten Mangel an Wiesen) den höchsten Wert aufweist, während Gebersheimer Haushalte die wenigsten Kühe besaßen. In Gruorn zeichnen sich die andernorts deutlicher ausgeprägten Veränderungen nur schwach ab. 1 1 8 Der Prozentsatz der Haushalte ohne Pferde steigt im Laufe des 18. Jahrhunderts an: er erreicht in Bondorf und Gruorn 1795-1829 80%, in Gebersheim gar 90%. Dagegen erhöht sich die Zahl der Ochsenbauern auf ca. 10% aller Haushalte. Stiere, die als Jungtiere ebenfalls als Zugtiere eingesetzt wurden, ansonsten als Schlachtvieh einzuordnen sind, werden in Bondorf und Gebersheim im 18. Jahrhundert häufiger, während sie im 17. gänzlich fehlten. In Gruorn besaßen 25% aller Haushalte mindestens einen Stier, worin die größere Bedeutung der Viehzucht in diesem Albdorf zum Ausdruck kommt. 117 B.H.Slicher van Bath, History, S.290f zu den respektiven Vorteilen von Pferd und Ochse, s.a. ebd., S.295; D.W.Sabean, Schwert, S.22; P.Bohl, Studien, S.119 118 vgl. F.W.Henning, Paderborn, S.78-83; W.Schlegel, Gruorn, S.30

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Ein Teil der Bondorfer Stiere in der Periode 1795-1829 waren Farren, d.h. Zuchtstiere, die vor allem von den Hofbauern auf Hohenreuthin und Wurmfelden gehalten wurden. Offenbar privatisierten diese reichen Bauern in dieser Zeit die Zucht. Nur wenige Haushalte hielten vor und im Dreißigjährigen Krieg eine Kuh, während bis 1760-1794 sich die Kuhhaltung stark ausdehnte: 85,5% aller Haushalte in Bondorf, 65% in Gebersheim und 70% in Gruorn besaßen Kühe. 1795-1829 ergab sich in Bondorf und Gebersheim eine Verminderung der Zahl der Haushalte mit Kühen. Da Kühe für die Subsistenz außerordentlich wichtig waren, 1 1 9 ist der Rückschluß auf die Lebensbedingungen erlaubt. Wirtschaftlich schwierige Zeiten schlagen sich in einer verminderten Haltung von Kühen nieder, was eine Verschlechterung der Ernährungssituation bedeutet. Die prekären Lebensbedingungen in Gebersheim kommen auch wieder in der geringeren Anzahl von Haushalten mit Kühen zum Ausdruck. 1 2 0 Ziegenhaltung läßt sich als Armutsindikator verwenden: 121 um so ausgebreiteter die Ziegenhaltung, um so ärmer die entsprechende Bevölkerung, da die Ziege immer nur die schlechtere Ausgabe einer Kuh darstellt. Ziegenhaltung war in Bondorf und Gebersheim im 18. Jahrhundert außerordentlich selten, im 17. aber häufiger (bei vergleichsweise wenig Kühen). Unter den Gruorner Haushalten hielten dagegen 30-40% eine Ziege. Schweine wurden in Bondorf konstant von etwa 30% der Haushalte gehalten, ebenso in Gebersheim, während es in Gruorn kaum solche Haushalte gab. Wie die Ziege als Armutsindikator, so läßt sich das Schwein als Reichtumsindikator einsetzen: schwierige Lebensbedingungen erlaubten das Durchfüttern eines reinen Fleischlieferanten eben nicht. 1 2 2 Bondorfer Haushalte besaßen nach 1655 recht häufig Schafe. In Gebersheim treten nur 1725-1794 und vor 1620 Schafe in größerem Ausmaß auf; in Gruorn blieben sie stets eine Ausnahmerscheinung. 123 Differenziert man die Haushalte nach ihrem Vermögen, so lassen sich zwei Muster der Viehhaltung unterscheiden: Schweine und Schafe beschränkten sich auf den wohlhabenderen Teil der Bevölkerung, Ziegen auf den ärmeren. Die Haltung mindestens einer Kuh dagegen war allgemein verbreitet und schloß nur den völlig landlosen Teil der Haushalte aus. Daß Pferde und Ochsen sich nur bei den Bauern fanden, die Haltung von Stieren innerhalb der Bauernschaft noch einmal auf deren reicheren Teil beschränkt war, wird nicht überraschen. Wird auf Haushaltsebene der Besitz von Vieh und Land miteinander verglichen, erweist sich, daß nur Höfe von über 15 ha über Pferdegespanne verfügten, während Höfe von 10-15 ha teils Pferde, teils Ochsen oder Stiere als Zugtiere einsetzen konnten. Unterhalb von 10 ha wurde die Zusammenstellung von Gespannen bereits schwierig. 1 2 4 Höfe mit weniger als 5 ha besaßen kaum noch spezielle Zugtiere, griffen also wohl auf die Kühe zurück, was sich auf deren Milchertrag wiederum negativ aus119 J.Mooser, Klassengesellschaft, S.58; s.a. die Beurteilung bei K. von Varnbüler, Glemsgau, S.262f ohne Rücksicht auf die Subsistenzorientierung 120 vgl. A.R.Benscheidt, Besitz, S.238 (Rückgang der Viehhaltung) 121 J.Mooser, Klassengesellschaft, S.59 122 zur Schweinezucht: B.H.Slicher van Bath, History, S.232f; F.W.Henning, Paderborn, S.84-87; F.Braudel, Alltag, S.206; R.Schlögl, Bauern, S.132f 123 vgl. F.W.Henning, Paderborn, S.83f 124 vgl. D.W.Sabean, Schwert, S.42f; G.Cabourdin, Paysans, S.95; R.Schlögl, Bauern, S.128

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wirkte. Selbst die fast Landlosen verfügten im Schnitt aber noch über eine Kuh, lediglich die gänzlich Landlosen blieben ohne diese Stütze jeder subsistenzorientierten Landwirtschaft. Im Umfang der jeweiligen Viehhaltung spiegelt sich die soziale Zusammensetzung der einzelnen Gemeinden wider. 1 2 5 Die Ergebnisse der Inventuren und Teilungen lassen sich durch einige Momentaufnahmen ergänzen (Tabelle 4 . 2 . 8 . b . ) . 1 2 6 Für 1769 und 1774 lassen sich außerdem Angaben über die Anzahl Großvieh pro Haushalt machen. Als Haushalt wurden dabei alle Bürger, Beisitzer und Witwen gezählt, womit die Zahl der Haushalte etwas überschätzt sein dürfte, da mindestens einige Witwen, aber auch einige Bürger, tatsächlich keinem eigenen Haushalt mehr vorstanden, sondern ihr Vermögen an ihre Kinder übergeben haben dürften. Die unterschiedliche Größe der Dörfer läßt sich auf diese Art aber annähernd ausgleichen.

Tab. 4 . 2 . 8 . c . Anzahl Großvieh pro Haushalt 1769 und 1774 1 2 7 Rinder Pferde Ziegen Bondorf (incl. Reuthin, Wurmfelden und Hohenreuthin) ? 1769 0,49 1,85 ? 1774 0,52 2,71 Tailfingen ? 1769 0,60 2,35 ? 1774 0,61 2,67 Nebringen ? 1769 0,44 2,42 ? 1774 0,59 3,06 Mötzingen ? 0,27 1769 2,91 ? 1774 0,17 3,68 Gebersheim ? 1769 0,12 2,13 7 1774 0,15 2,88 Gruorn 0,63 2,84 1769 0,65 1774 0,60 3,82 0,90 Wangen ? 1769 0,03 1,49 7 1774 0,03 1,64

Schafe

Schweine

2,65 3,19

0,59 0,64

2,92 3,33

0,62 0,81

4,54 3,68

0,55 0,41

1,59 2,70

0,29 0,53

2,67 4,26

0,37 0,69

0,24 0,23

0,00 0,11

0,06 0,00

0,15 0,26

Gruom weist den umfangreichsten Bestand an Pferden und Kühen auf, was die größere Rolle der Viehzucht belegt. Die Gäudörfer Bondorf, Tailfingen und Nebringen hatten immerhin 0,5-0,6 Pferde pro Haushalt und 2,5-3 Kühe. Deutlich weniger Pferde gab es in Mötzingen und in Gebersheim, deren Rindviehhaltung aber das Niveau der Gäudörfer 125 C.Borcherdt u.a., Landwirtschaft, S.50-52 126 GA BON R 116 (Flecken- und Grenzbeschreibung, 1716), fol. 720V-726V; HSTAS E 141 Bü 258 (Gewerbe- und Viehtabellen, 1816, Herrenberg), Bü 259 (Gewerbe- und Viehtabellen, 1816, Cannstatt, Leonberg); HSTAS A 8 Bü 86, 90 (Herrenberg 1769, 1774), Bü 87, 90 (Leonberg 1769, 1774), Bü 88, 91 (Nagold 1769, 1774), Bü 85, 89 (Cannstatt 1769, 1774); vgl.a. W.A.Boelcke, Wohlstand, S.261 für Kornwestheim 127 HSTAS A 8 Bü 85-92

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erreichte. Mit dem intensiven Weinbau scheint sich eine ausgedehnte Viehhaltung schlecht vertragen zu haben: Wangens Haushalte besaßen kaum noch Pferde und wesentlich weniger Rindvieh als die Getreidebauern; lediglich bei den Schweinen nehmen sie nicht den letzten Rang ein. 1 2 8 Tab. 4.2.8.b. Großviehhaltung (Stück) Bondorf 1716 Pferde 110 Ochsen u. Stiere 0 Kühe u. Rinder 120 Schafe 650 Schweine ? Ziegen 20 Gebersheim Pferde Ochsen u. Stiere Kühe u. Rinder Schafe Schweine Ziegen Tailfingen Pferde Ochsen u. Stiere Kühe u. Rinder Schafe Schweine Ziegen Nebringen Pferde Ochsen u. Stiere Kühe u. Rinder Schafe Schweine Ziegen Mötzingen Pferde Ochsen u. Stiere Kühe u. Rinder Schafe Schweine Ziegen Wangen Pferde Ochsen u. Stiere Kühe u. Rinder Schafe Schweine Ziegen

1769 105

1774 106

433 620 137

?

551 647 129 7

7

9

128 160 22

?

176 260 42 7

53

59

209 260 55 7

259 323 79 7

31

41

172 322 39

?

211 254 28 7

26

17

285 156 28

375 275 54

?

21 24 441 220 40 2

4 7 194 8 20 7

4 7 217 0 34 7

4 0 240 0 25 10

?

1816 129 50 560 387 225 6 22 13 125 253 30 4 54 10 183 300 60 2 45 7 222 200 35 0

128 zu Viehzahlen pro Haushalt s. B.H. Slicher van Bath, History, S.291f; Viehbestand in Hohenlohe: P.Steinte, Vermögensverhältnisse, S. 131-136; Oppenheim und Dexheim: P.Zschunke, Konfession, S.38f; C.Bruneel, Vache, S.355; W.Achilles, Lage, S.65-84

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4.2.9. Pflüge, Pferde und Landbesitz Zusammenfassend soll noch einmal das Verhältnis von Landbesitz, Besitz des wichtigsten Arbeitsgerätes und des wichtigsten Arbeitstieres betrachtet werden. Tabelle 4.2.9.a. stellt die Ergebnisse für Bondorf zusammen:

Tab. 4.2.9.a. Landbesitz, Besitz von Pflügen und Pferden: Bondorf Periode Pflüge pro Pferde pro Landbesitz Hektar Inventur Inventur pro Inventur pro Pflug 1708-1724 0,58 1,50 9,77 16,85 1725-1759 0,52 0,75 8,03 15,44 1760-1794 0,64 0,50 6,95 10,86 1795-1829 0,74 0,60 6,60 8,92

Hektar pro Pferd 6,51 10,71 13,90 11,00

Bei den Landesaufnahmen unter Herzog Karl Eugen 1769 entfiel in Bondorf eine Fläche von 13,3 ha auf ein Pferd, 1774 (incl. Hohenreuthin) ebenfalls 13,3 ha. 1816 dagegen waren es nur noch 9,9 ha. 1 2 9 In Gebersheim kam 1769 ein Pferd auf 41,1 ha, 1774 auf 31,9 ha, 1 3 0 in Gruorn waren es 1769 7,6 ha, 1774 8,4 ha, 1 3 1 in Wangen 1769 wie 1774 4,2 ha. 1 3 2 In Tailfingen kamen 1769 9,3 ha auf ein Pferd, 1774 8,2 ha, in Nebringen waren es 1769 11,5 ha, 1774 8,5 ha, in Mötzingen 1769 18,6 ha, 1774 28,4 ha. 1 3 3 Dabei sind die unterschiedlichen Anteile des Ackerlandes an den Markungen nicht außer acht zu lassen. 1 3 4 Die Ausstattung mit Pflügen verbessert sich laufend von Periode zu Periode: während sich in der Anzahl Pflüge pro Inventur von 1708 bis 1829 eine Verbesserung von 28% ergibt, erhöht sich - aufgrund sinkenden Landbesitzes - die Anzahl Pflüge pro ha um 90% bzw. sinkt der Landbesitz pro Pflug um 47%. Dieser steigende Besitz von Pflügen deutet auf eine wesentlich intensivere Bearbeitung des Bodens hin, wobei auch noch die Reduzierung der Ackerfläche zugunsten der Wiesen zu beachten ist. Der Pferdebestand zeigt keine ähnlich ausgeprägte Tendenz - abgesehen von dem stark abweichenden Wert 1708-1724 scheint sich der Pferdebestand verringert zu haben (pro Inventur wie pro Hektar), danach aber wieder verbessert zu haben. Die Angaben der Inventuren werden dabei durch die der "Momentaufnahmen" von 1769, 1774 und 1816 bestätigt, wobei zu beachten ist, daß einmal der gesamte Landbesitz zugrundegelegt wurde, das andere Mal aber nur das Ackerland, d.h. von den Hektarwerten der Inventuren sind etwa 10% abzuziehen, um die Vergleichbarkeit zu gewährleisten, was für 1760-1794 12,5 und für 129 130 131 132 133 134

110

1769,1774,1816: konstante Ackerfläche von 4039 Morgen HSTAS A 8 Bü 87, 90 HSTAS A 8 Bü 88, 92 HSTAS A 8 Bü 85, 89 HSTAS A 8 Bü 86, 9 0 B.H.Slicher van Bath, History, S.290-293; F.W.Henning, Paderborn, S.75 (dort kommen 2 , 8 6 ha auf ein Pferd!), s.a. ebd., S.76-78; W.Achilles, Lage, S.71

1795-1829 9,9 ha entspricht. Damit ist die Übereinstimmung fast perfekt. Beim Vergleich mit der Periode 1760-1794 ist außerdem zu beachten, daß die beiden Landesaufnahmen in der ersten Hälfte der Periode liegen, als der durchschnittliche Landbesitz noch höher war als in der zweiten Hälfte. 4.2.10. Saatgut In der Bondorfer Steuereinschätzung wurden 5 - 6 Simri Dinkel und 2 - 2,5 Simri Hafer Saatgut pro Morgen gerechnet, was in Gulden umgerechnet 1,5 fl pro Morgen für die Dinkelsaat und 0,47 fl für die Hafersaat ausmacht (d.h. 0,38 fl pro Viertel beim Dinkel und 0,12 fl pro Viertel beim Hafer). 1 3 5 1647 rechnete das Amt Marbach mit einem Scheffel Dinkelsaat pro Morgen. 136 Zwei vereinzelte Angaben von 1740 und 1775 bestätigen die Steuereinschätzungsakten: 6 Scheffel Hafer wurden 1740 als Saatgut auf 77,5 Viertel Ackerland gerechnet, also 2,5 Simri pro Morgen. 1 3 7 1775 wurden 9 Scheffel Dinkel als Saatgut auf 49,5 Viertel Ackerland gerechnet, also 5,82 Simri pro Morgen. 1 3 8 Nach Roesler säte man in Obeljesingen und Mötzingen 6 Simri Dinkel, in Eckenweiler 6,5 Simri, in Gärtringen, Kuppingen, Haslach, Tailfingen, Nebringen und Wolfenhausen 7 Simri, in Herrenberg, Hildrizhausen, Nufringen und Rohrau, Affstätt, Kayh und Altingen, sowie in Remmingsheim 8 Simri Dinkel pro Morgen aus. 1 3 9 6 Simri Dinkelsaat pro Morgen rechnete man in Gebersheim. 140 Schließlich passen auch die Angaben Varnbülers über die Saatgutmenge in Hemmingen (um 1810) zu diesen Bondorfer Angaben: er rechnet 4,5 Simri Dinkel und 2 Simri Hafer pro Morgen an Saatgut, also etwas weniger als der Nagolder Steuereinschätzer. 141 Die Saatgutmenge unterlag damit offenbar keinen dramatischen Wandlungen. 142 4.2.11. Ertragsschätzungen Als Ausgangsbasis dienen die Ertragsschätzungen der Steuereinschätzungsakten, die zwischen 1720 und 1740 im Rahmen der Neuveranlagung der Städte und Ämter zur Ordi-

135 HSTAS A 261 Bü 1264 (Bericht über die Steuerrevision, Bondorf, 1720); vgl. K.Göriz, Betriebslehre I, S. 138-144; Beschreibung Herrenberg, S.158; K. von Vambüler, Beschreibung, S.35; Beschreibung Leonberg, S.126 (6 Simri Dinkel auf den Morgen). Hafer wurde in der Regel nur halb so viel ausgebracht. 136 HSTAS A 230 Bü 97 (Produktionskosten für Getreide, 1647, Marbach), wobei es dem Amt aber um den Nachweis zu niedriger Dinkelpreise ging, also möglichst hohe Schätzungen auf der Kostenseite zweckdienlich waren. 137 GA BON I 360 (Jacob Schelling, 1740) 138 GA BON I 847 (Veit Schmid, 1775) 139 G.F.Roesler, Natur-Geschichte, S.58-78; vgl.a. Beschreibung Herrenberg, S.235: Mötzingen 7 Simri Dinkel, S.241: Nebringen 8 Simri, S 294: Tailfingen 7-8 Simri, also ca. einen Simri mehr als 80 Jahre früher; vgl.a. R.Beck, Ökonomie, S.152f 140 HSTAS A 584 Bü 399 (Pflegrechnung über Johann Georg Weh, 1783-1790); bei Wicken rechnete man 2,5 Simri pro Morgen: HSTAS A 584 Bü 406 (Pflegrechnung über Paul Ißler, 1806-1809) 141 K. von Varnbüler, Beitrag, S.79; vgl. K. von Varnbüler, Beschreibung, S.35 142 F.W.Henning, Dienste, S. 121-124 (das Verhältnis von Saatgut und Ertrag liegt in Bondorf bei 0,17 zu 0,885, d.h. bei 21 % Saatgutanteil).

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nari-Steuer entstanden. Da bis zur Festsetzung des endgültigen Resultats mehrere Durchgänge erforderlich waren (nach der Publikation der ersten Steuereinschätzungen erfolgten jeweils Proteste aller oder einiger sich benachteiligt glaubender Amtsorte), gibt es mehrere Ertragsschätzungen, wobei die einzelnen Steuereinschätzungskommissare aber auf die Ergebnisse ihrer Vorgänger rekurrierten. 143 Schwierig ist der Vergleich verschiedener Ämter, da trotz einheitlicher Richtlinien die Kriterien differierten, die Ergebnisse auch jeweils nur im Rahmen des Amtes abgeglichen wurden. 144 Ungeachtet all dieser Probleme stellen diese Steuereinschätzungsakten ein erstrangiges Quellenmaterial bereit. Die Resultate der ersten Steuereinschätzung für Bondorf durch den Steuerrevisionscommissarius Ettlinger wurden 1720 den Vertretern des Ortes bekannt gemacht. Ettlinger hatte eigene und Lehengrundstücke getrennt eingeschätzt und auf Ertragsklassen verteilt. Die Ertragsklassen wurden folgendermaßen definiert: Äcker der 3. Klasse ertrugen 6 Scheffel Dinkel bzw. 3 Scheffel Hafer, die der 4. 5 Scheffel Dinkel und 2,5 Scheffel Hafer, die der 5. 4 Scheffel Dinkel und 2 Scheffel Hafer, die der 6. 3 Scheffel Dinkel und 1,5 Scheffel Hafer. Die Äcker der hier mit a bezeichneten Klasse trugen 1,5 Scheffel Roggen und 1 Scheffel Hafer. Die Getreidepreise, zu denen der Ertrag eingeschätzt wurde, wurden konstant gehalten: der Scheffel Dinkel wurde zu 2 fl angeschlagen, der Scheffel Hafer zu 1,5 fl und der Scheffel Roggen, Erbsen und Gerste zu 3 fl. 1 4 5 Diese Preise werden auch im weiteren Verlauf dieses Kapitels zugrundegelegt, wenn von konstanten Preisen die Rede sein wird. Flächenangaben erfolgen in Vierteln eines Morgens, Ertragsangaben in Gulden pro Jahr und Viertel, wobei jeweils der Ertrag in 3, 6 oder 9 Jahren die Basis bildet.

Tab. 4 . 2 . l l . a . Ertragsschätzungen Bondorf 1720 146 Klasse eigene Äcker Fläche Ertrag 1,38 199,5 3. 4. 788,5 1,15 0,92 1429,0 5. 1870,5 0,69 6. 2490,0 0,50 a 0,74 6777,5 S neuöde 0,50 14,0 wie a

Lehenäcker Fläche Ertrag 575,5 1,38 1,15 1251,5 0,92 1562,0 1940,0 0,69 1989,0 0,50 0,82 7318,0 48,5

0,50

Der etwas höhere Ertrag der Lehenäcker wurde durch die höhere Gültbelastung kompensiert. 147 Wurden von den eigenen Äckern 3,8% des Jahresertrags auf Gülten verwandt, 143 144 145 146 147

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Reyscher XVII/2, S.CXXII W.Troeltsch, Zeughandlungscompagnie, S.348f HSTAS A 261 Bü 1263 (Landschaftliches Steuerkataster, Nagold, 1720) HSTAS A 261 Bü 1263 Bemerkenswert ist übrigens, daß fast die Hälfte des Landes eigene Äcker waren. Für Bondorf läßt sich also kaum sagen, daß "etwas" Land im privaten Besitz der Bauern war, wie Sabean dies pauschal für ganz Württemberg macht (D.W.Sabean, Schwert, S.15). Vgl. P.Bohl, Studien, S.48f

waren es von den Lehenäckern 15,1%, so daß der Reinertrag der eigenen Äcker 0,24 fl/V, der der Lehenäcker aber 0,23 fl/V betrug. 1 4 8 Der Gesamtrohertrag pro Viertel und Jahr aller Äcker belief sich nach Ettlinger auf 0,782 fl, der Reinertrag (nach Abzug von Gülten und Kulturkosten) auf 0,235 f l . 1 4 9 Der Steuerrevisionscommissarius Cantstetter, der 1730 eine erneute Einschätzung vornahm, gelangte aufgrund der Tricesimationsrechnungen und dem Vergleich mit Hochdorf und Iselshausen, wo der gleiche Ackerbau herrsche, zu einem Rohertrag von 0,865 fl pro Viertel und Jahr und einem Reinertrag von 0,254 fl. 1 5 0 Die erneute Revision durch Andreae, der nach einem Protest der Stadt Haiterbach und einiger Amtsorte gegen die Cantstetterische Einschätzung mit einer erneuten Berechnung beauftragt wurde, 1 5 1 ermittelte für Bondorf schließlich (und endgültig) einen Rohertrag von 0,825 fl und einen Reinertrag von 0,237 fl pro Viertel und Jahr. 1 5 2 Die folgende Tabelle 4.2.11.b. stellt die Ergebnisse der einzelnen Durchgänge noch einmal zusammen und beinhaltet auch die geschätzten Erträge der Wiesen und Gärten:

Tab. 4.2.1 l.b. Erträge pro Viertel und Jahr nach den Steuereinschätzungen 1720 - 1734 Ettlinger Cantstetter Andreae (1720) (1730) (1734) roh rein roh rein roh rein Äcker 0,782 0,235 0,865 0,254 0,825 0,237 Wiesen 0,793 0,461 1,04 0,61 0,75 0,414 Gärten 1,377 0,861 1,33 0,81 1,31 0,799

Da die Andreae'sehe Schätzung letztlich akzeptiert wurde, auch die Mitte zwischen der allzu niedrigen Ettlingerischen und der überhöhten Cantstetterischen hält, wird sie als Ausgangsbasis dienen. Wie bereits oben erwähnt, wurden bei der Steuereinschätzung von den Roherträgen zuerst die Gülten abgezogen, dann weitere 2/3 für Kulturkosten, worunter auch das Saatgut enthalten war. Diese Kulturkosten fallen allerdings nur bei den Höfen in voller Höhe an, die Pferde und Lohnarbeiter einsetzten. Auf allen Höfen aber ist ein Teil dieser Kulturkosten bereits Einkommen des Bauern bzw. seiner Familie (nämlich der Lohn für ihre Eigenarbeit). Deshalb empfahl sich eine weitere Aufschlüsselung: In der Rubrik "max. Ertrag" wurden nur Gülten und Saatgut abgezogen, nicht aber die Kulturkosten. Dieser Ertrag stellt also das Maximum des für die bäuerliche Familie verfügbaren dar.

148 149 150 151 152

HSTAS HSTAS HSTAS HSTAS HSTAS

A A A A A

261 261 261 261 261

Bü Bü Bü Bü Bü

1263 1263 1267 (Steuersubrevisionsrelation mit Beilagen, Nagold, 1730) 1269 (Steuersubrevisionsrelation mit Beilagen, Nagold, 1734) 1266 (Untersuchung über die Steuersubrevision von 1730, Nagold, 1734)

113

Tab. 4.2.1 I.e. Rohertrag, Gülten, Saatgut und Reinertrag pro Viertel und Jahr in Bondorf (Andreae'sche Schätzung 1734) Rohertrag Gülten Saatgut max. Ertrag Reinertrag Äcker 0,825 0,085 0,17 0,57 0,237 Wiesen 0,750 0,097 0,414 Gärten 1,310 0,086 0,799

Dieselbe Tabelle für Gebersheim und Gruorn sieht folgendermaßen aus: 1 5 3

Tab. 4.2.11.d. Rohertrag, Gülten, Saatgut und Reinertrag pro Viertel und Jahr in Gebersheim (1731) Gülten Saatgut max. Ertrag Reinertrag Rohertrag 0,068 Äcker (0,17) 0,344 0,917 0,679 0,103 0,371 0,662 Wiesen 0,044 0,495 1,531 Weingärten 0,060 0,634 0,966 Länder 0,088 0,441 0,750 Gärten

Tab. 4.2.1 I.e. Rohertrag, Gülten, Saatgut und Reinertrag pro Viertel und Jahr in Gruorn (1729) Rohertrag Gülten Saatgut max. Ertrag Reinertrag Äcker 0,500 0,039 (0,17) 0,291 0,161 Wiesen 0,904 0,104 0,504 Holzmäder 0,146 0,021 0,078 Gärten 0,984 0,060 0,601 Die Angabe für das Saatgut wurde aus den Bondorfer Akten übernommen, da entsprechende Angaben für Gebersheim und Gruorn fehlen. In Tailfingen wurde 1737 der Rohertrag der Äcker auf 1,2 fl/V, der der Wiesen auf 0,86, der Gärten auf 1,32 und der Weingärten auf 1,5 fl/V veranschlagt. Die Reinerträge beliefen sich bei den Äckern auf 0,25 fl/V, den Wiesen auf 0,44, den Gärten auf 0,66 und den Weingärten auf 0,44 fl/V. 1 5 4 Die Erträge der Nebringer Äcker wurden 1737 auf 1,2 fl/V Rohertrag geschätzt, die der Wiesen auf 0,59 fl/V. Da ansonsten nur pauschal veranschlagt wurde, lassen sich keine weiteren Angaben machen. 155 Etwas niedriger wurde der Rohertrag der Mötzinger Äcker angesetzt: 0,8 fl/V für die Äcker, 0,35 fl/V für die Wiesen und 1,13 fl/V für die Gärten. Die Reinerträge beliefen sich auf 0,19 fl/V bei den 153 HSTAS A 261 Bü 1134 (Protokoll der Steuersubrevision, Leonberg, 1731); Bü 1615 (Güter Collections Berechnungen zur Subrevision, Urach, 1729) 154 HSTAS A 261 Bü 1062 (Protokoll über die Untersuchung der Steuersubrevision von 1729, Herrenberg, 1737) 155 HSTAS A 261 Bü 1062

114

Äckern, 0 , 1 9 fl/V bei den Wiesen und 0,57 fl/V bei den Gärten. 1 5 6 In Wangen wurde 1717 der Rohertrag der Äcker auf 1,208 fl/V, der Reinertrag auf 0,389 fl/V veranschlagt. Wiesen erbrachten roh 0,977, rein 0,605, Weingärten 5,15 fl/V bzw. 1,60 fl/V, Gärten 2,08 bzw. 1,20 fl/V, Länder schließlich 1,25 fl/V bzw. 0,78 fl/V. 157 1731 w i c h vor allem die Schätzung für die Weingärten deutlich ab: sie wurden nun nur noch auf 3,89 fl/V Rohertrag bzw. 1,25 Reinertrag eingeschätzt, auch der Ertrag der Gärten verringerte sich auf 1,49 fl/V (roh) und 0,75 fl/V (rein). 1 5 8 Zumindest partiell kontrollieren lassen sich die Angaben der Steuereinschätzungsakten durch verstreute Angaben aus den Inventuren und Teilungen: Inventuren lassen sich für diese Frage immer dann heranziehen, wenn die Inventur unmittelbar nach der Ernte erstellt wurde, das Getreide noch unausgedroschen aufgeführt wird und sich womöglich noch der Hinweis findet: "auf den Gütern in Zeig ... eingeheimst". Bei doppelt aufgeführten Inventuren handelt es sich um Zubringensinventuren, für die die Güter des Mannes und die der Frau getrennt behandelt wurden (s. Tabelle 4.2.1 l . f . ) . Dies ergibt in 50-Jahres-Durchschnitten zusammengefaßt für 1700-1749 im Winterfeld einen Schnitt von 1,67, im Sommerfeld von 0,54 und im dreijährigen Durchschnitt von 0,73 fl pro Viertel, 1750-1799 von 2,56, 1,12 und 1,27 und 1800-1829 von 3,85, 1,91 und 1,93. Karl von Varnbüler erzielte (nach seinen Angaben, aber umgerechnet nach derselben Methode wie oben) in Hemmingen um 1810 2,29 fl/V im dreijährigen Durchschnitt (und bei Dreifelder- statt der von ihm aufgeführten Neunfelderwirtschaft), 159 was durchaus in den Rahmen der Bondorfer Ergebnisse paßt. Das Amt Marbach nahm 1647 bei einer Aussaat von einen Scheffel eine Ernte von sechs Scheffeln Dinkel pro Morgen an, was für das Winterfeld einen Ertrag von 3 fl pro Viertel bei konstanten Preisen ergeben würde und damit deutlich mehr als oben für das frühe 18. Jahrhundert angenommen. 1 6 0

156 157 158 159

HSTAS A 261 Bü 1062 HSTAS A 261 Bü 901 (Spezialtabelle und Berechnung des Fundum collectabilum, Wangen 1717) HSTAS A 261 Bü 912 (Steuersubrevision, Cannstatt, 1728-1732) K. von Varnbüler, Beitrag, S.81; s.a. Beschreibung Leonberg, S.126: Gebersheim 2,08 fl/V (nach meiner Berechnungsmethode aus den Angaben der Oberamtsbeschreibung umgerechnet); für Komwestheim 1787 errechnen sich 1,375 fl/V (nach den Angaben bei W. von Hippel, Bauernbefreiung II, S,786); vgl.a. G.F.Roesler, Natur-Geschichte, S.58-78; G.Dehlinger, Überblick, S.54; K.Göriz, Betriebslehre I, S.88, 138-144; K. von Varnbüler, Beschreibung, S.38; Beschreibung Herrenberg, S. 158, 235, 241, 294; vgl.a. F.Göttmann, Getreidemarkt, S.448-452 160 HSTAS A 230 Bü 97 (Produktionskosten für Getreide, 1647, Marbach). Die Marbacher nahmen eine Emte von 70 Garben pro Morgen an. Die Bondorfer behaupteten 1719, daß auf dem besten Morgen Land nicht wohl 50 Garben zu erhoffen seien (HSTAS A 261 Bü 1264 (Bericht über die Steuerrevision, Bondorf, 1720)). Nach dem Zehntregister der Bebenhäusischen Pfleg Roseck ertrug das Winterfeld in Bondorf 1711/12 bis 1719/20 4,69 Scheffel Dinkel pro Morgen, das Sommerfeld 2,73 Scheffel Hafer, was bei konstanten Preisen einen durchschnittlichen jährlichen Ertrag von 1,01 fl/V ergibt. (HSTAS A 261 Bü 1264) Die Werte liegen also deutlich unter den Marbacher Angaben von 1647. Dies kann mit der Wüstlegung von Ackern geringeren Ertrags zusammenhängen, so daß 1647 nur Land besonders hoher Qualität überhaupt bebaut wurde - mit dementsprechend positiven Resultaten. Die Konsistenz derartiger Angaben sollte man nicht überschätzen: Das Amt Marbach plädierte (aufgrund seiner Ertragsberechungen) für einen Dinkelpreis von 1 fl 40 x, das Amt Leonberg setzte als Minimum 2 fl, das Amt Herrenberg behauptete der Scheffel Dinkel lasse sich nicht unter 3 bis 3,5 fl erzeugen, schlug aber dann doch nur 2 fl als Preis vor: HSTAS A 230 Bü 97 (Marbach, Leonberg, Herrenberg). Die Angaben scheinen ziemlich willkürlich.

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Tab. 4.2.11.f. Ertragsangaben aus den Inventuren. Bondorf (konstante Preise, pro Viertel und Jahr) Inventurnr. Jahr Winterfeld Sommerfeld Durchschnitt drei Jahre 58 1708 1,97 120 1713 0,74 121 1713 2,50 0,50 1,00 121 2,50 1713 0,75 1,08 125 1724 0,73 0,38 0,38 126 1724 1,21 1724 127 0,47 0,42 0,30 131 1727 1,28 0,59 0,62 131 1727 1,59 0,27 0,62 138 1725 0,45 0,52 1,11 162 1727 2,14 1,25 162 1727 2,00 207 1730 0,69 0,90 1730 2,00 0,69 0,90 207 432 1745 1,74 0,49 0,74 438 1746 2,50 1,01 0,52 582 1756 1,60 787 3,26 1,48 1772 1,17 787 3,33 1,10 1,48 1772 814 1773 0,94 817 1773 2,41 1,50 1,30 817 1773 2,07 1,05 1,04 820 2,14 1773 1,07 1,07 820 1773 1,04 0,90 0,65 822 1773 2,46 0,94 1,13 822 1773 2,47 1,61 1,36 845 1775 2,94 0,78 1,24 846 1775 2,44 0,78 1,07 847 1775 2,92 1,07 1,33 1784 992 2,15 0,69 0,95 1199 1795 6,12 1,55 2,56 1217 1796 1,85 1,05 0,97 1221 1796 2,88 1,52 1,47 1291 1799 3,07 1821 4,50 1,34 1,95 1735 1735 1821 5,00 0,88 1,96 8,38 3,68 1736 1821 3,32 5,97 2,73 1736 1821 2,21 1821 3,34 1,27 1,54 1737 1821 3,50 1,02 1,51 1737 1,84 1,90 1,25 1740 1821 1741 1821 2,88 2,38 1,75 1824 2,29 0,87 1,05 1804 1,10 6,14 2,41 1836 1825 1826 4,93 1857 1861 1826 8,67 3,43 4,03 1868 1826 3,22 2,38 1,87 1827 1,93 0,44 0,79 1882 1,04 1887 1827 4,32 1,79 1827 2,32 0,82 1,05 1887 1828 1,83 1905 1829 3,20 1,33 1,51 1938

116

Deutlich wird zumindest ein beträchtlicher Anstieg des Ertrags pro Viertel und Jahr von der ersten Hälfte des 18. bis zu den ersten dreißig Jahren des folgenden Jahrhunderts. Für das Winterfeld errechnet sich ein Anstieg auf das 2,3fache, für das Sommerfeld auf das 3,5fache und im dreijährigen Schnitt auf das 2,5fache. Der sehr starke Anstieg im Sommerfeld beruht auf dem vermehrten Anbau von (hochbewerteten) Hülsenfrüchten anstelle von (niedrigbewertetem und ertragsschwachem) Hafer. Da bei den Angaben der Inventuren der Zehnt (wie auch bei den Steuereinschätzungsakten) immer schon abgezogen ist, die Gülten ebenfalls zumeist fehlen, ergibt sich für die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts eine nahezu perfekte Übereinstimmung zwischen den beiden Quellen: die Inventuren liefern einen Wert von 0,73 fl/V, die Steuereinschätzungsakten von 0,74 fl/V (0,825 Rohertrag minus 0,085 Gülten). Die dritte Möglichkeit, die Entwicklung der Erträge pro Flächeneinheit abzuschätzen, bietet der Ertrag des Zehnten, der für Bondorf in den Rechnungen der Bebenhäuser Pflege Roseck dokumentiert ist. 1 6 1 Da bei der Erhebung des Zehnten zwei Verfahren abwechselnd praktiziert wurden (der Selbsteinzug durch die Pflege Roseck und die Verpachtung im Aufstreich), ist die Quellenlage allerdings nicht so einheitlich, wie es die lange Serie suggeriert. Das Risiko einer systematischen Unterschätzung des Zehntertrags bei Verpachtung dürfte nicht sehr groß sein, da der Zehntertrag zuerst geschätzt wurde und diese Schätzung dann als Ausgangspunkt bei der Versteigerung diente, wobei mindestens der geschätzte Ertrag geboten werden mußte. 1 6 2 Die Rechnungsjahre der Pflege Roseck laufen in der Regel von Georgii bis Georgii des folgenden Jahres. Der Zehnt fiel immer in der ersten Hälfte des Rechnungsjahres an. Die Angaben unter gesamter Ackerfläche beziehen sich auf die Gesamtfläche der Äcker ohne altöde Flächen und Wälder, die unter angebauter Fläche auf den Umfang des Ackerfeldes ohne diejenigen Flächen, die den Surrogatzehnten reichten, da sie zum Anbau von Klee bzw. als künstliche Wiesen verwandt wurden. Die Flächenangaben stammen aus den Landesaufnahmen von 1769 und 1774. Die Ertragsangaben beziehen sich auf konstante Preise (die aus den Steuereinschätzungsakten entnommen wurden); der jeweilige Ertrag des Zehnten wurde mit 10 multipliziert. Die Zehnten, die von Roseck selbst eingezogen wurden, sind mit einem Sternchen (*) markiert. Die Flächenschwankungen gegen Ende des 18. Jahrhunderts kommen dadurch zustande, daß der Hof Hohenreuthin in den meisten Jahren ein spezielles Abkommen mit der Pflege getroffen hatte und seinen Zehnt separat zahlte.

161 Forschungsüberblick zu Zehnterträgen bei J.Goy, E.Le Roy Ladurie, Rapport introductif, passim 162 vgl.a. H.Jänichen, Beiträge, S.91f; A.L.Head-König, Prestations, S.262-264 117

Tab. 4.2.11.g. Zehntertrag in Bondorf 1600-1806 Jahr Ertrag gesamte Akangebau(fl) kerfläche te Fläche (M) (M) 1600 1609 1619 1628 1629 1640 1649 1659 1662 1669 1673 1679 1680 1681 1682 1683 1684 1685 1686 1687 1688 1689 1690 1691 1692 1693 1694 1695 1696 1697 1698 1699 1700 1701 1702 1703 1704 1705 1706 1707 1708 1709 1710 1711 1712 1713 1714 1715 1716 1717 1718 1719 1720 1721 1722 1723

118

9120 14150 15190 12230 15580 910 10360 9300 8310 7540 11850 9350 15820 12470 18360 11550 11750 16720 13430 13140 12460 »17470 •14510 •12500 •9480 •12320 •17940 •21700 11300 13000 12960 12570 15125 14690 16750 14080 16560 13230 11730 •16520 12460 •13210 17910 •15640 14730 •16600 •14490 16110 •16060 •16990 •14810 •14430 •18890 18110 16650 •17830

4360 4360 4360 4360 4360 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218

7 ? ? 7 7 ? 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 9 7 7 ? 7 4212 4212 4212 4212 4212 4212 4212 4212 4212 4212 4212 4212 4212 4212

Ertrag pro Gesamtfläche (fl/M) 2,09 3,25 3,48 2,81 3,57 0,22 2,46 2,21 1,97 1,79 2,81 2,22 3,75 2,96 4,35 2,74 2,79 3,96 3,18 3,12 2,95 4,14 3,44 2,96 2,25 2,92 4,25 5,15 2,68 3,08 3,07 2,98 3,59 3,48 3,97 3,34 3,93 3,14 2,78 3,92 2,95 3,13 4,25 3,71 3,49 3,94 3,44 3,82 3,81 4,03 3,51 3,42 4,48 4,29 3,95 4,23

Ertrag pro angebaute Fläche (fl/M) -

4,25 3,71 3,50 3,94 3,44 3,83 3,81 4,03 3,52 3,43 4,49 4,30 3,95 4,23

Tab. 4.2.11.g. Fortsetzung •9290 1724 »21950 1725 »15070 1726 »14440 1727 »12260 1728 »16330 1729 »17470 1730 »16530 1731 »15020 1732 »15630 1733 1734 »15990 »14950 1735 1736 »17280 1737 »14160 1738 »15630 1739 »16650 1740 »15200 »10720 1741 »12330 1742 »15330 1743 1744 »13930 »12740 1745 1746 »13760 1747 »14160 1748 »13200 1749 »13430 1750 »14430 1751 »14650 1752 »13750 1753 »12550 1754 »19500 1755 25640 1756 18510 1757 19100 1758 17010 1759 18430 1760 17870 1761 12550 21850 1762 1763 22910 1764 20560 1765 20880 1766 24420 1767 22440 1768 19880 1769 25220 1770 21280 1771 20330 21670 1772 1773 24410 1774 5071 1775 23530 1776 21880 1777 16330 1778 22860 1779 26500 1780 16980 1781 25040 20610 1782 1783 26100 1784 17320 1785 24050 1786 22210

4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4218 4098 4098 4098 4098 4098 4098 4098 4098

4212 4212 4212 4212 4212 4212 4212 4212 4212 4212 4212 4212 4212 4212 4212 4212 4212 4212 4212 4212 4212 4212 4212 4124 4124 4117 4117 4103 4103 4089 4066 4035 4030 4030 4030 4030 4030 4030 3976 3976 3976 3976 3976 3976 3976 3976 3976 3976 3976 3973 3973 3973 3973 3973 3973 3853 3781 3781 3781 3767 3736 3736 3736

2,20 5,20 3,57 3,42 2,91 3,87 4,14 3,92 3,56 3,71 3,79 3,54 4,10 3,36 3,71 3,95 3,60 2,54 2,92 3,63 3,30 3,02 3,26 3,36 3,13 3,18 3,42 3,47 3,26 2,98 4,62 6,08 4,39 4,53 4,03 4,37 4,24 2,98 5,18 5,43 4,87 4,95 5,79 5,32 4,71 5,98 5,05 4,82 5,14 5,79 1,20 5,58 5,19 3,87 5,42 6,47 4,14 6,11 5,03 6,37 4,23 5,87 5,42

2,21 5,21 3,58 3,43 2,91 3,88 4,15 3,93 3,57 3,71 3,80 3,55 4,10 3,36 3,71 3,95 3,61 2,55 2,93 3,64 3,31 3,03 3,27 3,43 3,20 3,26 3,51 3,57 3,35 3,07 4,80 6,35 4,59 4,74 4,22 4,57 4,43 3,11 5,50 5,76 5,17 5,25 6,14 5,64 5,00 6,34 5,35 5,11 5,45 6,14 1,28 5,92 5,51 4,11 5,75 6,88 4,49 6,62 5,45 6,93 4,64 6,44 5,95 119

Tab. 4.2.11 .g. Fortsetzung 1787 21780 1788 27220 1789 21140 1790 28410 1791 22950 23400 1792 1793 25160 7180 1794 1795 29090 1796 20000 1797 16910 1798 27940 1799 25410 1800 21270 1801 21520 9340 1802 1803 29740 1804 19000 1805 15670 1806 23630

4098 4098 4098 4098 4098 4098 4098 4098 4098 4098 4098 4098 4098 4098 4098 4098 4218 4098 4098 4098

3736 3736 3736 3736 3736 3736 3736 3736 3736 3736 3736 3679 3679 3593 3593 3593 3677 3557 3557 3557

5,32 6,64 5,16 6,93 5,60 5,71 6,14 1,75 7,10 4,88 4,13 6,82 6,20 5,19 5,25 2,28 7,05 4,64 3,82 5,77

5,83 7,29 5,66 7,60 6,14 6,26 6,73 1,92 7,79 5,35 4,53 7,60 6,91 5,92 5,99 2,60 8,09 5,34 4,41 6,64

Zusammengefaßt nach Halbjahrhunderten und nach Perioden erhält man für die Erträge pro Fläche folgendes Ergebnis:

Tab. 4.2.11.h. Erträge pro Gesamtfläche in Bondorf: Zusammenfassung Zeitraum Ertrag pro Ertrag pro Morgen (fl) Viertel (fl) vor 1634 3,04 0,76 1650-1699 3,11 0,78 3,59 0,90 1700-1749 4,97 1,24 1750-1799 4,86 1,21 1800-1806 Periode 2,55 0,64 vor 1654 1655-1689 3,00 0,75 1690-1724 3,53 0,88 3,71 1725-1759 0,93 1,27 1760-1794 5,10 5,26 1,32 1795-1806

D. h. auch die aufgrund dieser dritten Quellenart gewonnenen Ergebnisse koinzidieren mit denen der beiden ersten: für die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts ergibt sich aus den Zehntrechnungen ein Wert von 0,81 fl/V (0,90 minus Zehnt von 0,09) gegenüber 0,825 fl/V bei den Steuereinschätzungsakten und 0,815 fl/V bei den Inventuren (0,73 fl/V plus 0,085 fl/V Gülten); für die zweite Jahrhunderthälfte stehen sich 1,12 fl/V bei den Zehntrechnungen (1,24 fl/V minus 0,124 fl/V) und 1,27 fl/V bei den Inventuren gegenüber: wegen der ungleichmäßigen Repräsentation der einzelnen Jahre bei den Berechnungen auf der Grundlage der Inventuren bestätigen sich auch diese beiden Zahlen.

120

Der oben formulierte methodische Einwand, daß das Einzugsverfahren möglicherweise die Ergebnisse verfalschen könnte, läßt sich durch die Gegenüberstellung des durchschnittlichen Ertrags bei Selbsteinzug bzw. bei Verpachtung entkräften: in den ersten 50 Jahren des 18. Jahrhunderts wurde in 37 Jahren der Zehnt von der Pflege Roseck selbst eingezogen und erbrachte 3,58 fl/M, in 13 Jahren wurde er an Zehntbeständer überlassen und ertrug 3,61 fl/M, d.h. praktisch dasselbe. In den folgenden 50 Jahren sind die Abweichungen groß: in den fünf Jahren mit Selbsteinzug ertrug der Zehnt nur 3,55 fl/M, während er in den 45 Jahren mit Verpachtung 5,13 fl/M erbrachte. Abgesehen davon, daß die Verfälschung hier in die entgegengesetzte Richtung sich auszuwirken scheint als zu vermuten gewesen wäre (niedriger Ertrag bei Verpachtung), liegt dies daran, daß sich die Jahre mit Selbsteinzug auf die frühen 50er Jahre konzentrieren - also vor dem deutlichen Ertragsanstieg der zweiten Jahrhunderthälfte liegen. Insgesamt liegen die Erträge vor und nach dem Dreißigjährigen Krieg in etwa in derselben Höhe (das Jahr 1640 einmal weggelassen). Schon in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts aber erhöhten sich die Erträge pro Viertel um 15% gegenüber denen der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Nach 1760 erfolgt ein sehr starker Anstieg (um 37%), der sich in den Jahren um 1800 nicht fortzusetzen scheint. Bis in die 1820er Jahre aber scheint sich die Ertragslage weiter verbessert zu haben (nach den Inventuren). 1 6 3 Die starken Schwankungen des Ernteertrags von Jahr zu Jahr stellen eine der wesentlichen Bedingungen der vorindustriellen Landwirtschaft dar. Um die Anzahl von guten und schlechten Jahren quantifizieren zu können, wurde die folgende Tabelle erstellt.

Tab. 4.2.11.i. Schwankungen des Ernteertrags Bondorf Anzahl Jahre, in denen der Periode Durchschnittl. Ertrag Ertrag vom Durchschnitt abwich (%) (fl) -50 -25 -10 - 1 0 / + 1 0 + 1 0 + 2 5 11077 vor 1654 1 0 1 1 1 3 4 7 1655-1689 12635 0 0 4 0 1690-1724 2 14891 0 10 11 10 2 1 17 1725-1759 15649 0 9 6 1 1760-1794 1 4 21200 2 16 9 3 4 21627 1 1 2 1795-1806 1 3 4 gesamt 9 26 56 27 16

+50 0 0 0 1 0 0 1

163 vgl. B.H.Slicher van Bath, History, S. 112 (Expansion ab 1740); T.Nipperdey, Geschichte, S.157: die geringen Zuwächse im Westen und Süden im 19. Jahrhundert erklären sich vielleicht aus größeren im 18. Jahrhundert, was sich durch die Höhe der absoluten Erträge bestätigen läßt. Nach Viebahn staffelten sich die Roherträge 1858 in Silbergroschen pro preußischem Morgen wie folgt: Königreich Sachsen 79, Preußische Provinz Sachsen 79, Württemberg 71, Baden 70, Rheinpreußen 70, Braunschweig 68 (zit. nach H.-J. Teuteberg, Landwirtschaft, S.84). Der im 18. Jahrhundert erwirtschaftete Vorsprung reichte bis ins 19. aus. Vgl.a. W. von Hippel, Bevölkerungsentwicklung, S.311 für die Jahre 1790-1860 in Kornwestheim; vgl.a. die bei K. von Vambüler, Beitrag, S.160f wiedergebene Meinung der Einheimischen über den guten Zustand ihrer Landwirtschaft.

121

Die Anzahl von Normaljahren, d.h. Jahren, in denen der Ertrag um weniger als 10% nach oben oder unten abwich, erhöht sich von 1690-1724 bis 1725-1759. Die Schwankungen scheinen im 18. Jahrhundert weniger stark gewesen zu sein als vorher. Von den 139 Jahren, für die Zehntrechnungen vorliegen, waren immerhin 56 nach dieser Definition normal. 26 schlechten (mit einer um zwischen 25 und 10% verminderten Ernte) standen 27 gute (mit einer um zwischen 10 und 25% gestiegenen Ernte) gegenüber. Auch hier zeichnet sich eine deutliche Verbesserung im 18. Jahrhundert ab: 1690-1724 standen 12 defizitären 12 gute Jahre gegenüber, 1725-1759 10 schlechten 8 gute, 1760-1794 12 gute 7 schlechten. 1795-1806 dagegen entfielen auf jede Kategorie vier Jahre: vier schlechte, vier normale, vier gute. Ausgesprochen schlechte Jahre mit weniger als 75% des durchschnittlichen Ertrags waren relativ selten, machten aber doch fast 10% aller Jahre aus (13 von 139), ausgesprochen gute waren erfreulicherweise häufiger: 17 von 139 (12%). Katastrophenjahre mit weniger als der Hälfte des Durchschnittsertrags kamen vier vor (3%), von denen drei in der ansonsten doch recht freundlichen zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts lagen (für das 17. Jahrhundert ist die Serie leider unvollständig, so daß hier sicherlich einige besonders schlechte Jahre fehlen). Variationen in derselben Größenordnung nach oben waren seltener: nur in einem Jahr wurde der Durchschnitt um 50% überschritten. Insgesamt also das Bild einer Landwirtschaft, die ständig mit Ernteschwankungen zu rechnen hatte, wobei sich diese Schwankungen in 109 von 139 Jahren noch einigermaßen im beherrschbaren Bereich von einem Viertel mehr oder weniger bewegten, in 13 Jahren aber stark defizitär war und in 17 Jahren erfreulich gute Ergebnisse zeitigte. Wechselt man von der generellen auf die individuelle Ebene, versucht man also für einzelne Höfe (wie sie in den Inventuren dokumentiert sind) Ertragsberechnungen anzustellen, ergibt sich vor allem das Problem, daß aufgrund des generellen Charakters der Ertragsangaben individuelle Unterschiede zwischen den Höfen (unterschiedliche Bodenqualitäten, Intensität der Bearbeitung, Abgabenlasten) wegfallen. Insofern haben die folgenden Angaben nur hypothetischen Charakter. Außerdem müssen Inventuren aus einem relativ langen Zeitraum (um so kleiner das Dorf, um so länger der Zeitraum) herangezogen werden, wobei dann auftretende Ertragsschwankungen die Ergebnisse entwerten. Da es hier aber mehr auf die strukturelle Komponente ankommt, wurde der Versuch dennoch gewagt. 1 6 4 Zur Einschätzung der Erträge einzelner Höfe wurden die Flächenangaben der Inventuren mit den Ertragswerten der Steuereinschätzungsakten multipliziert, zur Berechnung des maximalen Ertrags die Gülten und das Saatgut abgezogen. Die Angaben werden also zu konstanten Preisen (ein Scheffel Dinkel = 2 fl) gemacht. Waldbesitz mußte außer Betracht bleiben, da über den privaten Bondorfer Waldbesitz keine entsprechenden Angaben vorhanden sind, in Gebersheim und Gruorn nur Kommunwaldungen existierten. Für Bondorf wurden also einbezogen Äcker, Wiesen und Gärten, für Gebersheim Äcker,

164 Für Bondorf wurden die Inventuren der Jahre 1724-1745, für Gebersheim und Gruorn die der Jahre 1710-1759 herangezogen, um chronologisch im Umkreis der Steuereinschätzung zu bleiben.

122

Wiesen, Gärten, Länder und Weingärten, für Gruorn Äcker, Wiesen, Gärten und Holzmäder. Der Verbrauch des Hofes wurde als Mindestverbrauch der jeweiligen Familie definiert, wobei alle ledigen Kinder zur Familie gerechnet wurden und für jede Person ein Verbrauch von 3 Scheffel Dinkel pro Jahr 1 6 5 angesetzt wurde (was 6 fl entspricht). Der Vergleich dieses Mindestverbrauchs mit dem maximalen Ertrag diente zur Abschätzung des maximal möglichen Selbstversorgungsgrads bzw. des Anteils von Höfen, die überhaupt in der Lage waren, vermarktbare Überschüsse zu erzielen. Tabelle 4 . 2 . 1 1 . j . faßt den Prozentsatz der Höfe zusammen, die einen Überschuß erzielten bzw. deren agrarische Basis zur Selbstversorgung nicht ausreichte:

Tab. 4 . 2 . 1 1 . j . Vergleich von maximalem Ertrag und Mindestverbrauch Dorf N Überschuß Gleichstand Defizit N % N % N % 77 2 1,9 27 72,6 25,5 Bondorf 106 28 0 0,0 22 44,0 Gebersheim 50 56,0 20 39,2 0 0,0 31 60,8 Gruorn 51

Gruorn zeigt die schlechteste Situation: nur 40% der dortigen Haushalte konnten aus ihrem 165

Grundbesitz den Mindestverbrauch

decken,

während

60%

auf

anderweitige

H S T A S A 2 4 3 a Bü 8 (Fruchtvorräte, 1771, Herrenberg): Bericht des Oberamts Herrenberg vom 2 7 . 1 . 1 7 7 1 : Auf jeden Menschen seien drei Scheffel Dinkel Hausbrauch und Aussaat gerechnet worden, auf stark begüterte Bauern 5 Scheffel. Zusätzlich benötigte j e d e r wenig begüterte Bauer 8 bis 10 Pfund Brot täglich für Bettler. Da im Januar 1771 bei der Berechnung des bis 1 . 8 . 1 7 7 1 benötigten Dinkels die Aussaat keine Rolle mehr spielte, beziehen sich die Angaben über den Mindestbedarf bei diesem Getreide nur auf den Hausbrauch. In Tailfingen wurde mit einem Mindestbedarf von 1,73 Scheffeln, in Nebringen von 2 , 2 2 Scheffeln, in Mötzingen von 1 , 9 0 Scheffeln für ein halbes Jahr ( 1 . 2 . - 1 . 8 . ) gerechnet. In Bondorf veranschlagte man 2 , 4 3 Scheffel, in Gebersheim aber nur 2 , 0 0 und in Gruorn 0 , 8 6 Scheffel. ( H S T A S A 2 4 3 a Bü 9 (Fruchtvorräte,

1771) N r . 5 2 (Leonberg),

Nr.67

(Nagold) und N r . 9 7 (Urach)). Auf ein Jahr gerechnet schwanken die Angaben also zwischen

1,7

( G r u o m ) und 4 , 8 (Bondorf) Scheffel Dinkel. Die Angaben über den Mindestverbrauch schwanken nun mit der Höhe der noch vorhandenen Vorräte: in Bondorf, wo nach Abzug des Mindestverbrauchs noch 2 0 2 5 Scheffel Dinkel überschüssig waren, mußte man weniger knapp kalkulieren als in Gruorn, wo schon der Abzug des Mindestverbrauchs ein Defizit von 125 Scheffel ergeben hatte. Die Einschätzung von

Vorräten

und Mindestverbrauch

erfolgte jeweils durch lokale Honoratioren,

die im

Falle

überschüssiger Vorräte daran interessiert waren, diese möglichst gering ausfallen zu lassen, was am leichtesten über eine Heraufsetzung des Mindestverbrauchs möglich war (schlichte Unterschlagung von Vorräten war vielleicht zu riskant). Bei Personen, gegenüber denen die lokalen Autoritäten nicht verantwortlich waren, rechnete man knapper: Das Amt Leonberg rechnete für jeden Bewohner des Amts 3 , 6 Scheffel Dinkel Jahresbedarf, für die 7 0 6 Arbeitskräfte, die beim Bau der Solitude eingesetzt waren, aber nur 3 Scheffel, obwohl die Altersstruktur der beiden Bevölkerungen eher für einen höheren Ansatz bei den Arbeitssoldaten gesprochen haben dürfte ( H S T A S A 2 4 3 a Bü 9 N r . 5 2 (Leonberg)). Vgl. zur Quellenkritik W.Achilles, Lage, S . 8 f . Auch K. von Vambüler, Beschreibung, S . 4 4 nimmt einen Mindestverbrauch von drei Scheffeln an;

W.Troeltsch, Zeughandlungscompagnie,

S . 2 4 2 ; vgl. a. U.Dirlmeier, Untersuchungen, S . 4 9 : 1449 ging der Nürnberger Rat von 3 1 8 - 4 7 7 Liter als unterer Grenze eines Jahresbedarfs aus, 3 Scheffel entsprechen 4 3 2 Liter, s.a. ebd., S . 2 9 4 - 2 9 6 , 366f;

vgl.

schließlich F.Braudel,

Alltag, S . 1 3 0

(3 hl pro Kopf,

d.h.

1,7

Scheffel);

W.Abel,

Agrarkrisen, S . 1 5 7 ; G.Cabourdin, Paysans, S . 7 4

123

Einnahmequellen angewiesen waren. Sehr viel besser gestalteten sich die Verhältnisse in Bondorf, wo 75% der Haushalte zumindest annähernd Selbstversorger waren, während nur 25% ihre Subsistenz nicht decken konnten. Den mittleren Rang nimmt Gebersheim ein, wo immerhin 56% der Haushalte ihren Eigenbedarf einigermaßen decken konnten. Der Ansatz des Mindestverbrauchs dürfte allerdings zu niedrig sein (zumal ja auch noch Steuern bezahlt werden mußten). Der Anteil der Haushalte, die Nahrungsmittel verkaufen konnten, läßt sich eingrenzen, wenn nur diejenigen ausgewählt werden, deren Überschuß größer als der Mindestverbrauch war, deren maximaler Ertrag also das Doppelte des letzteren betrug:

Tab. 4.2.11.k. brauch Dorf Bondorf Gebersheim Gruorn

Anteil der Haushalte, deren Überschuß größer war als ihr MindestverN 51 14 10

% der Haushalte mit Überschuß 66 50 50

% aller Haushalte 48 28 20

In allen Dörfern war mithin der Anteil der Haushalte, die wahrscheinlich einen vermarktbaren Überschuß erzielten, geringer als 50%. Derartige Haushalte stellten in Gebersheim und vor allem in Gruorn eine Minderheit dar. Umgekehrt bedeutet dies, daß selbst in den relativ guten Bondorfer Verhältnissen nur knapp die Hälfte der Familien ihre Subsistenz mit einiger Bequemlichkeit aus der Landwirtschaft ziehen konnte. 1 6 6 Die Entwicklung bis zum Ende des betrachteten Zeitraumes zeigt Tabelle 4.2.11.1., wobei der angenommene Ernteertrag pro Viertel aus den Angaben der Zehntrechnungen und der Inventuren abgeleitet wurde, was zur Beschränkung auf Bondorf und gut belegte Jahrzehnte zwang.

Tab. 4.2.11.1. Vergleich von maximalem Ertrag und Mindestverbrauch Bondorf 17241745, 1770-1789 und 1820-1829 N Überschuß Defizit Zeitraum N % N % 1724-1745 106 79 74,5 27 25,5 1770-1789 81 54 67,0 27 33,0 1820-1829 70 46 65,7 24 34,3

Von 1745 bis 1770 reduziert sich der Anteil der Haushalte, die einen Überschuß über den Mindestverbrauch erwirtschafteten, etwas, danach herrscht Stagnation: Der verminderte Landbesitz wurde durch die Ertragssteigerungen ausgeglichen.

166 vgl. Ergebnisse, S.XXII

124

Tab. 4.2.11.m. Anteil der Haushalte, deren Überschuß größer war als ihr Mindestverbrauch Bondorf 1724-1745, 1770-1789 und 1820-1829 Zeitraum N % der Haushalte % aller Haushalte mit Überschuß 1724-1745 51 66 48 1770-1789 42 78 52 1820-1829 42 91 60

Der Anteil der Haushalte, die vermarktbare Überschüsse aufwiesen, stieg vom 18. zum frühen 19. Jahrhundert an. Vor allem aber wuchsen die Überschüsse der Haushalte, die einen Überschuß erzielten. Während nur eine begrenzte Zahl weniger begüterter Haushalte in die Reihen dieser Überschußhaushalte aufrückte, akkumulierten die reicheren höhere Überschüsse, so daß 1820-1829 die Überschüsse fast aller Haushalte, die überhaupt Überschüsse produzierten, doppelt so hoch waren wie ihr angenommener Mindestverbrauch. Da aber die Ernteerträge stark schwanken, sind die Verhältnisse in "Normaljahren" nicht unbedingt ausschlaggebend. Der maximale Ertrag wurde deshalb entsprechend der Güte der Ernte variiert, wobei die gleiche Einteilung verwendet wurde wie oben beim Zehntertrag.

Tab. 4.2.11.n. Anteil der Haushalte mit Überschüssen (%) in Abhängigkeit vom der Ernte Dorf Abweichung vom Normaljahr -50% -25% -10% 0 + 10% +25% Bondorf 48,1 71,7 76,4 67,0 74,5 85,6 Gebersheim 28,0 50,0 54,0 56,0 58,0 62,0 Gruorn 39,2 39,2 39,2 19,6 35,3 41,2

Umfang +50% 86,8 70,0 45,1

Tab. 4.2.11.0. Anteil der Haushalte, deren Überschüsse größer waren als ihr Mindestverbrauch, an allen Haushalten (%) in Abhängigkeit vom Umfang der Ernte Dorf Abweichung vom Normaljahr -50% -25% -10% 0 + 10% +25% +50% Bondorf 38,7 22,6 48,1 48,1 62,2 51,9 67,0 Gebersheim 10,0 18,0 26,0 28,0 30,0 36,0 50,0 Gruorn 9,8 13,7 11,8 19,6 27,5 31,4 35,3

Variationen des Ernteertrags um 25 % mehr oder weniger verschieben den Prozensatz der Selbstversorger in relativ geringem Ausmaß: selbst bei einem Ausfall von 25% der Ernte konnten in Bondorf sich noch zwei Drittel aller Haushalte, in Gebersheim die Hälfte und 125

in Gruorn ein Drittel versorgen (gegenüber 75%, 56% und 39% in Normaljahren). Erst ganz schlechte Ernten drückten eine erheblich größere Anzahl von Haushalten unter die Selbstversorgungsgrenze. Wie zu erwarten reagiert der Anteil der Haushalte mit vermarktbaren Überschüssen (mit dem Doppelten des Mindestverbrauchs als Ertrag) schneller auf den Umfang der Ernte: schon bei einer Ernte, die nur drei Viertel derjenigen eines Normaljahres ausmachte, fielen nur noch ein Fünftel der Gebersheimer und gar nur ein Zehntel der Gruorner Haushalte in diese Kategorie. In Bondorf waren es immerhin noch 40%. Bei Mißernten (mit 50% des Normalertrags) konnten sich nur noch 10% der Gebersheimer und Gruorner Haushalte selbstversorgen, während es in Bondorf noch 20% waren. Auch die Resultate der Umfrage von 1771 über die vorhandenen Getreidevorräte zeigen diese Differenzen: Von den 20 Gemeinden des Oberamts Herrenberg wiesen nur sechs ein Defizit beim Dinkel auf, von den 16 des Oberamts Leonberg 11, von den 13 des Oberamts Nagold 6, von den 48 des Oberamts Urach aber 42. Den Rekordüberschuß im Amt Nagold hatte - wen wundert es - Bondorf mit 2,4 Scheffel Dinkel pro Kopf der Bevölkerung. Tailfingen schnitt noch günstiger ab (2,7 Scheffel), Nebringen etwa gleich (2,4), Mötzingen hatte nur noch einen halb so großen Überschuß (1,2 Scheffel pro Kopf der Bevölkerung). In Gebersheim fehlte ein halber Scheffel Dinkel pro Kopf der Bevölkerung und in Gruorn 0,3 Scheffel. Die unterschiedlichen Ansätze für den Mindestverbrauch sollten dabei aber nicht vergessen werden: Die Gebersheimer gestanden sich einen mehr als doppelt so hohen Mindestverbrauch zu wie die Gruorner. 167 Modifiziert werden diese Überlegungen erneut durch die Einbeziehung des in Überflußbzw. Mangeljahren unterschiedlichen Preisniveaus, das für eine Minderheit auch Mißjahre profitabel gemacht haben könnte. Zuerst soll deshalb die Entwicklung der Überschüsse in Jahren unterschiedlich guter Ernten betrachtet werden (s. Tabelle 4.2.11 .p.).

167 HSTAS A 243 a Bü 8 und 9; die im Vergleich zu Bondorf schlechtere Situation in Gebersheim zeigt sich auch in einer hohen Anzahl von Vergantungen im frühen 19. Jahrhundert: HSTAS A 584 I 635 (Gottlieb Michael Schömperle, 1811): Gant 1809; I 683 (Barbara Saemann, 1823): Gant 1807; I 684 (Rosine Christine von Au, 1823): Gant 1804; I 692 (Anna Maria Gunser, 1825): Gant 1803; I 700 (Christian Koch, 1821): Gant 1821; I 723 (Heinrich Kunberger, 1829): Gant 1807/8; I 727 (David Koch, 1829): Gant 1822

126

Tab. 4.2.11.p. Überschüsse in Jahr I 1 1724 60 7 1725 142 251 97 1726 92 1727 93 80 1728 79 41 1729 106 120 1730 113 147 1731 107 125 97 91 1732 1733 101 104 1734 103 112 97 89 1735 1736 112 142 74 1737 92 1738 101 104 1739 108 127 98 94 1740 69 1741 21 80 42 1742 1743 99 97 1744 90 70 1745 82 49 89 67 1746 1747 92 74 1748 85 57 1749 87 61 1750 93 79 1751 95 84 89 67 1752 81 46 1753 1754 126 194 1755 166 337 1756 120 171 1757 123 185 110 1758 136 1759 119 169 N I 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

20 = = = = = = = = = = = = =

einzelnen Jahren (gemessen am Überschußi in Normaljahren: dieser = 100) Überschuß im Normaljahr (fl) 3 7 8 10 2 4 5 6 9 11 12 46 49 57 0 27 42 52 51 55 58 43 178 161 156 150 152 154 145 0 147 144 162 96 97 95 96 97 97 97 0 97 97 96 90 88 91 92 91 93 0 92 92 93 90 70 61 72 75 74 73 78 0 77 78 70 110 108 107 107 107 107 106 0 106 106 108 124 119 117 116 116 117 114 0 114 115 119 113 110 109 108 108 109 107 0 108 107 110 95 96 96 96 96 97 0 97 96 97 96 102 101 101 101 101 101 101 0 101 101 102 106 105 105 104 104 104 104 0 104 104 105 95 94 95 96 96 96 96 0 96 96 95 117 122 116 114 114 115 113 0 113 117 112 88 84 89 90 89 89 91 0 90 91 88 102 101 101 101 101 101 101 0 101 101 102 114 111 110 109 110 108 0 109 109 108 111 97 97 98 98 98 98 98 0 98 98 97 43 55 59 63 62 61 67 0 65 68 56 70 62 73 76 74 78 0 75 77 79 71 98 99 99 99 99 99 99 0 99 99 99 81 85 87 88 87 89 88 0 89 89 85 67 74 76 79 77 78 81 0 80 81 74 79 84 85 87 86 86 88 0 88 88 84 84 88 89 90 89 89 91 0 90 91 88 73 79 80 82 82 81 84 0 83 85 79 75 81 82 84 84 83 86 0 85 86 81 87 90 91 92 92 91 93 0 92 93 90 90 92 93 94 93 93 94 0 94 94 92 79 84 85 87 86 86 88 0 87 88 84 65 72 75 77 77 76 80 0 79 80 73 148 138 135 131 133 128 0 132 129 127 139 222 196 189 179 181 184 171 0 174 169 198 129 136 126 124 124 125 121 0 122 121 129 144 134 132 128 129 130 125 0 126 125 135 118 114 113 112 112 113 0 111 111 110 115 136 128 126 123 124 124 121 0 120 122 128 22

14

10

5

2

3

1

0

1

1

79

Index für die Güte der Ernte (Durchschnitt 1724-1759: 100) Überschuß 0 - 20 fl Überschuß 20 - 40 fl Überschuß 40 - 60 fl Überschuß 60 - 80 fl Überschuß 80 - 100 fl Überschuß 100 - 120 fl Überschuß 120 - 140 fl Überschuß 140 - 160 fl Überschuß 160 - 180 fl Überschuß 180 - 200 fl Überschuß > 200 fl gesamt

U m s o kleiner der Ü b e r s c h u ß in normalen Jahren war, um s o dramatischer fällt der R ü c k g a n g in Jahren schlechter Ernten b z w . die Steigerung in Jahren guter Ernten aus. D i e g e r i n g s t e n S c h w a n k u n g e n z e i g e n die ganz g r o ß e n H ö f e , w o d i e H ö h e der Ü b e r -

127

schüsse und der Ausfall der Ernte fast um dieselben Prozentsätze schwanken. Bei den kleinsten Höfen aber führt ein Rückgang der Ernte (wie zum Beispiel 1724) um 40% zu einem Rückgang der Überschüsse um 93% und umgekehrt führt eine Steigerung der Ernte um 66% (wie 1755) zu einer Steigerung der Überschüsse um 237%! Schon jetzt läßt sich also sagen, daß die kleineren Höfe auf gute Ernten angewiesen waren, wenn sie einigermaßen über die Runden kommen wollten. Für die größeren aber könnten die Ernteausfälle durch Preissteigerungen, die Ernteüberschüsse durch Preisrückgänge kompensiert worden sein. Deshalb wurde die Überschußtabelle erneut berechnet, diesmal aber zu laufenden Preisen, wobei der Dinkelpreis des jeweiligen Jahres zugrundegelegt wurde. 1 6 8 Das Resultat war, daß selbst für die größten Höfe die Einbußen bei schlechten Ernten nicht durch die höheren Preise kompensiert wurden. Die Preisentwicklung des Modells ist dabei von den Berechnungen Gregory Kings abgeleitet, nach denen ein Erntefehlbetrag von 10% zu einem Preisanstieg von 30%, einer von 20% zu einem Anstieg von 80% und einer von 50% zu einem Anstieg von 450% führt, während umgekehrt ein Erntemehrertrag von 20% zu einem Preisverfall von 40% führen soll. 1 6 9 Wie bereits oben gezeigt, schwanken im Bondorfer Modell die Überschüsse zwar stärker als die Ernteerträge, womit die Grundlage für die im Vergleich zu den letzteren stärkere Schwankungen der Preise gelegt ist. Die Preise aber reagieren keineswegs in dem von Gregory King berechneten Ausmaß. Die Beispiele der Mißernte von 1741 und der sehr guten Ernte von 1755 mögen dies illustrieren: Der Ernteertrag sank 1741 um 31% gegenüber dem Normaljahr, die Überschüsse um 44%, die Preise aber stiegen nur um 34% (Dinkelpreis von 1741 verglichen mit dem Durchschnitt der fünf Jahre vorher). 1755 stieg der Ertrag der Ernte um 66%, die Überschüsse um 102%, der Dinkelpreis aber veränderte sich überhaupt nicht: er verharrte bei 3 fl, genau wie im Schnitt der fünf Jahre vorher. Berücksichtigt man eine mögliche Zeitverzögerung (ein Teil der Ernte von 1755 wurde sicherlich erst 1756 vermarktet) und legt die Preise des letzten Jahres zugrunde, dann ergibt sich ein - vergleichsweise bescheidener - Rückgang um 22%. 1 7 0 Nicht ausschließen für dieses modellwidrige Verhalten der Bondorfer Preise kann man allerdings einen methodischen Grund: Die Preisangaben der Inventuren und Teilungen sind möglicherweise zu niedrig, eine Tendenz, die durch die Berechnung von Jahresschnitten noch verstärkt wurde. Andererseits könnten unsere Preise auch das ländliche Preisniveau widerspiegeln, im Unterschied zum ansonsten meist herangezogenen städtischen. 1 7 1 Die enormen Preissteigerungen sind vielleicht eher ein Phänomen städtischer Märkte als der Verhältnisse bei den Erzeugern selbst. Dies würde bedeuten, daß von diesen krisenhaften Preissteigerungen eher der Handel als die Landwirtschaft selber profitieren würde. Der dritte Grund scheint mir zu sein, daß viele Krisen lokalen Charakters 168 zur Modellrechnung s. W.Abel, Agrarkrisen, S.23f; H.U.Wehler, Gesellschaftsgeschichte I, S.78-79; B.H.Slicher van Bath, History, S. 118-120 169 W.Abel, Agrarkrisen, S.23; H.U.Wehler, Gesellschaftsgeschichte I, S.78-79; B.H.Slicher van Bath, History, S. 119; E.A.Wrigley, People, S.92-130 170 vgl. a. das Beispiel der Jahre 1315/1316 bei B.H.Slicher van Bath, History, S. 120, für die das Modell ebenfalls nicht zutrifft. 171 vgl. die Preise bei F.Göttmann, Getreidemarkt, S.368 für Uberlingen

128

waren, Preise aber auf überlokalen Märkten (mit-)festgelegt wurden. Auch von daher könnte sich ein Ausgleich allzu starker Schwankungen ergeben. Übrigens intervenierte bei Mißernten auch die Obrigkeit: durch Preisfestsetzungen 172 und (effektiver) durch Abgabe von Getreide aus den kommunalen Fruchtvorräten, was wiederum den Preisanstieg gedämpft haben dürfte. Hier wirken sich möglicherweise Unterschiede zum kapitalistischeren England aus. 4.2.12. Düngung Eine wesentliche Komponente bei Ertragssteigerungen stellt der Umfang der Düngung dar. Leider sind auch hier die ermittelten Angaben mehr als unvollständig. Nach den Steuereinschätzungsakten wurden in Bondorf die Äcker (aufgrund des Wiesenmangels) nur einmal in sechs bis neun Jahren gedüngt. 173 Der Zusammenhang von Düngung und Erträgen (auch für Wiesen) war auf jeden Fall klar: 1729 hieß es, daß Wiesen hätten geteilt werden müssen, "weil diese Wiesen, wenn solche ein Innhaber allein haben müste wegen Tung und Beßerungs Mangels, gäntzlich in abgang gerathen würden ,.." 1 7 4 Konkrete Angaben über tatsächlich erfolgte Düngung lassen sich aus dem Bestandsvertrag entnehmen, den 1740 die Pfleger der beiden minderjährigen Töchter des verstorbenen Bauern Jacob Schelling mit Georg Benedict und Hans Michel Weimar (den Onkeln der Pfleglinge) schlössen: Die Beständer sollten pro Jahr 3,5 Jauchert Acker nach Anweisung der Pfleger bedüngen. Da insgesamt 238 Viertel Acker vorhanden waren, macht die zu düngende Fläche (21 Viertel) 9% der Gesamtfläche aus, d.h. in 11 Jahren wäre die gesamte Fläche einmal gedüngt worden, was auf eine extensivere Düngung als in den Steuereinschätzungsakten schließen läßt. 1 7 5 Noch niedriger fallen die folgenden Angaben aus: Nur 3 von 54,4 Vierteln waren 1745 auf den Gütern der Maria Schwägler gedüngt worden (5,5%), nur 4% 1746 auf denen der Magdalena Beerstecher (4,5 von 121 Vierteln), gar nur 3% auf denen der Maria Grade 1756 (jedes Jahr 1 Viertel von 34,25 laut Bestandsvertrag). 176 Detaillierte Angaben liefert eine Inventur von 1745, nach der auf einer Fläche von 14 Vierteln 32 Wägen Dung ausgebracht waren. Außerdem war auf zwei weiteren Äckern von 7 Vierteln der "Pförch" 177 gestanden, so daß insgesamt 21 V gedüngt worden waren. Bei einem Gesamtbesitz von 288 V macht dies 7%, also etwas

172 HSTAS A 243 a Bü 8, 9: Preisfestsetzungen für die Ämter Herrenberg, Leonberg, Nagold und Urach (6 fl für den Scheffel Dinkel). Durch Rivalitäten der Amter untereinander wurde die W i r k u n g der Festsetzung abgeschwächt. Herrenberg beklagte den von Calw accordierten Fuhrlohn für die Getreidezufuhr auf seinen Markt, Nagold bemängelte dasselbe Verhalten bei den "oberen Ämtern" (d.h. denen auf der Alb), der es den Bauern ermöglichte, ihr Getreide für 6,5 fl pro Scheffel Dinkel zu verkaufen, rechnete man den gewährten Fuhrlohn mit ein. Nagold plädierte deshalb für ein Verbot des Fuhrlohns, der nur dazu führe, daß die nähergelegenen Ämter, die keinen Fuhrlohn bezahlten, Not litten (A 243 a Bü 8 (Herrenberg) und 9 (Nagold)). 173 HSTAS A 261 Bü 1264 (Bericht über die Steuerrevision, Bondorf, 1720) 174 G A BON I 197 (Chnstina Barth, 1729) 175 G A BON I 360 (Jacob Schelling, 1740) 176 G A BON I 430 (Maria Schwägler, 1745), I 437 (Magdalena Beerstecher, 1746), I 618 (Maria Grade, 1759). In letzterem Fall wurde die Gesamtfläche aus der Realteilung des Ehemannes der Maria entnommen: I 452 (Jacob Grade, 1747). 177 zum Pförch s. K. von Varnbüler, Glemsgau, S.194, 197f; K.Göriz, Beiträge, S.59

129

mehr als in den obigen Beispielen, aber immer noch weniger als im Fall der Jacob Schelling'sehen Kinder. 1 7 8 Johannes Bühler (Hansen Sohn), der Beständer der Güter seiner Schwägerin Magdalena Bühler, hatte 1799 7 Wägen Dung, 1800 8 Wägen, 1801 6 Wägen und 1802 (bis 9. November) 4 Wägen auf die bestandenen Äcker geführt, was im Durchschnitt (ohne 1802) 7 Wägen ausmacht. Wenn er auf ein Viertel dieselbe Menge Dung verwandte wie in der Weimar'sehen Inventur von 1745, dann düngte er pro Jahr ca. 3,3 Viertel Acker, was bei 67 Vierteln 5% ausmacht. 1 7 9 Pfarrer Pregizer verlangte 1776 acht Pförchnächte für die Pfarrgüter (16,5 Morgen). Damit könne jedes Jahr der achte Teil dieser Güter gedüngt werden (also 2,1 Morgen). Der Pfarrer hielt also eine umfangreichere Düngung für notwendig als in den obigen Beispielen. Bewilligt wurden ihm aber schließlich nur fünf Nächte, so daß nur 1,38 Morgen gedüngt wurden oder 8,4%, womit er sich im Rahmen der Bondorfer Bauern bewegte. 1 8 0 Nach diesen verstreuten Angaben scheint Düngung relativ selten gewesen und zumindest im Laufe des 18. Jahrhunderts nicht wesentlich häufiger geworden zu sein. Möglicherweise düngten die reichen Bauern (Jacob Schelling, Magdalena Weimar) häufiger als die armen (Maria Grade), während die mittleren (Maria Schwägler, Magdalena Beerstecher, Magdalena Bühler) auch hierbei den mittleren Rang einnahmen. 1 8 1

4.2.13. Arbeitskräfte Um abschätzen zu können, wie viele Arbeitskräfte zur Verfügung standen, wurde die Zahl der Communicanten (d.h. aller evangelischen Dorfbewohner, die älter als 14 Jahre waren) in Beziehung zur zu bearbeitenden Fläche der Äcker, Wiesen und Gärten gesetzt. Da diese Zahl in den Kirchenvisitationsakten berichtet wird, enthält die Abbildung 9.10. nur Jahre, aus denen Kirchenvisitationsakten erhalten sind. 1 8 2 Die Angaben von vor 1650 sind offensichtlich pauschal und grob geschätzt: für Bondorf wurde 1601-1605 stets die Zahl von 300 Communicanten und für Gebersheim von 100 einberichtet. Lediglich die Gruorner Angaben scheinen detaillierter. Für Gruorn fehlt das Jahr 1692 mit einer offensichtlich (und vom Dekan als solche gekennzeichnten) falschen Angabe. 1 8 3 Daß sämtliche Dorfbewohner als landwirtschaftliche Arbeitskräfte zumindest saisonal zur Verfügung standen, belegt folgender Fall: Am 25. August 1815 war das dreijährige Söhnlein des Gebersheimer Waldschützen Johann Georg Gayer in der Wette ertrunken. Zur Erklärung führten die Eltern an: "Es war damals wegen vielen Feldgeschäften leider schier nimand im Ort, sonst wäre dieser Fall gewiß verhütet worden." 1 8 4

178 179 180 181

GA BON I 431 (Magdalena Weimar, 1745) GA BON I 1387 (Magdalena Bühler, 1802) HSTAS A 213 Bü 6075 (Pförchnächte des Pfarrers, Bondorf, 1776-1779) zur Düngung vgl. B.H.Slicher van Bath, History, S.254-262 (dort auch Prozentsätze für den Umfang des jeweils gedüngten Landes); K.Göriz, Betriebslehre II, S. 16-19; K.Göriz, Beiträge, S.56; H.Jänichen, Beiträge, S.39f; K. von Vambüler, Glemsgau, S.275 (alle drei Jahre wird ein Acker gedüngt); R.Beck, Ökonomie, S.81-86 182 HSTAS A 281 Bü 737-755, 760, 1370-1403, 1412, 1581-1597, 1601 183 HSTAS A 281 Bü 1382 184 HSTAS A 584 provisor. B 3 (Gerichtsprotokolle, 1795-1819), fol. 212

130

Der Rückgang im Dreißigjährigen Krieg wirkte sich in den einzelnen Dörfern unterschiedlich stark aus: einem "schwachen" Rückgang in Bondorf (ca. 30%) steht ein sehr starker in Gebersheim (70%) und in Gruom (85%) gegenüber. Dementsprechend wird das Vorkriegsniveau in Bondorf schon 1676 erreicht, in Gebersheim erst zwischen 1721 und 1726, und in Gruorn schließlich dauerte es bis 1740. Die Knappheit der Arbeitskräfte nach dem Dreißigjährigen Krieg wird auch durch die Steuereinschätzungsakten belegt. 1655 gab es im Amt Nagold zwei Beisitzer, in Nagold einen Seiler, "der am lohn treschet", in Bondorf einen Zimmermann und Schreiner. Zur Steuer wurden sie nicht veranlagt, da sie in diesem Fall sofort in das Rottenburgische gingen; sie hätten aber auch nichts, außer dem, was sie täglich verdienten. Daneben gebe es Tiroler, Salzburger "und dergleichen frembde täglohner", die ebenfalls nicht besteuert würden. 1 8 5 Das Amt Herrenberg zählte 1655 55 Taglöhner, die wegen der Taglöhnerei ebenfalls nicht veranlagt wurden, weil sonst die Fremden wegziehen würden, "die andere Verbürgerte aber vorhin genueg zuethuen haben, daß Sie nur ihre darbey besitzende Veldtgüetlen auch erhalten mögen." 1 8 6 Die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte pro Morgen verdoppelte sich in Bondorf im Laufe des 18. Jahrhunderts, wuchs in Gebersheim noch etwas schneller, in Gruorn aber langsamer. Mit doppelt so vielen Arbeitskräften verdoppelte sich auch die Intensität der Bearbeitung, was bereits einen Großteil der Ertragsfortschritte erklären dürfte. Die Beschreibung des Bondorfer Ackerbaus zeigt die Bedeutung des Arbeitseinsatzes: "Nicht nur nach der Urkunds Persohnen, sondern auch nach dem Angeben der ohnpartheyischen Deputation ist das gantze Ackherfeld Zwar So beschaffen, daß Selbiges mit geringem Zug zu bauen, aber eben darumben, weilen Selbiges einen gar leichten Boden hatt, Welcher nicht Viel ertragen mag, Wie dann gegen anderen Ohrten, Wo der Ackherbau Ein Wenig guth, Wenigstens 1/3 Saarn Frucht Weniger darein gesäet werden kan, Und Wann auch schon solche Äckher Vorhanden wären, die etwa guth anschämen, So seynd jedoch die mehiste davon Steuer frey, Worauff in der Collectation keine Consideration gemacht werden kan, Worbey innsonderlich dieses wohl zu erwägen, daß alljährlich umb deß Vihlen anwachßenden Graßes willen die Äckher 4 biß mehr mahlen geackhert werden müssen . . , " 1 8 7 Am Ende_des 18. Jahrhunderts gab es sicherlich eher zu viele als zu wenige Arbeitskräfte. Folgende Modellrechnung mag das veranschaulichen: akzeptiert man, daß eine Arbeitskraft durch die Bearbeitung von 10 Morgen Ackerland ganzjährig ausgelastet war, 1 8 8 dann wären bei 0,1 Arbeitskräften pro Morgen (nach unserer Rechnung) diese durch die Landwirtschaft voll ausgelastet - einen Wert, den alle Dörfer ab 1730 erreichten oder überschritten. Derartige Rechnungen sind allerdings schon deshalb hypothetisch, weil die Arbeitskräfte sich nicht gleichmäßig auf die Morgen verteilten und das, was Schröder und v.Hippel als "zweckmäßige Nutzung" erschien, keineswegs auch für die Kleinbauern zweckmäßig ge185 HSTAS A 261 Bü 1262 (Einrichtung des Steuerfußes, Nagold, 1607) 186 HSTAS A 261 Bü 1051 (Errichtung des Steuerfußes, Herrenberg, 1629): Sehr. v. 25.6.1655 187 HSTAS A 261 Bü 1266 (Untersuchung über die Steuersubrevision von 1730, Nagold, 1734), fol. 74R - 75V 188 W. von Hippel, Bevölkerung, S.421, s.a. ebd. Anm. 30; K.H.Schröder, Weinbau, S.44, 77; W. von Hippel, Bevölkerungsentwicklung, S.306f; vgl.a. R.Beck, Ökonomie, S. 192-195

131

wesen sein muß. Die wachsende Zahl von Handwerkern zeigt aber, daß ein größer werdender Teil der Bevölkerung sein Auskommen nicht mehr in der Landwirtschaft finden konnte, die stagnierenden Löhne deuten zumindest an, daß allzu viele Arbeitskräfte vorhanden waren, die um jeden Lohn arbeiten mußten. Außer familiären Arbeitskräften kommen als ständige Arbeitskräfte Knechte und Mägde in Betracht. Der Rückgriff auf Lohnarbeit in längeren Zeiträumen zählt anscheinend zu den Besonderheiten Westeuropas. 189 Ein systematischer Überblick über den Anteil der Haushalte, die Dienstboten beschäftigten, läßt sich leider nur anhand der Türkensteuerlisten von 1545 und dann - fast dreihundert Jahre später - der Bondorfer Zollvereinszählung von 1834 gewinnen: eine Quellenbasis, die etwas unsicher ist, da bei beiden Zählungen möglicherweise nur fremde (d.h. auswärtige) Dienstboten bei ihren Dienstherren aufgeführt wurden. In beiden Fällen wurde der Familienstand des Haushaltsvorstands berücksichtigt, d.h. die Haushalte von "Bürgern" (männlich und verheiratet/verwitwet) wurden separat ausgezählt.

Tab. 4.2.13.a. Anzahl Dienstboten 1545 Anzahl Dienstboten Bondorf Bürger alle Tailfingen Bürger alle Nebringen Bürger alle Gebersheim Bürger alle Wangen Bürger alle Gruorn Bürger alle Kayh Bürger alle

ohne Dienstboten

(%)

N

0

1

2

3

4

5

64 70

44 49

10 10

7 8

2 2

1 1

0 0

68,8 70,0

53 62

40 48

7 8

4 4

2 2

0 0

0 0

75,5 77,4

19 19

11 11

6 6

2 2

0 0

0 0

0 0

57,9 57,9

30 34

26 30

4 4

0 0

0 0

0 0

0 0

86,7 88,2

65 85

61 80

0 0

4 5

0 0

0 0

0 0

93,9 94,1

42 49

33 39

5 6

4 4

0 0

0 0

0 0

78,6 79,6

75 95

59 77

11 12

5 6

0 0

0 0

0 0

78,7 81,1

1834 wurden die Haushalte mit einem Ehepaar als Haushaltsvorstand von den anderen separiert, was sich in etwa mit den bürgerlichen Haushalten decken dürfte. Die Differenz

189 A.Tschajanow, Lehre, S.9 für Rußland, wo Lohnarbeit völlig fehlt; Ergebnisse, S.XXXV

132

betrifft die (wenig zahlreichen) Haushalte von Witwern, die 1545 nicht gekennzeichnet sind.

Tab. 4.2.13.b. Anzahl Dienstboten 1834 Bondorf Anzahl Dienstboten Bondorf Ehepaare alle

N

0

215 344

163 277

34 44

ohne Dienstboten (%)

2

3

4

12 15

5 7

0 0

5 75,8 80,5

1545 scheint der Normalfall gewesen zu sein, daß 70-75% aller Haushalte nicht über Dienstboten (mit eigenem Vermögen ?) verfügten, wobei die beiden Dörfer mit Weinbau Gebersheim und Wangen noch weniger Haushalte mit Dienstboten hatten. Bondorf liegt im Rahmen seiner unmittelbaren Nachbarschaft in der Mitte zwischen Nebringen mit seinem hohen Prozentsatz von Haushalten mit Dienstboten (kleine Zahlen !) und Tailfingen bzw. Kayh, die geringere Sätze aufwiesen. Bis 1834 scheinen die Verhältnisse sich kaum geändert zu haben: 75% der vollständigen Haushalte hatten keinen Dienstboten, 80% aller Haushalte. Oder andersherum: ein Viertel aller Haushalte rekurrierte auf Lohnarbeit. 1 9 0 Der Versuch familiäre und Lohnarbeitskräfte im Zusammenhang zu untersuchen, führte zu folgendem Ergebnis, wobei die Anzahl familiärer Arbeitskräfte gleichgesetzt wurde dem Elternpaar plus der Zahl der ledigen Kinder über 14, die zum Zeitpunkt der Bevölkerungszählung am Ort anwesend waren. Es wurden nur die Haushalte berücksichtigt, denen ein Ehepaar vorstand. Die Haushalte von Ledigen und Verwitweten blieben ausgeschlossen, da ein beträchtlicher Teil dieser Haushalte realiter keine selbständigen Einheiten dargestellt haben dürfte.

190 In Warmbronn 1683 hatten nur vier von 37 Haushalten Dienstboten: HSTAS A 209 Bü 1481 (Leonberg 1683. Untersuchung gegen die 13jährige Anna Catharina Weißenbühler von Warmbronn wegen Hexereiverdachts), Q 21 (Consignation der Haushaltungen zu Warmbronn); G.Cabourdin, Paysans, S.87; dagegen R. van Dülmen, Kultur I, S.29 (potentiell in allen Haushaltungen Gesinde); vgl.a. R.Beck, Ökonomie, S. 193; H.Rebel, Peasant classes, S.48f (56% der Haushalte in Oberösterreich hatten Dienstboten)

133

Tab. 4.2.13.C. Familiäre und Lohnarbeitskräfte Bondorf 1834 Anzahl famiAnzahl Dienstboten liärer Arbeitskräfte N 0 1 2 3 4 2 154 121 19 9 5 0 3 20 13 6 0 0 0 4 23 13 7 3 0 0 5 8 7 1 0 0 0 6 7 6 1 0 0 0 7 3 0 0 0 0 0

5 0 1 0 0 0 0

gesamt

1

215

163

34

12

5

0

ohne Dienstboten (%) 78.6 65,0 56,5 87,5 85.7 100,0 75,8

Familien mit drei und mehr Kindern über 14 Jahre scheinen seltener als kleinere Familien fremde Arbeitskräfte beschäftigt zu haben. Bei dem hohen Anteil der Haushalte ohne Dienstboten an den nur aus einem Ehepaar bestehenden Familien ist aber zu beachten, daß hier sowohl junge Familien (noch ohne oder mit kleinen Kindern) als alte (deren Kinder den elterlichen Haushalt bereits verlassen hatten) gezählt werden. Insgesamt ist der Zusammenhang zwischen Familiengröße und der Beschäftigung fremder Arbeitskräfte aber eher locker, da die entscheidende Variable die Größe des Landbesitzes ist, die die Zahl der Arbeitskräfte bestimmt. Falls zu wenig familiäre Arbeitskräfte vorhanden waren, erfolgt der Rückgriff auf Lohnarbeit, sowohl als Beschäftigung ständiger zusätzlicher Arbeitskräfte (Knechte und Mägde) als auch temporärer (Taglöhner). Waren umgekehrt zu viele familiäre Arbeitskräfte vorhanden, wurden diese an andere Haushalte als Knechte, Mägde oder auch Lehrlinge und Gesellen abgegeben. Die zweite Möglichkeit die familiäre Arbeitskraft auszunutzen (vor allem wenn die beiden dem Haushalt vorstehenden Personen schon nicht ausgelastet waren), bestand in der Ausübung einer zweiten oder dritten Tätigkeit außerhalb der eigenen Landwirtschaft (Dorfhandwerk, niedere Gemeindeämter, Taglöhnerei; Näherin, Wäscherin, Hebamme, Taglöhnerin für die Frauen). 4.2.14. Investitionen Im Realteilungsgebiet stand jeder Haushalt nach seiner Gründung vor der Aufgabe, Investitionen in Land, Vieh und Arbeitsgeräten vorzunehmen, da nur in den seltensten Fällen bereits das Heiratsgut für eine landwirtschaftliche Existenz ausreichte. Selbst nachdem die Erbschaften der Eltern beider Ehegatten angefallen sein mochten, standen diese vor der Aufgabe ihren ererbten Landbesitz zu erweitern, um auch nur den Stand ihrer Eltern wieder zu erreichen. 191 Abgesehen von diesen Erweiterungsinvestitionen waren auch ständige Bestandserhaltungsinvestitionen nötig: weniger in die Landbesitz als in die Gebäude, das Vieh und die Arbeitsgeräte, was schon ohne Unglücksfalle einen ziem-

191 M.Bidlingmaier, Bäuerin, S.65f; R.Braun, Ancien Régime, S.128f (Verschuldung aufgrund von Zukauf von Land als Anreiz zur Protoindustrialisierung); M.Segalen, Familie, S.89f

134

liehen Aufwand erforderte, im Falle von Bränden oder Viehseuchen aber leicht die Kräfte der einzelnen Haushalte überforderte. Ein Unterschied ist noch festzuhalten: während die Ressource Land prinzipiell nicht vermehrbar war (abgesehen von den Fällen, in denen eine Expansion auf die Markung der Nachbargemeinden stattfand, die so selten zwar nicht war, aber ihr Äquivalent in einer Expansion der Nachbargemeinden auf die eigene Markung fand), 1 9 2 konnten Gebäude, Vieh und Arbeitsgeräte vermehrt werden - und wurden vermehrt. 1 9 3 Die Mehrung des Landbesitzes der einen setzt immer den Verlust von Land bei anderen voraus, wobei aber die Meliorationen nicht vergessen werden dürfen - auch sie natürlich eine Art der Investition in Land. Da die jungen Haushalte, für die die Notwendigkeit zusätzlichen Landerwerbs sich am dringendsten stellte, zugleich die waren, die am wenigsten über angesammelte Kapitalien verfügten, standen am Anfang des selbständigen Wirtschaftens Schulden, die auch von den Eltern (gegen Überlassung von Land versteht sich) übernommen sein konnten. Wirtschaftete der junge Haushalt gut und hatte er das Glück, von Katastrophen verschont zu bleiben, gelang die Abzahlung der aufgenommenen Schulden und die Ansammlung eigener Kapitalien, konnte der Kreislauf auf erweiterter Stufe fortgesetzt werden. Klappte es nicht, dann sammelten sich weitere Schulden an und war spätestens bei deren Einklagung durch die Gläubiger oder bei Auflösung der Ehe durch Tod eines Partners und Inventarisation des Vermögens eine Schuldverweisung fallig, die zum Verkauf von Land führte, zumal vor einer Erbsverweisung die Schulden getilgt werden sollten. Aufgrund dieser Mißerfolge bestand immer ein gewisses Angebot an Land, das außerdem im Falle der Abwanderung eines Landbesitzers nach auswärts aufgestockt wurde, wobei hier sich aber die weiterhin ortsansässige Verwandtschaft zuerst bediente, soweit sie kapitalkräftig war. Diese strukturelle Knappheit von Land konnte aber auch ein Grund sein, auf weitere Expansion des eigenen Grundbesitzes zu verzichten und lieber auf die Verleihung von Kapitalien auszuweichen: stiegen die Landpreise sehr hoch (wie zu Anfang des 19. Jahrhunderts), waren für große Kapitalbesitzer weitere Anlagen in Land unrentabel, erbrachte doch die Geldleihe eine höhere Verzinsung. Geldleihe war im übrigen auch dann eine Alternative, wenn ein arbeitsfreies Zusatzeinkommen gesichert werden sollte, z.B. im Alter. Den Umfang und einige typische Merkmale von Investitionen, zu denen Bondorfer Bauern im 18. Jahrhundert in der Lage waren, zeigt die Geschichte der Höfe Wurmfelden und Hohenreuthin. Wurmfelden wurde 1746 von Elias Bühler, einem Bondorfer Bauernsohn, und seiner Frau Maria Elisabeth Werner vom Landschreiber Steble zu Rottenburg gekauft, die 192 HSTAS A 261 Bü 1266 (Untersuchung über die Steuersubrevision von 1730, Nagold, 1734): Besitz der Bürger von Baisingen, Seebronn, Ober- und Unteröschelbronn und Hailfingen auf Bondorfer Markung. HSTAS A 261 Bü 1058 (Steuersubrevisionsrelation, Herrenberg, 1729): Besitz Nebringer Lehen auf den Markungen von Haslach, Gültstein und Obeijettingen. Vgl. T.Robisheaux, Society, S.86 193 vgl. H.J.Teuteberg, Landwirtschaft, S.7: "Selbst geringe Investitionen bei landwirtschaftlichen Geräten, Maschinen und Gebäuden, bei Bodenverbesserungen durch Melioration oder künstliche Düngung, Veränderungen der Bodenbewirtschaftung bzw. Steigerung der Boden- und Vieherträge konnten daher ... bei einer so stark agrarisch geprägten Wirtschaft sofort das Volkseinkommen sichtbar steigern ..."

135

Summe ist leider nicht in den Quellen enthalten. 194 Da Elias und Maria Elisabeth mit einem Vermögen von etwa 800 fl angefangen hatten, 1 9 5 der Hof Wurmfelden um 1790 aber auf 28000 fl geschätzt wurde, 1 9 6 1746 also vielleicht um die Hälfte erkauft wurde, muß die Schuldenlast der beiden enorm gewesen sein. Zwar war die Mutter des Elias 1749 verstorben, eine Erbschaft war dabei aber nur eventualiter angefallen. 1 9 7 1766 scheint die finanzielle Situation der Eheleute ausweglos gewesen zu sein: das Zubringensinventar der Tochter Maria Magdalena wurde zwei Jahre lang 1764 bis 1766 aufgeschoben - wegen der beständigen Abwesenheit des Mariti (Johann Jacob Weinmar) und des Schwehers (Elias Bühler). Außerdem war vom Verkauf des Hofes die Rede: Sollte Elias Bühler den Hof verkaufen, soll der Tochtermann Weinmar die von den Großeltern Hans Philipp und Magdalena Werner versprochenen Heiratsgüter sofort in Besitz nehmen dürfen (andernfalls erst beim Tod der Großeltern). 198 Noch im gleichen Jahr scheint es zum Gant gekommen zu sein, bei dem Elias und Maria Elisabeth Bühler ihr gesamtes Zubringen einbüßten. 199 1767 verkaufte Elias Bühler den Hof an ein Fräulein von Gaisberg zu Tübingen. 2 0 0 1768 war nach dem Tod der Magdalena Werner ihrer einzigen Tochter Maria Elisabeth das gesamte Werner'sehe Vermögen von etwa 3000 fl heimgefallen, 2 0 1 so daß die Bühler1 sehen Vermögenumstände in den nächsten Jahren deutlich besser gewesen sein müssen. 1771 allerdings waren alle Bühler'sehen Güter dem Fräulein von Gaisberg versetzt - wohl als Sicherheit, da Elias Bühler nach dem Verkauf von 1767 als Beständer des adligen Fräuleins auf Wurmfelden geblieben w a r . 2 0 2 Der Vermögensabstieg zeigt sich auch im Vergleich des Heiratsguts der Tochter Anna Maria (9,33 Viertel Land) (1771) zu dem der zuerst heiratenden Tochter Maria Magdalena (22,5 Viertel) (1766). 2 0 3 1780 wird dann Johannes Dupper aus Remmingsheim als Besitzer des Hofes genannt, nachdem er Maria Elisabeth Bühler geheiratet hatte: Dupper brachte immerhin 5300 fl in die Ehe ein, Maria Elisabeth 400 fl in bar und 308 fl in

194 HSTAS A 213 Bü 8468 (Wegreparations- und Schafweidstreitigkeit mit Reuthin und Wurmfelden, Bondorf, 1766-1780); im gleichen Jahr hatte Steble den Hof Reuthin für 15000 fl an das Hospital Herrenberg verkauft (ebd.). Für Wurmfelden wird ein Preis gleicher Größenordnung anzunehmen sein: Reuthin hatte zwar 224 Morgen, Wurmfelden nur 151 (HSTAS A 8 Bü 88 (Statistische Verfassung Württembergs 14.1.1769), Nagold), aber in Reuthin hatten außer dem Spital auch noch andere Besitzer Anteil. 1777 waren das Johann Michel Freiberger, Hans Gengenbach und Hans Jerg Scheurer (HSTAS A 213 Bü 8468). 195 GA BON I 358 (Elias Bühler und Maria Elisabeth Werner, 1740); in I 480 (Anna Maria Bühler, 1749) wurde das Heiratsgut des Elias auf 355 fl geschätzt. 196 GA BON I 1052 (Johann Michael Gauss und Anna Magdalena Freiberger, 1788); ebenso: I 1237 (Johannes Dupper, 1797), I 1271 (Anna Magdalena Gauss, 1799), I 1320 (Martin Bräuning und Maria Elisabeth Dupper, 1800), I 1337 (Martin Bräuning, 1801); selbst 1807 (ein Viertel des Hofs 7500 fl) (I 1453, Johann Peter Nüßle und Agnes Dupper), 1814 (7000 fl) (I 1588, Jacob Kußmaul, 1814) und 1829 (die Hälfte des Hofes: 15000 fl) (I 1944, Maria Barbara Gauss) weichen die Angaben nicht wesentlich ab. 197 GA BON I 480 (Anna Maria Bühler, 1749) 198 GA BON I 712 (Johann Jacob Weinmar und Maria Magdalena Bühler, 1766) 199 GA BON I 1068 (Maria Elisabeth Bühler, 1789) 200 HSTAS A 213 Bü 8468 (Wegreparations- und Schafweidstreitigkeit mit Reuthin und Wurmfelden, Bondorf, 1766-1780) 201 GA BON I 748 (Magdalena Werner, 1768); vgl. a. I 728 (Hans Philipp Wemer, 1767) 202 GA BON I 784 (Jg. Hans Martin Sautter und Anna Maria Bühler, 1771) 203 GA BON I 784 und I 712 (Johann Jacob Weinmar und Maria Magdalena Bühler, 1766)

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Gestalt von Fahrnis. 2 0 4 Ob allerdings Dupper den ganzen Hof übernommen hatte oder nur die Hälfte, während die andere Hälfte von Elias Bühler selbst zurückgekauft worden sein könnte, ist unklar. 1788 ging auf jeden Fall die Hälfte von Wurmfelden an Johann Michel Gauss, 2 0 5 während über das Vermögen des Elias und der Maria Elisabeth Bühler 1785 der zweite Gant eröffnet wurde, nachdem die Eheleute in den Jahren zuvor ihren Gläubigern zwar vielerlei versprochen, aber wenig gehalten hatten. Durch Prozesse vor dem Stadtgericht Nagold und dem Hofgericht Tübingen verzögerte sich die Eröffnung des Gants bis 1789, dem Todesjahr der Maria Elisabeth Bühler. 2 0 6 Elias und Maria Elisabeth besaßen bei der erwähnten Vermögensaufnahme keinen Anteil an Wurmfelden mehr. Von 1766 (dem ersten Gant) bis 1789/1790 ergab sich eine neuerliche Vermögenseinbuße von 5767 fl (bei einem zwischenzeitlich ererbten Gesamtvermögen von 7421 fl). Elias Bühler rettete 1790 nichts, er mußte danach bis zu seinem Tod 1794 reihum von seinen Kindern verpflegt werden, während das restliche Vermögen seiner Frau schon 1790 unter diese verteilt worden war. 2 0 7 Für Johannes Dupper ging es besser aus: bei seinem Tod 1797 besaß er ein Aktivvermögen von 16025 fl, worauf allerdings Passiva von 7918 fl lasteten. In der Ehe mit Maria Elisabeth Bühler war ein deutlicher Zugewinn erzielt worden. 2 0 8 Die aufgenommenen Gelder stammten zum großen Teil von Compagnieverwandten aus Calw, bei denen der Schwiegersohn Duppers, Jacob Kußmaul, noch 1814 mit 6000 fl verschuldet war. 2 0 9 Der totale Fehlschlag Elias Bühlers schreckte andere nicht ab. Beispiele sind schon der Schwiegersohn Elias Bühlers Johannes Dupper und der Duppers Jacob Kußmaul. In beiden Fällen wurden von Anfang an größere Kapitalien eingesetzt: Dupper brachte 5300 fl mit, Kußmaul ca. 3500 fl. 2 1 0 Als Johann Michael Freiberger für seine Tochter 1788 die Hälfte von Wurmfelden für 13745 fl erkaufte, bekam diese ein Heiratsgut von 3000 fl Bargeld und eine unverzinsliche Anlehnung von 1000 fl mit in die Ehe. Der Schwiegersohn Johann Michael Gauss verkaufte seine zum Heiratsgut erhaltenen Liegenschaften und erhielt 1791 bei einer Übergabe seiner Mutter 1500 fl. Seine Frau bekam von ihren Eltern bis 1797 noch einmal eine zinslose Anleihe von 1000 fl, so daß der Bühlersche Fehler - zu viele Schulden - von vorneherein vermieden wurde. 2 1 1 Dementsprechend glänzend war das Resultat: beim Tod der Anna Magdalena Gauss 1799 besaß das Paar ein Aktivvermögen von 18592 fl, worauf als Passiva lediglich die von der Mutter der Gaussin angelehnten zinslosen 2000 fl und verzinsliche 100 fl standen. Da bei dieser Eventualteilung die Einrechnung der verkauften Heiratsgüter des Johann Michael vergessen wurde, ergab sich in dieser Ehe ein überhöhter Zugewinn von 10732 fl; mit Einrechnung dürften es ca. 9000

204 205 206 207 208 209 210

GA BON 1916 (Johannes Dupper und Maria Elisabeth Bühler, 1780) GA BON I 1052 (Johann Michel Gauss und Anna Magdalena Freiberger, 1788) GA BON I 1068 (Maria Elisabeth Bühler, 1789) GA BON I 1068 GA BON I 1237 (Johannes Dupper, 1797) GA BON I 1588 (Jacob Kußmaul, 1814) GA BON I 916 (Johannes Dupper und Maria Elisabeth Bühler, 1780); I 1290 (Jacob Kußmaul und Catharina Dupper) 211 GA BON I 1052 (Johann Michael Gauss und Anna Magdalena Freiberger, 1788); I 1095 (Anna Maria Gauss, 1791); I 1166 (Johann Michael Freiberger, 1794)

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fl gewesen sein, was immer noch beeindruckend genug ist. 2 1 2 In den zwei Jahren bis zu seiner zweiten Verehelichung mit Maria Barbara Kußmaul kaufte Johann Michael Gauss für 370 fl Liegenschaften und besaß 1801 bereits ein Aktivvermögen von 18853 fl, worauf immer noch nur die 2100 fl Passiva standen. 213 Dank einer Reihe weiterer Erbschaften von Mutter, Mutter der ersten Frau, Mutter der zweiten Frau und Schwester mehrte sich das Vermögen. 2 1 4 Beim Tod der zweiten Frau 1829 hatte Johann Michael Gauss bewiesen, wie aus einer großen Investition ein sehr großes Vermögen werden konnte: Außer dem halben Hof Wurmfelden (15000 fl) nannte er zwei Häuser in Bondorf (4200 fl), eine Scheuer (800 fl) und Liegenschaften auf Bondorfer Markung (ohne den Hof) von 19402,5 fl sein eigen. Dazu kamen Fahrnis im Wert von 3796,5 fl, Activa von 5374 fl und ein Nachtrag (Vermögenswerte, die im ersten Durchgang vergessen worden waren) von 2280 fl, was alles zusammen 50681,5 fl ergab. Passiva lasteten auf Johann Michael Gauss keine. 4947 fl allerdings hatte noch der Sohn erster Ehe zu empfangen, ein bereits verheirateter Sohn zweiter Ehe hatte 2334 fl als Heiratsgut mitbekommen. In der Ehe war ein Zugewinn von 11868 fl erzielt worden. 2 1 5 Auch ein zweites Beispiel zeigt, daß die Bondorfer die Bühlersche Lektion gelernt hatten: Michael Kußmaul bekam 1774 bei seiner Heirat von seinem Vater Hans Philipp Kußmaul ein Heiratsgut von 3000 fl Bargeld zum Kauf bzw. Bau des halben Hofes Hohenreuthin. Seine Frau (und Cousine) Maria Barbara Schübel aus Remmingsheim brachte ebenfalls 3000 fl mit. Den Kauf der anderen Hälfte dieses Hofes übernahm der Onkel des Michael, Heinrich Haug. 2 1 6 Bis 1780 hatte Michael Kußmaul von seinen Eltern außerdem eine Anleihe von 1458 fl erhalten, Maria Barbara von den ihren weitere 2000 f l . 2 1 7 1795 beim Tod der Maria Barbara war das Paar schuldenfrei und besaß außer dem Hof (13865,5 fl) und Fahrnis (2237 fl) auch Aktiva in Höhe von 9860,5 fl. Da beide Ehepartner insgesamt 12776,5 fl in die Ehe eingebracht hatten und 25963 fl 1795 inventarisiert wurden, ergab sich ein Plus von 13186,5 fl. 2 1 8 Bei seinem Tod 1819 hinterließ Michael Kußmaul ein Aktivvermögen von 50781,5 fl, worunter der halbe Hof Hohenreuthin mit 15500, ein Haus in Bondorf mit 1900 fl, Liegenschaften in Bondorf mit 5648,5 fl, das halbe Schloßgut in Mötzingen mit 3862,5 fl, Wälder in Remmingsheim mit 153 fl, Fahrnis für 3235 fl und Aktiva in Höhe von 20482,5 fl begriffen waren. Passiva von 5124 fl lasteten 212 GA BON I 1271 (Anna Magdalena Gauss, 1799) 213 GA BON I 1272 (Johann Michael Gauss und Maria Barbara Kußmaul, 1801) 214 GA BON I 1365 (Anna Maria Gauss, 1802); I 1488 (Anna Maria Freiberger, 1808); I 1708 (Anna Maria Kußmaul, 1820); I 1788 (Anna Maria Gauss, 1824) 215 GA BON I 1944 (Maria Barbara Gauss, 1829) 216 GA BON I 831 (Michael Kußmaul und Maria Barbara Schübel, 1774); am 9. November 1772 hatten Johann Philipp Kußmaul und Heinrich Haug um die Genehmigung des Klosters Bebenhausen nachgesucht, auf den von den Baron von Goellnizschen Erben erkauften Gütern die benötigten Gebäude erstellen zu dürfen. Als Entschädigung für den damit verlorengehenden Zehnt sollte 1 fl 20 x pro überbauten Morgen gereicht werden (HSTAS H 102/8 Bd 163 (Beilagerbuch der Pflege Roseck, II.Teil, 1772-1800), S. 102-104). Nach Abschluß des Baus waren inklusive Küchen- und Grasgarten 2 Morgen ehemaliges Ackerland bebaut, pro Morgen war 1 fl als Zehntentschädigung zu leisten (18.7.1776, H 102/8 Bd 163, S. 108-111). Hohenreuthin war vorher Pertinenz des Schloßgutes von Mötzingen (HSTAS A 261 Bü 1263 (Landschaftliches Steuerkataster, Nagold, 1720), Hauptbericht, fol. 31R 32R) 217 GA BON I 933 (Maria Kußmaul, 1780); I 1174 (Maria Barbara Kußmaul, 1795) 218 GA BON I 1774 (Maria Barbara Kußmaul, 1795)

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auf dem Vermögen, wovon allein 3971 fl dem Staatsminister Graf von Normann-Ehrenfels für das halbe Mötzinger Schloßgut geschuldet wurden, das Kußmaul diesem 1817 abgekauft hatte und woran erst 806,5 fl abbezahlt worden waren. 9396,5 fl waren als Heiratsgüter an drei Kinder erster Ehe ausgegeben worden. 2 1 9 Haugs, die Mitbesitzer Hohenreuthins, waren ebenfalls erfolgreich, wenn ihr Vermögen auch nicht die Ausmaße des Kußmaul'schen oder Gauss'schen annahm. 2 2 0 Abgesehen von persönlichen Gründen läßt sich der Gauss'sche und Kußmaul'sche Erfolg im Kontrast zum Bühler'schen Mißerfolg auf drei Ursachen zurückführen: ein hohes Startkapital, eine kapitalkräftige Verwandtschaft, die mit zinslosen Darlehen einsprang, und die Teilung des Risikos (nur halbe Höfe wurden jeweils übernommen). 2 2 1 Zwar waren Transaktionen in dieser Größenordnung nicht gerade häufig, aber sie begegneten doch bei einem Teil der reichen Bondorfer Bauern, der über die Hofkäufer hinausreicht: immer wenn Kinder dieser Schicht nach auswärts heirateten, wurden durchaus vergleichbare Geldmengen bewegt - sei es als Heiratsgut oder als Erbe. Anna Kuon, eine nach Ehningen verheirate Tochter von Hans und Ursula Bruckner, z.B. hatte 1400 fl Heiratsgut erhalten, 900 fl bei der Übergabe ihrer Mutter und 2390 fl bei deren Tod, die allerdings in langfristigen Raten abzutragen waren. 2 2 2 Die nach Unteijettingen verheiratete Tochter des Bondorfer Schultheißen Urban Weinmar, Dorothea Seeger, hatte zwar "nur" 1000 fl Heiratsgut bekommen, in den Jahren danach aber Anlehnungen von 3122 f l . 2 2 3 Jacob Kußmaul, der sich 1775 nach Endingen verheiratete, waren 3000 fl Heiratsgut versprochen, nach eigenen Angaben hatte er aber nur 2400 empfangen, was bei einer Übergabe seiner Mutter einigen Unfrieden auslöste. 2 2 4 Letztes Beispiel: Wilhelmine, Herrn Christian Noa Sautters aus Nagold Ehefrau und Tochter des Bürgermeisters und Hirschwirts Urban Weinmar, erhielt bei ihrer Eheschließung für 1000 fl Liegenschaft in Bondorf und 1500 fl Bargeld. Aus der Liegenschaft hatte sie 1760 fl erlöst. 2 2 5 Diese Heiratsgüter wurden dann am Wohnort des Weggezogenen ebenfalls in Land investiert. Zusammenfassend kann wohl gesagt werden, daß Transaktionen mit Tausenden von Gulden für einen Teil der Bondorfer Oberschicht so außergewöhnlich nicht waren, daß Mitglieder dieser Schicht durchaus im Stande waren, Chancen und Risiken derartiger Investitionen abzuschätzen und aus den Investitionen Gewinne herauszuschlagen. Daß es sich ausschließlich um Investitionen in Land und landwirtschaftliche Unternehmungen handelt, zeigt andererseits auch die Grenzen der Investitionsbereitschaft (und den Mangel an Alternativen).

219 GA BON I 1698 (Michael Kußmaul, 1819) 220 GA BON I 1952 (Martha Haug, 1829) 221 K. von Vambüler, Beitrag, S.49f: Kapitalmangel als Klippe, an der beinahe alle Pächter scheitern; vgl.a. U.Jeggle, Kiebingen, S.21-23 (Versteigerung des Klosters Rohrhalden) 222 G A BON I 211 (Ursula Bruckner, 1730); I 438 (Ursula Bruckner, 1746); zur Ehninger Familie Kuon/Kuom vgl. K.Hess, Schultheißenfamilie Kuom/Kuhm, S. 143-152, bes. S.145f zum Ehemann der Anna Bruckner. 223 G A BON I 1069 (Dorothea Weinmar, 1790) 224 G A BON I 1307 (Magdalena Kußmaul, 1800) 225 GA BON I 1310 (Urban Weinmar, 1800)

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Eine andere (und andersartige) Gelegenheit zu unternehmerischem Handeln bot der jährliche Zehntbestand, die Verpachtung des Zehnten durch den Zehntherrn im "Aufstreich", d.h. auf der Basis einer Ertragsschätzung wurde demjenigen, der am meisten über diese Schätzung hinaus bot, der Zuschlag erteilt. Weniger als die Schätzung konnte nicht geboten werden. Der Beständer hatte das vereinbarte Quantum Getreide an den Zehntherrn zu liefern und sich seinerseits um die Einziehung bei den einzelnen Eigentümern zu kümmern. Der Bestand erforderte also eine genaue Kenntnis des Standes der Frucht, um sich bei der Versteigerung nicht zu mehr als zu dem zu erwartenden Ertrag zu verpflichten. 2 2 6 Der Zehntbestand wurde schon vor dem Dreißigjährigen Krieg in Bondorf praktiziert (Beständer: 1609 Martin Bühler, 1628 und 1629 Hans Undergänger). 2 2 7 Nach dem Krieg pachtete die Gemeinde als ganze den Zehnt (1649, 1659, 1662), weil sich offenbar kein einzelner fand, der diese Unternehmung auf sich nehmen wollte und konnte. 2 2 8 Ab 1669 begegnen dann wieder Einzelpersonen, bei denen es sich um die reichen Bauern gehandelt zu haben scheint. Eindeutige Identifizierungen sind leider nicht möglich, da in den Zehntrechnungen nur der Name des Betreffenden angegeben wurde. Immerhin scheinen die Bestände in den einzelnen Jahren heftig umstritten gewesen zu sein: 1721 wurde Alt Hans Weinmar erst im 33. Streich Zehntbeständer. 229 1724 hieß es dann, daß der Zehnten "selbsteingelegt" hätte werden müssen, da die Bürgerschaft ihn nicht ersteigert hätte. 2 3 0 Bis 1755 blieb es dabei. Danach wurde der Zehnt stets verpachtet. Wenn man aus den "Streichen" zurückschließt, scheint die Konkurrenz zwischen den Bietern recht lebhaft gewesen zu sein: Schon 1755 konnte Hans Philipp Wörner erst im 26. Streich zum Ziel gelangen, 1758 Hans Philipp Kußmaul gar erst im 60., 1761 Hans Michel Kußmaul (Jacobs Sohn) im 33. 2 3 1 Die Zehntbeständer, die eindeutig zu identifizieren sind, hinter denen sich aber Gruppen von Bürgern zu verbergen scheinen, 2 3 2 gehören mit einer Ausnahme alle zu den reichsten Bauern. 2 3 3 Ihre Vermögensentwicklung allerdings ist keineswegs einheitlich. Während Hans Philipp Kußmaul und sein Bruder Hans Michel Kußmaul (Jacobs Sohn) sehr hohe Zugewinne erzielten, büßte Hans Michel Schlayer den Großteil seines Vermögens ein, Hans Conrad Seeger verbuchte eine starke Einbuße. 2 3 4 Allerdings lassen sich sowohl Zugewinne wie Einbußen nicht direkt aus den Zehntbestandsaktivitäten herleiten, hierzu wären detailliertere Angaben erforderlich. Der am Zehntbestand von 1755 beteiligte Bauer Hans Kußmaul (Barthen Sohn) hatte dabei 55 fl eingebüßt: "an dem ferndigen Frucht Zehend Be-

226 227 228 229 230 231 232 233

D.W.Sabean, Schwert, S.224f HSTAS A 303 Bd 11952, 11954, 11955 HSTAS A 303 Bd 11959, 11960, 11961 HSTAS A 303 Bd 12006 HSTAS A 303 Bd 12009 HSTAS A 303 Bd 12040, 12043, 12046 GA BON I 582 (Hans Kußmaul (Barthen Sohn), 1756) die Ausnahme: Blasius Rothfelder 1756 (HSTAS A 303 Bd 12041); vgl. GA BON I 573 (Margaretha Rothfelder, 1756) 234 GA BON I 933 (Maria Kußmaul, 1780); I 925 (Hans Michel Kußmaul (Jacobs Sohn), 1780); I 1235 (Hans Michel Schlaier, 1797); I 1238 (Konrad Seeger, 1797)

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stand verlohren worden, woran es den Defuncto als einen mit Participanten betroffen und noch zu bezahlen stehet ... 55 fl." 2 3 5 In den 1780er Jahren treten auch etliche weniger vermögende Bondorfer Bürger als Zehntbeständer auf: zumindest Johannes Bräuning und Jacob Barth gehörten nicht zur ersten Garnitur der Bauernschaft, die meisten anderen sind nicht eindeutig zu identifizieren. 2 3 6 4.2.15. Zusammenfassung: Expansion in der Landwirtschaft Im Rückgriff auf das in der Einleitung zu Kapitel 4 vorgestellte Modell läßt sich die Entwicklung der Landwirtschaft in den untersuchten Dörfern wie folgt zusammenfassen. Die landwirtschaftliche Produktion pro Flächeneinheit, die im 17. Jahrhundert stagniert hatte, erhöhte sich bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts deutlich, steigerte sich nach 1760 aber um mehr als ein Drittel und scheint sich auch in den ersten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts weiter erhöht zu haben. Mitentscheidend war dabei ein ausgedehnterer Anbau höherwertiger Produkte (Hülsenfrüchte, Dinkel) auf Kosten niedriger bewerteter (Hafer). Ertragssteigerungen einzelner Fruchtsorten ließen sich mit den zur Verfügung stehenden Quellen leider nicht messen. Die Höhe des Zuwachses macht aber wahrscheinlich, daß sich auch hier erhebliche Verbesserungen ergaben. Eine geringe Rolle für diese Ertragssteigerungen spielte die Ausdehnung der kultivierten Fläche, da die Landreserven schon in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts eher gering waren. Diese Verbesserungen im Getreidebau gingen nicht auf Kosten der Viehhaltung, die sich vielmehr gleichfalls deutlich erhöhte. Wenn nicht schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts Stallfütterung bestand, die zu diesem Zeitpunkt allerdings noch als nachteilig empfunden wurde, wurde sie im Laufe des Jahrhunderts eingeführt, 2 3 7 der Futterbedarf des Viehs durch die Anlage künstlicher Wiesen (Klee) und den Anbau von Futterpflanzen (Wicken) gedeckt. Die Intensität der Düngung litt deshalb zumindest nicht, dürfte sich vielmehr eher verbessert haben. 2 3 8 Die relativ frühe Einführung des Kleeanbaus (ab den späten 1740er Jahren) zeigt die Offenheit der bäuerlichen Landwirtschaft für von ihr als vorteilhaft eingeschätzte Verbesserungen. 239 Der Kartoffelanbau erreichte dagegen in den wohlhabenderen und durch gute Böden ausgezeichneten Dörfern erst spät erheblichen Umfang, während das arme Gruorn hier voranging. Eine steigende Zahl von Arbeitskräften, die über mehr Geräte als zu Beginn des Jahrhunderts verfügten, ermöglichte eine intensivere Bearbeitung des Bodens, was sich für die Erträge positiv ausgewirkt haben dürfte. Diese Veränderungen gingen außer auf endogene Entwicklungen innerhalb des Dorfes auch auf eine veränderte Nachfragesituation zurück, die sich in den steigenden

235 G A BON I 582 (Hans Kußmaul (Barthen Sohn), 1756) 236 HSTAS A 303 Bd 12068; GA BON I 1124 (Jacob Barth, 1792) (Jacob Barth war Biersieder und betrieb eine Gassenwirtschaft); GA BON I 1250 (Johannes Breuning, 1798) (auch Johannes Breuning war Gassenwirt) 237 vgl. K. von Varnbüler, Glemsgau, S.261 238 A.Straub, Oberland, S. 143 239 vgl. D . G r i g g , Population growth, S.31; G.Elwert, Mythos, S.52; W.Jacobeit, Dorf, S.326; E.Schunk, Forstunruhen, S.59, 63 141

Getreidepreisen zeigt. 2 4 0 Die Preissteigerungen führten aber nicht unbedingt zu einer Ausdehnung des Anbaus der besonders stark nachgefragten Produkte, sondern eher zu einer Verbesserung der Subsistenzgrundlagen der Landwirtschaft: Während Wicken im Preisvergleich mit Hafer schlecht abschnitten (ein Scheffel Wicken war zu Beginn des 18. Jahrhundert noch zwei Scheffel Hafer wert, Ende des 18. Jahrhundert nur noch 1,33!), dehnte sich ihr Anbau dennoch auf Kosten des Hafers aus, da sie in der bäuerlichen Wirtschaft als Viehfutter eine größere Bedeutung als das Pferdefutter Hafer hatten. Die nur partielle Marktintegration läßt sich daran zeigen. Immerhin war die Orientierung an Gewinnchancen bei einigen groß genug, um hohe Investitionen möglich zu machen. Ohne Ertrags- und Preissteigerungen hätten Bondorfer Bauern kaum die Übernahme der Höfe Hohenreuthin und Wurmfelden riskieren und bewältigen können. Für die übrigen, die keine derartigen Investitionen tätigen konnten, machten die steigenden Erträge und die höheren Preise das Überleben auf den kleineren Parzellen möglich, wobei die höheren Preise zumindest die Bezahlung der Steuern erleichterten. Schwierig wurde die Situation dieser Bauern bei sinkenden Preisen, aber hoher Steuerbelastung - wie in den 1820er Jahren.

240 D.Grigg, Population growth, S.30

142

4 . 3 . Handwerk Die Untersuchung der dörflichen Berufsstruktur (s.o. 4 . 1 . ) zeigte das enorme quantitative Gewicht des Dorfhandwerks. Allerdings sind die Quellen über die Handwerkerökonomie wesentlich weniger ergiebig als die über die Bauernwirtschaft, was nicht nur an der sich weniger in Besitztümern manifestierenden Berufstätigkeit der Handwerker liegt, sondern bereits ihren sekundären wirtschaftlichen Rang andeutet.

4.3.1. Bondorfer Handwerker im 18. Jahrhundert: einige Beispiele Während oben der wirtschaftlichen Entwicklung einer Bauernfamilie beispielhaft vom 17. bis ins frühe 19. Jahrhundert nachgegangen wurde, soll für die Handwerker ein anderes Verfahren gewählt werden. Lediglich zwei Generationen, ein Ehepaar und seine Kinder, sollen kurz vorgestellt werden. Schon dieses Beispiel wird die größere Instabilität von Familien des Dorfhandwerks im Vergleich zu solchen der bäuerlichen Oberschicht zeigen und damit dieses andersartige Auswahlverfahren begründen. Der Metzger Michael Wörner war 1734 verstorben und wurde 1735 inventarisiert. 1 Sein stattlicher Grundbesitz von 51 Morgen setzte sich aus 4 9 , 5 Morgen Acker, 0 , 2 5 Morgen Wiese und 1,25 Morgen Wald zusammen. Drei Morgen Acker waren als Heiratsgut an den Sohn Hans Jacob abgegeben worden. Der Wert des gesamten Landbesitzes belief sich auf 1034 fl (ohne die Blum). Michael Wörner besaß ein Haus im Wert von 170 fl und eine Scheuer im Wert von 9 0 fl in der Langen Gaß. Das Mobiliar des Hauses bestand aus zwei Bettladen, einem Lotterbett, einer Wiege, einem Lehnstuhl, einer Schranne, einem Trog, einem Kopfhaus und einem Tisch. Dem Umfang des Grundbesitzes entsprechend waren neben einem Wagen und einem Pflug samt Egge die wesentlichen Bestandteile des Bauerngeschirrs vorhanden. Zwei Stuten standen außer einer Kuh im Stall. Sechs Hühner gackerten im Hof. Da Michael Wörner kurz vor der Ernte verstorben war, waren nur noch geringe Vorräte im Haus vorhanden: sie bestanden lediglich in fünf Scheffeln Dinkel, wozu 4 0 Büschel Stroh kamen. Eine Hose, vier Hemden, ein Hut, zwei Paar Strümpfe, ein Camisol, ein Flor und ein Paar Schuhe bildeten die nicht viel über das Allernotwendigste hinausgehende Kleidung dieses Handwerkers. Eine Flinte und ein Degen betonten seine Wehrhaftigkeit. Die Lektüre im Hause Wörner beschränkte sich auf die Bibel (2 fl), ein Testament und einen Psalter. Handwerkszeug besaß Michael Wörner offenbar keines. 25 fl wurden nach Mötzingen geschuldet, 9 6 fl und 54 fl der Schwester und dem Bruder Ursula Wörners. 2 Guthaben hatte das Ehepaar keine. Das Gesamtvermögen belief sich auf 1388,5 fl, woran Michael 9 9 , 5 fl, Ursula aber 9 1 8 fl beigebracht hatten. Über das Heiratsgut des Sohnes Jacob hinaus ergab sich ein Zugewinn von 371 fl, mit dem Heiratsgut (in Höhe von ca. 100 fl) von 4 7 0 fl.

1

G A B O N I 2 7 6 (Michael Wörner, 1735)

2

Die beiden Schuldposten rührten von der Realteilung des Bruders der Ursula, Martin Kußmaul, her ( G A B O N I 149 (Martin Kußmaul, 1726)).

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Sein ältester Sohn Johannes Wömer, gen. Baude, der seit 1735 mit Ursula Strobel aus Frommem verheiratet war, bezeichnete sich als Bauer 3 und besaß beim Tod seiner Frau 1763 12,5 Morgen Ackerland 4 und 0,5 Morgen Wald. 5 Der gesamte Landbesitz war 281 fl wert. Sein halbes Haus in der Langen Gaß und seine halbe Scheuer wurden auf 150 fl geschätzt. Bauerngeschirr war keines vorhanden. Johannes Wörner besaß an Vieh zwei Kühe, zwei Gänse und ein Huhn. Kleidung wurde nicht inventarisiert, da Johannes nur die Kleider besaß, die er am Leib trug, während die der Ursula von den Töchtern Anna Maria und Ursula übernommen und verbraucht worden waren. Die Einrichtung des halben Hauses war ebenso dürftig: außer einer Bettlade und einem Bettkarr bestand sie nur aus einem Trog, einem Tisch und einem Lehnstuhl. Entsprechend dem Datum der Inventur (15.12.) waren die Vorräte relativ reichhaltig: vier Scheffel Dinkel, sechs Simri Hafer, ein Scheffel Roggen, sechs Simri Gerste und drei Simri Erbsen. Vier Simri Roggen waren noch nicht ausgedroschen. Das Gesamtvermögen wurde auf 542 fl veranschlagt, worauf aber Passiva von 165,5 fl standen. Die beiden größten Posten waren Anleihen von 50 fl bei einem Major Rieger und von 35 fl bei einem Tübinger Professor. 10 Scheffel Dinkel waren bei verschiedenen Bondorfer Bürgern entlehnt worden. 12 fl wurden noch dem Bürgermeisteramt an rückständigen Steuern geschuldet, insgesamt 34 fl in kleinen Summen verschiedenen Einwohnern Bondorfs. Das Aktivvermögen belief sich also auf 376,5 fl, woran Johannes 298 fl beigebracht hatte, während Ursula lediglich 80 fl zum gemeinsamen Vermögen beigesteuert hatte. In der Schlußbilanz ergab sich also eine unwesentliche Einbuße von 1,5 fl. Sein Bruder Michael, der 1772 starb und 1773 inventarisiert wurde, war Weber, besaß aber keinerlei Handwerkszeug. 6 Sein Grundbesitz war mit 14,5 Morgen Ackerland 7 und 1 Morgen Wald etwas umfangreicher als der seines Bruders. Der Wert dieses Landbesitzes wurde auf 891,5 fl veranschlagt. Seine Wohnung bestand in einem kleinen Haus in der Langen Gaß im Schätzwert von 150 fl. Michael Wörner besaß weder Bauerngeschirr noch Vieh. Seine Kleider hatten seine Kinder "angetan und verrissen". Das Mobiliar des erwähnten kleinen Hauses entsprach dem seines Bruders: Neben zwei Bettladen und einem Bettkarr fanden sich ein Trog, ein Kopfhaus und ein Tisch, ein Lehnstuhl, eine Schranne und ein Fußschemel. Vorräte waren keine vorhanden. Das Gesamtaktivvermögen wurde auf 1177 fl geschätzt, worauf Passiva in Höhe von 186,5 fl standen, so daß sich ein Gesamtvermögen von 990,5 fl ergab. Die Schulden setzten sich im wesentlichen aus Anleihen und Steuerrückständen beim Bürgermeisteramt Bondorf, beim Heiligen von Nagold und beim Heiligen von Bondorf zusammen. 20 fl

3 4 5 6

7

144

OSB BON 3335 4,5 Morgen in der Zeig Wolfenhausen, 4 Morgen in der Zeig Hailfingen und 4 Morgen in der Zeig Oschelbronn GA BON I 678 (Ursula Wörner, 1763) OSB BON 3336; GA BON I 812 (Michael Wömer, 1773); die Familie bestand 1773 aus seiner Witwe Anna Maria, geb. Breuning, und seinen Söhnen Michel (32 Jahre alt), Jacob (30), Ludwig (28) und Friedrich (24). Michel war Soldat. Alle vier Söhne waren noch unverheiratet. 4 Morgen in der Zeig Wolfenhausen, 4 Morgen in der Zeig Hailfingen und 6,5 Morgen in der Zeig Oschelbronn

waren beim Schuhmacher von Ergenzingen entlehnt worden, zwei kleine Posten schließlich bei zwei Bondorfer Pflegschaften. Beigebracht hatte Michael 596,5 fl, seine Frau Anna Maria Breuning 548 fl, so daß sich eine Einbuße von 154 fl errechnete. Im Jahr nach seinem Bruder Michael war der Sohn Martin verstorben. 8 Martin, ebenfalls "Baude" beigenannt, war Leinenweber und besaß Handwerkszeug im Wert von 8 fl. 9 Sein Landbesitz war dafür wesentlich geringer als der seiner Brüder Johannes und Michael: er beschränkte sich auf 5,5 Morgen Ackerland 10 und 1 Morgen Wald im Gesamtwert von 251 fl. Martin besaß ein halbes Haus und ein Viertel einer Scheuer in der Langen Gaß, die auf 200 fl geschätzt wurden. In seinem Stall standen eine Kuh und ein Schwein, zwei Gänse und drei Hühner ergänzten den Viehbestand. Seine Kleidung setzte sich aus einem Camisol, einer Hose, einem Brusttuch, einem Hut, einem Paar Strümpfe, sechs Hemden und einem Paar Schuhe zusammen. Außerdem befand sich ein Degen in seinem Besitz. Die Inneneinrichtung des halben Hauses bestand aus einer Bettlade, einem Kinderbett, drei Trögen, einem Kopfhaus, einem Tisch, einem Lehnstuhl, einer Schranne und einer Wiege. Das gesamte Aktivvermögen belief sich auf 567,5 fl, wovon 217 fl Schulden abzuziehen waren. Außer Steuerrückständen standen vor allem Kapitalien beim Bürgermeisteramt, bei Herrn Professor Ploucquet in Tübingen, beim Bondorfer Heiligen und bei der Pflegschaft von Georg Friedrich Buoben Kindern. Eine Vielzahl kleiner Posten für entliehenes Getreide bei diversen Heiligenpflegen und bei Bondorfer Bürgern waren außerdem angefallen. Das Gesamtvermögen belief sich also nur noch auf 350,5 fl. Martin Wörner hatte 674,5 fl beigebracht, seine Frau Maria Barbara, geb. Schwägler, 276,5 fl, so daß sich eine Einbuße von 600,5 fl errechnete. Immerhin zwei Drittel des ererbten Vermögens waren mithin verloren. Noch desolater stellte sich die Vermögenslage des Bruders Jacob dar. 1 1 Jacob Wörner war Metzger, Handwerkszeug wurde ihm aber keines inventarisiert, möglicherweise weil es mit zu seinem Voraus zählte. Seine Frau Anna Barbara, geborene Köder aus Tailfingen, war 1780 verstorben. Der Grundbesitz bestand nur noch aus 1,75 Morgen, wovon 1,4 Morgen Ackerland waren, der Rest aus Wald bestand. Der Wert dieser Parzellen betrug nur 81,5 fl. Jacob wohnte in einem halben "Häusle" beim untern Bronnen, das 100 fl wert war. Seine Kleider wurden nicht inventarisiert. Die Einrichtung bestand lediglich in einer Bettlade, einem Tisch, einem Stuhl, einem Trog und einem Kopfhaus. Auf 212 fl belief sich das gesamte Aktivvermögen, worauf dann aber noch 68,5 fl Schulden standen. 16 fl Steuern waren noch zu bezahlen, 30 fl Kapital bei der Mühlverwaltung Tübingen aufgenommen worden. Der Rest der Schulden war für Nahrungsmittel und Holz gemacht worden. Der Sohn Michel hatte seinen Eltern mit 9,5 fl ausgeholfen. Da Jacob 560,5 fl, seine Frau 294 fl beigebracht hatten, ergab sich eine Einbuße von 711 fl, die sich aber auf 161 fl ermäßigen, wenn man die Heiratsgüter der drei verheirateten Kinder in Höhe von ca. 550 fl berücksichtigt. 8 9 10 11

OSB BON 3340 GA BON 1813 (Martin Wörner, 1773) 2 Morgen in der Zeig Wolfenhausen, 1,3 Morgen in der Zeig Hailfingen und 2,2 Morgen in der Zeig Oschelbronn GA BON I 927 (Barbara Wörner, 1780)

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Der letzte Sohn Hans Friedrich übte im Laufe seines Lebens die verschiedensten Berufe aus, er ist als Schmied, Taglöhner und Weber in den Quellen vertreten. 12 Bei seiner Eventualteilung 1791 wurde er als Weber bezeichnet, hinterließ aber keinerlei Handwerkszeug. Sein Landbesitz umfaßte 8,8 Morgen Ackerland13 im Wert von 683,5 fl. Weiterhin besaß er ein kleines Haus in der Cuonzengaß, das um 200 fl angeschlagen wurde, und ein Viertel einer Scheuer in der Langen Gaß, das 50 fl wert war. Vier Scheffel Dinkel waren als Vorrat eingelagert. An Bauerngeschirr war immerhin ein Pflug und ein Karren vorhanden. Eine Kuh und drei Hühner trugen zur Versorgung der Familie bei. Seine Kleidung bestand im wesentlichen aus einem Mantel, einem Rock, fünf Hemden und einem Paar Schuhe, darüber hinaus waren nur Lumpen vorhanden. Relativ umfänglich war das Mobiliar seines Hauses: Neben zwei Tischen, einer Schranne, einem Fußschemel, zwei Bettladen und einem Bettkarr besaß er ein Lotterbett, einen Trog, einen Schrank, einen Lehnstuhl und eine Wiege. Der Wert des Aktivvermögens wurde auf 1085,5 fl veranschlagt, worauf Passiva von 123,5 fl standen. 60,5 fl waren beim württembergischen Gesandten in Frankreich Herrn Rieger angeliehen, 36,5 bei der Siechenpfleg Nagold und 16,5 fl bei der Schultheißenwitwe Dorothea Weinmar in Bondorf. Das Gesamtvermögen nach Abzug der Passiva betrug also 962 fl. Hans Friedrich hatte 1062,5 fl beigebracht, seine Frau Anna, geb. Böckle, nur 121,5 fl, so daß sich eine Einbuße von 222 fl ergab. Die Tochter Christina, verheiratete Weinmar, hatte allerdings ein Heiratsgut von 195 fl empfangen, so daß die reale Einbuße nur unwesentliche 27 fl betrug. Im Rahmen dieser beiden Generationen der Familie Wörner sind eine beachtliche Anzahl von Handwerken vertreten. Michael Wörner sen. war ebenso Metzger wie sein Sohn Jacob, Michael, Martin und Hans Friedrich waren Weber, Hans Friedrich außerdem Schmied. Charakteristisch für das Bondorfer Handwerk ist, daß die meisten dieser Handwerker kein nennenswertes Werkzeug in ihrem Besitz hatten. Die handwerkliche Beschäftigung dürfte in allen Fällen der landwirtschaftlichen nachgestanden haben. War die Familie Bruckner ein Beispiel für den Statuserhalt, so zeigt die Familie Wörner einen deutlichen Verlust an Vermögenssubstanz, der sich am leichtesten am Landbesitz festmachen läßt. Wenn Michael sen. noch 51 Morgen in Besitz hatte, so kam der Sohn Johannes nur noch auf 13 Morgen, der Sohn Michael auf 15,5 Morgen, der Sohn Jacob auf 1,75 Morgen, der Sohn Martin auf 5,5 Morgen und der Sohn Hans Friedrich auf 9 Morgen, wobei Jacob und Hans Friedrich Heiratsgüter an ihre Kinder abgegeben hatten. Rechnerisch hätte jeder der fünf Söhne von Michael sen. auf 10 Morgen Landbesitz kommen müssen. Daß es nicht mehr wurden, liegt auch daran, daß die Frauen der fünf Wörners zum Teil sehr viel ärmer waren als ihre Männer, also zur Vermehrung des Vermögens wenig beitragen konnten. Sicherlich nicht nur auf persönliche Ursachen zurückzuführen ist es, daß das Vermögen aller Wörners im Laufe ihres Ehelebens entweder stagnierte oder sich verringerte. Dies deutet an, wie schwierig die Reproduktion der materiellen Basis im Rahmen des Dorfhandwerks bzw. der kleinen Landwirtschaft war.

12 13

146

OSB BON 3342; GA BON I 1090 (Hans Friedrich Werner, 1791) 1,5 Morgen in der Zeig Wolfenhausen, 3,3 Morgen in der Zeig Hailfingen und 4 Morgen in der Zeig Oschelbronn

Ein Vergleich der Wörners mit den Bruckners weist außerdem auf die krassen sozialen Unterschiede innerhalb desselben Dorfes hin. Kein Zufall ist es, daß keiner der Wörners ein dörfliches Führungsamt innehatte, während die Bruckners auf solche Amter quasi abonniert waren. Im Bereich von Mobiliar und Kleidung waren aber die Unterschiede zwischen Wörners und Bruckners keineswegs so scharf, die Dörfler verschiedener Schichten nährten unter diesen beiden Aspekten sich aneinander an. 4.3.2. Berufsstruktur des Handwerks Schon die im Wörnerschen Beispiel vorkommenden vielfaltigen Handwerke lassen ein reich differenziertes Dorfhandwerk vermuten, dessen Zusammensetzung nun zuerst untersucht werden soll. 14 4.3.2.1. Interne Zusammensetzung der Handwerker nach Kirchenbüchern Im folgenden sollen die respektiven Anteile einzelner Gruppen von Handwerken im Laufe der Zeit verfolgt werden.

Tab. 4.3.2.l.a. Entwicklung verschiedener Handwerke (%) Periode der N Nahrung Textil Leder Metall Heirat Bondorf 1620-1654 30 16,7 43,3 10,0 10,0 1655-1689 39 28,2 25,6 12,8 7,7 1690-1724 42 26,2 16,7 23,8 4,8 64 1725-1759 25,0 32,8 4,7 12,5 1760-1794 94 20,2 39,4 6,4 5,3 116 13,8 11,2 1795-1829 35,3 9,5 Tailfingen 1690-1724 32 21,9 40,6 12,5 3,1 1725-1759 36 27,8 33,3 11,1 11,1 1760-1794 45 17,8 40,0 11,1 4,4 1795-1829 52 19,2 28,9 7,7 13,5 Mötzingen 1690-1724 16 25,0 25,0 12,5 18,75 1725-1759 39 15,4 25,6 10,3 7,7 1760-1794 50 12,0 42,0 10,0 4,0 77 1795-1829 13,0 28,6 13,0 6,5 Nebringen 1725-1759 16 43,8 25,0 12,5 6,3 1760-1794 31 22,6 19,4 16,1 9,7 1795-1829 21 9,5 42,9 14,3 14,3

Bau

Sonstige

6,7 2,6 11,9 12,5 14,9 19,0

13,3 23,1 16,7 12,5 13,8 11,2

12,5 8,3 15,6 19,2

9,4 8,3 11,1 11,5

18,75 25,6 16,0 26,0

0,0 15,4 16.0 13,0

6,3 22,6 0,0

6,3 9,7 19,0

Die Sparten Textil (Weber, Schneider) und Bau (Maurer, Zimmerleute, Schreiner) expandierten von der zweiten Hälfte des 17. bis wenigstens gegen Ende des 18. Jahrhun14

Für die getrennte Untersuchung der beiden Quellengruppen s.o. 4.1.

147

derts. Die Sparten Leder (Schuster), Metall (Schmiede) und Sonstige (Sattler und Wagner) stagnierten, während die Nahrungshandwerke (Metzger und Bäcker) relativ an Bedeutung einbüßten. 4 . 3 . 2 . 2 . Handwerk nach Eventualteilungen Unter den Handwerkern waren vor allem die Textilhandwerker (Weber und Schneider) stark repräsentiert: 15

Tab. 4.3.2.2.a. Anteile einzelner Handwerksgruppen am Gesamthandwerk Bondorf Handwerk Gebersheim Gruorn N % N % N % Nahrung 41 19,7 9 11,7 3 3,8 74 Textil 35,6 36 46,8 35 43,8 Leder 16 7,7 10 13,0 5 6,3 15 7,2 4 7 Metall 5,2 8,8 12 Bau 25 12,0 15,6 27 33,8 Wagner/ Sattler 23 3 3,9 3 3,8 11,1 14 Sonstige 6,7 3 3,9 0 0,0 208 100,0 77 100,1 80 ges. 100,3

Die Textilhandwerker liegen mit 36 - 47% überall an erster Stelle, wobei in Gebersheim die Konzentration am stärksten, in Bondorf am schwächsten ist. In Bondorf folgen mit 20% die Nahrungsmittelhandwerke, die in den anderen beiden Dörfern wesentlich schwächer vertreten sind: in Gebersheim immerhin noch mit 12%, in Gruorn mit unbedeutenden 4 % . Gruorn verfügt dagegen über sehr viele Bauhandwerker; 75% aller Handwerker waren hier in den beiden Sparten Textil und Bau beschäftigt gegenüber nicht einmal 50% in Bondorf und ca. 60% in Gebersheim. Um so abgelegener, verkehrsärmer und kleiner das Dorf, um so stärker war anscheinend die Konzentration auf diese beiden Sektoren, wobei das Bauhandwerk sicher als Wanderhandwerk betrieben wurde. 16 Auffallig ist auch, daß das relativ große Bondorf außer über zahlreiche Bäcker, Metzger und Biersieder auch über viele Wagner und Sattler verfügte, während es in den beiden kleineren Dörfer damit eher schlecht bestellt war. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Bondorf das vielfältigste, Gruorn das einseitigste Handwerk aufwies, daß in Bondorf das Handwerk sicher am stärksten auf den dörflichen Markt ausgerichtet war, während in den beiden anderen Dörfern die Handwerker für außerdörfliche Abnehmer tätig gewesen sein müssen. Die Aufschlüsselung nach Perioden bestätigt die auf der Grundlage der Kirchenbücher gewonnenen Ergebnisse. Obwohl sich auch die Textilhandwerke im 18. Jahrhundert relativ vergrößert zu haben scheinen (die kleinen Zahlen machen hier ein Urteil schwierig), so scheinen doch die Bauhandwerke die eigentlich expansiven gewesen zu sein, was für 15 16

148

vgl. H.Medick, Handelskapital, S.281f s. Beschreibung Leonberg, S.127

alle drei Dörfer gilt. 1 7 Die Nahrungsmittelhandwerke verlieren eher etwas an Gewicht, ebenso die "Sonstigen" (also vor allem Wagner und Sattler, deren absolute Zahl im gesamten Zeitraum die gleiche bleibt). Die übrigen Handwerke bleiben ebenfalls auf dem gleichen Stand. Das Wachstum ausgerechnet der beiden von auswärtigen Abnehmern zumindest zu wesentlichen Teilen abhängigen Handwerke spricht für eine Integration der Dörfer in weiträumigere Marktbeziehungen. 4.3.3. Wirtschaftliche Situation des Handwerks Wie bei der Landwirtschaft ermöglichen die Steuereinschätzungsakten einen Einblick in die wirtschaftliche Situation des Handwerks. 18 Auf der Basis der Steuerquellen läßt sich der Anteil der Handwerker an der Bevölkerung bestimmen (s. Tabelle 4.3.3.a.). Der im Verlauf dieser 80 Jahre stark ansteigende Handwerkeranteil wird erneut deutlich. Die Haushaltsvorstände umfassen auch die Witwen, für die es keine Berufsangaben gibt. Entscheidend ist deshalb der Anteil der Handwerker an den Bürgern (incl. der Beisitzer). Betrug um 1730 der Anteil der Bürger, der ein Handwerk ausübte, noch ein Viertel, war er um 1800 auf die Hälfte gestiegen.

17

18

vgl. K.H.Schröder, P.Schröder, Neckarland, S.296; s.a. die Hinweise in den Inventuren auf neue Behausungen, Scheuern und Ställe: HSTAS A 584 I 212 (Johannes Kohler, 1716), I 243 (Hans Endres Bauser, 1730), I 286 (Hans Jörg Hörz, 1744), I 342 (Georg Friedrich Weh und Dorothea Eisenhardt, 1758), I 358 (Benigna Ißler, 1763), I 380 (Anna Maria Veit, 1767), I 431 (Johann Michael Kautter und Ursula Dorothea Böhmler, 1775), I 436 (Agnes Catharina Kübeleberle, 1776), I 463 (Jacob Friedrich Schäfer, 1785), I 464 (Anna Maria Mohr, 1785), I 476 (Georg Friedrich und Margaretha Barbara Prophet, 1788), I 482 (Georg Friedrich Schäfer und Margaretha Laller, 1790), I 488 (Jacob Sämann, 1791), 1 503 (Johann Michael Kübeleberle, 1793), I 515 (Joseph Ißler, 1793), I 524 (Maria Agnes Schäufele, 1794), I 531 (Jung Martin Profet und Margaretha Gommel, 1795), I 532 (Anna Katharina Albrecht, 1795), I 536 (Conrad Albrecht und Catharina Kübeleberle, 1796), I 550 (Johann Martin Bauser, 1797), I 562 (Margaretha von Au, 1799), I 564 (Johann Georg Isler, 1799), I 565 (Conrad Albrecht und Margaretha Bauser, 1799), I 566 (Maria Catharina Böhmler, 1799), I 576 (Friedrich Jüngling, 1801), I 579 (Martin Prophet, 1801), I 591 (Christian Mörk, 1803), I 592 (Johann Andreas Böhmler, 1803), I 593 (Hans Martin Kemmler und Anna Maria Ißler, 1804), I 595 (Eleonora Mohr, 1804), I 597 (Konrad Albrecht und Maria Katharina Bäuerle, 1804), I 607 (Magdalena Isler, 1806), I 625 (Heinrich Kauter, 1809), I 631 (Johann David Mohr, 1810), I 639 (Anna Maria Wöhr, 1813), I 641 (Magdalena Mauch, 1813), I 664 (Johann Georg Stiefbold und Maria Catharina Bauser, 1817), I 665 (Magdalena Ißler, 1817), I 673 (Catharina Magdalena Schäufele, 1820), I 693 (Christine Catharina Kogel, 1825), I 707 (Johann Georg Vonau und Anna Maria Böhmler, 1827). Ab etwa 1775 werden die Belege sehr dicht. Vgl. a. HSTAS A 584 provisor. B 2 (Gerichtsprotokolle, 1753-1794), fol. 124R-125R (26.7.1776) für die Überlassung von Bauplätzen an junge Bürger. vgl. W.Kaschuba, C.Lipp, Uberleben, S.109; Beschreibung Herrenberg, S.63f für das Gewerbe im Oberamt um 1855; zur Entwicklung speziell der Weberei s.: W.Kaschuba, C.Lipp, Überleben, S.24 32; Beschreibung Herrenberg, S.64; s.a. U.Jeggle, Kiebingen, S.292; I.Weber-Kellermann, Landleben, S.62-64

149

Tab. 4.3.3.a. Handwerksanteil an der Bevölkerung und den Haushaltsvorständen Bondorf 1720-1801 Jahr Anzahl HandAnteil an der Anteil an den Anteil an den werker Bevölkerung HaushaitsvorBürgern (%) (%) ständen (%) 1720 28 5,1 20,0 23,3 1729 37 6,6 23,4 28,7 1734 33 5,2 21,0 25,6 1779 74 8,9 34,6 42,8 1801 97 10,2 38,0 47,5

Diese zunehmende Handwerksdichte beeinflußte auch den möglichen Kundenkreis: 19

Tab. 4.3.3.b. Anzahl Einwohner auf einen Handwerker der jeweiligen Sparte Handwerksart Jahr 1720-1734 1779 Nahrung 46,4 69,3 Textil 85,9 39,8 Leder 250,1 139,3 Metall 155,5 139,3 Holz 213,1 209,0 119,4 287,7 Bau Wagner/Sattler 115,1 104,5 287,7 209,0 Sonst.

1801 63,6 26,5 159,0 119,3 159,0 86,7 106,0 159,0

Vor allem bei den Textil- und den Bauhandwerkem verschob sich das Verhältnis zwischen Produzenten und potentiellen Kunden radikal zuungunsten der Handwerker. Auch Schuster gab es 1801 fast doppelt so viele auf hundert Einwohner wie 80 Jahre vorher. Bei den Ernährungs- und Metallhandwerkern sind die Verschiebungen weniger drastisch, ebenso bei den Wagnern und Sattlern, was wohl bedeutet, daß der Expansion der letzteren aufgrund der rein lokalen Nachfrage engere Grenzen gesetzt waren als den erstgenannten, die auch überlokal (Textil) eingebunden bzw. als Wanderhandwerk (Bau) betrieben werden konnten. 2 0 Dabei war die Lage dieser Handwerker schon vor 1700 miserabel. Bereits 1607 beklagte das Amt Nagold: " . . . daß mann in alhiesigem Statt und Ampt khein sunder gewerb noch handthierung, oder einträgliche kauffmannschafften, welche aber daren ettwaß haben oder threiben, selbige nihtt freygelassen, sonndern der gebühr nach ... belegt." 2 1 1629 aber hieß es: "Die Handtierungen Statt und Ampts Nagoldt, (weil sonnsten weeder vermögliche Cramer noch Kauffherrn, sonndern mehistentheils arme Knappen, Mezger und

19 20 21

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vgl. W. von Hippel, Bevölkerungsentwicklung, S.329; D.Ebeling, Bürgertum, S.51 vgl. J.Mantel, Wildberg, S.24 HSTAS A 261 Bü 1262 (Einrichtung des Steuerfußes, Nagold, 1607) (enthält auch Steuerberichte von 1629 und 1655)

Beckhen alda sich uffhalten) seind angeschlagen umb -— 414 fl", 2 2 und 1655: "An handthierungen und handtwerckhern ... haben hievor sich nichts beioffen, Dißmahls aber ertragen aniezo die angeschlagene handtwerckher der Knappen und anderer handtwercks Persohnen zue Capital angeschlagen, zue Nagoldt 7440 fl, zue Haitterbach 730 fl thuet — - 8170 fl. Mit dißem Posten aber hat es volgende bewandtnüß, daß gleichwohlen manchen und dem mehrerntheil der handtwerckhsleuthen in 10, 20, 30, 40 & 50 fl uffs handtwerckh und vermeinte Parschaft geschlagen worden, da man einestheils sich wohl erinnerte, daß der handtwerckhsman sovihl in handen nicht hatte, alldieweilen aber Er. Frst. Gn. gnedig ergangene rescripta generalia dahin zihleten, daß nicht alles uff die ligende güeter gelegt werden sollte, hat man solche handtwerckhsleuth in sublevationem erwenter gueter und damit auch Er. Frst. Gn. zue dero jähr- und zelglichen gült und zinßen desto beßer gelangen mochten umb etwas mehrers angesehen, dannenhero wofern die ligende gueter in mehrere uffnamb und werth (alß bereits ist) kommen würden, vorstehende 8170 fl wider cassirt und ein Merckliches wider darvon erkennt werden müeßte, dahero nun solcher post bey Statt und Ambt Nagoldt in berechnung deß Vermögens, und begreiffung künfftigen fueßes umb sovihl destoweniger in obacht zuenemen: sondern allein umb erstallegirter Ursachen wegen gesezet und den handtwerckhsleuthen uffgelegt worden ist." 2 3 1720 mußte Steuercommissarius Johann Bernhard Ettlinger über das Bondorfer Handwerk berichten: "Wegen der handwerckher, welche zuefolge hfrst. Rescr. de dato 19. april 1718 nach dem nuzen 2, 3 oder mehr Morgen Ackhers oder Wüsen, taxirt werden sollen, stelte der Stewrsatz die höchste ohnmöglichkeit vor, dergl. durchgehents darnach zu reguliren, mit dem anfügen, daß 1. In dem fleckhen alle handtwerckher sich nicht von ihrem Verdinst allein ernehren können, sondern auch Ihren Güthern abwarthen und von deren Ertrag zusezen müßen. 2. Seyen einige handwerckher übersezt. 3. Könte Ein handwerckhsmann, wann Er keine Güther hätte, von seinem Verdienst allein ohnmögl. ernehren, und weillen 4. Einige handwerckher schlecht, so behelffen sich zerschidene dergl. mit Taglöhnen. Bey welcher Bewantsame die Geschwohrne aestimatores in hoffnung der Sache ein genüge gethan zuhaben, die handwerckh. folgender gestalten taxirt, alß Drey Schmid ieden ä 35 fl, indeme es übersezt, und an Einem oder höchst 2en der Fleckh Genuegsam versehen wäre. Drey Wagner um gleicher Uhrsache willen ä 24 et 30 fl. Zwey Sattler Einen ä 25 fl. Einen Sailer ä 30 fl. Einen Schreiner ä 20 fl. Zwey Beckhen, Einen ä 20 fl. Vier Metzger, Einen ä 30 fl. Drey Schneider, den Ersten ä 20 fl, die übrige 2 aber ä 30 fl. 22 23

HSTAS A 261 Bü 1262 HSTAS A 261 Bü 1262

151

Zwey Schuemacher ä 36 et 25 fl. Drey Weber, Einen ä 15 fl. Einen Kieffer, so zwar mehr Kubier alß Kieffer Arbeith macht, ä 20 fl. Einen Kibler ä 20 fl. Einen Maurer ä 20 fl. Einen Barbirer ä 30 fl. Anbey seind zwahr in dem Fleckhen 2 Handöhlmühlenen, weillen aber, wann die darzue erfordert, materialien im Wachsthum gerathen, solche nur von Martini biß höchstens auff Liechtmess gebraucht und der Nutzen daraus nicht wohl untersucht werden können; so wurde von denen aestimatoribus Eine auff 10 fl angelegt, In Meinung solche Anschläg hoch genueg sein möchten." 2 4 1730 schlug der Steuerrevisionscommissarius Cantstetter dagegen die Handwerker außerordentlich hoch an: drei Becken hatten jetzt 150, 120 und 100 fl zu versteuern, der Barbier 200 fl, drei Schuster 150, 120 und 80 fl, sieben Metzger 120, zweimal 100 und viermal 80 fl, ein Schreiner 150 fl, drei Leinenweber 150, 120 und 100 fl, ein Kübler 120 fl, drei Wagner 150, 120 und 100 fl, fünf Schmiede 200, 150 und dreimal 100 fl, drei Maurer 150, 120 und 100 fl, ein Seiler 150 fl, ein Küfer 150 fl und zwei Sattler 180 und 120 fl.25 Bei diesem Resultat konnte der Protest der Betroffenen nicht ausbleiben: sowohl von den "Principal Vorstehern" wie "von allen und Jeden Ambtsohrten anwesend gewesten Urkunds-Persohnen" wurde 1734 "einhelliglich" angezeigt, "daß der Commissarius Cantstetter nicht nur Niemanden Nichts von seinem Geschäfft eröffnet, sondern allerdings wider hinweg gegangen, wie Er gekommen seye, ohne Jemand das geringste darvon bekandt zu machen, wie Er dann auch mit denen Ihme zugegeben gewesten Deputirten lediglich Nichts änderst communicirt, alß daß Er bloß Selbige befragt, Ob nicht dieses oder jenes Ohrts Gebäu, Item, die Handwerckher und Professionen, auch seyen, wie da und dortten, und wann man Ihme in der allergrösten Unschuld und Unwissenheith, waß diese oder Jene Frag bedeutte, Eine Antwortt gegeben habe, so habe Er alßdann den Anschlag und Ansatz der Gebäu und Commerden nach seiner aigenen Willkühr angesezt, über die ligende Güetter aber Weitter lediglich Nichts befragt, sondern nur gemeldet, daß er die Belegung derselben nach dem Ertrag deß 30gsten einrichte, Nicht aber, daß Er aigenmächtig den veritablen 30gsten Ertrag fast durchgängig umb Ein Nahmhafftes, Ja! in theils Ohrten umb das alterum tantum vermehrt, mit dem Zusatz, daß Sie, die Urkunds-Persohnen da gesessen seyen, gleichsam Wie ein Stückh Holz, Und nicht gewußt hetten, Zu waß End Sie da wären, Welches Angeben Ich auß ihrem Äusserlichen Bezeugen, allerdings Völlig der Wahrheith gemäß zu seyn, urtheilen müssen, angesehen dieselbe bey bekandtmachung dieses oder jenes Anschlags, öffters ganz erstaunt da gesessen, und in solche hartte Expressionen außgebrochen seynd, daß, wann dieses oder Jenes von denen Urkunds-Persohnen geschehen, so köntten Sie solches am jüngsten tag nicht verantwortten, habe es dann der Commissarius gethan, solige solche Verantwortung auff Ihme bleiben werde, weilen Er Sie, ganz anderer dinge falschlich beredet, Wie dann in specie bey Einer vollkommenen Ambts Versammlung von der Statt publice

24 25

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HSTAS A 261 Bü 1264 (Bericht über die Steuerrevision, Bondorf, 1720), fol. 24R - 26V (Pkt. 15) HSTAS A 261 Bü 1267 (Steuersubrevisionsrelation mit Beilagen, Nagold, 1730), fol. 66R - 67V (§28)

gemeldet, Und solches Nachgehendts öffters repetirt worden, daß der Commissarius Cantstetter, denen Statt Deputirten von Einer gar grossen Verringerung, gegen deß Erstem Commissarii Ettlingers Anschlag gesagt habe, Und unter vihler Contestation Sich vernemmen lassen, daß, wann die Statt bey dem Ettlingerischen Anschlag gelassen worden wäre, die Bürger nur das Bettlen hetten ergreiffen müssen, da Jedoch solches Assertum sich bey Einsicht seines Geschäffts vollkommen falsch erfunden, daß der Cantstetterische Anschlag gegen den Ettlingerischen umb 34000 fl vermehrt worden, . . . " 2 6 Cantstetter habe "die bettelhaffteste Handwerckhs Leuth aufm Ambt, Welche deß Jahrs nicht wohl 1 fl verdienen, bald höher taxirt, als die vornehmste Handwerckher in den Stätten, Welche Sich gleichsam darmit völlig ernähren müssen, bißher angelegt worden, , . . " 2 7 Dementsprechend anders wurde 1734 eingeschätzt: was die Einschätzung von Handwerkern und Wirtschaften angehe, "So ist darbey vorderist das Hochfürstliche General Rescript, vom 19. April 1718 Wohl observirt - und darbey auff Eines Jeden seinen Nuzen, Einkommen, Vertrieb, Abgang, Verlaag Und All Andres gesehen Und ä proportion der liegenden Güther der Anschlag regulirt worden, Welche zwar überhaupt in diesem abgelegenen Rauen Schwarzwällder Statt und Ambt nicht nur Nichts importiren sondern auch aller Ohrten grausam übersezt, So, daß die Mehste Handwerckhs Leuth nur Taglöhnen, Vihle darvon aber, entweder das ganze Jahr Nichts mit Ihren Professionen Verdienen, oder gar mit Weib und Kindern dem Bettlen nachgehen." 28 Der ermäßigte Anschlag Andreaes lautete dann wie folgt: "3 Beckhen, 1 ä 60, 2 ä 40 th. 140 fl 100 fl 1 Barbierer 2 Schuster ä 60 120 fl Schneider, 1 ä 70, 4 ä 40 230 fl Mezger, 2 ä 50, 4 ä 30 220 fl 1 Schreiner 70 fl 3 Weber ä 50 150 fl 1 Kübler 60 fl 3 Wägner ä 80 240 fl Schmid, 2 ä 80, 1 ä 50 210 fl 2 Maurer ä 60 120 fl 1 Sailer 70 fl 2 Sattler, ä 100 200 fl"29 Deutlich wird die Hierarchie der Dorfhandwerke: an der Spitze steht der Barbier und die Sattler, dann Wagner und Schmiede, also die am engsten mit der Landwirtschaft verflochtenen. Becken und Metzger trieben ihr Handwerk offenbar nur sporadisch; die über die Inventuren kontrollierbare Vermögenssituation entspricht auf jeden Fall einem derar-

26 27 28 29

HSTAS A 261 HSTAS A 261 HSTAS A 261 HSTAS A 261 über Bondorf,

Bü Bü Bü Bü fol.

1269 (Steuersubrevisionsrelation mit Beilagen, Nagold, 1734), fol. 10V - 12V 1269, fol. 17R 1269, fol. 9R - 10V 1266 (Untersuchung über die Steuersubrevision von 1730, Nagold, 1734), Relation 80V-R

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tig niedrigen Anschlag nicht, während die geringe Einstufung der Schneider und Weber mit letzterer korrespondiert. Schwierig ist es abzuschätzen, welchem Einkommen ein derartiger Steueranschlag entsprach: ein Morgen Acker wurde zu 22 fl angeschlagen 30 und erbrachte einen Rohertrag von 3,3 fl, d.h. von 15% des Kapitals. Wenn Handwerke und Liegenschaften tatsächlich gleich behandelt wurden, würde dies z.B. einem Einkommen des Barbiers von 15 fl p.a., eines Webers von 7,5 fl entsprechen. 31 Diese Einkommen scheinen außerordentlich niedrig zu sein, entsprechen aber bei dem korrespondierenden niedrigen Anschlag eines Scheffels Dinkel mit 2 fl zwischen 2,75 und 7,5 Scheffeln Dinkel, und damit dem minimalen Verbrauch von einer bis zweieinhalb Personen, was so unrealistisch vielleicht nicht ist. Einen detaillierteren Einblick in die Produktionsbedingungen des Landhandwerks gewährt die Steuereinschätzung im benachbarten Amt Herrenberg. Die Tailfinger Handwerker etwa wurden einzeln aufgeführt und die ökonomische Lage jeden einzelnen kommentiert: 3 2 "Jacob Genckhinger, Barbierer, hat außer dem Rasieren und Aderlaßen sonsten in der Wundtartzney weder in loco noch außerhalb (maßen die Benachbarte Orth alle mit aigenen Barbierern Versehen) ganz keine praxin, mithin wie leicht zu erachten, gar schlechten Verdienst, deme gleichwohl nach solcher schlechten Beschaffenheit zu versteurn angesezt worden — 15 fl. Simon Gauß, Weber, schafft zwar mit 2 Stühlen, hat aber über 3 biß höchst 4 Monath nicht zu schaffen, welcher dann zu erlegen bestimmt worden — 15 fl. Michael Hägele, Weber, schafft nur mit einem stuhl, und hat gegen jenem nicht wohl die helffte zu verdienen, deßwegen Ihm auch mehr nicht angerechnet werden können, alß — 10 fl. Stephan Funckh, Schütz, bei gleicher Beschaffenheit — 10 fl. Michael Dußling, Schneider, hat zwar nebst einem jungen fast das gantze jähr zu schaffen, geht jedoch darneben auch seinen Feldgeschäfften nach, und nehrt sich zimlichermaßen darvon, der jedannoch zu belegen, erkennt worden — 20 fl. Martin Köder, Maurer, hat mit einem jungen deß jahrs über 4 biß 5 Monath nicht zu schaffen und nicht viele verding arbeit, deme gleichwohl auch anzusetzen erkennt worden — 20 fl. Georg Köder, dessen Sohn, und mitmaister hat gleichen Verdienst mit seinem Vatter, th. idem — 20 fl. Heinrich Müller, auch Maurer, wurde vorgehenden beeden gleich gerechnet, th. also auch — 20 fl. Jacob Rapp, Flecken Schmidt, hat mit seinem Tochtermann das halbe jähr über genug zu schaffen, denen dann miteinander anzusetzen pflichtmäßig erkennt worden — 20 fl.

30 31 32

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HSTAS A 261 Bü 1266, Relation über Bondorf, fol. 76V F.L.Hochstetten Anleitung 1780, S.173f; vgl. Reyscher XVII/1, S.362 Die nur zeitweise Beschäftigung galt auch für die Zeugmacher der Calwer Compagnie: W.Troeltsch, Zeughandelscompagnie, S.207f.

Johann Roller, Schuhmacher, hat einen jungen, und mit demselben das halbe jähr über zu schaffen, warttet aber darbey auch seinem Feldgütlein ab, deme nach proportion angesezt — 15 fl. Joseph Messerschmid, Schuhmacher, bey gleicher Beschaffenheit auch — 15 fl. Andreas Messerschmid, Keßler und Tabac Pfeiffenmacher, hat das gantze jähr genug zu schaffen, und sonderlich bey dem letsten guten abgang, dahero Ihme denn anzusetzen erkennt worden — 30 fl. Joachim Baur, N^etzger, vertreibt das gantze jähr über 2 Rindlein und etwa ein Schwein, so er auf die Ernd und Kirchweyh mezget, sonsten lediglich nichts, hat auch von dem Schwein und Rind mezgen den geringsten Verdienst nicht, deßwegen Ihm bey so schlechter Beschaffenheit mehr nicht angesezt werden können, alß — 10 fl. Antoni Egeler, Metzger, haut deß jahrs hindurch an allerhand fleisch aus, und verspeißt zu mahlen alß Würth bey allerhand Zöhrungen ohngefähr wenigst bey 14 Centner und mezget darneben auch umb den Lohn, welcher dann deßwegen anzulegen erkennt worden, umb — 20 fl. Peter Krauß, Ammer Müller, nechst bey Reustin, hat eine Mühlin von 5 gängen, deren jährlicher Ertrag so gut möglich untersucht und berechnet, die darauf gehende uncösten gleichfalls behörig defalcirt und nach deren abzug noch absonderlich zu belegen pflichtmäßig erkennt worden, umb — 700 fl." 3 3 Noch mickriger war das Nebringer Handwerk: "Christian Maurer, Weber, schafft mit einem stuhl nicht wohl ein Vierteljahr, und mus sich die übrige mit Taglöhnen und ob seinen Feldgütlein nehren, deme gleichwohl seiner Beschaffenheit nach angesezt worden — 10 fl. Jacob Schräg, Weber, hat mit einem stuhl über 6 wochen nicht zu schaffen, dahero ihme bey schlechtem Verdienst mehr nicht angesezt werden können alß — 4 fl. Michael Sattler auch Weber hat gegen diesen etwas weniges mehr zu schaffen, deßwegen zu collectieren erkennt worden, umb — 6 fl. Martin Wagner Maurer treibt das Handwerckh alß ein jungermeister sehr schlecht, und wurde dahero anzulegen erkennt, mit — 10 fl." 3 4 Schließlich die Mötzinger: "Jacob Müller, Schmid, hat bey hiesig geringer Baurschafft da nur 16 Pferdtzüg ins Feld gehen, nicht wohl die halbe Zeit zu schaffen, sondern muß sich maistens ob seinen Bauern Güthlen nehren, und deßwegen auch fast alles nur auf abrechnung schaffen, deme gleichwohl anzulegen pflichtmäßig erkennt worden — 40 fl. Melchior Rooß, Beckh, bacht wöchentlich etwa einmahl weißbrodt, auf den kauff, sonsten aber gar wenig rückhins, auch umb den lohn, weil jedermann selbst bacht, so vihl alß gar nichts, und hat mithin keinen sonderlichen profit dabey, der jedoch auch belegt worden mit — 25 fl. 33 34

HSTAS A 261 Bü 1053 (Summarische Tabellen zur Steuerrevision, Herrenberg, 1720) HSTAS A 261 Bü 1053

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Friderich Erhardt, Zimmermann, hat zwar bey 2 Jahren hero mit einem gesellen geschafft, und bey denen Edel Leuthen allhier und diser refier zimblich verding arbeit gehabt, dörffte sich aber künfftig, weil diese beraits zu end gehen, mit taglohn schaffen und flickhen behelfen müssen, deme gleichwohl zu versteuren pflichtmäßig angesezt worden — 32 fl. Hannß Jerg Köhle, Schuelmaister, ist auch ein Zimmermann, und hat sich auf beschehenes constituiren erklärt, solches handwerckh nicht gäntzlich aufzugeben, sondern dann und wann, so viel er Zeit und gelegenheit habe, darauf zu schaffen, deßwegen Er auch zu belegen erkennt, mit — 16 fl. Hannß Jerg Morlockh, Schuhmacher, schafft selbander, und hat das gantze Jahr hindurch arbeit, welcher dann seiner Beschaffenheit nach angesezt worden — 50 fl. Hannß Wörner, Schneider, schafft nur allein, hat aber doch den gantzen wintter hindurch in loco und der Nachbarschafft arbeit, muß sich hingegen den Sommer hindurch mit allerhand taglöhnen und feldgeschäfften nehren, deßwegen höher nicht angeschlagen werden können, alß umb — 20 fl. Martin Hirrneisen, Weber, habe über 2 Monath nicht auf seinem Handwerckh zu schaffen, und müße sich mehrernthails von seinem Bauren Güthlen nehren, deme nach Beschaffenheit angesezt — 15 fl. Michael Hiller, Ziegler, thut jährlich 3 biß 4 Bränd, und bringt aus jedem etwa 40 biß höchst 45 fl hat aber dagegen vor Holtz Knechtscost und Lohn, auch 1 Pferdtsfüetterung gegen 144 fl anzuwenden, dahero in der gegen Berechnung aestimirt anzulegen, umb — 40 fl. Christian Friderich Christein, Metzger und Würth, treibt der Urk. Persohnen undt Acciser Anzaig nach das handwerckh so viel alß gar nicht, maßen Er außer wann etwan eine Hochzeit, sonst das gantze jähr kein Centner Fleisch aushaue und im Fleckhen vertreibe, auch das Hauß Mezgen umb den Lohn der Zeit, der Leuthe ohnVermögens halber sehr schlecht, deßwegen ihme dann auch mehr nicht angesezt werden können, alß — 15 fl." 3 5 Wiederum ist nicht klar, welche Einkommen hinter diesen Steueranschlägen stehen: während das Einkommen des Ammermüllers (35 fl) kapitalisiert wurde, 3 6 scheint beim Ziegler Michael Hiller dieses nicht geschehen, sondern das Einkommen berechnet worden zu sein. 3 7 Für die meisten anderen Handwerker wäre das Einkommen bei Kapitalisierung zu niedrig (10 fl würden - legt man dieselben Verhältnisse wie beim Ammermüller zugrunde - ein Einkommen von 30 x bedeuten: kaum wahrscheinlich, daß ein Handwerker hierfür 2 oder 4 Monate gearbeitet hat, verglichen auch mit den obigen Lohnangaben), so daß wohl eher die Hiller'sche Rechnung als Leitfaden dienen kann.

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HSTAS A 261 Bü 1055 (Summarische Tabellen zur Steuerrevision, Herrenberg, 1720) HSTAS A 261 Bü 1053 (Summarische Tabellen zur Steuerrevision, Herrenberg, 1720), darin: Untersuchung Peter Kraußen, Ammer Müllers bey Reisten Mühlin Ertrags (Rohertrag 4 0 2 fl, Abgaben 28 fl, Unkosten 339 fl: die Abzüge erscheinen ziemlich hoch!) 4 Brände a 45 fl = 180 fl, abzüglich der Unkosten von 144 fl macht 36 fl; alternativ: 4 Brände ä 4 0 fl = 160 fl, macht ohne Unkosten nur 16 fl. Bei 3 Bränden ä 40 fl führt die Rechnung ad absurdum, da Hiller dann einen Verlust von 24 fl zu verbuchen gehabt hätte. Auch diese schöne Rechnung hat also ihre Tücken!

Nun war auch für Herrenberg die Steuerschätzung von 1720 nur die erste von dreien: 1729 revidierte Cantstetter die Ergebnisse von 1720, 1737 Andreae die Cantstetterisehen. Die Gleichheit der Steuerschätzer läßt vergleichbare Ergebnisse erwarten. Cantstetter schätzte wie in Nagold auch in Herrenberg die Handwerker enorm hoch ein: über die Nebringer schrieb er zwar: "dieselbe seyndt zimblich übersezt, also daß keiner bey seiner Profession sich betragen kann, sondern nöthig mit denen Feldgeschäfften fortzubringen suchen mues . ,." 3 8 , worauf er dann die beiden Becken mit 150 und 100 fl, den Schmied mit 150 fl, die drei Leinenweber mit 150, 100 und 80 fl, die beiden Maurer mit 100 und 80 fl und den Schneider ("gar schlecht") 39 mit 100 fl belegte. Dies wiederum macht nur dann Sinn, wenn man die Einschätzung der Handwerker vergleichbar zu den Äckern annimmt. Cantstetter schätzt den Morgen Ackers in Nebringen auf 24-25 fl, den Rohertrag eines Morgens aber auf 4,3 fl, d.h. ca. 17%. 4 0 Dies führt im Ergebnis zu Handwerkereinkommen von ca. 14 fl bis ca. 26 fl, was immer noch deutlich über den Schätzungen von 1720 liegt. Für Mötzingen und Tailfingen gilt dasselbe, wobei der Mötzinger Schmied und der Ziegler mit 180 fl veranlagt wurden, eine Ehre, die auch dem Tailfinger Spengler und Tabakpfeifenmacher zuteil wurde. 4 1 1737 wurde folgendermaßen "aestimiert": 42

Tab. 4.3.3.C. Steueranschläge der Handwerker in Nebringen, Tailfingen und Mötzingen 1737 Nebringen Tailfingen Mötzingen Beck 60,0 70,0 70,0 Schmied 70,0 70,0 80,0 Weber 50,0 50,0 60,0 Maurer 50,0 40,0 Schneider 50,0 60,0 50,0 Schuhmacher 50,0 50,0 Spengler 70,0 Barbierer 70,0 Müller 1300,0 Zimmerleute 40,0 Wagner 60,0 Metzger 40,0 Ziegler 100,0

In Gruorn trieb von vier Maurern 1723 einer das Handwerk überhaupt nicht, Bartlen Rimmelin war nur Geselle (25 fl Steueranschlag) und die beiden Meister Hans Höhin und 38 39 40 41

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HSTAS A 261 Bü 1058 (Steuersubrevisionsrelation, Herrenberg, 1729), fol. 120R - 121V HSTAS A 261 Bü 1058, fol. 121V HSTAS A 261 Bü 1058, fol. 116V-R HSTAS A 261 Bü 1058, fol. 131V-R (Mötzingen) (" ... wieder welches aber die dießmahlig Verordnete Deputirte protestiren undt daß aus denen Handwerckhsleuthen gar nichts machen wollen, welches aber von mir dem Commissario nicht aeeeptirt, sondern conformitaet der Instruction obiger Anschlag beharrt worden."), fol. 174R (Tailfingen) HSTAS A 261 Bü 1062 (Protokoll über die Untersuchung der Steuersubrevision von 1729, Herrenberg, 1737), fol. 47V-R (Tailfingen), 108 (Mötzingen), 154R (Nebringen)

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Ernst Appenzeller wurden mit 50 fl veranlagt. Unter den Webern betrieben Hans Jerg und Nikolaus Schindler j e zwei Stühle (40 bzw. 50 fl), Jacob Schmid webte auf einem Stuhl nur Lohnarbeit (30 fl) und Hans Jerg Röckher hatte gerade erst angefangen (30 fl). Enoch Röckher schließlich wurde zwar als Weber bezeichnet, war aber nicht Meister und hatte keinen Stuhl, wurde also auch nicht veranlagt. Der Zimmermann Israel Lachenmayer war nur Geselle und vermochte das Meisterstück nicht zu machen (25 fl), was auch vom Wagner Hans Jacob Bauder galt (20 fl). Der Schneidermeister Hans Jacob Schmid hatte nicht viel zu schaffen (20 fl), während Melchior Bux mehr Kundschaft hatte (40 fl). Der Schustermeister Jung Sebastian Wörner fing erst gerade an zu hausen (40 fl). Das Schmiedhandwerk trieb allein Martin Hägelin, der aber nichts auf den Kauf machte (40 fl). Johannes Mayer, Beck, "bacht dann und wann Weisbrodt" (20 fl). 4 3 Der Rückschluß auf die Einkommen ist hier noch unklarer als oben. Die Gruoner und die Gebersheimer Schätzungen von 1738 bzw. 1731 wurden in der folgenden Tabelle zusammengestellt. 44 Tab. 4.3.3.d. Steueranschlag der Handwerker in Gruorn 1738 und in Gebersheim 1731 Gruorn Gebersheim Maurer 50,0 Weber 50,0 50,0 Zimmermann 70,0 Wagner 70,0 75,0 Schmied 60,0 75,0 Schneider 50,0 50,0 Schuhmacher 60,0 50,0 Beck 70,0 60,0

Rechnet man wieder mit einem Verhältnis des Einkommens zum Steueranschlag wie des Ertrags eines Ackers zu seinem Wert, müßten in Gebersheim 17% des Anschlags Einkommen sein, in Gruorn aber nur 10%. Die Einkommen, die durch die versuchsweise (aber instruktionsgemäße) Annahme einer Einschätzung der Handwerker wie der Äcker berechnet wurden, erscheinen als zu niedrig. Ein zweiter Versuch basiert auf den für die Herrenberger Orte überlieferten Zeitangaben: arbeitete ein Handwerker dreieinhalb Monate auf seinem Handwerk, so waren das 105 Tage, wovon aber mindestens die Sonntage abzuziehen sind, also 90 Tage übrigbleiben. Nimmt man an, daß dieser Handwerker an jedem Arbeitstag zumindest so viel verdiente wie ein Taglöhner, der 20 x bekam, so wären das für 90 Tage 1800 x oder 30 fl. Dieselbe Rechnung für andere Zeiträume erbringt folgende Resultate: 45

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45

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H S T A S A 261 Bü 1616 (Steuersubrevisionsrelationen, Urach, 1720) H S T A S A 261 Bü 1620 (Weitere Untersuchung über die Steuersubrevision von 1729, Urach, 1738); zum Laichinger Handwerk s. H.Medick, Weben, S.43f; H.Medick, Handelskapital, S.280-284, 288291; H S T A S A 261 Bü 1134 (Protokoll der Steuersubrevision, Leonberg, 1731), fol. 196R; vgl. auch die Einschätzung der Handwerker 1759 (HSTAS A 584 Bü 601 (Summarisches Steuervermögensregister, 1759)): Wirt 50 fl, Schuster 40 fl, Beck 35 fl, Schneider 40 fl, Weber dreimal 40 fl, einmal 50 fl, Schmied 50 fl. vgl. zu Arbeitszeitberechnungen: D.Ebeling, Bürgertum, S.170f; U.Dirlmeier, Untersuchungen, S.129-134

Tab. 4.3.3.e. Schätzung der Arbeitseinkommen von Handwerkern aufgrund der Angaben über die gearbeiteten Zeiträume Einkommen (fl) Zeitraum (Monate) Arbeitstage (ca.) 26 9 1 13 40 1,5 17 52 2 64 21 2,5 77 26 3 90 30 3,5 34 103 4 115 38 4,5 50 150 6 12 300 100

Diese Annäherung scheint mir die besten Ergebnisse zu liefern, obwohl sie um das Doppelte höher liegen als die Steueranschläge von 1720. 46 Eine Bestätigung könnte ausgerechnet der Cantstetterische Anschlag liefern. Cantstetter könnte der einzige Steuereinschätzer gewesen sein, der sich tatsächlich an die Instruktion hielt und die Handwerker wie die Äcker einschätzte, so daß seine Schätzungen sich zum Handwerkereinkommen so verhielten wie der Wert der Äcker zu ihrem Ertrag. Rechnet man die Cantstetterischen Ästimationen entsprechend um (15% Ertrag im Vergleich zum Wert), dann bewegen sich die Handwerkereinkommen in ähnlicher Größenordnung (eher etwas darunter) wie die soeben präsentierten Ergebnisse. Einen Schneider mit 15 fl Jahreseinkommen als "gar schlecht" zu bezeichnen, entspräche auch der Realität und nähme den Cantstetterischen Schätzungen etwas von ihrer in den Augen der Steuerpflichtigen bösartigen Ironie. Die Andreae'schen Anschläge wären als kapitalisierte Einkommen zu niedrig, als reine Einkommen zu hoch, also ein typisches Kompromißprodukt der widerstreitenden Interessen von Steuereinschätzer und Steuerpflichtigen und zudem eines, das der Wertsteigerung von agrarischem Besitz und Einkommen Rechnung trug, indem es die Handwerker geringer anschlug als es ihrem kapitalisierten Einkommen entsprochen hätte. Im ganzen bleibt das Problem der Handwerkereinkommen dornig. Die obigen Angaben sollen und können nichts anderes als mögliche Größenordnungen andeuten, wobei aber stets einige Zwischenschritte, die die Steuereinschätzer gemacht haben müssen, fehlen, so daß die ganzen Überlegungen leider äußerst hypothetisch bleiben. Die Inventuren bringen kaum zusätzliche Informationen. Die einzige Möglichkeit sich dem Problem anzunähren, besteht in der Erfassung der Außenstände der Handwerker: Der Wagner Hans Philipp Werner hatte 1711 30 fl Außenstände, 47 der Schmied Alt Hans Lutz 1712 114,5 fl, 4 8 der Barbier Georg Friedrich Bub im gleichen Jahr 20 f l . 4 9 1728

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W.Troeltsch, Zeughandelscompagnie, S.221-223 berechnet den Verdienst in der zweiten Hälfte des 17. und der ersten des 18. Jahrhunderts auf etwa 50 fl p.a.; vgl. P.Zschunke, Konfession, S.64f; W.Achilles, Lage, S.89-92 GA BON I 101 (Maria Werner, 1711) GA BON I 115 (Ursula Lutz, 1712): nicht ganz klar, ob alles für Schmiedverdienst! GA BON I 116 (Adelheita Bub, 1712)

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hatte der Sattler Jacob Kußmaul 18 fl für Arbeit ausstehen, 50 der Schmied Leonhard Schwägler 1729 42 fl, 5 1 1736 die Schmiede Hans Schwägler 36,5 f l , 5 2 Hans Faißler 77,5 f l , 5 3 Hans Jerg Schantz 24,5 fl 5 4 und Hans Jerg Hagele 38,5 fl. 5 5 Der Bäcker David Fortenbacher hatte 1738 64,5 fl für Brot, Mehl und Zehrung ausstehen. 56 1749 hatte der Barbier Alt Georg Friedrich Bub dagegen nur 3,5 fl bei seinen Kunden gut. 5 7 Noch geringer waren die Außenstände des Metzgers Hans Martin Kommerell 1759: sie beliefen sich auf 2 fl. 5 8 Ein weiterer Schmied hatte 1766 noch 39 fl einzutreiben. 59 1767 glichen sich die Außenstände des Wagners Hans Philipp Wörner mit seinen Schulden aus. 6 0 Johannes Schwägler, noch ein Schmied, besaß 1775 30 fl Aktiva. 61 Die Außenstände des Wagners Hans Martin Bihler kompensierten sich 1775 mit seinen Schulden für Wagnerholz. 6 2 Christian Wörner, Beck, hatte im selben Jahr 12 fl für "Bachgeld" und Brot ausstehen. 63 Der Schneider Johannes Breuning verfügte 1778 über ganze 5 fl Aktiva, 6 4 während der Bierbrauer und Beck Hans Jerg Schäffer 1785 60 fl besaß. 6 5 1797 hatte Kaspar Raster, ein armer Chirurg, 20 fl gut; 6 6 der noch ärmere Schuster Jacob Müller wartete 1802 noch auf 33 fl, 6 7 der Beck Jacob Kaz 1808 auf 50 fl. 6 8 Der ledige Steinhauer und Maurer Johann Georg Maier hatte von seiner Kundschaft 1818 noch 50 fl zu bekommen, 6 9 der Wagner Johannes Bökle 1819 15 fl. 7 0 Gebersheimer Weber hatten Außenstände von 10 fl, 11,5 fl, 1,5 fl und 10,5 fl. 7 1 Schuster warteten noch auf 4 fl (bei 40 fl Schulden für Leder!), 4,5 fl, 9 fl und 15 fl. 7 2 Vom Schuster Martin Veit hieß es 1767, daß er mit seinem Handwerk die Zinsen seiner 117,5 fl Schulden nicht bezahlen könne, d.h. sein Handwerk warf weniger als 6 fl pro Jahr ab. 7 3 Ein Schmied hatte für

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GA BON I 181 (Catharina Kußmaul, 1728) GA BON I 186 (Maria Schwägler, 1729) GA BON I 305 (Hans Schwägler, 1736) GA BON I 306 (Catharina Faißler, 1736) GA BON I 309 (Hans Jerg Schantz, 1736) GA BON I 310 (Hans Jerg Hagele, 1736) GA BON I 336 (Christina Fortenbacher, 1738) GA BON I 496 (Alt Georg Friedrich Bub, 1749) GA BON I 613 (Hans Martin Kommerell, 1759) GA BON I 697 (Maria Catharina Rauser, 1766) GA BON I 728 (Hans Philipp Wörner, 1767) GA BON I 843 (Agnesa Schwägler, 1775) GA BON I 845 (Maria Bihler, 1775) GA BON I 846 (Maria Barbara Wörner, 1775) GA BON I 880 (Maria Magdalena Breuning, 1778) GA BON I 1005 (Hans Jerg Schäffer, 1785) GA BON I 1232 (Adelheide Raster, 1797) GA BON I 1369 (Anna Maria Müller, 1802) GA BON I 1476 (Jacob Kaz, 1808) GA BON I 1690 (Johann Georg Maier, 1818) GA BON I 1700 (Maria Katharina Bökle, 1819) HSTAS A 584 I 166 (Michel Paußer und Anna Catharina Meidelin, 1678); I 398 (Alt Martin Baußer, 1771); I 420 (Christian Mayer, 1774); I 550 (Johann Martin Bauser, 1797) HSTAS A 584 I 275 (Agnes Veith, 1739); I 380 (Anna Maria Veit, 1767); I 417 (Martin Veit, 1774); 1511 (Michael Ißler und Maria Barbara Bauer, 1793) HSTAS A 584 I 380 (Anna Maria Veit, 1767)

Arbeit 37 fl, zwei Bäcker 6 bzw. 50 fl und ein Zimmermann 103 fl ausstehen. 7 4 In Gruorn hatte ein Weber 1743 32,5 fl Außenstände, ein Schuster 1788 80 fl und ein Wagner 1808 15 f l . 7 5 Der Weber Johannes Winkler kaufte 1789 sein Garn auf Kredit. 7 6 Leider kann in keinem Fall bestimmt werden, in welchem Zeitraum diese Guthaben sich ansammelten. Sie liefern eine gewisse Stütze für die zuletzt gemachte Berechnung der Handwerkereinkommen, ist es doch unwahrscheinlich, daß diese Handwerker Beträge in der Höhe mehrerer Jahreseinkommen ausstehen ließen - wie es bei einer Akzeptierung der Andreae'schen Schätzung der Fall wäre. Auffällig ist die Stagnation der Beträge, ein Trend nach oben läßt sich keinesfalls erkennen. Bemerkenswert ist ferner, daß Schmiede, Wagner, Chirurgen und Bäcker recht gut repräsentiert sind, während Weber, Schneider, Schuster, Metzger und Bauhandwerker selten sind, was schon einen Einblick in die Abstufung der Verdienstmöglichkeiten gibt. 7 7 4.3.4. Besitz von Arbeitsgeräten Unter den Handwerkern, die aufgrund der Inventuren ermittelt werden konnten, dürften kaum alle ihre Handwerke ausgeübt haben. Zumindest fehlten bei einer beträchtlichen Anzahl die enstprechenden Arbeitsgeräte. In Bondorf und Gebersheim verläuft die Entwicklung ähnlich: vor 1795 besaßen 70% der Handwerker auch die entsprechenden Werkzeuge, danach nur noch 50%. In Gruorn dagegen ändert sich im gesamten betrachteten Zeitraum nichts, stets hatten etwa 80% der Handwerker auch die entsprechenden Werkzeuge. 7 8 Die Handwerker ohne Werkzeuge hatten ein Handwerk gelernt, übten es dann aber offensichtlich nicht weiter aus, sondern waren Bauern (sofern sie über genügend Land verfügten, was für einige Nahrungsmittelhandwerker zutraf) oder Taglöhner. Zu beachten ist im übrigen auch, daß Handwerker altershalber die Ausübung ihrer Handwerke eingestellt haben könnten, bevor ihre Ehe endete und ihr Vermögen inventarisiert wurde. 7 9 Die wirtschaftliche Lage des Dorfhandwerks wurde im Verlauf des 18. Jahrhunderts offenbar immer prekärer. Schon im ersten Drittel des Jahrhunderts waren die Einkommen aus der handwerklichen Tätigkeit eher niedrig, konnten aber durch landwirtschaftliche Einkommensteile aus einem teilweise umfangreichen Grundbesitz aufgebessert werden. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts bestand diese Möglichkeit nur noch für eine kleine Minderheit. Durch die steigenden Handwerkerzahlen und den damit schrumpfenden Kundenkreis dürften sich die handwerklichen Einkommen ebenfalls eher verschlechtert haben, was schließlich einen wachsenden Anteil der Handwerker dazu brachte, ihr 74 75 76 77 78 79

H S T A S A 584 I 436 (Agnes Catharina Kübeleberle, 1776); I 498 (Christian Alexander Schmauder, 1792); I 669 (Catharina Bäuerle, 1819); 1 706 (Dorothea Albrecht, 1827) HSTAS A 575 1 21 (Anna Maria Schmid, 1743); I 140 (Nikolaus Werner, 1788); I 209 (Charlotte Hagele, 1809) HSTAS A 575 I 147 (Barbara Winkler, 1789) vgl. W.Troeltsch, Zeughandelscompagnie, S.375f zum Dorfhandwerk vgl. M.Burkhardt, K.Walter, Konstanz, S.121f (ohne Differenzierung nach Berufsgruppe) vgl. P.Schad, Beiträge, S.93f

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Handwerk überhaupt aufzugeben. Die sinkende Ausstattung mit Arbeitsgeräten belegt es. Die am Beispiel der Familie Wörner gemachten Beobachtungen bestätigen sich also für das Gros der Handwerker.

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4.4. Sonstiges Unter den "sonstigen" wirtschaftlichen Aktivitäten wird alles zusammengefaßt, was man heute in den "Dienstleistungssektor" einordnen würde: im einzelnen die medizinische Versorgung, die Gastwirtschaften, Kramläden und Handelsaktivitäten, die Schule, die niederen Gemeindeämter und das Verleihen von Geld. Ein Großteil dieser Tätigkeiten wurde nebenbei ausgeübt, schlägt sich also in den Berufsbezeichnungen nicht nieder, was ihrer Bedeutung keinen Abbruch tut. Diese reicht teilweise über den wirtschaftlichen Bereich weit hinaus und berührt den kulturellen und herrschaftlichen. 4.4.1. Medizinische Versorgung Das medizinische Personal soll hier gesondert behandelt werden, da es möglicherweise für die Demographie wichtig war. Die leider sehr beschränkten örtlichen Quellen lassen nur mehr oder weniger impressionistische Aussagen zu. 1 Schon vor dem Dreißigjährigen Krieg betrieb in Bondorf ein "Barbier und Wundarzt" sein Gewerbe. 2 Ab 1691 war in Bondorf stets ein Chirurg ansässig, zeitweise waren es zwei. 1691 heiratete Elias Scherer, Barbier, Wund- und Schnittarzt, Agnes Dußling. Weiteres ist über ihn leider nicht bekannt. 3 Georg Friedrich Bub stammte offenbar aus Wildberg, war mit einer Pfarrerstochter verheiratet und wurde mit "Herr" angeredet, was ansonsten nur dem Pfarrer und dem Schultheißen zustand. Chirurgische Bücher besaß er bei seiner Heirat 1708 keine, sein Instrumentarium bestand aus einem auf 10 fl geschätzten Barbierzeug. 4 Bis 1712 scheint sich daran nichts geändert zu haben. 5 Klienten fand er genügend: von den 26 Eventualteilungen von 1708 bis 1724 wiesen fünf Schulden beim Chirurgen Bub aus, einer hatte außerdem bei der Herrenberger Apotheke noch eine Rechnung offen. Die Beträge schwanken zwischen einem und drei Gulden. Zwei weitere Bondorfer hatten Schulden bei auswärtigen Barbieren; einer schließlich war in Behandlung beim Herrenberger Arzt und schuldete außerdem der dortigen Apotheke 7,5 fl. Insgesamt hatten also acht von 26 inventierten Bondorfern vor ihrem Tod sich medizinisch behandeln lassen; die Konsultation eines Chirurgen im Falle einer ernsten Erkrankung scheint recht weit verbreitet gewesen zu sein, wenn man berücksichtigt, daß ein Teil der Kundschaft sofort gezahlt haben wird, und die Unsicherheiten einer solchen Auszählung in Rechnung stellt (Schulden werden nicht immer detailliert ausgeworfen). 6 Auch in den folgenden Jahren scheint der Rekurs auf den ortsansässigen Chirurgen das

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3 4 5 6

zur Chirurgie: S.Sander, Handwerkschirurgen, passim; A.Bischoff-Luithlen, Obrigkeit, S. 188-190; T.Bolay, Badstuben, passim OSB BON 3262: Conradt Weltz (geb. 1596, gest. 1647), Sohn des Baders Conrad Weltz (geb. ca. 1560, gest. ca. 1620) (OSB BON 3254). Vgl. GA BON I 34 (Ursula Weinmar, 1639): 24 x Schulden bei Conrad Weltz für Arztlohn; a. I 37 (Hans Werner, 1638) OSB BON 2459 GA BON I 59 (Georg Friedrich Buob und Adelheita Kürner, 1708); I 116 (Adelheita Bub, 1712) GA BON 1 116 (Adelheita Bub, 1712) GA BON 1 58 (Hans Schlayer, 1708); I 69 (Maria Hägelin, 1709); I 85 (Anna Catharina Böcklen, 1710); I 86 (Johann Georg Staiger, 1710); I 87 (Jacob Scheurer, 1710); I 91 (Jacob Miller, 1711); 1 106 (Anna Maria Weinmar, 1711); I 115 (Ursula Lutz, 1712)

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Normale gewesen zu sein: bis 1759 konnten 37 Konsultationen in den Inventuren ermittelt werden: 26 davon fanden bei den beiden Bubs (Vater und Sohn statt), vier bei Chirurgen in Hailfingen und Ergenzingen.7 In sechs Fällen wurden Medikamente bei Apotheken in Herrenberg, Nagold und Tübingen gekauft (aber noch nicht bezahlt). Im letzten Fall hatte die Schloßbesitzerin von Mötzingen Arzneien geliefert. Über die Praxis des zeitweilig zweiten Bondorfer Chirurgen Georg Caspar Schmidel, eines gewesenen Feldscherers, der 1733 "ohnvermuthet durchgegangen" war (unter Zurücklassung von Frau und Tochter), ist nichts bekannt: Schmidel besaß auf jeden Fall etliche chirurgische Bücher und wohl auch die nötigen Instrumente (die er bei seinem überraschenden Abgang mitgenommen hatte, also nicht inventiert wurden). 8 Alt Georg Friedrich Bub hatte es bis zu seinem Tod 1749 zum Gerichtsverwandten gebracht, 9 wenngleich seine zweite Ehe ökonomisch nicht erfolgreich war und fast die Hälfte des beigebrachten Vermögens eingebüßt worden war. Mittlerweile hatte auch er chirurgische Literatur in seinem Besitz, daneben Instrumente für 20 fl und Medikamente für 8 fl. 1 0 Nach seinem Ableben scheint die Bondorfer Chirurgie unter stärkeren auswärtigen Konkurrenzdruck geraten sein: die obengenannten vier Konsultationen auswärtiger Chirurgen fallen in das Jahrzehnt nach dem Tod Alt Georg Friedrich Bubs, denen fünf bei Jung Georg Friedrich Bub gegenüberstehen, während sein Vater das Feld noch allein beherrscht hatte. Die Ausstattung des Sohnes war dabei der des Vaters völlig vergleichbar: bei seiner Heirat hatte er Instrumente für 12 fl und Arzneiwaren für 7 fl beigebracht, beim Tod seiner ersten Frau war der Stand noch genau derselbe. 11 Außer durch auswärtige Chirurgen erwuchs ihm nun auch Konkurrenz durch akademisch ausgebildete Ärzte: 1768 hatte zum ersten Mal seit 1710 ein Bondorfer Schulden für medizinische Assistenz bei einem Arzt. 12 Vor seinem eigenen Tod bezog Georg Friedrich Bub übrigens Medikamente aus den Apotheken von Nagold und Herrenberg und ließ sich von Dr.Brecht aus Nagold behandeln. 13 Von den 1770er Jahren an wandten die Bondorfer sich regelmäßig an drei verschiedene Institutionen: den ortsanässigen Chirurgen (Caspar Raster, ein Schwiegersohn Georg Friedrich Bubs), die Nagolder Apotheke und den Nagolder Arzt. Das soziale Niveau der Bondorfer Chirurgie sank unter dieser Konstellation drastisch ab. Schon Georg Friedrich Bub hatte in seinen beiden Ehen so starke Einbußen, daß seine zweite Ehefrau ihn nicht einmal 7 8

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S.Sander, Handwerkschirurgen, S.66: Konsultationen sollten bei ortsansässigen Chirurgen stattfinden. GA BON I 269 (Georg Caspar und Regina Schmidel, 1733): Er besaß: eine "Schatzkammer medicinisch und natürlich Dinge", eine "praxis medica", einen "Hospital und Lazareth Chirurgus", eine "Medicinia experimentalis diusbaeana", eine "Relationis curiosae medicae de signo physicae urinae" und ein "Trifolium chirurgicum". vgl. S.Sander, Handwerkschirurgen, S.130f, 354-356 zu den Wildberger und Waiblinger Chirurgen; M.Garden, Lyon, S.133, 143 GA BON I 496 (Alt Georg Friedrich Bub, 1749): einen "Chirurgischen Wegweiser" ohne Titelblatt, Gabelhofers Arzneibuch, eine "Amsterdammer Apothek", ein "Hebammenbüchlein", eine "Pharmacia Galenica et Chymica", einen "Set. Blanckarus Kunstkammer", eine "Neuabgefaßte Heylkunst", zwei "geschriben Arzneybüchlein", ein "Fid. Hofmanni conscripta Dissertatio medica", einen "Artzgartten" und einen "Salomon von Rustingks Chirurge". Der Vollständigkeit halber sei angefügt, daß er auch ein württembergisches Landrecht und eine Landordnung besaß, sowie zehn Bücher religiösen Gehalts. GA BON I 340 (Georg Friedrich Buob und Anna Maria Freyberger 1738); I 406 (Anna Maria Bueb, 1743): außerdem besaß er "Peter Bürgers Candidatus chirurgiae" und ein Kräuterbuch. GA BON I 737 (Hans Jerg Wömer, 1768) GA BON I 794 (Georg Friedrich Buob, 1772)

mehr beerben, sondern nur noch ihr Allatum zurückerstattet haben wollte. Raster gehörte vollends zur sozialen Unterschicht. 14 Die Ausstattung mit Handwerksgerät blieb dabei annährend gleich: Raster brachte 1773 Geräte für 8 fl mit in die Ehe, beim Tod seiner Frau wurden sie (inklusive Medikamente und Bücher allerdings) wieder auf 8 fl geschätzt. 20 fl Außenstände bezeugen immerhin einen gewissen Kundenkreis. 15 Daß Raster sich nicht nur auf das Rasieren verlegt hatte, belegt die Erwähnung eines von ihm kurierten Beinbruchs. 16 Sein chirurgischer Buchbesitz wird erst bei seiner Realteilung aufgeschlüsselt. 1 7 Die Bondorfer Chirurgen gewährleisteten sicher eine medizinische Grund Versorgung, deren Resultate allerdings nicht abzuschätzen sind. Die potentiellen Klienten aber hatten seit der Jahrhundertmitte die Chance, eine Auswahl zu treffen, da die Chirurgen der benachbarten Dörfer, die Apotheker und Ärzte der Amtsstädte in ihrer Reichweite lagen. Der Wettbewerb ging nicht zugunsten der Dorfchirurgie aus. Die zweite Stütze des Gesundheitswesens im Dorf waren die Hebammen und geschworenen Weiber, denen von Pfarrer und Dekan stets ein guter Leumund bescheinigt wurde und über die sich darüber hinaus leider kaum Aussagen machen lassen. 1 8 Sie gehörten alle zur untersten sozialen Schicht im Dorf (wenn vielleicht nicht am Anfang ihres Ehelebens, so doch bestimmt an seinem Ende) und walteten auch in äußerst fortgeschrittenem Alter noch ihres Amtes: 1 9 Anna Maria Katz begann ihre Hebammentätigkeit um 1780 (mit ca. 45 Jahren) und übte sie 1807 mit 73 immer noch aus. 2 0 Bücher, die in irgendeiner Beziehung zu ihrer Betätigung standen, besaßen nur zwei: Anna Maria Breuning (eigentlich: Rudolf) hatte ein Arzneibuch im Wert von 24 x 2 1 und Rosina Agatha

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G A BON I 406 (Anna Maria Bueb, 1743); I 794 (Georg Friedrich Buob, 1772); I 842 (Rosina Buob, 1775); I 819 (Caspar Raster und Adelheitha Buob, 1773); I 1232 (Adelheide Raster, 1797); I 1558 (Caspar Raster, 1812)

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G A BON I 819 (Caspar Raster und Adelheitha Buob, 1773); I 1232 (Adelheide Raster, 1797) G A BON 1 1 1 2 1 (Anastasia Scheurer, 1792): 19 fl hatte er dafür verlangt. G A BON I 1558 (Caspar Raster, 1812): "Jüngers vernünftiger Leibarzt", "Richters med. Buch", "Keils Annadamie", "Neuscheinende Praxis der M e d . " , "Schäfers Haus- und Reiseapothek", "Der Urinn", ein Kräuterbuch, "ein Kuhpokeneinimpfungsbuch", "Wundarzt neues Zeughaus". Vgl. zur Lektüre und zum Instrumentenbesitz: S.Sander, Handwerkschirurgen, S.73-84 vgl. z.B. HSTAS A 281 Bü 1589 (Visitationsberichte der Superintendenz Wildberg, Bondorf, 16011743): Bericht von 1699, Bü 1590 (dass.): Bericht von 1703, Bü 1595 (dass.): Bericht von 1741, Bü 1596 (dass.): Bericht von 1742, Bü 1601 (dass., 1763-1807): Berichte von 1763, 1779, 1783; vgl. a. Communordnung vom 1.6.1758, in: Reyscher XIV, S.537-777, hier: S.557-559; S.Sander, Handwerkschirurgen, S.47-49 Bei diesen Voraussetzungen ist es sicher nicht sinnvoll, die Hebammen (neben Theologen, Lehrern und Ärzten) zu dem Personal zu rechnen, das die Konfessionalisierung vorantrieb, wie J.Kunisch, Absolutismus, S.119 das macht. G A BON I 261 (Maria Walter, 1733); I 659 (Anna Maria Breuning, 1762); I 771 (Anna Maria Wörner, 1770); I 794 (Georg Friedrich Buob, 1773): seine Frau Rosina war schon zu seinen Lebzeiten Hebamme; I 842 (Rosina Buob, 1775); I 884 (Isaac Katz, 1778); I 1049 (Christina W ö m e r , 1788); I 1484 (Anna Maria Weinmar, 1808); I 1521 (Anna Maria Katz, 1810); GA BON I 659 (Anna Maria Breuning, 1762). Anna Maria, eine Tochter der Hebamme Maria Walter, war in erster Ehe mit Ludwig Breuning, in zweiter aber mit Abraham Rudolf verheiratet. Die zweite Ehe war kurz und kinderlos und scheint aus dem Gedächtnis verschwunden zu sein (vgl. OSB BON 2297).

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Bub konnte auf den Bücherbesitz ihres Chirurgen-Ehegatten verweisen. 2 2 Alle hatten allerdings eigene Kinder (Anna Maria Katz hatte elf Kinder geboren, Rosina Agatha Bub neun), 2 3 so daß sie sich auf eigene Erfahrungen stützen konnten. Den konkreten Ablauf einer Geburt (mit tödlichem Ausgang) zeigt folgendes Beispiel: Johannes Werner schilderte dem mit der Untersuchung dreier schnell eingetretener Todesfälle in Bondorf beauftragten Nagolder Physicus und dem dortigen Chirurgus iuratus den Tod seiner Frau. "Sein Weib habe 4 zeitige und 1 unzeitiges Kind geboren, ehe diese ihre lezte Geburt, welche den 9. diss. (d.i. September 1803, A.M.), Nachts 11 Uhr ihren Anfang genommen habe, geschehen sey. Die ganze Schwangerschafft hindurch habe sie sich wohl befunden. Bey einer vorhergegangenen Geburt sey die Nachgeburt etliche Stunden zurückgeblieben, nachher aber durch Hülffe der Hebamme weggenommen worden, und dann habe der nach der Geburt eingetrettene Blutfluss aufgehört. Die leztere in Frage stehende Geburt sey leicht und schnell vor sich gegangen, indem schon am lezten Samstag morgens 2 Uhr ein zeitiges und gesund erscheinendes Knäblein zur Welt gekommen sey; von dieser Zeit an bis zu ihrem zwischen 4 - 5 Uhr Samstags früh erfolgten Ende habe ein bald mehr bald weniger starker Blutfluss fortgedauert und die Nachgeburt samt der daran befindlichen Nabelschnur sey in der Mutter zurückgeblieben. Ein paarmal habe sie sich erbrochen, öffters gegähnt und über übel seyn geklagt - und nach einer kurze Zeit vor ihrem Ende gehabten Unruhe sey sie sanfft entschlaffen." 2 4 Die Hebamme Anna Catharina Gengenbach war um 12 Uhr zu Christina Werner gerufen worden. "Als einige Zeit nach der Geburt die Nachgeburt nicht weggegangen sey, hätte man die Frau ins Bett gelegt." Die Geburt erfolgte also offenbar sitzend oder stehend, auf jeden Fall nicht im Bett. Der Ehemann scheint anwesend gewesen zu sein. Die Hebamme getraute sich wegen der Schwäche der Frau nicht, die Nachgeburt zu holen. 2 5 Der Chirurg Kaspar Raster war um 4 Uhr berufen worden. "Er hätte derselben ungefehr 30 Hofmännische Tropfen 2 6 gegeben, und äusserlich auf die Geburts-Theile kalte Umschläge angewandt." Eine halbe Stunde nach seiner Ankunft starb Christina Werner. 2 7 Im Schlußbericht des Physicus und des Chirurgus iuratus wurde die Hebamme getadelt, keinen Versuch zur Wegnahme des Mutterkuchens gemacht zu haben, was aber sofort wieder zurückgenommen wurde: "Dass die Hebamme einen Versuch, den Mutterkuchen wegzunehmen bei der grosen Schwäche der gebärenden nicht hat wagen wollen, ist ihr aus dem Grunde nicht zu verübeln, weil sie, im Fall dass dieses geschehen und die Frau doch bald darauf gestorben wäre, hätte darvor angesehen werden können, als wenn dieses Unternehmen Schuld an dem Tod der Frau gewesen wäre. Eher könnte der Hebamme das, daß sie nicht bei Zeiten einen Arzt oder Geburtshelfer hat rufen lassen, angerechnet werden, wenn nicht in diesem Fall jede Hülfe, welche erst aus der Entfernung geholt werden mueste, zu spät 22

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GA BON I 842 (Rosina Buob, 1775): "des Herrn Belloste Hospital und Lazareth Chirurgie", "Eine Untersuchung zur Curierung allerlei Krankheiten", "Der Candidatus Chirurgie von 1674" und ein "Kräuterbuch". OSB BON 1233 und 477 HSTAS A 213 Bü 9047 (Untersuchung ungeklärter Todesfälle, Bondorf, 1803): Aussage des Ehemannes Johannes Werner, Beck HSTAS A 213 Bü 9047: Aussage der Hebamme Anna Catharina, Johannes Gengenbachs uxor s. S.Sander, Handwerkschirurgen, S.353 HSTAS A 213 Bü 9047 (Untersuchung ungeklärter Todesfälle, Bondorf, 1803): Aussage des Chirurgen Kaspar Raster

gekommen wäre." 2 8 Die Risikoscheu der Hebamme und des Chirurgen war das hervorstechendste Behandlungsmerkmal. Für die städtischen Mediziner kam außerdem der Bondorfer Chirurg offensichtlich nicht mehr in Betracht: die Entfernung, aus der Hilfe hätte geholt werden müssen, bezieht sich kaum auf die innerdörfliche Distanz. 2 9 Auch Gruorn hatte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einen ortsansässigen Chirurgen: 3 0 Jacob Abele hatte 1756 geheiratet und starb 1807 76jährig an "Nachlaß der Natur und gänzlicher Entkräftung". 31 Während 1802 nur pauschal Instrumente, Bücher und Professionswerkzeug um 30 fl angeschlagen wurde, schlüsselte die Inventur von 1807 den Besitz des Chirurgen detailliert auf: an Büchern besaß er ein "altes Arzneibuch: Der Spiegel der Arznei" und ein altes "Kräuterbuch", beide zusammen auf 24 x taxiert. Sein Werkzeugbestand war deutlich besser bestückt: ein Aderlaßzeug mit zwei Stöcklen und zwei mit einem Stöckle, vier Zahnbrecher, ein mössener "Mundspeiz", eine "Saifenbüx", eine größere und eine kleinere Schere, sechs mössene "Ventausen", ein "Pelican", zwei "Spattlen", eine Scheermesserscheide, eine mössene Bartschüssel, drei alte Scheermesser, eine "Pflasterbüx", vier "Aderlaßeiselen", ein "Kräuterseiblen", eine irden Bartschüssel, ein eiserner "Mörser samt Pistill", zwei Scheermesser, ein "Waßer Ablaiter von Zinn", summa summarum 2 fl 42 x. 3 2 Man war weit von dem pauschalen Anschlag von 1802 entfernt! Die Werkzeuge lassen gut die Haupttätigkeitsfelder Abeles erkennen: außer dem Rasieren und Haareschneiden praktizierte er Aderlassen, Schröpfen und Zähneziehen. Außerdem bereitete er Medikamtente zu. 3 3 Der Kundenkreis war recht umfangreich: 1802 schuldeten ihm 40 Kunden für das Rasieren im letzten halben Jahr 8 fl, 1807 hatte er 2 fl ausstehen. 34 Der Verdienst scheint nicht gerade überwältigend gewesen zu sein, zumal Abele hauptsächlich seiner Profession nachging und sich wenig um die übrige Haushaltung gekümmert haben will. 3 5 Trotz der eher geringen Vermögensumstände genoß Abele in Gruorn beträchtliches Ansehen. 1802 verlieh ihm der Inventierer den Titel "Herr". 3 6

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HSTAS A 213 Bü 9047: Schlußbericht des Physicus D. Christian Friedrich Silber und des Chirurgus iuratus Johann Christoph Essig vgl. R. van Dülmen, Kultur I, S.81-84 vgl. S.Sander, Handwerkschirurgen, S.188f zum benachbarten Oberamt Münsingen HSTAS A 575 I 187 (Magdalena Abele, 1802); I 203 (Jacob Abele, 1807) HSTAS A 585 I 203 (Jacob Abele, 1807); zu den Instrumenten vgl. S.Sander, Handwerkschirurgen, S.74f (die "Ventausen" sind Schröpfköpfe, der "Pelikan" gehört zu den Zahninstrumenten); T.Bolay, Badstuben, S.45 vgl.a. S.Sander, Handwerkschirurgen, S.75 HSTAS A 575 I 187 (Magdalena Abele, 1802) und I 203 (Jacob Abele, 1807): 1802 war seine Frau Ende März verstorben und Ende Juni inventiert worden, was je nach zugrundegelegtem Datum auf die Bezahlung aufgelaufener Schulden im Oktober oder Januar hinweist. Oktober (nach der Ernte!) ist wahrscheinlicher. Abele selber starb 1807 Anfang April und wurde drei Wochen später inventiert. HSTAS A 575 1 187 (Magdalena Abele, 1802): Das Argument wurde vorgebracht, als der Amtssubstitut, der das Vermögen der verstorbenen Frau Abeles aufgenommen hatte, feststellte, daß zwischen dem vorhandenen Vermögen (643,5 fl) und der Selbsteinschätzung Abeles bei der Vermögenssteuer (400 fl) eine Diskrepanz bestand. Abele redete sich darauf hinaus, wenig Ahnung von seinem Fahrnisbesitz und der Höhe des Liegenschaftsanschlags zu besitzen. Die Ortsvorsteher unterstützten ihn im übrigen. HSTAS A 575 I 187 (Magdalena Abele, 1802); vgl. den Laichinger Chirurgen: H.Medick, Weben, S.52

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Gebersheim hatte keinen ortsansässigen Chirurgen. Die Frequenz der Inanspruchnahme medizinischer Dienstleistungen war aber relativ hoch, wie die häufigen Schuldposten bei Chirurgen, Ärzten (der Leonberger Physicus war für die Gebersheimer leicht zu erreichen) oder Apotheken zeigen. 37 Auch in Übergaben wurde versucht, für den Krankheitsfall vorzusorgen: Die Schultheißenwitwe Anna Magdalena Jüngling hatte sich ein Leibgeding von 16 Scheffel Dinkel in natura und den Geldgegenwert von vier Scheffeln ausbedungen, befürchtete aber, daß sie im Krankheitsfall damit nicht ausreichen könntet

4.4.2. Gastwirtschaften Schon in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts läßt sich eine Wirtschaft in Bondorf nachweisen, in den Jahren vor dem Dreißigjährigen Krieg scheinen dann zeitweise zwei bestanden zu haben. 39 In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts scheint die Anzahl der Gastwirtschaften sich - trotz verminderter Bevölkerung - erhöht zu haben. 40 Wohlstand und Ansehen der Wirte waren mindestens zu dieser Zeit schon beträchtlich: Benedict Weinmar war Richter, ebenso Hans Scheurer und Hans Katz. Jacob Katz war Ratsverwandter. 1688 waren von den vier Kandidaten für das Amt des Schultheißen drei Wirte. 41 Für die Wirte vor dem Dreißigjährigen Krieg sind derartige Ämter nicht überliefert, was aber auch an der Quellenlage liegen kann. Erst mit Beginn der Inventuren und Teilungen können derartige Urteile mit größerer Sicherheit abgegeben werden. 37

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Barbierer und Chirurgen: HSTAS A 584 I 165 (Jacob Wehe, 1677); I 216 (Hans Sautter, 1718); I 230 (Regina Linckh, 1725); I 278 (Anna Maria Kogel, 1740); I 328 (Jacob Veith, 1755); I 338 (Ursula Wehe, 1757); I 349 (Georg Wehe, 1760); I 357 (Philipp Josef und Anna Katharina Kübeleberle, 1762); I 417 (Martin Veit, 1774); I 420 (Christian Mayer, 1774); I 446 (Martin Kemmler, 1777); I 556 (Catharina Albrecht, 1798); I 723 (Heinrich Kunberger, 1829); I 727 (David Koch, 1829); Ärzte: I 175 (David Meidelin, 1688); I 278 (Anna Maria Kogel, 1740); I 443 (Johannes Grözinger, 1776); I 556 (Catharina Albrecht, 1798); I 594 (Johann Jacob Pommer, 1804): Pommer, der Gebersheimer Pfarrer, hatte 99 fl Schulden bei Ärzten!; I 610 (Katharina Kemmler, 1806); I 648 (Martin Bauser, 1815); I 706 (Dorothea Albrecht, 1827); I 713 (Magdalena Walz, 1828); I 715 (Anna Maria Renschier, 1828); I 723 (Heinrich Kunberger, 1829); I 727 (David Koch, 1829); - Apotheker: I 239 (Hans Andreas Wehe, 1728); I 357 (Philipp Josef und Anna Katharina Kübeleberle, 1762); I 403 (Anna Margaretha Schäffer, 1772); I 417 (Martin Veit, 1774); I 610 (Katharina Kemmler, 1806); I 648 (Martin Bauser, 1815); I 655 (Jakob Sämann, 1815); I 700 (Christian Koch, 1826); I 706 (Dorothea Albrecht, 1827); 1 713 (Magdalena Walz, 1828); I 715 (Anna Maria Renschier, 1828); 1 723 (Heinrich Kunberger, 1829); I 727 (David Koch, 1829) HSTAS A 584 I 422 (Johann Michael Jüngling, 1774); vgl. a. I 403 (Anna Margaretha Schäffer, 1772); I 493 (Johann David Gieck, 1792); I 509 (Friedrich Reichert, 1793); I 535 (Anna Margaretha Mauch, 1795); I 552 (Philipp Jacob Essig, 1797) OSB BON 298 (Ruprecht Breuning, Wirt, ca. 1560-1587); 320 (Hans Breuning, Gastgeber, 16091629); 324 (Jacob Breuning, Schneider und Wirt, ca. 1619-1629); 326 (Sebastian Breuning, Gastgeber, 1631-1651); 2465 (Hans Scheurer, Wirt, 1611-1627). Die Jahreszahlen sollen nur einen ungefähren Hinweis geben, genaue Daten über den Betrieb der jeweiligen Wirtschaften sind nicht möglich. Auch im Herrenbergischen gab es zu dieser Zeit Wirte: HSTAS A 261 Bü 1051 (Errichtung des Steuerfußes, Herrenberg, 1629), Sehr. v. 6.10.1629. OSB BON 1227 (Jacob Katz, Gastgeber zum Adler, 1645-1668); 1228 (Hans Katz, Wirt, 1672-1696); 2470 (Hans Scheurer, Wirt, 1654-1681); 2875 (Hans Teufel, Wirt, 1668-1722); 3060 (Benedict Weinmar, Gastgeber, 1651-1693) HSTAS A 214 Bü 6591 (Vogtgerichtsakten von 1688)

Nach den Steuereinschätzungsakten existierten in Bondorf um 1720 fünf Wirtschaften: "Weillen die Würtschafften mit 5 Schiiten bey disem orth, da keine sonderliche passage (deß logiament Gelts und der Stall müth geschweigend) übersezt, So wurde ieder Würth pro 100 fl taxirt, und ob zwar bey inspicit der accis Particul. von 3 Jahren heer sich ergeben, daß Ein Würth vor dem andern das Klückh gehabt, mehr Wein zu vertreiben, So hatt iedoch der Stewersaz darvor gehalten, am besten gethan zueseyn, solche gleich zue tractiren, dann sonsten im Gegenthail Einige um ihres geringen Vertriebs wegen (woran Sie aber selbsten die Schuld haben möchten) wohl ringer zu belegen geweßen wären." 4 2 Verglichen mit dem Anschlag der Handwerker (15 - 36 fl), zeigt sich bereits die wirtschaftliche Überlegenheit der Wirte. 1729 wurden die drei "SchülttWürth" (Pflug, Hirsch und Traube) "nach Vertrüb des Weines und übrigen Beynutzungen" angeschlagen um 300, 250 und 100 fl. 4 3 Der Barbierer (als der am höchsten angeschlagene Handwerker) wurde nur um 200 fl eingestuft. 1734 schließlich wurde der Pflugwirt Hans Weinmar um 120 fl, der gewesene Traubenwirt Jacob Weinmar um 60 fl und der Engelwirt Rudolph Bühler um 120 fl angeschlagen, während der Hirschwirt Conrad Kempff nichts mehr bezahlen mußte, da er die Wirtschaft zwei Jahre zuvor aufgegeben hatte. 44 Diesmal war der Unterschied zu den Handwerkern nicht mehr sehr groß. Barbierer und Sattler hatten nach der Andreae'schen Einstufung je 100 fl zu versteuern, was allerdings mit den tatsächlichen Verdienstmöglichkeiten kaum in Einklang zu bringen ist. Bei der Eventualteilung der Susanna Bühler 1763 gab Rudolph Bühler an, sein Beibringen habe lediglich in seinem ersparten Liedlohn von 150 fl bestanden, seine Frau habe ebenfalls 150 fl beigebracht und von ihren Eltern hätten beide nichts geerbt, da diese sehr arm gewesen seien und von ihnen unterhalten worden seien. 4 5 Inventiert wurde ihnen 1763 ein schuldenfreies Vermögen von 5876 fl, über das hinaus bereits Heirats-

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HSTAS A 261 Bü 1264 (Bericht über die Steuerrevision, Bondorf, 1720), fol. 26V-R; die einzige Nebringer Wirtschaft des Jacob Vögelin soll 1722 schlecht gegangen sein: "Jacob Vögelin allhier hat bey dermahlig sehr schlecht gehenden Wein- und anderem Commercio folglich schlechten einkehr von Wein- und anderen Fuhr Leuthen sehr geringen Ertrag, von Wein, Speißung oder Fuetter-Vertrieb und Stallmüth auch Logiamentgelttern aber gar nichts ..." Er wurde nur mit 20 fl veranlagt (HSTAS A 261 Bü 1053 (Summarische Tabellen zur Steuerrevision, Herrenberg, 1720)). Die beiden Tailfinger Wirte Anton Egeler (kein Verdienst von Durchreisenden, schenkt aber 8 bis 10 Eimer Wein pro Jahr aus) und Jacob Genckhinger (der außerdem noch Barbier war, 1,5 bis 2 Eimer Bier, daneben Fruchtbranntwein) wurden mit 60 bzw. 15 fl veranlagt (A 261 Bü 1053 (Summarische Tabellen zur Steuerrevision, Herrenberg, 1720)). Auch der Mötzinger Wirt Christian Friedrich Christein profitierte nichts von Durchreisenden, schenkte aber doch 3 Eimer Wein und 3 Eimer Bier im Jahr aus (50 fl Steueranschlag). Melchior Rooß (Beck) vertrieb 3 bis 3,5 Eimer Bier und 7 bis 8 Maas Branntwein (12 fl Steueranschlag). (HSTAS A 261 Bü 1055 (Summarische Tabellen zur Steuerrevision, Herrenberg, 1720)). 1729 wurde die Witwe des Nebringer Wirts Jacob Vögelin mit 200 fl wegen ihrer Wirtschaft zur Steuer veranlagt (HSTAS A 261 Bü 1058 (Steuersubrevisionsrelation, Herrenberg, 1729)). Die beiden Mötzinger Wirte wurden mit 150 und 100 fl eingestuft (HSTAS A 261 Bü 1058), die beiden Tailfinger mit 150 und 80 fl (HSTAS A 261 Bü 1058). 1737 gab es in Tailfingen keinen Wirt mehr, der Mötzinger Hirschwirt wurde mit 100 fl, der Gassenwirt Friedrich Vetterle mit 80 fl veranschlagt, der Nebringer Rappenwirt mit 100 fl, ebenso der Sonnenwirt (HSTAS A 261 Bü 1062 (Protokoll über die Untersuchung der Steuersubrevision von 1729, Herrenberg, 1737)). HSTAS A 261 Bü 1267 (Steuersubrevisionsrelation mit Beilagen, Nagold, 1730), fol. 67 HSTAS A 261 Bü 1266 (Untersuchung über die Steuersubrevision von 1730, Nagold, 1734), fol. 80R GA BON I 664 (Susanna Bühler, 1763). Ein Zubringensinventar war nicht erstellt worden, da die beiden sich zuerst in Herweiler (Zweibrückischer Herrschaft) niedergelassen hatten.

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güter in Höhe von 3500 fl an die drei Töchter ausgegeben worden waren. 46 Rudolph Bühler war Gerichtsverwandter und zeitweise Bürgermeister.47 Der konkurrierende Pflugwirt Hans Weinmar war keineswegs weniger erfolgreich. Der Pflug war 1727 (wieder-)gegründet worden, als Hans Michel Schlayer Catharina Egeler geheiratet hatte. 48 Zwei Jahre später wurde diese Wirtschaft bereits - wie oben erwähnt - mit 300 fl in die Steuer gelegt. 1733 - beim Tod Hans Michel Schlayers - verfügte das junge Ehepaar über ein Vermögen von 3076,5 fl, worunter die Außenstände (im wesentlichen Wirtsschulden) 252 fl ausmachten. 624,5 fl waren hinzugewonnen worden. 49 Im gleichen Jahr noch heiratete die Witwe Hans Weinmar. 50 Als Catharina Weinmar 1757 starb, besaßen sie und ihr zweiter Mann ein Gesamtvermögen von 12050,5 fl, worunter allerdings 2092 fl den Kindern erster Ehe als väterliches Erbgut gehörten. Beigebracht worden waren von beiden Ehepartnern 3401,5 fl; dementsprechend betrug der Zugewinn 6658,5 fl!51 1757 war Hans Weinmar Gerichtsverwandter, später wurde er noch Bürgermeister. 52 Da er den "Pflug" der Tochter erster Ehe seiner Frau überließ, rief er für sich den "Hirsch" wieder ins Leben, den er seiner einzigen Tochter hinterließ: diese heiratete den Schultheißensohn Urban Weinmar, späteren Gerichtsverwandten, Bürgermeister und Schultheißenamtsverweser.53 Keine andere Berufsgruppe war in Bondorf so reich wie die Wirte des 18. Jahrhunderts, die außer der Wirtschaft auch über sehr viel Land verfügten. 54 Sicherlich gab es daneben auch ephemere Wirtschaften, die keineswegs solche Erfolge zu verbuchen hatten (z.B. den Hirschwirt Conrad Kempff oder die leider nicht durch Inventuren dokumentierten Rappenwirte Martin und Johann Georg Schmid), 55 dennoch war der Betrieb einer Wirtschaft offenbar eine profitable Angelegenheit. Die Wirtschaften standen in vieler 46 47 48

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GA BON I 664 (Susanna Bühler, 1763) GA BON I 664 (Susanna Bühler, 1763); I 1047 (Rudolph Bühler, 1788); OSB BON 546 Bei der Heiratsabrede hieß es: "... übrigens aber auch so wohl bey beschehener Heurathsabrede der beeden jungen Eheleuten, als auch bey dermaliger Verhandlung, mit noch mahliger zusage Von obberührt deß Weibs Vatter Jacob Egeler, ihnen beeden Eheleuten Versprochen worden, denen selben so lange beede Eltern und die Tochter leben werden, den Siz und Wohnung ihn ihrem bereits besizenden Hauß, ohne einiges entgelt, oder Hauszünß, dergestalten zu laßen, daß sie die jungen sich des gantzen Haußes zu Nothdurfft, auch weil das Hauß einer Württschafft berechtigt, dißen falls, und wann die jungen solche anfangen und betreiben würden, deß Kellers zu Einlagerung Weins bedienen sollen, dörffen und mögen, alles innhalt eines unterm 12. May 1726 errichteten und Von des Weibs Eltern genehm gehaltenen und dato revidirten Haurathsabrede, auch noch mahliger becräfftigung halben folgender unterschrifft, den 14. Jan. 1727." (GA BON I 161 (Hans Michel Schlayer und Catharina Egeler)). Jacob Egeler (Simons Sohn), der Vater der Braut, wird aber seinerseits auch schon als Pflugwirt bezeichnet: OSB BON 738. Die Wirtschaft stammte von seinem Schwiegervater Hans Teufel (OSB BON 2875). GA BON I 257 (Hans Michel Schlayer, 1733) GA BON I 258 (Hans Weinmar und Catharina Schlayer, 1734); OSB BON 3088 GA BON I 589 (Catharina Weinmar, 1757) GA BON I 804 (Hans Weinmar, 1773) GA BON I 676 (Urban Weinmar und Maria Catharina Weinmar, 1763); I 1309 (Maria Catharina Weinmar, 1800); OSB BON 3108 vgl. A.Bischoff-Luithlen, Obrigkeit, S. 197-202; A.R.Benscheidt, Besitz, S.96f zum Nürtinger Ochsenwirt; vgl.a. G.Cabourdin, Paysans, S.45f; P.Bohl, Stockach, S.144; T.Robisheaux, Society, S.89f; H.Rebel, Peasant classes, S.70f, 89f GA BON I 476 (Conrad Kempf, 1748); OSB BON 2612 (Martin Schmid, Rappenwirt), 2615 (Johann Georg Schmid, Rappenwirt)

Hinsicht im Mittelpunkt der dörflichen Gemeinschaft: 56 hier wurden die "rites de passage" wie Hochzeiten und Begräbnisse gefeiert (oder mindestens der Wein zur Feier abgeholt), hier wurden Versteigerungen getätigt, 57 hier stiegen die Vertreter der Obrigkeit ab, wenn sie aufs Dorf kamen, 5 8 hier bestand die Möglichkeit, Fremde zu treffen und Nachrichten auszutauschen. 59 Die Wirte verstanden den Umgang mit Bargeld und Abrechnungen (daher ihre besondere Qualifikation für das Bürgermeisteramt), sie schrieben an (auch größere Summen) und trieben ihre Guthaben spätestens beim Tod des Schuldners ein, wobei sie sich gleich den Zugriff auf dessen Landbesitz sichern konnten. 6 0 Andererseits wurden sie obrigkeitlich reglementiert, waren sie doch in einem kulturellen System, das Trunksucht und Völlerei einzuschränken trachtete, etwas suspekt, 61 weshalb ihnen auch das Schultheißenamt versperrt war - solange sie eine Wirtschaft betrieben, was sich aber umgehen ließ: 62 der Tailfinger Wirt Anton Egeler war auch Schultheiß. 63 Der oben genannte Traubenwirt Jacob Weinmar, der 1734 soeben seine Wirtschaft aufgegeben hatte, scheint der Schultheiß Jacob Weinmar zu sein, der 1735 sein Amt antrat. 6 4 Der Unterjettinger Schultheiß Johann Friedrich Seeger wie der Ehninger Schultheiß Jacob Kuon waren vorher Wirte gewesen. 65 Wenn der Schultheiß schon nicht selber Wirt gewesen war, war er mindestens mit einem Wirt verwandt. Der Schwager des Bondorfer Schultheißen Jacob Kußmaul war der Pflugwirt Johann Michael Müller, sein Sohn heiratete die Tochter des Ochsenwirts von Endingen. Der Bruder des Gebersheimer Schultheißen Jakob Friedrich Jüngling war der Ochsenwirt Johann Michael Jüngling, sein Schwiegersohn der Rappenwirt Georg Friedrich Kogel. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts kam es zu einer "Gründungswelle" von Wirtschaften: 6 6 zuerst entstanden Gassen wirtschaften, ließen sich Biersieder und Branntweinbrenner nieder, dann (in der zweiten Generation) verwandelten sich deren Etablissements in

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R.Muchembled, Erfindung, S. 188-197; B.Müller-Wirthmann, Raufhändel, S.81 Bei Versteigerungen fielen für die Wirte beträchtliche Summen an. 1780 waren die Güter der Veit Schmidischen Wittib verkauft worden, danach standen an Wirtsschulden an: beim Hirschwirt 93 fl, beim Pflugwirt 35 fl 27 x und beim Biersieder Jacob Barth 19 fl 55 x. Für jeden Gulden, der beim Aufstreich aufgeschlagen wurde, war eine halbe Maß Wein als Weinkauf zu bezahlen. Davon fiel etwa die Hälfte an die Wirte (HSTAS A 213 Bü 4384 (Klage wegen übermäßigen Weinkaufs, Bondorf, 1780-1781)). 1681 wurden Güter vor der Kirche feilgeboten (HSTAS A 261 Bü 1262 (Einrichtung des Steuerfußes, Nagold, 1607), Hauptbericht, fol. 40V). HSTAS A 214 Bü 656 (Akten der Untersuchungskommission wegen der von 66 Bürgern angebrachten Klagen gegen den Vogt Daser und den Amtspfleger Mayer von Nagold, Bondorf, 1748-1749), Bericht vom 22.10.1748 R.Muchembled, Erfindung, S.24f zur Bedeutung der Gastwirtschaften vgl. I.Weber-Kellermann, Landleben, S.340-346 vgl. z.B. Fünfte Landesordnung vom 2.1.1552, in: Reyscher XII, S.218f; M.Brecht, H . E h m e r , Reformationsgeschichte, S.233; vgl. R.Muchembled, Erfindung, S.187 s. Siebte Landesordnung v. 11.11.1621, in: Reyscher XII, S.770; vgl.a. die General-Rescripte in: Reyscher XIII, S.150 Anm. 148, S.1235 v. 24.4.1722; Reyscher XV/1, S.559 v. 3 1 . 8 . 1 8 1 1 , S.688 v. 17.7.1813, S.999f v. 22.1.1818; s.a. A.Bischoff-Luithlen, Obrigkeit, S.30; a. in Baden war den Vögten seit 1727 der Betrieb einer Wirtschaft verboten: A.Straub, Oberland, S.34f H S T A S A 261 Bü 1058 (Steuersubrevisionsrelation, Herrenberg, 1729) OSB BON 3076 OSB BON 387, 3092 W a s mit der Verdammung von Gastwirtschaften durch den Pietismus eigentümlich kontrastiert: H.Hermelink, Geschichte, S.173

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Gastwirtschaften.67 Zu den zwei oder drei traditionellen traten fünf oder sechs neue (Adler, Lamm, Bock, Ritter, Krone, die Neugründung des Engel). Der Erfolg war bei wachsender Zahl allerdings geringer, mitunter gab es gar eklatante Fehlschläge. Im großen und ganzen aber scheint eine wachsende Nachfrage nach Alkohol die steigende Zahl von Gasthäusern getragen zu haben. Zumindest erwiesen sich die Zugewinne der Besitzer dieser Etablissements auch dann noch als beträchtlich, als sie im Handwerk und der kleinen Landwirtschaft schwanden. 68 Auch Gebersheim, wo es während der Steuereinschätzung noch überhaupt keine Gastwirtschaft gegeben hatte, partizipierte an dieser Ausdehnung des Gastgewerbes: 1822 gab es drei Wirtschaften; neben dem Rappen und dem Ochsen (beide zahlten am 3.8.1822 je 11 fl 15 x Umgeld) schenkte auch Georg Martin Kemmler aus (Umgeld 3 fl). 6 9 Der Wandel von den auf Weinausschank spezialisierten "alten" Wirtschaften und den sich mit Bierbrauerei und Branntweinbrennerei beschäftigenden "jungen" zeigt auch Wandlungen im Trinkverhalten und basiert auf den agrarischen Fortschritten des 18. Jahrhunderts, die die Verwendung von Getreide und den Anbau von Obst zur Herstellung von Bier und Schnaps erlaubten. 70 Der Kapitalaufwand für eine Wirtschaft war recht beträchtlich: Der "Pflug" war 1780 2800 fl wert - und damit das wertvollste Haus im Dorf; das Haus des Schultheißen wurde für "nur" 2000 fl angeschlagen, die Häuser reicher Bauern um 1100 fl bzw. 800 fl. 7 1 Der "Pflug" verfügte allerdings über zwei Gästebetten (für andere Wirtshäuser ist derartiges nicht belegt). Ein umfangreiches Interieur an Tischen und Stühlen, Fässern (9 Stück) und Gläsern, Salzbüchsien, "porcellanen" Kaffeeschalen (4) und Bestecken (2 Dutzend Messer und Gabeln, 24 Löffel) mag das Bild eines gut geführten und besuchten Dorf-

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vgl. a. die Kölner Branntweinbrenner: D.Ebeling, Bürgertum, S.75f GA BON I 821 (Jacob Barth und Anna Maria Meyer, 1773); I 1005 (Hans Jerg Schäffer, 1785); I 1089 (Jacob Schäffer und Anna Maria Scheurer); I 1124 (Jacob Barth, 1792); I 1125 (Jung Jacob Kaz und Anna Maria Barth, 1794); I 1199 (Christian Schäffer, 1795); I 1250 (Johannes Breuning, 1798); I 1349 (Anna Maria Kaz, 1801); I 1373 (Johannes Mast und Regina Roll, 1802); I 1393 (Jakob Friedrich Morlock und Jacobina Barth, 1803); I 1527 (Ramey Mast, 1811); 1 1541 (Jacob Kaz und Anna Gengenbach, 1810); I 1574 (Siegfried Barth und Dorothea Dupper, 1813); I 1638 (Johann Christian Beerstecher, 1816); I 1653 (Maria Katharina Schäfer, 1817); I 1673 (Johannes Schäfer und Anna Maria Seeger, 1817); I 1717 (Maria Barbara Dupper, 1820); I 1724 (Anna Katharina Weinmer, 1821); I 1733 (Maria Regina Mast, 1821); I 1734 (Andreas Dupper und Anna Katharina Gengenbach, 1821); I 1753 (Johannes Mast und Catharina Bühler, 1822); I 1766 (Jung Johannes Weinmar und Christina Wörner, 1823); I 1793 (Anna Katharina Dupper, 1824); I 1816 (Johann Georg Schäfer und Helene Barbara Lenk, 1825); I 1834 (Johann Michel Weinmar und Katharina Barbara Feßler, 1825); I 1844 (Andreas Dupper und Maria Barbara Hauser, 1825); I 1878 (Johann Georg Schäfer, 1827); G.Cabourdin, Paysans, S.159fzum Alkoholkonsum; s.a. H.Medick, Kultur, S.173f HSTAS A 584 prov. A 30 (Umgeld, 1822); vgl. zum Umgeld: Reyscher XVII/2, S.CLVIII-CLXXVI s. z.B. GA BON I 1349 (Anna Maria Kaz, 1801): ein Bierkessel für 55 fl, ein Branntweinhafen für 28 fl, 14 Imi Bier, Bierhefe und Bieressig, 26 fl Schulden für Hopfen kennzeichnen die Ausrichtung dieser Wirtschaft. Wein wurde offenbar keiner vertrieben. Vgl. a. M.Bildingmaier, Bäuerin, S.87; Bier- und Branntweinkonsum können in den untersuchten Dörfern nicht miteinander konfrontiert werden, sie entwickeln sich parallel: vgl. aber H.Medick, Kultur, S. 173-183 GA BON I 918 (Hans Martin Müller, 1780); I 932 (Hans Michel Kußmaul, 1780); I 925 (Hans Michel Kußmaul (Jacobs Sohn), 1780); I 933 (Maria Kußmaul, 1780)

Wirtshauses abrunden. 7 2 Bescheidener ging es natürlich auch: Jacob Wörner (gen. Baude), Weber, hatte im wesentlichen 50 fl in die Anschaffung eines Branntweingeschirrs investiert. 7 3 Die Summen, die in Wirtshäusern zurückgelassen wurden, waren beträchtlich. Die Schulden beim Pflugwirt Müller schwankten laut Abrechung zwischen 1 fl 21 x und 17 fl 25 x, wobei sechs der 24 Schuldner mehr als 10 fl schuldeten. 7 4 Sieht man diese Summen in Zusammenhang mit den Einkommensschätzungen, wird deutlich, daß häufige Wirtshausbesuche eine kostspielige Angelegenheit waren, zumal die Schuldner eher zu den armen Einwohnern Bondorfs gehörten. Möglicherweise ließen die reichen nicht anschreiben, aber der Kundenstamm scheint recht konstant gewesen zu sein. Beim Biersieder Jacob Barth, dessen Vermögen 1792 inventiert wurde, nachdem er 4,5 Jahre zuvor Frau und Familie verlassen hatte, sich bei der österreichischen Armee engagieren ließ und im (Türken-)Krieg umgekommen war, standen der Alt-Schulmeister Johannes Beerstecher und Jung Jacob Stähle genauso in der Kreide wie beim Pflugwirt, daneben Johannes Stähle, Michel Sautter und Urban Luz (Schmied). 7 5 Bei der Wiederheirat der Barth'schen Witwe 1794 mit Jung Jacob Kaz schuldeten Michel Sauter, Urban Luz und Johannes Beerstecher ihre Zechen immer noch, Johannes Stähle hatte 5 fl (von ursprünglich 6 fl) abbezahlt. 7 6 Während Ehestreitigkeiten und Vermögenszerfall (z.B. bei Johannes Beerstecher) 7 7 häufig Hand in Hand gingen, war bei den Barth'schen Eheleuten dies nicht der Fall: trotz des Verschwindens Jacob Barths wurde in der gemeinsamen Ehe bei einem Beibringen von 793,5 fl ein Zugewinn von 1361,5 fl erzielt. Dasselbe gilt von der zweiten Ehe der Anna Maria Barth, auch sie verlief disharmonisch, aber mit einem Zugewinn von 1512 fl in 7 Jahren ökonomisch erfolgreich. 7 8 Unter den Schuldnern von Jung Jacob und Anna Maria Kaz fehlen Mitglieder der dörflichen Oberschicht völlig, die meisten später als wohlhabend einzustufenden waren noch jung und die Armen scheinen überrepräsentiert. Als spezifischer Kundenkreis taucht im Schuldverzeichnis die erwachsene, aber noch ledige männliche Jugend auf. Die Witwen, die in der Liste erscheinen, dürften ihre Schuld meist von ihren verstorbenen Ehemännern geerbt haben oder es handelt sich um Anlehnungen, die nicht als solche gekennzeichnet waren. Die fast hundert Schuldposten zeigen die Gewinnmöglichkeiten, die in einer Biersiederei und Branntweinbrennerei steckten. 7 9

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G A BON I 918 (Hans Martin Müller, 1780); der "Hirsch" verfügte über eine ähnliche Ausstattung: I 1309 (Maria Catharina Weinmar, 1800); vgl. A.R.Benscheidt, Besitz, S.177f zu einem Nürtinger Gasthaus; R.Muchembled, Erfindung, S. 190-192: Wirtshaus zur "Blauen Katze" in Lille G A BON I 1631 (Anna Maria Wörner, 1816); die zwei Brennzeuge des Adlerwirts Johannes Mast waren nur j e 20 fl wert, sein Bierbrauergeschirr aber 100 fl: I 1733 (Maria Regina Mast, 1821) G A BON 1 9 1 8 (Hans Martin Müller, 1780) G A BON I 1124 (Jacob Barth, 1792) G A BON I 1125 (Jung Jacob Kaz und Anna Maria Barth, 1794) G A BON I 1249 (Johannes Beerstecher, 1798) GA BON I 1349 (Anna Maria Kaz, 1801) (Enterbung des zweiten Ehemanns bis auf den Pflichtteil wegen harter Behandlung) G A BON I 1349 (Anna Maria Kaz, 1801); zum Wirtshausbesuch s. a. M.Bidlingmaier, Bäuerin, S.9496

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4.4.3. Krämer80 "In dißem fleckhen befindet sich ein Einiger Grempler, welcher - ob er schon vor Jahren die handelschafft erlernt, dannoch mit wahren, als Tabac, Liechtern etc. so schlecht versehen, daß um so mehr nicht unbillich Bedenckhens getragen, die in der Instruction angesezte ringste Summ der 50 fl ihme anzulegen, als Ewer hfrstl. D. auff Meinen erstattet Unthgsten Bericht wegen deß Altenstaiger Ambts sub dato 6 Nov. 1716 pcto 14 die gdgste Resolution mir erthailt bey dergl. wohl auff 25 fl doch nicht darunter zuegehen, ich habe dahero auch ermelten Grempler beschickht, und ihme eröffnet, daß nach erwehnter Instr. die geringste Taxation sich auff 50 fl erstreckhe; ob nun zwar derselbe sich darüb beschwehrt, und seinen schlechten handel (wie auch wahr) vorgeschizt, mit dem anfliegen, deß wegen Unthgst Supplicando einzukommen; So bin ich aber iedoch weilen er sich biß dato nicht mehr deßhalb angemelt, mit Beleg, der 50 fl fürgefahren." 8 1 Dieses Urteil über den Bondorfer Kleinhandel wurde auch 1729 nicht modifiziert: von den beiden Krämern hieß es, sie trieben nur mit "Tabackh, Saifen, Liechter und anderer geringer wahr" Handel und seien deshalb nicht höher als mit 80 und 50 fl zu belegen. 8 2 1 734 schließlich wurden die beiden Krämer mit j e 40 fl angeschlagen, 83 womit sie auf dem Niveau der am geringsten besteuerten Handwerker lagen. Der Umsatz der Krämer scheint auch im weiteren Verlauf des Jahrhunderts bescheiden geblieben zu sein: die Krämerswitwe Louisa Barth hatte 1782 11 fl Außenstände für Waren, Johann Heinrich Ruoff 1792 15 fl. 8 4 Auch die Waren blieben weitgehend dieselben: 1751 vertrieb der Krämer Jacob Barth Zucker und Öl, 8 5 1 759 schuldete ihm der Schneider Hans Michel Bühler 14 fl 46 x für Schnupftabak (ohne Wissen von dessen Witwe). 8 6 Jacob Walter hatte 1756 folgende Ware in seinem Kramladen: 1,5 Buch Papier für 6 x, 1000 Schuhnägel für 30 x, "Nadlen" für 12 x, "Hoßenhacken" für 6 x, 3 Pfund "Liechter" für 24 x und ein Pfund Seife für 8 x. 8 7 1776 hatte Jacob Barth nur für 2 fl 30 x "sehr geringe und wenige" Krämerwaren vorrätig, während die "Handthierungswaren" des Johann Heinrich Ruoff sich 1792 auf immerhin 10 fl beliefen. 8 8 Jacob Barths Witwe Louisa schuldete 1782 dem Nagolder Handelsmann Noa Sautter 2 fl für 4 Pfund Tabak und dem "N.N., Safrigmann" aus Günzburg 48 x für "Saffrig". 8 9 Johann Heinrich Ruoff 80 81

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A.Bischoff-Luithlen, Obrigkeit, S.205-207 HSTAS A 261 Bü 1264 (Bericht über die Steuerrevision, Bondorf, 1720), fol. 26R - 27V; auch die Herrenberger Krämer von vor 1635 scheinen eher kümmerliche Geschäfte betrieben zu haben: "... (Angesehen die Krämmer Allhie an Capitalien nichtzit, Allß waß sie von ainer zuer andern Mess an schlechten wahren uff borg erkauffen) ..." (HSTAS A 261 Bü 1051 (Errichtung des Steuerfußes, Herrenberg, 1629), Sehr. v. 6.10.1629); vgl. J.Mantel, Wildberg, S.57, 152-154; M.Reiling, Bevölkerung, S.81-83 zu Freiburg i. Br. HSTAS A 261 Bü 1267 (Steuersubrevisionsrelation mit Beilagen, Nagold, 1730), fol. 67V HSTAS A 261 Bü 1266 (Untersuchung über die Steuersubrevision von 1730, Nagold, 1734), fol. 80R GA BON I 954 (Louisa Barth, 1782); 11114 (Johann Heinrich Ruoff, 1792) GA BON I 514 (Catharina Rothfelder, 1751) GA BON I 612 (Hans Michel Bühler, 1759) GA BON I 580 (Jacob Walter, 1756) GA BON I 855 (Alt Jacob Barth, 1776); I 1114 (Johann Heinrich Ruoff, 1792). Ruof verkaufte Gewürze (HSTAS A 213 Bü 4384 (Klage wegen übermäßigen Weinkaufs, Bondorf, 1780-1781)). GA BON 1 954 (Louisa Barth, 1782)

vertrieb auch mössene Dosen aus eigener Produktion; seine zwei ältesten, offenbar sehr findigen, Söhne hatten am Karfreitag zwei "Schlüsel welche zu tollen Hundsbissen dienen sollen" angefertigt, sicherlich auch zum Zwecke des Verkaufs. 90 Johannes Bühler, der eigentlich Wagner war, vertrieb auch Kaffee. 91 Der Schmied Johann Konrad Gengenbach verkaufte 1807 Schnupftabak und hatte 1815 bei Johannes Egeler 18 fl für Waren gut. 9 2 Zum gleichen Zeitpunkt florierte offenbar das Geschäft eines Krämers Hummel, der nicht nur 85 fl Kapital an den genannten Johannes Egeler verliehen hatte, sondern auch bei Johann Martin Bühler und seiner Ehefrau 12 bzw. 5 fl einzunehmen hatte. 93 Auf größerem Fuß aber dürfte die Bondorfer Krämerei sich erst mit der Niederlassung des Kaufmanns Christian Wilhelm Speidel entwickelt haben: er und seine Frau wurden 1828 in Bondorf mit immerhin fast 4000 fl (worunter 2200 fl Bargeld) Vermögen seßhaft. Ob Speidel sich allerdings dem Kleinhandel widmete oder auf den Fruchthandel verlegte, muß offenbleiben. 94 4.4.4. Niedere Gemeindeämter Die Gemeinden vergaben mindestens seit dem frühen 17. Jahrhundert eine ganze Reihe besoldeter kommunaler Ämter. 95 Die Dorf- (oder Flecken-), Wald- und Feldschützen, Totengräber, Nachtwächter, Bettelvögte und Kuhhirten stammten immer aus den Reihen der ärmsten Dorfoewohner. 96 Zu welchen Opfern der eine oder andere bereit war, um ein solches Amt übertragen zu erhalten, demonstriert Johann Conrad Issler aus Gebersheim. Er wollte sich 1795 freiwillig zur Auswahl stellen, wenn er sofort vom Flecken als Dorfschütz angenommen werden würde. Während seiner Abwesenheit sollte sein Vater Johann Michael Issler, Maurer, das Amt versehen. Außerdem verlangte er 60 fl, die ihm sofort ausbezahlt werden sollten. Die Gemeinde stimmte zu und beschrieb in extenso die Aufgaben des Amtes: der Dorfschütz habe die Bürgerschaft "vorzubieten", in Gemeinsamkeit mit dem Feldschützen die Wege im Feld "einzuhaken", für Brunnen und Bach im Sommer wie im Winter zu sorgen, auch sonst alles zu erledigen, was nach bisheriger Observanz einem Schützen zukomme - wie die Beherbergung der armen Leute, die auf Kärren nach Gebersheim gebracht würden und die Versehung der Nachtwacht (zusammen mit dem Kuhhirten). Dafür erhielt er 6 x und einen Laib Brot pro Jahr von jedem Bürger, außerdem die herkömmlichen Dinkel- und Habergarben (von denen ihm zwei Drittel, dem Feldschützen ein Drittel zufiel). Da Gebersheim 1794 54 Bürger zählte, erhielt der Schütz einen Geldlohn von 5,4 fl! 97 Im übrigen war das Amt nicht auf Dauer vergeben:

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GA BON I 1114 (Johann Heinrich Ruoff, 1792); I 1132 (Anna M a n a Ruoff, 1792) G A BON I 1197 (Johannes Weimar, 1795) G A BON I 1460 (Alt Ramey Scheurer, 1807); I 1606 (Johannes Egeler und Anna Bökle, 1815) G A BON I 1606 (Johannes Egeler und Anna Bökle, 1815); I 1607 (Johann Martin Bühler und Christina Gengenbach, 1815) G A BON I 1908 (Christian Wilhelm Speidel und Amalie Karoline Maier, 1828) H S T A S A 584 I 103 (Georg Wölfflin, Schütz, und Maria Meidelin, 1622); vgl. T.Knapp, Gesammelte Beiträge, S.57, 179; A.Bischoff-Luithlen, Obrigkeit, S.29, 48-51 vgl. I.Weber-Kellermann, Landleben, S. 111-115; G.Cabourdin, Paysans, S.86f; M.Mitterauer, Lebensformen, S.332 D . E . Z a h n , Chronik, S.34

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Der Schütz hatte sich alle Weihnachten vor dem Gericht um die Annahme seines Dienstes wiederum zu melden und das weitere abzuwarten. Der Verlust seines Amtes drohte bei Saumsal oder Ungehorsam.98 Zu den 60 fl trugen die Eltern der Söhne, die ebenfalls von der Auswahl betroffen waren, 21 fl 30 x b e i . " Bei diesen Voraussetzungen eignete sich das Amt trefflich zur Disziplinierung der Inhaber. Issler selbst bekam das zu spüren: 1818 beschuldigte ihn Georg Martin Kemmler, er solle vor zwei Jahren gesagt haben, auf dem Rathaus gehe es so ungerecht zu, daß er oft hinter dem Ofen solches nicht über das Herz bringen könne. Issler leugnete zwar, wählte aber, um die Ablegung eines Schwurs zu verhindern, die ungeschickte Ausrede, er wolle die Strafe auf sich nehmen, um einen Schwur Kemmlers zu verhindern. Die Strafe von 3 fl 15 x, die ihm das Gericht aufbrummte, war damit vorprogrammiert, die Drohung, daß er beim geringsten weiteren Vorfall seines Dienstes entsetzt werden würde, ebenfalls. 100 Die gleiche Reaktion hatte das Gericht schon 1765 gezeigt, als der damalige Schütz Johann Michael Besserer eines Diebstahls bezichtigt worden war. 101 Wie sehr diese Gemeindeämter als Armenversorgung benutzt wurden, zeigte sich im April 1779, als nach dem Tod des Gebersheimer Schützen Johann Georg Kogel, der von einer Eiche gefallen war, Veit Schmid zum Nachfolger gewählt wurde: die Besoldung sollte sich Schmid bis Weihnachten mit der Witwe seines Vorgängers teilen. 102 Die Ortsarmen wurden dann auch noch dazu eingesetzt, die auswärtigen Armen zu bekämpfen: Georg Martin Kemmler wurde 1789 zum Bettelvogt ernannt, um dem starken Gassenbettel zu steuern. 103 Immerhin konnte die Ausübung eines solchen Amtes durch die damit verbundenen Natural- und Geldeinkünfte das Überleben sichern. 4.4.5. Schulmeister Auch die Schulmeisterstelle wurde zu Anfang des 18. Jahrhunderts nebenberuflich ausgeübt, meistens von nicht gerade begüterten Gemeindegliedern.104 In Gebersheim und Gruorn wirkten etliche Weber gleichzeitig als Schulmeister.105 Bei geringer Schülerzahl blieben die Einkünfte des Amtes gering: 1789 beantragte der Gebersheimer Schulmeister Johann Jakob Schömperle eine Besoldungszulage, da er auf Anordnung des Dekanats nunmehr drei statt zwei Stunden Sommerschule halten mußte. Von der Gemeinde erhielt

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HSTAS A 584 provisor. B 3 (Gebersheimer Gerichtsprotokolle, 1795-1819), fol. 2V - 4R (15.3.1795) ebd. HSTAS A 584 provisor. B 3, fol.260R - 261V (30.3.1818) HSTAS A 584 provisor. B 2 (Gebersheimer Gerichtsprotokolle, 1753-1794), fol. 64R - 65R (2.9.1765) HSTAS A 584 provisor. B 2, fol. 142R - 143V (24.4.1779) HSTAS A 584 provisor. B 2, fol. 112V (14.9.1789) (fehlerhafte Paginierung) zu Schulmeistern allgemein: I.Weber-Kellermann, Landleben, S.98-111 (v.a. für Preußen und Bayern); P.Borscheid, Geschichte, S. 184-189 HSTAS A 584 I 303 (Johannes Bauser, 1747); vgl.a. HSTAS A 281 Bü 623 (Visitationsberichte der Superintendenz Herrenberg, Tailfingen mit Filial Nebringen, 1763-1806): Bericht von 1763: Schmied als Schulmeister; Bü 619 (Visitationsberichte der Superintendenz Herrenberg, Mötzingen, 17631806): Berichte von 1763 und 1768: Schuster; ebd.: Bericht von 1787: Stricker

er vorher 17 fl, nachdem seinem Antrag stattgegeben wurde - ca. 20 f l . 1 0 6 Die Situation in Bondorf war im gesamten 18. Jahrhundert anders: die Bondorfer Schulmeister gehörten zur dörflichen Mittel- oder Oberschicht: Hans Martin Müller war geradezu reich, Johann Christian, Johann David und Johannes Beerstecher zumindest wohlhabend, wobei Johann Christian und sein Enkel Johannes ein "zehrhaftes" Leben führten. 1 0 7 Georg Ludwig Hiller, der nach der frühen Resignation des Johannes Beerstecher 1768 Schulmeister wurde, hatte eine wohlhabende Frau geheiratet, Tochter eines Richters, und war sowohl als Schulmeister wie als Haushälter sehr erfolgreich. Wie Johann David Beerstecher bekleidete er das Amt des Gerichtsschreibers. Ökonomisch war er außerordentlich erfolgreich 1 0 8 - zu erfolgreich für seine Gemeinde: 1783 geriet Hiller mit den "Communvorstehern" aneinander, als er einen Beitrag der Gemeinde zur Heizung der Schulstube glaubte verlangen zu können, was eine bis 1787 dauernde Auseinandersetzung mit der Gemeinde auslöste. Die Gemeinde rechnete ihm und dem Amt vor, daß Hiller aufgrund der seitherigen Bereitwilligkeit der Gemeinde, ihn zu unterstützen, ein Einkommen von mehr als 300 fl aus der Schule z ö g e . 1 0 9 Unter den dreihundert Gulden waren die Einkünfte als Mößner (zwei Laib Brot pro Jahr von jedem Bürger und jeder Witwe) bereits enthalten, zusätzliche Einnahmen aber flössen ihm als Richter, als Gerichtsschreiber und als Untergangsprotocollist zu. Mit allen ihren Gesuchen wurde die Gemeinde abgewiesen, 8 fl Holzgeld blieben dem Schulmeister. Prompt folgte am 19.1.1788 der Versuch der Gemeinde, den Schulmeister als Gerichtsschreiber abzusetzen, auch damit aber scheiterte s i e . 1 1 0 Der Streitfall scheint keine längerfristigen Konsequenzen gehabt zu haben, Hillers Sohn Friedrich Ulrich konnte 1802 die Schulmeistersstelle antreten. Nach dessen frühem Tod folgte der zweite Sohn Konrad Ludwig diesem im 106 Dies ist nicht identisch mit dem Gesamteinkommen des Schulmeisters, sondern betrifft lediglich den Zuschuß zu seiner Besoldung aus der Gemeindekasse: HSTAS A 584 provisor. B 2 (Gerichtsprotokolle, 1753-1794), fol. 109R - 110R (11.3.1789). Die Schulmeisterbesoldung wurde durch eine Umlage auf Bürger und Witwen erhoben. Vor der Besoldungserhöhung war der Überschuß bei der Bürgermeisterkasse verblieben. 1798 betrugen die Gesamteinnahmen des Schulmeisters 75 fl 23 x (HSTAS A 584 Bü 599 (Kriegskostenumlage, 1798)); 1817/1818 123,5 fl ( D . E . Z a h n , Chronik, S.33). 107 GA BON I 148 (Hans Martin Müller, 1726); I 283 (Johann Christian Beerstecher, 1735); I 437 (Magdalena Beerstecher, 1746); I 1249 (Johannes Beerstecher, 1798) 108 GA BON 1 753 (Georg Ludwig Hiller und Maria Barbara Weinmer, 1768); I 1585 (Georg Ludwig und Maria Barbara Hiller, 1814); I 1587 (Maria Barbara Hiller, 1814); I 1930 (Georg Ludwig Hiller, 1829) 109 HSTAS A 213 Bü 6077 (Regelung des Almosens und Streitigkeit um das Schulholz, Bondorf, 17831787); der nächste Bondorfer Schulmeister Friedrich Ulrich Hiller hatte 1807 ein Einkommen von 187 fl (HSTAS A 281 Bü 1601 (Visitationsberichte der Superintendenz Wildberg, Bondorf, 1763-1807); Bericht von 1807); der Tailfinger Schulmeister kam 1806 auf 127 fl (HSTAS A 281 Bü 623 (Visitationsbenchte der Superintendenz Herrenberg, Tailfingen mit Filial Nebringen, 1763-1806): Bericht von 1806), der Mötzinger auf 184 fl (HSTAS A 281 Bü 619 (Visitationsberichte der Superintendenz Herrenberg, Mötzingen, 1763-1806): Bericht von 1806). Letzterer hatte aber mehr Schulden als Vermögen. Bei der Suche nach zusätzlichen Einkommensquellen konnte der Schulmeister auch übertreiben: Der Tailfinger wirkte 1797 auch als Händler und Landfuhrmann und versuchte Beständer zu werden (HSTAS A 281 Bü 623 (Bericht von 1797)), er mußte vor unredlichen Mitteln der Vermögensvermehrung gewarnt werden (ebd. (Bericht von 1794)). 110 H S T A S A 213 Bü 8524 (Absetzung des Gerichtsschreibers Hilier, Bondorf, 1788 und Heiratsgesuch des Substituten August Hoffacker, Nagold, 1800): Antrag der Gemeinde Bondorf auf Absetzung des bisherigen Gerichtsschreibers Hiller, 1788

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Amt. 1 1 1 Gleichzeitig vollzog sich der soziale Aufstieg. Hatte Georg Ludwig noch die Tochter eines Richters geheiratet, so ehelichte Friedrich Ulrich die Tochter eines Bürgermeisters und Konrad Ludwig die Tochter des zwar ämterlosen (seine Verwandten saßen in Gericht und Rat), aber sehr reichen Pflugwirts, eine Basis, die ausreichte, um 1825 selber Schultheiß zu werden. Als Vertreter des Oberamts Herrenberg in den württembergischen Ständen gelang ihm dann das, was Dorfschultheißen im 18. Jahrhundert noch weitgehend verschlossen war. 1 1 2 4.4.6. Handelsaktivitäten Die Steuereinschätzungsakten erwähnen Salz-, Wein-, Holz- und Viehhandel, die alle in Bondorf nicht angeschlagen wurden. Zum ersteren aber hieß es: die Commun habe keinen Salzhandel, "sondern es kauffe ieder Bürger Saltz, wo Er wolle, und obzwar einige iezuweilen in das Beyer Land fahren, allda Saltz Scheibenweis kauffen, und wiederum verkauffen, so seye es iedoch ungewiß, indeme dahin fahre wer wolle, bey welcher Bewandtsame dann hierin keine Collectation vorgenommen werden können." 1 1 3 Auch die übrigen Steuercommissare besteuerten derartige Aktivitäten nicht. 1 1 4 Betrieben wurden sie aber doch: Jacob Schelling hatte 1735 und 1740 Einnahmen aus dem Salzhandel, Hans Michael Kußmaul 1740, Michel Schlayer 1756, Hans Martin Müller 1759 und der Sattler Jacob Kußmaul 1765. 115 Später führte der Bauer Johann Philipp Kußmaul den Beinamen Salzbauer, 116 was im Zusammenhang mit ähnlichen Unternehmungen gestanden haben könnte. Die erwähnten Salzhändler gehörten alle zur reichsten Schicht der Bondorfer Bauern - zwangsläufig, wenn tatsächlich Fahrten nach Bayern den Hintergrund für diesen Handel bildeten. Der Tailfinger Salzhändler Anton Egeler maß in einem Jahr 20 Salzscheiben aus, sein Kapital wurde auf 100 fl geschätzt, wegen des schlechten Verdiensts wurde er aber nur mit 33 fl 20 x veranlagt. 117 "Melchior Rooß, Beckh, hat zwar eine Zeither etwas weniges, doch deßen angeben nach über 2 biß höchst 3 scheuben nicht ausgemeßen, weil die mehiste und etwas Vermöglichere zusammenstehen und die nothdurfft scheubenweiß und von andern frembden hereinbringenden Vierling und Simri weiß kauffen, auf gethane eröffnung aber, daß Er auch etwas deßwegen versteuern müßte, sich dahin erklärt, solches gäntzlich aufzugeben, indem Besagter maßen Niemand alß die gar

111 GA BON I 1372 (Friedrich Ulrich Hiller und Maria Magdalena Bökle, 1802); 1 1481 (Friedrich Ulrich Hiller, 1808); I 1496 (Konrad Ludwig Hiller und Christiana Dorothea Müller, 1809) 112 OSB BON 1156 113 HSTAS A 261 Bü 1264 (Bericht über die Steuerrevision, Bondorf, 1720), fol. 27V - R 114 HSTAS A 261 Bü 1267 (Steuersubrevisionsrelation mit Beilagen, Nagold, 1730), fol. 67V; A 261 Bü 1266 (Untersuchung über die Steuersubrevision von 1730, Nagold, 1734): Generaltabelle Nagold (Stadt und Amt) 115 GA BON I 286 (Ursula Schelling, 1735); 1 360 (Jacob Schelling, 1740); I 351 (Hans Michel Kußmaul, 1740); I 581 (Michel Schlayer, 1756); I 617 (Abraham Kaz, 1759); I 685 (Stephan Fahrner, 1765) 116 z.B.: GA BON I 1757 (Johann Philipp und Dorothea Kußmaul, 1822) 117 HSTAS A 261 Bü 1053 (Summarische Tabellen zur Steuerrevision, Herrenberg, 1720)

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arme etwas weniges nemmen, welches Er jähr und Tag verborgen müße, und von vielen gar nicht Bekomme , . . " 1 1 8 Weinhandel scheint ein Nebenerwerb der Wirte gewesen zu sein, die ihn nicht nur ausschenkten, sondern auch verkauften. Der Umfang aber dürfte eher gering gewesen sein: Der Pflugwirt Hans Michel Schlayer nahm 1733 60 fl Bargeld mit sich ins "Weinland", sicherlich um Wein einzukaufen. 1 1 9 1712 verkaufte der Chirurg Georg Friedrich Bub Wein, zumindest hatten gemäß seinem Hausbuch unterschiedliche Personen "Weinschulden" bei i h m . 1 2 0 Auch der Viehhandel spielte keine bedeutende Rolle und wurde wohl von Bondorfern eher gelegentlich betrieben: Der bereits erwähnte Jacob Schelling war 1740 auch als Viehhändler tätig. 1 2 1 Johann Conrad Böhmler, Metzger und Engelwirt, hatte 1710 immerhin 70 fl aus einem Viehhandel mit einem Metzger aus Großaspach g u t . 1 2 2 1711 widmete sich der Metzger Jacob Miller dem Viehhandel: Jacob Miller hatte 14 fl aus einem Roßhandel mit Bürgern von Schöckingen erlöst, schuldete aber 29 fl aus einem Viehhandel dem Schultheißen von Conweiler. 1 2 3 Viehhandel scheint mit einem hohen Risiko behaftet gewesen zu sein: Conrad Böhmler wirtschaftete auf jeden Fall schlecht und Jacob Miller war ein armer Mann. 1766 wurde die Schuld für den Vermögenszerfall Hans Jerg Masts direkt auf seine Handelsunternehmungen geschoben: die Witwe erklärte angesichts der starken Einbuße, daß "Sie jedoch ihren Orths keine Schuld habe, sondern solche hauptsächlich von denen bisherigen beschwehrl. Zeiten und besonders auch denen durch den verstorbenen Mann vielfaltig unternommenen schädl. Pferdt und andere dergl. Händel entstanden ...". Die Collateralverwandten (Kinder waren keine vorhanden) gaben allerdings - wie zu erwarten - der Witwe eine Mitschuld. 1 2 4 12 fl schuldete der Verstorbene dem Schultheiß von Baisingen noch an einer "Pferdtschuld". 1 2 5 Innerdörflich wurde offenbar häufiger Vieh verkauft, wobei Schweine, Kühe und Pferde erwähnt w e r d e n . 1 2 6 In Tailfingen dagegen wurde 1724 Viehhandel besteuert: der Wirt und Metzger Anton Egeler hatte 24 Hammel außer Orts auf der Weide, Hans Weippert 15 S c h a f e . 1 2 7

118 HSTAS A 261 Bü 1055 (Summarische Tabellen zur Steuerrevision, Herrenberg, 1720); vgl. A.Bischoff-Luithlen, Obrigkeit, S. 141-143 119 GA BON I 258 (Hans Weinmar und Catharina Schlayer, 1734) 120 GA BON I 116 (Adelheita Bub, 1712): 15 fl; auch der Tailfinger Barbier Jacob Genckhinger verkaufte Alkoholika (Bier und Fruchtbranntwein) (HSTAS A 261 Bü 1053 (Summarische Tabellen zur Steuerrevision, Herrenberg, 1720)). 121 G A BON I 360 (Jacob Schelling, 1740); Michel Schäfer erscheint 1756 als Schweinehändler: HSTAS A 214 Bü 663 (Akten der Untersuchungskommission wegen der von Johann David Kürner et Cons. angebrachten Klagen über das Fleckenökonomiewesen, Bondorf, 1755-1757), Protokoll vom 3 1 . 3 . 1 7 5 6 f f , fol.46R 122 G A BON I 90 (Johann Conrad Böhmler und Agnes Dußling, 1710) 123 G A BON I 91 (Jacob Miller, 1711) 124 G A BON I 696 (Hans Jerg Mast, 1766); leichtsinnige Frucht- und Weinhändel ihres Mannes machte auch Maria Catharina Bäuerle für den Vermögenszerfall verantwortlich: HSTAS A 584 I 555 (Johann Georg Bäuerle, 1798) 125 G A BON I 696 (Hans Jerg Mast, 1766) 126 GA BON I 467 (Christian Ruff, 1748); I 540 (Jacob Kußmaul (Hansen Sohn), 1753); I 694 (Johann Georg Weinmar, 1765); I 715 (Hans Jerg Wörner und Sophia Hägele, 1766); I 855 (Alt Jacob Barth, 1776) 127 HSTAS A 261 Bü 1053 (Summarische Tabellen zur Steuerrevision, Herrenberg, 1720)

179

1709 hatte Jacob Grade dem Seiler von Hemmendorf Hanf verkauft und noch 7 fl gut, 1711 hatte er bei Pfarrer Beerstecher in Bondorf 30 fl für "Werkhandel" angeliehen. 128 In größerem Maßstab betrieb 1763 der Engelwirt Rudolph Bühler den Hanfhandel: es war nicht nur weißer und schwarzer Hanf im Wert von 200 fl vorrätig, sondern Rudolph Bühler hatte auch noch Guthaben in Höhe von 180 fl für verkauften Hanf in Ebingen, Tübingen, Hechingen, Rottenburg, Nagold, Nebringen und Bierlingen. 129 Die ledige Margaretha Luz schließlich handelte offenbar mit Schmalz: zumindest hatte sie größere Mengen Schmalz in Oberöschelbronn (2 Häfen ä 3 fl 52 x), Wolfenhausen (15 Pfund ä 3 fl 15 x), Ergenzingen (6 fl 10 x), Bondorf (19,5 Pfund ä 3 fl 15 x und 2 Pfund ä 24 x) gekauft (aber nicht bezahlt). Daneben hatte sie Eier und junge Hühner (die ansonsten unter den Passiva selten erscheinen) erworben. Da sie auch viele Schulden in Tübingen hatte (also engere Beziehungen dorthin unterhalten haben muß), beschäftigte sie sich möglicherweise mit dem Verkauf derartiger Produkte auf dem Tübinger Markt. Übermäßig erfolgreich war sie dabei nicht. 130 Insgesamt bleibt der Eindruck ziemlicher Geschäftigkeit, wobei abgesehen vom Salzhandel und dem Hanfhandel Rudolph Bühlers die Gewinne eher gering gewesen zu scheinen - und das Risiko für Amateurhändler relativ hoch. 4.4.7. Geldleihe Am anderen Ende des sozialen Spektrums standen diejenigen, die das Verleihen von Geld in größerem Maßstab betrieben. 131 Die Listen der Schuldner des Hohenreuthiner Hofbauers Michael Kußmaul 132 und des Gebersheimer Schultheißen Johann Georg Schäufele 1 3 3 zeigen typische Merkmale. Beide Großgläubiger (Michael Kußmaul: 19846,5 fl; Johann Georg Schäufele: 21178,5 fl) hatten die verliehenen Summen in kleinen Portionen abgegeben, wobei sich die Schuldner auf das Heimatdorf des Gläubigers und die unmittelbaren Nachbardörfer konzentrierten. Während bei Schäufele sich keine nahen Verwandten unter den Schuldnern befanden (Georg Friedrich Kogel, der Sohn seiner Frau aus erster Ehe, Jacob Schmid, sein Schwiegersohn, und Friedrich Bolay, der die Schwester des ersten Ehemannes seiner Frau geheiratet hatte, gehören zu den Gebersheimern, die fehlen), hatte Michael Kußmaul erhebliche Summen an seine verheirateten Kinder Elisabeth Schwizler, Johann Philipp und Agnes Kußmaul ausgeliehen. Die Schäufele'sehe Verwandtschaft scheint über genug Kapital verfügt zu haben. Die ausgeliehenen Gelder wurden mit 5% (gemäß dem Landrecht) verzinst, 20000 fl warfen also 1000 fl jährlichen Zins als arbeitsfreies Zusatzeinkommen ab. Derartige Summen wurden allerdings nur dann ausgeliehen, wenn der Landbesitz wie bei Michael Kußmaul und Johann Georg Schäufele schon sehr umfangreich war. Für Michael Kußmaul als Besitzer eines geschlossen zu vererbenden

128 129 130 131 132 133

180

GA BON I 71 (Barbara Grade, 1709); I 92 (Jacob Grade, 1711) GA BON I 664 (Susanna Bühler, 1763) GA BON I 934 (Margaretha Luz, 1781) W.A.Boelcke, Entwicklung, S.325; G.Cabourdin, Gens, S.173f; G.Cabourdin, Paysans, S.42-45 GA BON I 1698 (Michael Kußmaul, 1819) HSTAS A 584 I 673 (Catharina Magdalena Schäufele, 1820)

Hofes war das Ausweichen auf die Geldleihe sicher auch deshalb attraktiv, weil er damit die Mittel bereitstellen konnte, um die Kinder abfinden zu können, die den H o f nicht erbten. Größere Summen wurden an Personen verliehen, die entsprechende Sicherheiten bieten konnten - wie den Rappenwirt Georg Friedrich Gieck, während an A r m e nur kleinere Beträge abgegeben wurden. 1 3 4 48 von 68 Gebersheimer Bürgern waren bei ihrem Schultheiß verschuldet, von den übrigen 20 waren einige verwandt, andere nicht kreditwürdig und die dritten hatten erst gerade eine selbständige Wirtschaft angefangen bzw. die ihre aufgegeben, so daß tatsächlich nur ein halbes Dutzend für Kredite in Frage kommender Haushalte nicht bei Schäufele Geld aufgenommen hatte. Die Geldleihe stabilisierte hier auch die lokale Machtstellung des Ortsvorstehers. Im Falle Michael Kußmauls, der als Hofbauer nicht Schultheiß werden konnte, wirkte sich das nicht aus, kam aber vielleicht seinem Bruder und seinem N e f fen, beides Bondorfer Schultheißen, zugute. Möglicherweise profitierte auch sein Sohn Johann Philipp von der Klientel seines Vaters: um 1820 wurde er kurzfristig Bondorfer Bürgermeister. Um die quantitative Bedeutung der Geldleihe genauer einschätzen zu können, wurden alle Aktiva und Passiva in den Eventual- und gleichgestellten Realteilungen der Jahre 17081713, 1730-1734, 1780-1784 und 1815-1819 in Bondorf erfaßt; Steuerschulden, Kapitalschulden, Kurrentschulden und Schulden aus Güterverkaufen wurden voneinander getrennt. Innerhalb der Kapitalschulden wurde differenziert, ob die Schulden bei Einwohnern Bondorfs oder außerhalb gemacht wurden. Dasselbe Verfahren wurde auch bei den Guthaben angewendet. Tab. 4.4.7.a. Guthaben und Schulden in Bondorf (ausgewählte Jahrfünfte) Art Jahrfünft 1730-1734 1708- 1713 1780-1784 1815-1819 abs. % abs. % abs. abs. % % Guthaben Steuer0,2 7,0 25,0 0,0 0,0 51,5 0,1 1,3 Kapital2432,5 63,5 623,5 31,1 4530,0 65,2 76,7 35546,0 Bondorf 1655,5 68,1 480,5 77,1 4175,5 92,2 22206,5 62,5 auswärts 777,0 31,9 143,0 22,9 354,5 7,8 13339,5 37,5 KurrentGüter-

826,0 568,0

21,5 14,8

411,0 946,0

20,5 47,2

608,0 1807,5

8,8 26,0

1630,5 9141,0

3,5 19,7

gesamt

3833,5

100,0

2005,5

100,0

6945,5

100,0

46369,0

100,0

Schulden SteuerKapitalBondorf auswärts

374,0 2782,0 1432,0 1350,0

7,7 57,5 51,5 48,5

997,0 4469,0 2009,5 2459,5

14,6 65,2 45,0 55,0

628,5 5479,5 2218,0 3261,5

8,1 70,9 40,5 59,5

1194,5 16907,0 8560,5 8346,5

4,9 69,3 50,6 49,4

KurrentGüter-

1278,0 404,0

26,4 8,4

895,0 487,5

13,1 7,1

1296,5 326,5

16,8 4,2

1784,5 4514,0

7,3 18,5

gesamt

4838,0

100,0

6848,5

100,0

7731,0

100,0

24400,0

100,0

134 v g l . H . P . U l l m a n n , Kapitalmarkt, S.81f zur Ausleihe gegen Schuldschein

181

1708-1713 wurden mithin 68,1% des verliehenen Kapitals an Bondorfer verliehen, nur 31,9% an Auswärtige, 1730-1734 77,1% an Bondorfer und 22,9% nach auswärts, 17801784 92,2% in Bondorf und 7,8% nach auswärts. 1815-1819 dagegen wurden nur noch 62,5% an Bondorfer, 37,5% aber an Auswärtige verliehen. Die lokale Orientierung der Geldverleiher verstärkt sich entgegen der Erwartung im Laufe des 18. Jahrhunderts, der Prozentsatz der letzten Periode beruht im wesentlichen auf der Geldleihe Michael Kußmauls, so daß kaum auf eine Änderung im frühen 19. Jahrhundert geschlossen werden kann. Absolut gesehen, ist die Verzehnfachung des verliehenen Kapitals zwischen 1730 und 1780 interessant, wobei die frühen 30er Jahre allerdings einen Tiefpunkt zu markieren scheinen. Auch der hohe Stand der Guthaben aus Güterverkäufen in diesen Jahren weist auf die massiven ökonomischen Schwierigkeiten hin, handelt es sich doch bei diesen nicht um "echte" Aktiva. Zu Güterverkäufen wurde in der Regel erst geschritten, wenn die Schuldenlast anders nicht mehr zu bewältigen war. Insgesamt reduziert sich der Anteil der Kurrentguthaben im 18. Jahrhundert deutlich, während der der Kapitalguthaben zunimmt, d.h. an die Stelle von ad hoc Krediten treten formalisierte Schuldner-Gläubiger-Beziehungen. Gleichbleibend hoch war im übrigen der Anteil der Gelder, der Verwandten zugute kam: 1708-1713 betrug er 31%, 1730-1734 43,6%, 1780-1784 45,6% und 1815-1819 32,5%. Während Geldverleiher also ihr Kapital vorzugsweise im Ort unterbrachten, entliehen die Bondorfer benötigtes Kapital auch auswärts: 50-60% der Schulden wurden nicht in Bondorf gemacht, wobei der Prozentsatz bis 1780-1784 leicht anzusteigen scheint, danach aber fallt. Wie bei den Guthaben reduziert sich der Anteil der Kurrentschulden. Noch nicht bezahlte Landkäufe machen vor 1800 nur einen kleinen Anteil aus, schlagen aber 1815-1819 stark zu Buche. Daß die Steuerschulden eine bedeutendere Rolle spielen als die entsprechenden Guthaben, wird niemand überraschen. Der Höchststand von 1730-1734 deutet wieder auf die wirtschaftlichen Schwierigkeiten dieses Jahrfünfts hin. Daß 1815-1819, einem ebenfalls schwierigen Jahrfünft, die Steuerschulden nur 5% aller Schulden ausmachten, läßt auf eine gestiegene Disziplin und einen stärkeren Zwang schließen, Schulden beim Staat rasch zu begleichen. Schulden wurden seltener bei Verwandten gemacht, als Guthaben an solche vergeben: 1708-1713 stammten 15,7%, 1730-1734 16,2%, 1780-1784 13,0% und 1815-1819 10,4% aller entliehenen Gelder von Verwandten. Relativ gering ist die Rolle jüdischer Geldverleiher (im Bondorfer Fall vor allem aus Baisingen): 135 1708-1713 waren nur 0,5%, 1730-1734 2,5%, 1780-1784 3,7% und 1815-1819 9,1% aller Passiva bei Juden aufgenommen worden. Rechnet man nur die Kapitalschulden, waren es 0,9%, 3,9%, 5,2% und 13,2%. Im gesamten 18. Jahrhundert spielen jüdische Geldverleiher mithin eine unwesentliche Rolle. Erst im frühen 19. Jahrhundert (und den Krisenjahren um 1817!) nahmen Bondorfer häufiger bei Juden Kredite auf. Nimmt man schließlich nur die auswärtigen Kapitalschulden als Basis, beträgt der Anteil, der von jüdischen Geldverleiher stammte, 1,8%, 7%, 8,7% und 25,7%. Mit einem Viertel aller auswärtigen Kapitalschulden war die Rolle der Baisinger Judenschaft 1815-1819 recht wichtig, 75% stammten aber dennoch von christlichen Geldver135 Im 16. Jahrhundert waren Geldgeschäfte mit Juden "um des gemeinen Nutzens willen" verboten: M.Brecht, H.Ehmer, Reformationsgeschichte, S.233

182

leihern. Ob es Unterschiede im Zinssatz gab, läßt sich anhand der Inventuren nicht feststellen, da dort für alle Kapitalien stets ein Zinssatz von 5% gerechnet wurde.

Tab. 4.4.7.b. Durchschnittlicher Besitz an Aktiva und Passiva pro Inventur. Bondorf Jahrfünft Aktiva Passiva N D N D 1708-1713 24 159,7 24 201,6 1730-1734 31 64,7 42 163,1 1780-1784 26 267,1 39 198,2 1815-1819 37 1253,2 50 488,0

Während die Passiva in Inventuren mit Schulden sich im Laufe des betrachteten Zeitraums nur verdoppeln, versechsfachen sich die Aktiva in Inventuren mit Guthaben. Rechnet man die jeweiligen Guthaben bzw. Schulden in Dinkel um, dann betrugen die Aktiva pro Inventur 1708-1713 57, 1730-1734 30, 1780-1784 84 und 1815-1819 219 Scheffel Dinkel, d.h. sie vervierfachten sich im Laufe des 18. Jahrhunderts. Die scharfe Reduktion 1730-1734 auf die Hälfte und der schnelle Anstieg (Verdreifachung) bis 1784 sind gleichfalls hervorzuheben. Die Passiva dagegen stagnieren fast: von 73 Scheffel Dinkel 1708-1713 erhöhen sie sich leicht auf 76 Scheffel 1730-1734, fallen auf 62 17801784 und steigen wieder auf 85 Scheffel 1815-1819. Diejenigen, die Aktiva besaßen, hatten am Anfang des 19. Jahrhunderts wesentlich mehr als 100 Jahre früher, die, die Schulden hatten, hatten nicht wesentlich mehr. 1 3 6 Wer waren nun diese Gläubiger? Die Liste der von Alt Michel und Maria Roll 1770 übergebenen Schulden zeigt einige charakteristischen Züge: Die großen Kapitalschulden entfallen auf Privatgläubiger aus Tübingen, 1 3 7 Nagold 1 3 8 und einigen mehr oder minder benachbarten Dörfern, 1 3 9 auf Institutionen wie die Heiligen von Bösingen und Emmingen und das Brollische Stipendium in Tübingen 1 4 0 und schließlich auf Bondorfer Bauern. 1 4 1 Anleihen bei zwei Bai singer Juden (Salomon und Joseph Kieffe) und dem Sohn Michel Roll bildeten den Rest. 1 4 2 Noch stärker war die Konzentration auf Tübingen bei Jüngst Hans Weinmar: von 1645 fl Kapitalschulden waren 1103 fl in Tübingen kontrahiert worden (600 fl allein beim Chirurg Brauch, 150 bei der Jungfer Cammererin, 200 beim Professor Harpprecht und 50 beim Expeditionsrat und Keller Schnell, dazu die jeweils noch rückständigen Zinsen). 1 4 3 Für große Summen blieben die städtischen Geldleiher bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die wichtigste Anlaufstelle: Bürgermeister Johannes Bühler 136 vgl. M.Burkhardt, K.Walter, Konstanz, S.138, 140f, 145f 137 G A BON I 773 (Alt Michel und Maria Roll): H. D. Hoffmanns Wittib: 102,5 fl, H. D. Frommann: 102,5 fl 138 ebd.: H. Jacob Harschen Wittib 223 fl 139 ebd.: Michel Bauren Kinder, Ergenzingen: 191 fl; Hans Jerg Mast, Rohrau: 4 1 , 5 fl; Hans Jacob Rempp, Oberöschelbronn: 19,5 fl; Johann Georg Weeber, Dettingen bei Urach: 125,5 fl 140 ebd.: Heiliger Bösingen: 163 fl; Heiliger Emmingen: 52 fl; Brollisches Stipendium Tübingen: 314,5 fl 141 ebd.: H. Bürgermeister Hans Philipp Kußmaul: 176,5 fl; Hans Michel Kußmaul, Bauer: 36 fl 142 ebd.: Salomon Kieffe: 116 fl; Joseph Kieffe: 4 1 , 5 fl; Michel Roll: 28 fl 143 G A BON I 532 (Jüngst Hans Weinmar, 1752)

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etwa hatte 1000 fl bei der Frau Pfistermeisterin Brumeinin in Bebenhausen, 1264,5 fl bei diversen Tübinger Bürgern, 473 fl in Nagold, 150 fl in Herrenberg und 73 fl in Rottenburg entlehnt. Daneben treten aber jetzt auch die Dörfer verstärkt auf: Christina Haarin aus Kuppingen hatte 391,5 fl gut, nach Altingen wurden 127 fl, nach Tailfingen 150 fl, nach Haßlach und Entringen je 105 fl, nach Ergenzingen 472,5 fl geschuldet. In Bondorf selber hatte Bühler nur 273 fl aufgenommen. 940,5 fl schließlich standen bei Baisinger Juden. 1 4 4 Ähnlich lagen die Verhältnisse bei Jacob Katz 1802, der allein 691,5 fl nach Nagold und 207,5 fl nach Tübingen schuldete, 648 fl aber immerhin in Bondorf. Daneben hatte er noch Gläubiger in Hochdorf (260,5 fl), Obeijettingen (302,5 fl) und Ergenzingen (191,5 fl). Auch Baisinger Juden waren mit 361 fl vertreten. 1 4 5 Entsprechend der oben gezeigten Tendenz nahmen die Schulden bei der Baisinger Judenschaft zu: Hans Scheurer hatte 1811 schon 707,5 fl dorthin zu entrichten, 467 fl nach Tübingen und 431,5 fl in kleinen Portionen in Bondorf selbst. 146 Andersherum verliehen im frühen 19. Jahrhundert die Dörfler aber auch Geld in die Städte (was vorher kaum der Fall gewesen war): nicht nur Michael Kußmaul und Johann Georg Schäufele hatten Aktiva in Nagold bzw. Leonberg, sondern auch Barbara Katz hatte 197,5 fl nach Nagold verliehen und Urban Weinmar 405 fl. 1 4 7 Selbst die Baisinger Juden bekamen aus Bondorf Kredite: der Orgelmacher Johannes Weinmar hatte 1795 336 fl an sie verliehen. 1 4 8 Dorf und Stadt verkehrten jetzt auf gleichem Fuß miteinander, während noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts Gläubiger in der Stadt und Schuldner auf dem Land gesessen hatten. 1 4 9 Größere Summen aber kamen noch immer aus der Stadt, da die dörflichen Gläubiger das Risiko durch Ausgabe kleinerer Darlehen streuten, zumal Insolvenzen nicht gerade selten waren, auch kleinere Schuldposten (unter Nachbarn) leichter zurückzufordern waren, ohne daß gleich die Obrigkeit bemüht werden mußte. 1 5 0 Schließt man aus der Anzahl der Schuldposten auf die Enge der wirtschaftlichen Beziehungen, dann unterhielt Bondorf mit Tübingen, Nagold, Herrenberg, auch Stuttgart, Wildberg und Horb enge Beziehungen. Für ganz große Summen hatte man sich offenbar nach Calw zu wenden. 1 5 1 Erst in den 1820er Jahren waren die Baisinger Juden zur Ausleihe von ähnlichen Summen in der Lage: Johann Michael Katz schuldete dem "H. Judenschultheiß Kiefe" von seinen 8973 fl Passiva 7169 fl. 1828 und 1829 hatte er Beträge von 2031 und 2763 fl verliehen. 152 Schon der Titel "Herr" ist für den Bedeutungszugewinn symptomatisch! Eine starke Position unter den dörflichen Gläubigern nahmen Ledige und Witwen ein: Ledige Kinder liehen ihren Eltern häufig von ihren Liedlöhnen kleinere (für die Betref144 145 146 147 148 149

GA BON I 1102 (Maria Regina Bühler, 1791) GA BON I 1359 (Anna Maria Katz, 1802) GA BON I 1529 (Hans Scheurer, 1811) GA BON I 1580 (Friedrich Johann Müller und Barbara Katz, 1814); I 1547 (Urban Weinmar. 1810) GA BON 1 1197 (Johannes Weinmar, 1795) vgl. W.A.Boelcke, Entwicklung, S.326, 332-335, 337, 338; W. von Hippel, Bevölkerung, S.434; G.Cabourdin, Paysans, S.18 150 vgl. J.Mooser, Klassengesellschaft, S.296f; D.W.Sabean, Schwert, S.22 151 GA BON I 1588 (Jacob Kußmaul, 1814): 6000 fl von Johann Martin Schill; I 1237 (Johannes Dupper, 1797): 2334 fl von H. Dörtenbach und 2618 fl von "H. Compagnieverwandten Schill". 152 GA BON I 1723 (Johann Michael und Anna Maria Katz, 1821); I 1897 (Anna Maria Mast, 1828); I 1933 (Christina Böckle, 1829)

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fenden allerdings: größere) Beträge an, 1 5 3 Pflegschaften spielten auf dem dörflichen "Finanzmarkt" eine wesentliche Rolle. 1 5 4 Witwen behielten ihre Aktiva meist auch dann noch, wenn sie ihre Liegenschaften schon übergeben hatten: die Pflugwirtswitwe Anna Maria Müller wie die Schultheißenwitwe Dorothee Weimar hatten etwa 2000 fl Aktiva (zumeist an ihre Kinder und Enkel) verliehen. 155 Ledige, auch wenn sie nicht gerade zu den wohlhabenden Einwohnern zählten, verliehen Geld: Catharina Rothfelder hatte 1751 135,5 fl ausgeliehen (bei 460 fl Gesamtvermögen), 156 Dorothea Bub 1785 238,5 fl (bei 316 fl Gesamtvermögen). 157 Mitunter verliehen Ledige ihre Ersparnisse auch an Fremde: Jung Hans Philipp Wörner etwa hatte 68,5 fl verliehen, Hans Jerg Weinmar 275 f l . 1 5 8 Pfarrer und Pfarrerswitwen betätigten sich als Kreditgeber: 159 Anna Kürner hatte 1711 1300 fl verliehen, 1 6 0 Jacob Andreas Majer 1755 200 fl, 1 6 1 Maria Veronica Pregizer 1796 mehr als 10000 f l , 1 6 2 Georg Ulrich Pregizer 1812 8600 f l , 1 6 3 Johann Friedrich Hailer 1817 2270 f l . 1 6 4 Johann Jacob Pommer, Pfarrer zu Gebersheim, hatte 6560 fl ausgeliehen. 1 6 5 Pfarrer und ihre Witwen unterschieden sich vom Rest der Gelder verleihenden Bevölkerung dadurch, daß sie eine Tendenz zu Krediten an staatliche Institutionen hatten: Anna Kürner hatte den Städten Wildberg, Tübingen und Herrenberg Geld geliehen, Veronica Pregizer dem Schwäbischen Kreis (1000 fl), der Herzoglichen Generalkasse (1000 fl) und dem Herzog (250 fl), Georg Ulrich Pregizer der "Herrschaft" (4000 fl) und dem Bürgermeisteramt Holzhausen (600 fl), Johann Friedrich Hailer der Staatskasse (1250 fl). Johann Jakob Pommer hatte 2300 fl an den Schwäbischen Kreis vergeben, 600 fl an die Contributionskasse und 50 fl an das Bürgermeisteramt Gebersheim, was bei den übrigen Einwohnern so gut wie nie der Fall war. Die 800 fl, die Johann Georg Schäufele der Amtspflege Leonberg geliehen hatte, waren eine Ausnahme. 1 6 6 Wie in diesem letzteren Fall trug die Geldleihe der Pfarrer auch zur Sta-

153 vgl. G A BON I 224 (Anna Maria Kußmaul, 1731); I 232 (Catharina Mast, 1731); I 311 (Sebastian Weinmar, 1736); I 668 (Christian Wörner und Maria Barbara Schäffer, 1763); I 692 (Jacob und Anna Maria Haller, 1765); I 841 (Jacob Haller, 1775); I 1012 (Hans Jacob Weimer, 1785) 154 vgl. G A BON I 1580 (Friedrich Johann Müller und Barbara Katz, 1814): die Katz'sche Pflegschaft verfügte über 8976 fl Aktiva, wovon 8242 fl in Bondorf verliehen waren; vgl.a. H . P . U l i m a n n , Kapitalmarkt, S.84 155 G A BON I 1277 (Anna Maria Müller, 1799); 1 1471 (Dorothee Weimar, 1808) 156 GA BON I 514 (Catharina Rothfelder, 1751) 157 G A BON I 1004 (Dorothea Bub, 1785) 158 G A BON 1 695 (Jung Hans Philipp Wörner und Barbara Gengenbach, 1765); I 1016 (Hans Jerg Weinmar, 1785); vgl. a. 1 490 (Hans Kußmaul (Jacobs Sohn) und Barbara Schlayer, 1749); I 856 (Michel Wörner und Catharina Gauß, 1776); 1 1046 (Ursula Schlayer, 1788): Anleihe von 75 fl vom ledigen Knecht Hans Bühler. 159 vgl. G.Cabourdin, Paysans, S.39f 160 G A BON I 94 (Anna Kürner, 1711) 161 G A BON I 563 (Jacob Andreas Majer, 1755) 162 G A BON I 1208 (Maria Veronica Pregizer, 1796) 163 G A BON I 1553 (Georg Ulrich Pregizer, 1812) 164 G A BON I 1669 (Johann Friedrich Hailer, 1817) 165 HSTAS A 584 I 594 (Johann Jacob Pommer, 1804) 166 abweichend offenbar das Verhalten vor 1635: GA BON I 9 (Jacob Dußling, 1635); spätere Ausnahme: I 56 (Jacob Bruckner, 1708); vgl. W.A.Boelcke, Entwicklung, S.336f; vgl.a. H . P . U l l m a n n , Kapitalmarkt, S.84f zur Geldleihe Frankfurter Bürger

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bilisierung von deren Einfluß in der Gemeinde bei, arme Pfarrer, die nichts auszuleihen hatten, hatten es schwerer. 167 Aber auch andere Bürger konnten die Kreditvergabe einsetzen, um sich ihre Mitbürger zu verpflichten. Die zinslosen Darlehen, die August Hoffacker und Anna Maria Gauss dem Taglöhner Johann Georg Weinmer (99 fl) und Barbara Gengenbach dem Johannes Jedele (24 fl) gewährt hatten, mögen ihren Grund in den Arbeitsbeziehungen gehabt haben: der Versuch, einen bestimmten Taglöhner dauerhaft an sich zu binden. 168 Ansonsten war es für manche Dorfbewohner nicht leicht, Kredite zu bekommen: z.B. hatte Johannes Mast Geld bei Anna Maria Gauss für Johannes Scheurer entlehnt, 169 wohl weil Scheurer schon stark verschuldet war. Schließlich war eine Anleihe auch ein Mittel, verhältnismäßig billig Land zu erwerben. Bei manchen Schuldverweisungen wurden den Gläubigern die Liegenschaften des Schuldners eingeräumt, auf die ihre Kredite ohnehin meist versichert waren. 170 Die Gründe, eine Anleihe aufzunehmen, waren vielfältig: zur Bezahlung von Steuern, 171 zur Anschaffung von Vieh, 1 7 2 zum Hausbau oder -kauf, 173 vor allem aber zum Kauf von Äckern und Wiesen. 1 7 4 Selbst die Bestreitung der Kosten eines Chirurgenexamens oder eines Scortationshändels konnte zu Anlehnungen führen. 175

167 HSTAS A 281 Bü 619 (Visitationsberichte der Superintendenz Herrenberg, Mötzingen, 1763-1806): Berichte von 1783, 1784, 1785, 1790, 1791 168 GA BON I 1681 (Johann Georg Weinmer, 1818); I 1612 (Barbara Gengenbach, 1815) 169 GA BON I 1529 (Hans Scheurer, 1811) 170 GA BON I 69 (Maria Hägelin, 1709); I 209 (Conrad Gengenbach, 1730); I 1569 (Ursula Wörner, 1813); HSTAS A 584 I 145-155 (alle von 1652-1655); I 229 (Michel Meudele, 1724); I 327 (Stephan Funckh, 1755); I 331 (Catharina Deeg, 1756); Hans Jerg Leibfarth hatte Geld auf Pfänder ausgeliehen, ein einmaliger Fall (HSTAS A 575 I 50 (Hans Jerg Leibfarth, 1758)); vgl. Zweites Landrecht vom 1.7.1567, in: Reyscher IV, S.279f; Drittes Landrecht vom 1.6.1610, in: Reyscher V, S. 160-162; G.Cabourdin, Paysans, S.63 171 GA BON I 174 (Maria Stehle, 1727) 172 GA BON I 87 (Jacob Scheurer, 1710); I 309 (Hans Jerg Schantz, 1736) 173 GA BON I 336 (Christina Fortenbacher, 1738); I 675 (Jacob Katz und Anna Maria Fortenbacher, 1763); I 897 (Hans Böckle und Christina Breuning, 1778) 174 GA BON I 379 (Margaretha Wemer, 1741); I 776 (Remigius Mast und Anna Maria Breuning, 1771); I 1081 (Jung Hans Martin Müller und Maria Barbara Kaz, 1790); I 1102 (Maria Regina Bühler, 1791); I 1134 (Johannes Bruckner und Christina Werner, 1792) 175 GA BON I 340 (Georg Friedrich Buob und Anna Maria Freyberger, 1738); I 830 (Jacob Kußmaul und Regina Rauser, 1774)

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4.5. Zehnten, Abgaben und Steuern Während bislang stets von der Seite des Dorfes ausgegangen und dieses fast als autonom gesetzt wurde, soll nun die äußere Einbindung des Dorfes in den Mittelpunkt gerückt werden. Im Unterschied zu den Steuern wurden die Zehnten und die Feudalabgaben bereits gestreift. 1 Der große Fruchtzehnt fiel dem Kloster Bebenhausen zu: "Der Große Fruchtzehend zu Bohndorff, von allen Aeckheren, so fern und weit deßelbigen Fleckens Marckung, Zwäng, und Bänn gehet, und begriffen seynd, nehmlich an Waizen, Rockhen, Habern, Gersten, Ehmer, Erbiß, Linsen, Wickhen, Bohnen, und allem andern, waß der Halm trägt, und der Große Zehnt ist, und genandt wird, gehört dem Closter Bebenhaußen, und in deßen Nahmen der Pfleeg Roseckh, (außgenommen der Novalien, welche seith anno p. 1553 der Herrschafft Württemberg in Dero Kellerey Nagold, in Kraft der Lands Fürstl. Obrigkeit zuständig) durchauß unzertheilt, gar und allein zu. Und wird die Zehend Garb auf dem Feld zu Zehenden gegeben, und solcher Große Zehend in deß Closters Bebenhausen, oder der Pfleeg aigenen Casten gesammlet, eingeführt und außgetroschen." 2 Einige Ackerstücke allerdings gaben nur den halben Zehnt (die zwanzigste Garbe), andere waren völlig befreit: das erste betraf 3,5 Jauchert ( = 5,25 Morgen), das zweite 1 Jauchert ( = 1,5 Morgen) Acker. Der befreite Jauchert hatte Wiesenrecht. 3 Der Heuzehnt gehörte der Pfarrei: "Die Pfarr zu Bohndorff hat von allen Wiesen, Bohmgärdten und Graßgärdten in Bohndorffer Zwäng und Bänn gelegen den Heuzehend allein und sonst niemand zu empfehen." 4 Einige Stücke waren wieder exemt, was zu Streitigkeiten zwischen Pfarrer und Widdumbauern führte. 5 Ebenso fiel der kleine Zehnt an die Pfarrei: "Der Kleine Zehnt von Hanfff, Flax, Obs, Rüben, Krauth, Zwibel etc. uß allen Güthern, so fern und weith des Fleckhen Bohndorff Marckhung, Zwäng, und Bänn gehen, gehört ... der Pfarr allein zu ,.." 6 Der kleine Zehnt läßt sich leider nicht quantifizieren. Aus wenigen Schuldposten zusammengetragen, scheint er dem Pfarrer etwa 0,3 fl pro Viertel Wiese und Garten eingebracht zu haben, was auf einen Rohertrag von 3 fl pro Viertel hinauslaufen würde. Dies scheint wiederum mit den Steuereinschätzungsakten, wo der Ertrag der Wiesen auf 0,75 fl pro Viertel und der der Gärten auf 1,31 fl pro Viertel beziffert wurden, nicht zu vereinbaren, wobei die Steuereinschätzungsakten allerdings nur den Heu- und Öhmdertrag angeschlagen hatten, nicht aber die anderen Gartenprodukte. 7 Außerdem rechnete die

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vgl. D.W.Sabean, Schwert, S. 15 H S T A S H 102/8 Bd 129 (Erneuerung über Bondorf, 1711), fol. 15V-R ebd., fol. 16V-R ebd., fol. 23V ebd., fol. 26V-31V; s.a. HSTAS A 284/68 Bü 63 (Wickenzehnt von Wurmfelden und Reuthin, Bondorf, 1758-1759 und Zwetschgenzehnt, Bondorf, 1663) ebd., fol. 32V-R; dies deckt sich mit den allgemeinen Verhältnissen in Württemberg: D.W.Sabean, Schwert, S.16 GA BON I 58 (Hans Schlayer (Michels Sohn), 1708): 3 fl 10 x auf 9,04 Viertel Wiese und Garten, d.h. 0 , 3 5 fl/V; I 847 (Veit Schmid, 1775): 4 fl auf 14,5 Viertel, d.h. 0,276 tl/V; I 932 (Johann Michel Kußmaul, 1780): 4 fl 49 x auf 15,25 Viertel, d.h. 0,316 fl/V

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Steuereinschätzung mit außerordentlich niedrigen Preisen, so daß sich ein Teil der Differenz auch hieraus erklärt. Mit Ausnahme der geringfügigen Freistellungen betraf der große und kleine Zehnt sowie der Heuzehnt also 10% der dörflichen Agrarproduktion.8 Vielfältiger und variabler als der Zehnt waren die Gülten und Zinse, die Abgaben aus der Leibherrschaft, der Grundherrschaft und der Vogtei, zusammengefaßt als Feudalabgaben. 9 Soweit diese Abgaben am Boden hafteten, waren sie fixiert, was vor allem bedeutet: sie waren nicht zu erhöhen. 10 Außerdem waren sie unabhängig vom Ertrag der Ernte (im Unterschied zum Zehnten), womit sie in Jahren guter Ernten weniger schwer wogen als in Jahren schlechter Ernten, von Ertragssteigerungen nicht profitierten und unter Ertragsminderungen nicht litten. Im Rahmen der Steuereinschätzung wurden auch sie genau ermittelt, da sie vom Rohertrag abgezogen wurden, bevor die Liegenschaften zur Steuer veranlagt wurden.

Tab. 4.5.a. Gülten pro Viertel nach den Steuereinschätzungsakten Gülten pro Ort und Art des Rohertrag Landes pro Viertel Viertel Bondorf Äcker 0,085 0,825 0,097 Wiesen 0,75 Gärten 0,086 1,31 Gebersheim 0,917 Äcker 0,068 Wiesen 0,662 0,103 Weingärten 1,531 0,044 Länder 0,966 0,060 Gärten 0,750 0,088 Gruorn Äcker 0,500 0,039 0,904 0,104 Wiesen 0,021 Mäder 0,146 0,984 Gärten 0,060

% Gülten vom Rohertrag 10,3 12,9 6,6 7,4 11,2 2,9 6,2 11,7 7,8 11,5 14,4 6,1

Die Ergebnisse sind, mit der üblichen Vorsicht bewertet, recht konsistent. Die höheren Prozentsätze der Wiesen mögen auf einer Unterschätzung des Rohertrags beruhen, wie oben erwähnt. 8 - 10% des Ertrags der Äcker (nach Abzug des Zehnts!) gingen für diese

8 9 10

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zum Zehnten s. T.Knapp, Gesammelte Beiträge, S.151-158; T.Knapp, Neue Beiträge I, S.105-107; T.Knapp, Neue Beiträge II, S.17; W. von Hippel, Bauernbefreiung I, S.209-228 zu Gülten vgl. T.Knapp, Gesammelte Beiträge, S. 191-202; T.Knapp, Neue Beiträge I, S. 108-113 F.Lütge, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, S. 115-117 zur "versteinerten Grundherrschaft" Südwestdeutschlands

Gülten und Zinse ab. 1 1 Teilweise schwerer noch scheint die Belastung in den Dörfern des Herrenberger Amts gewesen zu sein: in Tailfingen wurden 12,7% des Ertrags der Äcker abgezogen, in Nebringen 17,1%. Mötzingen dagegen kam besser weg als die anderen Dörfer: nur 5,2% mußten hier vom Rohertrag der Äcker auf die Gülten verwendet werden. Die Belastung der Gärten und Wiesen lag generell bei 13-16%, also auch etwas höher als in den obigen Dörfern. 1 2 Schon 1630 klagten die Herrenberger über die "yber auß großen und dißer betriebten Läufften schier unträglichen Güllten". 1 3 Für die einzelnen Grundbesitzer konnten sich erhebliche Abweichungen vom Durchschnitt ergeben. Im Herrenbergischen, wo die Lehenhöfe als geschlossene Einheiten zur Steuer veranlagt wurden und für jeden Erträge und Abgaben abgeschätzt wurden, schwanken in Nebringen die Anteile der Abgaben an den Roherträgen der Äcker zwischen 0,5 und 30%, wobei Prozentsätze zwischen 10 und 20% am häufigsten waren. In Tailfingen lagen die Verhältnisse ähnlich: es ergaben sich Schwankungen zwischen 3 und 4 0 % . 1 4 Für Bondorf ließ sich die Belastung mit Gülten anhand einiger Beispiele abschätzen: Immer zu konstanten Preisen (1 Scheffel Dinkel = 2 fl) berechnet, lasteten 1636 in einem Fall auf einem Viertel Acker 0,121 fl, 1 5 1726 0,035 fl,16 1727 0,107 fl und 0,112 fl, 1 7 1736 0,025 fl und 0,117 fl, 1 8 1738 0,070 fl,19 1775 0,061 fl, 2 0 1778 0,081 fl 2 1 und 1797 0,12 fl. 2 2 Auch hier schwankte also die Belastung um das Vierfache. Die Gülten wurden im Bondorfer Fall als außerordentlich hoch eingestuft und als entsprechend beschwerlich empfunden: "Nachdeme schon gedachte Wittib in ansehung ihres herannahenden alters, und bey demselben sich immerzu vermehrender Leibes Schwachheiten sich schon einige Zeit her gänzlich auser Stand befunden, ihren mehistens mit ohnerträglichen Gülten beschwehrten Feldgüthern der Behörde nach vorzustehen und die hartte labores

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vgl. P.Steinle, Vermögensverhältnisse, S.50 für Hohenlohe (1,5 - 2,4%); W. von Hippel, Bauernbefreiung I, S. 125; D.W.Sabean, Schwert, S.15 HSTAS A 261 Bü 1062 (Protokoll über die Untersuchung der Steuersubrevision von 1729, Herrenberg, 1737); für Nebringen wurde die Schätzung des Jahres 1729 übernommen, da 1737 sich der unrealistische Wert von 33% des Rohertrags ergab, der auch mit allen früheren Schätzungen in Gegensatz steht: HSTAS A 261 Bü 1058 (Steuersubrevisionsrelation, Herrenberg, 1729) HSTAS A 261 Bü 1051 (Errichtung des Steuerfußes, Herrenberg, 1629), Sehr. v. 28.7.1630; 1629 hieß es, daß mancher Lehenhof 20 oder 30 Scheffel "rauer" Frucht reichen müsse (HSTAS A 261 Bü 1051, Sehr. v. 6.10.1629); auf den Dörfern sei jeder Morgen mit 5, 6 bis 8 Simri Roggen Gült belastet (A 261 Bü 1051, Sehr. v. 25.6.1655); vgl. W. von Hippel, Bauernbefreiung I, S. 125-131 HSTAS A 261 Bü 1053 (Summarische Tabellen zur Steuerrevision, Herrenberg, 1720); vgl. W. von Hippel, Bauernbefreiung I, S.98; W. von Hippel, Bauernbefreiung II, S.772-786 GA BON I 5 (Hans und Adelheit Pruckner, 1636) GA BON I 158 (Maria Schmid, 1726) GA BON I 176 (Jacob Abraham Rudolph und Anna Maria Bräuning, 1727): Güter des Mannes und Güter der Frau getrennt berechnet! GA BON I 304 (Benedict Weimar, 1736); I 306 (Cathanna Faißler, 1736) GA BON I 329 (Jacob Bühler, 1738) GA BON I 845 (Maria Bihler, 1775) GA BON I 880 (Maria Magdalena Breuning, 1778) GA BON I 1246 (Appollonia Werner, 1797)

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darauff zu versehen ... ", entschloß sie sich zur Übergabe an ihre Kinder. 23 In Gruorn mußten von 60 Scheffel Dinkel 7 (also 11,7%) für Gülten u.ä. verwandt werden. 24 Nur wenig belastet mit derartigen Abgaben waren die Häuser: 1734 lasteten auf den 159 Gebäuden Bondorfs 94,5 fl Gülten, d.h. 0,59 fl pro Gebäude. In Mötzingen war die Belastung mit 0,35 fl pro Haus geringer, in Tailfingen etwa gleich hoch. 25 Wie kompliziert das System dieser Gülten war, läßt sich gut am Beispiel des Bauern Hans Michel Kußmaul (Jacobs Sohn) zeigen, dessen Vermögen 1780 inventiert wurde. 26 Hans Michels Grundbesitz umfaßte 114 Morgen in 223 Parzellen. 125 Parzellen entrichteten Gülten und Zinse, die übrigen waren eigen. Nicht weniger als 32 Institutionen, Lehen und Trägereien empfingen von Hans Michel Kußmaul Abgaben, wobei der Bogen vom Kloster Reuthin bis zum Karmeliterkloster Rottenburg, von der Widdum bis zum Spital Tübingen und vom "Ruoplin Meyen Lehen" bis zu "Hans Kazen Trägerei" reichte. Manche Parzellen gülteten an zwei verschiedene Institutionen. Aus einem Landstück von drei Vierteln in der Zeig Oschelbronn erhielten z.B. die Verwaltung Tübingen und das Spital Rottenburg zusammen drei Vierling Roggen. Die beiden Häuser des Bauern bezahlten 6 x 3 h, 50 Eier und zwei junge Hühner an das Kloster Reuthin, 1,5 Simri Hafer, ein altes und drei junge Hühner an die Verwaltung Nagold und 1 x 3 h an die Pflege Roseck des Klosters Bebenhausen.27 Dieses komplexe Abgabensystem war bei Erbteilungen selbstverständlich zu berücksichtigen, um die Lasten auf die Erben gleichmäßig zu verteilen, was sich durch Teilung der entsprechenden Grundstücke und der darauf lastenden Abgaben am einfachsten bewerkstelligen ließ. So wurden nicht nur bei jeder Erbteilung die Parzellen kleiner, sondern auch das Abgabensystem komplexer. Auch von Seiten der Feudalherren erforderte dieses Abgabensystem Anstrengungen. An festen Gülten erhielt beispielsweise das Kloster Bebenhausen aus Bondorf jährlich 12 fl an Hellerzins, 1,5 Scheffel Kernen, 90 Scheffel Roggen, 24,3 Scheffel Hafer, 6 Simri Erbsen, 8,5 Gänse, 19 alte und junge Hühner, 1021 Eier. Hellerzinse, Getreidegülten und Gänse waren auf Martini fällig. Hühner und Eier verteilten sich über das Jahr (Fastnacht, Ostern, Michaelis, Martini). 28 Die Kellerei Nagold bezog 79,3 fl an Geld, 3,4 Scheffel Kernen, 84,1 Scheffel Roggen, 1 Scheffel Erbsen, 11,6 Scheffel Hafer, 2 Gänse, 23 Hühner und 286 Eier. Die Termine waren die gleichen wie beim Kloster Bebenhausen. 29 23 24 25

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GA BON I 384 (Ursula Wömer, 1741); vgl. a. HSTAS A 261 Bü 1269 (Steuersubrevisionsrelation mit Beilagen, Nagold, 1734), Sehr. v. 7.1.1731 HSTAS A 575 I 152 (Margaretha Blehr, 1790) HSTAS A 261 Bü 1266 (Untersuchung über die Steuersubrevision von 1730, Nagold, 1734) für Bondorf, Bü 1055 (Summarische Tabellen zur Steuerrevision, Herrenberg, 1720) für Mötzingen, Bü 1053 (Summarische Tabellen zur Steuerrevision, Herrenberg, 1720) für Tailfingen GA BON I 925 (Hans Michel Kußmaul (Jacobs Sohn), 1780) Andere Beispiele belegen dasselbe: GA BON I 926 (Johann Adam Schöllhammer und Anna Maria Wörner, 1780); I 927 (Barbara Wörner, 1780); I 928 (Ludwig Wörner und Barbara Weinmer, 1780); I 929 (Hans Michel Bruckner und Maria Catharina Nill, 1780); I 930 (Johann Jacob Wörner und Margaretha Seele, 1780); I 931 (Anna Müller, 1780); I 932 (Johann Michael Kußmaul, 1780) usw. HSTAS H 102/8 Bd 129 (Erneuerung über Bondorf, 1711), fol. 389V - 401R HSTAS H 101 Bd 1201 (Lagerbuch der Verwaltung Nagold, 1682), fol. 727V - 729V; auswärtige Herrschaften hatten mitunter Schwierigkeiten beim Einzug ihrer Gülten: Sebastian Breuning aus Bondorf hatte drei Jahre lang seine Gülten an die Kommende Rexingen nicht bezahlt (HSTAS A 206 Bü 3957 (Gültrückstand des Sebastian Breuning, Bondorf, 1608)). Vgl. dazu Komwestheim: W. von Hippel, Bauernbefreiung II, S.23f

Die Abgaben aus der Personalleibeigenschaft waren offenbar eher gering: z.B. hatte jede leibeigene Person, die "dem Closter Bebenhausen mit Leib zugethan", diesem eine Leibhenne jährlich zu reichen. Dasselbe galt für die Leibeigenen der Kellerei Tübingen, wobei Frauen in Jahren, in denen sie Kindbetterinnen waren, diese Henne nicht entrichten mußten. 3 0 Heiratete einer seiner Leibeigenen, erhielt das Kloster Bebenhausen eine Salzscheibe von jedem. 3 1 Lukrativer war allenfalls das Hauptrecht: "Von einer jeden Mannß Person zu Bohndorff geseßen, dem Closter Bebenhausen mit Leib angehörig, wann die mit Tod abgehet, so gefällt ermeldtem Closter zu Haupt Recht allwegen von Hundert Pfund Werth seines aigen verlaßenen Guths Ein Gulden Landswährung. Und von einer abgestorbenen Leibaigenen Frauen Person gefällt dem Closter Bebenhausen von jeedem Pfund Werth, ihres aigenen verlaßenen Guths zu Haupt Recht Ein Pfund Landswährung." 3 2 Personalleibeigene, die der Kellerei Nagold zugehörig waren, hatten als Hauptrecht beim Tod von Männern das beste Stück Vieh und Wehr und Waffen, beim Tod von Frauen das beste Oberkleid abzuliefern, allerdings nicht in natura, sondern die entsprechende Summe an Geld. Leibeigene der österreichischen Herrschaft Rottenburg mußten 1 fl von 100 fl Vermögen bezahlen, wobei dieses Hauptrecht erstmals 1750 berechnet und abgeführt wurde. Vorher hatte es stets geheißen, die Höhe dieses Hauptrechts sei unbekannt, weshalb es nicht berechnet werden könne. 3 3 Die Lokalleibeigenschaft, der alle Einwohner Bondorfs unterworfen waren, erhob als Hauptrecht - wie das Kloster Bebenhausen - 1 fl von 100 Pfund Heller Vermögen, d.h. 1,4% des Vermögens. Die Rottenburgischen Leibeigenen kamen auch nach 1750 mit 1% etwas besser weg. Das Besthaupt dagegen wog oft sehr schwer und übertraf das Lokalhauptrecht erheblich: Im Extremfall war das Hauptrecht höher als das hinterlassene Vermögen, wie im Falle Hans Michel Schlaiers, der nur 33 fl Vermögen hinterließ, dessen bestes Pferd aber 108 fl wert war und dessen Erben (nach einer Entscheidung des Oberamts Nagold) tatsächlich diese 108 fl als Hauptrecht zu entrichten hatten. 3 4 Zu ähnlichen Mißverhältnissen (diesmal aber zugunsten der Erben) konnte es beim Bestkleid

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HSTAS H 102/8 Bd 129 (Erneuerung über Bondorf, 1711), fol. 50V; GA BON I 293 (Anna Böckle, 1736): Anna Böckle schuldete 1730-1734 der Kellerei Tübingen eigentlich fünf Leibhennen, wegen dreier Kindbetten aber nur zwei. Vgl. T.Knapp, Gesammelte Beiträge, S.8-12; zur Leibeigenschaft allgemein: T.Knapp, Gesammelte Beiträge, S.85-95, 226-232, 346-388; T.Knapp, Neue Beiträge I, S. 128-136; W. von Hippel, Bauernbefreiung I, S. 143-172; W.Troßbach, Leibeigenschaft, passim; K.Andermann, Leibeigenschaft, passim (mit weiterer Literatur) HSTAS H 102/8 Bd 129 (Erneuerung über Bondorf, 1711), fol. 51V, s.a. fol. 389R - 390V HSTAS H 102/8 Bd 129, fol. 49V-R; vgl. T.Knapp, Gesammelte Beiträge, S. 12-15 (Heilbronn erhob bis ins 18. Jahrhundert 10% des Vermögens); P.Steinle, Vermögensverhältnisse, S.57 (1,5 - 15% des Vermögens in Hohenlohe); J.Mooser, Klassengesellschaft, S.99f GA BON I 440 (Hans Jerg Kußmaul, 1746); I 491 (Alt Jacob Egeler, 1749); I 463 (Anna Maria Beckle, 1747); I 480 (Anna Maria Bühler, 1749); I 513 (Hans Bühler, 1750); auch die Personalleibeigenen der österreichischen Herrschaft Hohenberg bezahlten vor 1750 nichts: I 464 (Catharina Weimar, 1747) GA BON I 1235 (Alt Hans Michel Schlaier, 1797): das groteske Mißverhältnis kam dadurch zustande, daß die Schlaierschen Eheleute zwar 5900 fl Vermögen besaßen, aber 18700 fl beigebracht hatten, wobei das Beibringen der Ehefrau über 12200 fl betrug, das des Mannes aber "nur" 6500. Nach Abzug der hälftigen Einbuß blieben von seinem Vermögen eben nur noch die genannten 33 fl übrig, die seine Witwe als Hauptrecht bezahlen wollte, was zur Appellation an das Oberamt führte.

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kommen: Barbara Gengenbach hinterließ ihrer einzigen Tochter ein Vermögen von 21840 fl, als Hauptrecht mußten 8 fl 50 x bezahlt werden, da Barbaras Kleider nicht mehr viel wert waren! 35 Die Praxis, bei personalleibeigenen Personen zusätzlich auch das Lokalhauptrecht einzuziehen, 36 1760 eingeführt und 1762 modifiziert, 37 stieß 1780 auf Widerstand: bei der Erbteilung des Pflugwirts Hans Martin Müller protestierten die Erben gegen die doppelte Berechnung des Hauptrechts und beriefen sich auf das Lagerbuch und den noch anhängigen Prozeß, den die Erben von Hans Jacob Bühlers Eheweib gegen dieses Verfahren angestrengt hatten. 38 Der Widerspruch scheint erfolgreich gewesen zu sein, später wurde nur noch ein Hauptrecht berechnet. 39 Die Protestierenden und Prozessierenden gehörten übrigens alle zur Bondorfer Oberschicht. Fronen 40 wurden in Kriegszeiten wichtig: am 1.11.1796 stellte Gebersheim einen zweispännigen Wagen zum Transport von Hospitalbetten von der Solitude nach Bietigheim, am 5.1.1797 zwei angeschirrte Pferde zum Transport eines Geistlichen von der Solitude nach Calw, am 15.2.1797 einen zweispännigen Wagen zum Transport von Kranken und Verwundeten auf die Solitude, am 4.9.1801 wieder einen zur Transportierung von Spitaleffekten auf die Solitude. 41 Allerdings wurden diese Fronen den Bauern, die ihre Pferde stellten, aus der Gemeindekasse bezahlt, waren also letztlich eine Art von Steuer. 42 Das variabelste Element stellten die Steuern dar. Leider verfügte nur Gebersheim über eine lange Serie von Bürgermeisterrechnungen, aufgrund derer sich die eingezogenen Steuern ermitteln lassen. Kernelement des staatlichen Steuersystems war schon in den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts die Ordinari-Steuer, die auf dem Immobilienbesitz (und nach der Steuerrevision des 18. Jahrhunderts auch auf den Handwerkervermögen) 35

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GA BON I 1612 (Barbara Gengenbach, 1815); zur Bedeutung der Abgaben aus der Leibeigenschaft für die Herrschaft s. W.Troßbach, Leibeigenschaft, S.8lf; K.Andermann, Leibeigenschaft, S.297f; G.Cabourdin, Paysans, S.77-81 s. z.B. GA BON I 796 (Anna Bruckner, 1773); I 803 (Hans Lutz, 1773); I 804 (Hans Weinmar, 1773); I 807 (Maria Böckle, 1773); I 845 (Maria Bihler, 1775); auf ausdrücklichen Befehl des Herzogs wurde in Gruorn 1773 sowohl das Hauptrecht aus der Personal- wie der Lokalleibeigenschaft berechnet: HSTAS A 575 I 105 (Matthäs Blehr, 1773) zur Praxis vor 1760: s. z.B. GA BON I 515 (Anna Maria Wörner, 1751); I 529 (Jacob Kußmaul, 1752); I 547 (Michel Gengenbach, 1753); vgl. HSTAS A 213 Bü 4643 (Berechnung des Hauptrechts, Bondorf, 1762), Reskript vom 7.2.1760 (Hauptrecht soll doppelt eingezogen werden), Supplik vom 19.1.1762 (Bitte von Schultheiß, Gericht und Rat zu Bondorf, es bei der alten Observanz zu belassen), Reskript vom 23.2.1762 (wenn Personalleibeigenschaft und Lokalleibeigenschaft gegenüber dem Haus Württemberg besteht, soll nur ein Hauptrecht berechnet werden). Das Rosecker Personalhauptrecht wurde dennoch doppelt berechnet. GA BON I 918 (Hans Martin Müller, 1780); I 890 (Maria Bühler, 1778). 1779, als die Mutter des Hans Martin Müller, ihr Vermögen an ihre Kinder übergeben hatte, waren beide Hauptrechte noch ohne Protest akzeptiert worden: I 901 (Anna Maria Müller, 1779); auch bei der Eventualteilung von Maria Kußmaul gab es Protest: I 933 (Maria Kußmaul, 1780) s. z.B. GA BON I 965 (Martin Breuning, 1783); I 968 (Rosina Weinmar, 1783); I 1036 (Hans Kaz, 1787); I 1039 (Anna Maria Kußmaul, 1787) vgl. W. von Hippel, Bauernbefreiung I, S. 184-193 HSTAS A 584 provis. A 36 (Fronen, 1796-1801) zu Fronen: T.Knapp, Gesammelte Beiträge, S. 131-149; vgl.a. HSTAS A 261 Bü 1269 (Steuersubrevisionsrelation mit Beilagen, Nagold, 1734), Sehr. v. 7.1.1731

basierte. 43 Das Amt erhob den Amtsschaden, um seine Ausgaben zu decken; die Gemeinde finanzierte sich aus den "Commungütern", reichten deren Erträge nicht aus, legte sie einen Fleckenschaden um. Amts- wie Fleckenschaden wurden parallel zur Ordinari-Steuer verteilt. Während Gebersheim seit den 1650er Jahren die Steuern des Amtes umzulegen hatte, wurde ein Fleckenschaden zum ersten Mal 1697/1698 erhoben. Zu diesen Vermögenssteuern kam das Bürgergeld als Kopfsteuer: in Gebersheim bezahlte jeder Bürger 45 x, jede Witwe 22,5 x, in Bondorf die ersteren 1 fl, die letzteren 30 x. Dazu kam weiter die Schulmeisterbesoldung, die ebenfalls unabhängig vom Vermögen pro Kopf der Bürger und Witwen eingezogen wurde. Zu diesem Kernbestand an Steuern traten außerordentliche Umlagen, die in der Regel analog der Ordinari-Steuer umgelegt wurden: die Kriegssteuern des Dreißigjährigen Krieges, die Contributionen, Quartierkosten, 44 Kriegsanlagen auch aller folgenden Kriegsperioden, 45 Türkenschatzungen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, Winter- und Sommeranlagen des 18. Jahrhunderts (die bald jedes Jahr erhoben und so "ordentlich" wie die Ordinari-Steuer wurden), 46 schließlich kleinere Posten wie Beiträge zum Reichstag in Regensburg (1652/1653 und 1653/54), zu den Stuttgarter Seekosten (1666/1667), Stipendiatengelder, Beiträge zum Tiergarten (1701/02, 1702/03), Fronen für den Schloßbau in Ludwigsburg (ab 1706/07), die "Neccar Navigations Bau Concurrenz" (1714/15), Präsente für regierende Herzöge (Karl Alexander 1733/34), die "Prager Straßen Reparations Costen" (1746/47 ff), 4 7 Ausgaben für einen "Herrschaftshund" (ab 1746/47), die Brandsteuer (ab 1772/73). 48 Die Gebersheimer konnten den Eindruck gewinnen, daß der Staat recht erfinderisch war, wenn es um Steuererhebungen gingJede kriegerische Auseinandersetzung führt zu einem drastischen Anstieg der Steuerlast (s. Abb. 9.11.). Zwischen 1631 und 1642 wurden die Kriegssteuern nicht in den Bürgermeisterrechnungen verbucht, deshalb fehlen die Summen in diesen Jahren. Der enorme Steueranstieg wird aber auch schon 1631 deutlich. 49 Die Frage nach der Belastung durch diese Steuern läßt sich anschneiden, wenn man die relative Höhe von Steuern und Dinkelpreis vergleicht: Die Steuern wurden zwar nicht allein aus dem Erlös von Dinkel bezahlt, aber Dinkel war das Leitgetreide, nach dem sich die Preise für die anderen Getreidearten richteten, und Dinkel war das wichtigste Produkt. Für Bauern, die Dinkel zu verkaufen hatten, läßt sich aus diesem Vergleich deshalb schon eine Tendenz ablesen. Über den Teil der Bevölkerung, der dies nicht konnte, wird gesondert zu sprechen sein. Faßt man die Steuern nach Jahrfünften zusammen und vergleicht ihre Entwicklung mit dem Dinkelpreis ergibt sich folgendes Bild: 43

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zu Steuern: T.Knapp, Gesammelte Beiträge, S. 114-119; W . von Hippel, Bauernbefreiung I, S.237, 242-244; Reyscher XVII/2, S.LXIXf; V.Ernst, Staatssteuern, passim; P.Blickle, Untertanen, S.511f; F.Wintterlin, Geschichte I, S.58-60 HSTAS A 584 provis. A 35 (Verpflegung von Truppen, 1796-1797) zur Verpflegung französischer Truppen in Gebersheim 1796; vgl. A.Bischoff-Luithlen, Obrigkeit, S.24-28 vgl. Reyscher XVII/2, S.LXXXVIff; U.Jeggle, Kiebingen, S.42-54 vgl. Reyscher XVII/2, S.XCI Reyscher XVII/2, S.CLXXXVIf vgl. W . von Hippel, Bauernbefreiung I, S.229 vgl. J.Mantel, Wildberg, S.80; P.Bohl, Stockach, S.128f; T.Robisheaux, Society, S.210-216

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Tab. 4.5.b. Steuern und Dinkelpreis (Basis: 1760-1769 = 100) Durchschn. Jahrfünft Entwicklung Entwicklung des Steuersumme der Steuern Dinkelpreises (p.a.) (fl) (1760-1769 = 100) (1760-1769 = 100) 1625-1629 309,8 45 1630-1634 773,5 111 1645-1649 321,5 46 1650-1654 203,8 29 1655-1659 203,8 29 1660-1664 185,2 27 1665-1669 191,7 62 28 1670-1674 184,7 27 19 1675-1679 341,8 49 58 1680-1684 245,5 35 31 64 1685-1689 442,5 53 1690-1694 230,9 33 93 1695-1699 306,7 44 1700-1704 457,9 66 62 1705-1709 599,5 64 86 1710-1714 504,6 73 94 1715-1719 460,8 66 61 1720-1724 77 534,3 85 1725-1729 559,3 81 63 1730-1734 612,6 88 65 1735-1739 558,5 81 67 1740-1744 583,6 84 87 1745-1749 618,8 89 93 1750-1754 455,5 66 90 74 1755-1759 516,3 94 1760-1764 117 104 811,8 1765-1769 576,5 83 95 1770-1774 629,4 91 135 1775-1779 577,8 83 103 1780-1784 663,5 96 96 1785-1789 585,5 84 120 1790-1794 137 1795-1799 1132,0 163 202 1800-1804 726,5 105 132 1805-1809 182 1666,4 1810-1814 240 179 787,0 113 278 1815-1819 1820-1824 116 148 805,5

Während im 17. Jahrhundert einmal die Steuern schneller als der Dinkelpreis steigen, dann aber auch schneller wieder sinken, lassen sich im 18. Jahrhundert längere Trendperioden erkennen: 5 0 Von 1700-1740 lag das Niveau der Steuern permanent höher als das der Dinkelpreise, verglichen mit den 1760er Jahren. Von 1740-1790 dagegen lagen die 50

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Der Hindruck der Uneinheitlichkeit beruht zu einem Teil auf der kleinen Zahlenbasis bei den Getreidepreisen.

Dinkelpreise relativ höher als die Steuern, danach werden die Steuerdaten sehr lückenhaft, aber mindestens das Jahrfünft 1810-1814 war für die Steuerzahler sehr ungünstig. Nach dem Ende der Napoleonischen Kriege hatte sich die Lage für die Steuerzahler wieder verbessert. Rechnet man mit den Ertragszahlen und den Preisen der Steuereinschätzungsakten, dann ergibt sich für die Jahre 1730-1739 bei einem Rohertrag von 3,7 fl pro Morgen (alle Landarten zusammengenommen) eine Steuerbelastung von 0,82 fl/Morgen, d.h. von 22%. Für die ebenfalls gut dokumentierten Jahre 1770-1779 läßt sich eine Steuerbelastung von 0,52 fl/Morgen errechnen. Nimmt man an, daß die Gebersheimer Erträge vergleichbar zu den Bondorfer stiegen, so macht dies 9,5% der Roherträge (5,5 fl/Morgen). 5 1 Da die Gülten in den 1730er Jahren (wie oben gezeigt) ca. 8% der Roherträge (ohne Zehnt) ausmachten, ergibt sich eine Belastung mit Steuern und Abgaben von 30%. Bezieht man den Zehnt mit ein, steigt die Gesamtbelastung auf 3 7 % . 5 2 Für die 1770er Jahre dagegen reduziert sich die Belastung durch alle drei Komponenten auf 24%. 5 3 Die 1730er Jahre waren allerdings besonders ungünstig, die 1770er Jahre besonders günstig, die Steuern in den jeweils benachbarten Jahrzehnten waren niedriger bzw. höher, so daß durch Zehnten, Gülten und Steuern in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts vielleicht ein Drittel der Roherträge, in der zweiten Hälfte aber ein Viertel abgeschöpft wurden. Die Verhältnisse im 17. Jahrhundert mit seinen hohen Steuern und den wahrscheinlich niedrigeren Erträgen dürften noch ungünstiger als zu Anfang des 18. Jahrhunderts gewesen sein. 5 4 Die günstigeren Bedingungen des 18. Jahrhunderts dürften sich allerdings auf den Teil der Bevölkerung beschränkt haben, der Getreide zu verkaufen hatte und von der Agrarkonjunktur profitieren konnte. Die Handwerker, deren Einkommen stagnierten, gerieten dagegen in eine unvorteilhaftere Lage: Selbst wenn man annimmt, daß die Resultate der Steuereinschätzung von 1720-1740 die einzelnen Gruppen der Bevölkerung gleichmäßig belasteten (die Zusammensetzung der dörflichen Führungsgremien flößt nicht unbedingt Vertrauen ein!), resultierte aus dem Anstieg der Erträge und den Preissteigerungen der Agrarprodukte bei unverändert niedriger Einschätzung der Immobilien in der Steuer eine zu hohe Einstufung der Handwerker. Außerdem wurden bei der Steuerschätzung Passiva nicht berücksichtigt, d.h. Vermögen wurden stets nach ihrem Aktivstand zur Steuer herangezogen. 55 Für kleine, verschuldete Landbesitzer (die ihr Land vielleicht erst mit Hilfe des aufgenommenen Geldes erworben hatten) konnte das prekär

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vgl. D.W.Sabean, Schwert, S. 15 Da die Ertragsberechnungen stets den Zehnten ausklammem, müssen zuerst die Erträge um 10% erhöht werden, wovon dann die Abgaben neu zu berechnen sind. Ergibt sich also eine Belastung durch Gülten und Steuern von 30 auf 100 ( = 30%) ohne Einbeziehung des Zehnten, dann beträgt sie bei Einbeziehung des Zehnten 41 auf 110 ( = 37%) (Erträge um 10% erhöht, Abgaben um 10% des neu angesetzten Ertrags). 10% Steuern und 5% Gülten vom Ertrag ohne Zehnten. Die Gültbelastung wurde mit 0,27 fl/Morgen als konstant angesetzt. vgl. F.-W.Henning, Dienste, S. 1-4, 77-79 (für Paderborn), 95f; W. von Hippel, Bauernbefreiung I, S.287f; P.Blickle, Gemeindereformation, S.60; W.Abel, Geschichte, S.194; J.Mooser, Klassengesellschaft, S.lOOf, 117; I.Mittenzwei, Friedrich II., S.91 zu Preußen; G.Cabourdin, Paysans, S.7276; W.Achilles, Lage, S. 109-113 Reyscher XVI1/1, S.129

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werden: einerseits hatten sie die Zinsen an die Gläubiger abzuführen, andererseits aber ihr Land so zu versteuern, als ob sie seinen vollen Ertrag genössen. Daß diese Art der Besteuerung Investitionen durch Aufnahme von Schulden nicht gerade förderte, versteht sich. Gerieten die Schuldner leicht zwischen zwei Mühlsteine, konnten sich die Besitzer von Aktiva einer Bevorzugung erfreuen: Aktiva wurden im 18. Jahrhundert gar nicht besteuert (bzw. hinterzogen); als im frühen 19. Jahrhundert die Kapitalsteuer eingeführt worden war, änderte das kaum etwas, da die Angaben mit den tatsächlichen Verhältnissen notorisch nicht übereinstimmten. 56 Wie ungerecht diese Besteuerung sich auswirkte, zeigt der Vergleich zwischen der steuerlichen Einschätzung und den 1820 inventierten Vermögen des Gebersheimer Schultheißen Johann Georg Schäufele und des Maurers Christian Maier: Johann Georg Schäufele verfügte über ein Steuervermögen von 1477,5 fl, Christian Maier von 139,75 f l . 5 7 Dem entsprach ein inventiertes Vermögen des Schultheißen von 38768,5 fl (nach Abzug dessen, was an seinen Stiefsohn abgetreten worden war), des Maurers von 1304 f l . 5 8 Während sich die Steuervermögen wie 1 zu 10 verhalten, liegt das Verhältnis bei den realen Vermögen bei 1 zu 30. Der Maurer zahlte in Verhältnis zu seinem Vermögen dreimal soviel Steuern wie der Schultheiß. 59 Auch beim Vergleich der 1780 inventierten Bondorfer Vermögen mit der Steuerliste 1779 zeigt sich eine ähnliche (wenn auch weniger extreme) Tendenz: das Verhältnis Steuer - Vermögen war für einen Weber, einen Sattler und den Pflugwirt am ungünstigsten, für einen wohlhabenden Orgelmacher, einen reichen Bauern und den Schultheißen am günstigsten. 60 Dabei wurden die Kopfsteueranteile noch nicht einmal berücksichtigt, sondern nur die Ordinari-Steuer herangezogen. 6 1

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Korrektur der Selbsteinschätzung zur Vermögenssteuer s. HSTAS A 584 Bü 600 (Allgemeine Vermögenssteuer, 1800) für Gebersheim; J.Mantel, Wildberg, S.36 HSTAS A 584 Bd 229 (Steuereinzugs- und Abrechnungsbuch, 1813/14): Die Ordinari-Steuer 1813/1814 machte in Gebersheim 0,45% des Steuervermögens aus. HSTAS A 584 I 673 (Catharina Magdalena Schäufele, 1820); I 677 (Christian Maier, 1820) zur ungleichmäßigen Besteuerung: W.Troeltsch, Zeughandelscompagnie, S.269f GA BON I 918 (Hans Martin Müller, 1780); I 919 (Martin Breuning, 1780); I 921 (Hans Martin Luz, 1780); I 922 (Catharina Weinmar, 1780); I 925 (Hans Michel Kußmaul (Jacobs Sohn), 1780); I 927 (Barbara Wörner, 1780); I 932 (Johann Michel Kußmaul, 1780); I 933 (Maria Kußmaul, 1780): Die Bondorfer Differenzen lassen sich mit den Gebersheimern von 1820 nicht vergleichen; der Metzger Hans Jacob Wörner kam besser weg als der reiche Bauer Johann Michel Kußmaul (Jacobs Sohn) und als der Pflugwirt. s.a. W.Troeltsch, Zeughandelscompagnie, S.344-361

4 . 6 . Marktbeziehungen Gemessen an der zu vermutenden Bedeutung des Fruchtanbaus für die Bondorfer Wirtschaft sind die Informationen über Fruchtverkäufe nach außerhalb relativ spärlich. 1 Der Gerichtsverwandte Hans Bruckner hatte 1713 bei 37 Personen Guthaben für Getreide, wovon nur eine nicht in Bondorf ansässig war. 2 Bis 1740 läßt sich kaum eine Inventur finden, in der Guthaben für Getreideverkäufe an Auswärtige aufgeführt sind. 3 1740 standen für Frucht 3,5 fl in Eckenweiler, 1745 4 fl 10 x für Dinkel in Schwandorf, 1749 2 fl 14 x in Nagold aus, 4 was alles keinen sehr bedeutenden Eindruck macht. 1750 hatte die Pflegschaft der Rosina Catharina Schelling 248,5 Scheffel Dinkel verliehen, wovon nichts nach außerhalb gegangen war. 5 In den 1750er Jahren lassen sich Fruchtverkäufe nach Nagold und Pfullingen nachweisen, 6 dichter und vor allem quantitativ umfangreicher werden die Fruchtverkäufe aber erst ab den 1780er Jahren: Hans Michel Gauß hatte 1799 immerhin 250 fl für Frucht in Remmingsheim ausstehen. 7 Im 19. Jahrhundert scheint sich der Fruchthandel noch einmal deutlich ausgedehnt zu haben: Es finden sich Nachrichten über Fruchtverkäufe nach Nagold, Ebhausen, Mötzingen, Iselshausen, Weiltingen, Schietingen, Gündringen, Haiterbach, Horb und Freudenstadt. 8 Zumindest die Richtung der Getreideverkäufe ist interessant. Die Lieferungen scheinen zum großen Teil in die Schwarzwalddörfer gegangen zu sein. 9 Die geringe Dichte von Informationen über Fruchtverkäufe 10 nach außerhalb läßt zwei Interpretationsmöglichkeiten offen: entweder wurde der Fruchthandel als Bargeschäft abgewickelt, so daß außerhalb Bondorfs sich keine Außenstände für verkauftes Getreide ansammelten, die dann in den Inventuren ihren Niederschlag fanden, oder die Fruchtverkäufe waren vor den 1780er Jahren tatsächlich unbedeutend. 11 Die erste 1 2 3 4 5 6 7

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zum Getreidehandel zusammenfassend: F.Göttmann, Getreidemarkt; J.Mooser, Gewalt und Verführung, S.230-235; T.Robisheaux, Society, S.147f, 148-153 G A BON I 120 (Alt Hans Bruckner, 1713); vorwiegend lokaler Markt für Getreide im 18. Jahrhundert: J.Mooser, Klassengesellschaft, S.133 So hat z.B. GA BON I 304 (Benedict Weinmar, 1736) nur Aktiva fiir Frucht in Bondorf. G A BON I 361 (Anna Maria Katz, 1740); I 428 (Alt Jacob Weinmar, 1745); I 493 (Johannes Weinmar und Catharina Weinmar, 1749) GA BON I 504 (Hans Michel Schlayer und Rosina Catharina Schelling, 1750) G A BON I 582 (Hans Kußmaul (Barthen Sohn), 1756); I 589 (Catharina Weinmer, 1757); I 629 (Hans Weinmar, 1759): Frucht für 18 fl nach Pfullingen G A BON I 918 (Hans Martin Müller, 1780); 1 961 (Catharina Gengenbach, 1783); I 1031 (Catharina Wörner, 1787); I 1144 (Sara Hagele, 1793); I 1174 (Maria Barbara Kußmaul, 1795); I 1271 (Anna Magdalena Gauß, 1799) G A BON I 1547 (Urban Weinmar, 1810); 1 1612 (Barbara Gengenbach, 1815); I 1675 (Regina Kußmaul, 1818); I 1698 (Michael Kußmaul, 1819); I 1788 (Anna Maria Gauss, 1824); I 1951 (Johann Jacob Kußmaul, 1829); s.a. I 1811 (August Hoffacker, 1825): 200 fl für Frucht bei "hiesigen und auswärtigen Personen" (ohne nähere Spezifikation) Ergebnisse, S.56f; Beschreibung Herrenberg, S. 158 (daneben Tübingen und Tuttlingen) Ähnliches gilt für Gebersheim. S. aber HSTAS A 584 I 279 (Martin Kohler, 1741) als Ausnahme: Martin Kohler hatte Frucht außer in Gebersheim auch in Heimerdingen, Heimsheim, Gerlingen, Schwieberdingen, Malmsheim, Möglingen, Weissach, Rutesheim, Deufringen, Renningen, Mönsheim, Nußdorf, Stuttgart, Döffingen und Leonberg verkauft. Aktiva hatte er außerdem in Maichingen, Schöckingen, Eltingen, Höfingen und Hirschlanden. s. Schema bei F . W . H e n n i n g , Dienste, S.120f (Konkurrenz der Abgabenberechtigten und des Marktes); s.a. K.Göriz, Abhandlung, S.50f (Nachbarschaft absorbiert Überschußprodukte)

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Möglichkeit scheint die wahrscheinlichere, zumal die Inventuren mit Außenständen für Fruchtverkäufe im wesentlichen von reicheren Bauern stammten, kleinere Bauern aber müssen ebenfalls (und sei es nur um ihre Steuern zu bezahlen) verkauft haben - aber eben gegen bar und nicht auf Kredit. Einen Hinweis liefert auch die Klage der Müller von Nagold, in deren Mühlen die Bondorfer eigentlich gebannt waren, gegen Verletzungen eben dieses Bannrechtes: Die Bondorfer würden ihre meisten Früchte nach Tübingen "flehnen" und sie hernach in der Ammermühle bei Reusten abmahlen lassen. Die andere Frucht aber würden sie an Becken aus dem Altensteiger Amt und an Waldbauern verkaufen, die die Früchte ungemahlen mitnähmen. 12 Die Nagolder behaupteten, auch nichts dagegen zu haben, daß die nach Tübingen bestimmte Frucht in der Ammermühle gemahlen würde, aber den Ammermüllern sollte es verboten werden, nach Bondorf zu fahren, dort das Getreide abzuholen und anschließend das Mehl hinzubringen, vielmehr wollten sie, die Nagolder, dies ebenso gut besorgen. 13 Herrenberg berichtete 1647, daß es in der Stadt keinen Getreidemarkt gebe, Frucht aber nach Calw, Tübingen und "wann es Unsicherheit halber sein kann" in die Schweiz gebracht werde. 1 4 Außer Getreide wurde auch Vieh verkauft, aber wie beim Fruchthandel ist auch hier die Dokumentation nicht gerade überwältigend, was im Unterschied zum Fruchthandel sicherlich auch in einem weniger bedeutenden Umfang dieses Handels liegt. Pferde wurden 1709 nach Schwandorf, 1759 an einen Baisinger Juden, 1816 nach Tübingen verkauft, 1 5 Rindvieh 1725 nach Nellingsheim, 1749 nach Oschelbronn, 1789 nach Tübingen. 1 6 Schafe werden nur 1757 erwähnt. 17 Gebersheimer verkauften Kühe z.B. nach Warmbronn, Heimerdingen, Weissach und Rutesheim, Stiere nach Rutesheim, ein Pferd nach Schafhausen. 1 8 Wie Fruchtverkäufe sind auch Fruchtkäufe schlecht dokumentiert (und vielleicht aus demselben Grund): 1734 war Frucht in Kuppingen, 1740 Erbsen in Tailfingen und Emmingen, 1741 Hafer in Ebhausen, 1746 in Sindlingen, 1750 in Ebershardt, 1754 Frucht in Oschelbronn, 1759 in Wolfenhausen und Nebringen, 1760 in Wart, 1767 Hafer von der staufenbergischen Herrschaft Baisingen, 1785 Gerste in Altingen gekauft (und noch

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s.a. HSTAS A 302 Bd 8837 (Vogt- und Kellereirechnung, Nagold, 1699-1700), fol. 50V: Strafen für 21 Bondorfer Bürger, die Getreide an Bernecker und Altensteiger Bäcker verkauft hatten, ohne es auf dem Wochenmarkt feilzubieten. HSTAS A 206 Bü 3984 (Mühlenbannrecht der Müller von Nagold, Bondorf, 1692): die Bondorfer seien "sonsten" die besten Kunden der Müller von Nagold gewesen. HSTAS A 230 Bü 97 (Produktionskosten für Getreide, 1647): Herrenberg; vgl. F.Göttmann, Getreidemarkt, S.294 GA BON I 72 (Catharina Böcklen, 1709); I 629 (Hans Weinmar, 1759); I 1632 (Anna Maria Bühler, 1816) GA BON I 142 (Agnes Weinmar, 1725); I 491 (Alt Jacob Egeler, 1749); I 1061 (Alt Hans Egeler, 1789) GA BON I 589 (Catharina Weinmer, 1757) HSTAS A 584 I 373 (Anna Maria Kogel, 1765); 402 (Sibille Mayer, 1772); I 404 (Anna Maria Prophet, 1772); I 422 (Johann Michael Jüngling, 1774)

nicht b e z a h l t ) w o r d e n . 1 9

W i e zu erwarten,

treten d i e S c h w a r z w a l d d ö r f e r hinter

die

G ä u d ö r f e r zurück, H a f e r spielt e i n e relativ b e d e u t e n d e R o l l e . U m f a n g r e i c h e r sind d i e Informationen über den Einkauf v o n V i e h : 1 7 1 0 w u r d e e i n P f e r d in Rottenburg,

1711 V i e h in C o n w e i l e r und j e ein Pferd in R o h r d o r f und Rottenburg,

1 7 2 4 S c h a f e in R e m m i n g s h e i m ,

1 7 2 6 V i e h b e i m Baron v o n S t a u f e n b e r g in G e i s l i n g e n

und ein P f e r d in D u ß l i n g e n , 1738 ein Pferd v o n e i n e m T a i l f i n g e r und e i n e m N e b r i n g e r Bürger, 1 7 4 0 ein Pferd in Ebhausen,

1765 ein S c h w e i n in H a s l a c h ,

1 7 6 6 e i n P f e r d in

B a i s i n g e n und ein S c h w e i n in H a i l f i n g e n , 1 7 7 0 e i n e Kuh in N a g o l d , 1 7 7 6 ein P f e r d in E m m i n g e n , 1 7 8 0 z w e i S c h w e i n e v o n e i n e m S c h w e i n e h ä n d l e r aus G r ö m b a c h g e k a u f t . 2 0 A u c h d i e G e b e r s h e i m e r kauften mehr V i e h auswärts, als sie v e r k a u f t e n . 2 1 E i s e n w u r d e in T ü b i n g e n und N a g o l d e i n g e k a u f t , 2 2 H ä u t e und L e d e r k a m e n a u s N a g o l d , A l t e n s t e i g , Rottenburg, C a l w und T ü b i n g e n , 2 3 W e i n aus T ü b i n g e n , 2 4 Kohl a u s Ebershardt und P f a l z g r a f e n w e i l e r . 2 5 "Werk" wurde aus S i n d l i n g e n , Schiltach und M ü h l e n b a c h (?) b e z o g e n . 2 6 K l e i d u n g w u r d e in N a g o l d g e k a u f t , 2 7 L a d e n w a r e n o h n e nähere S p e z i fikation e b e n f a l l s d a und in R o t t e n b u r g , 2 8 Trauerwaren schließlich k a m e n a u s Herrenbere.29

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GA BON I 272 (Magdalena Böckle, 1734); I 363 (Michel Mast, 1740); I 388 (Conrad Böhmler, 1741); I 438 (Ursula Bruckner, 1746); I 502 (Catharina Miller, 1750); I 561 (Hans Jacob Wörner, 1754); I 614 Hans Bühler, 1759); I 645 (Jüngst Hans Weinmar, 1760); 1 732 (Hans Michel Weinmar und Anna Maria Müller, 1767); I 1005 (Hans Jerg Schäfer, 1785) GA BON I 86 (Johann Georg Staiger, 1710); I 91 (Jacob Miller, 1711); I 92 (Jacob Grade, 1711); I 97 (Jung Hans Teufel und Anna Staiger, 1711); I 125 (Martin Bühler, 1724); I 156 (Agnes Böhmler, 1726); I 329 (Jacob Bühler, 1738); I 376 (Alt Michel Scheurer, 1740); I 696 (Hans Jerg Mast, 1766); I 706 (Christina Weinmar, 1765); I 770 (Alt Jacob Schlaier, 1770); I 857 (Hans Martin und Anna Maria Lutz, 1776); I 932 (Johann Michel Kußmaul, 1780) HSTAS A 584 1 165 (Jacob Wehe, 1677); I 527 (Georg Friedrich Kogel, 1794); I 532 (Anna Katharina Albrecht, 1795); I 555 (Johann Georg Bäuerle, 1798); I 556 (Catharina Albrecht, 1798); I 562 (Margaretha von Au, 1762) GA BON I 92 (Jacob Grade, 1711); I 603 (Hans Böckle und Anna Maria Böckle, 1758); I 1080 (Hans Schwägler, 1790) GA BON I 125 (Martin Bühler, 1724); I 260 (Christina Zimmer, 1733); I 287 (Georg Schmid, 1735); I 329 (Jacob Bühler, 1738); 1 383 (Martin Bühler, 1741); I 511 (Anna Maria Gengenbach, 1750); I 569 (Hans Philipp Kommereil, 1755); I 606 (Jacob Egeler, 1758) GA BON I 90 (Johann Conrad Böhmler und Agnesa Dußling, 1710) GA BON I 305 (Hans Schwägler, 1736); 1 671 (Hans Faißler, 1763); I 843 (Agnesa Schwägler, 1775) GA BON I 92 (Jacob Grade, 1711); I 198 (Ramey Zimmer, 1729) GA BON I 226 (Georg Wörner, 1731); I 938 (Johann Jacob Gengenbach und Anna Elisabeth Müller, 1781) GA BON I 192 (Ursula Ruef, 1729); I 613 (Ursula Kommerell, 1759); I 1019 (Jung Johannes Sauter und Catharina Ziller, 1785) GA BON I 193 (Ursula Laux, 1729); ähnlich sieht es in Gebersheim aus, setzt man für Herrenberg und Nagold Leonberg ein: I 278 (Anna Maria Kogel, 1740); I 402 (Sibille Mayer, 1772); I 417 (Martin Veit, 1774); I 418 (Peter Bloss, 1774); I 422 (Johann Michael Jüngling, 1774); I 424 (Johann Georg Häring, 1774); I 434 (Agatha Kauter, 1776); I 436 (Agnes Catharina Kübeleberle, 1776); I 443 (Johannes Grözinger, 1776); I 476 (Georg Friedrich Prophet, 1788); I 486 (Christian Ißler, 1791); I 555 (Johann Georg Bäuerle, 1798); I 556 (Catharina Albrecht, 1798); I 602 (Veit Schmid, 1805)

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Ein großer Teil der Bondorfer Beziehungen zu überlokalen Märkten scheint durch mobile jüdische Händler vermittelt worden zu sein, was vor allem für den Viehhandel gilt (weniger für den Fruchthandel). Für Waren wurden 1709 einem Juden 6 fl geschuldet, 30 1710 für eine Kuh dem Juden Küfe 15 fl. 3 1 Kühe, 32 Stiere, 33 Pferde, 34 Schafe 35 und Geißen 36 bildeten bis ins 19. Jahrhundert offenbar das wichtigste Objekt dieses Handels, wobei der Rindviehhandel ein deutliches Übergewicht hatte. 1699 scheint im Amt Leonberg ein schwunghafter Handel mit Pferden betrieben worden zu sein. 37 Daneben verkauften diese jüdischen Händler aber auch andere Waren: Nägel und Eisen, 38 Mäntel, 39 Bettzeug, 40 Leder und Felle, 41 Tuch, 42 Barchent. 43 Schließlich betrieben sie auch den Fruchthandel, allerdings wohl nur nebenbei, da es sich stets um kleine Mengen handelt. 44

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GA BON I 69 (Maria Hägelin, 1709) GA BON I 80 (Jacob Hägelin, 1710) GA BON I 148 (Hans Martin Müller, 1726); I 157 (Ramey Weinmar, 1726); I 174 (Maria Stehle, 1727); I 185 (Alt Hans Mast, 1728); I 189 (Hans Hagele, 1729); I 225 (Jacob Weinmar, 1731); I 298 (Michel Müller (Jacobs Sohn), 1736); I 325 (Christina Scheurer, 1737); I 329 (Jacob Bühler, 1738); I 374 (Martin Baur, 1740); I 417 (Hans Jerg Wörner, 1744); I 511 (Anna Maria Gengenbach, 1750); I 515 (Anna Maria Wörner, 1751); I 516 (Anna Lehemann, 1751); I 531 (Hans Martin Gengenbach, 1752); I 548 (Hans Friedrich Werner und Anna Böckle, 1753); I 573 (Margarethe Rothfelder, 1756); I 575 (Conrad Gengenbach, 1756); I 600 (Catharina Gengenbach, 1757); I 767 (Hans Michel Scheurer, 1769); I 836 (Anna Maria Rauser, 1775); I 843 (Agnesa Schwägler, 1775); I 849 (Anna Böhmler, 1775); I 880 (Maria Magdalena Breuning, 1778); I 904 (Jacob Bruckner, 1779); I 932 (Johann Michel Kußmaul, 1780); I 940 (Maria Katz, 1782); I 941 Martha Breuning, 1782); I 965 (Martin Breuning, 1783); I 1006 (Christian Öhrlen, 1785); I 1020 (Hans Jerg Planck und Christina Teufel, 1785); I 1046 (Ursula Schlaier, 1788); I 1115 (Hans Gengenbach, 1792) GA BON I 174 (Maria Stehle, 1727) GA BON I 304 (Benedict Weinmar, 1736); I 329 (Jacob Bühler, 1738); I 363 (Michel Mast, 1740); I 388 (Conrad Böhmler, 1741); I 424 (Anna Catharina Böckle, 1745); I 550 (Anna Bihler, 1753); I 603 (Hans Böckle und Anna Maria Böckle, 1758) GA BON I 185 (Alt Hans Mast, 1729) GA BON I 137 (Conrad Haidlauff, 1725); Viehhandel ohne nähere Angabe: I 364 (Hans Gengenbach, 1740); I 536 (Alt Hans und Christina Werner, 1752); I 897 (Hans Böckle und Christina Breuning, 1778) HSTAS A 230 Bü 278 (Pferdehandel von Juden, Leonberg, 1699): Der Leonberger Vogt fragte beim Oberrat an, ob es den Juden erlaubt sei, außerhalb der Jahrmärkte Handel zu treiben. Zwei Juden von Mühringen, die er "constituirt" habe, hätten ihm erklärt, daß trotz eines obrigkeitlichen Verbots es ihnen "in allen Statt und Ambtern, wo Sie durch passiren, nicht verwehrt werde." GA BON I 187 (Hans Stähle, 1729); I 562 (Hans und Anna Teufel, 1754) GA BON I 225 (Jacob Weinmar, 1731) GA BON I 1636 (Anna Raißle, 1816) GA BON I 1529 (Hans Scheurer, 1811); I 696 (Hans Jerg Mast, 1766); I 573 (Margarethe Rothfelder, 1756); I 432 (Maria Kußmaul, 1745); I 430 (Maria Schwägler, 1745) GA BON I 1046 (Ursula Schlaier, 1788); I 645 (Jüngst Hans Weinmar, 1760) GA BON I 935 (Ursula Sautter, 1781) GA BON I 329 (Jacob Bühler, 1738); I 333 (Franz Gengenbach, 1738); I 383 (Martin Bühler, 1741); I 404 (Anna Barbara Schantz, 1743); I 562 (Hans und Anna Teufel, 1754); I 573 (Margarethe Rothfelder, 1756); I 603 (Hans Böckle und Anna Maria Böckle, 1758); I 836 (Anna Maria Rauser, 1775); I 880 (Maria Magdalena Breuning, 1778); I 1020 (Hans Jerg Planck und Christina Teufel, 1785); I 1529 (Hans Scheurer, 1811); I 1671 (Jacob Müller, 1817)

Auch die Handwerker hatten mit auswärtiger Konkurrenz zu rechnen: Bondorfer Bürger ließen auch bei Handwerkern der Nachbardörfer arbeiten: vor allem der Rekurs auf auswärtige Schuster (auffälligerweise nur auf die der katholischen Nachbardörfer) scheint häufig gewesen zu sein, 4 5 daneben auch auf Chirurgen (Ergenzingen und Hailfingen) 46 und Weber (Wolfenhausen und Oschelbronn). 47 Schließlich hatte auch der Krämer von Ergenzingen Außenstände in Bondorf. 48 Bondorfer besuchten auch die Märkte in den katholischen Nachbardörfern: Michel Bühler hatte sich am 12. September 1803 mittags mit seinem sechs Jahre alten Kind auf den Weg zum Markt nach Ergenzingen gemacht. 4 9 Insgesamt scheinen die Bondorfer Marktbeziehungen ziemlich-diffus, was mit der Lage des Dorfes zwischen drei (wenn man das "ausländische" Rottenburg mitrechnet: vier) Städten (Nagold, Herrenberg und Tübingen) 50 und dem wichtigsten marktgängigen Produkt, Getreide, zusammenhängt. Getreide hatte, anders als Vieh und Holz, als überall vertretenes und starken Ernteschwankungen unterliegendes landwirtschaftliches Produkt keine spezialisierten Absatzwege und keine konstanten Abnehmer. Die lokale Nachfrage schwankte mit der Qualität der Ernte. Regionen, die bei guten Ernten ihren Bedarf selbst decken konnten, waren bei mittleren und schlechten auf Zufuhr angewiesen. Die Kleinheit und der agrarische Charakter der meisten württembergischen Städte reduzierte auch deren Rolle als Getreidekonsumenten, da sie selbst einen guten Teil ihres Getreidebedarfs decken konnten. Schließlich dürften Großkunden weniger bei den Bauern als bei deren Herren eingekauft haben. Die Pflegen der Klöster, die geistlichen und weltlichen Verwaltungen, die einen beträchtlichen Teil der landwirtschaftlichen Produktion außerhalb von Marktbeziehungen an sich zogen, kamen für solche Kunden als Verkäufer wohl zuerst in Betracht. Den Bauern blieb der Verkauf an Einzelkunden unterschiedlicher Herkunft. Eingekauft wurde häufig bei mobilen Händlern, was die Unbestimmtheit der entsprechenden Marktbeziehungen erklärt. Viele Geschäfte scheinen ad hoc mit wechselnden Partnern und an wechselnden Orten abgeschlossen worden zu sein. Trotz der Schwierigkeiten der Dokumentation scheint mir der Trend zur zunehmenden Verflechtung des Dorfes in Marktbeziehungen im Laufe des 18. Jahrhunderts unbestreitbar. 5 1 Die Basis dieses Prozesses waren dabei die steigenden Erträge im Getreidebau, die es einerseits den Dörflern ermöglichten, größere Mengen von Getreide nach außen zu verkaufen (ein innerdörflicher Markt bestand ja schon länger), andererseits aber auch verstärkt als Kunden nicht im Dorf ansässiger Händler aufzutreten.

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G A BON I 129 (Catharina Stähle, 1725) (Ergenzingen); I 305 (Hans Schwägler, 1736) (Baisingen); I 363 (Michel Mast, 1740) (Hailfingen); I 500 (Caspar Miller, 1750) (Baisingen); I 511 (Anna Maria Gengenbach, 1750) (Ergenzingen); I 656 (Catharina Bühler, 1762) (Hailfingen) G A BON 1 187 (Hans Stähle, 1729); I 531 (Hans Martin Gengenbach, 1752); Apotheke Herrenberg: 1 305 (Hans Schwägler, 1736) G A BON 1191 (Hans David Kürner, 1729); I 305 (Hans Schwägler, 1736) G A BON I 573 (Margarethe Rothfelder, 1756) H S T A S A 213 Bü 9047 (Untersuchung ungeklärter Todesfälle, Bondorf, 1803) Die Gebersheimer Marktbeziehungen sind viel stärker auf Leonberg (und Stuttgart) konzentriert als die Bondorfer auf irgendeine Stadt. vgl. D.W.Sabean, Schwert, S. 18, 21f

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4.7. Dörfliche Wirtschaft 4.7.1. Familienwirtschaft Ist die Subsistenzsicherung das primäre Ziel des Wirtschaftens,1 dann eröffneten sich für einen dörflichen Haushalt folgende Möglichkeiten: einen Teil seiner Subsistenz bezog er aus der eigenen Landwirtschaft, völlig landlose Haushalte waren - wie gezeigt - selten. Zur eigenen Landwirtschaft gehörten außer Acker- und Gartengrundstücken auch die eigene Kuh oder Ziege, deren Besitz das Überleben wesentlich erleichterte. Völlig ohne externe Hilfe kam allerdings auch ein kleiner Landbesitzer nicht aus, da er weder über ein Gespann noch einen Pflug verfügte. Hier war er, außer wenn sein Landbesitz so klein war, daß tatsächlich alle anfallenden Arbeiten von Hand erledigt werden konnten, was nur bei reinem Gartenbesitz der Fall gewesen sein dürfte, auf seine vollbäuerlichen Nachbarn angewiesen, an die er dafür den "Bauernlohn" zu entrichten hatte. 2 Abhängigkeit ergab sich auch aus den permanenten Ernteschwankungen und den mancherlei Unglücksfällen, die die Landwirtschaft bedrohten: eigene Krankheit oder die eines Familienmitglieds, Verlust des Viehs, Brände, steigende Steuerforderungen des Staates.3 Diese Gefahren lasteten zwar auf allen Bauern wirtschaften, wurden aber für die kleinen und kleinsten schnell existenzbedrohend. Auch in solchen Situationen erfolgte der Rückgriff auf die begüterteren Nachbarn, die dann mit Anleihen (sei es durch Bargeld, sei es durch Sachmittel) aushalfen. Nur in den seltensten Fällen erfolgte diese Hilfe aber umsonst: der landläufige Zins war auf jeden Fall (auch gegenüber dem Heiligen) zu bezahlen. Das Resultat war Verschuldung, die oft jahrelang nicht abgebaut werden konnte, im Extremfall bis zur Auflösung des Haushalts andauerte und dann zum Zugriff der Gläubiger auf das hinterlassene Vermögen führte. 4 Ergänzt werden konnte das landwirtschaftliche Einkommen durch das Einkommen aus einem Handwerk. Die Kosten für dessen Erlernung brachten auch ärmere Familien auf, selbst wenn es mitunter schwerfiel.5 Das eigentliche Problem scheint auch nicht so sehr der Lebensunterhalt während der Lehr- und Gesellenjahre gewesen zu sein, sondern der nach der Seßhaftwerdung und Verheiratung. Die meisten Handwerke (vor allem die Textil- und Bauhandwerke) waren überbesetzt, selbst wenn sie vom Bevölkerungswachstum und einer damit steigenden Nachfrage z.B. nach Kleidung und Wohnraum profitieren konnten. Bestenfalls dürfte eine Stagnation der Handwerkereinkommen herausgekommen 1 2

3 4 5

202

vgl. T.Shanin, Awkward class, S.28; D.Grigg, Population growth, S.29f z.B. HSTAS A 584 I 278 (Anna Maria Kogel, 1740); I 410 (Johannes Renz, 1773); I 417 (Martin Veit, 1774); I 641 (Magdalena Mauch, 1813); GA BON I 115 (Ursula Lutz, 1712); I 125 (Martin Bühler, 1724); I 176 (Jacob Abraham Rudolph und Anna Maria Bräuning, 1727); I 189 (Hans Hägele, 1729); I 191 (Hans David Kürner, 1729); I 295 (Anna Barbara Werner, 1736); I 299 (Hans Bühler, 1736); I 315 (Barbara Bühler, 1737); I 329 (Jacob Bühler, 1738); I 630 (Christina Schäffer, 1759); s.a. W.Troeltsch, Zeughandelscompagnie, S.265; T.Shanin, Awkward class, S.29; H.Grees, Unterschichten, S.42; C.Simon, Untertanenverhalten, S. 161-163 T.Shanin, Awkward class, S.30; D.Grigg, Population growth, S.30 GA BON I 299 (Hans Bühler, 1736); I 536 (Alt Hans und Christina Werner, 1752) Barbara Schömperle z.B. mußte sich an die Gemeindekasse um Unterstützung für das Lehrgeld ihres Sohnes wenden: HSTAS A 584 provisor. B 3 (Gerichtsprotokolle, 1795-1819), fol. 242V (24.4.1817), 274R (8.2.1819), 283V (18.11.1819)

sein - bei rapide steigenden Getreidepreisen. Die Auslastung der meisten Handwerker war schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts schlecht, länger als ein halbes Jahr hatte kaum einer auf seinem Handwerk zu arbeiten; die meisten hatten nicht länger als vier Monate zu tun. Wenn die landwirtschaftliche Basis ausreichend war, mochte dies angehen: die je nach Jahreszeit stark schwankende Belastung durch die Landwirtschaft ließ dann genügend Raum für das Handwerk und auch die stagnierenden Einkommen bildeten dann kein Problem, kam es doch auf die Subsistenz, nicht auf die rationelle Nutzung der eingesetzten Arbeitskraft an. 6 Reichte aber der Landbesitz nicht mehr, bot das Handwerk keine Alternative. Eine Ausdehnung der gewerblichen Aktivitäten schied aufgrund der Konkurrenz und der Nachfragesituation aus. Dann aber wirkte sich auch die Stagnation der Handwerkereinkommen aus, die Subsistenz wurde trotz fortdauernd gleicher Arbeitsleistung nicht mehr erreicht. Mehrarbeit aber war allenfalls für die Wanderhandwerker (Bau) möglich, nicht aber für die anderen. 7 Der Zwang zum Rückgriff auf eine dritte Erwerbsquelle dürfte sich also verstärkt haben: Lohnarbeit. Auf dem Dorf bot sich nicht nur temporäre Lohnarbeit für Verheiratete lediglich in Form der Ausübung eines niederen Gemeindeamtes an. Diese Ämter waren zwar miserabel entlohnt und ihr Sozialprestige war denkbar niedrig. Daß sie aber begehrt waren (s. Ißler), zeigt, wie prekär die Lage vieler Haushalte war. Die übrigen dauerhaften Stellen waren nur für Ledige vorgesehen. Knechts- und Magdstellen (wie auch Lehrlings- und Gesellenstellen, die es auf dem Dorf aber kaum gab) waren nur eine Übergangsphase im Lebenszyklus, die allerdings mitunter recht lang dauern konnte. Es blieb also nur noch die Taglöhnerarbeit übrig. Die weniger begüterten Handwerker betrieben schon immer (s. Steuereinschätzung) saisonal Taglöhnerei, während die wohlhabenderen eben auf ihrem eigenen Land arbeiteten. Mit dem Rückgang des Landbesitzes der Handwerker wurde die Taglöhnerei wichtiger. Für viele Handwerker vom Ende des 18. Jahrhunderts (wie vor allem der schwindende Arbeitsgerätebesitz zeigt) war die Taglöhnerei sicherlich wichtiger als das Handwerk. Auch die Entstehung einer Klasse von Nur-Taglöhnern weist in dieselbe Richtung. Problematisch dürfte gewesen sein, daß sich zwar Handwerk und Landwirtschaft zeitlich einigermaßen verbinden ließen (Handwerk im Winter, Landwirtschaft im Frühjahr und Sommer), daß aber die Arbeit für die Taglöhner genau dann anfiel, wenn sie auch die Arbeit auf den eigenen Grundstücken zu leisten hatten. War der eigene Grundbesitz noch etwas umfangreicher (bei den NurTaglöhnern war er das nicht), ergaben sich Schwierigkeiten: entweder wurde die eigene Landwirtschaft auf andere Familienmitglieder (Frauen und Kinder) abgewälzt oder gar vernachlässigt, oder der potentielle Taglöhner konnte Arbeitsmöglichkeiten gerade dann nicht wahrnehmen, wenn sie sich überreichlich boten. 8 Die Kombination von drei oder mehr Erwerbsquellen ermöglichte den betreffenden Haushalten das Erreichen der Subsistenzschwelle, 9 machte aber auf der anderen Seite erst die lange Stagnation der Löhne möglich. Über die eigene Landwirtschaft deckten Handwerker und Taglöhner bereits einen Teil ihrer Subsistenz, Handwerkseinkommen und 6 7 8 9

vgl. P.Kriedte, H.Medick, J.Schlumbohm, Industrialisierung, S.26, 106f M.Mitterauer, Lebensformen, S.331-333 vgl. a. W.Troeltsch, Zeughandelscompagnie, S.205 für die Zeugmacher, deren schlechteste Monate ebenfalls nicht die Erntemonate waren. s.a. D.W.Sabean, Schwert, S.23; T.Shanin, Awkward class, S.31f

203

Taglöhnerlohn traten nur hinzu. Sie konnten niedrig bleiben, solange Ertragssteigerungen in der

Landwirtschaft

die

Subsistenz

sicherten.

Eine

Verbesserung

der

Lebensbe-

dingungen war unter diesen Voraussetzungen für Handwerker und Taglöhner nicht möglich. D i e Bauern auf der anderen Seite profitierten von diesem Dilemma: einerseits konnten sie ihre Überschüsse an die Mitbürger verkaufen, die nicht mehr imstande waren, ihre Subsistenz aus der eigenen Landwirtschaft zu decken, andererseits standen ihnen billige Arbeitskräfte zur Verfügung. D i e steigende Nachfrage nach Getreide (nicht nur innerörtlich, sondern vor allem überlokal) und die damit steigenden Preise machten den Einsatz von landwirtschaftlicher Mehrarbeit rentabel, zumal diese Arbeit die Bauern Ende des 18. Jahrhunderts nur wenig mehr kostete als zu Anfang. Kosten sind dabei nicht einmal immer als Bargeld zu denken. Auch der "Bauernlohn", der Einsatz bäuerlicher Gespanne und Geräte auf den Grundstücken der Nicht-Bauern, und die Abgabe von Nahrungsmitteln und Saatgut konnten zur Entlohnung der Taglöhner dienen. 1 0 Daneben verminderten sich auch die Kosten für Wartung und Unterhalt der landwirtschaftlichen Geräte, war für die wichtigsten Konsumartikel (Kleider, Möbel) nur wenig mehr auszugeben. Schufen sich diese Bauern (auch sie unterlagen ja der saisonalen Arbeitsbelastung der Landwirtschaft) darüber hinaus eine zweite Erwerbsquelle durch den Betrieb einer Gastwirtschaft, durch Geldleihe oder die Übernahme von Transporten, verbesserten sich ihre wirtschaftlichen Aussichten noch einmal. Die landwirtschaftlichen

Ertragssteigerungen

kamen ihnen (solange die Steuern nicht stiegen) voll zugute, ihre Gewinne wurden nicht durch die Stagnation anderer Einkommensquellen wie bei den Handwerkern/Taglöhnern aufgefressen. Größere Landbesitzer,

die zu Anfang des

18. Jahrhunderts noch ein

Handwerk ausübten, gaben dies im Laufe des Jahrhunderts auf: der Beitrag des Handwerkereinkommens zu ihrem Gesamteinkommen schrumpfte durch die Steigerung des landwirtschaftlichen Teils und die Stagnation des handwerklichen.

D i e beiden folgenden Schemata versuchen die Entwicklung noch einmal zusammenzufassen. In beiden Schemata wurde der Begriff "Mehrarbeit" jeweils in das Zentrum gerückt. M.E.

spielt

der

Arbeitseinsatz

bei

den

zu beobachtenden

Ertragssteigerungen

die

entscheidende Rolle (vielleicht mangels eines anderen Erklärungsansatzes). 11 Zum anderen aber läßt sich über diesen Begriff der Bogen zur Orientierung an der Subsistenz schlagen: ein Absinken unter die Subsistenzgrenze führt zu einem Mehr an A r b e i t . 1 2 Ob der Umkehrschluß (ein deutlicher Überschuß über die Subsistenz führt zu einer Verminderung des Arbeitseinsatzes) ebenfalls gilt, 1 3 scheint mir zweifelhaft. Für die Unter10

Ergebnisse, S.67 für Oschelbronn; H.Grees, Unterschichten, S.42

11

M.Bidlingmaier, Bäuerin, S.21: "Es gilt für die bäuerliche Wirtschaft: durch sinnvolle Steigerung und Anhäufung von Arbeit auf einem gegebenen Stück Boden demselben eine immer größere Wertmasse abzugewinnen."; vgl. D.Grigg, Population growth, S.36; K.Herrmann, Pflügen, S . l l ö f ; M.Overton, Population

growth,

R.Sandgruber,

S.210;

A.Tschajanow,

Einkommensaufteilung,

S.136;

Lehre,

S.25-41

E.Boserup,

(Selbstausbeutung

Development,

passim;

der

Arbeit);

M.Mitterauer,

Lebensformen, S.329; H.Grees, Weaving, S.292f (Rückkehr der Seidner zur Landwirtschaft nachdem Zusammenbruch der Weberei); F.Göttmann, Getreidemarkt, S.353 12

A.Tschajanow, Lehre, S.34, 38-41; P.Kriedte, H.Medick, J.Schlumbohm, Industrialisierung, S.lOOf

13

wie von P.Kriedte, H.Medick, J.Schlumbohm, Industrialisierung, S.101 behauptet

204

Schicht stellte sich das Problem nie, für die anderen Schichten halte ich eine derart einfache Gleichung für verfehlt. Hier spielen kulturell determinierte Verhaltensweisen die entscheidende Rolle: Zugewinne werden prämiert, sei es, indem sie auf Gottes Segen zurückgeführt werden, sei es in der Reputation des oder der Betreffenden als guter/gute Haushälter(in).

Schema I: Entwicklung von Bauernwirtschaften im 18. Jahrhundert

Unter Mehrarbeit werden sowohl die größere individuelle Arbeitsleistung wie der verstärkte Arbeitseinsatz von Familienmitgliedern und die Beschäftigung fremder Arbeitskräfte gefaßt. Zur Mehrarbeit wird auch die Einführung neuer Produkte wie Hülsen-

205

früchte oder Kartoffeln gerechnet, deren Anbau tatsächlich einen verstärkten Arbeitskräfteeinsatz erforderte und ohne zusätzliche Arbeitskräfte kaum bewerkstelligt worden ware. 14 Außer in Land wurde auch in Vieh, Gebäude und Geräte investiert, was um die Schemata nicht zu sehr zu komplizieren, weggelassen werden mußte.

Schema II: Entwicklung der Wirtschaft von Nicht-Bäuerlichen im 18. Jahrhundert Bevölkerungswachstum kleinere landwirtschaftliche Einheiten

überschüssige Arbeitskraft

sinkende landwirtschaftliche Einkommen

Zukauf von Land

steigende Landpreise Verschuldung

Landwirtschaft steigende Erträge

Ubersetzung

stagnierende Einkommen

sinkende Einkommen Mehrarbeit

4.7.2. Kooperation und Konfrontation zwischen einzelnen Familienwirtschaften Die Formen der Kooperation zwischen den einzelnen Familienwirtschaften waren vielfältig: Sie reichten von der Ausleihe von Geräten und nachbarschaftlicher Hilfe bis zur Gewährung von Krediten und formalisierten Arbeitsbeziehungen. 14

206

M.Bidlingmaier, Bäuerin, S. 18-20: Durch Intensivierung verliert die Teilung der Produktionssphären von Mann und Frau an Bedeutung; s.a. D.Sabean, Intensivierung, S.148f

Die Enge der Kooperation wiederum wurde von den Verwandtschaftsverhältnissen bestimmt: die Haushalte von Eltern und verheirateten Kindern arbeiteten eng zusammen zwangsläufig. Die Kinder erhielten bei der Heirat zwar Liegenschaften und eine Kuh, selten aber einen Pflug und ein Gespann, wie auch junge Ehepaare in der Regel über kein eigenes Haus verfügten. 1 5 Sie waren dementsprechend also auf die Aushilfe anderer Haushalte angewiesen. Die Eltern wiederum benötigten u.U. die Arbeitskraft ihrer Kinder auch nach deren Verehelichung. Übergaben konnten dieses Aufeinanderangewiesensein formalisieren. Wirtschaftlich blieben die Haushalte von Eltern und Kindern bis zum Tod beider Elternteile miteinander verflochten. Eng verbunden konnten auch nach dem Tod der Eltern die Haushalte von Geschwistern bleiben: Geschwister bzw. Schwäger kooperierten bei der Erbteilung der Eltern zwangsläufig miteinander, nur mit allgemeinem Einverständnis konnte eine Teilung vonstatten gehen, die an auswärts verheiratete Kinder gefallenen Liegenschaften in "Freundschaftskäufen" an die ortsansässigen gelangen, die Hausanteile auseinanderdividiert werden. Streitigkeiten waren hier nicht gerade selten, änderten aber an dem Zwang zur Kooperation wenig. Wichtig konnten auch die Beziehungen zu entfernter verwandten Haushalten (etwa von "Vettern" und "Basen") werden. Kinderlose Erbonkel und -tanten konnten der Aufmerksamkeit ihrer Verwandtschaft sicher sein. Nachbarschaftshilfe schließlich spielte trotz aller Rivalitäten und aller Konflikte eine kaum zu überschätzende Rolle. Nachbarn liehen dringend benötigte Geräte aus und übernahmen Pflegschaften. Haushalte kooperierten schließlich bei der alltäglichen Arbeit wie bei den "großen" Unternehmungen, z.B. dem Zehntbestand. Die bäuerlichen Haushalte benötigten die Taglöhner und umgekehrt. Ohne die Dorfhandwerker funktionierte die dörfliche Wirtschaft nicht. Die Haushalte nahmen gerade bei der Anfertigung von Arbeitsgeräten, Kleidern und Möbeln, beim Bau und bei der Reparatur von Häusern wenig Aufgaben selbst wahr. 1 6 Keine Bäuerin wob etwa selbst. 17 Kooperation bedeutet hier natürlich nicht ein harmonisches Miteinander, sondern nur die Wahrnehmung differenzierter Aufgaben, die ein Gefalle an Reichtum, Ansehen und Macht zwischen den kooperierenden Haushalten keineswegs ausschloß. Die Abhängigkeiten konnten auch sehr einseitig sein: angesichts der Masse der Arbeitssuchenden konnten sich diejenigen, die Arbeit zu vergeben hatten, ihre Arbeitnehmer heraussuchen, während unmittelbar nach dem Dreißigjährigen Krieg die Situation noch umgekehrt gewesen war und die Taglöhner sich ihre Arbeitgeber auswählen konnten.

15 16

17

T.Shanin, Awkward class, S.31 Der Gebersheimer Schultheiß Martin Mauch z.B. hatte 1676 Schulden bei folgenden Handwerkern: Schmied, Schuster, Metzger, Sattler, Gerber, Bäcker, Weber und Wagner (HSTAS A 584 I 162 (Martin Mauch, 1676)). Später verdienten Handwerker die Abrechungsreste, die zugunsten der Bauern ausfielen, bei diesen ab: HSTAS A 584 I 434 (Agatha Kauter, 1776); I 471 (Peter Gunser, 1788); I 692 (Anna Maria Gunser, 1825); GA BON I 315 (Barbara Bühler, 1737); vgl. I.Weber-Kellermann, Landleben, S.58f; H.U.Wehler, Gesellschaftsgeschichte 1, S.81-83 im Kontrast etwa zu Hohenlohe: P.Assion, R.W.Brednich, Bauen, S.216

207

4.7.3. Dorfwirtschaft Aus den einzelnen Familienwirtschaften setzte sich das Dorf zusammen. Seine wirtschaftliche Bedeutung erschöpfte sich nicht in der Wahrnehmung fiskalischer Aufgaben. Das Dorf, der Flecken, nahm mindestens auf fünf Feldern wirtschaftliche Aufgaben wahr: 1 8 1. Von seiten des Dorfes erfolgte die Koordination der wirtschaftlichen Tätigkeit der einzelnen Haushalte. Die Dreifelderwirtschaft erforderte eine Fülle von Regelungen, die von der Festlegung von Terminen für die wichtigsten landwirtschaftlichen Arbeiten und von Wegen, die auf der Markung zu benutzen waren, über die Weidegerechtigkeiten (wer hat wann das Recht, wieviel Stück Vieh auf die Weide zu schicken?), die Wasserversorgung (Instandsetzung von Brunnen, Reinigung von Bächen) bis zur Errichtung gemeindeeigener Werkstätten (Backofen, Schmiede) reichten. Das Dorf leistete bei demographisch bedingten Ausfällen Hilfestellung, setzte für unmündige Kinder einen Vormund ein und kontrollierte deren Vermögensverwaltung, bestellte auch für Witwen Kriegsvögte, die für deren Interessen zu sorgen hatten. 2. Das Dorf kontrollierte das Wirtschaftsgebaren der einzelnen Haushalte: nicht nur durch Bestrafung z.B. im Falle schädlicher Furchen (d.h. Furchen auf Kosten der anstoßenden Äcker), 19 sondern auch durch massive Eingriffe im Falle von Verschwendung, die die Entmündigung des betreffenden Bürgers nach sich ziehen konnten. 20 In der Regel wirkte der Einfluß des Dorfes mehr im Hintergrund: Brachen Streitigkeiten aus, konnten sich die Streitenden aber immer auf die Meinung des Fleckens berufen. Letztlich wirtschaftete eben jeder vor den Augen aller anderen und war deren Urteil ausgesetzt. 3. Das Dorf vertrat die wirtschaftlichen Interessen seiner Bürger nach außen: gegenüber der Stadt, dem Amt und dem Staat, was vor allem bei der Steuereinschätzung eine Rolle spielte, aber auch bei Fronen für militärische Zwecke oder für den Straßenbau wichtig war. 4. Das Dorf hatte allerdings auch die fiskalischen und sonstigen Interessen des Staates gegenüber seinen Untertanen wahrzunehmen und die Steuern umzulegen und einzuziehen, die Militärpflichtigen zur Konskription zu schicken, für die Umsetzung der staatlichen und kirchlichen Verfügungen zu sorgen. 21 5. Schließlich war das Dorf auch ein eigenes Wirtschaftsunternehmen: es verfügte (manchmal) über eine Allmende, häufiger über Wald, auch über Fleckengüter, Häuser und die kommunalen Einrichtungen (Waschhaus, Backhaus, Brunnen, Schmiede). Dieser Besitz war im Interesse der Bürger zu verwerten, wobei das Interesse der Bürger zuweilen von dem der Gemeinde abwich, wie sich penetrant an der Nutzung des Gemeindewaldes zeigte: die Gemeinde wollte ihren Wald möglichst schonen und verbot den Holzeinschlag außerhalb bestimmter Zeiten, die Bürger holten sich Holz, wann immer sie es brauchten. Strafen nützten gar nichts. 18 19 20 21

208

vgl. H.Wunder, Gemeinde, S.20f; G.Cabourdin, Gens, S. 125-128; T.Shanin, Awkward class, S.32f; D.Grigg, Population growth, S.30f; R.Beck, Ökonomie, S.66-74 (a. zum Begriff) z.B. HSTAS A 584 provisor. B 2 (Gerichtsprotokolle, 1753-1794), fol. 66V-R (3.2.1766), fol. 77VR (9.2.1769), fol. 97V (13.3.1773), 111V-R (30.4.1774), 134R (8.2.1777) vgl. T.Shanin, Awkward class, S.30f T.Shanin, Awkward class, S.35; H.Wunder, Gemeinde, S.20

Das Dorf, in dem formal alle verheirateten Männer gleichberechtigt waren (das mindere Beisitzrecht kann - da selten - außer Betracht bleiben), während Ledige und Frauen nicht mitzubestimmen hatten, war nun aber sozial stark geschichtet. De facto konnte von Gleichberechtigung keine Rede sein. 2 2 4.7.4. Regionale Verflechtung der dörflichen Wirtschaft Das Dorf und seine Haushalte waren in eine Hierarchie von Märkten eingebunden. 2 3 An erster Stelle stand der lokale dörfliche Markt, auf dem zwar nur ein Teil der Agrarprodukte umgeschlagen wurde, der aber für viele Handwerker der einzige war, auf dem sie ihre Waren und Dienstleistungen anboten. Wichtig war auch seine Rolle als Arbeitsmarkt: Die Taglöhner waren jeweils lokal gebunden (im Unterschied zu Knechten und Mägden), sie mußten an Ort und Stelle unterkommen. Für kleinere Kredite stellte er zumindest die erste Anlaufstelle dar. Der regionale Markt, der die umliegenden Dörfer und Städte umfaßte (20 - 25 km), absorbierte den größten Teil der Agrarprodukte, lieferte dafür einiges an Waren (Vieh und Konsumartikel). 2 4 Auch die ortsfremden Arbeitskräfte stammten im wesentlichen aus diesem Umkreis, in dem auch die Dörfler auf Arbeitssuche gingen. Einige dörfliche Handwerker (vor allem die Bauhandwerker) fanden hier Arbeit. Wichtig war seine Rolle für Kredite, die vor allem aus den benachbarten Städten dem Dorf zuflössen, wofür die Städter dann die Zinsen erhielten und somit an der Entwicklung der ländlichen Ökonomie partizipierten. Über den regionalen Markt hinaus führten verschiedene Handelsaktivitäten (Wein, Salz und Hanf wurden erwähnt), auch ein Teil der Agrarprodukte fand seinen Weg auf diese überregionalen Märkte. Der eine oder andere wandernde Geselle verließ seine Heimatregion. Am wichtigsten waren aber die Finanzbeziehungen: Geld wurde auch aus großen Entfernungen ausgeliehen, ganz große Summen bekam man gar nur hier. Kaum Berührung dagegen hatte der Dörfler mit nationalen oder gar internationalen Märkten, die höchstens sekundär sein wirtschaftliches Wohlbefinden beeinflußten. Mit diesen Märkten waren die Dörfler "immer schon" verquickt, ließ doch der Zwang die Steuern zu bezahlen, den Zehnten und die Feudalabgaben abzuführen, den Familienwirtschaften keine Alternative als in begrenztem Umfang für Märkte zu produzieren. Urspünglich blieb über diese "Zwangsmarktquote" sicherlich nicht mehr viel für den Eigenverkauf übrig; erst die Ertragssteigerungen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts brachten hier eine Änderung.

22 23 24

T.Shanin, Awkward T.Shanin, Awkward In diesem Umkreis Haiterbach: HSTAS

class, S.33 class, S.33; vgl. F.Braudel, Aufbruch, S.308-316 fanden sich auch die besuchten Jahrmärkte: z.B. der Jahr- und Viehmarkt von A 206 Bü 3982 (Jahrmarkt, Haiterbach, 1688) für Bondorf

209

5. Demographie Nachdem in den vorausgehenden Kapiteln versucht wurde, das wirtschaftliche Handeln auf der Ebene einzelner Haushalte zu rekonstruieren, steht nun das entsprechende demographische im Mittelpunkt. Die Methodologie, weitgehend von Louis Henry entwickelt, wurde von der französischen historischen Demographie übernommen, die nicht nur für die Auswertung französischer, sondern auch der eine ähnliche Struktur aufweisenden württembergischen Kirchenbücher besonders adäquat ist. 1 Für die soziale Differenzierung demographischen Handelns wurden einige Erweiterungen vorgenommen. 2 Thema der folgenden Kapitel ist damit stets die "Mikrodemographie", die allein Rechenschaft über das demographische Handeln von Familien zu geben vermag. 3 Die "Makrodemographie" wurde, soweit möglich und nötig, in Kapitel 3 behandelt. Die beiden Einschränkungen sind notwendig, weil makrodemographische Untersuchungen mit den zur Verfügung stehenden Quellen nur in Ausnahmefällen möglich sind und weil ihr Aussagewert für konkretes demographisches Handeln eher gering ist, wie dies parallel ja auch für die "Makroökonomie" gilt. 4 Zuerst wird die Quellenbasis vorgestellt (5.1 "J, anschließend werden die Migrationen (5.2.), das Heiratsverhalten (5.3.), die Fruchtbarkeit (5.4. - 5.6.) und die Sterblichkeit (5.7.) untersucht. Den Abschluß bildet die Analyse der Illegitimität (5.8.). 5 . 1 . Typisierung der Familien In der Rekonstitution werden die einzelnen Ereignisse - Geburten, Hochzeiten, Todesfälle - bestimmten Personen und diese Familien (Kernfamilien, bestehend aus einem Ehepaar und seinen Kindern) zugeordnet. Als Familien wurden gezählt: 1) alle Fälle, in denen das Heiratsdatum bekannt war, 2) alle Fälle, in denen das Eheende bekannt war und 3) alle Fälle, in denen in einem der untersuchten Dörfer eine oder mehrere Geburten stattfanden (ohne Heiratsdatum und ohne Eheende). Nicht zur Aufnahme als Familie führten vereinzelte Todesfälle. 5 Die folgende Untersuchung stützt sich auf 4539 so rekonstituierte Familien. 5.1.1. Typisierung der Familien Für die Zwecke der Analyse werden die Familien in vier Typen eingeteilt: MF - die exakten Daten von Hochzeit und Eheende sind bekannt; MO - das Hochzeitsdatum ist bekannt, das des Eheendes nicht; EF - das Datum der Eheschließung ist unbekannt, das Eheende ist bekannt; 1 2 3 4 5

M.Fleury, L.Henry, Manuel; E.Gautier, L.Henry, Crulai; L.Henry, Richesse, S.281-290; L.Henry, Démographie; L.Henry, Techniques vgl. L.Stone, Family, S.42; T.Kohl, Familie, S.14 vgl. L.Stone, Family, S.42 vgl. W.Fischer, Sozialgeschichte und Wirtschaftsgeschichte, S.56f L.Henry, Fécondité, S.621 211

EO - sowohl das Datum der Eheschließung wie das des Eheendes sind unbekannt. 6 Das Eheende gilt dann als exakt bekannt, wenn die Todesdaten beider Ehegatten überliefert sind, oder wenn das Todesdatum des zuerst verstorbenen Ehepartners bekannt ist, wobei sicher sein muß, daß der andere ihn überlebt hat. 7 Insgesamt ergibt sich folgende Verteilung der Familien auf die vier Typen:

Tab. 5.1. l.a. Verteilung der rekonstituierten Familien auf die Typen Typ Bondorf Mötzingen Tailfingen Nebringen MF 319 1035 575 570 MO 400 218 315 73 EF 92 71 45 28 274 224 185 115 EO gesamt

1801

1088

1115

535

Verteilung der rekonstituierten Familien auf die Typen: Prozentsätze Typ Bondorf Mötzingen Tailfingen Nebringen MF 57,5 52,9 51,1 59,6 13,7 MO 22,2 20,0 28,3 5,2 EF 6,5 4,0 5,1 15,2 20,6 16,6 21,5 EO gesamt

100,0

100,0

100,0

100,0

gesamt 2499 1006 236 798 4539 gesamt 55,1 22,2 5,2 17,5 100,0

Die Anteile der einzelnen Familien hängen nicht nur von der Registrierung ab (Lücken in Ehe- oder Totenbüchern führen zur Verminderung des Anteils der M- oder F-Familien), 8 sondern auch von der Mobilität: MF-Familien sind stabile Familien, d.h. solche bei denen Eheschließung und Eheende innerhalb der fünf (einschließlich Oschelbronn) aneinander angrenzenden Dörfer stattfanden, MO-Familien sind Familien, die abwanderten, EFFamilien solche, die einwanderten, und EO-Familien schließlich sind "Durchreisende", korrekte Registrierung immer vorausgesetzt. 9 In die Ortssippenbücher gingen allerdings auch Informationen von außerhalb ein. Innerhalb der MF-Familien werden die Familien unterschieden, für die das Geburtsdatum der Frau exakt bekannt ist (MF1), für die es aus der Angabe beim Todesdatum errechnet wurde (MF2) und schließlich diejenigen, für die es unbekannt ist (MF3). Diese Unterscheidung ist vor allem für die Untersuchung der Fruchtbarkeit wichtig. 1 0 Bei der Verteilung der Familien nach Typ und Periode zeigt sich, 11 daß in allen Dörfern 1550-1584 der Anteil der MF-Familien weniger als 5% beträgt. Schon 1585-1619 aber 6

7 8 9 10 11

212

M bedeutet "manage", E "manage à l'extérieur", F "fermé" und O "ouvert". Eindeutschung erschien mir sinnlos. Vgl. L.Henry, Techniques, S.69f; L.Henry, Fécondité, S.621; J.Dupâquier, Introduction, S. 69 s. L.Henry, Techniques, S.68; vgl.a. M.Fleury, L.Henry, Manuel, S. 123, 167-169 L.Henry, Fécondité, S.623 L.Henry, Fécondité, S.624 zur Abwanderung von MO-Familien L.Henry, Techniques, S.70; L.Henry, Fécondité, S.624 zu den exakten Prozentsätzen s. A.Maisch, Ansätze, S.99-103

liegt er in drei Dörfern zwischen 25 und 30% (Ausnahme Mötzingen) und 1620-1654 übersteigt er generell die 45% (in Tailfingen und Nebringen die 50%). Ab 1725 liegt der Anteil der MF-Familien über 60%, nach 1760 über 80%. Der Anteil der MO-Familien reduziert sich von fast 50% (1550-1584) auf unter 10% (1760-1794), steigt dann aber wieder leicht auf 13% an, was an der Auswanderung nach 1830 liegen dürfte. EF-Familien spielen ausschließlich 1585-1654 eine Rolle, als Todesfalle bereits registriert werden, Hochzeiten aber anscheinend leicht defizitär sind. Der Anteil der EO-Familien reduziert sich ebenfalls laufend, mit einem leichten Anstieg 1655-1724: Hier spielen Soldatendurchzüge die entscheidende Rolle. 1 2 Der Anteil der MF-Familien an den M-Familien beträgt nach Perioden für alle Dörfer: 1550-1584 8,0%, 1585-1619 39,9%, 1620-1654 69,3%, 1655-1689 73,7%, 1690-1724 77,0%, 1725-1759 81,6%, 1760-1794 89,6% und 1795-1829 86,4%. Die Prozentsätze liegen damit viel höher als etwa die für die neun Pfarreien Südwestfrankreichs aus der Untersuchung des I N E D . 1 3 5.1.2. Repräsentativität der verschiedenen Typen Die Frage, ob unter den Familien eines bestimmten Typs bestimmte Berufsgruppen vorherrschen, gewinnt ihr Gewicht, wenn es um die Abschätzung der mit der Familienrekonstitutionsmethode erzielten Ergebnisse geht. Die Frage soll exemplarisch am Beispiel Bondorfs behandelt werden, da hier genügend Familien vorliegen, um weitere Unterteilungen vornehmen zu können. 1585-1619 überwiegt bei allen Typen der Fall "keine Angabe", wobei sich allerdings unter den MF- und den EF-Familien weniger Unbekannte finden als unter den anderen Kategorien. Handwerker scheinen bei den MF-, MO- und EF-Familien in etwa gleich häufig vertreten, das gleiche gilt für die "Sonstigen". MF- und EF-Familien fallen häufiger in die Kategorie "Bürger" als die O-Familien. 1620-1654 liegt der Prozentsatz der Unbekannten wieder bei den F-Familien niedriger als bei den O-Familien. Bei der Bezeichnung "Bürger" gehen MF, MO und EF eng zusammen. Die MF-Familien scheinen mehr Handwerker in ihren Reihen zu haben als die anderen drei Typen. 1 4 Bei den EOFamilien überwiegen die "Sonstigen", bei denen es sich häufig um Soldaten handelt. Dieselben Beobachtungen gelten 1655-1689: auch hier sind die MF weniger oft unbekannt, häufiger Bürger und Handwerker, aber seltener "Sonstige" als MO- und EO-Familien. (Die EF sind zahlenmäßig zu schwach vertreten!) 1690-1724 gilt wieder dasselbe, wobei MF und MO sich bei den Bürgern aneinander angleichen, sich aber bei der jetzt massiv auftretenden Bezeichnung als Bauer stark unterscheiden. Der hohe Anteil der "Sonstigen" an den EO-Familien geht wieder auf das Konto von Soldatendurchmärschen. Ab 1725 sind die EO-Familien eher handwerklich 12 13 14

für die respektiven Anteile der einzelnen Typen vgl. z.B. L.Henry, Fécondité, S.622-628; L.Henry, J.Houdaille, Fécondité, S.880-885 L.Henry, Fécondité, S.625 und 628; L.Henry, J.Houdaille, Fécondité, S.884; J.Houdaille, Fécondité, S.349; vgl.a. M.Rozat, Echanges, S.45f Läßt man die Unbekannten weg, ergeben sich folgende Prozentsätze: Handwerker MF 37,8% (31 von 82), MO 28,6% (10 von 35); Bürger MF 36,6% (30 von 82), MO 40% (14 von 35), d.h. die Berufsstrukturen nähern sich aneinander an.

213

orientiert, wie auch die MO-Familien, wobei der Anteil der Unbekannten bei den MO immer sehr viel höher ausfällt als bei den MF und sogar den EO. 1760-1794, als der Anteil der Unbekannten bei den MO-Familien sein Minimum erreicht, zeigt sich eine fast identische Berufsstruktur zwischen diesen und den MF-Familien. Die Chancen von MFund MO-Familien, Berufsangaben zu hinterlassen, sind unterschiedlich: Bei MO-Familien muß häufig die Angabe zum Zeitpunkt der Hochzeit übernommen werden, während bei MF-Familien immer auch die Angaben beim Tod zur Verfügung stehen. Damit sind schon von den Registrierungsbedingungen her die Berufe junger Männer bei den MOFamilien überrepräsentiert. Vollkommen klar ist, daß bei der Familienrekonstitutionsmethode bestimmte Berufsgruppen ausgeschlossen bleiben: quantitativ vor 1725 sicher am wichtigsten die Soldaten, bestimmte Handwerker wie Zainen- oder Krattenmacher (Korbflechter) und am anderen Ende der sozialen Skala Pfarrer. Alle diese Gruppen sind aber im Vergleich zu den Großgruppen der Bauern und Landhandwerker Randerscheinungen: Für 1760-1794 umfassen MF- und MO-Familien bei weitgehender Deckung der Berufsgruppen über 95% aller Familien. Ergebnisse, die aufgrund der Analyse der MF-Familien erzielt wurden, scheinen mir von daher durchaus Repräsentativität für die überwältigende Mehrheit der ländlichen Bevölkerung beanspruchen zu können. 15

15

214

Zumal nicht gesagt ist, daß die mobilen Familien ein anderes generatives Verhalten zeigen als die immobilen: s. P.Chaunu, Histoire, S.326; Zweifel hatte L.Henry, Fécondité, S.628, 634; s.a. M.Rozat, Echanges, S.48; für das Verhältnis von Typen und Berufsgruppen s.a.: H.Charbonneau, Tourouvre, S.38-40; J.Knodel, Natural fertility, S.509f

5.2. Migrationen Abgesehen von den Heiratsmigrationen sind Wanderungsbewegungen in der historischen Demographie nur schwer zu erfassen. 1 Die folgenden Ausführungen reißen das Thema daher auch nur an und versuchen, eher Probleme als Ergebnisse aufzuzeigen. 2

5.2.1. Migrationen bestehender Familien3 Eine erste Orientierung über den Umfang von Migrationen läßt sich aus dem Verhältnis der verschiedenen Familientypen gewinnen. Wenn die Registrierung der Todesfälle vollständig ist, sind O-Familien Familien, die abwanderten. 4 Parallel dazu sind E-Familien Familien, die auswärts gegründet wurden und zuwanderten, sofern die Ehebücher vollständig sind. Im 17. Jahrhundert befinden sich unter den O-Familien sicher auch einige, die nicht abwanderten, sondern deren Todesfälle mangelhaft registriert wurden. Dennoch ist der Anteil der O-Familien sehr hoch: im 17. Jahrhundert scheint zumindest ein Drittel aller Familien gewandert zu sein, während es Ende des 18. Jahrhunderts nur noch ein Fünftel war. Allerdings übertreibt dieser Ansatz den Grad der Mobilität, da er der Abwanderung im Moment nach der Hochzeit ein zu großes Gewicht verleiht. 5 Auch bei den auswärts gegründeten Familien 6 zeigt sich zwischen dem 17. Jahrhundert und dem 18. Jahrhundert ein Unterschied in der Höhe der Prozentzahlen: vorher wurden oft mehr als 25% der Familien auswärts gegründet, danach liegt ihr Anteil häufig unter 15 oder gar 10%. 7 Vom Dreißigjährigen Krieg bis ins 18. Jahrhundert scheint damit ein großer Teil der württembergischen Bevölkerung mobil gewesen zu sein. Die Mobilität schwächte sich im 18. Jahrhundert deutlich ab. 8 1

2

3 4 5 6

7 8

A.Burguière, Démographie, S.77; M.Reinhard, Population, S.625f; J.P.Kintz, Société, S.207; H.R.Burri, Bevölkerung, S.81f; zur Bedeutung von Migrationen s. P.Laslett, Family life, S.75: " ... an unchanging, unchangeable social structure may well be essential to a swiftly changing population. "; zur Mobilität allg.: l.Esenwein-Rothe, Einführung, S. 155-196 andere als die von mir verwendeten Ansätze realisieren: M.Segalen, Nuptialité, S.51f; J.P.Kintz, Société, S. 126-129; R.Deniel, L.Henry, Population, S.567-571; J.P.Bardet, Skizze, S.68-70 fur Zuwanderung; H.R.Burri, Bevölkerung, S.83f, 89f; J.Ganiage, Trois villages, S.42; P.Laslett, Brassage, S. 105, 107; J.P.Brun, Population, S.326f; G.Bouchard, Village, S.77-79; B.Lepetit, Démographie, S.59-61; M.Rozat, Echanges, S.21-48, passim; zu den methodischen Problemen s. A.C.Meyering, Migration, S. 105, 107-109 zur Mobilität von Familien bzw. Ledigen vgl.: J.Ganiage, Trois villages, S.44f; P.Laslett, Family life, S.71 J.P.Bardet, Skizze, S.62; B.Lepetit, Démographie, S.59-61; J.P.Bardet, Rouen, S.214f J.P.Bardet, Skizze, S.62f; J.P.Bardet, Rouen, S.215 Unter den M-Familien der Ortssippenbücher befindet sich eine Reihe von Familien, die auswärts begründet wurden, deren Heiratsdatum aber exakt bekannt ist; das Verhältnis der E-Familien zu allen Familien würde von daher den Anteil einwandernder Familien unterschätzen. Auswärts verheiratete M-Familien wurden deshalb mit den E-Familien zusammengerechnet. J.P.Kintz, Société, S.207 zur Mobilität in und nach dem Dreißigjährigen Krieg vgl.: T.Dierlamm, Kirchheim, S.434; E.Weismann, Bevölkerungsbewegung, S.342f; P.Sauer, Not, S.139; G.Franz, Krieg, S.80f; G.Schormann, Krieg, S.120; A.Fetzer, Heidenheim, S.75-78; J.P.Kintz, Société, S.118f

215

Eine wesentlich genauere Einschätzung des Migrationsverhaltens erlaubt das von JeanPierre Bardet entwickelte Verfahren. 9

Tab. 5.2. l.a. Abwanderungsquoten 1620-1829 Bondorf alle Dörfer Tailfingen Jahrzehnt 1620-1629 22,8 22,8 19,4 28,4 1630-1639 33,3 32,3 20,4 19,8 25,0 1640-1649 21,7 1650-1659 19,0 16,8 17,7 19,4 1660-1669 13,5 20,2 1670-1679 23,5 29,5 16,6 10,4 1680-1689 16,9 1690-1699 24,9 27,3 23,9 1700-1709 25,1 20,3 31,9 1710-1719 13,5 15,6 19,2 1720-1729 13,6 10,8 17,0 1730-1739 7,5 4,6 12,6 11,8 19,7 1740-1749 9,9 1750-1759 9,9 9,6 7,9 6,6 6,2 1760-1769 10,5 1770-1779 4,8 4,6 6,6 1780-1789 4,8 3,0 5,6 5,4 1790-1799 3,5 9,1 1800-1809 4,8 12,2 7,1 1810-1819 4,0 4,0 5,1 1820-1829 6,0 5,6 5,2

Mötzingen 32,1 44,0 21,7 21,3 24,2 21,4 22,7 28,3 34,9 11,2 5,3 7,8 7,5 14,4 1,5 3,3 6,4 3,9 5,9 4,1 4,8

Nebringen 13,6 31,3 7,7 10,0 28,6 34,5 24,1 12,2 10,9 0,0 30,0 8,0 10,9 7,9 12,2 6,7 5,1 11,1 11,9 0,0 2,3

Die Abwanderungsquoten sind in den Jahren nach 1630 am höchsten. Von 1640 bis 1690 pendeln sie um ein Niveau von etwa 20%, erhöhen sich dann auf 25%, fallen 1710-1729 abrupt auf 14% und sinken bis 1790 auf unter 5%. 1800-1809 liegen sie mit 7% wieder etwas höher, sinken dann aber wieder auf 5 % und darunter. Bondorf hat im Regelfall unterdurchschnittliche Quoten, Tailfingen häufig überdurchschnittliche. Mötzingen liegt bis 1709 konstant über dem Durchschnitt, danach aber eher darunter. In Nebringen sind die Zufallsvariationen sehr stark. Im ganzen scheint die Abwanderung aus kleinen Dörfern stärker zu sein als aus großen. Deutlich ist auf jeden Fall der Einfluß kriegerischer Ereignisse: ob nun 1630-1639 oder in den Kriegen gegen Frankreich (1690-1709), Truppendurchzüge erhöhen die Zahl der nur temporär nachweisbaren (durch eine Geburt z.B.) Familien, zumindest so lange wie im Troß von Heeren auch die Frauen und Kinder der Soldaten mitzogen. Bis 1710 bleiben die Abwanderungsquoten auch außerhalb von Kriegen hoch: Der Dreißigjährige Krieg scheint einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung zur Mobilität gezwungen (Flucht) oder verlockt zu haben, ebenso wie der Wiederaufbau danach.

9

216

J.P.Bardel, Skizze, S.63-65; J.P.Bardet, Rouen, S.215f

Die reduzierte Abwanderung im 18. Jahrhundert stellt dann sicher auch einen der Gründe für den schnellen Bevölkerungsanstieg dar, wobei offen bleiben muß, ob die Wanderung oder die Seßhaftigkeit erzwungener waren. 1 0 5.2.2. Heiratsmigrationen Als Ort der Herkunft gilt der Geburtsort oder, fehlt dieser, der Wohnort des Vaters. 1 1 Eine Ausnahme von dieser Regel wurde für die untersuchten Dörfer gemacht. Sie wurden nur dann als Geburtsorte akzeptiert, wenn das exakte Geburtsdatum bekannt war, fehlte es, galt der Geburtsort als unbekannt. Der Nachteil dieses Verfahrens besteht darin, daß in den ersten beiden Perioden ein hoher Prozentsatz von Personen als unbekannt eingestuft wird, denn viele Geburtsdaten liegen vor dem Beginn der Kirchenbücher oder fallen in deren Lücken. Außerdem sind manche Frauen nicht zu identifizieren, da die Filiation im Eheeintrag fehlt. Dieses strenge Auswahlverfahren schien mir dennoch angemessen, da aus den Ortssippenbüchern tatsächlich nicht klar hervorgeht, woher eine Person ohne bekanntes Geburtsdatum und ohne Vermerk "aus" stammt. Die lokale Endogamie kann daher erst ab 1585 untersucht werden. 5.2.2.1. Lokale Endogamie Bei der Analyse der lokalen Endogamie ist nicht nur die Differenzierung nach Dörfern der Endogamiegrad ist vielleicht von der Größe des Dorfes abhängig 12 - sondern auch nach Zivilstand der Eheschließenden nötig, da verwitwete Personen u.U. ein anderes Wanderungsmuster zeigen könnten als ledige. 13 Im Ausgangsniveau des Endogamiegrades für Erstehen gehen die drei kleineren Dörfer (15%) gegen Bondorf (30%) zusammen. Am Ende des Untersuchungszeitraumes gruppieren sich Bondorf und Mötzingen (60%) gegen Tailfingen und Nebringen (40%). Bondorf, Tailfingen und Nebringen verzeichnen 1690-1724 ihre Maxima, Mötzingens Endogamiegrad erhöht sich bis 1830 laufend.

10

11

12 13

vgl. J.P.Bardet, Skizze, S.6Sf; P.Laslett, Brassage, S. 107; P.Laslett, Family life, S.65-68, 79-80, 82; zur zunehmend negativen Bewertung von Mobilität s.: U.Jeggle, Kiebingen, S.119f; W.Kaschuba, C.Lipp, Überleben, S.46, 120-122 zu Schwierigkeiten Geburtsort, Wohnort und Ort der Herkunft zu unterscheiden s. J.Dupäquier, Bassin, S.224; zu Schwierigkeiten, Migrationen zum Zeitpunkt der Heirat zu erfassen vgl. M.Garden, Citadins, S.75; vgl.a. H.Charbonneau, Tourouvre, S.88-93, der Geburtsort und Wohnort vor der Ehe unterscheidet. J.Dupäquier, Villages, S. 12; J.Dupäquier, Bassin, S.224f; s.a. D.E.C.Eversley, Population, S.40; A.Burguiére, Endogamie, S.320f L . H e n r y , Techniques, S.58; s.a. H.R.Burri, Bevölkerung, S.89 zur Abwanderung verwitweter Personen

217

Tab. 5.2.2. l.a. Herkunft der Ehepartner bei Erstehen 14 N 1 2 Periode Bondorf 1585-1619 43,6 18,2 55 1620-1654 71 14,1 47,9 1655-1689 78 16,7 53,9 1690-1724 16,4 110 71,8 1725-1759 146 61,6 16,5 1760-1794 181 68,0 11,6 1795-1829 12,4 225 60,9 Mötzingen 1620-1654 24 16,7 12,5 1655-1689 19 15,8 26,3 1690-1724 50 32,0 34,0 1725-1759 75 25,3 52,0 1760-1794 121 54,6 19,8 1795-1829 166 59,0 11,5 Tailfingen 22,4 1585-1619 58 15,5 21,4 1620-1654 28 32,2 1655-1689 55 41,8 27,3 1690-1724 41,2 51 23,5 1725-1759 68 35,3 26,5 1760-1794 89 34,8 27,0 1795-1829 88 39,8 29,5 Nebringen 1620-1654 21,1 19 15,8 30,4 1655-1689 23 8,7 1690-1724 32 59,4 25,0 1725-1759 43 53,5 25,6 1760-1794 62 48,4 24,2 57 1795-1829 43,9 29,8 1 2 3 4

= = = =

Mann Mann Mann Mann

3

4

34,6 38,0 26,9 11,8 21,2 19,3 24,3

3,6 0,0 2,5 0,0 0,7 1,1 1,8

58,3 57,9 32,0 18,7 25,6 26,5

12,5 0,0 2,0 4,0 0,0 3,0

56,9 35,7 23,6 33,3 36,8 34,8 28,4

5,2 10,7 7,3 2,0 1,5 3,4 2,3

52,6 43,5 12,5 20,9 27,4 26,3

10,5 17,4 3,1 0,0 0,0 0,0

und Frau ortsbürtig auswärtig, Frau ortsbürtig ortsbürtig, Frau auswärtig und Frau auswärtig

Die Abhängigkeit des Endogamiegrades von der Größe des Dorfes läßt sich nicht leugnen, aber sie erklärt nicht alles: wenn die Dörfer um 1720 wieder genauso viele Einwohner hatten wie 1620, so hatten sie alle nach 1720 mindestens doppelt so hohe Endogamiegrade wie vor dem Dreißigjährigen Krieg. Der Krieg zerstörte die bestehenden innerörtlichen Verwandtschaftsverhältnisse, die Heiraten innerhalb des Dorfes unmöglich machten (obrigkeitliche Verbote); andererseits festigte der Krieg die Grenzen, die nun für eine Eheschließung nicht mehr überschritten wurden (s.u. 5.2.2.2.). Darüber hinaus ist der Grad der lokalen Endogamie abhängig vom Stand der Geldwirtschaft (im Falle einer auswärtigen Ehe müssen Mitgiften und Erbschaften kapitalisiert werden), von der Be14

218

Die Prozentsätze wurden nur aufgrund der Ehen berechnet, in denen die Herkunft beider Ehepartner bekannt war.

deutung des Landbesitzes (Land war knapp) und von den Hindernissen, die der Aufnahme Fremder ins OrtsbürgerTecht entgegenstanden. 15 Schließlich passen steigende Endogamiegrade und sinkende Mobilität gut zueinander. 16 Auf der Grundlage von Tabelle 5.2.2.1.a. lassen sich auch die Präferenzen für eine bestimmte Pfarrei bei der Heirat ermitteln. 17 Tailfingen und Nebringen stehen dabei gegen Bondorf und Mötzingen: in den ersten beiden Dörfern wurde spätestens seit dem Dreißigjährigen Krieg ohne Präferenz für eine bestimmte Pfarrei geheiratet, in den beiden letzten gehörte die Präferenz außer 1690-1759 immer der Pfarrei des Mannes (wenn sie auch nicht immer statistisch signifikant war). 1 8 Da in Württemberg anscheinend am Wohnort des späteren Paares geheiratet wurde, 1 9 sind die Präferenzen wesentlich schwächer als zum Beispiel in Frankreich, wo die Präferenz immer der Pfarrei der Frau zukam. 2 0 Bei einer Identität von späterem Wohnort und Heiratspfarrei bedeutet eine Änderung in der Präferenz zugleich eine andere Entscheidung, welche Erbschaft der neugegründete Haushalt anzutreten wünschte: die des Vaters des Mannes oder die des Vaters der Frau. Die Wahlmöglichkeiten waren vor 1690 und nach 1760 offenbar begrenzter als im Zeitraum dazwischen. Der Endogamiegrad der Ehen zwischen Witwern und ledigen Frauen liegt immer niedriger als der der Erstehen. In Bondorf erhöht er sich von ca. 30 (1620-1654) auf 60% (1795-1829), in Mötzingen von 10 (1620-1689) auf 40% (1760-1829). In Tailfingen und Nebringen aber stagniert er bei 20%. Witwer ehelichten offenbar leichter auswärtige Frauen als erstmals Heiratende. In Ehen zwischen ledigen Männern und Witwen stammte einer der beiden Partner mit noch höherer Wahrscheinlichkeit von auswärts, der Endogamiegrad war mithin niedriger als bei Ehen zwischen Witwern und ledigen Frauen. 2 1 Der Endogamiegrad von Ehen zwischen beiderseits Verwitweten ist kaum mehr relevant, da sie unter Umständen schon den größten Teil ihres Lebens in einem anderen Dorf verbracht hatten.

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16

17

18 19 20

21

U.Jeggle, Kiebingen, S. 117-119, 123, 160-162; Bitzer, Verehelichungsrecht, S.69f (Bürgerrecht); D.Sabean, Immen, S.232-234 zur Rolle des Besitzes; zu Blutsverwandtenehen: J.Sutter, Fréquence, S.305-308, 310-312, 314; J.Sutter, J . M . G o u x , Aspect, S.448, 4 5 0 ^ 5 2 , 456f; D.Ferembach, Facteurs, S.84f; M.Segalen, Nuptialité, S.84-89 zum Endogamiegrad vgl. E.Weismann, Bevölkerungsbewegung, S.351 (Zahl für 1617-1620 offensichtlich falsch); W.Kaschuba, C.Lipp, Überleben, S.480; U.Jeggle, Kiebingen, S.161, 197f; D.Sabean, Household formation, S.280; W. von Hippel, Wandel, S.95; Y.Blayo, L . H e n r y , Données, S. 123, s.a. S. 124 für die Pfarrpräferenz; M.Lachiver, Touraine, S.226; J.Houdaille, Village, S.303 Unter der Annahme, daß gleich viele Bondorfer auswärts fremde Frauen heirateten wie auswärtige Männer in Bondorf Bondorferinnen, ergeben sich z.B. 1795-1829 84 Bondorfer, von denen 56 in Bondorf auswärtige Frauen ehelichten, während 28 außerhalb Bondorfs auswärtige Frauen heirateten (entsprechend der Zahl der auswärtigen Männer, die in Bondorf eine Bondorferin heirateten). Zwei Drittel aller Männer wählten also für ihre Eheschließung ihren Heimatort, nur ein Drittel den ihrer zukünftigen Gattin. zu den einzelnen Werten s. A.Maisch, Ansätze, S. 113-115 H . H ö h n , Hochzeitsbräuche I, S.99, 128 s. z.B.: M.Lachiver, Touraine, S.226; Y.Blayo, Paroisses, S. 199; P.Robert, Rumont, S.38; J . P . B r u n , Population, S.326; Y.Blayo, L.Henry, Données, S.124; D.Dinet, Quatre paroisses, S.71; J.Ganiage, Trois villages, S.59f Y.Blayo, L.Henry, Données, S. 123

219

5.2.2.2. Herkunft der Ehepartner Nach der Frage, wieviele Ehegatten in die vier Dörfer von außen einheirateten, geht es nunmehr darum, woher sie kamen. 2 2 Ein Großteil der Heiratenden stammte aus der unmittelbaren Nachbarschaft Bondorfs; in allen vier Zeitabschnitten sind Tailfingen, Oschelbronn und Mötzingen an prominenter Stelle vertreten. Ein beachtliches Kontigent von Ehepartnern stellen auch die Dörfer des sog. "Stäble", Wolfenhausen, Nellingsheim, Remmingsheim und Eckenweiler. 23 Schließlich sind besonders 1620-1689 und 1760-1829 Ehegatten aus Hochdorf im Gäu (Kreis Horb) stark repräsentiert. 24 Gering vertreten sind dagegen die Städte der Umgebung. Herrenberg, Nagold, Haiterbach und Tübingen stellen zwar über die ganze Zeit hinweg einzelne Ehegatten, aber manch weiter entfernt liegendes Dorf ist häufiger vertreten. 25 Das bedeutet nun sicher nicht, daß der Austausch zwischen Stadt und Land nicht funktionierte, sondern daß in solchen Fällen die Heirat in der Stadt bevorzugt wurde. Die Herkunft der Ehepartner in den Jahren 1550-1619 differiert auffällig von der in späteren Jahren: außer den obengenannten, dauernd präsenten Dörfern stellen hier auch Vollmaringen, Baisingen, Ergenzingen, Seebronn und Hailfingen, ja selbst Rottenburg Ehegatten, während diese österreichischen (und damit katholischen) Orte später nicht mehr vorkommen. Die Religionsgrenzen - vielleicht auch die Religionszugehörigkeit der jeweiligen Untertanen - scheinen vor dem Dreißigjährigen Krieg keineswegs klar gezogen und zumindest noch nicht den Status von Heiratsbarrieren erreicht zu haben, den sie später hatten. 2 6 Die Verhältnisse von 1550-1619 spiegeln sicher die vorreformatorischen Verhältnisse wider, so daß in diesem Zeitraum - und nur in diesem - sich die Geburtsorte der in Bondorf heiratenden Frauen und Männer so kreisförmig um Bondorf verteilen, wie dies im religiös homogenen (zu weiten Teilen jedenfalls) Frankreich der Fall ist. 2 7 Übrigens ist in dieser Periode auch die Konzentration auf das Obere Gäu am stärksten, später tritt der Schwarzwald deutlicher hervor. Ähnliche Beobachtungen gelten für Mötzingen: auch hier heiraten 1560-1619 Männer und Frauen aus Seebronn, Vollmaringen, 28 Rottenburg, Kiebingen, Hailfingen und Ergenzingen, die danach nie wieder vertreten sind. Für Mötzingen ist der Austausch von Ehegatten mit der unmittelbar benachbarten Stadt Nagold zudem recht gewichtig. Ab 1690 kommen die relativ meisten Bräute und Bräutigame aus Hochdorf; bedeutend sind immer Bondorf und Oschelbronn, gefolgt von Haiterbach, Remmingsheim, Ober- und Unteijettingen und Schietingen. 22 23 24

25 26 27 28

220

zu Distanzen s. A.Maisch, Ansätze, S. 119-123 H.Decker-Hauff, Herrenberg, S.3 In diesem Fall trug vielleicht die Unsicherheit der Identifizierung etwas zur Erhöhung der Zahlen bei; weitere Hochdorfs gibt es in den Kreisen Esslingen, Ludwigsburg, Vaihingen/Enz - immerhin alle weit genug weg, um die Mehrzahl der Zuweisungen zu rechtfertigen. zur geringen Rolle der Städte: W.Kaschuba, C.Lipp, Uberleben, S.491 W.Kaschuba, C.Lipp, Überleben, S.491; H.C.Rublack, Konfession, S.70; F.Amtsfeld, Struktur, S. 18f M.Segalen, Nuptialite, S.74; J.Ganiage, Trois villages, S.42f Vollmaringen, Mötzingen und Iselshausen bildeten vor der Reformation eine Pfarrei, womit die Verflechtung zwischen diesen Dörfern sehr eng gewesen sein dürfte: Beschreibung Horb, S.251, 255

Der Heiratskreis der Tailfinger ist extrem auf die Nachbarorte Bondorf, Nebringen, Oschelbronn, Altingen, Gültstein, Kayh und Reusten konzentriert. Auch so kleine Dörfer wie Haslach und Mönchberg stellen einen beträchtlichen Anteil der Ehepartner. Herrenberg spielt vor allem 1655-1689 eine bedeutende Rolle, als in Tailfingen nicht weniger als elf Ehen unter Beteiligung von in der Amtsstadt Geborenen gefeiert wurden. Was die Ehen mit Beteiligung von aus katholischen Dörfern Stammenden angeht, so gilt dieselbe Bemerkung wie bei Bondorf und Mötzingen: Hailfingen, Baisingen, Oberndorf und Ergenzingen sind vor dem Dreißigjährigen Krieg vertreten - danach nicht mehr. In Nebringen ist die Konzentration auf die direkten Nachbarorte noch stärker als in Tailfingen: außer diesem Dorf sind Oschelbronn und Bondorf ganz stark vertreten, daneben der übliche Satz von Gäudörfern. Herrenberger Ehepartner sind nur schwach beteiligt (drei Ehen von 1585-1829), ein Indiz, daß bei unmittelbarer Nähe der Stadt Ehen mit städtischen Partnern in der Stadt geschlossen wurden, zumal Nebringen als Filial keinen eigenen Pfarrer hatte. 29 Die Unterbrechung der alten Heiratskreise, wie sie bis 1620 bestanden, scheint der Obrigkeit einige Mühe gemacht zu haben: "... Wir werden mehrmalen berichtet, komt auch in Haltung der Jaehrlichen Visitationen oefters vor, waßgestalt Unserer Underthanen Kinder, bevorab diejenige, so an den angrenzenden papistischen orten wohnen, Sich an selbige Oerter verbinden und dardurch, wo nicht gleich anfangs, jedoch nach und nach durch heurathen von Abfall Unßerer wahrer Religion gebracht und also verfuehrt werden , . . " . 3 0 Die Pfarrer sollen ihren Gemeinden deshalb "...so oft es der Text und Anlaß zu predigen geben und leiden mag, das Pabstumb, und was vor Grewel in selbigem gelehrt werden. Jedoch mit gebuehrenden Bescheidenheiten den Zuhoerern zu Gemueth fuehren und wohl einbilden, Ewrer Seein Heil und Seeligkeit vor dergleichen Diensten und Heurathen abmahnen und Verwarnen ..." 3 1 Sollte die Predigt allein nicht helfen, sollen die widersetzlichen Eltern und Kinder vorgeladen und mit dem Ausschluß von Communion und Abendmahl bedroht werden. Die Beamten ihrerseits sollen mit Strafen gegen Eltern, Kinder, Vormünder etc., die dieser Anordnung entgegen handeln, vorgehen. 3 2 Dieses Reskript wurde auch unverzüglich in die Praxis umgesetzt: 1612 wurden die Bondorfer Hans Scheurer, Hans Bühler und Königunda Mast bestraft, weil sie entgegen diesem Verbot Töchter nach Rohrdorf, Seebronn, Eutingen und Hailfingen verheiratet hatten. Sie brachten zwar vor, gegen diese Ehen gewesen zu sein und nicht gewußt zu haben, daß sie deshalb zu einer Geldstrafe verurteilt werden könnten, aber nur der Witwe Mast wurde die Strafe erlassen. "Wann aber Gnediger Fürst und Herr wir nur ein halbstunde von einander gesessen, Tägliches bey unnd Umb einander handien, Unnd wandlen, vil herüber unnd mehr zue unnß allß wie zue Ihnen heurathen aber derwegen Unnßers wissens nie Niemandt gestrafft worden, wie wir auch Unnß desshalben einigen Oberkhaitlichen gebotts so geschehen were, nit zue erinnern wissen, Usserhalb waß etwan der Pfarrher Uff der Canzel Inn der Predigt darwider geredt, Innsonderhait aber Unnser döchtern sich selbsten, ohn Unnser wissen ain Ersten dahin verlobt, Unnd da man

29 30 31 32

zur Herkunft der Ehepartner 1558-1806 vgl. G.Ernst, Bauerntum, S.435 für Deckenpfronn General-Rescript vom 13./14.1.1609, in: Reyscher VIII, S.302 ebd. ebd., S.302f

221

Jungen leuten In solchen Sachen zuvil abwären will, die Ällttern sorgen müeßen, daß sie einen anderen Spott Verursachen, Unnd dann ein Fraw Alhie, Künigunda, Basti Masten seeligen Witib, so ein dochter gehn Euttingen verheurath ebenmäßig umb 10 fl straff angezogen: da sie aber dem Undervogt angelobt, sie hab nüt gewüßt, daß es Verbotten sey p. deren wider erlassen worden." 33 Die alltägliche Verklammerung der Nachbardörfer war so eng, daß eheliche Verbindungen als das Gegebene schlechthin erschienen. Dem Gerede des Pfarrers wurde offenbar ein eher geringer Stellenwert zugemessen, die Konfessionsfrage selbst spielte bei den Betroffenen keine Rolle. Die vorgeschobene Gegnerschaft der Eltern gegen diese Ehen tauchte wohl eher erst nach der Bestrafung auf, Hans Scheurer hatte seiner 1609 nach Rohrdorf verheirateten Tochter Anna immerhin 500 fl Heiratsgut gegeben, seiner nach Seebronn verehelichten Tochter Ursula gar 700 fl. Maria Mast hatte wie die Tochter Hans Bühlers 100 fl bekommen. 34 Im General-Rescript vom 12. Januar 1613 taucht das Verbot der Heirat in Orte anderer Religion ebenfalls auf, länger ausgeführt wird das, Frauen anderer Leibherrschaften zu heiraten, bevor diese nicht ihre "Ledig-Zehlung" von der Leibeigenschaft nachweisen. 35 1627 wurden beide Punkte noch einmal aufgegriffen: sowohl bei Heiraten mit Frauen, die Leibeigene anderer Herrschaften sind und bislang nicht in Württemberg gelebt haben, wie im Falle der Eheschließung mit Angehörigen anderer Religionen behielt sich die Kanzlei die letzte Entscheidung vor. 36 Offenbar hatten andere Reichsstände ihren Untertanen ebenfalls die Heirat mit Württembergern verboten: "... Demnach auch bißhero etliche Stand deß H. Reichs, so nicht Augspurgischer Confession, contra Libertatem Matrimonium, ihren Unterthonen, gegen den Unseligen bey auffgesetzten harten Straffen sich zuverheurathen verbotten." 37 Am 10./18. Februar 1648 wurde das Reskript von 1627 noch einmal eingeschärft. 38

33 34 35 36 37 38

222

HSTAS A 206 Bü 3958 (Verheiratung von Kindern ins Papsttum, Bondorf, 1612-1613) HSTAS A 206 Bü 3958; vgl. OSB BON 1826 und 2463 (Hans Bühler ließ sich nicht zweifelsfrei identifizieren) General-Rescript vom 12.1.1613, in: Reyscher VIII, S.304f General-Rescript vom 22.1.1627, in: Reyscher V, S.396f ebd., S.396f General-Rescript vom 10./18.2.1648, in: Reyscher V, S.442

5 . 3 . Nuptialität Nach den Heiratsmigrationen sollen im folgenden die anderen Fragen im Zusammenhang mit der Eheschließung, die die historische Demographie beantworten helfen kann, behandelt werden: wieviele Personen heirateten überhaupt, welche Bedeutung hatten Wiederheiraten im Rahmen aller Eheschließungen, mit welchem Alter "heiratete man", wie oft folgte auf eine Verwitwung eine zweite Ehe und in welchem Abstand? 1 5.3.1. Definitives Zölibat Bei der Berechnung des definitiven Zölibats werden die Personen, die mit über 50 Jahren ledig in einer bestimmten Periode verstarben, in Beziehung zu jenen gesetzt, die in der gleichen Zeitspanne verheiratet oder verwitwet starben. 2 Zwei Hindernisse aber machen die Berechnung dieses Anteils schwierig: weder ist bei allen Todesfällen das genaue Alter noch der Zivilstand bekannt. 3 Bei den Altersangaben schien mir die größtmögliche Exaktheit erforderlich, d.h. ein bekanntes Geburtsdatum. Denn gerade bei ledigen Personen besteht sicher die Tendenz, die Höhe des Alters zu überschätzen. Vor 1690 scheint ein definitives Zölibat in Bondorf äußerst selten gewesen zu sein. 16901724 liegt es für Frauen in der Größenordnung von 5%, für Männer zwischen 6 und 7%. 8-9% der Frauen und 10% der Männer scheinen mir realistische Werte für 1725-1759 zu sein. 1760-1794 ergeben sich für die Frauen 10% und für die Männer 5%, in der letzten Periode 8 bzw. wieder 5%. Unmittelbar im Abschluß an den Dreißigjährigen Krieg errechnet sich für Tailfinger Frauen ein Ledigenanteil von etwa 7%, für die Männer von vielleicht 2%. Danach liegt das definitive Zölibat für Frauen in Tailfingen und Nebringen 1690-1794 bei etwa 3%, für die Männer ergeben sich Werte in derselben Größenordnung. Nach 1795 vervierfacht sich der Anteil definitiv lediger Frauen auf 12% und verdoppelt sich der der Männer auf 6%.

1725-1759 erhält man bei den Frauen in Mötzingen einen Anteil von um die 12% definitiv Ledigen, der dann 1760-1794 auf etwa 7% sinkt und sich im Anschluß auf ca. 11% erhöht. Vor 1690 könnte der Ledigenanteil der Männer um die 6% gelegen haben, von 1690-1759 vielleicht (aber auch nur vielleicht) bei 3%. 1760-1794 bewegte er sich sicher in dieser Größenordnung und stieg dann auf etwa 5 %. Sicher ist nach diesen mit vielen Fragezeichen versehenen Ausführungen eigentlich nur, daß das definitive Zölibat in den vier Gäudörfern selten war: 4 10% werden nur in drei Fällen (Tailfingen/Nebringen 1795-1829, Mötzingen 1725-1759 und 1795-1829, immer für die Frauen) überschritten. Vor allem Tailfingen und Nebringen weisen extrem niedrige Werte auf. 5 1 2 3 4 5

I.Esenwein-Rothe, Einführung, S.262f zum Begriff, S.263-294 allgemein G.Mackenroth, Bevölkerungslehre, S.87; L.Henry, Techniques, S.48 L . H e n r y , Techniques, S.49 J.Hauser, Bevölkerungslehre, S.154 Anm. 113: unter 5% Zölibatärenanteil Zölibat selten, über 20% hoher Anteil; zur Einschätzung auch D.E.C.Eversley, Population, S.39; P.Goubert, Theories, S.468 vgl. a. die Ledigenanteile bei J.Houdaille, Résultats, S.651; J.Houdaille, Remmesweiler, S.1186; J.P.Kintz, Etudes, S.265, 275; J.Houdaille, Sept villages, S.1064f; J.Houdaille, Boulay, S.1062;

223

Es stellt sich nun die Frage, inwieweit diese Werte tatsächlich das definitive Zölibat widerspiegeln und nicht nur das Wanderungsverhalten von Zölibatären, die ihre ländliche Heimat verließen, um in den Städten Arbeit zu suchen. 6 Vor allem auf Tailfingen und Nebringen könnte die Nähe von Herrenberg und Tübingen gewirkt haben. Der Anstieg 1795-1829 würde sich dann schlicht durch ein geändertes Wanderungsverhalten erklären. Sollte es sich um einen echten Anstieg handeln, dann würde er auf verminderte Heiratschancen ab etwa 1775 hindeuten: Frauen, die von 1795-1829 über 50jährig starben, dürften durchschnittlich um 1750 geboren sein. Schließlich könnte es sich um eine Kombination beider Faktoren gehandelt haben: verminderte Heiratschancen und verminderte Abwanderung, da verminderte Arbeitsmöglichkeiten in den Städten, beides zurückgebunden an Symptome der Überbevölkerung und der Wirtschaftskrise. 7 5.3.2. Zivilstand der Heiratenden Die Aufteilung der Ehen nach dem Zivilstand der Partner erlaubt es, bestimmte Präferenzen bei der Wahl des Ehegatten herauszuarbeiten und die Bedeutung der Wiederheiraten zu bestimmen. 8 Auffallig ist vor allem der Rückzug der Witwen vom Heiratsmarkt: in Bondorf z.B. stellen Witwen vor 1655 über 20% der heiratenden Frauen, 1655-1724 immer noch 10%, danach nur noch 6%, dann 4%. Für die Witwer läßt sich eine ähnliche Tendenz dagegen nicht feststellen: ihr Anteil liegt vor 1655 etwa bei einem Viertel, 1655-1689 über 30%, danach aber immer noch in der Größenordnung von 15% (mit steigender Tendenz nach 1795). Durch den Rückzug der Witwen wächst zwangsläufig der Anteil der Ehen von Witwern, die eine ledige Frau ehelichten: 1550-1584 waren es nur 44%, 1620-1654 71%, 1655-1689 80% und 1795-1829 96%. In den anderen Dörfern ist die Tendenz ähnlich, wenn auch die Chronologie zum Teil abweicht.

6

7

8

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L.Gadoury, Comportement, S.9; J.Hajnal, Marriage, S.113f; L.Henry, Population of France, S.453; C.Lévy, L.Henry, Ducs, S.812; L.Stone, Family, S.42-46 Y.Blayo, L.Henry, Données, S. l l l f glauben, daß das Wanderungsverhalten lediger Frauen nicht anders war als das der anderen, womit die Schätzungen recht gut wären; J.Hajnal, Marriage, S.107 glaubt an die différentielle Mobilität, wofür hohe Ledigenanteile in manchen städtischen Pfarreien sprechen (St.Sulpice in Paris z.B., zit. ebd., S. 112); aber a. in Amiens s. P.Deyon, Amiens, S.42; s.a. L.Henry, Population of France, S.454; E.Gautier, L.Henry, Crulai, S.75f halten différentielle Mobilität für möglich. Das Thema "Uberbevölkerung" wurde sogar von "einfachen Leuten" reflektiert: der Taglöhner Cuno Walter stellte 1764 einen Antrag auf Abzug und gab zur Begründung an: " 'In Kiebingen ..., wo ich verbürgert, ein Taglöhner und weniges Vermögen besitze, findet nur derjenige sein hinlänglich unterhalt, welcher mit genugsammen feldgüttem versehen, oder eine Handthierung erlehret, mittelst dero er sich bei gegenwärtigen Zeit-Läuften, wo alles mit Läuthen übersäet, ehrlich durch die Welt fortzubringen imstande ist.'" zit. nach U.Jeggle, Kiebingen, S.120 Die Unbekannten wurden proportional zu den Bekannten verteilt: L.Henry, Techniques, S.55f

Tab. 5.3.2.a. Familienstand der Heiratenden Mann ledig Mann Witwer Mann Witwer N Mann ledig Periode Frau Witwe Frau ledig Frau ledig Frau Witwe Bondorf 8,7 14,4 65,4 11,5 1550-1584 104 15,2 63,6 132 1585-1619 12,1 9,1 19,2 7,7 13,5 1620-1654 156 59,6 6,2 4,8 25,5 63,5 1655-1689 145 77,4 7,7 9,7 3,8 1690-1724 155 4,8 14,3 1,0 79,9 189 1725-1759 13,2 82,7 1,8 1760-1794 220 2,3 17,2 77,7 291 2,8 1795-1829 1,0 NB: Die Ehen von Geschiedenen fehlen. Es waren 1690-1724 1,4% und 1795-1829 1,3% aller Ehen. Mötzingen 12,9 21,0 12,9 1550-1584 62 51,6 15,8 2,6 38 60,5 1585-1619 21,1 55,4 9,5 16,2 1620-1654 74 18,9 64,7 5,9 17,6 9,8 51 1655-1689 7,9 2,2 1690-1724 70,8 89 19,1 13,8 101 83,2 2,0 1725-1759 1,0 11,8 0,7 1760-1794 84,3 2,0 153 2,5 12,5 200 83,5 1795-1829 1,5 NB: Ehen von Geschiedenen 1550-1584 1,6%, 1655-1689 2%, 1760-1794 1 / Ehen. Tailfingen 17,4 1550-1584 92 72,8 7,6 2,2 50,7 150 10,0 27,3 12,0 1585-1619 57,7 17,6 14,1 1620-1654 85 10,6 87 1655-1689 71,3 5,8 16,9 4,6 1690-1724 68,1 7,7 17,6 91 5,5 69,8 11,3 1725-1759 106 15,1 3,8 1760-1794 75,4 16,9 2,6 118 5,1 15,4 68,5 7,7 1795-1829 130 2,3 NB: Ehen von Geschiedenen 1655-1689 2:,4%, 1690-1724 1,1%, 1795-1829 6, Ehen. Nebringen 16,7 1550-1619 48 58,3 12,5 12,5 71 67,6 14,1 1620-1689 7,0 11,3 107 8,4 1690-1759 73,8 15,9 1,9 146 82,9 1760-1829 5,5 11,6 0,0

Der Anteil der heiratenden Witwer und Witwen hängt von ihrer Anzahl ab, mit anderen Worten also von der Zahl der Ehen, die in relativ jungen Jahren - nur dann ist die Chance, sich wiederzuverheiraten, groß (s.u.) - durch den Tod eines Teils gebrochen wurde, damit folglich von der Sterblichkeit. Die hohen Prozentsätze vom Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts erstaunen daher nicht. Die zahlreichen Krisen trugen ihren Teil dazu bei.

225

Außer diesem demographischen Faktor spielen aber sicher auch ökonomische Überlegungen eine gewichtige Rolle: arme und mit Kindern belastete Witwen waren für heiratswillige Männer (Witwer oder nicht) mit Sicherheit keine interessanten Ehegattinnen, zumal dann nicht, wenn bei sinkenden Heiratschancen (steigender Zölibatärenanteil!) ledige Frauen eher geneigt waren, einen etablierten Witwer zu nehmen als vorher. Möglicherweise nahm auch der Druck von seiten der Kinder erster Ehe auf die Mutter zu, kein zweites Mal mehr zu heiraten. Eine zweite Ehe konnte ihre Erbansprüche schädigen, wenn in der zweiten Ehe weitere Kinder geboren wurden oder wenn sie sich als ökonomischer Mißerfolg herausstellte. Schließlich könnten auch kulturelle Trends wichtig gewesen sein. Im Zuge einer veränderten Frömmigkeit könnte das Modell der "lebenslangen Treue" zum ersten Gemahl verbindlicher geworden sein.9 5.3.3. Heiratsalter "The marriage pattern of most part of Europe as it existed for at least two centuries up to 1940 was, so far as we can tell, unique or almost unique in the world. There is no known example of a population of non-European civilization which had a similar pattern. The distinctive marks of the 'European pattern' are (1) a high age at marriage and (2) a high proportion of people who never marry at all." 10 Mit dem zweiten dieser Charakteristika wurde dieses Kapitel eröffnet, das erste soll nun folgen. 5.3.3.1. Alter bei der Erstehe Das Alter bei der Erstehe bezieht sich auf Ledige, die zum ersten Mal heiraten, unabhängig vom Familienstand ihres Ehepartners.11

9

10 11

226

Vgl. J.Houdaille, Remmesweiler, S.1186; J.Houdaille, Sept villages, S.1064; J.Houdaille, Boulay, S. 1062; s.a. Y.Blayo, L.Henry, Données, S.llOf; J.Ganiage, Trois villages, S.56; H.R.Burri, Bevölkerung, S.107f; P.Girard, Aperçus, S.490; G.Cabourdin, Gens, S.57; E. Weismann, Bevölkerungsbewegung, S.345; J.Dupâquier, Bassin, S.314-316; J.C.Polton, Coulommiers, S.21; J.C.Giacchetti, M.Tyvaert, Argenteuil, S.61; M.Lachiver, Touraine, S.230 für Bléré im 18. Jahrhundert; J.P.Kintz, Société, S. 191, 193 für Straßburg im 16. und 17. Jahrhundert; H.Charbonneau, Vie, S.183f für Quebec im 17. Jahrhundert; H.Charbonneau, Tourouvre, S.78; J.Knodel, Behaviour, S.153; Königreich Württemberg 1863, S.341 (0,8% waren Ehen von Geschiedenen); P.Bohl, Stockach, S.352, der eine Zunahme der Heiraten von Witwen im 18. Jahrhundert feststellt. Ebenso W.Norden, Bevölkerung, S.178. J.Hajnal, Marriage, S.101, 106; s.a. A.Burguière, Démographie, S. 101; zur heutigen Problematik: I.Esenwein-Rothe, Einführung, S.283-285 J.Dupâquier, Bassin, S.302; J.Hajnal, Marriage, S.108, s.a. Anm. 11 ebd.

T a b . 5 . 3 . 3 . 1 . a . Durchschnittliches Heiratsalter bei der Erstehe. N u r e x a k t e Männer Bondorf Tailfingen Mötzingen alle Dörfer Periode D N D N D N D N Männer 25,2 13 27,4 57 146 2 5 , 9 58 25,3 1585-1619 26,2 44 29 25,3 26,3 1620-1654 180 2 6 , 7 85 27,2 25 47 168 2 6 , 8 78 26,5 24,6 1655-1689 26,7 41 26,1 54 24,9 1690-1724 228 26,3 103 307 26,7 146 27,2 61 26,1 61 25,8 1725-1759 134 26,9 90 27,3 1760-1794 472 27,4 186 27,9 241 27,9 175 108 28,1 1795-1829 586 28,0 27,8 Frauen 57 11 24,2 54 25,3 141 2 3 , 7 22,3 1585-1619 74 24 30 1620-1654 145 2 5 , 5 24,6 25,3 26,9 77 24,1 20 24,3 58 25,0 180 2 4 , 7 1655-1689 22,4 117 52 1690-1724 255 23,4 23,1 24,2 49 154 74 24,1 342 24,5 24,6 69 24,6 1725-1759 524 25,3 26,2 148 24,5 24,9 1760-1794 206 103 284 26,6 198 26,1 127 25,8 1795-1829 679 26,3

Alter Nebringen D N 18 22 18 30 39 62 62

28,6 30,9 29,9 27,4 27,4 27,0 28,4

19 17 25 37 45 67 70

23,4 27,1 26,3 24,4 24,3 25,0 27,4

D i e E n t w i c k l u n g d e s männlichen Heiratsalters bei der Erstehe läßt e i n e n A n s t i e g

von

1 5 8 5 - 1 6 1 9 zu 1 6 2 0 - 1 6 5 4 um ein Jahr auf e t w a s w e n i g e r als 2 7 Jahre e r k e n n e n ; erst 1 6 9 0 1 7 2 4 sinkt das durchschnittliche Heiratsalter leicht: u m ein halbes Jahr auf 2 6 , 3 Jahre. D a n a c h b e w e g t e s sich kontinuierlich nach o b e n , bis 1 7 9 5 - 1 8 2 9 2 8 , 0 Jahre erreicht werden.12 Im e i n z e l n e n existieren e i n i g e U n t e r s c h i e d e z w i s c h e n den D ö r f e r n . In B o n d o r f steigt das Heiratsalter für M ä n n e r ununterbrochen an, w o b e i d i e S t e i g e r u n g e n 1 6 2 0 - 1 7 2 4 nur sehr

12

Nach L.Henry, Techniques, S.113f ist die Einbeziehung errechneter Alter wichtig, da ansonsten ein systematischer Fehler entstehen könnte: Personen mit errechnetem Heiratsalter sind Personen, die von außen in die untersuchten Dörfer einwanderten, ihr Heiratsalter könnte also von dem der ortsansässigen Bevölkerung abweichen. Eine Kontrollrechnung der durchschnittlichen Heiratsalter aufgrund der errechneten und exakten und nur der exakten Angaben zeigte aber, daß die Abweichungen gering sind. Der Grund dürfte darin liegen, daß die exakten Heiratsalter von fünf aneinander angrenzenden Dörfern vorliegen, also auch die exakten Heiratsalter von einwandernden Männern und Frauen bekannt und in der Rechnung enthalten sind. Beim Vergleich der auf der Basis der exakten Heiratsalter gewonnenen Durchschnitte mit denen, die aufgrund der exakten und der errechneten ermittelt wurden, ergeben sich folgende Abweichungen über 0,3 Jahre: 1) Bondorf: Männer 1690-1724 26,7 zu 27,0 Jahre. 2) Tailfingen: Männer 1690-1724 24,9 zu 25,2 Jahren, Frauen 1690-1724 22,4 zu 23,8 Jahren. 3) Mötzingen: Männer 1620-1654 25,3 zu 25,7 Jahren, 1690-1724 26,1 zu 26,7 Jahren, Frauen 1585-1619 24,2 zu 23,8 Jahren, 1690-1724 24,2 zu 24,5 Jahren, 1725-1759 24,1 zu 24,4 Jahren. 4) Nebringen: Männer 1620-1654 30,9 zu 30,5 Jahren, 1655-1689 29,9 zu 29,6 Jahren, 1725-1759 27,4 zu 27,7 Jahren, Frauen 1620-1654 27,1 zu 27,5 Jahren, 1690-1724 24,4 zu 25,2 Jahren, 1725-1759 24,3 zu 24,6 Jahren, 1760-1794 25,0 zu 25,5 Jahren. Schon die Tatsache, daß die Abweichungen sich in den beiden kleineren Dörfern häufen, während sie in den beiden größeren seltener sind, macht den zufälligen Charakter derselben einsichtig. Außerdem gehen sie in Mötzingen und Nebringen keineswegs immer in dieselbe Richtung. Zudem ist die Genauigkeit der errechneten Alter, die ja auf Altersangaben beim Tod beruhen, sicher nicht allzu hoch, die Tendenz zur Übertreibung bestand in solchen Fällen immer. Im folgenden werde ich mich deshalb ausschließlich an die exakten Alter halten. 227

gering ausfallen; nach 1795 stagniert das Heiratsalter bei 28 Jahren. Das entsprechende Heiratsalter in Mötzingen sinkt von 1585 bis 1689, wobei aber die Zahlenbasis für 15851619 sehr klein ist. Nach 1690 folgt zuerst eine Erhöhung auf 26 Jahre (1690-1724), dann auf 27 (1760-1794) und schließlich auf 28 Jahre (1795-1829), d.h. alle 35 Jahre steigt es um ein Jahr. In Tailfingen vollzieht sich der Anstieg von 1585-1619 zu 16201654 ähnlich wie in Bondorf (um ca. ein Jahr), dann folgt bis 1689 eine erneute Steigerung auf 27 Jahre, bevor 1690-1724 das Heiratsalter absinkt (auf 25 Jahre); im Anschluß setzt eine erhebliche Erhöhung ein: 1725-1759 auf 26 Jahre, 1760-1794 auf 27 Jahre und 1795-1829 auf 28 Jahre. Ab 1760 folgt in Mötzingen und Tailfingen der Anstieg des männlichen Heiratsalters dem gleichen Rhythmus. Nebringen, der kleinste Ort, hält - außer 1760-1794 - immer den Rekord beim männlichen Heiratsalter. Von einem sehr hohen Ausgangsniveau von 28,6 Jahren 1585-1619 steigt das Heiratsalter hier 1620-1654 auf fast 31 Jahre, sinkt danach über 30 (1655-1689) auf 27,5 Jahre (16901724) und schließlich (nach Stagnation 1725-1759) auf 27 Jahre (1760-1794). Erst 17951829 ändert sich der Trend: Das Alter bei der Erstehe erhöht sich auf 28,5 Jahre. Das weibliche Heiratsalter bei der Erstehe steigt im Durchschnitt aller Dörfer von 23,7 (1585-1619) auf 25,5 Jahre (1620-1654). Danach sinkt es in zwei Stufen über 24,7 auf 23,4 Jahre (1690-1724) und erreicht damit wieder den Stand von vor 1620. Ab 1725 steigt es von Periode zu Periode um jeweils ein Jahr: von 23,4 auf 24,5, dann auf 25,3, schließlich auf 26,3 Jahre. Die entscheidenden Wendepunkte liegen also nach dem Dreißigjährigen Krieg (Senkung) und im zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts (Steigung). Wie bei den Männern existieren auch bei den Frauen lokale Varianten: in Bondorf ist das Ausgangsniveau um über ein Jahr niedriger (und um drei Jahre niedriger als in Tailfingen), der Anstieg 1620-1654 fällt etwas deutlicher aus als beim Gesamtdurchschnitt; dennoch heiraten Frauen in Bondorf fast ein Jahr früher als in allen Dörfern zusammen. Das Absinken bis 1690-1724 fällt schwächer aus (es ergibt sich lediglich ein Gewinn von 1,5 Jahren), der Anstieg im 18. Jahrhundert dagegen stärker als in den anderen Dörfern: schon 1760-1794 ist das Niveau von 26,2 Jahren erreicht, danach erhöht sich das Heiratsalter nur noch leicht auf 26,6 Jahre. Mötzingen hat 1585-1619 ein leicht überdurchschnittliches Heiratsalter. 1620-1654 folgt ein Anstieg um ein Jahr, 1655-1689 wieder ein Rückgang in derselben Größenordnung. Bis 1794 bleibt das Heiratsalter dann nahezu konstant bei etwas über 24 Jahren, erst 1795-1829 setzt ein kräftiger Anstieg auf 26 Jahre ein. Tailfingen hat bereits 1585-1619 ein außerordentlich hohes Alter bei der Erstehe von 25,3 Jahren, das sich 1620-1654 um 1,5 Jahre auf fast 27 Jahre erhöht, danach zeigt sich eine Absenkung um 4,5 Jahre bis 1724. 1690-1724 errechnet sich für Tailfingen das niedrigste Heiratsalter aller Dörfer mit 22,4 Jahren. 1725-1759 bringt eine starke Steigerung auf 24,6 Jahre, 1760-1794 sind es fast 25, 1795-1829 25,8 Jahre, was immer noch das niedrigste weibliche Heiratsalter bei der Erstehe aller Dörfer ist. In Nebringen steigt 1620-1654 das Heiratsalter gegenüber der vorangehenden Periode sehr stark: um mehr als 3,5 Jahre von 23,4 auf 27,1 Jahre, wobei allerdings die kleine Zahlenbasis zu berücksichtigen ist. Danach sinkt das Heiratsalter rasch ab und erreicht 1725-1759 sein Minimum mit 24,3 Jahren. 1760-1794 tritt eine deutliche Erhöhung auf 25 Jahre ein, der 1795-1829 eine Steigerung auf 27,4 Jahre folgt. Die Schwankungen des weiblichen Heiratsalters sind stärker als die des männlichen.

228

Die anderen Mittelwerte - außer dem bislang betrachteten arithmetischen Mittel der Median und der Modal wert - können nun in aller Kürze präsentiert werden:

Tab. 5 . 3 . 3 . l . b . Medianes Heiratsalter bei Erstehen. Exakte Alter Bondorf Tailfingen Periode Männer 24,8 1585-1619 24,1 26,1 1620-1654 25,8 25,4 25,4 1655-1689 1690-1724 26,3 24,3 25,6 26,3 1725-1759 1760-1794 26,9 27,9 26,5 26,6 1795-1829 Frauen 22,2 24,6 1585-1619 1620-1654 24,0 25,8 23,8 23,6 1655-1689 1690-1724 22,2 22,4 23,7 24,0 1725-1759 1760-1794 23,6 24,8 25,0 24,3 1795-1829

Mötzingen 26,5 24,8 24,7 26,0 25,7 25,9 27,0 23,5 24,7 23,5 23,1 24,2 23,5 25,3

Für Nebringen wurde auf die Berechnung des medianen und des modalen Heiratsaltei wegen der kleinen Zahlen verzichtet.

Tab. 5.3.3.I.e. Modales Heiratsalter bei Erstehen . Exakte Alter Bondorf Tailfingen Periode Männer 20 24 1585-1619 1620-1654 25 23/24 1655-1689 24 1690-1724 20 1725-1759 23 25/26 1760-1794 25 25 1795-1829 25 25 Frauen 22 24 1585-1619 1620-1654 23 30 1655-1689 22 1690-1724 22 23 1725-1759 23 21/26 1760-1794 24 21/23 1795-1829 21/22 20/22

Mötzingen -

24 24 .

24/26 25 26 -

24 -

23 25 22 25

Fehlt beim modalen Heiratsalter ein Wert, so waren zu viele Alter gleich häufig vertreten.

229

Die Entwicklung des medianen Heiratsalters deckt sich im großen und ganzen mit der des Mittelwerts. Neu ist bei den Männern in Bondorf und Tailfingen lediglich die Senkung 1795-1829 und bei den Frauen in Tailfingen und Mötzingen das leichte Absinken 17601794.

Tab. 5.3.3. l.d. Verteilung der Heiratsalter auf Altersklassen. Nur exakte Alter. Bor Tailfingen und Mötzingen (%) unter 20 2 0 - 24 25 - 29 über 30 Periode M F M F M F M F Bondorf 53,4 20,7 20,7 1585-1619 52,6 17,5 3,6 5,2 26,3 1620-1654 32,9 45,9 44,7 29,5 12,2 5,9 12,2 16,5 1655-1689 2,5 16,9 44,9 46,8 38,5 28,6 7,8 14,1 1690-1724 35,0 20,5 26,2 4,9 29,9 41,0 34,0 8,6 34,2 28,6 24,7 11,7 1725-1759 46,1 37,0 4,1 13,6 1760-1794 44,1 18,4 3,2 4,9 22,6 48,1 28,6 30,1 49,4 22,4 1795-1829 0,0 9,9 28,2 40,5 27,8 21,8 Tailfingen 1585-1619 1620-1654 1655-1689 1690-1724 1725-1759 1760-1794 1795-1829

8,8 4,5 10,6 9,3 3,3 5,6 0,0

14,8 3,3 20,7 23,4 24,6 19,4 11,8

45,6 36,4 36,2 48,1 39,3 25,6 24,1

42,6 40,0 36,2 55,1 26,1 41,7 42,5

35,1 47,7 29,8 27,8 39,3 41,1 46,3

25,9 26,7 27,6 22,4 37,7 21,4 25,2

10,5 11,4 23,4 14,8 18,1 27,8 29,6

16,7 30,0 15,5 0,0 11,6 17,5 20,4

Mötzingen 1585-1619 1620-1654 1655-1689 1690-1724 1725-1759 1760-1794 1795-1829

7,7 3,4 12,0 12,2 3,3 0,0 0,0

9,1 12,5 15,0 21,2 16,2 13,5 9,1

23,1 51,7 48,0 31,7 39,3 33,6 22,9

63,6 45,8 55,0 51,9 44,6 49,3 37,8

46,2 34,5 36,0 29,3 44,3 50,7 56,0

18,2 29,2 15,0 15,4 29,7 23,0 34,8

23,1 10,3 4,0 26,8 13,1 15,7 21,1

9,1 12,5 15,0 11,5 9,5 14,2 18,2

M = Männer F = Frauen

Die Verteilung der Heiratsalter auf Altersklassen wurde für Bondorf, Tailfingen und Mötzingen in Tabelle 5.3.3.1 .d. zusammengestellt. Für Nebringen wurde wegen der kleinen Zahlen wieder darauf verzichtet. In Bondorf ist der Anteil der Männer, die unter 20 Jahren heiraten, immer schwach, relativ am stärksten allerdings in den beiden frühesten Perioden. 1585-1619 und 1655-1724 verheiratete sich der größte Teil der Männer in der Altersgruppe 20-24, sonst in der von 25-29. Mit über 30 heirateten 1655-1689 am wenigsten Männer (14%), 1760-1794 erreichte ihr Anteil immerhin 30%. Bei den Frauen wurde immer am häufigsten zwischen 20 und 24 geheiratet; an zweiter Stelle folgten 1585-1619 und 1690-1724 die weniger als 230

20 Jahre alten Frauen, sonst immer die Altersgruppe 25-29. Der Anteil der Frauen, die bei ihrer Eheschließung älter als 30 waren, nimmt im Laufe der Zeit eher zu, der der ganz jungen Frauen ab. Auch in Tailfingen ist der Prozentsatz der Männer, die sich mit weniger als 20 Jahren verheirateten, schwach, vor allem 1655-1689 aber stärker als in Bondorf. Wie in Bondorf heiratete 1795-1829 in dieser Altersgruppe überhaupt kein Mann mehr. 1585-1619, 1655-1689 und 1690-1724 verehelichte sich die relative Mehrheit der Männer zwischen 20 und 24; 1725-1759 herrschte Gleichstand zwischen dieser Altersgruppe und den 25 bis 29 Jahre alten Ehemännern. Die über 30jährigen hatten 1655-1689 und nach 1760 einen Anteil von über 20%. Bei den Frauen sind nur 17251759 die 25-29jährigen stärker repräsentiert als bei den 20-24jährigen. Der Prozentsatz der weniger als 20 Jahre alten Frauen reduziert sich im Laufe des 18. Jahrhunderts, war aber auch 1620-1654 schon sehr schwach. Am stärksten sind die Frauen, die erst mit über 30 Jahren zum ersten Mal heirateten, 1620-1654 vertreten (s.a. das modale Heiratsalter in Tailfingen in dieser Periode). Nach 1725 steigt ihr Anteil gleichmäßig an. In Mötzingen verheiratete sich schon 1760 kein Mann unter 20 Jahren mehr. 1620-1654, 1655-1689 und 1690-1724 schloß die relative Mehrheit der Männer ihre Ehe zwischen 20 und 24, sonst zwischen 25 und 29. Die starke Konzentration auf die 25 bis 29jährigen Männer fällt nach 1760 auf: 51 bzw. 56% aller Männer verehelichte sich in dieser Altersgruppe. Mit über 20% sind die Männer, die bei ihrer Eheschließung älter als 30 Jahre waren, nur 1585-1619 und 1690-1724 vertreten. Wie in den anderen Dörfern heirateten auch in Mötzingen die Frauen am häufigsten zwischen 20 und 24 Jahren, wobei 17951829 der Prozentsatz der 25 bis 29 Jahre alten Bräute dem der 20 bis 24 Jahre alten sehr nahe kommt. Die Frauen, die bei ihrer Heirat schon über 30 Jahre alt waren, sind mit 18% 1795-1829 am häufigsten vertreten, 1655-1689 erreichen sie 15%. 1 3 Das im Vergleich zu englischen Pfarreien, aber auch etlichen französischen Beispielen (Sainghin-en-Melantois, Tamerville, Chaudebonne und St.Ferreol bei den Männern) 1 4 relativ niedrige Heiratsalter in der zweiten Hälfte des 17. und der ersten des 18. Jahrhunderts könnte sich als Spätfolge der Menschenverluste des Dreißigjährigen Krieges erklären, das weitere Ansteigen im frühen 19. Jahrhundert (in Heuchelheim, aber auch in Volkhardinghausen sinkt das Heiratsalter wie in England) 15 aus dem Zusammenwirken von ökonomischer Krise, Überbevölkerung und administrativen Maßnahmen.

13

14

15

vgl. die Altersverteilungen bei: J.Dupâquier, Bassin, S.311-313; H.R.Burri, Bevölkerung, S.103f; A.E.Imhof (Hrsg.), Demographie, S.327 für Gießen, 328 für Heuchelheim, 329-331 Graphiken; J.Ganiage, Trois villages, S.58; I.Müller, Untersuchungen, S.250; J.P.Brun, Population, S.324; J.Knodel, Law, S.282-286 für die Jahre 1845-1880 in verschiedenen deutschen Staaten nach Restriktivität der Ehegesetzgebung; K.Oosterveen, R.M.Smith, S.Stewart, Family reconstitution, S. 108 für Colyton, Hawkshead, Alcester, Aldeham, 16.-19. Jahrhundert Frauen; D.Dinet, Quatre paroisses, S.71; Y.Blayo, Trois paroisses, S.198f; J.P.Kintz, Etudes, S.278; Königreich Württemberg 1863, S.341; P.Wiel, Paroisse, S. 173; M.Segalen, Nuptialité, S.62-64; J.Hajnal, Marnage, S. 109 für Amsterdam 1578-1601; G.Heckh, Bevölkerungsgeschichte, S. 152; E.Gautier, L.Henry, Crulai, S.83 R.Deniel, L.Henry, Population, S.572f; P.Wiel, Paroisse, S. 141; J.P.Brun, Population, S.323f; P.Laslett, Introduction, S.21; E.A.Wrigley, R.S.Schofield, Population history, S.255; E.A.Wrigley, Family limitation, S.86-88; D.Levine, K.Wrightson, Context, S.160f Volkhardinghausen: J.Houdaille, Résultats, S.650, dort s.a. für Boitin (Mecklenburg); s.a. W.Norden, Bevölkerung, S.144

231

Bevor kurz auf die drei genannten Faktoren eingegangen wird, muß festgehalten werden, daß die Heirat in den vier Gäudörfern immer spät erfolgte: als Untergrenze für späte Heirat gilt ein mittleres weibliches Heiratsalter bei der Erstehe von 23 Jahren, 16 das nur in Bondorf 1585-1619 und in Tailfingen 1690-1724 geringfügig unterschritten wird. Die späte Ehe wurde trotz eines theologischen Plädoyers für die Frühehe 17 den Untertanen schon früh empfohlen: 1588 wurden sie ermahnt, junge Leute nicht heiraten zu lassen, bevor diese nicht die Kunst der "nutzlichen haußhaltung" erlernt hätten; 18 1687 findet sich in der Dritten Eheordnung ein ähnlicher Passus: " . . . daß sie sich im Hauswesen mit Gott und Ehren ernehren koennen ,..". 1 9 1733 wurde ein Mindestalter von 25 Jahren für die Eheschließung vorgeschrieben, 20 dessen Durchsetzung - s. Tabelle 5.3.3.l.d. - aber offenbar Schwierigkeiten machte. "Alles in allem entstand im Württemberg des 18. Jahrhunderts ein nach dem Buchstaben des Gesetzes rigides und beinahe lückenloses System von Verehelichungsbeschränkungen, das gleichwohl immer für Übertretungen und Umgehungen anfällig blieb. Allein die Häufung und ständige Verschärfung der Reskripte beweist ihre geringe Wirksamkeit. Behörden und Pfarrer erhoben in aller Regel nur dann Einspruch gegen eine beabsichtigte Heirat, wenn die Unfähigkeit des Brautpaares seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, ganz offensichtlich war." 21 Am 1. Oktober 1807 wurden in Württemberg alle Verehelichungsbeschränkungen, außer einem Mindestalter von 25 Jahren (an das sich ein gutes Viertel aller heiratenden Männer immer noch nicht hielt), abgeschafft. 22 In der Praxis schikanierten die Gemeinden heiratswillige Unbemittelte aber nach wie vor, so daß die Freiheit der Eheschließung äußerst theoretisch blieb. 23 1833 wurden dann auch offiziell neue Ehebeschränkungen eingeführt. 24 Die Phasen der ökonomischen Entwicklung nach dem Dreißigjährigen Krieg decken sich fast mit denen des Heiratsalters: die lange Agrarkrise der Nachkriegszeit bis 1690 drückt sich in einer Stagnation des männlichen und einer nur leichten Senkung des weiblichen Heiratsalters, die Erholung ab 1690 in einer leichten des männlichen und einer starken Absenkung des weiblichen Heiratsalters aus. 25 Ab 1740 wurde die Konjunktur für die Landwirtschaft ausgesprochen günstig: die Getreidepreise stiegen schneller als die Löhne, das Heiratsalter der Vollbauern in Niedersachsen sank, in den Gäudörfern stieg es. Konjunktur "der" Landwirtschaft war nicht mehr jedermanns Konjunktur auf dem Land. 26 Die Frage der sozialen Differenzierung des Heiratsalters wird hier anzuschließen sein 16

17 18 19 20 21 22 23 24 25 26

232

J.Hajnal, Marriage, S.108; J.Hauser, Bevölkerungslehre, S.154 Anm. 113; E.A.Wrigley, Bevölkerungsstruktur, S.90f; P.Chaunu, Histoire, S.322f; P.Goubert, Historical Demography, S.42f; auch in Westeuropa gab es Regionen mit früher Heirat: L.Henry, Fécondité, S. 1001 H.C.Rublack, Konfession, S.74-77 General-Rescript vom 10.8.1588, in: Reyscher IV, S.454 Dritte Eheordnung von 1687, in: Reyscher IV, S.90; vgl. K.J.Matz, Pauperismus, S.30f; W.Kaschuba, C.Lipp, Überleben, S.300 K.J.Matz, Pauperismus, S.32; J.Knödel, Law, S.281; W.Kaschuba, C.Lipp, Überleben, S.300 K.J.Matz, Pauperismus, S.32 K.J.Matz, Pauperismus, S.34; W.Kaschuba, C.Lipp, Überleben, S.300 K.J.Matz, Pauperismus, S.35f, U4f K.J.Matz, Pauperismus, S. 116-121; W.Kaschuba, C.Lipp, Überleben, S.314 W.Abel, Agrarkrisen,S. 183-188, 194f; W.Abel, Massenarmut, 31; W.Abel, Geschichte, S.243-250 W.Abel, Agrarkrisen, S. 198-200, 203-209; G.Dehlinger, Überblick, S.57; A.v.Nell, Entwicklung, S. 135-137; H.E.Walter, Gültstein, S.125; W.Abel, Geschichte, S.303

( 5 . 3 . 3 . 5 . und 5 . 3 . 3 . 6 . ) . Ab 1796 schlug die Konjunktur in die Krise um, die bis 1830 anhielt, das Heiratsalter stieg weiter. 2 7 Zum Verhältnis Bevölkerungsdichte und Wohlstand bemerkte schon das

"Königreich

Württemberg" 1863: "Im allgemeinen läßt sich für einen großen Theil des Landes eher die Regel aufstellen, daß der ländliche Wohlstand im umgekehrten Verhältnis zu der Dichtigkeit der Bevölkerung steht, wiewohl es auch hiebei an mannigfaltigen Ausnahmen nicht fehlen k a n n . " 2 8 Demographische Faktoren wirken auf das Heiratsalter aber nicht nur vermittelt über ökonomische, sondern auch direkt: solange Ehe und Etablierung als selbständiger Haushalt identisch sind, 2 9 und die Etablierung von einer Erbschaft, also vom Tod oder einer Übergabe der Eltern, abhängt, beeinflußt die Lebenserwartung der Vätergeneration das Heiratsalter der Söhnegeneration (s. 5 . 3 . 3 . 7 . und 5 . 7 . 2 . ) . 3 0 Außerdem beeinflußt hohe Fruchtbarkeit das Heiratsalter der nächsten

Generation:

viele

(überlebende) Kinder bedeuten viele Erben, d.h. bei Realteilung kleine Erbteile, welche ohne weitere Ersparnis zur Gründung eines eigenen Haushalts unter Umständen nicht mehr ausreichen. 3 1

5 . 3 . 3 . 2 . Heiratsalter bei beiderseitigen Erstehen Bislang wurde das Heiratsalter bei Erstehen unabhängig vom Zivilstand der Ehepartner betrachtet. In einem zweiten Durchgang soll nun die Entwicklung des Heiratsalters von Männern und Frauen untersucht werden, wenn beide Ehegatten vorher noch nie verheiratet waren. Da dies die Zahlenbasis reduziert (alle Männer und Frauen, die eine Witwe bzw. einen Witwer heirateten, fallen weg), außerdem - vor allem zur Errechnung des Altersabstandes zwischen den Ehegatten - eine Beschränkung auf die Fälle, in denen das Alter beider Teile exakt bekannt ist, geboten ist, fasse ich im folgenden alle Dörfer zusammen. Über lokale Varianten wurde im vorausgehenden Kapitel bereits ausführlich gehandelt.

Tab. 5 . 3 . 3 . 2 . a . Durchschnittliches Heiratsalter in beiderseitigen Erstehen. Nur exakte Alter. Alle Dörfer Periode der Heirat N Männer Frauen 1585-1619 61 26,3 23,2 1620-1654 85 26,3 25,4 1655-1689 110 26,5 24,3 1690-1724 164 26,2 22,8 1725-1759 228 26,5 24,2 1760-1794 433 27,4 24,7 545 1795-1829 28,0 25,6

27 28 29 30 31

W.Abel, Agrarkrisen, S.220-237; G.Dehlinger, Überblick, 58f, 64f; W.Abel, Massenarmut, S.7-16; W.Abel, Geschichte, S.303, 312-315 Königreich Württemberg 1863, S.312; P.Sauer, Not, S. 138, 147f E.A.Wrigley, Bevölkerungsstruktur, S. 117; J.Dupâquier, Animal, S.201 A.E.Imhof, O.Larsen, Sozialgeschichte, S.54; A.Burguière, Démographie, S.97; B.Derouet, Démographie, S. 10; J.Dupâquier, Animal, S.201f B.Derouet, Démographie, S.9f; J.Dupâquier, Animal, S.204

233

Das Heiratsalter der Männer variiert vor 1760 kaum, steigt danach aber an. Es unterscheidet sich im übrigen kaum vom Heiratsalter bei Erstehen. Das der Frauen liegt dagegen generell etwas niedriger als in 5.3.3.1., zeigt aber genau die gleiche Entwicklung. 32 Die Differenz zwischen den durchschnittlichen Heiratsaitern von Männern und Frauen bei beiderseitigen Erstehen entwickelt sich wie folgt:

Tab. 5.3.3.2.b. Differenz zwischen den durchschnittlichen Heiratsaitern von Männern und Frauen bei beiderseitigen Erstehen Periode der Differenz Heirat 1585-1619 3,1 1620-1654 0,9 1655-1689 2,2 1690-1724 3,4 1725-1759 2,3 1760-1794 2,7 1795-1829 2,4

Vor 1760 hängt die Entwicklung der Differenz ausschließlich von der des weiblichen Heiratsalters ab, nach 1760 erhöht sich das männliche zuerst schneller als das weibliche, dann das weibliche etwas rascher als das männliche. Während des Dreißigjährigen Krieges ist die Differenz minimal, 1690-1724 maximal. Krisenperioden reduzieren offenbar die Unterschiede des männlichen und des weiblichen Alters bei der Heirat, relativ günstige Perioden erhöhen sie. Insgesamt sind die Differenzen eher gering. 33 5.3.3.3. Anteil der Ehen mit älterer Frau Die Differenz zwischen den arithmetischen Mittelwerten der Heiratsalter sagt noch nichts über die tatsächlich in jeder Ehe vorhandenen Altersdifferenzen aus. Für alle beiderseitigen Erstehen wurde das Heiratsalter von Mann und Frau verglichen und dann der Anteil der Ehen mit älterer Frau berechnet.

32 33

234

J.Dupâquier, Bassin, S.319, vgl.a. S.318; J.C.Polton, Coulommiers, S.21; I.Müller, Untersuchungen, S.250; J.Knodel, Behaviour, S. 121-124 die geringe Differenz stellt auch J.Hajnal, Marriage, S.129 Anm.43 fest; zu extremen Differenzen vgl. E.A.Wrigley, Bevölkerungsstruktur, S.106 für den britischen Hochadel; J.Houdaille, Trois paroisses, S.99 für Weiße; große Differenzen gab es auch in Versailles 1661-1700: B.Lepetit, Démographie, S.63; vgl. J.Knodel, Behaviour, S. 137-139

Tab. 5.3.3.3.a. Anteil der Ehen mit älterer Frau. Beiderseitige Erstehen. Nur exakte Alter. Alle Dörfer (%) Mann älter Frau älter Mann und Frau Periode der N gleichaltrig Heirat 26,2 9,9 63,9 1585-1619 61 10,6 50,6 1620-1654 85 38,8 8,2 68,2 1655-1689 110 23,6 67,7 164 26,2 1690-1724 6,1 31,1 4,0 64,9 1725-1759 228 6,7 67,2 1760-1794 26,1 433 29,7 7,2 1795-1829 545 63,1

In einem Viertel bis einem Drittel aller Ehen war die Frau älter als ihr Gatte, während der Prozentsatz, in denen letzterer älter war, im allgemeinen bei 2/3 lag. Die bedeutendste Abweichung findet sich 1620-1654: in 39% aller Ehen war die Frau älter als ihr Mann; mit 24% ist der Anteil der entsprechenden Ehen 1655-1689 besonders gering. Der obige Satz über die Unterschiede zwischen den Ehepartner ist also zu nuancieren: In Krisenperioden heiraten mehr Männer eine ältere Frau als in relativ günstigen, wodurch sich die Differenz zwischen den arithmetischen Mittelwerten der Heiratsalter verringert. Die Aufschlüsselung der Ehen mit älterer Frau nach Altersklassen bringt nichts Überraschendes: um so jünger der Mann, um so größer die Wahrscheinlichkeit der Ehe mit einer älteren Frau; um so jünger die Frau, um so weniger wahrscheinlich war die Ehe mit einem jüngeren Mann. 3 4 5.3.3.4. Altersabstände zwischen den Ehegatten

Tab. 5.3.3.4.a. Altersabstände zwischen Ehegatten in beiderseitigen Erstehen Periode der Differenz in Jahren Differenz, wenn Differenz, wenn Heirat alle beiderseitigen der Mann älter die Frau älter Erstehen war war 4,9 6,2 1585-1619 3,5 1620-1654 5,7 4,7 4,9 1655-1689 4,6 4,1 4,1 1690-1724 5,7 6,8 4,2 1725-1759 4,9 5,6 4,2 1760-1794 5,0 5,6 4,5 1795-1829 4,7 5,7 3,8

34

vgl. A.E.Imhof (Hrsg.), Demographie, S.316, 324f; A . E . I m h o f , Structure, S.27; E.A.Wrigley, Family limitation, S.88; s.a. E.A.Wrigley, Bevölkerungsstruktur, S.106; J.Dupâquier, Bassin, S.302, S.306; J.C.Giacchetti, M.Tyvaert, Argenteuil, S.43; J.P.Bardet, Rouen, S.256; M . H . J o u a n , Originalités, S.97f; P.Girard, Aperçus, S.489; M.R.Matovic, Illegitimacy, S.341; T . K o h l , Familie, S. 137f

235

Die durchschnittliche Differenz für alle Ehen wurde auch unter Einschluß der Ehen errechnet, in denen es keine gab. Die Altersabstände scheinen ziemlich groß. Entwicklungen, die auf eine altersmäßige Annäherung der beiden Ehegatten hindeuten, lassen sich nicht erkennen. Die Altersdifferenz zugunsten des Männer liegt am häufigsten in der Größenordnung von 5,5 Jahren, ihr Maximum erreicht sie 1690-1724, ihr Minimum 1655-1689. Der Altersabstand zugunsten der Frau beträgt meist etwa vier Jahre, 1620-1654 und 1760-1794 liegt er darüber, 1585-1619 darunter. 3 5 5.3.3.5. Heiratsalter nach Berufsgruppen Es wurden drei Berufsgruppen unterschieden: die landwirtschaftlich Tätigen, die Handwerker und die Sonstigen, wobei "Bürger" in die erstgenannte eingereiht wurden. Die Einordnung der Frauen erfolgte nach dem Beruf ihres Vaters. Als vierte Gruppe werden Männer und Frauen aufgelistet, für die oder für deren Vater keine Berufsangabe vorlag. In Bondorf steigt das Heiratsalter der Bauern von 1585 bis 1724 (bis 1654 schwächer als die gesamten Heiratsalter, danach stärker), hat aber dann mit einem Niveau von 27 bis 27,5 Jahren sein Maximum bereits erreicht und stagniert bis 1829 in dieser Höhe. Die Handwerker weisen von 1585 bis 1654 einen Anstieg um 1,5 Jahre auf, dann ein Absinken um 2,5 Jahre (1655-1689: 25,2 Jahre). 1690-1724 erhöht sich das Heiratsalter nur leicht, steigt dann aber 1725-1759 sehr schnell auf 28 Jahre, nach 1760 erhöht es sich nur noch leicht. Von 1585-1654 liegt das Heiratsalter der Landwirte niedriger als das der Handwerker, 1655-1724 höher, danach wieder niedriger. Im ganzen scheint das durchschnittliche Heiratsalter der Handwerker leichter Fluktuationen unterworfen als das der Landwirte. Differenziert man innerhalb der landwirtschaftlichen Gruppe nach Bauern und Taglöhnern (ohne Bürger und sonstige landwirtschaftlich Tätige) zeigt sich folgendes:

Tab. 5.3.3.5.b. Durchschnittliches männliches Heiratsalter bei der Erstehe von Bauern und Taglöhnern in Bondorf Periode der Bauern Taglöhner Heirat N D N D 1725-1759 42 27,4 7 26,8 1760-1794 54 26,7 6 30,3 1795-1829 64 26,4 15 29,7

Das Heiratsalter der Bauern sinkt im 18. und frühen 19. Jahrhundert; das der Taglöhner ist wegen der kleinen Zahlenbasis mit Vorsicht zu interpretieren, scheint aber nach 1760 deutlich über dem der Bauern zu liegen.

35

236

zu den Altersabständen vgl. J.Dupäquier, Bassin, S.302, 306; J.C.Giacchetti, M.Tyvaert, Argenteuil, S.54; T.Kohl, Familie, S.158f; E.A.Wrigley, Bevölkerungsstruktur, S.103 für Hedmark (Norwegen); J.P.Bardet, Rouen, S.257 (weitgehende Konstanz der Altersdifferenzen 1670-1792); vgl. allg. I.Esenwein-Rothe, Einführung, S.285-287

Tab. 5.3.3.5.a. Durchschnittliches Heiratsalter bei Erstehen nach Berufsgruppen. Nur exakte Alter Periode alle BerufsLandwirtHandwerk Sonstige ohne AnSchaft gäbe gruppen M N M N M N M N M Bondorf Männer 1585-1619 25,3 24 25,5 10 26,2 6 23,7 18 25,2 1620-1654 26,2 36 25,7 23 27,7 6 26,0 20 25,6 27 1655-1689 26,5 40 26,6 25,2 2 22,5 9 30,7 1690-1724 26,7 56 27,2 31 25,6 4 26,0 12 27,3 1725-1759 27,2 66 27,0 57 27,9 16 25,6 7 27,2 1760-1794 27,9 76 27,5 93 28,1 16 27,9 1 35,5 27,9 27,1 116 1795-1829 92 28,3 27 28,1 6 32,3 Frauen 1585-1619 22,4 11 21,5 8 22,4 6 21,2 32 22,4 1620-1654 24,6 23 24,8 22 24,5 6 22,2 23 25,0 1655-1689 24,1 37 24,2 21 23,7 7 19,1 12 25,3 1690-1724 23,1 58 22,8 33 23,7 10 22,7 16 22,8 1725-1759 24,6 24,4 73 56 25,2 8 24,1 17 24,8 1760-1794 26,2 98 25,3 77 27,3 24 26,9 7 25,4 1795-1829 26,6 121 25,0 116 27,3 23 26,8 24 30,7 Tailfingen Männer 1585-1619 40 25,7 25,2 9 24,6 3 23,2 5 22,9 1620-1654 26,3 32 26,2 5 26,5 2 25,0 5 26,9 1655-1689 27,2 27 25,0 28,2 13 5 23,3 2 39,0 1690-1724 24,9 29 24,6 17 25,7 5 25,7 3 23,2 1725-1759 25,8 26,1 34 21 24,8 5 28,9 1 20,5 1760-1794 26,8 43 26,7 42 28,0 4 27,5 1 23,5 28,1 1795-1829 51 27,3 43 29,3 11 27,1 3 27,8 Frauen 1585-1619 25,3 22 25,3 13 25,2 2 20,0 17 26,0 1620-1654 26,9 18 27,2 4 26,3 2 22,5 6 27,8 1655-1689 25,0 32 25,2 11 25,5 5 25,3 10 23,7 1690-1724 22,4 21 21,2 21 23,2 4 22,0 3 25,5 1725-1759 24,6 46 24,0 17 25,3 5 26,5 1 27,5 1760-1794 24,9 43 22,4 44 26,6 11 26,4 5 27,0 1795-1829 25,8 52 24,0 61 26,6 8 25,0 6 33,8 Mötzingen Männer 1585-1619 27,4 6 30,2 0 0 7 25,1 1620-1654 25,3 14 25,7 4 23,8 4 28,3 7 23,6 1655-1689 24,6 13 23,4 6 25,5 4 26,5 2 25,5 1690-1724 26,1 29 26,2 6 26,0 3 21,2 3 30,8 1725-1759 26,0 22 26,9 29 25,3 7 25,6 3 27,5 1760-1794 26,9 73 26,8 53 26,7 7 26,2 1 48,5 1795-1829 27,8 80 27,6 80 27,8 14 29,4 1 27,5 Frauen 1585-1619 24,2 2 25,0 1 23,5 1 25,5 7 24,4 1620-1654 25,3 6 22,7 3 25,2 1 20,5 14 26,9 1655-1689 24,3 8 23,1 3 26,5 3 23,8 6 25,0 1690-1724 24,2 28 23,6 8 26,5 10 24,0 6 24,0 1725-1759 24,1 47 24,7 17 22,6 6 22,8 4 25,3 1760-1794 24,5 48 23,5 63 24,7 21 24,8 16 26,6 1795-1829 26,1 81 25,0 81 26,6 23 26,6 13 28,2 N = Anzahl der Fälle M = durchschnittliches Heiratsalter

237

1620-1654 liegt das Heiratsalter von Landwirtstöchtern und Handwerkertöchtern in Bondorf dicht beieinander (24,8 und 24,5 Jahre), die anschließenden Senkung fällt bei den Handwerkertöchtern deutlicher aus als bei den Landwirtstöchtern (1655-1689). Das der letzteren fällt eigentlich erst 1690-1724 deutlich, während das der ersteren in dieser Periode stagniert. Das Heiratsalter der Frauen aus Handwerkerfamilien erhöht sich nach 1725 deutlich stärker als das der Frauen aus Bauernfamilien. 1760-1829 stagnieren beide Heiratsalter: das der Bauerntöchter bei etwa 25 Jahren, das der Handwerkertöchter bei 27 Jahren. Ein sehr hohes Heiratsalter hat in der letzten Periode die Gruppe der Frauen, für deren Vater keine Berufsangabe vorliegt. In Tailfingen steigt das männliche Heiratsalter bis 1689 in der landwirtschaftlichen Berufsgruppe stark an (auf über 28 Jahre), worauf ein starker Rückgang um 3,5 Jahre folgt. 1725-1759 bringt wieder einen relativ starken Anstieg, der sich mit geringeren Zuwächsen bis 1829 fortsetzt. Die Entwicklung des Heiratsalters der Handwerker weicht in zwei Punkten ab: Es sinkt 1655-1689 gegenüber 1620-1654 und steigt bis Ende des 18. Jahrhunderts stärker als das der Landwirte. Von 1655 bis 1759 hält es sich auf einem Niveau von etwa 25 Jahren. 1655-1689 und 1725-1759 heirateten die Handwerker früher als die Landwirte. Bei den Frauen gibt es weder bei den Landwirtstöchtern noch bei den Handwerkertöchtern Abweichungen vom Gesamttrend, sieht man vom Sinken des Heiratsalter in der Landwirtschaftsgruppe 1760-1794 ab. Bis 1689 haben die Frauen aus beiden Berufsgruppen ein ähnliches Heiratsalter, danach liegt das der Bauerntöchter stets wesentlich niedriger als der Handwerkertöchter. Die Frauen, für deren Vater keine Berufsangabe vorliegt, haben außer 1655-1689 stets das höchste Heiratsalter. In Mötzingen sank das durchschnittliche männliche Heiratsalter von Landwirten von 1585 bis 1689 (mit einem sehr niedrigen Niveau 1655-1689), erhöhte sich dann aber 16901724 deutlich und erreichte 1725-1759 27 Jahre, einen Wert, den alle Heiratsalter zusammen erst eine Periode später aufwiesen. Zwischen Handwerkern und Bauern scheint es hier nur 1725-1759 zu einer echten Differenz gekommen zu sein: das der Handwerker liegt um 1,5 Jahre niedriger als das der Landwirte. Danach gibt es keine Unterschiede mehr. Konfrontiert man in Mötzingen Bauern und Taglöhner, zeigen sich kaum Unterschiede.

Tab. 5.3.3.5.C. Durchschnittliches männliches Heiratsalter bei der Erstehe von Bauern und Taglöhnern in Mötzingen Periode der Bauern Taglöhner Heirat N D N D 1760-1794 43 26,2 19 25,4 1795-1829 52 27,5 26 27,7

Die Feststellung eines höheren Heiratsalter für Taglöhner ist von daher entweder eine lokale Erscheinung oder liegt in den kleinen Zahlen begründet. 1690-1724 scheint das durchschnittliche Heiratsalter von Landwirtstöchtern niedriger zu liegen als das von Handwerkertöchtern, was sich 1725-1759 umkehrt. Das Heiratsalter 238

der Frauen aus Bauernfamilien liegt allerdings in dieser Periode nicht so hoch wie das der Frauen aus Handwerkerfamilien eine Periode vorher. 1760-1794 steigen beide Heiratsalter an, das der Handwerkertöchter schneller als das der Landwirtstöchter. In der letzten Periode liegt das Heiratsalter von zehn Taglöhnertöchtern bei 27,9, das von 59 Bauerntöchtern bei 24,4 Jahren. Für die Frauen scheint das höhere Heiratsalter der Taglöhner also zu gelten. Die Entwicklung des Heiratsalter von Handwerkern spiegelt ziemlich gut die Entwicklung des Verhältnisses von Löhnen und agrarischen Erzeugerpreisen wider. Vor 1640 waren die Löhne im Vergleich zu den Preisen niedrig, die Handwerker heirateten in Bondorf später als die Landwirte; 1640-1690 stellten die Löhne sich im Vergleich zu den Preisen günstiger: die Handwerker heirateten früher als die Landwirte (Bondorf für beide Geschlechter, Tailfingen für die Männer); 1690-1740 verschlechterten sich die Verhältnisse für die Lohnempfänger, das Heiratsalter der Handwerker stieg; 1740-1800 standen die Löhne niedrig im Vergleich zu den Agrarpreisen: die Handwerker und Handwerkertöchter heirateten i.a. später als die Bauern und Bauerntöchter. 36 5.3.3.6. Heiratsalter nach sozialen Schichten Für Bondorf wurde außerdem das Heiratsalter nach sozialer Schicht berechnet. 3 7 Im 17. Jahrhundert scheinen die Reicheren später zu heiraten als die Ärmeren: 1655-1689 liegt der Durchschnitt für die beiden überdurchschnittlich reichen Gruppen bei 29,1 Jahren für die Männer und 22,8 Jahren bei den Frauen gegenüber 23,3 bzw. 21,9 Jahren der Ärmeren. 3 8 Ab 1690 heiratet die Unterschicht dagegen deutlich später als die Oberschicht, was sowohl für die Männer wie für die Frauen gilt. 1760-1794 summieren sich die Differenzen zwischen den überdurchschnittlich Reichen und den unterdurchschnittlich Armen auf jeweils 3 Jahre bei Männern und Frauen zugunsten der Reicheren.

36

37

38

W.Abel, Agrarkrisen, S.124-127, 184, 198f, 200; W.Abel, Geschichte, S.248f, 310; W.Abel, Massenarmut, S.22f, 25, 32f; G.Dehlinger, Überblick, S.57-59, 61, 64f; W.Kaschuba, C.Lipp, Überleben, S.336-339, 341 Anm.41; U.Jeggle, Kiebingen, S. 188; J.Knodel, Centuries, S.361; J.Knodel, Behaviour, S. 130-136; E.Riimelin, Heiratsalter, S. 16, 18; M.Segalen, Nuptialité, S.60; H.Charbonneau, Tourouvre, S.75; A.v.Neil, Entwicklung, S.72 und 74 (dort auch noch weitere soziale Gruppen); vgl. a. C.Vandenbroeke, Caractéristiques, S. 11; D.J.Noordam, Liebe, S.290f; P.Kriedte, H.Medick, J.Schlumbohm, Industrialisierung, S.174, 177-185; J.D.Chambers, Course, S.71 für Nottinghamshire; B.Derouet, Démographie, S.7f; J.P.Bardel, Rouen, S.207f vgl. zum Schichtungsmodell Kapitel 6.1.1.; da die Zahlen für die Berechnung des Heiratsalter jeder der acht Gruppen zu klein sind, werden nur vier unterschieden: B, C, D als Oberschicht, A als obere Mittelschicht, a als untere Mittelschicht, b,c,d als Unterschicht. Zu beachten sind allerdings die kleinen Zahlen!

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Tab. 5.3.3.6.a. Durchschnittliches Heiratsalter nach sozialer Schicht. Nur exakte Alter. Bondorf 3 9 Periode der Heirat Männer OS obere MS untere MS US D N D D N D N N 1620-1654 1 4 2 26,5 25,0 3 22,8 32,0 1655-1689 1 25,5 7 29,6 6 22,0 6 24,5 1690-1724 24 25,4 16 26,0 18 27,6 23 26,7 21 1725-1759 24,5 20 26,6 31 28,8 56 28,3 1760-1794 25,2 26,7 12 25 28 28,0 70 29,7 1795-1829 5 25,9 10 24,8 10 38 27,3 29,6 Frauen 1620-1654 1 31,5 3 23,5 24,5 2 5 24,0 4 1655-1689 22,8 21,0 5 0 6 22,9 1690-1724 19,2 28 23,0 22,8 24 25,4 15 16 24 1725-1759 20 23,0 24,8 25,4 56 24,4 33 1760-1794 14 23,4 71 28 25,0 35 26,0 28,4 47 1795-1829 7 22,9 13 23,0 13 24,3 29,5 OS = Oberschicht obere MS = obere Mittelschicht untere MS = untere Mittelschicht US = Unterschicht

5.3.3.7. Heiratsalter in Abhängigkeit von der Sterblichkeit Eine der wichtigsten Thesen bezüglich des Funktionierens des demographischen Systems traditioneller europäischer Gesellschaften behauptet die Abhängigkeit der Möglichkeit zu heiraten von der Möglichkeit sich zu etablieren. Letztere wiederum hängt - bei Abwesenheit der Erschließung von Neuland - von der Vererbung von Land ab, also vom Tod des Vaters. 4 0 Folglich müßten die Söhne langlebiger Väter eigentlich ein höheres Heiratsalter aufweisen als die, deren Väter früh verstarben. Alle Familien, in denen das Todesdatum des Vaters, das Geburts- und das Heiratsdatum des Sohnes/der Söhne exakt bekannt waren, wurden berücksichtigt. Diese Familien wurden dann in fünf Gruppen eingeteilt, je nach dem Alter des Sohnes beim Tod seines Vaters, und das durchschnittliche Heiratsalter jeder Gruppe errechnet. Die zeitliche

39

40

240

Das Heiratsalter aller Schichten zusammen liegt für die Männer 1620-1654 bei 25,9 (10), 1655-1689 bei 25,6 (20), 1690-1724 bei 26,4 (81), 1725-1759 bei 27,5 (128), 1760-1794 bei 28,4 (135) und 1795-1829 bei 28,2 Jahren (63); für die Frauen 1620-1654 bei 24,8 (11), 1655-1689 bei 22,1 (15), 1690-1724 bei 23,0 (83), 1725-1759 bei 24,5 (133), 1760-1794 bei 26,7 (148), 1795-1829 bei 27,0 Jahren (80). In Klammern: Angabe der Effektive, auf denen die Durchschnitte beruhen. B.Derouet, Démographie, S. 10; E.A.Wrigley, Bevölkerungsstruktur, S.136, s.a. S.69; G.Bouchard, Village, S.83; G.Bois, Crise, S.331 Anm.5 zur Auseinandersetzung mit dem "mécanisme auto-régulateur" J.Dupâquiers; D.E.C.Eversley, Population, S.40f; H.J.Habakkuk, Population, S.272f; D.E.C.Eversley, Survey, S.408f; L.Stone, Family, S.51f

Einordnung erfolgt nach dem Heiratsdatum des Sohnes. Die Analyse trägt für Bondorf, Tailfingen und Mötzingen, die zusammengefaßt wurden, um eine einigermaßen konsistente Zahlenbasis zu erhalten.

Tab. 5 . 3 . 3 . 7 . a . Durchschnittliches Heiratsalter von Männern nach dem Alter beim Tod ihrer Väter Periode der Beim Tod seines Vaters war der Sohn 20-24 über 3 0 unter 15 15-19 25-29 gesamt Heirat 24,7 22,5 21,5 26,5 25,6 1585-1619 24,4 1620-1654 25,2 26,3 26,9 26,0 26,5 26,2 24,8 28,4 24,8 27,8 26,3 1655-1689 26,0 1690-1724 25,5 26,3 25,5 25,0 26,5 26,7 28,8 26,2 26,8 1725-1759 25,5 28,0 26,7 27,5 1760-1794 27,5 27,7 27,6 27,6 28,4 27,7 28,7 26,9 29,0 28,1 1795-1829 29,2 30,2 31,7 30,8 nach 1 8 2 9 4 1 29,5 30,5

Das Heiratsalter von Männern, deren Väter schon während ihrer Kindheit starben, liegt tatsächlich niedriger als das derer, die mit 3 0 einen noch lebenden Vater hatten. Bei den Gruppen dazwischen läßt sich kein kontinuierlicher Anstieg feststellen. Sehl

beein-

druckend ist die Differenz übrigens in keinem Fall.

Tab. 5 . 3 . 3 . 7 . b . Unterschiede im Heiratsalter zwischen Männern, die vor 15 und nach 30 ihren Vater verloren Alter des Sohnes beim Tod seines Vaters Periode der unter 15 über 30 Heirat Differenz 1620-1654 25,2 26,9 1,7 1655-1689 24,8 26,3 1,5 1690-1724 25,5 26,5 1,0 25,5 26,7 1725-1759 1,2 1760-1794 27,5 27,6 0,1 1795-1829 26,9 28,7 1,8

Für die Söhne, die nach 1829 heirateten, betrug die Differenz 2 , 2 Jahre. 1760-1794 gibt es überhaupt keinen Unterschied im Heiratsalter zwischen Männern, die ihre Väter früh verloren, und denen, die mit 30 noch lebende Väter hatten. Davor scheinen die Differenzen ab 1620 langsam zu sinken, danach wieder anzusteigen. Das niedrigste durchschnittliche Heiratsalter liegt in der Nähe von 25 Jahren. Außer 1 7 9 5 - 1 8 2 9 entwickeln sich die Heiratsalter beider Gruppen stets in die gleiche Richtung, wenn auch mit unterschiedlicher Geschwindigkeit.

41

Die Gruppe nach 1829 umfaßt Männer, die nach 1829 heirateten, deren Väter aber vor 1830 ihre Familien gründeten. Es handelt sich also nur um eine Auswahl der nach 1829 heiratenden Männer, deren Aufnahme zu Vergleichszwecken interessant erschien.

241

5.3.4. Wiederheirat In diesem Abschnitt sollen drei Fragen untersucht werden: die Häufigkeit von Wiederheiraten, die Frequenz der Wiederheirat nach Altersklassen und der Abstand zwischen Verwitwung und Wiederheirat.

Tab. 5.3.4.a. Häufigkeit der Wiederheirat nach Geschlecht Periode Männer wiederverN heiratet (%) Bondorf 1620-1654 82 48,8 1655-1689 59 54,2 1690-1724 47 42,6 1725-1759 65 43,1 1760-1794 71 40,8 38,2 1795-1829 131 Mötzingen 1620-1654 32 50,0 1655-1689 26 42,3 1690-1724 24 66,7 38,7 1725-1759 31 1760-1794 47 40,4 1795-1829 34,4 90 Tailfingen 1620-1654 36 50,0 47,4 1655-1689 38 1690-1724 27 44,4 32 1725-1759 56,3 1760-1794 44 45,5 1795-1829 56 50,0 Nebringen 1620-1654 21 42,9 14 50,0 1655-1689 1690-1724 19 32,0 22 1725-1759 59,1 1760-1794 19,4 31 1795-1829 40 25,0

N

Frauen

wiederverheiratet (%)

72 42 57 86 90 134

27,8 21,4 24,6 12,8 8,9 11,2

37 18 25 43 40 79

32,4 16,7 20,0 18,6 12,5 10,1

46 22 35 53 42 64

32,6 50,0 28,6 24,5 16,7 18,8

16 10 20 30 28 26

25,0 20,0 20,0 13,3 14,3 11,5

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß im 18. Jahrhundert Witwen zunehmend vom Heiratsmarkt verschwinden, wobei in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch die Zahl der wiederheiratenden Witwer zurückgeht, allerdings weniger stark als die der Witwen. 4 2 Die Häufigkeit der Wiederheirat hängt nun sicher von der Altersstruktur der Witwer und Witwen ab: ein höherer Anteil älterer Witwen und Witwer führt zu einer geringeren Wiederverheiratungsquote. 43 42 43

242

vgl. M.Garden, Lyon, S.57f D.E.C.Eversley, Population, S.42

In Bondorf heirateten vor 1725 45% aller unter 50 Jahre alten Witwen ein zweites Mal, danach noch 25%; in Tailfingen waren die entsprechenden Werte 60 und 40%, in Nebringen 40 und 30%. 1620-1654 schritten in Mötzingen 50% aller Witwen ein zweites Mal zum Traualtar, 1655-1759 33% und 1760-1829 25%. Wenig Änderungen zeigt das Heiratsverhalten der Witwer unter 60 Jahren. Die Wiederverheiratungsquote stagnierte bei 60% (Bondorf, Tailfingen, Mötzingen), lediglich Nebringen macht mit einem Rückgang nach 1760 von 60 auf 40% eine Ausnahme. Verschiebungen in der Altersstuktur spielen damit eine deutlich geringere Rolle als Verhaltensänderungen . 4 4 Die Berechnung des Intervalls zwischen Verwitwung und Wiederheirat erfolgte nur auf der Grundlage der Witwer und Witwen, bei denen sowohl das Datum der Verwitwung wie das der Wiederheirat exakt bekannt waren.

Tab. 5.3.4.b. Intervall zwischen Verwitwung und Wiederheirat bei Witwern in Jahren Periode der N gesamt Bondorf Tailfingen Mötzingen Nebringen Verwitwung 24 1,54 1,8 1585-1619 2,1 1620-1654 72 1,98 2,0 2,3 1,7 1,9 67 1655-1689 1,53 1,0 1,9 1,3 1,2 1690-1724 1,46 2,0 0,9 51 1,8 1,1 1,82 2,6 0,9 1725-1759 69 1,4 1,5 1760-1794 1,51 2,5 73 1,0 1,8 1,3 107 1,85 2,8 2,0 1795-1829 1,0 1,5

Tab. 5.3.4.C. Intervall zwischen Verwitwung und Wiederheirat bei Witwen in Jahren Bondorf Tailfingen Mötzingen Nebringen Periode der N gesamt Verwitwung 17 1585-1619 1,24 1,4 1620-1654 2,12 50 3,0 1,4 1,4 24 2,52 1655-1689 1,9 3,1 1690-1724 33 2,96 4,0 2,1 34 1725-1759 2,20 2,0 2,2 3,1 1760-1794 23 2,49 2,9 2,5 36 2,87 1795-1829 2,0 4,6 2,5

Durchschnittszahlen, die auf weniger als fünf Fällen beruhen, wurden in die obigen Tabellen nicht aufgenommen, bei den Mittelwerten für alle Dörfer aber mitgerechnet. Das durchschnittliche Intervall zwischen Verwitwung und Wiederheirat bei Witwern erhöht sich von 1585-1619 bis 1620-1654, sinkt dann bis 1724 wieder auf 1,5 Jahre wie 44

vgl. zu Wiederverheiratungsquoten A.E.Imhof, Einstellungen, S.73; J.Knodel, Centuries, S.264; H . R . B u r r i , Bevölkerung, S.103; J.Ganiage, Trais villages, S.62; J.Dupäquier, Bassin, S.323; H.Charbonneau, Vie, S. 187f für das Kanada des 17. Jahrhunderts; M.Segalen, Familie, S.52-56

243

vor 1620, erhöht sich dann 1725-1759 leicht und fällt anschließend wieder auf 1,5 Jahre (oder 18 Monate) ab. In Bondorf und Tailfingen herrscht langfristig eher eine sinkende Tendenz, in Mötzingen und Nebringen eine steigende. Das Intervall zwischen Verwitwung und Wiederheirat bei den Witwen erhöht sich von 1585 bis 1724 von weniger als 1,5 Jahren auf fast drei Jahre, sinkt dann aber 1725-1759 leicht ab und steigt danach wieder auf 2,5 bis 2,9 Jahre. Bis 1655 ist der Abstand bei den Witwern und Witwen in etwa gleich groß, danach vergeht für Witwen wesentlich mehr Zeit zwischen der Verwitwung und der Wiederheirat. In Bondorf waren 40-60% der Witwer, aber nur 20-30% der Witwen vor Ablauf eines Jahres nach der Verwitwung wiederverheiratet, in Tailfingen 50-60% der Witwer und immerhin 30-40% der Witwen. Die Dauer der Witwenschaft für Frauen wurde obrigkeitlich geregelt: schon 1588 wurde der Skandal beklagt, daß Männer und Frauen sich 8 oder 14 Tage nach dem Ableben ihres Ehepartners erneut verheirateten. In Zukunft sollten daher vor allem die Witwen ein volles halbes Jahr warten. Für Witwer waren Ausnahmen zugelassen, wenn deren Haushalt durch die Abwesenheit einer Frau Schaden nehmen könnte. 4 5 1627 wurde generell verfügt, daß verwitwete Personen ein volles halbes Jahr zu warten hätten, bevor sie sich mit einem zweiten Ehegatten proklamieren lassen durften. 4 6 Der Drang zur schnellen Wiederheirat war für Witwer sicher wirtschaftlich begründet (was das General-Reskript von 1627 ja auch erwähnt), Witwen scheinen - auch nach Meinung der Obrigkeit - dem Zwang der Ökonomie weniger stark ausgesetzt gewesen zu sein. 4 7 Die Wiederheirat in Bayern (Anhausen, Gabelbach) erfolgte deutlich schneller als in den Gäudörfern - sowohl bei den Männern wie bei den Frauen, die im ostfriesischen Hesel bei den Männern langsamer, bei den Frauen aber in etwa gleich schnell. 48 Im saarländischen Remmesweiler heirateten im 18. Jahrhundert die Männer sehr viel schneller wieder. 1800-1899 hielten sich die Witwen dort dagegen an die gleichen Fristen wie im Gäu (drei Monate war das Intervall hier kürzer als dort). 4 9

45 46 47 48 49

244

General-Rescript vom 10.8.1588, in: Reyscher IV, S.455 General-Rescript vom 22.1.1627, in: Reyscher V, S.395; J.P.Kintz, Société, S.192, 194 W.R.Lee, Bastardy, S.422; J.Knodel, Centuries, S.364f; A.E.Imhof, Jahre, S.33 A.E.Imhof, Einstellungen, S.73; J.Knodel, Centuries, S.364; vgl.a. W.Norden, Bevölkerung, S.179 J.Houdaille, Remmesweiler, S.1186; zum französ. Bereich vgl. in Auswahl: M.H.Jouan, Originalités, S.98; M.Lachiver, Touraine, S.229; P.Wiel, Paroisse, S. 144; D.Dinet, Quatre paroisses, S.72; J.C.Giacchetti, M.Tyvaert, Argenteuil, S.43; J.Ganiage, Trois villages, S.62f; J.Dupâquier, Bassin, S.324; J.Houdaille, Boulay, S. 1064; J.P.Kintz, Société, S. 194; G.Bouchard, Village, S.82

5 . 4 . Fruchtbarkeit Eine der mit den Methoden der historischen Demographie am besten zu messenden Variablen ist die eheliche Fruchtbarkeit. "Fruchtbarkeitsziffer" bedeutet dabei die Anzahl von Lebendgeburten auf tausend Frauen-Jahre, d.h. Jahre, die von den entsprechenden Frauen in der Ehe durchlebt wurden. 1 Diese Fruchtbarkeitsziffer wird entweder nach dem Alter der Frau differenziert und ergibt dann die altersspezifische eheliche Fruchtbarkeitsziffer oder nach der Dauer der Ehe, woraus die ehedauerspezifische eheliche Fruchtbarkeitsziffer folgt. Beide Ziffern werden weiter nach Heiratsalter untergliedert. 2 Für die Berechnung der Fruchtbarkeitsziffern nach der Ehedauer werden nur Frauen herangezogen, die die entsprechende "Dauer-Gruppe" vollständig durchlebten: die Fruchtbarkeitsziffer der Ehedauer 10-14 Jahre basiert also nur auf den Ehen, die länger als 15 Jahre dauerten. Gleiches gilt für die altersspezifischen ehelichen Fruchtbarkeitsziffern mit Ausnahme der Altersgruppe, in der die Frau heiratete. Um ein Beispiel zu zitieren: Maria Schlayer heiratete mit 21 Jahren am 14.5.1672 in Bondorf Hanss Katz, Wirt und Richter. Die Ehe endete am 16.2.1696 mit dem Tod von Hanss Katz, Maria war zu diesem Zeitpunkt 45 Jahre alt und hatte neun Kinder geboren. In der Altersgruppe 20-24 war die Ehe also mit 3,5 Jahren (Heirat mit 21,5 Jahren, da die Alter immer in vollendeten Jahren gerechnet werden), in den folgenden Altersgruppen 25-29, 30-34, 35-39 und 40-44 mit je fünf Jahren und in der Altersgruppe 45-49 mit 0,5 Jahren (Tod des Mannes, als Maria 45,5 Jahre alt war) vertreten. Zur Berechnung der altersspezifischen ehelichen Fruchtbarkeitsziffern wird Maria Schlayer also in den Altersgruppen bis 40-44 herangezogen, nicht mehr jedoch in der von 45-49. 3 Diese Beschränkung auf vollständig durchlebte Ehejahrfünfte hat den Vorteil einfacherer Berechnung und vermeidet die Komplikation durch postume Geburten. Denn sonst wäre die Ehedauer im Falle des Todes des Mannes um neun Monate über das Eheende hinaus zu verlängern. 4 Da eo ipso nicht davon ausgegangen werden kann, daß in rekonstituierten Familien alle Geburten, die diese Familie tatsächlich hatte, auch erscheinen (Unterregistrierung, temporäre Abwesenheit), existieren mehrere Korrekturverfahren. 5 Sie erwiesen sich bei den Fruchtbarkeitsziffern der vor 1690 gegründeten Familien als nötig, danach spielt Unterregistrierung keine Rolle mehr; der Effekt temporärer Wanderungen wird durch die Untersuchung von fünf aneinander angrenzenden Gemeinden sowieso stark vermindert. Die folgenden Ausführungen beziehen sich stets auf die korrigierten Ziffern. 6 Die Analyse basiert auf allen MF1- und MF2-Familien. Sowohl das Heiratsdatum wie das des Eheendes und das Alter der Frau müssen bekannt sein. 7

1 2 3 4 5 6 7

L.Henry, Techniques, S.70f; vgl. I.Esenwein-Rothe, Einführung, S.324-342 L.Henry, Techniques, S.70 OSB BON 1228 L.Henry, Techniques, S.71; L.Henry, Fécondité, S.977 L.Henry, Techniques, S.75-81; L.Henry, Fécondité, S.629; s.a. H.Charbonneau, Vie, S. 196-198 zur Korrektur s. A.Maisch, Ansätze, S.353-360 L.Henry, Fécondité, S.977, 982

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5.4.1. Altersspezifische eheliche Fruchtbarkeitsziffern Die Kurven der altersspezifischen ehelichen Fruchtbarkeitsziffern (Tabelle 5.4.l.a. und Graphiken 9.12.A. - C.) 8 sind nach 1690 nahezu identisch, wobei allerdings die beiden letzten Perioden 1760-1829 in allen Altersgruppen höhere altersspezifische eheliche Fruchtbarkeitsziffern (AEFZ) haben als die Perioden 1690-1759. Alle Kurven von 1585 bis 1829 zeigen den Anstieg der AEFZ von der Altersgruppe 15-19 zu der der 2024jährigen. 1620-1654 wird die höchste Ziffer erst in der Altersgruppe 25-29 erreicht. 1655-1689 liegen mit Ausnahme der Altersgruppe 15-19 und 20-24 alle Ziffern deutlich unter dem Niveau von 1620-1654. 1585-1619 situiert sich die Fruchtbarkeit zwischen der von 1620-1654 und der von 1655-1689 (und sehr nahe deijenigen von 1690-1724). Alle Kurven sind leicht konvex mit Ausnahme deijenigen von 1655-1689, die fast linear verläuft. Wird nach Heiratsaitern (Tabelle 5.4.l.a. und Graphiken 9.12.D. - J.) aufgeschlüsselt, so sind 1585-1619 die Abstände zwischen den einzelnen Kurven je nach Heiratsalter der Frau deutlich: je später eine Frau heiratet, um so höher ihre Fruchtbarkeit in den höheren Altersgruppen. Im Alter 35-39 hatten die mit 15-19 Jahren verheirateten Frauen nur noch eine Fruchtbarkeitsziffer von 74, die mit 25-29 verheirateten dagegen von 301! Die Kurve für die unter 20 Jahren verheirateten Frauen ist konkav, die der anderen Heiratsalter sind in unterschiedlichem Ausmaß konvex. Die Differenz zwischen den Heiratsaltergruppen 20-24 und 25-29 ist beträchtlich. Unterschiede im Niveau der Fruchtbarkeit je nach Heiratsalter gibt es auch 1620-1654. Die Kurve für das Heiratsalter 15-19 liegt immer niedriger als die anderen Kurven (wobei die Zahlenbasis aber sehr klein ist!). Differenzen gibt es auch zwischen den 20-24jährigen und den 25-29jährigen Frauen (Heiratsalter), die in den Altersgruppen bis 35-39 relativ gering sind, danach aber zunehmen; in den Altersgruppen jenseits der 40 erreicht die Fruchtbarkeit der jünger verheirateten Frauen nur die Hälfte der mit 25-29 Jahren verehelichten. Die Kurve für das Heiratsalter 20-24 verläuft außerdem fast linear. Linear verlaufen alle Kurven der Periode 1655-1689, wobei das Ausgangsniveau mit dem Heiratsalter steigt. In den Altersgruppen über 40 gleichen sich die Kurven aneinander an, in denen davor aber existieren zum Teil beträchtliche Differenzen. Mit Ausnahme der Frauen, die mit 30-34 Jahren heirateten, weisen 1690-1724 alle Heiratsalter konvexe Kurven auf. Während 1655-1689 nur drei Ziffern höher lagen als 400, sind es jetzt sechs. Die Unterschiede zwischen den Heiratsaltern scheinen 1725-1759 wieder deutlicher als in der vorigen Periode. Erst in der Altersgruppe 40-44 vermischen sich die Kurven der Heiratsalter 20-24, 25-29 und 30-34. Immer deutlich niedriger als die anderen Kurven liegt die für das Heiratsalter 15-19, die übrigens ab der Altersgruppe 20-24 fast linear verläuft. Die Kurven für die Heiratsalter 20-24 und 25-29 sind leicht konvex. 1760-1794 ist der Unterschied zwischen den jünger heiratenden Frauen und denen, die über mit über 20 Jahren heirateten, weniger deutlich. Alle Kurven sind leicht konvex (außer der der Frauen, die bei der Heirat älter als 35 waren). Die Unterschiede zwischen den einzelnen Heiratsaitern werden 1795-1829 wieder

8

246

Die Tabellen 5.4.1 .a. - d. sind auf S.254-261 abgedruckt.

deutlicher. Konkav ist die Kurve der 15-19jährigen Frauen (Heiratsalter), die übrigen sind leicht konvex. Die Fruchtbarkeit steigt bis 1654, sinkt dann ab und erhöht sich im Anschluß wieder. Während Bondorf (Tabelle 5.4.l.b. und Graphiken 9.13.A. - H.) im großen und ganzen die Entwicklung des Durchschnitts aller Dörfer mitmacht, zeigt schon der erste Blick auf die Kurven (Tabelle 5.4.I.e. und Graphiken 9 . H . A . - H.) wesentliche Differenzen für Tailfingen und Nebringen: die Gesamtkurven überschreiten für die einzelnen Perioden nie 500 und nur zweimal 450; im Unterschied zu Bondorf ist die Fruchtbarkeitskurve für 1760-1794 die unterste, während ab der Altersgruppe 25-29 die von 1620-1654 die oberste darstellt, die ihr Maximum übrigens wie in Bondorf in dieser Altersgruppe hat und nicht wie alle anderen in der der 20-24jährigen. Die Ziffern im allgemeinen steigen von 1585-1619 zu 1620-1654 an, fallen dann 1655-1689. 1690-1724 sind vier Quotienten höher als 1655-1689, einer liegt niedriger. 1725-1759 sinkt die Ziffer für die Altersgruppe 20-24 deutlich, in den beiden nächst höheren wird die sinkende Tendenz schwächer, die Ziffern in den Altersgruppen über 35 steigen. 1760-1794 ist die Baisse allgemein (nur die Altersgruppe 20-24 stagniert), 1795-1829 folgt ein neuer Anstieg. 1760-1794 liegen in Tailfingen/Nebringen die Fruchtbarkeitsziffern der Altersgruppe 2024, 25-29 und 30-34 um über 100 niedriger als die entsprechenden in Bondorf, ein Abstand, der auch nach 1795 in der Altersgruppe 20-24 fortbesteht, sich in den anderen Altersgruppen aber abschwächt. Bei der Differenzierung nach Heiratsaitern fällt vor allem (Tabelle 5 . 4 . I . e . und Graphiken 9.14.B. - H.) 1655-1689 die leicht konkave Kurve für das Heiratsalter 20-24 auf, die übrigen Kurven dieser Periode sind konvex. Mötzingen situiert sich, was den Verlauf der Gesamtkurven angeht, genau am Tailfingen/Nebringen entgegengesetzten Ende einer imaginären Skala, die die drei Pfarreien nach der Höhe ihrer Fruchtbarkeitsziffern aufführen würde. Die Mötzinger Kurven (Tabelle 5.4.1 .d. und Graphiken 9.15.A. - G.) liegen aber ab der Altersgruppe 25-29 außerordentlich dicht beieinander. Variationen im Niveau der Fruchtbarkeit scheinen hier eine geringere Rolle zu spielen als in Tailfingen/Nebringen. Zudem liegen alle diese Kurven sehr hoch: in vier von sechs Fällen (1585-1619 sind die Mötzinger Zahlen für eine Einzelbetrachtung zu klein!) liegt das Maximum der Kurven über 500, in den beiden anderen nahe bei 450. Zweimal werden gar Spitzenwerte von über 600 Geburten auf 1000 Frauen-Jahre erreicht, wobei bei diesen Werten aber sicher auch die kleine Mötzinger Zahlenbasis in den frühen Perioden eine Rolle spielt. Die Fruchtbarkeitsziffern für Mötzingen steigen von 1620-1654 bis 1655-1689 an (drei Ziffern sind höher, eine identisch, eine niedriger), sinken 1690-1724 leicht (zwei Ziffern niedriger, drei nahezu identisch), stagnieren 1725-1759 und steigen in den beiden letzten Perioden erheblich an (vor allem in der Altersgruppe 20-24). Über 30 stagnieren 17951829 die Ziffern im Vergleich zu 1760-1794. Konkave Kurven und große Abweichungen zwischen den Heiratsaitern sind Zeichen für Kontrazeption. 9 Vor einer Interpretation müssen aber noch weitere Indikatoren betrachtet werden.

9

L.Henry, Techniques, S.87

247

5.4.2. Indizes für die altersspezifische eheliche Fruchtbarkeit Zuerst soll das Sinken der AEFZ für die mit 20-24 Jahren verheirateten Frauen noch einmal anhand von Prozentzahlen verdeutlicht werden. Als Basis wurden die AEFZ der Periode 1620-1654 genommen, die der nachfolgenden dazu ins Verhältnis gesetzt. Für Mötzingen wurde darauf verzichtet, da es 1655-1689 eindeutig kein Sinken gibt und die AEFZ der Jahre 1620-1654 hier auf schwachen Füßen stehen.

Tab. 5.4.2.a. Indizes für die AEFZ der mit 20-24 Jahren verheirateten Frauen (AEFZ 1620-1654 = 100) Periode der aktuelles Alter 20-24 30-34 Heirat 25-29 40-44 35-39 alle Dörfer 1620-1654 100 100 100 100 100 1655-1689 119 86 75 80 97 1690-1724 113 85 85 96 110 1725-1759 114 94 94 102 108 1760-1794 94 97 120 111 132 1795-1829 94 123 98 111 119 Bondorf 1620-1654 100 100 100 100 100 102 52 1655-1689 73 61 85 1690-1724 71 71 100 86 83 1725-1759 120 86 79 88 79 1760-1794 120 90 97 104 132 1795-1829 125 88 90 100 119 Tailfingen/Nebringen 1620-1654 100 100 100 100 100 111 1655-1689 86 79 65 92 97 1690-1724 110 97 92 93 1725-1759 97 106 112 103 109 1760-1794 87 87 100 100 93 1795-1829 100 88 99 117 101 Rouen 1640-1669 100 100 100 100 100 1670-1699 95 89 86 101 76 1700-1729 89 86 75 76 52 1730-1759 89 88 74 71 41 1760-1792 74 52 27 85 60 Meulan 100 1660-1709 100 100 100 100 1710-1739 126 125 103 93 108 1740-1764 98 107 77 73 58 104 71 57 1765-1789 91 56 1790-1814 94 67 34 39 38 1815-1839 81 59 32 18 17

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Rouen und Meulan 10 wurden zu Vergleichszwecken aufgenommen: in Rouen gab es Kontrazeption schon in den letzten dreißig Jahren des 17. Jahrhunderts, in Meulan ab 1740. 11 Das Absinken der AEFZ in Bondorf und Tailfingen/Nebringen 1655-1689 ist vor allem ein Phänomen der Altersgruppen 25-29, 30-34 und 35-39. In der höchsten Altergruppe sinken sie dagegen in Bondorf um 15%, in Tailfingen/Nebringen nur um 8%. Dies irritiert etwas, da in Rouen und Meulan sich das Sinken der AEFZ mit zunehmendem Alter verstärkt: "Il n'est pas douteux que la contraception mobilise davantage les femmes expérimentées que les jeunes mariées." 12 Weitere Evidenz ist deshalb nötig. 5.4.3. Ehedauerspezifische Fruchtbarkeitsziffern und Descendance complète Die ehedauerspezifischen ehelichen Fruchtbarkeitsziffern (Tabellen 5.4.3.a. - d.) 1 3 werden in der sog. Descendance complète zusammengefaßt. Diese errechnet sich durch Addition der ehedauerspezifischen Ziffern und Multiplikation mit fünf, da jede Frau in jeder Dauergruppe mit fünf Ehejahren vertreten ist. 14 Die Descendance complète aller Dörfer sinkt von 1585-1619 bis 1655-1689 von 5,66 auf 5,23. 1690-1724 folgt ein abrupter Anstieg auf 6, danach wieder ein Rückgang auf 5,59 (1725-1759). 1760-1794 erreicht sie ihr Maximum mit 6,17 Geburten pro Frau, sinkt dann aber 1795-1829 wieder leicht auf 5,89. Die Entwicklung der einzelnen Dörfer spiegelt die der AEFZ. Deutlich wird die unterschiedliche Fruchtbarkeit in den einzelnen Dörfern: das Maximum von Tailfingen/Nebringen (6,3) entspricht dem Minimum in Mötzingen (unter Vernachlässigung der Periode 1620-1654, die, um es zu wiederholen, dort wenig zuverlässig ist). Die Aufschlüsselung der Descendance complète nach Heiratsalter der Frau erlaubt es, den Einfluß des Heiratsalter auf die Zahl der Kinder zu erfassen (wobei der störende Effekt der Sterblichkeit, wie in der gesamten Untersuchung der Fruchtbarkeit, eliminiert ist). Die Beschränkung auf die beiden am besten repräsentierten Gruppen der mit 20-24 und mit 25-29 Jahren verheirateten Frauen empfiehlt sich, um zufallige Variationen auszuschalten. Die Descendance complète der mit 20-24 Jahren verheirateten Frauen liegt 1620-1654 relativ niedrig (5,6), erhöht sich dann aber 1620-1654 stark (6,8). 1655-1689 sinkt sie auf 6, erhöht sich dann auf 6,4 (1690-1724), 6,8 (1725-1759) und 7,2 (1760-1794), ein Niveau, das auch 1795-1829 gehalten wird (7,1). Die in der nächst höheren Altersgruppe verehelichten Frauen brachten durchschnittlich 1 - 1 , 5 Kinder weniger zur Welt (15851619 hatten sie allerdings mehr Kinder als die jüngerer Gruppe). Die Differenz zwischen den unter 20 Jahren verheirateten und denen der Heiratsaltergruppe 20-24 macht in der Regel eine Geburt aus, schwankt aber erheblich. 1585-1619 hatten die jüngeren Frauen 1,6 Geburten mehr, 1620-1654 0,2 weniger, 1725-1759 nur 0,2 mehr. Diese starken 10 11 12 13 14

J.P.Bardet, Rouen, S.269; M.Lachiver, Population, S.148f J.P.Bardet, Rouen, S.271; M.Lachiver, Population, S.152 J.P.Bardet, Rouen, S.269; M.Lachiver, Population, S.152 Die Tabellen 5 . 4 . 3 . a . - d. sind auf S.262-269 abgedruckt. L.Henry, Techniques, S.94f. Dieser Wert sollte sich mit der Kinderzahl vollständiger Familien decken, da deren Zahl in der Regel aber klein ist, kommt es zu Zufallsvariationen. Zur Kinderzahl vollständiger Familien s. A.Maisch, Ansätze, S.230f

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Schwankungen kommen durch die geringe Zahl der vor ihrem 20. Geburtstag verheirateten Frauen zustande, die Zufallsvariationen breiten Raum gibt.

Tab. 5.4.3.e. Descendance complète nach Heiratsalter auf der Basis der korrigierten ehedauerspezifischen Fruchtbarkeitsziffern Periode der Heiratsalter 20-24 30-34 Heirat 15-19 25-29 35-39 40-44 alle alle Dörfer 1585-1619 7,19 5,58 5,80 3,33 2,59 5,66 1620-1654 6,62 6,77 1,74 5,76 3,69 5,42 0,90 1655-1689 5,98 6,90 4,79 2,98 0,93 5,23 1690-1724 2,74 7,69 6,36 5,16 1,88 0,57 6,03 1725-1759 6,95 6,75 4,98 1,57 2,98 5,59 1760-1794 8,11 5,44 7,19 3,39 2,03 6,17 0,39 1795-1829 8,03 7,09 5,58 0,24 3,59 1,58 5,89 Bondorf 7,92 1585-1619 6,58 5,88 1,90 6,30 1620-1654 9,47 7,46 3,21 6,43 1,06 1,06 6,31 1655-1689 6,71 4,91 5,20 2,08 5,43 1690-1724 6,97 1,67 5,88 5,08 3,00 5,71 1725-1759 7,07 6,58 4,09 2,93 0,51 5,81 1760-1794 7,54 5,90 9,01 3,66 2,25 0,45 6,43 5,87 1795-1829 8,13 7,38 3,53 0,97 0,37 6,09 Tailfingen/Nebringen 5,82 1585-1619 7,43 5,03 4,09 3,66 5,76 1620-1654 6,24 6,16 4,22 5,60 1,87 5,23 4,94 1655-1689 5,12 3,19 1,15 4,68 7,61 1690-1724 6,32 1,34 8,33 4,91 3,00 1,67 6,28 5,64 1725-1759 6,49 6,49 2,96 1,91 5,71 1760-1794 5,84 4,22 6,86 2,40 0,34 1,85 5,00 1795-1829 7,65 6,21 4,50 3,66 1,49 0,25 5,46 Mötzingen 1585-1619 1620-1654 7,61 3,55 3,86 2,21 5,20 9,32 1655-1689 5,80 4,39 4,08 6,92 1690-1724 9,07 7,24 5,59 6,70 1725-1759 7,71 7,51 5,63 5,40 6,46 1760-1794 6,12 9,25 7,96 3,81 2,17 6,33 3,57 1795-1829 8,41 7,57 6,10 2,72 6,33 Ungefähr zwei Geburten weniger als die mit 25-29 Jahren verheirateten Frauen hatten die der Heiratsaltergruppe 30-34. Um so höher das Heiratsalter ist, um so größer ist die Differenz zur nächst niedrigeren Heiratsaltergruppe. Das beobachtete Absinken der Descendance complète (alle Heiratsalter vereinigt) nach 1795 geht sicher auf die veränderte Zusammensetzung der heiratenden Frauen zurück: die Descendances complètes der Heiratsaltergruppen 15-19 und 20-24 stagnieren, die der Gruppen 25-29 und 30-34 erhöhen sich sogar leicht. Beim Vergleich der einzelnen Dörfer untereinander folgen Tailfingen/Nebringen und Bondorf bis 1760 bei den mit 20-24 Jahren verheirateten Frauen derselben Entwicklung, 250

wobei auch das absolute Niveau 1655-1759 ziemlich gut übereinstimmt. Nach 1760 fällt die Descendance complète in Tailfingen/Nebringen, während die in Bondorf sich um eine Geburt erhöht. Stagnation in Bondorf und leichte Erhöhung in Tailfingen/Nebringen kennzeichnen die Entwicklung in der letzten Periode. Ziemlich abweichend scheint die Entwicklung in Mötzingen: Anstieg von 1620-1654 zu 1655-1689, dann Rückgang 16901724 und erneuter Anstieg bis 1760-1794. 1795-1829 folgt ein leichter Rückgang. Die ganze Mötzinger Entwicklung spielt sich dabei auf einem sehr hohen Niveau ab (immer über 7 Geburten pro Frau), das Tailfingen/Nebringen nie und Bondorf nur 1620-1654 und 1795-1829 erreicht. Die gleiche Entwicklung wie für die Heiratsaltergruppe 20-24 gilt i.a. für die von 25-29: in Bondorf und Tailfingen/Nebringen steigt die Descendance complète dieser Frauen von 1585-1619 bis 1620-1654 an, sinkt dann 1655-1689 ab (die Descendances complètes der Heiratsaltergruppen 20-24 und 25-29 sind in dieser Periode und in diesen beiden Dörfern annährend gleich!) und stagniert 1690-1724. Danach weicht die Entwicklung von der der jüngeren Frauen ab: in Bondorf reduziert sich die Descedance complète um eine Geburt, in Tailfingen/Nebringen erhöht sie sich. 1760-1794 folgt eine starke Steigerung in Bondorf auf fast 6, in Tailfingen/Nebringen eine erhebliche Senkung auf 4,2. In der letzten Periode stagnieren sie in beiden Dörfern auf dem jeweiligen Niveau (in Bondorf bei 6 und in Tailfingen/Nebringen bei 4,5). In Mötzingen erhöht sich die Descendance complète im Laufe der Zeit kontinuierlich von 3,6 (1620-1654: kleine Zahlenbasis) auf 6,1 (1760-1829). Die Niveauunterschiede zwischen Mötzingen und Tailfingen/Nebringen sind in dieser Heiratsaltergruppe nach 1760 so ausgeprägt wie in der jüngeren, vorher aber schwächer. Wie bei den zwischen 20 und 24 Jahren verheirateten Frauen passen nach 1760 Bondorf und Mötzingen gut zueinander. 5.4.4. "Indice Houdaille" Um etwaige kontrazeptive Praktiken zu entdecken, vergleicht Jacques Houdaille die altersspezifischen ehelichen Fruchtbarkeitsziffern der Altersklassen 25-29 und 35-39 für die zwischen 20 und 24 Jahren verheirateten Frauen. 1 5 Wird keine Empfängnisverhütung praktiziert, müßte die Differenz zwischen diesen beiden AEFZ relativ gering sein, der Quotient (die AEFZ für die Altersklasse 25-29 im Nenner) also nahe bei 1 liegen.

15

J.Dupâquier, Bassin, S.362

251

Tab. 5.4.4.a. Indice Houdaille für die vier Gäudörfer Periode der alle Dörfer Bondorf Heirat 0,52 1585-1619 0,38 1620-1654 0,54 0,53 0,44 1655-1689 0,50 1690-1724 0,64 0,60 1725-1759 0,59 0,54 1760-1794 0,63 0,61 1795-1829 0,63 0,61

Tailfingen/ Nebringen 0,81 0,54 0,41 0,52 0,63 0,63 0,73

Mötzingen 0,50 (!) 0,57 0,69 0,65 0,63 0,66 0,59

Der Quotient für Mötzingen 1585-1619 beruht auf nur drei Frauen, ist also nicht zu verwenden und wurde lediglich der Vollständigkeit halber mit aufgeführt. Der Quotient liegt nie höher als 0,81. Häufig erreicht die Ziffer in der Altersklasse 35-39 nur 60% derjenigen der Altersklasse 25-29. In Bondorf und Tailfingen/Nebringen beträgt das Verhältnis 1655-1689 nur 0,44 bzw. 0,41. Mötzingen hat durchgängig Verhältniszahlen zwischen 0,6 und 0,7 (ohne die beiden frühesten, zahlenmäßig schwachen Perioden). Tailfingen/Nebringen zeigt eine sehr gleichmäßige Entwicklung: Sinken von 1585 bis 1689 (um die Hälfte von 0,81 auf 0,41), danach Anstieg bis 1829 (von 0,41 auf 0,73, mit einer Unterbrechung 1760-1794). In Bondorf gibt es nach dem Tiefpunkt 1655-1689 einen starken Anstieg auf 0,64, gefolgt von einem Rückgang. 1760-1829 stabilisiert sich das Verhältnis bei 0,61. In Deauville (Normandie) betrug der "Indice Houdaille" 1, in Tourouvre (Perche) 0,92, in Argenteuil 0,91, aber nur 0,53 in Saint-Hymer (Normandie), 0,37 in Annebault. 16 In Meulan und Rouen betrug er: 1 7

Tab. 5.4.4.b. Indice Houdaille für Meulan und Rouen Meulan Rouen Periode Index Periode 1640-1669 1660-1709 0,81 1710-1739 0,60 1670-1699 1740-1764 0,58 1700-1729 0,51 1765-1789 1730-1759 1790-1814 0,46 1760-1792 1815-1839 0,25

16 17

252

Index 0,62 0,70 0,54 0,50 0,43

zit. bei J.Dupâquier, Bassin, S.362 M.Lachiver, Population, S.148f; J.P.Bardet, Rouen, S.269 (berechnet in beiden Fällen von mir); vgl. z.B. a. die Entwicklung im französ. Südwesten, Nordwesten und Nordosten bei: L.Henry, Fécondité, S.979; L.Henry, J.Houdaille, Fécondité, S.889; J.Houdaille, Fécondité, S.356f

Der Index erreicht in Bondorf und Tailfingen/Nebringen Tiefen, wie sie Meulan und Rouen erst 1760-1814 bzw. 1760-1792 aufweisen, als in beiden Städten bereits massiv Kontrazeption betrieben wurde.

253

Tab. 5.4.l.a. Altersspezifische eheliche Fruchtbarkeitsziffern nach Heiratsalter. Alle Dörfer Periode der Heirat: 1585-1619 Heiratsalter aktuelles Alter 20-24 30-34 40-44 25-29 15-19 35-39 45-49 395 74 61 15-19 325 500 236 32 367 74 20-24 343 333 191 0 432 491 301 125 0 25-29 30-34 365 266 148 28 222 683 0 35-39 40-44 0 0 45-49 341 325 433 399 218 103 alle 10 Periode der Heirat: 1620-1654 Heiratsalter 20-24 15-19 357 15-19 323 412 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 397 alle 323 Periode der Heirat: 1655-1689 Heiratsalter 20-24 15-19 376 417 15-19 492 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 376 alle 463 Periode der Heirat: 1690-1724 Heiratsalter 20-24 15-19 402 436 15-19 465 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 402 450 alle

254

25-29 357 452 461 -

aktuelles Alter 30-34 330 352 364 377

35-39 210 243 276 335 124

-

-

-

-

-

-

-

-

442

25-29 347 390 430 -

359

268

aktuelles Alter 30-34 35-39 132 295 265 195 326 231 335 223 292

-

-

-

-

-

-

393

294

25-29 370 386 457

aktuelles Alter 30-34 322 299 400 407

-

-

-

-

-

-

395

339

40-44 90 108 223 172 187 183 -

155

40-44 88 105 108 168 82 0 -

204

96

35-39 200 233 274 213 320

40-44 49 119 91 62 200 129

-

237

-

96

45-49 0 16 37 12 90 60 0 28

45-49 0 21 21 0 22 0 0 16

45-49 12 7 11 0 0 57 0 10

Tab. 5 . 4 . l . a . Fortsetzung Periode der Heirat: 1725-1759 Heiratsalter 20-24 15-19 417 15-19 372 20-24 471 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 448 alle 372 Periode der Heirat: 1760-1794 Heiratsalter 20-24 15-19 15-19 423 465 20-24 494 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 alle 423 485 Periode der Heirat: 1795-1829 Heiratsalter 20-24 15-19 15-19 381 520 20-24 505 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 381 alle 510

25-29 327 423 433 -

aktuelles Alter 30-34 35-39 194 263 332 248 374 251 414 288 350

-

-

-

-

407

25-29 366 424 472 -

345

-

250

aktuelles Alter 30-34 35-39 222 342 342 269 381 275 363 336 431

-

-

-

-

-

-

426

25-29 270 426 486 -

355

aktuelles Alter 30-34 35-39 265 221 345 269 387 281 431 326 217

-

-

-

-

435

280

363

-

277

40-44 79 117 123 117 200 0 -

117

40-44 100 143 138 147 131 137 -

138

40-44 122 129 142 131 200 99 -

138

45-49 8 10 12 12 0 0 0 10

45-49 0 18 0 6 16 0 0 10

45-49 12 16 14 16 9 0 0 14

255

Tab. 5.4.1.b. Altersspezifische eheliche Fruchtbarkeitsziffern nach Heiratsalter. Bondorf Periode der Heirat: 1585-1619 Heiratsaktuelles Alter alter 20-24 30-34 40-44 15-19 25-29 35-39 45-49 184 76 15-19 633 455 253 46 0 167 114 20-24 394 455 398 0 316 228 25-29 493 265 0 30-34 120 228 76 0 35-39 40-44 0 0 45-49 0 184 167 519 438 360 130 0 alle Periode der Heirat: 1620-1654 Heiratsalter 20-24 15-19 15-19 423 423 20-24 423 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 423 alle 423 Periode der Heirat: 1655-1689 Heiratsalter 20-24 15-19 506 386 15-19 20-24 431 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 506 414 alle Periode der Heirat: 1690-1724 Heiratsalter 20-24 15-19 407 368 15-19 20-24 421 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 368 413 alle

256

25-29 392 497 511 -

aktuelles Alter 30-34 35-39 317 423 264 390 338 405 264 305 0

-

-

-

-

481

25-29 324 365 453 -

374

-

295

aktuelles Alter 30-34 35-39 126 292 202 161 303 216 307 173 0

40-44 158 124 211 141 211 211 153

45-49 0 0 0 0 0 71 0 9

40-44 101 105 152 81 0

45-49 0 20 25 0 0

-

-

-

-

-

-

-

-

-

376

251

25-29 331 354 421

aktuelles Alter 30-34 296 278 380 414

-

-

169

109

35-39 158 228 289 225 381

40-44 52 103 71 75 100 0

-

-

-

-

-

-

355

313

225

-

79

-

0 16

45-49 12 0 18 0 0 0 0 6

Tab. 5.4. l.b. Fortsetzung Periode der Heirat: 1725-1759 Heiratsalter 15-19 20-24 15-19 400 442 20-24 508 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 alle 400 483 Periode der Heirat: 1760-1794 Heiratsalter 15-19 20-24 15-19 286 546 20-24 507 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 alle 286 515 Periode der Heirat: 1795-1829 Heiratsalter 15-19 20-24 15-19 311 526 20-24 527 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 alle 311 527

25-29 347 425 400 -

aktuelles Alter 30-34 35-39 284 200 307 231 324 211 353 253 0 -

40-44 62 98 77 118 100

_

_

_

_

406

314

222

91

25-29 455 448 480 -

aktuelles Alter 30-34 35-39 218 436 378 275 322 393 497 320 350

-

-

-

-

-

456

395

294

25-29 388 438 482 -

-

aktuelles Alter 30-34 35-39 233 323 265 351 394 279 292 418 156

-

-

-

-

444

371

-

267

40-44 91 164 164 156 171 178 -

158

40-44 75 148 159 130 133 125 -

143

45-49 0 15 7 13 0 0 10

45-49 0 21 0 13 67 0 0 13

45-49 0 13 25 29 0 0 0 16

257

Tab. 5.4.I.e. Altersspezifische eheliche Fruchtbarkeitsziffern nach Heiratsalter. Tailfingen und Nebringen Periode der Heirat: 1585-1619 Heiratsalter aktuelles Alter 20-24 30-34 40-44 15-19 25-29 35-39 45-49 387 52 104 369 496 209 104 15-19 20-24 304 305 246 46 289 0 508 418 355 46 25-29 0 454 292 30-34 209 0 35-39 696 313 0 40-44 45-49 97 alle 369 418 381 345 281 12 Periode der Heirat: 1620-1654 Heiratsalter 20-24 15-19 15-19 0 336 20-24 419 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 alle 0 403 Periode der Heirat: 1655-1689 Heiratsalter 20-24 15-19 214 444 15-19 20-24 466 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 214 457 alle Periode der Heirat: 1690-1724 Heiratsalter 20-24 15-19 379 478 15-19 462 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 379 470 alle

258

25-29 448 412 472 -

aktuelles Alter 30-34 336 308 392 482 -

-

-

-

-

428

25-29 400 356 422 -

376

-

-

-

379

310

25-29 388 400 517

aktuelles Alter 30-34 373 300 383 474

-

-

-

-

-

-

424

-

281

aktuelles Alter 30-34 35-39 367 167 242 146 259 368 345 260 296

-

-

35-39 112 224 299 369 160

352

-

40-44 0 103 244 173 187 0 -

160

40-44 40 95 93 156 114 0 -

208

102

35-39 257 207 240 280 250

40-44 33 96 80 67 200 235

-

233

-

88

45-49 0 20 62 22 112 112 0 45

45-49 0 0 13 0 29 0 0 8

45-49 0 11 13 0 0 133 0 15

Tab. 5.4.I.e. Fortsetzung Periode der Heirat: 1725-1759 Heiratsalter 20-24 15-19 379 15-19 333 20-24 433 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 407 alle 333 Periode der Heirat: 1760-1794 Heiratsalter 20-24 15-19 382 15-19 400 20-24 418 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 411 382 alle Periode der Heirat: 1795-1829 Heiratsalter 20-24 15-19 15-19 415 453 417 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 alle 415 430

25-29 282 400 451 -

aktuelles Alter 30-34 35-39 164 238 325 250 394 320 374 267 462

-

-

-

-

388

25-29 305 357 394 -

340

-

-

-

25-29 316 361 504 -

278

-

227

aktuelles Alter 30-34 35-39 250 217 304 263 338 232 372 449 154

-

-

-

-

387

-

270

aktuelles Alter 30-34 35-39 222 160 267 224 344 181 177 291 493

-

354

-

326

-

267

40-44 80 112 158 108 225 0 -

130

40-44 135 96 77 89 92 105 -

94

40-44 160 104 84 141 182 133 -

119

45-49 22 9 17 0 0 0 0 10

45-49 0 10 0 0 0 0 0 4

45-49 33 11 0 8 22 0 0 9

259

Tab. 5.4.l.d. Altersspezifische eheliche Fruchtbarkeitsziffern nach Heiratsalter. Mötzingen Periode der Heirat: 1620-1654 Heiratsalter aktuelles Alter 30-34 40-44 15-19 20-24 35-39 25-29 45-49 441 15-19 0 0 0 0 0 0 441 20-24 502 441 284 110 36 221 25-29 396 295 110 0 464 30-34 386 295 0 221 35-39 100 110 40-44 315 0 45-49 0 441 alle 361 445 365 249 186 31 Periode der Heirat: 1655-1689 Heiratsalter 20-24 15-19 15-19 435 435 20-24 679 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 435 613 alle Periode der Heirat: 1690-1724 Heiratsalter 20-24 15-19 15-19 615 450 574 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 615 519 alle Periode der Heirat: 1725-1759 Heiratsalter 20-24 15-19 435 450 15-19 20-24 439 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 435 443 alle

260

25-29 290 522 408 -

aktuelles Alter 30-34 35-39 145 73 466 358 272 190 362 217 408

-

-

-

-

-

-

463

365

25-29 475 425 414

aktuelles Alter 30-34 314 333 444 273

-

40-44 145 127 62 362 0 0 -

134

36

35-39 233 276 300 67 400

40-44 67 179 123 0 400

45-49 33 11 0 0 0

-

-

-

-

-

-

-

-

-

367

25-29 375 448 457

aktuelles Alter 30-34 267 400 431 642

-

-

-

-

-

-

439

421

-

270

-

432

45-49 0 54 44 0 0 0

-

267

142

0 10

35-39 240 282 243 429 500

40-44 120 168 150 133 200 0

45-49 0 0 11 33 0 0

-

282

-

152

-

8

Tab. 5.4.1 .d. Fortsetzung Periode der Heirat: 1760-1794 Heiratsalter 20-24 15-19 508 500 15-19 552 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 535 alle 508 Periode der Heirat: 1795-1829 Heiratsalter 15-19 20-24 617 15-19 429 571 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 alle 429 586

25-29 387 453 543 -

aktuelles Alter 30-34 35-39 320 433 300 365 407 300 344 400 400

-

-

-

-

-

-

460

382

25-29 436 473 477 -

aktuelles Alter 30-34 35-39 200 200 378 281 414 319 430 300 429

-

-

-

-

471

317

388

-

300

40-44 67 159 173 182 167 0 -

155

40-44 120 130 172 188 343 0 -

152

45-49 0 22 0 0 0 0 0 11

45-49 0 24 13 12 0 0 0 15

261

Tab. 5.4.3.a. Dauerspezifische eheliche Fruchtbarkeitsziffern nach Heiratsalter. Alle Dörfer Periode der Heirat: 1585-1619 Heiratsalter aktuelles Alter 10-14 0-4 5-9 20-24 15-19 25-29 411 15-19 455 309 174 61 28 20-24 354 361 252 14 135 0 407 25-29 467 235 51 0 30-34 244 0 323 99 35-39 370 148 0 40-44 0 0 45-49 alle 395 356 236 108 24 12 0 Periode der Heirat: 1620-1654 Heiratsalter 0-4 5-9 15-19 368 336 20-24 411 469 359 25-29 420 30-34 244 405 164 184 35-39 40-44 180 0 0 45-49 324 alle 393

10-14 289 269 235 88 0

Periode der Heirat: 1655-1689 Heiratsalter 0-4 5-9 347 416 15-19 20-24 465 310 282 25-29 408 30-34 173 320 22 35-39 163 40-44 0 0 45-49 0 alle 399 273

10-14 279 229 187 102 0

Periode der Heirat: 1690-1724 Heiratsalter 0-4 5-9 442 378 15-19 447 20-24 318 421 348 25-29 187 30-34 329 275 100 35-39 114 40-44 0 0 45-49 409 318 alle

10-14 332 270 196 31 0

262

205

200

246

aktuelles Alter 20-24 15-19 210 120 46 158 124 13 0

117

45

aktuelles Alter 20-24 15-19 229 109 135 46 17 63 0

117

49

aktuelles Alter 20-24 15-19 260 91 193 39 60 6 0

169

25-29 0 10

47

25-29 35 4

16

Tab. 5.4.3.a. Fortsetzung Periode der Heirat: 1725-1759 Heiratsalter 0-4 5-9 15-19 430 351 20-24 452 368 417 310 25-29 30-34 302 226 40 35-39 273 40-44 0 0 45-49 0 315 alle 405

10-14 261 288 200 62 0

Periode der Heirat: 1760-1794 Heiratsalter 0-4 5-9 472 392 15-19 20-24 371 479 442 328 25-29 224 30-34 386 72 35-39 333 40-44 77 0 45-49 0 321 alle 436

10-14 329 308 239 67 0

Periode der Heirat: 1795-1829 Heiratsalter 0-4 5-9 15-19 506 396 20-24 478 370 25-29 334 460 30-34 412 217 35-39 217 88 40-44 48 0 45-49 0 alle 432 314

10-14 310 318 232 84 11

219

252

244

aktuelles Alter 20-24 15-19 238 103 187 48 66 3 6

133

40

aktuelles Alter 20-24 15-19 147 256 64 212 79 0 0

161

56

aktuelles Alter 20-24 15-19 220 163 194 56 81 8 4

133

52

25-29 7 6

6

25-29

26 3

7

25-29 11 2

3

30-34 0

0

30-34

0

0

30-34 0

0

263

Tab. 5.4.3.b. Dauerspezifische eheliche Fruchtbarkeitsziffern nach Heiratsalter. Bondorf Periode der Heirat: 1585-1619 Heiratsalter 5-9 0-4 455 15-19 505 427 20-24 442 455 25-29 379 304 30-34 76 35-39 40-44 0 0 45-49 417 alle 403

10-14 379 403 228 0

283

Periode der Heirat: 1620-1654 Heiratsalter 0-4 5-9 362 15-19 475 444 20-24 507 449 520 25-29 30-34 211 359 211 0 35-39 40-44 0 211 45-49 0 447 355 alle

10-14 423 341 264 71 0

Periode der Heirat: 1655-1689 Heiratsalter 0-4 5-9 364 371 15-19 427 20-24 256 292 393 25-29 30-34 115 260 0 0 35-39 40-44 0 45-49 378 263 alle

10-14 263 189 171 40 0

Periode der Heirat: 1690-1724 Heiratsalter 0-4 5-9 327 413 15-19 444 262 20-24 400 370 25-29 30-34 325 225 333 0 35-39 40-44 0 0 0 45-49 286 alle 396

10-14 319 260 177 50 0

264

272

182

238

aktuelles Alter 20-24 15-19 199 46 104 38 114 0 0

123

33

aktuelles Alter 20-24 15-19 317 158 176 23 53 0 0

138

50

aktuelles Alter 20-24 15-19 228 115 105 51 25 101 0

116

57

aktuelles Alter 20-24 15-19 222 78 189 21 22 46 0

163

43

25-29 0 0

0

25-29 0 0

0

25-29 0 11

9

25-29 35 0

16

0

Tab. 5.4.3.b. Fortsetzung Periode der Heirat: 1725-1759 Heiratsalter 0-4 5-9 370 15-19 430 371 20-24 458 250 386 25-29 327 200 30-34 0 35-39 100 40-44 45-49 0 309 alle 408

10-14 290 259 135 59 0

Periode der Heirat: 1760-1794 Heiratsalter 0-4 5-9 528 455 15-19 20-24 507 390 342 25-29 456 30-34 211 450 100 35-39 350 40-44 89 0 45-49 0 332 alle 457

10-14 418 325 304 71 0

Periode der Heirat: 1795-1829 Heiratsalter 0-4 5-9 15-19 505 400 374 20-24 510 331 25-29 473 30-34 407 208 171 35-39 22 40-44 0 73 45-49 0 443 310 alle

10-14 343 332 232 91 0

202

286

258

aktuelles Alter 20-24 15-19 71 253 42 175 47 0 0

130

33

aktuelles Alter 20-24 15-19 127 273 71 215 77 0 0

155

55

aktuelles Alter 20-24 15-19 127 250 57 203 7 130 0

156

51

25-29 0 11

8

25-29 0 0

0

25-29 0 0

0

30-34 0

0

30-34 0

0

30-34 0

0

265

Tab. 5.4.3.C. Dauerspezifische eheliche Fruchtbarkeitsziffern nach Heiratsalter. Tailfingen und Nebringen Periode der Heirat: 1585-1619 Heiratsalter 0-4 5-9 464 470 15-19 322 20-24 289 488 399 25-29 30-34 452 209 522 209 35-39 40-44 45-49 354 418 alle

10-14 239 227 251 157 0

Periode der Heirat: 1620-1654 Heiratsalter 0-4 5-9 224 15-19 448 20-24 460 343 429 355 25-29 30-34 463 259 224 149 35-39 40-44 0 0 45-49 0 309 alle 383

10-14 224 252 244 122 0

Periode der Heirat: 1655-1689 Heiratsalter 0-4 5-9 467 314 15-19 437 20-24 269 274 432 25-29 30-34 360 178 35-39 200 29 0 40-44 0 0 45-49 alle 389 235

10-14 400 182 240 100 0

Periode der Heirat: 1690-1724 Heiratsalter 0-4 5-9 489 388 15-19 442 20-24 348 437 292 25-29 200 30-34 400 200 133 35-39 267 40-44 0 0 45-49 417 alle 311

10-14 363 269 200 0 0

266

221

198

193

249

aktuelles Alter 20-24 15-19 104 104 167 0 26 0 0

92

25

aktuelles Alter 20-24 15-19 112 112 37 156 184 20 0

119

36

aktuelles Alter 20-24 15-19 300 40 124 12 27 15 0

102

17

aktuelles Alter 20-24 15-19 286 139 42 159 53 0 0

154

55

25-29 104 0

42

25-29 0 0

0

25-29 0 0

0

25-29 0 13

7

30-34 0

0

30-34 0

0

30-34 0

0

30-34 0

0

Tab. 5.4.3.C. Fortsetzung Periode der Heirat: 1725-1759 Heiratsalter 0-4 5-9 400 318 15-19 371 20-24 417 434 350 25-29 30-34 375 185 57 325 35-39 40-44 0 0 0 45-49 302 alle 393

10-14 224 284 267 31 0 211

Periode der Heirat: 1760-1794 Heiratsalter 0-4 5-9 15-19 418 336 20-24 400 328 257 400 25-29 30-34 200 236 323 46 35-39 40-44 67 0 0 45-49 alle 373 270

10-14 211 241 136 44 0

Periode der Heirat: 1795-1829 Heiratsalter 0-4 5-9 432 15-19 368 394 20-24 332 292 25-29 428 30-34 214 419 154 111 35-39 40-44 50 0 45-49 0 alle 381 290

10-14 282 292 161 88 33

173

207

aktuelles Alter 20-24 15-19 215 120 26 200 67 10 0

129

37

aktuelles Alter 20-24 15-19 213 143 42 156 0 50 0

125

47

aktuelles Alter 20-24 15-19 200 218 176 48 19 0 10

105

25-29 20 0

59

25-29 50 0

12

25-29 29 0

Tab. 5.4.3.d. Dauerspezifische eheliche Fruchtbarkeitsziffern nach Heiratsalter. Mötzingen Periode der Heirat: 1620-1654 Heiratsalter 0-4 5-9 0 15-19 0 552 20-24 481 276 25-29 283 441 331 30-34 221 221 35-39 0 40-44 221 45-49 364 367 alle

10-14 0 221 221 0 0

Periode der Heirat: 1655-1689 Heiratsalter 0-4 5-9 362 435 15-19 522 612 20-24 272 387 25-29 272 30-34 326 217 0 35-39 40-44 0 45-49 392 473 alle

10-14 73 403 109 217 0

Periode der Heirat: 1690-1724 Heiratsalter 5-9 0-4 550 450 15-19 375 20-24 458 400 421 25-29 0 30-34 200 200 400 35-39 40-44 0 45-49 393 421 alle

10-14 314 300 213 0 0

Periode der Heirat: 1725-1759 Heiratsalter 5-9 0-4 375 500 15-19 360 20-24 488 358 446 25-29 371 30-34 543 0 200 35-39 0 40-44 0 45-49 352 468 alle

10-14 267 364 226 133 0

268

142

255

255

269

aktuelles Alter 20-24 15-19 0 0 158 110 0 0 0

92

74

aktuelles Alter 20-24 15-19 73 217 217 90 109 0 0

151

97

aktuelles Alter 20-24 15-19 367 33 67 248 83 0 0

205

41

aktuelles Alter 20-24 15-19 240 160 200 89 95 0 33

144

59

25-29 -

0

0

25-29 0 19

15

0

25-29 100 0

25

25-29 0 0

0

0

Tab. 5.4.3.d. Fortsetzung Periode der Heirat: 1760-1794 Heiratsalter 0-4 5-9 506 425 15-19 384 20-24 519 471 393 25-29 30-34 267 415 100 35-39 333 40-44 0 0 0 45-49 480 363 alle Periode der Heirat: 1795-1829 Heiratsalter 0-4 5-9 436 15-19 615 404 20-24 519 367 470 25-29 30-34 410 233 400 35-39 143 40-44 0 0 0 45-49 alle 469 345

10-14 415 347 242 80 0 290

10-14 311 322 289 71 0 265

aktuelles Alter 20-24 15-19 300 178 74 258 0 118 0

204

68

aktuelles Alter 20-24 15-19 200 120 200 63 14 80 0

133

48

25-29 25 9

12

25-29 0 5

5

30-34 0

0

30-34 0

0

269

5.5. Familie 5.5.1. Ehedauer Als Basis zur Untersuchung der Ehedauer dienen alle MF1- und MF2-Familien. Eine durchschnittliche Ehedauer schien mir wenig aussagekräftig, die Beschränkung auf die Untersuchung des Anteils sehr kurzer und sehr langer Ehen ausreichend. Die Registrierung der Todesfälle Erwachsener setzt erst nach 1620 mit einiger Regelmäßigkeit ein. Unter den Ehen, die vor 1620 geschlossen wurden, sind in der Statistik daher diejenigen überrepräsentiert, die sehr lange dauerten. Wurde die Ehe dagegen schon vor 1620 durch den Tod eines Partners aufgelöst, steigt die Wahrscheinlichkeit, daß der Todesfall nicht registriert wurde; die Familie gilt somit als MO-Familie und fehlt in Tabelle 5.5.l.a.

Tab. 5.5. l.a. Anteil der Ehen von weniger als fünf Jahren Dauer an allen Ehen (%) Nebringen Periode der Bondorf Tailfingen Mötzingen Heirat 14,3 1585-1619 2,8 9,1 1620-1654 21,5 20,8 28,9 0,0 7,2 12,1 4,0 1655-1689 5,6 1690-1724 3,4 8,2 7,5 7,4 10,5 9,3 1725-1759 7,3 9,1 1760-1794 4,9 7,0 10,3 9,1 9,8 7,4 1795-1829 6,5 6,0 1620-1654 ist - keine Überraschung - der Anteil der sehr kurzen Ehen sehr hoch, danach hält er sich im allgemeinen unter 10%.

Tab. 5.5. l.b. Anteil der Ehen von mehr als 25 Jahren Dauer an allen Ehen (%) Nebringen Bondorf Tailfingen Mötzingen Periode der Heirat 44,4 35,7 1585-1619 45,5 57,1 1620-1654 30,4 52,1 31,6 49,4 55,6 56,0 1655-1689 48,3 60,7 50,0 1690-1724 58,7 61,0 59,4 58,2 51,3 61,3 1725-1759 59,7 65,5 51,5 1760-1794 57,0 54,4 44,1 48,0 48,9 1795-1829 1620-1654 liegt der Anteil der langen Ehen zumindest in Bondorf und Mötzingen niedrig. Bis 1760-1794 erhöht sich ihr Anteil langfristig, danach sinkt er in drei von vier Dörfern unter 50%, wobei der Rückgang in Bondorf und Mötzingen besonders stark ist. Von 1655-1794 hatten immer mehr als die Hälfte der Ehepaare ein Eheleben von mehr als 25 Jahren vor sich. 270

5.5.2. Die durchschnittliche Geburtenzahl einer MF-Familie Alle MF-Familien werden zur Berechnung herangezogen, wobei unter den Geburten dieser Familien auch Totgeburten und "naissances retrouvées" (also Geburten ohne exaktes Geburtsdatum, die am Geburtsort nicht registriert oder während einer temporären Abwesenheit der Eltern auswärts geboren wurden) eingeschlossen werden. Die durchschnittliche Geburtenzahl hängt nicht nur von der Fruchtbarkeit, sondern auch von der Sterblichkeit ab. Viele nur kurz dauernde Ehen senken den Durchschnitt. 1

Tab. 5.5.2.a. Durchschnittliche Geburtenzahl in MF-Familien (incl. Totgeburten und "naissances retrouvées") Bondorf Mötzingen Tailfingen Nebringen Periode der Heirat 3,0 1585-1619 5,0 4,8 4,3 1620-1654 3,7 3,2 4,1 3,1 1655-1689 4,2 4,0 5,2 3,9 1690-1724 4,4 4,9 4,9 5,8 1725-1759 5,0 4,6 5,6 4,5 1760-1794 5,9 4,4 6,5 4,5 1795-1829 5,3 4,6 4,5 5,9

Die durchschnittliche Kinderzahl pro MF-Familie liegt im häufigsten Fall zwischen vier und fünf, wobei Bondorf ab 1760 und Mötzingen schon ab 1655 die Zahl von fünf Geburten überschreiten. 1760-1794 verzeichnet die durchschnittliche Mötzinger Familie 6,5 Geburten. Tailfingen und Nebringen bleiben nach 1725 deutlich unter dem Bondorfer oder Mötzinger Niveau. Die niedrigen durchschnittlichen Geburtenzahlen 1620-1654 erklären sich durch die hohe Sterblichkeit 1635-1639, die die Zahl kurz dauernder Ehen (s. 5.5.1.) vermehrte. Zudem waren in dieser Periode in Tailfingen 15,6%, in Bondorf 18,9%, in Mötzingen 20% und in Nebringen 22% aller MF-Familien kinderlos. 5.5.3. Anteil steriler Familien an allen vollständigen Familien Zur Untersuchung des Anteils steriler Familien wurden alle Dörfer zusammengefaßt; im Einzelfall sind die Zahlen zu klein und herrschen Zufallsvariationen vor.

1

L.Henry, Techniques, S.98; P.Goubert, Theories, S.469; G.Heckh, Fortpflanzung, S.170 rechnet mit der durchschnittlichen Geburtenzahl um eine angebliche unterschiedliche Fruchtbarkeit (s. z.B. S.171: "Fruchtbarkeitsunterschiede") festzustellen, was nach dem oben Gesagten unzulässig ist; Heckhs Aufstellung findet sich auch in: J.Schlumbohm (Hrsg.), Kinderstuben, S.32

271

Tab. 5.5.3.a. Anteil steriler Familien an allen vollständigen Familien (%) Periode der alle Heiratsalter unter 30 über Heirat N % N N % 38 10,5 11 1585-1619 49 12,2 41 9,8 24 1620-1654 65 15,4 1655-1689 104 10,6 80 2,5 24 1690-1724 130 2,3 21 151 6,6 1725-1759 164 4,9 43 207 8,2 1760-1794 367 9,5 291 4,5 76 1795-1829 409 15,9 284 7,0 125

30 % 18,2 25,0 37,5 33,3 20,9 28,9 36,0

Der Anteil steriler Familien (alle Heiratsalter) reduziert sich bis 1690-1724 auf 6,6%, er steigt danach wieder auf das Ausgangsniveau von 1620-1654 an. Bei den jünger verheirateten Frauen fällt die drastische Reduktion bereits in die Periode 1655-1689, als der Anteil steriler Familien von etwa 10% auf 2,5% fällt. 1690-1724 stagniert ihr Anteil auf diesem niedrigen Niveau, verdoppelt sich 1725-1759, stagniert 1760-1794 erneut und erhöht sich dann auf 7%. Bei den Frauen, die erst mit über 30 Jahren heirateten, weicht die Entwicklung ab: der Anteil steriler Familien erhöht sich bis 1655-1689 von etwa 18% auf 37,5%, sinkt bis 1725-1759 auf 21% und erhöht sich danach erneut stark, 1795-1829 werden 36% erreicht. Moderne Untersuchungen rechnen mit etwa 10% steriler Familien. 2 In Meulan waren von den 1660-1739 geschlossenen Ehen 2,6% steril, 1740-1839 8,3%. 3 Göttelfingen wies 1676-1699 4,7%, 1700-1749 4,9%, 1750-1799 14,7% und 1800-1849 4,5% sterile unter den vollendeten Familien auf. 4 Böhringen hatte 1650-1699 7,7%, 1700-1749 keine, 1750-1799 6,3% und 1800-1849 4,3% sterile vollendete Familien. 5 In Massenhausen (Bayern) schließlich waren 10,3% aller vollständigen Ehen steril. 6 In Colyton hatten 1560-1629 7% der vollendeten Ehen, die vor dem 35. Geburtstag der Frau geschlossen worden waren, keine Kinder, 1647-1719 waren es 18% (Basis aber nur 22 Familien), 1720-1769 21% (Basis 29 Familien) und 1770-1837 8% (Basis 26 Familien). 7 Die Prozentsätze für die vier Gäudörfer halten sich also durchaus im Rahmen des Üblichen. Ein steigender Anteil steriler Familien dürfte nur im Extremfall mit Kontrazeption zusammenhängen, da die wenigsten Ehepaare wohl gar keine Kinder wollten.

2 3 4 5 6 7

272

G.Mackenroth, Bevölkerungslehre, S.340f L.Henry, Evolution, S.882 I.Müller, Untersuchungen, S.256 (Basis: 21, 61, 119, 148 Familien) G.Heckh, Bevölkerungsgeschichte, S.157 (Basis: 26, 65, 127 und 139 Familien) W.R.Lee, Bevölkerungsgeschichte, S.331 E.A.Wrigley, Family limitation, S.98

5.5.4. Alter bei der letzten Mutterschaft 5.5.4.1. Das durchschnittliche Alter bei der letzten Mutterschaft Zur Berechnung des durchschnittlichen Alters bei der letzten Mutterschaft werden alle vollständigen Familien, in denen das Alter der Frau exakt bekannt ist, verwendet. 8 War die letzte Geburt eine Totgeburt, wurde auch diese gezählt.

Tab. 5.5.4. l.a. Durchschnittliches Alter der Familien. Nur exakte Alter Periode der gesamt Bondorf Heirat N D D N 41 38,5 1585-1619 16 37,9 1620-1654 24 39,5 55 40,3 34 38,1 1655-1689 93 38,2 1690-1724 141 38,5 67 38,1 91 38,7 1725-1759 189 39,2 1760-1794 332 39,2 140 39,8 344 39,7 1795-1829 128 39,9

Frau bei der letzten Geburt in vollständigen Tailfingen N D 19 38,7 14 42,4 28 38,4 25 37,8 34 39,7 56 37,8 68 39,0

Mötzingen N D -

8 13 28 39 95 103

42,4 38,8 39,8 40,5 39,4 40,4

Nebringen N D 6 39,5 9 37,3 18 37,7 21 38,9 25 38,3 41 38,7 45 38,8

N = Anzahl, D = Durchschnitt

Die Unterschiede zwischen den einzelnen Dörfern scheinen nicht besonders tiefgreifend. Ein Trend ist für die einzelnen Dörfer kaum zu erkennen. Das durchschnittliche Alter bei der letzten Mutterschaft liegt fast immer zwischen 38 und 40 Jahren. Abweichungen nach oben (Mötzingen und Tailfingen 1620-1654) oder unten (Nebringen 1620-1654) beruhen auf Zufallsvariationen. Für alle Dörfer zusammen liegt das Alter bei der letzten Mutterschaft 1655-1689 um mehr als zwei Jahre unter dem Durchschnitt der Jahre 1620-1654. 1690-1724 bleibt es noch auf diesem niedrigen Niveau und steigt dann langsam über 39,2 Jahre (1725-1759) auf 39,7 Jahre (1795-1829) a n . 9 Vor 1620 scheint das Alter bei der letzten Mutterschaft gleichfalls recht niedrig. 1 0

8 9

10

L.Henry, Techniques, S. 100f Wenig Veränderung im 18. Jahrhundert signalisiert auch: J.Knodel, Décliné, S.48f (Bezug auf Remmesweiler, Anhausen, Böhringen und Göttelfingen; Remmesweiler als Ausnahme). Vgl.a. W.G.Rödel, Mainz, S.285f Fehlende Geburten aufgrund von Unterregistrierung haben kaum Einfluß auf das Alter bei der letzten Mutterschaft: L.Henry, Fécondité, S.996; vgl. P.Zschunke, Konfession, S.211; J.Knodel, Behaviour, S.291-293

273

5.5.4.2. Das Alter bei der letzten Mutterschaft in Abhängigkeit vom Heiratsalter Herangezogen werden alle Frauen, die mit weniger als 35 Jahren heirateten; für die älteren Frauen ist die Zahlenbasis zu klein. Aus demselben Grund werden alle Dörfer zusammengefaßt.

Tab. 5.5.4.2.a. Alter bei der letzten Mutterschaft in Abhängigkeit vom Heiratsalter. Vollständige Familien. Nur exakte Alter Periode der Heiratsalter Heirat 15-19 20-24 25-29 30-34 D N D N D N D N 14 38,2 4 35,0 38,2 1585-1619 15 5 42,3 1620-1654 24 8 42,5 5 38,5 39,9 13 41,1 24 12 35,7 42 38,4 11 39,4 1655-1689 38,3 1690-1724 37 37,7 64 38,7 26 38,6 8 38,5 79 38,7 54 39,6 27 40,1 1725-1759 23 36,3 1760-1794 31 37,6 159 39,0 88 39,1 31 40,1 38,4 20 145 38,8 99 40,1 56 40,5 1795-1829 Ein Zusammenhang läßt sich kaum leugnen: das niedrigste Alter bei der Heirat und das niedrigste bei der letzten Geburt sind miteinander verbunden, das höchste meistens mit dem höchsten. Die Differenzen scheinen aber eher gering, vor allem gibt es kaum einen Unterschied im Alter bei der letzten Mutterschaft zwischen den Heiratsaitern 20-24 und 25-29, sobald die Zahlenbasis einigermaßen trägt. Das konstant niedrigere Alter bei der letzten Mutterschaft der unter 20 Jahren verheirateten Frauen erklärt sich wohl durch deren größere "Chancen", früher steril zu werden, da sie länger verheiratet waren. Immerhin liegt das Alter bei der letzten Mutterschaft in der Nähe von 40 Jahren und nicht etwa bei 45 Jahren, wie es der Biologie entspräche: "Die letzte Niederkunft lag in der Regel Ende Dreißig und nicht Mitte Vierzig. Ob diese Tatsache wirklich mit den sich allmählich bemerkbar machenden 'Ermüdungserscheinungen' allein zufriedenstellend zu begründen ist? Zweifel hieran sind erlaubt." 11

5.5.4.3. Häufigkeitsverteilung des Alters bei der letzten Mutterschaft Die Häufigkeitsverteilung gewinnt ihr Interesse durch die Tatsache, daß die Verwendung kontrazeptiver Praktiken sich nicht immer in einer Senkung des Alters bei der letzten Mutterschaft äußert. Allerdings erhöht sich mit dem Vordringen der Empfängnisverhütung im allgemeinen der Anteil der Frauen, die vor 35 Jahren ihr letztes Kind hatten. Die Untersuchung beschränkt sich auf die am besten repräsentierten Heiratsalter 20-24 und 25-29. 12 Die Ergebnisse wurden in Tabelle 5.5.4.3.a. zusammengefaßt.

11 12

274

A.E.Imhof, Jahre, S.56; vgl. J.Dupâquier, Bassin, S.362 L.Henry, Techniques, S.lOOf; J.Dupâquier, M.Lachiver, Contresens, S.490; L.Henry, Evolution, S.882f; vgl. P.Zschunke, Konfession, S.211

Tab. 5.5.4.3.a. Häufigkeitsverteilung des Alters bei der letzten Mutterschaft. Vollständige Familien mit exakten Altern. Heiratsalter 20-24 und 25-29 Periode der Alter bei der letzten Mutterschaft 40-44 über 4 35-39 unter 35 steril N Heirat Heiratsalter 20-24 18 1585-1619 1620-1654 26 42 1655-1689 1690-1724 66 1725-1759 81 1760-1794 166 150 1795-1829

16,7 7,7 0,0 3,0 2,5 4,2 3,3

16,7 11,5 23,8 18,2 19,8 19,9 22,0

38,9 38,5 23,8 24,2 32,1 23,5 23,3

27,8 34,6 47,6 50,0 39,5 45,2 43,3

7,7 4,8 4,6 6,2 7,2 8,0

Heiratsalter 25-29 16 1585-1619 1620-1654 10 26 1655-1689 1690-1724 27 58 1725-1759 1760-1794 94 111 1795-1829

6,3 20,0 7,7 3,7 6,9 6,4 10,8

18,8 0,0 26,9 14,8 13,8 18,1 13,5

50,0 10,0 30,8 44,4 31,0 23,4 24,3

25,0 60,0 30,8 33,3 43,1 51,1 45,1

0,0 10,0 3,8 3,7 5,2 1,1 6,3

-

Der Anteil der Frauen, die vor 35 Jahren ihr letztes Kind hatten, erreicht 1655-1689 sein Maximum in beiden Heiratsaltergruppen. Er sinkt in der nächstfolgenden Periode deutlich ab, erhöht sich dann aber bis 1829 wieder (Heiratsalter 20-24). Gleichzeitig hatten 1655-1689 aber auch besonders viele Frauen ihr letztes Kind erst jenseits der 40 (auch Heiratsalter 20-24). Die Entwicklung in den einzelnen Dörfern ist dabei bemerkenswert konstant, in Tailfingen/Nebringen hörten 28%, in Bondorf 20%, in Mötzingen aber nur 15% der Frauen vor ihrem 35. Geburtstag auf, Kinder zu bekommen. Diese Konstanz über 150 Jahre dürfte mit medizinischen Kriterien schwer zu erklären sein, der Wille der Eltern scheint dabei eine wesentliche Rolle zu spielen. 13 13

vgl. J.Knödel, Espacement, S.478; J.Knodel, Centuries, S.373 für Anhausen; A.E.Imhof, Jahre, S.156; A.E.Imhof, Einstellungen, S.73; A.E.Imhof, Surmortalité, S.85; J.Knodel, Natural fertility, S.503f; R.Gehrmann, Einsichten, S.472; G.Heckh, Bevölkerungsgeschichte, S.153, 155; I.Müller, Untersuchungen, S.253f; H.Charbonneau, Tourouvre, S. 139-141; R.Deniel, L.Henry, Population, S.578f; L.Henry, J.Houdaille, Fécondité, S.907 , 909, 916; J.Houdaille, Boulay, S.1074f; J.Houdaille, Sept villages, S. 1070; J.Ganiage, Trois villages, S.71f; s.a. H.Charbonneau, Vie, S.213f; J.C.Giacchetti, M.Tyvaert, Argenteuil, S.44, 56; J.Dupâquier, M.Lachiver, Débuts, S. 1395; J.Dupâquier, M.Lachiver, Contresens, S.491; M.Reinhard, Population, S.620f; D.Dinet, Quatre paroisses, S.79; L.Henry, Fécondité, S.997f; Y.Blayo, Trois paroisses, S.210; E.Gautier, L.Henry, Crulai, S.124f; J.P.Bardet, Rouen, S.272, 282; P.Deprez, Development, S.616; C.Vandenbroeke, Caractéristiques, S.18; vgl.a. die zahlreichen Beispiele bei M.W.Flinn, Demographic system, S. 128129; H.R.Burri, Bevölkerung, S. 115, 129f; A.Perrenoud, Malthusianisme, S.978f; A.Chamoux, C.Dauphin, Châtillon, S.677; M.Lachiver, Population, S.173f; L.Henry, Evolution, S.883; J.Houdaille, Remmesweiler, S. 1187; C.Lévy, L.Henry, Ducs, S.821f; E.A.Wrigley, Bevölkerungsstruktur, S.122f; A.v.Neil, Entwicklung, S.49, 51; E.A.Wrigley, Family limitation, S.95; J.Houdaille, Fécondité, S.372, 374, 376-378; H.Charbonneau, Tourouvre, S. 141; J.P.Bardet,

275

5.5.5. Der Index Dupäquier-Lachiver Jacques Dupäquier und Marcel Lachiver schlugen 1969 eine Methode vor, mit der kontrazeptives Verhalten einer Minderheit der betrachteten Bevölkerung erfaßt werden sollte. 14 Sie teilten die Ehedauer bis zum 40. Geburtstag der Frau durch die Anzahl der Geburten vor diesem 40. Geburtstag, oder, falls sie ihren 40. Geburtstag in der Ehe nicht erlebte, die Ehedauer durch die Anzahl Geburten. Alle Ehen, die weniger als fünf Jahre dauerten, bleiben ausgeschlossen, womit automatisch auch alle Ehen, in denen die Frau bei der Heirat 35 und älter war, eliminiert werden. Anschließend wird der Quotient auf Monate umgerechnet. Er beschreibt kein Intervall, sondern setzt sich aus dem protogenesischen Intervall, den intergenesischen Intervallen und dem Abstand der letzten Geburt vor dem 40. Geburtstag und diesem Geburtstag zusammen. 15 Bei Familien ohne Geburten wird aus naheliegendem Grund kein Quotient berechnet, sondern die gesamte Ehedauer genommen, was übrigens Familien ohne Kinder und solche mit einem Kind völlig gleichsetzt. 16 Trotz der Kritik von John Knodel schien mir diese Methode zumindest einen Versuch zu rechtfertigen. 17 Die Basis bilden alle MF1- und MF2-Familien, die die obigen Bedingungen erfüllen. Eine Unterscheidung nach Heiratsalter wird nicht eingeführt. 18 Als kontrazeptiv zu interpretieren ist ein Quotient von mehr als 48 Monaten. 19 Die Ergebnisse sind in Tabelle 5.5.5.a. zusammengestellt.

14 15

16 17

18 19

276

Rouen, S.272; A.E.Imhof (Hrsg.), Demographie, S.432-441; A.E.Imhof, Structure, S.28; A.E.Imhof, Familienstrukturen, S.208 J.Dupäquier, M.Lachiver, Contresens, S.489 J.Dupäquier, M.Lachiver, Débuts, S. 1399; J.Dupäquier, M.Lachiver, Contresens, S.492 Anm. 2; J.Knodel, Espacement, S.474, a. ebd. S.475f, 480-482; L.Henry, Evolution, S.885; bei A.E.Imhof (Hrsg.), Demographie, S.444; A.E.Imhof, Familienstrukturen, S.221f; A.E.Imhof, Jahre, S.58-60 besteht ein Mißverständnis; Imhof bildet die Summe der protogenesischen und der intergenesischen Intervalle und teilt diese dann durch deren Anzahl, eine Methode, die schon deshalb nicht geeignet ist, Kontrazeption aufzudecken, weil Intervalle eben Abstände zwischen zwei Geburten sind. Hat ein Ehepaar die gewünschte Anzahl von Geburten in relativ raschem Abstand zu Beginn der Ehe und dann 20 Jahre keine mehr, erscheint es bei Imhof nur mit den kurzen Intervallen, d.h. als nicht kontrazeptiv. Denselben Fehler macht a. S.Schraut, Industrialisierungsprozeß, S. 145-148. Zu den Intervallen s. A.Maisch, Ansätze, S.243-253 J.Knodel, Espacement, S.475 J.Knodel, Espacement, S.473-488; Knodel täuscht sich, wenn er L.Henry's Methoden zur Entdeckung der Kontrazeption und Dupäquier-Lachiver einander gegenüberstellt, wie ebd. S.473; zur Kritik an Dupäquier-Lachiver auch L.Henry, Evolution, S.885 Das Heiratsalter übt sicher einen Einfluß aus, hätte aber die Zahl der zur Verfügung stehenden Familien bei Differenzierung zu sehr verkleinert: L.Henry, Evolution, S.885; J.Knodel, Réponse, S.494 J.Dupäquier, M.Lachiver, Débuts, S. 1399

Tab. 5.5.5.a. Index Dupâquier-Lachiver N Periode der unter 19 Heirat Bondorf 34 2,9 1585-1619 1620-1654 56 7,1 74 0,0 1655-1689 104 1690-1724 1,9 4,7 150 1725-1759 177 6,8 1760-1794 9,9 203 1795-1829 798 5,8 alle

Quotient 31-48 19-30

über 4

20,6 53,6 29,7 32,7 32,7 50,3 49,3 41,5

44,1 26,8 31,1 33,7 35,3 24,9 18,2 27,8

32,4 12,5 39,2 31,7 27,3 18,1 22,7 24,9

Tailfingen/Nebringen 1585-1619 1620-1654 1655-1689 1690-1724 1725-1759 1760-1794 1795-1829 alle

40 49 65 85 106 135 159 639

2,5 2,0 1,5 4,7 3,8 3,0 3,8 3,3

42,5 49,0 35,4 38,8 36,8 34,8 39,6 38,5

22,5 22,5 35,4 37,6 30,2 22,2 27,0 28,2

32,5 26,5 27,7 18,8 29,2 40,0 29,6 30,1

Mötzingen 1620-1654 1655-1689 1690-1724 1725-1759 1760-1794 1795-1829 alle

33 32 54 66 123 156 464

0,0 3,1 5,6 4,6 7,3 10,3 6,9

24,2 53,1 48,2 47,0 57,7 53,9 51,1

39,4 15,6 22,2 34,9 18,7 19,2 22,8

36,4 28,1 24,1 13,6 16,3 16,7 19,2

Um die Verteilung der Quotienten würdigen zu können, empfiehlt sich zuerst ein Blick auf vergleichbare Untersuchungen: In Meulan fanden Jacques Dupäquier und Marcel Lachiver vor 1740 einen Anteil großer Quotienten von etwa 10%, 1740-1764 von 17,4%, 1765-1789 von 24,1%, 1790-1814 von 46,5% und 1815-1839 von 5 9 , 4 % . 2 0 Sie interpretierten den Anstieg von vor 1740 zu 1740-1764 als den Übergang von ca. 7,5% der Familien zur Kontrazeption, 10% der Familien scheinen aus biologischen Gründen große Quotienten aufzuweisen. Die unfreiwillige Sterilität veränderte sich im gesamten Zeitraum dagegen kaum. 2 1 Für Genf ergab sich Tabelle 5.5.5.b. 2 2

20 21 22

J.Dupäquier, M.Lachiver, Débuts, S.1400f; vgl.a. M.Lachiver, Fécondité, S.396 J.Dupäquier, M.Lachiver, Débuts, S. 1401 A.Perrenoud, Malthusianisme, S.980; a. bei: A.E.Imhof, Jahre, S.58f

277

Tab. 5.5.5.b. Anteil von Quotienten über 48 Monaten in Genf Periode der Zahl der Anteil von Quotienten Heirat Familien über 48 Monaten (%) 1625-1649 137 12 1650-1674 200 14 1675-1684 107 20 1687-1696 139 19 1700-1704 185 25 1725-1727 204 31 1745-1749 356 35 1770-1772 215 43

Perrenoud interpretiert die Prozentsätze ab 1675-1684 als kontrazeptiv. 23 In der Genfer Oberschicht waren in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts 35% der Familien steril oder kontrazeptiv, in der Mittelschicht 32% und in der Unterschicht 30%. 2 4 Tab. 5.5.5.C. Anteil von Quotienten über 48 Monaten in der Ile-de-France 25 Periode der Anteil großer Quotienten (über 48 Monaten) (%) Heirat Flins 7,7 1740-1764 1765-1789 13,9 1790-1814 47,7 81,8 1815-1839 Arthies 15,9 1668-1769 28,6 1770-1789 1790-1804 39,6 69,6 1805-1829 Suresnes 5,0 1735-1760 17,0 1761-1789 34,8 1790-1809 56,0 1810-1830 Anet 16,2 1691-1780 46,1 1781-1810 Verneuil 13,8 1740-1789 38,2 1790-1819 Pariser Osten 1740-1764 17,0 14,7 1765-1789 34,4 1790-1804 47,4 1805-1818

23 24 25

278

A.Perrenoud, Malthusianisme, S.980 A.Perrenoud, Malthusianisme, S.981 M.Lachiver, Fécondité, S.396

In Bonni£res-sur-Seine hatten 1736-1755 16,7% aller Familien Quotienten über 48 Monaten, 1756-1785 18,3%, 1786-1815 42,5%, 1816-1845 81,9%. 2 6 John Knodel fand in seiner kritischen Anwendung der Methode Dupäquier-Lachiver in Grafenhausen (Baden) 1750-1799 16,6% große Quotienten, 1800-1849 26,3%, in Rust (Baden) 20,2% in der ersten Periode und 20,9% in der zweiten. In drei bayerischen Dörfern (Anhausen, Gabelbach, Kreuth) waren es 1750-1799 16,8%, 1800-1849 22,9%, in Middels (Ostfriesland) 1750-1799 16,7% und 1800-1849 30,1%. 2 7 Insgesamt scheinen 10-15% großer Quotienten auch für nicht-kontrazeptive Verhältnisse normal, einen Prozentsatz, den Mötzingen 1725-1829 und Bondorf 1620-1654 aufweisen. Rechnet man alles, was darüber hinausgeht als kontrazeptiv, hätten in Bondorf 1655-1689 etwa 25% der Familien, 1690-1759 immer noch ca. 15% Empfängnisverhütung betrieben. In Tailfingen/Nebringen wären es konstant - außer 1690-1724 - mehr als 15% gewesen, mit einem Maximum für die 1760-1794 gegründeten Familien von 25%. Dies sind Minimalsätze, denn schließlich können auch unter den 15% Familien mit großen Quotienten in Mötzingen einige kontrazeptive enthalten sein. Um genauer bestimmen zu können, ob und welche sozialen Gruppen besonders zu kontrazeptivem Verhalten neigten, wurde für Bondorf der Index Dupäquier-Lachiver nach Schichten aufgeschlüsselt (s. Tabelle 5.5.5.d.). 2 8 Wegen der geringen Anzahl erhaltener Inventuren vor 1690 war dies allerdings erst für die Zeit danach möglich. Da bei den verhältismäßig kleinen Zahlen die Gefahr zufälliger Variationen sehr groß ist, wurde die Signifikanz durch Wahrscheinlichkeitstests überprüft. 2 9 Die Gesamtverteilung war 1760-1794 signifikant, ebenso wie die Verteilung, die sich bei Zusammenfassung von I und II gegenüber III und IV ergab. Schon 1725-1759 signifikant war die Verteilung, wenn I, II und III zusammengefaßt und mit IV konfrontiert wurden. Dies bedeutet, daß die durchschnittlich und überdurchschnittlich begüterte Bevölkerungsgruppe 1725-1759 kontrazeptiver war als die Ärmeren, daß aber 1760-1794 die direkt unterhalb des Vermögensdurchschnitts liegenden Familien ihr Verhalten an das der ärmsten angeglichen hatten und weniger kontrazeptiv waren als vorher und als die überdurchschnittlich reichen Familien. Mit anderen Worten: Kontrazeption wurde verstärkt von den Wohlhabenden und Reichen betrieben, von den Armen aber nur in geringem Ausmaß. 3 0 Die Verringerung der Vermögen führte zur Aufgabe der Kontrazeption bei der unteren Mittelschicht (III).

26 27 28 29 30

E.B.Ackermann, Commune, S.92f J.Knodel, Espacement, S.476, vgl. S.477-480 zum Vergleich mil anderen Maßen der Kontrazeption; vgl. a. J.Dupâquier, M.Lachiver, Contresens, S.491f zum Modell sozialer Schichtung s. Kap. 6.1.2.; I = B, C und D, II = A, III = a, IV = b, c und d. Chi-Quadrat, s. J.Kriz, Statistik, S. 156-159, 169-171, 285f zur sozialen Differenzierung vgl. etwa: J.P.Bardet, Démographie, S.122; J.P.Bardet, Rouen, S.279281; J.Knodel, Centuries, S.370; J.Ganiage, Trois villages, S.84f; H.R.Burri, Bevölkerung, S. 125129; M.Terrisse, Faubourg, S.290, vgl. S.294-296 den Kommentar L.Henry's; C.Lévy, L.Henry, Ducs, S.815-822; J.Gélis, M.Läget, M.F.Morel, Vie, S. 17; W.Norden, Bevölkerung, S. 158-160

279

Tab. 5.5.5.d. Index Dupäquier-Lachiver nach sozialer Schicht. Bondorf 1690-1829 N Quotient Schicht unter 19 über 48 19-30 31-48 Periode der Heirat: 1690-1724 I 14 35,7 35,7 0,0 28,6 II 27 0,0 29,6 44,4 25,9 17 III 5,9 35,3 17,6 41,2 24 IV 4,2 41,7 29,2 25,0 82 2,4 34,2 ges. 32,9 30,5 Periode der Heirat: 1725-1759 I 24 41,7 4,2 20,8 33,3 24 16,7 II 20,8 25,0 37,5 24,2 36,4 III 33 3,0 36,4 57 40,4 IV 5,3 36,8 17,5 29,7 138 6,5 35,5 28,2 ges. Periode der Heirat: 1760-1794 14 21,4 35,7 I 14,3 28,6 27 40,7 11,1 40,7 II 7,4 III 30 6,7 53,3 30,0 10,0 24,1 IV 58 6,9 77,6 8,6 7,8 50,4 24,0 17,8 ges. 129 Periode der Heirat: 1795-1829 I 7 85,7 0,0 0,0 14,3 II 10 20,0 10,0 20,0 50,0 III 7 14,3 42,9 42,9 0,0 34 14,7 12,1 IV 8,8 55,9 22,4 58 10,3 50,0 17,2 ges.

Damit könnten sich auch die Unterschiede zwischen den untersuchten Dörfern erklären: die beiden reichsten, Tailfingen und Nebringen, hatten den höchsten Prozentsatz relativ wohlhabender Bürger, die stärker kontrazeptiv waren, also erscheint das ganze Dorf als stärker kontrazeptiv. In Mötzingen, dem ärmsten Dorf, wirkte der umgekehrte Mechanismus: aus dem geringsten Prozentsatz an wohlhabenden Familien folgte die geringste Neigung zur Geburtenbeschränkung auf der Ebene des dörflichen Durchschnitts.

280

5.6. Kontrazeption im Gäu? Die Entdeckung von kontrazeptivem Verhalten in vorindustriellen europäischen Gesellschaften wird durch die großen regionalen Unterschiede im Niveau der Fruchtbarkeit erschwert, die es unmöglich machen, von der absoluten Höhe der altersspezifischen ehelichen Fruchtbarkeitsziffern auf Kontrazeption zurückzuschließen. 1 Zuerst sollen noch einmal alle Indikatoren zusammengetragen werden, die als Hinweise auf Empfängnisverhütung verstanden werden können: die Kurven der altersspezifischen ehelichen Fruchtbarkeitsziffern verlaufen in Bondorf 1655-1689 linear, in Tailfingen/Nebringen für das Heiratsalter 20-24 konkav. 2 die Indizes für die AEFZ des Heiratsalters 20-24 sinken 1655-1689 sehr stark, wobei das Sinken um so stärker ausfällt, je höher die Altersgruppe ist. Dies gilt in Bondorf aber nur bis zur Altersgruppe 30-34, in Tailfingen/Nebringen bis zu der von 35-39. für die mit 20-24 Jahren verheirateten Frauen lag die Descendance complète 16551689 um mehr als zwei Geburten pro Frau unter der von 1620-1654, in Tailfingen/Nebringen um eine. Zugleich war die Descendance complète in dieser Periode niedriger als jemals später. Das gleiche rasche Absinken ist auch bei den mit 25-29 Jahren verheirateten Frauen zu beobachten, womit sich die Descendance complète beider Heiratsalter aneinander angleicht (zum ersten und einzigen Mal in Bondorf, in Tailfingen und Nebringen war es auf wesentlich höherem Niveau schon 1620-1654 so). 3 der "indice Houdaille" zeigt 1655-1689 einen sehr schnellen Abfall der Fruchtbarkeit in den höheren Altersklassen für die mit 20-24 Jahren verheirateten Frauen, wie er in Meulan und Rouen erst erreicht wurde, als dort schon massiv Kontrazeption betrieben wurde. die Kinderzahl der vollständigen Familien lag in Tailfingen/Nebringen und Bondorf 1655-1689 so niedrig wie niemals später (der Vergleich mit vorher ist schwierig, da die Kinderzahl der vollständigen Familien nicht um mögliche Registrierungsdefizite korrigiert ist!). der Anteil steriler Familien liegt in der gleichen Periode für Frauen unter 30 sehr niedrig, so daß die gesunkene Kinderzahl der vollständigen Familien oder die niedrigeren AEFZ nicht auf das Konto einer weiter verbreiteten Sterilität gehen können. das durchschnittliche Alter der Frau bei der letzten Geburt liegt 1655-1689 um zwei Jahre niedriger als 1620-1654 (alle Dörfer) und erreicht damit seinen tiefsten Stand im gesamten untersuchten Zeitraum. In Bondorf beträgt die Differenz zur 1

2 3

zu regionalen Unterschieden der Fruchtbarkeit und ihren Gründen: P.G.Spagnoli, Population, S.447f; E . A . W r i g l e y , Bevölkerungsstruktur, S. 124-127; L.Henry, Evolution, S.877; L.Henry, Fécondité naturelle, S.634; A.Bellettini, Considérations, S.56 Anm. 1; P.Goubert, Historical demography, S.42; R.Deniel, L.Henry, Population, S.594; A.Chamoux, C.Dauphin, Châtillon, S.665; D . E . C . E v e r s l e y , Population, S.46; J.Knodel, E. van de Walle, Breast feeding, S. 110; J.Knodel, Natural fertility, S.487 zur Kurvenform vgl. etwa; Y.Blayo, Fécondité, S. 1210, 1212 für die Bedeutung der Beobachtung einer langfristigen Entwicklung für das Urteil, ob Kontrazeption vorliegt oder nicht: L.Henry, Evolution, S.883; die Bedeutung einer identischen Geburtenzahl hebt hervor: Y.Blayo, Fécondité, S.1212f; L.Henry, Evolution, S.881-883

281

vorangehenden Periode 1,4 Jahre, in Tailfingen vier Jahre, was aufgrund der geringen Fallzahlen für jedes Dorf das Faktum nur illustrieren, nicht aber belegen soll, das Alter bei der letzten Mutterschaft aller Heiratsalter sinkt. der Anteil der Frauen, die vor dem 35. Geburtstag ihr letztes Kind hatten und mit 20-24 Jahren heirateten, verdoppelt sich 1655-1689 gegenüber 1620-1654 und erreicht sein Maximum für den gesamten Zeitraum. der Index Dupâquier-Lachiver, der immer hohe Prozentsätze kontrazeptiver Familien anzeigt, hat 1655-1689 ein eindeutiges Maximum bei den sehr großen Quotienten. Nur in Tailfingen/Nebringen gibt es diesen Höhepunkt nicht. Der Bondorfer Anteil großer Quotienten kommt dem in Meulan 1790-1814, in Genf in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, der anderen zitierten französischen Orte nach 1790 nahe. Reichen diese Indizien aus, formen sie das von Louis Henry geforderte "faisceau cohérent de présomptions"?4 Vorsicht ist bei einer so frühen Zeit allemal geboten; das erste Stichwort heißt hier - muß hier heißen - Registrierungsdefizite. Die Ziffern wurden aber immerhin um die "naissances perdues" und die sofort Gestorbenen korrigiert, wo es nötig schien. Fiel die Korrektur zu schwach aus? 1690-1724 wurde gar nicht korrigiert, alle Ergebnisse weisen auf eine höhere Fruchtbarkeit als 1655-1689 hin. Und schließlich: wo es kaum "naissances retrouvées" gibt, kann auch nicht korrigiert werden. Mötzingen zeigt zudem keines der Symptome - so exorbitant besser (sofern es überhaupt noch etwas zu verbessern gab) wird die Registrierung dort nicht gewesen sein. Im übrigen ist der Abfall der AEFZ viel zu stark, um mit Unterregistrierung erklärt zu werden. 5 Welche Rolle könnten "natürliche" Ursachen gespielt haben? Spontanaborte, Amenorrhoe ...? Beides läßt sich sicher nicht von der Hand weisen. 6 Warum aber fallt die Fruchtbarkeit für die mit 20-24 Jahren verheirateten Frauen nicht etwa in der Altersklasse ihrer Heirat (wo sie vielmehr höher liegt als in der vorangehenden Periode), sondern in der Altersklasse 30-34 in Bondorf um 48%, in Tailfingen/Nebringen um 21%, in der folgenden in Bondorf um 39%, in Tailfingen/Nebringen um 35%? Amenorrhoe betrifft alle Frauen, Spontanaborte wachsen kaum in diesem Ausmaß von einer Altersklasse zur nächsten an. Bleibt also die "temporary 'fertility solution"'. 7 Nach Colyton, wo wie in Württemberg die Pest vorausgeht, nach Genf wird man nicht mehr bezweifeln können, daß sie in der Reichweite traditioneller europäischer Bevölkerungen lag. 8 "Le cas d'Angleterre,

4

5 6

7

8

282

L.Henry, Evolution, S.885; vgl.a. H.R.Burri, Bevölkerung, S.132, a. S. 125-131 für die herangezogenen Indikatoren; J.Dupâquier, Bassin, S.34; P.Goubert, Historical demography, S.44f; J.Dupâquier, M.Lachiver, Contresens, S.490; J.Knodel, Espacement, S.473-488, v.a. S.474 und 484f, a.S.493f; J.Dupâquier, M.Lachiver, Débuts, S. 1396; vgl. U.Pfister, Anfänge, S.221 vgl. zur Unterregistrierung den Fall Colyton: E.A.Wrigley, Family limitation, S. 100 (etwa 6%) vgl. R.Andorka, Prévention, S.72; A.E.Imhof, O.Larsen, Sozialgeschichte, S.52f; J.Knodel, Natural fertility, S.491, 502; L.Henry, Fécondité naturelle, S.634; J.P.Bardet, Démographie, S.119, 122; B.Derouet, Démographie, S.17f; J.Dupâquier, Animal, S.194f D.Scott Smith, History, S.165-183, hier: S.180; zum ganzen Komplex J.Cromm, Bevölkerung, passim; H.Rosenbaum, Formen, S.449-452 zu den Voraussetzungen von Kontrazeption; M.Segalen, Familie, S.212f E.A.Wrigley, Family limitation, S.82-109, passim; A.Perrenoud, Malthusianisme, S.980f; E.A.Wrigley, Bevölkerungsstruktur, S.181 spricht vom nötigen richtigen Auslöser; s.a. D.Scott Smith, History, S.177f

l'exemple genevois, les premiers résultats recueillis en Suisse et en Hongrie sont en effet autant d'indices d'un comportement malthusien très précoce dans les milieux réformés. Un malthusianisme différent de celui que connaîtra la France, ni aussi radical, ni surtout irreversible - la reprise de la natalité, en Angleterre dans la seconde moitié du X V I I I e siècle, dans le canton de Vaud au début du X I X e siècle en témoigne -. Un comportement somme tout tactique, essentiellement économique, qui est une réponse à des conditions particulières d'un moment, adapté aux circonstances." 9 Eine Beschreibung, die mir den Kern der Sache zu treffen scheint - mit dem Unterschied, daß in Württemberg nicht die Familienlehre der calvinistischen Reform zur Voraussetzung für ein derartiges Verhalten gemacht werden k a n n . 1 0 Die Reversibilität stellt dabei das entscheidende Regulativ dar: anders als in Frankreich ( " L e malthusianisme français, au contraire, implique un choix éthique, le rejet définitif d'une morale jugée trop pesante et en désharmonie avec les besoins d'une société en voie de progrès.") 1 1 funktioniert die Rückkehr zu einem Niveau höherer Fruchtbarkeit schon ab 1690 in Bondorf und Tailfingen/Nebringen, wobei die beiden letzten Dörfer sich stets eine gewisse Mäßigung auferlegten (und 1760-1794 ihre Fruchtbarkeit nochmals reduzierten). Oder - wie E.A.Wrigley es ausdrückt - die Gäudörfer fabrizierten nicht so viele Kinder, wie sie eben konnten; Limitierung kannte viele Schattierungen zwischen den heiden_Extremen: "In comparing the sixteenth and the late seventeenth centuries in Colyton the contrast is not between a society producing children at a maximum rate and a society imposing maximum restrictions but rather between two points on a spectrum of possibilities, each some way from the furthest extremes." 1 2

9

A.Perrenoud, Malthusianisme,

S.981;

E.A.Wrigley,

Family limitation,

S.106

für Colyton;

vgl.

I.Esenwein-Rothe, Einführung, S . 3 2 9 f zu traditionellen Methoden der Empfängnisverhütung 10

W i e bei A.Perrenoud, Malthusianisme, S . 9 8 2 - 9 8 8

11

A.Perrenoud, Malthusianisme, S . 9 8 1 f; zum definitiven Eindringen: B.Derouet, Démographie, S . 1 8 f ; R.Andorka,

Prévention,

S.72-74;

H.R.Burri,

Bevölkerung,

S. 132;

L.Henry,

Evolution,

S.883;

A . C h a m o u x , C.Dauphin, Châtillon, S . 6 8 1 f ; A.Burguière, Démographie, S . 8 8 - 9 5 ; J.Dupâquier, Caractères, S. 197f; A . E . I m h o f , Jahre, S . 5 7 f , 6 2 - 6 4 , 6 8 f ; J.Dupâquier, M . L a c h i v e r , Débuts, S . 1 3 9 1 ; J . K n o d e l , Décliné, S . 4 9 f ; J.Knodel, Natural fertility, S . 4 8 3 , 4 8 9 , 5 0 5 f ; M.Mattmüller, Einsetzen, S . 4 0 4 f ; zum reversiblen Gebrauch kontrazeptiver Praktiken: W . R . L e e , Bastardy, S . 4 2 4 ; E.Weismann, Bevölkerungsbewegung, S . 3 4 9 , 3 5 2 ; J.Houdaille, Remmesweiler, S . 1 1 9 1 ; E . R ü m e l i n , Heiratsalter, S.26; W.R.Lee,

Germany, S . 1 4 8 f ; J.Knodel, Natural fertility, S . 4 8 1 ;

R.Gehrmann,

Einsichten,

S . 4 6 6 f ("Kontrazeption: Innovation oder Anpassung?") 12

E . A . W r i g l e y , Family limitation, S. 108

283

5.7. Mortalität 5.7.1. Säuglings- und Kindersterblichkeit Sterbeziffern setzen die Zahl der Gestorbenen eines bestimmten Alters in Beziehung zur mittleren Zahl der Einwohner gleichen Alters. Sie werden dann auf 1000 Einwohner umgerechnet. Lediglich die Säuglingssterblichkeit wird anders berechnet: sie wird nicht auf 1000 Einwohner, die unter einem Jahr alt sind, in der Mitte des Jahres bezogen, sondern auf 1000 Lebendgeburten des Jahres.1 Die Schwierigkeit in der historischen Demographie besteht nun darin, daß weder die mittlere Bevölkerungszahl noch die Altersstruktur bekannt sind. Deshalb muß die Personengruppe, deren Sterblichkeit erforscht werden soll, genau definiert werden. Unter den Kriterien dieser Definition darf sich keines befinden, das Sterblichkeit impliziert (die Aufsummierung der Alter beim Tod ist daher unzulässig!). Bei Kindern ist die Eingrenzung der zu untersuchenden Personengruppe (über die darüber hinaus ja auch noch genügend Daten vorliegen müssen, um sinnvolle Aussagen zu ermöglichen) noch relativ einfach: Kinder gelten als so lange anwesend wie ihre Eltern, wobei als Kinder alle Personen unter 15 Jahren angesehen werden. Die Anwesenheit der Eltern enthält kein Sterblichkeitskriterium der Kinder. Als Beobachtungsende gilt bei F-Familien das Eheende, bei O-Familien das Datum der letzten Geburt in einem der untersuchten Dörfer. Für jedes geborene Kind wird das Alter beim Beobachtungsende und das Alter beim Tod errechnet. Das Alter beim Tod muß einer niedrigeren Altersgruppe angehören als das Alter beim Beobachtungsende; gehören beide Alter derselben Altersgruppe an, wird der Todesfall nicht gezählt, sondern das Kind verläßt dann eben die Beobachtung. Die Zahl der Todesfälle wird also zur Zahl der Kinder in Beziehung gesetzt, die die betreffende Altersstufe vollständig unter Beobachtung durchlebten. Kinder, die vor ihrem ersten Geburtstag bereits das Beobachtungsende erreichten, intervenieren folglich niemals bei der Berechnung der Säuglingssterblichkeit (was zu einem Wegfall aller O-Familien mit nur einer Geburt in einem der Dörfer führt). 2 Die mit dieser Methode errechneten Mortalitätsquotienten wurden anschließend mit Hilfe der von Louis Henry und Hubert Charbonneau entwickelten Verfahren korrigiert, um die Unterregistrierung von Todesfällen von Kindern auszugleichen. Nötig waren diese Korrekturverfahren bis 1725, danach scheint die Registrierung sehr gut. 3 Die folgenden Ausführungen beziehen sich stets auf die korrigierten Sterbeziffern.

1 2 3

284

G.Mackenroth, Bevölkerungslehre, S.72; L.Henry, Techniques, S. 123; I.Esenwein-Rothe, Einführung, S.207f, 214-221 L.Henry, Techniques, S.134-136; s.a. H.Charbonneau, Tourouvre, S. 161 ; E.Gautier, L.Henry, Crulai, S. 159f L.Henry, Techniques, S. 137-142, 144f

Tab. 5.7.1.a. Säuglings- und Kindersterblichkeit (korrigierte Ziffern) Bondorf Tailfingen/ Altersgruppe alle Dörfer Nebringen Periode der Geburt: 1585-1619 276 0 115 1-4 37 5-9 21 10-14 Periode der Geburt: 1620-1654 312 295 0 285 147 182 1-4 166 32 99 5-9 62 58 50 10-14 50 Periode der Geburt: 1655-1689 247 328 285 0 84 145 1-4 109 31 28 5-9 40 9 20 10-14 11 Periode der Geburt: 1690-1724 248 205 0 238 215 133 1-4 176 37 36 5-9 43 13 19 10-14 16 Periode der Geburt: 1725-1759 207 190 0 200 157 185 1-4 164 46 48 5-9 48 28 25 10-14 26 Periode der Geburt: 1760-1794 251 229 0 246 1-4 181 179 193 61 65 5-9 55 24 20 10-14 18 Periode der Geburt: 1795-1829 263 205 0 243 171 122 1-4 146 54 43 5-9 43 17 10-14 18 25

Mötzingen

-

206 175 48 29 306 111 85 0 276 191 64 14 204 142 51 23 253 174 40 8 246 136 34 12

Von 1000 lebend geborenen Kindern erlebten ihren 15. Geburtstag: Tab. 5.7. l.b. Überlebende am 15. Geburtstag (korrigierte Ziffern) Periode der alle Dörfer Bondorf Tailfingen/ Geburt Nebringen 604 1585-1619 604 1620-1654 531 548 482 662 547 1655-1689 605 1690-1724 591 652 561 1725-1759 620 620 613 1760-1794 573 564 570 1795-1829 608 575 644

Mötzingen -

606 565 541 633 588 622

285

Daten für die früheste Periode liegen nur aus Tailfingen/Nebringen vor. Die Säuglingssterblichkeit von 276 auf 1000 scheint recht wahrscheinlich, verglichen mit den folgenden Perioden, ebenso die Quotienten für die 5-9- und die 10-14jährigen Kinder. Deutlich unterschätzt dürfte die Ziffer für die 1-4jährigen sein. Nur ein Minimum gibt die Säuglingssterblichkeit 1620-1654, da die für Mötzingen deutlich unterschätzt ist. Ein Niveau von 300 auf 1000 ist für die Zeit des Dreißigjährigen Krieges wahrscheinlich. Auch die übrigen Ziffern passen ins Bild, zumal bei den relativ kleinen Zahlen Zufallseffekte mitspielen. Tailfingen stellt sich bei drei von vier Ziffern schlechter als Bondorf und der Gesamtdurchschnitt. 1655-1689 scheint die Sterblichkeit der l-4jährigen etwas unterschätzt, vor allem aber in Bondorf zu niedrig zu liegen. Die Säuglingssterblichkeit ist besser repräsentiert, obwohl auch hier Bondorf im Vergleich zu Tailfingen/Nebringen und Mötzingen etwas zu günstig abschneidet. Die Stagnation der Säuglingssterblichkeit 1620-1689 hat alle Wahrscheinlichkeit für sich. Bei der Säuglingssterblichkeit 1690-1724 scheint die Streuung sehr groß: vom günstigsten Fall Bondorf bis zum ungünstigsten in Mötzingen klafft ein Abstand von immerhin 70 Todesfällen auf 1000 Lebendgeburten. Gegenüber der vorangehenden Periode zeichnet sich ein deutlicher Rückgang der Säuglingssterblichkeit ab. Die Gesamtsterblichkeit bis 15 erhöhte sich dagegen, was auf die Unterrepräsentierung der Todesfälle der l-4jährigen Kinder 1655-1689 zurückgeht. 1725-1759 scheinen die Ziffern für die Säuglinge sehr günstig; alle Pfarreien haben jetzt ein Niveau, das Bondorf schon eine Periode früher erreicht hatte. Die Ergebnisse liegen nahe beieinander, was ihre Glaubwürdigkeit stützt. Die übrigen Ziffern sind im Verhältnis zur Säuglingssterblichkeit normal. In allen Dörfern außer Bondorf gilt die sinkende Tendenz auch für die 1-4jährigen. In allen Dörfern stieg 1760-1794 die Säuglingssterblichkeit, wobei der Anstieg in Tailfingen am schwächsten ausfiel, das damit die günstigste Ziffer aufwies. Auch die Ziffern der folgenden Altersgruppen stiegen. Auf hohem Niveau stagniert die Säuglingssterblichkeit 1795-1829, was im Einzelfall auch für Mötzingen gilt; in Tailfingen/Nebringen sinkt sie leicht, während sie sich in Bondorf ebenso leicht erhöht. Die Ziffern für die l-4jährigen sinken, so daß sich die Gesamtsterblichkeit bis 15 verringert. Tailfingen/Nebringen präsentiert sich nun als der günstigste Fall, Bondorf als der ungünstigste, Mötzingen ist Durchschnitt. Die Säuglingssterblichkeit sinkt bis 1759, erhöht sich dann aber wieder deutlich. Die Sterblichkeit der l-4jährigen, für die die Ziffern vor 1690 recht unsicher sind, scheint 1690-1759 zu sinken, dann kurz zu steigen und schließlich 1795-1829 deutlich zu fallen. Die Ziffern für die 5-9jährigen und die 10-14jährigen sind 1620-1654 erhöht, halten sich sonst aber immer auf annährend dem gleichen Niveau. Der Anstieg der Säuglingssterblichkeit läßt sich auch in anderen württembergischen Gemeinden vom 18. zum 19. Jahrhundert verfolgen: in Weinsberg, 4 in Oschelbronn, 5 in Böhringen. 6 Das Oberamt Herrenberg hatte 1812-1822 eine Säuglingssterblichkeit von 4 5 6

286

E.Weismann, Bevölkerungsbewegung, S.348; J.Knodel, Behaviour, S.39-46 J.Knodel, Natural fertility, S.486; J.Knodel, Seasonal variation, S.209f G.Heckh, Bevölkerungsgeschichte, S.141, s.a. S.142f; vgl. Wagner, Bevölkerungsstatistisches, S.41f

248, 1846-1856 von 321 und 1858-1866 von 346. 7 Im gesamten Königreich Württemberg kletterte die Sterblichkeit der Kinder im ersten Lebensjahr von 321 1812-1822, über 348 1846-1856 auf 360 (1862-1868), fiel dann 1871-1880 auf 320 und 1881-1890 auf 2 6 8 . 8 In Kiebingen, wo die Säuglingssterblichkeit 1800-1804 bei 294, 1805-1809 bei 241 gelegen hatte, sank sie 1825-1884 nie mehr unter 300. 9 In Göttelfingen läßt sich keine Steigerung vom 18. zum 19. Jahrhundert zeigen; die Säuglingssterblichkeit lag dort nach 1800 unter 200 pro 1000 Geburten. 10 Ein derartig starker Anstieg scheint eine süddeutsche Besonderheit zu sein: 1 1 in Frankreich reduzierte sich die Sterblichkeit im 18. Jahrhundert nur leicht (in Morannes im Anjou sank sie immerhin von 217 1670-1709 auf 156 1750-1789, in La Chapelle d'Aligné in derselben Landschaft von 318 in der ersten Periode auf 259 in der zweiten; das Sinken war aber in beiden Fällen nicht kontinuierlich, der Mortalitätsquotient für Säuglinge schwankte stark von Jahrzehnt zu Jahrzehnt), 12 aber sie stieg zumindest nicht. Ähnliches gilt für Norddeutschland. 13 In den beiden flandrischen Dörfern Lovendegem und Elversele allerdings erhöhte sich die Säuglingssterblichkeit, wenn auch bei weitem nicht so stark wie in Württemberg. 14 Den entscheidenden Grund für diesen Anstieg scheint die Intensivierung der Landwirtschaft, die vermehrte Ausbeutung weiblicher Arbeitskraft und die damit einhergehende Vernachlässigung der Kleinkinder zu bilden. 1 5

7 8 9 10 11

12

13

14 15

Kuli, Beiträge, S.15; andere Angabe bei F.Krauss, Legibus, S.17 falsch (?) Walz, Stilltätigkeit, S.268; Königreich Württemberg 1863, S.325f; W . von Hippel, Bevölkerungsentwicklung, S.283-285 W.Kaschuba, C.Lipp, Überleben, S.549; U.Jeggle, Kiebingen, S.168f, 189-191, 193f I.Müller, Untersuchungen, S. 198-201 für Bayern: J.Knodel, Natural fertility, S.486; J.Houdaille, Résultats, S.654; A . E . I m h o f , Einstellungen, S.67, 73; J.Brügelmann, Medikalisierung, S. 181; J.Knodel, Seasonal variation, S.209f; R.Gehrmann, Einsichten, S.475; vgl.a. P.Zschunke, Konfession, S. 164-167 F . L e b r u n , Hommes, S. 115-117; P.Goubert, Provinciaux, S.84; J.Dupâquier, Caractères, S. 193f, 200-202; H.Charbonneau, Tourouvre, S. 171, s.a. S. 161-173; E.Gautier, L.Henry, Crulai, S. 162f; J.C.Giacchetti, M.Tyvaert, Argenteuil, S.47-49, 56; Y.Blayo, L.Henry, Données, S. 147; R.Deniel, L . H e n r y , Population, S.586-588; L.Henry, C.Lévy, Données, S.310-312; J.Houdaille, Sept villages, S.1071; J.Houdaille, Boulay, S.1076; für Italien vgl. A.Bellettini, A.Samoggia, Evolution, S.200 J.Knodel, Natural fertility, S.486; J.Houdaille, Résultats, S.654; A . E . I m h o f , Einstellungen, S.67, 73; J.Houdaille, Remmesweiler, S. 1189; R.Gehrmann, Einsichten, S.475; W . N o r d e n , Bevölkerung, S.62f; A.v.Neil, Entwicklung, S. 102; für die Schweiz (Stagnation wie in Norddeutschland): H . R . B u r r i , Bevölkerung, S.135; M.Mattmüller, Einsetzen, S.398f; S.Bucher, Bevölkerung, S.78-87; für England: E.A.Wrigley, R.S.Schofield, Population history, S.249; L.Stone, Family, S.68f P.Deprez, Development, S.623; J.Dupâquier, Caractères, S. 196; C.Vandenbroeke, F.van Poppel, A . M . v a n der Woude, Développement, S.260f S.J.Kunitz, Spéculations, S.357; W . R . L e e , Differenzierung, S.217f; L.Pfeiffer, Säuglingssterblichkeit, S.30; J.Brügelmann, Medikalisierung, S. 183-186; A . E . I m h o f , Einstellungen, S.68-70, 76-78; A . E . I m h o f , Einleitung, S.23f; A.E.Imhof, Jahre, S.44, 48; U.Jeggle, Kiebingen, S.167f; G . C l e ß , G.Schübler, Versuch, S.80f; M.Bidlingmaier, Bäuerin, S.170f; zur Vernachlässigung s.a. E.Boserup, Rolle, S.44f

287

5.7.2. Sterblichkeit Erwachsener Wie schon bei der Sterblichkeit der Kinder besteht auch bei der der Erwachsenen das Problem, die Gruppe, deren Sterblichkeit erforscht werden soll, einzugrenzen, wobei kein Sterblichkeitskriterium intervenieren darf. Die Personengruppe, deren Sterblichkeit im folgenden behandelt wird, wurde folgendermaßen definiert: alle Männer und Frauen, die in Bondorf, Mötzingen, Tailfingen, Nebringen und Oschelbronn geboren wurden und einen Ehepartner heirateten, der gleichfalls aus einem dieser fünf Dörfer stammte. Die Gruppe enthält also genau gleich viele Männer und Frauen. Die Untersuchung bezieht sich damit aber auch nur auf verheiratete Personen, die Sterblichkeit Lediger kann - aufgrund ihrer größeren Mobilität - in der historischen Demographie nicht erforscht werden. Jede Person tritt mit dem Datum ihrer Eheschließung in die Beobachtung ein und verläßt sie durch eine zweite Ehe oder den Tod. Erfüllt die zweite Ehe die oben formulierten Kriterien, folgt ein zweiter Eintritt der betreffenden Person. Da es dennoch zumeist eine gewisse Anzahl von Personen gibt, deren Todesdatum nicht bekannt ist - weil sie abwanderten oder weil ihr Tod nicht registriert wurde muß mit minimalen und maximalen Schätzungen der Lebenserwartung gearbeitet werden. Für etliche unter den Unbekannten verfügt man über ein Datum, vor dem sie nicht gestorben sein können. Nimmt man dieses Datum als Todesdatum, erhält man die minimale Lebenserwartung (aufgrund der maximalen Sterblichkeit). Als maximales Alter wurde für unbekannte Personen 60 Jahre eingesetzt, was der Realität recht nahe kommen dürfte. Aufgrund des maximalen Alters errechnet sich die minimale Sterblichkeit und die maximale Lebenserwartung. Ist der Abstand zwischen den beiden Schätzungen nicht allzu groß, erhält man ein realistisches Bild der Sterblichkeit verheirateter Personen. Im folgenden werde ich stets mit der Lebenserwartung ab 20 Jahren arbeiten; die Lebenserwartung bei der Geburt ist wegen der hohen Säuglingssterblichkeit nicht aussagekräftig. Zu beachten ist außerdem, daß die Sterblichkeit der Altersgruppe 15-19 weder bei der Sterblichkeit der Kinder noch bei der der Erwachsenen behandelt wird: die Zahl der in dieser Altersgruppe verheirateten Personen ist einfach zu gering. 16 Für Mötzingen waren vor 1725 die Zahlen zu klein, um eine separate Berechnung zu ermöglichen. Mötzingen ist deshalb nur in den Gesamtdurchschnitten enthalten. Tailfingen steht für Tailfingen und Nebringen. Sind die beiden Schätzungen identisch, gibt es entweder keine Unbekannten oder ihr minimales Alter lag sicher über 60.

16

288

L.Henry, Techniques, S.127-131, vgl. a. das Beispiel der Frauen von Cuise-la-Motte (Oise) ebd., S.131-134; H.Charbonneau, Tourouvre, S.181f; J.Dupäquier, Bassin, S.281-283; L.Henry, Richesse, S.289 für die Probleme, die die Mobilität verursacht; s.a. J.Houdaille, Village, S.307 für die Problematik der Verwendung eines durchschnittlichen Alters beim Tod; für eine andere Methode s. L.Henry, Mesure, S.457-466; vgl. allg. zu Sterbetafeln I.Esenwein-Rothe, Einführung, S.226-257; die "tables types" sind abgedruckt bei L.Henry, Techniques, S.133; zur Kritik an solchen Tafeln I.Esenwein-Rothe, Einführung, S.261f

Tab. 5.1.2.&. Lebenserwartung Verheirateter ab 20. Getrennt nach Geschlechtern. Minimale und maximale Angaben. Mötzingen Tailfingen Bondorf alle Dörfer Periode der MAX MIN MIN MIN MIN MAX MAX MAX Heirat Frauen 38,2 32,2 41,0 1585-1619 34,6 37,9 33,4 35,4 32,5 35,9 1620-1654 35,3 43,0 43,0 35,9 35,9 38,3 38,6 1655-1689 44,1 44,1 42,1 40,2 41,5 1690-1724 42,2 42,1 41,5 44,1 44,1 43,2 43,5 39,5 40,0 42,2 45,0 1725-1759 43,7 41,5 42,9 42,1 42,1 40,2 1760-1794 41,6 42,2 35,9 35,1 39,0 37,4 35,4 37,1 33,6 1795-1829 34,9 Männer 42,0 32,7 39,9 33,9 1585-1619 40,7 40,7 37,0 38,0 1620-1654 38,0 34,0 45,7 45,7 43,8 43,8 43,8 1655-1689 43,8 37,2 40,7 40,7 37,2 1690-1724 39,8 39,8 45,7 43,7 42,0 46,8 42,7 43,7 42,0 42,0 1725-1759 1760-1794 45,7 43,0 46,3 47,3 48,6 48,6 45,0 42,0 40,7 41,2 39,2 43,2 41,3 45,1 1795-1829 43,9 44,0 1585-1619 liegen die beiden Schätzungen für beide Geschlechter weit auseinander. Vielleicht vermittelt der arithmetische Mittelwert aber doch eine Vorstellung von der Lebenserwartung ab 20 um 1600: für die Frauen betrug er 37,8 Jahre und für die Männer 36,3 Jahre. Für Tailfingen und Nebringen allein etabliert er sich bei 35,2 Jahren für die Frauen und bei 38 Jahren für die Männer. Beide Geschlechter vereint, scheinen ca. 37 Jahre für die Lebenserwartung am 20. Geburtstag keine schlechte Schätzung. Ab 1620-1654 differieren die beiden Schätzungen nur noch in geringem Ausmaß. 1620-1654 liegt der Mittelwert beider Schätzungen für die Frauen bei 34,4, für die Männer bei 39,4 Jahren. Frauen scheinen von der großen Krise 1635-1639 stärker getroffen worden zu sein als Männer, was aber aufgrund der Fragilität der Schätzungen für 15851619 eine bloße Hypothese ist. Die Lebenserwartung in den Jahren 1655-1689 erhöht sich deutlich gegenüber der in den vorangehenden, was sowohl für die Frauen wie für die Männer gilt. Diese erreichen nach der Mittelwertschätzung 43,8 Jahre, jene 38,5. Für beide Geschlechter bedeutet dies einen Anstieg um etwa vier Jahre, wobei die Differenz von etwa fünf Jahren zugunsten der Männer erhalten blieb. Völlig verändert scheint die Situation 1690-1724. Die Lebenserwartung der Frauen steigt um über drei Jahre auf 41,9 Jahre, die der Männer sinkt um vier auf 39,8 Jahre. Zum ersten Mal übertrifft die Lebenserwartung der Frauen die der Männer. 1725-1759 verstärkt sich die positive Entwicklung bei den Frauen: der Mittelwert aus beiden Schätzungen erreicht für diese Heiratskohorte 42,7 Jahre. Für die Männer ändert sich im Vergleich zur vorausgehenden Periode der Trend, sie erreichen nun 43,2 Jahre durchschnittliche Lebenserwartung (ein Plus von 3,5 Jahren gegenüber den eine Periode früher heiratenden). Beide Geschlechter haben damit in dieser Heiratsperiode fast die gleiche Lebenserwartung. 289

1760-1794 reduziert sich die Lebenserwartung der Frauen um ein knappes Jahr auf 41,9 Jahre (Mittelwert der minimalen und der maximalen Schätzung), bei den Männern setzt sich dagegen die positive Entwicklung der vorangehenden Periode fort: mit 45,4 Jahren Lebenserwartung ab 20 erreichen sie das Maximum des gesamten untersuchten Zeitraums. Die Differenz der Lebenserwartungen von Männern und Frauen erhöht sich zugunsten der Männer auf 3,5 Jahre. Ein allgemeiner Rückgang der Lebenserwartung ist das Kennzeichen der Heiratsperiode 1795-1829: Besonders drastisch fällt er bei den Frauen aus, die um 5,7 Jahre unter der Schätzung von 1760-1794 bleiben (Mittelwert). Rückgang aber auch bei den Männern: ihre Lebenserwartung fällt um drei Jahre auf 42,3 Jahre. Mit 6,1 Jahren erreicht die Differenz zugunsten der Männer ihr Maximum. Die Entwicklung in den einzelnen Pfarreien unterscheidet sich nicht wesentlich von der Gesamtentwicklung. Immerhin gibt es aber für die zur gleichen Zeit heiratenden Personen wesentliche Unterschiede: 1760-1794 etwa beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung ab 20 für Männer in Mötzingen 48,6 Jahre, in Bondorf aber nur 42,5. Die Lebenserwartung der Frauen entwickelt sich parallel zur Säuglingssterblichkeit - und wahrscheinlich aus denselben Gründen: schwere Krisen vor der Mitte des 17. Jahrhunderts, diffizile Bedingungen des Wiederaufbaus nach 1655, vorteilhaftere Agrarkonjunktur in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Symptome von Überbevölkerung und Übersetzung des Handwerks in der zweiten, schwere Krisenjahre zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die sich auch in der Lebenserwartung der Männer niederschlugen. 17 Insgesamt scheint die Lebenserwartung im Gäu recht positiv (zumindest vor der Heiratskohorte 1795-1829). In Tourouvre bestand für Männer und Frauen, die 1665-1699 heirateten, am 20. Geburtstag nur eine Lebenserwartung von 30,4 Jahren, für die, die 1700-1749 heirateten, von 35,9. 18 In Luzern hatten Frauen, die 1786-1795 heirateten, eine Lebenserwartung von 38,9 Jahren, Männer eine von 34,9 Jahren ab 20. 1 9 In Marseille erreichte mehr als die Hälfte der 20jährigen ihren 60. Geburtstag, was einer Lebenserwartung von 38-39 Jahren entsprechen dürfte (18. Jahrhundert), in Lyon starben zwei Drittel vorher (Lebenserwartung ca. 30 Jahre). 20 Im amerikanischen Wigglesworth (Mass.) bestand im 18. Jahrhundert für beide Geschlechter zusammen noch eine Lebenserwartung von 34,2 Jahren, bei der Geburt waren es 28,2 Jahre. 21 In Preußen betrug 1816-1860 die Lebenserwartung einer 20jährigen Frau weitere 35,5 Jahre, 18651867 37,8 Jahre. 22 Die der erstgenannten Periode paßt sehr gut zu den Ergebnissen für die vier Gäudörfer. Schweden hatte 1757-1763 eine Lebenserwartung ab 20 für beide

17

18 19 20 21 22

290

zur weiblichen Übersterblichkeit vgl. J.A.Hauser, Bevölkerungslehre, S.65f für heutige Entwicklungsländer; A.E.Imhof, Jahre, S.144, 149-153, 158f; G.Heller, A.E.Imhof, Überlastung, S.137144, 146-148, 148-151; A.E.Imhof, Leib, S.27.29; zur Arbeitsbelastung 1931 im Gäu s. H.E.Walter, Gültstein, S.266f; W.Kaschuba, C.Lipp, Überleben, S.43; A.E.Imhof, Übersterblichkeit, S.491, 493; M.Bildingmaier, Bäuerin, S.26-55 für männliche und weibliche Arbeiten H.Charbonneau, Tourouvre, S. 193-197 H.R.Burri, Bevölkerung, S.150, s.a. S. 150-152 zu den methodischen Problemen J.P.Bardet, Démographie, S. 124 zit. n. P.Laslett, Family life, S.182 R.Rürup, Deutschland, S.28

Geschlechter zusammen von 37-38 Jahren, 1816-1840 für Männer eine von ca. 37 Jahren und für Frauen von ca. 41 Jahren. 23 5.7.3. Kindbettsterblichkeit "Anno domini 1579 den 2. Januarii ist getaufft worden Christianus Conrad Weiss und Anna Kind welche nach der geburt im herren seeliglich entschlafen ist. Gevatter seindt gewesen Hieronymus Schweitzer und Agatha Mang Schimpfen Wittib." 2 4 Tod bei der Geburt wurde schon zu einer Zeit notiert, als sonst noch keine Todesfälle in Tailfingen registriert wurden. Das Problem der Müttersterblichkeit war für die Zeitgenossen wichtig, seine quantitative Bedeutung (oder Geringfügigkeit) ist möglicherweise zur Erklärung der weiblichen Übersterblichkeit wesentlich. Als Todesfälle im Kindbett wurden alle Todesfälle von Frauen gezählt, die innerhalb von 41 Tagen nach der Geburt vorkamen. 25 Zur Berechnung herangezogen wurden alle MF- und MO-Familien; bei einer Beschränkung nur auf die MF-Familien wird die Müttersterblichkeit überschätzt, da die Definition der MF-Familie ein Mortalitätskriterium enthält. 26 Die Frist von 41 Tagen hat den Nachteil, daß in Zeiten starker Epidemien (d.h. v.a. 1635-1639) auch Todesfälle von Frauen, die an der Pest starben, als Kindbett-Todesfälle gezählt werden. Die Kindbettsterblichkeit wird als Anzahl innerhalb von 41 Tagen nach einer Geburt verstorbenen Frauen auf 1000 Geburten ausgedrückt.

Tab. 5.7.3.a. Anzahl der innerhalb von 41 Tagen nach einer Geburt verstorbenen Frauen auf 1000 Geburten. MF- und MO-Familien Periode der alle Dörfer Bondorf Tailfingen Mötzingen Heirat 1550-1584 8 2 1585-1619 6 7 13 1620-1654 12 18 11 0 1655-1689 8 8 11 5 1690-1724 4 5 3 5 1725-1759 7 8 7 4 1760-1794 11 10 14 10 1795-1829 9 9 11 9

Der Anteil der für die Mütter tödlich verlaufenden Geburten liegt zumeist in der Größenordnung von einem Prozent. Lediglich 1690-1724 ist er deutlich geringer. Das Ergebnis für 1585-1619 ist wegen der stark defizitären Registrierung der Todesfälle mit 23 24 25

26

A.Armengaud, Bevölkerung, S.28 (Umrechnung von mir) Taufbuch Tailfingen 1579; OSB TLF 1791 (Weiss), 1599 (Schweitzer), 1390 (Schimpf) A.E.Imhof, Jahre, S.145 (Definition der Weltgesundheitsorganisation und traditionell "verstorben in den sechs Wochen"); s.a. W.Pschyrempel, Wörterbuch, S.983 s.v. Puerperium, vgl. a.ebd. Puerperalfieber; A.E.Imhof, Surmortalité, S.83-86 zur Frist von 41 Tagen; A.E.Imhof, Übersterblichkeit, S.489 L.Henry, Techniques, S. 127 Anm. 1

291

Vorsicht zu betrachten. Außerdem fehlen in den frühen Perioden Totgeburten, was ebenfalls zu einer Unterschätzung der Kindbettsterblichkeit führt. 2 7 Das Risiko einer Frau, im Kindbett zu sterben, hängt außer vom Prozentsatz tödlich verlaufender Geburten auch von der durchschnittlichen Geburtenzahl pro Frau ab. Für die folgende Tabelle wurde die durchschnittliche Kinderzahl der MF-Familien mit der Wahrscheinlichkeit im Kindbett zu sterben (Durchschnitt aller Dörfer) multipliziert, um den Prozentsatz zu erhalten, in dem Frauen im Kindbett starben.

Tab. 5.7.3.b. Prozentsatz von Frauen, Bondorf Periode der Heirat 1585-1619 3,0 1620-1654 4,0 1655-1689 3,0 1690-1724 2,0 1725-1759 3,5 1760-1794 6,5 1795-1829 5,0

im Kindbett starben Tailfingen 3,0 5,0 3,0 2,0 3,0 5,0 4,0

Mötzingen 2,0 4,0 4,0 2,0 4,0 7,0 5,0

Im ganzen gesehen (und die Registrierungsdefizite in den frühen Perioden sowohl bei den Todesfällen wie bei den Geburten mitberücksichtigt) lag das Risiko einer Frau im Kindbett zu sterben bei etwa 5%. Deutlich geringer war es anscheinend 1690-1724. 28 Die Kindbettsterblichkeit hält sich vollkommen in dem Rahmen, der auch in anderen Untersuchungen gefunden wurde: in Philippsburg (Baden) kamen 1780-1899 6,3 Todesfälle von Müttern auf 1000 Geburten, in Altdorf (Baden), Gabelbach (Bayern) und Hesel (Niedersachsen) im gleichen Zeitraum 12,2. 29 1780-1809 betrug die Müttersterblichkeit in den vier zitierten Orten 13,1 auf 1000 Geburten, 1810-1839 7,5, 1840-1869 9,8 und 1870-1899 8,1. 3 0 Im Quebec des 17. Jahrhunderts starben 33 Frauen innerhalb von 41 Tagen nach der Geburt (bei ca. 2400 Lebendgeburten), was einer Müttersterblichkeit von 14 auf 1000 Lebendgeburten entspricht. 31 Höher war das Risiko in den regierenden Familien Europas: dort starben im 16. und 17. Jahrhundert 19,4 Frauen auf 1000 Geburten, im 18. Jahrhundert 20,2 und 1800-1849 18,8. 3 2 Schwer vergleichbar sind die Daten aus Württemberg, die das 19. Jahrhundert betreffen; die Frist, innerhalb derer ein Todesfall als Kindbett-Todesfall gilt, ist nicht angegeben. Wahrscheinlich war sie kürzer als 41 Tage. In ganz Württemberg kamen 1846-1856 3,9 Todesfalle von Müttern auf 1000 Geburten. 3 3 In Stuttgart starben 1772-1811 194 Frauen auf 28 616 Geburten, d.h. 27 28 29 30 31 32 33

292

A.E.Imhof, Surmortalité, S.83f A.E.Imhof, Jahre, S. 154 A.E.Imhof, Surmortalité, S.82; A.E.Imhof, Jahre, S.146-149, 155; A.E.Imhof, Übersterblichkeit, S.499, 505; T.Kohl, Familie, S.140f A.E.Imhof, Surmortalité, S.82; A.E.Imhof, Übersterblichkeit, S.500, 505; A.E.Imhof, Jahre, S.155f H.Charbonneau, Vie, S. 140f; J.Gélis, M.Läget, M.F.Morel, Vie, S.94f S.Peller, Births, S.96; J.Knodel, Behaviour, S. 102-113 Königreich Württemberg 1863, S.321; vgl. England 1855-1867 T.McKeown, R.C.Brown, Evidence, S.285-307, hier: S.287f

6 , 8 auf 1000;

1822-1833 waren es 7 9 Frauen auf 11 573 Geburten, mithin 6 , 7 auf

1 0 0 0 . 3 4 Auch hier gilt das Problem der genauen Bestimmung der Frist, innerhalb deren ein Todesfall auf eine Geburt zurückgeführt wurde. Die Ergebnisse sind relativ uniform; das Risiko auf dem Land an einer Geburt zu sterben, lag zwischen 10 und 15 pro mille. Das Absinken der Müttersterblichkeit erfolgte erst in der ersten Hälfte des 2 0 . Jahrhunderts. 3 5

34

G . C I e ß , G.Schübler, Versuch, S . 7 0 ; A.F.Stimmel, Untersuchungen, S . 2 4

35

A . E . I m h o f , Surmortalité, S . 8 7 ; A . E . I m h o f , Jahre, S . 1 5 4

293

5.8. "Sie seyen eben ein paar mal beyeinander gewesen": die "Sünde" und ihre Folgen Am 30.11.1774 wurde Margaretha Kneller vor den Kirchenconvent in Tailfingen zitiert:1 Margaretha Knellerin Weyland Christian Knellers gewesenen beysizers und dorff-schüzen alihie hinderlaßene Tochter ist der Schwangerschafft verdächtig weßentwegen sie vorgefordert und befraget wurde. Q.: Ob sie schwanger seye? R.: Ja, sie könne als nun nicht mehr läugnen. Q.: Wer sie dann geschwängert habe? R. : Christoph Bertsch Michael Bertsch Bürgers und Schneiders lediger Sohn. Q.: Warum sie es dann, da sie das erstemal vor das Pfarr-Amt gefordert und de[swegen] examinirt worden so hartnäckig ge[leug]net habe. R.: Sie habe es dazumalen noch nicht gewußt. Q.: Wo sie geschwängert worden seye? R.: In ihrer Schwester Hauß nahmen Anna Maria Jacob Woemers uxor, unten im [R, ?]ath Hauß. Q. : Ob sie mehrmalen auf eine so sündliche art beysammen gewesen? R.: Sie seyen eben ein paar mal beyeinander gewesen. Q. : Ob Christoph Bertsch ihr die Ehe versprochen? R.: Ja. Q. : Wie lang sie schwanger seye? R.: 10-11 Wochen. So dann wurde Christoph Bertsch examinirt und befraget. Q. : Ob er es bekenne die Margaretha Knellerin geschwängert zu haben? R.: Ja. Q. : Ob er ihr auch die Ehe versprochen? R.: Ja. NB: beyder Vermögensumstände sind sehr geringe.

Es unterzeichneten der Pfarrer Georg Veit Sattler, der Schultheiß Stephan Sattler, die Richter Jacob Gauß und Martin Breining.2 Das Kind des Christoph und der Margaretha kam am 7.6.1775 zur Welt, die Eltern hatten - trotz der unheilverkündenden Anmerkung über ihre Vermögensumstände - die Heirat rechtzeitig geschafft: am 1.3.1775 hatte die Trauung in Tailfingen stattgefunden. Spätestens ab 1777 lebte das Paar in Mötzingen, denn sein zweites und drittes Kind wurden dort geboren. 3 Das Beispiel zeigt die Nähe von vorehelichen Konzeptionen und illegitimen Geburten: einige Monate Verzögerung und Margaretha Kneller wäre die Mutter eines unehelichen Kindes geworden. Dennoch sollten die Unterschiede zwischen beiden Formen außerehelicher Sexualität nicht übersehen werden: "There are important différences, however, between such births

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Pfarrgemeindearchiv Tailfingen, Kirchen-Convents-Protocolle, Bd. 1, fol. 9; vgl. a. das bei D.Sabean, Unehelichkeit, S.74-76 OSB TLF 824, 79, 1821, 1263, 1264, 1265, 487, 144 OSB TLF 79; OSB MOE 137

and bastards and between kinds of prenuptial pregnancy. One of the kinds seems to have only an accidental connection with bastardy, since it arose because the process of marriage took a long time permitting the parties to copulate well before the ceremony and registration. Most prenuptial pregnancies may have been like this, and many, perhaps most, bastardies may have occurred because some interruption took place between the initiation of the marriage and the wedding date. But there are three other types of prenuptial pregnancy. There is the shotgun wedding type, as we have come to call it, where pregnancy was unintentional and marriage not considered, but forced upon the parties. There is the spouse entrapment type, where one partner, perhaps usually the woman, ensured pregnancy so as to induce the other to marry. Finally there is the fertility testing type, often considered to have been very widerspread in earlier generations. These three are much closer to bastardy than a prenuptial pregnancy brought about by intercourse during the marriage process." 4 Lockerte sich der Zusammenhang von Konzeption und Heirat, stieg die Zahl der unehelichen Geburten an. 5 Für die Häufigkeit außerehelicher sexueller Beziehungen scheinen voreheliche Konzeptionen ein besserer Indikator als die Illegitimitätsquote. 6 Daß aus einem bestimmten Prozentsatz unehelicher Geburten nicht einfach auf den Grad der "Sittlichkeit" zurückgeschlossen werden könne, wußte schon das "Königreich Württemberg" 1863: "Aus der Zahl der unehelichen Geburten auf einen höheren oder niederen Grad von Sittlichkeit zu schließen ist entweder gar nicht oder nur bei genauester Kenntniß aller Verhältnisse mit äußerster Vorsicht gestattet." 7 Zuerst soll nun die Zahl der vorehelichen Konzeptionen und anschließend die Illegitimität betrachtet werden.

5.8.1. Voreheliche Konzeptionen Die Bestimmung des Anteils vorehelich empfangener Kinder geschieht im Zusammenhang der Berechnung der protogenesischen Intervalle. Als Ergebnis einer vorehelichen Konzeption gelten alle Kinder, die weniger als acht Monate nach der Hochzeit auf die Welt kamen. 8

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P.Laslett, Introduction, S.8; zu Verlobungsgewohnheiten s.: J.Knodel, Centuries, S.366; P.Chaunu, Histoire, S.327; E.Shorter, Illegitimacy, S.244; A.Burguiere, Demographie, S.99f; I.Gonser, Verhältnisse, S.36f; M.Mitterauer, Mütter, S.55-67 E.Shorter, Illegitimacy, S.253-256; für die möglichen Ursachen s. D.Levine, K.Wrightson, Context, S. 162; A.S.Kälvemark, Illegitimacy, S.327; W.Kaschuba, C.Lipp, Überleben, S.379; D.Levine, Family formation, S. 127; vgl.a. H.Rosenbaum, Formen, S.223-225; M.Segalen, Familie, S.166; R.Beck, Illegitimität, S.125 J.Dupäquier, Bassin, S.33; D.Scott Smith, M.S.Hindus, Pregnancy, S.537; U.Jeggle, Kiebingen, S. 194; P.Laslett, Introduction, S.51-52 Königreich Württemberg 1863, S.323 L.Henry, Techniques, S.107; J.Dupäquier, Introduction, S.72; J.P.Bardet, Rouen, S.324 Anm.126

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Tab. 5.8. l.a. Anteil vorehelich empfangener Kinder an allen Erstgeburten (%) Periode der N alle Dörfer Bondorf Mötzingen Tailfingen/ Heirat Nebringen (57) 1585-1619 65 21,5 11,5 21,9 1620-1654 116 20,7 23,1 20,8 17,5 1655-1689 160 18,1 18,5 20,0 16,9 1690-1724 236 19,1 20,4 18,6 18,8 1725-1759 296 21,6 20,9 21,3 22,6 1760-1794 20,2 21,2 406 22,9 16,8 34,4 435 29,0 1795-1829 29,5 23,6 NB: Die Angabe für Mötzingen 1585-1619 beruht auf nur sieben Ehen, davon vier mit vorehelicher Konzeption.

Der Prozentsatz vorehelicher Konzeptionen liegt vor 1795 nahezu konstant bei 20%, erhöht sich danach aber auf 30%. Am wenigsten voreheliche Konzeptionen haben Tailfingen und Nebringen: Hier waren auch zu Anfang des 19. Jahrhunderts nur 24% aller Bräute schwanger, in Mötzingen zur gleichen Zeit 34%. Ein Einfluß des Alters bei der Heirat auf den Anteil vorehelicher Konzeptionen ließ sich nicht nachweisen. 9 Die vorehelichen Konzeptionen erreichen sowohl in Bondorf wie in Tailfingen/Nebringen ihre Minima in Perioden, in denen Kontrazeption wahrscheinlich ist; der Rückgang fällt allerdings wesentlich schwächer aus als bei den altersspezifischen ehelichen Fruchtbarkeitsziffern. 1 0 Der Anteil vorehelicher Konzeptionen ist sehr variabel von einer Landschaft zur nächsten und von einer Zeitspanne zur anderen. 11 Folgt man der Geographie Pierre Chaunus mit ihrer Einteilung in ein "Europe mieux contrôlée" und ein "Europe plus laxiste", 1 2 so gehören die vier Gäudörfer sicher zu letzterem - aber nicht auf der Ebene der Gesetzgebung und deren Moral: von der ersten Eheordnung des Herzogtums Württemberg 1534

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D.Scott Smith, M.S.Hindus, Pregnancy, S.541 zur Geburtenbeschränkung außerhalb der Ehe: J.L.Flandrin, Contraception, S.1388f; H.R.Burri, Bevölkerung, S.98 W.Kaschuba, C.Lipp, Überleben, S.380f, 384-390; U.Jeggle, Kiebingen, S. 194-197; A.E.Imhof, Familienstrukturen, S.225 (Geburten bis zum achten Monat einschließlich!); J.Knodel, Centuries, S.367 (bis zu 8,5 Monate nach der Hochzeit!); J.Houdaille, Résultats, S.652; J.Houdaille, Remmesweiler, S. 1185; P.Laslett, Introduction, S.23; P.Laslett, Family life, S. 130; K.Oosterveen, R.M.Smith, S.Stewart, Family reconstitution, S. 109, 131; E.A.Wrigley, Bevölkerungsstruktur, S.89; D.Levine, K.Wrightson, Context, S.164; J.P.Kintz, Société, S.211; R.Deniel, L.Henry, Population, S.581f; J.Houdaille, Boulay, S.1075; P.Wiel, Paroisse, S. 161; P.Girard, Aperçus, S.494; M.H.Jouan, Originalités, S. 107; H.Charbonneau, Tourouvre, S. 142; M.Terrisse, Faubourg, S.286; E.Gautier, L.Henry, Crulai, S. 135; B.Lepetit, Démographie, S.62; H.R.Burri, Bevölkerung, S.99, 118-120; S.Bucher, Bevölkerung, S.72; P.Caspard, Conceptions, S.989; P.Deprez, Development, S.617; M.Garden, Lyon, S.49f; weitere Beispiele s. M.W.Flinn, Demographic System, S. 121-123; vgl. a. P.Zschunke, Konfession, S.207; J.Knodel, Behaviour, S.213-216; W. von Hippel, Wandel, S. 106; T.Kohl, Familie, S.184f; R.Beck, Illegitimität, S. 122; C.Simon, Untertanenverhalten, S.229 Anm. 14; W.Norden, Bevölkerung, S.166; W.G.Rödel, Mainz, S.294f P.Chaunu, Histoire, S.327f

("Zum Sechsten, so werden wir glauplich bericht, das bißanher, etlich vil personen, nach beschehener Eeverlobung, und doch zuovor, Ee, und dieselbig, an der Cantzel verkuendigt, und vor der Christenlichen gemein (wie gebreuechlich) bestetiget worden, die Eelichen werck mit einander gepflegen, ..."), 1 3 über die zweite von 1553, 1 4 ein Mandat vom 21. Mai 1586 "die Bestrafung der Fleischesverbrechen betreffend" ("... nachdem Wir ein gute zeit hero leider, erfahren, daß an vilen orten Unsers Fuerstenthumbs, das grewlich hochstraeflich Laster des Ehebruchs, Hurerey und anderer unzucht, bey meniglich allzuvil überhand genommen und dermaßen gemein worden, daß die in Unserer Landtsordnung darauff gesetzte, und sonsten bis anhero gebrauchte Straffen, in schlechter achtung gehalten, und man solch unzuechtig wesen, schier fuer keine, oder ja geringe Suend ansehen will, Dannenhero über die allgereit im Werck erfolgte, und taeglichs vor Augen schwebende vaetterliche zuechtigungen, noch beschwerlichere allgemein durchgehende Landtstraffen, von Gott dem Herrn, seinem gerechten zorn nach, endtlich zugewarten ..."), 1 5 bis zu einem Generalreskript vom 18.2.1630, 1 6 einem vom 2 9 . 7 . 1 6 4 2 , 1 7 einem weiteren vom 19.11.1652 1 8 und schließlich zur Dritten Eheordnung von 1687 1 9 sorgte sich die Obrigkeit um die voreheliche Sexualität ihrer Untertanen, verdammte und bestrafte. Am 2.1.1728 wurden die Turm- und Arbeitsstrafen für vorehelichen Geschlechtsverkehr durch Geldstrafen abgelöst. 2 0 Moralischer Druck wurde durch das Verbot für schwangere Bräute, das Ehrenkränzchen am Tag der Hochzeit zu tragen, 21 und das Gebot, solche Paare am Mittwoch zu trauen, 22 ausgeübt. Gemessen an der Zahl dieser Verordnungen (seit dem Dreißigjährigen Krieg zusätzlich durch den moralisch

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Erste Eheordnung von 1534, in: Reyscher IV, S.69 Zweite Eheordnung von 1553, in: Reyscher IV, S.88 Mandat vom 21.5.1586, in: Reyscher IV, S.443, für Strafen ebd., S.444 General-Rescript vom 18.2.1630, in: Reyscher V, S.408f General-Rescript vom 29.7.1642, in: Reyscher V, S.421-427; vgl.a. General-Rescript vom 1./12.11.1645, in: ebd., S.440f General-Rescript vom 19.11.1652, in: Reyscher V, S.454-456 Dritte Eheordnung von 1687, in: Reyscher VI, S.93; s.a. Ehegerichtsordnung vom 30.4.1687, in: ebd., S. 145 General-Rescript vom 2.1.1728, in: Reyscher VI, S.341; vgl.a. General-Rescript vom 17.1.1732, in: ebd., S.366f. Für einen frühen Beischlaf waren 1699 18 fl zu erlegen. Für dreimalige Scortation war Hans Scheurer auf ein Jahr ins Zuchthaus Ludwigsburg gesperrt worden, wo er verstorben war. Nur 4 f] Scortationsstrafe mußte Michael Braun 1766 bezahlen. 20 fl waren im Falle der Martha Cuonz fällig. Ebenfalls je 20 fl sollten Hans Jerg Weinmar (Alt Schüzen Sohn) und Anna Maria Knorr bezahlen. Beide durften ihre Strafe aber abverdienen. Salome Weinmar, die Tochter des abgesetzten Schultheißen Jacob Weinmar, hatte nur 10 fl zu erlegen. Jacob Kußmaul dagegen hatte 100 fl entliehen, um die Unkosten seines "obwaltenden Scortationshändels" zu decken. 10 fl hatte Urban Luz 1778 nach Sulz zu bezahlen. 12,5 fl hatte Wilhemine Stähle 1825 zu berappen. (GA BON I 96 (Magdalena Schlayer, 1714); I 672 (Hans Scheurer, 1762); I 703 (Michel Braun und Anna Maria Kußmaul, 1766); I 765 (Jacob Breuning und Martha Cuonz, 1769); I 777 (Hans Jerg Weinmar und Anna Maria Knorr, 1771); I 826 (Hans Seeger und Salome Weinmar, 1773); I 830 (Jacob Kußmaul (Jacobs Sohn) und Regina Rauser, 1774); I 888 (Urban Luz und Anna Maria Staiger, 1778); I 1819 (Johann Georg Öhrlich und Wilhelmine Stähle, 1825)); vgl.a. P.Sauer, Namen, S.31f, 78f; T.Robisheaux, Society, S. 108 General-Rescript vom 2.1.1728, in: Reyscher VI, S.341; das Verbot einen Brautkranz zu tragen, findet sich schon in der Zweiten Eheordnung von 1553 (Reyscher IV, S.88); vgl.a. General-Rescript vom 25.2.1732, in: Reyscher VI, S.368 General-Rescript vom 25.1.1762, in: Reyscher VIII, S.668f

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nachteiligen Einfluß des Krieges motiviert, der zu bekämpfen sei) 23 wird der Erfolg als gleich Null zu bewerten sein: ein Rückgang um 3% nach 1655 gegenüber vorher, gefolgt von einem schnellen Wiederanstieg auf das Vorkriegsniveau, lohnte der Mühe eigentlich kaum, 2 4 was aber nichts über die Gefühle und das Ausmaß an Reprobation, der sich die Mituntertanen in einem solchen Fall befleißigten, aussagt. 25

5.8.2. Illegitimität Wurde der "frühe Beischlaf' nicht von einer Ehe gefolgt, war das Kind illegitim. 26 Illegitimen Kindern gehörte schon im 16. Jahrhundert, wie der Vorspruch des Tailfinger, aber auch des Gültsteiner Taufbuchs bezeugt, die Aufmerksamkeit der Pfarrer. 27 Veränderungen der Illegitimitätsquote gehen deshalb kaum auf das Konto veränderter Registrierungsbedingungen. Im folgenden wird zuerst die Entwicklung dieser Quote zu betrachten sein, bevor näher über die Mütter, Kinder und Väter gehandelt wird. 5.8.2.1. Entwicklung der Illegitimitätsquoten Die Illegitimitätsquote setzt die illegitimen Geburten ins Verhältnis zu allen Geburten; sie ist damit abhängig von der Familienstandsgliederung, der Altersstruktur und der ehelichen Fruchtbarkeit: die Familienstandsgliederung entscheidet über die Anzahl lediger Frauen und Männer, die im wesentlichen als Träger der Illegitimität in Frage kommen (zu "spurii" verheirateter und verwitweter Personen s.u.), die Altersstruktur über die Anzahl der Frauen und Männer in fruchtbarem Alter, die eheliche Fruchtbarkeit über die Anzahl der legitimen Geburten, die im Nenner des Quotienten erscheinen, dessen Ergebnis die Illegitimitätsquote ist. 28

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Die Verwilderung in Kriegszeiten wird schon im General-Rescript vom 29.7.1642 (Reyscher V, S.421) und in dem vom 19.11.1652 (Reyscher V, S.454) beklagt. Sie ging von da in die Historiographie ein: T.Dierlamm, Kirchheim, S.435; H.E.Walter, Gültstein, S. 171 ; Königreich Württemberg 1863, S.79f; H.Hermelink, Geschichte, S.132, 145f; H.Schnabel-Schüle, Kirchenzucht, S.191f C.Lipp, Mütter, S.77; für Schweden im 19. Jahrhundert stellt A.S.Kälvemark, Illegitimacy, S.330 gleichfalls die Wir(cungslosigkeit der Strafen fest; zu ähnlichen Verordnungen wie in Württemberg: J.P.Kintz, Société, S.210-213 für Straßburg; C.Simon, Untertanenverhalten, S.97-114, 124-127, 147 für Basel P.Sauer, Tamm, S.128 berichtet vom Fall der Eheleute Jakob und Katharina Groß aus Bissingen, die ihr im frühen Beischlaf erzeugtes Kind, um der Strafe und der Schande zu entgehen, ermordet und in der Scheune versteckt hatten. Beide wurden in Markgröningen hingerichtet. Vgl.a. P.Sauer, Not, S. 146 K.Wrightson, Nadir, S. 178; P.Laslett, Family life, S. 109 H.E.Walter, Gültstein, S. 152; vgl. E.Shorter, Illegitimacy, S.260; P.Laslett, Introduction, S.48f; A.MacFarlane, Illegitimacy, S.78, 81; zu den Grenzen einer Anaylse der Illegitimität nur auf Grundlage der Kirchenbücher: K.Oosterveen, R.M.Smith, S.Stewart, Family reconstitution, S.94 G.Mackenroth, Bevölkerungslehre, S.52f; E.Shorter, Illegitimacy, S.259; P.Laslett, Introduction, S. 15; J.Knodel, S.Hochstadt, Illegitimacy, S.288

Leider können vor allem die beiden ersten Faktoren in der historischen Demographie kaum kontrolliert werden. Mangels einer Alternative wird man sich für die Entwicklung der Illegitimität mit den Hinweisen zu begnügen haben, die die Illegitimitätsquote liefert, zumal diese die Entwicklung der Illegitimität recht gut widerzuspiegeln scheint. 29

Tab. 5 . 8 . 2 . l . a . Illegitimitätsquoten (Anteil illegitimer Lebendgeburten an Lebendgeburten) Jahrzehnt alle Dörfer Bondorf Mötzingen Tailfingen Nebringen 2,2 1560-1569 0,6 0,0 0,0 0,0 1,0 0,0 1570-1579 2,0 1,3 1,9 1580-1589 0,6 0,0 0,0 1,4 1,9 0,7 0,8 0,7 1590-1599 0,0 1,0 2,0 2,4 1600-1609 2,3 1,2 3,1 0,9 0,0 1610-1619 1,5 1,2 1,4 1620-1629 5,2 0,0 0,0 1,9 1,9 1630-1639 2,8 0,0 0,0 1,0 1,5 1640-1649 2,5 0,0 0,0 0,0 1,1 1,5 1650-1659 0,0 0,0 1,0 1,9 0,7 0,6 1660-1669 2,9 0,0 0,0 2,6 1670-1679 3,3 0,0 1,4 3,1 1680-1689 0,9 0,0 1,6 1,4 1,2 1690-1699 2,5 1,8 1,6 1,8 1,1 1700-1709 0,5 1,5 1,6 3,2 1,9 1710-1719 3,6 3,0 3,0 4,8 1,7 1720-1729 1,6 0,6 0,0 2,4 1,4 1730-1739 2,0 4,8 0,6 0,0 0,0 1740-1749 3,0 3,5 5,6 3,3 1,1 1750-1759 3,5 3,7 3,6 3,9 3,8 4,6 4,6 1760-1769 4,7 5,2 3,4 1770-1779 4,8 3,9 3,8 3,1 2,0 1780-1789 3,7 5,4 4,1 1,9 4,1 5,2 1790-1799 5,5 5,8 4,3 3,5 1800-1809 6,8 6,0 8,7 7,1 6,1 7,7 1810-1819 10,0 11,5 12,0 10,8 1820-1829 11,3 12,0 9,9 13,4 9,7 Periode 1550-1584 0,7 0,0 0,8 0,9 1,5 1585-1619 0,9 1,3 1,2 1,7 1,1 1620-1654 2,0 2,0 0,3 0,0 1,4 1655-1689 2,0 0,0 1,6 1,6 1,2 1690-1724 2,2 2,7 2,3 2,1 1,6 1725-1759 2,9 3,8 3,3 2,1 1,3 1760-1794 4,2 4,5 4,8 3,9 2,3 1795-1829 8,9 10,7 9,0 8,6 8,1

allen

Im 16. Jahrhundert liegt der Anteil illegitimer Geburten unter einem Prozent, wobei die jahrzehntelange Abwesenheit jedweder unehelichen Geburt in Bondorf vielleicht doch Anlaß gibt, die Registrierung zu verdächtigen. Im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts 29

P.LasIett, Family life, S. 122

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steigt die Illegitimitätsquote auf 2%, was auch in den Jahren 1620-1629 fast wieder erreicht wird. Danach sinkt sie langsam auf 1% in den Jahren bis 1659. 1660-1669 liegt sie zum ersten Mal seit über 50 Jahren und zum letzten Mal vor 1830 unter 1%. Schon die 1670er Jahre bringen einen neuen Höchststand, danach liegt bis 1709 die Quote immer zwischen 1,2 und 1,8%. Ein neuer starker Anstieg folgt in den Jahren 1710-1719 (mehr als Verdoppelung); in den nächsten beiden Jahrzehnten liegt die Unehelichenquote bei 1,4 und 2%. Ab 1740 bis 1769 steigt sie dann laufend an: von 2% (1730-1739) auf 4,6% (1760-1769). 1770-1789 erreicht sie mit 4% das Niveau der 1760er nicht mehr. Ab 1790 erhöht sie sich laufend: Ende des Jahrhunderts werden 5,2% erreicht, im ersten Jahrzehnt des 19. aber schon 6,8%, im zweiten 10%. 1820-1829 schließlich ergibt sich eine nochmalige Steigerung auf 11,3%. Die Entwicklung der Illegitimitätsquoten in den vier Gäudörfern deckt sich, was den Rhythmus angeht, mit der in Göttelfingen und Böhringen, im Landgebiet von Hall und in Kiebingen, in Weinsberg und in Stuttgart.30 Der Trend in Richtung auf eine Zunahme der illegitimen Geburten ab 1740 scheint darüber hinaus gesamteuropäisch,31 wobei die absolute Höhe der jeweiligen Illegitimitätsquote von Land zu Land (oder besser: von Region zu Region) erhebliche Unterschiede aufwies: Frankreichs extrem niedrige Quoten auf dem Land am Ende des 18. Jahrhunderts kontrastieren mit den viel höheren Englands oder Schwedens. 32 Einen Höhepunkt illegitimer Geburten am Ende des 16. Jahrhunderts wie England oder im Pays nantais existiert dagegen in den vier Gäudörfern nicht. 33

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G.Heckh, Bevölkerungsgeschichte, S.134, 136f; I.Müller, Untersuchungen, S.193, 195; J.Gmelin, Bevölkerungsbewegung, S.248 Anm.l; W.Kaschuba, C.Lipp, Überleben, S.363, 367; E.Weismann, Bevölkerungsbewegung, S.348f; A.F.Stimmel, Untersuchungen, S.12f; G.Cleß, G.Schübler, Versuch, S.46 , 55f; F.Krauss, Legibus, S . l l f ; J.Knodel, Behaviour, S. 195-197; vgl.a. M.Krauß, Bevölkerung, S.309 A.Kraus, Ehesegen, S. 174; J.Dupâquier, Caractères, S.191f; A.Burguière, Démographie, S.85, 87; E.Shorter, Illegitimacy, S.238, 262-272; P.LasIett, Introduction, S.26; A.E.Imhof (Hrsg.), Demographie, S.519, 522; P.Zschunke, Konfession, S. 149-151; T.Kohl, Familie, S. 194, 196; R.Beck, Illegitimität, S. 112-114, 121f; W.Norden, Bevölkerung, S. 164-166; W.G.Rödel, Mainz, S. 168-176 zu Frankreich s.: E.Gautier, L.Henry, Crulai, S.67; B.Lepetit, Démographie, S.62; E.B.Ackermann, Commune, S.89; H.Charbonneau, Tourouvre, S.65; L.Henry, C.Lévy, Données, S.316; M.Terrisse, Faubourg, S.286; J.Houdaille, Village, S.302; J.Dupâquier, Caractères, S. 192; A.Burguière, Démographie, S.85; P.Girard, Aperçus, S.486; M.Segalen, Nuptialité, S.40; R.Deniel, L.Henry, Population, S.582; J.Houdaille, Boulay, S. 1060; J.Dupâquier, Bassin, S.33, 367, 369f; J.Houdaille, Sept villages, S. 1063; P.Chaunu, Histoire, S.326; J.Ganiage, Trois villages, S.74; Y.Blayo, L.Henry, Données, S.106f; S.Dreyer-Roos, Population, S.269; J.P.Brun, Population, S.328f; J.Meyer, Illegitimates, S.250f, 252f, 255-257; Y.Blayo, Births, S.278, 281; zu den Niederlanden: A.M. van der Woude, G.J.Mentinck, Population, S.1179f; zu Norwegen: L.Henry, Population de la Norvège, S.549; zu Deutschland: J.Houdaille, Résultats, S.651; J.Houdaille, Remmesweiler, S. 1184; W.R.Lee, Bastardy, S.404f, 41 lf; J.Knodel, Centuries, S.365; für die Schweiz: H.R.Burri, Bevölkerung, S.94-96; für England: P.LasIett, Introduction, S. 14-17; K.Oosterveen, R.M.Smith, S.Stewart, Family reconstitution, S.95-98, 123; A.Newman, Evaluation, S.142f; P.LasIett, Family life, S.111-113, 113f, 134f; für Spanien: P.LasIett, Introduction, S.25; für Island: ebd., S.26; für Schweden: D.Gaunt, Illegitimacy, S.320f; allgemein: M.W.Flinn, Demographic System, S. 118-120; M.Mitterauer, Familienformen, S. 125-128 P.LasIett, Introduction, S.14f, 18, 19, 22, 24; P.LasIett, Family life, S.114; K.Oosterveen, R.M.Smith, S.Stewart, Family reconstitution, S.95-98; D.Levine, K.Wrightson, Context, S.163; A.Croix, Démographie, S.72

5.8.2.2. Illegitimität, Fruchtbarkeit und Heiratsalter Um wenigstens einige der oben angesprochenen Unsicherheiten der Illegitimitätsquote auszuschalten, sollen die Quoten für die Perioden mit den Werten für die Descendance complète und das durchschnittliche weibliche Heiratsalter bei Erstehen verglichen werden:

Tab. 5.8.2.2.a. Vergleich von Illegitimitätsquoten, Descendance complète und weiblichem Heiratsalter bei der Erstehe. Alle Dörfer Illegitimitätsquote Descendance Heiratsalter Periode Frauen complète 23,7 5,66 1585-1619 1,3 1620-1654 5,42 25,5 1,4 1,6 24,7 1655-1689 5,23 1690-1724 23,4 6,03 2,1 1725-1759 2,9 5,59 24,5 6,17 1760-1794 4,2 25,3 1795-1829 5,89 8,9 26,3

Ein Zusammenhang in der Entwicklung der drei Variablen ist nicht unbedingt sichtbar: Die Illegitimitätsquote stagniert bis 1689 während die Descendance complète fallt, das Heiratsalter zuerst steigt und dann fallt. 1690-1724 steigt die Unehelichenquote wie die Fruchtbarkeit, das Heiratsalter sinkt. Ab 1725 steigen Heiratsalter und Quote, während die Fruchtbarkeit zuerst absinkt, dann auf ihr Rekordniveau steigt und schließlich wieder fällt. 3 4

5.8.3. Mütter illegitimer Kinder Bislang wurden nur die unehelichen Lebendgeburten, die in einem der vier untersuchten Dörfer stattgefunden haben, einbezogen, da nur so die Vergleichbarkeit mit der Gesamtheit der Geburten gewährleistet werden konnte. Im folgenden werden auch Totgeburten und Geburten außerhalb der Gäudörfer - soweit in den Ortssippenbüchern enthalten - mitgezählt.

34

zu den Verbindungen zwischen den drei Faktoren: P.Laslett, Introduction, S . l l f , 19f, 20, 22, 40f; P.Laslett, Family life, S.106f, 124-127; A.MacFarlane, Illegitimacy, S.84; D.Levine, K.Wrightson, Context, S. 159; K.Wrightson, Nadir, S.189f, 191; E. van de Walle, Illegitimacy, S.273f; D.Gaunt, Illegitimacy, S.322

301

5.8.3.1. Anzahl illegitimer Geburten pro Frau Tab. 5.8.3.l.a. Anteil von Frauen mit mehr als einer illegitimen Geburt Periode der erN alle BON MOE TLF sten illegitimen Geburt 1550-1584 7 14,3 . . . 1585-1619 19 0,0 0,0 0,0 0,0 1620-1654 18 11,1 7,7 33,3 0,0 1655-1689 20 5,0 9,1 0,0 0,0 1690-1724 34 17,6 8,3 25,0 33,3 1725-1759 65 12,3 21,4 5,3 8,3 1760-1794 105 21,0 23,3 19,5 21,4 27,1 17,7 23,0 1795-1829 292 22,3 gesamt 560 18,8 21,8 17,1 18,6

NEB . 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 14,3 17,9 11,8

Vor 1760 sind die zugrundeliegenden Zahlen sehr klein, woraus sich die starken Schwankungen erklären. Faßt man die gesamte Zeit vor 1760 zusammen, dann hatten 1550-1759 18 von 163 Frauen mehr als eine registrierte illegitime Geburt, d.h. 11%. Der Anstieg des Anteils der "repeater" ist deutlich; er verdoppelt sich, während die Unehelichenquote sich vervierfacht. Der Anteil der Frauen mit drei und mehr Kindern bleibt wesentlich schwächer: 1760-1829 waren es 17 von 397 Müttern illegitimer Kinder, d.h. 4,3%. 3 5 Tab. 5.8.3.l.b. Vergleich des Anteils der "repeater": Frauen mit mehr als einem illegitimen Kind 36 Ort Zeit 1540-1639 1640-1739 1740-1839 11,4 24,7 Colyton 2,1 Wem 11,1 21,4 5,0 Bolton Perry 1,8 2,5 11,0 Alcester 11,6 7,0 11,6 Aldenham 3,0 8,0 16,1 Banbury 11,1 13,4 3,0 Campton u. Shefford 0,0 15,1 9,3 Gainsborough 10,2 11,1 1,0 Gedling 9,7 13,9 5,1 22,8 Hartland 10,6 7,6 16,5 Hawkshead 4,2 1,5 Hemyock 12,5 8,3 17,6 vor 1750 nach 1750 4,7 17,9 Shepshed

35

36

302

E.Gautier, L.Henry, Crulai, S.67; H.Charbonneau, Tourouvre, S.66; J.Dupâquier, Bassin, S.367; A.MacFarlane, Illegitimacy, S.82f; K.Oosterveen, R.M.Smith, S.Stewart, Family reconstitution, S.125f; A.Newman, Evaluation, S.143f; P.Laslett, Bastardy prone sub-society, S.232-234; P.Laslett, Family life, S. 147, 150; M.H.Jouan, Originalités, S. 104; W.Kaschuba, C.Lipp, Überleben, S.394f; J.Knodel, Behaviour, S.203-208 K.Oosterveen, R.M.Smith, S.Stewart, Family reconstitution, S.87; D.Levine, Family formation, S. 143

Im Vergleich zu diesen englischen Pfarreien ordnen sich die vier Gäudörfer sehr gut ein; der Anteil der "repeater" im Gäu ist so stark wie in den englischen Pfarreien mit den höchsten Prozentsätzen. Vergleicht man die Anzahl der Kinder und die Anzahl der Mütter, ergibt sich Tabelle 5.8.3.I.e.

Tab. 5 . 8 . 3 . I . e . Durchschnittliche Anzahl illegitimer Kinder pro Frau. Nur Geburten vor 1830 BON MOE TLF NEB Periode alle 1550-1584 1,14 2,0 1,0 1,0 1,0 1,0 1,0 1585-1619 1,0 1,0 1620-1654 1,11 1,08 1,33 1,0 1,09 1,0 1,0 1655-1689 1,05 1,0 1690-1724 1,18 1,08 1,25 1,33 1,0 1,12 1,05 1,08 1725-1759 1,21 1,0 1760-1794 1,28 1,27 1,36 1,14 1,28 1,38 1,22 1795-1829 1,28 1,25 1,3 1,24 1,28 1,21 gesamt 1,23 1,16

Die durchschnittliche Anzahl illegitimer Kinder pro Frau liegt vor 1690 sehr niedrig. Frauen mit mehr als einer unehelichen Geburt waren selten. Sie steigt 1690-1724 recht stark an, sinkt dann in der folgenden Periode aber wieder leicht. In diesen beiden Perioden verhalten sich Bondorf einerseits, Mötzingen und Tailfingen andererseits entgegengesetzt. Diese haben 1690-1724 ein vorläufiges Maximum, dann ein Absinken, jenes hat das Maximum erst 1725-1759, woran sich dann eine kontinuierliche Steigerung bis 1829 schließt. In Tailfingen und Mötzingen sinkt dagegen

1795-1829 die Zahl der

Geburten im Vergleich zur Zahl der Frauen, wobei aber Vorsicht geboten ist: da die Beobachtung 1830 gestoppt wurde, könnten die Frauen später noch weitere uneheliche Kinder gehabt haben. 5 . 8 . 3 . 2 . Heiratsverhalten der Mütter illegitimer Kinder Für eine Frau, die einem unehelichen Kind das Leben geschenkt hatte, eröffneten sich danach - theoretisch - mehrere Möglichkeiten: Sie konnte den Vater des/ihres ersten unehelichen Kindes heiraten, sie konnte, falls sie mehrere uneheliche Kinder hatte, den Vater eines dieser Kinder ehelichen, sie konnte sich mit einem anderen Mann verheiraten oder ledig bleiben. 3 7 Die Untersuchung des Heiratsverhaltens der Mütter illegitimer Kinder ist mit mindestens zwei Unsicherheiten behaftet: zum einen ist das weitere Schicksal eines bedeutenden Teils dieser Frauen nicht bekannt, zum zweiten wird für einen Teil der außerehelichen Geburten kein Vater genannt, so daß nicht bestimmt werden kann, ob die Frau, wenn sie

37

A . M a c F a r l a n e , Illegitimacy, S . 7 5 formuliert das Problem.

303

heiratete, einen Vater ihres/ihrer Kinder ehelichte. Die Zahlen für die Heirat mit den Kindsvätern sind also Minima. Zum Zeitpunkt der Geburt eines illegitimen Kindes verheiratete oder verwitwete Frauen bleiben außer Betracht: Frauen, die im Ehebruch illegitime Kinder bekamen, gab es in Bondorf drei, in Mötzingen zwei (die Ehepaare lebten hier in beiden Fällen getrennt) und in Tailfingen eine. 3 8 Witwen treten unter den Müttern illegitimer Kinder in Bondorf zweimal (eine davon hatte auch vor der Ehe bereits ein uneheliches Kind, so daß sie weiter mit einbezogen werden konnte), in Mötzingen viermal, in Tailfingen siebenmal und in Nebringen einmal auf. In Nebringen ist außerdem im Fall der Anna Lauffer der Familienstand unklar, so daß auch sie ausgeschlossen wurde. 3 9

Tab. 5.8.3.2.a. Heiratsverhalten der Mütter illegitimer Kinder. Alle Dörfer. Einordnung nach dem Datum der ersten illegitimen Geburt 1 Periode 2 3 4 5 gesamt 1550-1584 2 0 0 0 5 7 1585-1619 2 1 14 0 0 17 1620-1654 4 7 0 3 3 17 1655-1689 3 0 0 11 3 17 1690-1724 1 8 5 5 11 30 1725-1759 1 11 29 5 17 63 1760-1794 2 36 23 31 12 104 1795-1829 88 6 95 64 32 285 gesamt 172 10 140 109 109 540 1 2 3 4 5

: Heirat mit dem Vater des ersten illegitimen Kindes : Heirat mit dem Vater eines der illegitimen Kinder : Heirat mit einem anderen Mann : keine Heirat : weiteres Schicksal der Frau unbekannt

Von den Frauen, die Mutter mindestens eines illegitimen Kindes wurden und zum Zeitpunkt der Mutterschaft ledig waren, heirateten 1550-1584 28,6%, 1585-1619 11,8%, 1620-1654 23,5%, 1655-1689 17,6%, 1690-1724 26,7%, 1725-1759 46,0%, 1760-1794 34,6% und 1795-1829 30,9% den Vater ihres ersten illegtimen Kindes. Insgesamt waren es 31,9% der Frauen. Alle diese Angaben verstehen sich als Mindestsätze, die realen Werte können sich aufgrund der Unbekannten weit davon entfernen. Global war für mindestens ein Drittel der Frauen eine illegitime Geburt eine voreheliche, auf die die Heirat mit dem Kindsvater folgte. 4 0 Weitere 1,9% der Mütter illegitimer Kinder verheirateten sich mit einem der Väter eines ihrer illegitimen Kinder, eine Alternative, die natürlich nur Frauen mit mehreren illegitimen Kindern offenstand.

38 39 40

304

OSB BON 332, 2662, 344, 982, 58, 3075, 57; OSB MOE 1329, 892; OSB TLF 2016 OSB NEB 546; zum Zivilstand der Mütter illegitimer Kinder vgl. K.Oosterveen, R.M.Smith, S.Stewart, Family reconstitution, S.133f; D.Levine, K.Wrightson, Context, S.163 Anm.5 J.Houdaille, Boulay, S.1061; K.Oosterveen, R.M.Smith, S.Stewart, Family reconstitution, S. 107, 130; A.Newman, Evaluation, S.156; R.Beck, Illegitimität, S.123, 125

Die Heirat mit anderen Männern als den Kindsvätern stellt ein besonderes Problem dar, da gerade in diesem Fall die Heiratsmigrationen das Bild wesentlich verändern könnten. Die Heirat außerhalb der Heimatpfarrei wird eine unleugbare Attraktivität besessen haben, ermöglichte sie es doch u.U. (bei frühem Tod des Kindes z.B.) zumindest vor der neuen Umgebung den "Fehltritt" geheimzuhalten. Unter Beachtung dieser Einschränkung ergibt sich, daß 25,9% aller Frauen einen Mann heirateten, der nicht der Vater ihres/eines ihrer Kindes/Kinder war. In Bondorf belief sich der Anteil dieser Frauen auf 26,9%, in Mötzingen auf 23,5%, in Tailfingen auf 28,6% und in Nebringen auf 24,5%. 4 1 Bis 1794 sind die Frauen, die den Vater ihres ersten illegitimen Kindes heirateten, gegenüber denen, die anderweitig einen Ehegatten fanden, in der Überzahl (und das selbst dann, wenn man annimmt, alle Unbekannten hätten einen anderen Mann als den Kindsvater geehelicht: dies gilt ab 1725, als der Anteil der Unbekannten weniger als 30% beträgt!). In der letzten Periode dagegen hat sich das Verhältnis zwischen den beiden Gruppen geändert: illegitime Geburten waren nun in geringerem Maße voreheliche. Die Verbindung zwischen außerehelicher Konzeption und Ehe löste sich für die relative Mehrheit unter den mit Sicherheit später heiratenden Frauen auf. Für eine solche Dissoziation spricht auch der Anteil der Mütter illegitimer Kinder, der definitiv ledig blieb: in allen Perioden zusammen waren es 20,2%, wobei der Anteil 1690-1724 16,7%, 17251759 nur 7,9%, 1760-1794 29,8% und 1795-1829 22,5% betrug. Auch hierbei ist selbstverständlich das Problem der unbekannten Frauen wesentlich, unter denen sich sicherlich einige befanden, die nie heirateten. Versuchsweise läßt sich die Entwicklung des Heiratsverhaltens der Mütter unehelicher Kinder im 18. Jahrhundert wie folgt skizzieren: In einer ersten Phase (1725-1759) des Anstiegs der Illegitimitätsquote waren diese illegitimen Geburten zu einem hohen Anteil vorehelich, auf sie folgte die Heirat der Eltern. In einer zweiten Phase bedeutete eine illegitime Geburt (und erst recht mehrere) für eine zunehmende Anzahl von Frauen das definitive Zölibat. Die dritte Phase - mit hohen Unehelichenquoten - brachte schließlich größere Heiratschancen für die Mütter unehelicher Kinder mit anderen Männern als den Kindsvätern. Bei 10% unehelichen Kindern scheint es keine soziale Stigmatisierung der Mütter mehr gegeben zu haben - zumindest in dem sozialen Milieu, aus dem sie, die Kindsväter und die späteren Ehegatten stammten. Um es abschließend noch einmal zu betonen: der hohe Anteil von Frauen, über deren weiteres Schicksal nichts bekannt ist, macht dieses Ablaufmodell in hohem Grad hypothetisch. 5.8.3.3. Alter bei der ersten illegitimen Geburt Auch im folgenden beziehe ich mich nur auf Frauen, die zum Zeitpunkt der ersten illegitimen Geburt ledig waren und für die ein exaktes oder errechnetes Alter verfügbar war.

41

vgl. zu solchen Ehen: U.Jeggle, Kiebingen, S. 163f

305

Tab. 5.8.3.3.a. Alter der Mütter illegitimer Kinder bei der ersten unehelichen Geburt. Exakte und errechnete Alter. Einordnung nach dem Zeitpunkt der ersten illegitimen Geburt. Periode alle BON MOE TLF NEB 1550-1584 21,5 1585-1619 26,5 25,5 30,5 24,5 1620-1654 26,8 27,2 22,5 28,5 1655-1689 24,0 23,5 25,0 22,5 24,4 1690-1724 25,0 23,3 24,8 23,8 1725-1759 25,8 25,6 25,7 26,2 26,5 1760-1794 26,4 27,1 25,4 27,6 25,3 1795-1829 25,1 24,9 25,3 25,1 25,8

Das durchschnittliche Alter bei der ersten illegitimen Geburt liegt - außer 1655-1689 (wenig signifikant, da nur auf vier Frauen beruhend) und 1795-1829 - höher als das durchschnittliche Heiratsalter für erstmalig heiratende Frauen. Bis 1760-1794 folgt das Alter bei der ersten illegitimen Geburt der Entwicklung des Heiratsalters in groben Zügen: Anstieg 1620-1654, Absinken bis 1690-1724, dann wieder Anstieg bis 1760-1794. Dann allerdings steigt das Heiratsalter weiter, während das Alter bei der ersten illegitimen Geburt sinkt. Die Differenz zwischen beiden Altern liegt stets in der Größenordnung von etwa einem Jahr (ohne Berücksichtigung von 1585-1619 und 1655-1689). Differenziert man nach vorehelichen und anderen illegitimen Geburten, so erhält man folgende Durchschnittsalter:

Tab. 5.8.3.3.b. Alter bei der ersten illegitimen Geburt nach dem Schicksal der Mutter differenziert. Exakte und errechnete Alter. Einordnung nach dem Jahr der ersten illegitimen Geburt andere Geburten Periode voreheliche Geburten N Alter N Alter 1550-1584 1 21,5 1 28,5 3 25,8 1585-1619 1620-1654 8 26,8 2 2 1655-1689 24,5 23,5 1690-1724 20,8 13 26,0 6 25,2 27 26,5 1725-1759 28 34 24,8 1760-1794 61 27,3 24,4 177 85 25,5 1795-1829 292 156 24,5 26,0 gesamt

Die Unterschiede zwischen den beiden Gruppen von Frauen sind deutlich. 1760-1794 ist die Differenz am größten, sieht man von den Perioden vor 1725 ab, in denen die Zahlenbasis für einen solchen Vergleich zu klein ist. Während das Alter bei der ersten vorehelichen Geburt schon ab 1725-1759 sinkt und ab 1760-1794 mit rasch wachsendem Abstand unter dem durchschnittlichen Heiratsalter liegt, situiert sich das Alter bei der ersten unehelichen Geburt für die anderen Frauen 1725-1794 um genau zwei Jahre über dem 306

gleichzeitigen durchschnittlichen Heiratsalter. Erst 1795-1829 liegt auch für diese Frauen nach einem starken Absinken das durchschnittliche Alter bei der ersten illegitimen Geburt unter dem gleichzeitigen Heiratsalter 4 2 5.8.3.4. Heiratsalter der Mütter illegitimer Kinder Wieder wurden nur die Frauen herangezogen, für die ein exaktes oder errechnetes Alter vorlag und die zum Zeitpunkt der ersten illegitimen Geburt ledig waren.

Tab. 5.8.3.4.a. Durchschnittliches Heiratsalter der Mütter illegitimer Kinder. Exakte oder errechnete Alter. Einordnung nach dem Zeitpunkt der ersten illegitimen Geburt MOE TLF NEB N alle BON Periode 1550-1584 1 28,5 28,5 1585-1619 1620-1654 27,2 3 27,0 27,5 1655-1689 3 27,2 24,5 28,5 1690-1724 11 26,8 29,5 22,5 29,5 25,0 1725-1759 39 28,8 29,8 27,6 28,2 27,5 57 34,7 1760-1794 30,2 30,7 33,8 28,5 187 29,5 29,8 1795-1829 28,8 30,6 28,1

Das Heiratsalter der Frauen, die vor der Ehe eine illegitime Geburt hatten, liegt deutlich über dem aller Frauen. Die Differenz ab 1690 (vorher ist die Zahlenbasis zu klein) beträgt 3,4, 4,3, 4,9 und 3,2 Jahre in den sukzessiven Perioden. 43 Die Differenz zum Alter bei der ersten illegitimen Geburt zeigt folgende Entwicklung: 1690-1724 2,4 Jahre, 17251759 3,0 Jahre, 1760-1794 3,8 Jahre und 1795-1829 4,4 Jahre. Die obige Beobachtung von der Auflösung zwischen illegitimer Geburt und Eheschließung bestätigt sich; sie drückt sich auch in diesem wachsenden Intervall aus. Die Verheiratung folgte der illegitimen Geburt immer weniger schnell. Der Status einer ledigen Mutter dauerte (wohlgemerkt nur für die Frauen, die schließlich doch heirateten) um 1800 fast doppelt so lange wie um 1700. Wird beim Heiratsalter zwischen Frauen mit vorehelichen Geburten und anderen differenziert, so ergibt sich Tabelle 5.8.3.4.b. Der Unterschied im Heiratsalter zwischen den beiden Untergruppen springt in die Augen: Zwar liegt auch das durchschnittliche Heiratsalter der Frauen, die den Vater ihres ersten unehelichen Kindes heirateten, über dem durchschnittlichen Heiratsalter aller Frauen (außer 1690-1724), die Differenz ist aber mit 1,6 Jahren, 1,4 und 0,4 Jahren in den drei letzten Perioden eher gering und reduziert sich im Laufe der Zeit. Das Heiratsalter der Frauen, die nicht den Vater ihres ersten illegitimen Kindes heirateten, ist extrem hoch: Der Unterschied zum durchschnittlichen Heiratsalter aller Frauen beträgt vor 1795 konstant 10 und mehr Jahre. Die Heiratschancen dieser Frauen waren also 1690-1794 ausge-

42 43

J. Knödel, Behaviour, S. 229-231 vgl. A.S.Kälvemark, Illegitimacy, S.330f, 335

307

sprachen schlecht, 1795-1829 dagegen etwas besser. Die Gewöhnung an die Illegitimität scheint den Frauen eine etwas schnellere Eheschließung ermöglicht zu haben.

Tab. 5.8.3.4.b. Durchschnittliches Heiratsalter der Mütter illegitimer Kinder. Differenziert nach vorehelichen und anderen Geburten. Exakte und errechnete Alter. Einordnung nach dem Zeitpunkt der ersten illegitimen Geburt Periode voreheliche Geburten andere Geburten N Alter N Alter 1550-1584 1585-1619 1 28,5 1620-1654 27,2 3 2 1655-1689 25,5 1 30,5 1690-1724 6 21,5 5 33,1 1725-1759 28 26,1 11 35,6 1760-1794 34 26,7 23 35,5 1795-1829 85 26,7 102 31,9

Das Intervall zwischen der ersten illegitimen Geburt und der Heirat entwickelt sich wie folgt:

Tab. 5.8.3.4.C. Abstand zwischen der ersten illegitimen Geburt und der Heirat in Jahren Periode voreheliche Geburten andere Geburten 1690-1724 0,7 7,1 1725-1759 0,9 9,1 1760-1794 1,9 8,2 1795-1829 2,3 6,4

Der Frau, der es nicht gelang, den Vater ihres ersten illegitimen Kindes zu heiraten, standen Jahre des Wartens bevor. Aber auch für die, die "Glück" hatten und die Eheschließung mit dem Vater ihres ersten unehelichen Kindes schafften, wuchs diese Wartezeit an: Betrug sie vor 1760 weniger als ein Jahr, erreichte sie schon 1760-1794 zwei Jahre und überschritt diese Marke in der letzten Periode. 4 4 Mit der Verschlechterung der ökonomischen Situation wuchs die Unmöglichkeit (oder der Unwille?) einer schnellen Verheiratung trotz des Vorhandenseins eines unehelichen Kindes - oder mehrerer Kinder. Ein extremes Beispiel für einen solchen Fall ist die Beziehung zwischen dem Maurer Jakob Weimer und der Webertochter Anna Maria Scheurer, die nach vier gemeinsamen Kindern 1829 in Bondorf heirateten (heiraten konnten). Jakob Weimer hatte noch ein fünftes uneheliches Kind mit Barbara Landenberger, der Tochter eines herumziehenden Zieglers, dem 1824 das erste der vier Kinder mit Anna Maria Scheurer folgte. 4 5

44 45

308

vgl. A.S.Kälvemark, Illegitimacy, S.330f, 335 OSB BON 3152, 3151

5.8.3.5. Soziale Einstufung der Mütter illegitimer Kinder Obwohl es schwierig ist, aufgrund der Berufszugehörigkeit der Väter der Frauen mit illegitimen Kindern eine soziale Einschätzung vorzunehmen, scheinen die Frauen, die illegitime Kinder auf die Welt brachten, doch eher den unteren sozialen Schichten anzugehören: Handwerker, vor allem Textilhandwerker - also Weber und Schneider - scheinen überrepräsentiert, ebenso Taglöhner in Mötzingen. An Angaben für die Frauen selbst mangelt es: fünf der Mütter illegitimer Kinder waren in Bondorf Mägde, sieben in Mötzingen, ebenfalls sieben in Tailfingen, in Nebringen nur eine. Der tatsächliche Anteil wird wesentlich höher gelegen haben. 4 6 Die Vermögensverhältnisse von Frauen mit unehelichen Kindern, die keinen Ehemann fanden, waren trist. Die folgende Tabelle gibt Aufschluß über die inventierten Vermögen von ledigen Frauen, die mindestens eine uneheliche Geburt hatten: 47

Tab. 5.8.3.5.a. Vermögen von ledigen Frauen mit unehelichen Kindern in Bondorf (in Ackereinheiten (AE)) Name Todesjahr Vermögen Barbara Bühler 1748 10,7 Barbara Kußmaul 20,4 1749 Barbara Weinmar 1769 0,0 Anna Gengenbach 1769 14,0 Margaretha Luz 1781 8,7 Maria Margaretha Gengenbach 1784 21,0 Maria Magdalena Müller 1803 7,2 Anna Maria Weinmar 1804 5,1 Elisabeth Kußmaul 1815 10,0 Anna Barbara Bühler 1818 0,0 Rosina Catharina Buob 1822 11,8 Katharina Wörner 1822 4,2 Barbara Seeger 1823 41,4 Anna Maria Gauss 1824 284,6 Magdalena Weinmar 1829 0,0 Anna Maria Steinhilber 1829 0,0

Von diesen 16 Frauen hatten vier überhaupt kein Vermögen, d.h. die Schuldenlast überstieg den Wert der Aktiva. Zehn besaßen nur wenig; 1760-1794 z.B. betrug das durch46

W . R . L e e , Bastardy, S.420; P.Laslett, Introduction, S.56; A.MacFarlane, Illegitimacy, S.81; K.Oosterveen, R . M . S m i t h , S.Stewart, Family reconstitution, S. 110-113, 132f; D.Levine, K.Wrightson, Context, S. 163-165; K.Wrightson, Nadir, S. 187; W.Kaschuba, C . L i p p , Überleben, S.390f; P.Zschunke, Konfession, S.151; W.Norden, Bevölkerung, S.173-175

47

zu den AE vgl. Kap. 6 . 1 . 1 . ; GA BON I 469 (Barbara Bühler, 1748); I 503 (Barbara Kußmaul, 1750); I 762 (Anna Gengenbach, 1769); I 763 (Barbara Weinmar, 1769); I 934 (Margaretha Luz, 1781); I 991 (Maria Margaretha Gengenbach, 1784); I 1406 (Maria Magdalena Müller, 1803); I 1435 (Anna Maria Weinmar, 1805); I 1625 (Elisabeth Kußmaul, 1816); I 1679 (Anna Barbara Bühler, 1818); I 1756 (Rosina Catharina Buob, 1822); I 1760 (Katharina Wörner, 1822); I 1765 (Barbara Seeger, 1823); I 1788 (Anna Maria Gauss, 1824); I 1924 (Magdalena Weinmar, 1829); I 1929 (Anna Maria Steinhilber, 1829)

309

schnittliche Vermögen Verheirateter am Ende ihrer Ehe 135,5 AE, während sich das der oben aufgeführten Frauen auf 27,4 belief, also nur auf ein Fünftel. Läßt man die beiden abweichenden Fälle Anna Maria Gauss und Barbara Seeger weg und schließt auch die vier Besitzlosen aus, beträgt der Durchschnitt 11,3 AE, ein Zehntel des Durchschnitts der Ehepaare. Anna Maria Gauss, der unter Vermögensgesichtspunkten am stärksten abweichende Fall, scheint auch ohne uneheliches Kind für eine Heirat nicht in Frage gekommen zu sein: sie war 1790, als sie ihren "spurius" zur Welt brachte, immerhin schon 38 Jahre alt und damit auf dem besten Weg zum definitiven Zölibat. Für ihre Familie zahlte sich ihre Ehelosigkeit aus: ihre Nichte Maria Catharina Hofacker und ihr Bruder Johann Michael Gauss besaßen die größten Bondorfer Vermögen, die in den 1820er Jahren inventiert wurden (beide Male etwa 50000 fl), ihre Tante bzw. Schwester hatte dazu immerhin je 6000 fl beigetragen. 48 Alimentationszahlungen waren kaum geeignet die Vermögensverhältnisse der Mütter unehelicher Kinder zu verbessern. Anna Maria Kußmaul hatte für ihr uneheliches Kind 40 fl Alimentationsgelder erhalten. 49 Hans Jerg Plank bezahlte 26 fl an Maria Schanz in Mötzingen "pro satisfactione privata et alimentatione prolis". 50 "Vors Kränzle und Kindbett" hatte Friedrich Beerstecher, Schäfer und Taglöhner, 10 fl an Christian Öhrlens hinterlassene Tochter zu entrichten. 51 Noch offen gelassen wurde die Höhe von Scortationsstrafe und Satisfaktion für Barbara Seeger, die Jung David Beerstecher bezahlen mußte. 52 Unklar ist auch, wieviel Johannes Bühler an Anna Maria Sauter zu bezahlen hatte: 28 fl schuldete er ihr "über bezahltes". 53 Auch die Frauen, die wegen illegitimer Schwangerschaften vor das Gebersheimer Dorfgericht zitiert wurden, besaßen nichts, ebensowenig wie die geständigen Kindsväter. 54 5.8.4. Anmerkungen zum Schicksal illegitimer Kinder 5.8.4.1. Anteil der Totgeburten an den illegitimen Geburten Der Anteil der Totgeburten an allen illegitimen Geburten in den beiden letzten Perioden beträgt 5,2%, er liegt damit nur leicht höher als der Anteil der Totgeburten an allen Geburten (4,6%). 5 5

48 49 50 51 52 53 54

55

310

GA BON I 1788 (Anna Maria Gauss, 1824) GA BON I 570 (Margaretha Kußmaul, 1755) GA BON I 1020 (Hans Jerg Plank und Christina Teufel, 1785) GA BON I 1082 (Friedrich Beerstecher und Anna Maria Kaz, 1790) GA BON I 1247 (Jung David Beerstecher und Anna Maria Egeler, 1797) GA BON I 1632 (Anne Marie Bühler, 1816): offenbar hatten die Eltern des Johannes die Alimentationszahlungen übernommen. HSTAS A 584 provisor. B 3 (Gerichtsprotokolle, 1795-1819), fol. 127R-129V (2.12.1807), 137R139V (30.11.1808), 155R-157R (29.7.1810), 168V-169R (10.12.1811), 172V-174V (20.2.1814), 179V-180V (4.5.1812), 192R-193R (9.9.1813), 199V-200V (31.10.1814), 213R-214R (14.11.1815), 237R-239V (20.1.1816), 254V-255R (10.1.1818), 283R-284R (23.11.1819) vgl. P.Zschunke, Konfession, S.151

Tab. 5 . 8 . 4 . l . a . Anteil der Totgeburten an den illegitimen Geburten. Alle Dörfer. Einordnung nach dem Datum der ersten illegitimen Geburt der Mutter Geburten insgesamt Totgeburten % Periode 1550-1584 8 0 0,0 20 0 0,0 1585-1619 4 17,4 1620-1654 23 22 1655-1689 0 0,0 2 1690-1724 40 5,0 3 1725-1759 73 4,1 1760-1794 135 5 3,7 380 22 5,8 1795-1829 701 36 gesamt 5,1

5.8.4.2. Säuglingssterblichkeit illegitimer Kinder

Tab. 5.8.4.2.a. Abschätzung der Säuglingssterblichkeit illegitimer Kinder. Alle Dörfer Periode 1 2 4 3 5 1550-1584 1 7 8 1 12 1585-1619 20 5 8 62,5 1620-1654 19 5 10 9 55,6 22 12 1655-1689 5 10 50,0 1690-1724 12 38 15 23 52,2 1725-1759 14 17 70 53 26,4 1760-1794 24 130 17 113 21,2 90 1795-1829 358 39 319 28,2 gesamt 665 156 129 536 29,1 1 2 3 4 5

: Anzahl Lebendgeburten : Anzahl Kinder, die vor ihrem ersten Geburtstag starben : Anzahl Kinder, über die nichts weiteres mehr bekannt ist : Anzahl Kinder mit bekanntem Schicksal : Anteil der vor ihrem ersten Geburtstag verstorbenen Kinder an den Kindern mit bekanntem Schicksal

Die Säuglingssterblichkeit im Verhältnis zu allen unehelichen Geburten zu berechnen, liefe auf eine eindeutige Unterschätzung hinaus, die Berechnung nur auf der Grundlage der Kinder mit bekanntem Schicksal dagegen auf eine Überschätzung. Der letztere Weg schien mir dennoch der bessere. Trotz der kleinen Zahlen liegen die Prozentsätze vor 1725 alle in der gleichen Größenordnung: etwas mehr als die Hälfte der illegitimen Kinder starb vor Erreichung ihres ersten Geburtstages. Danach liegen die Anteile wesentlich niedriger: 1725-1829 ergibt sich zusammen ein Quotient von 26,4 auf 100 uneheliche Lebendgeburten. Statt

311

der Hälfte starb nur noch ein Viertel, was aber immer noch einen höheren Anteil ausmacht als bei den ehelichen Geburten. 56 5.8.4.3. Heiratschancen illegitimer Kinder Um die Heiratschancen illegitimer Kinder einzuschätzen, wurde der Anteil der Verheirateten an den sicher über 49 Jahre alten Personen illegitimen Ursprungs berechnet. Die Einordnung erfolgte nach dem Jahr der ersten illegitimen Geburt der Mutter.

Tab. 5.8.4.3.a. Heiratschancen illegitimer Periode Anzahl illegitimer Kinder, die älter als 49 wurden 1550-1584 1 1585-1619 1620-1654 1655-1689 3 1690-1724 6 17 1725-1759 1760-1794 39 87 1795-1829 153 gesamt

verheiratet

ledig

unbekannt

1

0

0

2 6 16

1 0 1

0 0 0

33 64 122

5 21 28

1 2 3

Durch die Eingrenzung dieses Personenkreises werden alle Mobilitätseffekte vernachlässigt, was nach 1760 allerdings zum Teil durch die Familienregister ausgeglichen wird. Der Anteil verheirateter Personen beträgt 1725-1759 94,1%, 1760-1794 84,6% und 1795-1829 73,6%. Definitives Zölibat war unter illegitimen Kinder weiter verbreitet als unter allen Personen, aber ganz schlecht scheinen die Heiratschancen nicht gewesen zu sein. 57 5.8.5. Väter illegitimer Kinder 5.8.5.1. Anzahl verschiedener Väter bei Frauen mit mehreren illegitimen Kindern Die steigende Zahl illegitimer Geburten im 18. Jahrhundert und zu Anfang des 19. könnte auf eine zunehmende Anzahl von Konkubinaten, d.h. stabilen Beziehungen zwischen Nichtverheirateten zurückgehen. Die Sprößlinge dieser Beziehungen wären dann nur von Kirche und Staat als illegitim eingestuft worden, nicht aber von den Betroffenen. 58 56 57 58

312

H.R.Burri, Bevölkerung, S.146; W.R.Lee, Bastardy, S.418; J. Knödel, Centuries, S.365; K.Oosterveen, R.M.Smith, S.Stewart, Family reconstitution, S.126f; P.Laslett, Family life, S. 160 A.MacFarlane, Illegitimacy, S.84f; J.Gélis, M.Läget, M.F.Morel, Vie, S.32 P.Laslett, Introduction, S.9-11; A.MacFarlane, Illegitimacy, S.72-73; zu den Wirkungen der Eherestriktionen s. A.Kraus, Ehesegen, S.194; J.Knödel, Law, S.289f; J.Knodel, Centuries, S.366f; P. Sauer, Not, S.146

Als Test für die Stabilität einer Verbindung könnte gelten, ob, wenn eine Frau mehrere illegitime Kinder hatte, sie diese immer mit demselben Mann zeugte oder ob Promiskuität vorherrschte. 59 Deshalb wurde der Quotient aus der Anzahl Geburten mit bekannten Vätern und der Anzahl Väter gebildet. Die Berechnung hat selbstverständlich nur für die Frauen mit mehr als einer illegitimen Geburt Sinn. Um so weiter sich der Quotient von eins entfernt, um so mehr stabilere Konkubinate existieren. Tabelle 5.8.5. l.a. faßt die Resultate zusammen.

Tab. 5 . 8 . 5 . l . a . Geburten Periode

Anzahl verschiedener Väter bei Frauen mit mehreren Anzahl illegitimer Geburten

Bondorf 1620-1654 1655-1689 1690-1724 1725-1759 1760-1794 1795-1829 Mötzingen 1550-1584 1585-1619 1620-1654 1655-1689 1690-1724 1725-1759 1760-1794 1795-1829 Tailfingen/Nebringen 1690-1724 1725-1759 1760-1794 1795-1829 gesamt 1550-1584 1585-1619 1620-1654 1655-1689 1690-1724 1725-1759 1760-1794 1795-1829

illegitimen

Anzahl Geburten mit bekannten Vätern

Anzahl Väter

2 2 2 10 20 70

2 2 2 9 17 55

2 2 2 8 15 41

1,0 1,0 1,0 1,13 1,13 1,34

2

2

2

1,0

1

1

1,0

4 2 19 36

4 0 15 30

4

1,0

13 20

1,15 1,5

4 2 10 43

3 1 8 32

3 1 7 28

1,0 1,0 1,14 1,14

2

2

2

1,0

3 2 9 10 40 117

3 2 9 9 35 89

Quotient Geburten/ Väter

-

2 -

-

-

4 2 10 14 49 149

1,0 1,0 1,0 1,1 1,14 1,31

Bis 1725 liegt der Index generell bei 1, d.h. es gab keine stabilen außerehelichen Beziehungen zwischen Unverheirateten (aus denen Kinder hervorgingen!). 1725-1759 59

Frauen mit mehreren illegitimen Kindern stellen für die Werbungshypothese ein Problem dar: P.Laslett, Introduction, S.60; A.Newman, Evaluation, S. 145; K.Wrightson, Nadir, S.187f; E. van de Walle, Illegitimacy, S.268f

313

existiert ein Fall, 1760-1794 mehrere. 1795-1829 scheint eine beträchtliche Minderheit von Müttern illegitimer Kinder mit deren Vätern stabil zusammengelebt haben, bevor der Schritt zum Altar erfolgte. 5.8.5.2. Anteil der Geburten mit unbekannten Vätern Für die folgenden Abschnitte wurden nur die Geburten in Bondorf, Tailfingen, Mötzingen, Nebringen und Oschelbronn herangezogen, da bei auswärtigen illegitimen Geburten die Chance, den Vater in Erfahrung zu bringen, deutlich geringer war als bei solchen am Ort. Die chronologische Einordnung erfolgt nach dem Jahr der Geburt, Totgeburten wurden mitgezählt.

Tab. 5.8.5.2.a. Anteil der illegitimen Geburten mit unbekannten Vätern lichen Kindern Tailfingen Bondorf Mötzingen Periode der N % N % N % Geburt 1550-1584 2 0,0 5 0,0 4 6 0,0 1585-1619 6 0,0 75,0 57,1 4 2 1620-1654 14 25,0 0,0 16,7 4 4 1655-1689 12 25,0 50,0 1690-1724 30,8 9 0,0 12 8,3 13 18,2 18 27,8 11 1725-1759 31 12,9 16,7 1760-1794 24,5 42 19 15,8 53 135 15,6 113 23,9 70 28,6 1795-1829 19,7 21,7 264 196 22,4 129 gesamt

an allen uneheNebringen N % 1 0,0 3 0,0 -

5 4 8 32 53

0,0 0,0 12,5 18,9 13,2

Generell war die Ermittlung von Vaterschaften ziemlich erfolgreich: nur ein Fünftel der Väter wurde nicht bekannt (allerdings beschränkt sich die Bekanntheit des Vaters oft auf Bemerkungen wie "Balthasar Mezger, Weberknecht aus Alerheim/Kreis Nördlingen"). 6 0 5.8.5.3. Väter unehelicher Kinder nach ihrem Zivilstand Die Ergebnisse der Aufschlüsselung der Väter unehelicher Kinder nach ihrem Zivilstand wurden in Tabelle 5.8.5.3.a. zusammengestellt.

60

314

OSB BON 1897; s.a. die Prozentsätze der Geburten mit bekannten Vätern bei J.Dupâquier, Bassin, S.367; K.Oosterveen, R.M.Smith, S.Stewart, Family reconstitution, S. 104, 127; M . H J o u a n , Originalités, S. 103; P.Wiel, Paroisse, S. 162

Tab. 5.8.5.3.a. Familienstand der Väter unehelicher Kinder verheiratet Anzahl Väter ledig verwitwet Periode Bondorf 1550-1584 0 2 0 6 1585-1619 4 1 1620-1654 6 0 1 10 3 1 1655-1689 1690-1724 2 1 3 9 1 0 26 18 1725-1759 1760-1794 22 1 1 38 1 101 63 3 1795-1829 114 196 6 8 gesamt Mötzingen 1 1550-1584 2 0 0 1 0 0 0 1585-1619 0 1620-1654 3 3 0 3 3 0 0 1655-1689 5 0 0 1690-1724 9 13 8 0 0 1725-1759 34 26 1 0 1760-1794 2 1 1795-1829 79 53 144 2 98 3 gesamt Tailfingen 1550-1584 5 3 1 0 0 0 1585-1619 6 3 1 1620-1654 2 0 0 2 1 0 0 1655-1689 1690-1724 11 3 0 0 1725-1759 9 6 0 1 1760-1794 15 9 0 0 47 25 0 1 1795-1829 97 gesamt 51 1 2 Nebringen 1550-1584 1 0 0 0 3 1 1 1585-1619 0 1620-1654 1655-1689 1690-1724 2 5 0 0 4 1725-1759 3 0 0 1760-1794 7 3 0 0 26 10 2 1795-1829 2 46 19 2 gesamt 3

unbekannt -

4 1 5 3 7 14 34 68 1 1 0 0 4 5 7 23 41 1 3 1 1 8 2 6 21 43 1 1 -

3 1 4 12 22

Die Väter, deren Familienstand nicht bekannt ist, dürften im wesentlichen ledig gewesen sein, obwohl sich auch zweifelhafte Fälle darunter finden, was vor allem auf Soldaten zutrifft. Die Zahl der Witwer scheint sehr niedrig, möglicherweise verstecken sie sich unter den gänzlich unbekannten Vätern. Beachtlich ist die Zahl der männlichen Ehebrüche, die bekannt wurden. 6 1 Gerade in diesen Fällen dürfte der Druck (vom Mann,

61

vgl. zur Zahl der Ehebrüche: W.R.Lee, Bastardy, S.423; W.Norden, Bevölkerung, S.174

315

aber auch allgemein) auf die Frau überhaupt keinen Vater für ihr Kind anzugeben, groß gewesen sein, schließlich riskierten beide Teile schwere Strafen. 62 5.8.6. Die "Bastardy Prone Sub-Society" am Beispiel Mötzingen Das Konzept der "bastardy prone sub-society" wurde von Peter Laslett entwickelt; es soll der Häufung illegitimer Geburten in bestimmten Familien Rechnung tragen. 63 Um die Familien, die besonders häufig in Illegitimitätsfälle verwickelt waren, zu isolieren, wurde zuerst die Anzahl der Ehen, die unter einem bestimmten Nachnamen in einem der fünf Gäudörfer (incl. Oschelbronn) geschlossen wurden und im Ortssippenbuch Mötzingen enthalten sind, mit der Anzahl der Mütter illegitimer Kinder verglichen, die denselben Nachnamen trugen. 64 Herangezogen wurden Ehen, die von 1700 bis 1829 geschlossen wurden, und Frauen, die von 1725-1829 Mutter eines illegitimen Kindes wurden. Die zeitliche Beschränkung schien mir geboten, da erst nach 1725 ein genügend großer Teil der Frauen aus Mötzingen stammte. Der Rahmen für die Ehen ergibt sich aus der Annahme, daß die Mütter illegitimer Kinder aus diesen stammten bzw. dies die Ehen waren, die ihre Brüder eingingen. Die größere Unsicherheit bei den Vätern (auswärtige, gänzlich unbekannte) schien mir ihre Ausschließung zu rechtfertigen. Der Vergleich gibt nur einen Anhaltspunkt für die Über- oder Unterrepräsentierung einer Familie bei den Müttern illegitimer Kinder. Wünschenswert wäre die genealogische Erfassung der gesamten Dorfbevölkerung und dann die Ermittlung bestimmter zur Illegitimität neigender Abstammungslinien, falls vorhanden. Meine Versuche in dieser Richtung führten aber schnell in ein unentwirrbares Dickicht von Verwandtschaftsbeziehungen, so daß ich es bei dem oben geschilderten Ansatz bewenden lassen muß. Alle Familien mit weniger als zwei Ehen im genannten Zeitraum wurden eliminiert. Ist der Quotient kleiner als 3,5, ist die entsprechende Familie unter den illegitimen Müttern überrepräsentiert, ist er kleiner unterrepräsentiert (s. Tabelle 5.8.6.a.). Von den Familien, die 1700-1829 über 10 Ehen verzeichneten, sind die Bertsch, Hauser, Nonnenmacher und Teufel bei den illegitimen Müttern häufiger vertreten als der Durchschnitt, die Kußmaul, Sattler und Werner etwa durchschnittlich und alle anderen unterdurchschnittlich - allen voran Morlok, Schwitzler und Sindlinger. Die Verbindung mit Reichtum oder Armut einer Familie ist aufgrund des Ortssippenbuches kaum möglich, zumal es auch innerhalb namensgleicher Familiengruppen Unterschiede im materiellen Niveau gab. Immerhin gehörten Morloks sicher zur ausgesprochenen dörflichen Oberschicht - wie allein die Zahl der von ihnen gestellten Schultheißen und Bürgermeister beweist, 65 während Bachmanns und Bertschs eher zur Unterschicht gehörten. 62

63 64

65

316

Strafen für Ehebruch: Mandat vom 21.5.1586, in: Reyscher IV, S.446f; General-Rescript vom 13.3.1713, in: Reyscher VI, S.240f; General-Rescript vom 10.1.1726, in: Reyscher VI, S.331; General-Rescript vom 31.1.1795, in: Reyscher VI, S.697-701; General-Rescript vom 31.7.1806, in: Reyscher VII/1, S.45 P.Laslett, Bastardy prone sub-society, S.217-220; P.Laslett, Family life, S.107 K.Oosterveen, R.M.Smith, S.Stewart, Family reconstitution, S. 113-116; A.Newman, Evaluation, S.153; D.Levine, K.Wrightson, Context, S.167f; P.Laslett, Bastardy prone sub-society, S.236-238; P.Laslett, Family life, S.149; W.Kaschuba, C.Lipp, Überleben, S.429-448 OSB MOE, S.7

Tab. 5.8.6.a. Anzahl Ehen und Anzahl illegitimer Mütter einer Familie in Mötzingen 1700-1829 bzw. 1725-1829 Quotient Anzahl uneheAnzahl Ehen Nachname Ehen/Mütter licher Mütter 1700-1829 1725-1829 7 0,4 3 Bachmann 5,0 1 5 Bauer 4,0 4 1 Beerstecher 2,4 11 26 Bertsch 5,0 2 10 Christein 5,5 2 11 Erhardt 7,0 1 7 Fischer 5,0 1 5 Gauss 2,0 1 Hagenlocher 2 4,4 22 5 Harr 2,3 34 15 Hauser 4 4,5 18 Hiller 2 1 2,0 Koch 4,0 2 8 Köhlin 7 22 Kußmaul 3,1 5 3 1,7 Luginsland 11,0 33 3 Morlok 22 7,3 Müller 3 17 7 2,4 Nonnen macher 1 3,0 3 Rieger 2,0 2 1 Roth 12 4,0 Sattler 3 2 2 Schmid 1,0 2,0 Schweikert 6 3 1 10,0 Schwitzler 10 44 5 8,8 Sindlinger 2 1 2,0 Stotz 32 11 2,9 Teufel 2 1,5 Walter 3 7 4 Walz 1,8 6,7 Weiss 20 3 14 Werner 3 3,5 2 1 2,0 Zinser alle

415

119

3,5

5.8.7. Schluß: Einstellungen zur vor- und außerehelichen Sexualität Zumindest bis in die 1760er Jahre war das sexuelle Verhalten offenbar strikter Kontrolle unterworfen: Jacob Kilper und Jacob Mauch zogen 1765 vor das Haus des Schultheißen und verlangten, daß ihnen geöffnet werde, weil sie vermuteten, daß "ein Kerle bej sein H.Schultheißen ancilla Barbara Eßigin" sei. Die Magd öffnete selbst, es fand sich nie-

317

mand Verdächtiges im Haus. 66 1766 drangen Jacob Mauch, Michael Ißler und Jacob Ißler in das Haus David Giecks ein, weil sie annahmen, den Verlobten von Giecks Tochter dort vorzufinden. 67 Derartige Fälle scheinen später nicht mehr vorgekommen zu sein. 6 8 Die Überwachung wurde lockerer. 69 Der Soldat Johann Friedrich Ißler verbrachte die Neujahrsnacht bei der Magd des Georg Friedrich Jüngling (und sprang nach Entdeckung aus dem Küchenfenster).70 Dienstherren scheinen ihre Mädge kaum mehr gestört zu haben: Christina Sülzle, 71 Sara Eple, 72 Catharina Schärer, 73 Agnes Isler, 74 Anna Maria Rökle, 75 Margaretha Böhmler 76 und Margaretha Frey 77 gaben an, im Hause ihrer Dienstherren schwanger geworden zu sein. Vielleicht hatte die räumliche Situation sich verändert; solange die Mägde in unmittelbarer Nähe ihrer Dienstherrschaft schliefen, waren sie leicht zu kontrollieren. "In die Schlafkammer, wo Er und sein Weib ihre Liegestädt haben, müssen ihren Gang durch die Magdkammer nehmen und also an ihrem Bett vorbeigehen ..." 7 8 In solchen Fällen waren die Mägde dann allerdings ihren Dienstherren ausgeliefert: "Er (Georg Friedrich Prophet, A.M.) habe sie (seine Magd Dorothea Seitzinger, A.M.) zu einer Hure machen wollen, in deme Er ungefähr vor der Erndte deß Nachts da Er ins Bett gehen wollen zue ihro übers Bett gekommen über sie hingelegen und sie geküßt habe mit dem Zusaz sie solle ihn bey ihr liegen lassen." 79 Die Reaktion der Familien auf uneheliche Geburten schwankte zwischen scharfer Ablehnung und Hinnahme. Der Schneider Jacob Kußmaul und seine Frau Anna Maria bevorzugten 1728 ihre Tochter Anna Barbara bei der Erbteilung, indem sie dieser Tochter die Hälfte ihres Hauses als ein Voraus zukommen ließen. Auch dem Enkelkind vermachten sie ein Stückchen Krautland zum Voraus. Die Geschwister der Anna Barbara protestierten, aber ein Spruch des Waisengerichts ließ die Verfügung der Kußmaul'schen

66 67 68

69 70 71

72 73 74 75 76 77 78 79

318

HSTAS A 584 provisor. B 2 (Gerichtsprotokolle, 1753-1794), fol. 62R-63V (17.8.1765) HSTAS A 584 provisor. B 2, fol. 67V-R (17.7.1766) Mögliche Ehebrüche fanden dagegen nach wie vor die Aufmerksamkeit der Dorföffentlichkeit: HSTAS A 584 provisor. B 2, fol. 100R-101V (27.4.1773), 127R-129R (17.10.1776) (gegen Anna Katharina Gieck war ein Schimpfbrief geschrieben worden), 133V-R (24.4.1777) (betrifft wieder Anna Katharina Gieck, die solchen Verdächtigungen offenbar schon deshalb ausgesetzt war, weil ihr Mann, Michael Gieck, "wie es dorfskundig ist, ein Simpelhaffter man, deme im Handel und Wandel auch sonsten in seiner Haushaltung dißfallß nichts Gescheites außzurichten anvertraut werden kan, ..." (HSTAS A 584 provisor. B 2, fol. 167V (26.4.1783)), fol. 140V (26.10.1778); HSTAS A 584 provisor. B 3 (Gerichtsprotokolle, 1795-1819), fol. 129V-R (17.12.1807) R.Muchembled, Erfindung, S.292; R. van Dülmen, Kultur I, S.125; R.E.Mohrmann, Volksleben, S.269; W.Jacobeit, Dorf, S.322f HSTAS A 584 provisor. B 3, fol. 69R-70R (8.1.1801) Magd bei Conrad Stiefbold: HSTAS A 584 provisor. B 3, fol. 127R-129V (2.12.1807). In diesem Fall lief im Dorf das Gerücht um, der Dienstherr selbst sei der Vater des unehelichen Kindes s. ebd., fol. 129V-129R (17.12.1807). Magd bei Johann Martin Prophet: HSTAS A 584 provisor. B 3, fol. 137R-139V (30.11.1808) Magd bei Friedrich Sämann: HSTAS A 584 provisor. B 3, fol. 155R-157R (29.7.1810) Magd bei Friedrich Sämann: HSTAS A 584 provisor. B 3, fol. 172V-174V (1.2.1812) Magd beim Schultheißen Johann Georg Schäufele: HSTAS A 584 provisor. B 3, fol. 192R-193R (9.9.1813) Magd bei Johann Martin Prophet: HSTAS A 584 provisor. B 3, fol. 213R-214R (14.9.1815) Magd bei Friedrich Bolay: HSTAS A 584 provisor. B 3, fol.283R-284R (23.11.1819) HSTAS A 584 provisor. B 2 (Gerichtsprotokolle, 1753-1794), fol. 182V-185R (30.1.1786) HSTAS A 584 provisor. B 2, fol. 182V-185R (30.1.1786)

Eheleute in Kraft. 8 0 Im Gegensatz hierzu enterbte der Maurer Georg Mayer praktisch seine Tochter Christina, lediglich ihr uneheliches Kind erhielt 30 fl. Auch das Waisengericht fand die Interessen der Tochter hiermit genügend berücksichtigt: " . . . der Tochter Christinä durch obig ihrem Kind geschöpffte 30 fl genügsame Satisfaction geschihet, überhaupt aber dieselbe trifftiger Uhrsachen wegen zue klagen nicht die geringste Uhrsach hat." 8 1 Hans Böckle trug seinem Sohn Hans Philipp wegen dessen "frühen Beyschlaffs- und Verehelichungshandel" nichts nach, die entstandenen Kosten sollten nicht aufgerechnet werden. 8 2 Der Weber Hans Gengenbach reagierte dagegen sehr streng: Er fertigte seine Kinder um ihr mütterliches Erbgut ab (wohl um sie loszubekommen), "hauptsächlich deswegen, weilen beeder Töchtere, wider alle vätterliche Verwarnung, sich puncto scortationis vergangen, und täglich mit dem Vatter im Unfrieden leben . , . " . 8 3 Außerordentlich hart hatte auch der Bauer David Beerstecher reagiert, als seine Tochter Barbara vorehelich schwanger geworden war: Er warf seine Tochter aus dem Haus und verweigerte trotz des unehelichen Kindes die Zustimmung zur Heirat. 8 4 Johannes Werner, der Vater des unehelichen Kindes der Barbara Beerstecher, war ein Weber aus ärmlicher Familie und kam für eine wohlhabende Bauerntochter deshalb als Ehegatte kaum in Betracht, was die Ablehnung der Heirat durch die Eltern erklärt. Barbara Beerstecher fand, was bei derartigen familiären Konflikten einigermaßen typisch ist, die Unterstützung einer Verwandten, die als Erbtante über genügend Druckmittel verfügte, um die Beerstecherischen Eheleute zum Umdenken zu veranlassen. Das Verhalten der Kinder wurde hier mit zweierlei Maß gemessen: der Bruder der Barbara, Jung David Beerstecher, hatte sich ebenfalls puncto scortationis vergangen, von einer Reaktion der Eltern ist nichts bekannt. 85 Außer den Vermögensverhältnissen spielten aber auch die sonstigen Familienbeziehungen eine Rolle: Die Mutter des Johannes Werner, Anna Katharina, hatte vor ihrer Eheschließung mit Gottlieb Beerstecher ein uneheliches Kind. Gottlieb Beerstecher wiederum war der Bruder Alt Johann Davids. 8 6 Die Ablehnung der Heirat zwischen Barbara Beerstecher und Johannes Werner von Werner'scher Seite wird hier ihren Grund gehabt haben, zumal Anna Katharina Werner ihren unehelichen Sohn Jakob Gottlieb Beerstecher bei ihrer Übergabe von jedem Anspruch an Liegenschaft und Fahrnis ausschloß und ihn mit Geld abfinden ließ (was bei den Schätzpreisen der Sachwerte, die unter dem Verkaufswert lagen, eine enorme Benachteiligung bedeutete). Gottlieb Beerstecher erbte denn von seiner Mutter auch nur 21,5 fl. 8 7 Auf weit weniger Ablehnung stieß das uneheliche Kind der Maria Magdalena Müller: zumindest konnte sie sich weiterhin bei ihren Eltern aufhalten. 88 Dasselbe galt für Anna Magdalena Weimar, deren Kind ihre Mutter in der Pflege hatte, ohne daß letztere hierfür ein Kostgeld 80 81 82 83 84 85 86 87 88

GA BON I 184 (Jacob Kußmaul, 1728) GA BON I 292 (Georg Mayer, 1735) GA BON I 321 (Hans Philipp Böckle und Anna Maria Müller, 1737) GA BON I 832 (Hans Gengenbach, 1774) GA BON I 1334 (Alt Johann David Beerstecher, 1801); vgl.a. GA BON I 1776 (Johann Georg Werner, 1823); vgl. T.Robisheaux, Society, S.109 GA BON I 1247 (Jung David Beerstecher und Anna Maria Egeler, 1797); s.a.u. Kap. 6.3.1.3. GA BON 1 1344 (Johannes Werner, 1801); I 1345 (Anna Katharina Werner, 1801); OSB BON 105, 3354 GA BON I 1345 (Anna Kathanna Werner, 1801) GA BON I 1406 (Maria Magdalena Müller, 1803)

319

aufrechnen ließ. 8 9 Auch Anna Maria Steinhilber lag mit ihrer Familie nicht im Streit: ihre Mutter bezahlte die Teilungskosten nach ihrem Tod (und übernahm wohl auch ihre drei noch lebenden unehelichen Kinder in Pflege). 9 0 Akzeptierung oder Ablehnung eines illegitimen Kindes zeigte sich auch bei der Erbteilung. Das illegitime Kind Alt Urban Weinmars wurde beim Tod seines Vaters mit 30 fl abgefunden (wobei Alimentations- und Lehrgelder nicht angerechnet wurden), die vier ehelichen Kinder erbten zusammen 3480,5 fl. 9 1 Abgefunden wurde auch Susanna Catharina Meyer, die uneheliche Tochter der Susanna Catharina Wörner: Ihr Stiefbruder bezahlte ihr für alle Anforderung 90 fl in bar. Eine Teilung der Liegenschaften zwischen ehelichen und unehelichen Kindern sollte offenbar vermieden werden. 9 2 Der Grenadier Michael Egeler setzte "kaum etliche Stunden vor seinem Ende" seine illegitime Tochter zur Universalerbin ein, was dieser allerdings auch nur 57 fl verschaffte. Die anderen Erben verzichteten, als man ihnen die Notwendigkeit vor Augen stellte, der illegitimen Tochter die Alimentation zu verschaffen, womit ihnen vom Erbe ebenfalls nichts mehr verblieben wäre. 9 3 Im Zweifelsfall konnte das Waisengericht auch ein Vermögen sequestrieren: Hans Faißler jun. lebte 1763 in der Schweiz, aber eine Bürgerstochter von Mötzingen hatte angegeben, daß er der Vater ihres unehelichen Kindes sei. Das Bondorfer Waisengericht verbot alle Auszahlungen des an Hans Faißler gefallenen väterlichen Erbes bis zur Klärung dieser Vaterschaftsklage. 94 Die Mutter des unehelichen Kindes Hans Scheurers erhob für ihr Kind Anspruch auf dessen Erbe, was einen Protest der Geschwister auslöste - bis sich herausstellte, daß Hans Scheurer mehr Schulden als Vermögen hinterlassen hatte. 9 5 Relativ großzügig wurde Johann Michael Bühler, der uneheliche Sohn der Maria Regina Mast, nach dem Tod seiner Mutter abgefunden: er erhielt immerhin über 1300 fl, darunter 950 fl in Form von Liegenschaften. 96 Über die Reaktion der Frauen selbst läßt sich leider kaum eine Aussage machen. Die meisten scheinen von den ehrenwerten Absichten der Kindsväter ausgegangen zu sein und gaben stets an, daß der von ihnen angesprochene Kindsvater die Schwangerschaft nicht geleugnet habe, was einige vor dem Dorfgericht dann aber taten. 97 Mittel, sich von unerwünschten Schwangerschaften zu befreien, waren zum mindesten in der Vorstellung einiger Frauen vorhanden. Anna Maria Mohrin beschuldigte Anna Maria Ißlerin einer Schwangerschaft "und darauf geredt, daß sie sich durch unerlaubte Mittel

89 90 91 92 93 94 95 96

97

320

GA BON I 1436 (Johann Philipp Weimar, 1805) GA BON I 1929 (Anna Maria Steinhilber, 1829) GA BON I 76 (Alt Urban Weinmar, 1709) GA BON I 684 (Susanna Catharina Wörner, 1765) GA BON I 571 (Michael Egeler, 1752) GA BON I 671 (Hans Faißler, 1763) GA BON I 672 (Hans Scheurer, 1762) GA BON I 1733 (Maria Regina Mast, 1821): Maria Regina hatte fast 8000 fl hinterlassen, die zwischen ihrem überlebenden Ehemann, ihren fünf ehelichen Kinder und eben ihrem illegitimen Sohn geteilt wurden. Durch Vergleich kam Johann Michael Bühler etwas besser weg, als es rein rechnerisch der Fall gewesen wäre. HSTAS A 584 provisor. B 3 (Gerichtsprotokolle, 1795-1819), fol. 155R-157R (29.7.1810), 172R174V (10.2.1814), 254V-255R (10.1.1818), 283R-284R (23.11.1819)

davon freigemacht hätte." Außerdem erwähnte sie, daß "wann ein Weibsbild Schwanger seye, gebe ihr kein Doctor keine Arzneye zum Gebrauch." 9 8

98

HSTAS A 584 provisor. B 3, fol. 74R-75R (20.5.1801); vgl. C.Simon, Untertanenverhalten, S.233

321

5.9. Mikrodemographie: Ergebnisse 5.9.1. Zeit und Raum Kein Element demographischen Verhaltens erwies sich über einen längeren Zeitraum als konstant. Mobilität, Heiratsverhalten, Fruchtbarkeit und Sterblichkeit änderten sich im Lauf der Zeit. Immerhin erfolgen die Veränderungen nicht völlig willkürlich. Tendenzen lassen sich erkennen. Der entscheidende Einschnitt für die Migration von Familien scheint in den Jahren 1710-1730 zu liegen, als die Abwanderungsquoten schlagartig sinken. Zum gleichen Zeitpunkt konzentriert sich die Suche nach einem Ehepartner am stärksten im eigenen Dorf. Auch für das Heiratsalter liegt in diesen Jahren der Wendepunkt. Seit dem Dreißigjährigen Krieg sank es bis einschließlich der Periode 16901724, ab 1725-1759 aber erhöht es sich kontinuierlich bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts. Selbst für das Heiratsverhalten der Witwen scheinen die Jahre um 1700 entscheidend zu sein: Nach 1725 waren ihre Chancen, sich ein zweites Mal zu verheiraten, nur noch halb so hoch wie vorher. Die Indikatoren für eheliche Fruchtbarkeit zeigen 1655-1689 einen Tiefpunkt, zu dessen Erklärung die Annahme kontrazeptiver Praktiken wahrscheinlich gemacht werden konnte. Nach 1690 erhöhte sich die eheliche Fruchtbarkeit deutlich. In einer Vielzahl von Bereichen änderten sich also um 1700 die Vorzeichen, die Entwicklung, die der Dreißigjährige Krieg ausgelöst hatte, war zu Ende. In anderen Bereichen aber liegen die Einschnitte zu anderen Zeitpunkten. Die Unterbrechung der alten Heiratskreise erfolgte schon vor 1620 auf massive Interventionen der Obrigkeit hin. Um 1700 hatten sich die konfessionellen Unterschiede zu vertieft, daß an ihre Wiederherstellung nicht zu denken war. Nur Vorzeichen einer verringerten Sterblichkeit zeigten sich 1690-1724. Erst 1725-1759 wurde sie wirklich geringer, erhöhten sich die Überlebenschancen der Säuglinge und Kinder und steigerte sich die Lebenserwartung der Erwachsenen. Die Illegitimität schließlich stieg erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts deutlich. Der Variabilität der demographischen Faktoren in der Zeit korrespondiert die im Raum. Am auffalligsten sind die enormen Unterschiede in der Fruchtbarkeit zwischen Tailfingen/Nebringen und Mötzingen. Aber auch bei den meisten anderen Faktoren konnten lokale Unterschiede namhaft gemacht werden. 5.9.2. Soziale Ungleichheit Nicht zu vergessen sind schließlich die Unterschiede im demographischen Verhalten, die auf soziale Unterschiede zurückgehen, wie dies anhand des Heiratsalters und der Fruchtbarkeit gezeigt werden konnte. Das Heiratsalter von Bauern und Handwerkern bildet die jeweiligen Konjunkturen ziemlich exakt ab. In Bondorf heirateten vor 1654 Bauern früher als Handwerker, von 16551724 später, ab 1725 wieder früher. Hielten die Angehörigen der dörflichen Oberschicht das Alter, in dem sie sich verehelichten, weitgehend konstant, mußten Angehörige der Unterschicht mit dramatischeren Veränderungen fertig werden. 1690-1724 wie 1795322

1829 lag das Heiratsalter für Männer der Oberschicht in Bondorf bei 26 Jahren. Unterschichtsangehörige konnten dagegen 1690-1724 mit 27 Jahren heiraten, waren aber 1795-1829 30 Jahre alt. In den reicheren Bondorfer Familien scheint die Fruchtbarkeit gegenüber der der armen deutlich reduziert. Erstaunlicherweise war aber nicht diese Reduktion ein neues Verhalten, sondern die Steigerung der Fruchtbarkeit bei den armen Familien stellte die Neuerung dar. Den Armen schloß sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts ein Teil der knapp unterdurchschnittlich Begüterten an. Die niedrigere Fruchtbarkeit der reicheren Familien bedeutet nun nicht, daß sie weniger Erben hatten als die ärmeren. Zwar war die Säuglings- und Kindersterblichkeit sozial nicht unterschiedlich - etwa 55 % der geborenen Kinder überlebten bis zum Eheende ihrer Eltern und wurden damit Erben -, 1 aber das niedrigere Heiratsalter der reicheren Familien annullierte den Effekt der reduzierten Fruchtbarkeit. So hatten 22 Ehepaare der Oberschicht, deren Ehen zwischen 20 und 30 Jahren dauerten, durchschnittlich 3,59 Erben, in 174 Ehen der Mittelschicht gleicher Dauer überlebten 3,41 Erben und in 165 Unterschichtsehen 3,11 Erben. 2 So lassen sich zwei Modelle der Reduktion der Zahl der Erben unterscheiden. Das "Oberschichtsmodell" kombinierte mit einem niedrigen Heiratsalter (und damit einer langen fruchtbaren Phase der Frau in der Ehe) eine reduzierte Fruchtbarkeit, während das "Unterschichtsmodell" ein hohes Heiratsalter, eine kurze fruchtbare Phase und eine hohe Fruchtbarkeit miteinander verband. Beide Modelle führten in etwa zum gleichen Ergebnis. Die strukturelle Bedeutung dieses Verhaltens scheint im Rahmen der in Kapitel 4.7.1. formulierten Überlegungen darin zu liegen, daß die einen eine zu große Anzahl von Erben vermeiden wollten, ohne ihren Kindern ein jahrelanges voreheliches Zölibat (mit den entsprechenden Risiken für die Moral) aufzwingen zu wollen oder zu können, während die anderen ihre Verehelichung aufschieben mußten, dann aber möglichst dieselbe Erbenzahl erreichen wollten wie ihre reicheren Mitbürger, um ihre Versorgung im Alter zu sichern. 3 5.9.3. Ordnung und Unordnung Im Rahmen des groß angelegten Versuchs des frühneuzeitlichen Staates, das Leben seiner Untertanen zu disziplinieren, 4 wurden auch Teilaspekte von deren demographischem Verhalten ins Visier genommen. Erfolge waren der staatlichen Intervention in den Bereichen beschieden, in denen nur eine geringe Anzahl von Personen kooperieren mußten, um das unerwünschte Verhalten auszuschalten, die leicht zu kontrollieren waren und in denen der betroffenen Bevölkerung keine allzu einschneidenden Verhaltensänderungen abverlangt wurden. Paradigmatisch für einen solchen Erfolg ist die Durchsetzung der für Hochzeiten 1 2 3 4

T.Kohl, Familie, S.136f (ebenfalls gleiche Säuglings- und Kindersterblichkeit bei Ober- und Unterschicht); W.Norden, Bevölkerung, S.72 MF1- und MF2-Familien, gesamter Zeitraum J.Gelis, M.Läget, M.F.Morel, Vie, S.17; P.Kriedte, H.Medick, J.Schlumbohm, Industrialisierung, S. 120-126; D.Levine, Family formation, S.45-57, 74, 92; J.Cromm, Bevölkerung, S.93-95 vgl. zum Konzept zuletzt: W.Schulze, Begriff, passim; R. von Friedeburg, Sozialdisziplinierung, S.385f, 418; W.Buchholz, Anfänge, S.129f Anm. 1, 133-136

323

"geschlossenen" Zeiten. Es kam im wesentlichen auf die Kooperation der Pfarrer an, die den Zeitpunkt der Trauung völlig unter Kontrolle hatten. Als schwieriger erwies sich die Unterbrechung der traditionellen Heiratskreise im Zeichen der Konfessionalisierung. Auf die Priester der katholischen Nachbarpfarreien hatte Württemberg keinen Einfluß; wenn solche Ehen verhindert werden sollten, mußten die Eltern der Heiratswilligen zur Kooperation gezwungen werden. Erst massive Bestrafungen durch die weltliche Obrigkeit zeitigten den gewünschten Erfolg, während die Ermahnungen des Pfarrers unberücksichtigt verhallt waren. Die Einführung eines männlichen Mindestheiratsalters von 25 Jahren scheiterte dagegen schon deshalb, weil es der Obrigkeit weniger um die Durchführung der Maßnahme als um die damit verbundenen Einkünfte zu tun war. Mindeijährige brauchten einen Dispens und Dispense waren kostenpflichtig ... Völlig erfolglos blieb die Obrigkeit bei der Eindämmung des "frühen Beischlafs". 5 Trotz hoher Strafen, genauer Nachforschung und demütigender Befragungen ließ sich die Zahl der vorehelichen Schwangerschaften nicht senken. Ganz im Gegenteil: Ende des 18. Jahrhunderts stiegen die vorehelichen Konzeptionen deutlich an. Möglicherweise instrumentalisierten die Heiratswilligen Dörfler das Strafensystem der Obrigkeit für ihre eigenen Zwecke. Beim "shotgun wedding type" Lasletts brauchten dann, sofern die Partner unwillig waren, nicht mehr die Eltern, bzw., sofern das Hindernis bei den Eltern lag, die Heiratspartner die Ehe erzwingen, sondern das konnte der Obrigkeit überlassen werden. Der "spouse entrapment type" bot noch weitere Kooperationsmöglichkeiten zwischen der fallenstellenden Familie, dem einzufangenden Opfer und der Obrigkeit, wenn die Schwangerschaft einmal offiziell war. Wobei die Erfolgschance des Fallenstellers ebenso hoch war wie sein Risiko: wie leicht ließen sich doch die Rollen vertauschen, wenn es dem Objekt der Begierde gelang, deutlich zu machen, daß es nicht das einzige gewesen war ... Ein noch eklatanteres Versagen erlebte der Staat bei den illegitimen Geburten. Die "Scortationen" nahmen zu, trotz aller Versuche, die außereheliche Sexualität zu unterdrücken. Vergleichsweise am wenigstens schockierend waren noch die vorehelichen Geburten, für die das zu den vorehelichen Konzeptionen Gesagte gilt. Aber die vorehelichen Geburten verloren gegenüber denen, die zu keiner Heirat führten, an Bedeutung. Der Wille auch ganz vermögensloser Frauen, eine Familie zu gründen (was für die meisten im Moment der Konzeption sicher hieß: incl. eines Ehemannes), wog schwerer als der Disziplinierungswille der Obrigkeit.

5

324

Vgl.a. R. van Dülmen, Kultur I, S.186. Es scheint mir nicht zulässig, die Verfolgung von Sittlichkeitsdelikten ohne Berücksichtigung ihrer tatsächlichen Häufigkeit in der jeweiligen Bevölkerung zur Grundlage eines Vergleichs zwischen zwei Gesellschaften zu machen (wie R. von Friedeburg, Sozialdisziplinierung, S.407-417). Gerade die Häufigkeit vor- und außerehelicher Schwangerschaften läßt sich unabhängig von der Strafverfolgung über die historische Demographie kontrollieren. Unterschiede, die aufgrund von Gerichtsakten ermittelt werden, können bei der großen regionalen Variabilität der Illegitimität sowohl Unterschiede der tatsächlichen Häufigkeit wie solche der Verfolgungspraxis bedeuten.

6. Sozialstruktur Obwohl auch in den vorangehenden Kapiteln die soziale Schichtung der Dörfer im Vorgriff erwähnt werden mußte, so soll jetzt deren einigermaßen systematische Abhandlung folgen. 1 Zuerst wird auf die soziale Stratifikation (6.1.), dann auf Entwicklung und Zusammensetzung der Vermögen eingegangen (6.2.). Der dritte Abschnitt widmet sich der sozialen Mobilität (6.3.), während im vierten der im Sachmittelbesitz greifbare Lebensstil ausgeleuchtet werden soll (6.4.).

6.1. Hierarchie der Vermögen 6.1.1. Methodisches zur Sozialstruktur Die Verwendung von Inventuren und Teilungen zur Untersuchung sozialer Schichtung bringt mehrere Probleme mit sich: Zuerst einmal können die Inventuren nicht undifferenziert herangezogen werden. Die Beschränkung auf gleichartige muß gewährleistet sein, d.h. Inventuren von Verheirateten dürfen nicht mit Inventuren von Verwitweten vermischt werden. Nur die am Ende einer Ehe erstellten Inventuren listen das besessene Vermögen einigermaßen vollständig auf, während Witwen und Witwer in der Regel noch zu Lebzeiten einen Teil ihres Vermögens an ihre Erben übergaben - möglicherweise gegen ein Leibgeding, so daß das bei ihrem Tod noch vorhandene Vermögen ihren sozialen Status nicht widerspiegelt. Das zweite Problem besteht in der zeitlichen Streuung der Inventuren: eine Inventur von 1780 ist, was die geschätzte Vermögenssumme angeht, kaum mit einer von 1760 zu vergleichen, da Preissteigerungen die in Gulden ausgedrückten Vermögen aufblähen. 2 Der gefundene Ausweg besteht darin, die Gulden werte der Inventuren durch den Durchschnitt der Preise für ein Viertel Ackerland zu teilen. Das Ergebnis liefert die Vermögenswerte in "Ackereinheiten", wobei eine Ackereinheit flächenmäßig einem Viertel eines Morgens entspricht, wertmäßig dessen durchschnittlichem Preis. Die Vermögenswerte in Ackereinheiten sind also nicht identisch mit dem Landbesitz. Voraussetzung sind jährliche Preise für ein Viertel Ackerland, was nur in Bondorf der Fall ist, für Gebersheim und Gruorn mußte deshalb auf die fünfjährigen Durchschnitte zurückgegriffen werden. Um Zufallsvariationen einigermaßen zu eliminieren, wurden auch für Bondorf die dreijährig gleitenden Durchschnitte verwandt. 3

1

2

3

zum Schichtbegriff und seinen Problemen vgl. H.U.Wehler, Voriiberlegungen, S.16; E.Maschke, Mittelschichten, S.2f, 8f; M.Mitterauer, Probleme, passim, v.a. S. 14-23; M.M.Tumin, Schichtung, S.29f, 36f, 162f; H.U.Wehler, Gesellschaftsgeschichte I, S. 124-139, bes. S.131f, 137; M.Mitterauer, Lebensformen, S.316-320; T.Kohl, Familie, S. 16-18 ohne Inflationsausgleich arbeiten: S.Sander, Handwerkschirurgen, S.89, 113; P.Borscheid, Geschichte, S.210-213, 216, 225-227, 235; J.Mantel, Wildberg, S.156; a. H.Rebel, Peasant classes, S.64f, 68-73 verwendet offenbar keinen Inflationsausgleich. vgl. S.Schraut, Industrialisierungsprozeß, S.63f

325

Die Ackereinheit ist zwar um inflationäre Erscheinen bereinigt, vernachlässigt aber gleichzeitig Verbesserungen der Erträge, so daß über die Ackereinheiten zwar die Vermögen verglichen werden können, der Rückschluß von diesen auf die Einkommen aber nicht gewährleistet ist. Da die Inventuren eher eine Langzeitanalyse ermöglichen (Vermögen aller in einem bestimmten Zeitraum Verstorbener), wurden für "Momentaufnahmen" Steuerlisten herangezogen (Steuerleistung aller zu einem bestimmten Zeitpunkt Lebender). Während bei den Inventuren Effekte, die auf dem Lebenszyklus beruhen, in abgeschwächter Form auftreten, enthalten die Steuerquellen Haushalte in völlig unterschiedlichen Entwicklungsphasen, vor allem - selbst wenn die Haushalte von Witwen und Ledigen gesondert betrachtet werden - eben auch die Haushalte von Witwern, die auf eine eigene Ökonomie längst verzichteten. 6.1.2. Schichtungsmodelle Ähnlich problematisch ist die Klassifikation der Vermögen. Bildet man gleich umfangreiche Einheiten (0-20, 20-40, 40-60, ... 180-200, ... 1080-1100), die von Null an aufsteigen, so braucht man zur Klassifikation der kleineren Vermögen zahlreiche Kategorien, produziert aber, will man auch die großen Vermögen unterbringen, Leerkategorien am oberen Ende der Verteilung. Macht man die Einheiten so groß, daß die großen Vermögen bequem klassifiziert werden können, ballen sich die kleineren alle in einer Kategorie, womit der angestrebte Zweck ebenfalls verfehlt ist. 4 Im folgenden wird ein Schichtungsmodell angewandt, das vom Durchschnitt aller Vermögen ausgeht und acht Kategorien, die sich als ausreichend erwiesen, umfaßt. Die Kategorien werden jeweils mit Kleinbuchstaben bezeichnet, sofern das Vermögen kleiner ist als der Durchschnitt, mit Großbuchstaben im umgekehrten Fall. Kategorie d umfaßt Vermögen, die kleiner als ein Achtel des durchschnittlichen Vermögens sind, c diejenigen zwischen einem Achtel und einem Viertel, b die zwischen einem Viertel und der Hälfte und a diejenigen, die zwischen der Hälfte und dem Durchschnitt liegen. In Kategorie A fallen Vermögen zwischen dem Durchschnitt und dem Doppelten des Durchschnitts, in B solche zwischen dem Doppelten des Durchschnitts und dem Vierfachen, in C diejenigen, die größer als das Vierfache des durchschnittlichen Vermögens sind, aber kleiner als das Achtfache, und in D die Vermögen die größer als der achtfache Durchschnitt sind. 5 Der Vorteil dieser Klassifikation liegt darin, daß die Kategorien nicht allzu klein oder allzu umfangreich werden, daß alle Vermögen in einem vergleichsweise einfachen Schema untergebracht werden können und daß der relative Charakter von "reich" oder "arm" schon im Klassifikationsschema zum Ausdruck kommt. Der Nachteil besteht darin, daß der Durchschnitt schwankt, seine Entwicklung also getrennt zu betrachten ist, und daß die Kategorien unterschiedlich umfangreich sind: sie werden um so kleiner je kleiner, um so größer je größer die Vermögen werden.6

4 5 6

326

J.Kriz, Statistik, S.42-45 J.Dupäquier, Röles, S.98f vgl. V.Trugenberger, Schloß, S.38f; H.Rebel, Peasant classes, S.64

Zusätzlich zu diesem Klassifikationsmodell werden jeweils noch Lorenzkurven berechnet: "Die Lorenzkurve soll . . . die Gleichmäßigkeit oder Ungleichmäßigkeit von Verteilungen veranschaulichen. Grundgesamtheit

... zu

Diese

Art

der Darstellung

verschiedenen

Zeitpunkten

ermöglicht ...

und

Vergleiche

Vergleiche

derselben

verschiedener

Grundgesamtheiten zur gleichen Zeit . . . Die zu beurteilenden Größen (hier: Haushaltseinkommen) werden ihrer Größe nach geordnet, dann in Gruppen zusammengefaßt. Im vorliegenden Beispiel bedient man sich der Einteilung in Quintile (hier ist die der Größe nach geordnete Menge in fünf gleiche Teile gegliedert; daneben gibt es Quartile, Zentile u.a.). Die absoluten Zahlen werden in relative, in Prozentwerte umgerechnet: die 2 0 % der Haushalte mit dem geringsten Einkommen, die nächsten 2 0 % usf." 7 Ich habe mich für Zentilen,

d.h.

Einheiten

von jeweils

10%

der Inventuren

bzw.

Steuerzahler,

entschlossen. Lorenzkurven ermöglichen Aussagen wie: Die 10% reichsten Haushalte besaßen 4 0 % aller Vermögen, die 10% ärmsten 2 % . Konzentrationseffekte lassen sich direkt aus den Graphiken (auch ohne Koeffizienten) ablesen. 8

6.1.3. Sozialstruktur

Tab. 6 . 1 . 3 . a . Soziale Schichtung Bondorf aufgrund von Inventuren und Teilungen Schicht Periode 1618-1654 1690-1724 1760-1794 1725-1759 1795-1829 % N % N N % N % N % 0,0 0,0 D 0 0 0 0,0 0 0,0 2 0,9 0 7 C 0 0,0 0,0 2 4,8 6 2,7 1,2 B 1 3 20 12,4 10 6,8 5,9 18 8,0 11,1 7 34 A 41,2 9 33,3 34 21,0 23,1 40 17,9 29,4 a 5 5 18,5 35 21,6 33 22,5 43 19,2 2 11,8 b 5 18,5 35 21,6 36 24,5 44 19,6 c 1 2 10,2 5,9 7,4 16 9,9 15 29 12,9 1 d 5,9 3 12,4 12 20 42 18,8 8,2 11,1 ges.

17

100,1

27

99,9

162

100,1

147

100,1

224

100,0

In der fehlenden Periode 1655-1689 sind in Bondorf lediglich drei Inventuren erhalten. Die sozialen Unterschiede nehmen im Laufe des 18. Jahrhunderts offenbar zu: die Zahl und der Anteil der in die Kategorien C und D eingeordneten Haushalte steigt (vor allem vor und nach 1760), ebenso wie die der Kategorien c und d (deutlich nach 1795). Die

7

N.Ohler, Methoden, S . 7 7 ; T . Y a m a n e , Statistik, S . 3 5 ; vgl. V.Tnigenberger, Schloß, S . 2 9 f

8

Schichtungsmodelle, die ausschließlich Berufsangaben zugrundelegen, sind für die Untersuchung einer ländlichen Gesellschaft, ungeeignet (s. oben Kap. 4). Auch für vorindustrielle Städte scheint mir eine Untersuchung der Vermögensverhältnisse ohne vorgängiges, auf Berufsbezeichnungen beruhendes Schichtsystem ertragreicher als das gegenteilige Verfahren. Wen wundert es, daß eine Stadt von der "Mittelschicht" bestimmt erscheint, wenn die häufigsten Berufsgruppen bereits vor der Analyse der "Mittelschicht" zugeschrieben wurden? Vgl. für ein solches Verfahren S.Schraut, Industrialisierungsprozeß, S . 3 7 - 3 9 , 3 4 8 - 3 5 1

327

jeweils am häufigsten vertretene Kategorie sinkt im Laufe der Zeit ab: war es 1618-1654 und 1690-1724 noch A, waren schon 1725-1759 die Gruppen a und b etwas stärker vertreten als A. 1760-1794 und 1795-1829 fielen die relativ meisten Familien in b. Der Verlierer ist vor allem die Kategorie A: von 40% bzw. einem Drittel aller Familien (1618-1654, 1690-1724) reduziert sie sich auf etwas mehr als 20% (1725-1794) und fällt schließlich gar auf 18% (1795-1829). Faßt man die acht Kategorien in ein Dreischichtenmodell zusammen, wobei die Oberschicht aus den Kategorien B, C und D, die Mittelschicht aus den Kategorien a und A und die Unterschicht aus b, c und d besteht, zeigen sich bei bemerkenswerter Konstanz der dörflichen Oberschicht die deutlichen Verluste der Mittelschicht zugunsten der Unterschicht. Schon 1725-1759 ist letztere die relativ stärkste Gruppe, umgreift aber erst 1795-1829 die absolute Mehrheit der inventierten Dorfbewohner. Innerhalb von Mittelund Unterschicht kommt es dabei noch jeweils zu Verlagerungen zugunsten der weniger vermögenden Gruppen, während innerhalb der Oberschicht eher die reicheren zunehmen.

Tab. 6.1.3.b. Soziale Schichtung Gebersheim aufgrund von Inventuren und Teilungen Schicht Periode 1655-1724 1760-1794 1725-1759 1795-1829 N % N % N % N % D 0 0,0 0 0,0 2 2,9 0 0,0 1 2 5,3 3,9 1 1,5 C 3,3 3 6,7 2 2,9 B 2 0 0,0 6 7,8 10 10 14,5 A 10 33,3 26,3 13 16,9 21,1 5 16,7 8 22 28,6 15 21,7 a 23,7 16,7 9 16 20,8 15 21,7 b 5 4 2 6,7 10,5 6 7,8 14 20,3 c 16,7 13,2 11 5 5 14,3 10 14,5 d ges.

30

100,1

38

100,1

77

100,1

69

100,0

Vor 1655 fehlten in den Gebersheimer Inventuren die erforderlichen Wertangaben. Die Entwicklung verläuft ähnlich wie in Bondorf: die Kategorie A verliert stark (von 33 auf 15%), während zeitweise a (1760-1794), dann aber vor allem c (1795-1829) zunimmt. Die am wenigsten bemittelte Kategorie d ist immer ziemlich stark vertreten. Wie in Bondorf wird in Gebersheim 1795-1829 die Kategorie D zum ersten Mal belegt, während der Anteil der relativ Wohlhabenden in dieser Periode eher abnimmt. Zusammengefaßt nach Ober-, Mittel- und Unterschicht laufen auch auf dieser Ebene bei einer stärkeren Unterschicht die Gebersheimer und Bondorfer Entwicklungen parallel. Die Mittelschicht nimmt zugunsten der Unterschicht ab, was sich vor allem 1795-1829 auswirkt. 1760-1794 unterbricht diesen Prozeß (wie in Bondorf). 1795-1829 stellt die Unterschicht in beiden Dörfern die absolute Mehrheit der Bevölkerung. Schwächer vertreten als in Bondorf sind in Gebersheim die Reichen.

328

Tab. 6 . 1 . 3 . c . Soziale Schichtung Gruorn aufgrund von Inventuren und Teilungen Schicht Periode 1760-1794 1795-1808 1709-1724 1725-1759 N % N N % % % N 0 0,0 0 0,0 0 0,0 D 0 0,0 1 2,1 2 3 2,8 0 0,0 5,4 C 10,6 5,4 14 5 2 13,1 3 18,8 B 18,7 5 13,5 20 9 19,1 A 3 18,8 24,3 22 20,6 10 21,3 2 12,5 9 a 7 14,9 24 22,4 3 18,8 5 13,5 b 19,2 14 9 1 8 21,6 13,1 c 6,3 6 12,8 4 6 16,2 10 9,4 d 25,0 16

ges.

100,2

37

99,9

107

47

100,1

100,0

Die Gruorner Verhältnisse unterscheiden sich von denen in Gebersheim und Bondorf, eine stärkere Konzentration in den Kategorien A und a, wie sie in den beiden anderen Dörfern zu erkennen ist, fehlt hier schon zu Anfang des 18. Jahrhunderts. Die Kategorie D bleibt immer unbesetzt, die beiden darunter folgenden allerdings sind stark belegt. Hoch ist auch die Anzahl Gruorner Haushalte, die auf die drei niedrigsten Klassen entfallen. Das Dreischichtenmodell bestätigt diese Eindrücke. Mit einem Unterschichtsanteil von über 5 0 % zu Beginn des 18. Jahrhunderts unterscheidet sich Gruorn deutlich von den beiden anderen Dörfern. Nach 1760 sinkt dieser Anteil - gegenläufig zur Entwicklung in Bondorf und Gebersheim.

Die Oberschicht bleibt

weitgehend konstant, die Mittelschicht nimmt im Laufe des Jahrhunderts etwas zu. Der Grund für diese Differenzen liegt sicher in der Existenz geschlossen vererbter Höfe in Gruorn, was eine landreiche Oberschicht mit einer landarmen Unterschicht konfrontiert, während in den beiden anderen Dörfern die Parzellierung zu einem "Mittelschichtsbauch" geführt hat, der im Laufe des 18. Jahrhunderts (bei steigender Bevölkerungszahl und stärkerer Parzellierung) abschmilzt. Die in Gruorn gegen Ende des 18. Jahrhunderts aufkommende Teilung der Höfe führt dann bezeichnenderweise auch hier zu einem Ausgleich mit Abnahme der Unterschicht und Zunahme der Mittelschicht. 9 Die jeweiligen dörflichen Oberschichten aber halten sich überall - unabhängig von den erbrechtlichen Differenzen und der demographischen Konjunktur, die sich offenbar auf Mittel- und Unterschichten stärker auswirken. Hinter dieser Stabilität der Sozialstruktur verbergen sich allerdings dramatische Wandlungen des durchschnittlichen Vermögens, wie Tabelle 6 . 1 . 3 . d . zeigt:

9

vgl.

W.Troeltsch,

Zeughandelscompagnie,

S . 2 6 6 f zu den Auswirkungen

der

Unteilbarkeit

der

Lehengüter im Schwarzwald

329

Tab. 6.1.3.d. Durchschnittliches Vermögen in Ackereinheiten des jeweiligen Dorfes Periode Bondorf Gebersheim Gruorn 1620-1654 279,4 1655-1689 1690-1724 219,3 143,8* 259,8 1725-1759 163,7 133,0 165,8 1760-1794 135,5 76,8 87,8 1795-1829 117,8 65,3 95,3 * = 1655-1724

Vom 17. bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts reduziert sich das jeweils besessene Vermögen in Ackereinheiten in allen Dörfern auf weniger als die Hälfte. Am wenigsten abrupt verläuft der Prozeß in Bondorf, wo zwischen 1725 und 1829 "nur" eine Verminderung um 30% eintritt, während sie in Gebersheim und Gruorn um die 50% beträgt, wobei vor allem von 1725-1759 zu 1760-1794 rasante Verluste auftreten. 6.1.4. Lorenzkurven Die Abbildungen der Lorenzkurven (Abb. 9.16.A. - M.) bekräftigen das oben Angedeutete. In Bondorf nimmt von Periode zu Periode die Konzentration der Vermögen zu (wobei allerdings die Daten des 17. Jahrhunderts in ihrer Aussagekraft nicht überschätzt werden sollten!), lediglich von 1725-1759 zu 1760-1794 ändert sich die Vermögensverteilung kaum. Dieselbe Aussage gilt für Gebersheim: auch hier steigt die Konzentration der Vermögen von 1655 bis 1829 laufend an, mit einer Unterbrechung 1725-1794. Anders liegen die Verhältnisse in Gruorn, wo die Vermögenskonzentration nach 1760 abnimmt, während sie vor und nach diesem Einschnitt kaum Veränderungen zeigt. Konkret heißt das, daß in Bondorf um 1700 (wie auch schon vor dem Dreißigjährigen Krieg) die 20% reichsten Familien ca. 40% aller Vermögen besaßen, daß sie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bereits 55% auf sich vereinigten und Anfang des 19. Jahrhunderts 63% kontrollierten. Im kleineren Gebersheim war die Konzentration schon um 1700 stärker: die 20% Reichsten besaßen 50% des gesamten Vermögens, 1725-1794 befanden sich 60% in ihrem Besitz und zu Beginn des folgenden Jahrhunderts 70%. Gruorn, in dem das reichste Fünftel der Einwohner vor 1760 zwei Drittel aller Vermögen besaß (und damit die höchste Konzentration aufwies), hatte nach 1760 die geringste Zusammenballung aller drei Dörfer: 55% (1760-1794) bzw. 59% (1795-1808) befanden sich im Besitz der Reichsten. Die reichsten zehn Prozent allein kontrollierten in Gebersheim 1795-1829 56% aller Vermögen, in Bondorf 45%, während es in beiden Dörfern um 1700 noch weniger als ein Drittel gewesen war. 10

10

330

vgl. zu Ölten R.Braun, Ancien Régime, S.209 (10% der Einwohnerschaft besaßen 74% der Vermögen); vgl. V.Trugenberger, Schloß, S.289-299; E.Hinrichs, Einführung, S.48 (Lyon im 16. Jahrhundert); J. de Vries, Peasant demand, S.232; P.Bohl, Stockach, S. 177-200; T.Robisheaux, Society, S.84-86

Eine Minderheit der Dorfbewohner profitierte offenbar kräftig von der ökonomischen Konjunktur des 18. Jahrhunderts und konnte auch nach deren Ende in den Krisenjahren vom Anfang des 19. Jahrhunderts seine Position ausbauen, während der generelle Trend eher auf eine Verarmung hinauslief - gerade auch der Familien, die sich im 18. Jahrhundert noch recht gut gehalten hatten. 11 6.1.5. Sozialstruktur: Klassifikation nach absoluten Kriterien Zusätzlich zu der Klassifikation relativ zum Vermögensdurchschnitt wurden die Vermögen auch nach konstant bleibenden Kriterien eingeordnet. Die Vermögen in Ackereinheiten wurden dabei parallel zum Landbesitz (in ha) eingeteilt. 64,5 Ackereinheiten (identisch mit einem Viertel eines Morgens) entsprechen z.B. 5 Hektar.

Tab. 6.1.5.a. Soziale Schichtung Bondorf (absolute Klassifikation) Schicht Periode 1618-1654 1690-1724 1760-1794 1725-1759 % N N % N N % % 4 11,1 17 I 23,5 3 10,5 9 6,1 29,4 10,2 II 5 5 18,5 13 8,0 15 1 11 III 5,9 6 22,2 15 9,3 7,5 4 24 17 IV 23,5 14,8 11,6 3 11,1 1 4 V 5,9 14,8 38 23,5 33 22,5 VI 1 5,9 4 20,4 14,8 33 43 29,3 1 11,7 VII 5,9 1 19 16 10,9 3,7 VIII 0 0,0 1 3,7 3 2,0 3 1,9 ges.

17

100,0

27

99,9

162

100,1

147

100,1

1795-1829 N % 14 6,3 11 4,9 11 4,9 26 11,6 42 18,8 56 25,0 61 27,3 1,3 3 224

100,1

Schicht I entspricht Vermögen über 387,1 Ackereinheiten (30 ha), II Vermögen zwischen 258,1 und 387,1 AE (20 - 30 ha), III solchen zwischen 193,6 und 258,1 AE (15 - 20 ha), IV solchen zwischen 129,0 und 193,6 AE (10 - 15 ha), V solchen zwischen 64,5 und 129,0 AE (5 - 10 ha), VI solchen zwischen 25,8 und 64,5 AE (2 - 5 ha), VII denen zwischen 0 und 25,8 AE ( 0 - 2 ha) und VIII umfaßt die Vermögenslosen. Der Rückgang der Vermögen wird hier deutlich: Lagen 1690-1724 die relativ meisten Vermögen noch in Kategorie III, umfaßte schon 1725-1759 Schicht V die meisten Fälle, 1760-1794 Schicht VI und 1795-1829 Schicht VII. Die Tendenzen entsprechen denen der relativen Schichtung (Abnahme der mittleren Vermögen, starke Zunahme der kleinen und kleinsten), wobei hier aber auch der Anteil der größten Vermögen zurückgeht. Die starre Klassifikation verführt allerdings zur Annahme einer ebenso starren Bedeutung einer bestimmten Vermögensgröße, was sicherlich nicht der Fall war.

11

vgl. G.Cabourdin, Paysans, S.8

331

Tab. 6.1.5.b. Soziale Schichtung Gebersheim (absolute Klassifikation) Schicht Periode 1655-1724 1725-1759 1760-1794 N % % N N % I 2 6,7 2 2 5,3 2,6 II 1 1 1 3,3 2,6 1,3 III 5 16,7 4 10,5 3 3,9 IV 16,7 7 18,4 5 6 7,8 V 16,7 6 5 15,8 15 19,5 VI 7 23,3 11 28,9 26 33,8 VII 2 6,7 6 15,8 23 29,9 VIII 1 1 3 10,0 2,6 1,3 ges.

30

100,1

38

99,9

77

100,1

1795-1829 N % 3 4,3 0 0,0 1 1,5 1 1,5 11 15,9 18 26,1 34 49,3 1 1,5 69

100,1

Auch hier schlägt sich der rapide Vermögensrückgang im 18. Jahrhundert nieder. Deutlich wird außerdem die starke Polarisierung 1795-1829: mehr als die Hälfte der Gebersheimer Haushalte besaß den Gegenwert von weniger als 2 ha, während von drei Haushalten jeder den Gegenwert von mehr als 30 ha in seinem Besitz hatte.

Tab. 6.1.5.c. Soziale Schichtung Gruorn (absolute Klassifikation) Schicht Periode 1760-1794 1709-1724 1725-1759 N % N % N % 4 4 2 I 25,0 10,8 1,9 4 II 2 12,5 0 0,0 3,7 4 8 7,5 III 0 0,0 10,8 4 IV 2 12,5 10,8 8 7,5 26 24,3 V 18,8 9 24,3 3 2 26 VI 12,5 8 21,6 24,3 VII 2 12,5 8 21,6 31 29,0 1 0,0 2 VIII 6,3 0 1,9 ges.

16

100,1

37

99,9

107

100,1

1795-1808 N % 1 2,1 4 8,5 0 0,0 7 14,9 8 17,0 12 25,5 15 31,9 0 0,0 47

99,9

6.1.6. Soziale Schichtung nach Steuerquellen Eine lange Reihe von Steuerlisten aus Gebersheim ermöglicht die Kontrolle der aufgrund der Inventuren und Teilungen gewonnenen Ergebnisse durch eine zweite Quellengattung. Auch zeitlich kann dadurch der Rahmen der Untersuchung erweitert werden: durch die Einbeziehung der Türkensteuerlisten ist es möglich, bis 1545 zurückzugehen. 12

12

332

zu den Türkensteuerlisten vgl. U.Mocker, Quellen, S.129-131

K.O.Bull,

Vermögen,

passim;

G.Franz,

Geschichte,

S.223f;

Tab. 6 . 1 . 6 . a . Soziale Schichtung Gebersheim aufgrund der Türkensteuerliste von 1545 und der Steuereinzugsbücher von 1627, 1632, 1634, 1650 und 1657 (nur Bürger, ohne Witwen und Ledige) Jahr Schicht 1545 1627 1632 1634 1650 1657 N N % N % N % N % N % % D 0 0,0 0 0,0 0 0,0 0 0,0 0 0,0 0 0,0 1 4 3 3 0 0,0 0,0 C 3,3 5,4 0 7,1 7,1 10,7 4 4 B 10,0 6 10,7 6 9,5 3 25,0 25,0 3 26,7 15 26,8 12 21,4 10 23,8 1 0 0,0 A 8 8,3 21,4 4 13 23,2 9 33,3 6 37,5 a 3 10,0 10 17,9 14 12 21,4 7 16,7 2 16,7 1 b 6 20,0 25,0 6,3 5,4 10,0 3 9 16,1 8 1 8,3 3 18,8 c 3 19,1 4 1 2,4 1 2 6 20,0 1 8,3 12,5 d 1,8 7,1 S

30

100,0

56

100,0

56

100,0

42

100,0

12

99,9

16

100,1

Auffällig ist die große Konstanz vor 1634: etwa 15% der Bürger gehörten zu den Wohlhabenden, 4 5 % zu den mittelmäßig Begüterten und 4 0 % zu den Armen. Nach dem Dreißigjährigen Krieg (bei sehr kleinen Bürgerzahlen) zahlte ein Viertel doppelt so viele Steuern wie der Durchschnitt, 4 0 % gruppierten sich um den Mittelwert und 3 5 % lagen unterhalb der halben durchschnittlichen Steuerleistung. Gegenüber den Verhältnissen vor dem Krieg bedeutet dies eine deutliche Verschiebung zugunsten der wohlhabenderen Bürger. Gemessen am drastischen Bevölkerungsschwund fallen die Änderungen Sozialstruktur aber eher gering a u s .

der

13

Werden alle Steuerzahler einbezogen (also auch die Witwen und die Ledigen), ergibt sich folgendes Resultat:

Tab. 6 . 1 . 6 . b . Soziale Schichtung Gebersheim aufgrund der Türkensteuerliste von 1545 und der Steuereinzugsbücher von 1627, 1632, 1634, 1650 und 1657 (alle Steuerzahler) Schicht Jahr 1545 1627 1632 1634 1650 1657 N % N % N % N % N % N % D 0 0,0 0 0,0 0 0,0 0 0,0 0 0,0 0 0,0 1 4 C 5,3 4,4 2,9 3 3 5,3 0 0,0 0 0,0 B 3 8,8 7 6 8,7 4 9,2 7,0 3 21,4 4 23,5 A 23,5 14 8 16 20,3 13 22,8 1 0 21,1 0,0 7,1 4 12 a 11,8 14 15,8 20,3 11 35,7 19,3 5 6 35,3 b 7 20,6 17 22,4 14 20,3 13 22,8 2 14,3 2 11,8 c 4 11,8 7 9,2 11 15,9 9 15,8 1 3 17,6 7,1 d 7 20,6 17,1 13 7 10,1 4 7,0 2 14,3 2 11,8 S

13

34

100,0

76

100,1

69

100,0

57

100,0

14

99,9

17

100,0

T . R o b i s h e a u x , Society, S . 2 4 3 - 2 4 7 zu Hohenlohe

333

Etwas weniger als 15% der Gebersheimer Steuerzahler bezahlten mehr als das Doppelte des durchschnittlichen Wertes, 40% gruppierten sich um den Durchschnitt und ca. 45% entrichteten weniger als die Hälfte des durchschnittlichen Satzes. Vor 1634 verändern sich die Proportionen kaum. 1545 allerdings fielen mehr als 50% in die letztgenannte Kategorie und nur 35% in die beiden mittleren. Bei den kleinen Zahlen mag das aber auch auf Zufallsvariationen beruhen. Dasselbe gilt für die Verhältnisse nach dem Dreißigjährigen Krieg: trotz des dramatischen Rückgangs in der Zahl der Steuerzahler scheinen die Variationen eher gering, wenn nun auch mehr als 20% über das Doppelte des durchschnittlichen Steuerbetrages bezahlten, während je ca. 40% in die Gruppe der durchschnittlichen Steuerzahler bzw. die der weniger als die Hälfte Bezahlenden gehörten.

Tab. 6.1.6.c. Soziale Schichtung Gebersheim aufgrund der Steuereinzugsbücher von 1770, 1780, 1790, 1800, 1806, 1811, 1820 und 1830 (absolute Zahlen) Schicht Jahr 1770 1780 1790 1800 1806 1811 1820 1830 N N N N N N N N 1 0 1 1 1 1 D 0 0 2 5 2 3 3 C 3 3 3 7 4 2 4 4 7 B 6 8 A 8 12 12 11 10 8 15 13 27 15 18 20 19 28 23 19 a b 13 16 19 20 15 20 20 20 11 9 c 6 3 3 5 8 9 12 11 11 12 7 17 17 d 11 S

63

68

70

75

81

79

90

98

Tab. 6.1.6.d. Soziale Schichtung Gebersheim aufgrund der Steuereinzugsbücher von 1770, 1780, 1790, 1800, 1806, 1811, 1820 und 1830 (Prozentzahlen) Jahr Schicht 1820 1830 1780 1790 1800 1806 1811 1770 1,0 D 0,0 0,0 1,4 0,0 1,2 1,3 1,1 4,4 6,7 3,7 2,5 3,3 4,8 2,9 C 3,1 6,7 8,2 5,3 11,1 2,9 4,9 8,9 B 5,9 14,7 16,7 12,7 17,1 12,3 10,1 13,3 A 17,6 21,1 28,6 25,3 34,6 29,1 27,6 23,8 26,5 a 22,2 20,4 27,1 26,7 18,5 25,3 20,6 23,5 b 6,7 9,2 4,4 9,9 13,9 10,0 9,5 4,3 c 15,7 14,7 8,9 18,9 17,3 17,6 14,8 d 17,5 S

334

100,0

99,9

100,0

100,0

99,9

100,0

100,0

100,1

Bemerkenswert ist auch wieder die Stabilität der Sozialstruktur, ein eindeutiger Trend läßt sich kaum erkennen. Die größten Steuerzahler machten stets zwischen 10 und 12% aus, die mittleren um die 40% und die kleineren fast die Hälfte. Im Vergleich zu den beiden Steuerbüchern der 1650er Jahre ist der Anteil der großen Steuerzahler auf die Hälfte geschrumpft, während die mittleren ihren Anteil gehalten haben und die kleineren den ihren ausdehnten. Gering sind dagegen die Differenzen zu den Steuerbüchern von vor dem Dreißigjährigen Krieg. Läßt man die Witwen und Ledigen weg, reduziert sich der Anteil kleiner Steuerzahler zugunsten der mittleren. Die Entwicklung des durchschnittlichen Ordinari-Steuersatzes (auf dem - außer 1830 - die obigen Verteilungen beruhen) verläuft dabei wie folgt: Tab. 6.1.6.e. Durchschnittliche Ordinari-Steuer Gebersheim 1770-1820 in Kreuzer (x) Jahr alle Steuerzahler Bürger 1770 80,29 91,04 1780 76,54 88,07 1790 74,20 77,93 1800 65,80 83,55 1806 58,55 69,79 1811 61,09 71,60 1820 54,63 67,22

1830 beruht die Verteilung auf dem Steuervermögensanschlag. Die im 17. Jahrhundert umgelegten Steuern und die Türkensteuern sind damit leider nicht vergleichbar. Der rapide Verfall des durchschnittlichen Steuervermögens, aus dem die Ordinari-Steuer abgeleitet wurde, innerhalb von 50 Jahren wird deutlich: es reduziert sich um 31 %. Trotz dieses schnellen Verfalls bleibt die Verteilung stabil, wobei die Ordinari-Steuer die tatsächliche Vermögensentwicklung allerdings nicht unverzerrt widerspieglt. Die Gebersheimer waren in ihren Steuervermögen gleicher als in ihren tatsächlichen Vermögensverhältnissen. Konzentrationseffekte werden deutlich, wenn die Lorenzkurven (Abb. 9.17.A. - N.) herangezogen werden: 1545 wie 1627 und 1632 bezahlten die 10% größten Steuerzahler 40% der Steuern. 1634 entrichteten sie nur unwesentlich weniger (39%), 1650 aber nur noch 32% und 1657 34%. Der Bevölkerungsschwund führt in geringem Ausmaß zu einer gleichmäßigeren Verteilung der Vermögen. Eine tiefgreifende Änderung der Sozialstruktur hatte er nicht zur Folge. 1770 entfielen auf die 10% größten Steuerzahler 42% der Steuern (also dieselben Verhältnisse wie vor 1634), 1780 waren es 46%, 1790 48%, 1800 47%, 1806 51%, 1811 und 1820 je 48%. 1830 (auf der Grundlage der Gesamtsumme der gezahlten Steuern, nicht der Ordinari-Steuer wie vorher) trugen diese 10% 46% der Gesamtsteuersumme bei. Gebersheim erlebte gegen Ende des 18. und im frühen 19. Jahrhundert eine enorme Vermögenskonzentration in den Händen einiger weniger Wohlhabender, unterhalb derer noch weitere 20% der Bevölkerung einen Steueranteil hatten, der ihren Anteil an der Bevölkerung übertraf, während die übrigen 70% sich mit einem Viertel der Vermögen zu bescheiden hatten. In Bondorf wurden zur Kontrolle der aus den Inventuren gewonnenen Ergebnisse die Steuereinzugsbücher von 1780, 1782, 1802 und 1806 herangezogen: 335

Tab. 6 . 1 . 6 . f . Soziale Schichtung Bondorf aufgrund der Steuereinzugsbücher 1780, 1782, 1802 und 1806 (alle Steuerzahler) Schicht Jahr 1780 1782 1802 1806 N % N % N % N % 0 D 0 0,0 0 0,0 0,0 0 0,0 11 14 C 13 4,5 4,8 15 5,2 5,1 10,2 B 20 8,0 23 9,5 28 9,3 30 51 16,9 14,7 A 45 17,9 39 16,1 43 57 22,7 22,9 a 61 25,1 69 69 23,6 34 15,7 38 14,0 61 20,3 46 b 15,1 27 27 9,2 c 29 11,6 25 8,3 11,1 49 19,6 48 19,8 53 17,6 63 21,5 d 251

ges.

100,1

243

100,1

301

100,1

293

100,0

Die durchschnittliche Ordinari-Steuer beträgt 1780 88,8 x, 1782 92 x, 1802 7 2 , 6 x und 1806 74,9 x, also in 25 Jahren ein Minus von 16%, während in Gebersheim der Verlust im gleichen Zeitraum 24% betrug. Auch in Bondorf erweist sich die Sozialstruktur als bemerkenswert stabil, trotz schrumpfender Steuervermögen. Immerhin nehmen hier die großen Steuerzahler von 1780 bis 1806 leicht zu, während die mittleren ebenso leicht abnehmen. Der Anteil deijenigen, die weniger als die Hälfte des durchschnittlichen Satzes bezahlten, verändert sich dagegen gar nicht. Zieht man zur Ermittlung der Gleichmäßigkeit oder Ungleichmäßigkeit der Vermögensverteilung wieder die Lorenzkurven (Abb. 9.18.A. - C.) heran, so zeigt sich, daß 1780 die 10% größten Bondorfer Steuerzahler 43% der Ordinari-Steuern auf sich vereinigten, während sie 1806 42% besaßen, d.h. es läßt sich keine Veränderung feststellen. Dabei ist aber zu beachten, daß einige der größten Vermögen in den Bondorfer Steuereinzugsbüchern fehlen, da die Höfe nicht der Besteuerung durch das Dorf unterlagen. Greift man schließlich zurück auf die Türkensteuerlisten, zeigt sich folgendes: Tab. 6.1.6.g. Soziale Schichtung nach den Türkensteuerlisten von 1545 Schicht Dorf Tailfingen Nebringen Gruorn Bondorf N % N % N % N % D 0 0,0 0 0,0 0 0,0 0 0,0 1 0 0,0 0 0,0 3 6,1 C 1,6 11 17,7 B 13 18,6 3 15,8 6 12,2 7 5 10,2 12,9 11,3 6 31,6 A 9 17,7 2 12 17,1 11 10,5 10 20,4 a 14 4 5 10,2 9 12,9 22,6 b 21,1 1 7 10,0 8 12,9 5,3 20 40,8 c 3 0 0,0 20 28,6 10 16,1 15,8 d ges.

336

70

100,1

62

99,9

19

100,1

49

99,9

Die durchschnittliche Steuerleistung betrug in Bondorf 61,6 x, in Tailfingen 41,9 x, in Nebringen 88,5 x und in Gruorn 26,6 x. In Gebersheim lag sie bei 37,9 x. Der Gegensatz zwischen den wohlhabenden Dörfern Bondorf und Nebringen, den wesentlich ärmeren Tailfingen und Gebersheim und dem ganz armen Albdorf Gruorn ist deutlich. Die Verteilung ist überall ziemlich polarisiert: nur ca. 30% der Steuerzahler entfallen auf die dem Durchschnitt am nächsten liegenden Kategorien (Bondorf, Tailfingen, Gruorn), während die das Doppelte des Durchschnitts und mehr Bezahlenden in den drei genannten Dörfern 18% ausmachen und die weniger als die Hälfte Entrichtenden überall über 50% kommen (Nebringen mit seinen geringen Zahlen einmal vernachlässigt). Die reichsten 10% der Steuerzahler übernahmen in Bondorf 34%, in Tailfingen 35% und in Gruorn 43% der Steuern, in Nebringen nur 25%, in Gebersheim wie oben erwähnt 40%. Um so ärmer ein Dorf war, um so stärker fällt die Vermögenskonzentration aus (vgl. Abb. 9.18.C., 9.19.A. - C . ) . 1 4 6.1.7. Vermögensdifferenzierung nach Berufen Nachdem bislang nur nach Vermögenskriterien differenziert wurde, soll nun ein zweites Charakteristikum eingeführt werden: der Beruf. Schon oben bei der Untersuchung des Landbesitzes war es nötig, die Differenzen zwischen einzelnen Berufsgruppen und Berufen anzusprechen. Dies soll an dieser Stelle vertieft werden. 1 5 Tab. 6.1.7.a. Durchschnittliches Vermögen nach Berufsgruppen und Berufen in Bondorf 1690-1829 in Bondorfer Ackereinheiten (* = weniger als 5 Fälle, ! = nur 1 Fall) Beruf Periode 1690-1724 1760-1794 1725-1759 1795-1829 ohne Angabe 216,8 118,6 102,0 90,9 Bauer *401,9 239,8 207,2 190,9 38,4 sonst. Landwirt. 28,5 25,1 Handwerker *95,0 104,5 85,3 43,9 Bäcker 221,5 131,5 80,5 Metzger !26,8 68,2 54,6 *56,1 Sattler *92,2 *109,8 *20,8 Wagner !40,0 *178,2 *175,3 37,1 Schmied 124,2 93,7 *24,0 Schneider 73,1 65,0 43,1 Weber 33,1 36,2 28,0 ! 110,4 Schuster 68,2 32,4 Schreiner *46,6 *60,8 Maurer !61,9 *45,3 *21,4 *29,4 Zimmermann !57,1 25,2 nied. Gemeindeämt. *12,6 24,0 Sonstige 363,6 *408,0 228,4 Wirt *620,0 *574,1 170,4

14 15

vgl. K.Blaschke, Bevölkerungsgeschichte, S.149 zu sächsischen Dörfern; H.Grees, Unterschichten, S. 162-175 zum Ulmer Land zu Differenzierung innerhalb von Berufsgruppen s. M.Burkhardt, K.Walter, Konstanz, S. 151-154; Kombination von Beruf und Vermögen bei H.Rebel, Peasant classes, S.77-91

337

Die Personen ohne Berufsangabe dürften im wesentlichen ebenfalls der Landwirtschaft zuzuschlagen sein. Wenig überraschend ist die Tatsache, daß die Bauern immer sehr viel reicher waren als die Handwerker. 16 Das Verhältnis verschiebt sich dabei im Laufe des 18. Jahrhunderts noch zuungunsten der letzteren: betrug das bäuerliche Vermögen 1725-1759 das 2,2fache desjenigen der Handwerker, war es 1760-1794 2,4mal so groß, 1795-1829 aber übertraf es das letztere um das 4,4fache. Entwickelten sich bäuerliche und handwerkliche Vermögen bis 1794 noch in etwa parallel (setzt man die Vermögen von 1725-1759 gleich 100, so erreichten 1760-1794 bäuerliche Vermögen den Index 86, handwerkliche 82), klafft 1795-1829 die Entwicklung weit auseinander: Die Bauern besaßen auch jetzt noch 80% der Vermögen von 1725-1759, während die Handwerker nur noch auf 42% kamen. Taglöhner und Hirten büßten im gleichen Zeitraum 35% ihrer Vermögen ein, schnitten also (bei allerdings sehr viel schlechterer Ausgangslage) günstiger ab als die Handwerker. Innerhalb der Handwerkerschaft standen sich von den stärker repräsentierten Gewerben die Bäcker am günstigsten, bis 1794 gefolgt von den eng mit der Landwirtschaft verflochtenen Wagnern, Sattlern und Schmieden, deren Vertreter im frühen 19. Jahrhundert aber von dem Wohlstand ihrer Vorgänger nichts mehr gerettet hatten. Weber, Maurer und Zimmerleute standen am anderen Ende der Wohlstandsskala, sie näherten sich den Taglöhnern. 17 Schneider, Metzger und Schuster lagen zwischen den beiden Extremen, wobei die Schuster sich 1795-1829 den ärmsten Handwerkern anglichen, Schneider und vor allem Metzger sich besser behaupteten. Der rapide Vermögensrückgang, der sich etwa bei den Bäckern (1795-1829 noch 36% des Standes von 1725-1759) oder den Wagnern festmachen (1795-1829 21% von 17251759) läßt, bedeutet eine Proletarisierung der Handwerke, nicht aber der Handwerkerfamilien, denn die reichen Bäckerfamilien der ersten Jahrhunderthälfte verarmten nicht: sie wanderten ab. 18 Sohn und Schwiegersohn des Bäckers Jacob Miller (199,6 A E ) waren noch Bäcker. Die Söhne des Sohns Hans Martin (563,3 A E ) aber gaben das Bäckergewerbe auf: Johann Martin erheiratete den "Pflug", Johann Jacob und Johannes waren Bauern; die Töchter des Schwiegersohns Johann Georg Weinmar (390,4 A E ) ehelichten reiche Bauern.19 Ähnliches läßt sich auf etwas niedrigerem sozialen Niveau für die Nachkommen des Bäckers Johann David Kürner (183,5 A E ) zeigen: beide Söhne (Johann David und Johann Georg) erlernten das väterliche Handwerk. Während Johann David aber wirtschaftlich erfolgreich war (191,3 A E ) und sein gleichnamiger Sohn Bauer wurde, verfiel das Vermögen Johann Georgs (43,0 AE), sein Sohn wurde wieder Bäcker. 20 Eine andere Variante war der Übergang ins Gastgewerbe. Der älteste Sohn des 16

falsch bei D.W.Sabean, Schwert, S.20f. "Die" Handwerker zählten auch Anfang des 18. Jahrhunderts nicht zu den wohlhabendsten Dorfbewohnern.

17

vgl. W.Troeltsch, Zeughandelscompagnie, S.22 (Weber als ärmster Teil der Bevölkerung)

18

Gegen D.W.Sabean, Schwert, S.20f ist festzuhalten, daß nicht die Positionen im Dorfmagistrat, die die Handwerker anfangs des 18. Jahrhunderts innehatten, an die landbesitzenden Bauern übergingen, sondern die Inhaber der Positionen die Beschäftigung wechselten.

19

G A B O N I 313 (Jacob Miller, 1737); I 530 (Hans Martin Müller, 1752); I 694 (Johann Georg Weinmar, 1765)

20

G A B O N 1 191 (Hans David Kürner, 1729); I 666 (Hans David Kürner, 1763); I 808 (Hans Jerg Kürner, 1773)

338

Bäckers und Biersieders Johann Jacob Schäffer betrieb das "Lamm". 2 1 Schließlich konnte auch die Armut die Aufgabe des Gewerbes erzwingen: die drei Söhne des Bäckers Johannes Werner (26,1 AE) waren Weber, Knecht und Taglöhner. 22 Dasselbe läßt sich für die Wagner zeigen: so gab der einzige Sohn des reichen Wagners Hans Jacob Bühler (324,6 AE) das Handwerk auf. 2 3 Die Attraktivität der Landwirtschaft führte in den Fällen, in denen die entsprechende Ausstattung mit Land vorhanden war, zu intergenerationellen Berufswechseln, während die Nachfahren ärmerer Familien auch noch gegen Ende des 18. Jahrhunderts eher dem Beruf ihres Vaters die Stange hielten und Mitglieder armer und ärmster Familien die frei werdenden Stellen besetzten. Der rasch sinkende Vermögensdurchschnitt dieser Gewerbe bedeutet also nicht, daß die Handwerkerfamilien verarmten, ja er beinhaltet nicht einmal eine Aussage über die ökonomische Situation des Handwerks, er wird vielmehr von der Rekrutierung der Handwerker bestimmt: die Vermögen sind außergewerblich. Sinkende Neigung in reichen Familien dieses oder jenes Handwerk zu erlernen, führt zur Senkung des Vermögensdurchschnitts. Die sinkende Neigung wird dabei sicher von der wirtschaftlichen Lage des entsprechenden Handwerks im Vergleich zur Landwirtschaft beeinflußt: je höher die landwirtschaftlichen Erträge, um so geringer wird der Anteil des handwerklichen Einkommens in den Haushalten, die Landwirtschaft und Gewerbe kombinierten. Bei entsprechender Ausdehnung der Landwirtschaft wird das Handwerk uninteressant. Tab. 6.1.7.b. Durchschnittliches Vermögen nach Berufsgruppen und Berufen in Gebersheim 1655-1829 in Gebersheimer Ackereinheiten (* = weniger als 5 Fälle, ! = nur 1 Fall) Beruf Periode 1655-1724 1725-1759 1760-1794 1795-1829 137,4 ohne Angabe 165,3 72,5 341,5 Bauer 119,7 183,6 84,4 sonst. Landwirt. !85,0 45,8 19,3 19,2 Handwerker 109,5 *95,0 51,1 31,4 Bäcker *116,7 !216,5 *63,8 *5,3 Metzger Sattler . . . . Wagner ! 15,1 !39,1 ! 17,4 Schmied *45,4 Schneider 40,9 *15,9 Weber *178,6 !95,6 75,3 38,2 Schuster *34,0 *14,1 *14,4 Schreiner Maurer 14,6 Zimmermann ! 104,7 59,5 nied. Gemeindeämt. *43,1 !9,3 Sonstige »385,0 *85,3 *233,3 *137,8 »446,3 !80,1 Wirt !710,5 ! 172,1

21 22 23

GA BON I 1005 (Hans Jerg Schäffer, 1785) GA BON I 1344 (Johannes Werner, 1801) GA BON I 890 (Maria Bühler, 1778)

339

In Gebersheim reduziert sich von 1725 bis 1829 das durchschnittliche bäuerliche Vermögen auf weniger als die Hälfte, dasjenige der Handwerker auf ein Drittel, wobei allerdings etliche der Honoratioren bei den Fällen "ohne Angabe" gezählt wurden, so daß die tatsächlichen bäuerlichen Verluste geringer ausfallen dürften. Auch hier war also die Entwicklung für die Handwerker besonders ungünstig. Während die Bondorfer Weber zu den ärmsten Handwerker zählten, bildeten die Gebersheimer eher eine Gruppe, die zu den reicheren gehörte. Ihre Vermögen waren immer überdurchschnittlich, vollzogen die Entwicklung der allgemeinen Handwerkervermögen aber nach. Wegen der kleinen Gebersheimer Zahlen kann für die anderen Handwerke keine Aussage gewagt werden.

Tab. 6.I.7.C. Durchschnittliches Vermögen 1709-1808 in Gruorner Ackereinheiten (* = Beruf 1709-1724 ohne Angabe 525,6 Bauer sonst. Landwirt. »107,2 Handwerker 97,3 Bäcker Metzger Sattler Wagner