Buchhandelssystem und Wissensraum in der Frühen Neuzeit 9783110616521, 9783110613506

In 1450, Gutenberg made a pioneering breakthrough in communication by inventing printing with movable type. Using a newl

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German Pages 519 [520] Year 2019

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Table of contents :
Inhalt
1. Einleitung
2. Der theoretische Kontext: Wissensraum als operationales Modell
3. Der historische Kontext: Buchhandel in der Frühen Neuzeit
4. Die Aktanten im Wissensraum Buchhandel
5. Dimensionen des Wissensraums in der Frühen Neuzeit
6. Die Bedeutung des Wissensraums Buchhandel in der Frühen Neuzeit
7. Literaturverzeichnis
Danksagung
Register
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Buchhandelssystem und Wissensraum in der Frühen Neuzeit
 9783110616521, 9783110613506

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Julia Bangert Buchhandelssystem und Wissensraum in der Frühen Neuzeit

Schriftmedien / Written Media

 Kommunikations- und buchwissenschaftliche Perspektiven / Perspectives in Communication and Book Studies Herausgegeben von Heinz Bonfadelli, Ursula Rautenberg und Ute Schneider

Band 7

Julia Bangert

Buchhandelssystem und Wissensraum in der Frühen Neuzeit 

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein. Die Reihe In der Reihe werden Monographien und Sammelbände in deutscher und englischer Sprache publiziert, die sich aus buch-, kommunikations- und medienwissenschaftlicher Perspektive mit Schriftmedien und dem Lesen beschäftigen. Das Reihenprofil umfasst das spezifische Problemlösungspotential eines interdisziplinären Zugangs zur schriftbasierten Kommunikation in Geschichte und Gegenwart. Themenfelder sind die Herstellung und Verbreitung von Medien schriftbasierter Kommunikation in den Organisationen Verlag, Buchhandel und Bibliotheken, die soziale Funktionalität der Schriftmedienkommunikation und die gesellschaftliche und individuelle Bedeutung des Lesens sowie nicht zuletzt die Herstellung, Typographie und Gestaltung von Lesemedien. Editorial Board Prof. Dr. Frédéric Barbier (Paris); Jun.-Prof. Dr. Daniel Bellingradt (Erlangen); Prof. Dr. Natalie Binczek (Bochum); Prof. Dr. Heiko Droste (Stockholm); Prof. Dr. Thomas Gergen (Luxemburg); Dr. Jonathan Green (USA); Prof. Dr. Svenja Hagenhoff (Erlangen); Dr. Axel Kuhn (Erlangen); Jun.-Prof. Dr. Patrick Merziger (Leipzig); Prof. Dr. István Monok (Szeged/Budapest); Prof. Dr. Martin Mulsow (Erfurt); Prof. Dr. Rudolf Stöber (Bamberg); Prof. Dr. Konrad Umlauf (Berlin). Die vorliegende Arbeit wurde vom Fachbereich 05 – Philosophie und Philologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Jahr 2017 als Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) angenommen.

ISBN 978-3-11-061350-6 e-ISBN (PDF) 978-3-11-061652-1 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-061371-1 Library of Congress Control Number: 2018964977

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Umschlagabbildung: Herzog August d. J. zu Braunschweig-Lüneburg im Büchersaal der Bibliotheca Augusta. Kupferstich von Conrad Buno, um 1650 Satz: bsix information exchange GmbH, Braunschweig Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Inhalt 1 1.1 1.2 1.3

Einleitung  1 Problemstellung  1 Forschungsstand  3 Quellen und Methodik  9

2 2.1 2.1.1

Der theoretische Kontext: Wissensraum als operationales Modell  13 Problemstellung: Wissen und Raum  14 Wissen  15 Begriffsbestimmung  17 Propositionales Wissen  19 Der Wert des Wissens  22 Wissenssoziologie  25 Zusammenfassung  30 Raum  33 Raumtheorie  34 Der soziale Raum  37 Zusammenfassung  46 Das Modell Wissensraum  49 Bisherige Definitionsansätze  50 Definition »Wissensraum«  54

2.1.2

2.2

3 3.1 3.1.1

Der historische Kontext: Buchhandel in der Frühen Neuzeit  62 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels  64 Die Anfänge im 15. und beginnenden 16. Jahrhundert  69 Gutenberg und der Vertrieb der ersten Druckwerke  69 Schöffers Buchhandel und seine Buchhändlereinbände  72 Kundenkreis  79 1480 – ein Wendedatum  81 Die erste Wirtschaftswerbung: Bücheranzeigen  84 Der Großunternehmer Anton Koberger  91 Peter Drach und sein Vertriebsnetz  94 Behinderungen durch Kriege  99 Der Faktoreibetrieb  102 Der Messehandel  107 Der Transport  114 Das Geleitwesen  120 Wichtige Handelszentren  123 Hans Herlin: Ein Zwischenhändler in Freiburg  126

VI  Inhalt

3.1.2

3.1.3

Brief- und Geschäftsverkehr  127 Auflagenhöhen, Verkaufspreise und Händlerrabatte  128 Zahlungspraktiken  136 Der Kleinbetrieb im Buchhandel des 15. Jahrhunderts  140 Zusammenfassung  142 Etablierung eigener Buchhandelsstrukturen im 16. Jahrhundert  146 »Ohne Buchdruck keine Reformation. Ohne Reformation ›kein Buchdruck‹.«  147 Augsburg  154 Berufsorganisation  158 Der Buchhändler Johannes Rynmann  161 Die Buchhändlerdynastie Birckmann und der Handel mit England  165 Die neue Bedeutung der Messen  172 Frankfurt am Main  173 Leipzig  180 Georg Willer und der Messkatalog  183 Buchhändlerkataloge  189 Zensur  192 Die Bücherkommission in Leipzig und Frankfurt am Main  202 Privilegien  206 Stephan Roth und der Handel durch Privatpersonen  210 Zusammenfassung  212 Der Weg zur Entstehung des modernen Buchhandels im 17. und 18. Jahrhundert  216 Der Dreißigjährige Krieg  218 Tauschhandel  221 Das Kontobuch der Lüneburger Offizin der Sterne  222 Vom Auchbuchhändler zum Berufsbuchhändler: Die Familie Förster und Johann Hoffmann  228 Werbestrategien des Buchhandels  230 Wilhelm Friessem und seine neue Marketingstrategie  235 Anzeigen  238 Subskription und Pränumeration  241 Der Markthandel und die Endter  243 Messen: Verschiebung nach Norden  246 Büchertaxe  252 Kommissionshandel  254 Die großen Leipziger Verlegersortimenter  255 Antiquariat und Auktionshandel  256 Elzevier und die Niederlande  263

Inhalt  VII

3.2

4 4.1

4.2 4.2.1

4.2.2

4.2.3

Leibniz und der Buchhandel – Das Bedürfnis nach Reformen  265 Zusammenfassung  268 Der Buchhandel der Frühen Neuzeit als Wissensraum  269 15. Jahrhundert  270 16. Jahrhundert  273 17. Jahrhundert  275 Einflüsse von außen  277 Die Aktanten im Wissensraum Buchhandel  280 Die Rolle der Buchhändler im Spiegel überlieferter Quellen  281 Selbstbewusstsein/Lob der Zeitgenossen  284 Zeitgenössische Kritik  291 Sozialer Status  296 Bildung  298 Ausbildung  300 Zusammenfassung: Piazza Universale und Abbildung der GemeinNützlichen Haupt-Stände  303 Die Rolle der Buchagenten  306 Die Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (HAB) und das Agentennetzwerk Herzog Augusts II.  307 »Die Entstehung der Bibliothek aus dem Netzwerk«  315 Philipp Hainhofer  317 Johann Martin Hirt  319 Konkurrenz in der Augsburger Agentur  323 Johann Georg Anckel  325 Ausbau des französischen Bestandes  328 Weitere Agenten und Gelehrtenkontakte  330 Der Agent Georg Forstenheuser aus Nürnberg (1584–1659)  332 Forstenheuser als Faktor und Agent  335 Kontaktnetzwerk  340 Kriegsgefahren  343 Der Buchkauf über Forstenheuser: Bestellungen  348 Einzelangebote  353 Katalogzusendungen  357 Höhepunkt der Bucherwerbung über Forstenheuser: 1655/56  364 Geschenke  371 Austausch  375 Das Verhältnis zu Herzog August  380 Exkurs: Das Postmeisteramt  384 Der Agent Donat Fend aus Nürnberg (1603–1676)  386 Der Buchkauf über Fend: Bestellungen  390 Angebote  394

VIII  Inhalt

4.3

5 5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3

5.1.4

5.1.5 5.1.6 5.2

6

Austausch  397 Kontakt mit dem Autor  398 Das Verhältnis zu Herzog August  401 Fend als Agent für Rudolph August  402 Transportbedingungen  403 Post/Botenwesen  406 Übergreifende Netzwerke  410 Buchagenten: Im Auftrag des Rezipienten  410 Buchhändlerische Praktiken der Agenten  411 Netzwerktätigkeit  412 Zusammenfassung  414 Dimensionen des Wissensraums in der Frühen Neuzeit  416 Die Res publica literaria  418 Diskurs und Wissen  421 Die Aktanten  425 Die Praktiken  428 Wissensaneignung  428 Gastfreundschaft  429 Rituale und Hierarchisierung  432 Die Orte  434 Universität  435 Bibliothek  438 Gelehrtenhaushalt  440 Buchmesse  441 Topographische Verhältnisse  442 Die Grenzen  443 Der Wissensraum Res publica literaria  448 Die Bedeutung des Buchdrucks und -handels für den Wissensraum Res publica literaria  449 Wissenschaft in der Frühen Neuzeit  453 Wissen und Wissensvermittlung  455 Konfessionalisierung und wissenschaftliche Revolution  460 Soziale und räumliche Ausweitung  463 Ökonomie versus wissenschaftlicher Anspruch  466 Zusammenfassung  468 Die Bedeutung des Wissensraums Buchhandel in der Frühen Neuzeit  472 Ergebnisse  473 Ausblick  476

Inhalt  IX

7

Literaturverzeichnis  479 Verwendete Abkürzungen  479 Ungedruckte Quellen  479 Gedruckte Quellen  479 Verwendete Literatur  482 Internetlinks  504

Danksagung  505 Register  506

1 Einleitung Die Zerstreuung eines Buchs durch die Welt ist fast ein ebenso schwieriges und wichtiges Werk, als die Verfertigung desselben.1

Mit der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern gelang Johannes Gutenberg zu Beginn der Frühen Neuzeit ein bahnbrechender Durchbruch. Doch mit der nun möglichen massenhaften Produktion von Texten war es noch lange nicht getan. Die Bücher mussten auch den Weg zu ihren Lesern finden. Zu diesem Zweck entstand innerhalb weniger Jahre ein Buchhandelssystem, durch das sich Wissen auf bisher ungeahnte Weise mit Hilfe von Büchern über ganz Europa verbreiten konnte. Verlag, Herstellung und Vertrieb griffen in dieser Zeit anders als nach unserer modernen Vorstellung eines dreiteiligen Systems mit getrennten Bereichen eng ineinander. Eine Trennung des Buchdrucks und Verlagswesens vom Handel ist hier kaum möglich. Betrachtet man die aktuelle Forschungslage, wird dabei jedoch deutlich, dass sie bislang den buchhändlerischen Vertrieb in der Frühen Neuzeit gegenüber dem Druck- und Verlagswesen deutlich vernachlässigt hat. Bei aller Überschneidung und Vermischung scheint es daher lohnend, den Blick einmal ganz auf den frühneuzeitlichen Handel mit Büchern zu verengen.

1.1 Problemstellung Das Ziel der vorliegenden Untersuchung liegt in einer strukturierten Aufarbeitung mehrerer Forschungsdesiderate. Zunächst wird die in anderen Forschungsdisziplinen – vor allem der Geschichte, Soziologie, Kulturwissenschaft und Geographie – seit einiger Zeit viel diskutierte Raumfrage für die Buchwissenschaft fruchtbar gemacht. Es geht in der theoretischen Definition und am konkreten Beispiel um die Klärung des Begriffs und funktionalen Modells »Wissensraum« und seine sinnvolle Anwendung auf die Frühzeit des Buchhandels. Hierfür wird im Anschluss an die theoretische Fundierung zunächst ein ausführlicher Überblick über den bisherigen Kenntnisstand der Forschung zum Buchhandel der Frühen Neuzeit gegeben, um diesen dann anschließend in das erarbeitete Modell einordnen zu können. Das Ergebnis soll zum Verständnis der gelehrten Wissenskultur in der Frühzeit des Buchhandels beitragen und darüber hinaus Grundlagenarbeit für die Erforschung des Buchvertriebs leisten.

1 Friedrich Schiller am 1. September 1794 an den Tübinger Buchhändler und Verleger Johann Friedrich Cotta (1764–1832). In: Friedrich Schiller Archiv, Weimar. Briefe an Friedrich Cotta. URL: http:// www.friedrich-schiller-archiv.de/briefe-schillers/an-friedrich-cotta/schiller-an-friedrich-cotta-1-september-1794/[Stand: 22.01.2018]. https://doi.org/10.1515/9783110616521-001

2  1 Einleitung

Oliver Duntze lieferte in der zweibändigen Publikation Buchwissenschaft in Deutschland bereits einen aktuellen Forschungsbericht zum Verlagsbuchhandel und zum verbreitenden Buchhandel bis 1700.2 Hierin stellt er ebenfalls heraus, dass der vertreibende Buchhandel in der Frühen Neuzeit in der buchwissenschaftlichen Forschung zugunsten des herstellenden Buchhandels vernachlässigt worden ist. Dieser Eindruck entsteht vor allem aufgrund der schweren Trennbarkeit dieser beiden Bereiche. Es stellt sich die Frage, wie viel wir eigentlich über den vertreibenden Buchhandel wissen, denn neben Druckern und Verlegern sind vor allem die Buchführer als »Promotoren eigennütziger kommerzieller Interessen und Multiplikatoren geistiger Ideen und Impulse«3 zu verstehen. Dadurch, dass der frühneuzeitliche Leser auf sie als Informationsquelle angewiesen war, übernahmen sie außerdem eine zweite Selektionsstufe in der allgemeinen Verbreitung von Wissen. Nach der ersten Auswahl durch die Verleger und Drucker, die entschieden, was in den Druck gelangte, waren es die Buchhändler, die in ihrer Schnittstellenposition durch die direkte Kommunikation mit dem Endverbraucher das Angebot weiter verengten und zwar in einem viel größeren Maß, als es heute geschieht. Obwohl sie damit auch inhaltlich eine bedeutende Rolle im Buchmarkt spielten, ist die Charakterisierung des buchhändlerischen Berufsstandes ein weiteres Forschungsdesiderat, dem hier in ersten Schritten abgeholfen werden soll. Die Epoche der Frühen Neuzeit umfasst etwa drei Jahrhunderte, deren Grenzen je nach Forschungsperspektive unterschiedlich gesetzt werden. Für die vorliegende Arbeit gilt die Begrenzung von der Mitte des 15. Jahrhunderts, als der Buchdruck mit beweglichen Lettern erfunden wurde, bis hin zum Beginn des 18. Jahrhunderts. In dieser Zeit sind die ersten Anfänge des Buchhandels, seine Konsolidierung und schließlich in Deutschland4 seine Modifizierung hin zu unserem heutigen Buchhandelssystem verortet. Letzteres steht jedoch nicht im Mittelpunkt. Stattdessen liegt der Schwerpunkt auf der historischen Entwicklung vom 15. bis zum 17. Jahrhundert, also der Zeit, in der sich bereits ein eigenständiges Vertriebsnetz etablierte und in der noch die europäisch verbindende Gelehrtensprache Latein als Wissenschaftssprache vorherrschend war. Um der Internationalität des neu entstandenen Buch-

2 Vgl. Oliver Duntze: Verlagsbuchhandel und verbreitender Buchhandel von der Erfindung des Buchdrucks bis 1700. In: Buchwissenschaft in Deutschland. Ein Handbuch. Band 1: Theorie und Forschung. Hrsg. von Ursula Rautenberg. Berlin [u. a.]: De Gruyter Saur 2010, S. 203–256. 3 Erdmann Weyrauch: Überlegungen zur Bedeutung des Buches im Jahrhundert der Reformation. In: Flugschriften als Massenmedium der Reformationszeit. Beiträge zum Tübinger Symposium 1980. Hrsg. von Hans-Joachim Köhler. Stuttgart: Klett-Cotta 1981 (Spätmittelalter und Frühe Neuzeit; Bd. 13), S. 243–259, S. 248. 4 In der Frühen Neuzeit war die offizielle Bezeichnung für das Herrschaftsgebiet der römisch-deutschen Kaiser das Heilige Römische Reich, seit dem späten 15. Jahrhundert mit dem Zusatz Deutscher Nation. Seine Grenzen veränderten sich auch innerhalb des Untersuchungszeitraums und sind nicht an allen Stellen klar fassbar; es umfasste im Wesentlichen große Teile des heutigen Mittel- und Südeuropas. Der Einfachheit halber werde ich in dieser Arbeit den Begriff Deutschland verwenden.

1.2 Forschungsstand 

3

markts gerecht zu werden, soll dabei zwar ganz Europa in den Blick genommen werden. Um allerdings gleichermaßen eine Eingrenzung vorzunehmen und der Gefahr der inhaltlichen Ausuferung vorzubeugen, wird das Hauptaugenmerk auf den deutschsprachigen Gebieten liegen. Das Buch ist in der Frühen Neuzeit das Hauptmedium der wissenschaftlichen Kommunikation in Europa. Als gegenständliche Manifestation von Wissen eignet es sich besonders als Ausgangspunkt zur Betrachtung abstrakter Wissensräume, die durch den Buchhandel entstehen und europäische Dimensionen erreichen konnten; so etwa im Fall der sogenannten Res publica literaria, der »Gelehrtenrepublik«. Sie wurde bereits von den Zeitgenossen als ein eigener abgegrenzter »Raum« wahrgenommen, dem nur ein bestimmter Personenkreis zugehörig war. Dieser Raum wurde in seiner internationalen Ausdehnung erst durch die tatsächliche geographische Vernetzung des Kommunikationsträgers Buch durch die Buchhändler ermöglicht. Aber auch der Buchhandel selbst bildet einen eigenen Wissensraum, dessen Kriterien anhand eines zu entwickelnden Modells und vor dem Hintergrund der historischen Rahmenbedingungen und Entwicklungen erarbeitet werden.

1.2 Forschungsstand »Von allen Hauptzweigen der Buchgeschichtsschreibung ist – zumindest in Deutschland – wohl keiner so marginal entwickelt wie die Erforschung der Geschichte des Buchhandels.«5 Diese Aussage Mark Lehmstedts schränkt Duntze ein, indem er sie auf den vertreibenden Buchhandel unter strikter Trennung vom herstellenden Buchhandel fokussiert.6 Einen ersten Überblick über die historische Entwicklung des Buchmarkts geben die Buchhandelsgeschichten von Hans Widmann und Reinhard Wittmann.7 Beide beziehen allerdings besonders für die Zeit vom 15. bis 17. Jahrhundert vergleichsweise wenig Quellen in ihre Darstellung mit ein. Für detailliertere Einblicke in die Buchhandelsgeschichte im zu behandelnden Zeitraum ist deshalb weiterhin die Geschichte des Deutschen Buchhandels von Friedrich Kapp und Johann Goldfriedrich grundlegend.8 Sowohl das neuere Einführungswerk Witt-

5 Mark Lehmstedt: Die Herausbildung des Kommissionshandels in Deutschland im 18. Jahrhundert. In: L’ Europe et le livre. Réseaux et pratiques du négoce de librairie XVIe–XIXe siècles. Hrsg. von Frédéric Barbier, Sabine Juratic und Dominique Varry. [Paris]: Klincksieck 1996, S. 451–483, S. 451. 6 Vgl. Duntze, Verlagsbuchhandel und verbreitender Buchhandel, S. 204. 7 Vgl. Hans Widmann: Geschichte des Buchhandels vom Altertum bis zur Gegenwart. Neubearb. der Aufl. von 1952. Wiesbaden: Harrassowitz 1975 und Reinhard Wittmann: Geschichte des deutschen Buchhandels. 2. durchges. Aufl. München: C. H. Beck 1999 (Beck’sche Reihe; Bd. 1303). 8 Vgl. Friedrich Kapp: Geschichte des deutschen Buchhandels. Im Auftrag des Börsenvereins der Dt. Buchhändler. Hrsg. von der Historischen Kommission desselben. Bd. I. Geschichte des deutschen Buchhandels bis in das siebzehnte Jahrhundert. Leipzig: Börsenverein der Dt. Buchhänd-

4  1 Einleitung

manns als auch die inzwischen etwas veraltete Gesamtdarstellung Kapps und Goldfriedrichs konzentrieren sich allerdings in ihren Ausführungen auf berühmte Drucker- und Verlegerpersönlichkeiten und versäumen es dabei, ihre häufig ebenfalls ausgeübten Vertriebstätigkeiten vorzustellen und klar davon abzugrenzen. Kleinere Buchhändler ohne eigenes Verlagsprogramm oder eigene Druckerei geraten für das 16. und 17. Jahrhundert oft nur in ihrer Zusammenarbeit mit ersteren in den Blick. One group of booksellers about whom we know very little were the ›colporteurs‹ or travelling retail booksellers, who visited the smaller towns and the less important fairs, and who no doubt besides their stock of books, sold calendar broadsides (with instructions about bloodletting), pictures of saints, etc.9

An der Aussage Albert Ehrmanns von 1965 hat sich bis heute wenig geändert. Einen ersten Versuch, dieser Vernachlässigung des vertreibenden Buchhandels abzuhelfen, unternahm Heinrich Grimm, der 1967 für den Zeitraum von 1490 bis 1550 fast 1.000 Buchführer namentlich ausfindig machen konnte, nach seiner Einschätzung knapp drei Viertel des Berufsstandes.10 Eine umfassende Darstellung der Buchhändler und ihrer Vermittlerrolle fehlt aber weiterhin und ist in Bezug auf die kleineren Buchführer, die nur Jahrmärkte und weniger bedeutende Messen besuchten, sowie die Kolporteure aus Mangel an Quellen kaum zu realisieren. Ausnahmen in Bezug auf die größeren Buchhändler bilden Einzelstudien, wie beispielsweise von HansJörg Künast und Brigitte Schürmann zu den Augsburger Buchhändlern Johannes Rynmann, Wolfgang Präunlein und Georg Willer oder von Claudia Schnurmann über die Buchhändler- und Verlegerdynastie Birckmann.11 Auf die wichtige Rolle der Buchführer im Prozess der Wissensvermittlung in der Frühen Neuzeit weist Ute Schneider in ihrem Beitrag Das Buch als Wissensvermittler in der Frühen Neuzeit hin, merkt aber ebenfalls an, dass diese bislang noch uner-

ler/Historische Kommission 1886 und Johann Goldfriedrich: Geschichte des deutschen Buchhandels. Im Auftrag des Börsenvereins der Dt. Buchhändler. Hrsg. von der Historischen Kommission desselben. Bd. II. Geschichte des deutschen Buchhandels vom Westfälischen Frieden bis zum Beginn der klassischen Litteraturperiode (1648–1740). Leipzig: Börsenverein der Dt. Buchhändler/Historische Kommission 1908. 9 Graham Pollard und Albert Ehrman: The Distribution of Books by Catalogue. From the Invention of Printing to A.D. 1800. Based on Material in the Broxbourne Library. Cambridge: The Roxburghe Club 1965, S. 9. 10 Vgl. Heinrich Grimm: Die Buchführer des deutschen Kulturbereichs und ihre Niederlassungsorte in der Zeitspanne 1490 bis um 1550. In: AGB VII (1967), Sp. 1154–1771, Sp. 1753. 11 Vgl. Hans-Jörg Künast und Brigitte Schürmann: Johannes Rynmann, Wolfgang Präunlein und Georg Willer – Drei Augsburger Buchführer des 15. und 16. Jahrhunderts. In: Augsburger Buchdruck und Verlagswesen von den Anfängen bis zur Gegenwart. Hrsg. von Helmut Gier. Wiesbaden: Harrassowitz 1997, S. 23–40 und Claudia Schnurmann: Kommerz und Klüngel. Der Englandhandel Kölner Kaufleute im 16. Jahrhundert. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1991 (Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London; Bd. 27).

1.2 Forschungsstand 

5

forscht ist.12 Dass zudem durch den Buchdruck ein umfassender Buchmarkt entstehen konnte, der das Wissen und seine Vermittlung beeinflusste, stellt wiederum Michael Giesecke in seiner Fallstudie zum Buchdruck der Frühen Neuzeit heraus.13 Er folgt in seiner Argumentation unter anderem den Erkenntnissen der Historikerin Elizabeth L. Eisenstein, die die Druckerpresse markant als »agent of change«14 charakterisiert. Ebenso betont Peter Burke in seiner Publikation Papier und Marktgeschrei, dass schon im 15. Jahrhundert von der »Geburt einer Wissensgesellschaft«15 gesprochen werden kann, da durch den Buchdruck nicht nur in wesentlich umfangreicherem Maße Wissen zur Verfügung stand, sondern auch Wechselwirkungen unterschiedlichen Wissens von verschiedenen Orten möglich wurden. An diese Untersuchungen will ich mich anschließen und die Veränderung des Wissens und seiner Rezeptionsmöglichkeiten in der Frühen Neuzeit durch den Buchdruck und seine Folgeerscheinungen sowie durch den Buchhandel unter dem Aspekt des Raums betrachten. Die Untersuchung von Buchhändlern steht allerdings vor nicht unwesentlichen Schwierigkeiten, die neben der oft problematischen Quellenlage mitverantwortlich waren für ihre bisherige Vernachlässigung. Gerade im Untersuchungszeitraum der Frühzeit des Buchdrucks wurden die Funktionen des Druckers, Verlegers und Buchführers oft in Personalunion ausgeführt. Eine erste Ausdifferenzierung der Berufe erfolgte zwar bereits im 16. Jahrhundert und es lassen sich hier schon reine Verleger bzw. Drucker finden, aber es hält sich noch bis ins 18. Jahrhundert der buchgewerbliche »Mischbetrieb«. Der Buchführer als Beruf bildete sich sogar bereits Ende des 15. Jahrhunderts heraus, dennoch vertrieben weiterhin auch viele Druckerverleger Bücher anderer Offizinen neben ihren eigenen. Aus diesem Grund wird im Folgenden der Begriff des Buchhändlers gegenüber dem zeitgenössischen Buchführer bevorzugt, um die Personen mit einzuschließen, die nicht ausschließlich mit Büchern handelten. Denn in der Frühen Neuzeit sind es vor allem die »Global Player«, die den Markt bestimmten, und diese sind es auch, die in der Regel mehrgleisig tätig waren.

12 Vgl. Ute Schneider: Das Buch als Wissensvermittler in der Frühen Neuzeit. In: Kommunikation und Medien in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Johannes Burkhardt und Christine Werkstetter. München: R. Oldenbourg 2005 (Historische Zeitschrift, Beihefte; Bd. 41), S. 63–78. 13 Vgl. Michael Giesecke: Der Buchdruck in der frühen Neuzeit. Eine historische Fallstudie über die Durchsetzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien. 4. durchges. und um ein Vorw. erw. Aufl. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2006. 14 Elizabeth L. Eisenstein: The printing press as an agent of change. Communications and cultural transformations in early-modern Europe. Volumes I and II. Cambridge [u. a.]: Cambridge University Press 1979. 15 Peter Burke: Papier und Marktgeschrei. Die Geburt der Wissensgesellschaft. Berlin: Klaus Wagenbach 2002.

6  1 Einleitung

Eine Personengruppe, die als Teilnehmer auf dem Buchmarkt der Frühen Neuzeit bislang in der buchhandelsgeschichtlichen Forschung kaum wahrgenommenen wurde, sind die Agenten, die im speziellen Fall Herzog Augusts von BraunschweigLüneburg spezifisch als Buchagenten bezeichnet werden. Eine Ausnahme stellt hier der Beitrag Book Agents von Marika Keblusek in Your Humble Servant. Agents in Early Modern Europe dar, der einen guten, wenn auch entsprechend oberflächlichen Einstieg in das Thema bietet.16 Agenten waren selbstverständlich in vielen Gebieten tätig und nicht in erster Linie als Buch(ver)käufer. Sie besorgten den Herrschern und Fürsten, für die sie arbeiteten, Informationen und Kunstgegenstände aller Art oder sie waren – wie zum Beispiel im Fall Athanasius Kirchers – selbst Autoren, die folgerichtig Sorge trugen, besonders ihre eigenen Bücher zu vermitteln. Solche Interessenüberschneidungen müssen in den Quellenstudien mitberücksichtigt werden. Die Berufsmischungen der Agenten lassen jedoch vermuten, dass sie sich auch inhaltlich am Wissensdiskurs der Zeit beteiligten und ihn beeinflussten, da sie nicht selten selbst zu den Gelehrten zählten. Ob sie insgesamt Teil oder nur Beförderer des buchhändlerischen Wissensraums waren, soll anhand von Quellen untersucht werden. Neben der Berufsüberlagerung spielt die Seltenheit gedruckter Quellen für die lückenhafte Geschichte des verbreitenden Buchhandels eine große Rolle. Durch Bibliographien ist die Druckproduktion der Frühen Neuzeit gut rekonstruiert und mit dem Gesamtkatalog der Wiegendrucke (GW), dem Incunabula Short Title Catalogue (ISTC), dem Universal Short Title Catalogue (USTC), dem Repertorium bibliographicum von Ludwig Hain, dem Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 16. Jahrhunderts (VD16), dem Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 17. Jahrhunderts (VD17) sowie der Hand Press Book Database (HPB) verfügen wir über wichtige Hilfsmittel zur Bearbeitung der Quellen für die Verlagsgeschichte. Für den Vertrieb von Büchern sind wir dagegen überwiegend auf handschriftliche Quellen angewiesen, wie beispielsweise Geschäftsaufzeichnungen, Korrespondenzen oder Gerichtsakten, die in mühsamer Archivarbeit gesammelt und ausgewertet werden müssen.17 Wissen und Raum sind dagegen seit mehreren Jahren ein Trendthema der Forschung. Man spricht inzwischen von einem »Spatial Turn«18, der den Raumbegriff zu einem Schlüsselwort in den Kultur- und Geisteswissenschaften werden ließ. Be-

16 Vgl. Marika Keblusek: Book Agents. Intermediaries in the Early Modern World of Books. In: Your Humble Servant. Agents in Early Modern Europe. Hrsg. von Hans Cools, Marika Keblusek und Badeloch Noldus. Hilversum: Uitgeverij Verloren 2006, S. 97–108. 17 Vgl. Duntze, Verlagsbuchhandel und verbreitender Buchhandel, S. 204f. 18 »Mit dem Begriff ›spatial turn‹ werden im Wesentlichen zwei Entwicklungen bezeichnet: die theoretische bzw. forschungspraktische Revalorisierung von Raum bzw. Räumlichkeit im Kategoriengefüge von Kultur- und Sozialwissenschaften seit Ende der 1980er Jahre sowie die (Wieder-)Entdeckung der Humangeographie als Impulsgeber für transdisziplinäre Debatten.« Jörg Döring:

1.2 Forschungsstand 

7

reits in den 1990er Jahren entstand am 1994 in Berlin gegründeten Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte der Forschungsschwerpunkt Räume des Wissens (Hans-Jörg Rheinberger 1997).19 Dennoch fehlt noch eine fundierte Definition des operationalen Begriffs »Wissensraum« ganz allgemein als geographischer, ästhetischer und theoretischer Raum. Unter den bisherigen Forschungsstudien gibt es außerdem erstaunlich wenige, die den materiellen Träger des Wissens in der Frühen Neuzeit, das Buch, näher betrachten. Mit dem Versuch, hier eine Lücke zu schließen, steht das Forschungsvorhaben in engem Zusammenhang mit dem Forschungsprojekt des Historisch-Kulturwissenschaftlichen Forschungszentrums Trier (HKFZ), ursprünglich mit dem Titel Räume des Wissens. Orte – Ordnungen – Oszillationen, aktuell nun unter Räume des Wissens – Reisen als epistemisches Konzept, das in interdisziplinärer Ausrichtung von einem deutlich breiter gefassten Begriff verräumlichten Wissens ausgeht.20 Das HKFZ kooperiert bei diesem Projekt mit dem Forschungsschwerpunkt Historische Kulturwissenschaften in Mainz. Die Aktualität des Themas spiegelt sich daneben noch in weiteren Forschungsprojekten wider. An der Universität Heidelberg existiert seit 2006 ein Forschungsschwerpunkt mit dem Titel Knowledge and Space, der sich in einer Symposien- und einer Buchreihe mit der Ausbreitung von Wissenschaften und den Netzwerken von Wissenschaftlern beschäftigt.21 Davor kam es 2002 zur Einrichtung einer Arbeitsgruppe Raum – Körper – Medium, ausgehend vom Bereich Literaturwissenschaft des Münchener Instituts für Romanische Philologie. Wie sowohl in Heidelberg als auch beim HKFZ steht dabei der interdisziplinäre Ansatz im Vordergrund. Interdisziplinarität ist insgesamt ein verbindendes Merkmal der Selbstbeschreibung aktueller Forschungsprojekte zum Thema »Raum«. Dass die Raumthematik in besonderer Beziehung zum Wissen und zu den Medien steht, verdeutlicht nicht zuletzt eine der aktuellsten Publikationen, Raum Wissen Medien, die sich, wie schon der Titel expliziert, um eine »raumtheoretische Reformulierung des Medienbegriffs«22 bemüht. Einen ersten Eingrenzungs- und Definitionsversuch zum Wissensraum haben Mitchell G. Ash und Hubertus Busche geleistet. Ash sieht eine dreifache Aufteilung der Wissensräume in physische oder auch geographische, soziale oder gesellschaft-

Raumkehren. Spatial Turn. In: Raum. Ein interdisziplinäres Handbuch. Hrsg. von Stephan Günzel. Stuttgart [u. a.]: J. B. Metzler 2010, S. 90–99, S. 90. 19 Vgl. Christine Hanke und Sabine Höhler: Themen und Perspektiven. Epistemischer Raum: Labor und Wissensgeographie. In: Raum. Ein interdisziplinäres Handbuch. Hrsg. von Stephan Günzel. Stuttgart [u. a.]: J. B. Metzler 2010, S. 309–321, S. 312. 20 Vgl. HKFZ. Homepage. URL: http://hkfz.uni-trier.de/ [Stand: 22.01.2018]. 21 Vgl. Hanke/Höhler, Themen und Perspektiven, S. 317. 22 Raum Wissen Medien. Zur raumtheoretischen Reformulierung des Medienbegriffs. Hrsg. von Dorit Müller und Sebastian Scholz. Bielefeld: transcript 2012 (Kultur und Medientheorie).

8  1 Einleitung

liche und symbolische oder Repräsentationsräume vor.23 Busche unterscheidet dagegen zwischen vier Typen von Wissensräumen: dem körperlichen, sinnlichen, sozialen und dem »kulturspezifischen« Wissensraum.24 Beide Definitionsansätze sollen unter Hinzuziehung zusätzlicher raumtheoretischer Texte überprüft und gegebenenfalls weiter ausgeführt werden. Eine Sammlung der wichtigsten Grundlagentexte sind in dem Band Raumtheorie. Grundlagentexte aufgeführt.25 Mit unter anderem Descartes, Kant, Heidegger, Lacan, Foucault, Lefebvre, Bourdieu, Arendt und Cassirer sind hier die bedeutendsten Raumtheoretiker der verschiedensten Disziplinen versammelt. Wichtig wird insbesondere die definitorische Eingrenzung sein, da eine sehr breite Verwendung des Begriffs Wissensraum zu beobachten ist. Die Grundproblematik liegt bereits in einer nicht einheitlichen Definition von »Raum« und »Wissen«. Dennoch lassen sich konkrete Charakteristika von Wissensräumen festlegen, so etwa die Ausgangsprämisse, dass Wissensräume erst durch soziale Aktivität generiert werden. In der Forschungsgeschichte zum Thema Raum lassen sich die Theorien zwei Haupttendenzen zuordnen. Einerseits werden Körper in einem absoluten Raum verortet, andererseits wird die Existenz eines Raums jenseits der Beziehungen zwischen den Körpern untereinander verneint. Letzteres gehört zur Theorie des relativen Raums, der rein auf der Erfahrung basiert. Im ersten Sammelband der Arbeitsgruppe Raum – Körper – Medium, Von Pilgerwegen, Schriftspuren und Blickpunkten, versucht diese mit der Unterscheidung in drei Analyseebenen die insgesamt große Fülle an Raumtheorien noch weiter zu ordnen.26 Sie unterscheidet zwischen technischen, semiotischen und kulturpragmatischen Räumen, die auch in konkreten Bezug zu den drei Dimensionen des Zeichengebrauchs von Charles W. Morris gesetzt werden, der Syntaktik, der Semantik und der Pragmatik. Diese drei Ebenen bezeichnen erstens die materiellen Voraussetzungen des vermittelnden Mediums; diese technischen Räume bilden zweitens die Grundlage zur Erzeugung semiotischer Räume, der Bedeutungsdimension. Beide sind drittens wiederum in einen kulturpragmatischen Kontext eingebunden, womit das räumliche Umfeld gemeint ist, das mit den technisch-materiellen Medien und der durch sie vermittelten Bedeutung in Wechselbeziehung steht. In diese Kategorien und Ansätze werden der

23 Vgl. Mitchell G. Ash: Räume des Wissens – was und wo sind sie? Einleitung in das Thema. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 23 (2000), S. 235–242. 24 Hubertus Busche: Wissensräume. Ein systematischer Versuch. In: Räume des Wissens. Grundpositionen in der Geschichte der Philosophie. Hrsg. von Karen Joisten. Bielefeld: transcript 2010, S. 17–30. 25 Vgl. Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften. Hrsg. von Jörg Dünne und Stephan Günzel. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2006. 26 Vgl. Von Pilgerwegen, Schriftspuren und Blickpunkten. Raumpraktiken in medienhistorischer Perspektive. Hrsg. von Jörg Dünne, Hermann Doetsch und Roger Lüdeke. Würzburg: Königshausen & Neumann 2004.

1.3 Quellen und Methodik



9

Wissensraum allgemein und die spezifischen Wissensräume, die durch die Buchvermittlung in der Frühen Neuzeit entstehen, einzuordnen sein. Zur Ergänzung dienen schließlich noch Publikationen zur Wissensforschung. Einen wertvollen Einstieg liefert hierbei das Handbuch Wissenssoziologie und Wissensforschung.27 Der Untersuchung des Wissensraums soll insgesamt ein weit gefasster Wissensbegriff zugrunde gelegt werden, der sowohl theoretisches und soziales Wissen als auch praktisches Alltagswissen einschließt. Dabei dürfen die Probleme bezüglich der klassischen, auf die Antike zurückgehenden Wissensdefinition als wahre und begründete Meinung nicht unerwähnt bleiben. Vor diesem Hintergrund wird herausgearbeitet, wie sich ein Wissensraum in seinen allgemeinen Grundzügen darstellt und wie auch sinnvolle Begriffsbegrenzungen vorgenommen werden können. Der Wissensraum soll keinesfalls als ein territorialer Raum verstanden werden. Vielmehr ist er ein tragfähiges Instrument, um bestimmte Wissensbestände und die an ihrer Reproduktion beteiligten Personengruppen voneinander abzugrenzen. Dabei können sich die einzelnen Wissensräume an vielen Stellen überlappen. Diese Schnittstellen offenbaren Zusammenhänge zwischen sozial unterschiedlichen Gruppen, deren Verbindungen gerade in der Frühen Neuzeit so differenziert untersucht werden können. Darin und in der optischen Darstellbarkeit liegen der Vorteil und der Mehrwert in der Verwendung des Wissensraums als theoretisches Modell.

1.3 Quellen und Methodik Die Einführung eines neuen Theoriemodells ist eine diffizile Angelegenheit. Das Modell muss theoretisch ausreichend fundiert sein, seine Merkmale müssen schlüssig erklärt werden und es darf weder zu speziell noch zu allgemein sein, um anwendbar zu bleiben. Aufgrund seiner Wichtigkeit wird der theoretische Rahmen daher zu Beginn die Grundlage für die weiteren Untersuchungen bilden. Dadurch steht die anschließende Zusammenfassung der historischen Entwicklung des Buchhandels bereits unter dem Blick des Theoriemodells, in das sie später eingeordnet werden soll. Das birgt die Gefahr, Quellen im Hinblick auf gewünschte Ergebnisse umzudeuten und nicht ausgehend von ihrer Basis zum theoretischen Modell zu kommen. Allerdings bietet es auch den Vorteil, das Augenmerk schon auf relevante Aspekte der historischen Gegebenheiten zu lenken, ohne diese später unnötig wiederholen zu müssen. Da die historische Darstellung zudem lediglich den bisherigen Kenntnisstand der Forschung zum vertreibenden Buchhandel gebündelt wiedergibt, werden

27 Vgl. Handbuch Wissenssoziologie und Wissensforschung. Hrsg. von Rainer Schützeichel. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2007 (Erfahrung – Wissen – Imagination. Schriften zur Wissenssoziologie; Bd. 15).

10  1 Einleitung

an dieser Stelle keine unbekannten Quellen mit vorgeprägtem Blick untersucht. Der ausführliche Abriss der Geschichte des Buchvertriebs bietet damit den Hintergrund für die Beschreibung des Buchhandels als Wissensraum. Anschließend wird der Blickwinkel verengt auf die Aktanten des Wissensraums Buchhandel, denn trotz vieler Einzeluntersuchungen fehlt es bislang an einer allgemeinen Charakterisierung des Buchhändlers als Berufsstand. Anhand bereits edierter Quellenbestände untersuche ich daher ihr Selbstverständnis, die lobende bzw. kritisierende Sicht der Zeitgenossen auf ihren Beruf, ihren sozialen Status, ihren Bildungsstand sowie ihren typischen Ausbildungsweg. Damit erhalten die Hauptaktanten im Wissensraum Buchhandel eine klare Konturierung, was wiederum die Grenzen dieses Raums verdeutlicht, die die mögliche Zugehörigkeit markieren. Einen Platz an ihrem Rand haben die sogenannten Nebenaktanten. Zu ihnen gehören in erster Linie die kleineren Buchhändler, die in der europäischen Dimension des Wissensraums Buchhandel nur eine untergeordnete Rolle spielen. Dennoch sind sie Teil dieses Wissensraums und dementsprechend Mitgestalter. Zu diesen Mitgestaltern gehören nicht nur die bekannten Kolporteure und Hausierer, sondern auch ganz allgemein die Auchbuchhändler. Darunter werden üblicherweise Studenten oder Kaufleute gefasst, die im Nebenerwerb mit Büchern handelten. Eine bislang nicht in dieser Kategorie untersuchte Personengruppe stellen, wie bereits erwähnt, die Agenten dar. Herzog August d. J. bezog sowohl Kunstgegenstände als auch die Bücher für seine Bibliothek in Wolfenbüttel über eine ganze Reihe von Agenten im In- und Ausland. Er pflegte über Jahre hinweg einen regen Briefverkehr mit insgesamt 28 Agenten, die ihm Nachrichten, Bücherlisten oder Ansichtssendungen zukommen ließen. Diese waren in verschiedenen Städten stationiert, unter anderem Augsburg, Den Haag, Nürnberg, Paris oder Rom, und damit weit über Europa verstreut. Nennenswerte Briefbestände haben sich allerdings nur zu ein paar der besoldeten Agenten erhalten. Daneben gibt es noch wichtige Gelehrtenkorrespondenzen, wie zum Beispiel von Hermann Conring, Athanasius Kircher oder Johann Valentin Andreae, die aber aufgrund der Fragestellung und Konzentration auf die hauptberuflichen Agenten nicht infrage kommen. Für die zentrale Quellenarbeit habe ich die Briefe der beiden Nürnberger Agenten Georg Forstenheuser und Donat Fend ausgewählt. Forstenheuser trat 1623 in die Dienste des Herzogs und arbeitete für ihn bis zu seinem Tod 1659. Sein Schwiegersohn Donat Fend übernahm daraufhin die Bestallung und führte sie ebenfalls bis zu seinem Tod 1676. Damit ist ein relativ großer Zeitraum der Agententätigkeit abgedeckt. Der Anfang der Korrespondenz Forstenheusers mit dem Herzog fehlt, doch es haben sich immerhin noch rund 860 Briefe erhalten (Cod. Guelf. 90–92 Novi), die einen umfassenden Einblick in seine Arbeit geben können. Auch Fends Korrespondenz ist mit 382 Briefen in großen Teilen überliefert (Cod. Guelf. 89 Novi). Leider existieren die Antworten Augusts nicht mehr, sie sind aber durch die resümierenden Erwähnungen der Agenten häufig gut rekonstruierbar. Aus den Briefen lässt sich

1.3 Quellen und Methodik



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herauslesen, wie die Agenten gegenüber dem Herzog agierten und inwieweit sie in den Buchbeschaffungsprozess eingebunden waren. Als Ergänzung zu den Korrespondenzen können von Forstenheuser und Fend übersandte Buchangebote und Rechnungen hinzugezogen werden (Bibliotheksarchiv [BA] II, 11 und 12), ebenso wie die wenigen und vor allem aus Rechnungen bestehenden Quellenbestände im Wolfenbütteler Standort des Niedersächsischen Staatsarchivs (1 Alt 22 Nr. 178, 2 Alt Nr. 10264, 4 Alt 19 Nr. 714, 1621, 3510 und 3511). Bei der Bearbeitung dieser beiden bedeutenden Agenten Herzog Augusts kann lediglich auf einen älteren, eher allgemeinen Artikel über Forstenheuser zurückgegriffen werden sowie einzelne namentliche Erwähnungen innerhalb umfassenderer Studien.28 Zurzeit beschäftigt sich ein Forschungsprojekt in Wolfenbüttel mit dem Agenten Philipp Hainhofer.29 Darüber hinaus sind jedoch erst einzelne Artikel zu ausgewählten Agenten erschienen und der Briefwechsel ist erst teilweise erschlossen, sodass sich die bislang unbearbeiteten Korrespondenzen als Quellenbasis eignen. Da außerdem eine umfassende Studie über den Aufbau der Bibliothek Herzog Augusts in Arbeit ist, die das gesamte Korrespondentennetzwerk des Herzogs einbezieht, kann sich die Aufarbeitung ausschließlich auf Fragen des Bucherwerbs konzentrieren. Anhand der Quellen können detailliert die Vorgänge beim Buchkauf und Weiterverkauf – also einem systematischen Zwischenhandel – nachvollzogen werden.30 Damit bietet die vorliegende Arbeit eine Ergänzung zu den bisher erfolgten Untersuchungen und unterstützt die Erschließung der Dokumente. Die Agenten nehmen an dieser Stelle einen breiten Raum ein, um hervorzuheben, dass der Horizont bei der Betrachtung der Buchhandelsaktanten womöglich deutlich weiter liegen muss, als es bisher geschehen ist. Nachdem sich der Fokus der Arbeit von einer allgemeinen Aufsicht auf den Buchhandel als Wissensraum immer weiter zu dessen Haupt- und schließlich Nebenaktanten verkleinert hat, werde ich in einem letzten Schritt die Perspektive vollständig wechseln hin zur Rezipientenseite. Untersucht wird nun die Res publica literaria unter dem erarbeiteten Modell des Wissensraums. Dieser Perspektivwechsel bietet mehrere Vorteile. Erstens kann damit der Nutzen des theoretischen Modells überprüft werden, indem aufgezeigt wird, dass sich auch andere Gruppen sinnvoll damit beschreiben lassen. Zweitens bietet der Blick auf die Seite der Abnehmer die

28 Vgl. Lore Sporhan-Krempel: Georg Forstenheuser aus Nürnberg 1584–1659. Korrespondent, Bücherrat, Faktor und Agent. In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 26 (1970), S. 705–743 und u. a. Lore Sporhan-Krempel: Nürnberg als Nachrichtenzentrum zwischen 1400 und 1700. Nürnberg: Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg 1968 (Nürnberger Forschungen; Bd. 10). 29 Vgl. Philipp Hainhofer – Kunstunternehmer und politischer Akteur der Frühen Neuzeit. URL: http://diglib.hab.de/?link=052 [Stand: 22.01.2018]. 30 Vgl. Werner Arnold: Die Entstehung der Bibliothek aus dem Netzwerk. Über den Aufbau der Bibliothek Herzog Augusts d. J. zu Braunschweig und Lüneburg im 17. Jahrhundert. Ein Projektbericht. In: Wolfenbütteler Barocknachrichten 38/1 (2010), S. 1–35.

12  1 Einleitung

Möglichkeit, die Bedeutung des Buchdrucks und Buchhandels – bewusst kommen hier beide zur Sprache, da sie zwar ihren jeweils eigenen Teil dazu beitragen, der eine jedoch nicht vom anderen zu trennen ist – für die wissenschaftliche Kommunikation der Frühen Neuzeit herauszustellen. Im direkten Vergleich der beiden Wissensräume werden nicht nur Überschneidungen und gegenseitige Beeinflussungen evident, sondern auch die große Bedeutung des Buchhandelssystems für die wissenschaftliche und kulturelle Entwicklung der Gesellschaft.

2 Der theoretische Kontext: Wissensraum als operationales Modell Der Wissensraum ist ein operationaler Begriff, den die Wissenschaft zur Beschreibung bestimmter Phänomene gebildet hat. Seit seiner Einführung wurde er von den verschiedensten Disziplinen aufgegriffen, doch trotz einzelner Definitionsansätze ist weiterhin eine sehr breite Verwendung des Begriffs zu beobachten, sei es in Bezug auf den Wissensraum Stadt, den Wissensraum Bibliothek, den Wissensraum in Text und Bild oder die Wissensräume unterschiedlicher Medien. Der uneinheitliche Gebrauch des Terminus Wissensraum hat seinen Ursprung bereits in divergierenden Definitionen der beiden Grundkomponenten Wissen und Raum. Die Diskussion um den Raum im Zusammenhang mit der Zeit kann hier ebenso wie die Diskussion um das Wissen auf eine bis in die Antike zurückreichende Forschungstradition zurückblicken. Beides sind »natürliche Begriffe«, keine »künstlichen Begriffe«. Unter künstlichen Begriffen versteht man von der Wissenschaft explizit definierte Worte, die nur die für die Forschung wesentlichen und bestimmenden Merkmale enthalten. Dazu gehören vor allem Fachtermini, die zur präzisen Bestimmung von Sachverhalten eingeführt wurden. Nur sie können in einer formalen Begriffsanalyse sinnvollerweise durch eine explizite Intension – den Inhalt – angegeben werden, die sich mit der Extension – dem Umfang – des Ausdrucks deckt. Natürliche Begriffe kommen aus der Alltagssprache und können nicht im strengen Sinn definiert werden, da sich ihre Bedeutung nicht auf klar bestimmbare Merkmale beschränkt.1 Demzufolge können sie nicht wie künstliche Begriffe in einer formalen Analyse umfassend bestimmt werden, denn die Unterscheidung von Intension und Extension ist wie die Definition als Idealisierung zu verstehen, die sich für natürliche Begriffe als höchst problematisch erweisen kann. Bei solchen Begriffen handelt es sich um offene Mengen, die jederzeit flexibel ergänzt und erweitert werden könnten. Die Extension ist einem solchen, natürlichen Begriff also nicht als abgeschlossene Gesamtheit von Gegenständen und Ereignissen vorgegeben.2

Der Wissensraum ist somit ein künstlicher Begriff, der sich aus zwei natürlichen Begriffen zusammensetzt. Wissen und Raum gehören zur Kategorie abstrakter Begrifflichkeiten, die sich einer klaren Definition letztendlich immer entziehen werden. Mit dieser Schwierigkeit hat ihr Kompositum Wissensraum zu kämpfen. Um aber für die Wissenschaft brauchbar zu sein und auch zu bleiben, muss klar sein, was ein Wissensraum ist und was nicht. Ein ähnlich ausuferndes theoretisches Konstrukt, wie es zur Definiti-

1 Vgl. Eva-Maria Jung: Gewusst wie? Eine Analyse praktischen Wissens. Berlin [u. a.]: De Gruyter 2012, S. 117. 2 Jung, Gewusst wie?, S. 118. https://doi.org/10.1515/9783110616521-002

14  2 Der theoretische Kontext: Wissensraum als operationales Modell

on von Wissen bzw. Raum herangezogen werden muss, um schließlich wieder durch andere Theorien abgelöst zu werden, ist für den Wissensraum als künstliche Begriffsbildung der Wissenschaft nicht praktikabel. Nur durch eine eindeutige Präzisierung ist die Verwendung des Modells Wissensraum sinnvoll.

2.1 Problemstellung: Wissen und Raum Unter »Wissen« und »Raum« kann sich jeder etwas vorstellen. Die Worte werden selbstverständlich benutzt, doch für beide gilt das Gleiche, was Augustinus, Bischof von Hippo, 397 n. Chr. über die Zeit sagte: »Was also ist die Zeit? Wenn niemand mich danach fragt, weiß ich es; wenn ich es jemandem auf seine Frage hin erklären soll, weiß ich es nicht.«3 Schon Aristoteles (384–322 v. Chr.) formulierte bestimmte Kriterien, die eine gute Definition erfüllen muss. In erster Linie soll das zu Definierende möglichst klar und einfach beschrieben werden und dabei sollen seine Wesensmerkmale vollständig ausgedrückt werden. Des Weiteren darf sie nicht zirkulär sein. Das heißt, die Bestandteile der Definition dürfen nicht das zu Definierende selbst enthalten. Wissen darf nicht mit Wissen und Raum nicht mit Raum beschrieben werden.4 Um zu einer geglückten Definition des Wissensraums gelangen zu können, ist es daher unumgänglich, sich zunächst die beiden Wortbestandteile im Einzelnen anzuschauen. Für die Begriffsbestimmungen kann die Methode der »Begriffsexplikation«, wie sie maßgeblich von Rudolf Carnap entwickelt wurde, eingesetzt werden. Das Ziel einer solchen Explikation liegt darin, einen vagen Ausdruck, das sogenannte Explikandum, durch einen präzisen wissenschaftlichen Terminus, das Explikat, zu ersetzen. Dazu müssen zunächst nichtintendierte Bedeutungen ausgeschlossen werden. Nach diesem ersten Schritt kann die eigentliche Begriffsexplikation vorgenommen werden, in der ein verwendetes Explikat dem Explikandum möglichst ähnlich ist. Anschließend wird das Explikat einer Adäquatheitskontrolle unterzogen, die vier Bedingungen überprüft. Diese Adäquatheitsbedingungen sind die (extensionale) Ähnlichkeit des Explikats mit dem Explikandum, die Exaktheit des Begriffs, die Fruchtbarkeit für das Aufstellen neuer Behauptungen und Gesetze sowie die Einfachheit des Explikats und der darauf aufbauenden Aussagen und Gesetze.5 Dem folgend werden nun die grundlegenden Forschungsdiskussionen über die jeweilige Begriffsbedeutung vorgestellt. Dabei werden die für den Wissensraum sinnvollsten Beschreibungen hervorgehoben und im abschließenden Kapitel dieses theoretischen Kontextes zu einer Definition des Modells Wissensraum zusammengeführt.

3 Aurelius Augustinus: Bekenntnisse. Übers., mit Anm. vers. und hrsg. von Kurt Flasch und Burkhard Mojsisch. Stuttgart: Reclam 2000, S. 314. 4 Vgl. Elke Brendel: Wissen. Berlin [u. a.]: De Gruyter 2013 (Grundthemen Philosophie), S. 7. 5 Vgl. Jung, Gewusst wie?, S. 83f.

2.1 Problemstellung: Wissen und Raum

 15

2.1.1 Wissen Alle Menschen streben von Natur nach Wissen.6

Jeder Mensch weiß Dinge, wie etwa seinen Namen, sein Alter, seine Vorlieben und Abneigungen. Die Arten des Wissens, über das jeder verfügt, sind unterschiedlich und werden vor allem durch Wahrnehmung, Beobachtung, Erfahrung und Lernen gewonnen.7 Wissen dient als eine wichtige Grundlage für Entscheidungen, hilft bei der Durchsetzung von Interessen und kann das menschliche Bedürfnis der Neugier stillen. Dabei ist Wissen im Gegensatz zu Nichtwissen positiv konnotiert und wird wertgeschätzt. »Wissen ist ein Erfolgsbegriff.«8 Etymologisch hängt das Wort mit dem lateinischen Verb »visere« (besichtigen, besuchen, zu sehen wünschen) zusammen und in unmittelbarer Nachbarschaft zum Wortfeld Wissen ist die Erkenntnis positioniert.9 Konsultiert man ein Wörterbuch, liefert es die Bedeutungen »Gesamtheit der Kenntnisse, die jemand [auf einem bestimmten Gebiet] hat« und »Kenntnis, das Wissen von etwas«10. Die enge Verbindung von Wissen und Erkenntnis zeigt sich besonders deutlich im Englischen, wo »Knowledge« beides bedeuten kann. Im Deutschen stellen weitere Begriffe wie Erfahrung, Glaube, Meinung, Einbildung und Vorstellung Formen geistiger Aktivität dar, die an Wissen angrenzen.11 Wolfgang Neuser stellt in seinem Beitrag Räume im Wandel der Geschichte Wissen als Grundbegriff einer durchgehenden Struktur der Kulturgeschichte dar: »In allen Epochen finden sich unterschiedliche Perspektiven auf das, was Wissen heißt,

6 Aristoteles: Metaphysik. Griechisch – Deutsch. Neubarb. der Übers. von Hermann Bonitz. Mit Einl. und Komm. hrsg. von Horst Seidl. 3. verb. Aufl. Hamburg: Meiner 1989 (Philosophische Bibliothek; Bd. 307), I (A) 980a 21. 7 Dabei kann die Aneignung komplexeren Wissens, wie etwa mathematische Gleichungen, anspruchsvoll und aufwendig sein. Vgl. Brendel, Wissen, S. 1. 8 Brendel, Wissen, S. 1. 9 Man unterscheidet in der deutschsprachigen Literatur oft zwischen Wissen und Erkenntnis. Dabei kann die Erkenntnis als ein Prozess gesehen werden, an dessen Ende als Ergebnis das Wissen steht. Allerdings kann auch die Erkenntnis als Erfolgswort verwendet werden und bezeichnet dann nicht den Vorgang, der zum Wissen führt, sondern ebenfalls das Ergebnis. Vgl. Michael Anacker: Das Erkenntnisproblem und der Wissensbegriff in der philosophischen Antike. In: Handbuch Wissenssoziologie und Wissensforschung. Hrsg. von Rainer Schützeichel. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2007 (Erfahrung – Wissen – Imagination. Schriften zur Wissenssoziologie; Bd. 15), S. 353– 374, S. 353. Wissen bezeichnet allerdings im Gegensatz zur Erkenntnis immer nur das Resultat, nie den Prozess. Brendel weist außerdem darauf hin, dass die Erkenntnis als Begriff zum Beispiel durch Kants Erkenntnistheorie stark geprägt ist. Vgl. Brendel, Wissen, S. 183. Ich werde im Folgenden nicht näher auf die Unterschiede oder Gemeinsamkeiten von Wissen und Erkenntnis eingehen, sondern vorzugsweise den Begriff Wissen verwenden. 10 Duden online. URL: http://www.duden.de/rechtschreibung/Wissen [Stand: 22.01.2018]. 11 Vgl. Hubert Knoblauch: Wissenssoziologie. 3. überarb. Aufl. Konstanz und München: UVK Verlagsgesellschaft 2014, S. 13.

16  2 Der theoretische Kontext: Wissensraum als operationales Modell

und es sind diese unterschiedlichen Perspektiven, die die Epochen charakterisieren.«12 Was aber genau ist Wissen? Diese Frage wird traditionell in der Philosophie gestellt und zu beantworten gesucht.13 Sie ist dabei von Beginn an sehr eng mit dem Skeptizismus verbunden; also mit der Ansicht, dass man lediglich Meinungen, nie aber echtes Wissen besitzen könne.14 Der Wissensskeptiker stellt in seiner universell zweifelnden Haltung jede Möglichkeit von Wissen allgemein infrage. Er verneint die Existenz jedes gesicherten Wissens über unsere Außenwelt und lässt damit stattdessen die Option offen, dass alle Menschen nur eine virtuelle Scheinwelt erleben und dass nichts von dem, was wir sehen, hören, riechen und erleben, wirklich real ist.15 Dieser Wissensskeptizismus soll hier allerdings keine weitere Rolle spielen, da er für das Modell Wissensraum nicht zielführend ist. Neben der Frage, ob Wissen grundsätzlich möglich ist, stehen weitere Fragen nach seinem Wert und der Art seiner Aneignung. Die wichtigsten Fragen berühren nach Elke Brendel vier verschiedene Bereiche. Zunächst ist die Frage nach dem Wesen des Wissens der Metaphysik zuzuordnen, die dazugehörige Frage nach seiner Möglichkeit der Skepsis. Die Frage nach dem Wert des Wissens ist axiologisch und die Frage nach den Quellen des Wissens und seiner Aneignung epistemologisch.16 Zur Beantwortung dieser Fragen gibt es in der Philosophie zwei zentrale Modelle, das ikonische Modell, nach dem »Wissen ein adäquates Abbild (mentaler Art) eines Wissensobjektes«17 darstellt, und das propositionale (oder nominalistische) Modell, nach dem Wissen als eine begründet wahre Aussage charakterisiert wird. Die große Vielfalt der Theorien und weiteren Erklärungen neben den genannten Modellen entspricht der Bedeutung ihres Gegenstandes. Sie können hier nicht alle im Einzelnen vorgestellt werden, einige Entwicklungslinien der Erkenntnistheorie werden aber diskutiert, um zu dem für das Modell Wissensraum geeigneten Wissensbegriff zu kommen. Definitionen des Wissensbegriffs stehen dabei immer vor der Herausforderung, ihren Gegenstand möglichst präzise zu erfassen und gleichzeitig den Intuitionen des alltäglichen Sprachgebrauchs gerecht zu werden.18

12 Wolfgang Neuser: Räume im Wandel der Geschichte. In: Räume im Wandel. Empirie und Politik. Hrsg. von Martin Junkernheinrich und Karl Ziegler. Wiesbaden: Imprint; Springer VS 2013, S. 245– 260, S. 250. 13 Vgl. Knoblauch, Wissenssoziologie, S. 13. 14 Vgl. Anacker, Das Erkenntnisproblem, S. 353. 15 Vgl. Brendel, Wissen, S. 81. Der Wissensskeptizismus richtet sich allerdings nicht nur gegen das Vorhandensein von Wissen, sondern auch den Begriff selbst, indem er unterstellt, dass es nicht möglich ist, notwendige und hinreichende Bedingungen für eine Definition von Wissen aufzustellen. Vgl. Anacker, Das Erkenntnisproblem, S. 353. 16 Vgl. Brendel, Wissen, S. 1f. 17 Knoblauch, Wissenssoziologie, S. 13. 18 Vgl. Jung, Gewusst wie?, S. 78.

2.1 Problemstellung: Wissen und Raum



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Begriffsbestimmung Nach Peter L. Berger und Thomas Luckmann ist Wissen »die Gewißheit, daß Phänomene wirklich sind und bestimmbare Eigenschaften haben.«19 Diese bekannte Definition wird häufig zur Begriffsbestimmung von Wissen herangezogen, obwohl sie nicht ausreichend ist, da sie »Wissen« lediglich durch »Gewissheit« ersetzt.20 Hans Julius Schneider schlägt eine engere Bestimmung von Wissen vor als die Fähigkeit, auf etwas antworten zu können. Im direkten, einfachen und überprüfbaren Sinn weiß jemand etwas, der auf eine entsprechende Frage korrekt antworten kann. Wenn Wissen aber Antwortenkönnen ist, dann schreiben wir demjenigen, dem wir ein Wissen zuschreiben, damit ein besonderes Können zu, nämlich die Fähigkeit bestimmte sprachliche Handlungen (eben solche des Antwortens) auszuführen.21

In der Gegenwart gibt es allerdings auch die Ansicht – vor allem von Timothy Williamson vertreten –, »dass eine Definition von Wissen, die in zirkelfreier Weise den Wissensbegriff auf elementare Begriffsbestandteile in Form von notwendigen und zusammen hinreichenden Bedingungen von Wissen zu reduzieren versucht, nicht gelingen kann.«22 Eine grundlegende Schwierigkeit stellt die charakteristische Selbstbezüglichkeit des Begriffs Wissen dar. Für ihn gilt das Konzept der Autopoiesis, also die Tatsache, dass alles, was man über Wissen weiß, es gleichzeitig neu erzeugt, und der Selbstreferenzialität, indem dieses Wissen beweist, dass es schon immer in sich selbst verkörpert war.23 Das Wort Wissen gibt es in Form eines Substantivs oder eines Verbs. Als interrogatives Wissen bezeichnet Brendel den Zusammenhang des Verbs »wissen« mit einem eingebetteten Fragesatz: X weiß, wann/wo/was oder warum etwas geschieht. Ebenfalls zu den interrogativen Wissensformen gehören »Wissen-wie«-Konstruktionen, die Beispiele für praktisches Wissen darstellen: X weiß, wie man etwas macht. Davon abzugrenzen sind »Wissen-wie-es-ist«- oder »Wissen-wie-es-sich-anfühlt«Formen, die Emotionen des Wissenssubjekts verbalisieren. Sie werden als Ausdrücke phänomenalen Wissens klassifiziert. Propositionales oder auch theoretisches Wissen sieht Brendel schließlich in »Wissen-dass«-Konstruktionen ausgedrückt: X

19 Peter L. Berger und Thomas Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. 22. Aufl. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch 2009, S. 1. 20 Vgl. Knoblauch, Wissenssoziologie, S. 351. 21 Hans Julius Schneider: Die Vielfalt westlicher Wissensformen. Skizze einer Systematisierung aus sprachpragmatischer Sicht. In: Weisheit – Wissen – Information. Hrsg. von Karen Gloy und Rudolf zur Lippe. Göttingen: V&R unipress 2005, S. 39–51, S. 41. 22 Brendel, Wissen, S. 7f. 23 Vgl. Ulrich Oevermann: Wissen, Glauben, Überzeugung. Ein Vorschlag zu einer Theorie des Wissens aus krisentheoretischer Perspektive. In: Neue Perspektiven der Wissenssoziologie. Hrsg. von Dirk Tänzler, Hubert Knoblauch und Hans-Georg Soeffner. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2006 (Erfahrung – Wissen – Imagination; Bd. 8), S. 79–118, S. 79.

18  2 Der theoretische Kontext: Wissensraum als operationales Modell

weiß, dass etwas sich soundso verhält. Eine andere sprachliche Formulierung gibt es zuletzt für das »Wissen durch Bekanntschaft«, das durch das Verb »kennen« anstelle von »wissen« artikuliert wird: X kennt Y.24 Bei näherer Betrachtung ist ein enger Zusammenhang zwischen den interrogativen »Wissen-w«-Formen und der propositionalen »Wissen-dass«-Verbindung feststellbar. Erstere scheinen auf letztere zurückführbar zu sein, da sich die Sätze entsprechend umformulieren lassen: Der Satz »X weiß, wo/was/wie/wann geschehen wird« lässt sich ändern in »X weiß, dass an einem bestimmten Ort usw. etwas bestimmtes geschehen wird«. Ob es auch nicht-propositionales Wissen gibt, ist in der Forschungsliteratur dementsprechend umstritten. Der sogenannte Intellektualismus bestreitet das und sieht alle Wissensarten auf propositionales Wissen rückführbar. Die Anti-Intellektualisten behaupten das Gegenteil und führen für ihre Argumentation häufig Beispiele des praktischen und des phänomenalen Wissens an. So ist etwa das praktische Wissen-wie lediglich eine Fähigkeit oder Fertigkeit des Subjekts, für die es nicht zwangsläufig über das dazugehörige theoriebegleitende Wissen verfügt. Nach Auffassung der Anti-Intellektualisten – einer ihrer wichtigsten und einflussreichsten Vertreter ist Gilbert Ryle – manifestiert sich dieses praktische Wissen ohne notwendigen Zusammenhang zum theoretischen Wissen in der Beherrschung der Muttersprache ohne Kenntnis der Grammatikregeln. Die gleiche Argumentation greift auch beim phänomenalen Wissen, das ein Gefühl ausdrückt und kein Faktenwissen. Brendel hält dagegen, dass sich manche interrogative Wissensformen durch Beispiele beschreiben lassen. Sie sind Fertigkeiten, die durch praktische Übung erlangt werden können, nicht durch eine theoretische Vermittlung, doch das heißt nicht zwangsläufig, dass ihnen eine propositionale Struktur abgesprochen werden kann.25 Elke Brendel spricht wie viele Erkenntnistheoretiker dem propositionalen Wissen Priorität zu, da mit seiner Hilfe Wahrheiten ausgedrückt werden können.26 Eva-Maria Jung argumentiert gegen eine solche Bevorzugung des propositionalen Wissensbegriffs gegenüber dem des praktischen Wissens. Sie unterstützt aber die Ansicht, dass beides jeweils durch spezifische Normen charakterisiert werden sollte, da es ihrer Ansicht nach nicht möglich ist, eine allgemeine und beide Formen umfassende Definition von Wissen zu formulieren.27 Da im Zusammenhang mit dem anvisierten Ziel, der Verwendung des Begriffs im Modell Wissensraum, besonders

24 Vgl. Brendel, Wissen, S. 14. Erkennen bzw. Erkenntnis wird heute stärker als historisch gesehen von kennen unterschieden. Vgl. Klaus-Peter Konerding: Sprache und Wissen. In: Handbuch Sprache und Wissen. Hrsg. von Ekkehard Felder. Berlin [u. a.]: De Gruyter 2015 (Handbücher Sprachwissen; Bd. 1), S. 57–80, S. 58. 25 Vgl. Brendel, Wissen, S. 15–20. 26 Vgl. Brendel, Wissen, S. 23f. 27 Vgl. Jung, Gewusst wie?, S. 146.

2.1 Problemstellung: Wissen und Raum

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das Wissen relevant erscheint, das artikuliert und schriftlich festgehalten werden kann, sollen im Folgenden bestimmte stabile Wesensmerkmale des propositionalen Wissens genauer betrachtet werden. Propositionales Wissen Wissen ist »kein gradueller Begriff«28. Man kann nicht näherungsweise über Wissen verfügen; entweder man weiß etwas oder man weiß es nicht.29 Dazu gehört eine der notwendigen Bedingungen für Wissen, nämlich die der »wahren Überzeugung«30. Ist eine Person allerdings durch Raten oder durch einen unzuverlässigen Prozess der Meinungsbildung zu einer solchen wahren Überzeugung gelangt, besitzt sie immer noch kein Wissen. Es gilt dafür also die Einschränkung, dass man sie nicht zufälligerweise erlangen kann.31 Wissen bezieht sich danach auf kollektive Meinungen und zugehörige sprachliche Darstellungen, die als unstrittig geteilt werden und über deren Akzeptanz ein relativer Konsens besteht. Dieser Konsens wird durch die allgemeine Akzeptanz der Anführung einschlägiger Gründe für die Geltung zunächst nur subjektiver Meinungen erreicht.32

Das erlangte Wissen ist nur nach allgemeinem Konsens wahr, wenn es begründet werden kann. Dahinter verbirgt sich die Frage nach der Wahrheitsbedingung einer propositionalen Wissen-dass-Form. Sie steht in der klassischen Analyse propositionalen Wissens im Vordergrund und lehnt sich an Platons Wissenskonzeption an, nach der das Subjekt überzeugt sein muss, dass das Behauptete wahr ist und dass die Überzeugung des Subjekts epistemisch gerechtfertigt ist.33 Formal wird die auf Platon zurückgehende Definition in der Regel folgendermaßen ausgedrückt:

28 Brendel, Wissen, S. 12. 29 Brendel weist darauf hin, dass auch der Ausdruck, jemand wisse etwas besser als ein anderer, lediglich bedeutet, dass derjenige mit dem Wissensinhalt besser vertraut ist, also mehr weiß, und nicht dass sein Wissen sich qualitativ unterscheidet. Vgl. Brendel, Wissen, S. 12. 30 Brendel, Wissen, S. 12. 31 Vgl. Brendel, Wissen, S. 12. 32 Konerding, Sprache und Wissen, S. 60. 33 Vgl. Brendel, Wissen, S. 28. Brendel verwendet den Begriff der Überzeugung anstelle der Meinung, wie Platon es formulierte, da darin ihrer Ansicht nach deutlich die hohe subjektive Sicherheit in Bezug auf die Aussage zum Ausdruck kommt. Vgl. Brendel, Wissen, S. 30. Jung hebt hervor, dass das Argument, die Verben »glauben« oder »meinen« hätten die Konnotation einer gewissen Unsicherheit im Gegensatz zur Überzeugung, durch eine Disambiguierung – eine Auflösung der sprachlichen Mehrdeutigkeit – leicht zurückgewiesen werden könnte. Vgl. Jung, Gewusst wie?, S. 91. Dennoch schließe ich mich der Einfachheit halber Brendel an und verwende den Begriff der Überzeugung.

20  2 Der theoretische Kontext: Wissensraum als operationales Modell

Für ein beliebiges Subjekt S und eine Proposition p gilt: S weiß p genau dann, wenn (1) p wahr ist, (2) S davon überzeugt ist, dass p, und (3) S in seiner Überzeugung, dass p, gerechtfertigt ist.34

Die drei notwendigen Bedingungen dafür, dass Wissen vorliegt, sind also die objektive Wahrheit der Aussage, die subjektive Überzeugung des Aussagenden und die beides verbindende Begründung bzw. Rechtfertigung.35 Die ersten beiden Bedingungen der Wahrheit und der Überzeugung sind klar und einfach zu verstehen. Anders dagegen sieht es mit der dritten Bedingung aus, die auch die umstrittenste ist, vor allem im Bezug auf die notwendige Struktur und Stärke der epistemischen Rechtfertigung.36 Epistemisch bedeutet in diesem Zusammenhang, dass es bei der Erklärung der Überzeugung um die Wahrheit geht und nicht um eine beispielsweise moralische, religiöse oder juristische Begründung.37 Trotz mancher Unstimmigkeit in Bezug auf die genaue Ausformulierung der einzelnen Bedingungen, galt diese auf die Antike zurückgehende Analyse »lange Zeit als unumstrittene erkenntnistheoretische Standardtheorie des Wissens.«38 Doch 1963 erschien ein Aufsatz von Edmund L. Gettier in der Zeitschrift Analysis, in dem er anhand zweier Gegenbeispiele eine Situation entwarf, in der das Subjekt über eine

34 Jung, Gewusst wie?, S. 87. Ist der Zeitpunkt relevant, kann die Zeitvariable als weiterer Parameter hinzutreten: »S weiß, dass p zu t«. Außerdem ist umstritten, wer das Subjekt S darstellt. Traditionell wird darunter ein Individuum verstanden, in der sozialen Erkenntnistheorie können aber auch ganze Gruppen, wie soziale, politische oder wissenschaftliche Gemeinschaften, in dieser Analyse als Subjekt auftreten. Vgl. Brendel, Wissen, S. 29. 35 Vgl. Anacker, Das Erkenntnisproblem, S. 356. Die Wahrheitsbedingung verdeutlicht, dass sich Wissensbehauptungen auch als falsch herausstellen können, wie zum Beispiel die Ansicht früherer Gelehrter, dass sich die Sonne um die Erde dreht. Vgl. Brendel, Wissen, S. 32f. 36 Rudolf zur Lippe benennt als Gegenbegriff implizites Wissen und sieht das epistemisch gerechtfertigte Wissen auch als explizites bzw. expliziertes. Vgl. Rudolf zur Lippe: Epistemische und andere Formen des Wissens. In: Weisheit – Wissen – Information. Hrsg. von Karen Gloy und Rudolf zur Lippe. Göttingen: V&R unipress 2005, S. 23–38, S. 25 und 29. Implizites oder auch nichtepistemisches Wissen fasst Rainer Thurnher als »Spielarten eines unthematischen, symbolisch nicht artikulierten Wissens, das eingebunden ist und bleibt in menschliche Handlungsabläufe und Kultur praktiken.« Rainer Thurnher: Momente und Strukturen impliziten Wissens im menschlichen Existenzvollzug. In: Weisheit – Wissen – Information. Hrsg. von Karen Gloy und Rudolf zur Lippe. Göttingen: V&R unipress 2005, S. 83–102, S. 84. Da es im Rahmen meiner Arbeit in erster Linie um medial vermittelbares Wissen geht, werde ich diese Wissensformen vernachlässigen. 37 Die epistemische Rechtfertigung muss die Wahrheit der Überzeugung allerdings nicht garantieren, denn sie kann beispielsweise durch Fehlinterpretationen in der Wissenschaft ihr Ziel verfehlen. Welcher Grad der epistemischen Rechtfertigung notwendig ist, um von Wissen ausgehen zu können, hängt vom jeweiligen Kontext der Wissenszuschreibung ab. Vgl. Brendel, Wissen, S. 34–36. 38 Brendel, Wissen, S. 36.

2.1 Problemstellung: Wissen und Raum 

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wahre und gerechtfertigte Überzeugung verfügt, die aber nicht als Wissen verstanden werden kann.39 Die Beispiele Gettiers und die in seiner Nachfolge von anderen Philosophen ergänzend erdachten Beispiele sind jeweils stark konstruiert, folgen aber alle dem gleichen Grundmuster. Die Rechtfertigungen der Überzeugung stehen in keiner hinreichenden Beziehung zu ihrer Wahrheit, was bedeutet, dass die betreffende Überzeugung sich zwar als wahr herausstellt, aber aus falschen oder unangebrachten Gründen gewonnen wurde.40 Sie beruhen auf dem Prinzip, dass Zufallsereignisse zur Wahrheit einer Überzeugung führen, die aus einer falschen Überzeugung abgeleitet wurde. Die Mehrheit der Philosophen ist der Ansicht, dass die Gettier-Beispiele epistemisch gerechtfertigte Überzeugungen darstellen, die kein Wissen sind. Gettier setzt in seinen Beispielen dabei »das Prinzip der Abgeschlossenheit epistemischer Rechtfertigung gegenüber logischer Implikation«41 voraus. Das bedeutet, dass eine aus einer epistemisch gerechtfertigten Überzeugung logisch gefolgerte Überzeugung ebenfalls epistemisch gerechtfertigt ist. Gettiers Beispiele stellen ernste Probleme für die Definition von Wissen als wahre und gerechtfertigte Überzeugung dar und in der Forschungsliteratur ist diesbezüglich auch oft vom »Gettier-Problem« die Rede.42 Jung bezeichnet die Debatte, die Gettier mit seinem kurzen Artikel angestoßen hat, als eine maßstäbliche Kontroverse, da zwischen denen, die seine Fälle als schlüssig ansehen, und denjenigen, die sie anzweifeln, Uneinigkeit darüber herrscht, »welche Intuitionen im Bezug auf Wissen als Maßstab für die Explikation anzusetzen sind.«43 Das Gettier-Problem hat zu vielen verschiedenen Lösungsansätzen geführt, die unter anderem versuchen, die Bedingungen zu erweitern, den Begriff der epistemischen Rechtfertigung zu modifizieren, eine neue Wissensanalyse ohne die epistemische Rechtfertigung zu formulieren oder die Gettier-Beispiele doch als bestimmte Wissensformen zu betrachten. Allerdings konnte kein bisheriger Lösungsansatz allgemeine Zustimmung in der Forschung finden.44

39 Vgl. Edmund L. Gettier: Is Justified True Belief Knowledge? In: Analysis Vol. 23, No. 6 (1963), S. 121–123. 40 Vgl. Anacker, Das Erkenntnisproblem, S. 361. 41 Brendel, Wissen, S. 39. 42 Vgl. Jung, Gewusst wie?, S. 79. Schon Platon selbst hatte seine Definition am Ende seines Dialogs Theaitetos eingeschränkt und sie aufgrund von Unzulänglichkeiten lediglich als Behelfsdefinition dargestellt, für die schlicht keine bessere gefunden wurde. Vgl. Jung, Gewusst wie?, S. 86. 43 Jung, Gewusst wie?, S. 98. 44 Vgl. Brendel, Wissen, S. 40 und 49. Auch Elke Brendel versucht sich an einem Lösungsansatz. An ihrem Beispiel wird jedoch deutlich, wie sich die Begriffsexplikation beim Versuch, sich gegen das Gettier-Problem abzusichern, immer weiter von der Bedingung der Einfachheit entfernt. Sie scheitert letztlich an der unklaren Bestimmung ihrer hinzugefügten Kategorie der nahen möglichen Welt.

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Michael Anacker geht sogar so weit, das Programm zu einer begriffsanalytischen Definition von Wissen als »grundsätzlich verfehlt«45 zu bezeichnen. Stattdessen werden immer neue Gettier-Beispiele erfunden und manche Forscher, wie zum Beispiel Edward Craig, halten dafür, dass die Suche nach einer Lösung des Problems zentrale erkenntnistheoretische Fragen zum Wissen vernachlässige. Diese wichtigen Fragen sind die nach dem Zweck und dem Wert des Wissens für das menschliche Leben. Craig selbst sieht einen wichtigen Zweck des Wissens darin, dass es das Subjekt, das über Wissen verfügt, zu einem wichtigen Informanten macht. Brendel widerspricht Craig und sieht in den Gettier-Beispielen hilfreiche Fälle, die für die Beantwortung nicht nur der Frage nach der Natur des Wissens, sondern auch nach dessen Wert wichtig sind. Denn es fällt auf, dass in allen Gettier-Beispielen der Zufall eine wichtige Rolle spielt. »Wissen, so die Lehre aus den Gettier-Fällen, ist mit Zufall unvereinbar.«46 Trotz der von Gettier angestoßenen Diskussion wird in der allgemeinen Erkenntnistheorie Wissen weiterhin als wahre und gerechtfertigte Überzeugung bestimmt. Die jüngeren Forschungsdiskussionen drehen sich dabei in der Regel um die Frage, wann eine Überzeugung gerechtfertigt ist.47 Der Wert des Wissens Die Tatsache, dass Glaubensinhalte in der Moderne belegen müssen, dass sie Wissen darstellen, während stattdessen in der Frühen Neuzeit neu gewonnenes Wissen nachweisen musste, dass es mit dem Glauben in Einklang stand, verweist auf eine Verschiebung in der Gültigkeit des Wissens. Diese Gültigkeit betrifft dabei offenbar nicht nur den Erkenntnisprozess, sondern auch das Ergebnis, das Wissen selbst. Mit der Entstehung der neuzeitlichen Wissenschaften änderte sich die Erkenntnisrelation, indem sie die Vorstellung einer göttlichen Weltordnung auflösten. Sowohl die möglichen Strategien der Wahrheitssuche als auch die Geltung dessen, was wahres Wissen ist, werden seither an der vermuteten Erkenntnisfähigkeit des Menschen gemessen. »Das, was man mit Sicherheit wissen kann, hängt nun vom Wie seiner wissenschaftlichen Hervorbringung ab.«48 Durch die Verknüpfung des Wissens mit dem Wie seiner Hervorbringung entsteht für den entsprechenden Forschungspro-

45 Anacker, Das Erkenntnisproblem, S. 365. 46 Brendel, Wissen, S. 49. Obwohl es sehr plausibel scheint, dass Wissen nicht mit Zufall vereinbar ist, ist doch in gewisser Weise »all unser Wissen ein bloßes Zufallsprodukt.« Viele Dinge, die man weiß, sind zufälligerweise so geschehen oder das Wissen über sie hat man einem Zufall zu verdanken. Brendel, Wissen, S. 53. 47 Vgl. Rainer Schützeichel: Soziale Epistemologie. In: Handbuch Wissenssoziologie und Wissensforschung. Hrsg. von Rainer Schützeichel. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2007 (Erfahrung – Wissen – Imagination. Schriften zur Wissenssoziologie; Bd. 15), S. 290–305, S. 291. 48 Alfred Schäfer und Christiane Thompson: Wissen – eine Einleitung. In: Wissen. Hrsg. von Alfred Schäfer und Christiane Thompson. Paderborn [u. a.]: Ferdinand Schöningh 2011, S. 7–33, S. 12.

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zess implizit ein sozialer Regelungsbedarf, was zur Frage führt, wie sich die Gültigkeit wissenschaftlichen Wissens vom Alltagswissen unterscheidet. Hierzu lässt sich auf das methodische Verfahren verweisen. Durch die spezifische wissenschaftliche Herangehensweise an eine Fragestellung – etwa durch Experimente – soll die Objektivität bei der Erkenntnisgewinnung die Wahrheit des Wissens sichern. Wissen, das wissenschaftlich erzeugt wurde, wird somit zu einem Gegenpol zum Alltagswissen.49 Die Überlieferung von gesellschaftlichem, technischem, religiösem und rituellem Wissen diente stets der Aufrechterhaltung und Bestandssicherung der Lebensverhältnisse der betreffenden sozialen Gruppe. »Dies ändert sich aber in dem Moment, wo das zu überliefernde Wissen eher als ein Mittel begriffen wird, die Lebensverhältnisse zu verändern und zu verbessern.«50 Die Voraussetzung dazu sind gesellschaftliche Einrichtungen, die nicht nur von Fortschritt und Veränderbarkeit ausgehen, sondern sie auch anstreben. Wissensüberlieferung dient vor einem solchen Hintergrund nicht mehr nur zur Sicherung bestehender Verhältnisse. Wissen ermöglicht vielmehr gesellschaftlichen Fortschritt. Dies verändert das Verständnis von Wissen. Es wird nicht mehr nur als zu überliefernde Tradition angesehen. Stattdessen werden mit seiner Hilfe Möglichkeiten zur Veränderung erschlossen und als Verbesserung begründet.51 Das Wissen selbst ist dabei ebenfalls einer »Fortschrittslogik« unterworfen, indem es als veränderbar, erweiterbar und vertiefbar verstanden wird.52 Wissen jeder Art hat also einen Wert. Worin dieser Wert besteht, ist allerdings umstritten. Offensichtlich hat Wissen einen großen Wert gegenüber Nichtwissen. Es hilft bei der Orientierung und beim Durchsetzen unserer Interessen.53 Übergreifend gilt es »als Garant für die gedeihliche Entwicklung von Mensch, Gesellschaft und

49 Vgl. Schäfer/Thompson, Wissen – eine Einleitung, S. 10–14. »Wissen ist im wissenschaftlichen Verständnis immer Wissen von etwas.« Tobias Dean: Zuhandenheit als Zugang zur Welt. In: Weisheit – Wissen – Information. Hrsg. von Karen Gloy und Rudolf zur Lippe. Göttingen: V&R unipress 2005, S. 117–140, S. 117. 50 Schäfer/Thompson, Wissen – eine Einleitung, S. 8. 51 Vgl. Schäfer/Thompson, Wissen – eine Einleitung, S. 8. 52 Im 20. Jahrhundert stellten die Wissenschaftsforscher allerdings auch fest, dass die Wissenschaft nicht nur ein stetig fortschreitender Prozess der Faktenakkumulation und theoretischer Durchbrüche ist. Sie widersprachen damit der optimistischen Einschätzung der Aufklärer. Vgl. Thomas Luckmann: Die kommunikative Konstruktion der Wirklichkeit. In: Neue Perspektiven der Wissenssoziologie. Hrsg. von Dirk Tänzler, Hubert Knoblauch und Hans-Georg Soeffner. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2006 (Erfahrung – Wissen – Imagination; Bd. 8), S. 15–26, S. 15. 53 Es hat jedoch nicht zwangsläufig mehr Nutzen als eine bloße wahre Überzeugung. Wenn in einem Quiz der Befragte die Millionenfrage nur errät, statt sie zu wissen, bekommt er ebenso die Million wie derjenige, der die richtige Antwort kennt. Wissen ist also nicht immer, sondern nur oft bzw. üblicherweise wertvoller als eine ungerechtfertigte wahre Überzeugung. Vgl. Brendel, Wissen, S. 142.

24  2 Der theoretische Kontext: Wissensraum als operationales Modell

Kultur.«54 In der erkenntnistheoretischen Diskussion geht es vor allem darum, ob es rein wissensspezifische Werte gibt. Diese Frage wird auch als »epistemisches Werteproblem«55 bezeichnet. Nicht immer ist Wissen von praktischem Nutzen und nicht immer ist es automatisch auch mit einer höheren Lebensqualität verbunden. Gelegentlich kann es für den Wissenden sogar negative Konsequenzen haben im Gegensatz zum Nichtwissenden. Außerdem gibt es verschiedene Arten von Wert. Etwas kann instrumentell aufgrund seines Nutzens, intrinsisch aufgrund seiner speziellen materiellen Beschaffenheit oder final aufgrund seiner besonderen Geschichte wertvoll sein. Duncan Pritchard unterteilt das Werteproblem in Anlehnung daran in drei verschiedene Varianten. Zuerst setzt er das »primäre Werteproblem«, das fragt, ob Wissen einen Mehrwert gegenüber der reinen wahren Überzeugung besitzt. An zweiter Stelle folgt das »sekundäre Werteproblem«, das sich darauf bezieht, ob Wissen einen Mehrwert gegenüber seinen Bestandteilen hat, und als letztes steht das »tertiäre Werteproblem«, das wissen will, ob es über einen spezifischen Finalwert verfügt.56 Das primäre Werteproblem kommt bereits in Platons (428/427–348/347 v. Chr.) Dialog Menon zur Sprache, es wird daher auch das »Menon-Problem« genannt. Darin lässt er Sokrates zu Menon Folgendes sagen: SOKRATES: Weil auch diese [die Bildwerke des Daidalos], wenn sie nicht angebunden sind, davon laufen und fliehen, sind sie aber angebunden, so bleiben sie. MENON: Was also weiter? SOKRATES: Ein losgelassenes Werk von ihm zu besitzen, das ist nicht eben sonderlich viel wert, gerade wie ein herumtreiberischer Mensch, denn es bleibt doch nicht, ein angebundenes aber ist viel wert, denn es sind gar schöne Werke. Worauf das nun geht? Auf die richtigen Vorstellungen. Denn auch die richtigen Vorstellungen sind eine schöne Sache, so lange sie bleiben, und bewirken alles Gute, lange Zeit aber pflegen sie nicht zu bleiben, sondern gehen davon aus der Seele des Menschen, so daß sie doch nicht viel wert sind, bis man sie denkend bindet durch die Erkenntnis des Grundes. Und dies, Freund Menon, ist eben die Wiedererinnerung, wie wir im Vorigen zugestanden haben. Und deshalb nun ist die Erkenntnis höher zu schätzen als die richtige Vorstellung, und es unterscheidet sich eben durch das Gebundensein die Erkenntnis von der richtigen Vorstellung. MENON: Beim Zeus, Sokrates, ein zutreffender Vergleich.57

54 Konerding, Sprache und Wissen, S. 57. 55 Brendel, Wissen, S. 143. 56 Vgl. Brendel, Wissen, S. 141–143. 57 Platon: Menon (De virtute). In: Werke/Platon. Nach der Übersetzung von Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher. Bd. 2,1. Gorgias, Theaitetos, Menon, Euthydemos. Berlin: Akad.-Verlag 1958, 97d– 98a.

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Sokrates charakterisiert hier die wahre Meinung an sich als flüchtig und erst die wahre Meinung, die begründet werden kann, als stabil und fest. Nach Platon ist es also die epistemische Rechtfertigung, die dem Wissen seinen Wert gegenüber der bloßen wahren Meinung verleiht. Allerdings wurden von der Forschung, wie bereits vorgestellt, berechtigte Zweifel an der epistemischen Rechtfertigung aufgeworfen. Es stellt sich außerdem die Frage, ob es nicht doch die wahre Überzeugung ist, die wir wertschätzen und nicht die Methode, die zu ihr führt. Weiter äußert Brendel die Überlegung, ob es überhaupt das Wissen ist, das wir wertschätzen, oder nicht vielmehr das damit verbundene Verstehen, das scheinbar eine größere epistemische Wertschätzung genießt. Verstehen ist gegenüber Wissen ein stärker holistischer Begriff, denn es beschreibt das Erfassen von Zusammenhängen und nicht nur die Kenntnis isolierter Fakten.58 Nach Brendels Ansicht ist es daher das Verstehen und nicht das Wissen selbst, das wir wertschätzen, denn mit Wissen, dem wir finalen Wert zusprechen, ist kaum das isolierte Faktenwissen gemeint, das ohne Verstehen funktioniert.59 Jonathan L. Kvanvig macht allerdings deutlich, dass der Wert des Wissens nicht auf seine Bestandteile, wie etwa die Wahrheit, reduzierbar ist. Auch Verstehen ist nach Kvanvig nicht auf Wissen reduzierbar, aber als epistemisches Ziel umfassender aufzufassen.60 Es scheint also weiterhin vor allem die epistemische Rechtfertigung zu sein, die Wissen seinen einzigartigen Wert verleiht. Interessant sind außerdem die mit dem Wert des Wissens zusammenhängenden Fragen nach dem sozialen Status des Wissenden und der Verteilung des Wissens in der Gesellschaft. Wissenssoziologie »Was Individuen für Wahrheit oder Wissen halten, wird von ihrem sozialen Umfeld beeinflußt, wenn nicht determiniert.«61 Die Wissenssoziologie versteht den Menschen jeweils als Teil des sozialen Zusammenhangs, der sowohl in den Vorgang seines Erkennens als auch den Inhalt seiner Erkenntnis eingeht. In dieser Betrachtungsweise tritt Wissen als ein soziales Ereignis auf und nicht nur als eine individuelle Erfahrung. Diese Sozialität des Wissens ist »die zentrale These und das

58 Dass Verstehen und Wissen nicht das Gleiche ist, weist Brendel anhand einiger Beispielsätze nach, die deutlich machen, dass man »etwas verstehen«, aber nur »Wissen über etwas besitzen« kann. Zudem kann jemand über etwas Wissen besitzen, ohne es auch verstehen zu müssen. Weiß jemand bestimmte Daten der Weltgeschichte, heißt es nicht, dass er sie auch in den richtigen historischen Kontext stellen kann. Brendel, Wissen, S. 154. 59 Vgl. Brendel, Wissen, S. 144f., 153 und 160f. Der finale Wert des Wissens liegt nicht in seiner Einzigartigkeit oder Seltenheit und auch nicht in seiner intellektuellen oder wissenschaftlichen Signifikanz, sondern vielmehr in seinen Funktionen für den Menschen. Brendel zieht hier einen Vergleich zum Wert der Menschenrechte. Vgl. Brendel, Wissen, S. 151. 60 Vgl. Jung, Gewusst wie?, S. 124. 61 Burke, Papier und Marktgeschrei, S. 10.

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Kernthema der Wissenssoziologie.«62 Die Wissenssoziologie untersucht in diesem Zusammenhang die Wissensverteilung in der Gesellschaft und betrachtet sie aus zwei Perspektiven, der institutionellen Differenzierung und der sozialen Stratifikation.63 Wissenssoziologisch gesehen wird der Wissensbegriff dabei auf drei Ebenen verortet, der sozialen, der sachlichen und der zeitlichen. Auf sozialer Ebene ist Wissen eine Ressource im Verteilungskampf und ermöglicht damit Handlungskompetenz. In sachlicher Hinsicht bewirkt Wissen etwas in der Welt, indem es einen Bezug zur Realität herstellt und Dingen Bedeutung beimisst. In Bezug auf die Zeit schließlich geht es um die Fähigkeit des Wissens zur Emergenz, die nicht an bestimmte Inhalte gebunden ist.64 Die zentralen Fragestellungen der Wissenssoziologie fasst Knoblauch in drei Kategorienpaare: Wie und in welchem Ausmaß ist Wissen sozial? (Sozialität vs. Subjektivität)? Ist diese Sozialität ein Bestimmungsverhältnis oder ist Wissen grundsätzlich sozial (Integration vs. Korrelation)? Und in welchem Maße haben wir es dabei mit ›Wissen‹ zu tun und nicht vielmehr mit Glauben (Episteme vs. Doxa)?65

Der Grundgedanke der Wissenssoziologie ist nicht neu. Im bekannten Höhlengleichnis von Platon wurden bereits Vorstellungen formuliert, die für die Vorbereitung der Wissenssoziologie relevant sind. Darin werden die Menschen als Wesen dargestellt, die in einer Höhle leben und lediglich die Schatten der eigentlichen Dinge wahrnehmen, die durch das Licht von außen auf die Höhlenwand projiziert werden. Auch in der Renaissance lieferte der Philosoph Michel de Montaigne (1533–1592) den Grundgedanken der Sozialität, indem er betonte, dass unser Wissen aus unseren Gewohnheiten entstünde. Mit Niccolò Machiavelli (1469–1527), der Unterschiede im Denken auf soziologische Faktoren zurückführte, und Francis Bacon (1561–1626) mit seiner Idolenlehre lassen sich weitere Vordenker nennen. Der Begriff der Wissenssoziologie selbst wurde 1909 vom österreichischen Soziologen Wilhelm Jerusalem geprägt.66 Max Scheler gilt schließlich als einer ihrer Begründer und der von

62 Knoblauch, Wissenssoziologie, S. 14. In diesem Sinne ist Erkenntnistheorie »immer auch Gesellschaftstheorie«. Knoblauch, Wissenssoziologie, S. 14. 63 Vgl. Daniel Houben: Zwischen phänomenologischer Wissenssoziologie und Bourdieu. Zur konzeptionellen und empirischen Relevanz von Gatekeepern und Facilitatoren an Statuspassagen. In: Wissen und soziale Ungleichheit. Hrsg. von Oliver Berli und Martin Endreß. Weinheim [u. a.]: Beltz Juventa 2013, S. 326–349, S. 330. Die institutionelle Differenzierung ist dabei die Perspektive, die in Deutschland dominiert. Vgl. Houben, Zwischen phänomenologischer Wissenssoziologie und Bourdieu, S. 330. 64 Vgl. Nina Degele: Informiertes Wissen. In: Handbuch Wissenssoziologie und Wissensforschung. Hrsg. von Rainer Schützeichel. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2007 (Erfahrung – Wissen – Imagination. Schriften zur Wissenssoziologie; Bd. 15), S. 394–403, S. 394f. 65 Knoblauch, Wissenssoziologie, S. 17. 66 Vgl. Knoblauch, Wissenssoziologie, S. 23f. und 90.

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ihm 1924 herausgegebene Band Versuche zu einer Soziologie des Wissens als »Gründungsdokument«67. Er führt die Wissenssoziologie im Titel und hat die systematische Erforschung der Produktion, Verteilung und Aneignung von Wissen zum Ziel. Gegenwärtige Ansätze der Wissenssoziologie unterteilen sich unter anderem in die phänomenologisch orientierte Wissenssoziologie, die kommunikative Wende sowie den Strukturalismus und seine Folgen.68 Einen weiteren Ansatz begründeten Peter Berger und Thomas Luckmann. Sie verbanden in ihrem Buch Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit die phänomenologische Soziologie mit der deutschen Wissenssoziologie und schufen damit den »Sozialkonstruktivismus«. Hubert Knoblauch wertet ihr Werk als »Meilenstein in der Geschichte der Wissenssoziologie«69. Sie unterscheiden darin zwischen Allgemein- und Sonderwissen. Unter Allgemeinwissen verstehen sie Wissen, das unabhängig von den individuellen Umständen prinzipiell allen Mitgliedern einer Gesellschaft zugänglich ist und von ihnen geteilt wird. »Als sicheres Wissen der eigenen Gruppe besitzt es für deren Mitglieder eine hohe Kohärenz und Sinnhaftigkeit und stiftet darüber Kultur.«70 Das Sonderwissen bezeichnet das individuelle Wissen jedes Einzelnen. Die gesellschaftliche Verteilung des Wissens hängt dabei mit der Arbeitsteilung zusammen – beispielsweise bilden Handwerker oder Kaufleute je spezifische Sonderwissensbestände heraus. In Gesellschaften, deren Arbeitsteilung zunimmt, vervielfacht und verbreitert sich das Sonderwissen entsprechend.71 Berger

67 Rainer Schützeichel: Vorwort. In: Handbuch Wissenssoziologie und Wissensforschung. Hrsg. von Rainer Schützeichel. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2007 (Erfahrung – Wissen – Imagination. Schriften zur Wissenssoziologie; Bd. 15), S. 7–10, S. 7. 68 Vgl. Knoblauch, Wissenssoziologie, S. 141. Die deutsche Soziologie ist dabei geprägt von den sozialen Spannungen in der deutschen Gesellschaft nach dem ersten Weltkrieg. Vgl. Knoblauch, Wissenssoziologie, S. 90. 69 Knoblauch, Wissenssoziologie, S. 153. Im Mittelpunkt der Analyse Bergers und Luckmanns stehen nicht mehr die Ideengeschichte und Sonderwissensbestände, sondern eine allgemeine Gesellschaftstheorie, die die Frage nach dem Alltagswissen und den Strukturen des Wissens im Alltag stellt. Vgl. Bernt Schnettler: Thomas Luckmann. In: Handbuch Wissenssoziologie und Wissensforschung. Hrsg. von Rainer Schützeichel. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2007 (Erfahrung – Wissen – Imagination. Schriften zur Wissenssoziologie; Bd. 15), S. 161–170, S. 161. 70 Houben, Zwischen phänomenologischer Wissenssoziologie und Bourdieu, S. 330f. Das jedem zugängliche Allgemeinwissen ermöglicht vor allem eine Orientierung in der Gesellschaft, da man dadurch zum Beispiel weiß, ob man arm oder reich ist und welche soziale Position man dementsprechend einnimmt. Vgl. Berger/Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, S. 43. Berger und Luckmann legen in ihrer Untersuchung das Hauptaugenmerk auf dieses Allgemeinwissen, da sie es für die wichtigste Ebene des gesellschaftlichen Wissens halten. Vgl. Reiner Keller: Wissenssoziologische Diskursanalyse. Grundlegung eines Forschungsprogramms. 3. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2011 (Interdisziplinäre Diskursforschung), S. 51. 71 Vgl. Berger/Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, S. 85f. Beiden Formen des Wissens ordnen Berger und Luckmann jeweils eine Sozialisationsstufe zu. In der primären

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und Luckmann fassen den Wissensbegriff sehr breit als alles, was in irgendeiner Form als »wirklich« gedacht werden kann.72 Das Wissen ist für sie damit gesamt gesehen nicht nur ein Produkt, sondern auch ein »Produzent der gesellschaftlichen Reproduktion«73. Die These des Konstruktivismus, den Berger und Luckmann begründeten, sieht die Wirklichkeit als eine Konstruktion von Handelnden. Demnach hat die Wissenssoziologie nach ihrer Auffassung »die Aufgabe, die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit zu analysieren.«74 Dieser Konstruktivismus steht an einem Wendepunkt und Neubeginn der Wissenssoziologie, der sie zu einer soziologischen Grundlagentheorie werden ließ. »Gegründet wurde die Neue Wissenssoziologie auf die philosophische Annahme, daß alles Wissen in gesellschaftlichen Situationen entwickelt, vermittelt und bewahrt wird.«75 International entwickelte sie sich allerdings recht unterschiedlich. Seit Beginn der 1980er Jahre ist im deutschsprachigen Raum eine deutliche Hinwendung verschiedener wissenssoziologischer Ansätze zum Begriff der Kommunikation zu sehen, da sie ein zentraler Prozess der Vermittlung von Wissen ist. Bereits Schütz stellte fest, dass das meiste Wissen »sozial abgeleitet« ist, das heißt, dass es von anderen stammt.76 Dies geschieht mittels Kommunikation. Wissen und Handeln kann so zum kommunikativen Handeln verbunden werden, da dieses Handeln als Sinn vermittelt und Struktur bildet und das sowohl individuell als auch kollektiv.77 Die Wissenssoziologie erlaubt einen breiten universalen Zugang zu Wissen. Sie hat aber auch verschiedene Themenbereiche, zu denen gegenwärtig vor allem die Wissenschaft, die Wissensgesellschaft, die Wissensverteilung und die Wissensforschung zählen. Ein wissenschaftssoziologischer Ansatz ist beispielsweise die Ak-

Sozialisation erlernt der Mensch durch eine bestimmte Bezugsperson das Allgemeinwissen, während er in der sekundären Sozialisation das rollenspezifische Spezialwissen erwirbt. Vgl. Berger/ Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, S. 141 und 149. 72 Vgl. Keller, Wissenssoziologische Diskursanalyse, S. 50. 73 Sabine Maasen: Wissenssoziologie. 2. überarb. Aufl. Bielefeld: transcript 2009, S. 35. 74 Berger/Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, S. 3. 75 Dirk Tänzler: Von der Seinsgebundenheit zum Seinsverhältnis. Wissenssoziologie zwischen Gesellschaftstheorie und Hermeneutik der Kulturen. In: Neue Perspektiven der Wissenssoziologie. Hrsg. von Dirk Tänzler, Hubert Knoblauch und Hans-Georg Soeffner. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2006 (Erfahrung – Wissen – Imagination; Bd. 8), S. 317–336, S. 326. 76 Serge Moscovici macht zwei Quellen des Wissens aus, das Wissen erster Hand aufgrund von Erfahrungen und das Wissen zweiter Hand aufgrund der Kommunikation mit anderen Menschen. Dieses Wissen zweiter Hand bezeichnet Moscovici als »soziales Wissen«. Damit ist soziales Wissen an Vertrauen gekoppelt, das man dem Mitteilenden entgegenbringt. Vgl. Rainer Schützeichel: Soziale Repräsentationen. In: Handbuch Wissenssoziologie und Wissensforschung. Hrsg. von Rainer Schützeichel. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2007 (Erfahrung – Wissen – Imagination. Schriften zur Wissenssoziologie; Bd. 15), S. 450–455, S. 451. 77 Vgl. Knoblauch, Wissenssoziologie, S. 153, 167 und 173.

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teur-Netzwerk-Theorie (ANT), die an Bruno Latour und Michel Callon anschließt. Latour vertritt die These, dass Handlungssubjekte und Handlungsobjekte nicht voneinander getrennt werden können.78 Damit hebt er in Bezug auf die Handlungsfähigkeit die bis dato übliche Unterscheidung zwischen dem Sozialen und dem Dinglichen auf. Die entscheidenden Begriffe der ANT sind Netzwerk, Aktant und Übersetzung.79 Die Übersetzung ist dabei das Kernstück der ANT und bedeutet die Überführung einzelner unverbundener Elemente in den Interessenzusammenhang des Netzwerks.80 Mit dem Aktanten, der nicht nur Subjekte, sondern auch Objekte umfasst, weitet die ANT den Handlungsbegriff zudem auf nichtmenschliche Akteure aus. Dadurch löst sich der Wissensbegriff von den Handelnden und kann stattdessen auf die Netzwerke der Akteure und Objekte übergehen.81 Dies ist ein wichtiger Aspekt für die Untersuchung des Buchhandels und seiner Produkte als Wissensraum. Zuletzt sei hier noch die Diskursanalyse erwähnt, die eine Verbindung vor allem zwischen der soziologischen Wissenstheorie von Berger und Luckmann und den kulturalistischen Ansätzen der Diskursforschung bzw. den Diskurstheorien insbesondere Michel Foucaults schaffen will.82 Die wissenssoziologische Diskursanalyse »beschäftigt sich mit diskursiven Prozessen und Praktiken der Produktion und Zirkulation von Wissen auf der Ebene der institutionellen Felder und öffentlichen Arenen der Gegenwartsgesellschaften.«83 Unter Diskursen werden dabei Gruppen von Praktiken und Wissen bzw. Deutungen verstanden, die analytisch abgrenzbar und strukturiert sind. In Anlehnung an Anthony Giddens wird der Zusammenhang zwischen einem einzelnen diskursiven Ereignis und dem gesamten Diskurs als »Dualität von Struktur« bezeichnet. Das bedeutet, dass die Diskursstruktur aktualisiert, reproduziert oder transformiert wird, nur in der Aktualisierung existiert und gleichzeitig die Diskurspraktik der sozialen Akteure festlegt. Eine solche Struktur ist also nicht nur anhand vergangener Prozesse untergliedert, sondern sie wirkt auch

78 Vgl. Knoblauch, Wissenssoziologie, S. 227–229, 233 und 251. 79 Vgl. Rainer Schützeichel: Soziologie des wissenschaftlichen Wissens. In: Handbuch Wissenssoziologie und Wissensforschung. Hrsg. von Rainer Schützeichel. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2007 (Erfahrung – Wissen – Imagination. Schriften zur Wissenssoziologie; Bd. 15), S. 306–327, S. 321. 80 Vgl. Peter Weingart: Wissenschaftssoziologie. Bielefeld: transcript 2003, S. 72. 81 Vgl. Knoblauch, Wissenssoziologie, S. 251f. 82 Dabei wird die theoretische und praktische Unvereinbarkeit der beiden Theorien von Berger/ Luckmann und Foucault nicht bestritten. Es geht vielmehr darum, wie sich Konzepte und Ideen der Diskursanalyse für die Wissenssoziologie übersetzen und gewinnbringend nutzen lassen. Vgl. Keller, Wissenssoziologische Diskursanalyse, S. 49f. 83 Reiner Keller: Diskurs/Diskurstheorien. In: Handbuch Wissenssoziologie und Wissensforschung. Hrsg. von Rainer Schützeichel. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2007 (Erfahrung – Wissen – Imagination. Schriften zur Wissenssoziologie; Bd. 15), S. 199–213, S. 209.

30  2 Der theoretische Kontext: Wissensraum als operationales Modell

ordnend für zukünftige Diskursereignisse.84 Als soziale Praktik, die die Wissensproduktion strukturiert, wird der Diskurs eine wichtige Rolle im Wissensraum spielen. Die vielen verschiedenen Methodik- und Theorieansätze der Wissenssoziologie stehen oft relativ isoliert nebeneinander, insgesamt gesehen gibt es aber kaum einen Wissensbereich, der von der wissenssoziologischen Betrachtung ausgeschlossen ist.85 Die Wissenssoziologie scheint außerdem mit ihrer zentralen Frage nach dem Zusammenhang von Wissen und Gesellschaft besonders nutzbringend für das Modell Wissensraum und sein in der vorliegenden Arbeit intendiertes Anwendungsgebiet zu sein. Zusammenfassung Der für den Wissensraum bevorzugte Wissensbegriff beruht einerseits auf der klassischen Definition des propositionalen Wissens als wahre und begründete Überzeugung und andererseits auf den Erkenntnissen der Wissenssoziologie. Festzuhalten ist zunächst, dass es das eine Wissen nicht gibt, stattdessen gibt es verschiedene Wissensarten. Neben der sehr groben Unterscheidung Berger und Luckmanns in Allgemein- und Sonderwissen, lässt es sich zum Beispiel nach Peter Burke, der darin Georges Gurvitsch folgt, in etwa sieben verschiedene Typen unterteilen, in »perzeptives, soziales, alltägliches, technisches, politisches, wissenschaftliches und philosophisches Wissen.«86 Eher sozialgeschichtlich ausgerichtet ist die Unterscheidung der Wissensformen je nach gesellschaftlicher Gruppe, die das Wissen generiert und kommuniziert. Da der Buchhandel und die Gelehrten im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen, konzentriere ich mich einerseits wie Burke auf das Wissen der Gelehrten, die allerdings auch mit verschiedenen Wissenstypen arbeiten. Andererseits wird das spezielle technische und ökonomische Wissen der am Buchhandel Beteiligten eine wichtige Rolle spielen. »Das Medium, das einem wahrscheinlich als erstes in Verbindung mit dem Begriff des Wissens in den Sinn kommt, ist das Buch«87. Das Buch als Wissensträger spielt im Zusammenhang mit dem Gelehrtentum der Frühen Neuzeit und dem Buchhandel selbstverständlich eine zentrale Rolle. Folglich ist das sogenannte Testimonialwissen eine weitere Wissensform, die ihre Berücksichtigung findet. Darunter versteht man Wissen, das aus zweiter Hand durch mündliche, schriftliche oder bildliche Kommunikation erworben wurde.88

84 Vgl. Keller, Diskurs/Diskurstheorien, S. 209. 85 Vgl. Maasen, Wissenssoziologie, S. 63. 86 Burke, Papier und Marktgeschrei, S. 23. 87 Achim Landwehr: Wissensgeschichte. In: Handbuch Wissenssoziologie und Wissensforschung. Hrsg. von Rainer Schützeichel. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2007 (Erfahrung – Wissen – Imagination. Schriften zur Wissenssoziologie; Bd. 15), S. 801–813, S. 807f. 88 Vgl. Brendel, Wissen, S. 72.

2.1 Problemstellung: Wissen und Raum 

31

Die Weitergabe, Bewahrung, Entwicklung und auch die Veränderungen von Wissen sind zum einen an eine mediale Form geknüpft, sei es die Stimme, die Schrift, das Bild, ein Zeichen oder ein Text. Zum anderen wird durch die mediale Formgebung das Wissen für eine gewisse Zeit auf Dauer gestellt und so erst zu einem Gegenstand von Gedächtnis, Bewahrung, Weitergabe und Veränderung.89

Daran knüpfen sich zwei wichtige Aspekte an, erstens, dass die Reproduktion von Wissen in der Gesellschaft an bestimmte Vermittlungsformen gebunden ist, und zweitens, dass die Vermittlung von Wissen reflexiv erfolgt, das heißt nur als relevant erachtetes Wissen wird weitergegeben. Vor diesem Hintergrund kann Wissen nicht von der Form seiner Vermittlung getrennt werden.90 An dieser Stelle zeigen sich Bezüge zur ANT, indem das Objekt Buch als Handlungsträger im Wissensdiskurs erscheint. Ein wichtiges Merkmal des Wissens ist die paradoxe Tatsache, dass es sich vermehrt, indem es geteilt wird.91 Wissen ist dynamisch, da es sich mit jeder neuen Erkenntnis und mit jedem Diskurs verändert.92 Dafür benötigt es den Austausch. »Wissen ist […] ein Vorgang, ein Prozeß, eine Geschichte des Hin und Wider.«93 Nur durch Kommunikation entsteht gesellschaftlich relevantes Wissen.94 Dabei beeinflusst auch das Wissen selbst die Kommunikation, denn wie Foucault im Zusammenhang mit dem Diskurs hervorhebt, gibt es »kein Wissen ohne definierte diskursive Praxis; und jede diskursive Praxis kann durch das Wissen bestimmt werden, das sie formiert.«95 Wissen ist Teil kultureller Praktiken und trägt damit zur Identitätsstiftung bei, während es diejenigen, die nicht daran teilhaben, ausgrenzt. Innerhalb eines kulturellen Kontextes ist die Mobilität des Wissens demnach relativ einfach. Überschreitet es jedoch kulturelle Grenzen, muss eine Übersetzungsleistung stattfinden.96

89 Thomas Höhne: Die Rationalität der Wissensvermittlung. Subjektivierungseffekte im Feld der Vermittlung von Wissen. In: Wissen. Hrsg. von Alfred Schäfer und Christiane Thompson. Paderborn [u. a.]: Ferdinand Schöningh 2011, S. 99–121, S. 99. 90 Vgl. Höhne, Die Rationalität der Wissensvermittlung, S. 99f. 91 Vgl. Oliver Ibert und Hans Joachim Kujath: Wissensarbeit aus räumlicher Perspektive. In: Räume der Wissensarbeit. Zur Funktion von Nähe und Distanz in der Wissensökonomie. Hrsg. von Oliver Ibert und Hans Joachim Kujath. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2011, S. 9–46, S. 9. 92 Vgl. Hans-Jürgen Goertz: Von der Kleriker- zur Laienkultur. Glaube und Wissen in der Reformationszeit. In: Macht des Wissens. Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft. Hrsg. von Richard van Dülmen, Sina Rauschenbach und Meinrad von Engelberg. Köln [u. a.]: Böhlau 2004, S. 39–64, S. 53. 93 Lippe, Epistemische und andere Formen des Wissens, S. 24. 94 Vgl. Goertz, Von der Kleriker- zur Laienkultur, S. 51. 95 Michel Foucault: Archäologie des Wissens. In: Michel Foucault. Die Hauptwerke. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2008, S. 471–699, S. 669. 96 Vgl. Ibert/Kujath, Wissensarbeit aus räumlicher Perspektive, S. 29. Es ist zu fragen, ob durch diesen Transformationsprozess noch derselbe Inhalt übertragen wird oder ob es sich nicht sogar um

32  2 Der theoretische Kontext: Wissensraum als operationales Modell

Wissenssoziologisch gesehen wird Wissen weiter als eine Ressource verstanden, nicht nur für Individuen, sondern auch für Organisationen und die Gesellschaft als Ganzes.97 Damit ist Wissen sozial determiniert; vor allem aufgrund der Tatsache, dass es in der Gesellschaft ungleich verteilt ist. Randall Collins untersucht in seiner Soziologie der Philosophien den Zusammenhang zwischen philosophischer Erkenntnis und Sozialität. Seine Leitthese lautet: »Die Geschichte der Philosophie sei im Grunde eine Geschichte der Gruppen, die philosophieren.«98 Das Philosophieren ist wie andere Wissenschaften von der Kommunikation geprägt und durch diese Kommunikation bilden sich netzwerkartige Strukturen, die Mitglieder, innere Kreise, Publikum und Möchtegernmitglieder umfassen. Unter diesen Voraussetzungen sind philosophische Gedanken – und gleiches gilt auch für andere Arten des Wissens – nicht mehr nur einzelnen Denkern zu verdanken, sondern der inneren Struktur des Netzwerks, das aus Koalitionen und Oppositionen der lebenden Beteiligten und Allianzen mit geschichtlichen Vorläufern besteht. Die Gruppen bewegen sich dabei in bestimmten Kontexten der Organisation, der Politik und der Ökonomie, sodass ihr Denken von diesen Strukturen beeinflusst ist.99 Die entscheidenden Merkmale des Wissensbegriffs sind demnach zusammenfassend folgende: Wissen ist als wahre und vor allem begründete Überzeugung, die verschiedene Arten des Wissens mit einschließt, in einen Diskurs eingebunden. Für diesen Diskurs unerlässlich ist die Kommunikation, die mündlich oder medial erfolgt. Dadurch, dass es einen Diskurszusammenhang benötigt, um relevant zu sein, ist Wissen dynamisch, da es sich mit jeder neuen Argumentation verändert. Anders als beispielsweise Berger und Luckmann konzentriere ich mich damit auf einen vergleichsweise eingeschränkten Wissensbegriff ähnlich dem Foucaults, der vornehmlich aber nicht ausschließlich das mit wissenschaftlichem Geltungsanspruch verknüpfte Wissen und die mit ihm verbundenen Aussagepraktiken meint. Darüber hinaus schließt der gewählte Wissensbegriff auch das zunächst unbewusste Routine- und »Regelkundewissen« über die eigene Kultur, über verbindliche Normen und Werte – Jürgen Ritsert spricht vom »Typus des normativen Wissens«100 – ein, sofern es innerhalb eines strukturierten Sinnzusammenhangs bewusst gemacht bzw. kommuniziert wird. Ebenso spielt das praktische Wissen-wie, dem eine propositionale Struktur zugesprochen werden kann, eine bedeutende Rolle. Wissen ist des Weiteren sozial, das heißt, dass es zugangsbeschränkt ist,

neu entstandene Wissensinhalte handelt. Vgl. Mitchell G. Ash: Wissens- und Wissenschaftstransfer – Einführende Bemerkungen. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 29/3 (2006), S. 181–189, S. 183. 97 Vgl. Maasen, Wissenssoziologie, S. 5. 98 Knoblauch, Wissenssoziologie, S. 15. 99 Vgl. Knoblauch, Wissenssoziologie, S. 15f. 100 Jürgen Ritsert: Ideologie. Theoreme und Probleme der Wissenssoziologie. Münster: Westfälisches Dampfboot 2002 (Einstiege; Bd. 11/12), S. 192.

2.1 Problemstellung: Wissen und Raum

 33

indem es in der Gesellschaft ungleich verteilt und in kulturelle Kontexte eingebunden ist. Das bedeutet außerdem, dass es als eine Ressource verstanden werden kann, die Handlungskompetenz verleiht. Wissen ist schließlich auch sozial, indem es als Allgemeinwissen nicht nur kulturelle Identität stiftet, sondern als Sonderwissen auch die Einheit einer Gruppe befördert und nach außen hin absichert.

2.1.2 Raum »Raum ist ein Grundkonzept menschlicher Anschauung und Orientierung.«101 Der Raum kann dabei viele Bedeutungen haben. Raum »ist für den Menschen in erster Linie körperlich erfahrbarer Lebensraum, in den hinein sich sein Leben entfaltet, dessen er bedarf, um atmen und wirken zu können – Raum, in den hinein er geradezu gesogen wird.«102 Der Raum wird oft gleichbedeutend mit einem Zimmer verwendet, er bezeichnet ein Volumen oder einen physikalischen Raum, in dem sich Gegenstände befinden. Es gibt einen mathematischen und einen geographischen Raum. Auch das Universum als Weltraum oder ein Rechtsraum, der Gültigkeitsbereich einer Gesetzesgebung, sind noch greifbare Dinge, die mit Raum gemeint sein können. Deutlich schwieriger wird es in der Philosophie oder in der Soziologie, wo der Raum bzw. der soziale Raum Gegenstand theoretischer Überlegungen ist. Zunächst ist festzuhalten, dass der »Raum« (griech. chôra, lat. spatium) nicht mit einem »Ort« oder »Platz« (griech. topos, lat. locus) gleichzusetzen ist.103 Mit dem Ort bzw. einer Ortsangabe gibt man in der Regel an, wo sich jemand befindet oder wo etwas stattfindet. Er dient zur Lokalisierung. Der Raum dagegen bezeichnet etwas diffuser die umgebende Umwelt.104 Bezieht man sich auf den Alltagsgebrauch des Wortes Raum, so ist in der Regel damit eine dreidimensionale Ausdehnung mit Grenzen nach außen hin und möglichen Körpern im Inneren gemeint.105 Im wissenschaftlichen Diskurs hat sich dagegen seit der antiken Philosophie und der neuzeitlichen Physik die Vorstellung eines allumfassenden Kontinuums herausgebildet, das als Ganzes alle anderen Räume als Teilräume enthält.106

101 Klaus Mainzer: Grundlagen. Naturwissenschaften. In: Raum. Ein interdisziplinäres Handbuch. Hrsg. von Stephan Günzel. Stuttgart [u. a.]: J. B. Metzler 2010, S. 1–23, S. 1. 102 Peter Cornelius Mayer-Tasch: Raum und Grenze. Wiesbaden: Springer VS 2013, S. 12. 103 Vgl. Busche, Wissensräume, S. 18. 104 Vgl. Bernhard Waldenfels: Topographie der Lebenswelt. In: Topologie. Zur Raumbeschreibung in den Kulturwissenschaften. Hrsg. von Stephan Günzel. Bielefeld: transcript 2007, S. 69–84, S. 75. 105 Dies ist die Vorstellung vom physikalischen, euklidischen Raum, wie ihn die Geologie in erster Linie verwendet. Vgl. Michaela Haberkorn: Grundlagen. Geowissenschaften: Geologie und Evolutionstheorie. In: Raum. Ein interdisziplinäres Handbuch. Hrsg. von Stephan Günzel. Stuttgart [u. a.]: J. B. Metzler 2010, S. 34–44, S. 34. 106 Vgl. Busche, Wissensräume, S. 18f.

34  2 Der theoretische Kontext: Wissensraum als operationales Modell

Dieser kosmologische Gedanke des Raumes als des Inbegriffs oder Totalität aller Teilräume wirft dann die berühmten Fragen auf, die zum Gegenstand philosophischer Kontroversen wurden: Ist ›der Raum‹ endlich oder unendlich? Ist er eine reale Größe (Demokrit), ein ›ens rationis‹ (Suarez) oder aber eine Form a priori der Anschauung (Kant)? Ist er nur die Ordnung der Relationen zwischen den koexistierenden räumlichen Dingen (Leibniz) oder vielmehr eine absolute, d. h. von den Körpern losgelöste Entität (Newton)?107

Nach Markus Schroer kommt man stets in Schwierigkeiten bei der Frage, »was« ein Raum ist, stattdessen muss man eher fragen, »wie« ein Raum ist. Die Problematik bei der Bestimmung der Wesenheit des Raums liegt in der Tatsache begründet, dass der Raum ein Paradoxon in sich vereint. Einerseits kann er sehr konkret als der eine Person umgebende Raum gedacht werden, andererseits entzieht sich der Raum ab einer gewissen Ausdehnung – etwa als Weltraum – jeder menschlichen Vorstellungskraft.108 Martina Löw geht so weit zu behaupten, dass Raum »nur als wissenschaftliche Abstraktion«109 existiert. Auf die Frage nach dem Wie des Raums wurde in der Forschung mit verschiedenen Raumkonzepten bzw. -vorstellungen geantwortet. Raumtheorie In der Wissenschaftsgeschichte bezüglich des Raums gibt es immer wiederkehrende Kontroversen, die durch die bestimmende Gegenüberstellung von relativistischen und absolutistischen Raumbegriffen entstehen.110 Die üblichen Auseinandersetzungen zwischen den bekannten Theorieschulen wie beispielsweise Handlungstheorie versus Systemtheorie oder Marxismus versus Strukturalismus werden gegenüber dieser tiefen Spaltung der Forschung zweitrangig. Absolutisten gehen von einem Dualismus aus, das heißt sie sehen die gleichzeitige Existenz von Raum und Körper. Sie trennen den Raum streng von den Körpern und dem Handeln und gehen davon aus, dass er auch unabhängig davon existiert. Der absolutistische Raumbegriff entwirft somit das Bild eines unbewegten Raums, in dem sich Körper befinden. Dagegen sind Relativisten der Ansicht, dass Raum erst aus der Struktur der Lagebeziehungen von Körpern entsteht. Sie setzen voraus, dass Raum nicht unabhängig von den Körpern und den Handlungen existiert. Da sich letztere stets in Bewegung befinden, ist auch der Raum ständiger Veränderung ausgesetzt. Relativisten vertreten

107 Busche, Wissensräume, S. 19. 108 Vgl. Markus Schroer: Räume, Orte, Grenzen. Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums. 1. Aufl. [Nachdruck]. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2009, S. 9f. 109 Martina Löw: Raumsoziologie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2001 (Suhrkamp taschenbuch wissenschaft; Bd. 1506), S. 271. 110 Vgl. Schroer, Räume, Orte, Grenzen, S. 30.

2.1 Problemstellung: Wissen und Raum



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demnach das Bild eines bewegten Raums, der durch die Aktivität des Handelns produziert wird.111 Erste Versuche einer Raumdefinition stammen aus der Antike. Dabei wurde zunächst der Blick auf den physischen Raum geworfen.112 Eine frühe Erklärung des Raumbegriffs liefert Platon in seiner Schrift Timaios. Seine Grundidee ist, dass »Sein« und »Werden« als Kategorien nicht ausreichen, um die Welt zu beschreiben. Dazu bräuchte es eine dritte Gattung, die alles in sich aufnimmt. Diese Kategorie nennt Platon »Raum«. Da man nur über das Sein Wissen erlangen und nur das Werden mit seinen Sinnen wahrnehmen kann, entzieht sich der Raum in einer Zwischenstellung zwischen Sein und Gewordenem dem Wissen.113 Platon setzt diese drei Gattungen in einer Analogie mit der Familie gleich. Der Vater als Erzeuger steht für das Sein, das Kind als Erzeugnis für das Werden und die Mutter als Behälter für das, was das Werden in sich trägt. Der Raum selbst muss nach Platon gestaltlos sein, denn er ist nicht wahrnehmbar.114 »Platon entdeckt also den Raum als ausgeschlossenes Drittes zwischen Sein und Werden als das Wohin.«115 In seiner Tradition stehen die weiteren absolutistischen Theorien zum sogenannten Behälter- oder Containerraumkonzept.116 In der Renaissance herrschte die Ansicht des relativen Raums vor. Gleichzeitig wurde aber auch der Raumbegriff erstmals von den in ihm enthaltenen Dingen gelöst. Bernardino Telesio und Giordano Bruno setzten beispielsweise voraus, dass der Raum weiterexistiert, auch wenn alle Körper aus ihm entfernt wurden.117 Neue Impulse für die Diskussion um den Raum lieferte dann Ende des 18. Jahrhunderts Immanuel Kant (1724–1804). Anstatt sich weiterhin mit der Frage nach der Abhängigkeit des Raums vom Verhältnis der Körper zueinander zu beschäftigen, band er die Raumerfahrung an das Subjekt zurück.118 Anfangs versuchte Kant als Mittler die verschiedenen Positionen seiner unmittelbaren Vorgänger Gottfried Wilhelm Leibniz (relativistisch) und Isaac Newton (absolutistisch) miteinander zu vereinen.119 Dabei hatte er eine sehr ambivalente Einstellung zum Raum. In seiner Dissertatio

111 Vgl. Löw, Raumsoziologie, S. 17f. 112 Raum wurde anfangs in der Mathematik im Rahmen der Geometrie gedacht. Dort bezeichnet er den geometrischen Ort, den ein Körper einnimmt. Vgl. Mainzer, Grundlagen, S. 2. 113 Vgl. Schroer, Räume, Orte, Grenzen, S. 31. 114 Vgl. Platon: Timaios. In: Klassische Texte zum Raum. Hrsg. von Ulf Heuner. 3. Aufl. Berlin: Parodos 2008, S. 11–32, S. 14f. 115 Schroer, Räume, Orte, Grenzen, S. 32. 116 Einstein prägte den Begriff »container« – dt. Behälter – für das absolutistische Raumbild. Vgl. Löw, Raumsoziologie, S. 24. 117 Vgl. Schroer, Räume, Orte, Grenzen, S. 34f. 118 Vgl. Hermann Doetsch: Einleitung. In: Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften. Hrsg. von Jörg Dünne und Stephan Günzel. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2006, S. 195–211, S. 195. 119 Vgl. Schroer, Räume, Orte, Grenzen, S. 41.

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(1770), die als Vorarbeit zu seiner Kritik der reinen Vernunft (1781) gilt, kam Kant zunächst zu dem Ergebnis, dass der Raum das absolut erste formale Prinzip der Welt der Sinne sei.120 In seiner späteren Abhandlung Neuer Lehrbegriff der Bewegung und Ruhe stellte er sich dann erst auf Leibniz Seite, einige Jahre später auf Newtons Seite und betonte zuletzt wieder den relativen Charakter des Raums. Am Ende war der Raum für Kant nur noch eine Vorstellung ohne eigene Realität.121 »Der Raum ist eine notwendige Vorstellung a priori, die allen äußeren Anschauungen zum Grunde liegt.«122 Eigentlich war Kants Arbeit damit wegbereitend für einen konstruktivistischen Raumbegriff, wie er für die Soziologie relevant ist. Stattdessen stand jedoch in seiner Folge der absolute Raum bis ins 19. Jahrhundert im Fokus der Wissenschaft.123 Dem 20. Jahrhundert wurde schließlich eine gewisse »Raumvergessenheit«124 zugunsten der Zeit attestiert.125 Der Raum ist aber auch in Bezug auf die Zeit eine wichtige Komponente, was sich bereits an der Tatsache festmacht, dass wir uns die Zeit meist räumlich – linear oder zirkulär – vorstellen.126 Erst Albert Einstein (1879– 1955) verband Raum und Zeit wieder miteinander zu einer Raum-Zeit-Struktur. Mit seiner Relativitätstheorie überwand er somit das euklidische Raumverständnis. Er

120 Vgl. Löw, Raumsoziologie, S. 29. 121 Vgl. Schroer, Räume, Orte, Grenzen, S. 41f. Kant übte darin Kritik an Newton, da dieser den absoluten Raum zur Voraussetzung für seine Analyse der »absoluten Bewegung« machte, indem er den Raum von den Elementen trennte. Der Raum als Dasein per se ist empirisch nicht verifizierbar, was ihn der Wissenschaft, deren notwendige Voraussetzung er ist, entzieht. Vgl. Marcus Sandl: Raumvorstellungen und Erkenntnismodelle im 18. Jahrhundert. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 23 (2000), S. 419–431, S. 421. 122 Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Der Transzendentalen Elementarlehre erster Teil: Die Transzendentale Ästhetik. In: Klassische Texte zum Raum. Hrsg. von Ulf Heuner. 3. Aufl. Berlin: Parodos 2008, S. 107–114, S. 110. Kant will damit verdeutlichen, dass der Raum nicht wahrgenommen werden kann und kein empirisch erfahrbarer Gegenstand oder Begriff ist, sondern dass die Raumvorstellung alle Wahrnehmungen und Erfahrungen schon begleitet, weil die Wahrnehmung eines Gegenstandes immer bereits räumlich ist. Vgl. Mainzer, Grundlagen, S. 15. 123 Vgl. Schroer, Räume, Orte, Grenzen, S. 42. 124 Ulf Heuner: Die Wiederentdeckung des Raumes. In: Klassische Texte zum Raum. Hrsg. von Ulf Heuner. 3. Aufl. Berlin: Parodos 2008, S. 7–10, S. 7. 125 Bereits im 19. Jahrhundert wurde mit dem Aufkommen des historischen Denkens die Zeit zum Maß aller Dinge. Vgl. Stephan Günzel: Raumkehren. Kopernikanische Wende. In: Raum. Ein interdisziplinäres Handbuch. Hrsg. von Stephan Günzel. Stuttgart [u. a.]: J. B. Metzler 2010, S. 77–89, S. 79. In Deutschland hatte der Raum im 20. Jahrhundert außerdem einen besonders schwierigen Stand, da er seit dem Ende des 19. Jahrhunderts von den Nationalsozialisten als Symbol für ihre Expansionsbestrebungen genutzt wurde. Nach dem 2. Weltkrieg war diese Raumsemantik diskreditiert und gerade politische Raumbezüge galten noch bis Anfang der 1980er Jahre als revisionistisch. Vgl. Roland Lippuner und Julia Lossau: Raumkehren. Kritik der Raumkehren. In: Raum. Ein interdisziplinäres Handbuch. Hrsg. von Stephan Günzel. Stuttgart [u. a.]: J. B. Metzler 2010, S. 110–119, S. 110. 126 Vgl. Heuner, Die Wiederentdeckung des Raumes, S. 7.

2.1 Problemstellung: Wissen und Raum 

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verwarf auch die von Newton geprägte Vorstellung eines absoluten Raums und einer absoluten Zeit.127 Mit seiner Theorie entzog er der Konstruktion des absoluten Raums die wissenschaftliche Basis, denn der Raum bildet sich nach Einstein aus den Lageverhältnissen von Körpern, die sich ständig bewegen. Dadurch spielt die Zeit bei der Raumkonstitution eine Rolle und der Raum ist kein starrer Behälter außerhalb der Körperwelt. Die Beziehungsstruktur der Körper und damit der Raum wird abhängig vom Bezugssystem des Betrachters.128 Albert Einstein steht in einer Reihe mit bedeutenden und für die Auseinandersetzung mit dem Raum grundlegenden Namen.129 Wird der Raum, wie es bei Einstein am Ende der Fall ist, nicht mehr nur als ein realer Behälter definiert, innerhalb dessen soziale Beziehungen und Handlungen stattfinden, dann wird er zu einer Kategorie der Soziologie. Indem der Raum nur in der Wahrnehmung existiert, ist er formbar, denn die Wahrnehmung ist grundsätzlich durch soziale Bezüge beeinflusst. Besonders bei relativen Raumkonzepten wird daher »der kreative Anteil der Menschen betont, Räume durch ihre Aktivitäten zu konstituieren.«130 Auch wenn die Gesellschaft als ein Raum aufgefasst wird, in dem die einzelnen Individuen agieren und an dessen Grenzen sie gebunden sind, bedeutet das wieder die implizite Übernahme des Containerkonzepts. Es wäre jedoch fatal, anzunehmen, dass die sozialen Räume mit den politischen und ökonomischen zusammenfallen und jeweils an der territorialen Grenze eines Staates enden.131 Der soziale Raum Für die Soziologie ist es wichtig, dass ein Raum erst hergestellt werden muss, um für soziale Prozesse bedeutsam zu sein. In diesem Sinne wird der Begriff Raum von dem Verb »räumen« hergeleitet, das so viel bedeutet wie Platz schaffen. Der Raum steht dann zum Beispiel für einen geographischen Raum, der durch menschliche Tätigkeiten wie Rodung in einen Siedlungsplatz umgestaltet wurde. Darin äußert sich ein konstruktivistischer Raumbegriff.132 In der soziologischen Forschungstradition zum Thema Raum wird er allerdings meist deutlich vom geographischen Ort unterschieden. Würde Raum nicht vom Ort getrennt, dann würde der Raum auf den Aspekt der Lokalisierung reduziert und nicht als ein komplexer Prozess aufgefasst

127 Vgl. Schroer, Räume, Orte, Grenzen, S. 43. 128 Vgl. Löw, Raumsoziologie, S. 33f. 129 Einstein selbst wollte seinen Raumbegriff nicht nur physikalisch, sondern auch philosophisch verstanden wissen. Vgl. Löw, Raumsoziologie, S. 22. 130 Schroer, Räume, Orte, Grenzen, S. 45. 131 Vgl. Schroer, Räume, Orte, Grenzen, S. 44–46. 132 Vgl. Schroer, Räume, Orte, Grenzen, S. 29.

38  2 Der theoretische Kontext: Wissensraum als operationales Modell

werden. Außerdem schließt die Gleichsetzung von Raum und Ort die Existenz verschiedener Räume am gleichen Ort aus.133 Es sollte jedoch fast die gesamte Begriffsgeschichte über dauern, bis der Raum auch als sozial konstituiert erkannt bzw. gedacht werden konnte.134 Erst im Laufe des 20. Jahrhunderts wandte sich die Soziologie in ihrer Betrachtung stark dem Raum zu.135 Der »Spatial Turn« ist einer der prominentesten Paradigmenwechsel innerhalb der Kulturwissenschaften in den frühen 1990er Jahren.136 Dabei wird weiterhin zwischen einer absolutistischen und einer relativistischen Raumvorstellung unterschieden. Die absolutistisch ausgerichtete Tradition der Raumsoziologie unterteilt Löw in drei verschiedene Konzeptionalisierungen. Zunächst spricht sie von einem »ortsbezogenen Raumbegriff«, bei dem der Raum entweder wie bei Berger und Luckmann mit einem konkreten Ort gleichgesetzt wird oder bei dem er wie bei Giddens ontologisch gegeben und soziologisch nur relevant in seinem Ortsbezug gesehen wird. Als zweites nennt sie den »territorialen Raumbegriff«. Bei dieser Variante geht es um eine Verdinglichung des Raums zum Territorium, wobei der »Raum gleichzeitig als soziologischer Gegenstand abgelehnt wird.«137 Eine solche Argumentation findet sich beispielsweise bei Niklas Luhmann. Die dritte Möglichkeit ist die Verwendung des Kantschen Raumbegriffs. Seine Raumvorstellung ist zwar nicht in der Weise absolutistisch wie die Gleichsetzung des Raums mit dem Ort oder Territorium, er wird aber dennoch der absolutistischen Tradition zugerechnet, da er die euklidischen Prinzipien als eine vor der Erfahrung liegende Ordnungsstruktur sieht.138 Im Folgenden werde ich mich auf die in Bezug auf den Wissensraum am sinnvollsten anzuwendende relativistische Forschungslinie konzentrieren. Die Raumsoziologie interessiert sich ganz allgemein dafür, wie der Raum durch Akteure hergestellt wird, welche Bedeutungen ihm zugeschrieben werden und welche Wirkungen die vorhandene Räumlichkeit auf die Handelnden hat. Dabei orientiert sie sich in ihren Fragestellungen an drei grundlegenden Aspekten, dem Verhältnis von physischem zu sozialem Raum, von Containermodell zu relationaler

133 Vgl. Löw, Raumsoziologie, S. 270. Löw hält auch die Gleichsetzung von Raum und Territorium nicht für sinnvoll, da sie dazu in jüngeren soziologischen Arbeiten die Tendenz ausmacht, Raum als Abgrenzung zu geopolitischen Argumentationen und nicht als soziologische Kategorie zu bestimmen. Vgl. Löw, Raumsoziologie, S. 270. 134 Vgl. Stefan Günzel: Philosophie. In: Handbuch Sozialraum. Hrsg. von Fabian Kessl, Christian Reutlinger, Susanne Maurer und Oliver Frey. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2005, S. 89–110, S. 90. 135 Vgl. Fabian Kessl und Christian Reutlinger: Die (sozialpädagogische) Rede von der Sozialraumorientierung. In: Sozialraum. Eine Einführung. 2., durchges. Aufl. Hrsg. von Fabian Kessl und Christian Reutlinger. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2010, S. 39–58, S. 41. 136 Vgl. Stephan Günzel: Raum – Topographie – Topologie. In: Topologie. Zur Raumbeschreibung in den Kulturwissenschaften. Hrsg. von Stephan Günzel. Bielefeld: transcript 2007, S. 13–29, S. 13. 137 Löw, Raumsoziologie. S. 35. 138 Vgl. Löw, Raumsoziologie, S. 35f.

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Raumauffassung und von Raum zu Zeit. Wichtige Vordenker der Raumsoziologie waren Émile Durkheim (1858–1917) und Georg Simmel (1858–1918). Ihr Verdienst ist es, den Raum als ein soziales Produkt verstanden zu haben und nicht als natürlich und schon immer gegeben. Allerdings legten sie gleichzeitig auch den Grundstein für eine Vernachlässigung des Raums zugunsten der Zeit, denn bei beiden findet sich die Vorstellung einer zunehmenden Emanzipation vom (Nah)Raum in komplexeren Gesellschaften.139 Simmels Bedeutung für die Raumtheorie besteht vor allem darin, dass er sowohl die strukturelle Seite des Raums als auch seine Generierung durch menschliche Handlungen betrachtet. Andere Forscher folgen meist nur dem »Raumdeterminismus« oder dem »Raumvoluntarismus«. In neueren Beiträgen beispielsweise wird laut Schroer insbesondere die Hervorbringung von Räumen durch Aktivität in den Mittelpunkt gestellt, während die Wahrnehmung dieser Räume nur eine untergeordnete Rolle spielt.140 Es ist davon auszugehen, dass die Vorstellung von Gesellschaft räumlich geprägt ist. Sie wird auch räumlich erfahren und gerade die räumlichen Aspekte sind entscheidend für die Entstehung von Weltbildern. Diese Weltbilder formieren sich durch die Verarbeitung von Wissen, das durch Erfahrung, Tradition, Sozialisation und mediale Vermittlung gewonnen wurde. Die so generierten sozialen und räumlichen Vorstellungen sind Repräsentationen des verarbeiteten Wissens und können zur Orientierung oder Positionierung als Karten aufgefasst werden.141 Die Einordnung des Individuums in ein gesellschaftliches Gefüge, das die eigenen Erfahrungen übersteigt, bedingt dabei das Gesellschaftsbild. Die hierbei auftauchenden Raumvorstellungen sind eher relational und zeigen Zusammenhänge zu sozialen Vorstellungen. »Gesellschaftsbilder sind soziale Konstrukte, die beeinflussend auf eine räumliche Verortung wirken und umgekehrt.«142 Wichtig für diese Einordnung einer Einzelperson in eine Gruppe ist die Trennung von innen und außen bzw. eine Abgrenzung zu anderen. Simmel bezeichnet das Bedürfnis nach Grenzziehungen als eine allgemeingültige Konstante des menschlichen Lebens.143 Er spricht dem Raum fünf Grundqualitäten zu, die Ausschließlichkeit, die Zerlegbarkeit, die Fixierung, die Nachbarschaft und die Beweglichkeit.144 Die Grenze kommt bei Simmel nun vor allem bei der zweiten Qualität der Zerlegbarkeit des Raums zum Tragen, denn die Einheiten, in die der Raum unterteilt wer-

139 Vgl. Laura Kajetzke und Markus Schroer: Themen und Perspektiven. Sozialer Raum: Verräumlichung. In: Raum. Ein interdisziplinäres Handbuch. Hrsg. von Stephan Günzel. Stuttgart [u. a.]: J. B. Metzler 2010, S. 192–203, S. 193f. 140 Vgl. Schroer, Räume, Orte, Grenzen, S. 78. 141 Vgl. Nils Zurawski: Raum – Weltbild – Kontrolle. Raumvorstellungen als Grundlage gesellschaftlicher Ordnung und ihrer Überwachung. Opladen [u. a.]: Budrich UniPress 2014, S. 13f. 142 Zurawski, Raum – Weltbild – Kontrolle, S. 18. 143 Vgl. Mayer-Tasch, Raum und Grenze, S. 42. 144 Vgl. Löw, Raumsoziologie, S. 62.

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den kann, sind von Grenzen eingerahmt. Die Bedeutung der Grenze des Raums, den eine gesellschaftliche Gruppe als Einheit einnimmt, vergleicht er mit der Bedeutung des Rahmens für ein Kunstwerk. Beides hat die Funktion das Kunstwerk respektive die Gruppe zusammen- und nach außen hin abzuschließen.145 Allerdings sieht Simmel die Grenze nicht als raumgenuine Eigenschaft, sondern als Ausformung eines soziologischen Vorgangs. »Die Grenze ist nicht eine räumliche Tatsache mit soziologischen Wirkungen, sondern eine soziologische Tatsache, die sich räumlich formt.«146 In der Medienforschung überwiegt die These der zunehmenden Bedeutungslosigkeit des Raums durch die Erfindung der Transport- und Kommunikationstechnologien, die Grenzen überwinden.147 Dieser Topos findet sich auch in der Globalisierungsdiskussion und bezieht sich lediglich auf den physisch-geographischen Raum.148 Entfernungen können mit den neuen Technologien leichter und schneller überbrückt werden. Aus soziologischer Perspektive entstehen jedoch erst aus dieser gegenseitigen Erreichbarkeit Räume. »Eher wäre von einer steten Raumvermehrung zu sprechen, da jedes Medium zusätzliche Räume erschließt und schafft.«149 Joachim Scheiner stellt in seinem Beitrag Die Angst der Geographie vor dem Raum diese Vorstellung, dass der Raum zunehmend verschwindet, auch für die Geographie infrage mit dem Hinweis darauf, dass sich sowohl die Infrastruktur als auch soziale Verhältnisse weiterhin räumlich formieren.150

145 Vgl. Georg Simmel: Soziologie des Raumes. In: Georg Simmel. Gesamtausgabe. Bd. 7: Aufsätze und Abhandlungen 1901–1908. Hrsg. von Otthein Rammstedt. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1995, S. 138. Politische Grenzen sind stärker spürbar als natürliche Grenzen wie ein Gebirge oder ein Fluss, da dort nicht nur passiver Widerstand herrscht, sondern auch eine aktive Abstoßung. Das bedeutet allerdings nicht, dass die natürlichen Gegebenheiten der Umgebung keinen Einfluss ausüben. Simmel erwähnt hier als Beispiel Gebirgsbewohner, die aufgrund des erschwerten Verkehrs mit der Außenwelt ein ganz eigenes Verhalten zeigen, das sich in einem gewissen Konservatismus äußert. Vgl. Simmel, Soziologie des Raumes, S. 139f. 146 Simmel, Soziologie des Raumes, S. 141. Aus diesem Grund ziehe ich die pauschale Einschätzung Löws und Schroers, Simmel folge einem reinen Containermodell in seiner Raumauffassung, in Zweifel. Simmel sieht eine enge Verbindung des Raums zum Ort und es erscheint auf den ersten Blick, dass er ihn als Behälter definiert, jedoch ist der Raum bei Simmel nicht vorab schon vorhanden, sondern wird erst durch soziologische Vorgänge geformt. Das widerspricht der Vorstellung eines fest bestehenden Containers, innerhalb dessen Grenzen sich soziologische Vorgänge abspielen. 147 Vgl. Markus Schroer: »Bringing space back in« – Zur Relevanz des Raums als soziologischer Kategorie. In: Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Geisteswissenschaften. Hrsg. von Jörg Döring und Tristan Thielmann. Bielefeld: transcript 2008, S. 125–148, S. 128. 148 Vgl. Kajetzke/Schroer, Themen und Perspektiven, S. 195. 149 Schroer, Räume, Orte, Grenzen, S. 164. Wolfgang Schivelbusch warnt in seiner Geschichte der Eisenbahn (2004/1977) »vor dem Trugschluss, die verkehrstechnische Verkürzung von Distanzen und die ›Tilgung der Zwischenräume‹ mit der Auslöschung von Räumlichkeit schlechthin gleichzusetzen.« Günzel, Raum – Topographie – Topologie, S. 16. 150 Vgl. Joachim Scheiner: Die Angst der Geographie vor dem Raum. In: geographische revue. Zeitschrift für Literatur und Diskussion. Jg. 4, H. 1 (2002), S. 19–44, S. 28. Während sich die These von

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Trotzdem gibt es auch in der Soziologie vor allem mit Simmel und Durkheim Tendenzen, dem Raum Irrelevanz zuzusprechen. Schroer hält fest, dass dies auffälligerweise meist nur im Zusammenhang mit ökonomischen Prozessen geschieht. In Bezug auf die Politik wird stattdessen immer die notwendige Raumbindung betont.151 Das bedeutet, dass in der Behauptung der Überwindung des Raums eben dieser mit dem Ort verwechselt wird. Was als Ende des Raums verkündet wird, meint bei näherer Betrachtung eine stärkere Unabhängigkeit wirtschaftlicher, politischer und sozialer Aktivitäten von bestimmten Orten. Was sich von primitiven Gesellschaften bis hin zu postmodernen allenfalls beobachten lässt, ist eine sukzessive Ablösung des Ortes durch den Raum. Insbesondere Kommunikations- und Transporttechnologien erschließen immer mehr Räume, lockern aber das Verhältnis zum Ort – freilich ohne ihn deshalb schon zum Verschwinden zu bringen.152

Dies ist ein für den Wissensraum entscheidender Punkt in der Raumdiskussion, da es sich dabei eben nicht um einen festen Ort handelt und die These dahingehend lautet, dass ein Wissensraum durch Kommunikation entsteht. In der Sozialwissenschaft ist seit einigen Jahren vielfach auch die Rede vom Sozialraum. Die Grundannahme hierbei, wie sie auch im einführenden Lehrbuch Sozialraum von Fabian Kessl und Christian Reutlinger vertreten wird, lautet: »Räume sind keine absoluten Einheiten, sondern ständig (re)produzierte Gewebe sozialer Praktiken.«153 Diese Annahme widerspricht endgültig der absoluten Raumvorstellung und in diesem Sinne ist der Sozialraum eine konstruktivistische Raumtheorie. Kessl und Reutlinger begründen damit zudem die explizite Verwendung des Begriffs Sozialraum und nicht einfach nur Raum. Raumordnungen wirken auf die Handlungen von Akteuren zurück, indem sie sich materialisieren. Eine solche Materialisierung wird allerdings von konstruktivistischen Raumtheorien häufig vernachlässigt.154 Diese scharfe Trennung des sozialen Raums vom physischen Raum ist dem Versuch der Soziologie geschuldet, sich von anderen Disziplinen – in erster Linie der Geographie – abzugrenzen. Der natürliche Raum wird dabei als gegeben und

der Verabschiedung des Raums vor allem auf den physischen Raum bezieht, also auf den absolutistischen Raumbegriff, beruft sich die dagegen stehende These von der Wiederkehr des Raums auf den relationalen Raumbegriff und meint vor allem Sozialräume und virtuelle, transnationale, ethnische Räume usw. Vgl. Schroer, »Bringing space back in«, S. 135. 151 Vgl. Schroer, Räume, Orte, Grenzen, S. 164. Die Unabhängigkeit der Wirtschaft vom Raum wird spätestens mit Beginn der Geldwirtschaft postuliert. Vgl. Schroer, Räume, Orte, Grenzen, S. 167. 152 Schroer, Räume, Orte, Grenzen, S. 172. 153 Fabian Kessl und Christian Reutlinger: (Sozial)Raum – ein Bestimmungsversuch. In: Sozialraum. Eine Einführung. 2., durchges. Aufl. Hrsg. von Fabian Kessl und Christian Reutlinger. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2010, S. 21–38, S. 21. 154 Vgl. Kessl/Reutlinger, (Sozial)Raum, S. 22 und 27. Kessl und Reutlinger vertreten die Position eines relationalen Raumbegriffs, der konstruktivistische und materialistische Ansätze vereint. Vgl. Kessl/Reutlinger, (Sozial)Raum, S. 28.

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nicht wie der soziale Raum als konstruiert angenommen. Allerdings übersieht die Soziologie dabei oft, dass sich der soziale Raum immer auch in irgendeiner Weise zum physischen Raum verhält.155 Der soziale Raum wird als ein soziales Produkt verstanden.156 Eine bislang ebenso vernachlässigte, aber grundlegende Konsequenz aus dieser These ist die notwendige Analyse des Raums in der Geschichte. »Die Produktion des Raumes ist ein historischer Prozess, der sich in und mit der Geschichte verändert.«157 Sowohl der Raum als auch die ihn erzeugenden Prozesse verändern sich mit den jeweiligen Gesellschaften, wodurch der Raum nicht nur als ein soziales, sondern auch als ein historisches Produkt verstanden wird. Henri Lefebvre sieht konsequenterweise die Spuren der Vergangenheit in den gegenwärtigen Raum – genauer gesagt den geographischen Raum – eingeschrieben.158 Lefebvre war mit seiner Studie zur Produktion des Raums ein Impulsgeber für die Generation neomarxistischer Sozialgeographen. Der Raum ist für ihn nicht nur Teil der Produktionsmittel, sondern auch ein Produkt der sozialen Praktik.159 Die soziale Räumlichkeit teilt Lefebvre in drei Ebenen auf, die räumliche Praxis, die Raumrepräsentation und Repräsentationsräume.160 »Entscheidend für das Raumverständnis Lefebvres ist das dialektische Zusammenspiel aller drei Raumebenen. Raum ist ein sowohl mentales und physisches als auch symbolisches Konstrukt.«161 In seiner Theorie bleibt allerdings offen, wie genau die Beziehung zwischen dem physischen und dem sozialen Raum zu denken ist.162 Aber auch auf rein soziale Räume bezogen ist die Einbindung in den historischen Kontext wichtig und notwendig. Denn sobald der soziale Raum durch soziale Prozesse determiniert ist, kann er nicht mehr losgelöst von der dazugehörigen Gesellschaft und ihrer jeweiligen Zeit betrachtet werden.

155 Vgl. Schroer, »Bringing space back in«, S. 133. 156 Vgl. Henri Lefebvre: Die Produktion des Raums. In: Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften. Hrsg. von Jörg Dünne und Stephan Günzel. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2006, S. 330–342, S. 330. 157 Christian Schmid: Stadt, Raum und Gesellschaft. Henri Lefebvre und die Theorie der Produktion des Raumes. 2. Aufl. Stuttgart: Franz Steiner 2010 (Sozialgeographische Bibliothek; Bd. 1), S. 247. 158 Vgl. Schmid, Stadt, Raum und Gesellschaft, S. 247. Bei Lefebvre ist die Raumbetrachtung eng mit der Stadt verbunden. Seine dabei entwickelte Theorie der Produktion des Raums hängt somit auch eng mit dem Örtlichen zusammen. Vgl. Schmid, Stadt, Raum und Gesellschaft, S. 9. 159 Vgl. Jörg Dünne: Einleitung. In: Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften. Hrsg. von Jörg Dünne und Stephan Günzel. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2006, S. 289– 303, S. 297. Lefebvres raumtheoretisches Hauptwerk La production de l’espace bzw. seine verspätete Popularität seit seiner Übersetzung ins Englische 1991 wertet Döring als »Initialzündung für den spatial turn«. Döring, Raumkehren, S. 91. 160 Vgl. Lefebvre, Die Produktion des Raums, S. 333. In die Kategorie der Raumrepräsentation fallen Modelle und Konzepte des Raums, wie etwa der Wissensraum. Vgl. Schroer, »Bringing space back in«, S. 138. 161 Kajetzke/Schroer, Themen und Perspektiven, S. 196. 162 Vgl. Dünne, Einleitung, S. 297.

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Martina Löw schlägt in ihrer Raumsoziologie einen neuen Raumbegriff vor. Sie berücksichtigt die Erkenntnisse der absolutistischen Forschungspositionen und setzt sich zum Ziel, keinen neuen rein relativistischen Raumbegriff zu liefern. Stattdessen bezeichnet sie ihr Ergebnis als »relational«163. Sie fasst Raum als »dynamisches Gebilde«164 auf und umschreibt ihn »als eine relationale (An)Ordnung von Körpern, welche unaufhörlich in Bewegung sind, wodurch sich die (An)Ordnung selbst ständig verändert.«165 Als Körper benennt sie Lebewesen und »soziale Güter«, worunter sie »Produkte gegenwärtigen und vor allem vergangenen materiellen und symbolischen Handelns«166 versteht. Löw hebt hervor, dass nicht nur die Beziehungen der Körper zueinander, sondern auch die einzelnen Elemente selbst analysiert werden müssen, womit sie die Abgrenzung ihres Raumbegriffs von einer relativistischen Auffassung begründet. Dabei entstehen verschiedene Ebenen. Einzelne Menschen oder soziale Güter können zu Räumen verknüpft werden, sie können aber auch in einer Gruppe als ein einzelnes Element eines größeren Raums aufgefasst werden, wie beispielsweise ein Stadtteil, der als Einzelelement mit anderen Stadtteilen den Raum Stadt bildet, aber auch selbst als Raum untersucht werden kann.167 Für die Konstitution von Raum unterscheidet Löw verschiedene Prozesse. Zunächst erfolgt die Raumbildung durch die Platzierung von Menschen und sozialen Gütern bzw. von symbolischen Markierungen, mit denen Gruppen von Gütern und Menschen kenntlich gemacht werden, wie beispielsweise Ortsschilder. Diesen Vorgang der Positionierung nennt sie in Anlehnung an Giddens »Spacing«168. Als nächstes erfolgt eine Syntheseleistung, in der über Prozesse der Wahrnehmung, Vorstellung und Erinnerung Güter und Menschen zu Räumen zusammengefasst werden. Alltägliches Handeln ist nach Löw immer prozesshaft, weshalb das Spacing und die Syntheseleistung zur Raumkonstitution gleichzeitig ablaufen.169

163 Löw, Raumsoziologie, S. 67. Ihrer Ansicht nach kann die Soziologie nicht auf den Raumbegriff verzichten, da durch ihn Ordnungen ausgedrückt werden. Vgl. Löw, Raumsoziologie, S. 12. 164 Löw, Raumsoziologie, S. 13. 165 Löw, Raumsoziologie, S. 131. Mit der Schreibweise (An)Ordnung will Löw gleichzeitig zwei Aspekte ansprechen, die durch Räume geschaffene Ordnung sowie den Prozess des Anordnens. Vgl. Löw, Raumsoziologie, S. 166. 166 Löw, Raumsoziologie, S. 153. Menschen schaffen Räume also nicht nur, sondern können auch Elemente darin sein. Vgl. Löw, Raumsoziologie, S. 155. 167 Vgl. Löw, Raumsoziologie, S. 155–157. 168 Löw, Raumsoziologie, S. 158. 169 Vgl. Löw, Raumsoziologie, S. 159. Als Abstraktionsleistung ist die Syntheseleistung aber auch ohne ein Spacing möglich (zum Beispiel bei Computersimulationen). Vgl. Löw, Raumsoziologie, S. 159. Mit dem Konzept der Synthese bezieht sich Löw auf Norbert Elias, der darunter Fähigkeiten der Kognition und Erinnerung versteht, mit Hilfe derer Handelnde aus Dingen und Körpern eine Raumwahrnehmung erstellen. Vgl. Kajetzke/Schroer, Themen und Perspektiven, S. 201.

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Meine These ist daher, daß Raum eine / relationale (An)Ordnung von Lebewesen und sozialen Gütern ist. Raum wird konstituiert durch zwei analytisch zu unterscheidende Prozesse, das Spacing und die Syntheseleistung. Letzteres ermöglicht es, Ensembles von Gütern und Menschen zu einem Element zusammenzufassen.170

Raum kann dabei nach Löw nicht dem Gesellschaftlichen gegenübergestellt werden. Stattdessen macht sie deutlich, dass räumliche wie zeitliche Strukturen Formen gesellschaftlicher Gefüge sind.171 Löw berücksichtigt in ihrer Analyse unter den räumlichen Strukturen auch den physischen Raum. Sie macht deutlich, dass die Konstitution von Räumen stets von den symbolischen und materiellen Faktoren abhängt, die in einer Handlungssituation vorgefunden werden.172 Diesbezüglich kritisiert Löw neue Definitionsansätze, die sich zu sehr auf die Relationalität des Raums konzentrieren und demgegenüber seine materiellen Dimensionen vernachlässigen. Der physische Raum ist aber »nicht allein der Bühnenhintergrund und auch nicht nur die Bühne vor und auf der soziales Handeln stattfindet«173. Er ist wichtig für die Vorstellung von Gesellschaft, denn ihre Verortung (auch imaginär) ist von Bedeutung. Räumliche Anordnungen werden nicht nur von den gesellschaftlichen Strukturen vorgegeben, sondern prägen diese mit. Insgesamt zeigt sich in der soziologischen Raumbetrachtung dennoch ein Nebeneinander von absolutem Behälter- und relativem Raumkonzept ebenso wie eine

170 Löw, Raumsoziologie, S. 159f. Eine Kritik an Löws Arbeit liefert unter anderem Thomas Dörfler. Er bemängelt das Fehlen des »methodologisch-konzeptionellen Rückbezug[s] zur Ungleichheitsforschung und zu den Theorien sozialer Schichtung, der jenseits von Genderaspekten oder jugendlichen Schulhofkämpfen die Raumkonstruktion z. B. als milieu-, schichten- oder klassenspezifisches Phänomen begreift.« Diesen Mangel konstatiert er auch bei den meisten Arbeiten, die auf Löws Ansatz aufbauen. Dörfler versucht dieses Manko zu beheben, indem er den relationalen Raumbegriff mit dem des Milieus in Zusammenhang bringt. Als wichtigen und zentralen Erkenntnisgewinn einer solchen relational ausgerichteten Forschung sieht er die Berücksichtigung sozialer Praktiken bei der Konstitution von Raum. Außerdem gerät dabei eine Dialektik in den Blick, die sich in der gegenseitigen Abhängigkeit sozialer Lagen zur Abgrenzung voneinander und damit zum Vollziehen der eigenen Konstitutionsleistung äußert. Vgl. Thomas Dörfler: Milieu und Raum – Zur relationalen Konzeptionalisierung eines sozio-räumlichen Zusammenhangs. In: Raumbezogene qualitative Sozialforschung. Hrsg. von Eberhard Rothfuß und Thomas Dörfler. Wiesbaden: Springer VS 2013, S. 33– 60, S. 44–46. 171 Vgl. Löw, Raumsoziologie, S. 167. Strukturen fasst sie ebenfalls in Anlehnung an Giddens als Regeln und Ressourcen auf, »die rekursiv in Institutionen eingelagert sind.« Löw, Raumsoziologie, S. 167. Von den Strukturen trennt sie Strukturprinzipien, zu denen sie Klasse und Geschlecht zählt. Vgl. Löw, Raumsoziologie, S. 174. 172 Vgl. Löw, Raumsoziologie, S. 171f. und 191. Sie trennt die Orte von den Räumen. Den Ort bezeichnet sie als »Ziel und Resultat der Platzierung« und nicht als zu platzierendes Element wie Menschen und Güter. Auf diese Weise machen Orte die Entstehung von Räumen erst möglich. Löw, Raumsoziologie, S. 198. 173 Zurawski, Raum – Weltbild – Kontrolle, S. 30.

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strikte Trennung von physischem und sozialem Raum. Gerade mit der Containerraumauffassung kann die Auswirkung des Raums auf handelnde Akteure beschrieben werden, weshalb oft implizit von ihr ausgegangen wird, ohne den Raumbegriff weiter zu reflektieren.174 Aber wenn Bewegung nur in ihm stattfindet, bleibt der Raum ein starres unbewegliches Gebilde, und nur wenn der Raum selbst als bewegt aufgefasst wird, können auch Veränderungen von Räumen analysiert werden.175 Der relative Raumbegriff wird besonders bei der Beschreibung des Aufbaus und der Gestaltung von Räumen durch die Handlungen von Akteuren verwendet. Solche handlungstheoretischen Arbeiten wenden sich oft gegen einen »Raumdeterminismus«, wobei nicht gefragt wird, ob die Behälterauffassung nicht auch ihre Berechtigung hat. »So richtig die Betonung der aktiven Hervorbringung sozialer Räume ist, so notwendig ist es für eine umfassende Raumanalyse, die bei dieser Einsicht nicht stehen bleiben will, auf die Wirksamkeit räumlicher Arrangements hinzuweisen, wenn sich diese erst einmal geformt haben.«176 Die Frage nach dem »richtigen« Raumkonzept ist nur in Bezug auf die Problemstellung zu beantworten. »Der ›Raum‹ existiert nicht vor der Theorie.«177 Beide Konzepte sollten demnach in einer soziologischen Darstellung ihre Berücksichtigung finden. Bereits Georg Simmel wollte in seiner Untersuchung zum Raum nicht nur die Raumproduktion durch menschliche Aktivität studieren, sondern auch die Wirkung räumlicher Gegebenheiten auf diese Aktivitäten.178 In den Sozialwissenschaften hat sich dennoch vor allem die Vorstellung eines Raums durchgesetzt, der durch soziale Handlungen konstruiert ist und demgegenüber die naturräumlichen Bedingungen in den Hintergrund treten. Wie bereits erwähnt, ist es jedoch wichtig, die örtlichen Gegebenheiten und ihren Einfluss auf die sozialen Handlungen zu berücksichtigen.179 Die verschiedenen Ansätze der aktuellen Raumsoziologie haben jedenfalls einige Gemeinsamkeiten. Sie verfolgen einen multiperspektivischen Zugang zu ihrem Gegenstand und sehen den Raum konsequent konstruktivistisch, wodurch Akteure und ihre Körper in die Raumgestaltung miteinbezogen werden.180 Die Vorstellung eines sozialen Raums, der das Produkt sozialer Vorgänge ist, scheint sich für die Definition des Wissensraums besonders anzubieten, denn dadurch wird ein Begriff gewonnen, mit dem die Beziehungen zwischen Menschen

174 Vgl. Schroer, Räume, Orte, Grenzen, S. 174. 175 Vgl. Löw, Raumsoziologie, S. 65. 176 Schroer, Räume, Orte, Grenzen, S. 175. 177 Schmid, Stadt, Raum und Gesellschaft, S. 29. 178 Vgl. Schroer, »Bringing space back in«, S. 140. Simmel geht wie Maurice Halbwachs von einer wechselseitigen Beeinflussung aus. Dabei ist es für beide nicht der Raum selbst, der auf das Soziale wirkt, sondern es sind die ihm zugeschriebenen Eigenschaften. Vgl. Schroer, »Bringing space back in«, S. 141. 179 Vgl. Zurawski, Raum – Weltbild – Kontrolle, S. 31. 180 Vgl. Kajetzke/Schroer, Themen und Perspektiven, S. 201.

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und sozialen Gütern untersucht werden können. Inklusion, Exklusion und die Veränderungen in der Organisation von Räumen können als Prozesse des gesellschaftlichen Wandels verstanden werden.181 Zum einen ist diese Vorstellung gut mit der im vorhergehenden Kapitel bevorzugten Wissenssoziologie vereinbar, da beide die Sozialkomponente im Zusammenhang mit ihrem Betrachtungsgegenstand hervorheben. Zum anderen gelten auch hier die Argumente, die bereits in Bezug auf die wissenssoziologische Theorie angeführt wurden. Die bisherigen Anwendungsgebiete und Definitionsansätze des Wissensraums deuten auf wichtige Komponenten hin, wie etwa die Kommunikation, die in den soziologischen Untersuchungen des Wissens wie auch des Raums stellenweise in den Vordergrund rücken. Zusammenfassung Eine wichtige Voraussetzung für die Bestimmung des Raums ist die Differenzierung zwischen Raum und Ort. Der Raum entsteht erst durch die Wahrnehmung, Vorstellung oder Handlung einer Person. Indem an einem Ort alle Personen und Gegenstände auf ihren Plätzen und in Beziehung zueinander wahrgenommen und mit Bedeutung versehen werden, entsteht ein Raum. Der Ort ist dagegen geographisch gebunden und festlegbar. Er ist die Stelle, die eine Person einnimmt und ist mit der Angabe von Längen- und Breitengraden präzise bestimmbar. Durch die Wahrnehmung der umgebenden anderen Lebewesen und Dinge, ihrer Nähe bzw. Ferne zu der Person selbst, entsteht stets auch ein Raum, in dem sie sich befindet. Die eigene Positionierung in diesem Raum ist in der Regel bedeutungsvoll und/oder symbolisch aufgeladen. Man gesellt sich in einer Gesellschaft bewusst zu befreundeten oder bekannten Personen oder ebenso bewusst zu völlig fremden. Eine Person kann sich schließlich gleichzeitig in mehreren Räumen befinden – zum Beispiel der Raum des Freundeskreises innerhalb des Seminarraums innerhalb des Universitätsraums –, aber nicht gleichzeitig an mehreren Orten. Durch die Trennung von Raum und geographischem Ort und gleichzeitig die Berücksichtigung ihrer Bezüge zu- und aufeinander werden beide Vorstellungen der Raumtheorie, die relativistische und die absolutistische, beachtet. Die absolutistische Containerraumauffassung findet sich im Ort wieder, während die relativistische Betrachtung der Lagebeziehungen von Personen und Gegenständen im Raum ihren Platz hat. Durch die Aufteilung beider Anschauungen auf zwei verschiedene Begriffe ist es außerdem möglich, sie gleichberechtigt in eine Analyse einzubeziehen. Entscheidend in diesem Punkt ist die Theorie, dass durch einen Syntheseprozess Arrangements erst zu Räumen zusammengefasst werden und nicht innerhalb von starren Räumen ablaufen. Diese Syntheseleistung ist durchaus individuell geprägt und abhängig von Strukturprinzipien wie der Klassenzugehörigkeit und dem

181 Vgl. Löw, Raumsoziologie, S. 13f.

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Geschlecht. Der Raum kann also von demselben Ort aus von verschiedenen Personen andersartig synthetisiert werden. Trotzdem haben die Synthesen von Personengruppen am selben Ort mehr Gemeinsamkeiten als die Synthesen von Personengruppen an unterschiedlichen Orten.182 Dörfler spricht in diesem Zusammenhang auch von einem Raum als »soziale[r] Atmosphäre«183. Es geht also nicht um eine rein konstruktivistische Sichtweise, die den Raum als durch Handlungen oder Kommunikation generiert betrachtet, sondern auch darum, die Vorstrukturierung und Prägung dieser Aktivitäten durch räumliche Arrangements zu berücksichtigen. Obwohl der Raum vom Ort unterschieden wird, bleibt er keine rein abstrakte Größe, denn auch wenn er nicht sichtbar ist wie der Ort, so ist der Raum doch wahrnehmbar. Löw spricht diesbezüglich von einer »eigene[n] Stofflichkeit des Räumlichen«184. Diese erzeugt eine bestimmte Atmosphäre, die aufgrund der Außen- und Wechselwirkung sozialer Güter und Menschen bzw. ihrer Wahrnehmung entsteht. Die Atmosphäre macht den Raum als solches erfahrbar.185 Die Fassbarkeit des Raums resultiert außerdem aus seiner Begrenzung. Diese Grenzen des Raums können überschritten werden und lösen sich manchmal im Laufe der Zeit auf oder werden neu gezogen.186 Daher ist der Raum trotz seiner Grenzen kein starres Gebilde, wie es bei der Containervorstellung erscheint.187 Nigel Thrift leugnet die Existenz solcher Grenzen. »Alle Räume sind mehr oder weniger porös.«188 Doch ohne Grenzen gibt es keine Räume und auch wenn sie als porös begriffen werden können, so heißt das lediglich, dass ihre Grenzen durchlässig sind, und nicht, dass sie nicht vorhanden sind. »Ein Raum entsteht, wenn eine Unterscheidung getroffen wird.«189 Udo Thiedeke beschreibt hierzu »gesellschaftliche Exklusionsräume« als solche Bereiche sozialer Kommunikation […], deren Raumgrenzen erkennbar durch eigene Regeln, Gesetzmäßigkeiten und Erscheinungsformen von ihrer Umgebung unterschieden sind und die deshalb in einem umgrenzten Bereich spezifische soziale Normalitätserwartungen ermöglichen.190

182 Vgl. Löw, Raumsoziologie, S. 159 und 202. 183 Dörfler, Milieu und Raum, S. 52. 184 Löw, Raumsoziologie, S. 204. 185 Vgl. Löw, Raumsoziologie, S. 205f. 186 Vgl. Mayer-Tasch, Raum und Grenze, S. 57–59. 187 Das bedeutet auch nicht, dass Räume stets im Fluss und beliebig veränderbar sind. Anders als beispielsweise Wissen im Diskurs kommt die Raumproduktion immer wieder zu einem Abschluss, dem Produkt Raum, in den Individuen eintreten können, ohne ihn (mit)geschaffen zu haben. Vgl. Schroer, »Bringing space back in«, S. 137. 188 Nigel Thrift: Raum. In: Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Geisteswissenschaften. Hrsg. von Jörg Döring und Tristan Thielmann. Bielefeld: transcript 2008, S. 393–407, S. 397. 189 Dirk Baecker: Form und Formen der Kommunikation. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2007, S. 81.

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Die Raumgrenzen äußern sich dementsprechend durch seine Zugänglichkeit. Diese Möglichkeit, einen Raum zu betreten, ist eng mit der sozialen Ungleichheit verbunden. Löw macht in Anlehnung an die Einteilungen Reinhard Kreckels vier Ebenen der sozialen Divergenz fest. Zunächst sieht sie in der Reichtums-Dimension die Chance, Raum aufgrund der Verfügbarkeit sozialer Güter hervorbringen zu können. In der Wissens-Dimension stützt sich die Aussicht zur Raumbildung auf den Besitz von Wissen. Die Rang-Dimension knüpft die Fähigkeit zur Raumgestaltung an die soziale Position und zuletzt entscheidet die Assoziations-Dimension über die Zugehörigkeit bzw. Nicht-Zugehörigkeit. »Mit der Konstitution von Raum wird deshalb immer auch die Differenz von ›Eingeschlossen‹ und ›Ausgegrenzt‹ konstituiert.«191 In vielen Räumen geschieht dies sogar durch den selbstgewählten Ausschluss. So wie die Verfügungsmöglichkeiten über Geld, Zeugnis, Rang oder Assoziation ausschlaggebend für die Raummitgestaltung sind, kann umgekehrt die Verfügungsmöglichkeit über Räume ebenso zur Ressource werden.192 Die wesentlichen Merkmale des von mir verwendeten Raumbegriffs sind zusammenfassend folgende: Der Raum ist nicht gleichzusetzen mit dem geographisch lokalisierbaren Ort, er entsteht erst durch die Anordnung bzw. Beziehungen der Menschen und Dinge zueinander. Diese Bezüge wiederum äußern sich durch das Handeln bzw. Kommunizieren von Akteuren. Der Raum ist also veränderbar, doch er ist nicht stets im Fluss wie der Wissensdiskurs und kann über einen längeren Zeitraum stabil bleiben. Der Raum entsteht aus der Unterscheidung und ist gleichzeitig die Grundlage für die Trennung eines Innen vom Außen. Das bedeutet, dass der Raum Grenzen hat, die kein starres Gebilde wie die Wände eines Behälters sind, sondern poröse Schwellen, die von den einen übertreten werden können, von anderen nicht. Diese Grenzen, die Akteure von einer Handlung oder einer Diskussion ausschließen bzw. durch die sie sich durch bewusstes Meiden selbst ausschließen, sind auch symbolischer Ausdruck sozialer Ungleichheiten. Die Möglichkeit, Räume zu betreten, zu konstituieren oder mit zu produzieren, wird dadurch zu einer Ressource, die wie Wissen Handlungskompetenz verleiht.

190 Udo Thiedeke: Innerhalb von Außerhalb. Soziologische Bemerkungen zur Medialität gesellschaftlicher Exklusionsräume. In: Raum, Zeit, Medienbildung. Untersuchungen zu medialen Veränderungen unseres Verhältnisses zu Raum und Zeit. Hrsg. von Gerhard Chr. Bukow, Johannes Fromme und Benjamin Jörissen. Wiesbaden: Springer VS 2012 (Medienbildung und Gesellschaft; Bd. 23), S. 119–133, S. 126. 191 Löw, Raumsoziologie, S. 214. 192 Vgl. Löw, Raumsoziologie, S. 214f. und 218.

2.2 Das Modell Wissensraum 

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2.2 Das Modell Wissensraum Walter Benjamin entwickelte mit seinem zwischen 1928 und 1939 entstandenen Passagen-Werk das »Modell einer verräumlichten Geschichte«193. In seinem Geschichtsbild vernetzt Benjamin Raum und Zeit und beschreibt die Vergangenheit nicht anhand eines abstrakten Zeitstrahls, sondern von einem historischen und topographisch bestimmbaren Ort ausgehend. Dadurch wird das Wissen über den Menschen und seine Geschichte an den Ort zurückgebunden. Auch das historische Wissen selbst ist »vom Ort seiner Auffindung abhängig und radikal ortsgebunden.«194 Für den Wissensraum ist eine solche enge Verbindung von Raum und Wissen bzw. Ort und Wissen von großer Bedeutung. In der Forschung wurde der Zusammenhang zwischen Wissen und Raum jedoch lange vernachlässigt und gilt als »undertheorized«195, obwohl einige Forscher umfangreiches Material gesammelt haben, »das dafür spricht, dass spätestens seit der sozialen Evolution des Städtewesens räumliche Konzentrationen, Zentralisierungen wie Disparitäten von Wissen ein fundamentales Strukturmerkmal aller Gesellschaften waren.«196 David N. Livingstone oder Peter Burke beispielsweise stellen in ihren Arbeiten heraus, dass die Konzentration von Wissen an spezifischen Orten zu verschiedenen Zeiten eine überlokale Bedeutung für die Gesellschaftsentwicklung hatte. Darüber hinaus ist eine vermehrte Hinwendung gerade der Wissensforschung zum Raum festzustellen. Diese Beschäftigung mit dem Raum in der Erkenntnistheorie spielt sich auf mindestens drei Ebenen ab. Zunächst geht es dabei um die konkrete Räumlichkeit, genauer gesagt den Ort der Forschung und der Forschungsobjekte. Auf einer zweiten Ebene werden die »mikrosozialen Ordnungen« von Wissensräumen zum Untersuchungsgegenstand. In dieser gesellschaftlichen Dimension geht es in erster Linie um soziale Praktiken der Wissenschaft oder allgemein um die Generierung von Wissensräumen. Als letztes stehen symbolische Räume des Wissens. Darunter wird die Inszenierung von Wissen in öffentlichen Räumen, wie beispielsweise einem Museum oder einer Bildungseinrichtung, verstanden oder auch semiotische Ordnungen bei Experimenten oder Ähnlichem.197

193 Knut Ebeling: Themen und Perspektiven. Historischer Raum: Archiv und Erinnerungsort. In: Raum. Ein interdisziplinäres Handbuch. Hrsg. von Stephan Günzel. Stuttgart [u. a.]: J. B. Metzler 2010, S. 121–133, S. 124. 194 Ebeling, Themen und Perspektiven, S. 124. 195 Ulf Matthiesen: Wissensformen und Raumstrukturen. In: Handbuch Wissenssoziologie und Wissensforschung. Hrsg. von Rainer Schützeichel. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2007, S. 648–661, S. 650. 196 Matthiesen, Wissensformen und Raumstrukturen, S. 650. 197 Vgl. Dorit Müller und Sebastian Scholz: Raum, Wissen, Medien. Anmerkungen zu einem Zusammenhang. In: Raum Wissen Medien. Zur raumtheoretischen Reformulierung des Medienbegriffs. Hrsg. von Dorit Müller und Sebastian Scholz. Bielefeld: transcript 2012, S. 9–36, S. 11–13.

50  2 Der theoretische Kontext: Wissensraum als operationales Modell

Der Begriff »Wissensraum« ist ein wissenschaftliches Kunstwort der Kulturwissenschaften, das in den letzten Jahren zu einem regelrechten »Modewort« avanciert ist. Da bereits die beiden Grundbestandteile des Wortes, Wissen und Raum, nicht eindeutig zu definieren sind, wie es die vorhergehenden Kapitel beleuchtet haben, stellt sich das Problem der Definition auch für den Wissensraum. Für ein von der Wissenschaft gebildetes Hilfswort ist es allerdings unumgänglich, es klar definieren und umreißen zu können, da es sonst nicht dem Zweck der Forschung dient, Dinge beschreiben und erklären zu können. Obwohl der Wissensraum in vielen Veröffentlichungen im Titel und der Einleitung als Schlagwort erscheint, gibt es erstaunlich wenige Definitionsversuche. Vielmehr scheint das Stichwort »Wissensraum« als Nachweis der Aktualität und Relevanz der entsprechenden Publikation zu dienen. Es ist das Phänomen zu beobachten, dass der Wissensraum zwar als Grundthema vorgegeben, jedoch bei der weiteren Untersuchung nicht in die Analyse einbezogen bzw. nicht belegt wird, inwiefern die Verwendung des Begriffs hilfreich ist.198 Die bisherigen Definitionsansätze werden nun vorab kurz skizziert, bevor ich zu einer eigenen Beschreibung des Modells Wissensraum komme, fußend auf den vorherigen beiden Kapiteln. Bisherige Definitionsansätze Der deutlichste Versuch einer Definition des Wissensraums stammt von Mitchell G. Ash. Sein Beitrag Räume des Wissens – was und wo sind sie? Einleitung in das Thema in den Berichten zur Wissenschaftsgeschichte widmet sich ausschließlich dieser

198 Augenfällig wird dies besonders an einer Ausgabe des AGB, die dem Thema Buch und Bibliothek als Wissensräume in der Frühen Neuzeit gewidmet ist. Ursula Rautenberg wirft in ihrer Einleitung dazu interessante Fragen auf. Sie stellt zur Debatte, ob das Buch allein als Gegenstand schon ein Wissensraum ist, ob seine Gestaltung bzw. sein Layout als Wissensraum anzusehen ist und ob diese Betrachtung einen Mehrwert bringt. Schließlich fragt sie noch, ob eine Bibliothek einen Wissensraum darstellt. Vgl. Ursula Rautenberg: Vorwort. Buch und Bibliothek als Wissensräume in der Frühen Neuzeit. In: AGB 59 (2005), S. IX–X, S. IX. Leider widmen sich die folgenden Beiträge nur unzureichend diesen leitenden Fragestellungen. Die Begründung, warum schon ein Buch als ein Wissensraum anzusehen ist, fällt im anschließenden Beitrag von Oliver Duntze knapp wie folgt aus: »Bücher mit kommentierten Texten repräsentieren somit stets einen komplexen Wissensraum, in dem durch die Kombination von Text und Kommentar unterschiedliche Wissensbereiche dargestellt und miteinander verbunden werden.« Oliver Duntze: Text und Kommentar in juristischen Drucken der Frühen Neuzeit. In: AGB 59 (2005), S. 11–33, S. 11. Es fehlt eine voranstehende allgemeine Definition, womit nicht klar ist, inwiefern sich diese Begründung auf Kriterien des Wissensraums bezieht. In den wenigen gängigen und im weiteren Verlauf dieses Kapitels genauer ausformulierten Definitionen des Wissensraums spielt unter anderem die aktive Interaktion eine wichtige Rolle. Danach kann ein Buch zwar an der Entstehung eines Wissensraums beteiligt sein, aber nicht selbst einen darstellen. Denn auch wenn mit dem Kommentar zu einem Text darin mehrere Wissensebenen erscheinen und eine Art Dialog entsteht, so bleibt er ohne einen Rezipienten statisch und passiv.

2.2 Das Modell Wissensraum

 51

theoretischen Reflexion. Ash beginnt damit, die verstärkte Beschäftigung mit dem Thema Wissen und Raum auf drei vorrangige Quellen zurückzuführen, die traditionelle Institutionsgeschichte, die Geschichte der Forschungspraxis und die Untersuchung des Verhältnisses von Wissenschaft und Öffentlichkeit. Aufgrund dieser unterschiedlichen Themenbereiche stellt Ash fest, dass die Grundbegriffe Raum und Wissen bereits nicht einheitlich definiert werden.199 Er selbst setzt seine Ausführung allerdings direkt mit den Wissensräumen selbst fort, ohne auf die Bestimmung dieser beiden Termini weiter einzugehen. Als Annäherung an den Gegenstand Wissensraum unterscheidet Ash drei Arten von Räumen, den physischen bzw. geographischen, den sozialen bzw. gesellschaftlichen und den symbolischen bzw. repräsentierenden Raum. Die physischen Wissensräume unterteilt er weiter in vier Kategorien: 1. die Stätten der Forschung, also die Gebäude(komplexe) und ihre Architektur, 2. die Instrumente(ngruppen), die für die Forschung verwendet werden oder mit denen Daten für die Forschung gewonnen werden, 3. die Netzwerke, die lokal und überregional zwischen Institutionen bzw. Wissenschaftlern entstehen, und 4. geographisch abgrenzbare Gebiete, die als eigene Wissensräume betrachtet werden, also Regionen, Nationen oder noch weiter gefasst Kulturgebiete, das heißt Orte mit bestimmten Denk- und Forschungsmustern, die sie von anderen abgrenzen. »Als soziale oder gesellschaftliche Wissensräume wären dann die mikrosozialen Verhältnisse zu verstehen, die sich innerhalb dieser physisch-geographischen Räumlichkeiten sowie durch diese entfalten.«200 Gemeint sind damit beispielsweise Hierarchisierungen, der Ausdruck von Machtund Prestigeverhältnissen durch Raumzuteilung und in diesem Zusammenhang auch der mögliche Zugang zu einem Wissensraum. Unter den Aspekt der symbolischen oder durch Repräsentationen geschaffenen Wissensräume fällt nach Ash vor allem die Inszenierung von Wissen in einem öffentlichen Raum wie zum Beispiel in einer Ausstellung. Die Grenzen zwischen den aufgeführten Wissensraumarten sieht Ash insgesamt als fließend an.201 Ash ergänzt seine nach eigener Aussage »erste Annäherung«202 an den Wissensraum bzw. die Wissensräume durch einige weiterführende Fragestellungen: 1. Welche Stätten der Forschung sind wann und wo als institutionelle ›Räume des Wissens‹ anerkannt oder privilegiert worden und warum? […] 2. Was geht in diesen ›Wissensräumen‹ konkret vor? […] 3. Wie werden die Innen/Außen-Verhältnisse der jeweiligen Wissensräume konstruiert, und wie verschieben sich diese im Lauf der Zeit? […] 4. Last not least stellt sich eine weitere, durchaus provokante Version der Frage ›Wo ist Wissen?‹: Wann gelten welche

199 Vgl. Ash, Räume des Wissens, S. 235–237. 200 Ash, Räume des Wissens, S. 238. 201 Vgl. Ash, Räume des Wissens, S. 237–239. 202 Ash, Räume des Wissens, S. 240.

52  2 Der theoretische Kontext: Wissensraum als operationales Modell

der in den privilegierten Wissensräumen erzielten Forschungsergebnisse für wen als Wissen?203

Insgesamt bleibt seine Erklärung, was ein Wissensraum ist, recht oberflächlich und weit entfernt von einer klaren Definition. Ash spricht zwar wichtige Aspekte des Wissensraums an, wie etwa die Bedeutung der sozialen Handlung für seine Entstehung, doch versucht er zu viele verschiedene Aspekte in den Wissensraum einzubeziehen, indem er den physisch-geographischen Raum mit sozialen und symbolischen Wissensräumen verbindet. Ein weiterer ausführlicher Definitionsansatz findet sich in dem Band Räume des Wissens. Hier startet Hubertus Busche »einen systematischen Versuch«204 zum Wissensraum. Busche ordnet den Begriff Wissensraum im Plural dem kulturwissenschaftlichen Diskurs zu und versucht sich ihm sowohl systematisch als auch historisch zu nähern. Er geht dabei anders als Ash zunächst von den beiden Grundbegriffen Wissen und Raum und ihrer Bedeutung im Alltag und der Philosophie aus. Busche bezieht sich auf die gängige Forschungsliteratur und kommt zu den gleichen Ergebnissen, wie sie in den beiden voranstehenden Kapiteln bereits vorgestellt wurden. In einem zweiten Schritt arbeitet Busche vier der offensichtlichsten Verbindungstypen zwischen Wissen und Raum heraus. Die erste fundamentale Verbindung von Wissen und Raum sieht er im »leibliche[n] Ort individuumsbezogenen Wissens«205. Wissen ist, indem es an das Bewusstsein gebunden ist, im Körper lokalisierbar. Damit begründet Busche auch, dass das Wissen im Alltag im Kopf verortet wird. Das Spiegelbild dieser ersten Verbindung nennt Busche als zweite elementare Verknüpfung. »Im Unterschied zum primären (wenngleich mittelbaren) Im-Raum-Sein des Wissens vermittelst des Leibes betrifft sie nicht die Räumlichkeit des Bewusstseins, sondern die Räumlichkeit im Bewusstsein, d. h. den Raum, sofern er im Bewusstsein repräsentiert wird.«206 Diese Raumbezogenheit des Wissens unterteilt Busche wiederum in die sinnliche Wahrnehmung, in der sich Phänomene selbst räumlich präsentieren, und die sinnliche Vorstellung.207 Der dritte Raumbezug des Wissens äußert sich in den »soziale[n] Orte[n] der Gewinnung und Vermittlung theoretischen Wissens«208, wie Schulen, Universitäten, Museen oder Laboratorien. Busche stellt allerdings infrage, ob solche Institutionen einfach als Wissensräume zu bezeichnen sind, und ergänzt den Aspekt um ein Adjektiv zu »herausragenden sozialen Orten der Gewinnung, Vermittlung und Organi-

203 204 205 206 207 208

Ash, Räume des Wissens, S. 240. Busche, Wissensräume, S. 17. Busche, Wissensräume, S. 26. Busche, Wissensräume, S. 27. Vgl. Busche, Wissensräume, S. 17f. und 26–28. Busche, Wissensräume, S. 29.

2.2 Das Modell Wissensraum 

53

sation (theoretischen) Wissens«209. Die vierte und letzte Verbindung, die Busche herausstellt, ist die der von ihm sogenannten »kulturspezifischen Wissensräume«210. Sie entstehen durch die unterschiedliche kulturelle Prägung des Wissens bei verschiedenen Völkern oder sozialen Gruppen und in unterschiedlichen Epochen.211 Damit endet Busches Einführung zum Wissensraum bzw. zu den Wissensräumen. Sein Ausgangspunkt liegt deutlicher als bei Ash in der Verbindung der beiden Grundbegriffe Wissen und Raum, die er zunächst für sich definiert. Allerdings bleibt er in der Aufzählung der relevanten Verknüpfungen zwischen Wissen und Raum ebenfalls an der Oberfläche und versäumt es, gemeinsame Merkmale der verschiedenen Wissensräume vorzustellen, um so zu einer allgemeinen Definition des Wissensraums zu kommen. Weitere sehr knapp gefasste Erklärungen dazu, was unter Wissensraum zu verstehen ist, liefern einige Beiträge in dem Band Raum Wissen Medien. Daniela Fleiß etwa betrachtet in ihrem Aufsatz zur Fabrik als Wissensraum die »Wirklichkeit als einen Bewusstseinsraum, in dem sich eine Gesellschaft oder gesellschaftliche Gruppe bewegt« und stellt darauf aufbauend die These auf, dass ein solcher Bewusstseinsraum durch das Wissen der jeweiligen Gruppe determiniert, strukturiert oder mitunter in seinen besonderen Bedingungen erst geschaffen wird. Man kann diesen Raum daher als eine Art Wissensraum bezeichnen. Der Wissensraum, so die grundlegende Annahme, strukturiert die Wirklichkeit und gibt die Möglichkeit, sich der eigenen Identität zu vergewissern. Dieses geschieht besonders durch die Ausgrenzung anderer Gruppen, die zu dem Wissensraum aufgrund fehlenden, vortheoretischen Wissens keinen Zugang haben.212

Der wichtigste Aspekt bei Fleiß ist demnach die Abgrenzung einer gesellschaftlichen Gruppe nach außen durch ihr spezielles Wissen. Dorit Müller hebt in Bezug auf die Antarktis als medialer Wissensraum dagegen stärker die Ordnungsbeziehungen hervor, durch die der Raum entsteht: »Ich gehe dabei von einem Modell des ›Wissensraumes‹ aus, das die Ordnungsbeziehungen zwischen möglichen Wissenselementen als räumliche Dimension fasst und diese nach ihren technischen, symbo-

209 Busche, Wissensräume, S. 29. Busche weist in diesem Zusammenhang auf die inhaltliche Breite des Wissensbegriffs hin, wodurch nahezu jeder soziale oder physische Ort ein Platz zur Gewinnung neuen Wissens sein kann. Vgl. Busche, Wissensräume, S. 29. Was genau hier unter herausragend zu verstehen ist, lässt er allerdings offen. 210 Busche, Wissensräume, S. 29. 211 Vgl. Busche, Wissensräume, S. 29. 212 Daniela Fleiß: Die Fabrik als Wissensraum. Bürgerliche Raum- und Wirklichkeitskonstruktionen im späten 19. und 20. Jahrhundert. In: Raum Wissen Medien. Zur raumtheoretischen Reformulierung des Medienbegriffs. Hrsg. von Dorit Müller und Sebastian Scholz. Bielefeld: transcript 2012, S. 59–84, S. 59f.

54  2 Der theoretische Kontext: Wissensraum als operationales Modell

lischen und sozialen Ermöglichungsbedingungen befragt.«213 Beide benennen jeweils unterschiedliche, für ihren Untersuchungsgegenstand passende Aspekte des Wissensraums. Die Problemstellungen, für die der Wissensraum als theoretisches Modell in Anspruch genommen wird, sind breit gefächert. So wird er unter anderem von Thomas Bopp auch für virtuelle Welten in einer digitalen Umgebung verwendet. Bopp bezieht sich dabei besonders auf die Dissertation Virtuelle Wissensräume von Thorsten Hampels. Virtuelle Wissensräume sind semantisch verknüpfte virtuelle Räume, deren Nutzer sich aufhalten und kommunizieren können. […] Wesentlich für die Idee kooperativer Wissensräume ist hierbei, dass Werkzeuge und Materialien nicht isoliert nebeneinander stehen, sondern ein konsequent objektorientierter und integrativer Ansatz verfolgt wird. Damit ist der Wissensraum konzeptuell als eine Sicht auf zusammengeführte unterschiedliche Protokolle und Standards zu sehen. Darüber hinaus steht eine kontinuierliche Kooperation der Benutzer im Vordergrund, die durch eine Persistenz der Daten und die Verwendung von Sichten geprägt ist.214

Auch wenn die Thematik eine völlig andere ist, werden darin doch gemeinsame Grundkriterien des Wissensraums beschrieben, wie die Kommunikation der Nutzer, der semantische Zusammenhang und die Dynamik in der fortschreitenden Nutzung. Insgesamt jedoch sind die bisherigen Definitionsansätze überschaubar und es gelingt ihnen nicht, ein allgemeines Wissensraummodell mit klaren Wesensmerkmalen zu entwickeln. Definition »Wissensraum« Die Definition des Wissensraums ist kaum vorstellbar im Sinne einer traditionellen reduktiven Definition, die den Begriff auf eindeutig bestimmbare und nicht weiter zerlegbare Basisteile zurückführt. Gewisse Formen von Zirkularitäten sind allerdings zulässig, wenn nach dem Vorschlag Peter Strawsons ein »verknüpfendes oder konnektierendes« Modell der Analyse zugrunde liegt. Denn in einem solchen Modell geht es in erster Linie um die Aufdeckung begrifflicher Zusammenhänge, in denen der zu definierende Begriff steht, und nicht einfach um die Reduktion auf bestimmte Merkmale.215 Strawson spricht dabei vom »Modell eines kunstvollen Netzes«, einer Art System, in dem Begriffe miteinander verknüpft sind, sodass »jeder Begriff aus

213 Dorit Müller: Antarktis als medialer Wissensraum. Shackletons Expeditionen. In: Raum Wissen Medien. Zur raumtheoretischen Reformulierung des Medienbegriffs. Hrsg. von Dorit Müller und Sebastian Scholz. Bielefeld: transcript 2012, S. 181–212, S. 181f. 214 Thomas Bopp: Verteilte kooperative Wissensräume. Diss. nat. Universität Paderborn 2006, S. 38f. 215 Vgl. Brendel, Wissen, S. 8.

2.2 Das Modell Wissensraum 

55

philosophischer Sicht nur verstehbar wird, wenn man seine Verknüpfung mit den anderen Begriffen versteht, seinen Platz innerhalb des Systems«216. Zunächst ist festzuhalten, dass der Wissensraum ein Begriff ist, der dazu geeignet ist, bestimmte Wissensbestände dem Diskurs sozialer Gruppen zuzuordnen, sie voneinander abzugrenzen und sie in Zusammenhang mit den gruppenspezifischen Praktiken als Phänomene in Abhängigkeit ihrer Begleitumstände zu charakterisieren. Der Wissensraum hat dabei Voraussetzungen. Die wichtigste und grundlegende Bedingung ist die soziale Interaktion mindestens zweier Interaktionspartner, auch Aktanten genannt. Das können sowohl Menschen als auch Mittler menschlichen Wissens, wie zum Beispiel Bücher, sein. Diese Interaktion muss eine Praktik sein, die mit Wissen zusammenhängt, etwa im Sinne eines Wissensdiskurses, bei dem sich Aktanten über ein bestimmtes Thema mit ihrem Wissen austauschen und damit entweder ihr Wissen durch Ergänzung erweitern oder es durch Widerlegung ändern. Der Wissensdiskurs ist dabei nicht auf gelehrtes Fachwissen beschränkt, sondern lässt sich weit ausdehnen bis hin zu alltäglichem Wissen oder Praxiswissen. Weitere Praktiken, wie das Befolgen bestimmter gruppenspezifischer Gepflogenheiten – welches ihre Kenntnis voraussetzt –, dienen daneben der Abgrenzung der Aktanten innerhalb des Wissensraums nach außen. Damit ist ein Wissensraum ein immerzu wandelbarer Raum, der durch soziale und mit Wissen zusammenhängende Praktiken von Aktanten erzeugt wird, unabhängig davon, ob sie direkt und unmittelbar geschehen oder mit zeitlicher Verzögerung und über große Entfernungen hinweg. Entscheidende Charakteristika des Wissensraums sind also die soziale Interaktion, gruppenspezifische Praktiken, die Ortsunabhängigkeit und die Zugangsbeschränkung. Durch die Voraussetzung der Interaktion im Diskurs kann ein Wissensraum nicht statisch sein. Er ist stattdessen ein dynamisches Gebilde. Alle wissenschaftliche, aber auch künstlerische Repräsentation läuft immer wieder auf die Kernfigur der Ermöglichung von Neuem hinaus, unter den Bedingungen eines differentiellen Anschlusses an das Gewesene. Ein Modell von Wissensräumen, das diesem Tatbestand nicht Rechnung trägt und bei isomorphen Welten stehenbleibt, hat angesichts des vielfach konstatierten ›Todes der Referenz‹ im ausgehenden 20. Jahrhundert selbst nur noch historischen Wert, ebenso die Vorstellung, es gebe eine Wissenschaft und nicht eine unhintergehbare Pluralität von Wissenschaften. Die Wissenschaften evolvieren, und zwar im Prinzip unabschließbar; sie legen damit Spuren einer Arbeit und mit ihnen Spuren eines Gedächtnisses.217

216 Peter Frederick Strawson: Analyse und Metaphysik. Eine Einführung in die Philosophie. München: Dt. Taschenbuchverlag 1994 (dtv: Wissenschaft; Bd. 4615), S. 33f. 217 Hans-Jörg Rheinberger, Bettina Wahrig-Schmidt und Michael Hagner: Räume des Wissens: Repräsentation, Codierung, Spur. In: Räume des Wissens. Repräsentation, Codierung, Spur. Hrsg. von Hans-Jörg Rheinberger, Michael Hagner und Bettina Wahrig-Schmidt. Berlin: Akademie Verlag 1997, S. 7–21, S. 19.

56  2 Der theoretische Kontext: Wissensraum als operationales Modell

Ekkehard Felder fasst den Diskursbegriff folgendermaßen: »Diskurse sind Text- und Gesprächsnetze zu einem Thema.«218 Michel Foucault versteht in seiner Archäologie des Wissens Diskurse als Praktiken, »die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen.«219 Es geht ihm in seiner Analyse nicht um Sprachwandlungen oder das allgemeine Sprachsystem bzw. die Beziehung von Sprache und Welt. Stattdessen setzt er voraus, dass durch den Sprachgebrauch im Diskurs die Diskursgegenstände als Wissen konstituiert werden.220 Foucault definiert die Aussage als »elementare Einheit« des Diskurses. Die Sprache ist im Diskurszusammenhang demnach unverzichtbar. Sie »ist das Hauptmedium, in dem Bedeutungen und Sinnstrukturen als Teile gesellschaftlicher Wissensvorräte in Erscheinung treten.«221 Dabei ist es irrelevant, ob der Sprachgebrauch mündlich oder schriftlich erfolgt. Für verschiedene Zwecke bilden sich bestimmte Spezialisierungen heraus, anhand derer verschiedene Diskurstypen unterschieden werden können. Charles Morris entwickelte eine solche Diskurstypologie und unterschied unter anderem wissenschaftliche, fiktive, rechtliche, poetische, moralische oder politische Diskurse.222 Stärker dekonstruktiv orientierte Ansätze sehen Foucaults Wissens- und Diskursbegriff nicht im wissenssoziologischen Sinn. Es geht ihnen um die Form, die Strukturen und Regeln des Diskurses und damit die Konstruktion von Wissen, weniger um den Inhalt selbst. Wissen wird vielmehr als ein Effekt der formalisierbaren Diskurspraktiken gesehen, der notwendig, aber instabil ist.223 Charles S. Peirce und George H. Mead haben stattdessen ein Konzept des »universe of discourse« entworfen. Die Bedeutung einer Äußerung ergibt sich in ihren Theorien erst durch den Kontext eines solchen sozialen, die impliziten Prozesse der (De-)Kodierung regulie-

218 Ekkehard Felder: Linguistische Diskursanalyse im Forschungsnetzwerk Sprache und Wissen. In: Diskurs – Sprache – Wissen. Interdisziplinäre Beiträge zum Verhältnis von Sprache und Wissen in der Diskursforschung. Hrsg. von Willy Viehöver, Reiner Keller und Werner Schneider. Wiesbaden: Springer VS 2013, S. 167–197, S. 172. 219 Foucault, Archäologie des Wissens, S. 525. 220 Vgl. Keller, Wissenssoziologische Diskursanalyse, S. 53. 221 Reiner Keller: Das Wissen der Wörter und Diskurse. Über Sprache und Wissen in der Wissenssoziologischen Diskursanalyse. In: Diskurs – Sprache – Wissen. Interdisziplinäre Beiträge zum Verhältnis von Sprache und Wissen in der Diskursforschung. Hrsg. von Willy Viehöver, Reiner Keller und Werner Schneider. Wiesbaden: Springer VS 2013, S. 21–49, S. 24. Warnke wird noch deutlicher, indem er sagt, dass es keinen Diskurs jenseits der Sprache gibt. Vgl. Ingo H. Warnke: Diskurs als Praxis und Arrangement – Zum Status von Konstruktion und Repräsentation in der Diskurslinguistik. In: Diskurs – Sprache – Wissen. Interdisziplinäre Beiträge zum Verhältnis von Sprache und Wissen in der Diskursforschung. Hrsg. von Willy Viehöver, Reiner Keller und Werner Schneider. Wiesbaden: Springer VS 2013, S. 97–117, S. 113. 222 Vgl. Keller, Das Wissen der Wörter und Diskurse, S. 39. 223 Vgl. Johannes Angermüller: Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse in Deutschland. Zwischen Rekonstruktion und Dekonstruktion. In: Die diskursive Konstruktion von Wirklichkeit. Zum Verhältnis von Wissenssoziologie und Diskursforschung. Hrsg. von Reiner Keller, Andreas Hirseland, Werner Schneider und Willy Viehöver. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2005, S. 23–48, S. 30.

2.2 Das Modell Wissensraum

 57

renden Diskursuniversums. Es ist gewissermaßen ein von einer Gruppe erzeugtes Bedeutungssystem, das sie gemeinsam teilt und für das sie soziale Erfahrung sammelt sowie ein entsprechendes Verhalten zeigt. Dieses Diskursuniversum weist Ähnlichkeiten mit dem Wissensraum auf. Seine Existenz ist notwendig, um Symbole generalisieren zu können und ebenso wird es selbst durch die soziale Praxis generiert und bildet den gemeinsamen Deutungshorizont einer Gruppe.224 Die Untersuchung der diskursiven Strukturierung von Wissen innerhalb einer Gesellschaft ist das Anliegen der Wissenssoziologischen Diskursanalyse. Damit bezieht sie sich auf Foucaults Diskursdefinition. Diskurse werden in Sprechakten vollzogen und als analytisch abgrenzbare Ensembles von Praktiken verstanden. Ihnen liegt jeweils ein gemeinsames raumzeitliches und soziales Strukturierungsprinzip zugrunde, wodurch sie Prozesse sozialer Generierung, Zirkulation und Vermittlung von Deutungsschemata, Legitimationsmustern und Handlungsweisen darstellen. Die Aufgabe der Wissenssoziologischen Diskursanalyse ist die Rekonstruktion dieser Prozesse. Dies geschieht auf verschiedenen Ebenen in Bezug auf Institutionen, Organisationen oder soziale Gruppen bzw. Akteure. In einem zweiten Schritt untersucht sie die gesellschaftlichen Wirkungen der Prozesse. Damit wird implizit ein Wettstreit der Diskurse unterstellt, denn es geht darum, wie Akteure diskursiv versuchen, die Legitimität ihrer Weltdeutung als allgemeingültige Tatsache durchzusetzen.225 Auch hier sind klare Bezüge zum Wissensraum erkennbar. Ingo Warnke stellt in seinem Artikel Diskurs als Praxis und Arrangement heraus, dass der Diskurs aus unterschiedlichen Perspektiven als Praxis oder als Arrangement von Aussagen gesehen wird. In den Kultur- und Sozialwissenschaften ist es jedenfalls breiter Konsens, dass soziale Wissensbestände diskursiv aufgebaut sind und dass der Diskurs dabei eine Konstruktionsregel für Aussagen ist.226 Diskurse verstehe ich im Zusammenhang mit dem Wissensraum und in Anschluss an Foucault als Praktiken. Sie haben eine argumentative Struktur und müssen anschlussfähig sein, um bestehen zu können.227 Dementsprechend sind sie zeitlich begrenzt, denn ändern sich die Rahmenbedingungen oder die Inhalte, entstehen neue Diskurse. Sie sind außerdem größenvariabel, indem bereits zwei Aktanten einen Diskurs führen können, wohingegen es keine zahlenmäßige Begrenzung der Teilnehmer nach oben hin gibt. Auch ist es nicht erforderlich, dass sich die Aktanten am glei-

224 Vgl. Keller, Das Wissen der Wörter und Diskurse, S. 40. In der deutschen Übersetzung des Textes von Mead ist von einem »logischen Universum« die Rede. Vgl. Keller, Das Wissen der Wörter und Diskurse, S. 40. 225 Vgl. Keller, Das Wissen der Wörter und Diskurse, S. 43–46. 226 Vgl. Warnke, Diskurs als Praxis und Arrangement, S. 101 und 104. 227 Vgl. Hermann Kocyba: Die Disziplinierung Foucaults. Diskursanalyse als Wissenssoziologie. In: Neue Perspektiven der Wissenssoziologie. Hrsg. von Dirk Tänzler, Hubert Knoblauch und Hans-Georg Soeffner. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2006 (Erfahrung – Wissen – Imagination; Bd. 8), S. 137–155, S. 141.

58  2 Der theoretische Kontext: Wissensraum als operationales Modell

chen Ort aufhalten, da Bücher und andere Medien ebenfalls am Diskurs beteiligt sein können. Zu einem Wissensraum gehören allerdings noch weitere, speziell von den Aktanten innerhalb dieses Raums ausgeübte Praktiken, die meist in erster Linie mit dem Praxiswissen verknüpft sind. Darunter fällt auch das von Berger und Luckmann als Sonderwissen charakterisierte Wissen verschiedener Berufsstände, das sich in den entsprechenden Handlungen äußert – zum Beispiel das Wissen um bestimmte Techniken, Verhaltensregeln oder Marktmechanismen. Durch diese Praktiken, die eine Aktantengruppe gemeinsam ausübt, über die sie sich identifiziert und von anderen abgrenzt, wird ein Wissensraum generiert. Er ist zwar nicht an einen bestimmten Ort gebunden, der Begriff drückt aber den Einbezug äußerlicher Begleitumstände und örtlicher Gegebenheiten aus, die die Praktiken der Aktanten beeinflussen, und betrachtet damit die Entstehung und Nutzung von Wissen im Zusammenhang mit den geographischen, kulturellen und sozialen Rahmenbedingungen. So ist beispielsweise der Wissensraum Universität deutlich vom Wissensraum Stadt abzugrenzen und es kann klarer werden, wie Wissensdiskurse entstehen und welche unterschiedlichen Qualitäten sie haben können. Der Wissensraum kann dabei nie mit dem Ort gleichgesetzt werden. Eine Universität ist nicht von sich aus ein Wissensraum und der Wissensraum Universität muss sich nicht auf die universitären Gebäude beschränken. Die Gebäude sind lediglich Teile des Wissensraums, die auf ihn einwirken. Karin Knorr-Cetina und Bruno Latour erstellten Laborstudien, in denen sie das Labor als zentralen Ort der Wissensproduktion analysieren. Sie bringen darin die Frage nach der Wissensproduktion mit räumlichen Strukturen in Verbindung, doch was sie dabei untersuchen, ist zunächst ein konkreter Ort, kein Wissensraum. Erst die daran anschließende Analyse des Netzwerks von Aktanten durch Latour betrachtet das Labor und seine Geräte als einen Wissensraum.228 Die Laborstudien beschränken sich allerdings in der Beobachtung auf die Interaktionsbeziehungen innerhalb des Labors und blenden Einflüsse von außen aus. Das Konzept der »transwissenschaftlichen Felder« Knorr-Cetinas versucht hier Abhilfe zu schaffen, indem es die Bezüge des Wissenschaftlers zur Außenwelt umfasst, die dessen Entscheidungen beeinflussen. Leider ist dieses Konzept jedoch nicht systematisch weiterentwickelt worden.229 Die zentrale Aussage Latours, Knorr-Cetinas und Steven Woolgars ist, dass »die Gegenstände wissenschaftlichen Wissens allererst durch die Praktiken der Wissenschaftler selbst erzeugt«230 werden. Als sogenannter Laborkonstruktivismus hat ihre Forschung eine breite Rezeption gefunden, doch es gab auch viel Kritik, die sich vor allem an der Beschränkung auf das Labor, der Theorielosig-

228 Vgl. Hanke/Höhler, Themen und Perspektiven, S. 311f. 229 Vgl. Weingart, Wissenschaftssoziologie, S. 70f. 230 Maasen, Wissenssoziologie, S. 60.

2.2 Das Modell Wissensraum 

59

keit sowie der Ausblendung der Vergesellschaftung der Forschung störte.231 An ihrem Beispiel wird außerdem die Problematik einer mangelnden Differenzierung zwischen Raum und Ort deutlich. Dass physischer Ort und sozialer Raum nicht das Gleiche bezeichnen, geht schon daraus hervor, dass »mit der Lokalisierung eines Objekts in der physischen Welt a priori noch nichts über dessen Position in der sozialen Welt ausgesagt«232 wird. Geographische Distanzen können innerhalb eines Wissensraums auf verschiedene Weisen überwunden werden, etwa durch Schriftstücke, Geräte oder ausgebildete reisende Personen. Besonders mit Dokumenten oder Büchern kann Wissen mobilisiert werden und das nicht nur über physische Entfernungen hinweg, sondern auch durch die Zeit. Die Rezeption des Inhalts erfolgt in anderen kulturellen Kontexten dabei in einer Übersetzung und Interpretationsleistung. Bereits durch die Lektüre eines Buches kann ein Wissensdiskurs und damit ein Wissensraum entstehen. Allerdings macht die Publikation von Wissen dieses nicht ubiquitär verfügbar. Um das in Dokumenten kodifizierte Wissen rezipieren zu können, müssen die Adressaten den entsprechenden Code beherrschen und je nach Inhalt über eine gewisse Vorbildung verfügen, um ihn verstehen zu können.233 Nicht alles Wissen kann so mobil gemacht werden, weshalb auch nicht alle Arten von Wissen als relevant für einen Wissensraum gelten können, wie etwa das phänomenale Wissen. Wichtig ist in erster Linie das propositionale Wissen, zu dessen notwendigen Bedingungen die Rechtfertigung gehört, die argumentativ strukturiert ist. Der deutlichste Beleg dafür, dass es sich bei einem Wissensraum um einen Raum handelt, ist die Zugangsbeschränkung, denn wenn man vom Raum spricht, dann in der Regel auch von seiner Begrenzung. Ohne Grenzen wäre allenfalls der unendliche Raum denkbar, jedoch nicht mehrere Räume. Genauso ergäben Grenzen keinen Sinn ohne einen Raum, den sie einschließen. Sie sind also »ein spezifisches Raumphänomen«234. Grenzen schaffen eine Differenz und markieren einen Unterschied. Erst durch die Abgrenzung von anderen Dingen kann etwas als etwas erkannt werden und es kann im Umkehrschluss nicht in seiner eigenen Gestalt und Beschaffenheit wahrgenommen werden, wenn es nicht unterscheidbar von anderen Dingen ist.235 Löw bezeichnet den Raum als »eine relationale (An)Ordnung sozialer

231 Vgl. Maasen, Wissenssoziologie, S. 62. 232 Benno Werlen: Gesellschaft, Handlung und Raum. Grundlagen handlungstheoretischer Sozialgeographie. 2. durchges. Aufl. Stuttgart: Franz Steiner 1988, S. 171. 233 Vgl. Oliver Ibert: Dynamische Geographien der Wissensproduktion – Die Bedeutung physischer wie relationaler Distanzen in interaktiven Lernprozessen. In: Räume der Wissensarbeit. Zur Funktion von Nähe und Distanz in der Wissensökonomie. Hrsg. von Oliver Ibert und Hans Joachim Kujath. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2011, S. 49–69, S. 58–60. 234 Mayer-Tasch, Raum und Grenze, S. 41. 235 Vgl. Mayer-Tasch, Raum und Grenze, S. 42.

60  2 Der theoretische Kontext: Wissensraum als operationales Modell

Güter und Lebewesen an Orten.«236 Um diese relationale Anordnung sozialer Güter vornehmen zu können, ist es allerdings notwendig, Zugang zu ihnen zu haben. Diese Zugangsmöglichkeit ist in der Gesellschaft ungleich verteilt und damit auch die Chance, Räume zu gestalten oder zu verändern. Diese Möglichkeiten zur Teilhabe, Konstitution und Veränderung von Räumen und auch von Wissensräumen bilden deren sozial determinierte Grenzen. Im Fall des Wissensraums ist es vor allem das Wissen, über das Zugangsmöglichkeiten und Ausschlüsse organisiert werden, aber auch andere Faktoren, wie der soziale Status, spielen dabei eine Rolle.237 Der Wissensraum unterscheidet sich von einem Kommunikationsraum nicht nur darin, dass weitere Praktiken neben dem Diskurs involviert sind, sondern auch durch die speziellen Eigenschaften des Wissens. Wie vorgestellt, wird Wissen ein bestimmter Wert zugeschrieben, der es über andere kommunizierbare Inhalte stellt. Der Wert des Wissens ergibt sich in erster Linie aus der notwendigen Bedingung der epistemischen Rechtfertigung. Außerdem besteht ein enger Zusammenhang zwischen dem Zugang zu Wissen und dem sozialen Status des Wissenden aufgrund der bereits erwähnten ungleichen Wissensverteilung innerhalb der Gesellschaft. Was als Wissen anerkannt wird, hängt darüber hinaus mit den kulturellen und historischen Kontexten zusammen. Schematisch lässt sich das Modell Wissensraum wie in Abbildung 1 darstellen. Der Wissensraum schließt dabei an einem Diskurs beteiligte Aktanten und Aktantmedien ein. Dieser Diskurs führt zu immer neuem Wissen, das von den Aktanten rezipiert und zur Fortsetzung des Diskurses genutzt wird. Der Ort, an dem sich Aktant(medi)en befinden, übt ebenfalls einen Einfluss auf den Fortgang des Diskurses aus; je nach untersuchter Situation kann der Ort oder können die Orte auch an anderen Stellen des Schaubildes eingeordnet werden. Daneben üben die Aktanten weitere mit vor allem praktischem Wissen verknüpfte Praktiken aus, die neben anderen Faktoren die Grenzen des Wissensraums generieren. Die Grenzen des Wissensraums sind sozial determiniert, das heißt, dass sie in gewissem Grad nach außen hin durchlässig sind, dass Aktanten von außen Einfluss auf die Wissensraumaktanten und damit die Gestaltung des Diskurses nehmen können, dass die Aktanten im Inneren aber bestimmte Voraussetzungen erfüllen müssen hinsichtlich ihres sozialen Status und/oder verfügbarer Ressourcen – wie etwa Wissen –, um innerhalb des Wissensraums agieren zu können.

236 Löw, Raumsoziologie, S. 212. 237 Vgl. Löw, Raumsoziologie, S. 212f.

2.2 Das Modell Wissensraum

Abb. 1: Modell Wissensraum.

 61

3 Der historische Kontext: Buchhandel in der Frühen Neuzeit Andreas Daum hielt in seinem Artikel Alexander von Humboldt, die Natur als ›Kosmos‹ und die Suche nach Einheit fest: »›Räume des Wissens‹ historisch zu erkunden, ja neu entdecken zu können – dieses Bemühen setzt voraus, Raum als eine grundlegende historische Kategorie ernstzunehmen und sie in ihrer Vielschichtigkeit zu entschlüsseln.«1 Auch das Wissen ist in seinem historischen und gesellschaftlichen Kontext zu sehen. Die daraus resultierende Frage formulierte Daum entsprechend: »Wie epochen- und kulturspezifisch ist also eine Geschichte des Wissen [sic!] als Raumgeschichte?«2 Dazu ist es wichtig, sich die historischen Umstände vor Augen zu führen, um feststellen zu können, wie das in Kapitel 2 entwickelte Modell Wissensraum auf diesen Zeitraum anzuwenden ist. Im theoretischen Kontext wurde von überzeitlich relevanten Raum- bzw. Wissensbegriffen ausgegangen, ihnen liegt allerdings eine lange Entwicklungsgeschichte zugrunde, denn das Modell Wissensraum erhält erst in seiner Anwendung die Spezifizierung, um welches Wissen es sich handelt und in welchem Raum, unter Beteiligung welcher Aktanten und Orte, es sich entfaltet. Die Erfindung einer Technik des Buchdrucks mit beweglichen Lettern, die eine so große Zahl an Buchexemplaren innerhalb kürzester Zeit produzierte, dass die europäische Gelehrtenwelt in umfassendem Maß damit versorgt werden konnte, war eine der größten Innovationen der Geschichte. Um aber die Möglichkeiten der neuen maschinellen Herstellungsweise von Büchern vollends ausschöpfen zu können, bedurfte es einer angemessenen Vertriebsstrategie. »Selling books, printer discovered, takes as much ingenuity as printing them.«3 Somit brauchte die Entwicklung eines Distributionsnetzes, wie es in einzigartiger Form im Laufe der Frühen Neuzeit gelang, Unternehmer mit ebenso viel Erfindergeist, wie ihn Johannes Gutenberg bewiesen hat. Innerhalb kürzester Zeit entwickelten sie eigene Handlungsstrategien und der von ihnen betriebene Buchhandel lässt sich somit unter dem soeben vorgestellten Modell des Wissensraums betrachten, um festzustellen, welche Aktanten beteiligt waren, welche Praktiken sie betrieben, welche Orte für sie relevant waren und welche Einflussnahmen von und nach außen hin stattfanden. Die Aufgaben des Buchhandels sind aus heutiger Sicht klar verteilt. Es gibt den herstellenden Buchhandel, Verlage und Druckereien. Die Verleger geben Bücher in

1 Andreas Daum: Alexander von Humboldt, die Natur als ›Kosmos‹ und die Suche nach Einheit. Zur Geschichte von Wissen und seiner Wirkung als Raumgeschichte. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 23 (2000), S. 243–269, S. 243. 2 Daum, Alexander von Humboldt, S. 243f. 3 Lotte Hellinga: The Gutenberg Revolutions. In: A companion to the history of the book. Hrsg. von Simon Eliot. Malden, MA [u. a.]: Blackwell 2007, S. 207–219, S. 217. https://doi.org/10.1515/9783110616521-003

3 Der historische Kontext: Buchhandel in der Frühen Neuzeit



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Auftrag, die Druckereien besorgen die technische Herstellung, der Satz wird je nach Situation von der einen oder der anderen Seite übernommen. Anschließend geht das fertige Produkt in den im Alltagsgebrauch eigentlich gemeinten Buchhandel. »Vom Hersteller aus betrachtet ist die Aufgabe des Handels im wesentlichen der Vertrieb (Absatz) der Waren.«4 In Deutschland beruht der Vertrieb darüber hinaus auf einem weltweit einzigartigen dreiteiligen System mittels Kommission oder Barsortiment als Zwischenhandelsstufe, die Lieferungen einzelner Bücher innerhalb eines Tages an stationäre Buchhandlungen ermöglicht. Ganz anders gestaltete sich die Situation zu Beginn der Frühen Neuzeit. Der Buchdruck war gerade erst erfunden, neue Betriebsstrukturen mussten erschlossen und neue Berufe gebildet werden. Die Trennung der einzelnen Buchhandelssparten erfolgte nur langsam und blieb im gesamten Untersuchungszeitraum unvollständig. Stattdessen blieb die buchhändlerische »Berufsmischung« bis ins 18. Jahrhundert typisch. Für die Frühe Neuzeit ist die enge personelle Verzahnung von Buchproduktion, -vertrieb und -rezeption charakteristisch. Zu den Buchhändlern zählten daher nicht nur die Buchführer, die mit einem größeren Sortiment selbstständig oder im Auftrag die Messen und Märkte bereisten, sondern auch die Druckerverleger, die alle Sparten des Buchgewerbes bedienten, sowie die sich erst später entwickelnden Verleger, Sortimenter und Verlegersortimenter. Mit Einschränkungen können auch die Hausierer, Kolporteure, Auchbuchhändler und Buchbinder als Buchhändler angesehen werden, sie werden allerdings vornehmlich direkt benannt. Die Lesefähigkeit war nicht allzu weit verbreitet und die Buchhändler mussten einen Zugang zu dieser dünn gesäten Schicht an Lesekundigen finden. Die in allen Handelsbereichen der Frühen Neuzeit entscheidende Netzwerkbildung war somit ebenfalls die Basis für den Buchvertrieb. Der Buchhandel hing also weit enger mit seiner Autoren- und Käuferschicht – insbesondere der Gelehrtenkultur – zusammen, als dies heute der Fall ist. Er entwickelte nicht nur selbst einen brancheneigenen Wissensraum, sondern übte auch starken Einfluss unter anderem auf den Wissensraum der Gelehrtenrepublik aus. Die Eigenheiten des frühneuzeitlichen Buchhandels und seine Entwicklung bilden die Grundlage für die Untersuchung des Buchhandelssystems als Wissensraum sowie weiterführende Einzeluntersuchungen und sind Gegenstand der folgenden Kapitel.

4 Wolfgang Sußmann: Vom Buchführer zum SB-Büchermarkt. Zur Dynamik der buchhändlerischen Vertriebsformen. Hamburg: Verlag für Buchmarkt-Forschung 1970 (Berichte des Instituts für Buchmarkt-Forschung; Sondernummer), S. 7.

64  3 Der historische Kontext: Buchhandel in der Frühen Neuzeit

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels Johannes Gutenberg (um 1400–1468) erfand gemeinsam mit einem Team von Mitarbeitern und Finanzierungspartnern um die Mitte des 15. Jahrhunderts den Druck mit beweglichen Lettern. Dass sie damit gleichzeitig die Ökonomie des Buchhandels tiefgreifend veränderten, ist ein »buchgeschichtlicher Allgemeinplatz«5, der dennoch immer wieder in seiner Bedeutung relativiert wird.6 Denn schon in der Handschriftenzeit sind professionalisierende Tendenzen des Buchhandels zu beobachten. Mit den im 12. und 13. Jahrhundert einsetzenden Universitätsgründungen wurde die Buchproduktion aus der geschlossenen Welt der Klosterbibliotheken geholt und einem breiteren Rezipientenstamm zugänglich gemacht. Albrecht Kirchhoff geht so weit, mit Blick auf Diebold Lauber und den Handschriftenhandel in Deutschland anzunehmen, dass »wir also füglich, die erste Grundlage der eigenthümlichen Organisation des deutschen Buchhandels, den Messverkehr, den Handschriftenhändlern ausserhalb der Universitätsstädte zu verdanken«7 hätten. Tatsächlich wuchs bereits gegen Ende des 14. Jahrhunderts ein Gewerbe von Handschriftenhändlern, die mit Gebrauchsschrifttum, wie Schulbücher, Andachtsbücher oder Einblattdrucke, um-

5 Duntze, Verlagsbuchhandel und verbreitender Buchhandel, S. 207. 6 Werner Faulstich beispielsweise leugnet in Anlehnung an Roger Chartier die Zäsurbedeutung des Buchdrucks und sieht stattdessen einen wichtigen Einschnitt in der Ablösung der Oralität und »Menschmedien« durch die Schriftlichkeit um 1400. Faulstich wird dabei unterstützt von Uwe Neddermeyer, der den Beginn des Buchzeitalters um 1370 mit Beginn des Handschriftenzeitalters ansetzt. Die Argumentation lautet, dass der Buchdruck den Prozess lediglich beschleunigt, jedoch keinen Bruch in der Entwicklung erzeugt hätte. Vgl. Begann die Neuzeit mit dem Buchdruck? Ist die Ära der Typographie im Zeitalter der digitalen Medien endgültig vorbei? Podiumsdiskussion unter der Leitung von Winfried Schulze. Diskutanten: Werner Faulstich und Michael Giesecke (Medienhistoriker), Johannes Burkhardt und Gudrun Gersmann (Historiker/in). In: Kommunikation und Medien in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Johannes Burkhardt und Christine Werkstetter. München: R. Oldenbourg 2005 (Historische Zeitschrift, Beihefte; Bd. 41), S. 11–38. Auch Wolfgang Behringer glaubt an eine bisherige Überbetonung des gedruckten Buchs. Er sieht »die wahre Kommunikationsrevolution der Frühen Neuzeit« erst durch die Einführung der Post um 1500 bedingt und spricht von einer »Taxis-Galaxis« anstelle einer »Gutenberg-Galaxis«. Wolfgang Behringer: »Von der Gutenberg-Galaxis zur Taxis-Galaxis«. Die Kommunikationsrevolution – ein Konzept zum besseren Verständnis der Frühen Neuzeit. In: Kommunikation und Medien in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Johannes Burkhardt und Christine Werkstetter. München: R. Oldenbourg 2005 (Historische Zeitschrift, Beihefte; Bd. 41), S. 39–54. Johannes Burkhardt allerdings argumentiert mit treffenden Worten gegen eine Herabwürdigung der Erfindung Gutenbergs zugunsten anderer Entwicklungen: Der Buchdruck ist »einer der ganz wenigen Punkte, über den bereits zeitgenössisch ein Innovationsbewußtsein ganz deutlich zu greifen ist. […] Das ist derartig singulär um 1500 und noch im ganzen 16. Jahrhundert, daß man eine Neuerung als positiv bewertet, daß allein schon das ein Kriterium ist.« Begann die Neuzeit mit dem Buchdruck?, S. 23. 7 Albrecht Kirchhoff: Beiträge zur Geschichte des deutschen Buchhandels. 1. Notizen über einige Buchhändler des 15. und 16. Jahrhunderts. Neudr. der Ausg. 1851–53. Osnabrück: Zeller 1966, S. 2.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels



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herzogen. Auf Märkten, Messen und öffentlichen Plätzen schlugen sie kleine Verkaufslager auf und boten ihre mitgebrachten Schriften und ihre Schreiberdienste an.8 Sie waren nicht zunftgebunden und können als Vorläufer des späteren Buchhandels angesehen werden. Daneben blieb aber der Handschriftenhandel durch die sogenannten Stationarii9 zu großen Teilen an die Institution Universität gebunden. Die Stationarii verliehen Handschriften und verkauften gelegentlich alte Handschriften auf Kommission, durften aber keinen eigentlichen Handel mit ihnen treiben, das heißt sie durften keinen Gewinn durch Kauf und Weiterverkauf damit erzielen.10 Diese strenge Kontrolle des Verkaufs und Vertriebs von Handschriften war einem freien Buchhandel abträglich. Die Universität in Bologna verbot 1289 ihren Stationarii sogar, Handschriften an andere Universitäten zu verkaufen.11 Es gab zwar neben den universitätsgebundenen auch freie Händler, doch diese versuchten die Universitätsmitglieder ebenfalls zu kontrollieren. So waren sie beispielsweise in Paris gezwungen, ihre Bücher offen unter freiem Himmel anzubieten und der Preis pro Buch wurde auf maximal 10 Sous (Solidi) begrenzt.12 Im Beispiel Richard von Bury St. Edmund, Kanzler König Eduards III., Bischof von Durham (1333–1345) und »bekannteste[r] Bibliophile des Mittelalters«, sieht Ferdinand Geldner einen »Beweis dafür, daß man im späteren Mittelalter schon einen internationalen, wenn auch quantitativ bescheidenen Handschriftenhandel kannte.«13 Der Bücherliebhaber ließ sich von Händlern mit Handschriften aus Italien, Frankreich, Deutschland und England versorgen. Dabei handelt es sich allerdings um ein Einzelbeispiel, das nicht ohne Weiteres verallgemeinert werden kann. Geographisch gesehen gibt es Anfang des 15. Jahrhunderts Zeugnisse eines ausgeprägten Handschriftenhandels in den italienischen Städten Venedig, Mailand

8 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 94f. 9 Stationarii waren an einer Hochschule angestellte Schreiber und Handschriftenverleiher. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 82. 10 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 82f. 11 Bologna stand zu dieser Zeit an der Spitze des Hochschulwesens. Dem italienischen Vorbild eiferte zunächst die Pariser Universität nach, welcher wiederum die deutschen Hochschulen folgten. Letztere blieben aber in ihrer Bedeutung weit hinter den beiden großen Universitäten in Italien und Frankreich zurück. Vermögende deutsche Studenten gingen zum Studium ins Ausland und somit hatten die deutschen Universitäten nur geringen Einfluss auf die Ausbildung und Entwicklung des Handschriftenhandels in Deutschland. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 81 und 85–87. 12 Ferdinand Geldner schränkt zugleich ein, dass solche Bestimmungen meist als nicht besonders streng zu verstehen sind und von den Beteiligten gerne umgangen wurden. Vgl. Ferdinand Geldner: Inkunabelkunde. Eine Einführung in die Welt des frühesten Buchdrucks. Wiesbaden: Reichert 1978, S. 157. 13 Geldner, Inkunabelkunde, S. 157.

66  3 Der historische Kontext: Buchhandel in der Frühen Neuzeit

und Florenz.14 Zuvor positionierte sich Paris als Hauptmarkt des europäischen Handels mit Handschriften. Es gab einen örtlichen Verband der Stationarii für die großen »Quatuor Majores Librarii« und die kleinen Buchhändler »Parvi Librarii«. Sie bekamen vom Rektor der Sorbonne nach ihrer Vereidigung das alleinige Kaufs- und Verkaufsrecht zugesprochen.15 Auch in London bildete sich 1403 eine Gilde der »Stationars« und »Textwriters«. Nur in Deutschland sind die Nachrichten über den Handschriftenhandel spärlich.16 Von einem europäischen Buchhandelsnetzwerk kann trotz der genannten Entwicklungen des Handschriftenhandels noch keine Rede sein. Zudem blieben die Möglichkeiten der Herstellung weiterhin eng begrenzt und es ergab sich insgesamt keine Notwendigkeit, die Verkaufsmethoden grundlegend zu ändern. Erst die schlagartige Produktionssteigerung durch den Buchdruck von wenigen handschriftlichen Exemplaren hin zu den anfänglichen Kleinstauflagen von 100 bis 200 und nach wenigen Jahren schon durchschnittlich 500 Exemplaren führte dazu, dass sich der Verkauf auf einen völlig neuen anonymen Absatzmarkt konzentrieren musste. Spätestens 1472 übertraf die Zahl gedruckter Seiten die der geschriebenen.17 Eine solche quantitative Zunahme der Stückzahlen bedeutete einen »kaum zu überschätzenden Bruch mit der Tradition: Die west-europäische Gesellschaft ist die erste, die den Wirkungen eines Massenmediums unterworfen ist, deren Folgen sich schon im 16. Jahrhundert in vollem Umfang entwickeln.«18

14 In Florenz hatte »der erste Buchhändler im großen Sinne«, Vespasiano da Bisticci (1421–1498), sein Ladengeschäft. Bisticci beschäftigte eine ganze Reihe von Kopisten und fertigte in seiner Werkstatt gelehrte Handschriften im großen Stil. Er war der bekannteste Buchhändler in Italien Mitte des 15. Jahrhunderts und übernahm viele Großaufträge. Der König von Ungarn, Matthias Corvinus, beispielsweise bestellte eine ganze Bibliothek bei ihm. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 112f. Bisticci verkaufte seine Handschriften demnach zwar international, arbeitete aber trotzdem, wie bei Handschriften üblich, vornehmlich auf Bestellung. 15 Vgl. Franz Stock: Die ersten deutschen Buchdrucker in Paris um 1500. Reprint der Ausg. Freiburg, Breisgau, Herder 1940. Hrsg. und kommentiert von Ansgar Heckeroth und Hans-Walter Stork. Paderborn: Bonifatius 1992, S. 2. 16 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 96. Für Deutschland sind vor allem die Brüder vom gemeinsamen Leben zu nennen. Ihre Gemeinschaft wurde im späten 14. Jahrhundert gegründet und sie betrieben das Abschreiben der Bibel sowie religiöser Lehr- und Andachtsbücher gewerbsmäßig. In der Tatsache, dass sie diese Literatur vermehrt in der Landessprache verfassten, sieht Widmann eine die »Druckerbräuche vorwegnehmend[e]« absatzsteigernde Strategie. Widmann, Geschichte des Buchhandels, S. 36. 17 Vgl. John L. Flood: ›Volentes sibi comparare infrascriptos libros impressos…‹ Printed Books as a Commercial Commodity in the Fifteenth Century. In: Incunabula and their Readers. Printing, Selling and Using Books in the Fifteenth Century. Hrsg. von Kristian Jensen. London: British Library 2003, S. 139–151, S. 139. 18 Frédéric Barbier: Die erste Medienrevolution. Erfindung der Druckerei und Vervielfältigung der schriftlichen Sprachen in Europa von der Mitte des 15. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts. In: Buch und Wissenstransfer in Ostmittel- und Südosteuropa in der Frühen Neuzeit. Beiträge der Ta-

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels

 67

Die Buchherstellung sah sich nun mit einem großen Gegensatz konfrontiert: »Herstellung im großen – Absatz im kleinen«19. Lokal waren die im Druck produzierten Mengen nicht mehr zu verkaufen, aber es fehlte noch eine wirksame Organisation des überregionalen Vertriebs.20 Die höheren Auflagen mussten beim Buchdruck im Vorhinein festgelegt und kalkuliert werden und stehen im Kontrast zur Berechenbarkeit des Absatzes von Handschriften, die üblicherweise auf Bestellung gefertigt wurden. Auch die Produktion der bekannten Schreiberwerkstatt Laubers in Hagenau im Elsass dürfte nur zum Teil auf Vorrat erfolgt und immer noch weitgehend auf Auftragsarbeit hin ausgelegt gewesen sein.21 Bei einem Auftrag entsprechen sich Angebot und Nachfrage und der Abnehmer ist bekannt. Gedruckte Bücher waren durch ihre große Anzahl jedoch darauf angewiesen, Bedarf nicht nur zu decken, sondern erst zu wecken und das bei einem unbekannten Leser, was die Herausgabe und Produktion von Büchern plötzlich zu einem »speculative« bzw. »hazardous enterprise«22 machte. Dabei stand der schnelle Erfolg des neuen Buchdruckgewerbes in Wechselwirkung zu den bildungsgeschichtlichen Entwicklungen, denn ohne den aus den romanischen Ländern sich nach Norden verbreitenden Humanismus mit seinem Glauben an die allgemeine Bildungsfähigkeit des Menschen und der damit verbundenen Hinwendung zu den Texten der Antike wäre eine rasche Ausbreitung der Buchdruckerkunst nicht möglich geworden.23

Die Buchproduktion löste sich mit dem Buchdruck von ihrer engen Anbindung an Klöster oder Universitäten, indem sie in erster Linie von städtischen Offizinen übernommen wurde. Die Erfindung und ihre Ausbreitung traf dabei mit der Blüte und dem Reichtum der deutschen Städte zusammen, die im ausgehenden Mittelalter von der Natural- zur Geldwirtschaft übergegangen waren; eine wichtige Vorausset-

gung an der Universität Szeged vom 25.–28. April 2006. Hrsg. von Detlef Haberland und Tünde Katona. München: R. Oldenbourg 2007 (Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa; Bd. 34), S. 23–47, S. 23. 19 Robert L. Prager: Der deutsche Buchhandel. Seine Geschichte und seine Organisation. Nebst einer Einführung: Der Ursprung des Buches und seine Entwicklung. Berlin: Verl. für Sprach- und Handelswissenschaft [1907], S. 45. 20 Vgl. Holger Nickel: Entwicklungen im frühen deutschen Buchhandel. In: GJ (1976), S. 482–484, S. 482. 21 Vgl. Ursula Rautenberg: Buchhändlerische Organisationsformen in der Inkunabel- und Frühdruckzeit. In: Die Buchkultur im 15. und 16. Jahrhundert. Zweiter Halbband. Hrsg. vom Vorstand der Maximilian-Gesellschaft und Barbara Tiemann. Hamburg: Maximilian-Gesellschaft 1999, S. 339– 376, S. 339. 22 Flood, ›Volentes sibi comparare infrascriptos libros impressos…‹, S. 141. 23 Stephan Füssel: Klassische Druckmedien der Frühen Neuzeit. Einleitung. In: Kommunikation und Medien in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Johannes Burckhardt und Christine Werkstetter. München: R. Oldenbourg 2005 (Historische Zeitschrift; Bd. 41), S. 57–61, S. 59.

68  3 Der historische Kontext: Buchhandel in der Frühen Neuzeit

zung für den Handel. Hinzu kam die Umgestaltung und Ausbreitung des Großhandels durch die Entdeckungen fremder Länder und damit weiterer potenzieller Absatzmärkte.24 Auch einige Universitäten und Klöster richteten eigene Druckereien ein. Beispielsweise war die erste Offizin in Frankreich eine Universitätsgründung. Die Pariser Universität berief durch Johannes Heynlein de Lapide, 1467 bis 1470 Prior der Sorbonne und 1468 ihr Rektor, und den Bibliothekar Wilhelm Fichet die drei deutschen Drucker Martin Kranz, Michael Freiburger und Ulrich Gering in ihre Dienste.25 Dennoch blieb die Masse der neuen Druckoffizinen eine unabhängige Einrichtung der Städte, die sich statt auf institutionell organisierte Vertriebswege auf kommerzielle konzentrierte. Die Druckerverleger waren in erster Linie Geschäftsmänner, die außerhalb der Zunftordnung mit hohem Kapitaleinsatz beträchtliche Risiken eingingen, denn der Rückfluss der Gelder im Fall der Ware Buch folgte mit großer zeitlicher Verzögerung. Für den schnellen Absatz der Bücher und damit einen möglichst schnellen Rückgewinn des eingesetzten Kapitals, war ein leistungsfähiger Vertriebsapparat entscheidend. Aus diesem Grund misst auch Wittmann dem Buchvertrieb als Mittler zwischen Produktion und Rezeption eine »grundlegende Wichtigkeit für das gesamte Kommunikationssystem zu«26, obwohl er selbst diesen Bereich in seiner Geschichte des deutschen Buchhandels deutlich übergeht. Der Versuch, aus der vorhandenen Forschungsliteratur die Entwicklung des Buchvertriebs herauszuarbeiten und allein für sich vorzustellen, kann nur fragmentarisch bleiben. Wie bereits dargestellt, gehört die reine Vertriebsseite des Buchhandels zu den vernachlässigten Themen der Buchwissenschaft, zu dem an vielen Stellen die Quellen fehlen. Der Mangel an überlieferten Zeugnissen besonders zur wirtschaftsgeschichtlichen Seite des Buchhandels kann in Ansätzen durch die Analyse der »Handarbeit« in einzelnen Büchern ausgeglichen werden, indem durch sie, wie Lotte Hellinga herausgestellt hat, Rückschlüsse auf die Verbreitung und das Verbindungsnetzwerk des Handels gezogen werden können.27 Eine grundlegende Untersuchung aller individueller Exemplare im Hinblick auf mögliche Aussagen für den Buchvertrieb ist eine in ihrem Umfang allerdings nicht zu bewältigende Aufgabe, sodass auch Ursula Rautenberg eine derartige Neubearbeitung der Geschichte des frühen Buchhandels »in weite Ferne rücken«28 sieht.

24 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 185. 25 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 430f. 26 Wittmann, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 32. 27 Vgl. Lotte Hellinga: Peter Schoeffer and the Book-Trade in Mainz: Evidence for the Organization. In: Bookbindings & other Bibliophily. Essays in honour of Anthony Hobson. Hrsg. von Denis E. Rhodes. Verona: Edizioni Valdonega 1994, S. 131–184. Auf Hellingas Studie wird im nächsten Kapitel im Abschnitt über den Buchhandel Peter Schöffers genauer eingegangen. 28 Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 347.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels



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Dennoch halte ich eine Zusammenführung der neuesten Forschungsergebnisse aus Einzelstudien mit den bisherigen allgemeinen Überblickswerken für sinnvoll und notwendig. Dabei ist es wichtig zu beachten, dass die Fokussierung auf einen einzelnen Teil des Komplexes Buchhandel zu Überbetonungen führen kann und die Systemzusammenhänge zwischen Produktion, Distribution und Rezeption vernachlässigt werden. Ich nehme das aber in Kauf, um den Blick auf die wichtige Rolle des Buchvertriebs zu lenken. Die Verlags-, Produktions- und Rezeptionsseiten werden zudem nicht völlig ausgeblendet, sondern finden in ihrer Zusammenarbeit mit den Buchhändlern bzw. an Stellen der Tätigkeitsüberschneidungen ihre Erwähnung. Den Vertrieb ohne die Herstellung zu betrachten, ist auch gar nicht möglich, da, wie bereits erwähnt, besonders der Buchdruck und der Handel in der Frühen Neuzeit so eng zusammenhängen, »daß sie vielfach miteinander verwechselt werden«29. Die nachstehende Darstellung folgt einer chronologischen Leitlinie, die aber zugunsten thematischer Zusammenhänge nicht strikt eingehalten wird. Aufgrund der Quellenlage ist es unumgänglich, einige wenige Persönlichkeiten stark herauszustellen, worauf bereits hier deutlich hingewiesen wird. Dadurch mag der Eindruck entstehen, dass jeweils nur ein kleiner Personenkreis den gesamten Buchhandel beherrschte. Tatsächlich tauchen in den überlieferten Fakten über internationale Geschäftsverbindungen einige Namen vermehrt auf, weshalb davon auszugehen ist, dass die vorgestellten Buchhändler eine bedeutende Rolle spielten. Für ein genaues Bild der Lage kann aber auch nur auf die vorhandenen Quellen zurückgegriffen werden, weshalb ihre Tätigkeiten stets beispielhaft für die vorgestellten Buchhandelspraktiken stehen. Auf die Aspekte des neu entstandenen besonderen Buchhandelsnetzwerks, die relevant sind für seine Betrachtung als Wissensraum, wird an den entsprechenden Stellen hingewiesen.

3.1.1 Die Anfänge im 15. und beginnenden 16. Jahrhundert Gutenberg und der Vertrieb der ersten Druckwerke Viele Details zur Person Johannes Gutenberg sind unklar. Große Teile seines Lebens, die genauen Umstände seiner Erfindung und auch seine Beteiligung an den frühesten Drucken sind nicht überliefert und ohne Quellenbasis weitgehend auf Hypothesen angewiesen. Über den Vertrieb der ersten Druckwerke kann ebenfalls nur spekuliert werden, dennoch gibt es vereinzelte Hinweise auf die möglicherweise gewählte Handelsform. Dazu ist eine Unterscheidung nach Textsorten sinnvoll. Gutenbergs Druckprogramm kann nach Ursula Rautenberg oberflächlich gesehen in zwei Kategorien eingeteilt werden, einerseits die Klein- und Akzidenzdrucksachen und

29 Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 592.

70  3 Der historische Kontext: Buchhandel in der Frühen Neuzeit

andererseits die aufwendigen und kostspieligen Großprojekte.30 Die Zweiteilung in diese beiden Gruppen lässt sich in der Regel auch auf die Verlagsproduktion späterer Druckerverleger übertragen. Bezeichnend ist, dass der Buchdruck nicht mit dem ersten großen Druckwerk, der Gutenberg-Bibel (B42), begann, sondern tatsächlich mit sogenannten »Brotartikeln«, einer günstigen breit absetzbaren Handelsware. Ob die ersten Druckerzeugnisse tatsächlich, wie Albert Kapr annimmt, das Fragment vom Weltgericht31 und der Donat32 sind – nach Kaprs Ansicht bereits in Straßburg zwischen 1440 und 1444 gedruckt – wird von der Forschung stark angezweifelt und ist nicht nachweisbar.33 Der Donat ist eine lateinische Grammatik für den Anfängerunterricht von Aelius Donatus mit dem Titel Ars minor, die eines der am weitesten verbreiteten Lehrbücher des 15. Jahrhunderts war.34 Wenn nicht in der Straßburger Zeit, so wurde der Donat doch vermutlich nicht lange nach 1448 in Gutenbergs Uroffizin in Mainz gedruckt und gehört damit zu den frühesten Druckerzeugnissen. Über den möglichen Handel mit diesen Kleindrucken äußert Rautenberg folgende Spekulationen: Der Handel mit ihnen ist über ein mit der Druckerei verbundenes Ladengeschäft denkbar, in seiner einfachsten Form mit in den Straßenraum hineinragenden Klapptischen; wahrscheinlich wurden die Drucke auch auf Jahrmärkten und lokalen Messen vertrieben, auf denen die manuell oder in graphischen Reproduktionsverfahren hergestellten einblättrigen Blätter und Texte schon länger angeboten wurden.35

Anders sieht es aus für einen 31-zeiligen Ablassbrief, der als Ausstellungsdatum den 22. Oktober 1454 eingetragen hat, womit er in jedem Fall zuvor hergestellt worden sein muss.36 Bei diesem wie auch den anderen in Mainz gedruckten Ablassbriefen handelte es sich um Auftragsarbeiten für die Kirche, sodass hierfür kein eigener Vertriebsweg genutzt werden musste. Stattdessen übernahmen die Abnehmer den Verlag und den Verkauf der Drucksachen. Gutenberg und seine Mitarbeiter fungier-

30 Vgl. Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 347. 31 Sibylla, deutsch (Fragment vom Weltgericht). [Mainz: Drucker der 36zeiligen Bibel, um 1452/53]. Vgl. GW M41981. 32 Aelius Donatus: Ars minor. [Mainz: Type der 36zeiligen Bibel (GW 4202)]. Vgl. GW 08674–8697. 33 Vgl. Albert Kapr: Johannes Gutenberg. Persönlichkeit und Leistung. 2. durchges. Aufl. München: Beck 1988, S. 95f. Stephan Füssel argumentiert überzeugend dagegen, dass das Sibyllen-Buch der älteste erhaltene Druck ist, indem er darauf hinweist, dass die dafür verwendete Donat-KalenderType für lateinische Texte hergestellt wurde. Seiner Einschätzung nach ist das Fragment in die zweite Hälfte der 1450er Jahre einzuordnen. Vgl. Stephan Füssel: Gutenberg und seine Wirkung. Frankfurt a. M. [u. a.]: Insel Verlag 1999, S. 28. 34 Vgl. Füssel, Gutenberg und seine Wirkung, S. 25. 35 Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 347. 36 Paulinus Chappe: Ablassbrief zum besten des Kampfes gegen die Türken und der Verteidigung von Cypern. [Mainz: Drucker der 42zeiligen Bibel (Johann Gutenberg), 1454]. Vgl. GW 06555 und 06556.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels



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ten bei diesem Auftrag als reine »Lohndrucker«, wie es in der späteren Berufsdifferenzierung üblich werden sollte.37 Die Produktion auf direkte Nachfrage eines Auftraggebers entspricht außerdem der Handschriftentradition. Für den Vertrieb des ersten Großwerks, der B42, ist ein Brief Enea Silvio Piccolominis, des späteren Papstes Pius II., an Kardinal Juan de Carvajal vom 12. März 1455 von Bedeutung. Seit seiner Publikation durch Erich Meuthen 1982 wird er als wichtige Quelle in jeder Untersuchung zu Gutenberg und seiner Offizin erwähnt,38 denn Piccolomini berichtete hierin von Teilen einer Bibel, die auf dem Frankfurter Reichstag im Oktober 1454 präsentiert wurden. Mit Verweis auf seine Gewährsleute schätzte Piccolomini und mit ihm die heutige Fachwelt die Auflagenhöhe der B42 auf 160 bis 180 Exemplare. Rautenberg leitet aus dem Brief zudem die mögliche Vertriebsmethode ab. Da die Bibel in Teilen vorgeführt wurde, um mögliche Käufer von ihrer Qualität zu überzeugen, sieht sie darin den »nicht ungeschickten Versuch einer Direktvermarktung – möglicherweise im Subskriptionsverfahren«39. Der Versuch war offensichtlich erfolgreich, da Piccolomini zum Zeitpunkt seines Briefes vom vollständigen Verkauf der Exemplare ausging – sogar noch vor der Vollendung des Drucks –40; trotz der hohen Preise von 90 rheinischen Gulden für ein Exemplar auf Pergament und 40 Gulden für eines auf Papier.41 So innovativ, wie Oliver Duntze diese Vertriebsform nennt,42 wirkt der Verkaufsversuch aber dennoch nicht, zumal genauere Details nicht überliefert sind. Ob es sich wirklich um ein erstes Subskriptionsverfahren handelte, kann nur vermutet werden. Es ist ebenso möglich, dass die ungebundenen Exemplare der bereits fertiggestellten Bibel hier zum Kauf angeboten und ausgewählte Teile zur Präsentation davon abgesondert wurden. Auch über Preis und Käufer sind kaum Angaben überliefert. Nur 12 der heute erhaltenen 49 Exemplare sind einem zeitgenössischen Besitzer zuzuordnen. Soweit bekannt, verblieben die meisten Bibeln im unmittelbaren Umkreis von Mainz, daneben wurden welche im Kloster Andechs, in Heilbronn, Ostheim, Würzburg, Erfurt, Langensalza, Lübeck, Utrecht und einem Dorf bei Meran gefunden, sodass Rautenberg eher auf einen lokalen bis regionalen Absatzmarkt schließt.43 Die Konzentration auf das unmittelbare Umland beim Verkauf der Bücher steht noch in der Traditi-

37 Vgl. Geldner, Inkunabelkunde, S. 150. Rom und die Kirche standen der neuen Erfindung des Buchdrucks von Anfang an wohlwollend gegenüber und unterstützten ihre rasche Verbreitung. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 60. 38 Vgl. Erich Meuthen: Ein neues frühes Quellenzeugnis (zu Oktober 1454?) für den ältesten Bibeldruck. Enea Silvio Piccolomini am 12. März 1455 aus Wiener Neustadt an Kardinal Juan de Carvajal. In: GJ 57 (1982), S. 108–118. 39 Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 348. 40 Vgl. Füssel, Gutenberg und seine Wirkung, S. 16. 41 Vgl. Meuthen, Ein neues frühes Quellenzeugnis, S. 110. 42 Vgl. Duntze, Verlagsbuchhandel und verbreitender Buchhandel, S. 208. 43 Vgl. Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 348.

72  3 Der historische Kontext: Buchhandel in der Frühen Neuzeit

on des Handschriftenhandels, womit Gutenberg auch hier vorerst an vorhandene Strukturen anzuknüpfen schien. Für solch ein eingegrenztes Absatzgebiet war es für den ersten Buchdrucker weder notwendig noch möglich, bereits einen branchenspezifischen Wissensraum zu generieren, geschweige denn zu nutzen. Schöffers Buchhandel und seine Buchhändlereinbände Deutlich mehr wissen wir über den Vertrieb der Offizin unter Gutenbergs Geldgeber Johann Fust (um 1400–1466) und seinem ehemaligen Gesellen Peter Schöffer aus Gernsheim (um 1425–um 1503). Fust und Gutenberg trennten sich nach Rechtsstreitigkeiten über die nicht erfolgte Rückzahlung der Vorfinanzierung. Der Prozess, den der Finanzier gegen den Erfinder deswegen führte, ist durch einen Bericht, das Helmaspergersche Notariatsinstrument,44 dokumentiert. Danach übernahm Fust offenbar die Druckwerkstatt und führte sie zusammen mit seinem späteren Schwiegersohn Schöffer weiter. Schöffer übernahm dazu die Leitung der Herstellung, während Fust sich um den Vertrieb kümmerte. Kurz nach Erscheinen der zweiten Auflage ihres Cicero45 Anfang 1466 reiste Fust nachweislich mit diesem und weiteren Verlagswerken der Fust/Schöfferschen Offizin nach Paris, um sie dort zu verkaufen. Als einer der Käufer ist Ludwig de la Vernade namentlich festzumachen.46 Da in Paris erst ab 1470 andere Drucker tätig waren, durch die dortige Universität aber ein großes Interesse an Literatur vorhanden war, erwarteten ihn dort günstige Bedingungen für den Verkauf ihrer Druckwerke.47 Noch im Jahr 1475, am 21. April, erteilte ihnen Ludwig XI. ein Sonderprivileg für den Verkauf von Büchern in Angers.48 Zudem bestanden wohl persönliche Beziehungen der Mainzer dorthin, da Schöffer vor seiner Lehrzeit bei Gutenberg als Schönschreiber und Kopist an der Pariser Universität gearbeitet hatte.49 Die Verkaufstätigkeit in Frankreich zeigt die weiten geographischen Dimensionen, die von

44 Helmaspergersches Notariatsinstrument. Pergamenthandschrift. Mainz, 6. XI. 1455. In: GUTENBERG DIGITAL. URL: http://www.gutenbergdigital.de/notar.html [Stand: 28.01.2018]. 45 Marcus Tullius Cicero: De Officiis etc. [Mainz]: Johann Fust und Peter Schöffer 1465. Vgl. GW 06921. 46 Vernade war Kanzler von Duc de Bourbon et d’Auvergne. Vgl. Cornelia Schneider: Peter Schöffer: Bücher für Europa. Mainz: Gutenberg-Museum 2003, S. 25. 47 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 69. Kapp äußert die Annahme, dass Fust schon 1655 nach Beendigung der 42-zeiligen Bibel für den Verkauf nach Paris gereist sein soll, was zwar nicht zu beweisen, seiner Ansicht nach aber wahrscheinlich ist. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 68. Fust erhielt jedenfalls offenbar aufgrund seiner häufigen Reisen nach Frankreich den Beinahmen »Parisius«. Vgl. Stock, Die ersten deutschen Buchdrucker in Paris, S. 22. 48 Vgl. Stock, Die ersten deutschen Buchdrucker in Paris, S. 33. 49 Vgl. Hellmut Lehmann-Haupt: Peter Schöffer aus Gernsheim und Mainz. Übers. und mit einem Vorwort versehen von Monika Estermann. Wiesbaden: Reichert 2002, S. 4.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels 

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Anfang an als Absatzgebiet in Betracht gezogen werden mussten und die Notwendigkeit des Reisens für den frühen Buchhändleraktanten.50 Nach Fusts Tod Ende 1466, spätestens aber Anfang 1467, war Peter Schöffer Alleininhaber der Druckerei und die in der Zwischenzeit gewachsene Konkurrenz außerhalb von Mainz machte neue Vertriebs- und Marketingstrategien notwendig.51 Schöffer nutzte nun den ihm auch örtlich nahen Messeplatz Frankfurt als Ausgangspunkt seines Vertriebs, der weiterhin bis nach Frankreich und an die Ostsee reichte. Der schon frühe Verkauf über Frankfurt erweist sich aus einer Schuldeinforderung Schöffers an den Lübecker Kaufmann Kurd Horlemann für ihm gelieferte Drucke, die ein Beglaubigungsschreiben des Frankfurter Rats vom 3. Juni 1469 bestätigt. Der Rat der Stadt Frankfurt unterstützte den Mainzer Drucker, indem er seinem Schreiben an den Lübecker Rat noch eine Empfehlung für seinen Geschäftspartner Konrad Henkis beilegte. Henkis sollte vor Ort die ausstehenden Schulden Horlemanns eintreiben.52 Im April 1480 setzte sich der Frankfurter Rat beim Rat der Stadt Lübeck erneut für die Interessen Schöffers ein bei einer Forderung gegen den Lübecker Bürger Hans Bitz bzw. seiner Witwe. Wie wichtig Frankfurt für seinen Vertrieb war, beweist zudem die Aufnahme Schöffers als Bürger der Stadt am 6. September 1479.53 Noch früher, im Jahr 1470, hatte auch Henkis das Bürgerrecht in Frankfurt erworben. Alexander Dietz bezeichnet Fust, Schöffer und Henkis sogar als »die Begründer der Frankfurter Buchhändlermesse«54. Zwar konnte von einer eigenständigen Buchmesse noch nicht die Rede sein, doch die Frankfurter Messe wurde bald zu einem zentralen Knotenpunkt im Wissensraum Buchhandel. Für den Verkauf der Druckwerke an den wichtigsten Handelsorten ließ Schöffer dort jeweils in stationären Lagern Vorräte schaffen und beauftragte Angestellte vor

50 Für den Vertrieb ihrer Kleinschriften, wie der Ablassformulare, galten andere Regeln wie es schon im vorherigen Abschnitt zur Sprache kam. Ihr Vertrieb wurde vom Auftraggeber übernommen. Vgl. Schneider, Peter Schöffer, S. 25. 51 Vgl. Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 349. Einer der beiden Söhne Fusts, Konrad, wurde stiller Teilhaber. Nachdem Konrad Hancquis (Henkis) – auch Henlich oder Henchins; der Name ist eine Zusammenziehung aus »Johannes Sohn« – 1475 die Pariser Niederlassung übernommen hatte, führte er ab 1480 wieder die Geschäfte der Firma in Deutschland. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 71–73. 52 Vgl. Lehmann-Haupt, Peter Schöffer, S. 80. Über Lübeck vertrieb Schöffer seine Bücher in Schweden, Riga und Reval. Vgl. Schneider, Peter Schöffer, S. 32. 53 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 73f. Das Mainzer Bürgerrecht erwarb Schöffer dagegen nie. Als Bernhard Inkuss aus Frankfurt Bücher beschlagnahmte, die Schöffer und Henkis in Basel lagerten, mit dem Argument, er hätte die Erlaubnis, sich an Besitztümern eines Mainzer Bürgers wegen unbezahlter Schulden schadlos zu halten, gingen Schöffer und Henkis dagegen vor mit dem Hinweis darauf, dass sie keine Mainzer Bürger wären. Vgl. Lehmann-Haupt, Peter Schöffer, S. 80. 54 Alexander Dietz: Frankfurter Handelsgeschichte. Bd. 3. Frankfurt am Main: Minjon bzw. Knauer 1921, S. 6f.

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Ort, die Bücher weiträumig zu vertreiben. Feste Standorte hatte er neben Frankfurt und Paris in Basel, Trier, Angers und eventuell in Köln.55 Dass diese Niederlassungen recht erfolgreich gelaufen sein dürften, zeigt Schöffers Bestreben, möglichst bald nach Fusts Tod einen neuen Vertreter in Paris einzustellen. Zu diesem Zweck reiste er selbst am 20. Juli 1468 nach Frankreich.56 Unter Hermann von Stadtlohn (auch Stadtloe) nahm das Pariser Geschäft dann einen noch größeren Aufschwung und er bediente neben Angers weitere Zweigniederlassungen in anderen französischen Städten. Um wahrscheinlich für Schöffer auch an der Universität verkaufen zu können, wurde Stadtlohn zusätzlich Faktor bei dem Pariser Universitätsbuchhändler Johann Guymier. Nach dem Tod Stadtlohns bestand die Filiale in Paris nur noch wenige Jahre – wenigstens bis 1477. Nachdem der Buchdruck auch in Paris Fuß gefasst hatte, führte die neue Konkurrenz dazu, dass Schöffer sich allmählich von dort zurückzog und sich nur noch auf den Vertrieb im eigenen Land konzentrierte. Aus einer weiteren Schuldforderung für gelieferte Bücher diesmal an die Ulmer Bürger Hans Harscher, Erhardt Rüwinger und Berchtold Ofener gehen entsprechend auch Geschäftsbeziehungen in den tiefen Süden Deutschlands hervor.57 Die Fust/Schöffersche Offizin führte einige Neuerungen ein. Mit dem ersten Druckersignet, einem Gemeinschaftszeichen von Fust und Schöffer,58 positionierten sie ihre Druckerei als Firma mit einem »Markenzeichen«. In eine ähnliche Richtung geht auch Schöffers Verwendung von »Verlegereinbänden«, eine Praxis, die bis ins 19. Jahrhundert die Ausnahme bleiben sollte. Lotte Hellinga führt in einer Studie die Ergebnisse der Untersuchungen von Einband, Makulatur und Buchschmuck zusammen und leitet daraus ab, wie Schöffers Handelsgeschäft mit diesen gebundenen Büchern ausgesehen haben könnte.59 Hergestellt wurden die Einbände von Mainzer Werkstätten, die eng mit Schöffer zusammenarbeiteten oder sogar an seine Offizin angegliedert waren.60 Das lässt den Schluss zu, »that Peter Schoeffer commissioned the ›finished by hand‹ of books printed at his press by decoration and by binding.«61 Interessant ist dabei der Umstand, dass sich seine Einbände auch an Büchern anderer Offizinen finden, die nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich und Italien produzierten. Das lässt darauf schließen, dass Schöffer offen-

55 Vgl. Schneider, Peter Schöffer, S. 31. 56 Vgl. Lehmann-Haupt, Peter Schöffer, S. 79. 57 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 71–74. 58 Das Signet zeigt zwei Wappen, die durch eine Schnur verbunden über einem Aststück hängen. Das linke Schild steht für Schöffer mit einem durch zwei Doppelhaken gebildeten Sparren und drei Sternen. Rechts repräsentieren zwei über Kreuz gelegte Stäbe mit Widerhaken Fust. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 247f. 59 Hellinga rekurriert dabei auf die Arbeit Vera Sacks, die die Verbindung zwischen Schöffer, dem Buchbinder, Mainz und seinem Buchhandel bereits in den 1970er Jahren beleuchtete. Vgl. Vera Sack: Über Verlegereinbände und Buchhandel Peter Schöffers. In: AGB 13 (1973), Sp. 249–288. 60 Vgl. Duntze, Verlagsbuchhandel und verbreitender Buchhandel, S. 210. 61 Hellinga, Peter Schoeffer and the Book-Trade, S. 132.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels

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bar Drucke anderer Werkstätten importierte oder auf der Messe in Frankfurt erwarb, sie in Mainz einbinden ließ und erst anschließend weiterverkaufte.62 »Korrekterweise müsste man also eher von ›Buchhändlereinbänden‹ als von ›Verlegereinbänden‹ sprechen.«63 Dass Schöffer nicht der einzige Buchhändler war, der gebundene Bücher verkaufte, lassen die Buchbestände der Stadtbibliothek Ulm vermuten. Dort finden sich 39 Drucke aus dem dortigen Franziskanerkloster, deren Einbände aus der gleichen Buchbinderwerkstatt stammen. Bernd Breitenbruch hat sich diesem Phänomen in einem kurzen Artikel gewidmet und ein hypothetisches Erklärungsmodell dafür geliefert. Er identifiziert als Herkunftsort der Einbände die Kyrißwerkstatt in Tübingen und erklärt das Fehlen von Ulmer Einbänden damit, dass der Konvent es vorzog, die Bücher bereits gebunden von auswärtigen Buchhändlern zu erwerben. Als einen potenziell von den Ulmer Franziskanern beauftragten Buchhändler macht er Friedrich Meynberger aus Tübingen fest. Nach einer Reform musste das Kloster sparen und bestellte eine möglichst einfache Bindeart, von der Breitenbruch sogar mutmaßt, dass sie von Meynberger selbst stammen könnte.64 Daneben ist auch für den Züricher Druckerverleger Christoph Froschauer (um 1490–1564) belegt, dass er die Bücher in seinen Läden gebunden verkaufte, wozu er eine eigene Buchbinderwerkstatt unterhielt.65 Dennoch blieb die von Schöffer geübte Praxis des (Weiter) Verkaufs gebundener Bücher eine Ausnahme unter den Buchhändlern und wurde hauptsächlich zu einem Vorrecht der Buchbinder.66 Das Buchbinden gehört damit nicht zu den Praktiken der Aktanten im Wissensraum Buchhandel. Anhand der Drucke mit Schöffers Einbänden, die aus fremden Offizinen stammen, lassen sich seine Verbindungen zu anderen Handelspartnern nachvollziehen. Schöffer tauschte bzw. »verstach« demnach Bücher mit den Druckerverlegern Peter Drach und Anton Koberger, außerdem stand er in Verbindung mit Köln zu Ulrich

62 Schöffer importierte Titel aus den Städten Straßburg, Köln, Löwen, Basel, Venedig, Padua, Speyer, Marienthal, Vienne, Freiburg und Rom. Vgl. Schneider, Peter Schöffer, S. 31. 63 Duntze, Verlagsbuchhandel und verbreitender Buchhandel, S. 210. Dabei ist auch zu beachten, dass keine gleichförmigen Einbände verwendet wurden. Stattdessen wurde jedes Buch individuell eingebunden. Vgl. Sack, Über Verlegereinbände und Buchhandel Peter Schöffers, Sp. 250. 64 Vgl. Bernd Breitenbruch: Tübinger Buchhändlereinbände aus den letzten beiden Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts? In: AGB 37 (1992), S. 285–294, S. 286–289. 65 Vgl. Grimm, Die Buchführer des deutschen Kulturbereichs, Sp. 1348. 66 Schöffer band seine Bücher nicht selbst. Hellinga macht als einen wichtigen Buchbinder, der in Verbindung mit Schöffer stand, Kyriss 160 fest. Der Buchbinder wurde von Ernst Kyriss als Werkstatt »M mit Krone I« bezeichnet, aber Hellinga wählte wie auch Sack der Einfachheit halber eine Benennung nach seinem Platz in Kyriss Repertorium. Daneben nennt sie noch zwei weitere Buchbinder, Hanns Oisterreicher und einen Namenlosen, der mit Butzbach in Verbindung gebracht werden kann. Vgl. Hellinga, Peter Schoeffer and the Book-Trade, S. 133 und 137f. Die Darstellung Vera Sacks ist in erster Linie der Buchbinderei Kyriss 160 gewidmet. Eine Verbindung zu dieser Mainzer Buchbinderei beweist die Makulatur in den Einbänden, die aus der Schöfferschen Offizin stammt.

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Zell und Heinrich Quentell. Der Schwerpunkt seiner zwischenhändlerischen Beziehungen lag jedoch in Straßburg und Basel. Aus diesen Städten verkaufte er Druckwerke unter anderem von Johannes Mentelin, Heinrich Eggestein, Hans Grüninger, Michael Wenßler und Johann Amerbach. Zuletzt tragen auch einige venezianische und französische Titel Buchhändlereinbände Schöffers. Die Kunden, die diese gebundenen Bücher bei Schöffer kauften, waren vor allem begüterte, juristisch vorgebildete Stiftskanoniker – nachweisbar aus Mainz, Frankfurt und Augsburg – Klöster, weltliche Juristen und vermutlich auch Professoren.67 »Weltliche Fürsten wird man ebenso vergeblich suchen wie Lehrer und Schüler, was einmal in der fachgebundenen, gelehrten lateinischen Literatur liegen mag, auf die sich Schöffer spezialisiert hatte, zum anderen sicher in den für diese Kreise zu teuren Verlegereinbänden.«68 Dass Schöffer noch weiter ging und nicht nur die Fertigungsstufe des gebundenen Buches direkt anbot, sondern auch die des bereits fertig illuminierten, zeigt Eberhard König ausführlich in seinem Beitrag über den Buchschmuck der Mainzer Ausgabe der Hieronymusbriefe69 von 1470. Normalerweise erfolgte die farbige Ausgestaltung eines Buches ebenso wie seine Bindung erst nach dem Kauf im Auftrag des Besitzers, doch im Fall des Hieronymus lässt sich eine andere Vorgehensweise feststellen. Anhand der ca. 80 erhaltenen Exemplare rekonstruiert König zunächst das Absatzgebiet des Schöffer-Drucks. Da bereits drei Ausgaben der Hieronymusbriefe zwischen 1466 und 1470 in Rom erschienen waren, fiel Italien in diesem Fall als Verkaufsmarkt aus.70 Die Konkurrenz der Mentelin-Ausgabe aus Straßburg war dagegen nicht so groß, denn am Oberrhein fand Schöffers Hieronymus guten Absatz. Neben dem gesamten deutschsprachigen Raum gelangten auch einige Exemplare nach Frankreich, in die Niederlande und den Osten unter anderem nach Polen und Warschau. Manche wurden erst an ihrem Verkaufsort illuminiert, doch ein großer Teil der Auflage war schon gebunden und in einigen wurde vorab eine grundlegende Ausmalung vorgenommen, indem die kleinen Initialen eingefügt wurden, aber Platz für die aufwendigeren großen Initialen blieb.71 Die Typographie Schöffers er-

67 Vgl. Sack, Über Verlegereinbände und Buchhandel Peter Schöffers, Sp. 255 und 260–264. 68 Sack, Über Verlegereinbände und Buchhandel Peter Schöffers, Sp. 264. 69 Sophronius Eusebius Hieronymus: Epistolae. Mit einer Vorrede hrsg. von Adrianus Brielis. Mainz: Peter Schöffer 1470. Vgl. GW 12424. 70 Die 48-zeilige Bibel von 1462 hatten Fust und Schöffer noch mit Erfolg dort absetzen können. Vgl. Eberhard König: Buchschmuck zwischen Druckhaus und Vertrieb in ganz Europa. Peter Schöffers Hieronymus-Briefe von 1470. In: Johannes Gutenberg – Regionale Aspekte des frühen Buchdrucks. Vorträge der Internationalen Konferenz zum 550. Jubiläum der Buchdruckerkunst am 26. und 27. Juni 1990 in Berlin. Hrsg. von Holger Nickel und Lothar Gillner. Wiesbaden: Reichert 1993 (Beiträge aus der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz; Bd. 1), S. 130–148, S. 136. 71 Vgl. König, Buchschmuck zwischen Druckhaus und Vertrieb, S. 134–138 und 141. König argumentiert hierfür mit dem eng verwandten Erscheinungsbild der kleineren Initialen, während die auffälligen Formen des Rand- und Binnenschmucks der großen Initialen stilistisch deutlich vonein-

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels



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möglichte insgesamt den Verkauf in anderen Ländern wie Frankreich oder Italien, ohne mit dort vorherrschenden Stilen zu kollidieren oder dem lokalen Geschmack zu widersprechen. Aber auch das Angebot von abgestuft illuminierten Büchern, die die aufwendigsten Teile der Ausführung dem späteren Besitzer überließen, ebenso wie von illuminierten Büchern mit verschiedenen Einbänden, gab dem Käufer Auswahlmöglichkeiten. »In commercial terms, one could say that by offering a flexible product Schoeffer opened up the largest possible market.«72 Dieses Beispiel ist das Ergebnis exemplarspezifischer Forschungen – Duntze bezeichnet die Untersuchung des Schöfferschen Buchhandels sogar als »methodisches Lehrstück einer interdisziplinär ausgerichteten Buchgeschichte«73 – und zeigt deren möglichen hohen Aussagewert für die Buchhandelsgeschichte.74 Warum Schöffer Bücher in den verschiedenen Fertigungsgraden – als rohen Buchblock, rubriziert und illuminiert und/oder fertig eingebunden – produzierte, ist unklar und muss offen bleiben. Wichtig bleibt aber festzuhalten, dass gerade das letzte Stadium der Fertigung, das gebundene Buch, nur einen Schluss auf die Vertriebspraktik zulässt: »Schöffers Buchhandel mit gebrauchsfertigen Büchern aus einer Hand zielt auf den Endkunden, nicht den Zwischenbuchhandel.«75 Sein Vorgehen ist damit eher untypisch, da die übliche Vertriebsform der Drucke die rohen, ungebundenen Druckbogen waren. Als einer der frühesten Buchhändler befand er sich eindeutig noch in der Experimentierphase und seine Handlungen sind nicht alle als gruppenspezifische Praktiken innerhalb des Wissensraums Buchhandel anzusehen. Schöffer übte aber natürlich auch den Zwischenbuchhandel aus. Im kleineren Maßstab geht dies unter anderem aus einem Vertrag mit seinem Schwager Johann Fust vom 24. Juli 1477 hervor, in dem festgelegt wurde, dass Schöffer für Fust und auf dessen Rechnung Bücher vertreiben sollte. Der junge Fust, Kanonikus am St. Stephans Stift in Mainz, hatte als Erbteil nach dem Tod seines Vaters 180 Papierexemplare und 20 Pergamentexemplare der Dekretalen76 von 1473 erhalten.77 Für den Verkauf einer solchen Auflage war offenbar der Anschluss an einen professionellen Vertrieb durch den erfahrenen Schöffer und seine Kontakte zum entstehenden Buchhandelsnetzwerk notwendig. Dass Schöffer insgesamt als früher Aktant im

ander abweichen. Vgl. König, Buchschmuck zwischen Druckhaus und Vertrieb, S. 141. Insgesamt sind in der Illumination der Schöfferbände große Ähnlichkeiten festzustellen, aber auch verschiedene Abstufungen im Aufwand der Ausstattung für verschiedene Preislevel. Vgl. Hellinga, Peter Schoeffer and the Book-Trade, S. 132. 72 Hellinga, Peter Schoeffer and the Book-Trade, S. 162. 73 Duntze, Verlagsbuchhandel und verbreitender Buchhandel, S. 209f. 74 Vgl. Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 349. 75 Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 350. 76 Papst Gregor IX.: Decretales. Mit der Glosse des Bernardus Parmensis. Mainz: Peter Schöffer 1473. Vgl. GW 11451. 77 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 72f.

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Wissensraum Buchhandel großen Erfolg hatte, weist der Grundbesitz aus, den er erwerben konnte. Seine Heirat mit Christina Fust hatte ihm bereits eine gute Ausgangsposition verschafft, die er mit der Zeit noch ausbauen konnte. Zwischen 1470 und 1477 kaufte er das Haus zum Humbrecht78 und erweiterte diesen Besitz mit dem benachbarten Hof zum Korb. Das Haus Zur Weyden war das dritte Haus, das sich 1496 nachweislich in seinem Besitz befand. Schließlich gehörte ihm auch ein Haus in Frankfurt als Bücherlager und Wohnstätte zur Messezeit.79 Ob Schöffer in Mainz auch einen Verkaufsladen einrichtete, ist nicht bekannt. Cornelia Schneider weist aber darauf hin, dass der Domherr von Mainz, Truchsess von Pommersfelden, im Jahr 1479 Bücher vor Ort kaufte, »was auf gewisse Verkaufsmöglichkeiten schließen lässt.«80 Kapp nennt Fust und Schöffer »nachweisbar die ersten Händler mit den von ihnen gedruckten Büchern und überhaupt die ersten Buchhändler«81. Wittmann bezeichnet nur Schöffer als den »erste[n] Großbuchhändler«82, allerdings hatte Fust bis zu seinem Tod keinen unerheblichen Anteil vor allem am Vertrieb. König sieht in Fust auch den Antreiber, möglichst gebrauchsfertige Bücher zu produzieren, da er als Vertriebsleiter mit den Kunden in Kontakt stand. »Fust dürfte als Notar am ehesten einen allgemeinen Begriff davon gehabt haben, was ein Buch zum Kaufen ist; als ein Vorgänger unserer Verleger und als ein Vorgänger unserer Vertriebsleiter wird er auch am ehesten gewußt haben, was ein Buch zum Verkaufen ist.«83 Mit ihnen und der zeitgleich erwachsenden Konkurrenz sind jedenfalls erstmals ein professioneller Buchhandel und ein brancheneigener Wissensraum feststellbar. Fust und Schöffer wie auch andere frühe Druckerverleger orientierten sich wegen der bereits erwähnten kommerziellen Ausrichtung ihrer Unternehmungen gezwungenermaßen nicht mehr wie Gutenberg am lokalen Vertrieb der Handschriftenhändler, sondern schlossen sich an die vorhandenen Fernhandelsstrukturen an. Damit entfernten sich bereits die ersten Vertreter der neuen Druckkunst vom Vorbild des Handschriftenvertriebs und bei den neuen Wegen des Buchhandels handelte es sich somit nicht einfach um »das Betreten alter Geleise«84. Es entwickelte sich in der Folge neben dem schon von den Handschriftenhändlern praktizierten Hausierhandel ein Fernhandel für Bücher, der die Strukturen des allgemeinen Waren-

78 Es ist als »Druckhaus« bekannt und überdauerte als »Schöfferhof« bis ins 21. Jahrhundert. Vgl. Lehmann-Haupt, Peter Schöffer, S. 82. 79 Vgl. Lehmann-Haupt, Peter Schöffer, S. 82. 80 Schneider, Peter Schöffer, S. 26. 81 Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 69. 82 Wittmann, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 34. 83 Eberhard König: Für Johannes Fust. In: Ars Impressoria. Entstehung und Entwicklung des Buchdrucks. Eine internationale Festgabe für Severin Corsten zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Hans Limburg, Hartwig Lohse und Wolfgang Schmitz. München [u. a.]: Saur 1986, S. 285–313, S. 296. 84 Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 23.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels

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handels adaptierte. Der Buchhandel profitierte dabei von der positiven Entwicklung des allgemeinen Fernhandels, bei dem sich ab 1480 eine neue Blüte der Messezentren, Kaufmannsstädte und Handelsstraßen zeigte, die »Europa mit einem immer engmaschigeren Netz von Handelsverbindungen«85 überzogen. Dazu passt, dass sich die ersten Druckereien mit Vorliebe in den großen Handelsstädten wie Augsburg, Nürnberg oder Basel ansiedelten. Diese Fernhandelsmetropolen etablierten sich dauerhaft als Zentren des Druck- und Verlagswesens in ganz Europa und bilden wichtige Orte für den Wissensraum Buchhandel. Kundenkreis Das zu erreichende Lesepublikum beschränkte sich um 1500 auf einen eng begrenzten Kreis kleiner Personengruppen. Hellmut Lehmann-Haupt listet insgesamt sechs verschiedene Zielgruppen auf. Zunächst nennt er die Mitglieder der Universitäten. Als nächstes folgen die Klöster und Konvente als geistliche Abnehmergruppe. Er weist in diesem Zusammenhang auch auf die große Reformzeit der Klöster im Spätmittelalter hin. Infolgedessen hatte das Lesen und Sammeln von Büchern neuen Aufschwung erhalten. Als dritte Gruppe macht er die Angehörigen des öffentlichen Dienstes fest, höfische Bedienstete, geistliche Würdenträger, Sekretäre, Gesandte, Richter und Amtsmänner. Anschließend platziert er die Feudalschicht und hebt darunter vor allem die adligen Frauen hervor. Als weitere belesene Berufsgruppe folgen die Rechtsgelehrten und Mediziner und zuletzt stehen die Schüler und Lehrer.86 Diese Liste ist allerdings noch um zwei weitere Gruppen, nämlich die des Kaufmanns- und Handelspatriziats sowie des städtischen Bürgertums, zu ergänzen. Außerdem weist Rolf Engelsing auf den im Rechnungsbuch des Buchhändlers Peter Drach als Käufer aufgeführten »villanus«, einen Bauern, hin.87 Somit gab es wohl auch in einzelnen Dörfern Lesekundige, die nicht den aufgeführten Gruppen zugeordnet werden können. Uwe Neddermeyer fasst das frühneuzeitliche Lesepublikum etwas enger und schlüssiger in fünf Gruppen zusammen. An erste Stelle setzt er den Klerus mit Mönchen, Nonnen und den Institutionen Kirche, Kloster und Konvent. Als Zweites folgen wie bei Lehmann-Haupt Beamte: Gelehrte Räte, Sekretäre, Notare, Stadt- und

85 Ilja Mieck: Europäische Geschichte der frühen Neuzeit. Eine Einführung. 6. verb. u. akt. Aufl. Stuttgart [u. a.]: Kohlhammer 1998, S. 19. 86 Vgl. Lehmann-Haupt, Peter Schöffer, S. 76. Lehmann-Haupt folgt darin in erster Linie der Darstellung Ernest Ph. Goldschmidts von 1943 in seiner Publikation Medieval Texts and their first appearance in print. Vgl. Lehmann-Haupt, Peter Schöffer, S. 76. 87 Vgl. Rolf Engelsing: Analphabetentum und Lektüre. Zur Sozialgeschichte des Lesens in Deutschland zwischen feudaler und industrieller Gesellschaft. Stuttgart: J. B. Metzler 1973, S. 19f. Wobei Geldner in seiner späteren Inkunabelkunde auch die Vermutung äußert, dass der genannte Bauer aus Dahn (»Quidam vilanus apud Tan«) das Buch nur im Auftrag gekauft haben könnte, etwa für die Kirche seiner Heimatstadt. Vgl. Geldner, Inkunabelkunde, S. 167.

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Ratsschreiber usw. Als dritte Gruppe benennt Neddermeyer die Universitäten bzw. die Universitätsangehörigen. Als Viertes teilt er die Schüler und Lehrer einer eigenen Gruppe zu. Zuletzt kommen noch die volkssprachlichen Leser hinzu, zu denen Neddermeyer den Adel – darunter besonders die Frauen –, Teile der bürgerlichen städtischen Oberschicht, Nonnen und Konversen zählt.88 Wichtig ist festzuhalten, dass der Adressatenkreis des Buchhandels ähnliche Voraussetzungen erfüllen musste, wie die Aktanten des Wissensraums Buchhandel selbst, denn sie mussten lesen können und über genügend Kapital zum Kauf der Bücher verfügen. Manfred Sauer rechnet in Deutschland um 1500 mit einer Bevölkerungszahl von 13 Millionen Einwohnern, von denen 1,5 Millionen in Städten wohnten.89 Über die genaue Zahl der potenziellen Abnehmer von Büchern unter ihnen ist wenig bekannt, die Alphabetisierungsrate dürfte aber mit Sicherheit äußerst gering gewesen sein. Wir kommen bei Ausschaltung aller Leser, die ausschließlich fremdsprachige Literatur benutzten, über einen Anteil von höchstens 3–4 Prozent Lesern an der Gesamtbevölkerung aber schwerlich hinaus. Zwar setzt auch diese Schätzung viel Willkür voraus und bleibt ungenau genug, aber sie gibt immerhin einen Anhaltspunkt für die Vorstellung. Mehr ist nicht zu leisten.90

Aussagen über eine »massenhafte Verbreitung« von Kleinschrifttum wie Flugblätter, Flugschriften oder Kalender muss daher immer mit Vorsicht begegnet werden. Trotzdem schuf der Buchdruck besonders seit den 1470er Jahren die Grundlage für eine potenziell weitere Lektüreausbreitung als je zuvor.91 Aus heutiger Sicht mag die Ausweitung des Lesepublikums kaum nennenswert gewesen sein, nach zeitgenössischem Empfinden und im Vergleich zur Handschriftenzeit ist sie aber durchaus beachtlich, da gerade im Fall der Kleinschriften die vielen passiven Leser hinzukommen, die den Inhalt durch Vorleser oder durch Anschauung der Illustrationen rezipierten.92 Die Aktanten des Wissensraums Buchhandel mussten somit Zugang zu einer insgesamt kleinen Elite von Lesekundigen haben und bestenfalls in der Lage sein, persönliche Kontakte zu Fürsten, Gelehrten, Klerikern und gebildeten

88 Vgl. Uwe Neddermeyer: Von der Handschrift zum gedruckten Buch. Schriftlichkeit und Leseinteresse im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Quantitative und qualitative Aspekte. 2 Bde. 2. Aufl. Wiesbaden: Harrassowitz 1998 (Buchwissenschaftliche Beiträge aus dem deutschen Bucharchiv München; Bd. 61), S. 463. 89 Vgl. Manfred Sauer: Die deutschen Inkunabeln, ihre historischen Merkmale und ihr Publikum. Diss. Düsseldorf: Zentral-Verlag für Dissertationen Triltsch 1956, S. 95. 90 Engelsing, Analphabetentum und Lektüre, S. 20. 91 Vgl. Engelsing, Analphabetentum und Lektüre, S. 15. 92 Im 15. Jahrhundert fand die Rezeption durch Lesen, Zuhören und Schauen statt und gerade die ersten beiden Rezeptionsformen wurden in volkstümlichen Büchern als gleichwertig dargestellt. Erst mit der Reformation gewann das Lesen den Vorrang vor dem Zuhören. Vgl. Engelsing, Analphabetentum und Lektüre, S. 22.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels 

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Bürgern zu knüpfen.93 Dieser begrenzte mögliche Absatzkreis war auch der Grund für die frühe erste Krise des Buchhandels. 1480 – ein Wendedatum Bis Ende des 15. Jahrhunderts war die Zahl der Druckorte auf über 250 angewachsen und bis 1500 erschienen nach heutigen Berechnungen über 28.000 Drucke in mehreren Millionen Exemplaren. »That Figure of 28,000 is of course a wholly bibliographical notion which does not have much relation to historical reality, because it includes in the count multi-volume works, along with single-leaf broadsheets.«94 Zudem hat sich womöglich vieles nicht erhalten, besonders im Fall von Büchern für den täglichen Gebrauch.95 Dennoch ist die Menge der heute noch nachweisbaren Buchproduktion innerhalb der ersten fünf Jahrzehnte ganz erstaunlich. Zwischen 1470 und 1480 verbreitete sich die Druckkunst derart schnell, dass allein in Deutschland die Zahl der Druckorte von 17 auf 121 stieg. Gleichzeitig erhöhten sich auch die Auflagen von anfangs durchschnittlich 100 bis 200 Exemplaren auf 400 bis 500 Exemplare in den 1470er Jahren bis schließlich zu einzelnen Spitzenauflagen von 1.000 Exemplaren um 1500.96 Der raschen Ausbreitung des Buchdrucks in Europa folgte bald die Ernüchterung und das Jahr 1480 markiert einen ersten Einschnitt im frühen Buchhandel. Etwa zu dieser Zeit wandelte sich die Gestalt der Bücher. Inkunabeln zeichnen sich besonders durch ihre optische Nachahmung der Handschriften aus. Erst allmählich entdeckten die Drucker die neuen Möglichkeiten der Buchgestaltung und das Druckwerk emanzipierte sich von seinem handschriftlichen Vorbild. Zudem mussten die Druckerverleger zunehmend neue Inhalte erschließen, um dem notwendig breiteren Adressatenkreis gerecht zu werden. Neben diesen Wandlungen geriet der Absatz ins Stocken, da dem sprunghaften Anstieg des Gewerbes kein entsprechendes Wachstum des Abnehmerkreises entsprach. »Der Bücherabsatz als solcher be-

93 Vgl. Sußmann, Vom Buchführer zum SB-Büchermarkt, S. 9. 94 Lotte Hellinga: Sale Advertisements for Books Printed in the Fifteenth Century. In: Books for sale. The advertising and promotion of print since the fifteenth century. Hrsg. von Robin Myers, Michael Harris und Giles Mandelbrote. New Castle: Oak Knoll Press 2009, S. 1–25, S. 1. 95 Generell haben sich eher die großen und teuren Bücher erhalten als die kleinen billigeren. Allerdings sind sehr viele der protestantischen Flugschriften aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts überliefert, weshalb Pettegree festhält, dass es ein einflussreicher Faktor für die Überlieferung ist, ob Schriften zur oder nahe der Zeit ihrer Herstellung gesammelt wurden. Vgl. Andrew Pettegree: The French Book and the European Book World. Leiden [u. a.]: Brill 2007 (Library of the written word: The handpress world; Bd. 1), S. 144. 96 Die Auflagen der Ablassbriefe gingen schon von Beginn an in die Tausende, als »früheste[r] Formulardruck« stellen sie aber einen Sonderfall dar; ähnlich wie auch Messbücher, deren Auflage sich anhand des Bedarfs orientierte. Widmann, Geschichte des Buchhandels, S. 53.

82  3 Der historische Kontext: Buchhandel in der Frühen Neuzeit

gann schon Ende der achtziger Jahre des fünfzehnten Jahrhunderts zum Kardinalproblem des gesamten Buchgewerbes zu werden.«97 Der Markt erschien vorerst gesättigt.98 Der Buchhändler Anton Koberger beschwerte sich im Mai 1500: »Es ist ein jämmerlich Ding geworden mit unserem Handel; ich kann kein Geld mehr aus Büchern lösen und geht allenthalben große Zehrung und Kostung darauf«99. Am 11. April 1503 unterstrich er seine Aussage Johann Amerbach gegenüber mit folgender Feststellung über die mangelnde Kaufwilligkeit seiner Hauptzielgruppe: »Man hatt die pfaffen So ganncz außgelertt mit den buchern, so vil Gelczs von in czogen, Das (sie) nit mer dar an wollen«100. Erste Anzeichen der frühen Krise des Buchhandels zeigten sich bereits Anfang der 1470er Jahre. In den 1490ern erreichte sie dann ihren Höhepunkt.101 Ein sichtbares Indiz der Absatzprobleme war das Sinken der Bücherpreise auf breiter Ebene, obwohl das Jahr 1480 für den allgemeinen Warenhandel den Beginn einer allmählichen Preissteigerung bedeutete. Diese »Preisrevolution« beschleunigte sich durch die Einfuhr amerikanischer Edelmetalle nach der Entdeckung des amerikanischen Kontinents 1492.102 Einen Hinweis auf die im Kontrast dazu stehende Verbilligung von Büchern liefert bereits für das Jahr 1467 ein Brief des Bischofs Johannes von Aleria an Papst Paul II. Er berichtete davon, dass man nun für 20 Gulden und weniger Bücher in Rom kaufen könne, die vormals 100 Gulden gekostet hätten, und dass für Bücher, die man für 20 Gulden kaum erwerben konnte, nur noch 4 und sogar weniger Gulden verlangt würden.103 Nach dieser Einzelaussage hätte der Preis für gedruckte Bücher zu diesem Zeitpunkt nur noch ein Fünftel des Preises für Handschriften betragen. So wenig man eine einzelne Quelle verallgemeinern kann, so sprechen doch die beginnenden Absatzschwierigkeiten und die finanziellen Probleme, in die viele Druckerverleger um diese Zeit gerieten, für ein rapides Absinken der Bücherpreise. Zu viele hatten sich dem neuen vielversprechenden Handwerk zugewandt. Zudem hatten sich die Buchdrucker von Anfang an zu sehr auf den Nachdruck bereits verbreiteter Handschriften konzentriert und den Zeitpunkt, einen Markt für Neues zu schaffen, vorerst verpasst.104

97 Grimm, Die Buchführer des deutschen Kulturbereichs, Sp. 1197. 98 Vgl. Andrew Pettegree: The book in the Renaissance. New Haven [u. a.]: Yale University Press 2011, S. XIV. 99 Zitiert nach Oscar von Hase: Die Koberger. Eine Darstellung des buchhändlerischen Geschäftsbetriebes in der Zeit des Übergangs vom Mittelalter zur Neuzeit. Neudr. der 2. neubearb. Aufl. ersch. 1885, 3. Aufl. Amsterdam: Heusen [u. a.] 1967, S. 263. 100 Zitiert nach Hase, Die Koberger, S. 255. 101 Vgl. Ursula Altmann: Leserkreise zur Inkunabelzeit. In: Buch und Text im 15. Jahrhundert. Arbeitsgespräch in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel vom 1.–3. März 1978. Hrsg. von Lotte Hellinga und Helmar Härtel. Hamburg: Hauswedell 1981, S. 203–217, S. 203f. 102 Vgl. Mieck, Europäische Geschichte der Frühen Neuzeit, S. 15. 103 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 70. 104 Vgl. Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 355.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels 

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Ein wichtiges Kriterium des Wissensraums Buchhandel war es, ständig Neues zu bieten. Nachdem der typographische Informationskreislauf einmal in Gang gekommen ist, gewinnt er eine Eigendynamik. Das System ist u. a. durch die Einführung des Kriteriums der Neuheit als Regulationsprinzip auf beständige Erweiterung angelegt. Immer mehr neue Informationen müssen dem System zugeführt werden, damit es am Laufen bleibt.105

Die frühen Schwierigkeiten resultierten also vornehmlich aus der Tatsache, dass der Diskurs ins Stocken geriet. Als dynamisches Gebilde braucht der Wissensraum das Neue, um weiterbestehen zu können, und so beförderte gerade die Absatzkrise im Buchhandel die Innovation, indem sie Drucker und Buchhändler dazu zwang neue Wege für ihre Produktion zu suchen.106 Die Stagnation des Buchgewerbes Ende des 15. Jahrhunderts hielt demzufolge auch nicht lange an, denn zu Beginn des 16. Jahrhunderts sollten sich mit den kirchenreformatorischen Entwicklungen neue Inhalte und neue Abnehmer finden.107 Zunächst aber stellt das Jahr 1480 auch für die Organisation des Buchvertriebs ein »Wendedatum« dar. Ab etwa diesem Zeitpunkt begannen sich die Berufsbilder zu differenzieren. Neben dem Alleskönner, der den gesamten Prozess von der Herstellung bis zum Vertrieb betreute, gab es nun reine Lohndrucker, die für Verleger arbeiteten, und Buchführer, die nur die Auslieferung und den Verkauf übernahmen. Es gab selbstverständlich weiterhin Druckerverleger, die neben ihren eigenen Erzeugnissen auch die anderer Offizinen vertrieben. Sie beteiligten sich allerdings deutlich seltener persönlich am Fernhandelsbetrieb. Das war nun die Domäne der Buchführer. Sie besuchten in erster Linie Märkte und Messen, führten ihr Geschäft aber auch an öffentlichen Orten in den Städten, durch die sie kamen, vorzugsweise an und vor Kirchen oder in Wirts- und Gasthäusern. Daneben besuchten sie die meist etwas abgelegeneren Klöster, da sie dort auf zahlende Kundschaft hoffen konnten. Letzteres bezeugt ein handschriftlicher Eintrag in einem Exemplar der Postille108 von Nikolaus von Lyra: Dieses Buch gehört der Benediktinerabtei Sancta Maria von Montebourg in der Diöcese Constances, Provinz Rouen. Gekauft im Kloster der genannten Abtei von einem Hausierer (librario

105 Giesecke, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit, S. 660. 106 Vgl. Barbier, Die erste Medienrevolution, S. 30. Die Volkssprache spielte in dieser Phase eine wichtige Rolle. Barbier vertritt dazu folgende These: »Die Vervielfältigung der gedruckten Sprachen in Europa im 15. Jahrhundert ist als ein Ergebnis der Umstrukturierung des Buchhandels in einen wirtschaftlichen Markt zu sehen, sowie als ein Ergebnis der sich belebenden Konkurrenz zu verstehen. Drucker und die Buchstädte zweiten Ranges mussten unbedingt Marktnischen finden, die ihnen es erlauben, ihr Geschäft zu entwickeln.« Barbier, Die erste Medienrevolution, S. 30. 107 Siehe Kapitel 3.1.2. 108 Nicolaus de Lyra: Postilla super totam Bibliam. Nürnberg: Anton Koberger 1481. Vgl. GW M26513.

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venales libros deportanti) am 8. August im Jahre des Herrn 1487. Es kostet dreißig tourainische Sous. Bescheinigt Janicart.109

Der Verkauf von Büchern an Kirchenpforten war bereits in der Handschriftenzeit üblich. Das bestätigt die Aussage des Markgrafen Friedrich von Baden, Kanonikus zu Trier, als Pförtner des hohen Stifts Straßburg, mit der er sich gegen die Vertreibung der Buchhändler am Münster durch den Rat der Stadt 1482 wehrte: »So ist es auch nicht ein fremdes oder neues Vornehmen, sondern an andern Enden, auf vielen Stiften, auch gewöhnlich, dass man an solchen Stätten vor den Greten und Kirchenthüren Bücher feil hat, und die an den Enden weiß zu finden.«110 Mit schriftlichen Aushängen machten die Verkäufer dabei auf sich und ihr Angebot aufmerksam. Dafür nutzten sie meist Vordrucke, die sie handschriftlich um ihren jeweils aktuellen Aufenthaltsort ergänzten. Plakatwerbung dieser Art gab es noch bis in die Barockzeit, wenn auch nach den späten 1480er Jahren nur noch vereinzelt.111 Die erste Wirtschaftswerbung: Bücheranzeigen Besonders wichtig für den Wissensraum Buchhandel war die Kommunikation mit Außenstehenden – in erster Linie den Abnehmern seiner Ware – und seine Selbstdarstellung. Die von ihm erzeugten Produkte mussten auf sich aufmerksam machen, um ihre Käufer zu finden. Ebenso stand es im Interesse der außenstehenden Aktanten, in Kontakt mit dem Buchhandel zu stehen und zu wissen, wo und von wem benötigte Literatur zu erwerben war. Dafür entwickelte der Buchhandel eigene Strategien, etwa die der Werbung mittels Anzeigen. Gedruckte Buchhandelsplakate stellen einen wichtigen Quellenbestand für die Inkunabelzeit dar. Sie sind in dem Band Buchhändleranzeigen des 15. Jahrhunderts größtenteils in Reproduktion publiziert und bereits ausführlich von der Forschung untersucht.112 Eine Ergänzung zu Konrad Burgers Zusammenstellung lieferten Graham Pollard und Albert Ehrman in The distribution of books by catalogue. Die bisher bekannten 48 Einblattdrucke stammen hauptsächlich aus den 1470er bis 1480er Jahren und waren ein wichtiges Vertriebsmittel im deutschsprachigen Raum, denn die Bücheranzeigen waren vornehmlich ein deutsches Phänomen.113

109 Zitiert nach Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 276. 110 Zitiert nach Hase, Die Koberger, S. 254. 111 Vgl. Duntze, Verlagsbuchhandel und verbreitender Buchhandel, S. 212. 112 Vgl. Buchhändleranzeigen des 15. Jahrhunderts in getreuer Nachbildung. Hrsg. von Konrad Burger. Leipzig: Hiersemann 1907. Zugleich sind sie auch die ältesten Quellen über die Existenz eines Hausierhandels. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 275. 113 Es sind nur Anzeigen auf Deutsch und Lateinisch und eine kleine Einzelanzeige von William Caxton auf Englisch erhalten. Vgl. Hans Michael Winteroll: Summae Innumerae. Die Buchanzeigen der Inkunabelzeit und der Wandel lateinischer Gebrauchstexte im frühen Buchdruck. Stuttgart: Hans-Dieter Heinz 1987 (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik; Nr. 193), S. 24. Auch Sylvia Kohus-

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Jürgen Vorderstemann rechnet wie Rudolf Hirsch mit Auflagen von 50 bis 100 Stück für diese Anzeigen.114 Neben den Plakaten mit einer Auflistung der zu erwerbenden Bücher sind auch spezielle Bücheranzeigen erhalten, die in einem längeren Text einen einzelnen Titel bewerben – man unterscheidet demnach zwischen Einzelund Sammelanzeigen. Erstere sind aber eher die Ausnahme.115 Eine Sonderform der Bücheranzeigen sind sogenannte Vorlesungsanzeigen. Sie sind fast ausschließlich aus Leipzig im Zeitraum von 1488 bis 1519 erhalten und auf lateinisch abgefasst. Mit ihrer Hilfe kündigte ein Dozent seine Lehrveranstaltung an und lieferte darin auch eine Begründung für die Themenwahl. Ihre Verbindung zu den Bücheranzeigen besteht darin, dass zusätzlich ein Buchhändler genannt wurde, bei dem passende Literatur zur Vorlesung erworben werden konnte.116 Günter Richter urteilt über die Praxis der buchhändlerischen Anzeigen, dass die Buchdrucker des 15. Jahrhunderts damit die »schriftliche Wirtschaftswerbung«117 er-

hölter unterstützt mit Blick auf die Überlieferungssituation die Annahme Ehrmanns (The Distribution of Books by Catalogue), dass die Anzeigen zunächst ein vorwiegend deutsches Phänomen waren. Allerdings gab es sehr wohl einige wenige Anzeigen vornehmlich aus Italien und Frankreich, die aber auf Latein verfasst waren. Vgl. Sylvia Kohushölter: Lateinisch-deutsche Bücheranzeigen der Inkunabelzeit. In: Einblattdrucke des 15. und frühen 16. Jahrhunderts. Probleme, Perspektiven, Fallstudien. Hrsg. von Volker Honemann, Sabine Griese, Falk Eisermann und Marcus Ostermann. Tübingen: Max Niemeyer 2000, S. 445–465, S. 447. Ein Beispiel für eine ausländische Anzeige ist das Fragment von Nicolaus Jenson, das Bernd Breitenbruch in einem Artikel 1987 genauer untersucht hat. Die Anzeige weist nach, dass die Gesellschaft um Jenson nicht nur ihre Niederlassungen in Pavia und Mailand mit venezianischen Drucken belieferte, sondern dass sie auch umgekehrt Bücher aus Oberitalien in Venedig und anderen Einzugsbereichen verkaufte. Vgl. Bernd Breitenbruch: Ein Fragment einer bisher ungekannten Buchhändleranzeige. In: GJ 62 (1987), S. 138–145, S. 145. Die Anzeigen ermöglichen es also auch auf diese Weise Rückschlüsse auf den Buchvertrieb zu ziehen. 114 Vgl. Jürgen Vorderstemann: Augsburger Bücheranzeigen des 15. Jahrhunderts. In: Augsburger Buchdruck und Verlagswesen von den Anfängen bis zur Gegenwart. Hrsg. von Helmut Gier. Wiesbaden: Harrassowitz 1997, S. 55–71, S. 56 und Rudolf Hirsch: Printing, Selling and Reading 1450– 1550. Wiesbaden: Harrassowitz 1967, S. 64. Diese Größenordnung hält Vorderstemann für wahrscheinlicher als die von Ehrmann angenommenen »hundreds, if not thousends«, wobei sich Ehrmann nicht auf die Auflagen der einzelnen Anzeigen, sondern ihre Gesamtheit bezieht, weshalb sich die Angaben nicht direkt widersprechen. Pollard/Ehrmann, The Distribution of Books by Catalogue, S. 23. 115 Vgl. Winteroll, Summae Innumerae, S. 24 und 409. Der Gesamtkatalog der Wiegendrucke (GW) unterscheidet zwischen Drucker- und Buchführeranzeigen. Vorderstemann ist aber zuzustimmen, dass diese Unterscheidung nicht konsequent durchzuführen und demnach wenig sinnvoll ist. Vgl. Vorderstemann, Augsburger Bücheranzeigen, S. 56. 116 Vgl. Kohushölter, Lateinisch-deutsche Bücheranzeigen, S. 445. Die in handschriftlicher Form »intimationes« genannten Vorlesungsankündigungen gab es allerdings schon früher. Vgl. Kohushölter, Lateinisch-deutsche Bücheranzeigen, S. 445. 117 Günter Richter: Buchhändlerische Kataloge vom 15. bis um die Mitte des 17. Jahrhunderts. In: Bücherkataloge als buchgeschichtliche Quellen der frühen Neuzeit. Vom 21.–23. Oktober 1982 in d.

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funden hätten. Dass der Buchhandel insgesamt »eine Vorreiterrolle bei der Entwicklung und Anwendung neuer Werbemittel und Werbestrategien«118 einnahm, unterstreicht auch Marie-Kristin Hauke in ihrer Dissertation über die Buchwerbung in Deutschland. Dem stimmt ebenso Rautenberg in Bezug auf die Bücheranzeigen zu, obwohl sie darauf hinweist, dass sie sich formal und inhaltlich kaum von den Ankündigungen Diebold Laubers für seine Handschriften unterscheiden und sie die Aussage für die in erster Linie aus Titellisten bestehenden Einblattdrucke für »etwas zu anspruchsvoll«119 hält. Gerade für Einzelanzeigen zu bestimmten Titeln ist sie dennoch zulässig. Daneben werden die Verkaufslisten oft als wichtige Zeugnisse des Wanderbuchhandels gewertet, bei dem Buchführer und Angestellte eines Druckers mit solchen Listen und kleinem Sortiment durch das Land reisten und so die Drucke überregional verkauften.120 Die Anzeigen sowohl des 15. als auch des 16. Jahrhunderts waren in der Regel auf Papier gedruckt. Nur ein Fragment eines um 1500 gedruckten Sortimentskatalogs von Albrecht Kunne ist aus Pergament. Richter vermutet, dass ein reisender Buchführer wohl widerstandsfähigeres Anzeigenmaterial brauchte.121 Da aber die meisten Anzeigen für den Anschlag an verschiedenen Orten gedacht waren und die Mehrzahl aus Papier war, ist diese Annahme nicht ganz überzeugend. Für einen solchen Verbrauchsgegenstand dürfte die Kostenfrage beim Druck im Vordergrund gestanden haben. Die Tatsache, dass sich die Produktion der Bücherplakate nach der Überlieferungssituation zu schließen in erster Linie auf die 1470er und 1480er Jahre beschränkte,122 versucht Hans Winteroll in seiner Dissertation über ausführliche Einzelanzeigen zu begründen. Er erläutert in seiner Analyse, dass sich die Bücheranzeigen argumentativ an werbenden Kolophonen orientierten. Daraus leitet

Herzog-August-Bibliothek. Hrsg. von Reinhard Wittmann. Wiesbaden: Harrassowitz 1985 (Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens; Bd. 10), S. 33–65, S. 33. 118 Marie-Kristin Hauke: »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…« Buchwerbung in Deutschland im 17. und 18. Jahrhundert. Diss. Erlangen. Nürnberg: 1999. URL: http://nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:29-opus-1301 [erschienen: 2005], S. 8. 119 Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 351. Die Buchanzeige Diebold Laubers ist die einzige erhaltene kommerzielle Anzeige zu Büchern aus dem Mittelalter und war zur Verteilung an seine Kunden gedacht. Weitere Quellen weisen nach, dass Lauber solche Listen offenbar öfter versendete. Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 20f. 120 Vgl. Duntze, Verlagsbuchhandel und verbreitender Buchhandel, S. 212. 121 Vgl. Richter, Buchhändlerische Kataloge, S. 38. 122 Die erste erhaltene deutschsprachige Bücheranzeige ist von Günther Zainer aus dem Jahr 1471. Nach Richter stehen in der zeitlichen Rangfolge allgemein vorab eine Anzeige Heinrich Eggesteins zu einer lateinischen Bibel (um 1468/70) – Lehmann-Haupt ordnet sie sogar noch früher um 1466 ein. Vgl. Lehmann-Haupt, Peter Schöffer, S. 69 – und eine allgemeine Anzeige Peter Schöffers (um 1469/70). Damit zeigen bereits die ersten Anzeigen die beiden möglichen Gestaltungen als Einzelbzw. Sammelanzeige. Vgl. Richter, Buchhändlerische Kataloge, S. 35f.

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er ab, dass sie sich aus einer buchimmanenten Textform heraus entwickelten und materiell vom Buch lösten, um anschließend wieder als werbende Drucker-, Verleger- oder Herausgebervorreden reintegriert zu werden.123 Duntze beurteilt seine These als ein »schlüssiges Erklärungsmodell«124 für die zeitlich eng begrenzte Verbreitungszeit der Buchanzeigen. Hinzu kommt aber auch, dass Wirtschaftswerbung in der zünftigen städtischen Handwerkerschaft nicht besonders angesehen war. Die Zünfte verstanden sich und ihre Mitglieder als Teil einer »bedarfsdeckenden Wirtschaft, nicht einer bedarfsweckenden«125. Wettbewerb standen sie daher ablehnend gegenüber und Werbung galt nicht nur als unlauter, sondern wurde von den Zünften sogar als Strafbestand gewertet. Richter sieht demnach das rasche Versiegen der Einzelanzeigen einem gewissen Konformitätsdruck geschuldet, der sich gegen die als unseriös empfundene Reklame richtete – trotz der Tatsache, dass der Buchhandel als Gewerbe nicht an die Einrichtung der Zünfte gebunden war. Weitere Zusammenhänge sieht er in der Wandlung vom Wandervertrieb zur standortgebundenen Buchhandlung und der Entwicklung des Katalogs. Den neuen Platz für Werbung verortet er auf dem Titelblatt.126 Die Buchwerbung mittels Anzeigen scheint jedenfalls ein Versuch der Aktanten des Wissensraums Buchhandel im deutschsprachigen Gebiet gewesen zu sein, eine neue brancheneigene Praktik zu etablieren. Interessanterweise bleiben in den Anzeigen die beteiligten Personen wie der Drucker oder der Buchführer meist im Hintergrund und werden nur ausnahmsweise namentlich vermerkt.127 Möglicherweise hing das mit dem eben erwähnten schlechten Ruf der Werbung zusammen, da sonst vor allem »fahrendes« Volk wie Ärzte, Bader, Quacksalber oder Schausteller von solchen schriftlichen Aushängen und Ankündigungen Gebrauch machten.128 Weitere Gründe nennt Richter, indem er vermutet, dass der Kunde eines wandernden Buchführers nicht unbedingt den Herkunftsort der Bücher erfahren sollte, um ihm die Möglichkeit des günstigeren Direktbezugs zu nehmen. Eine anonyme Anzeige konnte außerdem von mehreren Buchführern gleichzeitig genutzt werden und bot Schutz vor Gefahren der Zensur oder Konfiskation.129

123 Vgl. Winteroll, Summae Innumerae, S. 37–39 und 411. Dass vor 1470 wahrscheinlich keine Bücheranzeigen gedruckt wurden, begründet Hellinga außerdem damit, dass 1469 die Konkurrenz unter den Druckern und damit der Wettbewerb schlagartig zunahm. Vgl. Hellinga, Sale Advertisements for Books, S. 5. 124 Duntze, Verlagsbuchhandel und verbreitender Buchhandel, S. 212f. 125 Richter, Buchhändlerische Kataloge, S. 33. 126 Vgl. Richter, Buchhändlerische Kataloge, S. 33–35. 127 Eine solche Ausnahme ist beispielsweise die Voranzeige zum Hieronymus von Peter Schöffer. Auf ihr findet sich der Hinweis »Moguntie per Petrum de Gernßheim imprimendus«. Zitiert nach Wilhelm Velke: Zu den Bücheranzeigen Peter Schöffers. In: Veröffentlichungen der Gutenberg-Gesellschaft 5–7 (1908), S. 221–235, S. 231. 128 Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 22. 129 Vgl. Richter, Buchhändlerische Kataloge, S. 53.

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Die Buchhändleranzeigen variierten in der Textlänge und im Format von kleinen Zetteln bis hin zu größeren Plakaten. Sie wurden an öffentlichen Plätzen, wie beispielsweise an Kirchentüren, angeschlagen, um ein möglichst breites Publikum zu erreichen.130 Daneben wurden einzelne Anzeigen aber auch direkt an potenzielle Interessenten verschickt. Ferdinand Geldner führt als Nachweis für diese Form der personalisierten Werbung einen handschriftlichen Eintrag auf einer Anzeige Johann Zainers aus Ulm an.131 Der Hinweis »Domino Mathie« am oberen Rand des Blattes ist eine Adresse.132 Eine Anzeige Peter Schöffers von 1470 zu seiner Ausgabe der Briefe des Hieronymus enthält außerdem eine Formulierung, die auf eine weitere Verwendung dieser Blätter schließen lässt. Nach einem Lob über die Qualität des Drucks und der Texte wendet sich die Anzeige direkt an »omnes praesens eulogium audituri«, also »an alle, die dieses Lob hören werden«133. Lehmann-Haupt äußert dazu die Vermutung, dass diese Anzeige eher nicht angeschlagen, sondern vielmehr in den Lesesälen der Universität verteilt und laut vorgelesen wurde.134 Als weitere mögliche Verwendung macht Winteroll zuletzt das Einkleben in einen Druck fest, wie es bei einer Anzeige für die Schedelsche Weltchronik135 geschehen ist.136 Winteroll arbeitete heraus, dass der Einsatz von Einzelanzeigen unter einer oder mehreren der nachstehenden Bedingungen erfolgte: das angekündigte Buch war ein Erstdruck oder eine unmittelbar anschließende Ausgabe eines größeren lateinischen Werks, das Buch bot eine Neuerung etwa in der Textgestaltung oder der Titel war unter großem Konkurrenzdruck erschienen.137 Gerade die Einzelanzeigen bedienten sich für die Bewerbung ihres Titels in erster Linie besonders lobender Formulierungen. Eine Ausnahme stellen die Anzeigen Gerard Leeus aus Gouda und Erhard Ratdolts aus Venedig dar, denn sie sind illustriert. Leeus Anzeige zu seinem Druck der Schönen Melusine138 von 1491 zeigt einen Holzschnitt und Ratdolts Anzeige zu seiner Euclid139-Ausgabe enthält eine Leseprobe zusammen mit geometrischen Figuren. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts verwendete der Buchhandel in der Werbung

130 Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 22. Auf einer kleinen Anzeige von William Caxton aus dem Jahr 1477 findet sich diesbezüglich der folgende typographisch hervorgehobene Hinweis: »Supplico stet cedula« (»Bitte den Zettel hängen lassen«). Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 22. 131 Vgl. Geldner, Inkunabelkunde, S. 159. 132 Vgl. Buchhändleranzeigen, Burger Nr. 17. 133 Zitiert nach Lehmann-Haupt, Peter Schöffer, S. 74. 134 Vgl. Lehmann-Haupt, Peter Schöffer, S. 74. 135 Hartmann Schedel: Chronica. Mit Holzschnitten von Michael Wolgemut und Wilhelm Pleydenwurf. Nürnberg: Anton Koberger für Sebald Schreyer und Sebastian Kammermaister 1493. Vgl. GW M40784. 136 Vgl. Winteroll, Summae Innumerae, S. 40. 137 Vgl. Winteroll, Summae Innumerae, S. 410. 138 Gerard Leeu: Bücheranzeige zu Melusine. [Antwerpen: Gerard Leeu, um 1491]. Vgl. GW M17425.

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sonst fast keine Bilder.140 Der inhaltliche Aufbau der Anzeigen ist weitgehend gleich, sie enthalten in der Regel dieselben Elemente der Kaufaufforderung mit Hinweisen auf die »sorgfältige Korrektur« und die Angabe des Verkaufsorts. Untergliedert sind die Titel bei Sammelanzeigen nach Sprachen, zunächst Lateinisch, dann Deutsch.141 Preisangaben gibt es keine, was an den variierenden Endpreisen lag, die unter anderem vom Buchführerrabatt oder den Transportkosten abhängig waren. Umschreibungen wie »largus«, »largissimus« und »flexibilis venditor« versprachen lediglich moderate Preise und einen verhandlungsbereiten Verkäufer.142 Aus den Bücheranzeigen lässt sich auf verschiedene Vertriebspraktiken schließen. Eine der ersten Anzeigen und eines der bekanntesten Beispiele ist von Peter Schöffer aus dem Jahr 1469 oder 1470 und listet als Sammelanzeige 21 lateinische Titel auf. Die Formulierungen und der Stil des Textes ähneln zwei früheren Anzeigen von Buchhändlern aus Straßburg, sie bewirbt aber erstmals eine ganze Sachgruppe.143 Eingeleitet wird die Anzeige von einem Aufruf zum Kauf mit dem Hinweis auf eine sorgfältige Überwachung des Drucks und den Verkaufsort. Letzterer ist handschriftlich ergänzt: »Venditor librorum reperibilis est in hospicio dicto zum willden mann«144. Demnach hatte sich Schöffers Vertreter im Gasthaus Zum Wilden Mann in Nürnberg einquartiert und der Titelliste nach führte er neben Schöffers Drucken auch Bücher aus der Werkstatt Ulrich Zells mit sich. Genauere Umstände lassen sich daraus nicht ableiten. Ob Schöffer die Exemplare von Zell erwarb, ob er sie in Kommission nahm oder ob er und Zell die Bücher verstachen, ist nicht überliefert. Rautenberg wertet die Liste dennoch als Beweis dafür, dass es schon in der frühen Zeit des Buchdrucks zu einer engen Zusammenarbeit der Buchhandelsaktanten zur gegenseitigen Entlastung vom kostspieligen und aufwendigen Reisehandel kam.145 Eine weitere Möglichkeit wäre, dass es sich bei dem »Vertreter« Schöffers um einen unabhängigen und auf eigene Rechnung agierenden Buchführer handelte, der für zwei Druckerverleger tätig war. Auch Hirsch vermutet, dass die vor allem 1476/77 gedruckten Anzeigen mit der Produktion mehrerer Offizinen »probably [were] no longer produced by the printer solely for his own agents.«146

139 Euclides: Elementa. Übers. Adelardus Bathoniensis. Bearb. Johannes Antonius Campanus. Venedig: Erhard Ratdolt 1482. Vgl. GW 09428. 140 Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 24f. 141 Vgl. Vorderstemann, Augsburger Bücheranzeigen, S. 57f. 142 Vgl. Geldner, Inkunabelkunde, S. 159. 143 Vgl. Lehmann-Haupt, Peter Schöffer, S. 68. 144 Buchhändleranzeigen, Burger Nr. 22. 145 Vgl. Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 353. Auch Lehmann-Haupt sieht in dieser Anzeige bereits einen Nachweis für den Reisebuchhandel. Ebenso unterstützt er die Annahme einer Zusammenarbeit der Druckerverleger mit einem Hinweis darauf, dass Schöffer nachweislich Bücher von Anton Koberger verkaufte und dieser wiederum Bücher von Schöffer auf Lager hatte. Vgl. Lehmann-Haupt, Peter Schöffer, S. 70f. 146 Hirsch, Printing, Selling and Reading, S. 64.

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Schöffers Anzeige ähnlich ist die von Günther Zainer aus dem Jahr 1476. Sie gibt wieder einen Hinweis auf den Wanderhandel, denn auch hier wird auf einen handschriftlich einzutragenden Verkaufsort am unteren Ende des Blattes verwiesen. Zainers früheste Anzeige von 1471 ist stattdessen ganz auf den lokalen Markt ausgerichtet: wer seine Bücher erwerben wolle, »der kom in des schmidlins huss zu dem Gunthero, genant Zainer von Reutlingen, da findet er die und werdent im gegeben umb ain gleich ziemlich gelt«.147 Er nannte explizit ein Verkaufslokal in Augsburg, in dem die Bücher zu kaufen waren. Eine solche Anzeige wäre in einer anderen Stadt nutzlos und war demnach nicht für reisende Buchführer gedacht, sondern für den Verkauf vor Ort.148 Geldner weist in diesem Zusammenhang auf die bemerkenswerte Tatsache hin, dass Zainer als Verkaufsort eine Gaststätte nannte und nicht das Haus seiner Werkstatt.149 Das Blatt schließt damit nicht aus, dass an Zainers Offizin ebenfalls ein kleiner Buchladen angeschlossen war. Gesetzt den Fall, dass üblicherweise zu jeder größeren Druckerei von Beginn an auch eine Verkaufsstelle gehörte, so zeigt diese Anzeige, dass Zainer sich zumindest zusätzlich auf eine öffentlichere Verkaufsstätte stützte, die besonders reisende Laufkundschaft anlockte. Gasthäuser wie Wirtshäuser gehörten zu den öffentlichen Räumen der Frühen Neuzeit mit zahlreichen Funktionen: überall in Europa nutzte man die Wirtshäuser unter anderem als Institutionen zur Registrierung und Überwachung von Reisenden, als Arbeitsvermittlungsstellen und Anlaufstellen für wandernde Handwerksgesellen, als militärische Rekrutierungsbüros und Soldatenunterkünfte, als Treffpunkte zum Abschluss von Handelsgeschäften und Verträgen, als Markt-, Ausstellungs-, Verkaufs- und Versteigerungsräume, als Warenlager und Umschlagplätze der Fuhrleute, als Poststationen und Stätten des Nachrichtenaustauschs, als Raum zur Ausstellung der neuesten Raritäten und Wunder, als Plätze zur Bekanntgabe von Verordnungen und Erlassen, als Lesesäle für Bücher, Pamphlete, Flugblätter und Zeitungen, als politische Versammlungsorte und Wahllokale, ja sogar als provisorische Gefängnisse, als Hochzeitslokale und natürlich als Zentren für Kurzweil und Unterhaltung jeglicher Art, wo nicht nur getrunken und um Geld gespielt, sondern auch musiziert, getanzt und Theater gespielt wurde.150

147 Buchhändleranzeigen, Burger Nr. 6. 148 Vgl. Vorderstemann, Augsburger Bücheranzeigen des 15. Jahrhunderts, S. 59. 149 Vgl. Geldner, Inkunabelkunde, S. 158. 150 B. Ann Tlusty: ›Privat‹ oder ›öffentlich‹? Das Wirtshaus in der deutschen Stadt des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Zwischen Gotteshaus und Taverne. Öffentliche Räume in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Hrsg. von Susanne Rau und Gerd Schwerhoff. Köln [u. a.]: Böhlau 2004 (Norm und Struktur; Bd. 21), S. 53–73, S. 54. Wirtshäuser standen allerdings auch in einer spannungsvollen Mittelstellung zwischen öffentlichem und privatem Raum. Als öffentlich galt in der Regel lediglich die große »Stube«, der Hauptgastraum. Weitere Räume, wie der Keller, die Kammern für die Übernachtungsgäste und alle weiteren Nebenräume einschließlich der Privaträume der Wirtsfamilie waren nicht öffentlich. Daraus ergaben sich drei Aspekte, die zu Konflikten mit der Obrigkeit oder den Gästen führen konnten. Dazu gehört das Wirtshaus als Raum für illegale Aktivitäten, als Raum für die Versammlung geschlossener, zum Teil geheimer, aber legaler Gruppen – zum Beispiel Zünfte – und als Raum für den Privathaushalt des Wirts. Seit Ende des Mittelalters vollzog sich allmählich

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels

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Für die Herausbildung einer öffentlichen Meinung spielten sie also eine wichtige Rolle, wodurch sie sich als Verkaufsort besonders anboten. Kohushölter untersuchte in einem Aufsatz die lateinisch-deutschen Sammelananzeigen der beiden Brüder Günther und Johannes Zainer, die sich zum Teil mit den von Vorderstemann untersuchten überschneiden. Sie konnte darin nachweisen, dass überdurchschnittlich häufig Werke des Arztes und Autors Heinrich Steinhöwel unter den deutschen Titeln beworben wurden.151 Daraus leitet Duntze die Vermutung ab, dass prominente lateinische Titel als Zugmittel genutzt wurden, um die neuen noch unbekannten Übersetzungen Steinhöwels in die Volkssprache anzupreisen.152 Die Anzeigen enthalten allerdings nicht nur Werbung für bereits gedruckte Titel. Eine Sammelanzeige von Johannes Regiomontanus von 1474 listet neben veröffentlichten Werken auch Titel auf, deren Druck für die folgenden Jahre angesetzt war. Hauke schließt daraus, dass Regiomontanus auf eine langfristige Wirkung baute, Nachfragen nach den geplanten Werken provozieren und dadurch das Interesse des Publikums wachhalten wollte.153 Die vorgestellten Bücheranzeigen sind insgesamt als selbstständige Aktantmedien innerhalb des frühen Wissensraums Buchhandel zu werten, indem sie brancheninterne Informationen über mitgeführte Sortimente und ihren Erwerbsort boten,154 und zumindest für das deutschsprachige Gebiet stellt ihre Verwendung eine temporäre Praktik der Buchhandelsaktanten dar. Der Großunternehmer Anton Koberger Einer der größten Hauptaktanten im Wissensraum Buchhandel des 15. Jahrhunderts, der erste und bedeutendste Großunternehmer der Inkunabelzeit, war Anton Koberger (um 1440–1513). Fast 50 besoldete »Buchführerknechte« hatte er in seinen Diensten. Sein Geschäft untersuchte Oscar von Hase in seiner ausführlichen und bis heute grundlegenden Monographie 1885, ergänzt durch die Publikationen von Christoph Reske und Peter Zahn zur Produktion und Veröffentlichung der Schedel-

der Übergang von privater Gastfreundschaft zu einem kommerziell ausgerichteten Gastgewerbe. Dadurch kam es zu einer Trennung der öffentlichen von der privaten Sphäre und einer ausführlichen obrigkeitlichen Regelung, wodurch anstelle des Wirts die territorialen und städtischen Autoritäten für den Schutz des Gastes verantwortlich wurden. Vgl. Tlusty, ›Privat‹ oder ›öffentlich‹, S. 57 und 64. 151 Vgl. Kohushölter, Lateinisch-deutsche Bücheranzeigen, S. 447. Die Anzeigen der Zainer sind die einzigen überlieferten zweisprachigen Anzeigen, weshalb Kohushölter in ihrem Fall die Frage nach dem Einfluss des Autors Steinhöwel auf die Gestaltung und Produktion der Blätter aufwirft. Vgl. Kohushölter, Lateinisch-deutsche Bücheranzeigen, S. 447. 152 Vgl. Duntze, Verlagsbuchhandel und verbreitender Buchhandel, S. 214. 153 Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 24. 154 Sie informierten damit nicht nur potenzielle Kunden über ein Buchangebot, sondern lieferten auch den örtlichen Druckern und Buchhändlern Hinweise über bereits im Druck erschienene Titel bzw. das Verlagsprogramm eines Konkurrenten.

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schen Weltchronik.155 Dank umfangreicher erhaltener Briefkorrespondenzen Kobergers mit seinen Geschäftspartnern ist viel über seine Tätigkeit bekannt, weshalb sein Beispiel hier und in einigen der folgenden Abschnitte ausführlich zur Sprache kommt. Von seinem Hauptsitz in Nürnberg aus organisierte Koberger ein immenses Vertriebsnetz, das sich über weite Teile Mittel- und Ostmitteleuropas erstreckte und zahlreiche Niederlassungen und Bücherlager in weiteren Handelszentren versorgte. Die wirtschaftliche Lage Nürnbergs kam ihm dabei zugute. In ihrer Bedeutung war die Stadt Nürnberg »neben Augsburg der wichtigste süddeutsche Knotenpunkt im europäischen Fernhandelsstraßennetz«156 und hatte eine führende Stellung im europäischen Handel inne, sodass sie gegen Ende des 15. Jahrhunderts zu den vermögendsten Städten in Deutschland gehörte. Auf Koberger und seinen Großunternehmerkollegen liegt der Schwerpunkt des historischen Kapitels nicht nur aufgrund der Quellenlage, sondern auch wegen ihrer großen Bedeutung für die Geschichte des Buchhandels. »So ist der überwiegende Einfluß des Handels gegenüber der Produktion, wie er sich später im Buchhandel entwickelt hat, bei Koberger schon im Keim vorhanden«157. Er gehörte damit zu den Hauptaktanten im Wissensraum Buchhandel, die den Diskurs bestimmten. Koberger handelte mit seinen Büchern vor allem in Süddeutschland, Sachsen und Niedersachsen und unterhielt Geschäftsbeziehungen in den Niederlanden, Frankreich, der Schweiz und in Oberitalien.158 Seine häufigsten Kontakte bestanden mit den Franken, Schwaben, Bayern und den am Oberrhein gelegenen Städten. Ebenso wichtige Gebiete seines Vertriebs waren Burgund und Belgien neben den bereits genannten Niederlanden. In Oberitalien betrieb er den intensivsten Handel mit dem Herzogtum Mailand und der Republik Venedig.159 Koberger dominierte derart den Handel mit italienischen Drucken nördlich der Alpen, dass die berühmten und gefragten Aldinen – handliche Klassikerausgaben des venezianischen Verlegers Aldus Manutius (1449–1515) – fast ausschließlich über ihn zu bekommen waren.160 Im Osten waren Österreich und das Herzogtum Schlesien die Länder, in denen er den intensivsten Handel betrieb, Böhmen findet dagegen keine Erwähnung in sei-

155 Vgl. Christoph Reske: Die Produktion der Schedelschen Weltchronik in Nürnberg = The Production of Schedel’s Nuremberg Chronicle. Wiesbaden: Harrassowitz 2000 (Mainzer Studien zur Buchwissenschaft; Bd. 10) und Peter Zahn: Die Endabrechnung über den Druck der Schedelschen Weltchronik (1493) vom 22. Juni 1509: Text und Analyse. In: GJ 66 (1991), S. 177–213. 156 Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 362. 157 Prager, Der deutsche Buchhandel, S. 61. 158 Vgl. Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 362. 159 Vgl. Hase, Die Koberger, S. 257f. 160 Manutius selbst hatte bis Anfang des 16. Jahrhunderts keine regelmäßigen Handelsverbindungen nach Deutschland und obwohl seine Drucke dort sehr gefragt waren, hatte er noch 1501 kein ständiges Lager vor Ort. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 382.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels



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nen Geschäftsbriefen. Hinzu kommen dafür noch die Königreiche Polen und Ungarn.161 Die größte Entwicklung konnte Kobergers Vertrieb in Frankreich verzeichnen. Als die wichtigsten Außenhandelsplätze, die seinen Weltvertrieb geographisch umreißen können, nennt Hase »im Süden Mailand und Venedig, im Osten Ofen und Krakau, im Norden Lübeck und Antwerpen, im Westen Paris und Lyon«162. Diese Orte sind allerdings nur als letzte feste Stationen bzw. »weitest hinausgeschobene Vorwerke«163 zu werten, von denen aus er das weitere Umland beliefern ließ, zum Beispiel wurde von Paris und Lyon aus der Handel mit England und Spanien organisiert. Obwohl er heute vor allem als großer Druckerverleger bekannt ist, lag der Schwerpunkt Kobergers damit auf seiner buchhändlerischen Tätigkeit, insbesondere dem Zwischenhandel, weshalb ihm Grimm einen längeren Artikel in seiner Auflistung der Buchführer widmete.164 Kobergers immenses Vertriebsvermögen spiegelt sich aber bereits in der außergewöhnlich umfangreichen Produktion seiner Druckerei wider. Die Auflagenzahlen seiner Bücher, die deutlich über dem Durchschnitt der Zeit lagen, geben davon Zeugnis. Die zweite Auflage des siebenbändigen Hugo165 wurde in einer Stückzahl von 1.600 Exemplaren produziert, was wohl auch bereits die Auflagenhöhe der ersten Drucklegung war. Kapp betont dabei die »dem modernen Fabrikwesen ähnelnde[n] Betriebsweise seines Geschäfts, die ganz im Gegensatz zu den sonstigen Gebräuchen der Gewerbe jener Zeit stand«166. Auch die mit ihm zusammenarbeitenden Großdrucker in Venedig fertigten solche Großauflagen. Koberger kaufte jedenfalls von den Werken des Augustinus, von einer Konkordanzbibel und einer Margarita poetica auf einen Schlag je 1.600 Stück und aus der Höhe von Kaufabschlüssen mit Geschäftspartnern in Basel lässt sich ebenso auf überdurchschnittlich hohe Auflagen schließen.167 So große Stückzahlen konnten

161 Die Tatsache, dass Koberger das erste Buch in Ungarn druckte und Ruprecht Haller es womöglich in Ofen verkaufte, belegt die Internationalität des frühen Buchhandels in besonderer Weise. Vgl. Pollard/Ehrmann, The Distribution of Books, S. 8f. 162 Hase, Die Koberger, S. 258. 163 Hase, Die Koberger, S. 258. 164 Vgl. Grimm, Die Buchführer des deutschen Kulturbereichs, Sp. 1194–1203. 165 Biblia mit Postilla des Hugo de Sancto Charo. [Basel: Johann Amerbach für Anton Koberger 1498–1502]. Vgl. GW 04285. Der sogenannte Hugo war ein Gemeinschaftsprojekt Kobergers zusammen mit Johann Petri und Johann Amerbach, über dessen Zustandekommen und Ausführung wir durch die Briefe der Amerbachkorrespondenz ausführlich unterrichtet sind. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 342. 166 Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 319. 167 Zusätzlich zu seiner eigenen Druckproduktion gab Koberger als Verleger auch mehrfach Titel bei anderen Druckern in Auftrag, so wie die vierbändige Biblia latina cum glossa ordinaria Walafridi Strabonis et interlineari Anselmi Laudunensis bei Adolf Rusch in Straßburg oder 1525 die Übersetzung der Geographie des Ptolemäus durch Willibald Pirckheimer bei Johann Grüninger ebenfalls in Straßburg. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 223 und 229.

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nur gedruckt werden, wenn man wie Koberger über entsprechende Absatzmöglichkeiten verfügte. Seine herausragende Produktion wird auf Dauer also erst durch sein Vertriebsnetz ermöglicht und beweist dessen Leistungsvermögen.168 Peter Drach und sein Vertriebsnetz Einen mit Koberger vergleichbaren Fernhandel und mit diesem abgesprochenes Monopol in Böhmen und Mähren baute Ende des 15. Jahrhunderts Peter Drach (um 1450–1504) in Speyer auf. Er war ebenfalls Drucker und Verleger und nutzte ein ausgedehntes Vertriebsnetz, um seine Bücher zu verkaufen. Wie Koberger und Schöffer unterhielt auch Drach Bücherlager an den wichtigsten Handelsplätzen, unter anderem in Leipzig, Frankfurt, Straßburg und Köln.169 In den 1480er Jahren leitete der Speyerer die bedeutendste Druckerei am Mittelrhein und übertraf darin seinen Konkurrenten Schöffer.170 Neben dem Fernhandel betrieb er einen stationären Buchladen und belieferte die Speyerer und die Wormser Diözese. Eine einzigartige Quelle für den buchhändlerischen Geschäftsverkehr der Frühzeit des Buchdrucks stellt das fragmentarisch erhaltene Rechnungsbuch Drachs dar. Es wird hier beispielhaft behandelt, um die Kontakte eines Buchhändlers zu seinen Kunden und den für ihn arbeitenden Buchführern näher zu beleuchten. Es handelt sich bei dem Rechnungsbuch zwar in erster Linie um Bücherlisten und Abrechnungen, aus ihnen geht aber hervor, dass Drach etwa 50 namentlich genannte Buchführer (»Diener«) und andere Personen in seinen Diensten hatte. Für den Vertrieb seiner Drucke nutzte er dabei nicht nur fest angestellte Knechte, sondern auch Großabnehmer, die auf eigene Rechnung arbeiteten. Obwohl mit den meisten der in seinem Rechnungsbuch erwähnten »Buchführer« nur die Angestellten gemeint waren,171 sind doch nur die letzteren als die eigentlichen selbstständigen Buchführer und damit vollwertige Aktanten im Wissensraum Buchhandel anzusehen. Sie konnten frei entscheiden, welche Bücher sie in ihr Sortiment nahmen und mussten ein Gespür für den Markt besitzen. Das Fragment des Rechnungsbuchs besteht aus 86 Blättern in recht unterschiedlichem Erhaltungszustand, deren Einträge einen Zeitraum von 1480 bis 1503

168 Vgl. Hase, Die Koberger, S. 256f. In der Forschung wird in diesem Zusammenhang gerne auf die zeitgenössische Aussage Johann Neudörffers d. Ä. von 1547 verwiesen, in der er von 24 Pressen und mehr als 100 Gesellen bei Koberger berichtete. Wie Christoph Reske in seiner Dissertation über die Schedelsche Weltchronik nachweisen kann, wäre in seiner Offizin jedoch nicht genug Platz für eine derartige Menge an Druckpressen gewesen. Die Zahl 24, die auf das Dutzend rekurriert, wurde wahrscheinlich stellvertretend für besonders viele genutzt. Vgl. Reske, Die Produktion der Schedelschen Weltchronik, S. 59. 169 Vgl. Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 360. 170 Vgl. Ferdinand Geldner: Das Rechnungsbuch des Speyrer Druckherrn, Verlegers und Großbuchhändlers Peter Drach. In: AGB V (1964), Sp. 1–196, Sp. 5f. 171 Vgl. Duntze, Verlagsbuchhandel und verbreitender Buchhandel, S. 217.

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abdecken. Die Ordnung der Einträge ist nur teilweise chronologisch oder regional, ansonsten so willkürlich, »daß es aber ganz unmöglich erscheint, etwas Sicheres über den Umfang des ganzen Geschäftsbuches und des gesamten Drach’schen Buchhandels zu sagen.«172 Es gibt vor allem Auskunft über seine Geschäftsverbindungen in Speyer und der näheren Umgebung bis in den Osten, nach Augsburg, Landshut an der Isar, Prag, Brünn, Leipzig, Halberstadt und Stendal. Drachs Lager in Köln und Straßburg und seine Beziehungen zu Michael Wenßler, Bernhard Richel und Johannes Amerbach in Basel werden nur kurz erwähnt. Über seinen Handel mit Frankreich und Italien erfahren wir darüber hinaus nichts aus dem Fragment, ebensowenig wie über die Druckerei. Keine der Abrechnungen betrifft die Einrichtung oder die laufenden Betriebskosten der Offizin, das Material, das Personal oder die Organisation.173 Ferdinand Geldner publizierte das Rechnungsbuch erstmals 1964 in einem längeren Artikel im AGB. Hendrick Mäkeler widmete dem Rechnungsbuch 2005 dann eine ganze Monographie und analysierte darin unter anderem alle Informationen über den Handel und die Kunden Drachs. Als Hauptvertreter der direkten Kleinkunden macht Mäkeler die Speyerer Kleriker fest. Am häufigsten im Rechnungsbuch vertreten sind dabei die Angehörigen des Domstifts, repräsentiert durch sieben namentlich genannte Personen. Sie verfügten über das nötige Kapital zum Buchkauf, hatten studiert und waren oft auch graduiert. Demnach hatten sie einen höheren Buchbedarf als der niedere Klerus aus den elf Pfarr- und Klosterkirchen Speyers, von dem nur sechs Personen als Buchkäufer auftraten, die überdies deutlich weniger kauften. Die meisten Drucke erwarb der bekannte Domprediger Jakob Wimpfeling.174 Aus der Speyerer Umgebung sind als Käufer noch einige Dozenten der Heidelberger Universität sowie die Kleriker aus den Landdekanaten zu erwähnen, wie beispielsweise Heinrich Heckmann, Leutpriester in der Pfarrkirche St. Jakobi in Hambach. Heckmann reiste 1482 extra nach Speyer, um dort bei Drach – bzw. dessen Frau, da Drach selbst sich zu dieser Zeit auf dem Leipziger Ostermarkt aufhielt – vier Bücher zu erwerben. Da Heckmann teilweise mehrere Exemplare eines Titels erwarb, folgert Mäkeler daraus, dass er »ähnlich wie viele andere Geistliche Bücher

172 Geldner, Das Rechnungsbuch des Speyrer Druckherrn, Sp. 10. Die Überlieferung des Rechnungsbuchs ist allein der Wiederverwertung als Makulatur – bereits bedrucktes Altpapier – durch die Buchbinder dieser Zeit zu verdanken. Große Teile von ihm wurden als Klebepappe für die Einbanddeckel des Praelectiones super V libros Decretalium von Nicolaus Panormitanus (Lyon, 1562) verwendet. Vgl. Geldner, Das Rechnungsbuch des Speyrer Druckherrn, Sp. 9. 173 Vgl. Geldner, Das Rechnungsbuch des Speyrer Druckherrn, Sp. 10f. 174 Vgl. Hendrik Mäkeler: Das Rechnungsbuch des Speyerer Druckherrn Peter Drach d. M. (um 1450–1504). St. Katharinen: Scripta Mercaturae Verlag 2005 (Sachüberlieferung und Geschichte; Bd. 38), S. 70–72 und 78.

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für Drach auf Provision weiterverkaufte.«175 Drach spannte noch weitere Kleriker als Verkäufer ein, so wie Hans Melber, den Stiftsherrn des Kollegiatsstifts in Neustadt. Melber rubrizierte die fertigen Drucke, wofür ihm Drach Bücher überließ, die er auf eigene Rechnung weiterverkaufen konnte. Ebenso ließ der Speyerer seine Bücher auch von dem Schultheiß Johannes Steimar aus Haßloch veräußern.176 Die Drucke, die nicht verkäuflich waren, konnte er nach Aussage Drachs wieder zurückgeben: »Jtem waß er desse bucher nit ferkaufft, die sol ich wider vmb nehmen, waß er davon ferkaufft, da sol er mir daß gelt geben.«177 Drach konzentrierte sich in seinem Angebot nicht nur auf eigene Verlagsprodukte, die insgesamt nur circa ein Drittel ausmachten, sondern vertrieb zum Großteil eingetauschte Werke anderer Firmen, um eine möglichst breite Auswahl bieten zu können. Im Rechnungsbuch wird dabei nicht zwischen eigenen Drucken und denen anderer Offizinen unterschieden.178 Mäkeler errechnet in seiner Untersuchung zum Rechnungsbuch, dass nur etwa 18 Prozent der erwähnten Titel aus Drachs eigener Druckerei stammten.179 Allerdings stellt Geldner in einem Vergleich der mit den Buchführern abgerechneten Exemplare fest, dass die fremde Verlagsproduktion nur in der Titelzahl die Drachsche überwog. An die Buchführer gingen sie meist nur in einer Stückzahl von ein bis fünf Exemplaren, wohingegen seine eigenen Titel in deutlich größeren Mengen von bis zu hundert Stück geliefert wurden.180 Dennoch spricht die höhere Zahl von Exemplaren eines Titels nicht automatisch dafür, dass der entsprechende Druck aus der Speyerer Offizin stammte. Drach übernahm offenbar gelegentlich größere Teile einer Auflage zum Weiterverkauf. Im Fall der Decretum Gratiani181 (1481) des Basler Druckers Michael Wenßler und der Decretales Gregors IX.182 (1481) vermutet Geldner, dass er sogar die ganze Auflage übernommen hatte, um alle vier Teile des Corpus iuris canonici in gleicher Stückzahl vorrätig zu haben.183 Vera Sack dagegen weist nach, dass der Gratian auch von Schöffer verkauft wurde. Sie nimmt an, dass Drach und Schöffer in diesem Fall in einer »Art Handelsgesellschaft, wie sie damals üblich war, Drucke Wenßlers vorfinanziert«184 hatten.

175 Mäkeler, Das Rechnungsbuch, S. 78. 176 Vgl. Mäkeler, Das Rechnungsbuch, S. 78–84. 177 Zitiert nach Mäkeler, Das Rechnungsbuch, S. 80. 178 Vgl. Geldner, Das Rechnungsbuch des Speyrer Druckherrn, Sp. 18. 179 Vgl. Mäkeler, Das Rechnungsbuch, S. 115. 180 Vgl. Ferdinand Geldner: Probleme um den Speyrer Druckherrn und Buchhändler Peter Drach. In: GJ 37 (1962), S. 150–157, S. 154. 181 Gratianus: Decretum. Mit Komm. von Johannes Teutonicus und Bartholomaeus Brixiensis. Basel: Michael Wenssler 1481. Vgl. GW 11362. 182 Papst Gregor IX.: Decretales. Mit der Glosse des Bernardus Parmensis. Basel: Michael Wenssler 1481. Vgl. GW 10 Sp.117b. 183 Vgl. Geldner, Das Rechnungsbuch des Speyrer Druckherrn, Sp. 20. 184 Sack, Über Verlegereinbände und Buchhandel Peter Schöffers, Sp. 262.

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Des Weiteren lässt sich aus dem Rechnungsbuch das weite Absatzgebiet in Mitteldeutschland bis in den Osten nachvollziehen. Drach besaß insgesamt 23 belegte Bücherlager; möglicherweise gab es noch mehr. Die nachweisbaren Lager waren in Straßburg, Frankfurt, Köln, Leipzig, Landau, Worms, Heidelberg, Mainz, Würzburg, Nürnberg, Crailsheim, Dinkelsbühl, Feuchtwangen, Augsburg, Landshut, Halberstadt, Stendal, Prag, Kuttenberg, Brüx, Iglau, Brünn und Olmütz stationiert. Aus dieser Auflistung wird deutlich, dass sich ein fester Standort offenbar nicht nur in großen Handelsstädten, sondern auch in kleineren Orten lohnte.185 Die Zentren von Drachs Buchhandel lagen in den Messestädten Frankfurt und Leipzig, den wichtigen Handelsstädten Augsburg und Nürnberg sowie den Universitätsstädten Heidelberg und Tübingen. Weniger wichtige Orte, zu denen Handelsverbindungen bestanden, waren Lübeck, Antwerpen, Breslau und Ulm. Zuletzt liefen Transaktionen bis nach Rom.186 Die Lager in Böhmen und Mähren wurden von Drachs Diener Johannes Schmidhoffer verwaltet. Wilhelm Ruscher in Nürnberg ist dagegen ein Beispiel für die Beschäftigung selbstständiger Buchführer, die verschiedenen Druckern Bücher abnahmen. Beide rechneten ihre Verkäufe entweder direkt mit Peter Drach selbst, seinem Bruder Johannes oder Hans vom Rhyne, seinem Schwager, ab.187 Insgesamt arbeitete Drach laut dem Rechnungsbuch mit 21 Buchführern zusammen. Unter ihnen nahmen sein Bruder Johann, Schmidhoffer in Leipzig und Kaspar Drut in Augsburg dem Speyerer die größte Menge an Büchern ab und sie gehörten somit zur »Spitzengruppe der Buchabnehmer von Peter Drach d. M.«188. Gerade bei den Buchführern, die deutlich geringere Buchmengen von Drach mit sich führten, ist aber auch nur ein relativ kurzer Zeitraum ihrer Abrechnung dokumentiert. Die Abnahmemengen lagen meist im Mittelfeld von einigen hundert Exemplaren. Auffällig ist, dass nach 1485 mehrere der mittleren und kleineren Buchabnehmer nicht mehr in den Abrechnungen auftauchen. Die Großabnehmer arbeiteten allerdings weiterhin für Drach und ein paar kamen neu hinzu. Aufgrund der lückenhaften Überlieferung und des zeitlich begrenzten Ausschnitts aus der Tätigkeit seiner Firma rechnet Mäkeler mit einem deutlich höheren jährlichen Verkauf als der belegten knapp 1.200 Bücher pro Jahr. Spekulativ beziffert Mäkeler den gesamten Drachschen Buchhandel mit 52.000 Büchern. Nachgewiesen ist jedenfalls der nicht geringe Verkauf von über 17.000 Drucken innerhalb von zwölf Jahren.189

185 Vgl. Geldner, Inkunabelkunde, S. 160. 186 Vgl. Mäkeler, Das Rechnungsbuch, S. 84. 187 Vgl. Geldner, Das Rechnungsbuch des Speyrer Druckherrn, Sp. 17f. Die Familienmitglieder spielten in Drachs Geschäft eine wichtige Rolle. Sein Bruder Johann half als wichtiger Partner, eventuell war er auch Teilhaber. Sein Schwager Hans vom Rhein arbeitete ebenso mit wie seine Frau Christine vom Rhein, die bei Drachs Abwesenheit die Geschäftsführung übernahm. 188 Mäkeler, Das Rechnungsbuch, S. 85. 189 Vgl. Mäkeler, Das Rechnungsbuch, S. 85f.

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Schmidhoffer war Drachs bedeutendster Buchführer, der mit Abstand die meisten Bücher zum Weiterverkauf übernahm und das weiteste Vertriebsnetz bediente. Er betreute ein Gebiet, das von Leipzig über Prag nach Tschechien bis Brünn reichte. In Leipzig auf dem Ostermarkt 1483 kam es zu einer Endabrechnung zwischen Drach und Schmidhoffer. Letzterer kaufte dabei seinem ehemaligen Dienstherrn nach der Rechnungslegung alle seine verbliebenen Bücher in Böhmen für insgesamt 1.000 Gulden ab. Als Beginn der Zahlung in Raten von 200 Gulden vereinbarten sie den Herbstmarkt. Damit machte sich Schmidhoffer selbstständig und baute als nun vollwertiger Aktant im Wissensraum Buchhandel sein eigenes Verlagsgeschäft auf. Mäkeler mutmaßt, dass ihm das die Heirat mit Martha Clement, der Tochter des vermögenden Leipziger Buchführers Paul Clement, ermöglicht hatte.190 Schmidhoffer genoss schon während seiner Zeit als wichtigster Angestellter Drachs einige Annehmlichkeiten. Drach bezahlte ihm einen »Knaben« und den Unterhalt für die Pferde. Insgesamt kostete ihn Schmidhoffer 174 ½ Gulden innerhalb von 2 ½ Jahren. Außerdem übernahm er auch die 6 Gulden Miete für das Bücherlager Schmidhoffers in Brünn.191 In seinem Bestand führte Schmidhoffer neben den Drucken Drachs auch zahlreiche Bücher, gegen die er erstere eingetauscht hatte. Meistens waren es nur einzelne Exemplare, mit denen er das Sortiment systematisch besonders um antike Autoren ergänzte. Dass Schmidhoffer eine hohe Stellung innerhalb der Buchführer Drachs innehatte, verdeutlicht ein Eintrag im Rechnungsbuch. Darin ist belegt, dass er als Stellvertreter Drachs auf dem Leipziger Michaelismarkt 1488 mit Johannes Wildenfels abrechnete.192 In den 1490er Jahren stagnierte das Geschäft Drachs. Die Kontakte zu anderen Buchhändlern wurden weniger und seine Buchführer machten sich nach und nach selbstständig. Den Großhandel musste er bald einstellen und das dadurch fehlende Kapital machte sich dahin gehend bemerkbar, dass Drach den Druck seiner Werke nun über Kredite finanzieren musste und dass er 1496 erstmals selbst als Lohndrucker tätig wurde.193 Seine Schwierigkeiten waren allerdings nicht mit einer unmittelbar gewachsenen Konkurrenz zu erklären. Es fällt vielmehr auf, dass Buchhändler das im gegenseitigen Interesse manchmal sogar zu vermeiden suchten. Koberger hielt sich beispielsweise völlig aus dem Handel mit Böhmen heraus und überließ Drach dieses Gebiet. Die unmittelbaren Speyerer Rivalen, die Brüder Hist, produ-

190 Im Jahr 1499 versteuerte Schmidhoffer ein Vermögen von 3.800 Gulden und besaß ein Haus in Leipzig. Vgl. Mäkeler, Das Rechnungsbuch, S. 93. 191 Über die übliche Entlohnung eines Buchführers ist nicht viel bekannt, weshalb hierfür eine Vergleichsbasis fehlt. Für den Tübinger Buchführer Friedrich Meynberger gibt Mäkeler an, dass Drach ihm acht Prozent seines Umsatzes als Lohn zahlte. Vgl. Mäkeler, Das Rechnungsbuch, S. 104. 192 Vgl. Mäkeler, Das Rechnungsbuch, S. 92–96. 193 Wobei die Tatsache, dass ein Großhändler als Lohndrucker arbeitete, nicht unbedingt als Zeichen für wirtschaftliche Probleme zu deuten ist. Koberger war ebenfalls als Lohndrucker tätig und umging auf diese Weise lediglich das Risiko der Vorfinanzierung.

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zierten wiederum inhaltlich andere Titel als ihr Druckerkollege. Der hauptsächliche Grund für den Niedergang seines Geschäfts lag stattdessen im Verlust der Unterstützung des Speyerer Rats.194 Verhältnismäßig oft verkaufte Drach seine Drucke bereits gebunden – ein Zeichen dafür, dass sich die Buchbinder den Verkauf gebundener Bücher als ihr Vorrecht im 15. Jahrhundert erst noch erkämpfen mussten. Wie Schöffer besaß er also wohl auch eine eigene Buchbinderwerkstatt oder arbeitete eng mit Buchbindern zusammen.195 Zuletzt tat er sich in seiner Verlegertätigkeit auch mit anderen Druckerverlegern vertraglich zusammen, zum Beispiel mit Heinrich Knoblochtzer in Heidelberg zum Druck einer Vergil-Ausgabe oder mit Johannes Sensenschmidt für Druck, Weiterverarbeitung und Vertrieb von Messbüchern für die Prager und Olmützer Diözesen.196 Diese Messbücher ließ Drach auf seine Kosten bei Sensenschmidt in Bamberg drucken und transportierte sie auf gemeinsame Kosten mit seinem Buchführer Johannes Schmidhoffer nach Leipzig. Dort wurden sie eingebunden und rubriziert, um im letzten Schritt von Schmidhoffer in Böhmen und Mähren verkauft zu werden; ein Beispiel für die gute Organisation und Zusammenarbeit im frühen Buchhandel.197 Insgesamt übertraf Drach Peter Schöffer, was den Umsatz betraf, an die Leistungen Kobergers sowohl im Druck als auch im Handel konnte er aber nicht heranreichen.198 Die Tatsache, dass Drach unter anderem Drucke seiner Kollegen vertrieb, sowie die in der Korrespondenz Amerbachs deutlich werdende enge Kooperation mit Koberger belegen die festen persönlichen und geschäftlichen Beziehungen der großen Druckerverleger untereinander.199 Für die Hauptaktanten des Wissensraums Buchhandel war ein Diskurs, der nicht nur durch Konkurrenz, sondern auch gemeinsames Handeln geprägt war, vorteilhaft und sogar notwendig. Behinderungen durch Kriege Die Leistung der frühen Buchhändleraktanten erscheint noch eindrucksvoller, wenn man die zeitgeschichtlichen Umstände berücksichtigt. Zahlreiche kriegerische Auseinandersetzungen behinderten den Handel. Sie waren eine große Sorge der Großbuchhändler, sorgten für das Stocken des Warenverkehrs, für Behinderungen des Geldflusses und überdies gelegentlich für die eigene Lebensgefahr. Dessen ungeachtet betrieben sie beständig ihren Handel, auch mit den zeitweiligen Kriegsgegnern. Der Wissensraum Buchhandel zeigte sich also nicht politisch, sondern in erster Linie ökonomisch orientiert.

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Vgl. Mäkeler, Das Rechnungsbuch, S. 113–116. Vgl. Geldner, Das Rechnungsbuch des Speyrer Druckherrn, Sp. 22. Vgl. Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 361. Vgl. Geldner, Inkunabelkunde, S. 160. Vgl. Grimm, Die Buchführer des deutschen Kulturbereichs, Sp. 1482. Vgl. Duntze, Verlagsbuchhandel und verbreitender Buchhandel, S. 216.

100  3 Der historische Kontext: Buchhandel in der Frühen Neuzeit

In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts stand Deutschland unter der Herrschaft Kaiser Friedrichs III. (1440–1493). Friedrich III. sah sich dabei gleich von mehreren Seiten bedrängt. Im Inneren litt das Reich unter dem dauernden Streit der Fürsten, Reformversuche auf den Reichstagen scheiterten und die Städte bildeten gemeinsame Bündnisse zur Selbsthilfe. Von außen drängten seit 1479 Ungarn und die Türken in die kaiserlichen Erblande. Im Jahr 1485 musste der Kaiser Österreich König Matthias überlassen, der als Sieger in Wien einzog. Nach dessen Tod 1490 konnte das Erbland zwar zurückerobert werden, Ungarn aber fiel dem polnischen Böhmenkönig Wladimir zu. Von der Westseite her weitete das Herzogtum Burgund seine Macht aus und 1473 stieß Karl der Kühne in die deutschen Rheinlande vor. Nur ein Ehevertrag konnte ihn 1475 zum Abzug bewegen. Seit 1477 schließlich besetzte Ludwig XI. von Frankreich Burgund.200 Trotz der Kämpfe mit Frankreich reiste Anton Koberger 1476 in die französische Hauptstadt, da sein dortiger Vertreter gestorben war. Er führte ein Empfehlungsschreiben des Kurfürsten von der Pfalz an Ludwig XI. mit sich, aus dem die Handelsgeschäfte des Nürnbergers mit dem durch die burgundischen Kriege vom Verkehr abgeschotteten Frankreich hervorgehen. Seine Verlagswerke wurden ebenso in den Niederlanden – trotz des Zerwürfnisses Karls VIII. mit Maximilian 1491 – weiter in großer Menge vertrieben. Zudem gründeten genau in der Zeit seines intensivsten Geschäftsverkehrs mit Basel die Schweizer ihre eigene Eidgenossenschaft. Obwohl sich 1499 sogar Nürnberg unter Willibald Pirckheimer am Schwabenkrieg beteiligte, an dessen Ende der Frieden von Basel stand,201 setzte sich der Handel Kobergers mit den schweizer Eidgenossen unablässig fort. Die politischen und kriegerischen Zeitumstände werden interessanterweise in Kobergers Briefen mit Ausnahme der Klagen über ihre hinderlichen Einflüsse auf den Buchhandel nicht weiter thematisiert.202 Seine Geschäftskorrespondenz konzentrierte sich also in erster Linie auf den buchhändlerischen Diskurs. Probleme für Kobergers Handel ergaben sich, als er beispielsweise um 1504 durch Kriegsgefahren mehrfach am Besuch der Frankfurter Messe gehindert wurde. Auch stand es zeitweise sehr schlecht um die Finanzmittel des Nürnbergers. Nach einer Beschwerde Amerbachs über eine zu geringe Bezahlung eines seiner Diener, schrieb er diesem am 9. Oktober 1504:

200 Vgl. Hase, Die Koberger, S. 260. 201 Die frühere Ansicht der Forschung, dass sich mit dem Frieden von Basel die Schweizer Eidgenossenschaft vom Reich lossagte und unabhängig wurde, der auch Oskar von Hase noch anhing, gilt heute als widerlegt. Stattdessen geht aus Berichten hervor, dass die Eidgenossen bis ins 17. Jahrhundert an ihrer Zugehörigkeit zum Reich festhielten. Vgl. Claudius Sieber-Lehmann: Basel, Frieden von (1499). In: Historisches Lexikon der Schweiz. 10/06/2004. URL: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D8892.php [Stand: 30.01.2018]. 202 Vgl. Hase, Die Koberger, S. 261–264.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels

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Ich weiß wohl, was unsers Vertrags Inhalt ist, und bedenke das wohl so oft, als Ihr das mögt bedenken, und ist mir eine besondere Pein, daß ich Euch nicht halten kann und mag, als ich Euch verschrieben bin, aber es ist ohne meine Schuld, sondern der schweren Kriegslewfft, die in mittlerer Zeit vorgefallen sind, also daß der Handel allenthalben niederliegt. Ich kann meinen Dienern nichts zuschicken, was sie von Büchern notdürftig sind. So können sie nicht Geld lösen und ist ein weitlewfftiger Krieg, was niemand so gut weiß als die, die im Handel sind.203

Ebenso bereiteten kriegerische Auseinandersetzungen auch auf der Lyoner Messe Schwierigkeiten. Koberger schrieb am 20. Juli 1504: Wisst lieber Meister Hans, dass ich jetzund zu Lyon in dieser Augstmesse haben werde bei 800 fl., sind mir in der Ostermesse da liegen geblieben, denn die Kaufleute von Nürnberg wollten kein Geld annehmen der Kriegsläufte halber, also dass jedermann in Sorge war und niemand nichts handeln wollte.204

Der Konflikt Kaiser Maximilians mit Italien sorgte schließlich ebenfalls für Störungen im Handel. Deutlich wird das am Beispiel von Aldus Manutius (1449–1515). Sein Handelsverkehr mit Deutschland war unregelmäßig und er hatte dort kein festes Lager. Um seine Drucke erwerben zu können, mussten deutsche Interessenten sie oft direkt in Venedig bestellen; so wie Heinrich Urban, der im Dezember 1505 vier Dukaten an Manutius schickte. Die dafür bestellten Bücher sollten durch die Kaufmannsfamilie Fugger nach Georgenthal gebracht werden.205 Als der Krieg allmählich zum Erliegen kam, schrieb Heinrich Glareanus am 19. Oktober 1516 aus Basel an Zwingli: Wolfgang Lachner hat Leute nach Venedig geschickt, welche die besten Autoren in aldinischen Ausgaben hierher bringen sollen. Willst Du welche haben, so sage es sofort und schicke mir bares Geld, denn es sind immer dreißig da, welche nach den Büchern langen, ohne nach dem Preise zu fragen.206

Je nach Jahreszeit brauchten Direktsendungen aus Venedig sechs bis acht Wochen, bis sie an ihrem Bestimmungsort ankamen. Nur auf Umwegen und über andere Verleger aus Basel, Augsburg oder Nürnberg kamen die Aldinen auf die Frankfurter Messe zum Verkauf. Erst Manutius Söhne und Erben besuchten Frankfurt regelmäßig persönlich.207 Manutius selbst sagte 1503 aufgrund des verhältnismäßig gerin-

203 Zitiert nach Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 357. 204 Zitiert nach Hase, Die Koberger, S. 291. 205 Mit der Vermittlung durch die Fugger war Manutius allerdings nicht zufrieden. Am 5. Mai 1514 beschwerte sich der Venetianer in einem Brief bei dem Humanisten Georg Spalatin, dass sie ohne eine Vorauszahlung nicht gewillt waren, Briefe für ihn nach Deutschland zu überbringen. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 357. 206 Zitiert nach Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 382. 207 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 382f.

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gen Erfolgs seiner Arbeit und der ständigen Kriege seiner Zeit: »Seit sieben Jahren haben die Bücher gegen die Waffen kämpfen müssen.«208 Der Faktoreibetrieb Für die Organisation des buchhändlerischen Vertriebs genügte die Leitung allein von einem zentralen Mittelpunkt aus nicht. Daneben waren ständige Vertretungen in den verschiedenen Absatzländern notwendig, die die Geschäfte vor Ort verwalteten. Mit solchen Knotenpunkten in Form von Handelsniederlassungen bzw. Faktoreien konnten die Buchhändler die Vorteile des Fernhandels mit denen des Einzelvertriebs verbinden und so ihre umfangreichen Netzwerke stabilisieren. Die Einrichtung fremdgeführter Faktoreien an bedeutenden Handelsplätzen und in anderen Ländern war eine wichtige buchhändlerische Praktik der großen Buchhandelsaktanten im Wissensraum Buchhandel, da sie aufgrund der hohen Auflagen im Druck einen europaweiten Absatzmarkt ins Auge fassen mussten. Über Kobergers Niederlassungen gibt uns unter anderem Johann Neudörffer Zeugnis, indem er berichtete: »Auch hatte er an fremden Orten seine Faktores in namhaften Orten der Christenheit. 16 offene Kräme und Gewölbe, da ein jedes, wie leichtlich zu gedenken, mit mancherlei große Menge Bücher staffieret muss gewesen sein.«209 An der Spitze stand selbstverständlich die Hauptzentrale in Nürnberg, wo Koberger sein Geschäftshaus strategisch günstig direkt gegenüber dem Ägidienkloster eingerichtet hatte. Neben der großen Werkstatt und einem Lager befand sich im Haupthaus auch eine Verkaufsstätte. Im benachbarten Kloster wurde neben einer Schule die Stadtbibliothek aufbewahrt, von der der Druckerverleger seltene Handschriften geliehen bekam und deren Bestände er wiederum durch seine Verlagswerke bereicherte. Auch mit anderen Klöstern in Nürnberg und der näheren Umgebung stand Koberger in regem Kontakt. Da er viele Reisen unternehmen musste, ließ er sich in seiner Abwesenheit von Dienern vertreten, so etwa 1505/06 durch Hans Amberger.210 Außerhalb Nürnbergs sind die Quellen über die Handelsniederlassungen in Frankreich am umfangreichsten. Hier richtete Koberger in den beiden wichtigsten französischen Buchgewerbestädten, Paris und Lyon, jeweils bereits zu Beginn seiner Verlagstätigkeit eine Filiale ein. Sein erster Faktor in Paris hieß Johann von der Bruck und stammte aus Flandern. Als Bruck 1476 starb, griff das sogenannte Heimfallsrecht, wonach die dort befindlichen Druckwerke und die Habe des Faktors von

208 Zitiert nach Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 384. 209 Zitiert nach Hase, Die Koberger, S. 269. In Anbetracht der Zahl der belegten Niederlassungen Peter Drachs (23) sind 16 Faktoreien für Kobergers Betrieb durchaus realistisch. Kapp hegte daran noch Zweifel. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 279. 210 Vgl. Hase, Die Koberger, S. 269–271.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels



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den königlichen Beamten beschlagnahmt wurden.211 Einen ähnlichen Verlust erlitt auch Peter Schöffer ein Jahr zuvor, als sein Faktor Hermann von Stadtlohn verstarb. Auch hier konfiszierte die Krone Frankreichs den Landesgesetzen folgend die Bücher Schöffers. Ein erster Versuch, sie zurückzuerhalten, schlug fehl.212 Schöffer reiste anschließend zusammen mit Konrad Henkis und einem Empfehlungsschreiben von Kaiser Friedrich III. und dem Kurfürsten von Mainz nach Frankreich, um an die noch verbliebenen Bücher zu gelangen und für die bereits verkauften entschädigt zu werden. Aus einer Ordonnanz Ludwig XI. vom 21. April 1475 geht hervor, dass sie mit ihrem Anliegen Erfolg hatten und auch welchen hohen Wert Schöffers Lager enthalten haben musste.213 Der Brief, der auf Befehl des Königs das Heimfallsrecht in Schöffers Fall aufhob, erläutert und begründet ausführlich den Sachverhalt und ist hier daher ausführlich zitiert: Ludwig, … vonseiten Unserer lieben und sehr geschätzten Verkäufer Konrad Hanequis und Peter Schöffer, Bürger der Stadt Mainz in Deutschland, wurde Uns dargelegt, daß sie sich einen Großteil ihrer Zeit mit dem Handwerk, der Kunst und dem Gebrauch des Buchdruckes beschäftigt haben, mit Hilfe deren sie in Fleiß und Sorgfalt mehrere schöne einzigartige und herrliche Bücher haben herstellen lassen, die sie aus dem Bereich der Geschichte und verschiedenen anderen Wissensgebieten genommen, und von denen sie an mehrere und verschiedene Orte und selbst in Unsere Stadt Paris geschickt haben, teils wegen der angesehenen Universität, die sich dort befindet, andererseits aber auch, weil es die Hauptstadt Unseres Königreiches ist, und haben zum Verkauf und Vertrieb dieser selbigen Bücher mehrere Leute bestellt: so unter anderen seit einer gewissen Zeit mit ihrem Auftrag einen Mann namens Herman de Stadthoen aus der Diözese Münster in Deutschland gebürtig, dem sie eine bestimmte Anzahl Bücher ausstellten und lieferten, die er, wo nur möglich, zu Nutzen der genannten Konrad Hanequis und Peter Schöffer verkaufen sollte; ihnen war der genannte Stadthoen zu Rechnung gehalten und hat mehrere der besagten Bücher verkauft, und bei seinem Hinscheiden verblieben noch mehrere Bücher und solche, die er in Verwahr gegeben, sowohl in Unserer genannten Stadt Paris wie auch in Angers und an verschiedenen anderen Orten Unseres Königreiches; Stadthoen ist in Unserer Stadt Paris verschieden. Und da das allgemeine Gesetz Unseres Königreiches jedesmal, wenn i r g e n d e i n A u s l ä n d e r , der nicht hier in Unserem Königreiche geboren ist, aus dem Leben scheidet ohne Naturalisationsbrief, ohne Befähigung und Vollmacht von Uns, ein Testament zu machen, alle Güter, die er in Unserem Königreiche zur Stunde seines Todes besitzt, Uns zustehen und gehören auf Grund des Heimfallsrechtes, und weil der besagte Stadthoen dieser oben besagten Eigenschaft ist und keinen Naturalisationsbrief noch die Vollmacht hat, ein Testament zu machen, haben Unser Prokurator und andere, Unsere Beamten und Kommissäre alle Bücher und auch solche, die er in der Stunde seines Hinscheidens bei sich oder anderswo in Unserem Königreich hatte, eingezogen und mit Beschlag belegt … Die genannten Konrad Hanequis und Peter Schöffer haben sich an Uns und die Mitglieder Unseres Rates gewandt und gezeigt, daß, obgleich die besagten Bücher im Besitze des Stadthoen bei seinem Tode waren, sie ihm noch nicht zu eigen waren, sondern in Wirklichkeit den genannten Geschäftsinhabern zustanden und gehörten, und zum Beweis haben sie das

211 Vgl. Hase, Die Koberger, S. 272. 212 Vgl. Lehmann-Haupt, Peter Schöffer, S. 79. 213 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 72.

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Testament Stadthoens gezeigt und mit gewissen Zetteln und Verpflichtungen, worin kein Zeuge noch irgend etwas anderes davon spricht; so bitten sie Uns, die erwähnten Bücher auszuliefern oder den Wert derselben zu zahlen, den sie auf 2425 Goldtaler und 3 Sols tournois schätzen. Zudem haben Wir Uns, die Wir die oben angeführten Tatsachen in Betracht ziehen, und die wir gleichzeitig eine solche Hochachtung vor dem haben, was der hohe und mächtige Fürst und Unser lieber und sehr geschätzter Bruder, Vetter und Verbündeter, der König der Römer [Kaiser Friedrich III.], Uns schrieb, und da die genannten Hanequis und Schöffer Untertanen und aus dem Lande Unseres lieben und hochverehrten Vetters, des Erzbischofs von Mainz, kommen, der Unser Verwandter, Freund und Bundesgenosse ist, der ebenfalls zu diesem Gegenstand Uns schrieb, und wegen der treuen Liebe und Zuneigung, die Wir zu ihm haben, und vom Wunsche beseelt, alle seine Untertanen liebevoll zu behandeln und behandeln zu lassen: und da Wir auch viel Achtung vor dem Fleiß und der Mühe haben, welche die genannten Buchhändler für die besagte Kunst und Druckarbeit aufgebracht haben, und mit Rücksicht auf deren Nutzen und Verwendung für das öffentliche Wohl und für die Vermehrung der Wissenschaften, und da der Gesamtwert und die Einschätzung der besagten Bücher und anderer Güter, die Uns zur Kenntnis gekommen, den genannten Preis von 2425 Talern und 3 Sols tournois nicht um vieles übersteigen, zu dem die Buchhändler sie einschätzten, haben Wir freimütig geruht, den genannten Konrad Hanequis und Peter Schöffer die erwähnte Summe von 2425 Talern und 3 Sols tournois ersetzen zu lassen, und haben es ihnen gewährt und genehmigt. Wir gewähren und genehmigen durch diese Schreiben, daß sie aus Unserem Finantzschatz jedes Jahr 800 Livres erhalten und mit Beginn des ersten Tages im Monat Oktober dieses Jahres, und so fortgefahren von Jahr zu Jahr, bis die Gesamtsumme von 2425 Talern und 3 Sols tournois bezahlt ist … Für den König – Der Bischof von Evreux und mehrere andere Gegenwärtige. »Le Goux«214

Wie viele der jährlichen Raten der Entschädigungssumme in Höhe von 800 Livres tatsächlich ausgezahlt worden sind, ist nicht bekannt, unter Franz I., dem Nachfolger Ludwigs XI., wurden die Zahlungen jedenfalls eingestellt. Schöffer wandte sich daraufhin hilfesuchend an den Erzbischof und Kaiser Maximilian. Sie erlaubten dem Druckherrn, Waren von französischen Kaufleuten in Deutschland zu beschlagnahmen, um seine Verluste zu kompensieren. Einer der geschädigten Kaufleute, Robert Bonoeuvre in Speyer, bat Pfalzgraf Philipp um Hilfe gegen diese Enteignung und dieser wiederum schrieb an Maximilian. Der Kaiser wies den Speyerer Rat in der Tat dann zur Herausgabe der beschlagnahmten Waren an und Schöffer brachte die Sache vor das Reichskammergericht. Er hatte hierbei wenig Erfolg. Schöffers Sohn verfolgte die Angelegenheit über mehrere Instanzen weiter.215 Nach insgesamt zehn Jahren und zahlreichen Briefwechseln zwischen dem Buchhändler und den bi-

214 Übersetzt von und zitiert nach Stock, Die ersten deutschen Buchdrucker in Paris, S. 30–32. Die geschätzte Summe von knapp 2.425 Talern als Entschädigung für Schöffer ist »fast viermal so groß […] wie die Summe, zu der man fünfzig Jahre vorher die Buchhandlung des Louvre einschätzte.« Stock, Die ersten deutschen Buchdrucker in Paris, S. 33. 215 Vgl. Lehmann-Haupt, Peter Schöffer, S. 79f.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels 

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schöflichen, kaiserlichen und königlichen Kanzleien hatte Schöffer das Nachsehen. Er blieb nicht nur auf seinen hohen Verlusten sitzen, sondern musste den Pariser Kaufleuten darüber hinaus noch Schadenersatz zahlen.216 Wie das Beispiel zeigt, war das Heimfallsrecht für die Niederlassungen in fremden Ländern nicht ungefährlich, da es schwierig war, seine Besitztümer zurückzubekommen oder eine angemessene Entschädigung zu erhalten. Auch Koberger musste persönlich nach Paris reisen, um seine Bücher – darunter 26 Pantheologien und die Briefe des Hieronymus – wiederzuerlangen. Dazu führte er ebenfalls einen Empfehlungsbrief des Nürnberger Rats mit sich, der König Ludwig um Rückgabe der Drucke bat. Der nominelle Wert des gesamten Inventars dürfte etwa demjenigen Schöffers geglichen haben und der Verlust eines ganzen Lagers war entsprechend ein herber Schlag für den Mainzer sowie für Koberger. Letzterer dürfte mit seiner Bitte allerdings Erfolg gehabt haben, da auch Schöffer zunächst eine Entschädigung zugesprochen worden war. Dennoch suchte Koberger sich zukünftig vor solchen Beschlagnahmungen zu schützen. In seinem Namen ersuchte der Nürnberger Rat 1492 den Kurfürsten Philipp von der Pfalz um Vermittlung beim französischen König, dass er seinen Bürger und dessen Diener in seinen Schutz stellen und Enteignungen von vornherein verhindern solle. Der Kurfürst, der beim König in hohem Ansehen stand, legte tatsächlich in diesem Sinne für Koberger ein gutes Wort ein.217 Ende des 15. Jahrhunderts stand Kobergers Faktorei in Paris wieder in geschäftigem Betrieb. Leiter war nun der aus Basel stammende Johannes Blumenstock, genannt Heidelberg.218 Ein Auftrag von Kobergers Vetter Hans an Amerbach lässt die inzwischen erreichte Größenordnung des Lagers erahnen. In einem Brief am 10. Mai 1506 bat er: »Schreibet dem Blumenstock bei den Fässern und was sie wiegen und inhalten: 50 Werke Augustins, 40 Hugo, 40 Bibelkonkordanzen, 30 Margarita poetica.«219 Allein diese einzelne Sendung enthielt also bereits 160 mehrbändige und große Folianten für das Lager, das ein entsprechend großes Fassungsvermögen gehabt haben musste. Zum Jahresabschluss legte Heidelberg Hans Koberger gegen-

216 Vgl. Schneider, Peter Schöffer, S. 34. 217 Vgl. Hase, Die Koberger, S. 272–274. 218 Heidelberg stand auch in Briefkontakt zu Hans Amerbach, dessen Söhne Bruno und Basilius er auf Geheiß Kobergers in seine Obhut nahm. Im Zuge gewisser Unstimmigkeiten wegen der Erziehung der beiden Studenten erklärte Heidelberg in einem Brief an Amerbach, dass er trotz seiner Verpflichtung in erster Linie Koberger zu dienen und das Bücherlager zu unterhalten habe: »so hat mich mein Junkherr gesetzt auf Paris, ihm seine Bücher zu verkaufen und zu Geld zu machen und nicht, dass ich den Studenten Tag und Nacht nachlaufe und ihm das Seine dadurch versäume. Ich habe zu versorgen zwei Laden Bücher, die zu sortieren, kollationieren und schön und sauber und ordentlich halten, und darum gute Rechenschaft zu geben, so best ich vermag«. Zitiert nach Hase, Die Koberger, S. 278. Ungeachtet fortdauernder Probleme zwischen den Amerbachschen Söhnen und Heidelberg blieb letzterer Geschäftsführer der Pariser Faktorei. 219 Zitiert nach Hase, Die Koberger, S. 283.

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über Rechenschaft ab. Dieser reiste dafür jeweils im Dezember 1502 und 1503 selbst nach Paris; er war der verantwortliche Vertreter für Frankreich und hatte seinen Sitz in Lyon. Obwohl in Paris sein größtes Platzgeschäft war, lag nämlich dort das Hauptgewicht des Kobergerschen Buchhandels mit Frankreich. Hier lässt sich eine Parallele zu anderen Nürnberger Kaufleuten erkennen, wie zum Beispiel den Tuchern, die »ihren Handel in Frankreich führten, das große Geschäft aber in Lyon hatten«220. Grund dafür dürfte die große Bedeutung der dortigen Messe für den Warenhandel gewesen sein. War die Faktorei in Paris vornehmlich für den Platzhandel gedacht, so verdeutlichen Kobergers weitere Handelsniederlassungen in Ungarn, Polen und Österreich, dass es bei ihnen nicht allein darum ging, einen stationären Laden zu unterhalten, sondern Stützpunkte für den Handel im jeweiligen Land zu schaffen. In Ungarn hatte er seinen festen Sitz in Ofen, wo ein Mitglied der mit dem Land eng verbundenen Familie Haller Kobergers Vertrieb übernahm. Wolf Haller war seit 1491 Kobergers Schwiegersohn und zu seinem Schutz lobte der Druckerverleger ein Lösegeld von 500 Gulden aus, sollte er auf Reisen gefangen genommen werden. Schon diese prophylaktische Festsetzung verdeutlicht die Gefahren auf Reisen und wird noch bestätigt durch die baldige Notwendigkeit einer Auslösung Hallers. Kobergers enge Handelsbeziehungen mit Siebenbürgen unterstreichen einerseits das Auftauchen der Namen »Nürnberger« und »Koburger« als Familiennamen dort und andererseits die Tatsache, dass neben Venedig Nürnberg die meisten Inkunabeln zum Bestand der Hermannstädter Kapellenbibliothek beisteuerte und dass von diesen Drucken die Mehrzahl aus seiner Offizin stammte.221 In Polen, Schlesien und Österreich waren die Hauptniederlassungsorte seines Handels Krakau, Breslau und Wien. Ob hier auch über einen längeren Zeitraum hinweg feste Faktoreien bestanden, ist nicht bekannt, sie waren aber ein längerer Aufenthaltsort für seine Gehilfen. An sie schickte Koberger Bücher und bei ihnen sammelten sich die Gelder, die durch den Verkauf im jeweiligen Land erwirtschaftet wurden. Auch hier sorgten Kriegsunruhen des Öfteren für Probleme, sowohl für die Einfuhr von Büchern als auch für die Verfügbarkeit von Geldmitteln: »Ich habe wohl Gold zu Wien, auch zu Ofen in Ungarn, zu Breslau, zu Krakau, aber es ist mir nicht möglich in diesen Kriegsläufen einen Gulden her auf Nürnberg zu machen oder bringen, so kann ich auch meinen Dienern kein Buch an die Enden schicken.«222 Nicht immer waren diese Helfer Kobergers, die in fremden Städten seine

220 Hase, Die Koberger, S. 284. Obwohl ihr Geschäft als »Officina Joannis Coubergi« in Pariser Verlagswerken auftaucht, wurden weder Koberger noch Heidelberg 1513 in der Liste der geschworenen Buchhändler von Paris aufgeführt. Auch in der gedruckten Buchhändlerliste von 1515 wurden zwar Deutsche genannt, Koberger zählte aber wieder nicht zu ihnen. Vgl. Hase, Die Koberger, S. 284. 221 Vgl. Hase, Die Koberger, S. 298f. 222 Zitiert nach Hase, Die Koberger, S. 300.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels

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Bücher verkauften, professionelle Buchführer oder feste Angestellte. Gelegentlich vertraten auch Nicht- bzw. Auchbuchhändler seine Interessen vor Ort. So arbeitete beispielsweise 1504 in Passau ein Prediger im Domstift, Mentrat Zynndel, für Koberger im Verkauf, »eine Persönlichkeit, die ganz anders auf den Absatz der Bücher wirken konnte, als ein gewöhnlicher ›Diener‹«223. Diese Tatsache verdeutlicht die Durchlässigkeit der sozialen Außengrenzen des Wissensraums Buchhandel. Der Messehandel »Die Messen sind im ausgehenden Mittelalter die wichtigsten Umschlagplätze für Güter und Geld.«224 Die Einrichtung Messe war im 15. Jahrhundert in ganz Europa verbreitet. Sie unterschied sich von einem einfachen Markt darin, dass es auf ihr einen überregionalen Zahlungsverkehr gab, dass dort Fernhandel betrieben wurde, dass sie über eine innere Organisation mit eigener Gerichtsbarkeit verfügte, dass sie einen rechtlichen Status innehatte (Privilegien) und dass ihre Termine einem jährlichen Zyklus folgten.225 An allen wichtigen Handelsorten von Spanien bis Polen und von England bis nach Apulien gab es Messeplätze. Ihre einzigen Entstehungsvoraussetzungen waren ein bereits bestehender Markt von überregionaler Bedeutung und eine »herausgehobene politische Stellung des Ortes«226. Auf den Messen wurden in erster Linie Fernhandelsgüter gehandelt, darunter Tuchwaren, Weine, Gewürze, Glas, Metallwaren oder Papier. Sie boten den Vorteil einer relativen Handelsfreiheit, im Gegensatz zu den lokalen Märkten, die durch

223 Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 279. 224 Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 367. 225 Vgl. Nils Brübach: Die Reichsmessen von Frankfurt am Main, Leipzig und Braunschweig (14.– 18. Jahrhundert). Stuttgart: Steiner 1994 (Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte; Bd. 55), S. 28 und 32f. Der Titel der Monographie Brübachs ist allerdings irreführend, da es im frühneuzeitlichen Deutschland den Status der »Reichsmesse« nicht gab, nicht einmal für Messen in einer Reichsstadt wie Frankfurt. Der Begriff taucht erst in der wissenschaftlichen Literatur des 18. Jahrhunderts auf. Vgl. Helmut Neuhaus: Die Begründung der Leipziger Messe und das Heilige Römische Reich Deutscher Nation in den Jahren 1497/1507. In: Leipzigs Messen 1497–1997. Gestaltwandel – Umbrüche – Neubeginn. Teilband 1: 1497–1914. Hrsg. von Hartmut Zwahr, Thomas Topfstedt und Günter Bentele. Köln [u. a.]: Böhlau 1999 (Geschichte und Politik in Sachsen; Bd. 9/1), S. 51–60, S. 55. In der Frühen Neuzeit wurden die Begriffe Markt, Jahrmarkt und Messe außerdem häufig synonym verwendet und nicht scharf voneinander abgegrenzt. Vgl. Michael Rothmann: Die Frankfurter Messen im Mittelalter. Stuttgart: Franz Steiner 1998 (Frankfurter historische Abhandlungen; Bd. 40), S. 27. 226 Brübach, Die Reichsmessen, S. 14. Die Märkte, die ein kaiserliches oder päpstliches Privileg erlangen konnten, entwickelten sich meist zu den Messen, während die nur auf landesherrlicher Ebene privilegierten Märkte in der Regel »Jahrmärkte« blieben. Vgl. Ernst Hasse: Geschichte der Leipziger Messen. Unveränderter Nachdr. der Originalausg. 1885. Leipzig: Zentralantiquariat der DDR 1963 (Preisschriften, gekrönt und herausgegeben von der Fürstlich-Jablonowskischen Gesellschaft zu Leipzig: Historisch-nationalökonomische Sektion; Nr. 17 und Preisschriften, gekrönt und herausgegeben von der Fürstlich-Jablonowskischen Gesellschaft zu Leipzig; Bd. 25), S. 15.

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strenge Zunftordnungen zugunsten der einheimischen Handwerker gegen außen hin abgeschottet waren.227 Durch diese Zunft- und Handelsregelungen in den Städten waren die Messen für die Kaufleute sogar die einzige Möglichkeit außerhalb ihrer eigenen Stadt Handel zu treiben.228 Als notwendig überregional zu vertreibendes Gut waren auch Bücher seit Beginn des Buchdrucks in großer Zahl auf den Messen als Waren vertreten.229 Der Messehandel zählt somit von Anfang an zu den wichtigen Praktiken der Buchhändler im Wissensraum Buchhandel. Eines der buchhändlerischen Messezentren war Lyon. »Mit einziger Ausnahme von Venedig war Lyon der größte Büchermarkt für das ganze südliche Europa.«230 Montfalcon, ein Lyoner Bibliophile, maß seiner Stadt sowohl als Welthandelsplatz mit ihren Messen, als Vermittler des französisch-italienischen Warenverkehrs wie auch als Hauptdruck- und Verlagsort Frankreichs, eine Bedeutung zu, die der Leipzigs zur Zeit der Blüte seiner Messen gleichkam. Die meisten Büchersendungen Kobergers von Basel aus gingen nach Lyon und aus seinem Briefverkehr geht hervor, dass seine Sendungen fast ausschließlich über den Messverkehr berechnet wurden. Ihre Lieferziele waren zumeist die Augustmesse und die Allerheiligenmesse. Die Pariser Messen wurden dagegen sowohl von Heidelberg als auch von Hans Koberger jeweils nur einmal in einem Nebensatz erwähnt, ihre Bedeutung für den Buchhandel dürfte also nicht besonders groß gewesen sein.231 Die Lyoner Messe hatte noch eine weitere wichtige Funktion für das Buchhandelsnetzwerk Kobergers. Sie fungierte als Sammelstelle für den Erlös seiner in Frankreich beschäftigten Diener und als zentrale Zahlstelle.232 Besonders in Zeiten

227 Vgl. Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 367. 228 Vgl. Sabine Niemeier: Funktionen der Frankfurter Buchmesse im Wandel – von den Anfängen bis heute. Wiesbaden: Harrassowitz 2001 (Buchwissenschaftliche Beiträge aus dem Deutschen Bucharchiv München; Bd. 68), S. 9. 229 Vgl. Rothmann, Die Frankfurter Messen im Mittelalter, S. 31. 230 Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 204. Schon seit dem 14. Jahrhundert war Lyon ein wichtiger Stützpunkt für Augsburger und Nürnberger Kaufleute, von wo aus sie die Märkte in Spanien und Portugal erschlossen. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 200. Von 1470 bis ca. 1580 hatte Lyon dann eine beherrschende Rolle im europäischen Zahlungsverkehr inne. Diese Position ging anschließend auf die Genuesischen Wechselmessen über. Ab 1620 gab es im Zahlungsverkehr dann nicht mehr nur einen Messeplatz als »Clearingstelle«. Vgl. Brübach, Die Reichsmessen, S. 573f. 231 Vgl. Hase, Die Koberger, S. 284–287. 232 Der internationale Ruf der Stadt Lyon begründete sich in erster Linie auf der einwöchigen Wechselmesse, die von europäischer Bedeutung für den Zahlungsverkehr zwischen Süd- und Nordwesteuropa war. Lyon lag dabei im Mittelpunkt des Wechselverkehrs zwischen den Niederlanden und England im Norden, Spanien im Westen und Italien im Süden. Vgl. Michael North: Von den Warenmessen zu den Wechselmessen. Grundlagen des europäischen Zahlungsverkehrs in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. In: Europäische Messen und Märktesysteme in Mittelalter und Neuzeit. Hrsg. von Peter Johanek und Heinz Stoob. Köln [u. a.]: Böhlau 1996 (Städteforschung, Reihe A: Darstellungen; Bd. 39), S. 223–238, S. 228. Mit Einführung des bargeldlosen Zahlungsmittels Wech-

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von Kriegsunruhen in Deutschland ersetzte Lyon die Frankfurter Messe in dieser Funktion, so etwa regelmäßig zwischen 1500 und 1504. Koberger schrieb nach Kriegsausbruch mit den Schweizern am 1. März 1500: Ich kann Euch keine Zahlung da thun, sondern zu Lyon in dieser Ostermesse, die eine kleine Zeit nach Frankfurter Messe ist; da will ich Euch verfügen, dass Euch und Meister Hansen ausgerichtet und bezahlt werden Tausend fl. Rh. durch meinen Vettern Hansen Koberger, […] Ihr mögt solch Geld friedlicher bringen von Lyon auf Basel, denn von Frankfurt auf Basel.233

Derart verfuhr Koberger anschließend auch in den darauffolgenden Jahren. Am 13. August 1501 schrieb er wieder nach Basel: Ihr dürft meinethalben und Eurer Bezahlung halb nicht auf Frankfurt kommen diese Herbstmesse, sondern ich will Euch Eure Bezahlung schaffen und machen aus der nächstkünftigen Allerheiligenmesse von Lyon auf Basel ohne allen Euern Schaden, desgleichen Meister Hansen Peter auch, und sollt keinen Nachteil haben denn die kleine Zeit.234

An die Messeeinnahmen heranzukommen, war mit andauernden Schwierigkeiten verbunden. So berichtete Hans Koberger am 23. Mai 1503 davon, dass er den Auftrag, eine in Frankfurt nicht gezahlte Restmesseschuld zu Wechseln zu machen, nicht erfüllen konnte, da er keinen Kaufmann aus Basel auf der Messe angetroffen hatte: So wisset, dass mir mein Vetter Anthonius Koberger geschrieben hat, dass ich Euch sollte auf Basel machen 400 fl., so habe ich niemand mögen ankommen in dieser Messe, als Euch vielleicht wohl wissend ist, dass kein Kaufmann von Basel hier ist gewesen, dadurch ich Euch solches Geld hätte mögen schicken, das Euch gewisslich wird werden.235

Auch die Messen in Straßburg, Leipzig und Frankfurt hatten wichtige Funktionen im Vertriebsnetz Kobergers als Sammelstellen für den Buchverkauf, als Vermittlungsstellen für den Briefverkehr und als Zahlplatz. Straßburg lag durch seine günstige Position direkt auf dem Weg zwischen Basel und Nürnberg und wurde bald als eine Art buchhändlerischer Kommissionsplatz genutzt. In den Geschäftsbriefen Kobergers taucht dabei jedoch viel weniger die Messe als die Stadt selbst als bedeutender Vermittlungsort auf. Alle Fracht- und Büchersendungen von Basel nach Nürnberg nahmen ihren Weg über Straßburg und Direktsendungen dorthin waren in der Regel für den Weitervertrieb nach Lyon oder Nürnberg gedacht. Zudem liefen hier-

selbrief im 15. Jahrhundert waren die Messen allgemein zum Zahltermin des europäischen Warenhandels geworden. Vgl. Brübach, Die Reichsmessen, S. 286. Daran lässt sich ebenfalls eine Orientierung des Buchhandels am allgemeinen Fernhandel ablesen. 233 Zitiert nach Hase, Die Koberger, S. 288f. 234 Zitiert nach Hase, Die Koberger, S. 289. 235 Zitiert nach Hase, Die Koberger, S. 290f.

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über Gelder vor allem für Basel von Nürnberg aus und das Anfang 1505 auch außerhalb der Messezeit.236 Als Messeplatz hatte Leipzig eine größere Bedeutung für den Wissensraum Buchhandel. Die Stadt war im 15. Jahrhundert bereits zu einem Hauptstapelplatz des europäischen Handels aufgestiegen und die Nürnberger Kaufleute hatten großen Anteil daran. Ihnen war seit 1467 per Privileg zugesichert, dass sie auch im Kriegsfall mit ihrer Stadt unbehelligt durch Sachsen zur Messe reisen durften.237 Ab 1466 bekam Leipzig außerdem mehrere kaiserliche Privilegien für ihre Märkte sowie das Stapel- und das Niederlagsrecht verliehen.238 Die Lage am Schnittpunkt zweier wichtiger Handelsrouten begünstigte schließlich ihre Entwicklung zum Handelszentrum. Hier kreuzten sich die Via Regia, von Frankfurt über Erfurt kommend und weiter nach Breslau und Polen laufend, und die Via Imperii, die von Venedig und Verona über den Brenner nach Innsbruck, Augsburg, Nürnberg und Leipzig führte und von dort aus weiter nach Wittenberg, Lübeck, Hamburg und Skandinavien.239 Neben anderen Buchhändlern war natürlich auch Koberger auf den Leipziger Messen vertreten. Für ihn war die Stadt ein wichtiger Ausgangspunkt für den Handel mit dem Osten und sein dortiger Vertreter, Peter Clement, war einer der ersten größeren Kommissionäre in Leipzig.240 Für Peter Drach war Leipzig sogar »der wichtigste Absatzmarkt«241. Das beweisen die in seinem Rechnungsbuch nachgewiesenen Lagerbestände vor Ort und die Abnahmen der Buchführer. Die Zahl seiner Bücher für Leipzig belief sich auf 11.035 Exemplare und stellt damit in der dokumentierten Zeit die große Mehrheit der nachweislich etwas über 17.000 abgesetzten Drucke. Zur Abrechnung mit seinen Buchführern befand sich Drach häufig in Leipzig. Bis zum Jahr 1491 reiste er öfter dorthin als nach Frankfurt. Neben der Abrechnungsabwicklung verkaufte er auf der Messe dann seine Drucke, erwarb andere Handelsgüter wie Tuch, Zinn oder Pferde und verlieh Geld; meist allerdings nur kleinere Beträge.242 Insgesamt nutzte Drach die Leipziger Messe zwar ebenfalls als Abrechnungstermin, aber vornehmlich zum Handel. Die Stadt sollte auch in späterer Zeit nie zu einem so bedeutenden Wechselplatz wie Frankfurt oder später Amsterdam werden. Sie blieb in erster Linie eine Messe für den Warenhandel.243

236 Vgl. Hase, Die Koberger, S. 307–309. 237 Vgl. Hase, Die Koberger, S. 310. 238 Vgl. Hasse, Geschichte der Leipziger Messen, S. 16. Das erste offizielle »Messeprivileg« für »dreyer Jarmerckht« in Leipzig, war eine Urkunde König Maximilian I. vom 20. Juli 1497. Vgl. Neuhaus, Die Begründung der Leipziger Messe, S. 53. 239 Vgl. John L. Flood: ›Omnium totius orbis emporiorum compendium‹. The Frankfurt fair in the early modern period. In: Fairs, Markets and the Itinerant Book Trade. Hrsg. von Robin Myers, Michael Harris und Giles Mandelbrote. New Castle: Oak Knoll Press 2007, S. 1–42, S. 4. 240 Vgl. Hase, Die Koberger, S. 311–313. 241 Mäkeler, Das Rechnungsbuch, S. 89f. 242 Vgl. Mäkeler, Das Rechnungsbuch, S. 86, 89f. und 97. 243 Vgl. Hasse, Geschichte der Leipziger Messen, S. 277.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels



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Leipzig hatte einige ihr untergeordnete Regionalmessen, die ihre Rechts- und Handelsgewohnheiten nachahmten. Dazu gehörten Naumburg, Frankfurt an der Oder, Breslau und die polnischen Messen in Posen und Lublin.244 Die Abhängigkeit der kleineren Messen und Märkte der umliegenden Orte im Einzugsgebiet der großen Messhandelsplätze und auch zwischen den großen Messen untereinander verdeutlicht die Tatsache, dass sich die Termine in der Regel nicht überschnitten. »So entstanden Messesysteme.«245 Am deutlichsten zeigte sich diese Vernetzung der Messen und auch der umliegenden Märkte in den Messekalendern, die sich seit Anfang des 16. Jahrhunderts immer mehr verbreiteten.246 Bereits seit dem Spätmittelalter hatten sich die Termine der großen Fernhandelsmessen im Großen und Ganzen aufeinander abgestimmt, sodass sie »einen europaweiten Zyklus bildeten.«247 Die zeitliche Abstimmung der Messetermine ermöglichte somit zusätzlich zu Leipzig

244 Um die Stellung Leipzigs gegenüber den regionalen Märkten zu stärken, verbot Maximilian I. am 20. Juli 1497 gleichzeitig mit seiner Bestätigung der drei Leipziger Märkte neue Jahrmärkte und Freiheiten in Magdeburg, Halberstadt, Meißen, Merseburg und Naumburg. Vgl. Hartmut Zwahr: Die Messe in ihrem Gestaltwandel. In: Leipzigs Messen 1497–1997. Gestaltwandel – Umbrüche – Neubeginn. Teilband 1: 1497–1914. Hrsg. von Hartmut Zwahr, Thomas Topfstedt und Günter Bentele. Köln [u. a.]: Böhlau 1999 (Geschichte und Politik in Sachsen; Bd. 9/1), S. 21–28, S. 21. So sollte gewährleistet werden, dass das Märkte- und Messesystem nicht durch neue Konkurrenzen durcheinandergeriet. 245 Brübach, Die Reichsmessen, S. 15. In Deutschland lagen die Termine der großen internationalen Messen vor oder nach Ostern und im September. Die regionalen Messen fanden nach Pfingsten und Anfang November statt, sodass beispielsweise die Nördlinger Pfingstmesse eine Art Nachmesse der Frankfurter Fastenmesse sein konnte, ähnlich wie die Naumburger Peter- und Paulsmesse für die Leipziger nach Ostern. Der europäische Messezyklus im 15. Jahrhundert verteilte sich über das Jahr folgendermaßen: Zu Anfang stand die Genfer Dreikönigsmesse und anschließend die Frankfurter Fastenmesse. Nach Ostern kam die Ostermesse in Bergen-op-Zoom und parallel dazu die Genfer Ostermesse und die Friedberger ab dem 1. Mai. Nach beiden folgte die Antwerpener Pfingstmesse, danach ab dem katholischen Fest Petri Kettenfeier wieder eine Messe in Genf. Ab dem 15. August begann die Frankfurter Herbstmesse mit leichter Überschneidung zu der ebenfalls ab dem 15. August startenden Bavomesse in Antwerpen. Danach überschnitten sich wieder ab dem 29. September die Friedberger Michaelismesse, die Genfer Allerheiligenmesse und der Koudemarkt in Bergen-opZoom. Vgl. Brübach, Die Reichsmessen, S. 109 und 118f. Spätestens seit dem 12. Jahrhundert scheinen regionale Messenetze entstanden zu sein, wie zum Beispiel das niederrheinische Messenetz, die sich durch die »Vermeidung von Terminüberschneidungen der einzelnen periodischen Märkte eines größeren Wirtschaftsraumes« auszeichneten. Rothmann, Die Frankfurter Messen im Mittelalter, S. 35. 246 Vgl. Rothmann, Die Frankfurter Messen im Mittelalter, S. 41. Der bekannteste Kalender solcher Art dürfte der in Jost Ammans Allegorie des Handels von 1577 sein. Er listet 171 periodische Märkte nach Terminen geordnet auf. Vgl. Rothmann, Die Frankfurter Messen im Mittelalter, S. 41. 247 Nils Brübach: Die Entstehung und die Frühzeit der Frankfurter Messen. Vom fränkischen Königshof zum »Kaufhaus der Deutschen«. In: Europäische Messen und Märktesysteme in Mittelalter und Neuzeit. Hrsg. von Peter Johanek und Heinz Stoob. Köln [u. a.]: Böhlau 1996 (Städteforschung, Reihe A: Darstellungen; Bd. 39), S. 143–170, S. 166.

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den Besuch der Messen in Frankfurt, hinter denen die kursächsische Stadt in Bezug auf den Wissensraum Buchhandel noch lange zurückstehen musste.248 Frankfurt bildete bereits gegen Ende des Mittelalters einen der wichtigsten europäischen Handelsplätze, unterstützt durch wertvolle kaiserliche Privilegien.249 Grund für diese Position Frankfurts war unter anderem ihre günstige Verkehrslage. Die freie Reichsstadt und Wahlstadt der deutschen Könige befand sich mehr oder weniger im Mittelpunkt des damaligen europäischen Haupthandelsgebiets und zwar ungefähr auf der Wegmitte zwischen Antwerpen und Nürnberg. Außerdem lag sie unmittelbar an der »im Mittelalter bedeutendsten Wasserstraße des Kontinents«250, dem Rhein, mit direkter Anbindung an den Süden über Köln und den Norden über Straßburg und Basel. Nach dem Niedergang der Messen in der Champagne übernahm Frankfurt die Rolle als Bindeglied zwischen den niederländischen Messeplätzen in Antwerpen und Bergen op Zoom und dem schweizerischen Genf.251 Aufgrund ihrer großen Bedeutung für den Handel aller Güter, kann im 15. Jahrhundert noch nicht von einer selbstständigen Buchhändlermesse in Frankfurt die Rede sein. Dennoch sind die Briefe Kobergers, die zwischen 1493 und 1509 einen überaus regelmäßigen Besuch ihrer Messen dokumentieren, eine grundlegende Quelle für den Nachweis der frühen Relevanz Frankfurts für den Wissensraum Buchhandel. Sie belegen, dass dieses Geschäft bald ein gefestigter Brauch war. Adolf Rusch setzte bereits zur Ostermesse 1481 das Kommen Amerbachs als obligatorisch voraus und für Koberger fungierte die Messe »als die Hauptgrundlage seines Verkehrs mit der Baseler Druckergesellschaft.«252 In seiner Korrespondenz mit den Baselern in den Jahren 1498 bis 1506 ist jede Frankfurter Messe erwähnt, die in diesem Zeitraum stattfand. Nur in der Kriegszeit von 1501 bis zum Frühjahr 1503 blieb Koberger ihnen, wie bereits erwähnt, fern. Zuweilen ließ er sich stattdessen von einem Diener – so viermal durch Hans Breuer – oder auch einmal durch Hans Koberger vertreten. Auffällig ist, dass es dabei kaum Erwähnungen von Büchersendungen nach Frankfurt gibt.253 Weit wichtiger war sie demnach wohl »als Ort der An-

248 Frankfurt besaß eine Anbindung an die wichtigen Büchermärkte in Lyon, Paris und Venedig, während Leipzig ein Bindeglied zum Handel mit Polen, Russland und Ungarn darstellte. Vgl. Niemeier, Funktionen der Frankfurter Buchmesse im Wandel, S. 13. 249 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 448. Ihre große Bedeutung als internationaler Messeplatz hatte Frankfurt vor allem mit den Warengruppen Wolle und Tuch erlangt. Vgl. Brübach, Die Reichsmessen, S. 14. 250 Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 448. 251 Vgl. Brübach, Die Reichsmessen, S. 14f. und 187. 252 Hase, Die Koberger, S. 319. Amerbach besuchte 1478 die Frankfurter Messe zusammen mit Michael Wenßler. Der bekannte Baseler Buchdrucker Wenßler hat dort interessanterweise auch in Bergwerksaktien spekuliert, ein deutliches Zeichen für die allgemeine Verquickung des Handels verschiedenster Waren auf den Messen. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 114. 253 Vgl. Hase, Die Koberger, S. 320f.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels 

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bahnung und des Abschlusses größerer Geschäfte, als Abrechnungsziel und Zahlstelle«254. Das zeigt sich auch in den wiederholten Aufforderungen Kobergers an seine Baseler Geschäftspartner, Messen, zu denen er selbst nicht erscheinen konnte, ebenfalls nicht zu besuchen. Als Begründung führte er an, dass er die ausstehenden Zahlungen nach Basel tätigen würde, was Frankfurts vorrangige Bedeutung als Zahlplatz unterstreicht: ich füge Euch zu wissen, dass es über die Messe sehr da stirbt, aber ich habe bestellt mit meinem Vetter, als Ihr vielleicht durch ihn vernommen habt, dass ich Euere Zahlung auf Basel schaffen will und nicht Not sein wird, dass Ihr Euch auf Frankfurt mühet, sondern zu Basel bleibt in Eurem Haus und das Werk mit Gottes Hilfe schier endet.255

Sowohl für Amerbach als auch für Johann Petri, den beiden Hauptgesellschaftern der Baseler Geschäftsgenossenschaft, sind mehrere Messbesuche und dortige Zusammentreffen mit Koberger durch Briefe nachgewiesen, wenngleich nie zur selben Zeit. Mehr als einer aus der Baseler Gesellschaft war wohl nie in Frankfurt anwesend; er stand jeweils stellvertretend für seine Partner.256 Zu den frühesten Buchhändlern auf der Frankfurter Messe neben Koberger zählt Johann Mentel aus Straßburg.257 Ebenso scheint Peter Schöffer sowohl seinen Handel als auch seine Geldgeschäfte über Frankfurt abgewickelt zu haben. Im Jahr 1485 forderte er einen Richter in Mainz mit Namen Gensfleisch auf, seine Schuld auf der nächsten Messe in Frankfurt zu begleichen. Da sein Hauptsitz in Mainz war, hätte Schöffer seine Forderung mühelos direkt vor Ort einziehen können, dennoch wählte er dazu die Messe in der benachbarten Reichsstadt.258 Für Peter Drach ist die Bedeutung Frankfurts nur indirekt nachzuweisen. Mit Hans Eicher hatte er einen Vertreter dort, Hendrik Mäkeler vermutet aber, dass Drach die Messe meist persönlich zusammen mit seinem Bruder oder seinem Sohn besuchte. Im Zusammenhang mit dem Buchführer Wilhelm Ruscher aus Nürnberg wird die Frankfurter Messe mehrfach als Zahlungstermin für seine Schulden bei Drach genannt. Zudem taucht die Reichsstadt als wichtigster Ausgangspunkt seiner Bücherlieferungen auf. Mehrfach verzeichnete der Speyerer »bucher, die vß Franckforter herbstmeß gein Lipß kumen«259. Drach kaufte auf der Frankfurter Messe Bücher, die später an seine Buchführer gingen. Umgekehrt ist nie die Rede von Büchersendungen aus Leipzig nach Frankfurt, was nach Mäkeler »in den 1480er Jahren für die Abhängigkeit der

254 Hase, Die Koberger, S. 322. 255 August 1502. Zitiert nach Hase, Die Koberger, S. 323. 256 Vgl. Hase, Die Koberger, S. 322–324. 257 Vgl. Monika Toeller: Die Buchmesse in Frankfurt a. Main vor 1560. Ihre kommunikative Bedeutung in der Frühdruckzeit. Masch. Diss. München: Ludwig-Maximilians-Universität 1983, S. 36. 258 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 74. 259 Zitiert nach Mäkeler, Das Rechnungsbuch, S. 88.

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Leipziger von der Frankfurter Messe [spricht], zumindest was den Buchhandel anbetraf.«260 Da die Leipziger Messetermine allerdings zeitlich immer direkt den Frankfurter Terminen nachfolgten, ist diese Wegrichtung auch naheliegender.261 Der Besuch der Messen war also bereits im 15. Jahrhundert für Großhändler wie Schöffer, Koberger und Drach unerlässlich und sie waren ein wichtiger persönlicher Begegnungsort für den buchhändlerischen Diskurs. »Alle großen Vereinbarungen zwischen Koberger und den Baselern wurden auf der Messe angeregt, verhandelt oder abgeschlossen«262, wie beispielsweise alle Absprachen über das große Verlagsprojekt zum Hugo. Seit 1479 ist entsprechend der regelmäßige Messebesuch der bedeutendsten Buchhändler Europas in Frankfurt nachweisbar.263 Die aus Basel stammenden Buchhändler Nikolaus Keßler und Johann Froben hatten eine ständige Herberge im Basler Hof am unteren Kornmarkt und neben Koberger, Amerbach und Drach sind auch alle anderen bedeutenden Druckerverleger der Inkunabelzeit wie Adolf Rusch, Martin Schott oder Johann Grüninger als regelmäßige Messebesucher dokumentiert.264 Im Jahr 1488 steuerten Buchdrucker und -händler nach dem städtischen Rechnungsbuch zur Fastenmesse mit 248 Hellern Haus- und 19 Hellern und 4 Schillingen Marktgeld knapp 8 Prozent der Gesamteinnahmen bei.265 Außerdem war die Frankfurter Messe für den Buchhandel genauso wie für den allgemeinen Warenhandel seit dem Spätmittelalter »die wichtigste Clearingstelle im deutschen Reich«266, was bedeutet, dass die Kaufleute dort alle das Jahr über aufgelaufenen Schulden und Forderungen gesammelt verrechneten. Am Beispiel der Messen zeigt sich die wichtige Rolle bestimmter Orte für den Wissensraum Buchhandel, denn durch ihre besonderen Bedingungen für den Handel übten sie Einfluss auf den Buchhandelsverkehr und bündelten die Geschäfte und den buchhändlerischen Diskurs durch persönliche Begegnungen an jeweils einem Platz. Der Transport Der Buchhandel funktionierte anfangs hauptsächlich als Wanderhandel von und zu den großen Handelszentren, Märkten und Messen. Dabei reisten nicht nur die Buchführer, um ihre Ware zum Kunden zu bringen, sondern auch die Abnehmer mussten sich je nach Wohnort zu den Hauptabsatzorten begeben. Andernfalls waren sie völ-

260 Mäkeler, Das Rechnungsbuch, S. 89. 261 Vgl. Mäkeler, Das Rechnungsbuch, S. 87–89. 262 Hase, Die Koberger, S. 327. 263 Vgl. Toeller, Die Buchmesse in Frankfurt a. Main vor 1560, S. 35. 264 Vgl. Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, S. 8. 265 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 453. Das Hausgeld wurde für den Verkauf von Messewaren in den Häusern erhoben. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 453. 266 Rothmann, Die Frankfurter Messen im Mittelalter, S. 197.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels

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lig auf den reisenden Buchführer und sein Angebot angewiesen. Der Transport der Bücher erfolgte in der Regel in Form ungebundener bedruckter Bogen, die in Fässer verpackt wurden. Der Buchführer Heinrich Kepner, der in einer Schuldnerliste zum Vertrieb der Schedelschen Weltchronik auftaucht, steht bildlich stellvertretend für seinen Berufsstand in den Hausbüchern der Nürnberger Zwölfbrüderstiftungen, während er ein solches Bücherfass befüllt (Vgl. Abb. 2). Fässer boten den Vorteil, dass sie gut abgedichtet werden konnten, sodass die Druckbogen im Inneren vor Schmutz und Feuchtigkeit geschützt waren. Außerdem konnten sie über eine schiefe Ebene vom Wagen herunter direkt ins Lager gerollt werden – eine große Erleichterung bei ihrem Gewicht. Die Fässer wurden mit Fuhrunternehmen und/oder Schiffen verschickt.267 Kapp schreibt den frühesten und bedeutendsten Druckstädten Mainz, Köln, Straßburg und Basel aufgrund ihrer Lage am Rhein zu, die übliche Verpackung in Fässern veranlasst zu haben.268

Abb. 2 Heinrich Kepner. In: Hausbücher der Nürnberger Zwölfbrüderstiftungen. Landauer I, 1543, Fol. 31v.

267 Vgl. Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 351 und 371. 268 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 300.

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Beim Transport ergaben sich allerdings zahlreiche Schwierigkeiten. Die Straßen des Reichs waren selbst nach europäischem Maßstab in äußerst schlechtem Zustand. Schwerer Boden und der typisch deutsche politische Partikularismus werden von Wolfgang Behringer als Hindernisse für den Straßenbau genannt.269 Der Landweg war entsprechend langwierig und mühsam. Unbefestigte Straßen und umgekippte Wagen erschwerten das Vorankommen und machten die Fuhren sehr langsam. Zudem drohte täglich Gefahr durch Räuberbanden und Wegelagerer.270 Drucke waren zwar weniger durch Raubzüge gefährdet als andere auf den ersten Blick wertvollere Waren oder Bargeld, dennoch wurden auch Büchertransporte angegriffen. Koberger berichtete am 9. Juli 1506 Amerbach von einem solchen Überfall, bei dem die Diebe auf der Suche nach Geld die Fässer öffneten. Sie ließen die Bücher zurück, diese wurden aber durch einen späteren Regenguss beschädigt und waren trotzdem verloren: ist mir kümerlich Da mit zw gestanden als der furman ist komen bey bimpfen do ist er gefangen worden vnd haben Den furman gefürt von der stroß mit sampt Dem wagen jn ein holcz Do haben sie Die faß auff gehawen vnd haben gelt gesucht jn den fassen vnd ist nachfolget regen wetter angefalle Sind Die 3 faß bucher woll halb Schadbar worden vnd erdruncken Das ist mein gewin Der gat also weg Jch muß paciencz haben.271

Die hohen Fuhrmannslöhne und die noch hinzukommenden Zölle der vielen kleinen Landesherrschaften trugen ebenfalls ihren Teil dazu bei, den Transport über Land zu erschweren.272 Der Wasserweg war etwas billiger und stromabwärts auch deutlich schneller. Stromaufwärts allerdings mussten die Schiffe getreidelt, das heißt von Menschen oder Zugtieren gezogen werden, und sehr strikte Stapelrechte

269 Vgl. Wolfgang Behringer: Im Zeichen des Merkur. Reichspost und Kommunikationsrevolution in der Frühen Neuzeit. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2003, S. 513f. Kunststraßen wurden in Deutschland erst nach dem Siebenjährigen Krieg im 18. Jahrhundert angelegt. Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 262. 270 Waren die Räuber identifizierbar, konnte ein Buchhändler wegen solcher Widrigkeiten auf Unterstützung durch seine Heimatstadt hoffen. Michael Wenßler wurde auf einer Geschäftsreise 1490 ins Elsass von einigen St. Gallenern aufgehalten und geschädigt. Basel forderte stellvertretend für ihn von St. Gallen Schadenersatz und entsandte seinen Staatsschreiber Nikolaus Rüsch persönlich, um die Forderung zu unterstreichen. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 115. 271 Zitiert nach Hase, Die Koberger, Anhang Nr. 97, S. CXIX. 272 Die Zollhoheit ging erst 1519 vollständig vom Reich an die Territorialherren über. Das führte zu einer ständigen Steigerung der Rheinzölle und einer »sprunghafte[n] Vermehrung der Zollstellen an Mittel- und Oberrhein«. Brübach, Die Reichsmessen, S. 246. Für die Strecke von Nürnberg nach Frankfurt brauchte man beispielsweise sechs Tage, durchquerte sechs verschiedene Territorien und musste viermal das Geleit wechseln. Vgl. Flood, ›Omnium totius orbis emporiorum compendium‹, S. 3. Über die Zollusancen ist bislang wenig bekannt, es war aber offenbar möglich, auf bestimmte Verlagswerke eine Zollvergünstigung zu erhalten, wie sie Koberger, Amerbach und Petri 1505 vom Basler Rat für ihren Hugo gewährt bekamen. Vgl. Grimm, Die Buchführer des deutschen Kulturbereichs, Sp. 1375.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels



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wie beispielsweise in Köln behinderten auch hier das Fortkommen. Die Probleme steigerten sich noch durch Kriege oder Seuchen und machten den Transport zu einer zentralen und schwierigen Aufgabe des Buchvertriebs.273 Durch Koberger und Drach kennen wir die Höhe der üblichen Frachtpreise und auch die ungefähre Dauer eines Transports. Die Fuhrlöhne wurden nach Gewicht berechnet, was bei den schweren Fässern jeweils eine beträchtliche Summe ergab. Peter Drach arbeitete häufig mit dem Fuhrmann Hagen aus Reutlingen zusammen, der die Bücher nach Tübingen zu dem Buchhändler Friedrich Meynberger brachte. Er bekam für einen Ballen und ein »feßlin« 1 Gulden und 21 Schilling als Fuhrlohn. Eine Truhe transportierte Hagen für 24 Schilling. Für die Strecke von Speyer nach Augsburg setzte Drach den Transport von 200 Pfund mit 1 Gulden an.274 Koberger wertete den Satz von 1 Gulden pro Zentner für eine Fahrt von Basel nach Frankfurt als billig. Den Frachtpreis von Basel nach Lyon verabredete er mit einem gewissen Heinrich Conrat 1506 auf eine Sonnenkrone, eine französische Goldmünze (Ecu d’or au soleil oder auch écu sol genannt), pro Zentner.275 Für den Transport von 300 Glossenwerken von Nürnberg nach Venedig und von dort noch einmal 50 Ballen Bücher aus Venedig nach Lyon musste Koberger im Ganzen die hohe Summe von 400 Gulden zahlen: »Mir ist wahrlich ob 400 fl. auf Fuhrlohn gegangen von hinaus auf Venedig und von Venedig nach Lyon.«276 Auch die Fahrtzeiten gab der Großunternehmer in seinen Briefen an: »5 Wochen muss er haben, ehe er von Basel auf Nürnberg fährt und wieder gen Basel kommt.«277 John Flood gibt als Durchschnittsgeschwindigkeit für einen schwer beladenen Wagen »five miles a day«278 an. Schlechte Witterungsverhältnisse verlängerten eine Fahrt häufig noch deutlich. Erschwerend kam hinzu, dass die Fuhrleute in der Regel erst bei voller Ladung abfuhren. Konnte ein Buchhändler einen Fuhrwagen mit seinen Waren nicht auslasten, kam es dadurch ebenfalls zu Verzögerungen.279 Für Koberger war der Transport der Bücher daher ein wichtiges Thema und auch ein beständiger Grund zur Sorge. Er beschwerte sich des Öfteren in seinen Briefen an Amerbach, dass die Fässer aus schlechtem Holz gefertigt und dadurch beschädigt bei ihm eingetroffen seien. Auch Feuchtigkeit – der »spezielle[n] Feind«280 der Buchhändler – setzte der Verpackung der empfindlichen Papierbogen zu, denn der üblicherweise verwendete Planwagen schützte die Ladung oft nicht

273 Vgl. Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 371. 274 Vgl. Mäkeler, Das Rechnungsbuch, S. 106f. 275 Vgl. Hase, Die Koberger, S. 360. 276 Zitiert nach Hase, Die Koberger, S. 360. 277 Zitiert nach Hase, Die Koberger, S. 361. 278 Flood, ›Omnium totius orbis emporiorum compendium‹, S. 3. 279 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 347. 280 Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 371.

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ausreichend vor Regen und Nässe.281 Neben der Beschwerde über zu dünnes Holz finden sich demzufolge auch einige Klagen Kobergers über Fässer, die feucht geworden waren. Trocknete das Holz wiederum zu sehr aus, so bestand die Gefahr, dass sich Risse bildeten.282 Zuletzt konnte auch der unsachgemäße Umgang mit den Fässer den Inhalt in Mitleidenschaft ziehen. Johannes Reuchlin verteidigte sich in einem Brief an Amerbach vom 31. August 1512, dass der ihm vorgeworfene Schaden an einer Bücherlieferung nicht seine Schuld gewesen sei, mit folgender Erklärung: darzů würd jch glouplich durch die üweren bericht, das kain annder mangel oder defect da sy gewesen dann allain alls man die bücher hab yngeschlagen, da syen ettlich ysen negel jnn die fasß geschlagen zů behefftung der raiff, die syend durch das fasß ganngen. Das mag alls wol zů Straßburg geschenhen sin alls zů Pfortzheim, vnnd alls man die bücher hab wöllen herußnemmen, da hab man die bletter ains tails ann den negel zerzert vnnd zerrissen. Ist abermals min schulld nit; das mögen jr wol ermessen.283

Die Helfer, die Nägel in die Fässer geschlagen hatten, um die eisernen Reifen außen zu befestigen, hatten offensichtlich nicht mitgedacht und zu lange Nägel verwendet, die im Inneren herausstanden. Beim Entladen blieben die Papiere daran hängen und rissen. Peter Drach nutzte zum Versand neben Fässern auch Kästen, Laden, Päckchen oder eine Truhe.284 Koberger versuchte ebenfalls die Probleme der Fasstransporte zu umgehen, indem er verlangte, dass kleinere Fässer benutzt würden, oder indem er 1504 versuchsweise auf den Transport in Form von Ballen umstieg, die übliche Transportart für unbedruckte Papierbogen. Das teure Leder, das für das schützende Einschlagen der Ballen notwendig war, musste er aus eigener Tasche bezahlen, aber seine Geschäftspartner in Basel kamen mit dieser Verpackungsart nicht zurecht. War das Wetter zu schlecht, verzichtete Koberger auf das Verladen der Fässer.285 Auch durch die Auswahl zuverlässiger Fuhrleute, auf deren Ladekapazitäten er sogar die Exemplarzahlen der zu versendenden Titel abstimmte, versuchte Koberger das Transportrisiko weiter zu mindern.286

281 Vgl. Hase, Die Koberger, S. 361. 282 Vgl. Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 371. 283 Die Amerbachkorrespondenz. Im Auftrag der Kommission für die Öffentliche Bibliothek der Universität Basel bearb. u. hrsg. von Alfred Hartmann. Bd. I. Basel: Univ.-Bibliothek 1942–1974, Nr. 469, S. 439. 284 Vgl. Mäkeler, Das Rechnungsbuch, S. 106. Für kleinere Büchermengen nutzte Drach in der Regel seine Diener oder Außenstehende wie im Fall einer Lade mit 70 Büchern für den Prior von Hirsau 1496. Diese Lade nahmen drei Mitbrüder des Priors auf ihrem Wagen mit, wofür sie Drach 1 ¼ Gulden berechneten. Vgl. Mäkeler, Rechnungsbuch, S. 107. 285 Vgl. Hase, Die Koberger, S. 362f. Neben dem seltenen Versand in Form von Ballen kamen auch bei ihm gelegentlich Kisten für den Buchtransport zum Einsatz. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 301. 286 Vgl. Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 371.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels

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Aus diesem Grund sind auch einige seiner Fuhrleute namentlich bekannt. Ihre Sitze hatten sie an den Knotenpunkten der Handelsstraßen, in Straßburg, wahrscheinlich in Durlach und in Basel. Ihre Aufträge erhielten sie allerdings immer von Koberger selbst, nicht von seinen Schweizer Geschäftsfreunden. Der in Basel ansässige Fuhrmann war Peter Streublein. Er verkehrte ständig zwischen Lyon und Nürnberg und brachte wohl auch größere Fuhren verschiedener Güter gesammelt von den Frankfurter zu den Lyoner Messen.287 Hans von Dorlach war ein weiterer Fuhrmann, der für Kobergers Unternehmen tätig war. An seinem Beispiel lässt sich die Größe eines solchen Fuhrwagenunternehmens einem Schreiben Kobergers vom 5. Oktober 1498 an Amerbach entnehmen, das den Überbringer empfehlen sollte: Ich schicke zu Euch Zeiger dieses Briefes mit Namen Hans von Dorlach, mit dem ich auch überkommen; dem wollet auch laden soviel als er laden mag 100 Centner oder soviel er laden mag; er sagt mir, er habe vier oder fünf Wagen, wollet ihm laden, was er führen mag; auch so schreibe ich Meister Hansen hiermit, dass er sein Werk auch einmache in gute Fässer und diesem Fuhrmann auflade; und ob Meister Hans mit seinem Werke nicht gerecht wäre, so wollet ihm laden das ersten Teil im Hugo; versehe mich, es sei gerecht, damit dass dieser Fuhrmann ganze Ladung habe; er meint, er wolle wohl 200 Centner führen oder mehr.288

Ein etwas kleinerer Fuhrmann war Clas Wernlein in Straßburg. In seinen Briefen berichtete Koberger, dieser Fuhrmann führe drei Wagen und könne 100 Zentner transportieren. Auch Wernlein bediente die Lyoner Messen und nach ihm wurde ab etwa 1500 Stephan Clim als einziger Straßburger Fuhrmann verpflichtet. Clim übermittelte wahrscheinlich verteilt auf mehrere Ladungen die gesamte Auflage des Hugo nach Nürnberg. Die Tatsache, dass Kobergers Fuhrleute namentlich bekannt sind, meist mehrfach beauftragt wurden und teilweise auch Handschriften- und Goldsendungen übermitteln durften, weist sie als Vertrauensmänner aus und zeigt das Bemühen des Buchhändlers um zuverlässige Mitarbeiter. Um weiterhin ihr Geschäft machen zu können, waren auch die Fuhrleute darauf bedacht, sich ihre Position zu erhalten. Clim beispielsweise erkundigte sich in unsicheren Zeiten, wenn der Nürnberger auf den Transport verzichten wollte, besorgt, ob der Auftrag einem anderen übergeben werde. Unter den Fuhrleuten herrschte offenbar große Konkurrenz um solche Großaufträge, wie sie von Koberger zu erwarten waren.289 Die häufigen und regelmäßigen Nachfragen Kobergers bei Amerbach nach dem Zustand und der Vollständigkeit seiner Warensendungen belegen, dass der Transport trotz aller Vorsichtsmaßnahmen ein Glücksspiel blieb.290 Probleme verursachte zuweilen auch der gebündelte Transport verschiedener Güter, wodurch die Buchfässer an Verkehrsknotenpunkten oft eine längere Zeit liegen blieben. Vor allem in

287 288 289 290

Vgl. Hase, Die Koberger, S. 355f. Zitiert nach Hase, Die Koberger, S. 356. Vgl. Hase, Die Koberger, S. 357–359. Vgl. Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 371.

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Straßburg geschah dies häufiger, beispielsweise in den Jahren 1499 und 1501. In einem solchen Fall wurden die Fässer wahrscheinlich in öffentlichen Niederlagen untergebracht, wie es Hans Koberger über eine Frachtsendung Heinrich Conrats nach Lyon im Mai 1506 berichtete. Um bei der Beförderung mehrerer Gegenstände diese auseinanderhalten zu können, wurden sie mit der Hausmarke des Absenders und einer Frachtnummer versehen. Zudem wurde fast immer ein Begleitbrief oder Zettel mitgeliefert, der die Inhalte der Fässer auflistete.291 Bei Drach zeigen sich insgesamt deutlich weniger Transportprobleme als bei Koberger – aus dem Rechnungsbuch sind nur zwei Fälle überliefert, bei denen die Fässer irrtümlich an eine falsche Adresse geschickt worden waren.292 Möglicherweise war aber das Rechnungsbuch auch nicht der Ort für die Dokumentation solcher Schwierigkeiten, wie sie Koberger in seinen Briefen erläuterte. Die Fuhrleute und andere für den Transport von Büchern beauftragte Personen sind jedenfalls ein Beispiel für Aktanten, die außerhalb des Wissensraums Buchhandel standen, durch ihre Arbeit aber einen wertvollen Beitrag zu seinem Funktionieren beitrugen. Der Austausch mit ihnen war wichtig und der Versuch, die vorgestellten Transportprobleme zu meistern, ein beständiges Thema im buchhändlerischen Diskurs. Das Geleitwesen Das Geleit hängt eng mit dem Buchtransport zusammen und bezeichnet ganz allgemein den Schutz von Reisenden. Für die großen Messen im Reich war das Geleit überlebenswichtig, denn nur dadurch konnten die Besucher auf ihrem Weg zu ihnen geschützt werden. In einer Zeit, in der innerer Friede nicht die Regel und die Fehde als Form der kanalisierten Selbstjustiz ein legales Mittel der Konfliktbewältigung war, schufen das Geleit und vor allem das regelmäßige und organisierte Messegeleit befristete befriedete Ruhezonen, die mehr Straßensicherheit boten, als sonst üblich.293

Die Gewährleistung der Sicherheit auf den Straßen lag ursprünglich in Händen des Königs, doch bereits im 13. Jahrhundert wurde den Fürsten die Hoheit über das Geleit in ihren Gebieten zugesprochen.294 Bedeutend für das Geleitwesen war der sogenannte Ewige Landfrieden, der auf dem Wormser Reichstag am 7. August 1495 er-

291 Vgl. Hase, Die Koberger, S. 359 und 364f. 292 Mäkeler wies für Drach nach, dass seine Bücher an ihrem Zielort oft in Wirtshäusern gelagert wurden. Vgl. Mäkeler, Das Rechnungsbuch, S. 107. 293 Rothmann, Die Frankfurter Messen im Mittelalter, S. 82. 294 Vgl. Rothmann, Die Frankfurter Messen im Mittelalter, S. 82f. Formal deckten sich allerdings die Landesgrenzen häufig nicht mit den Geleitsgrenzen, was zu Auseinandersetzungen zwischen den jeweiligen Schutztruppen führen konnte. Vgl. Rothmann, Die Frankfurter Messen im Mittelalter, S. 82.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels 

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klärt wurde. Damit ging das »staatliche« Gewaltmonopol gemeinsam an den Römischen König bzw. Kaiser und die Reichsstände und die Geleitpflicht wurde hervorgehoben. Darauf nahm am 23. Juni 1507 ein Leipziger Messprivileg Bezug, indem es darin heißt, dass alle vnd yegklich kaufflewt, kauffer, verkauffer vnd annder Personen, aus was kunigreichen, furstentumbenn, Lannden, Stetten vnd Dorffern oder war wirden, stats oder wesens die sein, die Zeit, so Sy die obbestimbten [drei Leipziger] Jarmerckht oder Niderlag besuchen mit Iren Haben vnd Guettern, Im Zu vnd ab Ziehen, vnnser vnd vnnser nachkomen am Reiche, Romisch kayser vnd kunig vnd des heiligen Reichs frey, strackhs Sicherhait vnd gelait haben sollen

und dass auch die Strassen durch alle Lannd vnnsers Romischen Reiches Zu vnd von angezaigter Mergkhten vnd Niderlag durch keinerlay Sach, wie sie sich begeben mocht, nicht versperrt, Desgleichen die Ware vnd Gutter, so zu vnd von bestimbten Mergkhten vnd Niderlag gefuert oder getriben wirdt, nicht sollen aufgehallten, verhindert oder Rechtlich Arestirt werden.

Handelte einer gegen diese Bestimmung, so sollte er »mit der tatt in vnnser vnd des heiligen Reichs Acht vnd aberacht vnd annder Penen, Straffen vnd Puessen, in gemainer vnnserm Lanndtfriden begriffen, geuallen sein.«295 Es gab verschiedene Geleitformen für unterschiedliche Personengruppen, etwa freies Geleit für Gesandte und Unterhändler, besonderer Schutz von Pilgern und Minderheiten, das Ehrengeleit für Fürsten und fremde militärische Truppen oder das Malefikantengeleit für verurteilte Straftäter. Das wichtigste und in dem hier behandelten Zusammenhang relevante Geleit war das Kaufmannsgeleit und im Besonderen das Messegeleit.296 Darin stand der Schutz der transportierten Güter im Vordergrund zusammen mit dem Versuch, die Waren unbeschadet zur richtigen, nämlich eigenen Zollstelle zu führen, denn erst dort lohnte sich das Geleit für den Fürsten finanziell. Das Geleitgeld selbst deckte in der Regel nur die Unkosten. Der Geleitsherr, der das Geleit gewährte, haftete für eventuelle Schäden innerhalb seines Territoriums. Allerdings konnten die Kaufleute in manchen Fällen wie einer

295 Zitiert nach Die Privilegien der Leipziger Reichsmessen. Hrsg. im Auftrage des Oberbürgermeisters der Reichsmessestadt Leipzig. Bearb. von Ernst Müller. Leipzig: [s. n.] 1941, S. 32f. Verstöße gegen das Geleit wurden als Landfriedensbruch gewertet und wurden vom Reichskammergericht geahndet. Vgl. Neuhaus, Die Begründung der Leipziger Messe, S. 58. 296 Ein Beispiel für das Kaufmannsgeleit liefern die Buchhändler Wenßler, Wiler und von Kirchen aus Basel. Zur allgemeinen Absicherung und um ihren ungehinderten Verkauf zu sichern, erklärten sie vor ihrer Abreise offiziell vor dem Rat der Stadt auf ihren Bürgereid, dass sie die alleinigen Eigentümer der mit ihrer Geschäftsmarke (Anker mit Kreuz) versehenen Fässer und deren Inhalt seien. Der Rat stellte seinen Bürgern daraufhin einen offenen Geleitbrief aus, der seinen Trägern und ihrer Ware eine allgemeine Empfehlung aussprach. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 114f.

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Adelsfehde oder auch bei einem Überfall ihre Ansprüche nur schwer durchsetzen, da man den zuständigen Fürsten durch hohe Forderungen nicht verstimmen wollte.297 Das Geleitwesen in Frankfurt war seit Ende des 14. Jahrhunderts durch Absprachen des Rats mit den umliegenden Territorien geregelt. Es entwickelte sich am Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit von einem »lebenden« Geleit, bei dem die Reisenden bewaffneten Schutz genossen, über das »tote« Geleit, das lediglich aus Geleitbriefen bestand, hin zu einer allgemeinen Straßenbenutzungsgebühr. Dieser Fortschritt im Geleitwesen lag darin begründet, dass nach dem Wormser Reichslandfrieden von 1495 die Straßen sicherer geworden waren.298 Um die Entrichtung der Gebühr nachzuweisen, etablierte sich die Praxis, das Geleit einzelnen Fuhr- und Kaufleuten mit Geleitzetteln zu gewähren. Diese Zettel waren keine Geleitbriefe, sondern tatsächlich nur die kurze schriftliche Bestätigung der geleisteten Abgabe. Sie wurden schon Anfang des 16. Jahrhunderts als Massenartikel im Druck vervielfältigt. Neben dem eingeprägten Stadt- oder Landeswappen wurden auf ihnen die Menge der Frachtstücke und Pferde vermerkt. Die Höhe der Geleitgebühr richtete sich nach dieser Anzahl sowie der Art der transportierten Waren. Oft war kaum noch eine Trennung zwischen den Zöllen und dem eigentlichen Geleitgeld auszumachen.299 Wichtige Geleitstraßen führten von zentralen Sammelorten nach Frankfurt. Sie starteten auf dem Landweg von Nürnberg, Augsburg/Ulm, Basel/Straßburg, Köln, Königstein, Leipzig/Erfurt und Lübeck/Hamburg und führten auf dem Wasserweg über Main und Rhein.300 Ein sogenannter Geleitzug versammelte mehrere große Händler auf dem Weg zur Messe, die mit vorab bezahlten Geleitbriefen den Schutz der verschiedenen Territorialherren genossen. Teilnehmen konnten die Händler in so einem geschützten Geleitzug durch Entrichtung eines weiteren Entgeldes; für den Nürnberger Zug als »Freßgeld« bezeichnet. Wie wichtig der reibungslose Ablauf solcher Geleitzüge war, verdeutlicht die Tatsache, dass Nürnberg seit den 20er Jahren des 15. Jahrhunderts ein eigens damit beauftragtes Ratsmitglied beschäftigte, das die Geleitbriefe von den jeweiligen Landesherren einholte, bezahlte sowie über Beginn, Dauer und Zahl der mitfahrenden Wagen entschied. Darüber hinaus begleitete es den Zug persönlich.301

297 Vgl. Rothmann, Die Frankfurter Messen im Mittelalter, S. 82f. 298 Die Zahl der Überfälle, die im 14. und 15. Jahrhundert noch häufig auf den Straßen drohten, ging merklich zurück und wurde nach Brübach sogar »zu einem selteneren Phänomen«. Brübach, Die Reichsmessen, S. 372. 299 Vgl. Brübach, Die Reichsmessen, S. 367–373 und 382. 300 Vgl. Brübach, Die Reichsmessen, S. 376f. 301 Vgl. Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 368. Dank ihrer Regelmäßigkeit wurden die Messgeleite systematisch organisiert. Vgl. Rothmann, Die Frankfurter Messen im Mittelalter, S. 83.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels

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Es war zwar Teil des Messeprivilegs, das Geleit zu sichern, doch die Durchführung war eine Angelegenheit der Städte. Seit Mitte des 15. Jahrhunderts ersuchten bestimmte Städte gesammelt um Geleit für ihre Kaufleute. Auf diese Weise bündelten sie den Messverkehr und es entstand eine Art Schutzsystem.302 Regelmäßige Geleitgesuche stellten vom 16. bis 18. Jahrhundert die Städte Köln, Straßburg, Basel, Ulm, Augsburg, Nürnberg, Speyer, Leipzig und Braunschweig.303 Sie schickten dabei zwei bis fünf Wochen vor Messebeginn ihre Boten zu den Kanzleien der jeweiligen Geleitsherren, damit sie das Gesuch und die Gebühren übergaben und dafür den Geleitbrief für die Hin- und Rückfahrt entgegennahmen.304 Fiel das Geleit aus bestimmten Gründen aus, hatte das deutliche Konsequenzen für die Händler. Koberger beklagte sich 1504 bei Amerbach über die schlechten Zeiten und schrieb dabei: So sind die Kriegslewfft seit der Zeit noch heftiger worden, also daß ich mich versieh, daß ganz keine Messe zu Frankfurt werd und sonderlich niemand von hier aus dieser Stadt Nürnberg dahinkommen wird. Denn die Fürsten wollen nicht geleiten und ist ein jämmerlich Wesen in diesen Landen.305

Da in den vorherrschenden Kriegszeiten die Fürsten kein Geleit durch ihre Länder gewähren wollten, sah sich Koberger außer Stande, die anstehende Frankfurter Messe zu besuchen. Gelegentlich kam es auch vor, dass zum Beispiel Frankfurt einigen Städten das Geleit verweigerte. Davon waren vor allem überschuldete und dadurch von der Reichsacht bedrohte Städte wie Mainz, Wetzlar, Butzbach, Friedberg oder Fulda betroffen, denn in solchen Fällen sah sich Frankfurt nicht dazu in der Lage, die Bürger und ihre Waren vor ihren Gläubigern zu schützen. Dies blieb jedoch die Ausnahme, da in der Regel das Geleit problemlos zugesichert wurde, was, wie bereits erwähnt, eine wichtige Voraussetzung für den Messehandel war.306 Wichtige Handelszentren Ein zeitgenössischer Spruch stellt fünf Städte besonders in den Mittelpunkt: Hätt’ ich Venedigs Macht, Augsburger Pracht, Nürnberger Witz, Straßburger Geschütz Und Ulmer Geld, So wär’ ich der Reichste von der Welt.307

302 303 304 305 306

Vgl. Toeller, Die Buchmesse in Frankfurt a. Main vor 1560, S. 22. Vgl. Brübach, Die Reichsmessen, S. 384. Vgl. Rothmann, Die Frankfurter Messen im Mittelalter, S. 86. Zitiert nach Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 356. Vgl. Rothmann, Die Frankfurter Messen im Mittelalter, S. 84.

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An erster Stelle steht die große Seemacht Venedig. Danach folgen nur noch deutsche Städte. Jede von ihnen hat dabei eine hervorstechende Eigenschaft in dieser Aufzählung. Nach »Venedigs Macht« und der Augsburger Wirtschaftsstärke stehen die Gelehrsamkeit Nürnbergs, die Kriegskunst Straßburgs und der Reichtum Ulms. Alle fünf Städte waren außerdem bedeutende Buchhandelsplätze.308 Besonders wichtig für den Buchtransport war der Rhein als zentraler Handelsweg. Der Schwerpunkt des Buchhandels lag bis ins 16. Jahrhundert demnach in den oberdeutschen und rheinischen Gebieten, während der Norden Deutschlands in dieser Zeit keine überragende Handelstätigkeit mit Büchern aufweisen kann. Eine Ausnahme bildet Lübeck, das vor allem in die nordischen Länder exportierte. Sachsen konzentrierte sich bis zur Reformationszeit auf den regionalen Markt der Kleindrucke. Die größte Bedeutung im 15. Jahrhundert haben dagegen die drei rheinischen Zentren, Köln, Straßburg und Basel, sowie Augsburg und Nürnberg. Von Köln aus erfolgte der Handel mit den Niederlanden und England, während über Straßburg und Basel der Handel mit Frankreich, Spanien und dem südlichen Mitteleuropa abgewickelt wurde. Nürnberg handelte mit dem Osten und war ebenso wie Augsburg wichtig für den Handel mit Ober- und Mittelitalien.309 »Die bedeutenden europäischen Druckorte der Inkunabelzeit sind meist zugleich bevölkerungsreiche, finanzkräftige und kulturell bedeutende Handelsstädte«310, denn die Einrichtung einer Produktionsstätte lohnte sich vor allem dort, wo die Erzeugnisse auch erfolgreich verkauft werden konnten.311 Die wichtigsten Handelsstädte waren zwar nicht immer deckungsgleich mit den bedeutendsten Druckstätten, wie das Beispiel Frankfurt zeigt, wo sich der Buchdruck erst im Laufe des 16. Jahrhunderts ansiedelte. Trotzdem gelten die von Rautenberg genannten Kriterien mehrheitlich auch für die Buchhandelszentren. Ähnlich wie die Messen, die häufig in engem Zusammenhang dazu stehen, entwickelten sich diese Städte zu zentra-

307 Zitiert nach Wolfgang Frühwald: Die Freude am Leben. Zur Kulturgeschichte Augsburgs in der Frühen Neuzeit. In: Augsburg in der Frühen Neuzeit. Beiträge zu einem Forschungsprogramm. Hrsg. von Jochen Brüning und Friedrich Niewöhner. Berlin: Akademie Verlag 1995 (Colloquia Augustana; Bd. 1), S. 23–36, S. 24. 308 In den genannten Städten war der Buchhandel ein wichtiger Teil der jeweiligen Wirtschaftsleistung, es ist aber zu beachten, dass er nicht überall an der Spitze stand. Der Fernhandel Nürnbergs beispielsweise wurde vom Metallgewerbe dominiert. Vgl. Grimm, Die Buchführer des deutschen Kulturbereichs, Sp. 1239. 309 Vgl. Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 360. 310 Ursula Rautenberg: Von Mainz in die Welt: Buchdruck und Buchhandel in der Inkunabelzeit. In: Gutenberg. aventur und kunst. Vom Geheimunternehmen zur ersten Medienrevolution. Katalog zur Ausstellung der Stadt Mainz anlässlich des 600. Geburtstages von Johannes Gutenberg. 14. April–3. Oktober 2000. Hrsg. von der Stadt Mainz. Mainz: Hermann Schmidt 2000, S. 236– 247, S. 240. 311 Größere Städte hatten durch ihren Verwaltungsapparat meist einen hohen Bedarf an Drucksachen. Vgl. Giesecke, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit, S. 89.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels



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len Knotenpunkten des Buchhandelssystems. Als Orte, an denen sich die wichtigsten Großbuchhändler ansiedelten oder an denen sie Bücherlager einrichteten, spielen sie ebenso eine wichtige Rolle im Wissensraum Buchhandel. Einige wenige Unterschiede zu den Druckzentren sind dennoch festzustellen, da die Buchhandelsorte von Anfang an deutlich zahlreicher waren als die Druckorte. Grimm stellt zusammenfassend fest, dass ihre Zahl etwa doppelt so hoch lag und außerdem waren sie »weit weniger konzentriert als die Druckorte, was durchaus dem distribuierenden Wesen des Buchhandels entsprach.«312 Da die Wahl der Niederlassungsorte für den Buchhandel unter anderen Überlegungen geschah als für den Buchdruck, entschied er sich anders als letzterer, der in erster Linie Handelsstädte bevorzugte, früh auch für Bischofs- und Universitätsstädte und damit die örtliche Nähe zu den Kunden.313 Darüber hinaus waren Orte, die zwar keine großen Handelsstädte waren, dafür jedoch an Geleitsstraßen lagen, für den Buchhandel attraktiv.314 Allen wichtigen Zentren des Buchdrucks und -handels war jedenfalls eine verkehrsgünstige Lage gemeinsam. Daneben gab es weitere Standortvorteile, wie etwa ein Stapelplatz, eine Papiermühle, eine Universität oder eine Messe.315 Ähnliche Aspekte kamen bereits für die Messestädte zur Sprache. Im 15. Jahrhundert lag der Schwerpunkt des Buchgewerbes in Deutschland so deutlich im Süden, dass sich vor den 1480er Jahren kaum ein ansässiger österreichischer Buchhandel etablieren konnte.316 Unter diesen südlichen deutschen Städten ragte im 15. Jahrhundert eine besonders hervor. Die Stadt Nürnberg »ist von den ersten und bedeutungsvollsten Pflanzstätten der Buchdruckerkunst und des Buchhandels eine der wichtigsten und für deren Entwickelung von epochemachendem Einfluß.«317 Aus diesem Grund wurde sie von der Forschung viel beachtet und das nicht zuletzt wegen ihres bekanntesten Buchhändlers Anton Koberger, dem hier bereits eine ausführliche Darstellung gewidmet wurde. Michael Diefenbacher legte mit der Quellensammlung Das Nürnberger Buchgewerbe dafür ein hilfreiches und ergie-

312 Grimm, Die Buchführer des deutschen Kulturbereichs, Sp. 1754. 313 Damit erklärt sich auch die häufige Niederlassung von Buchhändlern in kleinen Bergstädten, etwa in Schlesien, Eisleben, Corbach oder Tirol, da die dort ansässigen Bergknappen dankbare Bücherabnehmer waren. Vgl. Grimm, Die Buchführer des deutschen Kulturbereichs, Sp. 1755. 314 Vgl. Grimm, Die Buchführer des deutschen Kulturbereichs, Sp. 1755. 315 Basel etwa lag am Rhein, hatte einen Stapelplatz, seit 1433 eine Papiermühle und seit 1460 eine eigene Universität. Im Jahr 1471 erhielt die Stadt vom Kaiser das Recht, jährlich zwei Messen abzuhalten. Darüber hinaus besaß Basel gute Verbindungen zu den Messen in Lyon und Frankfurt. Vgl. Urs B. Leu: The Book and Reading Culture in Basel and Zurich during the Sixteenth Century. In: The Book Triumphant. Print in Transition in the Sixteenth and Seventeenth Century. Hrsg. von Malcolm Walsby und Graeme Kemp-Leiden. Boston: Brill 2011 (Library of the Written Word; Vol. 15/The Handpress World; Vol. 9), S. 295–319, S. 297. 316 Vgl. Grimm, Die Buchführer des deutschen Kulturbereichs, Sp. 1732. 317 Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 138.

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biges Hilfsmittel zu ihrer weiteren Erforschung vor.318 Ebenfalls dank der guten Quellenlage gründlich erforscht ist die Stadt Augsburg, auf die im folgenden Kapitel näher eingegangen wird. Hans Herlin: Ein Zwischenhändler in Freiburg Wie positiv eine günstige Verkehrslage für den Buchhandel war, wurde bereits aufgezeigt. Wie negativ sich im Umkehrschluss ein schlechter Standort auf die Literaturversorgung einer Stadt auswirken konnte, zeigt das Beispiel der Stadt Freiburg, die trotz einer Universität in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts an einer chronischen Unterversorgung mit Büchern litt. Durch Freiburg führte nur eine einzige Handelsstraße, die zudem einen desolaten Ruf als »schlimmste Strecke des rechtsrheinischen Gesamtweges«319 hatte. Das führte sogar so weit, dass Buchführer aus Basel es gänzlich vermieden, die schwer erreichbare Stadt zu besuchen. Stattdessen gaben sie für Freiburg bestimmte Pakete mit Büchern im Pfarrhaus des nahegelegenen Ortes Kirchhofen gab und überließen dem Pfarrer die Organisation des Weitertransports. Noch in den 1470er und 1480er Jahren war die einzige Möglichkeit zum Buchkauf vor Ort der Wanderbuchhandel von Straßburg aus, denn der Buchdruck und mit ihm der Fernhandel siedelten sich erst um 1490 in Freiburg an.320 Vera Sack widmete einigen interessanten Dokumenten über den Vertrag eines Zwischenbuchhändlers mit der Freiburger Artistenfakultät einen Artikel, der allgemeine Einblicke in die Geschäftsusancen im lokalen deutschen Buchhandel liefert. Es handelt sich dabei um zwei Kurzprotokolle zu Sitzungen des Fakultätsrates vom 5. und 8. November 1493 über »die schriftliche Fixierung von Bedingungen eines mündlich ausgehandelten Kaufvertrags zwischen einem Zwischenbuchhändler und einem Endverkäufer.«321 Der beteiligte Buchführer Hans Herlin war zwar Freiburger Bürger, aber offenbar nicht gewillt, vor Ort einen Buchladen einzurichten. Stattdessen gewährte er, wie die Protokolle festhielten, der Universität die gleichen Konditionen, die er dem Tübinger Buchhändler Friedrich Meynberger zugestand. Wollte sie Bücher bei Herlin kaufen, musste die Artistenfakultät den Part eines gewerbsmäßigen Händlers einnehmen und sich des buchhändlerischen Geschäftsverkehrs be-

318 Vgl. Das Nürnberger Buchgewerbe. Buch- und Zeitungsdrucker, Verleger und Druckhändler vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Hrsg. von Michael Diefenbacher und Wiltrud Fischer-Pache. Bearb. von Manfred H. Grieb. Aus Archiven zus.gestellt von Lore Sporhan-Krempel und Theodor Wohnhaas. Nürnberg: Selbstverlag des Stadtarchivs Nürnberg 2003 (Quellen und Forschungen zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg; Bd. 31). 319 Vera Sack: Der Vertrag eines Freiburger Zwischenbuchhändlers mit der Universität. In: AGB 27 (1986), S. 163–169, S. 164. 320 Vgl. Sack, Der Vertrag eines Freiburger Zwischenbuchhändlers, S. 164. 321 Sack, Der Vertrag eines Freiburger Zwischenbuchhändlers, S. 166.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels 

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dienen, obwohl ihre Interessen anders gelagert waren, da sie keinen Gewinn daraus erzielen wollte.322 Herlin verlangte von seinen Kunden – die alle gleichzeitig Wieder- und Endverkäufer waren – und so auch von der Freiburger Universität, eine Handelsspanne von einem halben Gulden einzuhalten und einem Mindestverkaufspreis für die Zeit einer festgelegten Schutzfrist zuzustimmen. Die Geschäftstermine orientierten sich an der Frankfurter Herbstmesse, wo sich Herlin wohl mit der nötigen Ware eindeckte. Durch den Vertrag war die Universität gezwungen, sich mit buchhändlerischen Aufgaben wie dem Verkauf, der Lagerhaltung und der Rechnungslegung zu beschäftigen. Dies belegt, dass diese Art des universitären Handels mit Büchern »aus der Not geboren« war und »nicht zu den üblichen Formen des buchhändlerischen Verkehrs gezählt haben dürfte.«323 Das Beispiel Freiburg offenbart somit die Einflüsse der jeweiligen örtlichen Gegebenheiten auf den Wissensraum Buchhandel, aber auch die Einflüsse des Wissensraums Buchhandel auf bestimmte Orte, die durch ihre schlechten Bedingungen eigene Wege zur Deckung ihres Buchbedarfs einschlagen mussten. Brief- und Geschäftsverkehr Zur Kommunikation mit ihren Geschäftspartnern und zur Aufrechterhaltung ihres brancheneigenen Diskurses unterhielten die Buchhändler einen regen Briefverkehr, ähnlich der schon mehrfach erwähnten Amerbachkorrespondenz mit Koberger. Neben den für den Transport zuständigen Fuhrleuten, anderen Buchhändlern, Kaufleuten und Gelehrten nutzte Koberger zur Überbringung seiner Briefe berufsmäßige Boten. Einige Male betonte er die Sendung eines »eigenen Boten«. Sie hatten in schwierigen Zeiten, wenn der Frachtverkehr behindert wurde, den Vorteil, dass sie mit leichtem Gepäck und häufig zu Pferd auf Nebenwegen schneller ans Ziel kamen. Die sichere Ankunft von Briefen war allerdings in der Frühen Neuzeit ebenso wenig zu gewährleisten wie der gefahrlose Transport der Bücher, weshalb Koberger des Öfteren den Inhalt eines vorherigen Briefes wiederholte; in einigen Fällen sogar sechs bis sieben Mal. Wie die Kennzeichnung der Warenkisten bzw. Fässer waren auch die Briefe der Buchhändler üblicherweise mit ihrem Siegel in Wachs verschlossen.324 Die wichtigste personelle Vermittlungsinstanz der großen Buchhandelsaktanten waren ihre angestellten »Diener«, die für sie zu den Verkehrsknotenpunkten reisten

322 Vgl. Sack, Der Vertrag eines Freiburger Zwischenbuchhändlers, S. 163–169. 323 Sack, Der Vertrag eines Freiburger Zwischenbuchhändlers, S. 167. Trotzdem sind solche Zeugnisse auch aus anderen Städten mit mangelhafter Bücherversorgung überliefert, wie zum Beispiel Ingolstadt und zeitweise Tübingen. Vgl. Sack, Der Vertrag eines Freiburger Zwischenbuchhändlers, S. 168. 324 Vgl. Hase, Die Koberger, S. 365–368.

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sowie den Buchvertrieb und die Geschäftsgänge betreuten. Zu ihnen zählten auch die bereits vorgestellten Faktoreileiter in den verschiedenen Ländern. Anton Kobergers Hauptvertreter war sein Diener Hans Breuer. Er vertrat seinen Herrn unter anderem auf der Herbstmesse 1502 und der Fastenmesse 1503 bei wichtigen Geschäften, großen Zahlungen und geheimen Verhandlungen mit den Baseler Verbindungsleuten. Im Grunde besaß Breuer in diesen Situationen die volle Handlungshoheit und musste Kobergers uneingeschränktes Vertrauen besessen haben. Dies trifft auch auf seinen ebenso wichtigen Diener Hans Amberger zu, der den Hausherr in Nürnberg bei langer Abwesenheit vertrat, wie beispielsweise bei der halbjährigen Reise Kobergers 1505/06. Die Bezeichnung als »Diener« darf also nicht abwertend verstanden werden, da sie gerade für die Vertrauensmänner galt. Unbedeutendere Hilfskräfte nannte Koberger schlicht »Leute«, während seine Druckergehilfen wie zu der Zeit üblich als »Knechte« firmierten.325 Die Geschäftsbriefe, die stellvertretend für ihre Verfasser sprachen, können als Aktantmedien im buchhändlerischen Diskurs aufgefasst werden. Für wichtige Besprechungen trafen sich die Geschäftspartner eines Buchhandelsunternehmens bzw. ihre Stellvertreter in der Regel jedoch weiterhin persönlich. Entweder sie besuchten einander oder – wie es häufiger der Fall war – sie vereinbarten ein Treffen auf der nächsten Messe.326 Der buchhandelsinterne Diskurs erfolgte also sowohl mündlich als auch über den schriftlichen Briefverkehr. Auflagenhöhen, Verkaufspreise und Händlerrabatte Über die übliche Höhe einer Druckauflage gibt es nur wenige Angaben, die sich kaum verallgemeinern lassen. Eine in der Forschung akzeptierte Orientierung ist die Angabe, dass bis 1500 Auflagen unter 100 und über 1.000 Exemplaren die Ausnahme waren. Weitgehend einig ist man sich auch darin, dass in den letzten beiden Jahrzehnten die Auflagen eine steigende Tendenz aufweisen und Stückzahlen von 1.000 und mehr nicht mehr ungewöhnlich waren. Ähnlich unsicher sind Aussagen über die Verkaufspreise. Eine feste Preisbindung, wie wir sie heute in Deutschland für Bücher kennen, gab es in der Frühzeit des Buchdrucks noch nicht. Auch fehlten die Erfahrungswerte für das Festsetzen der Preise ebenso wie für die Höhe der Auflagen, was beides eng miteinander zusammenhängt. Die Praktik der Preis- und Auflagenkalkulation wurde daher als Wissen im Diskurs der Aktanten des Wissensraums Buchhandel ausgetauscht. Immer wieder stellt sich in der Forschung die Frage nach dem Preis für die »Inkunabel der Inkunabeln«327, die B42. Der einzige überlieferte Preiseintrag über 100 Dukaten in einem gebundenen, rubrizierten Exemplar lässt sich nicht einfach auf

325 Vgl. Hase, Die Koberger, S. 369–371. 326 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 348. 327 Geldner, Inkunabelkunde, S. 170.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels



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die restlichen übertragen, da die Preise nicht fest waren und auch unklar ist, ob Bindung und Rubrizierung mit inbegriffen waren.328 Das verwendete Material und die Ausstattung waren jedenfalls relevant für die Preisfestlegung. Drucke auf Pergament waren nachweislich teurer als solche auf dem in der Herstellung wesentlich billigeren Papier. Das Verhältnis dürfte in den 1480er und 1490er Jahren mindestens 1:3 betragen haben, meist 1:4, bis hin zu einem dokumentierten Einzelfall von 1:10. Weiterhin spielte die Ausstattung mit Illustrationen eine nicht unerhebliche Rolle bei der Preisbestimmung, ebenso wie eine mögliche Rubrizierung oder Bindung.329 Zuletzt flossen noch die Vertriebskosten mit in den Preis ein. Am Verlagsort war ein Buch günstiger zu erwerben als auf der Messe und man unterschied zudem zwischen dem Kauf eines einzelnen Exemplars und einer größeren Stückzahl.330 Die wenigen erhaltenen Preisangaben aus der Inkunabelzeit schwanken sehr stark und lassen wenig allgemeingültige Aussagen zu. Kapp hält allerdings schon für die frühesten Buchverkäufe durch Fust und Schöffer fest, dass die Preise von Drucken gegenüber Handschriften niedriger gewesen seien. Als Nachweis für das Preisverhältnis zwischen gedruckten und geschriebenen Werken führt er den bereits erwähnten Brief von Bischof Johannes von Aleria an Papst Paul II. aus dem Jahr 1467 an, nach dem gedruckte Bücher bereits knapp 17 Jahre nach ihrer Erfindung fünfmal günstiger als Handschriften gewesen sein sollen.331 Dagegen zeigt Leonhard Hoffmann am Beispiel des Antoniter Petrus Mitte de Caprariis, der als Käufer in Rom auftrat, dass Drucke in den 1460er Jahren noch genauso teuer wie ein handschriftliches Exemplar desselben Titels sein konnten. Petrus Mitte kaufte für 16 Dukaten bzw. 20 rheinische Gulden direkt bei den Druckern Sweynheym und Pannartz die 1468 bei ihnen erschienene Ausgabe der Briefe des Hieronymus332. Erst wenige Jahre vor dem Erscheinen der ersten Druckausgabe 1463 hatte die päpstliche Bibliothek eine Handschrift der Epistolae für 10 Dukaten erworben. Trotzdem sind die Epistolae auch ein Beispiel für die weitere Preisentwicklung, denn Hoffmann zeigt auf, dass der Preis für das Werk des Hieronymus innerhalb eines Vierteljahrhunderts rapide sank. Die Kosten für eine römische Erstausgabe auf Papier waren mit 10 päpstlichen Dukaten bzw. 12 ½ rheinischen Gulden für

328 Vgl. Geldner, Inkunabelkunde, S. 170. Außerdem ist bei Preiseinträgen in Büchern selten der Erwerbszeitpunkt angegeben und demnach unklar, ob das Buch bei einem Händler oder aus zweiter Hand von einem früheren Besitzer gekauft worden ist. Vgl. Konrad Haebler: Handbuch der Inkunabelkunde. 2. Nachdruck d. Ausg. von 1925. Stuttgart: Hiersemann 1979, S. 149. 329 Vgl. Haebler, Handbuch der Inkunabelkunde, S. 154f. 330 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 305. 331 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 70. Kapp nennt außerdem noch den von Anfang an praktizierten Nachdruck als einen Grund für die niedrigeren Preise. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 70. 332 Sophronius Eusebius Hieronymus: Epistolae. Mit Tab. von Theodorus Lelius. Hrsg. von Johannes Andreas (de Bossis), Bischof von Aleria. Rom: Konrad [Sweynheym] und Arnold [Pannartz] 1468. Vgl. GW 12421.

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einen Studenten zunächst unerschwinglich, doch 1484 kostete die Ausgabe aus Parma von 1480 in Venedig nur noch 2 venezianische Dukaten und eine Lira (= 2,183 päpstliche Dukaten). Auch nördlich der Alpen sanken die Preise aufgrund der großen Konkurrenz. Nikolaus Keßler beispielsweise berechnete für seine Ausgabe der Epistolae von 1489 2 Gulden und 1502 für seine 1497 gedruckte Ausgabe nur noch 1 Gulden.333 Zusätzliche Schwierigkeiten bei solchen vereinzelten Angaben bieten allerdings die Münzverhältnisse der Zeit. Die verschiedenen Territorien hatten eigene Währungen. Hinzu kamen die vielen Kursschwankungen.334 In Deutschland rechnete man beispielsweise anders als in Italien vornehmlich nach Gulden und nicht nach Dukaten. Der Umrechnungskurs variierte dabei leicht und je nach Angabe entsprachen 3 Gulden 2 Dukaten oder auch 4 Gulden 3 Dukaten.335 Die Auffassung, dass die Preise von Drucken und Handschriften in der Frühdruckzeit noch nah beieinander liegen konnten, unterstützt Hans-Jörg Künast. In einer deutschen Bibel von Johann Mentelin aus Straßburg notierte der Augsburger Chronist Hector Mülich: »1466 27 Junio ward ditz buch gekaft vneingepunden vmb 12 gulden.«336 Der Hinweis darauf, dass das Buch ungebunden erworben wurde, bezeugt, dass der Druck nicht aus zweiter Hand stammt. Künast verweist weiter auf die Aufzeichnungen Leonhard Wagners, des Schreibers im Benediktinerkloster St. Ulrich und Afra, und den Bericht des Augsburger Kaufmanns und Chronisten Burkhard Zink über die Arbeitsleistung und Löhne eines Schreibers, aus denen jeweils hervorgeht, dass für die Summe von 12 Gulden auch eine Bibelhandschrift zu bekommen war. Liturgica blieben allerdings insgesamt teuer, weil hier die Diözese weiterhin als Auftraggeber auftrat und die Marktgesetze eine untergeordnete Rolle spielten.337 Einen umfassenderen Einblick in die Buchpreise liefern mehrere Verzeichnisse von Antonius Moretus, die er dem Buchhändler Domenico di Gélio in Padua aushändigte. Aufgeteilt in drei Listen, die zwischen dem 27. Februar und dem 5. Mai 1480 aufeinanderfolgten, sind hier knapp 1.000 Bände von etwa 250 verschiedenen Titeln aufgeführt. Nach der Auswertung dieser Verzeichnisse kommt Haebler zu den Durchschnittswerten von 12 Quinternen in Großfolio oder 20 Quinternen in Normalfolio für je 1 Dukaten.338 Demnach wären die Bücherpreise in Italien im Vergleich zu

333 Vgl. Leonhard Hoffmann: Buchmarkt und Bücherpreise im Frühdruckzeitalter. Der Antoniter Petrus Mitte de Caprariis als Käufer der ersten Frühdrucke in Rom (1468/69). In: GJ 75 (2000), S. 73– 81, S. 76 und 81. 334 Vgl. Haebler, Handbuch der Inkunabelkunde, S. 149. 335 Vgl. Geldner, Inkunabelkunde, S. 174. 336 Zitiert nach Hans-Jörg Künast: »Getruckt zu Augspurg«. Buchdruck und Buchhandel in Augsburg zwischen 1468 und 1555. Zugl.: Augsburg Univ. Diss. 1993. Tübingen: Niemeyer 1997, S. 186. 337 Vgl. Künast, »Getruckt zu Augspurg«, S. 186f. 338 Die älteste mit Preisangaben versehene Bücherliste kommt ebenfalls aus Italien und verzeichnet 18 Werke der dortigen Erstdrucker Konrad Sweynheym und Arnold Pannartz, die zwischen 1468

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zehn Jahren zuvor für Großfolio um die Hälfte und für Normalfolio sogar um zwei Drittel gesunken. In eine ähnliche Richtung weist die wichtigste Quelle für die Bücherpreise im deutschsprachigen Gebiet, eine Schenkungsliste der Baseler Drucker Johannes Amerbach, Nikolaus Kesler, Jakob Wolf und Johannes Froben zusammen mit dem Straßburger Adolf Rusch an die Kartause in Basel. Die meisten Bücher schenkte Amerbach und er gab 1484 17 Quinternen für 1 Gulden ab, fünf Jahre später schon 27 und mehr in Großfolio. Für das normale Folioformat gab es für 1 Gulden 1481 22 Quinternen und 1492 schon 33.339 Geldner weist zwar auf die Probleme einer verallgemeinernden Durchschnittsrechnung hin, da nur selten nachvollziehbar ist, welcher Ausgabe die aufgeführten Titeln jeweils zuzuordnen sind oder ob es sich um reale oder um Schätzpreise handelte. Dennoch ist die allgemeine Tendenz eines deutlichen Absinkens der Bücherpreise gegen Ende des 15. Jahrhunderts wahrscheinlich.340 Diese Annahme wird unterstützt von der Endabrechnung zum Vertrieb der Schedelschen Weltchronik von 1509, in der Bilanz über die Einnahmen und die Außenstände gezogen wurde. In seiner Auswertung dieser Abrechnung kann Peter Zahn anhand der Zwischenhandelspreise einen Preisverfall der Chroniken über die Jahre 1499 bis 1508 feststellen.341 Im Rechnungsbuch Peter Drachs gibt es häufig Preisangaben, weshalb Geldner folgert, dass man zumindest ab den 1480er Jahren doch schon mit Festpreisen rechnen müsse. Allerdings gilt das vor allem für liturgische Bücher. Für solche Drucke setzten oft die Bischöfe und das Domkapitel die Preise fest. Ein gebundenes Speyerer Messbuch kostete zum Beispiel 5 rheinische Gulden, ein Halberstädter Brevier 2 ½ Gulden. Der heute so bekannte Spiegel menschlicher Behaltnis342 von Drach kostete koloriert und gebunden 1 ½ Gulden, ungebunden und unbemalt nur ½ Gulden. Wie ebenfalls im Rechnungsbuch angegeben und damit als Vergleichsbasis geeig-

und 1471 in ihrer Offizin in Rom hergestellt wurden. Vgl. Haebler, Handbuch der Inkunabelkunde, S. 150. 339 Vgl. Haebler, Handbuch der Inkunabelkunde, S. 151. Bei Nikolaus Kesler ist die Preisentwicklung nicht so geradlinig, dafür ist der Unterschied zwischen 1486 und 1493 noch deutlicher. Während er anfangs noch 23 Quinternen für einen Gulden lieferte, waren es später fast 50. Unter den Schenkungen finden sich auch Titel älteren Erscheinungsdatums. Diese Werke wurden tatsächlich nach dem Maßstab zum Zeitpunkt ihrer Erscheinung bewertet. Vgl. Haebler, Handbuch der Inkunabelkunde, S. 151f. 340 Vgl. Geldner, Inkunabelkunde, S. 174f. Ein solches Beispiel ist der Preis für das Catholicon Zainers, für das das Bamberger Domkapitel 1469 noch 47 Gulden zahlte. Gegen Ende des Jahrhunderts mussten die Bamberger Franziskaner für das gleiche Buch nur noch ein Drittel (16 Gulden) aufwenden. Vgl. Hellmut Rosenfeld: Bücherpreis, Antiquariatspreis und Einbandpreis im 16. und 17. Jahrhundert. In: GJ (1958), S. 358–363, S. 358. 341 Vgl. Zahn, Die Endabrechnung über den Druck der Schedelschen Weltchronik (1493), S. 212. 342 Speculum humanae salvationis, deutsch. [Speyer: Peter Drach d. M. um 1481 und um 1495]. Vgl. GW M43020 und M43022.

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net, lag der Preis für ein Reitpferd bei 12 bis 20 Gulden.343 Als einen Richtwert ab 1500 macht Hellmut Rosenfeld in seiner Untersuchung von Preiseinträgen in alten Büchern einen Preis von, je nach Umfang, 1 bis 3 Gulden für einen Folioband fest.344 All diese Einzelangaben lassen sich ebenso wie die von Walter Krieg aufgeführten Vergleichspreise, die den Kaufwert des Geldes illustrieren sollen,345 nicht verallgemeinern, sie offenbaren lediglich Tendenzen. Üblich war von Anfang an der Händlerrabatt, um dem Weiterverkaufenden eine Gewinnbeteiligung zu ermöglichen.346 Der heute übliche Rabatt beträgt in der Regel zwischen 30 und 40 Prozent, kann aber je nach Bestellmenge und -inhalt sogar zwischen 25 und 50 Prozent differieren. In der Frühen Neuzeit musste sich die Höhe des Rabatts erst herausbilden. Im 15. Jahrhundert lagen die Nachlässe noch deutlich niedriger und ein Einpendeln auf den gängigen Drittel- bzw. Viertelrabatt erfolgte erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Der Händlerpreis wurde anfangs »lauterer«, später Nettopreis genannt und variierte je nach Höhe der Vertriebskosten. Am Verlagsort direkt konnte ein Buch, wie bereits erwähnt, deutlich weniger kosten als auf der Messe. So verkaufte Konrad König eine Lutherausgabe in Jena (1553/70) am Druckort für 18 Groschen. Auf den näher gelegenen Leipziger und Naumburger Messen kostete sie bereits 19 und auf der ferneren Frankfurter Messe 20 Groschen.347 Auf der Messe galt zeitweilig ein eigener »Meßverrechnungspreis des Buchhandels«348, die sogenannte Frankfurter »Tax«, die eine Art Nettopreis für den Verkauf der Buchhändler untereinander darstellte. Für den Endpreis schlug anschließend jeder seine Nebenkosten drauf, wozu Fracht- und Verpackungskosten, Zollabgaben und sonstige Spesen zählten. Dabei wurde unterschieden zwischen Foliobänden, die einzeln berechnet wurden, und kleineren Formaten, auf die je nach Bogenzahl und Menge Rabatt gewährt wurde. Es hielt sich allerdings nicht jeder an die Unter-

343 Vgl. Geldner, Das Rechnungsbuch des Speyrer Druckherrn, Sp. 22f. Leider ist trotz der Angabe von Einzelpreisen im Rechnungsbuch weder sein Jahresumsatz noch sein Reingewinn festzustellen, da jede Information über die Herstellungskosten fehlt. Vgl. Geldner, Das Rechnungsbuch des Speyrer Druckherrn, Sp. 24. 344 Vgl. Rosenfeld, Bücherpreis, Antiquariatspreis und Einbandpreis, S. 358. Rosenfeld erläutert allerdings nicht, wie viele Drucke er diesbezüglich untersucht hat. Zudem ist aus einem Besitzeintrag oft nicht ersichtlich, ob es sich um einen Erstkäufer handelt. Nach seiner Beobachtung hielt sich diese Preisspanne für Foliodrucke vor allem wissenschaftlichen Inhalts auch im 17. Jahrhundert noch im Wesentlichen unverändert. Vgl. Rosenfeld, Bücherpreis, Antiquariatspreis und Einbandpreis, S. 359. 345 Vgl. Walter Krieg: Materialien zu einer Entwicklungsgeschichte der Bücher-Preise und des Autoren-Honorars vom 15. bis zum 20. Jahrhundert. Nebst einem Anhange: Kleine Notizen zur Auflagengeschichte der Bücher im 15. und 16. Jahrhundert. Wien [u. a.]: Stubenrauch 1953. 346 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 306. 347 Vgl. Hase, Die Koberger, S. 337f. 348 Brübach, Die Reichsmessen, S. 196.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels

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scheidung zwischen Händler und Privatmann, wie beispielsweise Sigmund Feyerabend. Er bot beiden jeweils den gleichen Nettopreis seiner Bücher an.349 Die Frankfurter Tax war eine moderne Handelstechnik, die erst deutlich später in anderen Sparten des Warenhandels in ähnlicher Form angewandt wurde. Der Buchhandel als Erzeugnis eines rasch expandierenden Gewerbezweiges wirkte somit im Bereich der Handelstechniken und in seinem Einfluß auf den Messehandel ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts innovativer als die neuen Produkte, die infolge der Expansion nach Übersee auf die Messe kamen.350

Koberger gewährte den Buchführern in der Regel 20 Prozent von seinem festgesetzten Ladenpreis. Über den Hugo schrieb er 1503: »Die mögt Ihr geben den Buchführern einen um 8 fl. und von der Hand um 10 fl.; also halte ich sie hier in meinem Haus.«351 Buchhändler bekamen das Werk demnach für 2 Gulden weniger als der Endkunde im Straßenverkauf. Ein solcher Rabatt war zu seiner Zeit recht hoch. Die Witwe des Leipziger Buchhändlers Schmidhoffer, Martha, gewährte beispielsweise für ihr großes Prager Missale nur 17 Prozent. Allerdings gab es auch höhere Rabatte, wie etwa von Christoph Froschauer in Zürich, der am 1. September 1540 an Joachim Vadian schrieb, dass er eins seiner kleineren Werke für 16 Batzen per Gulden und so mit einem Rabatt von 25 Prozent an Händler abtreten würde. Der Antwerpener Christoph Plantin gewährte anderen Buchhändlern in der Regel nur 15 Prozent Rabatt, in einem Ausnahmefall aber seinem Hauptkonkurrenten Michel Sonnins in Paris sogar 40 Prozent.352 Drach gewährte seinen Buchführern nur eine Gewinnspanne von 10 Prozent, was im Vergleich sehr gering war, ihm aber den Vorteil niedrigerer Bücherendpreise brachte.353 Sein Beispiel macht deutlich, dass allenfalls feste Preise auf der ersten Stufe auszumachen sind. Der Endpreis ist weiterhin unbekannt, denn die Rabatte für die Händler sind teilweise viel zu niedrig angesetzt, um ihnen einen genügenden Gewinn zu garantieren. Ein Buchführer hatte Unkosten auf der Reise, die sich je nach Entfernung und Währungsgebiet unterschieden. »Die Rabattierung beweist in ihrer geringen Höhe gerade nicht den festen Endpreis.«354 Nach Günter Richter hatte der Rabatt lediglich den Zweck, die Preiskalkulation auf der zweiten Stufe des Vertriebs nicht so hoch ausfallen zu lassen. Man kann also für Ende des 15. Jahrhun-

349 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 305. 350 Brübach, Die Reichsmessen, S. 196. 351 Zitiert nach Hase, Die Koberger, S. 337. Er begründete den im Vergleich zum Bruttopreis niedrigen Nettopreis allerdings damit, dass der Hugo bis dahin nur schleppend verkauft worden war. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 306. 352 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 306–308. 353 Vgl. Geldner, Das Rechnungsbuch des Speyrer Druckherrn, Sp. 24. 354 Richter, Buchhändlerische Kataloge, S. 49.

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derts nicht von Festpreisen ausgehen. Sind Preise abgedruckt, »so können dies nur untere Preisgrenzen, nur Anhaltspunkte für den Nachfrager gewesen sein.«355 Rabatte wurden meist nur bei größeren Werken mit Einzelpreisen verhandelt. Geringerwertige Titel, sogenannte »Riessachen«, wurden nach ihrer Bogenzahl zu einem Ries- oder Ballenpreis verkauft.356 Weitere Informationen über die Unterscheidung der Preise zwischen dem Einzelverkauf und der Abgabe größerer Mengen liefert ein Brief von Jean Vaugris, einem Lyoner Buchhändler, an den Reformator Guillaume Farel vom 29. August 1524. Darin schrieb er: Ich schicke Dir 200 ›Pater‹ (Erklärung des ›Vater Unser‹) und 50 Exemplare der ›Epistolae‹ (offenbar ein verloren gegangenes Werk von Farel); aber ich weiß nicht, wie Du sie verkaufen oder verkaufen lassen willst. Ich verkaufe das Exemplar des ›Pater‹ im kleinen für 4 baselsche Heller und im großen ihrer 300 zu 2 Gulden, von den ›Epistolae‹ aber das Stück zu 6 Heller, was einen Gulden für 50 Exemplare ausmacht; aber im großen gebe ich diese zu 13 Sous.357

Da Bücher weiterhin zu den teuren Luxusgütern zählten, versuchten Gelehrte ebenfalls Rabatte zu erhalten und bekamen diese sogar von einzelnen Buchführern gewährt, wie ein Brief von Manutius an Reuchlin am 14. Dezember 1502 bezeugt: Dass Du aber dort unsere Bücher billiger kaufen kannst, verwundert mich. Sicher ist nämlich, dass jene nicht billiger in Venedig verkauft werden, als sie Dir gekostet haben, ja vielmehr teurer. Aber ich glaube die Ursache ist, dass dieser Händler, wenn er von unserer Gesellschaft in Venedig möglichst viele Bücher zugleich erhält, und billiger, als sie einzeln verkauft werden, damit er, wie das billig ist, auch selbst etwas gewinnen kann, und doch nicht bezahlt (denn wir geben ihm auf Zeit), glaubt, er habe sie etwa unentgeltlich erhalten.358

Manutius Ton macht deutlich, dass er die Weiterreichung des Händlerrabatts an den Endabnehmer nicht gut hieß und das aus gutem Grund, denn der Händler untergrub so seinen eigenen Gewinnanteil. Das Buchhandelssystem befand sich in einer Lernphase und war noch auf der Suche nach der »richtigen« Praktik der Preisgestaltung. Aber es befand sich auch in einer Wandlungsphase und ein striktes Beharren auf den traditionellen Strukturen der großen und teuren Druckfolianten, wie sie aus der Handschriftenzeit übernommen wurden, war auf Dauer nicht vorteilhaft. Die Preise wurden niedriger und Hase vermutet, dass eben die Einhaltung »eines ehrbaren, wenn auch langsam Gewinn bringenden Handels«359 durch die Aufrechterhaltung der höheren Preise den Niedergang des Kobergerschen Geschäfts unter seinen Erben im 16. Jahrhundert verur-

355 Richter, Buchhändlerische Kataloge, S. 49. 356 Diese Preise richteten sich nach den Papierpreisen pro 500 bzw. 5.000 Bogen. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 306. 357 Zitiert nach Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 307. 358 Zitiert nach Hase, Die Koberger, S. 338. 359 Vgl. Hase, Die Koberger, S. 338f.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels



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sachte. Auch Kapp bezeichnet insbesondere seinen Verlag als »konservativ[e]«360. Der wachsenden Konkurrenz aus dem Ausland und der Zunahme billigeren Kleinschrifttums in Deutschland zeigte sich das Traditionsunternehmen bald nicht mehr gewachsen. Wenn der Preis der Wiegendrucke bis zum Ende des Jahrhunderts auf etwa ein Drittel oder Viertel der zu Ende des siebten Jahrzehntes üblichen Werte gefallen war, so ist doch festzustellen, daß dabei häufig Nichtvergleichbares kurzerhand auf eine Stufe gestellt wird, denn auch die Qualität der Wiegendrucke (Schönheit der Typen, Sauberkeit des Druckes, Gütes des Papieres) war erheblich gesunken.361

Insgesamt lassen sich kaum nachvollziehbare Preiskalkulationen aufstellen. Die wenigen erhaltenen Quellen können nicht verallgemeinert werden, denn die Preisangabe in Katalogen blieb eine Ausnahme. Der feste Ladenpreis von Büchern wurde erst zur Mitte des 18. Jahrhunderts zur Regel.362 Im 15. Jahrhundert waren die Preise aufgrund der mangelnden Erfahrung im neuen Gewerbe außerdem noch ziemlich willkürlich.363 Geldner formulierte die in diesem Zusammenhang entscheidende Frage: »Haben sie [die Buchhändler] überhaupt scharf kalkuliert oder haben sie mehr ›psychologische Preise‹ gebildet?«364 Es fällt zwar auf, dass die erhaltenen Preisangaben oft in runden Zahlen stehen, was dafür sprechen könnte, dass keine »scharfe« Kalkulation zugrundeliegt. Demgegenüber steht einerseits die Vermutung, dass es sich um auf- bzw. abgerundete Schätzpreise handelte. Andererseits mussten auch die frühesten Druckerverleger schon ökonomisch denken und haben dies nachweislich getan. Die Gewährung bestimmter Rabatte und die notwendige Bezahlung der verschiedenen Bereiche wie Material, Satz, Druck und eine mögliche Ausgestaltung zwingen geradezu zu einem halbwegs durchdachten Kostenplan, wollte man sich in dem mit erheblichen Vorlagenkosten belasteten Gewerbe halten.

360 Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 140. In der folgenden Zeit der Reformation wirkte sich auch ein Beharren auf dem alten katholisch geprägten Verlagsprogramm negativ aus und Kapp schreibt der Reformation den Grund für das schnelle Ende der Firma Kobergers in den 1520er Jahren zu. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 141. 361 Geldner, Inkunabelkunde, S. 179. 362 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 305. 363 Vgl. Haebler, Handbuch der Inkunabelkunde, S. 149. Fust wurde in Paris sogar ernsthaft verfolgt, weil er seine Drucke zu unterschiedlichen Preisen verkauft hatte. Anfangs verlangte Fust für die 48-zeilige Bibel aus seiner und Schöffers Druckerei pro Exemplar 60 Kronen, was im Vergleich zu den handschriftlichen Bibeln auf Pergament, die für 400–500 Kronen verkauft wurden, schon äußerst günstig war. Als er den Preis auf 40 Kronen herabsetzte, um den Verkauf anzukurbeln, verlangten einige Käufer das Geld zurück, das sie mehr bezahlt hatten. Fust war aus diesem Grund gezwungen, Paris zu verlassen. Vgl. Stock, Die ersten deutschen Buchdrucker in Paris, S. 27f. 364 Geldner, Inkunabelkunde, S. 180.

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Zahlungspraktiken Von Beginn an lief die Praxis der Barzahlung parallel zu der auf Rechnung und der des Tausches. Die Bezahlung auch größerer Büchermengen in bar ist durch Briefe Kobergers belegt. Auf der Herbstmesse 1507 berichtete er davon, dass seine Geldmittel durch Einkäufe und eine Wechselzahlung für seinen Cousin stark beansprucht waren. Hans Koberger hatte zu Lyon eine größere Anzahl Bücher erworben »und von den Gnaden Gottes alles bezahlt mit barem Geld«365. Das gibt die aktuelle Zahlungsweise wieder, die hauptsächlich auf Bar- und auf Wechselzahlung beruhte. In beiden Fällen war die Messe in der Regel der vertragsmäßig festgelegte Ort der Zahlung. Die Begleichung einer Rechnung von Messe zu Messe war auch in anderen Branchen der üblichste, wenn auch nicht der einzige Zahlungsintervall; ein längerer Kredit bis zur zweiten Messe wurde aber meist nur in Ausnahmefällen gewährt.366 Peter Drach bezahlte hauptsächlich mit Gulden, Ort und Albus.367 Als kleinere Währungseinheiten treten bei ihm außerdem württembergische Heller und Pfennige hervor. Nach einer Tarifregelung der Grafen Ulrich V. und Eberhard V. von Württemberg und den Markgrafen Christoph und Albrecht von Baden rechnete man in ihren Herrschaftsgebieten einen württembergischen Gulden gleichwertig zu einem rheinischen Gulden und diesen jeweils zu 28 Schilling und zu 168 Pfennigen bzw. zu 336 Hellern.368 Koberger beglich seine Rechnungen wie auf der Frankfurter Messe üblich mit der Währung des rheinischen Gulden.369 Andere Währungen, wie beispielsweise französisches Geld, werden in seinen Briefen zwar in einigen Fällen

365 Zitiert nach Hase, Die Koberger, S. 340. 366 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 308. Die gewährten Kredite gingen in Frankfurt von einer Messe auf die andere über. In Leipzig musste stattdessen ein Jahreskredit eingeräumt werden. Vgl. Hase, Die Koberger, S. 348. 367 Dem Wert eines Gulden entsprachen 4 Ort oder 26 Albus. Demnach hatten 6 ½ Albus den Wert eines Ort. Vgl. Mäkeler, Das Rechnungsbuch, S. 108. 368 Vgl. Mäkeler, Das Rechnungsbuch, S. 108–110. Nach der üblichen Relation von Heller zu Pfennig entsprachen zwei Heller einem Pfennig. Vgl. Mäkeler, Das Rechnungsbuch, S. 109. 369 Bei Drach wird der Gulden am häufigsten erwähnt, jedoch nur gelegentlich als »gulden rinesch« bezeichnet. Besonders wertvoll war der ungarische Goldgulden, den Drach nur selten verwendete. Ansonsten lassen sich bei Drach noch weniger wertige Goldgulden nachweisen, wie der Postulatsgulden oder ein »niderlendesch gulden«. Ein rheinischer Gulden wurde für 20 Stüber gerechnet, während auf einen Postulatsgulden nur 12 ½ kamen. Mäkeler gibt für die seltenere Nennung des rheinischen Gulden bei Drach zwei mögliche Erklärungen. Entweder könnte der rheinische Gulden dem Speyerer so geläufig gewesen sein, dass er ohne näheren Hinweis darauf mit ihm rechnete. Oder – und das hält Mäkeler für wahrscheinlicher – die im Rechenbuch genannten Gulden waren eine Rechenwährung. Die zweite Annahme sieht er darin bestätigt, dass zwischen 1480 und 1488 keine Goldgulden am Mittel- und Niederrhein geprägt wurden. Erst ab 1488 prägten Mainz und die Kurpfalz wieder Gold und Silber, womit das vermehrte Auftauchen des rheinischen Gulden im Rechnungsbuch ab 1489 zusammenhängen könnte. Vgl. Mäkeler, Das Rechnungsbuch, S. 108f. Dass der rheinische Gulden explizit genannt wird, widerspricht ebenfalls der Annahme, dass ein Hinweis darauf überflüssig war.

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erwähnt, entsprachen aber nicht seiner gängigen Zahlpraxis. Auch Hans Koberger in Lyon und Hans Blumenstock in Paris zahlten nach rheinischen Gulden, die in ihrem Wert der heimatlichen Stadtwährung in Nürnberg gleichkamen. Das Bestehen auf dem Goldgulden war allerdings in den schwierigen Zeiten der kriegsgebeutelten Frühen Neuzeit oft unvorteilhaft. Auf der Leipziger Messe im Herbst 1504 schrieb Koberger: Da zahlt man jedermann mit Münz, 21 gr. für 1 fl.; will ich fl. in Gold haben, so muss ich geben 23 ½ oder 24. Das mag der Handel nicht ertragen, auch ist es also geworden in dem Lande zu Polen und in Ungarn, dass man 4 oder 5 gr. auf 1. fl. verlieren muss, wer Gold will haben. Aber ich will Schaden leiden und thun, was ich mag, damit dass ich Euch zufrieden stelle.370

Dass sich solche zeitgeschichtlichen Widrigkeiten sehr negativ auf das Geschäft auswirken konnten, zeigt der Zeitraum 1500 bis 1505, in dem Koberger unter einer großen Zahlungsnotlage litt.371 Tatsächlich bestand die Goldwährung schon im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts »eigentlich nur noch auf dem Papier.«372 Man rechnete und kaufte zwar weiterhin nach Gulden, wie es das Rechnungsbuch Drachs oder die Briefe Kobergers bezeugen, doch er war nurmehr eine Rechenwährung und als eigentliches Zahlungsmittel von den Silbergroßmünzen abgelöst worden. Die offizielle Bestätigung dieser Verhältnisse erfolgte erst 1524, als die Silberwährung zur Reichswährung erklärt wurde.373 Daneben ergaben sich Probleme, das Geld zur rechten Zeit an die vereinbarte Zahlstelle zu bringen. Diese Schwierigkeiten hingen eng zusammen mit der teilweise geographisch äußerst weiten Ausdehnung der buchhändlerischen Handelsstationen. Im Januar 1505 erläuterte Koberger diese Problematik folgendermaßen: ich habe Geld zu Wien auch zu Ofen; ich kann das nicht in meine Gewalt bringen, ich wollte gern 6 oder 7 auf das Hundert verlieren, dass ich solch Geld hier hätte. Desgleichen habe ich Geld an andern Orten mehr, aber die Händel liegen ganz nieder und will niemand Geld auf Wechsel nehmen.374

370 Zitiert nach Hase, Die Koberger, S. 341. 371 Vgl. Hase, Die Koberger, S. 340–342. In dieser Zeit blieb Koberger, wie bereits erwähnt, den Frankfurter Messen fern. 372 Rothmann, Die Frankfurter Messen im Mittelalter, S. 249. Dabei ist zu beachten, dass man zwischen einer Rechenwährung und den geprägten Münzen unterscheiden muss, da ihre Größen nur idealerweise übereinstimmten. In der Realität verhinderten dies die Währungsschwankungen. Der Schilling war außerdem eine reine Recheneinheit, die nicht geprägt wurde. Vgl. Rothmann, Die Frankfurter Messen im Mittelalter, S. 290f. 373 Vgl. Rothmann, Die Frankfurter Messen im Mittelalter, S. 249. Grund für diese Entwicklung war seit Mitte des 15. Jahrhunderts die schlechte Qualität der Goldprägungen aufgrund von Materialknappheit und die Entdeckung neuer Silbervorkommen in Sachsen und Tirol. Vgl. Rothmann, Die Frankfurter Messen im Mittelalter, S. 249. 374 Zitiert nach Hase, Die Koberger, S. 342.

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Zur Vermittlung des Geldes beauftragte Koberger seine Diener, andere Buchhändler oder Papierhändler und vertrauenswürdige Fuhrleute. Daneben bediente er sich hauptsächlich der Hilfe angesehener Kaufleute, was erneut den engen Zusammenhang des Wissensraums Buchhandel zum allgemeinen Warenhandel unterstreicht. Für seine eigenen Zahlungsverpflichtungen bevorzugte Koberger Nürnberger Kaufleute, denen er die zu überbringenden Beträge bar einzahlte. Der Transport selbst wurde nach Möglichkeit nicht bar vorgenommen, sondern in Form von Wechseln aufgrund der Gefahr eines Raubüberfalls.375 Dabei war darauf zu achten, von wo und in welche Stadt eine Geldsendung günstig war, denn der Agio, der Aufschlag auf die zu übertragende Summe, variierte deutlich.376 Außerdem war man häufig gezwungen, Währungen umzutauschen, wie etwa auf der Leipziger Messe, wo die vermehrt auftretenden böhmischen (bzw. Prager) Groschen – Silbermünzen – in überregional gültige Goldwährung eingetauscht werden mussten. Das lässt sich an den Abrechnungen des Buchführers Schmidhoffer an seinen Dienstherrn Drach ablesen, der für die 2 ½ Jahre seiner Tätigkeit 15 fl. Wechselkosten in Rechnung stellte.377 Die Zahlungen von Kunden erhielt Drach über verschiedene Wege während und außerhalb der Messe. Häufig zahlten sie in bar an ihn persönlich. Gelegentlich beglichen sie ihre Schulden über Familienmitglieder oder Diener Drachs, wenn diese sich gerade in der Nähe ihres Wohnortes aufhielten. Den bargeldlosen Zahlungsverkehr nutzten dagegen die Buchhändler vornehmlich untereinander, da es hier besonders auf die Kreditwürdigkeit des Geschäftspartners ankam.378 Das Kreditwesen übernahm der Buchhandel früh vom allgemeinen Warenhandel. Schon 1485 ist die Einklagung einer Messforderung durch Schöffer belegt. Zwischen den großen Buchhändlern herrschte allerdings eine etwas eigene Form des Kredithandels. Mit Fristen, die von Messe zu Messe galten, wurde der Betrag auf die wahrscheinliche Vertriebszeit der Bücher verrechnet, sodass ein Gesamtkredit von drei Jahren gewährt wurde. Die Zahlung wurde dann auf Raten in sieben Halbjahren aufgeteilt. Die Druckerverleger legten damit das Kapital in voller Höhe vor und hatten mit einem sehr langwierigen Rückfluss zu rechnen. Kreditgeschäfte solcher Größenordnung wurden schriftlich festgehalten und gemäß einer »Abrede« als »Brief« aufgesetzt, was jedoch nicht immer streng gehandhabt wurde. Jede einzelne Messzahlung wurde gewöhnlich neben der Gesamtsumme und den Zahlungsfristen auf dem Schuldbrief

375 Vgl. Hase, Die Koberger, S. 342–345. 376 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 349. 377 Vgl. Mäkeler, Das Rechnungsbuch, S. 110f. 378 Vgl. Mäkeler, Das Rechnungsbuch, S. 111. Aber auch manche Direktkunden kauften auf Kredit und die Schulden, die sie dabei bei Drach machten, konnten in extremen Fällen über mehrere Jahre bestehen, wie beispielsweise bei Philipp Summer, einem Angehörigen der Universität in Heidelberg. Summers Schulden standen mehr als zehn Jahre bei Drach aus und selbst dann beglich er nur etwa die Hälfte der Summe. Vgl. Mäkeler, Das Rechnungsbuch, S. 82f.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels



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vermerkt, ebenso wie auch fast jede Bücherlieferung mit einer handschriftlichen Bestätigung quittiert wurde.379 Neben der Barzahlung und dem Kredithandel war auch das Tauschgeschäft, »Verstechen« genannt, schon im 15. Jahrhundert bekannt und wurde praktiziert. In Drachs Rechnungsbuch tauchen eindeutige Hinweise dazu auf, etwa zum 2.–9. Oktober 1485, wo er über einer Auflistung von 86 lateinischen Titeln notierte: »Jtem dise hie nach folgend bucher hat Johanes gestochen vor mijn bucher vnd hat die auch jn der rechnung gehabt vnuerkaufft jm lande«380. Darunter schrieb er in der Einleitung zu einer Liste von 34 weiteren Titeln: »Jtem diß sint auch gestochen dutsch bucher«381. Eine Eigenart des Tauschhandels praktizierte Adolf Rusch, der 1478 die Offizin seines verstorbenen Schwiegervaters Johann Mentel in Straßburg übernommen hatte. Er verdingte sich in erster Linie als Lohndrucker und handelte gleichzeitig mit Papier, mit dem er Drucker wie Amerbach in großen Mengen belieferte. Für den Erwerb von Büchern hatte es sich Rusch zur Gewohnheit gemacht, mit unbedrucktem Papier zu bezahlen. Dabei tauschte er in der Regel zwei Ballen weißer Papierbogen gegen einen Ballen bedruckter Bogen. Eine solche Bestellung machte Rusch auch bei Jakob von Pforzheim. Dieser lehnte ab mit dem Hinweis, er habe genug Papiervorräte, machte im Gegenzug aber den Vorschlag, ihm die Bücher auf Kredit zuzuschicken. Ruschs Antwort verdeutlicht, dass er sich in erster Linie als Papier- und nicht als Buchhändler verstand, denn er lehnte postwendend ab.382 Koberger schickte im Jahr 1500 300 Exemplare einer Glossa ordinaria nach Venedig, um sie vor Ort gegen gedruckte Bücher zu tauschen. Ein weiteres Einzelbeispiel ist das in der Druckerei des Klosters zu St. Ulrich und Afra in Augsburg erschienene Speculum historiale383 von Vincenz von Beauvais. Der Klosterchronist Sigismund Meysterlin berichtete dazu, dass es »per modum cambii« (durch Tausch) veräußert wurde.384 In Kobergers Handel mit Basel trat der Tausch nur selten auf, was aber daran lag, dass Koberger hier zumeist als Verkäufer auftrat. Nur in wenigen Fällen boten seine Geschäftspartner ihm Bücher an, über deren Verkaufspreis dann interessanterweise nicht verhandelt wurde. Grund dafür war wohl die Tatsache, dass bei bestimmten Formaten einheitliche Tauschpreise galten, wodurch man für den handelsüblichen Gulden eine festgelegte Anzahl an Bogen oder Lagen erhalten konnte. In welcher Höhe diese Zahl lag, ist unklar, Schwankungen und Abweichungen wird es dabei sicher gegeben haben. Solche Einheitspreise erleichterten jedoch den Wechsel zwischen den verschiedenen Zahlungsmodalitäten. Abgesehen

379 Vgl. Hase, Die Koberger, S. 346–349. 380 Zitiert nach Geldner, Das Rechnungsbuch des Speyrer Druckherrn, Sp. 124. 381 Zitiert nach Geldner, Das Rechnungsbuch des Speyrer Druckherrn, Sp. 126. 382 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 87f. 383 Vincentius Bellovacensis: Speculum historiale. [Augsburg: Sankt Ulrich und Afra] 1474. Vgl. GW M50570. 384 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 304.

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davon nutzten die großen Buchhandelsaktanten den Tauschhandel normalerweise nur bei größeren Mengen untereinander, nicht für den Kauf bzw. Verkauf einzelner Drucke.385 Wie der Kommissionsvertrieb war auch der Tauschhandel keine Neuerfindung der Buchhändler, sondern den allgemeinen Handelsbräuchen entlehnt. Der Kleinbetrieb im Buchhandel des 15. Jahrhunderts Die bislang vorgestellten Beispiele stellen in erster Linie kapitalstarke Großfirmen dar, die im großen Stil und auf internationaler Ebene agierten. Die Mehrzahl der im 15. Jahrhundert tätigen Offizinen waren jedoch kleine Betriebe, die ihre Produktion vorwiegend lokal verkauften und sich nicht am Fernhandel beteiligten. Für solche Kleinunternehmen besitzen wir keine vergleichbaren Quellen, die ihre Tätigkeit dokumentieren, wie die Korrespondenz Amerbachs oder das Rechnungsbuch Peter Drachs. Ausführliche Geschäftsaufzeichnungen waren in ihrem Fall durch den deutlich geringeren Umfang meist nicht notwendig. Wir können uns daher nur zum Teil ein Bild dieser Unternehmen machen, wie es Ursula Rautenberg am Beispiel von Hans Folz und seiner kleinen Nürnberger Offizin möglich war. In ihrer Untersuchung der Arbeit des Wundarztes und Barbiers, der in den 1470er und 1480er Jahren das Druckgewerbe offenbar als Nebenerwerb betrieb, konnte sie keinen Vertrieb über den Fernhandel feststellen, der auch ökonomisch kaum möglich bzw. sinnvoll für Folz gewesen wäre.386 Der Nürnberger Kleinbetrieb kann sowohl als Beispiel für die Entwicklung des regionalen Buchvertriebs als auch als Beispiel für den Selbstverlag eines Autoren dienen. Hans Folz (um 1440–1513) soll daher stellvertretend für den Teil des Buchhandels stehen, der nicht am internationalen Markt beteiligt war, besonders aber für Gelegenheitsschriften und Unterhaltungsliteratur in der Frühen Neuzeit eine wichtige Rolle spielte. Neben seinen Hauptberufen war Folz als Handwerkerdichter tätig und betrieb eine eigene Presse, mit der er 1479 bis 1488 seine Werke in 41 Ausgaben publizierte. Mit seinen Broschüren orientierte er sich eng am neuen stadtbürgerlichen Kundenkreis. Die Druckqualität spielte eine eher untergeordnete Rolle,387 dafür gehörte Folz zu den ersten Typographen, die ein vollständiges Titelblatt entwickelten und in Format und Umfang eine gewisse Ökonomisierung des Herstellungsprozesses erkennen ließen. Seine Offizin hatte Folz nur periodisch als Neben-

385 Vgl. Hase, Die Koberger, S. 350–353. 386 Vgl. Duntze, Verlagsbuchhandel und verbreitender Buchhandel, S. 218f. 387 Den sparsam eingesetzten Buchschmuck in Folz’ Drucken beurteilt Rautenberg allerdings als »durchaus qualitätvoll«. Ursula Rautenberg: Das Werk als Ware. Der Nürnberger Kleindrucker Hans Folz. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 24, Heft 1 (1999), S. 1– 40, S. 21.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels



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erwerb in Betrieb und er bediente mit seinen Drucken lediglich das engere regionale Umfeld.388 Rautenberg sieht sein Beispiel auch als Beginn einer Entwicklung, im Laufe derer sich der Buchmarkt in den internationalen Vertrieb des Gelehrtenschrifttums und den regionalen Vertrieb der Gelegenheitsschriften und Unterhaltungsliteratur spaltete. Diese Gegenüberstellung ist sicherlich etwas pauschal formuliert, denn auch Werke der Unterhaltung und der Gebrauchsliteratur wurden über die großen Fernhandelsstrukturen vermittelt. Im Kern aber trifft sie die sich nebeneinander entwickelnden Vertriebsmöglichkeiten, in denen gerade kleinere Drucke in erster Linie über die Auslagen der Druckereien und über die Märkte zu erhalten waren. Dabei ist die Tatsache zu berücksichtigen, dass diese Zweiteilung keine Entsprechung in der Käuferschicht findet.389 Ob Käufer und Leser vorzugsweise lateinischsprachige Werke oder Titel in der Volkssprache rezipierten, lässt sich nicht eins zu eins an ihrer Schichtenzugehörigkeit festmachen. Für die lateinische Fachliteratur bestand lediglich die Voraussetzung der humanistischen Bildung und die Beherrschung der Sprache. Neben solchen Auchbuchhändlern, wie Folz einer war, beteiligten sich auch Autoren ohne eigene Druckerei am Buchvertrieb. Ein Honorar in Form von Bargeldzahlungen war die absolute Ausnahme und die meisten von ihnen arbeiteten unentgeltlich. Als Gegenleistung wurde es dafür üblich, den Verfassern eine bestimmte Anzahl von Freiexemplaren zu überlassen, mit deren Weitergabe sich einige von ihnen finanzierten. Ein Beispiel für einen Autor, der auf diese Weise am Buchhandel beteiligt war, ist der Dominikaner Petrus Nigri (oder Niger). Von ihm hat sich ein Brief an den Prior seines Konvents vom 29. Mai 1478 erhalten. Er schrieb darin: Salutem et omnium rerum prosperitatem. Noveritis, pater prior Reverende, me prosperari gratia die cooperante. Jam octo elapsis diebus pernitati vestre scripseram per ipsum vectorem prückner; siquid expedieritis non constat mihi adhuc. Item rogo, quod cum iam omnes quos habui libros impressos vendiderim, velitis mihi transmittere omnes quos in capsa mea reperire potertis et alios quos patri suppriori inscriptos dedi et subordinetis, quatinus singuli vel reddant libros vel florenum cum dimidio exsolvant retento libro. Et in hijs rogo exactam et velocem velitis apponere diligeciam ita quod omnium nomina redigantur per vos in scriptis, rogo, eorum videlicet, qui reddiderunt vel non, quia iam pene et omnes illi libri venditi sunt et utinam plures haberem centenarios. Rogo, quatinus per vectorem prückner diligenter colligatos in isto, quem transmitto pannos cum paleis circumpositos transmittere velitis. Valete. Datum Nurumberge feria VI post octavam corporis christi 1478. frater petrus Nigri fautor ac amicus.390

388 Vgl. Rautenberg, Das Werk als Ware, S. 2f., 17, 23 und 26. 389 Vgl. Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 356. 390 »Heil und Gedeihen in allen Dingen. Wisset, ehrwürdiger Vater Prior, daß ich mit Hilfe Gottes gut vorankomme. Schon vor 8 Tagen habe ich Euch, mein Vater, mit demselben Fahrer Prückner geschrieben; ob Ihr schon etwas erledigt habt, ist mir zur Stunde noch nicht bekannt. So bitte ich, da ich schon alle die gedruckten Bücher, die ich bei mir hatte, verkauft habe, daß Ihr mir alle die

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Aus dem Brief geht hervor, dass der Autor hier einen Teil seines Werkes – nach Lore Sprandel-Krafft sein Stern des Meschiah391 – in Eigenregie verkaufte und das mit Erfolg, da er berichtete, schon fast alle verkauft zu haben.392 Die Kleinbetriebe und Auchbuchhändler sind trotz ihrer Relevanz für den Buchmarkt keine Hauptaktanten im Wissensraum Buchhandel dieser Zeit. Durch ihre nur geringe Vernetzung stehen sie wenig im Austausch mit anderen Buchhändlern und durch ihre Konzentration auf den lokalen Markt ist davon auszugehen, dass ihre Produktion auf den großen Handelsmessen eher unterrepräsentiert war. Die wichtigen Praktiken der Großaktanten wie die bereits vorgestellte Messehandelstätigkeit oder die Einrichtung von Faktoreien wurden von ihnen nicht ausgeübt. Sie spielten also eine große Rolle für den Buchmarkt, im Wissensraum Buchhandel aber als Nebenaktanten nur eine untergeordnete, da sie selten über die entsprechenden Ressourcen verfügten, sich am internationalen Buchhandelsdiskurs zu beteiligen. Zusammenfassung Trotz der Komplexität des Buchhandels im 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts durch enge personelle Überschneidungen der Tätigkeitsbereiche, sind gewisse Grundstrukturen zu erkennen. Der Buchhandel erfolgte vor allem über den Wanderhandel der reisenden Buchführer. Schon von den ersten Druckerverlegern wurden darüber hinaus in entfernten Städten stationäre Bücherlager und Faktoreien eingerichtet, die dauerhaft von Angestellten besetzt waren und von wo aus der Handel im weiteren Umland organisiert wurde. Wichtig war schließlich von Anfang an der Messehandel. Aus dieser Mischung von Ladengeschäft, Messehandel und Wanderhandel entsteht, zusammen mit den wechselnden Geschäftsbeziehungen der Druckerverleger untereinander, ein flexibles Netzwerk, über das eine weit verstreute Kundschaft erreicht und bedient werden kann.393

übersenden wollet, die Ihr in meinem Schrein finden könnt, dazu die anderen, die ich dem Vater Subprior aufgelistet gegeben habe; und wollet anordnen, daß die einzelnen entweder die Bücher zurückgeben oder, wenn sie ein Buch behalten, eineinhalb Gulden bezahlen. Und hierin, bitte ich, möget Ihr genaue und rasche Sorgfalt walten lassen, sodaß die Namen aller von Euch in den Listen verzeichnet werden, ich bitte sehr, ob sie nun zurückgegeben haben oder nicht, da schon beinahe alle jene Bücher verkauft sind und wenn ich doch noch mehrere hundert hätte! Ich bitte, daß Ihr die Ballen Tuch, vom Fahrer Prückner sorgfältig in jenem, den ich Euch übersende, gebunden und mit Planen umgeben, übermitteln wollet. Lebet wohl. Nürnberg, den 29. Mai 1478. Bruder Petrus Nigri, Gönner und Freund.« Übersetzt von und zitiert nach Lore Sprandel-Krafft: Über das Verhältnis von Autor und Druckherr in der Inkunabelzeit. Eine neue Quelle zum Buchvertrieb aus dem Würzburger Dominikanerkloster. In: AGB 24 (1983), Sp. 353–383, Sp. 353f. 391 Petrus Niger: Der Stern Meschiah. Esslingen: Konrad Fyner 1477. Vgl. GW M27104. 392 Vgl. Sprandel-Krafft, Über das Verhältnis von Autor und Druckherr, Sp. 359 und 362. 393 Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 353.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels 

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Diese gesammelten Geschäftspraktiken des frühen Buchhandels lehnten sich, wie bereits vermehrt festgestellt, eng an den allgemeinen Warenverkehr an. Das bezeugt auch das Handlungsbuch des Ulmer Großhändlers Ott Ruland, das er zwischen 1442 und 1464 führte. Es fasst die verschiedenen Bezugs- und Zahlungsmöglichkeiten dieser Zeit zusammen: Was die Art und Weise seines Geschäftsbetriebes betrifft, so tauscht es Waaren gegen Waaren, kauft Waaren gegen Baarzahlung und auf Credit, bestellt Waaren mit bedeutenden Vorauszahlungen, hat Waaren von Andern in Commission, verkauft selten gegen baar, meist auf Credit von Messe zu Messe, theils wieder in grössern Quantitäten, theils in geringern an Kleinhändler und Krämer, bei denen es nicht selten Verluste erleidet und sich mit deren Grundbesitz oder mit Hypothek auf denselben bezahlt machen muss.394

Die wenig klare Trennung der Berufsbilder macht eine Zuordnung der am Buchhandel beteiligten Personen meist schwierig. Einige Buchhändler kamen als Quereinsteiger aus anderen Berufen in das neue Gewerbe, oft waren sie ursprünglich Kaufleute oder Gelehrte. Darüber hinaus betrieben viele eine Druckerei, handelten mit anderen Waren oder hatten wie beispielsweise Melchior Lotter, der Schwiegersohn des Leipziger Erstdruckers Konrad Kachelofen, einen Weinausschank und eine Gastwirtschaft. Der Buchführer Peter Clement zum Beispiel verkaufte Wolle und sehr verbreitet scheint auch der Handel mit Papier gewesen zu sein, wie die Beispiele Adolf Rusch oder auch Lotter zeigen, der in seinem offenen Laden in Leipzig durch Lorenz Fischer neben Büchern Papier und Pergament verkaufen ließ.395 Der Wissensraum Buchhandel war in der Frühen Neuzeit durch die berufliche Paralleltätigkeit vieler seiner Aktanten eng mit anderen Wissensräumen, vor allem denen des allgemeinen Warenhandels und dem der Gelehrtenrepublik, verknüpft. Der buchhändlerische Verkehr der Inkunabelzeit hatte sich bis ins 16. Jahrhundert hinein nach dem Vorbild des mittelalterlichen Welthandels ausgeprägt und sich an dessen bereits ausgebaute Fernhandelsstrukturen angeschlossen.396 Der frühe Druckerverleger war zumeist noch direkt in den Vertrieb eingebunden und gezwungen, oft selbst Messen und Absatzgebiete zu bereisen. Dabei spielten auch die lokalen Märkte eine bedeutende Rolle. Der enge Zusammenhang zwischen Produktion und Verkauf zeigt sich zudem besonders deutlich daran, dass von Anfang an der Druckerei ein Verkaufsstand angegliedert war. Die älteste bekannte Darstellung des

394 Ott Rulands Handlungsbuch. Stuttgart: Literarischer Verein 1843, S. VIII. 395 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 147. Lotter trat wohl auch als Kommissionär für Ulrich von Hutten in Erscheinung. Von Hutten schickte 1518 von Augsburg aus 200 Stück seiner Epistel an Wilibald Pirckheimer, 60 seines Gesprächs vom Hofleben und 50 Exemplare seiner Ermahnung an die Fürsten nach Nürnberg an Pirckheimer. Der Humanist sollte sie zum Teil Koberger und zum Teil Lotter in Leipzig zum Vertrieb übergeben. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 148f. 396 Vgl. Hase, Die Koberger, S. 268.

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neuen Gewerbes zeigt bezeichnenderweise eine Druckwerkstatt zusammen mit einer solchen Verkaufsstelle. Die Illustration aus einem Totentanz, der 1500 in Lyon erschien, verbildlicht so die direkte Verbindung von Buchdruck und -handel (Vgl. Abb. 3).

Abb. 3 Die älteste Darstellung einer Buchdruckerei und einer Buchhandlung. Holzschnitt. In: Totentanz (Danse macabre). Lyon: Matthias Huß 1500.

Demnach war es folgerichtig, dass die frühesten Drucker sich in gut vernetzten Handelsstädten niederließen, wollten sie Erfolg mit ihrem Unternehmen haben. Das mussten auch die beiden Erstdrucker Italiens, Konrad Sweynheim und Arnold Pannartz, feststellen. Sie errichteten 1466 ihre erste Werkstatt in dem Benediktinerkloster Subiaco in der Nähe von Rom. Doch diese Druckerei gaben sie bald wieder auf, da das Kloster zu abgelegen war. Ein regelmäßiges Handelsgeschäft ließ sich so nicht aufbauen und sie hatten kaum Aussichten, ihre hohen Auflagen von dort aus zu veräußern.397 Die Zentren des frühen Buchhandels deckten sich weitgehend mit

397 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 181. Auch nachdem sie nach Rom übergesiedelt waren, konnten Sweynheim und Pannartz ihr Geschäft nicht lange halten. Ihre Auflagen waren für den noch in den Kinderschuhen steckenden Buchhandel schlicht zu hoch. Am Ende wandten sich beide über den Bischof von Aleria und Sekretär der vatikanischen Bibliothek, Johan-

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels

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denen des Buchdrucks und lagen in erster Linie im Süden Deutschlands, in Frankreich und Italien.398 Bestimmend für den Handel waren vor allem die großen Messestädte. Die örtlichen Gegebenheiten spielten dabei, wie dargestellt, eine große Rolle für ihre Bedeutung im Wissensraum Buchhandel. Der Hausierhandel durch Kolporteure sollte sich erst im 16. Jahrhundert mit der deutlichen Zunahme des Kleinschrifttums voll entwickeln. Er spaltete sich allerdings schon Ende des 15. Jahrhunderts mit der zunehmenden Verlagsproduktion und der Etablierung der buchhändlerischen Großunternehmen von den Buchführern ab, die sich in der Folge hauptsächlich auf den Besuch der großen Messen und Städte beschränkten.399 Die Buchführer waren die erste Berufsgruppe, die sich schon früh als eigenständiger Berufszweig etablierte, denn mit der Ausdehnung des Geschäfts wurde es für die Druckerverleger immer schwieriger, die eigene Offizin zu leiten und gleichzeitig die Absatzmärkte für den Verkauf ihrer Druckerzeugnisse zu besuchen.400 Selbst wenn die Buchhändler weiterhin alle Tätigkeiten unter einen Hut zu bringen suchten, so waren sie doch gezwungen, weitere Verkäufer zu beauftragen, Leiter für ihre Handelsniederlassungen in anderen Städten einzustellen und sich für die Produktion und den Verkauf bestimmter Titel mit anderen Gesellschaftern zusammenzuschließen.401 Die Angestellten hatten deshalb einen hohen Stellenwert, weil der Handel dieser Zeit »stark von persönlichen Geschäfts- und Vertrauensverhältnissen geprägt«402 war.

nes Antonius de Buxiis, Hilfe suchend an Papst Sixtus IV. Aus ihrem Brief geht hervor, dass sie 1472 dank einer durchschnittlichen Auflagenhöhe von 275 Exemplaren auf einem Gesamtbestand von 12.475 Büchern festsaßen. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 182–186. 398 Hellinga spricht sogar von einer klaren Trennung zwischen dem Norden, dessen Drucker meist in entferntere Städte reisten, und dem attraktiven Süden, wo ein florierender Handel die Drucker anzog, sich dort niederzulassen. Vgl. Lotte Hellinga: The bookshop of the world: books and their makers as agents of cultural exchange. In: Bookshop of the world. The role of the Low Countries in the book-trade 1473–1941. Hrsg. von Lotte Hellinga, Alastair Duke, Jacob Harskamp und Thee Hermans. Zwolle: Hes & De Graaf 2001, S. 11–29, S. 14. 399 Der Hausierhandel bediente dafür die ländlicheren Städte und Dörfer, weshalb er sich vor allem auf Gebrauchsliteratur für den kleinen Geldbeutel konzentrierte. Nach Kapp war einer der ersten Kolporteure bereits Mitte der 1480er Jahre in Spanien unterwegs. Es handelt sich dabei um keinen Geringeren als Christoph Columbus. Nach einer zeitgenössischen Quelle, einem Bericht von Andreas Bernaldes, dem Palastgeistlichen des spanischen Königs, sei er mit Büchern durch Andalusien gezogen und hätte seine Waren zum Kauf angeboten. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 208f. und 277. 400 Die Großbuchhändler verlegten zwar mehrheitlich auch selbst Bücher, aber bereits gegen Ende des 15. Jahrhunderts war es nicht mehr notwendig, eine eigene Druckerei zu besitzen. Auch Koberger nahm gegen Ende seines Lebens von 1505 bis 1513 Abstand von der eigenen Buchproduktion und arbeitete nur noch als Verleger und Buchführer. Die Berufe des reinen Lohndruckers bzw. Verlegers etablierten sich ähnlich früh wie der des Buchführers. Vgl. Rautenberg, Von Mainz in die Welt, S. 243. 401 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 274.

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Die erstaunliche Effektivität des frühen buchhändlerischen Fernhandels spiegelt sich unter anderem im weiter entfernten skandinavischen Buchmarkt wider. Wolfgang Undorf begründet in seinem Artikel über den frühen Buchhandel in Skandinavien den späten Einzug des Buchdrucks dort mit der Verfügbarkeit einer großen Auswahl deutscher und italienischer Druckprodukte.403 Dass sich zuerst der auf den Fernhandel ausgerichtete Großvertrieb von Büchern etablierte, lag wohl nicht zuletzt daran, dass er für die bevorzugte Produktion großformatiger, gewichtiger Folianten die bessere Vertriebsmöglichkeit darstellte. Die weiten Entfernungen, die dabei überbrückt werden mussten, stellten eine große Herausforderung für die frühen Buchhändler dar und »the actual process of distribution was by no means as primitive as is sometimes supposed.«404

3.1.2 Etablierung eigener Buchhandelsstrukturen im 16. Jahrhundert Anfang des 16. Jahrhunderts folgte ein Ereignis, das die frühe Absatzkrise des Buchhandels um 1480 bald in Vergessenheit geraten ließ; die Reformation durch Martin Luther. Erst durch sie offenbarten sich die großen Potenziale des Buchdrucks, indem sie die Grundlage für eine breite Durchsetzung der Volkssprache legte, eine Öffentlichkeit schuf und das Buch zu einem Massenmedium werden ließ. Die Frage, ob sich die Reformation ohne den Buchdruck nicht hätte durchsetzen können oder ob der Buchdruck ohne die Reformation nicht so bald eine so große Bedeutung erlangt hätte, ist müßig. Tatsache ist, dass beide sich wechselseitig förderten und in ihrer Wirkung gegenseitig überdurchschnittlich steigerten. Erdmann Weyrauch spricht hier von einer »janusköpfigen Formel«405, die die Forschung für dieses Phänomen gefunden hat: »Ohne Buchdruck keine Reformation. Ohne Reformation

402 Künast, »Getruckt zu Augspurg«, S. 150. Peter Drach beispielsweise ließ seinen Bruder 1483 mit einem Bücherfass lieber einen Umweg über Nürnberg und Augsburg bis zu ihrem Bestimmungsort Prag nehmen als es einem Fremden anzuvertrauen. Vgl. Geldner, Das Rechnungsbuch des Speyrer Druckherrn, Sp. 99. 403 Vgl. Wolfgang Undorf: The Effects of a Rational Early Modern Book Trade: The Spread of Early Printed Books in Scandinavia in the 15th Century. In: GJ 76 (2001), S. 168–171, S. 168. Als wichtiges Verbindungsglied zwischen Zentraleuropa und dem Norden macht Undorf dabei die Stadt Lübeck fest. Vgl. Undorf, The Effects of a Rational Early Modern Book Trade, S. 168. 404 Martin Lowry: The world of Aldus Manutius. Business and scholarship in Renaissance Venice. Oxford: Blackwell 1979, S. 14. 405 Erdmann Weyrauch: Das Buch als Träger der frühneuzeitlichen Kommunikationsrevolution. In: Kommunikationsrevolutionen. Die neuen Medien des 16. und 19. Jahrhunderts. Köln [u. a.]: Böhlau 1995 (Wirtschafts- und sozialhistorische Studien; Bd. 3), S. 1–14, S. 2.

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›kein Buchdruck‹.«406 Sie erfasst diese wechselseitige Beeinflussung, die nach 1520 zu »folgenreichen Umstrukturierungen«407 des Buchmarkts in Deutschland führte. Dabei ist diese Formel durchaus kritisch zu sehen, da die bereits fest etablierte Technik des Buchdrucks nicht erst durch die Reformation entstand und ohne sie sicher nicht einfach wieder verschwunden wäre. Dennoch wirkten beide aufeinander ein, womit vor allem eine deutliche Nationalisierung des Buchmarkts einherging. Außerdem verlagerte sich mit der Verbreitung der reformatorischen Lehre in ihrem Gefolge der Schwerpunkt des Buchmarkts allmählich vom Süden Europas in den Norden, von Italien und Süddeutschland nach Holland und Norddeutschland.408 Diese Umstrukturierung des Buchmarkts hatte natürlich Folgen für den Wissensraum Buchhandel, der sich dieser Entwicklung anpassen musste. »Ohne Buchdruck keine Reformation. Ohne Reformation ›kein Buchdruck‹.« Martin Luthers 95 Ablassthesen, die 1517 der Auslöser des Glaubensstreits zwischen dem Reformator und seinen Anhängern und dem Katholizismus waren, wurden anfangs noch für ein lateinkundiges Publikum gedruckt. Aber schon 1518 folgte die deutsche Fassung, Ein Sermon von Ablaß und Gnade, die in nur zwei Jahren 23 hochdeutsche und 2 niederdeutsche Ausgaben erlebte.409 Noch bekannter wurde Luthers Appell An den Christlichen Adel Deutscher Nation, der in einer für diese Zeit außergewöhnlich hohen Erstauflage von 4.000 Exemplaren erschien. Die Tatsache, dass die gesamte Auflage nach ihrer Ausgabe am 18. August 1520 sogar innerhalb von nur fünf Tagen vergriffen war und der Text bereits am 23. August neu gedruckt wurde, zeigt die hohe Bekanntheit, die Luthers Schriften innerhalb kürzester Zeit erlangt hatten.410 Der Druckerverleger Johann Froben berichtete Luther am 14. Februar 1519, dass der Druck der ersten Werksammlung vom Oktober 1518 sein bislang erfolgreichstes Projekt gewesen und in Frankreich, Spanien, Italien, Brabant und England verkauft worden sei.411 Luthers Schriften fanden also von Anfang an internationalen Absatz. Eine zweite Auflage druckte Froben im März 1519 und trotzdem schrieb am 23. Mai des gleichen Jahres ein Freund des Gelehrten Heinrich (Henricus) Cornelius Agrippa von Nettesheim: »Ich bin durch ganz Basel gewandert, habe jedoch kein Exemplar

406 Weyrauch, Das Buch als Träger der frühneuzeitlichen Kommunikationsrevolution, S. 2. 407 Vgl. Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 360. 408 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 212. 409 Vgl. Widmann, Geschichte des Buchhandels, S. 63. 410 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 411. Luthers Flugschrift erschien in insgesamt 15 Ausgaben. Vgl. Widmann, Geschichte des Buchhandels, S. 63. 411 Vgl. Widmann, Geschichte des Buchhandels, S. 62. Luther selbst schrieb in diesem Zusammenhang am 13. Februar 1518 an den Bischof von Brandenburg, seine Ablassthesen seien »weiter herumgekommen als er gewollt habe«. Zitiert nach Widmann, Geschichte des Buchhandels, S. 62.

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von Luthers Schriften mehr auftreiben können, da alle verkauft sind. Es heißt aber, daß sie in Straßburg neu gedruckt werden sollen.«412 Der Buchmarkt stürzte sich auf das neue Trendthema der reformatorischen Lehre und zuvor so begehrte humanistische Autoren wie Erasmus von Rotterdam fanden keinen Verleger mehr für ihre Werke.413 Besonders Erasmus – einer der erfolgreichsten Autoren seiner Zeit – beklagte sich des Öfteren über die aktuellen Entwicklungen im Buchmarkt; unter anderem schrieb er am 24. Juni 1524: »Bei den Deutschen ist jetzt kaum etwas verkäuflich außer den Schriften Luthers und seiner Gegner.«414 Andere Gelehrte wiederum schlossen sich begeistert der neuen Lehre an, wie beispielsweise Ulrich von Hutten, der dazu überging, seine bereits gedruckten lateinischen Dialoge zu übersetzen. Die Veröffentlichungen lateinischer Werke im Verhältnis zu deutschsprachigen Ausgaben näherten sich sprunghaft aneinander an. Zwar führten weiterhin deutlich die international absetzbaren lateinischen Titel, aber die deutschsprachigen konnten ihr Verhältnis zu ihnen von eins zu zwanzig im Jahr 1500 auf zeitweilig eins zu drei 1524 steigern.415 Die Ursache für die durchschlagende Wirkung der Reformation und der sich daran anschließenden hitzig geführten Diskussionen war, dass es sich dabei um einen Wissensdiskurs handelte. Glaubensinhalte wurden in der Frühen Neuzeit als Wissen behandelt und tradiert. Wegen dieses propagierten Wissensstatus war es nicht möglich, verschiedene Seiten parallel zu tolerieren und es entwickelte sich ein heftiger Streit zwischen den unterschiedlichen Positionen, die für die Wahrheit der eigenen Ansicht kämpften. Die, von einigen Ausnahmen abgesehen, vorherrschend ökonomische Einstellung der Buchhändler führte dazu, dass sie sich diesen Wissensdiskurs zunutze machten und in der Hoffnung auf gute Gewinne zielgerichtet Beiträge beider Seiten publizierten. Verleger, die auf ihrem traditionellen Programm beharrten, gerieten somit bald in Schwierigkeiten, wie zum Beispiel das Unternehmen des im vorherigen Kapitel ausführlich vorgestellten Kobergers.416 Aktanten, die den Anschluss an den aktuellen Diskurs verpassten, konnten im Wissensraum Buchhandel nicht länger bestehen. Für junge Unternehmer dagegen war der Nachdruck von Luthers Schriften risikofrei, denn der Absatz war durch das überwältigen-

412 Zitiert nach Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 410. 413 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 411. 414 Zitiert nach Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 417. 415 Vgl. Engelsing, Analphabetentum und Lektüre, S. 26. 416 Die Tatsache, dass Koberger 1525 ein Angebot Luthers zur Übernahme der Führung des Wittenberger Buchgewerbes ablehnte, ist aus heutiger Sicht eine vertane Chance, an der Spitze des Buchhandels im 16. Jahrhundert zu bleiben. Das katholisch geprägte Verlagsprogramm Kobergers macht seine Entscheidung jedoch nachvollziehbar. Vgl. Grimm, Die Buchführer des deutschen Kulturbereichs, Sp. 1217.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels

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de Interesse an ihnen gesichert. Dem Buchhandel erschienen seine Werke als eine »Goldgrube«417. Die Reformation bietet insgesamt ein eindrückliches Beispiel für den großen Einfluss äußerer, in diesem Fall kirchenpolitischer, Entwicklungen auf den Wissensraum Buchhandel, denn sie war eine Initialzündung nicht nur für eine inhaltliche, sondern auch eine formale Wandlung der Medienlandschaft. Flugblätter und Flugschriften erlebten einen einzigartigen Aufschwung und gelten als charakteristische Druckmedien der Reformation. Zwischen 1501 und 1530 erschienen etwa 10.000 religiöse, aber auch politische Flugschriften, davon allein über 2.000 im Jahr 1523/24, also direkt zu Beginn des Deutschen Bauernkrieges. Allerdings ist die tatsächliche Zahl der erschienenen Flugschriften heute nicht mehr feststellbar. Viele wurden vernichtet, durch Kriege, Verbrennung oder Abnutzung.418 Der Abnehmerkreis erweiterte sich jedenfalls durch die kleinen, volkssprachlichen und vor allem billigen Druckprodukte erheblich. Nach einer Hochrechnung Hans-Joachim Köhlers, der von durchschnittlich 1.000 Stück je Flugschrift ausgeht, wäre im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts rein quantitativ bei einer deutschen Bevölkerungszahl von zwölf Millionen pro Kopf ein Flugschriftenexemplar produziert worden.419 Rolf Engelsing geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass sich das Lesepublikum in Deutschland deutlich vermehrte. Er rechnet nun mit einem Prozentsatz in der Gesamtbevölkerung, der höher liegt als fünf Prozent.420 Luther trug zu dieser Entwicklung bei, indem er die Notwendigkeit von Lese- und Schreibunterricht unterstrich. Außerdem änderte sich mit der Reformation die Leser- und Käuferschicht auch in sozialer Hinsicht, denn es gehörten nun in größerer Zahl Vertreter der niedrigeren Stände dazu.421

417 Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 411. Selbstverständlich fanden auch die Gegenschriften der katholischen Seite ihre Verleger und ihren Absatz. Der Streit zwischen den Katholiken und den Reformatoren wurde von beiden Seiten aus in erster Linie im Druck geführt. 418 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 436. 419 Vgl. Hans-Joachim Köhler: Die Flugschriften der frühen Neuzeit. Ein Überblick. In: Die Erforschung der Buch- und Bibliotheksgeschichte in Deutschland. Hrsg. von Werner Arnold. Wiesbaden: Harrassowitz 1987, S. 307–345, S. 337. 420 Künast schätzt sogar, dass in Augsburg ab 1520 ca. 30 Prozent der Bevölkerung in der Lage war, eine Flugschrift zu lesen. Vgl. Künast, »Getruckt zu Augspurg«, S. 13. Auf dem Land muss man selbstverständlich weiterhin von einer deutlich geringeren Lesekompetenz ausgehen. 421 Vgl. Engelsing, Analphabetentum und Lektüre, S. 32 und 36. Parallel zur Ausweitung des potenziellen Lesepublikums erweiterten sich auch die volkssprachlichen Bücher für den Alltagsgebrauch, die außerhalb des reformatorischen Diskurses neue Käuferschichten unter Lateinunkundigen ansprachen. Die neuere Forschung konnte nachweisen, dass sich Bürger in Städten, wie Kaufleute oder Handwerker, häufig kleine Bibliotheken in einer durchschnittlichen Größenordnung von ca. 20–50 Stück zulegten, was deutlich die Ausweitung der lesekundigen Käuferschicht im Laufe des 16. Jahrhunderts beweist. Vgl. Erdmann Weyrauch: Die Illiteraten und ihre Literatur. In: Literatur und Volk im 17. Jahrhundert. Probleme populärer Kultur in Deutschland. Teil 2. Hrsg. von

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Martin Brecht untersuchte das Käuferverhalten eines zeitgenössischen Lesers reformatorischer Schriften und deren Preise anhand der Eintragungen des Käufers P. Haug in 32 Exemplaren. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Haug die Schriften in der Regel nur wenige Monate nach ihrem Erscheinen kaufte. Da er oft Nachdrucke erwarb, verkürzt sich diese Frist noch zusätzlich. An drei Tagen erwarb Haug jeweils drei Titel auf einmal. Es ist nicht zu belegen, ob der Mehrfacherwerb mit einem Stadtbesuch oder einem Messedatum zusammenhing, die Kaufdaten vom 26. März 1521 bzw. dem 4. und 11. Oktober 1522 könnten aber auf eine Verbindung zur Messe hinweisen. Die genannten Preise bezeugen außerdem, dass die kleineren Flugschriften tatsächlich für ein breites Publikum gedacht waren. Drucke, die acht bis zehn Blätter umfassten und deren Druckdatum 1520 oder später lag, kosteten konstant drei Pfennige, sechs Blätter starke Drucke nur zwei Pfennige und vier Blätter zweimal drei Heller und einmal einen Pfennig. Im Jahr 1519 hatte ein acht Blatt starker Druck noch vier Pfennige gekostet.422 Für die Verbreitung der ungeheuren Mengen an Kleinschrifttum wuchs der Berufsstand der Kolporteure deutlich an – Hausierer, die meist mit einem kleinen Bauchladen durch das Land und die kleineren Städte zogen. Sie entstammten einfachen sozialen Verhältnissen und betrieben den Handel mit kleinen Büchern, Flugblättern und -schriften selbstständig als Lebensunterhalt. Dass dieser Beruf in der Reformationszeit nicht ganz ungefährlich war, zeigt das Beispiel Hans Hergots. Der Drucker und Buchführer aus Nürnberg reiste mit seinem Sortiment durch Sachsen. Zwei Studenten in Leipzig, in deren Besitz das Traktat Von der newen wandlung eynes Christlichen lebens gefunden wurde, sagten aus, die aufrührerische Schrift von ihm zur Weiterverbreitung erhalten zu haben.423 Daraufhin wurde Hergot verurteilt und hingerichtet. Andere Kolporteure und kleine Winkeldrucker wurden mit Geldstrafen belegt, des Landes verwiesen oder kamen ebenfalls ums Leben.424 Nicht zu vergessen ist aber, dass die zentrale Leistung Luthers mit der größten Langzeitwirkung kein Flugblatt und keine Flugschrift, sondern ein Buch war: die Bibelübersetzung. Schon vor Luther gab es das Bedürfnis nach einer volkssprachlichen Bibel, sodass bereits 18 verschiedene Ausgaben auf dem Markt zu haben waren. Der Text der 14 hochdeutschen und 4 niederdeutschen Bibelversionen basierte allerdings weitgehend auf einer Wort-für-Wort-Übersetzung der lateinischen Vulgata, die grammatische Strukturunterschiede nicht berücksichtigte, oder auf einer älteren, unzeitgemäßen oberdeutschen Übersetzung. Sie waren somit schwer

Wolfgang Brückner, Peter Blickle und Dieter Breuer. Wiesbaden: Harrassowitz 1985 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; Bd. 13), S. 465–474, S. 469. 422 Vgl. Martin Brecht: Kaufpreis und Kaufdaten einiger Reformationsschriften. In: GJ (1972), S. 169–173, S. 172f. 423 Vgl. Grimm, Die Buchführer des deutschen Kulturbereichs, Sp. 1225–1230. Das zeigt, dass sich die umherziehenden Buchführer zusätzlicher Hilfskräfte bedienten. 424 Vgl. Grimm, Die Buchführer des deutschen Kulturbereichs, Sp. 1181 und 1241f.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels

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lesbar und der Sinn oft kaum verständlich.425 Luther übersetzte das Neue Testament in einer Rekordzeit von elf Wochen und Melchior Lotter vollendete den Druck des Werks am 22. September 1522 in der hohen Auflage von wahrscheinlich 3.000 Exemplaren.426 Nur zehn Wochen später folgte die zweite Auflage und allein in Wittenberg, der zeitweiligen »Medienhauptstadt des Abendlandes«427, wurden bis 1533 weitere 14 hochdeutsche und 7 niederdeutsche Ausgaben herausgegeben. Die Zahl der Nachdrucke aus anderen deutschen Städten übertraf diese noch um ein Vielfaches. Im Jahr 1534 erschien dann die erste vollständige Bibelübersetzung bei Hans Lufft in Wittenberg. Insgesamt wurden bis zum Tod Luthers 107 Wittenberger Ausgaben und ca. 330 Nachdrucke der Bibelübersetzung gedruckt.428 »Die Lutherbibel wurde einer der größten Verkaufsschlager des Jahrhunderts.«429 Nur durch eine rasche Verteilung in alle deutschsprachigen Gebiete war es möglich, eine derartige Masse an Exemplaren abzusetzen. Der Reformator selbst hatte zum Buchhandel und seiner auf Gewinn bedachten Handlungsweise eine zwiespältige Haltung. Einerseits hegte er den Wunsch, seine Schriften einer möglichst breiten Allgemeinheit zugänglich zu machen, und war damit auf das effiziente Vertriebsnetz der Buchhändler angewiesen, andererseits verurteilte er den Versuch, daraus übermäßigen Profit zu schlagen. Eine seiner Ansicht nach angemessene Verdienstspanne für Buchhändler legte er in einer seiner Tischreden klar fest: Ein bürgerlicher und rechtmäßiger Handel wird von Gott gesegnet, dass er von zwanzig Pfennigen einen hat, aber ein gottloser und unleidlicher Gewinn im Handel wird verflucht. […] Itzt will man für einen Pfennig zweene haben, ein Pfennig muss ihrer zweene, hundert Gülden müssen zweihundert dazu gewinnen; darumb ist auch kein Segen Gottes dabei.430

425 Vgl. Walter Eichenberger und Henning Wendland: Deutsche Bibeln vor Luther. Die Buchkunst der achtzehn deutschen Bibeln zwischen 1466 und 1522. 2. verb. und erw. Aufl. Hamburg: Friedrich Wittig 1983, S. 7f. 426 Vgl. Widmann, Geschichte des Buchhandels, S. 65f. 427 Erdmann Weyrauch: Reformation durch Bücher: Druckstadt Wittenberg. In: Gutenberg. 550 Jahre Buchdruck in Europa. Ausstellung im Zeughaus der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel vom 5. Mai bis 30. September 1990. Ausstellung und Katalog: Paul Raabe. Weinheim: VCH, Acta Humaniora 1990 (Ausstellungskataloge der Herzog-August-Bibliothek; Bd. 62), S. 53–64, S. 54. 428 Vgl. Wolfgang Schmitz: Reformation und Gegenreformation in der Entwicklung von Buchdruck und Buchhandel. In: Die Buchkultur im 15. und 16. Jahrhundert. Zweiter Halbband. Hrsg. vom Vorstand der Maximilian-Gesellschaft und Barbara Tiemann. Hamburg: Maximilian-Gesellschaft 1999, S. 253–338, S. 262–264. 429 Andrew Pettegree und Matthew Hall: Buchdruck und Reformation – Eine Neubewertung. In: Bücher, Drucker, Bibliotheken in Mitteldeutschland. Neue Forschungen zur Kommunikations- und Mediengeschichte um 1500. Hrsg. von Enno Bünz. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2006 (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde; Bd. 15), S. 343–371, S. 346. 430 Zitiert nach Hase, Die Koberger, S. 336.

152  3 Der historische Kontext: Buchhandel in der Frühen Neuzeit

Neben seine Abneigung gegen das maßlose Gewinnstreben trat noch ein weiteres Übel, das Luther weit mehr zu schaffen machte, nämlich die Fehler, Verfälschungen und Abweichungen vom Originaltext in den Raubdrucken. Er verurteilte dabei weniger den Nachdruck an sich, der zu seiner Zeit nicht als illegitim galt, sondern die rücksichtslose Art und Weise, in der er vorgenommen wurde.431 Der Nachdruck hatte aber auch seine positiven Seiten. Infolge der Ausbreitung der reformatorischen Lehre kristallisierte sich eine Teilung Deutschlands in ein mehrheitlich katholisches Lager im Süden und einen reformierten Norden heraus. Der rege vermittelnde Nachdruck und der trotz Verboten sehr geschäftige Handel mit nachgedruckten Büchern wirkte dieser für den Buchhandel ungünstigen, weil markttrennenden Entwicklung entgegen. Buchführer aus Franken, Tübingen, teilweise auch Schwaben und Böhmen versorgten sich unter anderem in Nürnberg mit solchen Nachdrucken, denn ihre Herstellung wurde vom dortigen Rat lediglich zum Schein untersagt und kaum bestraft.432 Auch an anderen Orten trotzten Drucker und Händler ernsten Verboten. Auf diese Weise widersetzte sich der Wissensraum Buchhandel einer vom Markt diktierten Trennung. Neben dem Hausierhandel und dem Großbuchhandel provozierte die Reformation zusätzliche verborgene Vertriebssysteme. Ein Beispiel hierfür ist der Reformator Kaspar Schwenckfeld, der eine große Anhängerschaft hatte. Schwenckfeld ließ seine Schriften in Augsburg drucken. Dafür schickte er einen vertrauenswürdigen Boten mit seinen Manuskripten in die Stadt, der sie dem Drucker Hans Gegler – ebenfalls ein Gefolgsmann Schwenckfelds – übergab. Nach ihrer Fertigstellung übernahm der Bote die gesamte Auflage und die Schwenckfeldianer besorgten die Verteilung.433 Andere Reformatoren ließen ihre Schriften ebenfalls durch ihre Anhänger weiterverbreiten. Dafür nutzten sie auch die großen Messen, denn dort konnte die Herkunft solcher Texte leicht verschleiert werden.434 Da diese Händler im Verborgenen arbeiten mussten und ihr Antrieb weniger im Profitstreben als vielmehr in der Verbreitung der von ihnen vertretenen Ansichten lag, sind ihre geheimen Vertriebssysteme als eigenständig zu betrachten und allenfalls am Rand des Wissensraums Buchhandel zu verorten.

431 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 424f. 432 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 428. 433 Einer dieser Anhänger in Augsburg war der ehemalige Sailer und Messner der Barfüßerkirche Leonhard Hieber. Er hielt 1553 rund 60 Schriften Schwenckfelds in seiner Wohnung auf Vorrat und verkaufte oder verlieh sie persönlich weiter. Manchen Interessenten schickte Hieber Bücher auch zu. Es ist aber nicht völlig klar, ob Hieber die Verteilung wirklich nur ehrenamtlich und unentgeltlich übernahm oder ob er nicht doch nebenberuflich damit handelte. Seine Tätigkeit war jedenfalls so umfangreich, dass die Obrigkeit auf ihn aufmerksam wurde, sein Lager konfiszierte und ihn vorübergehend einsperrte. Vgl. Künast, »Getruckt zu Augspurg«, S. 183. 434 Vgl. Künast, »Getruckt zu Augspurg«, S. 181f.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels



153

Schließlich hatte die Reformation auch nachweisbare Auswirkungen auf die internationalen Handelsbeziehungen, besonders mit dem im 15. Jahrhundert noch wichtigen Partner Italien. Bedeutende Knotenpunkte im Handel mit Italien waren die süddeutschen Metropolen Basel, Zürich, Straßburg, Frankfurt, Ulm, Augsburg, Nürnberg und Regensburg. Diese Städte schlossen sich schon früh der reformatorischen Bewegung an oder wurden von einer evangelischen Mehrheit dominiert, sodass Spannungen zum katholischen Nachbarland entstanden.435 Die religiöse Teilung zwischen Italien und Süddeutschland bedeutete zwar kein unüberwindliches Hindernis für die buchhändlerischen Beziehungen, aber es sorgte für Absatzprobleme der lateinischsprachigen Bücher aus Italien; »im unmittelbaren Vorfeld der Alpen war eine Zone entstanden, die praktisch wie eine Barriere wirkte, auch wenn natürlich der Transfer von Büchern durch dieses Gebiet theoretisch nicht behindert war.«436 So ist jedenfalls an dieser Stelle durchaus eine störende Grenze innerhalb des europäischen Wissensraums Buchhandel auszumachen, denn es kam noch vor der Mitte des 16. Jahrhunderts zu einer allmählichen Abspaltung des italienischen vom deutschen Buchhandel. Diese Trennung war kaum im Sinne der Verleger vor allem katholischen Schrifttums und es gab Initiativen zu ihrer Überwindung. Einen solchen Versuch unternahm die Große Kompanie von Druckerverlegern aus Köln und Mainz, deren Tätigkeit »als eine der ersten wirklich großräumigen Verlegerinitiativen nicht nur den regionalen Rahmen sprengte, sondern zumindest in der Intention europaweit angelegt war.«437 Auf Anregung des Theologen Johann Cochlaeus (1479–1552) richtete der Drucker Franz Behem 1540 eine Offizin in Mainz ein. Cochlaeus Ziel dabei war es, »einen europäischen Verlag der katholischen Kirche«438 zu etablieren, für den der Buchmarkt in Italien natürlich ein besonders wichtiger Absatzmarkt war. Um diese Vision zu verwirklichen, trat Behem in Kontakt zum Verlag Birckmann und den Firmen Quentel und Gymnich in Köln. Im Jahr 1549 schloss sich Behem dann mit dem Kölner Johann Quentel und dem Mainzer Verleger Theobald Spengel zu einer Gesellschaft zusammen.439 Cochlaeus ersuchte für die Große Kompanie ein päpstliches Privileg, mit dem er ihr nicht nur den Bücherimport nach Italien, sondern auch ein Monopol vor Ort für die in Deutschland produzierten Drucke sichern wollte. Die Kompanie schickte spätestens Anfang des nächsten Jahres Bücherfässer nach Italien und es gibt Berichte über große Erfolge auf der Frankfurter Buchmesse, aber das Privileg wurde wahrscheinlich nicht erteilt. Dennoch prosperierte die Verbindung eine Zeit lang und

435 Vgl. Heinz Finger: Die »Große Kompanie« in Köln und Mainz. Ein rheinisches Verlegerkonsortium im europäischen Buchhandel des 16. Jahrhunderts. In: GJ 70 (1995), S. 294–310, S. 299. 436 Finger, Die »Große Kompanie« in Köln und Mainz, S. 300. 437 Finger, Die »Große Kompanie« in Köln und Mainz, S. 294. 438 Finger, Die »Große Kompanie« in Köln und Mainz, S. 301. 439 Vgl. Finger, Die »Große Kompanie« in Köln und Mainz, S. 302.

154  3 Der historische Kontext: Buchhandel in der Frühen Neuzeit

vergrößerte sich spätestens 1558 noch durch den Beitritt Arnold Birckmanns.440 Von dem Ziel, katholisches Schrifttum weltweit zu vertreiben, hatte sich das Verlegerkonsortium nach Cochlaeus’ Tod verabschiedet und überließ die Belieferung des spanischen Marktes ganz dem Antwerpener Christoph Plantin. Dennoch wurde weiterhin der Kontakt zu Italien gepflegt. Um 1570 hatte sich die Verbindung auf eine Kleine Kompanie reduziert, der nur noch Franz und Kaspar Behem sowie die Familie Birckmann angehörten. Möglicherweise mit dem Tod Franz Behems 1582, spätestens aber mit dem Tod Kaspar Behems 1592 fand das Verlegerkonsortium aus Köln und Mainz sein Ende, das mit seinen Handelsverbindungen nach Italien, England, den Spanischen Niederlanden und Polen ein eindrucksvolles Beispiel der Weiträumigkeit des Buchhandels und der erfolgreichen Netzwerktätigkeit der Buchhandelsaktanten in ihrem Wissensraum darstellt.441 Augsburg Augsburg war neben Wittenberg ein wichtiger Druckort für die Werke Luthers und in der Gesamtproduktion der Flug- und Reformationsschriften sogar der bedeutendste.442 Nach der Ablehnung des Reichstagsabschieds 1530, auf dem sich vor allem Melanchthon mithilfe der Augsburger Konfession für die Anerkennung des Protestantismus von katholischer Seite aus einsetzte, wandte die Stadt sich der Reformation zu.443 Augsburg entwickelte sich insgesamt zum wichtigsten Druckort für deutschsprachige Bücher. Mit diesen, häufig illustrierten Drucken setzte sie sich von den anderen großen Druckzentren wie Basel oder Nürnberg ab und erschloss sich mit Hilfe ihrer Kaufleute den gesamten deutschen Sprachraum als Absatzmarkt.444 Augsburg steht hier stellvertretend als Beispiel für einen wichtigen Ort im

440 Birckmann versuchte auf diese Weise den für ihn wegfallenden englischen Absatzmarkt zu kompensieren. Vgl. Finger, Die »Große Kompanie« in Köln und Mainz, S. 309. 441 Vgl. Finger, Die »Große Kompanie« in Köln und Mainz, S. 302f., 308–310. 442 Vgl. Künast, »Getruckt zu Augspurg«, S. 14. 443 Vgl. Wolfgang Zorn: Augsburg. Geschichte einer europäischen Stadt. Augsburg: Wißner 1994, S. 212. 444 Vgl. Hans-Jörg Künast: Entwicklungslinien des Augsburger Buchdrucks von 1468 bis zum Augsburger Religionsfrieden von 1555. In: Augsburg in der Frühen Neuzeit. Beiträge zu einem Forschungsprogramm. Hrsg. von Jochen Brüning und Friedrich Niewöhner. Berlin: Akademie-Verlag 1995 (Colloquia Augustana; Bd. 1), S. 227–239, S. 228f. und 232. Im Gegensatz zu beispielsweise Basel machte sich das Fehlen einer Universität in Augsburg in einem sehr begrenzten lokalen Absatzmarkt für lateinische Bücher bemerkbar. Rolf Kießling ermittelte zwischen 1460 und 1500 knapp 561 Augsburger Schüler bzw. Studenten mit Lateinkenntnissen. Hinzu kamen aus dem Bürgertum nach Schätzung Künasts maximal 200–300 potenzielle Leser für lateinische Bücher. Selbst zusammen mit der Geistlichkeit – Herbert Immenkötter errechnete für Anfang des 16. Jahrhunderts ca. 500 Augsburger Kleriker und Ordensleute – ist das ein sehr begrenzter Markt. Die dagegen in Basel günstigen lokalen Absatzbedingungen für humanistische Literatur ermöglichten der Stadt bzw. ihren Druckern auch auf dem europäischen Markt eine führende Rolle einzunehmen. Insgesamt war

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Wissensraum Buchhandel außerhalb der Messen, da in ihrem Fall Hans-Jörg Künast bereits umfangreiche Forschungsergebnisse zum örtlichen Druck- und Buchhandelsgewerbe veröffentlicht hat.445 Die Stadt war in der Frühen Neuzeit bis Anfang des 17. Jahrhunderts vor allem als das »goldene Augsburg« bekannt. Ihre Blütezeit fällt in die letzten Regierungsjahre Maximilians I., der sie als König und als Kaiser angeblich siebzehnmal besucht haben soll. Er hatte die Stadt neben Innsbruck zu seiner zweiten Heimat gemacht und wurde vom französischen König Ludwig XII. spöttisch als »Bürgermeister von Augsburg« bezeichnet, da er bei den örtlichen Bankiers hohe Schulden hatte. Der Mythos von der Pracht Augsburgs gründete sich vor allem in seiner wirtschaftlichen Macht durch die großen Handelsgeschlechter der Fugger, Welser, Gossembroter, Höchstetter und andere.446 Neben dem Druckgewerbe untersuchte Künast auch den Handel mit Büchern in Augsburg eingehend. Er macht für den Zeitraum von 1480 bis 1550 knapp 100 Bürger der Stadt aus, die hauptberuflich oder gelegentlich Bücher vertrieben.447 Dazu sind noch knapp 110 fremde Verleger, Drucker und Buchführer aus 46 Städten in den Quellen nachweisbar, die mit den Augsburgern Geschäftsbeziehungen unterhielten.448 Dieser von Künast ermittelte Personenkreis »zeichnet sich durch große Heterogenität aus.«449 Eine untergeordnete Rolle spielen die nebenberuflich als Buchhändler tätigen Personen, wie beispielsweise ein Apotheker oder Papierer und Pergamenter, die gelegentlich gezwungen waren Bücher als Zahlungsmittel anzunehmen.450 Aber auch Personen, deren erster Beruf nichts mit dem Buchhandel zu tun hatte, konnten sehr aktiv daran beteiligt gewesen sein, wie im Fall des Gastwirts Wolfgang Sorg, der in verwandtschaftlicher Beziehung zu dem Drucker Anton Sorg

die Lese- und Schreibfähigkeit in Augsburg allerdings sehr ausgeprägt. Als Handelsstadt waren diese Grundkenntnisse auch für die Handwerker wichtig. Vgl. Künast, »Getruckt zu Augspurg«, S. 11f. 445 Die gute Erforschung der Stadt liegt vor allem an der Überlieferungssituation der Quellen, durch die gerade Augsburg »ein kleinmaßstäbiges Modell innerhalb der Modellepoche ›Frühe Neuzeit‹ darstellt«. Frühwald, Die Freude am Leben, S. 28. 446 Um 1600 wurde von den Stadtoberen durch ein umfassendes Bauprogramm bewusst eine Kulturblüte herbeigeführt. Trotzdem entspricht der Mythos von einer goldenen Zeit Augsburgs nur bedingt der Realität. Vgl. Frühwald, Die Freude am Leben, S. 26. Als Größenordnung für die gesteigerte Wirtschaftskraft der Stadt lässt sich das Steuervermögen heranziehen. Zwischen 1470 und 1500 stieg das Gesamtsteuervermögen der Augsbürger Bürger mindestens um das Vierfache. Vgl. Zorn, Augsburg, S. 183. 447 Eine Auflistung des Personals in Augsburger Druckereien und Buchhandlungen lässt dabei deutlich werden, dass die Grenzen zwischen den Berufsfeldern fließend waren. »Häufig wechselte man von einer Beschäftigung in die andere oder übte sie gar parallel aus.« Künast, »Getruckt zu Augspurg«, S. 103. 448 Vgl. Künast, »Getruckt zu Augspurg«, S. 149. 449 Künast, »Getruckt zu Augspurg«, S. 128. 450 Vgl. Künast, »Getruckt zu Augspurg«, S. 129.

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stand. »Der von Anfang an weit weniger ›handelspatriziatisch‹ ausgerichtet gewesene, seiner Struktur nach auf breiteren Schultern ruhende und somit demokratischere Buchhandel einer Stadt wie Augsburg erwies sich als krisenfester und ausdauernder [im Vergleich zu Nürnberg].«451 Innerhalb der Stadt konzentrierten sich die Buchhändler mit ihren Verkaufsständen auf bestimmte Bereiche, damit sich der Publikumsverkehr dort bündelte. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts verdrängten die Buchhändler dazu die Drucker von ihrem angestammten Niederlassungsort, dem Weinmarkt und der Katharinengasse. »Der Abzug der Drucker aus diesem prestigereichen Viertel dokumentiert in gewisser Hinsicht den sozialen Abstieg der Drucker, vom Drucker-Verleger zum ›gewöhnlichen‹ Handwerker.«452 Ein zweiter Sammelpunkt von Druckern, Buchhändlern und anderen am Buchgewerbe Beteiligten bildete sich Anfang des 16. Jahrhunderts um das Kloster St. Ursula. Zuletzt etablierte sich als wichtiger Ort die Umgebung um die Barfüßerkirche zwischen Perlach und Barfüßertor. Künast nennt diese Straße die »›Verkaufsmeile‹ für die populäre Literatur«453, wodurch sich der Buchhandel in der Stadt gewissermaßen teilte in den Markt für gehobene Lektüre (Weinmarkt/Katharinengasse) und Klein- und Erbauungsliteratur (zwischen Perlachberg und Barfüßertor).454 In ganz ähnlicher Weise waren die bedeutendsten Buchhandlungen in Paris beispielsweise auf der Rue St. Jacques zu finden, in London auf der Paternoster Row und in St. Pauls Churchyard sowie in Leipzig in unmittelbarer Umgebung des Nikolaikirchhofs. Der Mittelpunkt des buchhändlerischen Verkehrs in Köln war bis zum Ende des 17. Jahrhunderts die Straße Zur Fettenhennen.455 Es wird hier ersichtlich und ist folgerichtig, dass sich die Aktanten des Wissensraums Buchhandel in einer Stadt auch in örtlicher Nähe zueinander positionierten, da sie auf diese Weise ihre Gruppenzugehörigkeit sichtbar machen und gleichzeitig als Gruppe eine stärkere Sogwirkung auf Kunden ausüben konnten, die so auf einem Platz alle Buchangebote gebündelt vorfanden. Die Augsburger Produktion brach zum ersten Mal um 1500 ein. Gründe dafür waren der Schwabenkrieg, der bayerisch-pfälzische Erbfolgekrieg und der Krieg Kaiser Maximilians I. mit Venedig. Dadurch wurden Im- und Exporte von Büchern bzw. Papier aus Italien sowie die Besuche der Nördlinger, Leipziger, Frankfurter und Lyoner Messen behindert. Weitere Produktionseinbrüche bis 1510 sowie 1525 reflektieren dabei die Schwierigkeiten im Handel Oberdeutschlands.456 Durch den Schmalkaldischen Krieg (1546/47) geriet der Augsburger Buchmarkt schließlich in eine

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Grimm, Die Buchführer des deutschen Kulturbereichs, Sp. 1239. Künast, »Getruckt zu Augspurg«, S. 130–132. Künast, »Getruckt zu Augspurg«, S. 132. Vgl. Künast, »Getruckt zu Augspurg«, S. 102 und 130–132. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 298. Vgl. Künast, »Getruckt zu Augspurg«, S. 18.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels

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tiefe Krise,457 was durch die häufige kontrollierende Anwesenheit Kaiser Karls V. nach dessen Beendigung noch verstärkt wurde. Im Jahr 1547 ging die Zahl der Publikationen deutlich zurück und Augsburg verlor damit in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts auch seine Bedeutung als buchhändlerisches Zentrum.458 Gleichzeitig mit der Absatzkrise in den 1550er Jahren versuchte der Rat den Buchhandel stärker zu kontrollieren und verabschiedete 1551 ein Dekret, nach dem der Buchvertrieb nur noch denen erlaubt war, die eine Kramergerechtigkeit459 besaßen. Dieses Vorhaben wurde von den größeren Buchführern, Buchbindern und Druckern unterstützt, die sich so ihre Marktposition sichern wollten. Die kleineren Buchführer und -binder, die sich eine solche Kramergerechtigkeit nicht leisten konnten, legten gegen dieses Vorgehen Protest ein und noch im selben Jahr wurde der Beschluss wieder aufgehoben. Die Buchhändler, die für den verbindlichen Erwerb der Kramergerechtigkeit waren, gaben jedoch nicht nach. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts konnten sie sich schließlich durchsetzen und der Augsburg Buchhandel wurde zunehmend durch rechtliche Reglementierungen eingeschränkt.460 Im Laufe des 17. Jahrhunderts machte Augsburg dann einen radikalen Wandel durch. Bis 1700 entwickelte sich die Stadt vom protestantischen Druckort zum Zentrum des katholischen Druck- und Verlagswesens. Der Aufstieg Augsburgs besonders in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zum Gegenpol Leipzigs als führende Stadt im katholischen Reichsbuchhandel in Süddeutschland ging dabei einher mit dem Abstieg Kölns.461 Diese ganz gegensätzliche Entwicklung der Stadt wurde im 18. Jahrhundert weiter unterstützt durch den Aufschwung der Klosterbibliotheken, denn die Klöster wurden der wichtigste Käuferkreis für den katholischen Buchhandel.462 Das Beispiel Augsburg zeigt, wie sich die Bedingungen, die innerhalb eines Ortes herrschten, und ihre Veränderung auf den Buchhandel auswirkten, wie aber

457 Augsburg hatte sich als Mitglied des Schmalkaldischen Bundes aktiv an den Auseinandersetzungen beteiligt und musste im Januar 1547 vor der kaiserlich-katholischen Gegenseite kapitulieren. Vgl. Zorn, Augsburg, S. 219. 458 Vgl. Künast, Entwicklungslinien des Augsburger Buchdrucks von 1468, S. 231. 459 Die Kramergerechtigkeit war eine Zulassung zum Ausüben eines Gewerbes, die nach einer Überprüfung vom Handwerksgericht und dem Steueramt vergeben wurde. 460 Vgl. Künast, »Getruckt zu Augspurg«, S. 137–139. 461 Neben Nürnberg war Augsburg im 17. Jahrhundert ein Haupthandelsplatz für Kunst- und Flugblätter, die hier wie auch in Holland in großen Mengen produziert wurden. Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 373. 462 Vgl. Helmut Gier: Buchdruck und Verlagswesen in Augsburg vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Ende der Reichsstadt. In: Augsburger Buchdruck und Verlagswesen von den Anfängen bis zur Gegenwart. Hrsg. von Helmut Gier. Wiesbaden: Harrassowitz 1997, S. 479–516, S. 482, 496 und 503.

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auch im Umkehrschluss der Wissensraum Buchhandel auf einen Ort und seine Umgebung einwirkte.463 Berufsorganisation Die Hauptbeteiligten am Buchmarkt, Buchdrucker, Verleger und Buchhändler, waren zunächst nicht zünftig organisiert. Allenfalls traten die Drucker Mischzünften bei, nicht zuletzt da einige Städte die Mitgliedschaft in einer Zunft zur Erlangung des Bürgerrechts voraussetzten. Man wollte auf diese Weise das Ansiedeln sozial Bedürftiger verhindern und die heimische Wirtschaft unterstützen. Beispielsweise in Basel, Straßburg und Köln464 finden sich aus diesem Grund viele Nachweise über eine Zunftzugehörigkeit der Buchdrucker. In Basel waren die meisten Drucker im 16. und 17. Jahrhundert Mitglied in der Safranzunft oder in der Schlüsselzunft. In Straßburg wiederum erließ der Rat 1502 eine Verfügung, nach der die Drucker der Künstlergilde zur Stelze für Maler und Goldschmiede beitreten mussten.465 Ende des 16. Jahrhunderts folgten schließlich Buchdruckergesellschaften mit eigenen Ordnungen, die sich in ihrer Organisation eng am Vorbild der Zünfte orientierten.466 Deutlich schwieriger war es im Fall der Buchhändler, deren Gewerbe ein völlig freies war, da der Vertrieb und Verkauf von Druckwerken jedem freistand.467 Dennoch gab es auch hier Bestrebungen, sich zu organisieren. In München beispielsweise schlossen sich die Buchführer zusammen mit den Buchbindern zu einer Zunft zusammen.468 Diese Münchener Zunft bildete sich im 16. Jahrhundert und schloss neben den Buchführern und -bindern auch Gstadlmacher (Tütenmacher), Pergamentmacher und Briefmaler mit ein. Im Jahr 1596 erhielt sie vom Stadtrat eine

463 Augsburgs starke Position im Buchhandel des 15. und 16. Jahrhunderts führte dazu, dass sich die umliegenden Städte nicht dagegen behaupten konnten. Künast bezeichnet Ulm, Reutlingen, Dillingen, München, Ingolstadt, Innsbruck und Salzburg diesbezüglich »fast als Augsburger Filialen«. Künast, »Getruckt zu Augspurg«, S. 159. 464 In Köln nannten sich die Verbände nicht Zünfte, sondern Gaffeln. Vgl. Richter, Buchhändlerische Kataloge, S. 34. 465 Vgl. Richter, Buchhändlerische Kataloge, S. 33f. Das Buchbinden wurde im Gegensatz zum Buchdrucken nicht als freie Kunst eingestuft und war daher von Anfang an zünftig organisiert. Vgl. Jürgen Gramlich: Rechtsordnungen des Buchgewerbes im Alten Reich. Genossenschaftliche Strukturen, Arbeits- und Wettbewerbsrecht im deutschen Druckerhandwerk. In: AGB 41 (1994), S. 1–145, S. 103. 466 Vgl. Gramlich, Rechtsordnungen des Buchgewerbes im Alten Reich, S. 7. Erst im 17. Jahrhundert befassten sich diese Buchdruckerordnungen zunehmend auch mit Fragen des Vertriebs. Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 121. 467 Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 96. 468 Im 17. Jahrhundert gab es auch Versuche der Buchhändler sich zu einer eigenen Innung zusammenzuschließen. Beide Ansätze in Frankfurt 1669 und in Leipzig 1696 kamen allerdings zu keinem Ergebnis. Erste reine Buchhändlerordnungen in einzelnen Städten gab es erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 120f.

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Zunftordnung, die 1655 noch um einzelne Sätze ergänzt wurde. Inhaltlich betraf die Ordnung vor allem die Buchbinder, ihre Zunftverwaltung, das Lehrlingswesen und das Gesellen- bzw. Meisterrecht. Nur in den Nummern 55 bis 61 war streng geregelt, wie die Ware kontrolliert oder wo und wann sie verkauft werden durfte; und das galt besonders für fremde Buchhändler. Damit betrafen diese Abschnitte des Ratsgesetzes ausschließlich den Buchvertrieb. Wurde er zusätzlich zur freien Buchdruckerei ausgeübt und nicht zusammen mit der Buchbinderei, war auch der Handel weiterhin frei. Die Buchbinder hatten den Rat wohl deshalb um die Satzung gebeten, um sich das Buchhandelsrecht weiter zu sichern.469 Die den Vertrieb direkt betreffenden Sätze der Ordnung sind im Folgenden aufgrund ihres Ausnahmecharakters ausführlich zitiert: Vom Failhaben 55. Die hieigen [hiesigen] maister mögen ire bücher vnnd wahren by iren läden oder da einer khainen laden hatte, an anndern erlaubten ortten woll auslegen, failhaben, vnnd verkhauffen, doch soll an den Sunn- vnnd andern gebottnen Feyrtagen, vormittag, vnnd verrichten Gottesdienst durchauß nichts auslegen, failhaben, oder einicher Laden öffnen, by ernstlicher Rathsstraff. 56. Aber Nachmittag mögen sy gemelte brief Kallennder aushengen, aber die Läden öffenen allein die khleinen Türlin. Von frembden buech-Fuerern 57. Wann frembde Puechhanndler in der Dult Jacobi, oder auf Trium Regum [Dreikönigstag] hieher khommen, die sollen sich alsbaldt bey dem Herrn Burgermeister anmelden, ire Cathalogos Librorum, die sy herbringen, fürweisen, dieselbigen, wie auch die Buecher selbst, durch die hierzue verodtnete [Beauftragten] fleißig besichtigen lassen, damit nichts so der Catholischen Religion zuwider, hergebracht, failgehabt, vill weniger verkhaufft werde. 58. Was andere frembde Lanndtfarer die Bicher, tractätlein, brief vnnd anders deßgleichen über Ruckh tragen, oder sonnst, auch ausser deß gefreuthen Jarmarckhts Jacobi vnnd dann auf Trium Regum im Jar herkhommen, denen nit allein soll das hausieren (wie hieuor gemelt) allerdings verbotten, vnnd bey ernstlicher Straff abgeschafft sein, sondern sy sollen ir wahr nirgent auslegen, failhaben, oder verkhauffen, es werde inen dann durch den Herrn BurgerMaister erlaubt, daß Orth vnnd die Zeit bestimbt, wo vnnd wie lang einer fail haben möge. 59. Doch soll solchen Landtfahrern alle ire büecher, tractätlein, brief vnnd waß sy herbringen, besichtigt werden, damit nichts Ergerliche, Khözerisch [Ketzerisches], vnnd der waren Catholischen Religion zuwider hergebracht, failgehabt vnnd verkhaufft werde.

469 Vgl. Hans W. Bieber: Die Befugnisse und Konzessionierungen der Münchner Druckereien und Buchhandlungen von 1485 bis 1871. Unter besonderer Berücksichtigung der bayerischen Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts. In: AGB II (1977, Reprint von 1960), S. 404–430, S. 407.

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60. Vnnd damit die hiesigen Buechfierer wissen, was solchen frembden, so herkhommen erlaubt, oder abgeschlagen werde, soll ein vierer mit einem solchen zum herrn Burgermaister gehen, vnnd daselbst des Herrn Burgermaisters beschaidt vernemmen vnnd anhören. 61. Würde sich yemandt außer erlaubnus dergleichen wahren failzuhaben vnndersteen, denoder dieselbigen will ein Rath darumben ernstlich straffen, es sollen auch die hieigen guette achtung darauf haben, vnnd die vebertretter dem herrn Burgermaister fürbringen.470

Ob die Buchbinder das Recht zum Handel mit Büchern hatten, war nicht allgemein gültig geregelt, sondern orientierte sich an den jeweiligen Buchbinderordnungen in den Städten. Ihre Befugnisse hingen dabei von ihrem Einfluss auf den Rat ab.471 Dass in vielen Zunftordnungen und Ratserlassen den Buchbindern das ausschließliche Recht zum Handel mit gebundenen Büchern zugesprochen wurde, empfanden die Buchdrucker und -händler als einen ungerechtfertigten Eingriff in ihren freien Beruf. Die Überschneidungen der einzelnen Gewerbe führten dazu, dass es bis Anfang des 18. Jahrhunderts immer wieder zu Gewerbestreitigkeiten zwischen Buchdruckern, -führern und -bindern kam. Hier kollidierten also verschiedene Vorstellungen der Aktantgruppen, indem die einen die Freiheit ihres Berufs als Charakteristikum betonten, während die anderen versuchten, den Handel gesetzlich zu regeln, um ihre schwache Position im Wissensraum zu stärken. Besonders die Buchbinder traten zunehmend in direkte Konkurrenz zu den Buchhändlern, worüber sich diese 1598 in einem Brief an den Leipziger Rat beschwerten: Undt Erstlich: ist am Tage, Das die Buchbinder alhier, sich nuhmehr etliche Jahr hero, vnderstanden, Inmaßen sie sich noch teglich, ie lenger ie mehr vnderstehen, offene Buchlähden anzurichtten, Darinne sie nicht allein ihre eigene, sondern auch von andern Buchbindern gebundene, Ja auch, daß noch mehr ist, nichtt allein gebundene, sondern auch allerley vngebundene, vndt Rohe bucher zu feilen kauff haben, Darunter doch zu weilen der mehrer theill, nichtt ihr eigen, sondern frembder Buchführer, Welche dan von ihnen, vntter ihren Burger Rechtt, den frembden zu gutte vorkaufft, vndt distrahiret werdenn.472

470 Zitiert nach Der deutsche Buchhandel in Urkunden und Quellen, Bd. II, S. 72f. 471 Überall in Deutschland versuchten die Buchbinder mindestens zu erreichen, dass keine gebundenen Bücher eingeführt und alle Bücher innerhalb eines Gebietes nur von ortsansässigen Buchbindern gebunden werden durften. In Ulm erlangten die Buchbinder im 17. Jahrhundert sogar einen derart großen Einfluss, dass sie den Buchhandel dort völlig beherrschten. Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 112 und 116. 472 Zitiert nach Albrecht Kirchhoff: Streitigkeiten über die Gewerbebefugnisse in Leipzig im Jahre 1598 ff. In: AGDB VII (1882), S. 123–145, S. 126. Im gleichen Brief beschwerten sich die Buchführer auch über die Buchdrucker, die »auß ihrem beruff [schreiten]« und Buchläden einrichteten, in denen sie Bücher billiger als die Händler anboten. Vgl. Kirchhoff, Streitigkeiten über die Gewerbebefugnisse in Leipzig, S. 126f.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels 

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In die Gegenrichtung lief eine Beschwerde von Druckern und Buchbindern in Augsburg, als der Rat durch ein Mandat den Feiertagsverkauf 1552 verbot. Sie sahen sich durch das Verbot ihrer Lebensgrundlage beraubt, während es für die großen täglich verkaufenden Buchführer keine Auswirkung hätte. Außerdem würde der Rat auf diese Weise auch den »gemeinen Mann« schädigen, was sie mit folgenden Worten begründeten: dann wir grosse bücher nit vailhaben, sonnder nur khlaine Latheinische vnnd anndere schuler byechlin, Psalmen, Peth, Euangelium, etc. vnnd andere dergleichen büchlin, auch ettwann, schüler, Ehehalten, Handtwerckhßgesellen oder andere, biechlin kauffen, die sy sonst, da sy die nit vor jnen sehen nit zukauffen willens sein, oder ettwann in der wochen nit außkhommen kinden, vnd sonnst am feiertag jr gellt verschwenden vnd verthün.473

Das Verbot wurde offenbar wieder aufgehoben, da mehrere Buchführer im Jahr 1560 beim Rat erneut ein Sonn- und Feiertagsverkaufsverbot anregten.474 Die vornehmlich mit Kleinschrifttum handelnden Buchbinder konnten sich im buchhändlerischen Konkurrenzkampf nicht gegen die Buchhändler, die im großen Stil auf den Messen handelten, behaupten.475 Aber gerade in kleineren Orten dominierten sie seit dem 16. Jahrhundert den Handel mit kleinen gebundenen Büchern.476 Die wenigen Versuche der Buchhändler im Gegensatz zu den lokal agierenden Buchbindern und auch im Gegensatz zu den sich absondernden Buchdruckern Zunftgemeinschaften zu schließen, sind ein sichtbares Zeichen der bewussten Abgrenzung des Buchhandels von anderen Gewerben. Die Einrichtung der Zunft war jedoch für den Wissensraum Buchhandel nur wenig geeignet, da es zum Selbstverständnis der buchhändlerischen Aktanten gehörte, dass ihr Beruf prinzipiell jedem offenstand. Der Buchhändler Johannes Rynmann Ein bekanntes Beispiel für die Entwicklungstendenzen des Buchhandels im frühen 16. Jahrhundert und nach Konrad Celtis Aussage »per universam Germaniam librarium et bibliopolam«477 war Johannes Rynmann von Öhringen (1460–1522). Der Buchhändler Rynmann unterschied sich von den bekannten großen Druckerverlegern der Inkunabelzeit, indem er nie eine eigene Druckerei betrieb, sondern seine Ver-

473 Zitiert nach Künast, »Getruckt zu Augspurg«, S. 136f. 474 Vgl. Künast, »Getruckt zu Augspurg«, S. 139. 475 Vgl. Gramlich, Rechtsordnungen des Buchgewerbes im Alten Reich, S. 105. 476 Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 106. Für die Buchbinder hatte auch der Wandervertrieb eine große Bedeutung und sie wurden von einigen Buchhändlern dafür eingebunden, wie zum Beispiel von Jacob Apels in Leipzig. Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 106. 477 Zitiert nach Kirchhoff, Beiträge zur Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 28.

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lagswerke komplett als Aufträge an verschiedene Offizinen vergab.478 Hans-Jörg Künast und Brigitte Schürmann stellten in ihrer Studie über Augsburger Buchführer seine buchhändlerische und verlegerische Tätigkeit ausführlich dar. Er dient im Folgenden als Beispiel der neuen Hauptaktanten im Wissensraum Buchhandel, die im 16. Jahrhundert an die Stelle der Druckerverleger traten und sie in ihrer Bedeutung ablösten. Rynmann agierte zunächst von Öhringen aus als reiner Wanderbuchhändler und besuchte bereits in den 1480er Jahren die Buchmessen in Frankfurt und Leipzig. Öhringen war als Ausgangspunkt eines großen Unternehmens jedoch wenig geeignet und so konnte Rynmann seinen Handel erst mit seiner Umsiedlung nach Augsburg ab 1489 entscheidend ausbauen. Ein erstes Warenlager errichtete er dort im Tegerseer Hof, wodurch er 1491 in den Steuerbüchern für den Bezirk Pfaffengasse auftaucht. Im Steuerbezirk Außerhalb Sankt Gallentor erwarb Rynmann 1493 das Haus, in dem der Buchbinder Nikolaus Thum wohnte. Thum hatte ihn 1489 vor dem Stadtgericht vertreten und es ist anzunehmen, dass er in Rynmanns Diensten die Geschäfte in Augsburg während dessen Reisen führte. Erst 1502 richtete Rynmann seine Hauptniederlassung in einem Haus im Buchhändlerbezirk St. Katharinengasse ein. Augsburger Bürger scheint er allerdings nie gewesen zu sein.479 Er blieb bis 1508 in den Steuerbüchern als Nichtbürger aufgeführt und zahlte auch danach weder Kopfsteuer noch Wachgeld. Auch eine Vermögenssteuer musste er bis um 1500 kaum oder nur in geringen Beträgen entrichten, was in Anbetracht seines Vermögens auf Sonderkonditionen des Augsburger Rats schließen lässt.480 Trotzdem blieb Rynmann bis in die 1490er Jahre eng mit seinem Heimatort Öhringen verbunden und behielt seine dortigen Besitzungen. Um jedoch von den Abgaben, die er darauf entrichten musste, befreit zu werden, versuchte er sich von der Leibeigenschaft der Grafen von Hohenlohe zu lösen. Am 4. Januar 1498 entließ Graf Kraft von Hohenlohe Rynmann, seine Frau, Kinder und Nachkommen aus der Unfreiheit. Er tat dies allerdings nicht umsonst, sondern ließ sich dafür fürstlich entlohnen. Die äußerst hohe Auslösungssumme von 800 Gulden musste der Buchhändler innerhalb von nur vier Jahren abbezahlen, was auf die inzwischen erreichte Größe seines Unternehmens hinweist. Den Grund für Rynmanns Reichtum benannte Graf von Hohenlohe in der Entlassungsurkunde. Er erwähnte, dass der Buchhändler

478 Vgl. Duntze, Verlagsbuchhandel und verbreitender Buchhandel, S. 220. 479 Ein Brief Johann Ulrich Tenglers, der in dessen Laienspiegel von 1509 vorgedruckt ist, weist lediglich nach, dass Rynmann in Augsburg seinen Wohnort hatte: »Dem vessten vnd wolgeachten herrn Johann Rynnman von Oringen / Gemainer Teütschenlannd bůchfürer / in des hailigen Römischen reichs Kayserlicher stat Augspurg wonhafft«. Ulrich Tengler: Layen Spiegel: Von rechtmässigen ordnungen in Burgerlichen vnd peinlichen regimenten. Augsburg: Rynmann 1509. URL: http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb11068051_00013.html? zoom=0.6000000000000001 [Stand: 05.02.2018]. Vgl. VD16 T 337. 480 Vgl. Künast/Schürmann, Johannes Rynmann, Wolfgang Präunlein und Georg Willer, S. 23f.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels

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»etliche Jare ein henndel unnd gewerbe mit gedruckten buchern unnd anderm in vsswendig konnigreichen und nationen, auch in Nidern und hohen Teutzschen landen gefurt unnd alle jar grosse und weyte reyssen getan […] habe.«481 Er handelte demnach offensichtlich neben Büchern auch noch mit anderen Waren, was, wie bereits festgestellt, nicht unüblich war. Künast und Schürmann weisen darauf hin, dass gerade Großbuchhändler sehr wahrscheinlich noch mit anderen, für den Buchmarkt relevanten Gütern handelten, wie etwa Papier oder Metall für die Herstellung von Drucktypen.482 Nicht lange nach seiner Übersiedlung nach Augsburg richtete Rynmann einen zweiten Firmensitz in Leipzig ein, baute dort ein Bücherlager auf und hatte mit Peter Clement d. Ä. ab 1509 einen ständigen Vertreter in Diensten.483 Leipzig diente ihm als Ausgangspunkt für seinen Handel mit dem Osten und war zusammen mit Frankfurt sein nördlichster Stützpunkt. Sein Handelsnetz erstreckte sich insgesamt von Freiburg im Breisgau bis nach Krakau. Erweitert wurde dieser Kreis noch durch Druckaufträge, die er in Basel vergab, und offenbar auch durch Kontakte in die Niederlande, was der Druck zweier niederländischer Bücher in seinem Auftrag beweist. Anders als die großen Druckerverleger arbeitete Rynmann dabei mit Ausnahme von Leipzig nicht mit Faktoreien.484 Stattdessen gewährte er großzügige Kredite an auswärtige Buchhändler und nutzte selbstständige Buchhandlungen in verschiedenen Städten, indem er sich finanziell an ihnen beteiligte. Solcherart schuf er sich Standorte in den Universitätsstädten Freiburg, Tübingen, Heidelberg und Ingolstadt. In Freiburg war Rynmann am Buchhandel von Andres Grundelhans, in Heidelberg von Andreas Grindelhart und in Heilbronn von Sigmund Stir beteiligt. Die Universität von Ingolstadt belieferte er dagegen direkt. Einen weiteren Stützpunkt hatte er schließlich noch in Heilbronn.485 Erst ab 1497 ging Rynmann dazu über, selbst Bücher zu verlegen, und brachte bis 1522 rund 240 Werke heraus. Er steht damit nicht nur aufgrund der Tatsache, dass er keine eigene Druckerei unterhielt, im Gegensatz zum bislang üblichen Werdegang seiner Berufskollegen. Die Druckerverleger waren allesamt vom Druckgewerbe aus in das Verlagsgeschäft eingestiegen. Rynmann erwarb sich stattdessen

481 Zitiert nach Künast/Schürmann, Johannes Rynmann, Wolfgang Präunlein und Georg Willer, S. 24. 482 Vgl. Künast/Schürmann, Johannes Rynmann, Wolfgang Präunlein und Georg Willer, S. 24. 483 Auf Clement folgte 1514 Blasius Salomon, der vorher als Reisediener in Rynmanns Auftrag unterwegs gewesen war. Vgl. Künast/Schürmann, Johannes Rynmann, Wolfgang Präunlein und Georg Willer, S. 24f. 484 Eine weitere Ausnahme war womöglich noch Krakau. Hier hatte Rynmann eine Niederlassung und arbeitete eng mit dem Krakauer Buchführer Melchior Franck zusammen, der ursprünglich auch aus Augsburg stammte. Vgl. Künast/Schürmann, Johannes Rynmann, Wolfgang Präunlein und Georg Willer, S. 25. 485 Vgl. Künast/Schürmann, Johannes Rynmann, Wolfgang Präunlein und Georg Willer, S. 24f.

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sein Startkapital im Buchvertrieb und erschloss sich erst dann das risikoreiche Metier der Verleger.486 Sein Beispiel zeigt, dass eine eigene Verlagsproduktion nicht notwendig war, wohl aber zu Anfang des 16. Jahrhunderts ein lukratives Geschäft zu sein versprach. Außerdem bezeugt es die allmähliche Ablösung der Drucker vom großen Buchhandelsgewerbe. Seine Druckaufträge vergab Rynmann in erster Linie an Heinrich Gran in Hagenau,487 er beschäftigte aber auch Druckereien in Augsburg, Nürnberg, Straßburg, Basel und Venedig. Diese Vorgehensweise barg einige Vorteile gegenüber dem üblichen Weg. »Als erfahrener Buchhändler wusste er vermutlich sehr genau über die Wünsche und Erwartungen seiner Kundschaft Bescheid und konnte sein Verlagsprogramm dementsprechend ausrichten.«488 Zudem bewahrte er sich als reiner Verleger eine große Flexibilität und umging das Risiko des Aufbaus und der Auslastung einer kostenintensiven Druckerei. Es gab zwar gegen Ende des 15. Jahrhunderts schon andere reine Verleger, Rynmann aber war nach heutigem Kenntnisstand der erste, der diese Arbeitsweise professionell und im großen Stil in Deutschland betrieb.489 Ab 1518 beteiligte sich Johannes Rynmann an einer Buchhandelsgesellschaft, der sogenannten Pantzschmannschen Buchhandlung, die sich vorrangig dem Buchvertrieb widmete. Gegründet wurde sie wahrscheinlich 1514 von dem Leipziger Ratsherr, Weinschenk und Gastwirt Augustin Pantzschmann und der Kölner Verlagsgesellschaft von Gottfried Hittorp und Ludwig Hornken.490 Letzterer war bis zu seinem Tod 1521 Geschäftsführer der Gesellschaft und wurde anschließend abgelöst von Wolfgang Präunlein, der von Rynmann für diesen Posten nach Leipzig geschickt worden war. Die Pantzschmannsche Buchhandlung bestand nur bis 1529/30, nachdem bereits 1524 ihre Verlagslager in Wittenberg und Prag verkauft worden waren.491 Sie handelte mit großem Kapitaleinsatz und beteiligte sich am gewachsenen Kleinhandel der Reformationszeit. Die Ausweitung des Kölner Verlags von Hittorp und Hornken veranlasste sie jedoch, das Sortimentsgeschäft aufzugeben. Sie

486 Vgl. Duntze, Verlagsbuchhandel und verbreitender Buchhandel, S. 220f. 487 Kirchhoff vermutet, dass die Möglichkeit des Wassertransports von Hagenau aus auf dem Rhein und Main nach Frankfurt zur Bevorzugung Grans geführt hatte. Vgl. Kirchhoff, Beiträge zur Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 26. Den Grund dafür, dass Rynmann nie eine eigene Druckerei betrieb, vermuten Künast und Schürmann in der guten Zusammenarbeit mit Gran. Auch andere Buchhändler, die wie er mit dem Vertrieb einstiegen und sich nach und nach das Verlagsund das Druckgewerbe erschlossen, wie zum Beispiel die im folgenden Abschnitt genauer vorgestellte Buchhändlerfamilie Birckmann, richteten erst eigene Druckereien ein, als sie Schwierigkeiten mit ihren Lohndruckern bekamen. Vgl. Künast/Schürmann, Johannes Rynmann, Wolfgang Präunlein und Georg Willer, S. 26. 488 Duntze, Verlagsbuchhandel und verbreitender Buchhandel, S. 221. 489 Vgl. Duntze, Verlagsbuchhandel und verbreitender Buchhandel, S. 221. 490 Hornken war 1512 nach Leipzig übergesiedelt und hatte dort die Tochter Augustin Pantzschmanns geheiratet. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 150. 491 Vgl. Künast/Schürmann, Johannes Rynmann, Wolfgang Präunlein und Georg Willer, S. 29.

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verkaufte das Sortiment 1518 an Gregor Jordan, der gleichzeitig Agent der Pantzschmannschen Buchhandlung war. Jordan war es auch, der nach Auflösung der Filialen in Wittenberg und Paris die dortigen Vorräte für insgesamt 1.300 Gulden übernahm. Das Ende der Pantzschmannschen Buchhandlung hatte Präunlein eingeleitet durch Spekulationen in Zinn.492 Nach dem Tod Rynmanns spätestens im März 1523 führten seine Töchter die Großbuchhandlung weiter. Eine war bereits verstorben und ihr Mann Wilhelm Eisenhut trat das Erbe an ihrer Stelle an. Eine andere Tochter war mit Wolfgang Präunlein verheiratet, den Rynmann ausgebildet hatte. Er betrieb von 1524 bis 1529 in Augsburg seinen eigenen Buchhandel, bis er 1529 die Rynmannsche Firma übernahm. Dass Präunlein 1541 vom Frankfurter Rat als Zeuge zu einem Schuldprozess zwischen dem Buchführer Bartholomäus Vogel aus Wittenberg und dem Frankfurter Hutmacher Konrad Glade gebeten wurde, zeugt von einem regelmäßigen Messebesuch. Daneben behielt er den zweiten Firmensitz in Leipzig und hatte mit Michael Wachter weiterhin einen ständigen Vertreter in Krakau. Auch steigerte er das Anschlagvermögen der Firma in den Jahren 1534 bis 1546 auf 1.400 Gulden. Insgesamt aber konnte Präunlein nicht an die Hochzeit unter Rynmann anschließen und ging 1548 sogar in Konkurs, was Künast und Schürmann dem Schmalkaldischen Krieg und seinen negativen Folgen für den Augsburger Buchhandel zuschreiben.493 Die Buchhändlerdynastie Birckmann und der Handel mit England Die Familie Birckmann weist einen ähnlichen Werdegang auf wie Johannes Rynmann. Ihr Beispiel soll die bei Rynmann aufgezeigten Entwicklungen unterstreichen und offenbart zudem einen genaueren Blick auf den länderübergreifenden Buchhandel, denn der Kölner Franz Birckmann (gest. 1529/30) war führend im Handel mit den Niederlanden und England. Eine interessante Untersuchung, die den Buchhandel der Familie Birckmann in Zusammenhang mit dem üblichen Warenhandel zwischen Köln und England bringt, legte Claudia Schnurmann 1991 vor. Ein solcher Blickwinkel unterstreicht den in der Frühen Neuzeit vorherrschenden Warencharakter des Buches und die primär ökonomische Denkweise der Buchhändleraktanten im Wissensraum Buchhandel.494 Die Familiengeschichte der Birckmanns ist verworren und wird hier nicht ausführlicher dargestellt, es fällt aber auf, dass Eheschließungen vor allem auf beruflich vorteilhafte Verbindungen hin ausgerichtet waren.495 Die Brüder Franz und Arnold Birckmann (gest. 1541) – ursprünglich aus Hinsbeck stammend – begannen das Familienunternehmen ab 1500 wie Rynmann als Buchhändler und nicht als

492 493 494 495

Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 151. Vgl. Künast/Schürmann, Johannes Rynmann, Wolfgang Präunlein und Georg Willer, S. 28–30. Vgl. Duntze, Verlagsbuchhandel und verbreitender Buchhandel, S. 221. Vgl. Schnurmann, Kommerz und Klüngel, S. 53.

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Drucker.496 Entscheidend war hier vermutlich die Heirat Franz Birckmanns mit der Tochter des Kölner Buchhändlers Gerhard Cluen von Amersfoort, Gertrud. Amersfoort wurde auch sein Geschäftspartner und führte ihn in den westeuropäischen Buchhandel ein. Auf sein Bestreben hin ging Franz Birckmann als Faktor für die Handelsgesellschaft Cluen bzw. Cluen/Birckmann nach London, wurde bald Teilhaber und verlegte mit Übernahme der Geschäftsleitung seinen Hauptwohnsitz nach Antwerpen.497 Die Drucke für ihren Vertrieb erwarben die Birckmanns auf der Frankfurter Messe und transportierten sie von dort aus über Köln nach Antwerpen. Frankfurt öffnete damit den Handelsweg nach Süden und Osten, während sie sich von ihrem niederländischen Stützpunkt aus den Absatzmarkt im nordwestlichen Europa erschlossen. »Antwerpen war der zentrale Umschlagplatz für den französisch-niederländischen Kölner Handel und das Sprungbrett nach England.«498 Spätestens seit den 1520er Jahren war die Außenstelle in Antwerpen dauerhaft von Familienmitgliedern oder Angestellten besetzt.499 Die Praktik der Faktoreieinrichtung wurde demnach im 16. Jahrhundert nicht obsolet, allerdings genügte es inzwischen, deutlich weniger solcher Stützpunkte einzurichten, als es noch bei Schöffer, Koberger oder Drach der Fall gewesen war. Birckmann legte bei seinen Reisen nach England auch häufig Zwischenstation in Paris ein, doch obwohl er dort einiges drucken ließ, scheinen seine buchhändlerischen Verbindungen nach Frankreich nicht sehr umfangreich gewesen zu sein. Der von 1521 an dauernde lange Krieg zwischen Karl V. und Franz I. war zudem nicht förderlich für den deutsch-niederländischen Buchhandel mit Frankreich.500 Ihre erfolgreichsten Geschäftsbeziehungen unterhielten die Birckmanns stattdessen auf die britische Insel. Sie konnten sich als eine der dominierenden Firmen im Buchmarkt vor Ort etablieren, da England im 16. Jahrhundert vom Buchimport aus dem Festland abhängig war.501 Seit Beginn des dortigen Buchdrucks – eingeführt durch den Engländer William Caxton – beschränkte er sich weitgehend auf

496 Vgl. Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 364. 497 Vgl. Schnurmann, Kommerz und Klüngel, S. 54. Arnold Birckman erwarb um 1526 das Kölner Bürgerrecht. Sein Bruder Franz verzichtete darauf, da er für längere Zeit in Antwerpen lebte; er selbst und seine Familie verstanden sich aber ebenfalls als »Kölner«. Der Rechtsstatus seiner Kinder als Kölner Bürger wurde auch nie angefochten, da Franz mit Gertrud eine Kölner Bürgerin geheiratet hatte. Vgl. Schnurmann, Kommerz und Klüngel, S. 60. 498 Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 364. 499 Vgl. Schnurmann, Kommerz und Klüngel, S. 64. Die Zweigstelle in Antwerpen lag in der Kammenstraat, wo sie später von der Nähe zur benachbarten Offizin Plantin profitierte. Vgl. Schnurmann, Kommerz und Klüngel, S. 64. 500 Vgl. Kirchhoff, Beiträge zur Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 93f. 501 Vgl. Duntze, Verlagsbuchhandel und verbreitender Buchhandel, S. 222. Wie bedeutend der Handelsverkehr Birckmanns mit England war, verdeutlicht ein Brief von Erasmus vom 21. Dezember 1510 aus Canterbury an Andreas Ammonius in Paris, in dem er dem Namen von Franz Birckmann

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London. Den heimischen Bedarf konnte die Stadt allein aber nicht decken. »Almost all books in Latin were imported from abroad.«502 Buchhändler vom Kontinent genossen daher seit 1484 sogar per Gesetz uneingeschränkte Handelsfreiheit im angelsächsischen Raum.503 Das führte dazu, dass zwei Drittel der am englischen Buchmarkt beteiligten Personen vom Festland stammten; in erster Linie aus Deutschland und den Niederlanden.504 Lotte Hellinga untersuchte 1.000 auswärts gedruckte Bände englischer und schottischer Besitzer vor 1500 nach ihrer statistischen Verteilung auf die Herkunftsländer. Daraus geht hervor, dass Italien als Druckort den prozentual höchsten Anteil (40,4 Prozent) hatte. Danach folgten Deutschland (31,5 Prozent) und Frankreich (16,5 Prozent). Die wenigsten Bücher wurden in den Beneluxländern (11,6 Prozent) gedruckt. Auch wenn sie nur einen kleinen Ausschnitt beleuchtet, verdeutlicht diese Statistik einmal mehr die Internationalität der frühen Buchhandelsverbindungen sowie die Abhängigkeit des englischen Buchmarkts vom Import und das Übergewicht der italienischen Druckproduktion Ende des 15. Jahrhunderts.505 Das einheimische Buchgewerbe versuchte gegen die Dominanz der Ausländer in England vorzugehen und sich von der Regierung Vergünstigungen zu erhandeln. Es kam bereits 1534 zu einem Gesetz, nach dem ausländische Konkurrenten und die Einfuhr ihrer Drucke stärker kontrolliert und reglementiert wurden. Der Import gebundener Bücher wurde verboten. Zu dem Wunsch der englischen Buchhändler, die auswärtige Konkurrenz auszuschalten, gesellte sich das Bestreben der englischen Krone, ihr Land gegen den Einfluss des Katholizismus durch dessen als staatsgefährdend eingestufte Schriften abzuschirmen. Den Hauptteil des Birckmannschen Handels mit England bildeten katholische Druckschriften, weshalb sie schon seit Mitte des 16. Jahrhunderts ihre Verlagsproduktion systematisch reduzierten. Nach

hinzusetzt: »qui libros ferme omnes solitus est huc importare.« Zitiert nach Kirchhoff, Beiträge zur Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 92. 502 Lotte Hellinga: Importation of Books Printed on the Continent into England and Scotland before c. 1520. In: Printing the Written Word. The Social History of Books, circa 1450–1520. Hrsg. von Sandra Hindman. Ithaca [u. a.]: Cornell University Press 1991, S. 205–224, S. 206. Die Abhängigkeit Englands vom Festland zeigte sich auch in anderen Wirtschaftszweigen. Vgl. Schnurmann, Kommerz und Klüngel, S. 65. 503 Vgl. Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 364. Die vom Parlament verfügte Handelsfreiheit war ein einzig den Buchhändlern gewährtes Privileg. Alle anderen ausländischen Kaufleute hatten kein solches Recht zur Ausübung ihres Handels. Vgl. Hellinga, Importation of Books Printed on the Continent, S. 208. 504 Vgl. Schnurmann, Kommerz und Klüngel, S. 66. 505 Vgl. Hellinga, Importation of Books Printed on the Continent, S. 209f.

168  3 Der historische Kontext: Buchhandel in der Frühen Neuzeit

der Thronbesteigung der strengkatholischen Maria Tudor 1553 nahm der Englandhandel der Kölner dann noch einmal einen kurzzeitigen Aufschwung.506 Königin Maria versuchte wie schon ihr Vater, nur mit religiös entgegengesetzten Ansichten den englischen Buchmarkt zu kontrollieren und für ihre Politik zu instrumentalisieren.507 Die Stationers’ Company, die Gilde der Buchhändler, Verleger und Drucker, sollte mit Verleihung einer Charter 1557 zur Loyalität gegenüber der Krone verpflichtet werden. Seit ihrer Gründung hielt die Stationers’ Company ein Monopol im englischen Buchmarkt. Dem jüngeren Arnold Birckmann war es gelungen, zusammen mit ein paar anderen Auserwählten als sogenannter »brother«, als außerordentliches Mitglied, Zugang zu der einheimischen Vereinigung zu finden. Um dauerhaft von den Vorteilen der Mitgliedschaft zu profitieren, sicherte er sich mit großzügigen Schenkungen und Stiftungen die Zustimmung auch der Kritiker dieser Regelung. Nach dem Tod Maria Tudors 1558 war die Ausrichtung Englands unter ihrer Nachfolgerin Elisabeth I. in kirchenpolitischer Hinsicht unentschieden und damit auch die Aussichten für den Absatz der Kölner Firma.508 Mit einer inhaltlichen Programmanpassung überstand Arnold Birckmann den Regierungswechsel und konnte den Handel sogar noch weiter ausbauen.509 Seit 1561 war Andreas Fremershem sein Faktor in London. Als in den 1560er Jahren dann die letzte Hochphase des Birckmannschen Englandhandels einsetzte, erhielt dieser Unterstützung durch Reinhold Mercator. Die Niederlassung in Antwerpen wurde ebenfalls verstärkt, da sich Arnold Birckmann aus Krankheitsgründen nach Köln zurückzog. Die Leitung hatte daraufhin sein Schwiegersohn Arnold Mylius (1540–1604) inne. Unter den weiteren Mitarbeitern gab es auch Kaufleute; einer von ihnen besaß sogar ein offizielles Hansezeugnis. Insgesamt waren die Verbindungen zur Hanse allerdings trotz der Hansemitgliedschaft Arnold Birckmanns nur locker,

506 Vgl. Schnurmann, Kommerz und Klüngel, S. 73f. Das spiegelte sich auch in Birckmanns Verlagstätigkeiten wider, die in dieser Zeit wieder deutlich zunahm. Vgl. Schnurmann, Kommerz und Klüngel, S. 75. 507 Heinrich VIII. hatte 1526 ein Verzeichnis verbotener Bücher herausgebracht. Es enthielt 17 Werke. Diesem Verzeichnis folgten weitere Listen und unter Maria I. wuchs die Aufzählung auf 89 Titel. Vgl. Erdmann Weyrauch: Leges librorum. Kirchen- und profanrechtliche Reglementierungen des Buchhandels in Europa. In: Beiträge zur Geschichte des Buchwesens im konfessionellen Zeitalter. Vorträge des 6. Jahrestreffens »Europäischer Buchhandel im Jahrhundert der Reformation« des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Geschichte des Buchwesens vom 4.–7. Mai 1983 und des Bibliotheksgeschichtlichen Seminars »Die Reformation und das städtische Büchereiwesen« vom 10.–12. Oktober 1983. Hrsg. von Herbert G. Göpfert, Peter Vodosek, Erdmann Weyrauch und Reinhard Wittmann. Wiesbaden: Harrassowitz 1985 (Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens; Bd. 11), S. 315–335, S. 320f. 508 Vgl. Schnurmann, Kommerz und Klüngel, S. 76. 509 Anstelle von Schriften, die in Religionsfragen Stellung bezogen, konzentrierte sich der Birckmannsche Verlag nun auf unverfänglichere Titel der klassischen Antike oder naturwissenschaftlicher Forschung. Vgl. Schnurmann, Kommerz und Klüngel, S. 77.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels



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denn er hielt sich selten an die Vorschriften, die damit verbunden waren. Weder beachtete er hansische Handelssperren, noch wohnten er oder seine Angestellten im Kontor. Birckmann residierte stattdessen im firmeneigenen Haus in Antwerpen und unterhielt rege Geschäftskontakte zu Kaufleuten außerhalb der Hanse. Dass die Hanse die Verstöße geflissentlich ignorierte, spricht für den Wohlstand und das Ansehen der Firma.510 Nicht einmal das Handelsembargo zwischen England und den Niederlanden von 1569 bis 1573 konnte den Buchvertrieb der Kölner Firma auf die britische Insel stoppen. Zwar war der übliche Weg von Antwerpen nach London versperrt, sie wussten sich aber anderweitig zu behelfen. Zusammen mit Buchhändlern aus Spanien mietete Mylius 1572 einen Wagen, der die Buchballen von Antwerpen nach Lyon schaffen sollte. Von dort aus wurde die Sendung nach London verschifft. Daneben versuchten sie das Embargo über den Norden zu umgehen. Hamburg und Emden sollten hier 1571 und 1572 als Startpunkte für den Seeweg nach England dienen. Die längere Fahrt und die internationalen Spannungen waren dabei nicht unproblematisch. Das Schiff, das 1571 Emden verließ, The Swan, wurde von Piraten entführt und die Fracht war verloren. Dennoch nahmen die Kölner solche Widrigkeiten auf sich, um sich den englischen Absatzmarkt so lang wie möglich zu erhalten.511 Nach dem Tod des jüngeren Arnold Birckmann 1576 und seines Bruders Johann 1572 wurde Arnold Mylius der Hauptgeschäftsführer der Firma. In eben dieser Zeit herrschten auf dem englischen Buchmarkt zunehmend Spannungen. Die Stationers’ Company versuchte sich verstärkt gegen die starke ausländische Konkurrenz zu wehren und kämpfte gleichzeitig gegen die aufbegehrenden Provinzen, die das Monopol der Londoner Buchhändler nicht länger hinnehmen wollten. Die Kölner gerieten dabei zwischen die Fronten. Im Jahr 1579 wurde erstmals eine Frachtsendung der Birckmanns beschlagnahmt; ein radikaler Versuch der Londoner, die fremdländischen Konkurrenten zu treffen. Da die örtliche Universität jedoch ihren Bedarf in erster Linie über die Familie Birckmann abdeckte, fürchtete sie einen Versorgungsengpass. Der Privy Council zeigte sich dementsprechend wenig erfreut über die Konfiskation und forderte die Herausgabe der Bücher. Sein Versuch, die Situation zu entspannen, hatte allerdings wenig Erfolg. Anfang der 1580er Jahre spitzte sich der nationale Kampf zwischen den Provinzen und der Hauptstadt zu und endete mit der Gründung der University Press of Cambridge. Das englische Buchwesen formierte

510 Vgl. Schnurmann, Kommerz und Klüngel, S. 78f. 511 Vgl. Schnurmann, Kommerz und Klüngel, S. 80f. Es lässt sich feststellen, dass jeweils im Oktober und im November die größten Sendungen auf der britischen Insel ankamen, was in Verbindung mit der Frankfurter Herbstmesse gebracht werden kann. Auf der Messe im Spätjahr dürfte das Buchangebot seinen Höchststand im Jahr erreicht haben. Daneben setzten in den Monaten von Februar bis März die Lieferungen regelmäßig aus, weil es in dieser Zeit wetterbedingt häufig zu Behinderungen der Seefahrt kam. Vgl. Schnurmann, Kommerz und Klüngel, S. 71.

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sich neu mit einer deutlichen Schwächung der Machtposition Londons. Der dadurch mögliche Aufbau neuer Unternehmen sorgte schließlich für mehr Unabhängigkeit vom europäischen Festland.512 Im Zuge der zunehmenden Abschottung des englischen Buchmarkts in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zog sich Birckmanns Firma schließlich vollständig aus dem Handel mit England zurück.513 Kurz nach 1583 wurde die Londoner Filiale aufgelöst und nach 1585 gibt es keine Hinweise mehr auf eine Handelsbeteiligung der Kölner in England. Das hatte auch Auswirkungen auf den Standort in Antwerpen, da seine Bedeutung als Handelszentrum dadurch deutlich sank. Mylius löste die Niederlassung auf und baute stattdessen die Kontakte zum dortigen Handelshaus Plantin-Moretus aus. Ihnen überließ er den Vertrieb vor Ort und konzentrierten sich in der Folge nur noch auf den Zwischenhandel.514 »Nach einem neuen Konzept verzichtete die Firma Birckman/Mylius auf etablierte Handelsmethoden: der internationale Eigenhandel wurde aufgegeben, an seine Stelle traten Zwischenhandel und internationale Kooperation.«515 Damit werden an ihrem Beispiel sehr anschaulich die Einflüsse der politischen Lage eines Landes auf die Aktanten des Wissensraums Buchhandel sichtbar. Ihren Verlag betrieb die Familie Birckmann anfangs nur nebenher, wobei sie sich im Gegensatz zu Rynmann mit ihrem Programm stark auf den internationalen Markt konzentrierte. Spätestens seit 1504 führten Franz Birckmann und sein Schwiegervater Amersfoort eine Verlagsgesellschaft, die ihre Titel auf den Handel mit England abstimmte.516 Viele Aufträge vergaben sie dafür an Lohndrucker in Paris. Beispielsweise ließen sie 1504 in Paris bei dem Drucker Wolfgang Hopyl ein Missale für die englische Diözese Salisbury drucken,517 ein eindrückliches Beispiel für die europaweite Vernetzung von Verlag, Herstellung und Vertrieb eines Druckwerks. Um 1510 nahm Birckmanns Unternehmen großen Aufschwung und er trat verstärkt als Verleger hervor. Er verfügte zu dieser Zeit über ausreichend Kapital – eventuell vermehrt um ein Erbe durch den möglichen Tod Gerhard Amersfoorts – und konnte 1510/11 neben den Nachdrucken des Messbuchs von Salisbury auch solche von Gebetbüchern zur Marienverehrung bei den Pariser Lohndruckern in Auf-

512 Vgl. Schnurmann, Kommerz und Klüngel, S. 82–84. 513 Vgl. Duntze, Verlagsbuchhandel und verbreitender Buchhandel, S. 222. 514 Vgl. Schnurmann, Kommerz und Klüngel, S. 84f. 515 Schnurmann, Kommerz und Klüngel, S. 85. 516 Vgl. Schnurmann, Kommerz und Klüngel, S. 66. 517 Vgl. Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 364. Warum Birckmann zwischen 1504 und 1523 auch vier Auflagen eines Missale Coloniense bei Hopyl in Paris drucken ließ, obwohl sein Verlagsstammort Köln selbst ein wichtiges Buchdruckzentrum war, ist nicht ganz klar. Rautenberg vermutet, dass die Gründe für diese Wahl einerseits darin lagen, dass Hopyl auf den Missaliendruck spezialisiert war, und andererseits, dass die benötigten Illustrationen in Köln nicht vorrätig bzw. nicht in Pariser Qualität vorhanden waren. Vgl. Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 365.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels



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trag geben. In den Impressa nannte Birckmann dabei direkt seine Verkaufsstätte in London: »Hore beatissime virginis Mariae, in alma Parhisiorum, acad. imp. F. byrckman vendutur London apud bibliopolas in cimiterio sancti Pauli. 1511.«518 Sein Lager in London befand sich demnach in St. Paul’s Churchyard, der zentralen Sammelstelle für Verlage, Druckereien und Geschäfte in London.519 In den 1520er Jahren erschloss sich die Firma Birckmann schließlich doch noch das Druckgewerbe, indem sie in ihrem Kölner Haus Zur Fetten Henne eine eigene Druckerei einrichtete.520 Der Name und das Emblem ihres Hauses in pingui gallina verwendeten sie als Firmensignet, das sie zur »Wahrung der Firmeneinheit«521 auch auf die Antwerpener Filiale übertrugen. Die Bedeutung der Familie für Köln drückt sich in der Übernahme der Bezeichnung Unter Fettenhennen für die Straße aus, auf die sich Birckmanns auch bei ihren weiteren Hauskäufen konzentrierten. Die Straße wurde außerdem bald zum buchhändlerischen Zentrum Kölns.522 Nichtsdestotrotz vergab Birckmann weiterhin Aufträge an auswärtige Drucker.523 Anders als Rynmann entwickelte sich sein Unternehmen also schließlich wieder zum üblichen Komplettmischbetrieb, der alle drei Buchgewerbestufen einschloss.524 Bemerkenswerterweise wurde Franz Birckmann auch als Agent bezeichnet. Er stand in Kontakt zu Erasmus von Rotterdam, dessen Schriften er gegen den Willen, aber zum Vorteil von Erasmus, an Johann Froben vermittelte.525 Die Qualität der Arbeit Frobens überzeugte Erasmus dann allerdings so nachhaltig, dass er nach Basel übersiedelte, um besser und enger mit Froben zusammenarbeiten zu können.526 Neben seiner vielfältigen Tätigkeit als Buchhändler, Verleger und Drucker trat Birckmann also noch zusätzlich als Vermittler für einen Autor auf. Die enge Zusammenarbeit und Vermittlungstätigkeit unter den am Buchgewerbe Beteiligten war all-

518 Zitiert nach Schnurmann, Kommerz und Klüngel, S. 66. 519 Vgl. Schnurmann, Kommerz und Klüngel, S. 65 und 73–75. 520 Vgl. Duntze, Verlagsbuchhandel und verbreitender Buchhandel, S. 223. 521 Schnurmann, Kommerz und Klüngel, S. 63. 522 Vgl. Schnurmann, Kommerz und Klüngel, S. 63. Kapp verglich die Bedeutung der Straße für Kölner Drucker und Verleger sogar mit der der Buchgasse in Frankfurt für den dortigen buchhändlerischen Messverkehr. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 101. 523 Vgl. Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 363. 524 Vgl. Duntze, Verlagsbuchhandel und verbreitender Buchhandel, S. 223. 525 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 103. Schnurmann stellt den Groll Erasmus allerdings infrage. Wäre der Autor so wenig erfreut über den Auftrag an Froben gewesen, hätte er ihn rückgängig machen können oder sich doch zumindest nicht so schnell damit abfinden müssen. Außerdem zeigte sich das Vertrauensverhältnis zu Birckmann in keiner Weise belastet, da der Humanist ihn 1513 zu seinem Finanzberater machte. Schnurmann vermutet daher »ein geschickt abgekartetes Spiel«, was durchaus möglich, heute ohne weitere Quellen aber nicht mehr nachvollziehbar ist. Schnurmann, Kommerz und Klüngel, S. 68. 526 Vgl. Schnurmann, Kommerz und Klüngel, S. 67f.

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gemein üblich und erweitert Birckmanns Beziehungsgeflecht und seine Mitwirkung deutlich im Bereich der inhaltlichen Vermittlung. Die neue Bedeutung der Messen War der Messverkehr im 15. Jahrhundert noch auf eine kleine Anzahl von Druckerverlegern und Buchführern beschränkt, wuchs die Bedeutung der Frankfurter und anderer Messen für den Buchmarkt deutlich schneller als es die übliche Epocheneinteilung, wie sie Kapp und Goldfriedrich vorgeben, impliziert. Sie sprechen erst ab 1564 mit Einführung des Messkatalogs durch Georg Willer vom Beginn des Messzeitalters. Aber schon mit dem Besuch Frankfurts durch humanistische Verleger aus Italien wurde auch das Interesse der Gelehrten Europas an diesen Messen geweckt.527 Anfang des 16. Jahrhunderts trafen sich auf der Frankfurter Messe die Gelehrten und die Buchhändler in großer Zahl, weshalb es nicht lange dauerte, bis der Messetermin auch zur wichtigsten Deadline für das Erscheinen aktueller Schriften im gelehrten Diskurs avancierte.528 So entschuldigte sich beispielsweise der Korrektor Martin Schürer im Explicit des Epitome rerum Germanicarum529 von Jakob Wimpfeling, das 1505 bei Johann Prüß in Straßburg erschien, für mögliche Druckfehler, da »wir gezwungen waren, wegen der bevorstehenden frankfurter Messe das Werk in möglichst kurzer Zeit zu drucken«530. Die Messbesuche waren für die großen Buchhandelsaktanten obligatorisch und so waren schon Schöffer, Koberger, Drach sowie ab 1515 Johann Froben regelmäßig dort und es ist ein »zeitliches Bedingtsein der Verlagserscheinungen durch die Messe«531 nachzuweisen. Letzteres bezeugt den starken Einfluss des Messeortes auf den Wissensraum Buchhandel.

527 Bereits aus einer Nachricht von 1483 ist der Aufenthalt eines Vertreters der venezianischen Verlagsgesellschaft um Johann von Cöln und Nicolaus Jenson auf der Frankfurter Messe nachgewiesen und 1489 werden drei Buchhändler aus Venedig als Besucher genannt. Vgl. Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, S. 9. 528 Vgl. Hase, Die Koberger, S. 376–378. Schon im 15. Jahrhundert lässt sich vereinzelt eine terminliche Herausgabeorientierung an der Messe feststellen, denn Schöffer kündigte im Frühjahr 1470 in einer Anzeige das Erscheinen eines Druckwerks, die Briefe des heiligen Hieronymus, zur Herbstmesse des gleichen Jahres an. Das Buch erschien auch tatsächlich zum angegebenen Zeitpunkt. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 70f. 529 Cornelius Nepos: Hic subnotata cõtinentur || Vita.M.Catonis(per || Cornelium Nepotem).|| Sextus Aurelius de vitis Caesarum.|| Beneuenutus de eadem re.|| Philippi Beroaldi & Thomae Vuol=||phij Iunioris disceptatio/ de nomine || imperatorio.|| Epithoma rerum Germanica[RUM] vs[que]|| ad nostra tempora(IACOBI || wympfelingij). Straßburg: Johann Prüß d. Ä. 1505. Vgl. u. a. VD16 N 523. 530 Zitiert nach Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 455. 531 Hase, Die Koberger, S. 378. Während des Konflikts der Dominikaner mit Johannes Reuchlin beeilten sich beide Seiten, ihre Streitschriften rechtzeitig zur jeweils anstehenden Frankfurter Messe herauszubringen. Johannes Pfefferkorn avisierte die Frankfurter Fastenmesse 1511 als Erscheinungstermin für seinen Handspiegel, während Reuchlin seine Antwort darauf, den Augenspiegel, zur

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Die Reise zu den Messen war oft lang, beschwerlich und mitunter auch gefährlich. Jedoch hatten die Buchhändler mit ihrem Handelsgut einen großen Vorteil gegenüber anderen Waren: »Es tuen die Straßenplacker den Buchführern nichts, lassen sie ziehen, weil die Juden auf Bücher das allerwenigste Geld geben.«532 Ein Nachteil wiederum war das große Gewicht der Bücher, sodass der Transport ein kostspieliges Unterfangen war, wie schon aus dem vorherigen Kapitel hervorging. Die Gesamtkosten einer Messereise lassen sich am Beispiel des Hauses Plantin-Moretus nachvollziehen, einem der produktivsten und einflussreichsten Unternehmen im Buchhandel der zweiten Hälfte des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts. Christoph Plantin (1514–1589) errichtete 1555 eine Druckerei in Antwerpen. Nach seinem Tod übernahm sein Schwiegersohn Jan Moretus (1543–1610) die Leitung des Geschäfts. Beide nutzten für ihre Reisen zur Messe verschiedene Wege und Verkehrsmittel – einen Wagen, ein Boot oder ein Pferd – und gingen Teilstrecken zu Fuß. Für ihre Hin- und Rückreise mussten sie dafür inklusive der Verzehrkosten und der Ladenmiete auf der Messe (10 Gulden) 57 Gulden und 13 Sous aufwenden. Hinzu kamen noch die Frachtkosten für die Bücherfässer, die Zollgebühren und die Trinkgelder für die Arbeiter, sodass eine Messereise insgesamt 131 Gulden 53/4 Sous kostete. Diese Summe konnte sich durch ungeplante Zwischenfälle noch erhöhen, wie zum Beispiel im Jahr 1586 als ihr Gehilfe Peter van Tongheren auf der Reise zur Frankfurter Fastenmesse von Soldaten überfallen wurde, die ihn ausraubten und gefangen nahmen.533 Trotz der hohen Kosten stiegen die Messen im Laufe des 16. Jahrhunderts zu den wichtigsten örtlichen Treffpunkten im Wissensraum Buchhandel auf.534 Dabei wuchs in erster Linie Frankfurt zum internationalen Zentrum heran. Die im voranstehenden Kapitel noch genannte Messe in Lyon hatte dafür deutlich an Bedeutung eingebüßt. Das lag vor allem daran, dass ihr gesamter Erfolg spätestens um die Mitte des 16. Jahrhunderts gefährdet war. Die französischen Könige nutzten die Lyoner Messen immer mehr zur Staatsfinanzierung, indem sie sie einerseits als Kapitalmarkt beanspruchten und andererseits die Zölle und Abgaben erhöhten, was ihre Attraktivität entscheidend minderte.535 Frankfurt am Main Als Messestadt für den allgemeinen Warenhandel hatte Frankfurt eine lange Tradition. Ihre Lage am Schnittpunkt wichtiger Handelsstraßen prädestinierte sie für ihre

Herbstmesse des gleichen Jahres fertigstellte. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 455. 532 Zitiert nach Grimm, Die Buchführer des deutschen Kulturbereichs, Sp. 1171. 533 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 505f. 534 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 493. 535 Vgl. North, Von den Warenmessen zu den Wechselmessen, S. 228.

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Rolle als einer der europäischen Hauptmesseorte.536 Für den Buchhandel gewannen vor allem die Frühjahrsmesse zu Ostern und die Herbstmesse zu Michaelis seit 1480 zunehmend an Geltung.537 Die Herbstmesse erwies sich dabei oft als die beliebtere von beiden, zum Beispiel für die Buchhändlerfamilie Birckmann, die im Spätjahr nachweislich größere Büchermengen nach Frankfurt schaffte als zum Frühjahr.538 Die Vorrangstellung Frankfurts im 16. Jahrhundert gegenüber Leipzig machte unter anderem Erasmus deutlich, der mehrfach auf die Erscheinung seiner Werke zu ihrer nächsten anstehenden Messe hinwies. Am 30. März 1530 berichtete er außerdem, dass er während der Frankfurter Messen mit gelehrten Arbeiten ausgelastet sei, da zu dieser Zeit die sechs Pressen in Frobens Druckerei ununterbrochen arbeiten würden.539 In Frankfurt traf somit bald »das ganze oder zumindest nahezu das gesamte gelehrte Europa in ihren Druckwerken und in personis zusammen.«540 Nach der Jahrhundertwende besuchten mit Franzosen, Belgiern, Holländern und Italienern zunehmend auch nichtdeutsche Buchhändler die Frankfurter Messe. Es dauerte allerdings noch bis Mitte des 16. Jahrhunderts, bis Frankfurt zum europäischen Mittelpunkt des Buchhandels werden konnte. Einen Hinweis darauf liefert das Testament des Admirals Ferdinand Columbus von 1539. Darin stellte er einen Legat für eine öffentliche Bibliothek, die spätere Columbina in Sevilla, in Aussicht und benannte sechs Städte für den Ankauf der Bücher: Rom, Venedig, Nürnberg, Antwerpen, Paris und Lyon. Obwohl Frankfurt zu diesem Zeitpunkt bereits der wichtigste Büchermarkt in Deutschland war, taucht in dieser Auflistung stattdessen Nürnberg als einzige deutsche Stadt zum Buchkauf auf. Offenbar war dem Ausland die Bedeutung der Frankfurter Messe noch nicht zur Gänze bewusst, womöglich aufgrund der Tatsache, dass Nürnberg dank Koberger schon im 15. Jahrhundert weitreichende Handelsbeziehungen nach Spanien geknüpft hatte.541 Ab 1560 nahm dann der Frankfurter Messehandel insgesamt einen starken Aufschwung, was sich am sprunghaften Anstieg der Einnahmen ablesen lässt. Grund dafür war der Zusam-

536 Vgl. Rothmann, Die Frankfurter Messen im Mittelalter, S. 42. 537 Dass die Messetermine in der Regel auf kirchliche Feiertage fielen, hängt mit der Entstehung der Messen zusammen. Das Wort Messe leitet sich ab vom lateinischen »missa«, das seit dem 5. Jahrhundert gottesdienstliche Feiern bezeichnet. In der Frühzeit und im Mittelalter waren solche kirchlichen Feiertage eine Grundvoraussetzung für das Abhalten von Märkten. Das zeigt, wie eng die Kirche mit dem Handel zu dieser Zeit verbunden war. Vgl. Niemeier, Funktionen der Frankfurter Buchmesse im Wandel, S. 3. 538 Vgl. Schnurmann, Kommerz und Klüngel, S. 65. Auch zu Neujahr fand eine Messe statt, die für das Buchgewerbe aber nur eine geringe Rolle spielte. 539 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 456. Die große Bedeutung der Messe für den Buchhandel war möglicherweise auch ein Grund für die späte Ansiedlung des Buchdrucks vor Ort. Erst 1530 hatte Frankfurt mit Christian Egenolff einen ständigen Drucker. Vgl. Toeller, Die Buchmesse in Frankfurt a. Main vor 1560, S. 37. 540 Toeller, Die Buchmesse in Frankfurt a. Main vor 1560, S. 37. 541 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 457f.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels

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menbruch des bislang terminlich mit Frankfurt abgestimmten Marktes in Antwerpen infolge der Religionskriege. Die Vermittlungsfunktion Antwerpens im Warenhandel und im Zahlungsverkehr übernahm daraufhin Frankfurt.542

Abb. 4 »Buchgass« in Frankfurt am Main: Ausschnitt des Merian-Plans mit der Leonhardskirche und dem Leonhardsturm. 1628.

Auf der Messe selbst sammelten sich die Gewerbe jeweils in örtlicher Nähe zueinander. Das Gebiet der Buchhändler lag im Süden der Stadt in unmittelbarer Nachbarschaft zum Kai am Mainufer, von wo aus die Bücherfässer in die Häuser gerollt werden konnten.543 Den Mittelpunkt bildete die 1518 erstmals als Buchgasse bezeichnete Straße, die von der Leonhardskirche in nördlicher Richtung zum kleinen Kornmarkt führte (Vgl. Abb. 4). So war es am einfachsten und schnellsten für alle, sich in den nebeneinander gelegenen Gewölben gegenseitig zu besuchen und Neuigkeiten,

542 Vgl. Rothmann, Die Frankfurter Messen im Mittelalter, S. 63. 543 Vgl. Niemeier, Funktionen der Frankfurter Buchmesse im Wandel, S. 10.

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Neuerscheinungen, Briefe und Bestellungen auszutauschen.544 Die Händler mieteten für die Dauer der Messe ihre Verkaufs- und Wohnräume bevorzugt zusammen in einem Haus.545 Als Zeichen dafür, dass ihr Geschäft geöffnet war, nutzten sie nachweislich seit dem 16. Jahrhundert Titelblätter und Plakatkataloge auf Brettern oder Holztafeln als Aushang an ihren Ständen und Gewölben. Im 17. Jahrhundert waren die ausgehängten Titelblätter geradezu das »Markenzeichen der Buchhändler«546. Außerhalb der Messezeit blieben die Gewölbe und Stände für den Verkauf geschlossen und erst um 1600 gab es mehrere ganzjährig geöffnete Buchhandlungen in Frankfurt.547 Mit der großen »Messeglocke« im Dom wurde die Messe ein- und ausgeläutet.548 Mit dem offiziellen Beginn der Messezeit herrschte dann volle Marktfreiheit, die durch die Reichsfahne oder ein Schild auf dem Turm bzw. dem Tor sichtbar gewährleistet wurde. Das Wegnehmen der Fahne oder des Schildes bedeutete das sofortige Einstellen aller Geschäfte. Außerdem galt ein besonderes Messerecht, das während der Messezeit sogar Geächtete in der Stadt vor Verfolgung schützte.549 Die Dauer der Messe war erst seit 1479 fest geregelt. Der Handel auf der Fastenmesse durfte danach nicht länger als bis Dienstag vor Ostern dauern. Seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts teilten sich die insgesamt drei Messwochen üblicherweise in eine Geleitswoche mit dem Bezug der Quartiere und Stände und dem Auspacken der Waren, eine Geschäftswoche und eine abschließende Zahlwoche. Die darauffolgende Woche war als Nachmessezeit dem Restverkauf, dem Kleinhandel mit vornehmlich ländlicher Kundschaft und dem allmählichen Abzug der Geleite gewidmet.550 Der Aufenthalt der meisten Händler ging wohl oft über die eigentliche Messezeit hinaus. Sie mussten ihr Geschäft in Ordnung bringen, indem sie das Lager wieder in Stand setzten und die Messregister ins Reine schrieben. Es lag also in ihrem Interesse, den Verkauf an das Publikum weiter fortzusetzen, was in Leipzig allerdings zeitlich auf eine Woche nach der Messe begrenzt war.551 In Frankfurt war eine Vor-

544 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 462 und 468f. Oft handelten die Buchführer im Auftrag von Gelehrten, die ihre Post und Besorgungen von ihnen vor Ort erledigen ließen. 545 Vgl. Rothmann, Die Frankfurter Messen im Mittelalter, S. 108. Ein Gutachten des Reichskammergerichts von 1495 gibt an, dass in Frankfurt außerhalb der Messezeit 200 Häuser leer standen. Vgl. Rothmann, Die Frankfurter Messen im Mittelalter, S. 108. Die Zahl der nur als Messquartier genutzten Gebäude dürfte sich im Laufe der Zeit sogar noch erhöht haben. Sie belegt die Bedeutung der Messe für die Stadt Frankfurt. 546 Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 131. 547 Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 284. 548 Vgl. Brübach, Die Reichsmessen, S. 142. Bis ins 16. Jahrhundert bezeichnete das Läuten den tatsächlichen Anfang und das Ende der Messe. Später war es nur noch eine Formsache. Vgl. Brübach, Die Reichsmessen, S. 143. 549 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 461f. 550 Vgl. Brübach, Die Reichsmessen, S. 132 und 144f. Auch in der Geleitswoche wurden bereits die ersten Geschäfte getätigt. Vgl. Brübach, Die Reichsmessen, S. 144.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels



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und Nachmessezeit von nur vier Tagen vorgesehen.552 Daraus entwickelten sich Streitigkeiten mit den örtlichen Buchhändlern, die über diese zusätzliche Konkurrenz verständlicherweise nicht erfreut waren. Im Jahr 1556 legten sie beispielsweise gegen Clemens Baudouin aus Lyon Beschwerde beim Rat der Stadt Leipzig ein. Baudouin durfte daraufhin nur noch im verschlossenen Laden (camera clausa) von seinem Lager verkaufen.553 Das Handelsverbot galt nämlich nur in den extra zur Messe errichteten Gebäuden und nicht in den Quartieren und den auch für den Handel genutzten Höfen und Häusern. Dieses Hintertürchen, mit dem die Händler ihre Handelszeit über die erlaubte Zeitspanne hinweg ausdehnten, blieb bis ins 17. Jahrhundert bestehen.554 Einen Einblick in das Geschäft eines Buchhändlers auf der Frankfurter Messe gibt das erhaltene Mess-Memorial Michel Harders von der Fastenmesse 1569, das als Faksimile von 1873 einsehbar ist. Das Memorial verzeichnet die Titel der 5.918 von Harder auf dieser Messe verkauften Drucke und gibt dabei sowohl die Anzahl der abgesetzten Exemplare als auch den Preis an.555 Es handelte sich vornehmlich um volkstümliche Bücher, zu denen auch die drei am meisten verkauften Drucke gehörten, Die geschichte von den sieben weisen meistern, von dem 233 Stück verkauft wurden, das handbüchlein Apollinaris, ein Hausarzneibuch mit 227 Exemplaren und Paulis schimpf und ernst, dessen Absatz sich auf 202 Stück belief. Das erste der genannten Bücher kostete 11 Schilling, während das letztgenannte sogar 36 Schilling teuer war.556 Harder verkaufte seine Bücher an insgesamt 49 Personen. Die meisten Exemplare mit etwas über 1.000 Stück erwarb ein Diener mit Namen Samuel für Georg Müller. Bis auf wenige Ausnahmen wie einen gewissen Kilian Han aus Frankfurt nahmen die Käufer Harder von den einzelnen Titeln gleich mehrere Exemplare ab – nicht selten mehr als 100. Die Abnehmer, die aus den verschiedensten Städten stammten, waren demnach offenbar ebenfalls Händler, die die Bücher weiterverkauften. Einen weiteren Nachweis für die zentrale Position Frankfurts im Buchhandel der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts liefert das von Heinrich Pallmann edierte und 1884 publizierte Register Sigmund Feyerabends zur Frankfurter Fastenmesse

551 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 477. 552 Vgl. Brübach, Die Reichsmessen, S. 132. 553 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 477. 554 Vgl. Brübach, Die Reichsmessen, S. 134. 555 Die Menge der von Harder verkauften Bücher ist erstaunlich. Er war einer von 87 Buchhändlern auf der Messe und »if he was only averagely successful then this would imply a total trade of something in the region of half a million books.« Pettegree, The French Book and the European Book World, S. 142. 556 Vgl. Mess-Memorial des Frankfurter Buchhändlers Michel Harder. Fastenmesse 1569. Hrsg. von Dr. Ernst Kelchner und Dr. Richard Wülcker. Frankfurt a. M. [u. a.]: Joseph Baer & Co 1873, S. Vf. Obwohl Harder im Bürgerbuch Frankfurts als Buchdrucker aus Zwickau aufgeführt wurde, hatte er nicht alle und eventuell sogar keines der von ihm veräußerten Bücher selbst gedruckt.

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1565.557 Der Frankfurter Drucker Feyerabend hatte sich vermutlich 1562 mit Georg Rab und Weigand Han zu der sogenannten Cumpanei zusammengeschlossen, in der sie gemeinsam Bücher produzierten und veräußerten. Lothar Poethe schlüsselte anhand des Messregisters auf, wohin ihre Drucke verkauft wurden. Von den insgesamt 2.650 Büchern gingen 2.463 Exemplare an auswärtige Käufer. Diese große Menge verteilte sich in unterschiedlicher Gewichtung auf 48 Städte. Jeweils über 200 Bücher gingen nach Leipzig (413), Wittenberg (329), Augsburg (303), Köln (233) und Nürnberg (224). In diese kleine Gruppe kamen also bereits 60 Prozent der verkauften Exemplare. In eine zweite Gruppe von fünf Städten wurden jeweils mehr als 50 Exemplare verkauft. Dazu gehören Antwerpen (89), Tübingen (77), Straßburg (75), Magdeburg (66) und Venedig (57). Die Städte waren demnach mehrheitlich wichtige europäische Handelsmetropolen.558 Schließlich sind auch die Geschäftsbücher des Antwerpeners Plantin wertvolle Quellen für den Ablauf des Handels auf den Messen. Er pflegte eine sehr sorgfältige Buchführung, für die er Memorial, Kladde, Journal und Hauptbuch (Grand Livre) parallel nutzte. Für die Frankfurter Messe hatte er sogar ein eigenes Hauptbuch, das Le Grand Livre de Francfort. Zur Fastenmesse 1579 schickte Plantin sechs Fässer nach Frankfurt, die 67 verschiedene Werke in insgesamt 5.212 Exemplaren enthielten. Der auf der Messe damit erzielte Umsatz betrug 1.809 Gulden. Hinzu kamen erhaltene Zahlungen in Höhe von 1.831 Gulden. Er selbst kaufte Bücher im Wert von 1.625 Gulden und leistete ausstehende Zahlungen in Höhe von 1.644 Gulden. Nach der Messe ließ Plantin einen Bestand von 240 Titeln in seiner Frankfurter Niederlassung zurück. Die Zahl der zurückgebliebenen Exemplare im Lager belief sich damit auf insgesamt 11.617.559 Diese Angaben zu einer einzelnen Bücherlieferung zur Messe unterstreichen Frankfurts Bedeutung als Hauptumschlagsort im Wissensraum Buchhandel. Der Zahlverkehr auf der Messe wurde in den Frankfurter Reformationen 1578 und 1611 geregelt. Alle Zahlungen richteten sich danach nach dem jeweiligen Geldwert und nicht nach der angegebenen Summe. Damit reagierte Frankfurt auf die seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts einsetzende Geldentwertung. Im Münzwert wurde zwischen dem Goldgulden und dem Courantgulden als Recheneinheit in Beziehung zum Goldgulden unterschieden. Der Gulden hatte dabei einen Wert von 24 Schilling, 27 Albus, 15 Batzen oder 60 Kreuzern. Dadurch ist in Frankfurt 1578 »erstmals rechtlich verbindlich eine immer dieselbe Menge Edelmetall repräsentierende Rechenmünze mit einer konstanten Größe als allein gültig erklärt wor-

557 Vgl. Heinrich Pallmann: Ein Meßregister Sigmund Feyerabend’s aus dem Jahre 1565. In: AGDB IX (1884), S. 5–46. 558 Vgl. Lothar Poethe: Zu Sigmund Feyerabends verlegerischen Unternehmungen 1562 bis 1565/67. Ergänzungen zum Register Sigmund Feyerabends von der Frankfurter Fastenmesse 1565. In: Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte 15 (2006), S. 33–85, S. 42 und 49f. 559 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 506f.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels

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den.«560 Ermöglicht wurde das erst auf Grundlage der Skontration, da dadurch die Bezahlung mit Rechenwährung der mit Bargeld rechtlich gleichgestellt wurde. Sie musste immer anerkannt werden und wurde zu einem üblichen Verfahren der Schuldenabrechnung auf der Messe.561 Der Zahlverkehr war für die Frankfurter Messe äußerst wichtig, denn schon im Spätmittelalter war sie, wie bereits erwähnt, »zum wichtigsten überregionalen Finanzplatz des Reiches«562 geworden. Das Rechnungsbuch Arnold Quentels aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gibt hierzu mit seinen zahlreichen Umrechnungen der verschiedenen Geldwährungen einen guten Einblick in die Schwierigkeiten des damaligen Geldverkehrs.563 Die Frankfurter Buchmesse wurde für die Buchhändler zum »Zentrum ihrer Wirtschaftskommunikation«564. Dort tauschten sie sich nicht nur untereinander aus, sondern beobachteten ihre Konkurrenten und deren Waren auch sehr genau. Diese »Orientierungsfunktion von Märkten und Messen war von Anfang an wichtig und hat heute einen noch höheren Stellenwert erlangt.«565 Wie intensiv die Frankfurter Buchmesse zur Kommunikation genutzt wurde und wie hektisch es dabei zugehen konnte, verdeutlicht die Entschuldigung eines Leipziger Buchführers 1557 beim Rat der Stadt wegen des Besitzes einer anstößigen politischen Schrift. Er hatte angeblich wie seine Kollegen solch buch zu Frangkfurt nicht gelesen, sondern wie es pflegt inn Messen in gedreng und eil zuzugehen, nicht mehr dann den Titel gesehen, und ein anzahl Exemplaria hingesetzt und alsbald eingeschlagen und aufladen lassen, und nicht eher inn erfarung kommen seind, was inn gemeltem Buch stehet, bis das sie die Buecher anher gebracht, und aus den Fassen genommen.566

Ein sichtbares Zeichen für die Kommunikationsfunktion der Messe waren die sogenannten Messrelationen. Sie erschienen in der Regel im Quartformat und lieferten auf rund 100 Seiten Informationen über politische und militärische Ereignisse, Wirtschaftsneuigkeiten und Sensationsberichte. Gelegentlich wurden sie in der Forschung als die Vorläufer der Zeitungen gesehen, sie unterschieden sich aber deutlich von der späteren periodischen Presse, da sie nur zweimal im Jahr zur Messe

560 Brübach, Die Reichsmessen, S. 170. 561 Vgl. Brübach, Die Reichsmessen, S. 169f. 562 Rothmann, Die Frankfurter Messen im Mittelalter, S. 198. 563 Vgl. Otto Zaretzky: Ein Quentellsches Rechnungsbuch aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. In: Annalen des historischen Vereins für den Niederrhein 93 (1912), S. 55–102, S. 65. 564 Toeller, Die Buchmesse in Frankfurt a. Main vor 1560, S. 138. 565 Günter Bentele: Die Leipziger Messe als Kommunikationsereignis. In: Leipzigs Messen 1497– 1997. Gestaltwandel – Umbrüche – Neubeginn. Teilband 1: 1497–1914. Hrsg. von Hartmut Zwahr, Thomas Topfstedt und Günter Bentele. Köln [u. a.]: Böhlau 1999 (Geschichte und Politik in Sachsen; Bd. 9/1), S. 33–48, S. 36. 566 Zitiert nach Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 470.

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herauskamen. Die frühesten Messrelationen erschienen in den 1580er und 1590er Jahren in Köln, die erste Frankfurter Historische Relation zur Fastenmesse 1591. Für Leipzig haben sie sich erst aus den Jahren 1605 bis 1730 erhalten.567 Leipzig Anfang des 16. Jahrhunderts nahm die Leipziger Messe als Warenfernhandelsplatz großen Aufschwung.568 Die Verbreitung der Papierfabrikation in Sachsen und Thüringen förderte die Verlagstätigkeit und auch die dortigen Buchführer wurden aktiver. Um 1500 waren die Bedingungen für die Entwicklung der Leipziger Messe also insgesamt günstig. Doch die antireformatorischen Bestrebungen des streng katholischen Herzogs Georg (1471–1539) ab 1522 führten dennoch zu einem stetigen Rückgang der Leipziger Buchhändler.569 Erst im Anschluss an seine Regierung wurde unter Heinrich dem Frommen die Reformation in Leipzig eingeführt. Obwohl dies nicht das Ende der Repressionen gegen Buchhändler bedeutete, da sich nun die verschiedenen Richtungen des neuen Protestantismus untereinander fast erbitterter bekämpften als das Papsttum, besserten sich die Verhältnisse.570 Die Messe in Leipzig wurde wie die in Frankfurt jeweils um 12 Uhr mittags vom Rathausturm aus ein- und ausgeläutet.571 Die Ostermesse begann am Sonntag Jubilate, die Michaelismesse am Sonntag nach dem 29. September und die Neujahrsmesse am 1. Tag des Jahres.572 Schon in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde die Messe auf drei Wochen anstelle von einer Woche verlängert. Die Geschäfte begannen mit dem sogenannten »Aufbuden«, dem Öffnen der Gewölbe und Verkaufsstände am jeweils dem Einläuten folgenden Montag. Die drei Messewochen gliederten sich wie die Frankfurter in eine Vormessenwoche vor dem Einläuten, die sogenannte Böttcherwoche (entsprechend der Frankfurter Geleitswoche), in die darauffolgende Handelswoche (später auch Engroswoche genannt) und eine abschlie-

567 Vgl. Flood, ›Omnium totius orbis emporiorum compendium‹, S. 22. 568 Vgl. Brübach, Die Reichsmessen, S. 448. 569 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 150f. 570 Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 148. 571 Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 258. 572 Den Neujahrsmarkt erhielt Leipzig erst 1458 durch Kurfürst Friedrich II. Vgl. Zwahr, Die Messe in ihrem Gestaltwandel, S. 21. Mit dieser neuen Messe wurde die seit dem hohen Mittelalter herausgebildete Ordnung der Fernhandelsmessen beeinflusst. Einen Neujahrsmarkt besaß bereits Halle, das sich diesen nach der Leipziger Neuerung 1464 von Kaiser Friedrich III. bestätigen ließ. Auch Leipzig besorgte sich zwei Jahre später eine kaiserliche Bestätigung seiner dritten Messe, während der Kaiser die Bestätigung des Halleschen Neujahrsmarkts widerrief. Halle hatte somit gegenüber dem stärkeren fürstlichen Fürsprecher für Leipzig das Nachsehen. Vgl. Karlheinz Blaschke: Die Kurfürsten von Sachsen als Förderer der Leipziger Messe. Von der landesgeschichtlichen Grundlegung zur kontinentalen Wirkung. In: Leipzigs Messen 1497–1997. Gestaltwandel – Umbrüche – Neubeginn. Teilband 1: 1497–1914. Hrsg. von Hartmut Zwahr, Thomas Topfstedt und Günter Bentele. Köln [u. a.]: Böhlau 1999 (Geschichte und Politik in Sachsen; Bd. 9/1), S. 61–73, S. 69.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels



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ßende Zahlwoche nach dem Ausläuten.573 Bei der Neujahrsmesse fiel die Vorwoche aus, sie war aber auch für den Buchhandel von der geringsten Bedeutung. Von den anderen beiden Messen war die Ostermesse die wichtigere. Insgesamt hielten sich die Buchhändler allerdings auch hier wenig an die vorgegebene Zeitspanne und dehnten sie vor und nach den eigentlichen drei Wochen häufig deutlich aus. Einige kamen früher an, andere wiederum blieben länger vor Ort, sodass sich die Messezeit auf bis zu sechs Wochen verlängern konnte.574 In der Frühzeit errichteten die Buchhändler ihre Stände unter den Bühnen des Rathauses, später verschob sich ihr Gebiet dann nach Osten zur Universität und dem lateinischen Viertel. Bis 1721 waren sie der Gerichtsbarkeit der Universität unterstellt, in deren Gebäuden sich die Gewölbe, Druckereien und Niederlagen auswärtiger Buchhändler sammelten. Das lateinische Viertel bildete auch den Mittelpunkt des allgemeinen Messverkehrs. Seit Mitte des 16. Jahrhunderts konzentrierte sich das Buchhändlerviertel dann um den Nikolaikirchhof, in der Gimmaischen Straße, der Nikolai- und Ritterstraße, um den Alten Neumarkt (heutige Universitätsstraße), den Neuen Neumarkt (heutiger Neumarkt) und schließlich im Gewand- und Kupfergäßchen.575 Dank eines Inventarbuchs von Ernst Vögelin (1528/9–1590) ist die Einrichtung eines Messeladens ausführlich dokumentiert. Sein Gewölbe hatte auf zwei Seiten schwarze hölzerne Büchergestelle, ein weiteres stand in der Mitte. Zum Herbeischaffen der Bücher hatte man eine kleine »dreyfache dritbank«, eine kurze und eine lange Leiter. Am Fenster befand sich eine Bank, außerdem waren noch ein Lehnbänkchen und ein kleiner Schiefertisch vorhanden. Zur Abfertigung der Kunden diente ein »Geldtisch«, zusammen mit einem weiteren Gestell. An diesem Ladentisch war offenbar ein hölzerner Knopf angebracht, an dem man Bindfaden aufwickelte, mit dem die Bücherpakete verschnürt wurden. In den Abendstunden spendete schließlich ein Messingleuchter Helligkeit. Vor dem Gewölbe wurden die Waren den Kunden auf drei Aushängetafeln angepriesen.576 Die Gewölbe, in denen sich die Buchhändler einrichteten, waren keine angenehme Unterkunft. Bis Ende des 18. Jahrhunderts waren diese Geschäftslokale nicht heizbar, was nicht nur ungemütlich war, sondern auch den Ablauf behindern konnte (zur Neujahrsmesse 1655 gab es den dokumentierten Fall, dass die Unterzeichnung eines Dokuments aufgrund der eingefrorenen Tinte nicht möglich war). Und auch der Messealltag gestaltete sich anstrengend. Nach einem Bericht des Buchhändlers Heinrich Julius Elers (1667–1728) vom Halleschen Waisenhaus aus dem

573 Vgl. Brübach, Die Reichsmessen, S. 476 und 480f. 574 Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 258f. und 273. 575 Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 264. 576 Vgl. Hans-Dieter Dyroff: Gotthard Vögelin – Verleger, Drucker, Buchhändler. 1597–1631. In: AGB IV (1963), Sp. 1129–1424, Sp. 1285.

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Jahr 1714 zur Ostermesse in Leipzig begannen die Geschäfte morgens um fünf Uhr. Abends um sieben Uhr sorgten Stadtknechte auf ihrer Patrouille dafür, dass alle Händler einpackten. Nach Aussage Elers kam es trotzdem vor, dass noch spät am Abend innerhalb der Gewölbe Geschäfte getätigt wurden.577 Auch wenn diese Beschreibung aus dem frühen 18. Jahrhundert stammt, ist es nicht unwahrscheinlich, dass sie auch auf die früheren Jahrhunderte übertragen werden kann. Ein entscheidender Unterschied zwischen der Leipziger und der Frankfurter Messe lag in ihrem Kommunikationsschwerpunkt. Herzog Ferdinand Albrecht I., Sohn von Herzog August d. J., Fürst von Braunschweig-Wolfenbüttel, schilderte die Leipziger Messe 1679 in erster Linie als ein gesellschaftliches Ereignis: Im Herbste reißete Sr. Durchl. auf Leipzig nach der Michaelis Meße, wurde alda von damahligen Chur Printzen ietzo Churfürsten von Sachsen Johan Georg den 3. auf dz prächtigste Tractiret, dabey auch ggwertig der Regirende Hertzog von Sachsen Launburg, Julius Frantz, Printz Christian von Sachsen Halle, und unterschiedliche viele, so woll Fürst als Gräffl. und Adeliche Persohnen wahren. Nach viel Vergnüglichkeiten Comedien und andern Divertissiment zogen sie nach 14 tagen wieder nacher Haus.578

Von Beginn an spielte die Unterhaltung während der Messezeiten in Leipzig eine wichtige Rolle. Seit 1441 präsentierten sich hier Schausteller und Wandertruppen.579 Ganz anders gab sich Herzog Ferdinand Albrecht in Frankfurt. »Hier stand das gesellschaftliche ›Sehen und Gesehen-werden‹ durchaus nicht im Mittelpunkt.«580 Er reiste inkognito und versuchte den Kontakt mit anderen Standesgenossen zu vermeiden. Frankfurt war kein Ort für die fürstliche Selbstdarstellung, denn hier stand das geschäftliche Leben an erster Stelle.581 Einen ähnlichen Unterschied zwischen den beiden Messen vermittelt auch eine Aussage Sigmund Feyerabends in seiner Verteidigungsschrift von 1570 im Streit mit Christoph Walther und anderen Wittenberger Bibelverlegern. Darin ging es vor allem um die größere Sensationslust in Leipzig: wie oben gemeldt, ist sein Schandgeticht hie in Franckfurt allein heimlich undergeschoben worden, zu Leipzig aber in offenem Marckt durch alle Gassen von den Jungen als Freyharten hin unn wider mit großem Triumph und frolocken, ja mit solchem jubileo (daß sie es auch in

577 Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 265–267. 578 Zitiert nach Die letzten Jahre des Sammelns 1679–1687. In: Barocke Sammellust. Die Bibliothek und Kunstkammer des Herzogs Ferdinand Albrecht zu Braunschweig-Lüneburg (1636–1687). Ausstellung im Zeughaus d. Herzog-August-Bibliothek vom 28. Mai bis 30. Oktober 1988. Ausstellung und Katalog: Jill Bepler. Weinheim: VCH, Acta Humaniora 1988 (Ausstellungskataloge der HerzogAugust-Bibliothek; Bd. 57), S. 249–282, S. 249. 579 Vgl. Bentele, Die Leipziger Messe als Kommunikationsereignis, S. 37. 580 Die letzten Jahre des Sammelns 1679–1687, S. 250. 581 Vgl. Die letzten Jahre des Sammelns 1679–1687, S. 250.

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henden auffgeworffen) außgeschryen, gegeyffert, gespeyt und geplaudert haben, Nemblich: Hie hie neuwe Zeitung von Feyerabends falschnachgedruckten Biblien.582

Die Bedeutung der Leipziger Messe stand der Frankfurter insgesamt nur in wenigen Punkten nach. Goldfriedrich nennt als wesentliche Unterschiede, dass wohl bald vor allem kleinere Buchhändler aus dem Osten ausschließlich die Leipziger Messen besuchten und insbesondere dass Leipzig »in viel lockerer Verbindung zum Auslande stand.«583 In Deutschland pendelte sich die Anziehungskraft der beiden Messen so ein, dass der durchschnittliche Buchhändler in erster Linie Frankfurt besuchte, während Leipzig zu einem Handelszentrum für Mittel- und Ostdeutschland wurde. Verbunden waren beide durch die Großhändler.584 Für den internationalen Buchhandelswissensraum allerdings war und blieb bis Ende des 17. Jahrhunderts Frankfurt die wichtigste Adresse in Deutschland. Georg Willer und der Messkatalog Der »bedeutendste[n] Großsortimenter Süddeutschlands«585 und damit auch einer der wichtigsten Aktanten im Wissensraum Buchhandel in den 1560er und 1570er Jahren war der Augsburger Georg Willer (vor 1564–1593). Von den 1540er Jahren bis zu seinem Tod baute er erfolgreich ein weit verzweigtes Vertriebsnetz im Süden Deutschlands auf. Willer kaufte seine Waren in großem Umfang auf der Frankfurter Messe und verkaufte sie anschließend weiter. Im Jahr 1565 beispielsweise erstand er von Sigmund Feyerabend für über 300 Gulden Bücher; er machte regelmäßig Geschäfte mit Froben und Episcopius und war 1579 mit einem Einkauf im Wert von über 100 Gulden der wichtigste Kunde der Offizin Plantins. Willer veräußerte die Drucke an Zwischenhändler oder auch direkt an ausgewählte Kunden. Über seine Verlagstätigkeit ist deutlich weniger bekannt.586 Künast und Schürmann vermuten, dass er keinen Wert auf das Erscheinen seines Namens als Nachweis in seinen Verlagswerken legte. Wahrscheinlich war seine Verlagsarbeit daher umfangreicher als bisher angenommen, sie ist jedoch noch nicht umfassend aufgearbeitet.587 Der Schwerpunkt seines Unternehmens lag jedenfalls auf dem Verkauf.588 Willers Geschäft nahm von Anfang an einen raschen und enormen Aufschwung. Ab dem Jahr 1590 ist er mit einem Betrag von 60 Gulden in den Steuerbüchern Augsburgs aufgeführt, was einem Anschlagvermögen von 12.000 Gulden entspricht. Er gehörte damit zu den wohlhabendsten Bürgern der Stadt und im Ver-

582 583 584 585 586 587 588

Zitiert nach Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 473. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 143. Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 152. Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 369. Vgl. Duntze, Verlagsbuchhandel und verbreitender Buchhandel, S. 230f. Vgl. Künast/Schürmann, Johannes Rynmann, Wolfgang Präunlein und Georg Willer, S. 36f. Vgl. Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 369.

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gleich zu ihm gelang nur wenigen Kaufleuten in dieser Zeit ein ähnliches Emporkommen. Durch geschickte Eheschließungen der Söhne stieg die Familie sogar bis in die Kreise des Augsburger Patriziats auf. Nach dem Tod Georg Willers im Oktober 1593 führten seine Söhne Elias und Georg d. J. das Geschäft zusammen weiter. Sechs Jahre später teilten sie die Firma dann unter sich auf. Georg d. J. blieb in Augsburg und Elias ging nach Frankfurt und beteiligte sich dort an der Feyerabend-Gesellschaft.589 Seinen großen Erfolg verdankte Georg Willer einem breiten Angebot. Er kaufte Bücher jeglicher Art unabhängig von der Gattung oder dem Thema und beschränkte sich nicht auf Schriften bestimmter Konfessionen. Obwohl er selbst Protestant war, vertrieb Willer auch katholische Titel, unter anderem versorgte er die Jesuitenbibliothek in Hall in Tirol mit seinen Waren. Die Jesuiten zählten tatsächlich sogar zu seinen besten Kunden. Mit seinem vielfältigen Angebot war Willer aber ebenso auf kleineren Jahrmärkten präsent, die vor allem das »gemeine« Publikum besuchte.590 Das zeigt, dass er alle zur Verfügung stehenden Vertriebswege – den Fernhandel, den lokalen Markthandel und den Direkthandel – nutzte und durch sein vielfältiges Sortiment auch beliefern konnte. Einen interessanten Einblick in das hart umkämpfte Geschäft des Zwischenhandels bietet ein Prozess, in den Willer verwickelt war. Zu seinen Direktkunden zählte nämlich auch der Tiroler Erzherzog Ferdinand II. Am Aufbau der herzoglichen Bibliothek auf Schloss Ambras bei Innsbruck war Willer mit seinen Bücherlieferungen maßgeblich beteiligt und er nahm dafür den Buchführer Hans Zehentmair aus Landsberg am Lech als Vermittler der großen Sendungen in seine Dienste. Zehentmair erhielt als Entlohnung 25 Prozent der Kaufsumme, was bei der Lieferung im Jahr 1573 im Wert von 600 Gulden einen ansehnlichen Anteil von 150 Gulden ausmachte. Den zwischen beiden dafür geschlossenen Vertrag sah Zehentmair als eine dauerhafte Vereinbarung für alle Lieferungen an Ferdinand II. an, während Willer ihn als einmalige Abmachung wertete. Nachdem die nachfolgenden Buchsendungen ohne Beteiligung Zehentmairs abgewickelt wurden, fühlte dieser sich von Willer hintergangen und verklagte ihn 1579 beim Augsburger Magistrat. Willers Auslegung der Vereinbarung lag nahe, da sein Gewinn durch den hohen Anteil für Zehentmair deutlich geschmälert wurde. Wer von beiden im Recht war, ist nicht mehr nachzuvollziehen, denn der Vertrag selbst ist nicht überliefert. Wahrscheinlich hatte Zehentmair mit seiner Klage keinen Erfolg.591 Der Grund für Willers besondere Rolle in der Geschichte des Buchhandels war jedoch die Herausgabe des ersten Messkatalogs, bald eines der wichtigsten Aktantmedien im Wissensraum Buchhandel. Willer war zweimal im Jahr auf der Frankfur-

589 Vgl. Künast/Schürmann, Johannes Rynmann, Wolfgang Präunlein und Georg Willer, S. 32. 590 Vgl. Künast/Schürmann, Johannes Rynmann, Wolfgang Präunlein und Georg Willer, S. 33–35. 591 Vgl. Künast/Schürmann, Johannes Rynmann, Wolfgang Präunlein und Georg Willer, S. 34.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels

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ter Messe und kam schließlich auf die Idee eines hilfreichen Werbemittels. In einem Katalog listete er alle von ihm erstandenen und in seinem eigenen Verlag erschienenen Bücher auf.592 So konnten sich erstmals 1564 alle Kunden anhand seines Novorum librorum, quos nundinae autumnales Francofurti anno 1564 celebratae venales exhibuerunt, catalogus einen schnellen Überblick über sein Angebot verschaffen. In der Folge gab Willer seinen Katalog zweimal jährlich heraus und druckte ihn ab 1567 bereits direkt in Frankfurt, um eine noch aktuellere Auflistung zu bieten. Ab 1573 fügte er auch Titel hinzu, die zwar nicht in seinem Sortiment vorrätig waren, die er aber spätestens bei der nächsten Messe besorgen konnte. Willer wollte auf diese Weise seinen Absatz auf der Messe beschleunigen und Gehilfen einsparen.593 Das Projekt fand schnell Nachahmer, zuerst von 1577 bis 1616 durch die Augsburger Tobias Lutz und Johann Portenbachs Erben. Von 1595 bis 1598 gab Paul Brachfeld dann direkte Konkurrenzkataloge in Frankfurt heraus.594 Willers Messkatalog konnte das allgemeine Bedürfnis nach einem Überblick über das Messeangebot aber noch nicht erfüllen, da er zunächst als Vertriebsmittel seiner eigenen Bestände gedacht war und keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erhob. Das änderte der Frankfurter Rat 1598, indem er beschloss, alle auf der Messe angebotenen Bücher durch einen dazu beauftragten Drucker verzeichnen und in einem Messkatalog herausgeben zu lassen.595 Dadurch wurde der Messkatalog nicht nur zu einem umfassenden Informationsmittel über die auf der Messe repräsentierte Buchproduktion, sondern auch zu einem »Sammelwerbemittel, das über einen Bekanntheitsgrad und eine Reichweite verfügte, wie sie erst später von den Zeitungen und Zeitschriften erreicht wurde.«596 Im Jahr 1606 erschien in Mainz ein erster katholischer Messkatalog. Die Mainzer Erzbischöfe hatten schon länger versucht, vor allem durch ein Aufsichtsrecht über den Buchhandel auf der Messe mehr Einfluss in ihrer Nachbarstadt Frankfurt zu erhalten. Das Bemühen, ihrem eigenen Messkatalog einen offiziellen Stand dort zu verschaffen, fällt unter diese Bestrebungen.597 Der Notar Heinrich Kröner versuchte

592 Vgl. Künast/Schürmann, Johannes Rynmann, Wolfgang Präunlein und Georg Willer, S. 31. 593 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 479f. Der letzte bekannte Katalog Willers erschien 1627. Vgl. Künast/Schürmann, Johannes Rynmann, Wolfgang Präunlein und Georg Willer, S. 31. 594 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 482. 595 Vgl. Duntze, Verlagsbuchhandel und verbreitender Buchhandel, S. 231f. Der Rat übernahm mit dem Cathalogus universalis die Kontrolle über das inzwischen wichtigste Hilfsmittel des buchhändlerischen Messeverkehrs. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 484. Den Druck dieses Katalogs besorgte anfangs Johann Feyerabend, nach dessen Tod der Buchdrucker Johann Sauer und ab der Herbstmesse 1608 dann Sigismund Latomus, der sich dafür nach zehn Jahren ein kaiserliches Privileg sicherte. Vgl. Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, S. 60f. 596 Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 73. 597 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 485. Auch in anderen Bereichen wie beispielsweise in Zoll- und Geleitsangelenheiten kam es häufig zu Auseinandersetzungen zwischen

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ebenfalls, mit seinen durch ein kaiserliches Privileg geschützten Messkatalogen zur Herbstmesse 1616 und zur Fastenmesse 1617 den Einfluss des Frankfurter Rats auf den Messkatalog zu untergraben. Auch dieses Vorhaben wurde vom Rat unterdrückt.598 Zuletzt bemühte sich die Frankfurter Bücherkommission um die Kontrolle des Messkatalogs und erreichte 1608, dass er ihr zur Prüfung vorgelegt werden musste.599 Gegen die von der Kommission geforderte Neuerung, den Namen des Geschäftslokals im Katalog anzugeben, protestierte der Frankfurter Rat und gab dabei Einblicke in den Geschäftsablauf auf der Messe: die meisten Buchhändler kommen erstlich zu Außgang der Ersten Meßwochen allhier an, Theils haben Zwahr ihre beständige Läden, Theils Kammern in die Häußer, allein Changiren selbige zum öffteren, auch noch wohl in der Meß, Theils frembde, so wohl gar noch nicht hier geweßen, wißen noch Kein logiment, […] Können also unmöglich vorher sagen, wenn der Catalogus so zeitlich verfertiget wird, wo sie ihre officinen haben und anzutreffen. Wann auch so gar Stricte auff dergleichen gehalten würde, so werden die wenigste Bücher künftig in den hiesigen Catalogum kommen, sondern die meisten und Zwahr Kostbahrsten gar darauß pleiben, und in den Leipziger Catalogum gebracht werden, umb so viel desto mehr, weillen daselbsten kein Exemplar und unkosten dörffen gegeben werden, dahingegen allhier zwey, nehmlichen eins an Kays. Hoff mitt erlegung drey Batzen vom tt Fracht, und eins an Churs Mayntz, Jedoch dieses ohne Bezahlung der Fracht (Verstehe von unprivilegierten Büchern) müßen geben und Zahlt werden.600

Die Idee wurde schließlich auch im Ausland aufgegriffen. Der Londoner Buchhändler John Bill gab seit 1611 die Frankfurter Messkataloge auf Englisch heraus.601 Die Anstrengungen verschiedener Parteien, die Herausgabe des offiziellen Messkatalogs exklusiv zu übernehmen, weist auf die große Bedeutung hin, die er innerhalb kürzester Zeit für den Wissensraum Buchhandel und seinen brancheninternen Diskurs erlangt hatte. In Leipzig gab Henning Große (1553–1621), einer der größten Leipziger Buchhändler seiner Zeit, zum Teil gemeinsam mit seinem Sohn Friedrich ab 1595 ebenfalls einen Messkatalog heraus. Er orientierte sich dabei am Frankfurter Vorbild. Große arbeitete zunächst als reiner Sortimentshändler und begann erst 1580 damit, auch Bücher zu verlegen. Sein Leipziger Messkatalog begründete seinen Ruhm und überdauerte alle anderen bei Weitem, denn er erschien bis 1860.602 Das Leipziger

den beiden Städten, denn Mainz hatte in seiner noch günstigeren Verkehrslage immer wieder versucht, einen Konkurrenzmarkt zu Frankfurt zu etablieren, scheiterte damit aber an den königlichen Privilegien der Messestadt. Vgl. Rothmann, Die Frankfurter Messen im Mittelalter, S. 69. 598 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 487. 599 Vgl. Toeller, Die Buchmesse in Frankfurt a. Main vor 1560, S. 182. 600 Zitiert nach Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 719f. 601 Vgl. Brübach, Die Reichsmessen, S. 195. 602 Vgl. Adalbert Brauer: Henning Groß (Grosse), der »Erste« Buchhändler in Leipzig und seine Bedeutung für den deutschen Buchhandel. In: Beiträge zur Geschichte des Buches und seiner Funk-

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels



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Verzeichnis fußte in erster Linie auf dem Frankfurter, war aber dennoch kein einfacher Nachdruck, was der Titel der ersten Ausgabe bezeugt: Ein aus dreien unterschiedlichen Katalogen zusammengezogenes ordentliches Verzeichniß aller Bücher, so zum Theil die verschiedene Herbstmesse zu Frankfurt a. M., zum Theil im Leipziger Michaelismarkt dieses 1594. Jahres hie in öffentlichem Druck ausgegangen603. Zur Michaelismesse 1598 bekam Große erstmals Konkurrenz durch Abraham Lamberg. Dessen Katalog erschien ohne Privileg, wohingegen Große ein Generalprivileg besaß. Ein Jahr später besorgte sich Lamberg allerdings ein kursächsisches Privileg und verklagte Friedrich Große, unter dessen Name der Ostermesskatalog 1599 erschien, wegen Nachdruck. Sein Vater wurde ebenfalls verurteilt, musste eine Strafe zahlen und Druck und Vertrieb des Messkatalogs einstellen. Anstatt sich an das Verbot zu halten, gab er eine angebliche Fortsetzung der in Frankfurt erschienenen Collectio in unum corpus heraus und sicherte sich dafür ein kursächsisches Spezialprivileg. Seine Continuationes Elenchi erschien seit 1600 und war nichts anderes als ein Messkatalog. Lamberg versuchte, den Verkauf der Continuationes zu stoppen, scheiterte damit jedoch und einigte sich schließlich mit Große auf eine Zusammenarbeit. Das Privileg Lambergs wurde verlängert und bis Michaelis 1619 druckte er den Messkatalog für sich und Große zum gemeinsamen Verkauf. Nach Erlöschen des Privilegs ging der Messkatalog wieder in den Besitz Großes und seiner Nachfolger über.604 Der Frankfurter Messkatalog blieb bis etwa 1700 maßgeblich für den Buchhandel. Anschließend verlor er zusammen mit der Messe im 18. Jahrhundert zunehmend an Bedeutung. Das jüngste erhaltene Exemplar ist ein Ostermesskatalog von 1750.605 Dagegen hielt sich der Leipziger Messkatalog bis Ende des 18. Jahrhunderts als ein wichtiges allgemeines Informations- und Werbemittel des Buchhandels. Er diente dabei nicht nur zur Auflistung der Neuerscheinungen, sondern auch zur Information über anstehende Projekte oder andere Anliegen von Buchhändlern mithilfe von Anzeigen.606 Die erste in einem Messkatalog erschienene Buchhändleranzeige ist wohl diejenige von Elias Willers Verlag aus München. Sie erschien im Ratsmesskatalog zur Frankfurter Herbstmesse 1601 und besteht aus dem folgenden kurzen Abschnitt: »Catalogus der Newen Bücher, so in dem Ingolstäter Laden diese

tion in der Gesellschaft. Festschrift für Hans Widmann zum 65. Geburtstag am 28. März 1973. Hrsg. von Alfred Świerk. Stuttgart: Anton Hiersemann 1974, S. 34–43, S. 35–38. Bis 1759 lag die Herausgabe des Leipziger Messkatalogs in den Händen des Großeschen Verlags, danach übernahm bis 1850 die Weidmannsche Buchhandlung die Herausgabe. Im letzten Jahr ging der Katalog an Avenarius & Mendelsohn über. Vgl. Brauer, Henning Groß (Grosse), S. 39 und 43. 603 Zitiert nach Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 166. 604 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 490. 605 Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 253f. 606 Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 73f.

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Herbstmeß 1602. gefunden werden.«607 Zudem waren die Messkataloge noch vor den Zeitungen die ersten Werbeträger für Subskriptions- und Pränumerationsvorhaben. Die wahrscheinlich erste Subskriptionsanzeige erschien 1675 im Leipziger Ostermesskatalog und warb für »gedruckte Conditiones« aus Holland.608 Die Messkataloge sind bekanntlich eine der wichtigsten und problematischsten Quellen des späten 16. und 17. Jahrhunderts.609 Aufgrund ihres bibliographischen Werts ist die Verführung groß, aus ihnen ein Gesamtbild des Buchmarkts herauslesen zu wollen. Es darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass sie keinesfalls vollständige Verzeichnisse des damaligen Buch- und Kleinschriftangebots darstellen. Gerade letzteres fand wegen seines vorwiegend lokalen Absatzkreises so gut wie keinen Eingang in die Messkataloge. Flugschriften, Dissertationen, Einblattdrucke, unfirmierte Drucke oder Gelegenheitsdrucke wurden kaum auf den international ausgerichteten Messen gehandelt, bildeten aber einen Großteil der frühneuzeitlichen Gesamtproduktion.610 Seit ihrer Entstehung machten die Kataloge außerdem eine Entwicklung durch. Während sie im 16. und 17. Jahrhundert neben Neuerscheinungen auch ältere Titel verzeichneten, die längst im Handel waren, standen in den Katalogen des späten 17. und 18. Jahrhunderts sogar häufig Titel, die noch nicht fertig gestellt waren oder gar nicht erst erschienen.611 Die rasche Entwicklung des Messkatalogs zu einem allgemeinen Informationsorgan des Wissensraums Buchhandel zeigt, dass Willer mit seiner Erfindung eine Lücke füllte. Parallel zu dieser Entwicklung verloren die einzelnen Buchhändler aber auch ihren Einfluss auf die Wiedergabe und Platzierung ihrer Buchtitel.612 Als dann noch Ende des 17. Jahrhunderts die kaiserliche Bücherkommission vermehrt Einfluss auf den Messkatalog zu nehmen versuchte, entschieden sich in- und ausländische Buchhändler immer häufiger gegen eine Aufnahme ihrer Titel in den Ka-

607 Zitiert nach Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 485. 608 Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 74f. Genaueres zu Subskription und Pränumeration siehe Kapitel 3.1.3. 609 Sie sind vollständig digitalisiert einsehbar unter der URL: http://www.olmsonline.de/kollektionen/messkataloge/ [Stand: 10.02.2018]. 610 Vgl. Duntze, Verlagsbuchhandel und verbreitender Buchhandel, S. 232f. 611 Vgl. Bernhard Fabian: Die Meßkataloge und der Import englischer Bücher nach Deutschland im achtzehnten Jahrhundert. In: Buchhandel und Literatur. Festschrift für Herbert G. Göpfert zum 75. Geburtstag am 22. September 1982. Hrsg. von Reinhard Wittmann und Bertold Hack. Wiesbaden: Harrassowitz 1982, S. 154–168, S. 155. Ob ein Buch nur geplant, aber gar nicht erst in den Druck gelangt war, ist heute nur noch schwer festzustellen, denn auch wenn kein Exemplar eines Titels mehr überliefert ist, bedeutet das nicht automatisch, dass das Buch nicht existierte. Da von vielen Titeln nur ein bis drei Stück erhalten sind, ist es ebenso möglich, dass die komplette Auflage verloren gegangen ist. Vgl. Pettegrew, The French Book and the European Book World, S. 143. 612 Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 74.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels

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talog, um der Zensur und der Pflichtexemplarabgabe zu entgehen.613 Nichtsdestotrotz bildete der Messkatalog in geschäftlicher Hinsicht »seinerzeit die Grundlage des ganzen Handelsverkehrs zwischen den Buchhändlern untereinander und mit ihren Kunden«614. Buchhändlerkataloge Die Vorgänger der Buchhändlerkataloge waren die Buchhändleranzeigen, die bereits im vorigen Kapitel vorgestellt wurden. Beide zählen wie die Messkataloge zu den wichtigsten Aktantmedien im Wissensraum Buchhandel. Zwar verkörpern auch die vom Buchhandel produzierten und vertriebenen Bücher Aktantmedien, jedoch hauptsächlich durch die auf ihrem Titelblatt vermittelten Informationen, besonders über den Drucker, den -ort und auch welcher Autor, welche Titel und welches Genre ersterem zuzuordnen sind. Neben dem Einblattdruck und dem Plakat wurde im 16. Jahrhundert der Katalog im kleinen Oktavformat eingeführt. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurden sie wohl unter dem Einfluss der Willerschen Messkataloge oft in Quart herausgebracht.615 Die Kataloge können je nach Verwendungszweck in verschiedene Arten untergliedert werden, etwa in Verlags-, Sortiments- oder Messkataloge. Dabei waren Mischformen sehr häufig, die in ihren Funktionen oft nicht klar zu unterscheiden sind.616 Ein Grundlagenwerk zu den

613 Vgl. Jürgen Fromme: Kontrollpraktiken während des Absolutismus (1648–1806). In: Deutsche Kommunikationskontrolle des 15. bis 20. Jahrhunderts. Hrsg. von Heinz-Dietrich Fischer. München [u. a.]: K. G. Saur 1982 (Publizistik-Historische Beiträge; Bd. 5), S. 36–55, S. 47. David Paisey nimmt sogar an, dass in den Messkatalogen des 17. Jahrhunderts rund 87 Prozent der Buchproduktion nicht verzeichnet waren. Vgl. David L. Paisey: Literatur, die nicht in den Meßkatalogen steht. In: Bücher und Bibliotheken im 17. Jahrhundert in Deutschland. Hrsg. von Paul Raabe. Hamburg: Hauswedell 1980 (Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens; Bd. 6), S. 115–125, S. 124. Das lag auch daran, dass sich die Kataloge bei der Titelaufnahme vor allem auf die gelehrte Literatur mit dem Pontenzial für eine weite geographische Verbreitung konzentrierten. Vgl. Flood, ›Omnium totius orbis emporiorum compendium‹, S. 21. 614 Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, S. 59. 615 Ein weiterer Einfluss der Messe auf die Entstehung buchhändlerischer Kataloge könnte die behördliche Vorgabe gewesen sein, der Bücherkommission Bestandslisten abzuliefern. Einige Buchhändler oder Verleger könnte das dazu animiert haben, diese Listen, wenn sie sie schon erstellen mussten, auch gedruckt als Werbemittel zu verwenden. Vgl. Richter, Buchhändlerische Kataloge, S. 56f. 616 Vgl. Wittmann, Bücherkataloge des 16.–18. Jahrhunderts, S. 8f. Genaueres zu den einzelnen Katalogtypen folgt in Kapitel 3.1.3 unter dem Abschnitt Werbestrategien des Buchhandels. Die formale Bandbreite der Kataloge war zudem relativ groß und reicht neben den Einblattdrucken von Heftchen und kleineren Quartbänden bis hin zu mehrbändigen Folianten. Vgl. Reinhard Wittmann: Bücherkataloge des 16.–18. Jahrhunderts als Quellen der Buchgeschichte. Eine Einführung. In: Bücherkataloge als buchgeschichtliche Quellen in der frühen Neuzeit. Hrsg. von Reinhard Wittmann. Wiesbaden: Harrassowitz 1985 (Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens; Bd. 10), S. 7–17, S. 8f.

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Buchhändlerkatalogen mit ausführlichen Beschreibungen legten Graham Pollard und Albert Ehrman 1965 vor. Ihre Publikation wurde seither nur stellenweise ergänzt, unter anderem durch Günter Richter und Christian Coppens.617 Der erste Verlagskatalog stammt von Aldus Manutius. Er brachte 1498 ein Verzeichnis seiner Drucke heraus, das noch als einseitige Buchanzeige konzipiert war. Fünf Jahre später druckte er ein doppelseitiges Verzeichnis und 1513 schließlich bestand es aus vier Folioblättern »und kann als erster eigenständiger, mehrseitiger Katalog angesehen werden.«618 Weitere Kataloge sind bis 1540 nur indirekt erhalten, wie in Conrad Gessners Pandectarum libri XXI619. Jedes Buch seiner Bibliographie widmete Gessner jeweils einer anderen Offizin und druckte im Anschluss an seine Widmung einen Katalog von ihr ab, sofern er einen besaß. Außerdem nannte er in seinem Vorwort verschiedene Kataloge, die er als Grundlage verwendet hatte. Falls die Angaben Gessners korrekt sind, wurde der erste Katalog im Oktavformat von Andreas Cratander in Basel gedruckt, möglicherweise vor 1536, bestimmt aber vor 1540.620 Materiell überliefert sind sie erst seit den 40er Jahren des 16. Jahrhunderts.621 Bis auf wenige Ausnahmen erschienen alle der in den 1540er und 1550er Jahren gedruckten Oktavkataloge in Paris, womit sie anders als die Bücheranzeigen des 15. Jahrhunderts kein rein deutsches Phänomen darstellen.622 Gessner betonte, dass die Drucker in ihren Katalogen nicht nur ihre eigenen, sondern auch die Bücher anderer Offizinen aufführten. Daraus folgern Pollard und Ehrmann, dass »every sixteenth-century printer, however extensive his business, was also a retail bookseller.«623 Den verschiedenen Katalogformen gemeinsam war eine überwiegend systematische Einteilung, die in der Regel den Universitätsfakultäten Theologie, Jurisprudenz, Medizin sowie der Artistenfakultät folgte. Daneben unterschied man nach Sprachen. Die Titel selbst wurden meist stark verkürzt angegeben und nur selten im Original zitiert. Hinzu kamen bibliographische Angaben zum Format und zum Preis der Drucke.624 Nähere Informationen zu Erscheinungsjahr und Umfang des Buches

617 Vgl. Günter Richter: Bibliographische Beiträge zur Geschichte buchhändlerischer Kataloge im 16. und 17. Jahrhundert. Mit elf Abbildungen auf Tafel II–XI. In: Beiträge zur Geschichte des Buches und seiner Funktion in der Gesellschaft. Festschrift für Hans Widmann zum 65. Geburtstag am 28. März 1973. Hrsg. von Alfred Świerk. Stuttgart: Anton Hiersemann 1974, S. 183–229 und Christian Coppens: Five unrecorded German Booksellers’ Catalogues end 16th–early 17th century. In: AGB 54 (2001), S. 157–169. 618 Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 27. 619 Conrad Gessner: PANDECTARVM SIVE. Partitionum uniuersalium Conradi Gesneri Tigurini, medici & philosophiae professoris, libri XXI. Zürich: Christoph Froschauer d. Ä. 1548. Vgl. VD16 G 1699. 620 Vgl. Pollard/Ehrman, The Distribution of Books by Catalogue, S. 52. 621 Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 27f. 622 Vgl. Pollard/Ehrman, The Distribution of Books by Catalogue, S. 59. 623 Pollard/Ehrmann, The Distribution of Books by Catalogue, S. 64.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels

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fehlen meist.625 Auch auf den Plakatverzeichnissen zum Aushängen wurden die Titel in Kurzform systematisch, nach Sprachen und innerhalb der Sachgruppen zusätzlich alphabetisch angeordnet. Um sie auffälliger zu gestalten, setzten manche Verlage ihr Signet mittig unter den Kopftitel. Überliefert sind solche Plakate vor allem im Zusammenhang mit der Frankfurter Buchmesse und sie verzeichneten oft auch die Kommissionsware und das Sortiment neben dem eigenen Verlagsprogramm.626 Der Hauptzweck der Kataloge und Plakate war selbstredend die Verkaufsförderung der Bücher.627 Im Gegensatz zu den Plakaten eignete sich der Katalog dabei für eine längere Aufbewahrung. Er diente wohl besonders zur Kommunikation der größeren Buchhandelsaktanten untereinander und mit ihrer Stammkundschaft. Die Buchhändler hielten ihre Kunden – vor allem die Gelehrten, mit denen sie häufig in brieflichem Kontakt standen – zusätzlich mit handschriftlichen Verzeichnissen ihrer Neuerscheinungen bzw. -erwerbungen auf dem Laufenden. Die Sortimentskataloge und häufig auch die Lagerkataloge sandten sie ihren Kunden dafür gratis zu.628 Die aufwendigen Universalkataloge wurden dagegen oft verkauft und auch für den Messkatalog musste man einen Schilling pro Exemplar aufwenden.629 Die Auflagenhöhen – eine der wenigen überlieferten Angaben hierzu steht in einem Katalog Christoph Plantins von 1566 mit 300 Stück – sprechen für eine gezielte Verteilung. Die kaiserliche Bücherkommission verlangte daneben ihre Einlieferung zur Kontrolle des Bücherbestandes. Bei diesen eingeforderten Katalogen fällt auf, dass die handschriftlichen die gedruckten deutlich überwogen. Dafür gab es verschiedene Gründe. Einerseits hatten viele Buchhändler keine eigenen gedruckten Kataloge oder sie waren bereits vergriffen, andererseits gaben einige aus »Trotz

624 Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 28. 625 Vgl. Richter, Buchhändlerische Kataloge, S. 40. Nach Richter sind auch die Preise eher selten und nur das Format eine relativ häufig anzutreffende Angabe. Vgl. Richter, Buchhändlerische Kataloge, S. 40. 626 Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 29. Im 15. Jahrhundert waren die Verlegerplakate noch keine Messeplakate. Erst seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bezogen sie sich direkt oder indirekt auf die Messe und im 17. Jahrhundert waren die meisten Plakate Messeplakate. Vgl. Rolf Engelsing: Deutsche Verlegerplakate des 17. Jahrhunderts. In: AGB 9 (1969), Sp. 217–238, Sp. 217. Engelsing unterscheidet zwölf Plakate, die er im Reprint herausgab, in verschiedene Gruppen, die Schauplakate für volkstümliche Titel auf Deutsch, die Fahnenplakate mit dem Gesamtangebot einer Firma, die Handwerksplakate sowie eine schmucklose Zwischenform. Vgl. Deutsche Bücherplakate des 17. Jahrhunderts. Mit einer Einleitung von Rolf Engelsing. Wiesbaden: Pressler 1971. 627 Dabei gab es auch Ausnahmen, wie zum Beispiel zwei gedruckte Bücherlisten von Christian Egenolffs Erben, die 1562 einem Privilegiengesuch dienten. Vgl. Richter, Buchhändlerische Kataloge, S. 57. 628 Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 4 und 313. 629 Vgl. Richter, Buchhändlerische Kataloge, S. 51.

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gegen die Belästigung auf der Messe«630 nur flüchtig niedergeschriebene Zettel ab. Manche Buchhändler schließlich schrieben die Kataloge für den Kommissionär erst auf der Messe und nutzten für die Werbung wahrscheinlich das althergebrachte Mittel des Titelseitenanschlags an der Messbude.631 Außerdem hatte sich die im 15. Jahrhundert noch feststellbare Anonymität der Anzeigen und Kataloge geändert. Kein bekannter Katalog aus dem 16. Jahrhundert nennt nicht mindestens den Namen der Offizin oder des Buchführers. Günter Richter vermutet hier einen Zusammenhang zur Entwicklung des standortgebundenen Buchhandels gegenüber dem zurückgehenden Wanderhandel.632 Zensur Die am Ende des vorherigen Abschnitts erwähnte Einforderung von Katalogen durch das staatliche Kontrollorgan der Bücherkommission auf der Messe stand im Zusammenhang mit der Zensur. Diese begann zunächst als geistliche Informationskontrolle. In Köln gab es schon besonders früh intensive Zensuraktivitäten der katholischen Kirche, was kaum verwundert angesichts der Tatsache, dass die Stadt »als wichtigster Herstellungs- und Verbreitungsort gegenreformatorischen Schrifttums in Mitteleuropa«633 galt. Von ihr gingen die ersten offiziellen Schritte zur Einführung einer Zensur im Druckwesen in Deutschland aus.634 Die Durchsetzungsfähigkeit der Verordnungen war allerdings nicht besonders groß, wie es die ständigen Wiederholungen der Bestimmungen vermuten lassen und es das geflügelte Jesuitenwort »Notabitur Romae, legetur ergo«635 nahelegt. Die Einflüsse der Zensur auf den Wissensraum Buchhandel waren trotzdem vorhanden und in ihrem direkten Bezug auf ihn von großer Bedeutung, weshalb ihre Entwicklung hier ausführlich vorgestellt wird.

630 Günter Richter: Die Sammlung von Drucker-, Verleger- und Buchführerkatalogen in den Akten der kaiserlichen Bücherkommission. In: Festschrift für Josef Benzing zum sechzigsten Geburtstag. 4. Februar 1964. Hrsg. von Elisabeth Geck und Guido Pressler. Wiesbaden: Guido Pressler 1964, S. 317–372, S. 320. 631 Vgl. Richter, Die Sammlung von Drucker-, Verleger- und Buchführerkatalogen, S. 320f. 632 Vgl. Richter, Buchhändlerische Kataloge, S. 54. 633 Wittmann, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 62. 634 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 525. 635 Zitiert nach Stephan Fitos: Zensur als Mißerfolg. Die Verbreitung indizierter deutscher Druckschriften in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Zugl. Univ. Diss.: Freiburg (Breisgau) 1999. Frankfurt a. M. [u. a.]: Peter Lang 2000, S. 1. »Von Rom gekennzeichnet, also gelesen.« Frei übersetzt bedeutet es, dass die Bücher, die Rom auf den Index setzte, auch mit Sicherheit gelesen wurden. Fitos hat dem »Mißerfolg« der Zensur eine ganze Monographie gewidmet. Darin stellt er aber auch heraus, dass er zwar den langfristigen Erfolg, nicht jedoch den Glauben an ihre Notwendigkeit und vor allem Wirksamkeit in der Frühen Neuzeit infrage stellt. Vgl. Fitos, Zensur als Mißerfolg, S. 1f.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels



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Drucker und Buchhändler mussten seit Beginn der kirchlichen Zensurmaßnahmen bei der Wahl der Inhalte ihrer Bücher vorsichtig sein und ihr bevorzugtes Absatzgebiet im Blick behalten, denn hielt man sich beispielsweise an die Kölner Zensurbestimmungen, so bekam man Probleme mit den protestantisch ausgerichteten Absatzmärkten, ließ man die Vorschriften außer Acht, provozierte man Schwierigkeiten innerhalb der katholischen Produktionsstätte.636 Franz Birckmann etwa wurde 1526 in den Niederlanden verhaftet, denn er hatte einen Druck Frobens, die Ökolampadische Übersetzung des Chrysostomos637, verkauft und damit die Zensurvorschriften Antwerpens übertreten. Erst nach einigem Hin und Her und der Entrichtung von Strafgebühren kam Birckmann wieder frei.638 Um solche Konsequenzen umgehen zu können, war es für die Buchhandelsaktanten wichtig, über die jeweils aktuellen Zensurvorschriften vor Ort informiert zu sein. Bereits im 13. Jahrhundert wurde an den Universitäten das Schriftwesen überwacht. Gegenstand der kirchlichen Bücherverbote waren Lehren und Ansichten, die dem Glauben zuwider liefen und damit aus Sicht der Kirche falsch waren.639 Der Buchdruck änderte die Situation dann grundlegend. Schon am 17. März 1479 erhielten der Rektor und die Dekane der Universität in Köln die Erlaubnis des Papstes zur kirchlichen Zensur. Daraufhin wurde in verschiedenen Büchern bis Mitte der 1480er Jahre die Druckerlaubnis der Universität eingetragen, womit sie sogar noch über die von Sixtus IV. erteilte Befugnis hinausgingen.640 Eine Präventivzensur scheint die Universität aber bereits vor 1479 ausgeübt zu haben, wie es in der päpstlichen Urkunde angedeutet wird: Wir haben euren Brief empfangen und aus diesem mit Wohlgefallen gelesen, mit welchem Eifer der Rechtgläubigkeit, mit welcher Klugheit ihr verhindert habt, daß ketzerische Schriften gelesen, gedruckt und verkauft werden […] Damit ihr euer gutes Beginnen leichter fortsetzen könnt, verleihen wir euch das Recht und geben euch die Möglichkeit, mit kirchlichen Zensuren und anderen geeigneten Heilsmitteln gegen Drucker und Leser von Büchern dieser ketzerischen Art vorzugehen. Und weil es geschehen könnte, daß Drucker aus Furcht vor euren Maß-

636 Vgl. Schnurmann, Kommerz und Klüngel, S. 51f. 637 Johannes Chrysostomos: DIVI IOANNIS CHRYSO||STOMI COMMENTARIORVM IN ACTA APOSTOLORVM || HOMILIAE QVINQVAGINTAQVINQVE. [Übers.v. Desiderius Erasmus und Johannes Oecolampadius]. Basel: Johann Froben (Erben) 1531. Vgl. VD16 J 415. 638 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 103–105. 639 Vgl. Ulrich Eisenhardt: Staatliche und kirchliche Einflußnahmen auf den deutschen Buchhandel im 16. Jahrhundert. In: Beiträge zur Geschichte des Buchwesens im konfessionellen Zeitalter. Vorträge des 6. Jahrestreffens »Europäischer Buchhandel im Jahrhundert der Reformation« des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Geschichte des Buchwesens vom 4.–7. Mai 1983 und des Bibliotheksgeschichtlichen Seminars »Die Reformation und das städtische Büchereiwesen« vom 10.–12. Oktober 1983. Hrsg. von Herbert G. Göpfert, Peter Vodosek, Erdmann Weyrauch und Reinhard Wittmann. Wiesbaden: Harrassowitz 1985 (Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens; Bd. 11), S. 295–313, S. 296. 640 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 526.

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nahmen sich an andere Orte begeben, wollen wir, daß ihr den Behörden dieser Orte diesen unseren Willen kundgebt, der überall beobachtet werden soll.641

Der Würzburger Bischof folgte 1482 mit der Einführung einer Vorzensur.642 Als nächstes verordnete der Mainzer Erzbischof und Kurfürst Berthold von Henneberg am 4. Januar 1486 ein Zensuredikt.643 Im November 1487 erließ Papst Innocenz VIII. eine Bulle gegen die Drucker ketzerischer Bücher. Widersetzte man sich der Ablieferung als verboten eingestufter Drucke, drohten die Exkommunikation und eine Geldstrafe.644 Erst 1496 ergänzte Alexander VI. sie um das Verbot des Lesens und Verbreitens unliebsamer Schriften.645 Mit der verschärften Bulle Inter multiplices wandte sich der Papst dafür am 1. Juni 1501 vornehmlich an die Erzbischöfe der Städte Köln, Mainz, Trier und Magdeburg. Es ist allerdings anzunehmen, dass die Umsetzung der genannten Maßnahmen über die Gebiete ihrer Bistümer hinaus erwartet wurde. Mit der Bulle Inter sollicitudines vom 4. März 1515 richtete sich Papst Leo X. schließlich an die gesamte Kirche und verordnete eine allgemeine Vorzensur. Die Berechtigung zur Zensur sah die Kirche in der ihr selbst auferlegten Pflicht, über den Glauben und die Sitten in ihrem Sinne zu wachen und für ihre Reinheit Sorge zu tragen.646 Sie griff damit zu drastischen Mitteln bei dem Versuch, den Wissensdiskurs zu lenken und Gegenstimmen gar nicht erst zu Wort kommen zu lassen. Mit Ausnahme von Köln, wo sich mehrere Buchhändler zusammenschlossen, um in Rom gegen die Durchführung der päpstlichen Bullen vorzugehen, begegnete man den Verfügungen in Deutschland jedoch mehrheitlich mit wenig Beachtung oder allenfalls passivem Widerstand.647 Die Reformation zog bald eine Verschärfung der Zensurvorschriften nach sich. Das Edikt von Worms, am 26. Mai 1521 von Kaiser Karl V. verkündet, begründete die Verbindung der weltlichen mit der geistlichen Macht zur Unterdrückung der refor-

641 Zitiert nach Joan Hemels: Pressezensur im Reformationszeitalter (1475–1648). In: Deutsche Kommunikationskontrolle des 15. bis 20. Jahrhunderts. Hrsg. von Heinz-Dietrich Fischer. München [u. a.]: K. G. Saur 1982 (Publizistik-Historische Beiträge; Bd. 5), S. 13–35, S. 16. Interessanterweise ist darin zwar vom Verhindern des Verkaufs der betreffenden Schriften die Rede, weiter wird jedoch nur das Vorgehen gegen Drucker und Leser erwähnt. 642 Vgl. Dominik Burkard: Repression und Prävention. Die kirchliche Bücherzensur in Deutschland (16.–20. Jahrhundert). In: Inquisition, Index, Zensur. Wissenskulturen der Neuzeit im Widerstreit. Hrsg. von Hubert Wolf. Paderborn [u. a.]: Ferdinand Schöningh 2001 (Römische Inquisition und Indexkongregation; Bd. 1), S. 305–327, S. 312. 643 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 453. Der Erlass beschränkte sich dabei auf ein Verkaufsverbot von Übersetzungen aus dem Lateinischen und Griechischen ins Deutsche, solange keine vorherige Erlaubnis dazu eingeholt worden war. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 527. 644 Vgl. Hemels, Pressezensur im Reformationszeitalter, S. 17. 645 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 529. 646 Vgl. Eisenhardt, Staatliche und kirchliche Einflußnahmen, S. 296f. 647 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 531.

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matorischen Bewegung.648 Die staatliche Aufsicht über den Buchhandel entstand in Deutschland also erst nach der geistlichen.649 Zuvor hatte Kaiser Maximilian I. 1496 einen Doktor der Rechte namens Oessler in Straßburg zum »Generalsuperintendenten des Bücherwesens in ganz Teutschland« ernannt. Das erste kaiserliche Bücherverbot lässt sich aber erst 1512 nachweisen, als der Kaiser ein Mandat erließ, das die Schriften Johannes Reuchlins verbot.650 Im Wormser Edikt heißt es dann: Ferrer gebieten wir Eüch allen vnd Eür yedem In sonders: bey den vorgeschriben peenen. Das Ewr kainer der obgenannten Martin Luther schrifften von vnserm hayligen Vater Bapst: […] verdambt: vnd all annder schrifften. die in latein vnnd Deütsch: oder in ander Sprach bißher durch jne gemacht sein: oder hinfür gemacht werden. Als Böß: Argwenig vnd verdechtlich. Vnd von eynem offenbarn hartneggickhen Ketzer außgegangen. Kauff: verkauff, lese, Behalt: Abschreyb, Druck: oder abschreyben, oder Drucken lasse, noch seiner Opinion zufall, die auch nit halt, Predig noch beschirme, noch das in ainich ander weg, wie Menschen Synn das bedencken kan vnderstee.651

Mit dem Verkauf verbotener, hier explizit lutherischer,652 Schriften machte man sich demnach ebenso strafbar wie mit ihrem Besitz oder Druck. Die Sanktionen konnten von einer simplen Geldbuße bis hin zu einer Haftstrafe reichen. In einem drastischen Fall, dem Buchführer Hans Oehl aus Regensburg, wurde die Zuwiderhandlung sogar mit dem Tod bestraft.653 Diese weltliche Pressgesetzgebung für Deutschland wurde 1548 durch die Reichspolizeiordnung konkretisiert und in ihrer Fassung von 1577 erweitert.654 Zur Durchsetzung der Verordnungen war es an verschiedenen

648 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 534f. 649 Vgl. Eisenhardt, Staatliche und kirchliche Einflußnahmen, S. 295. Die erste bekannte Zensurmaßnahme, die nicht von geistlicher Seite ausging, ist das Verbot eines Gedichts in Nürnberg 1491. Vgl. Helmut Neumann: Staatliche Bücherzensur und -aufsicht in Bayern von der Reformation bis zum Ausgang des 17. Jahrhunderts. Heidelberg [u. a.]: C. F. Müller 1977 (Studien und Quellen zur Geschichte des deutschen Verfassungsrechts; Bd. 9), S. 4. 650 Vgl. Hemels, Pressezensur im Reformationszeitalter, S. 24. 651 Zitiert nach Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 536. 652 Am 15. Juni 1520 hatte der Papst mit seiner Bulle Exsurge Domini Luther zum Ketzer erklärt. Vgl. Eisenhardt, Staatliche und kirchliche Einflußnahmen, S. 300. Auf dem Nürnberger Reichstag am 8. April 1524 wurde das Verbot dann auf Schmähschriften verallgemeinert und galt nicht mehr nur für Werke Luthers. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 540. 653 Vgl. Kirchhoff, Beiträge zur Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 72. 654 Vgl. Hemels, Pressezensur im Reformationszeitalter, S. 25. Die Erweiterung gab den kaiserlichen Organen das Recht, direkt einzugreifen, wenn die Landesherren nicht oder nicht entschieden genug gegen verbotene Schriften und ihre Verfasser, Drucker und Verbreiter vorgingen. Vgl. Hemels, Pressezensur im Reformationszeitalter, S. 25. Zuvor waren durch den Nürnberger Reichsabschied von 1524 die Reichsstände dazu verpflichtet worden, die Aufsicht über die Druckereien in ihren Landesgrenzen zu übernehmen. Der Reichsabschied in Speyer von 1529 legte mit der Auflage nach, dass alle Schriften vor dem Druck oder Verkauf durchgesehen werden sollten. Im Augsburger Reichsabschied von 1530 schließlich heißt es, dass nur Schriften mit vollständigen Angaben zum

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Orten verpflichtend, alle geplanten Titel vor ihrer Drucklegung einer Zensurbehörde vorzulegen und genehmigen zu lassen. Teilweise gab es zusätzlich regelmäßige Visitationen von Druckereien oder Buchläden. Aber weder die stetigen Erneuerungen der Edikte und Mandate oder Reichsabschiede noch ihre Verschärfung konnten der lutherischen Lehre Einhalt gebieten.655 Dass die Reichsgesetzgebung »den Autoren, Buchdruckern und Buchhändlern schwer zu lösende Fesseln angelegt hat, steht außer Zweifel.«656 Doch die gewachsene Souveränität der deutschen Territorialherren ließ den Kaiser hier in einigen Gebieten nahezu machtlos erscheinen und das Buchgewerbe fand Möglichkeiten die Restriktionen zu umgehen.657 Am einfachsten war es für Drucker oder Verleger, indem sie die Schriften anonym oder unter einem Pseudonym produzierten bzw. herausgaben.658 Auch ein fiktiver Druckort war ein beliebtes Mittel, die wahre Herkunft eines Textes zu verschleiern. Zudem war es nahezu unmöglich jeden Markt, geschweige denn die im Kleinschrifttum sehr erfolgreichen »Winkeldruckereien« sowie die zahlreichen Kolporteure oder Hausierer zu kontrollieren. Letztere boten ihre Schriften auch direkt an den Haustüren zum Kauf an.659 In diesem Zusammenhang war die territoriale Zersplitterung Deutschlands von Vorteil, wie das Beispiel Spanien zeigt, denn auf der Iberischen Halbinsel lastete die geistliche Zensur besonders schwer. Die Einheit des Landes machte ihre Durchsetzung einfacher und kaum irgendwo sonst war es gelungen, derart vollständig auch große Auflagen unerwünschter Werke zu vernichten.660 In Deutschland waren nicht alle Reichsstädte in der Umsetzung ihrer Zensurvorschriften besonders streng. Vor allem in Nürnberg, das seit 1525 öffentlich dem Protestantismus angehörte, gab es eine milde Strafverfolgungsstrategie. Die Stadt reagierte meist nur auf Anträge von außen – etwa vom Kaiser –, aufgrund der Wichtigkeit des Handels für die Stadt versuchten sie aber den Buchhandel in ihren

Drucker und -ort zugelassen würden. Vgl. Neumann, Staatliche Bücherzensur und -aufsicht in Bayern, S. 5. 655 Das lag allerdings auch daran, dass nach dem Augsburger Religionsfrieden 1555 das Ziel der Pressezensur der Schutz aller zugelassener Religionen und damit die Wahrung des Religionsfriedens war. Vgl. Eisenhardt, Staatliche und kirchliche Einflußnahmen, S. 303. 656 Ulrich Eisenhardt: Die kaiserliche Aufsicht über Buchdruck, Buchhandel und Presse im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation (1496–1806). Ein Beitrag zur Geschichte der Bücher- und Pressezensur. Karlsruhe: C. F. Müller 1970 (Studien und Quellen zur Geschichte des deutschen Verfassungsrechts: Reihe A, Studien; Bd. 3), S. 154. 657 Nach dem Dreißigjährigen Krieg verschärfte sich die Situation, da die Territorialstaaten daraus gestärkt gegenüber dem Kaiser hervorgingen. Vgl. Fromme, Kontrollpraktiken während des Absolutismus, S. 40. 658 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 569. 659 Vgl. Fromme, Kontrollpraktiken während des Absolutismus, S. 37. 660 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 208 und 539.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels  197

Mauern so wenig wie möglich zu behindern.661 Ebenso zurückhaltend in Zensurangelegenheiten war die Stadt Augsburg. Dort herrschte jedoch im Vergleich zu den anderen Reichsstädten eine Sondersituation vor. Augsburg war, wie bereits vorgestellt, eine frühe Anhängerin der Reformation und ein »zentraler Umschlagplatz für Reformationsschriften«662. Doch besonders während des Dreißigjährigen Krieges kehrten viele ihrer Bürger zum Katholizismus zurück, weshalb gegen Ende des 17. Jahrhunderts beide Glaubensrichtungen nahezu gleichwertig in der Stadt vertreten waren. Aus diesem Grund übernahmen zwei Ausschüsse, ein protestantischer und ein katholischer, die Zensur der jeweils ihre Kirche betreffenden Schriften.663 Deutlich effektiver waren lokale Zensurverordnungen, wie beispielsweise in Leipzig.664 Strenge Ausmaße nahm die Zensur außerdem in den Ländern an, in denen viele Bewohner zur Reformation übergetreten waren, die Fürsten aber weiterhin dem Katholizismus anhingen. Dies gilt insbesondere für Österreich und Bayern. In den Erblanden der Habsburger regierte seit 1521 der spätere Kaiser Erzherzog Ferdinand und er versuchte von Anfang an, die Verbreitung der reformatorischen Schriften zu verhindern. Am 12. März 1523 erließ er ein Mandat, mit dem er die Strafen des Wormser Edikts durchsetzen wollte.665 Die Herzöge Bayerns verhielten sich der Lehre Luthers gegenüber zunächst abwartend, erließen aber ebenfalls nach dem Wormser Edikt am 5. März 1522 ein erstes Religionsmandat. Nachdem im Zuge des Nürnberger Reichsabschieds der Kaiser am 8. April 1524 die Zensurhoheit den Landesgewalten übertragen hatte, schlossen sich im Juli in Regensburg mehrere katholische Fürsten, darunter auch die bayerischen Herzöge, zur sogenannten Regensburger Einung zusammen. Sie verpflichteten sich dazu, in ihren Territorien die Vorzensur einzuführen.666 Das Religionsmandat und die Regensburger Einung stehen am Beginn einer bayerischen Gegenreformation, die dazu führte, dass sich in der Bücheraufsicht Bayerns bis Ende des 17. Jahrhunderts eine deutliche Parteinahme für die katholische Religion zeigte.667 Sichtbares Zeichen hierfür war unter anderem ein Mandat Herzog Albrechts V. vom 1. März 1565, das den Kauf und Verkauf von Schriften aus anderen als den bekannten katholischen Druckorten verbot.668

661 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 571 und 574. 662 Künast, »Getruckt zu Augspurg«, S. 203. 663 Allgemeine Schriften beurteilten sie gemeinsam. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 578. 664 Vgl. Eisenhardt, Staatliche und kirchliche Einflußnahmen, S. 306. 665 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 552f. Am 5. November 1528 setzte Ferdinand zusätzlich eine Zensurbehörde ein, der der Bischof und der Bürgermeister von Wien angehören sollten. Sie scheint aber nie tätig geworden zu sein. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 554. 666 Vgl. Neumann, Staatliche Bücherzensur und -aufsicht in Bayern, S. 6–8. 667 Vgl. Eisenhardt, Staatliche und kirchliche Einflußnahmen, S. 304f. 668 Vgl. Dieter Breuer: Zensur und Literaturpolitik in den deutschen Territorialstaaten des 17. Jahrhunderts am Beispiel Bayerns. In: Stadt – Schule – Universität – Buchwesen und die deutsche

198  3 Der historische Kontext: Buchhandel in der Frühen Neuzeit

Erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts festigte sich die Reichsgesetzgebung, unterstützt von der von den Jesuiten geführten Gegenreformation.669 In dieser Zeit wurde auch das bekannteste und seit seiner Veröffentlichung in allen katholischen Reichsgebieten grundlegende Indizierungsinstrument erlassen, der päpstliche Index librorum prohibitorum.670 Papst Paul III. (1534–1549) reorganisierte zudem am 21. Juli 1542 die seit dem 13. Jahrhundert bestehende Hl. Römische und Universale Inquisition.671 Der Inquisition ging es zwar nicht ausdrücklich um Bücher, aber ein kurze Zeit später erschienenes Edikt an die Generalinquisitoren machte deutlich, dass das Unterdrücken von Büchern, die als häretisch – also in erster Linie protestantisch –672 eingestuft wurden, selbstverständlich eine Aufgabe der Inquisition sei. Im Jahr 1571 wurde dann mit der Indexkongregation (Concregatio Indicis librorum prohibitorum) eine Behörde geschaffen, die ausschließlich den Wissensraum Buchhandel kontrollieren sollte.673 Mit der ›Hl. Römischen und Universalen Inquisition‹ und der Indexkongregation hat sie [die kath. Kirche] sich im 16. Jahrhundert mächtige Institutionen der Wissenssteuerung und Medienpolitik geschaffen. In ihnen wurde der einzigartige Versuch unternommen, mit dem Mittel der Zensur eine Totalkontrolle über den Buchmarkt und die von ihm repräsentierte Gesamtheit neuzeitlicher Wissenskultur auszuüben.674

In der Geschichte des Index lassen sich verschiedene Epochen festmachen, in denen vier Typen aufeinanderfolgen, der Index der Inquisition, des Konzils von Trient, der

Literatur im 17. Jahrhundert. Vorlagen und Diskussionen eines Barock-Symposions der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1974 in Wolfenbüttel. Hrsg. von Albrecht Schöne. München: C. H. Beck 1976, S. 470–491, S. 477. 669 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 552. 670 Die Kirche war nicht die erste, die einen Index einführte. Bereits 1540 hatte Karl V. ein Verzeichnis verbotener Bücher für Flandern erlassen. Daneben führten die Universitäten in Paris und Löwen 1542 bzw. 1546 solche Indexe ein. Vgl. Hemels, Pressezensur im Reformationszeitalter, S. 19. Auch in Deutschland gab es bereits ein früheres Verzeichnis, denn 1549 wurde in Köln ein Bücherverbotskatalog von der örtlichen Provinzialsynode erlassen. Vgl. Eisenhardt, Staatliche und kirchliche Einflußnahmen, S. 298. 671 Vgl. Hemels, Pressezensur im Reformationszeitalter, S. 16. 672 Das mittelalterliche Ketzerrecht, auf dem die Inquisition basierte, wurde nach der Reformation angepasst und die lutherische Lehre im Zuge dessen in die allgemeinen Häresien aufgenommen und als solche verurteilt. Vgl. Peter Schmidt: Fernhandel und römische Inquisition. »Interkulturelles Management« im konfessionellen Zeitalter. In: Inquisition, Index, Zensur. Wissenskulturen der Neuzeit im Widerstreit. Hrsg. von Hubert Wolf. Paderborn [u. a.]: Ferdinand Schöningh 2001 (Römische Inquisition und Indexkongregation; Bd. 1), S. 105–120, S. 107. 673 Vgl. Hubert Wolf: Die »deutsche« Reform des römischen Index der verbotenen Bücher (1900). In: Inquisition, Index, Zensur. Wissenskulturen der Neuzeit im Widerstreit. Hrsg. von Hubert Wolf. Paderborn [u. a.]: Ferdinand Schöningh 2001 (Römische Inquisition und Indexkongregation; Bd. 1), S. 23–41, S. 25f. 674 Wolf, Die »deutsche« Reform des römischen Index, S. 24.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels 

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Index des Magister Sacri Palatii und der der Indexkongregation. Die Inquisition arbeitete seit Ende der 1540er Jahre an einer Liste verbotener Bücher. Eine erste Fassung von zwei dafür beauftragten Dominikanern wurde 1557 gedruckt und überarbeitet ein Jahr später erneut veröffentlicht. Im Jahr 1559 wurde der Index unter Paul IV. das erste und einzige Mal vor 1917 von der römischen Inquisition erstellt und herausgegeben. In der dritten und letzten Phase des Konzils von Trient (1545–1563) beauftragte Papst Pius IV. die Konzilsteilnehmer, sich mit einer Zusammenstellung verbotener Bücher zu beschäftigen. Die Ergebnisse wurden nach Ende des Konzils in eine endgültige Fassung gebracht und gelangten am 24. März 1564 in den Druck.675 Der Magister Sacri Palatii Thomas Manrique spielte für die Zensur eine große Rolle. Er arbeitete seit der ersten Fassung an der Erstellung des Index mit und richtete sich am 19. Januar 1566 in einer Anweisung an (Buch-)Händler und Zollbeamte, was »beweist, dass er sich auch mit der Einfuhr und dem Verkauf von Büchern beschäftigte.«676 Seit den 70er Jahren des 16. Jahrhunderts übernahm Palatii die Erstellung und Publikation der Listen verbotener Bücher.677 Er gehörte dafür der am 5. März 1571 gegründeten Indexkongregation an.678 Die aktuellen Dekrete mit den indizierten Büchern wurden öffentlich an den Türen der Hauptkirchen Roms angeschlagen. Das Verkaufen, Besitzen oder Lesen der betreffenden Schriften wurde als Todsünde eingestuft und mit der Exkommunikation bestraft. Die Effektivität dieses Anschlagens wie auch der zusammengefassten Publikation im Index dürfte jedoch nicht sehr groß gewesen sein, weshalb Burkard die Frage aufwirft, ob es sich dabei nicht um ein »lediglich symbolisches Geschehen«679 handelte. In Deutschland erlangte der Index überdies keine allgemeine Gültigkeit, was vor allem daran lag, dass er nicht überall öffentlich bekannt gemacht und aus Rücksicht auf die protestantischen Reichsstände nicht ins Reichsrecht aufgenommen wurde.680 Die kirchliche Bücherzensur erfolgte in drei Stufen. Erstens gab es die päpstlichen Bücherverbote, die repressiv bereits verbreitete Literatur zu unterdrücken suchten. Sie beanspruchten universale Gültigkeit. An zweiter Stelle stand die bischöfliche Repressivzensur, die für die jeweilige Diözese eingeführt wurde. Als Drit-

675 Vgl. Jesús Martínez de Bujanda: Die verschiedenen Epochen des Index (1550–1615). In: Inquisition, Index, Zensur. Wissenskulturen der Neuzeit im Widerstreit. Hrsg. von Hubert Wolf. Paderborn [u. a.]: Ferdinand Schöningh 2001 (Römische Inquisition und Indexkongregation; Bd. 1), S. 215–228, S. 215–217. 676 Bujanda, Die verschiedenen Epochen des Index, S. 219. 677 Vgl. Bujanda, Die verschiedenen Epochen des Index, S. 221. 678 Da der Magister gleichzeitig auch Mitglied der Inquisition war und im Namen beider Behörden auftrat, kam es gelegentlich zu Verwirrungen und zu Koordinationsproblemen. Vgl. Bujanda, Die verschiedenen Epochen des Index, S. 223 und 226. 679 Burkard, Repression und Prävention, S. 306. Nach der Rechtsauffassung der Kirche war das Bücherverbot damit universal überall gültig. Vgl. Burkard, Repression und Prävention, S. 305f. 680 Vgl. Burkard, Repression und Prävention, S. 321.

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tes schließlich ist die bischöfliche Präventivzensur als örtliche Vorzensur zu nennen.681 »Insgesamt gesehen unternahm die katholische Kirche große Anstrengungen, um Einfluß auf das Bücher- und Pressewesen im Reich zu gewinnen. Der Erfolg, der ihr dabei beschieden war, darf nicht unterschätzt werden.«682 Dass aber lediglich drei von sechs erstellten Fassungen des Index gedruckt erschienen, macht deutlich, wie umstritten dieses Zensurmittel schon unter den Zeitgenossen war. Langwierige Diskussionen und Proteste hatten die Veröffentlichung der Hälfte der Probefassungen verhindert.683 Im Laufe der Zeit wandelte sich der inhaltliche Schwerpunkt der Überwachung des Wissensraums Buchhandel erheblich. Zu Beginn ging es um die Unterdrückung aller Werke, die nicht im Einklang mit der christlichen Lehre standen. Mit Anfang des 16. Jahrhunderts und der Reformation richteten sich die Verbote vornehmlich gegen die neue protestantische Lehre und alle Angriffe gegen die katholische Kirche. Nach dem Abebben der Streitigkeiten durch den Religionsfrieden 1555 konzentrierte sich die Strafverfolgung vermehrt auf die Wahrung dieses Friedens und jede Schrift, die eine der zugelassenen – also auch die protestantische – Konfessionen angriff, geriet in ihr Visier. Der Nicht-Katholizismus blieb dabei jedoch ein »Reizsignal«684 für die Zensur, da die protestantischen bzw. in protestantischen Städten erschienenen Druckschriften weiterhin die deutliche Mehrzahl der indizierten Titel stellten.685 Selbstverständlich wurden auch profane Texte überwacht. Doch erst im 18. Jahrhundert traten die religiösen Schriften zunehmend in den Hintergrund und die Territorialstaaten versuchten verstärkt, sich von der kirchlichen Kontrolle zu lösen. Im kaiserlichen Edikt unter Karl VI. vom 18. Juli 1715 wurden erstmals politische Texte erwähnt, die sich gegen die Regierung und die Grundgesetze des Heiligen Römischen Reichs richteten. Neu waren außerdem strengere Bestimmungen über den Nachdruck. Sowohl die Herstellung als auch der Verkauf solcher nachgedruckter Werke waren nun streng verboten.686 Außerhalb Deutschlands wurden teilweise erst später grundlegende Reglementierungen in Bezug auf den Buchdruck und -handel eingeführt. In Frankreich verbot das Parlament von Paris auf Anweisung Franz I. im März 1521 den Druck theologischer Bücher ohne vorherige Prüfung durch die Sorbonne und 1534 folgten Regelun-

681 Vgl. Burkard, Repression und Prävention, S. 307f. 682 Hemels, Pressezensur im Reformationszeitalter, S. 32. 683 Vgl. Fitos, Zensur als Mißerfolg, S. 31. 684 Fitos, Zensur als Mißerfolg, S. 71. 685 Als weiteres »Reizsignal«, das besonders zur Indizierung führen konnte, macht Fitos das Publizieren in der Volkssprache fest. Vgl. Fitos, Zensur als Mißerfolg, S. 76. 686 Vgl. Fromme, Kontrollpraktiken während des Absolutismus, S. 36–38 und 41. Allerdings gab es auch erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts während des sogenannten aufgeklärten Absolutismus einen deutlichen Anstieg politischer Schriften. Vgl. Fromme, Kontrollpraktiken während des Absolutismus, S. 36.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels



201

gen zur Vorzensur medizinischer Bücher. Weitere sieben Jahre später gab das Parlament einen Erlass heraus, nach dem alle gegen die katholische Lehre gerichteten Schriften innerhalb von drei Tagen abgeliefert werden mussten, der heimliche Druck und Verkauf von Büchern ohne Angabe des Druckers und -orts verboten und eine Kommission sogenannter »libraires jures«687 sowie Vertretern der Universität eingesetzt wurde. Diese Vorschriften wurden 1551 durch das Edikt von Chateaubriant noch einmal verschärft und die Einfuhr von Büchern aus Genf und anderen nichtkatholischen Druckorten verboten. Die Mitglieder der theologischen Fakultät kontrollierten importierte Bücherlieferungen und visitierten zweimal im Jahr alle Buchläden. Außerdem wurde den Buchdruckern und -händlern vorgeschrieben, sowohl den Katalog der von der Sorbonne indizierten Bücher als auch ein Verzeichnis des eigenen Bestandes zu besitzen.688 In den spanischen Niederlanden hatte Karl V. landesherrliche Rechte und nutzte diese für seinen Kampf gegen die lutherische Lehre. Zwischen 1520 und 1550 – also noch vor dem Wormser Reichstag 1521 – erließ er mindestens 19 Edikte, Ordnungen und Reglementierungen in Bezug auf den Buchhandel. Im Jahr 1526 etwa verbot er den Kauf und Verkauf ausländischer Bücher. Bei Zuwiderhandlung drohte die Konfiskation eines Drittels des eigenen Vermögens. Ab 1540 mussten schließlich alle Offizinen und Buchläden in den Niederlanden alle sechs Monate kontrolliert werden. Bei den Visitationen, die ohne Vorwarnung vorgenommen wurden, musste ein Inventar der zum Verkauf gedachten Bücher vorgelegt werden. Vier Jahre später wurde verordnet, dass nur Bücher mit vollständigen Angaben zum Autor und Drucker sowie einem gedruckten Privileg verkauft werden durften. Im Jahr 1546 veranlasste Karl V. die Universität Löwen dazu, einen Index verbotener Bücher zusammenzustellen. Im gleichen Jahr erging die Vorschrift, nur gut beleumundete Personen zum Buchverkauf zuzulassen. Unter Philipp II. wurde schließlich 1562 ein Verfahren eingeführt, das die Preise amtlich festlegen sollte.689 Auch in Italien gab es Normierungstendenzen, die vor allem die Einholung einer Drucklizenz forderten, so zum Beispiel im römischen Kirchenstaat 1515 durch die Inter sollicitudines, 1544 in Neapel und 1560 in Savoyen-Piemont. Venedig war

687 Diese »libraires jurés« bestanden aus 24 Personen, die aus den Reihen der Buchhändler stammten. Diese »suppôts« (Universitätsdiener) regulierten im Namen der Universität den Pariser Buchmarkt. Vgl. David J. Shaw: Book Trade Practices in early Sixteenth Century Paris: Pierre Vidoue (1516–1543). In: The Book Triumphant. Print in Transition in the Sixteenth and Seventeenth Century. Hrsg. von Malcolm Walsby und Graeme Kemp. Boston: Brill 2011 (Library of the Written Word; Vol. 15/The Handpress World; Vol. 9), S. 334–346, S. 339. 688 Vgl. Weyrauch, Leges librorum, S. 317–319. Die Sorbonne war aber nur eine urteilende Institution. Sie hatte weder das Recht noch die Mittel ihre Entscheidungen durchzusetzen. Das musste sie den ausführenden Gewalten, dem König und dem Parlament von Paris, überlassen. Meinungsverschiedenheiten mit den beiden letztgenannten machten ihre Urteile nahezu wirkungslos. Vgl. Weyrauch, Leges librorum, S. 324f. 689 Vgl. Weyrauch, Leges librorum, S. 328f.

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der produktivste Druckort Italiens im 15. Jahrhundert und auch in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts waren schätzungsweise 500 bis 600 Personen in der Stadt mit dem Druck und Verkauf von Büchern beschäftigt. Dort gab es also früh Bestrebungen, das Buchgewerbe einerseits zu fördern, andererseits aber auch zu reglementieren. Ab 1547 beschäftigte sich der Conseglio di X (der Rat der Zehn) mit dem Import unerwünschter Bücher und verbot ihre Einfuhr. Einen Höhepunkt der Regulierungsmaßnahmen markiert die Gründung einer Gilde der Drucker und Buchverkäufer 1548/49, der Universita delli Stampari et Librari, durch den Rat der Zehn. Realisiert wurde diese Gilde zwar erst 1567, doch dadurch nahm der Buchhandel »einen rechtlich anerkannten Platz in Wirtschaft und Handel der Stadt ein.«690 Im Gegensatz zu Deutschland stand in Venedig allerdings nicht die kirchliche Zensur am Anfang, sondern die staatliche. Vor der Mitte des 16. Jahrhunderts wurden nur Bücher verboten, die offene Häresie oder Kritik an der Republik übten. Erst anschließend griff die Kirche in die venezianische Zensurpolitik ein.691 Die Zensurbestimmungen in Deutschland und in Europa waren für die Buchhandelsaktanten von großer Relevanz. Wie bereits zur Einleitung dieses Abschnitts erwähnt, mussten die großen international tätigen Buchhändler darüber informiert sein und ihr Geschäftsgebaren anpassen, um entweder zu verhindern, mit den ausländischen Behörden in Konflikt zu geraten, oder um Strategien zur Umgehung der Zensur zu entwickeln. Die Zensur ist gesamt gesehen der deutlichste Versuch einer (kirchen)politischen Einflussnahme von außen auf den Wissensraum Buchhandel. Die Bücherkommission in Leipzig und Frankfurt am Main Die Kontrollversuche von staatlicher Seite setzten in Deutschland direkt an den beiden wichtigsten Knotenpunkten des Wissensraums Buchhandel an, den beiden Messen in Leipzig und Frankfurt. An diesen beiden Orten wurden Bücherkommissionen zur Zensurausübung eingesetzt. Da die beiden Städte eine besondere Rolle für den Wissensdiskurs der Buchhandelsaktanten spielten und das Messegeschäft eine ihrer wichtigsten Praktiken darstellt, werden diese Einrichtungen hier gesondert betrachtet. Am 25. April 1569 wurde die Grundlage für eine Kursächsische Bücherkommission in Leipzig gelegt, denn an diesem Tag wurde die Presspolizei an den Rat und die Universität übertragen. Noch im Dezember desselben Jahres wurde eine regelmäßige Beaufsichtigung der Messe angeordnet. Die Verteilung der Zensurkompetenzen auf den Rat und die Universität führte allerdings bald zu Streitigkeiten. Der Rat wollte die wiederkehrenden Visitationen der Buchläden nicht ausführen und die Universität suchte sich die alleinigen Zensurbefugnisse zu sichern; 1598 wollte sie sogar die Ratsmandate zensieren. In der anschließenden Phase bis nach dem Drei-

690 Weyrauch, Leges librorum, S. 331. 691 Vgl. Weyrauch, Leges librorum, S. 319f. und 330–333.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels 

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ßigjährigen Krieg scheinen die Zensurverfolgungen in Sachsen weitgehend zum Erliegen gekommen zu sein. Erst 1651 setzten die Fahndungen wieder ein. Die weiterhin schwelenden Konflikte zwischen Rat und Universität führten jedoch zu einer Verschleppung ihrer Amtsgeschäfte, weshalb zwischenzeitlich ab 1661 der Versuch unternommen wurde, die Aufsicht über den Buchhandel dem Konsistorium, das heißt der kirchlichen Behörde, zu übertragen. Das Vorhaben scheiterte am Widerstand des Rats. Die konkrete Ausführung der Zensur durch die Bücherkommission in Leipzig änderte sich im Lauf der Zeit. Unter Herzog Georg wurden die verbotenen Schriften oft aufgekauft, später wurden sie konfisziert. Anschließend folgte ein Verfahren vor Gericht. Der Ausgang war dabei für die bereits eingezogenen Werke irrelevant, denn auch bei einem positiven Ergebnis für den Beschuldigten wurden sie nicht wieder herausgegeben.692 Die Bücherkommission in Leipzig war eine landesherrliche Institution und keine kaiserliche Einrichtung. Außerdem scheint sie hauptsächlich die Einhaltung der sächsischen Druckprivilegien überwacht und keine allgemeine Zensur ausgeübt zu haben.693 Eine Sonderstellung in der Zensurgeschichte nimmt dagegen Frankfurt ein. Hier war das Bedürfnis nach einer Kontrolle durch die Bedeutung der Messe besonders groß und dem Rat der Stadt wurde bald jede Handlungsmacht in dieser Sache von Maximilian II. durch die Einrichtung der kaiserlichen Bücherkommission am 1. August 1569 entzogen.694 Bevor sie eine ständige Einrichtung wurde, war die Kommission eine Art Messpolizei, die jeweils kurz vor der Messe beauftragt wurde.695 Die Einsetzung der Bücherkommission schließlich geschah während der größten Blüte der Frankfurter Messe. Der Kaiser wollte damit einerseits die Verbreitung unliebsamer Schriften verhindern und andererseits sein Recht auf Freiexemplare bei der Privilegierung bestimmter Bücher schützen.696 so befehlen Wir Euch, daß Ihr zur jetzt angehenden Herbstmesse aller Buchdrucker und dero Führer die Buchhändler […], Gewölbe oder Buchläden, keinen ausgenommen, […] unerwarteter Dingen ersuchen und besichtigen, auch von denen jeden ein eigentlich ordentliches Verzeichniß aller deren Bücher, Traktate und Mappen innerhalb der letzten fünf Jahre während Unserer Kaiserlichen Regierung gedruckt, sonderlich aber derjenigen, so unter Unserm Kaiserlichen Privilegio oder Freiheit ausgegangen, zusammt demselben Privilegio erfordern und geziemender fleißig besichtigen und konferieren lasset. Falls Ihr aber Bücher, Traktate oder Mappen findet, für welche Unser Privilegium nicht sofort beigebracht oder für dessen Beibringung auf der nächsten Messe keine Bürgschaft gestellt werden kann, so sollt ihr alle diese Opera an Unsrer Statt in Eure Verwahrung nehmen und Unserm Reichssekreter und Taxator Christoph Ungelter von Teiffenhausen sammt Verzeichniß und Eurer Anzeige übersenden. Diejenigen endlich,

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Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 597–601. Vgl. Eisenhardt, Staatliche und kirchliche Einflußnahmen, S. 311. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 580f. und 610. Vgl. Eisenhardt, Staatliche und kirchliche Einflußnahmen, S. 306. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 610.

204  3 Der historische Kontext: Buchhandel in der Frühen Neuzeit

welche ein Privilegium vorlegen können oder es auf der nächsten Messe vorlegen wollen, sollt Ihr anhalten, nachzuweisen, wann und wie viel Exemplare sie Unsrer Reichshofkanzlei übersandt haben, oder aber Ihr sollt sogleich so viel Exemplaria zu Handen nehmen, auch wie viel Jahre Ihr das ausgebrachte Privilegium gestellt befinden werdet, und solche ebenmäßiger Gestalt Unsrer Reichskanzlei übersenden.697

Diesen Erlass erhielt der Rat im September 1569 kurz nach Messebeginn und er befolgte ihn unverzüglich. Bereits eine Woche später wurden die anwesenden Buchhändler dazu aufgefordert, die entsprechenden Privilegien vorzuzeigen, Kataloge abzuliefern und Freiexemplare einzusenden. Von den 87 angesprochenen Firmen erschienen lediglich 29. Die meisten waren nicht vorbereitet und versprachen die Nachlieferung des Geforderten zur nächsten Fastenmesse. Zwar verlangte der Kaiser eine Bürgschaft von ihnen, doch der Rat sah davon ab mit einem Hinweis auf die großen Büchermengen, die die auswärtigen Buchhändler von Messe zu Messe in den Gewölben vor Ort lagerten. Nur elf der Buchhändler folgten bei der nächsten Messe ihrem Versprechen, aber der Rat ließ es damit auf sich beruhen.698 In seinem ersten Bericht an den Kaiser vom 17. November 1569 äußerte sich der Frankfurter Rat dann unklug in Bezug auf die Forderungen Maximilians, denn er sprach darin seinen Unmut aus über den Zeit- und Kostenaufwand und verband damit die Bitte, die Privilegienprüfung und die Besichtigung der Gewölbe nicht selbst durchführen zu müssen. Der Rat schlug stattdessen vor, der Kaiser solle seine eigenen Räte zur Aufsicht darüber schicken und er wolle ihnen assistieren. Damit empfing er die Kontrolle von außen mit offenen Armen und ging auch nicht auf den danach folgenden Vorschlag des Kaisers ein, zwei Beamte zu bestellen. Zunächst hatte das noch keine unmittelbaren Folgen, da beide die Angelegenheit nicht weiter verfolgten. Doch mit dem Nachfolger Maximilians, Rudolf II., geriet die Frankfurter Buchmesse wieder in den kaiserlichen Fokus. Am 23. März 1579 kritisierte der neue Kaiser den Frankfurter Rat dafür, seine Arbeit nach 1570 nicht fortgesetzt zu haben. Die Freiexemplare wurden dabei nicht mehr erwähnt. Stattdessen ging es Rudolf II. vielmehr um die Unterdrückung protestantischer Schriften. Das dazugehörige Schreiben übermittelte der kaiserliche Kammerfiskalprokurator Dr. Johann Vest, der auch sogleich die geforderte Durchsuchung der Druckereien und Buchläden leiten sollte.699 Der Rat leistete dem Befehl des Kaisers Folge und Rudolf zeigte sich zufrieden. Schon ein Jahr später am 9. März 1580 ernannte er einen zweiten Bücherkommissar, den Domdechanten zu St. Bartholomäus, Johann Steinmetz. Damit hatte der Frankfurter Rat die Zensurkontrolle über die gesamten auf der Messe versammelten Neu-

697 Zitiert nach Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 611. 698 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 612f. 699 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 615.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels

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erscheinungen an den Kaiser abgetreten.700 Aus einer in Wien vorhandenen Registratur vom 15. März 1608 (ob sie tatsächlich ausgefertigt wurde, ist nicht bekannt) gehen die bald weiterreichenden Absichten der Bücherkommission und die Rechtsbegründung des Kaisers hervor. Geplant war die Aufsicht über die Herausgabe des Messkatalogs zu übernehmen und als Rechtsgrundlage wurde das angebliche Bücherregal im Reich herangezogen.701 Dieses Hoheitsrecht erlaubte dem Kaiser als Staatsoberhaupt seiner Ansicht nach die Einforderung von Pflichtexemplaren und die presspolizeiliche Aufsicht fremder Buchhändler und -drucker auf der Messe, während er dem Rat nur das Recht zur Beaufsichtigung der einheimischen zugestand.702 Die Aufsicht über die Bücherkommission in Frankfurt hatte der Reichshofrat in Wien. Der Mainzer Erzbischof als Vorsteher der Reichshofkanzlei und damit nominell Reichserzkanzler beanspruchte aber ebenfalls ein Mitaufsichtsrecht über die Bücherkommission, das Recht den Messebuchhändlern Anweisungen zu erteilen, ihre Gewölbe und Messestände zu visitieren und die Zusendung von Pflichtexemplaren. Damit sorgte er regelmäßig für Auseinandersetzungen mit Frankfurt und dem Kaiser.703 Nachdem die Bücherkommission zur ständigen Einrichtung geworden war, war der kaiserliche Kammergerichtsfiskal kraft Amtes ihr Mitglied. Er hielt sich allerdings nur zur Messezeit in Frankfurt auf, während der andere Mitwirkende dauerhaft vor Ort und in der Regel ein katholischer Geistlicher – meist aus einer Frankfurter Pfarrei – war. Fast alle anderen Bücherkommissare waren gleichzeitig auch apostolische Kommissare mit einem Gehalt aus Rom, was ihre doppelte Abhängigkeit von weltlicher und geistlicher Macht verdeutlicht.704 Diese Ämterkumulation, die den kaiserlichen Reichsinstanzen bis 1659 weitgehend unbekannt war, verursachte zusätzliche Unstimmigkeiten.705

700 Der Bücherkommissar war zwar kaiserlicher Beamter, als Domherr des St. Bartholomäusstifts aber auch gegenüber dem Mainzer Erzbischof verpflichtet. Er stand also in einem Abhängigkeitsverhältnis sowohl zur weltlichen als auch zur geistlichen Macht. Vgl. Burkard, Repression und Prävention, S. 317. 701 Das Bücherregal war ein Hoheitsrecht, das der Regent unabhängig von Mitregenten und Ständen ausüben konnte. Der Kaiser dürfte es das erste Mal 1496 in Anspruch genommen haben, es ist jedoch zweifelhaft, ob der Kaiser im 16. Jahrhundert das Bücherregal noch allein innehatte. Stattdessen waren wahrscheinlich Teile des Hoheitsrechts, wie etwa das Recht auf Vorzensur, auf die Landesherren übergegangen. Vgl. Hemels, Pressezensur im Reformationszeitalter, S. 27. 702 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 616 und 622. 703 Vgl. Fromme, Kontrollpraktiken während des Absolutismus, S. 42. 704 Vgl. Hemels, Pressezensur im Reformationszeitalter, S. 29. Der erste Bücherkommissar, der ab 1605 auch dauerhaft in päpstlichen Diensten stand, war Valentin Leucht. Aus der Tatsache, dass die Kommissare ausschließlich Katholiken waren, entstanden immer wieder Konflikte zwischen dem Kaiser zusammen mit den katholischen Reichsständen und den protestantischen Reichsständen. Vgl. Eisenhardt, Staatliche und kirchliche Einflußnahmen, S. 308f. 705 Vgl. Fromme, Kontrollpraktiken während des Absolutismus, S. 43f.

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Nach eher schleppenden Anfängen gewann die kaiserliche Bücherkommission seit Anfang des 17. Jahrhunderts immer mehr Einfluss in Frankfurt und trug entscheidend zum Niedergang der Messe in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bei.706 Die Beschlagnahmungen vermehrten sich deutlich und unter den Kommissaren Ludwig von Hörnigk (im Amt 1655 bis 1667) und Georg Friedrich Sperling (im Amt 1661 bis 1685) ist ein überaus rücksichtsloses Vorgehen der Bücherkommission zu beobachten.707 Nur einmal wehrte sich der Frankfurter Rat ernstlich gegen die Gängelei der Kommissare. Auf der Herbstmesse 1678 konfiszierte der Rat 300 Exemplare einer katholischen Schmähschrift, die bei Johann Wiedenfeldts Erben in Köln erschienen war. Sperling verlangte ihre Herausgabe, aber der Rat weigerte sich. Darüber legte Sperling am 26. Februar 1679 dem Kaiser gegenüber Beschwerde ein. Daraufhin mahnte der Kaiser den Rat ab und untersagte ihm jede Konfiskation. Anstatt wie immer klein beizugeben, wandte sich der Rat dieses Mal an das Konvent der Evangelischen Reichsstände in Regensburg. Das Corpus Evangelicorum reagierte sofort und schickte am 22. April 1679 eine Beschwerde nach Wien ab. In diesem Fall trug scheinbar der Frankfurter Rat den Sieg davon und behielt sein Konfiskationsrecht, doch bei jeder neuen Gelegenheit, bei der die Bücherkommission in den Buchhandel einzugreifen versuchte, verlor er etwas mehr von seiner Autorität.708 In einer Eingabe von Leipziger, Wittenberger und Jenaer Buchhändlern an den Kurfürsten von Sachsen vom 17. Februar 1609 beschwerten sie sich über das Vorgehen der kaiserlichen Bücherkommission und betonten die Wirtschaftsschädlichkeit ihrer Eingriffe in den Buchmarkt: »Überdies ist solche Anordnung zuwider der öffentlichen Marktfreiheit und gereicht zu Hinderung der Commercien auch großem Abbruch des Buchhandels.«709 Sie hatten damit gewissermaßen eine Warnung ausgesprochen, dass die Bücherkommission bzw. ihr Vorgehen auf Dauer und als Konsequenz die Frankfurter Messe als wichtigen örtlichen Fixpunkt des Wissensraums Buchhandel schwer schädigen würde. Mit ihrer Vorausschau auf den negativen Einfluss dieser staatlichen Einrichtung sollten sie Recht behalten. Privilegien Ein weiteres Regulativ im Wissensraum Buchhandel waren die Privilegien. Sie sollten in erster Linie vor dem Nachdruck schützen und konnten einem Autor, einem

706 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 617. 707 Vgl. Fromme, Kontrollpraktiken während des Absolutismus, S. 43–45. 708 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 720–724. Dass sich der Rat auch im 17. Jahrhundert nur halbherzig gegen die Bücherkommission wehrte, bringt Kapp in Verbindung mit dem Fettmilch-Aufstand von 1614. Dieser Aufstand, der sich angeführt von dem Bäcker Vinzenz Fettmilch zuerst gegen die Misswirtschaft des vom Patriziat dominierten Rats richtete, um anschließend in eine Vertreibung der Juden auszuarten, konnte nur mithilfe des Kaisers, Hessen-Kassels und Mainz niedergeschlagen werden. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 642. 709 Zitiert nach Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 626.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels



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Buchhändler oder einem Drucker verliehen werden.710 In der Handschriftenzeit war es von den Autoren meist gewollt, abgeschrieben zu werden, um so die Verbreitung ihrer Schriften gewährleisten zu können.711 Trotzdem gab es schon Ansätze, handschriftliche Texte vor unrechtmäßigem Kopieren zu bewahren.712 Das wirkliche Bedürfnis, ein Werk zu schützen, entstand jedoch erst mit dem Buchdruck und die ältesten Privilegien sind aus dem 15. Jahrhundert bekannt. Verbreitet waren sie aber erst im 16. Jahrhundert.713 Der Nachdruck, der mit Beginn des Buchdrucks einsetzte, war in den ersten Jahrzehnten noch kein nennenswertes Problem, da er den Absatz der relativ kleinen Auflagen der Originaldrucke kaum störte. Doch ab etwa 1480 stellte er für die über die Fernhandelswege vertriebenen Bücher eine Gefahr dar, denn die Formate wurden kleiner, die Auflagen höher und die Konkurrenz nahm zu.714 Bemühungen, sich vor dem potenziell geschäftsschädigenden Nachdruck zu schützen, wurden dabei nicht nur für die Buchdrucker, sondern auch für die Buchhändler wichtig und Teil ihrer Praktiken, da die Privilegien auch den Vertrieb nachgedruckter Werke verboten. Der Nachdruck selbst wurde nicht grundsätzlich infrage gestellt. Er trug vielmehr »– bei allen Nachteilen – erheblich zur Verbreitung des Wissens«715 bei, was auch den Zeitgenossen bewusst war. Daneben wurde er zwar vom moralischen Standpunkt aus häufig verurteilt, wie etwa von Luther, aber niemand sah ihn als Verletzung eines geistigen Eigentums an.716 Mit den Privilegien wurde lediglich der Versuch unternommen, eine wirksame Schutzmaßnahme dagegen zu etablieren.717 Sie bezogen sich meistens auf bestimmte Druckwerke, konnten aber auch einem Buchhändler oder Drucker für seine gesamte Produktion verliehen werden. Ein sol-

710 Neben dem Nachdruck sollten sie auch vor dem sogenannte »Nachschuss« oder »Zuschuss« schützen. Dabei produzierte der Lohndrucker heimlich und auf Kosten des Auftraggebers zusätzliche Druckbogen, die er unerlaubt und günstiger als den Originaldruck auf eigene Rechnung verkaufte. Vgl. Gramlich, Rechtsordnungen des Buchgewerbes im Alten Reich, S. 89. 711 Vgl. Hans-Joachim Koppitz: Kaiserliche Privilegien für das Augsburger Druckgewerbe. In: Augsburger Buchdruck und Verlagswesen von den Anfängen bis zur Gegenwart. Hrsg. von Helmut Gier. Wiesbaden: Harrassowitz 1997, S. 41–53, S. 41. 712 Vgl. Hans-Joachim Koppitz: Die Privilegia impressoria des Haus-, Hof- und Staatsarchivs in Wien. In: GJ 69 (1994), S. 187–207, S. 188. 713 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 737. Das erste bekannte Privileg ist der Schutzbrief für Johann von Speyer in Venedig, der ihm 1469 für seine gesamte Produktion gewährt wurde. Vgl. Hellmut Rosenfeld: Zur Geschichte von Nachdruck und Plagiat. Mit einer chronologischen Bibliographie zum Nachdruck von 1733–1824. In: AGB XI (1971), Sp. 337–372, Sp. 351. 714 Vgl. Ludwig Gieseke: Vom Privileg zum Urheberrecht. Die Entwicklung des Urheberrechts in Deutschland bis 1845. Göttingen: Otto Schwartz & Co. 1995, S. 14–17. 715 Füssel, Gutenberg und seine Wirkung, S. 37. 716 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 743. Oft wurden die Privilegien als reine Gunstbezeugung und ohne Überprüfung der Berechtigung verliehen. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 746. 717 Vgl. Gieseke, Vom Privileg zum Urheberrecht, S. 39.

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ches Generalprivileg verschaffte dem Betreffenden geradezu ein Monopol für sein Gewerbe innerhalb eines bestimmten Gebiets.718 Das älteste Buchhändlerprivileg wurde 1594 dem Kölner Hanß Werner verliehen. Es entband ihn aller verpflichtenden Ämter für Bürger und Einwohner, erlaubte ihm einen eigenen Verlag, band ihn an die Präventivzensur der Universität in Frankfurt an der Oder, galt als ein Generalprivileg gegen den Nachdruck seiner Verlagswerke in Brandenburg und schrieb den Bürgermeistern und Räten der Städte Köln und Berlin vor, seinen Buchhandel gegenüber den Buchbindern und den auswärtigen Buchführern auf den Wochen- und Jahrmärkten zu sichern. Ihn selbst verpflichtete es lediglich zu angemessenen Preisen.719 Die Dauer eines Privilegiums variierte von einem bis mehrere Jahre, wobei die Erwägung maßgebend war, ob der Buchhändler innerhalb dieses Zeitraums durch den Vertrieb des betreffenden Buches ausreichenden und im Verhältnis zu seinen Aufwendungen stehenden Nutzen daraus ziehen konnte.720 In Deutschland konnten die Privilegien vom Kaiser oder von einem Territorialherren erteilt werden. Kaiserliche Privilegien galten bis ins 17. Jahrhundert für das gesamte Reichsgebiet, während die der Landesherrschaften oder auch von Stadtmagistraten sich nur auf ihr Territorium bzw. Stadtgebiet erstreckten und das auch dann, wenn das Privileg einem Auswärtigen erteilt worden war. Nach Erstarken der Landesherren verloren die kaiserlichen Privilegien ihre Gültigkeit in den einzelnen Territorien, weshalb später meist zusätzlich zum kaiserlichen ein landesherrliches, insbesondere kursächsisches Privileg erwirkt wurde.721 Nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges und mit dem Aufstieg des Leipziger Buchhandels überlagerten die kursächsischen Messprivilegien sogar die kaiserlichen in ihrer Wirkung.722 Eine umfangreiche Sammlung kaiserlicher Druckprivilegien liegt im Haus-, Hofund Staatsarchiv Wien. Ihrer Erschließung hat sich Hans-Joachim Koppitz gewidmet

718 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 737–739 und 747. Die ersten Druckprivilegien aus dem 15. Jahrhundert waren zunächst vor allem allgemeine Privilegien, wie das für Johannes von Speyer, das ihm für fünf Jahre das Druckmonopol vor Ort sicherte. Später wurden sie meist für einzelne Titel verliehen. Vgl. Füssel, Gutenberg und seine Wirkung, S. 43. 719 Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 123. 720 Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 740. Es kam auch vor, dass gar kein Zeitraum angegeben war. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 741. 721 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 739. Die kaiserlichen Privilegien erlangten vor allem als Messprivilegien in Frankfurt ihre Gültigkeit. Die sächsischen Messprivilegien galten im Gegensatz zu den kaiserlichen, die immer nur einem Buch zugesprochen wurden, mehreren Büchern in einer Ausfertigung. Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 172. 722 Vgl. Martin Vogel: Deutsche Urheber- und Verlagsrechtsgeschichte zwischen 1450 und 1850. Sozial- und methodengeschichtliche Entwicklungsstufen der Rechte von Schriftsteller und Verleger. In: AGB 19 (1978), Sp. 1–190, Sp. 16.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels

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und 2008 ein Verzeichnis der Akten publiziert.723 Mit der Gründung des Reichshofrats durch Ferdinand I., der 1527 eine Hofstaatsordnung erließ, gab es erstmals ein Institut für die Regelung des Privilegienwesens.724 Die meisten Druckprivilegien Anfang des 16. Jahrhunderts wurden demnach vom Kaiser gewährt. Allerdings erlangten sie erst nach dem Übergang vom Hofrat zum Reichshofrat und mit Einführung der Reichshofratsordnung 1559, ebenfalls durch Ferdinand I., größere Wirksamkeit.725 Als Strafe für die Übertretung des Nachdruck- und Vertriebsverbots wurden Geldbußen erlassen und es kam meist auch zum Verlust der nachgedruckten Bücher.726 Die Höhe der Strafe variierte stark und hing wohl von Art, Umfang und Wichtigkeit des nachgedruckten Textes sowie der gewährten Länge des Schutzprivilegs ab.727 Sie wurde zwischen 4 und 30 Mark angesetzt und betrug damit »jedenfalls keine geringe Summe.«728 Die kaiserlichen Privilegien folgten meist einem Schema, das der tradierten Urkundenpraxis entnommen ist. Sie konnten sowohl in Lateinisch als auch in Deutsch abgefasst sein. Zu Beginn steht besonders hervorgehoben der Name des Kaisers, dann folgt die Publicatio (Promulgatio, notificatio; Hinweis auf Bekanntgabe des Textes) und anschließend in der sogenannten Arenga die Begründung für die Erteilung des Privilegs. Weitere Gründe sind in der Narratio angeführt, der die befehlende Willenserklärung (Dispositio) des Kaisers oder der Reichsvikare folgt. Schließlich wird in einer Poenformel oder allgemein die drohende Strafe bei Verletzung des Privilegs angekündigt.729 In der Regel wurden die Privilegien den Werken vorgedruckt –

723 Vgl. Die kaiserlichen Druckprivilegien im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien. Verzeichnis der Akten vom Anfang des 16. Jahrhunderts bis zum Ende des Deutschen Reichs (1806). Mit Erläuterungen hrsg. von Hans-Joachim Koppitz. Wiesbaden: Harrassowitz 2008 (Buchwissenschaftliche Beiträge aus dem Deutschen Bucharchiv München; Bd. 75). Die erhaltenen Privilegien im Staatsarchiv in Wien können nicht nur für Informationen über die Geschichte des Urheberrechts herangezogen werden, sondern liefern auch Details zu den Besitzern von Offizinen, ihren Familien, Erbschaftsstreitigkeiten, Geschäftsabläufen und -verbindungen. Vgl. Koppitz, Die Privilegia impressoria, S. 190. 724 Vgl. Koppitz, Kaiserliche Privilegien, S. 42. 725 Vgl. Die kaiserlichen Druckprivilegien, S. IX. 726 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 741. Bei päpstlichen Privilegien bestand die Strafe aus der Exkommunikation. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 742. 727 Tycho Brahe erhielt für seine astronomischen und mathematischen Werke 1590 ein Privileg für 30 Jahre, was ungewöhnlich und ein Zeichen für sein hohes Ansehen war. Am häufigsten waren eher mittelfristige Zeitspannen von drei, fünf oder zehn Jahren. Vgl. Koppitz, Die Privilegia impressoria, S. 192 und 196. 728 Koppitz, Kaiserliche Privilegien, S. 43. 729 Vgl. Die kaiserlichen Druckprivilegien, S. XV. Das Strafgeld war neben den Taxen eine wichtige Einnahmequelle für das Reich, da das Bußgeld nur zur Hälfte an den Geschädigten und zur anderen Hälfte an den Kaiser ging. Vgl. Koppitz, Kaiserliche Privilegien, S. 43.

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im Fall des kaiserlichen war dies sogar obligatorisch.730 Zusätzlich wurden sie in Frankfurt seit den 1560er Jahren den Buchhändlern durch die Obrigkeit mitgeteilt.731 Als Antragsteller tauchen alle möglichen Personen auf, neben Druckern, Verlegern oder Buchhändlern auch geistliche Orden, Autoren, Übersetzer, Editoren, Kommentatoren und Buchbinder.732 Selten privilegiert wurden philosophische oder belletristische Werke und auch insgesamt erhielten nur sehr wenige Bücher einen solchen Schutz. Vor allem die Antragsprozedur und die oft hohen Gebühren stellten ein großes Hindernis dar, weshalb viele auf ein Privileg verzichteten. Die Antragsteller mussten unter anderem einen Vertreter vor dem Reichshofrat beauftragen, Unterlagen vorlegen, die ihr Gesuch unterstützten, und nach Gewährung des Privilegs eine bestimmte Anzahl von Pflichtexemplaren abliefern. Aus diesem Grund waren nach Koppitz nicht einmal ein Prozent der in Deutschland erschienenen Bücher durch ein Privileg geschützt, obwohl sie der einzige rechtliche Schutz gegen den Nachdruck und den Vertrieb nachgedruckter Bücher waren.733 Der Versuch, Privilegien zu erlangen, gehört somit zwar zu den Praktiken innerhalb des Wissensraums Buchhandel, durch ihre geringe Verbreitung allerdings zu den untergeordneten. Stephan Roth und der Handel durch Privatpersonen Der Buchhandel war, wie vorgestellt, auch im 16. Jahrhundert weiterhin nicht an eine Zunft gebunden und konnte prinzipiell von jedem betrieben werden. Einer der nichtprofessionellen Vertreter des Buchhandels, der seine Kunden vor allem mit aktuellen reformatorischen Schriften versorgte, war der Zwickauer Stadtschreiber Stephan Roth (1492–1546), dessen buchhändlerische Tätigkeit Holger Nickel 1985 eingehend untersuchte. Roth bezog Bücher aus Leipzig und vertrieb sie dann lokal in Zwickau und dem näheren Umfeld. Dass es ihm dabei nicht primär um einen finanziellen Gewinn ging, wird anhand seiner engen Kundenkontakte deutlich, durch die

730 Wurde das Privileg nur auf dem Titelblatt erwähnt, konnte das mehrere Gründe haben. Entweder war das Privileg zwar beantragt, aber zur Drucklegung noch nicht (oder auch überhaupt nicht) genehmigt worden oder es wurde in betrügerischer Absicht und unrechtmäßig dort platziert. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 742. 731 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 742. 732 Vgl. Koppitz, Kaiserliche Privilegien, S. 44. Die Drucker (Verleger) überwiegen dabei unter den Antragstellern, aber auch Autoren sind oft vertreten. Außerdem konnten ganze Gruppen und Gemeinschaften wie etwa kirchliche Orden Privilegien beantragen. Am häufigsten taten dies die Franziskaner. Vgl. Koppitz, Die Privilegia impressoria, S. 191. 733 Vgl. Koppitz, Kaiserliche Privilegien, S. 45f. Allerdings kam es nicht allzu selten vor, dass mehreren Verlegern teilweise fast gleichzeitig ein Privileg für ein und dasselbe Buch bewilligt wurde, was viel über die mangelnde Sorgfalt bei der Privilegienverteilung aussagt. Die daran anschließenden Zwistigkeiten wurden dann meist nach Gutdünken beendet. Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 194.

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er versuchte, ein möglichst auf die Interessen seiner Käufer abgestimmtes Sortiment aufzubauen. Nickel vermutet sogar, dass er in erster Linie an persönliche Bekannte Bücher verkaufte, weshalb seine Kritik an Grimm, der ihn in eine Reihe mit professionellen Buchführern stellt, gerechtfertigt ist.734 Roth zählt jedenfalls aufgrund seiner Zielsetzung und seiner lokalen Ausrichtung nicht zu den großen Buchhandelsaktanten, sondern ist als Auchbuchhändler ein Nebenaktant im Wissensraum Buchhandel. Da seine Tätigkeit gut dokumentiert ist, soll er hier stellvertretend für diese Berufsgruppe im 16. Jahrhundert stehen. Grundlage der Untersuchung Nickels ist die umfangreiche Korrespondenz Roths, von der etwa 4.000 Schreiben erhalten sind und in der er sich mit seinen Briefpartnern über Erfolge bei der Beschaffung und Vermittlung von Büchern austauschte. Hinzu kommen Bestellungen und Dokumente in Bezug auf seine Tätigkeit als Korrektor.735 Sein Wirkungsort Zwickau stand an dritter Stelle der bedeutendsten Städte Sachsens und lag noch im Einflussgebiet Leipzigs. Zu den Rahmenbedingungen ist schließlich noch hinzuzufügen, dass Roth und seine Briefpartner überwiegend Anhänger der lutherischen Lehre und in der Mehrzahl auch Theologen waren. Durch die Heirat mit seiner Frau Ursula stand der Zwickauer außerdem in persönlicher Verbindung mit Wittenberg, denn er wurde damit zum Schwager des dortigen Buchdruckers Georg Rhau.736 Roths Tätigkeit lässt sich in zwei Phasen unterteilen, »die Studentenzeit und die Mannesjahre«737. Die Zäsur bildet die Berufung Roths zum Stadtschreiber 1528. In der ersten Phase hielt er sich weitgehend außerhalb seiner Heimatstadt auf und führte vor allem in Leipzig und Wittenberg Aufträge aus. Nach 1528 wurde er in Zwickau sesshaft und verteilte die in den anderen beiden Städten bestellten Bücher von dort aus.738 Daneben ließ er sich von Christoph Schramm in Wittenberg Bücher aus

734 Vgl. Holger Nickel: Stephan Roths Buchhandel. In: Beiträge zur Geschichte des Buchwesens im konfessionellen Zeitalter. Vorträge des 6. Jahrestreffens »Europäischer Buchhandel im Jahrhundert der Reformation« des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Geschichte des Buchwesens vom 4.–7. Mai 1983 und des Bibliotheksgeschichtlichen Seminars »Die Reformation und das städtische Büchereiwesen« vom 10.–12. Oktober 1983. Hrsg. von Herbert G. Göpfert, Peter Vodosek, Erdmann Weyrauch und Reinhard Wittmann. Wiesbaden: Harrassowitz 1985 (Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens; Bd. 11.), S. 241–250, S. 241. 735 Vgl. Nickel, Stephan Roths Buchhandel, S. 241. Von den Briefen wurden 820 Stück aus dem Zeitraum 1517 bis 1545 vollständig und in Auszügen von Georg Buchwald publiziert. Vgl. Georg Buchwald: Stadtschreiber M. Stephan Roth in Zwickau in seiner literarisch-buchhändlerischen Bedeutung für die Reformationszeit. In: AGB 16 (1893), S. 6–246. 736 Vgl. Nickel, Stephan Roths Buchhandel, S. 242f. 737 Nickel, Stephan Roths Buchhandel, S. 243. 738 Vgl. Nickel, Stephan Roths Buchhandel, S. 243.

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Frankfurt bestellen oder mitbringen.739 Roths Kunden stammten vorwiegend aus Zwickau selbst oder aus der Umgebung des Vogtlands und des Erzgebirges. Die Mehrzahl seiner Geschäftskontakte basierte auf persönlicher Bekanntschaft. Als mögliche Beweggründe der bei ihm statt dem örtlichen Buchführer bestellenden Bekannten macht Nickel »die größere Schnelligkeit und die höhere Einsatzbereitschaft des Freundes«740 fest. Außerdem ging er wohl mehr auf Sonderwünsche bezüglich des Formats und des Preises ein und arbeitete wahrscheinlich billiger als andere Berufsbuchführer. Vor allem Letzteres lässt darauf schließen, dass seine Motivation zum Buchhandel nicht im möglichen Gewinn lag. Oft bestellten seine Bekannten gleich mehrere Exemplare, was auf einen Weiterverkauf ihrerseits schließen lässt.741 Während seiner Zwickauer Zeit lassen sich Verbindungen Roths in Buchhändlerkreisen festmachen. Einige der erhaltenen Briefe stammen von Angestellten oder Inhabern von Druckoffizinen und von Buchführern. Roth stand dabei unter anderem in Kontakt zu Lotter, Schramm und Rynmann.742 Die Motivation für den persönlichen Einstieg in das Geschäft meint Nickel aus Andeutungen in den Briefen schließen zu können. Für den Transport der Bücher war das intensive Engagement Roths vorteilhaft, denn als Großabnehmer gelang es ihm eher als einem Privatkäufer die Büchermenge für ein Fass zusammenzubekommen.743 Roths Verbindungen zum professionellen Buchhandel und der Umfang seiner buchhändlerischen Tätigkeit lassen Grimms Einordnung zwar gerechtfertigt erscheinen, doch wie bereits erwähnt, fehlen wichtige buchhändlerische Praktiken, um ihn den vollwertigen Aktanten zuordnen zu können. Zusammenfassung Strukturell wurde im 16. Jahrhundert die Spezialisierung des Buchgewerbes weiter vorangetrieben. Die Trennung zwischen Verleger und Lohndrucker wurde häufiger,

739 Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 151. Petrejus aus Nürnberg riet Roth 1531 davon ab, Bücher direkt aus ihrer Verlagsstadt Nürnberg zu beziehen. Er sollte sie besser in Leipzig besorgen, da er so Transportgelder sparen könnte und nicht für eventuelle Schäden auf dem Weg haften würde. Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 150. 740 Nickel, Stephan Roths Buchhandel, S. 245. Mit Johann Steinberger und nachfolgend Philipp Rietzsch sind jedenfalls ortsansässige Buchführer bezeugt. Daneben gab es einen Markthandel und reisende Händler, die mit einem gängigen Sortiment beispielsweise aktueller Reformationsliteratur die Stadt besuchten. Eine mangelnde Versorgung mit Büchern konnte also kaum der Grund für Roths Geschäftseinstieg gewesen sein. Vgl. Nickel, Stephan Roths Buchhandel, S. 245. 741 Vgl. Nickel, Stephan Roths Buchhandel, S. 244f. 742 Auch die Buchhändler spannten Roth für ihre Zwecke ein. Christoph Schramm aus Wittenberg ließ ihn Briefe und Bücher in Zwickau vermitteln. Außerdem übertrugen ihm die Wittenberger Schramm, Moritz Goltz und Barthel Vogel, Peter Clement in Leipzig und Johann Petrejus in Nürnberg die Abwicklung ihrer Geldgeschäfte mit Geschäftspartnern und Kunden in Zwickau. Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 8. 743 Vgl. Nickel, Stephan Roths Buchhandel, S. 246f.

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auch wenn weiterhin »der buchgewerbliche ›Mischbetrieb‹, der mit unterschiedlichen Schwerpunkten Verlag, Druck und Buchhandel vereint, der Normalfall zu sein scheint.«744 In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts kam es daneben vermehrt zur Gründung kapitalstarker Firmen, die als Verleger und Buchhändler den internationalen Markt bedienten und für die Produktion ihrer Bücher Lohndrucker beauftragten oder sich erst spät eine eigene Druckerei zulegten. Als Hauptaktant im Wissensraum Buchhandel verlor der Druckerverleger gegenüber dem verlegenden Buchhändler deutlich an Bedeutung. Neben dem Wanderhandel setzten sich stationäre Ladengewölbe und dauerhafte Bücherstände an öffentlichen Plätzen durch. Dabei konzentrierten sich die Buchhändler und ihre Stände innerhalb der Städte meist auf bestimmte Stadtbereiche und die örtliche Nähe zueinander, wie es am Beispiel Augsburg deutlich wurde. Grundsätzlich durfte jeder Bücher verkaufen. Auch Gelehrte ließen es sich zuweilen nicht nehmen, ihre Schriften selbst zu veräußern, wie zum Beispiel Johann Pfefferkorn, der auf der Frankfurter Ostermesse 1511 ca. 1.000 Exemplare seines Handspiegels745 hausierend verkaufte und sie darüber hinaus verschickte und verschenkte. Die Offenheit des Berufs und damit die hohe Durchlässigkeit der Außengrenzen des Wissensraums Buchhandel führten jedoch zu Spannungen. Johann Zainer verklagte 1515 den Ulmer Hans Grüner, Rektor der Lateinischen Schule, da er mit Schulbüchern handelte. Seinen Schülern verbot er, die Bücher anderswo zu erwerben. Der Rat der Stadt Ulm urteilte dahingehend, dass der Handel mit Büchern generell erlaubt sei, jedoch nicht das Hausieren. Damit war gemeint, dass Grüner weiterhin Schulbücher veräußern, aber niemanden mehr zum Kauf drängen durfte.746 Die Auchbuchhändler zählen zu den Grenzfällen im Wissensraum Buchhandel, weshalb sich die großen Aktanten stets von ihnen wie von den Buchbindern abzugrenzen suchten, um ihre zentrale Position im Wissensraum behaupten und festigen zu können. Für die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts listet Duntze eine ganze Reihe wichtiger edierter Quellen auf. Neben den Mess- und Buchhändlerkatalogen, kamen bereits das Messregister der Offizin Feyerabend (1565) und das Meß-Memorial von Michel Harder (1569) zur Sprache. Weiter nennt er das Rechnungsbuch der Baseler Offizin Froben und Episcopius (1557–1564),747 das Nachlassinventar der Frankfurter

744 Duntze, Verlagsbuchhandel und vertreibender Buchhandel, S. 219f. 745 Johann Pfefferkorn: HAndt Spiegel.|| Johannis Pfefferkorn/ wider vnd gegẽ die Jüden/ vnd || Judischen Thalmudischen schrifftenn So/ sie vber das || Cristenlich Regimẽt/ singen vñ lesen Welche pillich Gots||lesterer/ ketzer vnd aberglauber/ des altẽ Newen/ vnd des || Naturlichen gesetzen gezelt/ geheissen/ verthümbt vñ ab=||gethan/ werden m#[oe]gen … ||. Mainz: Johann Schöffer 1511. Vgl. VD16 P 2294. 746 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 136 und 398. 747 Vgl. Rechnungsbuch der Froben & Episcopius. Buchdrucker und Buchhändler zu Basel. 1557– 1564. Hrsg. von Rudolf Wackernagel. Basel: Verlagsbuchhandlung Benno Schwabe 1881.

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Verlegerwitwe Margarethe Gülfferich (1568) und das Verzeichnis des Wanderlagers von Sigmund Feyerabend in Leipzig (1570) – um nur die wichtigsten zu nennen. Duntze weist aber zu Recht darauf hin, dass diese Quellen vor allem die Verkäufe an Groß- bzw. Zwischenbuchhändler auf den Messen widerspiegeln. Darüber, wie die Bücher schließlich in die Hände der Leser gelangten, geben sie keine Auskunft. Das bedeutet, dass die Titel, die ein Verleger in großer Stückzahl auf den Messen veräußern konnte, von den Buchhändlern als gewinnversprechend angesehen wurden, dass damit aber nicht sicher belegt ist, ob sie tatsächlich einen solchen Erfolg im Endverkauf hatten. Es ist auch nicht klar, ob die Bücher anschließend an andere Händler oder direkt an den Rezipienten verkauft wurden und ob sie über den Wanderverkehr oder im stationären Ladengeschäft angeboten wurden. Dafür ist aus den Quellen zu ersehen, dass die übliche Handelsform der Buchhändler untereinander Ende des 16. Jahrhunderts offenbar der Kredithandel war. Der Tauschhandel, wie er im 15. Jahrhundert nachweisbar ist, spielte in dieser Zeit keine große Rolle.748 Zudem wird an dieser Stelle die zweite Selektionsstufe innerhalb des Buchgewerbes deutlich. Nur was nach Meinung des vertreibenden Buchhandels erfolgreichen Absatz versprach, wurde den Verlegern oder anderen Buchhändlern abgekauft. Auf diese Weise wurde das vorhandene Buchangebot für die Leser weiter eingegrenzt. Im 16. Jahrhundert war der Buchmarkt deutlich durch die reformatorischen und gegenreformatorischen Strömungen geprägt und zwar nicht nur in inhaltlicher Hinsicht. Die Quantität der Produktion stieg in dieser Zeit auf Spitzenwerte, neue Formate wie die handlicheren Flugblätter und -schriften eroberten den Absatzmarkt, neue Leserkreise wurden erschlossen und es etablierte sich ein leistungsstarker Kolportagehandel. Dieses für das Buchgewerbe äußerst gewinnbringende Zwischenspiel endete bereits um 1530 und der Markt reduzierte sich wieder. Dennoch wirkten die Neuerungen nach. Zwar behielten die Theologie und die gelehrte Literatur ihre Vormachtstellung, aber dem erweiterten Publikumskreis entsprechend weitete sich der volkssprachliche Sektor aus, dessen Erzeugnisse nach dem Erfolgsprinzip des Kleinschrifttums viel häufiger im handlichen Quart- oder Oktavformat herausgebracht wurden; ein nicht zu unterschätzender Vorteil nicht nur für die Nutzung, sondern auch für den Transport.749 Zuletzt verstärkte die Reformation das Bedürfnis sowohl der kirchlichen als auch der staatlichen Obrigkeit nach einer Kontrolle des Buchgewerbes. In der regionalen Verteilung hielten sich noch die Buchhandelszentren der Inkunabelzeit an der Spitze. Eine erste Ausnahme bildet Leipzig in Sachsen, wo nach 1512 Pantzschmanns Buchhandel gegründet wurde.750 Eine führende Stellung im

748 Vgl. Duntze, Verlagsbuchhandel und verbreitender Buchhandel, S. 225–227. 749 Aldus Manutius läutete diese Formatänderung Ende des 15. Jahrhunderts mit seinen Aldinen vornehmlich im Oktavformat ein. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 373.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels



215

Buchmarkt konnte Leipzig aber erst nach der Reformation im späten 16. Jahrhundert ausbauen. In unmittelbarer Nähe zu Leipzig lag die junge Universitätsstadt Wittenberg, der erste Druckort Martin Luthers. Leipzig selbst konnte aufgrund der ablehnenden Haltung Herzog Georgs des Bärtigen von Sachsen nicht für die Produktion und den Vertrieb der reformatorischen Schriften genutzt werden.751 Ihre zeitweilige Führungsrolle verdankte Wittenberg demnach im Gegensatz zu allen anderen großen Buchhandelsstädten nicht einer verkehrsgünstigen Lage und einem blühenden Handel, sondern allein der Tatsache, dass die literarische Führungsfigur der Reformation vor Ort war und ihre Schriften dort publizierte. Daher büßte die Stadt ihre Stellung im Buchmarkt nach Abklingen der Reformation bald wieder ein. Diese Umstände stellten den Vertriebsapparat vor besondere Herausforderungen und förderten den Nachdruck. Zu Wittenbergs Vorteil war die Infrastruktur inzwischen so leistungsfähig, dass die Drucke innerhalb kurzer Zeit in die Städte transportiert werden konnten, von denen aus sie in den Verteilungsapparat des europäischen Buchhandels gelangten.752 Außerhalb der großen Städte und Messen blieb die Versorgung mit Literatur deutlich lückenhaft, wie es Johannes Reuchlin für Ingolstadt belegt. Am 14. März 1520 schrieb er an Michael Hummelsberger, dass er Griechisch und Hebräisch beim Unterricht auf Tafeln schreiben müsse, da nur »durch einen glücklichen Zufall derartige Bücher aus den Handelsplätzen zu uns gelangen.«753 Für die ländlicheren Gebiete abseits der großen Handelsrouten blieb der Wanderhandel daher von zentraler Bedeutung. Ansonsten war der Sortimentshandel in größeren Städten deutlich gewachsen. Rudolf Hirsch setzt wie Günter Richter das Verschwinden der handlichen, aber vom Platz her begrenzten Bücheranzeigen zugunsten der Kataloge mit diesen gewandelten Buchhandelsstrukturen in Verbindung: »I believe that during the XVIth century the travelling book salesman of old lost in stature, while the bookseller with fixed location developed into a major outlet for printers and publishers«754. Neben dem Ausbau des stationären Sortimentshandels blühte im 16. Jahrhundert der Fernhandel auf den Messen. Sie waren der wichtigste Sammelpunkt des Wissensraums Buchhandel – allen voran Frankfurt.

750 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 150f. 751 Vgl. Widmann, Geschichte des Buchhandels, S. 67. 752 Vgl. Künast, »Getruckt zu Augspurg«, S. 167. 753 Zitiert nach Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 375. 754 Hirsch, Printing, Selling and Reading, S. 65.

216  3 Der historische Kontext: Buchhandel in der Frühen Neuzeit

3.1.3 Der Weg zur Entstehung des modernen Buchhandels im 17. und 18. Jahrhundert Nach dem Höhepunkt der Religionsstreitigkeiten im Dreißigjährigen Krieg bildete sich in Deutschland eine sogenannte »bibliopolische Zweiteilung«755 des Landes heraus. Der Süden folgte der Gegenreformation und entwickelte sich zur Hochburg der katholischen Druckproduktion, während der Norden vornehmlich protestantisch wurde. Der Schwerpunkt des internationalen Buchhandels verschob sich parallel dazu in den europäischen Norden, was in der Forschung lange Zeit den Eindruck eines »Art Selbstausschluß[es] süddeutscher Litteratur« hervorrief, den Goldfriedrich weiter als »eine Art Selbstausschluß von dem Strom des deutschen Gesamtfortschritts«756 wertete. Der süddeutsche Buchhandel allerdings florierte durchaus und das stärker als die Gegenüberstellung mit dem norddeutschen vermuten lässt.757 Er konzentrierte sich auf die Frankfurter Messe und die Märkte im naheliegenden Umland und ist bekannt für seine Nachdruckaktivitäten. Letzteres wurde besonders von den Zeitgenossen als schädlich empfunden, sorgte aber auch für eine weitere Verbreitung der betroffenen Titel, als es ohne sie möglich gewesen wäre. Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts konzentrierten sich die Buchhändler auf den Handel in ihrem Wohnort, also auf den Sortimentshandel im stationären Buchladen, und auf den Handel auf den beiden großen Hauptmessen Deutschlands. Anfang des 18. Jahrhunderts, zuerst in Leipzig 1717, entstand dann die Formel: »In allen Buchläden zu haben.«758 Dennoch blieb während des gesamten 17. Jahrhunderts der Reisehandel auch für die ansässigen Buchhändler weiterhin eine übliche Praktik. Jahrmärkte, Märkte und kleinere Messen blieben darüber hinaus außerhalb der Messezeit in Frankfurt und Leipzig wichtige Ziele des durchschnittlichen deutschen Buchhändlers.759 Adrian Beier nannte den Buchhandel seiner Zeit dementsprechend treffend einen »Landhandel«: Das vornehmste Kennzeichen aber/ worinnen sich der Kauffmann von Krahmern abscheidet ist/ nicht etwa eine Hocke oder Bude mit Wahren ausstaffieren können/ sondern starcke grosse

755 Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 336. 756 Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 86. 757 Dass eine absolute Zunahme der Verlagstätigkeit auch in Süddeutschland zu belegen ist, stellte Goldfriedrich bereits selbst fest. Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 87f. 758 Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 333. 759 Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 280. Einige solcher Märkte waren so wichtig für die Buchhändler, dass sie »in besonderm Maße den Charakter kleinerer Büchermeßplätze« trugen, wie zum Beispiel die Naumburger Petri Paul-Messe oder die Prager Märkte zu Lichtmess, St. Veits und St. Wenceslai. Die Naumburger Petri Paul-Messe wurde unter anderem auch von den großen Leipziger Buchhändlern Gleditsch, Weidmann oder Lanckisch besucht und zu beiden erstellten sie eigene Messkataloge. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 281.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels 

217

Handlung thun/ seine Wahren nicht etwa von der andern dritten Hand herhaben/ sondern der Erste gleichsam seyn/ bey dem sie anzutreffen/ selbige auch nicht einzeln/ noch wie oben gedacht Pfund- oder Elen-weise/ aus dem Scheffel oder Sipmaß verlassen/ sondern wie man sagt/ ins Groß verhandeln. Der nun von Buch-Handel nur etwas Bericht hat/ wird obige Stücke alle dortselbst finden/ und gestehen müssen/ daß selbiger nicht etwa uf einen Laden mit Büchern in einer Stadt erbauet sey/ und bestehe/ sondern es ist ein Land-Handel/ und wird nicht leicht ein Buch-Händler zu finden seyn/ so neben dem in seiner Wohn-Stadt/ nicht auch in denen Handel-Städten Leipzig/ zuförderst aber Franckfurth am Mäyn/ sein Gewölbe und Verkehren/ und zwar mit andern Buch-Händlern hat.760

Das 17. Jahrhundert führte aber auch zu neuen Schwerpunkten der buchhändlerischen Aktanten. »In der Zeit, in der wir hier stehen, ist jede deutsche Buchhandlung Verlag, Sortiment und Antiquariat zugleich.«761 Denn bis ins 18. Jahrhundert hinein war der Sortimenter in der Regel zugleich Verleger und der Zusammenhang zwischen Verlag und Vertrieb war zu keiner Zeit sonst so eng. Erzwungen wurde diese Verbindung durch den nun vorherrschenden Tauschhandel.762 Der neue Hauptaktant im Wissensraum Buchhandel wurde der sogenannte Verlegersortimenter. Er »kristallisierte sich im Laufe des 17. Jahrhunderts heraus und wurde zum professionellen Kern des deutschen Buchhandels im Tauschzeitalter.«763 Um Geschäfte zu machen, brauchte man Bücher als Tauschobjekte und damit eine eigene Verlagsproduktion. Auch Beier hielt in seiner Betrachtung über den Buchhandel seiner Zeit fest: »Ein ieder Buch-Händler hat seinen Verlag in erster Hand«764. Beim »Verstechen« tauschte man weiterhin Bogen gegen Bogen, je nach Wert des Buches auch mehrere Bogen für einen. Dabei blieb es nicht aus, dass allerlei Ramsch auf den Markt geriet.765 Der große Vorteil des Tauschhandels lag darin, dass man nur einen geringen Kapitaleinsatz benötigte. Da die Buchhändler bei diesem Geschäft allerdings auch auf ihren eigenen Vorteil aus waren, »produzierte der Verlag in gewisser Hinsicht weniger für das Publikum als für den Buchhandel.«766 Aus der Barockzeit gibt es weniger größere edierte Quellenbestände für den Buchvertrieb, wie sie für das 16. Jahrhundert vorliegen. Aufgrund der dagegen deut-

760 Adrian Beier: Kurtzer Bericht / von der Nützlichen und Fürtrefflichen Buch-Handlung / und Deroselben Privilegien. Jena: Meyer 1690. URL: http://www.deutschestextarchiv.de/beier_buchhandel_1690 [Stand: 13.02.2018], S. 11. 761 Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 315. 762 Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 89. 763 Ute Schneider: Grundlagen des Mediensystems: Drucker, Verleger, Buchhändler in ihren ökonomischen Beziehungen 1600–1750. In: Das Mediensystem im Alten Reich der Frühen Neuzeit (1600–1750). Hrsg. von Johannes Arndt und Esther-Beate Körber. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz; Beiheft 75), S. 27–37, S. 29. 764 Beier, Kurtzer Bericht, S. 13. 765 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 304. 766 Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 402.

218  3 Der historische Kontext: Buchhandel in der Frühen Neuzeit

lich besseren Bibliographie der Drucke des 17. Jahrhunderts konzentriert sich die Forschung zum Buchhandel auch und vor allem in diesem Jahrhundert stärker auf die Druck- und Verlagsgeschichte.767 Einen wichtigen Quellenbestand bieten dennoch die zahlreichen im 17. und 18. Jahrhundert erschienenen buchhändlerischen Kataloge. Eine umfangreiche Materialsammlung und Auswertung dieser bereits einleitend vorgestellten Aktantmedien hat Marie-Kristin Hauke in ihrer Dissertation 1996 vorgelegt. Zunächst jedoch soll der Blick auf ein einschneidendes und das ganze Jahrhundert prägendes Ereignis geworfen werden. Der Dreißigjährige Krieg Zwischen 1618 und 1648 befand sich Deutschland dauerhaft im Kriegszustand. Das blieb nicht ohne Einfluss auf die wirtschaftlichen Verhältnisse und damit auch nicht ohne Auswirkungen auf den Wissensraum Buchhandel. Darüber geben unter anderem die Messkataloge Auskunft, die, wenn sie auch nicht ohne Probleme verallgemeinert werden können, doch gewisse Tendenzen aufzeigen. So ist bereits 1619 zu Ostern auf der Frankfurter Messe eine Kreditkrise auszumachen.768 Gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges am 31. März 1648 äußerte dann Johann David Zunner in einem Bittgesuch um ein kaiserliches Privileg in Frankfurt Folgendes: »Bei diesem zerrütteten Zustand des heil. R. Reichs ist bald kein Handelsverkehr rückstelliger worden als eben die Truckerey und das Bücherverlegen.«769 Die größten wirtschaftlichen Einbrüche kamen sogar erst nach dem Friedensschluss am 24. Oktober 1648. Die Erben Thomas Schürers in Leipzig reichten diesbezüglich am 14. Oktober 1652 eine Eingabe beim Kurfürsten ein, in der sie auf die Kriegsschäden hinwiesen: bei vnserer schweren Buchhandlung, der vielen plünderungen und Straßenraubereyen zu geschweigen, nicht allein durch die harten vnd vnertreglichen Kriegsbeschwerungen vnd Contributiones, die sich vber 5000 Thlr. erstrecken, sehr mittgenommen vnd hefftig ausgesauget worden

und weiter, dass nur durch den fürstlichen Schutz »vnserm zwar weitbekandten, aber die warheit zubekennen, ziemlich eingegangenen Buchhandel«770 geholfen werden könne. Für den Handel kam erschwerend noch die sogenannte Kipper- und Wipperzeit von ca. 1620 bis 1622 hinzu. Es ging dabei um betrügerische Münzmanipulationen, mit denen die Regierungen ihre Staatseinkünfte verbessern wollten. Erst 1623 waren die Territorialherren gezwungen, diese Machenschaften einzustel-

767 Vgl. Duntze, Verlagsbuchhandel und verbreitender Buchhandel, S. 233f. 768 Vgl. Johannes Arndt: Köln als kommunikatives Zentrum im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. In: Köln als Kommunikationszentrum. Studien zur frühneuzeitlichen Stadtgeschichte. Hrsg. von Georg Mölich und Gerd Schwerhoff. Köln: DuMont 2000, S. 117–138, S. 119. 769 Zitiert nach Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 491. 770 Zitiert nach Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 494.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels



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len, da die Wirtschaftspartner inzwischen sensibilisiert waren und die Annahme schlechten Geldes oft verweigerten.771 Probleme entstanden den einzelnen Buchhändlern durch den Krieg auf viele Arten. Im Jahr 1641 reichte es im Fall Wolfgang Endters in München schon, dass er ein Schreiben des feindlichen schwedischen Feldmarschalls erhalten hatte, woraufhin sein gesamtes Bücherlager beschlagnahmt wurde. Weitere Unannehmlichkeiten ergaben sich für Endter 1642. Sein Geschäftsführer traf in diesem Jahr kurz vor der Belagerung durch Schweden in Leipzig ein und war gezwungen 175 Taler Kriegskontribution zu zahlen; weitere 45 Taler übernahmen die Fuhrleute.772 Schließlich bereiteten auch die kriegsbedingten Gebietsbesetzungen Schwierigkeiten, wie etwa durch Frankreich, das im Zuge der Expansionspolitik Kardinal Richelieus 1633 Lothringen einnahm. Der Handel, der Warenaustausch und der Briefverkehr mit diesen Ländern war im Anschluss daran untersagt. Der Antwerpener Jan Moretus war daraufhin aus Papiermangel dazu gezwungen, seine Produktion zeitweise komplett einzustellen.773 Moretus hatte auch weiter unter dem Kriegsverlauf zu leiden, zum Beispiel bei seiner Zusammenarbeit mit dem in Danzig ansässigen Kaspar Förster. Im Herbst 1637 war es den Habsburgern gelungen, den Warschauer Hof für gemeinsame Aktionen gegen Schweden zu gewinnen. Von Danzig aus sollte Polen die Seeherrschaft in der Ostsee erobern, weshalb der Danziger Hafen vorübergehend geschlossen wurde. Büchersendungen von Moretus an Förster kamen folglich nur unvollständig an. Zu seinem Glück scheiterte die habsburgisch-polnische Initiative bald und Danzig konnte sich seine Handelsfreiheit bewahren. Im Jahr 1640 wurde dann von den Niederlanden der Handel mit Norwegen und Dänemark untersagt und 1645 war die Fahrt durch den Sund aufgrund der dänisch-schwedischen Auseinandersetzungen blockiert. Kein Schiff gelangte von Holland nach Dänemark. Moretus musste schließlich seinen Handel mit Polen einstellen, denn nach 1650 war der Sund wieder gesperrt, diesmal wegen Auseinandersetzungen zwischen England und den Niederlanden.774 Vor dem Dreißigjährigen Krieg hatten die Buchhändler Dänemarks ihren Bedarf vornehmlich auf der Frankfurter Messe gedeckt. Nach Ausbruch des Krieges war auch diese Verbindung gestört. Dafür besuchten die Holländer nun vermehrt Kopenhagen, wofür sie bevorzugt den Wasserweg nutzten. Im Jahr 1624 erhoben sogar die Kopenhagener Buchhändler Klage gegen den Amsterdamer Buchhändler Johann

771 Vgl. Arndt, Köln als kommunikatives Zentrum, S. 119. 772 Vgl. Friedrich Oldenbourg: Die Endter. Eine Nürnberger Buchhändlerfamilie (1590–1740). Monographische Studie. München [u. a.]: R. Oldenbourg 1911, S. 71f. 773 Vgl. Isabel Heitjan: Kaspar und Georg Förster, Buchhändler und Verleger zu Danzig im 17. Jahrhundert. Ihre Geschäftsverbindung mit Antwerpen und Bibliographie ihrer Verlagswerke. In: AGB 15 (1975), S. 338–434, S. 354. 774 Vgl. Heitjan, Kaspar und Georg Förster, S. 381–383.

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Jansson, der anfangs über seinen Agenten David Zunner vor Ort so gute Geschäfte machte, dass sie sich benachteiligt fühlten.775 Der Handel mit Deutschland war aber nicht vollständig unterbrochen. Der Kölner Drucker Cornelius Egmondt etwa kooperierte weiterhin für mehrere Editionsprojekte mit den Offizinen Plantin-Moretus in Antwerpen und Elzevier in Amsterdam. Daneben arbeitete er mit Willem Blaeu zusammen und produzierte katholische Werke für den niederländischen Markt. Blaeu gehörte zu einer einflussreichen Amsterdamer Ratsfamilie und konnte sich den offiziell verbotenen Druck katholischer Schriften leisten. Dennoch war es für ihn sinnvoller, sie außerhalb produzieren zu lassen und erst anschließend in der niederländischen Republik zu vertreiben.776 Nicht alle Städte waren vom Krieg direkt betroffen. Gerade Köln als führende Handelsstadt im Westen hatte durch ihre Erfahrungen mit dem vorhergehenden spanisch-niederländischen Krieg (bis 1609) und dem Jülichen Erbfolgestreit (1610– 1614) Vorteile gegenüber anderen Städten. Nach 1648 konnte Köln sogar einen leichten Gewinn verzeichnen. Einen langfristigen ökonomischen Rückgang erlitt die Stadt erst in der Folgezeit, als im Zuge des Kameralismus die Territorialstaaten immer stärker in den Handel eingriffen und so das freie Unternehmertum zurückdrängten.777 Interessanterweise waren die Kriegsläufe auch am Verhalten der kaiserlichen Bücherkommission in Frankfurt a. M. abzulesen. Die Behörde war ein direktes Sprachrohr der kaiserlichen Machtansprüche. Waren die Truppen des Kaisers siegreich, dann gebärdeten sich ihre Vertreter befehlend und fordernd. Musste die kaiserliche Armee dagegen eine Niederlage hinnehmen, wurde es auch verhältnismäßig still um die Kommission. Insgesamt geriet der Wissensraum Buchhandel in Kriegszeiten, in denen Presseerzeugnisse als Propagandamittel dienten, besonders in den Fokus der Aufmerksamkeit.778 Zuletzt war die Aufteilung Deutschlands in über 200 Kleinstaaten nach dem Krieg dem Buchhandel besonders abträglich, denn die daraus resultierenden Zollgesetze und die Währungsvielfalt waren mit ein Grund für die Etablierung des Tauschhandels als bevorzugte Zahlpraktik,779 ebenso wie die allgemeinen Schwierigkeiten an Bargeld zu gelangen.780 An dieser Stelle wird der mögliche Einfluss äußerer, in diesem Fall vor allem politischer und gesamtwirtschaftlicher, Umstände auf die Praktiken im Wissensraum Buchhandel deutlich, da er hier konkret zur Bevorzugung einer bestimmten Zahlweise der Aktanten führte.

775 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 518. 776 Vgl. Arndt, Köln als kommunikatives Zentrum, S. 128. 777 Vgl. Arndt, Köln als kommunikatives Zentrum, S. 119 und 122. 778 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 641. 779 Vgl. Annegret Stein-Karnbach: G. W. Leibniz und der Buchhandel. In: AGB 23 (1982), Sp. 1189– 1416, Sp. 1200. 780 Vgl. Prager, Der deutsche Buchhandel, S. 67.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels

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Tauschhandel Für die Abwicklung des Verkaufs blieb der Barverkehr zwar üblich, wie Adrian Beier hierzu schrieb: »Deñ wenn er [der Buchhändler] ohne Geld handeln wolte/ wovon wolt er die Buchdrucker und Papiermacher bezahlen/ wo Fracht/ Geleit/ Zehrung und andere Kosten/ als da sind Honoraria vor die Herren Autores, Diener und dergleichen hernehmen?«781 Doch vorherrschend war im 17. Jahrhundert das Verstechen als charakteristische buchhändlerische Praktik. Ein Aspekt, der in Bezug auf den Tauschhandel häufig unterschlagen wird und auf den ich daher an dieser Stelle nachdrücklich hinweise, ist die Tatsache, dass er in erster Linie für den Zwischenhandel relevant war. Der Verkauf an den Endkunden erfolgte in der Regel nicht durch den Tausch. Der Tauschverkehr war nicht an den Messverkehr gebunden. Aus Briefen der 1660er Jahre geht hervor, dass die Buchhändler auch von ihren Wohnsitzen aus miteinander Bücher tauschten. Dabei bestellte ein Buchhändler bei einem anderen Bücher, die ihm zusammen mit einer Auflistung der im Gegenzug gewünschten Titel zugesandt wurden. Goldfriedrich bezeichnet dies als den »Beginn der ›Reichsbuchhändlerhandlungsart‹«782, da die Leipziger keinen solchen Geschäftsverkehr entwickelten, obwohl auch sie von Wohnsitz zu Wohnsitz Bücher bestellten und verschickten. Durch den Tauschhandel war der Absatz die alleinige Angelegenheit des Sortimenters und er war gleichzeitig auch ein Problem, da viele Verleger zu ihrem eigenen Vorteil dazu übergingen, billige, aber nur schwer oder gar nicht absetzbare Ausschussware zu produzieren, um sie gegen bessere Bücher einzutauschen. »Daraus ergaben sich die der starken Lagerentwertung entsprechenden verzweifelten Mittel der Lagerverwertung.«783 Die Buchhändler verschleuderten ihre Waren, beförderten das Auktionswesen und griffen im Laufe des 18. Jahrhunderts sogar zum Mittel der Bücherlotterie.784 Der Tausch lief, wie bereits erwähnt, seit dem 15. Jahrhundert parallel zum Bargeschäft, blieb aber eher die Ausnahme. Erst während und nach dem Dreißigjährigen Krieg spielte das Tauschen eine immer größere Rolle.785 Dabei kam es zu den ersten Konflikten zwischen holländischen und deutschen Buchhändlern. Der Schwerpunkt der bedeutenden und damit auch der qualitätvollen Buchproduktion wanderte im 17. Jahrhundert in den Norden Europas und die Holländer waren nicht mehr gewillt, durch den Tausch mit den qualitativ schlechteren deutschen Büchern Verluste zu erleiden. Sie verlangten stattdessen ein angepasstes disproportionales Tauschverhältnis.786 Daher tauschte man am wenigsten mit den Holländern oder

781 782 783 784 785 786

Beier, Kurtzer Bericht, S. 13. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 293. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 402. Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 403. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 468. Vgl. Niemeier, Funktionen der Frankfurter Buchmesse im Wandel, S. 19.

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anderen Ausländern, deren Bücher in Deutschland zwar begehrt waren, die aber im Gegenzug wenig Bedarf an deutschen Druckerzeugnissen hatten.787 Die Holländer mit ihren gefragten Druckwerken waren in der günstigeren Position, die Art der Bezahlung bestimmen zu können und nicht nur im Geschäftsverkehr mit ihnen galt in der Regel »je besser das Buch, desto näherliegend der Barverkehr«788. Adrian Beier sagte dazu in seinem Bericht von 1690: Wer zu Franckfurth in der Buch-Gaß gestanden ist/ und mit angehört und zugesehen hat/ wie gantze Partheyen uf einst gegen einander verstochen und gegen andre Wahren verkehrt werden: wie vor angenehme und doch rare Bücher/ gut paar Geld geliefert werden müssen/ so traun kein Handkauff und Verpfennigen zu neñen.789

Das bezeugt auch das nachstehend vorgestellte Kontobuch der Lüneburger Offizin der Sterne. Das Kontobuch der Lüneburger Offizin der Sterne Das Geschäftsbuch der Offizin der Sterne in Lüneburg ist eine bedeutende Quelle für den Buchhandel des 17. Jahrhunderts, da es für die Zeit von 1666 bis 1675 »außergewöhnlich detailliert und lückenlos den Geschäftsablauf von Druckerei und Verlag beschreibt.«790 Die Firma der Brüder Stern untersuchte erstmals Hans Dumrese zusammen mit Friedrich Carl Schilling 1956 in einer Monographie.791 Obwohl Dumrese das Kontobuch bereits erwähnte und Paul Raabe 1976 erneut auf die Bedeutung der Quelle hinwies,792 analysierte erst 2013 Wolfgang Schellmann das Dokument genauer. Die folgenden Ausführungen stützen sich auf seinen Beitrag im AGB. Das erhaltene Kontobuch umfasst 600 im Folioformat gebundene Seiten, von denen sich rund zwei Drittel in ca. 8.000 Buchungssätzen mit Geschäftsvorgängen befassen. Der Großteil der Eintragungen bezieht sich dabei auf das Verlags- und Druckereigeschäft der Sterne. Aufschlussreich für die Forschung ist die Tatsache, dass für jeden Monat detailliert der Geschäftsverlauf dargestellt wird, unter ande-

787 Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 90. 788 Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 91. 789 Beier, Kurtzer Bericht, S. 13. 790 Wolfgang Schellmann: Das Kontobuch der Lüneburger Offizin der Sterne. Eine Quelle neuer Erkenntnisse über Ökonomie und Usancen im Buchgewerbe des 17. Jahrhunderts. In: AGB 68 (2013), S. 47–103, S. 47. 791 Vgl. Hans Dumrese und Friedrich Carl Schilling: Lüneburg und die Offizin der Sterne. Lüneburg: Stern 1956. 792 Vgl. Paul Raabe: Herzog August und die »Sterne« in Lüneburg. In: Sammler, Fürst, Gelehrter. Herzog August zu Braunschweig und Lüneburg 1579–1666. Hrsg. von Paul Raabe und Eckhard Schinkel. Wolfenbüttel: Limbach 1979 (Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek; Bd. 27), S. 157–161, S. 157.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels



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rem auch, wem Bücher verkauft wurden und wann die Bezahlung erfolgte. Außerdem wird streng unterschieden zwischen Einnahmen aus der Leipziger Messe, dem Versandhandel und dem Direktverkauf im verlagseigenen Buchladen. Der Grund für die Erstellung eines solchen »Vorläufer[s] eines modernen ›management reporting [s]‹«793 waren Erbstreitigkeiten innerhalb der Familie. Nach dem Tod des Mitbegründers der Druckerei Heinrich Stern im November 1665 kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den Erben, die darin endeten, dass der erfahrenste unter ihnen, Johann III. Stern (1633–1712) für zunächst sechs Jahre die alleinige Leitung der Druckerei und des Buchhandels übernehmen sollte. Johann wurde dazu verpflichtet, eine ordentliche Rechnung zu führen, die für jeden der Erben jederzeit einsehbar wäre, sodass mit dem Kontobuch offenbar dieser Informationspflicht nachgekommen werden sollte.794 In den ausführlich beschriebenen Abläufen im Kontakt mit Händlern werden verschiedene Details genannt. Für Bezahlvorgänge tauchen wie üblich unterschiedliche Währungen im Kontobuch auf. Nach Schellmann galten folgende Münzrelationen: 1 Reichstaler (rth) = 24 Gute Groschen (ggr) = 2 Mark lübisch (ml) = 32 Schilling (ß) = 384 Pfennig (d). Die Hauswährung der Sterne war die Lübische Mark. Insgesamt zeigte sich ihr Geschäft stabil und liquide, sodass kaum Darlehen dafür aufgenommen werden mussten. Vor jedem Geschäftsvorgang steht der eigentliche Buchungssatz, womit ein »System der doppelten Buchhaltung«795 verfolgt wurde. Aus den Verweisen auf Referenzseiten in anderen Geschäftsbüchern schließt Schellmann auf mindestens neun weitere Bücher in der Buchhaltung der Familie.796 Das Kontobuch beginnt am 19. Februar 1666 mit einer ausführlichen Inventur. Dazu wurden die Schuldner – insgesamt 170 Personen – aufgelistet mit einer Gesamtschuldensumme von 23.683 Lübische Mark.797 Der Lagerbestand umfasste 196

793 Schellmann, Das Kontobuch der Lüneburger Offizin der Sterne, S. 49. 794 Vgl. Schellmann, Das Kontobuch der Lüneburger Offizin der Sterne, S. 48f. Dabei dürfte es Taktik gewesen sein, die tatsächlichen Gewinne und Verluste nicht offen darzulegen, weshalb das Kontobuch vor allem einen »gewaltigen ›Zahlenfriedhof‹« liefert, der alles penibel und korrekt darlegt, aber das Ganze nicht geordnet und übersichtlich zusammenfasst. Das ist wohl auch der Grund dafür, dass die Auswertung so lange auf sich warten ließ. Schellmann, Das Kontobuch der Lüneburger Offizin der Sterne, S. 48f. 795 Schellmann, Das Kontobuch der Lüneburger Offizin der Sterne, S. 53. 796 Vgl. Schellmann, Das Kontobuch der Lüneburger Offizin der Sterne, S. 52–55. Dazu gehören ein Journal für den Tagesablauf, ein Fakturabuch, ein allgemeines Lagerbuch, ein Lagerbuch für die Leipziger Messe, ein Formierbuch für Personallöhne und Vorräte von Schriften und Druckstöcken, ein Uncostenbuch, ein Sahlbuch für die Bargeschäfte im Lüneburger Laden und ein Blaues Buch für alles Weitere. Hinzu kommen noch das Hauptbuch und ein Secretbuch, die nicht erwähnt wurden, aber mit Sicherheit existierten. Vgl. Schellmann, Das Kontobuch der Lüneburger Offizin der Sterne, S. 52–55. 797 Der Jahresumsatz des Sternschen Verlags lag zwischen 13.000 und 20.000 Mark, es handelte sich bei den ausstehenden Forderungen also um eine beachtliche Summe. Die Tatsache, dass nur

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Titel vornehmlich deutschsprachiger Erbauungsliteratur in einer Gesamtzahl von 198.286 Exemplaren in verschiedenen Lagern. Ihr Verkaufswert bezifferte sich auf 171.643 Lübische Mark, was die Größe des Unternehmens illustriert. Auffällig ist, dass knapp 80 Prozent der gängigen Titel einen niedrigen Verkaufspreis von weniger als 1 Mark hatten. Von den restlichen Büchern kosteten nur 20 über 2 Mark. Das teuerste Buch war die sogenannte Osianderbibel798 für 16 Mark.799 Über die genauen Kalkulationen gibt das Kontobuch wenig Auskunft, Schellmann kann aber nachweisen, dass sich der Verkaufspreis nicht an den Produktionskosten, sondern an der Nachfrage orientierte.800 Das Preisniveau spiegelt damit den Verlagsschwerpunkt kleiner, breit absetzbarer Gebrauchsliteratur wider. Schellmann überprüfte zudem, ob sich unter den Titeln Erzeugnisse fremder Offizinen befanden. Er kam dabei zu keinem eindeutigen Ergebnis und geht davon aus, dass die Sterne »nahezu ausschließlich Eigenerzeugnisse«801 auf Lager hatten. Das war für die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts mit dem vorherrschenden Tauschhandel sehr ungewöhnlich. Über den gesamten dokumentierten Zeitraum hinweg standen die Lüneburger in Kontakt zu 229 namentlich genannten Händlern. Das Händlernetzwerk zeigte sich dabei innerhalb der knapp zehn Jahre äußerst dynamisch. Der Hauptumsatz konzentrierte sich auf einige wenige Geschäftspartner; die Hälfte wurde über nur 39 Händler erwirtschaftet. Das Vertriebsgebiet erstreckte sich vor allem in den Norden nach Amsterdam, Kopenhagen und Danzig, in den Osten bis nach Königsberg, Riga, Wilna und Breslau und im Süden bis Dresden, Nürnberg und Frankfurt. Wie zu erwarten, reichte der Vertrieb des lutherisch geprägten Verlagshauses nicht in den vornehmlich katholischen Süden Deutschlands hinein.802

ca. 20 Prozent der Umsätze sofort in bar bezahlt wurden, verdeutlicht die lange Rücklaufzeit des Kapitals im Buchgewerbe. Vgl. Schellmann, Das Kontobuch der Lüneburger Offizin der Sterne, S. 56. 798 Biblia Mit der Außlegung. Das ist: Die gantze heilige Schrifft/ Altes und Neues Testaments/ Des Hocherleuchten und theuren Mannes Gottes D. Martini Lutheri: Mit einer kurtzen/ jedoch gründlichen Erklärung des Textes … auch mit fürgesetzten verständlichen Summarien über alle Bücher … Aus … Herrn/ D. Lucae Osiandri, Senioris … Lateinischem Exemplar/ Auff vieler … Begehren … in die Hochdeutsche Sprache … gebracht/ und … in Sieben Theilen auffs treulichste verfertiget/ und an Tag geben/ Durch … Herrn/ M. David Förtern. Lüneburg: Sterne 1665. Vgl. VD17 1:052135V und 15:737255U. 799 Vgl. Schellmann, Das Kontobuch der Lüneburger Offizin der Sterne, S. 55–59. Rabatte für Händler wurden erst bei der Zahlung gewährt und sind meist nicht zuzuordnen, sodass nur festgestellt werden kann, dass die gewährten Nachlässe sehr gering waren. Sie bewegten sich in einer Größenordnung von 0,1 bis maximal 16 Prozent. Vgl. Schellmann, Das Kontobuch der Lüneburger Offizin der Sterne, S. 76. Damit liegen die Rabattsätze der Sterne deutlich niedriger als die von Goldfriedrich für die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts angenommenen 25 bis 33 1/3 Prozent. Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 269. 800 Vgl. Schellmann, Das Kontobuch der Lüneburger Offizin der Sterne, S. 75. 801 Schellmann, Das Kontobuch der Lüneburger Offizin der Sterne, S. 59. 802 Vgl. Schellmann, Das Kontobuch der Lüneburger Offizin der Sterne, S. 62.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels



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Aus der prozentualen Verteilung der Umsätze geht hervor, dass der Schwerpunkt auf dem Messehandel (40 Prozent) und dem Versandhandel von Lüneburg aus lag, mit dem etwa die Hälfte des Gewinns erwirtschaftet wurde. Der örtliche Buchladen und die Akzidenzien spielten daneben eine untergeordnete Rolle. Das Messegeschäft wurde zu zwei Dritteln als Kredit- und Kommissionsgeschäft abgewickelt, während immerhin ein Drittel der Drucke bar bezahlt wurde. Schellmann geht davon aus, dass es sich bei den Barkäufern um Laufkundschaft handelte, während andere Händler bevorzugt auf Kredit kauften.803 Für die Kredite gab es keine festen Zahlungstermine; es wurde je nach Liquidität auf einer der folgenden Messen gezahlt. »Diese großzügigen und allein auf Treu und Glauben setzenden Geschäftsusancen waren in dieser Branche nicht nur üblich, sondern offensichtlich auch tragfähig.«804 Dass dieses Geschäft jedoch nur funktionierte, wenn beide Seiten sich als kreditwürdig erwiesen, beweist das Beispiel Gotthard Vögelins (1572–1631). Es gelang ihm oft nicht die Schulden aus seinen Kreditverkäufen einzutreiben. Als Begründung berichtete er von Gesellschaften, die sich ohne sein Wissen aufgelöst hatten und dabei ihre Schulden dem zahlungsunfähigen Mitglied übertrugen, oder er geriet an säumige Besucher der Messe, die ihn bis zu ihrem Ende vertrösteten, um dann überstürzt abzureisen. Vögelins große Eigenverschuldung gab offenbar manchem Schuldner das Gefühl, von seinen Verpflichtungen ihm gegenüber entbunden zu sein. Nach der Sperrung seines Lagers 1616 aufgrund seiner Schulden kam es zu einer erheblichen Absatzminderung und somit zu einem deutlichen Absinken seiner Kreditwürdigkeit. Darunter litt auch seine Buchhandlung in Heidelberg, da er vor Ort kein eigenes Lager eingerichtet hatte, sondern je nach Bedarf die in Frankfurt lagernden und zum größten Teil verpfändeten Büchern dorthin zurückholen musste.805 Gotthard Vögelin starb schließlich 1631 in Armut. Er ist damit nicht zuletzt auch ein Beispiel für das Risiko der hohen Investitionen und langwierigen Kapitalrückläufe im Buchhandel. Aufschlussreich ist schließlich der von Schellmann erstellte graphische Verlauf der Monatsumsätze der Sterne über das Jahr verteilt. Er offenbart, dass im ersten

803 Vgl. Schellmann, Das Kontobuch der Lüneburger Offizin der Sterne, S. 64f. 804 Schellmann, Das Kontobuch der Lüneburger Offizin der Sterne, S. 72. Dass dieses System trotz der oft jahrelangen Laufzeiten funktionierte, zeigt den von Schellmann über die zehn Jahre errechneten durchschnittlichen Zahlungsausfall von gerade mal 2,2 Prozent, was aus moderner Wirtschaftssicht ein äußerst niedriger Wert ist. Trotz der großen Entfernungen und anderer Schwierigkeiten im Zahlungsverkehr funktionierte das Kreditsystem im Großhandel offenbar zuverlässig. Schellmann kann damit belegen, dass die Annahme, dass man es im 17. Jahrhundert mit der Eintreibung von Forderungen nicht so genau nahm, nicht zutrifft. Vgl. Schellmann, Das Kontobuch der Lüneburger Offizin der Sterne, S. 73. Ganz so verwunderlich ist diese Feststellung aber nicht, wenn man bedenkt, dass das Funktionieren des Kredithandels im Wesentlichen darauf basierte, dass sich die Geschäftspartner auf die Kreditwürdigkeit des jeweils anderen verlassen konnten. 805 Vgl. Dyroff, Gotthard Vögelin, Sp. 1300f., 1305f. und 1327.

226  3 Der historische Kontext: Buchhandel in der Frühen Neuzeit

Halbjahr deutlich mehr Bücher verkauft wurden als in der zweiten Jahreshälfte. Der Einfluss der drei Messen zeigt sich optisch in drei markanten Spitzen beim Umsatz der jeweiligen Monate. Die umsatzschwächsten Monate lagen über den Sommer von Juni bis September, während der höchste punktuelle Umsatz auf der letzten Messe im Oktober erzielt wurde. Schellmann schlüsselte die Absatzverteilung nach Großhandel bzw. Buchladen auf und kann so aufzeigen, dass auch im Platzbuchhandel mit zeitlicher Verzögerung nach den Messen Spitzen im Umsatz zu erkennen sind. Das Umsatztief im Großhandel ab Juni wird durch ein auffälliges Hoch im örtlichen Buchverkauf kompensiert, während der Anstieg nach der Michaelismesse nicht so eindeutig ausfällt, sich aber von Oktober bis Dezember durchgängig hält. Schellmann legt außerdem offen, dass der Verkauf an den Endkunden möglicherweise wetterabhängig war, da die Umsatzschwerpunkte hierbei in den kalten Monaten lagen.806 Für den Transport der Bücher stellte Schellmann die übliche Versandart der Bücher in größeren und kleineren Posten bzw. in Fässern für die Messe fest. In Bezug auf die Fässer liefert das Kontobuch Angaben über den enthaltenen Bücherwert. Pro Fass konnten demnach Drucke im Wert von bis zu 900 Mark transportiert werden. Schellmann leitet daraus die zunächst »absurd« erscheinende Größe der Fässer mit bis zu 1,40 m Durchmesser und einem Gesamtgewicht von 800 kg und mehr ab.807 Zur Unterstützung seiner Annahme, dass solche Fassgrößen möglich waren, führt Schellmann einen Kupferstich von Jan Luyken an. Diese Abbildung erschien zu dem Kapitel Der Buchhändler in der Abbildung der Gemein-Nützlichen HauptStände von Christoph Weigel 1698 (Vgl. Abb. 5).808 Darauf sind unter anderem zwei Personen dargestellt, die ein fast mannshohes Fass ausräumen. Aufgrund der realistischen Darstellung geht Schellmann davon aus, dass die Größenverhältnisse von Luyken korrekt wiedergegeben wurden. Das belegt, dass sich die Transport- und Verpackungsweise von Drucken seit dem 15. Jahrhundert nicht grundsätzlich geändert hatte, lediglich die Dimensionen hatten sich vergrößert. Als Frachtpreis für den

806 Vgl. Schellmann, Das Kontobuch der Lüneburger Offizin der Sterne, S. 66. Der von Schellmann graphisch in Zusammenhang mit dem Umsatz dargestellte Zahlungseingang korrespondiert mit dem Verlauf des Verkaufs, was aber nur wieder auf die Verbindung zu den Messeterminen hindeutet, nicht auf eine generelle Wechselbeziehung von Lieferung und Zahlung. Vgl. Schellmann, Das Kontobuch der Lüneburger Offizin der Sterne, S. 71. 807 Zum Vergleich lässt sich aus den wenigen Angaben Peter Drachs aus dem 15. Jahrhundert auf eine gängige Fassgröße mit einem Durchmesser von 60 cm und einem Gewicht von etwa 160 kg schließen. Vgl. Schellmann, Das Kontobuch der Lüneburger Offizin der Sterne, S. 67. 808 Vgl. Christoph Weigel: Abbildung der Gemein-Nützlichen Haupt-Stände Von denen Regenten Und ihren So in Friedens- als Kriegs-Zeiten zugeordneten Bedienten an, biß auf alle Künstler Und Handwercker. Nach Jedes Ambts- und Beruffs-Verrichtungen, meist nach dem Leben gezeichnet und in Kupfer gebracht, auch nach Dero Ursprung, Nutzbar- und Denckwürdigkeiten, kurtz, doch gründlich beschrieben, und ganz neu an den Tag geleget. Regenspurg: Weigel 1698. URL: http:// digital.slub-dresden.de/id28062171X [Stand: 13.02.2018], S. [393].

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels

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Versand mit der Fuhr für eine Entfernung von 400 km zwischen Lüneburg und Leipzig ermittelte Schellmann Preise pro Fass zwischen 4 und 12 Mark, was wohl mit der jeweiligen Fassgröße zusammenhing.809

Abb. 5 »Der Buchhändler«. Kupferstich von Jan Luyken. In: Abbildung der Gemein-Nützlichen HauptStände (1698).

Ungewöhnlich war der Umstand, dass der Tausch im Geschäft der Sterne kaum eine Rolle spielte, was schon bei der Zusammensetzung ihrer Lagerbestände deutlich

809 Vgl. Schellmann, Das Kontobuch der Lüneburger Offizin der Sterne, S. 67–69. Möglicherweise berechnete sich der Preis aber auch nach dem Gewicht des jeweiligen Fasses, wie es bereits im 15. Jahrhundert üblich war. Vgl. Kapitel 3.1.1.

228  3 Der historische Kontext: Buchhandel in der Frühen Neuzeit

wurde. Für ihre Bücherlieferungen akzeptierten sie fast ausschließlich Zahlungen in bar. Schellmann vermutet, dass sich die Sterne diese Haltung vor allem aufgrund ihres begehrten Verlagsangebots leisten konnten. Es beweist jedenfalls, dass sich auch in einer Zeit des dominierenden Tauschhandels größere Unternehmen und damit Hauptbuchhandelsaktanten weiterhin vornehmlich auf den Bar- und Kredithandel stützen konnten.810 Vom Auchbuchhändler zum Berufsbuchhändler: Die Familie Förster und Johann Hoffmann Auch die im Folgenden vorgestellte Buchhändlerfamilie Förster nutzte in ihrer Geschätsverbindung mit dem Niederländer Moretus den Barverkehr, obwohl sie einen eigenen Verlag betrieb. Kaspar Förster d. Ä. (1574–1652) übernahm im Jahr 1607 die Kantorstelle am Gymnasium in Danzig, war aber aufgrund der geringen Besoldung gezwungen sich einen Nebenerwerb zu suchen. Wie sein Amtsvorgänger, der 1606 verstorbene Daniel Asaricus, wählte er dafür den Buchhandel und stellte 1617 ein entsprechendes Bittgesuch an den Rat der Stadt. Auch als Förster 1627 Kapellmeister an St. Marien wurde, betrieb er den Buchhandel weiter, denn der Posten war zwar sehr angesehen, aber noch weniger gut bezahlt als der vorherige. Zusammen mit seinem Neffen verkaufte Förster seine Bücher bald bis nach Polen, wo er am 3. März 1633 ein Privileg von König Wladislaw IV. erhielt, seine Bücher »ubivis locorum in regno et dominiis nostris«811 vertreiben zu dürfen.812 Kaspar Förster trat demnach als Auchbuchhändler in den Buchmarkt ein und erst sein Sohn Georg Förster (1615–1660) brachte das Geschäft dann hauptberuflich zu seiner Blüte. Sein Beispiel steht stellvertretend für den Aufstieg eines Nebenaktanten zu einem Hauptaktanten im Wissensraum Buchhandel und der damit verbundenen schrittweisen Übernahme der Praktiken der großen Buchhändler. Nach einer Studien- und Geschäftsreise in Italien und Holland trat Georg Förster 1637 in den väterlichen Buchhandel ein und gab sich bald nicht mehr mit dem reinen Sortimentsgeschäft zufrieden. Ab 1643 begann er mit einem eigenen Verlag.813 Dies zeigt, wie wichtig im 17. Jahrhundert das gleichzeitige Verlagsgeschäft für die hauptberuflichen Buchhändler war. Am 30. Juni 1644 verlieh Wladislaw IV. auch Georg ein Privileg für den Buchhandel in Polen und am 26. Mai 1645 zusätzlich für seinen Verlag.

810 Vgl. Schellmann, Das Kontobuch der Lüneburger Offizin der Sterne, S. 70 und 73f. Die Bezahlung über Wechsel kam nur selten vor und wenn doch, dann traten die Sterne dabei eher als Indossanten auf und nicht als Aussteller oder Bezogene. Vgl. Schellmann, Das Kontobuch der Lüneburger Offizin der Sterne, S. 74. 811 Zitiert nach Heitjan, Kaspar und Georg Förster, S. 342. 812 Vgl. Heitjan, Kaspar und Georg Förster, S. 338–342. 813 Eine eigene Druckerei besaß Georg nicht. Für die Produktion beauftragte er vor allem Drucker in Danzig, Krakau oder den Niederlanden. Vgl. Heitjan, Kaspar und Georg Förster, S. 343.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels



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Seit 1647 trug Georg Förster zudem den Titel des königlichen Buchhändlers bzw. Hofbuchhändlers. Nach dem Tod seines Vaters übernahm er das Geschäft, da sein Bruder Kaspar das musikalische Erbe ihres Vaters antrat. Förster richtete mehrere Zweiggeschäfte ein, 1646 in Lublin, 1655 in Warschau und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in Krakau und Amsterdam. Nach dem Tod Georgs 1660 übernahm seine Witwe Anna Konstantina die Leitung des Unternehmens, da die Ehe kinderlos geblieben war.814 Kaspar Förster d. Ä. hatte unter anderem eine Geschäftsbeziehung zu Balthasar I und Balthasar II Moretus in Antwerpen aufgebaut, die Georg bis wenigstens 1651 weiter pflegte. Es haben sich Teile der Korrespondenz erhalten, die einen Einblick in diese Geschäftsverbindung geben. Die Moretus hatten großes Interesse daran, Kontakte nach Danzig zu knüpfen, die ihnen den Markt in Polen für den Absatz ihrer Catholica öffnen konnten. Sie korrespondierten zwar bereits mit zwei Ortsansässigen, Paul Classen und Ernst Kruse, waren mit ihrer Arbeit jedoch nicht zufrieden, weshalb sie Förster den Verkauf ihrer Außenstände und die Abrechnung übertrugen. Neben einer Liste mit Titeln, die Förster von Kruse erhalten sollte, schickten ihm die Moretus dafür noch eine handschriftliche Aufstellung ihres Verlagsprogramms inklusive Preisangaben. Darüber hinaus erklärten sie sich bereit, Förster Bücher von anderen niederländischen Verlegern zum Verkauf zukommen zu lassen.815 Die Moretus gewährten Kaspar Förster d. Ä. für die Bücher Rabatte in Höhe von 15 Prozent für Rubronigri816 und 25 Prozent für andere Bücher. Die Förster waren mit der Rabattierung jedoch nicht zufrieden und verhandelten sie immer wieder neu. Im Laufe der Zeit verbesserte sich das Angebot dann tatsächlich auf 30 Prozent zunächst nur für die normalen Bücher und ab 1648 dann auch für die Rubronigri. Die Bezahlung durch Förster erfolgte, wie 1636 von den Moretus gewünscht, in der Regel in bar oder per Wechsel über Hendrick Barentsen in Amsterdam.817 Dies unterstreicht den Vorzug des Bargeschäfts im Handel zwischen deutschen und niederländischen Buchhändlern. Ein weiterer Auchbuchhändler, der sich bald vornehmlich dem Buchhandel zuwandte, war der Nürnberger Johann Hoffmann (1629–1698). Hoffmann begann als Kunsthändler, widmete sich aber bald schon dem Buchverlag und -verkauf. Der Kunsthandel wurde schon im 15. und 16. Jahrhundert von Briefmalern, Formschnei-

814 Vgl. Heitjan, Kaspar und Georg Förster, S. 339–344. 815 Vgl. Heitjan, Kaspar und Georg Förster, S. 349f. und 352–354. 816 Bücher, in denen die Rubrizierung, das heißt die Auszeichnung in Rot per Hand, bereits ausgeführt war. 817 Vgl. Heitjan, Kaspar und Georg Förster, S. 363–367. Es finden sich häufig Mahnungen von Moretus zu ausstehenden Beträgen und Versicherungen Försters der Zahlungswilligkeit bzw. der bereits erfolgten Übermittlung des Betrages an Barentsen. Aufgrund der Entfernung verzögerten sich Zahlungen häufig. Vgl. Heitjan, Kaspar und Georg Förster, S. 366–370.

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dern, Buchbindern, Händlern und Hausierern betrieben und hing eng mit dem Buchhandel zusammen. Hoffmann besuchte seit 1659/60 die Frankfurter und Leipziger Messen, er taucht aber erst 1663 als Verleger in den Messkatalogen auf. Im Jahr 1666 erhielt Hoffmann ein kaiserliches Privileg für seine Zeitung Registrator von Europa und arbeitete mit dem Drucker Hieronymus Lochner zusammen, da ihm die Einrichtung einer eigenen Druckerei vom Rat nicht genehmigt worden war.818 Hoffmann hatte mit seinem Verlag großen Erfolg und die anderen Nürnberger Buchhändler, allen voran die Endter, versuchten Anfang der 1670er Jahre gegen ihn vorzugehen.819 Sie wollten den ehemaligen Kunsthändler nicht als rechtmäßigen Verleger anerkennen und erklärten seinen Buchhandel für unbefugt. Die Endter hatten sich bereits 1669 in einer Eingabe an den Kaiser über die Kunsthändler beklagt, die sie ihrer Aussage nach dazu zwangen, »unnötig viele Bücher zu illustrieren, damit sie die Konkurrenz mit den zum Verkauf nicht Berechtigten aufrecht erhalten könnten.«820 Weil sich Hoffmann dahingehend erklärte, dass er nicht beabsichtigte, einen offenen Laden einzurichten, sondern sich der Buchführer-Ordnung zu unterstellen, lehnte der Rat es ab, gegen ihn vorzugehen. Allgemeine Anerkennung erfuhr Hoffmann als Buchhändler dann im April 1675, als er offiziell unter sie aufgenommen und der entsprechenden Ordnung verpflichtet wurde. Damit erhielt er auch die Erlaubnis, einen Buchladen zu eröffnen. Einen solchen richtete er in dem 1678 von seinem inzwischen angehäuften Vermögen gekauften Haus Zur Goldenen Rose ein.821 Hoffmanns wie auch Försters Werdegang unterstreicht, dass man in der Regel einen eigenen Verlag brauchte, wenn man im 17. Jahrhundert zu den Buchhandelshauptaktanten gehören wollte. Werbestrategien des Buchhandels In der Kommunikation mit ihren Kunden nutzten die Buchhändler verschiedene Werbestrategien. Wie bereits erläutert, sind die dafür verwendeten Werbeträger Aktantmedien im Wissensraum Buchhandel. Neben den Bücheranzeigen im 15. Jahrhundert und den Katalogen wurde auch das zu vermittelnde Produkt selbst als Werbemedium genutzt. Das gängigste Mittel der Buchwerbung hierbei war der Titel. Er ist seit Ende des 15. Jahrhunderts das Aushängeschild des Buches und hat die Aufgabe das Interesse des Käufers zu wecken.822 Die Titelblätter wurden vom Verleger

818 Vgl. Gertie Deneke: Johann Hoffmann. Ein Beitrag zur Geschichte des Buch- und Kunsthandels in Nürnberg. In: AGB I (1977 Reprint von 1958), S. 337–364, S. 337f. 819 Hoffmann war in mehrere Auseinandersetzungen wegen Nachdrucks verwickelt und die schlechte Ausstattung seiner Bücher war geradezu berüchtigt. Vgl. Deneke, Johann Hoffmann, S. 343. 820 Deneke, Johann Hoffmann, S. 339. 821 Vgl. Deneke, Johann Hoffmann, S. 339. 822 Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 54. Auch das Buch als Gegenstand wurde als Werbung für sich selbst genutzt. Seit dem 16. Jahrhundert schickten die Buchhänd-

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels

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beigesteuert und »sind also klar ein Element der absatzfördernden Aufmachung des Buches.«823 Es gab noch keine Klappentexte, die Auskunft über den Inhalt des Buches gaben, weshalb der Titel diese Aufgabe im 17. und frühen 18. Jahrhundert übernahm. Für den barocken Titel typisch war daher »die syntaktische Einheit von Autor, Titel und Inhaltsverzeichnis.«824 Darüber hinaus wurden darin die intendierten Leser angegeben. Angesprochen wurde zunächst ein Hauptleserkreis, der je nach Thema etwa aus Gelehrten, Theologen, Ärzten, Frauen, Bauern oder Soldaten bestehen konnte. Um den möglichen Absatz aber dadurch nicht einzuschränken, erweiterte man die Gruppe der möglichen Rezipienten um die weniger spezifischen »Kenner« oder »Leser von Geschmack und Verstand«. Erst in den 1740er Jahren verkürzte sich die Titelgestaltung auf Drängen von Sprach- und Literaturreformern wie Johann Christoph Gottsched und die ausführlichen Informationen über den Inhalt des Drucks wanderten in die Vorreden.825 Direkte Kaufaufrufe tauchten auf dem Titel schon im Laufe des 17. Jahrhunderts nicht mehr auf. Sie wanderten ebenfalls auf die Innenseiten, wie etwa das Kaufgedicht Der Calender an den Kauffer im Monarchen Calenders Practica (1672) von Theophrast Wahrmund: Wer wuste/was in mir/ der würde mich bald Kauffen/ Ja noch wol zehen Meil/ gar embsig nach mir lauffen.826

ler ihren Stammkunden Ansichtsexemplare, die der Käufer begutachten sollte. Gelegentlich bat der Buchhändler seinen Kontakt auch, das Werk in seinem Bekanntenkreis weiterzureichen. Gefiel dem Adressaten das Buch nicht, konnte er es wieder zurücksenden. Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 135. 823 Sylvia Bendel: Werbeanzeigen von 1622–1798. Entstehung und Entwicklung einer Textsorte. Tübingen: Max Niemeyer 1998 (Reihe Germanistische Linguistik; Bd. 193), S. 30. 824 Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 55. Die Überladenheit der barocken Titelblätter war allerdings nicht allein dieser Informationsfülle geschuldet, sondern auch der dem Zeitgeschmack folgenden Gestaltung unter Verwendung aller zur Verfügung stehenden Schriftarten und -größen. Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 59. 825 Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 55–57. 826 Theophrast Wahrmund: Quatuor summorum Imperiorum Continuatio, Und zulässiges Prognosticon, Das ist: Monarchen-Calenders Practica/ Und Fortsetzung der Leßwürdigen Chronologisch-Historischen Beschreibung/ von denen 4. Monarchien der Welt/ [et]c. Nebenst Warhafftiger Beschreibung der natürlichen Bewegung/ und sichtbaren Standes deß gestirnten Himmels/ der Planeten/ Sonn- und Mondsfinsternussen/ Krieg und Unfrieden/ Kranckheiten und Sterben/ Fruchtund Unfruchtbarkeit/ auch täglicher und monatlicher Witterung/ sambt andern zufälligen Dingen/ [et]c. Auf das nachdenckliche Jahr … M.DC.LXXIII. / Mit sonderbaren Fleiß zusammen getragen/ und … zum andern mahl an das Tageliecht heraus gegeben/ Durch Theophrastum Wahrmund/ der Philosophisch-Astrologischen Wissenschafft Liebhabern. Nürnberg: Christoph Endter [1672]. URL: http://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00195819/K_1673_1024_li.tif [Stand: 15.02.2018], S. [24]. Vgl. VD17 27:711769A.

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Die Vorrede als Werbemittel konnte jedoch erst nach dem ersten Interesse greifen. Sie sollte den Leser positiv auf die Lektüre einstimmen oder diente zur Selbstdarstellung des Autors. Sowohl das Titelblatt als auch die Vorrede nutzte der Buchhandel zwar zur Bewerbung seiner Ware, sie wurden aber von Seiten der Produktion eingebracht und hergestellt. Gleiches gilt für die weiteren indirekten Werbemittel der Dedikation (Widmung) oder Carmina (Lobgedichte). Ein anderes Werbeinstrument, das in der Regel außerhalb des Buchhandels produziert wurde, ist die Rezension. Solche Buchbesprechungen hatten einen großen Einfluss auf den Absatz, erlangten aber erst im 18. Jahrhundert größere Bedeutung. Außerdem entzogen sie sich der Kontrolle der buchhändlerischen Aktanten, weshalb sie nicht zu den Aktantmedien innerhalb des Wissensraums Buchhandel zählen.827 Die wichtigsten buchhändlerischen Aktantmedien waren dagegen von Mitte des 16. bis ins 18. Jahrhundert die Kataloge, die bereits im vorigen Kapitel allgemein vorgestellt wurden. An dieser Stelle soll nun etwas genauer auf die verschiedenen Katalogtypen eingegangen werden, da sich die Mehrzahl der Kataloge erst aus dem 17. und 18. Jahrhundert erhalten hat. Es gibt zahlreiche Varianten in Form von Verlags-, Sortiments- oder Messkatalogen, die oft multifunktional genutzt wurden. Messsortimentskataloge konnten beispielsweise auch als Fortsetzung eines Universalkatalogs828 oder als Lokalmesskatalog dienen. Ähnlich ist es bei den Sortimentskatalogen, die ebenfalls de facto Universalkataloge oder Nachlassverzeichnisse waren. Die klassischen drei Hauptgruppen, nach denen auch zeitgenössisch im 17. und 18. Jahrhundert unterschieden wurde, sind der Verlagskatalog, der Messkatalog und der Lagerkatalog. Einen Sonderfall stellen unselbstständige Kataloge dar, die Büchern oder Zeitschriften angehängt waren.829 Der Lagerkatalog ist nach seiner Funktion und dem Einsatzort zu unterteilen, unter anderem in den Messsortimentskatalog, den Sortimentskatalog oder den Lokalmesskatalog (in Süddeutschland auch Dultkataloge genannt).830 Zu den Lagerkatalogen zählen außerdem Titellisten, die Sonderangebote oder gebundene Bücher verzeichneten. Sie konnten zum Verkauf von Ladenhütern oder bei der Lagerräumung nach einer Verlagsauflösung zum Einsatz kommen. Weitere Varianten waren die Fachkataloge oder die selteneren Spezialkataloge zu bestimmten Sachgebie-

827 Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 62–65, 117 und 135. 828 Im 18. Jahrhundert meinte man mit einem catalogus universalis den Katalog eines Buchbestandes, der alle Fakultäten umfasste. Vgl. Ernst Weber: Sortimentskataloge des 18. Jahrhunderts als literatur- und buchhandelsgeschichtliche Quellen. In: Bücherkataloge als buchgeschichtliche Quellen der frühen Neuzeit. Vom 21.–23. Oktober 1982 in d. Herzog-August-Bibliothek. Hrsg. von Reinhard Wittmann. Wiesbaden: Harrassowitz 1985 (Referate des 6. Jahrestreffens des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Geschichte des Buchwesens; 6/Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens; Bd. 10), S. 209–257, S. 227. 829 Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 89. 830 Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 66.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels



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ten.831 Wichtig ist zu beachten, dass Werbung in dieser Zeit primär als Information des Lesers zu verstehen ist und nicht als Mittel, eine Überproduktion zu vermarkten. Vor allem die Sortimentskataloge dienten dazu, den messefernen Leser auf verfügbare Literatur hinzuweisen und ihren Kauf zu ermöglichen.832 In einem Vorwort wurde der Kunde häufig direkt angesprochen, allerdings hauptsächlich in den umfangreicheren Verzeichnissen, die auf eine mittel- bis langfristige Wirkung angelegt waren.833 Sortimentskataloge gaben in erster Linie Auskunft über den bestehenden Lagerbestand eines bestimmten Sortimenters und liegen hauptsächlich gedruckt vor – im Zeitalter des Tauschhandels umfasste diese Definition auch die Verlagskataloge. Meistens wurden sie verschenkt oder getauscht. Im späteren 18. Jahrhundert wurden sie aber auch zu günstigen Preisen verkauft. Ihrer Werbeabsicht entsprechend sind auf den Katalogen Name und Adresse der Buchhandlung und bei Messsortimentskatalogen zusätzlich die Messezeit angegeben.834 Die Messsortimentskataloge verzeichneten dabei nur die Novitäten auf Grundlage der Frankfurter und Leipziger Messkataloge und erschienen wie diese halbjährlich jeweils nach der Fasten- bzw. Michaelismesse.835 Als ersten reinen Messsortimentskatalog nennt Goldfriedrich den Katalog zur Herbstmesse 1575 von dem Heidelberger Matthias Harnisch. Von Simon Halbmayer wurde der erste regelmäßig erscheinende Messsortimentskatalog herausgegeben, der zunächst aus einseitig bedruckten Anschlagblättern bestand und ab 1624 dann in Quartheften erschien.836 Sie »wurden zu der am häufigsten genutzten buchhändlerischen Katalogform. Seit dem frühen 18. Jahrhundert war ihre Herausgabe Pflicht für jeden Buchhändler.«837 Die Lokalmesskataloge dienten schließlich dem Verzeichnis des Angebots, das ein Buchhändler auf regionalen und lokalen Messen und Märkten zum Verkauf offerierte.838 Mit ihrem meist sehr großen Umfang gelten die Sortiments- bzw. die Lagerkataloge »als Produkte, die die negativen Folgen des Tauschhandels augenfällig machen«839, auch wenn sie mit ihrem Angebot durchaus aktuell waren. Verzeichnete

831 Speziell Fachkataloge wurden öfter herausgegeben als allgemeine Sortimentsverzeichnisse. Erst mit diesen Themenkatalogen Anfang des 17. Jahrhunderts ergab sich eine klare Unterscheidung zwischen den Verlags- und Sortimentsverzeichnissen. Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 83. 832 Vgl. Weber, Sortimentskataloge des 18. Jahrhunderts, S. 211, 222f. und 226. 833 Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 67. Das Vorwort war zunächst in Latein verfasst, später oft auf Deutsch oder der im Katalog vorherrschenden Fremdsprache. Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 68. 834 Preisangaben setzten sich in den Sortimentskatalogen erst etwa Mitte des 18. Jahrhunderts durch. Vgl. Weber, Sortimentskataloge des 18. Jahrhunderts, S. 220f. 835 Vgl. Weber, Sortimentskataloge des 18. Jahrhunderts, S. 213–216. 836 Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 304. 837 Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 81. 838 Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 89.

234  3 Der historische Kontext: Buchhandel in der Frühen Neuzeit

der Sortimentskatalog den gesamten Lagerbestand eines Buchhändlers, dann handelte es sich um einen Universalkatalog. Da sie meist mehrere Bände umfassten, waren sie das aufwendigste und teuerste, aber auch prestigeträchtigste buchhändlerische Werbemittel. Diese Universalkataloge hängen eng mit dem Tauschhandel zusammen, denn sie wurden erst dann vermehrt produziert, als der Buchhandel nach dem Dreißigjährigen Krieg wieder einen Aufschwung nahm und um 1670 durch das Verstechen die Lager deutlich anwuchsen.840 Besonders in Süddeutschland tauchen Sortimentskataloge gehäuft auf, was zeigt, dass auch hier alle Literatur zur Verfügung stand, die in Leipzig auf den Markt kam.841 Seit den 1730er Jahren begannen schließlich einige Buchhändler damit, ihre Sortimentskataloge regelmäßig quartals-, monats- oder sogar wochenweise herauszugeben.842 Verlagskataloge verzeichneten in der Regel die Drucke des betreffenden Buchhändlers bzw. Verlegers, aber auch von ihm in Kommission genommene Bücher anderer Offizinen. Sie sind mehr noch als die anderen Katalogtypen eine »Visitenkarte«843 des Buchhandelsunternehmens und waren vorrangig für die Kommunikation mit den Buchhändlerkollegen gedacht. Sie erschienen anfangs vor allem zu den beiden großen Messen in Frankfurt und Leipzig und waren ein geeigneter Ort, um über Geschäftsänderungen wie etwa die Trennung zweier Geschäftspartner, den Tod des Besitzers oder den Verkauf einer Offizin zu informieren. In diesem Zusammenhang ist auch die zunächst bevorzugte Form des Plakats zum Aushängen oder des Quartkatalogs zu sehen.844 Im Quartformat hatten die Verlagskataloge ihre Blütezeit zwischen 1590 und 1630. Sie wurden bevorzugt dem Messkatalog beigelegt, da dieser eine weitere Verbreitung erlangte.845 Der Dreißigjährige Krieg, der für den gesamten Buchhandel einen Produktionseinbruch bedeutete, führte zu einem Niedergang des Messkatalogs und in den 1630er und 1640er Jahren des Verlagskatalogs in Quart. Stattdessen setzten sich die kleineren Oktavformate durch und ihre Publikationsdichte nahm insgesamt ab.846 Mit ihnen änderte sich auch die Ordnung der Titel innerhalb des Katalogs. Bis 1680 hielt sich die Systematik nach dem Vorbild des Messkatalogs an erster Stelle, doch

839 Weber, Sortimentskataloge des 18. Jahrhunderts, S. 222. 840 Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 91. Ihre Hochphase hatten die Universalkataloge ca. zwischen 1720 und 1750. Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 91. 841 Vgl. Weber, Sortimentskataloge des 18. Jahrhunderts, S. 232. 842 Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 84. 843 Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 67. 844 Die Überlieferung der Plakate bricht kurz nach dem Beginn des Dreißigjährigen Krieges zunächst ab. Eine Erklärung dafür gibt es nicht, da dies nur für Plakate von Verlagskatalogen gilt. Hauke vermutet, dass die kleinformatigeren Verlagskataloge aus praktischen Gründen die Plakatform verdrängten. Das erklärt allerdings nicht, warum andere Katalogtypen weiterhin als Plakate gedruckt wurden. Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 70. 845 Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 69f.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels 

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schon seit 1650 kam zunehmend die alphabetische Gliederung auf. In den bibliographischen Angaben wurde bis 1720 fast ausschließlich das Format genannt, erst danach wurde nach und nach auch das Erscheinungsjahr angegeben. Preisangaben finden sich in den Verlagskatalogen erst nach der Jahrhundertmitte zunächst in Süddeutschland. Die selbstständigen Verlagskataloge wurden im 18. Jahrhundert bald durch schnellere und aktuellere Möglichkeiten der Verlagswerbung abgelöst, wie zum Beispiel Sortimentskatalogen angehängte Verlagsverzeichnisse, Anzeigen oder Novitätenzettel.847 Kataloge gebundener Bücher weisen ähnliche Merkmale auf, wie die bisher geschilderten Verzeichnisse ungebundener. Dank des Tausch- und Auktionshandels hatten viele Buchhändler im 17. Jahrhundert eine gewisse Menge gebundener Bücher in ihrem Lager, obwohl der Handel mit ihnen weiterhin in den Händen der Buchbinder lag. Listen dieser gebundenen Bücher wurden meist den Sortimentskatalogen angehängt. Handelte es sich um umfangreichere Bestände, wurden aber auch eigenständige Kataloge gedruckt. Die Titel darin waren in Anlehnung an die Auktionskataloge oft nummeriert und wurden deutlich früher mit vollständigen bibliographischen Daten inklusive des Preises und der Bindeart angegeben.848 Wilhelm Friessem und seine neue Marketingstrategie In Köln führte Wilhelm Friessem eines der größten Buchhandelsunternehmen des 17. Jahrhunderts. Ihm widmete Birgit Boge 1993 eine Monographie, in der sie sich auf die Untersuchung seines Sortiments konzentriert. Duntze sieht ihn »als Beispiel für den im 17. Jahrhundert verbreiteten Buchhändler-Typus des Sortimentsverlegers«849 und er steht hier damit stellvertretend für die Buchhandelshauptaktanten dieser Zeit. Anhand seines Sortiments können außerdem noch einmal die buchhändlerischen Werbestrategien verdeutlicht werden. Wilhelm Friessem übernahm 1628 die Offizin seines verstorbenen Lehrers Konrad Bütgen und führte sie mit gro-

846 Noch kleinere Formate wie Sedez oder Duodez waren vor allem in Frankreich und den Niederlanden beliebt, konnten sich aber in Deutschland nicht durchsetzen. Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 71. 847 Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 71f. In der Ausstattung standen die Kataloge der deutschen Buchhändler denen anderer deutlich nach, was sich in der Tatsache widerspiegelt, dass auch die in Deutschland gedruckten Bücher in dieser Zeit nicht für ihre Qualität bekannt waren. Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 318. 848 Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 88f. 849 Duntze, Verlagsbuchhandel und verbreitender Buchhandel, S. 236.

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ßem Erfolg bis zum Jahr 1668.850 Neben seiner Druck- und Verlagstätigkeit handelte Friessem wie üblich auch mit Büchern und vertrieb sie teilweise über eine feste Buchhandlung in der Kölner Tranckgasse. Daneben betrieb er mindestens noch ein weiteres Ladengeschäft in Aachen, wo er möglicherweise auch Bücher drucken ließ. Seine Geschäftsbeziehungen reichten bis nach Süddeutschland; seit den 1660er Jahren bestanden beispielsweise Verbindungen nach Aschaffenburg in Kurmainz. Einen Teil seiner Auflage der Geistlichen Tafel851 von Louis de Blois scheint er direkt für den dortigen Absatzmarkt produziert zu haben, da einige Exemplare folgendes Impressum tragen: »Getruckt zu Coᵉlln / || Jn Verlag vnnd Druckerey Wilhelm || Friessems Buchhaᵉndlers / vnd zu finden || in Aschaffenburg / im alten schloß bey || Timetheo Laubenberger. 1663.«852 Friessem tauschte regelmäßig Drucke mit der Ingolstädter Offizin Haenlin, scheint aber nur sehr vereinzelt Verlagsgemeinschaften mit Kölner Berufsgenossen eingegangen zu sein. Friessem reiste außerdem viel, unter anderem in den 1650er und 1660er Jahren regelmäßig zur Frankfurter Messe.853 Interessant ist das Beispiel Friessems vor allem aufgrund seiner Werbemethoden. Wie auch andere Firmen gab er separate Sortimentskataloge heraus. Die Broschüren im Oktavformat oder auch im Vigesimoquart (24°) listeten die in seinen Buchhandlungen erhältlichen Titel auf und enthielten darüber hinaus stellenweise in einer Vorrede das Angebot Friessems, nicht vorhandene Bücher auswärts zu beschaffen.854 In einigen Katalogen machte er bemerkenswerterweise Festpreisangaben. Friessem nannte die Preise gleich in mehreren Währungen, in überregionalen Reichstalern, in Orth, Kopfstücken, Batzen, Pfennigen und regionalem Kölnischen Albus, und berücksichtigte damit die herrschende Währungsvielfalt in Deutsch-

850 Wann Johann Wilhelm Friessem II. das Unternehmen von seinem Vater übernahm, lässt sich nicht genau festlegen. Wilhelm Friessem I. starb frühestens im September 1690, aber bereits ab 1668 ist sein Sohn kontinuierlich in den Drucken nachweisbar. Vgl. Birgit Boge: Literatur für das »Catholische Teutschland«. Das Sortiment der Kölner Offizin Wilhelm Friessem im Zeitraum 1638–1668. Tübingen: Max Niemeyer 1993 (Frühe Neuzeit; Bd. 16), S. 39–41. 851 Louis de Blois: Deß … Ludovici Blosii … Geistliche Taffel: Welche eine kurtze Underweisung deß Christlichen Lebens/ und die bequämste Manier zur auffrichtigen Lieb Gottes zu gelangen in sich begreifft; Itzt … auß der Lateinischen in die Hoch-Teutsche Sprach versetzt. Köln: Johann Wilhelm Friessem 1663. Vgl. VD17 12:100624L. 852 Zitiert nach Boge, Literatur für das »Catholische Teutschland«, S. 47. 853 Vgl. Boge, Literatur für das »Catholische Teutschland«, S. 32 und 47f. Einen solchen Kundenbesuch unternahm Friessem beispielsweise 1663 in Aachen, wo er das stadtnahe Zisterzienserkloster St. Georg besuchte. Vgl. Boge, Literatur für das »Catholische Teutschland«, S. 33. 854 Vgl. Boge, Literatur für das »Catholische Teutschland«, S. 64–67 und 77. Als Grund dafür, dass Friessem darin nicht sein komplettes Verlagsangebot verzeichnete, vermutet Boge, dass er womöglich auf den von selbst laufenden Absatz der aktuelleren Werke baute und gezielt gegen die Absatzschwierigkeiten bei den älteren Beständen vorgehen wollte. Vgl. Boge, Literatur für das »Catholische Teutschland«, S. 67.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels

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land.855 Friessem vergab zudem sehr differenzierte Preise, die sich auch nach der Ausstattung des Buches richteten. Er verband das teilweise mit einer Rechtfertigung seiner Preispolitik und einem Hinweis auf ein angemessenes Preis-Leistungs-Verhältnis, wie zum Beispiel im Himmlischen Palm-Gärtlein856, einem Gebetbuch von Wilhelm Nakatenus von 1664: Werth dieses Büchleins / vnd warnung vom Buchhändler. DIeß Büchlein in dieser zweyten Edition oder truck (so einen dritten theil mehr / als die erste Edition vnd 31. Kupferstück begreifft/) wird vngebunden nit anders / als für 3. Orth eines Reichs=thalers (im allerbesten post=papier aber für 4. Kopffstück) verkaufft. Daß dieß ein gar wolfeiler preyß sey / würde ein jeglicher gern bekennen / deme bewust wehre die vberauß grosse angewendte müh / vnd kösten; damit so vielfältige vnd heylsame matery in so kleinen begriff / nach deß Authors gefälliger anordnung vnd wünsch vieler Andächtigen Seelen / möchte verschaffet werden.857

Insgesamt war sein Verlagsangebot für ein breites Publikum erschwinglich. Fast die Hälfte der mit Preisen versehenen kleinformatigen Erbauungsbücher konnte man für circa ein bis fünf Groschen erwerben.858 Friessems Verlags- bzw. Sortimentskataloge sind noch nichts wirklich Neues, wohl aber der Abdruck eines Teilverzeichnisses seines Angebots bzw. etliche verstreute Einzelempfehlungen innerhalb einiger der von ihm verlegten Bücher. Die Listen der sorgfältig ausgewählten Titel enthalten überwiegend Friessems eigene Verlagswerke und sind sprachlich und inhaltlich in der Regel eine Ergänzung zum vorliegenden Buch. Diese unselbstständigen Kataloge schließen meist am Ende an den Haupttext an, wodurch überzählige Seiten sinnvoll genutzt werden konnten. In einigen Fällen setzte Friessem seine Werbung auch prominent an den Anfang zwischen die Vorstücke und den Beginn des Haupttextes, wodurch der Leser kaum umhin konnte, das Verzeichnis zumindest zur Kenntnis zu

855 Vgl. Boge, Literatur für das »Catholische Teutschland«, S. 56f. Der Einschränkung Gebauers, dass die Verkaufspreise je nach Entfernung zum Druckort variierten, widerspricht Boge in diesem Fall, da sie davon ausgeht, dass der Katalog Friessems überregional verbreitet wurde, es sich also nicht um örtliche Bücherpreise handelt. Außerdem verweist sie auf weitere Spezifikationen Friessems durch Hinweise wie beispielsweise, dass das angebotene Buch ungebunden sei. Boge schließt damit für Friessem aus, dass er wie im 15. und 16. Jahrhundert üblich Mindestpreisangaben machte. Vgl. Boge, Literatur für das »Catholische Teutschland«, S. 57. Es ist aber nicht auszuschließen, dass ein Buchführer für den Endverkaufspreis noch einen Aufschlag auf die gegebenen Preise verlangte. 856 Im VD17 findet sich allerdings nur eine Ausgabe von 1679: Wilhelm Nakatenus: Coeleste palmetum: Variis Officiis, Litaniis, Precibus, instuctionibus, Psalmorum Interpretationibus, Meditationibus contoversiis, &c… / Opera R. P. Wilhelmi Nakateni… Köln: Johann Wilhelm Friessem 1679. Vgl. VD17 12: 105501R. 857 Zitiert nach Boge, Literatur für das »Catholische Teutschland«, S. 58. 858 Vgl. Boge, Literatur für das »Catholische Teutschland«, S. 59.

238  3 Der historische Kontext: Buchhandel in der Frühen Neuzeit

nehmen. Die Vorteile dieser Vorgehensweise lagen in der erhofften längeren Aufbewahrung und der Mitfinanzierung durch den Verkauf des Buches.859 Im Catholisch Haußbuch860 des Jesuiten Georg Wittweiler platzierte Friessem eine auf den Leser des vorliegenden Buches zugeschnittene Werbung, indem er darauf hinwies, dass »neben diesem Catholischen Haußbuch auch noch vnderschiedliche andere schöne Geistliche Bücher so in offenem druck bey mir außgangen« zu bekommen seien. Weiter gab er eine direkte Lektüreempfehlung für den zweiten Teil, die Christliche Haußhaltung, den er damit anpries, dass beide »gleiches preiß vnd gleicher grösse«861 seien. In den Büchern Louis de Blois warb Friessem wiederum für weitere Werke des französischen Benediktinerabts.862 Solche Marketingmaßnahmen gab es zwar schon im 15. und 16. Jahrhundert, aber Friessem scheint der erste in Deutschland gewesen zu sein, der diese Strategie systematisch umsetzte.863 Im restlichen Europa war sie dagegen schon früher üblich. Der Verleger Nicolo Manassi brachte zwischen 1585 und 1598 insgesamt 23 nachweisbare Drucke mit unselbstständigen Kataloganhängen heraus und in England, Frankreich und den Niederlanden waren solche Verzeichnisse bereits um 1650 gängige Praxis. Erst im 18. Jahrhundert mehren sich auch für Deutschland die erhaltenen Kataloganhänge in Büchern. Sie wurden fast ausschließlich für die eigenen Verlagsprodukte genutzt und bevorzugt in deutschsprachigen Titeln mit voraussichtlich großer Zielgruppe platziert.864 Anzeigen Der Leipziger Großbuchhändler Johann Friedrich Gleditsch (1653–1716) erkannte als einer der ersten in Deutschland die Werbemöglichkeiten als gleichzeitiger Verleger von Büchern und Zeitschriften. Bereits ab dem zweiten Heft der Ausgabe von Wil-

859 Vgl. Boge, Literatur für das »Catholische Teutschland«, S. 86f. 860 Georg Wittweiler: Catholisch Haußbuch/ Des Ehrw. P. Georgii Witweilers, Priesters der Gesellschafft Jesu und Doctoris Theologi: In welchem Die Allgemeine Christliche Lehr unnd Leben/ auß H. Schrifft/ nach außlegung und zeugnuß der HH. Vätter unnd Concilien/ verstanden/ auch Kirchen Historien erwisen/ gegen alle jetz schwebende Irrthumb kräfftig verthedigt/ unnd in drey Theil abgetheilt; I. Vom Glauben/ Gebotten Gottes/ Item der Christlichen Kirchen/ auch Evangelischen Räthen. II. Von Sünden/ Guten wercken/ unnd insonders vom Gebett. III. Von den HH. Sacramenten/ unnd Heiligem Meßopffer. Köln: Johann Wilhelm Friessem 1650. Vgl. VD17 12:109087D. 861 Zitiert nach Boge, Literatur für das »Catholische Teutschland«, S. 97. 862 Vgl. Boge, Literatur für das »Catholische Teutschland«, S. 103 und 112–114. Das älteste Beispiel eines solchen Teilsortimentskatalogs befindet sich in der Lebensbeschreibung des heiligen Josephs von dem Kölner Pater Paul Theodor Clisorius von 1646. Vgl. Boge, Literatur für das »Catholische Teutschland«, S. 90. 863 Vgl. Duntze, Verlagsbuchhandel und verbreitender Buchhandel, S. 234f. Vollständige, in ein Buch integrierte Kataloge sind im deutschsprachigen Raum bis 1700 sogar nur für das Unternehmen Friessems bekannt. Vgl. Boge, Literatur für das »Catholische Teutschland«, S. 86. 864 Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 96f.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels



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helm Ernst Tentzels Monatlichen Unterredungen einiger guter Freunde von allerhand Büchern und andern annehmlichen Geschichten865 (1689–1698) erschienen darin regelmäßig Anzeigen im Interesse Gleditschs. Auf den frei gebliebenen Seiten der Schlussbogen standen unter der Überschrift Neue Bücher / so bey Johann Fr. Gleditsch zu finden Verlags- und Sortimentslisten sowie Anzeigen zu einzelnen Titeln. Nachdem der Verleger die Zeitschrift als Werbeplattform entdeckt hatte, etablierte sie sich rasch. Anfang des 18. Jahrhunderts erschienen Ankündigungen in den verschiedensten Zeitschriften, Zeitungen, auf Umschlägen von Journalen oder in ausgewiesenen Rubriken der Intelligenzblätter. Der Aufstieg der Werbeanzeigen korrespondierte dabei mit der Entwicklung der periodischen Presse, in der sie erschienen, und ihr Einsatz wurde eine übliche Werbepraktik der Aktanten im Wissensraum Buchhandel.866 Die Buchanzeigen, die sich wie schon die Bücheranzeigen in der Inkunabelzeit in Einzel- und Sammelanzeigen unterscheiden lassen, können in einem weiteren Schritt in Eigenanzeigen von Druckern, Herausgebern und/oder Verlegern sowie in externe Anzeigen von Druckern, Verlegern, Buchhändlern, Autoren und Auchbuchhändlern unterteilt werden. Inhaltlich bewarben sie Vorankündigungen, Neuerscheinungen und -auflagen, Verlags- und Sortimentsartikel, Subskriptions- und Pränumerationsankündigungen, Sonderangebote, Kataloge oder sie enthielten Geschäftsnachrichten. Alle Anzeigenformen zeichneten sich durch einen standardisierten Aufbau und einheitliche Formulierungen aus.867 Die früheste Anzeige in einer Zeitung stammte von Johannes Carolus. Es war eine Eigenanzeige in der Straßburger Relation Nr. 8 von 1622: Auß Straßburg/ vom 21. Februarij. Alt. Cal. Die verheissene Beschreibung des 3. Sonnen/ welche den 25. Januarij 1622. nicht allein allhie/ sondern auch fast in gantz Teutschland seind gesehen worden/ jhre Vrsachen/ auch was solche vermutenlich bedeuten/ vnd auff das künfftige darauff erfolgen möchte/ Jst in einem besondern Tractätlein beschrieben/ durch Herrn Doct. Jssac Habrechten/ vnd zu Straßburg getruckt bey Johann Carolo.868

Die erste Anzeige von Carolus ist noch nicht optisch gekennzeichnet und unterscheidet sich in ihrer Aufmachung nicht von jeder anderen Nachricht. Erst später

865 Monatliche Unterredungen Einiger Guten Freunde Von Allerhand Büchern und andern annehmlichen Geschichten … 1689 / Allen Liebhabern Der Curiositäten Zur Ergetzligkeit und Nachsinnen heraus gegeben Von … [Wilhelm Ernst Tentzel]. Thoren: Laurer; Leipzig: Gleditsch; Fritsch 1689. Vgl. VD17 3:632997Z. 866 Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 98–101. 867 Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 101f. 868 Zitiert nach Bendel, Werbeanzeigen von 1622–1798, S. 208.

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wurden die Annoncen im Satz durch Zwischenräume, Striche, Zierleisten und Hervorhebungen vom restlichen Text getrennt und ausgezeichnet.869 Die Anzeigen differenzierten sich nach 1650 aus und es vergrößerte sich nicht nur ihre Anzahl, »sondern auch das Spektrum der Inserenten sowie der angebotenen Waren und Dienstleistungen.«870 Im 17. Jahrhundert wurden mehrheitlich eigene Einzelanzeigen geschaltet, während im 18. Jahrhundert der Trend zur Sammelanzeige ging. Spätestens seit den 1640er Jahren wurden in ihnen Bücher im eigentlichen Sinne beworben, seit 1660 bzw. seit 1680 gaben dann auch andere Berufsgruppen Inserate auf.871 Die Buchanzeige blieb dabei quantitativ mit großem Abstand dominierend.872 Die Annoncen entwickelten eine feste Form mit zunächst drei Elementen, dem Verkaufsort, dem Angebot und der Nennung des Titels.873 Aufgrund der möglichen Bandbreite der Angebote gab es bald eine etwas ausführlichere Standardanzeige, die bis zu acht Elemente enthalten konnte. Hauke schlüsselt diese Elemente auf in eine einleitende Mitteilungsformel, die Nennung des Verkaufsortes, eine Angebotsformel, die Nennung des Produkts bzw. der Dienstleistung, die Anführung von Verkaufsargumenten, die Nennung des Preises und die Beschreibung der Verkaufsmodalitäten.874 Die vermutlich früheste externe Anzeige, die diesem Standardschema entspricht, war von dem Niederländer Arend Peterß aus dem Jahr 1649 in der Hamburger Postzeitung Nr. 16: Bey Arend Peterß Niederländischen Buchhändlern an der Börse/ wird zukünfftigen Dienstag in Hochdeutscher Sprache ausgegeben/ das neue und vollständig Englische Memorial worinnen mit allen Processen so man I.K.M. von England gehalten/ wie nit weniger was vor und darnach darbey denckwürdiges vorgangen/ alß auch die endliche Execution des Marquis Hamilton/ Grafen von Holland/ und Lord Capellens etc. Und was ein jeder zu seiner Entschuldigung/ sonderlich vor ihrem End/ geredet/ samt beygefügten Kupfferstücken.875

Im Laufe des 17. Jahrhunderts bildeten sich folgende stereotype Formeln für den Anbieter bzw. das Verkaufslokal heraus:

869 Vgl. Peter Ukena: Buchanzeigen in den deutschen Zeitungen des 17. Jahrhunderts. In: Stadt – Schule – Universität – Buchwesen und die deutsche Literatur im 17. Jahrhundert. Vorlagen und Diskussionen eines Barock-Symposions der Dt. Forschungsgemeinschaft 1974 in Wolfenbüttel. Hrsg. von Albrecht Schöne. München: C. H. Beck 1976, S. 506–522, S. 508f. 870 Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 102. 871 Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 102f. und 107. 872 Vgl. Ukena, Buchanzeigen in den deutschen Zeitungen, S. 507. 873 Vgl. Bendel, Werbeanzeigen von 1622–1798, S. 107. 874 Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 103. Konkrete Preisangaben gab es allerdings bis in das 18. Jahrhundert hinein nur selten, meist beschränkte man sich auf werbende Hinweise wie »billig« oder »wohlfeil«. Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 105. 875 Zitiert nach Bendel, Werbeanzeigen von 1622–1798, S. 155.

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1. 2. 3. 4.

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»Bei X, Buchhändler/ Buchbinder/ Buchdrucker in Y ist zu haben/ zu kaufen/ erschienen« »in der Xschen Buchhandlung ist zu haben/ zu kaufen/ zu bekommen/ erschienen« »Hiebey/ bey Verleger/Herausgeber dieses ist zu haben/gedruckt« »Neue Bücher, so bey X, Buchhändler in Y zu bekommen sind«876.

Peter Ukena unterscheidet zudem bei den Buchanzeigen inhaltlich zwischen Vorankündigungen, Anzeigen, die parallel zum Erscheinen eines Werkes veröffentlicht wurden, und Anzeigen von Lagerbeständen.877 Subskriptions- und Pränumerationsprojekte mussten in hohem Maß beworben werden, da das Produkt noch gar nicht existierte bzw. erst nach einer gewissen Anzahl von Interessenten hergestellt werden konnte. Die Anzeigen zu solchen Projekten waren daher mit Abstand am ausführlichsten.878 Allgemein hatten sich die Anzeigen bis zum Ende des 17. Jahrhunderts als fester Bestandteil der Zeitungen etabliert. Aus dem Zeitraum zwischen 1622 und 1679 haben sich etwa 300 erhalten. Auf die folgenden beiden Jahrzehnte entfallen dann bereits circa 250 Inserate. Bei der Verteilung gab es allerdings regionale Unterschiede, viele erschienen zum Beispiel in Hamburg, Berlin und Frankfurt. Insgesamt lässt sich im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts »eine allmähliche Verschiebung der Werbeschwerpunkte von den Katalogen zu den Anzeigen […] feststellen.«879 Mit den Annoncen in der periodischen Presse konnte das zahlenmäßig größte Publikum erreicht werden und ihre Schaltung wurde eine wichtige buchhändlerische Werbepraktik. Sie stellen neben der inhaltlichen Ausdifferenzierung der Kataloge Ende des 17. Jahrhunderts die wichtigste Neuerung in der Buchhandelswerbung dar.880 Subskription und Pränumeration Die Subskription und die Pränumeration entwickelten sich Anfang des 17. Jahrhunderts. Dabei machte der Buchhändler ein Publikationsvorhaben bekannt und gab Interessenten gegen eine bindende Verpflichtung zum späteren Kauf durch Unterschrift (Subskprition) bzw. gegen Vorauszahlung eines bestimmten Betrags (Pränumeration) eine Quittung, mit der dem Kunden ein Anrecht auf das geplante Buch zugesichert wurde. Bei der Auslieferung musste der (Rest)betrag gezahlt werden. Der Vorteil dieses Verfahrens für den Abnehmer bestand darin, dass man das Werk in der Regel um ein Drittel billiger erhielt. Für den Hersteller wurde die Auflage kal-

876 Zitiert nach Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 104. 877 Vgl. Ukena, Buchanzeigen in deutschen Zeitungen, S. 509. 878 Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 110. 879 Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 138. 880 Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 116 und 140.

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kulierbar und er konnte im Fall der Pränumeration einen finanziellen Grundstock für die Produktion erwirtschaften. Zwischen beiden wurde jedoch nicht eindeutig unterschieden. Das erste nachweisbare Buchsubskriptionsverfahren gab es 1611 in England für die Ductor in linguas von John Minsheu.881 Über Holland kam diese neue Art der Verlags/Vertriebsform dann nach Deutschland.882 Allerdings gibt es hier für die Zeit vor 1700 noch keine Belege für durchgeführte Subskriptionsverfahren und auch im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts sind die Nachrichten darüber spärlich.883 Wie bereits erwähnt, mussten sowohl die Subskription als auch die Pränumeration besonders beworben werden. Dazu kamen neben den Anzeigen in der periodischen Presse, in Intelligenzblättern und Messkatalogen auch Subskriptions- und Pränumerationspläne, sogenannte Avertissements oder Conditiones, zum Einsatz. Es handelte sich dabei um ein- bis mehrseitige Werbeschriften nach dem Vorbild holländischer Conditiones und englischer proposals, die Informationen über die geplante Veröffentlichung enthielten. In Deutschland fungierten diese Pläne als reine Werbemittel, wogegen sie in Frankreich rechtsverbindlich waren. Ein königlicher Erlass von 1726 verfügte die Hinterlegung des Prospectus bei der Chambre Syndicale, der als Vertragsgrundlage zwischen dem Veranstalter und dem Unterzeichner diente. Bei Nichteinhaltung des Vertrags, wurde der verantwortliche Buchhändler bestraft und musste dem Subskribenten das Doppelte seiner Einlage zahlen.884 Das älteste erhaltene deutsche Avertissement ist die Ankündigung einer EuklidAusgabe von Heinrich Meissner aus dem Jahr 1696. Ihre Zahl stieg dann nach 1725 mit der Zunahme von Subskriptions- und Pränumerationsprojekten deutlich an. Die Größe der Pläne konnte variieren, insgesamt ist aber ein Trend zur Verkleinerung nachvollziehbar.885 Sie wurden in Buchhandlungen und auf Märkten und Messen verteilt oder Zeitungen, Zeitschriften und Intelligenzblättern beigelegt. Außerdem nutzten die Buchhändler ihre geschäftlichen und privaten Kontakte zur Verbrei-

881 Vgl. Stein-Karnbach, G. W. Leibniz und der Buchhandel, Sp. 1325f. 882 Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 110. Neben Büchern und anderen Medien gab es noch eine ganze Reihe anderer Waren, die im Pränumerationsverfahren finanziert und vertrieben wurden. Vgl. Franz Stephan Pelgen: Das Pränumerationswesen des 18. Jahrhunderts – Problemaufriß und Appell zur Neubewertung. In: Pränumerationen im 18. Jahrhundert als Geschäftsprinzip und Marktalternative. Akten der interdisziplinären Arbeitstagung vom 20./21. Februar 2009 in Mainz. Hrsg. von Franz Stephan Pelgen. Ruhpolding [u. a.]: Franz Philipp Rutzen [u. a.] 2009, S. 7–38, S. 12. 883 Vgl. Stein-Karnbach, G. W. Leibniz und der Buchhandel, Sp. 1327f. 884 Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 121. 885 Vgl. Marie-Kristin Hauke: Informieren und Verführen. Werbung für Pränumerationsprojekte im 18. Jahrhundert. In: Pränumerationen im 18. Jahrhundert als Geschäftsprinzip und Marktalternative. Akten der interdisziplinären Arbeitstagung vom 20./21. Februar 2009 in Mainz. Hrsg. von Franz Stephan Pelgen. Ruhpolding [u. a.]: Franz Philipp Rutzen [u. a.] 2009, S. 103–126, S. 105.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels

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tung.886 Die Pränumeration und auch die Subskription bedeuteten »ein Durchbrechen der bestehenden Organisation«887 des Buchhandels, denn die produzierten Exemplare gelangten nicht in den Messverkehr. Meist durch nichtprofessionelle Händler wurden sie direkt an die Kunden geliefert, die vorab die Bestellung unterzeichnet hatten. Beide Verfahren stellen somit eine neuartige Verkaufsmethode Ende des 17. Jahrhunderts und damit eine neue Praktik innerhalb des Wissensraums Buchhandel dar. Der Markthandel und die Endter Obwohl sich der stationäre Buchhandel immer weiter ausbreitete, blieb bis Ende des 17. Jahrhunderts der Markthandel neben dem Messehandel dominierend.888 In seinem Aufsatz zum österreichischen Buchhandel und dem Salzburger Buchhändler Johann Baptist Mayr (1634–1708) konnte Franz Eybl zeigen, dass Mayr große Teile seines Sortiments auf dem Linzer Ostermarkt absetzte. Eybl untersuchte dafür unter anderem einen Sortimentskatalog Mayrs für den Linzer Frühjahrsmarkt 1664. Dabei stellte er fest, dass der Anteil der lateinischsprachigen Titel bei Mayr etwas höher lag als der für das 17. Jahrhundert angenommene Durchschnittswert von 58 Prozent der Gesamtproduktion. Damit war der mögliche Käuferkreis bereits eingeschränkt und nach Eybl belegt diese Tatsache »die stärkere Geltung des Lateinischen im katholischen oberdeutschen Raum«889. Daneben sind die theologischen Titel mit 36,11 Prozent unterdurchschnittlich vertreten gegenüber dem Gesamtdurchschnitt von etwa der Hälfte, während die Juridica deutlich öfter in Mayrs Katalog auftauchen. Dass auch diese Relationen typisch für den süddeutschen Raum waren, belegt Eybl durch einen Vergleich mit den Sortimentskatalogen der Buchhändlerfamilie Endter. Insgesamt bestand Mayrs Sortiment überwiegend aus kleinformatigen Büchern mit deutschen Druckorten, womit er sich gezielt an das gemischte Publikum eines Marktes richtete, wofür auch das hohe Angebot von Unterhaltungsliteratur in seinem Katalog spricht.890 Das belegt, dass auf den kleinen Märkten durchaus ein breit gefächertes Angebot aus dem gesamten deutschen Sprachraum zu kaufen war. Mayr führte Bücher aus Bremen, Hamburg, Braunschweig, Magdeburg, Breslau, Leipzig, Dresden, Wittenberg, Köln, Frankfurt a. M., Frankfurt a. d. O., Zwickau, Straßburg, Basel, Ulm, Augsburg und

886 Vgl. Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 121f. 887 Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 406. 888 Vgl. Niemeier, Funktionen der Frankfurter Buchmesse im Wandel, S. 20f. 889 Franz M. Eybl: Kleinräumigkeit und Internationalität. Der barocke Buchhandel in der österreichischen Provinz am Beispiel eines Sortimentskatalogs, eines Zuwachskatalogs und eines Tagebuchs. In: Wolfenbütteler Barocknachrichten 24 (1997), S. 179–201, S. 183. 890 Vgl. Eybl, Kleinräumigkeit und Internationalität, S. 183f. und 188.

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Nürnberg.891 Sogar in der österreichischen Provinz waren demnach Drucke sowohl aus dem katholischen Süden als auch dem protestantischen Norden Deutschlands erhältlich.892 Auch für die Nürnberger Buchhändlerfamilie Endter spielten die regionalen Jahrmärkte und kleineren Messen ein große Rolle. Sie boten ihre Drucke unter anderem auf der Jakobidult in München und dem Nikolaimarkt in Ingolstadt an. Es machte sogar »die Hauptbedeutung der Endter im Sortimentshandel aus, daß sie in abgelegenen Orten die auf den großen Messen eingekauften Bücher vertrieben.«893 Georg Endter der Ältere (1562–1630) war ursprünglich Buchbinder und begründete das Verlagsgeschäft seiner Familie im Jahr 1590.894 Endter ließ Bücher in Amberg drucken, was darauf hindeutet, dass er selbst zunächst keine eigene Druckerei unterhielt. Sein Geschäft nahm einen raschen Aufstieg, vor allem als Anfang des 17. Jahrhunderts seine beiden Söhne dazustießen. Georg der Jüngere erlernte noch das Buchbinderhandwerk und ist weniger bedeutend für das Buchhandelsunternehmen. Anders verhält es sich mit dem zweiten Sohn. Wolfgang Endter (1593–1659) übernahm 1612 bereits mit 19 Jahren große Teile des väterlichen Geschäfts und erbte nach dem Tod Georgs d. Ä. auch noch die restlichen Firmenanteile. Er brachte das Buchhandelsgeschäft der Familie zu seiner höchsten Blüte und machte sich um das Nürnberger Buchdruckgewerbe verdient.895 Im Jahr 1651 übergab er das Sortiment seinen Söhnen Wolfgang d. J. (1622–1655) und Johann Andreas (1625–1670) und führte selbst Verlag und Druck weiter. Diese Übergabe war ungewöhnlich, da es erst im 18. Jahrhundert wieder üblich wurde, Verlag und Sortiment zu trennen. Die Brüder erwarben sich entsprechend aus eigenen Mitteln einen Verlag und eine Druckerei hinzu.896 Wolfgang Moritz Endter (1653–1723), Sohn von Wolfgang d. J., scheint schließlich derjenige gewesen zu sein, der sich verstärkt dem Sortiment widmete und die großen Messen ebenso wie kleine Jahrmärkte besuchte. Zudem ist seine Handelsbeziehung zu Moretus in Antwerpen durch ihre Korrespondenz zwischen 1675 und 1723 dokumentiert. Der erste Brief Wolfgang Moritz Endters am 5. Februar 1675 nach Antwerpen deutet auf eine schon in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts bestehende Verbindung zur Handlung

891 Damit führte Mayr kaum Titel aus den Druckorten des katholisch-süddeutschen Raumes. Vgl. Eybl, Kleinräumigkeit und Internationalität, S. 185. 892 Vgl. Duntze, Verlagsbuchhandel und verbreitender Buchhandel, S. 241f. 893 Oldenbourg, Die Endter, S. 70. 894 Auch seine Nachkommen rechneten sich noch zu den Buchbindern, obwohl sie das Handwerk selbst meist nicht mehr ausführten. Das brachte die Endter beim stetigen Wachstums ihres Unternehmens in Konflikt mit ihren Gewerbsgenossen, die deshalb aus Neid 1652 eine Eingabe beim Rat gegen sie einbrachten. Vgl. Oldenbourg, Die Endter, S. 82. 895 Er übernahm auch die Papierfabrik seines Vaters und erwarb scheinbar 1642 noch eine weitere Papiermühle. Außerdem besaß er drei Druckereien, was die Größe seines Unternehmens unterstreicht. Vgl. Oldenbourg, Die Endter, S. 21. 896 Vgl. Oldenbourg, Die Endter, S. 11–13 und 21–27.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels



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Plantin-Moretus hin, die er wiederaufleben lassen wollte. Endter bestellte nun wieder regelmäßig Bücher bei Moretus, in erster Linie Rubronigri und andere theologische Werke für Geistliche und Klöster.897 Der Transport der bei Moretus bestellten Bücher erfolgte zunächst nach Köln, entweder an den Buchhändler Widenfeldt oder Johann Wilhelm Friessem bzw. ab 1683 an Johann Scherenberg und 1700 an dessen Witwe. Die Kölner Buchhändler leiteten die Lieferung weiter nach Frankfurt an den Buchhändler Johann Georg Schiele. Von dort aus ging es nach Nürnberg, es sei denn die Bücher wurden für die Frankfurter Messe benötigt, wie beispielsweise 1675 zur Fastenmesse. Endter achtete darauf, seine Bestellungen möglichst in einer Lieferung gesammelt zu erhalten, um Kosten zu sparen. Bei ihm begegnen außerdem wieder die üblichen bereits im 15. Jahrhundert festgestellten Transportprobleme, wie zum Beispiel die Beschädigung der Drucke durch Regen im August 1675. Im Jahr 1716 äußerte Endter wegen des schlechten Wetters explizit die Bitte, die Bücher ordentlich zu schützen, wofür der Ballen doppelt eingeschlagen und genügend Stroh verwendet werden sollte. Die Lieferzeit lag durchschnittlich bei ein bis zwei Monaten.898 Endter erhielt bei Moretus im Allgemeinen einen Rabatt in Höhe von 30 Prozent, in Ausnahmefällen auch einmal 35 Prozent. Die Zahlungen liefen ab 1676 in der Regel über Frankfurt. Dort vermittelten die Brüder Johann d. Ä. und Johann Noe Dufay im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts fast alle Abrechnungen von Buchhändlern aus dem südwestdeutschen und süddeutschen Raum für Moretus.899 Der Handel der Endter erstreckte sich insgesamt über weite Gebiete hinweg. Ihr Schwerpunkt lag dabei im Süden Deutschlands sowie in den österreichischen Erblanden und Böhmen. Auch in Schlesien besuchten sie nachweislich die Messen. Aufgrund der weiten Reisen, die vor allem Wolfgang Endter d. Ä. unternahm, musste er oft dem Nürnberger Rat über die Neuigkeiten des Dreißigjährigen Krieges berichten. Weitere Reisen nach Paris, Genf, Schweden, Holland und Livland lassen sich festmachen, ebenso wie Versuche, ihre Bücher in England zu verkaufen. An den größeren Handelsplätzen hatten sie zudem Niederlagen und Vertreter.900 Mit Ausnahme ihrer Geschäfte mit Moretus betrieben die Endter vornehmlich den Tauschhandel. Georg d. J. berichtete 1616 davon, über 800 Exemplare eines Gesangbuchs mit einem Buchhändler aus Goslar gegen seine Bücher verstochen zu haben. Sie waren zwar zusätzlich in Geldgeschäfte involviert, traten dabei aber in erster Linie als Kreditgeber für andere Buchhändler oder Studenten auf. Später

897 Vgl. Isabel Heitjan: Wolf Moritz Endters Geschäfte mit Balthasar III Moretus und Nachfolgern, 1675–1723. In: AGB 14 (1974), Sp. 1447–1464, Sp. 1448–1451. 898 Vgl. Heitjan, Wolf Moritz Endters Geschäfte, S. 1453–1455. 899 Vgl. Heitjan, Wolf Moritz Endters Geschäfte, S. 1455f. 900 Vgl. Oldenbourg, Die Endter, S. 72f.

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nahm Wolfgang Moritz auch Bücher in Kommission.901 Kennzeichnend für den Buchhandelsaktanten Endter ist die Herausbildung der einzelnen für die damalige Zeit besonders charakteristischen Geschäftstypen, außerdem aber seine Sonderstellung innerhalb des deutschen Buchhandels, welche durch die förmliche Monopolisierung der damals gangbarsten Verlagsartikel sowie des großzügigen Betriebs des Sortiments geschaffen worden war.902

Messen: Verschiebung nach Norden Im Laufe des 17. Jahrhunderts blieben zunächst die Italiener und die Niederländer, Anfang des 18. Jahrhunderts dann auch die nord- und die mitteldeutschen Buchhändler den Frankfurter Messen fern. Stattdessen gewann die Leipziger Messe mehr und mehr an Bedeutung.903 Die Gründe dafür, dass Leipzig bald die Führungsrolle im Wissensraum Buchhandel anstelle von Frankfurt übernahm, waren vielfältig und kamen teilweise bereits im vorherigen Kapitel zur Sprache. In Frankfurt erschwerten etwa unter anderem seit dem 16. Jahrhundert die Bücherkommission und die damit einhergehenden Kompetenzquereleien der kaiserlichen und reichsstädtischen Zensurbehörden den Handel auf der Messe. In Leipzig herrschten dafür ab 1700 deutlich mildere Zensurumstände.904 Noch 1611 berichtete der englische Reiseschriftsteller Thomas Coryard von seinem Besuch der Frankfurter Herbstmesse beeindruckt, wie er »in die Buchhändlergasse [ging], wo ich solch unermeßlichen Reichtum […] sah, daß ich ihn höchst bewundern mußte. Denn diese Straße übertrifft bei weitem St. Paul’s Churchyard in London, […] die Merceria in Venedig, alles, was ich auf meinen Reisen sah.«905 Erste Anzeichen einer deutlichen Schwächung der Stellung Frankfurts äußerte der Rat der Stadt dann am 26. Juli 1690 in einer Mitteilung an den Kaiser: Es ist aber mit ihnen Buchhändler dahin gerathen, daß in vielen Jahren keinerley Buchhändler auß obgedachten Königreichen mehr anhero gekommen und die Messen besuchen, und dadurch unsere in gedachter Buchgassen wohnende Bürger nit geringen abgang dero einkünfften, welche ihre Heußer getragen, empfinden.906

901 Vgl. Oldenbourg, Die Endter, S. 78. 902 Oldenbourg, Die Endter, S. 80. 903 Vgl. Fromme, Kontrollpraktiken während des Absolutismus, S. 45. 904 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 514. Der Rat bezeichnete im Zuge dessen in einer Eingabe an den Kaiser den Buchhandel als »eins der vornehmsten« Gewerbe der Messe, womit sein Niedergang auch gleichzeitig den Niedergang der gesamten Frankfurter Messe bedeutete. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 647. 905 Zitiert nach Brübach, Die Reichsmessen, S. 65. 906 Zitiert nach Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 463. Am 15. Februar 1696 äußerte der Frankfurter Rat außerdem in einem weiteren Schreiben an den Kaiser in Bezug auf die Steige-

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Auch wenn die Messkataloge, wie bereits erwähnt, nicht für den gesamten Buchmarkt der Zeit verallgemeinert werden können, illustrieren sie den Abstieg der Frankfurter Buchmesse von einem internationalen Treffpunkt zu einem einfachen süddeutschen Buchhandelsplatz. Die Titelzahlen in den Messkatalogen von 1564 bis 1709 können nach ihren Herkunftsländern aufgeschlüsselt werden. Danach steigerte sich die Zahl der Titel aus deutschsprachigen Gebieten bis zum Beginn des Dreißigjährigen Krieges konstant bis auf den Höchststand von 12.300 zwischen 1610 und 1619. Kriegsbedingt sank die Anzahl der Titel aus deutscher Produktion deutlich und vergrößerte sich erst um 1700 wieder.907 Für die Länder Frankreich, Italien und England ist ebenfalls von Anfang an eine mehr oder weniger kontinuierliche Steigerung der in den Messkatalogen verzeichneten Titel bis zum Kriegsausbruch zu erkennen. Danach nimmt die Präsenz von Titeln aus den drei Ländern stetig ab mit Ausnahme der Jahrzehnte 1650 bis 1659 und 1680 bis 1689, wo noch einmal etwas mehr Titel gelistet wurden. Eine ähnliche Entwicklung gilt für Antwerpen und die südlichen Niederlande, während Amsterdam und die nördlichen Niederlande erst ab 1640 am stärksten in Frankfurt vertreten waren und sich noch am längsten vor Ort hielten. Erst 1700– 1709 tauchen auch aus diesen Herkunftsländern nur noch 22 Titel in den Messkatalogen auf.908 Nachteilig für die Frankfurter Messe und den Besuch auswärtiger Buchhändler wirkte sich außerdem der Rückgang der international absetzbaren lateinischsprachigen Druckproduktion zugunsten der Landessprachen aus. Im Jahr 1681 übertraf erstmals die Produktion deutscher Schriften die lateinischer und knapp elf Jahre später ab 1692 hielt sich dieses Verhältnis dauerhaft. Diese Entwicklung begünstigte die Leipziger Messe, da Frankfurt von Anfang an viel stärker auf den internationalen Handelsverkehr ausgerichtet war. Darüber hinaus überholte Leipzig Frankfurt nach 1680 auch in der Verlagsproduktion.909 Zwischen 1681 und 1682 führte Leipzig außerdem von europäischen Großhändlern neu ausgearbeitete Wechsel-, Kaufgerichts- und Maklerordnungen ein.910 Die Stadt verfügte damit »über die modernste

rung der Pflichtexemplare die Besorgnis, dass auswärtige Buchhändler bald nur noch die Leipziger Messe besuchen würden. Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 220f. 907 Leipzig hatte anders als Frankfurt erheblich unter den Folgen des Dreißigjährigen Krieges zu leiden. Ab 1631 musste die Stadt rund 20 Jahre lang Belagerung, Brandschatzung, Besetzung und Pestepidemien durchstehen. Vgl. Hasse, Geschichte der Leipziger Messen, S. 108–110. Ihre Vorrangstellung im Warenhandel und der Rückhalt in den umliegenden Gewerberegionen erlaubte Leipzig jedoch einen erneuten raschen Aufstieg. Bereits 1650/60 erreichten die Messeeinahmen wieder Vorkriegsniveau. Vgl. Brübach, Die Reichsmessen, S. 457 und 472f. 908 Vgl. Flood, ›Omnium totius orbis emporiorum compendium‹, S. 346. 909 Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 76–80, 137 und 201f. 910 Vgl. Robert Beachy: Fernhandel und Krämergeist. Die Leipziger Handelsdeputierten und die Einführung der sächsischen Wechselordnung 1682. In: Leipzigs Messen 1497–1997. Gestaltwandel – Umbrüche – Neubeginn. Teilband 1: 1497–1914. Hrsg. von Hartmut Zwahr, Thomas Topfstedt und

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Handelsgesetzgebung«911 und war Frankfurt darin weit voraus. Handelsrechtlich hatte Leipzig ihre Konkurrentin am Rhein demnach schon knapp 30 Jahre früher überholt als handelspolitisch gesehen. Die Messeeinnahmen zeigen schließlich, dass Leipzig spätestens seit dem ersten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts »an der Spitze aller deutschen Messeplätze«912 stand. Leipzigs Termine folgten schon immer zeitnah denen von Frankfurt und die Buchhändler mussten gut organisiert sein, um beide Messen besuchen zu können, denn die Wege waren lang und die Fuhren langsam.913 Im Jahr 1710 verlegte Frankfurt dann den Termin seiner Fastenmesse nach hinten, sodass er sich mit dem der Leipziger Ostermesse überschnitt.914 Die Buchhändler waren so gezwungen, sich zwischen den beiden Messen zu entscheiden. In den folgenden vier Jahren kam es deswegen zu zahlreichen Auseinandersetzungen um den neuen Messetermin Frankfurts, was zeigt, »wie fatal es sich auswirkte, wenn der seit langem eingespielte und auf ganz Europa bezogene Messkalender durcheinander gebracht wurde«915. Störungen im etablierten Messesystem wirkten sich nicht nur auf den Handel, sondern auch auf den Zahlungs- und Wechselverkehr aus. Dass die Terminverlegung damit den allgemeinen Warenhandel genauso negativ beeinflusste wie den Buchhandel, geht aus einer Beschwerde mehrerer Kaufleute beim Frankfurter Rat hervor:

Günter Bentele. Köln [u. a.]: Böhlau 1999 (Geschichte und Politik in Sachsen; Bd. 9/1), S. 135–147, S. 145f. 911 Brübach, Die Reichsmessen, S. 482. Schon 1686 orientierte sich die Braunschweiger Messeordnung allein am Vorbild der Leipziger Gesetze. Vgl. Brübach, Die Reichsmessen, S. 482. 912 Brübach, Die Reichsmessen, S. 488. 913 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 470. 914 Der Frankfurter Rat kündigte dem Leipziger Rat die geplante Terminverlegung bereits am 20. Juli 1706 an. Er begründete sein Vorhaben mit dem durch die Kalenderreform verschobenen Beginn der Messe. Dadurch kam es durch die in der Zeit häufigen Mainhochwässer zu Beeinträchtigungen des Verkehrs zur Messe. Der Frankfurter Rat schlug im Zuge dessen vor, dass Leipzig seine Messe von Jubilate, den 3. Sonntag nach Ostern, auf Rogate, den 5. Sonntag nach Ostern, verlegen sollte, was der Leipziger Rat jedoch ablehnte. Die Verlegung des Messetermins nach hinten, sollte den Besuch der Frankfurter Messe weiterhin sichern, führte aber stattdessen dazu, dass sie gegen die Leipziger Konkurrenz verlor und noch mehr an Bedeutung einbüßte. Die Terminverlegung geschah entgegen dem Rat der Kaufleute. Bereits nach der Frühjahrsmesse 1502 wurde erstmals überlegt, den Termin nach Ostern zu verlegen, da die Händler die Messezeit schon eigenmächtig auf Palmsonntag bis 14 Tage nach Ostern »verschoben«. Hier hatten ebenfalls die Kaufleute mit Verweis auf die Leipziger Messe Einspruch eingelegt. Auch die vor allem von den Nürnberger, Ulmer und Straßburger Händlern gegen Ende des 17. Jahrhunderts häufig erbetene Verlängerung der Messezeit auf bis zu zehn Tage nach Ostern verursachte noch keine Probleme in der Abstimmung mit Leipzig, denn bis 1700 galt in Frankfurt noch der alte julianische Kalender, der gegenüber dem in Leipzig geltenden gregorianischen zehn Tage zurücklag. Erst durch die Einführung des reformierten Kalenders geriet der Messekalender durcheinander. Vgl. Brübach, Die Reichsmessen, S. 120 und 134–136. 915 Brübach, Die Reichsmessen, S. 16.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels



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Die Verlegung der Fasten- oder Ostermesse von Judica auf Quasimodogeniti werde schädlich wirken, denn 1. seien die Messen absichtlich von Reichswegen so eingerichtet worden, dass keine der andern hinderlich sei. […] 2. Dies werde beide Messen schädigen, 3. am meisten die Frankfurter, da der Besuch der Leipziger-Messen wichtiger sei. 4. So würden z. B. alle diejenigen, so von Bremen, Hamburg und anderen niedersächsischen Landen und aus Gotha, Eisenach und Umgegend nach Frankfurt kommen, um ihre Waaren wegen schlechterer Gelder dort einzukaufen, aber die Leipziger Messen unter allen Umständen besuchen müssen, Frankfurt fern bleiben, […] 5. Das Wechselnegotium auf Leipzig werde gänzlich zu Grunde gehen. Denn wenn die Zahlwoche allhier erst zu Ende, so fängt die Leipziger schon an. 6. Da die Debitores gewohnt seien, ihre Waaren auf Credit von Messe zu Messe einzukaufen, werde die Abkürzung des Zwischenraumes zwischen der Oster- und der Michaelismesse nicht genügen, die Waaren inzwischen zu vertreiben und in der Herbstmesse die Osterschulden zu bezahlen. 7. Da öfters die Ostermesse erst im Mai anfangen würde, so würden die Kaufleute, welche die Sommerzeuge und Sommermoden in seidenen und wollenen Waaren zur Messe bringen, zu spät damit kommen. 8. Die Wollhändler würden Verluste erleiden, wenn die Messe mit der Wollschur zusammenfiele, da dann die zur Messe anwesenden Fabrikanten mit Umgehung der Zwischenhändler direct von den Producenten kaufen würden. 9. Die Verringerung des Zwischenraumes zwischen Oster- und Michaelismesse werde auch in sofern schaden, als die Zeit nicht ausreichen würde, die Bestellungen für die Michaelismesse auf Grund der in der Ostermesse gemachten Erfahrungen rechtzeitig in England, Italien und Holland zu machen. 10. Die Schweizer und Andere, die in F. schwere Waaren einkaufen und sie zu Wasser auf dem Rhein gehen lassen, könnten nicht rechtzeitig mit denselben zum Zürzacher Pfingstmarkt eintreffen.916

Durch die Verlegung des Messetermins und aufgrund der Handelssperre des Reichs gegen Frankreich infolge des Spanischen Erbfolgekrieges (1701–1714) litt der Handel in Frankfurt deutlich.917 Seit Anfang des 18. Jahrhunderts ging der Besuch von Kaufleuten aus dem Westen, vor allem aus Paris, Metz und Lyon, sichtbar zurück und Frankfurt erkannte, welchen großen Schaden die Verschiebung ihrer Messe zugefügt hatte. Doch mit dem Versuch, den Termin wieder auf Judica zurückzuverlegen, scheiterte der Frankfurter Rat am Widerstand der fränkischen und jüdischen Händler sowie der Territorialherren der Umgebung. Sie konnten die Fastenmesse ab 1722 zwar um eine Woche vorziehen, aber die Revision der Terminüberschneidung mit Leipzig schlug fehl.918 Leipzig löste damit um 1700 Frankfurt als wichtigsten Ort Deutschlands innerhalb des Wissensraums Buchhandel ab. Anhand der beiden Messen lässt sich feststellen, dass die bibliopolische Zweiteilung Deutschlands »von geistig-litterarischen Unterschieden ganz abgesehen, zunächst auf jeden Fall eine commercielle, handelstechnische«919 war. Die daneben erkennbare Verschiebung des buchhändlerischen Schwerpunkts vom Süden in den Norden, die im Kleinen an Frankfurt und Leipzig abzulesen ist, fand auch im ge-

916 Zitiert nach Hasse, Geschichte der Leipziger Messen, S. 474f. 917 Die Handelssperren mit Frankreich wurden in Leipzig regelmäßig missachtet und hatten keine so negativen Auswirkungen wie in Frankfurt. Vgl. Brübach, Die Reichsmessen, S. 473. 918 Vgl. Brübach, Die Reichsmessen, S. 139–141. 919 Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 337.

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samteuropäischen Raum statt, denn im 17. Jahrhundert war Holland zur tonangebenden Macht im Buchhandel geworden. Die strenge Zensur führte dazu, dass viele deutsche und französische Verlagswerke in der niederländischen Republik gedruckt wurden.920 Außerdem erschien in Deutschland kein größeres Werk, »ohne daß es in Holland nachgedruckt worden wäre«921. Der holländische Nachdruck bedeutete große finanzielle Einbußen für die deutschen Buchhändler, wie es aus einer Beschwerde Wolfgang Endters 1653 beim Oberkonsistorium in Dresden hervorgeht, in der er schrieb, »wie großen Schaden vns Teutschen Buchführer durch frembde vnd benamtlichen durch dießen Holländer mit nachtruckung dergleichen privilegirten und anderer Bücher zugefüget werde«922. Außerdem setzten die niederländischen Buchhändler wegen der schlechten Qualität der deutschen Bücher nach dem Dreißigjährigen Krieg ein Tauschverhältnis von 1:3 oder 1:4 für ihre Verlagserzeugnisse auf der Frankfurter Buchmesse durch.923 Amsterdam und Leiden setzten sich an die Spitze der Buchhandelsstädte. Zusammen mit London wurde Amsterdam zudem im zweiten Viertel des 17. Jahrhunderts zum europäischen Finanzzentrum.924 Ein Grund für die europäische Verschiebung auch des allgemeinen Warenhandels Richtung Norden war das Aufkommen der Börsen und die damit einhergehende Einführung von Diskont und Indossament.925 Die Rechnungsschließung und Zahlung verkomplizierte sich schon im 16. Jahrhundert besonders aufgrund der uneinheitlichen Rabattierungen, die je nach Händler und Abnehmer oder dem Verhältnis von Einzelstück und Menge deutlich schwankten. Daher bildete sich bald die Ordinärrechnung neben der Nettorechnung heraus. Die »unlautere« (ordinäre) Rechnungsführung bedeutete, dass der Rabatt erst bei der Abrechnung abgezogen wurde.926 Die Abwicklung der Geldgeschäfte geschah wie üblich am Ende jeder Messe, wenn die Kaufleute einen Überblick über ihre getätigten Geschäfte gewonnen hatten. Für Zahlungsforderungen stellten sie dann Wechsel aus, die von ihrem Geschäftspartner auf einer anderen Messe bzw. zu einem späteren Zeitpunkt eingefordert werden konnten. Durch die Einführung des Wechselverkehrs war zwar der Transport größerer Bargeldmengen überflüssig und der Handel sicherer geworden, doch es war weiterhin die persönliche Anwesenheit des Geschäftspartners oder eines Bevollmächtigten notwendig.927

920 Vgl. Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, S. 116. 921 Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, S. 116f. 922 Zitiert nach Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 499. 923 Vgl. Hans Furstner: Geschichte des niederländischen Buchhandels. Wiesbaden: Harrassowitz 1985, S. 47. 924 Vgl. Brübach, Die Reichsmessen, S. 219. 925 Vgl. Brübach, Die Reichsmessen, S. 18. 926 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 471. 927 Vgl. Brübach, Die Reichsmessen, S. 17.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels



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Als Übergangslösung wurden im 16. Jahrhundert spezielle Wechselmessen eingerichtet, mehr Flexibilität brachten aber erst das Indossament und das Diskont. Das Indossament bezeichnet »das Recht, die Forderung aus einem Wechsel durch einen Sichtvermerk auf dem Wechselbrief beliebig oft abtreten und weitergeben zu können«928. Damit ersetzte das Indossament eine weiterhin fehlende zuverlässige Papiergeldwährung.929 Mit dem Diskont wurde die vorzeitige Einlösung eines Wechsels vor dem Termin seiner Fälligkeit ermöglicht. Die Forderungen wurden so von den Messeterminen unabhängig, denn die Börse hatte kürzere Zyklen als die Messe. Ein Messbankier konnte täglich Geldgeschäfte tätigen und die persönliche Anwesenheit – das Kennzeichen des Messehandels – wurde durch die persönliche Korrespondenz ersetzt. Um das Wegbleiben vor allem der Bankiers von der Messe zu verhindern, wurden in Frankfurt 1619/20 und 1635 indossierte Wechsel verboten. Im Jahr 1639 wurde das Verbot gelockert, doch erst ab 1666 waren sie vollständig erlaubt. Die Zahlungstermine auf der Messe wurden dadurch zwar im 17. und 18. Jahrhundert nicht völlig überflüssig und behielten besonders in Osteuropa weiterhin ihre Bedeutung, doch in örtlicher Nähe zu einer Börse verlor die Messe ihre Position als zentraler Kapitalmarkt. »Das System der Messen wurde vom System der Banken und Börsen abgelöst.«930 Dies war ebenfalls ein Grund für den Bedeutungsrückgang der Frankfurter Messe gegenüber der Leipziger. Für Frankfurt war nämlich im 17. Jahrhundert der Messzahlungsverkehr immer wichtiger geworden, während in Leipzig weiterhin der direkte Warenhandel dominierte.931 Die Verschiebung des örtlichen Schwerpunkts im Wissensraum Buchhandel von Frankfurt nach Leipzig verdeutlicht zuletzt noch einen nur für Deutschland spezifischen Aspekt, denn es »hatte kein staatliches und deshalb kein buchhändlerisches Rom: die Organisation eines deutschen Gesamtbuchhandels stand und fiel mit dem Verkehr auf der herrschenden Messe.«932 Den Tiefstand ihres Platzbuchhandels sowie ihres Messehandels erreichte Frankfurt um 1720. Trotzdem hielt sie sich im 18. Jahrhundert als ein wichtiger Büchermarkt für den süddeutschen Reichsbuchhandel.933 Das verstärkte den Gegensatz zum norddeutschen Buchhandel und förderte die bibliopole Zweiteilung Deutschlands.

928 Brübach, Die Reichsmessen, S. 18. 929 Vgl. Beachy, Fernhandel und Krämergeist, S. 136. 930 Brübach, Die Reichsmessen, S. 179. Die ersten Börsenveranstaltungen und -gründungen gab es bereits im 15. Jahrhundert in einigen italienischen Städten, in Brügge und in Antwerpen. Vgl. Brübach, Die Reichsmessen, S. 290. 931 Vgl. Brübach, Die Reichsmessen, S. 18, 172–174 und 456f. Die recht allgemeine Aussage über die beiden Messen trifft auch auf den Buchhandel zu, für den die Frankfurter Messe ein wichtiger Zahlungstermin war, während Leipzig stärker als Verkaufsmesse fungierte. 932 Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 2. 933 Vgl. Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, S. 148 und 151.

252  3 Der historische Kontext: Buchhandel in der Frühen Neuzeit

Büchertaxe Mitte des 17. Jahrhunderts suchte der Kaiser seinen Einfluss auf den Wissensraum Buchhandel speziell auf den Messen immer stärker auszubauen. Ein weiteres Mittel neben der Bücherkommission fand er dazu 1655 in der Einführung der sogenannten Büchertaxe934, zuerst in Frankfurt, dann auch in Kursachsen. Sie war eine Preisfestsetzung der Obrigkeit, nach der alle Bücher eines bestimmten Formats den gleichen Preis haben sollten. Völlig unabhängig von Inhalt, Umfang, Material, Ausstattung oder Herstellungshintergrund sollte der Preis nur diesem einen Kriterium der Größe folgen. Damit sollte zumindest in Sachsen auch die Gewinnspanne festgestellt werden, die die Händler auf den Frankfurter Messpreis zum Weiterverkauf aufschlugen.935 Die Büchertaxe war ein weiterer Versuch der Reglementierung des Wissensraums Buchhandel von außen. Eine Taxordnung war nichts Seltenes, sondern taucht in der Geschichte der verschiedensten Wirtschaftsgebiete auf. Ziel der Büchertaxe war es, dem nach dem Dreißigjährigen Krieg kränkelnden Buchhandel wieder auf die Beine zu helfen. Dabei wurden die eigentlichen Ursachen weitgehend ignoriert und die angeblich wuchernden Preise dafür verantwortlich gemacht. Aus den Frankfurter Quellen hierzu geht hervor, dass die Buchhändler zwar von den Plänen zu ihrer Einführung wussten, aber dennoch auf der Frankfurter Herbstmesse 1656 von der Verkündung überrascht wurden. Einige Buchhändler wandten sich deswegen am 16. September 1656 mit der Bitte um Interzession an den Frankfurter Rat, die sie unter anderem damit begründeten, dass sie sich davon sehr in ihrem Geschäft gehindert fühlten und vor allem die Ausländer gezwungen wären, ihren Besuch der Frankfurter Messe einzustellen. Ihre Argumente gegen einen festen Preis der Bücher waren die wechselnden Materialkosten, die Abgabe der Bücher auf Kredit, die Makulierung des unverkäuflichen Teils einer Auflage und die unterschiedlichen Transport-, Zoll- und Frachtkosten je nach Anreiseort und Entfernung. In dieser Beschwerde drohten die Buchhändler von außerhalb erstmals offen damit, der Frankfurter Messe fernzubleiben.936 Der Rat sicherte den Buchhändlern umgehend seine Hilfe in dieser Sache zu, denn auch ihn hatte die Einführung der Büchertaxe relativ unvorbereitet getroffen. Er beauftragte seinen Agenten in Wien, Johann Groß, den Urheber des kaiserlichen Mandats zu ermitteln. Trotz der absehbar negativen Folgen für die Messe tat der Frankfurter Rat sonst nichts, sodass ihn die Buchhändler auf der Fastenmesse 1657 erneut darum baten, sich beim Reichshofrat gegen eine Büchertaxe auszusprechen. Zwar erinnerte der Kaiser den amtierenden Bücherkommissar noch einmal an die

934 Die Büchertaxe ist nicht zu verwechseln mit der Frankfurter Tax, die in Kapitel 3.1.2 vorgestellt wurde. 935 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 675f. 936 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 677–679.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels 

253

Umsetzung der Taxordnung, insgesamt scheint sie aber nur wenig Beachtung gefunden zu haben. Ihre vorerst letzte Erwähnung fand sie in einem Schreiben des Frankfurter Rats an den Agenten Tobias Sebastian Praun in Wien vom 23. Februar 1664.937 Das sächsische Gegenstück zur Frankfurter Büchertaxe wurde bereits 1623 erlassen. Zunächst wurde auch sie allerdings kaum befolgt und erst nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges nahm der Kaiser Bestrebungen in diese Richtung wieder auf. Ohne erkennbaren Grund forderte dann die Leipziger Bücherkommission die Buchhändler auf der Michaelismesse 1666 auf, eine Erklärung bezüglich der Büchertaxe abzugeben. Im Frühjahr 1667 reichten die Leipziger Buchhändler ein entsprechendes Gutachten ein, in dem sie sich allgemein gegen einen festen Taxpreis für Bücher aussprachen. Für Sachsen war das Thema damit, zumindest den Quellen nach, erledigt. Dafür beauftragte Wien nun wieder eine außerordentliche Kommission in Frankfurt damit, von den Buchhändlern weitergehende Informationen über eine mögliche Taxordnung auf der Messe einzufordern. Im April 1669 versammelte diese Kommission die auf der Messe anwesenden Buchhändler und verkündete die angeblich von ihnen allen geforderten Maßregeln. Die Buchhändler blieben zunächst zurückhaltend, doch nach der Messe setzten sich die Gegner der neuen Vorgaben mit Protesten zur Wehr.938 Am 6. Juli 1669 folgte der Frankfurter Rat der Aufforderung der Buchhändler und anderer und legte beim Kaiser seinen Einspruch ein, mit Hinweis auf die alten Privilegien und Freiheiten sowie die Wichtigkeit des Buchdrucks und -handels für die Messe und die Stadt. Allerdings ließ sich der Rat sogleich von kaiserlicher Seite beschwichtigen und forderte die Buchhändler zur Mithilfe und zu einer Einigung auf. Das taten sie und legten am 2. September 1669 ein Übereinkommen in Form der Vereinigten Punkte vor, in der sie eine Büchertaxe weiterhin ablehnten. Die Sache war damit immer noch nicht beendet und in Wien wurde 1671 erneut eine außerordentliche Kommission zur Aufstellung einer allgemeinen Büchertaxordnung ernannt. Der Frankfurter Rat wie auch die meisten der anwesenden Buchhändler protestierten wieder gegen die Pläne der Kommission. Auf der Ostermesse 1672 verlief das kaiserliche Vorhaben schlussendlich doch im Sande, als nur ein Buchhändler zum vorbestellten Termin vor der Kommission erschien und erklärte, dass die Einführung einer Büchertaxe nicht praktikabel sei.939 In diesem Fall hatten sich die Aktanten des Wissensraums Buchhandel erfolgreich gegen eine Einflussnahme von außen wehren können.

937 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 679–681. 938 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 682f. und 694–697. 939 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 700f., 707 und 713. Nur einige wenige Buchhändler wie Alexander Harttung aus Wien und Johann Friedrich Endter aus Nürnberg sahen die Büchertaxe als durchführbar und zu ihrem Vorteil an. Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 712.

254  3 Der historische Kontext: Buchhandel in der Frühen Neuzeit

Kommissionshandel Die Praxis der Kommission – die Zusendung von Büchern mit einem Rückgaberecht –, die die Buchhändler untereinander, aber auch im Austausch mit anderen übten, war neben der Einrichtung von Niederlagen und dem eigenen Reisevertrieb »das dritte Hauptmittel zur Beförderung des Absatzes«940 und eine bedeutende buchhändlerische Praktik. Die Gründung von Zweiggeschäften und Kommissionslagern an anderen Orten zur Erweiterung des Vertriebs vom Hauptsitz aus gehörte zum Geschäft der Buchhändler. Sogar kleinere Handlungen besaßen nicht selten mehrere Privilegien für die Einrichtung offener Buchläden an verschiedenen Orten, größere Firmen unterhielten zusätzlich Filialen im Ausland. Die Faktoren waren dabei mehr als bloße Angestellte, denn sie arbeiteten häufig auf Kommission, wobei sie die Lager verwalteten, Sendungen weiterbeförderten, Kommissionsartikel verkauften und den Kommittenten gegenüber der Behörde, dem Buchhandel und dem Publikum vertraten. Es kam auch vor, dass ein Kommissionär mehrere Kommittenten vertrat. Sie agierten mit großer Selbstständigkeit und ihre Rolle im Buchhandel sollte nicht unterschätzt werden.941 Der Kommissionsvertrieb erfolgte auf zwei Arten. Die eine Richtungslinie führte zum potenziellen Kunden, während die andere – das Remittieren unverkaufter Bücher – ebenfalls vom Buchhändler ausging, aber zum Verleger bzw. Produzenten hin verlief. Ein Beispiel für den Kommissionshandel bietet die Hallesche Waisenhausbuchhandlung. An sie richteten mehrere Handlungen die Aufforderung zum Kommissionsgeschäft. J. Gehr in Königsberg bat 1704 um Zusendung ihrer Bücher »auff Commission«942. Gehr wollte dafür nach vierteljährlicher Abrechnung bezahlen und ohne ihr Wissen keine weiteren derartigen Geschäftsbeziehungen anknüpfen. Einen ähnlichen Vorschlag ihm »eine Parthie in Commission zu geben« machte 1713 Dominikus von Sand in Frankfurt. Er bezog sich in erster Linie auf den Verlag der Waisenhausbuchhandlung, während Gehr auch ihr Sortiment mit einschloss, bot aber ähnliche Bedingungen: »Bey Jährlicher abrechnung zahle das abgegangene Contant, nach abzug des rabbaths, so Sie belieben zu geben.«943 Sand setzte noch hinzu, dass auch andere Handlungen in Frankfurt solche Kommissionsbeziehungen hätten und damit besser handelten als mit den Messlagern, die einem Kommissionär anvertraut waren, was nach Goldfriedrich den Unterschied zwischen Messkommission und Konditionskommission verdeutlicht.944 Obwohl es für die Leipziger Messe bis Anfang des Dreißigjährigen Krieges vereinzelte Andeutungen gibt, »tritt das Kommissionswesen im Anfang des 18. Jahr-

940 Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 6. 941 Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 158 und 281. 942 Zitiert nach Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 282. 943 Zitiert nach Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 282f. 944 Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 282–285.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels

 255

hunderts gleichsam als etwas Neues, noch Unbekanntes wieder auf.«945 Verbreitet unter den Leipziger Buchhändlern scheinen anfangs die Ansichtssendungen an Auswärtige gewesen zu sein. Im Jahr 1669 etwa schickte ein Buchhändler aus Leipzig insgesamt 1.080 Exemplare einer Schrift in 19 Städte und an 36 Firmen. Die größeren Handlungen versorgten mit den Sendungen ihrerseits ihre Geschäftskunden. Die gebräuchliche Bezeichnung »pro novitate« taucht dabei erstmals in einer Lieferung von Leipzig nach Dresden im August 1697 auf, in deren Begleitbrief es heißt: »Hiebey pro novitate…«946. Ob grundsätzlich das Remissionsrecht galt, auch wenn es nicht erwähnt wurde, ist nicht nachweisbar, es ist aber bei einer unverlangten Zusendung anzunehmen. Anfang des 18. Jahrhunderts jedenfalls war das Kommissionswesen in Leipzig etabliert und erlangte große Bedeutung. Etwa ab 1730 trat die bislang übliche Bezeichnung des »Factors« zurück und an seine Stelle trat der Ausdruck »Commissionarius«. Der Kommissionshandel ist der Vorläufer des späteren Konditionshandels, der Ende des 18. Jahrhunderts auf eine kurze Phase des Nettohandels folgte und sich bis heute als gängiges Abrechnungsverfahren im Buchhandel erhalten hat.947 Die großen Leipziger Verlegersortimenter Für das Auftreten der großen Leipziger Verlegersortimenter und der in Deutschland dominierenden Hauptaktanten im Wissensraum Buchhandel des 18. Jahrhunderts macht Goldfriedrich das Jahr 1693 als Merkdatum fest. In diesem Jahr übergab Johann Friedrich Gleditsch seinem Stiefsohn Thomas Fritsch (1666–1726) das Geschäft seines Vaters Johann Fritsch (1635–1680). Er selbst gründete seine eigene Buchhandlung und im gleichen Jahr starb Moritz Georg Weidmann (1658–1693), dessen Geschäft an Johann Ludwig Gleditsch (1663–1741) ging, den jüngeren Bruder Johann Friedrichs und zweiten Mann der Witwe Weidmann. »Der bedeutende wissenschaftliche Verlag, der ausgedehnte Geschäftsbetrieb dieser Firmen, der Einfluß, den sie auf die Wiederbelebung einer angemessenen und würdigen Ausstattung der Bücher ausübten, genoß europäischen Ruf.«948 Anhand der Messkataloge und ihrer dort erfassten Verlagsproduktion standen die beiden Gleditsch, Johann Friedrich und Johann Ludwig, Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts an der Spitze der Leipziger Firmen.949 Diese neue Generation von Leipziger Großverlegern ging in ihrem Geschäftsgebaren sehr selbstbewusst vor. Ihre starke Position dank der wirtschaftlichen Bedeutung ihres Handels führte dazu, dass kleinere Firmen vor allem in Sachen Privilegi-

945 946 947 948 949

Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 291. Zitiert nach Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 291. Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 282, 291f. und 295. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 203. Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 202f. und 243.

256  3 Der historische Kontext: Buchhandel in der Frühen Neuzeit

enwesen das Nachsehen hatten. Auch die Obrigkeit stellte die Rücksicht auf ihre Interessen über das geltende Recht, wie einige Prozesse belegen, bei denen die Großverleger mit nur wenig Erfolg wegen unerlaubten Nachdrucks verklagt wurden. Seit den 1720er Jahren nutzten die Leipziger ihre Position, um gegen alle Störungen ihres Handels vorzugehen, wie den Buchverkauf durch Personen, die ihrer Meinung nach nicht dem Buchhandel angehören sollten, den Vertrieb über die Messezeit hinaus und besonders die Niederlassung ausländischer Buchhändler in Leipzig.950 In ihrem direkten und nicht über die Messe laufenden Handelsverkehr mit entfernten wichtigen Produktionsstätten – vor allem in Holland – sieht Goldfriedrich Verbindungen zu den ersten Druckerverlegern im 15. Jahrhundert. Wie sie errichteten sie vor allem im Norden und Osten wieder vermehrt Filialen für den Direktverkauf vor Ort. Mit dem Rückgang ausländischer Buchhändler auf den Messen im Laufe des 18. Jahrhunderts waren es nun vor allem Leipziger Buchhändler, die die ausländische Literatur nach Deutschland vermittelten. Dabei trat der persönliche Messverkehr zurück und wurde ersetzt durch den schriftlichen Geschäftsverkehr. Nach Frankfurt reisten Gleditsch, Fritsch oder Weidmann und Lanckischs Erben seit 1700 nicht mehr persönlich, sondern ließen sich in ihren Handlungen vor Ort von Dienern vertreten.951 Ihre zunächst persönliche Abwesenheit und später im 18. Jahrhundert schließlich vollständige Abkehr von Frankfurt besiegelte den Abstieg der dortigen Messe zur Belanglosigkeit für den Buchmarkt außerhalb Süddeutschlands. Durch den Aufstieg Leipzigs als Messestadt erlangten die Leipziger Verleger ihre dominierende Position. Trotz ihrer großen Bedeutung werde ich an dieser Stelle nicht weiter auf sie eingehen, da sie in erster Linie im 18. Jahrhundert agierten. Sie sind hier vor allem deshalb erwähnt, um auf die weitere Entwicklung der Hauptaktanten im Wissensraum Buchhandel hinzuweisen. Außerdem wird besonders ihr großes Selbstbewusstsein im folgenden Kapitel zur Charakterisierung der Buchhandelsaktanten noch eine Rolle spielen. Antiquariat und Auktionshandel Durch den Tauschhandel hatten die Verlegersortimenter bald umfangreiche Altbestände angesammelt, mit denen sie neben den Novitäten meist wenig erfolgreich weiter handelten. Etwa Mitte des 18. Jahrhunderts erreichte diese Entwicklung einen Höhepunkt und um ihren drohenden Ruin zu verhindern, versuchten viele Firmen, ihre Lager zu räumen und einen letzten, wenn auch noch so niedrigen Gewinn daraus zu erzielen. Die zu diesem Zweck herausgegebenen Universalkataloge verzeichneten zwar alte, aber meist unbenutzte Bücher und können nicht als Antiquariatskataloge gelten. Dafür scheinen einige Sortimenter tatsächlich in größeren Mengen gebrauchte Bücher verkauft zu haben, wofür sie allerdings nur selten ge-

950 Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 208f. und 219. 951 Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 215f., 237f. und 397.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels



257

druckte Verzeichnisse nutzten. Sie standen dabei im Streit mit den Buchbindern, die den Handel mit gebundenen Büchern als ihr Privileg ansahen und verteidigten.952 Die Bindung war auch das Hauptunterscheidungsmerkmal, was als »neu« bzw. »alt« bei Büchern galt.953 Nach Adrian Beier waren gebundene Bücher automatisch alte Bücher von geringerem Wert: Jn dessen Ansehung die Buchführer lieber mit rohen Materien handeln. Es solt ein Unberichteter sonst ihren Laden vor des Buchbinders Bude ansehen/ oder meinen/ es handele der Mañ nur mit alter Wahre/ deme uf ein Buch nicht die Helffte müsse gebothen werden/ Hab sein Lebtag gehört/ wie bald man das Buch vom Binder brächte/ werde es vor alt gehalten/ und gehe zum wenigsten der Band verlohren.954

Die zeitgenössische Definition eines antiquarischen Buches weicht demnach von der heutigen ab, was bei der Betrachtung des Antiquariats berücksichtigt werden muss. Im 17. Jahrhundert entwickelte sich in diesem Zusammenhang die Versteigerung von Büchern auf Auktionen als eine neue Praktik im Wissensraum Buchhandel. Die ersten Bücherauktionen in Mitteleuropa waren vermutlich gerichtlich angeordnet. Dazu gibt es einige handschriftliche Hinweise in Büchern, die besagen, dass sie »in auctione« gekauft wurden.955 Laut einer Arbeit Johann Christian Crells aus dem 18. Jahrhundert war bereits 1493 die Bibliothek und Medaillensammlung eines Amsterdamer Bürgermeisters verauktioniert worden. Der Beginn der ersten eigentlichen Bücherauktionen wird von der Forschung aber um 1600 angesetzt. Ab diesem Zeitpunkt fanden die gerichtlichen Versteigerungen regelmäßig statt und professionelle Buchhändler beteiligten sich daran. Die bislang genutzten »Subhastations-Patente«, die die Auktionsbedingungen und eine Beschreibung der zum Verkauf stehenden Objekte enthielten, wurden ersetzt durch gedruckte Kataloge mit Losnummern. Außerdem setzte sich nach Hans Dieter Gebauers Ansicht für die Verstei-

952 Vgl. Reinhard Wittmann: Johann David Hallberger – Antiquar und Auktionator in Stuttgart. Ein Beitrag zur Frühgeschichte des Antiquariats in Deutschland. In: Buchhandel und Literatur. Festschrift für Herbert G. Göpfert zum 75. Geburtstag am 22. September 1982. Hrsg. von Reinhard Wittmann und Bertold Hack. Wiesbaden: Harrassowitz 1982, S. 32–54, S. 33. 953 Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 315. 954 Beier, Kurtzer Bericht, S. 34. Er fügt noch hinzu, dass durchaus manche Leute lieber gebundene Bücher direkt im Buchladen kauften, um sich den Weg zum Buchbinder zu sparen. Vgl. Beier, Kurtzer Bericht, S. 34. 955 Vgl. Bert van Selm: Die frühesten holländischen Auktionskataloge. In: Bücherkataloge als buchgeschichtliche Quellen der frühen Neuzeit. Vom 21.–23. Oktober 1982 in d. Herzog-August-Bibliothek. Hrsg. von Reinhard Wittmann. Wiesbaden: Harrassowitz 1985 (Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens; Bd. 10), S. 67–78, S. 68.

258  3 Der historische Kontext: Buchhandel in der Frühen Neuzeit

gerung mobiler Güter wie Bücher das Anzeigen des Zuschlags durch einen besonderen Auktionshammer durch.956 Die ersten Auktionsveranstaltungen fanden in den Niederlanden statt.957 Hier wurde es um 1600 üblich, ganze Schiffsladungen überseeischer Handelskompagnien zu versteigern, wobei nicht nur Drucke, sondern auch andere Waren angeboten wurden. Diese ersten holländischen Bücherauktionen waren noch keine echten »Warenauktionen«. Statt Verlagslager oder Sortimente aufzulösen, versteigerte man anfangs offenbar nur geschlossene Bibliotheken nach dem Tod ihres Besitzers.958 Diese Auktionen, die jedem zugänglich waren, wurden vor allem in Leiden und Den Haag unter der Aufsicht der Zünfte veranstaltet.959 Die Buchbinder wurden mit der Taxierung und Verwertung solcher hinterlassener Bibliotheken beauftragt, obwohl ihnen dadurch auch eine neue Konkurrenz entstand.960 Anfang des 17. Jahrhunderts waren beide Varianten der Bücherauktionen in den Niederlanden voll entwickelt; einerseits die Versteigerung ungebundener Ware direkt aus Verlagslagern oder Sortimenten von Buchhändlern und andererseits die Verauktionierung gebundener Bücher vornehmlich aus Nachlässen. Der Erfolg dieser Verkaufsform lässt sich an den hartnäckigen Versuchen holländischer Buchhändler ablesen, sie auch in anderen Ländern einzuführen. Dennoch dauerte es über fünfzig Jahre, bis sich die Auktion auch außerhalb Hollands etablierte. Die erste Versteigerung in einem anderen Land ist für 1654 in Kopenhagen durch einen Katalog bezeugt. Doch erst nach 1661 konnte sich das Auktionswesen in Dänemark dank einer einheitlichen Regulierung durch die absolutistische Regierung durchsetzen.961 Andere Länder folgten noch später, so Schweden 1664, England 1676 und Frankreich erst um 1700. Als Gründe für die verspätete Verbreitung der Auktionen außerhalb der Niederlande führt Bert van Selm mehrere Faktoren an. Zunächst war die Handelsfreiheit in der Stadt Leiden dem Auktionswesen förderlich. Darüber hin-

956 Vgl. Hans Dieter Gebauer: Bücherauktionen in Deutschland im 17. Jahrhundert. Bonn: Bouvier Verlag 1981 (Bonner Beiträge zur Bibliotheks- und Bücherkunde; Bd. 28), S. 16–18. 957 Erfunden haben die Holländer die Versteigerung nicht. Sie griffen lediglich eine Tradition auf, die sich über Spanien bis ins Mittelalter zurückverfolgen lässt und ihre Wurzeln bereits im antiken Rom hat. Vgl. Hans Dieter Gebauer: Eine Helmstedter Bücherauktion von 1661. In: Bücherkataloge als buchgeschichtliche Quellen der frühen Neuzeit. Vom 21.–23. Oktober 1982 in d. Herzog-AugustBibliothek. Hrsg. von Reinhard Wittmann. Wiesbaden: Harrassowitz 1985 (Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens; Bd. 10), S. 79–112, S. 79. 958 Vgl. Gebauer, Bücherauktionen in Deutschland, S. 18. 959 Vgl. Furstner, Geschichte des niederländischen Buchhandels, S. 61. 960 Goldfriedrich sieht aufgrund ihrer Beschäftigung mit alten Büchern die Buchbinder und ihren Handel als »eine Vorstufe des spätern buchhändlerischen Antiquariatshandel[s]«. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 110. 961 Vgl. Gebauer, Bücherauktionen in Deutschland, S. 19f.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels

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aus gab es vor 1651 keine Buchhandelsgilden oder -zünfte und bis 1600 weder gesetzliche Handelsvorschriften noch eine Zensur.962 Die fehlenden Bestimmungen erlaubten es jedem Buchhändler, als zusätzlichen Nebenverdienst Auktionen zu veranstalten. Zudem hatten sie als Besucher einer solchen Auktion die Möglichkeit, Bücher billiger einzukaufen. »Sie war also auch für Buchhändler untereinander eine neue Form des Handels, neben Tausch und normalem Kauf.«963 Fand die Versteigerung im eigenen Buchladen statt, konnte der Buchhändler zusätzlich sein eigenes Sortiment mit anbieten und interessierte neue Kundschaft anlocken. Weitere Vorteile des Standorts Holland für das Auktionswesen waren die vielen Studenten als potenzielle Käufer sowie die Tatsache, dass die Städte nah beieinander lagen, sodass die Entfernungen gut zu Fuß zu bewältigen waren. Des Weiteren ist noch Leidens verkehrsgünstige Lage zu nennen, da es über Meere und Flüsse mit allen bedeutenden europäischen Häfen verbunden war. Der letzte Punkt betrifft die relative Sicherheit auf den Verkehrswegen und die frühe Entwicklung der Post, die für den niederländischen Buchhandel insgesamt förderlich waren.964 Aufgrund der Produktionseinbrüche im Buchgewerbe durch den Dreißigjährigen Krieg boten sich nach 1648 günstige Vorbedingungen für die Einführung der Praktik der Bücherauktionen in Deutschland. Wegen der stagnierenden Zahl von Neuerscheinungen wurde der Bedarf nun verstärkt durch den Handel mit gebrauchten Büchern gedeckt. Den ersten Hinweis auf deutsche Versteigerungen gab der Buchführer Jakob de Zetter in einem Brief vom 30. Juli 1644 an den Vizerektor und die Professoren der Helmstedter Universität. Darin bat er um die Erlaubnis, »ein klein Auction ettlicher Bücher zu halten«965, und verwies auf einen beigelegten, jedoch nicht erhaltenen Katalog.966 Der Frankfurter Rat versuchte sich jahrelang mit allen Mitteln gegen die Auktionen niederländischer Messebesucher zu wehren, weil die holländischen Buchhändler auch ungebundene Bücher und Messeneuheiten versteigern wollten. Der Widerstand anderer Buchhändler gegen diese die Preise drückende Art des Messehandels ist verständlich und als auch in Leipzig 1671 Pläne für die Versteigerung verlagsneuer Titel bekannt wurden, war dort die Aufregung ebenfalls groß.967 Im Jahr 1678 wurde in einer Verordnung des Kurfürsten Johann Georg II. am 12. Juli erstmals der »Auctionirer« als Berufsstand erwähnt. Ihnen wurde wie den Buchbindern, Hausierern und Krämern befohlen, mit dem regulären Buchhandel nicht unerlaubt zu konkurrieren und keine »rohen« ungebundenen Bücher zu ver-

962 963 964 965 966 967

Vgl. Selm, Die frühesten holländischen Auktionskataloge, S. 72. Selm, Die frühesten holländischen Auktionskataloge, S. 73. Vgl. Selm, Die frühesten holländischen Auktionskataloge, S. 73–75. Zitiert nach Gebauer, Eine Helmstedter Bücherauktion von 1661, S. 85. Vgl. Gebauer, Eine Helmstedter Bücherauktion von 1661, S. 85f. Vgl. Gebauer, Bücherauktionen in Deutschland, S. 21f.

260  3 Der historische Kontext: Buchhandel in der Frühen Neuzeit

kaufen. Um die herrschende Unordnung beim Verfahren der Versteigerungen in den Griff zu bekommen, wurden ab 1680 schließlich kurz hintereinander in Leipzig, Jena, Dresden, Wittenberg und Halle Bücherauktionsordnungen erlassen, die wie in Dänemark für einheitliche Regelungen sorgen sollten.968 Die Bestimmungen zielten auf eine obrigkeitliche Kontrolle der Auktionen ab und führten dazu, dass die Versteigerung geschlossener Bibliotheken gebrauchter Bücher anstelle der in den Niederlanden verbreiteten Sortimenterversteigerungen favorisiert wurden.969 Gebauer nimmt an, dass Bücherauktionen bis ins 18. Jahrhundert hinein die »wichtigste Form privater Warenauktionen gewesen sind.«970 Zu den Hauptinteressenten gehörten unter anderem die Buchhändler. Die Beispiele des Buchhändlers Bielcke in Jena oder Gottfried Müllers in Braunschweig zeigen, dass viele von ihnen regelmäßig Auktionen besuchten. Auch der Hamburger Buchhändler Pieter Groot, der selbst mehrfach Auktionen veranstaltete, trat häufig als Bieter auf. Dass daneben die Studenten zum Standardpublikum zählten, lässt sich daran ablesen, dass in Deutschland wie auch in den Niederlanden das Bücherauktionswesen zuerst in Städten mit Universitäten und Gymnasien auftrat. Dort gab es die meisten Bibliotheken und einen interessierten Abnehmerkreis. Als weitere wichtige Bietergruppen sind die Vertreter öffentlicher Bibliotheken und fürstliche Agenten zu nennen. Gottfried Wilhelm Leibniz beispielsweise zeigte hierbei als Bibliothekar in Hannover eine systematische Aktivität. Zuletzt gab es noch die akademisch Gebildeten und Gelehrten als verbreiteter Besuchertypus solcher Veranstaltungen.971 Bert van Selm untersuchte die frühesten Auktionskataloge in Holland und stellte fest, dass Datum und Ort der Veranstaltung zunächst nicht auf der Titelseite, sondern am Ende des Katalogs verzeichnet waren. Erst ab 1606 wanderten diese Angaben auf den Titel. Da das genaue Datum der Versteigerung erst relativ spät festgelegt wurde, druckte man oft nur den Monat und das Jahr mit ab, sodass der genaue Tag per Hand kurzfristig eingetragen werden konnte. Alternativ wurde die ganze Titelseite erst nach Fertigstellung des Katalogs gedruckt und nachträglich hinzugefügt. Ein kennzeichnender Bestandteil der Auktionskataloge waren die Losnummern. Selm fand allerdings heraus, dass die frühesten holländischen Kataloge noch keine enthielten. Der älteste erhaltene Auktionskatalog mit Losnummern ist von den Elzevier von 1609. Interessanterweise wurden im 17. Jahrhundert meist nur

968 Die erste dieser Bücherauktionsordnungen wurde am 13. Juni 1680 in Leipzig auf Initiative der Buchhändler erlassen. Nach ihr wurde eine eigene amtliche Stelle für die Bücherversteigerung eingerichtet, die eines von der Obrigkeit bestallten Buchauktionators. Seit einer 1683 in Jena erlassenen Ordnung wurden für das Abhalten von Bücherauktionen Gebühren verlangt. Vgl. Gebauer, Bücherauktionen in Deutschland, S. 34–36. 969 Vgl. Gebauer, Bücherauktionen in Deutschland, S. 31 und 34f. 970 Gebauer, Bücherauktionen in Deutschland, S. 34. 971 Vgl. Gebauer, Bücherauktionen in Deutschland, S. 39 und 88f.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels

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die Kataloge von Privatbibliotheken mit Losnummern versehen, die von Sortimenten dagegen nicht. Eine Erklärung dafür hat Selm nicht. Die Bücher, die in den Katalogen verzeichnet waren, sind im Allgemeinen gut beschrieben mit Angaben zum Erscheinungsjahr, -ort, Verleger und Format.972 Neben den Katalogen nutzten die Veranstalter von Auktionen zur Werbung und Vorankündigung auch die periodische Presse. Sie schalteten Anzeigen darin und es steht fest, »daß die Ankündigungen von Bücherauktionen in den letzten beiden Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts das Bild des erst in Ansätzen entwickelten deutschen Anzeigenmarktes wesentlich mitbestimmten.«973 Von der Deutschen Presseforschung in Bremen wurden allein für Hamburg über hundert Auktionsanzeigen bis 1700 nachgewiesen. In der Regel standen sie am Ende einer Ausgabe des Relations-Couriers, des Nordischen Mercurius oder der Europäischen Relation neben Steckbriefen und anderen Annoncen. Die Anzeige lieferte kurz und knapp die wichtigsten Rahmendaten und erschien im Fall einer lokalen Versteigerung meist erst wenige Tage vor dem angesetzten Termin. Aber auch Buchhändler aus entfernteren Städten annoncierten geplante Auktionen – in den Hamburger Blättern tauchen beispielsweise häufiger der Buchhändler Nikolaus Förster aus Hannover oder der Auktionator Johann Wessel aus Lübeck auf. Diese Anzeigen wurden dann meist mehrere Wochen im Voraus geschaltet und ermöglichten es Interessenten, Kommissionäre zur Teilnahme zu beauftragen.974 Zeitgenössische Auseinandersetzungen mit dem Auktionswesen äußerten sich vorwiegend wohlwollend. Eine negative Einstellung dagegen vertrat der Verfasser des Sende–Schreibens975. Diese Schrift ist eine wichtige Quelle für das frühe Buchauktionswesen in Deutschland, wenn auch keine besonders zuverlässige. Die drei darin auftauchenden Personen sind Gelehrte, die schlechte Erfahrungen mit Versteigerungen gemacht haben. Sie berichten von häufigen Formen des Betrugs. Als größtes Übel stellen sie dabei den systematischen Verkauf beschädigter oder unvollständiger Bücher dar. Ein weiteres Problem sehen sie im gezielten Hochtreiben der Preise durch Scheingebote und in Preisabsprachen.976 Gebauer wertet das Schrift-

972 Vgl. Selm, Die frühesten holländischen Auktionskataloge, S. 70f. Die ausführlichen Titelbeschreibungen in den Auktionskatalogen macht sie zu wertvollen Quellen für die Buchgeschichte, da mit ihnen Privatbibliotheken rekonstruiert oder Sortimente einzelner Buchhändler studiert werden können. Vgl. Selm, Die frühesten holländischen Auktionskataloge, S. 77. 973 Gebauer, Bücherauktionen in Deutschland, S. 84. 974 Vgl. Gebauer, Bücherauktionen in Deutschland, S. 84–86. 975 Sende-Schreiben/ In welchem erwiesen und dargethan/ daß die offentlichen Bücher-Auctiones Denen Gelahrten nicht allein schimpfflich/ sondern auch höchstschädlich und nachtheilig sind : Worinnen zugleich die List und der Betrug so dabey vorgehet/ offenbahret und an Tag geleget wird … [S.I.] 1697. URL: http://digitale.bibliothek.uni-halle.de/urn/urn:nbn:de:gbv:3:1-209 [Stand: 18.02.2018]. Vgl. VD17 1:072566A. 976 Angaben über die Preise bei Auktionen und auch im allgemeinen Buchhandel sind im 17. Jahrhundert selten. Trotzdem kann aus den wenigen vorhandenen Informationen gefolgert werden,

262  3 Der historische Kontext: Buchhandel in der Frühen Neuzeit

stück als ein »typisches barockes Pamphlet: als eine Mischung aus Wirklichkeit, Übertreibung und Wunschdenken, deren Details – auch wenn sie das zeitgenössische Publikum überzeugen mochten – in jedem Fall kritisch gelesen werden wollen.«977 Die im Sende-Schreiben kritisierten Manipulationen gab es zweifellos, doch es ist fraglich, ob die Auktionsbesucher dem so schutzlos ausgeliefert waren, wie es den Leser glauben lässt.978 Die lobende Gegenüberstellung des Einkaufs im Buchladen lässt außerdem darauf schließen, dass der Verfasser zu den Buchhandelsaktanten gehörte. Das macht seine Verurteilung des Auktionswesens umso verständlicher, denn »seit jeher hatten viele deutsche Buchhändler die Versteigerungen als Existenzbedrohung empfunden«979. Dass die Sorge der Buchhändler nicht ganz unangebracht war, obwohl das Auktionieren eine ihrer eigenen Praktiken darstellt, bezeugen die Briefe von Johann Friedrich Leibniz an seinen Bruder Gottfried Wilhelm. Er berichtete ihm unter anderem im August 1686 davon, dass immer öfter Buchhändler in Leipzig aufgrund der raschen Verbreitung von Bücherauktionen ihren Laden schließen müssten. In Hamburg, dem führenden Buchauktionszentrum in Deutschland, waren schon seit den 1670er Jahren Sortimenterauktionen üblich und trotz immer wieder aufflammender Kritik waren sie bald eine alltägliche Erscheinung. Allerdings konzentrierten sich die Versteigerungen allesamt auf das Zentrum und den Norden Deutschlands und damit auf die protestantischen Gebiete. Bis 1700 gibt es keine Belege für Auktionen aus einem katholisch regierten Territorium. Gebauer kann als Gründe dafür nur Vermutungen äußern. Möglicherweise sahen die katholischen Obrigkeiten in den Auktionen die Gefahr, dass unbemerkt indizierte Bücher öffentlich verkauft wurden, wobei dies mit einer strengen Überwachung hätte verhindert werden können. Es wäre außerdem möglich, dass die Verkaufsform der Versteigerung als typisch protestantisch wahrgenommen und deswegen abgelehnt wurde. Gesicherte Aussagen über das Warum lassen sich nicht treffen, es bleibt lediglich Tatsache, dass das Bücherauktionswesen bis ins 18. Jahrhundert hinein eine protestantische Angelegenheit blieb.980

dass die Preise – je nach Erhaltungszustand und Größe – differieren konnten. Insgesamt scheinen die im Sende-Schreiben beklagten überteuerten Auktionsverkäufe eher die Ausnahme gewesen zu sein. Stattdessen waren die Preise für gebundene Bücher im Vergleich zu den ungebundenen Verlagsneuheiten im regulären Buchhandel niedriger. Vgl. Gebauer, Bücherauktionen in Deutschland, S. 97. 977 Gebauer, Bücherauktionen in Deutschland, S. 41. 978 Vgl. Gebauer, Bücherauktionen in Deutschland, S. 39–41. 979 Gebauer, Bücherauktionen in Deutschland, S. 43. 980 Vgl. Gebauer, Bücherauktionen in Deutschland, S. 43f. und 53.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels



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Elzevier und die Niederlande Besonders aktiv im Auktionshandel mit Büchern war die Buchhändlerfamilie Elzevier.981 Die Anfänge dieses bekannten holländischen Buchhandelsgeschäfts im 17. Jahrhundert legte Ludwig Elzevier (1540–1617) Ende des 16. Jahrhunderts. Ab 1580 arbeitete er in Leiden als Buchbinder und besaß einen kleinen Laden gegenüber der Universität. Er führte hauptsächlich kleinere akademische Handbücher. Erst in den 1590er Jahren veröffentlichte er eigene Verlagsartikel, die er in der Druckerei seines Enkels Isaak Elzevier herstellen ließ. Er selbst konzentrierte sich weiterhin vornehmlich auf den Sortimentsvertrieb, den er bald auf Belgien und Frankreich ausdehnte. Die Frankfurter Messe besuchte Ludwig Elzevier seit 1601 regelmäßig und vertrieb dort parallel Verlagsartikel holländischer und französischer Buchhändler auf Kommission.982 Elzevier verfügte über einen guten Geschäftssinn und kaufte ab 1609 ganze Bibliotheksbestände, die er in öffentlichen Auktionen weiterverkaufte; er adaptierte also als einer der ersten Hauptaktanten im Wissensraum Buchhandel die neue Praktik des Auktionshandels. Das tat er darüber hinaus im Auftrag und auf Rechnung Dritter. »Diese Auktionen bildeten auch während des ganzen 17. Jahrhunderts eine Spezialität der Firma und warfen namentlich in dessen erster Hälfte großen Gewinn ab.«983 Ferner war er darin bewandert, für den Verkauf schlecht gehender Werke absatzfördernde Tricks anzuwenden. Wie es auch andere Verlegersortimenter taten, tauschte er dafür die Titelseite eines Drucks aus und setzte einen neuen Verlagsnamen darauf, um so den Anschein zu erwecken, dass es sich um eine Neuerscheinung handelte. Mit dem gleichen Ziel fügte er ein paar Seiten hinzu und nannte die alte Ausgabe erweitert oder führte zwei Werke zu einem »neuen« zusammen.984 Das Familienunternehmen hatte seinen Höhepunkt zwischen 1630 und 1680 und bestand bis 1713. Ihre Hauptgeschäfte führten sie in Leiden und Amsterdam, daneben hatten sie noch Standorte in Den Haag, Kopenhagen und Utrecht. Neben den benachbarten Märkten, besuchten sie die Messen in Frankfurt und Paris. In Dänemark mieteten sie Läden in dem von König Christian IV. errichteten Kopenhagener Börsengebäude. Diese Filiale, deren Bestand durch Spezialkataloge beworben wurde, existierte bis 1652. Königin Christina von Schweden versuchte die Elzevier durch großzügige Angebote dazu zu bringen, in Stockholm ebenfalls eine Buchhandlung zu errichten, was erkennen lässt, wie wichtig auch in Augen der Staats-

981 Vgl. Gebauer, Bücherauktionen in Deutschland, S. 19. Er versteigerte dort – später auch zusammen mit seinem Neffen Jacob Elzevier – vor allem verlagsneue Titel aus den Lagern von Buchhändlern, wie es auch bei anderen Warenauktionen üblich war. Vgl. Gebauer, Bücherauktionen in Deutschland, S. 19. Bis 1611 traten die beiden Ludwig Elzeviers, Vater und Sohn, häufig als Auktionatoren in den Niederlanden auf. Vgl. Selm, Die frühesten holländischen Auktionskataloge, S. 68. 982 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 511f. 983 Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 513. 984 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 512f.

264  3 Der historische Kontext: Buchhandel in der Frühen Neuzeit

macht ein florierender Buchmarkt in den Städten war. Sie gingen jedoch nicht darauf ein und nutzten stattdessen den Stockholmer Buchhändler Curio als Vermittler ihrer geschäftlichen Beziehungen vor Ort.985 Enge Verbindungen hatten sie zuletzt nach England. Der Amsterdamer Enkel Daniel Elzevier besuchte die britische Insel mehrfach in den 1670er Jahren. Er führte dort Geschäfte mit Buchhändlern in London, Oxford, Cambridge, Edinburgh und möglicherweise auch in Dublin. Außerdem stand er in Kontakt zu Privatpersonen in England und Schottland, denen er handgeschriebene Titellisten mit Preisangaben schickte.986 Kultur und Handel entwickelten sich in den Niederlanden, genauer gesagt in der neugegründeten Republik der nördlichen Niederlande, seit Mitte des 16. Jahrhunderts positiv. Es bestanden Differenzen mit dem katholischen Süden des Landes und seit 1648 war die Republik der nördlichen Niederlande auch formell unabhängig. Den kulturellen Aufstieg begünstigten die Emigranten aus dem wirtschaftlich schwächeren südlichen Nachbarland. Zwischen 1572 und 1576 sowie von 1580 bis 1585 kamen in zwei Emigrationswellen ca. 50- bis 100.000 Personen aus den südlichen Niederlanden in den Norden, darunter auch viele Druckerverleger wie zum Beispiel Louis I. Elzevier. Erst 1620 besserten sich die wirtschaftlichen Verhältnisse im Süden und die Emigration stoppte. Die große Blütezeit der Republik der nördlichen Niederlande währte allerdings nur bis etwa 1670. Danach behauptete sie sich zwar weiterhin als politische Großmacht und auch der Handel florierte, die »Goldene Zeit« aber war vorbei.987 Für den Buchhandel besonders positiv wirkte die Zensurentwicklung in den Niederlanden. Nach der Wahl Willem van Oranjes 1572 zum Statthalter Hollands wurden als Reaktion auf die »Schreckensherrschaft« des von Philipp II. 1567 entsandten Herzogs von Alba die spanischen Gesetze und Verordnungen außer Kraft gesetzt, die unter anderem strenge Zensurregelungen umfassten. Im Jahr 1581 wurde dann ein neues Zensuredikt eingeführt, bei dem es besonders um politisches Schrifttum ging. Die Behörden standen dabei auf Seiten der Buchhändler, da sie selbst Kaufleute waren. Beispielsweise kauften sie in Leiden 1583 einem Verleger die Auflage eines zur Beschlagnahmung ausgewiesenen Buches ab, um ihm den dadurch entstehenden Verlust zu ersparen und 1669 warnte der Amsterdamer Bürgermeister die örtlichen Buchhändler vor einer anstehenden Visitation. Das erhellt die Abhängigkeit der Blüte des Handels von der Förderung durch die Obrigkeit.988 Ein wichtiger Punkt für den Buchmarkt der niederländischen Republik war der Handel mit Büchern in französischer Sprache. Zahlreiche Hugenotten flohen vor

985 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 514 und 518. 986 Vgl. Frans Korsten: The Elzeviers and England. In: The Bookshop of the world. The role of the Low Countries in the book-trade 1473–1941. Hrsg. von Lotte Hellinga, Alastair Duke, Jacob Harskamp und Theo Hermans. MS ’t Goy, Houten: Brill | Hes & De Graaf 2001, S. 131–143, S. 131–134. 987 Vgl. Furstner, Geschichte des niederländischen Buchhandels, S. 36–39. 988 Vgl. Furstner, Geschichte des niederländischen Buchhandels, S. 19, 25, 36f., 41 und 47f.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels 

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und nach der Aufhebung des Edikts von Nantes im Jahr 1685 nach Holland. Von den insgesamt 250 in Amsterdam zwischen 1680 und 1725 tätigen Buchhändlern waren 80 Hugenotten. Einige von ihnen wie auch ihre heimischen Kollegen beteiligten sich fast ausnahmslos an dem für die Niederlande im 18. Jahrhundert wichtigen »Französischen Buchhandel«.989 Die buchhändlerischen Beziehungen nach Deutschland werden unter anderem durch die Korrespondenz des Hauses PlantinMoretus mit dem Kölner Buchhändler Hermann Demen zwischen 1673 bis 1706 illustriert. Die Geschäftsbeziehung zwischen Demen und Moretus lief nämlich wie die zu den Förstern und Endter nur in eine Richtung. Es wurden ausschließlich niederländische Bücher nach Köln bzw. in andere deutsche Städte geliefert, jedoch nicht umgekehrt, obwohl Demen selbst mindestens 200 Titel verlegte. Die einzige Ausnahme bilden Messrelationen, die Moretus gelegentlich bei Demen bestellte.990 Das unterstreicht die bereits erwähnte Unbeliebtheit der deutschen Drucke in den Niederlanden sowie die erfolgreichen holländischen Nachdruckaktivitäten, die ihnen zu einer starken Position auf dem deutschen Buchmarkt verhalfen. Leibniz und der Buchhandel – Das Bedürfnis nach Reformen Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) setzte sich intensiv mit dem Wissensraum Buchhandel auseinander und entwarf mehrere große Reformpläne. Ihm widerstrebte vor allem dessen ökonomische Ausrichtung und er versuchte immer wieder im Zusammenschluss mit anderen Gelehrten zu Subskriptionsgesellschaften den Buchhandel in seinem Sinne zu beeinflussen. Seine Pläne legte Leibniz unter anderem an höchster Stelle Kaiser Leopold I., Friedrich Wilhelm I., König in Preußen, und Kaiser Karl VI. vor.991 Die Grundideen betrafen die Einrichtung einer deutschen Gelehrtensozietät, die Gründung einer gelehrten Halbjahreszeitschrift zur Messe – beides nach englisch-französischem Vorbild –, die Reform der Leitung des Buchhandels und den stärkeren staatlichen Eingriff in das deutsche Buchwesen.992 Leibniz erste Beschäftigung mit dem Buchhandel wurde angeregt von Johann Christian von Boineburg und konzentrierte sich zunächst auf den Plan, eine periodische Zeitschrift unter dem Titel Nucleus librarius semestralis herauszugeben. Das seit 1665 erscheinende Pariser Journal des Sçavans diente ihm dabei als Vorbild. Im Oktober 1668 erbat er dafür bei Kaiser Leopold I. ein Privileg. Er plante seine Zeitschrift halbjährlich zur Buchmesse herauszubringen und dem Titel entsprechend

989 Vgl. Furstner, Geschichte des niederländischen Buchhandels, S. 60 und 68. 990 Vgl. Isabel Heitjan: Die Korrespondenz des Kölner Buchhändlers Hermann Demen mit dem Hause Plantin-Moretus zu Antwerpen 1673–1706. In: Festschrift für Josef Benzing zum sechzigsten Geburtstag. 4. Februar 1964. Hrsg. von Elisabeth Geck und Guido Pressler. Wiesbaden: Guido Pressler 1964, S. 187–207, S. 188 und 192–195. 991 Vgl. Stein-Karnbach, G. W. Leibniz und der Buchhandel, Sp. 1191. 992 Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 33f.

266  3 Der historische Kontext: Buchhandel in der Frühen Neuzeit

darin einen Überblick über die wichtigsten wissenschaftlichen Neuerscheinungen zu geben. Ein solches Periodikum erschien ihm nicht nur aufgrund der großen Zahl von neuen Titeln zu jeder Messe notwendig, sondern auch wegen der Unzuverlässigkeit und Unbrauchbarkeit der bislang als Orientierungshilfe genutzten Messkataloge. Leibniz richtete sich mit seinem Vorhaben in erster Linie »gegen den kommerziellen Charakter des Buchhandels«993, indem er durch seine Auswahl nur »guten« wissenschaftlichen Werken zum Verkauf verhelfen wollte. Dem Kaiser gefiel der Vorschlag, aber er nannte drei Gründe, warum er das Privileg nicht genehmigen könne. Erstens könne man niemandem die Nachahmung des Nucleus verbieten, zweitens könne man den Buchhändlern kein weiteres Pflichtexemplar zumuten und drittens würden sich mit Sicherheit die Buchhändler beschweren, deren Bücher nicht darin auftauchten.994 Als nächstes machte Leibniz 1670 ausführliche Vorschläge zur Reform des Frankfurter Bücherkommissariats, wobei er eine strenge Vorzensur für notwendig hielt. Die Behörde sollte unparteilich und mit größerer Durchsetzungskraft arbeiten. Er stellte sich eine Kommission vor, die für das gesamte Buchwesen verantwortlich sein sollte. Weiter forderte Leibniz eine Buchhandelsordnung sowie eine fachliche Anleitung bei der Auswahl der zu publizierenden Titel, um so den deutschen Buchhandel »auf ein höheres Niveau«995 zu heben und wieder wettbewerbsfähig mit dem Ausland zu machen. Der Wissensraum Buchhandel sollte also seiner Sicht nach stärker staatlich kontrolliert werden. Sein wichtigstes Ziel blieb aber die Unterstützung der Wissenschaft. Er forderte eine gemeinsame Organisation der Gelehrten in einer Sozietät, die materielle Absicherung durch Renten und eine engere Zusammenarbeit untereinander. Deutsche Gelehrte sahen sich diesbezüglich durch den Partikularismus in ihrem Heimatland benachteiligt, denn er verhinderte Akademiegründungen wie zum Beispiel in Paris oder London. Außerdem versuchte Leibniz in Verbindung mit den Sozietäten die im Ausland bereits verbreiteten Subskriptionsbzw. Pränumerationsverfahren in Deutschland zu etablieren, um die Risiken des Selbstverlags oder teurer Verlagsvorhaben zu minimieren.996 Leibniz Äußerungen sind vor dem Hintergrund des Merkantilismus zu sehen, der vorherrschenden Theorie in der Wirtschaftspolitik des 17. Jahrhunderts. Dabei ging es besonders um die Einfuhrbehinderung ausländischer Exporte zur Stärkung des heimischen Marktes.997 Sein geistiges Vorbild war Johann Joachim Becher (1635–1682), der in seinem bekannten Politischen Discurs auch eine Beschreibung dem »Buchhandel in specie« widmete. Er sah diesen Handelszweig in einem

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Stein-Karnbach, G. W. Leibniz und der Buchhandel, Sp. 1227. Vgl. Stein-Karnbach, G. W. Leibniz und der Buchhandel, Sp. 1217–1221. Stein-Karnbach, G. W. Leibniz und der Buchhandel, Sp. 1234. Vgl. Stein-Karnbach, G. W. Leibniz und der Buchhandel, Sp. 1229f., 1233f. und 1345. Vgl. Stein-Karnbach, G. W. Leibniz und der Buchhandel, Sp. 1247.

3.1 Der Diskurs, die Aktanten, die Praktiken und die Orte des Buchhandels

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»schlechten Zustand« stehend wegen der großen Konkurrenz der Verlegersortimenter untereinander. »Der gantze Mangl aber komt dahero/ daß der Buecherhandel in ein Polypolium998 ist kommen«999. Nach der Verbreitung des Privilegienwesens im 16. Jahrhundert hatten viele Städte die Zahl der Buchhandlungen beschränkt und einigen wenigen Buchhändlern zu Monopolen verholfen. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts tendierten die Regierungen dann dazu, diese Marktbeherrschung bewusst wieder zu durchbrechen.1000 Aufgrund des nun entstandenen übermäßigen Wettbewerbs waren die Buchhändler gezwungen, ihre Bücher billig zu verkaufen. Als die zweite Bedrohung des Buchhandels machte Becher den Nachdruck fest. Die Praxis des Verstechens, durch die kein Kapitalrückfluss entstehen konnte, die fehlende Bildung und mangelhafte wissenschaftliche Sorgfalt der Verleger sowie die starke Konzentration auf den halbjährlichen Messverkehr sind weitere Probleme des Buchhandels, die Becher benannte.1001 Seine Feststellungen sind nach heutigem Kenntnisstand zutreffend und artikulieren die Schwierigkeiten des Buchhandels Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts. Das Verhältnis des Gelehrten bzw. der Wissenschaft zum Buch war ein genuinerweise enges, aber auch ein zwiespältiges. Der Fall Leibniz demonstriert, wie sich Gelehrte von außen in den Wissensraum Buchhandel einzumischen versuchten. Er und Becher stehen deshalb stellvertretend am Ende dieses Kapitels, da aus ihren Äußerungen klar die Probleme des deutschen Buchmarkts zum Ende der Frühen Neuzeit hervorgehen, ebenso wie ein immer stärker werdendes Bedürfnis nach Reformen. Zu letzteren kam es im Laufe des 18. Jahrhunderts und sie sollten zur Ausprägung der noch heute grundlegenden speziellen Buchhandelsstrukturen in Deutschland führen. Diese Reformzeit habe ich in dieser Arbeit bewusst ausgespart, da sie deutlich besser erforscht ist und das Ende des frühneuzeitlichen Buchhandels einleitet, um den es hier in erster Linie geht.

998 Das Polypol definierte Becher als Gegenteil des Monopols. Vgl. Stein-Karnbach, G. W. Leibniz und der Buchhandel, Sp. 1244. 999 Johann Joachim Becher: Politischer Discurs Von den eigentlichen Vrsachen/ deß Auf- und Abnehmens/ der Städt/ Länder/ und Republicken. In specie, Wie ein Land Volckreich und Nahrhaft z[u] machen/ und in eine rechte Societatem civilem zu bringen. Auch wird von dem Bauren-Handwercks und Kaufmannsstand/ derer Handel und Wandel/ item Von dem Monopolio, Polypolio und Propolio, von allgemeinen Land-Maganzinen/ Niederlagen/ Kaufhäusern/ Montibus pietatis, Zuchtund Werckhäusern/ Wechselbäncken und dergleichen/ außfürlich gehandelt. Frankfurt a. M.: Zunner 1668. URL: http://www.deutschestextarchiv.de/becher_discurs_1668 [Stand: 18.02.2018], S. 62. 1000 Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 129f. 1001 Vgl. Becher, Politischer Discurs, S. 62–66.

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Zusammenfassung Im 17. und 18. Jahrhundert herrschte insgesamt eine große Rivalität zwischen Buchdruckern, Buchbindern und Verlegersortimentern, die von der Krise im Zuge des Dreißigjährigen Krieges begünstigt wurde. Die Buchbinder versuchten weiterhin ihre Position im Wissensraum Buchhandel zu sichern und verloren aufgrund der anwachsenden Altbestände der Buchhändler immer mehr ihr Privileg des Handels mit gebundenen Büchern. Der reine Buchdrucker dagegen, der sich schon im 16. Jahrhundert allmählich vom Handel abgekoppelt hatte, stand wieder in engerer Beziehung zu ihm, da der Zwang zur Herstellung eigenen Tauschmaterials den Buchdruck zu einer buchhändlerischen Praktik im Wissensraum Buchhandel machte. Die Abbildung der Gemein-Nützlichen Haupt-Stände von Christoph Weigel unterteilt die Buchhändler in drei verschiedene Klassen. Weigel nannte zunächst den Buchhändler, der nur mit seinem eigenen Verlag gegen bar handelte. Die zweite Klasse besaß eigene und fremde Verlagsprodukte und »verstach« ihre Ware. Zuletzt gab es noch den Buchhändler, der beides praktizierte und seine Verlagsbücher im Geld- und im Tauschhandel verkaufte.1002 Goldfriedrich hält diese Unterscheidung für unlogisch, da sie die Organisation mit der Geschäftspraktik vermischt. Er verweist stattdessen auf den Politischen Diskurs Bechers, worin zwischen Verlegern und Buchhändlern unterschieden wird. Der Verleger wurde als derjenige charakterisiert, der eine eigene Druckerei betrieb, die Messe besuchte, seine Bücher »content« hielt oder tauschte und mit seinem eigenen Geld handelte, während der Buchhändler von den Verlegern kaufte, um weiterzuverkaufen und nur verlegte, damit er über Tauschmaterial verfügte und nicht in bar zahlen musste.1003 Goldfriedrich präzisierte die Unterscheidung weiter: »Der ›Verleger‹ ist nach beiden der Sortimenterverleger (der große Verleger, der zugleich Sortimentshandel treibt), der ›Buchhändler‹ der Verlegersortimenter (der Sortimenter, der zugleich, eigentlich nebenbei und gewissermaßen notgedrungen, verlegt).«1004 Die Trennung bleibt aber unklar, da es im Einzelfall schwierig ist, eine Person der einen bzw. der anderen Gruppe zuzuordnen. Sie ist damit wenig praktikabel und macht einmal mehr deutlich, wie schwer der Beruf des Buchhändlers auch noch im 17. und 18. Jahrhundert zu fassen und von den anderen Gewerken abzugrenzen ist.1005

1002 Vgl. Weigel, Abbildung der Gemein-Nützlichen Haupt-Stände, S. 244. 1003 Vgl. Becher, Politischer Discurs, S. 63 und 67. 1004 Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 91. 1005 Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 91f. Dem Drucker blieb nur die Möglichkeit als reiner Lohndrucker zu arbeiten oder selbst ebenfalls Buchhändler zu werden. Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 93.

3.2 Der Buchhandel der Frühen Neuzeit als Wissensraum 

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3.2 Der Buchhandel der Frühen Neuzeit als Wissensraum Im vorigen Kapitel wurden an vielen Stellen Bezüge zum theoretischen Modell des Wissensraums gezogen. Da das Hauptaugenmerk aber auf der Darstellung der Buchhandelsgeschichte und dem bisherigen Kenntnisstand der Forschung lag, sollen im Folgenden noch einmal die Aktanten, die Aktantmedien, die Praktiken und wichtige Orte zusammengefasst und in das im 2. Kapitel entwickelte Modell eingeordnet werden. Anhand des Schaubilds können dann die vorgestellten historischen Entwicklungen noch einmal gebündelt und verbildlicht nachvollzogen werden. Dabei wird jedes Jahrhundert zunächst für sich betrachtet. So können Schwerpunktverschiebungen innerhalb des Wissensraums Buchhandel während der Frühen Neuzeit aufgezeigt werden. Da neue Berufsgruppen und Praktiken erst im Laufe der Zeit hinzukamen und andere wiederum ablösten, ist es wenig sinnvoll, nur ein Modell für den gesamten Untersuchungszeitraum zu verwenden. Anschließend werden die verschiedenen vorgestellten Einflüsse von außen auf den Wissensraum Buchhandel für die gesamte Zeit zusammen betrachtet und den Stellen des Modells zugeordnet, auf die sie vornehmlich einwirkten. So können die Außenfaktoren hinsichtlich ihrer Relevanz für den Buchhandel klarer gewichtet werden. Einige Bestandteile bleiben konstant bestehen und werden hier daher vorab kurz erläutert. Es handelt sich um die zentralen Elemente des Wissens und Diskurses, die sozial determinierten Grenzen und wichtige außenstehende Aktanten wie die Autoren bzw. Gelehrten und die Käufer. Das Wissen ist das komplexeste, aber auch das inhaltlich flexibelste Glied innerhalb der Wissensraumstruktur. Es umfasst alles in den Diskursen geteilte und für die Praktiken notwendige Wissen der Aktanten. Da es sich beidem stets anpasst, wäre eine genaue Spezifizierung des Wissens, wie es im historischen Teil ausführlich vorgestellt wurde, in der Modelldarstellung zu ausufernd. Wichtig zu beachten ist hauptsächlich, dass das Wissen des Wissensraums Buchhandel nicht gleichzusetzen ist mit dem Inhalt der von ihnen vertriebenen Bücher, also auch nicht mit dem Wissen der Gelehrten. Gleiches gilt für den Diskurs, der sich vor allem um die ausgeübten Praktiken dreht und darum, was auf dem Markt aktuell gefragt und damit gut verkäuflich ist. Ein plakatives Beispiel für ein inhaltliches Trendthema, das auch den buchhändlerischen Diskurs bestimmte, bietet etwa die Reformation, die für einen begrenzten Zeitraum fast die gesamte öffentliche Diskussion beherrschte. Die außen stehenden Autoren spielen zwar eine wichtige Rolle, jedoch vornehmlich für den Diskurs über Texte und in ihrer Rolle als Auchbuchhändler. Daneben haben sie ihren größten Einfluss auf die Buchproduktion, weshalb sie hier weitgehend ausgeblendet werden. Auch auf die potenziellen Käufer wird an dieser Stelle nicht weiter eingegangen. Sie gliedern sich, wie vorgestellt, in sechs Gruppen, den Klerus, Beamte, Universitätsangehörige bzw. Gelehrte, Schüler und Lehrer, den Adel und das Kaufmanns- und Handelspatriziat. Die sozial determinierten Grenzen schließlich, die die Buchhandelsaktanten von Außenstehenden unterscheiden, wer-

270  3 Der historische Kontext: Buchhandel in der Frühen Neuzeit

den genauer im folgenden Kapitel 4 über die Charakterisierung der Aktanten des Wissensraums Buchhandel ausgeführt. 15. Jahrhundert

Abb. 6: Modell Wissensraum Buchhandel. 15. Jahrhundert.

Nach der Erfindung des Buchdrucks musste sich der Buchhandel in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts erst herausbilden. Es gab noch keinen eigenen Berufsstand der Buchhändler und die frühen Druckerverleger mussten sich zunächst eigenständig um den Vertrieb ihrer Druckwerke kümmern. Sie sind damit die Hauptaktanten im Wissensraum Buchhandel dieser Zeit. Zu ihnen gesellen sich in einer frühen Ausdifferenzierung seit den 1480er Jahren die Buchführer als unabhängiger Berufszweig. Als Nebenaktanten traten von Beginn an die Buchbinder und die

3.2 Der Buchhandel der Frühen Neuzeit als Wissensraum 

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Auchbuchhändler auf. Ebenso sind hier die kleineren Ein-Mann-Betriebe einzuordnen, da sie in der Regel nur auf lokaler Ebene agierten und keine den großen Aktanten vergleichbaren Netzwerke unterhielten. Die Nebenaktanten sind auf der Außenlinie eingeordnet, da sie Grenzfälle sind. Besonders die Buchbinder mussten häufig um ihren Platz innerhalb des Wissensraums Buchhandel kämpfen. Die Buchhandelsaktanten bedienten sich verschiedener Praktiken für den Buchvertrieb. Neben der Tatsache, dass die Druckerverleger selbst Bücher druckten und verlegten – was (noch) nicht als buchhändlerische Praktik verstanden werden kann – führten sie in der Regel einen kleinen Verkaufsstand mit direktem Anschluss an die Druckerei sowie an öffentlichen Plätzen oder in den Wirtshäusern ihres Wohnsitzes. Daneben richteten sie in anderen Städten und Ländern Handelsniederlassungen und Lager ein, da sie durch die vornehmlich lateinische Druckproduktion in der Regel international handelten. Angestellte vor Ort sammelten in diesen Faktoreien die Bücher des Inhabers sowie befreundeter Offizinen und vertrieben sie stationär. Darüber hinaus übernahmen sie den weiteren Vertrieb im Umland. Eine weitere früh entwickelte und vom allgemeinen Warenhandel übernommene Praktik war von Anfang an der Besuch der Märkte und Messen. Vor allem die Messe in Frankfurt konnte neben der in Lyon schon gegen Ende des 15. Jahrhunderts Bedeutung für den Buchhandel gewinnen. Beide wurden bald zum festen Treffpunkt der großen Buchhandelsaktanten. Die Orte Lyon, Frankfurt und Leipzig waren somit in erster Linie aufgrund ihrer Messen von Bedeutung für den Wissensraum Buchhandel, wobei die ersten beiden vornehmlich als Abrechnungstermin, Zahlstelle und Ort großer Geschäftsabschlüsse dienten, während Leipzig hauptsächlich als Absatzmarkt bedeutend war. An dieser Stelle sei auch noch einmal auf das ausgeklügelte europaweite Messesystem der Zeit hingewiesen, in dem die Termine der großen und kleineren Messen so aufeinander abgestimmt waren, dass sie sich nicht überschnitten und die Händler möglichst viele von ihnen besuchen konnten. Wichtig für den Buchhändler waren die persönlichen Reisen zu den Messen, zu seinen Faktoreien und zu Kollegen oder bedeutenden Kunden. Aber auch die Bücher mussten von A nach B bewegt werden und der Transport oder besser gesagt dessen Organisation war eine weitere wichtige Praktik der Buchhändler. Wie bereits ausgeführt, mussten für den Versand der Bücherfässer zahlreiche Schwierigkeiten überwunden werden und die Optimierung der Lieferbedingungen war ein wichtiges Thema in der buchhändlerischen Korrespondenz. Erforderlich dafür war nicht nur die Kenntnis der zu überwindenden Entfernung für die zeitliche Planung, sondern auch das Wissen über die Kosten für die Kalkulation und die geographischen Gegebenheiten, um sich zwischen dem Land- und dem Wasserweg entscheiden und anfallende Zollgebühren einplanen zu können. Außerdem war es für die Buchhändler sinnvoll, über bestehende Geleitzüge zu den Messen informiert zu sein und sich ihnen anzuschließen. Eine bedeutende, wenn auch temporäre und nur für den deutschsprachigen Buchmarkt relevante Praktik war die Verwendung von Bücheranzeigen in den

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1470er und 1480er Jahren. Wie vorgestellt, beurteilt die Forschung sie teilweise als Vorreiter der schriftlichen Wirtschaftsreklame, womit die Buchhändler an dieser Stelle neue Wege einschlugen. Die Zünfte, in die alle Handwerke eingebunden waren, standen Werbung und Wettbewerb nicht nur ablehnend gegenüber, sondern werteten sie sogar als Strafbestand. Dies war womöglich einer der Gründe dafür, dass die Bücheranzeigen vorerst wieder verschwanden. Genutzt wurden sie von Buchführern im Wanderhandel, um sie in fremden Städten öffentlich anzuschlagen und handschriftlich darauf zu vermerken, wo der interessierte Kunde sie finden könnte. Aber auch die Druckerverleger wollten mit ihnen auf weitere Verkaufsstätten ihrer Bücher vor Ort aufmerksam machen. Die Bücheranzeigen sind darüber hinaus als Aktantmedien aufzufassen, da sie brancheninterne Informationen über im Druck erhältliche Titel und ihren Verkaufsort lieferten. Sie standen damit an einer Kommunikationsschnittstelle zwischen den Buchhändlern und ihren Kunden. Ebenso als vermittelndes Aktantmedium zwischen Buchhandelsaktant und Käufer fungierte das Buch selbst. Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts hatte sich das Titelblatt entwickelt, das auf einen Blick die entscheidenden Informationen über das vorliegende Buch verraten sollte. Auch für den Zwischenhandel war das Buch damit ein Aktantmedium, das für sich selbst sprechen konnte. Ein weiteres Aktantmedium, das vornehmlich für die buchhändlerische Kommunikation, aber auch den Austausch mit Autoren und Kunden genutzt wurde, war die Korrespondenz. Die Geschäftsbriefe ersetzten stellenweise den persönlichen Besuch, der für wichtige Besprechungen jedoch weiterhin die erste Wahl war. Die nächstliegende Praktik der Buchhandelsaktanten war schließlich der Kern ihres Geschäfts, der Verkauf der Bücher. Dafür mussten sie Preise kalkulieren und festlegen, was in der Anfangszeit offenbar noch sehr individuell geschah. Der Buchhändler musste dabei Rabatte an Händlerkollegen und in Einzelfällen auch an Endkunden einbeziehen. Ihre Höhe konnte deutlich variieren. Der Verkauf selbst geschah mittels Barkauf, über Kredite und den Tausch. Im 15. Jahrhundert liefen diese Zahlungspraktiken parallel, wobei das Verstechen in erster Linie im Zwischenhandel und bei größeren Büchermengen relevant war, ansonsten aber nur eine untergeordnete Rolle spielte. Bedeutende Orte im Wissensraum Buchhandel schließlich waren in Deutschland neben den bereits genannten Messezentren vor allem die am Rhein gelegenen Städte Köln, Straßburg und Basel sowie die wichtigen süddeutschen Handelsmetropolen Nürnberg und Augsburg. Der europäische Schwerpunkt des Buchhandels lag zunächst in Frankreich mit Paris und der Messe in Lyon. Bald stellte sich allerdings Italien mit der Stadt Venedig an die Spitze nicht nur der europäischen Druckproduktion, sondern auch des Handels.

3.2 Der Buchhandel der Frühen Neuzeit als Wissensraum

 273

16. Jahrhundert

Abb. 7: Modell Wissensraum Buchhandel. 16. Jahrhundert.

Unter den Aktanten lässt sich im 16. Jahrhundert eine leichte Verschiebung feststellen. Druckerverleger gab es zwar weiterhin, doch die Trennung zwischen dem Verleger und dem Lohndrucker wurde zur Regel, sodass sich vor allem der Druck aus dem gängigen Mischbetrieb herauslöste. Unter den Buchhändlern erscheinen in diesem Jahrhundert entsprechend neben den Buchführern auch reine Verleger, da sie weiterhin oft selbst den Vertrieb übernahmen. Bei den Nebenaktanten kommen lediglich zwei weitere Berufssparten hinzu, Kolporteure und Hausierer, die sich zwar schon Ende des 15. Jahrhunderts entwickelt hatten, ihre große Verbreitung jedoch erst mit der Reformation und der gesteigerten Produktion von Kleinschrifttum Anfang des 16. Jahrhunderts erfuhren. Die Reformation war auch der Grund für das zeitweilige Auftauchen einer Stadt unter den wichtigsten Orten innerhalb des Wissensraums Buchhandel, die aufgrund

274  3 Der historische Kontext: Buchhandel in der Frühen Neuzeit

ihrer schlechten Verkehrslage eine Ausnahme bildet. Wittenberg war die Wirkungsstätte Martin Luthers und diesem Umstand verdankte sie ihren Aufstieg, weshalb sie ihre führende Rolle mit Abebben der Religionsstreitigkeiten wieder einbüßte. Weitere relevante Orte blieben Augsburg, Nürnberg sowie Basel, Straßburg und Köln. Als Messestadt verlor Lyon deutlich an Bedeutung, wohingegen Frankfurt im Laufe des 16. Jahrhunderts zum europäischen Mittelpunkt des Buchhandels heranwuchs. Leipzig war ebenfalls ein wichtiger Anlaufpunkt, allerdings noch ohne eine vorherrschende Stellung. Von den ausländischen Städten verlor vor allem Venedig zusammen mit ganz Italien deutlich an Einfluss. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde der italienische Buchmarkt erheblich durch die veränderte politische Situation Italiens gestört. Seit dem Einfall Karls VIII. 1494 gab es im Land Unruhen, Erhebungen und Revolten aufgrund der innerländischen Konflikte und ausländischen Angriffe. Diese Situation hielt bis zum Frieden von Cateau-Cambrésis 1559. Doch auch anschließend gab es vermehrt Hindernisse für die italienischen Buchhändler insbesondere aufgrund der zu diesem Zeitpunkt anbrechenden spanischen Herrschaft. Hinzu kamen die von Rom ausgehenden Zensurmaßnahmen.1006 Die im Modell aufgeführte britische Hauptstadt London war für den europäischen Buchhandel vor allem deshalb von Bedeutung, weil sie noch weitestgehend auf den Buchimport vom Festland angewiesen war. Im Zuge der zunehmenden Abschottung des englischen Buchmarkts im Laufe des 16. Jahrhunderts reduzierte sich ihr Stellenwert im gesamteuropäischen Buchhandel wieder. Stattdessen ist anhand des wachsenden Einflusses der Stadt Antwerpen bereits eine allmähliche Verschiebung des buchhändlerischen Schwerpunkts in den Norden festzustellen. Zu den wichtigsten Praktiken der Hauptaktanten im Wissensraum Buchhandel des 16. Jahrhunderts wurde der Messehandel, was auch die Tatsache unterstreicht, dass der Messetermin zur wichtigsten Deadline für das Erscheinen neuer Titel avancierte. Parallel dazu nahm vor allem die Einrichtung ausländischer Faktoreien deutlich ab, blieb aber weiterhin als Praktik bestehen. Neben den ansonsten weiter geübten Praktiken, wie sie für das 15. Jahrhundert vorgestellt wurden, kam mit der Privilegiengewinnung eine weitere hinzu. Privilegien konnten für ein einzelnes Buch oder einer Person als Monopol für ihre Tätigkeit vom Kaiser oder einzelnen Fürsten verliehen werden und sollten in erster Linie vor dem Nachdruck schützen. Diese Praktik erlangte keinen großen Stellenwert, da viele Buchhändler aufgrund der Gebühren und des komplizierten Verfahrens darauf verzichteten. Im Zusammenhang mit der Praktik der Werbung standen im 15. Jahrhundert die Bücheranzeigen. Diese wurden im 16. Jahrhundert als Aktantmedien durch die Kataloge ersetzt. Eine besondere Bedeutung unter den Buchhändlerkatalogen, die in ers-

1006 Vgl. Marco Santoro: Geschichte des Buchhandels in Italien. Übers. von Heribert Streicher. Wiesbaden: Harrassowitz 2003 (Geschichte des Buchhandels; Bd. VIII), S. 63f.

3.2 Der Buchhandel der Frühen Neuzeit als Wissensraum 

275

ter Linie zur Bewerbung von Verlagssortimenten und Lagerbeständen dienten, hatte der Messkatalog. Das Ziel des Messkatalogs war es bald, einen Gesamtüberblick über die auf der jeweiligen Messe angebotenen Bücher zu bieten. Damit entwickelte er sich von seiner ursprünglichen Aufgabe als Werbemittel des Begründers Georg Willer weiter zu einem zentralen Kommunikationsorgan der Buchhändler untereinander und stellt damit ein wichtiges Aktantmedium innerhalb des Wissensraums Buchhandel dar. 17. Jahrhundert

Abb. 8: Modell Wissensraum Buchhandel. 17. Jahrhundert.

Im 17. Jahrhundert ist wieder eine Änderung bei den Hauptaktanten festzumachen. Der Dreißigjährige Krieg führte dazu, dass es häufig deutlich schwieriger wurde, an Bargeld heranzukommen, weshalb die Buchhändler immer mehr dazu übergingen, ihre Bücher zu verstechen. Die Verbindung zwischen Verlag, Produktion und Han-

276  3 Der historische Kontext: Buchhandel in der Frühen Neuzeit

del wurde so im Laufe des 17. Jahrhunderts noch einmal wesentlich enger und die Buchhändler waren bald gezwungen, große Büchermengen zum Tausch zur Verfügung zu haben. Die sogenannten Verlegersortimenter wurden somit zu den Hauptaktanten dieser Zeit. Sie unterscheiden sich von den früheren Verlegern, die auch den Vertrieb ihrer Verlagswerke übernahmen, in erster Linie darin, dass sie große lokale Buchhandlungen betrieben. Unter den Nebenaktanten sind in diesem Jahrhundert nun auch die Buchagenten aufgeführt, die im vorstehenden historischen Überblick noch keine Erwähnung gefunden haben. Das liegt daran, dass die Verbindung der in Diensten von Fürsten stehenden Agenten zum Buchhandel bislang wenig untersucht ist. Im folgenden Kapitel zu den Aktanten im Wissensraum Buchhandel werde ich mir die Agenten Herzog Augusts zu Braunschweig-Lüneburg genauer ansehen und ihre Bucherwerbungstätigkeit vorstellen. Ob ihr Beispiel verallgemeinert werden kann und für welchen Zeitraum sie als Nebenaktanten relevant sind, kann ich aufgrund einer fehlenden Vergleichsbasis nicht entscheiden.1007 Dies bleibt der weiteren Forschung zu diesem Thema überlassen. Unter den Aktantmedien kommen in diesem Jahrhundert erneut die Anzeigen hinzu, diesmal handelt es sich allerdings nicht um eigens gedruckte Einzelblätter, sondern um Ankündigungen in Zeitschriften, Zeitungen, Journalen und Intelligenzblättern. Dieses neue Aktantmedium erlangte seine Verbreitung zusammen mit dem Aufstieg der periodischen Presse und stellt ein ganz neues Werbemittel dar, das nicht nur vom Buchhandel genutzt wurde. Quantitativ dominierten die Buchanzeigen aber deutlich. In ihnen wurden auch die im 17. Jahrhundert neu hinzukommenden Praktiken der Subskription und der Pränumeration beworben. Bei beiden bestellte der Kunde ein noch nicht fertiggestelltes Buch durch eine verbindliche Unterschrift oder eine Anzahlung und erhielt es dafür später zu einem vergünstigten Preis. Zur wichtigsten Bezahlpraktik im Wissensraum Buchhandel wurde nun im Zusammenhang mit dem Typus des Verlegersortimenters der Tauschhandel, der weiterhin in erster Linie im Zwischenhandel geübt wurde. Dazugehörig erscheint als weitere Praktik an dieser Stelle der Verlag, da der Tauschhandel den Buchhändler dazu nötigte, eigene Verlagswerke zum Verstechen bereitzuhalten. Dabei war es nicht relevant, ob er dafür über eine eigene Druckerei verfügte oder ob er Aufträge an Lohndrucker vergab, weshalb an dieser Stelle auch nicht von der Buchproduktion die Rede ist.

1007 Einen Grund, warum es möglicherweise sinnvoll ist, die Agenten spätestens im 17. Jahrhundert als Nebenaktanten aufzuführen, sehe ich im gewandelten Selbstverständnis der herrschenden Klasse. Befördert durch den Bildungswillen der Reformatoren etablierte sich Ende des 16. Jahrhunderts das Ideal des gelehrten Fürsten. Gemeinsam mit diesem neuen Ideal kam es im 16. und 17. Jahrhundert vermehrt zur Gründung von Fürstenbibliotheken, für deren Bestückung die Fürsten ihre Agenten einspannten. Genaueres hierzu siehe Kapitel 4.3.

3.2 Der Buchhandel der Frühen Neuzeit als Wissensraum 

277

Obwohl es bereits zuvor immer wieder einzelne Andeutungen zum Kommissionsgeschäft, der Zusendung von Büchern mit Remissionsrecht, gab, taucht es Anfang des 18. Jahrhunderts als etwas Neues auf. Da der Kommissionshandel sich bald etablierte und als Vorläufer des späteren Konditionshandels gilt, erscheint er im Modell für das 17. Jahrhundert erstmals als eigenständige buchhändlerische Praktik. Zuletzt taucht eine tatsächlich neue Praktik in der Liste auf, das Antiquariat bzw. der Auktionshandel. Der Tauschhandel und die dadurch bedingte enge Verbindung von Verlag und Vertrieb führten zu einem immer größeren Anwachsen der Lager und einem zunehmenden Vorrat an alten Drucken. Um diese Bücher loszuwerden, aber auch für den Verkauf gebrauchter Bücher oder ganzer Nachlassbestände etablierte sich im 17. Jahrhundert die Versteigerung solcher Waren. Da einige der größeren Buchhandelsaktanten diese Auktionen bald systematisch betrieben oder besuchten, wurde ihre Veranstaltung zu einer relevanten buchhändlerischen Praktik. Unter den wichtigen Orten wird nun die im 16. Jahrhundert beginnende Verlagerung des Schwerpunkts in den Norden deutlich. Die Entwicklung verlief zwar nur langsam, aber spätestens Anfang des 18. Jahrhunderts hatte Leipzig Frankfurt in seiner Führungsrolle unter den deutschen Messestädten abgelöst. Die Gründe dafür waren vielfältig und wurden im vorangegangenen Kapitel bereits ausführlich dargestellt. Diese in Deutschland feststellbare Verschiebung des buchhändlerischen Schwerpunkts spiegelte sich auch in Europa wider, wo im 17. Jahrhundert nun die Niederlande tonangebend wurden. Hier festigten Amsterdam und Leiden ihre Position als führende Buchhandelsstädte. Von den deutschen Städten verloren alle in den vorigen Jahrhunderten aufgelisteten gegenüber den großen Messeplätzen ihre internationale Bedeutung. Dies lag nicht nur an den vielerorts negativen wirtschaftlichen Folgen des Dreißigjährigen Krieges, sondern auch am Erstarken der Nationalsprachen in der Literatur. So etablierten sich stärker auf den Heimatmarkt konzentrierte Buchhandelszentren wie zum Beispiel Paris und London jeweils für ihr Land. Einflüsse von außen Im letzten Modell (Vgl. Abb. 9) sind alle genannten buchhändlerischen Praktiken gesammelt aufgeführt, während die wichtigsten Städte wie auch die Aktanten aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht im Einzelnen noch einmal aufgelistet sind. Die Einflüsse von außen sind farblich abgesetzt außerhalb der Grenzlinie angeordnet. Daraus geht hervor, dass sie sich in erster Linie auf die Praktiken und die Orte innerhalb des Wissensraums beziehen. Eine Ausnahme unter ihnen bildet die Reformation, denn der von Martin Luther entfachte Glaubensstreit hatte großen Einfluss auf mehrere Bereiche. Zunächst bestimmte die Reformation zeitweilig den Diskurs der Buchhändler. Das hatte zur Folge, dass nicht nur vermehrt Schriften der Reformatoren und der Gegenseite produziert wurden, sondern auch dass die bereits im Druck vorliegenden zuvor populären Werke der Humanisten keinen Absatz mehr versprachen und daher nicht mehr von den Buchführern übernommen wurden.

278  3 Der historische Kontext: Buchhandel in der Frühen Neuzeit

Durch das plötzliche große Interesse der Öffentlichkeit am Religionsstreit erfuhr mit dem Buchdruck auch der Handel einen deutlichen Aufschwung. Die Reformation sorgte für einen regelrechten »Boom« des Kleinschrifttums und mit ihm für die Ausweitung des Kolportage- und Hausierhandels. Schließlich taucht sie als Einflussfaktor in Bezug auf die Orte innerhalb des Wissensraums auf, da sie der Grund für die zeitweilige Führungsrolle Wittenbergs war.

Abb. 9: Modell Wissensraum Buchhandel. Einflüsse von außen.

Ebenfalls nicht auf die Praktiken gerichtet – auch wenn sie dort ebenfalls Auswirkungen hatte – erscheint die Zensur. Sie betraf vor allem die Ware des Buchhandels, da es ihr um die darin vermittelten Inhalte ging. Auf den Verkauf hatte sie damit großen Einfluss, denn die Buchhändler mussten darauf achten, welche Bücher sie wo verkauften, um keine Schwierigkeiten mit den Behörden zu bekommen. Die Zen-

3.2 Der Buchhandel der Frühen Neuzeit als Wissensraum 

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sur mit ihrem schriftlichen Hauptorgan, dem Index librorum prohibitorum, erfolgte zunächst von kirchlicher Seite aus. Einen staatlichen Reglementierungsversuch stellte später dann die Einrichtung der Bücherkommission auf den Messen in Frankfurt und Leipzig dar. Sie wirkte auf die Praktik des Messehandels ein, indem sie regelmäßig Visitationen in den Gewölben der Buchhändler veranstaltete und die Ablieferung von Freiexemplaren an den Kaiser einforderte. Ebenfalls von staatlicher Seite eingeführt und auf die Praktik des Messehandels bezogen erscheint die Büchertaxe in Frankfurt und Leipzig. Sie war eine Preisfestsetzung, die dem Buchhandel nach dem Dreißigjährigen Krieg wieder zu mehr Aufschwung verhelfen sollte, von den Buchhändlern aber als unpraktikabel abgelehnt wurde und sich so nicht durchsetzen konnte. Besonders hinderlich wirkten die vielen Kriege der Frühen Neuzeit. Innerhalb Deutschlands schwächte außerdem der dauernde Streit unter den Fürsten und mit dem Kaiser das Land. Das sorgte für Schwierigkeiten beim Transport der Bücher oder bei den Reisen der Buchhändler über unsichere Straßen und über Landesgrenzen hinweg. Die einzelnen Kriege sollen hier nicht alle noch einmal wiederholt werden. Aufgrund seiner besonderen Bedeutung ist aber der Dreißigjährige Krieg von 1618 bis 1648 hervorzuheben. Er sorgte für deutliche Produktionseinbrüche und beförderte im Buchhandel aufgrund des akuten Geldmangels den Tausch. Der Tauschhandel führte zu zahlreichen Problemen, die Reformbedürfnisse weckten und Umstrukturierungen notwendig machten. Damit hatte er also eine erhebliche Wirkung auf die weitere Entwicklung des Buchhandels. Insgesamt zeigte sich der Wissensraum Buchhandel sehr unpolitisch und vor allem ökonomisch orientiert, da die Buchhändler bestrebt waren, den Austausch mit Kriegsgegnern aufrechtzuerhalten. In ähnlicher Weise störend für den Buchhandel waren die anfallenden Zölle und Abgaben innerhalb Deutschlands und an den Landesgrenzen sowie die Landesgesetze, wie zum Beispiel das Heimfallsrecht, durch das im Todesfall eines Faktors das gesamte Lager eines Buchhändlers durch ein fremdes Staatsoberhaupt beschlagnahmt werden konnte. Diese nur im Groben aufgeführten Einflussfaktoren von außen auf den Wissensraum Buchhandel erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und zeigen nur einige wichtige Aspekte. Dabei fällt auf, dass sich die Buchhandelsaktanten oft erfolgreich gegen Kontrollversuche sowohl von staatlicher als auch von kirchlicher Seite wehren konnten, da weder die Zensur noch die Bücherkommission oder die Büchertaxe ganz im Sinne der jeweiligen Obrigkeit durchgesetzt werden konnten. Die genannten Einflüsse sollen in erster Linie zeigen, dass der Wissensraum Buchhandel nicht losgelöst von den zeitgeschichtlichen Umständen, wie den herrschenden politischen und religiösen Verhältnissen, sowie der Geographie und den örtlichen Gegebenheiten betrachtet werden kann.

4 Die Aktanten im Wissensraum Buchhandel Der Wissensraum Buchhandel wird definiert durch soziale Grenzen. Diese Grenzen bestimmen, welche Personen als Aktanten in den Wissensraum gehören und dort aktiv werden können. Die Buchhandelsaktanten der Frühen Neuzeit sind in diesem Sinne nur schwer auszumachen, denn die bereits mehrfach erwähnten begrifflichen Überschneidungen der Berufsgruppen im Buchhandel sorgten schon bei den Zeitgenossen für Verwirrung. Am 14. September 1569 erläuterte der Frankfurter Rat zur Messe in Bezug auf die Buchhändler, daß oberzehlte Personen nit allein Buchtrucker, sondern mehreren Theils zum Theill Buchhändler, zum Theill Buchführer seint. […] Weither seint auch vil vnder solchen Typographis, die für sich selbst nichts, sondern allein mercenarie anderen, zum Theill auch Buchtruckern, zum Theill aber Buchhändlern und Verlegern trucken und die getruckten Exemplare denselben zustellen.1

Der Nürnberger Rat differenzierte bis Mitte des 16. Jahrhunderts in seinen Amtbüchern nicht zwischen Buchhändlern und Buchdruckern. Bis einschließlich 1548 wurde der Begriff »Buchtrucker« stattdessen synonym für beide verwendet.2 Die von mir gewählte allgemeine Berufsbezeichnung der Buchhändler meint nach dem Lexikon des gesamten Buchwesens (LGB) eine männliche oder weibliche Person, die Bücher verkauft, d. h., die durch gewerbsmäßige Anschaffung und Weiterveräußerung von gebrauchten bzw. verlagsneuen Büchern Handel treibt. Der Beruf des B.s stellt über das rein Kaufmännische hinaus hohe geistige und soziale Anforderungen.3

Die im 15. und 16. Jahrhundert verbreitete Benennung war laut dem LGB der Buchführer.4 Als Berufsbezeichnung trat der Buchführer erstmals 1481 auf und wurde in der Kanzleisprache noch bis 1806 beibehalten. Erst ab Mitte des 17. Jahrhunderts setzte sich dann der Ausdruck Buchhändler durch.5 Die verschiedenen Begriffe wurden jedoch in der gesamten Frühen Neuzeit nicht einheitlich verwendet. »Ein fester Sprachgebrauch hatte sich noch nicht herausgebildet, so daß die Bezeichnung Verleger, Drucker, Buchführer bei gleicher Vertriebstätigkeit häufig durch- und nebeneinander benutzt wurden.«6 Aus diesem Grund habe ich mich, wie in der Einleitung

1 Zitiert nach Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 280. 2 Vgl. Grimm, Die Buchführer des deutschen Kulturbereichs, Sp. 1192. 3 Lexikon des gesamten Buchwesens: LGB. Hrsg. von Severin Corsten und Günther Pflug. 2. völlig neu bearb. u. erw. Aufl. Bd. 1: A–Buch. Stuttgart: Hiersemann 1987, S. 598. 4 Vgl. LGB2, Bd 1, S. 592. 5 Vgl. Gerd Schulz: Buchhandels-Ploetz. Abriss der Geschichte des deutschsprachigen Buchhandels von Gutenberg bis zur Gegenwart. 4. durchges. u. akt. Aufl. Freiburg im Breisgau [u. a.]: Ploetz 1989, S. 13. https://doi.org/10.1515/9783110616521-004

4.1 Die Rolle der Buchhändler im Spiegel überlieferter Quellen 

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ausgeführt, für den Buchhändler als allgemeinen Oberbegriff entschieden. Einerseits soll dadurch die Offenheit des Berufs herausgestellt werden und andererseits kann so der Buchführer als Unterbegriff verwendet werden, nicht nur für selbstständige Buchhändler, die Bücher verschiedener Offizinen auf eigene Rechnung vertrieben, sondern auch für die für den Vertrieb angestellten Diener. Die begrifflichen Überschneidungen werden schließlich auch in der Charakterisierung des Buchhändlers durch den Fürstlich Schwarzburgischen Kanzler Ahasveri Fritsch (1629–1701) in seiner Abhandlung über Buchdrucker, Buchhändler, Papiermacher und Buchbinder (lat. 1675, dt. 1750) sichtbar: Das Wort Bibliopolium kommt aus dem Griechischen her; In Lateinischer Sprache heisset es Officina Libraria, und zu Teutsch ein Buchladen. Derjenige nun, so derselben vorstehet, wird auf Lateinisch Librarius, in unserer Teutschen Sprache aber ein Buchhändler, Buchführer benahmset, und ist ein Handelsmann, der Bücher zum Verkauff feil hat.7

Trotz dieser Schwierigkeiten wird im Folgenden eine Charakterisierung der Buchhändler als Hauptaktanten sowie gesondert der Buchagenten als Nebenaktanten vorgenommen. Dafür werden in beiden Teilen umfangreiche Quellen – im Fall der Buchhändler bereits edierte Bestände – herangezogen und ausgewertet.

4.1 Die Rolle der Buchhändler im Spiegel überlieferter Quellen Daß die Buchhändler in demselben Maße wie die Buchdrucker Helfer der Gelehrsamkeit sind, wird niemand bestreiten. Jene nämlich schaffen nicht nur Bücher – auch wenn diese an den entferntesten Orten gedruckt sind – zum Verkauf herbei, vielmehr sorgen sie auch dafür, daß solche – unter nicht geringem Aufwand – gedruckt werden.8

Als ältesten urkundlich belegten Buchführer nennt Friedrich Kapp den Händler Reinhard Türkhl. Dieser verkaufte 1474 in Wien fünf Exemplare der Pantheologia9 an einen Kölner Franziskanermönch namens Hans. Die von Zeugen beglaubigte

6 LGB2, Bd 1, S. 598. 7 Ahasveri Fritsch: Abhandlungen Von denen Buchdruckern/ Buchhändlern/ Papiermachern und Buchbindern/ Insonderheit von deren Statuten/ Freyheiten/ Streitigkeiten, der Bücher-Censur, Inspection derer Buchdruckereyen= und Buchläden, Ordnungen. Zum diensamen Gebrauch derer der Lateinischen Sprache Unkundigen ins Teutsche übersetzt Von Sincero. Regensburg: Christian Gottlieb Seiffart 1750. URL: http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12bsb10671714-0 [Stand: 18.02.2018], S. 28. Laut Grimm war ein Librarius dagegen ein »Drucker, der Buchverlag und Buchhandel zugleich mitbetrieb.« Grimm, Die Buchführer des deutschen Kulturbereichs, Sp. 1425. 8 Zitiert nach Der deutsche Buchhandel in Urkunden und Quellen, Bd I, S. 49. 9 Rainerius de Pisis: Pantheologia. Mit Praefatio von Jacobus Florentinus. Nürnberg: Johann Sensenschmidt und Heinrich Kefer 1473. Vgl. GW M36929.

282  4 Die Aktanten im Wissensraum Buchhandel

und mit einem Siegel versehene Urkunde gibt weiter an, dass Türkhl von Hans für die fünf ersten Bände der Pantheologia drei ungarische Gulden als Zahlung erhielt und ferner, dass er sich dazu verpflichtete, die fehlenden fünf Exemplare des zweiten Bandes bis spätestens zum nächsten Martini – einer Zeitspanne von drei Monaten entsprechend – nachzuliefern. Andernfalls könne der Mönch die bereits erhaltenen Bücher weiterverkaufen, um so sein Geld zurückzuerlangen.10 Laut Ferdinand Geldner gingen die ersten reinen Verleger von Druckwerken aus den Reihen der Buchführer hervor. Als Beispiele hierfür nennt er Johannes Schmidhoffer und Friedrich Meynberger, die zuerst in Diensten Peter Drachs standen. Schmidhoffer ließ, nachdem er sich selbstständig gemacht hatte, in Leipzig Bücher auf seine Kosten drucken und Meynberger – bei Drach auch als »buchbinder« aufgeführt – verließ das Handelsgeschäft zugunsten einer reinen Verlegertätigkeit. Bei Johannes Rynmann ließ sich eine ähnliche Entwicklung feststellen. Beginnend als Verkäufer von Büchern, verlagerte er sich später auf den Verlag.11 Dieser Umstand wirft ein bezeichnendes Licht auf den Berufsstand der Buchhändler, denn zum Verlegen von Büchern bedurfte es hohes Kapital. Entweder hatte es ihnen also ihre Tätigkeit als Buchführer ermöglicht, die nötigen Finanzmittel anzuhäufen oder sie stammten bereits aus vermögenden Verhältnissen, was wiederum Rückschlüsse auf ihren Sozialstatus zulässt. Durch ihren häufig direkten Kontakt mit den Käufern konnten die Buchhändler am besten einschätzen, was sich gut verkaufen ließ und was nicht. Mit diesem Wissen nahmen sie auch Einfluss auf den Druck von Büchern. Beispielsweise beschwerte sich Willibald Pirckheimer 1525 beim Drucker seiner Übersetzung der Geographica12 des Ptolemäus, Johann Grüninger, über die Ausstattung seines Werks. Den Titel hatte Koberger als Verleger bei Grüninger in Auftrag gegeben und der Straßburger Drucker hatte die Seiten mit kunstvollen Randleisten verziert. Pirckheimer bemängelte nicht nur die Druckfehler, sondern auch die durch die Bilder verursachte fehlerhafte Anordnung von Text und Kommentar und fügte hinzu: »Aber ich sehe wohl, daß ihr meint, wenn ihr nur viel Gaukelei und alter Weiber Fabel mit Kartenmaler-Bildern in das Buch bringt, so habt ihr es wohl geschafft«, aber »das mag wohl sein unter Kindern und unverständigen Leuten, aber unter den Gelehrten würde ich mit samt Euch zu Spott und Schanden.«13 Grüninger verteidigte sich daraufhin damit, dass »pariser und lyoner Buchhändler, die auf einer Messe die Bogen

10 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 274f. 11 Vgl. Geldner, Inkunabelkunde, S. 154. 12 Claudius Ptolemaeus: CLAVDII PTO||LEMAEI GEO||GRAPHICAE || ENARRATIONIS || LIBRI OCTO || BILIBALDO PIRCKEYM||HERO INTERPRETE || Annotationes IOANNIS DE REGIO MONTE || in errores commissos a || IACOBO ANGELO || in translatione sua. Straßburg: Johann Grüninger; Johann Koberger 1525. Vgl. VD16 P 5211. 13 Zitiert nach Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 90f.

4.1 Die Rolle der Buchhändler im Spiegel überlieferter Quellen

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gesehen, sowie auch Spanier, denen er sie auf dem Reichstag zu Worms vorgelegt, dieselben sehr schön gefunden [hätten].«14 Schon 1522 hatte sich Grüninger gegen die Kritik Pirckheimers an der reichen Bildausstattung seines neuen Kartenwerks mit einem ähnlichen Argument gerechtfertigt: »Buchführer aus Paris, Lyon und anderen Orten hätten ihm versichert, wie viel lieber ihnen solche Ausgaben seien.«15 Die Buchhändler machten dem Drucker gegenüber deutlich, dass sich Bücher mit Illustrationen besser verkaufen ließen, und so stattete Grüninger seine Drucke damit aus. Sie fungierten hier damit als eine Art zweite Selektionsstufe nach der Auswahl der zu druckenden Titel durch den Verleger bzw. Produzenten, indem sie ihren Kunden, aber auch gegenüber den Druckern/Verlegern Empfehlungen aussprachen – nicht nur in Bezug auf den Inhalt, sondern auch die Ausstattung der Bücher. Da der Stand der Buchhändler so schwer von dem der Verleger und teilweise auch der Drucker zu trennen ist, ist es nicht leicht, den ihnen zugehörigen Personenkreis zu umreißen. Auch die selektive Überlieferung, in der vor allem zu Beginn des Buchdrucks die Drucker als die verdienstvollen Pioniere des Gewerbes hervorgehoben wurden, erschwert ein klares Berufsprofil. Hinzu kommt, dass die frühen Druckerverleger häufig aus den Reihen der Gelehrten stammten und damit weitere Überschneidungen zu einer außenstehenden Aktantengruppe bestanden.16 Trotzdem sollen anhand von Quellen einige Schlaglichter auf die Rolle der Buchhändler als Hauptaktanten im Wissensraum Buchhandel geworfen werden. Dabei steht vor allem die schwierige Stellung des Buchhändlers zwischen den ökonomischen Erfordernissen des Handels und den ideellen Forderungen seiner gelehrten Kunden im Fokus. Für die Erstellung eines Berufsbildes sind verschiedene Aspekte von Bedeutung. Zunächst soll es darum gehen, welches Bild die Zeitgenossen vom Berufsstand des Buchhändlers hatten. Das schließt zeitgenössisches Lob, aber auch die entsprechende Kritik ein. Beides fand seinen Kernpunkt in der engen Verbindung des Buchhandels zur Welt der Gelehrten. Besonders die Verleger arbeiteten in diesem Zusammenhang im öffentlichen Interesse durch die Bereitstellung von Wissen und erwarteten im Gegenzug dafür eine faire Entschädigung für ihr zu diesem Zweck eingebrachtes Kapital. »This is one of the very rare occasions on which the commercial interests involved in intellectual life become explicit.«17 Aber auch die Buchhändler als Vermittler des Wissensträgers Buch standen in diesem Zwiespalt.

14 Zitiert nach Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 91. 15 Vgl. Karl Schottenloher: Das alte Buch. 3. Aufl. Braunschweig: Klinkhardt & Biermann 1956 (Bibliothek für Kunst- und Antiquitätenfreunde; Bd. 14), S. 219. 16 Vgl. R. J. W. Evans: The Wechel Presses: Humanism and Calvinism in Central Europe 1572–1627. Oxford: Past and Present Society 1975 (Past & Present, Supplement; Bd. 2), S. 1. 17 Jan Maclean: Learning and the Market Place. Essays in the History of the Early Modern Book. Leiden [u. a.]: Brill 2009 (Library of the Written Word; Vol. 9/The Handpress World; Vol. 6), S. 15.

284  4 Die Aktanten im Wissensraum Buchhandel

Die stete Gratwanderung der Buchhandelsaktanten zwischen dem Selbstverständnis als Beförderer der Bildung und des Wissens und dem ökonomisch motivierten Gewinnstreben spiegelt sich die ganze Frühe Neuzeit über in ihrer Selbstund Fremdwahrnehmung wider. Daneben ist der tatsächliche Bildungsstand der Buchhändler ebenso wie ihr sozialer Status deutlich schwieriger festzumachen. Die berufliche Charakterisierung der frühneuzeitlichen Buchhändler stand in der Forschung bislang nicht im Fokus, unter anderem wohl aufgrund der schwierigen Quellenlage. Die folgenden Ausführungen können demnach lediglich Anhaltspunkte für die Einordnung der Buchhandelsaktanten geben und damit die Grenzbedingungen des Wissensraums Buchhandel illustrieren. Selbstbewusstsein/Lob der Zeitgenossen Die Buchhändler agierten von Anfang an mit großem Selbstbewusstsein. Anton Koberger beispielsweise war sich seiner Monopolstellung vollkommen klar. Am 21. März 1502 schrieb er in einem Brief an Johann Amerbach: Item lieber meister Hans, mir hatt meister Hans Peter geschriben seins wercks halber, auff meinung, jm das ab zw kaufen. Ist mir schwer, mit jm zw. handeln. Ir wist, wie es mir vor mitt jm zw gestanden ist vnd sein nachdrucken mir zw grossem schaden komen ist. Aber nicht dester minder, nachdem vnd der handel jn deutschen landen fast auff euch, jm vnd mir rut vnd statt, so were jch wol geneigt, weitter mitt euch beyden zw handeln.18

Nach Kobergers Auffassung lag nahezu der gesamte Buchhandel Deutschlands um 1500 in seinen, Johann Amerbachs und Peter Drachs Händen, womit er zumindest nach dem heutigen Kenntnisstand nicht ganz unrecht hatte. Eine solche Vormachtstellung auf dem Buchmarkt wurde auch von den Zeitgenossen registriert und anerkannt. Der Pariser Druckerverleger und Humanist Jodocus Badius Ascensius (1462– 1535) hoffte, »dass unter dem Schild seiner [Kobergers] Vertrauenswürdigkeit und dem Schutze seines Namens die von ihm herausgegebene Schrift Politians bis an die äußersten Grenzen der Menschheit gelangen würde.«19 Mit dieser Aussage spielte Badius auf die Leistungsfähigkeit des Kobergerschen Vertriebsnetzes an. In seiner Vorrede zur 3. Ausgabe der Briefe des Politian 1519 nannte ihn Badius außerdem »den Fürsten der Buchhändler«20. Der zweite im Bunde, Amerbach, »repräsentiert den Typus des gelehrten Druckers«21 und er war bekannt für seine sorgfältig edierten Texte. Diesen Ruf lobte der Benediktiner Martin Movemius in einem Brief an Amerbach vom 8. September 1496 in den höchsten Tönen: »Denn mit diesen Büchern, die Du in der besten Textgestalt

18 Die Amerbachkorrespondenz, S. 136. 19 Zitiert nach Hase, Die Koberger, S. 259. 20 Zitiert nach Grimm, Die Buchführer des deutschen Kulturbereichs, Sp. 1195. 21 Der deutsche Buchhandel in Urkunden und Quellen, Bd. I, S. 24.

4.1 Die Rolle der Buchhändler im Spiegel überlieferter Quellen 

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und in sorgfältigstem Druck in die Welt hinausgehen lässest, durchmißt Dein am Schluß der Werke beigesetzter Name Länder und Meere und alle nur denkbaren Gegenden im Fluge«22. Auch wenn sich diese Anerkennung in erster Linie auf die Druckertätigkeit Amerbachs bezieht, so gründet sich die Erwähnung der internationalen Bekanntheit seiner Erzeugnisse wie bei Koberger auf deren erfolgreichen Vertrieb. Dennoch fällt auf, dass sich das Lob der Zeitgenossen zunächst vor allem auf den sorgfältigen Druck und eine gewissenhafte Textgestaltung bezog. Johannes Rynmann nannte sich selbst am Schluss seiner Verlagswerke »mit Stolz: ›der teutschen Nation nahmhafftigsten oder fürtreffenden Buchführer und Archibibliopola.‹«23 Seine Ansicht wurde unterstützt von bekannten Gelehrten und Konrad Celtis widmete ihm 1507 in diesem Sinne ein rühmendes Epigramm: Ad Johannem Rymannum per universam Germaniam librarium et bibliopolam. In nostras terras lacius graecusque character Iam venit studio, culte Rymanne, tuo. Pro quo condignas tibi dat Germania grates Et referet landes hic et ubique tuas.24

Kirchhoff bezeichnet diese Anerkennung von Seiten seiner Zeitgenossen als besonders ehrenvoll, da die umherziehenden Buchhändler seiner Einschätzung nach keinen hohen sozialen Status innehatten. Stattdessen war er der Meinung, dass besonders der Besuch der kleinen Märkte und der Hausierhandel »sie meist zu untergeordneten Kleinkrämern herab[würdigten].«25 Damit liegt er allerdings nur in Bezug auf die unselbstständigen Buchführer, die Hausierer und Kolporteure richtig. Seine Aussage betrifft also nur die Nebenaktanten im Wissensraum Buchhandel. Davon zu trennen sind die Hauptaktanten, zu denen auch Rynmann gehörte. Sie bekleideten häufig öffentliche Ämter in ihrer Heimatstadt. Ihr sozialer Status, auf den ich später noch einmal zu sprechen komme, war damit keinesfalls so niedrig, wie Kirchhoff ihn darstellt, bzw. ist von dem der Nebenaktanten zu unterscheiden. Rynmann gehörte bereits zum neuen Buchhändlertypus des 16. Jahrhunderts, der aus der reinen Verkaufssparte zum Verlegen von Büchern kam und keine eigene Druckerei betrieb oder sich erst spät eine zulegte. Diese allmähliche Ablösung des Buchdrucks vom Buchhandel schritt weiter fort und aus dem 17. Jahrhundert stammt schließlich ein Gedicht, das ausdrücklich die Handels- und nicht die Druckertätigkeit eines Buchhändlers lobte. Es ist ein Hochzeitsgedicht von Johann Klaj an Johann Andreas Endter und Susanna Ayermann vom 29. Oktober 1650. Darin heißt es in Auszügen:

22 23 24 25

Der deutsche Buchhandel in Urkunden und Quellen, Bd. I, S. 25. Zitiert nach Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 131. Zitiert nach Kirchhoff, Beiträge zur Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 28. Kirchhoff, Beiträge zur Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 29.

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Lob deß Weltgepriesenen Buchhandels / aufgesetzt von Johann Klaj / P. L. Es wird in der gantzen Welt schön Gewerbe hoch geehret / das da mehret und ernehret; Mir für andern baß gefällt / wann Herr Endter von der Messe / von dem Setzer / von der Presse Kunstgefüllte Bücher führt und damit den Laden ziert. Der hat einen schönen Wandel / der da führt den Bücherhandel. Was ist Gold? Ein gelber Koht / den ein Jubilirer führet / das den Madensack nur zieret / nichtes hilfft in Todesnoht; Perlen leuchten nur zum Scheine / helles Glas und teure Steine sind der Muscheln Außgespey nichts darhinter / viel Geschrey. Der hat einen schönen Wandel / der da führt den Bücherhandel. […] Diese Kunst nun stehet feil in gelehrten Bücherläden / da man kan mit Leuten reden / von der Seelen Trost und Heil / Wie das Recht sey außzuführen / diß und jenes zu curiren / was da sey der Sternen Krafft / je von aller Wissenschaft. Der hat einen schönen Wandel / der da führt den Bücherhandel. Ehrentugendreiche Braut / selig seyd ihr ja zu schätzen / weil ihr heute mit Ergötzen Herren Endtern seyd vertraut / der da handelt mit den Schrifften / die da lauter gutes stifften / schaffen / was da GOtt gefällt hier und dort in jener Welt. Der hat einen schönen Wandel / der da führt den Bücherhandel. […]26

4.1 Die Rolle der Buchhändler im Spiegel überlieferter Quellen 

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Die Anerkennung, die der Verfasser dem Handel Endters zollte, begründete er mit der besonderen Ware Buch, die nach seinen Worten wertvoller ist als Gold, Perlen oder Edelsteine. Auch der allgemeine Warenhandel wird erwähnt und gegenüber dem Buchhandel herabgewürdigt. In diesem Gedicht liegt anders als zu Zeiten der Druckerverleger das Augenmerk auf dem Verkauf der Bücher im Laden und nicht auf der Drucklegung selbst oder der Fernhandelstätigkeit der Buchhändler. Beides erwähnte Klaj lediglich zu Beginn indirekt, indem er als Bezugsquellen Endters die Messe und die Druckerei nannte. Der Buchladen wird dagegen noch einmal besonders hervorgehoben als Ort der gelehrten Begegnungen. Ende des 17. Jahrhunderts dominierten schließlich, wie im historischen Abschnitt vorgestellt, die Leipziger Großverleger. Neben den bereits genannten Gleditsch, Fritsch und Weidmann gehörte zu ihnen auch der sächsische Pfarrerssohn Johann Georg Cotta d. Ä. (1631–1692). Cotta ging nach einer Lehrzeit in Straßburg als Diener zu den Endtern in Nürnberg. Er gründete 1659 seine eigene Buchhandlung und holte sich durch Heirat die Philibert Brunnsche Handlung dazu, deren Leiter er bis dahin war.27 In seinem Leichengedicht werden Cotta und seine Buchhandelstätigkeit gewürdigt: Herr Cotta, dessen Ruhm den Sternen eingeschrieben Der um die kluge Welt sich so verdient gemacht; In dem mit Weißheit Er den Handel um getrieben Und fremde Wissenschaft uns hat zu Kauff gebracht, Ist nun zur Himmelß-Meß beruffen von der Erden, Und ligt indeß der Leib, das Buch der Sterblichkeit, Biß es in kurtzem neu wird auffgelegt werden, Durch Christum, als ein Buch der Unverweßlichkeit28

Betont wird hierin die Tatsache, dass er mit Büchern Handel betrieben und sie zum Kauf angeboten hatte. Mit keinem Wort findet noch wie bei Amerbach der Druck, die Ausstattung oder die Gestaltung seiner Bücher Erwähnung und in der Tat erweiterte erst sein Enkel, Johann Georg III. Cotta, 1722 den Verlag um eine Druckerei. Der Sohn Cottas, Johann Georg II. (geb. 1663), starb im Jahr 1712. Anlässlich seines Todes erschien eine ganze Druckschrift, die den Nekrolog der Universität, die Leichpredigt und zahlreiche Epicedia – Trauer- und Trostgedichte – auf 96 Seiten in Quart enthält. Unter den 26 Epicedia Exterorum sind Gedichte von Johannes Paulus de Bignon, Abt von St. Quentin und Präses der Pariser Akademie der Wissenschaften, vom Vizepräsidenten des Württembergischen Regierungs-Rathes Freiherr von

26 Zitiert nach David L. Paisey: Einige Bemerkungen aus Gelegenheitsgedichten über Wolfgang Endter den Älteren und sein Nürnberger Unternehmen sowie ein Lobgedicht auf den Buchhandel von Johann Klaj. In: AGB 15 (1975), Sp. 1293–1296. 27 Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 375f. 28 Zitiert nach Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 376.

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Löwenstein, von August Hermann Francke, von Johann Wendel Bilfinger, Abt des Klosters Lorch, von Johann Friedrich und Johann Ludwig Gleditsch sowie von weiteren Buchhändlern versammelt; darunter 42 Epicedia Tubingensia, zu denen Gedichte des Rektors, der drei Dekane und von neun Professoren der Universität, des Kanzlers von Tübingen, des Bürgermeisters und des Stadtschreibers gehören. Danach folgen 280 Epicedia Propinquorum und am Schluss noch zwei weitere Gedichte.29 Allein die große Anzahl der Beiträge, aber auch die Reihe bedeutender Namen als Verfasser, bezeugt die Anerkennung, die Cotta von seinen Zeitgenossen entgegengebracht wurde. Außerdem veranschaulicht sie sein ausgedehntes Kontaktnetzwerk, das führende Personen der Gelehrtenwelt, des Klerus, des Buchhandels und des Patriziats einschloss. Johann Friedrich Gleditsch sang in dieser Druckschrift nach der Weise Jesus, meine Zuversicht: Werther Cotta / Deine Gruft Machet / daß wir billig klagen / Und da GOtt dich zu sich rufft / Um dich schmertzlich Leyde tragen / Weil mit Dir ein Mann abgeht / Der den Handel wohl versteht. Manche bilden sich zwar ein / Wenn ein Hauffen Bücher pressen Immer stark beleget seyn / Daß man auff den Leipziger Messen Etwas neues lieffern kan / Da ists trefflich wohl gethan. Doch du warst von andrer Art: Denn du hast bey guten Büchern Keine Mühe nicht gespahrt; Doch man kan sich auch versichren / Daß du schwerlich was verpaßt / Denn ein redlicher Profit War Dir billig auch zu gönnen; Und wer Deinen Handel sieht / Wird dich keinen Schleudrer nennen / Der die Bücher halb verschenckt / Und an keine Rechnung denckt. Du verstandest Recht und Pflicht / Und hast keinen je betrogen / Aber auch Dich selber nicht:

29 Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 376f.

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Denn Du hast es wol erwogen Daß ein schleuderhafter Mann / Nimmermehr gedeyen kan. Doch der Vortheil dieser Welt Den wir von den Büchern haben / Bleibet weit hindan gestellt Gegen Gottes reiche Gaben / Die dein Hertz geniessen soll. Werther Cotta / lebe wohl!30

In diesem Gedicht wird Cotta in der ersten Strophe lobend als ein Mann, »der den Handel wohl versteht«, charakterisiert. Als nächstes hob Gleditsch hervor, dass es nicht damit getan sei, eine große Menge neuer Titel zu produzieren und in Leipzig auf der Messe anzubieten. Stattdessen stellte er heraus, dass Cotta bei »guten Büchern« Mühe aufgewendet und sie nicht »verschenckt« habe. Damit ist eine häufige Kritik an Cotta und seinem Vater ins Positive gewendet. Beide erregten wegen ihrer hohen Bücherpreise mehrmals die Unzufriedenheit des akademischen Senats.31 Da in ihrer Zeit jedoch aufgrund des Tauschhandels viel Schlechtes auf dem Markt billig angeboten wurde, äußerte sich Gleditsch hier anerkennend über Cottas Preisgestaltung und betonte, dass er dabei »keinen je betrogen« habe. Johann Friedrich Gleditsch, selbst ein bedeutender Leipziger Großverleger, erfuhr eine ähnliche Wertschätzung. So schrieb der Hamburger Rektor Johann Hübner unter sein Bildnis: »Es ist in Teutschland auch kein solcher Ehren-Mann, Der auf den Handel das, was Gleditsch hat gethan.«32 Die neuen Buchhandelshauptaktanten genossen Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts große Popularität. Dies führte parallel zu »einer außerordentlichen Steigerung buchhändlerischen Standesbewußtseins.«33 Dem folgte schließlich eine Zeit, in der der Buchhändler zunehmend zum reinen Unternehmer wurde. Dieser Umstand bezeugt den Wandel, den der Buchhandel im 17. und 18. Jahrhundert durchlief. »Der Weg des Buchhandels führte in dieser Zeit von einem durch persönliche Beziehungen geprägten hin zu einem in weiten Teilen anonymen und kommerzialisierten Markt.«34 Ende des 17. Jahrhunderts konzentrierte sich das zeitgenössische Lob auf den Aspekt des Handels mit Büchern. Der Druck wurde als selbstverständliche Zusatzleistung gesehen und nicht mehr gesondert gewürdigt. Insgesamt wurde allerdings kaum ein Unterschied zwischen den Tätigkeitsbereichen gemacht, worin sich die bereits mehrfach hervorgehobene fehlende Berufsdifferenzierung widerspiegelt.

30 Zitiert nach Der deutsche Buchhandel in Urkunden und Quellen, Bd. I, S. 284 31 Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 375–377. 32 Zitiert nach Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 204. 33 Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 412. 34 Hauke, »In allen guten Buchhandlungen ist zu haben…«, S. 31.

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Ein allgemeines Lob äußerte schließlich Adrian Beier 1690 in seinem bereits erwähnten Kurtzen Bericht: »Und weñ wir behaupten werden/ daß der Buch-Handel Kauffmanschafft sey/ wird von sich selbst erscheinen/ daß der Buchhandel der vornehmsten Stände bürgerlicher Nahrung einer sey.«35 Die Begründung, warum er den Buchhandel zu den vornehmsten Ständen zählte, lieferte Beier wenig später nach: Bekant ist aber/ daß durch den Buchhandel dem gemeinen Wesen mehr denn andere verdienet werde. Denn/ was andre von Wahren führen/ den Leib angehen/ zu dessen Nothdürfftiger Unterhaltung dienen/ auch wohl zur Ergötzlichkeit und Wollust. Der Buch-Handel dienet zur Erbauung des Gemüths/ aus Büchern lernen wir/ wie man Gott dienen/ die Welt regieren/ der Gesundheit zu statten kommen/ sein Leben tugendlich anstellen/ freundlich/ klüglich doch ohnschadentlich mit Leuten conversiren/ und also Gott und Menschen wohlgefällig sich hinbringen könne.36

Ähnlich argumentierte Ahasverus Fritsch in seinen Abhandlungen: Die Würde und Nobilität der Buchführer ist auch daraus abzunehmen, daß die Bücher und Libereyen zu jeder Zeit ehrlich und hochgeachtete gewesen […]. Hierzu kommt auch dieses, welches den Buchführern nicht geringe Kunst und Ehre bey Jedermann bringet, daß sie sich meistentheils um ehrlich und gelehrte Leute finden lassen, und fast allezeit mit denselbigen umgehen […]. Und findet man derhalben deren nicht wenig, die nicht allein klug und verständig, sondern auch gescheid und verschmitzt, als welche täglich von den Gelehrten, so in ihren Läden aus- und eingehen, etwas hören, das sie ihnen hernach können nütze machen. So ist auch der Buch-Handel an sich selbst nicht unlustig oder mühseelig, oder auch unflätig, sondern sauber und ruhig, als irgend einer seyn mag […]. Endlich sind sie auch desto mehr zu lieben und zu ehren, dieweil sie dem gantzen Vaterlande dienen, sintemahl man durch Hülffe ihrer Bücher alles wissen und erfahren kan, was man nur begehret.37

Das zeitgenössische Lob unterstützte also von Anfang an das Selbstbewusstsein der Buchhandelsaktanten. Aufgrund dieses positiven Selbstverständnisses, das sich mit dem Aufkommen der Leipziger Großverleger im 17. Jahrhundert sichtbar steigerte, waren die Aktanten in der Regel stolz auf ihre Zugehörigkeit zum Wissensraum Buchhandel und der Zugang erschien Außenstehenden als erstrebenswert. Dabei wurde auch deutlich, dass sich der Schwerpunkt der Lobreden mit Zunahme der Berufsdifferenzierung vom Druck auf den Handel mit Büchern verlagerte. Der reine Buchdrucker verlor in seiner Position als Dienstleister an Ansehen gegenüber dem Buchhändler.

35 Beier, Kurtzer Bericht, S. 6f. 36 Beier, Kurtzer Bericht, S. 40f. und 46. 37 Fritsch, Abhandlungen, S. 29f.

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Zeitgenössische Kritik Im Zuge der Reformation trat besonders die Instrumentalisierung des Druckwesens für die theologischen Auseinandersetzungen in den Blick. Kritisiert wurde in dieser Zeit vor allem der Umstand, dass Drucker und Buchhändler Schriften herstellten bzw. verkauften, die ihnen Gewinn brachten, und nicht solche, die nach Meinung des jeweiligen Kritikers »richtig« waren. Eine solche Argumentation liegt zum Beispiel der Schrift Mich wundert, daß kein Geld im Lande ist (1524) von Johann Eberlin von Günzburg (1460–1533) zugrunde. Darin geht es um den Dialog dreier Landfahrer, die sich über die aktuellen Geschehnisse austauschen. Einer von ihnen mit Namen Zingk von Rynfelden gibt den Kaufleuten und zwar vor allem den Druckern und Buchführern sowie den Schreibern die Schuld an den herrschenden Missständen. Er tadelt dabei in erster Linie den Geschäftssinn dieser Berufsstände, die mit ihren Texten beide Seiten unterstützten. Ja zu letzt fallen sie gar darvon / und wan der evangelisch handel ynen nit wil mehr gelten / so fallen sie so vast auff den Pebstischen als kein Papist / darauß volgt yr vordamniß / der bauch ist yr got / sie suchen gelt vnd gut durch gottis wort / das mag got nit leiden / sonder er vorhengt das solche leuth von yrs geitz wegen yrrgehn vom glauben / […] Dieweil so grosser zangk sey zwischen predigern / wöllen sie beyde partheyen lesen / trucken vnd verkauffen biß zu einem außtrag der sache.38

In der Kritik steht die wirtschaftliche Denkweise der Drucker und Buchhändler. Es fällt auf, dass Günzburg explizit beide nannte und verurteilte. Darüber hinaus rügte er die Drucker für die minderwärtige Qualität der Schriften,39 während er in Bezug auf die Händler lediglich den Verkauf inhaltlich »schlechter« Schriften beanstandete. Ähnlich lautet der Vorwurf in einer Kontroversschrift von 1570. Der Dialogus40, die schriftliche Antwort Matthias Ritters d. J. (1526–1588) auf die Schmähschriften des Franziskaners Johannes Nas (1534–1590), ist zwar »in erster Linie eine theologi-

38 Johann Eberlin von Günzburg: Mich wundert das || kein gelt ihm || land ist.|| Ein schimpflich doch vnschedlich ge=||sprech dreyer Landtfarer/ vber yetz ge=||melten tyttel.|| Leße das buchlin so wirdstu dich furo||hyn verwundern/ das ein pfennig ihm || landt blieben ist.|. Eilenburg: Nikolaus Widemar 1524. URL: https://books.google.de/books?id=y20_ylvFmQEC&pg=PT66&lpg=PT66&dq=g %C3%BCnzburg+mich+wundert+dass+kein+geld+im+land+ist&source=bl&ots=djGSEB1puD&sig=ckDA2zWcQCb0pNVjX17iOTIbOEM&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwjetZ2-7bDSAhVB7RQKHXuhCEsQ6AEINDAF#v=onepage&q=g%C3%BCnzburg%20mich%20wundert%20dass%20kein%20geld %20im%20land%20ist&f=false [Stand: 19.02.2018], fol. 9v. Vgl. VD16 E 135. 39 Vgl. Günzburg, Mich wundert, daß kein Geld im Lande ist, fol. 9v. 40 Matthias Ritter: DIALOGVS,|| Das ist/ ein Gesprech/|| Von dem Ehrr[ue]hrigen || vnd L[ae]sterlichen Vrtheil/ Bruder Johañ || Nasen zn Jngolstatt/ daß alle Lutherische Weiber || Huren seyen. Wie er in seiner vierdten Cen=||turia geschrieben hat.|| Gestellt/|| Durch Matthiam Ritter.|| Frankfurt/ Main: Nikolaus Basse 1570. Vgl. VD16 R 2535 und 2536.

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sche Auseinandersetzung mit einem Gegner reformatorischer Ideen«41. Gleichzeitig ist der Text durch ein »Gespräch auf der Frankfurter Buchmesse« in Einleitung und Schluss aber auch für den Buchhandel interessant. Zwei Personen, Siegfrid und Wolfgang, gehen darin früh morgens in die Büchergasse, um sich über die Neuerscheinungen zu informieren. Dort treffen sie in einem offenen Laden einen Bekannten, Reinhardt. Sie erkundigen sich bei ihm, wie er an den Beruf des Buchhändlers geraten sei, da sie dachten, er hätte einen Doktortitel erlangt. Reinhardt erwidert daraufhin: »Hastu nie gehört? Ein verdorbener Student gibt ein guten Buchführer?«42 Der Einstieg stimmt den Leser bereits negativ auf den Buchhandel ein, dem mit dieser Aussage eine gewisse Zwielichtigkeit unterstellt wird. Dabei sieht sich Reinhardt aber immer noch besser als ein Landknecht, da er zumindest über Lateinkenntnisse verfügt. Die eigentliche Kritik an den Buchhändlern folgt anschließend. Nachdem Siegfrid und Wolfgang sich nach Neuerscheinungen erkundigt hatten, zeigt er ihnen ein Buch von Johannes Nas. Wolfgang meint, das Buch zu kennen, und fragt Reinhardt, ob er es gelesen habe. Als dieser bejaht, wirft Wolfgang ihm mangelnde Gesinnung vor: Wolfg. Wiltu drumb dem Mammon dienen | vnd den rechten Gott | welches reine warhafftige erkeñtniß du so wol gefasset hattest | verlassen vnd verleugnen? Reinh. Ich sehe wol du beheltest dein alte weise. Es muß flugs verleugnet heissen | vñ alles verdampt | was dir nit gefellt. Was geht michs an | wz in einem jeden Buch stehe. Da laß ich den Authoren vnd Dichter für sorgen. Ich bin drumb da | daß ich Bücher verkauffe | warumb solt ich dañ nit solche Bücher haben | die meñiglich sucht | vñ zu kauffen begert.43

Wolfgang hält Reinhard vor, das Buch zu verkaufen, obwohl es Aussagen gegen Luther und die reformatorische Position enthält. Reinhard wiederum verteidigt sich mit dem Argument, dass er verkaufen müsse, was sich gut verkaufen lässt und ihm Geld einbringt. Ihn geht seiner Ansicht nach der Inhalt der Bücher, die er anbietet, nichts an. Im folgenden Abschnitt stellt sich heraus, dass Wolfgang das betreffende Buch nicht selbst gelesen hatte. Seine Missbilligung bezieht sich auf den einzigen ihm bekannten Ausspruch »Summa summarum, omnis Lutherana Meretrix«, mit der Nas alle lutherischen Frauen als dessen Huren bezeichnete. Reinhard beschwichtigt seinen Freund mit dem Hinweis darauf, dass auch in Schriften Luthers ähnlich harte Aussagen in Bezug auf die Gegenseite vorkämen.44 Aus heutiger Sicht vertritt Reinhard damit einen liberalen Standpunkt. Wolfgang argumentiert dagegen von einer

41 Bernhard Wendt: Die Frankfurter Buchmesse als Gesprächsthema in einer theologischen Kontroversschrift des Jahres 1570. In: AGB 8 (1967), Sp. 1599–1606, Sp. 1603. 42 Wendt, Die Frankfurter Buchmesse als Gesprächsthema, Sp. 1603f. 43 Wendt, Die Frankfurter Buchmesse als Gesprächsthema, Sp. 1604. 44 Vgl. Wendt, Die Frankfurter Buchmesse als Gesprächsthema, Sp. 1604f.

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deutlich schwächeren Position aus, da er negativ über eine Schrift urteilt, die er nach eigener Aussage nicht gelesen hat – ein differenziertes Urteil seinerseits ist vor diesem Hintergrund kaum möglich. Aus der vorherigen Charakterisierung Reinhards als »verdorbener Student« und der Gesamtausrichtung des Dialogus geht jedoch hervor, dass Wolfgang die Position des Autors vertritt. Die ökonomisch motivierte Argumentation Reinhards wurde zeitgenössisch von Gelehrtenseite verurteilt und wird auch hier seinem Berufsstand zum Vorwurf gemacht. Im 16. Jahrhundert spielten Buchhändler in der öffentlichen Diskussion demnach eine prägende Rolle. Eine weitere Schrift in der »Reihe früher polemischer Äußerungen über den Buchhandel«45 ist das Werk Von Buchhendlern/Buchdruckern vnd Buchfürern46 von Johann Friedrich Coelestin. Coelestin war ein lutherischer Theologe (gest. nach 1577) und sah sich bemüßigt »zu einem Wächteramt«47 dem Buchhandel gegenüber. In seiner Kritik könnte ihm Johann Eberlin von Günzburg ein Vorbild gewesen sein.48 Seine Schrift widmete Coelestin einem Freund, dem »erbarn Wolffgang Moser, burger vnd Buchfürer zu Regensburgk«49. Er schätzte Moser, weil dieser sich für die Verbreitung der Schriften flacianischer Theologen, wie Nikolaus Gallus oder Johann Wigand, einsetzte. Daran schloss er an mit einem Angriff gegen den »Teuflischen Mörderischen Geitz[es] der gotlosen Buchdrucker vnd Buchfürer«50. Moser nahm Coelestin explizit davon aus und unterstrich, dass er nicht zu den »verfürischen / Schwermerischen vñ Papistischen Buchfürer[n]« gehörte. Letztere nannte er aber »Lügenfürer«51, was er folgendermaßen begründete: Also geschicht solches sonderlich / zu jhren selbst eigenen / vnd der ganzen Christenheit mercklichen vnnd ewigen schaden / vom meisten teil der Buchhendler Buchdrucker vnd Buchfürer / in dem / das dieselben on alle schew / allerley Gotlose / Bepstisch Ketzerische / od sonst garstig vnzüchtige Bücher / vm jres schendlichen Geitzes willen druckẽ verlegen / Kauffen vnd verkauffen / vnd mit hauffen vnter die leute außsprengen / vnnd dargegen viel gute / Christliche / nützliche / vnd hochnötige Bücher weder druckẽ noch kauffen oder verkauffen wollen.52

45 Bernhard Wendt: Von Buchhändlern, Buchdruckern und Buchführern. Ein kritischer Beitrag des Johann Friedrich Coelestin aus dem XVI. Jahrhundert. In: AGB 13 (1973), Sp. 1587–1624, Sp. 1589. 46 Johann Friedrich Coelestin: Von Buchhend=||lern/ Buchdruckern vnd || Buchf[ue]rern:|| Ob || Sie auch one s[ue]nde/ vnd gefahr jrer || Seligkeit/ Vnchristliche, Ketzerische, Bep=||stische/ … B[ue] cher || drucken/ vnd offentlich feil haben/ oder von || andern kauffen/ vnnd … || verkauf=||fen m[oe] gen.|| Auch || Allen andern Christen/ sonderlich || Kremern/ Kauff/ … Hand=||wercksleuten/ … || n [ue]tzlich zu lesen.|| Durch || Iohannem Frid: Coelestinum D.|| Regensburg: Johann Burger; Wolfgang Moser 1569. Vgl. VD16 H 3729. 47 Wendt, Von Buchhändlern, Buchdruckern und Buchführern, Sp. 1590. 48 Vgl. Wendt, Von Buchhändlern, Buchdruckern und Buchführern, Sp. 1589f. 49 Wendt, Von Buchhändlern, Buchdruckern und Buchführern, Sp. 1590. 50 Wendt, Von Buchhändlern, Buchdruckern und Buchführern, Sp. 1593. 51 Wendt, Von Buchhändlern, Buchdruckern und Buchführern, Sp. 1594. 52 Wendt, Von Buchhändlern, Buchdruckern und Buchführern, Sp. 1595.

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Er positionierte sich hiermit auf Seiten der Luther-Anhänger und verurteilte die Drucker und Buchführer, die die Schriften der katholischen Gegenseite produzierten und verkauften. Coelestin setzte seine Ausführungen in einem Frage-Antwort-Schema fort. Zunächst stellte er die Frage, ob es für einen Buchhändler gefährlich für seine Seele sei, »böse« Bücher zu drucken und/oder zu verkaufen. Im Anschluss daran bejahte er dies ausführlich und erläuterte die Gründe für seine Meinung. Sein wichtigstes Argument hierfür ist die Sündhaftigkeit des Ganzen. Der Theologe lieferte selbst Einwände gegen seine Ausführungen,53 nur um sie im gleichen Atemzug wieder zu widerlegen. Ein aus Sicht der Buchhändler entscheidender Widerspruch ist folgender: WEJtter so vnterstehen sich viel Gottlose Buchhendler Buchdrucker vnd Buchführer auch mit diesem behelff from zu machen / das sie sagen vnd fürgeben Es sey jhr beruff vnd ampt Bücher drucken / verlegen / Kauffen vnd verkauffen / vnd sich vnd die Jhrigen dardurch zu ernehren / Gott gebe die Bücher seyen gut oder böß / Christlich oder vnchristlich / da können sie nicht für. Sie müssen drucken / verlegen / Kauffen vnd verkauffen / was jhnen fürkompt / abgehet vnd Brod ins Hauß trage. […] Darzn [sic!] was kan ich dafür / das ein ander böse Bücher kaufft vnnd dardurch geergert vnnd verführet wird / oder derselben zu seinem vnnd ander lent [sic!] schaden mißbraucht: Jch heisse es jn nicht / so verkauff ichs jm auch darumb nicht / gleich so wenig als ein Messer oder Büchsenschmidt dafür kan / das mancher durch die von jm erkauffte Wehr vnd waffen sich selbst / oder ander leut mörderisch vmbbringt.54

Coelestin hielt dagegen: ALlhie leit der rechte Hund begraben / Dann darumb ist es euch Gotlosen Geitzhelsen allein zuthun / vnd dahin ist auch all ewer drucken / verlegen / Kauffen verkauffen / rennen vnd lauffen gerichtet / Nemlich nicht / das jhr darmit Gottes ehr vnd der Kirchen oder des nechsten nutz zusuchen vnd zu fordern gedechtet / welches euch vnd ewers gleichen nie in sinn kommet / sondern damit jhr dem Bauch dienen / Geldt vnd gut erschinden vnd reich werden möget.55

Der Autor setzte die Buchhändler, die unabhängig vom Inhalt der Drucke gewinnorientiert arbeiteten, mit Dieben, Spielern, Gaucklern, Räubern, Mördern und Verrätern gleich.56 Seiner Ansicht nach standen sie im Gegensatz zu anderen Berufen in einer besonderen Verantwortung gegenüber ihren Kunden. Diese Verpflichtung begründete sich, wie schon das Lob der Buchhändler, im besonderen Gegenstand ihres Handels.

53 54 55 56

Vgl. Wendt, Von Buchhändlern, Buchdruckern und Buchführern, Sp. 1596–1611. Wendt, Von Buchhändlern, Buchdruckern und Buchführern, Sp. 1613. Wendt, Von Buchhändlern, Buchdruckern und Buchführern, Sp. 1613f. Vgl. Wendt, Von Buchhändlern, Buchdruckern und Buchführern, Sp. 1614.

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Der Geschäftssinn war nicht nur zur Zeit der Reformation ein großer Kritikpunkt, weshalb manche zeitgenössische Beurteilung einer Persönlichkeit, wie die des Kölner Buchhändlers Birckmann, mit Vorsicht zu genießen ist. Die Quellen sprechen ihm einen schlechten Charakter zu und stützen sich dabei auf sein angebliches Gewinnstreben. Viele Klagen über ihn lauteten, »dass Geldgewinn und nur Geldgewinn das war, was er selbst mit Hintenansetzung der Ehrenhaftigkeit, erstrebte.«57 Erasmus beschuldigte Birckmann darüber hinaus der Verletzung des Briefgeheimnisses sowie der Unterschlagung von Briefen, Büchern und Geldern. In seinem Gespräch Pseudochei et Philetymi – Franz Birckmann kommt bei Erasmus öfter unter der Bezeichnung Pseudocheus vor – stellte der Gelehrte ihn sogar »als Verfechter des unehrenhaften Gewinnes, als Vertreter der unreellen Geschäftsleute«58 dar. Trotzdem arbeitete er, wie im historischen Überblick vorgestellt, weiter mit Birckmann zusammen. Georg Paul Hönn (1662–1747) verfasste schließlich 1721 ein Betrugs-Lexicon59. Darin stellte er die Betrügereien verschiedener Stände vor, darunter auch die der Buchhändler. Er warf ihnen vor, dass sie ihre Kunden täuschten, wenn sie heimlich andere Bücher nachdruckten, den Käufern wissentlich defekte Bücher aushändigten und ihnen oder dem Buchbinder hinterher die Schuld dafür gaben oder wenn sie ohne Erlaubnis gelehrte Diskurse bekannter Personen druckten. Weiter betrogen sie, indem sie alten Büchern neue Titel gaben, neu zu edierende Bücher vordatierten, als Druckort eine holländische Stadt angaben, schlechtes Papier verwendeten sowie darüber hinwegtäuschten, indem sie das Titelblatt auf gutem Papier druckten, und schließlich indem sie keine Korrektoren beschäftigten. Außerdem war es nach Hönn verwerflich, schlechten Büchern die Vorreden vornehmer Leute voranzusetzen, schlecht gehenden Büchern Accessiones anzuhängen, bei wiederholter Auflage unrechtmäßigerweise zu behaupten, ein tatsächlich unverändertes Buch sei korrekter und vermehrt, und den Titel eines gut gehenden Buches für ein anderes zu verwenden.60 Buchhändler handelten unrechtmäßig, wenn sie ihre Verlagswerke von den Journalisten unberechtigt lobend rezensieren ließen und es geschehen ließen, dass ihre Bücher öffentlich beschlagnahmt und verbrannt wurden, damit sie umso gesuchter wurden. Zuletzt betrogen sie durch den Druck angeblicher Manuskripte vornehmer längst verstorbener Autoren und das Überspringen von Si-

57 Kirchhoff, Beiträge zur Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 115. 58 Kirchhoff, Beiträge zur Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 116. 59 Georg Paul Hönn: Betrugs-Lexikon, worinnen die meisten Betrügereyen in allen Staenden nebst denen darwieder guten Theils dienenden Mitteln entdecket von [–] Dritte Edition. Coburg: Paul Günther Pfotenhauer und Sohn 1724 [Nachdruck Leipzig: Zentralantiquariat der Deutschen Demokratischen Republik 1981]. URL: http://www.zeno.org/nid/20005107954 [Stand: 19.02.2018]. 60 Vgl. Hönn, Betrugs-Lexicon, S. 86–88.

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gnaturen im Alphabet, um so den Anschein zu erwecken, dass mehr Bogen als in Wirklichkeit geliefert wurden.61 Die von Hönn angeführten Betrügereien betreffen bezeichnenderweise in erster Linie den Bereich der Herstellung. Von den insgesamt 16 angesprochenen Punkten beziehen sich lediglich der Verkauf defekter Bücher und die Konfiszierung ausschließlich auf die Vertriebsseite. Insgesamt gesehen konzentrierte sich die Kritik am Handel auf den Verkauf und damit die Ermöglichung des Zugangs zu je nach Kritikerposition als »schlecht« gewerteten Schriften. Sie bezog sich also wie schon das Lob vor allem auf den Inhalt des buchhändlerischen Handelsguts. Außerdem zeigt der Auftritt des Buchhändlers als argumentierender Dialogpartner des Gelehrten seine enge Verbindung zum Wissensraum Res publica literaria. Sozialer Status Buchhändler waren anerkannte Bürger und belegten häufig führende Positionen in ihrer Heimatstadt. Peter Schöffer war nach 1489, eventuell schon früher, bis zu seinem Tod Schöffenrichter in Mainz. Er hatte studiert und wird 1459 bis 1462 in den Drucken als »clericus« bezeichnet.62 Auch Anton Koberger wurde bereits in eine aufstrebende Bäckerfamilie hineingeboren und 1488 ein »Genannter des großen Rates«. Im Jahr 1505 stieg er schließlich ins Stadtpatriziat auf.63 Hierzu macht Grimm eine interessante Bemerkung. Als Begründung für das allmähliche »Einschlafen« lassen seiner Druckerei, sieht er das Wissen Kobergers um den gesunkenen Status des Druckerhandwerks. »Schließlich war dem sehr vermögend gewordenen Manne die wirkliche Zugehörigkeit zum Nürnberger Stadtpatriziat versperrt, solange er von diesem als Handwerk angesehenen Druck trieb. Hingegen galt der Großbuchhandel als nicht ›unpatrizisch‹.«64 Die Druckerverleger waren also anfangs unzweifelhaft hoch angesehen.65 Wie sich aber ihr Sozialstatus vor allem bei der allmählichen Aufteilung der Berufe fassen lässt, ist deutlich schwieriger festzumachen. Grimm zieht aus seiner Auflistung für die deutschsprachigen Gebiete den Schluss, dass die Buchführer »vielfach dem aufstrebenden Bürgertum«66 entstammten. Diese Einordnung lässt sich anhand mehrerer Einzelbeispiele unterstreichen. Der Baseler Heinrich Petri stieg beispielsweise auf zum Ratsherren, Dreierherren

61 Vgl. Hönn, Betrugs-Lexicon, S. 88. 62 Vgl. Lehmann-Haupt, Peter Schöffer, S. 4. Im späten Mittelalter hatte der Begriff die Bedeutung eines modernen »Sekretärs«, also eines erfahrenen Schreibers, Kopisten oder Studenten. Vgl. Lehmann-Haupt, Peter Schöffer, S. 4. 63 Vgl. Grimm, Die Buchführer des deutschen Kulturbereichs, Sp. 1195. 64 Grimm, Die Buchführer des deutschen Kulturbereichs, Sp. 1197. 65 Miriam Usher Chrisman: Lay culture, learned culture. Books and Social Change in Strasbourg, 1480–1599. New Haven [u. a.]: Yale University Press 1982, S. 3. 66 Grimm, Die Buchführer des deutschen Kulturbereichs, Sp. 1754.

4.1 Die Rolle der Buchhändler im Spiegel überlieferter Quellen



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und Depuntant seiner Stadt. Darüber hinaus wurde ihm 1556 der Reichserbadel verliehen.67 Die schnelle und unproblematische Aufnahme aller Mitglieder der Buchhändlerfamilie Birckmann in Köln wiederum wertet Claudia Schnurmann als ein »Erfolgrezept[en] des Kölner Buchwesens«68. Die wirtschaftlich günstigen Rahmenbedingungen, die Köln bot, trafen sich mit der Attraktivität des neuen Gewerbes. Demnach wusste die Kölner Bürgerschaft die Birckmanns als Geschäftsleute zu schätzen und »honorierte« mit ihrer raschen Akzeptanz der neuen Mitbürger »gleichermaßen die Bedeutung der Firma Birckmann als Wirtschaftseinheit und deren Erfolg, dessen Früchte letztlich der Stadt Köln zugute kamen.«69 Henning Große wurde im Jahr 1576 Leipziger Bürger und 1590 zum Ratsherrn gewählt.70 In seiner Leichpredigt heißt es über ihn: Sonst in seinem Leben und Wandel / ist Er / wie jedermann wissend / Erbar / Auffrichtig / Freundlich / Nachbarlich / und gantz Diensthafftig gewesen / und hat deß Segens Gottes / den ihm derselbe bey seiner Handlung bescheret / arme Leut / arme Schüler und Studenten / wie auch das Ministerium (welches er jährlich jeglichen mit einem nützlichen Buch versehen / und sonst auch bey der Kirchen Bibliotheken allhie ein ehrliches gethan) wol und reichlich genießen lassen / dessen er auch rühmliche Stifftungen hinder sich verlesset.71

Für sein Sozialprestige half ihm auch die hohe Stellung seines Bruders. Matthias Große (1555–1627) war Magister in Leipzig und seit 1586 in Basel Doktor beider Rechte. In Wittenberg bekleidete er das Amt des kursächsischen Hofgerichtsadvokaten und war Beisitzer (Assessor) des königlich böhmischen Landgerichts in der Niederlausitz. Henning Große wurde schließlich im Herbst 1621 zum Bürgermeister von Leipzig gewählt, verstarb aber vor seinem geplanten Amtsantritt 1622.72 Wolfgang Endter d. Ä. erwarb sich mit seinem Buchhandelsunternehmen ebenfalls hohes gesellschaftliches Ansehen. Der materielle Erfolg Endters zeigte sich unter anderem in seinen Stiftungen. Im Jahr 1658 stiftete er der Sebalduskirche in Nürnberg einen silbervergoldeten Krug und zwei Kannen im Wert von 300 Gulden. Ein gleichwertiges Geschenk hatte er zuvor schon der Kirche vom Hl. Geist gemacht. Die öffentliche Wertschätzung äußerte sich in seiner Wahl in den Rat der Stadt Nürnberg 1637. Ein auf das Jahr 1651 datierter Adelsbrief von Ferdinand III. erhob den Buchhändler dann sogar in den Adelsstand. Diese Ehre wurde zwar von den »eifersüchtigen Nürnberger Patrizieren nicht anerkannt«, bildete aber den »Höhepunkt des Endterschen Glanzes«73. Nach seinem Tod 1659 gestattete der Rat die In-

67 Vgl. Grimm, Die Buchführer des deutschen Kulturbereichs, Sp. 1394. 68 Schnurmann, Kommerz und Klüngel, S. 59. 69 Schnurmann, Kommerz und Klüngel, S. 62. 70 Vgl. Brauer, Henning Groß (Grosse), S. 35. 71 Zitiert nach Brauer, Henning Groß (Grosse), S. 38. 72 Vgl. Brauer, Henning Groß (Grosse), S. 39. 73 Oldenbourg, Die Endter, S. 22.

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schrift »Erbar und Wohlvornem« auf Endters Totentafel und M. Tobias Rupprecht schrieb in seiner Leichpredigt: »Er war wegen seines Handels ein vornehmer und berühmter Mann, der seines gleichen in Deutschland nicht viel gehabt.«74 Der soziale Status markiert eine wichtige Grenzlinie des Wissensraums Buchhandel und er musste mindestens dem des aufstrebenden Bürgertums entsprochen haben, denn nur solche angesehenen Personen besaßen die nötige Kreditwürdigkeit für den Handel im großen Stil und erlangten auch Zugang zu den Bevölkerungsschichten, die für die Hauptaktanten als Kunden wichtig waren. Fürsten und Gelehrte knüpften kaum engere Kontakte zu kleinen Hausierern oder Kolporteuren, zu Personen mit einem öffentlichen Amt, einem guten Ruf und der Zugehörigkeit zum gehobenen Bürgertum oder sogar zum Patriziat hingegen schon. Ihr häufig festzustellender gesellschaftlicher Aufstieg stand außerdem in Zusammenhang mit dem Vermögen, das die großen Buchhändler in ihrem kapitallastigen Metier erwerben konnten. Adrian Beier betonte zuletzt in Hinsicht auf das Ansehen der Buchhandelsaktanten vor allem ihre Nähe zur Gelehrtenwelt: »Uf Universitäten aber/ werden sie billich denen Studiosis gleich geachtet/ so fern daß der Rector Magnificus sie in dero Universität Schutz und Bürgerschafft angenommen/ und sie in bürgerlichen Klag-Sachen vor Jhme dingstellig werden.«75 Diese Verbindung wirft als nächstes die Frage nach ihrem Bildungsstand auf. Bildung Die großen Druckerverleger stammten oft aus den Reihen der Gelehrten und besaßen eine entsprechend hohe Bildung. Auch Amerbach wurde, wie bereits erwähnt, als gelehrt bezeichnet; er erwarb 1462 den Magister Artium an der Universität Paris. Sein Geschäftspartner Heinrich Petri, Sohn des Druckers Adam Petri, machte sogar seinen medizinischen Doktor in Basel.76 Weiterhin zeigt ein Blick in die Auflistung der Buchführer von Grimm, dass die Mehrheit der größeren Buchhändler studiert hatte und gelegentlich auch einen akademischen Abschluss besaß. Nur wenn der Buchhändler mit dem Inhalt seiner Bücher zumindest oberflächlich vertraut war, konnte er sie angemessen anpreisen und gegenüber den Gelehrten eine beratende Funktion ausüben.77 Anton Koberger bildet in diesem Zusammenhang eine Ausnahme, indem Grimm ihn als »bildungsmäßig nicht besonders geschulten Unternehmer« bezeichnet. Diesen Nachteil kompensierte er »durch einen erstaunlichen wirtschaftsgeographisch-ökonomischen Horizont«78. Insgesamt hält Grimm den Bildungsdurchschnitt

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Oldenbourg, Die Endter, S. 23. Beier, Kurtzer Bericht, S. 48. Vgl. Grimm, Die Buchführer des deutschen Kulturbereichs, Sp. 1357 und 1394. Vgl. Hirsch, Printing, Selling and Reading, S. 62. Grimm, Die Buchführer des deutschen Kulturbereichs, Sp. 1202.

4.1 Die Rolle der Buchhändler im Spiegel überlieferter Quellen

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der Buchhändler tatsächlich für nicht besonders hoch. »Der Anteil der Studierten ging im Durchschnitt kaum über ein Fünftel der ermittelten Buchführer hinaus, die Anzahl der Magister und Doktoren darunter war minimal.«79 Ein Grund für den geringen Bildungsschnitt, den Grimm den Buchhändlern attestiert, ist, dass in seiner Aufzählung die kleinen Buchhändler zahlenmäßig bei Weitem dominieren, sodass seine Feststellung nicht ohne Weiteres auf die Hauptaktanten übertragbar ist. Einen Lateinschulbesuch sah Grimm zudem als »fast allgemein vorausgesetzt«80 und der Bildungsgrad nur der wenigen großen und bekannten Buchhändler vermittelt ein anderes Bild. Die Kombination aus Geschäftssinn und Bildung gab einigen Buchhändlern »a semi-academic status«81, was beispielsweise in den lettres patentes des französischen Königs 1649 deutlich hervorgehoben wurde: Booksellers, printers and binders are always considered part of our beloved university [the Sorbonne], separated from the crafts and other corporations or merchants …. His [the bookseller’s] other activities must be such as not to dishonor that of booksellers, which is to be counted among the professions.82

Die vorgeschriebene enge Bindung nicht nur der Drucker, sondern auch der Buchhändler an die Sorbonne in Frankreich macht den Zusammenhang zwischen Bildung und Buchmarkt in dieser Zeit evident. Die meisten Buchhändler standen in engem Kontakt mit vielen Gelehrten, was durch erhaltene Geschäftskorrespondenzen und dokumentierte langjährige Freundschaften, wie etwa die Plantins mit Justus Lipsius, zu belegen ist.83 Über den Bildungsstand Peter Drachs ist nicht viel bekannt. Er stand zwar »mit der lateinischen Grammatik zeitlebens auf Kriegsfuß«84, was Geldner mit der oft falschen und verballhornten Zitation der Titel in den Bücherlisten des Rechnungsbuchs begründet, er musste aber zumindest die Grundlagen des Lateinischen gelernt haben. Lateinkenntnisse waren für die Buchhandelsaktanten die gesamte Frühe Neuzeit über unverzichtbar, trotz des im Laufe dieser Zeit deutlichen Erstarkens der nationalsprachlichen Literatur. Ein Buchhändler, so sagte Beier noch 1690, müsse Latein verstehen, da die meisten Bücher auf Latein verfasst wären, und er meinte, viele verstünden dazu noch Französisch und Italienisch.85

79 Grimm, Die Buchführer des deutschen Kulturbereichs, Sp. 1754. 80 Grimm, Die Buchführer des deutschen Kulturbereichs, Sp. 1754. 81 Hirsch, Printing, Selling and Reading, S. 62. 82 Zitiert nach Hirsch, Printing, Selling and Reading, S. 63. 83 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 509. 84 Geldner, Das Rechnungsbuch des Speyrer Druckherrn, S. 12. 85 Vgl. Beier, Kurtzer Bericht, S. 47.

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Uber daß machet das Verkauffen allein noch lange keinen Buch-Händler/ deñ ein Buch-Händler muß der Lateinischen und anderer Sprachen so mächtig seyn/ daß er zun wenigsten den Jnhalt der Titul derer Bücher verstehet/ und die Theologischen/ Juristischen/ Medicinischen/ Philosophischen Bücher und anderer Doctrinen/ zu ordiniren uñ zu unterscheiden weiß/ damit er einem iedweden Gelehrten dariñen nach Gebühr begegnen kan/ Jch geschweige daß er den Verstand der ausländischen Müntze/ item: wie die Meß-Register/ Journal, Haupt-Bücher und Bilanzen richtig zu führen/ wohl erfahren seyn muß.86

Seit dem 16. Jahrhundert wiesen die Buchhändler selbst immer wieder auf eine notwendige Fachbildung hin.87 Gerade im Bereich der Büchersendungen kam es vor, dass Gelehrte die Auswahl dem Buchhändler überließen, »der so bis zu einem gewissen Grade zugleich der wissenschaftliche Vertrauensmann seines Kunden war.«88 Den gesamten Betrachtungszeitraum über blieben also zumindest rudimentäre Lateinkenntnisse eine Voraussetzung für die erfolgreiche Ausübung des Buchhändlerberufs. Im Jahr 1702, am 24. Mai, beklagte der Gehilfe im Buchladen des Halleschen Waisenhauses, Matthias Müller, seine schlechten Leistungen. Er schlug vor, sich nach einem anderen besser geeigneten Gehilfen umzusehen, und begründete seine Unfähigkeit unter anderem mit seinem mangelhaften Latein: Nun gestehe, daß ich nechst dem was schon abgeführet mich nicht so leicht werde schicken können in solcher Verrichtung, weil der Mangel des Lateins mir ziemlich hinderlich fällt, welches niemand so leicht glauben wird, als ich es in der That erfahre. Ich hätte es wol selbsten mich erstlich nicht bereden lassen, daß dieses und anders hierzu so sehr nöthig wäre.89

Trotzdem erscheint der Bildungsgrad der Buchhändler insgesamt sehr ambivalent und es stellten sich im Laufe der Zeit oft geringere bis nicht vorhandene Lateinkenntnisse heraus.90 Letztendlich überwog wohl das kaufmännische Geschick die Notwendigkeit einer umfassenden Bildung, da sich gerade die Buchhändler mit eigener Druckerei häufig Unterstützung in Gelehrtenkreisen suchten. Ausbildung Der Beruf des Buchhändlers war, wie bereits mehrfach festgestellt, sehr offen. Es gab keine feste Ausbildung, was besonders im 17. Jahrhundert stark kritisiert wurde. Erst gegen Ende dieses Jahrhunderts gab es die ersten Ansätze, dem abzuhelfen und Kriterien für die Lehrzeit zu entwickeln. Der Anwalt Simon Lorenz Leutner reichte am 26. November 1668 ein Memorial beim Reichshofrat ein. Darin äußer-

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Beier, Kurtzer Bericht, S. 15f. Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 414. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 278. Zitiert nach Der deutsche Buchhandel in Urkunden und Quellen, Bd. I, S. 262. Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 413f.

4.1 Die Rolle der Buchhändler im Spiegel überlieferter Quellen 

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te er sich angeblich im Namen der in Frankfurt handelnden Buchhändler und erinnerte den Kaiser daran, die Unordnung im Buchhandel abzuschaffen und die Bücher in einen gewissen, billigen Preis zu bringen. Die Buchhändler selbst seien zu diesem Zweck zur Ostermesse in Frankfurt zusammengekommen und hätten überlegt, wie die Probleme zustande gekommen waren. Einen Grund sahen sie vor allem in der Tatsache, dass die verschiedensten Professionen – Buchdrucker, Kupferstecher, Kunstführer, Buchbinder oder völlig Gewerbsfremde – Buchhandel betrieben. Außerdem würden diese Händler sehr viele Jungen ausbilden, die sich dann schon nach zwei bis höchstens vier Jahren selbstständig machten. Die Dauer einer anständigen Ausbildung lag ihrer Ansicht nach jedoch bei mindestens sieben bis neun Jahren.91 Um sich gegen die unerwünschte Konkurrenz zu schützen, entwarfen einige Buchhändler eine erste Satzung, nach der sie die am Buchmarkt beteiligten Berufsgruppen voneinander trennen und ihnen klare Handlungsbereiche zuweisen wollten. Das betreffende Frankfurter Aktenstück trägt den Titel Neue Ordnung und Artikel für Buchhändler, Buchdrucker und Buchbinder, welche vom Reichstag zu Regensburg bestätigt werden sollen (1669). Die Punkte betreffen unter anderem die Buchdrucker, Buchbinder, Kunsthändler und Formschneider, Kupferstecher, Gelehrte und Geistliche, Juden und Nachdrucker sowie sogenannte »Buchhandlungsverderber«. Sie alle werden vom eigentlichen Buchhändler abgegrenzt. Schließlich gibt es noch einen Absatz über die Lehrjungen, Diener und Söhne von Buchhändlern, der Fragen der Ausbildung bzw. deren Dauer berührt: Lehr Jungen, Diener, und Buchhändlers Söhne. Was die Lehr Jungen betreffen thut, so sollen selbige, welche nicht fünff biß sechs Jahr, nach deß annehmenden Knaben auff sich habendem alter, jedoch nicht unter fünff Jahren, bey einem rechten Buchhändler, alß ein Jung seine Zeit und Lehr-Jahr außgestanden, und nachgehend, zum wenigsten 2 Jahr alß ein Diener gedienet, denen solle nicht zugelassen werden den Buch-Handel zuführen; Was aber Buchhändlers Söhne sind, sollen nicht verbunden sein, nothwendig bey andern die Handlung zu lernen, gleich wohl aber nicht ehe eine Handlung anfangen, sie hetten dann 2 Jahr bey einem frembden Buchhändler sich auffgehalten, er seye gleich ein Lehrjung oder Diener gewesen.92

Andere Buchhändler wehrten sich gegen die Eingabe und lieferten Argumente, warum den aufgeführten Gruppen der Handel mit Büchern weiterhin gestattet sein sollte. Zudem widersprachen sie der Festsetzung einer langen Lehrzeit für Lehrjungen, Diener und Buchhändlersöhne. War eine Person mit dem entsprechenden Talent und Wissen ausgestattet, könnte sie ein guter Buchhändler sein und benötigte dazu keine Lehrzeit. Insgesamt war die Mehrzahl der Buchhändler dagegen, anderen den Handel mit Büchern zu verbieten. Sie sahen als mögliche Folge dessen nur eine Verteuerung der Bücher und eine schädliche Monopolisierung ihres Gewer-

91 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 687f. 92 Zitiert nach Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 689–691.

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bes.93 In diesem Diskurs debattierten die Buchhandelsaktanten somit auch über ihr Selbstverständnis als soziale Gruppe innerhalb eines gemeinsamen Wissensraums. In den Königsberger Gewerbestreitigkeiten in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurde schließlich erstmals in der Buchhandelsgeschichte ein Buchhändlerexamen eingerichtet. Im Jahr 1672 entschied das Hofgericht, dass derjenige, der von den städtischen Buchbindern für den Buchhandel privilegiert werden wollte, zuvor auf seine »Geschicklichkeit von Wissenschaft und Bewandtnis der Bücher«94 geprüft werden müsste und das nicht durch andere Buchhändler, sondern durch zwei deputierte Professoren. Der erste, der ein solches Buchhändlerprivileg erwerben wollte, war der Buchbinder Heinrich Lange bzw. sein Sohn, da der Vater vor dem Examen zurückschreckte. In der Prüfung am 23. Februar und 6. März 1673 befragten die Examinatoren Christoph Lange zu mehreren Büchern über unterschiedliche Wissensgebiete vom Altertum bis zur damaligen Zeit. Die Fragen betrafen alle Aspekte vom Inhalt über die Sprache, Übersetzungen, Ausgaben, Bandanzahl, Format und Druck bis hin zum Preis. Lange konnte sie nicht beantworten und scheiterte auch an der anschließend geforderten Erstellung eines Katalogs. Der Große Kurfürst stellte ihm dennoch ein Buchhändlerprivileg aus, womit er die Gültigkeit des Examens wieder relativierte.95 Trotz fehlender Vorschriften bildeten sich gewisse Standards heraus. Die Lehrzeit begann danach durchschnittlich mit 14 Jahren oder früher. Man lernte als Ladenjunge den Buchhandel von der Pike auf. Die Vorbildung konnte dabei nur rudimentär gewesen sein. Neben den Sprachen stand das Erlernen der kaufmännischen Grundlagen an erster Stelle. Dazu gehörten unter anderem die Buchführung und die Kenntnis der verschiedenen Münzwährungen. Die eigentliche Lehrzeit im Anschluss an eine halbjährige Probezeit nahm dann in der Regel sechs Jahre in Anspruch. Die Söhne gutsituierter Buchhändler genossen außerdem häufig eine sehr sorgfältige Ausbildung »im Stile damaliger Kavalierserziehung«96. Die Buchhandelsaktanten reisten zwar in der Regel nicht so weit wie die Buchdrucker auf ihren Wanderungen, aber ein langjähriger Aufenthalt abseits ihrer Heimatstadt, eventuell auch in einem anderen Land, vor ihrer Selbstständigkeit war allgemein üblich.97

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Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 697–699. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 113f. Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 114–116. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 414. Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 414f.

4.1 Die Rolle der Buchhändler im Spiegel überlieferter Quellen 

303

Zusammenfassung: Piazza Universale und Abbildung der Gemein-Nützlichen Haupt-Stände Tomaso Garzoni charakterisierte in seiner Piazza Universale98 alle ihm bekannten Berufsgruppen durch eine ausführliche Beschreibung. Die deutsche Übersetzung der Piazza Universale wurde erstmals 1619 in Frankfurt bei Lucas Jennis gedruckt. Weitere Ausgaben folgten 1626 sowie bei Matthäus Merian bzw. seinen Erben 1641 und 1659. Die einzelnen Berufe werden in Diskursen erörtert und der 127. Diskurs widmet sich dem Berufsstand des Buchhändlers. Im Jahr 1698 brachte der Kupferstecher und Verleger Christoph Weigel ebenfalls eine Beschreibung von Berufen in seinem Verlag heraus, die bereits erwähnte Abbildung der Gemein-Nützlichen HauptStände. Darin wird in der »X. Abtheilung derer zur Beförderung der Studien sehr nützlichen Stände« in fünf Abschnitten jeweils der Buchhändler, der Schriftgießer, der Buchdrucker, der Buchbinder und Futteral-Macher und zuletzt der Papierer vorgestellt. An ihrem Beispiel können Schritt für Schritt die wichtigsten Aspekte, die in den voranstehenden Abschnitten ausgeführt wurden, gebündelt nachvollzogen werden. Der Diskurs in der Piazza Universale beginnt folgendermaßen: DIE Profession der Buchhändeler hat allezeit diese Reputation gehabt / daß sie bey männiglichen für ehrlich unnd löblich ist gehalten worden / wie solches mit vielen Rationibus, oder Gründen / und mannigfältigen Authorib. gelehrter und ansehenlicher Leute / leichtlich kan bewiesen werden.99

Direkt am Anfang wird das Ansehen der beschriebenen Profession herausgestellt. Die durch ihre Ware bestehende Beziehung zu den Künsten und der Wissenschaft war der Grund für die hohe Reputation der Buchhändler.100 Sie waren angesehen, weil sie mit Büchern zu tun hatten, und sie wurden geachtet, da sie mit Gelehrten verkehrten. Gelehrte galten als klug und ehrlich; demnach mussten auch die Händ-

98 Tommaso Garzoni: Piazza Universale: Das ist: Allgemeiner Schauplatz/ Marckt und Zusammenkunfft aller Professionen/ Künsten/ Geschäfften/ Händeln und Handwercken/ [et]c. : Wann und von wem dieselbe erfunden: Wie sie von Tag zu Tag zugenommen: Sampt außführlicher Beschreibung alles dessen/ so darzu gehörig … / Erstmahln durch Thomam Garzonum, Italiänisch zusammen getragen: Anjetzo aber auffs treulichste verdeutscht/ mit zugehörigen Figuren/ und unterschiedlichen Registern gezieret/ und in Druck gegeben. Franckfurt am Mäyn: Matthaei Merians Sel. Erben 1659. URL: http://digitale.bibliothek.uni-halle.de/urn/urn:nbn:de:gbv:3:1-360625 [Stand: 19.02.2018]. Vgl. u. a. VD17 3:604584X. 99 Garzoni, Piazza Universale, S. 954. 100 Vgl. Garzoni, Piazza Universale, S. 954f. Garzoni nutzte die Gelegenheit, anschließend eine kleine Bibliotheksgeschichte einfließen zu lassen. Die Länge dieses Exkurses zeigt noch einmal sehr deutlich, wie die Hochachtung vor Einrichtungen, die sich dem Sammeln von Büchern und damit von Wissen widmeten, auf alle beteiligten Personen übertragen wurde. Vgl. Garzoni, Piazza Universale, S. 954–956.

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ler, die mit ihnen Umgang pflegten, über dieselben Eigenschaften verfügen. Das Renommee »färbte« ab: Hierzu kompt auch dieses / welches den Buchführern nicht geringe Gunst und Ehre bey jederman bringet / dz sie sich meisten theils umb ehrliche und gelehrte Leuthe finden lassen / und fast allezeit mit denselbigen umbgehen / […]: Und findet man der halbē deren wenig / die nit allein klug unnd verständig / sondern auch geschwind und verschmitzt / als welche täglich von den gelehrten / so in ihren Läden auß unnd eingehen / etwas hören / das sie ihnen hernach können nutz machen.101

Weigel zog ebenfalls zu Beginn seiner Ausführung die bereits bekannte Verbindung zum Gelehrtentum und hob hervor, dass ohne Bücher und Buchhändler, durch die erstere erst in Bibliotheken gesammelt werden konnten, auch die Wissenschaft nicht existieren könnte. »So wenig ein Gebäu sonder Stein / Holtz und Kalck / eben so wenig kan auch die Gelehrsamkeit sonder Bücher aufgeführet und befestigt werden.«102 Anschließend erwähnte Weigel die Historie des Buchhandels und erläuterte, dass es ihn schon in der Antike gegeben, er aber erst mit dem Buchdruck seine große Bedeutung erlangt habe. Dann sobald nur diese Kunst zum Anschein kommen / ist auch der Buchhandel mehr und mehrers verherrlicht worden. Und gereicht es den Buch=Händlern zu sonderbahren Ruhm / daß gleich anfangs grundgelehrte Leuthe sich auf den Buchhandel gelegt / und zugleich Buchhändler und Drucker abgegeben.103

Er betonte hier auch die Bildung der Buchhändler. In diesem Zusammenhang hielt Weigel die Kenntnis des Inhalts der Bücher für eine wichtige Voraussetzung für ihren Beruf. Es wird aber von einem klugen Buchhändler erfordert / daß er / bey vorhabendem Verlag eines Wercks / selbst klüglich urtheilen könne / ob selbiges der Orten / wo er seinen Handel treibt / zu verschliessen / und zu verkauffen; ob die Materie dem / wo er die meiste Kundschafft zu hoffen / anständig und beliebig; ob darinnen nichts befindlich / so dem Staat oder Nation / wo er seine zeitliche Wohlfahrt sucht / nachtheilig.104

Nachdem Garzoni zunächst nur auf den ersten Wortbestandteil, das Buch, eingegangen war, kam er im nächsten Teil schließlich auf den Handel zu sprechen, den er als »sauber und ruhig«105 charakterisierte. Seine Ware setzte den Buchhändler

101 Garzoni, Piazza Universale, S. 957. Teile der Piazza Universale, wie unter anderem dieser Abschnitt, finden sich im Übrigen fast wörtlich auch in Fritschs Abhandlungen. Vgl. Fritsch, Abhandlungen, S. 29f. 102 Weigel, Abbildung der Gemein-Nützlichen Haupt-Stände, S. 241. 103 Weigel, Abbildung der Gemein-Nützlichen Haupt-Stände, S. 243. 104 Weigel, Abbildung der Gemein-Nützlichen Haupt-Stände, S. 244.

4.1 Die Rolle der Buchhändler im Spiegel überlieferter Quellen

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von der allgemeinen Kaufmannschaft ab, weshalb Garzoni einen weiteren Abschnitt der Würdigung des Buches als Wissensträger widmete.106 Als Gegengewicht zum bislang überschwänglichen Lob des Berufsstands, sprach Garzoni auch seine »Mängel« an, die er darin sah, daß sie nur auff ihrē eygenen Nutzen meisten theils sind abgerichtet / wañ sie der halben Bücher für sich lassen drucken / so suchen sie das schlechste / leichste und wolfeylste Papier / damit es nur nicht zu viel koste: haben sie etwas gutes / so muß man es ihnen doppel bezahlen / und bringen es allezeit so weit hero / daß die Fracht mehr kostet / als die Wahr: habben sie ein alt verlegen Buch / so machen sie ihm einen newen stattlichen Titul / daß man meynet / man werde grosse Ding darinnen finden / biß man es jnen nach ihrē Willen bezahlt hat / als dann nehmen sie es selbst auch für Maculatur nicht wider an.107

Garzoni unterstellte den Buchhändlern eine egoistische Denkweise. Der hehre Anspruch des Dienstes an der Wissenschaft, der mit dem Inhalt der vertriebenen Ware verbunden ist, vertrug sich seiner Ansicht nach nicht mit dem lebensnotwendigen Gewinnstreben eines Kaufmannes. Trotz der genannten Mängel sind die Ausführungen Garzonis durchweg positiv. Der letzte Abschnitt illustriert außerdem, wie sehr die Sparten des Drucks und Verlags mit der des Handels verwoben wurden. Eine Trennung der Berufe – so geht es auch aus der Piazza Universale hervor – ist in der Frühen Neuzeit nicht möglich. Lediglich Buchdrucker, Schriftgießer und Buchbinder bekommen anschließend einen eigenen Diskurs, der sich jeweils ausschließlich mit dem Herstellungsprozess befasst. Weigel schloss ebenso anerkennend mit dem Hinweis auf den Nutzen des Buchhandels, der ihn über andere Berufszweige erhebt. Ihn sah er interessanterweise nicht nur in der Beförderung der Wissenschaften, sondern auch in der Tatsache, dass durch Bücher die Gesetze und Ordnungen einer Gesellschaft bekannt gemacht werden konnten.108 Bei Garzoni und Weigel erscheinen zusammengefasst noch einmal die wichtigsten Kriterien, die die Charakterisierung des Buchhandelsaktanten bzw. sein Idealbild und damit die Außengrenzen des Wissensraums Buchhandel ausmachten. Hervorgehoben wurden vor allem die Bildung, die nicht nur aus dem Umgang mit dem wichtigsten Bildungsträger, dem Buch, entstand, sondern auch durch den Kontakt mit gelehrten Autoren und Käufern. Die Buchhändler mussten zudem den Inhalt der von ihnen angebotenen Bücher kennen, damit sie sich am Diskurs über die zeitgenössischen Trendthemen beteiligen konnten. Idealtypisch gesehen sollten sie dadurch ihren Beitrag zum gesellschaftlichen Wissensvorrat leisten, indem sie vor allem gute wissenschaftliche Werke verkauften. Ökonomisch gedacht war es vor allem wichtig, darüber informiert zu sein, was sich aktuell gut verkaufen ließ.

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Garzoni, Piazza Universale, S. 957. Vgl. Garzoni, Piazza Universale, S. 957. Garzoni, Piazza Universale, S. 957f. Vgl. Weigel, Abbildung der Gemein-Nützlichen Haupt-Stände, S. 245.

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Die enge Verbindung zu den angesehenen Ständen – den Gelehrten und den zahlkräftigen Vertretern des gehobenen Bürgertums, des Patriziats und der Herrscherklasse – bestimmte den sozialen Status der Buchhändler, die dadurch hohes Ansehen genossen und häufig öffentliche Ämter besetzten. Obwohl es während der gesamten Frühen Neuzeit keine feste Ausbildung zum Buchhändler gab und der Beruf theoretisch jedem offenstand, waren kaufmännische Kenntnisse eine weitere Voraussetzung für ihre Tätigkeit. Wusste ein Buchhändler nicht Bescheid über die verschiedenen Transportmöglichkeiten, die üblichen Rabattierungen und Verkaufsusancen wie das Verstechen, konnte keine anständige Preiskalkulation vornehmen, trat nicht bei den wichtigsten Branchentreffen zur Messe auf und erwarb sich keine Kreditwürdigkeit, so konnte er kein Hauptaktant im Wissensraum Buchhandel werden.

4.2 Die Rolle der Buchagenten Der Agentenberuf war in der Frühen Neuzeit weit verbreitet. Er stand in hohem Ansehen und war entsprechend beliebt. In der Regel arbeitete ein Agent im Auftrag mehrerer Fürsten oder Herrscher, von denen er einen festen Sold erhielt und für die er die verschiedensten Aufgaben erledigte. Die genauen Tätigkeiten eines Agenten variierten und waren nicht im Einzelnen festgelegt. Eine Pflicht, die jedoch alle zu erfüllen hatten, war die Übersendung von Wochenberichten über politische und gesellschaftliche Ereignisse. Diese sogenannten Avisen konnte der Agent als Arbeitserleichterung von Schreibern vervielfältigen lassen. Eine Notwendigkeit und gleichzeitig auch ein Vorteil des Agentenberufs waren zudem weitreichende Kontakte und Beziehungen. Besonders die Verbindungen zu hochstehenden Persönlichkeiten erhöhten den eigenen sozialen Status. Bewährte sich ein Agent, konnte das Verhältnis zu seinem Herrn über Jahre hinweg bestehen und er konnte sich Gunstbezeugungen etwa in Form eines Gnadenpfennigs erhoffen.109 Zur Anstellung erhielt er einen sogenannten Bestallungsbrief, der ihn als Bevollmächtigten des Fürsten auswies. Mit der Bestallung war meist auch der Titel eines »Rates von Haus aus« verbunden sowie der Anspruch auf eine regelmäßige Entlohnung.110 Stationiert waren Agenten in der Regel in einer größeren Handelsstadt, da ein von sich aus schon gut vernetzter Standort deutlich bessere Möglichkeiten für den Aufbau eines eigenen Netz-

109 Vgl. Gustav Milchsack: Herzog August d. J. von Braunschweig und sein Agent Philipp Hainhofer 1613–1647. In: Braunschweigisches Magazin 5/6 (1920), S. 25–34, S. 27. 110 Vgl. Wolf-Dieter Otte: Johann Martin Hirt und die Augsburger Agentur 1647–1661. In: Augsburg in der Frühen Neuzeit. Beiträge zu einem Forschungsprogramm. Hrsg. von Jochen Brüning und Friedrich Niewöhner. Berlin: Akademie-Verlag 1995 (Colloquia Augustana; Bd. 1), S. 39–118, S. 63.

4.2 Die Rolle der Buchagenten



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werks bot. Der Herkunftsort des Agenten und seine soziale Stellung konnten dabei differieren.111 Die Bezeichnung Buchagent oder Bücheragent wurde von der Forschung speziell für die Agenten Herzog Augusts d. J. gebildet aufgrund ihrer klaren Schwerpunktsetzung auf der Bücherbeschaffung. Mittels eigener Korrespondentennetze und Buchhändlerkontakte informierten Bücheragenten Herzog August d. J. über Neuerscheinungen. Sie übersandten Bücherkataloge, stellten Ansichtssendungen zusammen, verhandelten über Rückgaberechte bei Nichtgefallen, erfüllten Suchaufträge des Herzogs und verschickten die Bücher mit der wöchentlichen Post, größere Sendungen wurden in Kisten und Fässern verpackt.112

Ob der Begriff Buchagent auch für Agenten anderer Fürsten sinnvoll angewendet werden kann oder ob es sich hierbei um einen Einzelfall handelt, wäre in weiterführenden Studien nachzuweisen. Da die Bezeichnung auch für die Angestellten Augusts im Einzelfall zu prüfen ist, wird im Folgenden der allgemeine Begriff Agent bevorzugt. Ihre ausgeprägte buchhändlerische Tätigkeit lässt es jedenfalls sinnvoll erscheinen, sie als Nebenaktanten im Wissensraum Buchhandel zu betrachten. Bevor ich aber zu meiner ausführlichen Quellenarbeit komme, werden zunächst die Herzog August Bibliothek (HAB) und das gesamte Agentennetzwerk des Herzogs in den Blick genommen. So kann anschließend auf eine breitere Vergleichsbasis für den Erwerbungsvorgang und die Praktiken der Buchagenten zurückgegriffen werden.

4.2.1 Die Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (HAB) und das Agentennetzwerk Herzog Augusts II. Die Herzogliche Bibliothek zu Wolfenbüttel, deren Aufsicht mir anvertrauet ist, hat, von ihrer ersten Stiftung an, die Augen der Gelehrten ganz besonders auf sich gezogen. Und mit Recht. Die meisten Bibliotheken sind entstanden: nur wenige sind angelegt worden; und vielleicht ist keine einzige mit der Geflissenheit angelegt worden, deren sich ein so kundiger Fürst, als August war, in einer ununterbrochenen Folge von nahe funfzig Jahren beeiferte.113

111 Vgl. Alice Perrin: Netzwerk- und Sammelpolitik Herzog Augusts d. J. Der Aufbau des französischen Bestandes der Bibliotheca Augusta. In: Wolfenbütteler Barocknachrichten 31/2 (2004), S. 181– 202, S. 182f. 112 Bücheragenten. In: Lexikon zur Geschichte und Gegenwart der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. Im Auftrage der Gesellschaft der Freunde der Herzog August Bibliothek. Hrsg. von Georg Ruppelt und Sabine Solf. Wiesbaden: Harrassowitz 1992 (Lexika europäischer Bibliotheken; Bd. 1), S. 39f. 113 Gotthold Ephraim Lessing: Zur Geschichte und Litteratur. Aus den Schätzen der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel. 6 Bde. Erster Beytrag. Braunschweig: Verlag der Fürstl. Waysenhaus-

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Herzog August d. J. (1579–1666) baute mit großer Zielstrebigkeit eine der größten und bekanntesten Fürstenbibliotheken nördlich der Alpen auf.114 Er folgte damit einem Trend im 17. Jahrhundert, der seinen Anfang im Gefolge der Reformation Mitte des 16. Jahrhunderts genommen hatte.115 Die Bibliotheca Augusta – in ihren Anfangsjahren noch Bibliotheca Selenica genannt – ragt allerdings aus dem Kreis der üblichen Fürstenbibliotheken heraus und errang schon bei ihren Zeitgenossen einen außerordentlichen Ruf. Ihre Geschichte hängt eng mit der ihres Namensgebers zusammen. Die Vorstellung, dass der Fürst der alleinige Begründer und Gestalter seiner Bibliothek war, gehört zu den Gründungsmythen aller Fürstenbibliotheken,116 nur selten aber hat sich ein Fürst tatsächlich derart persönlich in seiner Bibliothek verwirklicht wie Herzog August. Ihr Aufbau begann im Kleinen bereits vor dem offiziellen Gründungsjahr 1604, denn ihren Grundstock bilden die Bücher, die August seit seiner Schulzeit angesammelt hatte. Nur wenige übernahm der Herzog aus dem Familienbesitz, darunter fällt beispielsweise eine Psalmenausgabe Luthers von 1561. Der Zuwachs der übrigen Bücher von 1604 an lässt sich anhand datierter Besitzeinträge schrittweise nachvollziehen und wurde von Maria von Katte in einem ausführlichen Überblick dargestellt.117 Herzog August wurde am 10. April 1579 als siebtes Kind von Herzog Heinrich und Herzogin Ursula geboren. Zwei Geschwister waren bereits gestorben und sein

Buchhandlung 1773. URL: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:3:1-268140 [Stand: 20.02.2018], S. 3. 114 Vgl. Jill Bepler: The Herzog August Library in Wolfenbüttel: Foundations for the Future. In: A Treasure House of Books. The Library of Duke August of Brunswick-Wolfenbüttel. Hrsg. von Helwig Schmidt-Glintzer [u. a.]. Wolfenbüttel: HAB 1998 (Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek; Bd. 75), S. 17–28, S. 18. 115 Vgl. Otto von Heinemann: Die herzogliche Bibliothek zu Wolfenbüttel, 1550–1893. Ein Beitrag zur Geschichte deutscher Büchersammlungen mit einem Anhang von Dokumenten und Archivstücken. 2. völlig neugearb. Aufl. Neudruck der Ausg. Wolfenbüttel 1894. Amsterdam: Gérard Th. van Heusden 1969, S. 5. 116 Vgl. Werner Arnold: Identität durch Bücher. Fürstenbibliotheken in der Frühen Neuzeit. In: Wolfenbütteler Notizen zur Buchgeschichte 36/2 (2011), S. 91–108, S. 98. 117 Vgl. Maria von Katte: Die »Bibliotheca Selenica« von 1586 bis 1612. Die Anfänge der Bibliothek des Herzogs August zu Braunschweig und Lüneburg. In: Wolfenbütteler Beiträge 3 (1978), S. 135– 153. Der zeitlich frühere Grundstock einer Bibliothek in Wolfenbüttel wurde bereits von Herzog Julius von Braunschweig-Lüneburg (1528–1589) angelegt. Er sammelte selbst in einem solchen Umfang, dass der Erlass einer »Libereyordnung« 1572 notwendig wurde. Sein Enkel, Friedrich Ulrich, gab die Bücher aus mangelndem Interesse 1618 nach Helmstedt und erst nach Aufhebung der Landesuniversität kehrten sie 1810 nach Wolfenbüttel zurück. Vgl. Wolfgang Milde: Zur Frühgeschichte der Bibliothek zu Wolfenbüttel. Sonderdruck aus dem Braunschweigischen Jahrbuch. Bd. 51 (1970), S. 73–83, S. 74–81 und Paul Raabe: Die Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. Bestände – Kataloge – Erschließung. Wolfenbüttel: HAB 1971 (Kleine Schriften der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel; Heft 2), S. 9.

4.2 Die Rolle der Buchagenten

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ältester Bruder war erst acht Jahre alt.118 Das früheste, nachweisbar in seinem Besitz befindliche Buch bekam August 1586 von Franz Clodes, dem Vogt seines Vaters, geschenkt.119 Es handelte sich um das Neuw Gesangbuch Teutsch vnd Lateinisch von Wolfgang Ammon.120 Von Beginn an zeigte sich das besondere Bücherinteresse Augusts, den Katte »from the very start« als »a bookworm and collector intent on discovery and conquest«121 bezeichnet. Seit 1587 wurde August von dem Praeceptor Martin Nordtmann aus Lübeck unterrichtet, ab 1592 dann von Bernhard Rülow, der offenbar großen Einfluss auf ihn ausübte. Im gleichen Jahr bekam er auch seinen ersten eigenen Prägestempel mit einer Darstellung der Fortuna in einem kleinen Oval. Mit diesem Stempel kennzeichnete er bis zum Jahr seiner ersten Eheschließung 1607 fast alle Bücher, die er sich binden ließ.122 Im darauffolgenden Jahr kam noch ein zweiter Stempel mit einem Blumenornament hinzu. Seitdem verzeichnete der inzwischen vierzehnjährige Herzog in den datierten Schul- und Studienbüchern sogar gewissenhaft den Preis jedes Buches sowie den Buchbinderlohn.123 »Das zeigt, wie früh und in wie hohem Maße sich Herzog August seiner Ausgaben bewußt gewesen war«124. Im Jahr 1594 ging August an die Universität Rostock, zu deren Ehrenrektor er noch im gleichen Jahr gewählt wurde.125 In dieser Zeit begann er damit, ein Tagebuch und zwei Stammbücher zu führen, die Zeugnisse über seinen gelehrten und gesellschaftlichen Umgang liefern. In Rostock blieb er nicht lange, stattdessen fuhr er bereits im Herbst 1595 nach Tübingen, wo er im Jahr darauf ebenfalls für etwas

118 Vgl. Maria von Katte: Jugendzeit und Bildungsjahre 1579–1603. In: Sammler, Fürst, Gelehrter. Herzog August zu Braunschweig und Lüneburg 1579–1666. Hrsg. von Paul Raabe und Eckhard Schinkel. Wolfenbüttel: Limbach 1979 (Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek; Bd. 27), S. 49–70, S. 53. 119 Vgl. Maria von Katte: The Bibliotheca Augusta as a Growing Universe from 1586 until 1666. In: A Treasure House of Books. The Library of Duke August of Brunswick-Wolfenbüttel. Hrsg. von Helwig Schmidt-Glintzer [u. a.]. Wolfenbüttel: HAB 1998 (Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek; Bd. 75), S. 53–63, S. 54f. 120 Katte nannte in ihrem Artikel den Autor Blasius Ammon. Vgl. Katte, Jugendzeit und Bildungsjahre, S. 56. Das Buch wurde aber von dem Pfarrer Wolfgang Ammon verfasst und 1586 bei den Erben Christian Egenolffs in Frankfurt a. M. gedruckt. Vgl. HAB A: 1237 Theol. und Pr., P.: Ammon, Wolfgang. In: Allgemeine Deutsche Biographie (1875). [Onlinefassung]. URL: http://www.deutschebiographie.de/pnd118911619.html?anchor=adb [Stand: 20.02.2018], S. 407. 121 Katte, The Bibliotheca Augusta as a Growing Universe, S. 53. 122 Der Prägestempel war etwas Besonderes, da außer ihm keiner seiner Brüder einen besaß. Vgl. Katte, Jugendzeit und Bildungsjahre, S. 57. 123 Vgl. Katte, Die »Bibliotheca Selencia« von 1586 bis 1612, S. 142–144. 124 Katte, Die »Bibliotheca Selenica« von 1586 bis 1612, S. 148. 125 Dass ihn seine Eltern an eine Universität schickten, war nicht selbstverständlich, sondern Augusts bemerkenswerten Leistungen als Schüler zu verdanken. Seine beiden älteren Brüder Julius Ernst und Franz hatten beide nicht ernsthaft studiert. Vgl. Katte, Jugendzeit und Bildungsjahre, S. 59.

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mehr als sechs Monate zum Rektor ernannt wurde.126 Nach einem halbjährigen Zwischenaufenthalt in Straßburg, wo sein Bruder Franz Domherr war, unternahm Herzog August zwischen 1598 und 1603 Reisen nach Holland, England und Frankreich sowie eine zweijährige Reise nach Italien mit dem Ziel in Padua zu studieren. In den Tübinger und Straßburger Jahren begann er dann planvoll Bücher zu sammeln und entwickelte ein zunehmendes Interesse an mystischer Naturphilosophie und Geheimwissenschaften. Zudem reiste er wiederholt von Tübingen aus zur Frankfurter Buchmesse, einerseits um weitere Bücher zu kaufen, andererseits um Beziehungen zum Buchhandel und zu Gelehrten zu knüpfen.127 Nach dem Ende seiner Bildungsjahre eröffneten sich August drei Möglichkeiten der weiteren Zukunftsgestaltung: »auswärtige Kriegsdienste, eine geistliche Pfründe oder Abfindung.«128 Der Herzog entschied sich zunächst für ersteres und bot Moritz von Oranien seine Dienste an. Nur wenige Wochen nach Erhalt einer positiven Antwort starb sein Bruder Franz durch einen Unfall und er ging als sein Nachfolger nach Straßburg.129 Im Juni 1603 begab er sich schließlich auf seine letzte große Reise nach Holland, England und Frankreich und erhielt mit 25 durch einen Vergleich – er hatte sich nun doch für die Abfindung entschieden – mit seinem älteren Bruder Julius Ernst die Stadt und das Amt Hitzacker. Als Gegenleistung verzichtete er auf seine Ansprüche an Dannenberg.130 Herzog August siedelte 1604 in das kleine Städtchen Hitzacker über und begann dort bald mit dem Bau eines kleinen Renaissance-Schlosses, von dem heute allerdings nichts mehr erhalten ist. In diesem Jahr bekam seine noch überschaubare Sammlung von Büchern einen ersten festen Rahmen, weshalb die Ansetzung des Geburtsjahres seiner Bibliothek hier zumindest eine gewisse Berechtigung hat. Im gleichen Jahr noch besuchte er den Laden der Buchhändlerfamilie Stern in Lüneburg.131 Über diesen Kontakt sind leider nur wenige Quellen erhalten, doch er sollte von da an bis zum Tod Augusts über 60 Jahre hinweg bestehen. In der ersten Zeit der Sammlung, in die auch weitere Reisen nach Frankfurt und nach Hamburg fallen, wurden vorwiegend aktuelle Drucke angeschafft.132 Seine erste Frau, Clara Maria von Pommern, unterstützte sein Sammlungsinteresse dabei sowohl ideell als

126 Augusts Studienzeit endete 1598 ohne Abschluss, »da der Erwerb eines akademischen Grades beim hohen Adel unüblich und nicht beabsichtigt gewesen war.« Katte, Jugendzeit und Bildungsjahre, S. 64. 127 Vgl. Katte, Die »Bibliotheca Selenica« von 1586 bis 1612, S. 144–150. 128 Katte, Jugendzeit und Bildungsjahre, S. 66. 129 Vgl. Katte, Jugendzeit und Bildungsjahre, S. 66. 130 Vgl. Maria von Katte: Fürst und Gelehrter in Hitzacker 1604–1634. In: Sammler, Fürst, Gelehrter. Herzog August zu Braunschweig und Lüneburg 1579–1666. Hrsg. von Paul Raabe und Eckhard Schinkel. Wolfenbüttel: Limbach 1979 (Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek; Bd. 27), S. 71–82, S. 73. 131 Vgl. Dumrese/Schilling, Lüneburg und die Offizin der Sterne, S. 11. 132 Vgl. Katte, Die »Bibliotheca Selenica« von 1586 bis 1612, S. 135f. und 149f.

4.2 Die Rolle der Buchagenten 

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auch materiell.133 Der Herzog zeichnete sich in späteren Jahren durch große Sparsamkeit aus, dennoch gab er laut Heinemann bereits als junger Fürst 15–16.000 Taler jährlich für den Bücherkauf aus.134 Schon nach wenigen Jahren wurde das »genial[e]«135 Signaturen- und Katalogsystem geschaffen, das die Bibliotheca Selenica signifikant von den übrigen Sammlungen ihrer Zeit unterschied. Seit 1611/12 wurden die Bücher in einem von Katte als Index generalis bezeichneten Band verzeichnet. In ihm gibt es auch den Hinweis auf einen zusätzlichen Index specialis, der aber wohl nicht überliefert wurde. Aus dem Index generalis geht hervor, dass sich 1612 der vorhandene Grundbestand aus einer Anzahl von rund 4.000 Schriften zusammensetzte.136 Dieser erste Katalog wurde von August eigenhändig verfasst und war nach dem Urteil Kattes »a painstaking inventory which first and foremost enlightened the author«137. Eingeteilt sind die Titel darin in 30 Sachgruppen, innerhalb derer sie alphabetisch verzeichnet wurden. Bis 1625 wurde der Index generalis laufend weitergeführt und der Zuwachs jeweils eines Jahres mit einem Querstrich gekennzeichnet.138 Der ersten Katalogsystematik fehlte aber noch ein entscheidender Faktor, der es zunehmend schwieriger machte, mit den immer größer werdenden Büchermengen zurechtzukommen: eine Signatur. Es musste ein Verzeichnisapparat entwickelt werden, der jedes Buch fest verortete, dabei aber gleichzeitig offen genug war für weiteren unbegrenzten Zuwachs.139 Schließlich »entstand der erste Band des wegen seiner Genauigkeit und Eleganz gleichermaßen berühmten Bücherradkataloges«140. Die Systematik der Sachgruppen wurde hierfür deutlich reduziert. Die verbliebenen 20 Klassen orientierten sich an der Einteilung der Pandectae (1548–49) von Conrad Gessner. Die Pandectarum sive partitionum universalium libri XXI bildeten den zweiten Teil seiner bereits vorgestellten Bibliotheca universalis, mit der Gessner ein Grundlagenwerk der neuzeitlichen Bibliographie schuf.141 Im 32. Lebensjahr des Herzogs verteilte sich der Bestand folgendermaßen auf die 20 Sachgruppen: Die größte Gruppe mit 750 Bänden und damit einem Drittel des Kernbestandes machten die Theologica aus. Dazu zählten neben Bibelausgaben und Kommentaren, den Schriften der Kirchenväter und Liturgica auch die Schriften

133 Vgl. Katte, The Bibliotheca Augusta as a Growing Universe, S. 55. 134 Vgl. Heinemann, Die herzogliche Bibliothek zu Wolfenbüttel, S. 64f. Die Kriegszeiten kamen August hierbei zugute, denn sie sorgten für »eine vorher nie gekannte Mobilisierung des beweglichen Vermögens«. Heinemann, Die herzogliche Bibliothek zu Wolfenbüttel, S. 65. 135 Katte, Die »Bibliotheca Selenica« von 1586 bis 1612, S. 151. 136 Vgl. Katte, Die »Bibliotheca Selenica« von 1586 bis 1612, S. 136. 137 Katte, The Bibliotheca Augusta as a Growing Universe, S. 56f. 138 Vgl. Katte, Die »Bibliotheca Selenica« von 1586 bis 1612, S. 136. 139 Vgl. Katte, The Bibliotheca Augusta as a Growing Universe, S. 57f. 140 Katte, Die »Bibliotheca Selenica« von 1586 bis 1612, S. 136. 141 Vgl. Ladislaus Buzás: Deutsche Bibliotheksgeschichte der Neuzeit (1500–1800). Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert 1976 (Elemente des Buch- und Bibliothekswesens; Bd. 2), S. 24 und 143.

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der Reformation und der dazugehörigen Kontroversen, ebenso wie die Erbauungsliteratur verschiedener Jahrhunderte.142 Die meisten Titel dieser Sachgruppe datierten aus der Zeit zwischen 1560 und 1660. Herzog August interessierte sich also besonders für tagesaktuelles theologisches Schrifttum, aufgrund dessen ihn Härtel als »ein Kind seiner Zeit«143 betitelt. Bemerkenswert dabei ist, dass der Herzog gleichermaßen katholische und protestantische Literatur sammelte, was in ihrer Objektivität aus moderner Sicht einer wissenschaftlichen Herangehensweise entspricht.144 An zweiter Stelle der Sachgruppen standen mit 280 Bänden die Historica; neben Geschichtswerken sind hierunter auch Länder- und Städtebeschreibungen sowie Reiseberichte gefasst. Hierauf folgten 150 Bände juristischen Inhalts, die Juridica. Den Gruppen Ethica, Poetica, Rhetorica und Grammatica waren je zwischen 70 und 80 Bände zugeordnet, der nächstkleineren Gruppe, den Politica, 45. Mit jeweils zwischen 40 und 45 Bänden schlossen die Abteilungen der Medica, Astronomica und Physica an, die wie alle anderen schwerpunktmäßig die aktuellen Diskussionen der Zeit widerspiegelten. Pferdebücher sowie Werke zur Waffenkunde und zum Festungsbau waren unter den Bellica mit 28 Bänden zusammengefasst. Die letzten kleineren Gruppen vereinten nur jeweils zwischen 8 und 14 Bände in ihrer Auflistung. Dazu gehörten die Arithmetica, Geometrica, Logica und die Geographica. Die wenigsten Bücher waren der Oeconomica und der Musica zugeordnet. Zuletzt war ein größerer Bestand in einer von Herzog August 1625 neu hinzugefügten Kategorie versammelt, der Quodlibetica. Hierunter wurde das Beste aus allen Wissensgebieten gesondert aufgeführt, sodass die meisten Autoren auch in den anderen Gruppen vertreten waren.145 Die Ordnung des Katalogs machte es möglich, an jeder Stelle Bücher einzufügen. Damit war er theoretisch unbegrenzt erweiterbar, ohne Sinnzusammenhänge zu zerstören.146 Er schuf die Voraussetzung für ein »unlimited growth within a fixed structure«147, indem innerhalb jeder Sachgruppe die Bücher durchnummeriert wurden. Sollte ein Buch zwischen zwei Nummern eingefügt werden, wurde einfach eine zweite Zahlenreihe angehängt. Um beispielsweise in den Theologica einen Band zwischen 3 und 4 einzufügen, erhielt er die Signatur 3.1, dahinter und vor der 4 konnte wieder ein Buch eingefügt werden mit 3.2. Kam es dazu, dass zwischen diesen beiden ergänzten Büchern ein weiterer Titel stehen sollte, konnte erneut eine

142 Vgl. Katte, Die »Bibliotheca Selenica« von 1568 bis 1612, S. 137. 143 Helmar Härtel: Herzog August als Büchersammler. Zum Aufbau seiner Bibliothek. In: Sammler, Fürst, Gelehrter. Herzog August zu Braunschweig und Lüneburg 1579–1666. Hrsg. von Paul Raabe und Eckhard Schinkel. Wolfenbüttel: Limbach 1979 (Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek; Bd. 27), S. 315–333, S. 318. 144 Vgl. Härtel, Herzog August als Büchersammler, S. 318. 145 Vgl. Katte, Die »Bibliotheca Selenica« von 1586 bis 1612, S. 137–140. 146 Vgl. Katte, Die »Bibliotheca Selenica« von 1586 bis 1612, S. 151. 147 Katte, The Bibliotheca Augusta as a Growing Universe, S. 60.

4.2 Die Rolle der Buchagenten

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Zahlenreihe eröffnet werden mit 3.1.1 und immer so weiter. Katte vergleicht diese Art der Organisation mit dem lebenden Organismus eines Baumes. Die Hauptäste stehen dabei für die übergeordneten Sachgruppen und jeder Zweig daran für eine Nummernsequenz. An jeden Zweig konnten wiederum weitere Verästelungen anschließen.148 Wichtig für eine ökonomische Aufstellung war zudem das Format des Buches. Jeder Band hatte somit eine Individualsignatur, die sich aus drei Teilen zusammensetzte. Zunächst stand die laufende Nummer mit eventuellen Zusatzzahlen, dann folgte die Sachgruppe und schließlich das Format: beispielweise 3.1 Rhet. [Rhetorica] 4° [Quart].149 Am 14. Dezember 1635 trat August im Alter von 56 Jahren die Thronfolge an und wurde Fürst von Braunschweig-Wolfenbüttel. Wegen des Krieges musste er aber noch bis 1644 warten, bevor er seine neue Residenz in Wolfenbüttel beziehen konnte. Im Zuge des Ausbaus seines stark in Mitleidenschaft gezogenen neuen Regierungssitzes organisierte der bibliophile Fürst eine Druckerei in unmittelbarer Nähe. Hierfür beauftragte er Johann und Heinrich Stern in Lüneburg. Seit er 1604 Kontakt zu ihnen aufgenommen hatte, ließ er seine Bücher bei den Brüdern binden und zählte zu ihren besten Kunden. Auch sein eigenes Werk über die Geheimschriften, Cryptomenytices et Cryptographiae libri IX150, ließ er dort drucken, ebenso wie einige frühe Gelegenheitsschriften.151 Die Gebrüder Stern waren damit zu Augusts Verlegern geworden und standen seit 1630 in regelmäßigem Briefkontakt zu ihm. Sie gaben ihre Buchbinderei bald zugunsten einer eigenen Druckerei auf, für deren Erlaubnis sich August beim Rat der Stadt einsetzte. Der Herzog vermittelte ihnen außerdem einige Autoren, darunter auch den Theologen Sigismund Scherertz, und sorgte dafür, dass sie nicht nur in seinen eigenen Ländereien, sondern auch im Herzogtum Wittenberg und der Mark Meißen ein Privileg für ihre Bücher erhielten.152 Es war also naheliegend, dass er die Familie Stern bat, eine Druckerei in Wolfenbüttel einzurichten, was sie 1645 auch taten. In den folgenden Jahren vermehrte der Herzog seine Bestände stetig und mit nie nachlassender Konsequenz. Der Höhepunkt der Bucherwerbung fällt sogar erst in seine späteren Lebensjahre. Bis 1649 lag der Bestand bei 60.000 Druckwerken und vergrößerte sich bis 1653 auf 71.545. Rechnet man dies auf den durchschnittli-

148 Vgl. Katte, The Bibliotheca Augusta as a Growing Universe, S. 60. 149 Vgl. Raabe, Die Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, S. 16. 150 Herzog August: Gustavi Seleni Cryptomenytices Et Cryptographiae Libri IX.: In quibus & planißima Steganographiae a Johanne Trithemio … magice & aenigmatice olim conscriptae, Enodatio traditur; Inspersis ubique Authoris ac Aliorum, non contemnendis inventis. Lüneburg: Sterne 1624. Vgl. VD17 23:285820R und HAB N 234.2° Helmst. (2). 151 Vgl. Raabe, Herzog August und die »Sterne« in Lüneburg, S. 157. 152 Vgl. Dumrese/Schilling, Lüneburg und die Offizin der Sterne, S. 20–23 und 30. Darüber hinaus verschaffte er ihnen ein kaiserliches Druckprivileg und einen Adelsbrief. Vgl. Dumrese/Schilling, Lüneburg und die Offizin der Sterne, S. 58.

314  4 Die Aktanten im Wissensraum Buchhandel

chen Zuwachs pro Jahr herunter, bedeutet das bis 1649 einen Zugang von etwa 1.340 und zwischen 1649 und 1653 von je ca. 2.890 Titeln jährlich. In den nun folgenden acht Jahren kamen 44.806 weitere Schriften zur Sammlung hinzu, was einem durchschnittlichen Jahreszuwachs von rund 5.600 Werken entspricht. Danach hielt sich das hohe Level der jährlichen Durchschnittserwerbungen mit knapp 4.000 Stück konstant bis 1666.153 Im Alter von 87 Jahren hatte Herzog August so einen erstaunlichen Gesamtbestand von mehr als 135.000 Werken in über 31.000 Bänden angesammelt. Trotzdem erinnerte er sich kurz vor seinem Tod noch an seine beiden ersten eigenen Bücher, das bereits erwähnte Gesangbuch und ein Exemplar des Jesus Sirach154 von seinem ersten Lehrer Martin Nordmann. »This not only speaks for an uncommonly reliable memory, but also for the fact that this library had witnessed a continual development during the long period that had elapsed between receipt and reminiscence.«155 Dank seiner durchdachten Katalogsystematik wären diese beiden Bücher für ihn jederzeit in der großen Masse wieder auffindbar gewesen. In seinem letzten Willen, der nur als Konzept aus dem Jahr 1661 erhalten ist, verfügte August, dass seine Bibliothek »in e i n e m Corpore stets und, solange Unsere Fürstliche Linie währen und übrig seyn wird« in Wolfenbüttel bleiben solle. Er ordnete außerdem an, dass sie an seinen ältesten Sohn Rudolph August gehen solle und daß auch alsdann von gemeldeter Bibliothec von ihm, seinen Successorn und Nachkommen an der Regierung, oder auch sonst Jemand anders nichts distrahiret, veräußert, verschenket, oder sonst quocunque modo alieniret, viel weniger solche Bibliotheca getheilet oder auf einigerley Weise zertrennet, sondern, wie vorberühret, in e i n e m Corpore unverrücket bey einander behalten werde. […] Unser Befehl gleichfalls ist, daß alle Jahr eine gute Anzahl guter Bücher, auch was sonst noch von alten guten Büchern zu bekommen, welche etwa darin noch nicht vorhanden, zu Paris, in den Niederlanden, Frankfurt und anderen Örtern (auf welches Alles der Bibliothecarius mit Fleiß Achtung geben und sich darumb bemühen soll) zugekauft und die dazu erforderte Kosten von Unserem Sohne Rudolf August und dessen Successorn dazu hergegeben werden sollen.156

Dem Herzog war sehr daran gelegen, dass seine Bibliothek vollständig überdauerte und seine Nachfahren sein Werk fortsetzten. Tatsächlich bildet heute seine Sammlung als geschlossene Bibliotheca Augusta oder auch Bibliotheca Guelferbytana den Kernbestand der HAB. Die Bücher stehen außerdem noch immer in der vom Herzog

153 Vgl. Härtel, Herzog August als Büchersammler, S. 317. 154 [Liber Iesu Syrach] Liber Iesv Syrach, Mvlto Qvam Vvlgo Planiore Et Dexteriore versione latine redditus, & in Locos communes redactus. Cum indice locorum. Nürnberg: Johann VomBerg und Ulrich Neuber 1563. Vgl. VD16 B 4058 und HAB A: 1295 Theol. 155 Katte, The Bibliotheca Augusta as a Growing Universe, S. 55. 156 Zitiert nach Heinemann, Die herzogliche Bibliothek zu Wolfenbüttel, S. 78–80.

4.2 Die Rolle der Buchagenten



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vorgesehenen Ordnung und sie tragen noch immer die von ihm entwickelten Signaturen.157 Eine Bibliothek dieser Größenordnung konnte jedoch nicht das Werk eines Einzelnen sein. Die dargestellte persönliche Beteiligung Herzog Augusts am Aufbau und der Ausgestaltung seiner Bibliothek ist zwar in ihrem Umfang bemerkenswert, wurde aber als Teil des Fürstenlobs besonders von Zeitgenossen zu stark in den Vordergrund gerückt. Vielmehr griff er auf die Hilfe zahlreicher Personen zurück und vor allem »das Institut der Agentur war der Schlüssel zum Bucherwerb im großen Stil.«158 August beschäftigte eine ganze Reihe fest besoldeter Agenten in verschiedenen Städten, die ihm bei der Buchbeschaffung behilflich waren. Ebenso führte er eine rege Korrespondenz mit namhaften Gelehrten, Buchhändlern und Kaufleuten, die ihm beratend zur Seite standen und ihm ebenfalls Bücher zukommen ließen. Die eingangs zitierte Charakterisierung der Bibliotheca Augusta von Lessing im ersten Band der Wolfenbütteler Beiträge Zur Geschichte und Litteratur (1773) ist dementsprechend noch zu ergänzen durch das große an ihrem Aufbau beteiligte Personennetzwerk. »Die Entstehung der Bibliothek aus dem Netzwerk« Die Bibliothek entstand »aus dem Netzwerk« vieler Personen unter der Regie des Herzogs. Wie Werner Arnold in seinem gleichnamigen Artikel herausstellt, wird die wichtige Rolle aller am Aufbau der Bibliothek Beteiligten gegenüber der Person Augusts in der Forschung oft vernachlässigt. Sie schließt sich damit an zeitgenössische Aussagen an, wie zum Beispiel in Hermann Conrings mit dem Herzog abgesprochener Lobschrift De Bibliotheca Augusta zu Wolfenbüttel von 1661, in der er den besonderen Stellenwert des Bibliotheksgründers betonte: Etwas Besonderes und ohne Beispiel Dastehendes ist aber dies: daß sie [die Bibliothek] ausschließlich durch eines Fürsten Fleiß gesammelt, mit eines Fürsten Gelde zusammengekauft, durch eines Fürsten Leistung aufs beste geordnet, durch eines Fürsten Sorgfalt und Geschick in einem Kataloge mustergültig beschrieben, auf eines Fürsten Kosten in einem wohlgeeigneten Gebäude untergebracht, endlich, daß sie ausschließlich durch den Eifer nicht nur eines, sondern ein und desselben Fürsten aus dem Nichts zur höchsten Vollendung geführt worden ist.159

157 Vgl. Raabe, Die Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, S. 12–14 und Bepler, The Herzog August Library in Wolfenbüttel, S. 20. 158 Helmar Härtel: Herzog August und sein Bücheragent Johann Georg Anckel. Studien zum Erwerbungsvorgang. In: Wolfenbütteler Beiträge 3 (1978), S. 235–282, S. 236. 159 Hermann Conring: Die Bibliotheca Augusta zu Wolfenbüttel: zugleich über Bibliotheken überhaupt. Brief an Johann Christian Freiherrn von Boineburg. Aus dem Lat. übers. u. hrsg. von Peter Mortzfeld. Göttingen: Wallstein 2005, S. 73.

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Seine eigene Mitwirkung am Aufbau der Bibliothek stellte Conring dabei zum Ruhm seines Fürsten völlig zurück. Um diesen Blickwinkel zu korrigieren und den Rahmen des herzoglichen Bucherwerbs abzustecken, werden zunächst einige der wichtigsten Personen vorgestellt, bevor ich die beiden Nürnberger Georg Forstenheuser und Donat Fend genauer betrachte. In der Ausgangsthese, dass die Agenten und die übrigen Ratgeber des Herzogs einen deutlichen Einfluss nicht nur auf die quantitative, sondern auch auf die inhaltliche Gestaltung der Sammlung nahmen und dabei Eigeninitiative bei der Buchauswahl zeigten, folge ich Arnold, der damit unter anderem Marika Keblusek in ihrem Artikel Book Agents widerspricht.160 Vorab gilt es genauer festzulegen, wer alles zum herzoglichen Netzwerk zu zählen ist. An erster Stelle stand selbstverständlich August selbst als Gründer und Finanzier. Hinzu kamen alle weiteren, an der Bibliotheksarbeit direkt beteiligten Personen wie seine Buchagenten, Buchhändler, Professoren und Gelehrte. Zuletzt zählten noch die Privatpersonen dazu, deren Bücher zur Sammlung hinzugefügt wurden, Verwaltungsbeamte, Bankiers und Kaufleute. Eine zweite Ebene ergab sich durch die jeweiligen Netzwerke der Agenten, die diese zur Information und Beschaffung nutzten.161 Es gab also ein Hauptnetz von Agenten und Korrespondenten, die direkt in Diensten des Herzogs standen, und weitere »Sub-Netze«162, die die eigenen Netzwerke der Agenten umfassten. Solch ein »Modell der kooperativen Zusammenarbeit ist in der Wirtschaft der Frühen Neuzeit entwickelt worden.«163 Arnold teilt das Hauptnetzwerk des Herzogs in zwei übergeordnete Personengruppen ein mit Gelehrten, Diplomaten, Geistlichen und Beamten auf der einen Seite und den Agenten und Faktoren auf der anderen Seite. Sie unterscheiden sich darin, dass die einen als unabhängige Ratgeber fungierten, während die anderen fest bezahlte Arbeitnehmer waren. Hierbei gab es allerdings Überschneidungen.164 Alice Perrin unterteilt nur die Agenten in zwei Gruppen, die Gelehrten und etwas unspezifisch die anderen Agenten. Diese Unterscheidung erhellt die schwere Trennbarkeit der Rollen und Tätigkeiten.165 Herzog August nutzte seine Angestellten jedenfalls nicht nur zur Vermehrung des Bibliotheksbestandes, sondern auch zur Förderung seines Rufs. Zwischen 1649 und 1661 gab er insgesamt sechs Bibliotheksbeschreibungen in Form kleiner Flugschriften heraus, die er über seine Agenten weit verteilen ließ, um auf seine Bibliothek aufmerksam zu machen.166 Mit der Durchsicht der Briefe Philipp Hainhofers legte der Wolfenbütteler Bibliothekar Gustav Milchsack in den 1910er Jahren die Grundlage für die Untersu-

160 Vgl. Arnold, Die Entstehung der Bibliothek aus dem Netzwerk, S. 1f. 161 Vgl. Arnold, Die Entstehung der Bibliothek aus dem Netzwerk, S. 2. 162 Perrin, Netzwerk- und Sammelpolitik Herzog Augusts d. J., S. 189. 163 Arnold, Die Entstehung der Bibliothek aus dem Netzwerk, S. 3. 164 Vgl. Arnold, Identität durch Bücher, S. 100f. 165 Vgl. Perrin, Netzwerk- und Sammelpolitik Herzog Augusts d. J., S. 185. 166 Vgl. Otte, Johann Martin Hirt und die Augsburger Agentur, S. 65.

4.2 Die Rolle der Buchagenten 

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chung der Agenten Herzog Augusts und ihrer Arbeit. Eine systematische Aufarbeitung der Quellen in der HAB wurde aber erst nach 1970 in Angriff genommen. Zu Beginn stehen hier die Arbeiten Lore Sporhan-Krempels über Georg Forstenheuser und Helmar Härtels über Johann Georg Anckel. Von Robert Mandrou folgte 1978 ein Artikel in den Wolfenbütteler Beiträgen über den französischen Agenten Abraham de Wicquefort, der 2000 von Pierre François Burger und 2008 von Alice Perrin-Marsol ergänzt wurde.167 Wolf-Dieter Otte wiederum vervollständigte 1995 mit seiner Studie zu Johann Martin Hirt die Erforschung der Augsburger Agentur. Damit liegt der Schwerpunkt der Forschungsperspektive bislang neben der kurzen, aber politisch sehr interessanten Zeit Wicqueforts auf den Augsburgern, in erster Linie auf Philipp Hainhofer. Sein Briefwechsel mit dem Herzog wurde bereits 1984 in einer Teiledition veröffentlicht.168 Philipp Hainhofer Der Patrizier Philipp Hainhofer (1578–1647; Agent Hz. Augusts 1613–1647) war einer der wichtigsten Agenten Herzog Augusts und stand lange Zeit in seinen Diensten. Über 30 Jahre erstreckte sich ihre Korrespondenz, während der sich ein freundschaftliches Verhältnis zwischen den beiden entwickelte. Die erhaltenen Briefe Hainhofers füllen zwölf große Foliobände und in Teilen sind sogar die Antworten des Herzogs überliefert.169 Hainhofer stammte aus einer angesehenen und sehr reichen Kaufmannsfamilie. Von Kaiser Rudolf hatten sie einen Adelstitel erhalten und sie waren mit mehreren vornehmen Familien verschwägert (zum Beispiel mit den Familien Herwart, Eggenberg und Imhof). Während seiner Studienzeit lernte Hainhofer viele Städte kennen. Zunächst studierte er für zwei Jahre in Padua (1594– 1596), anschließend noch für ein weiteres halbes Jahr in Siena. Er unternahm eine Reise nach Rom und Neapel, ging für weitere Studien nach Köln und von dort aus nach Holland. Ein Jahr blieb er in Amsterdam und bereiste die Umgebung. Im Jahr

167 Vgl. Robert Mandrou: Abraham de Wicquefort et le duc August (1646–1653): Sur les Relations intellectuelles entre France et Allemagne, un siècle avant Les Lumières. In: Wolfenbütteler Beiträge 3 (1978), S. 191–234, Pierre François Burger: Res angusta domi, les Wicquefort et leurs métiers bien délicats entre Paris, Amsterdam et Pärnu. In: Francia 27/2 (2000), S. 25–58 und Alice Perrin-Marsol: Abraham de Wicquefort, diplomate érudit au service du duc Auguste de Wolfenbüttel (1648–1653). In: Francia 35 (2008), S. 187–208. 168 Vgl. Der Briefwechsel zwischen Philipp Hainhofer und Herzog August d. J. von BraunschweigLüneburg. Bearb. von Ronald Gobiet. München: Dt. Kunstverl. 1984 (Forschungshefte/Bayerisches Nationalmuseum München; Bd. 8). 169 Den Erhalt der Briefe des Herzogs an Hainhofer haben wir Johann Georg Anckel zu verdanken. Er stieß zehn Jahre nach Hainhofers Tod 1657 als einer der nachfolgenden Agenten in Augsburg auf dessen Briefe ab 1613 und bot August an, sie gesammelt nach Wolfenbüttel zu schicken. Die herzoglichen Briefe an Hainhofers Schwiegersohn Johann Martin Hirt, um deren Sicherstellung August Anckel gebeten hatte, konnte er leider nicht vor der Verwendung als Makulatur retten. Vgl. Härtel, Herzog August und sein Bücheragent Johann Georg Anckel, S. 264f.

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1598 kehrte er schließlich über Enthuizen, Stade, Hamburg, Lüneburg, Magdeburg, Leipzig und Nürnberg nach Augsburg zurück. Nach seiner Heirat mit Regina Waiblinger 1601 verließ er die Stadt nur noch für Geschäfts- und Badereisen.170 Hainhofer bekleidete mehrere öffentliche Ämter: 1605 wurde er Mitglied im großen Rat, 1614 Assessor beim Strafsitz, 1628 Zechpfleger bei St. Annen, 1629 Assessor beim Stadtgericht und 1632 Oberaufseher der städtischen Bauten. Er hatte sich im Laufe der Jahre eine ansehnliche Kunstkammer aufgebaut und beherbergte oft hoch stehende Reisende in seinem Haus. Daneben bemühte er sich als Agent um Kontakte zu Fürsten, Prälaten und Diplomaten. Das brachte ihn 1606 in Verbindung mit Herzog Wilhelm von Bayern, 1607 mit König Heinrich IV. von Frankreich, 1608 mit Markgraf Friedrich von Baden, 1610 mit Herzog Philipp II. von Pommern-Stettin und 1611 schließlich mit Herzog August.171 Im Sommer 1613 besuchte ihn August auf einer Reise nach Regensburg persönlich in Augsburg und ließ sich von ihm vom 5. bis 18. Juni die Sehenswürdigkeiten zeigen. Von da an übernahm Hainhofer die verschiedensten Aufträge für ihn. Gustav Milchsack listet eine ganze Reihe von Gegenständen und Personen auf, die er im Laufe seiner Dienstzeit besorgen sollte: Stoffe zu Staatsgewändern, Schmucksachen, Kunstmöbel und -geräte, Waffen, Uhren und Bücher, aber auch Erzieher, Tanzmeister, Tonkünstler, Hufschmiede, Uhrmacher, Barbiere, sowie Wagen und Pferde, Wein und Konfekt und überhaupt alles, was ein fürstlicher Hofhalt an seinen Industrie- und Kunsterzeugnissen, an exotischen und anderen seltenen Dingen gebrauchte, die zumeist nur in den wenigen großen Handelsemporien zu erlangen waren.172

All diese Dinge musste Hainhofer beschaffen oder eigens anfertigen lassen. Der Bucherwerb nahm davon nur einen kleinen Teilbereich ein, wenn er auch nicht die leichteste seiner Aufgaben war. Der Herzog beauftragte ihn in erster Linie damit, seltene oder im Ausland gedruckte Bücher zu besorgen, die nicht auf den Messen zu bekommen waren. Das konnte zu einer langwierigen Suche ausarten. So berichtete Hainhofer in insgesamt 18 Briefen von seinen Versuchen, an die Descriptio terrae sanctae173 von Antonius Aranda zu gelangen. Er aktivierte dafür seine eigenen Agenten in Rom, Florenz und Venedig, ließ die Stadtbibliothek in Augsburg durchsuchen, ebenso wie das örtliche Jesuitenkolleg. Zusätzlich befragte er den Bürger-

170 Vgl. Milchsack, Herzog August d. J. und sein Agent Philipp Hainhofer, S. 25–28. 171 Vgl. Milchsack, Herzog August d. J. und sein Agent Philipp Hainhofer, S. 28. 172 Milchsack, Herzog August d. J. und sein Agent Philipp Hainhofer, S. 25. 173 Antonius de Aranda war ein spanischer Franziskanermönch. Vgl. Aranda, Antonius de. In: Johann Heinrich Zedlers Grosses vollständiges Universallexicon aller Wissenschafften und Künste. (Zedler) Bd. 2., Sp. 1109. URL: http://www.zedler-lexikon.de/index.html?c=blaettern&bandnummer=02&seitenzahl=576&dateiformat=1&view=150&supplement=0%27 [Stand: 21.02.2018]. Im Katalog der HAB ist kein Titel des Autors Antonius Aranda aufgeführt, weshalb die Suche wahrscheinlich erfolglos blieb.

4.2 Die Rolle der Buchagenten



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meister Bechler, da dieser in Kontakt zu Buchhändlern in Lyon, Antwerpen und Venedig stand, und bat seinen Nachbarn, den Weihbischof Zeyler, sowie seinen Vetter Hans Ulstat um Hilfe, der seit sieben Jahren zusammen mit Giovanni Battista Visconti Spanien, Frankreich und Italien bereiste. Hainhofer setzte alle Hebel in Bewegung, aber seine Bemühungen blieben in diesem Fall vergeblich. Erfolglos setzte er sich auch für den Erwerb umfangreicher Teile einer Bibliothek ein. Mehr als zwei Jahre lang verhandelte der Agent mit dem Domherrn Johann Adam von Werdenstein zu Eichstätt wegen seiner ansehnlichen Buch- und Kupferstichsammlung. Obwohl Herzog August mit 700 Bänden einen großen Teil daraus erwerben wollte, willigte der Domherr nicht in den Verkauf ein.174 Mit der Zeit spielte der Agent für den Bucherwerb eine wachsende Rolle und er erschloss mit seinen Kontakten dem Herzog den süddeutschen, den italienischen und den französischen Raum für den Buchkauf.175 Hainhofer ist nicht zuletzt aufgrund der in seinem Fall außerordentlich guten Quellenlage der bekannteste der Agenten Augusts. Seine Briefe sind besonders interessant für Einblicke in das Privatleben des Herzogs und für die Entwicklungen der Kunst und Kultur seiner Zeit vor dem Hintergrund des Dreißigjährigen Krieges. Durch die vielfach erhaltenen Antworten Augusts ist auch das Verhältnis von Fürst und Agent sehr gut nachvollziehbar. Ihre Freundschaft ist ein Alleinstellungsmerkmal unter den sonst vornehmlich geschäftlich orientierten Beziehungen des Fürsten mit seinen Agenten. Außerdem nahm Hainhofer in Bezug auf den Bucherwerb eine Ausnahmestellung ein, denn mit diesem ersten Kontakt Augusts zu einem Agenten begann für ihn »a new and official phase of collecting.«176 Allerdings wurde der Augsburger vor allem für schwierige Einzelfälle zurate gezogen und man kann bei ihm kaum von einem Übergewicht des Buchkaufs unter seinen vielfältigen Aufgaben sprechen. Johann Martin Hirt Am 23. Juli 1647 starb Philipp Hainhofer an einem Schlaganfall. Sein Schwiegersohn, Johann Martin Hirt (1588–1661; Agent Hz. Augusts 1647–1661), unterrichtete zwei Tage später den Herzog darüber und bewarb sich im gleichen Atemzug um die nun vakant gewordene Stelle als Agent. Hirt war bereits seit längerem als Gehilfe mit Hainhofers Arbeit vertraut, dem Herzog selbst aber bislang weitgehend unbekannt. Daher legte er seinem Brief einen kurzen Lebenslauf bei und bat gleichzeitig

174 Vgl. Milchsack, Herzog August d. J. und sein Agent Philipp Hainhofer, S. 33. 175 Vgl. Helmar Härtel: Untersuchungen zum Erwerbungsvorgang und zur Erwerbungspolitik an der Bibliothek Herzog Augusts des Jüngeren, durchgeführt am Beispiel der Agententätigkeit Johann Georg Anckels und der über ihn erworbenen Bücher. Ms; Hausarbeit dem Bibliothekar-Lehrinstitut des Landes Nordrhein-Westfalen zur Prüfung für den höheren Dienst an wiss. Bibliotheken im Frühjahr 1972 vorgelegt. Köln 1972, S. 10. 176 Katte, The Bibliotheca Augusta as a Growing Universe, S. 55.

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den Agent Forstenheuser in Nürnberg, sich für ihn beim Herzog zu verwenden. Hirt hatte sich parallel auch um das Fortlaufen der Geschäfte gekümmert und Herzog August stimmte einer Weiterbeschäftigung umgehend zu.177 Hirt erbrachte in seiner Kindheit gute schulische Leistungen und sollte Theologie studieren. Ob er aber tatsächlich eine Universität besuchte, ist nicht klar. Wie Hainhofer reiste er jedenfalls viel. Mit 21 Jahren begleitete er den fürstlichen Kammerrat Dr. Hieronymus Bechler auf Reisen nach Ansbach, Kulmbach, Hall in Sachsen, Dresden, Berlin, Stettin sowie Wolgast und lernte hierbei das Leben bei Hofe kennen. Wenige Jahre später begleitete er vermutlich als Hofmeister Hans Adam Freiherr von Greiffenberg in die Niederlande nach Brabant, Flandern und Seeland. Zudem machten sie einen Abstecher nach Frankreich und England. Ab 1619 leistete Hirt Kriegsdienst sowohl in der kaiserlichen als auch in der Königlich Schwedischen Armee.178 Ende 1636 heiratete er dann wahrscheinlich Barbara Hainhofer. Seine erste Frau Anna Maria Khünlin, die Tochter des Stuttgarter Ratsherrn und Hofapothekers Erasmus Khünlin, war 1634 gestorben. Spätestens 1639 ging Hirt nach Augsburg. Von da an bis zu seiner Bestallung bei Herzog August gibt es keine weiteren Nachrichten über ihn.179 Nachdem seine zweite Frau 1647 ebenfalls verstorben war, heiratete Hirt Ende 1649 die Kaufmannstochter Regina Lotter.180 Trotz der gesundheitlichen Probleme, die Hirt unablässig plagten – er hatte sich als Soldat eine schwere Verletzung zugezogen und erlitt 1647 einen Schlaganfall –, war Herzog August mit seiner Arbeit sehr zufrieden und gewährte ihm erbetene Gehaltserhöhungen mit Verweis auf die bislang geleisteten guten Dienste.181 Die Aufträge für Hirt glichen denen für seinen Vorgänger, allerdings verlagerte sich der Schwerpunkt bald auf die Beschaffung von Büchern. Bezeichnend hierfür ist die Tatsache, dass Hirt nach Hainhofers Tod als Erstes die begonnene Suche nach bestimmten Büchern in Italien fortsetzte. Insgesamt ist Hirts Anteil am Zustrom von Büchern für die Bibliothek ganz erheblich und übertraf die Leistung Hainhofers deutlich.182

177 Vgl. Otte, Johann Martin Hirt und die Augsburger Agentur, S. 39–41. 178 Ein häufiger Seitenwechsel der Soldaten war zu seiner Zeit nicht ungewöhnlich. Vgl. Otte, Johann Martin Hirt und die Augsburger Agentur, S. 46. 179 Vgl. Otte, Johann Martin Hirt und die Augsburger Agentur, S. 43–48. 180 Vgl. Otte, Johann Martin Hirt und die Augsburger Agentur, S. 57f. 181 Die wahrscheinlich den Berichten Johann Georg Anckels entnommene Annahme Härtels, Hirt wäre seit 1650 durch die Folgen seines Schlaganfalls ans Haus gefesselt und hätte ohne Hilfe seine Agententätigkeit nicht mehr erfüllen können, ist kaum zutreffend. Vgl. Härtel, Herzog August und sein Bücheragent Johann Georg Anckel, S. 240. Es handelt sich dabei eher um eine übertriebene, auf den Nachteil Hirts bedachte Verleumdung Anckels, weshalb Otte bei der Bewertung von Aussagen Anckels über Person und Gesundheitszustand Hirts zu Recht zur Vorsicht rät. Vgl. Otte, Johann Martin Hirt und die Augsburger Agentur, S. 60. Das schwierige Verhältnis Anckels zu Hirt wird im folgenden Abschnitt genauer beleuchtet. 182 Vgl. Otte, Johann Martin Hirt und die Augsburger Agentur, S. 58–60 und 64f.

4.2 Die Rolle der Buchagenten

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Gleich zu Beginn stützte sich Hirt für die Suche nach passenden Büchern unter anderem auf die Hilfe des Patriziers und Geheimen Rats Christoph Bechler, der als Gelehrter viele Beziehungen hatte, selbst ein fleißiger Bücherkäufer war und auch schon Hainhofer geholfen hatte. Bechler schickte nahezu jede Woche einen Katalog, berichtete von Einzeltiteln und Sammlungen, die zum Verkauf standen, und machte »sich in freundschaftlicher Weise mit Rat und Tat nicht nur in Büchersachen nützlich«183. Bechlers Tod am 28. September 1652 verdeutlicht, wie sehr der Bucherwerb des Agenten von persönlichen Kontakten solcher Art abhängig war. Mit ihm verlor Hirt einen Freund, seinen besten Zulieferer und einen wichtigen Korrespondenten. In der Folge entschuldigte sich Hirt beim Herzog, dass die Einlieferung von Büchern sich wegen des Wegfalls von Bechlers Hilfe verzögerte: Daß es aber so langsamb mit der bestellung der bücher hergeht, ist in wahrheit die schuld nit mein, dann der herr Bechler seeliger hat von Venedig, Rom, Napoli, Lyon, Paris, vnd mehr andern orten gantze küsten und fässer voll, die er alle vor große herrn, vnd vnderschidliche Clöster erkaufft, auf einmal pringen laßen, da hingegen ich an erstgedachte ort etwan nur vmb ein ainig buch schreibe, welches dann vil zeit vnd vncosten gebraucht, vnd hernach zu andern kauffmans wahren, vnd güttern müßen eingeschlagen werden, dann ein, oder zwei bücher auf der Post zu verschickhen, wurden im gelt gar zu hoch khommen.184

Für den Buchtransport sah sich Hirt offenbar auf Großlieferanten bzw. -besteller angewiesen, da die Kosten für das Versenden einzelner Exemplare unverhältnismäßig hoch waren. Im Ankauf ragten besonders die Großanschaffungen aus Nachlässen heraus. Bibliotheken oder Sammlungen, die meist nach dem Tod ihres Besitzers oder aus Geldnöten aufgelöst wurden, boten eine reiche Fundgrube für Herzog August. Dieser wollte aber in der Regel nur eine Auswahl daraus erwerben, während die Besitzer versuchten, den gesamten Bestand auf einen Schlag zu veräußern. Die Vermittlung an dieser Stelle war Aufgabe des Agenten. Bevor er jedoch den Besitzer von einem Teilverkauf überzeugte, war es Hirts erste Handlung, einen möglichst genauen Katalog der Sammlung anlegen zu lassen, damit in Wolfenbüttel ein Abgleich mit dem Inventar der Augusta erfolgen konnte. Diese Kataloge stellten oft ein Problem dar, denn der Einfachheit halber übernahmen ungelehrte Schreiber oder die Erben bzw. Besitzer der Bücher selbst die Abfassung. Fehlkäufe waren somit aufgrund ihrer häufig schlechten Qualität vorprogrammiert.185 Konsequent sandte August Dubletten oder ungewünschte Bücher zurück und überließ es Hirts Sorge, den Kauf rückgängig zu machen und das Geld zurückzubekommen. Das gelang nicht

183 Otte, Johann Martin Hirt und die Augsburger Agentur, S. 68. 184 99 Novi, fol. 308v–309r (14. Mai 1654). 185 Vgl. Otte, Johann Martin Hirt und die Augsburger Agentur, S. 70. Unbrauchbare Kataloge ließ Herzog August des Öfteren zurückgehen und neu schreiben. Vgl. Otte, Johann Martin Hirt und die Augsburger Agentur, S. 70.

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immer »und Hirt kam auf diese Weise, wie er nicht ohne grimmigen Humor mehrfach bemerkte, wider Willen auch zu einer eigenen Bibliothek«186. Auch die professionellen Augsburger Buchhändler trugen ihren Teil zur Mehrung der Bibliothek über Hirt bei. Die Buchhändler Bruno Schmitz und Johannes Wehe traten dabei erst spät an Hirt heran. Eine Begründung dafür lieferte Wehe, der seinem Katalog die Bitte beilegte, »weiln E.F.Dhtl. dem Geheimben herrn Bechlern, als einem Catholischen, järlich so vil Gelts zue lösen geben, Sie wolten doch seiner, vnd der andern Evang: Buechhändlern auch gnedigest eingedenckh sein«187. Demnach sahen sich die Buchhändler anfangs einer übermächtigen Konkurrenz durch den bereits vorgestellten Bechler gegenüber, der mit seinen weitreichenden Kontakten die gleichen Dienstleistungen erbringen konnte. Nach dem Tod Bechlers wurde dann vor allem Wehe Hirts bester Bücherlieferant. Er ließ ihm fast wöchentlich Kataloge zukommen und über ihn strömte ein nahezu kontinuierlicher Zulauf von Neuerscheinungen nach Wolfenbüttel; allerdings nur bis 1659, denn Wehes Angebot war vergleichsweise teuer, was dem Herzog missfiel. Er ließ Hirt wissen, keine Bücher mehr erhalten zu wollen, die in Frankfurt oder Leipzig gedruckt worden waren, denn er konnte sie in Wolfenbüttel schneller und billiger erwerben. Trotzdem schickte Wehe weiterhin seine Kataloge, weshalb nicht davon auszugehen ist, dass diese Aufforderung streng eingehalten wurde.188 Der Stolz Hirts über seinen Beitrag zum Zuwachs der herzoglichen Bibliothek ist ihm in einem Brief von 1658 anzumerken. Anlässlich der Übersendung einer aktuellen Bibliotheksbeschreibung von 1653 bezifferte Hirt seinen Anteil an der von ihm geschätzten Vergrößerung des Bestandes um über 10.000 Stücke seit der letzten Zählung 1651 auf wenigstens ein paar tausend. Zum Versand der Kiste mit der laufenden Nummer 150 resümierte Hirt zudem, dass 60 davon durch ihn an den Herzog gegangen waren. Allein mit den Kisten Nummer 145 bis 147 verschickte Hirt innerhalb eines Jahres Bücher mit einem Gesamtgewicht von 17 Zentnern, was er selbst als außergewöhnlich hervorhob.189 In den späten 1650er Jahren wurde es für Hirt zunehmend schwieriger, Titel ausfindig zu machen, die der Herzog noch nicht besaß. Viele Verkäufer sahen mit

186 Otte, Johann Martin Hirt und die Augsburger Agentur, S. 71. 187 98 Novi, fol. 198r (17. Juni 1649). 188 Vgl. Otte, Johann Martin Hirt und die Augsburger Agentur, S. 75–77. 189 Hirt zeigte bei solchen Daten eine Neigung zum Aufrunden. Otte äußert sich verwundert, wie Hirt auf einen zahlenmäßigen Zuwachs von mehr als 10.000 Büchern gekommen sei, da sich der Bestand 1651 auf 63.943 Drucke und 1.036 Handschriften bezifferte und 1653 auf 71.545 Drucke und 1.263 Handschriften. Hirt erhöhte demnach die nachweisbare Vermehrung um ca. 7.800 Exemplare auf die wesentlich imposantere Zahl von ungefähr 10.000, was wohl lediglich die Menge verdeutlichen sollte und nicht die tatsächliche Anzahl. Auch bei den Kisten wertete Hirt seine Leistung auf, da er eigentlich mit der Kiste Nummer 98 an Hainhofers Zählung anschloss. Vgl. Otte, Johann Martin Hirt und die Augsburger Agentur, S. 77.

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Verwunderung ihre guten Bücher abgelehnt, da sie bereits in der Augusta vorhanden waren. Otte äußert daraus folgernd die Vermutung, dass sich der Großteil der Käufe des Herzogs seit den 1650er Jahren verstärkt auf Neuerscheinungen konzentrierte und das Angebot antiquarischer Bücher weitgehend ausgeschöpft war. Hirt verschaffte sich überdies im Laufe der Jahre einen so genauen Überblick über den Bestand in Wolfenbüttel, dass er oft selbst beurteilen konnte, ob sich eine genauere Durchsicht lohnte. In manchen Fällen äußerte der Agent eine Beurteilung, bei der er dem Herzog zuweilen sogar vom Kauf eines Angebots abriet, zum Beispiel 1650 im Fall einer Sammlung alchimistischer Schriften.190 Konkurrenz in der Augsburger Agentur Trotz der langen zuverlässigen Dienste Hirts verlief die Zusammenarbeit mit dem Herzog nicht immer so reibungslos, wie der vorstehende Bericht zu vermitteln scheint. Ende 1656 bzw. Anfang 1657 kam es zu einer schweren Vertrauenskrise zwischen dem Auftraggeber und seinem Agenten, die sich über mehrere Monate erstreckte und schließlich dazu führte, dass ab 1657 mit Johann Georg Anckel (gest. 1676; Agent Hz. Augusts 1652–1666) ein zweiter besoldeter Agent in Augsburg stationiert war. Der Grund dafür war der Verdacht, dass es bei Hirts Abrechnungen Unstimmigkeiten gegeben habe und er mehr auf den eigenen Gewinn aus sei, als die Interessen des Herzogs zu wahren. Woher dieses Misstrauen kam, ist unklar, doch da das Verhältnis zu einem Agenten im Wesentlichen auf Vertrauen basierte, war Hirts Stellung dadurch ernsthaft bedroht.191 Otte vermutet in dem neuen Konkurrenten Anckel einen wesentlichen Unterstützer des herzoglichen Argwohns. Er charakterisiert ihn an anderer Stelle als »neidische[n] Konkurrent[en] und Widersacher«192 Hirts. Der Schreiber und Kammerdiener Augusts machte sich offensichtlich Hoffnungen auf die Agentenstelle in Augsburg. Anckels persönliche Abneigung gegen Hirt rührte aber wahrscheinlich noch aus seiner Zeit als Schreiber Hainhofers her (1636–1647), denn selbst als er die Anstellung in Augsburg innehatte, hörte Anckels Feindschaft ihm gegenüber nicht auf, obwohl er auf dessen Empfehlung hin eine Stelle in der fürstlichen Kanzlei erhalten hatte.193 Im Oktober 1656 erfüllte sich Anckels Wunsch, als Agent nach Augsburg zu gehen und ein Jahr später heiratete er Augusta Hainhofer.194 Interessanterweise verblieb seine bereits im September aufgesetzte Bestallung zunächst in der fürstlichen Kanzlei. Herzog August ließ sich mit ihrer Übersendung weitere vier Monate Zeit, wohl um abzuwarten, wie sich Anckel in Augsburg machte, was die Über-

190 Vgl. Otte, Johann Martin Hirt und die Augsburger Agentur, S. 78f. 191 Vgl. Otte, Johann Martin Hirt und die Augsburger Agentur, S. 104. 192 Otte, Johann Martin Hirt und die Augsburger Agentur, S. 61. 193 Vgl. Otte, Johann Martin Hirt und die Augsburger Agentur, S. 105f. 194 Vgl. Härtel, Untersuchungen zum Erwerbungsvorgang, S. 13.

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prüfung der Rechnungen ergab und auch wie sich der schlechte Gesundheitszustand Hirts entwickelte.195 Hirt war durch seinen exzellenten Nachrichtendienst sofort über die Ankunft Anckels unterrichtet, wusste aber wohl nichts über die Hintergründe. Die Vorwürfe der unlauteren Rechnungslegung wurden ihm nie offen zugetragen. Offenbar war ein Vertrauensbruch durch einen Agenten so schwerwiegend, dass der Herzog ihn ohne eindeutige Beweise nicht unterstellen wollte. Als Hirt etwas von dem Verdacht Augusts ahnte und ihn daraufhin anflehte, ihn nicht zu entlassen, ohne dass er zu den Vorwürfen gehört würde, leugnete dieser sogar die angeordnete Rechnungsprüfung. Derweil beschuldigte Anckel Hirt in seinen Briefen der Profitgier und Unredlichkeit.196 Er beschrieb den Konkurrenten als einen Menschen von »recht martialischem gemüthe, und beÿ Jhme heißet: ripß rapß in meinen sack, Gott gebe waß mein Nachbar hatt«197, was den Neid und die Missgunst Anckels – gerechtfertigt oder nicht – gegenüber Hirt bezeugt. Anckels Nachforschungen blieben erfolglos, seine Anschuldigungen ebenso folgenlos und August scheint die Untersuchung bald eingestellt zu haben.198 Trotzdem versuchte Anckel weiter seinen Konkurrenten aus seiner Position zu drängen, ihm Aufträge abzunehmen oder seine Kontakte abzuwerben. Problematisch war die Situation vor allem dadurch, dass die Aufgaben der beiden Augsburger nicht klar voneinander abgegrenzt waren.199 Ein Beispiel für die Schwierigkeiten, die sich aus der sonst unüblichen Verpflichtung zweier Agenten in einer Stadt ergeben konnten, bietet ein Bericht Donat Fends. Im Dezember 1659 wies er der Frau eines Boten die Schuld zu, ein an Anckel adressiertes Paket fälschlicherweise Hirt geliefert zu haben: das Jüngsthin das Paquet an H: hanns Geörg Anckeln gehörig, dem H: hirtten zugleich mit zugestellet worden, muß das versehen anders nicht, dann durch das Pottenweib zue Augspurg, so die brieff außträgt, geschehen sein, zumahlen eben die zwey Paquet in gleicher form vnd dicke geweßen, vnd solch weib daher nicht in acht genohmen haben mag, das Sie das vnrecht für das recht, dem herrn Hirtten an ersten eingehändiget, vnd das andere darauff gleich hernach geben, vnd Jhme also beede gelieffert worden, wie dann bißhero alle EFD nach Augspurg gehörige paquet vnd brieff jedesmahls separatim gangen, vnd Jedem allezeit darbey absonderlich geschrieben worden, welches forders von mir also auch noch in acht genohmen werden solle.200

195 Vgl. Otte, Johann Martin Hirt und die Augsburger Agentur, S. 107–109. 196 Vgl. Otte, Johann Martin Hirt und die Augsburger Agentur, S. 109–111. Er unterstellte ihm unter anderem, dass er die Nachrichten aus Italien immer erst eine Woche nach Erhalt und nachdem er sie gegen Entgelt in der Stadt habe kursieren lassen, nach Wolfenbüttel schickte. Vgl. Härtel, Untersuchungen zum Erwerbungsvorgang, S. 11. 197 83 Novi, fol. 8v (7. Dezember 1656). 198 Vgl. Otte, Johann Martin Hirt und die Augsburger Agentur, S. 112f. 199 Vgl. Härtel, Herzog August und sein Bücheragent Johann Georg Anckel, S. 244. 200 89 Novi, fol. 1v (17. Dezember 1659).

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Fend betonte, dass er weiter darauf achten würde, die Sendungen an die beiden Augsburger wie stets getrennt liefern zu lassen. Diese Rechtfertigung beleuchtet die besondere Situation zwischen den beiden Agenten, die durch das dargestellte Misstrauensverhältnis geprägt war und für ihr teilweise kontraproduktives Konkurrenzverhalten sorgte. Johann Georg Anckel Ab März 1661 vertrat Anckel schließlich alleine das Augsburger Agentenamt. Er sticht dabei aus dem üblichen Kreis der Agenten heraus. Härtel bezeichnet ihn als »homo novus«201, der weder eine universitäre Bildung genossen hatte noch weit gereist war. Stattdessen stieg er aus einer niedrigeren sozialen Stellung als Schreiber zu einem der höchstbesoldeten Agenten des Herzogs auf. Startete er 1656 noch mit einem vergleichsweise niedrigen Jahresgehalt von 100 Reichstalern, erhielt er zum Zeitpunkt des Todes von Herzog August bereits 300 Reichstaler jährlich.202 Seine Aufgaben weichen zudem etwas von den üblichen allgemeinen Agentenpflichten ab. Zwar war er dazu verpflichtet, wöchentlich die »riporti d’Italia« zu übersenden, insgesamt aber spielte die Übermittlung aktueller Nachrichten bei Anckel nur eine untergeordnete Rolle. Härtel stellte bei der Durchsicht der Korrespondenz fest, dass beispielsweise wichtige politische Neuigkeiten fehlen und man generell den Eindruck gewinnt, »als ob es fast immer in das Belieben Anckels gestellt war, etwas mitzuteilen oder nicht.«203 Diese Aufgabe wie auch die Weiterleitung von Warensendungen nach Wolfenbüttel bezeichnet Härtel als reine »Dienstleistungen«204. Im Vordergrund von Anckels Pflichten stand dagegen die Beschaffung von Gegenständen und dabei in erster Linie der Buchkauf. Dafür knüpfte er Kontakte zu Buchhändlern unter anderem in Ulm und Augsburg.205 Darüber hinaus baute er ein weitreichendes Netzwerk auf, das vor allem auf den Verbindungen des Onkels seiner Frau Augusta fußte. Besonders wertvoll für Herzog August war seine Bekanntschaft mit den Jesuiten vor Ort, da er sehr an Literatur zu den aktuellen Religionsstreitigkeiten interessiert war.

201 Helmar Härtel: Duke August and his Book Agents’. In: A Treasure House of Books. The Library of Duke August of Brunswick-Wolfenbüttel. Hrsg. von Helwig Schmidt-Glintzer [u. a.]. Wolfenbüttel: HAB 1998 (Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek; Bd. 75), S. 105–118, S. 107. 202 Vgl. Härtel, Herzog August und sein Bücheragent Johann Georg Anckel, S. 243f. Damit erhielt Anckel das zweithöchste Agentengehalt. Nur Jean Beeck in Paris bekam mit 400 Reichstalern eine noch höhere Besoldung. Vgl. Härtel, Herzog August und sein Bücheragent Johann Georg Anckel, S. 243. 203 Härtel, Herzog August und sein Bücheragent Johann Georg Anckel, S. 247. 204 Härtel, Herzog August und sein Bücheragent Johann Georg Anckel, S. 244. 205 Vgl. Härtel, Herzog August und sein Bücheragent Johann Georg Anckel, S. 269.

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Sie unterhielten für Anckel Briefkontakt unter anderem nach Rom und Palermo.206 Für die tatsächliche Buchbeschaffung, die Härtel anhand von 509 erhaltenen Briefen zwischen 1656–1666 untersuchte, attestiert er dem Agenten wenig eigene Initiative. Anckel tätigte seinem Urteil nach »keine eigenmächtigen Unternehmungen von Belang«207. Bei weniger bedeutenden Büchern, wie theologischer Tagesliteratur oder auch einzelnen kostengünstigen Objekten, zeigte Anckel etwas mehr Selbstbewusstsein. Er erhandelte dennoch selten etwas ohne vorherige Rücksprache und wenn doch, so war es nur von geringem Wert und er bat am Schluss des beiligenden Briefes um Entschuldigung, »womit die Kompetenzüberschreitung deutlich dokumentiert wird.«208 Im Gegensatz zu Hirt agierte er somit wesentlich vorsichtiger, denn dieser hatte oft auf eigene Faust teure Bücher übersandt, die in der Zwischenzeit bereits anderweitig erworben worden waren.209 Besonders im Auftun möglicher Angebote, die er in erster Linie in Form von Katalogen zusandte, zeigt sich jedoch sehr deutlich die Eigeninitiative Anckels. Die Kataloge waren in der Regel handgeschrieben, nur selten sind gedruckte Buchkataloge erwähnt. Anckel hatte dafür zu sorgen, dass die Angaben in ihnen möglichst ausführlich und genau waren, um die Entscheidung über den Erwerb eines Buches zu vereinfachen. Dazu wurden teilweise nicht nur die vollständigen Titel, sondern sogar erste Seiten eines Buches kopiert oder kurze Listen über den Inhalt erstellt und mitgeschickt.210 Je besser die Kataloge waren, desto einfacher hatte es der Herzog mit Hilfe unter anderem seines Kanzlisten Johann Heinrich Arlt bei der Vorakzession in Wolfenbüttel. Nach der Durchsicht der übersandten Kataloge schickte der Herzog sie mit Markierungen oder Durchstreichungen wieder zurück, während er einen Auszug über die bestellten Bücher zurückbehielt. »Damit hatte man sich in Wolfenbüttel eine Unterlage über das verschafft, was man bestellt hatte.«211 Gelegentlich kam es vor, dass die Titelangabe und Beschreibung eines Buches nicht ausreichte und eine Autopsie erfolgen musste. Doch die Verkäufer gaben ihre Bücher nur ungern aus der Hand und Anckel musste langwierige Verhandlungen über das Ansichtsrecht führen. Zuweilen war der Agent dann gezwungen, eine Kaution für das Buch zu bezahlen. Ein anderes Mal wandte er eine kleine List an und

206 Vgl. Härtel, Duke August and his Book Agents’, S. 108 und Härtel, Herzog August und sein Bücheragent Johann Georg Anckel, S. 245. 207 Härtel, Herzog August und sein Bücheragent Johann Georg Anckel, S. 246. 208 Härtel, Untersuchungen zum Erwerbungsvorgang, S. 22. Härtel sieht die Eigeninitiative eines Agenten eher beim Aufbau und der Pflege seiner Geschäftsbeziehungen vonnöten, was allerdings durchaus als Teil seiner Bucherwerbsaktivitäten gewertet werden kann. Vgl. Härtel, Herzog August als Büchersammler, S. 316. 209 Vgl. Härtel, Herzog August und sein Bücheragent Johann Georg Anckel, S. 246. 210 Vgl. Härtel, Duke August and his Book Agents’, S. 110. 211 Härtel, Herzog August und sein Bücheragent Johann Georg Anckel, S. 259.

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gab vor, das Buch selbst zu Hause genauer untersuchen zu wollen, bevor er sich für den Kauf entschied. Stattdessen schickte er es umgehend weiter nach Wolfenbüttel.212 Anckels Verhandlungsgeschick war ebenfalls gefragt, wenn es um den Teilkauf größerer Bestände ging. Wie schon bei Hirt deutlich wurde, wollten die Verkäufer selten die Bücher einer angebotenen Bibliothek aufteilen, während Herzog August ebenso selten eine vollständige Sammlung erwerben wollte. Einen Erfolg in dieser Richtung erzielte Anckel bei den Verhandlungen um die Bibliothek des Juristen Dr. Wagner. Am 20. März 1659 übermittelte der Agent das Angebot dieser Sammlung nach Wolfenbüttel, obwohl er erst zwei Jahre später umfangreiche Kataloge dazu schickte.213 Für die Bearbeitung von Einzelbestellungen musste Anckel in der Regel sein Kontaktnetzwerk einschalten. Die Vorgehensweise dabei konnte variieren. Entweder beauftragte er einen Buchhändler oder kontaktierte eine Person, die im Druckort des betreffenden Buches wohnte – sofern eine solche Verbindung bestand. Die Suche nach bestimmten Titeln, Fortsetzungsbänden oder Ersatz für defekte Bogen eines vorhandenen Bandes konnte sich zu einer langwierigen Angelegenheit entwickeln, besonders bei älteren Werken. Manchmal war es nicht sicher, ob geplante Fortsetzungen überhaupt je gedruckt worden waren. Außerdem wollte Herzog August bei defekten Blättern das betreffende Buch nicht noch einmal kaufen, sondern ließ die Seiten lieber exakt kopieren.214 Die gekauften Bücher transportierte Anckel entweder mit der wöchentlichen Post, wenn es sich um einzelne Druckschriften handelte, oder in einer Kiste mit Frachtfuhrwerken, wenn er mehrere Bücher zu versenden hatte. Bei Kisten oder Fässern, die er nur weiterleiten sollte, kontrollierte der Agent in der Regel den Inhalt. Erst nach Versenden der Bücher und der Zustimmung des Herzogs zum Kauf bezahlte er den ausgehandelten Preis.215 Insgesamt gesehen bildete der Buchkauf einen deutlichen Schwerpunkt in der Korrespondenz Anckels.216 Zwar übermittelte er dabei wenig Einzelangebote und schien auch sehr zurückhaltend aufzutreten, doch der Aufbau eines Netzwerks, um an Bücher heranzukommen, »was left solely to his initiative and enterprise.«217 Die Pflege dieser Kontakte war ganz von seinem persönlichen Einsatz abhängig. Außerdem stellt Härtel selbst noch eine weitere wichtige und notwendige Initiativleistung Anckels in Bezug auf den Buchkauf fest, nämlich sein Bestreben sich als Buchvermittler Herzog Augusts im Buchhandel be-

212 Vgl. Härtel, Untersuchungen zum Erwerbungsvorgang, S. 32f. 213 Vgl. Härtel, Herzog August und sein Bücheragent Johann Georg Anckel, S. 252. Eigenartigerweise schreibt Otte den Erwerb dieser Bibliothek der Zusammenarbeit Müllers mit Hirt zu. Um diese Unstimmigkeit zu klären, müssten die Quellen noch einmal dazu befragt werden. 214 Vgl. Härtel, Herzog August und sein Bücheragent Johann Georg Anckel, S. 252–254. 215 Vgl. Härtel, Herzog August und sein Bücheragent Johann Georg Anckel, S. 255. 216 Vgl. Härtel, Untersuchungen zum Erwerbungsvorgang, S. 6. 217 Härtel, Duke August and his Book Agents’, S. 108.

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kannt zu machen.218 Hinzu kommt, dass die Buchbeschaffung nur indirekt in seiner Bestallung erwähnt war und die Ausgestaltung dieses inoffiziellen Auftrags somit dem Agenten überlassen war. Anders als Hainhofer können Anckel und sein Konkurrent Hirt demnach tatsächlich als Buchagenten bezeichnet werden. Ausbau des französischen Bestandes Für die Ansammlung von insgesamt etwa 4.000 französischen Titeln war Herzog August auf besonders vertrauenswürdige und tüchtige Vermittler angewiesen, denn nicht nur die geographische Entfernung, sondern auch die politischen Entwicklungen der Zeit erschwerten den Kauf. Der Bestand von ca. 3.500 Drucken und 375 Handschriften auf Französisch gehörte im deutschsprachigen Gebiet zu den bedeutendsten seiner Zeit, obwohl der Herzog selbst nur rudimentäre Kenntnisse der französischen Sprache besaß.219 Seinen ersten Agenten in Paris nahm August 1648 in seine Dienste. Doch schon fünf Jahre später kam es zu einem Zerwürfnis zwischen ihm und Abraham de Wicquefort, weshalb Paris erst ab 1656 mit einem neuen ständigen Agenten zu den festen Standorten seines Agentennetzwerks gezählt werden kann. Schon zuvor hatte sich der Herzog mit seinem Agenten Leo ab Aitzema (1600–1669) in den Niederlanden einen möglichen Bezugsweg für französische Bücher erschlossen.220 Seit 1624 stand August mit dem Anwalt in Kontakt, einen regelmäßigen Briefwechsel pflegten sie aber erst ab 1634. Von diesem Zeitpunkt an lieferte Aitzema zunächst unregelmäßig, ab 1648 dann in regelmäßigen Abständen Bücherkisten nach Hitzacker bzw. Wolfenbüttel. Die meisten französischen Werke besorgte jedoch Hainhofer und auch seine Nachfolger Hirt und Anckel sandten weitere Titel in dieser Sprache, obwohl zu ihrer Zeit bereits ein Pariser Agent in Augusts Diensten stand.221 Die Zeit von 1648 bis 1652 unter Wicquefort war die ertragreichste für die Mehrung des französischen Bestandes der Augusta; durch seine Vermittlung erstand der Herzog über 800 Drucke und mehr als 300 Handschriften. Wicquefort war zwar Holländer, aber durch seinen Aufenthalt als »Resident« des Kurfürsten von Brandenburg hatte er sich eine offizielle Stellung in der Pariser Gesellschaft erarbeitet. Für seine Dienste erhielt er ein jährliches Gehalt von 200 Reichstalern und damit doppelt so viel wie Leo ab Aitzema, durchschnittlich aber weniger als die Augsburger Agenten. Er stand in Verbindung zur Pariser Gelehrtenwelt, vor allem der Académie française, die sich in der Bibliothek des Chancelier Séguier traf. Dort warb Wicque-

218 Vgl. Härtel, Untersuchungen zum Erwerbungsvorgang, S. 19. 219 Vgl. Perrin, Netzwerk- und Sammelpolitik Herzog Augusts d. J., S. 181 und 189f. 220 Die bekannteste Offizin in Amsterdam, die französische Bücher druckte, war die der Brüder Elzevier. Sie gehörten auch zum Kontaktnetzwerk Leo ab Aitzemas, ebenso wie der Drucker Joan Blaeu in Amsterdam. Vgl. Perrin, Netzwerk- und Sammelpolitik Herzog Augusts d. J., S. 191 und 197. 221 Vgl. Perrin, Netzwerk- und Sammelpolitik Herzog Augusts d. J., S. 190–193.

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fort für seinen Fürsten und seine »belle bibliothèque«. Diese Verbindung ermöglichte es ihm, auch in der Zeit der Fronde die sogenannten Mazarinischen Handschriften kopieren zu lassen.222 Der Anlass, der schließlich zum Bruch zwischen Herzog August und seinem eigentlich so wertvollen Agenten Wicquefort führte, war finanzieller Natur. Der Holländer zahlte nach Meinung Augusts zu hohe Summen für die Anschaffung von Drucken und Handschriften. Wicquefort wiederum beklagte sich über die oft verspäteten schleppenden Zahlungen. Dass der Herzog mit der Bezahlung seiner Angestellten mehrfach auf sich warten ließ, geht auch aus den Briefen der anderen Agenten hervor. Verzögerte sich allerdings die Vergütung bereits gesendeter Bücher, für die ein Agent hatte vorlegen müssen, um mehrere Monate, so konnte ihn das in den Augen seiner Geschäftspartner in Misskredit bringen. Als August schließlich die Richtigkeit der Abrechnungen Wicqueforts anzweifelte und seinen Agenten überwachen ließ, verstärkten sich die Spannungen zwischen ihnen zusätzlich. Auch ein persönliches Treffen in Wolfenbüttel konnte die Streitigkeiten nicht beenden und 1654 wurde Wicquefort schließlich entlassen. Sein Beispiel zeigt, dass ein nachhaltig gestörtes Vertrauensverhältnis die weitere Agententätigkeit unmöglich machte.223 Jean Beeck, der Wicquefort 1656 im Amt folgte, besaß zwar keine vergleichbare Stellung, kannte sich aber durch einen mehrjährigen Aufenthalt am französischen Hof aus. Dort war er offizieller Stellvertreter des Herzogs, eine permanente Vertretung am Pariser Hof in Form eines »Resident« konnte sich August jedoch nicht leisten. Trotz seiner nur eingeschränkten diplomatischen Funktion erhielt Beeck mit 400 Reichstalern das höchste Jahresgehalt unter den herzoglichen Agenten. Neben seinen wöchentlichen Berichten übermittelte er während seiner Amtszeit auch die wichtigsten Gelehrtenzeitungen, die in Paris erschienen. Insgesamt beschaffte er zwar mit etwa 650 Drucken und weit weniger Handschriften eine geringere Anzahl Bücher für die Bibliothek, dafür vermehrte er besonders den Bestand aktueller Schriften. So ist der Streit um den Jansenismus durch ihn mit ca. 150 Werken in der Augusta dokumentiert.224 Dass sich zwischen Beeck und dem Herzog kein mit Wic-

222 Vgl. Perrin, Netzwerk- und Sammelpolitik Herzog Augusts d. J., S. 184f., 195 und 198. Bei den Handschriften Mazarins handelt es sich um eine Sammlung von Schriften über die Geschichte und Politik Frankreichs. 223 Vgl. Perrin, Netzwerk- und Sammelpolitik Herzog Augusts d. J., S. 200. Im Fall Hirts musste der Herzog also trotz der wiederholten Anschuldigungen Anckels weiterhin Vertrauen in seinen Agenten und dessen Arbeit gehabt haben, was die Vermutung unterstreicht, dass es sich bei Anckels Aussagen in erster Linie um weitgehend haltlose Beschuldigungen aus einer persönlichen Abneigung heraus handelte. 224 Die Mehrzahl dieser Schriften über den Konflikt der Jansenisten mit den Jesuiten war verboten, was Beeck aber lediglich ermutigte, sie August zu schicken. Vgl. Perrin, Netzwerk- und Sammelpolitik Herzog Augusts d. J., S. 199.

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quefort vergleichbarer Konflikt ergab, begründet Perrin damit, dass Beeck keine Selbstständigkeit bei den Anschaffungen zeigte.225 Wichtiger dürfte aber das intakte Vertrauensverhältnis gewesen sein. August musste sich darauf verlassen können, dass seine Agenten stets in seinem Interesse handelten und ordentliche Rechnungen führten. Dann konnte der Agent, wie im Fall Hirts, problemlos mit großer Eigeninitiative handeln. Weitere Agenten und Gelehrtenkontakte In Lüneburg fungierte der dortige Superintendent Sigismund Scherertz (1584–1639) als Berater Augusts.226 Joachim Cluten (1582–1636) in Straßburg arbeitete von 1620 bis 1634 für den Herzog. Die Stadt lag direkt an der deutsch-französischen Grenze, weshalb Cluten den Herzog sowohl über den französischen Buchmarkt als auch die Entwicklung der religiösen Streitigkeiten in der Sorbonne auf dem Laufenden hielt. Zudem übernahm er die Übersetzung des vom Herzog verfassten Schachspiels227 ins Französische und sorgte für seine Veröffentlichung in Frankreich.228 Kurz nach Cluten folgte 1636 Matthias Bernegger (1582–1640) für drei Jahre auf seinen Posten. Mit ihm zusammen arbeitete sein Schwiegersohn Johann Freinsheim (1608–1660), der die Aufgaben nach Bernegger weiter übernahm.229 In Hamburg stand Herzog August in Kontakt mit den bereits erwähnten Kaufleuten Weber, die aber lediglich in Bezug auf den Geschäftsablauf mit ihm korrespondierten und nicht als Agenten auftraten.230 Matthias Weber war unter anderem für den Transport von Kisten aus den Niederlanden und Frankreich nach Wolfenbüttel verantwortlich.231 Zu den Gelehrten, mit denen der Herzog in Briefkontakt stand, gehörte zunächst Hermann Conring (1606–1681; Briefwechsel 1644–1666). Conring war als Professor für Medizin und Politik in Helmstedt tätig und verfasste die bereits erwähnte Lobschrift auf die Bibliotheca Augusta. Der Herzog ernannte ihn 1660 zum »Consiliarius« (Rat von Haus aus) und nahm Conring damit offiziell in seinen engsten Berater-

225 Vgl. Perrin, Netzwerk- und Sammelpolitik Herzog Augusts d. J., S. 184–187, 195 und 200. 226 Vgl. Arnold, Die Entstehung der Bibliothek aus dem Netzwerk, S. 5. 227 Gustavus Selenus [Herzog August d. J.]: Das Schach- oder König-Spiel : In vier unterschiedene Bücher/ mit besonderm fleiß/ gründ- und ordentlich abgefasset … / Von Gustavo Seleno Diesem ist zu ende/ angefüget/ ein sehr altes Spiel/ genandt/ Rythmo-Machia / [Welches Gustavus Selenus, auß des Francisci Barozzi … welschem Tractätlein/ ins Deutsche ubergesetzet … und mit nützlichen glossen/ auß dem Claudio Buxero Delphinate, verbessert]. Leipzig: Lorenz Kober 1616. Vgl. VD17 12:652972E und HAB M: Hn 4° 2 und 3. 228 Vgl. Perrin, Netzwerk- und Sammelpolitik Herzog Augusts d. J., S. 193. 229 Freinsheim erwarb zusammen mit seinem Sohn Johann Kaspar (1642–1661) die Bibliothek Clutens für den Herzog. Außerdem vermittelten sie Kataloge mit Büchern aus Venedig, Lyon und Paris; wie Cluten bezogen sie ihre Angebote dabei über die Frankfurter Messe. Vgl. Perrin, Netzwerk- und Sammelpolitik Herzog Augusts d. J., S. 194. 230 Vgl. Arnold, Die Entstehung der Bibliothek aus dem Netzwerk, S. 6f. 231 Vgl. Perrin, Netzwerk- und Sammelpolitik Herzog Augusts d. J., S. 192.

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kreis auf. Seine Sachkenntnis in allen wichtigen Disziplinen sicherte ihm erheblichen Einfluss auf die Sammlungserwerbungen. Beispielsweise lehnte er das Menschenbild ab, das Thomas Hobbes entwarf, und konsequenterweise fehlt auch der Leviathan im Bestand der Bibliothek.232 Sein Urteil spielte vor allem beim Handschriftenerwerb eine große Rolle. August bat Conring etwa Anfang 1661, zehn Handschriften nach ihrem wissenschaftlichen Wert zu beurteilen. Seine Beschreibungen und Begründungen sind schriftlich dokumentiert und von besonderem Interesse, da sie die Texte im Kontext der Zeit verorten.233 Des Weiteren tauschte sich der Herzog mit Athanasius Kircher (1602–1680; Briefwechsel 1650–1666), Johann Valentin Andreae (1586–1654; Briefwechsel 1641– 1654),234 Christoph Schrader (1601–1680; Briefwechsel 1644–1666), Johann Schwartzkopf (1596–1658; Briefwechsel 1638–1658), Georg Calixt (1586–1656; Briefwechsel 1643–1655) und Johannes Saubert d. Ä. (1592–1646; Briefwechsel 1642– 1646) aus. Wie aus den Daten der Korrespondenzen hervorgeht, hielt ein Gelehrtenkontakt, war er einmal geknüpft, in der Regel bis zum Lebensende eines der Briefpartner. Im Unterschied zu den besoldeten Buchagenten lieferten die Gelehrten dabei keine Berichte, sondern berieten August in wichtigen politischen Fragen oder bei der Erwerbung von Büchern.235 Außerdem widmeten ihm die meisten von ihnen ihre Werke.236 Johann Valentin Andreae gehörte daneben auch zu den fest angestellten und besoldeten Agenten. Auf den ersten Annäherungsversuch Andreaes 1629 erfolgte noch keine Reaktion Augusts. Erst als der Herzog Hilfe bei seinen theologischen Arbeiten benötigte, gelang Andreae mit Hilfe der Vermittlung Forstenheusers die Kontaktaufnahme.237 Seitdem wechselten wöchentlich Briefe zwischen Stuttgart und Wolfenbüttel und Andreae entwickelte sich bald zu einem eifrigen Übersender von Büchern. Neben seiner eigenen Bibliothek besorgte er über den Statthalter Ferdi-

232 Ob das Fehlen tatsächlich auf Conrings Ablehnung zurückzuführen ist, ist aus den Quellen nicht eindeutig ersichtlich, wäre aber nach Arnolds Einschätzung folgerichtig. Vgl. Arnold, Die Entstehung der Bibliothek aus dem Netzwerk, S. 28f. 233 Vgl. Arnold, Die Entstehung der Bibliothek aus dem Netzwerk, S. 27–29. 234 Ein weiteres Projekt an der HAB widmet sich der Erschließung und Digitalisierung des Briefwechsels von Andreae. Vgl. Der Briefwechsel Johann Valentin Andreaes. URL: http://www.hab.de/ de/home/wissenschaft/projekte/erschliessung-des-briefwechsels-von-johann-valentin-andreae1586-1654.html [Stand: 21.02.2018]. 235 Vgl. Arnold, Die Entstehung der Bibliothek aus dem Netzwerk, S. 8–10 und 27. 236 Vgl. Paul Raabe: Herzog Augusts Beziehung zu den Gelehrten. In: Sammler, Fürst, Gelehrter. Herzog August zu Braunschweig und Lüneburg 1579–1666. Hrsg. von Paul Raabe und Eckhard Schinkel. Wolfenbüttel: Limbach 1979 (Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek; Bd. 27), S. 151–156, S 151. 237 Vgl. Inge Mayer: Die Beziehung Herzog Augusts von Braunschweig-Wolfenbüttel zu den Theologen Georg Calixt und Johann Valentin Andreae. In: Pietismus und Neuzeit 6 (1981), S. 76–98, S. 85.

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nand Geitzkofler immer wieder italienische Titel für den Herzog. Auch Nachlässe vermittelte Andreae erfolgreich an die Augusta. Dazu zählte der Nachlass von Michael Mästlin, die Bücher der Familie Schwenckfelder aus Ulm sowie die Bibliothek des verstorbenen evangelischen Abtes des Klosters Hirsau bei Calw, Johannes Parsimonius. Andreae sammelte nicht nur fleißig alle Bücher, an denen Herzog August besonderes Interesse zeigte, wie beispielsweise Luther-Autographe, er erhielt auch Aufträge, bestimmte Bücher zu beschaffen, wie zum Beispiel ein Turnierbuch aus Stuttgart. Da dieses Buch allerdings bereits ein anderer – möglicherweise König Ferdinand – in seinen Besitz gebracht hatte, war Andreae hierbei nicht erfolgreich.238 Fast das gesamte Netzwerk, das der Herzog zum Aufbau seiner berühmten Bibliothek genutzt hatte, löste sich nach seinem Tod 1666 auf. Sein Sohn und Nachfolger Rudolph August war entgegen dem Willen seines Vaters nicht dazu bereit, den Aufwand für die bisherigen kontinuierlichen Anschaffungen von Büchern und Kunstgegenständen weiterzubetreiben. Die Entscheidung über das weitere Schicksal der besoldeten Agenten und Faktoren betraf zu diesem Zeitpunkt insgesamt 15 Personen. Rudolph August stellte zweien, darunter dem Augsburger Johann Georg Anckel, frei, bei deutlich geringeren Bezügen weiterhin in seinen Diensten zu bleiben.239 Für Anckel bedeutete diese Resolution des Herzogs »die Vernichtung der bürgerlichen Existenz«240. Der andere Agent, den Rudolph August weiterbeschäftigte, war Donat Fend, der Vertreter der zweitältesten herzoglichen Agentur in Nürnberg, die Gegenstand der beiden folgenden Kapitel ist.

4.2.2 Der Agent Georg Forstenheuser aus Nürnberg (1584–1659) Georg Forstenheuser wurde am 22. April 1584 in St. Sebald getauft und entstammte einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie. Über seine Kindheit und Jugend ist nichts überliefert, er erhielt aber wohl eine Ausbildung zum Kaufmann. Erste Nachrichten finden sich erst wieder zu seiner Eheschließung 1605. Mit 21 heiratete er am 3. Juni dieses Jahres die Kaufmannstochter Regina Römer. Ein Jahr nach seiner Hochzeit wurde Forstenheuser als »Genannter« in den Rat der Stadt Nürnberg berufen und behielt dieses Amt bis 1616. Solche Genannte traten oft als Zeugen bei Verkäufen, als Erb- und Vormundschaften oder Testamentsvollstrecker auf.241 Damit erwarb er zwar keinen politischen Einfluss und konnte auch nicht am Stadtregiment teilneh-

238 Vgl. Martin Brecht: J. V. Andreae und Herzog August zu Braunschweig-Lüneburg. Ihr Briefwechsel und ihr Umfeld. Stuttgart [u. a.]: Frommann-Holzboog 2002, S. 248–254. 239 Vgl. Otte, Johann Martin Hirt und die Augsburger Agentur, S. 117f. 240 Otte, Johann Martin Hirt und die Augsburger Agentur, S. 118. 241 Vgl. Sporhan-Krempel, Georg Forstenheuser, S. 705–708. Für detailliertere Ausführungen über Herkunft und Familiengeschichte Forstenheusers siehe Sporhan-Krempel, Georg Forstenheuser, S. 705–743.

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men, das fest in Händen des Patriziats lag, aber es brachte ihm ein höheres soziales Ansehen.242 Gemeinsam mit seinem Bruder Hans führte Forstenheuser die Firma seines Vaters weiter. Beide standen dabei öfter im Konflikt mit dem Nürnberger Rat. Hans war 1613 eigenmächtig zur Frankfurter Messe gereist und hatte sich nicht dem allgemeinen Geleit angeschlossen. Dafür handelte er sich von den Amtspersonen zu Miltenberg (a. M.) eine Strafe über 200 Taler ein. Darüber legte Hans Beschwerde beim Nürnberger Rat ein, woraufhin ihm dieser erklärte, dass es obrigkeitlicher Befehl sei, als Kaufmann mit dem allgemeinen Geleit zu reisen, und dass er erneut bestraft würde, sollte sich der Vorfall wiederholen. Die Reaktion des Rats erklärt SporhanKrempel mit seiner Stellvertreterstellung für die Bürger der Stadt. Geriet ein einzelner Nürnberger in eine gefährliche Lage oder stieß mit einer fremden Obrigkeit zusammen, dann war die städtische Herrschaft repräsentativ für ihren Bürger verantwortlich. Nürnberg, das auf den Handel angewiesen war, versuchte Konflikte solcher Art möglichst zu vermeiden. Georg brachte im selben Jahr Schriften aus Regensburg mit, die dem Rat verdächtig erschienen. Er forderte sie ein. Die Texte enthielten Beschwerden, aber Forstenheuser durfte sie behalten, nachdem er ihre Herkunft erläutert und das Versprechen gegeben hatte, sie nicht an Dritte weiterzugeben.243 Wenige Jahre später gerieten beide wieder in geschäftliche Schwierigkeiten. Wolf und Mathes Probst sowie Paulus Rottengatter verklagten sie im April 1616 auf je 1.000 Gulden Wechselschulden und forderten ihre Verhaftung. Georg weigerte sich vor dem Rat der Stadt, den Wechsel zu bezahlen, mit dem Hinweis darauf, dass die Schuld nur Nebengeschäfte seines Bruders beträfe. Sie konnten sich auf einen Vergleich einigen. Möglicherweise war dieser Vorfall Anlass für die Trennung der Brüder, wann genau sie erfolgte und wie vollständig sie war, ist aber nicht mehr nachvollziehbar. Mit Jakob Welser d. J., Pfleger von Barbara Welserin, Niklas Albrecht Rieter, Dr. Lienhard Wurfbein, Veit Pfau und Daniel Hopfer formierte sich dann bald schon eine neue Gläubigergruppe gegen Georg. Parallel dazu geriet Hans in Streitigkeit mit seinem Schwager Christoff Elbs, da dieser ihm die beträchtliche Summe von 16.000 Gulden schuldete. Hans wollte Elbs verhaften lassen, doch Anna, die Frau von Elbs und Schwester der beiden Forstenheuser, bat beim Rat um Hilfe. Der so entstandene Familienzwist bestand über mehrere Monate; Georg verbot seinem Bruder den Zugang zu ihrem Laden, Hans wiederum forderte einen Vorschuss für seine Anwaltskosten. Im Oktober 1616 versuchte der Rat die Angelegen-

242 Vgl. Sporhan-Krempel, Nürnberg als Nachrichtenzentrum, S. 20. 243 Vgl. Sporhan-Krempel, Georg Forstenheuser, S. 708.

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heit mit Bildung eines Ausschusses zu lösen. Die Probleme zogen sich dennoch noch über einige Jahre hin.244 Obwohl er nicht der Ältere war, übernahm Georg bald die alleinige Verwaltung des Forstenheuserschen Geschäfts. Als Hans im März 1625 seinen Anteil an der Sandmühle verlangte, entbrannte ein neuer Streit zwischen ihnen. Trotz eines Urteils vom Stadtgericht, nach dem Georg aufgefordert wurde, seinen Bruder wieder an der Mühlennutzung zu beteiligen und ihm die Verwaltung abzutreten, blieb er weiterhin Administrator. Um Hans hielt die Ruhe auch nicht lange an. Sein Haus und sein Laden wurden beschlagnahmt und er selbst in den Turm gesperrt, weil er dem Herzog von Braunschweig-Lüneburg, Bischof Christian von Minden, 1.160 Gulden schuldete. Ob er die Schuld je begleichen konnte, ist ungewiss, Tatsache jedoch bleibt, dass das Leben der Brüder recht unterschiedlich verlief. Während Hans durchweg von Schulden geplagt blieb, gelang es Georg, der Bedrängnis von 1616 unbeschadet zu entgehen und eine bedeutende Position einzunehmen.245 In die Zeit der ersten Probleme durch die Klage der Probsts und Rottengatters fiel ferner der Beginn von Georgs erster Bestallung am Brandburgischen Hof. Am 9. September 1616 leistete Forstenheuser seinen Faktoreid gegenüber Markgraf Joachim Ernst von Brandenburg-Ansbach. Die Beschuldigungen hatten seinem Ruf und seiner Kreditwürdigkeit demnach keinen Abbruch getan, denn das Amt eines Faktors war eine Vertrauensposition. Viel Geld und viele Geheimnisse gingen durch die Hände eines Faktors. Er mußte ehrlich und verschwiegen sein und vor allem kreditwürdig, weil es wichtig für seinen Dienst war, Geldquellen zu erschließen. Er mußte nach überallhin Beziehungen haben oder zu erlangen suchen und mußte findig sein im Aufspüren von Verbindungen, die seinem Herrn nützlich sein konnten, ebenso wurde aber auch Geschick im Umgang mit Menschen verlangt. Alle diese Voraussetzungen trafen bei Georg Forstenheuser zu.246

Wäre dies nicht der Fall gewesen, hätte Forstenheuser nicht bald schon für viele weitere Adlige gearbeitet. Noch im gleichen Jahr, nur knapp einen Monat nach seinem ersten Faktoreid, trat Forstenheuser in die Dienste des Pfalzgrafen August von Sulzbach. Obwohl er zusammen mit Hans seit knapp einem Jahr Lieferant des pfalzgräfischen Hofes war, erhielt nur Georg am 1. Oktober 1616 eine Bestallung. Sporhan-Krempel vermutet, er wäre vielleicht der »aktivere« bzw. »weltgewandtere«247 von beiden gewesen. Seine Dienste scheinen jedenfalls derart empfehlenswert gewesen zu sein, dass er als Faktor, Agent und Korrespondent unter anderem noch bei Herzog Casimir zu Sachsen, Fürst Christian von Anhalt und den Grafen von Mansfeld, wie auch bei den Grafen

244 245 246 247

Vgl. Sporhan-Krempel, Georg Forstenheuser, S. 708–710. Vgl. Sporhan-Krempel, Georg Forstenheuser, S. 710. Sporhan-Krempel, Georg Forstenheuser, S. 710f. Sporhan-Krempel, Nürnberg als Nachrichtenzentrum, S. 100.

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von Hohenlohe und Graf Friedrich von Solms auftaucht – einige dieser Bestallungen behielt Forstenheuser sein Leben lang oder zumindest bis zum Tod des Auftraggebers. Als Nachrichtenlieferant diente Forstenheuser überdies einer ausländischen Macht, der Krone Schwedens. Aus seinen Briefen lässt sich sogar nachweisen, dass Forstenheuser den König von Schweden, Gustav II. Adolf, persönlich kannte. Spätestens seit 1634 führte Forstenheuser für das schwedische Königshaus den Titel Rat von Haus aus, der unter der Nachfolgerin des Königs, Christina von Schweden, 1647 und ein weiteres Mal unter König Karl X. Gustav nach ihrer Abdankung 1655 erneuert wurde.248 Forstenheuser als Faktor und Agent Insgesamt am besten dokumentiert ist Forstenheusers Beziehung zu Herzog August d. J. Nachdem Philipp Hainhofer 1612 erfolgreich den Kontakt zwischen Hans und Georg Forstenheuser und dem Herzog hergestellt hatte, begann eine langjährige Zusammenarbeit. Seine Zufriedenheit mit den Diensten der Brüder drückte August 1614 mit Übersendung eines Bildnisses aus.249 Ihre Aufgabe bestand in erster Linie darin, Sendungen und Pakete von und nach Augsburg sowie an andere Agenten weiterzuleiten. Hans Forstenheuser stieg nach der geschäftlichen Trennung von seinem Bruder aus der Verbindung aus, aber Georg hielt den Kontakt aufrecht. Nach Lore Sporhan-Krempel machte August ihre Geschäftsbeziehung im Jahr 1623 offiziell und bestellte Georg Forstenheuser an Michaelis zum Rat von Haus aus mit einem festen Jahresgehalt von 100 Reichstalern.250 Eine Bemerkung Forstenheusers im Postskriptum eines seiner Briefe vom 23. Dezember 1648 legt allerdings nahe, dass er bereits 1616 eine Bestallung erhielt: »EFG werden sich selbsten gnedig erinnern, welcher gestalt von deroselben ich die hohe gnad empfangen, daß EFG mich in A[nno] .1616. also vor .32. Jahren nunmehr zu dero dienern gnedig bestelt vnd angenommen«251. Abgesehen von der Bestallungsurkunde von 1623 und einigen vereinzelten Briefen aus dem Jahr 1634 ist die Arbeit Forstenheusers für Herzog August erst ab dem

248 Vgl. Sporhan-Krempel, Georg Forstenheuser, S. 711 und 716–718. 249 Am 24. September 1614 bedankte sich Forstenheuser in einem Postskriptum für die Verehrung eines Bildnisses. Vgl. Niedersächsisches Staatsarchiv 1 Alt 22 Nr. 178, fol. 2r. Die Datumsangaben folgen der Notierung in den Briefen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Forstenheuser als Bewohner einer protestantischen Stadt noch den Julianischen Kalender verwendete. 250 Vgl. Sporhan-Krempel, Georg Forstenheuser, S. 720. 251 91 Novi, fol. 72r. Den Hinweis auf seine langjährigen Dienste nutzte Forstenheuser als Einleitung, um Herzog August um ein Lehen zu bitten. Die doppelte Zeitangabe, die die Dauer und das Jahr nennt, spricht dagegen, dass Forstenheuser hier ein Irrtum unterlief, was bei dem sonst sehr sorgfältig agierenden Agenten ohnehin ungewöhnlich wäre.

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Jahr 1636 laufend dokumentiert.252 Zu dieser Zeit fing der Herzog offensichtlich an, die Briefe seines Agenten aufzubewahren. In den ersten Jahren geschah dies zunächst noch unregelmäßig, doch ab etwa 1640 liegen fast lückenlos die wöchentlichen Briefe Forstenheusers und auch seines Nachfolgers Donat Fend vor. SporhanKrempel begründet den Wandel in der Archivierungshaltung Augusts mit seiner Regierungsübernahme und seinem Umzug in das Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel.253 Der offizielle Regierungsantritt begann mit dem Erbfolgevertrag vom 14. Dezember 1635 und fällt somit zeitlich tatsächlich mit der einsetzenden systematischen Aufbewahrung der Agentenbriefe zusammen. Zeitgleich verließ August Hitzacker und bezog vorläufig die Burg Dankwarderode in Braunschweig. Aufgrund der herrschenden Kriegsunruhen musste der Herzog noch bis Anfang Dezember 1643 warten, bevor er seinen Regierungssitz in Wolfenbüttel beziehen konnte.254 Forstenheusers vorderste Pflicht war es, die Korrespondenz des Herzogs weiterzuleiten und laut seines Vertrags betätigte er sich vor allem als Vermittler der Briefe und Paketsendungen von und nach Augsburg an Hainhofer, in Stuttgart an Johann Valentin Andreae und in Wien an den Agenten Andreas Neumann. Vor Ort pflegte er den Kontakt zu bekannten Nürnberger Persönlichkeiten.255 Seine wöchentlichen Briefe wurden grundsätzlich begleitet von weiterführenden Berichten, sogenannten Avisen, Partikularien oder Novellen, und oft von Paketen und Kisten anderer Agenten oder mit eigenen Besorgungen. Die Wichtigkeit und Menge seiner Nachrichtenberichte trat besonders in den 1640er Jahren hervor, dem letzten Jahrzehnt des Dreißigjährigen Krieges. Sporhan-Krempel bezeichnet Forstenheuser in dieser Zeit als einen regelrechten »Reporter[s]«256, der sich auf geheime Neuigkeiten spezialisiert hatte. Forstenheusers Briefe folgen einem recht strengen Stereotyp. Nach einer mehrzeiligen optisch abgesetzten und stets gleichlautenden Grußanrede und Versicherung der treuen Dienste folgte meist eine Benachrichtigung, wann sein letztes Schreiben abgegangen und was sein wesentlicher Inhalt war. Unsichere Boten- und Postverhältnisse machten eine solche Wiederholung notwendig. Anschließend bedankte sich Forstenheuser für das letzte erhaltene Schreiben Herzog Augusts und rekapitulierte zur Rückversicherung die erteilten Aufträge. Danach lieferte er Informationen über besondere Neuigkeiten und über Angebote von Büchern, Personal,

252 Möglicherweise handelt es sich bei der Bestallungsurkunde um eine erneuerte Fassung, wie sie später aus Anlass einer Gehaltserhöhung für Forstenheuser noch einmal vorgenommen wurde. Sie dürfte jedenfalls der Grund für die Datierung seines Amtsantritts durch Sporhan-Krempel sein. 253 Vgl. Sporhan-Krempel, Georg Forstenheuser, S. 720. 254 Am 9. Dezember 1643 äußerte sich Forstenheuser in seinem Brief erfreut über die Nachricht, dass August seine Residenz in Wolfenbüttel endgültig bezogen hätte. Vgl. 90 Novi, fol. 46r. 255 Vgl. Sporhan-Krempel, Georg Forstenheuser, S. 720. 256 Sporhan-Krempel, Georg Forstenheuser, S. 720.

4.2 Die Rolle der Buchagenten

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Kunst- oder Alltagsgegenständen.257 Trotz leichter Variation ist die Grundstruktur jedes Briefes weitgehend gleich. »Die Korrespondenz wird dadurch etwas schwerfällig, aber sie vermittelt ein sehr klares Bild der jeweiligen Verhältnisse.«258 Im Ton bleiben die Briefe zurückhaltend und offiziell, was dem geschäftlich geprägten Inhalt entspricht. In fast allen Schreiben geht es auch um Finanzgeschäfte, denn Forstenheuser war neben der Nachrichtenübermittlung schwerpunktmäßig für die Geldtransaktionen Herzog Augusts im süddeutschen Raum zuständig. Benötigte beispielsweise ein Agent in Augsburg oder Wien Bargeld außerhalb der regulären Bestallung, so wurde es über Forstenheuser in Nürnberg per Wechsel übermittelt.259 Auch eigene Besorgungen bezahlte Forstenheuser im Voraus und trassierte den Betrag auf den Herzog.260 Dabei waren nicht nur Gegenstände zu bezahlen, sondern auch Informationen und Nachrichten. Besonders die Geheimberichte erforderten in der Regel einen tiefen Griff in den »sack« und waren sogar oft mit Gefahren verbunden. Forstenheuser bat mit einem Hinweis auf diese zusätzlichen Unkosten und Risiken am 18. März 1643 um eine Verbesserung seiner bisherigen Besoldung: vnd weiln zu den (261gehaimen sachen ie lenger ie schwerer zu gelangen ist, […], daß auch vmb der gefahr willen man nur für vnd für großen Spesa erfordert, sonderlich dießer zeit, wan man die verfassung zu den friedenstractate erlangen will,) also stelle EFG ichs vnderthenig an-

257 Vgl. Sporhan-Krempel, Georg Forstenheuser, S. 721. Die Briefe ließ Forstenheuser bis auf zwei Ausnahmen von Schreibern verfassen, allerdings nicht, wie Sporhan-Krempel behauptet, meist von Donat Fend. Vgl. Sporhan-Krempel, Georg Forstenheuser, S. 720. Die Hand Fends ist dank einer Erwähnung in einem Brief einer etwas seltener auftauchenden Handschrift zuzuordnen. Stattdessen hatte Fend offensichtlich den Schreiber, der für Forstenheuser tätig war, später übernommen, denn in dieser Hand sind auch die meisten von Fends Briefen verfasst, was vermutlich der Grund für die Verwechslung Sporhan-Krempels ist. Die Unterschrift, die beide Agenten jeweils eigenhändig unter jeden Brief setzten, spricht ebenfalls dagegen, dass der Hauptschreiber Fend gewesen sein soll. 258 Sporhan-Krempel, Nürnberg als Nachrichtenzentrum, S. 106f. 259 Die bereits vorgestellten Wechsel konnten mehrere Funktionen erfüllen. Neben der in diesem Beispiel genutzten Funktion zur Geldüberweisung, wurde ein Wechsel als Zahlungsmittel im Handel akzeptiert, als Kreditquelle im Geldverleih verwendet und für die Ausnutzung von Kursdifferenzen an verschiedenen Orten eingesetzt. Vgl. Markus A. Denzel: Das System des bargeldlosen Zahlungsverkehrs europäischer Prägung vom Mittelalter bis 1914. Stuttgart: Franz Steiner 2008 (VSWG; Beihefte Nr. 201), S. 18 und 54f. 260 Das Wort trassiren erläutert die Oeconomische Encyklopädie von Johann Georg Krünitz als Bestandteil des Wechselhandels; es bedeutet: »auf Jemanden einen Wechsel trassiren oder ziehen, einen Wechsel auf ihn schreiben, damit er denselben nach der Acceptation an die im Wechselbriefe benannte Person auszahle, wenn er ihm nämlich vorher dazu präsentirt wird.« WB Krünitz: Oeconomische Encyklopädie. URL: http://www.kruenitz1.uni-trier.de/xxx/t/kt07867.htm [Stand: 26.02.2018]. Forstenheuser muss ein großes eigenes Vermögen besessen haben, da er oft hohe Summen vorschießen musste. Vgl. Sporhan-Krempel, Nürnberg als Nachrichtenzentrum, S. 100. 261 Ab hier bis zum Ende der Klammer stehen im Originalbrief die Zeilen in einer Art Geheimcode, der in anderer Hand darüber teilweise aufgelöst ist.

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heimbs ob dieselben mir waß weiters in gl.[gnaden] weil ich stetigs die hand in dem sack haben mus, zu ordnen wolten, auch darneben, so EFG es gl.[gnädig] gefällig, die bestallung verbeßern wolten, dan ich vnd die meinigen vnß es ia ohne ruhmb zumelden, sauer laßen werden, der grossen gefahr zugeschweigen, vnderthenig gebetten haben will Jch habe mich zwar viel Jahr mit den Jährlichen hundert Rth begnügen laßen, weiln aber die Zeit ie länger ie schwerer felt, vnkosten wachßen, daß alter auch bey mir eingehet, vnd daß hin und her lauffen vnd auffwartten, nun mehr waß schwer ankomen will, […] EFG wollen diß mein vnderthenig erinnern in vngleichen nicht vermerckhen, sondern in gnaden es auffnehmen.262

Der Herzog ließ mit der Bewilligung seiner Bitte nicht lange auf sich warten und Forstenheuser bedankte sich im April nicht nur für die Verdoppelung seiner Entlohnung auf 200 Reichstaler, »sondern auch der zuruckhsezung vff ein gantzes Jahr, als daß solche Ostern 1642. sein anfang haben soll«263. Die Neuausfertigung der Bestallungsdokumente lässt nun interessanterweise den Hinweis auf die Weiterleitung der Korrespondenzen unerwähnt und spricht »fast ausschließlich vom Dienst Forstenheusers als Nachrichtenmann.«264 Der wichtigste Partner Forstenheusers für die Abwicklung der Geldgeschäfte war die Firma Hans Förnbergers Söhne und Mitverwandte in Nürnberg. Die Förnberger arbeiteten zusammen mit Andreas Bernegger in Hamburg. Gab Forstenheuser ihnen einen Wechsel, hatte der Herzog diesen an Bernegger zum angegebenen Fälligkeitsdatum in Braunschweig zu entrichten. Dieses Datum lag meist etwa einen Monat nach Ausstellung des Wechsels und der Agent achtete sehr darauf, August an die Einhaltung des jeweiligen Termins zu erinnern, »damit ich beÿ dießen Leüdten, die ich bißhero Jmmer gebraucht, vnd gutten willen beÿ Jhnen gehabt, den credit noch lenger erhalten möge«265. Die Erhaltung seiner Kreditwürdigkeit war Forstenheuser ein sehr wichtiges Anliegen, denn allein darauf bauten seine Geschäftsverbindungen. Ohne sie hätte die Gefahr bestanden, dass seine Partner ihm keine weiteren Wechsel ausstellten, und ohne Wechsel hätte er keine Möglichkeit mehr gehabt, Geld zu überweisen oder aufzunehmen. Eine termingerechte Zahlung war wichtig, da »es bey den handelsleüthen in wexels sachen, wie ein vhrwerck auff ein ander gehen, vnd Sie im vffnehmen vnd geben das tempo observiren müssen, daß die Zahlung nicht ins stecken kombt«266. Die Aussteller eines Wechsels verplanten die Summe in der Regel bereits anderweitig, weshalb besonders bei größeren Beträgen eine verspätete Zahlung allen Beteiligten Probleme bereitete, wie ein Brief von 1649 verdeutlicht:

262 263 264 265 266

90 Novi, fol. 18r–v. 90 Novi, fol. 23r (29. April 1643). Sporhan-Krempel, Georg Forstenheuser, S. 721. 90 Novi, fol. 37v (28. Oktober 1643). 91 Novi, fol. 284v (11. Oktober 1651).

4.2 Die Rolle der Buchagenten



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Jch bin aber erschrocken, daß ich darbey nicht vernuhmen, daß die heinhofferischen 1000. Rthlr noch nicht bezahlt worden, ich hoffe aber gentzlich mit negsten brieffen soll einkommen, daß derselben richtigmachung beschehen sein werde, der verzug solcher 1000. Rthlr macht allerseits sehr große vngelegenheit, darvon des negsten weiter vnderthönig soll berichtet werden, vnd diß in großer eyl.267

Dass die Finanzverwaltung ein Kernbereich von Forstenheusers Tätigkeit war, zeigt sich nicht nur an seiner Arbeit für Herzog August. Dessen Vertrauen dürfte unter anderem zusammen mit der Hochschätzung anderer Herren der Grund dafür gewesen sein, dass er 1629 zum Kassierer des Fränkischen Kreises bestimmt wurde. Außerdem ernannte ihn der Heilbronner Bund zum schwedischen Rat und Generalpfennigmeister. Diese Posten sicherten dem Agenten eine wichtige Position in seinen geschäftlichen Beziehungen, von der aus er leichter als manch anderer Geldmittel auch über Ländergrenzen hinweg vermitteln konnte.268 Forstenheuser selbst blieb dabei immer vor Ort, denn während seiner gesamten dokumentierten Tätigkeit für den Herzog zwischen 1634 und 1659 verließ er die Stadt nicht einmal. Zweimal machte der Agent Anstalten eine Reise zu unternehmen, doch beide Male fanden sich Gründe dagegen. Am 13. September 1634 berichtete er dem Herzog von seinem Plan nach Frankfurt zu reisen. Aufgrund der derzeitigen Kriegsunruhen ließ er es aber bleiben: »Jch hab anfangs diß monat wider nach franckfuhrt raißen wollen, kan aber wegen des feindts hin vnd herziehen, nicht durchkommen, muß es also noch was einstellen.«269 Der nächste erhaltene Brief stammt erst aus dem Jahr 1636, weshalb nicht nachvollziehbar ist, ob er sein Vorhaben doch noch in die Tat umsetzte. Eine weitere Reise plante Forstenheuser erst wieder 1652. Anlässlich des im folgenden Jahr anstehenden Reichstags wollte er sich, wie er am 24. Juli ankündigte, nach Regensburg begeben: »Jch gedencke auch nach Regenspurg zu kommen vnd verhoffentlich EFG alda gutte dienste vnderthönig zuerweißen«270. Im Januar 1653 teilte er jedoch mit, dass er seinen Kontakt in Regensburg angewiesen hatte, den Abgesandten des Herzogs auch das für ihn reservierte Zimmer zu überlassen. Seine Reisepläne dürfte er zu diesem Zeitpunkt bereits wieder aufgegeben haben. Trotzdem verkündete er erst am 26. Februar, dass er vorerst nicht nach Regensburg reisen wollte.271 Forstenheuser bildete also dauerhaft einen festen stationären Knotenpunkt in Nürnberg, von wo aus er Korrespondenzen und Waren von und nach Wolfenbüttel vermittelte.

267 91 Novi, fol. 149v (6. November 1649). 268 Vgl. Sporhan-Krempel, Nürnberg als Nachrichtenzentrum, S. 102f. 269 Niedersächsisches Staatsarchiv 1 Alt 22 Nr. 178, fol. 6r. 270 91 Novi, fol. 330v–331r. 271 Vgl. 91 Novi, fol. 389r und 401r.

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Kontaktnetzwerk Von zentraler Bedeutung für einen Agenten war sein Kontaktnetzwerk. Da Forstenheuser seine Stadt nicht nachweislich verließ, war er für viele seiner Aufgaben auf verlässliche Helfer angewiesen. Zu den wichtigsten Personen vor Ort, mit denen Forstenheuser und auch Herzog August in Kontakt standen, zählen Johannes Saubert und Johann Michael Dilherr (1604–1669), der Saubert 1642 als Prediger von St. Sebald in Nürnberg ablöste. Beide bat er des Öfteren um Rat in Bücherangelegenheiten und beide schickten dem Herzog ihre eigenen Schriften. Zum gemeinsamen Bekanntenkreis gehörten weiterhin die Familie Imhof und Georg Philipp Harsdörffer (1607–1658).272 Außerdem stand Forstenheuser trotz der zeitweiligen Unstimmigkeiten in guter Verbindung zum Rat der Stadt, etwa zum ältesten Ratsmitglied und Losunger Christoph Führer. Zwar sorgten seine weitreichenden Verpflichtungen gegenüber stadtfremden Herrschaften häufig für Konflikte, aber der Rat wusste die Kontakte seines Bürgers auch für sich zu nutzen.273 Schließlich vermittelte der Agent die Söhne der Familien von Thyll, einem Nürnberger Adelsgeschlecht, und Löffelholtz, die Forstenheuser »etwas verwandt«274 waren, als Pagen bzw. Aufwarter an den Hof in Wolfenbüttel. Naheliegend war es, sich der Mithilfe der eigenen Familie zu bedienen. Georg Ludwig Forstenheuser etwa folgte dem Beispiel seines Vaters und nutzte dessen Verbindungen zum Aufbau eines eigenen Netzwerks. Am 16. September 1648 konnte Forstenheuser mitteilen, dass sein Sohn in die Dienste der schwedischen Krone eingetreten war: Mein Sohn Geörg Ludwig hatt anfangs diß Monats die von Jhrer königl. Mtl.[Majestät] in Schweden Jhme allergnedigst anvertraute Residenten Stelle in Leipzig angetretten, haben EFG Jhme deß ohrts was gnedig anzubevehlen, wirdt er Jhme solches allzeit der schuldigkeit nach vnderthönig angelegen sein lasßen.275

Georg Ludwig konnte hierfür vom bereits bestehenden Kontakt seines Vaters zum schwedischen Königshof profitieren und erweiterte wiederum in offizieller Stellung und in Leipzig das Netzwerk des Vaters. Besonders wichtig in Forstenheusers Stellung war der Kontakt zu den anderen Agenten, vornehmlich dem in Augsburg stationierten Philipp Hainhofer und seinen Nachfolgern, Johann Valentin Andreae in Stuttgart und Andreas Neumann in Wien. Neumann erhielt seinen Posten sogar erst auf Empfehlung des Nürnbergers. Ur-

272 Forstenheuser vermittelte den jungen Philipp Jakob Imhof als Erzieher für die Prinzen nach Wolfenbüttel. Vgl. Sporhan-Krempel, Nürnberg als Nachrichtenzentrum, S. 108. 273 Vgl. Sporhan-Krempel, Georg Forstenheuser, S. 738. 274 90 Novi, fol. 80r (18. Mai 1644). 275 91 Novi, fol. 46v.

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sprünglich war er lediglich Teil des persönlichen Netzwerks Forstenheusers und erst im Oktober 1642 schlug dieser ihn als Agenten vor: dießer thuet eine reiß vf Regenspurg herauff, vnd wirdt sodan wider hinab vf wien gehen, sich daselbsten heußlich zusetzen verhofft am kayßl. hoffe ehestens zur Reichs Advocatur zugelangen, also das dießer man an solchem ordt wohl wirdt zu gebrauchen sein, ob EFG Jhne mit einer würckhlichen bestallung nebenst dem Rahtstitul woltten gnedig versehen lassen, hab deroselben gnedig zubedenckhen ich vnderthenig anheimbs stellen wollen, vnd zweiffele ich ganz nicht, das durch Jhn, was EFG an dem kayßl. hoffe zu verrichten haben, alles trew eyfferig solte negolyrt werden, weiln er in ein gutte kundtschafft kommen, vnd spüre daß er woll gewölt sein muß.276

Als Grund für seinen Vorschlag gab er die guten Verbindungen Neumanns zum kaiserlichen Hof in Wien an und seinen Wunsch sich vor Ort niederzulassen. Mit der Entscheidung ließ sich der Herzog Zeit, denn am 8. April 1643 bat Forstenheuser erneut um eine Bestallung für Neumann.277 Die regelmäßig weitergeleiteten Nachrichten und die Tatsache, dass August noch keinen Agenten in Wien hatte, sprachen aber letztlich für seine Anstellung. Teilweise lief auch die Kommunikation des Herzog mit anderen Agenten über Forstenheuser. Beispielsweise teilte er August am 28. September 1644 mit: was EFG sowohl wegen Phillip Rothens, als Christoph Bechlers bücher halben, vnd wegen des Neuen Lateinishen Herbarÿ278 gl. bevohlen, herrn hainhofern zu vberschreiben, ist also gleich auch beschehen, vnd Jhme gar einen extract darvon mitgeschickht, was Er mir darauff wider geantworttet, haben EFG auß dessen original beÿschluß gnl. zuersehen. wirdt sonder zweiffel in seinem mitkommenden an EFG selbsten auch deroselben die notturft von allem vnderthenig berichtet haben.279

Auf Befehl hatte Forstenheuser an Hainhofer geschrieben und dessen Antwort dann weitergeleitet. Parallel dazu kamen dem Herzog die erfragten Informationen auch über Hainhofer selbst in dessen Bericht zu. Dadurch bestand eine doppelte Absicherung, dass die Nachricht ihr Ziel erreichte. Durch die regelmäßige Korrespondenz untereinander konnte sich sogar ein freundschaftliches Verhältnis zwischen den Agenten entwickeln, so etwa zwischen Forstenheuser und Hainhofer. Er bezeichnete den Augsburger in der Nachricht über seinen Tod als »einen meiner liebsten Freündte«280.

276 Niedersächsisches Staatsarchiv 1 Alt 22 Nr. 178, fol. 124v. 277 Vgl. Niedersächsisches Staatsarchiv 1 Alt 22 Nr. 178, fol. 172v. 278 Ein gedrucktes Herbarium bezeichnet ein botanisches Buch, in dem Pflanzen bzw. Pflanzenteile erläutert sind. Um welchen genau es sich hier handelt, ist unklar. 279 90 Novi, fol. 110r. 280 90 Novi, fol. 379v (17. Juli 1647).

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Über Forstenheusers Netzwerk außerhalb wichtiger Nürnberger Persönlichkeiten und den anderen herzoglichen Agenten erfahren wir leider nur wenig, denn er erwähnte seine Bekannten nur kurz und selten nannte er Namen. Dennoch lassen sich grob einige Verbindungslinien skizzieren. Er unterhielt Kontakte nach Brüssel und Erfurt, ebenso nach Straßburg an einen Mons. de Boissart und den Gelehrten Joachim Cluten, der ebenfalls mit Herzog August korrespondierte. Durch seine Beziehungen in Regensburg, einen Mons. Staudinger und den Ratskonsulenten Gehewolf, verschaffte Forstenheuser den Abgesandten Augusts eine Unterkunft für den dortigen Reichstag im Jahr 1653/54. Über einen gewissen Langenbeck und nicht näher benannte Buchhändler stand er mit Frankfurt in Verbindung und in Paris kannte er einen Herrn Eppenstein. Außerdem schrieb Forstenheuser nach Italien, genauer gesagt nach Venedig, und führte damit einen brieflichen Verkehr mit dem wichtigsten italienischen Wechselmarkt.281 Damit deckte der Agent mit seinem Netzwerk eine große Bandbreite wichtiger, vor allem südeuropäischer Stadtzentren ab. Von Bedeutung waren nicht zuletzt noch seine Beziehungen zum Adel. Die Doppelhochzeit seiner beiden Töchter 1655 bietet dafür ein eindrucksvolles Bild. Neben einer Abordnung der schwedischen Krone, Kurbrandenburgs und aus Wolfenbüttel nahmen daran 17 fürstliche, 15 gräfliche und freiherrliche sowie 7 städtische hochstehende Persönlichkeiten teil. Für Herzog August bat Forstenheuser Jobst Christoph Kreß (1597–1663), Mitglied einer der ältesten Patrizierfamilien Nürnbergs, als Stellvertreter zu erscheinen. »Man muß sich einmal vorstellen, was das bedeutete, welche Stellung ein Mann haben mußte, der solche Gäste zur Hochzeit seiner Kinder bitten konnte.«282 Zwar musste der Agent in der Dienststellung mehrerer Mächte auch vorsichtig agieren, um nicht den Eindruck zu erwecken, er gäbe vertrauliche Informationen weiter. Insgesamt aber konnten alle Beteiligten von der Verbindung über ihn profitieren. Forstenheuser verschwieg seine Bekannten daher nicht, sondern äußerte gelegentlich Anspielungen beispielsweise auf seinen auch nach dem Tod Pfalzgraf Augusts weiterhin nach Sulzbach bestehenden Kontakt.283 Da das Netzwerk Forstenheusers nicht auf einem bezahlten Dienstleistungsverhältnis beruhte, musste er es anderweitig pflegen. Ein wichtiger Aspekt der Agententätigkeit war in diesem Zusammenhang der soziale Umgang. Dass Forstenheuser dabei stets seine Geschäftsinteressen im Hinterkopf behielt, offenbart folgender Bericht vom 17. April 1647: Als ich dißer tagen, mit Mons.r Harsdörffern, neben andern, ein stündlein dem schach zu ziehen mich eingelasßen, habe ich in dem heimbgehen im discuriren so viel von Jhme vermerckt, daß Er etliche bücher auß frembden Landten an sich zubringen lust hette, also hielte ich darvor, wan EFG meinen vor 8. tagen vnderthönig beschehenen vorschlag nach, sich gnedig resol-

281 Vgl. Denzel, Das System des bargeldlosen Zahlungsverkehrs, S. 192. 282 Sporhan-Krempel, Nürnberg als Nachrichtenzentrum, S. 102. 283 Vgl. Sporhan-Krempel, Nürnberg als Nachrichtenzentrum, S. 101.

4.2 Die Rolle der Buchagenten

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viren, wie schwer am gewicht ein trinckgeschirr vor Jhne Harßdörffern zuerhandeln vnd Jhme einzulieffern, EFG mir gnedigen bevelch ertheilen wolten, köndte darauff Jhme von mir solches angebracht, vnd dabeÿ Jhme die wahl gelasßen werden, ob Jhme das trinckgeschirr beliebig, oder darfür das gelt zuerwehnten Bücher Kauff erwehlen vnd annehmen wolte.284

In der Regel war der gegenseitige Austausch für beide Seiten von Vorteil, weshalb viele Interesse an einer Teilnahme am Netzwerk eines Agenten hatten. Das unterstreicht eine kurze Anmerkung Forstenheusers in einem Brief vom 4. März 1648: »darneben gehet ein briefflein von einem der Abbe genant auß Pariß mit, welcher mir seine Correspondenz anbieten thuet.«285 Hier empfahl sich eine Person in Frankreich als Briefpartner. Interessant ist, dass Forstenheuser diese Offerte an August weiterleitete, womit er wohl dem Herzog die Entscheidung darüber überlassen wollte. Der Name taucht anschließend nicht wieder in den Briefen auf und da Forstenheuser mit Eppenstein bereits einen Korrespondenten in Paris hatte, ist es wahrscheinlich, dass die Verbindung nicht zustande kam. Als sich 1649 ein Abgesandter aus Wolfenbüttel, Dr. Polykarp Heylandt, einige Zeit in Nürnberg aufhielt, leitete Forstenheuser sämtliche Nachrichten und Zusendungen zwischen Heylandt und August weiter. Es war also eine Ausnahme, als er am 29. September 1649 in einem Postskriptum erwähnte, dass der Abgesandte die Briefe erst spät in der Nacht fertig bekäme und sie selbst dem Boten aufgeben wolle.286 Eine Bündelung der Korrespondenz war praktischer und kostengünstiger als jedes Schreiben individuell abzuschicken, es bedeutete aber auch, dass Forstenheuser als der weiterleitende Mittelsmann entsprechendes Vertrauen genoss. Das unterstützt die Tatsache, dass Heylandt auch in finanziellen Dingen von ihm abhängig war. Das Geld für seine Auslagen erhielt er grundsätzlich vom Agenten, der darüber dem Herzog Bericht erstattete.287 Kriegsgefahren Der Dreißigjährige Krieg ist ein beherrschendes Thema in der Korrespondenz Forstenheusers. Selbstverständlich musste er als wichtiger Nachrichtenlieferant immer auf dem aktuellen Stand der Entwicklungen sein und teilte diese – besonders die Truppenbewegungen – nicht nur in den beiliegenden Avisen, sondern auch in seinen Briefen mit. Die Gefahren und Folgen, die der Kriegsalltag mit sich brachte, äußerten sich vor allem bei der Überbringung von Sendungen sowie bei Transporten aller Art. Boten und Fuhrleute hatten es dabei nicht leicht. Um an ihr jeweiliges Ziel zu gelangen, mussten sie sich aus dem Schutz der größeren Städte auf die Straßen

284 285 286 287

90 Novi, fol. 341r–v. 91 Novi, fol. 15v. Vgl. 91 Novi, fol. 135v. Vgl. u. a. 91 Novi, fol. 241r (25. Januar 1651).

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wagen, wo sie Gefahr liefen, einer Soldatentruppe zu begegnen. Dabei war es meist irrelevant, welcher Seite der streitenden Parteien diese angehörten: die gefahr ist sonsten von den hin vnd her marchirenten völckhern noch gros, man hat dießen fuhrleüthen erst vor .8. tagen, als sie eine Jnterims fuhr in der nachtbarschafft gethan 5. meil von hier vff die .30. pferdt genohmen, derowegen sie etlich tag lenger alhier verligen blieben, sonsten sie vergangenen Montag weren abgefahren.288

Zeitweise verhinderten die Kriegsunruhen vollständig die Warenlieferungen, wie im Jahr 1642, als Nürnberg zwei Regimenter unterbringen und versorgen musste. Forstenheuser minderte daraufhin alle Hoffnung, die Bücherkasten von Hainhofer und Kisten mit Weihnachts- und Neujahrsgeschenken rechtzeitig überliefern zu können: hießige Statt muß in Jhrem gebiedt auch 2. Regiment zu Pferdt haben, vnd verpflegen, so negstes tags da sein werden, welche hierumb alles vnsicher werden machen, dan große Klagen vber sie gehen, wie vbel sie sich aller ordten gehalten, Solten die weinmarishen289 von der weßer darzu herauff gehen, als man darfür halten will, wirdt es dießem Craiß sehr hartt fallen, würdten aber die Straßen etwas sicherer werden, So will ich nicht vnderlaßen, EFG gegebenen ordre nach waß hinein zuschickhen, vnd sollen auch die Jüngst angedeüte bücher so EFG herr Saubertus, vnd ich vnderthenig verehren, mitkommen.290

Allerdings wussten sich die Fuhrleute durchaus zu wehren. Sie fuhren meist in größeren Kolonnen und waren zur Verteidigung ausgerüstet, wie ein Bericht Forstenheusers vom 7. Juni 1645 bezeugt, indem es heißt, die Fuhren »seint zu Radtelsdorff 2. maihl hinder Bamberg des wehgs Coburg von einer Kaÿßerl. Partie attacquirt worden, mit welchen die fuhrleüdte 3. stundt lang gefochten, biß Jhnen ein convoÿ von Coburg entgegen kommen, und Jhnen die rauber abtreiben helffen«291. Die Boten waren meist weniger gefährdet als die Fuhren mit ihren teilweise sehr wertvollen Ladungen. Trotzdem gab es auch hier Zwischenfälle, da eine Einzelperson leichter zu überwältigen war als ein ganzer Konvoi. Der von Hamburg kommende Bote, der üblicherweise die Briefe des Herzogs an Forstenheuser bei sich hatte, wurde etwa 1641 zu Erfurt aufgehalten. Die Schreiben wurden geöffnet und zurückbehalten. Der Agent schlug nach dieser Erfahrung vor, »das kunfftig EFG vber dero schreiben an mich durch ein privat person ein besonder copert292 machen

288 Niedersächsisches Staatsarchiv 1 Alt 22 Nr. 178, fol. 23v (1. September 1638). 289 Weimar hatte sich 1639 Frankreich angeschlossen. 290 Niedersächsisches Staatsarchiv 1 Alt 22 Nr. 178, fol. 146r–v (19. November 1642). 291 90 Novi, fol. 187r. 292 Ein Kuvert, seit dem 15. Jahrhundert in der lateinischen Form Copert und seit dem Ende des 17. Jahrhunderts auf französisch Couvert, bezeichnet einen Briefumschlag. Vgl. Alfred Schirmer: Wörterbuch der deutschen Kaufmannssprache auf geschichtlichen Grundlagen. Neudr. mit e. Nachw. v. Dieter Möhn. Berlin [u. a.]: De Gruyter 1991, S. 116.

4.2 Die Rolle der Buchagenten



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lassen«293. Der Umschlag einer nicht öffentlichen Person über den Briefen Augusts sollte dafür sorgen, sie weniger interessant erscheinen zu lassen. Weitere Probleme ergaben sich an Stellen, wo zwei gegnerische Parteien aufeinandertrafen. Diese Wege wurden dann durch das Schlachtgeschehen unpassierbar und die Boten mussten alternative, meist längere Routen gehen. Aufgrund eines solchen Zusammentreffens der Armeen berichtete Forstenheuser am 26. Juli 1645 vom Ausbleiben der Post und zweier Boten aus verschiedenen Richtungen: dann göstern vnd heut, die Jtalianische Post vnd ordinari Pott von Augspurg außblieben, auch weder Ulmer noch St: Galler Pott kommen, die vhrsach dessen ist, weil vorgöstern am tag Christina beÿ Nördlingen ein starckhes blutiges haupttreffen vorgangen, worinnen die ChurBaÿrische Reichs armada von Duc d’ Anquien ganz geschlagen vnd totaliter ruinirt worden.294

In den Jahren 1645 und 1646 geriet Nürnberg erneut ins Zentrum der kriegerischen Auseinandersetzungen. Nach einer kurzen Zeit der Einquartierung bayerischer Truppen stellten diese Forderungen an die Stadt. Da Nürnberg sich weigerte sie zu bezahlen, behinderten die Soldaten den Warenverkehr: dieweil die ChurBaÿrischen gegen diße Statt, von welcher Sie von fertiger einquartierung her noch ein starcken rest haben wollen, so man Jhnen zwar von rechtswegen nicht schuldig, doch zugüttlichem vergleich sich erbotten worden, darüber militarisch zu exequiren angefangen, vnd verschiener tagen ezliche Gütter wähgen auß Böhmen vnd andere fuhren von hiesichen Ämbtern vff hieher kommend nahe der Statt weckgenohmen vnd noch vffhalten, wiewol man sobaldten mit Jhnen den ChurBaÿrischen angefangen zutractiren, so hatt man doch diße stundt mit Jhnen nicht richtig werden können, mag sich auch noch wol was verweilen, Also das vor zukünfftigen dienstag oder Mittwoch besagte Hamburger fuhr nicht wirdt fortgehen können, inmittelst darff sich niemand mit einigen güttern nicht hinauß, noch andere so vnder wehgs herein wahgen.295

Obwohl Nürnberg die Sache schnell zu bereinigen suchte und sich eine Woche später mit den Bayern auf eine Zahlung einigte, sorgten Unruhen schon kurz danach für weitere Verzögerungen. Die Fuhren konnten wochenlang die Stadt nicht verlassen und wurden vom Magistrat vor der Gefahr der Ausfuhr gewarnt. Forstenheuser berichtete unter anderem, dass »hierumb baldt vff allen straßen angriff geschehen«296. Der Warenverkehr geriet am wichtigen Handelsplatz Nürnberg so eine Zeit lang ins Stocken. Wie schwerwiegend das war, macht der Befehl des Herzogs deutlich, die verbliebenen Kisten Fuhrleuten aufzugeben, die das Wagnis der Abfahrt eingehen würden. Am 6. Juni 1646 konnte der Agent August endlich darüber infor-

293 294 295 296

90 Novi, fol. 11r. 90 Novi, fol. 199v–200r. 90 Novi, fol. 229r–v (22. November 1645). 90 Novi, fol. 269v.

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mieren, dass sie verschickt waren, da sich die Soldaten aus der Umgebung auf den Weg zu den Armeen bei Frankfurt a. M. gemacht hatten.297 Ein besonderes Problem stellte zwischenzeitlich das Kriegsgeschehen um Augsburg dar. Einen ersten Hinweis darauf liefert ein Brief Forstenheusers vom 26. September 1646, in dem er mitteilte, dass die sonst über Augsburg laufenden Sendungen von Andreae aus Stuttgart nun einen Umweg über Frankfurt nehmen mussten. Weil die Stadt von den Franzosen und den Schweden belagert wurde, war zudem die wichtige Verbindung zwischen dem Agenten Hainhofer und Herzog August bzw. Hainhofer und Forstenheuser empfindlich gestört.298 Die Lage vor Ort schilderte Forstenheuser folgendermaßen: Mit der lieben Statt Augspurg gehet es hefftig daher, wie ein Pott vorgöstern abendts außen Läger kommendt berichtet, hetten die Allÿrten zwar erst den dienstag vff die Statt angefangen zu canoniren, vnd vorhin noch derselben mit Feur, vmb der Evangelischen Burgerschafft willen verschonet, nachdem aber ezliche fuderstein zugeführt, vnd allererst gebraucht werden sollen, wie dan Mittwochs darauff ein vberauß starckes schießen gehört worden, als stehet nun zuerwarten vnd zu vernehmen, wie es abgeloffen sein mag, allem ansehen nach wirdt innerhalb 3. tagen mit solcher Statt Augspurg zu einem accord, oder aber dan zu einem vblen außgang gelangen, der liebe Gott stehe der gutten Statt in gnaden beÿ, Man will schwatzen alß wan die Kaÿßl: vnd Baÿrischen resolvirt weren solche Statt zuentsezen, viell aber daß ein solches in das werck solle gerichtet werden, nicht glauben wollen, Jn Summa zukünfftige wochen wirdt viel zuvernehmen sein.299

Da das Funktionieren des herzoglichen Agentennetzwerks durch diese Entwicklungen behindert wurde, ist es kaum verwunderlich, dass in den anschließenden Briefen das Thema Augsburg einen besonderen Platz einnimmt. Innerhalb von zwei Wochen wusste Forstenheuser von der Rückeroberung der Stadt durch die kaiserliche und bayerische Armee und von Gerüchten um eine weitere geplante Belagerung durch die feindlichen Truppen zu berichten. Schon eine Woche später funktionierte zumindest die Nachrichtenübermittlung per Post und über die Boten von und nach Augsburg wieder. Die Pakete von Stuttgart aus mussten allerdings weiterhin über Frankfurt umgeleitet werden.300 Was für eine Belastung eine Belagerung für die Bewohner der betroffenen Stadt darstellte, veranschaulicht ein Schreiben Forstenheusers vom 24. Oktober 1646. Er erläuterte darin die Not, in die Hainhofer durch die Einquartierung von Soldaten in seinem Heim und den akuten Geldmangel in der Stadt wegen der unterbrochenen Handelsverbindungen geraten war:

297 Vgl. 90 Novi, fol. 271r (30. Mai 1646) und 273v. 298 Mitte September 1646 war das schwedisch-französische Heer gegen Augsburg gezogen, das meist von bayerischen Truppen besetzt war. Vgl. Zorn, Augsburg, S. 259f. 299 90 Novi, fol. 288v–289r. 300 Vgl. 90 Novi, fol. 292v–293r (10. Oktober 1646) und 294r.

4.2 Die Rolle der Buchagenten 

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vnd nachdem gedachter herr heinhoffer mir lezlichen in zweÿen seinen schreiben zuerkennen geben, wie es Jhme beÿ Jüngster belägerung, in deme Er in seinem hauß schwere einquartierung gehabt sehr hartt ergangen, vnd aniezt wider mit einem Maior vnd seinen Leüdten belegt, vnd in gantz Augspurg noch ein elener handel ist, hingegen ein solcher geltmangel alda, daß keiner dem andern baldt zu helffen vnd zu rathen, vnd herr heinhoffer so sehnlich vmb gelt rufft, da Jhme einer nur mit 100. fl in solcher noth Jezo auß helffe, woltt ers, sobaldt von EFG Jhme ein wechßel kombt, mit allem danck erstatten, wan mich dan des gutten Manns große dürfftigkeit, vnd das es Jhme beÿ seinen angehenden altter, vnd lang bißher schon continuirender vnpäßlichkeit, so mühesam erst ergehen solle, wohl von herzen tawret, habe ich Jhme eben, im nahmen EFG göstern 100. Rthlr à bon conto vbermachet, damit Er Ja in sein höchsten nöthen was haben möge, nicht zweifflendt, EFG werden damit gnedig vnd wohl zufrieden sein.301

Das eigenmächtige Handeln Forstenheusers, indem er Hainhofer auf sein Bitten hin 100 Reichstaler im Namen des Herzogs überwies, lässt wieder seine feste Vertrauensposition erkennen. Aufgrund der freundschaftlichen Beziehung Augusts zu Hainhofer konnte der Agent sicher sein, damit im herzoglichen Interesse zu handeln. Die Probleme hörten aber noch längst nicht auf, denn am 31. Oktober 1646 war die Stadt laut Forstenheuser wieder vollständig blockiert und von den Nachrichtenwegen abgeschnitten.302 Danach gibt es keine weitere Erwähnung der Augsburger Situation in den Briefen. Im November erreichten die Lieferungen von Hainhofer wieder regelmäßig Nürnberg und das Schlimmste war offensichtlich ausgestanden. Auch das Ende des Dreißigjährigen Krieges bedeutete keineswegs ein Ende der Gefahren. Zunächst einmal lassen sich in den Briefen Forstenheusers die langwierigen und auch noch nach 1648 andauernden Friedensverhandlungen nachvollziehen. Immer wieder berichtete der Agent von Spannungen, die zu weiteren Auseinandersetzungen hätten führen können. Außerdem belasteten zahlreiche weitere Kriegsgeschehen das 17. Jahrhundert, darunter der Englisch-Niederländische Krieg zwischen 1652 und 1654. Einige vor allem wirtschaftliche Probleme in Deutschland nahmen sogar erst nach dem Friedensschluss signifikant zu, wie es auch schon im historischen Überblick über den Buchhandel deutlich wurde. Beides ist einem Bericht vom 9. Oktober 1652 zu entnehmen: weiln wegen der überauß schlechten handlung, alhier, zue Hamburg, vnd Ambsterdam (.so der krieg zwischen den Englischen vnd Holländern vervhrsachet.) fast gar keine wexel mehr zu schließen sein: sondern die gelter baar hin vnd her geschickt werden müßen, wie dann die traficqanten kein schlechter zeit bey vorigem lang gewehrten krieg, in der allergrößten vnruhe nie gehabt, als sich anietzo erweißet, dieweiln alle handlungen nach den Niderlanden, Franckreich, Spanien, Engellandt vnd Polln, gantz erlegen, vnd man künfftig Ja in kurtzem erfahren würdt, was solches noch schaden bringen mag.303

301 90 Novi, fol. 296r–v. 302 Vgl. 90 Novi, fol. 299r.

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Bei allen Nachteilen gab es zumindest für Personen vom Stand und mit den Interessen Herzog Augusts auch einen Vorteil der langen kriegerischen Auseinandersetzungen. Der Dreißigjährige Krieg war »a time in which important book collections were created and in which the economic plight of territories, cities, or individuals led to the sale and dispersal of an enormous number of books, creating a buyer’s market for the discriminating collector.«304 Infolge von Verarmung sahen sich viele gezwungen, ihre Besitztümer zu veräußern. Dies betraf besonders die für den Grundlebensbedarf nicht erforderlichen Büchersammlungen. Im Jahr 1654 geht das deutlich aus einer Mitteilung vom 2. Dezember hervor: EFD haben sich noch gnedigst zu erinnern, was vor zweyen Jahren ich wegen eines raren original buchs so vff pergament mit notis geschrieben, die ganze wortt bedeiten, vnd darbey geschrieben, ich vnderthönigst berichtet habe, damahls aber solch buch zuvergeben, man nicht willens geweßen, Jezund aber, weiln der geltmangel so groß, will daßelbe verkaufft werden.305

Der Buchkauf über Forstenheuser: Bestellungen Herzog August war bestrebt, seine Bibliothek nicht nur zu vermehren, sondern auch zu vervollständigen. Aus diesem Grund beauftragte er seine Agenten immer wieder, bestimmte Stücke zu besorgen, die in seinem Bestand fehlten. Oft ging es dabei um ältere Bücher, um Fortsetzungsbände oder um Ersatz für fehlende Bogen in bereits vorhandenen Drucken. Einfach hatte es Forstenheuser, wenn es sich um Bücher mit dem Druckort Nürnberg handelte, wie beispielsweise 1641, als er sechs Exemplare eines »alhie« gedruckten biblischen Kalenders übersandte.306 Sie waren leicht vor Ort zu besorgen. Dafür musste er nur einen Buchladen in seiner Stadt besuchen, wie zum Beispiel den der Nürnberger Buchhändlerfamilie Endter im Jahr 1655: »von seinen [Dillherrns] orationibus seint gegenwertige zwo in Enders Buchladen noch zuhaben geweßen, welche EFD ich hiebey vnderthänigst überschicken wollen.«307 Daneben gab es noch eine weitere Anlaufstelle. Der Agent stand, wie vorgestellt, in enger Verbindung mit Dilherr, der von Saubert auch den Posten als Leiter der Nürnberger Stadtbibliothek übernommen hatte. Im Jahr 1659 erkundigte sich Forstenheuser bei ihm, ob ein bestimmtes Buch dort vorhanden wäre:

303 91 Novi, fol. 348v. Probleme bereitete in dieser Zeit vor allem die Vermittlung hoher Geldbeträge. Vgl. u. a. 91 Novi, fol. 465v (10. Dezember 1653). 304 Jill Bepler: Vicissiudo Temporum: Sidelights on Book Collecting in the Thirty Years’ War. In: Seventeenth Century Journal 32/4 (2001), S. 953–968, S. 955. 305 92 Novi, fol. 78r. 306 Vgl. 90 Novi, fol. 10r (29. Juni 1641). Die größere Stückzahl in diesem Fall widerspricht der generellen Aussage, dass Dubletten um jeden Fall zu vermeiden waren. Es handelt sich hierbei um ein Gebrauchsbuch, das der Herzog womöglich an Familie und Freunde weiterverteilte. 307 92 Novi, fol. 123v (16. Juni 1655).

4.2 Die Rolle der Buchagenten



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wegen des Reginouis Prumiensis Liber de disciplina Ecclesiastica308 ~ hab ich bey hiesicher Statt Bibliothecario (.so der herr dilherr ist.) nachgefragt, ob es geschrieben oder gedruckt in der Statt Bibliothec vorhanden, So bericht er mich aber, das ers vff nachsuechen darin nicht finde, hette es auch vnder seinen Büchern nicht.309

War das Buch nicht direkt in der Stadt zu beschaffen, musste Forstenheuser sein Kontaktnetzwerk nutzen: »wegen der gl. begerten bücher, will ich fleißige nachfrag vnderschiedtlicher ordten haben, vnd wegen deß Einen gar vff Londen durch ein guten freündt schreiben lassen, ist es da noch zufinden, soll es zur handt gebracht werden«310. Für »Des Girolamo Bardi311 Buch zu Venedig A 1584«312 schrieb er an den Druckort Venedig. Da Forstenheuser stets in seiner Heimatstadt blieb, zeigt sich an dieser Stelle die besondere Bedeutung vieler persönlicher Verbindungen, die möglichst weit und in verschiedene Städte und Länder reichten. Obwohl August einen Buchhändler damit beauftragt hatte, für ihn die Buchmessen zu besuchen, kam es vor, dass auch Forstenheuser ein Buch auf der Messe bestellte: »weiln die gnl. begerten bücher ich alhier nicht erlangn können, alß hab ich solche von Franckfurth auß Jeziger Meße zubringen bestellet«313. Er hatte dort einen Kontaktmann, den er zeitweise – vor allem während der Belagerung Augsburgs – auch für das Weiterleiten der Sendungen nach Wolfenbüttel einspannte. Wie schon bei der Augsburger Agentur festzustellen war, waren die Kompetenzen und Bezugsräume der einzelnen Agenten offensichtlich nicht strickt getrennt. Kam Forstenheuser selbst nicht an ein bestelltes Buch heran, so gab er den Auftrag ohne Zögern weiter: »wegen deß gl. begerten buchs, weiln es alhier nicht zubekommen, H. hainhofern geshrieben, ob ers von Napoli bringen lassen köndt, warnach er sonder zweiffel selbiger ordten trachten wirdt, wie ich dan vnderdessen auch nachfrag habe«314. Auf diese Weise erweiterte er sein Netzwerk um die der anderen Agenten. Allerdings konnte es dabei passieren, dass ein Buch doppelt beschafft wurde, wie etwa am 22. September 1655: »weiln des Meyeri Bücher H. hirt von Strasburg zuschaffen, sich anheischig gemacht, solle ich darmit inhaltten: ob ichs zwar schon

308 Regino Prumiensis: Reginonis Prumiensis De Disciplina Ecclesiastica Veterum, Praesertim Germanorum Libri Duo: Quorum alter Clericos, alter Laicos informat, ante octo infra dimidium secula scripti, sed hactenus nondum quod constet, editi; Nunc primum ex vetusto membranaceo MS. Bibliothecae Iuliae typis excusi / Opera & Studio Joachimi Hildebrandi S. Theol. D. & SS. Antiqq. Ordin. Prof. Helmstedt: Henning Müller 1659. Vgl. VD17 1:010449B und HAB A: 435.16 Theol. 309 92 Novi, fol. 364r (8. Januar 1659). 310 Niedersächsisches Staatsarchiv 1 Alt 22 Nr. 178, fol. 163r (14. Januar 1643). 311 Girolamo Bardi: VITTORIA NAVALE|| OTTENVTA|| DALLA REPVBLICA VENETIANA|| CONTRA OTHONE; FIGLIVOLO DI FEDERIGO|| PRIMO IMPERADORE,||: Per la restitutione|| Di Alessandro Terzo, Pontifivo Massimo. venuto à Venetia / DESCRITTA DA GIROLAMI BARDI|| FIORENTINO. Venedig: Francesco Ziletti 1584. Vgl. HAB A: 122.2 Hist. (3). 312 90 Novi, fol. 154v (22. Februar 1645). 313 90 Novi, fol. 19r (18. März 1643). 314 90 Novi, fol. 113v (12. Oktober 1644).

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auß dem Buchladen genommen, So hab Jchs doch widerumb zuruck geben«315. Die Meldung, dass Hirt das betreffende Buch anderweitig besorgen könnte, erwies sich in diesem Fall als verfrüht. Der Augsburger erhielt es doch nicht und Forstenheuser kaufte den Band erneut im Buchladen.316 Bei seinen Bestellungen war Forstenheuser auf zuverlässige Leute angewiesen. Ein Verkäufer ließ ihn im Juli 1643 bei der Lieferung zweier Bücher im Stich und der Versand verzögerte sich entsprechend. Um dem Unwillen Augusts vorzubeugen, kaufte Forstenheuser eines der Bücher im lokalen Buchladen und betonte, dass der Kauf auf seine eigene Rechnung hin geschehen sei und nicht über den Herzog verbucht werde: weiln der Jenige, von welchem ich Jüngste bücher erkaufft, mich mit deß Alstedy Ency clop:317 biß dato her vffgehalten, vnd noch nicht von Jhm erlangt auch daß Eine französische von Jhm ingleichen desiderire, hab ich das keine vngnad bey EFG ich verdiene, den Alstedium auß dem buchladen für mich erkaufft der in keine rechnung weidters kommen solle, damit EFG solches Authoris gnl. fehig werden mögen.318

Gelegentlich kam es vor, dass August gesammelt nach mehreren fehlenden Titeln fragte. Das lässt sich einem Brief vom Mai 1644 entnehmen, in dem Forstenheuser zugeben musste, eine solche Liste verlegt zu haben: EFG gedenckhen auch gnedig in oberwehntem schreiben von etlichen büchern, so dieselbe nur dießem beschrieben hetten, nun habe ich die verzeichnus deren bücher verlegt, bitte derowegen EFG gantz vnderthenig dieselbe wollen mir es nochmaln verzeichnet in gnade zuschickhen, will ich trachten daß selbige zur handt gebracht werden, Jch erinnere mich, daß ich darnach getracht, aber solche nicht erlangt, wan aber ich erwehnter verzeichnus noch einmahl bekomme, will ich, weil EFG ein verlangen darnach haben, also an vnderschiedtlichen orthen darnach trachten, damit wo möglich ich selbige zur handt bringen möge.319

Zwar erinnerte er sich daran, bereits nach den Büchern gesucht zu haben, wollte aber noch einmal sein Glück damit versuchen. Eine solche Nachlässigkeit unterlief dem Agenten wohl äußerst selten, weshalb er hier auf Nachsicht hoffen konnte und darauf verzichtete, sich weitschweifig dafür zu entschuldigen.

315 92 Novi, fol. 145r. 316 Vgl. 92 Novi, fol. 152r–v. 317 Johann Heinrich Alsted: Johannis-Henrici Alstedii Encyclopaedia Septem tomis distincta: I. Praecognita disciplinarum, libris quatuor. II. Philologia, libris sex. III. Philosophia theoretica, libris decem. IV. Philosophia practica, libris quatuor. V. Tres superiores facultates, libris tribus. VI. Artes mechanicae, libris tribus. VII. Farragines disciplinarum, libris quinque. Serie Praeceptorum, Regularum, & Commentariorum Perpetua. Herborn 1630. Vgl. VD17 3:309999D und HAB A: 39.1-2 Quod. 2°. 318 Niedersächsisches Staatsarchiv 1 Alt 22 Nr. 178, fol. 185v (15. Juli 1643). 319 90 Novi, fol. 79v (18. Mai 1644).

4.2 Die Rolle der Buchagenten



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Nachdem Forstenheuser eine neue Liste erhalten hatte, versicherte er, sich besonders um den ihm unbekannten Autor Antonius Aranda zu bemühen. Nach jenem »Aranda« suchte er besonders intensiv und wandte sich deswegen unter anderem an den Gelehrten Saubert.320 Bei dem gesuchten Buch handelte es sich wohl um die Descriptio terrae sanctae, nach der sich auch schon Hainhofer vergeblich erkundigt hatte. Demnach gaben sich die Agenten nicht nur untereinander die Aufträge weiter, sondern der Herzog erteilte sie in besonders schwierigen Fällen gleich mehreren, um die Erfolgschancen bei der Suche zu erhöhen. Im März 1648 erwähnte der Agent 15 Bücher einer italienischen Reihe, die er im Auftrag Augusts besorgen sollte: Nach den .15. büchern der Italianischen Historien des Gion. Batt. Adriani, Gentilhuomo Fiorentino in 4°. zu venedig321 getruckt, A°. 1583. weil EFG den letzten vnd 16. theil darvon bekommen, will ich alhier nachfrag haben, vnd da solche nicht zuerlangen, dero gnedigen bevelch nach herrn Hirten schreiben, selbige von venedig bringen zulasßen.322

Dieses Beispiel bezeugt, wie der Herzog versuchte, die Lücken in seinen Beständen zu schließen und bei vorhandenen Einzelbänden einer Reihe auch die restlichen Bände des Fortsetzungswerks zu erhalten. Im Mai berichtete Forstenheuser, dass nur ein Exemplar des gewünschten Buches bzw. der vollständigen Reihe in Venedig gefunden wurde, und erkundigte sich, ob August alle 16 Bände für 12 Reichstaler erwerben wolle, da sie nur zusammen angeboten wurden.323 Damit hatte er zwar die gesuchten Bücher gefunden, stand aber vor dem Problem, dass der Verkäufer die Reihe nur geschlossen abgeben wollte. Da der Agent wusste, dass Herzog August Dubletten in der Regel vermied, hielt er zunächst Rücksprache, ob in diesem Fall eine Ausnahme gemacht werden sollte. Ähnlich erging es ihm bei folgendem Beispiel: den gnedigst begerten Tomum priorem von des D: Justi Meieri Pandectarsum universi Juri(o) civilis impressus Argentorati .1617.324 ist zwar in eim Buchladen, Sambt dem volgenden theyl (.so EFD albereit haben.) gebunden vorhanden, man wills aber nicht von einander geben, vnd wer-

320 Vgl. 90 Novi, fol. 84r (8. Juni 1644) und 96r (3. August 1644). 321 Auf dem Titelblatt der Istoria dei suoi tempi von Giovanni Battista Adriani ist allerdings die in Venedig gedruckte Ausgabe auf 1587 datiert, während die Ausgabe von 1583 den Druckort Florenz vermerkt hat. Beide sind in der HAB vorhanden. Vgl. HAB Schulenb. Gc 2° 40 und A: 119.3 Hist. 322 91 Novi, fol. 19v. 323 Vgl. 91 Novi, fol. 29r (6. Mai 1648). 324 Justus Meier: Pandectæ Universi Juris Civilis: Sive Collegivm Ivridicvm Argentoratense: Omne Jus Pandectarum Quodque Eidem Ex Codic. Instit. Novell. Justinianeis respondet, una perpetuaque causarum methodo dispositum: cum supplemento Juris tum Canonici, tum Novissimi ex Imperial. Constit. & forensibus observationibus: exhibens / Opus Adornatum In Academia Argentoratensi a Juris Studiosis Et Candidatis: ac recensitum cura Justi Mejeri Noviomagensis J.U.D. Straßburg: Lazarus Zetzner 1616. Vgl. VD17 1:013472F und HAB A: 10.9 Jur.

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den zusammen für .8. Rthaller gehaltten, Es soll zwar wider vffgelegt werden, Man heltt aber nicht darfür, das es vnder 2. oder gar 3. Jahren herauß kommen werde.325

Bei Fortsetzungen konnte es außerdem vorkommen, dass ein angekündigter Teil gar nicht erst in Druck gelangt war. Das herauszufinden, war ebenfalls Aufgabe des Agenten: wegen des vffgezeichneten Buches, hab ich nach Franckfuhrt dem von den Birghden326 geschrieben, da dessen anderer theil herauß kommen, EFG von dar rectà vff Braunschweig an den Postmaister klugen, vnderthönig zu überschicken, wie man mich aber alhier berichtet, solle der Autor Caspar Lerch darüber gestorben sein, vnd der andere theil solchem seines werckes zuruck blieben, die gewißheit nun, ob deme also ist, wirdt von ermelten Franckfuhrt zuvernehmen sein.327

Der gesuchte zweite Teil eines Buches von Caspar Lerch328 war also deshalb nicht zu finden, weil der Autor gestorben war, bevor er ihn hatte verfassen können. Wichtig für eine erfolgreiche Suche war in jedem Fall eine möglichst genaue Titelangabe. Am 13. Juli 1644 erkundigte sich Forstenheuser nach weiteren Informationen zu einem Buch, da er es bislang nicht hatte finden können: »daß L. Septaly buchlein de Naevis329 kan auch noch nicht erfragt werden, obs ein Juristisch büchlein möchte ich gern wißen?«330 War ein Werk nicht eindeutig zu identifizieren, konnte es umgekehrt auch vorkommen, dass der Agent nachfragen musste, ob ein gefundenes Buch eventuell das richtige sei: EFG haben mir vor dißem von einem alten Juristischen buch gnedig geschrieben, so Sie desiderirten, Nun find sich eines vermög des vffgezeichneten beyschluß, ist es dißes, oder begerns EFG sonsten auch gnedig, so soll es mit dem ersten vnderthönig überschickt werden.331

Sollte es sich nicht um den gesuchten Titel handeln, es aber auch noch nicht in der Bibliothek vorhanden sein, so bot er es trotzdem zum Kauf an. Er machte generell immer wieder Vorschläge zum Kauf von Büchern, die seiner Ansicht nach für August von Interesse waren. Diese im nächsten Abschnitt vorzustellende Eigeninitiati-

325 92 Novi, fol. 139v–140r (25. August 1655). 326 Forstenheuser sprach hier wahrscheinlich von dem Dichter Sigmund von Birken. Birken war als Hofmeister der Prinzen Anton Ulrich und Ferdinand Albrecht 1645/46 am herzoglichen Hof in Wolfenbüttel. 327 91. Novi, fol. 32r (27. Mai 1648). 328 Das in der HAB vorhandene Buch von Caspar Lerch von Dürmstein ist die Ordo Equestris Germanicus Caesareus. Bellopoliticus, 1626 erschienen bei Hermann Meres in Mainz. Vgl. HAB A: 95. 13 Quod. 2° (1). 329 Ludovico Settala: Ludovici Septalii Mediolanensis, De Nævis Liber. Padua: Paolo Frambotto und Johann Thuille 1628. Vgl. HAB A: 149.7 Phys. 330 90 Novi, fol. 93r. 331 91 Novi, fol. 267v (28. Juni 1651).

4.2 Die Rolle der Buchagenten



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ve Forstenheusers ist ein wichtiger Aspekt, aufgrund dessen ein Agent als Aktant im Wissensraum Buchhandel gewertet werden kann. Einzelangebote Ein erstes Angebot Forstenheusers ist einem Brief vom 20. April 1639 zu entnehmen. Hier heißt es kurz und knapp: »waß vor drey in groß folio vff Pergament getruckhte bücher dabey etlich schöne gemahlte figuren, vorhanden seint, ist auß beyligender designation zuersehen.«332 Einen weiteren Kaufvorschlag machte er 1644: Ich habe von einem Cantzleÿ verwalter viel manuscripta von Genealogien, vnd wie ein vornehme Registratur anzustellen, […] neben andern viellen schrifftlichen sachen von etlich Riß bappier vnd bücher darbeÿ P. 50 fl erhandelt, die will EFG wan dießelbe es gnedig begern, vnderthenig vberlaßen vnd vberschickhen, dießer Cantzleÿ verwalter, so vor etlich Jahren alhier gestorben, hat […] gar feine vnderschiedtliche sachen zusammen getragen, die ich noch nicht alle wegen mangel der zeit habe durchsehen können.333

In diesem Fall hatte Forstenheuser die »schrifftlichen sachen«, unter denen auch Bücher waren, schon gekauft, bevor er sie dem Herzog anbot. Sein Nachsatz über den verstorbenen Kanzleiverwalter bzw. seinen Nachlass deutet an, dass hier noch weitere interessante Angebote zu erwarten waren. In den Briefen kam er jedoch nicht wieder darauf zu sprechen. Am 24. Mai 1645 offerierte Forstenheuser im Postskriptum ein einzelnes kleines Buch mit Seekarten: »Es ist ein büchlein in 4°. vorhanden, darin vff pergament von einem vornehmen Maister vnderschiedtliche See carten mit höchstem fleiß gerißen seint, wirdt vor 30. Rthaler gehaltten, ob EFG solches haben wollen, erwarte ich gnedigen berichts«334. Trotz der Kürze nannte er darin alle wichtigen Informationen zu einem Buchangebot: Format, Ausstattung, Inhalt und Preis. Dazu gab er noch eine Empfehlung für das Werk, indem er den Künstler der darin enthaltenen Karten lobte. Forstenheuser empfahl nicht alle seine Angebote. Als er 1649 von einem gewissen Kottenbach mehrere Bücher angeboten bekam, musste er bei ihrer Durchsicht feststellen, dass sie nicht ganz den Aufzeichnungen des Verkäufers entsprachen. wegen des H. kottenbachs Bücher vnd See Cartten berichte EFG ich vnderthönig, daß nachdem er kottenbach vorgöstern die vffgezeichneten sachen nur zusehen eingelieffert, finde zwar erstlich die angedeiten zwey bücher in folio, worinnen die numismata vnd emplemata gerisßen, aber solche nur auß den getruckten büchern copirt sein, welche titul in dißen gerisßenen büchern geschrieben (.wie beyligende copia darvon außweißet.) stehen, die 2. bücher aber in quarto von Holtzschnitten Jedes 2. Finger dick, darvon in der verzeichnuß meldung gethan,

332 Niedersächsisches Staatsarchiv 1 Alt 22 Nr. 178, fol. 34r. 333 90 Novi, fol. 79v (18. Mai 1644). 334 90 Novi, fol. 183r.

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seindt nicht gelieffert worden, giebt vor Sie weren Jhme hinwehg kommen, So seindt die auff Pergament geschriebene sachen keine globi, sondern See Cartten, Er herr kottenbach will noch darzugeben 3. tractätlein, wie EFG auß beygelegtem vnd von Jhme kommenden mir zugeshickten verzeichnuß in gnaden zuersehen haben diße sachen, alß ich Sie gesehen befunde ich, daß solche nicht .100. thaler wehrt sein, Jnmasßen mehrbesagten kottenbach ich solches gesagt, Er hatt mir nun endlich P. 100. fl gelasßen, ob EFG solche darfür weiln die numismata nur auß den getruckten büchern copiert, außzahlen wollen lasßen, können dieselben mir gnedig bevelch ertheilen, solle dan solches bezalt vnd EFG des negsten vnderthönig zugeschickt werden, man erwartet innerhalb 14. tagen gnediger resolution.335

Der Agent äußerte sich hier sehr zurückhaltend über den Wert der Schriftsachen und seine Beschreibung der Bücher und Seekarten wirkt nicht positiv. Seine Bedenken hatte er schon dem Anbieter gegenüber geäußert, der mit einem deutlichen Rabatt und Zugabe dreier Traktate seine Verkaufschancen erhöhen wollte. Ende April lehnte August die wenig überzeugend dargebotenen Titel ab.336 Am 11. Dezember 1652 beschrieb Forstenheuser ganz allgemein ein »schönes« Buch: »Schließlichen ist mir abermahln ein schön buch vermög beygeschlosßener Beshreibung zu kauffen angebotten worden, warvon EFD ich vnderthönigst meldung thun: vnd gehorsambist vernehmen wollen, ob dieselben darzue gnedigstes belieben tragen mögen«337. Wegen dieses Buches war er gezielt in seiner Stellvertreterstellung als Käufer für den Herzog angesprochen worden. Weitere Details nannte er in seinem Schreiben nicht; genauere Angaben lieferte eine beigelegte Beschreibung. Im Februar 1653 bot Forstenheuser dem Herzog einen deutschen Psalter an. Jch hab dißer tagen einen Teutschen Psalter von gar groben truck, wie dessen litera hiebey gezeichnet, vff rein Pergament in folio von .160. blatten, so bey Johann Petreio alhier A 1525.338 gedruckt worden, bekommen, den will EFD ich, wann Sie solchen eine kleine stelle in dero bibliothec vergönnen wollen, vnd dergleichen nicht bereits haben mögen, vnderthönigst überschicken.339

Mehr als ein halbes Jahr später wiederholte er sein Angebot etwas ausführlicher: der EFD vor dißem zum kauff fürgeschlagene Psalter vff Pergament, so noch vorhanden ist gleich deroselben exemplar vff Papier mit großer fractur A°. 1525 von Joh. Petreio alhier in Nürmberg gedrucket, mit der Jahrzahl vnd dem Typographo übereinstimmend, die große buchstaben aber, wan die Psalter anfangen seindt sauber illuminirt, vnd gar ein schön herrlich buch.340

335 91 Novi, fol. 94v–95r (31. März 1649). 336 Vgl. 91 Novi, fol. 101r. 337 91 Novi, fol. 376v. 338 Martin Luther: Der Psalter || teutsch.|| [Übers. v. Martin Luther]. Nürnberg: Johann Petreius 1525. Vgl. VD16 B 3287 und HAB Bibel-S. 2° 241. 339 91 Novi, fol. 401r (26. Februar 1653).

4.2 Die Rolle der Buchagenten

 355

Die Entscheidung des Herzogs über den Kauf einzelner Bücher konnte sich wie in diesem Fall über einen längeren Zeitraum hinziehen. Forstenheuser ergänzte seine Erinnerung noch um einen Hinweis auf die gute Qualität der Illuminationen, womit er den Herzog wohl positiv beeinflussen wollte.341 Im August 1654 konnte er ein weiteres Buchangebot übermitteln: Sonsten hatt mir einer ein künstliches blummen buch, darinnen .190. blummen nach dem Leben vff .80. permenten plettern, abgemahlt, zukauffen angebotten, ist sauber gebunden, vnd was größers alß gemein folio, mit einem darbey beschriebenen jndice, dergleichen durchauß sowohl nach dem Leben gemahlt ich nie gesehen, helt es vmb .100. Rthaler, wills vmb .90. Rthaler vffs negste lassen, wann EFD solches darfür haben wollen, will vff dero gnedigsten befeleh ichs vnderthönigst überschicken.342

Obwohl Forstenheuser für das Blumenbuch343 auf Pergament mit 90 Reichstalern bereits einen Betrag unterhalb des geschätzten Werts erhandelt hatte, versuchte Herzog August zunächst den Preis noch weiter zu drücken. das blummenbuch will man vff mein zusprechen, vff das allernegste vnd anders nicht alß vor .80. Rthaler lassen, welches seiner kunst vnd großen fleiß nach mehr alß .150. Rthaler wehrt sein solle, dann mir der Jenige kunsthändler sagt, der es hatt, wann ers vff Jüngsten Reichstag gehabt, so wer es Jhm vnder .200. Rthaler nicht fail gewest, vornehme Leüdte haben den Jenigen, so die blummen gemachet, vnd ein gutter Maister, auß Italia kommen lassen, vnd solchen vff die .2. Jahr bey sich in dem hauß behalten biß Er mit fertig worden.344

In seiner zweiten Nachricht unterstrich der Agent mit Nachdruck die Vorzüge und den Wert des angebotenen Bandes. Auffällig ist, dass er den Schätzwert hier deutlich nach oben korrigierte auf 150 Reichstaler und noch hinzusetzte, dass der Verkäufer es seiner Aussage nach bei anderer Gelegenheit für 200 Reichstaler hätte verkaufen können. Auf diese Art wirkt der geforderte Preis von 80 Reichstalern günstiger und der Rabatt wesentlich größer. August ließ sich schließlich überzeugen, denn schon im nächsten Brief bestätigte Forstenheuser, dass er es anbei in einer kleinen Kiste mitschickte. Interessanterweise erkundigte sich der Herzog kurz darauf nach dem Maler der in dem Buch enthaltenen Blumen, da Forstenheuser am

340 91 Novi, fol. 460v (19. November 1653). 341 Über den Ausgang gibt es zwar keine weiteren Hinweise, der Kauf ist aber wahrscheinlich, da das Buch in der HAB vorhanden ist. 342 92 Novi, fol. 59v (5. August 1654). 343 Eine genauere Eingrenzung ist anhand der gemachten Angaben nicht möglich. 344 92 Novi, fol. 62r–v (26. August 1654).

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21. Oktober 1654 versicherte, dass er sich danach erkundigen werde.345 August dürfte demnach direkt nach Erhalt einen Blick in das neu erworbene Buch geworfen haben. Im gleichen Schreiben, in dem der Agent die Vorzüge des Blumenbuchs anpries, hob er noch einen weiteren Titel hervor, den er bereits zuvor zusammen mit anderen in einem Katalog angeboten hatte: daß ich vor dißem wegen eines buchs, so Octavius Stradae Efigies Imperatorum à Julio Caesari us[us/m] ad Livium Severum in der zahl .102. Stuck mit der Feder künstlich gerissen, vnd dabey, bey einem Jeglichen Efigie den Lebenslauff vnd Regierung Jedes kayßers an dem Portement, nach art der Romanischen Inscriptionum kurtzlich vermeldet, so in groß Folio vnd vor 70. Rthaler gehalten worden ist, in einem Cathalogo neben andern büchern, beygezeichnet, darauff haben EFD mir gnedigst geschrieben, daß dieselben solches buch gedruckt hetten, Jch finde aber daß solche Effigies dißer Strada von denen Antiquiteten mit großer mühe vnd langer zugebrachter zeit, bey kayßl. May: welche sonsten im ganzen Röm: Reich beysammen nicht zufinden geweßen sein, abgerissen, vnd also in ein buch zusammen tragen, welches dann hochzuachten ist, habe also nicht vnderlassen wollen, weiln solches buch noch vnverkaufft, ob EFD gnedigst beliebig, daß selbes noch zu erkauffen, es ist vor .70. Rthaler verlaßen worden, ich halte darfür, das Jezundt vor .60. Rthaler zuhaben were, erwartte hierüber EFD gnedigsten befelchs.346

Es handelte sich hier um ein Buch von Octavius de Strada, das die römischen Herrscher mit Bild und Kurzporträt vorstellte. Obwohl der Herzog das Buch schon abgelehnt hatte mit der Begründung, das Manuskript bereits in gedruckter Form zu besitzen,347 drängte Forstenheuser erneut zu seinem Kauf. Er lobte die Güte des Werks und lockte mit einem möglichen Rabatt. Wie der folgende Brief zeigt, ließ sich August auch hier von seinem Agenten überzeugen: weiln dieselben des Stradae Buch, mit .102. Impp: mit der Feder von der handt fleißig gerißen auch gnedigst begern, thue ich solches hiemit in ein geschmeidigen, mit waxtuch verwahrten küstlein gleichermassen vnderthönigst überschicken, welches man für die .60. Rthaler vnd anderst nicht lassen wollen, es wirdt bey einer Bibliothec oder kunstCammer wohl stehen.348

345 Vgl. 92 Novi, fol. 65r (16. September 1654) und 70r. Er fand heraus, dass der Maler, ein Florentiner namens Antoni Kotti, bereits verstorben war. Vgl. 92 Novi, fol. 71v. 346 92 Novi, fol. 65r–v. 347 Octavius de Strada: De Vitis Imperatorum Et Caesarum Romanorum, Tam Occidentalium Quam Orientalium, Nec Non Uxorum Et Liberorum Eorum …: inde a C. Iulio Caesare, primo Monarcha, usque ad D.N. Imperatorem, Caesarem Matthiam, una cum eorum effigiebus & symbolis …; Opus Novum Ac Longe Praeclarissimum / Olim Incredibili labore … Octavii De Strada a Rosberg, Civis Romani … congestum & adornatum: Nunc Vero … publici iuris factum Cura Et Impensis Octavii De Strada a Rosberg, Domini Authoris piae memoriae, filii & haeredis. Frankfurt a. M.: Johann Bringer 1615. Vgl. VD17 23:263160P und HAB M: Fg 4° 97 und A: 76.1 Quod. 2° (2). 348 92 Novi, fol. 68r–v (7. Oktober 1654).

4.2 Die Rolle der Buchagenten



357

Forstenheuser nannte in Bezug auf die mögliche Verwendung nur allgemein eine Bibliothek oder Kunstkammer. Das lässt durchblicken, dass er eine Aufstellung in der Augusta nicht erwartete und es durchaus üblich war, besondere Bücher auch in einer Kunstkammer unterzubringen. Die Grenze zwischen Bibliothek und Kunstkammer war in dieser Zeit fließend, denn bis ins 18. Jahrhundert unterschied der Sammler noch nicht zwischen Objekten und Büchern.349 So offerierte Forstenheuser auch kurz darauf einige Bücher diesmal explizit für die Kunstkammer Herzog Augusts und nicht für seine Bibliothek: hiebey haben EFD auch eine Designation vnderschiedlicher schöner kunstbücher in gnaden zu empfahen, hierüber dieselben ob solche annehmlich sein, sich gnedigst resolviren wollen, verhoffe solche bücher würden in EFD kunst Cammer wohl stehen, dann dergleichen nicht allzeit zufinden sein.350

Es folgten noch weitere Einzelangebote, gelegentlich auch zu fremdsprachigen Büchern: warbey auch ein verzeichnus vber 5. Spannische bücher, welche auch in Spannien getruckt vnd gebunden seind, die will man für .7. Rthaler geben, wan sie darfür EFD gnedigst belieben mögen, dan ist ein raer buch vorhanden in folio getruckt, in schweinen leder gebunden vnd mit claußurn sauber beschlagen, darbey auch figurn seind, den inhalt dessen, ist wie hiebey beschrieben außweißet, daß will aber vnder 7. Rthr nicht gegeben werden.351

In diesem Fall ging es um spanische Drucke. Bis auf die Preisangabe werden sie nicht weiter spezifiziert. Auch für das nachstehend erwähnte Buch verwies er auf eine beigefügte Beschreibung und beschränkte sich auf spezielle äußere Merkmale und den Preis. Die Information über die Kosten scheint hier wichtiger als die grundlegenden Angaben über Autor, Titel und Jahr, was bezeugt, welch große Rolle der Preis für Herzog August spielte. Die vorgestellten Überzeugungsversuche Forstenheusers, die häufig von Erfolg gekrönt waren, verdeutlichen zudem den Einfluss, den er auf die Kaufentscheidung des Herzogs nehmen konnte. Katalogzusendungen Eine der Hauptaufgaben des Agenten beim Buchkauf im größeren Stil war die Zusammenstellung und Übersendung von Katalogen. Dafür musste er zunächst Quel-

349 Vgl. Jill Bepler: Zur Einführung. In: Barocke Sammellust. Die Bibliothek und Kunstkammer des Herzogs Ferdinand Albrecht zu Braunschweig-Lüneburg (1636–1687). Ausstellung im Zeughaus d. Herzog-August-Bibliothek vom 28. Mai bis 30. Oktober 1988. Ausstellung und Katalog: Jill Bepler. Weinheim: VCH, Acta Humaniora 1988 (Ausstellungskataloge der Herzog-August-Bibliothek; Bd. 57), S. 9–12, S. 10. 350 92 Novi, fol. 71v–72r (28. Oktober 1654). 351 92 Novi, fol. 196v (12. Juli 1656).

358  4 Die Aktanten im Wissensraum Buchhandel

len ausfindig machen, wo und von wem eine größere Menge Bücher veräußert werden sollte. Der häufigste Grund dafür war die Auflösung bestehender Privatsammlungen aus Geldmangel oder der Verkauf durch die Erben nach dem Tod ihres Besitzers. Wie genau die Auswahl der Bücher über einen Katalog erfolgte, erläuterte Forstenheuser in einem seiner Briefe. Auf Befehl des Herzogs schickte er am 20. August 1642 ein solches Verzeichnis zurück an Hainhofer und hatte »Jhme darbey geschrieben, das EFG die Jenige bücher, die mit dem + in marg. notiret gl. begern vnd [er sie] für dieselben erkauffen solle«352. Neben den gewünschten und mit einem Pluszeichen markierten Titeln, waren die, die nicht gekauft werden sollten, oft zusätzlich durchgestrichen. Bücher wiederum, die nicht eindeutig identifiziert werden konnten oder bei denen Unklarheit bestand, waren mit Anmerkungen versehen, die meist genauere Informationen erfragten. Um mit Hilfe der Kataloge möglichst sicher und schnell nachvollziehen zu können, ob ein Werk bereits in den Beständen der herzoglichen Bibliothek vorhanden war, mussten sie in erster Linie vollständige Titelangaben enthalten. Dass das, wie bereits festgestellt, ein wichtiger Punkt war, bezeugt ein Brief Forstenheusers von 1639: »vnd weiln EFG gnedig erinnern, wan forders catalogi gesandt werden, das man die was weitleüffiger mit andeütung der titel gebe, als soll es nun mit deme, so des nechsten vorigen wirdt in acht genohmen werden«353. Die zentrale Schwierigkeit des Buchkaufs per Katalog lag allerdings neben möglicherweise fehlerhaften oder unvollständigen Titelangaben in dem Bestreben der Verkäufer, den Bestand möglichst geschlossen zu veräußern. Diese Problematik trat schon bei der Darstellung der Augsburger Agenten zutage und bestätigt sich in der Arbeit Forstenheusers. Die bücher laut des indicis, so EFG mir vor disem in gl. wider zuruckh geschickht, vnd davon ein anzahl, solche zuerhandlen mir gnedig bevelch auffgetragen, habe ich vermeint selbe zu erheben, aber man wolt sie nicht von einander geben, sondern zusammen verkaufft wissen, vnd wan auch die außgezeichneten bücher zuhaben geweßen, were doch der Tax so hoch gespant worden, daß keiner comparation gleich gesehen hette, also habe ich im namen Gottes geschlossen, vnd baar gelt 190 fl vor die bücher alle zusamm zugeben mich bewilliget, die werden innerhalb 8. oder lengst 14. tagen mir herein gefürth werden, Es seindt zwar etliche, wie der verkauffer bericht, so er verehrt hette davon kommen, vnder EFG verzeichneten büchern ist nur eines hinweg als das n°. 57. Theatrum Al: ortelis354, wan EFG die vbrigen nicht behalten wollen, bin ich vhrbietig selbe selbsten, wie EFG dieselbe mir in gnl. vberlaßen werden, anzunehmen.355

352 Niedersächsisches Staatsarchiv 1 Alt 22 Nr. 178, fol. 117r. 353 Niedersächsisches Staatsarchiv 1 Alt 22 Nr. 178, fol. 40r (21. Dezember 1639). Um Fehlkäufen vorzubeugen, konnte der Agent außerdem ein Ansichtsrecht zur Autopsie des betreffenden Buches erwirken oder Kopien der ersten Seiten anfertigen lassen. Vgl. 91 Novi, fol. 378r–v (18. Dezember 1652). 354 Gemeint ist wahrscheinlich das Theatrum Orbis terrarum von Abraham Ortelius, es ist aber unklar, um welche Ausgabe es geht, da auch in der HAB verschiedene vorhanden sind. Vgl. u. a. HAB M: Cb gr.-2° 91 oder M: Cb 2° 22.

4.2 Die Rolle der Buchagenten

 359

Der Verkäufer wollte die Bände nicht einzeln abgeben und um zu garantieren, dass es nicht zum Einzelverkauf kam, setzte er den individuellen Preis der Bücher deutlich überhöht an. Forstenheuser kaufte daraufhin alle Titel für 190 Gulden. Interessant ist besonders sein Nachsatz, in dem er angab, die überzähligen Bücher bei Nichtgefallen selbst zu nehmen, sofern der Herzog sie ihm überlassen wolle. Diese Passage illustriert zwei wichtige Dinge im Verhalten des Agenten beim Buchkauf. Erstens entschied er hier entgegen seiner Order die komplette Titelliste zu erwerben und argumentierte dabei mit der dadurch resultierenden Preisersparnis. Seine Formulierung lässt vermuten, dass er nicht befürchtete, den Herzog damit zu verärgern. Er handelte also selbstständig und mit Eigeninitiative. Zweitens äußerte Forstenheuser mit dem Wunsch, die zuviel erworbenen Werke zu behalten, selbst Interesse am Buchkauf, was durch gelegentliche Erwähnungen seiner eigenen Bibliothek noch unterstrichen wird.356 Ebenfalls 1643 schickte er einen weiteren Katalog, diesmal von der Bibliothek eines verstorbenen Dr. Schopper: Auff EFG gnediges begern, habe ich zwen cathalogos vber herrn D. Schoppers Seel. hinderlaßene bücher erlangt, so hiemit […] vbersandt werden, dieße bücher seindt zusammen vmb 372. fl geschäzt worden, nun ist der gebrauch alhier das beÿ der schatzung nicht darunder, sondern darüber, wan es zum verkauff kombt, hinweckh gegeben werden, vnd sonderlich hat man den einen catalogum der bücher, wie es dan in dem vördern blat verzeichnet, vor gedachtes dr. Schoppers seel. hinderlaßenes junges Söhnlein behalten wollen, ich aber habe gerathen man solle solche bücher, weil das Kindt allererst Ein Jahr alt ist, verkauffen, dem rath man nun gefolgt, vnd die bücher waß in beedes catalogis verzeichnet zusammen vmb 350 fl baar gelt gelaßen worden, […] D. Schoppers Seel. wittibe läst vnderthenig bitten, baide catalogos Jhr wider zuruckh zuschickhen.357

Auch hier wird das Bestreben der Erben deutlich, den Bestand als Ganzes zu verkaufen, indem nur ein Gesamtpreis für alle Bücher zusammen angegeben wurde. Aufschlussreich ist der Hinweis auf die in Nürnberg übliche Praxis, den späteren Verkaufspreis höher anzusetzen als den Schätzpreis. Forstenheuser gab allerdings als möglichen Kaufpreis 350 Gulden an, was unter dem Schätzwert von 375 Gulden liegt. Möglicherweise wollte er so sein Verhandlungsgeschick hervorheben. Jedenfalls stellte er seinen persönlichen Einsatz im Fall der Bücher Schoppers heraus, indem er erzählte, dass es ihm gelungen war, Titel auf die Verkaufsliste setzen zu lassen, die man ursprünglich für Schoppers Sohn zurückbehalten hatte.

355 90 Novi, fol. 20v (25. März 1643). 356 Ob Forstenheuser tatsächlich einige der Bücher behalten durfte, ist unklar, denn die nächste Erwähnung besagt nur allgemein, dass er sie auf Befehl verschickte. Vgl. 90 Novi, fol. 25r (13. Mai 1643). 357 90 Novi, fol. 44v–45r (2. Dezember 1643).

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Des Weiteren übermittelte Forstenheuser die Bitte der Witwe, die Kataloge nach ihrer Durchsicht wieder zurückzuschicken, wie es auch üblich war. Mit der Rücksendung aber ließ sich der Herzog Zeit. Mitte Januar 1644 erinnerte der Agent erstmals daran, die Kataloge zurückzusenden, mit dem Hinweis, dass die Familie keine Abschrift davon besaß. Oft wurde der Katalog extra für den Verkauf handschriftlich in nur einer einzigen Fassung ausgefertigt. Eine zweite Erinnerung folgte wieder einen Monat später im Februar.358 Kurze Zeit danach ergänzte Forstenheuser seine nächste Erwähnung der Kataloge mit der Vermutung, dass die Bücher nicht erhandelt werden sollten: »weil EFG beÿ vberschickhung der Catalogorum nichts gedacht, so achte ich das solche bücher nicht annemblich sein werden.«359 Das ist der letzte Hinweis auf die Schopperschen Bestände und es ist anzunehmen, dass der Kauf nicht zustande kam. Einige Jahre beschäftigte sich Forstenheuser nur wenig mit dem Buchkauf größeren Stils, sondern bot nur einzelne Bücher an bzw. suchte sie auf direkte Anordnung hin zu beschaffen. Erst im Juli 1651 folgte dann die nächste Katalogzusendung über eine größere Menge zum Verkauf stehender Bücher im geschätzten Gesamtwert von 1.257 Reichstalern: die Jüngsthin angedeite designation vber vnderschiedliche bücher von lautern manuscriptis in fol.° quart, vnd octav, haben EFG beygeschlosßen auch gnedig zuempfahen, diße wie Sie beschrieben vnd taxirt, belauffen sich zusammen vff .1257. Rthaller, Es hatt einer albereit .1000. Rthler darfür geben wollen, er hatt Sie aber nicht bekommen können, Ein vornehmer Mann, der solche manuscripta besehen, vnd wohl verstehet, sagt, daß viel darunter recht raere antiquiteten, die man wenig zur zeit gesehen, oder sonst finden mag, da nun EFG hierzu gnedig belieben tragen, sollen dieselben vff dero gnedigen bevelch mit erster Fuhr überschickt werden.360

Die Antwort des Herzogs ließ diesmal nicht lange auf sich warten. Der Agent berichtete bereits am 9. August, dass er sich in Verhandlungen über die im zurückgesandten Katalog markierten Titel befand: »was den zuruck gesandten Bücher Cathalogum betrifft, bin ich solcher bücher halben in tractation, darvon deß negsten EFG vnderthönig bericht erfolgen solle, man kombt eben vngerne an die Zertheilung dißer bücher.«361 Der gewünschte Teilkauf bereitete auch hier wieder Probleme. Im nächsten Schreiben konnte Forstenheuser trotzdem den Erfolg vermelden, nur etwa die Hälfte der Bücher im Wert von 600 Reichstalern erstanden zu haben.362

358 Vgl. 90 Novi, fol. 54r und 62r. 359 90 Novi, fol. 63v (24. Februar 1644). 360 91 Novi, fol. 270r–v. 361 91 Novi, fol. 273r. 362 Vgl. 91 Novi, fol. 274r.

4.2 Die Rolle der Buchagenten

 361

Im darauffolgenden Jahr schickte er gleich zwei Verzeichnisse auf einmal. Aus diesen hob er zwei Werke als besonders wertvoll und empfehlenswert hervor, ein Kunstbuch von Dürer363 und den Theuerdank364: dann so thue EFD ich zwey vnderschiedliche verzeichnußen, etzlicher vornehmen, vnd dann alten bücher übersenden, so mir ein gutt freündt, zuerkauffen angebotten, vnd den negsten preß darbey gesetzt, des Albrecht dürers kunstbuch, ist schön vnd seines gelts wohl wehrt, man würdt dergleichen alhier nicht finden, seint auch sonsten wenig exemplar vorhanden, weiln die alle in andere Landt kommen: So ist der Teüerdanck ein drefflich schönes buch, so ein reiner truck vff schönem pergament, alß ob es ein gutter Schreiber geschrieben hette. diße zwey bücher werden EFD zu dem künfftigen heyl: Christ wohl anlegen. den tax zu den alten büchern will man mir des negsten auch verzeichnet geben, welcher dann EFD von mir vnderthönigst solle gesandt werden, mich bedunckt, wann EFD die Jahr so von anfang der Truckerey wie die bücher gedrucket, vnd nach ein ander vff .30. oder 40. Jahr folgen (.da dieselben solche vorhin nicht haben.) zuesammen brächten, auch der Truck an vnderschiedlichen ohrten beschehen, es würde bey andern büchern sehr wohl stehen.365

Im nächsten Brief erklärte Forstenheuser, dass sein besagter Freund noch eine weitere ausführlichere Liste aufsetzen und ihm erst anschließend die Preisliste nachliefern wollte.366 Am 27. November 1652 folgte dann das neue Verzeichnis zusammen mit den Preisen. Die aufgeführten Bücher lobte er als »raer«367 und riet damit besonders zum Kauf derselben. In einem weiteren Brief pries er erneut das Dürerbuch und den Theuerdank als außergewöhnlich an und ergänzte, dass er sie für die Hälfte des Geldes zu sich genommen hatte, um sie sich zum Kauf zu reservieren unter der Bedingung, den angezahlten Betrag von 150 Reichstalern vom Verkäufer erstattet zu bekommen, sollte sich August gegen den Kauf entscheiden: den Tewerdanck, vnd das dürerische buch will der Jenige zuesammen vffs negste für 300. Rthlr lasßen, er gebe, Sie sonsten nicht darumb, wo er nicht geltes von nöthen were, Sie seint

363 Welches Buch von Dürer gemeint ist, ist so nicht feststellbar. 364 Kaiser Maximilian I.: Die geuerlicheiten vnd einsteils || der geschichten des loblichen streyt=|| paren vnd hochber[ue]mbten helds || vnd Ritters herr Tewrdannckhs ||. Nürnberg: Johann Schönsperger d. Ä. 1517. Vgl. VD16 M 1649 und HAB A: 1.1.1 Poet. 2°. 365 91 Novi, fol. 361r–v. 366 Vgl. 91 Novi, fol. 264r–v. 367 91 Novi, fol. 368. Das Sammeln von Raritäten war in vielen frühneuzeitlichen Bibliotheken bestimmend in der Bücherauswahl. Die rasche Verbreitung des gedruckten Buches und die Suche der Humanisten nach überlieferten antiken Texten beeinflusste im 16. Jahrhundert die Etablierung der Vorstellung vom seltenen Buch. Seltene Titel wurden als raer bezeichnet, allerdings gab es dabei keine genaue Abgrenzung zum kuriosen Buch mit einer außergewöhnlichen Gestaltung oder Ausstattung. Vgl. Nadezda Shevchenko: Eine historische Anthropologie des Buches. Bücher in der preußischen Herzogsfamilie zur Zeit der Reformation. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte; Bd. 234), S. 129. Da Forstenheuser hier noch hinzusetzte, »daß vnder viel hunderttaußend büchern dergleichen nicht wird gefunden werden«, spielte er vor allem auf ihre Besonderheit an. 91 Novi, fol. 368v–369r.

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beide solcher .300. Rthler wehrt, dann Sie schön, vnd die dürerischen sachen sich sehr verliehren, so ist an dem Teuerdanck eine solche raritet, daß gentzlich dafür gehaltten wirdt, dißes sey das original geweßen, so kayßer Maximiliano prasentiret worden, Jch hab diße beyde bücher zu mir genommen, vnd dem Jenigen die helffte alß .150. Rthlr darauff geben, mit dem beding, wo EFD den kauff nicht soltten ratificiren, daß er mir daß gelt, gegen zuruckgebung solcher Bücher wider liffern solle.368

Er betonte außerdem den niedrigen Preis, weil der Verkäufer angeblich dringend Geld benötigte. Das Argument, ein Buch vergleichsweise günstig zu erwerben, durfte seiner Erfahrung nach beim Herzog auf Gehör stoßen. Bereits Anfang Dezember teilte August seine Entscheidung bezüglich des ersten Verzeichnisses der Bücher im Wert von 60 Reichstalern mit und wählte neun Titel zum Kauf aus. Forstenheuser erhandelte sie für 12 Reichstaler.369 Auch zu dem anderen Verzeichnis folgte noch im gleichen Monat die Anweisung, welche Bücher der Agent daraus erwerben sollte. Im Fall des Kunstbuchs von Dürer und des Theuerdanks versuchte August aber offenbar zunächst den Preis weiter zu reduzieren, indem er 200 Reichstaler für beide zusammen bot. Da der Händler um nicht mehr als 10 Gulden von den geforderten 300 abrücken wollte, versuchte Forstenheuser nun Überzeugungsarbeit zu leisten. Er äußerte die Meinung, dass der höhere Preis angemessen wäre und es gelang ihm für den Theuerdank ein Ansichtsrecht zu erwirken. Sofort schickte er den Band nach Wolfenbüttel, damit der Herzog sich selbst von der Schönheit des Buches überzeugen konnte mit der Bitte um Rücksendung bei Nichtgefallen: die in der anderweit zuruckgesandten verzeichnuß gnedigst begerte .31. bücher, hab ich zusammen für 80. Rthaller erhandlet, die sollen mit den vorigen 9. Stücken bey der Fuhr überschickt werden: die beyden bücher des dierers vnd Teuerdancks aber will man für die .200. Rthr nicht geben, sintemahln des dierers allein für .200. Rthr nicht mehr zubekommen, vnd sich seine sachen alhier bald gar verliehren werden, welches dürrerisch buch auch .200. Rthaller wehrt, wanns ein kunstliebender dem andern giebt, der wider was daran zuerhalten weiß, vnd halte ich nicht darfür, daß dergleichen eines alhier zuhaben ist: den Teuerdanck will man endlich vmb die .90. Rthaller lasßen, vnd damit EFD sehen, was es für ein schönes werck, hatt mir der Jenige selben EFD zu dem ende zu überschicken geben: daß wofern solcher deroselben für diß gelt nicht annehmlich, Sie Jhme bey negsten Potten wider zuruck senden mögen, haben also EFD solch buch hiemit in waxtuch eingebunden gnedigst zuempfahen, vnd darin zufinden, daß es vff die 300. blätter von lauter schönem pergament, vnd .118. Figuren all rein sauber vnd netto, auch wohl illuminirt, Ein gutt Freünd hatt mir dergleichen Teüerdanck vff papier gedruckt, vnd die Figuren auch illuminirt, aber das papier nicht von solcher größe, alß diß pergament ist, gewißen, der Jhn gar hoch vnd wehrt für ein sondere raritet heltt, allein ist solcher gegen obigem nichts, vnd wie tag vnd nacht zu vergleichen. So hatt mir auch ein frembder Mahler gesagt, daß er vnderschiedliche bücher dißes Teüerdancks gesehen, die man sehr aestimirt, aber Jhme nie keines vff Pergament auch von keinem so großen format, vorkom-

368 91 Novi, fol. 370r–v. 369 Vgl. 91 Novi, fol. 378v.

4.2 Die Rolle der Buchagenten



363

men, alß dißes, mir darbey angedeutet, daß er keinen Reichsthaler nehmen woltte, ein figur darin zu illuminiren, dreffen also die figuren schon über .118. Rthaller, dahero obiger 90. Rthaller wohl wehrt, vnd der Jenige vor dißem nie vnder .130. Rthaller geben wollen.370

August zögerte weiter mit seiner Entscheidung und Forstenheuser nahm daraufhin die Sache selbst in die Hand. Als der Herzog noch ein weiteres Buch bei dem gleichen Verkäufer erwerben wollte, ein Messbuch für 100 bis 130 Reichstaler, handelte er einen günstigeren Gesamtpreis für das besagte Messbuch, das Dürerische Kunstbuch und den Theuerdank über insgesamt 400 Reichstaler aus und kaufte die Bücher kurzerhand zu diesem Preis: neben anderm gehorsambist darauß vernuhmen, wie dieselben daß Meßbuche vermög überschickter beschreibung gnedigst begeren, wann es vmb .100. Rthaller zuerhaltten vnd da man etwan ein 20. oder 30. Rthaller noch darüber begern soltte, seyen EFD dessen auch gnedigst zufriden: wie aber der Jenige vngerne daran kommen, vmb ein solches daßelbe zugeben, vnd bestendig vff den 200. Rthallern beharret, nie anderst zulasßen, weiln es wegen der angedeiten Mahlerey darin, ein so schönes werck, vnd sonderliche raritet, hab ich Jhne doch dahin gebracht, weiln er der ist, welcher auch des Albrecht dürers kunstbuch vnd den gesandten Teyerdanck gehabt, diße bücher alle drey vmb die .400. Rthler zusammen zugeben; Solchem nach, weiln Sie es auch wehrt seint, vnd ich auß den händen nicht lasßen wollen, hab ich endlich darauff abgedruckt, vnd Jhme .400. Rthaller darfür bezahlt, nicht zweifflend, EFD darmit auch also gnedigst zufriden sein werden: vnd will ich nun des dürers vnd daß Meßbuch, mit den vorigen zweyerley erhandleten büchern, des negsten bey der Fuhr vnderthönigst überschicken.371

Der Agent war sich seiner Aussage nach sicher, dass Herzog August mit seinem Vorgehen einverstanden war. Er baute hier wahrscheinlich auf seine Erfahrung, dass der Herzog in Bezug auf Bibeln und Messbücher großzügiger war als bei profanen Schriften. Außerdem hoffte er wohl auch auf die Überzeugungskraft des bereits geschickten Theuerdank, womit er tatsächlich recht behielt: Benebenst gehorsambist gerne vernuhmen, daß der überschickte Teuerdanck, so Ja ein recht schönes buch, zu EFD gnedigstem contento geweßen, zweiffele gantz nicht, die andern zwey, alß des dürers kunst: vnd daß Meßbuch, werden auch zu EFD gnedigstem wohlgefallen sein, welche zu den andern erkaufften büchern gebacket.372

Die Kataloge wurden, wie bereits erwähnt, handschriftlich erstellt und ihre Abfassung war für den potenziellen Käufer in der Regel kostenfrei. Es konnte aber auch vorkommen, dass August von Forstenheuser gebeten wurde, schon die Erstellung eines Verzeichnisses zu honorieren, selbst wenn er kein Buch daraus erwerben wollte:

370 91 Novi, fol. 381v–382r. 371 91 Novi, fol. 385v–386r (1. Januar 1653). 372 91 Novi, fol. 388r (15. Januar 1653).

364  4 Die Aktanten im Wissensraum Buchhandel

ich finde, das gedachter H. wilhelm im hof vor beede übersande verzeichnußen gerne .10. Rthr hette, stehet also bey EFD ob dieselben in dergleichen praecio solche anzunehmen, vnd das gelt darfür außzuzahlen, mir gnedigst bevehlen werden, der gutte Mann bedarff eben des geltes hochnöthig.373

Trotz der notwendigen Zuverlässigkeit der Kataloge blieb es nicht aus, dass Fehler bei ihrer Zusammenstellung gemacht wurden. So entschuldigte sich Forstenheuser beispielsweise am 18. August 1655 dafür, dass sechs vermisste Bücher fälschlicherweise in einen Katalog aufgenommen worden waren: was EFD wegen der Jüngsthin zuruck gebliebenen 6. bücher in folio, warunter dieselben sonderlich des Boccaty centuram novellas374 verlangen widerumb gnedigst gedencken, daß solche auch noch noch [sic!] überschickt werden mögen, würden diße gewißlich nicht vor enthaltten, vnd gerne auch volgendts dargegeben, wann solche sich nur noch finden theten, wie dann mit allem fleiß selbe nachzusuchen, man sich erbieten thuet. Es seint auß einem Catalogo, der so in richtiger ordnung nicht ist wie er sein solle, die Jenige außgezeichnet, wie die verzeichnuß darvon überschickt, nach den büchern aber ehe nicht gesehen, ob Sie alle vorhanden, biß die begert worden, hernach sich diße im abgang befunden, Soltten sich aber solche Bücher noch, oder in ein oder andern Bibliothec finden, will ich nicht vnderlassen, wie ich darzue kommen könne, vnd selbige noch vnderthänigst überschicken.375

Insgesamt überwiegen die Katalogzusendungen die Angebote einzelner Bücher. Im Fall ganzer zum Verkauf stehender Sammlungen lohnte sich die Übermittlung für den Agenten, da hier die Chance höher war, dass sich darunter Titel befanden, die noch nicht in der Augusta vorhanden waren. Höhepunkt der Bucherwerbung über Forstenheuser: 1655/56 Forstenheuser konzentrierte sich Ende 1654 bis zum Jahr 1656 deutlich stärker auf den Buchkauf. Diese Jahre fallen bezeichnenderweise in den Zeitraum der aktivsten Sammeltätigkeit Herzog Augusts. Zwischen 1653 und 1661 kaufte der Herzog, wie vorgestellt, fast doppelt so viele Titel wie in den Jahren zuvor. Der Agent hatte hier wohl ein Gespür für das gesteigerte Interesse seines Auftraggebers, aber auch das Angebot war in diesen wirtschaftlich schwachen Jahren besser. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Forstenheuser zu mehr Aktivität in diesem Bereich aufgefordert worden wäre. Da er in der Regel die erhaltenen Befehle direkt wiederholte oder indirekt darauf Bezug nahm, scheint diese Option eher unwahrscheinlich. Offenbar wurde in diesem Zeitraum nicht jede einzelne Katalogzusendung von Forstenheuser eigens in seinen Briefen erwähnt. Das lässt zumindest eine Bemer-

373 92 Novi, fol. 131v (21. Juli 1655). 374 Womöglich ist damit das bekannte Dekameron Giovanni Boccaccios, eine Sammlung von 100 Novellen, gemeint. 375 92 Novi, fol. 137v.

4.2 Die Rolle der Buchagenten 

365

kung vom 4. November 1654 vermuten. Hier verwies er auf einen drei Wochen zuvor zugesandten Katalog: wie EFD die bücher, vermög des vor 3. wochen übersanden Catalogi alle behaltten wollen, vnd nur zuruckbleiben sollen n.° 12. Procopius Graecus, vnd n.° 19. Wintertheil der Legenden,376 sofern es gleiches Jnhalts mit dem n.° 2. wo aber nicht? köndten Sie beede n.° 2. vnd .19. übersandt werden. hierauff berichte EFD ich hinwider vnderthönigst, das von solchen Jeztbemelten beeden büchern Jedes seines absonderlichen Jnhalts ist, also mit den andern genomen, vnd erhandlet, sodann eingebacket, vnd überschicket werden sollen.377

Lediglich in der voherigen Woche hatte der Agent ein Verzeichnis mehrerer Kunstbücher angekündigt und davor war von September bis Oktober nur von einzelnen Buchangeboten die Rede. Zudem nahm Forstenheuser im folgenden Schreiben Bezug auf seine Katalogzusendung vom 28. Oktober 1654, weshalb diese auch tatsächlich nicht gemeint sein kann: auß der zurckgesandten verzeichnuß gehorsamblich vernommen, was dieselben von den büchern gnedigst begern, die ich nun auch erhandlet, allein das pro .60. Rthaler angesetzte büchlein in .8.° in Schwartz Sammet gebunden, vnd mit Silber beschlagen, anderst nicht alß für .50. Rthaler haben können, welches ich seiner acht vnd darinn begriffenen kunst nach, nicht wollen stehen lassen, die will ich nun gnedigst anbevohlenermassen, mit den andern büchern, in ein küsten einbacken, vnd mit einer Fuhr überschicken.378

Schon mit dem nächsten Brief schickte der Agent zwei weitere Kataloge, gab zusätzlich ein Angebot über 200 Quartbände weiter und bat im Gegenzug wieder um Zusendung einer neuen Beschreibung von Ausgaben, die in der herzoglichen Bibliothek noch fehlten: hiemit haben EFD zwey verzeichnußen vnderschiedlicher bücher mit Lit. A. vnd B. gemercket, in gnaden zuempfahen, ob solche für dieselben sein werden, will ich hierüber gnedigster resolution vnderthönigst erwartten. Es seint auch über die .200. starcke dicke bündt in quarto vorhanden, worinnen Lauter Tractetlein offt in einen 10: 20: mehr vnd weniger beysammen gebunden sein, der meiste theyl derer sehr alt vnd nachdencklich, auch nicht wohl mehr zu haben seint, das stuck will vor 2/32. Rthaler gegeben werden. Jch erinnere mich, daß EFD vor etlichen Jahren, der alten Patrum, ob dißelben zu haben, in gnaden gedacht haben, da nun deroselben noch etliche mangeln, vnd bißhero nicht erlangt haben, wollen EFD mir was mangelt eine Designation in gnaden zuschicken lassen, ich verhoffe derer zuerlangen, die alte editiones werden sehr gesucht, weiln die newe editiones meistentheils castrirt worden sein.379

Eine Woche später am 9. Dezember 1654 übermittelte Forstenheuser einen Katalog mit 40 Büchern für je 2 Reichstaler, »weiln EFD zu alten Büchern gnedigst belieben

376 377 378 379

Die Angaben sind zu ungenau, um die Bücher identifizieren zu können. 92 Novi, fol. 73r. 92 Novi, fol. 75r. 92 Novi, fol. 76r–v.

366  4 Die Aktanten im Wissensraum Buchhandel

tragen«380. Er fügte auch noch ein weiteres Angebot zu einem 1507 in Basel gedruckten Werk über die Päpste hinzu.381 Die bereits erwähnten 200 Traktatbände wollte Herzog August ungewöhnlicherweise komplett erstehen. Der Verkäufer ließ sich zwar nicht auf weniger als 1 Gulden pro Stück herunterhandeln, aber Forstenheuser schlug als Zugabe noch 30 weitere Bände heraus, sodass er insgesamt 230 Stück kaufte.382 Noch im gleichen Monat Dezember folgten weitere Nachrichten zum Buchkauf: »ob denen daebey remittirten zweyen letzten bücher verzeichnußen ersehen, daß EFD solche, weiln Sie die vorhin in dero Bibliothec haben, nicht begern«383. Im Anschluss daran erinnerte der Agent an zwei übersandte umfangreichere Bücherverzeichnisse, die er offenbar ebenfalls nicht in den früheren Briefen erwähnt hatte. Wie zuvor fügte er obendrein ein ausführliches einzelnes Angebot zu einem Stammbuch an: dann ist von Jungfrawen Perament vorhanden ein Stambuch in octavo, so zwar nicht gebunden, welches vff die .112. vnderschiedliche wappen vnd figuren hatt, darunter auch fürstl: vnd anderer herrn Standts wappen sein, darbey meisten theilß vornehme gelehrte Leüth mit aignen handen geschrieben, auch noch hierüber .16. Persohnen Jhre hände hinein gezeichnet, aber nicht darbey gemeldet worden, daß will auf das negste vor .20. Rthaler gegeben werden, ob EFD solches gnedigst begern, erwartte ich gnedigsten befelehes dißes buch hatt gehört Christof Höflichen, so vor viellen Jahren gestorben, war Comes Palatinus, vnd ist bey Einen Edlen Rath alhier geheimer Registrator geweßen, würde sehr geliebt, vielmals verschicket, ein gutter Poet vnd von außlendischen sehr wehrt gehaltten.384

Im nächsten Schreiben vom 6. Januar 1655 heißt es: wie EFD die noch restierenden bücher mit den kupfferstücken, dieweiln Sie gesehen haben, daß deroselben die so übersand, nicht übel gefallen, auch behaltten, vnd zuüberschicken gnedigst begern: hab ich hierauff solche gleich erhandlet, vnd gekaufft, aber anders nicht alß in vorigem überschriebenen preiß erhaltten können, weiln man vorhin das eißerste gethan, vnd das man gelt bedarff weck geben, sonsten Sie wohl nicht vmb dißes fail geweßen: gleichwohl aber in dem kauff noch .2. bücher gedingt, die aber aller erst, die küsten gebackt geweßen, gelieffert worden, solche sollen mit anderer erster übersendung, da von EFD in gnaden was begert mit eingebackt vnd fortgeschickt werden EFD haben sonsten obige bücher hiebey noch mahl verzeichnet gnedigst zubefinden, dreffen mit vncosten zusammen .651 1/3. Rthr, Solcher bücher seint in allem .59. so eine zimliche starcke küsten abgeben von 5 1/4 ct. schwer, vnd

380 92 Novi, fol. 80v. 381 Johannes Stella: Vite ducentoru[m] et triginta su[m]morum po[n]tificu[m]: a beato petro apostolo vsq[ue] ad Julium secundu[m] modernum Pontificem. Basel: Michael Furter 1507. Vgl. VD16 S 8847 und HAB A: 68.1 Quod. (7) und A: 206 Theol. (1). 382 Vgl. 92 Novi, fol. 82r. 383 92 Novi, fol. 84r (30. Dezember 1654). 384 92 Novi, fol. 84v.

4.2 Die Rolle der Buchagenten

 367

des kayßers Maximiliani Ehrenport385, welche Albrecht dürer gemacht, so sauber illuminirt, in ein kleine schmale lange küsten gebackt, die 3/4 ct. vnd beede zusammen 6. ct. gewogen.386

Forstenheuser berichtete hier von 59 gekauften Büchern im Wert von knapp 650 Reichstalern, die zusammen 5 ¼ Zentner wogen. Mit einem solchen Gewicht hatte auch der Agent Hirt seinen größten Buchkauf für die Augusta beziffert. Im Gegensatz zu dem Augsburger gab Forstenheuser stets die Schwere der Kisten für die Fuhr mit an, betonte an dieser Stelle aber ebenfalls das besondere Volumen dieser einzelnen Sendung. Am 27. Januar informierte der Agent über den Versand des Stammbuchs. Da auch der restliche Brief in der Hauptsache den Buchkauf betrifft, wird er hier ausnahmsweise vollständig zitiert: AF / EFD werden mein Jüngstes vor 8. tagen mit den gewöhnlichen beylagen vnd überschickten Stambuch, hoffentlich gnedigst vnd zurecht erhaltten haben, so habe deroselben an mich abgangenes gnedigstes schreiben vom .15. huius auß dannenberg, mit vnderthönigster Ehrerbietung auch empfangen, vnd das mitgesande nacher Augspurg vershafft, benebens gehorsambist vernuhmen, das EFD von den letzt übersandten kunstbüchern .18. Stuck alß n.° 9. 12. 15. 34. 35. 36. 38. 55. 56. 57. 60. 65. 66. 67. 68. 69. 70. vnd die Ehrenporten Maximiliani mit n.° 72. wider zurucksenden, vnd den wexel soviel geringer alß .202. Rthaler an den .651 1/3. Rthr außzahlen werden. hierauff berichte EFD ich hinwider vnderthönigst, als dieselben mit dero vom .26. decembriß abgangenen gnedigsten Schreiben, mir volgendes gnedigst zu vernehmen geben: Belangend die noch restierenden bücher mit den kupfferstücken, die weil wir gesehen haben, dieselbige so übersandt vnd vnß nicht übel gefallen, alß wollen wir die restierende auch behaltten, vnd können auffs gennaueste gedinget, nebens den vngebundenen tractetlein vnß zugleich in einem kasten übersand werden: hab ich hierauß anders nicht verstehen können, dann das EFD noch alle so restiert, gnedigst haben wollen: Also hab ichs auch volgents mit einander genohmen, vnd dem Jenigen bezahlt, Es haben zwar EFD vorher alß Sie anfangs nur die ersten übershickten .11. Stuck bücher, auß der damahln zuruckgesandten, vnd wider hiebey befindlichen in gnaden begerten verzeichnuß, gnedigst beschrieben, mit zusezen lassen, daß EFD n.° 9. Fürstl: auffzüeg vnd Ritterspiel zu Stuttgard .1609 dann n.° 12. Hortum Palatinum .n.° 36. Turnier buch, Jtem die .5. illuminirten Stättbücher von n.° 66. ueg ad .70. inclusivè, vorhin in dero Bibliothec haben welche .8. bücher .89. Rthr dreffen, also wann Je diße EFD nicht haben woltten (.wie wohl ich, gleich obgedacht, nicht anders verstanden, alß das Sie solche alle zubehaltten gnedigst begert.) solche wider geschickt werden können, die überigen .10. Stück aber dieselben noch behaltten, vnd solche etwan anderweits zu praesenten gebrauchen möchten, dann was widerumb zuruckkombt mir verbleiben würdt: Solchenfalls, wann nur .89. Rthler von obigem wexel abgehen, vnd ich seither soviel für EFD sonsten außgelegt: hab ich vnderthönigst bitten wollen, dieselben geruhen, besagten wexel der 651 1/3 Rthr völlig bezahlen zulassen, damit es bey den Förnbergischen nicht vngleiche gedancken geben

385 Bei dem Riesenholzschnitt Ehrenpforte, bestehend aus insgesamt 195 Stöcken auf 36 Großfoliobogen, »handelt es sich um den größten jemals geschaffenen Holzschnitt der europäischen Kunstgeschichte«. Stephan Füssel: Kaiser Maximilian und die Medien seiner Zeit. Der Theuerdank von 1517. Eine kulturhistorische Einführung von Stephan Füssel. Köln [u. a.]: Taschen 2003, S. 17. 386 92 Novi, fol. 86r–v.

368  4 Die Aktanten im Wissensraum Buchhandel

möge, ob ich mehr gelt auffnehme, alß ich zuthun befeleht were, vnd da ia alle .18. Stück wider verhoffen remittirt werden soltten, vnd deßwegen an mehr besagtem wexel die .202. Rthr zudefalciren, will ich solche, weiln ich zu meiner bißherigen außgab noch darzue 113. Rthr zuerstatten, mit deme ersetzen, was EFD irgent auß dem vorhin Jhro zugeschickten zweyen bücherverzeichnußen noch gnedigst begern mögen, oder deroselben hiernegst ein andere Designation übersenden von andern sachen, so mir seithero wider zuerkauffen angebotten worden, damit der wexel von .651 1/3 Rthr vnzergentzt bleibe, vnd mir bey den Förnbergischen alhier keine vngelegenheit causirte. Sonsten die 2. bücher so in dem kauff gegeben worden, belangend, seint darinnen lauter kupffer Stücke von vnderschiedlichen Meistern gemachet, die sollen wie Jüngsten vnderthönigst angedeitet, mit andern sachen, so EFD gnedigst begern werden, in eine küsten gebackt vnd gesand werden. was dann EFD wegen des bereütters, so deroselben ich vor dißem vorgeschlagen, gedencken, vnd solches, nachdem der Jhrige mit todt abgangen, gnedigst begern, ist derselbe zwar jezt wider alhier, aber in hiesicher Statt bestallung vnd sich häußlich gesetzet, also von hier nicht mehr weck kombt, were sonsten, wann er ledig, wohl ein qualificirt subiectum, weiln er ein gutter Reütter, Jch will nicht vnderlassen, deßwegen an ander ohrt zuschreiben, vnd so sich dergleichen finden mag, EFD darvon vnderthönigsten bericht erstatten: wie ich verstehe ist man zu Onoltzbach auch eines bedürfftig. Schließlichen haben EFD, hiebey gnedigst zuempfahen, was dißmals an dieselben von wien vnd Augspurg einkommen, darneben vnder meinen sachen ich auch des Bayrischen Creißes abschied vnderthönigst mitschicke, die darzue gehörige beylagen, soll ich noch bekommen, welche alßdann auch volgen sollen, / SF / Nürmberg, 27. Januar 1655.387

Hieraus geht auch ein für den Agenten unangenehmes Missverständnis hervor. Forstenheuser hatte eine Nachricht Augusts so verstanden, dass er weitere Bücher mit Kupferstichen aus einer größeren Auswahl ebenfalls zuschicken könne, da dem Herzog die Exemplare gefielen, die er bereits erhalten hatte. Zur Sicherheit und zur Untermauerung seines Standpunktes zitierte er die entsprechende Stelle aus Augusts Schreiben wörtlich. Der Herzog wollte nun aber, nachdem der Agent die betreffenden Bücher gekauft und nach Wolfenbüttel gesandt hatte, 18 davon wieder zurücksenden und nur die geringere Summe des Wechselbriefs bezahlen. Das brachte Forstenheuser in Schwierigkeiten, denn so entstand bei seinen Geschäftspartnern der Eindruck, dass er vorschnell und ohne direkte Anweisung gehandelt hatte – eine nicht unbedeutende Gefahr, die einem Agenten drohte, der selbstständig handelte. Schon im nächsten Brief bat er August noch einmal, den Wechsel in voller Höhe zu bezahlen. Wie sehr ihm eine geringere Auszahlung geschadet hätte, verdeutlichen seine wiederholten Bitten um vollständige Begleichung der Summe. Er schlug sogar vor, den Betrag der zurückzusendenden Bücher stattdessen von seiner nächsten Rechnung abzuziehen.388 Ein guter Ruf war entscheidend für seine Geldgeschäfte, wie er auch immer wieder in seinen Schreiben betonte. Dieses Beispiel zeigt, welche Probleme dem Agenten dadurch entstehen konnten, dass er für

387 92 Novi, fol. 90r–91v. 388 Vgl. 92 Novi, fol. 92r und 95r.

4.2 Die Rolle der Buchagenten 

369

die Käufe des Herzogs in Vorkasse trat, aber auch dadurch, dass er selbstbestimmt agierte. Bei der Menge an Katalogen, die die Wolfenbütteler Residenz in dieser Zeit erreichten, war es nicht verwunderlich, wenn der ein oder andere dabei unterging. Im Februar 1655 erläuterte Forstenheuser die Umstände um zwei Verzeichnisse, die offenbar verloren gegangen waren: wie EFD sich der zweyen Catalogen nicht wissen zuerinnern, was es vor welche sein, weßwegen ich vnderthönigste anregung gethan, das dieselben darvon was gnedigst begern möchten. hierauff berichte EFD ich vnderthönigst, das selbige albereit zu end des Novembriß Jüngsthin von mir überschickt worden, worauff EFD vom .3.t decembriß auß dero Fürstl. Ambthauße Seeßen mir volgendes gnedigst zuvernehmen geben: Anlangend die Catalogos, haben wir dieselbe anfangs ein wenig perlustriret, finden mehrentheils dieselbe in vnßerer Bibliothec zuhaben, wir können aber außer vnßern Catalogis vnß cathegorisch nicht erkleren, wollens solange sparen, biß wir gönnts Gott, in vnßerm hofflager wider angelangt sein werden: wie nun solche Catalogi, alß EFD sich bißhero wenig bey dero Fürstl Residenz befunden, verlegt worden sein mögen, hab vff deroselben gnedigsten befelch ich solche hiebey nochmahl vnderthönigst übersenden wollen hierüber EFD gnedigste resolution gehorsambist erwarttend.389

Der Agent zitierte hier wieder aus einem der herzoglichen Briefe und der Abschnitt weist deutlich auf Augusts persönliche Beteiligung am Erwerbungsvorgang hin. Der Herzog schrieb, dass einige der Titel aus den Katalogen seines Wissens nach in seiner Bibliothek vorhanden waren. Er selbst befand sich zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht vor Ort, sondern in Seesen, weshalb er sich dabei auf seine Erinnerung berief. Trotz der großen Menge an Büchern schien er also einen guten Überblick über seine Bestände gehabt zu haben, auch wenn er die genaue Prüfung auf nach seiner Rückkehr verschob. Am 17. Februar 1655 schickte Forstenheuser erneut ein Verzeichnis ungebundener Bücher und kündigte ein weiteres an. Bereits zwei Wochen später bestätigte er, dass die aus dem ersten zurückgeschickten Katalog gewünschten Bücher erhandelt waren. Der Herzog reagierte folglich in dieser Zeit des verstärkten Buchangebots und -kaufs sehr zeitnah, denn schon wieder eine Woche darauf folgte die Nachricht, dass auch die Bücher aus einem zweiten Katalog gekauft und mit den anderen zusammen verschickt waren. Das zuvor angekündigte Verzeichnis ungebundener Bücher war damit allerdings nicht gemeint, denn im darauffolgenden Schreiben berichtete Forstenheuser, dass er diesen nun zusandte und bald noch ein weiterer folgen sollte. Im gleichen Brief nannte er drei weitere Kataloge, aus denen er Bücher erhandelt hatte. Am 24. März schickte er eine Liste mit 153 gebundenen Quartbüchern und wieder ein Angebot über 300 Quartbände zusammengebundener Traktate für je ⅔ Reichstaler das Stück.390 Anschließend werden in den folgenden Mona-

389 92 Novi, fol. 93r–v (10. Februar 1655). 390 Vgl. 92 Novi, fol. 94v, 96v, 98r, 100 und 102r.

370  4 Die Aktanten im Wissensraum Buchhandel

ten in fast jedem Brief Bücherverzeichnisse erwähnt, die er entweder beilegte oder die er zurückerhalten und aus denen er die ausgewählten Titel erhandelt hatte. Die Listen waren zumeist umfangreich und enthielten teilweise mehrere hundert Werke. Im Fall der 300 Quartbände verzögerte sich die Antwort des Herzogs. Mehrfach erinnerte Forstenheuser daran, dass er hierzu noch keine Nachricht erhalten hatte. Am 30. Juni 1655 schließlich präzisierte er offenbar auf Nachfrage, worum es sich dabei handelte: wegen der .300. Bücher in quarto berichte EFD ich vnderthönigst, alß deroselben ichs den .24. Marty Jüngsthin auch gehorsambist überschrieben, daß in solchen Quart büchern lauter tractetlein vnd viel gutte sachen, so zum theil nicht mehr zuhaben, zufinden, vnd seint offt in ein buch .30. 40. mehr vnd weniger zusammen gebunden, der tax ist den vorigen gleich, nemblich ein bunt p 2/3. Rthr, die Sie auch wohl wehrt seindt.391

Die Tatsache, dass mehrere Traktate jeweils in einem Band zusammengefasst waren, konnte bei einem Käufer wie Herzog August zu Problemen führen. So erklärte Forstenheuser im gleichen Brief bezüglich eines anderen Verzeichnisses, dass die fünf in Wolfenbüttel gestrichenen Traktate nicht weggelassen werden konnten, da sie mit fünf anderen gewünschten zusammengebunden waren: die von EFD in gnaden mir zuruckgesande Bücher verzeichnuß so H: wilhelm im hof vnderthänigst überschickt, habe ich gefunden, daß EFD darinnen etliche tractätlein alß an der zahl 5. außgestrichen, vnd selbige nicht begern, die andern aber überschickt werden sollen, darauff wird von mir vnderthönigst berichtet, daß solche bey den Jenigen gebunden sein, so EFD gnedigst begern zubehaltten, dann der tractätlein .10. in einem bundt beysammen sein, als 5. so nicht begert, die andern 5. aber vnderthänigst überschickt werden sollen, also Sie beysammen bleiben müssen.392

Forstenheuser machte zwei weitere Angebote zu je 300 solcher Quartbände. Diese Listen erstand Herzog August im Gegensatz zu seiner üblichen Buchkaufpraxis komplett, wohl wegen der vorstehend geschilderten Problematik beim Aussortieren einzelner Traktate. Das ganze restliche Jahr 1655 konzentrierte sich der Agent in seinen Briefen in erster Linie auf den Buchkauf. Zuvor hatten ihn unter anderem seine Pflichten der Nachrichtenübermittlung und des Geldtransfers zu sehr in Anspruch genommen. Der Aufgabe des Büchervermittelns widmete er sich mit dem gleichen Eifer und der gleichen Konsequenz wie bei seinen übrigen Pflichten. Gelegentlich drückte er sogar seine Begeisterung dafür aus, wie im Oktober 1655, als er in Bezug auf die Suche nach einem bestimmten Band hinzufügte: »werde mich selbst erfreyen wann

391 92 Novi, fol. 126r. Am 17. Juli hatte Forstenheuser schließlich die Bestätigung von herzoglicher Seite, dass alle 300 Stück für je ½ Reichstaler erworben werden sollten. Vgl. 92 Novi, fol. 130r. 392 92 Novi, fol. 126v.

4.2 Die Rolle der Buchagenten 

371

ich solchen erlangen kan.«393 Auch 1656 riss die Flut an Angeboten und Katalogen nicht ab. Erst im November dieses Jahres wurden die Nachrichten dazu wieder seltener. Geschenke Nicht jedes Buch für seine Bibliothek musste Herzog August kaufen, denn mit dem Ruf seiner Sammlung stieg auch die »Ehre« darin vertreten zu sein. Viele gelehrte Autoren versuchten ihren Werken einen Platz in der Augusta zu sichern, indem sie sie dem Herzog schenkten. Wollte ein Gelehrter August ein Buch zum Geschenk machen, wandte er sich allerdings nicht direkt an ihn, sondern trat zur Vermittlung an einen seiner Agenten heran. Obwohl beispielsweise Johannes Saubert selbst in Briefkontakt zum Herzog stand, trug er es Forstenheuser an, ein entsprechendes Anerbieten zu übermitteln, so etwa am 11. Juni 1642: herr Saubertus hat diese wochen ein kleine Bibliothec vmb 50 fl. gekaufft, vnter dießen büchern ist Gregorius de Valentia in duplo394, wan EFG solchen nicht haben kan derselbe vnderthenig gesandt werden, dießer guete eifferige Theologus hat sein gröste freude an gutten büchern, hatt ein Jungen Sohn, der will nur auch alleweil vber den büchern ligen.395

Auch in umgekehrter Richtung verlief die Kommunikation über den Agenten. Herzog August erbat sich etwa in seinen Briefen an Forstenheuser mehrere Teile des bekannten Gesprächspiels396 Georg Philipp Harsdörffers, obgleich er selbst mit dem Gelehrten korrespondierte – sie waren durch die gemeinsame Mitgliedschaft in der Fruchtbringenden Gesellschaft verbunden. Der Agent fungierte hier nicht nur als Nachrichtenübermittler, sondern auch als Berater etwa bei der Frage, was Harsdörffer dafür als Dank zu »verehren« sei. Er empfahl als Gunstbezeugung ein Bildnis Augusts.397 Die Zusendung der gewünschten Exemplare geschah anschließend ebenfalls durch die Hände Forstenheusers: Meinem vor 8. tagen vnderthönig gethanen bericht nach, volgt das Gespräch büchlein der erste theil, so mir herr Harßdörffer an EFG zuverschaffen zugestellt, das haben dieselben neben andern Schrifftlichen sachen, so ich zur handt gebracht, beÿgelegt in gnaden zubefinden, ob EFG Jhme Harßdörffern mit dem angedeuten Bildtnuß, begnaden, vnd mir daßelbig zu

393 92 Novi, fol. 148r (8. Oktober 1655). 394 Um welches Werk Gregorius de Valentias es sich handelte, wird nicht gesagt. 395 Niedersächsisches Staatsarchiv 1 Alt 22 Nr. 178, fol. 106r. 396 Georg Philipp Harsdörffer: Frawen-Zimmer Gespräch-Spiel: So bey Ehrliebenden Gesellschafften zu nützlicher Ergetzlichkeit beliebet werden mögen / Auß Spanischen/ Frantzösichen und Italianischen Scribenten angewiesen Durch Georg Philipp Harsdörffern. Nürnberg: Wolfgang Endter d. Ä. 1641–1642. Vgl. VD17 23:234173N und HAB M: Lo 2621 (1) und M: Lo 2621 (2). 397 Vgl. 90 Novi, fol. 214r–v (4. Oktober 1645).

372  4 Die Aktanten im Wissensraum Buchhandel

praesentiren gnedig bevehlen werden, Erwarte deroselben gnedigen Bericht ich vnderthönig.398

Nicht nur Gelehrte baten ihn um Vermittlung im Kontakt mit dem Herzog, sondern auch andere Personen, wie bei folgendem Beispiel: Dißer tagen war ich beÿ dem alten herrn Führer, welcher der ältiste herr alhier im Rath vnd Loßunger ist, da dan er eben seines herrn vattern See: Raißbuch beÿ Jhme liegendt hatt, vnd alß wegen EFG wir ein discurs führten, wie es dan vor dißem zu vnterschiedtlichen mahlen auch beschehen ist, auch Ehemgemelter herr Führer gedachte, daß von EFG er viel gehört hette, vnd rühmete die vnderschiedliche werck, so EFG in truck hetten kommen lasßen, gedachte auch der stattlichen Bibliothec, darvon Er herr Führer sehr viel sagen hören, dergleichen kein Potentat im Reich hette, Jch dan auch mit zustimmte, vnd also wegen EFG wir zureden ein gutte halbe stundt zubrachten, Endlich ich begerte, ob Er herr Führer mir woltte erwehntes Raißbuch zukommen lasßen, soltte daßelbige EFG vnderthonig zugeschickt werden, welcher zwar es gerne sahe, daß solches Buche in EFG ansehnliche Bibliothec käme, vnd die gnadt zuließen, eine stelle zugeben, aber ich solte Ja nicht gedencken, daß er solches vor sich schickte, dan er sich zu gering achtete, EFG dergleichen Buche zuzuschicken, ich solte es vor mich also anbringen, damit EFG nicht ein vngnedig mißfallen daran hetten, Dißem nach, habe ich es eben wahgen wollen, vnd mehr gedachtes Raißbuch, EFG hiemit vnderthönig in einem absonderlichen paquet zuvbersenden.399

Forstenheuser hatte sich mit einer hochstehenden Nürnberger Persönlichkeit getroffen, dem Ratsherrn und Losunger Christof Führer.400 In dessen Haus war ihm ein Buch ins Auge gefallen, das seiner Erfahrung nach für August von Interesse sein konnte und er hatte Führer direkt darauf angesprochen. Obwohl der ältere Herr durch sein Amt als Losunger zu den Obersten der Stadt gehörte, bot er das Buch nicht direkt dem Herzog an, sondern bat stattdessen Forstenheuser darum. In einem anderen Fall nutzte ein Buchproduzent die kostenlose Übersendung seiner Waren zu Werbezwecken: absonderlichen aber gehet noch ein paquet mit .5. schönen Büchlein mit, welche im nahmen herrn Dr: Andreae Balthaßer kuhne Buchtrucker in vlm, an EFG vnderthönig zu verschaffen, vnd eben dißen abendt angelangt, mir übersendet, vnd was Er mir darbey geschrieben, mit beygelegt.401

398 90 Novi, fol. 216r (11. Oktober 1645). 399 90 Novi, fol. 377r–v (10. Juli 1647). 400 Die Losung bezeichnete die Bürgersteuer Nürnbergs und der Losunger führte die Losungsstube, in der die städtischen Einnahmen verwaltet wurden. Als Verwalter der städtischen Finanzen hatte der vorderste Losunger das höchste Amt der Stadt inne. Vgl. Walter Bauernfeind: Losung. In: Stadtlexikon Nürnberg. 2., verbesserte Auflage. Hrsg von Michael Diefenbacher und Rudolf Endres. Nürnberg: W. Tümmels Verlag 2000. URL: http://online-service2.nuernberg.de/stadtarchiv/objekt_start.fau?prj=verzeichnungen&dm=Lex_Internet&zeig=3597 [Stand: 26.02.2018]. 401 91 Novi, fol. 120v (4. August 1649).

4.2 Die Rolle der Buchagenten

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Der Ulmer Buchhändler Balthasar Kühn wollte wohl mit den angekündigten fünf Büchern aus seiner Werkstatt sein Können unter Beweis stellen und hoffte, den Herzog als künftigen Käufer zu gewinnen. Dass die Schenkenden eine gewisse Gegenleistung erwarteten, enthüllt der Fall Kottenbach. Am 28. April 1649 berichtete Forstenheuser, dass ihm ein Herr von Kottenbach, der August zuvor schon eine Reihe von Titeln angeboten hatte, ein handgeschriebenes Testament auf Pergament zur Weiterleitung übermittelt hatte.402 Im August erinnerte der Agent an dieses Testament und daran, dass Kottenbach eine Antwort erwartete: Sonsten erinnern EFG sich gnedig, wie deroselben vor 3. Monaten ein alt geschrieben New Testament von deme von kottenbach übersandt worden, was er nun deßwegen an herrn Dr: Rummeln alhier von Plötzkaw außgeschrieben, gibt der beyshluß, erwarte hierauff vnderthönig zuvernehmen, was EFG gnedig befehlen werden, Jhme von kottenbach hin wider zur antwort geben zulasßen, Mich bedunckt das dißer Mann seine sachen sehr hoch aestimire.403

Am 1. September wiederholte er daraufhin das Angebot des Herzogs das Testament wieder zurückzuschicken,404 was wahrscheinlich nicht die von Kottenbach erhoffte Reaktion war. Auch Forstenheuser selbst übersandte Bücher, die er seinem Dienstherrn nicht in Rechnung stellte: Daß jüngst angedeute buch mit den alten figuren in holtzschnit, so EFG durch ein Mahler davon etwas abreißen zulassen an herrn Saubertum gnedig begert, thun EFG ich hiemit obsonderlich in bappier eingebunden vnderthenig vberschickhen, darneben gehorsamblich bitten, mir die gnade zuerweißen, vnd solchen antiquitetischen buch in dero Bibliothec eine schlechte stelle zu vergönnen, vnd solches gnedig vnd wohl von mir auffnehmen.405

Der vorhergehende Auftrag Augusts, die Figuren dieses Bandes abmalen zu lassen, gab dem Agenten dabei eine gewisse Sicherheit, dass auch das Original positiv aufgenommen wurde. Die gleiche Gewissheit hatte er bei einem Diarium zur Belagerung Braunschweigs, das er dem Herzog einen Monat später zum Geschenk machte. Offenbar hatte August sich erkundigt, ob man es abschreiben lassen könnte. Das Werk war jedoch sehr umfangreich und das Abschreiben dadurch zu teuer: »Anlangendt das Diarium der Braunschweigl: belägerung, würdte es, weiln es einer gantzen handt dick ist, zu kostbar werden abzuschreiben EFG will ich das original vnderthönig in dero Biblioteck verehren«406.

402 403 404 405 406

Vgl. 91 Novi, fol. 102r. 91 Novi, fol. 121v. Vgl. 91 Novi, fol. 126r. 90 Novi, fol. 53r (13. Januar 1644). 90 Novi, fol. 252v.

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Auf ebenso wohlwollende Aufnahme konnte Forstenheuser auch in einem weiteren Fall hoffen. Am 30. Oktober 1647 schickte er ein Buch, dessen Inhalt auf den Gelehrten Andreae rekurrierte: in ein paquetlein absonderlich gehet ein Büchlein mit, so mir zuhanden kommen, worinnen herrn Dr: Andreae Freündtschafft gedacht wirdt, EFG wollen mir gnedig verzeihen, das ichs überschicke, weil ich aber weiß, das gedachter herr Andreae beÿ EFG in sondern gnaden stehet, hoffe ich, es werde desto lieber gesehen werden.407

Gleiches gilt für ein altes Manuskript, das der Herzog im September 1651 zu sehen begehrte. Damit kein anderer es erwerben konnte, kaufte Forstenheuser das Buch selbst. das EFG das alte manuscriptum n°. 2. in folio, gnedig zusehen begern, thue deroselben ichs hiemit in gegen wertigen paquet mit waxtuch verwahrt, gehorsamblich übersenden, vnd weiln ich solches, wie es mir recommendirt worden, nicht in andere hände wollen kommen lasßen, hab ich es selbst erhandelt vnd andere sachen daran geben vnd gestochen, daß will EFG in dero hochberühmte Bibliothec vnderthönig praesentirt haben, mit gehorsamer bitte, Sie wollens gnedig an: vnd auffnehmen.408

Mit zwei Kalendern über das Geburtsjahr seines Dienstherrn 1579 stellte Forstenheuser einen persönlichen Bezug her: »von den alten Calendern, haben EFD hiebey zwene über dero gebuhrts Jahr .1579. gnedigst zuempfahen, darfür ist nichts, der Liebe Gott wolle EFD solcher Jahre noch viel in allem glücklichen hohen Fürstl: wohlstandt erfreylich erleben lassen«409. Herzog August bediente sich im Gegenzug ebenfalls des Buches als Gunstbezeugung. Im Jahr 1650 machte Forstenheuser den Vorschlag, Johann Michael Dilherr ein Buch zu schenken. Dieser hatte zusammen mit dem Komponisten und Organisten an St. Lorenz in Nürnberg, Sigmund Theophil Staden, im Dezember 1650 aus Anlass der Verlobung Rudolph Augusts ein Stück geschrieben; die Musik stammte von Staden und Dilherr steuerte den Text dazu bei. ob EFG Jhne herrn Dillherrn mit einem Buch in seine Bibliothec, so Jhme abgehen mag, vff annahende Newe Jahr gnedig bedencken, auch dem Staaden was für seine composition, auß gnaden wolten erkauffen vnd reichen lasßen, wirdt zu EFG gnedigen nachdencken, vnderthönig anheimbs gestellt.410

Bei Dilherr entdeckte Forstenheuser bei anderer Gelegenheit ebenfalls ein für August interessantes Buch, einen Psalter. Wie bei seinem Besuch bei Christof Führer

407 408 409 410

90 Novi, fol. 407r. 91 Novi, fol. 280r. 92 Novi, fol. 140r. 91 Novi, fol. 230v–231r.

4.2 Die Rolle der Buchagenten



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nutzte er die Chance und teilte Dilherr das potenzielle Interesse des Herzogs mit: »bey herrn dilherrn habe ich dißen tag gegen wertigen Psalterium gesehen, alß ich Jhme nun gesagt, das zu vndertschiedlichen editionen des Psaltery, EFD sonders belieben tragen, hatt er mir solchen, Jhro mit seiner vnderthönigsten recommendation zuüberschicken, geben«411. Der Gelehrte zögerte nicht und gab dem Agenten besagten Psalter, um ihn nach Wolfenbüttel schicken zu lassen. Doch das Buch war bereits in der Bibliothek vorhanden und August sandte es postwendend wieder zurück: »sampt des herrn dilherrn zuruckgesandten psalterium, auch empfangen, vnd gehorsambist vernuhmn, daß solchen EFD in dero Bibliothec bereits haben«412. Das Verschenken von Gegenständen – insbesondere von Büchern – war ein wichtiges Kommunikationsmittel in der sozialen Beziehung zwischen Gelehrten und Fürsten. »Der Nutzen und Gewinn des Geschenkaustausches wurden in der Frühen Neuzeit in den Kategorien der damaligen gesellschaftlichen Ordnung und zwar des Patronagesystems artikuliert.«413 Diese an bestimmte Erwartungen geknüpfte Form der Weitergabe von Büchern beeinflusste auch deren Wahrnehmung an den Fürstenhöfen. Das Buch war ein Symbol für lese- und schreibkundige Personen mit akademischer Ausbildung, weshalb sie in erster Linie von Gelehrten und an Gelehrte verschenkt wurden.414 Ihre Auswahl erfolgte dabei nicht willkürlich. Im Fall Herzog Augusts ging es den Schenkenden oft darum, ihr eigenes Schaffen in der berühmten Bibliothek repräsentiert zu sehen. Die inhaltliche Bandbreite der Augusta war bekannt und man konnte mit den verschiedensten Themen hoffen, darin aufgenommen zu werden. Waren die Schenkenden nicht selbst Autoren, konzentrierten sie sich mit ihren Präsenten auf die inhaltlichen Schwerpunkte des Herzogs, die klar beim theologischen Schrifttum lagen. Auch wenn die Gaben nicht immer zusammen mit einer entsprechenden Bitte überreicht wurden, so gab es doch immer die feste Erwartungshaltung einer reziproken Handlung, denn »die verbindliche Reaktion auf die Gabe gehörte zu den Hauptmerkmalen der Geschenkpraxis.«415 Austausch Durch den Kontakt mit dem bibliophilen Herzog wuchs Forstenheusers Interesse an Büchern und er baute sich mit der Zeit eine eigene kleine Sammlung auf. Dies beförderte August, indem er ihm gelegentlich Bücher zukommen ließ. Das erste Mal be-

411 92 Novi, fol. 180r (29. März 1655). 412 92 Novi, fol. 182r (12. April 1656). 413 Shevchenko, Anthropologie des Buches, S. 146. 414 Vgl. Shevchenko, Anthropologie des Buches, S. 149. 415 Shevchenko, Anthropologie des Buches, S. 156. Forstenheuser machte sich auf diese Weise auch die Teilhaber seines Netzwerks gewogen, was aus einer Bemerkung vom 2. Dezember 1643 hervorgeht: »man muß auch mit Newen Jahrs geschenckhen sich erweisen, damit man die leüdt beÿ gutem willen erhält.« 90 Novi, fol. 44r.

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dankte sich Forstenheuser 1639 für die Zusendung zweier Lüneburger Drucke.416 Seine Bibliothek erwähnte er dann erstmals in einem Brief von 1643, in dem er seinen Dank dafür aussprach, übrig gebliebene Bücher eines größeren Angebots übernehmen zu dürfen: »daß EFG die vbrigen bücher mir in mein Biblioteck gnedig verehren wollen, darfür sag ich vnderthonigen danckh«417. Solche Buchgeschenke konnten den Agenten auf weiterführende Ideen bringen, so bedankte er sich 1641 für die Zusendung von vier Exemplaren eines Kalenders »vber die Bibel« und regte an, ihn auch in Nürnberg drucken zu lassen, »denn sehr viele gutte Leudte, haben verlangen darnach, sich dessen zu täglichem gebrauch […] zu bedienen«418. Als Forstenheuser 1644 ein Paket Johann Valentin Andreaes weiterleiten sollte, forderte der Gelehrte ihn auf, es zu öffnen und für sich ein paar Exemplare der darin enthaltenen Lebensbeschreibung ihres Auftraggebers zu entnehmen. Die höhere Autorität Augusts achtend, verzichtete er darauf und bat stattdessen den Herzog um die Zusendung der Biographie mit einem Hinweis auf die Anweisung Andreaes. So konnte er sich versichern, dass das Geschenk gebilligt war und er nicht etwa zu viele Bücher an sich nahm: gedachter herr Dr. Andreae schrieb mir das ichs öffnen vnd was von dem schönen büchlein, so von EFG lebens lauff (: welches der allerhöchste deroselben noch viel Jahr mit aller glückhlicher fürstl. prosperitet vnd friedlichen regierung gnediglich verleihen wolle :) Er beschrieben, zunehmen, hab michs aber nicht vnderstehen wollen, Also EFG vnderthenig bitte, ob dieselbigen mich mit ein bahr exemplaren darvon begnadigen woltten, so ich mit allem vnderthenigen danck annehmen werde.419

Am 31. August 1644 drückte Forstenheuser einmal mehr seinen Dank aus für die Zusendung von Augusts Lebenslauf – ein Exemplar für Saubert und eines für ihn selbst. Offenbar hatte er auf mehr gehofft, denn er schloss direkt mit der Bitte um weitere drei Stück der größeren mit einem Kupferstich ausgestatteten Bände an. Diese wollte er Bekannten zukommen lassen, die ihn seiner Aussage nach darauf angesprochen hatten: und hab EFG ich underthenig bitten wollen, ob dießelben mir noch mit 3. exemplaren von den größern, wie solches buchlen herr Dr. Andreae truckhen lassen, vornen mit beÿgesezten Kupffer, gnedig willfahren woltten, so ich für vornehme herrn, von denen ich hierumb ersucht bin, haben möchte, EFG wollen aber dieße meine bitt in vngnaden nicht vfnehmen wan ichs von dem Truckher haben könte, solten EFG mit meiner vnhöfflichen bitt verschonet blieben sein.420

416 Vgl. Niedersächsisches Staatsarchiv 1 Alt 22 Nr. 178, fol. 49r. 417 Niedersächsisches Staatsarchiv 1 Alt 22 Nr. 178, fol. 173r–173v. 418 Niedersächsisches Staatsarchiv 1 Alt 22 Nr. 178, fol. 59r–v (20. Februar 1641). 419 90 Novi, fol. 94v–95r (20. Juli 1644). 420 90 Novi, fol. 102r–v.

4.2 Die Rolle der Buchagenten



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Am 21. September 1644 bedankte sich Forstenheuser für die Nachricht, dass ihm weitere Bände zugeschickt werden sollten, und bereits eine Woche später konnte er sich über den Erhalt derselben freuen.421 Auch seine eigenen Schriften schenkte der Herzog seinem Agenten, wie beispielsweise die Evangelische Kirchenharmonie422 in zwei Teilen. Er ließ Forstenheuser im Dezember 1644 drei Exemplare zukommen, für ihn, Saubert und Harsdörffer: »für das dritte, so EFG mir auch gnedig vermeint, mich gleichermaßen in vnderthenigkeit bedancke, vnd nebenst andern Jhro schrifften mir, als eine fürstl. gedechtnus, alle zeit sonderlich lieb vnd hoch wehrt werde sein lassen«423. August versuchte so, ähnlich wie die Gelehrten, seine Werke bekannter zu machen. Ein Jahr später bestätigte sich, dass er die Bibliotheken seines Agenten und befreundeter Gelehrte auch als »Ausstellungsort« seiner eigenen Schriften nutzte: von den vbersandten 2. exemplarien, der Harmoniae vnd den 2. exemplarien des handtbüchleins, herrn Sauberto von iedem eins, mit vermeldung EFG gnedigen grußes, vberantwortet, […], alle 4. stuck sollen, wie es dieselben gnedig bevohlen, gebunden, vnd dero zu vnderthönigen Ehren von vnß baiden in vnßere Bibliothecen gestellt werden.424

Herzogliche Buchgeschenke an Gelehrte und andere hochstehende Persönlichkeiten in Nürnberg gingen wie die Briefe durch die Hände Forstenheusers. Dass dieser sie aber nicht einfach nur weiterleitete, sondern dabei auch in einer Stellvertreterposition im Namen des Herzogs präsentierte, verdeutlicht ein weiteres Beispiel, das ebenfalls die Harmonie Augusts betrifft. Am 10. April 1647 wiederholte der Agent den Auftrag, der Nürnberger Stadtbibliothek vier Exemplare davon zu schenken: daß EFG mit der Harmonie in 4°. auch hiesiche Statt Bibliothec gnedig bedencken wollen, hab ich gehöriger ohrten angedeütet, wirdt mit vnderthönigem danck angenommen, vnd zur ewigen gedächtnuß darin bleiben, herr dillherr ist Jezo, nach des lieben herrn Sauberti Seel: hintritt, Bibliothecarius vnd Prediger beÿ St. Sebaldt worden, EFG wollen ohne vnderthönig maßgebung nur mir solch exemplar zushicken, will ichs alßdann deroselben wegen praesentiren vnd vberlieffern.425

Dass Forstenheuser in Bezug auf Geschenke auch in einer gewissen Erwartungshaltung stand, lässt sich aus einem weiteren Schreiben herauslesen. Darin beschwerte er sich darüber, dass Hainhofer von einem Werk Harsdörffers je zwei Exemplare für Andreae und für sich selbst zurückbehalten hätte, ihm aber keines zugedacht wor-

421 Vgl. 90 Novi, fol. 108r und 110r. 422 Herzog August d. J.: Der Evangelischen Kirchen-Harmonien, Erster Teihl. Wolfenbüttel: [Stern] 1644–1645. Vgl. VD17 23:635367L und HAB A: 508.16 Theol. 423 90 Novi, fol. 135r. 424 90 Novi, fol. 275r (27. Juni 1646). 425 90 Novi, fol. 337r.

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den war. Er berief sich dabei auf seine Bücherliebe und erbat vom Herzog ebenfalls eines für seine Sammlung: Alß sonsten dißes faß schon gebackt geweßen, hatt verschienen Montag Mons.r Harstörffer zu mir geschickt, vnd von den exemplarien des Portici426 .16. sampt den kupffern wider abfordern lasßen, darbey angedeitet, daß für herrn Dr. Andreae 2: wie in gleichem für herrn Hainhoffern 2: exemplaria auch herauß bleiben sollen, wie beschehen, vmb Jhnen zu zuschicken, welche Sie auch des negsten bekommen werden. Mir aber ist kein exemplar gegeben worden, ich habe vor dißem die gnadt von EFG gehabt, daß dieselben weil ich ein liebhaber der Bücher bin, meiner auch gnedig gedacht haben, da EFG es nicht in vngnaden vermerckten, möchte ich von dißem wercklein, auch ein exemplar in meiner geringen Bibliothec sehen.427

Er fühlte sich offenbar gegenüber den anderen beiden Agenten zurückgesetzt und wollte seine gleichwertige Position vom Herzog bestätigt sehen. Nachdem Forstenheuser im März 1646 zwei Teile eines von August gesuchten Werkes in seiner eigenen Bibliothek gefunden und nach Wolfenbüttel geschickt hatte,428 bot er fast zwei Jahre später ganz allgemein an, dass sich der Herzog jederzeit am Bestand seiner kleinen Büchersammlung bedienen könne, wenn dort ein Buch vorhanden sein sollte, das in der Augusta noch fehlte. Zum Anlass für sein Anerbieten nahm er den Besuch seines Sohnes Georg in Wolfenbüttel: EFG können mehr erwehntem meinem Sohn gnedig andeiten, was dieselben Jrgendt von Altten Büchern in dero Bibliothec desideriren, vnd sich vnter meinen etwan finden möchten, daß ers zu seiner anheimbs kunfft vffsuchen, vnd EFG darmit vnderthönig willfahrt werden solle, was ich von Büchern habe, ist noch in schlechter ordnung, vnd von den maisten kein Cathalogus darüber gemacht, welches alles erst von meinem sohn beschehen solle.429

Aus diesem Absatz erfährt man zudem etwas über Forstenheusers Sammelpraxis. Er sprach davon, dass seine Bücher nicht geordnet und in keinem Katalog verzeichnet waren. Letzteres war ein Manko, das er von seinem Sohn beseitigen lassen wollte. Dennoch spricht viel dafür, dass er eher planlos Bücher kaufte bzw. vom Herzog abgelehnte Bücher übernahm. Er verfolgte keine Zielsetzung der Vollständigkeit, wozu er auch gar nicht die Mittel gehabt hätte. Stattdessen scheint er tatsächlich rein aus Interesse und möglicherweise auch aufgrund eines gewissen Zugzwangs durch seine Umgebung gesammelt zu haben.

426 Georg Philipp Harsdörffer: Porticus Serenissimo atque Celsissimo Principi, ac Domino, Domino Augusto, Brunswicensium atque Luneburgensium Duci … Sacra / Cultu Georgi[i] Philippi Harsdörfferi … Nürnberg: Wolfgang Endter d. Ä. 1646 [erschienen 1647]. Vgl. VD17 23:283801B und HAB A: 10.6 Pol. 427 90 Novi, fol. 327v–328r (6. März 1647). 428 90 Novi, fol. 258v (21. März 1646). 429 91 Novi, fol. 3r (15. Januar 1648).

4.2 Die Rolle der Buchagenten



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Das Interesse des Agenten offenbart sich ferner in einer Nachricht vom September 1651. Einen Monat zuvor hatte Forstenheuser nach einer Katalogzusendung eine größere Anzahl Bücher für August erworben. Darunter befand sich eines, das er offenbar selbst gerne lesen wollte, ein Gartenbuch von Mentel.430 Seine Bitte, sich das Werk auszuleihen, bekam er gewährt: »So thue ich mich auch vnderthönig bedancken, daß EFG vff mein gehorsames ansuchen, von den vor 3. wochen versandten manuscriptis (.welche verhoffentlich nunmehro zurecht überkommen sein werden.) mir des Mentels Gartenbuch gnedig communiciren wollen.«431 Dass Forstenheuser sich mit Gartenarbeit beschäftigte und hier wohl tatsächlich eine persönliche Vorliebe zugrunde lag, bezeugt ein früheres Schreiben vom 11. Oktober 1645. Hierin teilte er mit, dass er Herzog August die Wurzel einer amerikanischen Pflanze, eine Yucca gloriosa, zu deutsch Kerzen-Palmlilie, aus seinem Garten mitschickte, und gab gleich eine Pflegeanleitung dazu.432 Einen Monat nach seiner Bitte um das Gartenbuch versicherte er, dass es mit der Zusendung keine Eile hätte. August hatte zwar positiv geantwortet, wohl aber auch um Geduld in dieser Sache gebeten.433 Wie der Agent erkundigten sich auch Gelehrte nach bestimmten Titeln aus der herzoglichen Bibliothek, die für sie von Interesse waren: herr Saubertus lesset vnderthenig bitten, in gnaden berichten zu lassen, ob EFG in dero Bibliothec nachvolgende zwey büch haben, als erstlich die Biblia434 zu Maintz A 1459 getruckt dan .2. T. Levy historia435 durch Schöffern (nepotem inventors.) auch zu Maintz getruckht, geschehe gedachten herrn Sauberten in seiner vorhabenden contraversia ein große gnad, wan er wegen dießer baiden versichert sein köndte, das sie bey EFG zue suchen, hetten dieselben bücher noch von elterm druck, würdte es mehrgedachten herrn Sauberten wohl bekommen, mich bedunckht, das vor etlichen Jahren EFG ich etliche Juristische altte bücher auch von sehr alttem druckh, darunder meines erachtens ein Jahr .1461. gedruckt geweßen.436

Die Antwort des Herzogs folgte postwendend und schon im November lag der Bericht über die ältesten Bücher der herzoglichen Bibliothek vor. Besonders eine Augs-

430 Die Handschrift ist nicht genauer zu identifizieren. 431 91 Novi, fol. 276r–v. 432 Vgl. 90 Novi, fol. 216v. 433 Vgl. 91 Novi, fol. 286r. 434 Wahrscheinlich: Biblia. [Mainz oder Bamberg: Drucker der 36zeiligen Bibel (GW 4202), um 1458, nicht nach 1461]. Vgl. GW 04202. 435 Es ist nicht klar, welche Ausgabe der Römischen Historien von Titus Livius gemeint ist, da sich mehrere in der HAB befinden. Die früheste ist Titus Livius: [Römische Historien]; [Mit etlichen newen translationen …]. Mainz: [Schöffer] 1522. Vgl. HAB M: Lh 4° 88. 436 Niedersächsisches Staatsarchiv 1 Alt 22 Nr. 178, fol. 191v (7. Oktober 1643). Möglicherweise spielte Forstenheuser hier auf die Übersendung dreier juristischer Bücher auf Pergament an, die er in einem Brief vom 20. Juli 1639 erwähnt hatte. Vgl. 90 Novi, fol. 5r.

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burger Bibelausgabe von 1455 war für Saubert von Interesse, denn er ließ durch Forstenheuser bitten, ihm die »verba formalia«437 daraus abschreiben zu lassen. Das Verhältnis zu Herzog August Die Briefe Forstenheusers waren in erster Linie geschäftlicher Natur und berührten selten persönliche Themen. Allerdings gibt es doch immer wieder besonders von Seiten des Herzogs auch private Mitteilungen. August hielt ihn über die aktuellen Entwicklungen seines Hauses auf dem Laufenden und der Agent bekundete stets sein Mitgefühl: mit erfreÿlichen gemüth darauß vnderthenig gerne vernuhmen, das EFG Gottlob einsten dero fürstl. residenz vnd vestung wolffenbüttel, mit der ganzen hoffstatt würckhlich bezogen, S. Allmacht gebe seine Göttliche gnade, das EFG solche vestung vnd dero ganze Landt vnd Leüdte, in friedt vnd Ruhe beÿ langem leben, bestendiger gesundtheit vnd allem fürstl. wohlergehen, besizen vnd regiren möge, so EFG auß undertheniger devotion ich gehorsamblich gewünscht haben will.438

Später nahm Forstenheuser Anteil an den gesundheitlichen Problemen des Herzogs. In einem sehr langen Brief vom 13. November 1652 äußerte er sich ausführlich über ein Heilpflaster von Simon Irnsinger, nach dem August gefragt hatte. Dieses Pflaster sollte »zu allerley Leibsgebrechen« zu gebrauchen sein, »insonderheit zu den Flüsßen der augen, wann man es hinden in das genicke appliciret«439. Forstenheuser erläuterte, warum der Agent Hans Georg Gruber das Pflaster nicht, wie allgemein angenommen, verbessert haben konnte, da Irnsinger nur seiner Handelsdienerin Maria Glierin die Fertigungsweise verraten hatte. Daran schloss er mit dem Hinweis an, dass er eine kleine Menge Pflaster erworben hatte, die noch von dem verstorbenen Irnsinger persönlich angefertigt worden waren, sowie einige von seiner Nachfolgerin Glierin, um sie August zu schicken. Anschließend berichtete er von einem weiteren möglichen Heilmittel für die Augen, dem »Aqua florum Cyani«, einem aus blauen Kornblumen gewonnenen Wasser. Davon übersandte Forstenheuser sowohl ein gekauftes Fläschchen aus der Apotheke als auch eines, das seine Frau zubereitet hatte: habe demnach nicht vnderlasßen wollen, von solchem EFD in gegenwertigem glaß vnd Futeral auch was vnderthönigst zuschicken, wofern man etwan drinnen Landes in der Apoteck nicht mit versehen were: darbey ist auch noch was wenigs von dergleichen kornblummenwasßer, welches meine haußfraw gebrenndt: ob dißes etwan besßer alß das im größern glaß sein mag? […] woltte von hertzen wünschen, daß ich so glückselig were, vnd etwas gewißes köndte auß forschen, so EFD zu conservirung des gesichtes dienlich were, Mein liebe haußfraw so zu

437 90 Novi, fol. 40r. 438 90 Novi, fol. 66r (9. März 1644). 439 91 Novi, fol. 358r.

4.2 Die Rolle der Buchagenten 

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künfftig Jahr .73. Jahr alt wird, hatt das Jenige wasßer, was herr Herberger Seel. in dem obgedachten Buch der Trauerbinden gedacht, selbsten was wenigs zur prob gemachet, zu versuchen, was es thun mag, die sagt, es bekomme Jhr sehr wohl, wünschet, daß Sie was mehrers von solchem wasßer zugerichtet hette, schicket hiemit EFD den halben theyl darvon, wann erwehnte meine Liebe haußfraw das künfftig Jahr erleben wirdt, will Sie ein gutt theyl mehr gedachten wasßers zurichten, vnd darvon EFD ein gutt theyll vnderthönigst zuschicken.440

In diesem Zusammenhang erfährt man etwas aus seinem Privatleben, nämlich dass seine Frau ebenfalls Probleme mit den Augen und mit jenem Kornblumenwasser gute Erfahrungen gemacht hatte. Ansonsten gab Forstenheuser Privates meist nur aus einem bestimmten Anlass heraus preis. So verband er etwa den Bericht über die anstehende Doppelhochzeit seiner beiden Töchter mit der Bitte um Unterstützung bei der Aussteuer und um einen Vertreter, den August an seiner Stelle daran teilnehmen lassen sollte: Also thue ich mich dismalen, iedoch mit steths tragenden vnderthgsten respect erkühnen, EFD im tieffster devotion zuerkennen zugeben, daß durch ohnzweiffentliche göttliche schickung ich meine Eltere Thochter Anna Regina mit dem Ehrnvesten vnd fürnehmen Donat fenden hochfürstl. freysingl. vnd Sachsen=gotthaischen Agenten; wie auch meine Jüngere Tochter Regina-Eleonora zu dem Edlen vnd vesten leonhardt Dillhern alhier, mit allerseits Befreundten guthen vorbewust vnd bewilligung Ehelich versprochen.441

Forstenheusers Töchter finden noch einige Male Erwähnung in den Briefen, da sie sich mit dem Kupferstich beschäftigten und der Vater ihre daraus resultierenden Werke Herzog August bzw. seiner Gemahlin schenkte.442 Dass seine Frau eine Zeit lang offenbar schwer krank war, ließ der Agent seinen Dienstherrn erst nach ihrem Tod indirekt wissen: hatt mir Gott der Allmächtige ein stund nach mitternacht ein schweres hauß Creütz zugeschickt, vnd nach seinem vnwandelbahren rath vnd willen, meine hertzliebe haußfraw, nach dem Sie sich ein geraume zeit übel auff befunden, durch ein sanfften vnd Seeligen todesschlaff von dißer vergänglichen welt zu sich in die ewige himmelsfreüdt abgefordert, worüber ich in große traurigkeit vnd bekümmernuß durch dißen hertzens riß, in deme ich .48. Jahr .9. Monat ein Liebe vnd Friedliche Ehe besessen.443

Ebenso kommt nur selten seine eigene gesundheitliche Verfassung zur Sprache. Lediglich ausnahmsweise teilte er eine Unpässlichkeit mit, zum Beispiel als er sich dafür entschuldigte, einen Auftrag nicht sofort erledigt zu haben: »Jch bin dieße

440 91 Novi, fol. 359v–360r. 441 92 Novi, fol. 106r. 442 Vgl. u. a. 90 Novi, fol. 340v–341r. 443 92 Novi, fol. 28r (11. März 1654).

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gantze wochen vber außm hauß wenig stunden kommen, wegen eines hefttigen cathars, so mich was vnpaß gemacht, soll aber morgen geliebts Gott, geschehen«444. Von einem Schlaganfall Forstenheusers erfuhr der Herzog erst, nachdem der Agent einige Tage darauf gestorben war. Insgesamt blieb Forstenheuser in seinem Tonfall eher distanziert. Zwar herrschte nach über 30 Jahren Kontakt eine gewisse Vertrautheit und er konnte in vielen Angelegenheiten sehr selbstständig handeln, doch lässt sich kaum von einem freundschaftlichen Verhältnis sprechen, wie beispielsweise zwischen August und Hainhofer. Ein mögliches Hindernis könnte es gewesen sein, dass sie sich nie persönlich trafen. Das große Vertrauen, das der Herzog dafür Forstenheuser gegenüber besaß, wird besonders deutlich beim Wechselgeschäft. Nach bereits mehrjähriger Dienstzeit holte sich der Agent auch 1643 zunächst die Erlaubnis einen Wechsel aufzunehmen: »weiln EFG gl: schreiben, das ich die noch weidters begerten 200. Rthaler nur trassiren solle Als hab ich solche durch vorige leüdte als die H. Förnbergische alhier, vf Braunshweig genuhmen«445. Auch seinen Rechnungsrest brachte er in diesem Jahr noch ausführlich zur Sprache: so EFG beÿgebunden in gnl. zubefinden haben, diese Rechnung betrifft in resto fl. 718. ß 10.– tt – 479. Rthr die werden EFG mir in gnl. per wechsel zuzuordnen wißen, weiln EFG wegen meiner dienst also ein gnedig wolgefallen tragen, vnderlaße ich nicht, wo nur waß, es gehe darauff waß da wolle, zuerlangen ist, damit ich selbe zur handt vnd EFG vnderthenig zubringen mag, vnd wirdt mir obgedachter Rechnungsrest dieser zeit wol kommen, weil ich mit demselben viel ab: vnd verrichten kan.446

Nahm er einen Wechsel auf, so stellte er voran, dass der Herzog ihm dies befohlen hatte.447 Erst 1644 erlaubte sich Forstenheuser erstmals die Summe direkt zu trassieren: worauß dieselben gl. zuersehen, das dieße in allem fl 864. bedrifft, die 576 Rthlr machen, welches lautter bahr ausgelegte gelter sein, außer meiner bestallung wan ich dan solcher gelter gedürftig bin, vnd beÿ mir die continuirlichen außgaben gros, hab ich solche 576 Rthlr eben gleich durch hannß Förnbergers Seel. Söhne vnd Mitverwandte alhier traßiret, vnd EFG vnderthenig bitten wollen, meinen darüber gegebenen wechßelbrieff gnedig acceptiren.448

Ab dieser Zeit agierte er nach und nach selbstbewusster in Wechselangelegenheiten. In den späteren Jahren, besonders nachdem die Extraausgaben für die Geheimberichte zunehmend entfielen, bat der Agent in der Regel nicht mehr um Geld und gab auch keine Hinweise mehr auf eine entsprechende Anweisung des Herzogs. Er

444 445 446 447 448

90 Novi, fol. 60r (3. Februar 1643). 90 Novi, fol. 18r (18. März 1643). 90 Novi, fol. 23r–v (29. April 1643). Vgl. 90 Novi, fol. 43v (2. Dezember 1643). 90 Novi, fol. 114v (12. Oktober 1644).

4.2 Die Rolle der Buchagenten

 383

teilte in seinen Briefen nur noch knapp seinen Rechnungsbetrag mit und dass er diesen per Wechselbrief aufgenommen hatte. Der Herzog nutzte Forstenheuser sogar als Berater in finanziellen Dingen, als er ihn 1647 fragte, welchen Sold er dem Hainhofer nachfolgenden Agenten Hirt zahlen sollte: was sonst EFG von mir gnedig zuwisßen begern, was ich vermeine, daß Jhme zum annuo salario zu promittiren, weiß ich gewißlich nicht, weiln mir vnwisßendt ist, was sein herr Schweher Hainhoffer Seel: Jährlich gehabt, Jch hielte darfür doch ohne vnderthönige maßgebung, EFG seheten noch etliche wochen mit zue, was sein H. hirtens verrichtung vnd communication, alß dan sich darüber desto besßer zu resolviren were, vnd etwan der 1/2. theil oder weniger 1/3. wie herr heinhoffer Seel: gehabt, gereicht wurdte.449

Wie wichtig Vertrauen war, war auch Forstenheuser sehr bewusst. Als es in der Korrespondenz des Herzogs mit dem schwedischen Feldmarschall Carl Gustav Wrangel zu Verzögerungen kam und die Antwort des Generals längere Zeit ausblieb, versicherte er, dass er sein Möglichstes getan und den Sekretär Wrangels mehrfach daran erinnert hatte: »EFG wollen das gnedige vertrawen zu mir tragen, daß was von deroselben mir gnedig anbevohlen wirdt, ich nicht gern meinestheils was abversaumen wolte.«450 Auch 1654 kam es zu einer kurzen unglücklichen Geschichte, die verdeutlicht, wie sensibel das Thema war und als wie gefährlich der Agent jeden Vorwurf diesbezüglich gegen sich empfand: darauß aber mit sonderer bestürtzung vernommen, was EFD von dero herren Abgesandten von Regenspurg überschrieben worden, das Sie von mir kein gelt erlangen können, vnd dardurch also bey EFD gegen mir vngnaden erwecken, welches mich bey meiner ohne das continuirlichern traurigkeit451 sehr vnd vffs newe betrübet, daß ich vnverschulder also darzu kommen solle. EFD kan ich aber gehorsambist vnberichtet nicht lassen, daß wohl ermelten herren Abgesandten ichs nicht verwaigert, sondern allein in meinen vnderschiedlichen schreiben Sie gebetten, etwas sich zugedulten, weiln ich nicht zurecht kommen können, vnd ist eben das die hindernuß geweßen, daß die Förnbergischen mit den hainhofferischen .3000. Rthallern so lang über die zeit auffgehaltten worden, da Sie nichts weiters creditiren wollen, biß solche zuvor richtig worden, was wir auch desthalben für worttwexlung gegen einander gebraucht, mag ich nicht gedencken.452

Zwar entwickelte sich zwischen Herzog August und Forstenheuser keine regelrechte Freundschaft, doch das Vertrauen, das der Agent genoss, war groß. Das ist auch kaum verwunderlich, wenn man bedenkt, dass er mit über 40 Dienstjahren bei weitem der am längsten für August tätige Agent war.

449 90 Novi, fol. 391v (28. August 1647). 450 90 Novi, fol. 340r (17. April 1647). 451 Hier spielte Forstenheuser wohl auf den Tod seiner Ehefrau an, über den er August in seinem Brief vom 11. März 1654 unterrichtet hatte. Vgl. 92 Novi, fol. 28r. 452 92 Novi, fol. 39r–v (29. April 1654).

384  4 Die Aktanten im Wissensraum Buchhandel

Exkurs: Das Postmeisteramt Um 1500 wurden »die Techniken der Zeit- und Raumvermessung entscheidend verbessert«453. Dazu gehörte auch die Entwicklung des Postwesens, als dessen Erfinder Francesco de Tassis (1459–1519) galt. Die spätere Reichspost, die ursprünglich von König Maximilian I. zur Verbindung Tirols mit den Niederlanden gegründet worden war, bestand rechtlich gesehen von 1597 bis 1806. Die Post bildete die Konkurrenz zum älteren Botenwesen, von dem sie sich in erster Linie durch ihre Organisationsform unterschied, denn auf den Poststrecken gab es regelmäßig Stationen, an denen die Kuriere ihre Pferde wechseln konnten. Anfang des 16. Jahrhunderts wurde ein neues Strukturprinzip im Postwesen eingeführt, bei dem die Poststationen fixiert und vor Ort von einem Posthalter als Subunternehmer verwaltet wurden, ähnlich wie bei einem Franchise-System.454 Nach Augsburg, Köln und Frankfurt erhielt schließlich Nürnberg als vierte deutsche Stadt ein Reichspostamt. Diese vier Postämter »sollten bis zum Ende des Alten Reiches bestimmend für die Struktur des Reichspostwesens bleiben«455. Als im September 1646 der Nürnberger Postmeister Le Febre starb, versuchte Forstenheuser seinen Angestellten und Schwiegersohn Donat Fend für das wichtige Amt zu vermitteln. Seine erste Anlaufstelle dafür war neben seinen Verbindungen zum Rat der Stadt natürlich der einflussreiche Herzog von Braunschweig-Lüneburg. Er berief sich dabei auf Beschwerden über den vorherigen Postmeister und auf die Vorbehalte der Stadtgemeinschaft gegenüber Fremden: EFG gebe ich hiemit gehorsamblich zu vernehmen, wie das der alhiesiche Postmaister Jacques de Febreur verschiener tagen mit Todt abgangen, wie vnbillich er aber gegen Jederman mit bezahlung der brieffe vnd paquet, darvon ich wohl zeügnus geben kan, in deme er nicht allein alles vbersetzt, sondern auch genohmen was Jhm nicht gebührt, geweßen, Jst kundtbar, also das sich auch vber Ihne der gantze hochlobl: fränckl: Craiß vff letztem convent zu Bamberg, beschweret, von der fraw Grävin van Taxiß, als welche daß General Postmaister Ambt zu Reichs Lehen hatt, ist zwar die bestellung bißher beschehen, daß Sie durch frembde außländische die hiesiche Postmaistereÿ verwalten lassen, die aber gegen hiesicher Statt gar schlechten respect getragen, vnd gantz freÿsitzen wollen, hingegen Meine herren alhier, dem bericht nach, das Privilegium haben, das Einer Jhrer Burger zum hiesichen Postmaister Ambt bestellet werden möge; wan ich das zu solchem Ambt gerne meinen diener donatum fenden (. schreibern diß.) der nun von Jugent auff vnd vber die 20. Jahr beÿ mir geweßen vnd noch ist, befördert sehe, Jhme auch beÿ hiesicher Statt darzue vorgeschlagen, hier zue er aber sonderlichen gutte vnd vorträgliche intercessionales an Chur Maintz fürstl: Ezl: die, als deß heÿl: Röm: Reichs Ertz Canzler allezeit, wan ein Newer Postmaister bestellet wirdt, die gnedigste conformation darüber geben, vnd Se. Churfl: Ezk: die fraw Grävin von Taxiß (. weil, vber die vorigen als dem Jetzt verstorbenen, auch seinem antecessorn, so gewißen vrsach halben gar abgesetzt worden, so viell klagen ergangen.) wohl dahin vermögen würden können, das Sie die bestel-

453 Behringer, Im Zeichen des Merkur, S. 15. 454 Vgl. Behringer, Im Zeichen des Merkur, S. 19, 40f., 56f. und 72. 455 Behringer, Im Zeichen des Merkur, S. 201.

4.2 Die Rolle der Buchagenten



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lung wie vor altters durch hiesiche Statt vorgehen, vnd vff bemelten meinen diener kommen ließen: als hab EFG ich hiemit vnderthonig ersuchen vnd gehorsamblich bitten wollen, dieselben geruhen gnedig mir die hohe fürstl: gnad zuerweißen, vnd mit dero gnedig vnd ersprießlich Jntercession an hochgedachte Jhre Churfürstl: Ezl: zu Maintz, meinem diener zustatten zu kommen, damit Jhme besagtes PostAmbt gedeÿen möchte; vnd weiln ich darfür haltte, das es auch die sache wohl befördern würde, wan EFG derenthalben Jhre hochpreißliche Jntercession an deß herrn Ertzhertzogen Leopolde Wilhelms hochfürstl: Dhltl: ergehen liessen, das dieselben auch meines dieners wegen, beÿ Chur Maintz fürstl: Ezl: vnd der fraw Grävin von Taxiß, gnedigst Intercetirten.456

Bereits zwei Wochen später bedankte sich Forstenheuser dafür, dass August eine entsprechende Bürgschaft geben wollte.457 Die in seinem Brief angesprochene Abneigung der Stadt Nürnberg gegen einen von außen eingesetzten Postmeister war ein Grundproblem, dem sich das Postwesen gegenübersah. »Konflikte mit den Reichsstädten gehörten bis ins 18. Jahrhundert hinein zu den Strukturmerkmalen des Postwesens im Reich.«458 Die Besetzung des Postmeisterpostens zog sich eine ganze Weile hin, denn erst im Juni 1647 geben die Briefe weitere Nachricht davon. Darin äußerte sich der Agent zuversichtlich darüber, dass Fend das Amt erhalten werde, da auch der Magistrat der Stadt Nürnberg seine Wahl unterstützte.459 Noch am 6. Mai 1648 sprach er von den besten Voraussetzungen zu dem gewünschten Ende: daß EFG meinem diener zu dem hiesichen Postambt gnedig gratuliren wollen, bedanck ich mich seinetwegen gantz vnderthönig, die hoffnung zusolchem seinem intent hatt Er Jezo so gutt hierzu alß vorhin noch nie gehabt, wan Gott den lieben friden giebt, so wirdt diße sache richtig, vnd ist darmit nicht allein bey dißer sondern mehr Stätten Jhr herkommen erhaltten.460

Aber die Zuversicht erwies sich als verfrüht. Letztendlich scheiterten sie wohl mit ihrem Vorhaben am Widerstand des Kaisers. Die Ablehnung von dieser Seite erwähnte Forstenheuser erstmals Ende Mai 1648, als er Herzog August bat, seine Abgesandten in Osnabrück zu instruieren, dass sie für seine Sache eintraten.461 Im Jahr darauf war bereits keine Rede mehr von der Besetzung des Postmeisteramts durch Fend und am 24. März 1649 erwähnte Forstenheuser in anderem Zusammenhang »vnßer[en] Spanische[n] Postmeister alhier«462, wonach der Posten zu dieser Zeit nachweislich anderweitig besetzt worden war.

456 90 Novi, fol. 277r–278v (1. August 1646). 457 Vgl. 90 Novi, fol. 281v. 458 Behringer, Im Zeichen des Merkur, S. 98. 459 Vgl. 90 Novi, fol. 362r–v. 460 91 Novi, fol. 28v. 461 Vgl. 91 Novi, fol. 34r (27. Mai 1648). 462 91 Novi, fol. 92v.

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Die Hoffnung darauf, Fend zum Postmeister zu machen, gab der Agent aber trotzdem lange nicht auf. Im Juni 1654 schrieb er: vnd wie sehr man sich, sowohl bey den Fridens tractaten alß hiesichem executions Convent, bemühet, diß vnd ander ohrt die post wider in alten standt zubringen, damit solche, gleich vor der zeit, wie es Al 1618. geweßen, von eingesessenen Burgern wider verwalttet werden mögen: So hatt man doch auch bey dem Reichstag zu Regenspurg noch nichts, wie dann in andern sachen mehr geschehen, erhaltten können.463

Daran schloss er mit der Aussicht darauf an, dass die Postsache in Frankfurt neu verhandelt würde und Fend doch noch das Amt erhalten könnte. Angeblich hatte er inzwischen von allen Kurfürsten und Ständen, sowohl von katholischer als auch von evangelischer Seite, eine Zusage erhalten. Den Herzog bat Forstenheuser ebenfalls um ein weiteres unterstützendes Schreiben in dieser Sache nach Frankfurt.464 Danach wird die Angelegenheit in den Briefen mit keinem Wort wieder erwähnt, woraus zu schließen ist, dass er die Sache schließlich doch auf sich beruhen ließ. Die Bemühungen des Nürnberger Agenten um das Postmeisteramt fielen genau in die Zeit der neuen Auseinandersetzungen um das Postwesen, dessen deutlichstes Zeichen eben jener Nürnberger Poststreit 1649 war. Nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges schien die Reichspost eine monopolartige Stellung anzustreben. Dem standen aber die Interessen der Reichsstädte und der einzelnen Landesherren gegenüber. Mit der Postkonferenz zu Hildesheim, in der die Reichsstände Kurbrandenburg, Braunschweig-Lüneburg, Hessen-Kassel und Schweden versuchten, ihre Politik gegenüber dem Kaiser und der Reichspost zu koordinieren, wurde der Höhepunkt des innerdeutschen Poststreits von 1658 bis 1662 eingeläutet.465 Da ein Agent bei seiner Arbeit auf die Dienste der Post ergänzend zu dem weiterhin bestehenden Botenwesen angewiesen war, wäre eine persönliche Beziehung zu dem örtlichen Postmeister äußerst vorteilhaft für Forstenheuser gewesen, was sein Bemühen um die Besetzung des Amtes mit seinem Gehilfen Fend bezeugt.

4.2.3 Der Agent Donat Fend aus Nürnberg (1603–1676) Über das Leben Donat Fends, den Nachfolger Georg Forstenheusers, ist nur wenig bekannt. In einem Brief wenige Monate vor seinem Tod im April 1676 erwähnte Fend, dass er bald das 73. Lebensjahr erreichen würde, wonach er also im Jahr 1603 geboren wurde.466 Sein Vater war als Sekretär der schwedischen Königin tätig, mehr

463 464 465 466

92 Novi, fol. 46v. Vgl. 92 Novi, fol. 46v–47r. Vgl. Behringer, Im Zeichen des Merkur, S. 234–236 und 241f. Vgl. Niedersächsisches Staatsarchiv 4 Alt 19 Nr. 714.

4.2 Die Rolle der Buchagenten 

387

ist über seine familiären Hintergründe nicht bekannt.467 Ende Mai 1655 heiratete Fend die älteste Tochter Forstenheusers, Anna Regina. Sie starb bereits fünf Jahre später im Juli 1660.468 Am 29. Februar 1664 heiratete Fend ein zweites Mal, diesmal Dorothea Maria Dilherr, die Tochter von Magnus Dilherr von Thumerberg. Fend starb kinderlos im Dezember 1676.469 Aus seinem ersten eigenen Brief an Herzog August im November 1659 geht hervor, dass Fend seit 42 Jahren in Forstenheusers Obhut lebte.470 Im Jahr 1618 war er demnach in die Dienste seines späteren Schwiegervaters getreten und bald seine rechte Hand geworden.471 Von Forstenheuser übernahm Donat Fend 1659 die Bestallung bei Herzog August, ähnlich wie Johann Martin Hirt sie von seinem Schwiegervater Philipp Hainhofer übernommen hatte. Mit hoher Wahrscheinlichkeit besetzte Fend auch den Agentenposten bei anderen Fürsten, für die Forstenheuser gearbeitet hatte, denn in einem Brief machte er eine entsprechende Andeutung: »dann ich newlich für ein andern herrn zwey posten nach ein ander vff Hamburg übermachen müssen«472. Schon vor 1659 war Fend zum Freisingischen und Sachsen-Gothaischen Agenten ernannt worden. Außerdem konnte er den Kontakt seines Schwiegervaters zum pfalzgräfischen Hof in Sulzbach wieder aufnehmen.473 Auf das Anerbieten, die Aufgaben Forstenheusers weiterzuführen, reagierte der Herzog wie schon bei Hirt ohne Zögern mit Zustimmung, wohl einerseits, um sich die Mühe für die Suche nach einem geeigneten Nachfolger zu ersparen, und andererseits in der Hoffnung, sie könnten jeweils problemlos an das bereits aufgebaute Kontaktnetzwerk anknüpfen und alle Geschäfte übergangslos weiter abwickeln. Nach dem Tod Forstenheusers liefen die wöchentlichen Schreiben inklusive der Berichte und Weiterleitungen nahtlos im Namen Fends weiter.474 Ihre Optik, ihr inhaltlicher Aufbau und Wortlaut sind unter anderem durch die Weiterbeschäftigung des Schreibers derart ähnlich, dass kaum auffällt, dass nun ein anderer Agent seine Unterschrift darunter setzte. Zudem kannte der Herzog Fend bereits aufgrund seiner Ambitionen um das Postmeisteramt Nürnbergs, was ebenfalls von Vorteil gewesen sein dürfte. Ohne lange Wartezeit wurde ihm im Dezember 1659 eine Bestallung als Rat von Haus aus zugesprochen und in der dazugehörigen Urkunde wird sogar darauf hingewiesen, dass Fend seine Bewährungsprobe bei ihrer Ausstellung bereits

467 Vgl. Sporhan-Krempel, Nürnberg als Nachrichtenzentrum, S. 110. 468 Vgl. 89 Novi, fol. 65r. 469 Vgl. Sporhan-Krempel, Georg Forstenheuser, S. 743. 470 Vgl. 92 Novi, fol. 417r (26. November 1659). 471 Vgl. Sporhan-Krempel, Nürnberg als Nachrichtenzentrum, S. 110. 472 89 Novi, fol. 53v (9. Juni 1660). 473 Vgl. Sporhan-Krempel, Nürnberg als Nachrichtenzentrum, S. 109f. 474 Vgl. 92 Novi, fol. 414r–v.

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bestanden hatte.475 Ihr Inhalt ist auch noch in weiteren Aspekten interessant, weshalb sie im Folgenden ausführlich zitiert wird: Von Gottes gnaden wir Augusto, Hertzog zu brl: und Lünebl: hiemit vor uns und unsere Erben zegen männiglichen uhrkunden und bekennen, Alß wir nach absterben des weilandt Ehrborn und hochgelahrten unsers gewesenen Rahts von haus aus und Lieben getreuen Ehrn Georgen Forstenhäusers Sehl. zu Nürnberg seshafften, dessen SchwiegerSohn den Ehrbarn unsern Lieben getreuen Ehrn Donat Fendten an dessen Stelle wiederumb für einen Raht von haus aus sonderlich zu dem ende in gnaden bestellet und, angenommen haben, das uns Er alle das Jenige, was etwan hin und wieder in: und ausserhalb des heiligen Römishen Reichs von allerhandt Schreibwürdigem und uns zuweisen nötigen Sachen vorgehen, und es durch seine correspondenten erhalten mögte, Jedesmahls fideliter und citò wöchentlich uberschreiben solte, und wir dan in, des thatt befunden, das er solches dawieder zu unseren sonderbahren gefallen mit guter dexterität wöchtenlich gantz fleissig continuiret hatt, und das selbe noch weiters zu thuende unterthönigen erbietens ist, das wir derowegen, Jhme Ehrn Donat Fendten zur Jährlichen besoldung und Ergetzlichkeit – 200 rThl. gnädig für seine mühewaltung auszahlen lassen wollen, dergestalt, das Er allemahl den halben theil davon alß – 100 thl. auff Michaelis und die andere helffte, alß auch – 100 thl. auff die danegst folgende ~ Ostern haben und einnehmen soll, die wir Jhme aug zu rechtes Gott wie Jetzt berühret, nacher nürenbergk in seine gewahrsamb nebst denen Jedesmahl von Jhme verlegten geldern durch wexell übernehmen lassen wollen, gnädiges hoffnung lebende, Er werde denselben was er bishero gethan, ferner getreues fleisses nachsetzen und wie einem getreuen bestalten Rathe gebühret, sich verhalten, dargegen erbieten wir uns, Jhme mit allen gnaden und guetem fürtershin stez woll zu gethan zu sein und zuverbleiben, Dessen zu uhrkundt haben wir diesen bestallungs brieff, mit unserm RinkPetshaffte476 und eigenhändiger subscription conoboinen wollen, So geshehen in unser Residenz Vestung Wolffenbüttel, am 30. Maji, aj 1660.477

Aus dem Dokument geht hervor, dass Fend die Stelle Forstenheusers ersetzte, dass er sich bereits als tauglich erwiesen hatte, indem er die Korrespondenz in gewohnter Form fortsetzte, und dass seine Hauptaufgabe darin bestand, wöchentlich die neuesten Nachrichten zu übermitteln. Weitere Pflichten werden nicht explizit genannt. Die Höhe der Entlohnung von 200 Reichstalern entsprach der vorherigen Besoldung Forstenheusers. Aber nicht alle Tätigkeiten liefen reibungslos weiter. Eine sehr wichtige und vertrauensbasierte Aufgabe, die Fend von Forstenheuser übernahm, war das Wechselgeschäft. Dies konnte er zunächst wie bei Forstenheuser über Stephan Flick problemlos weiter abwickeln.478 Doch am 3. März 1660 nahm Fend Stellung zum

475 Vgl. 89 Novi, fol. 1r (17. Dezember 1659). 476 Die Petschaft ist ein kleines Handsiegel, welches man auf das Siegelwachs drückt, das zum Verschließen eines Briefes verwendet wird. Vgl. Die Petschaft. In: Adelung – Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart. M–Scr. URL: http://lexika.digitale-sammlungen. de/adelung/lemma/bsb00009133_4_0_536 [Stand: 01.03.2018], S. 697f. 477 Niedersächsisches Staatsarchiv 4 Alt 19 Nr. 714. 478 Am 8. Mai 1658 berichtete Forstenheuser erstmals, dass er einen Wechselbrief bei Stephan Flick aufgenommen hatte. Zur Erklärung fügte er hinzu, dass Hans Anshüber, der seit mehr als

4.2 Die Rolle der Buchagenten



389

Entschluss des Herzogs, die Wechsel zukünftig durch einen Wolfenbütteler Bürger an Henning Otten in Hamburg bezahlen lassen zu wollen: das EFD gnedigst resolviret, die wexelgelter hinfüro von dero Burger einen in wolffenbüttel hannß Biesecken genant, an henning Otten in Hamburg bezahlen zulassen, vnd mir bey negster post überschrieben werden, wer der selbige alhier sey, der mit gedachten Otten zuthun habe: worauff EFD ich vnderthönigst berichte, daß zwar dißer Otten alhier wohlbekandt, von Bisecken aber weiß man nichts, doch wann durch Jhne Bisecken, EFD die gelter in Hamburg verschafften, oder bezahlen lassen wollen, vnd vff sich nehmen, so wird es desto weniger vncosten vervhrsachen, ob aber ein anderer alhier der mit Otten correspondirt die gelter vor herauß geben, vnd dan erst wider in hamburg erwartten, alß bißhero von Flicken vnd seinen Antecessorn beschehen, warzue Sie vorhin von meinem herrn Schweher vatter Seel: der Jhnen auch gutte dienst erwißen, also gewunnen worden, zweiffele ich gar sehr, dann sich sonst nie keiner darzue verstehen wollen.479

Fend äußerte hier deutliche Zweifel an Augusts Entscheidung. Zwar fanden sich mit Daniel Cornelius de Braßery und Georg Harttung vor Ort zwei Korrespondenten Ottens, durch die er Gelder per Wechsel aufnehmen konnte, aber der Kontakt erwies sich tatsächlich als schwierig. Braßery und Harttung weigerten sich nämlich, ihm Geld zu geben, wenn sie keinen direkten Auftrag von Otten dazu hatten. »So haben aber gedachte Braßery vnd Harttung hierin nichts thun wollen, weiln Sie deßwegen von Jhme Otten keine ordre hetten«480. Selbst als Fend ihnen den schriftlichen Befehl des Herzogs vorlegte, waren sie nicht gewillt, ohne Nachricht aus Hamburg zu handeln.481 Auf diese Weise kam es zu Verzögerungen in den Zahlungen unter anderem auch an die herzoglichen Agenten, da einige der besagten Posten für Anckel und Hirt in Augsburg vorgesehen waren. Fend beschwerte sich daraufhin über die neue Regelung, die ihm seine Aufgabe erschwerte. »Es geht darmit die warheit zubekennen, was langsamb daher, vnd seint des Flicken Leüthe zu Augspurg, wie H. Anckel vor .8. tagen geschrieben, richtiger vnd hurttiger mit Jhrer zahlung geweßen.«482 Im Mai 1660 sollte er dann auch für einen Posten an Hirt wieder auf Stephan Flick zur Übermittlung zurückgreifen.483 Anschließend liefen die Geldgeschäfte kommentarlos weiter über Flick und Bernberg in Hamburg. Dass Fend bereits von Anfang an deutlich seine Bedenken über die Instruktion Herzog Augusts geäußert

20 Jahren die Firma der Förnberger geführt hatte, verstorben war. Seine Witwe, die noch aus der Familie der Förnberger stammte, wollte die Handlung nicht weiter fortsetzen. Forstenheuser wählte nun Flick als neuen Ansprechpartner in Wechselsachen, da er bereits mehrere Jahre für die Förnbergische Firma gearbeitet hatte und den entsprechenden Kontakt zu Andreas Bernberg in Hamburg hatte. Vgl. 92 Novi, fol. 325r. 479 89 Novi, fol 22r–v. 480 89 Novi, fol. 28v (17. März 1660). 481 Vgl. 89 Novi, fol. 32r–v (20. März 1660). 482 89 Novi, fol. 44r (21. April 1660). 483 Vgl. 89 Novi, fol. 51r.

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hatte, bezeugt sein selbstbewusstes Auftreten gegenüber seinem neuen Auftraggeber. Der Buchkauf über Fend: Bestellungen Auch wenn es, wie schon bei Forstenheuser, nicht in der Bestallungsurkunde zur Sprache kommt, war Fend weiterhin in den Buchkauf für die Augusta eingebunden. Dafür bestellte August Bücher direkt bei Fend: »Nach dem gnedigst begerten partem priorem deß Chrinesy Gymnasy Chaldaici484, will ich trachten vnd wann solches zuhaben, selbigen vershaffen.«485 Fend besorgte das Buch im örtlichen Laden der Endter: von des M. Chistophori Chrinesy Gymnasio Caldaico ist nur ein einig exemplar von beeden theilen noch in dem Enderischen Buechladen zu haben geweßen allein weiln man keinen theyl vom andern weck geben wollen, hab ichs eben mit einander genommen, zuemahln Sie zusam nur .48. klr. costen, so EFD ich hiemit vnderthönigst überschicke.486

Der Agent entschied hier eigenmächtig, das zweibändige Werk vollständig zu erwerben, obwohl nur ein Teil davon gewünscht war. Als Begründung führte er den günstigen Preis an und war sich seiner Formulierung nach sicher, damit nicht gegen den Wunsch Augusts gehandelt zu haben. Seine Haltung entspricht damit nicht der erst kurzen einjährigen Dienstzeit. Sein Selbstbewusstsein gegenüber dem Herzog, das auch bei den Wechselangelegenheiten deutlich wurde, dürfte sich stattdessen schon während der langen gemeinsamen Arbeit mit und unter Forstenheuser herausgebildet haben. Eine weitere Bestellung betraf die Werke eines Dr. Beslers. Damit hatte August wohl auch zusätzlich Fragen verbunden, denn Fend berichtete, dass nach Auskunft der Erben keine weiteren Bücher von ihm erschienen waren und sie auch nichts über ein Bildnis wüssten, das darin enthalten gewesen sein soll: Jn solchem paquet ist ein einiger bogen von des Dr: Beßlers sachen zu befinden, alß solchen EFD geschrieben geschickt, Seine Erben berichten, das weiters nichts von Jhme herauß komen, auch keine Tabellas Vivi an tag geben, So wissen bemelte Erben nichts von des D. Heinihy contrefait, daß es Jenen beygefuegt geweßen.487

Nach den zwei desiderierten Titeln Beslers suchte Fend zunächst vergeblich im Buchladen und wollte sich anschließend an einen Bekannten wenden, der ihm weiterhelfen könne.488 Ob er damit Erfolg hatte, ist den Briefen nicht zu entnehmen. Er

484 485 486 487 488

Das hier genannte Buch konnte nicht ermittelt werden. 89 Novi, fol. 45v (28. April 1660). 89 Novi, fol. 46v–47r (5. Mai 1660). 89 Novi, fol. 291r–v (16. März 1663). Vgl. 89 Novi, fol. 299r (9. Mai 1663).

4.2 Die Rolle der Buchagenten



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versicherte lediglich, dass Besler gestorben war, bevor er einige geplante Arbeiten fertigstellen konnte, unter anderem eine Fortsetzung seines Hortus Eystettensis489: von des Dr. Beßlers Tabellis viri, wird mir nochmahln gesagt, das nichts herauß kommen, er hatt Sie wohl in willens gehabt, stechen zulassen, auch ander sachen mehr, sonderlich den Aichstettischen Blummengartten zu continuiren, ist aber auß allem nichts worden, weiln er darüber das zeitliche gesegnet.490

Der Herzog hatte sich offenbar noch einmal dieser Information versichern wollen, da er von weiteren Werken in Planung wusste. Viele Angaben besonders zu älteren Büchern waren nicht einfach zu recherchieren und August konnte oft erst durch die Hilfe seiner Agenten herausfinden, ob von Werken, die zum Beispiel als Fortsetzung angelegt waren, überhaupt noch weitere Teile existierten: von herrn D: Schleupnero Seel: weiß man alhier nichts, das er was weiters über den ersten theyl seiner Harmoniae Veteris Testamenti491 hette heraußgeben, welches entweder damals der Schwedische krieg in Teutschlandt, oder jrgend sein frühezeitig ableiben verhindert haben mag, ich will aber einem gutten Freündt, in das Ober Marggravthumb Brandenburg, deßwegen zuschreiben, vnd was ich für nachricht erhaltten werde, EFD alßdan auch darvon vnderthönigst bericht erstatten.492

Unter einer knappen Mitteilung von 1664 über eine »Warhafte Propheceyung über Teutschland vnd Sachsen493, newlich in einem barfüsser Closter in Nürnberg in einer Bibliothec geschrieben gefunden, im Jahr 1300. vnd von M. Vito dietrichen herrn Philip Melanchton zugeschikket worden« findet sich eine kurze Anmerkung. Sie lautet: »Jst dy frage, ob sich dißes, in warheits grunde, also verhalte?«494 Diese Frage stammte offenbar von Herzog August. Fend holte entsprechende Erkundigun-

489 Basilius Besler: Hortus Eystettensis, Sive Diligens Et Accurata Omnium Plantarum, Florum, Stirpium, Ex Variis Orbis Terrae Partibus, Singulari Studio Collectarum, Quae In Celeberrimis Viridariis Arcem Episcopalem Ibidem Cingentibus, Hoc Tempore Conspictuntur, Delineatio Et Ad Vivum Repraesentatio / Opera Basilii Besleri Philiatri Et Pharmacopoei. [S. I.]: 1613. Vgl. VD17 39:126168X, 75:701971D und HAB A: 1 Med. 2°. 490 89 Novi, fol. 301v (30. Mai 1663). 491 Christoph Schleupner: Harmoniae librorum Veteris Testamenti. Pars Prima = ZusammenStimmung der Bücher deß Alten Testaments : Darinnen nicht allein aller Händel/ so sich mit Propheten/ Königen und andern begeben/ nach der Zeitrechnung/ eine richtige Ordnung gehalten/ und die in unterschiedlichen Büchern/ und mit etwas ungleichen Umbständen erzehlte Sachen/ zu hauff getragen/ und in einen Context gebracht/ Sondern auch ein jedes in seinen Theil/ Buch und Capitel ordentlich eingetheilet … / Zu stellen angefangen/ Durch Christophorum Schleupnerum. Nürnberg: Wolfgang Endter d. Ä. 1632. Vgl. VD17 23:628539B und HAB 152.2 Theol. 2°. 492 89 Novi, fol. 460r–v (12. August 1665). 493 Das hier genannte Manuskript konnte nicht ermittelt werden. 494 89 Novi, fol. 358r–v.

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gen ein, doch das angeblich in Nürnberg vorhandene Manuskript war nicht auffindbar: wegen der vffgezeichneten vnd wider hiebey befindlichen Propheceyung, die sich in einem Barfüßer Closter alhier in einer Bibliothec geschrieben gefunden haben solle, hab ich nachgefragt, allein will niemand nichts alhier darvon wissen, vnd berichtet herr dilherr, als nach vergangener reformation wie diße Statt sich zur Augspurgischen Confession begeben, die Bibliothecen auß allen Clöstern vff ein ohrt gebracht worden, habe er, nach dem er Bibliotheccarius worden, alle altte büecher vnd manuscripta durch sehen, aber darunter von solcher Propheceyung nichts gefunden, noch jemahln was darvon gehört.495

In seiner Erläuterung spielte der Agent auf die Säkularisation im Zuge der Reformation an, bei der viele Klöster und ihre Bestände aufgelöst worden waren. Auch in Nürnberg wurden die Bibliotheken der umliegenden Klöster zusammengelegt und in die Stadtbibliothek eingegliedert. Der dortige Bibliothekar Dilherr berichtete seinem angehenden Schwiegersohn, dass er alle alten Bücher und Manuskripte in der Bibliothek nach Antritt seiner Stelle durchgesehen und den angefragten Titel nicht darunter gefunden hatte. Auch wenn Fend diese Vermutung nicht direkt äußerte, so ist es doch möglich, dass das Manuskript während der Säkularisationsphase abhanden kam. Fend musste ebenso wie Forstenheuser sein Kontaktnetzwerk nutzen, um an bestimmte Bücher heranzukommen. Wie sein Schwiegervater war einer seiner ersten Anlaufpunkte, nachdem er unverrichteter Dinge in einem der Nürnberger Buchläden war, der Druckort des gesuchten Buches: was EFD wegen des Radolphi Poly chronicon wider gnedigst gedencken, hab ich seithero vernuhmen, daß solches von dißem zu Cölln am Rhein solle gedruckt worden sein, dahin ich durch ein gutten Freündt schreiben lassen, wo müglich zutrachten, daß es zuerlangen.496

Obwohl Fend in seinem Brief den korrekten Titel Polychronicon497 nannte, vermerkte Herzog August, dass sich ein Kommentarband des gleichen Autors bereits in seinem Besitz befand. In einem folgenden Schreiben versicherte der Agent daraufhin, dass es sich bei dem angefragten Buch nur um die Chronik handelte: des Rudolphi Commentarius in Leviticum498 wird nicht von Cölln begert, weiln solchen EFD shon haben, sondern allein vmb dessen Poly Cronicon dahin geschrieben worden, seithero ist antwort von dar kommen, das, wo müglich, solch Cronicon werde zuerlangen sein, wolle mans überschicken.499

495 496 497 498 499

89 Novi, fol. 355r (6. Februar 1664). 89 Novi, fol. 178r–v (4. Januar 1662). Das hier genannte Buch konnte nicht ermittelt werden. Das hier genannte Buch konnte nicht ermittelt werden. 89 Novi, fol. 183v (18. Januar 1662).

4.2 Die Rolle der Buchagenten



393

Im Hinblick auf das Polychronicon waren Fends Erkundigungen in Köln offenbar erfolglos, denn im Februar 1662 nutzte er seine Kontakte zur Frankfurter Buchmesse, um möglicherweise dort etwas darüber in Erfahrung zu bringen: »wegen des Radulphi Polichronicon, werde ich einen hiesichen Buchhändler ein Memorial jetzt vorstehende Meß mit vff Franckfuhrt geben, der mir versprochen, bey andern Buchhändlern, die vmb altte sachen wissen, mit fleiß nachzufragen, ob solches noch zuerlangen sein möchte.«500 Auch dieser Versuch scheiterte. Im Bemühen um die Ergänzung und Vervollständigung seines Bestandes beauftragte der Herzog Fend 1666 damit, einen Ersatz für den fehlenden Bogen eines Buches zu finden: Nach des Alfragrani Rudimenta Astronomica. Item Albategny de motu Stellarum cum Praef. Philippi Melanchthonis Norimbergae A.° 1537.501 getrucket, will ich in den Bibliothecen alhier fragen, vnd wan es sich findet, den EFD ermangleten bogen H. nach dero gnedigsten vorgeschriebenen befeleh, außschreiben lassen vnd vnderthönigst überschicken, wo aber solches buech alhier nicht zuhaben were, deßwegen H: Anckeln nach Augspurg schreiben, daß er daselbst auch darnach frage.502

Um gleichzeitig zu verhindern, dass der betreffende Titel als unvollständige Dublette in seinem Bestand landete, hatte er den Befehl erteilt, den Bogen abschreiben zu lassen. An dieser Stelle wird außerdem wieder die enge Zusammenarbeit der herzoglichen Agenten offenkundig, die untereinander Aufträge weiterreichten, wenn sie selbst sie nicht erfüllen konnten. August legte beim Buchkauf zuweilen eine große Hartnäckigkeit an den Tag. Als 1662 ein Manuskript an jemand anderes verkauft worden war, ließ er es nicht darauf beruhen. Stattdessen beauftragte er Fend damit, den Käufer ausfindig zu machen und zum Verkauf des eben erst erstandenen Buches zu bewegen. Alß ich eben schließen wollen, kombt der Hamburger Pott an, mit welchem EFD anderweits gnedigstes schreiben vom .3. huius ich mit vnderthönigster reverenz auch empfangen, vnd vernuhmen, wie dieselben zue Ambsterdam ein buech kauffen wollen, nemblich des Boccaty de Claris viris et mulieribus503, so ein Manuscriptum, mit zierlichen gemahlten Figuren, Alß aber EFD deßwegen nachfrage angestellet, were daßelbe albereit, dieweil Sie zuspät kommen, verkauffet geweßen, an einen der Dierekes haißen, vnd dessen vatter alhier Burgermeister sein

500 89 Novi, fol. 193v. 501 Ahmad Ibn-Muhammad al-Fargāni: [Rudimenta Astronomica] Continentur in hoc libro.|| Rvdimenta|| Astronomica Alfragrani.|| Item|| Albategni/||vs Astronomvs Peritis-||simvs De Motv Stellarvm, Ex|| obseruationibus tum proprijs, tum Ptolemæi,|| …|| Item|| Oratio introductoria in omnes scientias Mathema-||ticas Ioannis de Regiomonte, Patauij habita,|| cum Alfraganum publice prælegeret.|| Eivsdem utilissima introductio in elementa Euclidis.|| Item Epistola Philippi Melanthonis nuncu-||patoria, ad Senatum Noribergensem.|| Omnia iam recens prelis publicata. Nürnberg: Johannes Petreius 1537. Vgl. VD 16 A 1202 und HAB A: 115.3 Quod. (5). 502 89 Novi, fol. 529r–v (16. Juni 1666). 503 Wahrscheinlich Giovanni Boccaccios De mulieribus claris (1361–1362).

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solle, Also EFD mir gnedigst befehlen, wann ich bey demselben erhaltten köndte, daß er deroselbene die courtoisie erzeigte, vnd gegen erlegung seines außgelegten geldes, EFD daßelbe abfolgen lassen woltte, würde Jhro solche zusondern gefallen geraichen: Nachdem aber kainer im Rath alhier noch sonsten vnder den Patricys welcher der Dierekes haist, so will ich doch nachfrag haben, wer jrgend von Jhnen kurtzlich zu Ambsterdam geweßen, der angeregtes buech mag erkaufft haben, ist es nun auß zugehen, vnd von solchem zuerlangen, werde EFD ich solches sobalden vnderthönigst berichten.504

Der Agent berichtete zweimal ausführlich von seinen fruchtlosen Erkundigungen über den angeblichen Käufer des Buches. Als ihm weitere Informationen über den betreffenden Titel vorlagen, äußerte er schließlich Zweifel daran, dass derjenige tatsächlich Nürnberger war: auß dem beygeschlossenen extract ersehen, was man von des Boccaty verkaufften Manuscripto von Ambsterdam schreibet, weiln es nun, wie darin erwehnet, ein so costbar buech von .300. fl oder soviel Rthaler, zweiffele ich, daß solches ein Nürmberger erhandlet haben werde, dann die Jenigen so newlich von den ohrten komen, wohl kein überig gelt gehabt haben werden, vff dergleichen soviel zuwenden, wird weiter nachricht darvon erfolgen vnd soltte solch buech noch hieher gebracht worden sein, werden ich nicht vnderlassen, ferner allen fleiß anzuwenden, ob es noch zuerforschen.505

Angebote Ein erstes Angebot unterbreitete Fend am 21. Januar 1660: Daß Dürerische kunstbuch mit des Luca Leyen darbey befindlichen Sachen, hab vff EFD gnedigsten befeleh ich erhandlet, vnd vmb die 200. Rthr erlangt, wiewohl der Jenige vngerne daran kommen, die übrigen .50. Rthr davon nach zulassen, vnd in hoffnung gestanden, daß der Illuminierte Hortus Eystatensis506 mit fortgehen sollen, welchen er darzue eben vmb die .300. Rthaler gelassen hette, mich also ersucht, Selben EFD nochmahln vnderthöngist anzuebieten, ich vermeinte er were noch vmb die .400. fl oder 375. fl daß seint .250. Rthr, wann er gelt sehe, zuhaben, hetten EFD noch gnedigstes belieben darzue, vmb solchen Hortum, so in .2. bündten künfftig etwan zu einem praesent gegen einem anderen herrn zugebrauchen, der es gewißlich höher achten, vnd zue mahl wann es auß EFD hochberühmten Bibliothec kombt, als was anders, will ich sehen, wie ich solchen noch vffs negste erhaltten kan.507

Interessant ist, dass er hier vorschlug, eines der Bücher – den angebotenen Hortus – nicht für die herzogliche Bibliothek oder Kunstkammer zu kaufen, sondern als Geschenk an einen »anderen herrn« zu verwenden, da der Herzog es womöglich be-

504 89 Novi, fol. 190r (8. Februar 1662). 505 89 Novi, fol. 197r–v (1. März 1662). 506 Gemeint ist der bereits erwähnte Hortvs Eystettensis (Der Garten von Eichstätt) von Basilius Besler. 507 89 Novi, fol. 11v.

4.2 Die Rolle der Buchagenten

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reits besaß. Das Argument sollte August dazu bewegen, seine erste Ablehnung noch einmal zu überdenken. Im Oktober 1660 berichtete Fend über die Zusendung von Verzeichnissen diverser Bücher und Kunstsachen, die zum Verkauf standen. Bereits kurz zuvor hatte er einige ungebundene Bücher mit Kupferstichen zusammen mit mehreren Leuchtern nach Wolfenbüttel geschickt. Bei den Katalogen wartete der Nürnberger wie üblich auf die Rücksendung derselben, um anschließend die gewünschten Bücher zu kaufen. Diesmal musste er sich nicht lange gedulden und konnte im November den Erhalt der zurückgeschickten Verzeichnisse bestätigen. Eine weitere Liste schickte er erst wieder im Juni 1661.508 Damit sind die Katalogzusendungen bei ihm wesentlich seltener als bei Forstenheuser. warumb dan ferner erinnerung geschehen solle. des Maresy Buech, Contra Blondellum509, haben EFD nach dem zuruckgesandten titul, in gegenwertigem länglichtem paquet gnedigst zuempfahen, darzue hab ich auch ein new orientalisch Raißbuech, so ein hiesicher Burger außgehen lassen, mit eingemacht, welches wohl zu leßen sein soll.510

Fend legte hier einer angekündigten Buchsendung noch einen weiteren Band bei, von dem er annahm, er könnte August gefallen. Es handelte sich um das orientalische Reisebuch eines Nürnberger Autors. Im April 1662 machte dann der zur Suche des Polychronicon beauftragte Buchhändler ein interessantes Angebot: gab mir benebens zuvernehmen, daß sonst ein Buech herauß kommen, welches titulirt ist: Ordo, et Constitutiones Jesuitarum511. were erstlich in Franckreich gedruckt worden, nachdem es aber die Jesuiten erfahren, hetten Sie alle exemplaria, auch die so nach Italien kommen, was Sie haben können, auff kaufft, Es seint aber doch etzliche davon ins Niderlandt gebracht, vnd wie wohl die Jesuiten gesuecht, der ohrten es zu supprimiren, daß solch buech nicht nachgedruckt werden möge, ist es doch beschehen, aber noch in geheimb gehaltten, wie dan nur ein einig exemplar in die Franckfuhrter Meße kommen, obbemelter Buechhändler hatt deren etzliche exemplaria bey einem Niderländer bestellet, verhofft die vff Johanni zuerlangen, wann EFD solch buch nicht vorhin jrgend auß Franckreich oder Jtalien schon bekommen, will für dieselben ich ein exemplar bey solchen Buechhändler bestellen, damit sobalden ers erheltt, derselbe mir eines gleich liffern solle.512

508 Vgl. 89 Novi, fol. 73r, 81v, 90v und 138r. 509 Wahrscheinlich ist die anonyme Streitschrift Animadversiones Chronologicae In Johannam Papissam Sam. Maresii, Contra Anacrisin D. Blondelli, Restitutam / Autore incognito, ex suspicione autem, Germano Orthodoxo (1661) gemeint. Vgl. VD17 23:238163Y und HAB A: 196.35 Hist. (3). 510 89 Novi, fol. 183v (18. Januar 1662). 511 Das hier genannte Buch konnte nicht ermittelt werden. 512 89 Novi, fol. 207r–v (26. April 1662).

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Trotz seiner Agenten in Frankreich war August an einem Exemplar dieses Jesuitenbuchs interessiert und Fend informierte ihn am 20. September über die Zusendung.513 In einem längeren Postskriptum vom 1. November 1662 bot der Agent dem Herzog ein wertvolles Manuskript an. Er erläuterte dazu, dass er es bei »einem guten Freund« gesehen hatte, der es dem Erzherzog Leopold Wilhelm zu Österreich zum Kauf anbieten wollte. Fend hielt ihn zurück mit dem Argument, dass er es zuerst seinem Dienstherrn offerieren wolle. Da es sich um ein sehr teures Buch handelte, das auf 200 Reichstaler gesetzt war, fügte er noch eine ausführliche Beschreibung hinzu. Sie sollte seinen Wert unterstreichen, indem sie das Werk mit dem bekannten Astronom Tycho Brahe in Verbindung brachte. P.S. AF hab vermög mitkommenden Memorials ich dißer tagen bey einem gutten Freündt Ein Manuscriptum Tychonis de Brahe, die .6000. Jahr weltt= rechnung betreffend gesehen, warmit er willens zu des herrn Erzhertzogen Leopold wilhelms zu Österreich hochFürstl: Dhltl: zugehen, vnd daselbsten vmb .200. Rthr wohl anzuwehren, die es auch darumb nicht würden stehen lassen; wann ich Jhme dann zugesprochen, so lang mit zuruckzuhaltten, ich woltte solches ander ohrt anbieten: Alß habe EFD ich hiermit darvon vnderthönigsten bericht thun wollen, ob dieselben darzue gnedigst belieben haben möchten, solches erhandeln zulassen, Es stehet in solchem manuscripto zwar des Tychonis de Brahe nahmen nicht, auß der Teutschen Schrifft darbey aber anzunehmen, weiln solche was denisch Teutsch lautet, das von Jhme daßelbe kommen, vnd an denen darinnen auffgerissenen Astronomischen tabellen zu sehen, daß es seine arbeit, vnd was für ein große mühe, solche gekostet, die keiner in ein Jahr nachmachen soltte, die praevation darinnen, ist an kayßer Rudolphum.II. gerichtet, welche ich auß schreiben, vnd EFD hiebey auch mitschicken wollen, diß manuscriptum, ist mit andern manuscriptis, auß der kayßerl. kunst Camer zu Praag, als herr General Grav königsmarck A. 1648 den Ratschin mit dem Schloß alda eingenommen, kommen, vnd in Schweden geschickt worden, welches von dannen obiger gutter Freündt newlich mit herauß gebracht, vnd andeitet, das ein vmbschlag von Papier darüber geweßen, vff welchem gestanden, das es des Tychonis de Brahe manuscriptum seye; vnd wie solches ein berühmter Astronomus alhier gesehen, sagte Er, das daran nicht zuzweiffeln, wegen der drefflichen arbeit, mit vermelden, das es .200. Rthr wehrt, wanns ein Bruder dem andern überließe, welcher wo er bey mitteln, es selbsten darumb nehmen, vnd sichs shon zu nutz machen woltte: also da EFD dessen gnedigst begern, will ich sehen, wie es zuerhandeln sein würde. zu dero hohen Fürstl: gnaden mich darmit nochmahln vnderthönigst anbevehle. Nürmberg, 1. November 1662.514

Fend betonte mehrfach, dass der hohe Preis für das Buch gerechtfertigt sei, und Herzog August ließ sich davon überzeugen, es zu kaufen.515 Ein letztes Angebot machte Fend im April 1666. Er berichtete: »die alhiesichen Hl: Medici haben ein newes Dispensatorium außgehen lassen, so ich eben im buchladen gesehen, welches in vielem vermehrt vnd verbessert als voriges geweßen,

513 Vgl. 89 Novi, fol. 237r–v. 514 89 Novi, fol. 244r–v. 515 Vgl. 89 Novi, fol. 251r (22. November 1662).

4.2 Die Rolle der Buchagenten



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wann EFD solches gnedigst begern, will ichs auch übersenden.«516 Der Agent besuchte offenbar auch ohne Auftrag die örtlichen Buchläden, um sich über die Nürnberger Neuerscheinungen auf dem Laufenden zu halten. Die überschaubare Anzahl der Angebote und insbesondere der Katalogzusendungen zeigt jedoch, dass er sich insgesamt nicht so intensiv dem Buchkauf widmete wie Forstenheuser. Austausch Der Einsatz der herzoglichen Agenten als Werber für den Ruhm der Augusta ist auch bei Fend an einem Beispiel vom 10. November 1660 nachzuvollziehen. Der Agent bedankte sich hier für die Zusendung einiger Exemplare der Beschreibung der herzoglichen Bibliothek, die er, wie es offensichtlich intendiert war, seinen Bekannten, darunter Dilherr, zum Lesen gegeben hatte: »Für die .2. übershickten exemplaria, was von EFD sehr hochberühmten Bibliothec in druck geben worden, bedancke ich mich vnderthönigst, hab es vnderschiedlichen zuleßen comunicirt, welche sich alle über die große quantitet der Bücher verwundern«517. Des Weiteren ließ August Fend und Dilherr einen weiteren Druck zukommen, eine Sammlung von Carmina mit Glückwünschen anlässlich seines Geburtstages.518 Dilherr nutzte diese Gelegenheit zur Werbung in eigener Sache, indem er Fend eine Liste seiner Bücher zur Weiterleitung an August gab. Er hatte schon zuvor dem Herzog sehr gewissenhaft durch seinen Verwandten jeweils seine neueste Druckschrift zukommen lassen. Meist ließ er gleich mehrere überbringen, so etwa im Dezember 1661, als er dem Herzog sieben Exemplare seiner Augen und Hertzens-Lust519 schickte. Diese Ausgabe hatte er mit einer Widmung an August versehen und erhoffte sich eine Entlohnung, wie er sie bereits vorher gelegentlich erhalten hatte. Dilherr bekam für seine Dedikation 100 Reichstaler.520 Das Engagement des Agenten konnte sich außerdem, angeregt durch das vorherrschende Interesse seines Auftraggebers, noch in anderer Art und Weise äußern. Am 19. Dezember 1663 verehrte Fend August ein Gebetbuch und erläuterte dazu die Umstände, wie es in den Druck gelangt war, denn in diesem Fall war er selbst der Initiator der Veröffentlichung. Er hatte ein altes Exemplar von 1596 unter den Sa-

516 89 Novi, fol. 510r (7. April 1666). 517 89 Novi, fol. 93r. 518 Vgl. u. a. 89 Novi, fol. 216r (7. Juni 1661). 519 Johann Michael Dilherr: Augen- und Hertzens-Lust. Das ist/ Emblematische Fürstellung der Sonn- und Festtäglichen Evangelien: In welcher zu finden Erstlich/ der Inhalt der Evangelien; Zum Andern/ die fürnehmste darinnen enthaltene Lehren; Zum Dritten/ ein darauf gerichtetes Gebethlein; Zum Vierdten ein Lied/ so auf das Evangelium/ und auf das Emblema/ oder Sinnbild/ gerichtet / Zugerichtet von Johann Michael Dilherrn/ Predigern bei S. Sebald/ und Professorn in Nürnberg. [Nürnberg]: Johann Andreas Endter 1661. Vgl. VD17 23:269030Q und HAB M: Th 4° 13. 520 Vgl. 89 Novi, fol. 176r und 180r (11. Januar 1662).

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chen seiner verstorbenen Frau gefunden und gab es Dilherr, der es daraufhin inhaltlich ergänzte und neu herausgab: .2. exemplaria von einem schönen gebethbüechlein wider den Türcken521, wie auch ein vngarische Landt carten, so vermehrt vnd verbessert worden, als Jüngst gesandte geweßen, gnedigst zuempfahen das betbüechlein ist durch mich dergestalt in druck befördert worden, als ich solche vnter meines Lieben weibs Seel: büechlein, wie es A.° 1596 herauß komen, gefunden, hab ichs vnßerm herrn dilherrn alhier gewißen, welcher dan noch was weiters darzue gebracht vnd geshrieben vnd also aufflegen lassen, es ist erst göstern auß der preß kommen, vnd noch kein exemplar gebunden worden.522

Herzog August beschäftigte sich nachweislich mit dem Inhalt vieler seiner Bücher. Dies ist nicht nur an seinen eigenen Schriften nachvollziehbar, sondern auch im Kleineren, beispielsweise wenn er Rückfragen über inhaltliche Aspekte stellte wie im März 1662. Hier stand am unteren Rand eines Schreibens von Fend eine Randbemerkung folgenden Inhalts: »Nachzufragen wegen des feyer tages des Evangelischen Marci.«523 Solche kurz notierten Anmerkungen – oft eingeleitet mit dem Kürzel NB – finden sich von Zeit zu Zeit auf den Briefen. Sie scheinen von herzoglicher Seite vermerkt worden zu sein. Eine entsprechende Antwort lieferte Fend am 12. April 1662: daß herr dilherr in seiner Postill eine Predigt auff den tag deß heyl: Evangelisten Marci gebracht, ist darumb beshehen, weiln dießes Evangelisten tag in den Schleßien gefeiert wirdt als er herr dilherr mich berichtet: vnd wie die Postillein durch gehend buch, ist erwehnte Predigt von Jhme hinan gesetzt worden: wirdt sonsten weder alhier noch zu Augspurg, gleich ander ohrten solches Evangelisten tag auch nicht gefeiret.524

Kontakt mit dem Autor Anfang 1666 äußerte August sein Interesse an den Schriften des Altdorfer Mathematikers und Physikdozenten Abdias Trew (1597–1669): vernuhmen, wie EFD des Professoris H: M: Abdiae Trewen zu Altdorff tractetlein von vergleich vnd verbesserung der Calender, gnedigst begern. ob ich zwar wohln solches vor .8. tagen albereit mit andern beylagen vnderthönigst übersandt, so EFD gnedigst vnd zue recht werden erhaltten haben, So hab ich doch noch ein exemplar darvon hiemit schicken wollen, vnd seint

521 Andreas Gygler: Gebet-Büchlein wider den Türken : Von jedes Standes Personen/ insgemein/ und absonderlich/ in und auser dem Krieg/ andächtig zugebrauchen / Anfänglich A. 1566/ bey währendem Türkenzug/ gestellet durch Andream Gygler/ … nachmals A. 1596. verbässert durch D. Balthasar. Müllern. Nürnberg: Michael und Johann Friedrich Endter 1664. Vgl. VD17 23:317861N und HAB M: Gt 30. 522 89 Novi, fol. 344r–v. 523 89 Novi, fol. 201r. 524 89 Novi, fol. 204v.

4.2 Die Rolle der Buchagenten

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die alle shon abgangen, daß keines mehr zu haben. was EFD sonsten von sein H: M: Trewen weitern scriptis, so dieselben in dero Bibliothec über die auffgezeichneten nicht haben, gnedigst verlangen, auch weiters von seiner arbeit gedencken, habe Jhme H. Trewen ich nacher Altorff überschrieben, was er mir darauff wider geantworttet, so er göstern, weiln er ohne das herein kommen, selbsten überbracht, wollen EFD Jhro auß dem original beyschluß vnderthönigst referiren lassen, die überigen seine scripta, so er vffgezeichnet, hab ich in dem buchladen hier außgenommen, welche EFD in beygebundenem Paquet gnedigst zuempfahen haben. Sein Calender vff daß .1667te. Jahr, dessen er erwehnet, soll gegen mit Fasten herauß kommen, den alßdann EFD förderlichst vnderthönigst überschicken werde, Sein H. Trewens Calender vff das jezige Jahr, ist nicht gedruckt worden.525

Trews Name war dem Herzog aus seiner Korrespondenz mit Andreae bekannt und möglicherweise auch durch Johann Michael Dilherr, der mit Trew bekannt war. Einige seiner Schriften kaufte Fend im Buchladen. Da August aber auch ein allgemeines Interesse an Trews Arbeit zeigte, kontaktierte der Agent den Autor direkt. Anders als Hans Gaab mutmaßt, ging die Kontaktaufnahme demnach offenbar von herzoglicher Seite und nicht von Trew aus.526 Am 10. März fasste Fend Trews Antwort zusammen, die er im Original mitschickte. Er erläuterte, dass der Autor darin seinen geplanten, aber noch nicht in Druck gelangten Kalender vorstellte. Probleme mit dem Verlagshaus Endter in Nürnberg standen einer Veröffentlichung bislang im Weg und Trew nutzte die Kontaktaufnahme des Herzogs dazu, ihn um Vermittlung an die Verlegerfamilie Stern zu bitten: wollen EFD Jhro gnedigst gefallen lassen, auß dem original beyschluß vnderthönigst referirn zulassen, was herr M. Abdias Trew zu Alttorff mir, wegen seines vf daß .1667te. Jahr gefertigten Calenders, vermög seines hiebey auch darvon mitkommenden concepts, schreibet, wie es Jhme alhier darmit gehet; wan er dan mit dem Endern alhier nicht zurecht kommen können, sehe er gerne, daß solchen die Sterne zu Lünenburg trucken theten: also EFD seinethalben selbsten vnderthönigst bitten wollen, ob Sie ermelte Sterne darzue vermögen könndten, vnd Jhme herrn Trewen daß Jenige, was Er darfür begert, geben möchten, welche gnedigste beförderung vmb EFD Er vnderthönigst wider zuverdienen wissen wirdt.527

Bei den Endtern hatte Trew seit 1642 jährlich einen Kalender herausgebracht.528 Was der Anlass für sein Zerwürfnis mit ihnen war, ist unklar, doch für den Altdorfer war es ein Glücksfall, »daß die Sterne sich erkleret haben, das Sie nach Ostern, mit des H: Trewen newen Calender zu trucken, den anfang machen wollen«529.

525 89 Novi, fol. 486r–v (13. Januar 1666). 526 Vgl. Hans Gaab: Der Kontakt von Abdias Trew mit Herzog August von Braunschweig-Lüneburg. In: Kommunikation in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Klaus-Dieter Herbst und Stefan Kratochwil. Frankfurt a. M. [u. a.]: Peter Lang 2009, S. 225–240, S. 234. 527 89 Novi, fol. 505r. 528 Vgl. Gaab, Der Kontakt von Abdias Trew mit Herzog August, S. 238. 529 89 Novi, fol. 509v (7. April 1666).

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Einige Zeit später gibt eine undatierte Notiz von herzoglicher Seite weitere Hinweise auf die andauernde Beziehung des Gelehrten zum Herzog: »wollte an M. Trewen schreiben, daß er uns des Argoli530 Buch, so wir ihm geliehen, wan er es nicht mehr benötiget, wieder zurücke senden.«531 Trew hatte sich also aus der Augusta ein Buch ausgeliehen und am 23. Juni leitete Fend die Erinnerung an dessen Rücksendung an ihn weiter. Der Zusatz, dass er den Band nur zurücksenden sollte, wenn er ihn nicht mehr benötigte, macht deutlich, dass August zwar ein wachsames Auge auf seine Besitztümer hatte, aber gleichzeitig bereit war, dem Gelehrten ein Buch so lange zu überlassen, bis dieser seine Arbeit daran beendet hatte. Am 30. Juni 1666 gab Fend dann auch nur die kurze Rückmeldung, dass Trew mündlich durch seinen Sohn ausrichten ließ, dass er es noch weiter bräuchte.532 Nachdem der Herzog Trew den Kontakt zu den Sternen vermittelt hatte, bezog der Autor ihn weiterhin in die Fortschritte seines Kalenders ein. Am 16. Juni 1666 berichtete Fend unter anderem, dass er Trew eine Nachricht des Herzogs weitergeschickt hatte. Aus der Zusammenfassung ihres Inhalts wird ersichtlich, dass August den Kalender wohl vorab durchlas und kommentierte: »darbey überschickt, was EFD, daß die dedication für die Calender kunst zuschließen vnd zu vnderzeichnen, gnedigst vffzeichnen lassen, auch wie solche EFD angefangen zu durchleßen, vnd was Sie wegen des darin allegirten Schönborny gedencken.«533 Dieser beispielhaft erläuterte intensive Kontakt mit einem gelehrten Autor lässt erkennen, wie sehr sich der Herzog inhaltlich mit seinen Büchern auseinandersetzte. Er fragte etwa den Gelehrten Athanasius Kircher nach seiner Meinung zu der von Trew vorgeschlagenen Kalenderreform.534 Kircher hielt nicht viel von der Idee, doch August unterstützte den Gelehrten trotzdem bei der Herausgabe seiner Gründlichen Calender Kunst535 in Lüneburg.

530 Gemeint ist ein Buch des Autors Andrea Argoli. Trew verfasste schon 1652 eine Abhandlung über eine Prognostik des Astronomen Argoli unter dem Titel Auffrichtiges Bedencken über ein Kühnes Prognosticon welches unter dem nahmen deß fürnehmen Astronomi Andeae Argoli zu Padua und unter dem Titul einer weissagung außgesprengt. Er setzte sich demnach intensiv mit dessen Arbeiten auseinander. Vgl. HAB A: 240.60.8 Quod. 531 89 Novi, fol. 528v. 532 Vgl. 89 Novi, fol. 530v und 532v. 533 89 Novi, fol. 529r. 534 Vgl. Gaab, Der Kontakt von Abdias Trew mit Herzog August, S. 225. Sein Vorschlag ging dahin, in protestantischen Ländern den Julianischen Kalender anstelle des Gregorianischen beizubehalten, den Ostertermin jedoch so zu legen, dass die Feiertage zusammen mit den Katholiken begangen werden könnten. Er sprach sich also für eine astronomische Festlegung des Ostertermins aus. Terminabweichungen anderer Feiertage interessierten ihn nicht weiter, allerdings plädierte Trew dafür, Weihnachten auf den gregorianischen Termin zu verlegen. Vgl. Gaab, Der Kontakt von Abdias Trew mit Herzog August, S. 230–233. 535 Abdias Trew: Gründliche Calender Kunst: In zwey Theil verfasset; Der Erste/ Von Vergleich der Calender. Das ist: Wie mit gutem Gewissen … alle Fest- und Feyer-Tage zugleich und zu einerley

4.2 Die Rolle der Buchagenten



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Auch andere Gelehrte hegten offenbar die Hoffnung, von August an die Druckerei der Sterne weitervermittelt zu werden. Im Februar 1663 schickte Fend ein Manuskript des Nürnberger Michael Paulus Spieß, das für die Lüneburger gedacht war: Es gehet auch ein scriptum subsigills volante mit an die Stern zu Lünenburg vom Michel Pauluß Spieß alhier, was er von Jungster conjunction der 7. Planeten, vnd der künfftigen conjunction die im october vom Saturno vnd Jove auch geschehen solle aufgesezt, es hat getruckt werden sollen, aber verblieben, wans EFD gnedigst beliebelich, können Sie Jhro darauß vnderhänigst referiren lassen.536

Ob Spieß mit seinem Ansinnen Erfolg hatte, ist allerdings nicht mehr nachvollziehbar. Das Verhältnis zu Herzog August Fend traf wie Forstenheuser den Herzog nie persönlich. Dafür sprach er am 13. Juli 1661 über einen Aufenthalt von Augusts Sohn Anton Ulrich zusammen mit dessen Ehefrau und Schwester in Nürnberg. Er äußerte sich erfreut darüber, alle drei in seinem Haus aufnehmen zu dürfen und beschrieb detailliert die Gäste, die ihnen ihre Aufwartung machten, das Essen sowie ihre Erlebnisse. Im April 1665 besuchte Anton Ulrich Fend ein weiteres Mal.537 Die Aufwendungen für die Einquartierung und Bewirtung seines Sohnes befahl der Herzog ihm anschließend in Rechnung zu stellen: daß sonsten EFD gnedigst befehlen, was deroselben geliebten herrn Sohns hertzog Ferdinand Albrechts fürstl: Dhltl: bey mir verzehret, in dero rechnung anzusetzen, will ich solchem nachkommen, vnd haben EFD sich der bemühung halber wegen meiner wenigkeit gar nichts zubedancken, sondern ich habe vnderthönigst zubitte, wann ich meine schuldige auffwart nicht recht erwießen, daß es meiner vnwissenheit zugeschrieben werden möge.538

Vom Tonfall her ähneln die Briefe Fends an August sehr denen seines Schwiegervaters. Neben den geschäftlichen Angelegenheiten kommen selten persönliche Dinge zur Sprache. Eine Ausnahme stellen einschneidende Ereignisse dar, wie seine Hochzeit mit Dorothea Maria, zu der er den Herzog um einen Stellvertreter bat.539 Diesen

Tagen möchten gehalten werden; Der ander Theil/ Von Verbesserung der Calender/ sonderlich das jenige betreffend/ was von der Wirckung und Bedeutung des Gestirns in der Practica, uns sonsten ins gemein/ geschrieben wird / Durch M. Abdiam Trew/ bey der Nürnbergischen Universität Altdorff Math. und Physices Professorem. Lüneburg: Heinrich Stern Erben 1666. Vgl. VD17 39:122818L und HAB A: 23.1 Astron. 536 89 Novi, fol. 281r–v (7. Februar 1663). 537 Vgl. 89 Novi, fol. 140r–v und 433r. 538 89 Novi, fol. 328r–v (3. Oktober 1663). 539 Vgl. 89 Novi, fol. 350r–v (23. Januar 1664).

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sollte Fend selbst benennen und er konnte sich auch über ein Geschenk zu seiner Vermählung freuen: bedanck gegen EFD mich gantz vnderthönigst sowohl für dero gnedigsten glückwuntsch zu meiner andern Eheverlöbnuß, alß auch wegen des auß hochfürstl: gnaden bewilligten ansehenlichen hochzeit praesents, welches EFD der Allerhöchste reichlich wider vergelten wolle, ich auch zu jeder zeit in vnderthönig keit zuverdienen, wie ohne das schuldigst, mir alles getrewesten vnd gehorsambisten fleißes werde angelegen sein lassen, vnd weiln EFD mir gnedigst anheimb stellen, weme dero hochfürstl. stelle zuvertretten ich anordnen werde: Alß will solche einem vornehmen herrn des Raths ich vfftragen, warvon sodan nach verrichtem hochzeitlichem festivitet EFD vnderthönigster bericht geschehen solle.540

Die Zeit, in der Fend für August tätig war, war mit 7 Jahren bedeutend kürzer als die über 40 Dienstjahre Forstenheusers. Dennoch hatte Fend von seinem Schwiegervater ein gewisses Selbstvertrauen im Umgang mit dem Herzog übernommen. Das zeigte sich unter anderem auch darin, dass Fend wie zuvor Forstenheuser seine Rechnungen ohne vorherige Rücksprache direkt trassierte. Ebenso handelte der Agent beim Buchkauf an einigen Stellen mit entschlossener Eigeninitiative, die er in der Regel nicht weitschweifig rechtfertigte. Fend als Agent für Rudolph August Lore Sporhan-Krempel stellt in ihrem Artikel über Forstenheuser die Behauptung auf, die Dienste Fends für die Wolfenbütteler Residenz hätten nach dem Tod des Herzogs im Jahr 1666 aufgehört.541 Das entspricht jedoch nicht den Tatsachen, denn er war neben Anckel der zweite Agent, dem der Sohn und Nachfolger Augusts eine Weiterbeschäftigung anbot. Das bestätigen weitere Briefe und zahlreiche Rechnungen Fends für die Folgejahre, die an Rudolph August gerichtet sind. Außerdem erwähnte er in einem Schreiben vom 4. Dezember 1669, dass er einen neuen Bestallungsbrief mit einer wesentlich geringeren Besoldung von nur 50 Reichstalern erhalten hatte: EhfD übersende ich hiebey vnderthönigst vier meiner Rechnungen, so sich vom .2. Juny Al. 1666. anfahen, vnd biß vff hieher gehen, in welchen ein rest in die ander getragen, vnd mit einander fl. 669. ß. 10. dn. – betreffen, Thuen. 446 1/3 Rthlr; vnd ob zwar wohln EFD gnedigst ertheilter newer bestallungs brieff, so mir verschienen May zue kommen, dahin gehet, daß mit reichung der .50. Rthlr Jährlichen bestallung, der anfang verschienen Michaeliß gemacht werden solle: So habe Jedoch für die vorgehende zwey Jahr als .1667. vnd .1668. ich diße bestallung auch mit angesetzet, weil ich in solcher zeit doch auch dienste gethan, vnd wie EhfD den .15. Octobris Anno .1666. mir die alte bestallung auffgeschrieben, hette ich die noch ein halb Jahr, als es sonsten gebräuchlich ist, vmb .100. Rthaler zuegewießen gehabt, dißem nach der vnderthönigsten hoffnung lebe, warumb EhfD ich auch hiermit gar diemütigst bitte, Sie wer-

540 89 Novi, fol. 356r (6. Februar 1664). 541 Vgl. Sporhan-Krempel, Georg Forstenheuser, S. 743.

4.2 Die Rolle der Buchagenten



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den darmit gnedigst zue frieden sein, vnd auß hochfürstl: milde mir solches zue guett kommen lassen.542

Aus einigen weiteren Briefen Fends an Herzog Rudolph August bis zu seinem Tod 1676 geht hervor, dass er seine Dienste ununterbrochen weiterführte, ohne jedoch seine Vorlagen und Besoldung je ausbezahlt zu bekommen. So erbat er am 25. Oktober 1673 zum wiederholten Male die Bezahlung seiner Rechnungen, »weiln ich nun in 7. Jahren her, da ich doch immer dienste gethan, kein Pfenning empfangen«543. Fends zweite Frau Dorothea Maria führte die Bitten um Begleichung der Rechnungen ihres Mannes fort und nach ihrem Tod übernahm wiederum Dilherrns Witwe Christina Rosina die Erinnerung an die ausstehenden Beträge. Dabei variierte die geforderte Summe deutlich. Fend selbst sprach am Ende von 751 ⅓ Reichstalern, Dilherrns Witwe nannte einmal rund 335 Gulden, später 484 Gulden. Der letzte Brief über die Schulden des Herzogs bei den Fendschen Erben benennt eine Gesamtsumme von rund 815 Gulden bzw. 543 Reichstalern. Die wenigen Reaktionen von herzoglicher Seite beschränken sich auf kurze Notizen des Kammersekretärs, nach denen sich Fend bzw. seine Erben auf bessere Zeiten zu gedulden hätten. Bis 1694 lassen sich die vergeblichen Bitten des Agenten und seiner Nachkommen um eine Bezahlung seiner Dienste nachvollziehen.544 Dieser für Rudolph August eher unrühmliche Ausgang der Beziehung einer Agentenfamilie zu ihrem Dienstherrn zeigt, dass das Vertrauen auf beiden Seiten gegeben sein musste. Die jahrelang wiederholten und erfolglosen brieflichen Bitten um Begleichung der ausstehenden Rechnungen illustrieren, dass der Agent und seine Angehörigen offenbar über keinerlei Handhabe verfügten, wenn sich der Herzog dafür entschied nicht zu zahlen.545 Auch wenn sich die Zahlungen Augusts oft verzögert hatten, hatte er doch stets seine Schulden beglichen. Dass Fend trotz der schlechten Zahlungsmoral Rudolph Augusts weiterhin seinen Pflichten nachkam, mag an seiner Treue zum herzoglichen Haus gelegen haben. Transportbedingungen Aus den Briefen Forstenheusers und Fends gehen einige Details über die Transportbedingungen hervor. Da der Transport auch ein zentrales Thema für die Buchhandelsaktanten war, werden sie hier gesondert vorgestellt. Sollte etwa eine größere Anzahl Bücher verschickt werden, mussten diese für den Versand in Kisten verpackt

542 Niedersächsisches Staatsarchiv 4 Alt 19 Nr. 174. 543 Niedersächsisches Staatsarchiv 4 Alt 19 Nr. 714. 544 Vgl. Niedersächsisches Staatsarchiv 4 Alt 19 Nr. 174. 545 Fend hatte zunächst seine Rechnung wie gewohnt direkt und noch vor der Prüfung durch die herzogliche Kanzlei trassiert, sich damit jedoch den Unmut seines neuen Dienstherrn zugezogen. Vgl. Niedersächsisches Staatsarchiv 4 Alt 19 Nr. 174.

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werden. Solche Bücherkisten, die die beiden Agenten regelmäßig von Augsburg kommend weiterleiteten, waren in der Regel nicht nur groß, sondern ihrem Inhalt entsprechend schwer. Wegen ihrer Sperrigkeit und ihres Gewichts konnten sie weder der Post noch dem Boten aufgegeben werden und mussten stattdessen mit der Fuhr verschickt werden. Bei Büchern konnten auch schon kleinere Pakete in diese Kategorie fallen. Forstenheuser schilderte am 13. Juli 1644 seinen vergeblichen Versuch ein solches Paket an Johann Valentin Andreae bei der Post aufzugeben, da es zu schwer war. Stattdessen versandte er es daraufhin mit der Fuhr über Ulm.546 Auch die Kosten waren bei der Entscheidung, ob Dinge mit der Fuhr oder dem Boten verschickt werden sollten, von Bedeutung. In einem Postskriptum vom 13. Dezember 1644 erkundigte sich Forstenheuser, ob ein einzelnes Buch auf Pergament von Andreae direkt weitergeschickt werden sollte. Aufgrund des Gewichts hätte er dem Hamburger Boten für den Transport nach Wolfenbüttel 7 Reichstaler zahlen müssen. Nach Ansicht Forstenheusers war das zu teuer, weshalb er vorschlug, auf weitere Sendungen zu warten, um alles zusammen günstiger mit der Fuhr zu versenden.547 Der Versand mit der Fuhr war nicht ganz ungefährlich, wie im Abschnitt über die Kriegsgefahren ausgeführt wurde. Aber auch anderweitig konnte es beim Transport zu Beschädigungen kommen. Am 18. Juni 1644 nahm Forstenheuser Bezug auf eine Beschwerde Herzog Augusts, dass eine Kiste mit offenem Deckel geliefert worden war: das aber der deckel drauff sich offen befunden, mag vom starckhen binden vnd raitteln vf der fuhr beschehen sein, am eingebändt sonst wirdt zusehen geweßen sein, ob es auffkommen, verhoffentlich aber, wirdt sich darin gefunden haben, was darin eingebackht sein sollen, wie das gedachter Küstlein alhier ist vffgeladen worden, ist daßelbe ohne mangel gewest, das die andern nachgefolgenden karn ein bahr meil von wolffenbüttel angegriffen worden, hatt man nicht gerne gehört.548

Besonders ärgerlich waren Wasserschäden an Büchern, was durch Unachtsamkeit bei schlechtem Wetter geschehen konnte: daß die bücher gar naß in der küsten n°. 115. überkommen, höre ich nicht gerne, daß üble wetter, so die fuhren gehabt, vnd etwan wohl gar ein vmbwurff in ein wasßer geschehen sein mag, muß vervhrsacht haben, wan der kasten vnderm stroh vnd blahen mit einem wachßtuch versehen geweßen, welches zu Augspurg im einmachen in acht zu nehmen, so köndte kein wasßer sobald schaden thun.549

546 547 548 549

Vgl. 90 Novi, fol. 92r. Vgl. 90 Novi, fol. 134r. 90 Novi, fol. 86r. 91 Novi, fol. 175r–v (26. Januar 1650).

4.2 Die Rolle der Buchagenten

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Im Gegensatz zu den häufigeren Beschwerden, die beispielsweise Anton Koberger im 15. Jahrhundert über Wasserschäden in seinen Briefen geäußert hatte,550 waren solche Probleme bei Forstenheuser und Fend eher die Ausnahme. Häufiger kam es dagegen vor, dass sich eine Lieferung verzögerte. Verspätungen beim Transport konnten mehrere Gründe haben. Teilweise ergaben sie sich aufgrund der Kriegszustände oder des Wetters. In anderen Fällen wurde die Fuhr noch in der Stadt aufgehalten, wenn andere Kaufleute ihre Waren nicht zeitig bereithielten, denn sie fuhr in der Regel nur bei voller Ladung ab: ist die vhrsach, daß Sie fast allemahl, wann Sie in der Ladung nach hamburg vnd der ohrtten seint, von den kauffleüthen mit den güttern biß einer vnd der ander solche zusammen richtet, vffgehalten werden, bey mir wirdt es nicht gehindert, sondern trachte Jedesmahls ohne ruhm zumelden mit fleiß, wan was von dergleichen zuschicken, das es mit der ersten abgehenden Fuhr fortkombt, welches sich auch zuweilen begiebt, daß in etzlichen wochen keine abfährt, will sonsten hoffen, das besagte küsten inzwischen glücklich vnd wohl überbracht sein werde.551

Von einem weiteren Grund für Verzögerungen berichtete Forstenheuser am 10. Oktober 1657. Er musste die Frachtbriefe ändern, da die Fuhrleute kurzfristig wegen einer in Helmstedt grassierenden Krankheit ihren Zielort neu angegeben hatten.552 Zuletzt war 1665 ein in der Stadt ausgebrochenes Feuer die Ursache für einen Stopp der Fuhren, da in einem solchen Fall alle mit zur Hand gehen mussten, um zu verhindern, dass sich das Feuer weiter ausbreitete: hatt die verschienen Mittwochen alhier bey einem bierbrey entstandene Feyers brunst (.welchem daß hauß mit seiner breystatt gantz abgebronnen, vnd wo es bey nacht beschehen, darbey nicht blieben were, vnd das Feyer weiter vmb sich greiffen dörffen, also, das bey solchem vnglück, die gantze Statt bevnruhiget worden, da alle Burger die gleich nicht zum Feyer verordnet seindt, Jhre dienste doch in anderm thuen müssen.) der Fuhren abfahrt auch vmb einen tag gehindert, sonsten Sie göstern hinnauß könndt hetten.553

Die Annahme der Sendungen und Pakete durch Herzog August erwies sich ebenfalls nicht immer als problemlos. Die Fuhren kamen meist nicht direkt nach Wolfenbüttel, sondern lieferten die Waren für den herzoglichen Hof in einer nahe gelegenen Stadt – unter anderem Helmstedt oder Salzgitter – ab. Aus diesem Grund nannte Forstenheuser stets den geplanten Ablieferungsort, damit August die Abholung in Auftrag geben konnte. Nachdem 1657, wie eben erwähnt, die Fuhren nicht wie üblich ihre Ladung in Helmstedt abliefern konnten, brachten sie sie erstmals nach Hattorf. Lieferungen mussten wie Briefsendungen grundsätzlich an eine bestimmte

550 Vgl. Kap. 3.1.1. 551 91 Novi, fol. 155v (20. November 1649). 552 Vgl. 92 Novi, fol. 275r–v. 553 89 Novi, fol. 477v (9. Dezember 1665).

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Person adressiert werden. In diesem Fall war Forstenheuser ein Wirt in Hattorf bekannt, an den er alles schicken ließ. Ende November musste er sich dann für die Lieferverzögerung entschuldigen, denn »der würth an solchem ohrt aber, weiln dergleichen vorhin an Jhn nie nicht kommen, hette nicht gewust, wie er sich darmit verhaltten sollen, dahero weil es bey Jhm verliegen blieben, muß dißes der langsamen liefferung halben, vhrsach sein«554. Offenbar wäre es Aufgabe des Wirts gewesen, den Hof über die Ankunft der Fuhr zu unterrichten. Der Zoll, der an vielen Stellen im Reich bei der Durchfahrt von Waren erhoben wurde, findet bei Forstenheuser keine Erwähnung. Auch für Fend schien das bis Ende 1665 kein Thema gewesen zu sein. Erst im Dezember dieses Jahres ergaben sich hierbei Schwierigkeiten: Erwehnter Fuhrman, der vorhin auch was vor EFD hinein geführt, sagte mir, das vff vnderschiedlichen zollstätten EFD sachen nicht vor frey oder Fürsten guett wolle passiret werden, vnd, vnerachtet ichs doch allezeit in die offene Fuhrbrieff gleich im eingang melde, daß diße oder jene küsten vor EFD gehören, so wendeten die zöllner doch hingegen ein, es möchte ein jeder in ein fracht brieff schreiben was er woltte, wan kein pass brieff darbey, so müste alles verzollt werden, vnd das eingebundene guett allezeit mehr, als das so in den bloßen Faßen gehet, geben, welches EFD ich also auch vnderthönigst berichten wollen, ob dieselben Jhro gnedigst gefallen ließen, wann Sie künfftig wider was von Augspurg oder hier gnedigst beschreiben, ob EFD hierzue einen pass überschicken, welchen die Fuhrleüth allzeit zu Helmstatt mit dem Guett einzulieffern hetten, daß darmit kein mißbrauch mit vnderlauffe, vnd wo sich etwan einige vnsicherheit vff den straßen eraignen soltte, EFD sachen gleichwohl desto ehe respectirt werden möchten.555

Bislang hatte es allem Anschein nach genügt, den Namen Herzog Augusts als Empfänger der Sendungen im Frachtbrief zu nennen, und die Fuhren konnten zollfrei passieren. Möglicherweise wechselte in dieser Zeit der entsprechende Zöllner, jedenfalls wollte er die Fuhren mit Kisten für den Herzog nicht mehr ohne einen Pass durchfahren lassen und kündigte an, ohne einen solchen Nachweis für die komplette Ladung Zollgebühren zu verlangen. Post/Botenwesen Das 17. Jahrhundert stand im Zeichen des aufstrebenden Postwesens. Mit einer durchschnittlichen Tagesleistung von 180 zurückgelegten Kilometern, konnte die Post die Geschwindigkeit der Nachrichtenübermittlung gegenüber den reitenden Boten mehr als verdreifachen. Zudem war sie nicht nur schneller, sondern auch billiger. Trotzdem nahm das Botenwesen in den 1570er Jahren sogar einen Aufschwung, nachdem die Städte ihre Botennetze miteinander verbunden hatten.556 Es

554 92 Novi, fol. 286r. 555 89 Novi, fol. 477v–478r (9. Dezember 1665). 556 Vgl. Behringer, Im Zeichen des Merkur, S. 61, 70, 134 und 164.

4.2 Die Rolle der Buchagenten



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»sollte der Konflikt zwischen Reichspost und Nürnberger Boten zu den Konstanten der ›Reichsinnenpolitik‹ der folgenden fünfzehn Jahrzehnte gehören.«557 Auch in den Briefen Forstenheusers spiegelt sich die Konkurrenzsituation zwischen der kaiserlichen Post und dem lokalen Botenwesen wider. Ein Abschnitt darin veranschaulicht die Pro- und Kontra-Argumente dafür, etwas mit der Post bzw. mit dem Boten zu verschicken: das vberschickhte Paquetlein, schreiben vnd besonder Röllein für gedachten herrn D. Andreae sobalden, als Jenes mit der Post vber Augspurg, dießes aber mit dem ordinari Poten recta vff Stuttgardt, ob er zwar was längsamer dahin kombt, bestellet, hette es zwar auch vff die Post geben können, allein weiln mit derselben dergleichen nicht wohl vberbracht wirdt, in deme die Postreüdter mit abwerffung vnd wider auffbindung der vellißer gar zu vngeschwungen vmbgehen, vnd was nicht brief seint leicht verderbt werden kan, So hab ichs für beßer gehalten dem zufuß gehenden Potten vfzugeben.558

Weil die Post in erster Linie auf Schnelligkeit setzte, waren empfindlichere Dinge wie kleine Pakete besser in den Händen des langameren, aber auch achtsameren Boten aufgehoben, wie auch folgende Stelle unterstreicht: die eingeschlossene Brieff nacher Stuttgardt vnd Augspurg verschienen Dienstag gleich mit der Kaÿßl. reüdtenden post bestellet, die vbersandte Rolle aber (weilln dergleichen sachen beÿ erwehnter post nicht wol zubestellen, vnd gar übel contionirt zuweiln überbracht werden) hab ich göstern beÿ dem ordinari Potten hinach geschickht.559

So lässt sich in der Korrespondenz der Agenten durchgängig eine Parallelnutzung beider Dienste nachvollziehen und je nach verschicktem Gegenstand – Brief oder Paket – wurde einer der beiden Versanddienste bevorzugt oder beide ergänzend genutzt. Sendungen beispielsweise, die durch einen Boten geliefert wurden, konnten bei rechtzeitiger Ankunft schneller mit der Post weiterverschickt werden, da beide feste Abgangszeiten hatten – die Post in Nürnberg immer dienstags, die Boten mittwochs. Gelegentlich schrieb auch Herzog August selbst vor, wie zu verfahren sei: »das dieselben herrn Dr. Andreae Pergamentes altes buch beÿ dem Poten zu vberschickhen gnl. begern, solchem zu vnderthenigem volge, haben EFG daßelbe hiemit von

557 Behringer, Im Zeichen des Merkur, S. 183. 558 90 Novi, fol. 84r (8. Juni 1644). 559 90 Novi, fol. 176r (10. Mai 1645). Die Boten gingen allerdings nicht zwangsläufig zu Fuß, wie ein Brief von 1663 bezeugt: »vnd ein lang geschmeidig küstlein in blahen eingebunden mit, so herr Anckel überschickt, vnd ich dißem Hamburger ordinari Potten Benedict Güntzel zur richtigen liefferung fleißig befohlen, zweiffele auch nicht, er werde es wohl überbringen, der Augspurger Pott hatt ein aigen Pferdt darzue nehmen müssen, das ers hieher gebracht, weiln ers vff seinem, so er geritten, nicht führen können«. 89 Novi, fol. 295r (11. April 1663).

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Zaigern hannß Puckeln hamburger ordinari poten, gnedig zuempfahen«560. Bei kleinen Einzelstücken wie einem Buch lohnte sich der Versand mit der Fuhr in der Regel nicht und es wurde entweder die Post oder ein Bote damit beauftragt. Bücher wurden dabei, weil sie oft noch ungebunden waren, nicht – wie heute zu erwarten – als rechteckiges Paket, sondern gerollt verschickt: »Sonst haben EFD das gnedigst begerte Buch M. Job: Schröderi in Throno Regali Christi ∞ in eim gerollten paquetlein absonderlich: […] gnedigst zuempfahen.«561 Je nach mitgeführter Ware liefen die Boten nicht immer gefahrlos. Der Hamburger Bote Leonhard Kroner beispielsweise wurde im Oktober 1660 überfallen. Fend berichtete Herzog August davon und übermittelte ein Schreiben des Geschädigten Jobst Wilhelm Rößler. Dieser gab eine Beschreibung der Täter sowie der entwendeten Wertsachen und bat August um Ergreifung und Bestrafung der Räuber, sollten sie sich noch in seinen Ländern aufhalten.562 Zu weiteren möglichen Hindernissen auf dem Weg eines Boten zählte insbesondere schlechtes Wetter. Dies wird in den Briefen vor allem gegen Jahresende und im Frühjahr deutlich. Anfang Dezember 1646 erwähnte Forstenheuser eine Verspätung der Post aus Münster und Osnabrück »wegen großer wasßer«563, an anderen Stelle ist von Schnee die Rede. Witterungsbedingt hatten die Boten auch verschiedene Ankunftszeiten für Sommer und Winter. Eine genauere Erläuterung dazu lieferte Fend, der in seinen Schreiben gelegentlich den Zeitpunkt erwähnte, wann die Boten ihre Zeiten umstellten. So teilte er etwa am 11. November 1665 mit, dass die Boten nun statt jeweils samstags erst sonntags in Nürnberg ankommen würden.564 Es ist auffällig, dass die Boten wie auch die Fuhrleute meist mit Namen genannt wurden, während der Bote der kaiserlichen Post anonym blieb. Darin zeigt sich, dass vermutlich bei Verlust oder Beschädigung einer Sendung durch die ersten beiden die Überbringer persönlich hafteten, während im letzteren Fall die Institution Post verantwortlich war. Diese Annahme wird durch weitere Stellen in den Briefen gestützt. Zunächst berichtete Forstenheuser 1649 über die Problematik der vielen Beteiligten bei der Post: das ich solches [paket] durch dißen Potten geschickt, darmit dahin gesehen, weiln bey der post dergleichen beschwerte paquet nachdencklich zubestellen sein, dan Sie durch viel hände gehen müsßen, vnd vor dem öffters vff besagter post ein solches verschlagen vnd verlohren worden, das niemandt nichts darumb wisßen wollen, wo es hinkommen.565

560 90 Novi, fol. 104r (7. September 1644). 561 91 Novi, fol. 429r (4. Juni 1653). 562 Vgl. 89 Novi, fol. 85r–v. 563 90 Novi, fol. 308r. 564 Vgl. 89 Novi, fol. 473r. 565 91 Novi, fol. 81v (20. Januar 1649).

4.2 Die Rolle der Buchagenten

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Ende desselben Jahres machte er dann einen Boten für den Verlust eines Elfenbeinzahns verantwortlich. Der betreffende Bote Hans Dag erklärte sich bereit, den Schaden persönlich zu ersetzen, sollte er nicht mehr auftauchen. Gleichzeitig bat er jedoch den Herzog um Nachsicht, da die Summe seine Mittel übersteigen würde: vermög des darbey befundenen zettels, hab ich dem ordinari Potten Hannß dag vorgehalten, wie es mit dem verlohrenen Hellfanten zahn gehe, sagt Er, daß Er verhoffe, es solle sich solcher wider finden, wo nicht? so woll er Jhn bezahlen, lässt EFG vnderthönig bitten, dieselben wollen Jhme hierin in etwas gnad erweißen, weil Er sonst gar zu groß zu schaden keme.566

Zuletzt wiederholte Forstenheuser eine Beschwerde Augusts, dass die Post zu teuer wäre und die Boten zu viele Kreuze auf die Briefe machten. Der Agent erklärte daraufhin, dass die Postbediensteten sich nichts sagen ließen, da sie sich nur dem Grafen von Taxis verantwortlich fühlten. Von den Boten dagegen erbat er sich die Namen, um ihnen zu sagen, dass sie zukünftig weniger Kreuze auf die Briefe setzen sollten: Sonst hab ich auß dem, in EFD jezigem gnedigsten schreiben mit beygelegten extract auß Lünenburg, ersehen, daß man sich alda über die theüerbare Nürmberger post, auch über ein baar vnder den Nürmberger Potten, die zuweil ein hauffen Creütz vff die brieffe schreiben, beklaget. was die post belanget, lassen sich die bediente darbey vnd inspecie der hiesiche Postmeister, gar nichts einreden, sondern thun was Sie selbst wollen, vnd Leben alß freye herren, die niemand vnderworffen sein wollen, alß dem herrn Graffen von, Taxiß, der Sie bestellet, […] Betreffend nun das paar vnder den Nürmberger Potten, So soviel Creütz vff die brieff machen, wollen EFD mich gnedigst berichten lassen, welche es seindt, vnd wie Sie mit nahmen heißen, werde ichs Jhnen vndersagen, vnd zur billichkeit anweißen, alhier zahl ich Jhnen von den paqueten hin vnd her, was sich Jhrem tax nach gebührt.567

Neben der kaiserlichen Post und dem städtischen Botenwesen gab es noch eine dritte Möglichkeit, Sendungen zu verschicken: mittels einer eigenen Stafette bzw. einem extra beauftragten Eilboten. Eine Stafette wurde vor allem bei wichtigen und vertraulichen Schreiben relevant, wie sie der Herzog eine Zeit lang in das Lager der Schweden an Carl Gustav Wrangel sandte. Auch bei sehr dringenden Nachrichten wurde eine Stafette losgeschickt, da sie sofort nach Auftragserhalt abging und nicht zu den festgelegten Post- bzw. Botenzeiten. Die vorgeführte häufige Thematisierung der Transportart bei den untersuchten Agenten widerspricht der allgemeinen Aussage Behringers, dass in Briefen der Zeit ein »Rückgang der Angaben über die Art der Beförderung zu bemerken«568 sei. Be-

566 91 Novi, fol. 163r–v (15. Dezember 1649). 567 92 Novi, fol. 46r–47r (10. Juni 1654). 568 Behringer, Im Zeichen des Merkur, S. 107. Zwar bezieht sich Behringer in erster Linie auf die Beförderung von Personen, doch auch in diesem Fall machten beide Agenten grundsätzlich ausführliche Angaben. Die Personen, die vor allem Forstenheuser als Bedienstete an den Herzog ver-

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sonders in Deutschland, wo im 17. Jahrhundert beide Dienste, die Post und das Botenwesen, parallel genutzt wurden, schien es den Agenten wichtig zu erläutern, welche Transportart sie gewählt hatten. Der durch die Post verregelmäßigte Briefverkehr machte die Angaben zur Übermittlungsart also keineswegs überflüssig. Im Gegenteil sorgten die beiden konkurrierenden Einrichtungen eher für eine ausführlichere Erläuterung der Gründe für oder gegen die Wahl des jeweiligen Kurierdienstes.

4.3 Übergreifende Netzwerke Buchagenten: Im Auftrag des Rezipienten Die Agenten Herzog Augusts spielten eine wichtige Rolle für die Bestandserweiterung der fürstlichen Bibliothek. Sie besorgten auf den verschiedensten Wegen Bücher für den Herzog, sowohl in seinem Auftrag als auch aus eigenem Antrieb heraus. Die Nürnberger Agentur fungierte dabei als wichtiger Knotenpunkt in seinem Agentennetzwerk. Härtel bezeichnet sie treffend als »relay station […] for reloading the shipments and conducting the financial transactions in the south German area.«569 Die Buchkäufe, die die beiden Nürnberger Agenten vermittelten, waren in erster Linie antiquarisch. Für den Erwerb von Neuerscheinungen bediente sich der Herzog vornehmlich direkt der Hilfe von Buchhändlern. Allerdings liefen die Kontakte zu diesen teilweise über die Agenten und auch einige Buchhändler selbst, wie die Brüder Stern, arbeiteten als Faktoren für den Herzog, weshalb hier keine klare Trennung vorgenommen werden kann. Für einige der besoldeten Agenten wurde die Buchbeschaffung zu ihrem eigentlichen Hauptanliegen und übertraf allein schon quantitativ ihre anderweitigen Besorgungen oder Aufgaben. Bei einer solchen Schwerpunktbildung ist die explizit für die Agenten Herzog Augusts gebildete Bezeichnung eines Buchagenten durchaus zulässig, wie im Fall Johann Martin Hirts und Johann Georg Anckels. Die beiden untersuchten Agenten Georg Forstenheuser und Donat Fend sind hingegen nicht in erster Linie als Buchagenten einzustufen. Zwar besorgten sie ebenfalls keine anderen Waren in derartiger Menge und Regelmäßigkeit wie Bücher, aber ihre deutlich vorherrschenden Aufgaben waren der Geldtransfer und die Informationsbeschaffung. Mit ihrer Stellung in Nürnberg besetzten sie zudem eine wichtige Schnittstelle im Korrespondentennetzwerk und die Weiterleitung der Briefe, Pakete und Kisten der anderen Agenten an ihren Auftraggeber war ebenso eine ständige und wichtige Amtspflicht. Obwohl Forstenheuser und Fend demnach

mittelte und nach Wolfenbüttel schickte, legten den Weg außerdem nicht mit der Post, sondern mit der Fuhr zurück. 569 Härtel, Duke August and his Book Agents’, S. 114.

4.3 Übergreifende Netzwerke 

411

keine Buchagenten im eigentlichen Sinne waren, lassen sich anhand ihrer Tätigkeit – zusammen mit den bereits vorhandenen Studien zur Augsburger Agentur – Parallelen im Buchkauf über Agenten nachvollziehen. Da sie außerdem im Buchhandel als Zwischenhändler wahrgenommen und gezielt angesprochen wurden, ist ihre Stellung am Rand des Wissensraums Buchhandel als Nebenaktanten trotzdem gerechtfertigt. Buchhändlerische Praktiken der Agenten Grundsätzlich unterscheidet Wolf-Dieter Otte zwei Arten des Bucherwerbs im Auftrag Herzog Augusts. Die eine bezeichnet er als »gezieltes Angeln« nach einzelnen Titeln, die andere nennt er »Fischen mit dem Schleppnetz«570. Bei letzterer erwarb der Herzog gleich mehrere hundert Bücher aus aufgelösten Bibliotheken. Vollständige Sammlungen kaufte August allerdings selten, da er peinlich genau darauf achtete, keine unnötigen Dubletten zu erhalten. Die Zeitumstände wirkten für diese Erwerbungsart besonders günstig, denn der Dreißigjährige Krieg und die noch lange dauernde Not nach dem Friedensschluss 1648 zwangen viele ehemals führende Schichten in den Städten, ihre Habe zu veräußern. Für Sammler, die über genügend Finanzmittel verfügten, bedeutete das »eine goldene Zeit.«571 Um die Schleppnetztaktik zu unterstützen, sandten die Agenten Listen von Büchern, die gesammelt zum Verkauf standen. In solchen Momenten traten sie als Großabnehmer von Büchern auf, was sie als Händler im Wissensraum Buchhandel interessant machte. Forstenheuser und Fend mussten sich im Sinne des gezielten Angelns für Herzog August häufig auf die Suche nach älteren und seltenen Bänden machen. Wie sie dabei vorgingen, konnte anhand der Quellen ausführlich rekonstruiert werden. Zunächst suchten sie den örtlichen Buchladen in Nürnberg auf, namentlich die Buchhandlung der Familie Endter. Das taten sie auch unabhängig von einer bestimmten Bestellung, um sich über die Neuerscheinungen auf dem Laufenden zu halten. War das gesuchte Buch vor Ort nicht zu finden, erkundigten sie sich bei ihren nächsten Kontakten vor allem unter den Nürnberger Gelehrten danach. Blieb diese Anfrage ebenfalls erfolglos, waren sie gezwungen, ihr weiteres Kontaktnetzwerk, bevorzugt am Druckort des fraglichen Bandes, zu aktivieren. Gelegentlich gaben sie den Auftrag auch an einen der anderen herzoglichen Agenten weiter oder baten Buchhändler um die Weiterleitung ihres Anliegens. Wie Werner Arnold bereits feststellen konnte, spielte die Eigeninitiative der Agenten für den Buchkauf eine nicht zu unterschätzende Rolle.572 So boten sie dem Herzog potenziell interessante Bücher auch von sich aus an. Hatten sie eine Kaufoption aufgetan, schickten sie ihm in der Regel zunächst eine ausführliche Titelbe-

570 Otte, Johann Martin Hirt und die Augsburger Agentur, S. 65. 571 Otte, Johann Martin Hirt und die Augsburger Agentur, S. 67. 572 Vgl. Arnold, Die Entstehung der Bibliothek aus dem Netzwerk, S. 2.

412  4 Die Aktanten im Wissensraum Buchhandel

schreibung zu. Auch die Zusendung von Katalogen fällt in diesen Bereich der selbstständigen Suche nach Büchern. Besonders bei der Auflösung bestehender Sammlungen durch die Erben des verstorbenen Besitzers mussten sie ihre Erstellung oft selbst in Auftrag geben.573 Die Kataloge wurden dabei als Einzelstücke handschriftlich angefertigt, weshalb die Agenten nach einiger Zeit auf die Rücksendung derselben drängten. Herzog August bzw. seine Bibliotheksmitarbeiter markierten in diesen Katalogen die gewünschten Titel und fertigten zusätzlich eine Abschrift der bestellten Bücher an, um so den Überblick über die laufenden Einkäufe zu behalten. Handelten die Agenten aus eigener Initiative heraus, indem sie für den Herzog potenziell interessante Werke von sich aus zum Kauf anboten, selbst erwarben und im Fall der Ablehnung behalten mussten, übten sie eine Kernpraktik der Buchhändler, den Zwischenhandel, aus. Wenn sich andere Buchhändler an sie wandten, dann ebenfalls in der Regel in Bezug auf ihre Funktion als Vermittler und nicht als Endabnehmer. Sie verfolgten zwar nicht die Zielsetzung, damit einen Gewinn zu erwirtschaften, trotzdem rechtfertigt dies, wie etwa auch im Fall Stephan Roths, ihre Stellung als Nebenaktanten im Wissensraum Buchhandel, obwohl sie weder eine Druckerei, einen Verlag, Werbung, Messehandel noch Faktoreien betrieben. Dafür mussten sie sich ebenfalls ausführlich mit dem Transport von Büchern beschäftigen. Eine weitere wichtige Praktik, die die Agenten als Nebenaktanten mit den Hauptbuchhandelsaktanten gemeinsam hatten, war die Netzwerktätigkeit mittels Korrespondenz. Durch ihren Kontakt zu Buchhändlern nahmen sie außerdem auch am buchhändlerischen Diskurs teil. Netzwerktätigkeit Für die Beschaffung von Büchern wie auch für ihre anderweitigen Pflichten war es für die Agenten unerlässlich über eigene weitreichende Netzwerke zu verfügen. »Aufbau und Pflege der guten Verbindungen waren eine wesentliche Aufgabe des Agenten und ganz von seiner Initiative und Aktivität abhängig.«574 Die wichtigste und fast einzige Möglichkeit, Korrespondenten kennenzulernen, war über Familienangehörige oder Bekannte.575 Als Agenten waren daher besonders Personen aus höheren sozialen Schichten tätig, die durch ihre Bildung und eventuelle Reisen Zugang zu den entsprechenden Kreisen hatten.576 Somit entstammten sie ganz ähnlichen sozialen Verhältnissen wie die Buchhändler und hatten eine gute Zugangsvoraussetzung zum Wissensraum Buchhandel. Die Reichweite der Netzwerke war dabei abhängig vom Engagement der Agenten und auch von ihrem Standort. Es

573 574 575 576

Vgl. Perrin, Netzwerk- und Sammelpolitik Herzog Augusts d. J., S. 189. Härtel, Herzog August und sein Bücheragent Johann Georg Anckel, S. 246. Vgl. Härtel, Herzog August und sein Bücheragent Johann Georg Anckel, S. 245. Vgl. Härtel, Untersuchungen zum Erwerbungsvorgang, S. 9.

4.3 Übergreifende Netzwerke 

413

fällt auf, dass die Agenten in der Regel in großen Handelszentren saßen. »Es versteht sich wohl von selbst, daß diese Agenten in den großen Verkehrszentren ihren Wohnsitz haben mußten, wo wichtige Ereignisse am frühesten bekannt wurden, und Güter sowie Geld und Geldeswert am sichersten hin und her geschickt werden konnten.«577 In einer vorteilhaften Ausgangsposition stand besonders die zweite Generation einer Agentenfamilie. Söhne oder Schwiegersöhne, die die Stelle ihres Vaters respektive Schwiegervaters einnahmen, konnten ein bereits ausgebautes Korrespondentennetz übernehmen, mit dem sie sich oft schon zuvor vertraut machen konnten. In einer solchen günstigen Ausgangslage befanden sich Hirt und Fend, während zum Beispiel Anckel nicht nur aus geringeren sozialen Verhältnissen stammte, sondern sich auch den Schwierigkeiten des alleinigen Aufbaus eines Netzwerks gegenübersah. Er konnte dabei lediglich auf die Verbindungen seiner Frau, der Tochter Hainhofers, zurückgreifen. Das könnte auch seine teils aggressiven Versuche erklären, Kontaktpersonen seines Konkurrenten Hirt abzuwerben. Der Herzog band seine Kontakte neben der festen Bezahlung einiger von ihnen durch gelegentliche Geschenke und Gunstbezeugungen an sich und ähnlich verfuhren die Agenten bei den Mitgliedern ihrer Netzwerke. Außerdem war es für sie von Vorteil, sich untereinander zu kennen und ein gemeinsames Subnetzwerk zu bilden. Johann Martin Hirt und Johann Georg Anckel sind dabei eine Ausnahme; ihre Konkurrenzsituation erwuchs aus der Tatsache, dass sie in der gleichen Stadt stationiert und ihre Aufgaben nicht voneinander getrennt waren. Forstenheuser wie auch die übrigen Agenten nutzten stattdessen die jeweils anderen als wichtige Kontakte in ihrem Netzwerk. Sie korrespondierten untereinander, was auch für den Herzog von Vorteil war, da sie sich so beim Buchkauf abstimmen konnten, besonders bei seltenen Einzeltiteln, nach denen August gleich mehrere Agenten suchen ließ. Die dichte persönliche Verknüpfung sowohl im Informationsgeschäft als auch im Warenhandel war zeittypisch und eine wichtige Ressource für die Buchhandelsaktanten. Diese Beziehungen fußten vor allem im Kreditwesen auf gegenseitigem Vertrauen und dem Ansehen einer Person. Der eigene Ruf war ein wichtiges zu schützendes Gut, was auch aus den Quellen deutlich hervorgeht: Über die Ehre ließ sich der Kredit, den man in konkreten Situationen auch in ganz materieller Weise bekommen konnte, erzeugen. Es zeigt sich, was ich hier nur andeuten kann, ein komplexer Kreislauf von materiellen und immateriellen Ressourcen, die ineinander umgewandelt werden konnten.578

577 Milchsack, Herzog August d. J. und sein Agent Philipp Hainhofer, S. 27. 578 Gabriele Jancke: Gastfreundschaft in der frühneuzeitlichen Gesellschaft. Praktiken, Normen und Perspektiven von Gelehrten. Göttingen: V&R unipress 2013 (Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung; Bd. 15), S. 294.

414  4 Die Aktanten im Wissensraum Buchhandel

Genauso wichtig wie für den Buchhändler war auch für den Agenten die geographisch möglichst weitgreifende und breite persönliche Vernetzung. Die Pflege dieser Netzwerke geschah in erster Linie mittels Briefen, im Fall der Buchhändler auch häufig über persönliche Besuche auf Reisen. Sowohl bei den Agenten als auch bei den Buchhändlern wurde jedoch augenfällig, dass sie ihr Unternehmen und ihre Kontakte bevorzugt zentral von einem Standort aus leiteten bzw. unterhielten. Für Forstenheuser und Fend lässt sich festhalten, dass sie nach ihrer Bestallung selbst nie auf Reisen gingen und bei den Buchhändlern wird sichtbar, dass sie vor allem in späteren Jahren das Reisen zu den Messen und ihren Faktoreien häufig engen Vertrauten oder Verwandten als Stellvertreter überließen. Zusammenfassung In Bereichen des Warenhandels, die für die Hofhaltung interessant waren, wie etwa im Kunsthandel, wurden die Agenten als wichtige und zahlungskräftige Abnehmer erkannt. Auch bezüglich des Buchhandels zeigt sich ihre Bedeutung am Beispiel Herzog Augusts sehr deutlich. Nicht nur auf dem aktuellen Markt, sondern auch im Antiquariatsbuchhandel waren sie als Zwischenhändler präsent, wurden von den Zeitgenossen als solche wahrgenommen und gezielt angesprochen. Ihnen eine Rolle im Buchhandel der Zeit abzusprechen mit der Begründung, sie hätten nur »als verlängerter Arm« des Rezipienten – hier des Herzogs – gehandelt, ist allein schon deshalb nicht zulässig, weil in den Bestallungsurkunden der untersuchten Agenten im Gegensatz zur gezielten Aufgabenstellung der Nachrichtenübermittlung der Auftrag zum Buchkauf nicht explizit formuliert wurde. Zudem gab August ihnen mit Ausnahme der Bestellungen keine inhaltlichen Vorgaben dazu. Viel hing stattdessen von ihrem eigenen Engagement ab und davon, dass sie sich als Vermittler im Gewerbe bekannt machten. Es ist also nicht korrekt, wenn Härtel behauptet die Agenten »never bought at their own risk«579. Sowohl Hirt als auch Forstenheuser haben nachweislich Bücher ohne vorherige Absprache mit dem Herzog gekauft und damit auf ihr persönliches Risiko hin. Beide waren gezwungen, einige davon zu behalten und in ihre eigenen Bibliotheken zu integrieren. Überdies ließ sich feststellen, dass die Nürnberger bei einzelnen Büchern mit Hinweisen auf die gute Ausstattung und Qualität sowie mögliche Preisnachlässe oft Überzeugungsarbeit zum Kauf leisteten – teilweise auch dann noch, nachdem August einen Titel bereits abgelehnt hatte. Bis auf wenige Ausnahmen waren sie mit ihren Empfehlungen erfolgreich und nahmen damit auch einen inhaltlichen Einfluss auf den Bestand der Augusta, was vor allem aufgrund der »zeitgeschichtliche[n] Archivfunktion der Fürstenbibliotheken«580 von Bedeutung ist.

579 Härtel, Duke August and his Book Agents’, S. 116. 580 Arnold, Identität durch Bücher, S. 102.

4.3 Übergreifende Netzwerke  415

Die Einflussnahme der Teilnehmer des herzoglichen Netzwerks auf die Entwicklung der Bibliothek ist demnach nicht zu unterschätzen, denn auch für die Herzog August Bibliothek gilt: »Alle später groß gewordenen Fürstenbibliotheken des 16. Jahrhunderts haben ihre Bestände mit Hilfe dieser Netzwerke aufgebaut und die an ihnen Beteiligten haben durch ihre Arbeit die Erwerbungsprofile wesentlich geformt.«581 Sowohl aufgrund ihrer Eigeninitiative beim Buchkauf als auch wegen ihrer Wahrnehmung als Zwischenhändler durch andere Buchhändler waren die Agenten wichtige Nebenaktanten im Wissensraum Buchhandel.

581 Arnold, Identität durch Bücher, S. 99.

5 Dimensionen des Wissensraums in der Frühen Neuzeit Innerhalb der Frühen Neuzeit änderte sich nicht nur das Verständnis von Wissen, sondern auch die Raumvorstellung. Mittelalterliche Karten boten zunächst noch keine Orientierung im geographischen Raum. Sie waren sogenannte Ökumenekarten und verbildlichten weniger räumliche Entfernungen als vielmehr die christliche Heilsgeschichte.1 Die Karten wurden nicht anhand von Erfahrungswissen oder Messungen erstellt, sondern nach dem »topischen Modell einer T-O-Karte, bei der Jerusalem im Zentrum steht, von wo aus ein hagiographischer Erinnerungsraum aufgespannt wird.«2 Der Raum der Ökumene wurde von den Zeitgenossen gleichgesetzt mit dem geographischen Raum, innerhalb dessen die Apostel das Evangelium verbreiteten. Doch schon ab dem 13. Jahrhundert gab es eine neue Art der kartographischen Raumkonstitution, die eng mit der Erfahrung zusammenhing. Die Notation geographischer Karten als formalisierte Erfahrung löste den symbolischen vom körperbezogenen Raum ab.3 Ab dem 15. Jahrhundert sieht Rainer Züch schließlich in Anlehnung an Erwin Panofsky einen Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Zentralperspektive und dem Geschichtsverständnis der Zeit. Durch die Zentralperspektive wurde jedem Objekt innerhalb eines Raumes ein fester Platz und ein definiertes Verhältnis zum betrachtenden Subjekt zugewiesen, was zu einer grundlegenden Änderung bzw. überhaupt erst der »Geburt« von Raumvorstellung in der Renaissance führte. Eine ähnliche intellektuelle Leistung erforderte das Erkennen einer Distanz zwischen Gegenwart und Vergangenheit. »Beide Ideen konstituieren Existenzbedingungen der Renaissance.«4 Der mittelalterliche Raum der Lokalisierung, die Hierarchie und die Kreuzung der Orte erfuhr seine Öffnung jedoch erst mit Galileo, denn Foucault macht den eigentlichen »Skandal«5 um dessen Werk weniger an der Entdeckung fest, dass sich

1 Vgl. Jörg Dünne: Pilgerkörper – Pilgertexte. Zur Medialität der Raumkonstitution in Mittelalter und früher Neuzeit. In: Von Pilgerwegen, Schriftspuren und Blickpunkten. Raumpraktiken in medienhistorischer Perspektive. Hrsg. von Jörg Dünne, Hermann Doetsch und Roger Lüdeke. Würzburg: Königshausen & Neumann 2004, S. 79–98, S. 82. 2 Dünne, Pilgerkörper – Pilgertexte, S. 83. 3 Vgl. Dünne, Pilgerkörper – Pilgertexte, S. 89. 4 Rainer Züch: Bildraum vs. Räumlichkeit im Bild. Der Zusammenhang der Raumdarstellung in der bildenden Kunst mit der ›Weltanschauung‹. In: Von Pilgerwegen, Schriftspuren und Blickpunkten. Raumpraktiken in medienhistorischer Perspektive. Hrsg. von Jörg Dünne, Hermann Doetsch und Roger Lüdeke. Würzburg: Königshausen & Neumann 2004, S. 249–270, S. 268. 5 Michel Foucault: Von anderen Räumen (1967). In: Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften. Hrsg. von Jörg Dünne und Stephan Günzel. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2006, S. 317–329, S. 318. https://doi.org/10.1515/9783110616521-005

5 Dimensionen des Wissensraums in der Frühen Neuzeit



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die Erde um die Sonne dreht, als vielmehr daran, dass er auf diese Weise einen unendlich offenen Raum konstituierte. In diesem unendlichen Raum löste sich der mittelalterliche Ort auf. »Anders gesagt, seit Galilei und seit dem 17. Jahrhundert tritt die Ausdehnung an die Stelle der Lokalisierung.«6 Die Entwicklung hin zur Moderne ist also auch eine Entwicklung weg vom Nahraum hin zur Eroberung der Ferne.7 Dies ist zu Beginn des Betrachtungszeitraums nachzuvollziehen anhand der Erkundung der eigenen Welt wie der Entdeckung Amerikas im Jahr 1492. Große Distanzen schrumpften und wurden im Sinne der Gelehrsamkeit überbrückt mittels Büchern. Erst vor diesem Hintergrund konnte sich die Vorstellung eines übergeographischen Raums wie dem der Res publica literaria durchsetzen. Die Verwendung des Modells Wissensraum zur Beschreibung historischer Phänomene der Frühen Neuzeit bedeutet in diesem Fall also nicht, dass moderne Wissenschaftsterminologie auf Vergangenes appliziert wird. Dass vielmehr die grundsätzliche Vorstellung eines solchen Wissensraums schon bei den Zeitgenossen aktuell war, veranschaulichen die beiden Texte Convivium fabulosum und Convivium Religiosum aus den Colloquia familiaria von Erasmus von Rotterdam (1518). Darin geht es in erster Linie um Musterbeispiele von Gesprächen, die der Gelehrte mit pädagogischer Zielrichtung verfasst hatte.8 Tatsächlich können sie aber auch als bildliche Beschreibung der Res publica literaria aufgefasst werden. Beim Geschichtenreichen Gastmahl treffen sich mehrere Personen, die einen Würfel bestimmen lassen, wer von ihnen jeweils an der Reihe ist, eine Geschichte zu erzählen. Diese Geschichten sollen alle unterhaltsam sein und sind dem gemeinsamen Oberthema der Gaunerei verpflichtet, »denn so wie ein Kettenglied am anderen hängt, so zieht eine Geschichte die andere nach sich.«9 Im Geistlichen Gastmahl wiederum treffen sich antike Gelehrte auf dem Landgut des Gesprächsführers Eusebius. Die Teilnehmer sind dabei angehalten, einen Schatten mitzubringen. Diese Schatten beteiligen sich im weiteren Verlauf am Gespräch und erläutern stellvertretend diskutierte Texte. Hinzu kommt, dass ein Knabe gelegentlich aus den Evangelien vorliest, worüber anschließend debattiert wird, sowie dass einer der Teilnehmer ein Buch hervorholt und daraus zitiert.10 Schon bei Erasmus finden sich somit alle Kriterien, wie sie für das Modell Wissensraum gelten. Zunächst ist das Kernelement die soziale Interaktion mehrerer, zahlenmäßig nicht begrenzter Teilnehmer, genauer gesagt ihr Diskurs. Daran können neben den Personen auch Bücher beteiligt sein. Der Diskurs ist dynamisch, da er sich mit jedem

6 Foucault, Von anderen Räumen, S. 318. 7 Vgl. Schroer, Räume, Orte, Grenzen, S. 10. 8 Vgl. Desiderius Erasmus: Ausgewählte Schriften. Ausgabe in acht Bänden. Lateinisch und Deutsch. 6. Colloquia familiaria = Vertraute Gespräche. Übers., eingel. und mit Anm. vers. von Werner Welzig. Hrsg. von Werner Welzig. Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 1967, S. XIII. 9 Erasmus, Ausgewählte Schriften, Bd. 6, S. 297. 10 Vgl. Erasmus, Ausgewählte Schriften, Bd. 6, S. 69–71 und 101.

418  5 Dimensionen des Wissensraums in der Frühen Neuzeit

neuen Gesprächsbeitrag verändert, das Gesprächsthema selbst ist aber auf ein beherrschendes Oberthema festgelegt, was bedeutet, dass es einen inhaltlichen Zusammenhang des Diskurses geben muss. Um sich an ihm beteiligen und einen sinnvollen Beitrag dazu leisten zu können, müssen die Teilnehmer also über das passende Wissen verfügen. Dieses Kriterium unterscheidet die vorgestellten Tischgespräche von reinen Kommunikationsräumen. Da es sich außerdem um gelehrte Gastmähler handelt, wird das Wissen um das richtige Betragen ebenso wie eventuelles Wissen über eine Sitzordnung und die darin ausgedrückte Hierarchie vorausgesetzt.11 Erasmus ging es um ein gleichberechtigtes Aufeinandertreffen der Beteiligten, doch auch dies und sein Widerspruch zur Realität war vorausgesetztes Wissen. Der Ort, an dem das Gastmahl stattfindet, ist darüber hinaus durch die Beschreibung von Erasmus überörtlich dargestellt, da er symbolisch gedacht ist als ein Raum, in dem sich die Gäste nur imaginär versammeln können. Streng genommen ist er also ortsungebunden, genauso wie er zeitungebunden ist. Letzteres verbildlicht Erasmus etwa durch die Tatsache, dass sich im Schauplatz des Convivium Religiosum, einem Garten, neben echten Pflanzen auch gemalte Blumen finden, die unabhängig von den Jahreszeiten immer blühen.12 Auf diese Weise entwarf also schon ein Gelehrter Anfang des 16. Jahrhunderts die Grundvorstellung eines Wissensraums. Um nun einen Blick von außen auf den Wissensraum Buchhandel werfen zu können, wird in den folgenden Kapiteln der Wissensraum Gelehrtenrepublik genauer betrachtet und anschließend sein Einfluss auf diesen herausgestellt. Das soll einerseits zeigen, dass das Modell Wissensraum nicht nur auf den Buchhandel sinnvoll angewendet werden kann. Andererseits verdeutlicht es die Überschneidung der beiden Wissensräume und veranschaulicht so die enge Verbindung der Gelehrtenwelt mit der des Buchhandels in der Frühen Neuzeit.

5.1 Die Res publica literaria »Eine der bemerkenswerten Erfindungen der frühen Neuzeit ist die Idee einer ›übernationale[n] kosmopolitische[n] Körperschaft‹ der Gelehrten.«13 Die Bezeichnung Res publica literaria wurde erstmals von Erasmus in seiner Schrift Antibarbarum

11 Im Geistlichen Gastmahl wird thematisiert, wie Eusebius seinem Gast Timotheus den Ehrenplatz überlässt. Vgl. Erasmus, Ausgewählte Schriften, Bd. 6, S. 47. 12 Vgl. Erasmus, Ausgewählte Schriften, Bd. 6, S. 35. 13 Rudolf Stichweh: Die Universalität wissenschaftlichen Wissens. In: Weisheit – Wissen – Information. Hrsg. von Karen Gloy und Rudolf zur Lippe. Göttingen: V&R unipress 2005, S. 177–191, S. 189.

5.1 Die Res publica literaria

 419

liber14 verwendet.15 Als Gemeinschaft der Gelehrten war sie prinzipiell ortlos gedacht und löste sich damit von einer lokalen Anbindung wie etwa an die Institution der Universität. Feste Ankerpunkte hatte sie vielmehr in Gestalt ihrer Vertreter, die als eine Art Knoten im Gelehrtennetzwerk fungierten, aber auch weiterhin in den Orten, die als regelmäßige Treffpunkte der Gelehrten galten, wie zum Beispiel die Buchmesse oder ein Universitätsgebäude. Gegenseitige Besuche der Gelehrten und ihre Korrespondenz untereinander schufen ebenfalls eine räumlich fassbare Verbindung dieser abstrakten Idee einer Gelehrtenrepublik. Der Bezug auf die Welt in der Literatur zur Res publica literaria spielt immer wieder auf die fehlenden konfessionellen, territorialen oder nationalen Grenzen an. Johann Georg Pritius schrieb 1698 in seiner Leipziger Dissertation De republica literaria16, die Gelehrtenrepublik »wäre durch die ganze Welt zerstreuet, und hieße daher auch die gelehrte Welt«17. Ihre internationale Ausrichtung spiegelte sich am deutlichsten in der gemeinsamen Gelehrtensprache wider, dem Lateinischen, das »ein einheitliches Band um die wissenschaftlichen Bestrebungen aller Völker«18 schlang. Wie die Wissenskultur war auch der Markt für gelehrte Bücher durch die lateinischsprachigen Texte international.19 Die in ihrer Selbstbeschreibung erwähnte Metapher der Republik ist dabei besonders bemerkenswert, da sie auf einen politischen Herrschaftsverband rekurriert. Die Res publica literaria bezeichnete also gewissermaßen einen eigenen Staat, der nicht an ein geographisch fixiertes Territorium gebunden und keinem weltlichen Herrscher unterworfen war. Obwohl sie nicht politisch motiviert war, wurden für ihre Beschreibung politische Denkformen genutzt.20 Möglicherweise war für die Zeitgenossen eine soziale Gemeinschaft nur schwer losgelöst von einem politischen System vorstellbar. Allerdings unterschieden auch sie schon zwischen dem Rang eines Gelehrten in der »Rep. civili« und in der »Rep. literaria«. Für die Gelehrtenrepublik herrschten jedenfalls eigene Regeln, die nicht mit der Hierarchie an den Uni-

14 Desiderius Erasmus: Anti||barbarorvm D. Eras=||mi Roterodami, liber unus, quem iuue||nis quidem adhuc lusit: caeterum diu de|| sideratum, demum repertum non iuuenis recognouit, & uelut postliminio stu||diosis restituit … ||. Köln: Konrad Caesar 1523. Vgl. VD16 E 2003. 15 Vgl. Leander Scholz: Das humanistische Kommunikationsmodell. In: Gelehrte Kommunikation. Wissenschaft und Medium zwischen dem 16. und 20. Jahrhundert. Hrsg. von Jürgen Fohrmann. Köln [u. a.]: Böhlau 2005, S. 67–99, S. 71. 16 Johann Georg Pritius und Carl Friedrich Romanus: Dissertatio Academica De Republic Litterari / Quam Indultu Amplissimae Facultatis Philosophicae In Academica Philuraea Sub Praesidio … M. Jo. Georgii Pritii … Ad diem VI Augusti A.O.R. MDCXCVIII. … publice defensurus est Carolus Fridericus Romanus, Lipsiensis. Leipzig: Christian Götze 1698. Vgl. VD17 12:135336X. 17 Zitiert nach Stichweh, Die Universalität wissenschaftlichen Wissens, S. 190. 18 Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 370. 19 Vgl. Maclean, Learning and the Market Place, S. 11. 20 Vgl. Stichweh, Die Universalität wissenschaftlichen Wissens, S. 189f.

420  5 Dimensionen des Wissensraums in der Frühen Neuzeit

versitäten gleichzusetzen sind.21 Da es sich bei ihr also offenbar nicht um einen Raum ohne Vorschriften oder Richtlinien handelte, wird die Verwendung eines politischen Herrschaftsraums als Metapher wiederum evident. Das hohe metaphorische Potenzial, das der Titel Res publica literaria enthält, veranschaulicht die bekannte Traumsatire Républica literaria von Diego de Saavedra Fajardos. Der früheste Druck des spanischen Textes stammt von 1655 und die deutsche Übersetzung Die Gelehrte Republik erschien 1748 bei Gleditsch in Leipzig. Seine Darstellung ist gemäß dem Genre der Satire keine positive. »Ganz im Stil des späthumanistischen somnium, der akademischen imitatio der Lukianischen Manier, betreibt Saavedra Desillusionierung durch Denunziation und burlesken Spott.«22 Fajardos. Gelehrtenrepublik wird als eine allegorische Stadtrepublik vorgestellt, als deren Vorbild die Stadt Salamanca vermutet wird. Der Erzähler betritt diese Stadt im Traum und wandert unter Leitung seines Führers, dem römischen Polyhistor Varro, durch ihre Bezirke. Im Laufe seiner Stadtbesichtigung werden dann vor allem die gelehrten Disziplinen und ihre Vertreter als unproduktiv entlarvt. In der Stadt herrschen verschiedene Laster, darunter Heuchelei, Hochmut, böswillige Kritiksucht und üble Nachrede.23 Das Auftreten eines antiken Führers verdeutlicht zudem einen weiteren wichtigen Aspekt der Res publica literaria, denn so wie sie eine überörtliche Dimension aufwies, besaß sie auch eine überzeitliche Ausdehnung. Durch die überlieferten Texte schloss sie nämlich nicht nur lebende Gelehrte, sondern auch längst verstorbene mit ein. Völlig grenzenlos war sie jedoch nicht, denn sie hatte durchaus »ihre Regeln der Inklusion und Exklusion.«24 Man musste nicht nur Gelehrter sein, um Mitglied der Gelehrtenrepublik werden zu können, sondern man musste auch in der Lage sein, sich in ihr regelkonform zu bewegen und gelehrte Praktiken auszuüben. Bis ins 18. Jahrhundert hinein bezeichnete die Res publica literaria die internationale Kommunikationsgemeinschaft der Gelehrten. Ihre Blütezeit lag zwischen 1660 und 1730.25 Dass sie jedoch noch mehr war als ein reiner Kommunikationsraum zeigen die folgenden Kapitel, die dem Modell Wissensraum folgend ihren Dis-

21 Vgl. Marian Füssel: Gelehrtenkultur als symbolische Praxis. Rang, Ritual und Konflikt an der Universität der Frühen Neuzeit. Darmstadt: Wiss. Buchges. 2006, S. 30f. 22 Herbert Jaumann: Ratio clausa. Die Trennung von Erkenntnis und Kommunikation in gelehrten Abhandlungen zur Respublica literaria um 1700 und der europäische Kontext. In: Res Publica Litteraria. Die Institutionen der Gelehrsamkeit in der frühen Neuzeit. Bd. II. Hrsg. von Sebastian Neumeister und Conrad Wiedemann. Wiesbaden: Harrassowitz 1987 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; Bd. 14), S. 409–429, S. 413. 23 Vgl. Jaumann, Ratio clausa, S. 413. 24 Martin Mulsow: Die unanständige Gelehrtenrepublik. Wissen, Libertinage und Kommunikation in der Frühen Neuzeit. Stuttgart [u. a.]: J. B. Metzler 2007, S. VII. 25 Vgl. Repräsentation und Ordnung des neuen Wissens (1660–1730). Einleitung. In: Macht des Wissens. Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft. Hrsg. von Richard van Dülmen, Sina Rauschenbach und Meinrad von Engelberg. Köln [u. a.]: Böhlau 2004, S. 321–322, S. 321.

5.1 Die Res publica literaria



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kurs, ihre Aktanten und ihre Praktiken sowie ihre Orte und ihre Grenzen vorstellen. Trotz ihrer großen Bedeutung und ihrer häufigen Erwähnung in der Forschung gibt es nur relativ wenige Arbeiten, die sich explizit der Res publica literaria in einem umfassenden Sinn widmen. In der vorhandenen akademischen Literatur wird sie zudem häufig gleichgesetzt mit der Gelehrtenkultur, wodurch der wichtige Raumgedanke vernachlässigt wird.26 Dem will ich mit den folgenden Ausführungen entgegenwirken. Dabei wird nicht nur die zugrundeliegende Raumvorstellung stärker betont, sondern auch ihr insgesamt enger Zusammenhang zum Buchhandel.

5.1.1 Diskurs und Wissen Der Diskurs im Wissensraum der Res publica literaria drehte sich in erster Linie um Wissen, genauer gesagt gelehrtes Wissen. Was aber ist darunter zu verstehen? Zunächst einmal ist es keinesfalls deckungsgleich mit unserer heutigen Vorstellung von wissenschaftlichem Wissen. Stattdessen bestand ein viel engerer Zusammenhang zum religiösen Glauben. Die Theologie des Mittelalters war eine umfassende Ordnung, die alle Bereiche des menschlichen Lebens bestimmte und der sich alle anderen Disziplinen unterzuordnen hatten. Alles Wissen hatte einen unmittelbaren Bezug zur Theologie und zum Glauben.27 Diese enge Verbindung hielt sich bis in die Frühe Neuzeit hinein. Das Wissen, das die Gelehrten sammelten und für relevant erachteten, war außerdem stark auf das menschliche Leben und die Gesellschaft ausgerichtet. Es gehörte zum Selbstverständnis eines Gelehrten, nicht nur das angehäufte Wissen zu verwalten und weiterzugeben, sondern es auch zu erweitern, zu verfeinern und anzuwenden in den verschiedensten praktischen Feldern der Predigt und des Unterrichts, aber auch der Verwaltung, Beratung und Rechtsprechung. Gelehrte der Frühen Neuzeit können nach Gabriele Jancke nicht – wie oft explizit oder implizit angenommen – wie moderne »Wissenschaftler« verstanden werden, deren Ziel es war, methodengeleitet kontextloses neues Wissen zu produzieren. Stattdessen sahen sie sich und wurden gesehen als mit den Gegenständen ihres Wissens verbunden.28

26 Vgl. Herbert Jaumann: Respublica litteraria/Republic of letters. Concept and Perspectives of Research. In: Die Gelehrtenrepublik im Zeitalter des Konfessionalismus. The European Republic of Letters in the Age of Confessionalism. Hrsg. von Herbert Jaumann. Wiesbaden: Harrassowitz 2001 (Wolfenbütteler Forschungen; Bd. 96), S. 11–19, S. 11. 27 Vgl. Merio Scattola: Gelehrte Philologie vs. Theologie: Johannes Caselius im Streit mit den Helmstedter Theologen. In: Die Gelehrtenrepublik im Zeitalter des Konfessionalismus. The European Republic of Letters in the Age of Confessionalism. Hrsg. von Herbert Jaumann. Wiesbaden: Harrassowitz 2001 (Wolfenbütteler Forschungen; Bd. 96), S. 155–181, S. 156f. 28 Vgl. Jancke, Gastfreundschaft, S. 48f.

422  5 Dimensionen des Wissensraums in der Frühen Neuzeit

Das Wissen selbst bzw. das, was als Wissen zeitgenössisch die höchste Geltung besaß, begann sich bereits in der Reformationszeit allmählich zu verändern und sich von der Dominanz des Glaubens zu emanzipieren. Dieses vor allem humanistisch-reformatorisch inspirierte Wissen aus den Bereichen der Medizin und Astronomie trat allerdings noch nicht in eine direkte Konkurrenz zum theologischen Glauben, sondern wahrte ein gewisses Einvernehmen mit diesem.29 Dennoch verlor die Theologie allmählich ihre Funktion als Leitdisziplin. Sie wurde zu einem Fachbereich neben anderen mit einer eigenen Sprache und eigenen Methoden. Dadurch wurde die ursprüngliche Einheit der Septem artes liberales aufgebrochen und es entstanden unterschiedliche Ebenen, die parallel existierten. Die religiöse, die politische, die ethische und die ökonomische Ebene erhielten jeweils ihre eigenständige Berechtigung. Somit konnte die religiöse Ordnung zwar die staatliche unterstützen oder sogar widerspiegeln, aber sie blieben voneinander getrennt. Dies war der Stand im Zeitalter des Konfessionalismus; man konnte sich nun nicht mehr auf die Religion berufen, wenn man die politische Ordnung verändern wollte.30 In einer weiteren Ausdifferenzierung der einzelnen Wissensgebiete erhielten schließlich auch die Naturwissenschaften ihre Institutionalisierung. Im Jahr 1657 wurde in Florenz die Accademia del Cimento, die Akademie des Experiments gegründet, 1660 die Royal Society in London und 1666 die Académie des Sciences in Frankreich. ›Institutionalisierung der Wissenschaften‹ bedeutet jedoch nicht einfach, daß die Forschung nun Schutz und Hilfe von der Krone erfährt. Gemeint ist damit vielmehr ein komplexer Prozeß, bei dem nach und nach verbindliche Standards fixiert, der Informationsfluß reguliert, Prüfungsmethoden etabliert werden. Und es werden die Grenzen zwischen Wissenschaft und Nicht-Wissenschaft gezogen.31

In Deutschland erfolgte dieser Prozess erst später. Die Kurfürstlich-Brandenburgische Societät der Wissenschaften wurde erst 1700 auf Anregung Leibniz gegründet; 1711 ging aus ihr die Preußische Akademie der Wissenschaften hervor.32 Das Aufkommen der zeitgleichen Realien- oder Realismusbewegung, die den Akzent nicht auf das Erlernen der Verba, der Bezeichnung, sondern die Beherrschung der Res, der Sache, legte, hing nicht nur mit der Herausbildung der frühkapitalistischen

29 Vgl. Goertz, Von der Kleriker- zur Laienkultur, S. 42–44. 30 Vgl. Scattola, Gelehrte Philologie vs. Theologie, S. 157 und 173. 31 Georg Braungart und Wolfgang Braungart: Mißlingende Utopie – Die Neuen Wissenschaften auf der Suche nach fürstlicher Patronage. Zu Johann Daniel Majors See = Farth nach der Neuen Welt (1670). In: Res Publica Litteraria. Die Institutionen der Gelehrsamkeit in der frühen Neuzeit. Bd. II. Hrsg. von Sebastian Neumeister und Conrad Wiedemann. Wiesbaden: Harrassowitz 1987 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; Bd. 14), S. 367–386, S. 373. 32 Vgl. Braungart/Braungart, Mißlingende Utopie, S. 374.

5.1 Die Res publica literaria

 423

Wirtschaftsform zusammen, sondern war auch eine Folge der Entdeckungen und technischen Erfindungen der Naturwissenschaften.33 Das 17. Jahrhundert bedeutete insgesamt gesehen eine Zäsur, nach der die Vernunft gegenüber dem Glauben die Oberhand gewann und sich besonders im naturwissenschaftlichen Bereich gesellschaftlich durchsetzte. Die neue Philosophie, die Naturphilosophie oder mechanische Philosophie, war eine radikale Abwendung von der Tradition, da sie nicht nur die mittelalterlichen, sondern auch die klassischen Überlieferungen ablehnte. »Die neuen Ideen waren Ausdruck einer Bewegung, die gemeinhin als wissenschaftliche Revolution bezeichnet wird«34 Obwohl es in der Forschung zunehmend Zweifel an diesem Etikett gibt, ist in dieser Zeit doch eine deutliche Wandlung im wissenschaftlichen Diskurs festzustellen. Die noch wenig erforschten Übergänge von der aristotelisch geprägten Scholastik hin zu einem aufgeklärten Denken waren dabei häufig fließender als manche örtlichen Auseinandersetzungen, wie zum Beispiel zwischen Halle und Leipzig, glauben lassen.35 Im 17. Jahrhundert setzte sich ferner eine in der Reformation begonnene Entwicklung fort: die verstärkte Hinwendung der Gelehrten zu einer breiten Öffentlichkeit. Auch in der Diskussion der Reformation ging es um den Einbezug des »gemeinen Manns« in den gelehrten Diskurs und damit um die Öffnung der Gelehrtenrepublik nach außen. Das meinte nicht, dass nun Außenstehende darin als Aktanten auftreten konnten. Vielmehr sollte der Einbezug der Öffentlichkeit die gesellschaftliche Relevanz des gelehrten Diskurses und des dazugehörigen Wissensraums unterstreichen und kann als eine Art Legitimationsbestreben verstanden werden. Diese Entwicklung zeigte sich auch in den zeitgenössischen Darstellungen der Gelehrten. Das Bild des Gelehrten im 16. Jahrhundert drückte das Ideal der Renaissance aus. Er saß darin in seiner abgeschirmten Studierstube und fühlte sich in seiner Arbeit gestört, wenn er von außen angesprochen wurde. Außerdem umgab er sich gerne mit Rahmenallegorien, die ein Vorwissen des Betrachters voraussetzten und sich so auch nur an einen begrenzten Adressatenkreis wandten. Dagegen zeigte sich der gemalte Gelehrte des 17. Jahrhunderts deutlich offener. Ihm standen viel

33 Vgl. Gunter E. Grimm: Muttersprache und Realienunterricht. Der pädagogische Realismus als Motor einer Verschiebung im Wissenschaftssystem (Ratke – Andreae – Comenius). In: Res Publica Litteraria. Die Institutionen der Gelehrsamkeit in der frühen Neuzeit. Bd. I. Hrsg. von Sebastian Neumeister und Conrad Wiedemann. Wiesbaden: Harrassowitz 1987 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; Bd. 14), S. 299–324, S. 299. 34 Burke, Papier und Marktgeschrei, S. 52. 35 Vgl. Anton Schindling: Bildung und Wissenschaft in der frühen Neuzeit 1650–1800. 2. Aufl. München: R. Oldenbourg 1999 (Enzyklopädie deutscher Geschichte; Bd. 30), S. 53. Die Abwendung von der Scholastik erfolgte auch nicht vollständig, denn »die Antike war bis tief ins 18. Jahrhundert hinein mit maßgebenden Lehrschriften der Bezugsrahmen für den tatsächlich erteilten akademischen Unterricht und bot einen Kernbestand an Wissen.« Schindling, Bildung und Wissenschaft in der Frühen Neuzeit, S. 52.

424  5 Dimensionen des Wissensraums in der Frühen Neuzeit

mehr Bücher zur Verfügung, sodass jeder Finger mit dem Festhalten und Seitenmarkieren beschäftigt war, trotzdem wirkte er ansprechbar.36 Änderte sich das Wissen bzw. das, was als Wissen allgemein anerkannt war, so änderte sich auch das Selbstbild des Gelehrten, der sich, wie es im nächsten Kapitel noch genauer erläutert wird, in erster Linie über seine Bildung definierte. Im 18. Jahrhundert kam es dann erneut zu einem Wendepunkt in der Geschichte des europäischen Wissens, diesmal allerdings vor allem unter dem Aspekt der Institutionalisierung. Zunächst wurde das Wissensmonopol der Universitäten infrage gestellt, dann bildeten sich spezielle Forschungsinstitute heraus und schließlich wurden verschiedene ökonomische, soziale bzw. politische Reformprojekte im Sinne der Aufklärung vorangetrieben. Weitere Initiativen bestanden in der Gründung von Kunstakademien oder speziellen Institutionen für beispielsweise das Ingenieurwesen, den Bergbau oder die Forstwirtschaft, gewissermaßen als Vorläufer der heutigen technischen Hochschule.37 Gesamt gesehen lässt sich die grundlegende Entwicklungslinie im Wissensdiskurs des späten 17. und 18. Jahrhunderts als »eine voranschreitende Säkularisierung des Denkens«38 beschreiben. Bislang nicht erwähnt, aber ebenfalls für den gelehrten Diskurs relevant waren das soziale Wissen und der soziale Sinn. Beides sind ursprünglich Termini der historischen Anthropologie für einfache Menschen und orale Traditionszusammenhänge. Sie lassen sich jedoch ebenso auf hochliterale Eliten übertragen. Gemeint ist vor allem das Alltagswissen über sich selbst, Familienbeziehungen, finanzielle Grundlagen und den Umgang mit Dienstboten oder Magistraten.39 Ebenso wie in anderen Gesellschaftsteilen war auch das »Beziehungswissen« im Sinne eines »Wer-kenntwen« von hohem Wert in der Gelehrtenkultur. »Spezifisch war vielleicht für die Gelehrten nur der überaus hohe Stellenwert, den Freundschaft für sie besaß«40. In anderen Gesellschaftsbereichen erfolgte der Zugang zur Gastfreundschaft eher über Verwandtschaft oder eine bestehende Geschäftspartnerschaft. »Scientia est potentia«, der berühmte Spruch von Francis Bacon, wird in der Regel wörtlich mit »Wissen ist Macht« übersetzt. Die Übersetzung ist jedoch leicht missverständlich, da es Bacon gerade nicht darum ging, dass derjenige, der Wissen besitzt, auch über Macht verfügt. Er wollte damit vielmehr das Handlungspotenzial ausdrücken, das mit Wissen einhergeht. Die Kenntnis der Wesensart oder der »Natur« von Dingen verleiht die Fähigkeit, dieses Wissen einzusetzen, um eine be-

36 Vgl. Martin Warnke: Das Bild des Gelehrten im 17. Jahrhundert. In: Res Publica Litteraria. Die Institutionen der Gelehrsamkeit in der frühen Neuzeit. Bd. I. Hrsg. von Sebastian Neumeister und Conrad Wiedemann. Wiesbaden: Harrassowitz 1987 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; Bd. 14), S. 1–31, S. 8f. 37 Vgl. Burke, Papier und Marktgeschrei, S. 58–60. 38 Schindling, Bildung und Wissenschaft in der Frühen Neuzeit, S. 46. 39 Mulsow, Die unanständige Gelehrtenrepublik, S. 67. 40 Jancke, Gastfreundschaft, S. 256.

5.1 Die Res publica literaria



425

stimmte Wirkung zu erzielen.41 Dies ist ein entscheidender Punkt, denn in diesem Sinne ist das Wissen für den Wissensraum Gelehrtenrepublik als eine notwendige Ressource zu verstehen, die es dem Aktanten überhaupt erst ermöglicht, als Mitgestalter darin aufzutreten. Die Frage nach der Legitimation des gelehrten Wissens ist deutlich schwieriger zu beantworten. Sie ist stets auch mit der sozialen Geltung seiner Verbreiter verbunden.42 Dieser Aspekt führt zum nächsten Kapitel, in dem es um die Träger des Wissens und ihre gesellschaftliche Platzierung geht.

5.1.2 Die Aktanten Die Aktanten innerhalb des Wissensraums Res publica literaria waren naturgemäß die Gelehrten. Als ›gelehrt‹ bzw. als Mitglieder des gelehrten Standes bezeichnete man einerseits den engeren Kreis der an der Universität Lehrenden (Professoren, Doktoren und Magister) und andererseits den weiteren Kreis derjenigen, die eine universitäre Ausbildung genossen hatten, aber außerhalb der Universität tätig waren (Ärzte, Advokaten, gelehrte Räte etc.).43

Gabriele Jancke definiert sie etwas offener als diejenigen, »die an lateinischer Bildung und Texten partizipierten, die allerdings nicht nur an Universitäten zu verorten sind«44. Gelehrte verfügten in der Regel über eine universitäre Ausbildung, was jedoch nicht zwangsläufig den Erwerb eines akademischen Grades mit einschloss. Auch männliche Ordensangehörige absolvierten eine Ausbildung an der Universität. Andere wiederum erwarben sich ihre Bildung außerhalb akademischer Institutionen. Dies gilt etwa für Männer, die von Hauslehrern oder ordensintern bzw. an Bursen, Kollegien und Stiftshäusern unterrichtet wurden.45 Frauen waren mehr oder weniger von der Gelehrsamkeit ausgeschlossen. Zwar gab es gebildete Frauen, wie zum Beispiel Christine de Pisan (1364–ca. 1430), Marie Le Jars de Gournay (1565–1645), Anna Maria von Schürmann (1607–1678) oder Königin Christina von Schweden (1626–1689),46 doch sie waren aufgrund der »männlichen Vorbehalte

41 Vgl. Susanne Krasmann: Gouvernementalität: Epistemologie, Macht und Subjektivierung. In: Handbuch Wissenssoziologie und Wissensforschung. Hrsg. von Rainer Schützeichel. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2007 (Erfahrung – Wissen – Imagination. Schriften zur Wissenssoziologie; Bd. 15), S. 281–289, S. 287. 42 Vgl. Füssel, Gelehrtenkultur als symbolische Praxis, S. 420. 43 Füssel, Gelehrtenkultur als symbolische Praxis, S. 2. 44 Jancke, Gastfreundschaft, S. 47. 45 Vgl. Jancke, Gastfreundschaft, S. 47. 46 Vgl. Burke, Papier und Marktgeschrei, S. 31.

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gegen jede Form von höherer Frauenbildung«47 üblicherweise aus dem Wissensraum Res publica literaria ausgeschlossen. Gelehrte standen in hohem Ansehen und schon die Studenten hatten Anteil an diesem Prestige. Mitte des 17. Jahrhunderts zogen die Bürger vor ihnen den Hut.48 Besonders die Lehrenden der Universitäten legten großen Wert auf ihre eigene akademische Kleidung und ihre Titel, die ihre Stellung sichtbar unterstreichen sollten.49 Sie sahen sich als die intellektuelle Autorität, was zum einen im Widerspruch stand zum Gedanken einer einheitlichen Res publica literaria. Zum anderen entsprach es im Laufe der Frühen Neuzeit auch nicht mehr den Tatsachen, da der Schwerpunkt der gelehrten Tätigkeit mit dem Erwachsen der fürstlichen Bibliotheken mehr und mehr an den Hof wanderte. Doch trotz oder gerade wegen dieser sozialen Differenzierungen und Konflikte verstärkte der Gedanke der Gelehrtenrepublik die Gruppenidentität ihrer Mitglieder.50 Dies lässt sich in den verschiedensten Abhandlungen über den Gelehrten nachvollziehen, beispielsweise auch in den zeitlich weit auseinanderliegenden Texten L’uomo di lettere difeso ed emendato von Daniello Bartoli aus dem Jahr 1645 und Essai sur les gens de lettres von d’Alembert von 1753. Auch die Aussage Johann Christoph Gottscheds, dass die Gelehrten so frei wären wie Herrscher, unterstreicht ihr kollektives Selbstbewusstsein. »Sie erkennen niemanden über sich an als die Vernunft und eine mächtigere Feder.«51 Die Gelehrten waren in der Realität natürlich keinesfalls völlig frei in ihrem Handeln, sondern

47 Erich Kleinschmidt: Gelehrte Frauenbildung und frühneuzeitliche Mentalität. In: Res Publica Litteraria. Die Institutionen der Gelehrsamkeit in der frühen Neuzeit. Bd. II. Hrsg. von Sebastian Neumeister und Conrad Wiedemann. Wiesbaden: Harrassowitz 1987 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; Bd. 14), S. 549–557, S. 552. 48 Vgl. Manfred Beetz: Der anständige Gelehrte. In: Res Publica Litteraria. Die Institutionen der Gelehrsamkeit in der frühen Neuzeit. Bd. I. Hrsg. von Sebastian Neumeister und Conrad Wiedemann. Wiesbaden: Harrassowitz 1987 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; Bd. 14), S. 155–173, S. 158. Unter den Studenten herrschten allerdings große Unterschiede bezüglich Herkunft und Einkommen, weshalb sie sich untereinander nicht unbedingt gleich behandelten. Bedürftige Studenten wurden aufgrund ihrer schlechteren Wohnsituation und der geringeren Nachsicht ihnen gegenüber bei Beschwerden etwa wegen nächtlichen Randalierens auch von außen nicht als gleichwertig gegenüber ihren vermögenden Kommilitonen angesehen. Vgl. Beetz, Der anständige Gelehrte, S. 158f. 49 Vgl. Burke, Papier und Marktgeschrei, S. 36. Der Rang der Gelehrten innerhalb der Universität war bis zur Reformation vom Inhalt ihrer Vorlesungen abhängig. Dies hing mit der differierenden Wertigkeit zusammen, die den einzelnen Fächern jeweils zugeschrieben wurde. Erst danach waren die Professuren nicht mehr an ein bestimmtes Fach gebunden. Vgl. Füssel, Gelehrtenkultur als symbolische Praxis, S. 176. 50 Vgl. April G. Shelford: Confessional Division and the Republic of Letters: the Case of PierreDaniel Huet (1630–1721). In: Die Gelehrtenrepublik im Zeitalter des Konfessionalismus. The European Republic of Letters in the Age of Confessionalism. Hrsg. von Herbert Jaumann. Wiesbaden: Harrassowitz 2001 (Wolfenbütteler Forschungen; Bd. 96), S. 39–57, S. 43. 51 Zititert nach Burke, Papier und Marktgeschrei, S. 40.

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meist an Institutionen wie die Universität oder den Hof gebunden und unterstanden gleichzeitig den gesellschaftlichen Erwartungen.52 Karl Mannheim beschrieb die Gelehrten »als jene sozialen Gruppen innerhalb jeder Gesellschaft, ›deren besondere Aufgabe darin besteht, dieser Gesellschaft eine Deutung der Welt zu liefern‹.«53 Somit hingen sie ganz anderen Wertorientierungen an als etwa bürgerliche Kaufleute. Während für letztere vor allem der ökonomische Erfolg als Zeichen ihres sozialen Status galt, so zählte für den Gelehrten nicht sein Vermögen, sondern allein der Grad seiner Bildung.54 Daher war der soziale Stand des Gelehrten trotz seines meist geringen Vermögens hoch und auch klar abgehoben von den bürgerlichen Nichtgelehrten. Insbesondere der Erwerb des Doktorgrades war mit Privilegien verbunden, die diesen Status sichtbar machten. Doktoren war es erlaubt, sich vor dem Magistrat und dem Richter zu setzen anstatt zu stehen, und sie durften wie Adlige im Wagen fahren. Doktoren des Rechts hatten darüber hinaus den Anspruch auf einen besonderen Empfang beim Betreten der Ratsstube.55 Es ergaben sich allerdings auch viele Statusprobleme, zunächst aufgrund der Tatsache, dass der Rang eines Gelehrten auf verschiedenen Ebenen differieren konnte, etwa im staatlich-politischen Feld gegenüber dem wissenschaftlichen. Zeitlich und territorial gesehen konnte das Sozialprestige des Gelehrten ebenfalls variieren. Im Jahr 1628 beispielsweise platzierte die Straßburger Kleiderordnung die Doktoren und Lizentiaten auf Höhe der Patrizier und Großkaufleute auf den fünften der insgesamt sechs Ränge hinter den Adel, der höchsten Administration und den Stadträten. Johann Rudolph Sattler wertete dagegen in seinem Werbungsbüchlein56 in Basel die Doktoren ranghöher als die Ratsmitglieder innerhalb der höchsten bür-

52 Vgl. Burke, Papier und Marktgeschrei, S. 45. 53 Zitiert nach Burke, Papier und Marktgeschrei, S. 29. 54 Vgl. Füssel, Gelehrtenkultur als symbolische Praxis, S. 284. An dieser Stelle sei noch einmal an die Charakterisierung des Buchhändlers in Kapitel 4.1 erinnert. Darin wurde deutlich, dass er einerseits kaufmännisch und damit ökonomisch denken und arbeiten musste, andererseits aber auch den Gelehrten als Autoren und Käufer verpflichtet war. Die Zwischenposition zwischen diesen unterschiedlichen Wertvorstellungen erwies sich für den Buchhändler oft als problematisch. Auch für den Gelehrten ergaben sich an dieser Stelle Schwierigkeiten, da sein relativ niedriges Einkommen häufig nicht für eine standesgemäße Lebensführung ausreichte. Vgl. Beetz, Der anständige Gelehrte, S. 156f. 55 Vgl. Beetz, Der anständige Gelehrte, S. 156f. 56 Johann Rudolph Sattler: Werbungsbüchlein: Darinnen zu finden/ was ein jeder Orator oder Redner/ ihme zuvorderst soll angelegen seyn lassen/ und warauff ein jede Oration un[d] Red bestehe … So dann Eynlad: Empfahung … Wie auch Orationen und Reden/ welche bey den Kindtäuffin/ Verlöbnuß/ Hochzeiten und Begräbnussen gehalten werden … / Durch Johann Rudolph Sattlern. Basel: Ludwig König 1615. Vgl. VD17 23:295993T.

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gerlichen Schicht. Weiterhin stellten Rechtsgelehrte im 17. Jahrhundert sie auf eine Stufe mit den Aristokraten.57 Bücher galten seit jeher als ein Sinnbild der Gelehrsamkeit. Der dementsprechend enge Bezug der Gelehrten zum Buchhandel äußert sich in der Tatsache, dass als weitere Aktanten im Wissensraum Res publica literaria die Bücher selbst auftraten. Hermann von der Hardt, Professor für orientalische Sprachen und alttestamentliche Exegese, bot seinen Studenten der Helmstedter Universität am 30. Juni 1722 eine besondere Inszenierung. Er hatte einen Tisch ausgeschmückt als sollte darauf eine Leiche aufgebahrt werden, doch stattdessen lag darauf die Grammatik und das hebräische Wörterbuch Johannes Reuchlins. Anlass für diese zeremonielle Darbietung war der 200. Todestag des Autors und sie verbildlicht sehr deutlich die Personifizierung des Buches und die Gleichsetzung des Textes mit seinem Urheber.58 Auch im Wissensraum Buchhandel konnten die Bücher als Aktanten festgemacht werden, dabei nahmen sie jedoch in der Regel eine Sonderstellung zusammen mit anderen Medien ein. Sie waren dort nicht als Stellvertreter der Person eines Buchhändlers zu verstehen, sondern lieferten meist nur indirekte Informationen. Im Wissensraum Res publica literaria erhielten Bücher als Aktanten einen ganz anderen Stellenwert, da sie als vollwertige Hauptaktanten auftreten konnten. Die Lektüre eines Buches diente mit gewissen Einschränkungen als ein Ersatz für den Diskurs mit dem Autor selbst. In diesem Fall wird deutlich, dass Bücher nicht nur Raumüberwinder sind, wie es oft festgestellt wird, sondern auch Raumproduzenten.59 Zusammen mit den anderen Aktanten gestalteten sie den Wissensraum Gelehrtenrepublik.

5.1.3 Die Praktiken Wissensaneignung Die Alltagsgeschichte der Gelehrten umfasste verschiedene Praktiken. Helmut Zedelmaier und Martin Mulsow teilen ihren Band über Die Praktiken der Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit in vier große Abschnitte. Der erste umfasst das Lesen und Kompilieren, der zweite das Edieren, Rekonstruieren und Unterrichten, der dritte das Kommunizieren und Repräsentieren und der letzte das Zensieren und Komprimittieren. Alle diese Praktiken sind auf soziale Interaktion ausgerichtet. Das beginnt bereits beim Lesen von Texten, da Bücher selbst als Aktanten festgemacht werden konnten. Das Aufnehmen von Wissen war dabei die grundlegende gelehrte Praktik, auf der alle anderen aufbauten. Wie genau diese Art der Wissensaneignung vonstat-

57 Vgl. Beetz, Der anständige Gelehrte, S. 156f. 58 Vgl. Mulsow, Die unanständige Gelehrtenrepublik, S. 1. 59 Vgl. Schroer, Räume, Orte, Grenzen, S. 211.

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ten ging, untersuchte Zedelmaier anhand von überlieferten Leseinstruktionen, die als schriftliche Anleitungen allerdings nur das zeitgenössische Ideal wiedergeben.60 Zedelmaier hält hierfür vier verschiedene Arten des Wissenserwerbs für den Gelehrten fest: »Man muss Lehrer hören, Bücher lesen, Nützliches aufschreiben sowie das Gehörte, Gelesene und Aufgeschriebene wiederholen (memorieren). Bücher sind dabei die wichtigste Quelle, weil sie immer zur Hand sind, auch deshalb, weil Lehrer ungelehrt sein können.«61 Für das gelehrte Lesen gibt es verschiedene Vorschriften, die teilweise stark voneinander abweichen. Eine gemeinsame Grundlage, die auch Johann Heinrich Alsteds Lektüremodell prägte, haben sie in der wiederholten Lektüre autoritativer Bücher und der zusätzlichen, extensiven Lektüre mittels spezieller Exzerpiertechniken. Beides diente vor allem dem Auswendiglernen. Diese Kombination zweier Lektürearten ist dabei unabhängig von der Auswahl der jeweiligen Texte.62 Frühneuzeitliches gelehrtes Lesen fand außerdem nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Bereich statt, wobei der Gelehrte entweder einsam für sich las, anderen vorlas, unterrichtete, predigte oder einen gelehrten Diskurs führte. Auch für das richtige Exzerpieren gab es verschiedene Strategien, etwa die Methode der doppelten Buchführung. In ein Buch sollten zunächst alle Aussagen, die einem beim Lesen auffielen, ungeordnet nacheinander eingetragen werden. Anschließend sollten diese Aussagen in einem anderen Buch nach Sachtiteln geordnet werden. Letztendlich ging es dabei wieder um das Memorieren des Inhalts. Wissenskompetenz ist gebunden an die unmittelbare Präsenz von Wissen, die es ermöglicht, Wissen ›umzusetzen‹. Gelehrtes Lesen in der frühen Neuzeit ist deshalb trotz der sich verbessernden technischen Möglichkeiten, das individuelle Gedächtnis durch die Verlagerung (oder besser: Auslagerung) von Wissen zu entlasten, vor allem ein Akt der ›Einprägung‹ von gelehrtem Wissen.63

Gastfreundschaft Die weiteren Praktiken der Gelehrten fanden vor allem auf der Ebene der sozialen Interaktion statt. Dabei bestimmte der bereits in Kapitel 5.1.1 angesprochene soziale Sinn des Gelehrten ihr Verhalten. Dieser soziale Sinn wies widersprüchliche Elemente auf, die sich beispielsweise in »den artikulierten Ansprüchen auf Ethos und

60 Es bleibt also das Problem, dass die Quellen über das tatsächliche Verhalten des Gelehrten außerhalb dieser offiziellen Strategien und Praktiken sehr spärlich sind. Vgl. Mulsow, Die unanständige Gelehrtenrepublik, S. 68. 61 Helmut Zedelmaier: Lesetechniken. Die Praktiken der Lektüre in der Neuzeit. In: Die Praktiken der Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Helmut Zedelmaier und Martin Mulsow. Tübingen: Max Niemeyer 2001 (Frühe Neuzeit; Bd. 64), S. 11–30, S. 20. 62 Vgl. Zedelmaier, Lesetechniken, S. 21. 63 Zedelmaier, Lesetechniken, S. 28.

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Rationalität«64 und den gleichzeitig angewandten unhöflichen und unschicklichen Strategien äußerten, mit denen viele Gelehrte versuchten, Anerkennung zu erlangen und Außenseiter abzuwehren. Der Ausdruck der Zugehörigkeit bzw. die Ausgrenzung anderer erfolgte besonders deutlich im Bereich der gelehrten Gastfreundschaft, die »über alle Arten von Grenzen hinweg für gültig gehalten«65 wurde. Gastfreundschaft definiert Jancke als einen bestimmten Situationstyp. Dieser wird durch AkteurInnen hergestellt, die sich zueinander in den unterschiedlichen Rollen von Gast und GastgeberIn positionieren. Gäste treten dabei in der Regel als zeitweilige Mitglieder vorübergehend in den Haushalt der gastgebenden Person(en) ein. In einer gastlichen Situation interagieren die Beteiligten miteinander, wobei bestimmte Praktiken wichtig sind (empfangen, verabschieden) und bestimmte Ressourcen (Nahrung, Unterkunft, Schutz) eine Rolle spielen.66

Gastliche Praktiken von Gelehrten fanden nicht an der Universität oder in einer Bibliothek statt. Stattdessen ist der Ort der Gastfreundschaft der eigene Haushalt oder im öffentlicheren Rahmen ein Gasthof oder auch ein Kloster. Die »Geselligkeit« in solchen gastlichen Situationen ist nach Jancke in der Frühen Neuzeit nicht als ein zweck- oder statusfreier sozialer Raum rein persönlicher Kommunikation und Interaktion zu verstehen, denn dies würde eine Trennung von privatem und öffentlichem Raum voraussetzen, was in Bezug auf jene Epoche problematisch ist. Das Gesprochene bei einem Gastmahl konnte noch Jahre später bei einem gelehrten Disput als Argument verwendet werden. Das lag nicht nur daran, dass sich jemand daran erinnerte, sondern dass die Situation des Gastmahls als »öffentlich-politische«67 aufgefasst wurde, wodurch alle Beteiligten automatisch zu Zeugen der getätigten Aussagen und Handlungen wurden.68 Jancke unterscheidet insgesamt drei Formen von Gastlichkeit. Darunter fasst sie Kurzbesuche, gemeinsame Essen und längere Aufenthalte mit Mahlzeiten und Übernachtungen. Am Beispiel des Franziskaners Konrad Pellikan zeigt sie, dass der Haushalt hierfür von großer Bedeutung war. Pellikan hielt es für wichtig, dass sich junge Männer in der Haushaltsführung auskennen, um gute Gastgeber sein zu können, und unterrichtete entsprechendes Wissen. Die Gäste, die Pellikan selbst bei sich beherbergte, musste er nicht unbedingt vorher persönlich kennen, es sollten lediglich gelehrte Männer sein. Einige blieben über längere Zeit und bezahlten für

64 Mulsow, Die unanständige Gelehrtenrepublik, S. 68. 65 Jancke, Gastfreundschaft, S. 15. 66 Jancke, Gastfreundschaft, S. 32. Gastlichkeit galt in der Gesellschaft der Frühen Neuzeit »als eine Aufgabe, die letztlich religiös begründet war.« Jancke, Gastfreundschaft, S. 205. 67 Jancke, Gastfreundschaft, S. 117. 68 Vgl. Jancke, Gastfreundschaft, S. 50–52 und 115. Es gab in der Frühen Neuzeit keine getrennten Sphären des »Privaten«, »Informellen« bzw. »Öffentlichen«, »Formellen« oder »Politischen«. Vgl. Jancke, Gastfreundschaft, S. 115.

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ihre Aufnahme in den Haushalt. Pellikan zog dabei keine Grenze zwischen zahlenden und nichtzahlenden Gästen, denn die Bewirtung und Unterhaltung beider betrachtete er jeweils als eine Form der Gastfreundschaft.69 Berühmte Männer wie Erasmus von Rotterdam wurden geradezu »überlaufen« von gelehrten Gästen. In solchen Fällen lohnte es sich beim Besuch einen Brief oder ein Stammbuch (album amicorum) zu überbringen. »Dadurch konnten sie sich als zugehörig zum Netzwerk der Gelehrten ausweisen, und jede einzelne Unterschrift eines Gelehrten auf irgendeinem Stück Papier bedeutete weiteren Kredit.«70 Jancke assoziiert hier bezeichnenderweise alles, was den Betreffenden als Zugehörigen zum Wissensraum Res publica literaria auswies, mit einer Währung. Damit wurde auch durchaus Missbrauch betrieben. Erasmus etwa berichtete davon, wie sich Schwindler unter seinem Namen Zugang zu Freunden oder gar der päpstlichen Kurie verschafft hätten. Besaß man keine solche Ressource, um sich Zugang zum Gelehrtenkreis zu verschaffen – etwa weil man noch ganz am Anfang des Aufbaus seines Netzwerkes stand –, konnte man sich dennoch im gelehrten Gespräch »beweisen«.71 Für die gastliche Situation lässt sich ein gewisses Ritual festmachen, das in mehreren Schritten verlief. Zunächst ging es darum, überhaupt erst mit dem Gelehrten in seinem Haus sprechen zu können. Fand das Gespräch statt und verlief es gut, folgte eine Einladung zum Essen. Daran schloss sich das Angebot zur Übernachtung und eventuell der Empfang eines weiteren kompetenten, gelehrten Gastes an, der mit seiner Anwesenheit den anderen ehrte. Der gelehrte Besuch bestand also aus einem Geben und Nehmen, indem gelehrte Themen im Gespräch und bei Tisch ausgetauscht und gegenseitig zugänglich gemacht wurden. Das Wissen, über das jeder Gelehrte verfügte, wird an dieser Stelle wieder als Ressource aufgefasst, die nicht nur zum Verdienst des Lebensunterhalts diente. Sie bedeutete vielmehr Ansehen im Sinne von Ruhm und Ehre sowie die Möglichkeit, mit anderen Gelehrten in Kontakt zu treten und mittels Empfehlungen das eigene Netzwerk ausbauen zu können. Das wiederum hatte Einfluss auf den jeweiligen Status des Gelehrten in der ständischen Gesellschaft, was unter anderem in hierarchisch geordneten Sitzplätzen bei Gastmählern seinen Ausdruck fand.72 Jancke bezeichnet die Gastlichkeit der Gelehrten bzw. ihren Ort als »eine Börse ihrer eigenen Gruppenkultur«73. Teilnehmen daran konnte prinzipiell jeder mit Bezug zum Gelehrtentum. So tauchen beispielsweise auch Adlige recht prominent

69 Vgl. Jancke, Gastfreundschaft, S. 56–59 und 121. 70 Jancke, Gastfreundschaft, S. 60. 71 Vgl. Jancke, Gastfreundschaft, S. 60f. 72 Vgl. Jancke, Gastfreundschaft, S. 61f. 73 Jancke, Gastfreundschaft, S. 314.

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in den Selbstzeugnissen von Gelehrten auf. Sie konnten dabei entweder als Schüler und Schützlinge oder als Patrone und Machthaber auftreten.74 Diese Situation wirft ein Schlaglicht auf den langfristigen Prozess, in dessen Verlauf männliche Adlige ihren Habitus und ihr Selbstbild seit dem Mittelalter in sehr beträchtlichem Ausmaß veränderten, indem sie Schriftlichkeit sowie gelehrte Praktiken und Kompetenzen als wichtige und geschätzte Ressourcen aufwerteten, in ihre sozialen Sphären integrierten und schließlich sogar bereit waren, sie sich auch persönlich anzueignen.75

Da gelehrte Praktiken bereits um 1600 in den Lebensweg, die Lebenswelt und die Orientierung von Adligen eingebettet waren, sind nicht nur nichtadlige Gelehrte als Akteure im gelehrten Handlungsfeld zu sehen. Die Bekanntschaft des Gelehrten mit hochstehenden Adligen ist in Bezug auf ihre Handlungsräume durchaus relevant, denn es bedeutete im Umkehrschluss, dass die Praktiken der Gelehrten kaum frei von politischen Aspekten waren. Aufgrund dieser Verbindung der Gelehrtenkultur mit der des Adels durch die gelehrten Praktiken widerspricht Jancke Herbert Jaumann in seiner Definition der Gelehrtenkultur als Gelehrtenstand. Wichtig für den Gelehrten war der Kontakt zu Adligen natürlich auch im Hinblick auf eine mögliche Finanzierung seiner schriftlichen Werke.76 Rituale und Hierarchisierung Das Verhalten nach Höflichkeitsregeln war eine wichtige Praktik des Gelehrten, die seinen Stand und Status unterstrich. Man vermied Anstoß und Inkommodation bei einem Interaktionspartner, indem man in fremden Büchern keine Anmerkungen einschrieb, indem man nicht laut las, während andere studieren wollten, und indem man Nichtgelehrten gegenüber bescheiden, zurückhaltend, freundlich und ohne Dünkel auftrat. Im Gegenzug wurde von Nichtgelehrten Ehrerbietung und Respekt im Verhalten gegenüber Gelehrten erwartet.77 Was die oben beschriebene Tischgesellschaft anbelangt, so sind die sie begleitenden Praktiken und Rituale noch wenig erforscht, besonders »was die Konsequenzen dieser Kommunikation für die Wissenschaft, für die wissenschaftliche Aufmerksamkeit und das Zustandekommen von Innovationen betrifft.«78 Mulsow wirft in diesem Zusammenhang die These auf, dass die Tischgesellschaft von Professoren zusammen mit ihren besten Studenten als Vorläuferphänomen des Forschungsseminars im 19. Jahrhundert und des heutigen Oberseminars angesehen werden kann.

74 75 76 77 78

Vgl. Jancke, Gastfreundschaft, S. 122f. Jancke, Gastfreundschaft, S. 128. Vgl. Jancke, Gastfreundschaft, S. 128–131. Vgl. Beetz, Der anständige Gelehrte, S. 162. Mulsow, Die unanständige Gelehrtenrepublik, S. 121.

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In Deutschland war es ab 1700 üblich, dass Professoren eine Reihe von Studenten zu sich nach Hause zum Mittagessen einluden. Teilweise logierten die Studenten sogar bei den Lehrern, was sich diese allerdings bezahlen ließen. Dennoch empfanden die sogenannten »Professoren-Tischpurschen« ihre Situation als privilegiert.79 Die Kommunikation der Studenten mit ihren Professoren war von Regeln und Ritualen geprägt. Sie durften beispielsweise bei Tisch nicht als erste die Gesprächsinitiative ergreifen, sondern mussten warten, bis sie angesprochen und gefragt wurden. Auch durfte die Zeit des Lehrers von dem Studierenden nur begrenzt in Anspruch genommen werden.80 Die Kommunikation unter Gelehrten konnte brisant sein. Besonders der Wechsel von der mündlichen zur schriftlichen Kommunikation erforderte Aufmerksamkeit. Dabei kommt es nämlich zu dem von der Linguistik Kontextwandel genannten Phänomen, bei dem sich die Pragmatik der Bedeutung durch einen solchen Wechsel völlig verändern konnte. Begleitende Gesten, wie zum Beispiel Lachen, wurden nicht mit abgedruckt und so konnte aus einer scherzhaft gemeinten Bemerkung im Druck schnell Ernst werden.81 Der gelehrte Austausch ging aber noch über das Gesprochene bzw. Geschriebene hinaus, denn »eine grundlegende Kommunikationsform der Gelehrtenkultur«82 waren Rituale. Rituale haben unterschiedliche Reichweiten, je nachdem, ob sie von Individuen ausgeübt werden oder ob sie in Gruppen und bei größeren Anlässen in Erscheinung treten. Als Praktik haben Rituale außerdem die wichtige Funktion der Gruppenbildung bzw. Ausgrenzung anderer, die nicht daran teilhaben können oder dürfen. Je weiter sich ritualisiertes Handeln vom Wechselspiel alltäglicher Interaktion in unmittelbarer Reichweite entfernt, je stärker und uniformer es viele Teilnehmer an eine gemeinsame Handlung bindet, um so weniger läßt es sich vom einzelnen kontrollieren, und um so mehr unterwirft sich der einzelne einem fremden Willen, den er im Mithandeln für den eigenen hält.83

In diesen Zusammenhang fällt beispielsweise das Ritual der Graduierung. Der Erwerb eines oder mehrerer Titel erfolgte dabei nicht nur zur Legitimation der Zugehörigkeit zum Kreis der Aktanten innerhalb des Wissensraums Res publica literaria, sondern auch als sichtbarer Hinweis für Außenstehende. Der Titel oder Grad des Ge-

79 Vgl. Mulsow, Die unanständige Gelehrtenrepublik, S. 122 und 126. 80 Vgl. Beetz, Der anständige Gelehrte, S. 163. Die Aufwartung des Studenten sollte nicht länger als eine Viertelstunde dauern und mehrere Autoren rieten ihnen ein passendes Geschenk für den Lehrer oder dessen Frau mitzubringen. Vgl. Beetz, Der anständige Gelehrte, S. 163. 81 Vgl. Mulsow, Die unanständige Gelehrtenrepublik, S. 130. 82 Füssel, Gelehrtenkultur als symbolische Praxis, S. 420. 83 Hans-Georg Soeffner: Wissenssoziologie und sozialwissenschaftliche Hermeneutik sozialer Sinnwelten. In: Neue Perspektiven der Wissenssoziologie. Hrsg. von Dirk Tänzler, Hubert Knoblauch und Hans-Georg Soeffner. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2006 (Erfahrung – Wissen – Imagination; Bd. 8), S. 51–78, S. 71.

434  5 Dimensionen des Wissensraums in der Frühen Neuzeit

lehrten bestimmte und legitimierte so wie sein wissenschaftliches Prestige seine Position innerhalb des Wissensraums Gelehrtenrepublik. Ein solches kulturelles Kapital gab es auch in anderen Gruppen. Diese hatten jeweils abweichende symbolische Währungen, wie zum Beispiel das Ansehen der Familie für den Adelsstand oder das Patriziat.84 Dieser Ausdruck der Ständehierarchie über den Rang und Platz eines Aktanten blieb in der sozialen Wirklichkeit der Frühen Neuzeit nicht nur im symbolischen Bereich. Stattdessen hatte der jeweilige Ranginhaber durch den performativen Charakter seiner Position sogar einen Rechtsanspruch darauf.85 Die Praktiken der Gelehrtenaktanten dienten somit stets auch ihrer Positionierung und Rangsicherung innerhalb des Wissensraums Res publica literaria. Das unterstreicht die Tatsache, dass das Gedankenkonstrukt der Gelehrtenrepublik tatsächlich eine utopische Raumvorstellung war, die nicht mit der Realität in Einklang zu setzen ist. Denn innerhalb der Gelehrtenrepublik betonten die Aktanten stets die Gleichheit ihrer Mitglieder, während in der wirklichen Begegnung durch die Praktiken stets eine Hierarchisierung der Beteiligten vorgenommen wurde. Die soziale Stellung des Gelehrten wird in Kapitel 5.1.5 noch einmal eine Rolle spielen. Dabei wird das Hauptaugenmerk auf die räumliche Ordnung gelegt, die sich besonders zu Rangrepräsentationen eignet.

5.1.4 Die Orte Die Gelehrten der Frühen Neuzeit betonten die Ortsunabhängigkeit der Res publica literaria. Sie sahen sich in einem Netzwerk durch Briefe und Bücher miteinander in einem Raum verbunden, der explizit nicht an ein bestimmtes Territorium gebunden war. Ihr eigener Standort wurde so in der Idealvorstellung irrelevant. Tatsächlich übten jedoch viele Orte großen Einfluss auf die Ausgestaltung des Wissensraums Gelehrtenrepublik aus. Einige Praktiken der Gelehrsamkeit waren beispielsweise direkt an bestimmte Orte gebunden, da sie nur dort für andere sichtbar und wahrnehmbar wurden. Umgekehrt beeinflusste auch der Gedanke der Res publica literaria verschiedene Orte, indem etwa die literarische Diskussion, die Bacon mit seiner Beschreibung einer idealtypischen Gelehrtengemeinschaft in Salomon’s House aus-

84 Vgl. Füssel, Gelehrtenkultur als symbolische Praxis, S. 30 und 420. 85 Vgl. Marian Füssel: Rang und Raum. Gesellschaftliche Kartographie und die soziale Logik des Raumes an der vormodernen Universität. In: Raum und Konflikt. Zur symbolischen Konstituierung gesellschaftlicher Ordnung in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hrsg. von Christoph Dartmann. Münster: Rhema 2004 (Symbolische Kommunikation und Gesellschaftliche Wertesysteme; Bd. 5), S. 175– 197, S. 179.

5.1 Die Res publica literaria



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löste, zur Gründung von Zirkeln und schließlich der Royal Society in England führte, wo sich Gelehrte zum Austausch zusammenfanden.86 Die wichtigsten Orte, die für die Res publica literaria von Bedeutung waren, sollen hier kurz vorgestellt werden. Dazu gehören der Gelehrtenhaushalt, die Universität, die Fürstenbibliothek und die Buchmesse. Vor allem die Universität war dabei ein konfliktbelasteter Ort, da sie mit eigenem Rechtsstatus, eigenen Privilegien und eigener Gerichtsbarkeit oft in Konkurrenz zu ihrer jeweiligen Stadt stand. Weitere Konflikte zwischen den Gelehrten untereinander durch die strenge Hierarchie an den Universitäten sowie zwischen der Universität und dem Adel kamen noch hinzu.87 Daneben war sie eng mit der Kirche verbunden und oft abhängig vom Landesherren, sofern er sie gegründet hatte.88 Als problematisch erwies sich auch die im Laufe des 17. Jahrhunderts »wachsende Ausrichtung der Akademiker auf den Hof als gesellschaftliches Geltungszentrum«89. Hier ergaben sich vor allem Schwierigkeiten durch die Überschneidung akademischer und landesherrlicher Titel. Langfristig führte diese Hierarchieüberlagerung zu einer Abwertung der universitären Ränge und zusammen mit dem Aufkommen stehender Heere und der zunehmenden Bildung des Adels zu einer generellen Rangabwertung des Gelehrten im Vergleich zur höfischen Gesellschaft.90 Universität Marian Füssel widmete dem Kommunikationsraum Universität eine ausführliche Untersuchung und stellte fest, dass der Rang eines Gelehrten innerhalb der Universitätshierarchie nicht nur Einfluss auf seine Geltung im akademischen Feld hatte,

86 Vgl. Wolfgang Weiß: Die Gelehrtengemeinschaft: Ihre literarische Diskussion und ihre Verwirklichung. In: Res Publica Litteraria. Die Institutionen der Gelehrsamkeit in der frühen Neuzeit. Bd. I. Hrsg. von Sebastian Neumeister und Conrad Wiedemann. Wiesbaden: Harrassowitz 1987 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; Bd. 14), S. 133–151, S. 145. 87 Vgl. Füssel, Gelehrtenkultur als symbolische Praxis, S. 188f. und 278. Ob die Universität ihren Rang gegenüber der jeweiligen Stadt geltend machen konnte, war abhängig davon, ob es eine Reichs- oder eine Landstadt war und ob die Stadt oder der Landesherr ihr Gründer war. Vgl. Füssel, Gelehrtenkultur als symbolische Praxis, S. 317. War die Universität von einem Landesherrn gegründet worden, so kam noch hinzu, dass jener sie als »Herrschaftsinstrument« und zur fürstlichen Repräsentation zu nutzen suchte. Ganz abgesehen davon, dass sie in finanzieller Abhängigkeit zu ihm stand. Vgl. Thomas Töpfer: Landesherrschaft – fürstliche Autorität – korporative Universitätsautonomie. Die Anfänge der Universität Wittenberg 1502–1525. In: Universitäten und Wissenschaften im mitteldeutschen Reich in der Frühen Neuzeit. Ehrenkolloquium zum 80. Geburtstag von Günter Mühlpfordt. Hrsg. von Karlheinz Blaschke und Detlef Döring. Leipzig: Sächs. Akademie der Wissenschaften 2004 (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte; Bd. 26), S. 27–54, S. 47. 88 Vgl. Töpfer, Landesherrschaft – fürstliche Autorität – korporative Universitätsautonomie, S. 50. 89 Füssel, Gelehrtenkultur als symbolische Praxis, S. 223. 90 Vgl. Füssel, Gelehrtenkultur als symbolische Praxis, S. 223 und 333.

436  5 Dimensionen des Wissensraums in der Frühen Neuzeit

sondern auch auf seinen Platz in der Ständehierarchie. Rangordnungen definiert sie als räumliche Ordnungen. Sie haben damit eine andere Qualität als äußere Symbole wie Besitztümer oder Kleidung. Als räumliche Ordnungsmodelle haben Rangordnungen eine höhere Eindeutigkeit und bieten damit besonderen Anlass zu Konflikten. Der Grund dafür liegt darin, dass die räumliche Ordnung eine Art »Nullsummenspiel«91 ist, was bedeutet, dass jeder Platz nur einmal besetzt werden kann. Mehrere Personen können die gleichen Kleider tragen und damit einen gleichwertigen Status ausdrücken. An einem konkreten Ort jedoch, bei dem jede Position auch gleichzeitig einen Rang bezeichnet, bedeutet jeder Platz gleichzeitig einen höheren oder niedrigeren Status und nur wenige können gleichwertig gewichtet werden.92 Die soziale Logik des Raums an einem Ort wird »von mehreren Leitdifferenzen organisiert. Oben ist besser als unten, rechts ist besser als links, vorn ist besser als hinten.«93 Diese pauschalen Ordnungskriterien konnten je nach Fall differieren, da etwa in Prozessionen die Ranghöheren hinten nachfolgten; sie beschreiben also in erster Linie eine Tendenz. Rangordnungen in der Frühen Neuzeit waren performativ, weshalb der eigene Rang alltäglich gesichert werden musste. Im Konfliktfall war es zudem möglich, einen Platz für sich einzuklagen, da Rangordnungen rechtlich verankert waren.94 Gerade an der Universität offenbaren sich damit gelehrte Praktiken, die eng mit dem Ort verknüpft waren. Ihren Status innerhalb der universitären Hierarchie zeigten die Mitglieder sichtbar in ihrer Kleidung und vor allem ihrem Platz bei ritualisierten Vorgängen, wie zum Beispiel der Verleihung eines akademischen Titels an eines ihrer Mitglieder. Die Bedeutung und die soziale Abgrenzungsfunktion dieser Rituale wurden bereits im vorherigen Kapitel angesprochen. Schon mit dem ersten Reformationsjahr verlor das Universitätsstudium an Attraktivität, da die Hoffnung auf einen sozialen Aufstieg als Kleriker – ein häufiges Motiv zum Studium – schwand. Außerdem bestand die erste Aufgabe der Universität darin, das bestehende Wissen zu vermitteln, und nicht darin, neues forschend zu erschließen.95 Der zu dieser Zeit vorherrschende Humanismus widmete sich der Wiederbelebung der klassischen Texte – wohlgemerkt nicht ihrer Erneuerung –, aber dennoch ist die Bewegung als innovativ zu bezeichnen, indem sie das überlieferte Wissen der Scholastiker zu großen Teilen infrage stellte. Die Scholastik war aber an den Universitäten stark verwurzelt und so kam es vor allem im deutschsprachigen Raum zu zahlreichen Auseinandersetzungen zwischen den Humanisten und den Universitätsangehörigen, die die mittelalterlichen Philosophen und Theologen verteidigten. Auffällig dabei ist, dass die meisten Humanisten, die die Universitäten

91 92 93 94 95

Füssel, Gelehrtenkultur als symbolische Praxis, S. 423. Vgl. Füssel, Gelehrtenkultur als symbolische Praxis, S. 422f. Füssel, Rang und Raum, S. 188. Vgl. Füssel, Gelehrtenkultur als symbolische Praxis, S. 423f. Vgl. Goertz, Von der Kleriker- zur Laienkultur, S. 55–57.

5.1 Die Res publica literaria



437

kritisierten, an eben jenen studiert hatten, den Großteil ihres Lebens danach aber außerhalb davon verbrachten.96 Trotzdem kam es im 16. und 17. Jahrhundert insgesamt zu einem Anwachsen der Studentenzahlen und vielen Universitätsneugründungen. Auch während des 17. Jahrhunderts waren und blieben Universitäten und Schulen eigentlicher Ort geistiger Selbstvergewisserung im Reich. Wie seit den Tagen des Humanismus boten sie Lebensumfeld, Existenzsicherung und Öffentlichkeit zugleich für die Angehörigen des gelehrten Standes.97

Zeitweise erwuchsen den Universitäten mit den Akademien – Gelehrtensozietäten, die sich allein der Forschung verschrieben – ernstzunehmende Konkurrenten. Sie konnten die Universitäten aber nicht aus ihrer zentralen Position verdrängen.98 Diese Tatsache steht vermeintlich im Widerspruch zu den bisherigen Ausführungen, sie hing jedoch einerseits damit zusammen, dass die Universität den Gemeindeklerus ausbildete, und andererseits damit, dass sie als Ausbildungsstätte für die von der Regierung in zunehmendem Maße benötigten Beamten fungierte.99 Der verbreitetste Beruf für Absolventen der Universität wurde der Sekretär, der für Fürsten, Adlige oder andere Gelehrte tätig war. Am Hof spielten sie eine beratende Rolle, was vielerorts eine wichtige politische Funktion der Gelehrten wurde.100 Im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert fand die wissenschaftliche Kommunikation somit vermehrt jenseits der Universitäten an den Höfen, in kleinen Akademien und in privaten Zirkeln statt. Sie erfolgte hier nicht so formalisiert wie an der Universität, dafür standen die Gelehrten unter einem ganz anderen gesellschaftlichen Druck. Anfang des 18. Jahrhundert trat die Gelehrsamkeit vollständig aus den Hörsälen der Universitäten hinaus vor eine breite frühaufgeklärte Öffentlichkeit.101 Die Veränderung des gesellschaftlichen Ortes der Gelehrten führte auch zu ihrer teilweise erfolgreichen Hinwendung zu einem galanten Lebensstil.102

96 Vgl. Burke, Papier und Marktgeschrei, S. 49. 97 Notker Hammerstein: Schule, Hochschule und Res publica litteraria. In: Res Publica Litteraria. Die Institutionen der Gelehrsamkeit in der frühen Neuzeit. Bd. I. Hrsg. von Sebastian Neumeister und Conrad Wiedemann. Wiesbaden: Harrassowitz 1987 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; Bd. 14), S. 93–110, S. 94. 98 Vgl. Schindling, Bildung und Wissenschaft in der Frühen Neuzeit, S. 46. In diesem Punkt unterschied sich die Entwicklung in Deutschland von der in Frankreich und England. Dort übernahmen die Akademien im 17. Jahrhundert die geistige Führung im Land. Vgl. Schindling, Bildung und Wissenschaft in der Frühen Neuzeit, S. 46. 99 In der Folge gab es Mitte des 17. Jahrhunderts mehr Universitätsabsolventen als benötigt. Viele sahen ihre Zukunftspläne vereitelt, da sie keine Stellung fanden. Vgl. Burke, Papier und Marktgeschrei, S. 35. Dies dürfte auch ein Grund für das Klischee gewesen sein, dass gescheiterte Studenten sich dem Buchhandelsgewerbe zuwandten. 100 Vgl. Burke, Papier und Marktgeschrei, S. 35. 101 Vgl. Mulsow, Die unanständige Gelehrtenrepublik, S. 80.

438  5 Dimensionen des Wissensraums in der Frühen Neuzeit

Es bestehen schließlich enge Verbindungen zwischen der Universitätsgeschichte und der Geschichte des Buchdrucks und -handels, die im historischen Kapitel nur an vereinzelten Stellen angeklungen sind, etwa der Ansiedlung des Buchhandels in bevorzugter Nähe zu den Universitäten und der Beteiligung der Institution Universität am Buchhandel am Beispiel Freiburg. Diese Beziehung manifestierte sich allerdings vor allem in der engen Zusammenarbeit der Universitäten mit den Buchdruckereien. Viele Gelehrte arbeiteten mit Verlegern und Druckern zusammen oder beteiligten sich selbst an dem Gewerbe. Da der Buchdruck aber zugunsten des Handels so gut wie möglich ausgeblendet wurde, konnte der wichtigen Kooperation mit der Universität und ihren Mitgliedern in dieser Arbeit keine größere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Bibliothek Die immer enger werdende Bindung der Gelehrten an die Fürsten und ihre Höfe begründete sich vor allem in den dort vorhandenen Bibliotheken als »Zentren der medialen Inszenierung von Wissen.«103 Neben den großen Hofbibliotheken wie in Wien oder Wolfenbüttel förderte auch die in der Zeit des Barock florierende höfischdynastische Geschichtsschreibung die Arbeit der Hofgelehrten.104 Bibliotheken gibt es seit der Antike. Sie sind »Orte des Sammelns, Speicherns und Verarbeitens von Bücherwissen«105, aber erst im 16. Jahrhundert wurde ihre Funktion im und als Wissensraum reflektiert.106 Das neue Interesse an der Bibliothek als »Medium und Instrument der Wissenssicherung«107 drückte sich in den zeitgenössischen Texten

102 Vgl. Füssel, Gelehrtenkultur als symbolische Praxis, S. 383. 103 Marie Isabelle Vogel: Sammlungsobjekte zwischen Bild und Buch. In: Buchkultur und Wissensvermittlung in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hrsg. von Andreas Gardt, Mireille Schnyder und Jürgen Wolf. Berlin [u. a.]: De Gruyter 2011, S. 23–40, S. 23. 104 Vgl. Schindling, Bildung und Wissenschaft in der Frühen Neuzeit, S. 63. 105 Helmut Zedelmaier: Buch und Wissen in der Frühen Neuzeit (15.–18. Jahrhundert). In: Buchwissenschaft in Deutschland. Ein Handbuch. Band 1: Theorie und Forschung. Hrsg. von Ursula Rautenberg. Berlin [u. a.]: De Gruyter 2010, S. 503–534, S. 518. 106 Die Bibliothek bietet ein einleuchtendes Beispiel dafür, dass sich Wissensräume auch in kleinen Dimensionen bilden können, ein dafür prädestinierter Ort jedoch nicht ausreicht. Entscheidend hierfür ist nämlich nicht das Gebäude an sich oder das darin in Form von Büchern versammelte Wissen, sondern der Moment der Nutzung. Erst in dem Augenblick, in dem ein Leser in einen aktiven Diskurs mit den Büchern einer Bibliothek tritt, entsteht ein Wissensraum. Die Umstände der Nutzung (wie zum Beispiel Bibliotheksordnungen) sowie die Architektur des Gebäudes spielen dann eine große Rolle und beeinflussen den möglichen Diskurs. Ohne diesen Nutzungsaspekt ist die Bibliothek lediglich ein passiver Ort der Wissensspeicherung ohne aktive Wissensgenerierung, was der eigentliche Zweck des Diskurses innerhalb eines Wissensraums ist. Dieser Gedankengang müsste jedoch anhand eines konkreten Beispiels und dessen Einordnung in das vorgestellte Modell ausführlicher diskutiert werden und wird hier daher nicht weiter verfolgt. 107 Zedelmaier, Buch und Wissen in der Frühen Neuzeit, S. 518.

5.1 Die Res publica literaria



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aus, in denen die Idee Bibliothek, ihre Organisation, ihr Aufbau, ihre Benutzung und ihre Geschichte diskutiert werden. Der bekannteste frühneuzeitliche Text über die Bibliothek ist die Abhandlung De bibliothecis syntagma108 von Justus Lipsius. Mit »Locum, Armarium, Libros« zählte Lipsius darin die drei wesentlichen Charakteristika einer Bibliothek auf: das Gebäude als Ort, das Bücherregal zur Aufbewahrung und die Bücher selbst. Daneben zog er wie auch weitere Gelehrte seiner Zeit eine Verbindung zur Erfindung des Buchdrucks, denn nach Lipsius sei erst durch diesen eine ausreichend große Produktion von Büchern möglich gewesen, um das gelehrte Wissen zu sichern. Conrad Gessner wies daneben auch auf die Probleme hin, die der Wissensüberlieferung durch den Buchdruck beschert wurden. Er stellte fest, dass neben dem Erhalt des Wissens auch unnützes verbreitet würde, wohingegen ältere und bessere Schriften vernachlässigt würden. Außerdem machte er in der übergroßen Fülle der Buchproduktion die Gefahr der Unübersichtlichkeit aus. Gessner sah die Lösung dafür in der Bibliothek, die als Institution das Wissen nicht nur in sich sammelt und sichert, sondern auch ordnet.109 Im 16 und 17. Jahrhundert kam es, wie bereits im Zusammenhang mit der Bibliotheca Augusta erläutert, zunehmend zur Gründung von Fürstenbibliotheken. Diese Fürstenbibliotheken »wurden innerhalb weniger Jahrzehnte zu globalen Räumen des europäischen Denkens«110. Zu den normativen Begriffen einer Bibliothek zählten Gelehrte den öffentlichen Nutzen (utilitas publica) der Bibliothek, die Förderung von Bildung (eruditio), den Genuss für die Seele (voluptas animi), die Belehrung über die Sitten (morum instructio) sowie die Verehrung hervorragender Begabungen (Nobiliorum ingeniorum consecratio) durch die Beschaffung und Aufbewahrung ihrer Werke.111

Diese ethischen Richtlinien, die mit Bibliotheken verbunden waren, passten zu der Ansicht, dass ihre Gründung mit den Eigenschaften des Gründers zusammenhänge. Die Bibliothek erfüllte vor diesem Hintergrund für ihren jeweiligen Fürsten wichtige Funktionen der Repräsentation, der Machtlegitimation und des Memento Mori, womit sie weit mehr war als ein reiner Wissensspeicher. Bezeichnend für die Bibliotheksgeschichte ist der höhere Verwaltungsaufwand, der im 17. Jahrhundert betrieben wurde. Sichtbares Zeichen dieser neuen Ordnung der Bibliotheken ist die Tatsache, dass vermehrt Gelehrte mit bibliothekarischen Kenntnissen zu ihrer Leitung verpflichtet wurden. Die Fürsten strebten eine stete Vermehrung ihrer Bestände an und öffneten ihre Bibliotheken für Nutzer von

108 Justus Lipsius: Iusti Lipsi[i] De Bibliothecis Syntagma. [S. I.] 1614. Vgl. VD17 23:285428E. 109 Vgl. Zedelmaier, Buch und Wissen in der Frühen Neuzeit, S. 519f. 110 Arnold, Identität durch Bücher, S. 94. 111 Arnold, Identität durch Bücher, S. 91.

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außen.112 Auch dass das Sammeln von Büchern vor allem auf eine umfangreiche und qualitativ hochwertige Menge abzielte, die ein möglichst universales Wissensbild bot, ist ein deutlicher Traditionsbruch in Bezug auf mittelalterliche Bibliotheken.113 Diese Punkte führten dazu, dass die im 16. und 17. Jahrhundert entstandenen Fürstenbibliotheken zu den Zentren der Wissenschaft erwuchsen, und sie bezeugen die höhere Anziehungskraft der Fürstenhöfe auf die Gelehrten im Vergleich zu den Universitäten.114 Gelehrtenhaushalt In den Gelehrtenhaushalten spielten sich hauptsächlich die vorgestellten Praktiken der Gastfreundschaft und der Tischgesellschaft ab. Als Orte der Gastlichkeit waren die Haushalte deutlich weniger »privat« als nach unserem heutigen Verständnis. Stattdessen war das Haus in verschiedene räumliche Zonen unterteilt, die »in der soziokulturellen Praxis je nach Funktion und Situation sowie entsprechend der sozialen Stellung des Hausbesitzers in unterschiedlichem Maße real zugänglich und in dieser Hinsicht öffentlich«115 waren. Die Ausstattung der öffentlich zugänglichen Zimmer des Hauses eines Gelehrten war auf Repräsentation ausgelegt, da sie von den Besuchern wahrgenommen und ihr Gastgeber bzw. seine Stellung danach beurteilt wurden. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Räume ähnlich fürstlichen Gemächern besonders kostbar eingerichtet sein mussten. Da das hervorstechendste Kennzeichen eines Gelehrten seine Bildung war, wurde deutlich mehr Wert gelegt auf eine eigene Bibliothek. Ein Gelehrtenhaushalt ohne Bücher wäre sicherlich mit Verwunderung aufgenommen worden, da sie als wichtigstes Arbeitsinstrument gleichzeitig auch »ein natürliches Attribut der gelehrten Berufe«116 waren. Sogar in Hinsicht auf die Lage und die Größe des Hauses, in dem der Gelehrte wohnte, gab es Richtlinien. Um 1700 hatte sich ein Gelehrter ein Haus zu suchen, das nicht »allzu magnifique«, aber auch nicht im »äussersten Winckel, oder sonst garstigen Ort der Stadt«117 liegen sollte. Ähnliches galt für die Größe und die Ausstattung des Wohnhauses, das weder zu klein noch zu groß und weder zu wertvoll noch zu ärmlich eingerichtet sein sollte. Auch für den Wandschmuck galten gewisse

112 Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 67. 113 Vgl. Arnold, Identität durch Bücher, S. 93. Universitätsbibliotheken waren dagegen für die Mehrung ihres Bestandes hauptsächlich auf Schenkungen und Vermächtnisse angewiesen. Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 67f. 114 Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 67. 115 Joachim Eibach: Das Haus: zwischen öffentlicher Zugänglichkeit und geschützter Privatheit (16.–18. Jahrhundert). In: Zwischen Gotteshaus und Taverne. Öffentliche Räume in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Hrsg. von Susanne Rau und Gerd Schwerhoff. Köln [u. a.]: Böhlau 2004 (Norm und Struktur; Bd. 21), S. 183–205, S. 183. 116 Buzás, Deutsche Bibliotheksgeschichte der Neuzeit, S. 85. 117 Zitiert nach Beetz, Der anständige Gelehrte, S. 160.

5.1 Die Res publica literaria



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Regeln: »Für einen Juristen ziemen sich Jagdgeräte oder botanische Bilder ebensowenig wie für einen Theologen Waffen, Musikinstrumente und Galanterien.«118 Durch ihren öffentlichen und repräsentativen Charakter waren Gelehrtenhaushalte wichtige und den Stand des Gastgebers wie seiner Gäste beeinflussende Treffpunkte. Buchmesse Abschließend seien nur noch einige wenige Worte zum wichtigsten internationalen Treffpunkt der Gelehrten gesagt, der Buchmesse, die bereits im historischen Abschnitt ausführlich vorgestellt wurde. Seitdem die Messe in Frankfurt im 16. Jahrhundert große Bedeutung für den Buchhandel erlangt hatte, waren die Gelehrten dort regelmäßige Besucher. Dabei kauften und bestellten sie Bücher, trafen ihre Verleger, Drucker oder Kollegen und tauschten sich über die neuesten Themen des gelehrten Diskurses aus. Dass die Frankfurter Messe Ende des 16. Jahrhunderts somit nicht nur ein zentraler Treffpunkt des Buchgewerbes, sondern auch der Gelehrsamkeit war, illustriert das Marckschiffer-Gespräch, ein Gedicht Konrad Lautenbachs (1543–1595) unter dem Pseudonym Marx Mangold von 1596: Hie findst Geistliche und Juristen, Medicos und Alchymisten: Berümbte gewaltige Doctores Vornehmer Schulen Professores; Von Marpurg, Leipzig, Wittemberg, Tübing, Basel, Heidelberg. Wie auch von Löwen in Holland Ochsenfurt in Engelland Padua in Italien, Und von Cantabrigien. Also auch von Geneve, deßgleich Von Parise auss Franckreich.119

Schon im Jahr 1574 hatte der französische Druckerverleger Henri Estienne die Frankfurter Messe als »neues Athen« bezeichnet, denn hier kann jedermann der lebendigen Stimme vieler Lehrer lauschen, die von den verschiedenen Akademien an diesem Ort zusammenströmen; hier kann man gar manche von ihnen in den Buchhändlerläden selbst nicht weniger ernst philosophieren hören, als man einst in den Räumen des Lykeion in Athen eines Sokrates und einen Plato hören konnte.120

118 Beetz, Der anständige Gelehrte, S. 160. Dieses Maßhalten in allen Dingen lässt sich als Maßgabe bis in die Antike zu Aristoteles und Horaz zurückverfolgen. Vgl. Beetz, Der anständige Gelehrte, S. 160. 119 Zitiert nach Der deutsche Buchhandel in Urkunden und Quellen, Bd. I, S. 38f. 120 Zitiert nach Der deutsche Buchhandel in Urkunden und Quellen, Bd. I, S. 36.

442  5 Dimensionen des Wissensraums in der Frühen Neuzeit

Durch die Messkataloge konnten sich die Gelehrten ab Ende des 16. Jahrhunderts zudem einen Überblick über die Neuerscheinungen in ihrem jeweiligen Interessengebiet verschaffen.121 Als gelehrte aber auch buchhandelsgewerbliche Mittelpunkte stellten Messeort und insbesondere Frankfurt eine wichtige Schnittstelle zwischen dem Wissensraum Gelehrtenrepublik und dem Wissensraum Buchhandel dar. Topographische Verhältnisse Zuletzt übten die topographischen Verhältnisse trotz ihrer propagierten Überörtlichkeit gesamt gesehen einen deutlichen Einfluss auf den Wissensraum Res publica literaria. Topographisch nahe Verhältnisse bedeuteten einen gemeinsamen Hintergrund von Alltagswissen und Bekanntschaften; sie ermöglichten die Bildung von produktiven Konstellationen oder kleinen Zirkeln von Intellektuellen, die in mündlichem Austausch standen. Topographisch entfernte Verhältnisse hatten mit Hindernissen im Buchhandel, auf den Postwegen oder durch nationale Vorurteile zu kämpfen.122

Gottlieb Stolle (1673–1744), Professor für Politik, Vorsitzender der Jenenser Deutschen Gesellschaft und ein einflussreicher Frühaufklärer, verfasste auf einer längeren Bildungsreise durch Europa von 1703 bis 1704 ein Reisejournal. Aus seinem Bericht wird ersichtlich, wie groß die Unterschiede zwischen den Ländern waren. Er musste feststellen, dass trotz des buchhändlerischen Austausches Bücher aus seinem Wohnort Halle in Holland kaum bekannt waren. Aus diesem Grund war »der Wissensaustausch durch die Besuche von Studenten«123 vor Ort äußerst willkommen.124 Stolle führte auf seiner Reise gemeinsam mit seinem Vetter Hallmann außerdem viele Gespräche mit Gelehrten. Sie analysierten diese dabei »psychologisch« nach einer Variante der Temperamentenlehre. In diesem Zusammenhang mussten sie feststellen, dass vielen Niederländern die Ideen von Thomasius nicht bekannt waren. Stolle trat daraufhin als ihr Vermittler auf. Darüber hinaus machten sie die Beobachtung, dass in Deutschland zwar weiterhin Latein die akademische Umgangssprache war, sie in Holland und Frankreich jedoch zunehmend vom Französischen abgelöst worden war.125 Stolles Erfahrungen verdeutlichen somit noch einmal, dass die international verbindenden Merkmale der Gelehrtenrepublik in der Realität von Land zu Land stark variieren konnten und dass die örtlichen Gegeben-

121 122 123 124 125

Vgl. Schneider, Das Buch als Wissensvermittler in der Frühen Neuzeit, S. 75. Mulsow, Die unanständige Gelehrtenrepublik, S. 69. Mulsow, Die unanständige Gelehrtenrepublik, S. 69. Vgl. Mulsow, Die unanständige Gelehrtenrepublik, S. 68. Vgl. Mulsow, Die unanständige Gelehrtenrepublik, S. 69f.

5.1 Die Res publica literaria

 443

heiten somit auch für den Wissensraum Res publica literaria eine wichtige Rolle spielten.

5.1.5 Die Grenzen Als wichtigste »Schlüsselkompetenz« des Gelehrten und Zugangsvoraussetzung zur »überregional und transepochal angelegten Gelehrtenkultur«126 sowie zu ihrer Kommunikation macht Jancke die Gelehrtensprache Latein fest. Die lateinische Sprache hatte für die Gelehrtenrepublik eine einende und abgrenzende Gemeinschaftsbildungsfunktion, denn »wer die durch das Latein gebildete akademische Sprachbarriere durchbrach, stellte gleichzeitig die Trennung der Stände in Frage.«127 Sie war Ausdruck der Bildung des Gelehrten und damit ein wichtiges Mittel zur Unterscheidung vom gemeinen Mann.128 Die gemeinsame Verständigungssprache blieb für die Gelehrten trotz der zunehmenden Bedeutung der Landessprachen im Druck von großer Bedeutung, auch als sie im Laufe des 17. Jahrhunderts allmählich in Französisch wechselte.129 Die Res publica literaria als Wissensraum hatte genau wie der Wissensraum Buchhandel und alle anderen Gruppenbildungen Grenzen, die bestimmte Aktanten ein- und andere ausschlossen. Nicht jeder konnte dazugehören. Um die Einheit der Gruppe zu schützen, gab es bestimmte Abwehrmechanismen. Darunter fallen neben der erwähnten Spracheinheit die bereits vorgestellten Praktiken der Gelehrten, deren Ausübung ihre Zugehörigkeit gewährleisten sollte, aber auch das verfügbare Wissen sowie die soziale Abgrenzung. Dazu gehörte, daß bestimmte Einstellungen wie Atheismus, Respektlosigkeit, Amoralität jenseits der akzeptierten Toleranzschwelle der Gelehrten lagen. Die Folge war weniger eine direkte Verfolgung als ein Ausbleiben der Rückendeckung der idealen gegen die Bestrafungsinstanzen der realen (und mehr oder weniger kirchlich geprägten) Republik.130

Zusätzlich wurden durch die persönliche Begegnung an bestimmten Orten Grenzziehungen vorgenommen. Neben der »materiellen, symbolischen und rechtlichen Grenzen eines Hauses«131 wurden also auch immer die immateriellen sozialen Gren-

126 Jancke, Gastfreundschaft, S. 49. 127 Klaus Schreiner: Grenzen literarischer Kommunikation. Bemerkungen zur religiösen und sozialen Dialektik der Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformation. In: Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformationszeit. Symposion Wolfenbüttel 1981. Hrsg. von Ludger Grenzmann und Karl Stackmann. Stuttgart: J. B. Metzler 1984 (Germanistische Symposien Berichtsbände; Bd. 5), S. 1–20, S. 6. 128 Vgl. Füssel, Gelehrtenkultur als symbolische Praxis, S. 125. 129 Vgl. Eisenstein, The printing press as an agent of change, S. 138. 130 Mulsow, Die unanständige Gelehrtenrepublik, S. 4.

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zen einer Gruppe überschritten, wodurch man die Zugehörigkeit bzw. Nichtzugehörigkeit markierte. In die gleiche Kategorie fällt auch die Verwandtschaft, die eine wichtige Gruppierung für den sozialen Zusammenhalt bot. Sie konnte ähnlich der Gelehrtengruppe geographische Entfernungen und soziale Unterschiede überbrücken. Da der Gelehrte jeweils der Res publica literaria wie auch der Verwandtschaft angehörte, sind beide Gruppen nicht prinzipiell voneinander trennbar.132 Stattdessen waren solche Mehrfachzugehörigkeiten offenbar wichtig für die gesamtgesellschaftliche Integration. Hinzu kommen Wertvorstellungen und Normen, die von der Gruppe verbindlich ausgehandelt und gemeinsam vertreten wurden. Insgesamt existierte für den Gelehrten ein ganzer Katalog von Anstandsnormen und Verhaltensregeln und im Verstoß gegen diese Vorschriften werden die Grenzen der Res publica literaria besonders deutlich. In diesem Zusammenhang waren Gelehrte und Studenten ein beliebtes Thema satirischer Texte. Die Kritik am Titel- und Graduierungswesen trat dabei schon sehr früh im Humanismus zu Tage. Hochkonjunktur hatte die Gelehrtenkritik dann ab dem 17. Jahrhundert. Sie erfolgte in dieser Zeit vornehmlich aus der Position der Selbstbeschreibung heraus. Gelehrtensatire war damit auch ein Medium der Selbstreflexion, was wiederum für eine Festigung des Gelehrtenhabitus sorgte. Interessanterweise blieb das Negativbild des gelehrten Pedanten über die Jahrhunderte hinweg konstant, während die Ideale der Gelehrten einer steten Wandlung unterworfen waren.133 Äußerliche Rangsymbole, wie beispielsweise die Kleidung, dienten ebenfalls der Abgrenzung von anderen sozialen Gruppen. Ein ähnliches, nicht sichtbares Rangsymbol war der akademische Grad. Der Magister- bzw. Doktortitel war also weniger ein Zeichen der wissenschaftlichen Qualifikation des Gelehrten, sondern vielmehr eines seiner Zugehörigkeit zum gelehrten Stand. Aus diesem Grund achteten Ordinarien und Studenten sehr darauf, wer überhaupt einen solchen Grad erwerben durfte. Söhne von Doktoren konnten oft kostenlos promovieren, während es »unehrenhaften« Personen, worunter etwa Komödianten oder Scharfrichter fallen, möglichst unmöglich gemacht wurde, einen akademischen Titel zu erwerben. Auf diese Weise versuchten die Gelehrten ihre Standesgrenze nach unten hin zu sichern.134 Die Bedeutung der Promotionsprüfung lag somit »weniger in der Trennung derer, die den Ritus durchlaufen haben, von denen, die ihn noch nicht durchlaufen haben, als vielmehr in der Trennung derer, die ihn durchlaufen haben, von denen, die ihn unter gar keine Umständen durchlaufen werden.«135

131 132 133 134 135

Jancke, Gastfreundschaft, S. 69. Vgl. Jancke, Gastfreundschaft, S. 78f. Vgl. Füssel, Gelehrtenkultur als symbolische Praxis, S. 354, 357 und 379f. Vgl. Füssel, Gelehrtenkultur als symbolische Praxis, S. 106, 109 und 125. Füssel, Gelehrtenkultur als symbolische Praxis, S. 163.

5.1 Die Res publica literaria



445

Über die soziale Stellung des Gelehrten gibt es zahlreiche Traktate, besonders aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Zu ihnen gehören etwa Georg Christoph Walthers Tractatus juridico-politico-historicus de statu, juribus et privilegiis doctorum omnium facultatum (1641) oder De nobilitate scientiae sive literaria & de privilegiis, praerogativis & immunitatibus Doctorum (1617) des Greifswalder Juristen Matthias Stephani. Der Gelehrte erfuhr in ihnen meist eine höhere Achtung als etwa der Schwertadel, unter anderem auch aufgrund des Zeitaufwands, der für den Erwerb eines Doktorgrads investiert werden musste. Die meisten Verfasser dieser Traktate waren dabei selbst gleichzeitig Adelige und Gelehrte. Sie formulierten allerdings nicht unbedingt einen tatsächlichen Rechtsanspruch des Gelehrtenstandes. Es ging ihnen vielmehr um die Erwartungen an ihn und seine Geltungsansprüche. Der Grund für die zunehmende Thematisierung dieser Geltungsansprüche ab dem 16. Jahrhundert liegt womöglich in der durch die Reformation ausgelösten Krise der akademischen Grade. Ihre soziale Wertzuschreibung hatte seit dem 15. Jahrhundert stetig abgenommen.136 Der Stand des Gelehrten war insgesamt eine heikle Angelegenheit. Er versuchte sich stets dem Geburtsadel anzunähern und sich gleichzeitig vom »ungelehrten« Bürgertum abzusetzen. Hinzu kam der Ausbau des Beamtenapparats während der frühmodernen Staatsbildung, dessen Posten häufig mit Gelehrten besetzt wurden. Durch diese weitere Zugehörigkeit wurde die ständische Identität des Gelehrten zusätzlich infrage gestellt. Vor diesem Hintergrund war der Ausdruck seiner Legitimität durch zeremonielle Handlungen besonders wichtig. Diese waren aber oft konfliktbelastet, vor allem aufgrund seiner Nähe zum Adelsstand.137 Junge Adlige studierten häufig an den Universitäten, führten dabei jedoch einen anderen, ihrem eigenen Stand entsprechenden Lebensstil. Außerdem hatten adelige Studenten selten das Ziel, einen Grad zu erwerben, »denn der wahre, qua Geblüt erworbene Adel bedurfte der Quasinobilierung des Doktortitels nicht.«138 Der Schwerpunkt der adligen Interessen lag eher auf dem Reiten, Fechten und dem Erlernen fremder Sprachen als auf dem Hören von Theologie oder Medizin. Zudem war der Adel sehr auf seine Stellung bedacht und erkannte die Autorität der akademischen Ränge meist nicht an. So entstanden Konflikte zum Beispiel bei der Sitzordnung im Hörsaal oder durch die an den Universitäten vorgeschriebene und von den Adligen oft ignorierte Kleiderordnung. Sie zeigten sich zwar nicht bereit, die Regeln der Universität zu befolgen, brachten ihr jedoch durch ihre Zugehörigkeit ökonomische und symbolische Vorteile. An dieser Stelle wird die Tatsache deutlich, dass eine Person zwar mehrere verschiedene Ämter innehaben konnte und mehreren Wissensräumen, nicht aber verschiedenen Ständen angehören konnte.139

136 137 138 139

Vgl. Füssel, Gelehrtenkultur als symbolische Praxis, S. 112f. und 116. Vgl. Füssel, Gelehrtenkultur als symbolische Praxis, S. 126. Füssel, Gelehrtenkultur als symbolische Praxis, S. 253f. Vgl. Füssel, Gelehrtenkultur als symbolische Praxis, S. 253–256, 276 und 333.

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Obwohl sie weniger festgelegt war, so erschien die Grenze zu anderen Ständen wie dem städtischen Bürgertum eindeutiger. Lokale Gegebenheiten hatten hier ebenfalls einen deutlichen Einfluss auf die Ausgestaltung dieser Grenzziehung. Gegenüber dem Patriziat einer freien Reichsstadt oder im Falle einer städtischen Universitätsgründung hatten die Gelehrten die niedrigere Position. Handelte es sich hingegen um eine Landstadt mit einer starken landesherrlichen Hochschule, hatten meist die Bürger zurückzutreten.140

Es ist offenkundig, dass die Grenzziehungen des Wissensraums Res publica literaria sehr viel mit den Grenzen der Ständegesellschaft zu tun hatten. Wilhelm Heinrich Riehl zählte die Gelehrten zu den »unechten Ständen«, die besonders bemüht waren als »echter Stand« anerkannt zu werden. Ihre symbolischen Ausdrucksformen nutzten sie dabei nicht nur zur Abgrenzung von anderen Gruppen, sondern auch zur Selbstverständigung.141 Wie die Standesgrenzen waren auch die Grenzen des Wissensraums Res publica literaria durchlässig und wie im Fall des Wissensraums Buchhandel mussten sie in einer fortwährenden Distinktion stets neu formuliert und begründet werden. Die Gelehrten versuchten sich, wie vorgestellt, in erster Linie nach unten hin vom städtischen Bürgertum abzugrenzen. Gleichzeitig wollten sie sich sowohl rechtlich als auch symbolisch stets dem höherstehenden Adel annähern.142 Dies sollte ihnen zwar nie gelingen, jedoch sind bei der Betrachtung des Wissensraums Res publica literaria einige Adelige durchaus als Nebenaktanten darin zu betrachten und obwohl bis jetzt der Eindruck entstanden sein mag, so waren die Grenzen des Gelehrtenstandes nicht in allen Punkten deckungsgleich mit denen des gelehrten Wissensraums. In Bezug auf die sozialen Standesgrenzen erwies sich letzterer als durchlässiger, während der Wissenserwerb zur Teilhabe am Diskurs eine wesentlich grundlegendere Rolle spielte. Herzog August d. J. inszenierte sich selbst als ein Mann, der dem zeitgenössischen Ideal des gelehrten Fürsten entsprach. Er verfügte nicht nur über die entsprechende Bildung, sondern verfasste auch selbst »wissenschaftliche« Texte. Dabei arbeitete er ganz nach einer vorbildlichen gelehrten Praktik, denn sein ›Schachbuch‹ und seine ›Kryptographie‹ – das eine deutsch, die andere lateinisch abgefaßt – sind mit all ihren überlieferten Vorarbeiten, Entwürfen und Konzepten Beispiele für die exzerpierende, kompilierende Arbeitsweise eines Büchergelehrten zu Anfang des 17. Jahrhunderts.143

140 Füssel, Gelehrtenkultur als symbolische Praxis, S. 419. 141 Vgl. Anne Goldgar: Impolite learning. Conduct and community in the Republic of Letters. 1680– 1750. New Haven [u. a.]: Yale Univ. Press 1995, S. 8. 142 Vgl. Füssel, Gelehrtenkultur als symbolische Praxis, S. 419.

5.1 Die Res publica literaria



447

Abb. 10: Herzog August d. J. zu Braunschweig-Lüneburg im Büchersaal der Bibliotheca Augusta. Kupferstich von Conrad Buno, um 1650.

Darüber hinaus baute er eine der größten und bedeutendsten Bibliotheken seiner Zeit auf. Ein Kupferstich von Conrad Buno zeigt ihn in einem der beiden Büchersäle der Augusta, eingefasst von Weinranken (Abb. 10). Der Betrachter des Stichs schaut in den Saal hinein und sieht an drei Wänden sowie in einem Mittelregal geordnete Bücherreihen, »ein Arsenal des Wissens, ein Schatz der Gelehrsamkeit, ein Hort der Bücher.«144 An der Stirnfläche des mittleren Regals steht der lateinische Spruch »Deo et posteritati«. Diese Phrase ist eine Abwandlung des bekannten Wahlspruchs verschiedener Herrscher »Deo et patriae«, was soviel bedeutet wie »Für Gott und Vaterland«. Die Variante auf der Darstellung Herzog Augusts lautet nun »Für Gott und die Nachwelt«, was nicht nur den höheren Zweck seiner Bibliothekssammlung verdeutlichen soll, sondern auch den Gedanken des Memento mori aufgreift. August wollte sich mit seiner Bibliothek ein dauerhaftes Denkmal setzen. Auf der rechten Seite im Vordergrund steht der Fürst selbst neben den Blaeuschen Globen. Er hat die rechte Hand erhoben und trägt einen weiten bodenlangen Gelehrtenmantel, der mit Tressen und Knöpfen verziert ist. Seinen Kopf bedeckt das Käppchen eines Geistlichen und in der linken Hand trägt er eine Schriftrolle. In der Kleidung und Positur eines frommen und nachdenkenden Gelehrten mit dem Papier in der Hand

143 Paul Raabe: Bibliotheken und gelehrtes Buchwesen. Bemerkungen über die Büchersammlungen der Gelehrten im 17. Jahrhundert. In: Res Publica Litteraria. Die Institutionen der Gelehrsamkeit in der frühen Neuzeit. Bd. II. Hrsg. von Sebastian Neumeister und Conrad Wiedemann. Wiesbaden: Harrassowitz 1987 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; Bd. 14), S. 643–661, S. 646. 144 Raabe, Bibliotheken und gelehrtes Buchwesen, S. 644.

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und umgeben von seiner berühmten Büchersammlung inszenierte sich August hier ganz als der gelehrte Fürst. Auch auf anderen Darstellungen ließ er sich gerne mit einem Buch in der Hand, dem Symbol des Gelehrten, abbilden.145 Dazu hatte der Herzog, wie vorgestellt, weitreichende Kontakte zu Gelehrten, durch die er sich inhaltlich auch am gelehrten Wissensdiskurs der Zeit beteiligte, und seine beiden Werke über das Schachspiel und die Geheimschrift fanden in gelehrten Kreisen breite Anerkennung.146 Er hatte trotz seines Universitätsstudiums, wie es für den Adel üblich war, keinen Abschluss erworben und trotz seiner Gelehrsamkeit standen für ihn seine Aufgaben und Pflichten als Fürst immer an erster Stelle. Der Herzog gehörte damit eindeutig nicht zum gelehrten Stand, doch aufgrund seiner Teilhabe am gelehrten Wissensdiskurs und seiner Ausübung gelehrter Praktiken erscheint er als Nebenaktant in und damit als zugehörig zum gelehrten Wissensraum. Herzog August war im Ausmaß seiner gelehrten Studien und seiner Büchersammelleidenschaft sicherlich eine Ausnahme, dennoch macht sein Beispiel die kleinen, aber entscheidenden Unterschiede zwischen den reinen Standesgrenzen und den Grenzen eines Wissensraums deutlich.

5.1.6 Der Wissensraum Res publica literaria Die Res publica literaria als Wissensraum lässt sich schematisch darstellen wie in Abbildung 11. Im Zentrum stehen die Aktanten, die Gelehrten und die Bücher, sowie der Diskurs um Wissen. Als wichtige individuelle Praktiken konnten das Lesen, Sammeln, Exzerpieren, Kompilieren, Lernen und Forschen festgemacht werden. Für das soziale Miteinander bedeutende Praktiken waren die Korrespondenz, die Gastfreundschaft, die Tischgesellschaft sowie institutionalisierte Rituale etwa im Rahmen der Verleihung akademischer Titel. Die Orte wurden anders als beim Wissensraum Buchhandel an mehreren Stellen und teilweise auch auf der Grenzlinie des Wissensraums Res publica literaria platziert, da so die Überschneidungen zu anderen Wissensräumen augenfälliger werden. Nur der Gelehrtenhaushalt und die Universität finden sich ganz im Inneren des Wissensraums. Wichtige Schnittpunkte nach außen stellten dagegen die Buchmesse – als örtliche Verbindung zum Buchhandel – und der Hof bzw. die Hof- oder Fürstenbibliothek dar. Herzog August steht stellvertretend für die möglichen Nebenaktanten, die aufgrund der Kürze des Exkurses zur Gelehrtenwelt nicht näher untersucht werden konnten.

145 Vgl. Raabe, Bibliotheken und gelehrtes Buchwesen, S. 644. 146 Vgl. Raabe, Bibliotheken und gelehrtes Buchwesen, S. 648.

5.2 Die Bedeutung des Buchdrucks und -handels für den Wissensraum 

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Abb. 11: Modell Wissensraum Res publica literaria.

5.2 Die Bedeutung des Buchdrucks und -handels für den Wissensraum Res publica literaria Das Frontispiz der Instauratio magna von Francis Bacon aus dem Jahr 1620 zeigt ein Segelschiff, das zwischen den Säulen des alten Wissens hinaus in die unendlichen Meere neuer Erkenntnisse segelt (Vgl. Abb. 12). Bacons Schiff ist seither ein gern gewähltes Sinnbild für die umwälzenden Neuerungen in der Wissenschaft der Frühen Neuzeit. Dass diese Innovationen eng mit der Entwicklung des Buchhandels zusammenhingen, verdeutlichen die zahlreichen Wechselwirkungen der technischen Erfindung mit den gesellschaftlichen Veränderungen.

450  5 Dimensionen des Wissensraums in der Frühen Neuzeit

Abb. 12: Frontispiz der Instauratio magna von Francis Bacon, 1620.

Besonders die Beziehung des Gelehrten zum Buch ist augenscheinlich. It is traditional to assume that ideas emanating from scholars are freely received and exchanged; but these ideas are communicated in the material form of books, by a process which involves money at all levels: printing, advertising and distribution.147

147 Maclean, Learning and the Market Place, S. 10.

5.2 Die Bedeutung des Buchdrucks und -handels für den Wissensraum

 451

In der Frühen Neuzeit waren Bücher und andere Druckerzeugnisse die einzige Möglichkeit der wissenschaftlichen Informationsvermittlung und durch den Buchdruck wurden die tradierten Texte weit besser zugänglich gemacht als durch die begrenzte handschriftliche Verbreitung zuvor.148 Besonders die Naturwissenschaften profitierten im 15. und 16. Jahrhundert von der Lektüre bislang unbekannter Autoren.149 Im bereits zitierten Ständebuch des Kupferstechers Christoph Weigel pries er unter dem Abschnitt »zu Beförderung der Studien sehr nützlichen Ständen« die Buchdruckerkunst mit folgenden Worten: »Wie wenige und geringe Wissenschafft würden wir von den vorigen Zeiten haben / daran uns doch zum Theil so vielen gelegen / wann wir der so edlen Drucker=Kunst ermangeln sollten?«150

Abb. 13: Der Büchernarr, Holzschnitt. In: Sebastian Brants Narrenschiff, 1494.

148 Vgl. Schneider, Das Buch als Wissensvermittler in der Frühen Neuzeit, S. 71. 149 Vgl. Toeller, Die Buchmesse in Frankfurt a. Main vor 1560, S. 48. 150 Weigel, Abbildung der Gemein-Nützlichen Haupt-Stände, S. 255.

452  5 Dimensionen des Wissensraums in der Frühen Neuzeit

Die plötzliche Masse an Büchern wurde dabei nicht nur positiv betrachtet. Sebastian Brant stellt in seinem Narrenschiff151 von 1494 unter der Überschrift »Von unnutzen buchern« die Figur des »Büchernarren« vor (Vgl. Abb. 13). Ein Mann mit Brille sitzt umgeben von Büchern an einem Lesepult und blättert in einem der dicken Folianten. Der beigefügte Text stellt in einer überspitzten Form denjenigen als Narren vor, der sich mit zahlreichen Büchern umgibt, ohne sie zu lesen oder zu verstehen. Brant verwendete hier einen Topos, der sich nicht nur gegen die vermeintliche Informationsflut durch Bücher, sondern auch gegen die Demokratisierung des Lesens richtete.152 Das Narrenschiff sollte eine Anleitung zur Weisheit liefern. Die satirische Übertreibung rund um den Büchernarr wurde jedoch erst durch die schlagartig gesteigerte Produktion von gedruckten Büchern provoziert, die dem einzelnen Exemplar seinen singulären Status nahm. Wolfgang Neuser teilt die europäische Kulturentwicklung in drei große Epochen auf. Nach der klassischen griechisch-römischen Phase setzt er das Mittelalter und anschließend die Neuzeit. Als ihre Grundstruktur benennt er den Begriff Wissen und als ihr Charakteristikum, das sie jeweils voneinander unterscheidet, die unterschiedlichen Perspektiven auf diesen Grundbegriff. Das Mittelalter endet nach Neuser 1400. Den Beginn der Neuzeit allerdings setzt er erst 1644 mit der Methodenschrift von Descartes als Gründungsurkunde an. Die Zeit dazwischen nennt er eine Übergangsphase, in der sich die »Rahmenbedingungen für das Denken«153 änderten. Das bedeutet, dass weniger die Denkmethoden, der Wissensbegriff oder die übergreifenden Normen, sondern vielmehr ihre Veränderungen thematisiert wurden. Die Zeit der Erfindung des Buchdrucks und der Ausformung des Buchhandels ist also eine Übergangsphase, in der sich das Denken veränderte. Es liegt nahe, dass der Buchdruck als neue Technik und das gedruckte Buch als Medium hier großen Einfluss ausübten. Inwiefern jedoch der Wissensraum Buchhandel ein »agent of change« für die Wissenschaft der Frühen Neuzeit war, soll dieses abschließende Kapitel zu den historischen Rahmenbedingungen beleuchten. Die im Folgenden aufgeführten Wandlungen innerhalb der Wissenschaft vom 15. bis zum 17. Jahrhundert hingen in erster Linie mit der Erfindung und Nutzung des Buchdrucks zusammen. Sie werden hier dennoch ausführlich vorgestellt, da sie ohne eine erfolgreiche und umfangreiche Distribution keine entsprechende Wirkung hätten entfalten können.

151 Sebastian Brant: Das Narrenschiff. Basel: Johann Bergmann 1494. Vgl. GW 05041. 152 Vgl. Rautenberg, Von Mainz in die Welt, S. 236. 153 Neuser, Räume im Wandel der Geschichte, S. 250. Als Charakteristik der Neuzeit macht Neuser die Frage nach der Begründung von Wissen aus und ihrer Beantwortung damit, dass das Wissen im Subjekt selbst begründet wird. Nach mittelalterlicher Vorstellung wäre dies nicht möglich gewesen, da in dieser Zeit alles Wissen von Gott begründet war. Vgl. Neuser, Räume im Wandel der Geschichte, S. 252.

5.2 Die Bedeutung des Buchdrucks und -handels für den Wissensraum 

453

Wissenschaft in der Frühen Neuzeit Die Wissenschaftsgeschichte wird gerne mit einer Geschichte der Naturwissenschaften gleichgesetzt, in der Frühen Neuzeit gab es jedoch noch keine solche Unterscheidung in Natur- und Geisteswissenschaften.154 »The interpenetration of disciplines«155 ist charakteristisch für die Zeit der Renaissance. Das Wissen nahezu aller Disziplinen war dabei von der Antike geprägt.156 Diese Tradition wurde erst schrittweise durch zeitgenössische Entdeckungen überwunden. In der Astronomie beispielsweise machte Tycho Brahe am 11. November 1572 einen neuen Stern am Himmel im Sternbild Cassiopeia aus. Diesen Stern beobachtete er über einen längeren Zeitraum hinweg und veröffentlichte seine Ergebnisse in De nova stella (Kopenhagen 1573). Seine Schrift erhielt große Aufmerksamkeit und begründete seinen Ruf als bedeutender Astronom. Die in seinem Werk enthaltene Schlussfolgerung, dass im Bereich der Fixsterne Veränderungen möglich sind, stand im Widerspruch zur bisher vorherrschenden aristotelischen Vorstellung und provozierte kontroverse Diskussionen.157 Brahe argumentierte auch gegen die gültige Annahme, dass der die Erde umgebende Horizont aus Kugelschalen bestünde. »Die Zerschlagung der Sphären durch Tycho bedeutete eine Öffnung des Himmels und führte Giordano Bruno (1548–1600) konsequent zur Idee der Unendlichkeit.«158 Die weite Bekanntmachung solcher revolutionärer Ideen und überhaupt die Erzeugung einer neuen Öffentlichkeit, die für sie empfänglich war, ist eine der wichtigsten Konsequenzen der Einführung des Buchdrucks.159 Allerdings überwand erst Johnnes Kepler die antiken Vorstellungen von den Kugelsphären und der gleichförmigen Bewegung. Er verbesserte das kopernikanische Weltsystem durch die Einführung elliptischer Umlaufbahnen und ungleichförmiger Bewegungen für die Planeten. »Damit vollzog er den wirklichen Bruch mit der Antike.«160 Kepler erbrachte in seiner Planetentheorie Astronomia Nova (Prag 1609) den Nachweis, dass die Beobachtungen Brahes graphisch nur darstellbar waren, wenn man die Planeten eine Ellipsenbewegung um die Sonne vollziehen

154 Vgl. Mulsow, Die unanständige Gelehrtenrepublik, S. VII. 155 Maclean, Learning and the Market Place, S. 20. 156 Vorherrschend waren dabei im Mittelalter und in der Renaissance die Lehren von Aristoteles. Vgl. Gudrun Wolfschmidt: Die Eroberung des Himmels. In: Macht des Wissens. Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft. Hrsg. von Richard van Dülmen, Sina Rauschenbach und Meinrad von Engelberg. Köln [u. a.]: Böhlau 2004, S. 187–212, S. 187. 157 Vgl. Wolfschmidt, Die Eroberung des Himmels, S. 187f. 158 Wolfschmidt, Die Eroberung des Himmels, S. 189. 159 Vgl. Eisenstein, The printing press as an agent of change, S. 149. 160 Wolfschmidt, Die Eroberung des Himmels, S. 190.

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ließ. Mit seinen Tabulae Rudolphinae161 schuf Kepler zudem eine Berechnungsgrundlage für die zukünftige Planetenbeobachtung.162 Men of learning had to engage in ›slavish copying‹ of tables, diagrams and unfamiliar terms. The output of whole editions of sets of astronomical tables did not ›intensify‹ previous trends. It reversed them, producing a new situation which released time for observation and research.163

Diese Beispiele aus dem Bereich der Astronomie können stellvertretend stehen für die großen Umwälzungen in der Wissenschaft des 17. Jahrhunderts, wie sie bereits im vorigen Kapitel über den Diskurs der Res publica literaria zur Sprache kamen. Noch vor der Überwindung der antiken Vorstellungen stand aber zunächst ihre Neurezeption. Friedrich Kapp nennt es das Anbrechen der »Morgenröte eines neuen Tages«164 und meint damit die Renaissance, die ihre Geburt in Italien verzeichnen kann und als Humanismus in Deutschland und dem restlichen Europa Eingang fand. Der Kampf der Anhänger des klassischen Altertums für die Wissenschaft und das selbstständige Denken und gegen die Scholastik und die Bevormundung durch die päpstliche Autorität wirkte schon vor der wissenschaftlichen Revolution im 17. Jahrhundert wie ein radikaler Neubeginn, der in der Reformation und ihren mentalen und kriegerischen Folgen mündete. Ludwig Geiger unterscheidet zwischen drei Phasen des Humanismus. Diese drei Phasen beginnen mit der Ausbreitung des Buchdrucks und dauern bis zur Reformation (1460–1520). An die erste humanistisch-theologische Phase schließt sich die zweite humanistisch-wissenschaftliche Periode an und zuletzt folgt noch die humanistisch-polemische. Diese drei Stufen fanden nahezu gleichzeitig und ineinander übergehend in verschiedenen Ausprä-

161 Johannes Kepler: Tabulae Rudolphinae, Quibus Astronomicae Scientiae, Temporum longinquitate collapsae Restauratio continetur: A Phoenice illo Astronomorum Tychone, Ex Illustri & Generosa Braheorum in Regno Daniae familia oriundo Equite, Primum Animo Concepta Et Destinata Anno Christi MDLXIV: … tracta per annos XXV, … Tandem Traducta In Germaniam, In Que Aulam Et Nomen Rudolphi Imp. anno MDIIC.; Tabulas Ipsas, Iam Et Nuncupatas, Et Affectas, Sed Morte Authoris Sui Anno MDCI Desertas, Iussu Et Stipendiis Fretus Trium Imppp. Rudolphi, Matthiae, Ferdinandi, Annitentibus Haeredibus Braheanis; Ex Fundamentis Observationum relictarum … continuis multorum annorum speculationibus & computationibus, primum Pragae Bohemorum continuavit / deinde Lincii … subsidiis etiam Ill. Provincialium adiutus, perfecit, absolvit, adq[ue] causarum & calculi perennis formulam traduxit Joannes Keplerus, Tychoni primum a Rudolpho II. Imp. adiunctus calculi minister; indeq[ue] trium ordine Imppp. Mathematicu. Ulm: Jonas Saur 1627. Vgl. VD17 12:651552R und 3122:734276B. 162 Vgl. Wolfschmidt, Die Eroberung des Himmels, S. 193. Die physikalische Grundlage für die Planetenbewegung um die Sonne mit ihr als Gravitationszentrum und damit die Grundlage für die Durchsetzung des kopernikanischen Weltbilds im 18. Jahrhundert schuf erst Newton mit seinem Hauptwerk Philosophiae naturalis Principia mathematica (London 1687). Vgl. Wolfschmidt, Die Eroberung des Himmels, S. 194. 163 Eisenstein, The printing press as an agent of change, S. 47. 164 Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 360.

5.2 Die Bedeutung des Buchdrucks und -handels für den Wissensraum 

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gungen in Deutschland statt.165 Der Humanismus war »eine literarische Bewegung schlechthin«166 und wurde durch die Verbreitung des Buchdrucks einzigartig befördert. Wissen und Wissensvermittlung »Durch den Buchdruck wurde die Wissensvermittlung mit erschwinglichen Textausgaben möglich, die eine angemessene äußere Gestaltung und philologische Exaktheit auszeichneten.«167 Damit revolutionierte die Einführung des Buchdrucks das Lehren und Lernen.168 Die Form der Wissensvermittlung änderte sich grundlegend, indem anstelle des »learning by doing« ein »learning by reading«169 trat. Besonders in der Andachtsliteratur wurde im Zuge der Reformation das eigene Haus zur »Kirche«, da nun dort die Rezeption der heiligen Texte stattfand. Das Selbstlernen trat damit in Konkurrenz zu formellen Formen des Unterrichts. Dass Bücher als Hilfe zur Selbsthilfe gesehen wurden, offenbart eine verzerrte Sichtweise, da streng genommen jeder in jeder Vermittlungssituation selbst »lernen« – Wissen aufnehmen und verarbeiten – muss. Trotzdem beförderte die Nutzung der typographischen Medien die gesellschaftliche Vorstellung von einer Autonomie des Menschen, indem Autoren den Anspruch erhoben, dass jeder sich mithilfe ihres Buches das darin vermittelte Wissen selbst aneignen könne.170 Durch das Lernen durch Lesen verringerte sich außerdem die Bedeutung von Gedächtnisstützen in Form von Reimen oder Kadenzen. Eisenstein zieht daraus einen weitreichenden Schluss: »The nature of the collective memory was transformed.«171 Diese Aussage ist allerdings schwer nachzuweisen und die Memoriertechniken verschwanden nicht, sondern wanderten als schriftliche Anleitungen in den Druck. Mit dem Buchdruck einher ging dafür bald eine neue Gestaltung, die ebenfalls Rückwirkungen auf die Rezeption hatte. In der Druckwerkstatt war es von Vorteil nur mit dem Alphabet zu arbeiten, statt mit zahlreichen verschiedenen Ligaturen und Abbreviaturen, die den Setzkasten unnötig vergrößerten. Das vereinfachte das Satzbild, was neben dem Druckbild die mögliche Lesegeschwindigkeit beeinflusste. Zwar lieferten geschulte Schreiber gut lesbare Texte, doch kaum zu entziffernde Handschriften waren ebenfalls weit verbreitet, worauf viele zeitgenössische Klagen hindeuten. Eine Lesegeschwindigkeit wie bei der Lektüre gedruckter Bücher wurde

165 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 361f. 166 Toeller, Die Buchmesse in Frankfurt a. Main vor 1560, S. 87. 167 Füssel, Gutenberg und seine Wirkung, S. 69. 168 Vgl. Eisenstein, The printing press as an agent of change, S. 3. 169 Alfred Messerli: Leser, Leserschichten und -gruppen. Lesestoffe in der Neuzeit (1450–1850): Konsum, Rezeption, Materialität. In: Buchwissenschaft in Deutschland. Ein Handbuch. Bd. 1: Theorie und Forschung. Hrsg. von Ursula Rautenberg. Berlin [u. a.]: De Gruyter 2010, S. 443–502, S. 463. 170 Vgl. Giesecke, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit, S. 525 und 543. 171 Eisenstein, The printing press as an agent of change, S. 66.

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zuvor wohl nur ausnahmsweise erreicht.172 Das ermöglichte dem Leser die Aufnahme von mehr Wissen innerhalb kürzerer Zeit. Dazu entstanden Titelblätter zum Schutz des ungebundenen Buchblocks, auf die bald die wichtigen Angaben des Kolophons wanderten, und es traten Register und Verzeichnisse hinzu. »Diese Paratexte fungieren strukturierend für den schnellen Zugriff auf das Wissen und veränderten das methodische Lesen durch inhaltliche Verweisungszusammenhänge im Buch und Bezugnahmen auf bereits im Medium Buch publiziertes Wissen.«173 Allein der nun theoretisch jedermann mögliche Besitz von Büchern veränderte bereits die Institution des Unterrichts grundlegend, zum Beispiel durch die Annahme, dass sich Schüler selbst Lehrbücher zulegten. Auch wenn das im 15. Jahrhundert noch die Ausnahme war, sollte sie es nicht bleiben. Mit dem eigenen Druck konnten sich die Schüler an der Quelle direkt informieren und waren in der Lage, Aussagen des Lehrers in Zweifel zu ziehen. Mit dem Medium Handschrift war dies nicht nur aus quantitativen, sondern auch aus finanziellen Gründen nicht in vergleichbarem Umfang möglich. Durch die verbesserte Verfügbarkeit passender Lektüre und einer entsprechenden Vorbereitung bekamen zudem die Erläuterungen des Lehrers einen wichtigeren Stellenwert, da es nun nicht mehr nur darum ging, das Wissen so vorzutragen, dass die Zuhörer eine Mitschrift erstellen konnten. Das Konzept der Schule erfuhr somit wie das Schulbuch eine Veränderung.174 Lehrbücher, die sich nicht mehr nur an den Experten richteten und die mündliche Instruktion nicht nur unterstützen, sondern ganz ersetzen sollten, mussten anders geschrieben sein als die früheren Manuskripte, die nur selten in die Hand von Laien gelangt waren. Es wurde notwendig, eine allgemeine Fachterminologie zu entwickeln, ebenso wie eine überregional verständliche Volkssprache. Außerdem mussten die Autoren lernen, sich an einen idealtypischen Adressaten zu wenden und sein vermeintliches Vorwissen zu berücksichtigen. Langfristig kam es so zu Standardisierungen und Neugliederungen der Lehrinhalte.175 Der Buchdruck löste dadurch mehrere Probleme, erstens beseitigte er Unleserlichkeit und damit Unrezi-

172 Vgl. Giesecke, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit, S. 90. Weitere Veränderungen betrafen die Ausstattung des Buches. Statt der Illuminierung und Rubrizierung per Hand wurden Holzschnitt- und Kupferstichillustrationen in Schwarzweiß eingedruckt und das Format schrumpfte vom üblichen großen Folio auf ein handlicheres Oktav oder Quart. Diese Gestaltwandlung des Buches optimierte nicht nur den Herstellungsprozess, sondern erleichterte auch – besonders im Fall des Formats – den Lesekomfort und die Mitnahme eines Buches etwa auf Reisen. 173 Vgl. Schneider, Das Buch als Wissensvermittler in der Frühen Neuzeit, S. 71. 174 Vgl. Giesecke, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit, S. 219, 221 und 226. 175 Vgl. Giesecke, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit, S. 219 und 529f. Für die Religion ist diese Standardisierung von Texten durch den Buchdruck von besonderer Bedeutung. »Die Standardbibel ist erst das Produkt der frühen Neuzeit.« Giesecke, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit, S. 244.

5.2 Die Bedeutung des Buchdrucks und -handels für den Wissensraum

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pierbarkeit von Texten durch eine ästhetische Standardisierung und zweitens die Vieldeutigkeit der biblischen Schriftauslegung durch die Kanonisierung.176 Eine weitere Änderung, die mit der Standardisierung zusammenhängt, liegt in einem neuen Prinzip der Archivierung von Wissen. Seine Ablage und Aufbereitung in Archiven und Bibliotheken oder auch in Enzyklopädien erfolgte nun methodisch.177 Vor allem die sich bald durchsetzende alphabetische Ordnung, die abstrakt und inhaltsunabhängig ist, entlehnte sich aus der Arbeit in der Druckwerkstatt, insbesondere dem Ablegen der einzelnen Lettern.178 Darüber hinaus änderte sich die Bindung der Überlieferung an ein beständiges Material in eine Koppelung an die Masse und Verbreitung des entsprechenden Mediums.179 Eisenstein urteilt: »Of all the new features introduced by the duplicative powers of print, preservation is possibly the most important.«180 Durch die große Menge gleicher Bücher, wuchs die Wahrscheinlichkeit, dass der Text in unveränderter Form überdauerte, um ein Vielfaches. In diesem Zusammenhang ist auch wichtig zu beachten, dass der Drucker die Entscheidung traf, in welcher Variante eine vorhandene Handschrift in den Druck gelangte und damit eine höhere Überlieferungschance erhielt, da häufig verschiedene existierten.181 Außerdem mussten Titel gebildet und anonyme Handschriften Autoren zugeschrieben werden. Auch für den Buchverkauf war dies wichtig, da der Kunde wissen wollte, was er erwarb. Dadurch erhielt der Urheber des jeweiligen Textes ein neues Gewicht.182 Mit der engen Verknüpfung einer Schrift an einen namentlich gekennzeichneten Autor war die Grundlage gelegt für das spätere Aufkommen eines Urheberrechtsbewusstseins. Durch seine Zielrichtung auf einen anonymen Markt, erforderte der Buchdruck, dass vermehrt Neues veröffentlicht wurde. Allerdings dauerte es noch eine ganze Weile, bis sich die Gelehrten in ihren Werken dazu bekannten, neue Informationen zu liefern, da ein solcher Schöpfungsakt der Autorenschaft gotteslästerlich schien. Es gab schon vorher einzelne Persönlichkeiten, die sich mehr oder weniger explizit von der Tradition lösten, doch erst in der Renaissance wurde eine solche Abwendung vom überlieferten Wissen und von althergebrachten Sichtweisen nach und nach zu einer gesellschaftlichen Norm. Mit der Produktion von immer neuem Wis-

176 Vgl. Andreas Ziemann: Medienkultur und Gesellschaftsstruktur. Soziologische Analysen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2011, S. 172. 177 Vgl. Johannes Burkhardt und Christine Werkstetter: Die Frühe Neuzeit als Medienzeitalter und ihr kommunikatives Spektrum. Einleitung. In: Kommunikation und Medien in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Johannes Burkhardt und Christine Werkstetter. München: R. Oldenbourg 2005 (Historische Zeitschrift, Beihefte; Bd. 41), S. 1–10, S. 1. 178 Vgl. Eisenstein, The printing press as an agent of change, S. 100. 179 Vgl. Giesecke, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit, S. 153 und 323. 180 Eisenstein, The printing press as an agent of change, S. 113. 181 Vgl. Eisenstein, The printing press as an agent of change, S. 87. 182 Vgl. Giesecke, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit, S. 324–327.

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sen im Druck wurde die Vorstellung eines abgeschlossenen Wissenskorpus abgelöst von der Idee einer stets fortschreitenden Akkumulation von Wissen, die als unendlich angesehen wurde.183 Der Vergleich überlieferter Theorien gab den Autoren darüber hinaus die Gelegenheit in größerem Umfang neue zu entwickeln.184 Der Buchdruck förderte damit nicht nur die Wechselwirkung zwischen verschiedenen Texten und verschiedenem Wissen, sondern auch die Entwicklung des Skeptizismus aufgrund sich widersprechender Berichte, die nun vergleichend rezipiert werden konnten.185 Durch das bequeme Nebeneinanderlegen mehrerer Beschreibungen bekam die Arbeitsweise der Wissenschaft einen entscheidenden Anstoß.186 Trotz der vorher schon verbreiteten Schriftlichkeit durch Handschriften oder die Briefkommunikation kam es erst Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts zu einer Abwertung oraler Informationen. Prämiert wurde nun stattdessen die typographisch gespeicherte »visuelle« Information.187 Sichtbares Zeichen dafür war die deutlich gesteigerte Verwendung von Abbildungen. Waren vorher nur etwa 1/10 bis höchstens 1/5 der deutschen Handschriften illuminiert, so gewann die bildliche Darstellung im gedruckten Buch verstärkt an Bedeutung. Das illustrierte Buch wurde zur Regel.188 Im gleichen Zug wandelte sich die Art und Weise der Wissensdarstellung im Bild. Deutlich wird dies am Beispiel der Schedelschen Weltchronik, die einen eindrucksvollen Beleg für den Übergang von mittelalterlichem zu frühneuzeitlichem Denken bietet. Die Weltchronik folgt inhaltlich dem überlieferten heilsgeschichtlichen Konzept der Geschichtsdarstellung. Analog zu der in der Genesis beschriebenen Erschaffung der Welt in sieben Tagen ist sie in sieben Zeitalter aufgeteilt, wobei das siebte vom Ende der Welt handelt. Die Erzählung wird allerdings am Schluss des sechsten Weltalters aufgebrochen durch die Aufforderung an den Leser, das Buch selbst durch eigene Geschichten fortzuführen.189 Die Widersprüche der in der Weltchronik enthaltenen Weltbilder treten vor allem bei der Betrachtung der Illustrationen zutage, besonders den zahlreichen Stadtansichten. Wie selbstverständlich stehen hier realitätsnahe Darstellungen neben formelhaft ikonographischen, teils mehrfach verwendeten Holzschnitten. Die Mischung empirisch überprüfbarer Abbildungen mit Bild-

183 Vgl. Giesecke, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit, S. 429f. und 435. 184 Eisenstein, The printing press as an agent of change, S. 72. 185 Vgl. Burke, Papier und Marktgeschrei, S. 20. 186 Vgl. Giesecke, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit, S. 663. 187 Vgl. Giesecke, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit, S. 33. 188 Vgl. Hans-Joachim Koppitz: Zum Erfolg verurteilt. Auswirkungen der Erfindung des Buchdrucks auf die Überlieferung deutscher Texte bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts. In: GJ 55 (1980), S. 67–78, S. 77. Die Bilder sollten werbewirksam zum Kauf des Buches anregen. Vgl. Koppitz, Zum Erfolg verurteilt, S. 78. 189 Vgl. Peter Seibert: »Die Welt im Buch« – aber welche Welt? Anmerkungen zu Schedels Weltchronik. In: Buchkultur und Wissensvermittlung in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hrsg. von Andreas Gardt, Mireille Schnyder und Jürgen Wolf. Berlin [u. a.]: De Gruyter 2011, S. 215–230, S. 217.

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erfindungen gibt es im 15. Jahrhundert auch in anderen Drucken, etwa im Gart der Gesundheit190. Doch sogar die Unterscheidung in authentische und phantastische Stadtansichten in der Weltchronik erweist sich als problematisch, da beispielsweise die aus Breydenbachs Peregrinatio191 entnommene authentische Ansicht von Heraklion (Kreta) verändert wurde, indem sie unter anderem an das Format angepasst und stellvertretend für Mainz, Neapel und andere Städte eingesetzt wurde.192 Bereits ein knappes halbes Jahrhundert später wurde die »Realität« der Stadtansicht klar thematisiert, wie etwa in Sebastian Münsters Cosmographia193 von 1544. In einer Nachrede machte Münster darin deutlich, dass er sich in allen Fällen um eine angemessene »Contrafeiung« der Städte bemüht hätte. Anstatt sich wie noch in der Weltchronik mit stereotypen Stadtansichten zu behelfen, verzichtete die Cosmographia ganz auf eine Darstellung, wenn keine realitätsnahe Abbildung vorhanden war.194 Die eigene Anschauung wurde nun anstelle der Autoritäten zur primären Erkenntnisquelle. Damit offenbarte sich eine Lücke im traditionellen Wissen über die Natur in den Handschriften, zum Beispiel in Bezug auf das Aussehen beschriebener Kräuter. Die in handschriftlichen Büchern dargestellten Pflanzen konnten in der Realität von den Lesern kaum wiedergefunden werden. Dieses Auseinanderfallen zwischen dem Wissen um die Bezeichnung der Gegenstände und ihrer natürlichen Gestalt wurde aber erst durch das sich parallel zum Buchdruck entwickelnde neue Informationsbedürfnis augenfällig. Daneben änderte sich auch die Form der sprachlichen Wissensvermittlung. Es wurde von Beginn an in deutscher Sprache gedruckt. Somit erfolgte im Druck bald eine Umwertung bzw. Aufwertung der Volkssprachen gegenüber dem Latein und das bereits vor Luther.195 Außerdem spielte die überörtliche Druckersprache als Ausgleichssprache neben der Bibelübersetzung Luthers eine wichtige Rolle für die Herausbildung einer deutschen Standardsprache.

190 Johannes de Cuba: Gart der Gesundheit. Mainz: [Peter Schöffer] 1485. Vgl. GW M09766. 191 Bernhard von Breidenbach: Peregrinatio in terram sanctam. Mainz: Erhard Reuwich 1486. Vgl. GW 05075. 192 Vgl. Seibert, »Die Welt im Buch«, S. 224 und 229. 193 Sebastian Münster: COSMOGRAPHIA.|| Bschreibũg || aller Lender Důrch || Sebastianum Munsterum || in welcher begriffen/|| Aller v[oe]lcker/ Herrschafften/|| Stetten/ … herkõmen:|| Sitten/ gebreüch … || fürnem=||lich Teütscher nation.|| … Alles mit figuren vnd sch[oe]nen landt taflen erklert/|| vnd für augen gestelt.||. Basel: Heinrich Petri 1544. Vgl. VD16 M 6689. 194 Vgl. Seibert, »Die Welt im Buch«, S. 224. Nicht nur inhaltlich, sondern auch formal machten die Städtebücher im 15. und 16. Jahrhundert eine Entwicklung durch, weg von den kleinen topischen Holzschnitten hin zu den großen Kupfertafelwerken mit authentischen Stadtansichten. Vgl. Stephan Füssel: Natura sola magistra. Der Wandel der Stadtikonografie in der Frühen Neuzeit. In: Georg Braun und Franz Hogenberg: Civitates Orbis Terrarum. Städte der Welt. 363 Kupferstiche revolutionieren das Weltbild. Gesamtausgabe der kolorierten Tafeln. 1572–1617. Hrsg. von Stephan Füssel. Hong Kong [u. a.]: Taschen 2008, S. 8–44, S. 8. Das ist eine interessante Entwicklung, da sie gegenläufig zu der allmählichen Verkleinerung der Buchformate verlief. 195 Vgl. Giesecke, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit, S. 198, 347 und 350.

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Das Wissen als Geheimnis, von dem nur einzelne Gelehrte Kenntnis hatten, erfuhr eine Abwertung gegenüber dem gedruckten und damit öffentlichen Wissen.196 Jörg Wickram schrieb in einer Vorrede an den Stadtmeister Ruprecht Kriegelstein von Colmar zur Entstehungsgeschichte seines Buches Hauptlaster197, dass er ursprünglich ein Buch Marquardts vom Stein für die Söhne hatte übertragen wollen, dieses aber nur handschriftlich in Frankreich verbreitet und nicht in den Druck gelangt sei wegen seines angeblich anstößigen Inhalts. Daher musste Wickram für das Erziehungsbuch für die Söhne Kriegelsteins auf andere Quellen zurückgreifen. Es kam also zu einem Paradigmenwechsel in Bezug auf die Glaubwürdigkeit von Wissen, da nun die Vorstellung vorherrschend wurde, dass nur das Wissen von Bestand und Gültigkeit sei, das es wert war, gedruckt und damit zugänglich gemacht zu werden.198 Die hier vorgestellten Veränderungen des Wissens und seiner Vermittlung erfolgten nicht schlagartig von heute auf morgen, sondern in einem langen Prozess, in den noch viele andere Ursachen mit hineinspielten, etwa die wissenschaftlichen Fortschritte oder die Reformation. In dieser Form ermöglicht wurden sie jedoch erst durch den Buchdruck und -handel. Konfessionalisierung und wissenschaftliche Revolution Die Reformation war eng mit dem Medium Buch verbunden. Ihre wechselseitige Unterstützung kam bereits im historischen Überblick zum Buchhandel deutlich zur Sprache. Erst die Reformation postulierte die »Heilige Schrift« als allein gültiges Gotteswort, das jeder Gläubige selbst lesen und nicht durch die Interpretation eines Geistlichen erfahren sollte. »Sola scriptura« wurde zu einem Leitspruch der reformatorischen Bewegung. Um Zugang zu ihr zu erhalten, war Bildung ein erklärtes Ziel Luthers und seiner Anhänger. Landesweit wurden Schulen errichtet, in denen Geistliche den Laien eine Hilfestellung zur Selbsthilfe gaben, indem sie sie das Lesen lehrten.199 Der Katholizismus hatte sich dagegen immer auf eine möglichst große Masse von Laien gestützt, die in ihrem Denken und Handeln von der Anleitung der Priester abhängig war.200 Zudem entstand nun erstmals eine Art anonyme und überörtliche Öffentlichkeit.201

196 Vgl. Giesecke, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit, S. 673f. 197 Jörg Wickram: Die Siben Haupt=||laster/ sampt jren sch[oe]nen fr[ue]ch||ten vnd eygenschafften.|| EJn sch[oe]nes vnd kurtzweiliges || Büchlin/ Jnn welchem begriffen werden || die Siben Hauptlaster/ sampt jhrem vr=||sprung/ was grosser geferligkeit aus einem || yeden entsprungen … || zůsammen getragen vnd || an tag geben/ Durch Georg Wickram || von Colmar/ diser zeit Statschrei||ber zů Burckhaim. Straßburg: Johann Knobloch d. J. 1556. Vgl. VD16 W 2422. 198 Vgl. Michael Mecklenburg: »Dann es ist nit der gelehrten bu(o)ch«: Wissen, Buch und Erfahrung bei Jörg Wickram. In: Buchkultur und Wissensvermittlung in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hrsg. von Andreas Gardt, Mireille Schnyder und Jürgen Wolf. Berlin [u. a.]: De Gruyter 2011, S. 245– 259, S. 247f. 199 Vgl. Giesecke, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit, S. 34, 161 und 164.

5.2 Die Bedeutung des Buchdrucks und -handels für den Wissensraum

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»The Reformation and following it the Counter-Reformation were the first revolutions in which the printing press was used as a weapon, where one can really say it was an agent of change, to use the term coined by Elizabeth Eisenstein.«202 Eisenstein selbst spricht in diesem Zusammenhang bildlich von »Battles of books« und »pamphlet wars«203. Durch diese »Kämpfe« wurden Frömmigkeit und religiöser Eifer stark gefördert, allerdings setzten sie auch die Kirchenmänner in Widerspruch zueinander und stellten die althergebrachte religiöse Ordnung grundsätzlich infrage. In dieser Konsequenz urteilt Eisenstein, dass es der Übergang von der Handschrift zum Druck den Vertretern der Kirche unmöglich machte, den Status quo zu bewahren und weiterzumachen wie bisher.204 Durch die enge Verknüpfung von Religion und Gelehrtentum blieb auch die Res publica literaria vom Kirchenstreit nicht unberührt. Ganz im Gegenteil gehörten sie zu den Wortführern der konfessionellen Streitigkeiten. »Es wäre Augenwischerei, wenn man in dieser Lage nicht von einer gewissen Teilung auch der Respubilca literaria in eine katholische und eine protestantische Hälfte ausgehen würde.«205 Das Ende des 16. und der Beginn des 17. Jahrhunderts werden als der »Herbst« der Renaissance bezeichnet, »a period marked at best by consolidation at worst by decline.«206 Die durch die Religionsstreitigkeiten provozierte Krise bedrohte die Res publica literaria besonders durch die Unsicherheit, ob Bildung und Ethik so eng verbunden sind, wie es Erasmus behauptet hatte. Dies spiegelte sich in der Buchproduktion wider, die nicht nur infolge des Dreißigjährigen Krieges deutlich zurückging, sondern sich zuvor bereits inhaltlich neu ausgerichtet hatte. Eine ganze Generation von Druckerverlegern ging zurück und der Markt zeigte sich gesättigt mit humanistischer Literatur und verlangte nach neuen Themen.207 Die sichtbare Konfessionalisierung der Zeit stand in großem Gegensatz zur Säkularisierung, die die Forschung als Grundlage für die Entstehung der modernen Gesellschaft sieht. Säkularisierung ganz allgemein bedeutet Verweltlichung, im engeren Sinne den Prozess der Ablösung von der Religion und die Hinwendung zur menschlichen Vernunft, wie ihn der Humanismus eingeleitet hatte. Die Moderne wird also als ein Befreiungsprozess von der Religion verstanden, sowohl im politi-

200 Vgl. Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 446f. 201 Vgl. Uwe Dörk: Der verwilderte Raum. Zum Strukturwandel von Öffentlichkeit in der frühneuzeitlichen Stadt am Beispiel Berns. In: Zwischen Gotteshaus und Taverne. Öffentliche Räume in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Hrsg. von Susanne Rau und Gerd Schwerhoff. Köln [u. a.]: Böhlau 2004 (Norm und Struktur; Bd. 21), S. 119–154, S. 150. 202 Hellinga, The bookshop of the world, S. 24. 203 Eisenstein, The printing press as an agent of change, S. 326. 204 Vgl. Eisenstein, The printing press as an agent of change, S. 318f. und 327. 205 Mulsow, Die unanständige Gelehrtenrepublik, S. 153. 206 Maclean, Learning and the Market Place, S. 9. 207 Vgl. Maclean, Learning and the Market Place, S. 9f.

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schen als auch im ethischen und philosophischen Bereich. Demgegenüber steht die These, »daß die Entstehung des modernen Staates nicht mit einer Abnahme, sondern mit einem Zuwachs an politischem Interesse für die Religion, d. h. mit einer politischen Indienstnahme der Religion verbunden sei«208. Im Mittelalter stellte die Theologie die Leitdisziplin dar, die eine allumfassende Ordnung des Lebens bedeutete und der alle anderen Disziplinen untergeordnet waren. Ihre Funktion als Leitdisziplin büßte sie als sichtbares Zeichen der Wirkung der Säkularisation seit dem 16. Jahrhundert ein. Am Ende dieses Prozesses stand allerdings nicht die Abschaffung der Religion. Stattdessen wurde der Theologie ein besonderer Platz unter und unabhängig von den anderen Disziplinen zugesprochen, wodurch sich die Prozesse gegenseitig bedingten und parallel zueinander liefen.209 Auf diese Weise hat die sogenannte »wissenschaftliche Revolution« des 17. Jahrhunderts ihre Vorbedingung ebenso in den vom gedruckten Buch angestoßenen Veränderungen wie auch in den konfessionellen Auseinandersetzungen. Zu »Trägermedien der wissenschaftlichen Revolution«210 wurden allerdings nicht die Bücher, sondern die Zeitschriften. Die ersten dieser wissenschaftlichen Zeitschriften waren das französische Journal des Scavans und die Philosophical Transactions, die beide 1665 gegründet wurden. Sie bewirkten einen wesentlich schnelleren Austausch innerhalb der Gelehrtenrepublik und waren im Gegensatz zu den späteren Leipziger Acta Eruditorium (ab 1682), dem ersten deutschen Gelehrtenjournal, in den Landessprachen verfasst.211 »Wie das Politische aus dem Arkanbereich in die Öffentlichkeit tritt, so verhält es sich seit dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts überall in Europa auch mit den Wissenschaften.«212 Die Verdrängung von Latein als Gelehrtensprache bedeutete insgesamt eine Hinwendung an das Publikum, das außerhalb des Wissensraums Res publica literaria stand. Die Periodika sorgten nicht nur für eine Beschleunigung im wissenschaftlichen Austausch, sondern sie hatten auch ausdrücklich die Wissenschaftspopularisierung zum Ziel.213 Zu ihnen zählten neben den Zeitschriften auch die Kalender. Die Popularität und die Breitenwirkung des Kalenders hingen dabei mit seinem Vertriebsweg zusammen. Gemeinsam mit dem restlichen Kleinschrifttum wurde der Kalender

208 Scattola, Gelehrte Philologie vs. Theologie, S. 155. 209 Vgl. Scattola, Gelehrte Philologie vs. Theologie, S. 156f. 210 Flemming Schock: Enzyklopädie, Kalender, Wochenblatt. Wissenspopularisierung und Medienwandel im 17. Jahrhundert. In: Wissenschaftsgeschichte und Geschichte des Wissens im Dialog – Connecting Science and Knowledge. Hrsg. von Kaspar von Greyerz, Silvia Flubacher und Philipp Senn. Göttingen: V&R unipress 2013, S. 155–185, S. 164–166. 211 Vgl. Schock, Enzyklopädie, Kalender, Wochenblatt, S. 166. 212 Holger Böning: Weltaneignung durch ein neues Publikum. Zeitungen und Zeitschriften als Medientypen der Moderne. In: Kommunikation und Medien in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Johannes Burkhardt und Christine Werkstetter. München: R. Oldenbourg 2005 (Historische Zeitschrift, Beihefte; Bd. 41), S. 105–134, S. 119. 213 Vgl. Böning, Weltaneignung durch ein neues Publikum, S. 121.

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nicht von den Großbuchhändlern, sondern den fliegenden Händlern, Krämern und Kolporteuren vertrieben, womit sein Absatz dazu beitrug, Wissen auch in die ländliche Peripherie zu tragen. Einer der erfolgreichsten Autoren von Kalendern im 17. Jahrhundert war Gottfried Kirch (1639–1710), ein Gelehrter, der zu den führenden Astronomen seiner Zeit gehörte. Indem Kirch seit Ende der 1660er Jahre in verschiedenen Kalenderreihen für den Alltag nützliches Wissen verbreitete, zum Beispiel im Altenburger Haußhaltungs- und Kunst-Calender, übernahm er eine deutliche Mittlerfunktion zwischen dem Gelehrtentum und dem »ungelehrten« Publikum.214 Soziale und räumliche Ausweitung Die notwendige technische Einrichtung für die Produktion von gedruckten Büchern brachte verschiedene Berufsgruppen näher zusammen und beförderte deren Austausch, vor allem zwischen Handwerkern und Gelehrten, aber auch zwischen Gelehrten und reichen Kaufleuten zur Finanzierung des teuren Drucks. Innerhalb der Werkstatt verband sich die logische und abstrakte Denkarbeit der Setzer mit der mechanischen Kraftaufwendung der Bediener der Druckpresse.215 Diese soziale Öffnung nach unten setzte sich auch inhaltlich gesehen fort. Gedruckte Bücher traten von Anfang an mit dem Anspruch auf, dass prinzipiell jeder Zugang zu den in ihnen gespeicherten Informationen haben sollte. Dass Flugblätter, -schriften und manche Bücher für den »gemein man« verfasst waren, ist somit durchaus wörtlich zu nehmen, selbst wenn sie sich in der Realität nicht jeder leisten bzw. lesen konnte. Johannes de Cubas Gart der Gesundheit war beispielsweise explizit in »Teütsch« abgefasst. Dabei handelt es sich allerdings um eine Mundart, da es in der Frühen Neuzeit noch keine hochdeutsche Sprachausbildung gab. Wäre es ihm darum gegangen, möglichst viele Personen mit seinem Buch zu erreichen, hätte er besser Latein gewählt. Er nahm also einen geographisch begrenzteren Leserkreis in Kauf, um stattdessen verschiedene soziale Schichten erreichen zu können.216 Es ist wissenschaftsgeschichtlich von großem Interesse, daß dank des Buchdruckes die Fachliteratur nicht nur für die theoretische Ausbildung an den Universitäten in lateinischer Sprache verbreitet wurde, sondern daß die artes-Literatur der sieben freien Künste, Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Astronomie, Geometrie, Arithmetik und Musik, auch in beachtlichen Auflagenziffern in deutscher Sprache für ein städtisches Bildungspublikum erschien.217

Das Bemühen um eine allgemeinverständliche Ausdrucksweise und vor allem um die Volkssprache bedeutete eine Orientierung an einem nationalen Kommunikationssystem und nicht mehr nur an der übernationalen Elite der Res publica litera-

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Vgl. Schock, Enzyklopädie, Kalender, Wochenblatt, S. 167–169. Vgl. Eisenstein, The printing press as an agent of change, S. 56 und 250f. Vgl. Giesecke, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit, S. 283f. und 360. Füssel, Gutenberg und seine Wirkung, S. 90.

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ria.218 Die durch den Buchdruck mögliche Aufhebung sozialer Distinktionen wurde schon zeitgenössisch erkannt und war einer der Hauptgründe für die verstärkten Zensuraktivitäten der Kirche, die sich gegen das Selbstlesen der Laien wandte.219 Die Autoren mussten in diesem Zusammenhang bald feststellen, dass Originalität und die Entdeckung von »Neuem« wichtiger wurde als das stete Zusammenfassen und Tradieren alter Autoritäten.220 In der Frühen Neuzeit gab es »ferner das, was man eine Ubiquität des Wissens durch die Buchhändler genannt hat.«221 Das gedruckte Buch konnte wie auch schon Handschriften geographische Distanzen überwinden, darüber hinaus konnte es jedoch bei großen räumlichen Entfernungen die persönliche Interaktion in ganz anderem Maß ersetzen als dies vorher möglich war.222 Die Raumerwartung dehnt sich bei massenmedialer Kommunikation deutlich aus, da sich die Anzahl der potenziellen Teilnehmer beträchtlich erhöht. Grundsätzlich sind damit theoretisch gesehen sogar alle Personen im globalen Maßstab erreichbar. Erst auf dieser Grundlage wurden symbolische und imaginäre Räume vorstellbar.223 Durch die wahrgenommene weitere Verbreitung von Büchern mithilfe der Druckkunst entstand zudem der zeitgenössische Eindruck einer höheren Geschwindigkeit in der Informationsvermittlung und Wissensgewinnung.224 Für die räumliche Ausweitung musste der Buchhandel, wie vorgestellt, neue Wege beschreiten, indem er sich an die etablierten Fernhandelsstrukturen des allgemeinen Warenhandels anschloss. Auch wenn es Ende des 15. Jahrhunderts noch eine Utopie war, so war doch mit dem Buchdruck »erstmals die Chance gegeben, geographisch weiträumige Netze mit Schnittstellen zu schaffen, die für alle sozialen Schichten offen waren.«225 Michael Giesecke schränkt diese potenzielle Verbreitungsleistung ein, indem er am Beispiel von Pestbüchern ausführt, dass sie um 1500 zwar in weiten Teilen des Reichs verbreitet waren, dies jedoch nicht dem Buchhandelssystem zu verdanken sei, sondern der Tatsache, dass in allen größeren

218 Vgl. Giesecke, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit, S. 382. 219 Vgl. Leander Scholz: Zur Mediologie des Buchdrucks. In: Gelehrte Kommunikation. Wissenschaft und Medium zwischen dem 16. und 20. Jahrhundert. Köln [u. a.]: Böhlau 2005, S. 23–47, S. 41. 220 Vgl. Wolfgang E. J. Weber: Buchdruck. Repräsentation und Verbreitung von Wissen. In: Macht des Wissens. Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft. Hrsg. von Richard van Dülmen und Sina Rauschenbach. Köln [u. a.]: Böhlau 2004, S. 65–87, S. 68f. 221 Franz Schnabel: Der Buchhandel und der geistige Aufstieg der abendländischen Völker. Vortrag zum 150jährigen Jubiläum des Verlages Herder am 13. Okt. 1951. Freiburg: Herder 1951, S. 16f. 222 Vgl. Michaela Trippl und Franz Tödtling: Regionale Innovationssysteme und Wissenstransfer im Spannungsfeld unterschiedlicher Näheformen. In: Räume der Wissensarbeit. Zur Funktion von Nähe und Distanz in der Wissensökonomie. Hrsg. von Oliver Ibert und Hans Joachim Kujath. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2011, S. 155–169, S. 155. 223 Vgl. Thiedeke, Innerhalb von Außerhalb, S. 124f. 224 Vgl. Giesecke, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit, S. 158. 225 Giesecke, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit, S. 359.

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Orten mindestens ein Drucker diese Werke in seinem Sortiment führte. Er folgert daraus, dass sich in der Frühdruckzeit zunächst die Druckereien ausbreiteten, die dann in verschiedenen Städten kleine Netzwerke bildeten, die nur lose und zum Teil nur über den Nachdruck verbunden waren.226 Was Giesecke dabei übersieht, sind die zwar wenigen, aber den Wissensraum Buchhandel von Anfang an dominierenden Großbuchhändler mit ihren großen Vertriebsnetzen, wie sie in den vorherigen Kapiteln vorgestellt wurden, und die Tatsache der engen personellen Verbindung des Buchdrucks mit dem Buchhandel. Das Handelssystem mag noch nicht besonders ausgeklügelt gewesen sein, doch schon das Beispiel Fust/Schöffer zeigt, dass bereits die frühesten Druckerverleger ihre Produkte weit verteilten. Der alleinige Absatz im unmittelbaren Umfeld war allenfalls für eine sehr kleine Auflage und lokal orientierte volkssprachliche Werke – wie dem von Giesecke gewählten Beispiel des Pestbüchleins227 – ausreichend. Für die lateinischen Inkunabeln hält er lediglich fest, dass für sie »mit anderen Ambivalenzen und Schwierigkeiten, sich aus den etablierten skriptographischen Netzen zu lösen, zu rechnen«228 ist. Besonders diese international absetzbaren Titel aber waren es, die von Anfang an ihren Weg mit dem allgemeinen Warenhandel über Landesgrenzen hinweg nahmen. Den engen Zusammenhang zwischen der Produktion und einem entsprechenden Handelsnetz stellt Giesecke später selbst heraus: »Je besser der Buchhandel organisiert wird, um so mehr Waren kann er aufnehmen und verbreiten. Deshalb wächst die Zahl der Druckereien und dies führt wiederum zu einer komplexeren Infrastruktur des Handels.«229 Die neuen Möglichkeiten des Buchhandels zur räumlichen Verteilung von Texten stießen allerdings auch auf Hindernisse, zu denen unter anderem die im historischen Überblick vorgestellten kriegerischen Auseinandersetzungen, die Zensur, Schlechtwetterbedingungen oder Zollgebühren zählen. Für die Werke hoch- und spätmittelalterlicher deutscher Dichtung bedeutete der Buchdruck darüber hinaus keine Erweiterung, sondern sogar eine Einschränkung zugunsten der lateinischsprachigen Fachliteratur, denn nur für letztere gab es keine nationale Begrenzung der Herstellung und des Absatzes. Von den ungefähr 5.000 und mehr (vieles ging wahrscheinlich verloren) in handschriftlicher Form vorhandenen deutschen Werken mussten die Drucker der Inkunabelzeit auswählen, was sie drucken wollten. Eine erste Auswahl ergab sich durch die Werke, die ihnen zur Verfügung standen.230 La-

226 Vgl. Giesecke, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit, S. 374. 227 Heinrich Steinhöwel: Ordnung der Pestilenz. Ulm: Johann Zainer d. Ä. 1473. Vgl. GW M43865. Was Giesecke ebenfalls bei diesem Beispiel unterschlägt, ist die Tatsache, dass vier der sieben Auflagen innerhalb des 15. Jahrhunderts in Ulm erschienen, was auf eine weitere Distribution schließen lässt, als er annimmt. 228 Giesecke, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit, S. 375f. 229 Giesecke, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit, S. 396. 230 Vgl. Koppitz, Zum Erfolg verurteilt, S. 71.

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teinische Bücher waren darunter durch die Klöster und anderen kirchlichen Institutionen in deutlich größerer Zahl erreichbar als Werke der deutschen Dichtung. So kam es, dass von dem bekannten Nibelungenlied, von dem sich viele Handschriften erhalten haben, kein einziger Druck erschien. Ein anderes Beispiel bietet Wolfram von Eschenbachs Parzival231, eine der am häufigsten abgeschriebenen deutschen Dichtungen des Mittelalters, der zwar 1477 in Straßburg gedruckt wurde, jedoch keine Neuauflage erlebte. Eher war er wahrscheinlich ebenso wie der im gleichen Jahr im Druck erschienene Titurel232 ein geschäftlicher Misserfolg, was Hans-Joachim Koppitz mit den schlechten Druckvorlagen Johann Mentelins erklärt. Koppitz urteilt, dass vielleicht nur 10 Prozent der verfügbaren deutschen Titel überhaupt in den Druck gelangte.233 Der Buchdruck bedeutete also nicht ausschließlich eine soziale und räumliche Ausweitung und Vermehrung von Wissen im Druck, sondern inhaltlich gesehen sogar zunächst eine Verringerung der überlieferten Titel und »sorgte dafür, daß immer mehr Werke aus dem Traditionsstrom in rasch versickernde kleine Seitenarme abgeleitet wurden.«234 Ökonomie versus wissenschaftlicher Anspruch Wie der Buchhandel eine besondere und eigentümliche Verschmelzung materieller und ideeler Ziele darstellt, eine eigenartige Mittelstellung zwischen kaufmännischem und litterarischem Wesen einnimmt: so schwebt auch der Buchhändler, ein anderer Ikarus, in der Mitte zwischen den zwei Welten des Kaufmanns und des Gelehrten.235

Die starke Position der Drucker, Verleger und Buchhändler bei der Vorauswahl dessen, was in den Druck gelangte und dadurch weite Verbreitung fand, wurde auch den Gelehrten sehr bald bewusst. Die bisherigen Ausführungen ließen bereits deutlich werden, wie eng der Zusammenhang aller Sparten des frühneuzeitlichen Buchhandels mit dem Gelehrtentum war. Zu Beginn der Frühen Neuzeit waren manche Gelehrte selbst aktiv als Druckerverleger tätig, während mit zunehmender Berufsdifferenzierung das Bedürfnis der Gelehrten nach Kontrolle und Anleitung des Buchhandels immer größer wurde, wofür das Beispiel Leibniz zum Ende des historischen Überblicks stellvertretend stand.236 Auch die stete Gratwanderung der Buchhändler zwischen ihrem Gewinnstreben und dem von außen an sie gestellten hohen An-

231 Wolfram von Eschenbach: Parzival. [Straßburg: Johann Mentelin] 1477. Vgl. GW M51783. 232 (Pseudo-)Wolfram von Eschenbach: Titurel. [Straßburg: Johann Mentelin] 1477. Vgl. GW M51786. 233 Vgl. Koppitz, Zum Erfolg verurteilt, S. 74f. 234 Koppitz, Zum Erfolg verurteilt, S. 75. 235 Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 411. 236 Vgl. Stein-Karnbach, G. W. Leibniz und der Buchhandel, Sp. 1238.

5.2 Die Bedeutung des Buchdrucks und -handels für den Wissensraum

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spruch an das von ihnen vertriebene Produkt ging aus ihrer Rollenbeschreibung klar hervor. Schon von Anfang an hatten die Buchhändler mit Schwierigkeiten aufgrund der Ansprüche der Gelehrten und dem gleichzeitigen Blick auf die Kosten zu kämpfen. Vor allem die hohe Selbsteinschätzung der Humanisten in Bezug auf ihre geistige Bildungsaufgabe verleitete sie zu hohen Anforderungen nicht nur an die philologische Exaktheit der Texte, sondern auch an die Ausstattung der von ihnen herausgegebenen Drucke.237 Als Ware wurde dem Wissen jedoch vor allem ein abstrakter ökonomischer Wert beigemessen. Grundlage der Preisgestaltung war und musste wie im Fall anderer Handelsgüter die Kalkulation des Verlegers und des Druckers sein, hinzu kamen noch die individuellen Kosten der Buchhändler. Den Wert gedruckter Informationen festzulegen, war dagegen fast völlig unmöglich, ebenso wie die Wertbestimmung des Wissens allgemein. Vor diesem Hintergrund ist die Strategie der Autoren und Verleger zu betrachten, in gedruckten Büchern den Hinweis zu liefern, dass der Preis des Buches im Vergleich zum Gebrauchswert der darin enthaltenen Informationen unverhältnismäßig niedrig sei, was zweifellos in erster Linie eine verkaufsfördernde Werbestrategie war.238 Das Gelehrtentum hatte daher trotz seiner Abhängigkeit vom Buch Einwände gegen den Buchdruck und -handel. Die Buchhändler verteidigten sich gegen seine Kritik dann stets mit der Eigenverantwortung der Käufer und Leser. Der Dominikaner Filippo della Strada, ein Venezianer Kalligraph, äußerte Ende des 15. Jahrhunderts in einem Gedicht deutliche Kritik am Buchdruck. Seine Argumente können eine Ergänzung zu den bereits in der Charakterisierung des Buchhändlers ausgeführten Punkten liefern. Zunächst nannte er interessanterweise ein nationalpolitisches Argument, indem er unterstellte, dass die Erfindung des Buchdrucks die Deutschen habgierig und überheblich gemacht hätte. Seine weiteren Ausführungen sind dann wieder, wie üblicherweise, bildungspolitisch motiviert. Er bemängelte zunächst die zahlreichen Druckfehler, durch die der Sinn verfälscht und unerfahrene Leser auf falsche Wege geführt werden konnten. Anschließend beklagte er die angebliche Konsequenz des Buchdrucks, dass sich die Jugend nicht mehr mit klassischen Bildungsfächern beschäftigen würde. Als Beispiele nannte er die Grammatik, das Recht oder die Philosophie. Damit bezog er sich vor allem auf die Folgen des Humanismus, der die Abkehr von der spätmittelalterlichen Scholastik postulierte. Filippo ging dabei über die gängige Kritik am mangelnden Interesse der Jugend noch hinaus, indem er durch den Buchdruck im negativen Sinne eine

237 Vgl. Stephan Füssel: Die Bedeutung des Buchdrucks für die Verbreitung der Ideen des Renaissance-Humanismus. In: Die Buchkultur im 15. und 16. Jahrhundert. Zweiter Halbband. Hrsg. vom Vorstand der Maximilian-Gesellschaft und Barbara Tiemann. Hamburg: Maximilian-Gesellschaft 1999, S. 121–161, S. 126. 238 Vgl. Giesecke, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit, S. 640–642.

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unkontrollierbare »Revolutionierung der Wissensvermittlung«239 sah, die nun auch pädagogisch bedenkliche Literatur, wie beispielsweise Ovid, allgemein zugänglich machte.240 Als nächstes diskutierte Filippo, wer als Kontrollinstanz geeignet sei, um zu entscheiden, wem welches Wissen weitergegeben werden darf. Wie Leibniz sah auch schon der Venezianer die Drucker, Verleger und Buchhändler nicht als fähig dazu an, weil sie angeblich ungebildet und dadurch nicht in der Lage wären, die literarische Qualität der von ihnen hergestellten und vertriebenen Drucke zu beurteilen. Auch die Informationsflut wurde von Filippo kritisiert, er befürchtete hier aber noch weitergehende Konsequenzen etwa für die Lektüreauswahl, indem nun lediglich noch Kommentare und Sekundärliteratur anstelle der Primärtexte gelesen würden. Er erkannte ebenso die Veränderung der Lese- und Schreibprozesse, wie sie bereits vorgestellt wurden. Man schrieb Texte, die man las, nun nicht mehr selbst ab, wodurch sich das Lesen vom Schreiben löste und die Fähigkeit des Verstehens reduziert würde.241 Persönlich motiviert ist schließlich seine Kritik am Niedergang des Schreiberwesens, von dem er als Kalligraph direkt betroffen war.242 Filippo sah »mit dem Einsetzen der Drucktechnik einen kapitalistisch organisierten Buchhandel und Buchmarkt entstehen«243. Dies waren die Gründe für die Versuche der Reglementierung des Buchhandels durch die Gelehrten bzw. ihrer Forderung danach, wie es Fritsch folgendermaßen formulierte: Wann man aber dagegen beobachtet, wie die Vielheit derer Bücher und Buchhändler dem gemeinen Wesen mehr schädlich als nützlich seye; so ist es allerdings rathsamer, daß hierzu nicht alle und jede, sondern nur gewisse, (deren Anzahl jedoch nach eines jeden Orts Beschaffenheit zu bestimmen,) und solche Personen gelassen werden, die des Buchhandels kundig sind, um dadurch denen Gelehrten um so mehrers an die Hand gehen zu können.244

Zusammenfassung Für die Gelehrten hatte die Einführung des Buchdrucks weitreichende Folgen, denn ihre Mitwirkung bei der Produktion war unverzichtbar und die Überschneidungen des Wissensraums Buchhandel mit dem Wissensraum Res publica literaria entspre-

239 Thomas Haye: Filippo della Strada – ein Venezianer Kalligraph des späten 15. Jahrhunderts im Kampf gegen den Buchdruck. In: AGB 48 (1997), S. 279–313, S. 286. 240 Vgl. Haye, Filippo della Strada, S. 285–289. 241 Filippo unterschied hier deutlich zwischen Information und Wissen, da für ihn eine Information erst durch Er- und Verarbeitung zu Wissen wird. Er erkannte außerdem, dass die Verständnistiefe von der Art der Wissensaneignung entscheidend geprägt ist. Vgl. Haye, Filippo della Strada, S. 289. 242 Vgl. Haye, Filippo della Strada, S. 285–289. 243 Haye, Filippo della Strada, S. 290. 244 Fritsch, Abhandlungen, S. 31f.

5.2 Die Bedeutung des Buchdrucks und -handels für den Wissensraum 

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chend vielfältig. Sie schrieben dabei weniger selbst, als dass sie Texte sammelten, bearbeiteten, kommentierten und Einleitungen verfassten sowie übersetzten, korrigierten, editierten und Verleger bei ihrem Programm berieten. Die Drucker und Verleger standen damit in einem ebenso engen Abhängigkeitsverhältnis zu den Gelehrten wie diese zu den Produzenten ihrer Texte.245 Am augenfälligsten wird die Verbindung des Gelehrtentums mit dem Buchhandel an ihrem gemeinsamen Ort, der Frankfurter Buchmesse, der »Akademie der Musen in Messeform«246. Die enge Zusammenarbeit der Aktanten der beiden Wissensräume Buchhandel und Res publica literaria war also »eine der zentralen Grundlagen des neuen Mediums«247. Für den Vertrieb leisteten die Gelehrten eine ebenso nicht zu unterschätzende Hilfestellung. »This [Frühe Neuzeit] was the era when men of letters and learning were likely to be familiar with print technology and commercial trade routes in a manner that later observers overlook.«248 Vor allem Gelehrte, die etwas abseits der großen Handelszentren und -wege wohnten, nutzten ihre Verbindungen zu Freunden und Bekannten, um an Bücher zu kommen. Der böhmische Humanist Bohuslav von Lobkowitz zu Hassenstein (1462–1510) beispielsweise schrieb nach Augsburg an den Domherrn Bernhard Adelmann von Adelmannsfelden mit der Bitte, ihm Bücher zur Messezeit nach Leipzig zukommen zu lassen. Für die Lieferung solcher Bücher wurden dann wie in diesem Fall die ortsansässigen Kaufleute eingespannt. Die Gelehrten hielten sich auch gegenseitig auf dem Laufenden über aktuelle Neuerscheinungen. Konrad Peutinger etwa berichtete am 22. April 1503 Johannes Reuchlin von den Neuigkeiten aus Paris und Venedig in den Lagern der Augsburger Buchführer.249 Da besonders der Buchhandel in der Provinz nur ungenügend entwickelt war gegenüber dem Handel in den großen Städten und auf der Messe, waren die Gelehrten gezwungen, ihn durch ihre eigene Organisation zu ergänzen und es bestand »unter den gelehrten Bücherliebhabern ein weitverzweigtes persönliches Leihsystem«250. Adrian Beier fasste das Verhältnis des Buchhändlers zum Gelehrten in zwei Wegerichtungen zusammen. Zunächst charakterisierte er den Gelehrten als einzig relevanten Abnehmer der Buchhändler:

245 Vgl. Füssel, Die Bedeutung des Buchdrucks, S. 151. 246 Henri Estienne: Francofordiense Emporium = Der Frankfurter Markt = The Frankfort fair. Jubiläumsausgabe anläßlich der 20. Frankfurter Buchmesse. Frankfurt: Oehms 1968, S. 61f. 247 Jürgen Wolf: Von geschriebenen Drucken und gedruckten Handschriften. Irritierende Beobachtungen zur zeitgenössischen Wahrnehmung des Buchdrucks in der 2. Hälfte des 15. und des beginnenden 16. Jahrhunderts. In: Buchkultur und Wissensvermittlung in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hrsg. von Andreas Gardt. Berlin [u. a.]: De Gruyter 2011, S. 3–22, S. 8. 248 Eisenstein, The printing press as an agent of change, S. 154. 249 Vgl. Künast, »Getruckt zu Augspurg«, S. 184. 250 Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 6.

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Allein der Buch-Händler ist/ der zu denen Gelehrten sich am nähesten thut/ und bestens in sie schicket/ ja schier allein mit ihnen ümbgehet und recht zu sagen verkehret. Seine Wahren sind von- und vor niemand als Gelehrten/ keufft iemand von and’n Professionen zu Zeiten ein Teutsch- oder bey andern Nationen in seiner Mutter-Sprach gestelletes Büchlein/ so geschiehets zufälliger Weise uñ selten/ daß daruf keine Rechnung oder Staat zu machen.251

Umgekehrt beschrieb Beier den Buchhändler als den alleinigen Abnehmer der Arbeit des Gelehrten: Der Buch-Händler hingegen hat zu seinen Kunden und Abnehmern die Gelehrten/ als die ihre Gelehrsamkeit in Büchern suchen/ aus Büchern von ander Arbeit urtheilen/ sich daraus abmässen/ erbauen/ daran üben und vergnügen/ und wenn eine Parthey vertrieben ist/ er neue Wahren bedarff/ die Liebhaber zu bedienen/ und seine Handlung wieder zu verstärcken/ so gehet er zu den Gelehrten/ deren Arbeit sucht er. Der Buch-Händler allein ist der Gelehrten eigentlicher Abnehmer.252

»Im Aufbau neuer buchhändlerischer Organisationsformen und Vertriebsstrukturen stehen die frühen Druckerverleger vor einem radikalen Neubeginn.«253 Giesecke stellt diese Aussage Rautenbergs infrage, er sieht aber, dass die Einführung des Buchdrucks »die Umschichtung überkommener kommunikativer Verhältnisse«254 bedeutete. Dass die neue Technik des Drucks mit beweglichen Lettern zahlreiche Einflüsse auf die Entwicklung der Wissenschaft und der Gesellschaft hatte, wie sie oben im Einzelnen ausgeführt wurden, wird in der Forschung gerne und oft betont. »Die Erfindung des Buchdrucks und seine Auswirkungen auf Wissenschaft und Technik ist ein Klischee der Historiker«255. Elizabeth Eisenstein untermauerte diese Argumentation in ganz entscheidender Weise, indem sie »die Druckerpresse als Mobilisierungsvorrichtung betrachtet oder, genauer, als Vorrichtung, die sowohl Mobilisierung als auch Unveränderbarkeit zur selben Zeit ermöglicht.«256 Es geht ihr also nicht darum, den Buchdruck als einzige Ursache der wissenschaftlichen Revolution darzustellen, sondern als eine von vielen, die in Wechselwirkung mit anderen stand.257 Eisenstein legt dar, dass schon vor dem Buchdruck alle intellektuellen Leistungen vollbracht wurden, die in seiner Folge als große Neuerungen erschienen. Es gab

251 Beier, Kurtzer Bericht, S. 4f. 252 Beier, Kurtzer Bericht, S. 5f. 253 Rautenberg, Buchhändlerische Organisationsformen, S. 341. 254 Giesecke, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit, S. 22. 255 Bruno Latour: Drawing Things Together: Die Macht der unveränderlich mobilen Elemente. In: ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Hrsg. von Andréa Belliger. Bielefeld: transcript 2006, S. 259–308, S. 272. 256 Latour, Drawing Things Together, S. 272. 257 Vgl. Latour, Drawing Things Together, S. 272.

5.2 Die Bedeutung des Buchdrucks und -handels für den Wissensraum 

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den Skeptizismus, wissenschaftliche Methoden wurden angewandt, überholte Aussagen widerlegt, Daten gesammelt und Theorien entwickelt. Alles ist ausprobiert worden, in allen Disziplinen: Geographie, Kosmologie, Medizin, Bewegungslehre, Politik, Ökonomie usw. Aber jede Leistung blieb lokal und temporär, da es keine Möglichkeit gab, ihre Ergebnisse anderswohin zu bewegen und die anderer einzubringen, ohne neue Verfälschungen oder Fehler einzuführen.258

Durch die Druckerpresse wurde dann alles Wissen, ob falsch und veraltet oder richtig und neu, in großen Mengen mobilisiert und sie konnte dadurch die Verfälschungen durch höhere Vergleichbarkeit und Genauigkeit kompensieren.259 Der entscheidende Punkt, den Latour in Eisensteins Argumentation für die tiefgreifenden Folgen der Druckerpresse und die große Bedeutung, die dem Buchdruck daher in der historischen Forschung zugesprochen wird, hervorhebt, ist jedoch tatsächlich erst die Leistung des Buchhandels. Die Mobilisierung war und ist seine Aufgabe. Daher ist es richtig, bei aller Anerkennung der Leistung und Wirkung der technischen Erfindung Folgendes festzuhalten: »Ohne einen funktionstüchtigen Buchhandel, ohne das Engagement dieses Kaufmannsstandes hätte die europäische Gelehrtenrepublik kaum entstehen können.«260

258 Latour, Drawing Things Together, S. 274. 259 Vgl. Latour, Drawing Things Together, S. 274. 260 Schneider, Das Buch als Wissensvermittler in der Frühen Neuzeit, S. 73.

6 Die Bedeutung des Wissensraums Buchhandel in der Frühen Neuzeit O seculum! o literae! Iuvat vivere1

»O Jahrhundert! O Wissenschaften! Es ist eine Lust zu leben«. Diesen berühmten Satz schrieb Ulrich von Hutten an Willibald Pirckheimer im Jahr 1518. Sein Ausruf speist sich aus einem allgemeinen Empfinden der frühneuzeitlichen Gelehrten, dass die Wissenschaft einen ganz einzigartigen Aufschwung erlebte und das im Bild der überörtlichen europäischen Res publica literaria mündete. Die Gelehrsamkeit bzw. ihre Organisationsstruktur und ihre Inhalte erfuhren vom 15. bis zum 18. Jahrhundert eine deutliche Wandlung. Den Anstoß hierfür lieferte der Humanismus in seiner Wechselwirkung mit dem Buchdruck. Der Humanismus stellte die Tradition der Scholastik grundlegend infrage, während der Buchdruck massenhaft wissenschaftliche Literatur lieferte, die nun vergleichend rezipiert werden konnte, sodass Widersprüchlichkeiten und Fehler offensichtlich wurden. Die Reformation beschleunigte diesen Vorgang, der vor allem im 17. Jahrhundert zu »einer Explosion des Wissens«2 führte. Der dominierende Vermittler innerhalb der Res publica literaria war neben dem Verleger und Drucker vor allem der Buchhändler.3 In einer Vorrede zu seinem Horatius Poematia4 schrieb Valentin Curio 1524, »daß er dem Drängen seiner Buchhändler (d. h. der bei ihm einkaufenden Buchführer) auf Neudruck der früher von ihm bei Andreas Cratander veranstalteten Ausgabe nunmehr nachgegeben habe, weil sie viel begehrt werde.«5 Dabei nahm der Buchhändler an der Schnittstelle zwischen dem Hersteller und dem Abnehmer nicht nur räumlich, sondern auch inhaltlich eine wichtige Vermittlungsfunktion ein und das in beide Richtungen. Er versorgte die Gelehrten als seine Hauptkunden mit Büchern, half bei der Auswahl und diente als erste Informationsquelle über die aktuellen Neuerscheinungen auf dem Markt. Für den Drucker war er wiederum

1 Zitiert nach Ulrich von Hutten: Ulrichs von Hutten Schriften = Vlrichi Hvtteni Eqvitis Germani Opera. Bd. 1: Briefe von 1506 bis 1520. Hrsg. von Eduard Böcking. Neudr. der Ausg. Leipzig, 1859–1861. Aalen: Zeller 1963, S. 217. 2 Goertz, Von der Kleriker- zur Laienkultur, S. 64. 3 Vgl. Schneider, Das Buch als Wissensvermittler in der Frühen Neuzeit, S. 77. 4 Quintus Horatius Flaccus: Q.HORATII || FLACCI POEMATIA QVAE || quidem extare nouimus.|| IVNII IVVENALIS || satyrae sedecim.|| AVLI PERSII || satyrae sex.|| Cum annotatiunculis in margine adiectis,|| quae breuis commentarij uice || esse poßint.|| Basel: Valentin Curio 1524. Vgl. u. a. VD16 H 4852. 5 Grimm, Die Buchführer des deutschen Kulturbereichs, Sp. 1388. https://doi.org/10.1515/9783110616521-006

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besonders dadurch wichtig und unentbehrlich, daß er, selbst mit ungeschlachten Folianten das ganze Land durchziehend, den Geschmack und die litterarischen Bedürfnisse der verschiedenen Gegenden erforschte, das Lesebedürfnis durch Vorzeigung und Anpreisung seiner Bücher weckte oder sich auch an einem ihm günstig erscheinenden Orte niederließ, wodurch er natürlich auch zur Ausbreitung des Buchhandels wesentlich beitrug.6

Der Grund für die weiträumige Verteilung der Bücher über ein dichtes Netz von Buchhändlern in ganz Europa war vor allem die Homogenität des kleinen lateinkundigen Rezipientenkreises. Die Strategien der Buchhändler im Vertrieb und vor allem im »Marketing« erscheinen dabei sehr fortschrittlich. Ein wichtiges Beispiel hierfür sind die Werbemaßnahmen, wie Buchanzeigen und -kataloge, die der Buchhandel bereits früh nutzte, um sein anonymes und weit gestreutes Publikum erreichen zu können. Nach Heinz Ischreyt wurde der Buchhändler von manchen zwar auch als »Despot der Gelehrsamkeit«7 bezeichnet, besonders seine verbindende Funktion sowohl für die Gelehrten als auch ihre Institutionen wird jedoch trotzdem anerkannt. Die tatsächlichen Auswirkungen und Einflüsse des Buchhandels darzustellen ist dabei ebenso schwierig, wie die Beschreibung der direkten Effekte der Erfindung des Buchdrucks. »On the one hand, it seems to have changed nothing; on the other, it appears to have transformed everything.«8 Ergebnisse Der historische Überblick über den Buchhandel in der Frühen Neuzeit offenbarte, dass die von Kapp und Goldfriedrich bislang in der Forschung gerne weitertradierte schematische Einteilung des Buchhandels in die drei Epochen des Wanderhandels (1450–1564), des Mess- und Tauschhandels (1564–1764) und des Konditionshandel (seit 1764) nicht greift.9 Der Messehandel gewann bereits deutlich vor 1564 große Bedeutung. Spätestens ab Anfang des 16. Jahrhunderts orientierten sich die Bücherproduzenten und das gesamte System des Buchhandels an den Terminen der Messe.10 Der Tauschhandel wiederum wurde erst zum Ende des Dreißigjährigen

6 Kapp, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 275. 7 Heinz Ischreyt: Buchhandel und Buchhändler im nordosteuropäischen Kommunikationssystem (1762–1797). In: Buch und Buchhandel in Europa im achtzehnten Jahrhundert. 5. Wolfenbütteler Symposium vom 1.–3. Nov. 1977; Vorträge = The book and the book trade in eighteenth-century Europe. Hrsg. von Giles Barber und Bernhard Fabian. Hamburg: Hauswedell 1981 (Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens; Bd. 4), S. 249–269, S. 256. 8 Eisenstein, The printing press as an agent of change, S. 32. 9 Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 10. 10 Die Bedeutung der Messe im Buchmarkt wird unter anderem daran deutlich, dass mit ihr die Buchproduktion – in erster Linie die Großwerke und Lohnaufträge für Druckereien – ins Stocken kam. Auch in der ersten Zeit nach der Messe verteilten sich erst die auf ihr gehandelten Bücher, bevor sich die Großunternehmer neuen Projekten zuwandten. Vgl. Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 273.

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Krieges hin vorherrschend und damit erst im Laufe des 17. Jahrhunderts. Trotzdem gab es auch weiterhin den Barverkehr, der für einige Buchhändler, wie etwa das Kontobuch der Lüneburger Offizin der Sterne zeigte, das bevorzugte Zahlungsmittel war. Der Wanderhandel blieb zudem über die gesamte Frühe Neuzeit hinweg gleichbedeutend für die literarische Versorgung der Provinz. Lediglich das Jahr 1764, das allerdings bereits außerhalb der hier vorgenommenen Untersuchung steht, kann als konkretes Datum gesehen werden, das einen bedeutenden Umbruch in der buchhändlerischen Gesamtorganisation bezeichnet.11 Will man den Buchhandel und seine Entwicklungen unterteilen, so gibt es andere Möglichkeiten. Einen wichtigen Einschnitt nach dem Jahr der Erfindung des Buchdrucks um 1450 bezeichnen etwa die Jahre um 1480. Hier geriet der Buchhandel in seine erste frühe Krise und die Gestalt des Buches veränderte sich und emanzipierte sich von der Handschrift. Diese ersten 30 Jahre stellten für den Buchhandel eine Orientierungsphase dar, in der er neue Distributionswege schuf und testete. Er schloss sich dauerhaft den Fernhandelswegen an und die frühen Druckerverleger etablierten ein europäisch dimensioniertes Faktoreisystem. Den nächsten Abschnitt läutete das Jahr der Reformation durch Luther ein, da ab diesem Zeitpunkt der Buchhandel erst seine ganze Kraft entfaltete und entscheidend zum Entstehen einer Öffentlichkeit beitrug. Die Medien der Flugblätter und -schriften nahmen einen großen Aufschwung, ebenso wie der Berufsstand der Kolporteure und Hausierer. Zwischenzeitlich erlebte auch die Produktion der nationalsprachigen Literatur eine große Blüte. Eine weitere Zäsur verursachte schließlich der Dreißigjährige Krieg, durch den und nach dem es zunächst zu einem deutlichen Produktionseinbruch kam. Aufgrund der Schwierigkeiten, an Zahlungsmittel heranzukommen, wurde der Tauschhandel nun vorherrschend und mit ihm die Notwendigkeit einer eigenen Verlagsproduktion. Außerdem verschob sich der buchhändlerische Schwerpunkt allmählich in den Norden und es kam zu einer Schwächung des Messehandels in Bezug auf die Zahlungsabwicklung. Insgesamt gesehen ist die Geschichte des Buchhandels jedoch durch seine enge Verquickung mit dem Herstellungsprozess sowie durch die zahlreichen Wechselwirkungen mit den religiösen, politischen und wissenschaftsgeschichtlichen Ereignissen der Frühen Neuzeit »ein zu feines und kompliziertes Ding«12, um sie in starre Einteilungsschemata zwängen zu können. In diesem Zusammenhang hilfreich war das zu Beginn der Arbeit entwickelte Modell des Wissensraums. Die Ausführungen über den Gebrauch sowie die Definition dieses Begriffs konnten aufzeigen, dass er in der Forschung bislang zu oberflächlich lediglich als Schlagwort eingesetzt worden ist. Als Modell mit festen Kriterien

11 In diesem Jahr beschlossen mehrere Leipziger Buchhändler unter der Führung von Philipp Erasmus Reich, der Frankfurter Buchmesse künftig fernzubleiben. 12 Goldfriedrich, Geschichte des deutschen Buchhandels, S. 289.

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erwies sich der Wissensraum als deutlich nützlicher, indem so die Entwicklungen des Buchhandels zunächst verallgemeinert und daraufhin vereinfacht bildlich dargestellt werden konnten. Auf diese Weise wurde deutlich, wie die Buchhändler in einem gemeinsamen Netzwerk agierten. Außerdem konnten in der Kategorie der Praktiken die verschiedenen Handlungen, ihre jeweilige Bedeutung und bestimmende Themen herausgestellt werden, was unter anderem die Bedeutungsverschiebung hin zum Tauschhandel oder die frühe Relevanz des Messehandels augenfällig macht. Hinzu kamen die verbindenden Orte des Buchhandels, die sich nicht alle als deckungsgleich mit den örtlichen Zentren des Buchdrucks erwiesen. Auch die Einflüsse von außen konnten, wenn auch nur in einer Auswahl, durch ihre Zuordnung zu verschiedenen Bereichen des Buchhandels in ihrer Wirkung eingeordnet und so klarer gewichtet werden. Die anschließende Darstellung der Hauptaktanten des Buchhandels sowie der beiden Agenten Georg Forstenheuser und Donat Fend als ausgewählte Nebenaktanten verdeutlichten schließlich die Grenzen des Wissensraums Buchhandel. Die Rollencharakterisierung der Buchhändler ergab ein sehr ambivalentes Berufsbild. Zwar stand die Ausübung der buchhändlerischen Tätigkeit potenziell jedem offen, doch tatsächlich bedurfte es gewisser Kriterien, um ein Hauptaktant im Wissensraum Buchhandel werden zu können. Dabei ging es nicht um eine spezielle Ausbildung im Sinne eines Handwerkerberufs. Vielmehr musste sich der soziale Status mindestens im Bereich des städtischen Bürgertums bewegen, um einerseits mit den in der Regel sozial gleich bis höhergestellten Käufern in Verbindung treten zu können oder um etwa zu den Zeiten der Druckerverleger oder der Verlegersortimenter über das notwendige Kapital zur Ausübung des Berufs zu verfügen. Zudem war ein gewisser Grundbildungsstand des Buchhändlers nötig, damit er mit seiner Ware umgehen und sie bewerben konnte – ganz abgesehen davon, dass er in der häufigen Personalunion als Drucker und/oder Verleger wissen musste, was er produzierte bzw. verlegte. Ein wichtiges Thema im buchhändlerischen Diskurs waren demnach auch die Trends auf dem Buchmarkt. Dies war eine ökonomische Notwendigkeit, denn ein Buchhändler konnte seinen Lebensunterhalt nur verdienen, wenn er seine Waren verkaufen konnte, und es ließ sich am besten verkaufen, was inhaltlich aktuell gefragt war. Besonders hervorstechend waren bereits an dieser Stelle die engen Verbindungen des Buchdrucks wie auch des Buchhandels mit dem Gelehrtentum. Letzteres sah die Produzenten und Verteiler von Büchern in einer gewissen pädagogischen Pflicht gegenüber den Lesern, nur »gute« Literatur herzustellen und zu verkaufen. Die Untersuchung der beiden Agenten Herzog Augusts von Braunschweig-Lüneburg verfeinerte das Bild der buchhändlerischen Aktanten auf mehrfache Weise. Zunächst einmal machte sie deutlich, dass bei der Betrachtung des Buchhandels in der Frühen Neuzeit die sogenannten Auchbuchhändler, zu denen sie zu zählen sind, in der Forschung eine ganz andere Gewichtung erfahren sollten. Durch den Umfang der Bucherwerbung über die Agenten und ihren teilweise sogar inhaltli-

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chen Einfluss auf die Auswahl der Bücher für die herzogliche Bibliotheca Augusta waren sie mehr als nur unbedeutende kleine Angestellte. Zudem erweitern sie den im Allgemeinen angenommenen Kreis der Auchbuchhändler auf eine höhere soziale Ebene. Zuletzt griff der Perspektivwechsel auf die Hauptzielgruppe des Buchhandels, die Gelehrten, die in der Charakterisierung der Buchhändler festgestellte enge Beziehung der beiden Gruppen zueinander wieder auf. Am Beispiel der Res publica literaria wurde offenbar, dass das Modell Wissensraum in der vorgestellten Form problemlos auf andere Bereiche übertragbar ist. Es zeigt an dieser Stelle auch noch einmal seine Leistungen in Bezug auf die mögliche Charakterisierung einer Gruppe, die über die reine Standeszugehörigkeit hinausgeht. Darüber hinaus konnten an dieser Stelle die wichtigen Schnittstellen zwischen verschiedenen Wissensräumen, hier dem des Buchhandels und dem der Res publica literaria, herausgearbeitet werden. Diese bieten großes Potenzial für die Untersuchung der wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenhänge in der Frühen Neuzeit. Im anschließenden Kapitel über die Bedeutung des Buchdrucks und Buchhandels für diesen konnten demnach die vielen Einwirkungen der technischen Erfindung und des zugehörigen Vertriebs ihrer Produkte aufgezeigt werden. Der wichtigste Aspekt in diesem Zusammenhang war die Mobilisierung des Wissens. Durch die neuen Vernetzungen im Buchhandel kam es gewissermaßen zu einer Enträumlichung, indem nun theoretisch Wissen überall in gleicher Form verfügbar gemacht wurde. Gleichzeitig bildeten sich in einer neuen Verräumlichung Orte wie die Buchmesse oder auch weitere Wissensräume wie die Gelehrtenrepublik. In der Res publica literaria waren nicht mehr die Drucker und Autoren unmittelbare Partner wie 100 Jahre zuvor, sondern die Buchhändler und die Gelehrten. Ohne einen funktionsfähigen Buchhandel und ohne das wirtschaftliche Engagement dieses Kaufmannsstandes ist das gelehrte Europa nicht denkbar.13

Der Buchhandel war – das zeigt sein Zusammenwirken mit der Res publica literaria besonders deutlich – also nicht nur selbst ein Wissensraum, sondern er beförderte auch die Entstehung anderer Wissensräume. Ausblick Die Vernachlässigung des vertreibenden Buchhandels zugunsten des herstellenden durch die Forschung ist in dieser Arbeit bereits mehrfach zur Sprache gekommen. Dazu gehört nicht nur, dass deutlicher zwischen den verschiedenen Tätigkeitsbereichen differenziert werden muss, sondern vielmehr auch, dass vor allem die personellen Überschneidungen thematisiert werden müssen. Denn dass in der Frühen

13 Raabe, Bibliotheken und gelehrtes Buchwesen, S. 656.

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Neuzeit keine klare Trennung der Bereiche Buchdruck und Buchhandel vorgenommen werden kann, hat sich in den vorstehenden Untersuchungen bestätigt. Hinzu kommt aber auch, dass weitere Forschungen nicht nur bedeutende Druck- und Handelszentren in den Blick nehmen sollten, sondern auch kleinere Buchhandelsstädte und insbesondere ihre Verbindungen.14 Woran es ebenfalls fehlt, sind ausführlichere Untersuchungen, die sich mit den Handelsusancen beschäftigen, beispielsweise der Frage nach den Zollbestimmungen. Hierzu gibt es immer wieder vereinzelte Nachrichten. So erfahren wir zum Beispiel bei Grindelhart oder Rynmann, dass Bücher für universitäre Zwecke vom Zoll befreit waren.15 Auch die schwierigen Themen der Kalkulation und Preisgestaltung erfordern noch weitere Forschungen. Hierbei sollte vor allem der Unterschied zwischen den Preisen unter Zwischenhändlern und den Preisen für die Endabnehmer mehr beachtet werden. Schließlich offenbarte auch die zentrale Quellenstudie Möglichkeiten für weitere Studien. Hier wäre es interessant zu erfahren, ob Herzog August und seine Agenten eine Ausnahme darstellen oder ob andere Fürsten beim Bestücken ihrer Bibliothek ähnlich verfuhren. Dabei sollte der Blickwinkel nicht auf die Herrschaftselite beschränkt werden. Beispielsweise könnten hier auch die Korrespondenzen der Kaufmannsfamilie Fugger mit ihren Agenten einmal genauer im Hinblick auf den Bucherwerb untersucht werden. Johann Jakob Fugger besaß eine bedeutende Bibliothek, die später den Grundstock für die Bayerische Staatsbibliothek legen sollte, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Fuggerfamilie ebenfalls ihre Agenten beim Aufbau dieser Bibliothek einsetzte. Wissen im Raum historisch zu betrachten – dieser Ansatz bietet mithin große noch längst nicht erschöpfend genutzte Chancen, die Wissenschaftsgeschichte zu einer Geschichte des Wissens als Raumgeschichte auszuweiten. Eine solche Geschichte des Wissens im Raum kann mehr als bisher berücksichtigen, daß sowohl Formulierung als auch Verbreitung und Wirkung von Wissen entscheidend von den geographischen, sozialen und kulturellen Räumen geprägt werden, in denen diese Prozesse stattfinden und in denen die Personen zu finden sind, die solche Prozesse auslösen oder von ihnen betroffen sind.16

Diese Feststellung Daums verdeutlicht ebenfalls noch ungenutztes Forschungspotenzial. Der Begriff Wissensraum als reines Schlagwort ist wenig hilfreich, wohingegen das Modell Wissensraum viele Verwendungsmöglichkeiten bietet. In ihm können die geographischen und sozialen Aspekte und ihr Zusammenwirken bei der Generierung bestimmter Wissensbestände innerhalb einer Gruppe sowie ihre Überschneidungen mit anderen Wissensräumen dargestellt werden. Auch die Inklusi-

14 Vgl. James Raven: Selling Books Across Europe, c. 1450–1800. An Overview. In: Publishing History 34 (1993), S. 5–19, S. 14. 15 Vgl. Grimm, Die Buchführer des deutschen Kulturbereichs, Sp. 1474. 16 Daum, Alexander von Humboldt, S. 245.

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ons- und Exklusionsprozesse, die eben nicht nur über reine Standeszugehörigkeiten laufen, werden ersichtlich. So können Teilnehmer in solchen Räume ausgemacht werden, die sonst womöglich nicht in den Blick geraten, die aber Einflussnehmer und Mitgestalter sind. Lohnende Themen für die weitere Anwendung des Modells Wissensraum wären beispielsweise die örtlich fixierte Bibliothek oder Kunstkammer. Beide werden erst durch die Handlungen der Aktanten vor Ort oder im Fall der Bibliothek auch über die Ausleihe von der Ferne zu Wissensräumen und können eindrückliche Beispiele für die Konstruktion frühneuzeitlicher Denkräume bieten. Die Einführung des Buchdrucks bedeutete eine Medienrevolution. So untrennbar wie die buchhändlerischen Berufe in der Frühen Neuzeit miteinander verknüpft waren, so wenig teilbar ist auch ihre Würdigung. Die Bewertung des Buchhandels ohne den Buchdruck und umgekehrt ist kaum möglich. Schon zeitgenössisches Lob zeichnete sich dadurch aus, dass beides stets zusammen gedacht wurde. Luther wertete etwa den Buchdruck als »das ›letzte und größte Geschenk‹, das Gott der Menschheit gemacht habe, um vor dem nahenden Weltende dem ganzen Erdkreis das Evangelium in allen Sprachen bekanntzumachen.«17 Der Buchhandel ist nichts ohne den Buchdruck, doch auch der Buchdruck kann seine Wirkung nicht entfalten ohne den Buchhandel. Es ruhet aber ausser Zweiffel, daß sowohl die Buchhändler als Buchdrucker der Gelehrsamkeit mercklichen Vorschub gethan; In Betrachtung jene nicht nur Bücher von allen auch denen entfernesten Orten zum Verkauff herbey schaffen, sondern auch mit grossen Kosten dieselbe auflegen lassen.18

Die in der Forschung stets dem Buchdruck zugeschriebene Leistung, die gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung der Frühen Neuzeit ganz entscheidend geprägt und beeinflusst zu haben, war tatsächlich in erster Linie eine Gemeinschaftsleistung zusammen mit dem Buchhandel. Das erkannten, wie die Aussage Fritsch zeigt, bereits die Zeitgenossen. Der Buchdruck schuf dabei die Grundlage für die erst durch den Buchhandel vollzogene Mobilisierung von Wissen durch seine europaweite Verteilung.

17 Schreiner, Grenzen literarischer Kommunikation, S. 9. 18 Fritsch, Abhandlungen, S. 29.

7 Literaturverzeichnis Verwendete Abkürzungen AF SF EFG EFD königl kais Mtl Rthl(r) fl ß g(n)l ct [] A, Al oder A° GJ AGB AGDB

Anfangsformel Schlussformel Eure Fürstliche Gnaden Eure Fürstliche Durchlaucht königlich kaiserlich Majestät Reichstaler Gulden Schilling gnädiglich Zentner Auflösung von Abkürzungen Anno Gutenberg-Jahrbuch Archiv für Geschichte des Buchwesens Archiv für Geschichte des Deutschen Buchhandels

Ungedruckte Quellen Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek (HAB) Korrespondenz Donat Fend (Cod. Guelf. 89 Novi). Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek (HAB) Korrespondenz Georg Forstenheuser (Cod. Guelf 90– 92 Novi). Wolfenbüttel, Niedersächsisches Staatsarchiv (1 Alt 22 Nr. 178). Wolfenbüttel, Niedersächsisches Staatsarchiv (4 Alt 19 Nr. 714).

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Danksagung Die vorliegende Arbeit entstand am Institut für Buchwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Mein Dank gilt allen Personen, die zur Entstehung dieser Arbeit beigetragen haben. Besonders bedanken möchte ich mich bei meiner Erstbetreuerin Prof. Dr. Ute Schneider, die mir während des gesamten Bearbeitungsprozesses mit Rat und konstruktiver Kritik zur Seite stand. Danken möchte ich auch Prof. Dr. Stephan Füssel für seine Zweitkorrektur. Für die Arbeit an dieser Dissertation verbrachte ich einen sechsmonatigen Forschungsaufenthalt an der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (HAB), gefördert von der Dr. Günther Findel-Stiftung. Allen voran möchte ich hier Alexandra Schebesta und Dr. Werner Arnold für ihre Unterstützung und ihre wertvollen Hinweise herzlich danken. Ebenso möchte ich den Mitarbeitern der HAB für zahlreiche Gespräche und Anregungen danken, insbesondere Dr. Elizabeth Harding, Dr. Volker Bauer, Dr. Jill Bepler und Dr. Gabriele Ball. Gedankt sei weiterhin den Mitarbeitern des Niedersächsischen Landesarchivs in Wolfenbüttel. Die Erstellung der Arbeit wurde finanziell durch die Stipendienstiftung Rheinland-Pfalz gefördert. Zudem wurde die Drucklegung der Dissertation freundlicherweise durch einen Druckkostenzuschuss der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften unterstützt. Ihnen sei ebenfalls gedankt. Mein besonderer Dank gilt schließlich neben vielen Freunden und Kollegen meinem Mann Stefan Bangert für seine ausdauernde Unterstützung. Der größte Dank gebührt meiner Mutter Katrin Striegel für ihre unermüdliche Hilfestellung. Ihr ist diese Arbeit gewidmet.

https://doi.org/10.1515/9783110616521-008

Register Abbildung → Illustration Ablassbrief 70 Adel 431–432, 445–446 Agent 306–307, 316, 410–414, 475 Aitzema, Leo ab 328 Aktant 29, 55, 60 – Buchhandel 270, 273, 275–276, 280–281, 283–284, 305, 475 – Res publica literaria 425, 428, 446 Aktantmedium 60, 272, 274, 276 Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) 28 Alphabetisierung 80 Amerbach, Johann 105, 113, 131, 284, 298 Amsterdam 250 Anckel, Johann Georg 323–327, 332, 413 Andreae, Johann Valentin 331–332, 374, 376 Annonce → Anzeige Antiquariat 256–257, 277, 414 Antwerpen 166, 175, 274 Anzeige 187, 238–241, 261, 276 Auchbuchhändler 140–142, 211, 213, 228–229 Auflage 66, 81, 85, 93, 128 Augsburg 124, 154–157, 162, 197, 346–347 Auktion 256–263, 277 Auktionskatalog → Katalog Ausbildung 300–302, 306 Autor 141, 207, 269, 457 Avertissement 242 Basel 124–125 Bayern 197 Bechler, Christoph 321 Beeck, Jean 329 Begriffsexplikation 14 Behem, Franz 153–154 Besoldung 337, 383, 402 Bestallung 306, 387 Bibelübersetzung 150–151 Bibliotheca Augusta → Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (HAB) Bibliothek 438–440 Bildung 298–300, 305, 425, 427 Birckmann, Arnold 165, 167–168 Birckmann, Familie 166, 297 Birckmann, Franz 165, 167, 170–171, 193, 295 Blaeu, Willem 220 Blumenstock, Johannes (Heidelberg) 105 Börse 250–251 https://doi.org/10.1515/9783110616521-009

Bote 127, 344–345, 404, 406–410 Brahe, Tycho 396, 453 Briefverkehr → Korrespondenz Buch, gebunden 75, 235, 257 Buchagent → Agent Buchbinder 159–161, 268, 270 Buchdruck 62, 67, 146, 207, 452, 455–456, 458, 465–467, 470 Buchführer 83, 94, 145, 280–281 Buchgasse 175 Buchhändler 268, 280–281, 283–285, 287, 289, 291–306, 466–467, 469–470, 472 Buchhändlerexamen 302 Buchhändlerkatalog → Katalog Buchhandel – 15. Jahrhundert 142–146, 270–272 – 16. Jahrhundert 212–215, 273–274 – 17. Jahrhundert 216–218, 268, 275–277 – 18. Jahrhundert 216–218, 268, 277 – Frühe Neuzeit 63, 465, 473–474 Buchmesse → Messe Bücheranzeige 84–91, 271 Bücherkommission 186, 191, 202–206, 220, 279 Bücherpreise 82, 128–135, 224, 355, 360, 362, 365, 367, 396 Bücherregal 205 Büchertaxe 252–253, 279 Bürgertum 298, 446 Carolus, Johannes 239 Cluten, Joachim 330 Cochlaeus, Johann 153 Conditiones → Avertissement Conring, Hermann 315, 330–331 Cotta, Johann Georg d. Ä. 287 Cotta, Johann Georg II. 287–289 Demen, Hermann 265 Deutschland 63, 80, 100, 125, 196, 208, 216, 220, 247 Dilherr, Johann Michael 340, 348, 374, 397 Diskont 251 Diskurs 29–30, 32, 55–58, 60, 269, 417 Diskursanalyse 29, 56–57 Distribution → Buchhandel Doktorgrad 427, 433, 444 Drach, Peter 94–99, 110, 113, 117, 120, 139, 299 – Rechnungsbuch 94–97, 131, 139

Register  507

Dreißigjährige Krieg 218–220, 247, 279, 343– 348 Drucker 81, 144, 156, 158, 268, 291 Druckerei 68, 90, 140, 143, 463 Druckersignet 74 Druckerverleger 78, 83, 143, 270–271, 283 Druckort 81, 124–125 Einband → Buch, gebunden Elzevier, Ludwig 263 Endter, Familie 230, 244–245, 399 Endter, Johann Andreas 285, 287 Endter, Wolfgang 219, 244, 250, 297 England 165–170 Epistemische Rechtfertigung 20–21, 25 Erasmus von Rotterdam 148, 171, 174, 417–418 Erkenntnis 15 Ewige Landfrieden 120 Explikation → Begriffsexplikation Exzerpieren 429 Faktorei 102, 142, 254, 271 Fend, Donat 324, 384–403, 405–406, 408, 410–411 Fernhandel 78, 107, 146, 464 Feyerabend, Sigmund 177 Flugblatt → Kleinschrifttum Flugschrift → Kleinschrifttum Förster, Georg 228–229 Förster, Kaspar d. Ä. 228–229 Folz, Hans 140–141 Forstenheuser, Georg 332–386, 403–405, 407–411, 414 Forstenheuser, Georg Ludwig 340 Forstenheuser, Hans 333–335 Frachtpreis 117, 226 Frankfurt 112, 173–174 Frankfurter Messe → Messe, Frankfurt Frankfurter Tax 132 Frankreich 200, 242 Freiburg 126–127 Friessem, Wilhelm 235–238 Froben, Johann 147, 171 Fürstenbibliothek 308, 435, 439–440 Fuhre 117, 119, 344, 404–405 Fuhrmannslohn → Frachtpreis Fust, Johann 72–73, 77–78 Gastfreundschaft 430–431, 440 Gasthaus → Wirtshaus Gelehrtenhaushalt 435, 440 Gelehrtenrepublik → Res publica literaria

Gelehrter 303, 423–429, 431–432, 444–447, 466, 468–470 Geleit 120–123, 333 Geleitbrief 122 Geleitzug 122 Gessner, Conrad 190, 311, 439 Gettier-Problem 21–22 Gleditsch, Johann Friedrich 238, 255, 288–289 Gleditsch, Johann Ludwig 255 Große Kompanie 153 Große, Henning 186–187, 297 Grüninger, Johann 282–283 Gutenberg, Johannes 69, 71–72 Händlerrabatt 132–134, 229 Hainhofer, Philipp 317–319, 341, 346–347 Haller, Wolf 106 Handelsniederlassung → Faktorei Handelszentrum 123–125, 214, 413 Handschriftenhandel 64–67 Harder, Michel 177 Harsdörffer, Georg Philipp 371 Hausierhandel 145, 150, 214, 285 Heimfallsrecht 102, 105, 279 Helmaspergersches Notariatsinstrument 72 Herlin, Hans 126–127 Herstellung → Buchdruck Herzog Anton Ulrich 401 Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (HAB) 308, 310, 314–315, 322, 375, 415, 447 – Bestand 311–313, 328 – Katalog 311–312 Herzog August d. J. 308–310, 312–315, 319, 335, 375, 398, 446–448 – Buchkauf 313, 321, 326, 348, 369, 393, 411 – Verhältnis zu seinen Agenten 323–324, 329, 375, 377, 380 Herzog Ferdinand Albrecht I. 182 Herzog Rudolph August 332, 402–403 Hirt, Johann Martin 319–324, 414 Hoffmann, Johann 229–230 Holland → Niederlande Humanismus 436, 454–455, 472 Illustration 76, 88, 282–283, 458–459 Index librorum prohibitorum 198–200 Indexkongregation 198–199 Indossament 251 Inkunabel 81 Inquisition 198–199

508  Register

Italien 153, 201, 274 Käufer → Lesepublikum Katalog 234 – Agent 326, 357–358, 363, 412 – Auktion 260 – Buchhändler 189–192, 232, 274 – Lager 232–233 – Sortiment 233–234, 236 – Verlag 190, 234 Kepler, Johannes 453 Kepner, Heinrich 115 Kipper- und Wipperzeit 218 Kirch, Gottfried 463 Kleinschrifttum 80, 149–150, 188, 462 Koberger, Anton 82, 91–93, 100, 123, 127–128, 133, 284, 296, 298 – Faktoreibetrieb 102, 105–106 – Messehandel 100–101, 108–110, 112–113 – Transport 116–119 – Zahlungsverkehr 136–139 Köln 124, 171, 192, 220 Kolportage → Hausierhandel Kommissionshandel 254, 277 Konstruktivismus 27–28 Konzil von Trient 198 Korrespondenz 127–128, 272, 336 Kramergerechtigkeit 157 Kreditwesen 138, 225, 338, 413 Kunstkammer 357 Laborkonstruktivismus 58 Lager → Faktorei Lagerkatalog → Katalog Lamberg, Abraham 187 Latein 148, 299–300, 419, 443 Lehrzeit → Ausbildung Leibniz, Gottfried Wilhelm 265–267 Leipzig 110, 214 Leseinstruktion 429 Lesepublikum 79–80, 141, 149–150, 231, 463 Lohndrucker → Drucker London 170, 274 Luther, Martin 146–147, 149–151 Lyoner Messe → Messe, Lyon Manutius, Aldus 92, 101, 134, 190 Markt 107, 111, 243 Mayr, Johann Baptist 243 Merkantilismus 266 Mess-Memorial 177

Messe 107, 109, 111, 120, 123, 136, 172–173, 246 – Frankfurt 73, 112–114, 172–179, 182–183, 185, 203–206, 246–249, 251–253, 441 – Gewölbe 181 – Leipzig 110, 180–183, 202, 246–248, 251, 253 – Lyon 101, 108, 173 Messkatalog 183–188, 218, 247, 275 Messrelation 179 Meynberger, Friedrich 75, 282 Moretus, Balthasar 229, 244 Moretus, Jan 173, 219 Mylius, Arnold 168–170 Nachdruck 152, 206–207, 216, 250 Naturwissenschaft 422–423, 453 Neumann, Andreas 340–341 Niederlande 201, 219, 221, 250, 258–259, 264, 277 Nürnberg 92, 124–125, 196, 345, 384 Offizin → Druckerei Ort 33, 46 Pannartz, Arnold 144 Pantzschmannsche Buchhandlung 164–165 Paris 66 Patriziat 79, 296, 446 Pellikan, Konrad 430 Piccolomini, Enea Silvio 71 Pirckheimer, Willibald 282–283 Plantin, Christoph 173, 178 Post 384–386, 406–410 Pränumeration 188, 241–242, 276 Präunlein, Wolfgang 165 Praktik 55–58, 60 – Buchhandel 271–272, 274, 276–277 – Res publica literaria 428–429, 432, 434, 436, 440 Preise → Bücherpreise Privileg 187, 206–210, 274 Rangordnung 436, 445 Raum 13–14, 33–48, 59, 62, 416, 418, 430, 434, 436, 464 – absolutistisch 34, 37–38, 44, 46 – Grenze 39, 47–48, 55, 59, 280, 443–444, 446 – konstruktivistisch 37, 41 – relational 43–44 – relativistisch 34, 38, 44, 46 Raumsoziologie 37–45

Register  509

Realismus 422 Reformation 146–150, 152–153, 214, 216, 277, 460–461 Regensburger Einung 197 Renaissance 454 Res publica literaria 418–420, 423, 426, 434– 435, 443–444, 461–462, 476 Rezension 232 Ritual 433 Roth, Stephan 210–212 Rusch, Adolf 139 Rynmann, Johannes 161–165, 282, 285 Säkularisation 392, 461 Saubert, Johannes 340, 371, 379 Schenkung 375–377, 413 Schmidhoffer, Johannes 97–99, 282 Schöffer, Peter 72–78, 88–89, 103–104, 113, 296 Scholastik 436 Schwenckfeld, Kaspar 152 Skeptizismus 16 Sortiment 217 Sortimentskatalog → Katalog Sozialkonstruktivismus → Konstruktivismus Sozialraum 41 Spatial Turn 38 Stadtlohn, Hermann von 74 Stafette 409 Stationarii 65–66 Stationers' Company 168–169 Steinhöwel, Heinrich 91 Stern, Familie 222, 224–225, 227, 313, 399, 401 – Kontobuch 222–226 Stolle, Gottlieb 442 Straßburg 109, 124 Subskription 188, 241–242, 276 Sweynheim, Konrad 144 Tauschhandel 139–140, 217, 221, 256, 276 Theologie 421–422, 462 Tischgesellschaft 432, 440 Titelblatt 176, 230–231, 272, 456 Transport 114, 116–120, 226, 271, 403–405 Trew, Abdias 398–400 Türkhl, Reinhard 281 Überzeugung 19–22 Ulm 123 Universität 193, 426–427, 435–438

Unterricht → Wissensvermittlung Venedig 123, 201 Verkaufspreis → Bücherpreise Verkehrswege 116, 120 Verlag 217, 276 Verlagskatalog → Katalog Verleger 273, 282, 287 Verlegereinband 74, 76 Verlegersortimenter 217, 235, 255–256, 268, 276 Versand → Transport Verstechen → Tauschhandel Versteigerung → Auktion Vertrieb → Buchhandel Verzeichnis → Katalog Vögelin, Gotthard 225 Volkssprache 148, 459 Vorrede 232 Währung 130, 136, 138, 178, 223, 236 Wagen → Fuhre Wahrheitsbedingung 19–21 Waisenhausbuchhandlung, Hallesche 254 Wanderbuchhandel 86–87, 90, 114, 216, 473 Warenhandel 78, 82, 107, 114, 143, 250 Wechsel 250–251, 337–338 Wechselmesse 251 Wehe, Johannes 322 Werbung 84–85, 87–89, 192, 230–234, 236– 242 Werteproblem 23–25 Wicquefort, Abraham de 328–329 Willer, Georg 183–184 Wirtshaus 90 Wissen 13–28, 30–32, 56–60, 62, 421–422, 424, 429, 453 – propositional 18–19, 30 Wissenschaft, Frühe Neuzeit 449, 453–454, 462, 472 Wissensraum 13, 30, 49–55, 57–62, 269–270, 417–418, 474, 477 Wissensraum Buchhandel 83, 269–274, 276– 280, 298, 428 Wissensraum Res publica literaria 421, 425, 428, 433, 443, 446, 448 Wissenssoziologie 25–30, 57 Wissensvermittlung 455–456, 459–460, 467– 468 Wittenberg 215, 274

510  Register

Wormser Edikt 194 Zahlungsverkehr 109, 113, 136–138, 178–179, 250–251, 337–338 Zainer, Günther 90–91 Zehentmair, Hans 184 Zeitschrift 462

Zensur 192, 196–197, 199–206, 264, 278 – kirchlich 192–194, 198–199 – staatlich 195–196 Zoll 116, 406, 477 Zunft 87, 158, 161 Zunftordnung 160 Zwischenbuchhandel 221, 412