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German Pages 44 Year 1954
BERICHTE ÜBER DIE VERHANDLUNGEN DER SÄCHSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU LEIPZIG Philologisch-historische
Klasse
Band 100 • Heft 3
EBERHARD
HEMPEL
NIKOLAUS VON CUES IN SEINEN BEZIEHUNGEN ZUR BILDENDEN KUNST
19 5 3 A K A D E M I E - V E R L A G • B E R L I N
Vorgetragen in der Sitzung v o m 20. März 1950 Erweitertes Manuskript eingeliefert am 13. Oktober 1952 Druckfertig erklärt am 30. März 1953
Erschienen im Akademie-Verlag GmbH., Berlin NW 7, Schiffbauerdamm 19 Veröffentlicht unter der Lizenznummer 1217 des Amtes f ü r Literatur und Verlagswesen der Deutschen Demokratischen Republik Satz und Druck der Buchdruokerei F. Mitzlaff, Rudolstadt/Thür. V/14/7 — 1068 Bestell- und Verlagsnummer 2026/100/3 Preis: DM 2,80 Printed in Germany
Es könnte fraglich erscheinen, inwieweit das Thema „Nikolaus von Cues in seinen Beziehungen zur Bildenden Kunst" sich ergiebig erweist. Der Kardinal war kein Mäzen im Sinne der Renaissance. Er unterschied sich von dem späteren Auftraggeber Grünewalds und Dürers, dem prunkliebenden, sittenlosen Kardinal Albrecht von Brandenburg in jeder Beziehung. Sicherlich hätte Cusanus, wenn er in der Mitte des 15. Jahrhunderts Nachfolger Nikolaus V. auf dem päpstlichen Thron geworden wäre, dessen großartiges Mäzenatentum, das bereits die glänzenden Zeiten eines Julius II. und Leos X. vorausahnen ließ, nicht fortgesetzt. Als Papst wäre er an die Reform gegangen, an die eigentliche damalige Aufjgabe der Kirche. Zeitlebens fühlte er sich in seiner auf eine Wiederbelebung der Grundsätze des frühen Mönchtums gerichteten Gesinnung mit den Brüdern des gemeinsamen Lebens in Holland verbunden, in deren Schule in Deventer er nach der Tradition gegangen sein soll. Als er 1451/52 seine große Reformreise durch Deutschland und die Niederlande als Kardinallegat durchführte, hat er mit allen Kräften seiner überragenden Persönlichkeit nicht nur gegen Simonie, Konkubinat, Nichteinhalten des Fastengebotes angekämpft, sondern auch gegen die Prunksucht der damaligen Geistlichkeit. Seine nicht unbedeutenden Einkünfte verwandte er auf die Stiftung eines Hospizes für arme, alte, elende Männer in seinem Geburtsort Cues an der Mosel, der er auch seine wertvolle Bibliothek, astronomische Instrumente und das von ihm gesammelte Silber vererbte. Sein Theologie, Philosophie, Mathematik, Natur- und Staatswissenschaften umfassendes geistiges Werk, das dieser seit Albert dem Großen bedeutendste deutsche Denker und Forscher universaler Richtung im zweiten Drittel des 15. Jahrhunderts vollbrachte, verweilt zwar gern bei Vergleichen und Betrachtungen im Bereich künstlerischer Schönheit. Aber diese wandelt l»
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Ebekhabd Hempel
sich beim weiteren Entfalten der Gedanken im neuplatonischen Sinn zu einem ganz allgemeinen Element, das in geistiger Weise mit der Wahrheit und dem guten göttlichen Prinzip gleichgesetzt wird und vielfach alle menschliche Tätigkeit umfaßt. Und trotzdem hat sich Cusanus schon als Neupräger antiken Gedankengutes, das er in selbständiger Denkarbeit weiterentwickelt, auch auf die bildende Kunst bedeutsam ausgewirkt. Er blieb nicht auf dem Standpunkt der Mystiker stehen, nichtwissend zur mystischen Theologie emporzusteigen und lehnte es ab, sich durch ein die Vernunft zurücklassendes Liebesstreben zu erheben 1). Dabei ist Cusanus in keiner Weise abstrakter Denker, wie sehr er auch an mathematische Logik gewohnt war. Schon in der außerordentlichen Kraft seiner eigenartigen Sprache zeigt sich ein den Musen zugewandter Geist. Gern ging er, wie in seiner Schrift: „De Visione Dei", von einer künstlerisch geformten Anschauung aus und zeigt ausgesprochene Vorliebe für die gleichnishafte symbolische Sprache, die ja auch die der mittelalterlichen Kunst war, nur daß sie im Geist eines Cusanus eine größere Klarheit und Bestimmtheit erhält 2 ). In der hohen Bedeutung, die er dem Künstler und seinem Schaffen gibt, kündigt sich weiterhin das Renaissance-Bewußtsein an. Unmittelbar selbst nach eigenen Ideen hat er sich künstlerisch, wie im folgenden gezeigt werden soll, vor allem in seiner Stiftung ausgewirkt, bezeichnenderweise im sozialen Handeln als großer Menschenfreund, der wußte, wieviel irost die künstlerisch ausgereifte, vollkommene, geistig bedeutsame und beseelte Form gerade dem leidenden, niedergedrückten, elenden Menschen bringt. Sein Lebensweg hatte ihn immer wieder mit den bedeutsamsten künstlerischen Vorgängen in Berührung gebracht. Daheim in den Rheinlanden konnte er in seiner Jugend die liebliche und reiche 1 Schriften des Nicolaus von Cues im Auftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschaften in deutscher Übersetzung hrsg. von E r n s t Hoffmann. Heft 4: „Von Gottes Sehen", Übersetzung und Einführung von E. Bohnenstädt, S. 41 ff. Leipzig 1944. 2 Vgl. C. Cassibeb, Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance, S. 56. Leipzig 1927. Studien der Bibliothek Warburg.
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Blüte der Kölner Kunst bis zu Stephan Lochner, in den Niederlanden die noch überlegenere, der Natur sich zuwendende, vlämischwallonische Malerei bis zu Jan van Eyck verfolgen. Als Student der Universität Padua hat er von 1417 bis 1423 sieben Jahre lang die glänzende Entfaltung der italienischen Frührenaissance miterlebt. Seine spätere Tätigkeit auf dem Konzil von Basel 1433 bis 1437 wird ihm die Auswirkung burgundischer Kunst am Oberrhein im Werk von Lukas Moser und Conrad Witz nahegebracht haben. Als Kardinal in Rom hat er unter Nikolaus V. das eine neue Epoche einleitende Wirken von Alberti miterlebt. Damals, in der Mitte des 15. Jahrhunderts, konnte er Fra Angelico und Piero della Francesca, um nur zwei zu nennen, im Vatikan malen sehen. Auf seiner großen Legationsreise 1451/52 bereiste er ganz Deutschland und die Niederlande, wo ihm die nordische Spätgotik immer wieder in den verschiedensten Ausprägungen entgegentrat. Schließlich führte ihn noch am Ende seines Lebens die Tätigkeit als Bischof von Brixen 1452 bis 1460 in den Kreis des größten Tiroler Schnitzers und Malers Michael Pacher, der, damals wohl gegen 25 Jahre alt, in der kleinen Residenz an der Eisack und im benachbarten Neustift und Bruneck die tiefgreifende Auswirkung des damals weltberühmten Mannes miterlebte. Allerdings schien er den Beherrschern Tirols nicht ein Engel des Friedens, wie man ihn kurz vorher in Deutschland genannt hatte, sondern ein harter Stein des Anstoßes zu sein. Erst später hat das Haus Habsburg die Gefangennahme des Kardinals 1460 in Bruneck als schwere Schuld des Geschlechts anerkannt. Bevor im einzelnen die mögliche Auswirkung des Nikolaus von Cues auf künstlerischem Gebiet in bestimmten Fällen angedeutet werden soll, sind die allgemeinen Verbindungslinien aufzuweisen. Die von Cusanus gewählte Gleichnissprache bediente sich nach mittelalterlicher Weise mit Vorliebe der Symbolik der Zahlen und geometrischen Figuren. Wenn es sich dabei auch um den Vorgang des Abbildens von Vorstellungen und Glaubensinhalten handelte, die an Natur und Gottheit anknüpften, so doch vielfach nicht um ein künstlerisches Gestalten im engeren Sinne. Insofern aber die Zahlensymbolik die göttliche Harmonie widerzuspiegeln sucht und sich als
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solche auch im mittelalterlichen Kirchenbau ausprägte, ergaben sich schon auf diesem Wege zwischen den Gedanken des Cusanus und der gleichzeitigen bildenden Kunst Berührungspunkte, um so mehr, als Cusanus auch hier in die Tiefe ging und auf die äußerliche Vergleichsmethode der meisten Symboliker nicht einging. Die Symbolik war für Cusanus kein willkürliches Spiel der Phantasie. Er ging von der Erfahrung seiner Sinne, von der Beobachtung aus und suchte dann mit Mitteln der Logik einer philosophisch gerichteten Mathematik den Beweis zu erbringen. In diesem mathematischphilosophischen Sinn hat er auch das reine Kunstwerk häufig als Gleichnis bei seinen tiefsinnigen Spekulationen benutzt. Es ist dies der Fall bei seiner Schrift: „De Visione Dei", in der er betont, daß •das Wunderbare sich jenseits aller sinnlichen, verstandesmäßigen Schau enthüllt. Aber er bemüht sich, in einfacher Weise mittels eines Erfahrungsvorganges in die heilige Dunkelheit hineinzuführen. Auf dem Gleichnisweghabe er keine geeignetere Abbildung gefunden als das Bild des Allsehenden (imago omnia videntis), insofern nämlich dieses mit vollendeter Kunst gemalte Antlitz sich so verhält, daß es zugleich alles rings umher ansieht 1 ). Er führt nun einige solche gemalte Darstellungen im Bereich der nordischen Kunst an: das Bild dies Bogenschützen am Nürnberger Markt, in Brüssel das Bild Rogiers, des größten Malers, auf einem höchst wertvollen Gemälde im dortigen Rathaus 2 ), das Veronikabild in der Kapelle seines Wohnhauses zu Koblenz 3), in der Burg zu Brixen das 1
De Visione Dei, fol. 99R (Die Stellenangaben nach der Pariser Gesamtausgabe von 1 5 1 4 ) , Deutsche Übersetzung und Einführung von E. BOHNENSTÄDT, S. 53 ff. Leipzig 1944. 2
Vermutlich handelt es sich um die Gerechtigkeitsbilder von Rogier van der Weyden im Brüsseler Bathaus, die sich nicht erhalten haben. Die Berner Teppiche vermitteln nur eine ungefähre Anschauung der Kompositionen, wonach das Selbstbildnis Rogiers nicht festzustellen ist. Der von E . CASSIRER, a. a. O., S. 32 reproduzierte Kopf vom Berner Gobelin kann demnach als solches nicht anerkannt werden. 3
Gehörte mit anderen Bildern zu einem Flügelaltar, der das Wappen der Cusanus trug und noch 1581 in der Stiftskurie neben dem Alten Judentor
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Bild des Engels, der das Wappen der Kirche hält — alle nicht mehr nachweisbar, wofür aber genug erhaltene Beispiele der sichtlich beliebten Darstellungsweise aufgezählt werden könnten. Jeder mache bei einem solchen Bilde die Erfahrung, daß er, von welchem Standpunkt er es auch ansähe, gleichsam allein von jenem angeschaut werde. Das sogenannte Veronikabild zeigt das frontal dargestellte Antlitz Christi mit der Domenkrone, so wie es sich nach der Legende auf ihrem Tuch abgedrückt hat. Ausgehend von diesem Bild, das versinnlichen soll, wie sich persönliches Gotteserlebnis mit der Vorstellung vom Absoluten, Allumfassenden verbinden kann, gelangt Cusanus zum abstrakten Sehen, das er im Geist, von allen Augen und Organen befreit, erfaßt. Das Sehen Gottes, Gnade und ewiges Leben genannt, wird zur Vorsehung, zum Wirken. Für die unsichtbare Wahrheit des göttlichen Angesichtes ist das stoffgebundene und begrenzte Schattenbild — umbra nennt er das von Menschen geschaffene Abbild Gottes — ein Zeichen. Dem Blick Gottes entspricht der Blick des anschauenden Menschen. „Und je mehr er sich bestreben wird, Gott mit mehr Liebe anzusehen, desto liebevoller nimmt Gott das auf ihn blickende Antlitz wahr." Es ist dies ein Grundsatz der Mystik, der die Gestaltung des Andachtsbildes vor allem im 14. Jahrhundert beeinflußt hat. Gleichzeitig taucht in der „visio Dei" der Begriff S c h ö n h e i t auf. „Jeder Begriff vom Antlitz bleibt hinter deinem Antlitz zurück, und jede Schönheit, die man in sich aufnehmen kann, reicht nicht an die Schönheit deines Angesichtes heran. Alle Angesichte haben Schönheit und sind nicht die Schönheit selbst. Dein Angesicht aber, Herr, hat Schönheit und dies Haben ist Sein. Es ist die vollkommene Schönheit (ipsa pulchritudo absoluta), welche die Form ist, die jeder schönen Form Sein verleiht" 1). Cusanus erfaßt nach Piatos Vorgang im Gastmahl die Gottheit als das Schöne an sich, das zugleich das G u t e in sich birgt. Ähnlich hat er über das Schöne an der Mosel, seinem einstigen Wohnhaus, nachweisbar war. Vgl. „Von Gottes Sehen", Übers. BOHNENSTÄDT, S. 240. 1
op. cit., fol. 101 T , Übers. BOHNENSTÄDT, S. 69.
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seine Anschauungen in der Predigt: „Tota pulchra es amica" 1 ) entwickelt. Die Abspiegelung des Schönen in der niederen Stufe erreichen wir mit den mehr geistigen Sinnen, dem Gesicht und Gehör. Das Schöne veredelt durch Vereinigung mit dem vernünftigen Geist alle Sinne, wie Sonnenlicht die Luft durchleuchtet. Daher wird das Gesicht durch schöne Gestalt und Farbe, das Gehör durch schöne Harmonie gefesselt, und dies wird vom Menschen als Wahrheit empfunden, weil darin etwas Geistiges und Verständiges, das in der Proportion Freude hat, sich jenen Sinnen mitteilt. Was wohlgeordnet und proportioniert ist, d. h. wo in Vielheit Einheit als Proportion oder Harmonie sich abspiegelt, das ist uns angenehm. Zur Proportion, in der nach Cusanus das Materielle der Schönheit beruht, gehören aber, um Schönheit vollkommen zu machen, als formale Elemente G l a n z und K l a r h e i t , für mittelalterliche Ästhetik unentbehrliche Begriffe. Pulchrum ulterius supperaddit resplendentiam et claritatem quandam super quaedam proportionata. Die Klarheit wird erreicht, insofern sie das Wesentliche zeigt. Ciaritas, ut essentia. Der Glanz offenbart sich vor allem in Licht und Farben, die sich über proportionierte Glieder legen. Dadurch wird der Geist mit Bewunderung erfüllt und eine Kraft angeregt, in tätiger Weise das Schöne geistig zu erstreben, das der Sinn nur im allerkleinsten Maße erreicht, wie der, welcher nur mit der Zungenspitze etwas Süßes verkostet hat, dadurch bestimmt wird, sich durch dasselbe zu erquicken. Im Geist ruht die Idee des Schönen, nach der er das Schöne beurteilt. Da nun die geistige Natur an der Natur des Guten und Schönen geistig partizipiert, weil diese ihr Prinzip ist, so kann sie nur unter dem Einfluß desselben Nahrung und Leben erhalten. Im Guten und Schönen, die sie geistig anschaut, besteht ihr Leben. Unser Streben wird es daher sein, daß wir von der Schönheit des Sinnlichen uns zur Schönheit unseres Geistes erheben, welche alle sinnliche Schönheit in sich faßt. Denn, wie Cusanus an anderer Stelle in Nachfolge der nominalistischen 1
Excitationum ex sermonibus rev. P. Nicolai de Cusa, Pariser Ausgabe von 1514, fol. 139V. F. A. Scharpff, Des Cardinais und Bischofs Nicolaus von Cusa wichtigste Schriften, S. 539 ff. Freiburg i. Br. 1862.
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Mystiker *) sagt, sieht der Geist Anderes nicht, bevor er nicht sich selbst sieht, denn erst durch sich sieht er das Andere. Von der Betrachtung unserer Schönheit steigen wir auf zur Bewunderung der Quelle der Schönheit, von der unsere Schönheit ein Abbild ist. Zugleich stellt sich aber bei Cusanus eine grundlegende Vorstellung ein, die der C o i n c i d e n t i a o p p o s i t o r u m . Pulchritudo congregat omnia. Er zitiert Dionysius Areopagita: Kationem autem pulchri consistere in quadem consonantia diversorum, und kommt zu einer noch prägnanteren Darstellung des Vorganges. Dieser setze auseinander, auf welche Weise gewisse göttliche Wirksamkeiten (divinae processiones) aus den Kreaturen hervorgingen, durch die sie Gott angeglichen werden, da ein formaler Prozeß zugrunde liege. Die erste processio vollzieht sich im Geist, sie bezieht sich auf das Erfassen des Wahren. Das Wahre leuchtet auf und wird durch das Gute verstärkt. In gleicher Weise geht das Schöne hervor. Nun entsteht Verlangen nach beiden. Der Ausgangspunkt liegt also in der Vernunft, wobei der intellectus speculativi, der das Wahre und Schöne in absoluter Form zu erfassen sucht, und der intellectus practici, der dabei auch auf das Gute gerichtet ist, zusammenwirken müssen. Das Schöne und sittlich Gute einen sich im Subjekt, sind aber im Wesen verschieden. Das Wesen des Schönen als Universales besteht, wie Cusanus immer wieder betont, im Glanz der Form, der sich über die proportionierten Teile der Materie, wie über verschiedene Stoffe und Handlungen breitet. „Nam ratio pulchri in universali, consistit in resplendentia formae, super partes materiae proportionatas, vel super diversas materias vel actus." Die Schönheit in Gott ist die erste und höchste. Das Ehrenhafte fügt dem Guten noch das Angenehme und Würdige hinzu, durch die es uns anzieht. Das Schöne geht noch weiter, indem es das Gute mit Glanz und Klarheit überkleidet. L i e b e ist das Ziel der Schönheit, Schönheit will geliebt sein. Gott ist Schönheit selbst, er will also geliebt sein. Die aus sich selbst liebenswerte Schönheit ist die Caritas, 1 DAGOBERT F R E Y , Gotik und ßenaissance als Grundlage der modernen Weltanschauung, S. 94. Augsburg 1929.
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ohne sie wird niemand die absolute Schönheit schauen. Die Sehnsucht oder Liebe verwandelt den Liebenden unaufhörlich zur Ähnlichkeit mit dem Gegenstand seiner Liebe, und es naht zuletzt die Stunde der Erhebung, im Zuge der Schönheit oder der göttlichen Glorie. Für die hier zutage tretenden Vorstellungen hatte die hochmittelalterliche Kunst Gleichnisbilder geprägt, so für die Schönheit in Gott nicht nur den Beau Dieu der französischen Kathedralen, sondern auch das Bild der Gottesmutter. Das Relief des Marientodes am Straßburger Münster veranschaulicht den Glanz, der nach der Legende von dem toten Leib Mariens ausstrahlte, als die Jungfrauen ihn wuschen, daß sie ihn wohl berühren und waschen, aber nicht anzusehen vermochten. In Anknüpfung an das Hohe Lied läßt Jakob von Voragine in der Legenda aurea Christus sprechen, der herabkommt, um die Seele Mariens zum Himmel zu führen: „Ich bin gekommen, meine Auserwählte, daß ich die Zierde meines Thrones an dich lege, denn der König begehrt nach deiner Schöne." Die oben zitierten Worte des Cusanus: „Die Sehnsucht oder Liebe verwandelt den Liebenden unaufhörlich zur Ähnlichkeit mit dem Gegenstand seiner Liebe, zuletzt naht die Stunde der Erhebung im Zuge der Schönheit oder göttlichen Glorie", findet ihr künstlerisches Abbild in der Krönung Mariens, diesem geliebten Motiv der mittelalterlichen Kunst. Im „Liber de mente" findet sich dementsprechend die Bestimmung der k ü n s t l e r i s c h e n T ä t i g k e i t des Menschen als ein dem göttlichen verwandtes Schaffen. Die ars creatrix, die sich selber schaffen will, bringt unseren Geist hervor, der die Kraft entwickelt, ein Bild der göttlichen Kunst zu gestalten. Diese absolute Kunst in ihrer höchsten Wahrheit duldet keine Vervielfältigung. Aber das entstehende bildnerische Werk des Menschen, der in sich das Bild der göttlichen Kunst trägt, hat die Möglichkeit, sich immer mehr dem unerreichbaren Urbild anzugleichen 1 ). An anderer Stelle 2) nennt er Jesus den Meister aller Meister. In ihm sei die absolute 1
I.
Liber de mente, fol. 129T (CASSIRER, a. a. O., S. 286 f., Textausgabe von Übersetzung von H. CASSIRER). De visione Dei, fol. 110r. Übers. BOHNENSTÄDT, S. 122.
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Idee aller Dinge und das ihm angeglichene Bild aufs höchste geeint. Häufig geht Cusanus auf seine Erfahrung zurück, zeigend, daß ihm das Wesen des künstlerischen Schaffens durchaus klar war. Er läßt einen Maler zwei Bildnisse malen, das eine wäre tot, obgleich es in seiner tatsächlichen Erscheinung (actu) dem Dargestellten näher käme, das andere, weniger ähnlich, wäre lebendig, da es von seinem Gegenstand (ex obiecto suo) zur Bewegung angereizt, sich dem Urbild immer gleichförmiger machen könnte. Welches von diesen beiden Bildern vor dem anderen den Vorzug verdiente, könnte keine Frage sein. Und in eben diesem Sinn sei unser Geist das lebendige Bild der unendlichen Kunst. Denn wenn er auch im Anfang der Schöpfung nicht den wirklichen Widerschein der schöpferischen Kunst in der Dreieinigkeit hat, so besitzt er doch eine angeborene Kraft, durch die er sich ihr immer gemäßer gestalten kann. Das Verhältnis vom Kunstwerk zum Dargestellten spiegelt dasjenige wider, das zwischen Geschöpf und Schöpfer besteht, der auch den Menschen dazu anreizt, ihm immer ähnlicher zu werden. Diese gleiche der antiken Philosophie entnommene Beziehung zwischen dem künstlerischen und metaphysischen Bereich spricht sich darin aus, daß menschliches Können nicht so sehr als Fertigkeit seiner Hand, denn als Besitz seiner Seele aufgefaßt wird und in Auswirkung als g e i s t i g e K r a f t , der das Wort Gottes und das Glaubensleben verglichen werden. In seiner Schrift „De possest" sagt Cusanus: „Ähnlich sehen wir es in unserem Weltbereiche durch menschliches Kunstschöpfertum werden in denen, die im eifrigen Streben eine Kunst als Besitz ihrer Seele erworben haben, so daß die Kunst in ihnen aufgenommen ist und verbleibt und jenes Wort ist, das lehrt und gebietet, was zur Kunst gehört. So ist auch die göttliche Schöpferkunst, die wir in ganz gefestigtem Glauben in unserem Geiste gewonnen haben, das Wort Gottes, welches lehrt und gebietet, was der schöpferischen allmächtigen Kunst zugehört. 1 Pariser Ausgabe von 1514, fol. 178T. Übersetzung von E. BOHNENSTÄDT in den Schriften des N. v. Cues, hrsg. im Auftrag der Heidelberger Akad. d. Wissenschaften in deutscher Übersetzung, Heft 9, S. 25. Leipzig 1947.
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Und wie kein Handwerker, der nicht in der richtigen Verfassung ist, Kunstgerechtes schaffen kann, so auch nicht ein „Glaubender" ohne rechte Verfassung." Mit diesem Schaffen muß sich der Begriff der W a h r h e i t verbinden. Auch hier bringt die Schrift „De Visione Dei" die entscheidende Feststellung (Kap. 20). Er betrachtet die in der Idee gegebene Form eines Schreines im Geist des Künstlers und den von ihm entsprechend der Idee aufs vollendetste hergestellten Schrein und stellt fest, daß die Idee-Form die Wahrheit des sinnlichen Anschauungsbildes sei. Beides vereine sich im Künstler: die Wahrheit mit ihrem Abbild. Etwas Ähnliches sei bei Jesus der Fall, wo ebenfalls beides sich zur vollkommenen Einheit verbindet. Vom absoluten Standpunkt aus hebt er die primäre Bedeutung der allein in sich beruhenden F o r m hervor. „Verleiht diese doch als die erste und im ursprünglichen Sinne das Sein" 1). Den Beweis entnimmt er dem Kunstwerk. „Immer nämlich gibt die zu einem Stoff hinzukommende Form ihm Sein und Namen, wie die Gestalt Piatons, wenn sie zum Erz hinzukommt, ihm Sein und Namen des Standbildes gibt." „Die Formen liegen nicht in der M a t e r i e verborgen (latent), sondern im Geist des Künstlers selbst. Die gestaltende Ursache ist das Urbild im Geiste des Künstlers, die causa finalis ist der Künstler selbst, der um seiner selbst willen tätig war 2 )." Er wendet sich gegen die Anschauung, daß die M a t e r i e ewigen Ursprungs sei. Nach ihm ist nicht die Materie anfangslos, sondern vielmehr das Können, allerdings nur das unbedingte, wie es Gott besitzt, das keiner Materie bedürfe. Dagegen erfordere das Schaffen-Können (posse-facere) des Menschen Materie, weil es nicht das Können-Sein (possest) sei 3 ). Aber erst die von der Materie abgelöste Seins-Form erkennt er als unbedingt wahr und formhaft an, wozu er das Beispiel eines auf einen Fußboden gezeichneten Kreises bringt. Seine Radien werden durch die Unebenheit und das Materielle des Fußbodens nicht genau gleich sein. Dies ist erst dann 1 2 3
De possest, fol. 1 8 2 V , Übers. BOHNENSTÄDT, S . 4 9 . De ludo globi, Basler Ausgabe der Opera omnia, 1565, S. 219. Daselbst, fol. 178 v , Übers. BOHNENSTÄDT, S. 21.
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der Fall, wenn der Kreis von der Materie abgelöst wird 1 ). Das Verhältnis von Form und Materie legt er in dauernden Vergleichen des bedingten und absoluten Zustandes dar. Im Anschluß an den hellenistischen Autor der „Theologie des Aristoteles" 2 ) sagt er vom Urstoff, aus dem die Welt geschaffen wurde, daß der Schöpfer die erste Materie formte, die noch keine Form hatte, aber geeignet war, alle anzunehmen. Die universelle Fähigkeit, Gestalt anzunehmen, verlöre der irdische Stoff, etwa das nach der Intention des Meisters geformte Glas, solange es eine bestimmte Gestalt bewahre. Erst wenn diese aufgehoben wäre, könne sie eine andere annehmen 3 ). Wenn demnach Cusanus das Beschränkte und Sekundäre der Materie aufweist, so ist er sich im übrigen ihrer Bedeutung, wie sie vor allem im Kunstwerk hervortritt, durchaus bewußt, was sich etwa bei dem Beispiel des aus edlem Holz geschnitzten Löffels zeigt 4 ). Immer wieder gewinnt Cusanus beim Nachdenken über den von göttlichen Kräften bewegten Kosmos Maßstäbe, die auch für das irdische Kunstwerk gelten, in dem sich jener wie in einem Abbild spiegelt. Den umfassendsten Maßstab entnimmt er dem Leitsatz des Aristoteles „ U n i t a s i n p l u r a l i t a t e". In der Docta ignorantia weist er dies im Schaffen des Künstlers nach, der trotz fehlender Präzision und bei aller Verschiedenartigkeit die Harmonie aller Teile erreicht, die so zueinander angeordnet seien, daß in jedem die Bewegung der Teile eine Beziehung auf das Ganze habe 5). Wenn die geistige Welt des Cusanus vielfach von Vorstellungen, die dem künstlerischen Schaffen entnommen sind, erfüllt erscheint, so erhält die Kunst, wie aus dem Gesagten hervorgeht, ihre eigentliche Bedeutung für ihn im höheren Sinne doch nur durch den metaphysischen Bezug. Insofern gehört seine Vorstellungswelt dem Mittelalter an. Dabei treten unverkennbare Züge hervor, die dar1
Daselbst, fol. 182T, Übers. Bohnenstädt, S. 47. P i e r r e Duhem, Nicolas de Cues et Léonard da Vinci, Études sur Léonard da Vinci II, Cap. XI, S. 161. 3 Dialogus de genesi, Pariser Ausgabe, fol. 72 v . • Liber de mente, fol. 116r s. (Cassirer, a. a. 0 . , S. 210 ff.). 5 De docta ignorantia, fol. 23 v . 2
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über hinausweisen und für die Spätgotik und Frührenaissance charakteristisch sind, insofern er das Geistige im Zusammenhang mit dem Körper und seinen Sinnen erfaßt. „Alle Schöpfungen der Bildhauerkunst, Malerei oder des Kunsthandwerkes sind ausgelöst durch körperliche Sinne und können ohne Verstand nicht zustande kommen" 1). Das gleiche, was auf wissenschaftlichem Gebiet bei Cusanus zu beobachten ist und zur Mission seines Lebens wurde, ohne Verlust der alten Glaubenseinheit zu dem neuen Ausgangspunkt, zur Erforschung der Natur hinzuführen, bestimmt auch sein Verhältnis zur Kunst. Das Kunstwerk ist nach ihm mit der Natur verbunden. „Nichts gibt es, was bloß Natur oder bloß Kunst ist. Jegliches partizipiert an Beiden auf seine Weise" 2). Cusanus geht von dem natürlich Gegebenen aus und beobachtet die Entfaltung, die entstehende Bewegung, die zum Göttlichen hinführt. Auf diesem Wege wird für ihn das Kunstwerk zu einem Spiegel der göttlichen Harmonie. Daß Cusanus trotz Festhaltens am transzendentalen Standpunkt des Mittelalters der Kunst der Renaissance nicht fremd gegenüberstand, ergibt ein Vergleich seiner Anschauungen mit A1 b e r t i s Kunstphilosophie. Der Kardinal, der für den Bestand der einen Kirche Christi kämpfte und das Schöne nur als einen Bestandteil seines großartigen christlichen Gottesreiches auffaßte, erscheint nur dem flüchtigen Beurteiler als ein Gegenpol zu dem Architekten, der nicht von Kirche und Sakrament, sondern vom Haus der Götter, vom Tempel und Opfer sprach und als Künstler in seinen kunsttheoretischen Schriften nicht nur Ästhetik, sondern auch praktische Kunstlehre geben wollte. Beide Männer, die um das Jahr 1450 in Rom auf der Höhe ihrer Laufbahn standen, werden sich sicher gekannt und gewürdigt haben. Albertis „Elementa artis pictoriae" befinden sich noch heute in einer Handschrift des 15. Jahrhunderts in der Bibliothek des Cusanus, allem Anschein nach von ihm selbst erworben. Beide gehen von den gleichen Gedanken der Neuplato1 2
Idiota de mente, Basler Ausgabe, S. 158. De coniecturis, ebenda S. 107; SCHARPFF, op. cit., p. 133.
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niker aus und verbinden sich im Bemühen, sie wieder zur Geltung zu bringen. Für beide stellt die Mathematik den Ausgangspunkt dar, sie erkennen das gestaltende Prinzip der Kunst vor allem in den Proportionen, wollen im Schönen zugleich das Wahre und im vollkommenen Kunstwerk die Beziehung auf das Göttliche erfassen. Auch Alberti läßt den Künstler von der Natur ausgehen, das Vollendete anstreben und den Geist des Betrachters weit über die Anschauung hinausgehen. Die bei Cusanus immer wiederkehrenden Leitsätze der Antike: der unitas in pluralitate und der coincidentia oppositorum sind auch bei Alberti zu finden. „Erhöht wird das Schöne überall durch die Verschiedenheit, wenn diese ihre Seiten zusammenschließt, durch die einheitliche Beziehung voneinander unterschiedener Teile" Unmittelbare gegenseitige Entlehnungen finden sich nicht, da beide ganz selbständige Denker sind, die ihre verschiedenen Ziele im Auge haben. Oft finden sich für die Kunst wichtige Erkenntnisse von Alberti weiter ausgeführt, die Cusanus in anderen Zusammenhängen nur kurz formuliert hat, so seine Erklärung derjenigen Schönheit, die von einer Form abhängt, als vollkommenere und edlere im Vergleich zu der, die von mehreren zustande gebracht wird 2 ). Alberti führt im ähnlichen Sinn aus: „Der höchste Schmuck in allem ist das Fehlen alles Unzusammenhängenden. Es wird also eine solche Einteilung zu billigen sein, die nicht unterbrochen, verwirrt, gestört, gelockert oder unpassend zusammengesetzt erscheint, und die nicht z u v i e l e G l i e d e r , nicht zu kleine, nicht zu große, nicht zu widerstreitende und unförmige, kurz nicht solche besitzt, die vom übrigen Körper getrennt und abgestoßen erscheinen" 3 ). Der metaphysische Bezug tritt bei Alberti zurück, ist aber doch vorhanden. Das vollkommene Kunstwerk nennt er in der re aedificatoria 4) „groß und göttlich, und es zu erreichen, verzehren sich alle Kräfte der Kunst und des 1
De re aed I, Kap. 9, S. 12. IRENE BEHN, Leone Battista Alberti al? Kunstphilosoph, S. 22. Straßburg 1911. 2 Excit. Pulchra tota es amica, SCHABPFF, op. cit., p. 541. 3
D e r e aed. V I , K a p . 5, S. 83.
* De re aed. IX, Kap. 2 und 8.
BEHN, o p . cit., p . 31.
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Geistes — um das schrankenlose Verlangen zu erfüllen, eine unendliche Schönheit zu sehen". Vor allem führt ihn seine Vorstellung von der alles umfassenden Bedeutung der Harmonie auf diesen Weg. Nach ihm läßt sie die Schönheit leuchtend hervortreten und fügt die unterschiedlichen Glieder in vollkommener Gesetzlichkeit zusammen, sie führt in ihnen nicht ein Leben für sich, sondern hat Anteil am vernünftigen Geist und umfaßt die Gesetze des menschlichen Lebens und wirkt unwiderstehlich auf das All ein x). Auch Alberti läßt den Künstler in einer religiösen Sphäre schaffen: „Mit geläuterter Seele, nachdem wir fromm und demütig das Opfer verzehrt haben, sollen wir uns an das Beginnen so großer Unternehmungen wagen" 2). Die den antiken Vorstellungen zugrunde liegende christliche Gesinnung ist unverkennbar. Wenn Cusanus als Ziel der Schönheit die Liebe bezeichnet, die für ihn die Caritas ist, so sieht auch Alberti den Zweck des Kunstwerkes darin, nicht nur Lust zu erregen, sondern auch das Gemüt zu bewegen 3 ). Wenn man nun versucht, die Fäden aufzudecken, die Cusanus mit der Kunst seiner Zeit verbinden, so ist ohne weiteres anzunehmen, daß sie in erster Linie nach Köln und den Niederlanden führen. Er nennt Rogier van der Weyden den besten Maler; eine Kreuzigung von der Hand des Kölner Meisters des Marienlebens mit der Gestalt des Kardinals dient noch heute als Altarbild seiner Stiftung, dem Hospital von Cues. Cusanus befand sich auf der gleichen Scheidelinie wie jene Maler, die zwar auch nach Erkenntnis strebten, aber doch die auf Gott gerichtete Haltung bewahrten. Er war kein eigentlicher Mystiker. Nicht die reine, die Augen schließende Hingabe, sondern die Begegnung mit Erscheinungen der Welt ließ ihn zu Gott sich erheben. Das Gottes-Sehen verbindet ihn mit der Malerei seiner Zeit, das Visuelle, das so weit geht, daß seine Gottesvorstellung in einer philosophisch-logischen Betrachtung von einem Bild -ausging, das sichtlich besser als Worte und Gedanken das ausdrücken 1
D e re aed. I X , K a p . 5, S. 136.
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De re aed. II, Kap. 13, S. 31. De pictura, S. 117.
3
BEHN, o p . c i t . , S. 2 4 .
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k-onnte, was ihn bewegte. Dabei handelt es sich um Bilder persönlicher Andacht, so wie sie die Mystik des 14. Jahrhunderts geschaffen hatte. Die Frage, inwieweit nun Cusanus darüber hinaus durch seine Anschauung und sein Wissen auf das künstlerische Schaffen einwirkte, führt zu den Stätten hin, wo der Kontakt am unmittelbarsten zustande kommen konnte, nach seinem Brixener Bistum und nach seiner Heimat Cues an der Mosel. Daß eine Kunst, die immer mehr das Bereich des Wissens mitzuumfassen versuchte und dies in der Folgezeit im Lebenswerk Leonardo da Vincis im höchsten Sinn erreichen sollte, der Einwirkung einer solchen Persönlichkeit damals offenstehen mußte, liegt nahe. In Südtirol zeigt die Kunst M i c h a e l P a c h e r s in dem nach perspektivischen Gesetzen gestalteten, symbolisch bedeutsamen Raumbild die Verbindung mit der nach mathematischer Klarheit strebenden Gedankenwelt des Cusanus, wie dies die Forschung schon seit langem angenommen hat, wobei nur die Einwirkung in ihrem Ausmaß verschieden beurteilt wurde. Es darf nicht außer acht bleiben, daß Pacher vermutlich im oberitalienischen Nachbarland, vor allem in Padua, in der Schule Mantegnas die allmählich zur Reife gedeihenden Grundsätze der künstlerischen Bildperspektive kennengelernt haben wird. Aber Cusanus stand als Bischof von Brixen ihm doch viel näher. Es kam dazu, daß in Südtirol die Geistlichkeit in den kleinen Städten seit alters mit dem Volk besonders eng verbunden ist. So war ein damaliger Propst des Augustinerklosters von Neustift, Leonhard Pacher, vermutlich ein Verwandter Michael Pachers. Dieser wird ein junger Maler gewesen sein, als Cusanus 1451 seine große Reformreise antrat, durch die er die Blicke ganz Deutschlands auf sich zog. Von Rom kommend, hat er damals einige Klöster Tirols als erste visitiert. Ein dauernder Kontakt konnte sich erst in den Jahren 1452 bis 1460 ergeben, als der Kardinal als Bischof im Brixner Bistum wirkte. Mit den Südtiroler Künstlern und Kunsthandwerkern führte ihn schon der von ihm sofort in Angriff genommene Bau des großen Hallenchores des Brixner Domes zusammen. In einem Brief vom 14. September 1453, an den Abt von Tegernsee nach seiner Hempel
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Rückkehr von der großen Reformreise in Brixen geschrieben, erwähnt er, daß er, wie schon angeführt, das Bild eines alles und zugleich jeden Einzelnen Anschauenden besitze, das uns in einer Art sinnlicher Erfahrung zu „mystischer Theologie", zu geheimer Gotteslehre führe. Der Kardinal war demnach beschäftigt, den Ausgangspunkt der schon am 8. November gleichen Jahres vollendeten Schrift „De visione Dei" *) in der Imago cuncta videntis zu finden, wo er auch jenes in der Burg zu Brixen befindliche Bild eines Engels, der das Wappen der Kirche hält, erwähnt. In dem Brief schreibt er weiter, daß er sich vorgenommen habe, diese Erfahrungsübung zu erweitern. „Ich habe einen Maler bei der Hand, welcher versuchen will, ein ähnliches Bild zu malen", das er dann zusammen mit einer diesbezüglichen Schrift nach Tegernsee senden werde. Damit ist der Kontakt mit den Brixner Künstlern bei der Formulierung seiner erhabensten Gedanken noch ausdrücklich bewiesen. Sicherlich hat eine solche Auftragserteilung auf die Brixner und Brunecker Maler, unter denen Michael Pacher als zirka Fünfundzwanzigjähriger die größte Aufnahmefähigkeit besessen haben wird, tiefen Eindruck gemacht. Dabei kann es sich nicht um den erwähnten Engel handeln, sondern um eine Fassung des Christuskopfes, die nach seinen Worten geeignet war, „diese Erfahrungsübung zu erweitern". Im allmählich ausbrechenden Streit zwischen Bischof und Herzog Sigmund von Tirol wird Pacher auf der Seite des Cusanus gestanden haben. Er war ja ein Bürger von Bruneck, wo man 1460, als Cusanus dort vom Herzog überfallen und gefangengesetzt wurde, zu den Waffen für den Bischof griff und sich nur der Übermacht ergab. Zehn Jahre nach diesen Kämpfen und dem Weggang des Bischofs ging Michael Pacher an sein Hauptwerk, den S t . W o l f g a n g e r A l t a r s c h r e i n . Ein unmittelbarer Einfluß oder gar eine Mitwirkung des großen Denkers auf die inhaltliche Gestaltung des im viel besuchten Wallfahrtsort stehenden Flügelaltars ist schon aus zeitlichen Gründen ausgeschlossen. Trotzdem spürt man vor 1
„Von Gottes Sehen", Übers. E. BOHNENSTÄDT, Einführung, S. 45.
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dem St. Wolfganger Altar, wie das im Volkstümlichen tief verwurzelte Werk doch von der Klarheit der cusanischen Gedankenwelt durchleuchtet wird. Hatte ja Cusanus in den bayrisch-österreichischen Benediktinerklöstern mit ihren geistigen Zentren in Tegernsee und Melk nicht nur die volle Unterstützung seiner Reformpläne gefunden, sondern auch unmittelbare Teilnahme und Mitarbeit bei der Entwicklung seiner philosophischen Ideen. Auch das Kloster Mondsee, dessen Abt Benedikt Eck den Flügelaltar für St. Wolfgang von Pacher ausführen ließ, gehörte zu diesem Kreis. Mondsee hatte als ein von Melk aus reformiertes Kloster bei der Visitation, die 1451 im Auftrag und im Sinn des Cusanus durchgeführt wurde, den strengsten Maßstäben entsprochen. Schon der von der Wirklichkeit her genommene Ausgangspunkt ist durchaus im Sinn der cusanischen Philosophie. Der geschlossene Schrein, wie er am Alltag sich den Blicken bot, zeigte in den vier Tafeln mit dem Wirken des Heiligen Wolfgang Bilder der alpenländischen Natur- und Kulturwelt 1). In ihnen werden die Taten des vertrauten Heiligen als die der heimischen Kirche gezeigt. Die unteren beiden Bilder beziehen sich auf Kirchenbau, die erste grundlegende Tätigkeit des Heiligen. Die kleine Kapelle, von St. Wolfgang eigenhändig aufgemauert, wächst im linken Bild angesichts der freien Natur, wie sie sich am St. Wolfgangsee im Berggipfel des Sparbers zeigt, als das künstlerisch-schöpferische Gegenbild empor. Schon während der weiteren Tätigkeit des Heiligen als Kirchenerbauer, die rechts dargestellt ist, wirkt sich der kirchliche Einfluß durch die Vertreibung der Dämonen und Heilung der Kranken aus. Oben links spendet der Heilige in der Predigt die geistliche Nahrung, dagegen rechts in der Lebensmittelverteilung das irdische Brot. Im wirklichkeitsnahen Charakter der beiden Ritterheiligen St. Georg und St. Florian, den geschnitzten Schreinwächtern, die bei geschlossenem Altar sichtbar werden, ist der Schutz der milites christiani durch Gestalten versinnbildlicht, die an die bewaffnete Macht des Landes erinnern. Der Bezug auf die umfassende katholische Kirche ergibt sich unten durch die Außen1
EBERHARD HEMPBL, Michael Pacher, Wien 1931 »nd Das Werk Michael Pachers, 6. Aufl., Wien 1952. 2*
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bilder der Predellaflügel mit den vier Kirchenvätern. Dagegen ist oben im Gespreng die Sphäre zu finden, wo das Göttliche mit dem Irdischen sich unmittelbar begegnet: So im Gekreuzigten des Aufsatzes mit Maria und Johannes dem Evangelisten, in Christi Vorläufer Johannes dem Täufer und in der Verkörperung des Jüngsten Gerichts, dem hl. Michael, darüber in der Verkündigung, bei der sich zuerst im Neuen Testament Himmlisches auf das Irdische niederließ, und schließlich in der obersten Spitze in Gottvater, der in der Linken die Weltkugel hält, mit der Rechten den Segen spendet. In dieser Weise sollte der Andächtige, vom Alltag emporsteigend, Stufe für Stufe das göttliche Geheimnis ahnend erleben, um sich schließlich zu überzeugen, daß das Geschehen den umgekehrten Weg ging, seinen Ausgang oben in Gottvater fand. Bei Öffnung der Außenflügel zeigt sich das Wirken Christi auf Erden vor seiner Passion. Jenes steht im Vordergrund der Betrachtung, nicht die Passion, wie es der Mystik entsprochen hätte, der die Benediktiner wie auch Cusanus nur im beschränkten Sinn anhingen. Wieder entwickelt sich die Reihe in Gegenbildern. Links oben zeigen Taufe und Versuchung das Verhältnis Christi zum Göttlichen und Teuflischen, anschließend die Hochzeit zu Kana und Speisung der 5000, Vorbilder der Wandlung von Brot und Wein im Sakrament, in der unteren Reihe erscheint links Christus aus dem Tempel vertrieben und daneben wie er nun seinerseits die nicht Hineingehörigen hinaustreibt und weiterhin Christus, die Ehebrecherin vom geistlichen Tod erlösend, und als Gegenstück, wie er Lazarus vom leiblichen Tod befreit. In beiden Darstellungen tritt als Triebfeder des göttlichen Handelns seine Liebe zu den Menschen hervor. Der ganz geöffnete Schrein verkündigt den Preis der Mutter Gottes als des erwählten Gefäßes, in das sich die Gottheit zu Beginn des Erlösungswerkes versenkte. Zugleich aber ist Maria auch als Verkörperung der christlichen Kirche auf Erden aufzufassen. Alle jetzt sichtbaren Szenen beziehen sich auf ihre Leiden und Freuden von der Geburt an bis hin zu ihrer Krönung im Mittelschrein. Hier enthüllt sich nun auch die eigentliche Mitte der Welt. Durch die Anbringung der Taube des heiligen Geistes über Christus und Maria,
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die soeben die Krone empfing, wird die mittlere, die Dreieinigkeit darstellende Achse vollständig den Blicken dargeboten. An der Spitze erscheint Gottvater, in der Mitte des Gesprenges der Gekreuzigte, im Schrein der heilige Geist. Zweifellos war diese Art der Darstellung im Sinn von Cusanus. "Wie im Schrein Christus, der heilige Geist und Maria unmittelbar miteinander verbunden sind als diejenigen, zu denen die Gläubigen wie zu Vater, Bruder und Mutter emporschauen und damit den Inbegriff dessen empfinden, was ihnen die Kirche in ihren Nöten bedeutet, so hat er es in der Predigt „Benedicta tua in mulieribus" ausgesprochen: „Wir alle werden geistig wiedergeboren durch den Geist und Maria, so daß wir Brüder und Miterben Jesu werden. Maria ist die Kirche, die Mutter aller aus dem Glauben Lebenden, deren Vater Christus ist." Die Empfängnis Mariens aus dem heiligen Geist wirkt sich weiter aus, sie ist nicht nur die Gottesmutter, sondern zugleich auch die Mutter aller „Erleuchteten und Wiedergeborenen" und steht als solche der Eva gegenüber, der Mutter der Lebenden, die uns als irdische Geschöpfe dieser Welt geboren hat. In seinen Predigten hat Cusanus mit Vorliebe die Worte der Bibel über Maria zum Ausgangspunkt seiner tiefsinnigen, aber durchaus volksnahen Betrachtungen genommen. Wenn er die Auswüchse des Wallfahrerwesens und Reliquienkultus bekämpfte, so nahm er doch sichtlich teil an der echten, tief mit der ganzen Geschichte der Kirche verwurzelten Volksfrömmigkeit. Mit der Form des Flügelaltarschreines war Cusanus von seiner Heimat her vertraut. In Südtirol wurde sie ihm durch die blühenden Schreinwerkstätten des Landes aufs neue nahegerückt. Man erkennt dies daran, daß er in der in Brixen entstandenen Schrift „De visione Dei" an verschiedenen Stellen vom Schrein (arca) anstatt vom Bild spricht 2 ). Wie sich seine ganze Weltauffassung in der Explicatio, in der Ausfaltung des Einen in der Vielheit vollzieht, so enthüllt sich beim Altarschrein durch Öffnen der Flügel und im Wandel vieler Bilder der eine Kern. Dafür ist das Meister1 2
Excitationum, fol. 78 v , Pariser Gesamtausgabe von 1514. Excitationum, fol. 109 v , 110r, Übers. BOHNENSTÄDT, S. 117, 121.
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werk von St. Wolfgang ein einzigartiges Beispiel, das alles früher in den Alpen Geleistete weit hinter sich zurückläßt. Einzigartig ist der gleichmäßige Einsatz der drei Künste: Plastik, Malerei und Architektur, die bei der größten Vielheit zur völligen Einheit zusammengehen: „linitas in pluralitate." Das von Cusanus geforderte Wesen des künstlerischen Werkes, bei dem in jedem der unendlichen Details die Gestalt des Ganzen erscheinen muß, offenbart sich am klarsten in der Raumbildung, der die Form des Tabernakels zugrunde liegt. Dies ist an sich ein für das ganze Mittelalter maßgebendes Gesetz. Einzigartig ist nur,: wie dieses Prinzip von Pacher gleichmäßig durchgeführt wurde, was in den gemalten Tafeln durch die Perspektive und die Beibehaltung plastischer Formen erreicht wird. Als ein Prinzip der Ordnung und zugleich als ein Mittel, zwischen Beschauer und Bildwelt zu vermitteln, die sich ja vom Blickpunkt ausgehend entfaltet, hatte sich diese Kunst der Perspektive gerade in den Gebieten und Perioden ausgebildet, durch die der Lebenslauf des Cusanus geführt hatte. In Padua ging man schon in seiner Studentenzeit in den Vorlesungen auf Perspektive ein. Mit seinem damaligen Mitstudenten Paolo Toscanelli, dem berühmten Astronomen, Arzt und Geographen, verband ihn zeitlebens Freundschaft; ihm widmete er seine erste mathematische Schrift. Durch Toscanelli war die Verbindung mit Brunelleschi gegeben, von dem die Erforschung der perspektivischen Gesetze ausging. Wenn in den Bildern Michael Pachers sowohl die Fluchtpunkte wie auch die Distanzpunkte sichtlich auf Grund von eingehenden perspektivischen Konstruktionen bis zu einem Grade richtig wiedergegeben sind, wie dies vor ihm nicht erreicht worden ist, so muß er in die Schule eines gründlich gebildeten Geistes gegangen sein. Cusanus selbst wird dazu kaum die Zeit gehabt haben, aber mit großer Wahrscheinlichkeit hat er ihm den Weg gewiesen, zumal da er in der Tiroler Zeit mit mathematischen Studien beschäftigt war. Sein bedeutendstes mathematisches Werk: „De perfectione mathematica" verfaßte er 1458 auf Schloß Andraz, das ihm vor dem Herzog Sicherheit bot. Der Autor der Docta ignorantia und des Idiota, abhold aller Schulweisheit, zum selbständigen Denken und Kommentieren wohl in der Schule , der
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Brüder vom gemeinsamen Leben erzogen, wird an sich schon einer genialen Begabung, die sich in einem schlichten, naturhaften Leben entfaltete, geneigt gewesen sein. Aber auch wenn kein unmittelbarer Kontakt zustande kam, wird auf alle Fälle die Persönlichkeit des großen Denkers, der auf der Höhe seiner Laufbahn angekommen war, Pachers künstlerischer Phantasie ganz neue Vorstellungen vermittelt haben, wie sie sich in seinem ganzen Werk bis hin zu den großartigen Gestalten des Neustifter Kirchenväter-Altars fortpflanzen konnten. In ihnen verkörpert sich nicht nur die geistige und geistliche Vollmacht großer Theologen, die Pacher in der Auswirkung von Cusanus, vor allem als Prediger, unmittelbar mjterlebt haben wird, sondern auch jener Zustand, der zugleich Ruhe und Bewegung ist und als solcher nach der Vorstellung von Cusanus das Göttliche widerspiegelt. Während die Kirchenväter die gelassene Ruhe zeigen, die Pacher vor allem auch in seinem Laurentius-Altar in den Gestalten der heiligen Märtyrer bringt, sind die Tauben, die pfeilschnell die Baldachine oberhalb der Kirchenväter durchschießen, Sinnbilder einer Bewegung, die im Geiste vor sich geht. „Der Geist ist gleichsam Bewegung, ausgehend vom Bewegenden und Bewegbaren", sagt Cusanus x). Diese Linie ist über Pacher hinaus zu verfolgen. Albrecht Dürer wird wahrscheinlich auf seiner ersten Reise nach Venedig Pachers Werk, vielleicht auch den Künstler selbst, der damals 1495 noch am Leben war, kennengelernt haben. Des Südtiroler Meisters besonderes Anliegen, das im Raum sich entfaltende geistige und religiöse Leben zu veranschaulichen, findet bei Dürer im Sinne der Renaissance eine höchste Lösung in seinem Stich von 1514, dem Hieronymus im Gehäus. Für Dürer mußte diese Tiroler Kunst auch insofern noch bedeutsam gewesen sein, als an ihr, bei einer grundsätzlich spirituellen Haltung, doch stets die Natur Anteil hatte. Nichts gibt es, um dies Wort des Cusanus nochmals zu wiederholen, was nur Natur oder nur Kunst ist. Alles partizipiert nach seiner Weise an beidem. 1
De visione Dei, fol. 109 v , Übers. BOHNENSTÄDT, S. 117.
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Die Gedankenwelt des Nikolaus von Cues hatte sich in der südtiroler Kunst nur auswirken können, weil sich in Michael Pacher eine geniale Persönlichkeit fand, die selbst nach Klarheit und Ordnung strebte. An sich lag ein stammesmäßig und geschichtlich begründeter Gegensatz vor, der dem Leben des großen Cusanus die tragische Wendung gab. Zwar begegnen sich Tirol und das Rheinland als Gebiete, in denen von jeher der Glaube Leben und Denken durchdrang. Doch lag in Tirol mit seiner naiven, kindlichen, selbstverständlichen Frömmigkeit, deren Wurzeln um so tiefer hinabreichen, nicht auf dem Yerstandesmäßigen der Nachdruck. Im Rheinland prägt sich das Stehen vor Gott in einem geistigeren, idealeren, der Natur weniger eng verbundenen Charakter aus. So kann ein in der Heimat des Cusanus entstandenes, mit ihm eng verbundenes Werk noch genauer von seinem Verhältnis zur bildenden Kunst zeugen. Es ist dies bei seiner Stiftung, dem H o s p i z v o n C u e s , der Fall, wenn wir auch nicht wissen, inwieweit er den Bau in den Einzelheiten selbst mitbestimmt h a t D a ihn der Gedanke daran von 1447 bis zu seinem Tode beschäftigte, wird die Anteilnahme sich nicht auf die Sätze der Stiftungsurkunde beschränkt haben, zumal der Kardinal durch seine ausgedehnten Yisitationsreisen über einen Schatz an Anschauungen und Erfahrungen wie wenige Bauherren seiner Zeit verfügte. Insbesondere spricht der Bau selbst in seiner Klarheit für die Einwirkung des Kardinals. Bei allem auf das Universale gerichteten Streben hat er das Einzigartige der Persönlichkeit entschieden betont. „Jedes erschaffene Sein ruht in der Vollkommenheit, die es erhalten hat, es hat eine Vorliebe zu dem Sein, das es von Gott hat als zu einem göttlichen Geschenk, das es unzerstörlich zu erhalten und zu vervollkqmmenen sucht." — Dieses Streben aber, mit dem sich jedes Wesen bemüht, sein Sein wie einen göttlichen Beruf zu erhalten, vollzieht sich — und dies ist für die soziale Einstellung von Cusanus charakteristisch — in Gemeinschaft mit den anderen. So zeigt sich in seiner Stiftung die unlösbare 1
Beschreibung von H. VOGTS in den „Kunstdenkmälern der Rheinprovinz", XV. Bd., I. Abt., 1935, S. 11 f., und im Dtsch. Kunstführer: „Hospital St. Nicolaus zu Cues." Augsburg 1926.
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Verbindung mit der Heimat und der Bevölkerung, der er entstammte. Sein Leib wurde in Rom in San Pietro in Vincoli, der Kirche seines Kardinalstitels, bestattet, sein Herz nach Cues gebracht, wo es vor dem Altar in der Hospizkapelle in den Boden versenkt wurde. Den gleichen Gedanken der Rückerinnerung und Verbundenheit verwirklicht er bei der weiteren Stiftung in Deventer, der Bursa Cusana, einem für zwanzig arme Schüler bestimmten Kolleg. Beide Stiftungen, die für Pfründner und die für Schüler, entsprachen mittelalterlicher Gepflogenheit. Cusanus ordnet sich wie stets in die kirchliche Tradition ein. Auch die Auffassung, im Hospizbau eine dem Kirchenbau verwandte Aufgabe hoher Kunst zu sehen, war allgemein verbreitet. Gemäß dieser Einstellung hat sich die Fürsorge, die Caritas, in Deutschland künstlerisch ausgewirkt bis hin zu Albrecht Dürers Landauer Altar im Zwölf-Männer-Hospiz in Nürnberg und dem Isenheimer Altar, den Grünewald für den Antoniter Spitalorden schuf. Auch die Anordnung, daß in Cues nach den vermuteten Jahren Christi dreiunddreißig Insassen, davon sechs aus der Geistlichkeit, sechs aus dem Adel, einundzwanzig aus dem übrigen Volk aufzunehmen seien, schließt sich an ähnliche Bestimmungen an. In den Klöstern wurde ebenfalls gerne die Zahl von zwölf oder dreizehn Insassen entsprechend mittelalterlicher Zahlensymbolik hervorgehoben. Auch die ständische Gliederung findet ihre Parallelen in anderen Spitälern. Man unterschied häufig zwischen reichen und armen Pfründnern. In Beaune gab es ein Haus für herabgekommene Adelige. Für Cusanus erscheint es nur charakteristisch, wie er diese Gedanken und Bräuche aufs neue durchdenkt, auf einer höheren Ebene weiterentwickelt und in ein klares System bringt. Die Insassen stellen rein menschlich einen einheitlichen Typus dar: arme, abgelebte, über fünfzig Jahre alte Männer aus dem Moselland. Die höhere Stufe wird durch die Gemeinschaft der Stände und die Durchdringung des Ganzen mit sozialen und religiösen Gedanken erreicht. Die mittelalterlichen Vertreter der Bildung in sechs Geistlichen, der politischen Macht in sechs Adligen und des Volkes in den übrigen einundzwanzig Insassen sollten hier in einem gemeinschaftlichen Leben, das von der "Wirklichkeit gerade damals so stark abwich,
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zusammengeschlossen sein. Auch hier, wie vielfach bei seiner Klosterreform, war die hohe Idee als solche nicht voll zu verwirklichen. P e r Adel schickte nur seine Dienerschaft. Doch wurden die Stellen der sechs Geistlichen bis ins 19. Jahrhundert hinein voll besetzt. Vor allem aber blüht in der Stiftung des Cusanus bis zum heutigen Tag die katholische Caritas. Charakteristisch ist ferner der Gedanke, durch die Stiftung der Bibliothek die Armenpflege »mit geistiger Bildung zu verbinden. Auch dies vollzog sich im Rahmen der mittelalterlichen Tradition, insofern als die Bibliothek nach dem Tode des Kardinals ihre Aufstellung in einem Raum über der Sakristei fand. Selbst sie hat sich, in der alten Anordnung treu behütet, bis zum heutigen Tage erhalten. Die kirchliche Tradition ist insofern auch für die Gesamtanlage maßgebend, als sie sich wie ein Kloster um einen Kreuzgang gruppiert (Abb.), während sonst mittelalterliche Hospize meist aus Hallenräumen mit einzelnen Zellen für die Insassen, wie im Lübecker Heiliggeistspital, bestehen. Die verschiedenen Raumformen des Hospizes in Cues zeichnen sich, soweit sie auf die erste Bauperiode zurückgehen, durch strenges Einhalten einer Maßeinheit aus. Die Spannweite eines Joches beherrscht, wie H.Vogts nachwies, Kapelle und Chor, ein anderes Maß in der Kreuzgangsbreite den übrigen Bau. In der Mitte des quadratischen Kapellenschiffes erhebt sich ein Pfeiler, von dem die Rippen des Gewölbes ausgehen, eine Form, die von der etwas später erbauten Bibliothek übernommen wurde. Nicht bestätigt hat sich die Vermutung, daß auch die daruntergelegene Sakristei die gleiche Form mit einer Mittelsäule ursprünglich aufgewiesen habe. Beim Umbau der Heizungsanlage 1950 wurde -festgestellt, daß sich in der trennenden Mauer, wo die Mittelsäule hätte stehen müssen, über der jetzigen Lavabonische ein gotisches Fenster befand x ). Demnach hatte die Sakristei von jeher diese Abschlußwand an der Nordseite. Sie begrenzt einen ehemaligen überwölbten Durchgang, der jetzt als Vorratsraum dient, in den 1
Freundliche Mitteilung des Herrn Rektors des St. Nicolaus-Hospitals Dr. Eismann, dem ich für Unterstützung meiner Studien auch sonst zum Dank verpflichtet bin.
Hospiz von Cues Erdgeschoß, die Nordwestecke im mutmaßlichen ursprünglichen Zustand
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von der anderen Seite ein Fenster mündete, dessen Laibung schon vor einigen Jahren bei einem Mauerdurchbruch gefunden wurde. So erklärt sich auch die Tatsache, daß oben in der erst nach dem Tod des Kardinals erbauten Bibliothek die Mittelsäule nicht in der Mitte des Raumes steht, da sie über der unteren Sakristeimauer errichtet werden mußte. Bei der Bedeutung, die sichtlich unter Einfluß von Cusanus auf maßstäbliches Bauen beim Spital gelegt wurde, wäre es auch unerklärlich gewesen, wenn man die Sakristei nicht regelmäßig wie das Schiff angelegt hätte. Ursprünglich sind die zweischiffige Gestalt der beiden Säle im Nordflügel und das Quadrat mit vier Säulen und neun Jochen, das bei dem ehemals freistehenden Saal der Ostseite, vielleicht dem einst vom Garten umgebenen Sommerrefektorium, und dem darunter befindlichen Keller vorkommt. F ü r das Quadrat mit mittlerem Pfeiler sei auf den Kapitelsaal von Zwettl als ein romanisches Beispiel hingewiesen. Sehr beliebt war diese Baumform wie auch die Zweischiffigkeit im Schloßbau. In zahlreichen Abwandlungen kommt er auf der Wartburg und Marienburg, dem westpreußischen Deutschordensschloß, vor. F ü r die Zweischiffigkeit von Kirchenbauten haben sich vielfach die Dominikaner und Franziskaner entschieden. Von besonderer Schönheit ist die erste Kirche, von der aus der hl. Dominikus nach der Bestätigung des Ordens im Jahre 1215 wirken konnte: St. Romanus in Toulouse. Die Gewölbe sind dort von sieben Pfeilern getragen, der siebente steht im Altarraum und bildet über sich in Verbindung mit dem 7/12. Schluß des Chores einen Rippenstern. In der Siebenzahl der Pfeiler, vor allem auch in der Hervorhebung des siebenten Pfeilers an heiliger Stelle, konnte die im Mittelalter so leidenschaftlich betriebene Zahlen Symbolik den Bezug auf die Schöpfungs- und Wochentage und auf weitere Auslegungen der Siebenzahl sehen. Im Bereich der Bausymbolik ist eine strikte Beweisführung nur in seltenen Fällen möglich, es genügt das Bewußtsein, daß das mittelalterliche Denken nach diesen Bezügen suchte und insbesondere vom Bauwerk den spirituellen Gehalt nach den Worten der Bibel verlangte, der sich in erster Linie dem Gefühl erschließen sollte. Diese Möglichkeit des Bezuges bietet nun die
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Stiftung des Cusanus in ungewöhnlich hohem und verfeinertem Maße. Die symbolische Gleichsetzung des mittleren Pfeilers in einem quadratischen Schiffsraum mit Christus als Mitte der Welt liegt insofern nahe, als im Mittelalter das Triumphkreuz mit Vorliebe in der Mitte der Kirche aufgestellt wird, was auch der bekannte Symboliker Durandus erwähnt. Bei Cusanus, dessen ganze Begriffsbildung sich der mathematischen Formen, wie Vieleck, Quadrat, Kreis, Mittelpunkt, bedient, liegen diese Bezüge besonders nahe. Er nennt Christus die echte „natura media", „unus ex omnibus", „der geistige Gehalt der Menschheit, das Höhere wie das Niedere in seiner Ganzheit in sich schließend", „die Klammer der Welt". In der Kapelle seines Hospizes kommt noch die Bildung des vom Mittelpfeiler getragenen Rippensterns dazu, der Chor und Schiff aufs schönste verbindet. Auf der Eingangsseite setzen sich in den Hauptstern zwei kleinere, die mittlere Rippenkreuze ergeben. Dagegen wird der Anschluß an den Triumphbogen des Chors durch dreiteilige Rippenfelder erreicht. Diese Entfaltung der Mitte, die nach der Seite der Welt, der Westseite, dort, wo auch die Auseinandersetzung mit der Welt, das Jüngste Gericht, als Fresko seinen Platz findet, zwei Rippenkreuze bringt, auf der Seite des Altarraumes, der von alters her das Abbild des Gottesreiches ist, die dreiseitigen Gewölbefelder, könnte ebenfalls der Meditation einen Ausgangspunkt geboten haben. Dagegen gehört die Bibliothek in ihrer kunstlosen, unproportionierten Form, wie nachgewiesen, nicht zum ursprünglichen Bau. Im übrigen kommt das quadratische Schiff mit mittlerem Pfeiler in der gleichen Gegend in sichtlicher Nachahmung der Hospitalkapelle mehrfach vor. Ein Beispiel im Osten, die Kreuzkirche in Krakau, gehörte ebenfalls zu einem Hospital, das von Hospitalitern aus Sachsen betreut wurde. Die Einwölbung der Kirche erfolgte 1533. Der Rippenstern ist hier mit acht Strahlen ganz gleichmäßig nach allen Seiten ausgebildet. Der Vergleich ergibt, wie viel feiner und durchdachter die Gestalt der Hospitalkapelle von Cues, insbesondere in der Verbindung von Schiffs- und Altarraum, ist. Die Betonung der Mitte als Achse ist im übrigen vom rein künstlerischen Standpunkt aus dem italienischen Formgefühl entgegen-
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gesetzt. Zweiscliiffige Räume sind nur in Frankreich, den Niederlanden, Deutschland, insbesondere auch Österreich, zu einer beliebten mittelalterlichen Raumform geworden. Für die Welt des Cusanus, der in seiner Bildung und in seinem Lebenslauf vor aliem durch viele Freundschaften an sich so eng mit der italienischen Frührenaissance verbunden war, ist es bezeichnend, daß er andererseits seinem inneren Fühlen nach durchaus innerhalb der nordischen Spätgotik verblieb. Er zählt in der Visio Dei nur Kunstwerke aus diesem Bereich auf und zieht bei seinen Vergleichen die nordische Kunstform des Schreines heran 1). Auch in seiner Stiftung ist die Verbindung mit südländischer Kultur in dem schönen Kreuzgang nur im Sinne der Gotik gesucht. In dieser innigen Verbundenheit mit seiner Heimat, seinen Landsleuten und ihren Schicksalen, die ihn in seiner Stiftung auf ihr Wesen eingehen und dabei zugleich helfend und erziehend einwirken läßt, bleibt Cusanus seiner Art treu, von dem Gegebenen, von der eigenen Welt aus zu der Höhe einer alles umfassenden Universalität emporzusteigen. Insofern mußte er auch für die eigentliche R e n a i s s a n c e Bedeutung gewinnen. Die vielfach übliche Bezeichnung der Renaissance als eines weltlich gesinnten Zeitalters, das den Standpunkt des Cusanus verlassen hätte, hebt den vorhandenen Gegensatz zum transzendental eingestellten Mittelalter allzu scharf und ausschließlich hervor 2 ). Gerade das künstlerische Schaffen bezeugt, daß auf diesem Gebiete die stärksten Kräfte von einem christlichen Geist ergriffen waren, der das mittelalterliche Erbe, wenn auch in einer Weiterbildung, bewahren wollte. Darin aber konnten sie sich mit den Gedanken des Cusanus berühren, die tatsächlich noch ein Stück von dem Fundament abgegeben haben, auf dem die Renaissance ruht. Bereits am Ende des 15. Jahrhunderts begann man seine Schriften zu drucken. 1514 lagen drei Gesamtausgaben vor. Die Notizen L e o n a r d o s d a V i n c i 3 ) lassen erkennen, daß er fast das 1
De visione Dei, fol.
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ERNST HOFFMAUN,
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PIERRE DUHEM, o p . c i t . , p . 9 9 — 2 7 9 .
1 1 0 R , Übers. BOHNENSTÄDT, S . 1 2 1 . Geleitwort zur deutschen Übersetzung des „Idiota de Sapientia" von E. BOHKENSTÄDT, S. 7. Leipzig 1944.
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ganze Werk des Cusanus gelesen hat. Schon in dem Prinzip eines auf mathematischer Grundlage sich aufbauenden logischen Denkens berührten sich beide. Duhem kommt am Ende seiner umfassenden Untersuchung zu dem Schluß, daß unter den zahlreichen Einflüssen, die Leonardo aufnahm, die von Albert dem Großen und Nikolaus von Cues vorgewogen haben. An sich stand Leonardo der scholastischen Spekulation skeptisch gegenüber. „Wenn schon die Sinne angezweifelt werden", sagt er im Malbuch x), „wieviel trügerischer müssen die Dinge sein, die gegen die Sinneserfahrung sind, wie die Existenz Gottes und der Seele, über die doch ohne Ende deklamiert wird und bei denen es wirklich zutrifft, daß jederzeit, wo Vernunftgründe und klares Recht fehlen, Geschrei an ihre Stelle tritt, was bei sicheren Dingen doch nicht vorkommen kann." In Cusanus aber erkannte er den Vorläufer einer modernen Weltbetrachtung, die von der Natur ausging. Duhem hat gezeigt, daß Leonardos Gedanken, als er das geozentrische System verwarf, sich zugleich von der Lektüre der „Subtilissimae quaestiones in libros de Coelo" und „De docta ignorantia libri tres" nährten. Seine Reflexionen über Gedanken des Cusanus beziehen sich nicht nur auf Mathematik, Dynamik, Natur der Gestirne, sondern auch auf Philosophie und Theologie, auf Schöpfung, Liebe des Schöpfers und Unsterblichkeit der Seele. Leonardo knüpft in einer Bemerkung an einen Unterschied, den Cusanus macht, mit den Worten an: „Die Sinne sind irdisch, die Vernunft erhebt sich in der Kontemplation über die Sinne hinaus 2 )." Für diese über das Irdische sich erhebende Kontemplation hat Leonardo in seinen Gemälden und Zeichnungen die größten Zeugnisse abgelegt. Dabei berührt er sich mit der Gedankenwelt eines Cusanus, wie wenig sie auch als unmittelbare geistige Grundlage in Frage kommt. Der Aufbau seines Abendmahles spiegelt eine christozentrische Weltauffassung wider, die sich das göttliche Geheimnis, vor allem mit den Mitteln der Mathematik, veranschaulicht. 1 2
Fase. 1, I, 5. Codice Trivulzio, fol. 33r.
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Alle Linien des perspektivischen Raumbildes strahlen von Christus aus und gehen zu ihm zurück. Sein Abendmahl gelangt, wie Goethe sagt, zur lebendigen Einheit, ist als erstes Werk vollkommen ausgedacht, völlig zusammengedacht. Das von Cusanus immer wieder in den verschiedensten Formen entdeckte Grundprinzip der Dreieinigkeit taucht in den drei Fenstern, dem Dreieck der Halbfigur Christi und den vier Dreiergruppen der Apostel auf. Nach der Anschauung, daß in der Gottheit die größte Bewegung zum Zustand vollkommener Ruhe wird, wofür Cusanus das Beispiel des Kreisels wählte, scheint die Gestalt Christi geschaffen zu sein, bei der der Ausdruck des ungeheuren Schmerzes zum Bild absoluter Ruhe führt, die im Gegensatz zur irdischen Unruhe in den Dreiergruppen der Apostel um so stärker wirkt. Sie sind mit dem Göttlichen verbunden, nähern sich ihm an, aber erreichen es nicht. In dieser Bewegung, die Leonardo als erster der Darstellung des hl. Abendmahles gab, trat das dynamische Prinzip hervor, das mit dem Anbruch der Hochrenaissance die Kunst zu beherrschen beginnt. In der entsprechenden Weltauffassung war ein halbes Jahrhundert vorher Cusanus, die antiken Gedanken aufnehmend und weiterführend, vorangegangen. Von der Bewegung innerhalb eines Kunstwerkes hatte er beim vollkommenen gefunden, daß diese Bewegung bei jedem Teil mit dem Ganzen verbunden sei, also gerade das, was Leonardo in bisher unerreichtem Maße bei seinem Abendmahl verwirklicht hatte. Für jedes Sein verlangte Cusanus Begründung. Diese Forderung: Es muß möglich sein, faßt er im Sinne des Werdens und Seinkönnens und prägt dafür in seiner berühmt gewordenen, danach genannten Abhandlung den Ausdruck Possest, Können-Sein „Cusanus faßt" — sagt Elisabeth Bohnenstädt — „die Mächtigkeit des Sein-Könnens als solche ins Auge." Weiterhin hebt sie in einer Anmerkung2) hervor: „Ist für das aristotelische dynamische Verstehen das Streben von unten aus grundlegend, so wird des Cusanus possest — das als posse selber die Seinsform ist — dem 1
So von E . BOHNENSTÄDT in den Heidelberger Akademieschriften übersetzt, S. X f . a Ebenda, S. 120.
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wirkenden Prinzip von oben, und zwar als geistigem Schöpferbegriff, gerecht." — Es zeige sich aber darin der Unterschied zu manchen Piatonikern, daß er den Formbegriff durch das „posse" dynamisiert habe. Dieses Gesetz der tiefen Begründung jedes Seins im dynamischen Sinn kennzeichnet insbesondere auch die Kunst der Renaissance auf ihren Höhepunkten. Nicht nur die einzelnen Gestalten des Abendmahles, sondern auch ihre Haltung, ihr Ausdruck erfährt im Zusammenhang des Ganzen, von Christus ausgehend, ihre dynamische Begründung. Mit Leonardo verbindet ihn weiterhin der Grundsatz, daß der Weg der Kontemplation durch die Natur hindurch, nicht über sie hinweg wie im Mittelalter führen soll. So vereinigt er das abstrakte System einer mathematischen Ordnung, dem überall das Maß zugrunde liegt, mit der Fülle und dem lebendigen Reichtum, wie ihn die psychologische Beobachtung in den Köpfen und der Haltung der Jünger ergab. Schließlich trifft sich Leonardo mit Cusanus noch in der universalen Einstellung. Bei diesem finden sich vielfach Hinweise, wie er sie beim künstlerischen Schaffen schon im Sinn der Renaissance auffaßt. In seiner Abhandlung: „De filiatione Dei" 1 ) t u t er dies am Beispiel des Malerlehrlings: „Ein Maler lehrt den Schüler, mit dem Griffel vielerlei Einzelformen zu entwerfen, und erst, wenn der Schüler die Gesamtheit der Formen (universas formas) beherrscht, wird er aus der Schule in den Meisterstand hineingenommen. Das Wissen um Einzelheiten wird in der Meisterschaft zur universalen Kunst hinübergeführt. Jenes steht zu diesem in keinem Verhältnis." Auch das damit zusammenhängende, für die Renaissance wichtige Prinzip der Konzentration auf wenige Formen wird von Cusanus in der Predigt „Tota pulchra es amica", wie erwähnt, erörtert 2 ). „Die Schönheit, die nur von einer Form abhängt, ist von vollkommenerer Schönheit als diejenige, die von mehreren Formen bedingt wird, denn von je wenigeren Formen etwas seine Vollendung 1
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F o l . 6 5 T , Ü b e r s . BOHNENSTADT, S. 81.
Excitationum lib. VIII, 592. Hempel
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empfängt, desto edler ist es (nam quanto aliquid a paucioribus receperit perfectionem suam, tanto nobilius est)." Gegenüber Leonardo ist allerdings ein tiefgreifender Gegensatz nicht zu übersehen. Leonardo ist seinen eigenen Erkenntnissen nicht in dauernder Verbindung mit denen der Antike nachgegangen. Bei Cusanus haben beide Weltauffassungen, die voluntaristisch'e des Christentums, die die Welt durch Gottes Willen erschaffen läßt, und die phänomenalistische der antiken Philosophie, die in der Welt die Erscheinung des Absoluten sieht, gleiche Gültigkeit und bestimmen, zu einer Einheit verschmolzen, sein Weltbild, das als christlicher Humanismus bezeichnet werden könnte. Denn das Universum ist Inbegriff der konkreten Vielheit. Das Maximum an Konkretion aber stellt der Mensch dar als Vernunftwesen. Die humanitas bedarf aber darüber hinaus einer Person, um sich individuell darzustellen. Dies ist in der Persönlichkeit Jesu Christi Wirklichkeit geworden. Damit ist dieser das Endziel der Menschheit, in ihm sind ihre verschiedensten Ziele in ihren ganz verschiedenen Individualitäten zusammengefaßt zur Konkordanz gebracht Dieses Ideal der Concordantia, dem Cusanus seine Lebensarbeit gewidmet hat, prägt sich in einem höheren Grade als bei Leonardo im Werk von R a f f a e l aus. Zwar ist eine unmittelbare Berührung mit der Gedankenwelt des Cusanus wie bei Leonardo nicht nachweisbar. Cusanus und Raffael waren jedoch schon durch ihre Stellungnahme für das römische Papsttum und die mittelalterliche Form der christlichen Glaubenseinheit des Westens miteinander verbunden. Des weiteren eint sie der gleiche christliche Optimismus, der seinen Grund in der göttlichen Liebe findet. Bei beiden erscheint diese Haltung in Gegenwehr gegenüber den im Spätmittelalter auftretenden Tendenzen der Auflösung als großartiger, innerlich durchaus berechtigter Versuch, die Werte der mittelalterlichen Kultur, insbesondere die Einheit der Kirche, zu erhalten. Als drittes verbindendes Glied kommt eine durchaus verwandte Einstellung gegen1
Die hier gegebene Darstellung nach E. HOFFMANN, Das Universum des Nikolaus von Cues. Heidelberg 1930.
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über der Antike dazu. Bohnenstädt hat dafür die "Worte geprägt: „Der Piatonismus als Grundausrichtung des Gottesbewußtseins und Urbildwissens und die aristotelische Wachheit für die Weltwirklichkeit und ihre Entfaltungsgesetze in Natur und Menschenleben werden in Cusanus gleichsam christlich wiedergeboren" Raffael fand für eine Renaissance, die das antike Rom angesichts von St. Peter und dem Vatikan wiederaufbauen wollte, den künstlerischen Ausdruck in dem gleichberechtigten und sich zur vollkommenen Einheit zusammenschließenden Gegenüber von Disputa und Schule von Athen der Stanza della Segnatura des Vatikans. Durch die Darstellung von Musik und Dichtkunst auf dem Olymp wird die Hinwendung zur Antike noch weiter verstärkt. Überall tritt der symbolische Charakter im Wirken und Handeln hervor, wobei in der Disputa wie im Parnaß nach Raffaels Art der Ausdruck der durch die Liebe erweckten und in ihr sich äußernden Inspiration vorherrscht, während die Schule von Athen der schöpferischen Macht des Denkens geweiht ist. Gleicherweise hatte Cusanus die Kunst einen Besitz der Seele genannt und bezeichnete den Geist, der von Christus ausgeht, in den Menschen sich ergießt und ihn christusförmig macht, als Geist der Caritas 2). Dafür zeugen bei der Disputa Ausdruck und Haltung Christi, der die durchbohrten Hände hebt als Zeichen der erbarmenden Liebe, die er für die Menschen hat. Durchaus im Sinn von Cusanus ist ferner auf der Disputa die Art der Gegenüberstellung der irdischen und göttlichen Sphäre. Nach ihm ist das Geheimnis des göttlichen Seins vom Menschen aus nicht zu erfassen, es kann nur in mystischer Schau geahnt werden. So erheben, mit Ausnahme des hl. Ambrosius, die um den Altar des Sakraments gescharten Männer der Kirche ihre Augen nicht empor zu den göttlichen und heiligen Gestalten der himmlischen Sphäre, sie erreichen auch nicht den Zustand der gelassenen Ruhe, aber sie gleichen sich in einem nie ruhenden Bestreben schon dadurch an, daß sie den gleichen Kreis um Christus in seinem Sakrament bilden, wie dies oben in unmittelbarer Schau geschieht. 1 2
Vom Können-Sein, Übers. BOHNENSTÄDT, Einf., S. X I I I . De possest, fol. 178r, Übers. BOHNENSTÄDT, S. 23. • 3*
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Schließlich tritt in dem weiteren Kreis der Stanzen-Bilder ein ähnlicher Zug zum Universalismus hervor, wie er in hohem Maß für Cusanus charakteristisch war. Ein Universalismus, der zwar in einem System sein geordnetes, einheitliches Weltbild aufbaut, aber doch die Verbindung mit dem Individuellen sucht, so wie es sich in den einzelnen charaktervollen Gestalten und in den ewig wechselnden Erscheinungen der Natur ausprägt. Bei dem Nachtbild der Befreiung Petri und bei der Messe von Bolsena mit dem Blick nach dem bewölkten Himmel war die Begegnung mit der Wirklichkeit im steigenden Maße zum Ausgangspunkt geworden, vor allem auch darin, wie das Höchste in der Darstellung des Lichtes erreicht wird. Raffael folgte darin der niederländischen Kunst, die unter Führung von Hubert van Eyck schon in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts begann, das natürliche Licht darzustellen. Zu gleicher Zeit hatte Cusanus gesagt: „Und je strahlender ein Sichtbares das Licht darstellt, desto edler und schöner ist es. Das Licht selbst aber faßt den Glanz und die Schönheit alles Sichtbaren in sich zusammen und übertrifft sie" 1 ). In diesen Worten lebt aber auch, was nicht übersehen werden darf, die Lichtmystik des Mittelalters weiter, wie sie sich sowohl im theologischen Schrifttum wie in der bildenden Kunst entfaltete. Man braucht nur an die Lichterkronen und im Golde schimmernden Antependien und Schreine der romanischen Kirchen, wie an den Glanz gotischer Kirchenfenster zu denken. Dagegen wollte die Renaissance das Licht unmittelbar in der Naturerscheinung erfassen und wiedergeben. Cusanus wird an beides gedacht haben. Die sich ergebende eigentümliche Zwischenstellung zwischen Mittelalter und Neuzeit ist auch für Raffael charakteristisch, was in einer Besprechung seiner Transfiguration richtig hervorgehoben wurde 2). „In Raffael leben oft kaum sichtbar auch gotische Elemente fort. Der hohe Wille seiner Kunst aber ist es, die Idee mit dem Realen unlöslich zu verbinden. — Der spannungsreiche Grund, auf dem 1
De apice theoriae, S. 219 f., Übers. BOHNENSTÄDT, S. 23. Durch ORDENBERG BOCK VON W Ü L F I N G E N in seiner Schrift: „Die Verklärung Christi von Raffael." Kunstbrief, S. 14 f. Berlin 1946. 2
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das Dasein ruht, wird nicht geleugnet, sondern einbezogen in die höhere Harmonie einer Ordnung, die Diesseits und Jenseits umfaßt, und so erst das ganze Leben bedeutet." Das Gegenüber beider Welten ist bei der Transfiguration, im Vergleich zur Disputa, außerordentlich gesteigert, vor allem in seinen Gegensätzen, wodurch es überzeugender, naturlicher, weniger konstruiert wirkt. Mit Recht wurde dem Einfluß Dantes auf die Fresken der Stanza della Segnatura nachgegangen 1 ), wie neuerdings neuplatonischen Gedanken bei der Sixtinischen Decke 2). Bei solchen Untersuchungen besteht aber die Gefahr, daß geistige und künstlerische Systeme in einen unmittelbaren Kontakt gebracht werden, der künstlich wirkt. Dergleichen bildkünstlerische Gestaltungen werden vielfach im Bereich des Unbewußten vorbereitet. Dort berühren und nähren sich gegenseitig die Überzeugungen und Vorstellungen verwandter Geister. So möchte auch das hier Gesagte nicht etwa als dem Kunstwerk zugrunde liegendes Programm aufgefaßt werden, sondern nur als Berührung, wobei sich Philosophie und Kunst im Sinn eines christlichen Humanismus gegenüber einer vielfach gegensätzlich eingestellten Zeit zusammenfinden. Nikolaus von Cues hat gerade als ein Mann von umfassender Bildung vielleicht den tiefsten Eindruck auf seine Zeit durch die Aufstellung der Idealgestalt des Idiota gemacht, des Mannes, der angesichts der großen Geheimnisse der Natur und Gottheit erkennt, daß er nichts weiß. In der Schule der Brüder des gemeinsamen Lebens war Cusanus zur Skepsis gegen menschliches Schrifttum erzogen worden. Diese Skepsis, die sich gegen die Scholastik wandte, hat Geister wie Leonardo und Cusanus zusammengeführt und eine neue Art der Weltbetrachtung geschaffen, die allerdings bald den Weg ihres Vorläufers verließ. Auf Raffaels Disputa erscheint der Jüngling, der lächelnd den eifernden Schriftgelehrten links auf das Geheimnis des Sakraments hinweist, als das Urbild des Idiota, der nichtwissend wissend wird, der reinen Seele, 1
H. GRIMME, Raphaels Schule von Athen in Dantiseher Beleuchtung. Rep. f. Kunstwiss., 47, S. 94 ff. (1926). OSKAR FISCHEL, Raphael und Dante. Jahrb. d. preuß. Kunstsammlungen 34, I, S. 83 ff. 2 CH. DE TOLNAY, The Sixtine Ceiling. Princeton 1 9 4 5 .
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die, angezogen von der ewigen, göttlichen Weisheit, sich ihr zuwendet und den Sophisten den Weg von der Bücherweisheit hinweg zur Wahrheit zeigt In seinem Werk findet schließlich auch die Yisio Dei im Christusknaben der Sixtinischen Madonna ihre höchste künstlerische Ausprägung. Am Imago cuncta videntis hatte Cusanus alle seine Vorstellungen über das Gottessehen zusammengefaßt. Aber erst die Renaissance war in der L a g e , das zu verwirklichen, was Cusanus aus der bildlichen Darstellung herauszulesen verstand. „ J e länger ich Herr, mein Gott, beim Betrachten deines Antlitzes verweile, desto mehr deucht mir, daß du immer schärfer den durchdringenden Blick deiner Augen auf mich richtest" 2 ). E r s t R a f f a e l ist diesen Vorstellungen von der Macht des Blickes J e s u , der in die Seele dringt, wie sie sich in der frühchristlichen und byzantinischen K u n s t ausgeprägt haben, wieder nahe gekommen, um so mehr, als er das Blicken des Christusknaben, wie auch das der Madonna mit der Bewegung, mit dem Herabschweben verband. Cusanus hatte d a f ü r die Worte gefunden: „ U n d dein Sehen ist dein Bewegen." Auch bei A l b r e c h t D ü r e r finden wir sowohl im Münchner Selbstbildnis wie im Stich des Veronikatuches, dessen Christusgesicht ebenfalls die Züge Dürers trägt, das Blicken in Anlehnung an den Typus der Vera Icon gesteigert. Zweifellos hat die Übert r a g u n g der sakralen Bildform auf das eigene G e s i c h t 3 ) tieferen Sinn. Dürer wird ihn vermutlich aus Schriften der Mystik gewonnen haben. Aber auch bei Cusanus finden sich zahlreiche Betrachtungen, die das Gottförmige, das den Menschen erreichen kann, berühren. „ I c h weiß aber, daß die Empfänglichkeit, die eine Vereinigung gewährleistet, nicht anders ist als Ähnlichkeit. Wenn ich mich also auf jede mögliche Weise deiner Güte ähnlich gestaltet haben werde, Idiota de sapientia. De visione Dei, fol. 101r, Übers. BOHNENSTÄDT, S. 66. 3 Auch bei einem kürzlich bebandelten Bild des Schmerzensmannes von 1511 der Fall. Vgl. K U R T STEINBACH, Albrecht Dürers Schmerzensmann von 1511 als christomorphes Selbstbildnis. Ztschr. f. Kunstgeschichte 14, S. 32 ff. (1951). 1 2
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werde ich entsprechend dem Grade der Ähnlichkeit für die Wahrheit empfänglich sein. Steigern kann ich die Empfänglichkeit für deine Gnade durch Angleichung, wenn ich nur zu dir aufs aufmerksamste hinblicke und niemals die Augen meines Geistes wegwende, da du mich in ständiger Schau umfängst" 1 ). Alle diese Vorstellungen sind letzten Endes durch das biblische Wort ausgelöst, daß Gott den Menschen nach seinem Ebenbild schuf. In der Visio Dei findet Cusanus, davon ausgehend, die Worte: „Und wie ich im Schweigen der Betrachtung ruhe, antwortest du mir, Herr, in der Tiefe meines Herzens: Sei du dein, so werde ich dein sein" 2 ). Zweifellos verbinden sich bei Dürer mit der Darstellung des Gottförmigen sein Bemühen um Erfassen des Schönen. Daß er beides in der Selbstbetrachtung, in dem eigenen Gesicht finden konnte, entspricht an sich dem schon hervorgehobenen, von Cusanus übernommenen Grundsatz der mystischen Nominalisten, daß der Geist nur sich erkennt und alles andere erst durch sich. Trotzdem ist nicht zu verkennen, daß Dürer weiter gegangen ist, als es den Überzeugungen von Cusanus entspricht. Der Maler versuchte, das individuelle Abbild dem Urbild völlig gleichförmig zu gestalten. Nach Cusanus kann aber die menschliche Natur nicht eine wesenhafte Einung mit der göttlichen eingehen, wie das Endliche nicht in unendlicher Weise mit dem Unendlichen geeint werden kann 3). Albrecht Dürer wird schon durch Wilibald Pirckheimer von Cusanus gehört haben. Dessen Großvater Hans Pirckheimer und sein Bruder Thomas standen dem Kreis des Äneas Silvius Piccolomini und Nikolaus von Cues nahe 4). Vieles wird Dürer in der Gedankenwelt des Cusanus angezogen haben 8), vor allem seine Frömmigkeit, 1
De visione Dei, fol. 100r, Übers. BOHNENSTÄDT, S. 62. Ebenda, fol. 102r: „Sic tu tuus et ego ero tuus." 3 De visione Dei, fol. 110r. 4 H A N S RUPPRICHT, Wilibald Pirckheimer und die erste Reise Dürers nach Italien, S. 3. Wien 1930. 6 Nicht geglückt ist der Versuch von J. A. E N D R E S in seinem Aufsatz: „Albrecht Dürer und Nicolaus von Cusa, Deutung der Dürerschen Melancholie" [Die christliche Kunst, S. 33 ff. München 9 (1912/13)], die Gedankenwelt des 4
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die doch die neue Einstellung gegenüber der Natur und der Einzelpersönlichkeit umschloß. Der Gedanke, daß die „wirkliche Individualität auf Erden nur im Ich selber gegeben ist und daß nur einem Ich die Aufgabe gestellt sein kann, durch Entäußerung aller belastenden Habe zur reinen Idee seines Seins sich zurückzufinden" 1 ), war sowohl der deutschen Mystik wie einem Cusanus geläufig und wird Dürer sicherlich in irgendeiner Form erreicht haben. Durch die Herausgabe der „Theologia deutsch" durch Martin Luther 1518 zeigt sich, wie sehr diese Gedanken auch in protestantischen Kreisen nachwirkten. Ein Ausgangspunkt war in der Stelle 2. Kor. 3, 18 gegeben: „Nos vero omnes, revelata facie gloriam Domini speculantes in eamdem imaginem transformamur (jueia/LioQcpovju,e&a) a claritate in claritatem, tamquam a Domini Spiritu" 2). Die Theologia deutsch hält sich insofern in der Formulierung der Identität des Menschen mit Gott zurück, als sie sagt, daß, je vollkommener der Mensch dem Willen Gottes gehorsam sei, in gleicher Weise wie Christus, desto mehr sei er eins mit ihm, „und dasselbe von Gnaden, das Christus was von N a t u r " 3). Eckehart sieht nach Augustin im sechsten Grad, den der neue Mensch erreichen kann, daß er entbildet und übergebildet in Gottes Ewigkeit ist: wenn er auf den Gipfel der Vollkommenheit gelangt ist und alle Vergänglichkeit des zeitlichen Lebens vergessen hat, und erhoben und übergefahren ist in Gottes Ebenbildlichkeit: wenn er ein Kind Gottes geworden ist4). Dabei hebt er hervor, daß es Unterschiede weder in der göttlichen Natur noch in den Personen gebe, wiefern sie einig seien in der Cusanus der Melancholie zugrunde zu legen. Die dort zutage tretenden astrologischen Vorstellungen lassen sich in das Weltbild von Cusanus nicht eingliedern. Auch erscheint ein Hauptargument von E N D R E S , daß das zwischen Hund und Kegel sichtbare Tintenfaß einen Kreisel darstelle und mit der Cusanischen Symbolsprache in Beziehung stünde, nicht überzeugend. 1
Der Laie über die Weisheit, Vorwort von E. HOFFMANN, S. 13. übersetzt ,,/j.exafioQ(povfi^&ai nicht mit „verwandelt", sondern wenig sinngemäß mit „verklärt". 3 Theologia deutsch, Kap. 14. 4 PHILIPP STRAUCH, Meister Eckharts Buch der göttlichen Tröstung und von dem edlen Menschen, 2. Auflage, 1922. 2
LUTHER
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Natur. Es geht demnach Eckehart weiter, als es Cusanus möglich ist. An Dürer werden sicher auch die noch viel extremeren Formulierungen mittelalterlicher Sekten herangetragen worden sein, gegen die sich die Theologia deutsch in ihrem zweiten Teil wendet. Die „Brüder vom freien Geist" hatten behauptet, daß jeder Fromme sich für ein Glied am Leibe Christi halten müsse: sie seien realiter ¡und naturaliter Christus selbst*). Der Mensch könne so eins werden mit Gott, daß er ununterscheidbar sei von Gott: daß er real und wahrhaft Gott sei. Wie schon bei Alb recht'Dürer sich die Wege scheiden, so ist dies auch vielfach gegenüber M i c h e l a n g e l o s Anschauungen der Fall gewesen. Der tragische, zum Teil düstere Gehalt seiner Kunst, der häufig einen pessimistischen Charakter annahm, war dem Verfasser der Concordantia nicht gemäß. An sich war auch das Leben des Cusanus tragisch genug verlaufen. Die Ziele, die er mit dem ganzen Einsatz seiner willensstarken Persönlichkeit verfolgte, hat er sämtlich nicht erreicht: Die Reform von Kirche und Reich, die er auf dem Basler Konzil anstrebte, die Beseitigung der Spaltung der lateinischen und griechischen Kirche und die Reform der Klöster, die ihn in seinem eigenen Bistum in einen fruchtlosen Streit verwickelte, der seine Lebenskraft aufzehrte. Ein Erfolg hätte Europa unabsehbaren Segen gebracht. Er scheiterte überall an kleinen Interessen. Was er aber von seinen Zeitgenossen verlangte: das Einstellen auf das Wesentliche und eigentlich Wertvolle durch Selbstzucht und Konzentration, hat er selbst in hohem Maß geübt. Seine Fähigkeit, über alle Widerwärtigkeiten hinwegzugelangen und den Geist zur ruhigen Betrachtung höchster und schwierigster Dinge zu erheben, hing mit der Bedeutung zusammen, die er dem freien Willen zumaß. Im Gegensatz zu Aristoteles sieht er die ganze Schöpfung an als Intentio, als das Gewollte des allmächtigen Willens 2 ), nicht als Naturnotwendigkeit. Der freie Wille aber ist auch die 1
J. VON DOLLINGEE, Beiträge zur Sektengeschichte des Mittelalters, U , S. 378, 1890. 2 De posseet, Übers. BOHNENSTÄDT, Einf., S. IX II und IX IX.
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Voraussetzung des menschlichen Könnens. Zweifellos steht ihm nach dieser Richtung die Kunst Michelangelos nahe, der in seinen Propheten der sixtinischen Kapelle Urbilder geistiger Konzentration geschaffen hat. Auch die Darstellung der Schöpfungsgeschichte berührt sich mit diesem Leitsatz. Es kommt dazu, daß hier die Dynamik aufs höchste gesteigert wird durch Einbeziehen der Bewegung der Gestirne, von denen ja auch Cusanus seine Vorstellungen von der alles beherrschenden Macht der Bewegung gewann, die nach ihm von dem Geist der Geister ausgeht, von der Bewegung aller Bewegungen, die den ganzen Weltenraum e r f ü l l t D o c h ist in den übrigen gewaltigen Äußerungen von Michelangelos Genius das Gegensätzliche nicht zu übersehen. Im Letzten Gericht der Sixtinischen Kapelle wirkt sich nur der Zorn Gottes, nicht die Macht der alles überwindenden göttlichen Liebe aus, was nie die Zustimmung des Cusanus gefunden h ä t t e . Auf allen Gebieten drang ein ihm gegensätzlicher Geist durch: In der Theologie durch die Reformation Martin Luthers, der den Grundsatz des freien Willens und des monastischen Ideals der Askese verwarf, wie auch in der Gegenreformation durch Glaubenszwang, Inquisition und Trennung von Theologie und Naturwissenschaft, von Glauben und Wissen, auf politischem Gebiet durch Ausbildung des Landesfürstentums, auf philosophischem und naturwissenschaftlichem durch die allmähliche Aufgabe des transzendentalen Bezuges, der Nachfolge von Antike und Mittelalter. Einzelne Ideen des scharfsinnigen Denkers wurden von Giordano Bruno, Kopernikus, Kepler, Descartes, Leibnitz übernommen, aber in Zusammenhang mit Anschauungen, die sich mit dem Cusanischen System nicht mehr berührten, weiter entwickelt. Demnach konnte sich seine Weltanschauung auch nicht in der bildenden Kunst wie einst im Raum des christlichen Humanismus widerspiegeln. Erst nach drei Jahrhunderten, als sich eine universale, religiöse Weltauffassung zeitweilig wieder anbahnte, nahm auch die Kunst, so in der Malerei eines Runge, Züge an, die an die Gottesschau eines Nikolaus von Cues erinnern. 1
De visione Dei, fol. 113 v , Übers.
BOHNENSTXDT,
S. 141 f.
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