Neues Deutsches Museum: Band 4 Januar bis Junius 1791 [Reprint 2020 ed.]
 9783111468587, 9783111101637

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Neues Deutsches Museum. Vierter Band. Januar bis Junius 1791.

Herausgegeben von

Heinrich Christian Boie. Leipzig, bei Georg Joachim Göschen. 1791

Inhalt

«Mr sechs Stücke dieses Bandes.-

Januar-, 1. Noch etwas über die mohammedanischen Freistaaten in 'der Barbarei S. i—27 2. Von dem Adel. Zweites Stück. Vom Hrn. Geh. Hofrath Schlosser 27—70 3. Brutus. Schreiben an den Herausgeber des 91,2). Mus. Vom Herrn Doktor und Domherrn Meyer in Hamburg 70-—8a 4. Diogenes und der Zünglkng. Eine Un­ terredung. Von Martin Engunq 82—9; $. Schreiben an den Herausgeber 93—96

Februar. 1. Von dem Adel. Zweites Stück. Fortsetzung. Vom HcrrnGeh. Hofrarh Schlosser 97—11$ 2. Nock etwas über die mvhammedaniscken Freistaaten in der Barbarei. Von Herrn Iustizralh Niebuhr. Fortsetzung 115—155 3. Betrachtungen über das-Dekret der franz, Nazivnalversamlung, durch welches Hie Güter

Hauptinhalt. Guterder Geistlichkeit eingezogen worden.

S. 134—178

Vom Herrn Rehberg

4. Josephs Tod. Vom Hrn. v. Schoaberg 179 - 182 5. Ueber ein atheniensisches Psephisma, oder

Volksdekret,

gewisse Verbindungen mit

den Sidomeür betreffend.

Von H.rrn

Hegewisch

>8q —rs6

Marz. 1, Noch etwas über die Predigt der Deisten. Vom Hrn.

Geheimenrath Schlosser in

207—228

Carlsruhe 2. Freihcirsgeschichte DannemarkS

z. Geistesgegenwart. Anekdote. Professor Meißner tu Prag

229—2^0

Von Hrn.

270 —28^

4. Noch ein Wort über Urbanität 5. Beantwortung von

28d—298 Eberhards Duvlrk.

Von Herrn Kanzelessekretar Rehberg in 299 — 305

Hannover

6. Handelsweishert, Freiheit

305—

April. t. Ueber die Unannehmlichkeiten der Reisen in Niederdeutschland. Vom Herrn Prof. I. G. Büsch 309 — r. Beiträge zu wahrer Kirchenmusik. Vom

Herrn I. A. Hasse und Herrn I. A.

Hiller

362 — 3^7 3. Ge-

Laupeinhalt. III, an

3. Gegenrede Gustavs

den Geist

Gustavs Adolfs

S. ;88—390

591—594

4. Vailiant an Narina

5. Blumcnlefeaus dem vorigen Iahrhunder«

z.95—40$

te. Erster Bries

M a y. 1. Gedanken eines ncrdamerikanischen Päch­

405—41t

ters

2. Noch etwas über das Innere von Afri­ ka.

Dom Herrn Zustizrath Niebuhr in

419—4’o

Meldorf

3. Ueber einige Gegenden um Rom. Erster

Brief.

Vom Herrn Dr. und Domherrn

Meyer in Hamburg

431—448

Vom Herrn Negierungs­

4. De Silles.

rath von Halem 5. Der Hundssattler

in Oldenburg und

der

457 —4g2

Kriminalanekdote 6. Dlumenlefe aus dem

17. Jahrhundert.

Zweier Brief

482—490

7. Ueber die neuesten französischen operazionen

Hungen.

449—457

Leinweber.

Finanz,

und NeckerS letzte Demü«

Vom Herrn Rehberg

8. Oeders Gruft.

490 — $08

Vom Herrn Friedrich

Leovold Graf zu Stolberg

50g

Junius.

Hauptinhalt.

Juni u ß. T. Ueber lokale Vom Herrn

und

allgemeine Bildung.

Hofrath Forster in Main;

S. 509—529 s. Mein Dank an denVerf. der Handzeich­

nungen. Von Fr. Leop. Grasen zu Stol­ berg z. Blüte.

530. 5Zl Reife.

531 — 536

4. Bemerkungen über die zwei ersten Bande der Reisen des Hrn. Druce zur Entde­

ckung der Quellen des Nils. Vom Hrn.

Justizrath Niebuhr in Meldorf

537—550

5. Arnold von Brescia vor Gericht und auf

dem Scheiterhaufen

55t—575

6. Ueber einige Gegenden um Nom, Zweiter Brief. Vom Hrn. Domherrn Dr. Meyer

in Hamburg

7. Dono, ein neuer Heiligenkandidat 8. Das Blut des heil Januarius

576—590 591—596 596—602

9. An Herrn Rez

605.

604

10. Zwei Rechtsfragen

§05.

606

Neues

Deutsches Museum l Stück.

Januar,

1791.

1.

Noch

etwas

über die mohammedanischen

Freistaaten in der Barbarei.

auf der afrikanischen Küste liegenden Frei­ staaten Algier, Tunis und Tripolis waren zwar ehemals ein Theil des otmannischen Reichs, der SultLn schickte Paschen dahin, und unterhielt daselbst eine Anzahl Janitscharen; sie haben sich aber schon laugst unabhängig gemachr, und ton­ nen jetzt nur als Freunde und Bundesgenossen der Pforte angesehen werden. Algier ist un­ ter diesen Freistaaten der mächtigste. Die dasi'ge Regierung herscht nicht nur ganz unum­ schränkt , und mit dem härtesten Despotismus der sich nur denken laßt, über ihr ansehnliches Gebiet auf dem festen Lande, sondern hat sich auch die Herschaft über das Mittelländische-und das Weltmeer, so weit ihre Schiffe nur gehen wollen, angemaßt. Sie sucht nicht Eroberungen in Europa zu machen, aber seit Jahrhunderten N, Mus. Ian. 91. A trotzt

2

r. Ueber die mohammedanischen Freistaaten

trotzt sie nun schon allen europäischen Regenten, wie mächtig einige derselben auch sein wogen. Selbst Frankreich, England und Spanien, die in allen Welttheilen große Eroberungen gemacht, l)a* ben sich bequemen müssen, an sie eine jährliche Abgabe zu bezahlen, welche von den Europäern ein Geschenk, von den Mohammedanern aber ein Tribut genant wird» Liefert mau diese sogenante Geschenke nicht zur bestirnten Zeit gehö­ rig ab, so treibt die Regierung sie als einen Tri­ but durch Exckuzion ein; sie läßt nämlich so­ fort Korsaren arlSlaufen, nm Kaufardeischiffe der­ jenigen Razivn aufzubringen, die ihre Schuldig­ keit nicht beobachtet hat, und fahrt damit fort, bis wieder um Friede gebeten wird und alles bezahlt ist. Alle europäische Mächte, welche firf) nicht so weit herablassen wollen, von ihnen den Frieden gegen eine jährliche 'Abgabe zu erkaufen, oder ihre Federungen zu hoch und zu dewmigend finden, werden als Feinde angesehen, und deren Unterthanen tonnen auf dem nuttcUänbu scheu Meere keine Handlung treiben ohne die Aufbringung ihrer Kaufardeischiffe und die Skla­ verei der Mannschaft befurchten zu müssen.

Mit welcher Verachtung die Algierer auch die mächtigsten europäischen Nazienen behandeln, und wie sehr diese sich bestreben, die dortige Regierung bei guter Laune zu erhalten, davon tan unter

in der Barbarei.

3

unter vielen Beispielen folgendes dienen. Awck algerische Korsaren begegneten in der spanischen See einem französischen Kriegsschiffe, und steuer­ ten gerade darauf zu, weil die Franzosen mit ih­ rer Negierung in Frieden lebten. Da aber Frankreich gerade mit Marokko Krieg führte, so heg der Kapital» des Kriegsschiffes den Korsa­ ren Zurufen, sie selten sich in einer Entfernung halten, man wolle erst untersuchen, ob sie wirk­ lich Algierer, also Freunde, oder nicht etwa Marokkaner wären. Die Korsaren aber nahmen cs übel, daß man ihrer Flagae nrcht trauen wolte, und näherten sich trotzig und mit vielen Schlmpsworten, woraus endlich die Franzosen, welche nicht zweifelten, daß sie es mit Marok­ kanern, also nnt Feinden zu thun hätten, ihnen eine Lage gaben, wodurch einer der Korsaren in den Grund geschossen ward. Der andere ging gerade nach Algier zurück, und brachte schon ein reich beladenes Kaufardelschif nut das er unterWeges anqetroffen hatte. Die darauf befundene Waaren wurden sogleich ohne Umstände verkauft und vertheilt, die Vornehmsten zu Algier sich be­ findenden Franzosen aus ihren Hausern geholt, und mit der,Schiftbcsahnnq zu den Sklaven gesandt, der Konsul des Königs uiib ein Mönch tn Steinkarren gespannt. Sobald von dieser Begebenheit Nachricht nach Frankreich gekommen war, schickte man einen Ambassadeur mit zween A2 Kriegs«

4

it Ueber die mohammedanischen Freistaaten

Kriegsschiffen nach Algier, der gleichfalls sehr un­ höflich empfangen ward. Nach vielen UnterHandlungen erkaufte endlich eine große Summe Geldes den Frieden, die zu Sklaven gemachte Franzosen erhielten ihre Freiheit wieder, und das Schis ward auch zurück gegeben, aber die Waa­ ren waren nicht mehr zu" finden. Der Konsul ging an Bord des Kriegsschiffes, und ward, da er wieder an Land fuhr, wie ein erst neu ange­ kommener Konsul, mit 9 Kanonenschüssen em­ pfangen. Noch neulich waren die Algierer nicht damit zufrieden, daß ihre Freunde, die Franzo­ sen, die Besatzung eines bei einer kleinen, zu Frankreich gehörigen Insel von den Neapolita­ nern auf den Strand gejagten Korsaren geret­ tet und nach Algier zurückgebracht hatten, sie verlangten an der Stelle des gestrandeten Schif­ fes ein anderes, und— Frankreich mußte ein anderes senden, wenn e6 einen Krieg mit diesem Gesindel vermeiden wolte. Unzahlich sind die Erniedrigungen, welche zu Algier die Europäer und vornämlich die Fran­ zosen, als welche auf dem mittelländischen Mee­ re den stärksten Handel treiben, sich gefallen las­ sen müssen. Daß der Botschafter Spaniens, nachdem er zur Erkausung des Friedens und Aus­ wechselung aller spanischen Sklaven bereits Mil­ lionen ausgezahlt hatte, im öffentlichen Di­ wan

in der Barbarei.

5

tvatt beschuldigt ward, er habe die an die vor. uehmsten Mitglieder der Negicrulig abzulicfernden Gcscbenke verfälscht, daß man ihn öffentlich einen Betrüger genant hat, und nur wenig dar­ an ffhlte, daß er im öffentlichen Diwan nicht niedergehaucn ward, ist, so wie das demütige Betragen der stolzesten Europäer gegen die noch stolzcrn und übermütigen Afrikaner, auS den öf­ fentlichen Nachrichten »och im frischen Anden­ ken. So werden Europens mächtigste Nazioncn zu Algier behandelt, und dies ertragen sie von einem zusammengerastcn Haufen von Abenthcnrcrn.

Die Negierung zu Algier besteht nämlich aus einem KorpS von 12,000, oder wie ein an­ derer behaupten wolle, nur aus 6000 in der Le­ vante angeworbene Türken, d. i. mohammedani­ schen Unterthanen des Sultans der Otmannen. Ihr Bey, welcher sich Pascha nennen läßt, alle Mitglieder seines Diwans, die vornehmsten Bedienten in der Hauptstadt und in den Pro­ vinzen sind alle Mitglieder dieses türkischen Korps. Der Bey regiert zwar über die Unter­ thanen als ein wahrer Despot; er muß aber von der Verwaltung der öffentlichen Einkünfte genaue Rechenschaft ablegen, und alle wichtige Angelegenheiten, die den Staat, d. i. das türkische Korps

6

i. Ueber die mohammedanischen Freistaaten

Korps betreffen, seinem Diwan vortragen. Er bedarf vieler Klugheit und Entschlossenheit, um sich lang in seinem Posten zu behaupten; dann es giebt immer im Korps der Mißvergnügten so viele, daß er sich kaum aus feinem Palast wa­ gen darf, und sogar am Hellen Tage auf öffent­ licher Straße erschossen zu werden befürchten muß. Niemals ist dies Korps unruhiger, als wenn ein. neues Oberhaupt ernant und anerkant werden soll. Eigentlich sötte das ganze Korps sei­ nen Anführer wählen. "Es giebt tu demselben aber gemeiniglich verschiedene Parteien , von de­ nen jede dem unterstützt, unter dessen Regierung sie den größten Vortheil erwartet: und man hat Beispiele, daß innerhalb weniger Tage, ja an ei­ nem uiib demselben Tage verschiedene Personen

nacheinander auf den Thron erhoben und auf demselben ermordet sind. Bei solchen Vorfällen aber üben nur die Türken gegen einander Ge­ waltthätigkeiten aus, die Einwohner'tonnen da­ bei' ruhtge Zuschüuer bleiben, Um den Abgang in diesem türkischen Korps zu ersetzen, schickt die Regierung von Zett zu Zeit Werber nach der Levanre, besonders Natolien. Wer sich 'anbietet und persönliche Tapfer­ keit vermuten läßt, wtrd angenommen, auf die vorige Aufführung, ob einer Räubereien began­ gen, oder welchen schlechten HatwllMgen sonst er sich

in der Barbarei.

7

sich schuldig gemacht, nimmt man keine Rücksicht. Kein Türk, der nur ein wenig auf Ehre hälr, oder irgend als ein rechtlicher Mann in seinem Darerlande sich durchzubringen weis, läßt sich da­ her nach Algier anwerben. Diese solchergestalt zusammengcraften, und als gemeine Soldaten angeworbene Türken können indeß, wenn sie sich durch Verstand und Tapferkeit auszeichnen, an dem Ort ihrer Bestimmung von einer Ehrenstelle zur andern steigen und die Intrigantesten un­ ter ihnen sich Hofnung machen, bei günstigem Glück einst gar auf den Thron erhoben zu werden.

Ein Korps Ausländer von 12,00.0, oder gar nur von 6000 Mann würde nicht im Stande sein, ein so großes Gebiet als das von Algier, dessen Unterthallen das fremde Joch so ungern tragen, in Ordnung halten, und überdies noch allen europäischen Machten Trotz zu bieten; die Negierung hat daher auch Truppen, die bloß aus Eiugeboruen und andern Mohammedanern bestehen. Aber der geringste Soldat aus dem türkischen Korps sieht mit Verachtung auf den Chef eines einländischen Korps herab; er be­ trachtet sich selbst als ein Mitglied der Negie­ rung, und jeden Einlander (Maur) als seinen Unterthan. Die Türken sind ind.ß allezeit miß­ trauisch gegen diese ihre einländtschm Truppen, indem

8 i. Ueber die mohammedanischen Freistaaten indem sie fürchten, daß sie sich mit den Einwoh­ nern vereinigen, nm das Joch ihrer fremden Tirannen abzuwerfen. Die Negierung zu Algier hat noch nicht einsehen gelernt, wie sie die ein­ ländischen Truppen weit besser in Ordnung wür­ de halten, und von denselben überhaupt mehr Nutzen haben tonnen, wenn sie selbigen Vorge­ setzte aus dem türkischen Korps gäbe. S'o ge­ ben die Engländer und Franzosen ihren indischen Soldaten europäische Anführer, und verrichten damit große Dinge. Bei der schlechten, annoch ganz rohen Negierungsverfassung der Algierer aber wäre dies vielleicht sehr gefährlich; denn türkische Anführer der einländischen Truppen ton­ ten noch wohl eher Lust zum Alleinherschen be­ kommen, und so die ganze bisherige republikani­ sche Regierungsverfassung umwerfen. Die Negierung zu Algier hat gemeiniglich nur ein oder zwey Schiffe; ihre übrige See­ macht besteht aus lauter Korsaren^ oder Naubschiffen, die den Unterthanen gehören. Aber auch diese Korsaren stehen unter dem Befehl des Bey, und müssen allezeit bereit sein, in einer bestirn­ ten Zeit auölaufen zu tonnen. Die ganze KriegSwissenschaft der Algierer zur See besteht darin, daß sie in einzelnen Schiffen gegen einzelne Schif­ fe zu fechten wissen. Beim Entern sind sie furchterlich. Wie aber eine ganze Flotte eine feind­ liche

in der Barbarei.

9

lr'che Flotte angreifen, oder sich dagegen verthei­ digen soll, davon verstehen sie eben so wenig, als die Seeoffiziere des Sultans.

Vergleicht man die Seemacht der Algie­ rer mit der der Spanier oder der Franzosen, so wird man jene sehr unbedeutend finden. Aber die Erfahrung hat gelehrt, daß sie hinlänglich ist, um die Herschaft auf dem mittelländischen Meere zu behaupten. Und dies geschieht mit den möglichst geringsten Kosten für die Negie­ rung. Die Nehder, welche die AuSrüstuna der Naubschiffe besorgen, wählen ihren Re-is (Schlfskapiran) selbst, und dieser braucht nicht notwendig ein Türk zu sein. Die meisten Ne-is sind wirk­ lich Renegaten oder Mauren, (eingeborne Mo­ hammedaner). Aber jeder Re-is muß soviel im Vermögen haben, daß er für einen gewissen An­ theil des ihm anvertrauten Schiffes mit intereßircn kan; denn man glaubt, daß er als ein Mitinteressent seine Schuldigkeit besser beobachten werde, als wenn er nichts zu verlieren hat. Für die Besatzung des Schiffes müssen die Rehder gleichfals sorgen; es werden dem Re-is nur ein paar Türken mitgegeben, deren Befehl er gehor­ chen muß. Ein paar Tage vor der Abreise des Schiffes wird eine Kanone gelöset: und ist dann nur der Re-is als ein tüchtiger und glücklicher Seemann bekant, so melden sich Türken und Mau-

io l. Ueber die mohammedanischen Freistaaten Mauren genug, die ihr Glück mit ihm versuchen wollen. Nicht selten werden noch Leute zurück gewiesen. Zum Rudern und andern gemeinen Arbeiten bringen die Eigenthümer der Sklaven auch von lehtern genug, damit selbige glelchfals etwas verdienen: und erst, wann das Schis unter Segel gegangen ist, wird das Mannzahl' register über die ganze Besatzung verfertigt.

Die Zelt welche ein algierischep Korsar auf einer. Streiferei gegen die Europäer zubringt, ist gemeiniglich auf go bis 50 Tage bestimmt. Komt er dann mit Deute zurück, so wird die gleich der Regierung übergeben, welche sie öffentlich verkau­ fen lqßt, einen Kleinen, durchs Gesetz besiimten Antheil für die Schatzkammer des Staats zu« rüch behält, und alles übrige verhältnißmäßig und nach dem Gesetze zwischen einiaen Mitgliedern des Diwans, den Rehdern und der ganzen Be­ satzung theilt. Auch der geringste Matrose auf dem Schiffe erhält seinen durchs Gesetz bcstimten Antheil von der gemachte» Beute, und man will behaupten, daß diese Einrichtung der Besatzung ein großer Sporn zur Tapferkeit sei, indem die Lhcilnehmende dadurch gemeiniglich weit mehr verdienen, als wenn sie, wie in Europa, auf ein feststehendes MonatSgcld gefetzt wqreN.*) Der An8) So wolle auch ein erfahrner GrLnlandsfahree die Bemerkung gemacht haben, daß die Ursache, warum

in.der Barbars

ir

Ancheilr eines Sklaven wird an dessen Eigenthümer ausgezahlt.

Wenn em. Korsar keine Veüte mit zurück brkngs, welches selten geschieht, weil die Algierer an «Land steigen' und Bauern in die. Gefangenschaff schleppen ) wenn sie keine Schiffe an treffen, so erhallen auch die Rehder nicht die geringste Vergütung für die anfgewanüten Kosten, und die -ganze' Besatzung erhält keine Löhnung, i Wird er genommen , so müssen die' zurückgebliebenen /Rehder m einer bestimtem Zeit ein ebenso gutes Schis wieder herbeischassen, Dbev ihr Name wird auf'der Liste derer ausgestrichem, die Kcrsaren auszurüsten befugt sind' - Um die in die Sklave­ rei geführten Türken., hekümmert die Regierung sich nicht weiter. Diejenigen, welche nicht lieber Mit- dem Säbel üV der Hand sterben, als sich von Dsjaurn in die Sklaverei führen lassen, wollen, * werden

.warum die bolländischen Schiffe gemeiniglich mehr Walisische zurück bringen, als d!e von an5 dern Stationen, hauptsächlich darin zu suchen sei, baß die holländischen Grönlandösahrcr einen bestirnten Antheil an dem Fang und kein Vonatsgeld erhalten. Daher, sagte er, ist aus cb tiem holländischen Schiffe ein jeder, bis aus den geringsten Kajütjungen, so aufmerksam., ob er rstcht irgendwo in der Fnye einen Fisch entde-r üerj könne.

i2 r. Ueber die mohammedanischen Freistaaten werden zum Dienste untüchtig gehalten, und ihre Stellen im Korps gleich mit andern Türken 6e* seht. Eben so wenig fragt man nach der übri­ gen in die Gefangenschaft gerathene mohamme­ danische Besatzung; diese bestand aus Mauren und Renegaten, die beide von den algiersschen Türken keiner Aufmerksamkeit werth geachtet wer­ den. Es wird zwar auch mancher Maure aus der europäischen Sklaverei befreit, aber dafür fomt wohl niemals baar Geld nach Europa, in­ dem die Anverwandten von vier bis fünf dieser einheimiichen Mohammedaner gemeiniglich einen europäischen Sklaven kaufen, gegen welchen die wegen Lo^kaufung der Sklaven nach Algier kom­ menden Mouche 4 bis 5 benante Mohammedaner Wieder zurückschaffen müssen.

Die Ausrüstung und Unterhaltung ihrer Flotte kostet also den Algierern sehr wenig. Ih­ re Korsaren wissen sich vor den Kriegsschiffen der Europäer wohl inacht zu nehmen; sie sind gute Segler, und können so nahe am Lande wegge­ hen, daß man ihnen mit großen Schiffen nicht leicht ankommen kan: und wenn auch einige von ihren Raubschiffen in den Grund gebohrt, oder aufgebracht werden, so werden diese ohne Zu­ thun der Regierung bald wieder erseht. Die Hofnung zum Gewinn reizt ihre wohlhabende Un­ terthanen, bald andere Raubschiffe herbei zu schaf­ fen.

in dtzr Barbarei.

13

fen, und eö fehlt nicht an andern Abentheurern, die, in der Hofnung eines bessern Glücks, gern mit auf Seeräubereien ausgchen. Die Algierer trachten vornemlich nach Kaufardeischiffen der Europäer, bei denen am wenigsten zu wagen und am meisten zu gewinnen ist. Aber auch selbst europäische Korsaren sind ihnen eine gute Beute, weil die Europäer ihnen die darauf ge­ wesenen Menschen gern theuer wieder abkaufen. Ein einzelner europäischer Korsar wird indeß nicht leicht einen algierischen Korsaren angreifen; denn die darauf befindlichen Türken und Mauren, welche eine ewige Gefangenschaft bei denDsjaurn fürchten, wehren sich aufs äusserste, lieber lassen sie ihr Schif in die Luft fliegen, als sie sich erge­ ben; und kan auch ein europäischer Korsar ei­ nen algierischen aufbringen, so gewinnt die Negier rung dadurch nichts, als ein lediges Schif uyd die Unterhaltung mehrerer Mäuler. Die Alaierer sind daher allen nach dem mittelländischen Meere handelnden und besonders den an dieses Meer grenzenden europäischen Nazionen ein sehr fürchterlicher Feind.

Die Türken zu Algier nennen sich Moham­ medaner, und der Dey mit den vornehmsten sei­ nes Diwuus beobachten die äusserlichen Pflichten der mohammedanischen Religion, vornemlich das öffentliche Gebet, sehr genau, damit sie dem ge­ meinen

i4 i. Ueber die mohammedanischen Freistaaten meinen ,Malme keine Aergerniß geben, m!d noch

wohl mehr, damit Wan sie nicht des Unglaubens

beschuldige, welches ihnen mchr nur ihr Vermö­ gen, sondern, gar das Leben kosten könte.

Auch

Mauren sind Mohammedaner, und halten

die

alw den Korün für ein haben Gott.

göttliches Buch.

Sie

darnach einen sehr, hohen Begrif von Was die Christen glauben, oder nicht glau­

ben, darüber wird so wenig von den Mohamme­ danern in der Barbarei, als den in andern Ge­

genden einer Untersuchung angestellt.

Daß auch

die Europäer den Schöpfer Himmels und der Er­ de anbeten j bas erwarten sie nicht, sondern hal­

ten selbige, 'wegen, der vielen Bilder, die sie bet

ihnen antrcffen, für Götzendiener. Ein Kaufmann

eins Tunis verglich den Gott der Europäer mit

einem schwachen Fürsten, dessen Wesir alle Macht au sich gerissen hüt.

„ So wie keiner zu diesem

gelassen wird,, der von dem Wesir die Erlaubniß

dazu nicht erhalten, sagte er, so dürfen auch die

Europäer sich nicht an ihrrn Gott wenden, als nur durch feinen Wesir zu Rom; ihr ohnmäch­ tiger

Gott kau

nicht einmal in

jenem

Leben

das Gute belohnen und das Döse bestrafen, son­

dern Miß'rS sich gefallen lassen, wenn sein We­ sir einen 'rechtschaffenen Mann in die Hölle und

«inen

Schurken i ins

Paradies

schicken will. “

Da sie keinen bessern Begrif von der christlichen Religion huben, so'erachtet man leicht, dass sie, sich viel

in der Barbarei.

15

viel klüger dünken, .als die Europäern und da sie zu Algier von Jugend auf eine sehr große Menge Sklaven von allen europäischen Nazioneu sehen, so bestätigt sie dies in dem stolzen Gedanken,, daß die Europäer erschaffen sind, nm ihnen unterwürfig zu fein.

Unterdeß genießen fremde NcliglonSver« wandte zu Algier, ivie in andern mohammeda­ nischen Ländern, völlige Gewissensfreiheit. Die Anzahl der christlichen , Einwohner daselbst ist zwar nicht groß, aber die der Juden desto gros­ ser, und letztere haben ihren eigenen Schech, einen Inden, durch welchen der Dey ihnen sei­ ne Befehle bekant machen läßt. Was man in Europa von: der harten Be­ handlung der Sklaven zu Algier Jagt, als wür­ den sie zur Annehmung des mohammedanischen Glaubens gezwungen, ist sehr übertrieben. Auch die dasigen Mohammedaner suchen zwar darin ein Verdienst,, wenn sie Knaben, die in ihre Ge­ fangenschaft gerathen sind, in ihrer Religion er­ ziehen können. Aber sie sorgen auch väterlich für deren Fortkommen, wenn sie sich gilt auffüh­ ren. Ich -habe von einem Mufti zu Algier. ge­ hört, der, ein geborner Hamburger war. Daß znan einen, erwachsenen Christen überredet, seinen Glauben zy verläugnen, geschieht wohl nur. übet-

i6 i. Ueber die mohammedanischen Freistaaten aus selten; denn die Mohammedaner überhaupt haben weder Mißionare, noch Proselytencassen; sie glauben eben so gewiß, daß ein Renegat kein eifriger Mohammedaner, als wir> es glau­ ben, daß ein getaufter Jude kein eifriger Christ werden wird. Wohldenkende Mohammedaner 'zu Algier sehen es vielmehr gern, daß ihre christlichen Sklaven die Pflichten ihrer Religion beobachten, wenn sie nur ihre Geschäfte darum nicht versäumen. Wie wenig sie auch die christ­ liche Religion kennen, so wissen sie doch, daß ein guter Christ auch seinem mohammedanischen Herrn treu dienen müsse. Sogar findet man zu Algier Mohamme­ daner, die ihre europäischen Sklaven ernstlich dazu anhalten, daß sie die Patres und die Messe fleißig besuchen, und die bei denen, welche Lust bezeigen, Mohammedaner werden zu wollen, ei­ nen solchen Gedanken durch derbe Prügel ver­ treiben. Aber die Europäer, die in solcher Leu­ te Hände fallen, sind zu bedauern. Ihre Her­ ren sind Menschenhändler, die Sklaven kaufen, nm sie mit gutem Vortheil bald wieder zu ver­ kaufen. Wird nun ein solcher Europäer ein Mohammedaner, so bleibt er zwar demohngeachtet doch ein Sklav seines Herrn; aber dann wird Niemand viel sür ihn bezahlen, und nach Europa, woher er doch die größte Summe er-

in der Barbarei.

r?

warten fönte, darf er ihn nicht verkaufen. Ein Mmschenhandler behandelt daher seine Sklaven oft auch sehr hart, damit sie fleißig Klagebriefe an ihre Verwandte in Europa senden, und man sie bald , und zwar auf da6 theuerste, loskaufe. Die Sklaven, welche der Regierung gehören und zu gemeinen Arbeiten, vernemlich auf den Galee­ ren, gebraucht werden, haben es gleichfalls schlecht. Man versichert aber allgemein, daß diese besser gehalten werden, als die mohammedanischen Skla­ ven auf den Galeeren einiger europäischen Machte.

Die europäischen Sklaven, die Verbrechen begehen, werden zu Algier sehr grausam behan­ delt; man hält keine Todesstrafe für solche zu .hart. Ueberhaupt genommen aber können die, welche Privatpersonen in die Hande fallen, ziem­ lich gut leben, wenn sie sich selbst darnach betra­ gen, und es leben viele auch wirklich so gut, daß sie kein Verlangen tragen, wieder nach ihrem Va­ terlands zurück zu kommen. Ein gewesener Matrose, der seinem mohammedanischen Herrn persönlich auswartet, lebt weit besser, als in sei­ nem vorigen Stande und als ein Mohammeda­ ner, der sein Brod sauer verdienen muß. Der Geiz ist ein Hauptzug. in dem Karakter aller Mohammedaner, und vorzüglich aller Algierer; es würde zu deren eigenem Nachtheil gereichen, N. Mus. Ian. 91. D wenn

18 i. Ueber die mohammedanischen Freistaaten wenn sie ihre Sklaven über Vermögen anstren­ gen wolten. Ein Europäer, der ein gutes Hand­ werk gelernt hat, und arbeiten will, kan dazu von seinem Herrn gegen eine monatliche Abgabe die Erlaubniß erhalten, und den Uebeiffchuß sei­ nes Verdienstes zurücklegen, um mit der Zeit selbst seine Freiheit zu kaufen, welches ihm von man­ chem guten Herrn sehr erleichtert wird. Diese Leute werden gemeiniglich Mohammedaner, und Algier erhält dadurch manchen tüchtigen Bürger aus Europa; ihr? besten Schifskapitäne und Steuerleute sind europäische Renegaten. Manche wohlhabende, ja reiche Witwe heirathet einen Sklaven ihres verstorbenen Mannes, welcher dann auch vorher ein Mohammedaner werden muß. Bei allen diesen Leuten wird man wohl keine Zwangsmittel brauchen, um sie dahin zu bringen, daß sie ihren Glauben verleugnen.

Alle romischkatholilche Machte sind gleichsam gcborne Feinde der mohammedanischen Freistaa­ ten Algier, Tunis und Tripolis. Portugal, Spanien, Frankreich und alle große und kleine Staaten in Italien glauben berechtigt zu sein, die Mohammedaner zu versolgen, ja sie sind ver­ möge ihrer Religion dazu verbunden. Sogar der Fürst von Monaco hatte einst einem despe­ raten italienischen Schiffer das Patent eines Korsaren gegen die Ungläubigen gegeben, welcher dann

in der Darbätei.

19

dann auch die ganze afrikanische Küste kn Schre­ cken setzte, indem er bald hie bald da an Land stieg, die Bauern, nicht nur plünderte- sondern sie auch als Sklaven wegführte. Ueberdies sind auf der Insel Malta noch die Johanniterritter, die Erzfeinde aller Mohammedaner. Indeß hat die ganze römischkatholische Welt bis jetzt noch nichts gegen Algier ausgerichtet; die türkische Regierung daselbst hat sich bereits über drittehalbhundert Jahre gegen alle europäische Mäch­ te behauptet

Ein schwärmerischer Mohammedaner, wel­ cher weis, wie mächtig die Europäer in allen Welttheilcn sind, und daß so viele der römischkatholischen Kirche zugcrhane Könige und Fürsten beim Antritt ihrer Regierung, so wie die Mal­ teserritter beim Eintritt in ihren Orden, einen Eid schwören, sie wollen die Mohammedaner aus allen Kräften verfolgen, ja suchen sie auszurot­ ten, tönte leicht auf den Gedanken kommen, daß die türkischen Abentheurer zu Algier schon längst hätten ausgerottct sein müssen, wenn nicht Gott in ihrem Kriege gegen die Europäer auch ihnen eine Schaar Engel zur Hülfe sendete, wie er eine solche ihrem Propheten zur Hülfe gesandt haben soll. Allein dazu bedurfte es keines Wun­ derwerks.. Der ganze Krieg zwischen den Algie­ rern und Europäern besteht bloß in Seeräuberei, B 2 imd

20 r. Ueber die mohammedanischen Freistaaten und die bisherige Verfassung von Europa ctfor» bcvte es, daß auf dem mittelländischen Meere von beiden Seiten Seeräuberei getrieben wer­ den mußte.

Frankreich ist eigentlich die Macht, welche ganz Europa der Tirannei der mohammedani­ schen Freistaaten am mittelländischen Meere un­ terworfen hat. Frankreich, welches über ganz Europa herschen wolte, fand die algierischen und maltesischen Korsaren sehr bequem, um seinen Handel ausserordentlich auszubreiten, und seine Seemacht bis auf einen hohen Grad zu vergrossern. Zu einer Zeit, da noch ganz Europa gegen die Mohammedaner Krieg führte, schloß da­ her das kluge französische Ministerium mit selbi­ gen einen Frieden, und verpflichtete sich an die Regierungen zu Algier, Tunis und Tripolis ei­ nen jährlichen Tribut zu bezahlen; denn diese wolten die Uebermacht, die sie über die Franzo­ sen (arten, nicht so umsonst weggeben. Frank­ reich war dagegen wieder dienstfertig; denn wenn es den mohammedanischen Seeräubern vorher oft an Schisbauholz, an Kanonen, Pul­ ver und Blei gefehlt hatte, so wurden sie da­ mit nunmehr reichlich 'versorgt. Durch diese feine Politik erhielt Frankreich nicht nur ei­ nen freien Handel mit seinen eigenen Produk­ ten, sondern auch den größten Theil des auswär­ tigen

in der Barbarei.

2l

eigen Handels der Portugisen, Spanier und a(* ler italienischen Staaten. In allen diesen an Vas mittelländische Meer grenzenden Reichen und Ländern mußte man es bequemer und wohlfeiler finden, den Handel durch französische Kaufardeischisse, als durch eigene bewafnete Schiffe zu trei­ ben; es wurden bald nach allen europäischen Seehafen am mittelländischen Meere französische Kaufleute und Konsuln gesandt: und je mehr nun die mohammedanischen Seeräuber den eige­ nen auswärtigen Handel der Portugisen, Spa­ nier und Italiener Porten, desto vortheilhaster war solches für Frankreich. Weil sich auf Malta drei französische Zun­ gen befinden, und daraus nnd) dem Großmeisterthum die drei vornehmsten Bedienungen im Orden beseht werden, so tonte Frankreich sich auch der Malteser Korsaren vortreflich bedienen, um den auswärtigen Handel der Algierer, Tu­ neser und Tripolitaner an sich zu ziehen. Nicht bloß französische, sondern auch die spanischen, ita­ lienischen und deutschen Ritter mußten das ihri­ ge dazu beitragen, um Frankreichs Handel auszubreiten. So wie die Algierer mit französischem Pulver und Blei die Handlung der Portugisen, Spanier und Italiener beunruhigten, so mußten die Malteserritter durch ihre Kreuzzüge, die noch beständig zu den bestimten Iahrszeiten unter­ nommen

2 2 i. Ueber die mohammedanischen Freistaaten uommen werden müssen, es verhindern, daß auch nicht die Mohammedaner auswärtig Handel trie­ ben: und so fanden dann die Unterthanen der Regierungen zu Algier, Tunis und Tripolis gleich­ falls, daß es zu ihrem eigenen Vortheil gereich, te, wenn sie sich zum auswärtigen Handel fran­ zösischer Schiffe bedienten, oder sich damit gar nicht abgaben. Man sah also auch bald französische Kaufleute und Konsuln zu Algier, Tunis und Tripolis; wenn die Malteserkorsaren auf ihren Kreuzzügen sonst noch Kaufardeischiffe hatten mit zurücköringen tonnen, so mußten sie sich nun mit. Fischerboten begnügen, oder gar an Land stei­ gen, wenn sie Ungläubige in die Sklaverei füh-

xen wolten.*)

Von Daß mancher tapfre Malteserritter sich in die­ sen Zeiten nicht mehr brauchen lassen mag, die Mohammedaner der Religion wegen zu verfolgen, davon hat und noch neulich der Bailli Süffren ein Beispiel gegeben. Die­ ser entsagte dem Generalate der Galeeren auf Malta , trat in die Dienste seines Königs des Königs von Frankreich, eines Bundesgenossen des mohammedanischen Fürsten Hyder Ali, und übergab auch ihm die zu Gefangenen ge­ machten Engländer. (Historisch-politisches Ma­ gazin für das Iahe 1789» S. 6g und 410) Die öffentlichen Blätter haben cs dem Könige von Frankreich sehr hoch angerechnet, daß er sich bei

in der Barbarei.

23

Von den Franzosen mit Geld und Rtietö* bcdürfniffin unterstützt, wurden die Algierischen Korjaren so dreist, daß sie anfingen, auch die Handlung der nördlichen europäischen Nazionen nach andern Wclttheilen ausserhalb der Meeren­ ge von Gibraltar zu beunruhigen. Ilm also der Plackereien mit diesen Seeräubern überhoben zu sein, mußten Holland, England, Dänemark und Schweden Frankreichs Beispiel folgen und gleich­ falls den Frieden gegen eine jährliche Abgabe er­ kaufen. Dadurch erhielten nun auch die nörd­ lichen Nazionen eine freie Handlung nach dem Mittelländischen Meere, welches Frankreich un­ gern zugeben nwlte; denn das französische Mi­ nisterium hatte eS in den ersten Traktaten mir dem

hei Tippo Sah heb, dem Sohne und Nach­ folger des Hyder Ali ausgebctcn habe, die in die Gefangenschaft geführten Engländer wieder in Freiheit zu setzen. Solte der gute König nicht durch sein Gewissen überzeugt worden sein, daß es doch wohl besser gewesen ludt’c,. wenn sein Admiral, der als ein Malteserritter eben sowohl als er selbst einen Eid geschworen hatte, die Mohammedaner verfolgen zu wol­ len, die Engländer, wenn gleich Ketzer, der barbarischen Behandlung eines mohammedani; schen Fürsten nicht übergeben hätte? vcrnämlich da selbiger mit europäischen Sklaven kei­ nen Handel trieb, wie die Algierer.

24 i. Ueber die mohammedanischen Freistaaten dem Sultan und den Seeräubern auf der afri« dänischen Küste ausdrücklich ausbedungen, daß die Schiffe anderer europäischen Mächte unter fran« zösischer Flagge, und wenn sie an französische Kaufleute adreßirt wären, in den Seehafen der Mohammedaner Handlung soffen treiben kön­ nen ; wenn diese mit andern christlichen Mach­ ten keine HandlungStraktaten errichteten, so stand es gänzlich in der Macht der Franzosen, wie vie­ len Antheil an der Frachtfahrt nach der Bar­ barei und der Levante sie andern Nazionen zu­ kommen lassen wollen.. Indeß behaupteten die Mohammedaner das Recht, mir einem, jeden christlichen Volke HandlungStraktaten schließen zu können, und überließen eS den Franzosen, die mit ihnen errichteten Traktaten aufzuheben, wo­ zu sie aber noch niemals Lust bezeiget.

Eigentlich verlor Frankreich dadurch, daß die nördlichen Völker auf dem mittelländischen Meere freie Handlung erhalten hatten, auch nicht viel; denn während eines Krieges mit England konte nun Frankreich nicht nur den Handel in seinen eigenen Seehafen, sondern auch den seiner Kaufleute in Portugal, in Spanien, in ganz Italien, in der ganzen Barbarei und dem otmamiischeii Reiche durch neutrale Schiffe betreiben, die Engländer konten ihnen nicht viele Schiffe nehmen, und die Matrosen waren wah­ rend

in der Barbarei.

25

renb des Krieges sehr gut auf der Flotte de« Königs zu brauchen. Bei wieder hergesielltem Frieden niit England mußte die Frachlsahrt auf dem. mittelländischen Meere und nach der Levan­ te bald wieder an die Franzosen zurückcommen, weil ihre Schiffe wohlfeiler fahren können, als die der entfernten Nazi'onen.

Das französische Ministerium fönte aber dabei nicht so ruhig lein, als auch Venedig und Spanien mit den mohammedanischen Freistaaten einen Frieden schlossen; den» dadurch muß Frankreichs Handel und- Frachtfahrt auf dem mittelländischen Meere und nach der Levante an« sehnlich verlieren. Man hat aber auch schon ge­ sehen, daß französische Ingenieure und Artilleri« sten die Festung Algier gegen die Spanier ver­ theidigt, und französische Artilleristen die venezia, Nischen Schiffe von der tunesischen Küste-zurück getrieben haben. Die Franzosen werden es auch schon ferner dahin zu leiten wissen, daß den Ve­ nezianern und Spaniern der Friede mit den Freistaaten Algier, Tunis und Tripolis kostbarer wird, als ein offenbarer Krieg, und daß sie es also einsehen lernen, eS fei vorlheilhafter, wenn sie in der Handlung keine Nebenbuhler von Frankreich werden wollen.

Man

o6 I. Ueber die mohammedanischen Freist, rc. Man mag also über die Seeräuberei und die Insolenz der Algierer, Tuneser und Tripolitaner schreien, wie viel man will, so bleibt Loch dies alles für das ganze christliche Europa ein notwendiges Uebel, so lange Frankreichs Interes­ se solches erfedert. Und dies Uebel wird Euro­ pa noch lange ertragen müssen. Eine Zeitlang schien es zwar, die Nazwnalversamlung würde pnt den Gütern aller übrigen geistlichen imb weltlichen Orden in Frankreich auch die der Maltelerrltter einziehen, man schien es unschicklich zu halten, die Mohammedaner der Religion wegen zu verfolgen, und dazu den alten Adel zu brau­ chen. Wenn dann erst der Malteserorden aufgehatte, den Handel der Mohammedaner zu stören, fp würde man mit mehrerm Rechte ver* fangen können, daß auch die Algierer aufhoren selten, den Handel der Christen zu beunruhigen. Jetzt aber scheint es, man werde es in diesem Smcke beim alten lassen, weil dies die wohlfeilste Artist, den Mohammedanern den Gedanken zu benehmen, ihren auswärtigen Handel selbst trei­ ben zu wollen. Die Nazionalversamlung hat sich auch die grobe und unverschämte Behandlung der Algierer gegen die französische Nazion gefallen lassen, und mit ihnen einen neuen Handlungs­ traktat errichtet. Frankreich gewint dadurch, daß die mohammedanischen Seeräuber die Hand­ lung der christlichen Mächte beunruhigen, zu viel,

r. Von dem Adel.

-7

ükel, als daß es von ihnen nicht alles erdulden und alles anwenden solle, um sie bei guter Lau­ ne zu erhalten. (Die Fortsetzung folgt.)

Von

dem

Zweites

Adel,

Stück.

Ueber ein Fragment des Aristoteles.

habe neulich etwas über den Adel geschrie­ ben, in soferne er Landständische Rechte hat. Dieser Stand verdient aber noch eine besondere Betrachtung, auch ausser diesem Verhältniß; denn unter allen Mcnschenwcrken hat dieses vielen, selbst Philosophen, von jeher das unerklärbarste geschienen. Es ist, sagte man, beqreiflick, daß die Könige und Fürsten, nach dem Recht der Ge­ burt zum Regiment gelangen, ohne Rücksicht auf persönliche Fähigkeiten, oder Verdienste; e6 ist begreiflich, daß man Rathsherren nach dem Loos, und Pfarrer und Offiziere nach der Anziennität wählt;

28

2. Von dem Ades.

wählt; es ist beinahe natürlich, das; Reichthum An.'chen giebt u.s. w. Aber daß, ohne einen Un­ terschied in der Zeugung und der Geburt, doch ein Unterschied unter dem Gezeugten sein feite: das scheint alle Begriffe von Ursache und Wir­ kung zu verwirren: daß die heutige Welt die Vorwelt vieler Jahrhunderte fragen muffe, wen sie ehren und achten soll; daß der Stempel, bett die Verwelk aufgedruckt hat, durch sechs, durch zehen, durch zwanzig Generazionen seinen Karakcee nicht allein nicht verlieren, sondern ihn immer noch tiefer eindrücken solte; die neue Welt aber sogar das Recht, solche Sremvel auszudrücken. Verloren habe: das, sagen sie, scheint ein Phä­ nomen, welches nicht seinesgleichen hat. Schon Aristoteles fand zu seiner Zeit dieses Phänomen der menschlichen Kunst so schwer, daß er es kaum zu erklären wagte, und daß er, was ihm so selten geschieht, seine Verlegenheit nicht verbergen fönte, als er es zu erklären im* ternahm. Dieser scharfsinnige Philosoph hat ein eigenes Werk über diesen Gegenstand geschrieben, wovon aber nur ein Fragment bis auf uns ge­ kommen ist. Dieses Fragment enthalt zum guten Glück die Hauptidee des Philosophen, und es wird meinen Lesern nicht unangenehm sein, hier eine Uebersetzung davon zu lesen, so gut ich fte liefern kan.

2. Von dem Ades.

29

„ Ich weiS iiv dir That nicht, wie ich daS, was man den Adel nennt, ansehen, und zu welch einer Gattung von Dingen ich diejenigen zählen soll, die ihn besitzen." „Die Verlegenheit, in welcher ich mich 6e« finde- ist auch sehr natürlich. Denn Gelehrte und Ungelehrte sind hier zweifelhaft, und wenn auch stiner oder dbr' andere etwas von dem We» se» des Adels sagt- so ist doch alles so nnbestimc, daß' Man sich nichd daraus finden kan. “

„ Die erste Frage, die man zu erörtern hätt te, scheint mir die zu sein : ob der Adel unter diejenigen Dinge gehört, die man sonst für rhrwürdlg und vortreflich halt, oder aber, wie Ly­ kophron der Sophist sagt, ein ganz einzelnes Ding sei, das nicht nach den gemeinen Begriffen des Ehrwürdigen und Dortrcflichen .zu beurtheilen wäre. Denn wenn dieser Sophist den Adel mit den andern menschlichen Eigenschaften,, die wie gut nennen, vergleicht, so gesteht er, daß der Werth desselben sehr unerklärbar sei.. Der Karaster Adelich, meint er, wäre allerdings eh« reuvoll; der Werth aber desselben liege nur in dem Wort, und in der Sache selbst wäre, zwischen Adelich und Unadelich kein Unterschied." „ Es ist ferner auch sehr zweifelhaft, un­ ter was für eine-Art von Menschenwerth der Adel

30

2. Von dem Adel.

Adel zu rechnen sei, und wem dieser zukomme? “

Vorzug

„Einige sagen, der Ware adelich, der von vortreflkchen Eltern geboren ist, und dieser Mei­ nung ist SokrateS zugethan Denn deswe­ gen, sagen diese, wäre die Tochter des Aristides um ihres Vaters willen für adelich geachtet wor, den. Simonides Hingegensoll, als man ihn fragte: Wer adelich wäre? geantwortet haben, er halte diejenigen für adelich, die aus einer lan­ gen Reihe reicher Vorfahren abstamten; und ich sehe in der That nicht warum man ihm dieses Wort so übel aufnehmen will. “

nung.

„ TheognLs war hingegen anderer Mei­ Er sagt in seinen Versen:

Oie Menschen ehren sehe, em übliches Geschlecht; Doch mit den Reicheren verschwägern sie sich lieber.

Und wahrhaftig, wer wurde nicht lieber den vor­ ziehen, der selbst reich ist, als den dessen Vater und Grosvater reich war, und der nun nichts hat? Hätte er also nicht vielmehr sogar sagen sollen, daß man auch recht thue, wenn man sich lieber mit den Reichern verschwägert, als mit den Adelichen ? Der Werth, den drese haben, liegt in der vergangenen Zeit; jene haben den Ihrigen tn der Gegenwärtigen. Und eben das tonte man

2. Von dem Adel,

3i

man auch denen antworten, welche nicht sowohl auf den Reichthum, als auf den wahren Men» schenwerch sehen, und also die für Adekch Eilten wollen, deren Vorfahren vorzüglich tugendhaft ge­ wesen find. Denn die Tugend der Menschen, mit welchen wir leben, ist uns wichtiger, als die Tugend ihrer gestorbenen Voreltern. Von seü nem Vater erbt einer diesen Werth eher als von seinem Ahnherrn; und uns liegt mehr dar­ an, daß einer selbst e i n M a n n v 0 n E hre sei, als daran, 4)6 fein GroSvater oder Urgrosvater einer gewesen ist,. Mich dünkt es ist hierauf wenig zu antwor­ ten. “ „ Wenn wir nun also weder in dem Reich­ thum der Vorfahren, noch in irgend einem Stück ihrer Vortreflichkeit einen Grund finden, warum man ihren Sohn adelich nennen softe, so müssen wir uns bemühen diesen Degnf auf eine andere Art heraus zu bringen. Und wie das? " „ Das Wort Adelich*) sagt eben soviel als Wohlgeboren. Wohl, nennen wir alles was gut und lobenswürdig ist; wie z.B. wohlse­ hend, wohlgestaltet n.s.w. Immer sagen wir das von guten oder schönen Dingen. Wohlgestaktet, wenn einer einen Vorzug in seiner Ge. stalt

*)

Z2

2_. Don dem Adel,

statt. Hatz §e hat."

wohlsehend,wenn einer ein gutes Au-

„Nun giebt es aber auch allerdings etwas, das gut geboren, ist; und etwas, das nicht guc geboren ist, und dieses unterscheiden wir nach eben diesen Vorzügen, ober ihrem Mangel. Wir se­ hen also, daß der Adel in dem Vorzug der Ge­ burt besteht, weil er denen zugeschrkeben wird, die wohlgeboren sind." „Mich dünkt, wir können uns nun besser dcü Zweifel auflosen, warum die, deren Vorfah­ ren den Vorzug des Reichthums öder der Tugend hatten, Adelich heissen, und nicht die, welche sol­ che Verzüge selbst besitzen. Denn in sich ist es wahr, daß wer selbst 'olche Vorzüge hat, sich eher darauf berufen, als der, welcher sie nur in seinem Grosvater rühmen kau; und daß also jener eher den Adel besitzen solte, als dieser, wie auch viele sagten, wenn sie die gemeine Meinung von den adelichen bestreiten wollen; wie z. B. Eurip i d e 6:

Nicht deines VaterS Werth, dein eigner adelt dich. Aber das ist falsch, und mit Recht wird der Adel in dem Werth der Vorfahren gesucht. Auch ist die Ursache davon nun sehr begreiflich. Denn der Vorzug, weswegen wir einen Wohlgeboren nennen, muß

2, Don dem Adel.

33

muß in der Geburt liegen. Ein solcher Vorzug aber fern in Nichts gesucht werden, als in rtiem Geschlecht oder einer Folge von Geburten, in welcher viele erscheinen, die Vorzüge hatten. Das geschieht aber, wenn der Anfang, der erste Ur­ sprung eines solchen Geschlechts vorzüglichen Werth hatte. Hatte der erste eines solchen Geschlacktes diesen, so wird er mehrere hervorbringen, welche ihm gleich sind. Denn das ist gewöhnlich, daß, wie der Ursprung war, so auch das werde, was daher entsprungen ist. Wenn nun also einer in einer Familie aufsteht, der so vielen Werth hat, daß er ihn seiner Nachkommenschaft Mtttheilt, durch viele Generazicnen; so muß ein solches ganzes Geschlecht vortnfiich werden; und zwar ein vortrefllches Menschengeschlecht, wenn der Ei­ ne ein Mensch; oder eine vortrefliche Pserderaee, wenn er ein Pferd war; und so ist es bei al­ len Thiergeschlcchten. ° „ES sind also nicht die'Neichen, nicht die vortrcflichen Menschen durch ihren Reichthum oder durch ihren Werth Adelich, sondern sie sind eS wirklich durch das, was ihre Voreltern waren, und anders können wir nach dem Begrif des Wortes nicht reden; denn wenn wir sagen Wohlgeboren, so deuten wir auf den Ursprung einer ganzen Generazion."

N.Mus. Ian.§r.

C

„Bei

34

2. Von dem Adel.

„Bei weitem aber muß man nicht glauben, daß deswegen alle die Adelich, oder Wohlgeboren waren, deren Eltern und Voreltern es waren; sondern nur die sind es, welche selbst wieder soviel Werth haben, daß auch ans ihnen Wohlgeborne stammen können. Wenn also einer zwar selbst vielen Werth hätte, aber er hätte nicht die Kraft, ihn auch auf seine Kinder zu bringen, so können diese sich nicht für Wohlgeboren halten; auch kan ein solcher Vater sich nicht als Vater von Adelichcn ansehen. ES muß also zugleich der Stamvater und auch alle die, welche von ihm Herkommen, gleichen Werth der Vortrcflichkeit haben; und selbst der Werth des Vaters giebt den Adel nicht allein, sondern seine Nachkommen erhalten ihn nur von ihm, weil er aus einem Ge­ schlechte war, das diesen Werth hatte." Es ist wunderbar zu sehen, wie ein so scharf­ sinniger Philosoph, als Aristoteles war, sich so viele Muhe giebt, eine gemeine Meinung zu verdrehen, um sie vernunftmäßig zu machen; wie sehr er sich an eine Worterklärung des ’iuygvite, Wohlgebohren anhält, ohne zu gedenken, daß die nämliche Sache auch bei andern Nazio« nen von jeher eingeführt war, und mit ganz an­ dern Namen bezeichnet wurde. Schwerlich wür­ de man ihm auch eingestehcn, daß jeder Adeliche nur so weit adelich wäre, als er selbst Werth habe,

2. Von dem Adel.

35

habe, und diesen fortpflanzen könne. Das Wesen des Adels besteht gerade darin, daß er nur «ine Eigenschaft der Geburt fein soll, ohne Rück­ sicht auf andere Eigenschaften. Aristoteles scheint inzwischen wirklich in der Meinung gestanden zu sein, Laß die Idee von dem Adel aus einem wahren physischen Un­ terschied der Geburten entsprungen fei, und daß man nur deswegen in der Anwendung bisweilen fehle, weil man den Abarten, auch den Karakker der Arten gebe. Er sagt deswegen in seiner Politik im IV. D. VI. Kapitel nach der Eon» ringlschen Ausgabe; „Man glaubt nämlich, daß, wie von Men­ schen nur Menschen, und aus Thieren nur Thiere aezeuat werden, so auch aus tour» diaen Menschen nur Würdige entspringen müßte». Und in der That, die Natur wog­ te das gern auch öfter thun, aber sie ver­ mag eS nicht."

Plato war mit allem seinen Hange zur Poesie doch in dieser Sache etwas kälter. Er gesteht, daß unter den Menschen kein so großer physischer Unterschied sei, daß man einige bloß ihrer Geburt wegen für besser als andere halten könte. Da er aber doch in seiner Republik einen Unterschied der Stände nöthig findet, wie er «S auch wirklich C ist;

36

2. Von dem Adel,

ist; und da er sich nicht zu hoffen getraute, daß die bloße Wahl des ersten Standes diesem die Verzüge geben tonne, welche er ihm nach seiner Einrichtung geben müßte, wenn nicht irgend ein Vorurtheil derselben rhre Sanktion gäbe: so grün­ dete er seinen Adel auf eine Fiktion und erlaub­ te seinen Staatsverstehern die einzige Lüge, wo­ mit sie dem Volk drese Fiktion für Wahrheit verkaufen tonten.

Wir wollen nämlich, sagt er, das Volk glauben machen, daß die Natur verschiedene Mas­ sen habe, aus welchen sie die Menschen bilde. Zu einigen dieser Massen hat sie Gold, zu andern Silber, Erz oder Eisen gemischt. Die aus der ersten dieser Massen geformten Menschen sind allein tüchtrg zum Negieren und zu der Verthei­ digung des Staates. Solte sich jedoch auch die­ se Lüge nicht bald verrathen; so durfte er nicht annehmen, daß die Menschen, deren Masse mit Gold vermischt wäre, sich selbst fortpflanzkcm Er ließ sie also wählen. Um jedoch auf der einen Seite dem Widerspruch, baß ein goldener Mensch Vater eines sehr eisernen werden tonte, zu be­ gegnen, auf der andern aber, denen, welche die Wahl zu treffen hätten, alle Reize zur Partei­ lichkeit zu nehmen, ließ er alle Kinder gleich nach der Geburt untereinander werfen, und erst dann die goldenen herausziehen, wenn ihr Alter ihren Ka-

2. Von dem Adel.

37

Karakler entwickelt und den weisern Staatsvor­ stehern die Zeichen angegeben hätte, wodurch sie bessere Menschen von den schlechtern unterscheiden tonten. Auf diese Weise bediente sich Plato einer List, um den innern drückenden Unterschied der Stande durch eine Art von Aberglaube zu heiligen, chne diesen Abexglauben schädlich zu machen. So wie aber Plato6 Republik nur ein ost schönes Ideal ist, so beareift man leicht, dass sie uns zu Erklärung der Natur des Adels nicht genügen kan; und so wie Vorurtheile, die dem größten Thiul der Menschen beschwerlich sind, sich nie allein erhalten tonnen; so wird man auch noch viele Nebenursachcn aussuchen müssen, in welchen das Ansehen des Adels gegründet ist, i:ub. wir werden uns nicht bloß mit dem Ausspruch, daß dasselbe auf einem bloßen Dorurtheil ruhe, begnügen tonnen. Wir werden uns den Weg zu dieser thu tersuchung am ebensten machen, wenn wir vor al« len Dingen angeben, nach welchem Maaßstab die Menschen den Werth ihrer Nebenmenschen zu messen pflegen. Hobbes giebt in seinem Leviathan, wie mich dünkt, diesen Maasstab nicht unrichtig an: n The Value or the Worth of a man, a sagt

s. Von 6cm Adel.

38

sagt er: „ is of all other things, bis Price.

That is so much as would begiven for the ufe of bis Pow’r; and therefore it is not ab­

solute, but a thing dependent on the Head and Iudgement of another. *) P. 1. Cap. i o.

verstehe das so;

Ich

wenn man zween Menschen mit

einander vergleicht ,

und die Macht und Wirk«

samkcit des Einen und die des Andern zu Geld anschlägt;

der

so wird derjenige, welcher nach

Gesinnung seiner Zeitgenossen am meisten Macht hat, am meisten wirken kan, den größten Werth besitzen.

Ich wist jetzt nicht untersuchen, ob HobbeS den innern Werth eines jeden Menschen durch

seine allgemeine Sähe auSschlicße. er ist nicht auszuschließen;

Mich dünkt,

aber er muß nach ei«

nem andern Maaßstab gemessen

werben.

Hier

ist die Rede bloß von dem äusser« Werth. Die Macht, oder die Wirksamkeit

eines

jeden Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft ist

nun *) Oke Schätzung, oder der Werth dcS Menschen ist, sein Preis in dem Verhältniß mit andern Dingen. Das heißt, er gilt so viel, alS man zahlen mLgte, um die Macht zu kaufen, die er hat. Deswegen ist dieser Werth nicht sclbststän« big, sondern er hängt ab von der Einsicht oder der Meinung der andern.

3. Von dem Adel.

39

nun übet von zweierlei' Art. Einmal diejenige, welche die Gesetze und der gesetzmäßige Stand ei­ nem jeden zu theilen; und dann die, welche er ausserdem in sich selbst hat. Die erste Art dieser Wirksamkeit, oder viel­ mehr, um bestimter zu reden, dieser Wirknngssa«, higkeit, bleibt jedem Menschen und jedem Stande so lang als das Gesetz bleibt. Wenn also der Adel, von dessen Werth wir hier reden, durch das Gesetz gewisse Vorrechte hat, die ihm eine größere Macht, eine größere Wirkungssahiqleit ge­ ben; so ist allerdings, nach Hob des richtigem Urtheil, dessen Werth in dem Staat größer. In dem Fall beruht auch dieser Werth auf keinem Vorurthcil, sondern er beruht auf dem Gesetz. Der Adel liegt also in so weit ausser den ©reu# zcn einer philosophischen Untersuchung. Auch ist er in so weit nicht nach andern Grundsätzen zu beurtheilen, als die andern Stande, die, auch wo die Glieder derselben keinen persönlichen Anspruch zu irgend einem Verdienst haben fönten, doch dessen unter der Begünstigung der Gesetze ge» nicßen. Der nichtswürdigste Pfarrer heißt in dieser Rücksicht Ehrwürdig; der dumste Doktor Hochgelahrt; wieder übelgsborne Junker Wohl­ geboren heißt. Anders ist es aber mit den Vorzügen, wel­ ch« «in jeder durch sich selbst und seinen persönli. chen

40

2. Don dem SlbeL

eben Werth ansprechen kan. Diese sind, wenn wir Den dem äussern Werth eines Menschen spre­ chen, wieder ven zweierlei?trt. Einige sind so beschaffen, daß man sie von einem jeden Menschenfodert; wie z. B. Rechtschaffenheit, Treue u. d. gl. andere aber zetchnen die Menschen voneinander aus.

Zene sind offenbar nicht hinlänglich, den Adel zu begründen. Denn, La sie allen gemein sein sollen, so macht deren Besitz nur allen gleich, und deren Mangel macht geringer, als Mensch. Die andere Art von Vorzügen ist aber sehr wandelbar Sie hangt, wie Hobbes richtig bemerkt, von der Meinung der Leute über drese oder jene Eigenschaft ab. Diese Memung macht, mehrere von dem Emen, welchen sie begünstigt, abhängig, und vermehrt also seine Wirksamkeit; sie giebt den Wirkungen derselben großem Werth, folglich ihrem Urheber mehr Ansehn und Wurde.

Der Kanzler Bako, ein Mann von vieler philosophischer Erfahrung, bemerkt, daß in den menschlichen Gesellschaften gewöhnlich drei Dmge nach einander, der Gegenstand der gemeinen Ver­ ehrung und der Wünsche eines Volkes würden, „In reipublicae alieuius adolefcentia, " saat er, „ arma fiorent, media aetate, Litterae, devexa autem aetate, artes mechanicae et Mer-» ea-

s. Don dem Adel,

4t

cptura* *) Die Staaten der alten Welt, Hrie* chenland und Rom, und tn der neuen Enaland, Frankreich, Italien, Deutschland, fd)etnen nur alle drese Bemerkung zu rechtfertigen; eben dieselbe erklärt uns aber auch den Ursprung des Ansehens, das dem Adel zugeschrieben wird.

Die Haupterforderniß des Adels aller Nazionen liegt in dem Alter seines Ursprun 6. Der Ursprung desselben fallt also in die erste Epoche, welche Da ko angiebt, unö welche er die Jugend des Staats nennt, worin die Waffen am meisten blühen, d.i. in welcher die Meinung des Volks denjenigen den höchsten Werth giebt, welche sich in den Waffen hervor thun. Sowohl die alten als die neuen Volker haben die kriegerische Tapfer­ keit immer als den Hauptzug tn den Stiftern der adelichen Familien angesehen.

So wie aber keine Tugend erblich ist, so ist es allerdings auch die Tapferkeit nicht. Es scheint also auch, wenn wir auf den Ursprung des Adels zurück aehen, noch immer ein Vorurtheil, daß dennoch diese dem Sohn und dem Enkel schon im vorIn der Jugend eines Staates blühen die Waf­ fen, tn seinem männliche?» Wr die Wissenschaf­ ten, in seinem Greisenstand Künste und Han» del. Serin, fidel. IV.

42

2. Don dem Adel.

voraus zugetraut werden, daß man ihm schon im voraus deswegen eben die Vorzüge einräumen solte, welche sein Vater oder sein Ahnherr hatte.

Schon die ältesten Dichter und Weisen ha« ben es ost genug wiederholt, daß ein vortreflicher Vater nur selten einen Sohn habe, der ihm ähnlich wäre; Homer sagt in der Odyssee:

Wenige Söhne nur sind den Vätern ähnlich; die meisten Werden schlimmer, und besser ist einer kaum ober der andre. Nach ihm sagt Euripides ebendas in den Herakliden; und Demosthenes halt eö beinahe für ein Gesetz des Schiksals, daß immer die besten Menschen die schlechtesten Kmder hin« terlasscn. Das Vorurtheil ist also eher gegen den Adel, als für denselben, und man hat es in Grie­ chenland und Nom zum Sprichwort gemacht, daß die Sohne der Helden nie etwas taugen. Demungeachtet werden wir sehen, daß viele Nekenursachen mitwirkten, dem Vorurtheil für den Adel mehr Kraft beizulegen, als dem, welches gegen ihn stritt: und daß, um dieser Nebenursachen willen, wo nicht der väterliche Werth, doch das väterliche Ansehn, das durch diesen Werth er>>n dringend und posttib)

Sag­

tet Ihr etwas, das mich anging? Jüngling. (Verlegen) Ich sagte... Ich sagte.. . Nun ich weis nicht gleich, was ich sagte... Ich sagte, Sie wogten es halten, wie sie weiten. Diogenes, (gong) Diese Bescheidenheit ste­ het jungen Leuten sehr wohl. Ich war, da ich in Encrm Alter war, ein sehr bescheidener Kna­ be; kan wohl sein, daß ich nun um etwas zu­ dringlicher geworden bin.

4* Diogenes und der Jünglinz.

84

Ihr würdet nicht Dio­

Jüngling.

genes fein, wenn Ihr es nicht geworden warcr.

Diogenes. (Verfall gebend) So gefällst Du mir, guter Jüngling.

Dieses Ihr berechtigt

wich zu dem vertraulichen Du.

fort;

Setz Den Ton

wir Griechen tonnen ihn überaus wohl

leiden. Jüngling, '(nut einem schüchternen aber Exge-enhs?itt.vellen Blick)

Mit Eurer Erlaubniß.

Ihr

seid eine Frucht, die herber aussieht, als sie zu ge. nicfien ist. Diogenes,

(überaus gewinnend)

Sprache verspricht etwas

Diese

(Er rotu ihn kaffen)

Jüngling, (sich durchwindend)

Das laßt.'

Wenn Ihr nicht Diogenes wärt.—

Diogenes, (mit Eulhusiasmus)

Ich weite

den schönen Gedauien von Seinen Lippen küssen.

I U n i) 11 n g. (errdU'end und etrotij srvttgch-Ihx fort Neigung nehmen und geben.

Thessalien. Diogenes. Giftig

Seid Ihr auS

Werden Deine Geschäf­

te bald angehen? Sagtest Du mir nicht vorhin, Du hattest Geschäfte?

I ü n g l i n q . (m Verwirrung) Sagte ich das ? Verzeihet, guter Alter;

betroffenen Impertinenz,

es war die Sprache der

Ich habe keine.

Diogenes, (lehr bedachtsam und ernfrbnft)

Dein Herz bereitet sich, ohne daß ich etwa» mehr

als

4. Diogenes und der Jüngling:

85

als Worte dazu thue, selbst vor eine Wahrheit zu rwpfakgeN/dieD ir wichtig sein soll.

Zünglinq. ^mit Resignaztcn) Ihr habt mich, in .Euren Handen, Macht mit mir was Ihr weit. Diogenes, (bedächtig) Itzirst du.Deinen. Weg peirer forrsetzcn als bis an jenes Landhaus, dorr vor uns? 2 tt ngling. (stutzig werdend) Warum fragt Ahr fd ? Zch gestand Euch, ich hätte keine Ge-. schaftd. Diogenes, (lächelnd und güng) Ihr jungen Leute gesteht einem, ehe ihr euchs verseht mehr,^ als mau haben will 2 ü ngli 11 g. (feuerrot!))

Was hab' ich Euch-

gestanden ? lind was hab ich zu .gestehen ?

Diogenes.' (immerlacheuid) Nichts!

2Ü Nglkng. (liebenswürdig, schmollend)

Zhx

West Leute aufziehen, wie Ihr'S dem Zlsexauder, gemacht h'abt.

Diogenes (kalt) Du wirst also dort Dei­ ne Geschäfte zu verrichten haben, und ich werde wich von Dir trennen müssen. 2ün al i ii g ^halbüuffabreud) Sagte ich Euch, doch, ich, hätte hier keine Geschäftes Was dringt Ihr Geständnisse aus mir heraus, die ich Euch nicht geben tan?

Dio,

86

4- Diogenes und der Jüngling.

D i o g e n e 6.(2bn vertraulich bet der -Hand fassend) Ich dringe sie nicht aus Dir heraus; sie entwi­ schen Dir wider Deinen Willen: Deine Augen und Wangen verrathen sie. Jüngling. Ihr liebt den Ahorn nicht; sonst würde ich Euch unter den Schatten dieser Baumes einladen. Diogenes. Ich merke, Du kanst spotten: Aber vielleicht liebst Du nicht den Ahorn; son­ dern das, was Du unter ihm zu finden ge­ wohnt bist... Wollen wir uns nicht dem Land­ hause nähern? Jüngling. Ommer betroffen) Ihr nehmt Eins und gebt Zwei wieder. Aber (Nachdenkens ist dies die Vorbereitung auf die Wahrheit, die mein Herz empfangen und die für mich wichtig sein soll? Bisher gabt Ihr nur Sophismen! Diogenes. lagernd) Wer legt die Si­ chel an den Halm, ehe denn er reif ist?... Aber sage mir, machest Du diesen Weg oft? Jüngling, (betreten) Ich mache ihn. nein. . . nun ja! ich mache ihn nicht selten.

Diogenes, (mit billigender Mene) Du wol-

test sagen: ich mache ihn so oft, als es mir mein Fleiß erlaubt. Jüngling, (mit gesenktem Blick) Es kan sein, daß ich das wolte; aber ich wolle mich nicht selbst rühmen.

Droge-

4. Diogenes vnd der Jüngling.

87

Diogenes, (um sichblickend lind sein« Lage verr ändernd) Weißt du was, Jüngling?

Jüngling, (aufmerksam)

Ich bore.

Diogenes. Die niedergehende Sonne liegt

auf dem offenen Alkan jenes Landhauses;

und

die Stralcn ans dem Wandspiegel dort blenden Dich:

Laß uns unsern. Blick abwärts kehren.

I u,n gling . (mit ihm die Lage verändernd) Jhx habt Recht; der Schimmer war mir auch zuwk«

der.

Diogenes,

(mitbedenkender Miene)

Mögtp

er Dich nimmer wieder tauschen? Schimmer und Wesen sind zwei urv rträgliche Dinge. Jüngling. (fius Wort fallend) Das Du selbst angezündet hast, und das in deinem Alter vielleicht glimmcu, aber nicht binnen soll. Ich N g l t N g. (mit emporgrhvbeue» Augen) Wer gibt mir, den Mut und die Krasce seinen Aus­ bruch zu hemmen! Diogenes, fenlschloffen) Der Dienst der Welsheit. Entsinnest Du Dich, was der Dich­ ter sqgt?

Jüng-

4- Diogenes und der Jüngling.

39

Jüngling. Dringt mich darauf; aber gießt nicht Ocl in diese Flainme!

Diogen es, (mit hinreissender Würde) höre:

Sl>

Die-Götterkraft, die dich durchfleußt, Veflässle deinen Feuergeist, Und.treib' aus kalter Dilmmerüng, Gen. Himmel seinen Merschwung.

Er badet sich im Sonnenmcer, Und Klüthett 'strölnet uw t'bn der: Dann wandelt seln vcrkillrter'Sinn Durch alle. Schhpftwü Gottes hin; Und er durchspclhet,' wckgt, genießt, Wns jn bet (Achbpftmg herlichrifl, Und stellt es dar in.Med.' und,Sang, Doll Harmonie, wie Himmelöklang. 5:1t tiöJtirjq, Ihr legt eine Kraft in diese Worte, die ich bei Lesung derselben nicht empfatv den habe. Diogenes. Die Dichtkunst hat immer ihre eraene Kraft; aber vielleicht war damals dein Herz nicht offen- genug. Jüngling. Und doch osnet die Lsebe Her'

zen Diogenes. Nicht jede Liebe; und nicht füb Alles. Imngling. (mit Wärme) Ab Wendungen ausmachen, sind also höchst verderbe

Kch.^) -

Deo

Die große Preisfrage, welche vor einigen Ichs ren aufgegeben ward: zu bestimmen,. waS jedem Stande insbesondre mö* thig und nützlich sei zu lernen Und zu wissen? weiset Zwar auf ein in unsern' schweren und daher crwcrbsüchtigen Zeiten, sehe ; Mllkowneö und glänzendes Projektsie ist aber nicht-allein unmöglich zu beantworten/ sondern e6 würde der sicherste Weg zu der zu' ' verläßigsten Abwürdigung des ganzen menschlk:. d).en Geschlechts, und zu einem alles fesselnden Despotismus sein, wenn'es möglich wäre, die­ se Frage so aufzulösen, daß die Grundsätze derVeantwortung in die Denkungsart des Volks über ' Erziehung übergiengen, oder in der Gesetzbgeung gebraucht werden tönten. Es ist sehr merkwürdig und sehr sonderbar, daß gerade.diejenigen, wel­ che auf freie Ausbildung des Menschen .in N. Mus. Fehr.-r. K der

14.6

3- Betrachtungen über die Einziehung

Der alte Cato, der als Feldherr,, Gcsehgeder, Richter, gleich groß war, und den Cicero, zugleich mit solchem Interesse' von der Land­ wirthschaft reden läßt,*) kan so eigentlich nicht zum Beispiele aufgestellt werden, wenn von ei« nem armen Landprediger die Rede ist, der von kleinen Feldern mühsam seinen Unterhalt erwer­ ben soll, SontagS seinen Dorfeingesessenen pre­ digt, und ihre rohe Jugend unterrichtet. Aber in diesem engen Kreise kan auch der arme Land­ prediger ein respektabler Mann sein, und sich so. gar einen erhabenen Karakter erwerben, wenn er die eingeschränkte Bestimmung ganz erfüllt, und auf die Menschen um sich her alles wirkt, was seine Lage veranlaßt. Das erfodert aber ei­ ne ganz andre Denkungsart, eine ganz andre Bildung des Geistes und Kenrniß der Welt und der Menschen, als die ausschließliche Deschäfti» gung mit Wissenschaften gewähren kan. Ausserdem erfodern diese, wenn sie die Haupt­ bestimmung eines Menschenlebens ausmachen sol­ len, der Erziehung so sehr dringen, den Menschen und den Bürger, die Bedürfnisse und Verpflich­ tungen jenes und dieses, immer wieder vermi­ schen und verwechseln, und wo cs aufs Praktische ankomt, immer den Menschen dem Staatsbür­ ger durch ihre ewige Rücksicht auf das unmit­ telbar Nützliche aufoxfern. *) de Seneftute,

der Güter dex Geistlichkeit in Frankreich.

147

len, einen Aufwand auf Hülfsmittel, der. die Kräfte eines Landgeistlichen weit übersteigt, da dieser von seiner großtentheilS geringen, höchstens mäßigen Einnahme, kaum einen 011(15116151’11 Un­ terhalt hat : -(unter den Protestanten gar noch mehrentheils eine > Familie ernährt) Der Land­ geistliche wird also immer aus unendlich vielen und wichtigen Gründen, vom ausschließlichen ein­ samen Studiren abgezogen, und zu mancherlei andern Beschäftigungen veranlaßt: und unter diesen ist die Landwirrhschaft, welche das allge­ meine Interesse aller die ihn umgeben ausmacht, eine der angemessensten. Zch will hierauf noch nicht sogleich die Folge ziehen, daß e6 durchaus Vortheilhaft sei, wenn er genöthigt wird Landwirthschast zn treiben, indem ihm sein Unterhalt darauf ange­ wiesen worden. ES wird dadurch vitllleicht man­ cher zu Beschäftigungen gezwungen, zu denen ge­ rade er nicht aufgelegt oder geschickt ist. Es ist ihm vielleicht nachtheilig, unter seiner Gemeine als der unwissendste und ungeschickteste in diesen Angelegenheiten zu erscheinen. Freie Wahl wür­ de ihn hingegen auf den Gegenstand kttcn, km er gewachsen ist, und der jene Nachtheile nicht hat, eben weil er nicht auferlegt ist, und sein Unterhalt nicht nothwendig davon abhängt: aber der Grund, daß die Bestimmung des Predigers K * mit

148

3« Bemerkungen über die Einziehung

mit diesen Beschäftigungen sich nicht vereinigen lasse, und darunter leide, ist sehr schwach. Eine andre Erinnerung, die Herr Garve macht, ist diese: der Karakter leide durch die beständige Aufmerksamkeit auf Kleinigkeiten in der Einnahme. Die BeMerkungast richtig, und es ist sehr zu wünschen, daß eine Veränderung in manchen Theilen der geistlichen Einkünfte getrof-fen werden möge. Die Erhebung der Natural« gefalle veranlaßt leicht Uneinigkeiten, bei denen der Geistliche, oft ohne seine Schuld, in einem unvor« theilhastcn Lichte erscheint, und das gerade da, wo es seinem Berufe am nachtheiligsten ist. Ohne es eben so weit zu treiben, als der englische Pfar« rer, welcher seinen Antheil an den Ananas ver« langte, die einer seiner Zehntpflichtigen im Treib. Hause zog, wird er leicht auf eine unanständige Art habsüchtig werden, oder es scheinen. Die fixen Accidenzien haben großentheils noch beträcht« sichere Unbequemlichkeiten. Abhängigkeit vom Wohlwollen der Gemeine, kan, bei schlechter Denkungsart derselben, Niederträchtigkeiten ver. anlassen. Alles dieses trift beim Landhaushalte nicht, ein. Es können auch dabei durch Kvllisio. ncn des Interesses nachtheilige Folgen entstehen; allein auf den individuellen Karakter komt bei jeder Einrichtung vieles an: und sind die Übeln Folgen einer erzwungenen Aufmerksamkeit auf Klei«

der Güter der Geistlichkeit in Frankreich. 149 Kleinigkeiten in der Einnahme, nicht gleichfalls mit einer solchen Aufmerksamkeit in der Ausga­ be verbunden? Diese aber ist allemal in de» eingeschränkten Umständen nothwendig, in denen sich die Landgeistlichen größtentheils immer befin. den werden, auch wenn man sie auf Geldcinnah. me setzte. Sie muß vielmehr in diesem Falle ver­ doppelt werden^

Ich erwarte also noch Belehrung über die Frage, wclche.Art die Geistlichkeit zu besolden die vortheilhafteste sei,. von Männern, die den Land­ geistlichen unter allen seinen Verhältnissen beob­ achtet haben- und aus eigner Erfahrung reden können. "■/ Alle diese Untersuchungen haben auf den Entschluß der. französischen Nazionalversamlung,, wodurch sie die Güter der Geistlichkeit der Nazion vindicirt hat, wenig Einfluß gehabt. Ganz, andre Gründe haben dies Dekret veranlaßt, wel­ ches aufd.cn Zustand der Nazkon in den kommen­ den Zeitaltern, in mehr als einer Rücksicht den. grösscsten Einfluß haben wird. Die herschenden Grundsätze der Staatsökonomle und das herschcn. de System bürgerlicher Verfassung verlangte» auch diese Reyosuzion, die unter so vielen, aus de­ nen die Zerstörung und neue Erschaffung des fran­ zösischen Reichs besteht, eine der wichtigsten ist.

Die

iso

z. Betrachtungen über die Cinzkehuttg

Die großen Einkünfte der hohen Geistliche feit selten beträchtlich vermindert werden. Aber das ist noch eine Kleinigkeit. Der größte Theil der geistlichen Güter gehört Stiftungen, die nicht zum Unterrichte, oder zum Dienste der Re­ ligion, für die Bedürfnisse des Volks unmittelbar bestimt sind. Theils zogen Ordensgeistliche, theils andre Denefiziaten, die Einkünfte. Was auch der Ursprung dieser Stiftungen gewesen sein mag: in unsern Zelten waren die Personen, welche ihre Einkünfte genossen, bloß als eine Klasse von St w ^bürgern anzusehen, denen der Niesbrauch eines Theils des Landes auf Lebenszeit verliehen ist. Diese Personen siud natürlicher Weise der Mlsgunst des großen Haufens ausgesetzt. Er kan sie weder für Elgenthümer, noch für Besoldete an­ sehen. Der Ursprung und die wahre Beschaffen, heit dieser Stsstnngen, ihre Verhältnisse zum gan­ zen Staate, und Einfluß auf denselben, sind viel zu weit über die Kentnisse des großen Haufens, und vorzüglich ihr Zusammenhang mit dem ge­ meinen Wesen ist viel zu verwickelt, als daß er sogleich in die Augen fallen solte. Die Den­ kungsart, welche diese Stiftungen heiligte, ist ver­ schwunden. Sie wurden nur als eine reiche Quelle des Müßigganges und des' Luxus angese­ hen: und aufgehoben, um mit dem Kaufgelde die Staatsschulden zu vermindern.

Das

-er Güter der Geistlichkeit in Frankreich. 15 x Das Recht über diese Stiftungen überhaupt zu disponiren, kan der gesetzgebenden Gewalt im Starre wohl nicht streitig gemacht werden: Manche derselben sind unter besondern Bedingun­ gen zu Gunsten gewisser Familien gemacht. Auf diese muß besondre Rücksicht genommen werden, wenn eine Veränderung vorgehen soll: und das ist sogar von der Nazionalversamlung geschehen, welche sich so selten und so schwer bequemt, ein­ zelne Umstände in Betracht zu ziehen. Wo aber keine Personen besonders gegründete Ansprüche zu machen haben, da steht natürlicher Weise dem Staate das Reckt zu, über die Bestimmung der Stiftungen im Ganzen zu disponiren. Person, liche Rechte, persönliches Eigenthum kan der Willkühr der Verfahren die es erwarben auch noch in später Enkel Händen unterworfen sein: öffent­ liche Anstalten aber, die sich auf das gemeine Bedürfniß beziehen, gehören der gegenwärtigen Zeit an, denn diese kan allein selbst ihre Bedürf­ nisse beurtheilen. Die ehemals ertheilte oder vorausgesetzte öffentliche Bewilligung kan hier nicht auf ewig binden: denn eS ist unmöglich, daß ein Geschlecht seine Nachkommen in Absicht auf eine Angelegenheit dieser folgenden Gefchlech« ter auch da binde, wo niemand mehr existict, der das Recht hätte zu widersprechen: und ein späteres Jahrhundert kan unmöglich von den Einsichten, den Vorurtheilen, den Bedürfnissen ei­ ner

151

z. Betrachtungen über die! NnzichvvZ

nes frühern abhaugen. Das Recht des Eigen­ thums ist zwar der Grundstein aller bürgerlichen Verfassungen: allein bas Recht des Besitzers, auf künftige Zeiten, lange nach seinem Tode zü disponkren, geht nicht vor der Einrichtung der bürgerlichen Gesellschaft,- weder in seinen Gründen noch der Zeit nach, vorher: und die Modifikazionen dieses Rechts hängen überhaupt vom Ge­ setzgeber ab: vorzüglich aber in dieser Bezie­ hung auf eine allgemeine und bloß öffentliche An­ gelegenheit. Die Absichten der Stifter verdienen Achtung. Aber eben diese Absicht würde vereitelt werden, wenn der Buchstabe ihrer Verordnung, nach Jahrhunderten, unter ganz veränderten Um^ standen befolgt würde. Sie wolten etwas Ge, meinnütziaes -stiften, und bestimten cs nach des Einsichten ihrer Zeiten. Es ist nicht mehr ge­ meinnützig, sobald die Anstalt der ganzen Den­ kungsart des Zeitalters widerspricht. Die wohlthätiae Absicht des Stifters wird also erfüllt, in­ dem spätere Zeiten, nach ihren veränderten Ein­ sichten den besondern Endzweck verändern. Denn es geht diesen Einrichtungen, wie allem was auf unbestimte Zeit gemacht wird. Die Menschen And die Umstande ändern, sich so sehr, daß sie nicht mehr in das alte Fachwerk passen. Die -geistlichen Stiftungen haben in den ältesten Zeiten dazu gedient, den ersten Grund zur Kultur des Landes zu legen. In folgenden Jahxhunderten

find

Her Güter der Geistlichkeit in Frankreich.

153

sind sie die Zuflucht der Wissenschaften und Kun» sie gewesen,. da alles übrige ewig mit Angreifen und Vertheidigen beschäftigt war. Ganz auf dieselbe Art können sie jetzt nicht mehr zu diesen Zwecken dienen; und doch tönten sie wohl noch auch in unsern Zeiten, da sich die Staaten all» mählig dahin neigen, der Industrie und dem Handel ausschließlich zn dienen, vielleicht bald wieder die einzige Stütze der Kultur des Gei­ stes werden. Ueberhaupt ist der Vortheil, den diese gros­ sen Stiftungen den Staaten gegenwärtig leisten, noch immer sehr beträchtlich: und er tonte er­ staunlich groß werden , wenn sie nach wohlüberdachten Grundsätzen verändert würden. Dieses zu thun, wäre die Nazionalversamlung vollkom­ men befugt gewesen. Der Schritt aber, den sie gethan, die Stiftungen zu zerstören, und die Güter zu Bezahlung der Schulden anzuwen­ den, tönte nur durch die äusserste Nothwendigkeit entschuldigt, nicht gerechtfertigt werden. Der Nutzen, den solche Stiftungen den Staaken bringen, besteht vorzüglich in folgen­ den : Zuerst ernähren sie eine große Menge von Personen aus den höhern Ständen, welche sonst dem Staate unmittelbar, oder ihrer Familie und durch diese wieder auf mannichfaitige Weise dem Staa-

i54

3* Betrachtungen über di» Einziehung

Staate zur Last fallen würden. Diese Art vott Versorgung giebt dem Adel die Mittel sich im Wohlstände zu erhalten, indem das Familiengut nicht zu sehr verspürte» wird, wenn jüngere Brü­ der Denefizien genießen. Diese Erhaltung alten Familienvermögens ist zwar bei den demokratisch gesinten Reformatoren Frankreichs sehr verhaßt: ihren Grundsätzen zufolge soll die allgemeine Freiheit des Erwerbs, den Reichthum, der sich auf einer Seite zertheilt, hinreichend in andern Individuen wieder Herstellen. Die Summe des Nazionalvcrmögens mag sich auf solche Art viel­ leicht gleich hoch erhalten: allein es ist weder in sittlicher noch politischer Rücksicht gleichgültig, .daß eine Familie verarmt, wenn gleich cme an­ der an ihrer Stelle reich wird. Der schleunige Mechsei. der äusser» Umstande erzeugt gewöhnlich alle Laster, auf einer Seite des armen Stolzes, und auf der andern des hoffärtigen UebermuteS. Auch auf die Staatsökonomie hat dieser Wechsel die nachtheiligsten Folgen. Es entsteht daraus eine Unsicherheit in den Quellen des Erwerbs für die untern Klassen, und ein Schwanken der Nahrungszweige, den nur die größten Städte ohne Nachtheil tragen können.

Für eine andre, dem Staate nicht weniger wichtige Klasse, können diese Stiftungen ebenfalls höchst wohlthätig werden: Für diejenige, welche sich

ter Güter der Geistlichkeit in Frankreich. 155

/Ich mit

Verwaltung der öffentlichen Angelegenhei« ten beschäftigt. Zwar sucht auch der erste Stand, einige der ersten Familien ausgenommen, diese Dienste. Der Ehraeiz findet jetzt in der Theil« tiehmung an der Staatsverwaltung eine Defrie« Itviing, da der Stolz der Unabhängigkeit, in den so sehr geänderten Verhältnissen der neuern 'Zei­ ten, nicht mehr so viel werth ist, als ehedem. Aber die in unsern Zeiten unendlich komplizirte Verwaltung des gemeinen Wesens erfodert eine sehr große Zahl von Männern, die sich durch eine allgemeine wissenschaftliche Bildung und durch Er« tverbung besondrer Kentnisse zu diesen Diensten qualifiziern. Ein sehr beträchtlicher Theil dersel­ ben fällt immer kn eine der Geburt nach geringere Klasse. Es ist aber dem Staate an der Ausbil­ dung und an der Ehre, selbst der subalternen De. dienten, welche ohne jene Bildung nicht zu erhal­ ten steht, ausserordentlich viel gelegen; denn die Stellen, welche sie bekleiden, geben unvermeidlich Ansehen und mannichfaltige Gelegenheit, andern zu helfen und zu schaden. Man verlangt also anständige Erziehung und gelehrte Bildung bes Kopfes , welches alles einen ansehnlichen Aufivand in frühern Jahren vorausseht. In den Stellen, welche die Belohnung dieser aufgewandten Mühe, Sorgen und-Kosten enthalten, liegt Veranlassung zu mancherlei Verbindungen mit Hohem. Durch die Geschäfte mit diesen verflochten, lernt die

Klasse,

i.56

z. Betrachtungen über die Einziehung

Klasse, von der ich rede, die Bedürfnisse und die Vergnügungen der Höher» kennen nimt allmäh« lig manches von ihrer Denkungsart, ihren Nei« Zungen und Sitten an. Sie wird allmählig der ersten Klasse in allem ähnlich, was die Lebens, weste derselben angehl, nur nicht in den Mitteln, die erregten Wünsche und Erwartungen zu befrie­ digen. Ich weis cs wohl, daß eben in der Mit­ telmäßigkeit des Vermögens und des Ranges die Ursachen liegen, warum sich eben dieser Stand durch Einsichten und Thätigkeit auszeichnet; daß er die Tugenden, die seine Zierde ausmachen, bald verlieren würde, wenn man ihn dem höher« voll­ kommen gleich setzte, von dem er wahrscheinlich nur die Thorheiten, und nicht seine eigenthümli­ chen Vvrzüae annehmcn würde. Aber das find gerechte Erwartungen dieses Standes, .wenn er vom Staate nicht nur einen nach den Umständen anständigen Unterhalt und Bequemlichkeiten des Lebens, sondern auch die Mittel verlangt, seine Kinder zu dem Stande der Eltern zu erziehen, und Aussichten auf die künftige Verssrgung der­ selben. Es ist unmöglich,, dies glles durch Pen­ sionen und Gratifikazionen. zu thun. E,S wäre ein ungerechter Bedruck, das geringe Volk mit Auflagen dazu zu beschweren. Die geistlichen Stiftungen sind hingegen eine Quelle, die zu bei­ den eben auSgcführteu Bedürfnissen genutzt wer­ den kan. Ehemals waren sie bestimt, daß eine Menge

der Güter der Geistlichkeit tn Frankreich, j 5 7 Äcenge von gottseligen Personen (so solte es sein) ein kontemplatives Leben führten. Jetzt, da sich d'le Begriffe der ganzen Nazion (in Frankreich gewiß) über den Werth dieser Bestimmung ge­ ändert haben, mögen sieMoch immer dazu dienen, daß eine große Zahl' vo'n Menschen, denen durch ihre Erziehung unmöglich gemacht'wird, tu die Klaffe der Arbeitenden vollkommen zurück zn treten, in ihnen Unterhalt finden, ohne irgend jemand zu belasten, oder dem Staate etwas zu kosten. Die Beibehaltung einiger Kloster in protestanti­ schen Landern ist bekantlich in dieser Rücksicht eine ausnehmende Wohlthar.

Unter dem ehemals in Frankreich herschenden System der Administration traf alles dasje­ nige, was ich von subalternen Staatsbedienten gesagt habe, nicht ein. Dieses System, wel­ ches in einigen Theilen aus einer großen Ketts von Unterdrückungen und Misbrauchen bestand, gab in diesen Siruazionen nur allzuviel Gelegen­ heit sich zu bereichern. Geldüberfluß war daher in dieser Klaffe weit mehr als in den hohem. Allein die Lage hat sich sehr geändert. Schon durch Reckers frühere Bemühungen waren vor der Revoluzion die Quellen dieses skandaleusen Er­ werbs sehr eingeschränkt, und die allgemeine Refornl der Staatsverwaltung durch die Razionatversamlung hat das vollendet, was jener Mini­

ster

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Z. Betrachtungen über die Einziehung

ster angefangen. Von nun an wird also alles das, was ich aus Beobachtung der Umstände in Deutschland gezogen, auch auf Frankreich zutreffen. Das alte System in Ansehung der geistlkdien Benefizien, har noch sehr beträchtliche Vor­ theile , in Absicht auf die Wissenschaften und auf die Kultur des Verstandes in hohern Ständen. Die Benefizien werden .an solche Personen verge­ ben , deren Erziehung Bekantschaft mit den Wis­ senschaften vorauösetzt, und Neigung zu ihnen er­ zeugen kam Unter der großen M^nge von Denefiziaten, darunter sich natürlicher Werse viele leichtsinnige Müßiggänger befinden, sind auch viele, die edlere Beschäftigungen erwählen, und die Muße, die ihnen das Schicksal vergönnt, zur Kultur des Genies anwenden. Hiebei gewinnen aber die Wissenschaften selbst und die allgemeine Kultur der hohern Stände ausserordentlich.

Die Wissenschaften und Künste gewinnen selbst unendlich dabei, wenn sie vom Zwange der Derufspfllcht frei, als bloße Liebhaberei getrieben werden. Sorgenlos erwählt ein solcher den edle­ ren Vergnügungen des Geistes ergebne unabhän­ gige Gelehrte nur die Wissenschaft, nur die ein­ zelnen Theile derselben, zu denen er besondern Trieb in der Anlage seines Geistes fühlt. Keine Pflicht nöthigt ihn zu einer Beschäftigung, die nur

der Güter der Geistlichkeit in Frankreich. 159

nur von allem Gefühle der Pflicht befreit voll» kommen gelingt. Andre, denen Wissenschaften und Künste zugleich eine O.uetle des Erwerbes find, werden durch Rücksicht auf. Geldverdienst, »der durch die Nothwendigkeit frühe von sich reden zu wachen, um sich in ihrer Laufbahn vorwärts zu drängen, zu manchen Schritten gezwungen. Sie müssen früher, als sie aus freier Wahl mög» ten, als Schriftsteller Auftreten; sie müssen auf den Geschmack des Publikums, auf die Laune des Augenblicks Rücksicht nehmen; schlagt die Erwar» tung fehl, so sind sie an ihrer ganzen Ehre, oft an ihrem Unterhalte gekränkt. Das persönliche Interesse verdirbt auf allen Seiten das reine Zn» Messe der Wissenschaften. ES ist wahr, auch dieser Zwang erzeugt auf andern Seiten viel Gu­ tes; denn, wenige Menschen arbeiten mit allen Kräften, wenn sie nicht etwa müssen > und es wird auch, viel pflichtmäßiqe Arbeit erfodert, da» mit alle Bedürfnisse der Nazion in diesem Fache befriedigt werden. Aber die vorzüglichsten Werke deS Geistes, die den menschlichen Geist voran, dern zu bilden vermögen, entspringen nur aus völlig freiem Antriebe, und wir verdanken die edelsten Früchte des Nachdenkens und des Genies mehrentheils der Muße und der freien Neigung ihrer Urheber. Auf die Hervorbringung von Werken des Genies kan es zwar überhaupt nie« Mals und auf keine Art angelegt werden. Sie ent.

i6o

z. Betrachtungen über die Einziehung

entstehen ohne Zuthun rüenschlicher Vorsorge, und öft trotz allen enkge verwirkenden Umständen. Aber^ die Bearbeitung und Verbreitung der Wissenschaft ten erfedert weit mehr nech, "als solche Meister­ stücke. Sie gewinnen ungemein bei den liberalen Bemühungen guter Kopfe, die, vom Zwange- frei, ihrer Neigung und dem Publiko zugleich dienen/ Es ist hier nicht bloß um die Wenigen zu thun, die sich durch Schriften um ihre Zeitgenossen untf tim dle Nachwelt verdient machen. Durch eine weise Verwendung einiger geistlichen Stiftungen kan der ganze Stand der Lehrer, welcher in den Mehresten Ländern in so trauriger Verfassung ist^ vör dem Drucke der Umstände und der schreckliche»' Abhängigkeit von ihren Schülern und deren Ver­ wandten erlöst werden. Ja auch ein großer Haufen völlig müßiger Benefiziaten kan der Nazion sehr großen Nutzen bringen, wenn ein guter Genius in der Generazion überhaupt herscht. Ein großer Haufen solcher, die mit absichtloser Kultur des Verstandes ihr Leben zubringen, nutzte seiner Nazion, indem sie in den höhern Ständen, deren gesellschaftliches Leben sie würzen, allgemein in­ teressante Kentnisse, eine liberale Denkungsart verbreiten, und die Eingeschränktheit des vorurtheilvollen Geistes eines jeden besondern Standes mildern. DieAbbe's, die man in Frankreich in vornehmen Familien dazu hielt, damit jemand da

sei, zu jeder Zeit über jeden Gegenstand zu schwa­ tzen.

der Güter der Geistlichkeit in Frankreich.

i6i

hen, werden dazu wohl nicht viel bei'getragen ha­ ben : sie mögen eher manchen verleitet haben ztt glauben, er könne selbst aller feinen Kentnisse und Nachdenkens entbehren, weil sein Abbe das für ihn thue. Allein solche litterarische Hausthiere gehören gar nicht in die Klasse, von der ich hier rede.

Durch die große Menge milder Stiftungeis in Frankreich, hätten ferner auch für die untern Stände wohlthätige Absichten erreicht werden können. Vielleicht hätten der Sraatskasse einige Lasten dabei auf eine Art abgenommen werden können, dadurch diejenigen selbst gewonnen hätten, die bisher den Genuß jener Ausgaben hakten. Man hätte etwa Znvaliden darin versorgen ton» hen, und so den Gegenden, in denen bisher die Klöster, welche ihre Einkünfte auf der Stelle ver­ zehrten, den Mangel des Gewerbes ersetzten, die­ sen Vortheil erhalten, den sie verlieren müssen, wenn reiche Kapitalisten die Klostergüter kaufen, und den Ertrag in großen Städten verzehrert wollen.

Für unzählige Bedürfnisse des Staates wa­ ten also hier reiche Quellen vorhanden. Wenn die Güter, welche diesen Zwecken geeignet sind, oder werden tönten, einmal veräussert worden, so ist nicht mehr daran zu denken, daß jemals wie­ der ein beträchtlicher Fond dazu gesammelt werde. N.Mus.2-br. si. L Alle

j6z

z. Betrachtungen über die Einziehung

Alle Endzwecke, welche auf das wahre Wohl der Nazion den größten En fluß haben, werden im­ mer den politischen Bedürfnissen des Augenblicks, dem Kabinetsinteresse, weichen müssen. Bei je­ der Federung der Art, wird eine gewissenhafte Adrm'nistrazion immer mit strengster Genauigkeit untersuchen, ob es nothwendig sei, auch diese Ausgabe, der Nazionalschahkammer aufzubürden, deren Einflüsse dem schwer belasteten Volke so Ml kosten. Die ausserordentlich großen Domainen der deutschen Landesfürsten (welchen zwar in anderweitigen politischen Rücksichten große Nachtheile anhängen) geben wohlthätigen Adminlstrazivnctt Mittel zu solchen Ausgaben, ohne daß sie dem Volke zur Last fallen. In Frankreich existirt auch dieses Hülfsmittel nicht mehr.

Gesetzt aber auch, der Staat hatte" uner­ schöpfliche Zuflüße, und konte vollkommen für alle diese Bedürfnlsse aus seinen Auftm ften sorg'n: so wäre es dennoch sehr vorteilhaft, daß dies kicht aus einem Fond geschehe, über welchen den StaatSbedientcn unmittelbar eine völlig freie Disposizion zusteht: und daß ihnen nur dieKollazion der Denefizien zugehöre. Herr Garve macht am angeführten Orte eine sehr wohl gegründete Bemerkung, daß die Vertheilung der im allgemeinen zu gewissen Zwe­ cken

der Gäter der Geistlichkeit in Frankreich. i63

dir Mittel sich zu heben, und den ersten des Lan? des gleich zu werden. Man hat gegenwärtig iti Frankreich diese Art der Aristokraten zugleich mit her Erbaristokratie ausgcrottet: allein cs wird in einem so großen nach demokratischen Grunds tzeu eingerichteten Reiche unfehlbar bald eine neue nab gefährlichere Aristokratie an die Stelle aller andern treten: die Aristokratie des Reichthums» der in unsern Zeiten, durch die neuentstandenm Verhältnisse, allmächtig wird» Die Gründe, welche gegen das alte System vorgetragen werden, und die Abneigung gegen die weltliche Würde und den Reichthum dxr Geist­ lichkeit, sind vorzüglich gegen die eigentlichen Diener der Religion gerichtet. Die hohe Geistlichkeit der römischen Kirche wird freilich durch den Besitz großer Domainen, und damit verbuudner gutsherrlrcher Rechte ver­ anlaßt, sich mehr in dieser Eigenschaft dem Adfl gleich, als wie besoldeter Diener der Religion und des Staates anznsehen: allein eben hierin liegen ausserordentlich große Vortheile, wenn man die Sache aus einem hohem politischen Gesichtspunk­ te unsicher. Ich übergehe die in französischen Schriften bis zum Eckel wiederholten Vcrwür« se nud Ermahnungen zu der Armut und der

*74

3* Betrachtungen, über die Einziehung

Lebensart der Apostel zucückzukehren. Unsern Mlßionarien tonnen diese letztern zum Muster in allen Stücken vorgestellt werden. Der fortwäh­ rende Unterricht und Dienst der Religion in einem seit Jahrhunderten der christlichen Religion erge­ benen Volke, erfodert Veranstaltungen nach den Bedürfnissen der Zeiten und der Lander. Nun hat zwar das ganze SubordinazionSsystem der römischen Kirche unstreitig erschreckliche Folgen für die Völker gehabt, die ihm unterworfen waren. Der Haß der französischen Nazion .gegen dieses System ist warlich gut gegründet. Wenn man nur die Geschichte der Unruhen liefet, welche die Butte Unigenitus in dem.laufenden Jahrhunder­ te erregt har, so wird es sehr begreiflich, daß ver­ ständige und wohlwollende Manner herzlich wün­ schen jenes ganze System zu zerstören. Aber es hangt dieses gar nicht an dem Besitze der Gü­ ter, welche jetzt der Geistlichkeit genommen wor­ den sind. Die Exemtio fori allein ist es, aus der die fürchterlrchen Folgen der Hierarchie ent­ springen, und die Konfiskation der geistlichen Gä­ ter hebt diese nicht auf. Sie zwingt die Geist« lichkeit vielmehr, sich immer mehr an die Hierar­ chie fest zu schließen. Ehrgeiz und Hochmut sind jeder Klasse von Menschen eigen, denen ein aus­ gezeichneter Stand angewiesen ist. Weltliche Macht, Ehre und Reichthum geben diesen Lei­ denschaften andre Gegenstände, dadurch sie dem Volke

der Güter der Geistlichkeit in Frankreich.

17$

Volke weniger lästig werden: und auch die RSLeuten haben den hohen CleruS weniger zu furch, teil, wenn feine Glieder zugleich weltliche Für­ sten und Barone verstellen, als wenn sie bloß geistliche Fürsten eines überirdischen Reiches sind, dessen. Besitzungen in einer andern Welt liegen­ vermittelst deren sie aber auch in: der irdischen die Gemüther fesseln.

Jenes kan auch übertrieben werden. Hin und Meder mag die hohe Geistlichkeit allzu reich und mächtig feilt. Dreimalhunderttausend Du­ katen,.jährlicher Einkünfte, die der Erzbischof von Toledo, der gewöhnlichen Angabe nach, haben, soll; mag zu. viel sein. Aber der ganze Plan, .dir Geistlichkeit durch Einschränkung,de^, Einkünfte, iht rer Häupter zu schwächen, den auch der Kaiser Joseph der Zweite befolgte, halte den vorgfsttzren Endzweck dieses gewaltthätigen Monarchen ver­ fehlen müssen. Das Korps der Geistlichkeit wür­ de unstreitig am fur^tbarsten sein, wenn es aus tinetn Heere von lauter Bettelmönchen bestände, die nach dem Systeme der röniischcn Kirche subvrdjm'rt waren.

Geldrekchthum aber und große Besolduiw gem würden, in der erwähnten Absicht nicht daS leisten, was bei; Besitz von Gütern tl)«L Durch diese erhält der geistliche- Stand ei» gemeinschafy iicheS Juteresse mit andern Klassen von Staarsi bür«

176

z. Ketrachtutigen über die Einziehung

Bürgern. Sie, die vorzüglich in der römischen Kirche durch die Gelübde von den übrigen Men­ schen abgesondert werden, treten dadurch wkrdek kn mannichfaltiger Absicht in die allgemeine Ge­ sellschaft zurück. Es bedurfte in Frankreich nur eines einzigen Schrittes, um sie mit derselben auf das Genaueste zu verbinden: und dieser Schritt war im Junius 1789 bereits durch die Erklärung geschehen, daß die Geistlichkeit aller ^Exemzionen in Ansehung der Auflagen und geweinen Lasten freiwillig entsage. Die nachtheikigen Folgen, welche für die Unterthanen deutscher geistlicher Fürsten aus dem Systeme der Landeshoheit entstehen, treffen die landsaßige Geistlichkeit nicht.

Eine andre Unbequemlichkeit, die auch Herr Garve bemerkt hat, entsteht freilich daraus. Die Geistlichkeit wird durch den Besitz eigner Güter auch noch von dieser Seite miteinander verbun­ den, und sinder darin Veranlassung und erhält dadurch die Macht, sich auch solchen Neuerungen zu widersehen, die für das allgemeine Wohl sehr Wünschenswerth sein wogten. Es ist unleugbar, Neuerungen werden dadurch erschwert. Allem der Geist der Zeiten wirkt so unwiderstehlich auch gegen die eigensinnigsten und mächtigsten Korpora, baß die Neuerungen, die von der Srimms der Nazion wirklich verlangt werden, doch ant Ende

der GÜttv der Geistlichkeit ist FraMeich. 177 Ende erfolgen' müssen, w.eünu dis'Verfassung! des Volks in Absicht auf Gesetzgebung/ der öffentlichen Stimmt nur die Wege cfutt, mit Nachdruck zy redenr Und dies: man in Frankreich')durch die Berufung der Stände, geschehen. Die Hicrar. chie, in England ist so eigensinnig, so unverandcü lich in ihren. Grundsätzen, als irgend eine' andrer Wenn malt aher die Neue.Geschichte der englische« Gesetzgebung in- Kirchensgchen verfolgt, so sinder «Mn, Uie schr sie .von Zett zu. Zett inwchreK Kampfe für Intoleranz, iiiib Unterdrückung ver­ liert, und m:e sie ohne. Nevolugon, bloß'-durch dir Allgemein zunehmenden iibetaleren.; Gesiunuüg kisi, und durch die Stimme des PuklMlkstS gezwungen wird, nöthige innere Reformen nach) und nach.zu veranstalten. Später erfolgen diese.Nsurrun> gen, wenn ein mächtiges Corpus widerstrebt/ als wenn der gqizzr inkereßjrte. Stand aus- ciuzelneU besteht, dfe von dem Regenten abhängig sind, rmd einer in den andern keine Slützerfinden.' Aber es ist eine schwere Frage, ob diesis schäre.re nicht auch in diesem Falle, wie! in manchen anderst, im Gqnzoji durch die Vortheile ausgewogen wei­ de, die mit der Anhänglichkeit an das Alte, Her» gebrachte verbunden sind. Wenigstens würde, aus dem Systeme; dit Geisslichkeit-guf Besoldungen in Geldern..setzen, ein entgegengesetzter sehr großer Nachtheil ent­ springen. Sie wlkd dadurch nämlich vom Ne, N. Mnk. Lebe. NI. M aen-

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z. Bemerkungen über die Einziehung rc,

genten zu sehr abhängig. Die geringere Geistlich» keit, die einen so eben hinreichenden Unterhalt em­ pfangt, wird immer versorgt werden müssen. Aber die höhere Geistlichkeit kan in Abhängigkeit von der Schatzkammer erhalten werden, ohne daß Ge­ schrei entstehe. Zn den mchresten großen Nei­ chen geschehen die Vesoldungszahlungen nicht mit pünktlicher Genauigkeit. Selbst in England, wo rin Aufschub der öffentlichen Zinszahlungen, der in Frankreich eingeschlichen war, vielleicht eine Netzellion berutsachen würde, ist die Schatzkammer in. hen übrigen Zahlungen MehreNtheils zurück. Zürich ein fürchterliches Werkzeug wird aber nicht die Geistlichkeit in den Händen des birigircn» den Ministers werden, wenn er durch die Zah­ lung binden und lösen kan. Durch die- Gütet der Geistlichkeit wird dieser ganze Stand in einer UnabKängigkeit von der AdministrazioN ! erhalten, die in der That sehr wünschenswerth ist, und in Frankreich das Hauptaugenmerk der Nazional» versamlung bei sö manchen Dekreten ausgemacht hat. Aber auch hier, so wie in Unzähligen an­ dern Fallen, sehen diese von leeren allgemeinen Sätzen Und von Vorurtheilen berauschten Gesetz­ geber nicht ein, daß sie gerade dahin eilen, dem sie zu entfliehen Meinen.

Hannover.

Rehberg.

4Josephs

Tod.

O jugendliche, duftende Rose! — Du So stolze, hcilverkündcnde Herschcrzcit! — Wie Bienen, schwieete» summend um dich Dvlker, schon lüstern des GönrrhonigS. Da tilgte sie Sein Tod (ein Gewitter!) weg j Entfaltet, ach! dem harrenden Maien kaum Mit ihres Segens Wvhlgerüchen, Stachen nur immer noch ihre Dornen, Noch würgt der Krieg den Sohn und den Vater hin» Das Wohl -er Lande starrer Im Froste noch; Oer fernen Ernte freuet kaum die Saat sich entgegen Im Muttcrschvoße.

Ach! unsrer Ankunft Garden versengt der Bliz! Da stürzt Ec hin, dein Joseph, den frühen Sturz, O Zeit! rin Bräutigam aus deinen Armen, den Armen der Kaumvermählten! Denn, wie sie brünstig Ihn auch umschlungen hielt, An ihrer Brust, die Thatengekckrerln, Daß schon der Segcnskeime tausend Ihrer Umarmungen Kraft rntsproßten; Hin stürzt Er, daß des pldzllchcn Sturzes sie Entsetzt zusammcnschauderk: die Ewigkeit Erhält Ihn, mütterlich erschrocken, Kaum noch in Seinem so jähen Lalle. M 2 Doch!

iZo

4« Josephs Tod.

Loch! sie erhält Ihn! Heil dem Unsterblichen! Es werden Seiner weisere Enkel spät Sich freuen im Genusse der un5 Jetzo nur keimenden Aussaat Josephs. Doch wie^ ^?ur Keime würden, o Äolk, dir ?— Ha! Triumfescrnten künftige Zeiten! voll Don Kraft und Segen, daß der Früchte Josephs es strotzet in deinen Scheuern !

§um Lorbeerwalde wird dir Sein Siegeskranzz Der Halbmond bebet deinen Panieren, daß Er blaß schon, vor der Kaiseradler Stürmendem Wehn, des Erlöschens zittert.

Den Aberglauben reutet' Er aus zuerst Aus deinem Göttergarten, Religion I Kristallenbäche sanfter Duldung Strömen dahin durch die Dustgefilde; Und alle deine Blüten gedeihen nun: Verschieden pfleget jeder sein Blümchen; doch In Einem Blumenstrauß, in Einem Duften harmonisch vor Gott sie alle! Und,Freiheit, wie des jungem Amerikas Triumse kaum sich rühmen, wird Dolksgenuß! Kein zügelloses Hufesstampfcn Lobender Füllen aus ofner Haide:

Ein sesselloser Lanz, wo sich sanftern Schritts Fürst, Graf und Herr und Bürgerund Bauer freun Z Denn, samt der Kette des Gewissens, Brach Er auch mutig, mit Löwenkrästcn

Die

4. Josephs Tod.

i8i

Die eisernen Gebisse der Sklaverei, Lirannenarbeit ganzer Jahrhunderte Oer kleinen-Herrlein, daß des Bruches Schmetterndem Klange die Menschheit jauchzte. Es prale Frankreich stolzere Siege nur! Was dort sie Gutes thaten, des Guten erst Beginnen, das ist uns schon lange Lorbeergekrönte Vollendung Josephs!

Mag her urIL hin, ein zweites Sarmazien, Dort, jeder Herruch zerren sein Vaterland! Wie so beglükter folgen wir dem Einem im friedlichen Vaterhause;

Dem Einen, wenn er König und Bürger ist, Des Vaterlandes Vater und Genius, Wie Mark Aurel, im Leben leben Lehrt, und, wie Sokrates, sterbend sterben. Doll eigner That, ein thatenerweckender Aufruf! das war Sein Leben ! Sein Tod, der Preis Oes stolz geklungnen Wohllauts! Also Tönt' Er hinüber in's Chor des Himmels! Von des Hinüberstcömenden Siegeslaut Schallt's durch der Zukunft Liesen, Urenkel noch Laut weckend, daß sie nach in ihrem Leben Ihm hallen,. Ihm.nach im Tode!

Ihm nach in's Herscherleben, Austrasia, Dein schönster, dein entzückendster Engelton! O sieh, mit deines Volkes Jubel Hallt Er herüber aus fernem Süden, Mit

i82

5.Ueber ein athekljensiftheS PsephiSma.

Mit seiner Thaten tönendem Köcher, Er Mit seinen tausend Segen, dein Leopold! Mit Seiner tiefen Herschcrwcisheit, Seiner Unsterblichkeit Göttcrrüstungk

Noch treiben wir auf offener Mecrcsflut, O Leopold t empörter Orkane Spiel; Hin nach der fernen Glücks Gestaden Ging, die gefahrvolle Fahrt des Bruders« O du, der. Stürme scheuend und Wetter nicht. Klug, wie Odüsscu» war, und wie Rodney kühn, Die Gallevne Deiner frcmdcrn Volkes, ein mächtiger Segler, führtest:

Nach Deiner Heimat kom, du Gewaltiger! Und spann' all' unsre Wimpel und Segel auf, Des Wohl-Gestade zu! — Triuwf! ihr Völker! wir landen! Triumf! wir landen!

Emanuel Ernst v. Schönberg.

5Ueber ein atheniensisches PsephiSma, oder Volksdekret, gewiffe Verbindungen mit den Sidoniern betreffend. An der reichen Samsung griechischer Denkmäler

;u Oxford befindet fich eine Inschrift, oder viel­ mehr Urkunde, auf einer Marmortafel, deren In­ halt

5. Ueber ein atheniensische- Psephisma.

i8z

halt sich auf gewisse von einem Könige z» Sidon den Athenienscrn gethane Vorschläge bezieht. Sie ist, soviel ich weis, noch von keinem Gelehrten er­ läutert worden. Sie scheint mir aber doch eini­ ger Aufmerksamkeit werth zu sein. Die Inschrift, von der ich rede, ist in dem großen Werke, Marmor« Oxonienfia, (Oxford 176;) im zweiten Theile unter der Nr, XXIV. ab« gedruckt. Sie ist aus der Samlung, die D a w» Eins der Universität geschenkt hat. C h a n d l e r sagt im Verzeichnisse, diese Inschrift sei ihres Al­ ters, ihres Inhalts qttb der Orthographie wegen merkwürdig. Der lehtx Umstand gehört nicht in mein Fach. Ich werde mich hier bloß mit dem Alter und dem Inhalt beschäftigen. Der Marmor, worauf die Inschrift steht, ist oben beschädigt, so daß in der ersten Zeile ei­ nigt Buchstaben ganz oder zum Theil fehlen. Es hat aber nicht schwer sein könne», sie durch Kon« jektur ans dem Zusammenhänge zu ergänzen. Ue« berscht, lautet sie im Deutschen folgendermaßen: „ Der Senat von Athen hat dafür gesorgt, daß die vom Volke ernanren Gesandten an den König aufs anständigste abreisen," „Dem von hem Könige derSidonier hier An» gekomnen ist zu antworten: daß die Athenicn« ser nicht eripangesn werden, die Wünsche eines gegen das Volk von Athen immer freundfchaft» sich gesintcn Königs zu erfüllen." „Daß

$• Ueber ein atheniensischeS Pfephis'ma.

^Daß Strato, Kbnig'dcr Sidonier, für seine Person und Nachkommen cm-Gastfre'unh des Volks der Athenienscr sein soll, *‘„ Diesen Volksschluß soll der Rathsschreibep binnen zehn Tggcn auf eme Marmortgfel einhanen lassen, und sie in der Burg (Akrovvlis) aufstellcu. “ „ Zur Verfertigung dieser Tafel mit der Zuschrift sollen die Schatzmeister dem Rathsschrei» her dreißig Drachiyen aus den zehn Talensen geben, “ „ Der Senat soll auch mit dem Könige der. Sidonier wegen gewisser Zejchen Übereinkommen, Hamit das Volf der Athenienscr Gewißheit habe, wenn der König der Signier jemand in Ge< schäften an sie senhct, und daß der König der Sn bpptct Gewißheit -habe, wenn, .jemand von dem Volke, her Athcykenser an ihn gesandt wird. “

„ Der Gestmdte des Königs der Sidonier soll zn einer Dcwir'thung morgen im Prytaneum eing'clüden werden." „ MeNexetius hat noch folgendes vorgeschla, gen, wie auch --Kephisodotus: den SidonierN, die zu Sidon wbhnhast sind, aber wegen Handels» geschästen sich zu Athen-aufhallen, soll die Fremdensteucr nicht abgcfcdert werden; sie sollen von' dem Thorsühreramtc befreit sein; sie-sollen--die ausserordentlichen Kriegsbeiträge nie bezahlen. I.In

Ueber rin -athem'enstscheß Pfephisma,

igg

I. In btefetp Psephisma kommen keine andre Data vor, woraus man den wahrscheinlichen Zeit« punft seiner Abfassung errathen tont?, als die bei, den Namen Strato und Kephisodotus; denn der dritte Men.exenns. giebt wenig Licht. Stratos Geschichte ist bekant. Er w«r König zn Sidon, als Alexander nach der Schlacht bei Jssut nach Sirien kam. Die Sidonier unterwarfen sich dem jungen Sieger gleich. Das 'M aber gegen Stratos Rath geschehen sein, Vielleicht erfuhr dies Alexander von Stratos Feinden, Er sihte ihn ab, und machte einen gewissen Ab dolonimuS, der ein Abkömling der alten Könige von Sidon gewesen, sein, nnh bis dahin als Pri­ vatmann im Dunkeln gelebt haben soll, zum Konid, Der eigentliche phönizische Name dieses,Kö' riigs lautete wohl etwas anders als Strato. Cs ist bekam, daß die, Griechen durch ihre Ans» sprgche fremde Namen ganz unkenbar-machten. Strato wurds vonAlexander abgesetzt im Jahrevor Christi Geburt.

Der zweite Name, der uns zur Bestem» mung der Chronologie dieses Psephisma dienen kan, ist Kephisodotus. Ein Mann dieses Namens war Axchon'zu Athen im Jahre 458 vor Christi Geburt, also sechs'nnd zwanzig Jahr vor Srra-

186

5-

Ueber ein athem'ensische- Psephlsma.

Stratos Absetzung. Er wird zwar in der parischen Marmorkronik, in der letzten der Chandterischen Ausgabe, so wie auch in der ersten der Seldcmschen, Kephisodorns geschrieben. Al­ lein in der Pri'deaurschen Ausgabe (S. 173 wird er KephisodotuS genant, und in den histori­ schen Anmerkungen (1) des Thomas Lydia« rus wird gezeigt, daß KephisodotuS der rechte Name sek. Die parische Kronik w:ll den Archon nennen, zu dessen Zeit die Phozäer durch die Plünderung des delphischen Tempels Anlaß zu dem sogenanten heiligen Kriege gaben. Der Nun hieß KephisodotuS. Neun Jahre aber vor ihm war ein Archon Namens Kephisodorns. Diodor von Sizilien unterscheidet sie. (1) Beide Namen scheinen öftrer miteinander Verwechselt zu sein. In einer Rede des De­ mosthenes wird die nämliche Person, die an einer Stelle Kephisodorns heißt, an der andern Kephisodokus genant. Man sehe ReiSkens Ind, hiftor. zum Demosthenes, un­ ter diese» Namen. In den Reden des De­ mosthenes kommen zwei Kephi'sodore und zwei Kephisodote vor. Der eine von den Heiden letzter» wird durch de» Beinamen 0 ex WectueaVf der Ceramenser, oder her aus der Töpfer­ ei) Jo de» redintegf. annotat. p,7*. und IN den notis historicis p, r??. (r) Lib.XVl, p.6iu. 86. edit. Weisel,

5, Ueber rin athrmrnsischeSPsephisma»

Töxfervorstadt

x8Z

gebürtige, Imtterschieden; (?) der

andre durch den Beinamen der Böotier. (4)

Der aus der Töpfervorstadt war ein Ad»

vokal von größten Ruf und Einfluß in den Ge­ richten.

Ich bitte meine Leser acht zu geben, ob

das, w'as weiter unten von den Vorschlägen die» stS KephisodotuS zur Begünstigung der Si« donier verkommen wird, nicht vielmehr einen Ad-

vokalen, der sich seiner gut bezahlenden Klien,

tcn mit allem möglichen Eifer annimt, als einen weisen Staatsmann verräth.

Dieser Kephiso«

dotuS hatte auch schon einmal die Rolle einer Feldherrn übernommen, aber mit den Feinden ei­ nen so

schimpflichen Frieden geschloffen,

deswegen fünf Talente Strafe

daß er

bezahlen mußte,

und es kam nur auf drei Stimmen an, so hät­ te er für diesen entweder aus

Ungeschicklichkeit

oder ans Eigennutz übereilten Frieden mit Tode büffen müssen, (?)

dem

ES ist nicht klar, aber

nicht unwahrscheinlich, baß eS der nämliche Kephisodotns war, von dem Demosthenes

in einer andern Rede sagt, daß er sich habe beste­ chen lassen. (6) Der

(3). Demofth. in Leptin. T.I. p. 501. ed. Reisk, (4) Demofth. in La crit. T. II. p. 927. (5) Demofth. in Ariftocrat. T.I. p.676. (6j Demofth, falla legat, T. I, p. 39$,

f 88 5. Ueber cin''atheniensischesPsephiölna. Der Name S t v'd t’o wäre schon -hinrei» chend, vermuten zu lassen,'daß' dieses Psephisünnicht lange vor Alexanders Feldzügen gege« ben sei. Da mm der Umstand, dazg lernt, daß sechs und zwanzig, Jahre vor Asex.anid.er-S. Ankunft, zu, Sidon ein K^phisodvtus Ar-, chon zu Athen gewesen ist, der also schon vor sei»; uer Atchantenwürde und- auch nachher ein gewiss scs ^lnsehn Md einen., gewissen Einfluß in bet; Mepublls gehabt haben.muß, so unterstützen dsese, Umstände, einander wechsessweiso und machen, zvahrfcheinlich, 1.) daß dieses Dekret ungefähr zwan», zig oder dreißig Jahre vor Alexanders asia»tischen Feldzügeiz beschlossen sei, und r.) .daß der» Archon Ke-ph.isoHorus'ebxn derjenige sei, der, in djesem PsephlSi^na. qls.Miturheber gewisser^ Prspoflzionen. zu Gunsten der Sidonier genant, wird Ob aber das Psephjsma vor-, oder nach, seinem Arckontenamr beschlossen sei, darüber,, läßt, sich nichts bestimmen. Denn daß er zur Zeitdieses Psephisma picht Archon war, crgieot sich, von selbst, da ihm darin der Archvptentitel nicht­ gegeben wirhe Was den dritten Namen, MenerenuS bctrist, so lebte zwar ein Mann dieses Namens nm diese Zeiten. Demosthenes nennt ihn in.einer, feiner Reden. (7) Allein ausser dieser

W(7) Demofth.. in Boeotum de dote Matris- T.II. p.1009.

5

!leher,-emgthenicnWesNftphisma.

189

Zeitgenossenschaft findet sich kein Umstand, »vor« aut, wir die Vermutung gründen tonte», daß er der Melieren ns in diese»« Psephisma sei.

II. Diese Zuschrift wird eigentlich sehr unrecht eine JiLchtist gen ernt Ein Deutscher, der stchnicht fiuf dieAiltimiiräten gelegt, Cents sich nicht fcaöci, tWi? er bäte»' denken feste. Was wir gricchsieh^ und römische Inschriften nennen, find tticht selten Birftage-, Gesetze, VolksschlUsse, mit einem Worte Urkim'den. Die gegenwärtige Ur­ kunde ist ein Protokoll von dem, was in der VLlkSversa'mlnng zu Athen wegen gewisser vvin Könige- der Sidonier gethanet» Vorschläge war. verhandelt »rlordet». Es besteht'ans tret Theilen, tu sich ich ans einem Berichte des Senats am die Volksversamlung, daß er einen schon vorher voir der Vcrsamlnng gcnommnen Beschluß, eine Gesandt schäft nach Sidon betreffend, zu vollziehen besorgt gewesen fei; zweitens aus Beschlüssen der damaligen Versandung, theils über die dem Kö­ nigs zu gebende Antwort, lhtilS über die dem sidonischen Gesandten zu rrweiseüde Ehrenbezeu« gung, uiid drittens aus gewissen Propösizio, nen, die noch ein paar Bürger von Athen zu Gunsten der-Sidonier gethan hatten, die aber, wie' es scheinet, noch nicht vom Volke genehmigt toateK. 1IL

igö

5.Ueber rin athcniensischeS Psephisma. HI.

Ueber den ersten Theil de« Protokolls, über den Bericht, sind keine Anmerkungen nöthig. Es ist bekant, daß alle Staatsangelegenheiten vom Volke der AthenieNstr tn seiner Versamlung (Ekklesia) entschieden und daß die von ihm genommncn Beschlüsse vom Senat vollzogen wur. dem Das Volk ernante die Gesandten an aus­ wärtige Staaten; der Senat sorgte sür die nöthi­ gen Bedürfnisse der Gesandten. Sobald der Gr» brauch unter den Völkern aufkain, an einander Gesandte zu schicken, so entstand auch die Idee, baß das absendende Volk sowohl sich selbst desto mehr Ehre mache, als dem Volke, an das die Gesandten gingen, desto mehr Ehre erweise, je angcschnere Personen zu der Gesandtschaft ernant wurden, und in je glänzendem Aufzuge sie bei dem fremden Volke erschienen.

IV. Der zweite Theil des Protokolls enthalt !die eigentlichen Beschlüsse des Volks. Ihrer sind fünf. Der erste bctrift die Antwort, die dem König von Sidon auf seinen Antrag gegeben wer­ den soll. Sie soll die Bereitwilligkeit der Athe« rn'enser, seine Freundschaft zu erwiedern, ausdrü-,

ktmir wohl voraussehen, daß die Berliner Bi­ blis-

r. Noch etwas übet die Deistenpredigttn, - tz bliothek mir einen solchen Gedanken nicht vcv« zeihen werde; und was würde ich wohl nicht gethan Haden, diese Enineniden zu versöhnen? Hatte michs auch eine ganze Heerde von schwar­ zen Lämmern gekostet, ich würde ste mit Freu­ ten auf den Altaren dieser Diener der furchtba­ ren Hekate geopfert haben. Aber folgen Sis meinem Räsonnement, und sehen Hie, ob ich nicht die Wahrheit selbst, wenigstens hie, die ich fetv ne, haste opfern müssen, UM ihnen zu gefakt

len? Der gelehrte und angesehene Geistliche, per mir zu dieser zweiten Betrachtung Anlaß gab, schien mir gleich Anfangs zwei Hauptbegrif« fe zu verwechseln, die ihn vielleicht am meisten irre geleitet haben, und die ich unterscheiden zu müssen glaubte; nämlich seine» Deismus, und den Deismus überhaupt, Heinen Deismus schmückt er so lieblich und so süß heraus, daß es schwer sein würde, ihm die brüderlichste Duldung zu versagen; er versäumte aber dabei uns zu beweisen, daß dieses der einzige mögliche Deis­ mus sei, vielmehr federte er für denselben die Duldung, nicht weil er so gut und schön wäre; sondern deswegen, weil seine richtige Er­ fahrung, seine geläuterten Sinne, sein geübter Verstand, piesen Deismus ge« funden hätte; und nun verlangt er Duldung für

214 i. Noch etwas über die Deistenpredigten; für die Predigt aller Religionen, welche aus eben den Quellen flößen. Auch diese meinte ich, würde ihm die Weis­ heit nicht versagen, wenn er, oder sonst ein wei« ser Mann, nur ein gewisses Kennzeichen angeben tonte, wonach wir die Resultate der Erfahrunacn, die Schlüsse des Verstandes, die Urthei­ le der Sinne, mit einem Worte wonach die Menschen die Wahrheit prüfen tonten. Da mir nun noch kein solches Kennzeichen bckant ist, da ich vielmehr täglich sehe, daß jeder Deist sich ein anders Lehrgebäude macht, und da doch kei­ ner dem andern die Duldung absprechen kan, die er für sich fordert: so glaubte ich, der De­ ismus leide kein Glaubensbekentniß, und wer eins hinlegen wolte, das der Duldung allein werth wäre, der mache sich zu einem Deistenpabst.

So klar diese Wahrheit vor Augen liegt, so hat doch mein vortreflichcr Rezensent sie mir sehr übel genommen. In der That war aber gerade er am wenigsten dazu berechtigt. Eben dieser vortrefliche Mann, der nur zu seinem Unglück, im Verhältniß mit seiner Stärke, ein wenig zu viel von dem lecur Leonis bekommen hat, eben dieser will mich an einer Stelle seiner Strafrezension, auf eine etwas burleske Art, *) mit dem Schat­ ten ♦) Ich sage, daß cS viele Philosophen gegeben habe, welche die Religion zur Moral für enu

Noch etwas über die Deisrenpredigtem 215 teil Friederichs des Zweiten zum Schweigen brin­ gen^ Die Erinnerung an diesen königlichen Dei­ sten, (denn so. stellt ihn diese Stelle hin) hätte ihn aber allein überzeugen sollen, wie verschieden der Deismus ist. Der angesehene gelehrte Geistliche erfordert zum wahren Deismus die Erkeutniß der Negierung Gottes; und das Bekentniß, daß die Tugend ein Mittel zu einer ewig dauerhaften Glückseligkehrlich hielten; und dann bemerke ich, daßdicse Philosophen entweder kalte einseitige Spekulie­ ret gewesen wären, an die ihr Herz keine Foderung that, oder es "wären gleichgültig gesinte Menschen gewesen, die sich um nichts mehr be­ kümmern wollen, weil sie auSgcsühlt hätten, oder es wären Wollüstlinge gewesen. Diesewill mein liebenswürdiger Rezensent mit dem Beispiel König Friedrichs widerlegen, und dichtet, ich hätte gesagt, die Deisten wären von ' derArt, die ich so beschrieb; dann beschuldigt er mich einer Ineonsequenz, weil ich gleich darauf die Dcistenrclißion eine Religion des Herzens nens ne. . Diese Burleske Beschuldigung habe ich ei­ ner Parenthese zu danken, durch welche der ge­ dachte Rezensent daS, was ich von den Philo­ sophen sage, welche die Religion bei der Moral für entbehrlich hakten, auf alle philosophische Religion ziehen will. Und um dieser Parenthese willen will er mich mit dem Schatten Friedrichs und mit dem Chor seiner Anbeter brouilliren; und mich einer Inkonsequenz beschuldigen? Was kan ich für seine Parenthesen?

ti6 r. Noch etwas über die Deistenpredi'gtm. seligkeit sei. (S. n) Der königliche Deist hin^ gegen behauptete, daß Gott nut für die Arten sorge; läugnete die Unsterblichkeit, und nannte die Christen ein laches Volk, weil sie sich eine ewige Glückseligkeit, als die Folge ihrer Tugend, versprachen, Wer von beiden hat nun mit gesunden Sin, pen, und geübtem Verstände, und richtiger Er­ fahrung geurtheiit? Wer von beiden ist der reine Deist? Der Theolog ober der König? Wen von beiden sollen wir unwürdig glauben, ihren Deis, MUS zu predigen? Oder hoben beide ein Recht, Has zu fordern, so habe ich sehr richtig sagen kön. yen, daß wer die Predigt der Deisten für nützlich halte, zugleich behaupten müsse, daß es dem menschlichen Geschlecht am zuträglichsten märe, wenn man jedem seinen Sinn und Unsinn, vor' ausgesetzt, daß er nur aus seinem eignen Boden gewachsen wäre, ausstreuen lasse, wie er wolle; und daß nicht die Lehre, sondern die Aufrichtig­ keit der Lehre allein, einen Unterschied zwischen dem reinen und dem unreinen Deisten mache.

Eine natürliche Folge dieser Behauptung ist eS nun aber, wie mir scheint, daß man den Deis. mus überhaupt nie für unschuldig halten könne. Ich habe, S. 6r. und ferner, meines Büchleins, mehrere Beispiele angeführt, wie leicht dieser oder je-

Noch, etwas über die Deisienpredigten, 217 jener Grundsatz einer Deistischen Religion den schlimsten Einfluß auf die Moralität und die Weis, heil einer ganzen Nazkpn haben kanz wie sogar yie unbesonnene Religiosttäc einiger Deisten durch ihre Meinung von der Größe Gottes, diesen Da-" ter der Natur selbst den Menschen aus den Augen sükken kann. Mein erzürnter Rezensent schreibt pur dagegen eine halbe Konkordanz aus, »IN mir zu beweisen, daß die Bibel Gott noch größer darstclle. Er hat aber vergessen, daß die Bibel Goth mit so mannichfaltigen Zügen malt, daß immer einer den andern mildert, und daß eben dadurch das große harmonische Ganze der liebenswürdigsten Vollkommenheit entsteht, daS noch kein Philosoph nachzuahmen im Stande war, das diese vielmehr, NNter welchen ich Bolingbroke nenne, so verun­ stalteten , daß am Ende nichts als ein mekaphysi« fches Wesen übrig bleibt, wobei wir sicher nie et« st>aS empfinden, kaum mehr etwas denken können,

Nach diesen, und dergleichen Betrachtun­ gen schien es mir also sehr mißlich, wem'gsteüs so lange die Predigt eines jeden Deismus zu dulden, bis wir einen sichern Charakter des wahren und des falschen, des nützlichen und des schädlichen Deismus gefunden hätten, und ich glaubte, daß es wenigstens sichres wäre, die Religion Christi, die doch ein festes, und moralisch gutes System hätte, anzunehmen

Der

218 I. Noch etwas über die Deistenpredigten. Der gelehrte Geistliche hatte aber behauptet. Laß eine, durch eigne Anstrengung erlangte GotteSerkcntniß besser wäre, als eine, die sich nur auf den blinden Glauben eines andern gründe. In der That schien mir das ein wenig der Philosophie der Hottentotten, die auch ihren eigenen Geruch am liebsten haben, ähnlich zn sein; vielmehr sie noch zu übertreffen. Denn dieses friedliche Völk­ chen tragt wenigstens seinen Geruch nicht in jede Gesesschaft, wie die Deisten ihre Predigt. Doch fei es; so hat ja der vortrefüche Apologet selbst ge­ standen, daß nur wenige Epopten vorhanden wä­ ren, und daß immer der größte Theil der Men­ schen nur Nachbeter bleiben würden, welche, wie dieser sehr gelehrte Geistliche S. 15 u. 16. auf gut katholisch sagt, so g a r e in e n S t el v e r tr e ter, der ihnen mangelnden Tuaend brauch­ ten*). Bei diesem muß also immer der Glaube

das n) O wenn Dr. Stark so etwas gesagt hätte! Wie komt's, daß kiese Iesuitcrjägcr nickt diese Fährte verfolgen? Nicht hier Tonsuren wittern? Hier ist mehr als Predigt dem Pnestcrthum! Sölten unsre Deutschen Oates und Dedloesend­ lich müde geworden sein sich für die gute Cache auszücven zu lassen; oder Men sie chgerlich darüber sein, das; ihre Englischen Dorbndce diese ganze, wie man (ärit, erleuchtete Nazion mir eben der Mummerei) in Aufruhr brachten, mtt welchen \ic in Dennchland kaum einige Studenten erschrecken tonten.

i.Noch etwas rcher die Deistenpredigten. a 19 bas beste thun, und nur den Epopten konte des­ wegen die Deistenpredigt etwas nutzen. Ich konte mich indessen auch davon nicht überzeugen, und untersuchte, was denn sowohl die aktive Pre­ digt, als die passive Predigt, den Epopten nu­ tzen tonte. Mir dieser Untersuchung ist aber mein eifriger Rezensent gar nicht zufrieden, vielmehr will er mir mit einem Aufsatz von Kant in det Berlin. Monatschrift, beweisen, daß wer nicht reden dürfe, was er denkt , auch bald aufhören werde zu denken. Ich habe diesen Aufsatz nicht gelesen; denn ich lese, aus einer kleinen, wie ich hoffe, verzeilichen, Eitelkeit, in dieser Monatsschrift, der ein­ zigen in ihrer Art, gewöhnlich nichts, als die Panegyrikos auf mich, welche die Verfasser der­ selben in Noten und Texte sehr freigebig auszu­ streuen pflegen; indessen glaube ich doch schwerlich, daß Herr Kant, mit allem seinem Scharfsinnmich überreden wird, daß unsere Seele, wenn wir nicht reden, eben das leide, was unsere Kör­ per, weyn er nicht ausdünstet. Bei dem Bar­ bierer des Midas mag wol eine solche Seelendisposizion gewesen sein; und man sagt, daß sich die­ selbe noch bis aus den heutigen Tag, bei allen seinen Zunftgenossen erhalten habe; aber unter den Weisen ist die Kunst zu schweigen, von jeher als eine der ersten Künste angesehen worden. Freili'ch.

C2 2O i. Noch etwas übet die Deifteiipptdigten. lich, Wenn jcmntiB so gtfliifam wäre, uns ' aller Reden, übet alle Gegenstände verbieten zu wollen, so würde er trt kurzem uns auch zum Denien un­ fähig machen; Und sehr richtig sagt deswegen Po Ung in seiner bilderreichen Sprache! der vcr» schloßne Gedanke verdirbt, wie ein unaelusretes Gewand, Wck aber deswegen behaupten Wolke, daß tnan alles was Man denkt, immer und über» all, Und zu allen Zeiten sagen müßte, der würde Loch weht ein sehr weises Wert, zu einer groß scn Thorheit machen, und sich nicht erinnern, daß cs oft sehr gut ist, wenn manche unvcrluftcte Gedanken den Motten zu Theil werben.

Mögen indessen diese Epoptett immer unter sich einander insgeheim votpredigen was sie wol­ len ; mit welchem Grunde können sie aber das Recht fordern, ihre Predigt auch vor die Ohren der Nachbeter zu bringen? ES wäre sehr egoistisch von ihnen, weNn sie, nur um ihre Gedanken zu Verlusten, damit sie nicht nivktenfräßig werden, wie Poung sagt, den Nachbetern vorprcdigen wollen. Das wird die Weisheit, vor deren Rich, terstuhl wir rechten, nicht billigen. Sie müs­ sen also doch behaupten, daß ihre Predigt den Nachbetern, nützlicher wäre, als die Predigt Christi, wenn man diesen, wie der gelehrte und angesehene Deistenapolvget behauptet, auch für den Chef einer Deisten ,— soll ich sagen Schule, Club,

i. Noch etwas über die Deistenpredigten. 121 Club, oder Sekte : hielte. Und daß sie das, selbst in dieser Voraussetzung zu sagen berechtiget wären, das läügnete ich durchaus.

Mein Beweis war auch sehr einfach. Ich setzte voraus, daß wir kein sichereres Kriterium der Wahrheit habcii, al» die Erfahrung. Nun schloß ich, daß diejenige Deistenschule immer die beste sein müsse, deren Chef Zugleich seinem Sy> stem am treusten geblieben , rind doch der beste Mann gewesen wäre. Das behauptete ich denn von Christo , und daraus schloß ich, daß wenn auch Christus ein bloßer Deist wäre, dennoch den Nachbetern, die, wie mir eiNgcstanden worden ist, immer durch den Glauben geleitet werden müssen, so lange kein besseres Sistem zu empfehe len wäre, als das Christliche, bis irgend ein an­ deres . einen bessern, und seinen Lehren treuern Lehret votjeigen tönte. . Ich habe in der Rezension meines Büch« leins nichts gefunden, was diesem Argument ent. gegen gesetzt worden wäre, als den Einwurf, daß die christliche Religion in beinahe eben so viele Sekten verfallen wäre, als bet Deismus selbst. Mein vortreflichcr Rezensent hat aber vetqessen zu bemerken, daß ich nicht sage, bet Nestorius, Donatus, ArriuS, Luther, Calvin oder Soci« nus »i. d. ß. wären die vortresiichen Männer, deteill

222 u Noch etwas übet die Deistenpredigten,

reu Lehren die Probe auShalte, sehte.

die ich vorauS-

Ich kenne keine christliche Religion, als die welche Christus gelehrt hat/ und mich dünkt, ich .habe S. 109. und ferner meines Büchleins sol­ che untrügliche Maximen, nach welchen Christi Lehre geprüft werden kan, angegeben, daß ein Nachbeter der diese befolgt nie verlegen sein wird, -wie er Christum verstehen soll. Mit allem habe ich aber doch nicht verkant, daß die, auch bei den Nachbetern, immer grüblende Vernunft schwer bei der Lehre Christi selbst zu halten sein würde,wenn sie diese für eine bloße Deistensekte halten selten; und es ist mir die Be­ trachtung dabei nicht entgangen, daß, wenn auch die Vernunft sich oft unter den Glauben biegen würde, doch die Unweisheit in dem Fall, durch tausenderlei Sophistereien, Nachbeter, undEpopten, von Christo, dem Philosophen, aller seiner liebenswürdigen Vorrreflichkeit ungeachtet, weg­ führen würde. Und deswegen konte ich dem ge­ lehrten Deistenapologeten den abenteuerlichen Gedanken, daß Christus selbst ein Deist gewesen wäre, einen Gedanken, den wein vortresiicher Rezensent, der sonst nicht sehr ekel zu sein scheint, dennoch nicht annehmen wolte, den konte ich ihm dso nicht hingehen lassen! Zeh widerlegte ihn vielmehr, so gutes ein Laie vermag; und da ich mein

i. Noch etwas über die Deisteuprrdlgten.

223

mein erstes Büchlein vor fünf Jahren mit der Bemerkung geschlossen hatte: „Ich wünschte, die Prediger der uneinge­ schränkten Duldung mögten bedenken, daß auS den Trümmern der GlaubcnSreligion, Leren Prie. ster der Klerus ist, endlich, wenn sich jeder sei­ nem Räsonnement hingiebt, eine Religion ent­ stehen muß, deren Gott und Priester DeSpotiS. rnuüh eißt." So fand ich für gut, dieses zweite mir folgendem Kommentare des ersten zu schließen:

„Und nicht allein vor der Weisheit der Na. zion haben sie ihre Sache zu verantworten ; selbst vor dem Genius der Freiheit, so viel noch von ihm unter uns leuchten kan, selbst vor dem müssen sic reden, wenn ihr Herz noch für Menschcnwerth fühlbar ist." „Wird das Deistenchor dem Christen erlau­ ben seine Religion für einen Schild der schon in den Staub getretenen Freiheit zu halten? Sie, die immer den Hut der Freiheit zu schwingen, und ihn ganz allein in Best; zu haben glauben ? Sie, die auf die Christen herabsehen, wie auf Sklavensee. len, welche selbst ihren Geist in Fesseln schmieden lassen?--------- Kaum!----------- Aber, sagt uns doch, was ist denn Eure Freiheit, ihr Unbedacht­ samen ? Systeme zu bauen und Systeme umzu. N. Mus. März. »t. P stoßen;

224

I . Noch etwas über die Deistcnprcdigten.

stoßen; Sätze zu behaupten, und Sätze zu bestreiten; Wahrheiten zu vertheidigen und Wahrheiten zu leugnen: DaS ist alles! und wird diese Frei­ heit allgemein, so wird auch euer Despot sie de. Häupten. Hal. sie aber der , wie bald werdet ihr aufhören sie zu behalten? “ „DaS ist die wahre Freiheit, sagen die Po. lktiker, wo nichts gebietet, als das Gesetz? wer ist also am freiesten, ihr, die ihr gerade deswe­ gen von dem Willkür des Despoten abhangt, weil ihr ihn von allem Gesetz entbunden glaubt, daS seine eigne Philosophie nicht anerkennen will; oder die Christen, welche sich und den Despoten zugleich dem Gesetz ihrer Religion unterwerfen?"

„Als der unglückliche peloponesische Krieg alles Gefühl für Patriotismus und Religion und Gerechtigkeit in ganz Griechenland auSgerottel hakte, eroberte Philomeluö, der Phozenser, DelphuS, und zwang das Orakel von ihm auszusprechen: Er sei der, welcher thun könne, was er wolle! Welcher Philosophensckte wird feder neue PhilomeluS nicht eben das auSpresscn, welcher wird > er nicht eben das abkaufen, abhö* fein können? Wie manche hat nicht schon, vor und nach Hobes, dieses Orakel gegeben? Aber unbestechlich, unüberwindlich sind die Orakel der christlichen Religion. Sie halten noch den Levi,

athan

t. Noch etwas über die Deiftenpredrgten.

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alhcrn in der Tiefe, und den Leviathan auf dem Thron, an dem. eisernen Ring, den ihnen der Glaube, und wäre es auch ein Glaube nut ZltLern/'durch die Nase gestochen hat. — Und ihr wolc ihn zerbrechen, den Nmg? — Hat Euch die Erfahrung nicht klüger gemacht? Was hat die Freiheit zü denken, in den letzten Zeiten Griechenlands, und der ersten Zeit der römischen Monarchie, gewirkt? „DerGeist der Nachfor­ schung," sagt Gibbon, „erweckt durch Nachei­ ferung, und unterstützt durch dre Freiheit zu den­ ken , hatte die öffentlichen Lehrer der Philosophie in eine Menge von Sekten getrennt, welche in ewigem Streit unter einander lagen: aber die aufgeklärten Jünglinge, welche von allen Enden ui den Schulen Athens und andern Sitzen der Wissenschaften zusammen flössen, lernten einstim­ mig, in allen Schulen, die Religion des Volks zu verwerfen und zu verachten." So sagt Gib­ bon, der gewiß kein Vertheidiger der Glaubens­ religion-ist; und nun sagt, sollen wir noch einmal in alle die Abscheulichkeiten gestürzt werden, welche eben mit dieser Epoche anfiengen, und die, von Syllaö Zeiten an, bis zum Konstantin, den rö­ mischen Staat in eine Barbarei warfen, die noch viele Jahrhunderte hernach so fürchterlich fort­ dauerte, daß selbst die Philosophie sie nicht ver­ treiben tonte, und daß erst nachließ, da das La­ sier seiner jelbst überdrüßig wurde? P 2 „Soll,

226

i Noch etwas über die Deistenpredigten.

„Soll, da schon jetzt die Politik, die Gercch"igkeit, das Gewerbe,, da alles so ganz egoi­ stisch^ so ganz partheiisch geworden ist, haß jeder daraus machen kau, was er wist; soll es auch die Religion werderr, die noch ganz allein dem Despotismus der Großen und der Schlechtigkeit der Kleinen einen Damm entgegen setzen kan? “

„Es ist eine-kleinliche Ansicht, wenn Ne­ cke r die Religion für einen Trostgrund anglcbt, der dem Geringen und Armen die Duldung des nöthigen Unterschiedes der Stande und des Ver­ mögens erträglich macht. Aber das ist eine große Ansicht« daß sie der letzte, der heiligste Anker der Menschheit ist, den selbst der Despotismus noch verschonen muß!"

„Hütet euch, daß ihr diesen nicht abhauet! Ihr werdet dadurch mehr nicht gewinnen.,^ als die kindische Freude, auf dem Meer des Geschwä­ tzes nach Willkühr herum zu schwimmen, und auch das vielleicht nur auf kurze Zeit."

Ich habe diese lange Stelle mit Vorbedacht hier eiugerückt, damit diejenigen, welche meine Büchlein nicht gelesen haben — Und wer wird sie noch lesen, da die vortrefliche A. D. Biblio­ thek si. als ein Gewebe von Ränken, Verdrehun­ gen und Sophistereien darstellt ? — Zch habe al­ so

r. 'Noch etwas äberdieDcr'sttnpreNgterf.

227

so diese Stelle hieher gesetzt, damit diejenigen, wel­ che jene Büchlein nicht gelesen haben, mm aber dieses Journal lesen, selbst urtheilen tonnen, ob ich, auch bloß als Patriot, Ursache hatte, die Frage über die Duldung der Predigt des Deis­ mus vor den Nichterstul der Weisheit der Nazien zu bringen.

Zwar mein vortreflichcr Rezensent glaubt, daß ich nur das Urtheil meiner Freunde für weise halten würde. Und in so wert hat er Recht, daß ich nach Cchakspear's richtigem Ausspruch, bnf; Friendihip, that wisdom Knitsnct, Folly will eafely deftroy, mir tune Freunde wähle, die ich nicht für weise und für gut halte; weswe­ gen ich auch die Samler der Berliner Monatschrift, die ganze 5cfiu't c r = M a r e chauRee, einen großen Theil unserer neuen Aufklärer, Die französischen Rcvoluzwrüsten, und euren großen Hausen von Menschen nicht zu -meinen Freunden zählen kau. Mir dem Ausspruch meiner wenigen Freunde würde mir aber hier lucht gedient sein. Was ich für die Seite, mit welcher ich hier stehe, wünsche, das muß durch den größten Theil der Nazion gegeben werden, oder es ist von keinem Nutzen. Versagt mir nun dieser seinen Beifall, denkt dieser eben so wie M Deisten Apologet, und wie mein Rezensent, so soll meinetwegen auch das Weisheit sein. Und

228

i. Nocb etwgS über die Dcistenprediglen.

Und nun lassen Sie uns diese Rezension hknleqen, wo mehrere liegen ; denn was sonst Wern vortreflkcher Nezenscnr von mir und mei­ nem Buchlein süßes sagt, das hat man in Ber­ lin, und nur in Berlin, schon so oft von mir gesagt, daß man es für nichts anders, als für ei­ nen Provinzialismus dieser Köniqsstadt halten kan; und zu der Sache, die mir hier allein wich­ tig scheint, tragt es mchr das mindeste bei.

Leben Sie wohl.

Schlosser.

2. Frei-

22Y

L.

Freiheitsgeschichte DannemarkS. unbefangenen Freunde seines Vaterlandes und der Rechte der Menschbeit muß jeder Fort­ gang zur Freiheit der erhabenste Geaenstand der (Gesetzgebung scheinen. Ern Gesetzgeber .ohne Frerhett läßt sich nicht denken;, er ist ohne sie minder oder mehr Tirann, dem Gewalt beisteht; Verkäufer der Rechte eines Theils der MenschHelt an andern, die sie usurpiren; Verrather deS menschlichen Herzens, in da,s, wenn nrcht der ubei^ raschende Strom ehrsüchtiger, eigennütziaer und fanatischer Leidenschaften die mildern Schläge desselben empört und die Naturgesuhle verwildert^ das Gesetz allgemeiner Rechte von dem großen Gesetzgeber der Natur eingeschrieben ist.

Ueber die richtigen Begriffe der Freiheit ist es wahrlich sehr leicht einig zu werden. Die Grundgesetze der Menschheit sind nicht verwickelt; nur die Entfernung von ihnen hat uns in ein unabsehbares Labirinth gestürzt, indem die irre gehenden Menschen, theils aus Verzweifelung, theils aus einem Hang zum Bessern und Helfen,, theils aus Ehrgeiz und innerer Unruhe, zu tau­ send

2zo

2. Fceiheitsgeschichte Dinnemarks.

send neuen Irwegen verleitet werden, um aus dem alten Zrweg zu kommen, und es zuletzt M4 hin bringen, daß wir uns nicht wundern dürfen, wenn,- beim höchsten Grad der Verwirrung, endlich ein Kreiheitssturm entstehet, und das ganze Dadalische Gebäude umgcrissen wird.

Erhabene Leiterin der Menschheit, Vernunft, die du mit der Notwendigkeit der Ideen die Wahl des Guten , mit dem Zwange zu denken die Ruhe der Uebcrlegung verbindest, die du in diesem Kontraste den beiden gegen einander über­ stehenden Klippen entgehest, weder auf der einen Seite zur Sklavin, noch aus der andern zügellos wirst, so höhere Ordnung erkennst und doch dich frei fühlst, du zeigst auch in dem Gange der Ge­ setzgebung leichte Auswege an, da, wo der Schwär­ mer, der spitzfindige Spekulant, der Selbstsüch­ tige Verwickelungen auf Verwickelungen haust.

Zwo Erfordernisse sind hiezu notwendig: Eine rechte Darstellung der Thatsachen, oder der Lage der Sachen, und eine unbefangene Anwen­ dung richtiger Begriffe der gesunden Vernunft, oder einer ruhigen Beurtheilung.

Wer diese beiden Erfordernisse nicht verelrikget und nicht vereinigen kan, der feite sich bil­ lig enthalten, über dre wichtigen Angelegenheiten der Freiheit der Menschen praktisch zu urtheilen. Theo-

2. Freiheitsgeschichte TännemarkS.

231

Theorien kau man keinem philosophischen Geiste verwehren. Sie setzen jederzeit eine von dem Theoretiker selbst gebildete Darstellung zum vor» aus, aus der er dann richtige Regeln abstrahiren kan. Diese Regeln können ein großes Licht an­ zünden, und denen zur Fackel dienen, die prakti­ sche Gegenstände abhandeln und beurtheilen können; aber die Anwendung dieser Regeln, der Gebrauch des Lichts muß man denen überlassen, die selbst diejenigen Gegenstände genau kennen und prüfen können, welche zu beherzigen sind. Thut man dieses, betrachtet man die Ge­ genstände, von denen die Rede ist, so darf man ja nur einen Augenblick denken: Wie würdest du wünschen, daß dir mitgespielt würde, wenn du dich in dieser Lage befandest? Was würde dir Recht oder Unrecht scheinen? Solte man wohl oft fehl nehmen, wenn man so denkt? Solte man dann Freiheit für einen Schlaraffenstand halten, wo Ordnung, Arbeit, Aufopferung wegfallt, oder solte man den geselligen Zustand für eine Konvenienz ansehen, wo Gottesanbetung und Menschenrecht gewissen hergebrachten For­ meln anzupassen ist? Solte der Staatsmann einen großen Unterschied zwischen einem armen Seelenverkäufer finden, der in seiner Rohheit seinen dürftigen Unterhalt sucht, und einem Planragebefiher, der mir weißen itirt schwarzen Skla­ ven

5 zr

2*. Freiheitsgeschlchte Dännemark-.

ven handelt; und softe ein Redner der Mensch­ heit Anarchie, oder Aushebung aller Unterord« uiing und Verkettung im Staate, zur Basis der meusch.llchen Rechte machen?

Aber selten gehet man den stillen Weg der Nebcrlcgung; selten sucht man zu einer unbe­ fangenen Darstellung einer Thatsache zurück zu kommen, und bestimt und deutlich anzuq^ben, worüber grurtheilt werden soll. Hätte man den Gegenstand deutlich vor Augen, der gemodelt werden soll, so würden die schiefen Halburtdeiler sich sehr vermindern; viele würden sich schämen, ihre Verkehrtheit, oder gar die alsdann jedem offen liegende Nebenabsichten, sehen zu lassen. Aber so lange wir keine klare, bcstimte, jedem vor Augen gelegte Darstellung einer Sache ha. den, müssen wir uns mit Recht entsehen, diese uns -verborgene Sache zu beurtheilen. Thut man das nicht, so fallt man in einen von zween Hauptfehlern, die beide des Philoso­ phen unwürdig sind: Adulazion oder Schmähsucht. Von beiden geben uns gelehrte und große Köpfe, die einen hohen Rang in der aufgeklär­ ten Welt haben und verdienen, Beispiele, die dem (tiUcn Erdbewohner, dem auch ein Sonnenstral in seine Einöde blickt, schmerzlich sind. Die wichtigsten politischen Händel Europas sind dieser seh-

2. Freiheitsgeschichte DannemarkS-

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fthlerhalten Beurtheilung unterworfen. ^fti Schm ichler erhebt hier in die Welken, was dorr ein Mißvergnügter mit Fußen tritt.

Ohne dem Verdienste braver Männer zu na­ he zu treten, deren Werth ich mir dankbarer Therlnehmunz an der durch sie vermehrten Masse unserer entwickelten Ideen, verehre, wird es mir erlaubt sein,.einige hieher sehorige Beispiele anzuführen. Ungerne sichet tpan berühmte Namen in der berliner Monatsschrift , die blinde Weihpauchsopstrer werden, wo der erwartende Zu­ schauer ungewiß steht, und den Ausgang des großen Kabinetsspiels zweifelhaft erwartet. Mag es sein, daß diejenigen das Opfer verdienen, de­ nen es gebracht wird. Aber blind sind gewiß die Opfcrer, und dann kan ihr Lob nicht einmal schmeicheln. Aber blind, oder sehend, so solte nie ein aufgeklärter Mann Lobreden halten. Er muß beweisen, Man saat nicht, was man thun will; man thut, sagt Klopstock von Helden. Man sagt, was gethan ist, man rühmt es nicht, kan man von Philosophen sagen. Und beurtheilen he, rühmte Männer Sachen, die sie offenbar nicht verstehen tonnen, ist sogar ihr Lob dem unpartheiischen Leser höchst problematisch; trist es in seinen Augen eben so leicht Zrthum, als Wahr­ heit, wünscht er, um gewiß zu sein, erst mehr Helle, oder Evidenz, wie gefährlich ist dynn nicht ein

»34

». Freiheitsgeschichte DäniiemärkS.

rin solches Adulazlonsbeispiel für diejenigen, bii Hora z zu dem Nachahmerhaufen zahlt. Zwei Staaten Europas arbeiten kräftig und maichaft für Freiheit: Frankreich und Dännemark. Beide betreten so verschiedene Wege, baß selbst edle Männer verkennen, daß beide ein Ziel haben. Zn Frankreich ward die ganze Ge­ setzgebung zertrümmert; alles, was war, solle nicht mehr sein; man machte rin Chaos, um eine neue Schöpfung zu bereiten. Zn Sännt* mark stand die gesetzgebende Macht auf ihren Pfeilern, und zündete selbst, die Fackel der Frei» heit an. Diese erhabene Bemühung, die groß und sehr tn jedem dieser beiden Reiche sind, haben ein gleiches Schicksal in den über sie gefällten Urtheilen gehabt. Widersprechende Animosität tritt gegen einander auf, und der höchste Eifer der einen Parthei ist die höchste Kälte der ent» geaeugefttzten. Frankreichs StaatSrevoluzion (und warum nicht Umsturz, Umwälzung?) ist mehr allgemein sichtbar und daher allgemeiner in Tu* ropa beurtheilt worden, als die dänische Gesetzrevoluzion. Dort hört man lauter, wie gelobt und getadelt wird, und dort ist der Enthusiasmus oder Fanatismus auffallender geworden. Aber in Dan» nemark ist im Grunde eben das Bild, wenn eS gleich noch nicht so groß in der Umherverbrei* tung ist. Die

a, Frciheitsgeschichte Dännemarks. 435 Die französische Nevvluzion ist fast in allen Ctodten, wo Litteratur blühet, eine NahrungS, quelle schriftstellerischer Geister geworden, und da. her komme» die mannichfaltigsten Urtheile und Behauptungen ans Licht. Den wenigsten ist es möglich, zu wissen, worüber sie urtheilen. Nur einige wenige Thatsachen sind historisch gewiß be« stimt. Man weis, daß Frankreich höchst elend, und kn sich das herrlichste und gesegncsie Land von der; Welt, reich an Produkten, groß an Geistesgaben war. Man weis, dgß i der König null war, daß üppiche Große ihn beherschten, daß dar Wesentliche der Negierung in einem Ans, und Niedcrfpicl der Intrigen bestand, daß die Gesetz, gcbung verwirrt, die Anwendung der Gesetze ei» Würfelspiel, die Schuldenlast unerträglich, die Fi­ nanzverwirrung unheilbar, die Auflagenrerthei« hing unweise, der Druck des Volks entsetzlich war. Die Nazivn, die nichts mehr war, stand auf und sagte: Laßt uns wieder Nazion werden! Sy weit können wir gehen, mir Beweisen aus der Geschichte in der Hand, ohne zu irren, ohne dem Könige, oder der Nazion, zu lästern. Aber jetzt zu sagen: das ist weise, das ist thörigt, das ist Raserei, das ist Vernunft, das ist Recht, das ist Unrecht, das ist ökonomisch, das ist ruinirend! wer vermag das, wenn er nicht die Akten vor sich aus dem Tische liegen hat?

Wer

sz6

2. Freiheitsgeschichte DännemarkS.

Wer auf Vermurung, wer aus Vorliebe 'vbet Abnelgung eine so wichtige Sache, wie die Utnmg einer ganzen großen Nazron, beurtheilt, der handelt vermessen und schadet, ohne zu nutzen. Er facht den Hartheigeist au m d loscht 'das Licht ans, das angezündet werden solre. Nichts schadet dem Fortgang der Wahrheit mehr, als Unpassende Urtheile. Ein jeder, der in öffentli­ chen Geschäften gearbeitet har, weis aus Erfah­ rung, wte unbrauchbar ihm die mehresten lauten Beurtheilungen dieser Geschäfte sind. Er sieht den eigentlichen Zusammenhang der Sachen, den Gesichtspunkt, aus welchem er sie beurtheilt, so verkant und so verschoben, als Friederich der Einzige die Urtheile eines N^ynals, und dnnn verwirft er oft, mit der verkehrten Dar­ stellung, die wahren Bemerkungen. Un& muß nicht das ein jeder thun, der liest, was heutiges Tages über Frankreich geschrieben wird? Man ermüdet über dem Hin, und Wiederurrheilen und denkt, keiner weis, was er sagt. Nirgends wird dieses fühlbarer, als bei Lesung der Staatsanzeigen, wo z.B. (Heft58. S.177) nach beschei­ nigten Sätzen, Frankreich im größten Verfall ist, wo der Zehnte der Feldfrüchte (S. 179) 5 u rn vierlen Theil geworden ist, wo die größten Imbe­ zillitäten eines No str adamus, zwar als Peße, ttber doch gedruckt- gelesen, angewendet, geglaubt, trachtet, beabsichtigt werden, wo (S.-98) dem rothen

,2. Freiheitsgeschichre DännemarkS.

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rothen Buche eine Schutzrede gehalten wlrd, wo (S. 244) unter demokratischen Rasereien, bei den Aneinigkerten, Schrecken rmd Bestechungen aller Art, mit bösen Absichten, bösen Handlungen und bösen öffentlich gehaltenen Reden, endlich mit allen Elementen einer Revoluzion, die Nazivnalversamlung nothwendig reußiren müßte; wo die Nazionalversamlung behauptet, weiß sei schwarz; wo

Priorität der Forderungen, die bei einer Verlast senschaft angegeben werden. Diesem gesetzmäßigen Rechte zufolge, ur­ theilten bisher die Gutsbesitzer in Dännemarkauch über dre Forderungen, die sie selbst an einen Nach­ laß machten. Diesem Verfahren stehet indessen ein ande­ res Gesetz entgegen, nach welchem keiner Richter in seiner eigenen Sache sein kan; und da dies Ge­ setz die Funktion des Gutsherrn, als Richter in feiner Sache, sufpendirt, ward dem Richter des OrtS auferlegt, bei Forderungen des Gutsherrn an eine Verlassenschaft, ohne weitere Formalität, der Regulmmg des Nachlasses beizutreten und die Gültigkeit und das Vorzugsrecht der Forderung abzuurtheilen, zugleich auch daS nqbile officium judicis zum Besten der hinterlassenen Erben zu be­ obachten. Die Formalitäten bei der Verhandlung, so wie auch dre, ausser der freien Beförderung, auf f Rthlr. belaufende Kosten, sind bestimt. 6 ) Der Bauer stehet in Dannemark unter seinem Gutsbesitzer. a) In Ansehung der Dienstleistungen, die er als Gutseigenthümer, schuldig ist und

b) In

X; Freiheitsgeschichte Dännemarks.

247

b.) In Ansehung der Unterwürfigkeit, in der er unter ihm, seine Obrigkeit, formet. Das dänische Geletzbuch redet nur von der Folgsamkeit und dem Gehorsam, den die Bauern ihrem Gutsherrn in Ansehung der Landwirthschaft schuldig sind, und bestraft Len Ungehorsam, wie eine b’elonie, mit Verwurstung des Besitzes der Stelle. Drese Strafe ist zu unbestimt, da die Ungehorsamöfälle sehr verschiedentlich modisizn't sein tonnen. Neuere Verordnunaen haben den Gutsherrn obrigkeitliche Pflichten in Handhabung der Gesetze übertragen, und eine geringe Geldstrafe, bei Wi­ dersetzlichkeiten, bestimt. Ganz eigenmächtig hatten sich dagegen die Gutsherren und ihre Verwalter angemaßt, ohne Autorität der Gesetze, ihre Untergehorigen mit dem Halseisen, dem Reiten auf dem Esel und dem Gefängnisse zu bestrafen. Um eine Billigkeit in der Unqehorsamsbestrafuug zu beobachten, und allem Willkürlichen zuvor zu kommen, ist den Richtern aufgegeben, die Widersetzlichkeiten, nach Befinden der Sache, zu bestrafen, und die eben berührte eigenmächtige Abstrafung, als erniedrigend, verboten. 7) Das dänische Gesetz erlaubt dem Guts­ herrn , seinen Bauern, gegen eine Vergütung der Abgaben, von dem Lande seines Zeitpachthofes etwas abzunehmen. Neuere Anordnnngen haben nun

248

r. Freiheit-geschichte Dännemark».

nun zwar verboten, Bauergüter niederzulegen, um das dazu gehörige Land dem Haupthofe einzuverleiben; doch tonte noch immer der Gutsherr dem einen Bauer Land abnehmen und dem andern überlassen.

Das Recht erforderte, daß einem Zeitpäch­ ter von dem, was ihm verhäuret ist, und wofür er Pflichten und Abgaben abhaltcn muß, nichts entzogen werde, besonders da die Vergütung der Abgaben nicht hinreichend ist, ihn zu entschädigen. Doch giebt es bei Landauftheilungen, bei Forstein­ hegungen, bei Ansehung kleiner Insten, oder Kathuer, Fälle, wo eine Verminderung und Ver­ tauschung des Bauerlandes ökonomisch nützlich ist. Um nuü das Recht und das Beste der Land­ wirthschaft mit einander zu verbinden, sind die Grundsätze und Formalitäten vorgeschrieben, nach welchem es einem Gutsbesitzer frei gelassen ist, von einem Bauerhofe so viel Land abzunehmen, als derselbe ertragen kau. 8) Das zur Ermunterung und Regulirung des Ausbauens der Dauerhäuser aus den Dörfern bereits erlassene Gesetz ist, durch Bestimmung ei­ nes rechtlichen Zwanges gegen die Bauern, die nicht dazu hülfreiche Hand leisten wollen, geschärft, und dem Gutsbesitzer auserlegt, die Baumateria­ lien für die auszubauenden Häuser anzuschassen und die Handwerker zu bezahlen. So

2. Frciheitsgeschlchte Dannemarks.

2 49

So ivcit kam die FreihcitSgcsktzyebung im Jahre i 787. 3m felgenden Jahre fuhr sie fort. Der wichtige Gegenstand der Freiheit der Dauern ward abgehandelt und folgende Geschichte ihrer Leibeigenschast zum Grunde gelegt. Gesetze' und Geschichte bezeugen, daß in al­ ten Zeiten die Dauern in Dannemark freie Leute waren, die unmittelbar unter der Regierung und den Gesetzen standen. Das Lehnsjoch verbreitete sich unter den ersten beiden Waldemaren und das Eigenthum des Damen kam in die Hande deö Adels und der Geistlichke't. Die Bauernhöfe wurden Güter, und der Eigenthümer ward Zeitpächter. Noch erhielt sich jedoch die persönliche Frei­ heit. Sie verlor sich erst gegen das Ende des !5ten Jahrhunderts, durch den überhand nehmen­ den Aristokratismus Der Stolz, der die Macht der Könige einschrankte, führte unter den Land­ leuten die Leibeigenschaft unter einem eignen Na­ men (Vordned Red) ein, jedoch nicht durch ein ausdrückliches Gesetz, sondern nur durch eine Anmaßung, auch nicht überall, sondern nur in Seeland, Laaland, Moen und Falster. Die Landleute in Zütland und Fahnen blieben immer frei. Das Wort Voedned hatte sonst einen Einwohner bedeutet, itzt nahm Christian V. es in sein Gesetzbuch auf, und verstand darunter glebae adscriptos. Er selbst hob schon die Leib­ eigenschaft auf Moen und Daagoe auf, und schränkte

250 4. Freiheitögeschichte Dännemarks. schrankte sie auf die'Kronengüter in Seeland ein. Da, wo sie galt, harte nunmehr der Gutsbesitzer das Recht, den Bauer zu zwingen, ein HauS, odereinen Hofauf dem Gute anzunehmen, und so ward der Laudmann ein Theil der Besetzung deS Guts, ein Ding, keine Perfol». Diese elende Verfassung erhielt sich bis Friederich IV. die Regierung antrat. Der edle Fürst ertheilte den Dauern zu JagerSpries ihre Freiheit, und hob 1722 die Leibeigenschaft in den Provinzen auf, wo sie eingeführt war. Er that es, wie er selbst in seiner Verord­ nung sagt, damit die Unterthanen zum Fleiße aufgeniuntert werden tonten; damit sie Mut bekä­ men, für den König und das'Vaterland ihr Leben zu wc-gen; damit von andern Orten her junge Leute herbei gezogen würden, um Vauerhofe zu pachten; anstatt, daß ihr die Landskinder, aus Furcht vor der Leibeigenschaft, sich aus dem Lands begaben. Wer softe glauben, daß gerade dieses guten Königs Anordnungen, unter seinem Nachfolger, die Leibeigenschaft allgemeiner machten, als sie je gewesen war; daß zwar ihr Name weafiel, ihr Joch aber sich über ganz Dannemark verbreitete? Die Veranlassung dazu war der Soldaten­ dienst. Die Landmatrikel ward beim Einschrei­ ben. der Leute zum Kriegsdienst zum Grunde ge­ siegt, und dadurch das Soldatenstellen, eine aus den

s. Freiheitsgeschichte Dännemarks.

25 x

den Gütern liegende reelle Last, onus reale, nicht ein persönlicher D-enst fürs Vaterland! Alv Friederich IV. die Landmrliz er­ richtete, cheilre er ganz Danncmark in Lagen, ein, jede von 20 Tonnen Hartkorn. Ewe Lage stylte jklle sechs Jahre einen Mann, der, nach Ablauf du er Zut, seinen Abschied bekam. Wenn es an ledmen jungen Leuten fehlte, mußte der jüngste Zettpachter der kleinsten Stelle Dienste thun. Soldat durfte, ausser semem Kirchwrel und seiner Lage, nur im §) man wolte. Ließ man mit Quälen nach, so widerrief er alsbald , und ver­ half sich durch Liesen Widerruf — nur zu. erneu­ ter, verstärkter Quaal. Sein öfters Ableugnen galt für bloße Bosheit; Beihülfe zu einer Räu­ berei war er doch einmal geständig; auf die Rick« tigkeit der übrigen erbot sich sein Mitgenosse zu ster6en. Daß eine Privalseindschaft zwischen ihnen geherrscht habe, tonte man aus nichts abnehmen. Dies waren für die Urthcilsfasser Gründe genug, um auf den Tod zu sprechen. Sie erkanten für den Hundssattler das Rad, für den Weber den Strang. Als der kleinere Verbrecher solle dieser Letz-

5" Der Hundssattler und der Leineweber. 47 s Letztere eine Todesangst minder leiden, und zu. erst an Galgen. Als den Gefangnen dieser Ausspruch evofnet ward, lächelte der HundSsaktler verächtlich und der Weber rang voll Jammer die Hände. Die Liebe zum Leben, mehr noch der Gram um seine nackten Kinder, uw sein hüifloses Weib erwach, ten mit grösser Stärke in ihm. Auch war diese Letztere in der That noch bedaurnnaswürdiger, als er selbst. Wahrend seiner Verhaftung hatte sie und ihre sechs Waisen fast ganz vom Almosen der Nachbarn gelebt. Nur mit äusserster Mühe hat, te sie zwei oder dreimal die Erlaubniß erhalten, ihren Gatten zu sprechen. Eie hatte ihn gesehen, als man ihn mit noch ganz zerrenkten Glie­ dern aus der Folterkammer zurück im Kerker brachte. Steine hatte damals ihr Jammer er. weichen sollen. Daß sie in gegenwärtigen Um­ ständen , bei der schwersten Handarbeit, beim vf. tern Laufen in die Stadt und wieder zurück in ihre Heimath, bei unabläßiger Angst zur Nacht, zeit und am Tage, bei der Noth, die sie drückte, bei der noch großem, die sie bedrohte, doch nicht L^nz erlag; sondern immer noch in ihrer Schwan­ gerschaft nach dem gewöhnlichen Lause der Natur fortging — dies würde unbegreiflich scheinen, wüßte man nicht schon ans andern Beispielen; wie UttJ

4?6. f. Der Hundssattler und der Leineweber, ungeheuer viel ein Mensch, und zumal ein Weib, ertragen kan.

Ein einziger, aber schwacher Trcst blieb ihr noch übrig; derjenige, welcher den Unglücklichen so selten ganz verläßt; die Hofnung! — daß ihr Mann, bis auf jenes unselige Schildwachtstehn, von allen Verbrechen ledig sei, das wußte sie ge. wiß. Denn noch im Gefängniß hatte er es auf» heiligste ihr zugcschworen; und sie wußte, er werde sie nickt hintergehn; wußte nock aus mancherlei Umständen, daß er unmöglich des HundSsatklerS Henauer Freund gewesen sein könne, daher hofte sie immer: seine Richter würden doch endlich ein« sehn, was ihr so sonnenklar vor Augen stand; hofte, der Himmel werde sich seiner Unschuld, und wäre es mit Zeichen oder Wunder, annehmen. Aber als der zum Hochgerichte anberaumte Tag nun da war; als sie das Todesurtheil öffentlich ausspre­ chen hörte; als sie sah, wie man den Stab brach; wie sich der Zug bereits in Ordnung setzte; und ihr Mann mit thränenden Auge sie zum letzten­ mal« umarmen wolle; da glaubte sie freilich an keine Rettung mehr. Sie riß sich von ihm los, und mit der ganzen Fülle der Verzweiflung, in­ dem sie ihr jüngstes Kind auf den Armen trug, bas nächste an der Hand fortriß, und die andern ihr folgen hieß, flog sie zum Schlosse hin, und «erlangte vor ihrem Fürsten gelassen zu werben. Die

5- Der Hundssattler und der Leineweber. 477 Die Wache verwehrte ihr den Zutritt, denn sie glaubte, eine Wahnsinnige in ihr zu sehen. Aber eine freundschaftliche Seele flüsterte ihr zu: daß die Marggräfln so eben im Echlosgarrm sich befinde; je fort eilte die Aermste dorthin, fand die Fürstin, und stürzte vor ihr aufs Knie hin. Auch hier von ihren Kindern umringt, beschwor sie bei Liesen unglücklichen Geschöpfen, bei dem noch unglücklichern, das unter ihrem Herzen liege, upt> in wenigen Tagen das Licht erblicken solle; bei ih­ rem Jammer ohne Maas und Namen; bei al­ lem, was der Himmel erhabnes und heiliges hat — bei diesen und bei tausend andern Dingen noch, beschwor sie die. Marggrafiu: sich ihres Mannes anzunehmen , nicht zu dulden, daß er in diesem Augenblick gemordet werde. Gemordet! denn er habe zwar gefehlt, doch nicht auf eine Art, die den Tod verdiene. Selbst, wenn er es hätte — Gott sei ja gnädig! Warum nicht auch Menschen und Fürsten? Das Herz der Priuzeßin war edel und weich. Sie fühlte sich von dem Jammer dieses unglück­ lichen Weibes, von den Thränen derer, die so eben wahre Waisen werden leiten, und vorn Schicksale dessen, der vielleicht kein Verbre­ cher war, gerührt. Sie ging zu ihrem Gemal, und bat selbst für das Leben des Webers. Er zogerte ein Wcilgen, gewährte es ihr aber endlich doch.

478 5« Der Hundssattler und der Leineweber,

doch. Der Zwerg des Fürsten erhielt Befehl aufS schnellste Roß aus dem Marggräfl. Stall' sich zu sehen, und dem Weber Pardon zu bringen. Die Marggrafin ermahnte zweimal ihm ja zu eilen, was er könne; denn sie besorgte sonst, daß er zu späte kommen dürfe. Ihre Sorge war nicht ohne Grund. So sehr jene unglückliche Halbwitwe und auch die Prin­ zeß!» sich gefördert hatten, so war doch eine ziem­ liche Frist darüber hingegangcn, und der Zug zum Hochgericht indeß fortgesetzt worden. Das ganze Volk, das mit hinaus strömte, bedauerte den We. der; selbst diejenigen, die sonst auf sinn hartnäcki. gcs Längnen geschmält, schlossen nun aus seinem Betragen auf seine Unschuld, und wünschten seine Befreiung. Der Weg zum Hochgerichte war fern; man suchte ihn noch zu verlängern, so viel man kvnte. Man ward immer lauter, immer unwilliger, je mehr man sich dem Ort der Hi«, richrung nahte. Immer glaubte man: jetzt oder jetzt werde Hülfe kommen. Sie kam nicht, und man war endlich an der unglücklichen Stelle. Der Priester hatte bereits seine letzte Schuldigkeit gethan, und der arme Sünder stieg oder wankte vielmehr die Leiter hinauf. Jetzt, indem er schon aus der dritten Sprosse stand, und der Hen­ ker den Strick ihn um den Hals legen walte, jetzt wandte sich der größte Theil der Zuschauer, halb tm«

5- Der Hundssattler Unt» der Leinctseber. 479 «nwillkührlich, noch einmal gegen die Stadt zu» und einige sahen von weitem etwas weißes in der Luft. Man schrie dem Nachrlchter zu, einzuhah, ten. Man erkante in nächster Minute das Roß, de» Zwerg und das weiße Tuch. Pardon! Par, den! riefen wohl hundert Stimmen aus einmahl. Man eilte dem Zwerg entgegen; man jauchzte von neuem, als man die Hofnung bestätigt sand. Ma» rief von neuem Pardon, dem Weber, Pardon!

Stark war also die Würkung, die diese ange-, kündigte Gnade auf die Menge machte; noch stärker diejenige, welche eben dadurch auf einen Einzelnen verursacht wurde; und dieser war —nicht etwa der Weber selbst, sondern der Hunds, sattlcr. Hartnäckig hatte dieser Dösewicht ohne gleichem im Gefängniß alle geistliche Zusprüche, alle Erinnerungen an ein jenseitiges Leben zurück, gewiesen. „Er werde schon als ein Mann, und nicht als ein altes Weib zu sterben wissen! “ Die« war seine gewöhnliche Antwort, wenn man ihn zur Reue über seine Missethaten ermahnte. 3s den letzten drei Tagen, wo man ihm (nach einer in verschiednen Ländern bei Vorurtheilen gewöhn­ lichen Sitte) freistellte: was er zu essen und ja trinken wünsche, hatte er sich noch so gütlich als möglich gethan; hatte am heutigen Tage den Rich, ter», als sie das weiße Stäbgen bxache»; ins Auge gelacht ; auch im Hinausgehn noch über de« Ler«

48s §. Der Huridssattler und der Leineweber. Lermm des Pöbels, über den Unwillen, den ei­ nige gegen ihn äusserten, und über das Zittern seines Karneraden gespottet. — „Das soll meine letzte Freude sein, sagte-er, zuznsehn, wie dieser fromme Dieb seine Abschiedsrapriole schneidet!" Und mit unverwandten Augen, mit immer gleich­ bleibender Gesichtsfarbe schaute er würklich hin, wie dieser Arme die Leiter Hinaufstieg. Doch als grade im letzten möglichen Augen­ blick die 'Rettung würklich noch sich einstellte, da ward der Hnndesattler auf einmal bleicher als eine weißgetünchte Wand, trat ein paar Schritte zu­ rück, und rief: „Ja, es ist ein Gott im Himmel, und eine Vorsicht, die ich bisher niemals glaubte! dies ist die Probe, die ich mir setzte! Ich glaubte schon gewonnen zu haben, und sehe nun, daß ich verliere." — Man fragte ihn : Was er eigentlich damit meine? — „Unschuldig, sprach er, ist der Weber. Nur gezwungen that er jene Wache in­ deß wir raubten. Selbst das Geld, das er be­ kam, wolt' er zurück geben, so sehr ihn auch Man­ gel und Hunger drückten. Jeden Diebstal hat er sonst, wie den Tod stlbst gehaßt. Alles dies wußt' ich, und verleumdete ihn absichtlich. Doch nicht etwa aus Nachbegier; sondern nur um zu sehn, ob cS eine göttliche Gerechtigkeit gebe, die sich der Unschuld annehmen werde. Jetzt erkenn' ich, es giebt eine; und ich bitte, man führe mich zurück,

z. Der Hllndssattler und der Leineweber 481 zurück, damit ich mich bekehren könne, ehe ich sterben muß. Ich will auch noch manches bekem rien, was wohl verdient, daß man einige Tage länger mich leben laßt." Mqn dachte, ich weiß nicht, soll ich sagen, bill ig oder fr om genug, um sein Verlanget» ihm zu bewilligen. Er ward wieder zurück ge­ bracht, und man erfuhr bei einem neuen Verhör allerdings manches von ihm, was nützlich und wichtig war. Denn jetzt erst zeigte er seine ehe­ maligen Genossen wahrhaft an : viele wurden ein­ gezogen und das Land von Bösewichtern gesäubert. Ueber eine Menge von Dievstalen bekam man erspriesliche Erläuterung. Die Unschuld des We­ bers ward ausser Zweifel gestellt. Als ohngesahrzehn oder zwölf Tage draus der Hundssattler zum zwei­ tenmal hinausgeführt wurde, betrug er sich mit einem so reuigen Tone und' mit so vieler Ergebung in sein Schicksal, daß wenigstens die Menge dadurch erbaut ward. Ob eine solche Aenderung viel innern Werth besitze, mag ich zwar nicht uns tersuchen, aber mich dünkt, eö ist in dieser Ge­ schichte mancher andre Zug des menschlichen Her­ zens merkwürdig; und vorzüglich der: daß auch der verstockteste Dösewicht Geleqenhlit sucht, seine Zweifel gegen göttliche Vorsicht und Vergeltung entweder aufzuklaren, oder mit einem Grunde mehr zu unterstützen; ja, daß er durch Prüfun­ gen,

482

Der Hundssattler und der Leineweber»

gen, die er dem Schkcksaal «n'tgegenstellt, sich gleichsam zu verwahren sucht, wenn es doch vielleicht ein Leben und eine Rechenschaft jen« seits des Grabes geben solle. So mächtig ist der Wunsch des menschlichen Herzens: auch Leim offenbarsten Unrecht noch Recht zu be« halten! ♦) M.

6.

Blumenlese aus dem vorigen Jahrhundert. Zweiter Brief. Es freut mich, daß mein Gefühl mich nicht be« trogen, und auch Sie in Dämon unb 2 ist lis unsers Ungenanten disjefti membra poetae überall antreffen. Der Hauptpunkt bei Ae> thologieen vergangner Jahrhunderte; Wo blü­ hende Einbildungskraft, ein fein oder warm fühlendes Herz zum Grunde liegen, da läßt sich, ohne

S) Diese Anekdote ist nach der Erzstlung einer Person nkedcrgeschriebcn , die gewiß glaubwür­ dig ist, und die in ihrer Jugend selbst die­ ser Erckuzivn zusah. Absichtlich ist nichtdran geändert worden; selten doch Unrich­ tigkeiten sich ei'ngcschlichcn haben, so verdient der Verfasser hoffentlich eine linde Berich­ tigung,

6. Dlumenlese aus dem vorigen Zahrh.

453

ohne großen Aufwand an Zeit und Kritik, ein schiefer Gebaut berichtigen, eine kleine Lücke sül« len, und -vor allen Dingen der Misklang des Versbaues heben, der den guten Vorfahren nicht sonderlich am Herzen lag, in unserm verfeinerten,oder, wenn Sie wollen, durch Künstelei verwohn»' tem' Ohr aber das glücklichste Bild um den besten Theil seines Eindruckes bringen würde. Wie' selten unsre Aesthetiker und Puristen stutzen, wenn sie die Gesänge eines Homers in ihrem Ur« sprüaglichen Tone zu hören-bekämen! und wie leicht war cS doch den Antimachen, Zeno» boten und AristarcheN, den so reichhaltigen Grund bis zum Meisterwerk zu poliren, ohne sich deshalb an den Eigenheiten der Vorzeit selbst zn vergreifen I Und wir mögen mit dem guten O s« sian erst seine Herausgeber umgcsprungen ha« ben! Sie wünschen nunmehr unsern Ungtnnn» tcn näher kennen zu lernen? Noch ein paar Worte von seinem Wcrkchen selbst, und sogleich sollen Sie erfahren, was ich von dem Ehrenmmk« ne weis, und nicht weis. Sein Büchlein ist auf 163 Seiten in Duodez, zu § r a n k f»r t a m Mayn bei Hermann von Sand abge» drückt, und hat auf dein in Kupfer gestochncn Ti­ telblatte keine weitere lleberschrift als das Wort Lifille, und die Figur eines am Daum sitzen« den Frauenzimmers, woran der Meister A Fröl, (sein

484

6. Blumsnlese aus dem vorigen Jahrh,

(sein Name ist nicht ganz abgedruckt) eben kein Meisterstück geliefert. Der Leo man selbst ist im eigentlichsten Verstände ein bürgerlicher, ganz ans.-dem täglichen, und eben deßhalb so sel­ ten benugtem, Leben geschöpft« . Dämon, ein junger Geseil aus dem Mittelstände, verlaßt nach geendigtem dreißigjährigen Kriege die User der, Pleisse, um an der Donau sich umzusehn. Hier wird ihm die Zeit lang. Der Anblick der rei­ zenden Lisrlte giebt seinem Herzen Deschäftigung. , Schwierigkeit mir ihr naher betaut zu werden; ein poßierlicheS Gemälde der steifens Sitten damaliger Zeit? Endlich gelangt.er zu diesem Glücke, und zu dem noch großern, ihr Ja­ wort aus immer davon zu tragen; wobei eS bald hinterher an Klatschereien, Eifersucht und dergleichen nicht sihlt. Hochzeit, Rückkehr in seine Heimat; wo die Geburt eines Sohnes, plötzliche, verdrüßtl'che Reisen, eine ihm zustoßen­ de Krankheit der Tod ihres Kindes, der Ersatz desselben durch eine Tochter eine Lustpartie nach dem Mayn und dergleichen häuslicher Vorfälle mehr dem zwölften Büche ein Ende machen-; denn in so viel hat ihm beliebt sein kleines Werk einzutheilen; grade das Widerspiel der Happelii und Franeisei seiner Zeit, die nach Weise der Seudery und C alp re ne de, zwölf dicke Bande daraus würden gesponnen haben. 'Der Styl ist nicht schlecht, und das Ganze mit 43 Reim-

6. Blumenlese auS dem vorigen Jahrh.

485

Neimgedichten, wie er sie nennt, durchwebt, die bad Echo seiner jedesmaligen Eemütsstimmung,

ost

leicht,

bisweilen gar zu leicht hingeworfen,

niemals aber unter der Kritik sind. Ein Schmutztitel enthält die Worte: Matthiane Zonfohn LLsille; allein damit ist so

viel als Nichts gewonnen.

Kein Nekrolog oder-

Biograph, kein Bücherverzeichniß will etwas von

diesem Namen wissen.

Eben so wenig ist er

Jochern und seinem unermüdeten Fort seh er

Hätte er sich Jonston ge­

bekannt geworden.

schrieben, so trüge ich keinen Augenblick Beden­ ken, ibn für den Sohn des aus einer schottischen Familie

entsproßnen

Vielschreibers Johann

Jonston's zu halten, der 1670 hochbejahrt in

Schlesien starb, und in dessen adelicher Nach­ kommenschaft die

schlesische Reimgabe noch nicht

Dem sei nun wie ihm wolle, Erd­

erloschen ist.

mann Neumeister ist der einzige, der unsern

Dämon

und LLsille gekaut,

und in seiner

Nomenklatur deutscher Dichter vorigen Jahrhun­ derts, wie folgt, behandelt hat: Matthias;

„Iohnfon,

Cujum fit nomen ignoramus.

Illud novimus, D. und L. keuscher Liebeswandel,

12.72. opufculutn bucolica et alia carmina continens , nomenque praeferens lohn To­

nis, dictionem Succiplenam, licet non lernper eandem (ganzrecht!) lummatimque Poe-

tam prodere Spiritus band mediocris. "

N. Mus. Mai. 9i>

51

Wi-

48 6 6. Dlumenlese aus dem vorigen Zahrhi Wider alles dieses ist nichts zu erinnern, als daß N. eine ungleich neuere Ausgabe vor sich gehabt haben muß. Die meinige schreibt John­ son; hat, obgleich vollständig, keine Jahranga­ be; führt eben so wenig den Titel: keuscher Liebeswandel; und endlich zeigt N. hier nicht den Druckort seines Exemplars an, welches er doch sonst nirgends aus der Acht läßt. C. von Sand äber hat würklich um 1660 zu Frank­ furt gedruckt. Daß übrigens der verkapte Johnson im Ernst anonym bleiben wollen, er­ sieht man aus den Schlußzeilen des Herausge­ bers: „So thut dann und urtheilet, was euch gefallt," (nämlich, haltet das Buch für Roman, oder Geschichte) „errathet, aber verrathet den Dämon nicht, als der durchaus nicht bekaut sein will, und noch vielweniger seine Lisille.“ Ich habe eines -Herausgebers erwähnt; denn der Verfasser nimmt die Maske eines seiner Freun.de, der ihn von Zeit zu Zeit behorcht, seine Brieftasche geplündert, sich hinter Lisillen gesteckt haben soll, und was dergleichen Autorsprünge mehr sind. Vermutlich haben Sie an diesen Erörte­ rungen genug, und übrig genug! Ich ebenfalls. Wir wollen versuchen uns an einer seiner 43 Her­ zenserleichterungen zu erholen, an der, z. B. „als ihr Sohn, der kleine Myrites, aus ihrem Schooße hinweg und in das finstere Grab gerissen ward. Wie

6. Glurnenlese aus dem vorigen Jahrh.

487

Wie tief ihnen das ins Herze geschnitten, das bezeuget seine, des Dämons, hierüber geführte Klage: “

Klagt, ihr Hirten und Hirtinnen Mich und meine Schäferin! Unsre Freuden sind dahin, Hin, wie Schnee und Eis zerrinnen. Wie ein Reh, gejagt von Hunden, Fleucht in fintiern Wald hinein: So ist unser Vögelein Auch im Hui vor uns verschwunden!

Wie ich mit ihm kos' und scherze, Flattert el aus meiner Hand; Du der treusten Liebe Pfand, Ach! wie brichst du unser Herze! Daß du uns doch wärst entflogen, Noch lebendig und gesund! O! so wär' ich dir jetzund Gleich von ferne nachgezvgen!

Aste Büsche, alle Hecken Wolt' ich schütteln und durchspähn, Wo die Abendwinde wehn, Nachtigallen sich verstecken; Endlich würd' es mir gelingen. Daß ich dich bei dunkler Nacht, Oder wann der Tag erwacht, Greifen mögt' und wiederbringen. Doch du kämst wohl selber wieder. Wenn du in der Abendzeit Hörtest meine Traurigkeit Aus dem Tone meiner Lieder! Sott' ich dich auch gleich nicht finden, Ji 3

Wärst

488

6. Dlumcnlese aus dem vorigen Jahrh.

Wärst du frisch nur und gesund. Gerne würde da mein Mund Schwelgen, und sein Leid verwinden! Aber selber mein Verlangen Ist nun, leider! rod mir die; Du bist gar zu weit von hier In die beßre Welt gegangen; Hast die Hofnung mitgenommen: Nein, du somit nicht mehr zu mir! Aber wohl durch diese Thür Werden wir zu dir einst kommen» Nun was? soll ich länger.harren 3 Deine Glieder will ich fehl Hier am grünbemoosten Stein, In den kühlen Sand verscharren; Keine Zierde sei vergessen! Will das (Sddßkm überziehn Mit dem bleichen Rosmarin, Und der traurigen Zipreffem Ihr, die ihr in jungen Tagen Noch nicht wißt, was sterben sei, Kvmt, ihr Lämmerchen, herbei, Bringt mir Blumen hergetragen! Brecht nur ab, die stolzen Nelken! Denn das Blümlein, unsre Lust, Hat auch schnell hinweg gemußt. Muß auch vor der Zeit verwelken!

Nur wenige, sehr leichte Federstriche hat eö gekostet, dieses kleine naive Klaggedicht, wie kch hoffe, lesbar zu machen. Doch, um dem Verdachte zu entgehn, als ob ich unsern Johnso n, weil er einmal so heißen will, auf Maler­ art,

6. Dlumenlese ans dem vorigen Jahrh.

489

art, gar 51t sehr verschönern zu wollen, soll mich die Mühe nicht verdrießen, Ihnen noch zu guter letzt eines seiner Produkte abzuschreiben, wo ich, auf Herausgeberparole! die beiden vorletzten Wör­ ter ausgenommen, mir auch nicht die mindeste Veränderung oder Verbesserung erlaubt habe. Dämon liegt nnf dem Krankenbette, unb bricht in folgende Fragen ans:

Die Kräfte, die ver­ derben; Der ganze Leib ist matt» Noch wünsch' ich nicht zu sterben ; Mas ist es doch,das mir die Lust zum sterben hemmt? Die Welt? die so von Gift und Gast ist" über schwernt. Die Ehre? die mir leicht zum Unfast mag gedeihen. Die Wollust? die sobald den Menschen pstegt zu reuenDes Alters beste Zeit? da ich soviel Verdruß ' So viel Gefahr, vnd Noth, vnd Mühe duldenmnß. Mas ist es dann, das mir r.tir.t hie Begier zu sterben ? Sold, Geld vnd Gut? deß ich nicht trachte zu erwerben Mehr daun mir nötig ist. Ein Freund, ein Biedermann ? Da ich vor einen Freund zehn Feinde zehlen kauco denn Wissenschaft? die wir auf dieser Erden Wol nimmer, aber dort bald, bald erlernen werden. Ov-nvollkommenheit! O Wclt! was ist denn diß? Das mich nicht sterben lclst? — Du bist cs Lisilis! Das Angesicht wird bleich»

Lesen Sie statt des letzten halben Verses: Nichts als die Lisilis, und Sie haben die ganze Tirade wie solche vor mir abgedruckt liegt! Nur ein paar Kleinigkeiten noch hatten sie völlig korrekt gemacht; unb um einen raschem Gang et­ was

49o 7* Ueber die neuesten französ. Finanzeper. was mehr Wohlklang hineknzubringen, brauchte man auch kein Tausendkünstler zu sein. Freilich aber ist es einer seiner kürzesten Stücke. In den lanqern verläuft sich der Wildfang von Zeit zn Zeit; niemals aber so weit, daß er sich nicht ans den ersten Zuruf wieder zurecht weisen ließe. Leben Sie wohl, und hoc contentus Catone!

L.

W.

7Ueber die neuesten französischen Finanzeperazionen, und NeckerS letzte Bemühungen. ^ch habe im Augustmonat des vorigen Jahrs dieser Zeitschrift gesucht, Reckers Betragen als Staatsmann, und seine Plane zur Wiederher­ stellung der französischen Finanzen, in Absicht aus die ausserordentlichen Bedürfnisse, welche große und ungewöhnliche Operazionen notig machten, in ihrem wahren Lichte darzustcllen. Meine Betrachtungen tonten damals nur bis auf den Zeitpunkt gehen, da 400 Millionen sogenanter Affi£nats»monnoye, dekrcrirt wurden. Dies war eine heilsame Operazion. Die Möglichkeit, Papier statt Geld in der Zirkulazion zu erhalten, beruhet auf der Ueberzeugung des Publikums, daß man es

und Neckars letzte Bemühungen.

49 r

es nach Gefallen, gegen ein andres sichres Eigen­ thum teil Lnnerm Werthe werde vertauschen tetr nen. Banknoten, welche bestimt sind in der Zirkulazicn zu bleiben, müssen daher nach Willkühr gegen klingende Münze, verwechselt werden tönneu. Die Aflignats-monnoye welche nicht be­ stimt waren, in der Zirkulären zu bleiben, son­ dern durch den Verkauf geistlicher Güter realistrt zu werden, erhielten ihren Werth, und ver­ dienten das Zutrauen, durch das Dekret, vermit­ telst welches, liegende Gründe von gleichem Wer­ the, an die Munizipalitäten wirklich veräuss'rt wurden. Ich habe bereits die besondern Um­ stande erwähnt, welche diese Operazion empfohlen, bei welcher mit großer Vorsicht verfahren ward. Allein sie ward bald unzulänglich befun­ den. Die immer zunehmenden Ausfälle in der laufenden Einnahme, die wachsenden Rückstände in den fälligen Zahlungen alter Schulden, und ncch eine Menge andrer Bedürfnisse machten größere Hülfsmittel notwendig. Man befürch­ tete nämlich, die neue Verfassung werde nicht eher hinlänglich gesichert sein, als bis alle alten Corpora, die mit der vorigen Staatsverfassung in Verbindung standen, aufgehoben, und alles was sie an die Nazion zu fodern hatten, erstattet wäre. Es ward daher beschlossen, den Magir stratspersonen und andern Bedienten des Staats, die Kapitalien, welche sie im alten Systeme für ihre

492 7'Ueber die neuesten franz. Finanzoperaz. ihre Stellen erlegt hatten (die Finance ihrer Stellen nach dem französischen Ausdrucke) zu be­ zahlen. Alle diese Ausgaben wurden auf die Gü­ ter der Geistlichkeit angewiesen, welche die Nazionalversamlung für ein Eigenthum der Nazron erklärt hatte. Ausserdem lagen in den Prinzi­ pien der neuen Verfassung, noch andre Gründe dieses ehemalige Eigenthum! der Geistlichkeit zu vernichten, welche ich im Februar dieser Blätter ausführlich erklärt habe.

Es war also beschlossen, die Gäter sofort zu verkaufen, und dadurch die Schuldenlast der Nazi'on zu vermindern. Allein die Ausführung dieses Beschlusses war großen Schwierigkeiten unterworfen. Ein gewöhnlicher Verkauf schien unmöglich, und war wenigstens schwer. Necker glaubte zwar (seinem Dernier Rapport a l’Assemblce nationale zufolge) daß die Kapitalien, welche in Frankreich noch baar vorhanden, aber aus Furcht vor künftigen Unfällen verschlossen waren, beuebst denen bereits in Cours gesetzten 400 Millionen Aßiguarcn, vielleicht großentheils hinreichen würden, nach und nach den Verkauf der geistlichen Güter, zu bewirken. Aber bei dem hohen Zinsfüße, und den mancherlei Vor­ theilen, welchen man durch den Ankauf von Staatspapieren machen konte, war es doch zwei­ felhaft, ob der Verkauf der Nazienalgüter nicht git

und Reckers letzte Bemühungen.

493

zu den vorteilhaftesten Preisen geschehen wür­ de, und er tonte auf diese Art auch nur lang­ sam vollendet werden. Die Nazionalversamlnng mußte aber suchen, so hoch atö möglich zu ver­ kaufen, und aus politischen Rücksichten todte sie so geschwind als möglich verkaufen. Eine plötzliche Vermehrung der Kapitalien im Publiko war daS einzige Mittel dieses zu bewirken. Unter diesen Umstanden tonte der Staat also nicht seine Güter verkaufen, um sei­ ne Schulden zu bezahlen, sondern er mußte Ge­ gentheils nach dem etwas paradox klingenden Ausdrucke eines französischen Schriftstellers, sei­ ne Schulden bezahlen, um seine Güter vertäu, sen zu tonnen. Mit baarem Gelde, auch nur einige 100 Millionen von der e,rigiden Schuld abzutragen, wäre zwar vielleicht schon hinläng­ lich gewesen, die große Operazion einzuleiten, al­ lein es fehlte durchaus an allen Mitteln, Geld zu erhalten. Es mußten also andre künstliche Mittel angewendet werden. Es mußte der Werth der Güter mit denen jene großeSummen bezahlt werden selten, durch etwas reprafentirt werden, was sofort in Umlauf gebracht werden, und womit man die Schulden abtragen tonte. Hie­ zu sind verschicdne Verschlage geschehen, deren Prüfung nicht allein für Frankreich wichtig, sondern auch als allgemeine Aufgabe der Staats-

494 7* Ucber tie neuesten franz. Finan^operaz.

wirtschaft, höchst interessant ist. Diese große Angelegenheit ist nicht nur in der Nazionalversamlung, und in Aufsätzen, welche der Minister derselben mitgeteilt hat/, sondern auch.in Privat­ schriften erörtert worden, unter denen ich von den vorzüglichsten, in No. 76 und 77. der Allgemeinen Lüeraturzeitung dieses Jahrs Nachricht gegeben habe, und durch welche die Beurteilung der Maas­ regeln selbst, und der Manner welche sie. vorge. schlagen haben, hinlänglich vorbereitet scheint. Der damalige Bischof von Autun (de Tallegrand - Perigord ist sein Familienname *) dessen ich bereits in meinen vorigen Betrachtun­ gen über Recker und seine Verwaltung der Finan­ zen Erwähnung gethan, ein Mann der sich durch­ aus an die Spitze der Versamlung drängen zu wollen scheint, der allemal wenn von großen §inanzoperazionen die Rede ist, hervortritt, und dessen undurchdachte, weder auf gesunde Grund­ sätze noch auf Kentuiß der Umstände gegründete Vorschläge doch immer, ich weiß nicht durch was für besondre Ursachen, vorzügliche Aufmerksamkeit erregen; weite durchaus alle Arten von Forderun­ gen ♦) Er hat seitdem sein Visthum'aufgegeben, um sich zum Mitglieds des Departements Pari­ wühlen zu lassen.

und Neckers letzte Bemühungen.

495

gen an die Nazion bei der Bezahlung der Nazionalgüter zulaßig erklärt wissen: denn sagt er, wenn der Schuldner seine Güter veräußert, shaben oile Gläubiger gleiches Recht an diese Un­ terpfänder ihrer Forderungen, Allein diese For­ derungen sind von so verschieducr Art, daß es gleich in die Augen falt, sie tonten in keiner Rücksicht, gliche Behandlung fordern. Einige tonten nur Zinsen verlangen, und durften das Capital nicht kündigen. Andre hatten in gegenwärtigen Augen­ blicken selbst die Capitalien zu fordern, andre hat­ ten blos Leibrenten gekauft. Alle diese mannichfaltigen Forderungen wolte der Bischof von An­ tun, ihrer ganz vcrschiednen Natur und Rechte ohnerachtet, bei dem Verkaufe der Güter directe als Bezahlung angenommen wissen.

Ein andrer Weg war viel glanzender, viel leichter, erfülte die Absicht in weit grosserm Um­ fange, und schien aller Forderungen der Staats« gläubigen Genüge zu leisten. Dieser Weg, den der Graf von Mirabeau vorzüglich vertheidigt har, und der von einem Genfer, Claviere, der mit Mirabeau schon lange gemeinschaftlich gearbeitet hat, und von dessen Schriften über diese Sache, ich in den erwähnten Blattern der Allg. Lit. Zei­ tung Nachricht gegeben habe, herzurühren scheint, bestand darin, ein Papiergeld zu fabriciren, wel­ ches den Werth der Nazionalgüter repräsentiern, und

4y6 7. Ueber die neuesten franz. Fmanzoperaz. und beim Verkaufe derselben als Bezalung ange­ nommen und vernichtet werden solte.

Neckers Ansehen in der Nazionalversamlnng war schon so tief gefallen, daß er sich darauf ein­ schränken mußte, die Gefahren der vorgeschlagnen Operationen anzuzeigen, und Modifieazwnen an­ zugeben, wodurch dieselben vermieden oder ver­ ringert werden tonten* Einen eignen Plan zu entwerfen, war ihm auf doppelte Weise unmöglrch gemacht. Seine Vorschläge waren von der Nazionalversamlung schon deswegen, weil sie von ihm herrührten, nicht angenommen: und wenn sie es wären, wie tonte er einen guten und sichern Plan entwerfen, da die Wirksamkeit der Mini­ ster so beschränkt worden war, daß sie für die Ausführung der Plane nickt mehr einstehen kön­ nen , weil hie Direkzion nicht mehr bei ihn'enjsteht. Necker empfiehlt also in seinen Vorträgen, manrnchfaltige Auswege, um den unübersehbaren üb­ len Folgen einer dreisten Operazion von ungeheu­ rem Umfange vorzubengen. Er glaubte es wür­ den sich ehncracktet deS hohen Ertrags der Staats­ papiere eine hwläng'ich große Zahl von Capitalisten finden, die den Besitz eines solidem Vermö­ gens, des Grundeiaemhums, den Obligationen vorzögen, deren Werth unzähligen unvorhergese­ henen Abwechslungen unterworfen ist. Er glaub­ te daher es sei möglich, durch freiwillige Cubscripiion

und NeckerS letzte Bemühungen.

497

zion einen hinreichenden Theil der Staatsschulden mittelst einer 2(rt von Papiere» zu tilgen, die int Verkaufe der geistlichen Güter ihre endliche Be« stimmung fanden, so wie die Assignaten: die aber nicht bestimt waren als baares Geld umzulanfcn. Wäre Zwang nöthig, so könne man etwa allen Gläubigern verschreiben, ihre» Obligationen gegen solche Papiere ( quittances de finance) zu ver­ wechseln. Ein gewaltsamer Schritt, eine Unge­ rechtigkeit freilich, ein Wortbrnch gegen den Buch« staben der Obligationen : aber bei dem doch der Druck der in den Systeme der Assignate nur ans gewisse Klassen von Gläubigern ausschließlich falt, gleichmäßiger «ertheilt würde.

Das System der Assignate ist bckantlichadoptirt worden. Zwar nicht in der vollen Maaße, in welcher seine ersten Vertheidiger eS empsolcn, aber doch in den wesentlichsten Punkten. Sie sollen allenthalben für Geld genommen werden. Zeder, der eine Schuldforderung in solchen Papieren be­ zahlt erhält, hat also wirkliche Bezahlung, und kan mit seinen Gläubigern hinwiederum liquidircn. Diejenigen, welche großes Vermögen und große Schulden haben, bringen damit also ihre Sachen mit größter Leichtigkeit in Ordnung. Geht der Verkauf der Nazionalgüter sofort vor sich, so läßt sichs denken, daß die ganze Summe von Assigna­ ten, »md wäre st« auch so wie die Urheber des Plant

498 7- Ueber die neuesten franz. Finanzoperaz. Plans weiten, bis auf aooo Mill, getrieben, ans der Hand der ersten Empfänger unmittelbar, oder nach kurzem kurstre», sofort wieder in die Caisse de >' E.xtraordinaire, in welche die Bezalung der Güter fließt, zurückkehrten und vernichtet wür, den. Ein kühner und großer Streich. El» ähnlicher war schon einmal gelungen. Der An« fang von Law's Operationen (die übrigens wie ich oftmals bemerklich gemacht habe, mit diesem Sy­ steme fast nichts gemein hatten) bestand darin, daß die StaarSobligazivnen vermietest Dankzet­ teln durch welche sie bezahlt, und welche im An, kaufe der Akzien derMlßlßlpplkompagnie angcnom-' men wurden, in diese Aktien verwandelt wurden, so' wie gegenwärtig ein Theil der StaatSobligazionen gegen liegende Gründe ebenfals vermittelst eines dazwischenkvmmenden Papiergeldes verwechselt wer­ den soll. Allein es ist ein Unterschied unter die. sen beiden Operationen sehr auffallend. Der Mit­ telpunkt der Lawschen Operazion war in Paris, wo die Akzien der Kompagnie auSgetheilt wurden. Die geistlichen Güter hingegen sind durch ganz Frank­ reich zerstreuet, und dadurch wird die ganze Ver­ handlung allen Kunstgriffen des Handels mit Pa­ pier und Geld unterworfen. Ferner ist der Verkauf der Güter an sich selbst schon natürlicher Weise vielem Vorzüge unterworfen. Der erste Plan ging aber »och dazu dahin, die

und Neckers letzte Bemühungen.

49g

die Dezalung nicht sofort anzunehmen, sondern auf Termine zu setzen, davon der letzte erst nach n Zähren einrreten feite: die ganze Summe von Assignaten aber sogleich in Umlauf zu bringen, da« mit die Nazi'on von der Zinsenlast sogleich befreit würde, auf der andern Seite aber doch den Ge« nuß des Ertrags der Güter zum Theile noch auf so viele Zahre behielte. Hiedurch würde, wie man sagte, die Circulazion denn auch belebt wer. den, und der Handel den Vorteil haben, die im. terdeß kursirenben Assignate, zu 'geringern Zinsen, als bis jetzt üblich sind, zu nutzen: denn der Zins, fuß müsse freilich sofort fallen. Alles ganz vor« treflich, wenn die Circulazion nur diese große Men» ge von Papiergelde tragen tönte. Die Verthei« digcr dieses Plans sagen, das Bedürfniß des Gel. des ist offenbar. Also muß Geld geschaft werden. Wohl, aber mit der Vorsicht, die Assignate welche Geld vorstcllen sollen, nach und nach in Umlauf zu bringen, um sogleich aufhörcn zu können, so, bald man sähe, daß es genug wäre. Denn wenn solchen Geldes zu viel wird, als daß die elnhei« mische Circulazion es nutzen tonte, wenn der Zinsfuß, wie man wünschte fält, und wenn denn die Besorgnis, die Necker in seinem dernier Rap. port äusserte, wirklich cinträfe, wenn die Eigen­ tümer großer Summen dieses Papiergeldes gera­ then fanden, ihre Kapitalien in fremden Länder» «nzulegen, wenn dieses in großen Summen ge.

schä.

5oo 7« Ueber die neuesten franz. Finanzoperaz. schätze, so würde alle metallene Münze aus dem Lande gezogen werden, das Bedürfniß derselben im Handel mit Fremden, ihren Werth sehr crhö« hen, ein encrmeS Agio desselben gegen Papiergeld entstehen. Die Geschichte mehrerer Reiche, vor­ züglich der nordischen hat die schrecklichen Folgen einer solchen Revoluzion oft bewiesen. Frankreich, ein großer manufakcurirender und handclnderStaat, laßt stch zwar in gewöhnlichen Zeiten mit jenen Reichen nicht vergleichen. Aber wenn von Mil« liarden die Rede ist, wenn man Gefahr läuft, daß viele ico Millionen in kurzer Zeit aus Cent Reiche gehen, so ist der größte und vorteilhafteste Handel nicht fähig, der Impulsiv« zu widerstehen, die dies der Cnkulazion giebt. Ausserdem ist al« les Gewerbe gerade jetzt in Frankreich in großer Zerrüttung. Auf das Verhältniß des Handels mit Aus« wärtigen, und auf den Transport der Kapitalien ausser Landes, auf den Ankauf fremder Fonds mit­ telst der Assignaten, komt eö ganz vorzüglich bei der Frage an, ob sie sich in der Cirkulazion halten können. Und diese Umstande hat keiner von den Verteidigern derselben, nur einmal berührt. Die ersten 400 Mill, trugen 3 pro Cent Zinsen. So­ bald man keine Mittel vor sich sahe, das Geld besser zu nutzen, so tonte man eS im Kasten lie­ gen lassen, und hatte doch einigen Genuß davon. Aber

und Reckers letzte Bemühungen.

501

Aber die neuen Assignate, und von der Zeit an, da ihre Emission beschlossen worden, auch die al­ ten, sollen gar keine Zinsen tragen. Sie müssen daher als Geld eirkuliren, wenn sie dem Besitzer etwas werth sein sollen. Einer von den Rednern in der Nazionalversamlung, de Cernon, giebt e6 ausdrücklich als den Hauptvortheil dieser Maasregel an, daß die Ctrkulazion dadurch forcirt wer­ de. Aber ist dies möglich, ohne daß das Geld selbst von seinem Werthe verliere? Metall geht in dem Falle, da mehr da ist, als aebraucht werden kau, ausser Landes, und sucht seine Stellen da, wo es etwas einbringen kau. Aber das Paptergeld, welchem man den Ausweg, der ihm zuerst angewiesen war t im Ankäufe der Nazionalgüter, noch durch die vorgeschlagnen Zahlungstermine er­ schweren wolte, muß doch in den Händen dessen, der sie zuletzt erhielt, wieder gebraucht werden, und letdet durch den großen Ueberfluß in seinem Werthe. Zuerst und unmittelbar, zeigt sich diese Folge zwar nur im Zinsfüße, im Preise der ein­ träglichen Dinge, der liegenden Gründe, Ren­ ten u. s. w. Aber am Ende erstreckt sich der Ein­ fluß auch auf die gemeine Cirkulazion. Da in sehr vielen Fällen, im Bezahlen auswärtiger Schuld, im Bedürfnisse der täglichen kleinen Clrkulazion, welche sehr beträchtlich ist, baarcS Geld durchaus erforderlich bleibt, so entsteht ein Agio des Papiergeldes gegen Metall. N. Mus. Mai. §r. K k Die

502 7 Ueber die neuesten franz. Finalizoperaz, Die Verteidiger

des

letztem,

vorzüglich

Clavicre, der einstchtsvolleste unter ihnen, drin­

gen zwar darauf, M es mit diesem Agio eben so

wenig zu bedeuten habe,

als mit dem Agio zwi­

schen Gold und Silber, weil es,

so wie

durch die Lonvenienz regulirt werde.

dieses,

Aber dieses

Agio unter Geld - und Silbermünze selbst, ist ei­ ne sehr drückende Sache für das Publikum, bald cs sehr schwankt, steht,

so»

und selbst wenn es hoch

so ist dies doch noch ein geringes,

gegen

das Agio, welches unter einem überflüßigem Pa­ piergelde und Metall entsteht.

dieses Agio am Ende?

Und wer trägt

Große Summen werden

in Papier bezalt, die tägliche kleine Ausgabe aber kau nicht anders als in Metallenen Gelde gelei­

stet werden.

Claviere selbst sagt daher ganz recht

in seinem ersten Briefe an Cerutti, für quelle

somme portera la prime 5

qison donne pour

avoir des Ecus? Lnr celle dont on ne pourra fe

details*

paffer,

pour les menüs

Er fügt zwar hinzu:

la peine de s’en plaindre?

Vaudra t’il

Quand ii saut

guerir une maladie dangereufe, fonge t’on

a queiques tacbes für la peau? Classe ist es,

Aber welche

die des Geldes pour les menüs

datails am wenigsten entbehren kan? Die unterste.

Wenn das Gewerbe sehr im steigen ist, wenn also die

Con-cnrrenz unter den Neichen oder Vermö­

genden, die Arbeit verlangen, zum Vortheile der Armen

und Neckers letzte Bemühungen.

505

Armen die arbeiten wollen überwiegt, so werden diese schon den Agioverlust auf das Geld iw. Gros­ sen, von sich abzuhalten wissen: derselbe wird den Unternehmern und den Verzehrern zur Last fallen. Wenn aber die Gewerbe stocken, und unzählige Hande Arbeit suchen, wie vorzüglich in Paris und vermutlich auch in andern großen Städten des französischen Reichs der Fall ist, so verliert die Klasse der Arbeiter. Sie hat aber nichts zu ver­ lieren. Sie muß alles was ihr entgeht auf die Arbeit schlagen, oder verhungern: oder welches in ciner zerrütteten Cirkulazion das wahrscheinlichste ist, beides. Heißt dieses alles aber nicht gerade so viel als das Argument, welches Du Pont in ei­ nem fliegenden Blatte gegen die Assignate vorgebracht hat, und welches Claviere so leicht zu widerlegen vermeint, und sogar verhöhnt? Heißt es nicht eben so viel, als, das Brod uiifc die Ar­ beit müssen km Preise steigen? Denn wenn das Metall steigt, die Arbeit und das Brod aber im Zahlwerthe nicht herabfallen, so steigt beides zu­ gleich mit dem Gelde. Claviere scheint darin vollkommen Recht zu haben: die Cirkulazion erfor­ derte neue Kapitalien, (besonders nent er die Manufakturen von Lyons.) Aber wenn die ersten 400 Mill. Assignate noch unzureichend waren, so tonte man entweder die Summe vermehren, ohne jedoch den ganzen Plan in seinem ungeheuren Um­ fange anzunehruen : oder es kenten andre HülfsK k r mittel

504 ?. Ueber die neuesten franz. Finanzoperaz, mittel ausgedacht werden, die ein Finanz-und Handelsverständiger Minister leicht angegeben hät­ te. Ich habe bereits bei Neckers sichern Planen, bemerkt, daß er die Caisfe cfEscompte auf eine hrezu sehr nützliche Weile zu gebrauchen gedachte. Banken für andre Städte und Provinzen, sowie jene für Paris, oder ähnliche Veranstaltungen hätten getroffen werden können.

Es ist möglich, daß aller dieser wirklich sehr schweren und wenigstens nach denen tn der Nazionalversamlung öffentlich vorgetragenen Datis, ganz unauflöslichen Dedenkltchkeiten ohnerachter, der Plan der angenommen worden, ohne große Uebel, ausgeführt wird. Aber der Entschluß ist so ganz ohne hinlängliche Ueberlegung und Kentniß der Umstände des Reichs gefaßt worden, daß dieser glückliche Ausgang, wenn er eiutreten feste gewiß nicht der Vorsicht der Gesetzgeber zuzuschreiben sein wird: und wenn die Nazion die­ sen glücklichen Ausgang irgend einer Maasregel derselben verdankt, so ist es gewiß diejenige, wo­ durch die Plane, welche mit so großer Zuversicht rmpsolen wurden, beschränkt worden sind. Unter den unzähligen fehlerhaften Schlüs­ sen der Vertheidiger solcher Projekte, ist auch ei­ ner sogar dieser: Wenn 800 Millionen mit Er­ folge ausgcgeben werden tonnen, (sagen sie) so wer-

und Neckers letzte Bemühungen.

505

sterben aoeo die eben so gute Sicherheit kn den Nazionalgütern haben, auch eben sowohl rouliren. Große dccidirte Schritte, nach eiufachen Prinzipien, sind überhaupt der neuen fran­ zösischen Gesetzgebung die liebsten. Die Mezzo termine, die schwachen Versuche zum Anfänge, die Combinazion mannichsolcher Mittel, sind ihr äusserst verhaßt, ja verächtlich. Man sieht sie als die Zuflucht schwacher und furchtsamer Man­ ner an, die nicht den Mut beiden, nach ^enm eluqesehenen Grundsätzen zu handeln, und den Vorurtheilen nachgeben. Allein in der politi­ schen Welt ist alles so complizirt, und die gros­ sen, einfachen Grundsätze sind so einseitig, daß die Klugheit des Gesetzgebers mehreutheils darin besteht, die einander entgeqenrvirkenden Prinzi­ pien auf eine geschickte Weise zu ccmbtntren, damit nicht auf einer Seite ein ganz überwie­ gendes Unheil entstehe. Deraleichen Maaßre­ geln aber lassen sich eher von Mannern erwar« ten, die durch Eifahrung, die Behandlung großer Geschäfte kennen gelernt, als von spekulativen Theoretikern, die sich nur zu viel mit Wahr­ heiten beschäftigen, die jenen zwar bekant sein selten, aber nur als Voraussetzungen, und nicht zu hinlänglichen Gründen des Verfahrens die­ nen können. Und so sehe ich mich hier wieder genöthigt auf eine Oimerkung zurückzulehren, auf welche die Betrachtung bissen was in Frank­ reich

506

7. Ueber die neuesten franz. Finanzoperaz.

reich geschehen ist, fast in jeder Angelegenheit führt. Nur durch Uebereinkunft und gemein­ schaftliche Bemühungen der Nazioualversamlung unb des Ministers, ließ sich etwas zuverläßig gutes auSrichten. Selbst Clavicre, der freilich die Dedürfnrsse der Umstände besser eingesehen, als die mehresten Mitglieder der Nazionalversamluna, welche die Dekrete absassen, sieht es ein, daß die Aßignare sich nicht ohne mannichfaltige Maaßregeln btv Vorsicht erhalten tonnen, und schlägt dazu eine Anstalt vor, die Verwechslung der Aßignate gegen Geld in den Städten zu erleichtern, um dem allzugroßen Agio vorzubeu­ gen. Durch wen aber tonten dergleichen An­ stalten besser angegeben, veranlaßt. befördert, un­ terstützt werden, als durch denjenigen, der an der Spitze der executiven Gewalt stand, oder doch hätte stehen sollen? Die Ausführung gros­ ser Plane führt immer viel Druck , Unbequem­ lichkeiten und ost viele Ungerechtigkeiten gegen unzählige Einzelne mit sich, und erfodert daher durchaus die Bemühungen einsichtsvoller und mächtiger Männer, um diesen Druck wieder durch Modifikaziouen im besondern, zu mildern. Die Nazionalversamlung weis immer nur von großen Verfügungen und allgemeinen Grundsä­ tzen. Wenn ihre Dekrete immer Aussprüche strenger Gerechtigkeit enthielten, so wiesle sich oft berühmt, so wäre es noch zu entschuldigen, daß

dem

und Reckers letzte Bemühungen.

507

dem allgemeinen Gesetze das Interesse so vieler einzelnen oft anfgeopfert wird. Allein sie sind vielmehr sehr ost, nichts als Gewaltthätigkeiten, die nnr die höchste Notwendigkeit rechtfertigen, und das allgemeine Beste kaum entschuldigen tonte. Es wäre also die feinste Rücksicht auf das Interesse der Leidenden, die erste Pflicht. Und in dieser Rücksicht auf die Schwierigkeiten in der Ausführung, welche viele Kentniß des Details erfodern, zeigte Recker eine ausserordentliche Ile« Verlegenheit über alle Rathgeber der Nazion, in und ausser der Nazionalverfamlung. Seine Vor« sicht, seine Bemühung da wo cs ihm unmöglich ist gerecht zu sein, die unvermeidlichen Ungerech­ tigkeiten, soviel möglich durch Billigkeit auSzugleichen, qualifizieren ihn ganz vorzüglich zu dem großen Berufe, die ungeheuren Operazionen anszuführen, die Frankreichs Finanzen wieder herstellen selten, und von denen das Wohl so vieler Menschen abhängt. Ich habe die Fehler, die er in Rücksicht auf die politischen Verhältnisse in Frankreich begangen, und die Quellen dieser gros­ sen Fehler dargestellt, so wie sie aus der Geschich­ te der Zeiten hervorleuchten. Aber die Gerech­ tigkeit verlangt auch das gegenwärtige Zeugniß. Kabale und blinder Eifer haben ihn von der Stelle vertrieben, zu der ihn das Vertrauen der Nazion vormals erhoben. Undank und Verdruß ist sein Lehn gewesen. Das Bewustsein der Ue­ ber-

8. Orders Gruft«

508

berlegenheit an Einsichten und gutem Willen, wird ihn selbst bei alle dem beruhigen. Aber wenn nächstdem die Achtung des unparteiischen Publikums der kräftigste Trost in großen unver­ dienten Widerwärtigkeiten ist, so ist eS auch Pflicht, zu dieser öffentlichen Stimme mitzuwirken, die vielleicht iM Ganzen in seine Netraite dringt, und nunmehr» dem verkanten Verdienste allein noch Gerechtigkeit widerfahren zu lassen vermag. Hannover Achberg.

8.

Orders

Gruft.

2öcilet gedankenvoll bei der Gruft des Denker-, und lernet Vom Thatreichen Verdienst, welches sich selber belohnt! Blumen streuet auf's Grab des Vlumenkundkgen! Ihm gleich Gattet Freude mit Ernst, Eifer mit forschender Ruh!

Friedrich Leopold Graf zu Stolberg.

deutsche Gelehrte haben eS seit einiget Zeit für zuträglich gehalten, daß man mir alle Ehre nehme, mich aller Achtung und alleS Zu­ trauens bey allen Menschen beraube. Alle Kunstgriffe menschlicher Bosheit haben diese ge­ lehrten Herren in unzählbaren Schriften gegen mich verschwendet, und bey allen unparthehischen, bey allen großmüthigen und redlichen Menschen aus allen Ständen haben sie überall ihren Zweck verfehlt. Dies wußte ich zum voraus. Also wachte

machte ich e« wir junt unzerkrüchüchen Gesetze,

nicke ein Wort und nicht eine Zeile zu meiner Vertheidigung zu sagen, zu schreiben, oder schrei­

ben zu. lassen.

Zch vergab meinen Feinden ih­

ren Nnedeimuth, und gieng stille dahin, wo ich etwa» Guter thun konnte, indeß da sie mit un­

ermüdeter Thätigkeit meinen Untergang suchten

und nicht fanden.

Verschiedene mir vorhin

ganz unbekannt gewesene

höchst großmüthige

Menschenfreunde aur mehret» Ländern und Ständen schrieben an mich, und erboten sich

mir zum Kampfe gegen meine Feinde.

Zch

bat alle auf die dringendeste Weise, mich nicht zu vertheidigen, sich selbst zu schonen, und den

Erfolg, Gott und der Zeit zu überlassen.

Aber

ohne mein Vocwissen erschien Doctor Bahrdt mit der eisernen Stirn, oder die deutsche

Union gegen Zimmermann,

spiel in vier Aufzügen.

ein Schau­

Ganz Hannover

hatte diese Schrift schon gelesen, alr ich dieselbe zum

zum erstenmal sah, und mit Schrecken und Detriibmn ihren Inhalt erfuhr.

Man wünschte

diese Schrift unter Henkers Hände zu bringen. In öffentlichen Mattern behandelte man den

Verfasser als den schändlichsten Buben,

tzelebet habe;

der js

man sagte, die geringste Strass

die cr verdiene, sey Staupenschlag und Brand­

mark.

Diese journalistischen Nechtssprüche wa­

ren ergangen und allgemein bekannt; und nun

schrieb

Herr Oberstlieutenant Mauvillon in

Braunschweig ein Buch, um zu beweisen: Ich sey der Verfasser des Doctor Bahrdt mit

der eisernen Stirn!!



Auf eine solche

Beschuldigung mußte ich antworten: Officier sie drucken laßt;

da ein

da ein Offieier, vor

einem Kriegsgerichte, sie auszusprechen wagt!

Meine ganze, sehr kurze und völlig hinreichends Antwort, gab ich heute, urraufgcfodert,

der

Königlichen Iustlzcanzley in Hannover mit die­ sen Worten;

Ich bin willig und bereit,

den

dm schauderhaftesten Eid zu schwören, daß ich weder mittelbar noch unmittelbar nicht

den allergeringsten Antheil an der Schrift Doctor Bahrdk mit der eisernen Stirn habe, und daß ich von dem ganzen Znhalt dieser Schrift nichts wußte, bis ich dieselbe gedruckt in meinen Handen sah.

Hannover, den 14. März, 1791.

Zimmermann.

Neues

Deutsches Museum. 6. Stück.

Juni,

1791»

1.

Ueber lokale und allgemeine Bildung *)

der Mensch werden konte, da« ist er überall nach Maasgabe der Lokalverhältniffe geworden. Klima, .Lage der Oerter, Höhe der Gebirge, Richtung der Flüsse, Beschaffenheit de§ Erdreichs, Eigenthümlichkeit und Mannichfaltig» feit der Pflanzen und Thiere haben ihn bald von einer Seite begünstigt, bald von der andern ein­ geschränkt, und auf seinen Körperbau, wie auf sein sittliches Verhalten, zurückgewirkt. So ist er nirgends Alles, aber überall etwas verschiede­ nes geworden, das dem Verstände des Forschers, wenn er über die Schicksale und Bestimmungen seiner Gattung nachdenkt, Aufschluß verspricht, oder wenigstens den Stoff zu einer eigenen Hypo­ these über den wichtigsten Gegenstand unseres Grü­ belns in die Hände spielt. Wenn

®) Dieser kleine Aufsatz ist ein Bruchstück eineVersuchs über die Indische Dichtung. N. Mus. Jun. sr> 8 l

5io

i. Ueber lokale und allgemeine Bildung.

Wenn toir, auf unserer jetzigen Stufe det Kultur, den weiten Umfang aller in den Men­ schen gelegten Kräfte überschauen und es uns dann scheint, wir hätten mehr an unser ganzes Ge­ schlecht zu fordern, als es wirklich geleistet hat, so täuschen wir Uns selbst durch die Verwechselung unserer individuellen Erkentnis mit jener andern, welche sich unter minder vorteilhaften- Verhaltniffen entwickelte. Die Zerstreuung der Völker­ schaften über die Erdoberfläche gieng vor ihrer sittlichen Ausbildung vorher und dadurch geschah es, daß von so vielen, zum Theil widersprechen­ den Anlagen eine jede sich irgendwo und wann unter günstigen Umständen bis auf den äussersten Grad vervollkommnen und anwenden ließ. Ohne diese vereinzelte Darstellung der menschlichen Kräfte ist nicht einmal die Zusammenfassung und Idealist­ rung denkbar, die uns zum Zeitvertreibe dient, wenn wir unseren Mitmenschen eine abstrakte Norm der Vollkommenheit anmessen, und sie dann im moralischen, wie ttn physischen Sinne, zu lang oder zu kurz, oder sonst auf irgend eine Art un­ förmlich finden. Führte nicht die Spekulazion, tvle eine philosophische regnla falfi, zu gewissen brauchba­ ren und zuverläßigen Resultaten, wenn schon sie von Voraussetzungen ausgeht, die keine Wirklich­ keit haben, so mögtt Man vielleicht fragen, welche Untersuchung die Müßigste sei, die: wie die Men­ schen.

r. Ueber lokale und allgemeine Bildung.

§rt

schengattung anders hätte werden können, als sie schon geworden ist? oder die: was eigentlich noch aus ihr werden solle? Gewiß würde man nie den Traum der allgemeinen Gleichförmigkeit geträumt haben, wenn man richtige Vorstellungen von Europa und Indien, von Grönland undGukNea zum Grunde gelegt hätte. Zugestanden, es sei möglich, daß gänzlich gesittete Völker unter jeden Himmelsstrich verpflanzt, eine gewisse über­ lieferte oder verabredete Uebereinstimung beibehalten könten, so ist es wenigstens bis zur augen­ scheinlichen Ungereimtheit des Gegensatzes offenbar, das; die Kräfte der Natur ihrer Nachkommenschaft bereits im ersten Gliede ein nach dem Ort und seinen Beziehungen jedesmal wesentlich verschiede­ nes Gepräge aufdrücken müßten. Die Hitze des Aequators, die Kälte des'Eisgürtels verändern die Gestalt und Prvporzion der festen Theile, btt Konsistenz und die Bestandtheile der Safte; die verschieden gestimmten Sinnesorgane besitzen eine andere Reizbarkeit, eine andere Empfänglichkeit, eine andere Verwandschaft mit der äusseren, umge­ benden Natur; die Bedürfnisse des Wallfischfängers in seiner beschneiten Zurte scheiden sich von jenen des Pflanzers im Palmenhain; die ersten Gestal­ ten, die sich dem neuen Geschöpf aufdringen und die tiefsten Unauslöschlichsten Eindrücke in seiner Phantasie zurüklassen, sind unter jedem Grad der Breite, auf Inseln und festen Ländern, im GeLl 2 birg



i. Ueber lokale und allgemeine Bildung,

birg und auf der Ebene verschieden, und wenn sie aufgefaßt werden von klimätischveränderten Orga­ nen, so entsteht unfehlbar eine Eigenthümlichkeit der Bilder, die ihren Einfluß auf die Denkungs­ art und selbst auf die Handlungsweise der Men­ schen äusser» muß. Der schönste Menschenstamm kvnte sich im schönsten Klima der Erde niedcrlassen, ohne zu der moralischen Ueberlegenheit zu reifen, die man den Europäern nicht abstrcilcn kan. Viele Ge­ genden Asiens verdienen offenbar den Vorzug vor Europa, sowohl was Milde des Himmels, als Reichthum, Fruchtbarkeit und Zierde des mätter, liehen Schooßcs der Erbe betrift; Schönheit des menschlichen Körpers blieb keinceweges auf unsern Welttheil eingeschränkt. Aber unser Gluck, oder daß ich ernsthafter rede, die höhere Ordnung der Dinge hat eS gewollt, baß nicht nur die köstlich­ sten Schätze der Erkentniß aus der Vorwelt in unsere Hände fielen, sondern daß auch politische Verkettungen der Begebenheiten die Leidenschaften des Europäers, insbesondere Habsucht, Ehrgeiz und Herschgier bis zu einem Grad der Verwegen, heit schärften, dem keine Unternehmung zu groß, keine Anstrengung zu weit getrieben schien. Aus Egypten und Asien wanderten die Kün­ ste zugleich mit den Schriftzügen in das inselrciche, von Meerbusen zerschnittene Hellas — und das junge Reiß der Kultur, auf den wilden griechi­ sche»

t. Ueber lokale und allgemeine Bildung.

513

sch en Varbarenflamm geimpft, trug liebliche Blü­ ten und Früchte. Unter den Handen der Welteroberer verwebten sich die Ideen der Dewchner ent­ legener Provinzen pocf) inniger und vollkommener mit der ganzen Masse von klimatischen Kenntnissen. Dieser intellektuelle Reichthum wirkte zwar anfänglich weniger auf den Verstand der rohen Haufen, die das römische Reich überschwemten und verschlangen; denn in der hier zusammen, gehäuften unermeßlichen Beute fanden ihre Sin­ nen ein Meer von Genuß, das unwiderstehlichen Reiz für sie hatte. Doch allmählig gieng die ge­ sammelte 'Weisheit aller verflossenen Jahrhunderte auch in diese nordischen Köpfe über, und ob sie gleich durch das Medium der Hierarchie eine be­ sondere Stimmung erhielt, so bereitete sie doch den jetzigen Zustand unserer Entwickelung vor. Der Rittergeist, die Kreuzzüge, die kauf­ männischen Unternehmungen, die Vervollkommunz der Schiffahrt, das wieder erwachende Gefühl der Menschenwürde, die ersten Regungen der Frerheits liebe gegen das feudalssche, wie gegen das hierarchische Joch, die Entdeckung des. Vor­ gebirges der guten Hofnung, kes Weges nach In­ dien un& der neuen Welt, — alles war Wechsels', weise Wirkung und Ursache neuer Jdeenverbindun» gen und-einer beschleunigten Thätigkeit unserer Geisteskräfte. Vor allem krachte die Entdeckung beider Indien eine unzählbare Menge von neuen Be-

5i4

it Ueber lokale und allgemeine Bildung.

Begriffen (n Umlauf, welche vermittelst der zu gleicher Zett erfundenen Buchdrucherkunst eine Revoluzion im Denken von. unübersehbaren Folgen bewirkte, Die Erfabrungswissenschasten, diese ächtes unentbehrlichen Quellen der Erkentniß, einst fa trübe und verachtet, strömen jetzt ihre klaren, se­ genreichen Fluten von den äussersten Grenzen der Erbe zu uns herab und in ihrem Spiegel ftkent hie Vernnnft ihre eigene Gestalt. Dte allgemeine Natur und die des Menschen werden uns beide durch ihre Wirkungen offenbar, und bald werden wtr den Kreis aller Verwandlungen durchlaufen haben, worin sich ihre Kräfte äussern. Das vermogten die Völker nicht, die, zwar von ihrem Himmelsstrich und von der fruchtbaren Erde be­ günstigt, sich frühzeitig ein System von milden Sitten, von bürgerlicher Gesetzgebung und got­ tesdienstlicher Vorschrift entwarfen, aber, lange von allen übrigen Menschenstammen getrennt, in ihrer- einseitigen VorstellungSarr bis zur Unbieg­ samkeit veralteten. Das können auch die Völker Nicht, Heren Bedürfnisse der karge, verschlossene Boden nicht befriedigt, deren Geschäftigkeit le­ diglich aus Erhaltung des Lebens abzweckt, und deren öder Aufenthalt ihnen nur wenige Gegen­ stände zum Benutzen und zum Kennen schenkt. Es gereicht uns keineswegs zum Vorwurf, daß unser Wissen beinah nichts Ursprüngliches und, Eigen-

r. Ueber lokale und allgemeine Bildung.

515

Eigenthümliches mehr hat, daß es die philvsophi. sche Beute des erforschten Erdenrunds ist. Das Lokale, Spezielle, Eigenthümliche mußte lm All. gemeinen verschwinden, wenn die Voturtheile der Einseitigkeit besiegt werden seilten. An die Srclle des besonderen europäischen Karakters ist die UniVersalität getreten und wir sind auf dem Wegegleichsam ein idealisirtes, vom Ganzen des Men, schengcschlechrs abstrahirtes Volk zu werden, welcheS, mittelst seiner Kentnisse, und, ick wünsche hiuzuzusctzen, seiner ästhetischen sowohl, als sittlichen Vollkommenheit, der Repräsentant der gesamten Gattung heißen kann. Haßt n«S einen Schleier werfen über die Mittel, wodurch wir zu dieser Hohe gestiegen sind. Nie kann eS den Europäern zur Entschuld Ligiing gereichen, daß ihre Schandthaten in allen Erdtheilen, verglichen mit denen der ungebildeten einheimischen Völker, zuweilen etwas we, Niger empöpend sind; allein eS giebt vielleicht einen höheren Standpunkt als den menschlichenwo der Erfolg die Mittel rechtfertigt, AsteEntstehe» ist chaotisch und das EhaoS mit seinen streitenden Elementen flößt Abscheu oder Entsetzen rin. Wenn aber die neue Schöpfung in stillem Glanz hervortritt, dann gedenken wir der Finsterniß und ihrer Stürme nicht mehrSollen wir von dem, was wir sind und wer« dm können, den vermessenen Blick noch tiefer in das

516

l liebes lokale und allgemeine Bildung?

das geheimnisreiche Dunkel der Zukunft senken? Dürfen wir unserer Phantasie den weiten Spiel­ raum. vergönnen und die Wirkungen errathen wollen, welche unsere kosmische Bildung auf die übrigen Geschlechter der Menschen hervorbringen kan? — Aus Europa erhalten sie dereinst ihre eigenen Ideen mit dem Stempel der Allgemein­ heit neu ausgemünzt wieder zurück und die zahl­ reichen europäischen Pflanzstädte, Handelsposten und eroberten Provinzen beider festen Lander ver­ breiten dort das Licht der Vernunft zur voll­ kommenen Klarheit gemischt, wo es zuvor nur in gebrochenen, farbigen Stralen aufgesangen ward. Neger und Mongolen, Lappländer und Feuerlän­ der bleiben freilich auch unter jedem möglichen Einfluß neuer, ihnen angemessener Begriffe, ja selbst bei jeder erdenklichen Vermischung mit an­ deren Stämmen, von ihrem Boden und ihrem Himmel gezeichnete Menschen; allein, wer ver­ mag den Beweis zu führen, daß jenes Salz eu­ ropäischer Universalkentniß sie nicht mit neuer Menschheit würzen könne, auch ohne sie in Eu­ ropäer zu verwandeln? Die schöne Erscheinung des Mannichfaltigen mußte auch im Menschen* geschlechte nicht verloren gehen; und vielleicht blieb kein anderer Weg als dieser übrig, sie mit der sittlichen Vollendung zu vereinigen, die in menschlicher Perfektibilität, gleichsam als der Kweck des Daseyns, vorgezeichnet ist. Wenn das Ge-

i. Ueber lokale und allgemeine Bildung, s1? Gesetz der Weisheit uns an dasselbe Ziel gelei. tet, wo wir einst die Einfalt der Natur verlies­ sen, dann ist unser Kreis geschlossen, dann sind Freiheit und Nothwendigkeit wieder Eins, Kin­ dersinn der Urwelt und Intuition des letzten Zeit­ alters sind sich in ihren Wirkungen gleich und die Metamorphose des Menschengeschlechts — doch hier verläuft sich die Spekulazion tu die Grenzen des Unbegreiflichen und ein Wort mehr ist der Unsinn der Schwärmerei. Schwärmerei war vielleicht schon alles, was wir hier aus unserer jetzigen Geistesbildung fol­ gerten. Wir sind in der That noch fern vom Ziele; wir können noch auf halbem Weae ste­ hen bleiben und unsere stolzen Hofnungen können so schnell zerrinnen, baß wir, gleich so vielen Sternen der Geschichte nur einen Augenblick leuch­ ten, um auf ewig wieder zu verlöschen. Die Dahn, die zu einer bessern Unsterblichkeit, als der des Nachruhms, führen soll, ist mühsam und ge­ fährlich; sie hat Abgründe zu beiden Seiten, und legen wir sie glücklich zurück, so wandelten wir sse schwerlich in eigener Kraft. Das Ziel, wohtn wir streben, ist uneingeschränkte Herschaft der Vernunft bei unverminderter Reizbarkeit des Gefühls. Diese Vereinigung ist das große, bis jezr noch nicht aufgelöfete Problem der Hu­ manität.

rr»

518,

r. Ueber lokale vnd allgemeine Bildung.

An Jrthümern, an einseitigen Vorstellungen, an Traumen der Kindheit und Erdichtungen des Erziehers hangt in sanften. Fesseln der Gewöhn«, heft das G suhl. Bei Volkern aber, hie zur Mannbarkeit des Geistes keranwachsen, liegt dft Vernunft mit diesen ihren Widersachern im Kampfe \ ihr freies Wesen, zur höchsten Herschaft zeboren, verschmäht jeden Zwang unh rächt sein? verkante Würde. Da ist kein Voxurtheil und sei es noch so verjährt, daS. vor ihrem Richter, stul Gnade fände; kein Trugschluß, der ihr hei« lig wäre, und drehte sich um ihn, wie in ihren Angeln, die ganze gesittete Welt. Wo die Pernunft nur wenn sie schweigen kan geduldet wft'd, Ivo man sich scheut, das anerkannte Desstre zu wählen, wo man verwirft, was man nicht von den Vätern erbte, vdex selbst ersann, wo sich noch auf dem Thron der Wahrheit die Lüge hlghr —< da ist man noch vom Ziele der Vollendung weit fntfernt Das Volk, das sich berufen fühlt, in allen bewohnbaren Gegenden der Erde die tUma. tischen Vorstellungsarten durch das geläuterte Re« sulrat allgemeiner Zusammenfassung zu vervollkomtun, darf keinen Wahn, der nur für irgend einen Punkt der Erde und der Zeit, als Form, gelten fönte, zur allgemeinen Form erheben, odex auch, pur halsstarrig in der schiefen Richtung beharren^ hie eine solche von der reiferen Einsicht verworfe­ ne Triebfeder ihm geben kan, Diese blinde An­ hang«

i Ueber lokale und allgetpeine Bildung.

519

hanglichkeit an das Alte, Einseitige und Irrige wäre ntd)t einmal ohne Gefahr; wir sehen des Schicksals schreckliche R.gch? ein Volk verfolgen, welches Die dargebotene Gelegenheit versäumte, das Zoch eines bloß lokalen Mechanismus abzu» werfen und zu jener höheren Freiheit des Geistes fortzuschreiten, die weder Vater noch Mutter kennt, — Doch auch dem kühnen Menschenstamme, der das Abentheuer her Aufklärung ritterlich bestehen und keine Mißgeburt des Betrugs und, der Un« wissenhekt unbesiegt lassen will, eine freundliche Warnung mit auf den Weg, Ehe dfe Vernunft in uns reiste^ folgten wir dem Zuge des Gefühls, und wehe uns, wenn wir ni}V mit dessen Verlaugnung dem Jrthum entsagen, dem unsere Kindheit huldigte. Zn den scharfumgrenzten Formen der Abstrakzion geht alles das fönte, Edle und Große das nur geahndet, nur empfunden, nie in Re­ densarten gefaßt, oder nach Maaß und Gewicht bestimmt werden kan, unwiderbringlich verloren. Statt der unmittelbaren Eindrücke der lebendi­ gen Natur, die wir mit einer Spontaneität des Sinnes, auffassen, welche ausserhalb den Grenzen des Begreiflichen liegt, dürfen wir uns nicht aus­ schliessender Weise an die Ausgeburten des Ver­ standes halten, denen es zwar, eben weil sie un­ ser eigenes Machwerk sind, nie an Faßlichkeit, aber ewig an Kraft, Wirklichkeit, Substanz

uni

§20

i. Ueber lokale und allgemeine Bildung.

und- Leben gebricht. Was hilft es uns, baß wir der Willkür eines objektiven Wirkens entfliehen? Wir stürzen uns in den Nachen eines alles zer­ malmenden Dogmatismus. Ach' tu diesem sty' gischen, erstarrten Reiche der Jmpassbiatät wal­ zen wir in ewig mechanischer Bewegung das Jxionsrad der Dialektik-, indeß die Wesen der Natur, wie leere Schatten, unserer Umarmung entschwinden! Es ist nicht zu läugnen, daß ein herz-und sinntodtender Mechanismus bereits anfängt, sich in alle Verhältnisse des Lebens zu milchen. Durch die bloße Form der Gesetze Host man jetzt alle bisherigen Triebfedern der Moralität entbehrlich zu machen und bürgerliche Tugend vermittelst dürrer Werte zu erzwingen. Schon gründet man soaar neue Staatsverfassungen auf erträum­ te Thcorieen — fast mit demselben glücklichen Erfolg, womit man lateinische Gedichte durch die Gradus., ad Parnafium zusammenscht. Auch fällt es tu die Augen, daß wir in den mechani­ schen Künsten vorgerückt, in den bildenden hinge­ gen zurückgekommen sind. Jene konten durch den weiteren Fortschritt der Vernunft nur gewin­ nen; diese entlehnen ihren ganzen Werth von der Individualität des Meisters, seinem Katakter und der Fülle des Lebens, die unmittelbar aus seinem Sinne in das Geschöpf seiner bildenden fräste übergeht. Nun ist aber die unausbleib­ liche

1. Ueber lokale und allgemeine Bildung.

521

liche Tendenz eines Zeitalters, welches durch kestiinte Formen alles einschränken und festsehen will, Vernichtung aller Individualität. Wenn die Regeln sich vervielfältigen, entsteht eine sklavische, kleinliche Gleichförmigkeit in den Köpfen und dann herscht Mittelmäßigkeit und Leere in ihren abgemessenen, nach dem Rezept verfertig« ten Werken. Daher scheint es auch nicht zu viel gesagt, baß selbst der Sinn für Tugend allmählich erlö­ schen müsse, wenn man das ganze System der Moralität auf einem bloßen Vernnnstbegtif gleich, sam schwebend erhält. Schon behauptet man, daß vernünftige Wesen dieses Gefühls zu ihrer Sittlichkeit nicht bedürfen; und wenn von je­ ner idealischcn Region die Rede ist, wo die Wirk« lickkeit des Objektiven gelangnet oder bezweifelt wird, mithin die Cpekulazion freies Feld ge­ winnt, so mag es auch gelten. Der unerbittli­ che Minos dieser Tvdtenwclt ist selbst ein todtes, kaltes Wort; Pflicht heißt das Wort, vor welchem die Vernunft, wie vor dem selbstgeschaf­ fenen Despoten, sich beugt; das Mort, das un­ bedingten Gehorsam verlangt, und den Menschen in eine Maschine verwandelt, die man durch Rs« gcln in Bewegung setzt. Aber — will man denn nicht sehen, daß wir, um diese furchtbare Orkusgrenze zu über­ schreiten, den schönsten, edelsten Theil «nseres We­

sens

Z22

l

Ueber lokale und allgemeine Bildung,

sens oblegen und zurücklassen müssen? Von ein­ zelnen Heroen, denen cs vergönnt ist, in die tief­ sten Tiefen des Schattenreichs hinabzustelgen und vielleicht gar mit einer nenbelebten Eürydice oder Allestis die schöne Erde wieder zu begrüßen, kau hier nicht die Rede sein. Abwerfen müssen wir, um bloße- vernünftige Menschenhülsen zu werden, die unbegreifliche Essenz selbst Unseres Wesens, die sich in der ihr zugctheilten Sponta­ neität des Wirkens und Empfangens, ihres Daseins erfreut; denn nicht Empfindung, sondern der Buchstabe des Gesetzes befiehlt uns fortan, was wir bewundern oder lieben > wann wir la­ chen oder weinen sollen. O der klugen Ephoren, die von der Leier des Timotheus vier Saiten zerschnitten, damit ja ihre Spartaner in der Knechtschaft des Gesetzes blieben! *) — 0 Menschheit! schön besaitete Harfe! auf welcher zu spielen die Götter lüstern sind, welche Har­ monien känst du noch tönen, wenn die Wächter deS Gesetzes dich verstümmeln? — Was Regel und Vorschrift an den Dichter und Bildner fodern können, ist immer unendlich weniger, als diese Künstler wirklich leisten. Auf eben die Art und aus demselben Grunde fühlt sich auch der Tugendhafte über die Formen des Sittengesezes erhaben; denn alle sittliche sowohl als ästhetische Vollkommenheit gründet sich auf dem V) Plutai\h instit, Lacon.

r. Ueber lokale und allgemeine Bildung. 523 dem innern, unbestimmbaren Reichthum, womit ein jedes Individuum, unabhängig von Erfah­ rung, Entwicklung und äusserer Kunde, von der Natur auSqestattet ward. Dieses Unbesttmbare deS Wirkenden in uns, diese unbedingte Jntension der Grundkräste und Triebe ist der eigentli­ che Spielraum der Begeisterung, worin Schön­ heit, Grazie und Reiz, Freude, Wehmut und Lie­ be sich subjektivisch verschieden äusser«, weil doch zu einer jeden Empfindung eine lebendige GeGenwirkung deß Subjekts gehört, deren inneres Kraftmaaß und deren spezielle Beschaffenheit sich weder bestimmen, noch beschreiben läßt. Dürfen wir uns also mutwillig von dem Führer und Gefährten unserer Jugend, von die­ sem zarten, lebendigen, belebenden Gefühle tren­ nen? Dürfen wir, durch einen Widerspruch, der alles an Ungereimtheit übcrtrift, dieses Ge­ fühl selbst in dem Grade mißbrauchen lassen, daß wir denAbstrakzkonen anderer lieber als ihm uns anvertrauen? Wie traurig wäre das Schicksal unserer Gattung, wenn uns hier kein Ausweg bliebe 1 Empfindung und Vernunft sind aber im persönlichen Bewußtsein deS Menschen unzer­ trennlich. Ist also jenes, vom Zusammenhänge menschlicher Anlagen abgezogene Gesetz, sowohl des Geschmacks als der Sitten, wie wir hier voraussehen tonnen, untadelhaft, richtig und un­ verletzbar, ist eS das achte, wahrhafte Resultat

aller

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aller Beziehungen unseres Wesens, zu einem wohl­ geordneten Sistem gleichsam organisirt; dann hat es auch für jeden einzelnen Menschen genau den Nutzen, den es als eine zweckmäßig eingerichtete Maschine haben kan; es erleichtert ihm seine Operazionen, ohne jedoch weder zum rohen Srof, noch zum Entwurf, noch zum inneren Reichthum der Ausführung das allermindeste bei­ tragen zu können. Die Handlungen des Edlen und die Gebilde des Genius passen allerdings in die vollkommenste moralische und ästhetische Form. Kein Wunder I denn diese Formen wurden erst von solchen Handlungen und solchen Gebilden abstrabirt. Hingegen bewege man diese Formen so lange, so schnell und in welcher Richtung man wolle; es wird sich weder Kunst noch Tugend herausdrcchseln lassen. Um so mehr muß man über den Unsinn der Erzieher erstaunen, die alles aufbieten, um in ih­ ren Zöglingen eigenes Wirken zu hemmen. Es ist wahr,wie Shakespear sagt: in ihrer Toll­ heit ist Methode. So wie sie daS weiche Hirn des Kindes durch den Schwung der Wiege betäu­ ben, an heftige, mechanische Jmpulsionen gewöh­ nen und zu allen zarteren Schwingungen unfähig machen, so setzen sie auch den Schulknaben und Len Jüngling in ihre logische Schaukel. Diese dreht sich mit ihm bis zum Schwindeln um; un­ thätig sitzt er da, von einem fremden Wirbel er­ griffen,

i. Ueber lokale und allgemeine Bildung.

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griffen, anstatt selbstthätiges Prinzip des Wirkens zu sein; wie wohl er über die herliche Bewe­ gung kindisch frohlockt und jauchzt, oder wenn es so weit mit ihm gekommen ist, daß diese ihm kei­ nen Genuß mehr gewährt, aus seiner Ohnmacht sich wohl gar ein Verdienst erträumt. Leichter wird freilich dem Erzieher dieses Verfahren, als wenn er, wie es recht ist, nichts so heilig ehrte, als die Individualität eines jeden seiner Zeglmge; wenn er nie mehr in sie übertragen wolte, als ohne Zwang sich ihrem Wesen aneignen kau, nie andere Handlungen, andere Geistes­ schöpfungen itmen abnorhigte, als solche, die aus ihrer reinen Energie von selbst hervorgehen. Die Fehler der Erziehurig pflanzen sich in un­ sere geselschaftlichen Verhälrnrffe fort. Mechanismus wird leicht das höchste Gut mechanischgebilderer Menschen, Form und Dogma gelten ih­ nen für Wesen und Kraft; sie tonten sich an. betend niederwerfen vor Kants unsterblicher Kritik, nicht weil sie die scharfsinnigste Zergliede­ rung der Vernunft enthält, sondern weil sie hof­ fen, auf diesem Felsen ein ehernes Gesetz zu grün­ den, daS alle Menschen des eigenen Empfindens und Denkens überheben soll. Entsetzlich! Die Vernunft selbst muß zürnen, wenn man sie durch diese Tantalsmahlzeit, diese geschlachtete Humanität, versuchen will. Verglichen mit den unaus­ bleiblichen Folgen dieser allgemeingeltend gemachN.Mus. Jun. 9-. Mm teil

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l Ueber lokale und allgemeine Bildung,

ten sistematischen Seelentirannei wäre der asia­ tische Despotismus wünschenswert) und selbst die Inquisition hatte noch Mehr Respekt für die Menschheit. Auf dieser exzentrischen Dahn müs­ sen wir das gewünschte Ziel der Vollendung ver­ fehlen und nur zu einer einseitigen Bildung ge­ langen, die allenfalls in Absicht der Erkentntß wer­ ter vorgerückt, als die Chinesische, ober, wie diese, entnervend, geisttötend und maschinenmäßig ist. Sie raubt uns auch den Vorzug, das beglücken­ de Llchr der wahren Aufklärung in den übrigen Erdtherlen anzünden zu können; denn dazu be­ darf es der sanften, unanmaßlichen Ueberredunz eines ihren Mangeln und Stimmungen sich anschnnegeuden Beispiels. Wrder die Folgen eines verhältnismäßig nütz­ lichen und dem Scheine nach sogar unfehlbaren Sistems war es hinreichend, bei den Zeitgenossen einen Protest einzulegen. Unserm Jahrhundert feh't es noch nicht an Hülfsmitteln gegen diese Gefahr, sobald nur seine Aufmerksamkeit darauf geleitet wird. Ohne die Vermessenheit zu weit zu treiben, dürfte Man wenigstens mit einiger Zuversicht behaupten, daß hier vieles von cmer sorgfältigeren ästhetischen Bildung abhängen muß. Em Dichter hat bereits mit der hohen Ahndung des Wahren, die den Begeisterten eigen rst, den Satz hingestellt, daß seine Kunst einem phrlosophirenden Zeitalter nothwendiger als jedem an-

i. Ueber lokale und allgemeine Bildung.

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andern sei; und fast scheint eS, daß wenn Plato die Dichter aus seiner Republik verbannt wissen wolle, eine der jetzigen gerade entgegengesetzten Tendenz seines Publikums ihm zu diesem Urtheil Anlaß gegeben habe. Seine Athenienser harten nur gar zu viel Phantasie und zu wenig ernste Vernunft; von uns gilt meist das Gegentheil.

Also nicht nur die Poesie, sondern bildende Kunst überhaupt müßte Ausmnntcrung erhalten und der Geschmack, der Sinn des Schonen, nicht bloß durch Regeln, sondern durch vortrcfliche Muster aller Art entwickelt und veredelt werden. Die Kunst ist eS ja, die uns in ihren Werken den ungctheilten Reichthum der menschlichen und allgemeinen Natur rein aufgefaßt und harmonisch geeinigt wieder giebt; denn ihr Geschäft ist Darstellung schöner Individualität. Sie verdient also ihren Platz neben der Philo« sophie unter den Führerinnen des Menscheiige« schlcchts aus jeder Stuft seiner Bildung. Wen ergreift eS nicht mit der Allmacht der Ueberzeu« gung, wenn ein Geweihter der Natur in reiner Begeisterung singt: Dem Glücklichen kan es an nichts gebrechen, Der dies Geschenk mit stiller Seele nimt; Aus Morgcnduft gewebt und Sonncnklarhelt, Der Dichtung Schleier aus der Hand der Wahrheit k

Mm

1

Die

Z2Z

i. Ueber lokale und allgemeine Bildung.

Die Heilige! So lange wir tn diesen Zauberlautel» ihre Stimme vernehmen, tonnen wir zweifeln, ob sie noch unser sei? — Doch es giebt eine viel freudigere Gewißheit; die Wahrheit eignet einem jeden Volke, es sei gering und roh oder mächtig und gebildet; überall schenkt sie den Sterblichen zum Trost und zur Erquickung den atherischen Schleier. Vernunft, Gefühl und Phantasie, km schon» sien Tanze vereint, sind die Charitinnen des Le­ bens. Nur für den einzelnen Unglücklichen, den Eine dieser unbegreiflichen Grundkräfre verläßt, verwandeln sich die übrigen in ernste, stigische Gottheiten, furchtbar wie Erinnyen. O wie hat man es nur wagen dürfen, die Natur zu beschul­ digen, daß sie neun Zehntheilen unserer Brüder diese schöne Harmonie der Anlagen versagt habe! Der Einigungspunkt aller Nazionen liegt ja im Innern ihres Wesens, welches überall zum Em­ pfinden , Vergleichen und Nachbr'lden fähig, die Narur, wie sie ihm jedesmal erscheint, wahr zu ergreifen und ihre gefälligsten Züge zu einem neuen Ganzen geeinigt, darzustellen vermag. Der Lappländer und Eskimo verarbeitet feinen ärmli­ chen Jdeenvorrath in den Dichtungen, wozu ihn Liebe, froher Sinn, oder sonst eine genialische Stimmnng begeistern. Seine Empfindungen sind einfach, aber wahr und individuell; seine Urtheile kurzsichtig, aber analogisch richtig, und in allem seinen

i. Ueber lokale und allgemeine Bildung.

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feinen Wirken malt sich das Verhältniß seines Wesens zu den Dingen in der umgebenden Wei­ te. Mehrere Kräfte finden wir nicht im gebil­ detesten Geiste dieser Erde vereinigt. Dieselben Grundanlagen, wie verschieden auch ihre relative Jutension und ihr extensiver Reichthum, leuchten aus Homers und PindarS, Oßians und der Skalden, Moses und Davids, Saadis und Kalidasas, Shakspearö und Go­ thens Individualität hervor. Uns ziemt es, da wir mit unserer Thätig­ keit und unserem Zdeenreichthum die Erde gleich' sam umfassen, jede Spur des Wirkenden tn und ausser uns aufzusuchen, und in dieser Absicht alle jene Blumen sorgfältig zusammen zu lesen, die der Genius der Dichtkunst über die ganze bewohnba­ re Kugel auögestreut hat. Aus ihnen haucht uns entgegen ihr „Würzgeruch und Duft, “ gleichviel, auf welchem Boden sie gewachsen sind. Je weiter uns unsere Sitten von ursprünglicher Natureinfalt entfernen, desto wichtiger wird diese Blumenlese für die Bildung unseres ästhetischen Sinnes. — Georg Forster.

2. Mein

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2. Mein Dank an den Verfasser

2.

Mein Dank an den Verfasser der

Hand«

Zeichnungen.

NpelleS schifte nach Rhobus, um den Protoge« neS kennen zu lernen, seinen Bruder in der Kunst, oder vielmehr in der Natur, denn auch Mahler werben, wie Dichter, geboren. Als er ankam, vom Hafen nach dem Hause dcS Protogenes lies, ihn nicht daheim fand und ein altcs Weib, welches des Hauses hütete, ihn nach seinem Namen fragte, verschwieg er ihn, ließ aber, statt der Visitenkarten unsrer Zeit, ei» neu feinen Pinselstrich auf einer Tafel, die er im Zimmer fand, zurück. Protogenes erkante die Meisterhand, lief zum Hafen und führte sei» nen Freund in Triumph nach Hause. DaS liebe, deutsche Publikum mochte wohl, gleich der ehrbaren Aufwärterin des Rhodiers, umsonst nach dem Verfasser der Handzeich« nungen nach der Natur forschen, aber ei­ nigen Wenigen offenbaret sich in den feinen, freien und kühnen Naturzügen dieser Handzeich» nungen der edle Genius, welcher schon einmal Wenigen, die Sinn für ihn haben, freundlich er« schien, und nach Art mancher Erscheinungen ver« schwand.

bet Hanbzeichnungen.

53i

schwand, als gerechte und eitle Neugier nach sei­ nem Namen forschte. Edler Genius! entschlüpfe immerhin wie ein Traum dem Halberweckten, wenn er umsonst nach dir anshascht; wollest aber freundlich den herz­ lichen Dank derjenigen aiwehmen, welche nur im Herzen den Erscheinenden nennen, und in deinen Eigensinn sich fügend, deinen Namen der Menge nicht offenbaren. Wollest Liebe geben um Liebe, und— bald wieder erscheinen!

Emkendorf in Holstein, den i6. April 1791» F.L.Grafzu Stolberg.

ZBlüte.

Reife.

ist eine Reife in her Natur, die der Blüte neichstchel; das lehrt uns unser Gefühl. In sich mag immer das Vollkomnere größer und erha­ bener sein; für uns Erdbürger ist die Entwicke­ lung liebkosender und schmeichelnder. Die grossesten Reize enthüllen sich im Aufblähen; der Stu« fcngang des Entstehens reißt unö zum größte» Enk»

533

z. Blüte.

Reife.

Entzücken hm; das höchste Ideal der Schönheit ist nirgends Zeitigung. Die Seligkeit der Em­ pfindung liegt nicht tm letzten Genusse. Die schönste Jahrszeit der Natur ist der Frühling; mit ihm lebt das Herz auf, das Blut fließt war. mer, die Hofnung lächelt und vor ihm fliehen die Sorgen. Unter dem Reisen des Sommers und dem Ernten des Herbstes schleichen sich trau­ rige Ahndungen und melancholische Blicke auf die nicht wiederkehrende Vorzeit. Und wie heiter ist das Bild der rosigen Jugend, ehe noch die Knospe zur vollen Blüte ausbncht, der reifenden Frucht Platz zu machen! Ehrwürdige Tugenden des weisen Alters Zwar, wer kan euch Ehrfurcht ver­ sagen? Mannigfaltig ist euer Gefolge, mannig­ faltig eure Wirkung, hier im Großen, dort tut Kleinen. Hier stehen sie der ganzen Menschheit zur Seiten, verbreiten Licht, Aufklärung, Wohl, stand, Sicherheit; dort schmücken sie den Haus­ stand, geben Hütten Vorzüge vor Palasten, rei­ chen dem einzelnen Hülflosen die Hand. Thrä­ nen der Rührung, ihr verschleiert das Auge; abep £tcbe — Liebe ist nur für die Jugend!

Warum wurden die größten Seligkeiten so vertheilt, daß sie aus dem Wege liegen, den wir betreten, nicht am Ziele, das wir zu erreichen su­ chen ? Wie schnell eilen wir vorüber'!

z. Blüte. Reife.

533

Auch ich bin vorüber gegangen. Ich stehe mit der Slchel in der Hand, und suche reifende Frucht zu ernten. Die Zeit ist dahin, in der ich nur Blumen sammelte zu Kränzen. Auch tuiscr Jahrhundert ist vorübergegangen. Alles scheint fertig zu stehen zur Reife der Ern­ te, und nur sparsam blühen noch Blumen unter dem Vorrath. Die Idylle ertonr nicht mehr auf dem Lager von Moos, die sanfte Moral kleidet sich nicht mehr im Gewände der Fabel, der Strom der Leidenschaften ergießt sich nicht mehr im Labirinthe der Gefühle, bald von Melpomenen beseelt, bald von Thalien. Das leichte Lied athmet nicht mebr Freude, der Dichter singt jetzt nicht den Choren der Jünglinge und Mädchen, oder dem häuslichen Privatmann, der, zur Er­ holung, ein Buch in die Hand nimt. Was ehe­ mals Leibn itz und Montesquieu mühsam dachten, singt jetzt der Dichter, der Fabelsanger lehrt hohe Tuaenden der erhabensten Menschheit, die höchste Vegeistrung redet nur mit Königen und Volkern, der Schauplatz schallt von den groß, ton Szenen der Menschheit und dramatistrt Ge­ schichte und Polrtlk, der Moralist begründet Staaten in fliegenden Blattern. Alles ist reif, überreif, oder — Härlinge, die nie zur Reife ge­ langen. Blüte! Jugend! Reize des Lebens! — ihr seid dahin!

Cramer,

5j 4

Z. Blüte.

Reife.

Cramer, Ebert, Klopstock, Schmidt, als die Muse (für euch die Göttin der Freund­ schaft!) enck verband und in dem noch nicht ge­ bildeten Deutschland zuerst Verfeinerung undGeschmack verbreitete, da waren weniger kunstvoll, als jetzt, die Blumen, die euer Bund darbot und deren Wachsthum ihr überall ermuntertet; aber leichter war auch das theilnehmcnde Vergnügen. Da war ein Roscuhain die etats generaux der Menschheit, Dämon hieß der Staatsmann der Schönen und ein Kuß war ihr Contrast social. 0! laßt uns in der Reife unsers Verstandes diese leicht einnehmende Gefälligkeit, die uns ton« delnd scheint, nicht verhöhnen! Laßt uns heraus, gehen aus unsern Treibhäusern und noch Maien­ blumen im Walde pflücken! das Leben gewinnt nur wenig Anmut bei eurem Kantischen Prozesse, eurem Mirabeauischem Streite, euren Neckcrschen Rechenproben, euern geheimen Gesellscbaftcn, eucrn Geistersehercien, Maqnetistren,Phyflonomi. siren, bei euern gelehrten Streitigkeiten, wo herkulische Keulen gegen lernäische Schlangen dem Leser um die Ohren sausen. Die Schönheit ge­ winnt wenig Verschönerung bei euerm ewigen Rezensircn. Pope'S Geist der Kritik, Swift'S Geißel der Satire, das treffendeSalz guter Epigrammen schlagen mehr schale Schrift­ steller zu Boden, als der geheime Rezensentenerden

z. Wüte.

Reift,

den unsrer Zeit mit vierhundert gespitzten Fe­ dern ; die sechs und neunzig Bände der allge? meinen deutschen Bibliothek fallen dem aus den Händen, der den guten, alten Nikolaus Klimm aus der Ecke hervorsucht und erstaunt, in demselben die edelsten, freiesten und erhabensten Wahrheiten findet, dann um sich herblickt und mit einer der Menschheit geweinten Thräne fin­ det, wie wenig sie gewirkt haben. Und was werdet ihr frommen, ihr den Men­ schenrechten und der Politik geweihete Zeitschrift­ steller, aus denen bald ein Borgia, bald ein Machiavell, bald ein Pallavicini, bald ein Tellier, bald ein Luther, oder ein So­ krates hervorblickt! Ach! haben wir des Ne­ gierens in der Welt nicht genunq und werden wir mit dem Negieren nur einen Grad besser? Fließt nicht vielmehr unser größtes Unglück aus dem Negieren? Was kan auch der Mensch regieren? Glücklich, wenn er sich selbst beherschen kan! Das Sprüchwort sagt, die Welt wird mit wenig Weisheit regiert, und unsre Regenten neh­ men sich dieses Sprüchworts väterlich an. Aber wahr ist es auch: die größte Negierungsweisheit ist, wenig regieren zu wollen, und so bedarf es wenig Weisheit zum Negieren. Die einzige, wahre Weisheit ist im praktischen Leben zu Hau­ se; sie ist individuelles Eigenthum der Men­ schen, kein Gemeingut der Menschheit. Malt

536

z. Dlüte. Reife.

Malt euch das Bild eines glücklichen Dor­ fes. Jeder Hausvater umzäunt sein Eigenthum gegen äußre Gewalt, oder Beraubung, und die einzelnen Umzäunungen bilden eine Gesamtein­ schließung des ganzen Dorfs. Beleidigungen, Un­ ordnungen und Ungerechtigkeiten werden durch ge­ meinnützige Gesetze abgchalten. Ruhig und glück­ lich ist das Dorf; glücklich, wer weise darin ist! Wie wird dies Bild umgeworfen, wenn auf einem freien Platze des Dorfes die Regierungs­ weisheit sich einen Thron erbauen zu können glaubt, wenn sie einem Hausvater vorschreiben will, wie er seine Kinder erziehen, seine Baume pflanzen, seinen Acker besäen, sein Geld nutzen soll! — Negiererder Welt! ihr lacht! Setzt eu« re Namen hin; ich erzähle eure Geschickte. Ihr sehet ja nun, wie schwankend alle eure Begriffe sind. So viel auch hin und wieder ge­ sprochen, geschrieben und am Corpore vili deS Publikums, oder deS Staates, probirt wird, so wenig sind wir doch noch zu bestimten Grundsä­ tzen gelangt. Ihr haltet eure Vater für Kinder; eure Kinder werden euch dafür strafen. O Menschen, mildert den traurigen Ernst! Kehrt, so viel ihr tont, zur Dlüte und zur Ingend zurück!

4.Be-

4Bemerkungen über die zwei ersten Bande

der Reisen des Herrn Bruce zur Ent­ deckung der Quellen des Nils.

Herr Bruce sagt kn der Einleitung zu dieser fei» rierNeisebeschreibung S. 64. der vollständigen deut­ schen Übersetzung: „ Nachdem Herr Wood und Dawkins ihr Werk über die Ruinen von Pal­ mira herausgegeben hatten, schickte der vorige König von Dänemark einige gelehrte Männer in verschie­ denen Wissenschaften ab, um in den Morgenlän­ dern Entdeckungen zu machen, mit dem Auftrage, daß sie zwar Baalbek und Palmira besuchen wog­ ten und selten, doch ward ihnen untersagt, sich mit dem, was die englischen Reisenden be­ reits gethan, zu befassen, oder einen Plan zu ei­ nem jenem ähnlichen Werke zu entwerfen. Beide Verfasser nahmen diesen Beweis von Achtung dankbar auf, und weil ich den dänischen Gelehr­ ten auf dem Fuße nachzufolgen im Begriff war, so wünschte Herr Wood, ich mogte dieses erwie­ dern, und mich so viel möglich enthalten, über die von Herrn Niebuhr, gewählten Gegen­ stände zu schreiben, oder darüber zu kritisiren, und andere Meinungen, als er, vorzutragen. Ich

538 4» Bemerkungen über die zwei ersten Bande Ich habe deswegen Egypten und Arabien nur leicht berührt. Vielleicht habe ich doch von beiden genug gefaßt; glaubt jemand das nicht, so wende er sich an Herrn Niebuhrs weitläufigeres Werk. Er war von sechs (fünf) Mannern der einzige, der lebendig nach Hause kam, die übrigen starben in verschiedenen Gegenden Arabiens, ohne daß ste Habbessinien erreichten, welches ebenfalls ein Ge­ genstand ihrer Sendung war “ Solte wohl Herr Wood es wirklich ge­ glaubt haben, daß der König von Dänemark den nach Arabien Reisenden untersagt habe, sich mit dem, was die englischen Reisenden bereits gethan, zu befassen? Solte wohl Herr Wood aus die­ sem Grunde gegen Herrn Bruce den Wunsch geäussert haben, daß er nicht über die von mir gewählten Gegenstände schreiben, und andere Meinungen als ich vortragen wogte? Wie gut der Herr Verfasser es auch bey dieser Bemerkung mit Herrn Wood und mir gemeint haben mag, so macht er dadurch uns beiden doch kein hübsches Kompliment. Hat ein Reisebeschreiber Ursache, die Kritiken seiner Nachfolger nicht zu fürchten, sondern es vielmehr zu wünschen, daß seine Arbeit untersucht werden möge, so ist es gewiß Herr Wood : und auch ich fürchte keine Untersuchungen. Die ganze Nachricht, daß es mir und mei­ nen Reisegefährten untersagt worden sei, uns mit dem, was die englischen Reisenden zu Palmira und

der Steifen des Herrn Druce.

539

und Baalbek bereits gethan hatten, zu befassen, ingleichen, daß Habbessiuien ein Gegenstand un­ serer Sendung gewesen, ist so ungegründet, daß der König von Dänemark der Alterthümer zn Palmira und Baalbek, und einer Steife nach Habbessiuien weder in der uns mitgegebenen In­ struktion, noch in irgend einem der folgenden Be­ fehlen mit einem Worte hat erwähnen lassen. Da der König bei dieser ganzen Unternehmung keine an­ dere Absicht hatte, als die, die Aufnahme der Wissenschaften zu befördern, so ist dessen, den Stei­ fenden mitgegebene Instruktion auch kein Geheim­ niß geblieben; Herr Michaelis hat selbige sei­ nen Fragen Vordrucken lassen, woselbst noch jetzt ein jeder sie Nachlesen kan. DaS Land, dessen Untersuchung uns vorzüglich empfohlen ward, war das glückliche Arabien, woselbst wir uns zwei, und wenn es nöthig wäre, drei Jahre aufhalten selten; die Hmreiie solte über Kon stau tino* pel, Alexandrien, Kühira, Sues, und Dijidda nach Mochha geschehen, und den Stückweg sollen wir über Basra, Halep und Smyrna nehmen. Es ist uns keine Ne­ benreise vorgeschrieben, alö nur die, von SueS nach dem B^rge Sinai, und dem zu der Zeit noch berühmten Dsjubbelel mokatteb. Ware die erwähnte Instruktion dem Herrn Druce bekanc worden, so würde er sich auch haben überfuhren können, daß cö derselben gar nicht

54o

4- Bemerkungen über die zwei ersten Bände

.nicht entgegen war, wenn wir uns mit Beobach­ tungen befaßten, bte bereits andere gemacht hat­ ten. Der König verlangte, seine Reisenden sel­ ten richtig beobachten, und so viel möglich die ge­ nauesten Nachrichten von jenen Landern einziehen; sie selten nach ihrer Ueberzeugung ohne Scheu die Wahrheit berichten, aber diese solte mit Beschei­ denheit vorgetragen werden, wenn sie etwa mit andern Nachrichten nicht übereinstimtcn. Von -dem Betragen der Mitglieder der Reisegesellschaft in diesem Stucke gegen einander heißt es §. 9. „Wenn einerlei von mehr als einem (doch ohne vorgängige Abrede unter ihnen) in sein Diarium eingetragen wird, so wird solches Uns desto mehr zu allergnadigst.m Wohlgefallen gereichen, als man in Europa eine Sache kennen lernt, die zwei Reisende aus einem verschiedenem Gesichts­ punkte beschrieben haben, und das zuverläßiger -glaubt, was von Mehrern bestätigt ist Zu der anbesohlnen Einigkeit ist gar nicht zu rechnen, daß ein Diarium dem andern nicht wi­ dersprechen solle, wenn zwei von einer Sache re­ den: einen solchen Widerspruch, bei dem Höflich­ keit stets die Feder fuhren muß, soll einer dem ardern um desto weniger übel nehmen, als Wir ihn Allergnadigst für ein Merkmal der historischen Treue ansehen werden." Ich bin weit entfernt, zu glauben, daß auf dem Wege, den ich gemacht habe, jetzt nichts mehr

der Reisen des Herrn Sriice..

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mehr zu bemerken übrig sey, oder daß ich bei «kn, gezogenen Nachrichten nicht zuweilen unrecht, un« terrichtet worden bin. Und M Herr Dr. nicht nur schon bei seiner Abreise auS Europa sehr viele Kentnisse besaß, sondern durch seine Reisen in .der Barbarei zu der nach Habbessinien so gut vorderen tet war, als nur selten ein Reisender vorbereitet ist, so bedaure ich eü um so mehr, daß er sich durch eine miSverstanbene Höflichkeit hat abhalten lassen, uns auch das mitzutheilen, was er in Egypten und Arabien über von mit gewählte Ge, genstände bemerkt hat. Er har solches indeß nicht ganz vermieden, und daran hat er wohl gethan. So hat er seine Bemerkungen über die Folge der Bey en, d. t. der Regenten in Egypten, über den Dan der Py­ ramiden und über den Durchgang der Kinder Israel durch das rothe Meer im ersten Bande sei, nes Werks ©. 94, >06, und a8o vorgelragen, die von denen ganz verschieden sind, welche man im ersten Bande meiner Reisebeschrcibung S. 13), 197, -54, in der Beschreibung von Arabien S. 404 und im neuen deutschen Museum Dez. 179c» findet. Herr Bruce ist der Meinung, Mo­ hammed sey dem Gesetze der Natur gefolgt, wenn er den Arabern erlaubt habe, vier Frauen zu nehmen, und beweiset solches S. 333. aus dem Verhältnisse der in den Morgenländern gebornen Knaben zu den Mädchen. In der Beschreibung N.Mus.Ju».»!. Nn von

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4* Bemerkungen über tfe jwci ersten Bande

von Arabien S. 72 habe ich dies Verhältniß durch einen andern. Weg zu bestimmen gesucht. Die Gelehrten haben also die Bemerkungen zweier Rechenden, sie tonnen darunter wählen, oder gar beide verwerfen. Die Bestimmung der Polhohe von Ale­ xandrien, Kähira und von verschiedenen Orten am arabischen Meerbusen stimmen, mit mei­ nen Beobachtungen sehr genau überein. Wo wir >unfere Beobachtungen auf dem festen Lande angestellt haben, da .ist der Unterschied nur in Sekun­ den : und mehr verlangt der Erdbeschreiber gewiß nicht. Indeß werden die Kenner wohl zu wissen verlangen, nach welcher Methode Herr B. an je­ dem Orte seinen Quadranten rektifizirt habe, aber darnach habe ich (in de.n ersten beiden Bänden) vergebendS gesucht. Wäre ich eitel, so würden die Beobachtungen des Herrn Druce auf dem Schaffe mich gar stolz machen. Wenn ich des Mittags auf der freien See mit meinem Hadley's Oktanten tue Hohe der Sonne im Meri­ dian genommen, und darnach die Polhohe berech­ net hätte, so würde dies allein dem Erdbeschteiber von keinem Nutzen gewesen sein. Dec bekümmert sich wenig darum, unter welcher Polhohe jemand an einem bestimten Tage auf der freien See ge­ wesen ist. Zch erkundigte mich also nach dem Namen einer in der Nähe liegenden Insel, eines Vorgebirges oder andern merkwürdigen Punkts auf

der Reisen des Herrn Druce.

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auf dem festen Lande, und Bestirnte dessen Lage nach meiner Entfernung von diesem Orte. Nun ist ein erfahrner Steuermann schon zufrieden, wenn eine solche Schätzung der Entfernung zur See auf ein oder zwei Minuten eintrist; sie kan dem künftigen Seefahrer, und auch dem Erdbe­ schreiber immer nützlich sein. Herr Bruce aber hat gemeiniglich genau das durch seine Beobach­ tung auf der Stelle gefunden, was ich nur durch eine Beobachtung in der Nähe gefunden hatte. Dies läßt mich fürchten, er habe zuweilen ein zu großes Zutrauen zu meinen Beobachtungen ge­ habt, und solche ohne Untersuchung angenommen: und dies erinnert mich dann wieder daran, daß es noch ungewiß sei, ob mein Augenmaaß zur See wirklich genauer gewesen ist, als das eines erfahrnen Steuermanns. Bei der Polhohe von Dsjidda 28°. o'. 1" ist offenbar ein Druck- oder Schreibfehler. Sie ist nach meinen Beobachtungen 21°. 28'. Die Länge von Alexandrien hat der Verfasser auch wohl nicht im Jahre 1769 beobachtet, wie S. 84 bemerkt worden ist; denn in diesem Jahre war er in Habbessinien. Eben so ist es ein Druckfehler, wenn dir Entfernung der Städte Mekke und Dsjidda S. 326 zu 30 Tagereisen angegeben wird. Es soll ohne Zweifel 30 englische Meilen heißen ♦). Das Nn 2 so* Beschreibung von Arabien S< 353.

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4- Bemerkungen über die zwei ersten Bande

sogenannte Grab E v aS liegt auch nicht zwei Ta« gereisen nach Osten von Dsjidda ( S. $>i.) sondern kaum zwei englische Meilen nach Nvrdosten von dieser Stadt *). Es ist bloß ein Versehen, wenn in der Ein« leitung S. 35 gesagt wird, daß die Pilgrimme aus Marokko durch Sennaar nach Mekke reisen. Im zweiten Bande S. 298 ist es ganz richtig bemerkt, daß die afrikanischen Karwanen, welche durch Sennaar nach Mekke reisen, aas den Königreichen Bvrni und Afnu (Ni, gn'zien) kommen. Auf der Insel Kamerän liegt wohl keine türkische Besatzung, wie im ersten Bande S. z;> bemerkt wird. Diese Insel gehörte zu meiner Zeit zum Gouvernement L 0 h e i a ♦*), und die Türken werden seitdem in dieser Gegend wohl keine Eroberungen gemacht haben. Nach S. 338 wachsen in den bergigen Ge« genden von Jemen zwar Weintrauben, sie rei­ fen aber nicht hinlänglich zum Wein. In diesen Gegenden, und wie ich mich erinnere gehört zu haben, zu Taaif, in der bergigen Gegend nicht weit von Mekke ♦*♦) wachsen vortrefliche Weintrauben. Ich habe bei dem Schech der Ju­ den

*=) Reiscbcschreibung erster Band S. -58, Beschreibung von Arabien S. 230. * horten ihn mit Achtung und mit Vergnügen. Entweder hatten diese Manner Seelen, die gern der Ueberzeugung sich ofueten, oder Arnolds Beredsamkeit hatte die bezaubern­ de Kraft, alles Selbstinteresse dem Gefühl der Wahrheit zu unterwerfen. Allein eine neue Stnnme erhob sich, die Stimme eines Mannes, dem äusserliche Umstande, dem sein Ansehen bei Kaisern und Königen, dem sein Ruf eines Heili­ gen, und eines neuen Kirchenvaters ein noch gros­ seres Gewlcht gaben, als der bloße Mönch Ar­ nold haben konte; die Stimme des heiligen Bernardus, Abts von Clairvaux, erhob sich und donnerte beiden, dem Legaten so wohl, als dem Bischof von Costnih in die Seele. Er schrieb an beide mit einem Feuer, mit einer Bit­ terkeit gegen den polinicken Ketzer Arnold, wie in unsern Tagen der hochaeborne Herr Burke, Mitglied des großbrittanflchen Parlements gegen N.Mtts. Jun. 0 0 die

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5- Arnold von Brescia vor Gericht

die politischen Ketzereien der französischen Ratio, ualversamlung geschrieben hat. Ob diese Briefe des heiligen Mannes Verfolgungen erregten, de, neu der Ketzer zu entgehen suchte, oder ob er viel, leicht benachrichtiget war, daß sich günstige Aus­ sichten für die Ausnahme und Vertheidigung seiner Meinungen in Italien hervorgethan, darüber sa­ ge» die alten Nachrichten nichts: Nur dieses mel« den sie: er gieng nach Italien zurück, er gieng nach Rom. Vielleicht war er eingeladen. Der altt römische Frelheitsgeist hatte sich unter den Röyiern nie ganz verloren. Doch nein! achter Freiheirsgeist war es nicht, sondern der stolze Sinn der Unabhängigkeit, der so leicht mit jenem vermengt wird. Die vielen üblichen Familien in Rom wurden von jeher von diesem Geiste beseelt rind nur spat ist er ganz unterdrückt worden. Es sey, daß dieser Geist sich schon geregt hatte, oder durch Arnolds Beredsamkeit erst wieder rege ward, die römischen Großen vertrieben den Pabst (im Zahr 1144) und führten eine Art von Re­ publik ein, die aber von schlecht ausgebildeter, ro, her Form scheint gewesen zu sein. Arnold be­ förderte diese Revvluzion dadurch, daß er mit sei­ ner kräftigen Beredsamkeit die Römer an das Deksviel ihrer freien Vorfahren erinnerte, und ihren Stolz das Schimpfliche fühlen ließ, das die Un, terwürflgkeit unter einem Priester für die Nach­ kommen

und auf dem Scheiterhauftti.

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kommen ehemaliger Weltbeherrscher mit sich füh« ten müßte. Ueber zehn Jahre bestand diese neue Republik. Allein sie bestand nicht durch eigene Kraft, durch innere Güte, sondern durch zufäl­ lige Umstände. Nach den beiden schwachen Päbsten Jnnocenz II. und Anastasius IV; folgte Adrian IV., ein würdiger Nachfolger Gregors VII., ein würdiger Vorläufer Sixtus V., mit denen beiden er in Ansehung seiner geringen Abkunft, und seines hohen, stolzen Katakters viel ähnliches hatte. Zu rechter Zeit, mit geschickter Hand schleuderte er seine geistlichen Dons üer, Dann und Interdikte; die Romer unters warfen sich, und Arnold mußte fliehen. Einige vorn großen Adel in Kampanien Nahmen ihn in Schuh. Allein zu seinem Unglück kam eben Friedrich- der Rothbart, nach Italien, um sich vom Pabst zum Kaiser krönen zu lassen. DaS war für diesen Monarchen eine Angelegenheit von der größten Wichtigkeit. Um die Kaiserkrone aus der Hand deS PabsteS zu em­ pfangen, waS ließ sich ein deutscher Fürst nickt gefallen? In einer Zusammenkunft zu Riterbo ließ sich Friedrich vom Pabst überzeugen oder überreden, (denn Politik und Ehrgeiz werden nur zu oft zu Maaßregeln überredet, von deren Richtigkeit sie nicht überzeugt sind) daß Arnold ein dem Staate nicht minder als der Kirche gefährlicher Ketzer sei. Friedrich erO0 L zwingt

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Arnold von Brescia vor Gericht

zwingt Arnolds Auslieferung von dessen Beschü­ tzern in Kampanien, und Arnold wird im Jahr H55 zu Rom lebendig verbrannt, ohne daß von dem Volke, das seine Predigten so gern gehört, und seine Lehren so eifrig befolgt hatte, das geringste zu seiner Befreiung unternommen worden wäre. Eben der Friedrich, der, als er die Kai­ serkrone vom Pabste zu erlangen suchte, in Ar­ nolds Hinrichtung einwilligte, horte, nachdem er gefront und also, nach den damaligen Begriffen, des Besitzes der Kaiserwürde gewiß war, begie­ rig zu, als die Juristen von Bologna ihm die neue Wahrheit (dafür wurde sie von ihnen und von Friedrich gehalten) vertrugen- daß der Kaiser der alleinige Inhaber der höchsten Gewalt sei, und daß niemand an ihrer Ausübung einigen Antheil habe- als dem er vom Kaiser verliehen sei. Friedrich belohnte diese Juristen, und fand solch ein Behagen an ihrer neuen Lehre, daß er alle Kräfte anwaudte, sie in Ausübung zu brin­ gen. Warum war doch Arnolds Behauptung, daß sowohl nach dem Geiste der Religion- als nach dem wahren Staatsrechte- der geistliche Stand der höchsten Gewalt untergeordnet sein müsse, mehr Ketzerei nach Friedrichs Urtheil, als jene Lehre der Bologneser, mit der sie doch im Wesentlichen übereinstimmte? Aus dem gan­ zen Zusammenhänge dieser Begebenheiten ergiebt sich kein andrer möglicher Grund, warum Fried, rich

uiib auf tcm Scheittrhaufeit.

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rich Arnolden des Feuers und bie Bologneser