Neues Deutsches Museum: Band 1 Julius bis Dezember [Reprint 2021 ed.]
 9783112453162, 9783112453155

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Neues

Deutsches Museum. Erster Band. Julius bis Dezember 1789«

Herausgegeben

von

Heinrich Christian Boie. L e i p z i. g, bei Georg Joachim Göschen. i?89-

Inhalt aller sechs Stücke dieses Bandes» Julius. I.

Les Etats generajjx.

Vom Hrn. Klopstock

Seite i. 2» а. Militärische Verfassung des vtmanniichen . Reichs. Vom Hrn. Justizrath Nieblchr 2—-3«

3» Wie ist Reformation der Philosophie mög­ lich ? Vom Herrn Rath Reinhold 4. Ahdim,

31—47

eine mortzenlandische Erzählung.

Erster Gesang

48—5$

-

5. Das vollkommene Weid und der vollkom­ mene Mann. Dom Hrn. Rath Schulz

5;—8$

б, Reichthum und Ehre, eine Erzählung

85—97

7. Mundus vult decipi

-

97—9-

8. An den Exminister Kardinal von Drkerme ido ■9. Auszüge ans Driesen

I. Koblenz, d. 24. Mai, 89.

100—107

II. Rom, d. 1. Mai, 88.

107—110

III. D. d. 2O. Sept. 88.

ho. in

IV. Amsterdam, d. ro. Jänner, 89.

in. nr

V. ValencienncS, d. 3. Marz, 88.

ns

August. 1. Apollons Hain, ein Schauspiel mit Chören 113—166

2. Mi-

Hauptinhalt. а. Militärische Verfassung des otmannischen

Reichs.

Vom Hrn. Justizrath Niebuhr.

(Beschluß) « S. 167—20; 3. Wie ist Reformazion der Philosophie mög­

lich ? Vom Hrn.Rath Reinhold.

(Fort-

204—226

*

sezung

4. Das vollkommene Weib und der vollkom­ Vom Hrn. Rath Schulz.

mene Mann.

226—260

(Beschluß.)

5. Ahdim, eine morgenländische Erzählung. . Zweiter Gesang



»60—268.

September. 1. Leitfaden zu einer künftigen Geschichte der Menschheit »69—»8r 2. Wie ist Reformazion der Philosophie mög­ lich.

Vom Hrn. Rath Reinhold.

(Be­

schluß.) 284—304 3. Ueber den litterarischen Karakter Friedrich U. und über einige seiner Werke 30;—344

4. Freiwerberei aus dem XI. Jahrhundert. Vom Hrn. Aug. Meißner

345—3M

x. Ahdim, eine morgenländische Erzählung.

Dritter Gesang

-

б, Nachrichten au< Frankreich

355—36«

36»—368

Oktober. i. Von dem Adel. Dom Hrn. Geheimen Hof­ rath Schlosset



369—40$ 2. Swifts

Hauptinhalt. 5. Swifts Meditation über einen Besenstiel,

und wie sie entstanden ist. Vom Hrn. Geh. Rath Jacobi

3. Fragment

S. 40;—4'7

-

aus

Das

dem Trauerspiele.

« 418 — 43» Vom Herrn A. G.

heimliche Gericht

4. Kriminalanekdoten.

Meißner

Klopstock» 2>

Militärische Verfassung des otmannischen Reichs» *») otmannische Reich ist im Kriege entstanden, und durch lauter Eroberungen vergrößert worden; weder Herrath noch Tausch hat eine einzige Pro­ vinz an dasselbe gebracht. Seine Staatsverfaffung ist daher ganz militärisch. Kein geerbter Adel, keine Geistlichkeit, keine Bürgerschaft wird hier etwas geachtet, alle Paschen, von dem Wesir el asem an bis auf den Vecst, welcher nur einen Roßschweif hat, sind Anführer der Truppen in den ihnen anberrauten Distrikten: und wenn gleich das Korps der Ullema zu Konstantinopel bei dem Volke in großem Ansehen steht, so steht doch ein Pascha eben so stolz auf die einzelne Rechtsgelehrten herab, wie

*0 O. i. deren Schimmer Blut entstellt. **) Geschrieben im Oktober i/ss, als dem $rn. Verfas­ ser Veyßonels Schrsst gegen Bolnen noch Nicht *u Gystchte gekommen war, über welche und Volneys Buch der Herausgeber dem Publikum bald einige Gedanken seines Freundes vorlegen zu können Host.

2

2. Militärische Verfassung

So denk' ich jezt nicht: Gallien sticht und sezk Sich einen Bürgcrkranz auf, wie keiner war! Der glunzet Heller, und verdient es, Schöner als Lorbeern, die Blut entschimmert. ♦>

Klopstock» 2>

Militärische Verfassung des otmannischen Reichs» *») otmannische Reich ist im Kriege entstanden, und durch lauter Eroberungen vergrößert worden; weder Herrath noch Tausch hat eine einzige Pro­ vinz an dasselbe gebracht. Seine Staatsverfaffung ist daher ganz militärisch. Kein geerbter Adel, keine Geistlichkeit, keine Bürgerschaft wird hier etwas geachtet, alle Paschen, von dem Wesir el asem an bis auf den Vecst, welcher nur einen Roßschweif hat, sind Anführer der Truppen in den ihnen anberrauten Distrikten: und wenn gleich das Korps der Ullema zu Konstantinopel bei dem Volke in großem Ansehen steht, so steht doch ein Pascha eben so stolz auf die einzelne Rechtsgelehrten herab, wie

*0 O. i. deren Schimmer Blut entstellt. **) Geschrieben im Oktober i/ss, als dem $rn. Verfas­ ser Veyßonels Schrsst gegen Bolnen noch Nicht *u Gystchte gekommen war, über welche und Volneys Buch der Herausgeber dem Publikum bald einige Gedanken seines Freundes vorlegen zu können Host.

Les okmannischerr Reichs.

3

W in Europa etwan ein General der bloß Soldat

Selbst der Mufti, das

ist, auf den Professor.

Oberhaupt der Ullema und aller Geistlichen im ganzen Reiche, muß sein Fetwa so schreiben, wie

der ©iikan oder derGroß Wesir es verlangt, wenn er nicht befürchten will,

gesandt zu werden.

abgesetzt und ins Elend

Bei den Otmanly ist also

bas Milirare über alles. Die ersten Regenten des otmannischen Reichs

waren alle selbst große Generale, daher auch

es fehlte ihnen

nicht an andern großen Mannern,

mit deren Hülfe

sie Einrichtungen

und Geseze

machten, wodurch nicht nur ihre despotische Regie, rungsfvrm befestigt ward, sondern die auch ihrer

Eroberungssucht angemessen waren.

Reiterei,

Eine tüchtige

welche man Spahi nennt, schien ihnen

dazu vorzüglich bequem.

Der Sultan har davon

gleichsam drei verschiedene Korps, wovon das, welches seine Löhnung baar tu Geld erhalt, scholl so alt ist, als das otmannische Reich selbst.

Chef heißt der Spahiler Agast. Korps,

Dessen

Ein Theil dieses

welcher gröstentheils aus lauter Söhnen

vornehmer Otmanly besteht, wird Mutaferreka ge­

nant,

und gehört mit zur Leibwache des Sultans.

Der Graf Marsigli rechnet auch das Korps der

Tschauifch, dessen Chef, der Tschanisch baschi, sich beständig bei der Pforte anfhatrcn muß,

diesen Spahi. großem Ansehen.

mit zu

Das Korps steht also noch jezt in

4

2. Militärische Verfassung

So wie die Sultane ein Königreich oder Fürstenthum nach dem andern eroberten, so gaben sie denjenigen von ihren Kriegern, die sich dnrch Tapferkeit ausgezeichnet hatten, kleine oder größere Lchngüter; TimLre, Zaime, Beglike. DieBesrzcr derstlben wurden demDeglerbegk (Pascha von drei Roßschweifen) ihrer Provinz untergeordnetund musten unter dessen Anführung mit einer der Größe ihrer Lengüthcr verhältnißmäßigen Anzahl Leute ans eigene Kosten ins Feld ziehen; der Sul. tän konte also allezeit gleich eine große Anzahl Rei­ terei ins Feld stellen, welche ihm so zu reden, nichts kostete. Diese Lehngüter sind nachher beständig als dem Staat gehörig angesehen worden. Einige Davon 'sind erblich, die meisten aber werden nur Auf Lebenszeit vergeben, imb jeder neuer Desizer muß sich damit entweder von dem Beglerbegk, oder von der Pforte selbst, belehnen lassen. Bei den erblichen aber wird nicht auf die erste Geburt, son­ dern auf den tüchtigsten unter den Anverwandten des Verstorbenen gesehen; das heißt jezt: derjenige erhält das Beglik, ine Zaim oder Timär, der sich die vornehmsten Gönner verschaffen kan, oder am meisten bezahlen will. Große Zaime mtb Timäre können auch getheilt werden. Damit die Deglerbeat'e, die in den ihnen anbetrauten Pkvvinzen liegende Zaime und Trmare nicht bloß an ihre Günstlinge vergeben, oder gar an die Meistbie­ tende verkaufen, sind ausdrückliche Geseze gege. ben

beS otmannlfchen Reichs.

5

ben worden, wie bei Erledigung derselben bahiit zu verfahren fet; z. B. die Sohne derSpahi, die im Kriege sterben, sollen den nächsten Anspruch auf

die Lehngüter ihrer Väter haben.

Man will indeß

behaupten, daß bte Deglerbegke bcv neuern Zeiten, welche selten lange in einer Provinz bleiben, sich

durch den Verkauf der

Lehngüter einen guten

Vortheil zu machen wissen.

Die erblichen

36c,

besonders die auf der Grenze gegen das Haus

Oesterreich, sind dem Sultan eine starke Vormauer gegen seine Nachbarn;

denn diese befestigen ihre

Wohnsize zum Theil nicht nur selbst, sondern drin­

gen auch darauf,

daß der Sultan seine Grenz­

festungen in einem guten Stande erhalten lasse,

warum sonst die großen Statthalter,

Residenz oft verändern muffen,

welche ihre

sich wenig zu be­

kümmern pflegen.

Der Graf Marsigli erwähnt noch einer dritten Art Spahi,

die er mit den Grenztruppen btt*

Oesterreicher vergleicht, die aber nur gewisse Mo­

nate im Jahre dienen,

Hause gehen.

und dann wieder nach

Ich eilte zusehr durch die europäi­

sche Türkei, als daß ich davon nähere Nachrichten hätte einziehen können;

fährlich,

ich hielt es auch zu ge­

mich hier nach dergleichen viel zu er­

kundigen. *)

Die *) Wer sich einen richtigen Beqrif von den verschie, denen Korps der Truppen des Sultans machen will, der wird des Grafen von Mar/lgU Etat mihtaire de

6

r. Militärische Verfassnng Die vornehmsten Truppen unter der Infan­

terie des Sultans sind die Janitscharen.

Diese

und die Spahr haben solche Vorrechte vor andern Truppen,

daß jeder von ihnen gleichsam als em

Offzier angesehen werden kau,

denn so wie man

in Europa in den neuern Zeiten Kadetten - Korps errichtet hat,

um tüchtige Offiziere zu erziehen,

so haben die Otmannen schon seit Jahrhunderten

ganze Korps gehabt,

worin die Janitscharen erst

zu wirklichen Soldaten sie sollen

gebtldet werden sollen;

nämlich vorher einige Jahre

bei den

Adsjem Oglan oder Baltadsji gedient, ihren Kör­

per abaehartet, und sich so zum Kriegsdienst vorbe­ reitet haben,

bevor sie als wirkliche Janitscharen

eingeschrieben

werden

können.

Gesez noch beobachtet ward,

Go lange dies

bestanden die Spahi

und Janitscharen aus lauter starken und geübten Leuten.

Der Spahi hatte sein Lehngut

auf Le­

benszeit wo nicht gar erblich, oder er hatte seinen

bestirnten Sold,

der ihm nicht genommen werden

feilte, und auch der Janitschar durste nicht befürch­

ten abgedankt zu werden,

wenn man ihn etwa

auf einige Zeit nicht brauchte; seine Löhnung stieg vielmehr

im Verhältniß seiner Dienstjahre und

seiner

de Pempire Ottoman noch immer sehr brauchbar finden. Es ist nur zu bedauern, daß der Verfasser, welcher gewiß gut türkrsch verstand, die türkischen Namen nicht auch mittürkifcher Schrift hat drucken lassen, denn diese sind beides in der italienischen und französischen ttel-ersezung so sehr verstestt, daß man die wenigsten wleder kennen kan.

7

des otmannischen Reichs.

seiner,Tapferkeit, und im Alter gab man ihm reich­

lich zu leben;

und dies nicht als ein Gnadengeld,

sondern als eine Belohnung,

die man ihm wegen

seiner geleisteten Dienste schuldig zu seyn glaubte. Er ward auch noch alsdenn geehrt,

wenn ferne

Kräfte ihm langst tucbf mehr erlaubten Dienste zu

thun.

Selbst im großen Diwan des Sultans,

wo über Krieg und Frieden

berathschlagt wird,

horte man einen alren erfahrnen Offizier gern, und dessen Verschlag ward nicht selten befolgt.

Korps Truppen,

Ganze

dre so geachtet und belehnt wur­

den, wovon jeder hoffen konte, sich zu großen Eh­

renämtern empor zu schwingen, wenn er-Fähigkei­ ten dazu hatte,

denen von Jugend auf eine eben

so große Verachtung gegen die Christen eingeprägt worden war, al-r den Europäern gegen fcr Juden, bei welchen es für schimpflich gehalten ward, wenn

einer von ihnen fleh von zwer Christen hatte zurück

treiben lassen, und die nicht hoffen konten, daß der Regent sich weiter um sie bekünuuern würde, wenn sie in die Gefangenschaft aeriethen — solche Trup­

pen musten den benachbarten christlichen Staaten

allerdings fürchterlich fein. Jezt aber sind die Spahr und Janitscharen nicht mehr so fürchterlich als sie es ehmals waren.

Die Sultane haben den kriegerischen Geist der ersten Eroberer längst verloren, ihr Vergnügen in

der Ruhe gesucht, und so die Truppen nicht in

Uebung erhalten.

Da sie die beste Zeit ihres Le­

bens

8

Militärische Verfassung

bens gleichsam in der Gefangenschaft- zugebracht hatten, so waren sie zu allen Regierungsgeschaften ungeschickt,

und haben solche dem Reichsverwescr

ganz übertragen müssen, der sich gemeiniglich nur

zu bereichern suchte,

indem er nicht wüste,

wie

lang er seinen hohen Posten würde behaupten kön­

nen.

So wie dieser,

haben es auch die übrigen

Staatsbediente und Beglerbegke gemacht.

Nach

dem langen Frieden mit den benachbarten christli­

chen Machten fehlt es dem Sultan an tüchtigen Anführern seiner Armeen und an zum Kriege ab­

gehärteten Soldaten.

Die Ianitscharen haben

ihre so schon große Vorrechte immer mehr und mehr

zu erweitern gesucht, das Korps richtet langst nicht

mehr aus die Geschicklichkeit der Rekruten sein Au­

genmerk, wie Sultan Soleiman solches in seinem Gesezbuche (Kanün HLme) doch ausdrücklich besohl

len hat,

auch werden die Ianitscharen nicht mehr

so zum Dienst angehalten;

die ehmals tapfern

Krieger sind ausgeartet und guten Theils Kaufleute und Handwerker geworden;

man hat die Zaune

und Timbre nach Gunst vergeben,

oder an die

Meistbietende verkauft, auch einige so zerstückt oder verwüstet, daß sie ihren Mann nicht mehr nähren

können.

In den Paschaliken Mosul, Orfa, Ha-

lep und andern an die Wüste grenzenden Provinzen, z. B. findet man Spahi, die ihre Lehngüter von

den Arabern,

Kiurden und Turkmannen eben ss

gut plündern lassen müssen, als die Bauern. Wenn nurt

des otWannifcheir Reichs.

9

Hirn die Herumstreisenden Herden die Einwohner der

Dörfer so weit herunter gebracht haben, daß sie ihre

väterliche Wohnungen verlassen müssen, so giebt der Pascha den Roßschweif, d. i. das Deglik wohl gar an einen Schech: und so findet sich zwar das Beg-

lik noch immer in dem Register, die Spahr mit den übrigen Einwohnern der Dörfer aber sind verloren.

Das Korps der Janischaren ist schon von Murad I. errichtet,

und also bereits gegen 400

Jahre alt.

Eigentlich hat dieser Sultan ein alte-

res Korps,

welches Seigman genant ward, nur

vermehrt, lind demselben auf Anrathen eines Der­ wisches Hadsji Bectasch, welchen alle Janitscharen noch bis auf diesen Tag als ihren Schuzheiligen verehnn, den Namen Iengr (scherri d. i. neue

Mch; beigelegt. kmder,

Man hatte bemerkt, daß Christen-

die in der mohammedanischen Rellgwn

erzogen waren, also gar keinen Anhang hatten als den Sultan,

von dem sie aber aiich alles hoffen

sollten, tüchtige Soldaten geworden waren; Sut-

tün Mur.id vermehrte also sein Korps mit lauter solchen gebornen Christen, deren Körper zum Krie­ ge bereits abgehärtet war.

Er verordnete zugleich,

daß künftig keiner in das Korps der Iniitscharen ausgenommen werden sollte, als nur-Kmder der

Christen,

die in der mohammedanischen Religion

erzogen, und zum Kriegsdienst vorbereitet waren; dagegen konten erwachsene Christen, die ihre Religion verließen, gar nicht zu der Ehre gelangen, als n irk-

liehe

2. Militärische Verfassung

io

liche den.

Soldaten des Sultans ausgenommen

zu wer­

Wenn Murad fern neues Korps nur mir

gewesenen Christen vermehrte, bie ihren Eltern als Kinder im Kriege entrissen waren,

so war dies

Mittel allein bald nicht mehr hinreichend,

nicht

nur das Korps der Janitsckaren, sondern auch am dere Korps, woraus selbiges reeruttrt werden feite, immer vollzählig zu erhalten. Kaufleute, beson­

ders Tataren lieferten daher den Otmanly auch Christenkinder für baare Bezahlung; und aus den Provinzen,

deren Einwohner man tapfer gefun­

den hatte,

musten Christentinder als em Tribut

geliefert werden.

Es war freilich hart,

daß die Christen selbst

ihre Kinder zum Dienst ihrer Unterdrücker herge­

ben musten.

Aber wozu gewohnt sich nicht der

schwache Unterthan unter

Despoten?

der

Regierung

eines

Alle christliche Einwohner des otmam

Nischen Reicks sind zwar freie Leute,

sie müssen

aber eine drückende Abgabe (Charadsch) bezahlen, die nicht von den Mohammedanern gefedert wird, und auch der reichste Christ ist genöthigt, dem ge­

ringsten Mohammedaner mit einer Achtung zu begegnen,

welche zu erkennen giebt,

daß er ihn

von einem vornehmern Stande zu seyn erachte.

Dagegen halt jeder Mohammedaner sich durch seine Religion gleichsam geadelt, sich selbst von der Vor­

sicht zur Herschaft, dre Christen und Juden aber

zur Unterwürfigkeit bestirnt; in dem otmannischen Reiche

Hes otmannischen Reichs.

n

Reiche ist ein eben so großer Unterschied zwischen

einem Mohammedaner und einem Christen,

als

in Europa zwischen einem Edelmann und einem

leibeigenen Dauer.

Im Gegentheil werden die Lu

der mohammedanischen Religion erzogenen Christen­

kinder im Dienste des Sultans gleichsam als zur Familie des Regenten gehörig, angesehen; sie lön, «en ein großes Glück in der Welr machen, üben

Allezeit in mehrer» Ansehen,

und mit mehr Be­

quemlichkeit, als wenn sie beim Pfluge geblieben waren.

Dies erregte denn bei armen christlichen

Eltern eine solche Gleichgültiakeit gegen die Religion,

daß/sie noch wol selbst ihre nicht zum Tribut abge­ gebenen Kinder an die Mohammedaner verkauftem

Waren die Mohammedaner so eifrige Proselytenma­

cher gewesen,

als die Katholiken,

so würden ge­

wiß Tausende, welche bei ihrer sauern Arbeit jähr, tich ein Ansehnliches mehr, als die mohammedani­ schen Bauern bezahlen, und sich überdies noch von

jedem Bedienten eines Otmanly hudeln lassen müs­ sen,

längst zu ihnen übergetreten sein,

mrd man

fände tm otmannischen Reiche jezt vielleicht eben

so wenige Christen,

als unter den Europäern

Heiden.

So wie indeß immer mehrere christliche, Unter­

thanen Mohammedaner geworden waren,

und

deren Söhne dem Staat gleichfals als Soldaten

dienen wolten, und so wie im Kriege immer weni­

gere Christenknaben erbeutet wurden,

so wurden

immer

2. Militärische Verfassung

12

immer mehrere geborne Mohammedaner in das

Schon

KorvS der Janitscharen ausgenommen.

SultänSolelmän, welcher in den Jahren von 1520

bis 1566 regierte, erlaubt solches in seinem militä­ rischen Gesezbuche ausdrücklich; wissen Einschränkungen.

jebod) unter ge­

Dieser

weise Regent

hatte bedenken sollen, daß die künftigen Zeiten die Umstande noch ferner verändern würden.

Statt

dessen aber hat er befohlen, daß seine Kriegsgeseze von den künftigen Sultanen gar nicht verändert

werden sollen, und schließt mit folgenden Worten:

"Weder Geld,

Gunst noch Vorbitten sollen die

Offiziere des Korpö der Janitscharen bewegen, solche

darin aufzunehmen,

welche nach diesem Kcseze

ausgeschlossen sind; und softe sich jemand verleiten

lassen,

diesen Befehl zu übertreten, - so treffe ihn

die Ungnade des Allmächtigen und der Fluch von

248,000

Propheten;

nichts gelinge

ihm

nach

Wunsch und sein Ende sei unglücklich. “

Sultan Soleimans Andenken wird bei den

Otmanly noch jezt sehr geehrt, und sem Fluch kan vielleicht manchen seiner Nachfolger abgehalten ha­

ben, ernstlich an eine Abänderung und Verbesse­

rung des GesezbucheS zu denken,»wie sehr er solche auch für nöthig erachtete.

Könte aber dieser Sul­

tan lein Janitscharen Korps jezt mustern, so würde er von den Offizieren seine Verfügungen oft ans bett Augen gesezt und viele Veränderungen darin

gemacht finden, wodurch zwar dessen Gewalt nicht wenig

13

-des otmarmifchen Reichs. wenig erweitert ist,

der Staat aber sehr gelit­

ten hat. Nach einem der Hauptvorrechte dieses Korps, kan kern Pascha, oder Kadi,

oder eine andere

Obrigkeit einen Zanitscharen ins Gefängniß wer­ fen lassen.

Man findet daher merstcns auch in

den Städten, in denen eigentlich keine Janitscha-

ren liegen,

einen oder mehrere Offiziere,

dahin zu sehen haben,

menden Mitgliedern ihres Korps,

geschehe.

welche

daß den etwa dahin kom­

nicht zu nahe

Hat ein Zanitschar etwas verbrochen,

so wird er von seinen eigenen Offizieren gerichtet

und gestraft, und diese verfahren immer sehr gelinde,

vornLmlich wenn der Ankläger nicht auch mit unter dem Korps steht.

Hat aber irgend ein nicht dazu

gehöriger einen Zanitscharen

beleidigt,

so steht

man das als eine Beschimpfung des ganzen Trupps an, und treibt die Sache aufs äußsrste. Hat z. D.

ein Zanitschar einen Bürger ermordet, so verholen seine Kammeraden ihn so lange, bis die Sache mit

der Familie des Ermordeten abgehandelt ist.

Zu

Basra, BagdLd und Konstantinopel, also vermur,

lich überall bezahlt die ganze Ortet das Blutqeld,

und der Mörder komt dann wieder auf freien Fuß. So wie man in Europa einem Adelichen, der eine

schändliche That begangen hat, erst den Adel turnt, ^evor man ihn dem Scharfrichter übergiebc, so halten auch die Zanitscharen es für einen Schand­ fleck ihres Korps, gewisse Verbrecher z. D. Gottes­

lästerer

•« Militärische Derftffuttg

M

lästeret, Diebe u. d. gl. als Janitscharen hinzurich.

ten.

Sie streichen den Namen eines solchen Misst,

thaters auf ihrer Liste aus, zerreißen ihm den Rock (Bel'isch) am Halse, und übergeben ihn so der

bürgerlichen Obrigkeit.

Hat er aber ein anderes

daß den Tod verdient,

Verbrechen begangen,

wird er

st

des Nachts von einem seiner eigenen

Kammeraden in Gegenwart eines Offiziers hin»»

gerichtet. Eine Folge dieses Vorrechtes der Janitscharen, daß sie bloß von ihren eigenen Offizieren gerichtet

und gestraft werden, ist die Unverschämtheit, mit welcher sch lcchtdentende unter ihnen mehr nur Chri­

sten und Juden, sondern oft selbst andern Mohamrnedanern begegnen.

Weil das Korps Zusammen­

halt rmd dadurch so mächtig ist, kein geringer Vortheil,

so ist es qewiß

wenn einer sich ein Mit­

glied desselben Nennen kan.

Ihre Freundschaft,

oder vielmehr ihr Schuz, wird daher schr gesucht.

Für die Offiziere ist es auch kein geringer Vortheil, wenn sie gleichsam,Ehren - Mitglieder ihres KorpS

ernennen können,

die keine Dienste thun, und

daher auch vom Sultan keine Löhnung zu erwar­ ten haben, indeß für die Einschreibung gut bezah­

len ,

und bei vorkommenden Fällen auch nachher

noch Geschenke geben muffen. in den Provinzen,

Nicht nur Paschen

sondern auch die vornehmsten

vtmanlv zu Konstantinopel, und der Sultan selbst

lassen sich

daher bei diesem Korps einschreiben. 5»

des otrrrarmistberr Reichs.

i$

An den Grenzstädten, wo verhältnißmaßig allezeit viele Janirscharen liegen,

erkauft sich fast jeder

wohlhabender Bürger den Titel eines Janrtscharen;

der eine um seine Handthiernng ruhig treiben zu können,

der andere um sich Uuterstüzung gegen

solche von seinen Mitbürgern zu verschaffen, denen er gern was anhabcn mögte.

Die Anzahl der

Tttular-Janitscharen ist dadurch so sehr angewach-

sen,

daß der Davon Tott einer Orta erwähnt,

welche gegen zo,ooo Elngeschriebene hat,^) da eine solche doch wol nicht über 600 bw 800 wirkliche

Janirscharen enchalten nrag.

In den Grenzstäd­

ten nimt das Korps gar reiche Christen unket seinen

Schuz,

wofür dann leztere frerlich gilt bezahlen

muffen, aber dafür bann auch wieder großen Nuzcn haben tonnen.

Bei einem Aufruhr zu Basra

z. D. hatten die Janirscharen viele Hansir der nicht eingeschriebenen Bürger geplündert, Tltnlar- Janirscharen aber verschont.

die der

Auch mein

Bedienter zu Basra nante sich einen Janitscharen. 2tuf die Frage, welchen Nuzen er davon haben

tönte, antwortete er mir: wenn ich nun etwa je­ manden ums Lcb"n bringe, so darf der Mutasillim (Gouverneur) mich nicht ins Gefängniß werfen

und aushängen lassen. aus,

sagte ich,

Du siehst nicht darnach

daß du Leute ums Leben bringen

wirst, hattest du keine andere Ursache dreh emschrei-

ben zu lassen? O ja, antwortete er, nun werde ich

von

*) Memoires du Baron de Tott pirt. I. pag. 65. not.

2. Militärische Verfassung

i6

von andern Zanitschaten nicht mehr gemißhandelt, und wenn jemand mich schlägt,

Ort« sich meiner an.

so ntmt die ganz«

Dieser ehrliche Kerl hatte

in seinem Leben noch keinen ermordet, er must«

aber so oft seinen Antheil zum Blutgelde für andere

bezahlen, daß ihm von seinem Verdienst nur we­

nig übrig blieb.

Für reisende Mohammedaner ist

es besonders uüzlich, wenn sie sich Zanitscharen

nenne» können; denn so finden sie überal Freunde

und Beschnzer,

Auch habe ich Schiffer und Steu­

erleute von Surat gekaut, die sich bei den Zanit« scharen hatten einschreiben lassen,

um bei ihrem

Aufenthalt zu Basra und Dsjidda von ihrem Korps Schuz zu erhalten.

Die Einschreibung eines Zanktscharcn,

selbst

eines bloßen Titularen, kan nur da geschehen, wo

der Staab einer Orra liegt.

Die Basraner we­

nigstens müssen nach Koriie, wenn sie sich einschrei­ ben lassen wollen.

Die alte Gewohnheit, nach

welcher der Eingeschriebene von seinem Offizier mit

einer Ohrfeige begrüßt werden soll, wird noch jezt beobachtet.

Die wirklichen Janirsä>aren haben auch das

Vorrecht,

daß sie zwei Körbe bei allen Zollstatten

«nvisicirr einbringen können.

Der Gesczgeber

feste nämlich zum voraus, daß seine Soldaten nur

Lebensmittel bei sich führten, und dieserwegen fei tert sie bei Yen Zöllen nicht ausgehalten werden.

Jezt

wissen

des oinrwmischen Reichs.

11

wissen sie ihre Korbe mit etwas besserm anzusüllen, als mit Reis und Butter.

Zu den Vorrechten des Korps kan noch dieses gerechnet werden, daß eS die für dasselbe bestirnte Summe Geldes im Palasts des Sultans zu bestimten Zeiten selbst abholt, und von da nach dem Palaste lhres Aga bringt. Die ehmaligen Sulrsne, welche die meiste Zeit ihres Lebens im Felde zu­ brachten, glaubten den christlichen Gesandten kein größeres Schauspiel von ihrer Macht und ihrem Reichthum geben zu tonnen, als wenn sie ihnen an den Löhnungstagen der Janirscharen Audienz ertheilten; diese abgeschmackte Gewohnheit herscht noch bis auf diesen Tag. Der stolze Otmanly be­ trachtet die europäischen Kaisir und Könige, die mit ihrem Sultan Freundschafts Traktaten erricht tet haben, als hatten sie sich unter den Schuz desselben begeben. Ein Gescu dter mag den Karatter eures Residenten oder Ambassadeurs bekleiden, sein Herr mag seyn, wer er will, so muß er sich, am Tage einer seierlrchcn Audienz, gefallen lassen, eü stundenlang anzusihen, wie die Jamtscharen be­ schäftigt sind, einen Beutel mit Geld nach dem an­ dern wegzutragen. Erniedrigend ist die ganze Zeremonie bei einer solchen Audienz. Unterdeß verlangen die Otmanly dergleichen von den Europaern, und bekümmern sich wenig um den, der sich dazu nicht bequemen will. ’ N. Mus. Jul. 8-.

D

Das

iA

Militärische Verfrssdp-

Das Korpö der Zanitscharen ist in 196 Orth tingetheilt, wovon jede ihre Nummer, ingleichen, em gewisses Zeichen in der Fahne und auf den Zelten hat, wodurch man sie von allen übrigen nn< terscheibek. 34 von diesen werden Seigman, 6t Beuluk genant; die übrigen 101 hießen ehemals Zaja, und jezt Dsjamad. Alle 196 Orta stehen unter dem Aga der Zanitscharen. Dieser braucht vorher nicht im Korps gedient zu haben, auch katt der Sultan ihn nach eigenem Gefallen absezen, und einen andern an seine Stelle ernennen, welches Necht man ihm bei den übrigen Offizieren nicht jugestehet. Der Aga wohnt in einem großen und prächtigen Palaste, wo er die ganze Kanzclei de6 ÄovpS bei sich hat; er ist Gouverneur von Konstan­ tinopel , und hat unter andern wichtigen Verrich­ tungen auch dio, daß er mit einer großen Anzahl von seinen Leuten, gleichsam als eine Wache gegen­ wärtig seyn muß, wenn in dem Palaste deS Sul. tLns ein Diwan gehalten, d. i. über ReichSgeschafte berathschlagt wird. Der zweite hohe Offizier bei den Zanitscharen wird Kulkehajasi, KehajaDegk oder Ketchuda Degk genant. Er ist zugleich Tschorbadsji bei der Orta Deuluk Num. 1. und hat die Wache bei den Prinzen vom Geblüt, d. i. er muß nicht nur dahin sehen, daß die eingesperrten Prinzen nicht zu klug werden, und früher Lust zur Negierung bekommen, als der Diwan es für gut findet/ sie auf den Thron iu

des otmatmifchen Reichs.

»9

zn erheben, sondern auch, daß nicht etwa der regie­ rende Sultan, zu seiner grössten Sicherheit, und um weniger in Gefahr einer Absezung zu sein, sich einfallen lasse, sie zu ermorden. Da er nach und nach in dem Korps selbst zu dieser hohen Bedienung empor gestiegen, so ist er bei demselben gemeiniglich auch mehr beliebt als der Aga, welcher als eine Kreatur des «Sultans angesehen wird; und wen« daher der Aga, selbst im Namen des Sultans dem Korps etwas vorzutragen hat, dem der Kul« kehajasi sich widersezt, so ist er nicht leicht im Stande, die übrigen Offiziere auf seine Seite zu bringen. Der dritte Offizier bei diesem Korps ist der Seigman baschi, der Chef über die 34 Otta Seig» man. Diese Seigman sind wahrscheinlich älter als die Zanitscharen, und bei Errichtung des leztern Korps demselben nur so einverleibt worden, daß der Seigman baschi dem Aga der Zanitscharen un­ tergeordnet ist. Die Deuluk und Dsjamad haben keinen solchen Chef. Bei ihnen Hal jede Otta einen Tschorbadsji, und ihre Orta sind auch viel größer, als die der Seigman. Wenn der Aga abwesend ist, so ist der Seigman baschi Gouverneur von Konstantinopel.

Einen Tschorbadsji der Zanitscharen kan man etwa mit einem Obersten vergleichen. Die wört­

liche Bedeutung seines Namens ist: der für die Freilich ein sonderbarer Name für D r einen

Suppe sorgt.

,20

2. Militärische Verfassung

einen Regiments-Chef, aber nach der Verfassung dieses Korps mcht so ganz übel erdacht. Man will bannt vielleicht nur sagen, daß vorzüglich die­ ser Offizier für die ihm anbetraute Orta zu sorgen habe. Das grosse Kleinod einer jeden Orta, noch viel schäzbarer als einem europäischen Regimente die Fahne, ist ein Kessel; denn wenn selbiger in feindliche Hände gerath, so ist solches nicht nur ein großer Schimpf für die ganze Orta, sondern 'es wird derselben, wie man mir versichern wollen, zum Andenken ihres schlechten Verhaltens, etwas von den Lebensmitteln abgezogen, welche der Sultän selbiger zusteLlen läßt. Man soll Beispiele haben, daß die Zanitscharen die Schlachtordnung verlassen haben, um ihre Kessel zu retten, wenn der Feind das Lager unvermuthet angegriffen hat, worüber denn auch zwar die Kessel gerettet, die Schlacht aber verloren worden. Einige Tschorbadsji haben außer ihrer Bedie­ nung bei der Orta annoch Nebenbedienungen, die sehr einträglich sind und ein großes Ansehen ver­ schaffen. So hat der Tschorbadsji bei der Orta Num. 64* Dsjamäd zugleich die Oberaufsicht über die Windspiele, und wird daher Zagartschi baschi genant; der Tschorbadsji über die Otta Num. 71. Dsjamad hat die Oberaufsicht über die großen Hunde, welche zum Hezen der wilden Thiere gebraucht werden, und heißt deswegen Samsudsji baschi.

des otmamrischen Reichs

21

baschi. *) Ein anderer Tschorbadsji ist Dnrnadsjk baschi, d. i. er hat die Oberaufsicht über die Reiher, deren man sich zur Jagd bedient. Wenn der (Sultan auf die Jagd reitet, so wird er allezeit von einem dieser Herrn mit einer Anzahl Janitscharen begleitet. Vier Orta, wovon jede nur looMann stark ist, heissen Selach und haben einen Solach baschi, welcher den Sultän allezeit zu Fuß begleitet, toetm er zur Moskee oder sonst in die Stadt reitet. Werl alle diese Herren Gelegenheit haben, dem Sultane persönlich bekant zu werden, so werden ihre Stellen begierig gesucht.

So wie der Aga der Janitscharen die Wache bei dem Staatsrath im Palaste des Sultans hat, so ist auch der Tschcrbadsji über bie Orta Num. 28. Beuluk mit dem Titel eines Muchzur aga allezeit mit einer Anzahl von seinen Leuten gegenwärtig, wenn der Groß - Wesir bei der Pforte Diwan halt. Auch der Hassas Daschi, welcher die Auf­ sicht über die Gefängnisse zu Konstantinopel hat, und mit dem Subaschi gegenwärtig sein muß, wenn jemand hingerichtet wird; der Dusch Tschauisch, welcher ♦) Oie Hunde selbst werden bei den Otmanly für so unrein gehalten, das; sie zu deren Wartung nicht einmal Mohammedaner, sondern Zigeuner brau­ chen. Vei solchen Umständen würde man in Eu­ ropa den Jägermeister emes Fürsten geivfi nicht einen Zagartschi baschi oder Samsudsst baschi, d. L Oberaufseher über dre Hunde nennen; was aber bei einer Nazwn für unschiküch gehalten wird, das ist es deswegen nicht auch bei einer andern.

»s

X

Militärische Verfassung

welcher die Janitscharen bei Parade. Wachen in Ordnung stellt, und das Register über die wirklichen

Janitscharen führt;

der Jengi Tschrrri Effendeft

»der General - Auditeur und der Imam oder Feld. Probst stnd zugleich Tschorbadsji bei dieser und jener Orta.

Weil die Paschen, oder Statthalter, nicht

nur das Kommando über alle Truppen des Sultan«

haben, die sich in den ihnen anbetranten Provinzen befinden, sondern überdies auch noch eigene Trup­

pen halten müssen, und sie dabei auf den Gedanken kommen kbnten, sich unabhängig machen zu wollen,

so liegt überall in den Kastellen der Residenzstädte dieser Vice - Könige eine Anzahl Janitscharen,

welche auf sie achten, und den ihnen anvcrtrauten Posten gegen jeden innerlichen und auswärtigen

Feind vertheidigen soll.

Die allermeisten Orta

der Janitscharen liegen aber in den Grenzfestnngen. Der Tschorbadsji, oder, wenn in der Residenz eines Pascha deren mehrere liegen, bet vornehmste Tschor«

badsji wohnt dem Diwan des Pascha mit bei.

Doch nicht wie die Janitscharen bei dem Sultan und dem Groß - Wesir, als eine Wache, sondern als ein Mitglied des Diwäns; man nennt selbigen auch Aga oder Serdar.

Die Janitscharen sind also gegenwärtig, wenn

der Sultän, sein Rfichsverweser und seine Paschen

Diwan halten, sie begleiten den Sultan in der Stadt zu Fuß, und auf der Jagd zu Pferde; hie Prinzen vom Geblüte stehen unter ihren Schuz; der

des vtmannischkn Reichs.

ij

ßet Chef dieses Korps ist nicht nur Gouverneur von Konstantinopel, sondern schickt auch Kommandanten Und Truppen nach allen Grenzfestungen und andern Kastellen; die Janitscharen haben die Wache in dem äusser» Hofe des sultanischcn Palastes und bei der sogenanten Pforte, wo sich die hohen Kol­ legia versammeln und die Archive aufbewahrt wer­ den. Wenn also dieses Korps in dem Stande ist, wie es dem Geseze nach sein soll, so ist es eine gar mächtige Stüze des Despotismus. Es ist aber zugleich auch fürchterlich für den Despoten selbst, wenn dieser sich ihm im geringsten widersezen will. Der lezten Ursache wegen har wahrscheinlich dis Regierung selbst es gern geschehen lassen, daß das Korps in manchen Stücken von seiner Bort schrift abgcwichen ist, und sich selbst dadurch ge­ schwächt hat. Der nächste Offizier nach dem Tschorbadsji ist der Oda haschi (etwa Hauptmann;) nach ihm folgt der Wekiel cherdsch, welcher für die Lebensmittel zu sorgen hat; dann der Beirak dar oder der Fähnrich; der Bäsch Eski, der Astschi (Koch) der Sokka, (Wasserträger) der Usta, der Ehalfa und die Kara

kulukschi. Von diesen haben der Koch und Wasser­ träger wol eben so wenig die Verrichtungen, welch« wir mit ihren Namen verbinden, als der Tschor­ badsji; denn sie sind eigentlich Unteroffiziere. Wenn jener einem Janitscharen seinen großen mit Messing beschlagenen Gürtel, oder dieser ihm seine Pritsche

94

Militärische Verfassung

Peitsche zeigt, oder ihn damit züchtigt, so wider, dersezt, sich ihm keiner, wie wütend er sich auch sonst gegen einen jeden betragen mag, der ihm nahe timt. Die Tschorbadsji sind jezt wol gröstentheilS Söhne vornehmer Otmanly, die wenigsten davon «erden also ganz von unten auf gedient haben. Lezteres aber verlangt man von einem Oda baschi. An der Hauptstadt muß selbiger auch mit den nicht verheirateten Janitsckaren in der großen Kastrne wohnen, wo selbst für jede Orta bequeme Kammer (Oda) eingerichtet sind, in welcher sie ihren Kessel bei sich hat, und ihre eigene Oekonomie führt. Vor dieser prächtigen Kaserne ist ein großer freier Plaz, auf welchem die Janitscharen sich oft versamleu, bei welcher Gelegenheit dann ehmalS mancher Aufruhr angesponnen, und zuerst ausge. brachen ist. Lezteres ist jezt nicht leicht mehr zu befürchten; denn viele Zanitscharen sind zugleich Bediente bei den Vornehmen, andere treiben aller. Hand Handthierung, die meisten sind verheiratet, Unb die Kasernen stehen leer, oder werden von Elchen bewohnt, die kaum nothdürftig zu lebe» haben. Jede Orta hat auch ihre eigene Sturagk, d. L Pensionisten, die, für selbst geleistete Dienste, oder wegen der Dienste ihrer Vater, ein Gnadengeld erhalten. Aber das, was nach dem Kanün Nam« des Sultans Soleimau dafür bezahlt werden soll,

und

des otmaunifchen Reichs.

S5

und welches die Orta zu fodern nicht vergißt, wird

jezt wol grostencheils

an Bediente oder andere

Kreaturen der Großen vertheilt. 2((le Besamungen in den Grenzfestungen sollen

zwar nach dem Geseze jedes dritte Jahr abgewech. feit werden, aber das wird schon langst nicht mehr beobachtet. versezt,

Die Tschvtbadsjl werden freilich oft

aber dies wol auf eigenes 2lnsuchen,

einträglichere Stellen zu erhalten.

um

Die Janik-

scharen sind zum Theil Einwohner der Städte, in rvelchen sie als Besazung liegen,

wol gar daselbst

geboren: und davon ist dann die Folge, daß sie gemeiniglich der Regierung ihrer Provinz mehr zuge«

than sind,

als dem Sultan.

Zu Kahira lind

Bagdad sind die Beispiele davon häufig.

berufen sich darauf,

2llle

daß sie die Vorrechte ihres.

Korps vertheidigen müssen,

und jeder nennt das

ein Vorrecht der Janitscharen,. was feinen eigenen

Vortheil befördern kam

Wenn alle die, welche sich IanitsclMen nennen, auch gute Soldaten, und genötigt wären ins Feld zu gehen,

so hätte der Sultan bloß an diesem.

Korps eine fürchterliche Armee.

Ihre Anzahl

wird sich gewiß auf einige hundert tausend belau­ fen.

2tllein davon sollen nur etwa 80,0.00 Be-

soldung erhalten,

und man will versichern A daß.

diese aus der Reichsschazkammer nich-t mehr bekom­

men, als Sultan Soleiman für 40,000 ausgesezt hat.

Der Sold eines Zanitscharen ist selbst nach

dem

2. Militärische Verfassung

i**

dem Geseze in den ersten Jahren seines Dunstes

sehr gerrna,

nur durch sein gutes Betragen sott

seine Löhnung nach

imb nach verbessert werden,

da er dann reichlich zu leben bekömt.

Aber jezt

werden die Verbefferungen sehr oft an Bediente und andere Kreaturen der Vornehmen vergeben, der gemeine Janitschar kan

von

seiner kleinen

Löhnung nicht leben, und man muß ihm erlauben,

zugleich bürgerliche Nahrung zu treiben.

In Frie-

denszeiten lassen viele den Dienst durch andere

verrichten,

die nicht so viel haben,

daß sie von

ihrem Sold leben können; ja e6 soll (zu Konstan­

tinopel) nicht an Leuten fehlen,

die, in der Hof.

nung eine erhöhete Besoldung zu erhalten,

oder

um nur in der Oda einen freien Tisch zu haben, Yen Dienst gern umsonst verrichten.

In Kriegs

Zeiten verfahrt man bei den Janitscharen auch nicht

so strenge, als in Europa mit den Soldaten; denn

wenn alsdann jemand nicht Lust hat mit ins Feld zu gehen,

so nimt man ihm nur seine Löhnung.

Es finden sich immer genug andere, die, wenn sie hoffen können weiter zu kommen, gern in ein Korps

treten, das so mächtig und geehrt tft7 als das der

Janitscharen. will,

Wenn man indeß auch annehmen

haß die Anzahl der besoldeten Janitscharen

wirklich 80,000 Mann betragt, woran noch sehr

zu zweifeln ist, so können davon doch wol nicht Mehr als höchstens 25,000 Mann ins Feld gestellt werden;

denn man darf die Grenzfestungen nicht

ent-

^7

des otMLNrrischen Reichs.

/ntbloßen; zu Konstantinopel muß beständig eine hsn-

längliche Anzahl von diesen Truppen zurückbleiben,

rmd von diesen werden vermutlich verschiedene Orta, z.D. die, welche die Wache im Palaste des Sultans

und bei der Pforte,

die welche die Gefängnisse

unter ihrer Aufsicht hgben, u. s. f. sich niemals gegen

einen auswärtigen Feind in Glieder stellen lassen.

Die Beschäftigungen eines Dienstthuenden Zarutscharen in Friedenszeiren, sind nicht groß. Man

findet z. B. in ganz Konstantinopel keine Schild­

wache,

die auf einem bestimten Posten gewusst

Stunden stehen muß, imb dann von einer andern abgeloset wird.

Diese bei dem Mr'litare der Euro­

päer eingeführte Gewohnheit ist den Otmanly noch so fremd, daß selbst der Sultan eine selche Schild­

wache des Baron Tptt als einen Missethäter ansah, per

seiner Verbrechen

wegen

verurtheilt

war,

rnrt dem Gewehr auf der Schulter unbeweglich

auf einer Stelle zu stehen. *)

Iu Konstantino­

pel sizt die Wache in den starkbewohnten Quartie­ ren in der Kammer eines Eckhauses,

und in Yen

abgelegenen Quartieren sizt ein einzelner Janitschar an der öffentlichen Straße und schenkt Kaffee ydey

verkauft andere Kleinigkeiten, um nebenher etwas zu verdienen.

Diese Janitscharen müssen gleich

hei der Hand sein, wenn in dem ihnen anbenautem

Quartiere etwa Unordnung entsteht; muß sich wundern,

und

mau

daß man jn einer so großen Stadt

*) Memoires du Baroh de Tott part. 111. p. 121.

2Z

2. Militärische Verfafsimg

Stadt so wenig von Unordnung auf den Straße rmd fast gar nicht von Diebstal hört. *) Man Hiebt den Janitscbaren, wenn sie auf die Wache ziehen, kein anderes Gewehr als jedem einen gro­ ßen Knüppel; wenn der Sultrui zur Moskee rei­ tet, welches gewöhnlich alle Freitage geschieht, so werden in der Hauptstraße, wodurch der Zug geht», an beiden Seiten Janitscharen ausgestellt, rmd auch dann ohne Gewehr. Zuweilen laßt der Sultan sie nach einem Zlel schießen, man will aber behaup­ ten, daß die Offiziere dazu immer die besten Schüzen aus♦) Die scharfe Polizei, die des Nachts einen reden anhält, welcher zu der Zeit keine nothwendige Ger schäfte auf der Straße hat; das Verbot des Spiels und aller starken Getränke, und die minderen Pedürfnisse der gemeinen Mohammedaner, sind wol als die Hauptursachen dieser größeren Sicherheit anzusehen. Daß es aber unter den Moraenlüudera auä) verschmizte Diebe gebe, davon hörte ich folgendes Beispiel zu Konstantinopel. So wie zu Kabira fast alle Quartiere der Stadt des Nachts durch Pforten verschlossen werden, so findet man hier an jchent Ende der vornehmsten Marktstraien (Bezenste.n, Basär) Morten, und bet jeder Pforte ein paar Janitscharen m einer kleinen Kammer, welche bcmir soraen massen, daß die Pforten zur besamten verschlossen und wreder aeöfnet wecoen. Elumak kam ein vornehmer Otmanly zu Pferde, mit ver­ schiedenen Janltscharen und andern Bedienten zu Fuß, wovon einige gar Fackeln rruaen, und die Thore des Bezensteins wurden ihm mit Ehrerlssebietung geöfnet, weil die Wache be-derselben chn für den Stambül Agasr, d. i. den Pol'zetmeister (auch Chef des Korps der Adnemoglan) hielt. folaen-den Morgen aber, alsdieKaufteute wieder nachdem Bezenffetn kamen, fanden sie feie reichsten Buden von d?n vermeinten Aga und feinen Helfern ausgeleert.

Les vLmaimischen Reichs.

29

Mssuchen» Das ganze Korps in den Waffen ifcn jn lassen, hält man für unnöthig, unb der Zanitschar glaubt sich dazu auch zu vornehm; er ver­ langt, man müsse so wenig an seiner Geßchicklichkeit mit dem Gewehr umzngehen, als an seiner Tapferkeit zweifeln. Sultün Soleimün brauchte bei den Zanltscbnren unter andern Leibesübungen auch die, daß er sie nm die Wette laufen ließ. Aber dies scheint man jezt nicht mehr zu achten. Man sagt zwar, daß bie Koche der verschiedenen Ort» noch jezt um die Wette laufen, wenn sie Fleisch für die Oda holen, und daß der, welcher das Ziel zuerst errc:cht, zu seinem Antheil etwas mehr Fleisch erhalte. Aber dies ist vielleicht ein MißVerständniß. Der ©idtäu laßt das Fleisch für die Janitscharen liefern, welche in den Kasernen wohnen, und damit nun die Köche der verschiedevon Oda aufpassm, so ist man vielleicht einig ge­ worden, daß derjenige, welcher zulczt körnt, etwas weniger erhält, als die erstern. Bei den Janitscharen ist ^ben so wenig eine Uniform eingeführt, als bei den übrigen Truppen des Sultans; indeß hat jedes Korps ein Unter­ scheidungszeichen, wobei man selbiges von allen übrigen unterscheidet, und dieses besteht vorzüglich i4i der Bekleidung des Kopfes. Von der Kopf. Fracht, welche den verschiedenen Rang der Offiziere bei dem JanitscharenkorpS anzeigt, findet malt Abbildungen in des Grafen von Marsigli Etat null»

36

i.

Vkilitarifche BcrfafluG

fnilitaire de l’empire Ottoman, und in dcrAb» bllduirg des türkischen Hofes nach den Gemälden des Herrn de Ferriol;

und sowol von der Muze,'

welche die gemeinen Zanitscharen bei feierlichen Gelegenh» iten, z. B. wenn der Sultan zur Moökee

reitet, tragen, als ihrem gewöhnlichen Turban, ttrt ' ersten Bande meiner Reisebeschreibung Tab. XX, fig. li. 12.

In FriedenSzeiten (im Felde habe

ich sie nicht gesehen) tragen die Zanitscharen Kleidet von allerhand Farben,

jedoch ist ihr Oberkleid

tBenksch) nicht so weit und so lang,

Bürger,

als das der

und die großen Beinkleider, an welche

lederne Socken (Mests) genäht sind, tragen die

Zanitscharen gar nicht,

sondern sie gehen mit

bloßen Füßen in Pantoffeln mit Hackleder, welches

In die Höhe gezogen wird.

Zhre Köche und Was»

ffrträger haben eine besondere Kleidung.

Die der

keztern ist von schwarzem Leder mit großen messinge­ nen Knöpfen.

Von den Namen und der Anzahl der verschie­ welche die Paschen aus den ver­

denen Truppen,

schiedenen Provinzen zur Armee führen sollen, habe

ich keine genaue Nachrichten erhalten.

zahl ist sehr groß,

Zhre An­

aber darunter vieles Gesindel,

das nur in den Krieg zieht, um zu plündern, nicht

ihn zu fechten.

Dazu konte selbst die große An.

zahl der Tataren gerechnet werden, welche dem Suliän auf eigene Kosten zwar dadurch diente, daß

sie

in den

feindlichen Ländern oft erschreckliche

Ver« ■

des otmannistbett Reichs. Verwüstungen anrichtete,

31

aber auch der Armee

nicht selten eine große Last ward.

Weil der wirk­

liche Soldat des Sultans sich zu vielen Arbeiten, die der europäische Soldat verrichten muß, zu vor­

nehm hält,

so werden auch dazu viele Leute erfo-

dert: und überdies folgen einer otmannischen Armer noch so viele Kaufleute, Handwerker u. s. f. daß

man auf eine otmannische Armee, die auf 100,000 Ma»n stark angegeben wird,

bei weitem nicht so

viele Soldaten rechnen kan, als auf eine gleich

große europäische Armee. (Der Beschluß im nächsten Stück.)

3-

Wie ist Reformazion der Philosophie möglich 1

1. Philosophie hat bisher weder allgemeingcl»

tende Erkentnißgründe für die Grundwahrheiten der Religion und der Moralität, noch allgemein,

geltende erste GrundsaZe der Moral und des

Naturrechts aufgestellt. ♦)

§. 3, *) Die hier vorgetragene Thatsache ist im wurschen Merkur. Junius und Julius d. I. umständlich beleuchtet.

des otmannistbett Reichs. Verwüstungen anrichtete,

31

aber auch der Armee

nicht selten eine große Last ward.

Weil der wirk­

liche Soldat des Sultans sich zu vielen Arbeiten, die der europäische Soldat verrichten muß, zu vor­

nehm hält,

so werden auch dazu viele Leute erfo-

dert: und überdies folgen einer otmannischen Armer noch so viele Kaufleute, Handwerker u. s. f. daß

man auf eine otmannische Armee, die auf 100,000 Ma»n stark angegeben wird,

bei weitem nicht so

viele Soldaten rechnen kan, als auf eine gleich

große europäische Armee. (Der Beschluß im nächsten Stück.)

3-

Wie ist Reformazion der Philosophie möglich 1

1. Philosophie hat bisher weder allgemeingcl»

tende Erkentnißgründe für die Grundwahrheiten der Religion und der Moralität, noch allgemein,

geltende erste GrundsaZe der Moral und des

Naturrechts aufgestellt. ♦)

§. 3, *) Die hier vorgetragene Thatsache ist im wurschen Merkur. Junius und Julius d. I. umständlich beleuchtet.

3a

Z. Wie ist Reformazion

§. 2. Es laßt sich daher mit Grund vermuthen, daß diesem Mangel des Allgememg.ltc: deu, Mangel des Allgemeingültigen zum Grund liege, und dies«

Vermuthung führt auf den Zweifel: Ob die Philo­ sophie solche allgemeingültige Erkentnissgründe und

Grundsaze auch wirklich aufzustellen vermöge. *) §- 3-

Das Interesse der Wissenschaften von unseren Pflichten und Rechten in diesem, und dem Grunde

unsrer Erwartung für ein zukünftiges Leben,

und

folglich auch das höchste Interesse der Menschheit

schafc diesen kritischen Zweifel in die bestirnte Frage Wie sind jene allgemeingültigen Erkentniß,

um:

gründe und Grundsaze möglich?

Man hat den Verfasser der Kritik der SSet» vunft,

und

schuldiget,

die Freunde seiner Philosophie, bei

daß

Grundwarheiten

sie

die

Glaubwürdigkeit

der Religion

und

der

lität einzig auf das Interesse grunzten,

der

Mora­

welches

die Menschheit an diesen Gnrndwarheiten nehmen müßte.

Ich kan mich hrer keineswegs auf eine

Erörterung d.r Frage einlassen,

ob und in wie

ferne diese Beschuldigung die kritischen Philosophen

treffen •*) D-'e Unentbehrlichkeit dieses Zweifels zue Refor, mazion der Philosophie, und der Unterschied dessel­ ben von dem dogmatischen und unphilosophischeu Zweifel sind in der Bert. Monatschr. Julius ab­ gehandelt.

der Philosophie möglich? «reffen könne.

33

Ich erinnre hier nur, daß man das

allgemeine und nothwendige Interesse der Mersch«

hcir in wie ferne dasselbe Untersuchung gebietet,

und wovon hier allein die Nede iss, demselben Interesse,

von eben

in wie ferne es irgend einen

Glauben begründen soll, wol nntersche den müsse.

Ich habe gewiß den

besseren Theil meiner

philcsvphireuden Zeitgenossen

auf meiner Seite,

wenn ich das Interesse der Sittlichkeit (oder wel­ che« eben dasselbe ist, das Jntercsse der Menschheit, das nur in so ferne nicht mißverstanden werden

kan, als dasselbe durch Stttltchkeit bestimmt wird)

für den Kompaß halte,

ohne welchen man sich

nicht ungestraft auf den Ozean menschlicher Mei« nungen beim Studium der Philosophie

wagen

kan; und wenn ich behaupte, daß Prinzipien, die mit jenem Interesse der Menschheit streiten, weder

allgemeingültig sein, noch allgemeingeltend werden

können.

Nech viel gewisser aber wet den mir alle

philosophischen Parteien (die dogmatischen und die

unphilosophischen Skeptiker ausgenommen,

deren

Plaz aber durch die kritischen sehr ehrenvoll er-

stzt wird) beistimmen; wenn ich hier als ausgemacht annehme,

daß die Entdeckung -allgemeingültiger

Prinzipien (die ihre Allgemeingültigkeit dadurch bewahrten, daß sie wirklich allgemeingeltend wür­

den) die Wissenschaften unsrer Pflichten und Rechte n. s. w. in den Rang der eigentlichen Wissenschaf­

ten,

den sie bisher nur dem Namen nach besaßen,

sr. Ms. Jul. 8$.

C

erheben.

54

4- Wie ist Reformaziyn

erheben,

und denselben einen Einfluß und eine

ZLürde verschaffen mußten, die auch ihre eifrigsten Sachwalter

bis jczt kaum für möglich gehalten

haben, — und daß fclglich diese Entdeckung viel, leicht das wichtigste Geschenk sein durste,

das der

Menschheit von einem Menschen gemacht

wer­

den kan. Man vergesse nicht, daß hier nur von Prin­ zipien die Rede ist.

Selbst diejenigen, welche

den Frieden auf dem Gebiete der spekulativen Phi­ losophie für eine Chimäre,

und den Streit der

Philosophen für nothwendig endlos ansehen, gestehen

doch wenigstens so viel ein, daß unter den Strei­ tenden selbst Emverstandniß über Prinzipien mög­

lich und nothwendig sei, *) wenn nicht der ganze

Streit zwecklos und ungereimt sein, und durch die Fortdauer desselben, anstatt der ewigen Annäherung

zur Warheit, vielmehr immer zunehmende Entferyung von derselben bewirkt werden soll.

Streit,

Zeder

der nur durch den Mangel des Einver­

ständnisses über Prinzipien unterhalten wird, fallt

mit diesem Mangel nach und nach von selbst weg,

und er führt den Frieden von dem Zeitpunkte an herbei,

wo er die glückliche Wendung gewonnen

hat, durch welche die Streitenden auf den Punkt des Mißverständnisses aufmerksam gemacht und zum

Einverständniß über Prinzipien gelenkt werden. Man

*) Me» unterschreibt nicht daö alte Sprichwort: Xtoqtra principia negantehi non jefl cbfputandiinV?

der Philosophie möglich? Man besorge übrigens nicht,

95

daß das Ende der

Streitigkeiten unter den vier Hauptparteien, oder

dieser Parteien selbst,

vielmehr das Ende

den

Gang der Entwicklung des menschlichen Geistes, der durch diese Streitigkeiten bisher befördert wurde,

hemmen dürste.

Diese Streitigkeiten waren nur

so lange unentbehrlich und unvermeidlich,

als sich

der menschliche Geist noch nicht brs zur Erkentniß allgemeingültiger Prinzipien emporgeschwungen hat. So bald er aber über diese mit sich selbst einig ist,

hat er sich durch diesen Besiz seines künftigen Fort­

schreitens, versichert.

Er hat dann die Bestimmung

seines Ganges in seiner eigenen Gewalt, ohne die Beförderung desselben,

wie sonst,

von zufälligen

Entdeckungen und ungewissen Versuchen allein er­

warten zu dürfen.

Am Leitfaden seiner Prinzi­

pien durchwandert er dann das grenzen- aber nicht

bodenlose Feld der Erfahrung,

welches ihm eine

seinen Kräften angemessene Beschäftigung für eine ganze Ewigkeit anzubieten hat,

von der er sich

um so größeren Erfolg versprechen kan, je weniger

er durch unsicheres Herumtappen, und vergebliches Streiten auf dem Felde der bloßen Spekulazion

Zeit und Kräfte verspürtem wird. Ob und was die Moral und das Naturrecht

durch allgemeingültige erste Grundsaze,

Religion

und Moralität durch allgemeingültige Erkentnißgründe gewinnen würden, kan hier wol keine Frage

sein;

zumal keine Frage für diejenigen, C 2

welche

mit

z6

Z. Wie ist Reformazion

mit mir überzeugt sind, daß alle unsere bisherigen sogenanten Sisteme der Moral und des Natur­ rechtes, nichts weiter als bloße wissenschaftliche Versuche, sistemartig geordnete Aggregate, mehr oder weniger bearbeitete Materialien für künftige Wlssenschasten uni) nichts weniger als eigentliche Sisteme, und bereits vorhandene Wlssenschasten sind, die auf inneren Zusammenhang, unerschüt­ terliche Festiakeit, und allgemeine Ueberzeugung Ansprüche machen tonten, — m d daß endlich die Gnmdwarheiren der Religion und der Moral au6 Mangel allgemeingültiger Erkentnißarände bisher nur bloße Probleme und Streitfragen gewesen sind, bei welchen die Stretteuden nicht einmal über den Begrif des Gegenstandes, worüber sie stritten, einig waren. Zch darf also ohne weitere Erörterungen und Beweise, die Behauptung aufstctlen, daß das höchstwichtige, nothwendige und eben darum ewig forrwirkende Interesse, welches dle Menschheit an den Wissenschaften der Moral und des Naturrech« tes und an den Grundwarheiten der Religion und der Moralität nimt, hier alle Gleichgültigkeit, alles dahingestellt sein lassen, moralisch unmöglich mache, und den Zweifel ob auch allgemeingültig­ erste Grundsaze jener Wissenschaften, und allge­ meingültige Erkentnißgründe jener Grundwarheiten möglich sind, in die bestimte Frage umschaffe: Wie sind sie möglich? Zch sage: so lange die Un. mög-

' der Philosophie möglich?

st

Möglichkeit solcher Prinzipien nicht allgemeingültig envieftn ist, so lange macht es jenes höchste Inter­ esse jedem denkenden Kopfe zur Pflicht, die Mög­ lichkeit derselben 511 untersuchen, nicht vor aller Untersuchung als ausgemacht anzunehmen. Da in der philosophischen Welt über die wirk* kiche Allgemeingültigkeit bisher gefundener erster Grundsäze und Erkertnißaründe nichts ausgemacht ist, so laßt sich (wenigstens von jemand der keiner Partei angehört) die Möglichkeit derselben keines­ wegs aus der Wirklichkeit schließen, sondern sie muß an sich selbst untersucht, unk erst gezeigt wer­ den. Es frägt sich also nicht: sind solche Grund­ saze und Erkentnißgründe möglich ? sondern: Wie sind sie möglich? Und dieses Problem ist der Punkt, bei welchem die beiden schief entqegengesezten Wege, welche die bisherigen vhilosophischen Untersuchungen über jene wichtigen Gegenstände genommen haben, sich endi­ gen und gleichsam in einander verlieren, der eine, auf welchem man den wirklichen Bcffz jener Erkentnißgründe und Grundsäze, und der andere, auf welchem man ihre Unmöglichkeit erweisen zu können glaubte. Wer sich mit der Auflösung jenes, -roßen Problems beschäftigen will, muß auf eink Zeitlang aushören, sowol zur bejahenden als vev* rieinenden Partei zu gehören; er muß weder Theist» noch Supernaturalist, weder dogmatischer Skepti­ ker noch Atheist sein 1 er muß mit allen bisheriger* Sistemm

38

Z. Wie ist Reformazion

Sistemen brechen, ohne jedoch die Hofnung aufMgeben, daß ein Sistem zuStand kommen könne, welche«

alles Brauchbare und Wahre, das in den bisherigen enthalten ist,

vereinige.

merkwürdigen,

Indem er sich aus dem

bisher von allen Philosovhen (die

kritischen Skeptiker ausgenommen) verfehlten Punk­ te befindet,

von welchem jeder Schritt rückwärts

auf einen der beiden Abwege führt, die sich immer

und ins unendliche

weiter vom Ziele entfernen,

Leere verlieren:

so nöthiget ihn das heiligste und

wichtigste Interesse,

kan,

das es «für Menschen geben

den vor ihm liegenden noch nie betretenen

Weg vorwärts anzutreten,

oder welches eben so

so viel ist, den Versuch zu machen, jenes Problem

auszulösen.

§. 4« Um dieses Problem auflösen zu können, muß

man vorher eine allgemeingültige Antwort auf die Frage: Was läßt sich überhaupt erkennen? oder: Welches sind die Grenzen des menschlichen Erkent-

nißvermögens? gefunden haben.

Wer überzeugt ist, daß das Problem: Wie find allgemeingültige Erkentnistgründe u. s. w. möglich? durch das höchste Interesse der Mmschheir in Rücksicht auf den gegenwärtigen Zustand

der Philosophie aufgegeben sei,

der muß auch an­

nehmen , daß die Bedingungen, (Data) die znv

Auflösung desselben gehören, gegeben seien, und ge­ sunden

der Philosophie möglich? funden werden können.

A

Auch sogar derjenige, btm

es an jener Ueberzeugung fehlt, muß, wenn anders sein

ist,

Skeptizismus kritisch

wenigstens die

Nichtunmögllchkeit dieser Bedingungen zugeben. Diese Bedingungen nun

können keineswegs

ausserhalb b-v Grenzen der Erkenbarkeit, im Ge­ biete des blinden Glaubens,

Hyperphystr gelegen sei-n.

auf dem Felde der

Denn, gesezt auch die

kritische Untersuchung fiele ganz zum Vortheil des Superuaruralismus aus,

so müßten doch wenig­

stens die Data, aus welchen sich die Unentbehrlich­ keit der Offenbarung ergäbe, im Umfange des Be­ greiflichen enthalten sein.

Eben so wenia dürfen jene Bedingungen selbst

im Gebiete des Erkenbaren,

in wieserne dasselbe

von der spekulativen Philosophie bisher bearbeitet

worden ist,

werden.

oder in der Metaphysik,

ausgesucht

Der kritische Skeptiker hat sich von

allem bejahenden und verneinenden Dogmatismus

losgesagt,

dieser mag nun Theismus oder Super­

naturalismus, Atheismus oder doamatlfcher Skep­

tizismus heißen.

Ihm ist auf dem gesamten Ge­

biethe der Metaphysik kein Raum denkbar,

der

nicht von einer jener vier Hauptpartcien eingenom­ men wäre.

Er ist der einander widersprechenden

und gleichwol auf einem und eben denselben Gnrndund Boden angeblichen Warheiten überdrüssig ge­ worden ,

und hat auf immer das Feld verlassen,

aus

40

3* Wie ist Reformazion

auf welchem keine anderen als solche Warheiten gesunden werden. Sein gerechtes Mißtrauen in die Metaphysik, welche die Spaltung der Selbst­ denker in Parteien unterhalt, oder wenigstens nicht zu hmdern, nicht zu beendigen vermag, hat Ihn auf jenes wichtige Problem gebracht; wie könte, wie dürfte er dasselbe durch Metaphysik aus­ zulösen hoffen? Da also die Data zur Aüflosung unsers Prob­ lems weder ausserhalb des gesamten Gebietes der Erkenbarkeit noch innerhalb desselben in wie ferne es bisher bearbeitet worden, ausgesucht werden dürfen: müssen wir sie in bisher noch unbearbeite­ ten, und in soferne noch unbekanten Gegenden dieses Gebietes aufsuchen. *) Wenn man sich nun bei diesem Aufsuchen nicht ausserhalb des Gebietes der Erkenbarkeit in den leeren Spielraum der Fantasie verirren null; so müssen vorher die Grenzen dieses Gebietes genau und bestimt angegeben werden, oder, welches eben so viel heißt, man muß eine allgemeingültige Ant­ wort auf die Frage ausfindig machen: Was ist überhaupt erkenbar? oder: Was ist unter Erkentmßvermögen zu verstehen, und wie weit er­ streckt sich dieses Vermögen? Vielleicht, daß schon durch die Antwort mrf dieses neue Problem auch das vorige aufgeloset wird.

*) Also weder Hyperphysik noch Metaphysik, sondem Kritik.

ter Philosophie möglich?

41

wird. So viel aber ist gewiß, daß dieses ohne jenes unmöglich aufgelöset werden kann. Ich gestehe gern, daß die Aufgabe: die Grenzen des menschlichen Erkentnißvermögens allgemeingültig zu bestimmen, für die meisten meiner Leser ziem­ lich abschreckend klingen müsse. Desto angenehmer, hoffe ich, sollen sie von der Leichtigkeit überrascht werden, welche sie bei der Auflösung selbst antreffen werden, die schon halb gefunden ist, wenn man nur den Sinn der Aufgabe richtig gefaßt hat, und mit sich selbst darüber einig ist, was man unter Erkentnißvermogen zu verstehen habe.

Den scheinbarsten Einwurf, der gegen die Möglichkeit einer völlig befriedigenden Auflösung dieser Ausgabe gemacht werden tonte, habe ich bet einer andern Gelegenheit *) erörtert; und da diese Erörterung hieher gehört, und ich keine bessere zu geben weiß, so mag sie hier mit einigen Verände­ rungen noch einmal vorkommen. Alle wesentlicheren Schicksale, die unsre speku­ lative Philosophie bisher erfahren hat, mußten vor­ hergegangen sein, ehe man daran denken tonte, jenes Problem in seinem eigentlichen Sinne auch nur auszuwerfen, geschweige denn aufzulösen. Alle diejenigen Philosophen, welche die Erkentnißgründe für die Grundwarheiten der Religion und der Mo­ ralität,

♦) Im ersten Briefe über die Kantische Philosophie, teutschen Merkur, August 178k



" Z. Wie ist Skformazion

ralitat, sowie die ersten Grundsaze der Morak und t^es Naturrechts bereits gefunden zu haben glaubten,

tonten sich wol nie einfallen lassen,

sich selbst zu

fragen, ob es der Vernunft möglich wäre, allge­

meingültige Erkentnißgründe, und erste Grundsaze aufzustellen? — da sie ihre Vernunft im wirkli­

chen Besize solcher Erkentnißgründe und Grundsaze glaubten.

Und wäre ihnen diese Frage von andern

vorgelegt worden, so würden sie statt aller Antwort ihre angeblichen

Desizungen

ausgewiesen

haben.

Auf eben dieselbe Weise würden die Atheisten und Supernaturalisten verfahren sein,

welche ebenfals

jener Frage durch entscheidende Antworten, wiewol von ganz anderer Art, zuvorgekommen sind. Gleich­

wol bestand die philosophische Welt bisher größten-

therls aus Dogmatikern, so daß man vielleicht auf einen Skeptiker hundert Dogmatiker zahlen dürfte.

Allein dieser st breite, und so stark betretene Weg des Dogmatismus war vor der Vorlegung und

Auflösung unsers Problems nicht nur unvermeidlich,

sondern sogar als eine entfernte Vorbereitung dessel­

ben unentbehrlich.

Ohne den, durch die süße Ein­

bildung gefundener Warheit unterstüzten und be­ lebten Elfer der Dogmatiker, würden jene zahlrei­

chen und zum Therl bewundernswürdige Vorübun­ gen des menschlichen Geistes nicht zu Stand ge­ kommen sein,

denen die Vernunft den Grad von

Entwickllmg verdankt, der bei größeren ttnterneh-

wungen vorausgesezt wird.

Während dieser lang.

der Philosophie möglich?

43

rvlerigen Periode bestand das Verdienst des Skep­ tizismus größrentheils darin, daß er die Dogmati­

ker, theils ihre Beweise zu schärfen zwang, theils aber gewissermaßen in Schranken erhielt.

Nie

aber vermögt er's, ihnen ihre angeblichen Erkent-

Er hatte ihnen mchts besseres

nisse zu entreißen.

und würde auf die Frage:

was

ist erkennbar? geantwortet haben: Nichts!

oder

dafür zu geben;

aufs höchste: Ich weiß es nicht! So metaphysisch die Frage klingt:

Was ver­

mag die Vernunft? so laut ertönt sie gegenwärtig durch die Stimme unsres sonst so wenig zum metaphysiren aufgelegten Zeitalters.

Wir haben fast

keine theologischen Köpfe mehr, als solche, welche

ausdrücklich für und gegen das Vermögen und Recht der Vernunft in Religionssachen zuerst zn

sprechen geführt werden.

Durch Vernunft allein

ist

wahre Erkentniß Gottes wirklich — durch Ver­ nunft ist sie unmöglich, heissen die Lesungen der

streitenden

Naturalisten

und Supernaturalisten,

und die wirklichen oder angeblichen Beweise für

diese beiden Behauptungen, sind die Waffen, wo­ mit sie gegen einander zu Feld ziehen. strebt sich sogar,

vorgelegt zu haben,

nunft vermöge.

be­

ohne sich ausdrücklich diese Frage

auszumachen,

was die Ver­

Man appellirt gewissermaßen von

seinem angefochtenen Sistem an das Vermögen oder Unvermögen der Vernunft,, aus welchem man unstreitige

Prämissen

für

seine streitigen

Be­

haupt

44

Z. Wie ist ReforMazion

haupNrngen zu erhalten Host. Der Mangel an solchen Prämissen ist also die Schwierigkeit, worauf die Parteien selbst stoßen, die in so ferne dem eigentlichen Punkte des Mißverständnisses weit näher sind, als sie selbst wissen. Ein dunkles, aber lebhaftes Gefühl dieser Schwierigkeit äussert sich merklich genug an der in unsren Zeiten so sicht­ bar gewordnen Verzweiflung, seine Meinung durch Vernunftbeweise durchsczenHmd feine Zweifel durch Vernunftgründe auflösen zu können. Diese Ver­ zweiflung hat so manchen neuerlich veranlaßt, seine wankende Metaphysik durch Mystik und Kabbalistik" zu unterstüzen; so manchen verleitet den Einladun­ gen geheimer Gesellschaften Gehör zu geben, die Ihm durch Offenbarungen und Traditionen die Fra­ gen zu beantworten versprachen, welche ihm durch Vernunft unbeantwortlich schienen; so manche» genöthigt von der Vernunft an gesunden Menschen­ verstand, Warheitsgefuhl, Jntuitlonsfinn, und wie die Wmkeltribunale alle heißen mögen, zu appclliren. Noch nie hat man der Vernunft so augen­ scheinlich zu viel und zu wenig zugemurhet, als ge­ genwärtig. Die Abgötterei, welche mit ihr ge­ trieben, und dre Verachtung, die ihr bezeugt wird, gehen bis zum Lächerlichen; ohne daß man sich auf der andern Seite verbergen tönte, daß sowol die übertriebenen Lobsprüche, als die Verleumdun­ gen der Vernunft zu keiner Zeit so geschickt widerlegt worden

t>tv Philosophie möglich?

45

worden sind. Die Freunde sowol als die Feinde der Vernunft, Naturalisten, die durchaus kein Glauben, Snpernaturalisten, die durchaus kein Wissen in der Religion dulden wollen, beschuldigen sich wechselseitig des Verkennens der Vernunft. Da nun jeder Theil seine Bekantschaft mit der Vernunft vor seinem Gegentheile rechtfertigen muß, so sieht sich jeder genöthiget, zu den Gründen, die bisher ihn und seine Partei befriediget hatten, Beweise aufzufinden, die auch seinen Gegnern einzuleuchten vermögen. Jeder muß also über seinen bisher für die ersten gehaltenen Grundsaze hinaus gehen, Merkmaale der Vernunft aufsuchen, die er bisher noch nicht gefunden hat, und seine Kerttmß des Vermögens und der Bcfugnisse der Vernunft all­ gemein — d. h. für sich und seine Gegner — gül­ tig zu begründen streben. Keine der streitenden Parteien kau also mit ihrer eigenen bisherigen Kentniß der Vernunft zufrieden sein, so wenig als sie es mit der ihres Gegners ist; keine kann es beim Alten bewenden lassen, und das Bedürfniß einer neuen Untersuchung des Erkentnißvermögens mußte also (auch wenn keine Kritik der Vernunft erschienen wäre) von den denkenden Köpfen auf beiden Seiten endlich eben so allgemein einge­ sehen werden, als man schon jezt auf beiden Seiten überzeugt ist, daß die Vernunft, (von den Gegnern) verkant wird.

z. Wie ist Reformajion

4$

Das Problem:

vermogen?

Was vermag das Erkentniß-

kündigt sich also durch eine Menge

unzweideuttger Symptome dem unpartcnschen Zu» chauer nicht weniger auffallend an, als es sich dem

kritischen Skeptiker

durch

die Vergleichung der

philosophischen Sisteme aufdringt.

Es würdeschon

kein kleines Verdienst unsres Jahrhunderts sein, das

alte unselige Mißverständniß der sich selbst verken­ nenden Vernunft, welches, so unvermeidlich dasselbe auch dem menschlichen Gerste auf dem langen iinb beschwerlichen Wege,

den er bis zur Erkentniß

seines theoretischen Vermögens zurückleaen mußte,

gewesen ist, gleichwol unter die grösten Uebel gehört, womit die Menschheit heimgesucht werden fönte; jenes Mißversiändniß der Vernunft, welches Jahr-

rausende unter allerlei Gestalten in der Welt Un­ heil gestiftet hat,

die kultrvirten Nazionen den

blutigen und unblutigen Fehden der Orthodoxie und

Heterodoxie preis gab, Unglauben und Aberglauben

nothwendig machte, die Kräfte so vieler vorzügli­ chen Köpfe mit unnüzen Spizfindigkeiten und Zänke-

teten verschwendete, und in allen diesen seinen trau­ rigen Folgen immer fortdauren zu müssen schiene

Lieses Mißverständniß aus der Dunkelheit verwor­

rener Begriffe hervorgezogen, auf seine einfachsten Punkte gebracht,

und dadurch ein Problem her-

beigeführt zu haben, dessen Auflösung nichts gerin­ geres als allgemeingültige Erste Grundsäze unsrer

Pflichten und Rechte in diesem,

und emen allge. mein-

der Philosophie möglich?

47

rneingültigen Grund unsrer Erwartung für das zukünftige Leben hoffen läßt, das Ende aller philo­ sophischen und theologischen Kezereien, und wenig­ stens im Gebiete der speMlativen Philosophie einen rwigen Frieden verspricht, von dem noch kein gut­ herziger Kosmopolit geträumt. Aber wie? wentt auch die Auflösung dieses Problems unsrem sich zu Ende neigenden Jahrhunderte Vorbehalten wäre? wenn noch vor dem völligen Ausgang desselben in Deutschland der grossere Theil guter sich mit Philosophie beschäftigender Kopfe, über allgemein­ gültige Prinzipien einig würde? und wenn dieft die von nun an anfhörken, sich, ohne es Zu wissen und zu wollen, entgegen zu arbeiten, mit (ohne alle Verabredung) vereinigten Kräften ausingcn, das Allgemeingültige allgemeingeltend zu machen? —• Eine glänzendere Krone tonte wol kaum den Ver­ diensten unsers Jahrhunderts aufgeftzt werden, und Deutschland tönte das Geschäft seines erhabenen Berufs als d:e künftige Schule Errropenö *) mit keinem gründlicheren Eingang eröfncn.

♦) Die Konsiituzlon unsres deutschen Vaterlandes, zu welcher hier vorzüglich unter andern der Mangel einer Hauptstadt gehören dürste; der gemässigte Nazionalkarakrer, das eifrige Studium der (Hegtesfruchte aller übrigen Nazionen u.d. tt. mehr, kön­ nen wol, ohne daß man sich von patriotucher Eitel­ keit blenden läßt, für Merkmaale dieses Berustsangesehen werden. (Vie Fortsezung folgt im nächsten Stück.)

4. Ahdlni,

4.

Ahdim, eine morgenlandische

Erzählung.

Erster Gesang. 1.

Au, deren wunderbare Leier Nie Deutschlands den wßen Ton versagt, Wann er sich kühn ans Lbenrheuer In ncugeschaffue _ Zelten wagt, Auf! lüft'auch mir den Zauberschkeier, Und führ', o Muse, mich, den stolze Neugier plagt, Jn's Land der Fanta^i, wo liebliche Gestelten, Mit schrecklichen gruppirt, in bunter Mrschung walten. 2.

Du lachst vielleicht der stolzen Ritters nur, Dec, unbetont mit Hippogrisens Nucken, Den Springer reite» will, von dessen stolzen Rücken Schon manchem armen Wicht der Unstern wiederfuhk. Die ganze winzige Figur, Am Fuß des Helikons, tief in den Sand zu brücken; ’ Doch würdest du mir gleich dein Flügelroß versagen. So soll mein leichter Kahn sich auf die Fluten wagen,

3. ' Dem PLbel gleich am Strand der königlichen Seine j Mit ofnem Munde da zu stehn, Und Manchards neuem Phänomene, Frohlockend, doch unthätig, nochzusehn, Ist sichrer zwar, als stch auf leichtem Dunst erhöhn; Allein der Reiz der wundervollen, Szene Wirkt stärker, als die Furcht vor allen Minotauren, Die auf den Wanderer am Fuß des Pindus teuren. 4. Oer

4. Ahdim, eine mvrgenlandische Erzählung. 4? 4* ' Der Westwind bläst; die Segel schwellen schon; Mich schrecken nicht die aufgesperrten Schlünde Oer Ungeheuer, die mich zu verschlingen drohn, Auch der Gedanke nicht, ob ich aus dem Gewinde Des Labirinths den Ausgang glücklich finde; Und ging' es mir wie Dädals kühnem Sohn, Ja würd' ich endlich gar dem Minotaur zur Speise, Jczt Aristarch genant, nichts schreckt mich von der Reise. 5.

Und nun beginnt der Zug, die Wunder selbst zu sehen. Wovon uns Oberons und Jdris Sänger fingt, Jn's reiche Morgenland, und dann in'SLand der Feen; Schon nahn am Hellespont sich Mohammeds Trofäen, Wo stolz der halbe Mond von sieben Thürmen blinkt. Und ehe Hcspcrus den Tag zu Bette bringt. Sind wir in Bagdad schon, von dem die goldnen Spizcy Beim leztett Sonnenstral in Tigris Wellen blizen.

6. Hier war es, wo in üppigem Gepränge Sein Leben einst dem Ahdim froh vergoß. Auf den das Glück sein ganzes Füllhorn goß. Der, bei der Kostbarkeiten Menge Und der Klienten schmeichelndem Gedränge, Das Paradies hienieden schon genoß. Und oft an einem Fest des Goldes mehr verschwendet. Als Peru nach Madrid aus Gallionen sendet.

'

7-

Sein weites Haus, das Gold und Marmor schmückte. Glich einer Königsburg. Wohin das Auge blickte. Entsprach der äußre Glanz der innern Hallen Pracht,' Wie AhdimS Schmuck der Sklaven reiche Tracht, Wozu Maßilien Brokad und Atlaß schickte. Rie ward sein Vorhof leer vom Morgen bis zur Nacht) Emire sclbst.erschicnen samt ä>er Baffen Und übten sich im Schach auf blumigen Terrassen.

jp

q. Ahdim,

8-. Am Schenktisch von Agath sprang, wie ein Wasserfall Der Sirakuscr Wein in Becken von Kristall, So lieblich, daß er selbst Lornarcs *) Durst erweckte. Und was beim Mittagsmahl den goldnen Teppich deckte. War kLstlicher, als csLukullundElgabal An Feiertagen jemals schmeckte; verglich mit seinem Schmaus man Sardanapalst Schmäuse, So schienen sie Karthäuser Fastenspeise,

yWer würde nicht bei solcher Fälle schwirrn. Den frohen Mann, den alles glücklich pries, Den Asien Fortunens Liebling hieß. Den könne nichts in seiner Freude stiren. Allein Geduld! der Abend wird uns lehren, Ob einer wol, und gcklt's ein Paradies, An Ahdims Plaz, nur Eine solcher Nächte, Mit Afrvditeü selbst auf Rosen liegen mißte. IO.

Auf Polstern von Dammast, an eines Mädchens Seite, So schön Zirkaßien es nur dem Sultan schickt. In dessen weichem Arm, zum Busen sanft gebrückt, Kvmbaben selbst die rasche Zeit gereute, tag Ahdim, schlummernd selbst von Reizen hoch entzückt. Die noch zuvor kein Sterblicher entweihte, Als tief um Mitternacht des Harems Thüre knarrt, Md sich ein Anblick zeigt, vor dem sei» Blut erstarrt, ii. Das ■ *) Cornaro der besame Jtaliäner, welcher bei einem kränklichen Körper durch strenge Mäßigkeit ein he# des Alter »»reichte.

eine morgenlandische Erzählung.

A

11. Das Rosenöl, so in kristallnrn Lampen braute, Durchbämmerte den Saal so schauerlich, Daß Ahdim, der die Furcht sonst wenig kante. Doch kaum mit halben Blicken sich Bei dem Geräusch zur ofnen Thüre wandte. Die einen Kasten wies, der einem Sarge glich. Und, fortgerückt von unsichtbarer Hand, Almckhlig näher kam, und still am Bette staub. 12.

Der Deckel sprang mit dumpfen Knall' in Stücken, Und langsam kroch ein altes Weib auf Krücken Don dürrem Todtenbein hervor, So scheußlich, daß Rinald und Galaor Selbst kaum vermögt, die Furcht zu unterdrücken^ Kein Wunder, wenn sich Ahdims -Nut verlor, Als drohend jezt vor seinem Bette, Die Hexe stand, und also zu ihm redte: 13.

„Auf, träger Sklav, von deiner Lagerstatt l Dir ist der Talisman des Aiadins beschieden! Fort! stich' ihn auf, vom Nord zum schwülen Süden, Dom Hekla bis zum Ararat! S! dreimal glücklich ist, rver ihn gefunden hat! Drum laß dich nichts, bis du ihn hast, ermüden; Denn eher läßt dich Hippokusans Kasten Nicht eine Nacht auf weichem Lager rasten." 14Die Hexe hatte kaum bas lezte Wort gesagt, Sv war, samt ihr, der Kasten auch verschwunden, Nur Ahdim lag, vom Schrecken wie gebunden, Mik ofncm Munde da, der keine Silbe wagt. Und zählte kummervoll, bis daß es wieder tagt, Den Schneckenschritt der nächtlich langen Stunden, Noch immer ungewiß, sei, was er sch' und hörte. Ein Spiel der Fantasei, die wachend ihn bethörte? D 4 15- Beim

Dr

q. Ahtim,

15. Beim ersten Sonnenstral macht' er den Palast nstrch, Doll Ungeduld, die Weisesten zu fragen; Allein vergebens schwand der Tag; Kein Derwisch, wenn sein Bart auch viel versprach, Sons ihm den Ort des Talismanes sagen. Sie hatten zwar darüber nachgeschlagen, Und fanden, daß der Schaz der Suchens würdig sek. Doch wo er lag — stand nicht dabei. 16. ■ Bekümmert fand zum erstenmale Hier Ahdims Stolz die Grenzen seiner Macht. Beim Bacchanal, in einem gvldnen Saale, Umringt von königlicher Pracht, Ergrif ihn doch, beim lczten Sonnenstrale, Ein Schauder vor der nahen Nacht, Und alle Freuden, die der Männer Herz erweitern, Dermogten jezt nicht mehr, das seine zu erheitern. 17Als gegen Mitternacht die Sängerinnen schwiegen. Schlich Ahdim, mit empor gesträubtem Haar, IN seiner Folterbank, sonst Cypriens Altar. So weich sein Ruhebett’ und so geneigt er war An Fatmens Busen sich zum Schlummer einzuwiegen, So glaubt' er doch auf hartem Fels zu liegen. Und wälzte rastlos sich, versenkt in tiefen Gram, Bis mit dsm Glockenschlag der Kasten wieder kam. 18. Die Hexe sprang hervor, und murmelte von neuen Die'Drvhung, ihm und uns bekant. Worauf sie sich verschloß, und wie der Bliz verschwand. Mit ofncm Mund’, um Hülfe laut zu schreien. Als schnelle Furcht die trockne Zunge band, lag Ahdim da — Ein Stück zum konterfeien! — Bis nach und nach sein Blut, das fast gerann, schwachen Puls zu regen sich begann. 19. Aurora

eine morgenlarrdische Erzählung.

$>

iy.

• Aurora tonte kaum am andern Morgen sich Nus Titans dürren Armen winden, Als er bereits Fatimens Arm' entschlich. Entschlossen, das Geheimniß zu ergründen, Ließ er in Bagdad öffentlich Bei lautem Paukenschall verkünden: -'Zehn Beutel sind der Preis, wer Ahdim sagen kan. Wo lieget Aladins berühmter Talisman." 20.

Oie Sklaven hatten schon ganz Bagdad durchposauntUmsonst erscholl der Ruf an allen (Lesen. Erst hört ihn jederman, mit) staunt, Und'endlich fand man Ahdim gut gelaunt, Mit einem Preis von zehn gefällten Sacken Oie Bürger Babilons zu necken. Schon röthete das Dach der Adendsonne Strato UNh nun erscholl der Ruf zum leztenmal> 21.

Oa hört's ein Reisender aus einem fernen Lande, DeM in der Wüsten eine Räuberbande Don Arabern sein ganz Gepäck entwandt, Und der den Ruf jezt sehr willkommen fand. --Hört, Sklaven!" sprach er, „Mir, Mrrist der Ort ' betont! Und — Mah ners, — ich bin allein im Stande, Den Mann, der darnach forscht, der Unruh zu entziehn; Wer er auch sei, führt mich und zeigt mir ihn!" 22.

Indessen Ahdim ganz beklommen Aus seinem Palast sah, trat unser Mann hinein. „Jst's wahr," sprach er, „was ich vernommen. Und hältst du Wort, so bin ich heegekommcn. Von deiner Stirn den Nebel zu zerstreun; Denn, wisse nur: der Talisman ist dem. Wenn du so reich an Kostbarkeiten bist. Als nöthig,'um ihn zu gewinnen- ifc" — ; 33. Nichts

54

q. Ahdim, 23.

„Nichts mehr, als reich?« rief AhdimvollerFrMgr ^Jch hab allein an Euftats weitem Strand Zehntausend Kufen fetter Weide Und eben so viel Ackerland; Zwölf Gruben liefern mir den feinsten Diamant, Und meine Pflanzung giebt dreihundert Ballen Seide; Ja! ausser Bagdad sind, in Mekka nur allein, Zweihundert Speicher voll der theursten Waaren mein." -4. „Don zehn Wcßieren, die bei Hofe viel verschwendet. Sind gtößtentheils die Güter mir verpfändet, Und bloß zum Pcrlcnfang hab' ich auf Ormus jezt, Dicr eigne Schiffe hingesendet, Oie man, beladen, nur nach Millionen schckzt. Ich sehe, daß dich daö zwar in Erstaunen feit, Doch unterbrich nunmehr dein Schweigen, Und eile, mir den Ort des Talismans zu zeigen." — -5. „V dreimal glücklicher! “ fing drauf der Pilger an, „Du bist's allein, der jemals hoffen kan. Durch Alabins berühmten Talisman, Drin Glück unwandelbar zu machen. Ein Thal, das Bochim heißt, wo, sicherer als Drachen, Zehntausend Geister ihn bewachen, Legt in Arabiens beglückter Flur, Und ist der Siz der schaffenden Natur." 26.

„Hier ist das Gras schmaragbncs Immergrün, DurchM mit gvldnen Amaranthen, Pävnidn von feurigem Rubin Und amcchistne Veilchen blühn. Vermischt mit Eilten vom feinsten Diamanten. Das edelste Metall, so nur die Alten kanten, Ist, wie gediegnes Gold, in Kausen hier zu sehn. Die dis zum Mittelpunkt der Welt hinunter gehn." -7. Daß

eine morgenländische Erzählung.

5$

27. Daß die Besizer solcher Kostbarkeiten Mit einer Kleinigkeit nicht zu bestechen sind. Begreifet freilich schon em Kind. Allem das Sprichwort sagt: wer wagt, gewinnt! Ich läugne nicht, das Ding hat Schwüngkeiten; Doch lässest du durch meinen Rath dich leiten, And sparst nur nichts; so soll beim nächsten Mons den schein Schon alles eingepackt, zur Reise fertig sein." — Andächtig, wie bei des Profeten Grabe Der fromme Mekka-Pilger steht, Und lauschend, wie ein kleiner Knabe, Dor welchem sich der hohle Kräusel dreht, Horcht' Ahdun zu. „na! wenn's nur glücklich geht. Dann kost' es meine ganze Haabe!" Der Fremdling neigte sich, und eh vier Wochen stohft, Begann der Zug aus Bagdads Thoren schon. (£)ie Fortsezung felgt im nächsten Stück.)

Das v 0 l l k 0 m m e ne We i & und

der vollkommene Mann. einem der Welttheile, die Büsching noch nicht beschrieben hat und von denen man mithin

wenig oder gar teine Nachrichten in unfern tau­ send Geographien antrjft, liegen zwei ziemlich be.

trächt-

eine morgenländische Erzählung.

5$

27. Daß die Besizer solcher Kostbarkeiten Mit einer Kleinigkeit nicht zu bestechen sind. Begreifet freilich schon em Kind. Allem das Sprichwort sagt: wer wagt, gewinnt! Ich läugne nicht, das Ding hat Schwüngkeiten; Doch lässest du durch meinen Rath dich leiten, And sparst nur nichts; so soll beim nächsten Mons den schein Schon alles eingepackt, zur Reise fertig sein." — Andächtig, wie bei des Profeten Grabe Der fromme Mekka-Pilger steht, Und lauschend, wie ein kleiner Knabe, Dor welchem sich der hohle Kräusel dreht, Horcht' Ahdun zu. „na! wenn's nur glücklich geht. Dann kost' es meine ganze Haabe!" Der Fremdling neigte sich, und eh vier Wochen stohft, Begann der Zug aus Bagdads Thoren schon. (£)ie Fortsezung felgt im nächsten Stück.)

Das v 0 l l k 0 m m e ne We i & und

der vollkommene Mann. einem der Welttheile, die Büsching noch nicht beschrieben hat und von denen man mithin

wenig oder gar teine Nachrichten in unfern tau­ send Geographien antrjft, liegen zwei ziemlich be.

trächt-

;6

5, Das vollkommene Wei5

trachtliche Lander neben einander,

deren Beheü

scher, so lieb sie einander auch persönlich hattütz»

dennoch beständig bald in größere, bald in kleinere Kriege mit einander verwickelt waren. Um diese Uneinigkeiten mit Einem Schlage

zu heben, kamen sie auf den Entschluß, ihre Kin­ der mit einander zu vermahlen, damit nach ihrem Tode beide

Länder

unter Einen Zepter kamen.

Der eine hatte nur einen Sohn, der andre nur eine Tochter.

Beide waren noch in der zartesten

Jugend. Der Prinz hieß zeßin Ruraru.

Sliplipon,

diePrin,

Den Ammen beider wurde anbefohlen, bestän­ dig ihre künftige Vermahlung vor Augen zu ha­

ben, und ihre zarten Seelen wechselseitig auf ein­

ander hin zu lenken.

Deshalb ward die Prin-

zeßin mit dem Namen Sliplipon und der Prinz mit dem Namen Ruraru gewöhnlich in den Schlaf

gewiegt, und so kam es,'daß dies die ersten Worte waren, die beide Kinder auSsprechen lernten.'

Als sie in den Jahren waren, wo Kinder der Bildung eines Hofmeisters und einer Hofmeisterin

empfänglich werden, hielten beide Könige Rath, wo sie dergleichen hernehmen solten.

kanzler des einen,

der seinem Herrn,

Der Groß­

da er als

Prinz reiste, begleitet und mehr gesehen hatte, als

sein Herr, weil man hinten auf der Kutsche ge­ wöhnlich mehr sieht, als in der Kutsche,

deren

Fenster

vttv der vollkomÄme Mann." Fenster zugezogen sind;

$7

war der Meinung, daß

man aus der Prinzeßin ein vollkommnes Weib, und aus dem Prinzen einen vollkommnen Mann

bilden müßte.

Um diesen Endzweck zu erreichen,

müßte man für erstere eine Oberhofmeisterin ans dem Lande verschreiben,

das wegen seiner

vcll-

kommnen Weiber, und für leztern einen Oberhofmeister ans einem andern, das wegen seiner vollkommnen Manner berühmt sei.

land , jenes Frankreich.

Dieses sei Deutsch­

Er bat seinen Herrn-

sich an den großen deutschen Mann zu erinnern, in dessen Pflanzschule er mit ihm gewesen und in

welcher er Knaben von zehn bis zwölf Zähren schon hatte sagen hören: ich bin ein deutscher Mann.

Die Lehrer dieser Knaben müßten Wun­

der in tbvcr Art sein, und wenn man einen vott

ihnen bereden tönte, seine Menschenliebe von der

allgemeinen Menschheit auf einige Jahre abznmüßigen, und sie ganz auf den Prinzen Slivlipon zusammen zu drängen; so würde dies ein dreifach

glücklicher Erwerb für den Vater, für den Sohn

und seine künftige Gcmalin sein. Eben so heilsame Wirkungen würde es auf

der andern Seite haben, wenn man eine franzö­ sische Dame von gutem Hause (und das waren sie in der Fremde fast alle) mit Geld, und mit dem Versprechen, ihren Galanterien und Anmaßungen

durch die Finger zu sehen, vermögen tönte, den väterlichen Heerd zu verlassen, um hier über die könig

58

5. Das vollkoAmene WM

königliche Küche (so nante man in diesem Lanör das, was man in andern Hof nennt) unumschränkt zu herschen.

Diese

würde für die Prinzeßin

das thun, was der deutsche Mann für den Prin­

zen, und davon würde die unausbleibliche Folge sein, daß das vollkommenste Mädchen den voll­ kommensten Jüngling, und umgekehrt,

der voll­

kommenste Jüngling das vollkommenste Mädchen

lieben müßte.

Sodann waren die Wünsche bei­

der königlichen Vater befttebtgt. Dreser Vorschlag ward mit ziemlich allgemei­

nem Beifall ausgenommen, und nur Die hatten etwas dagegen, deren Stimme nicht galt, weit ihnen die Kammerherren iiub Pagen den Ekelna­

men Weise gegeben hatten.

Die königlichen

Väter aber waren ganz damit zufrieden, ob gleich der eine, dessen Großkanzler den treflichen Rath

nicht gegeben, sich ein wenig schämte, daß er ihn

nicht gegeben hatte.

Diese Regung von Schaam

fiel auf den stummen Großkanzler in einem fast «»merklich schiefen Blicke, der aber doch so gewalt­ sam auf diesen wirkte, daß er ohnmächtig wurde, und den andern Tag, in lezten Zügen, wie er

vorgab,

seine gnädige Entlassung foderte, die er

auch

bekam und mit Freuden empfing, weil er, wie er den Ueberbringer merken ließ, einen Ver-

haftbesehl zu bekommen gefürchtet hatte.

legenheit gesagt:

Der

Ge­ Die Basilisken wären aus der

Leibnaturforscher des Königs hatte bei dieser

Md der vollkommene Man«.

5-

bet Naturgeschichte verschwunden und hatten sich in die Augen der Könige verkrochen. Es wurden nun Gesandte. abgeschickt, einer

nach Frankreich und einer nach Deutschland, die von dem Großkanzler gemessene Vorschriften für die ÄZahl des Oberhofmeisters und der Oberhof« Meisterin hatten.

Derjenige, der nach Frankreich

ging, hatte Empfehlungsschreiben an einige alte Bekante des Kanzlers, die ihm bald eine Oberhof«

Meisterin verschafften, welche nach ihren Begriffen für die Erziehung einer Prinzeßin, ausserhalb' Frankreich, sehr geschickt wäre, weil sie in Frank« reich die Töchter armer Edelleute erzogen hatte.

Voll Entzücken lief sie zu einer ihrer ehemaligen Schülerinnen, um die Freude über ihr Glück mit ihr zu theilen; aber Liese verleidete es ihr, weil —

sie dies Glück gerne gehabt hätte.

Sie war von einer guten, aber armen Familie, der nichts übrig

geblieben war, als ein berühmter Name, welcher nicht zu ihrem Vermögen paßte, mithin bloß durch Stolz und Anmaßung aufrecht erhalten werden

fönte. Dadurch war sie bei allen, die keinen be« rühmten Namen aber Vermögen hatten, so lächer­ lich geworden, als diese es ihr waren; um also

einen wirklichen Vortheil über diese zu gewinnen, war die Aussicht, die sich ihr jezt darbot, sehr er­ wünscht. „Sechs oder acht Jahre Oberhof«

Meisterin," sagte sie bei sich selbst, „und damit ein paar Millionen Livres verdient, so lebe der

< L»as vEommMelDM-

6.»

der alte Glanz meiner Familie wieder in miö Sre theilte diesen'Plan in Eil ihrem Bru­

auf.

der mit, der Prämierlieutenant war, und dieser

billigte ihn nicht bloß, sondern überwand sich auch,' die Erzieherin seiner Schwester zu seiner Mätresse'

auf-und anzunehmen, doch unter dem Beding, daß sie es geheim hielte, und ihre Kostschule 6et*

behielte.

Diese schickte einen Abbe fort, der scheu

einigemal hatte merken lassen, daß er sie nur auS

Barmherzigkeit liebte, den sie aber doch aus Noth

lieb behalten hatte, warf sich dafür dem Lieutenant in die Arme, gab seiner Schwester lhre Stelle, und nahm unter großen Bedauren,

daß sie die»'

gute Stadt Paris mit einem abscheulichen Lande

verwechseln müßte, einen sehr beweglichen Abschied von ihr.

Diese reiste mit innerm Triumph m

Begleitung des königlichen Gesandten ab.

Unterdesten war der andre Gesandte in Deutsch­ land angekommen und gerade nach der Stadt ge­ reist, wo der Großkanzler die Pflanzschule von deutschen Männern gesehen haben wvlte.

fand dort zwar noch eine ähnliche Anstalt;

Er» aber

sie paßte nicht zu den Kennzeichen, die ihm der

Großkanzler

schriftlich angegeben

hatte.

Die

Zöglinge wußten nur so viel, als Kinder für ihr

Alter wissen mußten, und hatten, was sie wuß-

ten,

nicht im Herumlaufen,

und nicht durch

Spielen und Bilderbücher gelernt.

Ihre Lehrer

trugen Haarbeutel und waren fcifirt, was ganz^

wider

ttitb der vollkommene Mann,

61

wider die angegebenen Merkmaäle des Großkanz­ lers stritt, der ausdrücklich auf hinten abgeschnit­ tenes, vorn in die Stirne gekämmtes und an de» Seiten über die Ohren herab flatterndes Haar

aufmerksam gemacht harte.

Als sich der Gesandte

erkundigte, wo die Männer voir diesem Stuz und

sie waren zu Fuße, alle mit Dorustöcken, weg. gegangen und sie wohnten jezt in der Welt—Schnitte geblieben wären, sagte man ihm:

Der Gesandte war durch diese Nachricht wenig

erbaut, -und sagte, man solre ihm doch, wenn man

vor Neid dazu kommen tönte, einen bestimtern Fin­ gerzeig geben,

wo er die Manner,

die er suchte,

oder wenigstens einen von ihnen finden tönre; und da sagte ihm ein kleiner, runder Mann, mit einer

schalkhaften Miene: er solle sich in jeder Stadt,

nach dem Mann erkundigen, den die Kinder zum Besten hätten, und den die Alten für übergeschnappt hielten: so würde er finden, was er suchte. Der Gesandte folgte diesem Wink und traf

in der dritten Stadt, die auf seinem Rückwege lag, wirklich einen Mann auf den die Kinder mit Fin< gern wiesen, und bei dessen Anblicke die Erwachse­ nen die Achseln zuckten.

Er hatte einen weiß-,

lichen Ueberrock an, hinten abgcschnitteues, vorn hereiugekämmteS mrd über die Ohren hcrabflattern».

hes Haar, einen runden Hut auf dem Kopse, in, der rechten Hand einen Dornstcck und in der linken „

ein-

s. Das vollkommene WM



«m Buch, worin er, troz dem Geräusche der Kur«

der um ihn her,

tst

sehr aufmerksam las.

mein Mann,

sogleich tnit.

sagte der Gesandte,

DaS und

theilte er ihm die Absicht seiner Reift Der Mann im runden Hute schien sehr er*

freut, und fragte,

Allerdings,

ob er gleich mitreisen tonte.

erwiederte der Gesandte:

aber

wollen Sie nicht erst ihren Freunden

und

Verwandten Nachricht davon geben?

—•

„ Da hatte ich viel zu thun! “ erwiederte dieser: „ Meine Verwandschaft ist unermeßlich! “ —
.

Wehl hast du Recht! Doch ehre dich selber, mein Freund,

und

bekuck Dich selber, und rufe dir selber: Kukuk!

Chor der Faunen. Und rufe: Kukuk!

Der alte Faun. Und ihm behaget Der Rath ncch izt,

910. Und

r Apollons Hain, 910.

Unb eh es taget, Und spät noch, sizt Der Kukuk und rufet; doch fliegt er empor. So jaget ihn spottend ein zwitscherndes Chor.

Chor der Faunen. Der arme Kukuk! (Vier Faunen ergreifen den TheopompvS urtt"fra.geu ihn 111 den Waid hmcm. Man Hirt noch ihre etiKimt, bis sie sich verliert.)

91;.

Der Ha! Der Ha!

arme Kukuk! ha! ha! ha! arme Kukuk! ha! ha? ha!

Anmer-

ein Schauspiel mit Chören.

r6st

Anmerkungen.

V.iz. Der Auerhahn ist sehr scheu, die Zeit der Buhlschaft ausgenommen. Alsdann sizt er aus hohen Bäumen, lockt die Weibchen mit seinem Geschrei, und merkt nicht den nahenden Feind. Diesen Zustand nennen die Jäger da- Kollern Les Hahns. Man sagt daher im Sprüchworte von einem Jünglinge, welchem, so zu sagen, Hören und Sehen in der Leidenschaft vergeht, er sei verliebt, wie ein Auerhahn.

D. 72, Dionüsos, Bakchoö, (Bacchus) der Wein­ gott. Schweine und Ziegen wurden ihm ges ovsert, weil diese Thiere den Reben vorzüglich schädlich sind. D, 80. Hcrmas, Merkur. Jeder glückliche, zufällige

Fund ward als eine Gabe dieses Gottes ange­ sehen. Daher er auch der sehr nüzliche (V^/gj) genant ward. Als Schuzgott ward er vorzüglich verehrt von Künstlern, Kaufieutcn und — Lieben.

D. 92. Püthia, Püthias, die wahrsagende Priesterin des Apollons in Delfos. 93. 109.Alkmäna, Mutter des Harakläö. (Hercules.)

93. 126. Drüaden, Hamadrüaden, Waldnümfen; Oreaden, Vergnümfen; Najaden, Wassernümfen. 93.158. Aus Wut schleuderte Härakläs. den LichaS, welcher ihm in unwissender Unschuld das mit des Kentauren Nässos Blut benezte giftige Gewand gebracht hatte, gegen eine Klippe des MeerS. S. Sofokläs in den Trachmeriumu..

,. N. Muf.Aus. 8-.

L

93.158.

i6a

i. Apollons Hain,

D, 158.' Parafange, eine persisch-Meile, vhngefehV so groß, als eine französische Liese.

D. 160. Weil Ixion der keuschen Hiirst (Juno) nach« gestcllct hatte, ward er nach dem Tode uerbammt, ous ein horizontal liegendes, beständig kreisendes Rad gebunden zu werden. Volvitur Ixion,

& fe fequiturque fugitque

sagt Ovidiuö. Nicht seine That, seine Absicht verdiente diese Strafe. Die Göttin suchte Schur bei ih­ rem Gemale Zeus, und dieser bildete eine Wolke in Gestalt der Hstrck. Ixion umarmte diese Wolke und zeugte mit ihr die Kentauren. D. 161. Cerberus, eigentlich Kerberos, der dreiköpfige Hölienhund, D. 167. So wahr als schön sagt Wieland von einer gewissen, auch unter UNS Nicht seltnen, Art von Philosophen: Die Herren Lieser Art blend«' oft ju vieles Licht, Sie sehn den Wald vor lauter BLumen nicht.

D. 298. Horen, hie Göttinnen der Jahrs - und Tag-« zelten. D. 427. Lethe (eigentlich Latha) der Vergessenheit Strom. Aus ihm tranken die Seelen nach dem Tode um aller Mühseligkeiten des irdischen Le« . bens zu vergessen. D. 474. Den Mittelpunkt der Erde zu erforschen, liest Zeus in einem Augenblick ziveen Adler, den ei, neu vom östlichen Ende der Erde ausstiegen, den andern vom westlichen. Sie begegneten einander über Oelsos, daher auch Svfoklcks diesen Ort den Nabel der Erde nennet.

D, 47-.

dit Schauspiel mit Chören.

163 ■

D. 475. Aus der ersten Szene der Plutos im Aristo» fancls scheu wir, daß diejenigen, welche ein Orakel befragt hatten, einenKranz auf der Rückreise trugen. D. 493. Faethon, Sohn des Sonnengotts und der Klümenck. Sich und andre von seinem göttli­ chen Ursprung zu überzeugen, erhielt er durch vieles Flehen die Erlaubniß des Vaters Rosse einen Tag zu lenken, aber sie liefen durch mit ihm. AlS sie nah an den himlischcn Skorpion kamen, ließ der erschrockne Jüngling die Zügel fallen. Die Rosse kamen der Erde so nah, daß sie wäre verbrent worden, wenn Zeus nicht seinen Dliz geschleudert Hütte, welcher den Jüngling tödtete und den Wagen zerbrach. Ovidius hat diese Fabel mit dem Reichthum und der Origi» nalitüt, welche ihn so sehr von allen andern römischen Dichtern unterscheiden, im -ten Buch der Verwandlungen erzühltNach Art der Römer verwechselt er den' Sonnengott (Hstlios) mit Apollon. D. 497. Semela, war Tochter des Kadmos. Zeus liebte sie; von ihm empfing sie den BakchuS. Als sic schwanger war, kam Hstrst zu ihr in Ge­ stalt ihrer Amme, erregte Zweifel über die Person des Gottes, und beredete sie von ihm, als ein Pfand der Gottheit, zu fodern, daß er sie, wie er sich Hllrst zu nahen pflegte, mit seinen Blizen gewasnet, umarmen mögte. Die brthörte Semelst ließ sich vom Zeus die Erfüllung ihrer Bitte durch einen Eid verheissen, bat, und erbat sich vom traurenden Liebhaber den Tod, ohne zu wissen, mit welcher Gefahr die Erhö» eung ihres Wunsches verknüpft ivdre. — — — corpus mortale tumultus Non tulit aetherios — sagt Dvidmß» L 3 Zeus

i; Apollons Hain,

164*

Zeus nckhete den kleinen VakchuS fn eink seiner Lenden ein, bis er die Zeit der Geburt erreichte. D, 557. Arachna rühmte sich feiner als Pallas -n weben, und ward von der erzürnten Göttin In eine Spinne verwandelt.

D. 566. Zeus wolte, als er den alten KrorwS (Saturn) hinab ins Unterreich gestoßen hatte, die Menschen vertilgen. Der Titan Prometheus nahin ftch ihrer an. Nicht damit zufrieden, sie dem Untergang cntrtffai zu Men, echud er sie über ihren vorigen Zustand. Er nahm ihnen den Blick in die Zukunft, welcher ihnen nur schädlich war, dadurch daß er ihnen, wie der Dichter sagt, die blinden Hofnungcn gab. Au6 dem Himmel raubte er das tseittr und gab es ihnen; auch lehrte er sie Künste und Wtstenschaften. S. den gebundenen- PromäthenS des Aischülos, eins der schönsten Schauspiele dieses erhabnen und kühnen Dichters. Nach andern Dichtern soll Prometheus sogar den Menschen gebildet haben. Horaz spielet sehr schön hierauf an: Fertur Pioinetheus addere principi Limo coastus particulam undique Deleftain , et infani Leonis Vim itoinacho appofuiife nostro.

D. 770.

Eros, Amor.

V. 784. Ehe Härakläs (Hercules) sich aufdemBerge Oeta verbrämte, schenkte er seinen Köcher mit den vom Blut der Hüdra giftigen Pfeilen, sei­ nem Freunde Filvktätcls. Mit diesem Geschoß begleitete Filoktütäs die Helden auf ihrem Zuge gen Troja. Aus Unvvrsicht ließ er einen der Pfeile

ein Schauspiel. M Chören.

rHz

Pfeile in seinen Fuß fallen, mußte in £dmm^ zurückgelassen werten, und litt zehn Jahre lang wütende Schmerzen aus dieser einsamen Insel. Seines Jammers Gemälde, wie Odüsscrs und Neovtolemos, Achilleus Sehn, ihn besuchten, und weil ein (''ötte'spruch entschieden hatte, daß ohne die göttlichen Waffen des Hstrakläs Troja nicht erobert werden solte, ihn bald berauben, -ach i br.cn zu folgen bereden wo freu; wie ihm endlich Härakläs erschien, gen Troja zu reisen hieß, Hülse durch den Askläpias(Aeskulap) und den Ruhm Troja zu zerstören verhieß, erzählt uns Sofoklao in seinem herzerschütternden Trau­ erspiel Filoktutas Wie schön ihm der sanftfühlende ßenefon in seinem Tejemaquei, dem Meisterstück der französischen Poesie, nachcrzählt habe, wird jedem gefühlvollen tcser m dankbarem Andenken sein.

D. 808. Salmoneus, König des sabelvollen Thessali­ ens. Um Zeus Donner nach-,nahmen fuhr er auf einer ehernen Brücke im vierspännigen Wa­ gen und schwang eine Fackel. Zeus rcbtcte ihn mit dem Bliz in dem Augenblick, da er fuhr. Quatuor hic invectus equis, et lampada quaffd’is, Per Grajüm populos, media-que per Elidis urbem, Ibat ovans, diviimque sibi poscebat honorem. Demens qui nimbos ec non jimtabile fulmen Aereetcornipedum pu’susiinulaiai cquormn? At pater onimpotims densa inter nubila telum Contorsit, non 11le faces,' 11 ec furnea taed» Lumina, praecipnemque linrnani t’urbine adegit. Virg. a£n. VI. 587 — 94»

B. 824*

i66 l Apollons Hain, ein Schauspiel mit Chören. D. 824. DaidaloÄ war ein großer Künstler frt Athen, Schüler deS Hermäs. (Merkurs) Nach einer begangenen Mordthat siüchtete er nach Kräta, -um weisen Könige Minoö, und bauete ihn» vor drei und dreißig Jahrhunderten das be­ rühmte Labyrinth, nach dem Muster jenes älteren egyptischen, dessen Ueberbleiösel noch jezt daErstaunen der Reisenden erregen. Er selbst ward darin eingesperrt mit seinem Sohn Ikaros, machte sich und dem Knaben wächserne Flügel und flog übers Meer. Ikaros Flügel schmolzen, weil er der Sonne zu nahe kam. DatdaloS rettete sich hinüber nach Italien, widmete Apollon seine Flügel, und bauete ihm einen Tempel. Diesen schmückte er mit seiner Ge­ schichte aus. Er wolte auch das Schicksal sei­ nes Sohnes darauf anbringen, aber ihm sanken, wie der Dichter sagt, die väterlichen Hände. Bis conatus erat cafus effingere in auro. Bis patriae cccidere manus. Virg. fön. VI. 32. 33.

D. 825. Bellerofon. Einen Theil seiner Geschichte erzählet des Helden Enkel im 6sten Ges. der Ilias. Er vertilgte die Amazonen; das ge­ flügelte Roß Pagasos reitend, bekämpfte er die Chimaira, dieses fürchterliche Ungeheuer. Zulezt wolte er sich auf dem Pägasos gen Him­ mel erheben, und stürzte herab. Kühnheit, Edelmut, Keuschheit und Verschwiegenheit be­ zeichnen den Karakter dieses Helden. V. 85z. Tritonen, eine Art Meergötter. D. 896- Psittich, das eigentliche deutsche Wort für Papagoy.

a. Milü

2.

SDlidtavis^e Verfassung des okmannifchen Reichs.

Beschluß.

Retigion befiehlt sowol den Mohamme* Lauern als den Christen, daß sie mit ihren eige­ nen Glaubensgenossen Leinen Krieg führen, sondern mit selbigen in Frieden leben sollen. Dies tvtvb nun freilich eben so wenig von den Mohammede nern als von den Christen beobachtet. Man wird, aber nicht leicht eine mohammedanische Macht fin­ den, die sich, mit einer christlichen Macht gegen feinen mohammedanischen Nachbarn verbunden hatte; selbst Machmüd Pascha zu Seutarl, der sich gegen seinen rechtmäßigen Herrn aufgesezt hat, und noch mit demselben in einem öffentlichen Kn> ge lebt, verwarf die Anerbietungen des Kaisers, als dieser gemeinschaftliche Sache mir ihn: gegen die Pforte machen wolte. Erbietet sich aber ei­ ne christliche Macht der Pforte gegen eine andere christliche Macht, von welcher sie etwas zu furchren hat, Beistand leisten zu wollen, so verwirft silbige einen solchen Antrag nicht. Sie wird die Christen, die ihren christlichen Feinden Abbruch, thun,

2. Militärische Verfassung

i6§

thun, dafür auch gut bezahlen, und ihnen, so lan­

ge sie sie braucht, sehr freundschaftlich begegnen;

denn die Otmanly sind mcht rohe Barbaren, wie einige Europäer sie zu nennen belieben, sondern we.'n sie Vortheil davon erwarten tonnen, so sind

ihr - Vornehmen so fein, als irgend eine Nazwn in Europa.

Ueberhaupt genommen aber verach­

ten die Otmanly die christlichen mit thuen gegen

Christen verbundene Nazionen nicht weniger, al* die übrigen Europäer.

Sie sind mißtraursch ge-

geil alle, we'che sie Dsiaur nennen, und

glauben

selbst darin einen Beweis ihrer Treulosigkeit und daß sie keinen Gott glauben zu finden, daß sie sich

f ?' Geld gegen ihre eigene Glaubensgenossn brau­ ch n lassen.

Ist die Pforte des Krieges mit einer benach­ barten christlichen Macht

überdrüßig, so schließt

sie mit derselben einen Frieden; aber keinen ewi­

gen Frieden, wie das unter den Europäern gewöhn­

lich ist, sondern emen Waffenstillstai d ans bestimte Jahre, und sie pflegt zu behaupten, daß sie ihrvrsetts diesen Waffenstillstand

getreu

erfülle.

Man will davon z. B. anfuhren, daß der Sultan das Haus Oesterreich nie angegriffen habe, wenn es bereits mit Frankreich Krieg führte,

lezteres

auch der Pforte den Nuzm davon ver­

gess llt hat. würde

wie oft

Einer, dem ich sagte, die Pforte

das Haus Oesterreich in große Verlegen­

heit gesezr haben, wenn sie mit demselben zur Zeit des

. des olttumnischen ReichSr deö preußischen Krieges gebrochen hatte, antwor> tete mit einer Art Verachtung:

Die Deutschen

hatten ihre Säbel gegen den König von Pr-uifin wir lebten mit ihnen in Frieden; hol­

gezogen;

ten wir sie von hinten angreifen? Der Waffen,

stillstand der Pforte mit ihren christlichen Nach?

baren ist unttrdeß auf der Grenze oft n;cht viel besser als ein beständiger Krieg.

Dies ist eine

Folge ihrer schleckten ReqierungSverfassung. Mit­

ten im Reiche zieht nicht selten eine Horde

ge­

gen die andere, ein Beglerbegk gegen den andern

auf einige Monate zu Felde, ohne daß die Re­ gierung sich darum im geringsten bekümmert; eben so glauben auch die in den Grenzfestungen liegen­

de Juntscharen und die aus dem Lande vertheilt

wohnende

Spahi sich

für Beleidigungen

Recht verschaffen zu müssen.

selbst

Sie finden sich

aber von den Christen in den benachbarten Dör*

fern schon oft beleidigt, wenn diese sich von ihnen nicht eben

so

behandeln

lassen wollen, als die

griechischen Unterthanen des Sultans sich solches

gefallen

lassen müssen.

Dann turnt das gan­

ze Korvs dieses als eine Beschimpfung: und zum

rauben und plündern

sammen.

kömt bald ein Haufe zu­

Mit aller seiner Macht kan der Sul­

tan das nicht verhindern;

da es aber der Pfor­

te öfters sehr ungelegen fallen tonte, wenn das ganze Reich wegen eines seichen Einfalls in ein

fremdes Gebiet sich m einen Krieg vernickelt, se­ hen

2. Militärische Verfassung

F7D

hen softe, so ist selbige genöthigt, bey einem Waf­

fenstillstände mit einer christlichen Macht gar auszubedingen, daß es noch nicht für einen Friedens­

bruch gelten müsse, wenn etwa ein Haufe von ei­ nigen Tausenden ihrer Truppen ohne Kanonen über

die Grenze gienge, wobei den der benachbarten christ­ lichen Macht allerdings die Freiheit, Gewalt gegen Gewalt zu sezen, und die Räuber wieder zurück

zu treiben gelassen werden muß. Wie oft auch schon die Otmanly die Wirkung der

europäischen Artillerie erfahren haben, so schämen die Janitscharen und Spahi sich doch noch immer,

sich derselben bei ihren Korps im Felde zu bedie­

nen.

Diese nennen nur den tapfer,

der einen

starken Arm hat und den Säbel oder die Lanze

geschickt zu fuhren weis; und wenn sie Horen, daß auch die Regimenter der Europäer Kanonen füh­

ren, so halten

sie das

Zaghaftigkeit.

Wenn aber mit dem Sabel und

für einen Beweis ihrer

der Lanze noch jezt große Schlachten gegen die

Europäer zu gewinnen wären, so würden die St-

manly bei allen unter ihre Truppen eingeschliche­ nen Unordnungen noch immer fürchterlich sein.

Religion, Gesezgebung, Vcrurtheil und brachte

Gewohnheiten,

herge­

alles hat sich vereinigt,

um bei ihren Truppen persönliche Tapferkeit an-

zuspornen.

So ist es gewiß kein geringer Vor­

theil für den Anführer einer otmannischen Armee,

daß Mohammed

seinen Anhängern alles Spiel um

deß otnrarmischen Reichs.

171

um Geld und alle starke Getränke verboten hat. Nicht gerechnet, daß ihre Kneger ihr Geld weit nüzlicher anwenden können, als zu Wein und Brantwein, sind selbige allezeit nüchtern (daß ei­ nige sich des Abends ingeheim betrinken, kan nicht gerechnet werden) und viele Unordnungen, die Folgen der Trunkenheit und des Spiels zu sein pflegen, werden vermieden. Zudem erklären die Mahommedaner jeden Krieg gegen die Christen für einen Religionskrieg; die otmanniscben Trup­ pen glauben also nicht blos die Sache des Sultäns und des Reichs, sondern Gottes Sache zu vertheidigen. Giebt es gleich unter den gemei­ nen Leuten, welche der Armee folgen, solcher genug, die nur selten beten, so bezeigen doch alle Krieger, von dem Wesir el asem an, bis auf dem Soldaten (wenigstens äusserlich) die größte Ehr­ furcht vor Gott. Die ihnen vorgeschriebenen Gebete werden täglich, auch im Lager, gehalten, und dies mit großer Feierlichkeit. Die Otmanly halten besonders ein inbrünstiges Gebet vor einer Schlacht, und bitten Gott, daß er ihnen, so wie ihrem Propheten, ein Korps Engel zu Hülfe schicken möge, um ihnen behülflich zu sein, den Sieg über die Ungläubigen zu erhalten. Sie ergeben sich gänzlich in den Willen Gottes, als welcher es vorher bestirnt habe, wann und wel­ chen Tod einer sterben soll; sie verlassen sich darauf, daß der Sultan ihre Tapferkeit belohnen werde,

2. Militärische Verfassuüg werde, wenn sie mit dem Leben davon kommen,

und alauben gewiß, daß sie gerade ins Paradies eingclwrr werden, wenn sie ihr Leben in der Ver­

theidigung der Sache Gottes verlieren:

Steifen

sie den Feind unter

funa des Namen Gottes mutig an. Armee

und so

beständiger Ausru-

Wenn die

nicht gehörig mit Lebensmitteln versorgt

ist, oder die Löhnung zu der bestirnten Zeit nicht

prompt ausbezahlt wird, so ist leicht ein AuftUhk zu befürchten, welcher selbst dem Anführer

Armee gefährlich' werden kan

aber nur selten beigelegt, wenn

der

Demselben wird

von den Soldaten die Schuld

eine Schlacht

verloren wird;

man glaubt vielmehr, Gott habe solches vorher beschlossen,

um sie

ihrer

Sünden

wegen

zu

strafen.

Es ist zwar in den lezten hundert Jahren,

in denen die Ormanly keine Eroberungen gemacht haben,

nicht mehr so leicht gewesen, Lehngnter

zu erwerben, im Kriege aber werden dergleichen immer ledig:

und in der Hofnung, davon eins

zu erhalten, verkauft noch mancher Handwerker

alles, was er hat, und schäft sich ein Pferd an,

um für Gott zu streiten, und dafür in dieser und jener Welt belohnt zu werden.

Wenn ein Ot-

manly Beute macht, so weis er wie viel er dem

Gesetze nach davon

abgeben muß;

das übrige

ist

fein Eigenthum. Auch wenn er einen Feind lebendig zurück bringt, so wird der sein Sklav, von

Hes otmarinischm Reichs:

173

von dein er sich bedienen lassen, oder ihn wieder verkaufen kan.

Daß die

Soldaten für jeden

feüidllchen Kopf ein gewisses Stück Geld zur Be­

lohnung erhalten, ist wohl nur eine Gewohnheit, die von wohldentenden Mohammedanern - wegen des davon unzerrrenlichen Misbrauchs, nicht an­

ders als verabscheuet werden kan;

aber der ge­

meine Mann sieht diese Gewohnheit als ein Ge»

sez an, das er nicht abschaffen lassen wird. Auch giebt der SultLn, welcher nicht reich genug ist, um alle die mit Zulagen und gar Lehngürern z« beschenken, so darauf Anspruch machen wolle», an

seine Offiziere und Soldaten Ehrenzeichen, die sie zum Beweise ihrer Tapferkeit am Turban tragen können.

Diese und andere Vortheile sicht ein Otmanly vor sich, der sich im Kriege durch seine Tapfer»

fett auszeichnet.

Schimpf und Schande ist da­

gegen sein Lohn, wenn er sich von Christen zu­ rücktreiben laßt, oder gar eine Festung übergiebt, in

welcher

mohammedanische Bürger

und folglich Moskeen sind.

wohnen,

Erhalten die Bela­

gerten einen freien Abzug, so muß das Oberhaupt derselben gemeiniglich doch seinen Kopf verlieren; denn er hat dem Befehl der hohen Pforte, nach

welchem er seinen Posten gegen die Ungläubigen vertheidigen solle, nicht befolgt;

ob er dazu ge­

hörig untcrstüzr worben ist, das wird nicht un­ tersucht.

Muß die Besatzung sich als Kriegöge« fan-

2. Militärische Verfassung

1^4

sangen« ergeben, so hat sie nicht viele Hofnung, daß dir Negierung sich weiter um sie bekümmern «erde:

und der Gedanke, daß ein Muslim auch

Zeitlebens ein Sklav der Dsjaur seyn soll, über welche er sich so sehr erhaben zu sein glaubt, ist

ihm so fürchterlich, als es einem europäischen Edel« mann

nur

sein kan, wen» man ihn nöthigen

welke, sich iit die Knechtschaft leibeigener Bau« er» zu begeben.

Viele bilden sich wol gar ein,

daß sie bei de» Christen eben so wie die christli­

chen Gefangene» bei ihnen behandelt werden; daß nemlich der Gefangene ein Sklav des Soldaten-

wird, dem er sich ergeben hat, und daß dieser ihn nach Gefallen zu allen niedrige»

ihn auch verkaufen könne.

Arbeiten

brauchen,

Bei solchen Umstän­

den darf man sich also darüber gar nicht wun­ dern, wenn die Otmanly sich in Scharmäzeln so tapfer halten, und ihre schlechten Festungen auf

das hartnäckigste vertheidigen, oder vielmehr so verzweifelte Ausfälle wagen; denn wenn sich nicht

etwa französische Kanoniere in einer Festung fin­ den, so werden sie den Belagerern mit ihren Ka­

nonen wol keinen großen Abbruch thun können. Die Vortheile, welche theils der Korän und

theils die KriegSgesrtze den Truppen des Sultans versprechen, die sich gegen die Ungläubigen tapfer

halten, sind so groß, daß sie manchen gar zur Toll­

kühnheit treiben.

Alle ziehen in den Krieg, um

ihr Glück zu machen,!'aber mancher kan die Zeit

nicht

deS okmannifchen Reichs.

175

nicht abwarten, bis selbiges ihm günstig sein will. Diejenigen welche ihr Brod zu Hause verdienen zu können glauben, verlassen die Armee hausen­ weise, gehen wol gar nach bctf Hauptstadt, und schimpfen da öffentlich über den Anführer der Truppen und alle Anstalten der Regierung; die Ausreisser werden nicht weiter gestraft, als mit Verachtung, und daß .man ihnen ihren Sold nimt» Andere, die zu Hause keine Arbeit zu bekommen wissen, oder nicht arbeiten mögen, aber das ihrige bereits verzehrt haben, oder aus an­ dern Ursachen ein kümmerliches Leben führen müssen, das fle nicht langer ertragen mögen, er­ greifen die erste Gelegenheit, um entweder zu siegen oder zu sterben. In der gewissen Ueber­ zeugung, daß sie für Gort streiten, rennen die Schwärmer ohne alle Ueberlegung auf den Feind los, und sind des Vortheils zum voraus versi­ chert ; denn wenn sie so glücklich sind, den Kops eines Feindes, oder gar einen Feind lebendig zu­ rück ins Lager zu bringen- so haben sie ausser der Ehre, ein Recht zu verlangen, daß ihre zeitlichen Umstände wo nicht vrel, so doch um etwas ver­ bessert werden; hat aber Gott beschlossen, baß sie bei dieser ihrer Unternehmung ihr Leben ver­ lieren sollen, fb erwarten sie nach der Versiche­ rung ihrer Religion, daß sie gerade ins Paradies eingehen werden, welches Mohammed so reizend smlich beschrieben hat. Aber

13&

& Militärisch? Verfassung Aber bloße

persönliche Tapferkeit mit

der

größten Versicherung, daß solche nicht tun* in die­ sem sondern auch im künftigen Leben reichlich be,

lohnt werden soll, .ist jezt nicht mehr hinreichend

gegen ihre benachbarten christlichen Machte. Die

Europäer haben

es von

den Otmanly

gelernt,

was eine stehende Armee auszurichten im Stan­ de ist, jezt müssen wiederum die Kriegswisscnschaften von

Otmanly. die

den Europäern lernen,

wenn sie aus den Landern, die sie der Christen­ heit entrissen haben, nicht wieder vertrieben wer"

den wollen.

Anstatt aber, daß diese, wie in allen

andern Kentnissen, so auch in der Kunst Krieg zu

führen in den lezten hundert Zähren die größten Fortschritte

gemacht

haben,

sind die Otmanly

darin nicht um einen Schritt weiter gekommen. Die

Spahi und Janitscharen, ihre besten Solda­

ten, kennen noch jezt keine andere Kriegsübungen als die, welche

vor

200 Zähren bei ihren Ar­

meen gebräuchlich waren, und auch darin sind sie nur schlecht geübt;

die

große Menge der von

den Paschen aus den verschiedenen Provinzen zur Armee"

geführten Truppen

was Knegsübungen sind;

sich in einem schlechten,

weis noch weniger, die Artillerie befindet

und

die Flotte

in ei­

nem rwch schlechtern Zustande; die Taktik der Eu­

ropäer ist den Aliführern ihrer Armeen, noch ein ganz fremdes Ding.;

sie kennen nur den (leinen

Krieg, und müssen eine entscheidende Schlacht zu

-deS otmqnnischen. Reichs.

17?

vermeiden suchen. Die Franzosen haben sich zwar

alle Mühe gegeben, sie in der Artillerie, in M Ingenieurkunst und gar in der Taktik zu unterrichten;

man will ihre Gelehrigkeit rühmen, und gar ver­ sichern, daß ihr Kriegswesen seit ihrem lezten Kriege mit den Russen schon sehr viel verbessert wor­

den sei.

Nach meinem Urtheile aber können die

Otmanly von allen den hungrigen Europäern, die ihr Glück zu Konstantinopel gesucht, und sich des­

wegen zum

Theil

gar haben beschneiden lassen,

nichts weiter gelernt haben, als bessere Kanonen

zu gießen.

Zn

der

Zngenieurkunst, Artillerie

und Tactik werden sie es niemals weit bringen; Md so. ist es unmöglich, daß sie ihren mächtigen

christlichen Nachbaren noch lange W-derstand thun

tonnen, wenn sich nicht Christen mit ihnen gegen Christen verbinden, um eine Nazion, die so vie­

le christliche Reiche zerstört hat, und noch jezt alle Christen so verächtlich behandelt, noch ferner in Europa zu erhalten.

Gott hat den Mohammedanern freilich eben so gute Geistesfähigkeiten gegeben, als den Chri­

sten,

und

es fehlt bei ihnen auch nicht gänzlich

an Leuten, die wollen;

ihre

Kentnisse

gern erweitern

allein um die Kriegswissenschasten von

fremden Nazionen zu lernen,

müssen die Otman­

ly es doch wol so anfangen, wie die Russen es

gemacht haben.

Diese waren noch im Anfänge

des gegenwärtigen Jahrhunderts ein rohes Volk;

sr. Mus. Aus. 89*

M

aber

^Militärische DerfaffM-

t7k

aber -er Regent mvarb sich unter' ihnen zuerst selber Kenrnisse,

er bediente sich fremder Genera«

le, als Anführer seiner Armeen, ja ganzer auslän»

auch Ingenieure, Artilleri­

bischer Regimenter, sten.

Die Fremden wurden geehrt, die vvrneh»

mm Russen lernten fremde Sprachen; sie mußten reisen, um stch mit den Wissenschaften und Sitten

anderer Nazivncn bekam zu machen.

Da sie be-

reits Duchdruckereien hatten, so wutden die Gei«

steswcrke anderer Nazionen

immer mehr und mehr unter

durch Uebersezungen ihnen

verbreitet:

und so haben die Russen nun schbn selbst tüchtige

Ingenieure, Artilleristen, ja Generale, obgleich man leztern noch bei weitem nicht die taktischen Kent«

niffe einräumen will,

die man von einem deut«

schm oder französischen General verlangt. gegen hat

Da­

der Regent des otmannischen Reichs

nichts gelernt

und auch nichts gesehen;

er

ist

erst im Alter aus dem Gefängniß hervorgezogm

und auf den Thron

erhoben, wo er ein großes

Reich regieren soll ohne es zu kennen, und ohne zu wissen, was regieren sei.

Die Regierung ist

in den Händen der Vornehmen, welche zu allen

Intrigen erzogen sind, indem sie sich nur dadurch empor schwingen und in ihren Bedienungen er­

halten können.

Ohne von ihrer eigenen Religion

vielmehr zu befolgen, als die äusserlichen Zeremo­

nien, welche sie genau.und vor aller Welt Augen

beobachten

müssen, wenn sie nicht des Unglau­ bens

be-vtmannifchm Reichs.

179

be«s beschuldigt werden, und dem Sultan dadurch eine Gelegenheit geben wollen, sich ihres Vermö« gen« zu bemächtigen, verachten sie die Europäer

als Ungläubige;

und da

eS

ihnen an

guten

Duchdruckereien fehlt, so können nicht einmal Ue. bersezungen von Büchern aus fremden Sprachen

bei ihnm Eingang finden. *) Der Sultan hat nicht

einmal Dollmetscher von seiner eigenen Nazion, wann europäische

Mächte

Gesandte

nach Kon«

stantinopel finden, nm HandlungS • oder Friedens» traktaten zu errichten, oder wie die Otmanly in

ihrem dummen Swlz sagen,

um sich dem Schu­

bes Sultans zu unterwerfen;

man bedient sich

zu Unterhandlungen mit den europäischen Gesand­ ten allezeit Griechen, als wenn es für einen Ot­

manly eine Schande wäre, die Sprache der Eu­

ropäer zu-reden.

Die Pforte hält es für. über«

flüßig, Minister an europäische Höfe zu schicken, M a

(die

») Oie Pforte hat zwar den Nuzen der Duchdruckerek eingesehen , und einen Renegaten untcrstüzt, um dergleichen auch zu Konstantinopel anzulegen, die Druckerei ist aber nach dessen-Tode wieder eingo» gangen. Vor einiger Zeit hak man zwar angcfan« gen selbige wieder herzustellcn, indeß werden noch sehr viele Jahre ersodert werden, bevor d>e Dru­ ckerei bei dieser Nazicn emporkommen kan. Theils find die türkischen Schriftzüge zu verwickelt, und daher zu. kostbar, um im Druck gut nachgeahmt zu zu werden, und dann ist es auch verboicn, die Art Bücher zu drucken, wodurch die Druckereien zu­ rrst in Europa empor,käme», oemlich geistlich«

Bücher.

igpr

2,'Millkapifche Verfässünß

(Hie mropäischen Minister zu Pera, fagttt'fTe/fop

sm uns durch ihre Dolmetscher alles wissen, was

bei ihnen vorgeht und uns intexeßiren kan) und andere vornehme Otmanly können-vollends keine»

Reiz haben, die Länder der Europäer zu besu­ chen.

Da unsere Sitten und Gebrauche so gak

sehr von den ihrigen verschieden sind, so kan kein Otmanly Vergnügen in unserm Umgänge finde»;

und wann einer vdtt-ihnen das Geringste von un­ sern Gebräuchen sötte nachahmen wollen, so wür«

He man schreien, er sei nicht mehr em Muslim, (Rechtgläubiger).

Bei dem Militär« kan kein

Christ, also auch kein Europäer ein gemeiner Soll

Hat werden, ohne -daß er seine Religion und damit alte seine vorigen Sitten und Gebräuche verän-

bett; und da die verschiedenen Korps der regulir-

krn Truppen sich selbst regieren, so wird man sich bey denen schon hüten, europäische Offiziere unter

fich aufzunehmen.

Die ganze Armee würde in

Aufruhr kommen, wenn der Sultan einen euro­ päischen Offizier in ein Korps einschieben wokte.

Auch kan kein europäischer Offizier mit Ehren bei einem Korps der Otmanly dienen. Weil lez-

tere sich vermöge ihrer Religion fleißig waschen

und baden, da sie allezeit vor und nach dem Es­ sen ihre Hände waschen,

und eS ihnen bekank

ist,

daß die Europäer nicht so sehr auf die Rein­ lichkeit des Körpers halten, so verachten sie uns schon deswegen: und- da sie uns nur, W)> be­

ten

che^okmasinifchm Reichs.

«8i

cm schen, anstatt • daß sie täglich fünfmal vor cte ler Welt Augen beten, so'.'glauben' sie wir bete» gar nicht. Auch darf kein' Mohammedaner bet einem Christen Fleisch essen , wen» es nicht von einem Mohammedaner geschlachtet ist? sie haben mehrere Gcseze und Gebrauche, nach) welchen st« glauben, weit gesitteter und über die Dsjaur er» haben zu seyn. Und welcher ehrtiebender Eurö» päer würde also wol in einem Korps diene« wollen, - wo auch der geringste- Soldat ihn nicht nur wegen seiner Religion- sondern auch wegen seiner Sitten »erachtet?- Da die Mvhamtneda» nischen «nd> heidnischen Prinzen In Indien ganz« Korps französischer Truppen in ihrem Dienste ha­ ben, so al'aubt man vielleicht, daß auch der Sich tän durch dieses Mittel die- europäische ^Kriegs» diseiplin bei seiner Armee «erde einfühten tön* mn. ' Aber die Janitschareu und Spechi würden kein solches' Korps Europäer neben sich leiden, selbst die irregulären Truppen würden «ichs mit ihnen fechten wolle«; in der Nähe des Feindes würd« man die Europäer zuerst anfopfern. Selbst die vornehmen Otmanly, von dem Groß. Wesir an bis auf den geringsten Pascha, können di« bessern militärischen Kenkniffe- eines europäischen Offiziers nicht einmal beurtheilen. Sie verlan­ gen newlich von einem Offizier, daß er seinem Gegner mit dem Dsjend (einem Stock etwa ; Fuß lang) Armund Bem entzwei werfen,, daß er

I8>

H. Militärische verfassmG

er im-stärkste» Galop einen auf tee Erde gt* stellten Topf mit einer Kugel treffen, und ander« dergleichen Kunststücke machen könne: und da et einem europäischen Offizier darin em Fertigkeit fehlt, so wird er für einen Stümper gehalten. Auch die Araber nennen die mohammedanische Religion die einzige wahre Religion, und die Christen Ungläubige. Einzelne Beispiele ausge­ nommen aber, wvmach. man keine ganze Nazio» beurtheilen kan, habe ich bei diesen keinen Stele, gioushaß bemerkt, selbst Scheche und Beamte in den Provinzen haben sich freundschaftlich gegen mich gezeigt. .Dagegen haben alle Otmanly, d. i. diejenigen, welche ich von denen kennen zu lernen Gelegenheit gehabt habe-, welche im Dienste det Sultans stehen, von dem Pascha an bis auf de» Soldaten, -gleich beim ersten Anblick so etwas ge­ zeigt, wodurch ich nicht undeutlich merkte, daß sse sich weit über die Christen erhaben zu fein glaubten. Die vielen französischen Offiziere, welche fich während des vorigen Krieges mit Rußland, zu Konstantinopel aufgehalten haben, mögen vielleicht alle mit dem stolzen Gedanken dahin gereiset fein; bei der Armee des Sultans angesezt zu wer» Len, und die Otmanly auf diese Art mit der Kriegskunst der Europäer bekant zu machen. Bei der Pforte aber ist es wol Niemanden einge­ fallen, fich dieser geilte anders zu bedienen, als bei

des otluaUiischen Reichs.

i81

der ' Ausbessermt- ihrer Grenzkstlmgev, beim Kauonengießen und beim Sckifbau, wo man sie als Handwerksleute betrachtete. Wenn emigL derselben von der Pforte als Schullehrer angesezt wurden,, so geschah dies wol auf Empfehlung des französischen Ambassadeurs,, welcher die Untct< thanen seines Herrn bei dessen Bundesgenossen doch nicht gern verhungern lassen wolte. Hat* ten nun diese Herrn erst gut türkisch gelernt (welches keine so leichte' Sache ist) so mag es yen auch nicht an Schulern gefehlt habeu^ Eö giebt unter dm Schulmeistern, Schreibern und Halbgelehrten zu Konstantinopel genug, die ihre Kentni sse gern erweitern wollen, und unter diesen einige, welche es nicht für erniedrigend halten» von einem Christen Geometrie^ Erdbeschreibung», mathematische Zeichnungen u. dgl. zu lernen, tu* dem ihnen dies alles auch nüzlich und angenehm, sein kan, wann sie in . ihre vorige Laufbahn wie­ der zurückkehren müssen. Aber wirkliche Offizie* re, oder Sohne vornehmer Otmanly, die sich zu. Offizierstellen Hofnmtg wachen tonten, werden sich schwerlich zu einem Dstaur in die Schule bege-r hen haben. Bon allen mohammedanischen Sckw* lern der Franzosen aber sind wol nur sehr wem'-ge bei der Armee als Offiziere.angcstzt worden^ und von diesen Wenigen hat -sich vielleicht kein, einziger unterstanden, mit seinen» geringen Kentz^ Nissen» rvMß, nicht großer, haben sein timvtty als

184

2. Militärische Verfassung

als die eknes Kadetten von einer Militärakademie in Europa, hervorzutreteu, um nicht von seinen Odern ausgelacht und verspottet zu werden. Also Sprache, Religion, politische und militarifche Geseze, Vorurtheil, Sitten und Gebräuche trennen die Otmanly von den Europäern, und so müßte es wol durch ein Wunderwerk geschehen sein, ivenn selbige bte Kriegswissenschaft der Euro­ päer, worauf diese bei ihren vielen Hülfsmitteln so viele Jahre gewandt haben, in so kurzer Zeit von französischen Schulmeistern gelernt hätten. Gott wird aber wol kein Wunderwerk verrichten, um die Otmanly klug zu machens und die, welche deren große Fortschritte in der Kriegswisi s-nfchast der Europäer so sehr rühmen, sind also wol parteiisch, oder sie wissen es selbst nicht, wel­ che Kentnisse von einem tüchtigen Offizier ver^ laNgt werden. Wie wenig die Otmanly die europäischen Offiziere zu nuzen wissen, das sieht man schon daraus, daß viele der leztern, welche Mohamme­ daner geworden sind, sich unter die Dienerschaft dieses oder jenen Pascha haben stecken lassen, und fb selbst die Kriegsübungen der Dh agafi lernen müssen, ohne daß man etwas von' ihnen zu ler­ nen verlangt hat. Dii Verachtung, welche man vdrher gegen solche keüte als Christen hatte, hört zwar huf, wann sie Mohammedaner geworden sind. Aber auch gegen die Renegaten Hat man ein

drs otmannifchen Reichs.'

i-z

ein türkische« Sprichwort sngt;

ein Vörurtheil;

daß der, welcher seiner Religion und seinem Va­

terland» ungetreü geworden i|t, auch seinem neuen

Herrn nicht mit Eifer dienen werde. zösischer Offizier,

der

Ein fran­

im siebenjährigen Kriege

in die Gefangenschaft de« König« von Preussen

gerathen war, bei demselben Dienste genommen/ und e« unter den leichten Truppen bis zum Ritt­

meister gebracht hatte, war verabschiedet,

in der Hofmmq

tmfr

nach Konstantinopel gegangen,

dereinst ein Pascha zu werden.

Al« Mohamme­

daner ward er bald angenommen;

er erhielt

auch nothdürftig zu leben, aber weiter ward er

nicht geachtet.

Er fand bald, daß er bei bett

Zanitscharen und Spahi

nicht angesezt werden

fönte, und richtete also sein Augenmerk auf- die-. Artillerie.

Aber auch da war kein Mangel an

Otmanly, welche die Offizierflellen bereit« bekleid

deten, oder dergleichen suchten. die

Nun hatte er

Dreistigkeit eine türkische Uebersezung

einer

kleinen Schrift zu übernehmen, die von der Artil» lerie handelte, und ihm ward auch dafür eine gut

te Belohnung ausgesezt. ' Als aber der Großwe-

ftr, welcher in dergleichen

Fallen keinen Schech

versteht, ihn antreiben ließ, die Uebersezung end«

lich zu liefern, hielt er efi für rathsam, sich von Konstantinopel

heimlich weg zu

machen.

Ich

traf ihn zu Halcp als einen Otmanly gekleidet, an;

er hatte aber die preußische, Uniform noch? bei

2.. Militärische Verfassung

rz6

bei sich, und war bereit in Persien ein Schiit, ob« tri den Holländern in Zndien ein Protestant zu «erden, wenn er wiederum eine Kompagnie er­

Den Engländern traute er nicht»

halten tonte.

Ich ricth ihm, bei einem mohammedanischen oder

heidnischen

Prinzen in Zndien Dienste zu su­

chen, weil selbige die

Kriegskunst der Europäer,

besser zu schazen wüßten als die Otmanly, und

weil er daselbst viele Landsleute würde antreffen

können. Daß ein solcher Abentheurer sein Glück bei,

den Otmanly nicht hat finden können, kan sich Niemand wundern.

darüber

Aber auch Euro­

päer, die wirklich Wissenschaften befizen, wodurch Ke der Pforte nüzlich werden fönten, und Eifer

genug, um sich ihrem Dienst ganz zu ergeben, su­

chen ihr Glück bei derselben vergebens. , Der be­ rüchtigte Graf von Beispiel dienen.

Bonneval

kan davon

zum

Die militärischen Verdienste

dieses ehmaligen kaiserlichen Generals wäre« bei

der Pforte bekant, so wie auch das, daß er . nicht

wieder zu den Europäern zurückkommen durfte. Er leistete dem Sultan im Kriege

gegen

daS>

Haus Oesterreich (vielleicht nicht soviel aus Eifer

für seine neue Glaubensgenossen, als um sich an feinem vorigen Herrn zu rächen) große Dienste?

«r tonte es aber doch nicht dahin bringen, daß er drei Roßschweife erhalten hätte, obgleich ihm

tu den unter seinem Namen herausgekommenen Me»

des ottnannifchtn Reichs.

itl

Memoiren, gleich beim vebertritt zur mvhamme» dänischen Religion drei Roßschweife beigelegt wer» den. Er war nur Pascha von zwei Roßschwei, feu und Kumbaradsji baschi, d.i. Chef über die Dombardirer, ein kleines Korps, welches mit dem Korps der Artillerie verbunden ist, dessen Chef Tübdfji baschi genant wird. Ucberhaupt hat Bonneval von seinen neuen Glaubensverwandten gewiß nicht die Achtung genossen, die man ihm vorher im Dienste des Königs von Frankreich und des Kaisers erwiesen hatte. Es ist mir nicht bekant, in welcher Verbin­ dung dir Dombardirer mit den Artilleristen, der Chef der erster» mit den» Chef der leztcrn steht, aber das ist unstreitig, daß Donneval dir Artillerie des Sultans sehr verbessert hat. Es war nicht seine Schuld, daß nicht auch dir ganze europäische KriegSdisziplin bei der Armee des Sultans ein. geführt ward; er hätte feine neuen GlaubenSge« nossen gern mit Gewalt klug gemacht, wenn es in seinem Vermögen gewesen wäre. Aber die Zanit« scharen wolten von keinen Neuerungen wissen, die Vornehmen am Hofe kanten DonnevalS unterneh­ menden Geist, und glaubten vielleicht, daß wenn er Groß. Wesir geworden wäre, er auch noch wok Lust bekommen könte, Sultan werden zu wollen, p« arbeiteten daher allen seinen Vorschlägen nit* gegen. Zeder andere ehrliebende europäische Offizier würde bald überdrüßig geworden sein, seine Boi?»

i*t

sc MilitariWe iBerfassmrst

VorDligr von unwissenden Obern beurtheilen, uvL verwerfen zu lassen; der gewesene Graf von Douneval aber mußte alle Demütigungen von Beuten, die er im Herzen verachtete, ertragen ; er konte in seinen vorigen Stand nicht wieder zurückrretem Er starb den 2zren Marz 1757, und liegt zu Pera ans dem Todtenacker bei dem Kloster der Mevlavre begraben. Man hat ihm eine weitlauftige türkische Inschrift gese-t, wovon folgendes eine Uebersezmy ist, die ich zu Halep von dem Kaufmann Herrn Pury erhalten habe. ' Bonneval Achmed Pacha, que tout le mönde connoit, Abbandonna fon patrimoine pour embraffer ' la foi mahometane. sl s’acqmtala veriteun renom parmi les fieris/ Mais en venant parmi les Mufalmans il y gägna la gloire & Pimmortalite. Ce fut uh sage du iiecle, qui eprouva la grau* ’’ ' r deur & la baffeffe, Et qui connoiffant le bien & le mal, distingua la beaute de la laideur. Plameihent perfuade de la caducite des chofes *L; 1 de ce monde; II 6pia l’heureux inoment de paffer a feter* nit& Et hüt le calite la hqiti qui fe rencontre £tre£ La nult de la naiflance du plus glorieux deä ' prophetes. r ? Ce

deS otMcklnrschen Reichs:

, »R9

Ce fat Theureux tems, qu>il choifit/ pour fe rendre a la mesericorde « Et paffer fans hdfiter de cette vie a fautre, Que le Paradis foit la retraite de Bonneval Achmed Pacha. Le 12 de la Luue de Rebbi-Ewel u6o de P Egire. .

r.. NB. Wenn die Buchstaben -dieses kleinen Ge­ bets als Zahlen angesehen, und zusammen gethan werden, so bekomt man das Jahr n6o. - Auf einer kleinen Carfouche steht noch fol­ gende Ermahnung,

49

stand und ihr Herz nach und nach zur Festig­

keit leitete.

Allmahlig lernte die Prinzeßen wie­

der schmecken, fühlen und riechen, urtheilen und empfinden, und sie kam endlich auf den Punkt, wo weibliche Zartheit,

die von Berzärtlnng so

weit, als von männlicher Derbheit entfernt ist, stehen muß, um in dem ganzen Glanze und mit dem ganzen Zauber ihres ursprünglichen Wesens

zu glanzen und zu wirken.

Mit der Umbil­

dung der Prmzeßin hielt die Umbildung des Ho­ Man lernte

fes Schritt.

wieder laut reden,

man fürchtete sich nicht mehr vor Gewittern, die

Klecken,

die allgemein M§de geworden waren,

wurden eingestampft und zu nüzlichen Geschirren

umgeblasen, die Blumengärtnerei kam wieder in und eine Menge Modenhandler wurden

Flor,

bankerot.

So

stieg das Nüzliche jeder Art,

durch das wohl abgewogene Benehmen der neuen

Oberhofmeisterin, was durch die Thorheiten der alten gesunken war. Der neue Oberhofmeister, der dem Prin­

zen gegeben wurde, war in seiner Art eben fe

bedächtig, weise und erfahren, als die neue Oberhosmclstertn.

ihn dem

Er hatte selbst gebeten, daß man

Prinzen als einen geschickten

meister empfehlen mogte, durch am ersten

glaubte.

Stall­

weil er sich ihm da­

nothwendig machen zu

können

Als solchen nahm ihn auch der Prinz

sehr gnädig auf, und da jener eine tiefe Kene.

niß

VS

4. Das vollkommene WM;

niß des menschlichen Herzens besaß, so rttrzte flfc diese Gnade, um sich statt derselben bald Zu^ veigung, und statt dieser bald das höchste Ver? trauen des Prinzen zu verschaffen. . Der OberHofmeister, der aus einem der besten inländischen Häuser war, aber lange in fremden Lander« ge'ebt, und sich ausser einem Verrathe sehr prak? tischr Kentnisse, auch sehr glanzende körperliche Talente zu verschaffen aewußt hatte, stellte dem Prinzen vor, daß es sehr leicht sei, die Kräfte des Verstandes eben so auszubilden, als die Kräf­ te des Körpers, und daß beide, zur innigen Mi­ schung gebracht, das bewirkten, was man einen pollkorynen Mann nennte. Er bat ihn, ausser der Reitkunst auch die Tanzkunst zu üben, arssftr dem Studium der Roßwissenschaft auch die Menschenkunde zu treiben, ausser der Kentniß einer ländlichen Oekonomke auch die Kentniß der Staatsökonomie sein Augenmerk sein zu las­ sen; und er suchte ihn zu überzeugen, daß ei­ ne dreijährige Reise in fremde Länder ihn gleich­ sam spielend so bilden würde, wie sein königlicher Vater es wünschte, und seine künftigen Untertha­ nen es vom Himmel erfleheten. Vorstellungen dieser Art wiederholte der OberHofmeister dem Prinzen täglich, und auf solch eine treffende, bündige und natürliche Weise, haß sie allmählig haften mußten. Am schwersten war es, ihm

ifflb der vollkommene Sffatlm

25,

ihm die Nothwendigkeit einer dreijährigen Reist anschaulich zu machen, weil die Gründe die dastr sprachen, gegen deö Prinzen Lrebe zur Prinzeßin

Der Mentor mußte ihn hier noch ein«

sprachen.

mal von Seiten seiner Eigenliebe fassen,

gerne,

bte er

doch gemildert und

wo nicht unterdrückt,

auf einen andern Puntt geleitet hatte.

Die Prim

zeßin fühlte nämlich immer noch nichts für ihn, und

behandelte chn darnach. Dies fing jener aus unb er unterhielt den Verdruß, den der Prinz darüber

faßte, sehr geschickt, vergrößerte ihn sogar und gad ihm nicht selten neue Nahrung.

Bei einer solchen

Gelegenheit erbitterte er einmal den Prinzen so

sehr, daß er beschloß, abzureisen, sogar ohne Ab­

schied abzureisen.

Dies geschah wirklich, und die

ersten Tage über erhielt sein Führer seinen Unwillen beständig in Schwung, weil er sonst gewiß wie»

der umgekehrt sein würde.

Er stellte ihm vor,

daß ihn die Prinzeßkn schmerzlich vermissen, kaltsinniges Betragen bereuen,

ihr

und ihn sehnlich

zurück wä. scheu würde; aber nun wäre die Reihe

an ihm,

den Kalten zu spielen und sie zur Strafe

schmachten zu lassen.

Welcher Liebhaber, der auf

einer gleicher: Stufe der Kultur mit ihm stand,

hatte nicht diese Gelegenheit ergriffen, Gellt bte recht empfindlich zu quälen.

um seine

Er war

-war oft gerührt, daß er ihr soviel Kummer machte,

aber eben

diese Rührung schlug

Hartherzigkeit um,

bald wieder in

und die Absicht deö Mentors

war

I5«
Das vollkommene WM

süßen Trunkenheit, um sich von neuem daeekn-zy verlieren; denn er wolte bemerken, daß die Auf, w-rksamkeit der Anwesenden ausschließend durch jenen vollkommnett Mann beschäftigt und imt so angenehmer beschäftigt wurde, da sie in dem Prin­ zen die Kunst von der Natur eingeholt sähen» ES schien ihm gewiß, daß sie in jenem Helden den Prinzen sahen, daß ihre Bewunderung jenes auf ihn, und von ihm auf jenen zurück fiele. Er glühete voll innerer Selbstzufriedenheit, und fühlte von Zeit zu Zeit sogar eine heimliche Neigung, feine Blicke von der bewunderten Figur übzuwenden, damit er nicht den Anwesenden als ein eigenliebiger Bewundrer seiner selbst verdachtig würde. Aber bald ward er aus fernem süßen Tratte tue sebr schmerzlich aufgeschreckt. Er trat ein we­ nig zurück, und verdrängte dadurch eine Dame, die hinter ihm gestanden hatte. Sie bat ihn, sie vorzulaffen, damit sie das herliche Stück nä­ her sehen tonte. Er glühte über und über, weil ihm seine Eigenliebe saate, die Dame stürbe vor Begierde, seine Lieblingsftgur näher zu sehen. Er ließ sie an seine Stelle, und als sie eine Zeit lang mit innerm Wohlgefallen die Augen unver­ wandt auf das. Gemälde geheftet gehalten hatte, wandte sie sich mit der stummen Pantomime um, als ob sie zu den Umstehenden etwas sagen wol­ te» Da er glaubte/ daß es ihrer Bewunderung nur

imfr der vollkommene Mann. nur an einem Stoß fehlte, um 'auszubrechen, so gewan er ihr Rede an, machte aber den Anfanmit dem edlen Nesse des Nllkcrs, zenz nicht anznflechcn.

einer Beredsamkeit,

um ihre D»

Er lebte das Pferd mit

als ob

kein Reiter

darauf

„ Aber mein Gott, “ sagte die Dame: „ wie können sie dem Pferde so viel Aufmerksamkeit gönnen? — Sehen Sie nicht die weibliche Figur da im Vvrgrunde? * gesessen hätte.

sezte sie sanft errathend hinzu, indem sic sich fass

in die Lage sezte, worin der Maler seine Figur genommen Hane. — Der Prinz war wie vom Donner gerührt. Die Dame sah nicht ihn, sondern -sich. Voll

Beschämung drückte er sieb von ihr weg.

Er kam bei einer andern Dame zu stehen, die nicht minder aufmerksam an dem hing.

Gemälde

Er spurte der Richtung ihrer Blicke nach,

und glaubte zu bemerken, daß sie an dem mann1

haften Ritter hafteten.

Sie sah bald, daß er nut

ihr nach einem Punkte blickte. Und sogleich wand­

te sie sich an ihn, und sagte:

„Nicht, mein

Herr? Man kan nichte Schöneres sehen, als den Anzug der weiblichen Figur dort, die vor dem Ritter steht ? Ich habe diese Mode zu­ erst getragen, und der Künstler hat mir die Ehre angethan, seine schönste Figur so zu kleiden. Sie hat allgemeinen Beifall ge­

funden. 6 —> Sie

»5ä

4. Das vollkommene Weill Sie sprach noch fort,

lange nicht mehr da war.

als der Prinz schot» Beschämter als vor«

her, hatte er sich von ihr weggedrängt. Er kam

vor einem kleinen unansehnlichen Mann zu sie« Heu, der sehr selbstgefällig zu ihm hinanlächelte. „Nun," sagte er: „haben Sie die männliche Figur dort recht angcsehn?

edle

„ Noch nicht recht," erwiederte der Prinz erra­

thend, und jczt glaubte er an den Mann gekommen z» siin, der ihn für das Original jenerFigur hielte. „ 0 besehn Sie e6 recht genau! “ der kleine Mann fort: „ mir Ihre Meinung! “

fuhr

und dann sagen Sie

Dem Prinzen ward über und über warm.

Er richtete seine Blicke von neuem aus das Ge­ mälde.

Der kleine Mann zupfte ihn ungeduldig

am Kleide:

der Prinz sah zu

ihm hinunter.

„Nicht wahr,“ sagte der Kleine, indem er sich

um einen Schuh größer machte;

.. Nicht wahr,

der Ritter sieht mir zum Bewundern gleich?

O, Sie sollen mich erst zu Pferde sehn!"

Nein,

dieser Streich war zu stark.

Der

Prinz schritt voll Unmuth über den kleinen Eigen­

dünkel weg,

nahm seinen Mentor ungestüm bei

der Hand und zog ihn aus dem Saal.

Er gab

sick Mühe ihm die mancherlei Urtheile über da« schone Gemälde humoristisch zu erzählen;

aber es

geschah .mil solch einer.gezwungenen Miene,,

daß

sein scharfsichtiger Führer sehr bald aus den wahren

-

Grund

unk ker vollkommene Mnn.

557

Grund kam. Er nnzte diese Gelegenheit, um den Prinzen ein sehr praktisches Kollegium über die Elgenliebe zu lesen, und seine Bemerkungen grif­ fen diesmal tief v, als -je. Er machte eö ihnnun auch bemerkbar, was und wie viel Gründe die Prinzeßin Ruraru gehabt hätte, ihn nicht so zu schäzen, als er es zu verdienen geglaubt hatte. Diese Wendung gab seinen Lehren vollends die stigkeit, die sie haben mußten, wenn sie von innt an das Benehmen des Prinzen bestimmen unfr leiten sollen; und er brachte es nun bald dahin, daß der Prinz von sich selbst gerade so urtheilte, als von Andern. Somit war der Prinz auf dem Wege, sich den übrigen Menschen wieder zu nähern. Et mäßigte seine Stimme, weil sie ihm ungezogen schien, er tummelte sich nicht so wagehälsig auf firnen Rossen mehr, weil die wenigsten Menschen Geschmack daran finden konten, er gewohnte sich zu Schuhen, weil Stiefeln bei manchen @ekr genheiten gegen den Wohlstand waren, er fegtt die Fürsrenmine ab, weil es Andre von ihm ab­ schreckte, und er sprach nicht mehr beständig von sich, weil Andre auch von sich etwas zu sagen' hatten. Auf eben diese Weise schliff er auch sei-, neu innern Menschen ab, und seine Freude, sein Zorn, sein Entzücken und sein Verdruß zeigtet-' sich in minder gewaltsamen Gestalten. Sein wer> ser Mentor fettest ihn dabei so behutsam^ daß er N. Mus. Aug. 8-. N seinen

4- Das vollkommene Weib

2Z8

fctnen Arm kaum bemerke', und daß er, als

diese

Umbildung zu Stande war, sich selbst für den Ur­ heber derselben hielt, und

Selbstgefühl Wie er

ein

wohlabgewogenes

darauf bauete.

ehemals vor Ungeduld braute, sich

seiner Braut mtt seinen vermeinten Vollkommen­

heiten zu zeigen, eben so braute er jezt vor Ver« langen, sich ihr in seiner neuen Gestalt geltend zu machen.

Sein Führer bemerkte dies und fügte

sich seiner Sehnsucht.

Sie kamen zur Prinzeßin

zurück. Die Hofleute würden ihn nicht gekaut ha­ ben, wenn seine Figur nicht die alre geblieben wä­

re.

Man hätte gern in ihm seinen Bruder ge­

sehen, wenn er einen Bruder gehabt hatte. Alles gerieth in Aufruhr über seine Veränderung , und

jeder eilte der erste zu sein, welcher der Prinzes­ sin Nachricht davon gäbe.

Man drängte sich

voll Bewunderung um ihn her, und sagte seinem

Mentor tausend schmeichelhafte Dinge.

men selbst

Die Da­

ließen ihm jezt vollkomne Gerechtig­

keit wicderfahren, iinb einige, die es versuchten, sich sein voriges

ungebildetes Wesen

zurück zu

rufen und darüber zu lachen, tonten vor Herzklopfen nicht dazu kommen.

Dre Prinzeßin bemerkte mit Vergnügen sek. nen gebildeter» Anstand, sein feineres Organ und

seinen natürlichen Verstand, der sich in tausend

naiven Wendungen äusserte.

Er sprach nicht mehr

rmd der vollkommene Mann.

259p

mehr ausschlieffendvon Pferden, sondern kam auf

die schulterten Empfi: düngen seines Herzens

Er

zeigte sich ihr als ein ehrfurchtsvoller, feinaestrm-

ter, feuriger Lübhaber, d^r jezt, da er ihren Au­ gen nicht mehr w'drig war, cs auch br-lb ihrem Seine Neiau q ent­

Heizen nicht mehr blieb.

wickelte sich um sc schi eller,

da er auch an ihr

nicht mehr das üb«r^re, kränkelnde,

launische

Wesen, sondern eine fr-schere Farbe, eine festere Sprache, einen raschen Gana, ein nicht so zer­

brechliches Herz und nicht soviel halb(Mpsundene Empfindungen bemerkte. In wenig Tagen schlif­ fen sie vollends aneinander ab, was sie bisher noch in Entfernung gehalten hatte. erschien jezt bei ihr in

an, mit ihm auszureiten;

Der Prinzund sie sing

Schuhen,

er ließ sich ihren Ge­

schmack in der Kleidung, und sie sich seinm @e


Vermögen Einheit in das Mannigfaltige der Voi> ßelluncen zu bringen, oder wie man sich gemeiniglich ausdrückte, den Zusammenhang derWarheiten einzusihen; und so wie die Einfachheit das Wesen deS Subjettes ausmache, so mache der Verstand das We­ sen des Ercentnißvermögens aus, dem die Sinnlich­ keit nur zufällig, nur durch d'e Verbindung jenes ein.fachen Subjettes nut dem organischerKörper zu.äme. Zu bewen Fallen wurden zwei wesentlich ver­ schiedene Fragen verwechselt. Die Frage: worin besieht das Erkenrnißvermögen? mit der Fragen was ist das Subjekt des Erkentnißvermögens? (des Verstandes, der Sinnlichkeit?) Die erste Frage ist eigentlich logisch, und bctrist Geseze, die nicht die Natur des Dinges, welches ein Errcntuißv.rmogen hat, sondern die Natur des bloßen Erkentnißvermögens ausmachen; die Bedingungen, durcy wttche das Erkennen möglich ist, welche znsammengenommen das Ertenmißvermogen heissen, und in dem Erkentnißvermögen selbst gegeben sein müssen. Die zweite Frage hingegen ist eigentlich metaphysisch; sie betnft Geseze, welche die Natur eines wirtlichen Dinges ausmachen sollen, Bedin­ gungen , durch welche ein vom bloßen Erkentniß« vermögen verschiedener Gegenstand möglich sein soll, von dem es nur dann ausgemacht werden kau, vb und in wie ferne er erkenbar ist, wenn man vorher das bloße Erkentnrßvermögen untersucht, und die eigentlichen Grenzen desselben gesunden hat. < Durch

29^

tw Philosophie möglich? Durch eine Verwirrung der Begriffe,

deren

Möglichkeit vklleid)t unsrerr spätern Nachkommen schwer zu begreifen sein dürste,

hat man bisher

wesentlich verschiedene Gegenstände der Untersu­

chung verwechselt,

daS vorstellbare Erkentntßver-

mogen nut dem nicht vorstellbaren Subjekte dessel­

ben, Verstand (Vermögen tut* Einheit in den Vor­ stellungen) nut absoluter Einheit (Einfachheit) deS. vorstcllenden Subjektes; Sinnlichkeit (Vermögen des Mannigfaltigen in der Vorstellung) mit der

Zusammensezung (Ausdehnung) der Orgamsazion.

So würde dasjenige,

was an sich bloß logisches

Gesez des Erkennens ist, zur metaphysischen Eigen­ schaft der erkennenden Substanz, das logische Ge­

sez der VerstandcShandlung,

zur

metaphysischen

Beschaffenheit des verständigen Subjektes;

das

logische Gesez der Sinnlichkeit zur metaphysischen

Beschaffenheit des unverständigen Subjektes, das mit dem verständigen verbunden wäre. dachte nicht,

Man be­

daß die streitige Erkentniß dieser

problematischen Substanzen, der Zusammengesizten,

der Einfachen

und

von der Möglichkeit der.

Erkentniß überhaupt abhänge; daß ein Erkentmß-

vermögen vor jeder wirkliche^ Erkentniß da sein, und in demselben die Bedingungen, welche zusam­ men genommen die Möglichkeit des Erkennens aus-

machen,

darum

gegeben sein müssen, und daß sich eben

das Erkentnißvermogen nicht von,

als

wirklich erkenbar angenommenen, Dingen, (^e- . gen-

*92

2. Wie ist Reformazion

genstZnden des Erkentnißvermögens) sondern viel­ mehr die Erkenbarkeit der Dinge allein von dem Erkel't^ißw rmöqeu ableiren lasse. Man that gerade das Gegentheil von dem, was man hatte thun sollen; indem man die Natur der Sinnlichkeit und des Verstandes, von der Organisazion und der Seele ableitcte, da man vielmehr die beiden leztern, in wie fern sie erkenbar, Gegenstände des Erkentnlßvermöaens sein sotten, mit einem Worte ihre Erkenbarkeit, von dem Vermögen der Sinn­ lichkeit und des Verstandes hatte ableiten müssen. Indem man das Subjekt des Ertcnknißvermögens ( die Substanz der Seele) welches eben so wenig sich selbst zu erkennen, als das Auge sich selbst zu sihen vermag, kennen zu lernen bestrebt war, vernachlaßigte man eine Dekantschaft zu machen, die nickt nur an sich möglich, sondern auch, wenn unser Philosophiern kein Herumtappen unter Begriffen auf Gerathewehl, sondern ein sicherer, bestirnter Fortschritt des Geistes sein sott, nothwendig ist — nämlich die Betautschäft mit dem Erkentnißvermöaen. Je mehr man über denjenigen Therl desselben, der in dem logischen Vermögen des Verstandes und der Vernunft besteht, in der ganzen philosophischen Welt einig war, desto geneigter wurde man an­ zunehmen , daß man das Erkentnißvermögen überhaupt kenne, wenigstens daß man sich unter­ einander gar wohl verstünde, wenn vom Erkentniß-

der Philosophie möglich?

293

nkßvermogen die Rede war. Nichts aber war natürlicher, als daß man über die Begriffe des logischen Vermögens von Verstand und Vernunft früher, als über den Begris der Sinnlichkeit einig werden mußte. Da Verstand und Vernunft bei jeder Erkentniß, der sinnlichen siwol, als der übersinnlichen ihr logisches Geschäft verrichten müssen; so mußte jeder, der nur irgend einen Ge­ genstand als crkant, irgend ein Erkentniß über­ haupt, annahm, die Unentbehrlichkeit des Verstandes und der Vernunft einraumen; und dieses Einverständniß über diese Unentbehrlichkeit mußte zu einer allgemeinen gemeinschaftlichen Untersuchung der Funktionen führen, welche dem Verstände und der Vernunft berm Erkennen überhaupt zukämen. Da man aber die Sinnlichkeit eigentlich nur bei der sinnlichen Erkentniß beschäftigt glaubte, so mußten diejenigen Philosophen, welche übersinnliche Gegen­ stände zu erkennen meinten, und also ein übersinnli­ ches Erkennen zuließen, nothwendrgcrweise auf den Gedanken gerathen, daß die Sinnlichkeit zur Erkentniß überhaupt entbehrlich wäre, kein *) logisches Geschäft beim Erkennen habe; und

•) Logisch, im strengsten Sinne, heißt zwar nur was zum Lenken gehört. Ich nehme es hier in einem weitern Sinne für alles, was zu her in der Natur des Erkentnißvermögens bestirnten Art und Weise des Erkennens gehört, für redcä tzesez des ErkentnLßvermögens: im Gegensaze mit den Gesezen der Gegenstände des Erkentr rrißvermözens.

294

2. Wie ist Refiormaziott

und folglich keinen Thell des Erkentnißvermögentz ausmache. Andere hi^tgegen, (die Materialisten) welche bloß sinnliche Gegenstände nicht nur für einzig crkenbar, sondern sogar für einzig möglich (denkbar) hielten, mußten der Sinnlichkeit nichtnur Unentbehrlichkeit, zu jeder Erkentniß über­ haupt einräumen, sondern dieselbe sogar zur ober, sten Bedingung alles Denkens, und zum Krite­ rium aller Möstlchent erheben, sie zum ganzen» Erkentniß - und Vorstellungsvermögen machen, und ihr Verstand und Vernunft als bloße Modifikazionen unterordnen.

Indem nun die Sinnlichkeit auf diese Weise von der einen Partei ganz von dem Erkentnißvermögen ausgeschlossen, von der andern aber für das Erkentnißvermözen selbst angenommen wurde, hatten sich diese beiden Parteien selbst allen Weg zur Untersuchung der Snmlichkeit in ihrem Verhältnisse zumErkentnißvermögen unmöglich ge­ wacht, und es würde ohne die, gegen die Grundsaze von beiden gerichteten Einwürfe der dogma­ tischen Skeptiker wol nie zu dieser Untersuchung gekommen sein. *) Die bei ihrem Streit sich selbst *) Sogar Locke, welcher so viel vortrefliches von der Unentbehrlichkeit der Sinnlichkeit im menschlichen Erkentnnverm^en gesagt hat- und seinen Grundsgzen so we't getreu aevlieben ist, daß er das Oakein eines Geistes für indemonstrabel hielt, well ein Geist

der Philosophie möglich?

295

selbst überlassenen Spiritualisten und Materialisten würden sich von dem Wege zu derselben immer mehr und mehr entfernt haben, je länger ihr Streit noch gedauert hätte. Wirklich haben es die Elstrer auf beiden Seiten nicht dabei bewenden las­ sen, daß sie der Sinnlichkeit beim Erkennen nlchtS oder — oder alles einräumten: sondern die einen gaben die Sinnlichkeit mit P lato für ein leidiges Hinderniß der Erkentniß, eine nothwendige Quelle des Irthums, eine bloße Einschränkung des Verstellungsvermögens aus; die andern aber erklärten mit Epi kur jede Vorstellung nur in so ferne für wahr, als sie von dem sinnlichen Eindrücke be­ stätiget würde, und sahen den reinen Verstand für ein Unding, und die ihm eigenthümlichen Nozionen für Blendwerke des Schulwizes an. 4. WaS Geist kein Gegenstand der Sinnlichkeit wäre. (Our -ferdes not being able to discover them, we waut the mcans ofKnowing their pai trcular exiftences. We can no more Know that there are finite fpirits really existing by the Idea we kave of suc|i bemgs in our nunds, than by the ldeas any one has of fairies or centaurs, we can come to Know that tlimgs anlwering thofe ldeas do really exist. Essay concerning human Understan-

ding V.II. C.XL 12.) Locke sogar ist keines­ wegs aber den eigentlichen Antheil der Sinnlichkeit am Er^entnMermögen, ja! nicht einmal über die Unentbehrlichkeit derselben znm Erkennen überhaupt mit sich selbst einig geworden, wie sich in der Folge deutlich zeigen wird, und zum Theil schon daraus erhellen würde, daß er das Dasein Gottes für evkenoar angab.

2. Wie istRcformazion

2y6

4. Was ist unter Erkentnißvermögen zu verstehen? Daß man über die Antwort auf diese Frage

nicht einig ist,

erhellt schon aus der von mir be­

leuchteten ungeheuren Verschiedenheit der Bedeu-

tunaen, die man bisher mit den Werten Vernunft und Smnkrchkeir zu verbinden a-wohnt war. Kaum diejenigen,

welche Sinnlichkeit und Vernunft in

ihrem Degrif des Erkentnißvermogens aufzuneh­ men schienen, und das Erkentnißvermogen, in das

Sinnliche oder Untere, und in das Vernünftigere oder Obere eintheilten, fanden es für nöthig, sich selbst zu fragen,

oder zu erklären:

Erkennen verstünden?

was sie unter

Ich habe weder von dem

unsterblichen L e i b n i h, noch von seinen würdigen

Anhängern Wolf,

Bilfinger,

Baum­

garten eine bestimte Erörterung hierüber auffin­

den können.

Der leztere begint seine Metaphysik

mit folgender Definizion: „Die Metaphysik ist die Wissenschaft der ersten Erkentnißgründe der menschli­ chen Erkentniß “ ohne sich in dem ganzen Werke, in welchem er sonst mit Erklärungen so freigebig' ist,

nicht einmal in denjenigen Theilen desselben,

er

wo

vom Erkentnißvermogen ausdrücklich handelt,

auch nur ein Wörtchen darüber entfallen zu lassen, was er unter diesem Vermögen gedacht wissen wolle. Gleichwol dürste es aussrst schwer, ich wage es zu sagen, unmöglich fein, dasselbe durch Vergleichung

.feiner einzelnen Aeusserungen, und aus dem Zusam­ men.

tep Philosophie möglich?

=97

menhany des Ganzen heranszubringen.

Wo er

sich;- B. über den Unterschied zwischen sinnlicher und verständiger Erkentniß erklärt,

den er in der

bloßen Undeutlichkeit der einen und Deutlichkeit der andern, oder, wie er sich selbst ausdrückt, in

einem großer» und kleinern Grade der Erlentniß

findet, spricht er tu der Erörterung bloß von Vor­

stellung,

die er mit der Erkentniß verwechselt»

Gleichwol mußte Baumgarten einen Unterschied

zwischen Erkentniß und Vorstellung angenommen habet!.

Aber welchen?

Locke hielt es keineswegs uberflüßig anzuge­ ben,

was er unter Erkentniß verstünde.

„Er­

kentniß" sagt er „scheint mir nichts anderes zu

sein,

als die Wahrnehmung des Zusammenhangs

und der Uebereinstimmung, oder der Richtübereinstimmung und des Widerstreits zwischen einigen (in der Ausschrift am Rande heißt es zweien) unserer

Vorstellungen." *)

Allein man darf sich nicht

wundern, daß dieser Begrif der Erkentniß in der philosophischen Welt keinen Emgang gefunden hat,

da er äusserst Mangelhaft und unbestimt ist,

Mld

mit den Bedingungen, dir Locke selbst zur Erkent­

niß als unentbehrlich festsezt,

durchaus nicht zu-

sammenstimt»

„ Unsre ♦) Knowledge fbems to me to be nothing but the perception of the connexion and agnement, of disagneement'and repugnance ofany of our ldeas,

V, 1L V, I V. Ch. L Of Knowledge in General»

-98

L. Wie ist Reformaziov

„ Unsre Erkentniß," sagt der fd)orfftftntgt Denker*) „ist nur in so ferne reel, als zwischen Unsren Vorstellungen und der Realität der Dinge (den Gegenständen) Uebereinstimmuno statt findet.tt Diese Übereinstimmung ist doch wcl bei jeder Erkentniß wesentlich, und eine Ercentnrß, &ie nicht in diesem Sinne reel wäre, würde eben so viel sein als eine Vorstellung, die nichts vorstellt. Gleichwol ist gerade drese wesentliche Bedingung durch welche Ertenrniß zur Erkenlniß wird, in der Lock'scheu Erklärung ganz übergangen. Sie spricht bloß von Uebcremstimmung zwischen Vorstellungen; gber dle Vorstellungen sind doch von ihre»! Gegen­ stalden wesentlich unterschieden. Lecke erklärt sich auch in der Folge selbst, daß er bei den Vorstellun­ gen, die er>die einfachen nennt, diese Ueberein­ stimmung mit dem was nicht Vorstellung ist, vorausseze. Diese Voraussezung ist aber gerade dasjenige, worüber bei der Erklärung der Erketttniß die Frage war, da ohne das Bewußtsem, daß einer Vorstellung ein Gegenstand (etwas, das nicht bloße Vorstellung ist, entspreche) eine Erkentniß unmöglich reel, das heißt, keine Erkeutniß sein würde. Auch wird in der Lockischen Erklärung, die Erkentntß zur bloßen Vorstellung der logischen Funktionen des Urtheils und der Vernunstschlüsse gemacht, *) Ch. IV. Of the reality of human Knowledge.

ter Philosophie möglich?

299

gewacht, und folglich das ErkentnißvermLgen mit demjenigen, was sonst Verstand und Vernunft heißt, verwechselt, Wirtlich war Locke durch diese Verwechslung genochiget in der Folge von der Vernunft eine bloße Beschreibung, zu geben, in welcher die eigentliche Funktion der Vernunft beim Ertennen überhaupt, von dem methodischen Ver­ fahren derselben, bei der diskursiven Ertentniß und wissenschaftlicher Demvnstrazion, bal dunterschlcden, bald damit verwechselt wird. Auch ist es m der vorrrcflichen Erörterung über den Misbrauch des Syllogismus, in welche er sich bei dieser Gelegen­ heit einlaßt, sichtbar genug, daß er die äussere sylloqistische Form, mit welcher der Schulwiz da­ mals noch in den sechszehn Schlußformaln sein Spiel trieb, nicht ganz von der innern Form des Bernunftschlusses selbst, der eigenthümlichen Hand­ lungsweise der Vernunft, unterschieden habe, die er nm so leichter verkennen mußte, nachdem er das 'Bewußtsein des Zusammenhangs mehrerer,Vorstel­ lungen, welches nur durch jene Handlungsweise der Vernunft möglich ist, schon in seinen Degrif von Erkentmß ausgenommen hatte, und folglich, da er nachmals von der Vernunft insbesondere zu sprechen hatte, den Vernunftschluß unmöglich als das allgemeine und eigenthümliche Geschäft, das die Vernunft beim Ertennen überhaupt habe, an­ nehmen tonte. Er erklärte daher die Vernunft für die Fähigkeit, welche die Mittel, Gewißheit und

3op

2. Wie ist Reformazio«

und Warscheinlichkeit zu entdecken ausfindig machtund richtig anwendet. *)

Umsonst habe ich bei so manchem Anhänger deS unsterblichen Locke, umsonst bei dem scharfsinnigen

(Ehcittfvv Pattner, umsonst bet Logikern von Profession, z.B. dem verdienstvollen ReimaruS nach einer ausdrücklichen Erklärung der Erkentniß

gesucht.

in

Ich fand wol bei einer aufmerksamen,

dieser Absicht vorgenommenen

Lektüre,

Wort Erkentniß bald für Ueberzeugung,

daS

bald für

Gewißheit, bald für Wissenschaft u s. w. gebraucht,

fand, daß der Degrif, den sie bei andern Gelegen­ heiten damit verbanden,

bald auf Bewußtsein

der Nothwendigkeit eines Urtheils,

bald auf ge»

dachte Nothwendigkeit einer Vorstellung, bald auf

Beziehung der Vorstellung auf einen Gegenstand hinwies;

aber ich fand auch,

daß der Gebrauch,

den sie sowol von dem Worte, als jenen Begriffen

wachten, wenn von Erkentniß der Warheit, von

Erkentniß einer Vorstellung, von Erkentniß eines Dinges, das nicht Vorstellung sein solte, die Redtz

war, nie mit sich selbst zusammenstimte, sich will, kürlich veränderte,

mit einem Worte,

daß die

vorzüglichsten mir bekamen philosophischen Schrift­ steller über die Bedeutung des Wortes Erkentniß weder untereinander, noch mit sich selbst einig sind.

ES

») The faculfcy which finds out the meins and rightly applies them to dlScover certainty, and

probability, is that which we cail reason»

der Philosophie möglich? Es ist sich

über

schlechterdingS

301

unmöglich,

den

te;

der zweite Umstand hingegen kan einem Deut­

schen eben sowol eine parteiische Vorliebe für, als

eine parteiische Abneigung gegen den König ein­

flößen, je nachdem nämlich der Deutsche entweder zu der Klasse gehört, Theil nahm,

durch seine

die an Friedrichs Ruhm

oder zu der, die Friedrich selbst ungerechten Urtheile in Verachtung

bringen half. Den deutschen Kriegsmann freut der Gedanke, daß es Deutsche waren,

Lorbeeren erfochten;

die Friedrichs

der deutsche Gelehrte,

um

gegen Friedrichs litterarische Verdienste gerecht zu

sein, muß erst eine gewisse Empfindlichkeit able« gen,

Ueber den litter. KarakterFriedrich II.

ziö

Ken, zn der Friedrichs zu weit getriebne Vorlieb« für die französische Litteratur gegründeten Anlaß

giebt.

Ich will i.) mit einigen allgemeinen Anmer«

kungen über des Königs Genie und Schriften an­ fangen.

-.) Ich will einige seiner Werke nach ih­

ren Klaffen, die pvi tischen,

die historischen und

die übrigen, einzeln durchgehn, und einige mir nüzlich oder unterhaltend scheinende Anmerkungen

machen.

;.)

Ich will ihn mit denjenigen

Schriftstellern vergleichen,

wöhnlich annimr,

daß sie,

von denen man ge­

theils in Ansehung

ihrer äusserlichen Glüksumstände und Situazio-

nen,

theils in Ansehung ihres persönlichen Ka«

rakterS und Genies, einige nähere oder entfernter« Aehnlichkeit mit ihm hatten.

i. Vier Gegenständen sind die meisten von Friedrichs Schriften gewidmet, und die Art, wie

er sie bald in Versen, bald in Prosa behandelt, beweist, daß sie die Lieblingsgeqenstände waren,

womit sein Geist nie,

wasd. weit sie

Moral,

sich zu beschäftigen, müde

spekulative Philosophie,

in so

mit der Moral in Verbindung steht,

Kriegskunst

und Geschichte

sind der Inhalt so«

wol der! meisten seiner vielen und großen Gebich. te, als seiner meisten prosaischen Schriften; die Geschichte ist der Hauptinhalt der leztern.

Keine«

vrrd über einige seiner Werke.

31t

Keinen andern Gegenstand, selbst die Politik

nicht, von der er doch oft reden mußte, hat er mit der Vorliebe, und was vielleicht eine Folge davon ist, so glüklich behandelt. Die Moral der Könige,

der Staatsmänner

und der Dichter war unglüklicherwesse von jeher

Ich sage: nnglütlicherweise.

verdächtig.

Denn da die Welt es nie für Ernst hielt, daß diese drei Klaffen von Moralisten wirtlich Nuzen stiften Welten,

teu Moral,

da man immer glaubte, sia hat-

entweder nur als eine Maske ge­

braucht, oder als ein Spielwerk, so hat man auch

die guten Bemerkungen, die man dcch in ihren Erfahrungen und Beobachtungen

warten tonte,

von ihnen er­ nie gehörig nuzen wollen. Als

die Schriften Friedrichs

zuerst betaut

wurden,

tonte die Welt, die ihn nur noch für einen blos­

sen Eroberer hielt, sich nicht überreden,

das; es

mehr als Moral seines Kopfes, daß es auch Mo­ ral seines Herzens wäre.

Einige wolten so gar

sein Morailistren für einen machiavellischen Kunstgrif halten; die andern glaubten, er sei Moralist

bloß zum Behuf der Poesie,

Gattungen giebt

in der es gewisse

die moralischen Inhalt liebem

Allein sehr irrten sich die, die so klein vom Könige

dachten.

Und

alle

die irren,

nicht für die erste und

die die Moral

unentbehrlichste Wissen­

schaft eines jeden und insbesondre

dessen halten,

der ein großer Mann in einer thätigen Sphäre fern

Ztr z. Ueber den kitter. Karakter Friedrich IT. sein will.

Wodurch wurde Friedrich als Held und

König groß?

wodurch wurden es alte große

Männer des Alterthums? wer gesteht nicht, daß sie es durch ihren Karakter wurden? wenigstens

wehr noch durch ihren Karakter,

als durch ihr

Genie? Gebt einem Menschen das größte Genie

von der Welt, aber einen schwachen, oder unge,

fegten,

einen leichtsinnigen oder verkehrten Ka­

rakter, und er wird nie ein großer Mann sein könNeu.

Gebt ihm aber einen edeln, erhabnen, und

nachdem es die Umstände erfodern,

biegsamen Karakter,

festen oder

und gebt ihm dabei nur ein

etwas über das Mittelmäßige erhabene Genie, er

wird, wenn anders die Umstande, worin er lebt, ihm Gelegenheit zur Entwickelung seines Karak-

terS geben, der größte Mann wenigstens auf dem Theater sein,

wo er

Demosthenes,

seine Rolle spielen

Cicero

muß.

waren die größten

Genies — aber nicht die größten Männer ihrer

Zeiten — Cato und Cäsar waren gewiß grös­

sere Manner als Cicero. rin Mann von Genie,

großen

Mann nennen?

AlcibiadeS war

aber wer kan ihn einen

Lord Sh afteöbury

(der Vater des philosophischen Schriftstellers) und Lord Wh ar ton

waren

gewiß Manner

vom

glüclichsten Genie, aber durch ihren leichtsinnigen, ungesezten Karakter haben sie beide verdient, daß die

Geschichte eher mit Verachtung, als mit Bewunde­

rung, von ihnen reden muß.

Wodurch hingegen

hat

rurd Aber einige feiner Werke.

hat fast ihn

e6 -er jezige Staatsminister

m

3 England,

noch in Jünglingsjahren, dahin gebracht, daß die ehrwürdigste Versamlung, die man sich den­

ken kan, daß ihn daö Oberhaus und Unterhaus, das

ist,

eine Versamlung von sechs bis sieben hundert der angesehnsten, aufgeklärtesten und Unterrich­ tetesten Manner einer der kuluvirtesten Nazionen

den größten Männern der Vorzeit an die Seite

ftzte? wodurch, sage ich, hat Pitt sich dieftn Vor­ zug erworben?

durch seinen Karakter»

Rival,

mag glücklichere Talente besizen;

Fox,

aber er hat einen fehlerhaften Karakter. Karakter ist ohne Zweifel nicht fehlerfrei.

er hat die guten Eigenschaften,

Sen;

Pttts Aber

die einer großen

Nazion das Vertrauen einflößen, daß ihre Angele­

genheiten von ihm nicht bloß mit Klugheit, sondern

auch mit Redlichkeit und anhaltendem Fleiß und Eifer verwaltet werden»

Alle Welt gesteht jezt,

Friedrich war noch

größer durch seinen Karakter als durch fein Genie-

Und diesen seinen Karakter, ob er gleich die Anlage

dazu der Natur verdankte,

hat er selbst durch

Nachdenken und durch Uebungen zur Vollkommen­

heit ausgebildet.

Dieses nun ist eigentlich das

Geschäft der wahren Moral,

feinerer; Moral,

werden.

oder wenigstens der

die so sehr verdient kultivirt zu

Schriftsteller von Ansehen tragen kein

Bedenken von der Moral in verächtlichem Tone zu redem

Die alten Geschichtschreiber aber waren

auch

3i4 Z Ueber den litter. Karakter Friedrich II, auch dadurch groß in ihrer Kunst, daß sie die

Moral in dargestellten Handlungen lehrten. nige Neuere haben der Geschichtschreiber,

Ei­

die das

Moralische in der Geschichte für etwas wichtiges hielten, gespottet.

Diese Spötter kanten wol keine

andere, als die Katechismusmoral, oder die zehen Gebote und was zu deren Auslegung gewöhnlich von Predigern und Schulmeistern gesagt wird.

Höchstens wogte» sie ein Kollegium über eine so genante philosophische Moral gehört haben.

Aber

alles dieses ist so wenig die edlere, erhabnere Moral,

von der ich rede, als die Zeichenkunst, worin heut

yt Tage jedes Dürgermadchen in mäßigen Städten

unterrichtet wird,

die Zeichenkunst ansmacht, in

der mit ein Raphael, ein Mengs und andere,

die ihnen zur Seite stehen, Meister waren.

Es

giebt eine höhere Moral, die sich zur Schulmoral verhält,

wie die Baukunst eines P a l l a d i o zur

Dauknnst der Zimmerleute, wie man sie in jedem Dorfe findet. Diese höhere Moral erkläre ich so: Sie ist die Kunst oder die praktische Wissenschaft eines Men, schen,

seinem Karakter die möglich vollkommenste

Ausbildung zu geben.

Wer wird leugnen,

daß

dazu eine Menge Kentnksse, Kentniß der mensch.

lichen Natur überhaupt, Kentniß der Welt, Kent­ niß der tausendfachen Gegenstände,

Mensch

womit der

sich nüzlich oder angenehm beschäftigen,

Kentniß aller möglichen Lagen, worein der Mensch gera.

und über einige feiner Werke. gerathen kan;

315

wer wird leugnen, daß dazu viele

beschwerliche und anhaltende Uebungen zur Erwer­ bung der nöthigen Fertigkeiten,

daß dazu ein

langes und angestrengtes Studium erfvdert werde?

Diefts anhaltende und von Einsicht begleitete Stre­ ben , seinen eigenen Karakter auszubilden, ist es,

was die Alten Virtus, Tugend, nanren.

von dieser Tugend sagten sie mit Recht,

Und

daß sie

nur durch Uebung (meditando, exercendo) er­

worben würde. sihaft ist,

Wenn nun die Moral die Wissen«

die die Regeln dieser Ausbildung des

Karakters lehrt, so sieht man wol, daß es für den,

der ein großer Mann werden will, keine wichtigere

Wissenschaft giebt,

als die Moral,

wie für den,

der als Maler einen Plaz neben Raphael zn

erlangen wünscht, das Zeichnen die erste der Künste sein muß. Diese höhere Moral wird aber nicht in Sistemen studiert.

In jeder praktischen Wissenschaft

macht man freilich mit einem Sistem den Anfang.

Aber wer mit dem Sistem die ganze Wissenschaft

glaubt gefaßt zu haben, der ist nicht gemacht, groß in ihr zu werden.

Wer in einer Kunst oder Prak­

tiken Wissenschaft groß werden will,

aufhören alles,

muß nie

was ihm vorkomt und auf seine

Wissenschaft oder Kunst Bezug hat, zn beobachten, seine Beobachtunaen mit den Beobachtungen anderer zu vergleichen, Regeln daraus herzuleiten, die von

andern ans ihren Beobachtungen gefolgerten Re.

geln

$16 z. Ueber den littet. Karakter Friedrich II. flcltt sich bcfant zu Machen,

sie'zu prüfen,

berichtigen- und zu vervollkomnen,

eigene Erfahrung und



so wie seine

eigenes Nachdenken

sein

ihm dazu Anleitung geben.

Er muss den Schaz

seiner gesammelten Erfahrungen,

Beobachtungen

Und Regeln täglich vermehren,

berichtigen und

ordnen. Bücher, worin Moral gerade zu gelehrt, ge­ predigt,

oder sistematisch vorgetragen wird,

zu diesem Zweck nickt die dienlichsten. zwei Klassen von Schuften,

sind

Es giebt

die zur Ausbildung

unsers Karakters von grossem praktischen Nuzen

Pud, wenn wir sie reckt zu benuzen wissen.

Erstlich

Schriften, worin Erfahrungen dargestellt werden,

in welchen man moralische Warheiten anschaulich erkennt.

.Dergleichen sind

der bohern Art, Livius,

das ist,

historische Schriften

die den Werken eine-

Tacitus oder Hume an Darstel-

dmgskrast gleich kommen.

Dahin können auch

gewisse Dichtungen, die das menschliche Leben der

Natur gemäß darstellen, gerechnet werden.

tens Schriften, und Regeln,

Zwei­

worin moralische Bemerkungen

deren Warheit und Wichtigkeit nur

der feinste Beobachtungsgeist entdecken kente, durch

die Kunst des Ausdrucks so vorgetragen werden, daß die Einbildungskraft sie anschaulich zu erkennen

glaubt, daß das Herz sie fühlt, daß sie ins Innere der Seele eindringen und sich nie wieder verlieren.

Diese Kraft, Geist und Herz nut moralischen War. heiten

im- über einige feiner Werke,

zi?

feiten zu beleben, ist der große Vorzug wahrer Beredsamkeit und wahrer Poesie, und durch diese Eigenschaft fönten beide den größten Männern aller Zeiten, fönten sie auch Friedrich II. so wichtig werden. Auf einen Jüngling, der zum großen, thätigen Leben bestimt ist, der dazu Anlagen besizt, und der sich ernstlich dazu vorbereitet, muß der VerS, womit Lucan Cäsars Karakter schildert: Nil afttim reputans, si quid super esset agendtim

(Nichts fei, glaubt er, gethan, wenn etwas noch übrig zu thün war) Unfehlbar lebhafte Eindrücke machen, und kan ihn» schon das Fortfahren, das Nichtaufschieben, das Nichtstillestehen als unentbehrlich zu einem großen Karakter erkennen lassen. Diese Ausbildung des KaraktetS ist dem zum thätigen Leben bestirnten Mann unentbehrlich'. Der bloße Gelehrte braucht sie nicht; denn dieses gründet seinen Ruhm nicht auf seine Handlungen, sonder» auf seine Schriften. Der Ruhm des Gelehr­ ten witd bloß durch Genie erworben; der Ruhm des Staatsmanns, des Helden, des Politikers, des Re­ genten, mehr durch Karakter als durch Genie. Die schlechte That des Gelehrten, seine Schwachheiten, feine Laster selbst werden vergessen, oder die Nach. Welt erinnert sich ihrer nur beiläufig; sie beurtheilt den, der seinen Namen bloß durch die Werke sei­ nes Genies verewigen weite, auch nur nach diesen Werken; was geht si« an, wer er war? wie er N. Mus, Seht, ii, V lebte?

;rg z. Ueber den litter.Karakter Friedrich II. lebte? was er that?

Genug sie hat seine Werke,

nach deren Treflichkeit beurtheilt sie bas Maaß und Daher kamt es,

-ie Verhältnisse seiner Talente.

-aß so viel Männer von großem Genie die Ausbil.

düng ihres Karakrcrs ganz vernachlaßigten,

weil

Ihre herrschende Leidenschaft ganz darauf gerichtet war,

ihrem Genie,

durch das sie noch bei der

spätesten Nachwelt Bewunderung erregen wollen,

die vollkommenste Ausbildung zu geben. Das war

der Fall einiger Zeitgenossen Friedrich des II., die

litterarisch groß und bewundernswürdig, moralisch

wenigsten« schwächend nicht sehr achtungswürdig

waren.

Friedrich hingegen,

der auch in der

Sphäre großer Thätigkeit, wozu er berufen war, sich zur Vollkommenheit, die Menschen möglich ist/ erheben wolte, wandte noch mehr Stuhinm

auf die Ausbildung seines Karaktrrs, feines Geiste«.

als auf die

Immerhin mag man nun sagen,

Ruhmliebe sei die Quelle seiner Moral gewesen;

er selbst gesteht,

sie war e«:

schon als Jüngling

rrkante er, wie unzertrenlich wahreRuhmliebe und

Tugendliebe sind.

Und sehr schön hat er dieses m

einer seiner jugendlichen Oden ausgedrückt: Lugend führet zum Ruhme, aber zur Tugend selbst Ist die Führerin Ruhmbegier. *)

Es hat mir immer leid gethan, baß Gellert

die Ruhmliebe so herabwürdigen und sie mit dem Schlamm,

Les vertus menent ä la gloire Et la gloire mene anx vertus

. tfinb ü6g: einige seiner Werke.,

3x9

Schlamm, wie er sich ausdrückt, vergleichen konte,

aus dem fruchtbare Saaten sich erheben, oder mit dem faulen Staube, der wohlriechenden Blumen

ihren Nahrungssaft giebt.

verdiene

Es sei so: Ruhmgier

diese Vergleichung;

so tjl es von der

Natur in der moralischen/ wie in der physikalischen Welt, so geordnet, daß dort nährendes Korn und liebliche Blumen aus Schlamm und Staub, hier

Tugenden

und Vollkommenheiten des Karakters

aus Ruhmsucht entspringen.

Spekulative Philosophie hatte für die größten

Männer des Alterthums, die sich in der thätigsten Sphäre als

Staatsmänner und als Feldherren

auszeichneten, einen Reiz, der Vielen heut zu Tage unbegreiflich scheinen muß,

da heut zu Tage nur

auf Universitäten Verehrer dieser Wissenschaft ge­ funden werden.

Moral Ernst ist,

Jedem aber,

dein cs um seine

mut; die spekulative Philosophie

interessant sein.

Denn sie nur kan entscheiden,

ob die Moral,

ausser der eigenen Glückseligkeit

eines jeden und der Glückseligkeit der Gesellschaft in der man lebt, sich noch andere Zwecke sezen soll,

und ob die Motiven und M-ttel zur Glückseligkeit

noch anderswo, als in der Natur des menschlichen Herzens und in der Natur der Dinge dieser Welt-

zu suchen sind.

ist sichtbar,

Aus den Schriften des Königs

daß dieser Theil der Philosophie auch

nur in so weit ihn beschäftigte, V r

als er dadurch

Licht

ZLo z. Uebet ien litt». ÄarakkerFrkdrich H. Licht bekam, das Sistem seiner Moral auf einem

zuverlässigen ©timbe zu errichten. Daß ein großer Theil bet Schriften des Königs Hauptsächlich Geschichte und Kriegskunst zum In­

halt hkt, wird Niemand befremden; vielmehr wird jederman von einem Könige und einem Feldherrn

und schwerlich eines

am ersten Schriften dieses, andern Inhalts, erwarten.

Mit Politik hat sich Friedrich als Schriftsteller Xmb als König nur in so weit abgegeben,

ein unentbehrliches,

als sie

nothwendiges Glied in der

Kette der Beschäftigungen und Arbeiten war, denen

er 'sich ans Neigung widmete.

fernt sie zu vernachlaßigen,

Weit indessen ent­

sieht man in der Are,

wie er sie behandelte, seinen großen Verstand, seine außerordentlichen Geschicklichkeiten,

nicht minder

als in seinen ihm geliebteren Thaten und Schrif­

ten.

Aber es ist auch zu sichtbar,

daß er in der

Politik nie con amore arbeitete, daß er nie con nmore davon schrieb. Sowol in der Poesie als in der Ptose wählte

sich Friedrich diejenigen Gattungen, die vorzüglich

zum Vortrage dieser vier Gegenstände geschickt sind;

in der Poesie die Ode, die Epistel und das

Lehrgedicht; in der Prose historische Darstellungen, Abhandlungen uir Briefe.

In allen tiefen,

so-

wol poetischer^ als prosaischen Werken, bemerkt der Leser,

der (inen geübten Sinn mirbringt,

bald eine

und ^her einige feiner W^rke,

321

eitle gewisse Aehnlichkeit in der Art zu denken, zu schließen, die Schlüsse zu ordnen, und die Gedanken einzukleiden. Bei allen diesen seinen Arbeiten führte eine strenge sowol als starke Vernunft den Dorsiz. Eine lebhafte, aber sanfte, eine reiche, aber nie ausgelassene, eine lieblich blühende, tue stürmisch feurige Einbildungskraft ist sodann die Eigenschaft seines Geistes, die sich am meisten auszeichnct, die aber immer der Vernunft unterge­ ordnet bleibt. Ein schneller und scharfer Wiz blizt in den frühern Werken des Königs, der Aufsicht der Vernunft ohngeachtet, manchmal zur Unzeit hervor. Aber in den spätern Werken zeigt er ßch nur sparsam und sehr gemäßigt. Die Gabe zir rühren vermißt man zwar in seinen Werken nicht. Vielmehr gehen alle seine Vorstellungen ans Herz, aber sie erschüttern es nicht, sie theilen ihm nur die sanften Empfindungen der Freundschaft, der Men­ schenliebe, der Heiterkeit, der Geistesglückseligkcit mit, die dem Könige so manche seiner Verse eing§geben haben. Endlich müssen wir noch bemerken, daß ein vorzüglich glückliches Gedächtniß mit ZN Friedrichs Talentengehorte, ein Gedächtniß, daß alles behielt, leicht behielt und das bei jeder Ge­ legenheit schnell und treu sich alles dessen erinnerte, was es jemals aufgesammelt hatte. In seinem Stile glaube ich eine gewisse Weich­ heit zu bemerken, wenn es mir erlaubt ist, mit diesem Ausdruck diejenige Eigenschaft zu bezeichnen, die

322 z. Ueber den litttr.KaraktevFriedrich IL

die die Franzosen la tholefle da ftile nennen. Sie scheint mir in der Vermeidung alles dessen zu bestehen, was dem Ohre nur im geringsten an­ stößig, dem Verstände nicht gleich im ersten Augen­ blick faßlich, und der Einbildungskraft zu neu und ungewöhnlich sein würde, und bet alle dem müssen es oft neue und tiefgedachte Sachen sein, weil man eine Schrift nicht gern, nicht lange liest, in der man-nicht viel neues und-vieles, was uns be­ wegt weiter nachzudenken, antrift. Ein Stil dieser Art führt vor der Seele eine Reihe von Gemälden auf, die nie unerwartete, heftige, son­ dern immer sanfte, gefallende Eindrücke machen. Er giebt dem Verstände immer zu denken, aber giebt thm nie durch geheimnißvotle Wendungen oder Allusionen Räthsel auf. Er schmeichelt dem Ohre durch eine lieblich fließende Folge der einzelnen Worte sowol als der Perioden. Cäsars Styl ist bloß, wenn ich so sagen darf, Werk seines Verstandes. Mau steht es jedem Worte, man steht es jeder Periode an, daß der Verstand wählte, und sie in die Stellung, worin ste stehn, ordnete. Weder dem Ohr noch der Einbildungskraft schmeichelt Casar; Friedrich schmeichelt beiden nicht wenig.

Wenn noch in spaten Jahrhunderten einst ein forschender Leser die Werke Friedrichs in der Ab­ sicht vornehmen solte, in ihnen die Züge zu sammeln, die

. und Über einige seiner Werke.

321

die das Aarakteristische in dem Gemälde seines Gei­ stes und Herzens ausmachen, so glaube ich, würde

er beim Schluß seiner Lektüre dieses Resultat be­ kommen: Friedrich, von der Natur mit den fem-

sten Organen des Gehörs und- der Einbildungskraft

begabt,

brante von Jugend an vom Feuer der

Ruhmgier, und sie erlosch nicht eher bei ihm, als

mit seinem Leben.

Eine Vernunft von seltner

Stärke mäßigte dieses Feuer, angemessenste Nahrung an.

und wies ihm die Seine Vernunft er-

feinte, daß, für einen König, jede Art von Ruhm

dein Ruhm ist, wenn er den Ruhm, ein guter und weiser König gewesen zu sein,

aus der Acht läßt.

Don diesem Ruhme unzertrenlich begleitet, wünschte er

auf

zwei Bahnen,

wo von allen Arten

des Ruhms der glänzendste erworben wird,

der

Bahn

der

Feldherren

steller , < zu erscheinen.

und

der

Aber nie vergaß er um

des Feldherrn willen seine Königspflichten,

Schriftsteller war er nie eher,

und der Feldherr ihm

auf

Schrift­

und

als bis der König

Zeit dazu

ließen.

Als

Schriftsteller sah er bei der Wahl seiner Gegen­ stände immer darauf zurück, daß sie seines erhabenen

Standes nicht unwürdig sein selten.

Da ihm bei

dem großen Vorrath seiner gesammelten Kentnisse,

bei der Fertigkeit feines Gedächtnisses und bei der Fruchtbarkeit seiner Einbildungskraft, die Gedanken eher zuströmten, als daß er sie hätte suchen dürfen,

und da cs (hm durch eben diese Eigenschaften leichv

wurde^

3M Z. Ueber pey littex.Kapftkter FkftdHch ll. wurde, sie mit einet Menge Vergleichungen und Bil­ der zu erläutern und auszufchmücken, so verschmäht­

er den Fleiß derer,

die ihren Abgang an Reich­

thum durch eine desto sorgfältigere Bearbeitung

auch der kleinsten Theile ihrer Werke zu ersezen

suchen.

Friedrich begnügte sich seinen Schriften

die Schönheiten zu geben, die mehr Früchte einer glücklichen Genies,

scheinen. korrekt,

als mühsamen Fleißes zu sei«

Zn der That,

wenn Friedrich so

wie ein Boileau,

oder Hagedorn

unter uns Deutschen geschrieben hätte, würde nicht

ein gewisses dunkles Gefühl der kleinlichen Sorg­ falt , die zu einer solchen Korrektheit erfoderlich ist, den Leser seiner Schriften haben urtheilen lassen,

daß F r i e d r i ch wol ein guter König, aber schwer­ lich ein großer König,

am wenigsten ein großer

Feldherr habe sein können. 2. Man tönte die Werke des Königs in Rück­

sicht auf die in ihnen vorzüglich hcrschenden Gei­ steskräfte chronologisch in vier Klassen eintheilen,

i.) Jugendliche Werke, worin er aus Be­ gierde

zu gefallen

Modegeschmak,

mots sehr liebte,

dem damaligen

der satirischen Wiz

französischen

und

Bon­

ein wenig viel Opfer brachte,

r.) Werke des männlichen Alters vor dem sie­

benjährigen Kriege.

Einbildungskraft und

Gefühl zeigen sich da ln ihrer ganzen Stärke. Jene ist oft noch men,

verschwenderisch

mit

ihren

Blu­

Die Gefühle find sichtbar die eines mit

sich

und über einige seiner Werke.

325

sich selbst und mit dem ihm vom Glus znqeworf-

3.) Werke

nen Loose znftiedr.cn Monarchen.

während des siebenjährigen

Kriegs.

Seine

Widerwärtigkeiten überziehen manchmal seine Ein»

bildiingskraft sowol als sein Gefühl mit ziemlich biu stern Gewölke; aber die natürliche Heiterkeit von

beiden bricht doch immer wieder durch das Gefühl, fängt an etwas zurMisantropie gestirnt zu weide«.

4.) Werke

nach

dem

siebenjährigen

Kriege,

Man vermißt in "ihnen die so überflicßende Ein­ bildungskraft der vorigen Zeiten.

Ohne Zweifel

hatte sie wahrend des grausamen Krieges zu viel traurige Buder gelamlet, bei denen Friedrich nicht

gern verweilte, weil er das Unangenehme in der

Erinnerung eben so sehr als in der gegenwärtigen Empfindung so schnell wie möglich zu entfernen suchte.

Er vexräth in diesen lezten Werken nicht

sowol ein sanftes als ruhiges Gefühl.

Er schrieb,

wenn ich so sagen darf, fast nur mit dem Ver­ stände und erlaubte der Einbildungskraft,

Wiz und dem Gefühl

dem

nur sehr selten einen An­

theil an seinen Arbeisen.

Zezt will ich einige seiner Werke, nach der Ordnnng hex berliner Ausgabe, durchgehn.

Zn einer Art von Vorrede widmet Friedrich stine poetischen Werke seinen Freunden; er gesteht ihnen seine leidenschaftliche Liebe zur Dichtkunst, der er nicht widerstehen könne; er erklärt ihnen,

daß

326 z. Ueber de» litter. Karakter Friedrich IL

daß sie keine nach den Regeln ängstlich ausgear­ beitete Gedichte von ihm erwarten müßten: er legt eine Art von Glaubensbekeumiß in Ansehung sei­ nes Geschmaks in der Dichtkunst ab. Ich hoffe, es werde meinem Leser wenigstens nicht zuwider sein, wenn ich diese imb tu der Folge andre Stel­ len ans den Gedichten b?6 Königs in unserer Sprache frei nachzuahmen suche. Wenn mein Unternehmen verunglukt, .mögen sie immer über mich lächeln; nur bitte ich mir deswegen nicht gram zu werden. Der König endigt fettig sb ge­ nante Vorrede folgendermaßen:

Hin ve’fiet mich die Leidenschaft; Durch deiner Harmonien Kraft Bezaubert, wag' ich es, Hewaz, die nachzusingen. Mag immer mein Gesang mißlingen, Ich muß; vergebens sag' ich: Nein. Oie beiden'cheft gebeut, tch soll ein Dichter feint

Vergebens tritt mit finsterm Blicke Ein Richter in der Kunst stolz vor mir hm'und weist Auf seine Regeln; meinen Geist Voll Ungeduld schreckt kein Pedant zurücke. Ich stiege k'.hn den freien Flug Der Phantasie, ein Bild, ein Zug Voll leben, voller Geist ist mir genug; Ein andrer mag sein Lieo nach kalten Regeln messen. Am Pindus wird er und sein Lied vergeben. Ueber *) Ma paflion m*a fait la loi, Et les charmans accords d'Horace M’ant; iait Po&e malere moL

Ma

und über einige seiner Werke. Ueber die

Oden

327

de6 Königs.

Von den Oden werden die Kunstrichter viel, leicht behaupten, daß die meiste-n nicht Oden, son­ dern Lehrgedichte in Strophen sind. Ich will über Namen nicht streiten; Friedrich hätte sich auf Horazen berufen können, der allch unter sei­ nen Oden Gedichte hat, die sich durch moralischen Inhalt und durch eine edle erhabne Sprache aus­ zeichnen, in denen aber der Schwung der Deacisterunq vermißt wird. Immer sind es Gedichte von großem Werth, und sie fpb vorzüglich geschitt, seine feinen moralischer» Bemerkungen, von deren Wichtigkeit ich oben geredt habe, vorzu­ tragen. Zu einem. Erempel theils dieses meines Ur­ theils, theils der oben von mrr behaupteten Wich­ tigkeit der Moral zur Ausbildung des Karalters, scheint mir die sehr merkwürdige dritte Ode dienen zu tonnen. Sie ist die Standhaftigkeit über­ schrieben Ma Muse — -— —Dit les choscs commc eile peilt; Et du compas parfait bravant la fymmetrie» Le piinfme gänant, et la Pedanterie, Expnme au moins ce qu’elle veut. Libre de cette fervitude, Un trait d'iinagination Vaut mieux au grede ma raifon, Que cette frotde exaftitude Dont les modernes fönt l’etude, Et qu’on rcprouve a lVHdhcon, *) la Fermete\

j$8 z. lkbex den Wr. K-paksex Friedrich II. schrieben «nd enthält Betrachtungen, womit Fried­ rich sich vorbereitete,Unglücksfalle, die ihn einst mög­ licherweise treffen tonten, zu ertragen. Die Ode ist vor dem siebenjährigen Kriege geschrieben, *) also in Zeiten, wo das Gluck' Friedrichen in allen, selbst in seinen kühnsten Unternehmungen jederzeit hegiln.stigt hatte. Und in diesem Zeitraum denkt er gleichwol an die Möglichkeit, daß er einst mit Widerwärtigkeiten werde kämpfen müssen, und er sucht sich schon diejenige Tugend zu erwerben, durch die der Leidende die schädlichen Eindrücke der Widerwärtigleiten auf sein Herz und seinen Geist, wo nicht ganz vernichtet, doch dergestalt schwächt, daß dadurch die Wirksamkeit seiner Seelenkrästr zur Wiederherstellung seiner Glükseligkeit nicht ver­ hindert wird. Solte wol je ein anderer König, ich möchte sagen, solre je wol irgend ein anderer Liebling dcs Glüks in den Tagen, da er dieses zu sein schien, den Gedanken der Möglichkeit künfti, ger widriger Sckiksale so ernstlich beherzigt ha­ ben ? Daß Friedrich diesen Gedanken ernstlich be­ herzigte , glaube ich mir dieser seiner Öde bewei­ se» zu können, einmal, weil er darin den wahren Degris der Standhaftigkeit, die von Hartnäckig­ keit, Troz und Gefühllosigkeit fp sehr verschieden ist. Sie steht schon in den Oeuvres dn'philosophe de Sanssouci, und es ist bekant, daß die IN dieser Sawlung enthaltenen Gedichte aus der irichcrn Hemde sind.

und über einige seiner Werke.

329

ist, sehr richtig auseinanderftzk, und hiernächst, weil er hier schon die ausgesuchten und vorzüglich zur Beruhigung wirksamen Gründe braucht, die

nachher, als wirklich Unglück über ihn kam, wah­

rend des siebenjährigen Krieges seinem Geist immer gegenwärtig waren.

Der eine Grund ist: die

Zeit, die schnelle, die alles vertilgende Zeit, ver­ tilgt auch selbst die Spuren des Uebels, das sie

verursacht:

Stets wechselnd ist der Menschen Glück. Eie, die in jedem Augenblick Gedickt und tödtct; schäft, zerstöret; Hier baut, dörk stürzet; hier verschönert, dort ver» heeret; Unaufgehalten fliegt die Zeit, Und jeder Schlag von ihrem Flügel streut Hier Güter aus, dort Uebel. Morgen Ist schon vertilgt die Spur von beiden, kcid. Bedecket hier das Feld, wo Freude blühte. Sorgeit Sind dort vergessen, laut singt dort dir Fröhlichkeit.

Zn seinen Briefen während des siebenjährigen Kriegs führt der König oft diesen Trostgrund an; und welcher andere Trostgrund ist so wahr? Mit 'ihm

*) Le Dieu du tems d'une aile prompte S’envole‘et ne revient jamais; Cetetre, en fechappant, 11011s compte Sa Finte au rang de fes bienfaits; t)es maux qu’il falt et qu’il efface, II empörte jufque a la trace; 11 ne pent changer le destin. Ponrqnoi, dans un si court espac^y Du malheur d’iin inoment qui pasle Gemir et se plaindre sanssin’?

33ö z. Ueber den littenKaratter Friedrich IL ihm in der Seele kan man allen Uebeln des Le­ bens entgegen gehn. Die Zeit ist eine mächtige ^Trösterin. Ein anderer Grund ist von der Unvermeidlichkeit des Schiksals hergenommen. Die Schild sale eines jeden gleichen einem mächtigen Strome, gegen den man selbst mit den Kräften eines Herkules nicht anschwimmen kan. Weises Nachgeden ist das beste Mittel seine Heftigkeit zu bre­ chen , und nicht ganz zu Grunde zu gehen. Es ist der Mühe werth, in den historischen Werken des Königs und in seinen Briefen Acht darauf zu geben, wie er auch von dieser Bctrachtlmg bei sei­ nen Widerwärtigkeiten Gebrauch machte, und dann wird man auch durch dieses Erempel über­ zeugt werden, daß moralische Bekrachtuligen dem Könige nicht bloß den Stof zu Oden und Episteln hergaben, sondern daß ste auf seinen Karakter und auf seinen Gemüthszustand einen starken, fast entschewcnden Einstuß harren. Die zweite Ode an Grasset ist vielleicht die am wenigsten uuwollrommene. Sie ist die Frucht eines Augenbl.'ks glüklicher Begeisterung. Man wird bei ihr Teir Bestreben gewahr, Theile zusammen zu sezen, die durch Nachd-nren erst zusammengcpaßt wurden. Es ist cm Ganzes, n.Iöqte ich sagen, von der Geburt an. In so weit ich darüber urtheilen kan, ist auch die Sprache viel korrek-

' imb über einige feiner Werke.

33i

korrekter, als in den übrigen Oden, und in vielen Strvfen scheint sie mir der besten

französischen

Dichter würdig, z. D.

Tes rayons lumimoiix colorent la natu re Ta main peupla la nies, l’air, la terre et lescieux^ Pallas te doit l’Egide, et Venus la Peinture, Tu creas tous l^s Dieux. Zn dieser Sttofe ist bloß die Wiederholung der Silbe la in peupla la mer einem geübten

Ohr anstößig.

Sehr harmonisch ist bis auf ein

Wort — les preceptes — felgende Strofe:

Sous un mafque cnchanteur la piftion hardie Cacha de la Vertu les preceptes cliarmans; La verite se've're en paiut embclhc, Et toucha mieux nos fens. Aber kritische und grammatische Anmerkun­

gen sind meine Absicht nicht, die ich einem franzö­ sischen Kunstrichter billig überlastn muß, und gern

überlasse.

bemerken,

Zch wolte nur bei dieser Gelegenheit daß der König bei all^r Leichtigkeit,

womit er seine Verse schrieb, gleichwol selbst alle

Sorgfalt aus die Sprache und den Ausdruck ver­ wandte,

daß er die Sorge für Korrektheit und

WohAang nicht andern überließ, wie diejenigen welche immer noch

an das Genie

Friedrichs nicht glauben weiten.

Diesen Fleiß

vermuteten,

des Königs bezeugt Voltaire, und bezeugt ihn

in einem Werke, das er in Umstanden und in ei­ ner Absicht schrieb,

nm derentwillen man diesem

fernem Zeugniß den höchsten Grad der Glaubwür-

dig-

gz2 3. Ueber den litter. Karakter FriedrichH. bigkeit nicht versagen kan. In den Nachrichten von seinem eigenen Leben, die Voltaire zu Frank­ furt schrieb, als Friedrich seine poetischen Manuffripte von ihm zurüksodern ließ, und worin der rachgierige Dichter den König im hassenswürdigen Lichte zu zeigen suchte, gesteht er, daß Fried, d rich Sprache und Kunst stuöirte und mit dem glärlichsten Erfolg ftudirte. *)

Lesern, ») S. Memoires de la vie de Voltaire, ecrits par lui inenie. 1784* P- 91* Verglichen mit la vie de Voltaire par M * »*' p. 155. „Son gcnie le feroit encore mieux, que mes lecons, sagt Voltaire In dem zulezt genanten Werke, das ohne Zweifel einen Mann, der Voltairsn aus langem freundschaftuchem Umgänge kante, vielleicht einen Mar­ ti: v n r e l, zum Verfasser har, werden folgende Umstünde von der Art, wie sich Voltaire bei der Durchsicht der königlichen Gedichte nahm, ange-r führt: „Oer König legte Vottairen oft seine Ge­ richte vor, daß er Kritiken darüber machen sollte. Dieser lehnte es immer mit der angenehmsten Ma­ nier ab. Aber oft bestand der König darauf Dann sagte Voltaire: Wenn Sies denn befehlen, Sire, so erlauben Sie nuk erst, daßichOlivers Mantel und Kra­ tzen anlege, und so will ich dann die Arbeiten meines Herrn und Meister­ durchgehen. Mit unendlich feiner Kunst brachte er dann seine Bemerkungen bald über die Stelluna der Worte, bald über vernachlcißigte Gram­ matik an. Es war nicht zu verwundern, daß ein König hundert und fünfzig Meilen von Paris, nicht alle ihre feinett Regeln kante. Manchmal wurden die vorkommenden Punkts ordentlich ge­ lehrt abgehandelt. Fand Voltaire bisweilen einen Vers dunkel; der König verbesserte ihn gleich Und verschönerte ihn- fand (»einen nicht fließend genug.

ünd über einige seiner Werke.

333

Lesern, deren Geschmak durch unsere neuere Kunstrichter und durch unsere neuere Dichter gebildet worden, wird an den Oden des KömgS schon ihr Inhalt statt eines Beweises gelten, daß sie ceine sehr poetische Oden sein können. In den meisten, werden solche Leser sagen, handelter moralische Gemeinörter ab, und sie werden kein Bedenken tragen, hinzuzufügen, mit mora­ lischen Gemeinörtern, fange jeder Schnsir an-, Gegen selche ekele Leser sei mir erlaubt zu bemer­ ken, erstlich, daß m der ersten Halste dieses .Jahr­ hunderts noch allgemein geglaubt wurde, das 2(mt der Poesie sei hauptsächlich Moral zu lehren, und daß Pope unter den Engländern, Rousseau unter den Franzosen und Hagedorn und Hal­ ler unter den Deutschen sich vorzüglich dadurch Beifall erwarben, oaß sie die Moral mit neuen Bemerkungen, in der schönsten Sprache ausgedrükt, zu bereichern suchten. Man glaubte da­ mals eine einzige neue Bemerkuyg, stark oder glüklich gesagt, seze schon Genie voraus und sei ein wichnger Beitrag zur Wissenschaft des Men­ schen. Mich dünkt, Europa bewunderte mit Recht die schönen Verse beim Rouseau, wo der

genug, der König änderte ihn auf der Stelle und sehr glücklich. Wenig geborne Franzosen haben so viel Talent zur französischen Poesie gehabt, al­ ber König." 91. Mus. Sept. 8-.

s

3f4 Z. Ueber den litter.Karakter Friedn'ch 1L der Held gemalt wird, der es nur so lange war, als das Glük ihn begleitete, und der in dem Au-

genbltr, da das Glük ihn verlaßt, als gewöhnli­ cher Mensch da steht, und an dem man keinen Zug

Mehr Don dem gleichsam verschwundenen Helden wahrnimt.

Die Gelehrigkeit des Volks sich von seinen-

Priestern jeden Unfum für heilige Glaubenswar«

heit verkaufen zu lassen, tonte nicht einleuchtender

dargestellt werden, als durch die so leicht zu mat chende, und doch so wenig gemachte, und daher,

als sie zum erstenmal gemacht wurde, so auffallende

Bemerkung, daß der Pöbel Gott in so viel Got­ ter zertheilt, als es dem Priester beliebt, daß er

zertheilt werden soll. Solche Bemerkungen nun, btV einen sehr aufmerksamen und feinen Beobachter der

Menschen und der menschlichen Dinge voranssezen, unter sehr passenden Bildern,

mit dem glülkch-

sten Ausdrucke vorqetragcn, wird man recht viele

in den Oden des Königs anrreffen.

llnd wenn

es nicht immer neue Bemerkungen sind/so weis er sie doch durch neue Bilder, neue Wendungen entweder

der

Einbildungskraft anschaulich

vder

dem Herzen wichtig zu machen, z. E. in der vier­

ten Ode über die Sch weiche le L

selben, trauet dem Strom schmeichelnden Lobes nicht; Traut ihm, Könige, mcht: denn, schon erworbnen Ruhm Führt

imd über einige.feiner Werke

355

Führt der falsche oft wirbelnden Schlünden zu,

Oder rerschmettert an Klippen ihn. •) Desgleichen

in

der

achten Ode an

die

Preußen: Seht mächt'ge Thronen stürzen, zertrümmert, hin, Nicht weil im Zorn sie donnernd der Himmel traf, Nicht wcil'S des Schicksals Buch verlangte. — Weil ste nicht länger Weisheit stüzte. Was Weisheit baute, muß sie erhalten auch: Wenn sichre Thorheit die Bande sieht Sich lösen und die Mauern weichen; Muß nicht zerfallen, was felsenfest war. ••)

Sodann ist es der Mühe werth zu fragen, ob es denn so sehr unter der Würde des Ge. nies sei, Gemeinörter abzuhandeln, ob e
ach Minister Art,' nicht aufgehort,

ihm vorzustellen, daß er die damaligen günstigen

Umstande besser nuzen müßte. ♦) An einer andern Stelle dieser Lebensbeschrei­

bung sagt er,

die Minister Fridrich

Wil­

helms hätten ihn während seiner Negierung vier­

zig Traitare unterschreiben lassen,

die alle gleich

unbedeutend und nuzlos gewesen waren, aber sie

hätten sich aus ihren Posten um die Würde ihres

Herrn

nicht so sehr bekümmert,

sondern mehr

darauf gedacht, ihre Posten recht einträglich zu

machen. *♦)

Die *) La Pa ix , que le Roi negocioit a Stockholm, fut ensin conclue Sa Moddi ation diminua (es avantages. D' Ilgen ne cefioit de lui rdp re ferner,, selon 1’ 11 sage des tninistres, qu’il devoit profiter de (es avantages. **) Les Ministres de Frederic Guiliaume lui firent figucr quarante Traitds ou Conventmns, que nous nous sonnn es dispenses de rapporter a. cause de leur frivol ite. lls etoient fi dloigne's de la moddration de ce Prfnce, qu’ils songeoieut rnoins a la dignite de leur maitre, qu’a augmenter les bendsices de leurs emplois.

34 So

krank, — verwundet —

gemißhandelt — des Aufdauerns unfähig? —

0 meine Tochter!

Gut auf Erden!

meine Einzige!

o vergicb mir:

mein liebstes

daß ich allein

dich

4. Feeiwerbetei aus dem XI. Jahrhundert. 347dich ließ.

Ich

bin Schuld an

ich-----------M a t h. (qevühct)

Bald.

allen diesem;

Mein Vater — —»

Auch das vergieb, daß ich nicht eher

zu deiner Rache,

als zu deinen Anblick eilte^

Ich mußte dich sehn, und jene soll nun diesem so schnell, wie der Donnerschtag dem Blize folgen.

— Wie ist dir? Aufrlchtlg. Math.

Wie ist dir?

Besser vielleicht, als das Gerücht,

gefasst haben mag,

wenn auch nicht gut! Meine

Wunden sind allerdings noch nicht gefährlich.

schmerzhaft,

doch

Dieser Arm und diese Schulten

sind zwar ein wenig verwunde;

diese Wange imb

der Nacken ein wenig qerizr: doch hoffentlich wird

alles dies bald wieder heilen; — eher wenigsten-

al- es vergessen wird! Bald,

ttnd Wilhelm — Herzog Wilhelm

that dies alles?

Math, (gelassen) Wilhelm; Herzog Wilhelm. Bald.

Er allein?

in der Kirche?

in der

Gegenwart von mehr als tausend Zeugen?

Math.

dicht vor der Kirche!

Er allein!

Leider, vor Zeugen genug! Bald, (immer hastiger.) Aber wie? wie das?

— Erzähle mir alles!

Alles und genau! —-

Ha, ich Sinnloser, der ich einem solchen Wütrich

einst mein einziges Kind zu vermählen dachte! — Mathilde erzähle mir alles!

Math.

348 4' Freiwerberei aus dem XL Jahrhundert. flÄ arh. (etwas schmerzhaft) Und wozu das? hak

«s nicht das Gerücht schon und mein Dries gethan. Bald. schwarz,

doch vielleicht jenes zu

Allerdings?

und dieser zu kurz!

Munde will ich es wissen;

aus deinem eignen

Zug für Zug!

damit

ich ihm dafür seinen Lohn zuwäge, ohne Nachsicht,

ohne Abgang. — Math.

Sprich; ich bitte dich, sprich!

Aber jezt, da Ihr im ersten Eifer

üdch seid?

Bald. Jin ersten und im unversöhnlichen. — Sieh, meine Füße stehn auf glühenden Kohlen; Meine Herolde durchstiegen schon ganz Flandern,

tinb rufen:

zum Waffen!

zum Waffen I

Reisige und Edle san-len sieh bereits.

meine

Eh der nach,

ste Morgen graut, sollen schon tausend Lanzen sich

geben; eh die dritte Nacht dämmert, schon di«

Lohe feindlicher Städte auf zum Himmel schlagen. — Aber sprich jezt, arme Mathilde, entdecke alles

deinem Vater, deinem Rächer! Math.

Nur der Erstere höre mich jezt,

damit der Zweite nicht selbst tn Gefahr sich stürze.

— Euer Entschluß, sagt man, das Wort zurück­ nehmen, daß ihr ihm meinetwegen gabt, erbitterte

Wilhelmen höchlich; noch mehr ergrimmte er über die Erklärung: daß ein Unehlichgeborner unwerth Euer Schwägerschaft sei.

Er,

der mir einst mir

so mänlichem Ernst Liebe schwur — vergebt euer

Tochter dies Andenken,

diesen weiblichen Stolz'

und diese Thräne! — er schwur jezt Euch Rache,

und

4. Freiwerberel aus-dem XI. Jahrhundert. 349 und mir,

mir Unschuldigen Beschimpfung zu.

Daß ihr abwesend von Brägg und ich zugegen sei,

erfuhr er bald,

hieher.

und flog in verstellter Kleidung

Zwei Tage,

vernahm,

wie ich nachher allzuspat

lauschte er hier in einem abgelegenen

Gasthof, unbemerkt blieb er und unerkant.

oder zwölf seiner Diener,

Zehn

in verschiednen Wirths­

häusern zerstreut, mögen indeß jeden meiner Schritte anfgcpaßt haben.

Wie fönt' ich dies wissen, wie

mutmaßen nur! — Vorgestern, als ich zur Messe nach unsrer Hauptkirche gehen wolte,

und noch

zwei oder drei Schritte kaum entfernt von der

Kirckthüre war, da sah ich rasch einen Ritter die Eh ich noch 6e-

Reihen des Volks durchbrechen.

grif: wer? woher? und warum?

vor mir.

stand er schon

Mathilde! rief er, und faßte mich Er­

schrockne beim 2lrm;

Mathilde, kenst du Herzog

Wilhelmen noch? oder vergißt die Tochter der Ge.flchtcr eben so schnell, als der Vater seines fürstli­

chen Worts? Wahrlich! Wahrlich! kein Wunder .war' es gewesen,

hatt' ich ihn nicht gekant;

so

schrecklich glühte sein Blick; so nah hatte der Zorn seine Augcnbrauncn zusammengedrangt; so verzogen

waren Mund und Stirn!

'

Bald, (emfaiien») O ich kenne ihn,

zürnt!

wenn er

er focht in Schlachten ja schon mir zur

Seite; und daß er tapfer ist — sieh, und müßt' ich in ihm den Mörder meiner Tochter verfluchen

'

N. Mus. Sepl.

A a

—dies

35® 4» Freiwerberei aus dem XL Jahrhundert, Aber weiter,

dies würd' ich nie verlaugnen.

Mathilde, weiter? was sagtest du darauf?

Kont ich reden als ich so ihn vor

Math.

nur zittern kont' ich;

wir stehn sah?

Wvlt' ich.

nur fliehen

Aber mit Hvhnqelächter hielt er mich. —

„ Nein," rief er,

komst du nicht.

„ so schnell, so unversehrt ent«

Werde die Gemahlin von Königen

oder Kaisern; unanaetastet, und unbeschimpst solst ttt wenigstens ihr Lager nicht besteigen.

Dann

gehe, dann sage: daß dies ein Bastard that! “ — Hastig, indem er dies sprach, zerriß er den Schleier Meines Busens.

Beim Gürtel faßte mich seine

Rechte, hoch hob er mich empor; und drückte vor allen Volk auf meine entblößte Brust zwei Küste

»er Wut; eben so viel auf meinen ängstlich nifen« »en Mund.

„Meine Lippen," schrie er, „und

meine Hand

haben gefühlt,

schlagt.

wo das Herz ihr

Nun fahr wohl!" —

Er ließ mich

-gehn, und indem ich sank, schlug er noch dreimal nach mir;

und zerriß mit seinen Sporen meine

Gewänder» —L

„Ich habe sie

in Desiz ge­

nommen ; entehrt ist sie für jedes andern Arm;

entehrt ist derjenige, der fortan ihrer Liebe begehrt; bevor er sein Schwert nicht mit dem weinigen ge-

meffen hat!" So rief er, durchbrach die zahllosen Haufen, die schon sich qesammiet hatten, und entfloh.

Bald, (der voll Wilk sich auf einen Segel giroort W hat.)

Ha, daß ich das hören fönte! es aus. hören

4.Freiwerberei aus dem XI. Jahrhundert, zzr hören und leben!

ich danke dir, Himmel, daß

mein Leben so fest noch ist. —

leicht?

Und entfloh?

so ungehindert von allen,

so

die sich um ihn

drängten? herrsch' ich denn über lauter Verräther nur? oder hatten die Elenden keine Waffen, keine

Hande mehr?

warf denn Niemand sich diesem

Tollen in den Weg?

Math, (sanft) Vielleicht geschah es; doch ich,die

nun bewußtlos zu Boden lag! weis nicht, was wei­ ter mit mir vorgieng. Erst nach zwei Stunden kam

ich hier auf diesem Bette wieder ins Esben zurück. Eine der Kammerfraun. Nur mit der

Prinzeßin, gnädiger Herr, waren wir alle beschäf­ tigt. Ein allgemeines Erstaunen über ein so uner­

hörtes Schauspiel hakte die Zuschauer ergriffen. Al­

les schrie, und alles starrte.

Ein paar alte Krie­

ger, die Hand an ihn legen wolten, verwundet« er mit seinem Schwerte.

Die Uebrigen machten

dann gern Platz. Bald.

O des Schändlichen,

Mädchen' und —

der an ritt

bei allen Heiligen ,

an

welch ein Mädchen! seine Hand gewaltsam legen

tonte! — Mathilde, deine Ehre soll gelöst wer­ den ; gelöst mit dem Blute des Verwegnen und

mit dem Blut aller derer, die sich zu ihm gesellen. Mit dieser meiner Hand will ich seine Schlösser

in Brand stecken, seine Vasallen mezeln; will nicht eher ruht n, bis ich zu seinen eignen Herzen den

Aa»

Weg

352 4- Freiwer-erei aus dem XI. Jahrhundert. Bor den'Augen alle« Volks

Weg gefunden habe.

vor den Augen von Europa

beschimpft er dich,

will ich ihn strafen; und kehrt dies Schwert ein­ mal gezückt eher in seine Scheide zurück,

ich ihn getödtet,

bevor

oder einem wilden Thiere gleich

zu deinen Füssen hergeschleift habe, so werfe man meinem weißen Haupte mit Steinen nach: so zer­

breche man mir einem Ehrlosen gleich, vor meinen

Augen mein Schwert, und gebe mir Backenstreft che mit den Splittern desselben; so — EinRitter (ter hcremkLmt) gestrenger Herr,

schon hört man von drei Seiten her, die Musik

der ankommenden Reiter. Bald.

-Sie soll ein Eulenlked,

ein Toden.

ruf für Herzog Wilhelm werden! — Schick der

Boten noch mehrere auS!

der Felonie sei jeder

diesmal

nicht erscheint!

Selbst der nur zaudert sei's! —-

Ha, Mathilde,

Vasall schuldig,

der

ich will für dich eine Lanze brechen, wie noch kein

Bräutigam für die unschuldig verklagte Braut. —

Doch warum deine Miene so gleichgültig, liebe Tochter? warum dein Mund so still?

Math.

Der Tochter geziemt Gehorsam ge­

gen Vaters Befehl,

Rede;

und Schweigen bei seiner

zumal wenn ihre Gedanken und die sci-

nigrn

Bald.

4. Fktiwerbcrci aus dem XL Jahrhundert. Bald.

Nun, warum stockst du? — Wenn

deine Gedanken, sagst du, und die seinigen —t Ende! das ist mein Befehl.

Math.

Bald.

So verschieden sind.

(erstaunt)

So verschieden'?

Ha

ich begreife; weibliche Schwäche und ein männli­ cher Entschluß —

M a t h.

Verzeihung,

mein Vater!

Ihr.

nanter mich sonst so oft Euer» Sohn; bedauer­ tet, daß ichs NetWare: gabt mir das Zeugnis,

von Entschlossenheit und Muk. — Auch jezt war, was Euch Gleichgültigkeit schien, ein Nachdenken Ich sah Euch im Geiste schon in Wilhelms

nur.

Lande;

freute mich Eures Siegs;

und fühlte

doch — — Bald.

Nun, und was?

Math.

(mit eiischlossenstem Ton)

Wilhelm

nur, oder nie ein Mann kan mein Gemal nun werden!

Bald,

(erschrocken)

Wilhelm? — Ma­

thilde ! Ist es Verrückung, die aus dir spricht?

Math.

Keine Untersuchung jezt — denn sie

ziemt mir nicht — ob es recht war, ihm, der Euer

Wort und mein Gestandmß schon hatte,

dieS

Wort zurückziehn? Es ihm zurückziehn eines Fehlers

halber, der nicht seine Schuld ist;

den wir alle wuß-

354 4-Freiwerberei aus dem XL Jahrhundert., wußten, eh Ihr zum Eidam ihn erkießtek.

Keine

Frage, ob Frankreichs hinterlistiger Rath —

Bald.

Wie? du sprichst dem Bösewicht zu

Gunsten?

Math. Ich spreche nichts, als dies: Er zer« riß meinen Schleier; er drückte den Kuß mir auf,

der nur dem Gatten gebürt; er nahm meine Ehre, dahin; er gebe sie am Altare mir wieder, oder die

Zelle empfange,

als

Gottes Braut,

diejenige,

die entehrt und beschimpft keines andern Mannes

Gattin werden darf. — Erlaubt mir, mein Vater,

jezt ein wenig auszurnhn! daß ein Gespräch die.

ser Art mich Kraftlose angrif, werdet ihr wok für leine Ausflucht halten. was Euch gutdäucht.

Friedens.

Sendet indeß aus,

Boten des Kriegs oder des

Thut, was immer Fürstenzorn und

Ritterchr Euch gebieten.

Aber Wilhelm sei künf­

tig mein Gemal, oder nie ein Mann! Und er ward es! Zwar noch nach manchem

Widerstreben des Vaters; aber genug, er ward es. — Denn fest blieb Mathilde auf ihrer Rede r

Wilhelm, mein Gemahl, oder nie ein Mann!

Aug. Meißner.

5. Ahdim, eine morgenländische Dritter

Erzählung.

Gesang.

56.

Erfahrung ist'ö, die unsern Pfad durch's Pefren, Oft Heller, alS der Weisheit Fackel, macht; Denn sie allein kan alle Zweifel heben, Oie jemals nur ein Philosoph erdacht. .Hein Wolficmer kan, nach einer solchen Nacht, Der Lehre Kants noch länger widerstreben. Und muß erstaunt die Wahrheit eingestehn: Erscheinung,ist die Welt und maS wir sehn. 57.

Ja, ja Erscheinung ist's, wenn sich in,unsern Tagen Ein Freund im Glück' und Unglück' ähnlich bleibt, Kollegen sich ohn' allen Zwist vertragen, Ein junges Weib aus Keuschheit sich entleibt. Ein Dichter, ans Bedürfniß für den Magen, Und dennoch schön wie Michaelis, schreibt! Dies und noch mehr smd Sprünge der Nature So gut als das, was Ahdim wiedcrfuhr^ 58.

Im Wirbelwind nach Vabilon geflogen, An Fatmens Brust, auf weichen Pflaum-gestreckt Im Traume noch von banger Furcht geyeK, Als würd' er um den Talisrrrao ietmou

W

z;6

5. Ahdim,

Fühlt' er sich schon um Mitternacht erweckt, Und fand entzückt, daß ihn der Schuzgeist nicht btt logen. Sein Kasten stand mit allen Schlössern da, Wie er bei'm Schein der goldnen Lampen sah. 59' Das holde Weib vor allem zu begrüßen Bei dem er lag, fiel wachend ihm nicht ein; Er eilte nur, den Kasten aufzuschließen, Und suchte voll Begier beim blassen Lampenschein Die Schlüssel auf, die bald sich finden ließen. Der Talisman, so dacht' er, ist noch dein. Wie leicht verführt der ungeheure Kasten, Die Diebe nicht dies Kleinod anzutasten. 60.

Drum fing er an, die Schlüssel zu probircn. Mein bei jedem fand sich eine Schwierigkeit; Kein Riegel weicht, kein Haken will sich rühren. . Bald war der Bart zu kurz und bald zu breit, Der Dorn zu dick, das Gcblüsselrohr zu weit; Da schien er Mut und Hofnung zu verlieren. Fuhr sich in's Haar mit thrünenvollem Blick, Und klagte laut sein widriges Geschick. 61.

Noch einmal nur versuch die fünfzig Schlösser, So stüstert' ihm die Hofnung sanft in's Ohr, Vielleicht gelingt's zum zweitenmale besser. Den Mut verliert ein Fauler oder Thor! Ein schwer erreichter Zweck macht nur die Freude grösser! 60 hob sein Herz die Gleißnerin empor; Doch bald entsank ihm Mut und tiefnuug ^wieder. Und schnelle Furcht durchbebte seine Glieder. 62. So

eine morgenländische Erzählung. 62.

357

Go steht erstarrt der Knabe, noch gebückt. Der im Gesträuch die erste Erdbeer findet. Frohlockend fte schon In Gedank/n psiückr. Und in den Strauß für seine Eiutter bindet, Als er durch's Laub ein Schlangenpaar erblickt, Das zischend sich in sieben Kreisen windet; So sprachlos stand auch unser Ahdim da. Als plözlich er die Hexe wieder sah. 63.

„Detrogner Sklaw!" so redte sie ihn an, " „Der du gchoft, den großen Talisman Zu deinem Eigenthum zu machen: Ein Kasten, den Gewalt nicht öfnrn kan. Stört deinen Schlaf und martert dich im Wachen? Wie mögen nicht die Geister deiner lachen, Betrogner Tborl gäbst du an ihrem Plaz, Für Lumpengeld, wol einen solchen Schaz?" 64.

„Zufriedenheit, die Quelle wahrer Lust, Rinnt ungetrübt nur in des Weisen Brust. Was Hilst ein Schaz, den du nicht kanst genießen, Und immer zu verlieren fürchten must? Wilst du nicht schwer für deine Thorheit büßen, So such die Schlüssel'auf, die ienen Kasten schließen. Du findest sie hiemeden unter’m Mond In einem Lande, wo die wahre Freude wohnt." —

65Kaum hatte sie das leite Wort gekräht. Und mit Geräusch sich in dem Sarg verschlossen, Als Fatme sich, erwachend, seitwärts dreht. Und neben jich, mit kaltem Schweiß begossen, Ein

358.

5. AhdiM,

Ein Wesen fleht, das angezaubevt steht. Am schwarzen Aug", aus wclcheni Thränen floss«. Am reichen Schmuck erkantc (te den Freund, Den ftc schon Längst betrauert und beweint. 66. Nichts bringt sobald den Geist zurück ftiV kekev. Der schon am stygischen Gestade weilt, Lein Balsam ist, der Wunden schneller heilt, AlS Küsse von rosigen Lippen gegeben. Auch Fatme kennt die Medizin, und eilt. Durch chpe Kraft die Ohnmacht schnell zu- heben, Und kaum berührt der Schöpfung Meisterstück, Den blassen Mund, so kehrt sein Geist.zurück. 67. Aus's neu beseelt, von -wet junonisch runden Und schwaneugleichen Armen fest umwunden. Fühlt er ein Herz, das dicht an seinem schlägt, Pur sprachlos bleibt sein Mund, wann Fatme frägt^ Durch welches Wunder sie ihn diese Nacht gefunden? Bis nach und nach sich die Betäubung legt, Und er mit untermischten Küssen Ihr vorerzählt, was wir schon alles wissen.

68, Fatime hört eö voll Derwundrung an. Was ihm geschehn, wie er sich ließ betrügen» Erzählt dagigen ihm, was sie begann. Seitdem er stolz den Palankin bestiegen. Beschließt damit, an den gesundnen Mann Sich fester als vorher noch anzuschmiegen. Weis Schmeichelei mit Thränen |u verbinden, Bis er verspricht, sein Glück Lu ihr allein zu finden 69. Es

eine morgenländische Erzählung.

359

69.

Go schwand ein Mond von rosenfarbnen Tagen Fast unbemerkt für die Geliebten Zwey. Ost mußten sie es selbst elnauder sagen. Daß Schmerz der Trennung, den Verliebte klagen, Im Grunde doch kein wahres Uebel sei., Denn Ahdim fand Fatimen wieder neu. Und wer vergäß', an unsers Ahdims Plaz, Die Hexe nicht, samt -en gehoften Schaz? 70.

Der Monat war indessen kaum verflossen, Als seinen Schlaf die Hexe wieder stört. Gewohnheit macht zur Antwort ihn entschlossen. Als er von fern die schönsten Töne hört. Und Weihrauchsdämpfe sich im ganzen Saal ergossen^ Doch was das Wunder noch vermehrt, War eine Wolke, die sich langsam nicderließ. Und ihm ein Ideal von hoher Schönheit wies. 71.

Der herrlichsten von jenen Himmelsschönen, Die, durch der Schönheit Allgewalt, Den kältsten Muselmann, mit Amorn dort versöhnen» Und seinen festen Glauben krönen. Glich diese himmlische Gestalt, Aus Aetherstoff gebaut, von dünnem Flor umwallt. Oie Schale, die sie hält, mit Purpursast gefüllt, Macht sie zu Hebens Ebenbild. 72.

„Trink, Gläubiger! den purpurfarbnen Saft," So sprach sie, „den dir gute Feen senden. Dee edle Trank besizt die Wunderkraft, Den Talisman dir endlich zuzuwenden.

Indem

z. Ahdim, Indem et die erhöhte Kentniß schafft. Dein Kasten wird, was übrig ist, vollenden; ' Er führt dich selbst, getragen von den Winden, Jura Thal, wo sich die rechten Schlüssel finden." Der Pfiüger, der die Abendgtocke hört. Mit trocknem Gaum und umgekehrtem Pfluge Bestäubt zu seiner Hütte kehrt, Ereilt kaum so lechzend mrch dem vollen Kruge, Als Ahdim jezt mit einem langen Zuge Die dargereichte Schale leert. Dom Saft berauscht, entschlummert jeder Sinn, Und srnnlos sinkt er auf den Kasten hin.

74Das Nachtgesicht verschwand, und sanfter Winde Flügel Erhuben jezt den Schläfer, als im Traum, Und trugen ihn, von Hügel fort za Hügel, Durch einen ungeheuren Raum. Lenoren trug so rasch der Rappe kaum Bei'm Mondenschein fort mit verhängtem Zügel. Doch endlich hielt das luftige Gespann, 3n einem Thal, nach Ruhe schnaubend, an. ' 75Oer nmge Tag, begleitet von Auroren, Weckt Ahdim auf, denn schlafend fand er ihn. In einem Pavillon, der so entzückend schien. Als wär' er von den Grazien und Floren Zu ihrem Sommersiz erkohren, Auf einer Streu von Rosen und Schasmin; Rings um ihn her wallt laue Frühlingsluft, Geschwängert von Oxangenblulenduft.

eine morgenlandjsche Erzählung.

561

76. Ein Sängerchor mit lustigem Gefieder, Das hin und her auf Blütenzweigen hüpft. Sang melodienreiche Lieder, Sitcmten zu grüßen, die nun wieder. Dem weiten Ozean entschlüpft Und Perlentau von blauen Hügeln lüpft. Selbst Ahdiru sah die Kunst mit der Natur Go zärtlich nie vermält, als hier auf dieser Flur. 77Auf grünen, sammetweichen Matten Erhob ein Hügel sich von Miethen rings umkränzt. Den Pavillon der Freude zu beschatten. Der auf des Hügels Spize glänzt. Ein Palmen- und Oeangenwald bcgränzt Den Hintergrund, und für den übersatten. Verwöhnten Gaum, wuchs Prsang, Ananas, Granat und Karserthee, als wie daheim daS Gras. 78-

Hier glüht ein Rosenstock von Geißblatt dicht um­ schlungen. Dort prangt am ttlmbaum jedes Blatt Mit einer Frucht, von Nektar aufgedrungen, Den kaum bei uns der Muskateller hüt. Selbst Ahdim ficht und wundert sich nicht satt, Und irrt entzückt durch diesig Zauöerungen, Bls ihn ein Bach, den er von ferne sieht, Canst rieselnd hin zu seinem Ufer zieht. Fortsezung folgt im nächsten Stück.)

6.

Nachrichten aus Frankreich»

Die jezigen Bewegungen in Frankreich, sind von einer Beschaffenheit, daß sie, wenn man alle Hauptumstände, unter welchen sie eingetreten sind, zusammen nimt, in der ganzen Geschichte schlechterdings nicht ihregleichen haben. Einige von diesen Umständen sind von der Art, daß cs mir scheint, es würde sehr wohl gethan sein, wenn Denker, denen sie natürlicherweise nicht entgehen können, behutsam genug wären, ihre Bemerkungen für sich zu behalten. Und was vol­ lends gewisse Folgen und Lehren betrift, zu welchen diese ganze unerhörte Geschichte Veranlassung giebt, so möge doch der Genius der Weisheit über unsern Männern der Schriftsiellerwelt wachen, daß sie nichts zeigen, damit die K nab en nichts zu sehen haben. — Es svlte mich freuen, wenn man meinen Sinnsa^e, und — billigte. Was ich für nüzlich halte, ist: Urkunden, Ma­ terialien von aller Art, die oft wie Erscheinungen da sind und verschwinden, fest zu halten und aufzubewah­ ren. Und in dieser Rücksicht überseze ich dem deut­ schen Publikum einige interessante Nachrichten, die jezt, indem ich schreibe, vielleicht zu den neusten in Deutschland gehören. Daß der Verfasser der Briefe Partei genommen hat, *) ist leicht -u sehen; das thut *) Unser Museum nimt keim Parte,.

DerHerauSg.

6. Nachrichten aus Frankreich.

363

tbut aber dem Interesse der Nachrichten, und selbst der Wahrheit einiger Hauptthaten keinen Abbruch. Wie würden sehr wenig erfahren , wenn wir auf un­ parteiische Nachrichten warten wolten. K.

Auszug aus mehreren (ungedruckten) Briefen aus Frankreich, bis zum z. August. Niemals ist die Lage eines Volks derjenigen, -vorin wir uns gegenwärtig befinden, ganz gleich gewesen. Die Reichsstände beschäftigen sich mit Zestsezung der ersten Grundsäze einer freien Verfassung; und nach tem, was man Vorbringen hört, ist es gewiß, daß unsere Cincinnatusritter ihre Ideen aus Amerika mit­ gebracht haben, um die Verfassung Frankreichs nach der Verfassung der dreizehn Kolonien zu bilden, welche sich gegen England empörten, und noch bis diese Stundenicht unter einander haben einig werben können. Es giebt jezt in Paris vier fast öffentlich-erklärte Parteien. Erstens die königliche, die schwächste zwar, aber zuverlckßig die vernünftigste, welche aus dem besten Theile rechtlicher Leute besteht. Dann die Par­ tei des Herzogs von Orleans, ausschweifend ungestüm und gewaltthätig, sie ziehlt auf gänzliche Zerstörung des Throns, nach welchem ihr gleichwohl gelüstet: man nennt sie die Kopfsäbler. (les faucht-urs de teres.) Die dritte, welche man die Philadelphier nennt, führt der MarquiS de la Fayette. Endlich kommen die Neckeristen, welche man die Partei deS Großinquisitors nennt, weil ihr Anführer aus Rache verfolgt, und sich mit dem Vorwande der Geseze deckt,

um seine Gegner zu verderben, und unter dem Na­ men

zöch

6. Nachrichten aus Frankreich.

inen Becker L welchen mdn ihm allgemein giebt, zu regieren. Man hat ihm vorgestellt, daß die Prinzen Und übrigen Großen, welche wegen ihres Lebens be­ sorgt waren, mit Erlaubniß des Königs aus Frank­ reich gegangen find; uni) er antwortete: „ich will diese Erlaubniß schon wicderrusen lassen, und jeder muß kommen iinb sich vor seinen Richtern stellen." Man sieht daraus, was für einen Plan von Verban­ nung er h't. Er hat sich zu den Reichsständen bege­ hen, um ihnen zu sagen, ihre erhabene Versamlung müsse von allen Unreinen, die sich eingeschlichen hät­ ten, und voll jenen Aristokraten gcrekniget werden, welche nach seiner Meinung das Unkraut des Evan­ geliums wären, das unter das gute Getreide gekommen sei. Man muß nun sehen, ob der Hr. Marquis -e Mirabean für ein Weizenkorn wird angenommen werden; aber so viel ist gewiß, daß unser neuer Here unter den Abgeordneten Zur Versamlung der Reichs­ stände alle diejenigen zurück schicken wird, welche nickt die Ehre haben, ihm zu gefallen; und er wird sich viel­ leicht auf das grausamste dadurch rächen, daß er alles Verhaßte auf Ludwig XVI. fallen läßt, dem er über­ haupt nur deswegen eine Art von Dasein zu lassen scheint, um ihn so zu sagen zur Scherbe für den Haß eiter tsamiItcn und des Adels zu machen, welchen Leztern man allem Anscheine nach mit der größten Strenge behandeln lvirb. Es ist unglaublich, wie weit man die niedrige Schmei­ chelei gegen den Gott des Pöbels getrieben hat. Oer Marquis de la Billette zeichnete sich von dieser Seite sehr aus, als Becker seinen Einzug hielt; er nahte sich ihm öffentlich, um ihm die Hand zu küssen, und da btr Ba­ tist alklub ihm aufgetragen hatte, überfeine Erleuch­ tung, welche prächtig war, die Aussicht zu ,führen, so er­ blickte

6. Nachrichten aus Frankreich»

365

Zltckte man dabei zwei Bildnisse im transparent, des Königs, milder Inschrift, Ludwig r6. und Neckcrs mit den Worten: Neckeri. des Namens.», unten stand auf einem Fußgestelle: den Zwei Befreiern deS französischen Volks. Es ist die Rede von Errichtung eines marmornen Denkmals mit ganz gleichen Inschriften. Indessen ver­ abscheuen stch die vier Ramien unter einander, und den Orleanisten ist Ncckers Aurückkunst (fußet st zuwider. Herr von Ltmon, Kanzler des Herzogs von Orleans, hatte große Lust zu der Stelle eines Generalkontro!leur. Seine Ernennung dazu würde, wie man öf­ fentlich sagt, eine Wiedeeaussöhnung der Höfe zu Versailles und im Palaiö Royal gewirkt haben. Jezt haben sich diese beiden Kronen, wie es scheint, einen ewigen Krieg geschworen. Der Marquis de la Fayette ist eifrig beschäfti­ get, seine Pariser Bürger abzurichten und in den Waffen zu üben, und behauptet, er wolle den Reich-ftilnden in kurzem mit 100,000 Bajonetten zu Hülfe kommen, welche die schönsten ordentlichen truppen «ufwiegen sollen. Kenner lachen über das Vorgehen, und nerstchern, 4000 Mann Fußvolk und 2000Reu­ terei würden diese Patriotenhelden unfehlbar schlagen. Der Zustand der Sachen in Versailles ist schreck­ lich. Oie Königin kommt nicht mehr au-ihren Zim­ mern, undste hat endlich auch Ursache genug, wirklich krank zu sein. Die Orleanisten haben öffentlich vor­ geschlagen, alle Kinder der Königin für und^rc nvh unrechtmäßige zu erklären. Man steht daraus, wie sehr der Graf von Artois Recht hatte, seine Söhne aus Frankreich zu schicken; denn gewiß hätte der N. Mus. Sept. 8-. D 6 Rath

z66

6. Nachrichte« auS Frankreich,'

Rath des Palais Royal andre Wege gefunden, diese Mittelpersonen zwischen dem Throne und seinem An­ führer zu entfernen. Der König fsr völlig ohne Wache. Die Bür, gerschaft von Versailles hat sich der Zugänge des Schlosses bemächtiget. In den Provinzen brennt, raubt und mordet man von einem Ende des Reichs bis zum andern. .Allenthalben ntmt man die königlichen Kassen weg; und in den Städten findet das Volk, daß jeder Reiche ein Anhänger des Hofes ist, und folglich ninit eS ihm seinen Reichthum. Von Zahlungen, Aufla­ gen, Polizei und öffentlicher Sicherheit ist gar keine Frage mehr, und die Anarchie ist so vollständig, als man sie sich nur einbitden kau. Besonders groß ist die Unordnung in Elsas. Ban­ den von Spizbuben, Bauern und Bürger durchstrei­ chen haufenmeiS die Landschaft und die kleinen Städte, und geben sich für das Volk aus, welches die Freihckt zurücksordert. Da es in den Abteien und gros­ sen Klöstern am meisten zu rauben giebt, so hält man sich auch vorzüglich an diese. Unter andern tij Lüdres gänzlich zerstört morden, so wie eine Menge reiche Nonnenklöster, und ein großer Haufen war auf dem Wege, Murbacb zu plündern. Eben so geht es allen herschaftlichcu und adelichen Schlössern, auf die sie treffen. Diese bewunderungswürdigen Pa­ trioten haben Kanonen bei sich, deren einige sie selbst in Huningen nahmen, während die Besazuns abgeschickt war, die Unruhe in Lyon zu stillen.

die

Nichts Ist sonderbarer als die Betrachtungen, man über das anstellen kan, was die Schicksale der

6. Nachrichten auS Frankreich.

367

-er Menschen bellimt. Dee Pöbel von Paris giebt ohne Widerspruch ganz Frankreich den ersten Stoß, lind die HeringSweibee sind jezt unum-chränkte Köni­ ginnen dieser Hauptstadt, deren wahrer Rath in der .Dorstadt St. Antoine seinen Siz hat. Hier fand man vorgestern säe gut, den Marquis de ta Fayette im Bildniß aufzuhängen, diesen Generalißimus von Packs, der in einigen andern Vierteln so sehr ver­ ehrt wird! Doch ist sein Bikdniß auch im Palais Royal verbeant worden, ohne Zweifel durch einen förmlichen Schluß des Hofes, welcher sich daselbst befindet. Die einzige noch übrige Hofnung fff, daß Necker I. merke, sein Leben und seine Sicherheit hänge ab lein von der Rückkehr gemäßigter Grundsäze ab, roeh che er wieder einzuführen suchen muß. Aber was werden er und die Rerchsstände aw fangen', um das bewasnete Volk zu Gehorsam und Ordnung zurück zu bringen, welches gewiß niemals die so angenehme Beschäftigung, patriotisch zu raip -en, wird verlassen, und noch viel weniger Aufla­ gen wird bezahlen wollen? Es wird saff unmög­ lich sein, Ordnung wieder herzustellen, und jenen Abgrund von Abscheulichkeiten zu vermeiden, wel­ cher slch den Augen jedes denkenden Menschen dar­ stellt. Wenigstens werden es die Reichsstände nicht durch schöne Reden unter der Regierung Neckers Stande bringen.

Ausrug

z6-

6. Nachrichten aus Frankreich.

Auszug eines Briefes vom 6. August 1789» ( Ebe» angekommen.) Der Erzbischof von Bordeaux, Siegelbewahrer; -er Erzbischof von Vienne, Großalmosenier; der Graf de la Tour du Pin, Kriegsminister; der Mar­ schall de Deauvau, Rath des Königs. Diese vier Personen sind die innigsten Freunde -e- Herrn Necker; und wenn er sich der unbegrenz­ ten Macht, die in seinen Händen ist, -u bedienen, und die ausschweifenden Forderungen, die der Tierös etat auf Anstiften des Herzogs von Orleans wachs, zu mäßigen weiß, so ist sicher, daß Frankreich plvzlich eine Stufe von Macht erreichen kan, welche es noch nie hatte. Aber eine schwache und schlechte Ver­ waltung wirb cs im Gegentheil zu einem Schcruplaz von Abscheulichkeiten und ewigem Hasse machen, -essen Ausbrüche sich bei jeder Gelegenheit erneuern «erden.

Neues

Deutsches Museum. 4. Stück.

Oktober, 1789.

r.

Von dem Adel. Ueber eia« Stele aut Dupatty Lettres für 1’lulle. Den Großherzog von Toskana betreffend.

«^)er Präsident Dupatty beflüttigt in feinen Briefen über Italien, das allgemeine Lob der Re, gierung des Grvßherzogs Leopold von Toskana. Er rühmt seine Popularität, seine Menschenliebe, seine Erziehung, seine Sparsamseit, seine Gerechtigkeit - Liebe, und sagt unS überhaupt von diesem erhabenen Regenten soviel Gute» und Schönes, daß man dem Schrift stellcr beynahe darüber seine oberflächige Urtheile, und seme Sentenzen und Antithesen-Zagd vergeben mögt«.

Bey solchen Gesinnungen des Präsidenten ist es um soviel mehr zu verwundern, wie derselbe in dem Men Brief sagen konnte: Arm6 de N. Mus. oft. 1». C t Bien

370

I.-Voll. Lern Adel.

Bien puHie, le grand Duc a attaque,tqus les 'Privileges go la Noblesse, il les a vaincns. II a detruitc les dernieres racines de la De-* mocratie en fuprimant les Cofifrdries; les dernieres racines de l’ariftocratie en laissant mourir Fordre des fenateurs. II n’y a plus qu’une Classe de fujets en Toscane, üc un seul rnaitre. Le ^fand Düc oft cdntraifit de bien gouverlier. II ne pent faire une seule saute; tär asant reun! tont le Poavoir poliriqne tti fa maln, il ne matique plus au pcuple de Tofcane, pour eerc libre, qu’un Tiran, il a deja un Defpote.

Le grand Dud voit passer, ponr ainfi direüne Penfee mecontente au fand de i\;ne> •&Farrete tont Court par un feul Mut. On lui reproche d’avoir des Efpions. Il repond je n’ai pas des Trouppes. *) •

Es *) Bewaffnet mit dem gemeinen Velden, hat M VroßherZog alle Vorrechte des Adels angegriffen, hat fu? besiegt. Er hat d^e lezlen Demokratie zerstört durch Unterdrückung der? .nte, die leMe Wurzel der Aristokratie, in dem azu, rind mehr oder weniger der Staatsmann sein, der mit Einsicht

an den

Welthändeln Europens nach seiner Lage Antheil

zu nehmen im Stande ist.

Zwar hat Europa

der Fürsten genug gehabt, und hat sie noch, wel­ che diese wichtigen Talente besessen, und sie auf dir

-um künftigen Geschäftsmann.' die thätigste Weise bewiesen haben. hung hat sie ihnen

Z4k

Die Erzie­

gewiß nicht allein

gegeben-

und cs ist vergebens zu erwarten, daß sie allem

sie einem Fürsten geben werde,

wenn nicht btt

Kraft zur künftigen Aeusserung derselben mit ihm geboren wird. Wenn schon in dem Jünglings­ alter cd sich entscheidet, daß dem Prinzen für ei­

ne von diesen wichtigen Bestimmungen Neigung

und Fähigkeit fehlen, so wird man sich begnügen müssen, ihm die Keutniffe mitzutheilen, welche

ihm wenigstens hinrcichen, um seine Diener, die

in derselben seine Stelle vertreten sollen, mit ebniger Einsicht ausznwahlen

und zu beurtheilen.

Aber in seinem Knabenalter muß er geleitet wer» den, als wenn alle diese Talente in, ihm lagen.

Man muß abwarten, wie sich eines oder dar an­

dere noch bei ihm

entwickele.

Man muß

in­

sonderheit dahin sehen, daß die erste Leitung nicht

indem sie Einem Talente hilft,

daß es sich ent«

wickele, die Entwickelung eines andern niederhal« te, und seinen Geist zu sehr davon ablenke. Z. B.

der Prinz zeige sich kühn und mutig.

Man hat

also Hofnunq, Ein Bedürfniß des Staats erfüllt zu scheu.

Aber er ist unbedachtsam, es zeigt sich

Fein Geist der Ordnung; seine Lebhaftigkeit macht

ihn bald zu

einem MemannSfreunde,

bald in

einzelnen Fällen rachsüchtig und hartherzig. DaS

Land wird also vielleicht einen guten Krieger,

aber einen

schlechten Wirt und Oberrichtcr an

N. Mus. Nov.

P p

zhm

54* 4« Frag«, über die Erziehung eines Prinzen ihm bekommen.

Oder er ist pünktlich, sorgsam in

Kleinigkeiten, sparsam in den ihm überlassenen

Ausgaben, aber furchtsam und ängstlich.

Nun

ist

die Erwartung des Gegentheils von jenem da. Wie oft wird eS nicht in solchen Fällen mit Prinzen versehen i

Man leitet sie in dem Wege fort, bett sie am liebsten gehen, und sucht sie dann,

wenn die Neigung sich festgesezt hat,

vergebens

in einen brr andern Wege zurück zu bringen, den

sie doch auch gehen müssen.

Das rathsamste im

Allgemeinen scheint mir diese« zu sein: arbeite der Neigung zwar sich am frühesten zeigt;

nicht fort.

Man

nicht entgegen, die

aber man helfe ihr auch

Sie wird schon wieder aufleben, wenn

man sie ernsthafter benuzen will.

Aber destomehr

Hemühe man sich > die fehlenden/ aber dem Prin« zen für andre Zwecke zuträglichen Neigungen zu

erwecken,

unb den Leidenschaften und der

mütsart,

die diesen

widerstehen,

Ge­

zu begegnen.

Man suche dem zu lebhaften Prinzen Geist der Ordnung, Milde, Billigkeit zu geben.

Man

bringe ihn oft in die Lage; da er sie von selbst äussere

oder sich dazu entschliessen muß.

Den

furchtsamen Prinzen suche man kühner zu ma­ chen, benehme ihm die zu große Pünktlichkeit, daß

sie nicht Kleingeistigkeit werde.

zum künftigen Geschäftsmann.

54z

Der zweiten Abtheilung

zweites Fragment.

Von der moralischen Bildung des Prinzen in seinen Knabenjahren. Wenn gefallende Sitten, wenn Wohlwollen m sichern und nie triezenden Zügen des Gesicht«

ausgedruckt, wenn ein freies aber sanftes Betra­ gen je einem Menschen zur Zierde dienen, so hat dies insonderheit bei den Großen der Welt Statt.

Sie haben das große Vergnügen, daß ein jeder Zug in ihrem Betragen aufmerksam beachtet wird.

Sie geniessen den Lohn ihrer Bemühung zu ge-?

fallen unmittelbar in den deutlichsten Zeichen des Beifalls und der Zufriedenheit, die sie erregen.

Wenn der niedere im Volk alle die Fähigkeit zu

gefallen besizt, und sie bei jeder Gelegenheit äust ftrt, so ist er doch zu oft in dem Fall, da erde, nen, mit welchen er umgeht, nicht wichtig ge­

nug scheint, daß sie aufmerksam auf ihn würden. Der Mensch

muß schon einen gewissen Stand­

punkt in der bürgerlichen Gesellschaft erreicht ha­

ben, dem man füt seine Bemühung und Kunst zu gefallen einigetwaßen Dank weis.

Aber ge«

fallende Sitten sind nicht bloß eine Zierde des Prinzen, sie sind ihm zu den Zwecken seines Le­

bens iwthwendiger,

als

irgend einem

Pp r

andern Men-

§44

4* Fkatzrn. ichLr die Epziehktng emeö Prinzen

Menschen.

Doch davon zu reden, wird sich unten

ein bequemerer Ort finden. Äies ist der Hauptsache nach so allgemein

Mlerkattt,

daß

man die Ausbildung der Sitten

eines Prinzen zum ersten Zweck und zur frühe­

seiner Erzieher cut den mei­

sten Beschäftigung sten Hefen mache.

den meisten.

Zch sage mit Bedacht:

an

giebt auch Höfe, wo hier?

Denn

«u gar nicht gedacht wird.

Ich rede hier noch nicht von der Ausbift düng des Körpers, die auch auf diese äusserlichen.

Sitten ihre Beziehung hat, und durch förmlichen Unterricht gegeben wird. Bei manchem Prinzen laßt man dies die

Hauptsache sein, und

wenn

durch

Prinzen

die

glaubt, alles sei gethan,

gewöhnlichen Exerzitien

eine prinzliche

dem

Stellung gegeben ist.

Mein Prinz ist noch eiy Knabe, und fett» Kör­

per noch nicht fest genug, diesem Unterricht

daß man schon

aus

ein Hauptwerk machen tonte.

Aber er ist schot, alt genug für die erste Anlei­ tung zu guten Sitten, die durch anfangende Auf­ klärung des Verstandes und durch zeitig erregte

Gefühle des Herzens bewirkt werden muß. Die Voraussezung, -aß der Prinz in fei* nein Knabenalter schon mit seiner künftigen Be-

fttlnmung bekant fei,

leitet eine andre herbei: Ein

Ml künftige Geschäftsmann.

545

Ein solcher Prmz wird mehr $mn Stolz geneigt

sein ,

als irgend

andre Knaben seines Alters»

Nichts steht der Begierde zu gefallen so sehr ent­ gegen, als der Stolz, und nichts hindert die Aus­ bildung in der, Kunst zu gefallen fe sehr, als frü­

her Stolz. Angenommen/ daß die fürstlichen Eltern ei­ nes Prinzen die Wahrheit

davon

einsehen, so

wogte ich einen Rath wagen, der sonst schwerlich Eingang finden mögte. doch

mit solchen

Es ist dieser, daß man

öffentlichen Ehrenbezeugungen,

die zu nichrs dienen,

als seinem jungen Herzen

enrzupragen, wie hoch feine Person blos durch sei­ ne Geburt unter den Menschen stehe, ehe er sich

noch irgend

eines

Verdienstes und wesentliche»

Borzuas bewußt sein kan, daß man, sage ich, mit selchen Ehrenbezeugungen doch wenigstens so lan­ ge warten möge, bis man fleht,

ob das Herz

des Prinzen sie schon ertragen könne.

ritten

Ich sah

achtjährigen Prinz«» mit feinem Hofmei­

ster einen Spazieraang über den Waö des Re-

sidenzschlosscs machen. bei

In einer Viertelstunde,

dem Hinqehen sowol als der Zurückkunft,

ward zweimal das Spiet vor ihm gerührt, und

die zahlreiche Wache trat ins Gewehr.

Nun

dachte ich, der Prinz muß ein Engel sein, nun»

nid)t Stolz sein Herz etnnimt?, sondern denncch wahre Begriffe von Ehre zeitig bei ihm Wurzel fas-

54ß fassen.

4‘ Fragm. über die Erziehung eipes Prinzen Laß ihn dergleichen Ehrenbezeugungen tf*

ne

Weile als bloß der Hoheit des wirklichen Re­ genten gebärend ansehen, aber immerhin sie für ihn aufgespart bleiben, bis er schon

weis, wa«

wahre Ehre für einen Prinze» sei, und auf waS

für Wegen sie sich erwerben lassen. Ein zweiter Rath wird vielleicht weniger Widerspruch finden.

Man lasse den Prinzen

viel mit solchen Personen umgehen, die seine Ach­

tung erwerben können, ohne daß von Rang und Stande dabei denen

die Rede wäre.

Personen, die ihr

Und selbst bei

Rang jedem

andern

schon ehrwürdig macht, lasse mqn ihm mehr von

deren übrigen Vorzügen, als von diesem, hören.

Man lasse ihn insonderheit aus dem Munde sei­ ner fürstlichen Eltern oft hören, daß die Perso­ nen, welche

sich ihnen und beiläufig ihm, dem

Prinze» selbst, vorzüglich nähern dürfen, nicht so-

wol ihres Ranges wegen, als deswegen von ih­ nen geachtet werden, w^il sie gute, weise und nüzliche Diener ihres Fürsten sind.

Man

erlaube

oben diesen ans eine ungezwungene Art sich mit ihm zu unterhalten, und entferne alle die, wel­ che auch vor dem Prinzen als Knaben schon zu kriechen gewohnt sind.

Es wird nicht ganz an Gelegenheit fehlen,

da

man ihn merken lassen kan, daß einzelne Men­ schen, die durch ihren Rang und andre äusserliche

1

Bor-

|um künftigen Geschastsniann.

547

Vorzüge seine Aufmerksamkeit auf sich ziehen, Nicht

seine Achtung verdienen.

Aber dies Mittel muß

behutsam angewandt werden.

Man darf höch­

stens nur mit Vergleichung xeden: Aber der Mann dort ist doch eins ganz andrer Mann!

doch auch

dies muß selten und mit Vorsicht geschehen. Der Prinz muß

nimmer verleitet werden, einzelne

Menschen zu hassen oder zu perachten.

Am leichtesten entsteht diese Achtung in eiper jugendlickcn Seele für diejenigen, welche einen

Knaben unterrichten.

Er geht mit niemandem

um, der ihm seine Geisiesfähigkeiten so oft und so deutlich

zeigen fönte, als diese.

Wenn der

Prinz überhaupt lenkbar ist, so müssen ihm der

Rath und die Weisungen seiner Lehrer und sei-

Ue6 Hofmeisters die ersten und ernsthaftesten Er»

fahrungen geben, was ein weiser Mann sei, und

minder tvetfen diene. Gegentheil

wozu

der

Keine

fürstliche Elteri» werden das

weisere dem

hievon wünschen.

Sie werden

vielmehr

den

Lehrer oder Aufseher halb entferney, von welchem sie bemerken, daß^er des Prinzen Achtung sich

nicht erwerben sönne. andern

Seite diesem so

Aber wie tpird auf der Wichtigen Zwecks durch

die Lage entgegen gewirkt,

in welche das Zerr«

monicl die Lehrer der Prinzen feit, welche man

doch aus Noth unter Gelehrten jucken muß, die

kein adeliches Blut den Großen der Erde etwas näher

548 4- Frag«, über Lie Erziehung einrs Prinzen näher stellt! Cs sind viele’ fürstliche Hofhaltungen

in

Deutschland, wo man den Lehrer und mora­

lischen Aufseher der Prinzen in Einer Person be. soldet.

Dies geschehe nun aus Sparsamkeit oder

ans andern Gründen , recht, wenn

so ist es gewiß nicht Un­

der Mann gut gewählt ist.

Der

Prinz ist gewiß am geneigtesten, den Mann für weise genug zu halten, um ihn zu regieren, von

dessen Kentnissen er das Gewicht bei jeder Un­

terweisung fühlt.

Er hat auch öftere

Gelegen­

heit, und die Veranlassung dazu entsteht ihm na-

türltcher, als dem Hofmeister vornehmeren 9tmu ges, der etwa nur herbei gerufen wird, wenn der

Prinz unartig'ist, und. überhaupt nur bei dem­ selben erscheint, um die Rolle seines Sittenrich­

ters auf eine vielleicht sehr

spielen.

eintönige Weise zu

Aber eben jener Mann darf, weil er

nicht adelich ist,

nicht mit dem Prinzen essen,

darf nicht seinen bürgerlichen Körper an eben der Tafel sättigen, an welcher des Prinzen Körper sich nährt.

Er soll ihn bei Tisch beobachten, ißt

deswegen in dem Nebenzimmed bei geöfneter Thü­

re.

Der Prinz wird ungesittet;

denn Knaben,

wenn's auch Prinzen wären, werden es nirgends

lercbter, als bet Tische.

Und nun soll eben der

Mann, welchen der Prinz in einer wirklich de­ mütigenden Lage neben, sich sieht,'denselben'zur

Ordnung bringen.

Äst

zum künftigen Geschäftsmann. Ist es Wunder,

549

wenn der Prinz unter

solchen Veranlassungen eine Widerstzlichkeit wagt, und tritt sei­

nicht wagen würde,

die er sonst

nem Lehrer in einen Ton hineingerath, der alles

Gute zulezt stört?

Wie zweckwidrig

ist doch

dies!

Man lasse einen solchen Mann in derjenigen

Entfernung von den fürstlichen Eltern des Prin­

zen, welche die Etikette gebietet,

wenn ja deren

Geseze als so unverbrüchlich gelten sollen. was kan es schaden, wenn der noch

Aber

unmündige

Prinz in dem Gedanken gelassen wird, seilte Zeit

fei noch nicht kommen, da zwischen ihm und an­ dern rechtschaffenen Menschen der Unterschied im äusserlichen Statt habe, durch den sein Vater als regierender Herr seine Hoheit behaupten zu müssen

glaubt.

Daß man mich doch hier und in der Folge, wo ich auf ähnliche Dinge geraehe, nicht unrecht

verstehe!

Ich will nicht, daß man den Prinzen

demütige, und ihn hcrabwürdige, wie unser einer.

daß er weide,

Ich will nickt, daß er, wie der

Kronprinz von Whida an der Negerküste das Vieh hüte, nm ein desto lenksamerer Fürst zu werden.

Aber das wünscke ich; daß man seine Seele, wenn's

Möglich ist, arbeite.

zu der edelsten Seele im Volk aus­

Die edelste Seele im Volk ist gewiß

fcfc würdigste, eine Fürsrenseele zu fein; Das wün­ sche sch, daß ,

wenn aus dem Tande des Hofes

Hin-

zzs 4« -Fragm.über die Erjichung rinss Prinzen Hindernisse bggegcri erwachsen, sie diesem großen Zwecke nachstehen. Ich behaupte, daß die Seele eines Fürsten gebildet werden könne, ohne pon die» fern falschen Anstrich der Hoheit in jungen Jah­ ren etwas erfahren zu haben. Ich behaupte, haß der Prinz auch zu seiner Zeit auf seine Wär» he zu halten wissen werde, ohne durch die De­ mütigung würdiger Personen dazu vorbereitet zu werden. Wie haben StaniSlgnS Lescinsky, nnh Stanislaus Poniatowsky gelernt, den König mit Würde zu machen, als sie diese hohe Stufe der Ehren bestiegen? Wy lernte es Johan Sobiesky. Point de basseste! sagte er seinem nicht zur Kro­ ne! bestimmten auchnie> dazu gelangten Sohne, als diesen der Anblick eines Kaisers überraschte, und er eilte, ihm die schon hingehassene Hand zu küssen. Jener Graf hatte ganz recht, der, als et seine Söhne seinem neuangenommenen Hofmeister harstellte, jhm sagte: Lehren Sie meine Söh. ne das, was Sie wissen, und jene nöthig ha­ ßen. Daß sie Grafen- sinh, will ich sie zu sei­ ner Zeit in Einer Stunde lehren. Das Für» stenfind wird es, sobald es die rechte Zeit da­ zu ist, in Einer Stunde lernen, haß es ein ge« borner Fürst sei, und, wenn man es überhaupt vor niedriger Denkungsart bewahrt hat, sich bald Kürstenmäßig zu betragen wissen.

Ähr,

zum künftigen Geschäftsmann. v

551

Ihr, die ihr in dem Gange alter Hvftaude»

leien eine Fürstenseele zu bilden verweilst, bedenkt doch, daß euer Prinz ein Knabe ist , das ist ei» Mensch, noch sehr unvollkommen, wie alle Men­ schen , wenn sie noch Knaben sind.

Denn wer

hat je gesagt, je gefunden, daß der Herr per Er­

de

die Fürstenseelen aus einem besondern Stoffe

bilde, und den Völkern nur Regenten gebe, die von ihrer Geburt an Kraft genug in ihren See­ len haben, daß sie nichts vpn aflem dem versähe

ren tönte, was andre Menschen verführt, wem»

sie

schwach,

wenn sie no,ch Kinder sind.

De,

denkt, daß ihr einen Mann zu bilden habt, der

sich seine wahre Ehre

seihst durch

Handlungen

und nüzliche Thätigkeit erschaffen muß, aber dies

leicht vergessen wogte, wenn ihm vpn seiner Ju­ gend an vvrgespiegelt wird,

als sei seine Ehw

schon ganz ihm anerschaffen.

Und dies muß er

alsbafln gm lebhaftesten sich rinbilden,

wenn er

sieht, daß Thätigkeit, Kentnjffe und Weisheit zu

seinem

Dienst zwar gedungen werden können,

aber Pen Mann ,

der sie besizt,

nicht über die

Demütigungen, die er neben ihm leidet, hinaus heben, bloß weil ihm von jener Ehre zu wenig anerschaffen ist.

Nur mit dem Prinzen, hm man vor lee« ren Stolz bewahrt, kan man weiter gehen. Man

kan ihm reine Neigungen des Wohlwollens ein» flössen.

Reine

Neigungen, sage ich, die nicht

schon

5$2 4. Fragm. über die Erziehung eines Prinzen schon früh« den Anstrich

falscher Größe haben,

und bei denen das Herz wirkt. Man wird den Beweis nicht von mir er» warten, daß diese Neigung eine der nothwendig«

sten für die Regenten der Völker sei, und

daß

man daher nicht zu sehr eilen kan, sie den jun» gen Prinzen einzufiössen. Das Wohlwollen oder die Neigung, die Vor«

theile anderer nach unserm Vermögen zu bewir«

seh, und uns derjenigen, die ihnen ohne unsere Einwirkung entstehen, zu erfreuen, gründet sich

entweder auf Verbindungen, oder auf den Gefal«

len, den wir an andern finden, oder auf Mitlei» den.

In der ersten Absicht wird einmal die ganze Zahl der Unterthanen Anspruch auf das Wvhlwol-

len des Prinzen haben.

Aber jczt laßt sich ihm

dieses nur in einer entfernten Perspektive zeigen, die ich auch einem jungen Prinzen nicht zu früh

und nicht zu ost vorhalten mögte.

In die Sze»-

nen de« Elendes, die sern Mitleid erregen, mög­ te ich ihn auch nicht zu oft führen, wenn es auch schicklicher Ware, als man es an Höfen dafür hal« ren möate.

Denn man muß auch verhüte», daß

der Prinz nicht weichherzig und zu empfindsam

werde. Seine künftige Bestimmung ist nicht, dem

Elende Einzelner abzuhelfen, sondern das möglich

größte'

jltt» künftige» Geschäftsmann. größte Wohlsein Vieler zu befördern.

553

Ein Prinz,

dem Man. zu oft das menschliche Elend Einzelner

unter Augen bringt, wird mehr darin finden, als

,r de

z« der Zeit feite, nämlich, daß unter dem Mon­

nickt alle Manschen glücklich sein iönnen, daß Biele durch ihre Schuld unglücklich find. Er wird in der dadurch entstehenden Weichheit sei» neS Herzens vielleicht eS als das erste Gluck sei­ nes künftigen Standes

ansehen,

daß er der all«

gemeine Wohlthäter seines Volks sein werde, aber

es immer nur in

einzelnen Fallen

sein wollen.

Damit wird er sich selbst ein Genüge thun,

und

der viel schwerer auszuübenden Pflicht vergessen,

der allgemeine Wohlthäter seines Volks durch ei­

ne

wohlüberlegte Wirtschaft

zu werden.

Von allen Zeiten her sind die Fürsten schlechte StaalSwirte gewesen, bei denen die Bitte um ein­ zelne Wolthatcn gar zu leicht Eingang fand.

Im Ganzen kömt cs hauptsächlich darauf an, sein Gefallen und sein Mißfallen zu leiten, daß je­ nes nur Personen treffe, die seines Wohlwollens

würdig find. Auch in dieser Absicht wird es wichtia, zu verhüten, daß nicht bloß Geburt, Rang und Titel als

erscheinen.

die Hauptgründe der Empfehlung ihm

Sollen aber deswegen diese von ihm

entfernt, soll ihm etwa ein Umgang bloß mir

Menschen ans den niedrigern Volkskiqssen ausge.

554 4-Fragn», über di« Erziehung eines Prinzen sucht werden? KeineSwegcs. Er mag immerhin Unter denen Menschen leben, die vorzüglich für seinen Umgang gehören. Das Verdienst derselben wird Stufen genug haben, in Ansehung derer man sein Urtheil leiten kan. Man beachte ihn infotu derheit, wenn er an einzelne derselben sein HerL zu hangen und ihren Umgang vorzüglich zu wüm sitzen scheint. Vorausgesetzt, daß man nur gute, we­ nigstens erträglich gute Menschen ihm so nahe kommen lasse, und nicht in die Nothwendigkeit gesetzt werde, einen ihm angenehm gewordenen Umgang gewaltsam wieder abzuschneiden; so leite man fei» Urtheil über jeden derselben. Man zeichne ihm aus, was dieser, waS jener wirklich Gutes habe, in Ansehung dessen auch er durch ihn gewinnen könne. Man halte ihn von dem Um­ gänge mit allen solchen Menschen ab, die er über­ sehen oder gar verachten wütde. Als Knaben" lasse man ihn schon mit wohlansgewählten Jüng­ lingen umgehen, und mache ihn dann auf jeden an denselben bemerkten Vorzug aufmerksam, tvek chen nachzuahmen er schon wagen kan, insonderheit auf diejenigen, die solchen Mängeln entgegen ste­ hen , welche er anzunehmen änfangt. Tragt er z. D. seinen Körper nachlässig, so lobe man ihm gele» gentlich, nicht in dem Wege einer beschämenden Vergleichung, den guten Anstand; ziert er sich in seitdem Betragen, das ungekünstelte Wesen, dieses

. zum künftigen Geschäftsmann. djeses oder jenes seiner Dekanten.

55$

Ist er blöde

oder sucht zu sehr nach dem Worte, so bringe man ihn mit Jünglingen zusammen, welche die Gabe eines leichten Ausdrucks

und Umganges

haben,

doch nimmer mit solchen- die schon gelernt haben, über ein

leeres

Jkichts

viel Worte zu machen.

Wird er naseweis, fängt er an, falschen ober wol

gar hämischen Witz zu äusser«,

so müssen alle

Menschen von ihm entfernt werden, welche nie­ drig genug sein mbgten,

seinen Witz zu loben.

Aber keiner derjenigen, mit denen er umgehen darf, muß dadurch entrüstet werden, sondern jeder auf

solche Art darüber weghören, als wenn er nichts

gesagt hatte, das Aufmerksamkeit verdiente.

Will

er ftd), nicht zur Ordnung gewöhnen, so muß man

ihn oft hören und sehen lassen, wie dieser oder je, nee es macke, und wie wohl er sich dabei befinde.

Die Lust zur Ordnung muß früh einen Gegen­ stand haben.

In dem Alter, da noch nicht von

Geschäften und deren vielfältigen Werkzeugen, Pa­

pieren und Büchern die Rede ist, müssen dieser Gegenstand andere

dem Gebrauch des Prinzen

überlassene Dinge sein.

Das sind nun hauptsäch­

Ich gehe nicht so weit

lich seine Kleidungsstücke.

zu rathen, daß man dem

Prinzen als Knaben

noch keine Garderobe von Belang, merdiener zur Aufsicht

keinen Kam­

über dieselbe geben solle. Zwar

;Z6 4. Fragm. über dir Erzieh. eines Prinzen rc. Zwar sind die Zeiten noch nicht sogar weit zurück, da

auch bei königlichem Prinzen nicht davon die Rede war;

da noch ein Christian IV. den Hofmeister

seiner Sohne schriftlich anwies, dafür zn sorgen, Laß ihre Strümpfe gehörig geflickt wären, wenn

sie nach Kopenhagen kämen.

Aber man lasse we­

nigstens alles unter des Prinzen eigener Aufsicht

und Aufbewahrung, was klein und reinlich genug dazu ist, und gebiete den Bedienten, in Hervor» stchung und Zurechtlegung dieser Dinge nicht zu

aufwartsam zu sein.

Man gewöhne ihn, alles,

was dessen würdig ist, in guter Ordnung und Ge> wahrsam unter dem Schlosse zu halten.

Verliert

und verwirft er Dinge, die ihm lieb sind, so lasst

man ihn den ganzen Verdruß des Nachsuchens em­ pfinden, und was er nicht findet, ihn so lange

entbehren, als es irgend thunlich ist.

(Der 'Beschluß im nächsten Stück.)

5Das Wundermädchen von Marsal eine Erzählung

Lus der ersten Hälfte des dreizehn­ ten Jahrhunderts.

Ammer spielt die weibliche Eitelkeit dasselbe Spiel; bloß im Spielzeuge liegt der Unterschied; bald sind es die Herzen derMqzmer, bald ist es die Religion.

In Marsal, einer Stadt in Lothringen, hatten sich verschiedene Deguinen, unter Leitung ihrer geistlichen Führer, der Dominikaner, vor­ züglichen Ruf und vorzügliche Achtung von Heilig»

keit erworben.

Ein gewisses Mädchen, S ib yl la,

wünschte sich auch einen solchen Ruf, eine solche

Achtung.

Unter dem Scheine frommer Einfalt

zu tauschen, gelingt ja wol im Jahrhundert der Aufklärung: im dunkeln Mittelalter war cs so leicht' Durch fleißiges Besuchen der Frühmetten

und Messen und ähnliche Künsteleien der Andacht

empfahl sie sich in kurzer Zeit den sänitlkchen Ein­ wohnern ihres Städtchens.

Vorzüglich gelang

es ihr, besonders durch versteckte Winke von EngelN.Mus.Nov. z».

Qq

«rschei-

5$8 z. Das Wundermadchen von Marsal; erschcinüngeii, bei etncitt guten froNnNen Ehepaare,

das ihr sogar ein eigenes Kämmerlein eingab, um

hier im Stillen ihr Beten und Fasten, und das ganze Werk des Heiligwerdens,

desto geheimer

treibe« zu können. Es wahrte nicht lange, so sprach der allgemeine Ruf von Sibyllens Heiligkeit.

'Gut macht Mut: glücklicher Erfolg in einem Lieblingeentwurf macht ihn auch.

Nach und nach

ließ Sibylla sich das Geständniß ablochen, sie würde im Geiste gen Himmel entzückt.

Den ganzen

Tag verweilte sie auf ihrem Lager, als ob sie schliefe, ohne zu essen und zu trinken. Ihre Haus­

wirtin, eine giite Matrone von starkem Glauben,

hielt das Kämmerlein fest verschlossen, und nie­ mand durfte hinein.

Nur zu gewissen Stunden

in der Nacht gab Sibylle einen langen,

tiefen

Seufzer von sich, gleichsam als Merkmal von Wie­ dererholung.

Kam nun ihre andächtige Matrone,

wenn sie das leise Seufzen hörte, eilend zu ihr,

und brachte ihr zu essen und zu trinken > so schlug

sie alles aus: sie würde, sagte sie, durch himlische Nahrung so gelabt, daß sie der irdischen überhaupt entsagte.

Dabei war ihre kleine Wohnung bestän­

dig mit Wohlgeruch erfüllt: die Engel, versicherte das Mädchen, ließen ihn zurück.

Uebrigens, bat

sie ihre Wirtin, möqte sie sich nur nicht fürchten, wenn sie etwa des Nachts die Hausthüre knirren,

oder sonst ein ungewöhnliches Geräusch hörte; die­ ses

eine Erzähl, a. d. erst. Halste d. 13. Jahrh. 559 ssS Geräusch käme vom Teufel, ihrem Peiniger und Widersacher. Franziskaner und Dominikaner besuchten sie,

beobachteten sie genau:

keine Spur von Betrug

war zu entdecken: Sibylla wurde der Gegenstand ihrer Predigten und Lobreden,

Alles drängte sich

zu ihr, selbst der Bischof von Metz, dem damals

Marsal

gehörte,

Grafen,

Ritter, Priester,

Mönche, ganze Schaaren von Männern und Wei­ bern.

Aber nur für wenige war Sibylla sichtbar 1

kamen zuviel Besuchende, so hatte sie, wie gewöhn­ lich, eine Entzückung gen Himmel, und sagte vor­

her, sie wurde nicht eher als in drei Tagen von

dort zurückkehren:

Ihre Kammer blieb also ein

Heiligthum, dem sich niemand nahen durfte: und

diejenigen, die wieder abziehen mußten, ohne sie gesihen zu haben,

erzählten dennoch,

nach den

Ansagen der Einwohner von Marsal, bei ihrer

Zuruckkunft ihren

staunenden Zuhörern Wunder

über Wunder. Aber aß denn Sibylle wirklich nicht, trank

sie wirklich nicht? wurde sie wirtlich gen Himmel verzückt? Dieser Gedanke war doch so natürlich,

ül6 das; cr nicht bei dem Bischof nnd seinen Prie­

stern und'Mönchen hatte aufsteigen sollen.

Um

sich davon zu versichern, lies; der Bischof die Hei­ lige in eine Wohnung bringen, wo sie genauer, als in ihrer bisherigen, beobachtet werden solte.

Qq 2

Neuer

z6s 5. Das Wundermädchefl von Marsal; -

Neuer Schauplatz, andere Szenen! Alleilt

mußte das Wundermädchen bleiben: darauf kam,

wie man sieht, alles an.

Auch des Nachts mußte

man sie allein lassen; denn Engel schützten sie ge­ gen die Anfechtungen des Teufels.

Unaufhörlich

jammerte sie über diese Anfechtungen:

und um

ihre Klage wahrscheinlich zu machen, zerriß sie deS

Nachts die Kissen von ihrem Bette, und streute die Kedern wild in ihrer Kämmet und im ganzen

Haufe umher.

Das thäte ihr Peiniger,

der

Teufel, sagte Sibylla: und jedcrman glaubt' es ihr, und bedauerte die arme Geplagte. Aber nun das Schlimmste! Sibylla wurde so

scharf bewacht, daß sie keinen Dissen zu essen, kei­ nen Tropfen zu trinken bekam.

Drei lange Tage,

drei lange Nächte brachte sie hin ohne Speise und

ohne Trank:

beinahe

hätten ihr Hunger und

Durst ihr Geheimniß abgezwungen.

Aber waö

vermag nicht Weiberlist gegen geistliche Einfalt! Drei Tage und Nächte, sagte sie zum Bi­ schof, hatte sie in Entzückung geschwebt: in dieser

Entzückung wäre ihr offenbart worden, sie mögte ja nicht länger hier verweilen, wo der Teufel mehr

Macht über sie hätte als sonst; sie müßte befürch­

ten, voll ihm in Stücken zerrissen zu werden; nur darin bestände ihre Rettung, wenn sie ihre vor.ge

stille Wohnung tvieder bekäme;

sie den Bischof dringend an.

und darum flehte

Der Bischof erfüllte ihren

eine Erzähl, a. d. erst. Hälfte d. iz. Jahrh. 561 ihren Wunsch; Sibylla wurde wieder zu ihrer gu»

een Matrone mit dem festen Glauben gebracht. Jezt war sie der Schlinge entgangen: man feite glauben, sie hätte sich mit ihrem Triumph be­

gnügt:

aber nein!

Daß ein Bischof und seine

Mönche und so viele Beobachter mit Wunderglau­ ben an ihr hingen, schmeichelte ihrer Eitelkeit z« sehr, als daß sie da6 Spiel ihrer Laune schon hätte

anfgeben sollen.

Verhüllt in eine schwarze Kutte und in eine Kappe mit einer Tenfelsfratze, machte sie sich eine Kurzweil ihre guten Wirtsleute mit rauher hohler

Stimme zu ängstigen.

Immer dreister, wagte

sie sich sogar in ihrer Höllentrachtz ans Fenster, so,

daß sie vielen Vorübergehenden Schrecken einjagte. Und «tich damit nicht zufrieden, rante sie des

Nachts in allen Straßen und Gäßchen umher, und wer ihr begegnete, dem rief sie fürchterlich zu,

sie wäre der Teufel, der jenes verruchte Geschöpf, die Sibyfla,

unablässig quälte.

Natürlich floh

alles voll Entsetzen vor ihr, und sie konte sicher unbemerkt wieder nach ihrer Kammer schleichen.

Uin diese Zeit ihres geistlichen Romans starb

ein gewisser Einwohner von Marsgl, der eben nicht den besten Ruf hinterließ.

Sibylla, die et

von ihren Hausgenossen erfuhr, fand darin Ver­

anlassung zu einer neuen Szene.

Gleich in der

folgenden Nacht wanderte sie trt ihrer Maske vor die

562 Das Wundermabchen von Marsal; die Thüre der Schlaskammer ihrer Hausgenossen, und rüste mit ihrer angenommenen Stimme, als war' es der Teufel, gräßlich hinein: „Ha! wel­ chen Schaden hat sie mir heute gethan, die ver­ ruchte Sibylla! geraubt hat sie mir meinen Freund der heute gestorben ist. Sie wurde gen Himmel entzückt, wo sie drei Tage verweilen wird; dort hat sie ihn durch Gebet und Fürbitte für sich behal­ ten: und doch hielt ich ihn schon für mein, und wolte ihn schon führen auf meine große Wisse."— Als hie erschrockenen Horchenden fragten, was das wäre? fuhr sie fort: „ ich hab' eine gar große, gar anmutige Wiese, auf die ich meine Freunde führe, damit sie sich letzen mögen. Immer ist sie mit einem Thau von Schwefel und Flammen be­ deckt; da spielen Gewürme und Ottern und Schlan­ gen und Kröten, groß und klein; mit diesen Thlerchen laß ich meine Freunde scherzen, und in dem Schwefelthau werden sie von meinen Engeln herum gewälzt. Aber einen davon, der mir so lieb hat mir jenes Mädchen entrissen; gern zerriß ich sie dafür in Stücken; aber das wag' ich nicht, denn Engel sind ihre Beschützer. Weh mir! daß ich euch das verkündigen muß, und gegen mich selbst! denn komme ich zurück zu Satan meinem Herrn, so quält er mich mit scheußlichen Martern. Und doch wag ich nicht von euch scheiden, ohne euch vor jener bösen Brut zu warnen, damit ihr xuch vor ihr hüten mbg-kz euch sag' ich das, euch, die

eine Erzähl, a. t>. erst. Halste d. 13. Jahrh.

563

die ihr mich hört, damit ihr nicht kommet auf die große Wiese • “ — Auch diese Farce sand vollen

Glauben hei dem Bischof und bei allen andern. Tags daraus besuchte sie der Bischof, bloß von

Dominikanern begleitet; denn sonst durste niemand

Sie fanden sie auf ihrem

zu ihx gelassen werden.

Bette liegend, hochroth im Gesicht und scheinbar fchtaftnd: ihr Bettzeug war sehr weiß und zart, ihr Kopfkissen so fein,

daß man hätte zweifeln

mögen, ob cs auch ein Werk von Menschenkunst sein könte.

Wie in einem tiefen Schlummer war

ihr Odem so leise, daß kaum ein Hauch davon noch

merklich blieb.

Zn der tiefen Stille um sie her,

wagte man kaam eine Frage an ihre Hauswirtin, woher die Heilige so weiße, so wohlriechende Wä­

sche bekäme?

Sie hätte sie, antwortete die gute

Matrone, schon mehrmal nach ihrer Wiederkehr

vom Himmel in diesem Zustande angetroffcn; schon mehrmal hätte sie ihr die Versicherung gegeben,

ihr Lager würde ihr von den Engeln zubereitet,

und von den Engeln würden ihr auch alle die schö­ nen Sachen verehrt.

Ausserdem bekäme sie noch

von ihnen geweihtes Wasser, damit sie den Listen

des Teufels, ihres Widersachers, kräftig genug zu widerstehen vcrmögte.

Und wirklich stand oben

an ihrem Bette ein niedliches Gesäß mit Wasser. Mit diesem sollen sich der Bischof, die Dominika­ ner und viele andere wirklich besprengt, von die­

sem

5* Das WundermaLchktt yoy Marsal;

564

fern starkriechenden Wasser sollen sie wirklich ge­

trunken haben.

Kurz'. Es kam dahin, daß der Bischof im völligen Ernste daran dachte eine Kirche bauen zu

lassen,

das nicht aß,

wo das Wundermädchen,

das nicht trank, das ganz anders als nach Men­ schenweise zu leben schien, zur allgemeinen Erbau­ ung der Gläubigen dargestcllt werden solte. Allein^ wie der Reim sagt:

es ist nichts so klein gesponnen, es kommt doch endlich an die Sonnens so gieng eS auch hier.

Eines Tags hatte sie, wie gewöhnlich, ein? Entzückung vorgegeben:

die Thüren waren fest

verschlossen, und ihre Hausgenossen entfernt. Dies

war für Sibyllen eine Stunde der Freiheit nach der Gefangenschaft im Bette: sie verließ es, wie ihre Gewohnheit war, und machte sich ihr Lager

wieder.

Aber, kein Augenblick durfte für

Spiel ihrer Laune verloren gehen:

das

auch dann,

wenn man sie in den Himmel emporqchvben glaub­ te,

täuschte sie noch.

Ihre Stimme war ge­

schmeidig geworden: bald konte sie Engeltöne nach­

bilden lieblich und sanft; bald dumpf und hohl reden, wie Bewohner der Hölle:

und so machte

sie denn jetzt ei» Gezänk, wie Respondenten und Opponenten in

einer akademischen Disputation.

Ein

eine Erzähl, a. d. erst. Halste d. 13. Jahrh. 565 Ein Dominikaner, der sie besuchen wollte, hörte das seltsame Gezänk; die Neugier trieb ihn naher

hinzu; und indem er dicht an der Thüre lauschte,

zeigte ihm das Ohngcfehr einen Ritz in der Thüre, durch den er alles sehen fönte.

In der größten

Eile rüste er den Bischof, und zeigte ihm, durch

den Ritz, die Heilige, die man in den

dritten

Himmel entzückt glaubte, sehr geschäftig ihr Bette zu machen.

Sogleich ließ der Bischof durch ver­

schiedene Begleiter die Thüre aufbrechen:

Sibyll«

stürzte sich auf das Bette, suchte sich hi'ncinzuwüh-

len.

Man riß sie empor, und nun kam es zum

Geständniß,

Eitelkeit

mvgte wol

die

Hanptfeder

der

Farce gewesen sein; aber noch half etwas dazu,

eine Liebschaft.

Ein guter Freund, ein junger

Geistlicher in der Stadt, pflegte sie des Nachts zu besuchen: von ihm erhielt sie stärkende, wohl­ schmeckende Nahrung; von ihm, nicht von den

Engeln, erhielt sie Wohlgerüche, um den Mcnschcnsinn der Beobachter vollends wegzuräuchcrn.

Gemeiniglich brachte er von jener einen Vorrath auf drei bis vier Tage, den sie dann unter dem

Bette sorgfältig verbarg, wo man auch noch einen Theil davon antraf.

Man denke sich das Erstaunen, die Deschämnnq, den Unwillen des Bischofs, der ehrwürdi­

gen Väter und aller Anwesenden.

Mit ihren ei­

genen

DaSWundermadchen von Marsal;

566

rc.

genen Tfugeit sahen sie nun die verborgenen Spei­ sen , das schöne Bettzeuch, die Teufelslarve und

alle Werkszeuge des Betrugs

zur Täuschung f»

vieler Manner und Weiber, von denen sich manche nicht wenig hocherleuchtct dünkten, und das von einem Mädchen!

Viele schrien,

sie solle ver-

brant; andere, sie sxlte ersauft; noch andere, sie solte lebendig vergraben werden.

Voll Beschä­

mung fönte der Bischof sich kaum so weit mäßigen,

daß er nicht selbst Hand an sie gelegt hätte.

Erst

bei kälterem Blute verurtheilte er sie zu ewiger

' Gefangenschaft; so daß ihr in ihrem Kerker nur

ein wenig Brod und Wasser wurde.

sie,

sparsam zugereicht

Aber es währte gar nicht lange, so starb

zwischen ihren vier Mauern, in Gram und

Neue. Niemand spotte der guten starkyläubigen Ma­ trone, die zuerst an ihre Engelserscheinungen glaub-

te,

noch des Bischofs und seiner Mönche. Man spotte nicht dessen, was am dürren Holze geschah: man achte nur auf das, was am grüne» Hofze

geschieht.

Chron. Senon. L. IV, c. XVIII. — in d’Achery’# Spicileg. T. II. p. 634.

6, Be-

6, Bemerkungen über die weiblichen Moden, von Herrn Ponce.

An der Toilette giebt es keinen größer» Fehler,

feinen gegen den man mehr auf der Hut sein müßte,

als der, wenn man zu leicht vom Einzelnen aufs Allgemeine schließt, wenn man glaubt, was Einer

gut steht, müsse nothwendig Alle kleiden. Die Kveffüre darf nur Nebensache sein; über­

steigt ihre Höhe die Lange des Gesichts, so ist die Wirkung unangenehm.

Diese unangenehme Wir­

kung wird doppelt auffallend,

wenn die Dame

kleine Züge hat, weit mehr als bei einer andern mit einer römischen Bildung.

Jene kan ihr«

Figur bloß durch leichte Kleidung von wenig Um­

fang im Vortheil zeigen; große Formen und nur gerade Linien muß sie sorgfältig vermeiden.

Hat

die Dame eine sehr kleine Nase und ein kurzes Kinn, so werden diese Fehler durch einen Aufsah

der zuweit vergeht, noch merklicher gemacht; hin­ gegen wird eben dieser Aussatz einer andern mit längeren

Kinn

und

vorspringender Nase

sehr

gut stehen.

Schön-

z6tz

6. Bemerkungen über die weibl. Moden. Schone Augen verlieren sich unter großen

Hüten nach der jetzigen Mode aufgesetzt.

Man

solle diese Koeffüre solchen Damen überlassen, die weiter kein Eroberungsmittel haben als einen nied­ lichen Mund und ein anmuthsvolles Lächeln.

Die

Farben der Bänder und Gazen zum Kopfputz müs­

sen zu der Farbe des Haars und des Teints passen. Die Damen verstehen sich -auch weit besser auf die Uebereinstimmung der Farben, als auf die Ueber­

einstimmung der Formen.

Bon der Art, wie sie ihr Roth auflegen, läßt sich schwerlich so günstig urtheilen.

Es mag wol

seinen Zstutzen haben, wenn es mit Ueberlegung

und Sparsamkeit gebraucht wird,

bloß um die

Weiße einer schonen Haut ein wenig zu beleben.

Weiber hingegen von gewissen Ton mißbrauchen

xs in einem solchen Grade, daß ein Mann pop Geschmack, so allgewaltig auch die Gewohnheit ist, dennoch vor dem Anblick ihrer abscheulichen Zllumt-

nirungen zurückfahrt.

Vielleicht hat diese widrige

Maske zuweilen ihre Bequemlichkeit;

aber matt

muß auch ejnranmen, daß eine junge schüchterne

Person dadurch allen Vortheil verliert, desi sie von dem sanften Ausdruck der Dittsamkeit und des Ge­

fühls für

ihre Reize ziehen

konce.

Hiermnen

sttaq zum Theil die Ursache liegen, warum manzu­ peilen das Kammermädchen artiger findet als die

Gebieterin. Will

6. Bemerkungen über die weibl. Moden. 56g

Will man bei der jetzigen Art die Fichus zu tragen, die Schätze der Natur verbergen, so feite Wan sich wenigstens in Acht nehmen, daß man es nicht aus eine unangenehme Art thäte. Man» überlasse doch dergleichen ungeschickte Täuschungen solchen Weibern, die nothwendig dabei verlieren müssen- weun sie errathen sein wollen.

Die Vortheile eines schonen Wuchset werden öfters durch die lächerliche Sucht, baß man ihn gar zu schlank haberrwill, ganz vernichtet. Man befrage nur die Form jener herlichcn antiken Bildfaule der Liebesgöttin, und man wird sich überzeu tans müssen an Zoll doppelt, ja dreimal so viel Pezahlcn.

des Herrn von Peyffonnelre. lasse sich die Abaabe nur doppelt bezahlen. Strandrecht werde bei ihnen nickt ausgeübt.

615 DaH

Die

Tlrannai werde nach dem Gelcze nicht begünstigt. Kerne Nazron t» der Welt sei mitleidiger als die Otmanly,

keine

behandle ihre Sclaven so ge­

linde u. s. f. Von diesen Dehauptnnaen ist freilich einiges

wahr, aber einiges davon bedarf auch noch einer nähern Erklärung.

Kennten die Otmanly das

Srrandrecht und die Zoll - und Iagdgcseze der Enropaer, sie würden gewiß nicht ermangeln, selbige als Beispiele des Despotismus und der Barbarei

anzuführen. teil,

Allein, wer wird dann auch erwar>

daß eine militairisch - despotlsche Regierung

sich um Kleinigkeiten, wie z. D. die Jagd und

das Strandgut sind, bekümmre?

Zu dem sind

die vornehmen Otmanly nur selten Liebhaber bey

Jagd.

Ein furchtsames Reh oder einen bangen

Haasen zu Tode zu jagen, das macht ihnen kein

Vergnügen, wenn aber ein Pascha einen Löwen

mit der Lanze erlegen kan, so sucht er darin emen

Ruhm. *) Ist gleich die bestimte Abgabe, welche der Snltän von liegenden Gründen erhalt, nur

geringe, so ist der Bauer in den meisten Gegen­

den darum nickt glücklicher, weil der Landesherr ihn bei seinem Eigenthum oder bei seiner Pacht

nichh k)

Reiftkeschrcibung 2ter Bgnd S.z»4»

616

2. Bemerkungen über die Schriften

nicht schüzt, sondern von seinen Paschen mit bcvcn Helfers - He'.fern ungestraft phuibevn lässt. Dass die Mohammedaner überhaupt mildthätig ge­ gen die Armen sind, ist wahr. Es ist cm Hauptartlkel ihrer Religion, dass sie reichlich Almosen geben sollen. *) Aber ausser von vielen reichen Stiftungen der Mohammedaner habe icfy von an­ dern Armenanstalten derselben weder erwaö gehört, reib gelesen, und so mögen viele in diesem Stücke wohl nicht freigebiger sein, als die Christen in Europa. Die vielen milden Stiftungen reicher Mohammedaner sind ohne Zweifel eine Haupturfache der Unthatigkeit und Faulheit ihrer Glaubensaencsien aus der untersten Klasft. Die Paschen uub andere reiche Ormanly, die so wenig sicher sind, daß der Sultun ihnen ihr Leben, als daß er ihnen ihr Vermögen nicht nehmen werde, thun daher

'") Mohammed sagt irgendwo fm Koran, diejenigen, welche in ihrem Leben nicht reichUch Almosen geben, werden am jüngsten Tage mit einem Halsbande erscheinen, und dieser Halsband soll nach der Meinung einiger seiner Ausleger eine Schlange sein. Mancher wird -also wol reichlich Almosen geben, um nicht am längsten Tage mir einem solchen äusserlichen Zeichen vor Gott zu erscheinen. Mancher gewiß auch in der Meinung, daß er Gott werde bestechen können, wenn er einen Theil des ße> raubten Gutes an die Armen giebt.

des Herrn von Peysidnnel re.

617

»daher wohl, wenn sie einen Theil der qroßcn Al­ mosen , die sie vermöge ihrer Religion an die Ar­ men geben sollen, zum Dau neuer Moskeen, Karwansereaicn, Bäder n. dergl» anwenden» Daß die Otmanly ihre Sklaven sehr gelinde behandeln, ist auch wahr. Die christlichen Sklaven des Sul­ tans im Arsenal werden e6 gewiß nicht so schlurr haben, als die mohammedanischen aus den Ga­ leeren der Europäer, und die bei Privatpersonen leben eben so gut, als die, welche unsere Pflan­ zer in Amerika zur Aufwartung im Hause brau­ chen; unendlich glücklicher als die, so das Feld bauen müssen. Viele Bürger erziehen gekaufte Kinder christlicher Eltern, und nehmen sie an Kindes Statt auf. So wie Joseph beim Pharao zum Wesir erhoben ward, so tonnen bei den Ot­ manly in ihrer Jugend gekaufte oder zu Gefangene gemachte Sklaven noch jezt zu den höchsten Ehren­ stellen gelangen, wenn sie Fähigkeiten dazu besizen, und das Glück ihnen günstig ist. Allein, wo in der ganzen Welt sind wohl die Unterthanen eines Landes unter einer militairisch-despotischen Regierung, bei der Sklaven und Abenteurer zu den höchsten Ehrenstellen gelangen konten, gut re­ giert worden? Um dem Publikum zu zeigen, daß eine Vorhersagung des Baron Sott nicht einge­ troffen sei, fuhrt sein Gegner, der große Verthei­ diger der Ötme wüschen Regierunqsverfassung, ein Beispiel von der Tirannei derselben an, das allem dem

kl8 2. Bemerkungen über die Schriften

dem auf einmal widerspricht, was er fönst davon

rühmliches sagt. Der Baron Tott ward zu Acea von Dsj esär Pascha höflich eingeladen, dieser hatte aber nicht Lust, einem Menschen, der sich durch seine Grausamkeit berüchtigt gemacht

hatte, seine Aufwartung zu machen, und ließ ihm

saaen, daß er seine Bekantschaft für unnüz hielt, da fle beide Reisende waren.

Er wolte damit

anzeiaen, daß er glaubte, der Sultän wurde dem Dsjesar

Pascha

wegen

seiner

tirannischen

Regierung bald das Leben nehmen lassen.

Herr

von P. bemerkt dieserwegcn:

Die Drohung sek

leider, nicht erfüllt worden;

Herr Baron von

Tott sei 1776 in Syrien gemessn,

neun Jahre

wären seitdem verflossen, und Dsjesär Pa sch a

lebe noch in demselben Gouvernement zum Unglück der armen Einwohner in Syrien, welche er auf

das grausamste tirannisire. * )

Was hilft es also

den Unterthanen des Sultans, wenn das Gesez die Tirannei zwar nicht begünstigt, die Tirannen aber nicht gestraft werden?

Was hilft es

auch den geplünderten Einwohnern Syriens, wenn

Dsjesur

Pascha

endlich

erdrosselt

wird?

Der Sultan läßt sein ganzes Vermögen einziehen,

und giebt seinen bis an den Bettelstab gebrachten Unterthanen nichts zurück.

Eben

♦) Obiervations critiques S. »8.

*

des Herrn von Peyssonnel.re.

619

Eben so vortheilhaft als Herr von Peyssoli­ tt el die Regierungsverfassung der Otmanly und deren Karalter schildert, so vortheiihast beschreibt er auch den Zustand des Ocmanniscken Reichs. Er sagt, dies sei mit Städten imi) Dörfern angefüllt, hie Bevölkerung desselben sei verhältnißmaßig eben so groß, als imFrankreich: und wenn er es gleich nicht läugnen kan, daß einige Gegenden verwü­ stet sind, so ist er so höflich, dies nicht den Ot­ manly, sondern den Kreuzzügen, den Venezianern und Genuesern zuzuschreiben. Er versichert gar, die Türken harten den Arbeitsfleiß und die Hand­ lung wieder hergestellt, und will solches dadurch beweisen, daß die Städte: Konstantinopel, AdrLaN 0 pel, Smyrna, S a l 0 n i k, H alep, Damaskus, Angora u. ä. m. unter der Regierung der Otmanly sehr vergrößert sind, und die Ausfuhr der französischen Waaren nach dem Otmannischen Reiche sich so sehr vermehrt hat. Die Ab - und Zunahme der Städte beurtheilt man am besten nach Grundrissen. Meines Wissens hat man vor mir von keiner Stadt im ganzen Otmannischen Reiche einen guten Grundriß gehabt, als nur von Konstantinopel, ich aber kän mich rühmen, nicht nur von einigen der vorher erwähn­ ten , sondern auch noch von mehrern Städten die­ ses Reichs nach wirklichen Messungen Grundrisse geliefert zu haben, und diese können es beweisen, daß einige Handelsstädte wirklich sehr vergrößert wor-

6aö 2. Bemerkungen über die Schriften worden find. Zu Konstantinopel sind ausser­ halb der Stadtmauer an der Wasserseite ganze Straßen angebaut, und von ganz Pera und Töb chäne ist wahrscheinlich bei der Eroberung von Galata nichts vorhanden gewesen. Zn Kahira, Damaskus nndHalep findet matt die alte Stadtmauer an einigen Stellen fast mitten in der Stadt. A d r i a n o p e l ist sehr vergrößert worden. Allein aus der Vergrößerung der Han­ delsstädte mögte ich nicht auf die vermehrte Bevöl­ kerung des Otmannischen Reichs schließen. Ka­ hira ist freilich sehr erweitert, aber waö find Fostnt (Alt Kahira) und Alexandrien, in Vergleichung nut dem, was sie ehemals waren? Zu Ha le p findet man jezr vielleicht noch einmal so viele Einwohner, als vor 200 Jahren, wie sehr aber hat dagegen nicht Antiochien verlo­ ren? ehmals fand man die Gegend um Halep eine ganze Tagereise und weiter angcbaut^ und jezt grenzt die Wüste daselbst schon bis an die Stadtmauer. Zu Bagdad, Mosul und Konje findet man innerhalb der alten Stadt­ mauer große Plätze die ganz wüste liegen. Viele ehmals mittelmäßige Städte sind jezt elende Dör­ fern Roch ha, die ehmalige Hauptstadt eines großen Gouvernements ist ganz zerstört, ohne daß Orfa, die jezige Hauptstadt dieser Statthalter­ schaft, darum vergrößert worden ist. Natolien ist noch ziemlich bevölkert, aber wie sehr sind nicht die

des Herrn von Peyssoiwel re.

621

die allermeisten der übrigen Provinzen von Dör­

fern entblößt?

So wie die Handlung sich von ei­

ner Stadt zu der andern gewandt hat, so hat sich

auch

die Anzahl der Einwohner in jener vermin­

dert und in dieser vermehrt; die Ötmanly aber

haben Handlung und Gewerbe nur geduldet, weil

sie dabei ihren Vortheil sanden.

Sie mehr empor

zu bringen, ist ihnen wohl nie einqcfallen; von

der Stiftung ihres Reichs an haben ste nur gestrebt, Eroberungen zu machen und in den lezten hundert

Jahren scheint ihnen auch der Gedanke daran ver­

gangen zu seyn. Wenn andere Schriftsteller sich die Otmanly

a-ls

rohe und unwissende Barbaren vorstellen, und

darin zu weit gegangen sein wogen, so beschreibt Herr von P. .. sie als die kultivirteste Nazion,

welches doch auch schwerlich mit der Wahrheit be, fiehen kan.

Ein kultivirtes Volr behandelt alle

andere Volker nicht mit Verachtung, die Otmanly thun.

wie dies

.Der Herr Verfasser sagt r

die Beredsamkeit sei den'Otmanly angeboren, sie reden die schönste Sprache, welche ihre schonen Geister gut zu nuzen wissen; keine Nazion habe

so

geistreiche Sprichwörter und so angenehme Er­ zählungen als die Türken. Der Reichthum habe

bei ihnen schon einen Ueberfluß>in allen nüzlichen

und angenehmen Künsten hervorgebracht; sie ha­ ben vortresiiche Baumeister, die schönsten Fabriken und gute Handwerker, e6 sei bei ihnen zwar noch

N.Mus. Oez. »9.

u ll

Vier

srr L. Bemerkungen über die Schriften vieles zu verbessern, aber nichts erst neu etngtu

richten u. s. s. Nach einer solchen Beschreibung tonte wohl

«in europäischer Künstler Lust bekommen, nack dem

Orient zu reisen, um von den Otmanly zu lernen 5

ich fürchte aber, er würde sich sehr betrogen finden. Ihre Haupt-MoSkeen find freilich zum Theil von

einer vortreflichen Bauart;

aber haben sie denn

nicht auch ein vvrtrefiickes Muster an der ehmali« gen Kirche S t. Sophie, die schon zu den Zei­

ten des Kaisers Justinian gebaut worden ist? Die Minäre (schmale, runde und hohe Thürme)

sind ein Zusaz der Mohammedaner zn dem präch­ tigen Tempel der Griechen, und diese wird man

wahrlich nicht schön nennen können.

In ihren

Palästen und andern großen Gebäuden ist eben so

wenig Geschmack.

Und welche sind

großen Baumeister der Türken?

dann die

Der Verfasser

hat den Namen eines dieser großen Männer, der zu Konstant!nopel

zwei prächtige Moskeen

gebaut hat, verewigt; er heißt Simeon und iss ein Armener, (also nicht einmal ein Mohammeda­

ner,) er kan weder lesen noch schreiben, vielweni­

ger zeichnen, er ist in allen Sachen, außer in der Baukunst, so albern und dumm, daß man ihm

den Beinamen, Echek, beigeleqt, d. i. ihn Si­

meon

den

Esel

genant

hat. *)

Solle Herr

p) Observations ctitiquei S. ioi.

Les Herrn von Peyssonnel rc.

623

Herr von Peyssonnel über die Baukunst wohl besser urtheilen können al6 der Baron von Torr? x Wann die größten Baumeister der Otmanly Christen sind, so sind ohne Zweifel auch ihre besten Mauerleute Armener und Griechen. Die meisten Manufakturen und Handwerke sind gewiß in den Handen der morgenlandischen Christen und Zudem Einige Fabriken im Otmannischen Reiche sind aller­ dings vortrefiich. Man hat z. B. in Europa ver­ gebens große Belohnungen ausgesezt, um das Garn und das Leder so schön roth färben zu ler­ nen, als man es aus der Levante erhält. Man hat mich aber auch versichern wollen, gewisse Fabri­ ken wären gleichsam an gewisse Städte gebunden, nur in wenigen Städten verstünde man das Leder recht schön roth zu färben, gewisse Arten von Stoffen tönten von denselben Meistern nicht so gur in Halep als zu Damaskus, und andere nicht so gut in Damaskus als zu Halep verfertigt wer* den, und man zog daraus den Schluß, daß es bei verschiedenen Fabriken vornämlich auf die.Be­ schaffenheit der Luft und des Wassers mit ankomme. Die seidenen und baumwollenen Zeuge werden da­ selbst sehr gut gemacht. Die Morgenländer haben darin ihren eigenen Geschmack, den wir Europäer freilich nicht hübsch finden, welchen nachzuahmen aber die Franzosen sich bisher vergebens bemühet haben. Zhr vornehmster Absaz besteht in leichten Uur wolle.

2. Bemerkung über die Schriften

624

wollenen Tüchern.

Davon wird im Otmannischen

Reiche eine erstaunliche Menge verbraucht,

und

dennoch habe ich daselbst von keiner Tuch - Fabrik gehört, als von einigen schlechten, die zu Salo-

Nik sein sollen, und nur ein sehr grobes Lacken

liefern.

Überhaupt tonnen die Künste und Hands

Werke im Otmannischen Reiche, mit denen in Eu­ ropa gar nick)t in Vergleichung kommen.

Von allem was der Herr Verfasser

von

dem guten Geschmack der Otmanly saat, stimmt mit den Nachrichten der Reisebeschreiber nichts

so sehr überein, als daß die Anführer ihrer Ar­ meen im Felde viel prächtiger und bequemer woh­

nen, als die europäischen Feldherren.

Und dies

wird jezt den österreichischen und rußischen Sol­ daten gut zustatten kommen. Herr von Peyssonnel

streitet mit seinen

Gegnern auch nicht selten über Worte.

Als die

Pforte im Jahre 1777 gegen Ghica, Hospoda­ ren von

der

Moldau, mißtrauisch

geworden

war, schickte sie einen seiner vertrautesten Freun­

de mit

der

falschen Bestellung eines Aufsehers

der Festung Chotzim durch die Moldau, und, sobald dieser eine Gelegenheit zum Morde wahr­

nahm, erstach er den unglücklichen Mann, und

kehrte mit seinem

Haupte und seinen

nach Konstantinopel zurück.*)

Schätzen

Diese Behand­

lung

^') Oiservflzioni ftoiiche nrturali & politiche • incorno la Valacbia e, Moldavia, rezenslrt in den

des Herrn von Peyssonnel rc.

627

lrmg des Ghiea nennt Herr von Bokney ei­

nen Meuchelmord;

dies aber findet Herr Peys-

sonnel sehr unschicklich,*)

er sagt:

der Abge­

sandte sei ein Offizier gewesen, welcher das

To­

desurtheil nach der Hinrichtung vorgezeigt habe, so behandle die Pforte vornehme Personen, von

welchen sie fürchte, daß sie Widerstand thun wer­ den. C’est cet ade de juftice, ou tont au plus

de feverite (fuivant les loix du

pays) du

Souverain legitime envers fön fujet criminel,

auquel M.

de Volney donne le non odieux

d’asiassinat, sagt Herr von Peyssonnel. Eben so gerath auch der politische Journalist in Eifer,

wenn andere den Sultan darum einen blutdür­ stigen

Tirannen

nennen, daß er seinem Groß-

Wesir den Kopf abschlaqen laßt, ohne vorher um

(ersuchen zu lassen, ob selbiger auch etwas verbro­ chen habe; **) denn darüber werden niemals Um

tcrsuchunaen angestellt.

Die Freunde des Despo­

tismus mögen aber diese türkische Justizpflege nen­ nen, wie sie wollen, so wollen wir übrigen Gott

danken, daß wir nicht unter Regenten leben, die

vornehme

Staatsbediente, auf welche sie ihre

Unden göttinaischen Anzeigen von 1789 im posten Stücke.

*-) Examen S. 14. Politisches Journal für das Jahr §789, Monat August, S. ioQ8t



lernen;

man,

Freiheitathmenden

Schriften dieser edlen Nazion; sie wurden haustg. gelesen und dadurch entstand ein neuer Borrath zir-

kultren-

$34 Z Neber Voltairens Dorhersagrmg kulirender Ideen,

welche Frankreich bis dahiw

noch nicht gekant hatte; man fing an über große Grundsaze des Nazionalwohlstandes zn denken und

zn schreiben, sich, seine Lage, seine Kräfte, seine

Verhältnisse zn untersuchen; es entstand eine allge­ meine Gährung der Ideen, und in dieser Zeit

wurde das System der O e k o n o m i st e n erschaf­ fen , das in der Geschichte Frankreichs so merkwürdig ist.

Seine Anhänger schwärmten, aber sie hingen

ihren Grundsäzen so fest an, als Jesuiten ihrem

Orden;

man widersprach ihnen, und in diesem.

Streit-wurden aroße Grundsäze debattirt.

Die

heftigsten Angriffe auf Frankreichs Verfassung wa­ ren in dem System dieser Männer.

Diese ward

nun untersucht, und nach ihren Mängeln geschil­ dert, große Wahrheiten über Wohlstand der Vol­

ker und bürgerliche Freiheit wurden nun wieder entwickelt, und der Vorrakh der Ideen der Nazion bekam

dadurch

abermals einen neuen Zuwachs,

Frankreich reformirte sich, die Gahrung der Ideen war allgemein, und die Mangel der Verfassung des Reichs wurden so auffallend, daß schon in der

lezten Zeit Ludwig XV. die besten Köpfe der 91(ir zion eine gänzliche Umschaffunq des Staats für das einzige Mittel hielten , ihm seine vormalige Größe

wieder zu geben.

Der Strom ließ sich nicht mehr

aufhalten, alle Lettres de Cachet, alle Verfol­ gung gegen Schriftsteller und ihre Manuskripte

wirkten nichts gegen diese Verbindung der besten Köpfe;

der französischen Revoluzion.

635,

Köpfe; es war nur eine Stimme, die Schrift» steiler hatten Einen Ton, und erschütterten die Nazion.

Sie war auf eine Revoluzion vorberei­

tet , die nach den Umstanden früh oder spat erfol­

gen mußte.

Kan es nun noch befremden, daß

Voltaire einen solchen Gedanken wagte?

Er-

sab die Stimmung der Nazion, die zunehmende Despotie nnb Schwache der Regierung; den stillen

Kampf zwischen der Denkungsart des Volcs und dem Geiste der Regierung; es mußte früh oder» spät eine Zelt kommen, wo diese zusammenstieß, wo

der Druck der Despotie seinen höchsten Gipfel er­ reicht hatte, wo die erleuchtete Nazion ihre Kräfte,

ihre Rechte fühlte.

In einem großen Mann ist

eine unverkennbare Vorhersehungskraft.

lehrt die Geschichte.

Dieses,

Als Frankreich Kanada an.

England abtrat, sagte Franklin: nun ist Ame­

rika frei.

Eben so Voltaire.

Sein Genie

veralich das Gegenwärtige, das Vergangene, und

errieth das Künftige.

Daß sie erfolgen würde,

sollte er vorher sagen; aber wann?

von

dieses Hinz,

einer Folge von Umständen ab,

die feilt

menschlicher Verstand vorher sehen fönte, die aber,

glücklich zusammen trafen.

Die Revoluzion in

Amerika brach aus, und erregte eine allgemeine Theilnehmung in Europa, besonders in Frankreich,

wo sie eine Nazionatangeleaenheit wurde.

Zunge

Franzosen gingen häufig nach Amerika, sahen, wie

glücklich ein Land durch eine freie Verfassung wer­ den

z. Ueber Voltairens Vorhersagnng den tonte, erweiterten ihre Begriffe durch Umgang

mit freidenkenden Menschen, und fühlten nun um

so mehr das Elend ihres Reiche

Geist

der

Diese Verbin­

und Amerikas verbreitete den

dung Frankreichs

Freiheit noch mehr.

So war die

Stimmung der Nazion, und es kam mm auf eine Veranlassung an, so brach eine Revoluzion aus, die so lange durch Schriftsteller in den Gemütern

vorbereitet war.

Der Regierung Ludwig XVI. war

eö vorbehalten, diese Ursachen herbei zu führen. Die Geschichte ist betaut, und es wäre überflußig,

etwas über diese Revoluzion zu sagen, da Deutsch­ land mit Schriften darüber bis zum Eckel über­

Sie ist einzig in den Annalen

schwemmt wird.

der Welt, ein großes Beispiel; gleich wichtig für. Herscher und für Volker»

Der Zukunft müssen

wir es überlassen, uns über die geheimen Ursachen, die sie bewirken, zu belehren.

den sie haben wird,

Auch der Ausgang,

liegt im Dunkeln, und kein

menschlicher Verstand kan den Vorhang durchsehen, der ihn uns verbirgt, so wie kein Engländer vor-

Aussehen fönte, daß ein Streit, der so unbedeu­

tend

anstng,

Karl

dem ersten

den Kopf

kosten würde; allein ihre Wirkungen liegen uns

Vor Augen.

Wie ein

elektrischer Schlag, der

Von Paris ausging, wirkte sie auf die Nazionen;

fcis nach Dalmatien drang dieser Geist.

Sogar

Volker, die so abgespant waren, daß sie alle Be-

griffe von Freiheit verloren zu haben schienen, die

neuern

der französischen Revoluzion.

6z7

neuern Römer, wurden begeistert, uvd fühlten einen Augenblick einen Drang nach einer bessern Lage. Auf kein Land wirkte sie aber starker, al6 auf unser Deutschland ; heftig war dieser Eindruck und wie ein elektrisches Feuer durchlief er ganz Deutsästand. Die Nevoluzion in Amerika, an der unser Vaterland doch so vielen Antheil hatte, er­ weckte eine gewisse Theilnahme, die aber nicht über das Wünschen ging. Die Unruhen in Hol­ land wurden mit Indifferenz angesehen, und hat­ ten, ausser Lüttich und Aachen, wenig Ein­ fluß mif Deutschland; die französische Revoluzion hatte destomehr Wirrung. Ist es Gallomanie? Ist der Deutsche dazu bestimmt, der Nachbeter der Franzosen zu sein? Ist die deutsche Nazion weiter gekommen? Lernt sie Rechte freier Menschen ken­ nen? oder liegt dieser heftige Eindruck in dem schnellen, dem glanzenden der Operazwn die das Werk weniger Tage war, und so stark zeigt, wie mächtig ein vereintes Volk ist, so bald es Meinun­ gen ablegt? Dis in die kleinsten deutschen Dörfer drang dieser Schlag, und bet der Unzufriedenheit, mit der die meisten Menschen in der Welt leben, erregte er Neigung zur Empörung. Wenige deut­ sche Staaten werden gewesen sein, in denen nicht Gäbrungen entstanden sind. Der ruhige Deutsche, der so viel, so gern duldet, schien auf einmal zu erwachen. In mehreren Staaten kam es zum Ausbruch. Zwei Regenten, die Blschöffe von N. Mus. Dez. 89. X .V Lüt-

Vz8

z. Ueber Boltaircns Dorhcrsagung rc.

L ü t t i ch»und Speyer, mußten ihre Residenzen verlassen, und in den

meisten deutschen Staaten

schliefen die Regenten in dieser Zeit nicht so ruhig,

als sonst.

Gutmütige Schwärmer, die den Geist

der deutschen Verfassung nicht kanten, hielten eine

Revoluzion hier für eben fb leicht, als in Frank­

reich , daß es nur einen Auflauf bedürfe, um die Sache zu entscheiden,

und der Bauer glaubte,

frei zu seyn, wenn er seinen Beamten behandle,

wie der Pariser Pöbel den F o u l o n.

Einem

aufmerksamen Beobachter des Ganzen des mensch­ lichen Geistes siel dieses auf.

Er sah das Stroh­

feuer auflodern, und war ruhig wegen des Aus­

ganges.

Aehnliche Revoluzionen sind in Deutsch­

land nicht wohl möglich, und ob gleich bas Ver-

samlungshaus der Rcicksstände zu R e g e n s b u rg

so baufällig ist, daß die Gesandten schon oft Ge­ fahr gelaufen, unter seinen Ruinen begraben zu

werden,

und Kaiser Joseph selbst bei seinem

Einsturz den Reichs-Abschied befürchtete, so hat

doch dieses System noch Kraft genug, um ähnliche Vorfälle zu verhindern, der Lage,

um

Die Nazion ist nicht m

solche Versuche mit Erfolg un­

ternehmen zu können.

4. Ite-

4‘

Ueber das Wesen und die Natur geheimer Gesellschaften. I. V eheime Gesellschaften heißen so, ent­ weder weil sie ingeheim existiren, oder weil zwar ihre Existenz, aber nicht der Zweck, warum sie errichtet sind, bekant ist. Geheime Gesellschaf­ ten von der ersten Art waren bis auf unsre Zeilen die rcsormirten Gemeinen in Frankreich; sind noch die Jesuitergesellschaften, die hin und wieder im Verborgnen fortdauern sollen. Ihre Eristenz wird nur vermutet, sie selbst soll ein Geheimniß sein. Geheime Gesellschaften der zweiten Art sind di.e Freimaurer in Ländern, wo sie öffentlich geduldet werden. Zederman weis, daß sie existiren, wann und wo sie ihre Versamlungey haften, aber der Zweck ihrer Versamsungen ist verborgen. In Ländern, wo die Freimaurer nicht geduldet werden, tznd doch im Verborgnen ihre Logen haben, sind sie eine geheime Gesellschaft so w»l in der ersten als in her zweiten Bedeutung. Xx -

II. Bel.

640

4* Ueber dar Wesen und die Natur' II.

Beide Arten geheimer Gesellschaften müssen eingetheilet werden in temporäre und in blei­ bend e. Zene Horen auf, sobald der bestirnte Zweck, um dessentwillen die Mitglieder in die Ge« sellschaft traten, entweder erreicht oder aufgegeben ist. Temporäre geheime Geselschaften kön­ nen böse, können gute Zwecke haben. Catil ina und seine Mordbrenner hatten einen bösen; die portugiesischen Patrioten, die durch ihre geheime Verbindung die Revoluzion von 1640 bewirkten, hatten einen guten Zweck'. Bleibende Gesell, schäften haben entweder einen Zweck, der, so oft er auch erreicht wird, immer von neuem wieder Zweck ist, ober der, wenn er überall erreichbar ist, nur langsam völlig erreicht werben kan. Eine Gesellschaft, bie sich an einem Orte, wo Hazard« spiele verboten sind, bei verfchloßnen Thüren ver« sammelt, um das Verbot zu übertreten, erreicht zwar jeden Abend, da sie sich mit dergleichen Spielen belustigt, ihren Zweck; aber sie hat jeden folgenden Tag den nämlichen Zweck von neuem, und daher bleibt die Gesellschaft, bis sie den Zweck freiwillig oder gezwungen aufgiebt. Eine Gesell­ schaft hingegen, die sich vereinigte, den Stein der Weisen zu suchen, und in der Absicht geheime Ex­ perimente machte, könte ohne Zweifel sehr lange bestehen, ohne jemals ihrem Ziele um einen Schritt näher zu kommen.

HI.E-

geheimer Gesellschaften.

641

IH. Es ist moralisch unmöglich, daß eine fort­ dauernde Gesellschaft böse, lasterhafte oder sträf­ liche Zwecke haben kan. Wer es versuchen wolte,. bleibende Gesellschaften zu solchen Zwecken zu errich. ten, der würde bald sein Gebäude einstürzen sehen; denn es fehlt am Grunde. Viel Menschen, G ese l t sch a ft e n von Menschen zu bösen Handlungen^ zu verführen, dazu ist nöthig, sie in Leidenschaften zu sezen. In der Leidenschaft muß das Böse ge­ schehn, wozu man andre verführen will, oder es geschieht nicht. Gründliche Menschenkenner, z. E. Guicciardini *), haben die Bemerkung ge-macht, daß Verschwörungen, die sich in die Länge ziehn, fast immer entdeckt werden, weil die Lei­ denschaft, die allein die Menschen solcher Thaten fähig macht, wie ein Rausch ist, der vorübergeht, und weil, wenn der Rausch verflogen, das Ge-, wissen, das ist, Nachdenken und Vernunft, ihre Herschaft mit neuer Stärke wieder ausüben. Fortdauernde Gesellschaften können also nur dann gefährlich und schädlich werden, wenn sieneben ihrem fortdauernden Zwecke, der nie ein andrer als ein unschädlicher sein kan, sich zu einem temporären Nebenzwecke verleiten lassen. Aber bei einer zahlreichen Gesellschaft, die schon Kon» flstenz hat, und der ihre eigne Fortdauer wichtig ist, wird es ein mißliches Unternehmen fein, sie zu ») Lib. III.

6§r

4. Ueber das Wesen und die Natur

zu bedenklichen Nebenzwecken zu verleiten. Alle, denen an der Erhaltung der Gesellschaft und ihrer guten Einrichtung gelegen, werden sich mit allen Kräften solchen Versuchen entgegen sezen.

IV. AuS obigem Unterschiede ergiebt sich die Ant» wort auf die Frage; ob und in wie weit der Stadt geheime Gesellschaften dul» den dürfe? Da nur temporäre Gesellschaften schädlich wtrden können, so ist auch nur gegen sie Wachsamkeit nöthig. Der Staat muß alle die Mittel, die eine gute Polizei in ihrer Gewalt hat, anwenden, um die Entstehung solcher Gesellschaften, die schädliche Zwecke haben können, zu verhüten Hingegen von fortdauernden Gesellschaften hat der Staat keine Uebel weder für sich, als Staat, noch für seine Unterthanen zu fürchten.

V. ES ist daher der Weisheit gemäß fortdauernde geheime Gesellschaften zu dulden, weil eben ihre Fortdauer ein entscheidender Beweis ihrer Unschad» lichrcit ist. Der Staat, der sie nicht duldeü will, macht sich viel vergebliche Mühe.

Er muß Jnquisitionsanstalten machen und wird dadurch verhaßt.

Er

geheimer Gesellschaften.

643

Er legt dadurch solchen Gesellschaften eine Wich­ tigkeit bei, die sie vielleicht nicht haben, und giebt ihnen einen Reiz, der das Verlangen, in solche Gesellschaften zu treten, nur noch mehr verbreitet, und es noch lebhafter macht, als eS sonst ge­ wesen wäre.

vi. Wenn hingegen der Staat die geheimen fort­ dauernden Gesellschaften duldet, so gestattet er da­ durch seinen Unterthanen eine Quelle, wo nicht nüzlicher Thätigkeit, wenigstens doch unschuldigen Vergnügens. Denn es ist moralisch unmöglich, daß eine Gesellschaft itnfnet fort bestünde, wenn die Mitglieder nicht ein gewisses Interesse dabei finden, das sich entweder auf ihren Nuzen oder auf ihr Vergnügen beziehen muß.

VII. Von welcher Gesellschaft man auch Mitglied so muß die Mitgliedschaft wenigstens einigen etwas kosten. Eine Gesellschaft kan ohne Direkto­ rium , ohne Versamlungen zu gewissen Zeiten an gewissen Orten, ohne verschiedne Anstalten und Einrichtungen nicht bestehen. Daher werden Kosten erfodert, die durch Kontribuzionen wenig­ stens von einigen Mitgliedern Müssen aufgebracht werden.

ist,

644 4- Ueber das Wesen und die Natur VIIL Irr jeder Gesellschaft also kan einzelnen Perso­ nen die Mitgliedschaft wegen der damit verknüpf­ ten Kentribuzionen lästig und nachthetlig werden. Solche Personen werden dann, wenn sie Heu gehosten Nuzen oder da6 erwartete Vergnügen in der Gestllschäft nrcht finden, lieber austreten, als in der lästigen Verbindung bleiben.

IX. Angenommen, eine geheime Gesellschaft daure fort, die gleichwol ihren Mitgliedern die vorge­ spiegelten Vortheile und das von weitem gezeigte Vergnügen nicht wirtlich leiste, so tonte die Fort­ dauer dieser Gesellschaft nur durch drei Ursachen er­ klärt werden: Erstlich durch das fleißige An­ werben neuer Mitglieder; zweitens durch die den alten Mitgliedern vorgespiegelten neuen Aussichten-zu großen Vortheilen oder Vergnügungen; Drittens durch die Furcht, ' daß der Austre­ tende sich durch den Austritt die Rache der Gesell­ schaft zuziehn würde. Diese Triebfedern sind desto nöthiger, je größere Konrribuzionen die Gesellschaft ihren Mitgliedern auflegt. X.

Keine Gesellschaft laßt sich denken, von der die Vorsteher, die Direktere nicht gewisse Vortheile hatten. Wenn es auch nicht baare Vortheile sind,

geheimer Gesellschaften.

645,

so schmeichelt es doch der natürlichen Herschbegierde, einen Trupp Menschen zu sehn, der sich unsrer Leitung unterworfen hat. Die Borsteherschaft giebt auch Gelegenheit, die Gemüter, ihre Eigen­ thümlichkeiten und Schwachen kennen zu lernen, welches man bei vorkommenden Gelegenheiten (reflich nuzen kan.

XL Es giebt dreierlei Begierden, die sich durch vorgespiegelte Hcfnungen leicht täuschen lassen, auf dre also die Obern fortdauernder geheimer Gesellschaf­ ten, deren Geheimnisse — o sind, wirken müssen, ' utn die Gesellschaft zu redrutiren und die Desertion zu verhindern: Neugier^ Liebe zum Vergnügen, und die Begierde etwas mehr sagen zu wollen, wie andre Leute. Es giebt Neugierige, Grübler, melancholische Forscher, Ueberirdischgesinte, die, so oft sie auch getauscht worden, sich doch leicht bereden lassen, nun werde ihnen bald das wahre Licht aufgehn.

* Es giebt Leute, die immer neuen Vergnügen nachgehn. Sie fehlen nicht, wo e6 etwas zu sehen, zu spielen, oder zu essen giebt. Es giebt Leute, denen auch mit der Ehre ei­ nes Aemrchens bei irgend einer.Gesellschaft ge­ dient JfL

646 4* Ueber das Wesen «nd die Natur rc. XII.

Man kan sicher vorhersagen, daß etwa nach ein paar Gcnerazionen keine geheime Gesellschaft mehr in

denjenigen

europäischen Ländern, wo

man sich nicht um sie bekümmert, existi« rcn wird.

Diese Wahrsagung stüzt sich auf zwei

Gründe: erstlich auf die Lastigkeit der Kontri-

buzioncn, die von den Mitgliedern gefedert werden. Wie klagte nicht Wei6haupt, daß die Herren Jlluminatcn so wenig Eifer bewiesen, den neuen Orden durch Geldbeiträge zu befördern.

Zwei,

k e» s auf die sich immer mehr verbreitende Ueber­

zeugung, daß die Geheimnisse der Kosten

werth sind.

Wenn

nicht

in der Mitte des künftigen

Jahrhunderts Unter den aufgeklärten europäischen Völkern noch geheime Gesellschaften unter den alten Namen forkdauern solten, so werden sie ihre Na­

tur verändert haben.

Es werden eigentlich nur

Parties de plaifir sein. XIII.

Die jezige große Geschäftigkeit der Obern

ge-

wisser geheimer Gesellschaften, durch allerlei Vor­ spiegelungen und erregte Erwartungen Anfsehn zu

machen, statt zu beweisen, daß diese Gesellschaften jezt großen Zulauf hätten, beweisen vielmehr, daß

die Desertion stark sein muß, und daß die Obern ihre ganze Erfindsamkeit anstrengen müssen, neue

Rekruten herbei zu locken.

ApulejuS Candidus. 5. An

5-

An meine Gefährten ans dem Vesuv den

Herrn Hofmarschall vonOffenberg und

Herrn von Kleist tu Kurland.

Sm Himmelfahrtstage 1785.

freunde, denket des Tags, wo wir am tobenden Schlunde Des Tiranncn Vesuvs saßen km traulichen Kreis; Unter krachendem Knall auf unserer Freunde Gesund­ heit leerten das heilige Glas voll des vulkanischen Weins. Unvergeßlich ist mir das fürchterlich reizende Schauspiel, Das kein Maler uns malt und kein Dichter uns fingt. Zauber stillte den Mut, hinab zu kliminen im Stau« nen An dem gläsernen Fels, regenbogig bemalt, Ueber dampfende Spalten und Höhlen des feurigen Ab­ grunds, In den verstelnerten See schwcstichtcr Fluten hinab. Jubelnd standen wir da auf brennenden Solen und trojten Kühn

64k z. An meine Gefährten auf dem Vesuv rc. Kühn des würgenden Dampfs und der verborgnen Gefahr, Nahten dem sprudelnden Rachen, von wühlendem Zorne geborsten. Raubten vom wogenden Fels, welcher ihm glü­ hend entquoll. Wandelten über den Schaum, erbebend vom brüllen­ den Donner Oes erzürnten Vulkans, lachten des funkelndem Grimms, Sahen die Flamme der Wut aus drohenden Wellen cntlodern, Aber zermalmen vor uns nur den verwegenen Stab.

Freunde, denket des Tags! Es werden ihm wenige folgen, Wo Ihr die große Natur kühner wie heute be­ lauscht. Viele kennen sie nur aus Segen spendender Milde; Aber Ihr saht sie mit mir schrecklich in Rachegcstalt. Weise lieh ihr der Schöpfer die Macht zu herschen auf Erden, Gab ihr Geseze für uns, wie für die physische Welt. Wie in dieser gesezlich gegattet sind Ursach und Wir­ kung, Folget menschlicher That der sie begleitende Lohn. Milder richtet sie zwar als Mutter den Liebling der Schöpfung, Zürnet selten und spät, aber dann zürnt sie gerecht. Freunde, schmieget euch fest an ihren liebenden Vusen, O dann seht ihr sie nie, wie wir im Bilde sie sahn! Kommt und wendet hinweg das Auge vomwarnenden Spiegel, Dort erblickt Ihr sie nur tu der geliebten Gestalt. Schauet

5> An meine Gefährten auf dem Vesuv rc. 649 Schauer dco paradisischen Reiz, mit dem sie vw . schwendrisch Allen Sinnen »ur Lust dieses Gefild überströmt. Festlich schmückt sie die Hügel mit Früchten, die Fluren mit Blumen, Kleidet kn Frühlkngsgewand lieblich das schmei­ chelnde Meer, Und gebeut ihm zu küssen den Thron der kühnen Neapel, Oie Elysiums Schooß lüstern zum Sitz sich erkör. Doch sie erhebe sich nicht de» stolzen Glückes; ihr rauschen Oft die Gestade des Meeres traurige Warnungen zu. Ringsumher erheben sich Arme verwüsteter Städte, Klagen ihr schreckliches Loos, einstens so glücklich als sie. Nun noch einmal zurück den Blick in den furchtbare» Orkus, Dann noch einmal hinab in die elysische Flur! — Welch ein Schauspiel, 0 Freunde! gedenkt Ihr des zaubrischen Tages, O! so gedenket, entfernt auch des Gefährten noch einst.

W. G. Becker.

6. Phi-

6.

Philosophie des Thales.*) Thales, ein vornehmer Milesier.

Milesier. Guten Morgen, lieber Thales! Wie geht es dir? Thales. Wie es dem Alter zu gehn pflegt. Meine Kraft neigt sich zum Grabe.

Milesier. Vielleicht weil du allzuviel von deinem Leben dem Nachdenken und den Wissen« schäften wechtbst.

Thales. Sage, noch allzuwenkg. Ach, das Leben ist so ^kurz, und die Wissenschaft unendlich. M i l e si e r. Hast dn sie dennoch ergründet? Thales. Kein Mensch konte das noch; und keiner wird es können.

Milesier. Fleis? x

Was nüzk dir daher dein

Tha-

•) Dis auf einige wenige Worte, aus dem Dioge­ nes kaertius.

6. Philosophie des Thales.

6;r

Thales. Daß ich doch manches weis, was andre bloß anstaunen. Milesier. Und wie machst dü deine Wis­ senschaft für den Staat ersprieslich? Thales. Indem ich Rath ertheile, wo ich Noth erblicke; und antworte, wenn man mich fragt?

Wilst du auch mir antworten,

Milesier. wenn ich frage.

Wofern ich kan; warum nicht?

Thales.

Was ist das

Milesier. Wesen? Thales.

älteste aller

Gott; denn er ist ungcboren.

Milesier. Thales. Gottes Haud.

Milesier.

Thales. umfaßt er. Milesier,

Was das schönste?

Die Welt» denn sie kam aut Was das größte?

Der Raum; denn was da ist, WaS ist am schnellsten?

Thales. Der menschliche Geist; denn er durchstiegt daS Weltall.

M i l t si e r.

Was das stärkste?

Tha-

6zr

6. Philosophie des Thales.

Thales. Die Nothwendigkeit; denn ihr gehorcht alles. Milesier. Was das klügste? , Thales. Die Zeit; denn sie entdeckt und erfindet alles. M i l e si e r. Welcher Unterschied ist zwischen Leben und Tod? Thales. Keiner. Milesier. Warum starbst du also nicht langst? Thales. Eben weil es keinen Unterschied macht. Milesier. Kan den Gittern eine böse Thar verborgen bleiben? T>h a l e s. Nicht ein böser ■ Gedanke. Milesier. WaS ist aber Gott? Thales, Ein Wesen ohne Anfang und Ende. *) Milesier. Was dünkt dir das Lieblichste auf Erden zu sein? Thales. Erfüllung unsrer Wünsche. Mile«

•) Ich hatte große Lust, ihn antworten zu lassen. Er würde nicht Gott fein, wenn ich es vol# stündig wüß-te. Man Hütte eine solche Derfülschling des Textes mir ab«r vielleicht als Sehler angerechnet.

6. Philosophie deS Thales.

65,3

Milesier. Was das schwerste? Thales. Sich selbst erkennen. Milesier. Was das leichteste? Thales. Einem andern rathen wollen. Milesier. Was das verdienstlichste ? Thales. Seinen Feinden verzeih». Milesier. Was das seltsamste? Thales. Ein Tirann, der alt geworden. Milesier. Was macht uns glücklich? Thaies. Ein gesunder Körper, sattsam« Güter, und ein thätiger Geist. Milesier. Läßt sich auch Unglück leicht ertragen ? Thales. O ja! wenn wir ein größtes noch UNste Feinde treffen sehn. Milesier. Wie lebt man ain gerechtesten 1 Thales. Wen» man nichts thut, was Wan an andern tadelt. Milesier. Welche Freundschaft ist di« stärkste? Thales. Diejenige, die Abwesenheit nicht mindert.

Milesier. Wofür dankst du dem Schick­ sal aw innigsten?

6§4

6. Philosophie des Thales»

Thales. Daß ich als Mensch, und nicht als Thier, als Wann und nicht als Weib, als Griech und nicht als Barbar geboren ward. Milesier. Was hältst du für des MenschenS schönste Zierde?

Thales.

Kenntnisse.

Milesier. WaS ist die erste männliche Tugend? Thales. Thätigkeit.

Milesier. Thales.

Und beim Weibe?

Scham.

Milesier. Glaubst du, daß jede deiner Antworten buchstäbliche Wahrheit war?

Thales.

Wenigstens woll' ich cs.

Milesier. Und wenn nun doch hier und, ha ein Zrthlim sich einschlieche? Thales. So hast du als Mensch gefragt, und ich als Mensch dir geantwortet.

A. G. Meißner.

Y-

Sonne, Mond und Erde.

XS/ott schuf die Erd», und gab ihr zwei Lichter; die Sonne, daß sie am Tage, den Mond, daß er des Nachts

ihr keuchte.

beide Anfangs ihr Amt.

Vvllig gleich theilten Der Mond kam, wenn

die Sonne ging; die Sonne stieg auf, wenn je­

ner sich entfernte.

Der Erde gebrach es nimmer

en Beleuchtung;

und dennoch murrte sie. —

„Das Licht des Mondes/" sprach sie, „ist so gut, als gar keines.

Es wärmet nicht,

eS blendet

Stiefmütterlich hat Natur für

nur.

meine

Nachte gesorgt."

Der Ewige vernahm es. —

behrung

lerne

die

Unzufricdne

„Durch Ent­ erst

erkennen,

wie reich begütert sie bis anhero war! “ —

sprachs, und der Mond verschwand.

Er

Zezt sah

die Erde erst ihre Thorheit ein; jezt flehte sie jam­

mernd : „0 gieb mir zurück, was ich verkante? Gieb mir die Leuchte der Nacht! P- ,

Laß diese grauftndr

7. Sonne, Mond und'Erde,

Lz6

sende Schwarze nicht die Hälfte meiner Länder,

die Hälfte meiner Zeit entstellen.

Ich habe ge.

sündigt; pergieb mir!"

Und er vergab. — Ein Wink von ihm, und der Mond leuchtete wieder.

„ Doch, ist es billig, “

fügte er hinzu, „ daß eine Abänderung auch hin« führo dich an dein Vergehn erinnere! Nur ein

Theil deiner nächtlichen Stunden sei künftig mon« denhell.

Bei den dunkeln lerne, daß es schädlich

sei, mit seinem Schöpfer zu hadern."

So blieb es, und die belehrte Erde freuet sich seitdem auf den wandelbaren Mondschein stärker,

als Anfangs auf den, welchen sie für unumgang« lich hielt.

Meißner.

8. Der

8.

Der Künstler und die Seifenblasen»

\e/tn künstlicher Thon arbeiter formte mühsam ein

Gefäß, das zu Ehren bestirnt war.

Neben ihm

saß sein kleiner Sohn, und machte Seifenblasen. — „ Vater, lieber Vater! “ tief der Knabe froh, ass

eine der vorzüglichsten ihm glückte: „Sieh, ich. bin künstlicher noch, als du.

Sieh diese Kugeln;

N'ie scheu! tpie bunt! wie fliegend! Wie. schnell,

gemacht!"

„Und wie schnell zerplazt,'"

antwor­

tete der Vater, indem die Blase sprang.

„Wie

vernichtet auf immer, da meine Arbeit Jahrhun« bette dauert;

cdcr wenigstens dauern kan. —7-

Laß immer, wenn du einst erwachst, auf Männer­ werk nicht Zeit, nicht Mühe dir verdrießen.

Denn

cy siberlcht dich, da Kuabeospielwerk bald vergeht..

Meißner.

9. Auek-

65»

Anekdote.

9Anekdote.

«yeh>eti«6, der berühmte Schriftsteller, ber dke Verwegenheit hatte, troz seiner Schriftstelleret, Generalpächter und reich zu seyn, fuhr einst durch eine Straße von Paris, und fand plizlich den Weg durch einen Holzwagcn gesperrt. Sehr leicht kvnte dieser noch umtenken; doch der Dauer wolle nicht; verfuhr sich; und reizte den Zorn deS Helvetius so, daß er ihn endlich einen Schurken ichalt. „Sie haben Recht, Herr;" erwiederte der Dauer: „ Zch muß wol ein Schurke, und Sie «in redlicher Mann sein. Denn ich bin zu Fuße und Sie sind im Wagen." —,

„Verzeihung, lieber Freund!" erwiederte der Weltweise. „ Du hast mir eben eine so treft liehe Lehre gegeben > daß ich dich dafür bezahlen muß.

io. Grabschristaufeine« Polijri-Burgemeist. 659 muß. — Hier sind sechs Livres, und mein Bedienter mag dir den Wagen zurecht rücken helfen. *

M. IO»

Grabschrist auf einen Polizei - Burgemeister. «Cvie schwer muß sich die Stadt versündigt haken! Die Polizei erkrankte schon mit dir. Ach wäre sie doch ganz mit dir begraben, Venn leider dient die gute Mutter hier. Nun gar zum Spielzeug' eines Knaben !!!

io. Grabschristaufeine« Polijri-Burgemeist. 659 muß. — Hier sind sechs Livres, und mein Bedienter mag dir den Wagen zurecht rücken helfen. *

M. IO»

Grabschrist auf einen Polizei - Burgemeister. «Cvie schwer muß sich die Stadt versündigt haken! Die Polizei erkrankte schon mit dir. Ach wäre sie doch ganz mit dir begraben, Venn leider dient die gute Mutter hier. Nun gar zum Spielzeug' eines Knaben !!!

Verbesserungen. Am sten Stück des neuen Museum sind folgende Fehler zu verbessern: S.ZO-; 3.t6 statt: luchesme, lies: Luchesinr 308 12 statt: Gibbons, lies: (Gibbon ^25 7 statt: wieder durch das Gefühl, lieS wieder durch; das Gefühl 326 5 statt: meinem Leser, lies: meinen Lesern 327 12 statt: seine feinen, lies: jene feinen 329 8 (von unten) statt: Cetetre, lies: Cet Et re

331

4 statt: lummieux, lies: lu/nineux

332

ii le seroit, lies: le fervit ,

335

i statt: Führt der Falsche oft, lies: Führt der Falsche zu oft 10 statt: Thorheit die Bande, lies: Thor-x heit sorglos die Bande 12 statt: was felsenfest war, lies: was felsenfest war? 6 (von unten) statt: Les Empires, lies :

-

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3

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342 343

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Des Empires

3 (von unten) statt: Vu profpere, lies: Oü profpere ii statt: und Frankreich, lies: und Spanien 8 (von unten) statt: Sehr furchtbar, lies: Seht, furchtbar 2 (von unten) start: ihre Räthe! diel Lies': ihre Mthe smds!

AuS No. 2. des neuen deutschen Museums 4s Stück 1789. ist folgender Anfang des Aussatzes, Swifts Meditation über einen Besenstiel r;nd wie siy entstanden, weggelassen: Die Meditation über einen Besenstiel gehört unter diejenigen Swistifchen Aussatze, welche von den Widersachern hieses großen Mannes mit (5rsolg dazu gebraucht wurden, die Hürde seines Ck^rakters in ein zweideutiges Ucht zu stellen, und durch seinem Ansehn, wo möglich, einigen Lbvruch zy thun.