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German Pages 639 [680] Year 1790
Neues
Deutsches Museum. Erster Band. Julius bis Dezember 1789«
Herausgegeben
von
Heinrich Christian Boie. L e i p z i. g, bei Georg Joachim Göschen. i?89-
Inhalt aller sechs Stücke dieses Bandes» Julius. I.
Les Etats generajjx.
Vom Hrn. Klopstock
Seite i. 2» а. Militärische Verfassung des vtmanniichen . Reichs. Vom Hrn. Justizrath Nieblchr 2—-3«
3» Wie ist Reformation der Philosophie mög lich ? Vom Herrn Rath Reinhold 4. Ahdim,
31—47
eine mortzenlandische Erzählung.
Erster Gesang
48—5$
-
5. Das vollkommene Weid und der vollkom mene Mann. Dom Hrn. Rath Schulz
5;—8$
б, Reichthum und Ehre, eine Erzählung
85—97
7. Mundus vult decipi
-
97—9-
8. An den Exminister Kardinal von Drkerme ido ■9. Auszüge ans Driesen
I. Koblenz, d. 24. Mai, 89.
100—107
II. Rom, d. 1. Mai, 88.
107—110
III. D. d. 2O. Sept. 88.
ho. in
IV. Amsterdam, d. ro. Jänner, 89.
in. nr
V. ValencienncS, d. 3. Marz, 88.
ns
August. 1. Apollons Hain, ein Schauspiel mit Chören 113—166
2. Mi-
Hauptinhalt. а. Militärische Verfassung des otmannischen
Reichs.
Vom Hrn. Justizrath Niebuhr.
(Beschluß) « S. 167—20; 3. Wie ist Reformazion der Philosophie mög
lich ? Vom Hrn.Rath Reinhold.
(Fort-
204—226
*
sezung
4. Das vollkommene Weib und der vollkom Vom Hrn. Rath Schulz.
mene Mann.
226—260
(Beschluß.)
5. Ahdim, eine morgenländische Erzählung. . Zweiter Gesang
•
»60—268.
September. 1. Leitfaden zu einer künftigen Geschichte der Menschheit »69—»8r 2. Wie ist Reformazion der Philosophie mög lich.
Vom Hrn. Rath Reinhold.
(Be
schluß.) 284—304 3. Ueber den litterarischen Karakter Friedrich U. und über einige seiner Werke 30;—344
4. Freiwerberei aus dem XI. Jahrhundert. Vom Hrn. Aug. Meißner
345—3M
x. Ahdim, eine morgenländische Erzählung.
Dritter Gesang
-
б, Nachrichten au< Frankreich
355—36«
36»—368
Oktober. i. Von dem Adel. Dom Hrn. Geheimen Hof rath Schlosset
•
369—40$ 2. Swifts
Hauptinhalt. 5. Swifts Meditation über einen Besenstiel,
und wie sie entstanden ist. Vom Hrn. Geh. Rath Jacobi
3. Fragment
S. 40;—4'7
-
aus
Das
dem Trauerspiele.
« 418 — 43» Vom Herrn A. G.
heimliche Gericht
4. Kriminalanekdoten.
Meißner
Klopstock» 2>
Militärische Verfassung des otmannischen Reichs» *») otmannische Reich ist im Kriege entstanden, und durch lauter Eroberungen vergrößert worden; weder Herrath noch Tausch hat eine einzige Pro vinz an dasselbe gebracht. Seine Staatsverfaffung ist daher ganz militärisch. Kein geerbter Adel, keine Geistlichkeit, keine Bürgerschaft wird hier etwas geachtet, alle Paschen, von dem Wesir el asem an bis auf den Vecst, welcher nur einen Roßschweif hat, sind Anführer der Truppen in den ihnen anberrauten Distrikten: und wenn gleich das Korps der Ullema zu Konstantinopel bei dem Volke in großem Ansehen steht, so steht doch ein Pascha eben so stolz auf die einzelne Rechtsgelehrten herab, wie
*0 O. i. deren Schimmer Blut entstellt. **) Geschrieben im Oktober i/ss, als dem $rn. Verfas ser Veyßonels Schrsst gegen Bolnen noch Nicht *u Gystchte gekommen war, über welche und Volneys Buch der Herausgeber dem Publikum bald einige Gedanken seines Freundes vorlegen zu können Host.
2
2. Militärische Verfassung
So denk' ich jezt nicht: Gallien sticht und sezk Sich einen Bürgcrkranz auf, wie keiner war! Der glunzet Heller, und verdient es, Schöner als Lorbeern, die Blut entschimmert. ♦>
Klopstock» 2>
Militärische Verfassung des otmannischen Reichs» *») otmannische Reich ist im Kriege entstanden, und durch lauter Eroberungen vergrößert worden; weder Herrath noch Tausch hat eine einzige Pro vinz an dasselbe gebracht. Seine Staatsverfaffung ist daher ganz militärisch. Kein geerbter Adel, keine Geistlichkeit, keine Bürgerschaft wird hier etwas geachtet, alle Paschen, von dem Wesir el asem an bis auf den Vecst, welcher nur einen Roßschweif hat, sind Anführer der Truppen in den ihnen anberrauten Distrikten: und wenn gleich das Korps der Ullema zu Konstantinopel bei dem Volke in großem Ansehen steht, so steht doch ein Pascha eben so stolz auf die einzelne Rechtsgelehrten herab, wie
*0 O. i. deren Schimmer Blut entstellt. **) Geschrieben im Oktober i/ss, als dem $rn. Verfas ser Veyßonels Schrsst gegen Bolnen noch Nicht *u Gystchte gekommen war, über welche und Volneys Buch der Herausgeber dem Publikum bald einige Gedanken seines Freundes vorlegen zu können Host.
Les okmannischerr Reichs.
3
W in Europa etwan ein General der bloß Soldat
Selbst der Mufti, das
ist, auf den Professor.
Oberhaupt der Ullema und aller Geistlichen im ganzen Reiche, muß sein Fetwa so schreiben, wie
der ©iikan oder derGroß Wesir es verlangt, wenn er nicht befürchten will,
gesandt zu werden.
abgesetzt und ins Elend
Bei den Otmanly ist also
bas Milirare über alles. Die ersten Regenten des otmannischen Reichs
waren alle selbst große Generale, daher auch
es fehlte ihnen
nicht an andern großen Mannern,
mit deren Hülfe
sie Einrichtungen
und Geseze
machten, wodurch nicht nur ihre despotische Regie, rungsfvrm befestigt ward, sondern die auch ihrer
Eroberungssucht angemessen waren.
Reiterei,
Eine tüchtige
welche man Spahi nennt, schien ihnen
dazu vorzüglich bequem.
Der Sultan har davon
gleichsam drei verschiedene Korps, wovon das, welches seine Löhnung baar tu Geld erhalt, scholl so alt ist, als das otmannische Reich selbst.
Chef heißt der Spahiler Agast. Korps,
Dessen
Ein Theil dieses
welcher gröstentheils aus lauter Söhnen
vornehmer Otmanly besteht, wird Mutaferreka ge
nant,
und gehört mit zur Leibwache des Sultans.
Der Graf Marsigli rechnet auch das Korps der
Tschauifch, dessen Chef, der Tschanisch baschi, sich beständig bei der Pforte anfhatrcn muß,
diesen Spahi. großem Ansehen.
mit zu
Das Korps steht also noch jezt in
4
2. Militärische Verfassung
So wie die Sultane ein Königreich oder Fürstenthum nach dem andern eroberten, so gaben sie denjenigen von ihren Kriegern, die sich dnrch Tapferkeit ausgezeichnet hatten, kleine oder größere Lchngüter; TimLre, Zaime, Beglike. DieBesrzcr derstlben wurden demDeglerbegk (Pascha von drei Roßschweifen) ihrer Provinz untergeordnetund musten unter dessen Anführung mit einer der Größe ihrer Lengüthcr verhältnißmäßigen Anzahl Leute ans eigene Kosten ins Feld ziehen; der Sul. tän konte also allezeit gleich eine große Anzahl Rei terei ins Feld stellen, welche ihm so zu reden, nichts kostete. Diese Lehngüter sind nachher beständig als dem Staat gehörig angesehen worden. Einige Davon 'sind erblich, die meisten aber werden nur Auf Lebenszeit vergeben, imb jeder neuer Desizer muß sich damit entweder von dem Beglerbegk, oder von der Pforte selbst, belehnen lassen. Bei den erblichen aber wird nicht auf die erste Geburt, son dern auf den tüchtigsten unter den Anverwandten des Verstorbenen gesehen; das heißt jezt: derjenige erhält das Beglik, ine Zaim oder Timär, der sich die vornehmsten Gönner verschaffen kan, oder am meisten bezahlen will. Große Zaime mtb Timäre können auch getheilt werden. Damit die Deglerbeat'e, die in den ihnen anbetrauten Pkvvinzen liegende Zaime und Trmare nicht bloß an ihre Günstlinge vergeben, oder gar an die Meistbie tende verkaufen, sind ausdrückliche Geseze gege. ben
beS otmannlfchen Reichs.
5
ben worden, wie bei Erledigung derselben bahiit zu verfahren fet; z. B. die Sohne derSpahi, die im Kriege sterben, sollen den nächsten Anspruch auf
die Lehngüter ihrer Väter haben.
Man will indeß
behaupten, daß bte Deglerbegke bcv neuern Zeiten, welche selten lange in einer Provinz bleiben, sich
durch den Verkauf der
Lehngüter einen guten
Vortheil zu machen wissen.
Die erblichen
36c,
besonders die auf der Grenze gegen das Haus
Oesterreich, sind dem Sultan eine starke Vormauer gegen seine Nachbarn;
denn diese befestigen ihre
Wohnsize zum Theil nicht nur selbst, sondern drin
gen auch darauf,
daß der Sultan seine Grenz
festungen in einem guten Stande erhalten lasse,
warum sonst die großen Statthalter,
Residenz oft verändern muffen,
welche ihre
sich wenig zu be
kümmern pflegen.
Der Graf Marsigli erwähnt noch einer dritten Art Spahi,
die er mit den Grenztruppen btt*
Oesterreicher vergleicht, die aber nur gewisse Mo
nate im Jahre dienen,
Hause gehen.
und dann wieder nach
Ich eilte zusehr durch die europäi
sche Türkei, als daß ich davon nähere Nachrichten hätte einziehen können;
fährlich,
ich hielt es auch zu ge
mich hier nach dergleichen viel zu er
kundigen. *)
Die *) Wer sich einen richtigen Beqrif von den verschie, denen Korps der Truppen des Sultans machen will, der wird des Grafen von Mar/lgU Etat mihtaire de
6
r. Militärische Verfassnng Die vornehmsten Truppen unter der Infan
terie des Sultans sind die Janitscharen.
Diese
und die Spahr haben solche Vorrechte vor andern Truppen,
daß jeder von ihnen gleichsam als em
Offzier angesehen werden kau,
denn so wie man
in Europa in den neuern Zeiten Kadetten - Korps errichtet hat,
um tüchtige Offiziere zu erziehen,
so haben die Otmannen schon seit Jahrhunderten
ganze Korps gehabt,
worin die Janitscharen erst
zu wirklichen Soldaten sie sollen
gebtldet werden sollen;
nämlich vorher einige Jahre
bei den
Adsjem Oglan oder Baltadsji gedient, ihren Kör
per abaehartet, und sich so zum Kriegsdienst vorbe reitet haben,
bevor sie als wirkliche Janitscharen
eingeschrieben
werden
können.
Gesez noch beobachtet ward,
Go lange dies
bestanden die Spahi
und Janitscharen aus lauter starken und geübten Leuten.
Der Spahi hatte sein Lehngut
auf Le
benszeit wo nicht gar erblich, oder er hatte seinen
bestirnten Sold,
der ihm nicht genommen werden
feilte, und auch der Janitschar durste nicht befürch
ten abgedankt zu werden,
wenn man ihn etwa
auf einige Zeit nicht brauchte; seine Löhnung stieg vielmehr
im Verhältniß seiner Dienstjahre und
seiner
de Pempire Ottoman noch immer sehr brauchbar finden. Es ist nur zu bedauern, daß der Verfasser, welcher gewiß gut türkrsch verstand, die türkischen Namen nicht auch mittürkifcher Schrift hat drucken lassen, denn diese sind beides in der italienischen und französischen ttel-ersezung so sehr verstestt, daß man die wenigsten wleder kennen kan.
7
des otmannischen Reichs.
seiner,Tapferkeit, und im Alter gab man ihm reich
lich zu leben;
und dies nicht als ein Gnadengeld,
sondern als eine Belohnung,
die man ihm wegen
seiner geleisteten Dienste schuldig zu seyn glaubte. Er ward auch noch alsdenn geehrt,
wenn ferne
Kräfte ihm langst tucbf mehr erlaubten Dienste zu
thun.
Selbst im großen Diwan des Sultans,
wo über Krieg und Frieden
berathschlagt wird,
horte man einen alren erfahrnen Offizier gern, und dessen Verschlag ward nicht selten befolgt.
Korps Truppen,
Ganze
dre so geachtet und belehnt wur
den, wovon jeder hoffen konte, sich zu großen Eh
renämtern empor zu schwingen, wenn er-Fähigkei ten dazu hatte,
denen von Jugend auf eine eben
so große Verachtung gegen die Christen eingeprägt worden war, al-r den Europäern gegen fcr Juden, bei welchen es für schimpflich gehalten ward, wenn
einer von ihnen fleh von zwer Christen hatte zurück
treiben lassen, und die nicht hoffen konten, daß der Regent sich weiter um sie bekünuuern würde, wenn sie in die Gefangenschaft aeriethen — solche Trup
pen musten den benachbarten christlichen Staaten
allerdings fürchterlich fein. Jezt aber sind die Spahr und Janitscharen nicht mehr so fürchterlich als sie es ehmals waren.
Die Sultane haben den kriegerischen Geist der ersten Eroberer längst verloren, ihr Vergnügen in
der Ruhe gesucht, und so die Truppen nicht in
Uebung erhalten.
Da sie die beste Zeit ihres Le
bens
8
Militärische Verfassung
bens gleichsam in der Gefangenschaft- zugebracht hatten, so waren sie zu allen Regierungsgeschaften ungeschickt,
und haben solche dem Reichsverwescr
ganz übertragen müssen, der sich gemeiniglich nur
zu bereichern suchte,
indem er nicht wüste,
wie
lang er seinen hohen Posten würde behaupten kön
nen.
So wie dieser,
haben es auch die übrigen
Staatsbediente und Beglerbegke gemacht.
Nach
dem langen Frieden mit den benachbarten christli
chen Machten fehlt es dem Sultan an tüchtigen Anführern seiner Armeen und an zum Kriege ab
gehärteten Soldaten.
Die Ianitscharen haben
ihre so schon große Vorrechte immer mehr und mehr
zu erweitern gesucht, das Korps richtet langst nicht
mehr aus die Geschicklichkeit der Rekruten sein Au
genmerk, wie Sultan Soleiman solches in seinem Gesezbuche (Kanün HLme) doch ausdrücklich besohl
len hat,
auch werden die Ianitscharen nicht mehr
so zum Dienst angehalten;
die ehmals tapfern
Krieger sind ausgeartet und guten Theils Kaufleute und Handwerker geworden;
man hat die Zaune
und Timbre nach Gunst vergeben,
oder an die
Meistbietende verkauft, auch einige so zerstückt oder verwüstet, daß sie ihren Mann nicht mehr nähren
können.
In den Paschaliken Mosul, Orfa, Ha-
lep und andern an die Wüste grenzenden Provinzen, z. B. findet man Spahi, die ihre Lehngüter von
den Arabern,
Kiurden und Turkmannen eben ss
gut plündern lassen müssen, als die Bauern. Wenn nurt
des otWannifcheir Reichs.
9
Hirn die Herumstreisenden Herden die Einwohner der
Dörfer so weit herunter gebracht haben, daß sie ihre
väterliche Wohnungen verlassen müssen, so giebt der Pascha den Roßschweif, d. i. das Deglik wohl gar an einen Schech: und so findet sich zwar das Beg-
lik noch immer in dem Register, die Spahr mit den übrigen Einwohnern der Dörfer aber sind verloren.
Das Korps der Janischaren ist schon von Murad I. errichtet,
und also bereits gegen 400
Jahre alt.
Eigentlich hat dieser Sultan ein alte-
res Korps,
welches Seigman genant ward, nur
vermehrt, lind demselben auf Anrathen eines Der wisches Hadsji Bectasch, welchen alle Janitscharen noch bis auf diesen Tag als ihren Schuzheiligen verehnn, den Namen Iengr (scherri d. i. neue
Mch; beigelegt. kmder,
Man hatte bemerkt, daß Christen-
die in der mohammedanischen Rellgwn
erzogen waren, also gar keinen Anhang hatten als den Sultan,
von dem sie aber aiich alles hoffen
sollten, tüchtige Soldaten geworden waren; Sut-
tün Mur.id vermehrte also sein Korps mit lauter solchen gebornen Christen, deren Körper zum Krie ge bereits abgehärtet war.
Er verordnete zugleich,
daß künftig keiner in das Korps der Iniitscharen ausgenommen werden sollte, als nur-Kmder der
Christen,
die in der mohammedanischen Religion
erzogen, und zum Kriegsdienst vorbereitet waren; dagegen konten erwachsene Christen, die ihre Religion verließen, gar nicht zu der Ehre gelangen, als n irk-
liehe
2. Militärische Verfassung
io
liche den.
Soldaten des Sultans ausgenommen
zu wer
Wenn Murad fern neues Korps nur mir
gewesenen Christen vermehrte, bie ihren Eltern als Kinder im Kriege entrissen waren,
so war dies
Mittel allein bald nicht mehr hinreichend,
nicht
nur das Korps der Janitsckaren, sondern auch am dere Korps, woraus selbiges reeruttrt werden feite, immer vollzählig zu erhalten. Kaufleute, beson
ders Tataren lieferten daher den Otmanly auch Christenkinder für baare Bezahlung; und aus den Provinzen,
deren Einwohner man tapfer gefun
den hatte,
musten Christentinder als em Tribut
geliefert werden.
Es war freilich hart,
daß die Christen selbst
ihre Kinder zum Dienst ihrer Unterdrücker herge
ben musten.
Aber wozu gewohnt sich nicht der
schwache Unterthan unter
Despoten?
der
Regierung
eines
Alle christliche Einwohner des otmam
Nischen Reicks sind zwar freie Leute,
sie müssen
aber eine drückende Abgabe (Charadsch) bezahlen, die nicht von den Mohammedanern gefedert wird, und auch der reichste Christ ist genöthigt, dem ge
ringsten Mohammedaner mit einer Achtung zu begegnen,
welche zu erkennen giebt,
daß er ihn
von einem vornehmern Stande zu seyn erachte.
Dagegen halt jeder Mohammedaner sich durch seine Religion gleichsam geadelt, sich selbst von der Vor
sicht zur Herschaft, dre Christen und Juden aber
zur Unterwürfigkeit bestirnt; in dem otmannischen Reiche
Hes otmannischen Reichs.
n
Reiche ist ein eben so großer Unterschied zwischen
einem Mohammedaner und einem Christen,
als
in Europa zwischen einem Edelmann und einem
leibeigenen Dauer.
Im Gegentheil werden die Lu
der mohammedanischen Religion erzogenen Christen
kinder im Dienste des Sultans gleichsam als zur Familie des Regenten gehörig, angesehen; sie lön, «en ein großes Glück in der Welr machen, üben
Allezeit in mehrer» Ansehen,
und mit mehr Be
quemlichkeit, als wenn sie beim Pfluge geblieben waren.
Dies erregte denn bei armen christlichen
Eltern eine solche Gleichgültiakeit gegen die Religion,
daß/sie noch wol selbst ihre nicht zum Tribut abge gebenen Kinder an die Mohammedaner verkauftem
Waren die Mohammedaner so eifrige Proselytenma
cher gewesen,
als die Katholiken,
so würden ge
wiß Tausende, welche bei ihrer sauern Arbeit jähr, tich ein Ansehnliches mehr, als die mohammedani schen Bauern bezahlen, und sich überdies noch von
jedem Bedienten eines Otmanly hudeln lassen müs sen,
längst zu ihnen übergetreten sein,
mrd man
fände tm otmannischen Reiche jezt vielleicht eben
so wenige Christen,
als unter den Europäern
Heiden.
So wie indeß immer mehrere christliche, Unter
thanen Mohammedaner geworden waren,
und
deren Söhne dem Staat gleichfals als Soldaten
dienen wolten, und so wie im Kriege immer weni
gere Christenknaben erbeutet wurden,
so wurden
immer
2. Militärische Verfassung
12
immer mehrere geborne Mohammedaner in das
Schon
KorvS der Janitscharen ausgenommen.
SultänSolelmän, welcher in den Jahren von 1520
bis 1566 regierte, erlaubt solches in seinem militä rischen Gesezbuche ausdrücklich; wissen Einschränkungen.
jebod) unter ge
Dieser
weise Regent
hatte bedenken sollen, daß die künftigen Zeiten die Umstande noch ferner verändern würden.
Statt
dessen aber hat er befohlen, daß seine Kriegsgeseze von den künftigen Sultanen gar nicht verändert
werden sollen, und schließt mit folgenden Worten:
"Weder Geld,
Gunst noch Vorbitten sollen die
Offiziere des Korpö der Janitscharen bewegen, solche
darin aufzunehmen,
welche nach diesem Kcseze
ausgeschlossen sind; und softe sich jemand verleiten
lassen,
diesen Befehl zu übertreten, - so treffe ihn
die Ungnade des Allmächtigen und der Fluch von
248,000
Propheten;
nichts gelinge
ihm
nach
Wunsch und sein Ende sei unglücklich. “
Sultan Soleimans Andenken wird bei den
Otmanly noch jezt sehr geehrt, und sem Fluch kan vielleicht manchen seiner Nachfolger abgehalten ha
ben, ernstlich an eine Abänderung und Verbesse
rung des GesezbucheS zu denken,»wie sehr er solche auch für nöthig erachtete.
Könte aber dieser Sul
tan lein Janitscharen Korps jezt mustern, so würde er von den Offizieren seine Verfügungen oft ans bett Augen gesezt und viele Veränderungen darin
gemacht finden, wodurch zwar dessen Gewalt nicht wenig
13
-des otmarmifchen Reichs. wenig erweitert ist,
der Staat aber sehr gelit
ten hat. Nach einem der Hauptvorrechte dieses Korps, kan kern Pascha, oder Kadi,
oder eine andere
Obrigkeit einen Zanitscharen ins Gefängniß wer fen lassen.
Man findet daher merstcns auch in
den Städten, in denen eigentlich keine Janitscha-
ren liegen,
einen oder mehrere Offiziere,
dahin zu sehen haben,
menden Mitgliedern ihres Korps,
geschehe.
welche
daß den etwa dahin kom
nicht zu nahe
Hat ein Zanitschar etwas verbrochen,
so wird er von seinen eigenen Offizieren gerichtet
und gestraft, und diese verfahren immer sehr gelinde,
vornLmlich wenn der Ankläger nicht auch mit unter dem Korps steht.
Hat aber irgend ein nicht dazu
gehöriger einen Zanitscharen
beleidigt,
so steht
man das als eine Beschimpfung des ganzen Trupps an, und treibt die Sache aufs äußsrste. Hat z. D.
ein Zanitschar einen Bürger ermordet, so verholen seine Kammeraden ihn so lange, bis die Sache mit
der Familie des Ermordeten abgehandelt ist.
Zu
Basra, BagdLd und Konstantinopel, also vermur,
lich überall bezahlt die ganze Ortet das Blutqeld,
und der Mörder komt dann wieder auf freien Fuß. So wie man in Europa einem Adelichen, der eine
schändliche That begangen hat, erst den Adel turnt, ^evor man ihn dem Scharfrichter übergiebc, so halten auch die Zanitscharen es für einen Schand fleck ihres Korps, gewisse Verbrecher z. D. Gottes
lästerer
•« Militärische Derftffuttg
M
lästeret, Diebe u. d. gl. als Janitscharen hinzurich.
ten.
Sie streichen den Namen eines solchen Misst,
thaters auf ihrer Liste aus, zerreißen ihm den Rock (Bel'isch) am Halse, und übergeben ihn so der
bürgerlichen Obrigkeit.
Hat er aber ein anderes
daß den Tod verdient,
Verbrechen begangen,
wird er
st
des Nachts von einem seiner eigenen
Kammeraden in Gegenwart eines Offiziers hin»»
gerichtet. Eine Folge dieses Vorrechtes der Janitscharen, daß sie bloß von ihren eigenen Offizieren gerichtet
und gestraft werden, ist die Unverschämtheit, mit welcher sch lcchtdentende unter ihnen mehr nur Chri
sten und Juden, sondern oft selbst andern Mohamrnedanern begegnen.
Weil das Korps Zusammen
halt rmd dadurch so mächtig ist, kein geringer Vortheil,
so ist es qewiß
wenn einer sich ein Mit
glied desselben Nennen kan.
Ihre Freundschaft,
oder vielmehr ihr Schuz, wird daher schr gesucht.
Für die Offiziere ist es auch kein geringer Vortheil, wenn sie gleichsam,Ehren - Mitglieder ihres KorpS
ernennen können,
die keine Dienste thun, und
daher auch vom Sultan keine Löhnung zu erwar ten haben, indeß für die Einschreibung gut bezah
len ,
und bei vorkommenden Fällen auch nachher
noch Geschenke geben muffen. in den Provinzen,
Nicht nur Paschen
sondern auch die vornehmsten
vtmanlv zu Konstantinopel, und der Sultan selbst
lassen sich
daher bei diesem Korps einschreiben. 5»
des otrrrarmistberr Reichs.
i$
An den Grenzstädten, wo verhältnißmaßig allezeit viele Janirscharen liegen,
erkauft sich fast jeder
wohlhabender Bürger den Titel eines Janrtscharen;
der eine um seine Handthiernng ruhig treiben zu können,
der andere um sich Uuterstüzung gegen
solche von seinen Mitbürgern zu verschaffen, denen er gern was anhabcn mögte.
Die Anzahl der
Tttular-Janitscharen ist dadurch so sehr angewach-
sen,
daß der Davon Tott einer Orta erwähnt,
welche gegen zo,ooo Elngeschriebene hat,^) da eine solche doch wol nicht über 600 bw 800 wirkliche
Janirscharen enchalten nrag.
In den Grenzstäd
ten nimt das Korps gar reiche Christen unket seinen
Schuz,
wofür dann leztere frerlich gilt bezahlen
muffen, aber dafür bann auch wieder großen Nuzcn haben tonnen.
Bei einem Aufruhr zu Basra
z. D. hatten die Janirscharen viele Hansir der nicht eingeschriebenen Bürger geplündert, Tltnlar- Janirscharen aber verschont.
die der
Auch mein
Bedienter zu Basra nante sich einen Janitscharen. 2tuf die Frage, welchen Nuzen er davon haben
tönte, antwortete er mir: wenn ich nun etwa je manden ums Lcb"n bringe, so darf der Mutasillim (Gouverneur) mich nicht ins Gefängniß werfen
und aushängen lassen. aus,
sagte ich,
Du siehst nicht darnach
daß du Leute ums Leben bringen
wirst, hattest du keine andere Ursache dreh emschrei-
ben zu lassen? O ja, antwortete er, nun werde ich
von
*) Memoires du Baron de Tott pirt. I. pag. 65. not.
2. Militärische Verfassung
i6
von andern Zanitschaten nicht mehr gemißhandelt, und wenn jemand mich schlägt,
Ort« sich meiner an.
so ntmt die ganz«
Dieser ehrliche Kerl hatte
in seinem Leben noch keinen ermordet, er must«
aber so oft seinen Antheil zum Blutgelde für andere
bezahlen, daß ihm von seinem Verdienst nur we
nig übrig blieb.
Für reisende Mohammedaner ist
es besonders uüzlich, wenn sie sich Zanitscharen
nenne» können; denn so finden sie überal Freunde
und Beschnzer,
Auch habe ich Schiffer und Steu
erleute von Surat gekaut, die sich bei den Zanit« scharen hatten einschreiben lassen,
um bei ihrem
Aufenthalt zu Basra und Dsjidda von ihrem Korps Schuz zu erhalten.
Die Einschreibung eines Zanktscharcn,
selbst
eines bloßen Titularen, kan nur da geschehen, wo
der Staab einer Orra liegt.
Die Basraner we
nigstens müssen nach Koriie, wenn sie sich einschrei ben lassen wollen.
Die alte Gewohnheit, nach
welcher der Eingeschriebene von seinem Offizier mit
einer Ohrfeige begrüßt werden soll, wird noch jezt beobachtet.
Die wirklichen Janirsä>aren haben auch das
Vorrecht,
daß sie zwei Körbe bei allen Zollstatten
«nvisicirr einbringen können.
Der Gesczgeber
feste nämlich zum voraus, daß seine Soldaten nur
Lebensmittel bei sich führten, und dieserwegen fei tert sie bei Yen Zöllen nicht ausgehalten werden.
Jezt
wissen
des oinrwmischen Reichs.
11
wissen sie ihre Korbe mit etwas besserm anzusüllen, als mit Reis und Butter.
Zu den Vorrechten des Korps kan noch dieses gerechnet werden, daß eS die für dasselbe bestirnte Summe Geldes im Palasts des Sultans zu bestimten Zeiten selbst abholt, und von da nach dem Palaste lhres Aga bringt. Die ehmaligen Sulrsne, welche die meiste Zeit ihres Lebens im Felde zu brachten, glaubten den christlichen Gesandten kein größeres Schauspiel von ihrer Macht und ihrem Reichthum geben zu tonnen, als wenn sie ihnen an den Löhnungstagen der Janirscharen Audienz ertheilten; diese abgeschmackte Gewohnheit herscht noch bis auf diesen Tag. Der stolze Otmanly be trachtet die europäischen Kaisir und Könige, die mit ihrem Sultan Freundschafts Traktaten erricht tet haben, als hatten sie sich unter den Schuz desselben begeben. Ein Gescu dter mag den Karatter eures Residenten oder Ambassadeurs bekleiden, sein Herr mag seyn, wer er will, so muß er sich, am Tage einer seierlrchcn Audienz, gefallen lassen, eü stundenlang anzusihen, wie die Jamtscharen be schäftigt sind, einen Beutel mit Geld nach dem an dern wegzutragen. Erniedrigend ist die ganze Zeremonie bei einer solchen Audienz. Unterdeß verlangen die Otmanly dergleichen von den Europaern, und bekümmern sich wenig um den, der sich dazu nicht bequemen will. ’ N. Mus. Jul. 8-.
D
Das
iA
Militärische Verfrssdp-
Das Korpö der Zanitscharen ist in 196 Orth tingetheilt, wovon jede ihre Nummer, ingleichen, em gewisses Zeichen in der Fahne und auf den Zelten hat, wodurch man sie von allen übrigen nn< terscheibek. 34 von diesen werden Seigman, 6t Beuluk genant; die übrigen 101 hießen ehemals Zaja, und jezt Dsjamad. Alle 196 Orta stehen unter dem Aga der Zanitscharen. Dieser braucht vorher nicht im Korps gedient zu haben, auch katt der Sultan ihn nach eigenem Gefallen absezen, und einen andern an seine Stelle ernennen, welches Necht man ihm bei den übrigen Offizieren nicht jugestehet. Der Aga wohnt in einem großen und prächtigen Palaste, wo er die ganze Kanzclei de6 ÄovpS bei sich hat; er ist Gouverneur von Konstan tinopel , und hat unter andern wichtigen Verrich tungen auch dio, daß er mit einer großen Anzahl von seinen Leuten, gleichsam als eine Wache gegen wärtig seyn muß, wenn in dem Palaste deS Sul. tLns ein Diwan gehalten, d. i. über ReichSgeschafte berathschlagt wird. Der zweite hohe Offizier bei den Zanitscharen wird Kulkehajasi, KehajaDegk oder Ketchuda Degk genant. Er ist zugleich Tschorbadsji bei der Orta Deuluk Num. 1. und hat die Wache bei den Prinzen vom Geblüt, d. i. er muß nicht nur dahin sehen, daß die eingesperrten Prinzen nicht zu klug werden, und früher Lust zur Negierung bekommen, als der Diwan es für gut findet/ sie auf den Thron iu
des otmatmifchen Reichs.
»9
zn erheben, sondern auch, daß nicht etwa der regie rende Sultan, zu seiner grössten Sicherheit, und um weniger in Gefahr einer Absezung zu sein, sich einfallen lasse, sie zu ermorden. Da er nach und nach in dem Korps selbst zu dieser hohen Bedienung empor gestiegen, so ist er bei demselben gemeiniglich auch mehr beliebt als der Aga, welcher als eine Kreatur des «Sultans angesehen wird; und wen« daher der Aga, selbst im Namen des Sultans dem Korps etwas vorzutragen hat, dem der Kul« kehajasi sich widersezt, so ist er nicht leicht im Stande, die übrigen Offiziere auf seine Seite zu bringen. Der dritte Offizier bei diesem Korps ist der Seigman baschi, der Chef über die 34 Otta Seig» man. Diese Seigman sind wahrscheinlich älter als die Zanitscharen, und bei Errichtung des leztern Korps demselben nur so einverleibt worden, daß der Seigman baschi dem Aga der Zanitscharen un tergeordnet ist. Die Deuluk und Dsjamad haben keinen solchen Chef. Bei ihnen Hal jede Otta einen Tschorbadsji, und ihre Orta sind auch viel größer, als die der Seigman. Wenn der Aga abwesend ist, so ist der Seigman baschi Gouverneur von Konstantinopel.
Einen Tschorbadsji der Zanitscharen kan man etwa mit einem Obersten vergleichen. Die wört
liche Bedeutung seines Namens ist: der für die Freilich ein sonderbarer Name für D r einen
Suppe sorgt.
,20
2. Militärische Verfassung
einen Regiments-Chef, aber nach der Verfassung dieses Korps mcht so ganz übel erdacht. Man will bannt vielleicht nur sagen, daß vorzüglich die ser Offizier für die ihm anbetraute Orta zu sorgen habe. Das grosse Kleinod einer jeden Orta, noch viel schäzbarer als einem europäischen Regimente die Fahne, ist ein Kessel; denn wenn selbiger in feindliche Hände gerath, so ist solches nicht nur ein großer Schimpf für die ganze Orta, sondern 'es wird derselben, wie man mir versichern wollen, zum Andenken ihres schlechten Verhaltens, etwas von den Lebensmitteln abgezogen, welche der Sultän selbiger zusteLlen läßt. Man soll Beispiele haben, daß die Zanitscharen die Schlachtordnung verlassen haben, um ihre Kessel zu retten, wenn der Feind das Lager unvermuthet angegriffen hat, worüber denn auch zwar die Kessel gerettet, die Schlacht aber verloren worden. Einige Tschorbadsji haben außer ihrer Bedie nung bei der Orta annoch Nebenbedienungen, die sehr einträglich sind und ein großes Ansehen ver schaffen. So hat der Tschorbadsji bei der Orta Num. 64* Dsjamäd zugleich die Oberaufsicht über die Windspiele, und wird daher Zagartschi baschi genant; der Tschorbadsji über die Otta Num. 71. Dsjamad hat die Oberaufsicht über die großen Hunde, welche zum Hezen der wilden Thiere gebraucht werden, und heißt deswegen Samsudsji baschi.
des otmamrischen Reichs
21
baschi. *) Ein anderer Tschorbadsji ist Dnrnadsjk baschi, d. i. er hat die Oberaufsicht über die Reiher, deren man sich zur Jagd bedient. Wenn der (Sultan auf die Jagd reitet, so wird er allezeit von einem dieser Herrn mit einer Anzahl Janitscharen begleitet. Vier Orta, wovon jede nur looMann stark ist, heissen Selach und haben einen Solach baschi, welcher den Sultän allezeit zu Fuß begleitet, toetm er zur Moskee oder sonst in die Stadt reitet. Werl alle diese Herren Gelegenheit haben, dem Sultane persönlich bekant zu werden, so werden ihre Stellen begierig gesucht.
So wie der Aga der Janitscharen die Wache bei dem Staatsrath im Palaste des Sultans hat, so ist auch der Tschcrbadsji über bie Orta Num. 28. Beuluk mit dem Titel eines Muchzur aga allezeit mit einer Anzahl von seinen Leuten gegenwärtig, wenn der Groß - Wesir bei der Pforte Diwan halt. Auch der Hassas Daschi, welcher die Auf sicht über die Gefängnisse zu Konstantinopel hat, und mit dem Subaschi gegenwärtig sein muß, wenn jemand hingerichtet wird; der Dusch Tschauisch, welcher ♦) Oie Hunde selbst werden bei den Otmanly für so unrein gehalten, das; sie zu deren Wartung nicht einmal Mohammedaner, sondern Zigeuner brau chen. Vei solchen Umständen würde man in Eu ropa den Jägermeister emes Fürsten geivfi nicht einen Zagartschi baschi oder Samsudsst baschi, d. L Oberaufseher über dre Hunde nennen; was aber bei einer Nazwn für unschiküch gehalten wird, das ist es deswegen nicht auch bei einer andern.
»s
X
Militärische Verfassung
welcher die Janitscharen bei Parade. Wachen in Ordnung stellt, und das Register über die wirklichen
Janitscharen führt;
der Jengi Tschrrri Effendeft
»der General - Auditeur und der Imam oder Feld. Probst stnd zugleich Tschorbadsji bei dieser und jener Orta.
Weil die Paschen, oder Statthalter, nicht
nur das Kommando über alle Truppen des Sultan«
haben, die sich in den ihnen anbetranten Provinzen befinden, sondern überdies auch noch eigene Trup
pen halten müssen, und sie dabei auf den Gedanken kommen kbnten, sich unabhängig machen zu wollen,
so liegt überall in den Kastellen der Residenzstädte dieser Vice - Könige eine Anzahl Janitscharen,
welche auf sie achten, und den ihnen anvcrtrauten Posten gegen jeden innerlichen und auswärtigen
Feind vertheidigen soll.
Die allermeisten Orta
der Janitscharen liegen aber in den Grenzfestnngen. Der Tschorbadsji, oder, wenn in der Residenz eines Pascha deren mehrere liegen, bet vornehmste Tschor«
badsji wohnt dem Diwan des Pascha mit bei.
Doch nicht wie die Janitscharen bei dem Sultan und dem Groß - Wesir, als eine Wache, sondern als ein Mitglied des Diwäns; man nennt selbigen auch Aga oder Serdar.
Die Janitscharen sind also gegenwärtig, wenn
der Sultän, sein Rfichsverweser und seine Paschen
Diwan halten, sie begleiten den Sultan in der Stadt zu Fuß, und auf der Jagd zu Pferde; hie Prinzen vom Geblüte stehen unter ihren Schuz; der
des vtmannischkn Reichs.
ij
ßet Chef dieses Korps ist nicht nur Gouverneur von Konstantinopel, sondern schickt auch Kommandanten Und Truppen nach allen Grenzfestungen und andern Kastellen; die Janitscharen haben die Wache in dem äusser» Hofe des sultanischcn Palastes und bei der sogenanten Pforte, wo sich die hohen Kol legia versammeln und die Archive aufbewahrt wer den. Wenn also dieses Korps in dem Stande ist, wie es dem Geseze nach sein soll, so ist es eine gar mächtige Stüze des Despotismus. Es ist aber zugleich auch fürchterlich für den Despoten selbst, wenn dieser sich ihm im geringsten widersezen will. Der lezten Ursache wegen har wahrscheinlich dis Regierung selbst es gern geschehen lassen, daß das Korps in manchen Stücken von seiner Bort schrift abgcwichen ist, und sich selbst dadurch ge schwächt hat. Der nächste Offizier nach dem Tschorbadsji ist der Oda haschi (etwa Hauptmann;) nach ihm folgt der Wekiel cherdsch, welcher für die Lebensmittel zu sorgen hat; dann der Beirak dar oder der Fähnrich; der Bäsch Eski, der Astschi (Koch) der Sokka, (Wasserträger) der Usta, der Ehalfa und die Kara
kulukschi. Von diesen haben der Koch und Wasser träger wol eben so wenig die Verrichtungen, welch« wir mit ihren Namen verbinden, als der Tschor badsji; denn sie sind eigentlich Unteroffiziere. Wenn jener einem Janitscharen seinen großen mit Messing beschlagenen Gürtel, oder dieser ihm seine Pritsche
94
Militärische Verfassung
Peitsche zeigt, oder ihn damit züchtigt, so wider, dersezt, sich ihm keiner, wie wütend er sich auch sonst gegen einen jeden betragen mag, der ihm nahe timt. Die Tschorbadsji sind jezt wol gröstentheilS Söhne vornehmer Otmanly, die wenigsten davon «erden also ganz von unten auf gedient haben. Lezteres aber verlangt man von einem Oda baschi. An der Hauptstadt muß selbiger auch mit den nicht verheirateten Janitsckaren in der großen Kastrne wohnen, wo selbst für jede Orta bequeme Kammer (Oda) eingerichtet sind, in welcher sie ihren Kessel bei sich hat, und ihre eigene Oekonomie führt. Vor dieser prächtigen Kaserne ist ein großer freier Plaz, auf welchem die Janitscharen sich oft versamleu, bei welcher Gelegenheit dann ehmalS mancher Aufruhr angesponnen, und zuerst ausge. brachen ist. Lezteres ist jezt nicht leicht mehr zu befürchten; denn viele Zanitscharen sind zugleich Bediente bei den Vornehmen, andere treiben aller. Hand Handthierung, die meisten sind verheiratet, Unb die Kasernen stehen leer, oder werden von Elchen bewohnt, die kaum nothdürftig zu lebe» haben. Jede Orta hat auch ihre eigene Sturagk, d. L Pensionisten, die, für selbst geleistete Dienste, oder wegen der Dienste ihrer Vater, ein Gnadengeld erhalten. Aber das, was nach dem Kanün Nam« des Sultans Soleimau dafür bezahlt werden soll,
und
des otmaunifchen Reichs.
S5
und welches die Orta zu fodern nicht vergißt, wird
jezt wol grostencheils
an Bediente oder andere
Kreaturen der Großen vertheilt. 2((le Besamungen in den Grenzfestungen sollen
zwar nach dem Geseze jedes dritte Jahr abgewech. feit werden, aber das wird schon langst nicht mehr beobachtet. versezt,
Die Tschvtbadsjl werden freilich oft
aber dies wol auf eigenes 2lnsuchen,
einträglichere Stellen zu erhalten.
um
Die Janik-
scharen sind zum Theil Einwohner der Städte, in rvelchen sie als Besazung liegen,
wol gar daselbst
geboren: und davon ist dann die Folge, daß sie gemeiniglich der Regierung ihrer Provinz mehr zuge«
than sind,
als dem Sultan.
Zu Kahira lind
Bagdad sind die Beispiele davon häufig.
berufen sich darauf,
2llle
daß sie die Vorrechte ihres.
Korps vertheidigen müssen,
und jeder nennt das
ein Vorrecht der Janitscharen,. was feinen eigenen
Vortheil befördern kam
Wenn alle die, welche sich IanitsclMen nennen, auch gute Soldaten, und genötigt wären ins Feld zu gehen,
so hätte der Sultan bloß an diesem.
Korps eine fürchterliche Armee.
Ihre Anzahl
wird sich gewiß auf einige hundert tausend belau fen.
2tllein davon sollen nur etwa 80,0.00 Be-
soldung erhalten,
und man will versichern A daß.
diese aus der Reichsschazkammer nich-t mehr bekom
men, als Sultan Soleiman für 40,000 ausgesezt hat.
Der Sold eines Zanitscharen ist selbst nach
dem
2. Militärische Verfassung
i**
dem Geseze in den ersten Jahren seines Dunstes
sehr gerrna,
nur durch sein gutes Betragen sott
seine Löhnung nach
imb nach verbessert werden,
da er dann reichlich zu leben bekömt.
Aber jezt
werden die Verbefferungen sehr oft an Bediente und andere Kreaturen der Vornehmen vergeben, der gemeine Janitschar kan
von
seiner kleinen
Löhnung nicht leben, und man muß ihm erlauben,
zugleich bürgerliche Nahrung zu treiben.
In Frie-
denszeiten lassen viele den Dienst durch andere
verrichten,
die nicht so viel haben,
daß sie von
ihrem Sold leben können; ja e6 soll (zu Konstan
tinopel) nicht an Leuten fehlen,
die, in der Hof.
nung eine erhöhete Besoldung zu erhalten,
oder
um nur in der Oda einen freien Tisch zu haben, Yen Dienst gern umsonst verrichten.
In Kriegs
Zeiten verfahrt man bei den Janitscharen auch nicht
so strenge, als in Europa mit den Soldaten; denn
wenn alsdann jemand nicht Lust hat mit ins Feld zu gehen,
so nimt man ihm nur seine Löhnung.
Es finden sich immer genug andere, die, wenn sie hoffen können weiter zu kommen, gern in ein Korps
treten, das so mächtig und geehrt tft7 als das der
Janitscharen. will,
Wenn man indeß auch annehmen
haß die Anzahl der besoldeten Janitscharen
wirklich 80,000 Mann betragt, woran noch sehr
zu zweifeln ist, so können davon doch wol nicht Mehr als höchstens 25,000 Mann ins Feld gestellt werden;
denn man darf die Grenzfestungen nicht
ent-
^7
des otMLNrrischen Reichs.
/ntbloßen; zu Konstantinopel muß beständig eine hsn-
längliche Anzahl von diesen Truppen zurückbleiben,
rmd von diesen werden vermutlich verschiedene Orta, z.D. die, welche die Wache im Palaste des Sultans
und bei der Pforte,
die welche die Gefängnisse
unter ihrer Aufsicht hgben, u. s. f. sich niemals gegen
einen auswärtigen Feind in Glieder stellen lassen.
Die Beschäftigungen eines Dienstthuenden Zarutscharen in Friedenszeiren, sind nicht groß. Man
findet z. B. in ganz Konstantinopel keine Schild
wache,
die auf einem bestimten Posten gewusst
Stunden stehen muß, imb dann von einer andern abgeloset wird.
Diese bei dem Mr'litare der Euro
päer eingeführte Gewohnheit ist den Otmanly noch so fremd, daß selbst der Sultan eine selche Schild
wache des Baron Tptt als einen Missethäter ansah, per
seiner Verbrechen
wegen
verurtheilt
war,
rnrt dem Gewehr auf der Schulter unbeweglich
auf einer Stelle zu stehen. *)
Iu Konstantino
pel sizt die Wache in den starkbewohnten Quartie ren in der Kammer eines Eckhauses,
und in Yen
abgelegenen Quartieren sizt ein einzelner Janitschar an der öffentlichen Straße und schenkt Kaffee ydey
verkauft andere Kleinigkeiten, um nebenher etwas zu verdienen.
Diese Janitscharen müssen gleich
hei der Hand sein, wenn in dem ihnen anbenautem
Quartiere etwa Unordnung entsteht; muß sich wundern,
und
mau
daß man jn einer so großen Stadt
*) Memoires du Baroh de Tott part. 111. p. 121.
2Z
2. Militärische Verfafsimg
Stadt so wenig von Unordnung auf den Straße rmd fast gar nicht von Diebstal hört. *) Man Hiebt den Janitscbaren, wenn sie auf die Wache ziehen, kein anderes Gewehr als jedem einen gro ßen Knüppel; wenn der Sultrui zur Moskee rei tet, welches gewöhnlich alle Freitage geschieht, so werden in der Hauptstraße, wodurch der Zug geht», an beiden Seiten Janitscharen ausgestellt, rmd auch dann ohne Gewehr. Zuweilen laßt der Sultan sie nach einem Zlel schießen, man will aber behaup ten, daß die Offiziere dazu immer die besten Schüzen aus♦) Die scharfe Polizei, die des Nachts einen reden anhält, welcher zu der Zeit keine nothwendige Ger schäfte auf der Straße hat; das Verbot des Spiels und aller starken Getränke, und die minderen Pedürfnisse der gemeinen Mohammedaner, sind wol als die Hauptursachen dieser größeren Sicherheit anzusehen. Daß es aber unter den Moraenlüudera auä) verschmizte Diebe gebe, davon hörte ich folgendes Beispiel zu Konstantinopel. So wie zu Kabira fast alle Quartiere der Stadt des Nachts durch Pforten verschlossen werden, so findet man hier an jchent Ende der vornehmsten Marktstraien (Bezenste.n, Basär) Morten, und bet jeder Pforte ein paar Janitscharen m einer kleinen Kammer, welche bcmir soraen massen, daß die Pforten zur besamten verschlossen und wreder aeöfnet wecoen. Elumak kam ein vornehmer Otmanly zu Pferde, mit ver schiedenen Janltscharen und andern Bedienten zu Fuß, wovon einige gar Fackeln rruaen, und die Thore des Bezensteins wurden ihm mit Ehrerlssebietung geöfnet, weil die Wache be-derselben chn für den Stambül Agasr, d. i. den Pol'zetmeister (auch Chef des Korps der Adnemoglan) hielt. folaen-den Morgen aber, alsdieKaufteute wieder nachdem Bezenffetn kamen, fanden sie feie reichsten Buden von d?n vermeinten Aga und feinen Helfern ausgeleert.
Les vLmaimischen Reichs.
29
Mssuchen» Das ganze Korps in den Waffen ifcn jn lassen, hält man für unnöthig, unb der Zanitschar glaubt sich dazu auch zu vornehm; er ver langt, man müsse so wenig an seiner Geßchicklichkeit mit dem Gewehr umzngehen, als an seiner Tapferkeit zweifeln. Sultün Soleimün brauchte bei den Zanltscbnren unter andern Leibesübungen auch die, daß er sie nm die Wette laufen ließ. Aber dies scheint man jezt nicht mehr zu achten. Man sagt zwar, daß bie Koche der verschiedenen Ort» noch jezt um die Wette laufen, wenn sie Fleisch für die Oda holen, und daß der, welcher das Ziel zuerst errc:cht, zu seinem Antheil etwas mehr Fleisch erhalte. Aber dies ist vielleicht ein MißVerständniß. Der ©idtäu laßt das Fleisch für die Janitscharen liefern, welche in den Kasernen wohnen, und damit nun die Köche der verschiedevon Oda aufpassm, so ist man vielleicht einig ge worden, daß derjenige, welcher zulczt körnt, etwas weniger erhält, als die erstern. Bei den Janitscharen ist ^ben so wenig eine Uniform eingeführt, als bei den übrigen Truppen des Sultans; indeß hat jedes Korps ein Unter scheidungszeichen, wobei man selbiges von allen übrigen unterscheidet, und dieses besteht vorzüglich i4i der Bekleidung des Kopfes. Von der Kopf. Fracht, welche den verschiedenen Rang der Offiziere bei dem JanitscharenkorpS anzeigt, findet malt Abbildungen in des Grafen von Marsigli Etat null»
36
i.
Vkilitarifche BcrfafluG
fnilitaire de l’empire Ottoman, und in dcrAb» bllduirg des türkischen Hofes nach den Gemälden des Herrn de Ferriol;
und sowol von der Muze,'
welche die gemeinen Zanitscharen bei feierlichen Gelegenh» iten, z. B. wenn der Sultan zur Moökee
reitet, tragen, als ihrem gewöhnlichen Turban, ttrt ' ersten Bande meiner Reisebeschreibung Tab. XX, fig. li. 12.
In FriedenSzeiten (im Felde habe
ich sie nicht gesehen) tragen die Zanitscharen Kleidet von allerhand Farben,
jedoch ist ihr Oberkleid
tBenksch) nicht so weit und so lang,
Bürger,
als das der
und die großen Beinkleider, an welche
lederne Socken (Mests) genäht sind, tragen die
Zanitscharen gar nicht,
sondern sie gehen mit
bloßen Füßen in Pantoffeln mit Hackleder, welches
In die Höhe gezogen wird.
Zhre Köche und Was»
ffrträger haben eine besondere Kleidung.
Die der
keztern ist von schwarzem Leder mit großen messinge nen Knöpfen.
Von den Namen und der Anzahl der verschie welche die Paschen aus den ver
denen Truppen,
schiedenen Provinzen zur Armee führen sollen, habe
ich keine genaue Nachrichten erhalten.
zahl ist sehr groß,
Zhre An
aber darunter vieles Gesindel,
das nur in den Krieg zieht, um zu plündern, nicht
ihn zu fechten.
Dazu konte selbst die große An.
zahl der Tataren gerechnet werden, welche dem Suliän auf eigene Kosten zwar dadurch diente, daß
sie
in den
feindlichen Ländern oft erschreckliche
Ver« ■
des otmannistbett Reichs. Verwüstungen anrichtete,
31
aber auch der Armee
nicht selten eine große Last ward.
Weil der wirk
liche Soldat des Sultans sich zu vielen Arbeiten, die der europäische Soldat verrichten muß, zu vor
nehm hält,
so werden auch dazu viele Leute erfo-
dert: und überdies folgen einer otmannischen Armer noch so viele Kaufleute, Handwerker u. s. f. daß
man auf eine otmannische Armee, die auf 100,000 Ma»n stark angegeben wird,
bei weitem nicht so
viele Soldaten rechnen kan, als auf eine gleich
große europäische Armee. (Der Beschluß im nächsten Stück.)
3-
Wie ist Reformazion der Philosophie möglich 1
1. Philosophie hat bisher weder allgemeingcl»
tende Erkentnißgründe für die Grundwahrheiten der Religion und der Moralität, noch allgemein,
geltende erste GrundsaZe der Moral und des
Naturrechts aufgestellt. ♦)
§. 3, *) Die hier vorgetragene Thatsache ist im wurschen Merkur. Junius und Julius d. I. umständlich beleuchtet.
des otmannistbett Reichs. Verwüstungen anrichtete,
31
aber auch der Armee
nicht selten eine große Last ward.
Weil der wirk
liche Soldat des Sultans sich zu vielen Arbeiten, die der europäische Soldat verrichten muß, zu vor
nehm hält,
so werden auch dazu viele Leute erfo-
dert: und überdies folgen einer otmannischen Armer noch so viele Kaufleute, Handwerker u. s. f. daß
man auf eine otmannische Armee, die auf 100,000 Ma»n stark angegeben wird,
bei weitem nicht so
viele Soldaten rechnen kan, als auf eine gleich
große europäische Armee. (Der Beschluß im nächsten Stück.)
3-
Wie ist Reformazion der Philosophie möglich 1
1. Philosophie hat bisher weder allgemeingcl»
tende Erkentnißgründe für die Grundwahrheiten der Religion und der Moralität, noch allgemein,
geltende erste GrundsaZe der Moral und des
Naturrechts aufgestellt. ♦)
§. 3, *) Die hier vorgetragene Thatsache ist im wurschen Merkur. Junius und Julius d. I. umständlich beleuchtet.
3a
Z. Wie ist Reformazion
§. 2. Es laßt sich daher mit Grund vermuthen, daß diesem Mangel des Allgememg.ltc: deu, Mangel des Allgemeingültigen zum Grund liege, und dies«
Vermuthung führt auf den Zweifel: Ob die Philo sophie solche allgemeingültige Erkentnissgründe und
Grundsaze auch wirklich aufzustellen vermöge. *) §- 3-
Das Interesse der Wissenschaften von unseren Pflichten und Rechten in diesem, und dem Grunde
unsrer Erwartung für ein zukünftiges Leben,
und
folglich auch das höchste Interesse der Menschheit
schafc diesen kritischen Zweifel in die bestirnte Frage Wie sind jene allgemeingültigen Erkentniß,
um:
gründe und Grundsaze möglich?
Man hat den Verfasser der Kritik der SSet» vunft,
und
schuldiget,
die Freunde seiner Philosophie, bei
daß
Grundwarheiten
sie
die
Glaubwürdigkeit
der Religion
und
der
lität einzig auf das Interesse grunzten,
der
Mora
welches
die Menschheit an diesen Gnrndwarheiten nehmen müßte.
Ich kan mich hrer keineswegs auf eine
Erörterung d.r Frage einlassen,
ob und in wie
ferne diese Beschuldigung die kritischen Philosophen
treffen •*) D-'e Unentbehrlichkeit dieses Zweifels zue Refor, mazion der Philosophie, und der Unterschied dessel ben von dem dogmatischen und unphilosophischeu Zweifel sind in der Bert. Monatschr. Julius ab gehandelt.
der Philosophie möglich? «reffen könne.
33
Ich erinnre hier nur, daß man das
allgemeine und nothwendige Interesse der Mersch«
hcir in wie ferne dasselbe Untersuchung gebietet,
und wovon hier allein die Nede iss, demselben Interesse,
von eben
in wie ferne es irgend einen
Glauben begründen soll, wol nntersche den müsse.
Ich habe gewiß den
besseren Theil meiner
philcsvphireuden Zeitgenossen
auf meiner Seite,
wenn ich das Interesse der Sittlichkeit (oder wel che« eben dasselbe ist, das Jntercsse der Menschheit, das nur in so ferne nicht mißverstanden werden
kan, als dasselbe durch Stttltchkeit bestimmt wird)
für den Kompaß halte,
ohne welchen man sich
nicht ungestraft auf den Ozean menschlicher Mei« nungen beim Studium der Philosophie
wagen
kan; und wenn ich behaupte, daß Prinzipien, die mit jenem Interesse der Menschheit streiten, weder
allgemeingültig sein, noch allgemeingeltend werden
können.
Nech viel gewisser aber wet den mir alle
philosophischen Parteien (die dogmatischen und die
unphilosophischen Skeptiker ausgenommen,
deren
Plaz aber durch die kritischen sehr ehrenvoll er-
stzt wird) beistimmen; wenn ich hier als ausgemacht annehme,
daß die Entdeckung -allgemeingültiger
Prinzipien (die ihre Allgemeingültigkeit dadurch bewahrten, daß sie wirklich allgemeingeltend wür
den) die Wissenschaften unsrer Pflichten und Rechte n. s. w. in den Rang der eigentlichen Wissenschaf
ten,
den sie bisher nur dem Namen nach besaßen,
sr. Ms. Jul. 8$.
C
erheben.
54
4- Wie ist Reformaziyn
erheben,
und denselben einen Einfluß und eine
ZLürde verschaffen mußten, die auch ihre eifrigsten Sachwalter
bis jczt kaum für möglich gehalten
haben, — und daß fclglich diese Entdeckung viel, leicht das wichtigste Geschenk sein durste,
das der
Menschheit von einem Menschen gemacht
wer
den kan. Man vergesse nicht, daß hier nur von Prin zipien die Rede ist.
Selbst diejenigen, welche
den Frieden auf dem Gebiete der spekulativen Phi losophie für eine Chimäre,
und den Streit der
Philosophen für nothwendig endlos ansehen, gestehen
doch wenigstens so viel ein, daß unter den Strei tenden selbst Emverstandniß über Prinzipien mög
lich und nothwendig sei, *) wenn nicht der ganze
Streit zwecklos und ungereimt sein, und durch die Fortdauer desselben, anstatt der ewigen Annäherung
zur Warheit, vielmehr immer zunehmende Entferyung von derselben bewirkt werden soll.
Streit,
Zeder
der nur durch den Mangel des Einver
ständnisses über Prinzipien unterhalten wird, fallt
mit diesem Mangel nach und nach von selbst weg,
und er führt den Frieden von dem Zeitpunkte an herbei,
wo er die glückliche Wendung gewonnen
hat, durch welche die Streitenden auf den Punkt des Mißverständnisses aufmerksam gemacht und zum
Einverständniß über Prinzipien gelenkt werden. Man
*) Me» unterschreibt nicht daö alte Sprichwort: Xtoqtra principia negantehi non jefl cbfputandiinV?
der Philosophie möglich? Man besorge übrigens nicht,
95
daß das Ende der
Streitigkeiten unter den vier Hauptparteien, oder
dieser Parteien selbst,
vielmehr das Ende
den
Gang der Entwicklung des menschlichen Geistes, der durch diese Streitigkeiten bisher befördert wurde,
hemmen dürste.
Diese Streitigkeiten waren nur
so lange unentbehrlich und unvermeidlich,
als sich
der menschliche Geist noch nicht brs zur Erkentniß allgemeingültiger Prinzipien emporgeschwungen hat. So bald er aber über diese mit sich selbst einig ist,
hat er sich durch diesen Besiz seines künftigen Fort
schreitens, versichert.
Er hat dann die Bestimmung
seines Ganges in seiner eigenen Gewalt, ohne die Beförderung desselben,
wie sonst,
von zufälligen
Entdeckungen und ungewissen Versuchen allein er
warten zu dürfen.
Am Leitfaden seiner Prinzi
pien durchwandert er dann das grenzen- aber nicht
bodenlose Feld der Erfahrung,
welches ihm eine
seinen Kräften angemessene Beschäftigung für eine ganze Ewigkeit anzubieten hat,
von der er sich
um so größeren Erfolg versprechen kan, je weniger
er durch unsicheres Herumtappen, und vergebliches Streiten auf dem Felde der bloßen Spekulazion
Zeit und Kräfte verspürtem wird. Ob und was die Moral und das Naturrecht
durch allgemeingültige erste Grundsaze,
Religion
und Moralität durch allgemeingültige Erkentnißgründe gewinnen würden, kan hier wol keine Frage
sein;
zumal keine Frage für diejenigen, C 2
welche
mit
z6
Z. Wie ist Reformazion
mit mir überzeugt sind, daß alle unsere bisherigen sogenanten Sisteme der Moral und des Natur rechtes, nichts weiter als bloße wissenschaftliche Versuche, sistemartig geordnete Aggregate, mehr oder weniger bearbeitete Materialien für künftige Wlssenschasten uni) nichts weniger als eigentliche Sisteme, und bereits vorhandene Wlssenschasten sind, die auf inneren Zusammenhang, unerschüt terliche Festiakeit, und allgemeine Ueberzeugung Ansprüche machen tonten, — m d daß endlich die Gnmdwarheiren der Religion und der Moral au6 Mangel allgemeingültiger Erkentnißarände bisher nur bloße Probleme und Streitfragen gewesen sind, bei welchen die Stretteuden nicht einmal über den Begrif des Gegenstandes, worüber sie stritten, einig waren. Zch darf also ohne weitere Erörterungen und Beweise, die Behauptung aufstctlen, daß das höchstwichtige, nothwendige und eben darum ewig forrwirkende Interesse, welches dle Menschheit an den Wissenschaften der Moral und des Naturrech« tes und an den Grundwarheiten der Religion und der Moralität nimt, hier alle Gleichgültigkeit, alles dahingestellt sein lassen, moralisch unmöglich mache, und den Zweifel ob auch allgemeingültig erste Grundsaze jener Wissenschaften, und allge meingültige Erkentnißgründe jener Grundwarheiten möglich sind, in die bestimte Frage umschaffe: Wie sind sie möglich? Zch sage: so lange die Un. mög-
' der Philosophie möglich?
st
Möglichkeit solcher Prinzipien nicht allgemeingültig envieftn ist, so lange macht es jenes höchste Inter esse jedem denkenden Kopfe zur Pflicht, die Mög lichkeit derselben 511 untersuchen, nicht vor aller Untersuchung als ausgemacht anzunehmen. Da in der philosophischen Welt über die wirk* kiche Allgemeingültigkeit bisher gefundener erster Grundsäze und Erkertnißaründe nichts ausgemacht ist, so laßt sich (wenigstens von jemand der keiner Partei angehört) die Möglichkeit derselben keines wegs aus der Wirklichkeit schließen, sondern sie muß an sich selbst untersucht, unk erst gezeigt wer den. Es frägt sich also nicht: sind solche Grund saze und Erkentnißgründe möglich ? sondern: Wie sind sie möglich? Und dieses Problem ist der Punkt, bei welchem die beiden schief entqegengesezten Wege, welche die bisherigen vhilosophischen Untersuchungen über jene wichtigen Gegenstände genommen haben, sich endi gen und gleichsam in einander verlieren, der eine, auf welchem man den wirklichen Bcffz jener Erkentnißgründe und Grundsäze, und der andere, auf welchem man ihre Unmöglichkeit erweisen zu können glaubte. Wer sich mit der Auflösung jenes, -roßen Problems beschäftigen will, muß auf eink Zeitlang aushören, sowol zur bejahenden als vev* rieinenden Partei zu gehören; er muß weder Theist» noch Supernaturalist, weder dogmatischer Skepti ker noch Atheist sein 1 er muß mit allen bisheriger* Sistemm
38
Z. Wie ist Reformazion
Sistemen brechen, ohne jedoch die Hofnung aufMgeben, daß ein Sistem zuStand kommen könne, welche«
alles Brauchbare und Wahre, das in den bisherigen enthalten ist,
vereinige.
merkwürdigen,
Indem er sich aus dem
bisher von allen Philosovhen (die
kritischen Skeptiker ausgenommen) verfehlten Punk te befindet,
von welchem jeder Schritt rückwärts
auf einen der beiden Abwege führt, die sich immer
und ins unendliche
weiter vom Ziele entfernen,
Leere verlieren:
so nöthiget ihn das heiligste und
wichtigste Interesse,
kan,
das es «für Menschen geben
den vor ihm liegenden noch nie betretenen
Weg vorwärts anzutreten,
oder welches eben so
so viel ist, den Versuch zu machen, jenes Problem
auszulösen.
§. 4« Um dieses Problem auflösen zu können, muß
man vorher eine allgemeingültige Antwort auf die Frage: Was läßt sich überhaupt erkennen? oder: Welches sind die Grenzen des menschlichen Erkent-
nißvermögens? gefunden haben.
Wer überzeugt ist, daß das Problem: Wie find allgemeingültige Erkentnistgründe u. s. w. möglich? durch das höchste Interesse der Mmschheir in Rücksicht auf den gegenwärtigen Zustand
der Philosophie aufgegeben sei,
der muß auch an
nehmen , daß die Bedingungen, (Data) die znv
Auflösung desselben gehören, gegeben seien, und ge sunden
der Philosophie möglich? funden werden können.
A
Auch sogar derjenige, btm
es an jener Ueberzeugung fehlt, muß, wenn anders sein
ist,
Skeptizismus kritisch
wenigstens die
Nichtunmögllchkeit dieser Bedingungen zugeben. Diese Bedingungen nun
können keineswegs
ausserhalb b-v Grenzen der Erkenbarkeit, im Ge biete des blinden Glaubens,
Hyperphystr gelegen sei-n.
auf dem Felde der
Denn, gesezt auch die
kritische Untersuchung fiele ganz zum Vortheil des Superuaruralismus aus,
so müßten doch wenig
stens die Data, aus welchen sich die Unentbehrlich keit der Offenbarung ergäbe, im Umfange des Be greiflichen enthalten sein.
Eben so wenia dürfen jene Bedingungen selbst
im Gebiete des Erkenbaren,
in wieserne dasselbe
von der spekulativen Philosophie bisher bearbeitet
worden ist,
werden.
oder in der Metaphysik,
ausgesucht
Der kritische Skeptiker hat sich von
allem bejahenden und verneinenden Dogmatismus
losgesagt,
dieser mag nun Theismus oder Super
naturalismus, Atheismus oder doamatlfcher Skep
tizismus heißen.
Ihm ist auf dem gesamten Ge
biethe der Metaphysik kein Raum denkbar,
der
nicht von einer jener vier Hauptpartcien eingenom men wäre.
Er ist der einander widersprechenden
und gleichwol auf einem und eben denselben Gnrndund Boden angeblichen Warheiten überdrüssig ge worden ,
und hat auf immer das Feld verlassen,
aus
40
3* Wie ist Reformazion
auf welchem keine anderen als solche Warheiten gesunden werden. Sein gerechtes Mißtrauen in die Metaphysik, welche die Spaltung der Selbst denker in Parteien unterhalt, oder wenigstens nicht zu hmdern, nicht zu beendigen vermag, hat Ihn auf jenes wichtige Problem gebracht; wie könte, wie dürfte er dasselbe durch Metaphysik aus zulösen hoffen? Da also die Data zur Aüflosung unsers Prob lems weder ausserhalb des gesamten Gebietes der Erkenbarkeit noch innerhalb desselben in wie ferne es bisher bearbeitet worden, ausgesucht werden dürfen: müssen wir sie in bisher noch unbearbeite ten, und in soferne noch unbekanten Gegenden dieses Gebietes aufsuchen. *) Wenn man sich nun bei diesem Aufsuchen nicht ausserhalb des Gebietes der Erkenbarkeit in den leeren Spielraum der Fantasie verirren null; so müssen vorher die Grenzen dieses Gebietes genau und bestimt angegeben werden, oder, welches eben so viel heißt, man muß eine allgemeingültige Ant wort auf die Frage ausfindig machen: Was ist überhaupt erkenbar? oder: Was ist unter Erkentmßvermögen zu verstehen, und wie weit er streckt sich dieses Vermögen? Vielleicht, daß schon durch die Antwort mrf dieses neue Problem auch das vorige aufgeloset wird.
*) Also weder Hyperphysik noch Metaphysik, sondem Kritik.
ter Philosophie möglich?
41
wird. So viel aber ist gewiß, daß dieses ohne jenes unmöglich aufgelöset werden kann. Ich gestehe gern, daß die Aufgabe: die Grenzen des menschlichen Erkentnißvermögens allgemeingültig zu bestimmen, für die meisten meiner Leser ziem lich abschreckend klingen müsse. Desto angenehmer, hoffe ich, sollen sie von der Leichtigkeit überrascht werden, welche sie bei der Auflösung selbst antreffen werden, die schon halb gefunden ist, wenn man nur den Sinn der Aufgabe richtig gefaßt hat, und mit sich selbst darüber einig ist, was man unter Erkentnißvermogen zu verstehen habe.
Den scheinbarsten Einwurf, der gegen die Möglichkeit einer völlig befriedigenden Auflösung dieser Ausgabe gemacht werden tonte, habe ich bet einer andern Gelegenheit *) erörtert; und da diese Erörterung hieher gehört, und ich keine bessere zu geben weiß, so mag sie hier mit einigen Verände rungen noch einmal vorkommen. Alle wesentlicheren Schicksale, die unsre speku lative Philosophie bisher erfahren hat, mußten vor hergegangen sein, ehe man daran denken tonte, jenes Problem in seinem eigentlichen Sinne auch nur auszuwerfen, geschweige denn aufzulösen. Alle diejenigen Philosophen, welche die Erkentnißgründe für die Grundwarheiten der Religion und der Mo ralität,
♦) Im ersten Briefe über die Kantische Philosophie, teutschen Merkur, August 178k
4®
" Z. Wie ist Skformazion
ralitat, sowie die ersten Grundsaze der Morak und t^es Naturrechts bereits gefunden zu haben glaubten,
tonten sich wol nie einfallen lassen,
sich selbst zu
fragen, ob es der Vernunft möglich wäre, allge
meingültige Erkentnißgründe, und erste Grundsaze aufzustellen? — da sie ihre Vernunft im wirkli
chen Besize solcher Erkentnißgründe und Grundsaze glaubten.
Und wäre ihnen diese Frage von andern
vorgelegt worden, so würden sie statt aller Antwort ihre angeblichen
Desizungen
ausgewiesen
haben.
Auf eben dieselbe Weise würden die Atheisten und Supernaturalisten verfahren sein,
welche ebenfals
jener Frage durch entscheidende Antworten, wiewol von ganz anderer Art, zuvorgekommen sind. Gleich
wol bestand die philosophische Welt bisher größten-
therls aus Dogmatikern, so daß man vielleicht auf einen Skeptiker hundert Dogmatiker zahlen dürfte.
Allein dieser st breite, und so stark betretene Weg des Dogmatismus war vor der Vorlegung und
Auflösung unsers Problems nicht nur unvermeidlich,
sondern sogar als eine entfernte Vorbereitung dessel
ben unentbehrlich.
Ohne den, durch die süße Ein
bildung gefundener Warheit unterstüzten und be lebten Elfer der Dogmatiker, würden jene zahlrei
chen und zum Therl bewundernswürdige Vorübun gen des menschlichen Geistes nicht zu Stand ge kommen sein,
denen die Vernunft den Grad von
Entwickllmg verdankt, der bei größeren ttnterneh-
wungen vorausgesezt wird.
Während dieser lang.
der Philosophie möglich?
43
rvlerigen Periode bestand das Verdienst des Skep tizismus größrentheils darin, daß er die Dogmati
ker, theils ihre Beweise zu schärfen zwang, theils aber gewissermaßen in Schranken erhielt.
Nie
aber vermögt er's, ihnen ihre angeblichen Erkent-
Er hatte ihnen mchts besseres
nisse zu entreißen.
und würde auf die Frage:
was
ist erkennbar? geantwortet haben: Nichts!
oder
dafür zu geben;
aufs höchste: Ich weiß es nicht! So metaphysisch die Frage klingt:
Was ver
mag die Vernunft? so laut ertönt sie gegenwärtig durch die Stimme unsres sonst so wenig zum metaphysiren aufgelegten Zeitalters.
Wir haben fast
keine theologischen Köpfe mehr, als solche, welche
ausdrücklich für und gegen das Vermögen und Recht der Vernunft in Religionssachen zuerst zn
sprechen geführt werden.
Durch Vernunft allein
ist
wahre Erkentniß Gottes wirklich — durch Ver nunft ist sie unmöglich, heissen die Lesungen der
streitenden
Naturalisten
und Supernaturalisten,
und die wirklichen oder angeblichen Beweise für
diese beiden Behauptungen, sind die Waffen, wo mit sie gegen einander zu Feld ziehen. strebt sich sogar,
vorgelegt zu haben,
nunft vermöge.
be
ohne sich ausdrücklich diese Frage
auszumachen,
was die Ver
Man appellirt gewissermaßen von
seinem angefochtenen Sistem an das Vermögen oder Unvermögen der Vernunft,, aus welchem man unstreitige
Prämissen
für
seine streitigen
Be
haupt
44
Z. Wie ist ReforMazion
haupNrngen zu erhalten Host. Der Mangel an solchen Prämissen ist also die Schwierigkeit, worauf die Parteien selbst stoßen, die in so ferne dem eigentlichen Punkte des Mißverständnisses weit näher sind, als sie selbst wissen. Ein dunkles, aber lebhaftes Gefühl dieser Schwierigkeit äussert sich merklich genug an der in unsren Zeiten so sicht bar gewordnen Verzweiflung, seine Meinung durch Vernunftbeweise durchsczenHmd feine Zweifel durch Vernunftgründe auflösen zu können. Diese Ver zweiflung hat so manchen neuerlich veranlaßt, seine wankende Metaphysik durch Mystik und Kabbalistik" zu unterstüzen; so manchen verleitet den Einladun gen geheimer Gesellschaften Gehör zu geben, die Ihm durch Offenbarungen und Traditionen die Fra gen zu beantworten versprachen, welche ihm durch Vernunft unbeantwortlich schienen; so manche» genöthigt von der Vernunft an gesunden Menschen verstand, Warheitsgefuhl, Jntuitlonsfinn, und wie die Wmkeltribunale alle heißen mögen, zu appclliren. Noch nie hat man der Vernunft so augen scheinlich zu viel und zu wenig zugemurhet, als ge genwärtig. Die Abgötterei, welche mit ihr ge trieben, und dre Verachtung, die ihr bezeugt wird, gehen bis zum Lächerlichen; ohne daß man sich auf der andern Seite verbergen tönte, daß sowol die übertriebenen Lobsprüche, als die Verleumdun gen der Vernunft zu keiner Zeit so geschickt widerlegt worden
t>tv Philosophie möglich?
45
worden sind. Die Freunde sowol als die Feinde der Vernunft, Naturalisten, die durchaus kein Glauben, Snpernaturalisten, die durchaus kein Wissen in der Religion dulden wollen, beschuldigen sich wechselseitig des Verkennens der Vernunft. Da nun jeder Theil seine Bekantschaft mit der Vernunft vor seinem Gegentheile rechtfertigen muß, so sieht sich jeder genöthiget, zu den Gründen, die bisher ihn und seine Partei befriediget hatten, Beweise aufzufinden, die auch seinen Gegnern einzuleuchten vermögen. Jeder muß also über seinen bisher für die ersten gehaltenen Grundsaze hinaus gehen, Merkmaale der Vernunft aufsuchen, die er bisher noch nicht gefunden hat, und seine Kerttmß des Vermögens und der Bcfugnisse der Vernunft all gemein — d. h. für sich und seine Gegner — gül tig zu begründen streben. Keine der streitenden Parteien kau also mit ihrer eigenen bisherigen Kentniß der Vernunft zufrieden sein, so wenig als sie es mit der ihres Gegners ist; keine kann es beim Alten bewenden lassen, und das Bedürfniß einer neuen Untersuchung des Erkentnißvermögens mußte also (auch wenn keine Kritik der Vernunft erschienen wäre) von den denkenden Köpfen auf beiden Seiten endlich eben so allgemein einge sehen werden, als man schon jezt auf beiden Seiten überzeugt ist, daß die Vernunft, (von den Gegnern) verkant wird.
z. Wie ist Reformajion
4$
Das Problem:
vermogen?
Was vermag das Erkentniß-
kündigt sich also durch eine Menge
unzweideuttger Symptome dem unpartcnschen Zu» chauer nicht weniger auffallend an, als es sich dem
kritischen Skeptiker
durch
die Vergleichung der
philosophischen Sisteme aufdringt.
Es würdeschon
kein kleines Verdienst unsres Jahrhunderts sein, das
alte unselige Mißverständniß der sich selbst verken nenden Vernunft, welches, so unvermeidlich dasselbe auch dem menschlichen Gerste auf dem langen iinb beschwerlichen Wege,
den er bis zur Erkentniß
seines theoretischen Vermögens zurückleaen mußte,
gewesen ist, gleichwol unter die grösten Uebel gehört, womit die Menschheit heimgesucht werden fönte; jenes Mißversiändniß der Vernunft, welches Jahr-
rausende unter allerlei Gestalten in der Welt Un heil gestiftet hat,
die kultrvirten Nazionen den
blutigen und unblutigen Fehden der Orthodoxie und
Heterodoxie preis gab, Unglauben und Aberglauben
nothwendig machte, die Kräfte so vieler vorzügli chen Köpfe mit unnüzen Spizfindigkeiten und Zänke-
teten verschwendete, und in allen diesen seinen trau rigen Folgen immer fortdauren zu müssen schiene
Lieses Mißverständniß aus der Dunkelheit verwor
rener Begriffe hervorgezogen, auf seine einfachsten Punkte gebracht,
und dadurch ein Problem her-
beigeführt zu haben, dessen Auflösung nichts gerin geres als allgemeingültige Erste Grundsäze unsrer
Pflichten und Rechte in diesem,
und emen allge. mein-
der Philosophie möglich?
47
rneingültigen Grund unsrer Erwartung für das zukünftige Leben hoffen läßt, das Ende aller philo sophischen und theologischen Kezereien, und wenig stens im Gebiete der speMlativen Philosophie einen rwigen Frieden verspricht, von dem noch kein gut herziger Kosmopolit geträumt. Aber wie? wentt auch die Auflösung dieses Problems unsrem sich zu Ende neigenden Jahrhunderte Vorbehalten wäre? wenn noch vor dem völligen Ausgang desselben in Deutschland der grossere Theil guter sich mit Philosophie beschäftigender Kopfe, über allgemein gültige Prinzipien einig würde? und wenn dieft die von nun an anfhörken, sich, ohne es Zu wissen und zu wollen, entgegen zu arbeiten, mit (ohne alle Verabredung) vereinigten Kräften ausingcn, das Allgemeingültige allgemeingeltend zu machen? —• Eine glänzendere Krone tonte wol kaum den Ver diensten unsers Jahrhunderts aufgeftzt werden, und Deutschland tönte das Geschäft seines erhabenen Berufs als d:e künftige Schule Errropenö *) mit keinem gründlicheren Eingang eröfncn.
♦) Die Konsiituzlon unsres deutschen Vaterlandes, zu welcher hier vorzüglich unter andern der Mangel einer Hauptstadt gehören dürste; der gemässigte Nazionalkarakrer, das eifrige Studium der (Hegtesfruchte aller übrigen Nazionen u.d. tt. mehr, kön nen wol, ohne daß man sich von patriotucher Eitel keit blenden läßt, für Merkmaale dieses Berustsangesehen werden. (Vie Fortsezung folgt im nächsten Stück.)
4. Ahdlni,
4.
Ahdim, eine morgenlandische
Erzählung.
Erster Gesang. 1.
Au, deren wunderbare Leier Nie Deutschlands den wßen Ton versagt, Wann er sich kühn ans Lbenrheuer In ncugeschaffue _ Zelten wagt, Auf! lüft'auch mir den Zauberschkeier, Und führ', o Muse, mich, den stolze Neugier plagt, Jn's Land der Fanta^i, wo liebliche Gestelten, Mit schrecklichen gruppirt, in bunter Mrschung walten. 2.
Du lachst vielleicht der stolzen Ritters nur, Dec, unbetont mit Hippogrisens Nucken, Den Springer reite» will, von dessen stolzen Rücken Schon manchem armen Wicht der Unstern wiederfuhk. Die ganze winzige Figur, Am Fuß des Helikons, tief in den Sand zu brücken; ’ Doch würdest du mir gleich dein Flügelroß versagen. So soll mein leichter Kahn sich auf die Fluten wagen,
3. ' Dem PLbel gleich am Strand der königlichen Seine j Mit ofnem Munde da zu stehn, Und Manchards neuem Phänomene, Frohlockend, doch unthätig, nochzusehn, Ist sichrer zwar, als stch auf leichtem Dunst erhöhn; Allein der Reiz der wundervollen, Szene Wirkt stärker, als die Furcht vor allen Minotauren, Die auf den Wanderer am Fuß des Pindus teuren. 4. Oer
4. Ahdim, eine mvrgenlandische Erzählung. 4? 4* ' Der Westwind bläst; die Segel schwellen schon; Mich schrecken nicht die aufgesperrten Schlünde Oer Ungeheuer, die mich zu verschlingen drohn, Auch der Gedanke nicht, ob ich aus dem Gewinde Des Labirinths den Ausgang glücklich finde; Und ging' es mir wie Dädals kühnem Sohn, Ja würd' ich endlich gar dem Minotaur zur Speise, Jczt Aristarch genant, nichts schreckt mich von der Reise. 5.
Und nun beginnt der Zug, die Wunder selbst zu sehen. Wovon uns Oberons und Jdris Sänger fingt, Jn's reiche Morgenland, und dann in'SLand der Feen; Schon nahn am Hellespont sich Mohammeds Trofäen, Wo stolz der halbe Mond von sieben Thürmen blinkt. Und ehe Hcspcrus den Tag zu Bette bringt. Sind wir in Bagdad schon, von dem die goldnen Spizcy Beim leztett Sonnenstral in Tigris Wellen blizen.
6. Hier war es, wo in üppigem Gepränge Sein Leben einst dem Ahdim froh vergoß. Auf den das Glück sein ganzes Füllhorn goß. Der, bei der Kostbarkeiten Menge Und der Klienten schmeichelndem Gedränge, Das Paradies hienieden schon genoß. Und oft an einem Fest des Goldes mehr verschwendet. Als Peru nach Madrid aus Gallionen sendet.
'
7-
Sein weites Haus, das Gold und Marmor schmückte. Glich einer Königsburg. Wohin das Auge blickte. Entsprach der äußre Glanz der innern Hallen Pracht,' Wie AhdimS Schmuck der Sklaven reiche Tracht, Wozu Maßilien Brokad und Atlaß schickte. Rie ward sein Vorhof leer vom Morgen bis zur Nacht) Emire sclbst.erschicnen samt ä>er Baffen Und übten sich im Schach auf blumigen Terrassen.
jp
q. Ahdim,
8-. Am Schenktisch von Agath sprang, wie ein Wasserfall Der Sirakuscr Wein in Becken von Kristall, So lieblich, daß er selbst Lornarcs *) Durst erweckte. Und was beim Mittagsmahl den goldnen Teppich deckte. War kLstlicher, als csLukullundElgabal An Feiertagen jemals schmeckte; verglich mit seinem Schmaus man Sardanapalst Schmäuse, So schienen sie Karthäuser Fastenspeise,
yWer würde nicht bei solcher Fälle schwirrn. Den frohen Mann, den alles glücklich pries, Den Asien Fortunens Liebling hieß. Den könne nichts in seiner Freude stiren. Allein Geduld! der Abend wird uns lehren, Ob einer wol, und gcklt's ein Paradies, An Ahdims Plaz, nur Eine solcher Nächte, Mit Afrvditeü selbst auf Rosen liegen mißte. IO.
Auf Polstern von Dammast, an eines Mädchens Seite, So schön Zirkaßien es nur dem Sultan schickt. In dessen weichem Arm, zum Busen sanft gebrückt, Kvmbaben selbst die rasche Zeit gereute, tag Ahdim, schlummernd selbst von Reizen hoch entzückt. Die noch zuvor kein Sterblicher entweihte, Als tief um Mitternacht des Harems Thüre knarrt, Md sich ein Anblick zeigt, vor dem sei» Blut erstarrt, ii. Das ■ *) Cornaro der besame Jtaliäner, welcher bei einem kränklichen Körper durch strenge Mäßigkeit ein he# des Alter »»reichte.
eine morgenlandische Erzählung.
A
11. Das Rosenöl, so in kristallnrn Lampen braute, Durchbämmerte den Saal so schauerlich, Daß Ahdim, der die Furcht sonst wenig kante. Doch kaum mit halben Blicken sich Bei dem Geräusch zur ofnen Thüre wandte. Die einen Kasten wies, der einem Sarge glich. Und, fortgerückt von unsichtbarer Hand, Almckhlig näher kam, und still am Bette staub. 12.
Der Deckel sprang mit dumpfen Knall' in Stücken, Und langsam kroch ein altes Weib auf Krücken Don dürrem Todtenbein hervor, So scheußlich, daß Rinald und Galaor Selbst kaum vermögt, die Furcht zu unterdrücken^ Kein Wunder, wenn sich Ahdims -Nut verlor, Als drohend jezt vor seinem Bette, Die Hexe stand, und also zu ihm redte: 13.
„Auf, träger Sklav, von deiner Lagerstatt l Dir ist der Talisman des Aiadins beschieden! Fort! stich' ihn auf, vom Nord zum schwülen Süden, Dom Hekla bis zum Ararat! S! dreimal glücklich ist, rver ihn gefunden hat! Drum laß dich nichts, bis du ihn hast, ermüden; Denn eher läßt dich Hippokusans Kasten Nicht eine Nacht auf weichem Lager rasten." 14Die Hexe hatte kaum bas lezte Wort gesagt, Sv war, samt ihr, der Kasten auch verschwunden, Nur Ahdim lag, vom Schrecken wie gebunden, Mik ofncm Munde da, der keine Silbe wagt. Und zählte kummervoll, bis daß es wieder tagt, Den Schneckenschritt der nächtlich langen Stunden, Noch immer ungewiß, sei, was er sch' und hörte. Ein Spiel der Fantasei, die wachend ihn bethörte? D 4 15- Beim
Dr
q. Ahtim,
15. Beim ersten Sonnenstral macht' er den Palast nstrch, Doll Ungeduld, die Weisesten zu fragen; Allein vergebens schwand der Tag; Kein Derwisch, wenn sein Bart auch viel versprach, Sons ihm den Ort des Talismanes sagen. Sie hatten zwar darüber nachgeschlagen, Und fanden, daß der Schaz der Suchens würdig sek. Doch wo er lag — stand nicht dabei. 16. ■ Bekümmert fand zum erstenmale Hier Ahdims Stolz die Grenzen seiner Macht. Beim Bacchanal, in einem gvldnen Saale, Umringt von königlicher Pracht, Ergrif ihn doch, beim lczten Sonnenstrale, Ein Schauder vor der nahen Nacht, Und alle Freuden, die der Männer Herz erweitern, Dermogten jezt nicht mehr, das seine zu erheitern. 17Als gegen Mitternacht die Sängerinnen schwiegen. Schlich Ahdim, mit empor gesträubtem Haar, IN seiner Folterbank, sonst Cypriens Altar. So weich sein Ruhebett’ und so geneigt er war An Fatmens Busen sich zum Schlummer einzuwiegen, So glaubt' er doch auf hartem Fels zu liegen. Und wälzte rastlos sich, versenkt in tiefen Gram, Bis mit dsm Glockenschlag der Kasten wieder kam. 18. Die Hexe sprang hervor, und murmelte von neuen Die'Drvhung, ihm und uns bekant. Worauf sie sich verschloß, und wie der Bliz verschwand. Mit ofncm Mund’, um Hülfe laut zu schreien. Als schnelle Furcht die trockne Zunge band, lag Ahdim da — Ein Stück zum konterfeien! — Bis nach und nach sein Blut, das fast gerann, schwachen Puls zu regen sich begann. 19. Aurora
eine morgenlarrdische Erzählung.
$>
iy.
• Aurora tonte kaum am andern Morgen sich Nus Titans dürren Armen winden, Als er bereits Fatimens Arm' entschlich. Entschlossen, das Geheimniß zu ergründen, Ließ er in Bagdad öffentlich Bei lautem Paukenschall verkünden: -'Zehn Beutel sind der Preis, wer Ahdim sagen kan. Wo lieget Aladins berühmter Talisman." 20.
Oie Sklaven hatten schon ganz Bagdad durchposauntUmsonst erscholl der Ruf an allen (Lesen. Erst hört ihn jederman, mit) staunt, Und'endlich fand man Ahdim gut gelaunt, Mit einem Preis von zehn gefällten Sacken Oie Bürger Babilons zu necken. Schon röthete das Dach der Adendsonne Strato UNh nun erscholl der Ruf zum leztenmal> 21.
Oa hört's ein Reisender aus einem fernen Lande, DeM in der Wüsten eine Räuberbande Don Arabern sein ganz Gepäck entwandt, Und der den Ruf jezt sehr willkommen fand. --Hört, Sklaven!" sprach er, „Mir, Mrrist der Ort ' betont! Und — Mah ners, — ich bin allein im Stande, Den Mann, der darnach forscht, der Unruh zu entziehn; Wer er auch sei, führt mich und zeigt mir ihn!" 22.
Indessen Ahdim ganz beklommen Aus seinem Palast sah, trat unser Mann hinein. „Jst's wahr," sprach er, „was ich vernommen. Und hältst du Wort, so bin ich heegekommcn. Von deiner Stirn den Nebel zu zerstreun; Denn, wisse nur: der Talisman ist dem. Wenn du so reich an Kostbarkeiten bist. Als nöthig,'um ihn zu gewinnen- ifc" — ; 33. Nichts
54
q. Ahdim, 23.
„Nichts mehr, als reich?« rief AhdimvollerFrMgr ^Jch hab allein an Euftats weitem Strand Zehntausend Kufen fetter Weide Und eben so viel Ackerland; Zwölf Gruben liefern mir den feinsten Diamant, Und meine Pflanzung giebt dreihundert Ballen Seide; Ja! ausser Bagdad sind, in Mekka nur allein, Zweihundert Speicher voll der theursten Waaren mein." -4. „Don zehn Wcßieren, die bei Hofe viel verschwendet. Sind gtößtentheils die Güter mir verpfändet, Und bloß zum Pcrlcnfang hab' ich auf Ormus jezt, Dicr eigne Schiffe hingesendet, Oie man, beladen, nur nach Millionen schckzt. Ich sehe, daß dich daö zwar in Erstaunen feit, Doch unterbrich nunmehr dein Schweigen, Und eile, mir den Ort des Talismans zu zeigen." — -5. „V dreimal glücklicher! “ fing drauf der Pilger an, „Du bist's allein, der jemals hoffen kan. Durch Alabins berühmten Talisman, Drin Glück unwandelbar zu machen. Ein Thal, das Bochim heißt, wo, sicherer als Drachen, Zehntausend Geister ihn bewachen, Legt in Arabiens beglückter Flur, Und ist der Siz der schaffenden Natur." 26.
„Hier ist das Gras schmaragbncs Immergrün, DurchM mit gvldnen Amaranthen, Pävnidn von feurigem Rubin Und amcchistne Veilchen blühn. Vermischt mit Eilten vom feinsten Diamanten. Das edelste Metall, so nur die Alten kanten, Ist, wie gediegnes Gold, in Kausen hier zu sehn. Die dis zum Mittelpunkt der Welt hinunter gehn." -7. Daß
eine morgenländische Erzählung.
5$
27. Daß die Besizer solcher Kostbarkeiten Mit einer Kleinigkeit nicht zu bestechen sind. Begreifet freilich schon em Kind. Allem das Sprichwort sagt: wer wagt, gewinnt! Ich läugne nicht, das Ding hat Schwüngkeiten; Doch lässest du durch meinen Rath dich leiten, And sparst nur nichts; so soll beim nächsten Mons den schein Schon alles eingepackt, zur Reise fertig sein." — Andächtig, wie bei des Profeten Grabe Der fromme Mekka-Pilger steht, Und lauschend, wie ein kleiner Knabe, Dor welchem sich der hohle Kräusel dreht, Horcht' Ahdun zu. „na! wenn's nur glücklich geht. Dann kost' es meine ganze Haabe!" Der Fremdling neigte sich, und eh vier Wochen stohft, Begann der Zug aus Bagdads Thoren schon. (£)ie Fortsezung felgt im nächsten Stück.)
Das v 0 l l k 0 m m e ne We i & und
der vollkommene Mann. einem der Welttheile, die Büsching noch nicht beschrieben hat und von denen man mithin
wenig oder gar teine Nachrichten in unfern tau send Geographien antrjft, liegen zwei ziemlich be.
trächt-
eine morgenländische Erzählung.
5$
27. Daß die Besizer solcher Kostbarkeiten Mit einer Kleinigkeit nicht zu bestechen sind. Begreifet freilich schon em Kind. Allem das Sprichwort sagt: wer wagt, gewinnt! Ich läugne nicht, das Ding hat Schwüngkeiten; Doch lässest du durch meinen Rath dich leiten, And sparst nur nichts; so soll beim nächsten Mons den schein Schon alles eingepackt, zur Reise fertig sein." — Andächtig, wie bei des Profeten Grabe Der fromme Mekka-Pilger steht, Und lauschend, wie ein kleiner Knabe, Dor welchem sich der hohle Kräusel dreht, Horcht' Ahdun zu. „na! wenn's nur glücklich geht. Dann kost' es meine ganze Haabe!" Der Fremdling neigte sich, und eh vier Wochen stohft, Begann der Zug aus Bagdads Thoren schon. (£)ie Fortsezung felgt im nächsten Stück.)
Das v 0 l l k 0 m m e ne We i & und
der vollkommene Mann. einem der Welttheile, die Büsching noch nicht beschrieben hat und von denen man mithin
wenig oder gar teine Nachrichten in unfern tau send Geographien antrjft, liegen zwei ziemlich be.
trächt-
;6
5, Das vollkommene Wei5
trachtliche Lander neben einander,
deren Beheü
scher, so lieb sie einander auch persönlich hattütz»
dennoch beständig bald in größere, bald in kleinere Kriege mit einander verwickelt waren. Um diese Uneinigkeiten mit Einem Schlage
zu heben, kamen sie auf den Entschluß, ihre Kin der mit einander zu vermahlen, damit nach ihrem Tode beide
Länder
unter Einen Zepter kamen.
Der eine hatte nur einen Sohn, der andre nur eine Tochter.
Beide waren noch in der zartesten
Jugend. Der Prinz hieß zeßin Ruraru.
Sliplipon,
diePrin,
Den Ammen beider wurde anbefohlen, bestän dig ihre künftige Vermahlung vor Augen zu ha
ben, und ihre zarten Seelen wechselseitig auf ein
ander hin zu lenken.
Deshalb ward die Prin-
zeßin mit dem Namen Sliplipon und der Prinz mit dem Namen Ruraru gewöhnlich in den Schlaf
gewiegt, und so kam es,'daß dies die ersten Worte waren, die beide Kinder auSsprechen lernten.'
Als sie in den Jahren waren, wo Kinder der Bildung eines Hofmeisters und einer Hofmeisterin
empfänglich werden, hielten beide Könige Rath, wo sie dergleichen hernehmen solten.
kanzler des einen,
der seinem Herrn,
Der Groß
da er als
Prinz reiste, begleitet und mehr gesehen hatte, als
sein Herr, weil man hinten auf der Kutsche ge wöhnlich mehr sieht, als in der Kutsche,
deren
Fenster
vttv der vollkomÄme Mann." Fenster zugezogen sind;
$7
war der Meinung, daß
man aus der Prinzeßin ein vollkommnes Weib, und aus dem Prinzen einen vollkommnen Mann
bilden müßte.
Um diesen Endzweck zu erreichen,
müßte man für erstere eine Oberhofmeisterin ans dem Lande verschreiben,
das wegen seiner
vcll-
kommnen Weiber, und für leztern einen Oberhofmeister ans einem andern, das wegen seiner vollkommnen Manner berühmt sei.
land , jenes Frankreich.
Dieses sei Deutsch
Er bat seinen Herrn-
sich an den großen deutschen Mann zu erinnern, in dessen Pflanzschule er mit ihm gewesen und in
welcher er Knaben von zehn bis zwölf Zähren schon hatte sagen hören: ich bin ein deutscher Mann.
Die Lehrer dieser Knaben müßten Wun
der in tbvcr Art sein, und wenn man einen vott
ihnen bereden tönte, seine Menschenliebe von der
allgemeinen Menschheit auf einige Jahre abznmüßigen, und sie ganz auf den Prinzen Slivlipon zusammen zu drängen; so würde dies ein dreifach
glücklicher Erwerb für den Vater, für den Sohn
und seine künftige Gcmalin sein. Eben so heilsame Wirkungen würde es auf
der andern Seite haben, wenn man eine franzö sische Dame von gutem Hause (und das waren sie in der Fremde fast alle) mit Geld, und mit dem Versprechen, ihren Galanterien und Anmaßungen
durch die Finger zu sehen, vermögen tönte, den väterlichen Heerd zu verlassen, um hier über die könig
58
5. Das vollkoAmene WM
königliche Küche (so nante man in diesem Lanör das, was man in andern Hof nennt) unumschränkt zu herschen.
Diese
würde für die Prinzeßin
das thun, was der deutsche Mann für den Prin
zen, und davon würde die unausbleibliche Folge sein, daß das vollkommenste Mädchen den voll kommensten Jüngling, und umgekehrt,
der voll
kommenste Jüngling das vollkommenste Mädchen
lieben müßte.
Sodann waren die Wünsche bei
der königlichen Vater befttebtgt. Dreser Vorschlag ward mit ziemlich allgemei
nem Beifall ausgenommen, und nur Die hatten etwas dagegen, deren Stimme nicht galt, weit ihnen die Kammerherren iiub Pagen den Ekelna
men Weise gegeben hatten.
Die königlichen
Väter aber waren ganz damit zufrieden, ob gleich der eine, dessen Großkanzler den treflichen Rath
nicht gegeben, sich ein wenig schämte, daß er ihn
nicht gegeben hatte.
Diese Regung von Schaam
fiel auf den stummen Großkanzler in einem fast «»merklich schiefen Blicke, der aber doch so gewalt sam auf diesen wirkte, daß er ohnmächtig wurde, und den andern Tag, in lezten Zügen, wie er
vorgab,
seine gnädige Entlassung foderte, die er
auch
bekam und mit Freuden empfing, weil er, wie er den Ueberbringer merken ließ, einen Ver-
haftbesehl zu bekommen gefürchtet hatte.
legenheit gesagt:
Der
Ge Die Basilisken wären aus der
Leibnaturforscher des Königs hatte bei dieser
Md der vollkommene Man«.
5-
bet Naturgeschichte verschwunden und hatten sich in die Augen der Könige verkrochen. Es wurden nun Gesandte. abgeschickt, einer
nach Frankreich und einer nach Deutschland, die von dem Großkanzler gemessene Vorschriften für die ÄZahl des Oberhofmeisters und der Oberhof« Meisterin hatten.
Derjenige, der nach Frankreich
ging, hatte Empfehlungsschreiben an einige alte Bekante des Kanzlers, die ihm bald eine Oberhof«
Meisterin verschafften, welche nach ihren Begriffen für die Erziehung einer Prinzeßin, ausserhalb' Frankreich, sehr geschickt wäre, weil sie in Frank« reich die Töchter armer Edelleute erzogen hatte.
Voll Entzücken lief sie zu einer ihrer ehemaligen Schülerinnen, um die Freude über ihr Glück mit ihr zu theilen; aber Liese verleidete es ihr, weil —
sie dies Glück gerne gehabt hätte.
Sie war von einer guten, aber armen Familie, der nichts übrig
geblieben war, als ein berühmter Name, welcher nicht zu ihrem Vermögen paßte, mithin bloß durch Stolz und Anmaßung aufrecht erhalten werden
fönte. Dadurch war sie bei allen, die keinen be« rühmten Namen aber Vermögen hatten, so lächer lich geworden, als diese es ihr waren; um also
einen wirklichen Vortheil über diese zu gewinnen, war die Aussicht, die sich ihr jezt darbot, sehr er wünscht. „Sechs oder acht Jahre Oberhof«
Meisterin," sagte sie bei sich selbst, „und damit ein paar Millionen Livres verdient, so lebe der
< L»as vEommMelDM-
6.»
der alte Glanz meiner Familie wieder in miö Sre theilte diesen'Plan in Eil ihrem Bru
auf.
der mit, der Prämierlieutenant war, und dieser
billigte ihn nicht bloß, sondern überwand sich auch,' die Erzieherin seiner Schwester zu seiner Mätresse'
auf-und anzunehmen, doch unter dem Beding, daß sie es geheim hielte, und ihre Kostschule 6et*
behielte.
Diese schickte einen Abbe fort, der scheu
einigemal hatte merken lassen, daß er sie nur auS
Barmherzigkeit liebte, den sie aber doch aus Noth
lieb behalten hatte, warf sich dafür dem Lieutenant in die Arme, gab seiner Schwester lhre Stelle, und nahm unter großen Bedauren,
daß sie die»'
gute Stadt Paris mit einem abscheulichen Lande
verwechseln müßte, einen sehr beweglichen Abschied von ihr.
Diese reiste mit innerm Triumph m
Begleitung des königlichen Gesandten ab.
Unterdesten war der andre Gesandte in Deutsch land angekommen und gerade nach der Stadt ge reist, wo der Großkanzler die Pflanzschule von deutschen Männern gesehen haben wvlte.
fand dort zwar noch eine ähnliche Anstalt;
Er» aber
sie paßte nicht zu den Kennzeichen, die ihm der
Großkanzler
schriftlich angegeben
hatte.
Die
Zöglinge wußten nur so viel, als Kinder für ihr
Alter wissen mußten, und hatten, was sie wuß-
ten,
nicht im Herumlaufen,
und nicht durch
Spielen und Bilderbücher gelernt.
Ihre Lehrer
trugen Haarbeutel und waren fcifirt, was ganz^
wider
ttitb der vollkommene Mann,
61
wider die angegebenen Merkmaäle des Großkanz lers stritt, der ausdrücklich auf hinten abgeschnit tenes, vorn in die Stirne gekämmtes und an de» Seiten über die Ohren herab flatterndes Haar
aufmerksam gemacht harte.
Als sich der Gesandte
erkundigte, wo die Männer voir diesem Stuz und
sie waren zu Fuße, alle mit Dorustöcken, weg. gegangen und sie wohnten jezt in der Welt—Schnitte geblieben wären, sagte man ihm:
Der Gesandte war durch diese Nachricht wenig
erbaut, -und sagte, man solre ihm doch, wenn man
vor Neid dazu kommen tönte, einen bestimtern Fin gerzeig geben,
wo er die Manner,
die er suchte,
oder wenigstens einen von ihnen finden tönre; und da sagte ihm ein kleiner, runder Mann, mit einer
schalkhaften Miene: er solle sich in jeder Stadt,
nach dem Mann erkundigen, den die Kinder zum Besten hätten, und den die Alten für übergeschnappt hielten: so würde er finden, was er suchte. Der Gesandte folgte diesem Wink und traf
in der dritten Stadt, die auf seinem Rückwege lag, wirklich einen Mann auf den die Kinder mit Fin< gern wiesen, und bei dessen Anblicke die Erwachse nen die Achseln zuckten.
Er hatte einen weiß-,
lichen Ueberrock an, hinten abgcschnitteues, vorn hereiugekämmteS mrd über die Ohren hcrabflattern».
hes Haar, einen runden Hut auf dem Kopse, in, der rechten Hand einen Dornstcck und in der linken „
ein-
s. Das vollkommene WM
iÄ
«m Buch, worin er, troz dem Geräusche der Kur«
der um ihn her,
tst
sehr aufmerksam las.
mein Mann,
sogleich tnit.
sagte der Gesandte,
DaS und
theilte er ihm die Absicht seiner Reift Der Mann im runden Hute schien sehr er*
freut, und fragte,
Allerdings,
ob er gleich mitreisen tonte.
erwiederte der Gesandte:
aber
wollen Sie nicht erst ihren Freunden
und
Verwandten Nachricht davon geben?
—•
„ Da hatte ich viel zu thun! “ erwiederte dieser: „ Meine Verwandschaft ist unermeßlich! “ —
.
Wehl hast du Recht! Doch ehre dich selber, mein Freund,
und
bekuck Dich selber, und rufe dir selber: Kukuk!
Chor der Faunen. Und rufe: Kukuk!
Der alte Faun. Und ihm behaget Der Rath ncch izt,
910. Und
r Apollons Hain, 910.
Unb eh es taget, Und spät noch, sizt Der Kukuk und rufet; doch fliegt er empor. So jaget ihn spottend ein zwitscherndes Chor.
Chor der Faunen. Der arme Kukuk! (Vier Faunen ergreifen den TheopompvS urtt"fra.geu ihn 111 den Waid hmcm. Man Hirt noch ihre etiKimt, bis sie sich verliert.)
91;.
Der Ha! Der Ha!
arme Kukuk! ha! ha! ha! arme Kukuk! ha! ha? ha!
Anmer-
ein Schauspiel mit Chören.
r6st
Anmerkungen.
V.iz. Der Auerhahn ist sehr scheu, die Zeit der Buhlschaft ausgenommen. Alsdann sizt er aus hohen Bäumen, lockt die Weibchen mit seinem Geschrei, und merkt nicht den nahenden Feind. Diesen Zustand nennen die Jäger da- Kollern Les Hahns. Man sagt daher im Sprüchworte von einem Jünglinge, welchem, so zu sagen, Hören und Sehen in der Leidenschaft vergeht, er sei verliebt, wie ein Auerhahn.
D. 72, Dionüsos, Bakchoö, (Bacchus) der Wein gott. Schweine und Ziegen wurden ihm ges ovsert, weil diese Thiere den Reben vorzüglich schädlich sind. D, 80. Hcrmas, Merkur. Jeder glückliche, zufällige
Fund ward als eine Gabe dieses Gottes ange sehen. Daher er auch der sehr nüzliche (V^/gj) genant ward. Als Schuzgott ward er vorzüglich verehrt von Künstlern, Kaufieutcn und — Lieben.
D. 92. Püthia, Püthias, die wahrsagende Priesterin des Apollons in Delfos. 93. 109.Alkmäna, Mutter des Harakläö. (Hercules.)
93. 126. Drüaden, Hamadrüaden, Waldnümfen; Oreaden, Vergnümfen; Najaden, Wassernümfen. 93.158. Aus Wut schleuderte Härakläs. den LichaS, welcher ihm in unwissender Unschuld das mit des Kentauren Nässos Blut benezte giftige Gewand gebracht hatte, gegen eine Klippe des MeerS. S. Sofokläs in den Trachmeriumu..
,. N. Muf.Aus. 8-.
L
93.158.
i6a
i. Apollons Hain,
D, 158.' Parafange, eine persisch-Meile, vhngefehV so groß, als eine französische Liese.
D. 160. Weil Ixion der keuschen Hiirst (Juno) nach« gestcllct hatte, ward er nach dem Tode uerbammt, ous ein horizontal liegendes, beständig kreisendes Rad gebunden zu werden. Volvitur Ixion,
& fe fequiturque fugitque
sagt Ovidiuö. Nicht seine That, seine Absicht verdiente diese Strafe. Die Göttin suchte Schur bei ih rem Gemale Zeus, und dieser bildete eine Wolke in Gestalt der Hstrck. Ixion umarmte diese Wolke und zeugte mit ihr die Kentauren. D. 161. Cerberus, eigentlich Kerberos, der dreiköpfige Hölienhund, D. 167. So wahr als schön sagt Wieland von einer gewissen, auch unter UNS Nicht seltnen, Art von Philosophen: Die Herren Lieser Art blend«' oft ju vieles Licht, Sie sehn den Wald vor lauter BLumen nicht.
D. 298. Horen, hie Göttinnen der Jahrs - und Tag-« zelten. D. 427. Lethe (eigentlich Latha) der Vergessenheit Strom. Aus ihm tranken die Seelen nach dem Tode um aller Mühseligkeiten des irdischen Le« . bens zu vergessen. D. 474. Den Mittelpunkt der Erde zu erforschen, liest Zeus in einem Augenblick ziveen Adler, den ei, neu vom östlichen Ende der Erde ausstiegen, den andern vom westlichen. Sie begegneten einander über Oelsos, daher auch Svfoklcks diesen Ort den Nabel der Erde nennet.
D, 47-.
dit Schauspiel mit Chören.
163 ■
D. 475. Aus der ersten Szene der Plutos im Aristo» fancls scheu wir, daß diejenigen, welche ein Orakel befragt hatten, einenKranz auf der Rückreise trugen. D. 493. Faethon, Sohn des Sonnengotts und der Klümenck. Sich und andre von seinem göttli chen Ursprung zu überzeugen, erhielt er durch vieles Flehen die Erlaubniß des Vaters Rosse einen Tag zu lenken, aber sie liefen durch mit ihm. AlS sie nah an den himlischcn Skorpion kamen, ließ der erschrockne Jüngling die Zügel fallen. Die Rosse kamen der Erde so nah, daß sie wäre verbrent worden, wenn Zeus nicht seinen Dliz geschleudert Hütte, welcher den Jüngling tödtete und den Wagen zerbrach. Ovidius hat diese Fabel mit dem Reichthum und der Origi» nalitüt, welche ihn so sehr von allen andern römischen Dichtern unterscheiden, im -ten Buch der Verwandlungen erzühltNach Art der Römer verwechselt er den' Sonnengott (Hstlios) mit Apollon. D. 497. Semela, war Tochter des Kadmos. Zeus liebte sie; von ihm empfing sie den BakchuS. Als sic schwanger war, kam Hstrst zu ihr in Ge stalt ihrer Amme, erregte Zweifel über die Person des Gottes, und beredete sie von ihm, als ein Pfand der Gottheit, zu fodern, daß er sie, wie er sich Hllrst zu nahen pflegte, mit seinen Blizen gewasnet, umarmen mögte. Die brthörte Semelst ließ sich vom Zeus die Erfüllung ihrer Bitte durch einen Eid verheissen, bat, und erbat sich vom traurenden Liebhaber den Tod, ohne zu wissen, mit welcher Gefahr die Erhö» eung ihres Wunsches verknüpft ivdre. — — — corpus mortale tumultus Non tulit aetherios — sagt Dvidmß» L 3 Zeus
i; Apollons Hain,
164*
Zeus nckhete den kleinen VakchuS fn eink seiner Lenden ein, bis er die Zeit der Geburt erreichte. D, 557. Arachna rühmte sich feiner als Pallas -n weben, und ward von der erzürnten Göttin In eine Spinne verwandelt.
D. 566. Zeus wolte, als er den alten KrorwS (Saturn) hinab ins Unterreich gestoßen hatte, die Menschen vertilgen. Der Titan Prometheus nahin ftch ihrer an. Nicht damit zufrieden, sie dem Untergang cntrtffai zu Men, echud er sie über ihren vorigen Zustand. Er nahm ihnen den Blick in die Zukunft, welcher ihnen nur schädlich war, dadurch daß er ihnen, wie der Dichter sagt, die blinden Hofnungcn gab. Au6 dem Himmel raubte er das tseittr und gab es ihnen; auch lehrte er sie Künste und Wtstenschaften. S. den gebundenen- PromäthenS des Aischülos, eins der schönsten Schauspiele dieses erhabnen und kühnen Dichters. Nach andern Dichtern soll Prometheus sogar den Menschen gebildet haben. Horaz spielet sehr schön hierauf an: Fertur Pioinetheus addere principi Limo coastus particulam undique Deleftain , et infani Leonis Vim itoinacho appofuiife nostro.
D. 770.
Eros, Amor.
V. 784. Ehe Härakläs (Hercules) sich aufdemBerge Oeta verbrämte, schenkte er seinen Köcher mit den vom Blut der Hüdra giftigen Pfeilen, sei nem Freunde Filvktätcls. Mit diesem Geschoß begleitete Filoktütäs die Helden auf ihrem Zuge gen Troja. Aus Unvvrsicht ließ er einen der Pfeile
ein Schauspiel. M Chören.
rHz
Pfeile in seinen Fuß fallen, mußte in £dmm^ zurückgelassen werten, und litt zehn Jahre lang wütende Schmerzen aus dieser einsamen Insel. Seines Jammers Gemälde, wie Odüsscrs und Neovtolemos, Achilleus Sehn, ihn besuchten, und weil ein (''ötte'spruch entschieden hatte, daß ohne die göttlichen Waffen des Hstrakläs Troja nicht erobert werden solte, ihn bald berauben, -ach i br.cn zu folgen bereden wo freu; wie ihm endlich Härakläs erschien, gen Troja zu reisen hieß, Hülse durch den Askläpias(Aeskulap) und den Ruhm Troja zu zerstören verhieß, erzählt uns Sofoklao in seinem herzerschütternden Trau erspiel Filoktutas Wie schön ihm der sanftfühlende ßenefon in seinem Tejemaquei, dem Meisterstück der französischen Poesie, nachcrzählt habe, wird jedem gefühlvollen tcser m dankbarem Andenken sein.
D. 808. Salmoneus, König des sabelvollen Thessali ens. Um Zeus Donner nach-,nahmen fuhr er auf einer ehernen Brücke im vierspännigen Wa gen und schwang eine Fackel. Zeus rcbtcte ihn mit dem Bliz in dem Augenblick, da er fuhr. Quatuor hic invectus equis, et lampada quaffd’is, Per Grajüm populos, media-que per Elidis urbem, Ibat ovans, diviimque sibi poscebat honorem. Demens qui nimbos ec non jimtabile fulmen Aereetcornipedum pu’susiinulaiai cquormn? At pater onimpotims densa inter nubila telum Contorsit, non 11le faces,' 11 ec furnea taed» Lumina, praecipnemque linrnani t’urbine adegit. Virg. a£n. VI. 587 — 94»
B. 824*
i66 l Apollons Hain, ein Schauspiel mit Chören. D. 824. DaidaloÄ war ein großer Künstler frt Athen, Schüler deS Hermäs. (Merkurs) Nach einer begangenen Mordthat siüchtete er nach Kräta, -um weisen Könige Minoö, und bauete ihn» vor drei und dreißig Jahrhunderten das be rühmte Labyrinth, nach dem Muster jenes älteren egyptischen, dessen Ueberbleiösel noch jezt daErstaunen der Reisenden erregen. Er selbst ward darin eingesperrt mit seinem Sohn Ikaros, machte sich und dem Knaben wächserne Flügel und flog übers Meer. Ikaros Flügel schmolzen, weil er der Sonne zu nahe kam. DatdaloS rettete sich hinüber nach Italien, widmete Apollon seine Flügel, und bauete ihm einen Tempel. Diesen schmückte er mit seiner Ge schichte aus. Er wolte auch das Schicksal sei nes Sohnes darauf anbringen, aber ihm sanken, wie der Dichter sagt, die väterlichen Hände. Bis conatus erat cafus effingere in auro. Bis patriae cccidere manus. Virg. fön. VI. 32. 33.
D. 825. Bellerofon. Einen Theil seiner Geschichte erzählet des Helden Enkel im 6sten Ges. der Ilias. Er vertilgte die Amazonen; das ge flügelte Roß Pagasos reitend, bekämpfte er die Chimaira, dieses fürchterliche Ungeheuer. Zulezt wolte er sich auf dem Pägasos gen Him mel erheben, und stürzte herab. Kühnheit, Edelmut, Keuschheit und Verschwiegenheit be zeichnen den Karakter dieses Helden. V. 85z. Tritonen, eine Art Meergötter. D. 896- Psittich, das eigentliche deutsche Wort für Papagoy.
a. Milü
2.
SDlidtavis^e Verfassung des okmannifchen Reichs.
Beschluß.
Retigion befiehlt sowol den Mohamme* Lauern als den Christen, daß sie mit ihren eige nen Glaubensgenossen Leinen Krieg führen, sondern mit selbigen in Frieden leben sollen. Dies tvtvb nun freilich eben so wenig von den Mohammede nern als von den Christen beobachtet. Man wird, aber nicht leicht eine mohammedanische Macht fin den, die sich, mit einer christlichen Macht gegen feinen mohammedanischen Nachbarn verbunden hatte; selbst Machmüd Pascha zu Seutarl, der sich gegen seinen rechtmäßigen Herrn aufgesezt hat, und noch mit demselben in einem öffentlichen Kn> ge lebt, verwarf die Anerbietungen des Kaisers, als dieser gemeinschaftliche Sache mir ihn: gegen die Pforte machen wolte. Erbietet sich aber ei ne christliche Macht der Pforte gegen eine andere christliche Macht, von welcher sie etwas zu furchren hat, Beistand leisten zu wollen, so verwirft silbige einen solchen Antrag nicht. Sie wird die Christen, die ihren christlichen Feinden Abbruch, thun,
2. Militärische Verfassung
i6§
thun, dafür auch gut bezahlen, und ihnen, so lan
ge sie sie braucht, sehr freundschaftlich begegnen;
denn die Otmanly sind mcht rohe Barbaren, wie einige Europäer sie zu nennen belieben, sondern we.'n sie Vortheil davon erwarten tonnen, so sind
ihr - Vornehmen so fein, als irgend eine Nazwn in Europa.
Ueberhaupt genommen aber verach
ten die Otmanly die christlichen mit thuen gegen
Christen verbundene Nazionen nicht weniger, al* die übrigen Europäer.
Sie sind mißtraursch ge-
geil alle, we'che sie Dsiaur nennen, und
glauben
selbst darin einen Beweis ihrer Treulosigkeit und daß sie keinen Gott glauben zu finden, daß sie sich
f ?' Geld gegen ihre eigene Glaubensgenossn brau ch n lassen.
Ist die Pforte des Krieges mit einer benach barten christlichen Macht
überdrüßig, so schließt
sie mit derselben einen Frieden; aber keinen ewi
gen Frieden, wie das unter den Europäern gewöhn
lich ist, sondern emen Waffenstillstai d ans bestimte Jahre, und sie pflegt zu behaupten, daß sie ihrvrsetts diesen Waffenstillstand
getreu
erfülle.
Man will davon z. B. anfuhren, daß der Sultan das Haus Oesterreich nie angegriffen habe, wenn es bereits mit Frankreich Krieg führte,
lezteres
auch der Pforte den Nuzm davon ver
gess llt hat. würde
wie oft
Einer, dem ich sagte, die Pforte
das Haus Oesterreich in große Verlegen
heit gesezr haben, wenn sie mit demselben zur Zeit des
. des olttumnischen ReichSr deö preußischen Krieges gebrochen hatte, antwor> tete mit einer Art Verachtung:
Die Deutschen
hatten ihre Säbel gegen den König von Pr-uifin wir lebten mit ihnen in Frieden; hol
gezogen;
ten wir sie von hinten angreifen? Der Waffen,
stillstand der Pforte mit ihren christlichen Nach?
baren ist unttrdeß auf der Grenze oft n;cht viel besser als ein beständiger Krieg.
Dies ist eine
Folge ihrer schleckten ReqierungSverfassung. Mit
ten im Reiche zieht nicht selten eine Horde
ge
gen die andere, ein Beglerbegk gegen den andern
auf einige Monate zu Felde, ohne daß die Re gierung sich darum im geringsten bekümmert; eben so glauben auch die in den Grenzfestungen liegen
de Juntscharen und die aus dem Lande vertheilt
wohnende
Spahi sich
für Beleidigungen
Recht verschaffen zu müssen.
selbst
Sie finden sich
aber von den Christen in den benachbarten Dör*
fern schon oft beleidigt, wenn diese sich von ihnen nicht eben
so
behandeln
lassen wollen, als die
griechischen Unterthanen des Sultans sich solches
gefallen
lassen müssen.
Dann turnt das gan
ze Korvs dieses als eine Beschimpfung: und zum
rauben und plündern
sammen.
kömt bald ein Haufe zu
Mit aller seiner Macht kan der Sul
tan das nicht verhindern;
da es aber der Pfor
te öfters sehr ungelegen fallen tonte, wenn das ganze Reich wegen eines seichen Einfalls in ein
fremdes Gebiet sich m einen Krieg vernickelt, se hen
2. Militärische Verfassung
F7D
hen softe, so ist selbige genöthigt, bey einem Waf
fenstillstände mit einer christlichen Macht gar auszubedingen, daß es noch nicht für einen Friedens
bruch gelten müsse, wenn etwa ein Haufe von ei nigen Tausenden ihrer Truppen ohne Kanonen über
die Grenze gienge, wobei den der benachbarten christ lichen Macht allerdings die Freiheit, Gewalt gegen Gewalt zu sezen, und die Räuber wieder zurück
zu treiben gelassen werden muß. Wie oft auch schon die Otmanly die Wirkung der
europäischen Artillerie erfahren haben, so schämen die Janitscharen und Spahi sich doch noch immer,
sich derselben bei ihren Korps im Felde zu bedie
nen.
Diese nennen nur den tapfer,
der einen
starken Arm hat und den Säbel oder die Lanze
geschickt zu fuhren weis; und wenn sie Horen, daß auch die Regimenter der Europäer Kanonen füh
ren, so halten
sie das
Zaghaftigkeit.
Wenn aber mit dem Sabel und
für einen Beweis ihrer
der Lanze noch jezt große Schlachten gegen die
Europäer zu gewinnen wären, so würden die St-
manly bei allen unter ihre Truppen eingeschliche nen Unordnungen noch immer fürchterlich sein.
Religion, Gesezgebung, Vcrurtheil und brachte
Gewohnheiten,
herge
alles hat sich vereinigt,
um bei ihren Truppen persönliche Tapferkeit an-
zuspornen.
So ist es gewiß kein geringer Vor
theil für den Anführer einer otmannischen Armee,
daß Mohammed
seinen Anhängern alles Spiel um
deß otnrarmischen Reichs.
171
um Geld und alle starke Getränke verboten hat. Nicht gerechnet, daß ihre Kneger ihr Geld weit nüzlicher anwenden können, als zu Wein und Brantwein, sind selbige allezeit nüchtern (daß ei nige sich des Abends ingeheim betrinken, kan nicht gerechnet werden) und viele Unordnungen, die Folgen der Trunkenheit und des Spiels zu sein pflegen, werden vermieden. Zudem erklären die Mahommedaner jeden Krieg gegen die Christen für einen Religionskrieg; die otmanniscben Trup pen glauben also nicht blos die Sache des Sultäns und des Reichs, sondern Gottes Sache zu vertheidigen. Giebt es gleich unter den gemei nen Leuten, welche der Armee folgen, solcher genug, die nur selten beten, so bezeigen doch alle Krieger, von dem Wesir el asem an, bis auf dem Soldaten (wenigstens äusserlich) die größte Ehr furcht vor Gott. Die ihnen vorgeschriebenen Gebete werden täglich, auch im Lager, gehalten, und dies mit großer Feierlichkeit. Die Otmanly halten besonders ein inbrünstiges Gebet vor einer Schlacht, und bitten Gott, daß er ihnen, so wie ihrem Propheten, ein Korps Engel zu Hülfe schicken möge, um ihnen behülflich zu sein, den Sieg über die Ungläubigen zu erhalten. Sie ergeben sich gänzlich in den Willen Gottes, als welcher es vorher bestirnt habe, wann und wel chen Tod einer sterben soll; sie verlassen sich darauf, daß der Sultan ihre Tapferkeit belohnen werde,
2. Militärische Verfassuüg werde, wenn sie mit dem Leben davon kommen,
und alauben gewiß, daß sie gerade ins Paradies eingclwrr werden, wenn sie ihr Leben in der Ver
theidigung der Sache Gottes verlieren:
Steifen
sie den Feind unter
funa des Namen Gottes mutig an. Armee
und so
beständiger Ausru-
Wenn die
nicht gehörig mit Lebensmitteln versorgt
ist, oder die Löhnung zu der bestirnten Zeit nicht
prompt ausbezahlt wird, so ist leicht ein AuftUhk zu befürchten, welcher selbst dem Anführer
Armee gefährlich' werden kan
aber nur selten beigelegt, wenn
der
Demselben wird
von den Soldaten die Schuld
eine Schlacht
verloren wird;
man glaubt vielmehr, Gott habe solches vorher beschlossen,
um sie
ihrer
Sünden
wegen
zu
strafen.
Es ist zwar in den lezten hundert Jahren,
in denen die Ormanly keine Eroberungen gemacht haben,
nicht mehr so leicht gewesen, Lehngnter
zu erwerben, im Kriege aber werden dergleichen immer ledig:
und in der Hofnung, davon eins
zu erhalten, verkauft noch mancher Handwerker
alles, was er hat, und schäft sich ein Pferd an,
um für Gott zu streiten, und dafür in dieser und jener Welt belohnt zu werden.
Wenn ein Ot-
manly Beute macht, so weis er wie viel er dem
Gesetze nach davon
abgeben muß;
das übrige
ist
fein Eigenthum. Auch wenn er einen Feind lebendig zurück bringt, so wird der sein Sklav, von
Hes otmarinischm Reichs:
173
von dein er sich bedienen lassen, oder ihn wieder verkaufen kan.
Daß die
Soldaten für jeden
feüidllchen Kopf ein gewisses Stück Geld zur Be
lohnung erhalten, ist wohl nur eine Gewohnheit, die von wohldentenden Mohammedanern - wegen des davon unzerrrenlichen Misbrauchs, nicht an
ders als verabscheuet werden kan;
aber der ge
meine Mann sieht diese Gewohnheit als ein Ge»
sez an, das er nicht abschaffen lassen wird. Auch giebt der SultLn, welcher nicht reich genug ist, um alle die mit Zulagen und gar Lehngürern z« beschenken, so darauf Anspruch machen wolle», an
seine Offiziere und Soldaten Ehrenzeichen, die sie zum Beweise ihrer Tapferkeit am Turban tragen können.
Diese und andere Vortheile sicht ein Otmanly vor sich, der sich im Kriege durch seine Tapfer»
fett auszeichnet.
Schimpf und Schande ist da
gegen sein Lohn, wenn er sich von Christen zu rücktreiben laßt, oder gar eine Festung übergiebt, in
welcher
mohammedanische Bürger
und folglich Moskeen sind.
wohnen,
Erhalten die Bela
gerten einen freien Abzug, so muß das Oberhaupt derselben gemeiniglich doch seinen Kopf verlieren; denn er hat dem Befehl der hohen Pforte, nach
welchem er seinen Posten gegen die Ungläubigen vertheidigen solle, nicht befolgt;
ob er dazu ge
hörig untcrstüzr worben ist, das wird nicht un tersucht.
Muß die Besatzung sich als Kriegöge« fan-
2. Militärische Verfassung
1^4
sangen« ergeben, so hat sie nicht viele Hofnung, daß dir Negierung sich weiter um sie bekümmern «erde:
und der Gedanke, daß ein Muslim auch
Zeitlebens ein Sklav der Dsjaur seyn soll, über welche er sich so sehr erhaben zu sein glaubt, ist
ihm so fürchterlich, als es einem europäischen Edel« mann
nur
sein kan, wen» man ihn nöthigen
welke, sich iit die Knechtschaft leibeigener Bau« er» zu begeben.
Viele bilden sich wol gar ein,
daß sie bei de» Christen eben so wie die christli
chen Gefangene» bei ihnen behandelt werden; daß nemlich der Gefangene ein Sklav des Soldaten-
wird, dem er sich ergeben hat, und daß dieser ihn nach Gefallen zu allen niedrige»
ihn auch verkaufen könne.
Arbeiten
brauchen,
Bei solchen Umstän
den darf man sich also darüber gar nicht wun dern, wenn die Otmanly sich in Scharmäzeln so tapfer halten, und ihre schlechten Festungen auf
das hartnäckigste vertheidigen, oder vielmehr so verzweifelte Ausfälle wagen; denn wenn sich nicht
etwa französische Kanoniere in einer Festung fin den, so werden sie den Belagerern mit ihren Ka
nonen wol keinen großen Abbruch thun können. Die Vortheile, welche theils der Korän und
theils die KriegSgesrtze den Truppen des Sultans versprechen, die sich gegen die Ungläubigen tapfer
halten, sind so groß, daß sie manchen gar zur Toll
kühnheit treiben.
Alle ziehen in den Krieg, um
ihr Glück zu machen,!'aber mancher kan die Zeit
nicht
deS okmannifchen Reichs.
175
nicht abwarten, bis selbiges ihm günstig sein will. Diejenigen welche ihr Brod zu Hause verdienen zu können glauben, verlassen die Armee hausen weise, gehen wol gar nach bctf Hauptstadt, und schimpfen da öffentlich über den Anführer der Truppen und alle Anstalten der Regierung; die Ausreisser werden nicht weiter gestraft, als mit Verachtung, und daß .man ihnen ihren Sold nimt» Andere, die zu Hause keine Arbeit zu bekommen wissen, oder nicht arbeiten mögen, aber das ihrige bereits verzehrt haben, oder aus an dern Ursachen ein kümmerliches Leben führen müssen, das fle nicht langer ertragen mögen, er greifen die erste Gelegenheit, um entweder zu siegen oder zu sterben. In der gewissen Ueber zeugung, daß sie für Gort streiten, rennen die Schwärmer ohne alle Ueberlegung auf den Feind los, und sind des Vortheils zum voraus versi chert ; denn wenn sie so glücklich sind, den Kops eines Feindes, oder gar einen Feind lebendig zu rück ins Lager zu bringen- so haben sie ausser der Ehre, ein Recht zu verlangen, daß ihre zeitlichen Umstände wo nicht vrel, so doch um etwas ver bessert werden; hat aber Gott beschlossen, baß sie bei dieser ihrer Unternehmung ihr Leben ver lieren sollen, fb erwarten sie nach der Versiche rung ihrer Religion, daß sie gerade ins Paradies eingehen werden, welches Mohammed so reizend smlich beschrieben hat. Aber
13&
& Militärisch? Verfassung Aber bloße
persönliche Tapferkeit mit
der
größten Versicherung, daß solche nicht tun* in die sem sondern auch im künftigen Leben reichlich be,
lohnt werden soll, .ist jezt nicht mehr hinreichend
gegen ihre benachbarten christlichen Machte. Die
Europäer haben
es von
den Otmanly
gelernt,
was eine stehende Armee auszurichten im Stan de ist, jezt müssen wiederum die Kriegswisscnschaften von
Otmanly. die
den Europäern lernen,
wenn sie aus den Landern, die sie der Christen heit entrissen haben, nicht wieder vertrieben wer"
den wollen.
Anstatt aber, daß diese, wie in allen
andern Kentnissen, so auch in der Kunst Krieg zu
führen in den lezten hundert Zähren die größten Fortschritte
gemacht
haben,
sind die Otmanly
darin nicht um einen Schritt weiter gekommen. Die
Spahi und Janitscharen, ihre besten Solda
ten, kennen noch jezt keine andere Kriegsübungen als die, welche
vor
200 Zähren bei ihren Ar
meen gebräuchlich waren, und auch darin sind sie nur schlecht geübt;
die
große Menge der von
den Paschen aus den verschiedenen Provinzen zur Armee"
geführten Truppen
was Knegsübungen sind;
sich in einem schlechten,
weis noch weniger, die Artillerie befindet
und
die Flotte
in ei
nem rwch schlechtern Zustande; die Taktik der Eu
ropäer ist den Aliführern ihrer Armeen, noch ein ganz fremdes Ding.;
sie kennen nur den (leinen
Krieg, und müssen eine entscheidende Schlacht zu
-deS otmqnnischen. Reichs.
17?
vermeiden suchen. Die Franzosen haben sich zwar
alle Mühe gegeben, sie in der Artillerie, in M Ingenieurkunst und gar in der Taktik zu unterrichten;
man will ihre Gelehrigkeit rühmen, und gar ver sichern, daß ihr Kriegswesen seit ihrem lezten Kriege mit den Russen schon sehr viel verbessert wor
den sei.
Nach meinem Urtheile aber können die
Otmanly von allen den hungrigen Europäern, die ihr Glück zu Konstantinopel gesucht, und sich des
wegen zum
Theil
gar haben beschneiden lassen,
nichts weiter gelernt haben, als bessere Kanonen
zu gießen.
Zn
der
Zngenieurkunst, Artillerie
und Tactik werden sie es niemals weit bringen; Md so. ist es unmöglich, daß sie ihren mächtigen
christlichen Nachbaren noch lange W-derstand thun
tonnen, wenn sich nicht Christen mit ihnen gegen Christen verbinden, um eine Nazion, die so vie
le christliche Reiche zerstört hat, und noch jezt alle Christen so verächtlich behandelt, noch ferner in Europa zu erhalten.
Gott hat den Mohammedanern freilich eben so gute Geistesfähigkeiten gegeben, als den Chri
sten,
und
es fehlt bei ihnen auch nicht gänzlich
an Leuten, die wollen;
ihre
Kentnisse
gern erweitern
allein um die Kriegswissenschasten von
fremden Nazionen zu lernen,
müssen die Otman
ly es doch wol so anfangen, wie die Russen es
gemacht haben.
Diese waren noch im Anfänge
des gegenwärtigen Jahrhunderts ein rohes Volk;
sr. Mus. Aus. 89*
M
aber
^Militärische DerfaffM-
t7k
aber -er Regent mvarb sich unter' ihnen zuerst selber Kenrnisse,
er bediente sich fremder Genera«
le, als Anführer seiner Armeen, ja ganzer auslän»
auch Ingenieure, Artilleri
bischer Regimenter, sten.
Die Fremden wurden geehrt, die vvrneh»
mm Russen lernten fremde Sprachen; sie mußten reisen, um stch mit den Wissenschaften und Sitten
anderer Nazivncn bekam zu machen.
Da sie be-
reits Duchdruckereien hatten, so wutden die Gei«
steswcrke anderer Nazionen
immer mehr und mehr unter
durch Uebersezungen ihnen
verbreitet:
und so haben die Russen nun schbn selbst tüchtige
Ingenieure, Artilleristen, ja Generale, obgleich man leztern noch bei weitem nicht die taktischen Kent«
niffe einräumen will,
die man von einem deut«
schm oder französischen General verlangt. gegen hat
Da
der Regent des otmannischen Reichs
nichts gelernt
und auch nichts gesehen;
er
ist
erst im Alter aus dem Gefängniß hervorgezogm
und auf den Thron
erhoben, wo er ein großes
Reich regieren soll ohne es zu kennen, und ohne zu wissen, was regieren sei.
Die Regierung ist
in den Händen der Vornehmen, welche zu allen
Intrigen erzogen sind, indem sie sich nur dadurch empor schwingen und in ihren Bedienungen er
halten können.
Ohne von ihrer eigenen Religion
vielmehr zu befolgen, als die äusserlichen Zeremo
nien, welche sie genau.und vor aller Welt Augen
beobachten
müssen, wenn sie nicht des Unglau bens
be-vtmannifchm Reichs.
179
be«s beschuldigt werden, und dem Sultan dadurch eine Gelegenheit geben wollen, sich ihres Vermö« gen« zu bemächtigen, verachten sie die Europäer
als Ungläubige;
und da
eS
ihnen an
guten
Duchdruckereien fehlt, so können nicht einmal Ue. bersezungen von Büchern aus fremden Sprachen
bei ihnm Eingang finden. *) Der Sultan hat nicht
einmal Dollmetscher von seiner eigenen Nazion, wann europäische
Mächte
Gesandte
nach Kon«
stantinopel finden, nm HandlungS • oder Friedens» traktaten zu errichten, oder wie die Otmanly in
ihrem dummen Swlz sagen,
um sich dem Schu
bes Sultans zu unterwerfen;
man bedient sich
zu Unterhandlungen mit den europäischen Gesand ten allezeit Griechen, als wenn es für einen Ot
manly eine Schande wäre, die Sprache der Eu
ropäer zu-reden.
Die Pforte hält es für. über«
flüßig, Minister an europäische Höfe zu schicken, M a
(die
») Oie Pforte hat zwar den Nuzen der Duchdruckerek eingesehen , und einen Renegaten untcrstüzt, um dergleichen auch zu Konstantinopel anzulegen, die Druckerei ist aber nach dessen-Tode wieder eingo» gangen. Vor einiger Zeit hak man zwar angcfan« gen selbige wieder herzustellcn, indeß werden noch sehr viele Jahre ersodert werden, bevor d>e Dru ckerei bei dieser Nazicn emporkommen kan. Theils find die türkischen Schriftzüge zu verwickelt, und daher zu. kostbar, um im Druck gut nachgeahmt zu zu werden, und dann ist es auch verboicn, die Art Bücher zu drucken, wodurch die Druckereien zu rrst in Europa empor,käme», oemlich geistlich«
Bücher.
igpr
2,'Millkapifche Verfässünß
(Hie mropäischen Minister zu Pera, fagttt'fTe/fop
sm uns durch ihre Dolmetscher alles wissen, was
bei ihnen vorgeht und uns intexeßiren kan) und andere vornehme Otmanly können-vollends keine»
Reiz haben, die Länder der Europäer zu besu chen.
Da unsere Sitten und Gebrauche so gak
sehr von den ihrigen verschieden sind, so kan kein Otmanly Vergnügen in unserm Umgänge finde»;
und wann einer vdtt-ihnen das Geringste von un sern Gebräuchen sötte nachahmen wollen, so wür«
He man schreien, er sei nicht mehr em Muslim, (Rechtgläubiger).
Bei dem Militär« kan kein
Christ, also auch kein Europäer ein gemeiner Soll
Hat werden, ohne -daß er seine Religion und damit alte seine vorigen Sitten und Gebräuche verän-
bett; und da die verschiedenen Korps der regulir-
krn Truppen sich selbst regieren, so wird man sich bey denen schon hüten, europäische Offiziere unter
fich aufzunehmen.
Die ganze Armee würde in
Aufruhr kommen, wenn der Sultan einen euro päischen Offizier in ein Korps einschieben wokte.
Auch kan kein europäischer Offizier mit Ehren bei einem Korps der Otmanly dienen. Weil lez-
tere sich vermöge ihrer Religion fleißig waschen
und baden, da sie allezeit vor und nach dem Es sen ihre Hände waschen,
und eS ihnen bekank
ist,
daß die Europäer nicht so sehr auf die Rein lichkeit des Körpers halten, so verachten sie uns schon deswegen: und- da sie uns nur, W)> be
ten
che^okmasinifchm Reichs.
«8i
cm schen, anstatt • daß sie täglich fünfmal vor cte ler Welt Augen beten, so'.'glauben' sie wir bete» gar nicht. Auch darf kein' Mohammedaner bet einem Christen Fleisch essen , wen» es nicht von einem Mohammedaner geschlachtet ist? sie haben mehrere Gcseze und Gebrauche, nach) welchen st« glauben, weit gesitteter und über die Dsjaur er» haben zu seyn. Und welcher ehrtiebender Eurö» päer würde also wol in einem Korps diene« wollen, - wo auch der geringste- Soldat ihn nicht nur wegen seiner Religion- sondern auch wegen seiner Sitten »erachtet?- Da die Mvhamtneda» nischen «nd> heidnischen Prinzen In Indien ganz« Korps französischer Truppen in ihrem Dienste ha ben, so al'aubt man vielleicht, daß auch der Sich tän durch dieses Mittel die- europäische ^Kriegs» diseiplin bei seiner Armee «erde einfühten tön* mn. ' Aber die Janitschareu und Spechi würden kein solches' Korps Europäer neben sich leiden, selbst die irregulären Truppen würden «ichs mit ihnen fechten wolle«; in der Nähe des Feindes würd« man die Europäer zuerst anfopfern. Selbst die vornehmen Otmanly, von dem Groß. Wesir an bis auf den geringsten Pascha, können di« bessern militärischen Kenkniffe- eines europäischen Offiziers nicht einmal beurtheilen. Sie verlan gen newlich von einem Offizier, daß er seinem Gegner mit dem Dsjend (einem Stock etwa ; Fuß lang) Armund Bem entzwei werfen,, daß er
I8>
H. Militärische verfassmG
er im-stärkste» Galop einen auf tee Erde gt* stellten Topf mit einer Kugel treffen, und ander« dergleichen Kunststücke machen könne: und da et einem europäischen Offizier darin em Fertigkeit fehlt, so wird er für einen Stümper gehalten. Auch die Araber nennen die mohammedanische Religion die einzige wahre Religion, und die Christen Ungläubige. Einzelne Beispiele ausge nommen aber, wvmach. man keine ganze Nazio» beurtheilen kan, habe ich bei diesen keinen Stele, gioushaß bemerkt, selbst Scheche und Beamte in den Provinzen haben sich freundschaftlich gegen mich gezeigt. .Dagegen haben alle Otmanly, d. i. diejenigen, welche ich von denen kennen zu lernen Gelegenheit gehabt habe-, welche im Dienste det Sultans stehen, von dem Pascha an bis auf de» Soldaten, -gleich beim ersten Anblick so etwas ge zeigt, wodurch ich nicht undeutlich merkte, daß sse sich weit über die Christen erhaben zu fein glaubten. Die vielen französischen Offiziere, welche fich während des vorigen Krieges mit Rußland, zu Konstantinopel aufgehalten haben, mögen vielleicht alle mit dem stolzen Gedanken dahin gereiset fein; bei der Armee des Sultans angesezt zu wer» Len, und die Otmanly auf diese Art mit der Kriegskunst der Europäer bekant zu machen. Bei der Pforte aber ist es wol Niemanden einge fallen, fich dieser geilte anders zu bedienen, als bei
des otluaUiischen Reichs.
i81
der ' Ausbessermt- ihrer Grenzkstlmgev, beim Kauonengießen und beim Sckifbau, wo man sie als Handwerksleute betrachtete. Wenn emigL derselben von der Pforte als Schullehrer angesezt wurden,, so geschah dies wol auf Empfehlung des französischen Ambassadeurs,, welcher die Untct< thanen seines Herrn bei dessen Bundesgenossen doch nicht gern verhungern lassen wolte. Hat* ten nun diese Herrn erst gut türkisch gelernt (welches keine so leichte' Sache ist) so mag es yen auch nicht an Schulern gefehlt habeu^ Eö giebt unter dm Schulmeistern, Schreibern und Halbgelehrten zu Konstantinopel genug, die ihre Kentni sse gern erweitern wollen, und unter diesen einige, welche es nicht für erniedrigend halten» von einem Christen Geometrie^ Erdbeschreibung», mathematische Zeichnungen u. dgl. zu lernen, tu* dem ihnen dies alles auch nüzlich und angenehm, sein kan, wann sie in . ihre vorige Laufbahn wie der zurückkehren müssen. Aber wirkliche Offizie* re, oder Sohne vornehmer Otmanly, die sich zu. Offizierstellen Hofnmtg wachen tonten, werden sich schwerlich zu einem Dstaur in die Schule bege-r hen haben. Bon allen mohammedanischen Sckw* lern der Franzosen aber sind wol nur sehr wem'-ge bei der Armee als Offiziere.angcstzt worden^ und von diesen Wenigen hat -sich vielleicht kein, einziger unterstanden, mit seinen» geringen Kentz^ Nissen» rvMß, nicht großer, haben sein timvtty als
184
2. Militärische Verfassung
als die eknes Kadetten von einer Militärakademie in Europa, hervorzutreteu, um nicht von seinen Odern ausgelacht und verspottet zu werden. Also Sprache, Religion, politische und militarifche Geseze, Vorurtheil, Sitten und Gebräuche trennen die Otmanly von den Europäern, und so müßte es wol durch ein Wunderwerk geschehen sein, ivenn selbige bte Kriegswissenschaft der Euro päer, worauf diese bei ihren vielen Hülfsmitteln so viele Jahre gewandt haben, in so kurzer Zeit von französischen Schulmeistern gelernt hätten. Gott wird aber wol kein Wunderwerk verrichten, um die Otmanly klug zu machens und die, welche deren große Fortschritte in der Kriegswisi s-nfchast der Europäer so sehr rühmen, sind also wol parteiisch, oder sie wissen es selbst nicht, wel che Kentnisse von einem tüchtigen Offizier ver^ laNgt werden. Wie wenig die Otmanly die europäischen Offiziere zu nuzen wissen, das sieht man schon daraus, daß viele der leztern, welche Mohamme daner geworden sind, sich unter die Dienerschaft dieses oder jenen Pascha haben stecken lassen, und fb selbst die Kriegsübungen der Dh agafi lernen müssen, ohne daß man etwas von' ihnen zu ler nen verlangt hat. Dii Verachtung, welche man vdrher gegen solche keüte als Christen hatte, hört zwar huf, wann sie Mohammedaner geworden sind. Aber auch gegen die Renegaten Hat man ein
drs otmannifchen Reichs.'
i-z
ein türkische« Sprichwort sngt;
ein Vörurtheil;
daß der, welcher seiner Religion und seinem Va
terland» ungetreü geworden i|t, auch seinem neuen
Herrn nicht mit Eifer dienen werde. zösischer Offizier,
der
Ein fran
im siebenjährigen Kriege
in die Gefangenschaft de« König« von Preussen
gerathen war, bei demselben Dienste genommen/ und e« unter den leichten Truppen bis zum Ritt
meister gebracht hatte, war verabschiedet,
in der Hofmmq
tmfr
nach Konstantinopel gegangen,
dereinst ein Pascha zu werden.
Al« Mohamme
daner ward er bald angenommen;
er erhielt
auch nothdürftig zu leben, aber weiter ward er
nicht geachtet.
Er fand bald, daß er bei bett
Zanitscharen und Spahi
nicht angesezt werden
fönte, und richtete also sein Augenmerk auf- die-. Artillerie.
Aber auch da war kein Mangel an
Otmanly, welche die Offizierflellen bereit« bekleid
deten, oder dergleichen suchten. die
Nun hatte er
Dreistigkeit eine türkische Uebersezung
einer
kleinen Schrift zu übernehmen, die von der Artil» lerie handelte, und ihm ward auch dafür eine gut
te Belohnung ausgesezt. ' Als aber der Großwe-
ftr, welcher in dergleichen
Fallen keinen Schech
versteht, ihn antreiben ließ, die Uebersezung end«
lich zu liefern, hielt er efi für rathsam, sich von Konstantinopel
heimlich weg zu
machen.
Ich
traf ihn zu Halcp als einen Otmanly gekleidet, an;
er hatte aber die preußische, Uniform noch? bei
2.. Militärische Verfassung
rz6
bei sich, und war bereit in Persien ein Schiit, ob« tri den Holländern in Zndien ein Protestant zu «erden, wenn er wiederum eine Kompagnie er
Den Engländern traute er nicht»
halten tonte.
Ich ricth ihm, bei einem mohammedanischen oder
heidnischen
Prinzen in Zndien Dienste zu su
chen, weil selbige die
Kriegskunst der Europäer,
besser zu schazen wüßten als die Otmanly, und
weil er daselbst viele Landsleute würde antreffen
können. Daß ein solcher Abentheurer sein Glück bei,
den Otmanly nicht hat finden können, kan sich Niemand wundern.
darüber
Aber auch Euro
päer, die wirklich Wissenschaften befizen, wodurch Ke der Pforte nüzlich werden fönten, und Eifer
genug, um sich ihrem Dienst ganz zu ergeben, su
chen ihr Glück bei derselben vergebens. , Der be rüchtigte Graf von Beispiel dienen.
Bonneval
kan davon
zum
Die militärischen Verdienste
dieses ehmaligen kaiserlichen Generals wäre« bei
der Pforte bekant, so wie auch das, daß er . nicht
wieder zu den Europäern zurückkommen durfte. Er leistete dem Sultan im Kriege
gegen
daS>
Haus Oesterreich (vielleicht nicht soviel aus Eifer
für seine neue Glaubensgenossen, als um sich an feinem vorigen Herrn zu rächen) große Dienste?
«r tonte es aber doch nicht dahin bringen, daß er drei Roßschweife erhalten hätte, obgleich ihm
tu den unter seinem Namen herausgekommenen Me»
des ottnannifchtn Reichs.
itl
Memoiren, gleich beim vebertritt zur mvhamme» dänischen Religion drei Roßschweife beigelegt wer» den. Er war nur Pascha von zwei Roßschwei, feu und Kumbaradsji baschi, d.i. Chef über die Dombardirer, ein kleines Korps, welches mit dem Korps der Artillerie verbunden ist, dessen Chef Tübdfji baschi genant wird. Ucberhaupt hat Bonneval von seinen neuen Glaubensverwandten gewiß nicht die Achtung genossen, die man ihm vorher im Dienste des Königs von Frankreich und des Kaisers erwiesen hatte. Es ist mir nicht bekant, in welcher Verbin dung dir Dombardirer mit den Artilleristen, der Chef der erster» mit den» Chef der leztcrn steht, aber das ist unstreitig, daß Donneval dir Artillerie des Sultans sehr verbessert hat. Es war nicht seine Schuld, daß nicht auch dir ganze europäische KriegSdisziplin bei der Armee des Sultans ein. geführt ward; er hätte feine neuen GlaubenSge« nossen gern mit Gewalt klug gemacht, wenn es in seinem Vermögen gewesen wäre. Aber die Zanit« scharen wolten von keinen Neuerungen wissen, die Vornehmen am Hofe kanten DonnevalS unterneh menden Geist, und glaubten vielleicht, daß wenn er Groß. Wesir geworden wäre, er auch noch wok Lust bekommen könte, Sultan werden zu wollen, p« arbeiteten daher allen seinen Vorschlägen nit* gegen. Zeder andere ehrliebende europäische Offizier würde bald überdrüßig geworden sein, seine Boi?»
i*t
sc MilitariWe iBerfassmrst
VorDligr von unwissenden Obern beurtheilen, uvL verwerfen zu lassen; der gewesene Graf von Douneval aber mußte alle Demütigungen von Beuten, die er im Herzen verachtete, ertragen ; er konte in seinen vorigen Stand nicht wieder zurückrretem Er starb den 2zren Marz 1757, und liegt zu Pera ans dem Todtenacker bei dem Kloster der Mevlavre begraben. Man hat ihm eine weitlauftige türkische Inschrift gese-t, wovon folgendes eine Uebersezmy ist, die ich zu Halep von dem Kaufmann Herrn Pury erhalten habe. ' Bonneval Achmed Pacha, que tout le mönde connoit, Abbandonna fon patrimoine pour embraffer ' la foi mahometane. sl s’acqmtala veriteun renom parmi les fieris/ Mais en venant parmi les Mufalmans il y gägna la gloire & Pimmortalite. Ce fut uh sage du iiecle, qui eprouva la grau* ’’ ' r deur & la baffeffe, Et qui connoiffant le bien & le mal, distingua la beaute de la laideur. Plameihent perfuade de la caducite des chofes *L; 1 de ce monde; II 6pia l’heureux inoment de paffer a feter* nit& Et hüt le calite la hqiti qui fe rencontre £tre£ La nult de la naiflance du plus glorieux deä ' prophetes. r ? Ce
deS otMcklnrschen Reichs:
, »R9
Ce fat Theureux tems, qu>il choifit/ pour fe rendre a la mesericorde « Et paffer fans hdfiter de cette vie a fautre, Que le Paradis foit la retraite de Bonneval Achmed Pacha. Le 12 de la Luue de Rebbi-Ewel u6o de P Egire. .
r.. NB. Wenn die Buchstaben -dieses kleinen Ge bets als Zahlen angesehen, und zusammen gethan werden, so bekomt man das Jahr n6o. - Auf einer kleinen Carfouche steht noch fol gende Ermahnung,
49
stand und ihr Herz nach und nach zur Festig
keit leitete.
Allmahlig lernte die Prinzeßen wie
der schmecken, fühlen und riechen, urtheilen und empfinden, und sie kam endlich auf den Punkt, wo weibliche Zartheit,
die von Berzärtlnng so
weit, als von männlicher Derbheit entfernt ist, stehen muß, um in dem ganzen Glanze und mit dem ganzen Zauber ihres ursprünglichen Wesens
zu glanzen und zu wirken.
Mit der Umbil
dung der Prmzeßin hielt die Umbildung des Ho Man lernte
fes Schritt.
wieder laut reden,
man fürchtete sich nicht mehr vor Gewittern, die
Klecken,
die allgemein M§de geworden waren,
wurden eingestampft und zu nüzlichen Geschirren
umgeblasen, die Blumengärtnerei kam wieder in und eine Menge Modenhandler wurden
Flor,
bankerot.
So
stieg das Nüzliche jeder Art,
durch das wohl abgewogene Benehmen der neuen
Oberhofmeisterin, was durch die Thorheiten der alten gesunken war. Der neue Oberhofmeister, der dem Prin
zen gegeben wurde, war in seiner Art eben fe
bedächtig, weise und erfahren, als die neue Oberhosmclstertn.
ihn dem
Er hatte selbst gebeten, daß man
Prinzen als einen geschickten
meister empfehlen mogte, durch am ersten
glaubte.
Stall
weil er sich ihm da
nothwendig machen zu
können
Als solchen nahm ihn auch der Prinz
sehr gnädig auf, und da jener eine tiefe Kene.
niß
VS
4. Das vollkommene WM;
niß des menschlichen Herzens besaß, so rttrzte flfc diese Gnade, um sich statt derselben bald Zu^ veigung, und statt dieser bald das höchste Ver? trauen des Prinzen zu verschaffen. . Der OberHofmeister, der aus einem der besten inländischen Häuser war, aber lange in fremden Lander« ge'ebt, und sich ausser einem Verrathe sehr prak? tischr Kentnisse, auch sehr glanzende körperliche Talente zu verschaffen aewußt hatte, stellte dem Prinzen vor, daß es sehr leicht sei, die Kräfte des Verstandes eben so auszubilden, als die Kräf te des Körpers, und daß beide, zur innigen Mi schung gebracht, das bewirkten, was man einen pollkorynen Mann nennte. Er bat ihn, ausser der Reitkunst auch die Tanzkunst zu üben, arssftr dem Studium der Roßwissenschaft auch die Menschenkunde zu treiben, ausser der Kentniß einer ländlichen Oekonomke auch die Kentniß der Staatsökonomie sein Augenmerk sein zu las sen; und er suchte ihn zu überzeugen, daß ei ne dreijährige Reise in fremde Länder ihn gleich sam spielend so bilden würde, wie sein königlicher Vater es wünschte, und seine künftigen Untertha nen es vom Himmel erfleheten. Vorstellungen dieser Art wiederholte der OberHofmeister dem Prinzen täglich, und auf solch eine treffende, bündige und natürliche Weise, haß sie allmählig haften mußten. Am schwersten war es, ihm
ifflb der vollkommene Sffatlm
25,
ihm die Nothwendigkeit einer dreijährigen Reist anschaulich zu machen, weil die Gründe die dastr sprachen, gegen deö Prinzen Lrebe zur Prinzeßin
Der Mentor mußte ihn hier noch ein«
sprachen.
mal von Seiten seiner Eigenliebe fassen,
gerne,
bte er
doch gemildert und
wo nicht unterdrückt,
auf einen andern Puntt geleitet hatte.
Die Prim
zeßin fühlte nämlich immer noch nichts für ihn, und
behandelte chn darnach. Dies fing jener aus unb er unterhielt den Verdruß, den der Prinz darüber
faßte, sehr geschickt, vergrößerte ihn sogar und gad ihm nicht selten neue Nahrung.
Bei einer solchen
Gelegenheit erbitterte er einmal den Prinzen so
sehr, daß er beschloß, abzureisen, sogar ohne Ab
schied abzureisen.
Dies geschah wirklich, und die
ersten Tage über erhielt sein Führer seinen Unwillen beständig in Schwung, weil er sonst gewiß wie»
der umgekehrt sein würde.
Er stellte ihm vor,
daß ihn die Prinzeßkn schmerzlich vermissen, kaltsinniges Betragen bereuen,
ihr
und ihn sehnlich
zurück wä. scheu würde; aber nun wäre die Reihe
an ihm,
den Kalten zu spielen und sie zur Strafe
schmachten zu lassen.
Welcher Liebhaber, der auf
einer gleicher: Stufe der Kultur mit ihm stand,
hatte nicht diese Gelegenheit ergriffen, Gellt bte recht empfindlich zu quälen.
um seine
Er war
-war oft gerührt, daß er ihr soviel Kummer machte,
aber eben
diese Rührung schlug
Hartherzigkeit um,
bald wieder in
und die Absicht deö Mentors
war
I5«
Das vollkommene WM
süßen Trunkenheit, um sich von neuem daeekn-zy verlieren; denn er wolte bemerken, daß die Auf, w-rksamkeit der Anwesenden ausschließend durch jenen vollkommnett Mann beschäftigt und imt so angenehmer beschäftigt wurde, da sie in dem Prin zen die Kunst von der Natur eingeholt sähen» ES schien ihm gewiß, daß sie in jenem Helden den Prinzen sahen, daß ihre Bewunderung jenes auf ihn, und von ihm auf jenen zurück fiele. Er glühete voll innerer Selbstzufriedenheit, und fühlte von Zeit zu Zeit sogar eine heimliche Neigung, feine Blicke von der bewunderten Figur übzuwenden, damit er nicht den Anwesenden als ein eigenliebiger Bewundrer seiner selbst verdachtig würde. Aber bald ward er aus fernem süßen Tratte tue sebr schmerzlich aufgeschreckt. Er trat ein we nig zurück, und verdrängte dadurch eine Dame, die hinter ihm gestanden hatte. Sie bat ihn, sie vorzulaffen, damit sie das herliche Stück nä her sehen tonte. Er glühte über und über, weil ihm seine Eigenliebe saate, die Dame stürbe vor Begierde, seine Lieblingsftgur näher zu sehen. Er ließ sie an seine Stelle, und als sie eine Zeit lang mit innerm Wohlgefallen die Augen unver wandt auf das. Gemälde geheftet gehalten hatte, wandte sie sich mit der stummen Pantomime um, als ob sie zu den Umstehenden etwas sagen wol te» Da er glaubte/ daß es ihrer Bewunderung nur
imfr der vollkommene Mann. nur an einem Stoß fehlte, um 'auszubrechen, so gewan er ihr Rede an, machte aber den Anfanmit dem edlen Nesse des Nllkcrs, zenz nicht anznflechcn.
einer Beredsamkeit,
um ihre D»
Er lebte das Pferd mit
als ob
kein Reiter
darauf
„ Aber mein Gott, “ sagte die Dame: „ wie können sie dem Pferde so viel Aufmerksamkeit gönnen? — Sehen Sie nicht die weibliche Figur da im Vvrgrunde? * gesessen hätte.
sezte sie sanft errathend hinzu, indem sic sich fass
in die Lage sezte, worin der Maler seine Figur genommen Hane. — Der Prinz war wie vom Donner gerührt. Die Dame sah nicht ihn, sondern -sich. Voll
Beschämung drückte er sieb von ihr weg.
Er kam bei einer andern Dame zu stehen, die nicht minder aufmerksam an dem hing.
Gemälde
Er spurte der Richtung ihrer Blicke nach,
und glaubte zu bemerken, daß sie an dem mann1
haften Ritter hafteten.
Sie sah bald, daß er nut
ihr nach einem Punkte blickte. Und sogleich wand
te sie sich an ihn, und sagte:
„Nicht, mein
Herr? Man kan nichte Schöneres sehen, als den Anzug der weiblichen Figur dort, die vor dem Ritter steht ? Ich habe diese Mode zu erst getragen, und der Künstler hat mir die Ehre angethan, seine schönste Figur so zu kleiden. Sie hat allgemeinen Beifall ge
funden. 6 —> Sie
»5ä
4. Das vollkommene Weill Sie sprach noch fort,
lange nicht mehr da war.
als der Prinz schot» Beschämter als vor«
her, hatte er sich von ihr weggedrängt. Er kam
vor einem kleinen unansehnlichen Mann zu sie« Heu, der sehr selbstgefällig zu ihm hinanlächelte. „Nun," sagte er: „haben Sie die männliche Figur dort recht angcsehn?
edle
„ Noch nicht recht," erwiederte der Prinz erra
thend, und jczt glaubte er an den Mann gekommen z» siin, der ihn für das Original jenerFigur hielte. „ 0 besehn Sie e6 recht genau! “ der kleine Mann fort: „ mir Ihre Meinung! “
fuhr
und dann sagen Sie
Dem Prinzen ward über und über warm.
Er richtete seine Blicke von neuem aus das Ge mälde.
Der kleine Mann zupfte ihn ungeduldig
am Kleide:
der Prinz sah zu
ihm hinunter.
„Nicht wahr,“ sagte der Kleine, indem er sich
um einen Schuh größer machte;
.. Nicht wahr,
der Ritter sieht mir zum Bewundern gleich?
O, Sie sollen mich erst zu Pferde sehn!"
Nein,
dieser Streich war zu stark.
Der
Prinz schritt voll Unmuth über den kleinen Eigen
dünkel weg,
nahm seinen Mentor ungestüm bei
der Hand und zog ihn aus dem Saal.
Er gab
sick Mühe ihm die mancherlei Urtheile über da« schone Gemälde humoristisch zu erzählen;
aber es
geschah .mil solch einer.gezwungenen Miene,,
daß
sein scharfsichtiger Führer sehr bald aus den wahren
-
Grund
unk ker vollkommene Mnn.
557
Grund kam. Er nnzte diese Gelegenheit, um den Prinzen ein sehr praktisches Kollegium über die Elgenliebe zu lesen, und seine Bemerkungen grif fen diesmal tief v, als -je. Er machte eö ihnnun auch bemerkbar, was und wie viel Gründe die Prinzeßin Ruraru gehabt hätte, ihn nicht so zu schäzen, als er es zu verdienen geglaubt hatte. Diese Wendung gab seinen Lehren vollends die stigkeit, die sie haben mußten, wenn sie von innt an das Benehmen des Prinzen bestimmen unfr leiten sollen; und er brachte es nun bald dahin, daß der Prinz von sich selbst gerade so urtheilte, als von Andern. Somit war der Prinz auf dem Wege, sich den übrigen Menschen wieder zu nähern. Et mäßigte seine Stimme, weil sie ihm ungezogen schien, er tummelte sich nicht so wagehälsig auf firnen Rossen mehr, weil die wenigsten Menschen Geschmack daran finden konten, er gewohnte sich zu Schuhen, weil Stiefeln bei manchen @ekr genheiten gegen den Wohlstand waren, er fegtt die Fürsrenmine ab, weil es Andre von ihm ab schreckte, und er sprach nicht mehr beständig von sich, weil Andre auch von sich etwas zu sagen' hatten. Auf eben diese Weise schliff er auch sei-, neu innern Menschen ab, und seine Freude, sein Zorn, sein Entzücken und sein Verdruß zeigtet-' sich in minder gewaltsamen Gestalten. Sein wer> ser Mentor fettest ihn dabei so behutsam^ daß er N. Mus. Aug. 8-. N seinen
4- Das vollkommene Weib
2Z8
fctnen Arm kaum bemerke', und daß er, als
diese
Umbildung zu Stande war, sich selbst für den Ur heber derselben hielt, und
Selbstgefühl Wie er
ein
wohlabgewogenes
darauf bauete.
ehemals vor Ungeduld braute, sich
seiner Braut mtt seinen vermeinten Vollkommen
heiten zu zeigen, eben so braute er jezt vor Ver« langen, sich ihr in seiner neuen Gestalt geltend zu machen.
Sein Führer bemerkte dies und fügte
sich seiner Sehnsucht.
Sie kamen zur Prinzeßin
zurück. Die Hofleute würden ihn nicht gekaut ha ben, wenn seine Figur nicht die alre geblieben wä
re.
Man hätte gern in ihm seinen Bruder ge
sehen, wenn er einen Bruder gehabt hatte. Alles gerieth in Aufruhr über seine Veränderung , und
jeder eilte der erste zu sein, welcher der Prinzes sin Nachricht davon gäbe.
Man drängte sich
voll Bewunderung um ihn her, und sagte seinem
Mentor tausend schmeichelhafte Dinge.
men selbst
Die Da
ließen ihm jezt vollkomne Gerechtig
keit wicderfahren, iinb einige, die es versuchten, sich sein voriges
ungebildetes Wesen
zurück zu
rufen und darüber zu lachen, tonten vor Herzklopfen nicht dazu kommen.
Dre Prinzeßin bemerkte mit Vergnügen sek. nen gebildeter» Anstand, sein feineres Organ und
seinen natürlichen Verstand, der sich in tausend
naiven Wendungen äusserte.
Er sprach nicht mehr
rmd der vollkommene Mann.
259p
mehr ausschlieffendvon Pferden, sondern kam auf
die schulterten Empfi: düngen seines Herzens
Er
zeigte sich ihr als ein ehrfurchtsvoller, feinaestrm-
ter, feuriger Lübhaber, d^r jezt, da er ihren Au gen nicht mehr w'drig war, cs auch br-lb ihrem Seine Neiau q ent
Heizen nicht mehr blieb.
wickelte sich um sc schi eller,
da er auch an ihr
nicht mehr das üb«r^re, kränkelnde,
launische
Wesen, sondern eine fr-schere Farbe, eine festere Sprache, einen raschen Gana, ein nicht so zer
brechliches Herz und nicht soviel halb(Mpsundene Empfindungen bemerkte. In wenig Tagen schlif fen sie vollends aneinander ab, was sie bisher noch in Entfernung gehalten hatte. erschien jezt bei ihr in
an, mit ihm auszureiten;
Der Prinzund sie sing
Schuhen,
er ließ sich ihren Ge
schmack in der Kleidung, und sie sich seinm @e
Vermögen Einheit in das Mannigfaltige der Voi> ßelluncen zu bringen, oder wie man sich gemeiniglich ausdrückte, den Zusammenhang derWarheiten einzusihen; und so wie die Einfachheit das Wesen deS Subjettes ausmache, so mache der Verstand das We sen des Ercentnißvermögens aus, dem die Sinnlich keit nur zufällig, nur durch d'e Verbindung jenes ein.fachen Subjettes nut dem organischerKörper zu.äme. Zu bewen Fallen wurden zwei wesentlich ver schiedene Fragen verwechselt. Die Frage: worin besieht das Erkenrnißvermögen? mit der Fragen was ist das Subjekt des Erkentnißvermögens? (des Verstandes, der Sinnlichkeit?) Die erste Frage ist eigentlich logisch, und bctrist Geseze, die nicht die Natur des Dinges, welches ein Errcntuißv.rmogen hat, sondern die Natur des bloßen Erkentnißvermögens ausmachen; die Bedingungen, durcy wttche das Erkennen möglich ist, welche znsammengenommen das Ertenmißvermogen heissen, und in dem Erkentnißvermögen selbst gegeben sein müssen. Die zweite Frage hingegen ist eigentlich metaphysisch; sie betnft Geseze, welche die Natur eines wirtlichen Dinges ausmachen sollen, Bedin gungen , durch welche ein vom bloßen Erkentniß« vermögen verschiedener Gegenstand möglich sein soll, von dem es nur dann ausgemacht werden kau, vb und in wie ferne er erkenbar ist, wenn man vorher das bloße Erkentnrßvermögen untersucht, und die eigentlichen Grenzen desselben gesunden hat. < Durch
29^
tw Philosophie möglich? Durch eine Verwirrung der Begriffe,
deren
Möglichkeit vklleid)t unsrerr spätern Nachkommen schwer zu begreifen sein dürste,
hat man bisher
wesentlich verschiedene Gegenstände der Untersu
chung verwechselt,
daS vorstellbare Erkentntßver-
mogen nut dem nicht vorstellbaren Subjekte dessel
ben, Verstand (Vermögen tut* Einheit in den Vor stellungen) nut absoluter Einheit (Einfachheit) deS. vorstcllenden Subjektes; Sinnlichkeit (Vermögen des Mannigfaltigen in der Vorstellung) mit der
Zusammensezung (Ausdehnung) der Orgamsazion.
So würde dasjenige,
was an sich bloß logisches
Gesez des Erkennens ist, zur metaphysischen Eigen schaft der erkennenden Substanz, das logische Ge
sez der VerstandcShandlung,
zur
metaphysischen
Beschaffenheit des verständigen Subjektes;
das
logische Gesez der Sinnlichkeit zur metaphysischen
Beschaffenheit des unverständigen Subjektes, das mit dem verständigen verbunden wäre. dachte nicht,
Man be
daß die streitige Erkentniß dieser
problematischen Substanzen, der Zusammengesizten,
der Einfachen
und
von der Möglichkeit der.
Erkentniß überhaupt abhänge; daß ein Erkentmß-
vermögen vor jeder wirkliche^ Erkentniß da sein, und in demselben die Bedingungen, welche zusam men genommen die Möglichkeit des Erkennens aus-
machen,
darum
gegeben sein müssen, und daß sich eben
das Erkentnißvermogen nicht von,
als
wirklich erkenbar angenommenen, Dingen, (^e- . gen-
*92
2. Wie ist Reformazion
genstZnden des Erkentnißvermögens) sondern viel mehr die Erkenbarkeit der Dinge allein von dem Erkel't^ißw rmöqeu ableiren lasse. Man that gerade das Gegentheil von dem, was man hatte thun sollen; indem man die Natur der Sinnlichkeit und des Verstandes, von der Organisazion und der Seele ableitcte, da man vielmehr die beiden leztern, in wie fern sie erkenbar, Gegenstände des Erkentnlßvermöaens sein sotten, mit einem Worte ihre Erkenbarkeit, von dem Vermögen der Sinn lichkeit und des Verstandes hatte ableiten müssen. Indem man das Subjekt des Ertcnknißvermögens ( die Substanz der Seele) welches eben so wenig sich selbst zu erkennen, als das Auge sich selbst zu sihen vermag, kennen zu lernen bestrebt war, vernachlaßigte man eine Dekantschaft zu machen, die nickt nur an sich möglich, sondern auch, wenn unser Philosophiern kein Herumtappen unter Begriffen auf Gerathewehl, sondern ein sicherer, bestirnter Fortschritt des Geistes sein sott, nothwendig ist — nämlich die Betautschäft mit dem Erkentnißvermöaen. Je mehr man über denjenigen Therl desselben, der in dem logischen Vermögen des Verstandes und der Vernunft besteht, in der ganzen philosophischen Welt einig war, desto geneigter wurde man an zunehmen , daß man das Erkentnißvermögen überhaupt kenne, wenigstens daß man sich unter einander gar wohl verstünde, wenn vom Erkentniß-
der Philosophie möglich?
293
nkßvermogen die Rede war. Nichts aber war natürlicher, als daß man über die Begriffe des logischen Vermögens von Verstand und Vernunft früher, als über den Begris der Sinnlichkeit einig werden mußte. Da Verstand und Vernunft bei jeder Erkentniß, der sinnlichen siwol, als der übersinnlichen ihr logisches Geschäft verrichten müssen; so mußte jeder, der nur irgend einen Ge genstand als crkant, irgend ein Erkentniß über haupt, annahm, die Unentbehrlichkeit des Verstandes und der Vernunft einraumen; und dieses Einverständniß über diese Unentbehrlichkeit mußte zu einer allgemeinen gemeinschaftlichen Untersuchung der Funktionen führen, welche dem Verstände und der Vernunft berm Erkennen überhaupt zukämen. Da man aber die Sinnlichkeit eigentlich nur bei der sinnlichen Erkentniß beschäftigt glaubte, so mußten diejenigen Philosophen, welche übersinnliche Gegen stände zu erkennen meinten, und also ein übersinnli ches Erkennen zuließen, nothwendrgcrweise auf den Gedanken gerathen, daß die Sinnlichkeit zur Erkentniß überhaupt entbehrlich wäre, kein *) logisches Geschäft beim Erkennen habe; und
•) Logisch, im strengsten Sinne, heißt zwar nur was zum Lenken gehört. Ich nehme es hier in einem weitern Sinne für alles, was zu her in der Natur des Erkentnißvermögens bestirnten Art und Weise des Erkennens gehört, für redcä tzesez des ErkentnLßvermögens: im Gegensaze mit den Gesezen der Gegenstände des Erkentr rrißvermözens.
294
2. Wie ist Refiormaziott
und folglich keinen Thell des Erkentnißvermögentz ausmache. Andere hi^tgegen, (die Materialisten) welche bloß sinnliche Gegenstände nicht nur für einzig crkenbar, sondern sogar für einzig möglich (denkbar) hielten, mußten der Sinnlichkeit nichtnur Unentbehrlichkeit, zu jeder Erkentniß über haupt einräumen, sondern dieselbe sogar zur ober, sten Bedingung alles Denkens, und zum Krite rium aller Möstlchent erheben, sie zum ganzen» Erkentniß - und Vorstellungsvermögen machen, und ihr Verstand und Vernunft als bloße Modifikazionen unterordnen.
Indem nun die Sinnlichkeit auf diese Weise von der einen Partei ganz von dem Erkentnißvermögen ausgeschlossen, von der andern aber für das Erkentnißvermözen selbst angenommen wurde, hatten sich diese beiden Parteien selbst allen Weg zur Untersuchung der Snmlichkeit in ihrem Verhältnisse zumErkentnißvermögen unmöglich ge wacht, und es würde ohne die, gegen die Grundsaze von beiden gerichteten Einwürfe der dogma tischen Skeptiker wol nie zu dieser Untersuchung gekommen sein. *) Die bei ihrem Streit sich selbst *) Sogar Locke, welcher so viel vortrefliches von der Unentbehrlichkeit der Sinnlichkeit im menschlichen Erkentnnverm^en gesagt hat- und seinen Grundsgzen so we't getreu aevlieben ist, daß er das Oakein eines Geistes für indemonstrabel hielt, well ein Geist
der Philosophie möglich?
295
selbst überlassenen Spiritualisten und Materialisten würden sich von dem Wege zu derselben immer mehr und mehr entfernt haben, je länger ihr Streit noch gedauert hätte. Wirklich haben es die Elstrer auf beiden Seiten nicht dabei bewenden las sen, daß sie der Sinnlichkeit beim Erkennen nlchtS oder — oder alles einräumten: sondern die einen gaben die Sinnlichkeit mit P lato für ein leidiges Hinderniß der Erkentniß, eine nothwendige Quelle des Irthums, eine bloße Einschränkung des Verstellungsvermögens aus; die andern aber erklärten mit Epi kur jede Vorstellung nur in so ferne für wahr, als sie von dem sinnlichen Eindrücke be stätiget würde, und sahen den reinen Verstand für ein Unding, und die ihm eigenthümlichen Nozionen für Blendwerke des Schulwizes an. 4. WaS Geist kein Gegenstand der Sinnlichkeit wäre. (Our -ferdes not being able to discover them, we waut the mcans ofKnowing their pai trcular exiftences. We can no more Know that there are finite fpirits really existing by the Idea we kave of suc|i bemgs in our nunds, than by the ldeas any one has of fairies or centaurs, we can come to Know that tlimgs anlwering thofe ldeas do really exist. Essay concerning human Understan-
ding V.II. C.XL 12.) Locke sogar ist keines wegs aber den eigentlichen Antheil der Sinnlichkeit am Er^entnMermögen, ja! nicht einmal über die Unentbehrlichkeit derselben znm Erkennen überhaupt mit sich selbst einig geworden, wie sich in der Folge deutlich zeigen wird, und zum Theil schon daraus erhellen würde, daß er das Dasein Gottes für evkenoar angab.
2. Wie istRcformazion
2y6
4. Was ist unter Erkentnißvermögen zu verstehen? Daß man über die Antwort auf diese Frage
nicht einig ist,
erhellt schon aus der von mir be
leuchteten ungeheuren Verschiedenheit der Bedeu-
tunaen, die man bisher mit den Werten Vernunft und Smnkrchkeir zu verbinden a-wohnt war. Kaum diejenigen,
welche Sinnlichkeit und Vernunft in
ihrem Degrif des Erkentnißvermogens aufzuneh men schienen, und das Erkentnißvermogen, in das
Sinnliche oder Untere, und in das Vernünftigere oder Obere eintheilten, fanden es für nöthig, sich selbst zu fragen,
oder zu erklären:
Erkennen verstünden?
was sie unter
Ich habe weder von dem
unsterblichen L e i b n i h, noch von seinen würdigen
Anhängern Wolf,
Bilfinger,
Baum
garten eine bestimte Erörterung hierüber auffin
den können.
Der leztere begint seine Metaphysik
mit folgender Definizion: „Die Metaphysik ist die Wissenschaft der ersten Erkentnißgründe der menschli chen Erkentniß “ ohne sich in dem ganzen Werke, in welchem er sonst mit Erklärungen so freigebig' ist,
nicht einmal in denjenigen Theilen desselben,
er
wo
vom Erkentnißvermogen ausdrücklich handelt,
auch nur ein Wörtchen darüber entfallen zu lassen, was er unter diesem Vermögen gedacht wissen wolle. Gleichwol dürste es aussrst schwer, ich wage es zu sagen, unmöglich fein, dasselbe durch Vergleichung
.feiner einzelnen Aeusserungen, und aus dem Zusam men.
tep Philosophie möglich?
=97
menhany des Ganzen heranszubringen.
Wo er
sich;- B. über den Unterschied zwischen sinnlicher und verständiger Erkentniß erklärt,
den er in der
bloßen Undeutlichkeit der einen und Deutlichkeit der andern, oder, wie er sich selbst ausdrückt, in
einem großer» und kleinern Grade der Erlentniß
findet, spricht er tu der Erörterung bloß von Vor
stellung,
die er mit der Erkentniß verwechselt»
Gleichwol mußte Baumgarten einen Unterschied
zwischen Erkentniß und Vorstellung angenommen habet!.
Aber welchen?
Locke hielt es keineswegs uberflüßig anzuge ben,
was er unter Erkentniß verstünde.
„Er
kentniß" sagt er „scheint mir nichts anderes zu
sein,
als die Wahrnehmung des Zusammenhangs
und der Uebereinstimmung, oder der Richtübereinstimmung und des Widerstreits zwischen einigen (in der Ausschrift am Rande heißt es zweien) unserer
Vorstellungen." *)
Allein man darf sich nicht
wundern, daß dieser Begrif der Erkentniß in der philosophischen Welt keinen Emgang gefunden hat,
da er äusserst Mangelhaft und unbestimt ist,
Mld
mit den Bedingungen, dir Locke selbst zur Erkent
niß als unentbehrlich festsezt,
durchaus nicht zu-
sammenstimt»
„ Unsre ♦) Knowledge fbems to me to be nothing but the perception of the connexion and agnement, of disagneement'and repugnance ofany of our ldeas,
V, 1L V, I V. Ch. L Of Knowledge in General»
-98
L. Wie ist Reformaziov
„ Unsre Erkentniß," sagt der fd)orfftftntgt Denker*) „ist nur in so ferne reel, als zwischen Unsren Vorstellungen und der Realität der Dinge (den Gegenständen) Uebereinstimmuno statt findet.tt Diese Übereinstimmung ist doch wcl bei jeder Erkentniß wesentlich, und eine Ercentnrß, &ie nicht in diesem Sinne reel wäre, würde eben so viel sein als eine Vorstellung, die nichts vorstellt. Gleichwol ist gerade drese wesentliche Bedingung durch welche Ertenrniß zur Erkenlniß wird, in der Lock'scheu Erklärung ganz übergangen. Sie spricht bloß von Uebcremstimmung zwischen Vorstellungen; gber dle Vorstellungen sind doch von ihre»! Gegen stalden wesentlich unterschieden. Lecke erklärt sich auch in der Folge selbst, daß er bei den Vorstellun gen, die er>die einfachen nennt, diese Ueberein stimmung mit dem was nicht Vorstellung ist, vorausseze. Diese Voraussezung ist aber gerade dasjenige, worüber bei der Erklärung der Erketttniß die Frage war, da ohne das Bewußtsem, daß einer Vorstellung ein Gegenstand (etwas, das nicht bloße Vorstellung ist, entspreche) eine Erkentniß unmöglich reel, das heißt, keine Erkeutniß sein würde. Auch wird in der Lockischen Erklärung, die Erkentntß zur bloßen Vorstellung der logischen Funktionen des Urtheils und der Vernunstschlüsse gemacht, *) Ch. IV. Of the reality of human Knowledge.
ter Philosophie möglich?
299
gewacht, und folglich das ErkentnißvermLgen mit demjenigen, was sonst Verstand und Vernunft heißt, verwechselt, Wirtlich war Locke durch diese Verwechslung genochiget in der Folge von der Vernunft eine bloße Beschreibung, zu geben, in welcher die eigentliche Funktion der Vernunft beim Ertennen überhaupt, von dem methodischen Ver fahren derselben, bei der diskursiven Ertentniß und wissenschaftlicher Demvnstrazion, bal dunterschlcden, bald damit verwechselt wird. Auch ist es m der vorrrcflichen Erörterung über den Misbrauch des Syllogismus, in welche er sich bei dieser Gelegen heit einlaßt, sichtbar genug, daß er die äussere sylloqistische Form, mit welcher der Schulwiz da mals noch in den sechszehn Schlußformaln sein Spiel trieb, nicht ganz von der innern Form des Bernunftschlusses selbst, der eigenthümlichen Hand lungsweise der Vernunft, unterschieden habe, die er nm so leichter verkennen mußte, nachdem er das 'Bewußtsein des Zusammenhangs mehrerer,Vorstel lungen, welches nur durch jene Handlungsweise der Vernunft möglich ist, schon in seinen Degrif von Erkentmß ausgenommen hatte, und folglich, da er nachmals von der Vernunft insbesondere zu sprechen hatte, den Vernunftschluß unmöglich als das allgemeine und eigenthümliche Geschäft, das die Vernunft beim Ertennen überhaupt habe, an nehmen tonte. Er erklärte daher die Vernunft für die Fähigkeit, welche die Mittel, Gewißheit und
3op
2. Wie ist Reformazio«
und Warscheinlichkeit zu entdecken ausfindig machtund richtig anwendet. *)
Umsonst habe ich bei so manchem Anhänger deS unsterblichen Locke, umsonst bei dem scharfsinnigen
(Ehcittfvv Pattner, umsonst bet Logikern von Profession, z.B. dem verdienstvollen ReimaruS nach einer ausdrücklichen Erklärung der Erkentniß
gesucht.
in
Ich fand wol bei einer aufmerksamen,
dieser Absicht vorgenommenen
Lektüre,
Wort Erkentniß bald für Ueberzeugung,
daS
bald für
Gewißheit, bald für Wissenschaft u s. w. gebraucht,
fand, daß der Degrif, den sie bei andern Gelegen heiten damit verbanden,
bald auf Bewußtsein
der Nothwendigkeit eines Urtheils,
bald auf ge»
dachte Nothwendigkeit einer Vorstellung, bald auf
Beziehung der Vorstellung auf einen Gegenstand hinwies;
aber ich fand auch,
daß der Gebrauch,
den sie sowol von dem Worte, als jenen Begriffen
wachten, wenn von Erkentniß der Warheit, von
Erkentniß einer Vorstellung, von Erkentniß eines Dinges, das nicht Vorstellung sein solte, die Redtz
war, nie mit sich selbst zusammenstimte, sich will, kürlich veränderte,
mit einem Worte,
daß die
vorzüglichsten mir bekamen philosophischen Schrift steller über die Bedeutung des Wortes Erkentniß weder untereinander, noch mit sich selbst einig sind.
ES
») The faculfcy which finds out the meins and rightly applies them to dlScover certainty, and
probability, is that which we cail reason»
der Philosophie möglich? Es ist sich
über
schlechterdingS
301
unmöglich,
den
te;
der zweite Umstand hingegen kan einem Deut
schen eben sowol eine parteiische Vorliebe für, als
eine parteiische Abneigung gegen den König ein
flößen, je nachdem nämlich der Deutsche entweder zu der Klasse gehört, Theil nahm,
durch seine
die an Friedrichs Ruhm
oder zu der, die Friedrich selbst ungerechten Urtheile in Verachtung
bringen half. Den deutschen Kriegsmann freut der Gedanke, daß es Deutsche waren,
Lorbeeren erfochten;
die Friedrichs
der deutsche Gelehrte,
um
gegen Friedrichs litterarische Verdienste gerecht zu
sein, muß erst eine gewisse Empfindlichkeit able« gen,
Ueber den litter. KarakterFriedrich II.
ziö
Ken, zn der Friedrichs zu weit getriebne Vorlieb« für die französische Litteratur gegründeten Anlaß
giebt.
Ich will i.) mit einigen allgemeinen Anmer«
kungen über des Königs Genie und Schriften an fangen.
-.) Ich will einige seiner Werke nach ih
ren Klaffen, die pvi tischen,
die historischen und
die übrigen, einzeln durchgehn, und einige mir nüzlich oder unterhaltend scheinende Anmerkungen
machen.
;.)
Ich will ihn mit denjenigen
Schriftstellern vergleichen,
wöhnlich annimr,
daß sie,
von denen man ge
theils in Ansehung
ihrer äusserlichen Glüksumstände und Situazio-
nen,
theils in Ansehung ihres persönlichen Ka«
rakterS und Genies, einige nähere oder entfernter« Aehnlichkeit mit ihm hatten.
i. Vier Gegenständen sind die meisten von Friedrichs Schriften gewidmet, und die Art, wie
er sie bald in Versen, bald in Prosa behandelt, beweist, daß sie die Lieblingsgeqenstände waren,
womit sein Geist nie,
wasd. weit sie
Moral,
sich zu beschäftigen, müde
spekulative Philosophie,
in so
mit der Moral in Verbindung steht,
Kriegskunst
und Geschichte
sind der Inhalt so«
wol der! meisten seiner vielen und großen Gebich. te, als seiner meisten prosaischen Schriften; die Geschichte ist der Hauptinhalt der leztern.
Keine«
vrrd über einige seiner Werke.
31t
Keinen andern Gegenstand, selbst die Politik
nicht, von der er doch oft reden mußte, hat er mit der Vorliebe, und was vielleicht eine Folge davon ist, so glüklich behandelt. Die Moral der Könige,
der Staatsmänner
und der Dichter war unglüklicherwesse von jeher
Ich sage: nnglütlicherweise.
verdächtig.
Denn da die Welt es nie für Ernst hielt, daß diese drei Klaffen von Moralisten wirtlich Nuzen stiften Welten,
teu Moral,
da man immer glaubte, sia hat-
entweder nur als eine Maske ge
braucht, oder als ein Spielwerk, so hat man auch
die guten Bemerkungen, die man dcch in ihren Erfahrungen und Beobachtungen
warten tonte,
von ihnen er nie gehörig nuzen wollen. Als
die Schriften Friedrichs
zuerst betaut
wurden,
tonte die Welt, die ihn nur noch für einen blos
sen Eroberer hielt, sich nicht überreden,
das; es
mehr als Moral seines Kopfes, daß es auch Mo ral seines Herzens wäre.
Einige wolten so gar
sein Morailistren für einen machiavellischen Kunstgrif halten; die andern glaubten, er sei Moralist
bloß zum Behuf der Poesie,
Gattungen giebt
in der es gewisse
die moralischen Inhalt liebem
Allein sehr irrten sich die, die so klein vom Könige
dachten.
Und
alle
die irren,
nicht für die erste und
die die Moral
unentbehrlichste Wissen
schaft eines jeden und insbesondre
dessen halten,
der ein großer Mann in einer thätigen Sphäre fern
Ztr z. Ueber den kitter. Karakter Friedrich IT. sein will.
Wodurch wurde Friedrich als Held und
König groß?
wodurch wurden es alte große
Männer des Alterthums? wer gesteht nicht, daß sie es durch ihren Karakter wurden? wenigstens
wehr noch durch ihren Karakter,
als durch ihr
Genie? Gebt einem Menschen das größte Genie
von der Welt, aber einen schwachen, oder unge,
fegten,
einen leichtsinnigen oder verkehrten Ka
rakter, und er wird nie ein großer Mann sein könNeu.
Gebt ihm aber einen edeln, erhabnen, und
nachdem es die Umstände erfodern,
biegsamen Karakter,
festen oder
und gebt ihm dabei nur ein
etwas über das Mittelmäßige erhabene Genie, er
wird, wenn anders die Umstande, worin er lebt, ihm Gelegenheit zur Entwickelung seines Karak-
terS geben, der größte Mann wenigstens auf dem Theater sein,
wo er
Demosthenes,
seine Rolle spielen
Cicero
muß.
waren die größten
Genies — aber nicht die größten Männer ihrer
Zeiten — Cato und Cäsar waren gewiß grös
sere Manner als Cicero. rin Mann von Genie,
großen
Mann nennen?
AlcibiadeS war
aber wer kan ihn einen
Lord Sh afteöbury
(der Vater des philosophischen Schriftstellers) und Lord Wh ar ton
waren
gewiß Manner
vom
glüclichsten Genie, aber durch ihren leichtsinnigen, ungesezten Karakter haben sie beide verdient, daß die
Geschichte eher mit Verachtung, als mit Bewunde
rung, von ihnen reden muß.
Wodurch hingegen
hat
rurd Aber einige feiner Werke.
hat fast ihn
e6 -er jezige Staatsminister
m
3 England,
noch in Jünglingsjahren, dahin gebracht, daß die ehrwürdigste Versamlung, die man sich den
ken kan, daß ihn daö Oberhaus und Unterhaus, das
ist,
eine Versamlung von sechs bis sieben hundert der angesehnsten, aufgeklärtesten und Unterrich tetesten Manner einer der kuluvirtesten Nazionen
den größten Männern der Vorzeit an die Seite
ftzte? wodurch, sage ich, hat Pitt sich dieftn Vor zug erworben?
durch seinen Karakter»
Rival,
mag glücklichere Talente besizen;
Fox,
aber er hat einen fehlerhaften Karakter. Karakter ist ohne Zweifel nicht fehlerfrei.
er hat die guten Eigenschaften,
Sen;
Pttts Aber
die einer großen
Nazion das Vertrauen einflößen, daß ihre Angele
genheiten von ihm nicht bloß mit Klugheit, sondern
auch mit Redlichkeit und anhaltendem Fleiß und Eifer verwaltet werden»
Alle Welt gesteht jezt,
Friedrich war noch
größer durch seinen Karakter als durch fein Genie-
Und diesen seinen Karakter, ob er gleich die Anlage
dazu der Natur verdankte,
hat er selbst durch
Nachdenken und durch Uebungen zur Vollkommen
heit ausgebildet.
Dieses nun ist eigentlich das
Geschäft der wahren Moral,
feinerer; Moral,
werden.
oder wenigstens der
die so sehr verdient kultivirt zu
Schriftsteller von Ansehen tragen kein
Bedenken von der Moral in verächtlichem Tone zu redem
Die alten Geschichtschreiber aber waren
auch
3i4 Z Ueber den litter. Karakter Friedrich II, auch dadurch groß in ihrer Kunst, daß sie die
Moral in dargestellten Handlungen lehrten. nige Neuere haben der Geschichtschreiber,
Ei
die das
Moralische in der Geschichte für etwas wichtiges hielten, gespottet.
Diese Spötter kanten wol keine
andere, als die Katechismusmoral, oder die zehen Gebote und was zu deren Auslegung gewöhnlich von Predigern und Schulmeistern gesagt wird.
Höchstens wogte» sie ein Kollegium über eine so genante philosophische Moral gehört haben.
Aber
alles dieses ist so wenig die edlere, erhabnere Moral,
von der ich rede, als die Zeichenkunst, worin heut
yt Tage jedes Dürgermadchen in mäßigen Städten
unterrichtet wird,
die Zeichenkunst ansmacht, in
der mit ein Raphael, ein Mengs und andere,
die ihnen zur Seite stehen, Meister waren.
Es
giebt eine höhere Moral, die sich zur Schulmoral verhält,
wie die Baukunst eines P a l l a d i o zur
Dauknnst der Zimmerleute, wie man sie in jedem Dorfe findet. Diese höhere Moral erkläre ich so: Sie ist die Kunst oder die praktische Wissenschaft eines Men, schen,
seinem Karakter die möglich vollkommenste
Ausbildung zu geben.
Wer wird leugnen,
daß
dazu eine Menge Kentnksse, Kentniß der mensch.
lichen Natur überhaupt, Kentniß der Welt, Kent niß der tausendfachen Gegenstände,
Mensch
womit der
sich nüzlich oder angenehm beschäftigen,
Kentniß aller möglichen Lagen, worein der Mensch gera.
und über einige feiner Werke. gerathen kan;
315
wer wird leugnen, daß dazu viele
beschwerliche und anhaltende Uebungen zur Erwer bung der nöthigen Fertigkeiten,
daß dazu ein
langes und angestrengtes Studium erfvdert werde?
Diefts anhaltende und von Einsicht begleitete Stre ben , seinen eigenen Karakter auszubilden, ist es,
was die Alten Virtus, Tugend, nanren.
von dieser Tugend sagten sie mit Recht,
Und
daß sie
nur durch Uebung (meditando, exercendo) er
worben würde. sihaft ist,
Wenn nun die Moral die Wissen«
die die Regeln dieser Ausbildung des
Karakters lehrt, so sieht man wol, daß es für den,
der ein großer Mann werden will, keine wichtigere
Wissenschaft giebt,
als die Moral,
wie für den,
der als Maler einen Plaz neben Raphael zn
erlangen wünscht, das Zeichnen die erste der Künste sein muß. Diese höhere Moral wird aber nicht in Sistemen studiert.
In jeder praktischen Wissenschaft
macht man freilich mit einem Sistem den Anfang.
Aber wer mit dem Sistem die ganze Wissenschaft
glaubt gefaßt zu haben, der ist nicht gemacht, groß in ihr zu werden.
Wer in einer Kunst oder Prak
tiken Wissenschaft groß werden will,
aufhören alles,
muß nie
was ihm vorkomt und auf seine
Wissenschaft oder Kunst Bezug hat, zn beobachten, seine Beobachtunaen mit den Beobachtungen anderer zu vergleichen, Regeln daraus herzuleiten, die von
andern ans ihren Beobachtungen gefolgerten Re.
geln
$16 z. Ueber den littet. Karakter Friedrich II. flcltt sich bcfant zu Machen,
sie'zu prüfen,
berichtigen- und zu vervollkomnen,
eigene Erfahrung und
zü
so wie seine
eigenes Nachdenken
sein
ihm dazu Anleitung geben.
Er muss den Schaz
seiner gesammelten Erfahrungen,
Beobachtungen
Und Regeln täglich vermehren,
berichtigen und
ordnen. Bücher, worin Moral gerade zu gelehrt, ge predigt,
oder sistematisch vorgetragen wird,
zu diesem Zweck nickt die dienlichsten. zwei Klassen von Schuften,
sind
Es giebt
die zur Ausbildung
unsers Karakters von grossem praktischen Nuzen
Pud, wenn wir sie reckt zu benuzen wissen.
Erstlich
Schriften, worin Erfahrungen dargestellt werden,
in welchen man moralische Warheiten anschaulich erkennt.
.Dergleichen sind
der bohern Art, Livius,
das ist,
historische Schriften
die den Werken eine-
Tacitus oder Hume an Darstel-
dmgskrast gleich kommen.
Dahin können auch
gewisse Dichtungen, die das menschliche Leben der
Natur gemäß darstellen, gerechnet werden.
tens Schriften, und Regeln,
Zwei
worin moralische Bemerkungen
deren Warheit und Wichtigkeit nur
der feinste Beobachtungsgeist entdecken kente, durch
die Kunst des Ausdrucks so vorgetragen werden, daß die Einbildungskraft sie anschaulich zu erkennen
glaubt, daß das Herz sie fühlt, daß sie ins Innere der Seele eindringen und sich nie wieder verlieren.
Diese Kraft, Geist und Herz nut moralischen War. heiten
im- über einige feiner Werke,
zi?
feiten zu beleben, ist der große Vorzug wahrer Beredsamkeit und wahrer Poesie, und durch diese Eigenschaft fönten beide den größten Männern aller Zeiten, fönten sie auch Friedrich II. so wichtig werden. Auf einen Jüngling, der zum großen, thätigen Leben bestimt ist, der dazu Anlagen besizt, und der sich ernstlich dazu vorbereitet, muß der VerS, womit Lucan Cäsars Karakter schildert: Nil afttim reputans, si quid super esset agendtim
(Nichts fei, glaubt er, gethan, wenn etwas noch übrig zu thün war) Unfehlbar lebhafte Eindrücke machen, und kan ihn» schon das Fortfahren, das Nichtaufschieben, das Nichtstillestehen als unentbehrlich zu einem großen Karakter erkennen lassen. Diese Ausbildung des KaraktetS ist dem zum thätigen Leben bestirnten Mann unentbehrlich'. Der bloße Gelehrte braucht sie nicht; denn dieses gründet seinen Ruhm nicht auf seine Handlungen, sonder» auf seine Schriften. Der Ruhm des Gelehr ten witd bloß durch Genie erworben; der Ruhm des Staatsmanns, des Helden, des Politikers, des Re genten, mehr durch Karakter als durch Genie. Die schlechte That des Gelehrten, seine Schwachheiten, feine Laster selbst werden vergessen, oder die Nach. Welt erinnert sich ihrer nur beiläufig; sie beurtheilt den, der seinen Namen bloß durch die Werke sei nes Genies verewigen weite, auch nur nach diesen Werken; was geht si« an, wer er war? wie er N. Mus, Seht, ii, V lebte?
;rg z. Ueber den litter.Karakter Friedrich II. lebte? was er that?
Genug sie hat seine Werke,
nach deren Treflichkeit beurtheilt sie bas Maaß und Daher kamt es,
-ie Verhältnisse seiner Talente.
-aß so viel Männer von großem Genie die Ausbil.
düng ihres Karakrcrs ganz vernachlaßigten,
weil
Ihre herrschende Leidenschaft ganz darauf gerichtet war,
ihrem Genie,
durch das sie noch bei der
spätesten Nachwelt Bewunderung erregen wollen,
die vollkommenste Ausbildung zu geben. Das war
der Fall einiger Zeitgenossen Friedrich des II., die
litterarisch groß und bewundernswürdig, moralisch
wenigsten« schwächend nicht sehr achtungswürdig
waren.
Friedrich hingegen,
der auch in der
Sphäre großer Thätigkeit, wozu er berufen war, sich zur Vollkommenheit, die Menschen möglich ist/ erheben wolte, wandte noch mehr Stuhinm
auf die Ausbildung seines Karaktrrs, feines Geiste«.
als auf die
Immerhin mag man nun sagen,
Ruhmliebe sei die Quelle seiner Moral gewesen;
er selbst gesteht,
sie war e«:
schon als Jüngling
rrkante er, wie unzertrenlich wahreRuhmliebe und
Tugendliebe sind.
Und sehr schön hat er dieses m
einer seiner jugendlichen Oden ausgedrückt: Lugend führet zum Ruhme, aber zur Tugend selbst Ist die Führerin Ruhmbegier. *)
Es hat mir immer leid gethan, baß Gellert
die Ruhmliebe so herabwürdigen und sie mit dem Schlamm,
Les vertus menent ä la gloire Et la gloire mene anx vertus
. tfinb ü6g: einige seiner Werke.,
3x9
Schlamm, wie er sich ausdrückt, vergleichen konte,
aus dem fruchtbare Saaten sich erheben, oder mit dem faulen Staube, der wohlriechenden Blumen
ihren Nahrungssaft giebt.
verdiene
Es sei so: Ruhmgier
diese Vergleichung;
so tjl es von der
Natur in der moralischen/ wie in der physikalischen Welt, so geordnet, daß dort nährendes Korn und liebliche Blumen aus Schlamm und Staub, hier
Tugenden
und Vollkommenheiten des Karakters
aus Ruhmsucht entspringen.
Spekulative Philosophie hatte für die größten
Männer des Alterthums, die sich in der thätigsten Sphäre als
Staatsmänner und als Feldherren
auszeichneten, einen Reiz, der Vielen heut zu Tage unbegreiflich scheinen muß,
da heut zu Tage nur
auf Universitäten Verehrer dieser Wissenschaft ge funden werden.
Moral Ernst ist,
Jedem aber,
dein cs um seine
mut; die spekulative Philosophie
interessant sein.
Denn sie nur kan entscheiden,
ob die Moral,
ausser der eigenen Glückseligkeit
eines jeden und der Glückseligkeit der Gesellschaft in der man lebt, sich noch andere Zwecke sezen soll,
und ob die Motiven und M-ttel zur Glückseligkeit
noch anderswo, als in der Natur des menschlichen Herzens und in der Natur der Dinge dieser Welt-
zu suchen sind.
ist sichtbar,
Aus den Schriften des Königs
daß dieser Theil der Philosophie auch
nur in so weit ihn beschäftigte, V r
als er dadurch
Licht
ZLo z. Uebet ien litt». ÄarakkerFrkdrich H. Licht bekam, das Sistem seiner Moral auf einem
zuverlässigen ©timbe zu errichten. Daß ein großer Theil bet Schriften des Königs Hauptsächlich Geschichte und Kriegskunst zum In
halt hkt, wird Niemand befremden; vielmehr wird jederman von einem Könige und einem Feldherrn
und schwerlich eines
am ersten Schriften dieses, andern Inhalts, erwarten.
Mit Politik hat sich Friedrich als Schriftsteller Xmb als König nur in so weit abgegeben,
ein unentbehrliches,
als sie
nothwendiges Glied in der
Kette der Beschäftigungen und Arbeiten war, denen
er 'sich ans Neigung widmete.
fernt sie zu vernachlaßigen,
Weit indessen ent
sieht man in der Are,
wie er sie behandelte, seinen großen Verstand, seine außerordentlichen Geschicklichkeiten,
nicht minder
als in seinen ihm geliebteren Thaten und Schrif
ten.
Aber es ist auch zu sichtbar,
daß er in der
Politik nie con amore arbeitete, daß er nie con nmore davon schrieb. Sowol in der Poesie als in der Ptose wählte
sich Friedrich diejenigen Gattungen, die vorzüglich
zum Vortrage dieser vier Gegenstände geschickt sind;
in der Poesie die Ode, die Epistel und das
Lehrgedicht; in der Prose historische Darstellungen, Abhandlungen uir Briefe.
In allen tiefen,
so-
wol poetischer^ als prosaischen Werken, bemerkt der Leser,
der (inen geübten Sinn mirbringt,
bald eine
und ^her einige feiner W^rke,
321
eitle gewisse Aehnlichkeit in der Art zu denken, zu schließen, die Schlüsse zu ordnen, und die Gedanken einzukleiden. Bei allen diesen seinen Arbeiten führte eine strenge sowol als starke Vernunft den Dorsiz. Eine lebhafte, aber sanfte, eine reiche, aber nie ausgelassene, eine lieblich blühende, tue stürmisch feurige Einbildungskraft ist sodann die Eigenschaft seines Geistes, die sich am meisten auszeichnct, die aber immer der Vernunft unterge ordnet bleibt. Ein schneller und scharfer Wiz blizt in den frühern Werken des Königs, der Aufsicht der Vernunft ohngeachtet, manchmal zur Unzeit hervor. Aber in den spätern Werken zeigt er ßch nur sparsam und sehr gemäßigt. Die Gabe zir rühren vermißt man zwar in seinen Werken nicht. Vielmehr gehen alle seine Vorstellungen ans Herz, aber sie erschüttern es nicht, sie theilen ihm nur die sanften Empfindungen der Freundschaft, der Men schenliebe, der Heiterkeit, der Geistesglückseligkcit mit, die dem Könige so manche seiner Verse eing§geben haben. Endlich müssen wir noch bemerken, daß ein vorzüglich glückliches Gedächtniß mit ZN Friedrichs Talentengehorte, ein Gedächtniß, daß alles behielt, leicht behielt und das bei jeder Ge legenheit schnell und treu sich alles dessen erinnerte, was es jemals aufgesammelt hatte. In seinem Stile glaube ich eine gewisse Weich heit zu bemerken, wenn es mir erlaubt ist, mit diesem Ausdruck diejenige Eigenschaft zu bezeichnen, die
322 z. Ueber den litttr.KaraktevFriedrich IL
die die Franzosen la tholefle da ftile nennen. Sie scheint mir in der Vermeidung alles dessen zu bestehen, was dem Ohre nur im geringsten an stößig, dem Verstände nicht gleich im ersten Augen blick faßlich, und der Einbildungskraft zu neu und ungewöhnlich sein würde, und bet alle dem müssen es oft neue und tiefgedachte Sachen sein, weil man eine Schrift nicht gern, nicht lange liest, in der man-nicht viel neues und-vieles, was uns be wegt weiter nachzudenken, antrift. Ein Stil dieser Art führt vor der Seele eine Reihe von Gemälden auf, die nie unerwartete, heftige, son dern immer sanfte, gefallende Eindrücke machen. Er giebt dem Verstände immer zu denken, aber giebt thm nie durch geheimnißvotle Wendungen oder Allusionen Räthsel auf. Er schmeichelt dem Ohre durch eine lieblich fließende Folge der einzelnen Worte sowol als der Perioden. Cäsars Styl ist bloß, wenn ich so sagen darf, Werk seines Verstandes. Mau steht es jedem Worte, man steht es jeder Periode an, daß der Verstand wählte, und sie in die Stellung, worin ste stehn, ordnete. Weder dem Ohr noch der Einbildungskraft schmeichelt Casar; Friedrich schmeichelt beiden nicht wenig.
Wenn noch in spaten Jahrhunderten einst ein forschender Leser die Werke Friedrichs in der Ab sicht vornehmen solte, in ihnen die Züge zu sammeln, die
. und Über einige seiner Werke.
321
die das Aarakteristische in dem Gemälde seines Gei stes und Herzens ausmachen, so glaube ich, würde
er beim Schluß seiner Lektüre dieses Resultat be kommen: Friedrich, von der Natur mit den fem-
sten Organen des Gehörs und- der Einbildungskraft
begabt,
brante von Jugend an vom Feuer der
Ruhmgier, und sie erlosch nicht eher bei ihm, als
mit seinem Leben.
Eine Vernunft von seltner
Stärke mäßigte dieses Feuer, angemessenste Nahrung an.
und wies ihm die Seine Vernunft er-
feinte, daß, für einen König, jede Art von Ruhm
dein Ruhm ist, wenn er den Ruhm, ein guter und weiser König gewesen zu sein,
aus der Acht läßt.
Don diesem Ruhme unzertrenlich begleitet, wünschte er
auf
zwei Bahnen,
wo von allen Arten
des Ruhms der glänzendste erworben wird,
der
Bahn
der
Feldherren
steller , < zu erscheinen.
und
der
Aber nie vergaß er um
des Feldherrn willen seine Königspflichten,
Schriftsteller war er nie eher,
und der Feldherr ihm
auf
Schrift
und
als bis der König
Zeit dazu
ließen.
Als
Schriftsteller sah er bei der Wahl seiner Gegen stände immer darauf zurück, daß sie seines erhabenen
Standes nicht unwürdig sein selten.
Da ihm bei
dem großen Vorrath seiner gesammelten Kentnisse,
bei der Fertigkeit feines Gedächtnisses und bei der Fruchtbarkeit seiner Einbildungskraft, die Gedanken eher zuströmten, als daß er sie hätte suchen dürfen,
und da cs (hm durch eben diese Eigenschaften leichv
wurde^
3M Z. Ueber pey littex.Kapftkter FkftdHch ll. wurde, sie mit einet Menge Vergleichungen und Bil der zu erläutern und auszufchmücken, so verschmäht
er den Fleiß derer,
die ihren Abgang an Reich
thum durch eine desto sorgfältigere Bearbeitung
auch der kleinsten Theile ihrer Werke zu ersezen
suchen.
Friedrich begnügte sich seinen Schriften
die Schönheiten zu geben, die mehr Früchte einer glücklichen Genies,
scheinen. korrekt,
als mühsamen Fleißes zu sei«
Zn der That,
wenn Friedrich so
wie ein Boileau,
oder Hagedorn
unter uns Deutschen geschrieben hätte, würde nicht
ein gewisses dunkles Gefühl der kleinlichen Sorg falt , die zu einer solchen Korrektheit erfoderlich ist, den Leser seiner Schriften haben urtheilen lassen,
daß F r i e d r i ch wol ein guter König, aber schwer lich ein großer König,
am wenigsten ein großer
Feldherr habe sein können. 2. Man tönte die Werke des Königs in Rück
sicht auf die in ihnen vorzüglich hcrschenden Gei steskräfte chronologisch in vier Klassen eintheilen,
i.) Jugendliche Werke, worin er aus Be gierde
zu gefallen
Modegeschmak,
mots sehr liebte,
dem damaligen
der satirischen Wiz
französischen
und
Bon
ein wenig viel Opfer brachte,
r.) Werke des männlichen Alters vor dem sie
benjährigen Kriege.
Einbildungskraft und
Gefühl zeigen sich da ln ihrer ganzen Stärke. Jene ist oft noch men,
verschwenderisch
mit
ihren
Blu
Die Gefühle find sichtbar die eines mit
sich
und über einige seiner Werke.
325
sich selbst und mit dem ihm vom Glus znqeworf-
3.) Werke
nen Loose znftiedr.cn Monarchen.
während des siebenjährigen
Kriegs.
Seine
Widerwärtigkeiten überziehen manchmal seine Ein»
bildiingskraft sowol als sein Gefühl mit ziemlich biu stern Gewölke; aber die natürliche Heiterkeit von
beiden bricht doch immer wieder durch das Gefühl, fängt an etwas zurMisantropie gestirnt zu weide«.
4.) Werke
nach
dem
siebenjährigen
Kriege,
Man vermißt in "ihnen die so überflicßende Ein bildungskraft der vorigen Zeiten.
Ohne Zweifel
hatte sie wahrend des grausamen Krieges zu viel traurige Buder gelamlet, bei denen Friedrich nicht
gern verweilte, weil er das Unangenehme in der
Erinnerung eben so sehr als in der gegenwärtigen Empfindung so schnell wie möglich zu entfernen suchte.
Er vexräth in diesen lezten Werken nicht
sowol ein sanftes als ruhiges Gefühl.
Er schrieb,
wenn ich so sagen darf, fast nur mit dem Ver stände und erlaubte der Einbildungskraft,
Wiz und dem Gefühl
dem
nur sehr selten einen An
theil an seinen Arbeisen.
Zezt will ich einige seiner Werke, nach der Ordnnng hex berliner Ausgabe, durchgehn.
Zn einer Art von Vorrede widmet Friedrich stine poetischen Werke seinen Freunden; er gesteht ihnen seine leidenschaftliche Liebe zur Dichtkunst, der er nicht widerstehen könne; er erklärt ihnen,
daß
326 z. Ueber de» litter. Karakter Friedrich IL
daß sie keine nach den Regeln ängstlich ausgear beitete Gedichte von ihm erwarten müßten: er legt eine Art von Glaubensbekeumiß in Ansehung sei nes Geschmaks in der Dichtkunst ab. Ich hoffe, es werde meinem Leser wenigstens nicht zuwider sein, wenn ich diese imb tu der Folge andre Stel len ans den Gedichten b?6 Königs in unserer Sprache frei nachzuahmen suche. Wenn mein Unternehmen verunglukt, .mögen sie immer über mich lächeln; nur bitte ich mir deswegen nicht gram zu werden. Der König endigt fettig sb ge nante Vorrede folgendermaßen:
Hin ve’fiet mich die Leidenschaft; Durch deiner Harmonien Kraft Bezaubert, wag' ich es, Hewaz, die nachzusingen. Mag immer mein Gesang mißlingen, Ich muß; vergebens sag' ich: Nein. Oie beiden'cheft gebeut, tch soll ein Dichter feint
Vergebens tritt mit finsterm Blicke Ein Richter in der Kunst stolz vor mir hm'und weist Auf seine Regeln; meinen Geist Voll Ungeduld schreckt kein Pedant zurücke. Ich stiege k'.hn den freien Flug Der Phantasie, ein Bild, ein Zug Voll leben, voller Geist ist mir genug; Ein andrer mag sein Lieo nach kalten Regeln messen. Am Pindus wird er und sein Lied vergeben. Ueber *) Ma paflion m*a fait la loi, Et les charmans accords d'Horace M’ant; iait Po&e malere moL
Ma
und über einige seiner Werke. Ueber die
Oden
327
de6 Königs.
Von den Oden werden die Kunstrichter viel, leicht behaupten, daß die meiste-n nicht Oden, son dern Lehrgedichte in Strophen sind. Ich will über Namen nicht streiten; Friedrich hätte sich auf Horazen berufen können, der allch unter sei nen Oden Gedichte hat, die sich durch moralischen Inhalt und durch eine edle erhabne Sprache aus zeichnen, in denen aber der Schwung der Deacisterunq vermißt wird. Immer sind es Gedichte von großem Werth, und sie fpb vorzüglich geschitt, seine feinen moralischer» Bemerkungen, von deren Wichtigkeit ich oben geredt habe, vorzu tragen. Zu einem. Erempel theils dieses meines Ur theils, theils der oben von mrr behaupteten Wich tigkeit der Moral zur Ausbildung des Karalters, scheint mir die sehr merkwürdige dritte Ode dienen zu tonnen. Sie ist die Standhaftigkeit über schrieben Ma Muse — -— —Dit les choscs commc eile peilt; Et du compas parfait bravant la fymmetrie» Le piinfme gänant, et la Pedanterie, Expnme au moins ce qu’elle veut. Libre de cette fervitude, Un trait d'iinagination Vaut mieux au grede ma raifon, Que cette frotde exaftitude Dont les modernes fönt l’etude, Et qu’on rcprouve a lVHdhcon, *) la Fermete\
j$8 z. lkbex den Wr. K-paksex Friedrich II. schrieben «nd enthält Betrachtungen, womit Fried rich sich vorbereitete,Unglücksfalle, die ihn einst mög licherweise treffen tonten, zu ertragen. Die Ode ist vor dem siebenjährigen Kriege geschrieben, *) also in Zeiten, wo das Gluck' Friedrichen in allen, selbst in seinen kühnsten Unternehmungen jederzeit hegiln.stigt hatte. Und in diesem Zeitraum denkt er gleichwol an die Möglichkeit, daß er einst mit Widerwärtigkeiten werde kämpfen müssen, und er sucht sich schon diejenige Tugend zu erwerben, durch die der Leidende die schädlichen Eindrücke der Widerwärtigleiten auf sein Herz und seinen Geist, wo nicht ganz vernichtet, doch dergestalt schwächt, daß dadurch die Wirksamkeit seiner Seelenkrästr zur Wiederherstellung seiner Glükseligkeit nicht ver hindert wird. Solte wol je ein anderer König, ich möchte sagen, solre je wol irgend ein anderer Liebling dcs Glüks in den Tagen, da er dieses zu sein schien, den Gedanken der Möglichkeit künfti, ger widriger Sckiksale so ernstlich beherzigt ha ben ? Daß Friedrich diesen Gedanken ernstlich be herzigte , glaube ich mir dieser seiner Öde bewei se» zu können, einmal, weil er darin den wahren Degris der Standhaftigkeit, die von Hartnäckig keit, Troz und Gefühllosigkeit fp sehr verschieden ist. Sie steht schon in den Oeuvres dn'philosophe de Sanssouci, und es ist bekant, daß die IN dieser Sawlung enthaltenen Gedichte aus der irichcrn Hemde sind.
und über einige seiner Werke.
329
ist, sehr richtig auseinanderftzk, und hiernächst, weil er hier schon die ausgesuchten und vorzüglich zur Beruhigung wirksamen Gründe braucht, die
nachher, als wirklich Unglück über ihn kam, wah
rend des siebenjährigen Krieges seinem Geist immer gegenwärtig waren.
Der eine Grund ist: die
Zeit, die schnelle, die alles vertilgende Zeit, ver tilgt auch selbst die Spuren des Uebels, das sie
verursacht:
Stets wechselnd ist der Menschen Glück. Eie, die in jedem Augenblick Gedickt und tödtct; schäft, zerstöret; Hier baut, dörk stürzet; hier verschönert, dort ver» heeret; Unaufgehalten fliegt die Zeit, Und jeder Schlag von ihrem Flügel streut Hier Güter aus, dort Uebel. Morgen Ist schon vertilgt die Spur von beiden, kcid. Bedecket hier das Feld, wo Freude blühte. Sorgeit Sind dort vergessen, laut singt dort dir Fröhlichkeit.
Zn seinen Briefen während des siebenjährigen Kriegs führt der König oft diesen Trostgrund an; und welcher andere Trostgrund ist so wahr? Mit 'ihm
*) Le Dieu du tems d'une aile prompte S’envole‘et ne revient jamais; Cetetre, en fechappant, 11011s compte Sa Finte au rang de fes bienfaits; t)es maux qu’il falt et qu’il efface, II empörte jufque a la trace; 11 ne pent changer le destin. Ponrqnoi, dans un si court espac^y Du malheur d’iin inoment qui pasle Gemir et se plaindre sanssin’?
33ö z. Ueber den littenKaratter Friedrich IL ihm in der Seele kan man allen Uebeln des Le bens entgegen gehn. Die Zeit ist eine mächtige ^Trösterin. Ein anderer Grund ist von der Unvermeidlichkeit des Schiksals hergenommen. Die Schild sale eines jeden gleichen einem mächtigen Strome, gegen den man selbst mit den Kräften eines Herkules nicht anschwimmen kan. Weises Nachgeden ist das beste Mittel seine Heftigkeit zu bre chen , und nicht ganz zu Grunde zu gehen. Es ist der Mühe werth, in den historischen Werken des Königs und in seinen Briefen Acht darauf zu geben, wie er auch von dieser Bctrachtlmg bei sei nen Widerwärtigkeiten Gebrauch machte, und dann wird man auch durch dieses Erempel über zeugt werden, daß moralische Bekrachtuligen dem Könige nicht bloß den Stof zu Oden und Episteln hergaben, sondern daß ste auf seinen Karakter und auf seinen Gemüthszustand einen starken, fast entschewcnden Einstuß harren. Die zweite Ode an Grasset ist vielleicht die am wenigsten uuwollrommene. Sie ist die Frucht eines Augenbl.'ks glüklicher Begeisterung. Man wird bei ihr Teir Bestreben gewahr, Theile zusammen zu sezen, die durch Nachd-nren erst zusammengcpaßt wurden. Es ist cm Ganzes, n.Iöqte ich sagen, von der Geburt an. In so weit ich darüber urtheilen kan, ist auch die Sprache viel korrek-
' imb über einige feiner Werke.
33i
korrekter, als in den übrigen Oden, und in vielen Strvfen scheint sie mir der besten
französischen
Dichter würdig, z. D.
Tes rayons lumimoiix colorent la natu re Ta main peupla la nies, l’air, la terre et lescieux^ Pallas te doit l’Egide, et Venus la Peinture, Tu creas tous l^s Dieux. Zn dieser Sttofe ist bloß die Wiederholung der Silbe la in peupla la mer einem geübten
Ohr anstößig.
Sehr harmonisch ist bis auf ein
Wort — les preceptes — felgende Strofe:
Sous un mafque cnchanteur la piftion hardie Cacha de la Vertu les preceptes cliarmans; La verite se've're en paiut embclhc, Et toucha mieux nos fens. Aber kritische und grammatische Anmerkun
gen sind meine Absicht nicht, die ich einem franzö sischen Kunstrichter billig überlastn muß, und gern
überlasse.
bemerken,
Zch wolte nur bei dieser Gelegenheit daß der König bei all^r Leichtigkeit,
womit er seine Verse schrieb, gleichwol selbst alle
Sorgfalt aus die Sprache und den Ausdruck ver wandte,
daß er die Sorge für Korrektheit und
WohAang nicht andern überließ, wie diejenigen welche immer noch
an das Genie
Friedrichs nicht glauben weiten.
Diesen Fleiß
vermuteten,
des Königs bezeugt Voltaire, und bezeugt ihn
in einem Werke, das er in Umstanden und in ei ner Absicht schrieb,
nm derentwillen man diesem
fernem Zeugniß den höchsten Grad der Glaubwür-
dig-
gz2 3. Ueber den litter. Karakter FriedrichH. bigkeit nicht versagen kan. In den Nachrichten von seinem eigenen Leben, die Voltaire zu Frank furt schrieb, als Friedrich seine poetischen Manuffripte von ihm zurüksodern ließ, und worin der rachgierige Dichter den König im hassenswürdigen Lichte zu zeigen suchte, gesteht er, daß Fried, d rich Sprache und Kunst stuöirte und mit dem glärlichsten Erfolg ftudirte. *)
Lesern, ») S. Memoires de la vie de Voltaire, ecrits par lui inenie. 1784* P- 91* Verglichen mit la vie de Voltaire par M * »*' p. 155. „Son gcnie le feroit encore mieux, que mes lecons, sagt Voltaire In dem zulezt genanten Werke, das ohne Zweifel einen Mann, der Voltairsn aus langem freundschaftuchem Umgänge kante, vielleicht einen Mar ti: v n r e l, zum Verfasser har, werden folgende Umstünde von der Art, wie sich Voltaire bei der Durchsicht der königlichen Gedichte nahm, ange-r führt: „Oer König legte Vottairen oft seine Ge richte vor, daß er Kritiken darüber machen sollte. Dieser lehnte es immer mit der angenehmsten Ma nier ab. Aber oft bestand der König darauf Dann sagte Voltaire: Wenn Sies denn befehlen, Sire, so erlauben Sie nuk erst, daßichOlivers Mantel und Kra tzen anlege, und so will ich dann die Arbeiten meines Herrn und Meister durchgehen. Mit unendlich feiner Kunst brachte er dann seine Bemerkungen bald über die Stelluna der Worte, bald über vernachlcißigte Gram matik an. Es war nicht zu verwundern, daß ein König hundert und fünfzig Meilen von Paris, nicht alle ihre feinett Regeln kante. Manchmal wurden die vorkommenden Punkts ordentlich ge lehrt abgehandelt. Fand Voltaire bisweilen einen Vers dunkel; der König verbesserte ihn gleich Und verschönerte ihn- fand (»einen nicht fließend genug.
ünd über einige seiner Werke.
333
Lesern, deren Geschmak durch unsere neuere Kunstrichter und durch unsere neuere Dichter gebildet worden, wird an den Oden des KömgS schon ihr Inhalt statt eines Beweises gelten, daß sie ceine sehr poetische Oden sein können. In den meisten, werden solche Leser sagen, handelter moralische Gemeinörter ab, und sie werden kein Bedenken tragen, hinzuzufügen, mit mora lischen Gemeinörtern, fange jeder Schnsir an-, Gegen selche ekele Leser sei mir erlaubt zu bemer ken, erstlich, daß m der ersten Halste dieses .Jahr hunderts noch allgemein geglaubt wurde, das 2(mt der Poesie sei hauptsächlich Moral zu lehren, und daß Pope unter den Engländern, Rousseau unter den Franzosen und Hagedorn und Hal ler unter den Deutschen sich vorzüglich dadurch Beifall erwarben, oaß sie die Moral mit neuen Bemerkungen, in der schönsten Sprache ausgedrükt, zu bereichern suchten. Man glaubte da mals eine einzige neue Bemerkuyg, stark oder glüklich gesagt, seze schon Genie voraus und sei ein wichnger Beitrag zur Wissenschaft des Men schen. Mich dünkt, Europa bewunderte mit Recht die schönen Verse beim Rouseau, wo der
genug, der König änderte ihn auf der Stelle und sehr glücklich. Wenig geborne Franzosen haben so viel Talent zur französischen Poesie gehabt, al ber König." 91. Mus. Sept. 8-.
s
3f4 Z. Ueber den litter.Karakter Friedn'ch 1L der Held gemalt wird, der es nur so lange war, als das Glük ihn begleitete, und der in dem Au-
genbltr, da das Glük ihn verlaßt, als gewöhnli cher Mensch da steht, und an dem man keinen Zug
Mehr Don dem gleichsam verschwundenen Helden wahrnimt.
Die Gelehrigkeit des Volks sich von seinen-
Priestern jeden Unfum für heilige Glaubenswar«
heit verkaufen zu lassen, tonte nicht einleuchtender
dargestellt werden, als durch die so leicht zu mat chende, und doch so wenig gemachte, und daher,
als sie zum erstenmal gemacht wurde, so auffallende
Bemerkung, daß der Pöbel Gott in so viel Got ter zertheilt, als es dem Priester beliebt, daß er
zertheilt werden soll. Solche Bemerkungen nun, btV einen sehr aufmerksamen und feinen Beobachter der
Menschen und der menschlichen Dinge voranssezen, unter sehr passenden Bildern,
mit dem glülkch-
sten Ausdrucke vorqetragcn, wird man recht viele
in den Oden des Königs anrreffen.
llnd wenn
es nicht immer neue Bemerkungen sind/so weis er sie doch durch neue Bilder, neue Wendungen entweder
der
Einbildungskraft anschaulich
vder
dem Herzen wichtig zu machen, z. E. in der vier
ten Ode über die Sch weiche le L
selben, trauet dem Strom schmeichelnden Lobes nicht; Traut ihm, Könige, mcht: denn, schon erworbnen Ruhm Führt
imd über einige.feiner Werke
355
Führt der falsche oft wirbelnden Schlünden zu,
Oder rerschmettert an Klippen ihn. •) Desgleichen
in
der
achten Ode an
die
Preußen: Seht mächt'ge Thronen stürzen, zertrümmert, hin, Nicht weil im Zorn sie donnernd der Himmel traf, Nicht wcil'S des Schicksals Buch verlangte. — Weil ste nicht länger Weisheit stüzte. Was Weisheit baute, muß sie erhalten auch: Wenn sichre Thorheit die Bande sieht Sich lösen und die Mauern weichen; Muß nicht zerfallen, was felsenfest war. ••)
Sodann ist es der Mühe werth zu fragen, ob es denn so sehr unter der Würde des Ge. nies sei, Gemeinörter abzuhandeln, ob e
ach Minister Art,' nicht aufgehort,
ihm vorzustellen, daß er die damaligen günstigen
Umstande besser nuzen müßte. ♦) An einer andern Stelle dieser Lebensbeschrei
bung sagt er,
die Minister Fridrich
Wil
helms hätten ihn während seiner Negierung vier
zig Traitare unterschreiben lassen,
die alle gleich
unbedeutend und nuzlos gewesen waren, aber sie
hätten sich aus ihren Posten um die Würde ihres
Herrn
nicht so sehr bekümmert,
sondern mehr
darauf gedacht, ihre Posten recht einträglich zu
machen. *♦)
Die *) La Pa ix , que le Roi negocioit a Stockholm, fut ensin conclue Sa Moddi ation diminua (es avantages. D' Ilgen ne cefioit de lui rdp re ferner,, selon 1’ 11 sage des tninistres, qu’il devoit profiter de (es avantages. **) Les Ministres de Frederic Guiliaume lui firent figucr quarante Traitds ou Conventmns, que nous nous sonnn es dispenses de rapporter a. cause de leur frivol ite. lls etoient fi dloigne's de la moddration de ce Prfnce, qu’ils songeoieut rnoins a la dignite de leur maitre, qu’a augmenter les bendsices de leurs emplois.
34 So
krank, — verwundet —
gemißhandelt — des Aufdauerns unfähig? —
0 meine Tochter!
Gut auf Erden!
meine Einzige!
o vergicb mir:
mein liebstes
daß ich allein
dich
4. Feeiwerbetei aus dem XI. Jahrhundert. 347dich ließ.
Ich
bin Schuld an
ich-----------M a t h. (qevühct)
Bald.
allen diesem;
Mein Vater — —»
Auch das vergieb, daß ich nicht eher
zu deiner Rache,
als zu deinen Anblick eilte^
Ich mußte dich sehn, und jene soll nun diesem so schnell, wie der Donnerschtag dem Blize folgen.
— Wie ist dir? Aufrlchtlg. Math.
Wie ist dir?
Besser vielleicht, als das Gerücht,
gefasst haben mag,
wenn auch nicht gut! Meine
Wunden sind allerdings noch nicht gefährlich.
schmerzhaft,
doch
Dieser Arm und diese Schulten
sind zwar ein wenig verwunde;
diese Wange imb
der Nacken ein wenig qerizr: doch hoffentlich wird
alles dies bald wieder heilen; — eher wenigsten-
al- es vergessen wird! Bald,
ttnd Wilhelm — Herzog Wilhelm
that dies alles?
Math, (gelassen) Wilhelm; Herzog Wilhelm. Bald.
Er allein?
in der Kirche?
in der
Gegenwart von mehr als tausend Zeugen?
Math.
dicht vor der Kirche!
Er allein!
Leider, vor Zeugen genug! Bald, (immer hastiger.) Aber wie? wie das?
— Erzähle mir alles!
Alles und genau! —-
Ha, ich Sinnloser, der ich einem solchen Wütrich
einst mein einziges Kind zu vermählen dachte! — Mathilde erzähle mir alles!
Math.
348 4' Freiwerberei aus dem XL Jahrhundert. flÄ arh. (etwas schmerzhaft) Und wozu das? hak
«s nicht das Gerücht schon und mein Dries gethan. Bald. schwarz,
doch vielleicht jenes zu
Allerdings?
und dieser zu kurz!
Munde will ich es wissen;
aus deinem eignen
Zug für Zug!
damit
ich ihm dafür seinen Lohn zuwäge, ohne Nachsicht,
ohne Abgang. — Math.
Sprich; ich bitte dich, sprich!
Aber jezt, da Ihr im ersten Eifer
üdch seid?
Bald. Jin ersten und im unversöhnlichen. — Sieh, meine Füße stehn auf glühenden Kohlen; Meine Herolde durchstiegen schon ganz Flandern,
tinb rufen:
zum Waffen!
zum Waffen I
Reisige und Edle san-len sieh bereits.
meine
Eh der nach,
ste Morgen graut, sollen schon tausend Lanzen sich
geben; eh die dritte Nacht dämmert, schon di«
Lohe feindlicher Städte auf zum Himmel schlagen. — Aber sprich jezt, arme Mathilde, entdecke alles
deinem Vater, deinem Rächer! Math.
Nur der Erstere höre mich jezt,
damit der Zweite nicht selbst tn Gefahr sich stürze.
— Euer Entschluß, sagt man, das Wort zurück nehmen, daß ihr ihm meinetwegen gabt, erbitterte
Wilhelmen höchlich; noch mehr ergrimmte er über die Erklärung: daß ein Unehlichgeborner unwerth Euer Schwägerschaft sei.
Er,
der mir einst mir
so mänlichem Ernst Liebe schwur — vergebt euer
Tochter dies Andenken,
diesen weiblichen Stolz'
und diese Thräne! — er schwur jezt Euch Rache,
und
4. Freiwerberel aus-dem XI. Jahrhundert. 349 und mir,
mir Unschuldigen Beschimpfung zu.
Daß ihr abwesend von Brägg und ich zugegen sei,
erfuhr er bald,
hieher.
und flog in verstellter Kleidung
Zwei Tage,
vernahm,
wie ich nachher allzuspat
lauschte er hier in einem abgelegenen
Gasthof, unbemerkt blieb er und unerkant.
oder zwölf seiner Diener,
Zehn
in verschiednen Wirths
häusern zerstreut, mögen indeß jeden meiner Schritte anfgcpaßt haben.
Wie fönt' ich dies wissen, wie
mutmaßen nur! — Vorgestern, als ich zur Messe nach unsrer Hauptkirche gehen wolte,
und noch
zwei oder drei Schritte kaum entfernt von der
Kirckthüre war, da sah ich rasch einen Ritter die Eh ich noch 6e-
Reihen des Volks durchbrechen.
grif: wer? woher? und warum?
vor mir.
stand er schon
Mathilde! rief er, und faßte mich Er
schrockne beim 2lrm;
Mathilde, kenst du Herzog
Wilhelmen noch? oder vergißt die Tochter der Ge.flchtcr eben so schnell, als der Vater seines fürstli
chen Worts? Wahrlich! Wahrlich! kein Wunder .war' es gewesen,
hatt' ich ihn nicht gekant;
so
schrecklich glühte sein Blick; so nah hatte der Zorn seine Augcnbrauncn zusammengedrangt; so verzogen
waren Mund und Stirn!
'
Bald, (emfaiien») O ich kenne ihn,
zürnt!
wenn er
er focht in Schlachten ja schon mir zur
Seite; und daß er tapfer ist — sieh, und müßt' ich in ihm den Mörder meiner Tochter verfluchen
'
N. Mus. Sepl.
A a
—dies
35® 4» Freiwerberei aus dem XL Jahrhundert, Aber weiter,
dies würd' ich nie verlaugnen.
Mathilde, weiter? was sagtest du darauf?
Kont ich reden als ich so ihn vor
Math.
nur zittern kont' ich;
wir stehn sah?
Wvlt' ich.
nur fliehen
Aber mit Hvhnqelächter hielt er mich. —
„ Nein," rief er,
komst du nicht.
„ so schnell, so unversehrt ent«
Werde die Gemahlin von Königen
oder Kaisern; unanaetastet, und unbeschimpst solst ttt wenigstens ihr Lager nicht besteigen.
Dann
gehe, dann sage: daß dies ein Bastard that! “ — Hastig, indem er dies sprach, zerriß er den Schleier Meines Busens.
Beim Gürtel faßte mich seine
Rechte, hoch hob er mich empor; und drückte vor allen Volk auf meine entblößte Brust zwei Küste
»er Wut; eben so viel auf meinen ängstlich nifen« »en Mund.
„Meine Lippen," schrie er, „und
meine Hand
haben gefühlt,
schlagt.
wo das Herz ihr
Nun fahr wohl!" —
Er ließ mich
-gehn, und indem ich sank, schlug er noch dreimal nach mir;
und zerriß mit seinen Sporen meine
Gewänder» —L
„Ich habe sie
in Desiz ge
nommen ; entehrt ist sie für jedes andern Arm;
entehrt ist derjenige, der fortan ihrer Liebe begehrt; bevor er sein Schwert nicht mit dem weinigen ge-
meffen hat!" So rief er, durchbrach die zahllosen Haufen, die schon sich qesammiet hatten, und entfloh.
Bald, (der voll Wilk sich auf einen Segel giroort W hat.)
Ha, daß ich das hören fönte! es aus. hören
4.Freiwerberei aus dem XI. Jahrhundert, zzr hören und leben!
ich danke dir, Himmel, daß
mein Leben so fest noch ist. —
leicht?
Und entfloh?
so ungehindert von allen,
so
die sich um ihn
drängten? herrsch' ich denn über lauter Verräther nur? oder hatten die Elenden keine Waffen, keine
Hande mehr?
warf denn Niemand sich diesem
Tollen in den Weg?
Math, (sanft) Vielleicht geschah es; doch ich,die
nun bewußtlos zu Boden lag! weis nicht, was wei ter mit mir vorgieng. Erst nach zwei Stunden kam
ich hier auf diesem Bette wieder ins Esben zurück. Eine der Kammerfraun. Nur mit der
Prinzeßin, gnädiger Herr, waren wir alle beschäf tigt. Ein allgemeines Erstaunen über ein so uner
hörtes Schauspiel hakte die Zuschauer ergriffen. Al
les schrie, und alles starrte.
Ein paar alte Krie
ger, die Hand an ihn legen wolten, verwundet« er mit seinem Schwerte.
Die Uebrigen machten
dann gern Platz. Bald.
O des Schändlichen,
Mädchen' und —
der an ritt
bei allen Heiligen ,
an
welch ein Mädchen! seine Hand gewaltsam legen
tonte! — Mathilde, deine Ehre soll gelöst wer den ; gelöst mit dem Blute des Verwegnen und
mit dem Blut aller derer, die sich zu ihm gesellen. Mit dieser meiner Hand will ich seine Schlösser
in Brand stecken, seine Vasallen mezeln; will nicht eher ruht n, bis ich zu seinen eignen Herzen den
Aa»
Weg
352 4- Freiwer-erei aus dem XI. Jahrhundert. Bor den'Augen alle« Volks
Weg gefunden habe.
vor den Augen von Europa
beschimpft er dich,
will ich ihn strafen; und kehrt dies Schwert ein mal gezückt eher in seine Scheide zurück,
ich ihn getödtet,
bevor
oder einem wilden Thiere gleich
zu deinen Füssen hergeschleift habe, so werfe man meinem weißen Haupte mit Steinen nach: so zer
breche man mir einem Ehrlosen gleich, vor meinen
Augen mein Schwert, und gebe mir Backenstreft che mit den Splittern desselben; so — EinRitter (ter hcremkLmt) gestrenger Herr,
schon hört man von drei Seiten her, die Musik
der ankommenden Reiter. Bald.
-Sie soll ein Eulenlked,
ein Toden.
ruf für Herzog Wilhelm werden! — Schick der
Boten noch mehrere auS!
der Felonie sei jeder
diesmal
nicht erscheint!
Selbst der nur zaudert sei's! —-
Ha, Mathilde,
Vasall schuldig,
der
ich will für dich eine Lanze brechen, wie noch kein
Bräutigam für die unschuldig verklagte Braut. —
Doch warum deine Miene so gleichgültig, liebe Tochter? warum dein Mund so still?
Math.
Der Tochter geziemt Gehorsam ge
gen Vaters Befehl,
Rede;
und Schweigen bei seiner
zumal wenn ihre Gedanken und die sci-
nigrn
Bald.
4. Fktiwerbcrci aus dem XL Jahrhundert. Bald.
Nun, warum stockst du? — Wenn
deine Gedanken, sagst du, und die seinigen —t Ende! das ist mein Befehl.
Math.
Bald.
So verschieden sind.
(erstaunt)
So verschieden'?
Ha
ich begreife; weibliche Schwäche und ein männli cher Entschluß —
M a t h.
Verzeihung,
mein Vater!
Ihr.
nanter mich sonst so oft Euer» Sohn; bedauer tet, daß ichs NetWare: gabt mir das Zeugnis,
von Entschlossenheit und Muk. — Auch jezt war, was Euch Gleichgültigkeit schien, ein Nachdenken Ich sah Euch im Geiste schon in Wilhelms
nur.
Lande;
freute mich Eures Siegs;
und fühlte
doch — — Bald.
Nun, und was?
Math.
(mit eiischlossenstem Ton)
Wilhelm
nur, oder nie ein Mann kan mein Gemal nun werden!
Bald,
(erschrocken)
Wilhelm? — Ma
thilde ! Ist es Verrückung, die aus dir spricht?
Math.
Keine Untersuchung jezt — denn sie
ziemt mir nicht — ob es recht war, ihm, der Euer
Wort und mein Gestandmß schon hatte,
dieS
Wort zurückziehn? Es ihm zurückziehn eines Fehlers
halber, der nicht seine Schuld ist;
den wir alle wuß-
354 4-Freiwerberei aus dem XL Jahrhundert., wußten, eh Ihr zum Eidam ihn erkießtek.
Keine
Frage, ob Frankreichs hinterlistiger Rath —
Bald.
Wie? du sprichst dem Bösewicht zu
Gunsten?
Math. Ich spreche nichts, als dies: Er zer« riß meinen Schleier; er drückte den Kuß mir auf,
der nur dem Gatten gebürt; er nahm meine Ehre, dahin; er gebe sie am Altare mir wieder, oder die
Zelle empfange,
als
Gottes Braut,
diejenige,
die entehrt und beschimpft keines andern Mannes
Gattin werden darf. — Erlaubt mir, mein Vater,
jezt ein wenig auszurnhn! daß ein Gespräch die.
ser Art mich Kraftlose angrif, werdet ihr wok für leine Ausflucht halten. was Euch gutdäucht.
Friedens.
Sendet indeß aus,
Boten des Kriegs oder des
Thut, was immer Fürstenzorn und
Ritterchr Euch gebieten.
Aber Wilhelm sei künf
tig mein Gemal, oder nie ein Mann! Und er ward es! Zwar noch nach manchem
Widerstreben des Vaters; aber genug, er ward es. — Denn fest blieb Mathilde auf ihrer Rede r
Wilhelm, mein Gemahl, oder nie ein Mann!
Aug. Meißner.
5. Ahdim, eine morgenländische Dritter
Erzählung.
Gesang.
56.
Erfahrung ist'ö, die unsern Pfad durch's Pefren, Oft Heller, alS der Weisheit Fackel, macht; Denn sie allein kan alle Zweifel heben, Oie jemals nur ein Philosoph erdacht. .Hein Wolficmer kan, nach einer solchen Nacht, Der Lehre Kants noch länger widerstreben. Und muß erstaunt die Wahrheit eingestehn: Erscheinung,ist die Welt und maS wir sehn. 57.
Ja, ja Erscheinung ist's, wenn sich in,unsern Tagen Ein Freund im Glück' und Unglück' ähnlich bleibt, Kollegen sich ohn' allen Zwist vertragen, Ein junges Weib aus Keuschheit sich entleibt. Ein Dichter, ans Bedürfniß für den Magen, Und dennoch schön wie Michaelis, schreibt! Dies und noch mehr smd Sprünge der Nature So gut als das, was Ahdim wiedcrfuhr^ 58.
Im Wirbelwind nach Vabilon geflogen, An Fatmens Brust, auf weichen Pflaum-gestreckt Im Traume noch von banger Furcht geyeK, Als würd' er um den Talisrrrao ietmou
W
z;6
5. Ahdim,
Fühlt' er sich schon um Mitternacht erweckt, Und fand entzückt, daß ihn der Schuzgeist nicht btt logen. Sein Kasten stand mit allen Schlössern da, Wie er bei'm Schein der goldnen Lampen sah. 59' Das holde Weib vor allem zu begrüßen Bei dem er lag, fiel wachend ihm nicht ein; Er eilte nur, den Kasten aufzuschließen, Und suchte voll Begier beim blassen Lampenschein Die Schlüssel auf, die bald sich finden ließen. Der Talisman, so dacht' er, ist noch dein. Wie leicht verführt der ungeheure Kasten, Die Diebe nicht dies Kleinod anzutasten. 60.
Drum fing er an, die Schlüssel zu probircn. Mein bei jedem fand sich eine Schwierigkeit; Kein Riegel weicht, kein Haken will sich rühren. . Bald war der Bart zu kurz und bald zu breit, Der Dorn zu dick, das Gcblüsselrohr zu weit; Da schien er Mut und Hofnung zu verlieren. Fuhr sich in's Haar mit thrünenvollem Blick, Und klagte laut sein widriges Geschick. 61.
Noch einmal nur versuch die fünfzig Schlösser, So stüstert' ihm die Hofnung sanft in's Ohr, Vielleicht gelingt's zum zweitenmale besser. Den Mut verliert ein Fauler oder Thor! Ein schwer erreichter Zweck macht nur die Freude grösser! 60 hob sein Herz die Gleißnerin empor; Doch bald entsank ihm Mut und tiefnuug ^wieder. Und schnelle Furcht durchbebte seine Glieder. 62. So
eine morgenländische Erzählung. 62.
357
Go steht erstarrt der Knabe, noch gebückt. Der im Gesträuch die erste Erdbeer findet. Frohlockend fte schon In Gedank/n psiückr. Und in den Strauß für seine Eiutter bindet, Als er durch's Laub ein Schlangenpaar erblickt, Das zischend sich in sieben Kreisen windet; So sprachlos stand auch unser Ahdim da. Als plözlich er die Hexe wieder sah. 63.
„Detrogner Sklaw!" so redte sie ihn an, " „Der du gchoft, den großen Talisman Zu deinem Eigenthum zu machen: Ein Kasten, den Gewalt nicht öfnrn kan. Stört deinen Schlaf und martert dich im Wachen? Wie mögen nicht die Geister deiner lachen, Betrogner Tborl gäbst du an ihrem Plaz, Für Lumpengeld, wol einen solchen Schaz?" 64.
„Zufriedenheit, die Quelle wahrer Lust, Rinnt ungetrübt nur in des Weisen Brust. Was Hilst ein Schaz, den du nicht kanst genießen, Und immer zu verlieren fürchten must? Wilst du nicht schwer für deine Thorheit büßen, So such die Schlüssel'auf, die ienen Kasten schließen. Du findest sie hiemeden unter’m Mond In einem Lande, wo die wahre Freude wohnt." —
65Kaum hatte sie das leite Wort gekräht. Und mit Geräusch sich in dem Sarg verschlossen, Als Fatme sich, erwachend, seitwärts dreht. Und neben jich, mit kaltem Schweiß begossen, Ein
358.
5. AhdiM,
Ein Wesen fleht, das angezaubevt steht. Am schwarzen Aug", aus wclcheni Thränen floss«. Am reichen Schmuck erkantc (te den Freund, Den ftc schon Längst betrauert und beweint. 66. Nichts bringt sobald den Geist zurück ftiV kekev. Der schon am stygischen Gestade weilt, Lein Balsam ist, der Wunden schneller heilt, AlS Küsse von rosigen Lippen gegeben. Auch Fatme kennt die Medizin, und eilt. Durch chpe Kraft die Ohnmacht schnell zu- heben, Und kaum berührt der Schöpfung Meisterstück, Den blassen Mund, so kehrt sein Geist.zurück. 67. Aus's neu beseelt, von -wet junonisch runden Und schwaneugleichen Armen fest umwunden. Fühlt er ein Herz, das dicht an seinem schlägt, Pur sprachlos bleibt sein Mund, wann Fatme frägt^ Durch welches Wunder sie ihn diese Nacht gefunden? Bis nach und nach sich die Betäubung legt, Und er mit untermischten Küssen Ihr vorerzählt, was wir schon alles wissen.
68, Fatime hört eö voll Derwundrung an. Was ihm geschehn, wie er sich ließ betrügen» Erzählt dagigen ihm, was sie begann. Seitdem er stolz den Palankin bestiegen. Beschließt damit, an den gesundnen Mann Sich fester als vorher noch anzuschmiegen. Weis Schmeichelei mit Thränen |u verbinden, Bis er verspricht, sein Glück Lu ihr allein zu finden 69. Es
eine morgenländische Erzählung.
359
69.
Go schwand ein Mond von rosenfarbnen Tagen Fast unbemerkt für die Geliebten Zwey. Ost mußten sie es selbst elnauder sagen. Daß Schmerz der Trennung, den Verliebte klagen, Im Grunde doch kein wahres Uebel sei., Denn Ahdim fand Fatimen wieder neu. Und wer vergäß', an unsers Ahdims Plaz, Die Hexe nicht, samt -en gehoften Schaz? 70.
Der Monat war indessen kaum verflossen, Als seinen Schlaf die Hexe wieder stört. Gewohnheit macht zur Antwort ihn entschlossen. Als er von fern die schönsten Töne hört. Und Weihrauchsdämpfe sich im ganzen Saal ergossen^ Doch was das Wunder noch vermehrt, War eine Wolke, die sich langsam nicderließ. Und ihm ein Ideal von hoher Schönheit wies. 71.
Der herrlichsten von jenen Himmelsschönen, Die, durch der Schönheit Allgewalt, Den kältsten Muselmann, mit Amorn dort versöhnen» Und seinen festen Glauben krönen. Glich diese himmlische Gestalt, Aus Aetherstoff gebaut, von dünnem Flor umwallt. Oie Schale, die sie hält, mit Purpursast gefüllt, Macht sie zu Hebens Ebenbild. 72.
„Trink, Gläubiger! den purpurfarbnen Saft," So sprach sie, „den dir gute Feen senden. Dee edle Trank besizt die Wunderkraft, Den Talisman dir endlich zuzuwenden.
Indem
z. Ahdim, Indem et die erhöhte Kentniß schafft. Dein Kasten wird, was übrig ist, vollenden; ' Er führt dich selbst, getragen von den Winden, Jura Thal, wo sich die rechten Schlüssel finden." Der Pfiüger, der die Abendgtocke hört. Mit trocknem Gaum und umgekehrtem Pfluge Bestäubt zu seiner Hütte kehrt, Ereilt kaum so lechzend mrch dem vollen Kruge, Als Ahdim jezt mit einem langen Zuge Die dargereichte Schale leert. Dom Saft berauscht, entschlummert jeder Sinn, Und srnnlos sinkt er auf den Kasten hin.
74Das Nachtgesicht verschwand, und sanfter Winde Flügel Erhuben jezt den Schläfer, als im Traum, Und trugen ihn, von Hügel fort za Hügel, Durch einen ungeheuren Raum. Lenoren trug so rasch der Rappe kaum Bei'm Mondenschein fort mit verhängtem Zügel. Doch endlich hielt das luftige Gespann, 3n einem Thal, nach Ruhe schnaubend, an. ' 75Oer nmge Tag, begleitet von Auroren, Weckt Ahdim auf, denn schlafend fand er ihn. In einem Pavillon, der so entzückend schien. Als wär' er von den Grazien und Floren Zu ihrem Sommersiz erkohren, Auf einer Streu von Rosen und Schasmin; Rings um ihn her wallt laue Frühlingsluft, Geschwängert von Oxangenblulenduft.
eine morgenlandjsche Erzählung.
561
76. Ein Sängerchor mit lustigem Gefieder, Das hin und her auf Blütenzweigen hüpft. Sang melodienreiche Lieder, Sitcmten zu grüßen, die nun wieder. Dem weiten Ozean entschlüpft Und Perlentau von blauen Hügeln lüpft. Selbst Ahdiru sah die Kunst mit der Natur Go zärtlich nie vermält, als hier auf dieser Flur. 77Auf grünen, sammetweichen Matten Erhob ein Hügel sich von Miethen rings umkränzt. Den Pavillon der Freude zu beschatten. Der auf des Hügels Spize glänzt. Ein Palmen- und Oeangenwald bcgränzt Den Hintergrund, und für den übersatten. Verwöhnten Gaum, wuchs Prsang, Ananas, Granat und Karserthee, als wie daheim daS Gras. 78-
Hier glüht ein Rosenstock von Geißblatt dicht um schlungen. Dort prangt am ttlmbaum jedes Blatt Mit einer Frucht, von Nektar aufgedrungen, Den kaum bei uns der Muskateller hüt. Selbst Ahdim ficht und wundert sich nicht satt, Und irrt entzückt durch diesig Zauöerungen, Bls ihn ein Bach, den er von ferne sieht, Canst rieselnd hin zu seinem Ufer zieht. Fortsezung folgt im nächsten Stück.)
6.
Nachrichten aus Frankreich»
Die jezigen Bewegungen in Frankreich, sind von einer Beschaffenheit, daß sie, wenn man alle Hauptumstände, unter welchen sie eingetreten sind, zusammen nimt, in der ganzen Geschichte schlechterdings nicht ihregleichen haben. Einige von diesen Umständen sind von der Art, daß cs mir scheint, es würde sehr wohl gethan sein, wenn Denker, denen sie natürlicherweise nicht entgehen können, behutsam genug wären, ihre Bemerkungen für sich zu behalten. Und was vol lends gewisse Folgen und Lehren betrift, zu welchen diese ganze unerhörte Geschichte Veranlassung giebt, so möge doch der Genius der Weisheit über unsern Männern der Schriftsiellerwelt wachen, daß sie nichts zeigen, damit die K nab en nichts zu sehen haben. — Es svlte mich freuen, wenn man meinen Sinnsa^e, und — billigte. Was ich für nüzlich halte, ist: Urkunden, Ma terialien von aller Art, die oft wie Erscheinungen da sind und verschwinden, fest zu halten und aufzubewah ren. Und in dieser Rücksicht überseze ich dem deut schen Publikum einige interessante Nachrichten, die jezt, indem ich schreibe, vielleicht zu den neusten in Deutschland gehören. Daß der Verfasser der Briefe Partei genommen hat, *) ist leicht -u sehen; das thut *) Unser Museum nimt keim Parte,.
DerHerauSg.
6. Nachrichten aus Frankreich.
363
tbut aber dem Interesse der Nachrichten, und selbst der Wahrheit einiger Hauptthaten keinen Abbruch. Wie würden sehr wenig erfahren , wenn wir auf un parteiische Nachrichten warten wolten. K.
Auszug aus mehreren (ungedruckten) Briefen aus Frankreich, bis zum z. August. Niemals ist die Lage eines Volks derjenigen, -vorin wir uns gegenwärtig befinden, ganz gleich gewesen. Die Reichsstände beschäftigen sich mit Zestsezung der ersten Grundsäze einer freien Verfassung; und nach tem, was man Vorbringen hört, ist es gewiß, daß unsere Cincinnatusritter ihre Ideen aus Amerika mit gebracht haben, um die Verfassung Frankreichs nach der Verfassung der dreizehn Kolonien zu bilden, welche sich gegen England empörten, und noch bis diese Stundenicht unter einander haben einig werben können. Es giebt jezt in Paris vier fast öffentlich-erklärte Parteien. Erstens die königliche, die schwächste zwar, aber zuverlckßig die vernünftigste, welche aus dem besten Theile rechtlicher Leute besteht. Dann die Par tei des Herzogs von Orleans, ausschweifend ungestüm und gewaltthätig, sie ziehlt auf gänzliche Zerstörung des Throns, nach welchem ihr gleichwohl gelüstet: man nennt sie die Kopfsäbler. (les faucht-urs de teres.) Die dritte, welche man die Philadelphier nennt, führt der MarquiS de la Fayette. Endlich kommen die Neckeristen, welche man die Partei deS Großinquisitors nennt, weil ihr Anführer aus Rache verfolgt, und sich mit dem Vorwande der Geseze deckt,
um seine Gegner zu verderben, und unter dem Na men
zöch
6. Nachrichten aus Frankreich.
inen Becker L welchen mdn ihm allgemein giebt, zu regieren. Man hat ihm vorgestellt, daß die Prinzen Und übrigen Großen, welche wegen ihres Lebens be sorgt waren, mit Erlaubniß des Königs aus Frank reich gegangen find; uni) er antwortete: „ich will diese Erlaubniß schon wicderrusen lassen, und jeder muß kommen iinb sich vor seinen Richtern stellen." Man sieht daraus, was für einen Plan von Verban nung er h't. Er hat sich zu den Reichsständen bege hen, um ihnen zu sagen, ihre erhabene Versamlung müsse von allen Unreinen, die sich eingeschlichen hät ten, und voll jenen Aristokraten gcrekniget werden, welche nach seiner Meinung das Unkraut des Evan geliums wären, das unter das gute Getreide gekommen sei. Man muß nun sehen, ob der Hr. Marquis -e Mirabean für ein Weizenkorn wird angenommen werden; aber so viel ist gewiß, daß unser neuer Here unter den Abgeordneten Zur Versamlung der Reichs stände alle diejenigen zurück schicken wird, welche nickt die Ehre haben, ihm zu gefallen; und er wird sich viel leicht auf das grausamste dadurch rächen, daß er alles Verhaßte auf Ludwig XVI. fallen läßt, dem er über haupt nur deswegen eine Art von Dasein zu lassen scheint, um ihn so zu sagen zur Scherbe für den Haß eiter tsamiItcn und des Adels zu machen, welchen Leztern man allem Anscheine nach mit der größten Strenge behandeln lvirb. Es ist unglaublich, wie weit man die niedrige Schmei chelei gegen den Gott des Pöbels getrieben hat. Oer Marquis de la Billette zeichnete sich von dieser Seite sehr aus, als Becker seinen Einzug hielt; er nahte sich ihm öffentlich, um ihm die Hand zu küssen, und da btr Ba tist alklub ihm aufgetragen hatte, überfeine Erleuch tung, welche prächtig war, die Aussicht zu ,führen, so er blickte
6. Nachrichten aus Frankreich»
365
Zltckte man dabei zwei Bildnisse im transparent, des Königs, milder Inschrift, Ludwig r6. und Neckcrs mit den Worten: Neckeri. des Namens.», unten stand auf einem Fußgestelle: den Zwei Befreiern deS französischen Volks. Es ist die Rede von Errichtung eines marmornen Denkmals mit ganz gleichen Inschriften. Indessen ver abscheuen stch die vier Ramien unter einander, und den Orleanisten ist Ncckers Aurückkunst (fußet st zuwider. Herr von Ltmon, Kanzler des Herzogs von Orleans, hatte große Lust zu der Stelle eines Generalkontro!leur. Seine Ernennung dazu würde, wie man öf fentlich sagt, eine Wiedeeaussöhnung der Höfe zu Versailles und im Palaiö Royal gewirkt haben. Jezt haben sich diese beiden Kronen, wie es scheint, einen ewigen Krieg geschworen. Der Marquis de la Fayette ist eifrig beschäfti get, seine Pariser Bürger abzurichten und in den Waffen zu üben, und behauptet, er wolle den Reich-ftilnden in kurzem mit 100,000 Bajonetten zu Hülfe kommen, welche die schönsten ordentlichen truppen «ufwiegen sollen. Kenner lachen über das Vorgehen, und nerstchern, 4000 Mann Fußvolk und 2000Reu terei würden diese Patriotenhelden unfehlbar schlagen. Der Zustand der Sachen in Versailles ist schreck lich. Oie Königin kommt nicht mehr au-ihren Zim mern, undste hat endlich auch Ursache genug, wirklich krank zu sein. Die Orleanisten haben öffentlich vor geschlagen, alle Kinder der Königin für und^rc nvh unrechtmäßige zu erklären. Man steht daraus, wie sehr der Graf von Artois Recht hatte, seine Söhne aus Frankreich zu schicken; denn gewiß hätte der N. Mus. Sept. 8-. D 6 Rath
z66
6. Nachrichte« auS Frankreich,'
Rath des Palais Royal andre Wege gefunden, diese Mittelpersonen zwischen dem Throne und seinem An führer zu entfernen. Der König fsr völlig ohne Wache. Die Bür, gerschaft von Versailles hat sich der Zugänge des Schlosses bemächtiget. In den Provinzen brennt, raubt und mordet man von einem Ende des Reichs bis zum andern. .Allenthalben ntmt man die königlichen Kassen weg; und in den Städten findet das Volk, daß jeder Reiche ein Anhänger des Hofes ist, und folglich ninit eS ihm seinen Reichthum. Von Zahlungen, Aufla gen, Polizei und öffentlicher Sicherheit ist gar keine Frage mehr, und die Anarchie ist so vollständig, als man sie sich nur einbitden kau. Besonders groß ist die Unordnung in Elsas. Ban den von Spizbuben, Bauern und Bürger durchstrei chen haufenmeiS die Landschaft und die kleinen Städte, und geben sich für das Volk aus, welches die Freihckt zurücksordert. Da es in den Abteien und gros sen Klöstern am meisten zu rauben giebt, so hält man sich auch vorzüglich an diese. Unter andern tij Lüdres gänzlich zerstört morden, so wie eine Menge reiche Nonnenklöster, und ein großer Haufen war auf dem Wege, Murbacb zu plündern. Eben so geht es allen herschaftlichcu und adelichen Schlössern, auf die sie treffen. Diese bewunderungswürdigen Pa trioten haben Kanonen bei sich, deren einige sie selbst in Huningen nahmen, während die Besazuns abgeschickt war, die Unruhe in Lyon zu stillen.
die
Nichts Ist sonderbarer als die Betrachtungen, man über das anstellen kan, was die Schicksale der
6. Nachrichten auS Frankreich.
367
-er Menschen bellimt. Dee Pöbel von Paris giebt ohne Widerspruch ganz Frankreich den ersten Stoß, lind die HeringSweibee sind jezt unum-chränkte Köni ginnen dieser Hauptstadt, deren wahrer Rath in der .Dorstadt St. Antoine seinen Siz hat. Hier fand man vorgestern säe gut, den Marquis de ta Fayette im Bildniß aufzuhängen, diesen Generalißimus von Packs, der in einigen andern Vierteln so sehr ver ehrt wird! Doch ist sein Bikdniß auch im Palais Royal verbeant worden, ohne Zweifel durch einen förmlichen Schluß des Hofes, welcher sich daselbst befindet. Die einzige noch übrige Hofnung fff, daß Necker I. merke, sein Leben und seine Sicherheit hänge ab lein von der Rückkehr gemäßigter Grundsäze ab, roeh che er wieder einzuführen suchen muß. Aber was werden er und die Rerchsstände aw fangen', um das bewasnete Volk zu Gehorsam und Ordnung zurück zu bringen, welches gewiß niemals die so angenehme Beschäftigung, patriotisch zu raip -en, wird verlassen, und noch viel weniger Aufla gen wird bezahlen wollen? Es wird saff unmög lich sein, Ordnung wieder herzustellen, und jenen Abgrund von Abscheulichkeiten zu vermeiden, wel cher slch den Augen jedes denkenden Menschen dar stellt. Wenigstens werden es die Reichsstände nicht durch schöne Reden unter der Regierung Neckers Stande bringen.
Ausrug
z6-
6. Nachrichten aus Frankreich.
Auszug eines Briefes vom 6. August 1789» ( Ebe» angekommen.) Der Erzbischof von Bordeaux, Siegelbewahrer; -er Erzbischof von Vienne, Großalmosenier; der Graf de la Tour du Pin, Kriegsminister; der Mar schall de Deauvau, Rath des Königs. Diese vier Personen sind die innigsten Freunde -e- Herrn Necker; und wenn er sich der unbegrenz ten Macht, die in seinen Händen ist, -u bedienen, und die ausschweifenden Forderungen, die der Tierös etat auf Anstiften des Herzogs von Orleans wachs, zu mäßigen weiß, so ist sicher, daß Frankreich plvzlich eine Stufe von Macht erreichen kan, welche es noch nie hatte. Aber eine schwache und schlechte Ver waltung wirb cs im Gegentheil zu einem Schcruplaz von Abscheulichkeiten und ewigem Hasse machen, -essen Ausbrüche sich bei jeder Gelegenheit erneuern «erden.
Neues
Deutsches Museum. 4. Stück.
Oktober, 1789.
r.
Von dem Adel. Ueber eia« Stele aut Dupatty Lettres für 1’lulle. Den Großherzog von Toskana betreffend.
«^)er Präsident Dupatty beflüttigt in feinen Briefen über Italien, das allgemeine Lob der Re, gierung des Grvßherzogs Leopold von Toskana. Er rühmt seine Popularität, seine Menschenliebe, seine Erziehung, seine Sparsamseit, seine Gerechtigkeit - Liebe, und sagt unS überhaupt von diesem erhabenen Regenten soviel Gute» und Schönes, daß man dem Schrift stellcr beynahe darüber seine oberflächige Urtheile, und seme Sentenzen und Antithesen-Zagd vergeben mögt«.
Bey solchen Gesinnungen des Präsidenten ist es um soviel mehr zu verwundern, wie derselbe in dem Men Brief sagen konnte: Arm6 de N. Mus. oft. 1». C t Bien
370
I.-Voll. Lern Adel.
Bien puHie, le grand Duc a attaque,tqus les 'Privileges go la Noblesse, il les a vaincns. II a detruitc les dernieres racines de la De-* mocratie en fuprimant les Cofifrdries; les dernieres racines de l’ariftocratie en laissant mourir Fordre des fenateurs. II n’y a plus qu’une Classe de fujets en Toscane, üc un seul rnaitre. Le ^fand Düc oft cdntraifit de bien gouverlier. II ne pent faire une seule saute; tär asant reun! tont le Poavoir poliriqne tti fa maln, il ne matique plus au pcuple de Tofcane, pour eerc libre, qu’un Tiran, il a deja un Defpote.
Le grand Dud voit passer, ponr ainfi direüne Penfee mecontente au fand de i\;ne> •&Farrete tont Court par un feul Mut. On lui reproche d’avoir des Efpions. Il repond je n’ai pas des Trouppes. *) •
Es *) Bewaffnet mit dem gemeinen Velden, hat M VroßherZog alle Vorrechte des Adels angegriffen, hat fu? besiegt. Er hat d^e lezlen Demokratie zerstört durch Unterdrückung der? .nte, die leMe Wurzel der Aristokratie, in dem azu, rind mehr oder weniger der Staatsmann sein, der mit Einsicht
an den
Welthändeln Europens nach seiner Lage Antheil
zu nehmen im Stande ist.
Zwar hat Europa
der Fürsten genug gehabt, und hat sie noch, wel che diese wichtigen Talente besessen, und sie auf dir
-um künftigen Geschäftsmann.' die thätigste Weise bewiesen haben. hung hat sie ihnen
Z4k
Die Erzie
gewiß nicht allein
gegeben-
und cs ist vergebens zu erwarten, daß sie allem
sie einem Fürsten geben werde,
wenn nicht btt
Kraft zur künftigen Aeusserung derselben mit ihm geboren wird. Wenn schon in dem Jünglings alter cd sich entscheidet, daß dem Prinzen für ei
ne von diesen wichtigen Bestimmungen Neigung
und Fähigkeit fehlen, so wird man sich begnügen müssen, ihm die Keutniffe mitzutheilen, welche
ihm wenigstens hinrcichen, um seine Diener, die
in derselben seine Stelle vertreten sollen, mit ebniger Einsicht ausznwahlen
und zu beurtheilen.
Aber in seinem Knabenalter muß er geleitet wer» den, als wenn alle diese Talente in, ihm lagen.
Man muß abwarten, wie sich eines oder dar an
dere noch bei ihm
entwickele.
Man muß
in
sonderheit dahin sehen, daß die erste Leitung nicht
indem sie Einem Talente hilft,
daß es sich ent«
wickele, die Entwickelung eines andern niederhal« te, und seinen Geist zu sehr davon ablenke. Z. B.
der Prinz zeige sich kühn und mutig.
Man hat
also Hofnunq, Ein Bedürfniß des Staats erfüllt zu scheu.
Aber er ist unbedachtsam, es zeigt sich
Fein Geist der Ordnung; seine Lebhaftigkeit macht
ihn bald zu
einem MemannSfreunde,
bald in
einzelnen Fällen rachsüchtig und hartherzig. DaS
Land wird also vielleicht einen guten Krieger,
aber einen
schlechten Wirt und Oberrichtcr an
N. Mus. Nov.
P p
zhm
54* 4« Frag«, über die Erziehung eines Prinzen ihm bekommen.
Oder er ist pünktlich, sorgsam in
Kleinigkeiten, sparsam in den ihm überlassenen
Ausgaben, aber furchtsam und ängstlich.
Nun
ist
die Erwartung des Gegentheils von jenem da. Wie oft wird eS nicht in solchen Fällen mit Prinzen versehen i
Man leitet sie in dem Wege fort, bett sie am liebsten gehen, und sucht sie dann,
wenn die Neigung sich festgesezt hat,
vergebens
in einen brr andern Wege zurück zu bringen, den
sie doch auch gehen müssen.
Das rathsamste im
Allgemeinen scheint mir diese« zu sein: arbeite der Neigung zwar sich am frühesten zeigt;
nicht fort.
Man
nicht entgegen, die
aber man helfe ihr auch
Sie wird schon wieder aufleben, wenn
man sie ernsthafter benuzen will.
Aber destomehr
Hemühe man sich > die fehlenden/ aber dem Prin« zen für andre Zwecke zuträglichen Neigungen zu
erwecken,
unb den Leidenschaften und der
mütsart,
die diesen
widerstehen,
Ge
zu begegnen.
Man suche dem zu lebhaften Prinzen Geist der Ordnung, Milde, Billigkeit zu geben.
Man
bringe ihn oft in die Lage; da er sie von selbst äussere
oder sich dazu entschliessen muß.
Den
furchtsamen Prinzen suche man kühner zu ma chen, benehme ihm die zu große Pünktlichkeit, daß
sie nicht Kleingeistigkeit werde.
zum künftigen Geschäftsmann.
54z
Der zweiten Abtheilung
zweites Fragment.
Von der moralischen Bildung des Prinzen in seinen Knabenjahren. Wenn gefallende Sitten, wenn Wohlwollen m sichern und nie triezenden Zügen des Gesicht«
ausgedruckt, wenn ein freies aber sanftes Betra gen je einem Menschen zur Zierde dienen, so hat dies insonderheit bei den Großen der Welt Statt.
Sie haben das große Vergnügen, daß ein jeder Zug in ihrem Betragen aufmerksam beachtet wird.
Sie geniessen den Lohn ihrer Bemühung zu ge-?
fallen unmittelbar in den deutlichsten Zeichen des Beifalls und der Zufriedenheit, die sie erregen.
Wenn der niedere im Volk alle die Fähigkeit zu
gefallen besizt, und sie bei jeder Gelegenheit äust ftrt, so ist er doch zu oft in dem Fall, da erde, nen, mit welchen er umgeht, nicht wichtig ge
nug scheint, daß sie aufmerksam auf ihn würden. Der Mensch
muß schon einen gewissen Stand
punkt in der bürgerlichen Gesellschaft erreicht ha
ben, dem man füt seine Bemühung und Kunst zu gefallen einigetwaßen Dank weis.
Aber ge«
fallende Sitten sind nicht bloß eine Zierde des Prinzen, sie sind ihm zu den Zwecken seines Le
bens iwthwendiger,
als
irgend einem
Pp r
andern Men-
§44
4* Fkatzrn. ichLr die Epziehktng emeö Prinzen
Menschen.
Doch davon zu reden, wird sich unten
ein bequemerer Ort finden. Äies ist der Hauptsache nach so allgemein
Mlerkattt,
daß
man die Ausbildung der Sitten
eines Prinzen zum ersten Zweck und zur frühe
seiner Erzieher cut den mei
sten Beschäftigung sten Hefen mache.
den meisten.
Zch sage mit Bedacht:
an
giebt auch Höfe, wo hier?
Denn
«u gar nicht gedacht wird.
Ich rede hier noch nicht von der Ausbift düng des Körpers, die auch auf diese äusserlichen.
Sitten ihre Beziehung hat, und durch förmlichen Unterricht gegeben wird. Bei manchem Prinzen laßt man dies die
Hauptsache sein, und
wenn
durch
Prinzen
die
glaubt, alles sei gethan,
gewöhnlichen Exerzitien
eine prinzliche
dem
Stellung gegeben ist.
Mein Prinz ist noch eiy Knabe, und fett» Kör
per noch nicht fest genug, diesem Unterricht
daß man schon
aus
ein Hauptwerk machen tonte.
Aber er ist schot, alt genug für die erste Anlei tung zu guten Sitten, die durch anfangende Auf klärung des Verstandes und durch zeitig erregte
Gefühle des Herzens bewirkt werden muß. Die Voraussezung, -aß der Prinz in fei* nein Knabenalter schon mit seiner künftigen Be-
fttlnmung bekant fei,
leitet eine andre herbei: Ein
Ml künftige Geschäftsmann.
545
Ein solcher Prmz wird mehr $mn Stolz geneigt
sein ,
als irgend
andre Knaben seines Alters»
Nichts steht der Begierde zu gefallen so sehr ent gegen, als der Stolz, und nichts hindert die Aus bildung in der, Kunst zu gefallen fe sehr, als frü
her Stolz. Angenommen/ daß die fürstlichen Eltern ei nes Prinzen die Wahrheit
davon
einsehen, so
wogte ich einen Rath wagen, der sonst schwerlich Eingang finden mögte. doch
mit solchen
Es ist dieser, daß man
öffentlichen Ehrenbezeugungen,
die zu nichrs dienen,
als seinem jungen Herzen
enrzupragen, wie hoch feine Person blos durch sei ne Geburt unter den Menschen stehe, ehe er sich
noch irgend
eines
Verdienstes und wesentliche»
Borzuas bewußt sein kan, daß man, sage ich, mit selchen Ehrenbezeugungen doch wenigstens so lan ge warten möge, bis man fleht,
ob das Herz
des Prinzen sie schon ertragen könne.
ritten
Ich sah
achtjährigen Prinz«» mit feinem Hofmei
ster einen Spazieraang über den Waö des Re-
sidenzschlosscs machen. bei
In einer Viertelstunde,
dem Hinqehen sowol als der Zurückkunft,
ward zweimal das Spiet vor ihm gerührt, und
die zahlreiche Wache trat ins Gewehr.
Nun
dachte ich, der Prinz muß ein Engel sein, nun»
nid)t Stolz sein Herz etnnimt?, sondern denncch wahre Begriffe von Ehre zeitig bei ihm Wurzel fas-
54ß fassen.
4‘ Fragm. über die Erziehung eipes Prinzen Laß ihn dergleichen Ehrenbezeugungen tf*
ne
Weile als bloß der Hoheit des wirklichen Re genten gebärend ansehen, aber immerhin sie für ihn aufgespart bleiben, bis er schon
weis, wa«
wahre Ehre für einen Prinze» sei, und auf waS
für Wegen sie sich erwerben lassen. Ein zweiter Rath wird vielleicht weniger Widerspruch finden.
Man lasse den Prinzen
viel mit solchen Personen umgehen, die seine Ach
tung erwerben können, ohne daß von Rang und Stande dabei denen
die Rede wäre.
Personen, die ihr
Und selbst bei
Rang jedem
andern
schon ehrwürdig macht, lasse mqn ihm mehr von
deren übrigen Vorzügen, als von diesem, hören.
Man lasse ihn insonderheit aus dem Munde sei ner fürstlichen Eltern oft hören, daß die Perso nen, welche
sich ihnen und beiläufig ihm, dem
Prinze» selbst, vorzüglich nähern dürfen, nicht so-
wol ihres Ranges wegen, als deswegen von ih nen geachtet werden, w^il sie gute, weise und nüzliche Diener ihres Fürsten sind.
Man
erlaube
oben diesen ans eine ungezwungene Art sich mit ihm zu unterhalten, und entferne alle die, wel che auch vor dem Prinzen als Knaben schon zu kriechen gewohnt sind.
Es wird nicht ganz an Gelegenheit fehlen,
da
man ihn merken lassen kan, daß einzelne Men schen, die durch ihren Rang und andre äusserliche
1
Bor-
|um künftigen Geschastsniann.
547
Vorzüge seine Aufmerksamkeit auf sich ziehen, Nicht
seine Achtung verdienen.
Aber dies Mittel muß
behutsam angewandt werden.
Man darf höch
stens nur mit Vergleichung xeden: Aber der Mann dort ist doch eins ganz andrer Mann!
doch auch
dies muß selten und mit Vorsicht geschehen. Der Prinz muß
nimmer verleitet werden, einzelne
Menschen zu hassen oder zu perachten.
Am leichtesten entsteht diese Achtung in eiper jugendlickcn Seele für diejenigen, welche einen
Knaben unterrichten.
Er geht mit niemandem
um, der ihm seine Geisiesfähigkeiten so oft und so deutlich
zeigen fönte, als diese.
Wenn der
Prinz überhaupt lenkbar ist, so müssen ihm der
Rath und die Weisungen seiner Lehrer und sei-
Ue6 Hofmeisters die ersten und ernsthaftesten Er»
fahrungen geben, was ein weiser Mann sei, und
minder tvetfen diene. Gegentheil
wozu
der
Keine
fürstliche Elteri» werden das
weisere dem
hievon wünschen.
Sie werden
vielmehr
den
Lehrer oder Aufseher halb entferney, von welchem sie bemerken, daß^er des Prinzen Achtung sich
nicht erwerben sönne. andern
Seite diesem so
Aber wie tpird auf der Wichtigen Zwecks durch
die Lage entgegen gewirkt,
in welche das Zerr«
monicl die Lehrer der Prinzen feit, welche man
doch aus Noth unter Gelehrten jucken muß, die
kein adeliches Blut den Großen der Erde etwas näher
548 4- Frag«, über Lie Erziehung einrs Prinzen näher stellt! Cs sind viele’ fürstliche Hofhaltungen
in
Deutschland, wo man den Lehrer und mora
lischen Aufseher der Prinzen in Einer Person be. soldet.
Dies geschehe nun aus Sparsamkeit oder
ans andern Gründen , recht, wenn
so ist es gewiß nicht Un
der Mann gut gewählt ist.
Der
Prinz ist gewiß am geneigtesten, den Mann für weise genug zu halten, um ihn zu regieren, von
dessen Kentnissen er das Gewicht bei jeder Un
terweisung fühlt.
Er hat auch öftere
Gelegen
heit, und die Veranlassung dazu entsteht ihm na-
türltcher, als dem Hofmeister vornehmeren 9tmu ges, der etwa nur herbei gerufen wird, wenn der
Prinz unartig'ist, und. überhaupt nur bei dem selben erscheint, um die Rolle seines Sittenrich
ters auf eine vielleicht sehr
spielen.
eintönige Weise zu
Aber eben jener Mann darf, weil er
nicht adelich ist,
nicht mit dem Prinzen essen,
darf nicht seinen bürgerlichen Körper an eben der Tafel sättigen, an welcher des Prinzen Körper sich nährt.
Er soll ihn bei Tisch beobachten, ißt
deswegen in dem Nebenzimmed bei geöfneter Thü
re.
Der Prinz wird ungesittet;
denn Knaben,
wenn's auch Prinzen wären, werden es nirgends
lercbter, als bet Tische.
Und nun soll eben der
Mann, welchen der Prinz in einer wirklich de mütigenden Lage neben, sich sieht,'denselben'zur
Ordnung bringen.
Äst
zum künftigen Geschäftsmann. Ist es Wunder,
549
wenn der Prinz unter
solchen Veranlassungen eine Widerstzlichkeit wagt, und tritt sei
nicht wagen würde,
die er sonst
nem Lehrer in einen Ton hineingerath, der alles
Gute zulezt stört?
Wie zweckwidrig
ist doch
dies!
Man lasse einen solchen Mann in derjenigen
Entfernung von den fürstlichen Eltern des Prin
zen, welche die Etikette gebietet,
wenn ja deren
Geseze als so unverbrüchlich gelten sollen. was kan es schaden, wenn der noch
Aber
unmündige
Prinz in dem Gedanken gelassen wird, seilte Zeit
fei noch nicht kommen, da zwischen ihm und an dern rechtschaffenen Menschen der Unterschied im äusserlichen Statt habe, durch den sein Vater als regierender Herr seine Hoheit behaupten zu müssen
glaubt.
Daß man mich doch hier und in der Folge, wo ich auf ähnliche Dinge geraehe, nicht unrecht
verstehe!
Ich will nicht, daß man den Prinzen
demütige, und ihn hcrabwürdige, wie unser einer.
daß er weide,
Ich will nickt, daß er, wie der
Kronprinz von Whida an der Negerküste das Vieh hüte, nm ein desto lenksamerer Fürst zu werden.
Aber das wünscke ich; daß man seine Seele, wenn's
Möglich ist, arbeite.
zu der edelsten Seele im Volk aus
Die edelste Seele im Volk ist gewiß
fcfc würdigste, eine Fürsrenseele zu fein; Das wün sche sch, daß ,
wenn aus dem Tande des Hofes
Hin-
zzs 4« -Fragm.über die Erjichung rinss Prinzen Hindernisse bggegcri erwachsen, sie diesem großen Zwecke nachstehen. Ich behaupte, daß die Seele eines Fürsten gebildet werden könne, ohne pon die» fern falschen Anstrich der Hoheit in jungen Jah ren etwas erfahren zu haben. Ich behaupte, haß der Prinz auch zu seiner Zeit auf seine Wär» he zu halten wissen werde, ohne durch die De mütigung würdiger Personen dazu vorbereitet zu werden. Wie haben StaniSlgnS Lescinsky, nnh Stanislaus Poniatowsky gelernt, den König mit Würde zu machen, als sie diese hohe Stufe der Ehren bestiegen? Wy lernte es Johan Sobiesky. Point de basseste! sagte er seinem nicht zur Kro ne! bestimmten auchnie> dazu gelangten Sohne, als diesen der Anblick eines Kaisers überraschte, und er eilte, ihm die schon hingehassene Hand zu küssen. Jener Graf hatte ganz recht, der, als et seine Söhne seinem neuangenommenen Hofmeister harstellte, jhm sagte: Lehren Sie meine Söh. ne das, was Sie wissen, und jene nöthig ha ßen. Daß sie Grafen- sinh, will ich sie zu sei ner Zeit in Einer Stunde lehren. Das Für» stenfind wird es, sobald es die rechte Zeit da zu ist, in Einer Stunde lernen, haß es ein ge« borner Fürst sei, und, wenn man es überhaupt vor niedriger Denkungsart bewahrt hat, sich bald Kürstenmäßig zu betragen wissen.
Ähr,
zum künftigen Geschäftsmann. v
551
Ihr, die ihr in dem Gange alter Hvftaude»
leien eine Fürstenseele zu bilden verweilst, bedenkt doch, daß euer Prinz ein Knabe ist , das ist ei» Mensch, noch sehr unvollkommen, wie alle Men schen , wenn sie noch Knaben sind.
Denn wer
hat je gesagt, je gefunden, daß der Herr per Er
de
die Fürstenseelen aus einem besondern Stoffe
bilde, und den Völkern nur Regenten gebe, die von ihrer Geburt an Kraft genug in ihren See len haben, daß sie nichts vpn aflem dem versähe
ren tönte, was andre Menschen verführt, wem»
sie
schwach,
wenn sie no,ch Kinder sind.
De,
denkt, daß ihr einen Mann zu bilden habt, der
sich seine wahre Ehre
seihst durch
Handlungen
und nüzliche Thätigkeit erschaffen muß, aber dies
leicht vergessen wogte, wenn ihm vpn seiner Ju gend an vvrgespiegelt wird,
als sei seine Ehw
schon ganz ihm anerschaffen.
Und dies muß er
alsbafln gm lebhaftesten sich rinbilden,
wenn er
sieht, daß Thätigkeit, Kentnjffe und Weisheit zu
seinem
Dienst zwar gedungen werden können,
aber Pen Mann ,
der sie besizt,
nicht über die
Demütigungen, die er neben ihm leidet, hinaus heben, bloß weil ihm von jener Ehre zu wenig anerschaffen ist.
Nur mit dem Prinzen, hm man vor lee« ren Stolz bewahrt, kan man weiter gehen. Man
kan ihm reine Neigungen des Wohlwollens ein» flössen.
Reine
Neigungen, sage ich, die nicht
schon
5$2 4. Fragm. über die Erziehung eines Prinzen schon früh« den Anstrich
falscher Größe haben,
und bei denen das Herz wirkt. Man wird den Beweis nicht von mir er» warten, daß diese Neigung eine der nothwendig«
sten für die Regenten der Völker sei, und
daß
man daher nicht zu sehr eilen kan, sie den jun» gen Prinzen einzufiössen. Das Wohlwollen oder die Neigung, die Vor«
theile anderer nach unserm Vermögen zu bewir«
seh, und uns derjenigen, die ihnen ohne unsere Einwirkung entstehen, zu erfreuen, gründet sich
entweder auf Verbindungen, oder auf den Gefal«
len, den wir an andern finden, oder auf Mitlei» den.
In der ersten Absicht wird einmal die ganze Zahl der Unterthanen Anspruch auf das Wvhlwol-
len des Prinzen haben.
Aber jczt laßt sich ihm
dieses nur in einer entfernten Perspektive zeigen, die ich auch einem jungen Prinzen nicht zu früh
und nicht zu ost vorhalten mögte.
In die Sze»-
nen de« Elendes, die sern Mitleid erregen, mög te ich ihn auch nicht zu oft führen, wenn es auch schicklicher Ware, als man es an Höfen dafür hal« ren möate.
Denn man muß auch verhüte», daß
der Prinz nicht weichherzig und zu empfindsam
werde. Seine künftige Bestimmung ist nicht, dem
Elende Einzelner abzuhelfen, sondern das möglich
größte'
jltt» künftige» Geschäftsmann. größte Wohlsein Vieler zu befördern.
553
Ein Prinz,
dem Man. zu oft das menschliche Elend Einzelner
unter Augen bringt, wird mehr darin finden, als
,r de
z« der Zeit feite, nämlich, daß unter dem Mon
nickt alle Manschen glücklich sein iönnen, daß Biele durch ihre Schuld unglücklich find. Er wird in der dadurch entstehenden Weichheit sei» neS Herzens vielleicht eS als das erste Gluck sei nes künftigen Standes
ansehen,
daß er der all«
gemeine Wohlthäter seines Volks sein werde, aber
es immer nur in
einzelnen Fallen
sein wollen.
Damit wird er sich selbst ein Genüge thun,
und
der viel schwerer auszuübenden Pflicht vergessen,
der allgemeine Wohlthäter seines Volks durch ei
ne
wohlüberlegte Wirtschaft
zu werden.
Von allen Zeiten her sind die Fürsten schlechte StaalSwirte gewesen, bei denen die Bitte um ein zelne Wolthatcn gar zu leicht Eingang fand.
Im Ganzen kömt cs hauptsächlich darauf an, sein Gefallen und sein Mißfallen zu leiten, daß je nes nur Personen treffe, die seines Wohlwollens
würdig find. Auch in dieser Absicht wird es wichtia, zu verhüten, daß nicht bloß Geburt, Rang und Titel als
erscheinen.
die Hauptgründe der Empfehlung ihm
Sollen aber deswegen diese von ihm
entfernt, soll ihm etwa ein Umgang bloß mir
Menschen ans den niedrigern Volkskiqssen ausge.
554 4-Fragn», über di« Erziehung eines Prinzen sucht werden? KeineSwegcs. Er mag immerhin Unter denen Menschen leben, die vorzüglich für seinen Umgang gehören. Das Verdienst derselben wird Stufen genug haben, in Ansehung derer man sein Urtheil leiten kan. Man beachte ihn infotu derheit, wenn er an einzelne derselben sein HerL zu hangen und ihren Umgang vorzüglich zu wüm sitzen scheint. Vorausgesetzt, daß man nur gute, we nigstens erträglich gute Menschen ihm so nahe kommen lasse, und nicht in die Nothwendigkeit gesetzt werde, einen ihm angenehm gewordenen Umgang gewaltsam wieder abzuschneiden; so leite man fei» Urtheil über jeden derselben. Man zeichne ihm aus, was dieser, waS jener wirklich Gutes habe, in Ansehung dessen auch er durch ihn gewinnen könne. Man halte ihn von dem Um gänge mit allen solchen Menschen ab, die er über sehen oder gar verachten wütde. Als Knaben" lasse man ihn schon mit wohlansgewählten Jüng lingen umgehen, und mache ihn dann auf jeden an denselben bemerkten Vorzug aufmerksam, tvek chen nachzuahmen er schon wagen kan, insonderheit auf diejenigen, die solchen Mängeln entgegen ste hen , welche er anzunehmen änfangt. Tragt er z. D. seinen Körper nachlässig, so lobe man ihm gele» gentlich, nicht in dem Wege einer beschämenden Vergleichung, den guten Anstand; ziert er sich in seitdem Betragen, das ungekünstelte Wesen, dieses
. zum künftigen Geschäftsmann. djeses oder jenes seiner Dekanten.
55$
Ist er blöde
oder sucht zu sehr nach dem Worte, so bringe man ihn mit Jünglingen zusammen, welche die Gabe eines leichten Ausdrucks
und Umganges
haben,
doch nimmer mit solchen- die schon gelernt haben, über ein
leeres
Jkichts
viel Worte zu machen.
Wird er naseweis, fängt er an, falschen ober wol
gar hämischen Witz zu äusser«,
so müssen alle
Menschen von ihm entfernt werden, welche nie drig genug sein mbgten,
seinen Witz zu loben.
Aber keiner derjenigen, mit denen er umgehen darf, muß dadurch entrüstet werden, sondern jeder auf
solche Art darüber weghören, als wenn er nichts
gesagt hatte, das Aufmerksamkeit verdiente.
Will
er ftd), nicht zur Ordnung gewöhnen, so muß man
ihn oft hören und sehen lassen, wie dieser oder je, nee es macke, und wie wohl er sich dabei befinde.
Die Lust zur Ordnung muß früh einen Gegen stand haben.
In dem Alter, da noch nicht von
Geschäften und deren vielfältigen Werkzeugen, Pa
pieren und Büchern die Rede ist, müssen dieser Gegenstand andere
dem Gebrauch des Prinzen
überlassene Dinge sein.
Das sind nun hauptsäch
Ich gehe nicht so weit
lich seine Kleidungsstücke.
zu rathen, daß man dem
Prinzen als Knaben
noch keine Garderobe von Belang, merdiener zur Aufsicht
keinen Kam
über dieselbe geben solle. Zwar
;Z6 4. Fragm. über dir Erzieh. eines Prinzen rc. Zwar sind die Zeiten noch nicht sogar weit zurück, da
auch bei königlichem Prinzen nicht davon die Rede war;
da noch ein Christian IV. den Hofmeister
seiner Sohne schriftlich anwies, dafür zn sorgen, Laß ihre Strümpfe gehörig geflickt wären, wenn
sie nach Kopenhagen kämen.
Aber man lasse we
nigstens alles unter des Prinzen eigener Aufsicht
und Aufbewahrung, was klein und reinlich genug dazu ist, und gebiete den Bedienten, in Hervor» stchung und Zurechtlegung dieser Dinge nicht zu
aufwartsam zu sein.
Man gewöhne ihn, alles,
was dessen würdig ist, in guter Ordnung und Ge> wahrsam unter dem Schlosse zu halten.
Verliert
und verwirft er Dinge, die ihm lieb sind, so lasst
man ihn den ganzen Verdruß des Nachsuchens em pfinden, und was er nicht findet, ihn so lange
entbehren, als es irgend thunlich ist.
(Der 'Beschluß im nächsten Stück.)
5Das Wundermädchen von Marsal eine Erzählung
Lus der ersten Hälfte des dreizehn ten Jahrhunderts.
Ammer spielt die weibliche Eitelkeit dasselbe Spiel; bloß im Spielzeuge liegt der Unterschied; bald sind es die Herzen derMqzmer, bald ist es die Religion.
In Marsal, einer Stadt in Lothringen, hatten sich verschiedene Deguinen, unter Leitung ihrer geistlichen Führer, der Dominikaner, vor züglichen Ruf und vorzügliche Achtung von Heilig»
keit erworben.
Ein gewisses Mädchen, S ib yl la,
wünschte sich auch einen solchen Ruf, eine solche
Achtung.
Unter dem Scheine frommer Einfalt
zu tauschen, gelingt ja wol im Jahrhundert der Aufklärung: im dunkeln Mittelalter war cs so leicht' Durch fleißiges Besuchen der Frühmetten
und Messen und ähnliche Künsteleien der Andacht
empfahl sie sich in kurzer Zeit den sänitlkchen Ein wohnern ihres Städtchens.
Vorzüglich gelang
es ihr, besonders durch versteckte Winke von EngelN.Mus.Nov. z».
Qq
«rschei-
5$8 z. Das Wundermadchen von Marsal; erschcinüngeii, bei etncitt guten froNnNen Ehepaare,
das ihr sogar ein eigenes Kämmerlein eingab, um
hier im Stillen ihr Beten und Fasten, und das ganze Werk des Heiligwerdens,
desto geheimer
treibe« zu können. Es wahrte nicht lange, so sprach der allgemeine Ruf von Sibyllens Heiligkeit.
'Gut macht Mut: glücklicher Erfolg in einem Lieblingeentwurf macht ihn auch.
Nach und nach
ließ Sibylla sich das Geständniß ablochen, sie würde im Geiste gen Himmel entzückt.
Den ganzen
Tag verweilte sie auf ihrem Lager, als ob sie schliefe, ohne zu essen und zu trinken. Ihre Haus
wirtin, eine giite Matrone von starkem Glauben,
hielt das Kämmerlein fest verschlossen, und nie mand durfte hinein.
Nur zu gewissen Stunden
in der Nacht gab Sibylle einen langen,
tiefen
Seufzer von sich, gleichsam als Merkmal von Wie dererholung.
Kam nun ihre andächtige Matrone,
wenn sie das leise Seufzen hörte, eilend zu ihr,
und brachte ihr zu essen und zu trinken > so schlug
sie alles aus: sie würde, sagte sie, durch himlische Nahrung so gelabt, daß sie der irdischen überhaupt entsagte.
Dabei war ihre kleine Wohnung bestän
dig mit Wohlgeruch erfüllt: die Engel, versicherte das Mädchen, ließen ihn zurück.
Uebrigens, bat
sie ihre Wirtin, möqte sie sich nur nicht fürchten, wenn sie etwa des Nachts die Hausthüre knirren,
oder sonst ein ungewöhnliches Geräusch hörte; die ses
eine Erzähl, a. d. erst. Halste d. 13. Jahrh. 559 ssS Geräusch käme vom Teufel, ihrem Peiniger und Widersacher. Franziskaner und Dominikaner besuchten sie,
beobachteten sie genau:
keine Spur von Betrug
war zu entdecken: Sibylla wurde der Gegenstand ihrer Predigten und Lobreden,
Alles drängte sich
zu ihr, selbst der Bischof von Metz, dem damals
Marsal
gehörte,
Grafen,
Ritter, Priester,
Mönche, ganze Schaaren von Männern und Wei bern.
Aber nur für wenige war Sibylla sichtbar 1
kamen zuviel Besuchende, so hatte sie, wie gewöhn lich, eine Entzückung gen Himmel, und sagte vor
her, sie wurde nicht eher als in drei Tagen von
dort zurückkehren:
Ihre Kammer blieb also ein
Heiligthum, dem sich niemand nahen durfte: und
diejenigen, die wieder abziehen mußten, ohne sie gesihen zu haben,
erzählten dennoch,
nach den
Ansagen der Einwohner von Marsal, bei ihrer
Zuruckkunft ihren
staunenden Zuhörern Wunder
über Wunder. Aber aß denn Sibylle wirklich nicht, trank
sie wirklich nicht? wurde sie wirtlich gen Himmel verzückt? Dieser Gedanke war doch so natürlich,
ül6 das; cr nicht bei dem Bischof nnd seinen Prie
stern und'Mönchen hatte aufsteigen sollen.
Um
sich davon zu versichern, lies; der Bischof die Hei lige in eine Wohnung bringen, wo sie genauer, als in ihrer bisherigen, beobachtet werden solte.
Qq 2
Neuer
z6s 5. Das Wundermädchefl von Marsal; -
Neuer Schauplatz, andere Szenen! Alleilt
mußte das Wundermädchen bleiben: darauf kam,
wie man sieht, alles an.
Auch des Nachts mußte
man sie allein lassen; denn Engel schützten sie ge gen die Anfechtungen des Teufels.
Unaufhörlich
jammerte sie über diese Anfechtungen:
und um
ihre Klage wahrscheinlich zu machen, zerriß sie deS
Nachts die Kissen von ihrem Bette, und streute die Kedern wild in ihrer Kämmet und im ganzen
Haufe umher.
Das thäte ihr Peiniger,
der
Teufel, sagte Sibylla: und jedcrman glaubt' es ihr, und bedauerte die arme Geplagte. Aber nun das Schlimmste! Sibylla wurde so
scharf bewacht, daß sie keinen Dissen zu essen, kei nen Tropfen zu trinken bekam.
Drei lange Tage,
drei lange Nächte brachte sie hin ohne Speise und
ohne Trank:
beinahe
hätten ihr Hunger und
Durst ihr Geheimniß abgezwungen.
Aber waö
vermag nicht Weiberlist gegen geistliche Einfalt! Drei Tage und Nächte, sagte sie zum Bi schof, hatte sie in Entzückung geschwebt: in dieser
Entzückung wäre ihr offenbart worden, sie mögte ja nicht länger hier verweilen, wo der Teufel mehr
Macht über sie hätte als sonst; sie müßte befürch
ten, voll ihm in Stücken zerrissen zu werden; nur darin bestände ihre Rettung, wenn sie ihre vor.ge
stille Wohnung tvieder bekäme;
sie den Bischof dringend an.
und darum flehte
Der Bischof erfüllte ihren
eine Erzähl, a. d. erst. Hälfte d. iz. Jahrh. 561 ihren Wunsch; Sibylla wurde wieder zu ihrer gu»
een Matrone mit dem festen Glauben gebracht. Jezt war sie der Schlinge entgangen: man feite glauben, sie hätte sich mit ihrem Triumph be
gnügt:
aber nein!
Daß ein Bischof und seine
Mönche und so viele Beobachter mit Wunderglau ben an ihr hingen, schmeichelte ihrer Eitelkeit z« sehr, als daß sie da6 Spiel ihrer Laune schon hätte
anfgeben sollen.
Verhüllt in eine schwarze Kutte und in eine Kappe mit einer Tenfelsfratze, machte sie sich eine Kurzweil ihre guten Wirtsleute mit rauher hohler
Stimme zu ängstigen.
Immer dreister, wagte
sie sich sogar in ihrer Höllentrachtz ans Fenster, so,
daß sie vielen Vorübergehenden Schrecken einjagte. Und «tich damit nicht zufrieden, rante sie des
Nachts in allen Straßen und Gäßchen umher, und wer ihr begegnete, dem rief sie fürchterlich zu,
sie wäre der Teufel, der jenes verruchte Geschöpf, die Sibyfla,
unablässig quälte.
Natürlich floh
alles voll Entsetzen vor ihr, und sie konte sicher unbemerkt wieder nach ihrer Kammer schleichen.
Uin diese Zeit ihres geistlichen Romans starb
ein gewisser Einwohner von Marsgl, der eben nicht den besten Ruf hinterließ.
Sibylla, die et
von ihren Hausgenossen erfuhr, fand darin Ver
anlassung zu einer neuen Szene.
Gleich in der
folgenden Nacht wanderte sie trt ihrer Maske vor die
562 Das Wundermabchen von Marsal; die Thüre der Schlaskammer ihrer Hausgenossen, und rüste mit ihrer angenommenen Stimme, als war' es der Teufel, gräßlich hinein: „Ha! wel chen Schaden hat sie mir heute gethan, die ver ruchte Sibylla! geraubt hat sie mir meinen Freund der heute gestorben ist. Sie wurde gen Himmel entzückt, wo sie drei Tage verweilen wird; dort hat sie ihn durch Gebet und Fürbitte für sich behal ten: und doch hielt ich ihn schon für mein, und wolte ihn schon führen auf meine große Wisse."— Als hie erschrockenen Horchenden fragten, was das wäre? fuhr sie fort: „ ich hab' eine gar große, gar anmutige Wiese, auf die ich meine Freunde führe, damit sie sich letzen mögen. Immer ist sie mit einem Thau von Schwefel und Flammen be deckt; da spielen Gewürme und Ottern und Schlan gen und Kröten, groß und klein; mit diesen Thlerchen laß ich meine Freunde scherzen, und in dem Schwefelthau werden sie von meinen Engeln herum gewälzt. Aber einen davon, der mir so lieb hat mir jenes Mädchen entrissen; gern zerriß ich sie dafür in Stücken; aber das wag' ich nicht, denn Engel sind ihre Beschützer. Weh mir! daß ich euch das verkündigen muß, und gegen mich selbst! denn komme ich zurück zu Satan meinem Herrn, so quält er mich mit scheußlichen Martern. Und doch wag ich nicht von euch scheiden, ohne euch vor jener bösen Brut zu warnen, damit ihr xuch vor ihr hüten mbg-kz euch sag' ich das, euch, die
eine Erzähl, a. t>. erst. Halste d. 13. Jahrh.
563
die ihr mich hört, damit ihr nicht kommet auf die große Wiese • “ — Auch diese Farce sand vollen
Glauben hei dem Bischof und bei allen andern. Tags daraus besuchte sie der Bischof, bloß von
Dominikanern begleitet; denn sonst durste niemand
Sie fanden sie auf ihrem
zu ihx gelassen werden.
Bette liegend, hochroth im Gesicht und scheinbar fchtaftnd: ihr Bettzeug war sehr weiß und zart, ihr Kopfkissen so fein,
daß man hätte zweifeln
mögen, ob cs auch ein Werk von Menschenkunst sein könte.
Wie in einem tiefen Schlummer war
ihr Odem so leise, daß kaum ein Hauch davon noch
merklich blieb.
Zn der tiefen Stille um sie her,
wagte man kaam eine Frage an ihre Hauswirtin, woher die Heilige so weiße, so wohlriechende Wä
sche bekäme?
Sie hätte sie, antwortete die gute
Matrone, schon mehrmal nach ihrer Wiederkehr
vom Himmel in diesem Zustande angetroffcn; schon mehrmal hätte sie ihr die Versicherung gegeben,
ihr Lager würde ihr von den Engeln zubereitet,
und von den Engeln würden ihr auch alle die schö nen Sachen verehrt.
Ausserdem bekäme sie noch
von ihnen geweihtes Wasser, damit sie den Listen
des Teufels, ihres Widersachers, kräftig genug zu widerstehen vcrmögte.
Und wirklich stand oben
an ihrem Bette ein niedliches Gesäß mit Wasser. Mit diesem sollen sich der Bischof, die Dominika ner und viele andere wirklich besprengt, von die
sem
5* Das WundermaLchktt yoy Marsal;
564
fern starkriechenden Wasser sollen sie wirklich ge
trunken haben.
Kurz'. Es kam dahin, daß der Bischof im völligen Ernste daran dachte eine Kirche bauen zu
lassen,
das nicht aß,
wo das Wundermädchen,
das nicht trank, das ganz anders als nach Men schenweise zu leben schien, zur allgemeinen Erbau ung der Gläubigen dargestcllt werden solte. Allein^ wie der Reim sagt:
es ist nichts so klein gesponnen, es kommt doch endlich an die Sonnens so gieng eS auch hier.
Eines Tags hatte sie, wie gewöhnlich, ein? Entzückung vorgegeben:
die Thüren waren fest
verschlossen, und ihre Hausgenossen entfernt. Dies
war für Sibyllen eine Stunde der Freiheit nach der Gefangenschaft im Bette: sie verließ es, wie ihre Gewohnheit war, und machte sich ihr Lager
wieder.
Aber, kein Augenblick durfte für
Spiel ihrer Laune verloren gehen:
das
auch dann,
wenn man sie in den Himmel emporqchvben glaub te,
täuschte sie noch.
Ihre Stimme war ge
schmeidig geworden: bald konte sie Engeltöne nach
bilden lieblich und sanft; bald dumpf und hohl reden, wie Bewohner der Hölle:
und so machte
sie denn jetzt ei» Gezänk, wie Respondenten und Opponenten in
einer akademischen Disputation.
Ein
eine Erzähl, a. d. erst. Halste d. 13. Jahrh. 565 Ein Dominikaner, der sie besuchen wollte, hörte das seltsame Gezänk; die Neugier trieb ihn naher
hinzu; und indem er dicht an der Thüre lauschte,
zeigte ihm das Ohngcfehr einen Ritz in der Thüre, durch den er alles sehen fönte.
In der größten
Eile rüste er den Bischof, und zeigte ihm, durch
den Ritz, die Heilige, die man in den
dritten
Himmel entzückt glaubte, sehr geschäftig ihr Bette zu machen.
Sogleich ließ der Bischof durch ver
schiedene Begleiter die Thüre aufbrechen:
Sibyll«
stürzte sich auf das Bette, suchte sich hi'ncinzuwüh-
len.
Man riß sie empor, und nun kam es zum
Geständniß,
Eitelkeit
mvgte wol
die
Hanptfeder
der
Farce gewesen sein; aber noch half etwas dazu,
eine Liebschaft.
Ein guter Freund, ein junger
Geistlicher in der Stadt, pflegte sie des Nachts zu besuchen: von ihm erhielt sie stärkende, wohl schmeckende Nahrung; von ihm, nicht von den
Engeln, erhielt sie Wohlgerüche, um den Mcnschcnsinn der Beobachter vollends wegzuräuchcrn.
Gemeiniglich brachte er von jener einen Vorrath auf drei bis vier Tage, den sie dann unter dem
Bette sorgfältig verbarg, wo man auch noch einen Theil davon antraf.
Man denke sich das Erstaunen, die Deschämnnq, den Unwillen des Bischofs, der ehrwürdi
gen Väter und aller Anwesenden.
Mit ihren ei
genen
DaSWundermadchen von Marsal;
566
rc.
genen Tfugeit sahen sie nun die verborgenen Spei sen , das schöne Bettzeuch, die Teufelslarve und
alle Werkszeuge des Betrugs
zur Täuschung f»
vieler Manner und Weiber, von denen sich manche nicht wenig hocherleuchtct dünkten, und das von einem Mädchen!
Viele schrien,
sie solle ver-
brant; andere, sie sxlte ersauft; noch andere, sie solte lebendig vergraben werden.
Voll Beschä
mung fönte der Bischof sich kaum so weit mäßigen,
daß er nicht selbst Hand an sie gelegt hätte.
Erst
bei kälterem Blute verurtheilte er sie zu ewiger
' Gefangenschaft; so daß ihr in ihrem Kerker nur
ein wenig Brod und Wasser wurde.
sie,
sparsam zugereicht
Aber es währte gar nicht lange, so starb
zwischen ihren vier Mauern, in Gram und
Neue. Niemand spotte der guten starkyläubigen Ma trone, die zuerst an ihre Engelserscheinungen glaub-
te,
noch des Bischofs und seiner Mönche. Man spotte nicht dessen, was am dürren Holze geschah: man achte nur auf das, was am grüne» Hofze
geschieht.
Chron. Senon. L. IV, c. XVIII. — in d’Achery’# Spicileg. T. II. p. 634.
6, Be-
6, Bemerkungen über die weiblichen Moden, von Herrn Ponce.
An der Toilette giebt es keinen größer» Fehler,
feinen gegen den man mehr auf der Hut sein müßte,
als der, wenn man zu leicht vom Einzelnen aufs Allgemeine schließt, wenn man glaubt, was Einer
gut steht, müsse nothwendig Alle kleiden. Die Kveffüre darf nur Nebensache sein; über
steigt ihre Höhe die Lange des Gesichts, so ist die Wirkung unangenehm.
Diese unangenehme Wir
kung wird doppelt auffallend,
wenn die Dame
kleine Züge hat, weit mehr als bei einer andern mit einer römischen Bildung.
Jene kan ihr«
Figur bloß durch leichte Kleidung von wenig Um
fang im Vortheil zeigen; große Formen und nur gerade Linien muß sie sorgfältig vermeiden.
Hat
die Dame eine sehr kleine Nase und ein kurzes Kinn, so werden diese Fehler durch einen Aufsah
der zuweit vergeht, noch merklicher gemacht; hin gegen wird eben dieser Aussatz einer andern mit längeren
Kinn
und
vorspringender Nase
sehr
gut stehen.
Schön-
z6tz
6. Bemerkungen über die weibl. Moden. Schone Augen verlieren sich unter großen
Hüten nach der jetzigen Mode aufgesetzt.
Man
solle diese Koeffüre solchen Damen überlassen, die weiter kein Eroberungsmittel haben als einen nied lichen Mund und ein anmuthsvolles Lächeln.
Die
Farben der Bänder und Gazen zum Kopfputz müs
sen zu der Farbe des Haars und des Teints passen. Die Damen verstehen sich -auch weit besser auf die Uebereinstimmung der Farben, als auf die Ueber
einstimmung der Formen.
Bon der Art, wie sie ihr Roth auflegen, läßt sich schwerlich so günstig urtheilen.
Es mag wol
seinen Zstutzen haben, wenn es mit Ueberlegung
und Sparsamkeit gebraucht wird,
bloß um die
Weiße einer schonen Haut ein wenig zu beleben.
Weiber hingegen von gewissen Ton mißbrauchen
xs in einem solchen Grade, daß ein Mann pop Geschmack, so allgewaltig auch die Gewohnheit ist, dennoch vor dem Anblick ihrer abscheulichen Zllumt-
nirungen zurückfahrt.
Vielleicht hat diese widrige
Maske zuweilen ihre Bequemlichkeit;
aber matt
muß auch ejnranmen, daß eine junge schüchterne
Person dadurch allen Vortheil verliert, desi sie von dem sanften Ausdruck der Dittsamkeit und des Ge
fühls für
ihre Reize ziehen
konce.
Hiermnen
sttaq zum Theil die Ursache liegen, warum manzu peilen das Kammermädchen artiger findet als die
Gebieterin. Will
6. Bemerkungen über die weibl. Moden. 56g
Will man bei der jetzigen Art die Fichus zu tragen, die Schätze der Natur verbergen, so feite Wan sich wenigstens in Acht nehmen, daß man es nicht aus eine unangenehme Art thäte. Man» überlasse doch dergleichen ungeschickte Täuschungen solchen Weibern, die nothwendig dabei verlieren müssen- weun sie errathen sein wollen.
Die Vortheile eines schonen Wuchset werden öfters durch die lächerliche Sucht, baß man ihn gar zu schlank haberrwill, ganz vernichtet. Man befrage nur die Form jener herlichcn antiken Bildfaule der Liebesgöttin, und man wird sich überzeu tans müssen an Zoll doppelt, ja dreimal so viel Pezahlcn.
des Herrn von Peyffonnelre. lasse sich die Abaabe nur doppelt bezahlen. Strandrecht werde bei ihnen nickt ausgeübt.
615 DaH
Die
Tlrannai werde nach dem Gelcze nicht begünstigt. Kerne Nazron t» der Welt sei mitleidiger als die Otmanly,
keine
behandle ihre Sclaven so ge
linde u. s. f. Von diesen Dehauptnnaen ist freilich einiges
wahr, aber einiges davon bedarf auch noch einer nähern Erklärung.
Kennten die Otmanly das
Srrandrecht und die Zoll - und Iagdgcseze der Enropaer, sie würden gewiß nicht ermangeln, selbige als Beispiele des Despotismus und der Barbarei
anzuführen. teil,
Allein, wer wird dann auch erwar>
daß eine militairisch - despotlsche Regierung
sich um Kleinigkeiten, wie z. D. die Jagd und
das Strandgut sind, bekümmre?
Zu dem sind
die vornehmen Otmanly nur selten Liebhaber bey
Jagd.
Ein furchtsames Reh oder einen bangen
Haasen zu Tode zu jagen, das macht ihnen kein
Vergnügen, wenn aber ein Pascha einen Löwen
mit der Lanze erlegen kan, so sucht er darin emen
Ruhm. *) Ist gleich die bestimte Abgabe, welche der Snltän von liegenden Gründen erhalt, nur
geringe, so ist der Bauer in den meisten Gegen
den darum nickt glücklicher, weil der Landesherr ihn bei seinem Eigenthum oder bei seiner Pacht
nichh k)
Reiftkeschrcibung 2ter Bgnd S.z»4»
616
2. Bemerkungen über die Schriften
nicht schüzt, sondern von seinen Paschen mit bcvcn Helfers - He'.fern ungestraft phuibevn lässt. Dass die Mohammedaner überhaupt mildthätig ge gen die Armen sind, ist wahr. Es ist cm Hauptartlkel ihrer Religion, dass sie reichlich Almosen geben sollen. *) Aber ausser von vielen reichen Stiftungen der Mohammedaner habe icfy von an dern Armenanstalten derselben weder erwaö gehört, reib gelesen, und so mögen viele in diesem Stücke wohl nicht freigebiger sein, als die Christen in Europa. Die vielen milden Stiftungen reicher Mohammedaner sind ohne Zweifel eine Haupturfache der Unthatigkeit und Faulheit ihrer Glaubensaencsien aus der untersten Klasft. Die Paschen uub andere reiche Ormanly, die so wenig sicher sind, daß der Sultun ihnen ihr Leben, als daß er ihnen ihr Vermögen nicht nehmen werde, thun daher
'") Mohammed sagt irgendwo fm Koran, diejenigen, welche in ihrem Leben nicht reichUch Almosen geben, werden am jüngsten Tage mit einem Halsbande erscheinen, und dieser Halsband soll nach der Meinung einiger seiner Ausleger eine Schlange sein. Mancher wird -also wol reichlich Almosen geben, um nicht am längsten Tage mir einem solchen äusserlichen Zeichen vor Gott zu erscheinen. Mancher gewiß auch in der Meinung, daß er Gott werde bestechen können, wenn er einen Theil des ße> raubten Gutes an die Armen giebt.
des Herrn von Peysidnnel re.
617
»daher wohl, wenn sie einen Theil der qroßcn Al mosen , die sie vermöge ihrer Religion an die Ar men geben sollen, zum Dau neuer Moskeen, Karwansereaicn, Bäder n. dergl» anwenden» Daß die Otmanly ihre Sklaven sehr gelinde behandeln, ist auch wahr. Die christlichen Sklaven des Sul tans im Arsenal werden e6 gewiß nicht so schlurr haben, als die mohammedanischen aus den Ga leeren der Europäer, und die bei Privatpersonen leben eben so gut, als die, welche unsere Pflan zer in Amerika zur Aufwartung im Hause brau chen; unendlich glücklicher als die, so das Feld bauen müssen. Viele Bürger erziehen gekaufte Kinder christlicher Eltern, und nehmen sie an Kindes Statt auf. So wie Joseph beim Pharao zum Wesir erhoben ward, so tonnen bei den Ot manly in ihrer Jugend gekaufte oder zu Gefangene gemachte Sklaven noch jezt zu den höchsten Ehren stellen gelangen, wenn sie Fähigkeiten dazu besizen, und das Glück ihnen günstig ist. Allein, wo in der ganzen Welt sind wohl die Unterthanen eines Landes unter einer militairisch-despotischen Regierung, bei der Sklaven und Abenteurer zu den höchsten Ehrenstellen gelangen konten, gut re giert worden? Um dem Publikum zu zeigen, daß eine Vorhersagung des Baron Sott nicht einge troffen sei, fuhrt sein Gegner, der große Verthei diger der Ötme wüschen Regierunqsverfassung, ein Beispiel von der Tirannei derselben an, das allem dem
kl8 2. Bemerkungen über die Schriften
dem auf einmal widerspricht, was er fönst davon
rühmliches sagt. Der Baron Tott ward zu Acea von Dsj esär Pascha höflich eingeladen, dieser hatte aber nicht Lust, einem Menschen, der sich durch seine Grausamkeit berüchtigt gemacht
hatte, seine Aufwartung zu machen, und ließ ihm
saaen, daß er seine Bekantschaft für unnüz hielt, da fle beide Reisende waren.
Er wolte damit
anzeiaen, daß er glaubte, der Sultän wurde dem Dsjesar
Pascha
wegen
seiner
tirannischen
Regierung bald das Leben nehmen lassen.
Herr
von P. bemerkt dieserwegcn:
Die Drohung sek
leider, nicht erfüllt worden;
Herr Baron von
Tott sei 1776 in Syrien gemessn,
neun Jahre
wären seitdem verflossen, und Dsjesär Pa sch a
lebe noch in demselben Gouvernement zum Unglück der armen Einwohner in Syrien, welche er auf
das grausamste tirannisire. * )
Was hilft es also
den Unterthanen des Sultans, wenn das Gesez die Tirannei zwar nicht begünstigt, die Tirannen aber nicht gestraft werden?
Was hilft es
auch den geplünderten Einwohnern Syriens, wenn
Dsjesur
Pascha
endlich
erdrosselt
wird?
Der Sultan läßt sein ganzes Vermögen einziehen,
und giebt seinen bis an den Bettelstab gebrachten Unterthanen nichts zurück.
Eben
♦) Obiervations critiques S. »8.
*
des Herrn von Peyssonnel.re.
619
Eben so vortheilhaft als Herr von Peyssoli tt el die Regierungsverfassung der Otmanly und deren Karalter schildert, so vortheiihast beschreibt er auch den Zustand des Ocmanniscken Reichs. Er sagt, dies sei mit Städten imi) Dörfern angefüllt, hie Bevölkerung desselben sei verhältnißmaßig eben so groß, als imFrankreich: und wenn er es gleich nicht läugnen kan, daß einige Gegenden verwü stet sind, so ist er so höflich, dies nicht den Ot manly, sondern den Kreuzzügen, den Venezianern und Genuesern zuzuschreiben. Er versichert gar, die Türken harten den Arbeitsfleiß und die Hand lung wieder hergestellt, und will solches dadurch beweisen, daß die Städte: Konstantinopel, AdrLaN 0 pel, Smyrna, S a l 0 n i k, H alep, Damaskus, Angora u. ä. m. unter der Regierung der Otmanly sehr vergrößert sind, und die Ausfuhr der französischen Waaren nach dem Otmannischen Reiche sich so sehr vermehrt hat. Die Ab - und Zunahme der Städte beurtheilt man am besten nach Grundrissen. Meines Wissens hat man vor mir von keiner Stadt im ganzen Otmannischen Reiche einen guten Grundriß gehabt, als nur von Konstantinopel, ich aber kän mich rühmen, nicht nur von einigen der vorher erwähn ten , sondern auch noch von mehrern Städten die ses Reichs nach wirklichen Messungen Grundrisse geliefert zu haben, und diese können es beweisen, daß einige Handelsstädte wirklich sehr vergrößert wor-
6aö 2. Bemerkungen über die Schriften worden find. Zu Konstantinopel sind ausser halb der Stadtmauer an der Wasserseite ganze Straßen angebaut, und von ganz Pera und Töb chäne ist wahrscheinlich bei der Eroberung von Galata nichts vorhanden gewesen. Zn Kahira, Damaskus nndHalep findet matt die alte Stadtmauer an einigen Stellen fast mitten in der Stadt. A d r i a n o p e l ist sehr vergrößert worden. Allein aus der Vergrößerung der Han delsstädte mögte ich nicht auf die vermehrte Bevöl kerung des Otmannischen Reichs schließen. Ka hira ist freilich sehr erweitert, aber waö find Fostnt (Alt Kahira) und Alexandrien, in Vergleichung nut dem, was sie ehemals waren? Zu Ha le p findet man jezr vielleicht noch einmal so viele Einwohner, als vor 200 Jahren, wie sehr aber hat dagegen nicht Antiochien verlo ren? ehmals fand man die Gegend um Halep eine ganze Tagereise und weiter angcbaut^ und jezt grenzt die Wüste daselbst schon bis an die Stadtmauer. Zu Bagdad, Mosul und Konje findet man innerhalb der alten Stadt mauer große Plätze die ganz wüste liegen. Viele ehmals mittelmäßige Städte sind jezt elende Dör fern Roch ha, die ehmalige Hauptstadt eines großen Gouvernements ist ganz zerstört, ohne daß Orfa, die jezige Hauptstadt dieser Statthalter schaft, darum vergrößert worden ist. Natolien ist noch ziemlich bevölkert, aber wie sehr sind nicht die
des Herrn von Peyssoiwel re.
621
die allermeisten der übrigen Provinzen von Dör
fern entblößt?
So wie die Handlung sich von ei
ner Stadt zu der andern gewandt hat, so hat sich
auch
die Anzahl der Einwohner in jener vermin
dert und in dieser vermehrt; die Ötmanly aber
haben Handlung und Gewerbe nur geduldet, weil
sie dabei ihren Vortheil sanden.
Sie mehr empor
zu bringen, ist ihnen wohl nie einqcfallen; von
der Stiftung ihres Reichs an haben ste nur gestrebt, Eroberungen zu machen und in den lezten hundert
Jahren scheint ihnen auch der Gedanke daran ver
gangen zu seyn. Wenn andere Schriftsteller sich die Otmanly
a-ls
rohe und unwissende Barbaren vorstellen, und
darin zu weit gegangen sein wogen, so beschreibt Herr von P. .. sie als die kultivirteste Nazion,
welches doch auch schwerlich mit der Wahrheit be, fiehen kan.
Ein kultivirtes Volr behandelt alle
andere Volker nicht mit Verachtung, die Otmanly thun.
wie dies
.Der Herr Verfasser sagt r
die Beredsamkeit sei den'Otmanly angeboren, sie reden die schönste Sprache, welche ihre schonen Geister gut zu nuzen wissen; keine Nazion habe
so
geistreiche Sprichwörter und so angenehme Er zählungen als die Türken. Der Reichthum habe
bei ihnen schon einen Ueberfluß>in allen nüzlichen
und angenehmen Künsten hervorgebracht; sie ha ben vortresiiche Baumeister, die schönsten Fabriken und gute Handwerker, e6 sei bei ihnen zwar noch
N.Mus. Oez. »9.
u ll
Vier
srr L. Bemerkungen über die Schriften vieles zu verbessern, aber nichts erst neu etngtu
richten u. s. s. Nach einer solchen Beschreibung tonte wohl
«in europäischer Künstler Lust bekommen, nack dem
Orient zu reisen, um von den Otmanly zu lernen 5
ich fürchte aber, er würde sich sehr betrogen finden. Ihre Haupt-MoSkeen find freilich zum Theil von
einer vortreflichen Bauart;
aber haben sie denn
nicht auch ein vvrtrefiickes Muster an der ehmali« gen Kirche S t. Sophie, die schon zu den Zei
ten des Kaisers Justinian gebaut worden ist? Die Minäre (schmale, runde und hohe Thürme)
sind ein Zusaz der Mohammedaner zn dem präch tigen Tempel der Griechen, und diese wird man
wahrlich nicht schön nennen können.
In ihren
Palästen und andern großen Gebäuden ist eben so
wenig Geschmack.
Und welche sind
großen Baumeister der Türken?
dann die
Der Verfasser
hat den Namen eines dieser großen Männer, der zu Konstant!nopel
zwei prächtige Moskeen
gebaut hat, verewigt; er heißt Simeon und iss ein Armener, (also nicht einmal ein Mohammeda
ner,) er kan weder lesen noch schreiben, vielweni
ger zeichnen, er ist in allen Sachen, außer in der Baukunst, so albern und dumm, daß man ihm
den Beinamen, Echek, beigeleqt, d. i. ihn Si
meon
den
Esel
genant
hat. *)
Solle Herr
p) Observations ctitiquei S. ioi.
Les Herrn von Peyssonnel rc.
623
Herr von Peyssonnel über die Baukunst wohl besser urtheilen können al6 der Baron von Torr? x Wann die größten Baumeister der Otmanly Christen sind, so sind ohne Zweifel auch ihre besten Mauerleute Armener und Griechen. Die meisten Manufakturen und Handwerke sind gewiß in den Handen der morgenlandischen Christen und Zudem Einige Fabriken im Otmannischen Reiche sind aller dings vortrefiich. Man hat z. B. in Europa ver gebens große Belohnungen ausgesezt, um das Garn und das Leder so schön roth färben zu ler nen, als man es aus der Levante erhält. Man hat mich aber auch versichern wollen, gewisse Fabri ken wären gleichsam an gewisse Städte gebunden, nur in wenigen Städten verstünde man das Leder recht schön roth zu färben, gewisse Arten von Stoffen tönten von denselben Meistern nicht so gur in Halep als zu Damaskus, und andere nicht so gut in Damaskus als zu Halep verfertigt wer* den, und man zog daraus den Schluß, daß es bei verschiedenen Fabriken vornämlich auf die.Be schaffenheit der Luft und des Wassers mit ankomme. Die seidenen und baumwollenen Zeuge werden da selbst sehr gut gemacht. Die Morgenländer haben darin ihren eigenen Geschmack, den wir Europäer freilich nicht hübsch finden, welchen nachzuahmen aber die Franzosen sich bisher vergebens bemühet haben. Zhr vornehmster Absaz besteht in leichten Uur wolle.
2. Bemerkung über die Schriften
624
wollenen Tüchern.
Davon wird im Otmannischen
Reiche eine erstaunliche Menge verbraucht,
und
dennoch habe ich daselbst von keiner Tuch - Fabrik gehört, als von einigen schlechten, die zu Salo-
Nik sein sollen, und nur ein sehr grobes Lacken
liefern.
Überhaupt tonnen die Künste und Hands
Werke im Otmannischen Reiche, mit denen in Eu ropa gar nick)t in Vergleichung kommen.
Von allem was der Herr Verfasser
von
dem guten Geschmack der Otmanly saat, stimmt mit den Nachrichten der Reisebeschreiber nichts
so sehr überein, als daß die Anführer ihrer Ar meen im Felde viel prächtiger und bequemer woh
nen, als die europäischen Feldherren.
Und dies
wird jezt den österreichischen und rußischen Sol daten gut zustatten kommen. Herr von Peyssonnel
streitet mit seinen
Gegnern auch nicht selten über Worte.
Als die
Pforte im Jahre 1777 gegen Ghica, Hospoda ren von
der
Moldau, mißtrauisch
geworden
war, schickte sie einen seiner vertrautesten Freun
de mit
der
falschen Bestellung eines Aufsehers
der Festung Chotzim durch die Moldau, und, sobald dieser eine Gelegenheit zum Morde wahr
nahm, erstach er den unglücklichen Mann, und
kehrte mit seinem
Haupte und seinen
nach Konstantinopel zurück.*)
Schätzen
Diese Behand
lung
^') Oiservflzioni ftoiiche nrturali & politiche • incorno la Valacbia e, Moldavia, rezenslrt in den
des Herrn von Peyssonnel rc.
627
lrmg des Ghiea nennt Herr von Bokney ei
nen Meuchelmord;
dies aber findet Herr Peys-
sonnel sehr unschicklich,*)
er sagt:
der Abge
sandte sei ein Offizier gewesen, welcher das
To
desurtheil nach der Hinrichtung vorgezeigt habe, so behandle die Pforte vornehme Personen, von
welchen sie fürchte, daß sie Widerstand thun wer den. C’est cet ade de juftice, ou tont au plus
de feverite (fuivant les loix du
pays) du
Souverain legitime envers fön fujet criminel,
auquel M.
de Volney donne le non odieux
d’asiassinat, sagt Herr von Peyssonnel. Eben so gerath auch der politische Journalist in Eifer,
wenn andere den Sultan darum einen blutdür stigen
Tirannen
nennen, daß er seinem Groß-
Wesir den Kopf abschlaqen laßt, ohne vorher um
(ersuchen zu lassen, ob selbiger auch etwas verbro chen habe; **) denn darüber werden niemals Um
tcrsuchunaen angestellt.
Die Freunde des Despo
tismus mögen aber diese türkische Justizpflege nen nen, wie sie wollen, so wollen wir übrigen Gott
danken, daß wir nicht unter Regenten leben, die
vornehme
Staatsbediente, auf welche sie ihre
Unden göttinaischen Anzeigen von 1789 im posten Stücke.
*-) Examen S. 14. Politisches Journal für das Jahr §789, Monat August, S. ioQ8t
lernen;
man,
Freiheitathmenden
Schriften dieser edlen Nazion; sie wurden haustg. gelesen und dadurch entstand ein neuer Borrath zir-
kultren-
$34 Z Neber Voltairens Dorhersagrmg kulirender Ideen,
welche Frankreich bis dahiw
noch nicht gekant hatte; man fing an über große Grundsaze des Nazionalwohlstandes zn denken und
zn schreiben, sich, seine Lage, seine Kräfte, seine
Verhältnisse zn untersuchen; es entstand eine allge meine Gährung der Ideen, und in dieser Zeit
wurde das System der O e k o n o m i st e n erschaf fen , das in der Geschichte Frankreichs so merkwürdig ist.
Seine Anhänger schwärmten, aber sie hingen
ihren Grundsäzen so fest an, als Jesuiten ihrem
Orden;
man widersprach ihnen, und in diesem.
Streit-wurden aroße Grundsäze debattirt.
Die
heftigsten Angriffe auf Frankreichs Verfassung wa ren in dem System dieser Männer.
Diese ward
nun untersucht, und nach ihren Mängeln geschil dert, große Wahrheiten über Wohlstand der Vol
ker und bürgerliche Freiheit wurden nun wieder entwickelt, und der Vorrakh der Ideen der Nazion bekam
dadurch
abermals einen neuen Zuwachs,
Frankreich reformirte sich, die Gahrung der Ideen war allgemein, und die Mangel der Verfassung des Reichs wurden so auffallend, daß schon in der
lezten Zeit Ludwig XV. die besten Köpfe der 91(ir zion eine gänzliche Umschaffunq des Staats für das einzige Mittel hielten , ihm seine vormalige Größe
wieder zu geben.
Der Strom ließ sich nicht mehr
aufhalten, alle Lettres de Cachet, alle Verfol gung gegen Schriftsteller und ihre Manuskripte
wirkten nichts gegen diese Verbindung der besten Köpfe;
der französischen Revoluzion.
635,
Köpfe; es war nur eine Stimme, die Schrift» steiler hatten Einen Ton, und erschütterten die Nazion.
Sie war auf eine Revoluzion vorberei
tet , die nach den Umstanden früh oder spat erfol
gen mußte.
Kan es nun noch befremden, daß
Voltaire einen solchen Gedanken wagte?
Er-
sab die Stimmung der Nazion, die zunehmende Despotie nnb Schwache der Regierung; den stillen
Kampf zwischen der Denkungsart des Volcs und dem Geiste der Regierung; es mußte früh oder» spät eine Zelt kommen, wo diese zusammenstieß, wo
der Druck der Despotie seinen höchsten Gipfel er reicht hatte, wo die erleuchtete Nazion ihre Kräfte,
ihre Rechte fühlte.
In einem großen Mann ist
eine unverkennbare Vorhersehungskraft.
lehrt die Geschichte.
Dieses,
Als Frankreich Kanada an.
England abtrat, sagte Franklin: nun ist Ame
rika frei.
Eben so Voltaire.
Sein Genie
veralich das Gegenwärtige, das Vergangene, und
errieth das Künftige.
Daß sie erfolgen würde,
sollte er vorher sagen; aber wann?
von
dieses Hinz,
einer Folge von Umständen ab,
die feilt
menschlicher Verstand vorher sehen fönte, die aber,
glücklich zusammen trafen.
Die Revoluzion in
Amerika brach aus, und erregte eine allgemeine Theilnehmung in Europa, besonders in Frankreich,
wo sie eine Nazionatangeleaenheit wurde.
Zunge
Franzosen gingen häufig nach Amerika, sahen, wie
glücklich ein Land durch eine freie Verfassung wer den
z. Ueber Voltairens Vorhersagnng den tonte, erweiterten ihre Begriffe durch Umgang
mit freidenkenden Menschen, und fühlten nun um
so mehr das Elend ihres Reiche
Geist
der
Diese Verbin
und Amerikas verbreitete den
dung Frankreichs
Freiheit noch mehr.
So war die
Stimmung der Nazion, und es kam mm auf eine Veranlassung an, so brach eine Revoluzion aus, die so lange durch Schriftsteller in den Gemütern
vorbereitet war.
Der Regierung Ludwig XVI. war
eö vorbehalten, diese Ursachen herbei zu führen. Die Geschichte ist betaut, und es wäre überflußig,
etwas über diese Revoluzion zu sagen, da Deutsch land mit Schriften darüber bis zum Eckel über
Sie ist einzig in den Annalen
schwemmt wird.
der Welt, ein großes Beispiel; gleich wichtig für. Herscher und für Volker»
Der Zukunft müssen
wir es überlassen, uns über die geheimen Ursachen, die sie bewirken, zu belehren.
den sie haben wird,
Auch der Ausgang,
liegt im Dunkeln, und kein
menschlicher Verstand kan den Vorhang durchsehen, der ihn uns verbirgt, so wie kein Engländer vor-
Aussehen fönte, daß ein Streit, der so unbedeu
tend
anstng,
Karl
dem ersten
den Kopf
kosten würde; allein ihre Wirkungen liegen uns
Vor Augen.
Wie ein
elektrischer Schlag, der
Von Paris ausging, wirkte sie auf die Nazionen;
fcis nach Dalmatien drang dieser Geist.
Sogar
Volker, die so abgespant waren, daß sie alle Be-
griffe von Freiheit verloren zu haben schienen, die
neuern
der französischen Revoluzion.
6z7
neuern Römer, wurden begeistert, uvd fühlten einen Augenblick einen Drang nach einer bessern Lage. Auf kein Land wirkte sie aber starker, al6 auf unser Deutschland ; heftig war dieser Eindruck und wie ein elektrisches Feuer durchlief er ganz Deutsästand. Die Nevoluzion in Amerika, an der unser Vaterland doch so vielen Antheil hatte, er weckte eine gewisse Theilnahme, die aber nicht über das Wünschen ging. Die Unruhen in Hol land wurden mit Indifferenz angesehen, und hat ten, ausser Lüttich und Aachen, wenig Ein fluß mif Deutschland; die französische Revoluzion hatte destomehr Wirrung. Ist es Gallomanie? Ist der Deutsche dazu bestimmt, der Nachbeter der Franzosen zu sein? Ist die deutsche Nazion weiter gekommen? Lernt sie Rechte freier Menschen ken nen? oder liegt dieser heftige Eindruck in dem schnellen, dem glanzenden der Operazwn die das Werk weniger Tage war, und so stark zeigt, wie mächtig ein vereintes Volk ist, so bald es Meinun gen ablegt? Dis in die kleinsten deutschen Dörfer drang dieser Schlag, und bet der Unzufriedenheit, mit der die meisten Menschen in der Welt leben, erregte er Neigung zur Empörung. Wenige deut sche Staaten werden gewesen sein, in denen nicht Gäbrungen entstanden sind. Der ruhige Deutsche, der so viel, so gern duldet, schien auf einmal zu erwachen. In mehreren Staaten kam es zum Ausbruch. Zwei Regenten, die Blschöffe von N. Mus. Dez. 89. X .V Lüt-
Vz8
z. Ueber Boltaircns Dorhcrsagung rc.
L ü t t i ch»und Speyer, mußten ihre Residenzen verlassen, und in den
meisten deutschen Staaten
schliefen die Regenten in dieser Zeit nicht so ruhig,
als sonst.
Gutmütige Schwärmer, die den Geist
der deutschen Verfassung nicht kanten, hielten eine
Revoluzion hier für eben fb leicht, als in Frank
reich , daß es nur einen Auflauf bedürfe, um die Sache zu entscheiden,
und der Bauer glaubte,
frei zu seyn, wenn er seinen Beamten behandle,
wie der Pariser Pöbel den F o u l o n.
Einem
aufmerksamen Beobachter des Ganzen des mensch lichen Geistes siel dieses auf.
Er sah das Stroh
feuer auflodern, und war ruhig wegen des Aus
ganges.
Aehnliche Revoluzionen sind in Deutsch
land nicht wohl möglich, und ob gleich bas Ver-
samlungshaus der Rcicksstände zu R e g e n s b u rg
so baufällig ist, daß die Gesandten schon oft Ge fahr gelaufen, unter seinen Ruinen begraben zu
werden,
und Kaiser Joseph selbst bei seinem
Einsturz den Reichs-Abschied befürchtete, so hat
doch dieses System noch Kraft genug, um ähnliche Vorfälle zu verhindern, der Lage,
um
Die Nazion ist nicht m
solche Versuche mit Erfolg un
ternehmen zu können.
4. Ite-
4‘
Ueber das Wesen und die Natur geheimer Gesellschaften. I. V eheime Gesellschaften heißen so, ent weder weil sie ingeheim existiren, oder weil zwar ihre Existenz, aber nicht der Zweck, warum sie errichtet sind, bekant ist. Geheime Gesellschaf ten von der ersten Art waren bis auf unsre Zeilen die rcsormirten Gemeinen in Frankreich; sind noch die Jesuitergesellschaften, die hin und wieder im Verborgnen fortdauern sollen. Ihre Eristenz wird nur vermutet, sie selbst soll ein Geheimniß sein. Geheime Gesellschaften der zweiten Art sind di.e Freimaurer in Ländern, wo sie öffentlich geduldet werden. Zederman weis, daß sie existiren, wann und wo sie ihre Versamlungey haften, aber der Zweck ihrer Versamsungen ist verborgen. In Ländern, wo die Freimaurer nicht geduldet werden, tznd doch im Verborgnen ihre Logen haben, sind sie eine geheime Gesellschaft so w»l in der ersten als in her zweiten Bedeutung. Xx -
II. Bel.
640
4* Ueber dar Wesen und die Natur' II.
Beide Arten geheimer Gesellschaften müssen eingetheilet werden in temporäre und in blei bend e. Zene Horen auf, sobald der bestirnte Zweck, um dessentwillen die Mitglieder in die Ge« sellschaft traten, entweder erreicht oder aufgegeben ist. Temporäre geheime Geselschaften kön nen böse, können gute Zwecke haben. Catil ina und seine Mordbrenner hatten einen bösen; die portugiesischen Patrioten, die durch ihre geheime Verbindung die Revoluzion von 1640 bewirkten, hatten einen guten Zweck'. Bleibende Gesell, schäften haben entweder einen Zweck, der, so oft er auch erreicht wird, immer von neuem wieder Zweck ist, ober der, wenn er überall erreichbar ist, nur langsam völlig erreicht werben kan. Eine Gesellschaft, bie sich an einem Orte, wo Hazard« spiele verboten sind, bei verfchloßnen Thüren ver« sammelt, um das Verbot zu übertreten, erreicht zwar jeden Abend, da sie sich mit dergleichen Spielen belustigt, ihren Zweck; aber sie hat jeden folgenden Tag den nämlichen Zweck von neuem, und daher bleibt die Gesellschaft, bis sie den Zweck freiwillig oder gezwungen aufgiebt. Eine Gesell schaft hingegen, die sich vereinigte, den Stein der Weisen zu suchen, und in der Absicht geheime Ex perimente machte, könte ohne Zweifel sehr lange bestehen, ohne jemals ihrem Ziele um einen Schritt näher zu kommen.
HI.E-
geheimer Gesellschaften.
641
IH. Es ist moralisch unmöglich, daß eine fort dauernde Gesellschaft böse, lasterhafte oder sträf liche Zwecke haben kan. Wer es versuchen wolte,. bleibende Gesellschaften zu solchen Zwecken zu errich. ten, der würde bald sein Gebäude einstürzen sehen; denn es fehlt am Grunde. Viel Menschen, G ese l t sch a ft e n von Menschen zu bösen Handlungen^ zu verführen, dazu ist nöthig, sie in Leidenschaften zu sezen. In der Leidenschaft muß das Böse ge schehn, wozu man andre verführen will, oder es geschieht nicht. Gründliche Menschenkenner, z. E. Guicciardini *), haben die Bemerkung ge-macht, daß Verschwörungen, die sich in die Länge ziehn, fast immer entdeckt werden, weil die Lei denschaft, die allein die Menschen solcher Thaten fähig macht, wie ein Rausch ist, der vorübergeht, und weil, wenn der Rausch verflogen, das Ge-, wissen, das ist, Nachdenken und Vernunft, ihre Herschaft mit neuer Stärke wieder ausüben. Fortdauernde Gesellschaften können also nur dann gefährlich und schädlich werden, wenn sieneben ihrem fortdauernden Zwecke, der nie ein andrer als ein unschädlicher sein kan, sich zu einem temporären Nebenzwecke verleiten lassen. Aber bei einer zahlreichen Gesellschaft, die schon Kon» flstenz hat, und der ihre eigne Fortdauer wichtig ist, wird es ein mißliches Unternehmen fein, sie zu ») Lib. III.
6§r
4. Ueber das Wesen und die Natur
zu bedenklichen Nebenzwecken zu verleiten. Alle, denen an der Erhaltung der Gesellschaft und ihrer guten Einrichtung gelegen, werden sich mit allen Kräften solchen Versuchen entgegen sezen.
IV. AuS obigem Unterschiede ergiebt sich die Ant» wort auf die Frage; ob und in wie weit der Stadt geheime Gesellschaften dul» den dürfe? Da nur temporäre Gesellschaften schädlich wtrden können, so ist auch nur gegen sie Wachsamkeit nöthig. Der Staat muß alle die Mittel, die eine gute Polizei in ihrer Gewalt hat, anwenden, um die Entstehung solcher Gesellschaften, die schädliche Zwecke haben können, zu verhüten Hingegen von fortdauernden Gesellschaften hat der Staat keine Uebel weder für sich, als Staat, noch für seine Unterthanen zu fürchten.
V. ES ist daher der Weisheit gemäß fortdauernde geheime Gesellschaften zu dulden, weil eben ihre Fortdauer ein entscheidender Beweis ihrer Unschad» lichrcit ist. Der Staat, der sie nicht duldeü will, macht sich viel vergebliche Mühe.
Er muß Jnquisitionsanstalten machen und wird dadurch verhaßt.
Er
geheimer Gesellschaften.
643
Er legt dadurch solchen Gesellschaften eine Wich tigkeit bei, die sie vielleicht nicht haben, und giebt ihnen einen Reiz, der das Verlangen, in solche Gesellschaften zu treten, nur noch mehr verbreitet, und es noch lebhafter macht, als eS sonst ge wesen wäre.
vi. Wenn hingegen der Staat die geheimen fort dauernden Gesellschaften duldet, so gestattet er da durch seinen Unterthanen eine Quelle, wo nicht nüzlicher Thätigkeit, wenigstens doch unschuldigen Vergnügens. Denn es ist moralisch unmöglich, daß eine Gesellschaft itnfnet fort bestünde, wenn die Mitglieder nicht ein gewisses Interesse dabei finden, das sich entweder auf ihren Nuzen oder auf ihr Vergnügen beziehen muß.
VII. Von welcher Gesellschaft man auch Mitglied so muß die Mitgliedschaft wenigstens einigen etwas kosten. Eine Gesellschaft kan ohne Direkto rium , ohne Versamlungen zu gewissen Zeiten an gewissen Orten, ohne verschiedne Anstalten und Einrichtungen nicht bestehen. Daher werden Kosten erfodert, die durch Kontribuzionen wenig stens von einigen Mitgliedern Müssen aufgebracht werden.
ist,
644 4- Ueber das Wesen und die Natur VIIL Irr jeder Gesellschaft also kan einzelnen Perso nen die Mitgliedschaft wegen der damit verknüpf ten Kentribuzionen lästig und nachthetlig werden. Solche Personen werden dann, wenn sie Heu gehosten Nuzen oder da6 erwartete Vergnügen in der Gestllschäft nrcht finden, lieber austreten, als in der lästigen Verbindung bleiben.
IX. Angenommen, eine geheime Gesellschaft daure fort, die gleichwol ihren Mitgliedern die vorge spiegelten Vortheile und das von weitem gezeigte Vergnügen nicht wirtlich leiste, so tonte die Fort dauer dieser Gesellschaft nur durch drei Ursachen er klärt werden: Erstlich durch das fleißige An werben neuer Mitglieder; zweitens durch die den alten Mitgliedern vorgespiegelten neuen Aussichten-zu großen Vortheilen oder Vergnügungen; Drittens durch die Furcht, ' daß der Austre tende sich durch den Austritt die Rache der Gesell schaft zuziehn würde. Diese Triebfedern sind desto nöthiger, je größere Konrribuzionen die Gesellschaft ihren Mitgliedern auflegt. X.
Keine Gesellschaft laßt sich denken, von der die Vorsteher, die Direktere nicht gewisse Vortheile hatten. Wenn es auch nicht baare Vortheile sind,
geheimer Gesellschaften.
645,
so schmeichelt es doch der natürlichen Herschbegierde, einen Trupp Menschen zu sehn, der sich unsrer Leitung unterworfen hat. Die Borsteherschaft giebt auch Gelegenheit, die Gemüter, ihre Eigen thümlichkeiten und Schwachen kennen zu lernen, welches man bei vorkommenden Gelegenheiten (reflich nuzen kan.
XL Es giebt dreierlei Begierden, die sich durch vorgespiegelte Hcfnungen leicht täuschen lassen, auf dre also die Obern fortdauernder geheimer Gesellschaf ten, deren Geheimnisse — o sind, wirken müssen, ' utn die Gesellschaft zu redrutiren und die Desertion zu verhindern: Neugier^ Liebe zum Vergnügen, und die Begierde etwas mehr sagen zu wollen, wie andre Leute. Es giebt Neugierige, Grübler, melancholische Forscher, Ueberirdischgesinte, die, so oft sie auch getauscht worden, sich doch leicht bereden lassen, nun werde ihnen bald das wahre Licht aufgehn.
* Es giebt Leute, die immer neuen Vergnügen nachgehn. Sie fehlen nicht, wo e6 etwas zu sehen, zu spielen, oder zu essen giebt. Es giebt Leute, denen auch mit der Ehre ei nes Aemrchens bei irgend einer.Gesellschaft ge dient JfL
646 4* Ueber das Wesen «nd die Natur rc. XII.
Man kan sicher vorhersagen, daß etwa nach ein paar Gcnerazionen keine geheime Gesellschaft mehr in
denjenigen
europäischen Ländern, wo
man sich nicht um sie bekümmert, existi« rcn wird.
Diese Wahrsagung stüzt sich auf zwei
Gründe: erstlich auf die Lastigkeit der Kontri-
buzioncn, die von den Mitgliedern gefedert werden. Wie klagte nicht Wei6haupt, daß die Herren Jlluminatcn so wenig Eifer bewiesen, den neuen Orden durch Geldbeiträge zu befördern.
Zwei,
k e» s auf die sich immer mehr verbreitende Ueber
zeugung, daß die Geheimnisse der Kosten
werth sind.
Wenn
nicht
in der Mitte des künftigen
Jahrhunderts Unter den aufgeklärten europäischen Völkern noch geheime Gesellschaften unter den alten Namen forkdauern solten, so werden sie ihre Na
tur verändert haben.
Es werden eigentlich nur
Parties de plaifir sein. XIII.
Die jezige große Geschäftigkeit der Obern
ge-
wisser geheimer Gesellschaften, durch allerlei Vor spiegelungen und erregte Erwartungen Anfsehn zu
machen, statt zu beweisen, daß diese Gesellschaften jezt großen Zulauf hätten, beweisen vielmehr, daß
die Desertion stark sein muß, und daß die Obern ihre ganze Erfindsamkeit anstrengen müssen, neue
Rekruten herbei zu locken.
ApulejuS Candidus. 5. An
5-
An meine Gefährten ans dem Vesuv den
Herrn Hofmarschall vonOffenberg und
Herrn von Kleist tu Kurland.
Sm Himmelfahrtstage 1785.
freunde, denket des Tags, wo wir am tobenden Schlunde Des Tiranncn Vesuvs saßen km traulichen Kreis; Unter krachendem Knall auf unserer Freunde Gesund heit leerten das heilige Glas voll des vulkanischen Weins. Unvergeßlich ist mir das fürchterlich reizende Schauspiel, Das kein Maler uns malt und kein Dichter uns fingt. Zauber stillte den Mut, hinab zu kliminen im Stau« nen An dem gläsernen Fels, regenbogig bemalt, Ueber dampfende Spalten und Höhlen des feurigen Ab grunds, In den verstelnerten See schwcstichtcr Fluten hinab. Jubelnd standen wir da auf brennenden Solen und trojten Kühn
64k z. An meine Gefährten auf dem Vesuv rc. Kühn des würgenden Dampfs und der verborgnen Gefahr, Nahten dem sprudelnden Rachen, von wühlendem Zorne geborsten. Raubten vom wogenden Fels, welcher ihm glü hend entquoll. Wandelten über den Schaum, erbebend vom brüllen den Donner Oes erzürnten Vulkans, lachten des funkelndem Grimms, Sahen die Flamme der Wut aus drohenden Wellen cntlodern, Aber zermalmen vor uns nur den verwegenen Stab.
Freunde, denket des Tags! Es werden ihm wenige folgen, Wo Ihr die große Natur kühner wie heute be lauscht. Viele kennen sie nur aus Segen spendender Milde; Aber Ihr saht sie mit mir schrecklich in Rachegcstalt. Weise lieh ihr der Schöpfer die Macht zu herschen auf Erden, Gab ihr Geseze für uns, wie für die physische Welt. Wie in dieser gesezlich gegattet sind Ursach und Wir kung, Folget menschlicher That der sie begleitende Lohn. Milder richtet sie zwar als Mutter den Liebling der Schöpfung, Zürnet selten und spät, aber dann zürnt sie gerecht. Freunde, schmieget euch fest an ihren liebenden Vusen, O dann seht ihr sie nie, wie wir im Bilde sie sahn! Kommt und wendet hinweg das Auge vomwarnenden Spiegel, Dort erblickt Ihr sie nur tu der geliebten Gestalt. Schauet
5> An meine Gefährten auf dem Vesuv rc. 649 Schauer dco paradisischen Reiz, mit dem sie vw . schwendrisch Allen Sinnen »ur Lust dieses Gefild überströmt. Festlich schmückt sie die Hügel mit Früchten, die Fluren mit Blumen, Kleidet kn Frühlkngsgewand lieblich das schmei chelnde Meer, Und gebeut ihm zu küssen den Thron der kühnen Neapel, Oie Elysiums Schooß lüstern zum Sitz sich erkör. Doch sie erhebe sich nicht de» stolzen Glückes; ihr rauschen Oft die Gestade des Meeres traurige Warnungen zu. Ringsumher erheben sich Arme verwüsteter Städte, Klagen ihr schreckliches Loos, einstens so glücklich als sie. Nun noch einmal zurück den Blick in den furchtbare» Orkus, Dann noch einmal hinab in die elysische Flur! — Welch ein Schauspiel, 0 Freunde! gedenkt Ihr des zaubrischen Tages, O! so gedenket, entfernt auch des Gefährten noch einst.
W. G. Becker.
6. Phi-
6.
Philosophie des Thales.*) Thales, ein vornehmer Milesier.
Milesier. Guten Morgen, lieber Thales! Wie geht es dir? Thales. Wie es dem Alter zu gehn pflegt. Meine Kraft neigt sich zum Grabe.
Milesier. Vielleicht weil du allzuviel von deinem Leben dem Nachdenken und den Wissen« schäften wechtbst.
Thales. Sage, noch allzuwenkg. Ach, das Leben ist so ^kurz, und die Wissenschaft unendlich. M i l e si e r. Hast dn sie dennoch ergründet? Thales. Kein Mensch konte das noch; und keiner wird es können.
Milesier. Fleis? x
Was nüzk dir daher dein
Tha-
•) Dis auf einige wenige Worte, aus dem Dioge nes kaertius.
6. Philosophie des Thales.
6;r
Thales. Daß ich doch manches weis, was andre bloß anstaunen. Milesier. Und wie machst dü deine Wis senschaft für den Staat ersprieslich? Thales. Indem ich Rath ertheile, wo ich Noth erblicke; und antworte, wenn man mich fragt?
Wilst du auch mir antworten,
Milesier. wenn ich frage.
Wofern ich kan; warum nicht?
Thales.
Was ist das
Milesier. Wesen? Thales.
älteste aller
Gott; denn er ist ungcboren.
Milesier. Thales. Gottes Haud.
Milesier.
Thales. umfaßt er. Milesier,
Was das schönste?
Die Welt» denn sie kam aut Was das größte?
Der Raum; denn was da ist, WaS ist am schnellsten?
Thales. Der menschliche Geist; denn er durchstiegt daS Weltall.
M i l t si e r.
Was das stärkste?
Tha-
6zr
6. Philosophie des Thales.
Thales. Die Nothwendigkeit; denn ihr gehorcht alles. Milesier. Was das klügste? , Thales. Die Zeit; denn sie entdeckt und erfindet alles. M i l e si e r. Welcher Unterschied ist zwischen Leben und Tod? Thales. Keiner. Milesier. Warum starbst du also nicht langst? Thales. Eben weil es keinen Unterschied macht. Milesier. Kan den Gittern eine böse Thar verborgen bleiben? T>h a l e s. Nicht ein böser ■ Gedanke. Milesier. WaS ist aber Gott? Thales, Ein Wesen ohne Anfang und Ende. *) Milesier. Was dünkt dir das Lieblichste auf Erden zu sein? Thales. Erfüllung unsrer Wünsche. Mile«
•) Ich hatte große Lust, ihn antworten zu lassen. Er würde nicht Gott fein, wenn ich es vol# stündig wüß-te. Man Hütte eine solche Derfülschling des Textes mir ab«r vielleicht als Sehler angerechnet.
6. Philosophie deS Thales.
65,3
Milesier. Was das schwerste? Thales. Sich selbst erkennen. Milesier. Was das leichteste? Thales. Einem andern rathen wollen. Milesier. Was das verdienstlichste ? Thales. Seinen Feinden verzeih». Milesier. Was das seltsamste? Thales. Ein Tirann, der alt geworden. Milesier. Was macht uns glücklich? Thaies. Ein gesunder Körper, sattsam« Güter, und ein thätiger Geist. Milesier. Läßt sich auch Unglück leicht ertragen ? Thales. O ja! wenn wir ein größtes noch UNste Feinde treffen sehn. Milesier. Wie lebt man ain gerechtesten 1 Thales. Wen» man nichts thut, was Wan an andern tadelt. Milesier. Welche Freundschaft ist di« stärkste? Thales. Diejenige, die Abwesenheit nicht mindert.
Milesier. Wofür dankst du dem Schick sal aw innigsten?
6§4
6. Philosophie des Thales»
Thales. Daß ich als Mensch, und nicht als Thier, als Wann und nicht als Weib, als Griech und nicht als Barbar geboren ward. Milesier. Was hältst du für des MenschenS schönste Zierde?
Thales.
Kenntnisse.
Milesier. WaS ist die erste männliche Tugend? Thales. Thätigkeit.
Milesier. Thales.
Und beim Weibe?
Scham.
Milesier. Glaubst du, daß jede deiner Antworten buchstäbliche Wahrheit war?
Thales.
Wenigstens woll' ich cs.
Milesier. Und wenn nun doch hier und, ha ein Zrthlim sich einschlieche? Thales. So hast du als Mensch gefragt, und ich als Mensch dir geantwortet.
A. G. Meißner.
Y-
Sonne, Mond und Erde.
XS/ott schuf die Erd», und gab ihr zwei Lichter; die Sonne, daß sie am Tage, den Mond, daß er des Nachts
ihr keuchte.
beide Anfangs ihr Amt.
Vvllig gleich theilten Der Mond kam, wenn
die Sonne ging; die Sonne stieg auf, wenn je
ner sich entfernte.
Der Erde gebrach es nimmer
en Beleuchtung;
und dennoch murrte sie. —
„Das Licht des Mondes/" sprach sie, „ist so gut, als gar keines.
Es wärmet nicht,
eS blendet
Stiefmütterlich hat Natur für
nur.
meine
Nachte gesorgt."
Der Ewige vernahm es. —
behrung
lerne
die
Unzufricdne
„Durch Ent erst
erkennen,
wie reich begütert sie bis anhero war! “ —
sprachs, und der Mond verschwand.
Er
Zezt sah
die Erde erst ihre Thorheit ein; jezt flehte sie jam
mernd : „0 gieb mir zurück, was ich verkante? Gieb mir die Leuchte der Nacht! P- ,
Laß diese grauftndr
7. Sonne, Mond und'Erde,
Lz6
sende Schwarze nicht die Hälfte meiner Länder,
die Hälfte meiner Zeit entstellen.
Ich habe ge.
sündigt; pergieb mir!"
Und er vergab. — Ein Wink von ihm, und der Mond leuchtete wieder.
„ Doch, ist es billig, “
fügte er hinzu, „ daß eine Abänderung auch hin« führo dich an dein Vergehn erinnere! Nur ein
Theil deiner nächtlichen Stunden sei künftig mon« denhell.
Bei den dunkeln lerne, daß es schädlich
sei, mit seinem Schöpfer zu hadern."
So blieb es, und die belehrte Erde freuet sich seitdem auf den wandelbaren Mondschein stärker,
als Anfangs auf den, welchen sie für unumgang« lich hielt.
Meißner.
8. Der
8.
Der Künstler und die Seifenblasen»
\e/tn künstlicher Thon arbeiter formte mühsam ein
Gefäß, das zu Ehren bestirnt war.
Neben ihm
saß sein kleiner Sohn, und machte Seifenblasen. — „ Vater, lieber Vater! “ tief der Knabe froh, ass
eine der vorzüglichsten ihm glückte: „Sieh, ich. bin künstlicher noch, als du.
Sieh diese Kugeln;
N'ie scheu! tpie bunt! wie fliegend! Wie. schnell,
gemacht!"
„Und wie schnell zerplazt,'"
antwor
tete der Vater, indem die Blase sprang.
„Wie
vernichtet auf immer, da meine Arbeit Jahrhun« bette dauert;
cdcr wenigstens dauern kan. —7-
Laß immer, wenn du einst erwachst, auf Männer werk nicht Zeit, nicht Mühe dir verdrießen.
Denn
cy siberlcht dich, da Kuabeospielwerk bald vergeht..
Meißner.
9. Auek-
65»
Anekdote.
9Anekdote.
«yeh>eti«6, der berühmte Schriftsteller, ber dke Verwegenheit hatte, troz seiner Schriftstelleret, Generalpächter und reich zu seyn, fuhr einst durch eine Straße von Paris, und fand plizlich den Weg durch einen Holzwagcn gesperrt. Sehr leicht kvnte dieser noch umtenken; doch der Dauer wolle nicht; verfuhr sich; und reizte den Zorn deS Helvetius so, daß er ihn endlich einen Schurken ichalt. „Sie haben Recht, Herr;" erwiederte der Dauer: „ Zch muß wol ein Schurke, und Sie «in redlicher Mann sein. Denn ich bin zu Fuße und Sie sind im Wagen." —,
„Verzeihung, lieber Freund!" erwiederte der Weltweise. „ Du hast mir eben eine so treft liehe Lehre gegeben > daß ich dich dafür bezahlen muß.
io. Grabschristaufeine« Polijri-Burgemeist. 659 muß. — Hier sind sechs Livres, und mein Bedienter mag dir den Wagen zurecht rücken helfen. *
M. IO»
Grabschrist auf einen Polizei - Burgemeister. «Cvie schwer muß sich die Stadt versündigt haken! Die Polizei erkrankte schon mit dir. Ach wäre sie doch ganz mit dir begraben, Venn leider dient die gute Mutter hier. Nun gar zum Spielzeug' eines Knaben !!!
io. Grabschristaufeine« Polijri-Burgemeist. 659 muß. — Hier sind sechs Livres, und mein Bedienter mag dir den Wagen zurecht rücken helfen. *
M. IO»
Grabschrist auf einen Polizei - Burgemeister. «Cvie schwer muß sich die Stadt versündigt haken! Die Polizei erkrankte schon mit dir. Ach wäre sie doch ganz mit dir begraben, Venn leider dient die gute Mutter hier. Nun gar zum Spielzeug' eines Knaben !!!
Verbesserungen. Am sten Stück des neuen Museum sind folgende Fehler zu verbessern: S.ZO-; 3.t6 statt: luchesme, lies: Luchesinr 308 12 statt: Gibbons, lies: (Gibbon ^25 7 statt: wieder durch das Gefühl, lieS wieder durch; das Gefühl 326 5 statt: meinem Leser, lies: meinen Lesern 327 12 statt: seine feinen, lies: jene feinen 329 8 (von unten) statt: Cetetre, lies: Cet Et re
331
4 statt: lummieux, lies: lu/nineux
332
ii le seroit, lies: le fervit ,
335
i statt: Führt der Falsche oft, lies: Führt der Falsche zu oft 10 statt: Thorheit die Bande, lies: Thor-x heit sorglos die Bande 12 statt: was felsenfest war, lies: was felsenfest war? 6 (von unten) statt: Les Empires, lies :
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342 343
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Des Empires
3 (von unten) statt: Vu profpere, lies: Oü profpere ii statt: und Frankreich, lies: und Spanien 8 (von unten) statt: Sehr furchtbar, lies: Seht, furchtbar 2 (von unten) start: ihre Räthe! diel Lies': ihre Mthe smds!
AuS No. 2. des neuen deutschen Museums 4s Stück 1789. ist folgender Anfang des Aussatzes, Swifts Meditation über einen Besenstiel r;nd wie siy entstanden, weggelassen: Die Meditation über einen Besenstiel gehört unter diejenigen Swistifchen Aussatze, welche von den Widersachern hieses großen Mannes mit (5rsolg dazu gebraucht wurden, die Hürde seines Ck^rakters in ein zweideutiges Ucht zu stellen, und durch seinem Ansehn, wo möglich, einigen Lbvruch zy thun.