174 80 36MB
German Pages 272 Year 1998
Linguistische Arbeiten
389
Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Herbert E. Brekle, Gerhard Heibig, Hans Jürgen Heringer, Heinz Vater und Richard Wiese
Jutta Mollidor
Negationspräfixe im heutigen Französisch
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1998
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Mollidor, Jutta: Negationspräfixe im heutigen Französisch / Jutta Mollidor. - Tübingen : Niemeyer, 1998 (Linguistische Arbeiten ; 389) ISBN 3-484-30389-1
ISSN 0344-6727
© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1998 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Buchbinder: Industriebuchbinderei Nädele, Nehren
Inhaltsverzeichnis Vorwort
VII
Verzeichnis der Abkürzungen und Symbole
IX
1. Einleitung
1
Erster Teil: Theoretische Ausführungen zur Wortbildungseinheit "Präfix" und zur semantischen Kategorie "Negation "
7
2. Zur Definition von Präfix
7
3. Zur Wesensbestimmung der Negation: Theoretische Erörterungen der semantischen Negationskategorien 3.1. Die Subkategorie der Kontradiktion 3.1.1. Das Prinzip des tertium non datur 3.1.2. Das Prinzip der Satzimplikation 3.1.3. Das Gesetz der doppelten Negation 3.1.4. Das Kriterium der Graduierbarkeit 3.2. Die Subkategorie der Kontrarität 3.2.1. Das Prinzip des tertium non datur 3.2.2. Das Prinzip der Satzimplikation 3.2.3. Das Gesetz der doppelten Negation 3.2.4. Das Kriterium der Graduierbarkeit 3.2.5. Schematische Zusammenfassung der Charakteristika der konträren Bildungen im Vergleich zu den kontradiktorischen Bildungen . . . 3.3. Die Subkategorie der Privation 3.3.1. Das Prinzip des tertium non datur 3.3.2. Das Prinzip der Satzimplikation 3.3.3. Das Gesetz der doppelten Negation 3.3.4. Das Kriterium der Graduierbarkeit 3.4. Die Subkategorie der Reversion 3.4.1. Das Prinzip des tertium non datur 3.4.2. Das Prinzip der Satzimplikation 3.4.3. Das Gesetz der doppelten Negation 3.4.4. Das Kriterium der Graduierbarkeit 3.4.5. Eine Sondergruppe der Reversiva des Typs dérouiller : rouiller oder entlausen : verlausen 3.4.6. Schematische Zusammenfassung der Charakteristika der reversiven Bildungen im Vergleich zu den privativen Bildungen . .
11 13 13 14 17 21 23 24 25 27 28 32 33 36 39 42 48 54 56 60 65 69 74 77
VI
Zweiter Teil: Empirische Arbeit: Datenerhebung und Datenanalyse
81
4. Methode und Daten
81
4.1. 4.2. 4.3. 4.4. 4.5.
Untersuchungsgegenstand Materialbasis Evaluierung der Daten Spezifizierung der Aufgabenstellung Inhalte der empirischen Analyse
5. Analyse des empirischen Materials 5.1. a5.1.1. Morpho-syntaktische Analyse 5.1.2. Semantische Analyse 5.1.3. Disponibilität und Vorkommen in lexikalischen Feldern 5.2. dé5.2.1. Morpho-syntaktische Analyse 5.2.2. Semantische Analyse 5.2.3. Disponibilität und Vorkommen in lexikalischen Feldern 5.3. in5.3.1. Morpho-syntaktische Analyse 5.3.2. Semantische Analyse 5.3.3. Disponibilität und Vorkommen in lexikalischen Feldern 5.4. non(-) 5.4.1. Morpho-syntaktische Analyse 5.4.2. Semantische Analyse 5.4.3. Disponibilität und Vorkommen in lexikalischen Feldern 5.5. Ein Funktionsvergleich: Kontrastive Analyse der morpho-syntaktischen und semantischen Leistungen der untersuchten Negationspräfixe
81 83 84 90 91 93 93 93 98 110 113 114 119 133 137 139 149 172 180 182 191 209 216
6. Zusammenfassung
249
7. Literatur
255
Vorwort Die vorliegende Arbeit ist als Dissertation unter dem Titel Negationspräfixe im heutigen Französisch von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln angenommen worden. Die Referenten waren Professor Dr. Artur Greive und Professor Dr. Jürgen Macha. Tag des Rigorosums war der 06. Juli 1996. Die Dissertation entstand unter Anleitung von Professor Dr. Artur Greive, dem ich für seine kritische Durchsicht und wertvollen Kommentare sehr verbunden bin. Ihm sei an dieser Stelle herzlich für die fürsorgliche Betreuung der Arbeit gedankt. Herrn Prof. Dr. Jürgen Macha danke ich für seine hilfreiche Unterstützung als Koreferent sowie den Mitarbeitern des C.N.R.S. (Villetaneuse) für den Einblick in unveröffentlichte Institutsmaterialien. Besonders verpflichtet bin ich des weiteren Herrn Dr. Erich Reisen für anregende Diskussionen und die sorgfältige Korrektur des Manuskripts. Dank gebührt darüber hinaus meinen Brüdern Dieter und Uwe Mollidor sowie Herrn Hans Steinbach und Frau Else Becker für ihre uneigennützige und willkommene Hilfe. Vor allem aber gilt mein Dank Markus Steinhausen für das stets entgegengebrachte Verständnis und seine liebevolle Unterstützung. Meinen Eltern danke ich für alles, was sie für mich getan haben. Ihnen widme ich dieses Buch. Köln, im März 1998
Jutta Mollidor
Verzeichnis der Abkürzungen und Symbole
A AC ABL Adj. Adv. BIBA Bloch CON COS da Dauzat ds dv D-typ einf. EJ Ent EX EXPA FEW FS GH GLOBE GraLa INTENS KON Kon Kür LEX LIB LM MC MF Ν NO Nom. OED negativ neutral Ρ Part. Perf. PM
Adjektiv Actuel (Zeitung/Zeitschrift) ablativ Adjektiv Adverb Biba (Zeitung/Zeitschrift) BLOCH, 0./WARTBURG, W. von (51968) konträr Cosmopolitan (Zeitung/Zeitschrift) deadjektivisch DAUZAT, A./DUBOIS, J./MITTERAND, H. (21971) desubstantivisch deverbal Derivationstyp einfach(es) Evénement du jeudi (L') (Zeitung/Zeitschrift) Entlehnung Express (L1) (Zeitung/Zeitschrift) Express Paris (L1) (Zeitung/Zeitschrift) WARTBURG, W. von (1922ff.) France Soir (Zeitung/Zeitschrift) Globe hebdo (Zeitung/Zeitschrift) Globe (Zeitung/Zeitschrift) Grand Larousse de la Langue Française (197Iff.) Intensität kontradiktorisch Konversion Kürzung lexikalisiert Libération (Zeitung/Zeitschrift) Le Monde (Zeitung/Zeitschrift) Marie-Claire (Zeitung/Zeitschrift) Marie-France (Zeitung/Zeitschrift) Nomen/Substantiv Nouvel Observateur (Le) (Zeitung/Zeitschrift) Nomen/Nomina The Oxford English Dictionnary (21989) pejorative Wertungseigenschaft neutrale Wertungseigenschaft Point (Le) (Zeitung/Zeitschrift) Partizip Perfekt Paris Match (Zeitung/Zeitschrift)
χ PMUS POL positiv PR Präs. PREM PRI ps Quemada RAbl RE REV 7P Subst. SuEn Suf Trésor V VA 20A
Paroles et musique (Zeitung/Zeitschrift) Politis le citoyen (Zeitung/Zeitschrift) meliorative Wertungseigenschaft Petit Robert Präsens Première (Zeitung/Zeitschrift) privativ parasynthetisch/parasynthetische Ableitung QUEMADA, G. (u.a.) (1983) regressive Ableitung Robert Électronique. Es handelt sich hierbei um eine digitalisierte Fassung des Grand Robert de la langue française. reversiv 7 à Paris (Zeitung/Zeitschrift) Substantiv für die Adjunktion eines Suffixes an ein entlehntes Wort (z.B. innocuité < lat. INNOCUUS + -ite') Suffigierung IMBS, P. (u.a.) (1971 ff.) Verb Verbaladjektiv 20 ans (Zeitung/Zeitschrift)
+
steht für eine präfixale Neubildung. Es handelt sich somit um eine echte Präfixbildung, die als Neologismus zu betrachten ist, da sie in keinem Wörterbuch verzeichnet ist.
(+)
steht für semantische Neologismen oder Neubildungen, die suffixal abgeleitet bzw. aus dem Verfahren der Konversion hervorgegangen sind. Negativkonstruktionen, die keinen Neologismus darstellen.
1. Einleitung In der einschlägigen Literatur zum Thema der französischen Negationspräfixe findet sich keine zufriedenstellende Antwort auf die Frage, welche Faktoren bei der Neubildung einer Negativkonstruktion die Wahl eines bestimmten Präfixes1 determinieren; dies gilt vor allem für die in bestimmten Funktionsbereichen konkurrierenden Negationsmorpheme, die zur Generierung nominaler Formantien dienen, wie etwa a-, non(-) oder in-. In der Literatur wird zwar für non(-) auf die primäre Funktion zur Bildung von Substantiven hingewiesen und für in- auf die vorrangige Rolle als Adjektivpräfix (vgl. bspw. Pinchón 1971c:47), jedoch kombiniert non(-) darüber hinaus auch mit Adjektiven und in- mit Substantiven zur Schaffung von entsprechenden negativen Opposita (s. non renouvelable oder inaccomplissement zit. in Pinchón 1971c:47 bzw. 1971b:45). Und für a- finden sich neben vielen Lexikalisierungen auch durchsichtige Bildungen mit Adjektiven (a-humain, atemporel s. RE). Die verschiedenen Negationspräfixe werden zwar (mehr oder weniger ausführlich) in Einzelbetrachtungen beschrieben, jedoch mangelt es an einem systematischen Vergleich der morpho-syntaktischen, semantischen oder stilistisch-expressiven Leistungen der behandelten Morpheme, sofern mehrere Präfixe in eine Untersuchung Eingang finden. Pinchón beschreibt in einer Aufsatzreihe (1971a-d, 1972) die Präfixe a-, in- und non(-), es fehlt allerdings eine systematische kontrastive Gegenüberstellung der Leistungen dieser Präfixe. 2 Ein Vergleich wird für den Leser beispielsweise in semantischer Hinsicht schon dadurch erschwert, daß die Autorin nicht mit einheitlichen semantischen Kategorien operiert: Im Falle von a- spricht sie bspw. von "privation", "absence" oder "négation" (1972:46), im Falle von in- (1971b:46) von "valeur négative", "rapport antonymique" und "valeur superlative" und im Fall von non{-) (1971d:47f.) von "simple valeur négative", "absence", "nonconformité" und "opposition et complémentarité". Ohne genauere terminologische Klärung der
1
Während im Französischen ausschließlich die Präfixe die Funktion der Negation des semantischen Gehalts der Basislexeme erfüllen, kommt in anderen Sprachen eine solche Bedeutung auch den Suffixen zu, so z.B. dem dt. -los, dem engl, -less, dem finnischen -ton, dem ungarischen -talan oder dem türkischen -siz. Vgl. Zimmer (1964:90f.).
2
Im Rahmen von non- werden no/i-Präfigierungen analogen morphologischen Dubletten mit in- gegenübergestellt, jedoch beschränkt sich die Erklärung der Doppelbildungen darauf, daß wn-Bildungen dann geschaffen werden, wenn die ¿π-Bildungen Lexikalisierungen aufweisen. Darüber hinaus seien einige m-Bildungen pejorativ. Im Rahmen von a- werden j'/i-präfigierte Dubletten erwähnt und Vf. führt diese auf die unterschiedlichen originären semantischen Leistungen von a- und in- zurück. (Welche dies sind, muß der Leser aus den Beispielen ableiten.) Unabhängig davon, daß Vf. nur non- und in- sowie a- und in- kurz zusammen betrachtet (also keine Erklärungen für solche Dubletten wie a-humain und non humain oder non sémantique und asémantique angeboten werden), nicht aber alle drei Präfixe gegenüberstellt, sind nicht nur die konkreten Fälle morphologischer Dubletten zu betrachten, sondern es ist abstrakter nach Bildungsmustem zu suchen, in denen mögliche Funktionsüberlagerungen beobachtet werden können, so daß lexemunabhängig prinzipielle Leistungsunterschiede der Präfixe in Interferenzbereichen hervortreten.
2 Begriffe3 tritt der angenommene Unterschied zwischen "opposition et complémentarité" (Vf. nennt als Beispiel non-ferreux) und "simple valeur négative" (Vf. nennt z.B. non-paiement) nicht klar hervor. Und ferner stellt sich die Frage: Besteht ein Unterschied zwischen "négation" (a-), "valeur négative" (in-) und "simple valeur négative" {non-), Bezeichnungen, die sich in den verschiedenen Aufsätzen finden. Warum wählt Vf. unterschiedliche Bezeichnungen, die den Nachteil einer Nicht-Vergleichbarkeit mit sich bringen? (Problematisch ist des weiteren in statistischer Hinsicht, daß den Angaben zur Vorkommenshäufigkeit in den einzelnen Wortklassen unterschiedliche Quellen zugrunde zu liegen scheinen (es geht aus den Ausführungen nicht immer klar hervor, auf welche Quelle(n) sie zurückgreift). Im Falle von a- sind die Angaben zum quantitativen Vorkommen der einzelnen Wortklassen allem Anschein nach der Habilitationsschrift von Peytard entnommen, der den Petit Larousse (1964) ausgewertet hat, für in- liegt vermutlich der Petit Robert aus den 60er Jahren zugrunde, und für non(-) bildet wahrscheinlich eine Liste von Wörtern des Centre d'études du français moderne et contemporain die Materialbasis für ihre Angaben zum Vorkommen in den einzelnen Wortklassen.) In einer Monographie aus dem Jahre 1949 (Max Peter) werden ebenfalls mehrere Negationspräfixe behandelt, jedoch mangelt es auch hier an einer vergleichenden Betrachtung der Leistungen der einzelnen Morpheme. Unterschiedliche, nicht klar definierte Bezeichnungen erschweren neben den ungleichen methodischen Vorgehensweisen bei den einzelnen Präfixen eine Gegenüberstellung der Funktionen. Die semantische Leistung von non wird beispielsweise mit "objektive und genaue Begriffsverneinung" umschrieben (S. 20), die von in- mit "Verneinung" (S. 168), "Verneinung, bei der ein moralischer Wertmaßstab mitwirkt" (S. 170) und "superlativischer Bedeutung" (S. 171) und bei a- erwähnt er, Lalande zitierend, nur "privation". Unabhängig von dieser Begriffsvielfalt ist ein Vergleich für den Leser aufgrund der unterschiedlichen Behandlungsweise der Präfixe schwierig. Während Verfasser auf ca. 30 Seiten (S. 4-33) non- recht ausführlich beschreibt und als Untersuchungsmaterial sowohl Wörterbücher, einige literarische Texte und Zeitungsbelege zugrunde legt, handelt es sich bei seinen lOseitigen Ausführungen zu in- (S. 168-177) mehr oder weniger um eine Zusammenfassung des 1928 erschienen Artikels von Staaff, den er mit einigen Beispielen belegt, und zu aschreibt er unter Rekurs auf das Wörterbuch von Lalande bloße 1 1/2 Seiten. Seine Ausführungen zu dé- sind wiederum recht umfangreich (S. 72-114). In der Habilitationsschrift von Peytard Recherche sur la préfixation en français contemporain (1975) werden unter anderem ebenfalls Negationspräfixe untersucht. Auf der Basis lexikographischen Materials (verschiedene Ausgaben des Petit Larousse) beschreibt Verfasser einige präfixale Elemente, u.a. a- und non-. Peytard betont im Zusammenhang mit der semantischen Analyse von non- die Notwendigkeit des Vergleichs dieser präfixalen Einheit mit a- und in- (S. 525), stellt aber nur a-, non- und sans gegenüber. Insgesamt sind die kontrastiven Überlegungen (S. 537ff.) leider sehr summarisch, die morpho-syntaktischen
3
Im Bereich von in- und a- beschränkt sich Vf. auf die schlag wortartige Nennung der Inhalte wie absence, privation, valeur négative etc.; im Bereich von non- werden für zwei der vier Inhalte (non-conformité, opposition et complémentarité) kurze Umschreibungen in Form eines Satzes angeboten.
3 Leistungen bleiben fast völlig unberücksichtigt4, die Gegenüberstellung bezieht sich vor allem auf die semantische Leistung des 'refus' in bezug auf verschiedene Sprachfelder. Kontextübergreifende Distinktionen werden nicht erarbeitet. Mehrere Negationspräfixe des Französischen (in-, non- und dé-) behandelt schließlich noch Zimmer (1964:47-53) in einem Supplementheft zu Word (Affixal negation in English and other languages: an investigation of restricted productivity. (Supplement to Word 20-2) 1964). Zu Beginn seiner Untersuchung bespricht er die logischen Kategorien der Kontradiktion und der Kontrarität, als deren Träger er in der Folge die untersuchten Adjektivtypen ausweist. Kontradiktorisch interpretiert er beispielsweise die «on-Bildungen5, die -ble suffigierten m-Präfixa6 und die m-präfigierten Partizip Perfekt-Bildungen7. Im Zusammenhang mit den Ausführungen zu in- (S. 49) erwähnt er Funktionsüberschneidungen von in- und non-, bietet jedoch keine Erklärungen an. Ebenso spricht er im Rahmen der Ausführungen zu non- (S. 51f.) Funktionsüberlagerungen mit in- an, indem er die Kombinierbarkeit von non- mit Adjektiven und Verbaladjektiven erwähnt; Verfasser geht jedoch auch hier leider nicht weiter auf mögliche Abgrenzungen von in- und non- ein, sondern setzt statt desssen non- pas gegenüber (un livre non relié und un livre pas relié), Präfixe zwischen denen es aufgrund der unterschiedlichen Registerzugehörigkeit kaum zu Konkurrenzsituationen kommen kann.8 Neben diesen, mehrere Präfixe behandelnden Abhandlungen gibt es noch einige Einzelstudien, die aufgrund ihrer Intention, nur ein Präfix zu beschreiben, o.g. Zielsetzung nicht erfüllen können. So beschreibt Staaff beispielsweise in ihrem 1928 erschienen Aufsatz "Etude sur les mots composés avec le préfixe négatif in- en français" in- in diachroner und synchroner Hinsicht, zu dé- findet sich eine umfangreiche Betrachtung aus morphologischer Sicht von Schifko (1976) und eine kürzere Abhandlung von Reinheimer-Rîpeanu (1969), Staib (1983) beschreibt dé- aus der Sicht der Antonymieforschung und Gaatone (1987) untersucht schließlich einen isolierten morpho-syntaktischen Aspekt der non- und ¿«-Bildungen.9
4
Es findet sich nur der Hinweis, daß a- vor allem mit griechischen Basen kombiniert, während non- insbesondere mit französischem Wortmaterial eine Verbindung eingeht (s. Peytard 1975:537). Darüber hinaus erwähnt Vf. lediglich noch die ausschließlich gebundene Verwendung von a- im Vergleich zu non- und sans, die auch als autonome lexikalische Einheiten in der französischen Sprache vorkommen.
5
Vf. erwähnt für non(-) die "consistently contradictory negating function" (1964:53).
6
Hier greift er zwar auf Umschreibungen der Art 'not prone to', 'not capable of being' zurück, diese deutet er jedoch kontradiktorisch. Vgl. hierzu Zimmer (1964:38f., 49).
7
Vgl. hierzu Zimmer (1964:38 und 49).
8
Lediglich in der gesprochenen Sprache konkurriert pas mit non- bei stilistisch unterschiedlicher Verwendung; dies ist jedoch ausschließlich bei Partizipien und attributiven Adjektiven der Fall. Im Bereich von prädikativen Adjektiven wird pas als verkürzte Negation interpretiert. In Verbindungen mit anderen Wortarten füngiert pas nicht als Negationspräfix in der gesprochenen Sprache. Vgl. Kalik (1971:134).
9
Vf. untersucht den Verlust der Transitivität der zugrundeliegenden terminalen Verbalbasen nach Adjunktion von in-: während die von den Verben abgeleiteten Adjektive oder Nomina actionis die Transitivität der Verben bewahren, geht diese verbale Eigenschaft nach der Negativpräfigierung mit in- verloren. Im Fall der Kombination mit non- wird hingegen die Transitivität der zugrundeliegenden Verben bewahrt (s. bspw. ce règlement est applicable par les citoyens, ce règlement est non applicable par les citoyens, aber *ce règlement est inapplicable par les citoyens). (Sätze stammen aus Gaatone (1987:81f.))
4 Außer in der Wortbildungsliteratur finden, wie soeben angesprochen, negativ präfigierte Bildungen neben rein lexikalischen Gegensätzen auch im Rahmen von Untersuchungen zur Antonymieforschung Beachtung.10 Die Antonymieforschung, eine Teildisziplin der Semantik, beschäftigt sich jedoch vorrangig (in der jüngeren Forschung nahezu ausschließlich") mit inhaltlichen Problemen; es geht weniger um die Frage, wie die semantischen Funktionen morphologisch realisiert werden. Untersuchungen zur Antonymieforschung können wichtige Anregungen/Informationen hinsichtlich möglicher semantischer Klassifikationen geben, auf die zu Anfang der Einleitung aufgeworfene Frage können sie jedoch keine hinreichende Antwort liefern.12 Vor dem Hintergrund dieser Forschungslage stellt die systematische Beschreibung der morpho-syntaktischen, semantischen sowie stilistisch-expressiven Leistungen der Negationspräfixe eine zentrale Aufgabenstellung dar. Wichtig ist im Rahmen einer solchen Arbeit eine einheitliche methodische Vorgehensweise, die die zu analysierenden Formative auf der Grundlage klarer Begrifflichkeiten und einheitlicher Kriterien untersucht. Ein weiteres Desiderat stellt u.E. die Zugrundelegung neueren Datenmaterials dar, das potentielle Funktionserweiterungen erfaßt. Die weiter oben erwähnten Abhandlungen beruhen zum einen auf veralteten Datenbasen, zum anderen handelt es sich vorwiegend um lexikographische Korpora13, die zum Teil den sprachlichen Realitäten nicht gerecht werden.14 Ziel dieser Untersuchung ist somit die Darstellung der Regularitäten der negativen Derivationsmorphologie des Französischen auf der Basis von aktuellem Untersuchungsmaterial. In methodischer Hinsicht handelt es sich hierbei um eine deskriptiv-analytische, synchron ausgerichtete morphologische Untersuchung der produktiven Negationspräfixe des Französischen. Aufgrund der detaillierten Beschreibung der morphologisch-syntaktischen, semantischen sowie stilistisch-expressiven Leistungen der Präfixe sollen die die Wortbildungsregeln konstituierenden Faktoren sichtbar gemacht werden. Die in den Einzelanalysen gewonnenen Ergebnisse werden in einem abschließenden Funktionsvergleich gegenübergestellt, um mögli10
Die Antonymieforschung befaßt sich mit Gegensatzrelationen im Wortschatz und folglich auch mit der Negation, da diese ein konstitutives Merkmal des Gegensatzes darstellt.
11
Vgl. Nellessen (1982:29).
12
Einen sehr detaillierten Überblick über die Antonymieforschung findet sich in Gsell (1979:24ff ). Nicht minder ausführlich ist der Stand der Forschung beschrieben in Nellessen (1982:20ff.). Des weiteren möchten wir auf Geckeier (1980:45ff.) verweisen.
13
Peytards Untersuchungen basieren auf verschiedenen Ausgaben des Petit Larousse bis Ende der 60er, Pinchons Arbeit liegen z.T. lexikographische Korpora aus den 60er und z.T. eine Liste von Wörtern des Centre d'Etudes du français moderne et contemporain zugrunde, die zwischen 1966 und 1970 nachgewiesen worden sind (es wird nicht klar, aus welcher Art von Korpus diese Wörter stammen), Zimmers Beitrag fußt ebenfalls auf lexikograpischem Material aus den 60er (Petit Larousse), Peters Materialen stammen aus den 40er Jahren und früher, und Schifkos Bildungen sind einem Wörterbuch aus den 50er entnommen (Petit Robert). So werden in der Regel nur per Bindestrich adjungierte «on-Formantien aufgenommen, ein willkürliches Selektionskriterum, das den morphologischen und semantischen Leistungen des Präfixes nicht Rechnimg trägt. Des weiteren finden Veränderungen im lexikalischen Bereich erst sehr viel später nach ihrem Aufkommen in ein Wörterbuch Eingang. Somit sind gerade die Neubildungen nicht verzeichnet, die im Rahmen der Darstellung von Faktoren, die die Wahl eines Präfixes bei der Bildung einer neuen Negativkonstruktion determinieren, von besonderem Interesse sind. Vgl. hierzu auch Widdig (1982:4).
14
5 che Interferenzbereiche genauer einzugrenzen und Unterschiede herauszuarbeiten. Eine solche Untersuchung soll schließlich Aufschluß über die Faktoren geben, die die Wahl eines bestimmten Präfixes bei der Neubildung einer Negativpräfigierung determinieren. Der eigentlichen empirischen Analyse muß im Rahmen der vorliegenden Arbeit die terminologische Klärung der Begriffe "Präfix" und "Negation" vorausgehen, da in der Sekundärliteratur keine einheitlichen Konzepte dieser linguistischen Einheiten vorliegen. Die unterschiedliche Definition von Präfix tritt recht deutlich in den quantitativ divergierenden Inventarlisten von Präfixen hervor.15 Die Uneinheitlichkeit dieser Konzepte macht es erforderlich, daß in einem theoretischen Teil dieser Arbeit zur Definition von Präfix Stellung genommen werden muß (Vgl. hierzu Kapitel 2.). Verschiedenartige Ansichten scheinen schließlich auch der semantischen Kategorie der Negation zugrunde zu liegen. Während in Arbeiten, die sich mit der natürlichsprachlichen Negation beschäftigen, traditionellerweise die Kategorien der Kontradiktion und Kontrarität aufgenommen werden, finden die Inhalte der Privation und Reversion nicht konsequent Berücksichtigung. Neben Linguisten, die weder die Privation noch die Reversion als Bedeutungsgegensatz in Betracht ziehen (z.B. Jacobs (1991)), gibt es zum einen eine Gruppe von Autoren, die beide semantischen Inhalte als Oppositionstypen zugrunde legen (Welte (1978), Marchand (1969) (1974), Zimmer (1964) und Horn (1989)), und zum anderen einen Kreis von Linguisten, der lediglich eine der beiden Bedeutungskategorien aufnimmt: So berücksichtigen bspw. Lenz (1993), Erben (1975), Funk (1971) und Fleischer (1975) nur die Privation als Negationskategorie, gegenüber Nida (1975), Geckeier (1979, 1980), Cruse (1979), Gsell16 (1979) Neilessen (1982), Olsen (1986) und Mettinger (1987), die nur das semantische Konzept der Reversion als Gegensatztyp erwähnen. Hierbei scheinen nicht klare Konzepte vorzuliegen, die die Wahl bzw. die Nicht-Aufnahme einer der beiden Kategorien begründen, denn z.T. wird ein und dieselbe Bildung von einem Autor als privativ eingestuft und von einem anderen als reversiv. (Vgl. hierzu Kapitel 3.3. und 3.4.) In Anbetracht der Tatsache, daß diese Arbeiten offensichtlich auf unterschiedliche Vorstellungen von Negation zurückgehen, stellt im Rahmen einer Untersuchung zur affixalen Negation des Französischen die Klärung dieser Begrifflichkeit eine wichtige Aufgabe dar. In den Kapiteln 3.1. - 3.4. soll aus diesem Grund erörtert werden, welche Inhalte wir zur Kategorie der Negation rechnen, und des weiteren sollen Kriterien zusammengestellt werden, vermöge derer die verschiedenen semantischen Kategorien zu differenzieren sind.
15
16
Während Togeby (1951) beispielsweise 13 lexikalische Einheiten als Präfix klassifiziert, findet sich im Petit Larousse von 1961 eine Übersicht mit 260 Präfixen. In ähnlicher Weise divergiert die Anzahl der in den unterschiedlichen Grammatiken aufgenommenen Präfixen. In Peytard (1975: 59) findet sich eine Tabelle mit verschiedenen zwischen 1882 und 1961 erschienenen Grammatiken zum Französischen. Die Anzahl der in den Grammatiken verzeichneten Präfixe beläuft sich von 48 (Ayer 1882) über 141 (Grevisse 1961) auf 175 (Bloch et Georgin 1937) präfixale Wortbildungsmorpheme. Bei Gsell (1979:167) werden die Reversiva als eine Subkategorie der "Antonymie bei transformativen Verben" aufgenommen.
Erster Teil: Theoretische Ausßhrungen zur Wortbildungseinheit "Präfix und zur semantischen Kategorie "Negation "
2. Zur Definition von Präfix In der Wortbildungsliteratur existieren neben der Frage nach der klassifikatorischen Einordnung der Präfigierung 1 große Schwierigkeiten bei der definitorischen Fassung präfixaler Wortbildungselemente. Der Mangel an präzisen 2 und allgemein akzeptierten Kriterien für die Definiton v o n Präfixen kommt auf den ersten Blick sehr gut in den quantitativ recht unterschiedlichen Inventarlisten von Präfixen zum Ausdruck: Während Nyrop (1936) 5 0 Wortbildungselemente als Präfixe klassifiziert, beläuft sich die Anzahl dieser Derivationsmorpheme bei Togeby (1951) auf 13; Hall, Jr. (1948) spricht wiederum von 95 und im Petit Larousse
von
1961 findet sich eine Tafel mit 260 Präfixen. 3 Eine wesentliche Rolle für diese zahlenmäßig stark
divergierenden
Inventarlisten
spielt
die
traditionelle
Klassifikation
der
Wort-
bildungselemente nach dem Kriterium der lexikalischen Autonomie: Handelt es sich um Formen, die im Sprachsystem auch frei vorkommen, so hat man es mit einem Wurzelelement zu tun; Formen dagegen, die ausschließlich gebunden vorkommen, sind als Affixe einzustufen - hierbei unterscheidet man terminologisch weiterhin zwischen solchen Morphemen, die vor die Basis treten (Präfixe), solchen, die an das Basislexem angehängt werden (Suffixe), und
1
2
3
Es herrscht Uneinigkeit darüber, ob die Bildung neuer Lexeme mittels Präfixen, d.h. die Präfigierung, eine Subkategorie der Derivation oder der Komposition bildet bzw., ob sie neben der Derivation und der Komposition eine dritte Hauptart der Wortbildung darstellt. Aus dem Kreise derer, die die Präfixbildung als dritte Hauptart der Wortbildung verstanden wissen wollen, wäre neben Henzen und Marchand vor allem Fleischer (41975) ZU nennen. Er begründet dies u.a. damit, daß Suffixe ein Wort kategorial klassifizieren, Präfixe hingegen niemals wortartbestimmend sind. Als weiteres Argument für die unterschiedliche Behandlung dieser beiden Wortbildungsmittel führt er an, a) daß Suffixe für bestimmte Wortarten spezialisiert sind, Präfixe demgegenüber Wortarten übergreifen können b) Präfixdoppelungen möglich seien, nicht aber Suffixdoppelungen (s. Fleischer41975:76, 79). Eingehend diskutiert (und größtenteils widerlegt) werden die Argumente Fleischers in Olsen (1986:93ff.). Es sei im übrigen daraufhingewiesen, daß sich die Mehrheit der Linguisten für die klassifikatorische Einordnung der Präfigierung in die Derivation ausspricht. Vgl. hierzu Peytard (1975:81) "[...] les définitions ne manquent pas [...], mais elles ne permettent pas une discrimination. Si l'on entend par préfixe, une certaine 'position' dans certains syntagmes d'un élément de la langue, position constante d'antériorité, à gauche, devant telle classe de mots, alors (et cela se trouve dans les traités et les manuels) il est 'logique' de considérer comme 'préfixe': - le pronom de conjugaison, qui à la I o et à la 2° personne est quasi toujours devant la forme verbale; - l'article qui précède le substantif; - la préposition [...]; - l'adverbe, devant un adjectif, 'il est très grand, il est très fort'. " Zitiert in Spence (1976:9f.). Vgl. hierzu auch Peytard (1975:5-51). Die Inventarlisten von Präfixen divergieren ebenfalls in den Grammatiken zum Französischen in erheblichem Maße (vgl. Kapitel 1. Fußnote 15).
8
solchen, die zwischen Basis und ein gebundenes Morphem treten (Infixe). Daß diese Gleichsetzung (gebundenes Morphem = Affix und freies Morphem = Wurzel) nicht den sprachlichen Realitäten entspricht, zeigen Beispiele wie buv-ette, buv-ard, buv-ons etc. oder isotherme., therm-al, therm-ique, thermo-stat und statique. Das Faktum, daß buv-, therm- und stat- Suffixe selegieren bzw. - im Fall von buv- - eine Verbindung mit Flexiven eingegangen wird, macht deutlich, daß es sich um Wurzelelemente handeln muß: Puisqu'il faut qu'un mot ait un radical, et qu'il n'est pas difficile de démontrer que -ette, -ard, [...], -ons sont des affixes, il s'ensuit que buv- et [...] sont bien des radicaux. Quelle que soit la méthode d'analyse préférée, c'est un fait acquis, me semble-t-il que therm- et -stat sont des radicaux et que thermostat est bien un composé dont les éléments sont des morphèmes liés [...].(Spence 1976:15f.).
Die zuvor erwähnten Elemente wären folglich als Wurzeln zu klassifizieren, genauer gesagt als gebundene Wurzeln, da sie nie frei vorkommen. Wir haben also gesehen, daß es empirisch nicht adäquat ist, Elemente, die ausschließlich gebunden vorkommen, aufgrund ihrer Gebundenheit als Affixe einzustufen. Andererseits ist es ebenso wenig angemessen, ein Element deshalb nicht als Präfix zu klassifizieren, nur weil es außer in Wortbildungssyntagmen auch noch als freies Morphem in der Sprache anzutreffen ist. Dieser Ansicht ist auch Dubois (1962a:2f.), der sagt, daß die Identität der Form nicht notwendigerweise mit der Identität der Funktion gleichzusetzen ist.4 Entsprechend gilt es zwischen morphologischer und semantischer Autonomie zu unterscheiden. So ist das als Präfix fungierende sur- beispielsweise aus morphologischer Sicht eine freie Form, da es in der Funktion der Präposition sur als lexikalisch autonome Einheit im System der französischen Sprache vorkommt. Vom semantischen Standpunkt aus betrachtet kann das in der Funktion eines Präfixes auftretendene sur- hingegen nicht als autonomes sprachliches Zeichen angesehen werden: Für das präfixale sur- können sechs Seme identifiziert werden (excessivité, superlativité absolue, supériorité, additivité, temporalité und spatialité (s. Widdig 1982:271), die in der Präposition sur keine bzw. nur eine partielle Entsprechung (temporalité und spatialité) finden.5 Zwischen der präfixalen und der präpositionalen Form sur ist somit zwar eine formale Entsprechung gegeben, in inhaltlicher Hinsicht besteht aber keine Identität. Das präfixale surerweist sich demnach aus morphologischer Sicht zwar als autonome sprachliche Einheit, hinsichtlich seiner Semantik kann es jedoch nicht als freie lexikalische Einheit angesehen werden. (Vgl. Widdig 1982:272) Summa summarum gilt es festzuhalten, daß das Kriterium der lexikalischen Autonomie für die Klassifizierung von Wortbildungselementen (somit auch für die Präfixidentifikation) unzulänglich ist. Verläßlicher hingegen scheint die Analyse der semantischen Leistung von Morphemen. Für Präfixe ist es z.B. kennzeichnend, daß sie in allen Wortbildungskonstruktionen, in denen sie vorkommen können, niemals eigentlicher Träger des Bedeutungskerns sind, sondern daß sie das Intentum des Grundwortes nur in spezifischer Variation - womit auch die 4
Gegen eine Unterscheidung zwischen Wurzel und Affix nach dem Kriterium der lexikalischen Autonomie sprechen sich ebenfalls aus: Guilbert (1976:630ff.), Spence (1976:13), Thiele (1981:19), Fleischer ( 4 1975:38ff.), Bornschier (1971:11), implizit auch Martinet (21976:135).
5
Die Präposition sur tritt als Träger folgender Inhalte auf: spatialité, temporalité, causalité, relativité und conformité. Vgl. Widdig (1982:271).
9 Negation gemeint ist - erscheinen lassen, d.h. adjunktiven Status haben. Kompositive Elemente hingegen kommt konjunktiver Status zu, d.h. sie haben einen gleichwertigen Anteil am Zustandekommen des neuen Denotats.6 Die semantische Funktion der Präfixe besteht demnach nicht in der Schaffung neuer Denotate, sondern vielmehr in der Variation (ζ. B. Intensivierung oder Negation) der Merkmale des durch das Basislexem sprachlich repräsentierten Denotats, [...]" d.h. die präfixale Bildung erzeugt gegenüber der nicht affigierten Basis keine neue Dingvorstellung". (Widdig 1982:268) Auf den vorangehenden Ausführungen basierend - und unter Einbeziehung von Wörterbuchdefinitionen7 - wollen wir nun von folgender Definition von Präfix ausgehen: Präfixe sind semantisch nicht-autonome Wortbildungselemente, d.h., mit der Bedeutung, in der sie als Präfix fungieren, kommen sie als freies Element nicht in der Sprache vor (die Semantik der präfixalen Form X ist nicht (völlig) identisch mit der Semantik der frei vorkommenden homonymen Form X). Des weiteren handelt es sich um Morpheme, die in Wortbildungskonstruktionen nicht Träger des Bedeutungskerns sind. Sie sind positionsfest - sie treten immer vor das Basislexem8 -, reihenbildend und gehören der geschlossenen Wortklasse an. Ein weiteres Charakteristikum dieser Derivationsmorpheme ist ihre Fähigkeit, die Anzahl der Ergänzungen des Basislexems, mit dem sie eine Verbindung eingehen, zu ändern, d.h. valenzverändernde Wirkung ausüben zu können.9 Die zuvor genannten Merkmale sind sowohl kennzeichnend für die Präfixe als auch für die Suffixe - wobei hinsichtlich der Positionsfestigkeit der Sufffixe gilt, daß diese an das Basislexem adjungiert werden und nicht diesem vorausgehen. Im Unterschied zu Suffixen bestimmen Präfixe die Wortart nicht. Suffixe sind für bestimmte Wortarten spezialisiert, Präfixe dagegen werden häufig als wortartübergreifend definiert. Dies ist jedoch nicht in dem Sinne zu deuten, daß sie sich gegenüber der Wortklasse der Basis bzw. der Ableitung völlig neutral verhalten, denn viele von ihnen haben eindeutige Kombinationstendenzen: so ist ré- und dé- vorwiegend verbal, in- fast ausnahmslos und nonausschließlich nominal etc. (Vgl. hierzu auch Schifko 1976:804.)
6
Zu dem Terminus Adjunktion und Konjunktion bzw. konjunktiver Status s. Widdig (1982:271ff.).
7
Vgl. hierzu s.v. Präfix, Affix und Komposition Bußmann (1983), Phelizon (1976), Conrad (1985), Stammerjohann (1975), Dubois (1973), Bohusch (1972), Marouzeau (1961), Mounin (1974), Abraham (1974), Venneer (1971: 84), Althaus (1973:148f. und 168), Lewandowski ( 4 1984), Martinet (1969).
8
Das Merkmal vor den Stamm/die Wurzel/das Basismorphem tretendes Affix ist das einzige Charakteristikum, das sich in jedem der konsultierten linguistischen Wörterbücher fand. Andere Kennzeichen variieren je nach Wörterbuch. Vgl. hierzu Trésor, VI, S. 741: "Le passage du verbe simple à l'anton. composé peut être accompagné d'un changement d'emploi p.ex. charlataniser, verbe intrans. [...] devient décharlataniser, verbe trans, «ôter le charlatanisme de». In diesem Fall bewirkt die Adjunktion des Präfixes eine Valenzerhöhung. Diese Fähigkeit ist desgleichen Suffixen zu eigen, wie dies Wortpaare der Art démaquiUerldémaquillage illustrieren. Die Derivation vermöge -age bewirkt eine Valenzverminderung: Das Verb démaquiller ist zweiwertig, das abgeleitete Substantiv hingegen nullwertig.
9
3. Zur Wesensbestimmung der Negation: Theoretische Erörterungen der semantischen Negationskategorien Mit der Frage der Wesensbestimmung der Negation haben sich seit der Antike zahlreiche Untersuchungen unterschiedlicher disziplinärer Provenienz beschäftigt. Am Anfang des Studiums der eigentlichen sprachlichen Negation steht Piatons Sophistes: The Stranger in this dialogue seeks to identify negation (the not-p) with otherness that which is distinct from p. (Horn 1989:1)'
In früheren Schriften sowohl der westlichen Philosophen Altgriechenlands als auch der östlichen Philosophen, bspw. des indischen Buddhismus, wurden negative Konzepte ausschließlich im Rahmen metaphysischer beziehungsweise ontologischer Studien untersucht. Vor diesem Hintergrund kann mit Piatons Sophistes zwar der Beginn der eigentlichen sprachlichen Negationsstudien angesetzt werden, größere Bedeutung kommt im Zusammenhang von Sprache und Negation jedoch seinem Schüler Aristoteles zu: Erst der Stagirit verlegte das Studium der Negation aus dem Bereich der reinen Ontologie in das Gebiet der Logik und der Sprache.2 Das in diskontinuierlichen Teilen in seinen Schriften Categoriae, De Interpretation, Analytica priora und Metaphysik vorgestellte Bild der Negation und Opposition hat bis heute nicht an Lebendigkeit eingebüßt.3 Die zum ersten Mal im Organon aufgeworfene Frage der Unterscheidung zwischen kontradiktorischem und konträrem Gegensatz ist heute ebenso zentral wie zum Zeitpunkt ihrer Entstehung. (Aristoteles' Analyse der Negation dreht sich um die Distinktion zwischen kontradiktorischem und konträrem Gegensatz, wobei das Primat der Identifikation der Negation mit dem kontradiktorischen Gegensatz gilt (vgl. Horn 1989:2,35)). In modernen Abhandlungen zum Thema der natürlichsprachlichen Negation sind die auf dem konträren bzw. kontradiktorischen Gegensatz der Logik beruhenden semantischen Negationskategorien diejenigen, die konsistent Erwähnung4 finden - wenn auch häufig nur in extrinsischer Form, d.h. vermöge der Nennung der Negationspartikel, die diese Inhalte markieren.5 1
Das Platonische Konzept der Negation als ein Zeichen der Unterschiedlichkeit läßt sich nicht mit den im Zusammenhang der Negation üblicherweise genannten Inhalten der Konlradiktion und Kontrarität identifizieren.
2
So finden sich in linguistischen Abhandlungen, die sich mit der Negation bzw. Antonimie beschäftigen, unter Referenz auf die erstmalige Behandlung dieses Themas in der Antike, zwar Verweise auf Aristoteles, nicht jedoch auf Piaton. Vgl. z.B. Jacobs (1991:561) oder Waizcyk 1982:30: "L'objet de cette étude date de plus de deux mille ans car le premier qui s'est occupé de l'antonymie fut Alistóte. " Zu den vorgenannten Ausführungen vgl. Horn (1989:1-6).
3 4
Vgl. z.B. Jacobs (1991:561, 584), Welte (1978:186), Horn (1989 passim, s. Index), Lenz (1993, Vf. weist nicht explizit auf Behandlung dieser Negationskategorien hin, die Auswahl der analysierten Präfixe läßt jedoch auf diese Inhalte schließen, auf S. 46 ist von kontradiktorischen und konträren un-Bildungen die Rede; ansonsten heißt es meistens recht unspezifisch, daß die analysierten Affixbildungen 'Negation' denotieren), Gaatone (1971:8 auch hier extrinsische Definition). Beispiele, in denen die genannten beiden Inhalte Berücksichtigung finden, lassen sich behebig fortsetzen.
5
Eine recht beträchtliche Anzahl von Arbeiten beschäftigt sich mit dem Thema der Negation im allgemeinen oder mit einem bestimmten Aspekt, wie etwa die morphologische Negation, in der französischen Sprache; in der Regel wird bei diesen Arbeiten von einem intuitiven Vorverständnis von Negation ausgegangen und die Frage: "Was ist Negation?" gar nicht mehr aufgeworfen.
12 Bevor nun auf die eigentliche Charakterisierung dieser Negationskategorien eingegangen wird, sei kurz auf folgende terminologische Divergenzen hingewiesen: Die Begriffe Kontradiktion und Kontrarität sind originär logische Termini und dienen in diesem Bereich zur Kennzeichnung spezieller logischer Gegensatzrelationen. Einige Autoren verwenden auch im Zusammenhang mit natürlichsprachlicher Negation die Bezeichnungen kontradiktorisch und konträr6, während andere logische und natürlichsprachliche Negation terminologisch differenzieren und fur letztere häufig die Lexeme Komplementarität und Antonymie (i.e.S.)7, bzw. die entsprechenden Adjektive, vorbehalten. Zu ersteren gehören z.B. Welte (1978), Zimmer (1964), Lenz (1993), Warzcyk (1982) oder Ljung (1974)8. Zur Gruppe derer, die terminologisch differenzieren, ist z.B. Nellessen zu zählen: Man hat eine große Zahl von [...] Wortpaaren gesammelt. [...] diese Paare [wurden] nach dem logischen Kriterium in konträre und kontradiktorische Gegensätze [zusammengefaßt], aus denen dann die linguistischen Kategorien der [...] Antonymie (i.e.S.) und der Komplementarität wurden [...] (Nellessen 1982:16f.)
Von Komplementarität und Antonymie (i.e.S.) im Falle von lexikalisch-semantischen Gegensatzverhältnissen sprechen ferner z.B. Geckeier (1979:459ff.9), Cruse (1980:14), Hlebec (1987:19) und Lehrer (1985:397)10. Wir haben also zum einen jene Gruppe von Autoren, die das Begriffspaar Kontradiktion und Kontrarität, bzw. die entsprechenden Adjektive, sowohl für logische als auch für lexikalisch-semantische Gegensatzrelationen einsetzen11 - eine Verwendungsweise der Begriffe, die auch der vorliegenden Untersuchung zugrunde liegt und andererseits jenen Kreis von Linguisten, die entsprechend dem Untersuchungsgegenstand terminologisch differenzieren und im Falle von linguistischen Kategorien lediglich auf die Dichotomie der Komplementarität und Antonymie (i.e.S.) zurückgreifen. Darüber hinaus findet sich für die linguistische Kategorie der Komplementarität zuweilen - wenn auch recht selten 6
Auf die häufige Verwendung des logischen Begriffes konträr im Sinne von antonym weist u.a. Geckeier (1980:44) hin: "Nur anmerkungsweise sei noch auf die häufige Verwendung des Terminus (le) contraire in der Bedeutung "Antonym" in der heutigen französischen Lexikographie hingewiesen. Es dürfte interessant sein, den Gebrauch dieses Terminus in der sprachwissenschaftlichen Literatur zurückzuverfolgen. Sein Ursprung wird wohl auf eine Generalisierung des Begriffs "contrarium" bzw. "contraria" aus der Tradition der Logik zurückzufuhren sein. "
7
Zur Verwendung des Begriffes Antonymie i.e.S (im Gegensatz zum nicht näher spezifierten Ausdruck Antonymie) vgl. Pkt 3.2.
8
Welte (1978:127, hier jedoch in "gesetzt), Zimmer (1964:21) mit folgendem Hinweis: "[...] 'contrary' in this sense is not one that is used in propositional logic [...].", Lenz (1993:46) spricht hier von kontradiktorischen und konträren Adjektiven, Warzcyk (1982:31): "[...] le contenu sémantique des antonymes [...] se base [...] sur trois termes [...]: l'inversion, la contrariété et la contradiction." und schließlich Ljung (1974:75), der nur von contradictory/contrary opposites spricht und nicht von contradictory/contrary adjectives.
9
Geckeier (1979) weist im Zusammhang der Nennung von Untertypen der Antonymie (i. w.S.) darauf hin, daß die Antonymie i.e.S., die er wiederum als "Antithetica" bezeichnet, "dem konträren Gegensatz der Logik entspricht" (S. 459), während die "Komplementarität dem kontradiktorischen Gegensatz der Logik [entspricht]". (S. 460f.)
10
Hier findet sich des weiteren ein expliziter Hinweis auf die Verwendung des logischen Terminus im Zusammenhang mit linguistischen Kategorien: ".. .antonyms (often called contraries)... " (Lehrer 1985:397).
11
Dies bedeutet, daß dieser Autorenkreis die originär logischen Termini Kontradiktion und Kontrarität ausschließlich oder neben anderen zur Bezeichnungen semantischer Oppositionsbeziehungen verwendet (neben anderen wie Komplementarität und Antonymie etc.).
13 der Ausdruck Komplenymie Begriff der Antithetica
(Geckeier 1980:51 12 ) und für die Kategorie der Antonymie
der
(Geckeier 1979:459). 1 3
Gemeinsam ist den erwähnten Gegensatztypen, daß es sich in beiden Fällen um binäre oppositive Inhaltsstrukturen, um zwei miteinander unvereinbare Ausdrücke handelt. 14 Auf die differentiae
specificete
soll im folgenden näher eingegangen werden. Wir beginnen mit dem
primär mit der Negation identifizierten Gegensatz der Kontradiktion. 15
3.1. Die Subkategorie der Kontradiktion Im folgenden sollen die spezifischen Merkmale der Kategorie der Kontradiktion vermöge logischer und linguistischer Kriterien untersucht werden. Die sich in späteren Kapiteln anschließende Analyse der Negationsarten der Kontrarität, der Privation und Reversion erfolgt ebenfalls auf der Grundlage dieser Kriterien.
3.1.1. Das Prinzip des tertium non datur Zur näheren Bestimmung dieser Negationsart beginnen wir mit der Nennung der auf den logischen Prinzipien beruhenden Kriterien und hier im speziellen mit dem Gesetz des ausgeschlossenen Dritten, welches ein wichtiges Thema der Negationstheorie Aristoteles' darstellt (vgl. Horn 1989:95).' 12
13
14
15
1
"Die von Lyons als "Komplementarität" bezeichnete Inhaltsrelation wird von Wiegand (1973:11,67) "Komplenymie" [...] genannt." (Geckeier 1980:51) Zur Verwendung des Begriffes "Komplenymie" vgl. femer Gsell (1979:60). Außer den erwähnten Dichotomien der Kontradiktion und Kontrariät, der Komplementarität und Antonymie, der Komplenymie und Antonymie bzw. Komplenymie und Antithetica finden noch die Begriffe Negation und Opposition zur Bezeichung dieser Gegensatzrelationen Anwendung. Zu letzterem vgl. Mettinger (1987, 1988). Dies bedeutet, daß die beiden Begriffe, Positivum und Negativum, nicht gleichzeitig Anwendung finden können: *Das Buch ist veröffentlicht und unveröffentlicht. *Peter ist glücklich und unglücklich. Beide Sätze sind simultan nicht vernünftig zu interpretieren, wohl aber als sukzessive Zustände (vgl. Horn 1989:7). Bezüglich der Priorität der Identifikation der Negation mit der Kontradiktion vgl. Horn (1989:2,35) oder Mettinger (1987,1988): Im Zusammenhang mit der semantischen Homogenität der Bildungen des Typs unVble weist Mettinger bpsw. darauf hin, daß es sich in all diesen Fällen wohl um un- als "tatsächliches 'Negationspräfix'" handele [Hervorhebung von uns], wobei mit dieser Umschreibung offensichtlich kontradiktorisch gemeint ist. Weiter heißt es dann: "Auch bei den nicht-finiten Verbformen (Partizip Perfekt and Partizip Präsens) hat un- in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle Negationsbedeutung [Hervorhebung von uns]." (Mettinger 1988:494) Auch hier identifiziert Vf. Negation mit Kontradiktion. Ein weiteres wichtiges Prinzip in der aristotelischen Logik der Opposition stellt das logische Prinzip der Kontradiktion dar (vgl. Horn 1989:20, 95). (Dieses Prinzip ist nicht mit der linguistischen Kategorie der Kontradiktion zu verwechseln, die sich nicht nur durch logische Prinzipien, sondern auch durch linguistische Merkmale definiert.) Das logische Prinzip der Kontradiktion besagt, daß wir es mit zwei Begriffen zu tun haben, a und b (Negation und Assertion), die nicht gleichzeitig wahr sein können ^(p Λ ->p). Vgl. hierzu Horn (1989:20). Da dieses Kriterium jedoch nicht bei der Unterscheidung der hier behandelten Negations-
14 Das definierende Kriterium der kontradiktorischen Gegensatzbeziehung ist das Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten, das sog. tertium non datur: entweder gilt (A ist B) oder es gilt (A ist nicht B), d.h. es gibt keinen Mittelbegriff. In logischer Notation darzustellen als ρ V -ip (ein Buch ist veröffentlicht oder unveröffentlicht, ein Kind ist ehelich oder unehelich). Der disjunktive Charakter der kontradiktorischen Gegensatzbeziehung tritt durch die Einsetzung der zu untersuchenden lexikalischen Einheiten bspw. in einen Testsatz der folgenden Gestalt deutlich hervor (vgl. hierzu Gsell (1979:72): Ist X immer entweder a oder b?
bzw.
X ist immer entweder a oder b:
Ein Kind ist immer entweder ehelich oder unehelich, oder Ein Buch ist immer entweder veröffentlicht oder unveröffentlicht. Dieser Testrahmen macht deutlich, daß im Fall der Kontradiktion nur Aussagen vom Typ entweder .... oder möglich sind. Es gilt stets nur das eine oder das andere, eine dritte Möglichkeit besteht nicht. Die beiden Oppositionsglieder können im Fall der kontradiktorischen Gegensatzbeziehung weder zusammen falsch noch zusammen wahr sein.
3.1.2. Das Prinzip der Satzimplikation Ein zu dem Prinzip des tertium non datur äquivalentes Kriterium ist das der Satzimplikation: Aus der Negation des einen Satzes folgt die Affirmation des anderen und umgekehrt. Auf die Begriffsnegation übertragen bedeutet dies: die Affirmation eines Gliedes des kontradiktorischen Gegensatzpaares impliziert die Negation des Oppositums und vice versa (d.h. wenn 'a' und 'b' kontradiktorische Terme sind, dann gilt: (a => ~>b) Λ (b -ia) und (~>a 3 b) Λ (->b a)).2 Vgl. hierzu folgende Beispielsätze (a repräsentiert in diesen Fällen die Negationsbildung): (a => ~>b) Das Kind ist unehelich. Das Kind ist nicht ehelich.
Der Mann ist unbehaart. Der Mann ist nicht behaart.
(b 3 ->a) Das Kind ist ehelich. Das Kind ist nicht unehelich.
Der Mann ist behaart. Der Mann ist nicht unbehaart.
ia 3 b) Das Kind ist nicht unehelich. Das Kind ist ehelich.
Der Mann ist nicht unbehaart. Der Mann ist behaart.
kategorien hilfreich ist, da für alle gilt, daß das Prinzip der Kontradiktion gegeben ist, soll auf dieses aristotelische Prinzip im Rahmen der einzelnen Negationsarten nicht explizit eingegangen werden. 2
S. Welte (1978:128) oder Ljung 1974:75:" With contradictory opposites there is a 'law of excluded middle'; i.e. the denial of one term will always imply the assertion of the other. " S. auch Horn (1989:18ff. (20), 133).
15 (~>b => a) Das Kind ist nicht ehelich. Das Kind ist unehelich.
Der Mann ist nicht behaart. Der Mann ist unbehaart.
Umschreibungen der zuvor genannten Sätze verdeutlichen, daß im Falle der kontradiktorischen Gegensatzbeziehung in semantisch-logischer Hinsicht zwischen der Assertion des einen Terms und der Negation des oppositären Ausdrucks (oder besser zwischen der Affirmation der einen Proposition und der Negation der oppositären Aussage) ein Äquivalenzverhältnis vorliegt. So ist beispielsweise (a => ~ib) Λ (b => ->a) wie folgt zu umschreiben: (a => ~>b) Das Kind ist unehelich. Es ist nicht der Fall, daß das Kind ehelich ist. versus Das Kind ist nicht ehelich. Es ist nicht der Fall, daß das Kind ehelich ist. (b 3 ->a) Das Kind ist ehelich. Es ist der Fall, daß das Kind ehelich ist. versus Das Kind ist nicht unehelich. Es ist nicht der Fall, daß es nicht der Fall ist, daß das Kind ehelich ist. Im Falle der Implikationsbeziehung (a 3 ~>b) ist in semantisch-logischer Sicht eine Entsprechung zwischen dem Satz mit der Negationsbildung und dem Satz mit dem entsprechendem negationslosen Oppositum gegeben, da sich die beiden Negationsträger (un- im ersten Satz und nicht zweiten Satz) gegenseitig aufheben, wie oben erwähnte Umschreibungen zu verdeutlichen vermögen. Für (b => -ia) gilt ebenfalls, daß ein Äquivalenzverhältnis anzunehmen ist. In diesem Fall sind beide Negationselemente Teil desselben Satzes (Das Kind ist nicht unehelich). Auch hier gilt, daß sich das Negationsadverb nicht und das Negationsformativ un- gegenseitig aufheben. Hierdurch ist eine Entsprechung zwischen dem Satz mit der doppelten Negation und dem Satz mit der einfachen Assertion gegeben. Die Paraphrasierungen der zu verbleibenden Sätzen, d.h. (-«a s b ) A (—>b => a), zeigen den gleichen Effekt. (->a 3 b) Das Kind ist nicht unehelich. Es ist nicht der Fall, daß es nicht der Fall ist, daß das Kind ehelich ist. versus Das Kind ist ehelich. Es ist der Fall, daß das Kind ehelich ist. (->b => a) Das Kind ist nicht ehelich. Es ist nicht der Fall, daß das Kind ehelich ist. versus Das Kind ist unehelich. Es ist nicht der Fall, daß das Kind ehelich ist.
16 Auch hier bewirkt die gegenseitige Tilpng der Negationsträger nicht und un- die semantischlogische Äquivalenz der zu vergleichenden Propositionen. Somit gilt, daß für beide Implikationsrichtungen in semantisch-logischer Hinsicht ein Äquivalenzverhältnis vorliegt. Die Paraphrasierungen der die negierten Konkreta (nicht behaart, nicht unbehaart) enthaltenden Sätze zeigen das gleiche Ergebnis.3 Mit der semantisch-logischen Äquivalenzrelation der zu vergleichenden Propositionen geht in diesem Fall eine Entsprechung in ontologischer Hinsicht4 einher. Vor dem Hintergrund unserer Weltkenntnis ist beispielsweise der Satz das Kind ist unehelich in ontologischer Hinsicht identisch mit dem Satz das Kind ist nicht ehelich usf. Eine eingehendere, differenzierte Betrachtung der Implikationsverhältnisse in semantisch-logischer und ontologischer Hinsicht ist im Falle dieser Negationskategorie nicht erforderlich. Besondere Aufmerksamkeit gilt einer differenzierten Betrachtung dann, wenn die unterschiedlichen Betrachtungsebenen zu abweichenden Ergebnissen führen. Die Ergebnisse zur Untersuchung der Implikationsbeziehungen sollen der Übersichtlichkeit halber nochmals in folgender Tabelle festgehalten:
Implikationsverhältnisse
in semantisch-logischer Hinsicht Konkreta: Abstrakta: in ontologischer Hinsicht Konkreta: Abstrakta: a b ~ia ~"b
Assertion impliziert Negation
Negation impliziert Assertion
(a=>-ib)
Oma)
(-ia=»b)
(-ib=>a)
+ +
+ +
+ +
+ +
+
+
+
+
+
+ +
+
für'ist nicht gegeben', + für 'ist gegeben' das Kind ist unehelich/Mann unbehaart das Kind ist ehelich/Mann behaart das Kind ist nicht unehelich/Mann nicht unbehaart das Kind ist nicht ehelich/Mann nicht behaart
So ist Der Mann ist unbehaart semantisch-logisch äquivalent mit dem Satz Der Mann ist nicht behaart, ebenso wie Der Mann ist behaart identisch ist mit dem Satz Der Mann ist nicht unbehaart. Den gleichen Effekt zeigen die Konkreta im Fall der Implikationsrichtung "Negation im Verhältnis zur Assertion", d.h. fur (~>a 3 b) Λ (~>b => a). "Ontologisch" wird in dieser Arbeit als eine Bezeichnung verwendet, die auf die außersprachlichen Gegenbenheiten in der Welt bezug nimmt.
17 3.1.3. Das Prinzip der doppelten Negation In engem Zusammenhang zu dem Kriterium der Satzimplikation und dem des tertium non datur steht ein weiteres Gesetz der klassischen Aussagenlogik, das der doppelten Negation; in logischer Notation zu formalisieren als: ρ •=• -ι -ip
'p if and only if it is not true that it is not true that p' (Horn 1989:133)
Die Negation der Negation postuliert demnach die entsprechende affirmative Proposition. Das sprachliche Prinzip, daß sich zwei Negationen gegenseitig aufheben, rekurriert auf den logischen Satz der doppelten Negation: Duplex negatio affirmai. Dieses erstmals von den Stoikern formalisierte Gesetz kann auf eine lange östliche und westliche logische Tradition zurückblicken. In (zeitgenössischen) linguistischen Abhandlungen, die sich mit dem Thema der Negation - Satz- und Konstituentennegation - beschäftigen, wird im Zusammenhang mit der Semantik der Doppelnegation primär auf ihre aufhebende Wirkung hingewiesen: Befindet sich un- im Skopus eines anderen Negationsträgers5 oder nimmt es selbst andere Negationsträger in seinen Skopus, so heben sich die beiden Negationen in der Regel gegenseitig auf [...]". (Lenz 1993:44)
Neben der Aufhebung gibt es jedoch auch einige Fälle von pleonastischer Negationsdoppelung; sie ist dann gegeben, wenn mehrere Negationsträger zum Ausdruck einer einzigen Negation dienen. Pleonastische Negationsträgervorkommen dienen der emphatischen Stärkung der Negation (i), oder aber es handelt sich lediglich um redundante Negationsmarkierungen (ii): (i)
Man versäume nicht, die günstige Gelegenheit unbenutzt vorübergehen zu lassen. (Bsp. Lenz 1993:48) "[Hier] wird der Negation des Matrixsatzes Nachdruck verliehen, indem sie im Nebensatz nochmals aufgegriffen wird." (Lenz 1993:48)
(ii)
Das ist nicht unübel (entspricht der einfachen Negation: Das ist nicht übel.6) (Bsp. Jespersen 1917:79 zit. in Lenz 1993:48)
Die aufhebende Wirkung der Doppelnegation wurde primär immer der verstärkenden oder pleonastischen Negation gegenübergestellt, seltener der Beobachtung Jespersens (1917) und anderer, daß sprachliche Doppelnegation nicht gänzlich mit dem negationslosen Gegenstück identifiziert werden kann (vgl. Horn 1993:297). Die Tatsache, daß doppelte Negation nicht einfach 5
"Ein Negationsträger ist irgendeine Formeinheit (z.B. ein Affix, ein Wort, ein Konstruktionstyp), deren formaler Beitrag zur Bedeutung der komplexen Ausdrücke, in denen sie vorkommt, von einer adäquaten Theorie der Bedeutungskomposition in der jeweiligen Sprache als Hinzufiigung von Negation - eventuell in Verbindung mit anderen Inhalten - gedeutet werden muß. " (Jacobs 1991:561)
6
nicht unübel enthält drei Negationelemente: NEG (NEG (NEG GUT)) nicht unNICHT GUT (semant. Dekomposiúon von übel); zwei Negationslemente dienen zum Ausdruck einer einzigen Negation, denn nicht unübel ist paraphrasierbar als 'nicht übel' (NEG (NEG GUT)), d.h. ganz gut.
18 auf die entsprechende Assertion reduzierbar ist, gilt sowohl für die Negation eines (i) konträren Gegensatzes als auch für die Negation eines (ii) kontradiktorischen Gegensatzes. (Obwohl im Falle der kontradiktorischen Negation - bedingt durch den fehlenden Mittelbegriff - die Identifikation der Negation der Negation mit der entsprechenden Affirmation rein intuitiv nahe liegt.) (i)
Er ist nicht unglücklich ( Φ er ist glücklich) Er hat nicht unrecht (Φ er hat recht) Er ist nicht unintelligent (Φ er ist intelligent, sondern zu lesen als 'er hat eine gewisse Intelligenz')
(ii)
Sein Sohn ist nicht unehelich.7 Das Buch ist nicht unveröffentlicht.
ad (i) Der doppelten Negation kommt hier abschwächende Funktion zu; die abschwächende Wirkung kann sich in der Semantik manifestieren (nicht unglücklich, nicht unintelligent sind nicht identisch mit dem entsprechenden positiven Gegenbegriff, da es noch einen (lexikalisierten)8 Mittelbegriff gibt, vgl. hierzu Punkt 3.2.1.) und/oder pragmatischer bzw. rhetorischer Art sein. (Darzustellen als contradictory (contrary (Adj)) Φ Adj.) Die Wahl der abschwächenden Doppelnegation anstelle des affirmativen Gegenstücks führt Seright auf den Wunsch zurück, sich ein 'Hintertürchen' offenzulassen: [...] For Seright (1966:124), the use of double negation 'results from a basic desire to leave one's self a loophole: certainly it is much easier to get out of a situation, to equivocate, if one has said "it is not unlikely" instead of "it is not likely" or "it is likely'". [...] (Seright 1966:124 zit. in Horn 1989:302) And indeed, many of the citations we can observe of this construction do seem to involve the conscious or tacit goal of loophole procurement: the speaker describes something as not un-X in a context in which it would be unfair, unwise, or impolitic to describe that entity as X. [...] (Horn 1989:302)
Darüber hinaus finden sich aber auch Kontexte, in denen die Doppelnegation nicht schwächer ist, sondern verstärkend wirkt:9
7
8
9
Im Falle der Negation eines kontradiktorischen Gegensatz gilt es u.E., die Einschränkung zu machen, daß in bestimmten Kontexten, d.h. abhängig von der illokutiven Funktion, die doppelte Negation als äquivalent mit der entsprechenden Affirmation aufzufassen ist: z.B. als Antwort auf die Frage Ist Peter unehelich?, Nein, er ist nicht unehelich. Eine weitergehende Untersuchung dieser Problematik müßte die unterschiedlichen Satztypen beriicksichten. Vgl. hierzu Horn 1989:7f. : "Sometimes the nonexcluded middle between mediate contraries has a name (e.g., 'grey and sallow and all the other colours that come between white and black') but sometimes it does not, and ' we must define it as that which is ngî either extreme, as in the case of that which is neither good nor bad, neither just nor unjust'. " In den nachstehenden Beispielsätzen kommt der doppelten Negation stilistische Bedeutung zu: einer superlativischen Eigenschaft soll durch die Negation des Gegenteils Ausdruck verliehen werden, Kennzeichen der Stilfigur der Litotes.(Vgl. Bußmann: 1983 s.v. Litotes)
19 das ist unmißverständlich vs. verständlich Die negationshaltige Variante ist stärker als das affirmative Gegenstück, (vgl. Lenz 1993:44) non ineloquens vs. eloquens Erasmus empfiehlt die doppelte Negation non ineloquens als diskrete Ausdruckmöglichkeit eines starken Positivs anstelle des direkten eloquentissimus (vgl. Horn 1989:304). ad (ii) Während die Nicht-Äquivalenz der Negation eines negierten konträren Basislexems mit der Affirmation anerkannt scheint (vgl. Lenz 1993:44ff., Zimmer 1964:22), wird seltener auf die Nicht-Entsprechung im Falle der Doppelnegation eines kontradiktorischen Inhaltes aufmerksam gemacht.10 Horn weist darauf hin, daß auch im Falle der Konstruktionen des Typs not un-X, wobei un-X eine kontradiktorische Negation darstellt (also zu formalisieren als: contradictory (contradictory (Adj)) £ Adj.), diese Doppelnegation nicht identisch ist mit der entsprechenden Affirmation, sondern daß auch ihr abschwächende Wirkung zukommt: In any case, it is clear that the negations of both contradictory and contrary negations are generally weaker than the simple affirmative counterparts [...]." (Horn 1989:306)
Im Unterschied zur Negation eines konträren Begriffes ist die Negation eines kontradiktorischen Ausdruckes jedoch in logischer Hinsicht reduzierbar auf die entsprechende Affirmation, wenn auch nicht in rhetorischer oder pragmatischer Hinsicht. I have been assuming that when un-P is contradictory of P, not un-P reduces logically (although not rhetorically) to P, just as two contradictory negations applied to a single proposition cancel out via LDN [Law of double negation], (Horn 1993:306f.)
Aufgrund des die kontradiktorische Gegensatzbeziehung definierenden Kriteriums des tertium non datur ist in diesen Fällen in logischer, semantischer Sicht eine Identität der Doppelnegation mit der entsprechenden affirmativen Aussage gegeben. Bedingt durch die Nicht-Existenz eines Mittelbegriffes referiert die Negation des negierten Ausdrucks unmittelbar auf das entsprechende nicht-negationshaltige Positivum. In pragmatischer, respektive rhetorischer Hinsicht können die beiden Ausdrucksvarianten jedoch nicht gleichgesetzt werden, wie dies auch schon die Ausführungen zur Negation eines konträren Adjektivs deutlich gemacht haben. Die Wahl der Doppelnegation ist bspw. auf pragmatische Gründe zurückzuführen: wenn die direkte negationslose positive lexikalische Form aus Gründen der Diplomatie, der Höflichkeit usw. vermieden wird: X ist nicht unbesiegt z.B., kann in einem bestimmten Kontext - jemand spricht über eine Person, die er oder sein Kommunikationspartner schätzt - als die diskretere Ausdrucksmöglichkeit, bzw. als die schwächere Variante angesehen werden im Vergleich zur direkten Darstellung: X ist besiegt. Eine abschwächende Wirkung zeigt ebenfalls der Satz der Mann ist nicht unbehaart im Vergleich zum negationslosen Gegenstück der Mann ist behaart. Eine weitere mögliche Motivation für die Wahl, eine doppelte Negation zu verwenden, besteht darin, eine Einschränkung zum Ausdruck bringen zu wollen: 10
Vgl. z.B. Lenz: "Wird hingegen ein kontradiktorisches Adjektiv negiert, entspricht die negationshaltige Variante bedeutungsmäßig der negationslosen. " (Lenz 1993:46)
20 Das Buch ist nicht unveröffentlicht, aber X hat das Buch nur in Form von Vervielfältigungen eingereicht Im Vergleich zum affirmativen Gegenstück haben die zitierten negationshaltigen Wendungen abschwächende Wirkung. Ferner kann die doppelte Negation - wie auch im Falle der konträren lexikalischen Einheiten - als Mittel der Verstärkung (der Intensivierung) eingesetzt werden. So kommt beispielsweise der weiter oben erwähnten Konstruktion X ist nicht unbesiegt in einem anderen Kontext auch verstärkende Wirkung zu. Angenommen zwei Fans des Fußballclubs X und zugleich Gegner des Fußballclubs Y sprechen über die Fußballergebnisse und freuen sich, daß Y - nach einer Reihe von Siegen - verloren hat und ihr Club somit in der Tabelle aufsteigt; unter diesen Voraussetzungen können sie mit Y blieb nicht unbesiegt eine gewisse Genugtuung zum Ausdruck bringen. In diesem Fall ist die doppelte Negation stärker als die entsprechende einfache Assertion. Bisher ist unerwähnt geblieben, daß die doppelte Negation auch zum Ausdruck der Ironie verwendet werden kann.12 Vgl. auch hierzu den soeben konstruierten Kontext, in dem die Äußerung auch ironisch interpretiert werden kann. Eine solche Interpretation würde dann naheliegen, wenn der in Frage stehende Fußballclub noch kein einziges Spiel gewonnen hat. Unabhängig von der jeweiligen Motivation, die der doppelten Negation zugrunde liegt, gilt es festzuhalten, daß in der Regel ein Grund für die Wahl der doppelten Negation anstelle der einfachen Affirmation vorliegt, welcher Art dieser auch immer sein mag. When a simple positive is abjured, and a double negation substituted, there is always (given the Division of Labor principle13) a sufficient reason for so doing, but it is not always the same reason. (Horn 1989:305)
Das Phänomen der doppelten Negation führt, so scheint es, immer zu einem Übergang von der logisch-semantischen Betrachtung der Gegensätzlichkeit zu ihrer rhetorischen oder pragmatischen Dimension. Abschließend sollen unter Berücksichtigung der Ergebnisse zu dem Kriterium der Satzimplikation die Ergebnisse in folgendem Schaubild noch einmal festgehalten werden:
11
Bei Doppelnegierung (v.a. von kontradiktorischen Basen) stellt sich darüber hinaus - wie dieses Beispiel deutlich macht - häufig eine kontrastive Lesart ein, d.h. oft schwingt die Erwartung einer kontrastierenden Ergänzung mit; diese wird z.T. explizit zum Audruck gebracht oder lediglich mitverstanden: Vgl. auch: Das ist nicht unmöglich, aber es wird nur schwer zu machen sein. (Bsp. aus Lenz 1993:48) Vgl. hierzu ferner Horn (1989:303).
12
Zur ironischen Wirkung vgl. auch Horn 1989:306: [...] the ironic feel of many instances of logical double negation derives from the appearance of diffidence or hesitancy when no diffidency or hesitancy is really felt [...] .bzw. Horn 1989:308: In any case, as we are about to observe, the conventionalized use of negation as a device for attenuating an assertion, or for qualifying the speaker's commitment to the truth of the expressed proposition, is a widespread and systematic phenomenon [...].
13
Dieses Prinzip besagt, daß die längere, weniger natürlichere Konstruktion i.d. Regel auf solche äußerstereotype Situationen restringiert ist, in welchen die unmarkierte Form als Ausdrucksmöglickeit ungeeignet schien. Auf letztere wird dagegen eher in stereotypen Situationen zurückgegriffen. (Vgl. Horn 1989:304)
21 Doppelte Negation im Verhältnis zur einfachen Assertion Beurteilung der Äquivalenzbeziehungen
-
in semantisch-logischer Hinsicht Konkreta: Abstrakta:
+
in ontologischer Hinsicht Konkreta: Abstrakta:
+
in pragmatischer Hinsicht Konkreta: Abstrakta:
_
+
+
-
für 'ist nicht gegeben', + für 'ist gegeben'
3.1.4. Das Kriterium der Graduierbarkeit Im Anschluß an die Behandlung einiger logischer Kriterien soll die Negationskategorie der Kontradiktion auf ihr Verhalten in bezug auf ein linguistisches Kriterien hin untersucht werden. Es handelt sich hierbei um die Frage der Graduierbarkeit der kontradiktorischen Ausdrücke, ein Kriterium, das in der Regel in themenspezifischen Untersuchungen Eingang findet. Ein Merkmal der Kontradiktion ist die Nicht-Graduier- bzw. Nicht-Steigerbarkeit der dieser Negationskategorie zuzurechnenden lexematischen Einheiten. Die Skalierbarkeit läßt sich aus dem Verhalten der Oppositionsglieder in Equativ-, Komparativ- respektive Superlativkonstruktionen und durch Kollokation mit Gradadverbien 14 erschließen. 15 Kontradiktorische Begriffspaare charakterisieren sich durch ihre Inkompatibilität mit gradanzeigenden Ausdrücken bzw. die Restriktion des Auftretens im Vergleich, wie die Grammatikalitätswerte der nachstehenden Sätze zeigen: *le livre est très édit/inédit. *le livre est plus édit. *Michael Stich est très /extrêmement vaincu/invaincu. *Michael Stich est le plus vaincu... 14
Der Terminus Gradpartikel wird uneinheitlich verwendet (s. hierzu Hentschel/Weydt 1990:289). Im folgenden verstehen wir unter Gradpartikel solche Partikel, die die Funktion haben, "[...] die 'Intensität' eines von einem anderen Wort ausgedrückten Inhaltes zu verstärken oder abzuschwächen. " Sie werden z.T. an die englische Terminologie anlehnend ( < engl, intensifier) als "Intensivpartikel" bezeichnet. "Es handelt sich dabei um Partikeln wie: sehr, ziemlich, ganz, recht, überaus, zutiefst, höchst usw. [...]." (Hentschel/Weydt 1990:289)
15
Vgl. hierzu Mettinger (1987:71) oder Lehrer 1985:397: "Gradability refers to the ability of the word to be modified by a class of qualifiers such as more, somewhat, very and the superlative, which specify the position and/or direction of the word on the scale with respect to the middle point. "
22 *X ist sehr unehelich/ehelich. *I1 continue beaucoup/peu 1 6 ses études. *II cesse peu/beaucoup de fumer.. 1 7 *Sa présence (absence) était telle
vs. 1 8
In der Literatur wird ν . a . im Rahmen der Unterscheidung zwischen Kontradiktion und Kontrarität auf dieses Merkmal der Nicht-Graduierbarkeit der Kontradiktion hingewiesen. Die Unterscheidung zwischen kontradiktorischen und konträren Gegenteilen entspricht der Unterscheidung zwischen nicht-graduierbaren und graduierbaren Lexemen innerhalb der Klasse lexikalischer Gegensätze in einer Sprache [...]." (Lyons 1980:283, siehe auch Mettinger 1987:69,71,77) Zu diesem für die Kontradiktion als typuskonstituierend geltenden Merkmal der Nicht-Graduierbarkeit sei noch folgendes angemerkt: Wenn auch in der Regel gilt, daß die Nicht-Graduierbarkeit für die Kontradiktion konstitutiv ist, so finden sich dennoch Kontexte, in denen eine potentielle Graduierung von kontradiktorischen Ausdrücken möglich ist. Graduierbarkeit von Adjektiven scheint stets eine Skalierung der durch das Adjektiv ausgedrückten Eigenschaft zu erfordern. So kann ein konträres Adjektiv w i e etwa glücklich
hinsichtlich der Anzahl der Merkmale, die zum Glück-
lichsein gerechnet werden, skaliert werden. Demnach nennt man einen Menschen
glücklicher
als einen anderen, wenn der erste mehr Merkmale des Glücklichseins aufweist als ein anderer. Unter dieser Sichtweise wird zugleich aber auch deutlich, warum absolute Adjektive, die in ihrer lexematischen Bedeutung nicht kompariert werden können, diese Eigenschaft unter gewissen Kontextbedingungen doch aufweisen. W a s der Bedeutung dieser Adjektive lediglich
16
17
18
Als formales Kriterium für die Graduierbarkeit von Verben wird ihre Modifizierbarkeit mit beaucoup und peu angesehen. S. Neilessen: "Als erster hat dann wohl Th. Kotschi (1974:197f.) das Kriterium der Gradierbarkeit auf die Verben übertragen und genau angegeben, was darunter bei Verben zu verstehen sei: '... ihre Verbindbarkeit mit beaucoup bzw. peu ... (sofern diese Adverbien im gegebenen Kontext nicht bzw. nicht ohne Bedeutungsveränderung durch beaucoup de choses /peu de choses oder souvent/rarement substituierbar sind'. Der in Klammem gesetzte Zusatz ist notwendig, um Fälle wie acheter/vendre beaucoup (de choses) oder lire beaucoup auszuschließen. Bei diesen bezieht sich nämlich die Steigerung wohl weniger auf die Handlung als auf ihr Objekt (bzw. kann der Handlung dadurch ein iterativer Aspekt gegeben werden: souvent. Eine andere Verwendung von beaucoup liegt etwa bei il l'a beaucoup critiqué vor. Hier dürfte eine Ersetzbarkeit durch dans une large mesure oder à un haut degré gegeben sein. Dies ist die Art von Gradierbarkeit, die hier gemeint ist. " (Neilessen 1982:102) Weitere Ausführungen hierzu unter Punkt 3.2.4. Verben kommt in dieser Bedeutungskategorie nur eine untergeordnete Rolle zu. Die Kontradiktion ist einer der beiden Hauptkategorien der Bedeutungsgegensätze beim Adjektiv. In der Wortkategorie der Verben finden sich verhältnismäßig wenig Verbpaare, für die der Bedeutungsgegensatz der Kontradiktion konstitutiv ist: "So klar die Komplementarität [Kontradiktion] - von Grenzfällen abgesehen - beim Adjektiv ist, so problematisch ist sie beim Verb, und wir werden sehen, daß das Paradebeispiel savoir/ignorer praktisch der einzige Fall von echter Verb-Komplementarität ist. " (Nellessen 1982:98) Darüber hinaus nennt Vf. - bei weiter gefaßter Definition - noch eine Reihe weiterer Verbpaare, die dieser Bedeutungskategorie zugeordnet werden können. Außer obéir/désobéir (und tutoyer/vouvoyer) handelt es sich ausschließlich um rein lexikalische Gegensätze (s. Nellessen 1982:101). Den Substantiven kommt in der Gruppe der kontradiktorischen Gegensatztypen die geringste Bedeutung zu: "[...] Komplenymie [scheint] bei Substantiven allgemein seltener aufzutreten [...] als bei Verben und erst recht bei Adjektiven. " (Gsell 1979:186.) Zur Graduierung von Substantiven vergleiche auch Gsell (1979:185).
23 unterlegt werden muß, ist eine Skala, die typische Untereigenschaften (oder Merkmale) der vom Adjektiv lexematisch ausgedrückten Eigenschaft aufweist. So kann in einer Äußerung wie: Dieser Typ ist aber noch toter als jener das an sich nicht komparierbare Adjektiv tot über eine Anzahl von Merkmalen wie etwa 'unbeweglich', 'inaktiv', 'geistig nicht rege', 'unflexibel' usw. durchaus in Komparativform auftreten und auch interpretiert werden. Und so bezieht sich in einem Satz wie Harald ist verheirateter als Enno der Komparativ nicht auf den Status des Verheiratetseins an sich, denn dieser ist nicht steigerbar, sondern auf die Intensität mit der dieser Zustand gelebt wird, bzw., daß das für Verheiratete charakteristische Verhalten bei der einen Person stärker ausgeprägt ist. Im Falle von Steigerungen von kontradiktorischen Begriffspaaren handelt es sich wohl häufig um unübliche Konstruktionen, die vom Sprecher zunächst intuitiv als nicht akzeptabel eingestuft würden. Lyons weist darauf hin, daß Gradation von kontradiktorischen Gegensatzpaaren nur in bewußter Abweichung vom normalen Gebrauch möglich ist. (Lyons 1971:473) Anders beurteilt dies Gsell; er spricht der Kombinierbarkeit mit Gradadverbien und der Verwendbarkeit im Vergleich recht entschieden die Fähigkeit ab, als mechanische Scheidungsprozedur fïir Kontradiktion und Kontrarität zu fungieren. Für ihn gilt als gesichert, daß für einen Teil des gegensatzfahigen Wortschatzes nicht die Semantik über syntaktische Kompatibilitäten entscheidet, sondern der sprachliche wie außersprachliche Kontext determinierend ist. (Vgl. Gsell 1979:68ff.)
3.2. Die Subkategorie der Kontrarität Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß neben oder anstelle des Terminus Kontrarität auch die Bezeichnung Antonymie zur Benennung der dieser Negationskategorie zuzuordnenden sprachlichen Inhalte Verwendung findet. In der linguistischen Literatur herrscht keine Übereinstimmung in bezug auf die Verwendung des Terminus Antonymie. Einige Linguisten fassen unter Antonymie nur einen bestimmten - durch Graduierbarkeit charakterisierten - Gegensatztyp1 (Lyons 1968, 1977; Gsell 1979), andere hingegen verstehen darunter allgemein das Phänomen des Bedeutungsgegensatzes (Duchácek 1965, Pohl 1966, 1970, R. Böhnke 1972, Geckeier 1979, 19802 sowie A. Ferré 1965, L. Guilbert 1964, Ch. Muller 1984). Wir schließen uns in dieser Arbeit der mehrheitlichen Verwendung von Antonymie an, gemäß der dieser Terminus dem Hyperonym vorbehalten wird, d.h. als allgemeine Bezeichnung des Bedeutungsgegensatzes Anwendung findet. Im Falle der Benennung der erwähnten speziellen Gegensatzrelation wird neben der Bezeichnung Antonymie im engeren Sinne (i.e.S.) vor allem auf den originär logischen Ausdruck Kontrarität rekurriert werden. 1
2
Auch Martin (1973) und Wiegand (1974) verwenden Antonymie nur als eine Bezeichnung, die einen speziellen Gegensatztyp denotiert, verstehen darunter jedoch nicht den durch Graduierbarkeit markierten Untertyp der Gegensatzrelation, sondern verwenden ihn im Sinn der Lyons'schen "Inkompatibilität"; d.h. es handelt sich um eine "Bedeutungsbeziehung, die zwischen Lexemen in Mengen mit vielen Elementen wie {'Sonntag', 'Montag', ... 'Samstag'} besteht, [...]". (Lyons 1980:289) Vgl. ferner Gsell (1979:58). Vgl. hierzu Gsell (1979:57f.) sowie Neilessen (1982:15).
24 3 . 2 . 1 . Das Prinzip des tertium
non
datur
D e r besseren Übersichtlichkeit halber wird bei der Beschreibung der die Kontrarität (der Antonymie i . e . S . ) determinierenden Merkmale ebenfalls mit den auf den logischen Prinzipien beruhenden Kriterien begonnen. V e r m ö g e der logischen Prinzipien hat die Antonymie-Forschung zunächst die Gegensätze in z w e i Kategorien eingeteilt. 3 Während das Gesetz v o m ausgeschlossenen Dritten für die Kontradiktion typuskonstituierend ist, ist das Prinzip des tertium
datur
für die Kontrarität
kennzeichnend. Für letztere gilt nicht: ( A ist B) oder ( A ist nicht B), d.h.
ρ V - ψ , da es sich
um eine Zwischenstufe(n) gestattende Negationsart handelt. [...] contrary opposites denote the extreme poles of a dimension, leaving an undefined 'middle area'. (Ljung 1974:75)4 In d i e s e m Zusammenhang verwendet Z i m m e r als semantischen Test zur Scheidung v o n Kontradiktion und Kontrarität die Einbettung v o n L e x e m e n in eine wenn zwei Adjektive in einem weder-noch-Rahmen
weder-noch-Konstruktion:
vernünftig interpretierbar sind, so handelt
es sich um konträre Adjektive - bei Nicht-Möglichkeit des g e m e i n s a m e n V o r k o m m e n s dagegen u m kontradiktorische Adjektive. 5 Ein ähnlicher Testrahmen zur Differenzierung z w i s c h e n Kontradiktion und Kontrarität findet sich bei Gsell: später durch die sogenannten "gradable complementarles" (Cruse 1980) ergänzt. 4
Hinsichtlich der der antonymen Gegensatzrelation zugrundegelegten Skalenart finden sich divergierende Darstellungen: Im Unterschied zu Ljung situiert Geckeier z.B. den Inhalt von Antonymen i.e.S. (von konträren Ausdrücken) " [...] graduierbar entlang einer Skala zwischen zwei Polen, wobei in der Mitte der Skala sich der Umschlagpunkt [...] nach dem positiven und nach dem negativen Pol hin befindet. " (Geckeier 1980:48) In anderen themenspezifischen Abhandlungen wird genauer zwischen verschiedenen Skalenarten unterschieden. Vgl. z.B. Crase (1980:15), der zwischen "one-ended" und "two-ended scales" differenziert oder Mettinger, der im Bereich der Antonymie i.e. S. (der Konträrität) zwischen drei Skalentypen unterscheidet: 1. Typ der unidirektionalen (offenen) Skalen mit optionalem Nullpunkt (selfish (a) - unselfish (ß))\ d.h. bei Intensivierung bewegt sich β gegen den Skalenanfangspunkt und α gegen unendlich, β < α + β i 0 (β i 0, aus diesem Grund "optionaler Nullpunkt"). 2. Typ der bidirektionalen (offenen) Skalen mit einem Wendepunkt Τ (T£ OPunkt, sondern Punkt, von dem aus eine Steigerung in beide Richtungen möglich ist (happy (a) - unhappy (β)). β < Τ < α; d.h. bei Intensivierung bewegen sich beide gegen unendlich. 3. Typ der unidirektionalen (offenen) Skalen mit obligatorischem Nullpunkt; ein Begriff konstituiert den O-Wert auf der skalaren Dimension (safe (a) - danger (β)), β > α = 0 (s. Mettinger 1987:74ff.). Unabhängig von der zugrunde gelegten Skalenart ist für uns in diesem Zusammenhang nur wichtig, daß im Gegensatz zur Kontradiktion - ein Mittelbereich angenommen wird. Diese Annahme ist für den Zweck dieser Arbeit ausreichend. Eine trennschärfere Unterscheidung kann - falls überhaupt - nur lexemspezifisch getroffen werden, da die Vielzahl der Faktoren, die etwa zur Bewertung von 'glücklich sein' heranzuziehen sind, einerseits gar nicht individuell isoliert werden können und andererseits für andere Prädikate nicht gültig sind.
5
Folgende Testsätze wurden z.B. englischen Sprecher vorgelegt, mit der Bitte um Beurteilung derselben ( + = meaningful, - = nonsensical, 0 = "[...] those [statements] about which you are in doubt". The ten statements were: 1. John's passport is neither expired nor unexpired. 2. He is neither well nor unwell. 3. She is neither intelligent nor unintelligent. 4.... (Zimmer 1964:95)
25 Si qn. n'est pas X, est-il alors Y, et s'il n'est pas Y, est-il alors X? Est-ce qu'il est possible qu'il n'est (n'a fait etc.) ni l'un ni l'autre? (Gsell 1979:72)
Zwei miteinander unvereinbare Ausdrücke stehen in konträrer Gegensatzbeziehung, zwei Sätze sind konträr, wenn sie gleichzeitig falsch, aber nicht gleichzeitig wahr sein können: Dieser Turm ist hoch und Dieser Turm ist niedrig können nicht beide wahre Aussagen sein, wohingegen beide falsch sein können. (Geckeier 1980:47)
Die konträren Adjektive fungieren als Endpunkte einer Skala, deren Mittelbereich fast beliebig groß werden kann. 6 Eine Konsequenz hieraus ist, daß die Negation des einen Oppositums nicht automatisch die Assertion des polaren Ausdruckes impliziert.
3.2.2. Das Prinzip der Satzimplikation Wie aus den Ausführungen zum Gesetz des ausgeschlossenen Dritten bereits abgeleitet werden kann, weisen die der Kontrarität zuzuordnenden lexikalischen Einheiten in bezug auf die Satzimplikation ein von den kontradiktorischen Gegensätzen abweichendes Verhalten auf. Die Assertion des einen Oppositionsgliedes impliziert die Negation des anderen, aber nicht umgekehrt. 7 So gilt zwar (a => A ( b = ~ia), aber es gilt nicht (->a => b) A (~ib => a). Vgl. hierzu zunächst einmal folgende Beispielsätze zur Implikationsrichtung "Assertion im Vergleich zur Negation des Gegenbegriffs", (a repräsentiert hier die Negationsbildung bzw. die Proposition mit der Negationsbildung): (a 3 - , der andere als Entfernung davon zu betrachten, so gilt dasjenige Verb, das die Entfernung von ihm ausdrückt, als induktiv, sein Antonym aber als reversiv ( < Rückkehr zum Normalzustand;»)." (Gsell 1979:169 )
13
X steht für das Basislexem, z.B. Hülle in verhüllen/verhüllt.
59 Die im Falle der Reversion involvierten Zustände: Ausgangszustand —•
Wort, das von diesem wegführt
Wort, das zum Ausgangszustand zurückführt
Basis
induktiver Term
reversiver Term
ohne Hülle
verhüllt
enthüllt
Diese Art der Darstellung der Abfolge der verschiedenen Zustände läßt sehr anschaulich einen Unterschied zu den privativen Bildungen hervortreten:14 Die im Falle der Privation involvierten Zustände: Ausgangszustand (Normalzustand)
*
Wort, das von diesem wegführt
Basis
privativer Term
mit Koffein
entkoffeiniert
Während der reversive Term zum Ausgangszustand, zum Normalzustand zurückführt, führt der privative Ausdruck von diesem weg. Auf dieses die beiden semantischen Klassen differenzierende Merkmal sei hier nur der Vollständigkeit halber hingewiesen. An anderer Stelle wird auf die gemeinsamen und unterschiedlichen Charakteristika der Reversion und Privation nochmals ausfuhrlicher eingegangen werden. Für die in diesem Abschnitt zu behandelnde Fragestellung sei summarisch festzuhalten, daß das Prinzip des tertium non datur nicht gilt, da beide Glieder auch zusammen falsch sein können. Charakterisch ist für die - sowohl konkreten als auch abstrakten - Reversiva demnach: tertium datur. Hier müssen wir jedoch tertium datur in einem engen, wörtlichen Sinne verstehen im Unterschied zu dem der konträren Termini. Denn im Falle der Reversiva gibt es genau ein "tertium", einen möglichen dritten, genau determinierten Zustand. Im Falle der konträren Lexeme hingegen meint tertium datur in einem viel weiteren Sinne, daß es neben a und b noch andere, nicht genauer definierte Zwischenstufen gibt. "Tertium datur" meint somit im Bereich der Kontrarität viel allgemeiner, daß es noch andere mögliche Zwischenbereiche gibt, die weder in der Anzahl noch in der Art ihrer Beschaffenheit klar definiert sind. Vielleicht sollte man aus diesem Grund auch terminologisch genauer differenzieren und in dem einen Fall von tertium datur "im eigentlichen" oder "engeren Sinne" sprechen und in dem zuletzt erwähnten Fall von tertium datur "in einem weiten Sinne".
14
Wir haben somit ein dreigliedriges versus ein zweigliedriges Modell. Die unterschiedliche Anzahl der involvierten Zustände ist dadurch bedingt, daß der Ausgangszustand der Privativa und der Reversiva entgegengesetzter Natur ist. Im Fall der Privativa ist der Zustand MIT-X der Normalzustand und im Falle der Reversiva ist es der Zustand OHNE-X. Die semantische Funktion beider Negationskategorien ist es, X zu entfernen. Da im Falle der Reversiva der Zustand MIT-X erst herbeigeführt werden muß, ist in dieser Lexemklasse eine zusätzlich Zustandsstufe beteiligt.
60 3.4.2. Das Prinzip der Satzimplikation In Anschluß sei nun das logische Kriterium der sogenannten Satzimplikation untersucht, welches über die zugrundeliegenden Implikationsverhältnisse Aufschluß gibt. Die bisherigen Ergebnisse ließen dieses Kriterium als geeignetes Mittel zur Abgrenzung der einzelnen Gegensatzrelationen hervortreten. 15 Unserem bisherigen Procedere folgend beginnen wir mit der Untersuchung der Frage, ob die Assertion des einen Terms die Negation des oppositären Begriffs beinhaltet, d.h. ob (a 3 ->b) Λ (b 3 -1a)16 gegeben ist. (a repräsentiert in diesen Fällen die enf-Bildung) Vgl. hierzu: 1) Das Denkmal ist enthüllt, versus 1 ') Das Denkmal ist nicht verhüllt. 2) Der Mann ist entwaffnet, versus 2') Der Mann ist nicht bewaffnet. 2) Le bandit est désarmé, versus 2') Le bandit n'est pas armé. 3) Der Mann ist entliebt, versus 3') Der Mann ist nicht verliebt. Die vergleichende Betrachung o.g. Sätze macht deutlich, daß die reversive Bildung keine Entsprechung in der Negation des oppositären Begriffs findet. Dem komplexen Negationsträger 17 ent-, bzw. frz. dé-, des-, dessen Bedeutung mit 'nicht mehr' (bzw. 'nicht noch') umschrieben werden kann, steht ein einfacher Negationsträger (nicht, ne ... pas) gegenüber, der lediglich als Ausdrucksmittel der Negation fungiert. Die oben erwähnten Sätze sind daher folgendermaßen zu umschreiben: 1) Es ist nicht der Fall, daß das Denkmal noch verhüllt ist. 1') Es ist nicht der Fall, daß das Denkmal verhüllt ist. 15
Grosso modo können wir folgendes festhalten: Im Falle der Kontradiktion liegt ein reziprokes Implikationsverhältnis vor, da die Affirmation eines Gliedes des Gegensatzpaares die Negation des anderen impliziert und umgekehrt. Bei der Kontrariät hingegen, ist nur ein einseitiges Implikationsverhältnis gegeben; die Assertion des einen Begriffes impliziert zwar die Negation des oppositären Terms die umgekehrte Relation gilt jedoch nicht. Im Bereich der Privativa gilt es schließlich einerseits zwischen semantisch-logischer und ontologischer Ebene und andererseits zwischen Konkreta und Abstrakta zu differenzieren. In semantisch-logischer Hinsicht lag keines der Implikationsverhältnisse vor. In ontologischer Sicht hingegen war ein reziprokes Implikations Verhältnis für die Konkreta und ein einseitiges Implikationsverhältnis für die Abstrakta gegeben (d.h. die Assertion impliziert zwar die Negation des Oppositums, die umgekehrte Implikationsrichtung gilt jedoch nicht.)
16
zu lesen als: (enthüllt impliziert nicht verhüllt) und (verhüllt impliziert nicht enthüllt).
17
ent-, dé- enthält neben der Negationskomponente noch ein phasenbezogenes Element. Aus diesem Grund spricht man in diesem Fall von einem "komplexen" Negationsträger. Vgl. hierzu Jacobs (1991:561 f.).
61 2) Es ist nicht der Fall, daß der Bandit noch bewaffnet ist. 2 ) Es ist nicht der Fall, daß der Bandit bewaffnet ist. 3) Es ist nicht der Fall, daß der Mann noch verliebt ist. 3') Es ist nicht der Fall, daß der Mann verliebt ist. Während demnach der Satz mit der reversiven Bildung einen andersartigen Vorzustand präsupponiert (den des Verhüllt-, des Bewaffnet- und des Verliebtseins), impliziert der Satz mit der Negation des entsprechenden oppositären Terms keine derartige Voraussetzung. In semantisch-logischer Hinsicht liegt somit zwischen der Assertion der reversiven Bildung und der Negation des Gegenbegriffs keine Äquivalenzbeziehung vor. Im Unterschied zur Privation scheint ebenso in ontologischer Hinsicht keine Äquivalenzbeziehung gegeben zu sein. Wie bereits weiter oben erörtert, sind im Falle von reversiven Bildungen folgende Zustände involviert:
I
II
III
Ausgangszustand
Zustand, der von diesem wegführt —*
Zustand, der zu diesem zurückführt
Hinsichtlich des tatsächlichen Weltgeschehens gilt fur die Reversiva (wie enthüllt) daß 1) zuvor ein Übergang von Zustand • II stattgefunden hat und 2) daß nun ein Übergang von II —> III stattfindet bzw. stattgefunden hat. Erreichter Endzustand ist somit Zustand III. Die Negation des oppositären Begriffs (nicht verhüllt) bedeutet demgegenüber im Hinblick auf das tatsächliche Weltgeschehen lediglich, daß Zustand I gegeben ist (und, daß ein Übergang zu Zustand II nicht (oder noch nicht) stattgefunden hat. D.h.
I
II
Ausgangszustand ~f*
Zustand, der vom Ausgangszustand wegführt
Auch wenn es zunächst so scheint, daß beide Aussagen dahingehend identisch sind, daß (bspw. in Satz 1) das Denkmal ohne Verhüllung ist, ist ontologisch keine Entsprechung gegeben, da die ent-Bildung hinsichtlich des tatsächlichen Weltgeschehens mehr Zustandsveränderungen, mehr Handlungen umfaßt. ent-X/dé-X
I —• II —• III
nicht ver-X/non pas Χ I Φ II Für das ImplikationsVerhältnis (a D "~Ί)) gilt es somit festzuhalten, daß weder in semantischlogischer noch in ontologischer Hinsicht eine Entsprechung gegeben ist.
62 Betrachten wir nun im Rahmen der Implikationsrichtung "Assertion im Vergleich zur Negation des Gegenbegriffs" des weiteren das Implikationsverhältnis (b ^ —ia): 1) Das Denkmal ist verhüllt, versus 1') Das Denkmal ist nicht enthüllt 2) Le bandit est armé, versus Τ) Le bandit η 'est pas désarmé. 3) Der Mann ist verliebt, versus 3') Der Mann ist nicht entliebt Diese Sätze sind bedeutungsmäßig wie folgt zu umschreiben: 1) Es ist der Fall, daß das Denkmal verhüllt ist. 1') Es ist nicht der Fall, daß es nicht der Fall ist, daß das Denkmal noch verhüllt ist. 2) Es ist der Fall, daß der Bandit bewaffnet ist. 2') Es ist nicht der Fall, daß es nicht der Fall ist, daß der Bandit noch bewaffnet ist. 3) Es ist der Fall, daß der Mann verliebt ist. 3') Es ist nicht der Fall, daß es nicht der Fall ist, daß der Mann noch verliebt ist. Die semantischen Paraphrasen machen deutlich, daß auf lexematischer Ebene keine Äquivalenzbeziehung gegeben ist. Die beiden Negationselemente nicht und ent- (dé-) heben sich nicht gegenseitig auf, da es sich um unterschiedliche Negationsträgertypen handelt. Der semantisch einfache Negationsträger nicht kann nur einen Teil des semantisch komplexen Negationselementes ent- aufheben. Nach Aufhebung der Negation bleibt somit noch das nicht zu tilgende Phasenelement 'noch'. Aus diesem Grund ist in semantisch-logischer Sicht keine Entsprechung zwischen der Aussage mit der Negation des reversiven Begriffs und mit der der Assertion des oppositären positiven Begriffs gegeben. In ontologischer Sicht hingegen scheint aus b ~>a gefolgert werden zu können. Gemäß unserem Weltwissen gehört es nicht zu den originären, von der Natur her existenten Eigenschaften eines Denkmals 'verhüllt' zu sein (oder für einen Mann 'bewaffnet' oder 'verliebt') zu sein. Ausgangspunkt ist der Zustand ohne X, der Zustand mit X muß erst herbeigeführt werden. Somit bedeutet verhüllt, daß ein Übergang von I Ausgangszustand
nach —•
II Zustand, der vom Ausgangszustand wegführt
stattgefunden hat und jetzt Zustand II gilt.
63 Die Negation der e/ií-Bildung kann nun in ontologischer Hinsicht als gleichbedeutend angesehen werden, da nicht enthüllt faktisch meint, daß das Denkmal 'verhüllt' ist. Somit bedeutet nicht enthüllt ebenso, daß ein Übergang von I Ausgangszustand
nach
II Zustand, der vom Ausgangszustand wegführt
nicht nach III -f* Zustand, der zum Ausgangszustand zurückführt
anzunehmen ist (aber nicht nach III), und daß Zustand II derzeit als aktueller Zustand zu betrachten ist. In einem folgenden Analyseschritt prüfen wir nun, ob die Negation des einen Terms die Assertion des Gegenterms impliziert, d.h ob (~>a => b) und ^ a) gegeben ist. Für «a => b), d.h. 1) Das Denkmal ist nicht enthüllt versus 1 ') Das Denkmal ist verhüllt. 2) Le bandit n'est pas armé, versus T) Le bandit est armé. 3) Der Mann ist nicht entliebt, versus 3') Der Mann ist verliebt. gilt semantisch-logisch, wie bei der Implikationsrichtung (b ->a), daß sich aufgrund der unterschiedlichen Negationsträgertypen in Satz η die beiden Negationselemente ent- und nicht nicht gegenseitig aufheben. Nach Tilgung der Negationskomponente in ent- verbleibt das Phasenelement 'noch'. Somit kann keine Entsprechung zu dem negationslosen Satz n' gegeben sein. In ontologischer Hinsicht hingegen kann aus Satz η Satz n' gefolgert werden. Vor dem Hintergrund unseres Weltwissens, welches besagt, daß der Ausgangszustand der ist, daß ein Denkmal ohne Hülle ist und ein Mann ohne Waffen, scheinen Satz η und Satz n' äquivalent. Sie referieren beide auf den gleichen Zustand, d.h. auf den Zustand des VERSEHENSEINS-MIT-X (mit Hülle, mit Waffen, mit Liebe): I nach Ausgangszustand —• ohne Hülle sans armes nicht von Liebe erfüllt
II Zustand, der vom Ausgangszustand wegführt verhüllt armé verliebt bzw. nicht enthüllt, non pas désarmé, nicht entliebt
64 Während ver18X direkt auf Zustand II verweist, geschieht dies im Fall der nicht entXKonstruktionen indirekt. Hier heißt es: Zustand III ist nicht erreicht; somit wird auf den Vorzustand, auf Zustand II, zurückgewiesen. Wir können also festhalten, daß in ontologischer Sicht (->a 3 b) gegeben ist. Es bleibt schließlich noch das Verhältnis (~ib => a) zu untersuchen. Hier gilt das bereits zur umgekehrten Relation (a ^b) Gesagte. 1) Das Denkmal ist nicht verhüllt, versus 1') Das Denkmal ist enthüllt. 2) Der Bandit ist nicht bewaffnet, versus 2') Der Bandit ist entwaffnet. 2) Le bandit n'est pas armé, versus 2') Le bandit est désarmé. 3) Der Mann ist nicht verliebt, versus 3') Der Mann ist entliebt. Als abstrakte Bedeutungsbeschreibung für diese Sätze kann gelten: n) Es ist nicht der Fall, daß Y mit X versehen ist. n') Es ist nicht der Fall, daß Y noch mit X versehen ist. Die Unterschiedlichkeit der Negationsträger (nicht vs. ent-) bedingen die Nicht-Entsprechung der Sätze η und n' in semantisch-logischer Hinsicht. In ontologischer Hinsicht sind die beiden Aussagen ebenfalls nicht äquivalent, da Satz η auf den originären Zustand I verweist19 und Satz n' auf den Zustand III. Dieser weist zwar auf Zustand I zurück, ist mit ihm jedoch nicht gleichzusetzen, da ihm Zustand II vorausgegangen ist. Satz η nicht mit X versehen: I Satz n' nicht noch mit X versehen: I —• II —• III Für das Implikationsverhältnis (~>b => a) gilt demnach, daß weder in semantisch-logischer noch in ontologischer Hinischt ein Äquivalenzverhältnis vorliegt. Die gewählten Beispielsätze in den vorangehenden Ausführungen haben deutlich gemacht, daß die Ergebnisse sowohl für Reversiva konkreter als auch für solche abstrakter Natur gelten. Im Unterschied zu den Privativa kommen wir in dieser Klasse der Negativa nicht zu unterschiedlichen Resultaten für die Konkreta und Abstrakta. Die Ergebnisse zur Untersuchung der Implikationsbeziehungen wollen wir in folgender Tabelle festhalten: 18
Für das Französische ist hier ein Nullmorphem bzw. eine en-Präfigierung anzunehmen.
19
in dem hier verwendeten disambiguierten (monosemierten) Sinne von 'noch nie verhüllt gewesen'.
65 Assertion impliziert Negation
Implikationsverhältnisse
(a=.-ib)
(b3ia)
in semantisch-logischer Hinsicht Konkreta: Abstrakta:
-
-
in ontologischer Hinsicht Konkreta: Abstrakta:
-
+ +
für
'ist nicht gegeben',
+
für
Negation impliziert Assertion (-b)
-
-
+ +
-
'ist gegeben'
a
das Denkmal ist enthüllt/Mann entliebt
b
das Denkmal ist verhüllt/Mann verliebt
-ia das Denkmal ist nicht enthüllt/Mann nicht entliebt - ' b das Denkmal ist nicht verhüllt/Mann nicht verhüllt Die Ausführungen zu dem Kriterium der Satzimplikation haben gezeigt, daß sich die verschiedenen semantischen Klassen der Negativa (sprich Kontrariät, Kontradiktion, Privation und Reversion) in bezug auf die Implikationsbeziehungen jeweils unterschiedlich verhalten. Während bei der Kontradiktion (sowohl in semantisch-logischer als auch in ontologischer Hinsicht) reziproke Äquivalenzverhältnisse vorliegen, sind bei den konträren Termen nur einseitige Entsprechungen gegeben. Im Bereich der Privation wiederum kamen wir je nach Untersuchungsbereich (semantisch-logisch vs. ontologisch) und je nach Klassemzugehörigkeit (konkret vs. abstrakt) der zugrundeliegenden Lexeme zu divergierenden Ergebnissen. Und im Fall der Reversiva spielten die Klasseme keine Rolle für die Implikationsverhältnisse, sondern lediglich die Untersuchungsebenen. Wir haben folglich mit den Implikationsverhältnissen möglicherweise ein Kriterium an der Hand, welches uns bei der Abgrenzung der verschiedenen Oppositionstypen Hilfe leisten kann.
3.4.3. Das Gesetz der doppelten Negation Im Rahmen der logischen Kriterien gilt es abschließend noch das sich in Teilen mit dem Kriterium der Satzimplikation überschneidende Gesetz der doppelten Negation zu behandeln. Dieses Gesetz besagt, daß sich zwei Negationen gegenseitig aufheben: duplex negatio affirmât. Im Zusammenhang mit dem Kriterium der Satzimplikation wurde bereits darauf hingewiesen, daß in semantisch-logischer Hinsicht die Negation einer reversiven Bildung nicht mit der entsprechenden oppositären affirmativen Aussage äquivalent ist. Das Denkmal ist nicht enthüllt Φ Das Denkmal ist verhüllt.
66 Le bandit η 'est pas désarmé. Φ Le bandit est armé. Der Mann ist nicht entliebt. Φ Der Mann ist verliebt. In dem Satz mit der doppelten Negation sind zwei Negationselemente unterschiedlicher Natur beteiligt: der semantisch einfache Negationsträger nicht und der semantische komplexe Negationsträger ent-. Da die semantische Funktion des reversiven Formativs ent- bzw. dé- sich nicht auf die Negation beschränkt, sondern darüber hinaus noch einen Phasenbezug enthält, ist keine Aufhebung der beiden Negationen gegeben. Somit findet der Satz mit der doppelten Negation in semantisch-logischer Hinsicht keine Entsprechung in dem Satz mit der einfachen Assertion. Andere Äquivalenzverhältnisse liegen hingegen in ontologischer Sicht vor. Für die Gruppe der Reversiva gilt, daß der Zustand des NICHT-VERSEHEN-SEINS-MIT-X dem Ausgangszustand der dieser semantischen Gruppe zuzurechnenden lexikalischen Einheiten entspricht. Vor dem Hintergrund dieser Weltkenntnis beschreiben beide Propositionen in ontologischer Sicht denselben Sachverhalt, d.h. einen vom Ausgangszustand abweichenden Zustand, und zwar den des VERSEHEN-SEINS-MIT-X. Im folgenden wollen wir die beiden Äußerungsformen des weiteren in pragmatischer Hinsicht untersuchen; dies soll bedeuten, sie in Hinblick auf die Grice'schen Konversationsmaximen zu analysieren. Es handelt sich hierbei um Richtlinien, die die Grundlage für einen effizienten und kooperativen Sprachgebrauch bilden.20 Es wird nicht angenommen, daß man diesen Prinzipien immer an der Oberfläche folgt, sondern eher, daß unsere Äußerungen zumindest auf irgendeiner Ebene mit diesen Maximen konform gehen. Beachtung und ebenso Verletzung dieser Prinzipien generiere nun sog. konversationeile Implikaturen, pragmatische Schlußfolgerungen, die über die konventionelle Satzbedeutung hinausgehen. Wir wollen nun die beiden in Frage stehenden Äußerungsformen auf die möglichen Konversationsimplikaturen hin untersuchen, d.h. Das Denkmal ist verhüllt Peter ist verliebt versus Das Denkmal ist nicht enthüllt Peter ist nicht entliebt. Betrachten wir zunächst den Satz mit der einfachen Assertion. Im Unterschied zu entsprechenden Konstruktionen aus dem Bereich der Privativa21 werden diese Propositionen nicht als Tautologien interpretiert, da der beschriebene Sachverhalt eben nicht dem Normalzustand entspricht.22 (D.h. die Quantitätsmaxime ist nicht verletzt). Mit der Ausdrucksform der
20 21 22
Zu den einzelnen Grice'schen Konversationsmaximen vgl. unsere Ausführungen unter Punkt 3.3.3. z.B. : Die Kirsche hat einen Kern. Der Fisch hat Gräten. VERHÜLLT-SEIN ist ein vom Ausgangszustand abweichender Zustand.
67 einfachen Assertion wird darauf aufmerksam gemacht, daß sich das in Frage stehende Objekt/ die in Frage stehende Person in einer vom üblichen Zustand abweichenden Beschaffenheit befindet. Nimmt man an, daß der Sprecher die Konversationsmaximen beachtet, d.h. daß die Äußerung bereits auf einer oberflächlichen Ebene kooperativ zu interpretieren ist, könnte der Hörer davon ausgehen, daß die kommunikative Bedeutung o.g. Sätze möglicherweise der folgenden entspricht. Hast Du auch schon bemerkt, daß das Denkmal auf einmal verhüllt ist? Weißt Du, warum dem so ist? Oder: Willst Du mehr darüber wissen? Weißt Du auch schon, daß Peter verliebt ist? Möchtest Du hierzu Näheres erfahren? bzw. Weißt Du hierzu Genaueres? Die kommunikative Bedeutung geht über den semantischen Inhalt des geäußerten Satzes hinaus. Der Sprecher legt beim Hörer hinsichtlich des Zustandes des Denkmals den der normalen Weltkenntnis entsprechenden Zustand, d.h. den Ausgangszustand, Normalzustand, den des NICHT-VERHÜLLT-SEINS zugrunde. Der Satz mit der einfachen Assertion nimmt bezug auf den Normalzustand und weist auf den hiervon abweichenden Zustand hin. Zusätzlich könnte mit der Äußerung dieses Satzes konversationeil die Frage impliziert sein, ob der Sprecher davon bereits Kenntnis hat und mehr darüber mitzuteilen vermag respektive erfahren möchte. Den pragmatischen Inferenzen liegt somit die Präsupposition des zeitlichen vorausgegangenen Zustandes ohne X zugrunde bzw. eine hierauf beruhende Hörereinstellung. Untersuchen wir nun die kommunikative Bedeutung der Äußerungsform der doppelten Negation: Das Denkmal ist nicht enthüllt. Peter ist nicht
entliebt.
Aus der Annahme, der Sprecher beachte die Maxime(n), könnten folgende Inferenzen gezogen werden: Du weißt doch auch, daß das Denkmal enthüllt werden sollte, oder? Das Denkmal ist entgegen Deiner Erwartung nicht enthüllt? Hast Du dies schon bemerkt, und weißt Du warum es nicht enthüllt ist? Bist Du nicht auch davon ausgegangen, daß sich Peter entliebt hat? Entgegen Deiner Erwartung hat er sich doch nicht entliebt? Weißt Du mehr darüber? Auch hier geht die kommunikative Bedeutung über den semantischen Inhalt der geäußerten Sätze hinaus. Die Proposition mit der doppelten Negation nimmt bezug auf eine vom normalen Weltwissen abweichende Sprechereinstellung. Der Sprecher legt beim Hörer zugrunde, daß dieser davon ausgeht, daß das Denkmal nach einer Phase der Verhüllung nun wieder enthüllt ist. Mit dem Satz mit der doppelten Negation revidiert der Sprecher die Hörereinstellung bzw. die vom Normalzustand abweichende Erwartungshaltung des Hörers. Die Implikaturen
68 verdeutlichen, daß die Sätze nur in einem Kontext sinnvoll wären, in dem der eni-Zustand erwartet wurde. Die Konversationsimplikatur präsupponiert somit, daß ein Übergang des Zustandes ohne X zu VERSEHEN-SEIN-MIT-X stattgefunden hat, und andererseits, daß die Rückgängigmachung des Zustandes VERSEHEN-SEIN-MIT-X erwartet wurde. Eine Implikatur, die auch für die einfache Assertion möglich wäre. Umgekehrt ist die Präsupposition, die pragmatische Implikation der Sätze mit der einfachen Assertion jedoch nicht möglich für die Sätze mit der doppelten Negation.23 Die einfache Assertion (verhüllt) präsupponiert den originären Zustand ohne X, welcher den erzeugten pragmatischen Inferenzen zugrunde liegt. Der der normalen Weltkenntnis entsprechende Zustand wird angenommen. Der Satz hat primär Mitteilungsfunktion - dient als Hinweis auf den veränderten Zustand. Die Ausdrucksform der doppelten Negation hingegen präsupponiert zum einen den Zustand des VERSEHEN-SEINS-MIT-X und zum anderen die erwartete Rückgängigmachung dieses Zustandes. Die pragmatischen Schlußfolgerungen beruhen somit auf Präsuppositionen anderer Natur. Es wirdeine Hörereinsstellung (Erwartungshaltung des Hörers) zugrunde gelegt, gemäß derer ein vom originären Zustand abweichender Zustand angenommen wird. Der Satz hat primär revidierende Funktion; der Sprecher revidiert mit dem Satz mit der doppelten Negation die Hörereinstellung. Aufgrund der durch die unterschiedlichen Präsuppositionen bedingten divergierenden Konversationsimplikaturen ist in pragmatischer Hinsicht zwischen der Ausdrucksform der einfachen Assertion und der doppelten Negation kein Äquivalenzverhältnis gegeben. Unter Berücksichtigung der Ausführungen zum logischen Kriterium der Satzimplikation können wir abschließend folgende Ergebnisse in einem Schaubild festhalten: Doppelte Negation im Verhältnis zur einfachen Assertion Beurteilung der Äquivalenzbeziehungen in semantisch-logischer Hinsicht Konkreta: Abstrakta: in ontologischer Hinsicht Konkreta: Abstrakta: in pragmatischer Hinsicht Konkreta: Abstrakta: -
23
-
+ +
-
für'ist nicht gegeben', + für'ist gegeben'
D.h., mit dem Satz mit der einfachen Assertion (verhüllt) könnte der Sprecher ebenfalls beabsichtigen, die Hörererwartung zu revidieren. Umgekehrt ist der Satz mit der doppelten Negation (nicht enthüllt) jedoch nicht im Sinne der konversationeilen Implikaturen der einfachen Assertion zu verwenden, da die doppelte Negation immer die Revision einer Erwartungshaltung miteinschließt.
69 3.4.4. Das Kriterium der Graduierbarkeit In Übereinstimmung mit den Kapiteln 3 . 1 . - 3 . 3 sollen zum Abschuß der Ausführungen zur Reversion die diesem Negationstyp zuzuordnenden Formantien bezüglich ihres Verhaltens hinsichlich der Graduierbarkeit untersucht werden. Zur Überprüfung des Gradationsverhaltens der Reversiva eignet sich als Testrahmen die Einsetzung der Lexeme in Equativ-, Komparativund Superlativkonstruktionen respektive ihre Kollokation mit Gradpartikeln. Die Bewertungen der nachstehenden Sätze weisen auf die Nicht-Steigerbarkeit der Reversiva hin: *1ADiese Flasche ist entkorkter/am entkorktesten. * Dieses Denkmal ist enthüllter/am enthülltesten. *Elle est plus démaquillée /la plus démaquillée. *Dieser See ist entgifieter/am entgiftetsten. * Peter ist entlobter/ am entlobtesten. Diese Inkompatibilität mit den Steigerungsformen läßt analoge Bewertungen im Falle der Kombination mit gradanzeigenden Partikeln erwarten. 25 (1) L'enfant est *un peu/*assez/(?)complètement/*très/*en
partie
(2) Die Flasche ist *ein bißchen/?ziemlich/*?absolut/*sehr/*teilweise (3) Das Pferd ist *ein bißchen/*ziemlich/*?absolut/*sehr/*teilweise
déculotté. entkorkt. entgurtet.
Die Ungrammatikalität dieser Konstruktionen scheint demnach zu bestätigen, daß reversive Bildungen ebenfalls nicht mit Intensivpartikeln vereinbar sind. Es stellt sich nun die Frage, wie die abweichenden Grammatikalitätsgrade der Sätze (4) - (5) zu erklären sind: (4) Die Flaschen sind *ein bißchen/?ziemlich/?absolut/*sehr/teilweise (5) Die Pferde sind *ein bißchen/?ziemlich/?absolut/*sehr/teilweise
entkorkt. entgurtet.
Wir können hier auf ein bereits unter 3.3.4. erwähntes Erklärungsmuster zurückgreifen: In Satz (1) - (5) werden zwar dieselben Reversiva eingesetzt, in Abhängigkeit vom Kontext ergeben sich jedoch für einige Kombinationen unterschiedliche Grammatikalitätswerte. Es handelt sich um Negationsbildungen, deren Basislexem nicht von innen her quantifizierbar ist, d.h. nicht weiter in kleinere Mengen teilbar. Das Denotat bezieht sich auf das Objekt (Korken,
24
Zur Zeichenkonvention (*/?/(*)/(?)) vgl. Fußnote 26 unter Punkt 3.3.4. dieser Arbeit.
25
Bei Neilessen findet sich ein Hinweis auf die Nicht-Graduierbarkeit der Reversiva. Vf. betrachtet die NichtGraduierbarkeit als ein Wesensmerkmal der Reversiva, da er "solche Verben, die zwar reversiven Charakter haben, bei denen es aber eine Skala von Intensitätsgraden gibt [...], [...] aufgrund dieser Gradskala den Antithetica [zurechnet]." (Nellessen 1982:97) Dies würde bedeuten, daß ein steigerbares Reversivum schon ein Antonym wäre. Der Vf. wäre mit dieser Charaktersierung sicher selber nicht einverstanden. Zur Abgrenzung der verschiedenen Oppositionstypen bedarf es mehrerer Merkmale. Eine monokausale Erklärung mithilfe der Steigerbarkeit ist nicht zufriedenstellend.
70 Gurt, Hose) in seiner Gesamtheit, als Einheit. In den Sätzen (1) - (3) ist das Affektum ebenfalls nicht weiter in kleinere Einheiten teilbar, d.h. von innen her quantifizierbar (l'enfant, Flasche, Pferd). Die Tatsache, daß weder der Mikro- noch der Makrokontext eine Quantifizierung zuläßt, erklärt scheinbar die Inkompatibiliät mit den gradanzeigenden Partikeln. In den Sätzen (4) und (5) hingegen handelt es sich im Falle des Affektums jeweils um eine potentiell teilbare Menge. Die Tatsache, daß das Affektum pluralisch quantifiziert ist (Flaschen, Pferde), scheint in diesen Sätzen die abweichenden Bewertungen zu bedingen. Volle Akzeptanz liegt jedoch lediglich im Falle der Verbindung mit dem rein lokal quantitativ zu interpretierenden teilweise vor. Die Verbindung mit absolut und ziemlich weist eine geringere Akzeptabilität auf. Ziemlich hat mit teilweise gemein, daß es sich hier auch nicht um eine Intensivierung26 im eigentlichen Sinne handelt, sondern um eine Modifikation derart, daß nur ein Teilbereich des Affektums, bzw. nur einzelne Elemente betroffen sind. Und die Verbindung mit absolut wird eher tautologisch verstanden. Die Verbindung mit der reinen Intensivpartikel sehr ist ebenfalls wie in den Sätzen (1) - (3) ungrammatisch. Wir können daher festhalten, daß in den Sätzen (4) - (5) zwar eine Kombination mit teilweise und eine eingeschränkte Kollokation mit absolut und ziemlich vorliegt, da diese aber tautologisch bzw. lokal quantitativ zu interpretieren sind, hier keine Graduierung im eigentlichen Sinne gegeben ist. In einer zweiten Gruppe von Reversionsbildungen bedingt ausschließlich die Quantifizierbarkeit der Basislexeme die partielle Kollokation mit den Gradpartikeln. Somit spielt die Tatsache, ob das Affektum pluralisch quantifiziert ist oder nur singularisch vorhanden, keine Rolle für die Kombination mit den Gradadverbien, wohl aber für die semantische Interpretation der in Frage stehenden Konstruktionen. Vgl: (6) Le bandit est ?un peu/*assez/(?)comlètement/*très/(?)en partie désarmé. (7) L'armée est ?un peu/*assez/(?)complètement/*très/en partie désarmée. (8) Die Felder sind *?ein bißchen/(?)ziemlich/(?)absolut/*sehr/teilweise entmint. (9) Die Frau ist ?ein bißchen/(?)ziemlich/(?)absolut/*sehr/(?)teilweise entkleidet. (10) Die Frauen sind ?ein bißchen/(?)ziemlich/(?)absolut/*sehr/teilweise entkleidet. Im Unterschied zu den zuvor erwähnten Reversiva ist für diesen Reversionstyp die interne Quantifizierbarkeit des Basislexems charakteristisch. Die dieser Gruppe zuzuordnenden Negationsbildungen können potentiell als pluralisch quantifizierte Objekte interpretiert werden. Aus diesem Grund ist eine quantitative Lesart unabhängig vom Makrokontext (d.h., ob das Affektum pluralisch quantifizierbar ist oder nicht) möglich. Das Objekt wird aus verschiedenen Teilen bestehend verstanden. Im Falle eines singularischen Affektums ((9) Frau, ((6) bandit) wird die Verbindung mit teilweise auf die Anzahl der entfernten Teilkomponenten oder auf die betroffenen Bereiche bezogen. Bezieht sich das Prädikatsnomen hingegen auf ein pluralisch quantifiziertes Affektum ((10) Frauen, (8) Felder, (7) armée) ist die primäre Lesart die, daß nur ein Teil der Frauen entkleidet, nur ein Teil der Felder entmint sind bzw. nur ein Teil der Armée entwaffnet ist.
26
Zur Funktion von Grad- respektive Intensivpartikel vgl. unsere Ausführungen unter Punkt 3.3.4. bzw. Hentschel/Weydt (1990:289f.).
71 (Sekundär ist auch die zuerst genannte Lesart möglich.) Unabhängig von dem singularisch bzw. pluralisch quantifizerten Subjekt weist die Verbindung mit den anderen lokal quantitativ zu interpretierenden Adverbien eine geringere Akzeptabilität auf. Auch für diese Gruppe der Reversiva gilt wieder, daß keine Graduierung im eigentlichen Sinne vorliegt, da die Verbindung mit der reinen Intensivpartikel sehr nicht möglich bzw. als ungrammatisch einzustufen ist. Für eine dritte Kategorie von Reversiva spielt für die Bewertung der Kombination mit den Gradpartikeln ebenfalls die Quantifizierung des Basislexems bzw. die potentiell lokale Bereichsaufteilung des Affektums eine Rolle. Vgl: (11) Die Flasche Wasser ist ?*ein bißchen/?ziemlich/(?)absolut/*sehr/*teilweise entgiftet. (12 Die Seen in Norddeutschland sind *?ein bißchen/(?)ziemlich/(?)absolut/*sehr/teilweise entgiftet. (13) Le clown est ?un peu/?assez/(?)complètement/*très/(?)en partie démaquillé. (14) Les clowns sont ?un peu/?assez/(?)complètement/*très/en partie démaquillés. Es handelt sich hierbei auch um quantifizierbare Basislexeme. Im Unterschied zu den Reversiva der zweiten Gruppe stellen die Basislexeme jedoch keine klar quantitativ faßbare Menge dar (Gift, Schminke). Bei der Kollokation mit Gradadverbien zeigt sich nun folgender Effekt: Bezieht sich die reversive Bildung auf ein Affektum, das in Einzelkomponenten, in abgrenzbare Bereiche aufteilbar ist (einige Seen, einige Clowns), so ist die Verbindung mit der lokal quantitativ modifizierenden Partikel akzeptabel ((12), (14))27. Bezieht sich das Prädikatsnomen hingegen auf ein nicht klar in Einzelbereiche aufteilbares Subjekt, scheint der Satz semantisch nicht sinnvoll interpretierbar (II) 28 . Da keine eindeutige lokale Zuweisung möglich ist, ist eine Verbindung mit der lokal quantitativ zu interpretierenden Partikel teilweise ungrammatisch. In bezug auf die Verbindung mit absolut und ziemlich gilt das z.T. schon in Zusammenhang mit den Gruppen I und Π Gesagte. Sie weisen eine geringere Akzeptabiliät auf als die Kollokation mit teilweise. Die unterschiedliche Bewertung muß möglicherweise darauf zurückgeführt werden, daß ziemlich nicht wie teilweise auf die betroffenen Bereiche bezogen wird, sondern auf die Menge der entfernten Elemente. Da es sich im Falle dieser Reversionsgruppe um Basislexeme handelt, die keine klare quantitativ faßbare Menge denotieren, weist die Verbindung mit der sich auf die einzelnen Elemente beziehenden Partikel ziemlich eine geringere Akzeptabilität auf. Für absolut gilt wie schon zuvor, daß diese Verbindung tautologisch zu interpretieren ist. Eine Kollozierbarkeit mit sehr ist auch in dieser Kategorie der Reversiva nicht gegeben. In einer vierten Gruppe von Reversiva sollen nun die abstrakten Bildungen betrachtet werden. Für die abstrakten Privativa galt, daß sie im Unterschied zu den konkreten Privativa 27
Teilweise wird dann so interpretiert, daß ein Teil der Seen, der Clowns betroffen sind. Sekundär stellt sich, vor allem im Französischen, die Lesart ein, daß nur ein Teil des Internum des Basislexems entfernt worden ist, d.h. daß alle Clowns ein wenig abgeschminkt sind.
28
Für den französischen Satz (13) gilt, daß dieser so gelesen werden kann als wäre nur ein Teil der Schminke entfernt worden, eine Lesart, die sich für den deutschen Satz nur schwer einstellt. Im Unterschied zum deutschen Satz (11) ist der französische Satz (13) in der Verbindung mit teilweise daher nicht als ungrammatisch einzustufen.
72 die einzige Gruppe darstellen, in der potentiell eine echte Graduierung möglich ist. Betrachten wir nun entsprechende abstrakte Reversiva: (15) Peter ist ein *bißchen/*?ziemlich/?absolut/*sehr/*teilweise entlobt. (16) Meine Freunde aus Aachen sind *ein bißchen/*ziemlich/*?absolut/*sehr/teilweise entlobt. (17) Katharina ist *ein bißchen/?*ziemlich/?absolut/*sehr^teilweise entliebt. (18) Ladendiebstahl *ist ein bißchen/?ziemlich/?absolut/*sehr/(?)teilweise entkriminalisiert. (19) Dieses ehemals zu England gehörende Land ist *ein bißchen/?ziemlich/?*absolut/*sehr/ (?)teilweise entkolonisiert. (20) Die ehemals zu Frankreich gehörenden Länder sind *ein bißchen/?ziemlich/?absolut/ *sehr/teilweise entkolonisiert. (21) Diese Ländereien sind *ein bißchen/?ziemlich/?absolut/*sehr/teilweise entprivatisiert. Die Kompatibilität mit der lokal quantitativen Partikel teilweise erweist sich als von der Quantfizierbarkeit des Affektums abhängig. Das abstrakte Basislexem ist von innen her nicht quantifizierbar; es wird als Gesamtheit verstanden und nicht als aus Teilkompenenten bestehend. Wenn sich das Prädikatsnomen nun auf ein Affektum bezieht, das ebenfalls nicht quantifiziert werden kann, d.h. ausschließlich singularisch verstanden wird ((15), (17)), so ist keine Verbindung mit lokal quantitativem teilweise möglich. Bezieht sich das Prädikatsnomen hingegen auf ein pluralisch quantifziertes, auf ein in Bereiche aufteilbares Affektum ((16), (20), (21)), so ist die Kombination mit teilweise semantisch sinnvoll zu interpretieren und somit grammatisch akzeptabel. Ähnliche Akzeptabilitätsgrade zeigen sich im Falle einer potentiell denkbaren Bereichsaufteilung des Affektums ((18), (19)). Für die Verbindung mit ziemlich gilt, daß sich grammatisch akzeptablere Bewertungen im Falle der (potentiell) quantifizierbaren Affekta einstellen im Vergleich zu den nicht quantifizierbaren Subjekten. Die Partikel absolut ist wie in allen anderen untersuchten Sätzen tautologisch zu interpretieren. Als generell inakzeptabel erweisen sich die Verbindung mit ein bißchen und im Unterschied zu den abstrakten Privativa auch die Kombination mit der intensivierenden Partikel sehr. Im Falle der abstrakten Privativa galt in bezug auf das logische Kriterium des ausgeschlossenen Dritten, daß das Prinzip des tertium datur zutrifft. Tertium datur meinte in diesem Zusammenhang, daß verschiedene, nicht genauer definierte Zwischenstufen möglich sind. Für die abstrakten (und ebenfalls für die konkreten) Reversiva gilt zwar auch das Prinzip des tertium datur, aber nur in dem Sinne, daß es neben den beiden Oppositionsgliedern noch genau einen dritten Zustand gibt. Die Situation ist somit nicht mit den Zwischenstufen gestattenden abstrakten Privativa vergleichbar. Die Tatsache, daß es sich im Falle der abstrakten Reversiva um diesen speziellen Fall des tertium datur handelt, scheint die Nicht-Graduierbarkeit zu bedingen. Für diese Gruppe der abstrakten Reversiva müssen wir demnach festhalten, daß je nach Beschaffenheit des Affektums eine partielle Kombination mit lokal quantitativ zu interpretierenden Partikeln möglich ist. Somit liegt jedoch keine echte Graduierung vor, da grundsätzlich keine Kollokation mit der reinen Intensivpartikel sehr möglich ist. Die abstrakten Reversiva dieser Gruppe verhalten sich ähnlich wie die reversiven Konkreta der Gruppe I.
73 Das in den Sätzen (1) - (21) illustrierte Gradationsverhalten der konkreten und abstrakten Reversiva kann, wie auch schon im Falle der Privativa, in vier Kategorien unterteilt werden: (i) Die dieser Subkategorie zuzuordnenden Reversiva zeichnen sich dadurch aus, daß sie von innen her nicht quantifizierbar sind (culotte, Korken, Gurt). Für die mögliche Kombination mit Gradpartikeln spielt der Makrokontext eine Rolle: (a) Wenn das Affektum nicht quantifiziert werden kann, so ist keine Gradation möglich ((1) - (3))· (b) Wenn das Affektum quantifiziert, bzw. in Teilmengen unterteilt werden kann, so ist je nach Semantik der Gradadverbien - eine eingeschränkte bis volle Akzeptablität gegeben ((4), (5)). (ii) Für die Reversiva dieser Kategorie ist die potentielle Quantifikation des Basislexems charakteristisch. Im Falle dieses Reversionstypus entscheidet der Mikrokontext (d.h. die Bildung selber) über die mögliche Kombination mit gradanzeigenden Partikeln. (a) Wenn das Affektum nicht quantifizierbar ist, so ist eine partielle bzw. eingeschränkte Kollokation mit Gradpartikeln möglich ((6) und (9)). (b) Wenn das Affektum pluralisch quantifiziert, in Teilmengen separiert werden kann, so ist ebenfalls eine partielle bzw. eingeschränkte Kombination mit den gradanzeigenden Adverbien möglich ((7), (8) und (10)). Für die Akzeptablitätsgrade spielt somit das pluralische bzw. singularische Vorhandensein des Affektums keine Rolle, wohl hingegen für die semantische Interpretation der Sätze. (iii) Für diese Reversiva gilt wie für die der zweiten Kategorie zuzuordnenden Bildungen, daß es sich um lexikalische Einheiten handelt, die von innen her quantifizierbar sind. Im Unterschied zu Gruppe (ii) handelt es sich aber nicht um eine quantitativ klar faßbare Menge, deren Einzelobjekte zählbar sind (Gift, Schminke). (a) Wenn sich das Prädikatsnomen auf ein Affektum bezieht, das nicht in klar separierbare Bereiche aufgeteilt werden kann, ist die Kombination mit der lokal quantitativen Partikel teilweise ungrammatisch und die Verbindung mit ziemlich oder absolut eingeschränkt möglich (II) 29 . (b) Wenn sich das Prädikatsnomen auf ein in klare Bereiche differenzierbares Affektum bezieht, ist die Kollokation mit teilweise akzeptabel. Die Verbindung mit ziemlich oder absolut weisen geringere Grammatikalitätsgrade auf ((12),(14)). Die Kombination mit sehr ist weder für die Reversiva der Gruppe (iii)(a) noch für die der Gruppe (iii)(b) möglich.
29
zu (13) siehe Fußnote 28. Für das Französische scheint zu gelten, daß im Fall eines singularischen Affektums teilweise (d.h. en partie) so gelesen wird, daß ein Teil des Internum des Basislexems, d.h. ein Teil der Schminke, entfernt worden ist.
74 (iv) In dieser Kategorie werden die reversiven Abstrakte zusammengefaßt. Für sie gilt, daß sie im Falle der Kollokation mit lokal quantitativen Partikeln in Abhängigkeit von der Quantifizierbarkeit des Affektums unterschiedliche Akzeptabilitätgrade zeigen. (a) Handelt es sich um ein ausschließlich singularisch zu interpretierendes Affektum, so ist keine bzw. nur eine sehr eingeschränkte Kombination mit den Gradadverbien möglich ((15, (17)). (b) Wenn es sich um ein (potentiell) pluralisch quantifizierbares Affektum handelt, so ist die Kombination mit teilweise akzeptabel und die Verbindung mit den anderen Partikel partiell bzw. eingeschränkt möglich ((16), (18), (19)-(21).30 Im Unterschied zu der Gruppe (iv)(c) der abstrakten Privativa gilt für die abstrakten Reversiva, daß die Verbindung mit der reinen Intensivpartikel sehr grundsätzlich inakzeptabel ist. Diese Inkompatibilität mit sehr muß auf den speziellen Typ des tertium datur im Falle der Reversiva zurückgeführt werden. Wir können somit für das Gradationsverhalten der Reversiva folgendes abschließend festhalten: In einigen Konstruktionen der Gruppe (i) - (iv) ist die Kombination mit teilweise akzeptabel und die Verbindung mit einigen anderen Partikeln partiell bzw. eingeschränkt möglich. Es handelt sich jedoch in diesen Fällen nicht um Adverbien, die die Intensität eines Zustandes oder Prozesses modifizieren. In den konstruierten Testsätzen haben sie lokal quantifizierende bzw. tautologische Funktion. Als rein intensivierende Partikel ist demgegenüber sehr zu betrachten. Da in keiner untersuchten Gruppe eine Kollozierbarkeit mit sehr nachgewiesen werden konnte, gilt für die Reversiva, daß sie weder graduierbar noch steigerbar sind.
3.4.5.
Eine Sondergruppe der Reversiva des Typs dérouiller.rouiller oder entlausen : verlausen.
In diesem Unterkapitel soll kurz auf eine Sondergruppe der Reversiva eingegangen werden. Hierzu zählen wir beispielsweise enteisen, entrosten, entlausen, entkalken entfrosten, démoustiquer, dérouiller oder déneiger. Diese Präfixnegativa bezeichnen die Rückgängigmachung, die Entfernung eines zuvor existenten Zustandes. Von dieser semantischen Funktion i.w.S. ausgehend könnte es sich möglicherweise auch um Privativa handeln. Entsprechend ihrem Verhalten in bezug auf die logischen Kriterien bzw. das linguistische Merkmal der Graduierbarkeit sind sie jedoch eindeutig der Kategorie der Reversiva zuzuordnen. Dies macht ihr Verhalten in Hinblick auf die Teilaspekte deutlich, hinsichtlich derer Privativa und Reversiva divergieren. (Vgl. hierzu die Gesamtübersicht unter Punkt 3.4.6.) Einige Aspekte sollen die Zugehörigkeit zu den Reversiva kurz illustrieren: Für die in Frage stehenden Konstruktionen gilt nicht, daß (a ~>b) und ebenso nicht daß (~>b s a). So ist Der Hund ist entlaust nicht
30
Die nur potentiell pluralisch zu interpretierenden Affekta der Sätze (18) und (19) weisen hierbei eine leicht geringere Akzeptabilität auf.
75 gleichbedeutend mit Der Hund ist nicht verlaust, da es noch einen möglichen dritten Zustand gibt, den des NICHT-VERLAUST-SEINS, im Sinne von 'noch vie verlaust gewesen'. Gleiches gilt für die umgekehrte Beziehung. Des weiteren stimmen die zu untersuchenden Formantien hinsichtlich der potentiell involvierten Zustände mit den Reversiva überein. Für die Privativa gilt:
Ausgangszustand (Normalzustand)
Wort, das von diesem wegführt
Basis
privativer Term
mit Kojfein
entkoffeiniert
Für die Klasse der Reversiva gilt hingegen, daß drei Zustände beteiligt sind: Ausgangszustand ~ *
Wort, das von diesem wegführt —*
Wort, das zum Ausgangszustand zurückführt
Basis
induktiver Term
reversiver Term
ohne Hülle
verhüllt
enthüllt
Im Falle der der Sondergruppe zuzordnenden Einheiten sind ebenfalls drei Zustände beteiligt: (i) AUSGANGSZUSTAND: den des noch nie VERLAUST-GEWESEN-Seins: ohne Läuse (ii) ZUSTAND, DER DAVON, WEGFÜHRT, ABWEICHT: verlaust (iii) ZUSTAND, DER ZUM AUSGANGSZUSTAND ZURÜCKFÜHRT: entlaust Schließlich stimmen die zu analysierenden Bildungen auch hinsichtlich der durch die unterschiedlichen Ausgangszustände bedingten Präsuppositionen mit den Reversiva überein. So präsupponieren die Oppositionsbildungen, wie im Fall der Reversiva, Zustand II als unmittelbar zeitlich vorangegangen und nicht, wie die Privativa, Zustand I. Diese Ausführungen sollen genügen, um die Zugehörigkeit zu den unter 3.4.1. - 3.4.4. beschriebenen reversiven Konstruktionen zu zeigen. Die in diesem Abschnitt zu behandelnden Negationsbildungen unterscheiden sich jedoch von den zuvor untersuchten Reversiva hinsichtlich syntaktisch-struktureller Eigenschaften ihres Oppositums. Die unter 3.4. analysierten reversiven Bildungen haben in morphologischer und semantischer Hinsicht in der Regel einen oppositären Begriff an ihrer Seite. Sowohl Reversivum als auch Oppositum sind der Kategorie der transitiven, kausativen Verben zuzuordnen. Der reversive Begriff bezeichnet die Rückgängigmachung des Zustandes, der durch den induktiven Term herbeigeführt wurde. (Dieser oppositäre Begriff ist im Deutschen morphologisch markiert; es handelt sich zumeist um das Präfix ver- oder be-; für das Französische ist hier ein Nullmorphem oder eine en-Präfigierung anzunehmen.) Vgl.
76 enthüllen entwaffnen désarmer
versus versus versus
verhüllen bewaffnen armer
Für die Sondergruppe der Reversiva gilt aber demgegenüber, daß nicht regelmäßig ein oppositärer Term vorhanden ist. Zwar existiert teilweise rein morphologisch ein Gegenterm, jedoch weist dieser andere syntaktisch-strukturelle Eigenschaften auf als die Opposita der o.g. Reversiva. Vgl.: dérouiller entlausen entkalken déneiger
versus versus versus versus
rouiller31 verlausen verkalken neiger unpersönl.
Es handelt sich bei den oppositären Begriffen um ergative32, nicht-kausative Verben bzw. um ein unpersönliches Verb (neiger). Diese Verben weisen dem Subjekt die thematische Rolle33 des Affektums zu. Im Falle des unpersönlichen Verbs selegiert das Verb ein Expletivum. Für diese Verben gilt, daß sie dem Subjekt keine solche thematische Rolle zuweisen. Vgl.: 31
Neben der intransitivischen Verwendung ist rouiller auch als transitives und reflexives Verb existent. Vgl. RE s.v. rouiller: I. intr. 1. Se couvrir de rouille. La grille commence à rouiller. II. V. tr. 1. (1680). Provoquer la formation de rouille sur (qqch.). L'humidité rouille le fer. = > Oxyder. SE ROUILLER v. pron. (1547). Se tacher, se couvrir de rouille.
32
Sog. "ergative" Verben selegieren ein lexikalisches Subjekt. Im Unterschied zu den transitiven Verben und in Übereinstimmung mit den intransitiven Verben selegieren sie kein direktes Objekt. Die transitiven Verben können als Partizip Perfekt attributiv gebraucht werden (die eingeladenen Gäste), nicht hingegen die intransitiven, da sie kein direktes Objekt selegieren, sind sie in den entsprechenden Attributivkonstruktionen auch nicht zugelassen (*die geschlafenen Hunde). Die ergativen Verben verhalten sich nun wie die transitiven Verben, da sie ebenfalls als Partizip Perfekt attributiv verwendet werden können: (i) die gestiegenen Preise. (ii) die gefallenen Soldaten. "Obwohl also ergative Verben S-strukturell allein ein lexikalisches Subjekt aufweisen, verhält sich dieses Subjekt - ähnlich der Passivkonstruktion - syntaktisch wie ein Objekt. Diese Gesetzmäßigkeit läßt sich wiederum dadurch erfassen, daß die fragliche NP auf der D-Struktur als Objekt generiert und über NPBewegung in die Subjektposition bewegt wird." (Fanselow/Felix (1987) Bd.2:137) Es handelt sich hierbei um "kasusähnliche semantische Relationen, die die Beschreibung verschiedener gramm. Probleme vereinfachen. In dem Satz Caroline leiht sich zu Hause das Zauberbuch von Philip werden den Nominalphrasen folgende t.R. zugeschrieben: Caroline = Agent und Goal ( > Z i e l e ) , zu Hause = Location, das Zauberbuch = Theme und von Philipp = Source ( > Quelle < ) . " (Bußmann 1983 s.v. thematische Relationen).
33
Zwischen dem Verb um den NPs besteht eine enge thematische Beziehung. So ist in ...weil Hans den Gegner besiegt "Hans das Agens der durch besiegen ausgedrückten Handlung". In ...weil dieses Buch gute Ideen enthält "gibt die Subjekt-NP den Ort an, an dem sich die Ideen befinden". Und in ...weil seine Theorie Veränderungen erfuhr "drückt die NP den Gegenstand bzw. das Objekt aus, das durch die Veränderungen afßziert ist" (Fanselow/Felix 1987 Bd. 2:78). "Diese Angaben wollen wir nun als thematische Rollen oder Theta-Rollen (Θ-Rollen) bezeichnen. Da die thematische Rolle des Sujektes vom jeweiligen Verb abhängt, sagen wir, daß das Verb dem Subjekt eine Θ-Rolle zuweist. " (Fanselow/Felix 1987 Bd.2:78).
77 Das expletive es läßt sich eben weder als Agens oder Patiens noch als irgendein anderer thematischer Bezugspunkt identifizieren; vielmehr erfüllt das Expletivum allein die Funktion, die syntaktische Subjektposition lexikalisch zu besetzen." (Fanselow/Felix 1987, Bd.2:78)
Der reversive Term ist demgegenüber ein transitives, kausatives Verb, das ein Subjekt und ein Objekt selegiert. Dem Subjekt wird hier die Rolle des Agens zugewiesen und dem Objekt die des Affektums (die Rolle, die im Falle des oppositären Terms dem Subjekt zukommt). Somit unterscheiden sich die hier behandelten Reversiva und ihre Opposita hinsichtlich der Valenzen, der Aktionsart und hinsichtlich der dem Subjekt zugewiesenen thematischen Rolle. Der oppositäre Begriff ist i.d. Regel ein einwertiges34, nicht-kausatives Verb gegenüber dem zweiwertigen, kausativen, reversiven Verb. Darüber hinaus werden der Subjekt-NP unterschiedliche thematische Rollen zugewiesen, ((i) im Falle des reversiven Verbs: Agens bzw. (ii) im Falle des oppositären Verbs: Affektum (i) Ich enteise den Kühlschrank, vs. (ii) Der Kühlschrank vereist.) Des weiteren gibt es auch solche Reversiva, die keinen oppositären Begriff an ihrer Seite haben, wie z.B. das französische Verb démoustiquer
versus
0
oder solche transitiven reversiven Verben, deren Oppositum ebenfalls eine transitive Verwendung kennt, wie bei dérouiller
versus
rouiller (I. V. intr. 1. Se couvrir de rouille.) II. V. tr. 1. (1680). Provoquer la formation de rouille sur (qqch.). L'humidité rouille le fer. = > Oxyder. (RE s.v. rouiller v.)
Für den zuletzt genannten Fall gilt zwar, daß Reversivum und Oppositum hinsichtlich der Valenzen übereinstimmen. Beide sind zweiwertig und selegieren ein Subjekt und ein Objekt, sie unterscheiden sich jedoch in bezug auf die thematische Rolle, die sie der Subjekt-NP zuweisen. Das reversive Verb weist dem Subjekt die Rolle des Agens zu, das oppositäre Verb hingegen weist dem Subjekt die Rolle eines abstrakten Kausators zu. D.h. auch in diesen Fällen weist das reversive Verb der Subjekt-NP eine andere Rolle zu als das oppositäre Verb. Aufgrund des oben beschriebenen syntaktisch-strukturell divergierenden Verhaltens der Opposita wurden die in diesem Abschnitt behandelten Reversiva einer Untergruppe zugeordnet, obwohl sie hinsichtlich ihres Verhaltens in bezug auf die logischen Kriterien bzw. hinsichtlich der Graduierbarkeit keine Abweichungen von den unter 3.4. behandelten Reversiva aufweisen.
3.4.6.
Schematische Zusammenfassung der Charakteristika der reversiven Bildungen im Vergleich zu den privativen Bildungen
In diesem Unterkapitel sollen die Ergebnisse aus 3.3. und 3.4. schaubildartig zusammengefaßt werden. Es handelt sich um eine Gesamtübersicht des Verhaltens der reversiven und privativen 34
respektive nullwertig im Falle von expletiven Verben wie z.B. neiger.
78 Bildungen in bezug auf die untersuchten logischen Kriterien bzw. das linguistische Merkmal der Graduierbarkeit. Die Gegenüberstellung des Verhaltens der reversiven und privativen Bildungen in bezug auf diese Kriterien gewinnt vor dem Hintergrund an Bedeutung, daß, wie bereits eingangs unter 3.3 und 3.4 angesprochen, keine klaren Begrifflichkeiten dieser beiden Negationskategorien zu existieren scheinen. Zum einen werden die beiden Kategorien zu einer semantischen Klasse zusammengefaßt und zum anderen greifen die Autoren nur die eine oder die andere Oppositionskategorie auf, ohne jedoch grundsätzlich zwischen privativ und reversiv differenziert zu haben. Dies wird daran deutlich, daß ein Teil der Autoren, die lediglich die privativen Bildungen berücksichtigen, Konstruktionen zitieren, die andere als reversiv einstufen und umgekehrt. Das nachstehende Schaubild soll nun das unterschiedliche Verhalten der beiden Negationskategorien noch einmal verdeutlichen:
Privation Konkreta Tertium non datur Abstrakta
Reversion
+
- i.e.S.
- i.w.S.
- i.e.S.
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
Implikationsverhältnisse semantisch-logisch Konkreta (a=>-«b) (b3-ia) (ia=>b) (-ibDa) Abstrakta (aa-ib) (bs-ia) (-lasb) (ib=>a) ontologisch Konkreta: (a3 ~>b) (b=>->a) (~ia=)b) (->b=>a) Abstrakta: (a=>ib) (b=5ia) (-ia=>b) (-ib^a)
-
-
-
-
-
-
+ + + +
+ +
-
+
+ -
-
-
+ +
-
-
79 Doppelte Negation versus einfache Assertion semantisch-logìsch Konkreta Abstrakta ontologisch Konkreta Abstrakta pragmatisch Konkreta Abstrakta
-
-
+
+ +
-
-
+ +
+ + +
Verhältnis zum Ausgangszustand Die potentiell involvierten Zustände: Ausgangszustand (Basis) I Wort, das davon wegführt35 II Wort, das zum Ausgangszustand III zurückführt Die durch die unterschiedlichen Ausgangszustände bedingten divergierenden Präsuppositionen. Präsupponiert wird: Zustand I Zustand II
+ +
Graduierbarkeit: potentiell quantitativ lokal bzw. tautologisch lesbare Partikel (keine echte Graduierung) Konkreta Abstrakta echt intensivierendes sehr Konkreta Abstrakta
z.T. + z.T. (außer teilweise) +
Z.T.+ Z.T.+
+
Bei der Aufnahme in die Datenbank wurden die einen Vorzustand präsupponierenden Negativkonstruktionen auf diese Merkmale hin untersucht und entsprechend ihrem Verhalten der Gruppe der Reversiva respektive Privativa zugeordnet. 35
bzw. Zustand, der von diesem abweicht.
Zweiter Teil: Empirische Arbeit: Datenerhebung und Datenanalyse
4. Methode und Daten 4.1. Untersuchungsgegenstand Unter Zugrundelegung der Erläuterungen zu Präfix und Negation (vgl. Punkt 2. und 3) sind nun folgende Morpheme in eine Untersuchung des vorliegenden Typs aufzunehmen: a(n-), dé(s)-, dis-, in- ( + Allomorphe), mé(s)-, mal- und non(-). Diese Inventarliste setzt sich aus den Negationspräfixen zusammen, die in der Regel in französischen Wortbildungslehren1, Grammatiken und anderen Abhandlungen, die die Negation, die Präfigierung oder Negationsmorpheme u.ä. zum Thema haben2, Erwähnung finden. Uneinigkeit herrscht in der Aufnahme von non{-)\ zurückzufuhren ist dies auf die unterschiedliche Klassifikation von non(-) als Präfix oder als Adverb.3 Mit allen erwähnten Negationspräfixen existieren Formantien, die syntaktisch-semantisch durchsichtig4 sind. Es handelt sich um lebendige Bildungstypen, d.h., daß sie sich auf synchroner Ebene noch analysieren lassen und als Morphemkonstruktionen anzusehen sind.5 Produktiv hingegen - und damit fur diese Untersuchung von Relevanz - sind nur: a(n), dé(s)-, in- und non (-) Die Liste der bereits erwähnten Negationspräfixe kann ergänzt werden durch: anti-, sans- und pas. Im Unterschied zu den zuvor genannten präfixalen Wortbildungselementen ist der Status von sans-, anti- und pas als Negationspräfixe nicht allgemein anerkannt. 7 Sie sind nicht durchgängig in allen in Frage kommenden Werken aufgenommen. Ich möchte diese Morpheme aus meiner Untersuchung aus folgenden Gründen ausschließen: (i) Obwohl das Privativum sans- aufgrund seiner freien Kombinierbarkeit mit autonomen Basen grundsätzlich für Neubildungen verfügbar ist (vgl.Peytard (1975:531)), wurde von 1
Vgl. z.B. Thiele (1981:62f., 122f. und
2
Vgl. Bibliographie.
3
Non(-)den Status eines Präfixes abzusprechen, geht auf das traditionelle Kriterium zurück, daß Elemente nur
Uli.).
dann die Bezeichnung 'Präfix' tragen dürfen, wenn sie außerhalb der Wortbildungskonstruktion keine lexikalische Selbständigkeit aufweisen. 4
Zu dem Terminus durchsichtig vgl. Gauger (1971).
5
Vgl. Fleischer ( 4 1975:71).
6
Die präfixalen Wortbildungelemente dis-, mal- und mé(s)- sind heute nicht mehr produktiv. Während für mal-, mé(s)- zu keiner Zeit eine nennenswerte Produktivität zu verzeichnen war, gab es eine beachtliche Zahl von Präfixbildungen mit dis- zur Zeit des Mittelfranzösischen. Bei den zu einem späteren Zeitpunkt in die französische Sprache aufgenommenen dü-Bildungen handelt es sich zumeist um direkte Entlehnungen aus dem Lateinischen; nur selten finden sich "hybride Bildungen" (zum Terminus hybrid vgl. Fleischer (41975:42)). Zu diesen Ausführungen vgl.: Dubois (1967:142), Pinchón (1971a:44), Trésor 1979, VII:254) und Bornschier (1971:73f.).
7
Dies wird u.a. auf das unterschiedliche Verständnis von "Präfix" zurückzuführen sein.
82 einer eingehenderen Analyse dieses Wortbildungsmittels aufgrund der sehr geringen Anzahl an nachgewiesenen sa«i-Bildungen abgesehen. Nach der Aufnahme von ca. 600 Negativpräfigierungen konnten lediglich 9 sani-Bildungen verzeichnet werden (gegenüber bspw. fast 300 in- sowie über 200 de-Bildungen, und selbst im Bereich der weniger produktiven α-Formantien konnten bis dahin 24 Konstruktionen belegt werden). Hinzu kommt, daß sansnur in 5 der 9 Bildungen eindeutig als Präfix fungiert; in den anderen 4 Belegen liegt präpositionaler Gebrauch vor. Auch Peter (1949:37) und Peytard (1975:531f.) konstatieren eine sehr beschränkte Produktivität des Präfixes, für die letzterer drei Gründe anführt: (i) das gleichzeitige Funktionieren von sans- als Präposition, (ii) die Konkurrenz der synonymen Präfixe aund non(-) und (iii) die parallele Existenz von sans-Bildungen und synonymen Simplicia. Gerade der zuletzt genannte Grund könnte eine Erklärung für die minimale Vorkommenshäufigkeit im vorliegenden Korpus liefern, das ausschließlich aus pressesprachlichen Texten besteht: während die Simplicia im allgemeinen registerneutrale Begriffe sind, gehören Wortbildungen mit sans- häufig dem familiären Sprachniveau an, vgl.z.B. chômeur/sans-travail und pauvre!sans-le-sou (s. Peter (1949:55f.). Möglicherweise wird in der Pressesprache - und hier insbesondere in einer sachlich orientierten politischen Berichterstattung - der diastratisch markierte Terminus vermieden. Aufgrund des fraglichen Aussagewertes der Auswertung einer sehr geringen Anzahl von Bildungen auf verschiedene Merkmale hin und der somit fraglichen Vergleichbarkeit zu den anderen Präfixen wurde sans- nicht in diese Untersuchung mit aufgenommen. (Im Fall der α-Bildungen ist die Aussagefähigkeit aufgrund der geringen Anzahl der Belege schon eingeschränkt, jedoch ist die Anzahl der Bildungen immerhin noch um ein Vielfaches größer.) (ii) In der Mehrzahl der mit anti- präfigierten Wortbildungskonstruktionen aktualisiert anti- das Sem 'gegen' - seine ursprüngliche Bedeutung; seltener erscheint es in der Bedeutung 'nicht'. Es ist in erster Linie ein Wortbildungsmittel mit dem semantischen Gehalt der Gegnerschaft.8 Somit würde es nicht - oder nur in sehr wenig Formantien - zu den Negationspräfixen zu zählen sein entsprechend der hier zugrundeliegenden Definition dieser Morpheme. (iii) Pas schließlich soll aus unserer Betrachtung ausgeschlossen sein, da es lediglich in der gesprochenen Sprache zur Schaffung von Präfixnegativa genutzt wird (und auch dort findet es nur sehr restringiert Verwendung).9 Angesichts der Tatsache, daß wir unsere Untersuchung auf die Analyse der morphologischen Lexemnegation in der geschriebenen Sprache eingrenzen, wird von einer Aufnahme dieses Morphems abgesehen. Wir beschränken unsere Untersuchungen also auf die Negationspräfixe a(n)-, dés(s)-, in-, und non(-) bzw. auf die aus der Verbindung dieser Präfixe mit anderen Wortbildungselementen hervorgegangenen Negativkonstruktionen. 8
Vgl. Peter (1949:139f.) und Peytard (1975:456ff.).
9
In der gesprochenen Sprache konkurriert pas mit non - bei stilistisch unterschiedlicher Verwendung; dies ist jedoch lediglich bei Partizipien und attributiven Adjektiven der Fall. Bei prädikativen Adjektiven wird pas als verkürzte Negation interpretiert. In Verbindungen mit anderen Wortarten fungiert pas nicht als Negationspräfix in der gesprochenen Sprache. Vgl. Kalik (1971:134).
83
4.2. Materialbasis Grundsätzlich bieten sich zwei Möglichkeiten zur Erstellung eines Korpus an: (i) der Rückgriff auf lexikographisches Material und (ii) die Auswertung primärsprachlicher Quellen. In Anbetracht der Tatsache, daß Wörterbücher in der Selektion und Beschreibung nicht in jedem Fall der sprachlichen Realität gerecht werden10, wurde ein Korpus primärsprachlicher Quellen ausgewertet. Auch wenn unser Korpus nicht exhaustiv sein kann, da eine Vollerhebung11 im Rahmen einer solchen Arbeit nicht durchführbar ist12, sollte den Daten aufgrund des Korpusumfanges (und somit durch die Anzahl der analysierten Bildungen) eine gewisse sprachliche Repräsentativität zukommen. Als empirische Grundlage für diese Untersuchung wurden pressesprachliche Texte ausgewertet. Dieses Auswahlkriterium trägt dem Faktum Rechnung, daß Texte dieses Genres "eher die neologismusbildenden Prozesse einer Sprache [...] [reflektieren] als andere Textsorten z.B. die Literatursprache13 - und sie sich aufgrund ihrer Zweckgerichtetheit (Informationsübermittlung in der Öffentlichkeit) nicht als Sonder- oder Fachsprache von der Gemeinsprache [...] [abheben]". (Widdig (1982:9). Die in dieser Arbeit analysierten Daten wurden in folgenden Zeitungen und Zeitschriften aus den Jahren 1988 - 1993 nachgewiesen: Actuel
France Soir
Le Nouvel Observateur
Biba
Globe hebdo
Le Point
Cosmopolitan
Globe
Paris Match
L'Evénement du jeudi
Libération
Paroles et musique
L'Esprit libre
Le Monde
Politis le Citoyen
L'Express
Marie-Claire
Première
L'Express Paris
Marie-France
7 à Paris 20 ans
10
Vgl. hierzu Widdig (1982:4) und Gilbert (1973:14).
11
Vollerhebung bedeutet die Berücksichtigung aller sprachlichen Äußerungen in einem untersuchten Zeitraum.
12
Eine Vollerhebung ist aufgrund der Nicht-Begrenztheit, der Komplexität unseres Untersuchungsgegenstandes nicht zu realisieren. Aus dem gleichen Grund schien auch eine Zufallsstichprobe ungeignet.
"Eine
Zufallsstichprobe zeichnet sich dadurch aus, daß jedes Mitglied der Grundgesamtheit [in unserem Fall jede Textsorte/-kategorie] die gleiche Chance hat, in die Stichprobe aufgenommen zu werden." (Ebner 1989:180) Und auf die Methode des repräsentativen Querschnitts wurde schließlich nicht zurückgegriffen, da ein solches Verfahren bei der Textauswahl bereits die typischen Merkmale der morphologischen Negation als bekannt voraussetzt, deren Darstellung aber erst Ziel dieser Untersuchung ist. (Vgl. Ebner 1989:179: "[Eine] repräsentative Auswahl führt zu einer Stichprobe, die ein verkleinertes möglichst wahrheitsgetreues Abbild der Grundgesamtheit darstellt. " Es mußte somit ein Korpus gewählt werden, das, obwohl es hinsichtlich des Auswahlverfahrens der untersuchten Texte/Daten nicht den Kriterien statistischer Repräsentativität genügt, hinreichenden Umfang aufweist, um zuverlässige Aussagen über den morpho-syntaktischen, semantischen und stilistisch-expressiven Gebrauch der Negationspräfixe in der Gemeinsprache zu machen. 13
Im Falle der Literatursprache ist zudem die Gefahr größer, daß bestimmte sprachliche Phänomene auf idiosynkratische Besonderheiten der Autoren zurückgehen. Pressetexte haben demgegenüber den Vorteil, daß eine relativ große Anzahl von Verfassern hinter den Artikeln steht und somit die Gefahr, daß bestimmte sprachliche Charakteristika durch idiosynkratische Eigenheiten bedingt sind, verringert wird.
84 Auf der Grundlage dieser Pressetexte konnten insgesamt 1098 negativpräfigierte lexikalische Einheiten untersucht werden. Bei der Auswertung der Daten wurde möglichen qualitativen Divergenzen der Texte nicht Rechnung getragen, da unser Interesse insbesondere den morpho-syntaktischen und semantischen Bindungsneigungen bzw. -restriktionen der präfixalen Wortbildungselemente gilt; diastratische Markierungen sind im Rahmen einer solchen Zielsetzung nicht von Bedeutung.14 In dieser Arbeit wurde davon abgesehen, mündliche Textkorpora mit aufzunehmen, um potentielle Unterschiede zwischen geschriebenem und gesprochenem Französisch zu untersuchen. Zum einen hat es sich als sehr schwierig erwiesen, Korpora zu finden, die hinsichtlich des Alters der Datenbasen und der zu erwartenden Anzahl der Negationsbildungen15 überhaupt einen Vergleich mit den Daten zum Schriftfranzösisch zulassen; zum anderen haben ähnliche Untersuchungen gezeigt, daß mit potentiellen Unterschieden vor allem in frequentativer Hinsicht und in bezug auf die Ausdrucksvariation zu rechnen ist16. Da wie bereits erwähnt im Mittelpunkt des Interesses dieser Arbeit insbesondere morpho-syntaktische und semantische Eigenschaften der Negationspräfixe stehen, Merkmale hinsichtlich derer keine Unterschiede in der gesprochenen Sprache zu erwarten sind, wurde von der Untersuchung mündlicher Texte abgesehen.
4.3. Evaluierung der Daten Die Daten wurden in eine relationale Datenbank aufgenommen. Die Struktur der Datenbank trägt den Kriterien Rechnung, die für eine formal-strukturelle Beschreibung der Lexeme, ihrer Segmentierbarkeit in Morpheme, ihres kontextuellen Vorkommens, ihrer Häufigkeit usw., von Relevanz sind. Die Aufnahme dieser Information wird durch folgende Felder strukturiert: Item: In diesem Feld wird die Negativkonstruktion in der im Textbeleg nachgewiesenen Graphie aufgeführt. Neologismus: Hier wird angegeben, ob es sich im Fall der Negativpräfigierung um einen Neologismus handelt. Als Neologismus werden solche Bildungen klassifiziert, die nicht im
14 15
16
Vgl. hierzu auch Schifko (1976:805). wie dies zum Beispiel die stichprobenhafte Lektüre von 8 Texten zum gesprochenen Französisch angedeutet hat (Eschmann, Jürgen (1984) Texte aus dem "français parlé", Tübingen.) In diesen 8 Texten fanden sich insgesamt 15 Negationsbildungen. (Text 1: inquiet, indemnité, impartial·, Text 2: déculotter, désaffecté, Text 3: 0; Text 4; injustement (2mal); Text 5: dépannage, décollé, débrancher, dépanner, dépanné, décoller; Text 6: dégradation; Text 7: inconvénient; Text 8: 0). Bei dieser geringen "Ausbeute" müßte eine sehr große Anzahl von Texten untersucht werden, um überhaupt ein repräsentatives Korpus zusammenstellen zu können, das mit den Bildungen aus den pressesprachlichen Korpora vergleichbar wäre (selbst wenn hieraus nur ein Ausschnitt gewählt würde). Eine große Schwierigkeit wäre demnach, genügend vergleichbare Texte zu finden, die als Untersuchungsgrundlage in Frage kämen. Vgl. Widdig (1981:210ff.). Vgl. ferner Fußnote 15: die in den 8 Texten zum "français parlé" eruierten Negationsbildungen sind alle im Wörterbuch aufgenommen und entsprechen den üblichen Wortbildungsmustem.
85
Wörterbuch (RE) verzeichnet sind bzw. nicht in dieser Bedeutung. Diese sind in dem Feld "Neologismus" mit " + " oder "(+)" markiert. + steht für präfixale Neubildungen. Es handelt sich somit um eine echte Präfixbildung, die als Neologismus zu betrachten ist, da sie in keinem Wörterbuch verzeichnet ist. Diese echten Präfixbildungen werden in der vorliegenden Arbeit als "formale Neologismen" bezeichnet, um sie von solchen Bildungen terminologisch zu differenzieren, die aus morphologischer Sicht als Suffixbildung zu betrachten sind bzw. lediglich semantische Neologismen darstellen. (+) steht für die soeben erwähnten suffixalen Neubildungen bzw. semantischen Neologismen. - Negativkonstruktionen aus Pressetexten, die keinen Neologismus darstellen. Präfix: Zu jeder lexikalischen Einheit wird das Präfix, das ein Teil dieser Wortbildung darstellt, eingetragen. Die Angabe des Präfixes ist unabhängig davon, ob es sich unter dem Gesichtspunkt des Ableitungstyps um eine Präfixbildung oder um eine sekundäre Bildung handelt. Suffix: Die Angabe des Suffixes erfolgt hingegen nur in zwei Fällen: zum einen, wenn die Negativkonstruktion unter dem Gesichtspunkt des Ableitungstyps ein Parasynlhetikum darstellt, d.h. daß das Derivat durch gleichzeitige Adjunktion eines Präfixes und eines Suffixes entstanden ist; zum anderen, wenn die Wortbildung aus einer existenten Negativpräfigierung suffixal abgeleitet ist. Basis: Hier wird die der Negativbildung zugrunde gelegte Ableitungsbasis eingetragen. Im Fall einer Präfixbildung ist dies die unpräfigierte Basis, im Fall einer parasynthetischen Ableitung die verbale oder nominale Basis, und bei den aus der Suffigierung hervorgegangenen Bildungen ist dies das präfigierte Basislexem: Letzteres gilt auch für die aus der Konversion oder regressiven Ableitung entstandenen Wortbildungen. Wenn hinsichtlich des Derivationstypus und somit auch hinsichtlich des zugrunde gelegten Basislexems Unsicherheiten bestehen, folgt der Basis ein Fragezeichen. Wird von der virtuellen Existenz der Basis ausgegangen, geht der Basis ein Fragezeichen voraus. Kontext: In diesem Feld wird der Kontext eingetragen, in dem die Negativbildung auftritt. Quelle, Jahrgang, Seite: Diese drei Felder dienen der Quellenangabe des Kontextes, der Bildung. (Quelle: Zeitung/Zeitschrift, aus denen die Negativkonstruktionen stammen, Jahrgang: Erscheinungsdatum der Zeitung/Zeitschrift, Seite: Seitenangabe der Fundstelle.) Für die Zeitungen/Zeitschriften werden hierbei folgende Abkürzungen verwendet: AC BIBA COS
Actuel Biba Cosmopolitan
86 EJ EX EXPA FS GH GLOBE LIB LM MC MF NO Ρ PM PMUS POL PREM 7P 20A
Evénement du jeudi (L') Express (L') Express Paris (L') France Soir Globe hebdo Globe Libération Le Monde Marie-Claire Marie-France Nouvel Observateur (Le) Point (Le) Paris Match Paroles et musique Politis le citoyen Première 7 à Paris 20 ans
Semantik: In diesem Feld erfolgt die Angabe der Negationskategorie, als deren Träger sich das Präfix im untersuchten Kontext erweist. ABL CON KON PRI REV INTENS LEX NONTYP
Ablativ Konträr Kontradiktorisch Privativ Reversiv Intensität Lexikalisiert Untypisch
Wertung: Gibt die Wertungseigenschaft der Bildung in dem zitierten Kontext an: positiv negativ neutral
Melioration markierend Pejoration markierend Neutrale Wertung
Kategorie: Für die Angabe der Wortklassen der Negativa wurden folgende Abkürzungen benutzt: A Adv
Adjektiv Adverb
87 Ν V VA
Nomen Verb Verbaladjektiv. Hierbei handelt es sich um adjektivisch gebrauchte Partizipien. Diese Partizipialformen werden in den Wörterbüchern vielfach nicht eigens aufgeführt, sondern lediglich in einer Zusatzbemerkung unter dem Verb erwähnt. Da den Verbaladjektiven in der Regel ein Verb zugrundeliegt, hätten diese Formen als V (Verb) eingestuft werden können. Eine solche Klassifikation hat jedoch den Nachteil, daß sie nicht zeigt, in welcher syntaktischen Funktion die Partizipien zur Anwendung kommen. (Die Kategorien Ν, V, Adv und A hingegen erbringen diese Leistung.) Die Klassifikation als VA hat demgegenüber den Vorteil, daß sie diese Elemente zum einen als Verbformen ausweist und zum anderen kenntlich macht, daß sie im Textbeleg nicht als Verb, sondern als Adjektiv fungieren. Aus diesem Grunde wurden die adjektivisch verwendeten Partizipien unabhängig von der Form, in der sie in den Wörterbüchern erscheinen, als Verbaladjektiv (VA) eingestuft. Die Verbaladjektive sind in zwei Kategorien einzuteilen: Zum einen handelt es sich um Partizipialformen, die außer in ihrer Verwendungsweise als Adjektiv auch als Konjugationsform im Verbparadigma gebräuchlich sind, wie etwa déplacé, démaquillant (= 85,3 % der Verbaladjektive). Zum anderen tritt ein Teil dieser Wortbildungen ausschließlich als Adjektive auf, d.h. daß das entsprechende negativ präfigierte Verb nicht existiert, so z.B. inégalé, imprévu oder découenné (11,9 % der Verbaladjektive). Hinsichtlich des Derivationstyps werden sie wie folgt unterschieden: Im Fall der Verbaladjektive, die auch als Konjugationsform im Verbparadigma Verwendung finden, wird davon ausgegangen, daß sie per deverbaler suffixaler Ableitung aus dem zugrundeliegenden Verb hervorgegangen sind.17 Die Derivate, die ausschließlich als Adjektiv fungieren, bei denen also das entsprechende präfigierte Verb nicht existiert, werden wie Adjektive behandelt. Da diese Formen nach dem Muster Negationspräfix + präfixloses partizipiales Adjektiv gebildet sind, werden sie als deadjektivische Ableitungen klassifiziert. Darüber hinaus gibt es noch eine kleine Gruppe von Verbaladjektiven (2,8 %), die hinsichtlich des Derivationstyps als parasynthetische Ableitung zu betrachten sind, da weder das negativ präfigierte Verb noch das präfixlose Adjektiv existiert, wie z.B. im Fall von désociabilisant. (Weder *désociabiliser noch *sociabilisant sind im RE aufgenommen, daher ist davon auszugehen, daß sowohl dé- als auch -isant gleichzeitig an die Basis sociable getreten sind.)
Derivationstyp: Für die verschiedenen Ableitungstypen werden in den Datensätzen folgende Abkürzungen verwendet: dv da
17
deverbal deadjektivisch
In einigen Wortbildungslehren werden die aus den Partizipien hervorgegangenen Verbaladjektive als per Suffigierung entstanden eingestuft, so bspw. in Thiele (1981:108) und auch in dieser Arbeit. Darüber hinaus gibt es andere Wortbildungslehren, in denen die aus den Partizipien hervorgegangenen Verbaladjektive als per Konversion entstanden klassifiziert werden, wie etwa in Fleischer (1975:288).
88
ds ps Ent Suf SuEn RAbl Kon Kür XX XXXX? XX?XX XX? XX! XX/hy ?XX ?XXXX
desubstantivisch parasynthetische Ableitung Entlehnungen Suffigierung die Adjunktion eines Suffixes an ein aus dem lat. entlehnten Wort (innocuité < lat. INNOCUUS + -ité) regressive Ableitung Konversion Kürzung steht für einen Derivationstyp, wie etwa dv. Beide Ableitungsarten sind formal möglich (aufgrund vorhandener Wortbildungsmuster und existenter Basen), z.B. dvps?. 1. Ableitungsart ist aus formalen Gründen anzunehmen, die 2. ist auch möglich, setzt jedoch die virtuelle Existenz der Basis voraus, vgl. etwa ps?dv. die Kategorisierung ist in irgendeiner Weise unsicher, z.B. Ent?. die unmittelbar zugrundegelegte Basis ist nur indirekt belegt (lt. RE nicht existent, jedoch in den Corpora selbst nachgewiesen), z.B. da!. Spezifizierung einer Bildung als "hybride" Bildung, bspw. ds/hy. die Ableitungsbasis ist im Wörterbuch (RE) nicht belegt, es wird die virtuelle Existenz der Basis angenommen, vgl. z.B. ?Suf. in beiden Fällen der Herkunftstypen ist die Ableitungsbasis nur virtuell existent, wie etwa ?dvps.
Die Klassifikation dieser Derivationstypen erfolgt unter dem Gesichtspunkt der Präfixbildung. Die Präfixnegativa werden in drei Kategorien eingeteilt: in die primären Ableitungen, die sekundären Ableitungen und die Entlehnungen. Unter primärer Ableitung ist zu verstehen, daß die Negativkonstruktion aus der Kombination eines Negationspräfixes und einer beliebigen Basis hervorgegangen ist. Handelt es sich bei dem Basislexem um ein Verb, so wird die aus der Verbindung zwischen dem Derivativ und dem Grundwort entstandene Negativkonstruktion als deverbal eingestuft. Gehört das Grundwort der Klasse der Substantive respektive Adjektive an, so liegt eine desubstantivische respektive deadjektivische Ableitung vor. Die gleichzeitige Adjunktion eines Negationspräfixes und eines Suffixes an ein Wurzelmorphem markiert die parasynthetische Ableitung. Der Derivationstyp der Entlehung umfaßt all diejenigen Formen, die aus dem Lateinischen, Griechischen, Englischen oder anderen Sprachen übernommen wurden. Unter sekundärer Ableitung sind solche präfigierten Formen zu verstehen, die nicht aus der Adjunktion eines Negationspräfixes hervorgegangen sind, sondern zu denen die negativ präfigierte Form bereits in einer anderen Wortart existiert. So wird etwa durch das Anfügen eines Suffixes die bereits existente Negativpräfigierung in eine andere Wortklasse überführt, wie z.B. in décoller > décollage (aus décoller + -age) oder décaféiner > décaféination ( aus décaféiner + -ation). Im Falle der Konversion liegt eine Transposition in eine andere Wortklasse ohne Ableitungssuffix vor
89 (inconnu (Adjektiv) > l'inconnu (Substantiv)). Der Derivationstyp der regressiven Ableitung schließlich umfaßt solche Formen, die gegenüber dem chronologisch primären Wort einen Substanzverlust aufweisen wie in: décharge < décharger, und unter dem Ableitungstyp der Kürzung versteht man ein um Phoneme oder Morpheme reduziertes Wort, etwa désintoxe < désintoxication. Es schien angezeigt, die primären Wortbildungen von den sekundären Bildungen und den Entlehnungen zu unterscheiden, da es in dieser Arbeit um die Bindungsneigungen bzw. -restriktionen der zu analysierenden Negationspräfixe geht. Eine zentrale Fragestellung betraf die Art der Basislexeme, an die das Negationspräfix X adjungiert. Da die Wortbildungen wie décaféination, l'inconnu oder décharge nicht aus der Verbindung eines Präfixes und eines Basismorphems entstanden sind, haben sie keine Aussagekraft über die Bindungsneigung bzw. -restriktion der Präfixe und sind von den eigentlichen Präfixbildungen zu trennen. Lexikalisches Feld: Die Präfixbildungen werden aufgrund des Sinnzusammenhangs, in dem sie auftreten, bestimmten Sprachfeldern zugeteilt. Unter Sprachfeld, auch lexikalisches Feld genannt o.ä., wird "eine Gesamtheit von lexikalischen Einheiten [...] verstanden, die sich nicht nur auf einzelne Gebiete menschlicher Aktivitäten, sondern allgemein auf bestimmte, abgrenzbare, d.h. unter einem Oberbegriff zusammenfaßbare Sach- oder Interessensgebiete beziehen; z.B. die Sprachfelder 'Wetter/Klima' und 'Geographie'." (Widdig 1982:25) Wörterbuchbemerkungen : In diesem Datenfeld wird angegeben, ob die Negativpräfigierung oder die angenommene Ableitungsbasis im Wörterbuch verzeichnet ist. Im Anschluß wird der Wörterbucheintrag zur Präfixbildung oder der Ableitungsbasis - soweit existent - in einer Lang- oder Kurzform mit Angabe der Etymologie aufgenommen. Bei problematischeren Klassifikationen werden die möglichen Herkunftstypen diskutiert. Die Angaben des Wörterbuchs stammen aus der digitalisierten Fassung des Grand Robert, dem sogenannten Robert Électronique. Es handelt sich hierbei um eine auf CD existierende Fassung des Grand Robert de la langue française,18 Die in dem Datenfeld "Wörterbuchbemerkungen" und in dieser Arbeit verwendete Abkürzung RE bezieht sich somit auf den Robert Électronique. In einigen Fällen wurden zusätzlich folgende Wörterbücher konsultiert: Bloch
18
BLOCH, O./WARTBURG, W. von (51968) Dictionnaire étymologique de la langue française. Paris.
Auf dem Deckblatt des Handbuches zum Robert Électronique wird darauf hingewiesen, daß der digitalisierten Fassung die Buchfassung des Grand Robert zugrunde liegt. Vgl. hierzu das Deckblatt: Le Robert Électronique DMW. DOS - MACINTOSH - WINDOWS ensemble d'outils d'aide à la rédaction de textes français sur disque optique compact élaboré à partir du GRAND ROBERT DE LA LANGUE FRANÇAISE de PAUL ROBERT dans sa nouvelle édition dirigée par ALAIN REY travaux lexicographiques d'élaboration du disque optique sous la direction de ALAIN DUVAL...
90 Dauzat FEW
DAUZAT, A./DUBOIS, J./MITTERAND, H. (21971) Nouveau dictionnaire étymologique et historique de la langue française. Paris. WARTBURG, W. von (1922ff.) Französisches Etymologisches Wörterbuch, Bonn/ Basel.
GraLa
Grand Larousse de la Langue Française (197Iff.) Paris.
OED
The Oxford English Dictionnary (21989). Volume I-XX. Prepared by J. A. Simpson and E.S.C. Weiner. Oxford
PR
ROBERT, P. (21989) Le Petit Robert, Dictionnaire alphabétique et analogique de la langue française. Paris.
Quemada QUEMADA, G. (u.a.) (1983) Dictionnaire des termes nouveaux des sciences et des techniqes. Paris. Trésor
IMBS, P. (u.a.) (1971 ff.) Trésor de la Langue française. Dictionnaire de la langue du XIXe et du XXe siècle (1789 -1960). Paris.
Die Eingabe und Auswertung der Daten erfolgte mit einem speziell auf die Anforderungen einer morpho-syntakdschen und semantischen Analyse von Wortbildungen ausgerichteten Programm. Für die Eingabe bedeutete dies, daß fur die Aufnahme jedes Lexems eine Maske mit den zuvor erwähnten Eingabefeldem aufgebaut wurde. Die entsprechenden Angaben wurden eingetragen und gespeichert. Ein gespeicherter Datensatz konnte jederzeit wieder aufgerufen und modifiziert werden. Für die Evaluierung der Daten war eine Option von besonderer Wichtigkeit, das sog. 'Selectmenu'. Diese Programmfünktion ermöglichte Kreuzklassifikationen jedweder Art. Die zuvor erwähnten Feldangaben wie Präfix, Suffix, Kategorie, Derivationstyp, Semantik, Wertung etc. konnten hinsichtlich ihrer Inhalte in beliebigen Kombinationen abgefragt werden. So bestand zum Beispiel die Möglichkeit, alle lexikalischen Einheiten, die mit dem Präfix in- gebildet sind, der Wortkategorie der Adjektive angehören, auf -ble auslauten, meliorativ wertend sind und zu dem Derivationstyp der parasynthetischen Ableitung gehören, aussortieren zu lassen. Die Abfrage solcher Kreuzklassifikationen wäre mit der traditionellen Arbeitsweise, d.h. mit Karteikarten, nur unter erheblichem Zeitaufwand möglich gewesen.
4.4. Spezifizierung der Aufgabenstellung Ein Hauptanliegen dieser Untersuchung ist es, Regularitäten der negativen Derivationsmorphologie des Französischen sichtbar zu machen. Hieraus ergibt sich als zentrale Frage: Welche Bindungsrestriktionen bzw. -affinitäten sind bei der (Neu)bildung präfixaler Negativkonstruktionen festzustellen? Auf diese Zielsetzung wird eine Antwort über die Beschreibung der
91 Struktur, Bedeutung und Funktion der Negativpräfixe gesucht. Die im empirischen Teil dieser Arbeit monographisch angelegte Analyse der präfixalen Wortbildungsmorpheme erfolgt vor dem Hintergrund einer abschließenden Gegenüberstellung der funktionalen Ähnlichkeiten und Unterschiede dieser Wortbildungselemente.
4.5. Inhalte der empirischen Analyse Gemäß der Zielsetzung, die Regularitäten der negativen Derivationsmorphologie darzustellen, sind die aufgenommenen Daten hinsichtlich folgender Aspekte zu untersuchen:19 —• morpho-syntaktische Eigenschaften der Negativbildungen —• semantische Leistungen der Negationspräfixe Vorkommenshäufigkeiten bestimmter Präfigierungen sowie deren Verteilung auf die verschiedenen lexikalischen Felder. Die empirische Analyse muß demnach so angelegt sein, daß das gewonnene Material auf die zuvorstehenden Aspekte hin untersucht wird. Ein zentraler Gegenstand der Analyse der morpho-syntaktischen Eigenschaften stellt die Untersuchung der Bindungsaffinitäten bzw. -restriktionen von Negationspräfixen zu Basislexemen bestimmter Wortklassen dar. Innerhalb der unterschiedlichen Wortklassen ist von Interesse, ob den lexikalischen Basen eine bestimmte morphologische Struktur inhärent ist, ob beispielsweise bevorzugt Verbindungen mit einem bestimmten Adjektiv- oder Substantivtyp vorliegen. Von grundsätzlicher Bedeutung ist ebenfalls die Frage der Herkunftsarten, d.h. zum einen die Frage der Anteile der primären und sekundären Ableitungen sowie der Entlehnungen und zum anderen die Frage der Verteilung auf die einzelnen Derivationstypen innerhalb der Klasse der primären und sekundären Ableitungen. In diesem Zusammenhang wird auch untersucht, ob Bindungsneigungen bzw. -beschränkungen zu autonomen / nicht-automen Wurzelmorphemen vorliegen. Darüber hinaus findet ebenfalls die Herkunft der Stammwörter Erwähnung, d.h., ob es sich um französisches Wortmaterial oder um Morpheme griechischen oder lateinischen Ursprungs handelt, sofern dies fiir die Selektion der Präfixe eine Rolle spielt. Dieser Punkt schließt mit einigen Bemerkungen zur graphischen Realisierung der Präfixbildungen, falls die Formantien keine einheitliche Schreibung aufweisen (Es stellt sich beispielsweise die Frage: Wenn nicht direkte Adjunktion vorliegt, überwiegt dann die Setzung des Bindestrichs oder ist die Getrenntschreibung die Regel?). In einem nächsten Analyseschritt geht es um die Beschreibung der inhaltlichen Merkmale der Negationsmorpheme. Die semantische Analyse ist von großem Interesse, da sie, neben der formalen Analyse, besonders dazu beiträgt, die spezifischen Leistungen einzelner Negationspräfixe deutlich zu machen und insofern Wesentliches bei der Beantwortung der Frage leistet, inwieweit die einzelnen Negationspräfixe miteinander konkurrieren. In Anbetracht der Umstände, daß die Bedeutung eines präfixalen Elements zum einen innerhalb des Morphemgefüges - nämlich durch den Inhalt des Grundwortes - und zum anderen durch den syntagma-extemen 19
Vgl. hierzu auch Widdig (1982:18ff.) oder Stein (1971:73).
92 Kontext - d.h. im Satz- oder Textzusammenhang oder durch die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Sprachregister wie der Fachsprache etc. - determiniert werden kann, sollte eine Bestimmung der semantischen Eigenschaften der Negationspräfixe unter Berücksichtigung beider Kontexte, d.h. des Mikro- und des Makro-Kontextes, erfolgen (sofern dies vonnöten ist). Wenn eine Bildung aus heutiger Sicht als lexikalisiert zu betrachten ist, so wird sie der Negationsart zugewiesen, der sie gemäß ihrer ursprünglichen Bedeutung angehörte; zusätzlich erhält sie die Markierung "LEX" für lexikalisiert. Neben dem anteiligen Vorkommen der einzelnen semantischen Kategorien ist von Interesse, ob korrelative Beziehungen zwischen Inhaltsmerkmalen und Wortarten bzw. bestimmten Worttypen etc. oder zwischen inhaltlichen Funktionen und Herkunftsarten vorliegen. In einem nächsten Schritt werden die Wertungseigenschaften der Negativbildungen untersucht. Die Aufnahme und Klassifizierung der Daten ließ deutlich werden, daß nicht nur der Mikro-Kontext als Determinationsfaktor eine Rolle spielt; die Miteinbeziehung des Makro-Kontextes erwies sich im besonderen bei der Bestimmung der unterschiedlichen Wertungsfunktionen der Derivationsmorpheme als unerläßlich. Auch im Bereich der Wertungseigenschaften wird geprüft, ob Zusammenhänge zu bestimmten Wortklassen, Worttypen oder Herkunftsarten festzustellen sind. Ein weiterer Unterpunkt der empirischen Analyse behandelt die Vitalität der in Frage stehenden Morpheme und das Vorkommen der Negativbildungen in den verschiedenen lexikalischen Feldern. Inhalt eines ersten Teils der Untersuchung sind die die Neubildung der einzelnen Negativpräfigierungen begünstigenden bzw. hemmenden Faktoren. Die Resultate der morphosyntaktischen und semantischen Analyse können hier fruchtbar gemacht und in Bezug auf die Disponibilität der Präfixe hin untersucht werden. Im Anschluß an die Ausführungen zur Disponibilität des Präfixes wird die Repartition der Negativkonstruktionen auf die verschiedenen lexikalischen (gemein- und fachsprachlichen) Felder ausgewertet. Das Vorkommen in den verschiedenen Sprachfeldern soll zeigen, ob bestimmte sprachfeldgebundene Produktivitäten vorliegen. Die Beschreibung der einzelnen Negationspräfixe mündet in einen abschließenden Funktionsvergleich. Die Gegenüberstellung der in den Einzelanalysen gewonnenen Ergebnisse soll Aufschluß darüber geben, welche Präfixe (in welchen Kontexten) in semantischer, stilistisch-expressiver und/oder morpho-syntaktischer Hinsicht konkurrieren. Ferner - im Falle von Funktionsidentität oder -ähnlichkeit, bzw. partieller Überschneidung der semantischen oder morpho-syntaktischen Eigenschaften - wird eine Antwort auf die Frage erhofft, welche Faktoren im einzelnen die Wahl eines Präfixes bei der Bildung einer neuen Negativkonstruktion determinieren.
5. Analyse des empirischen Materials 5.1. aDas Negationspräfix a- ist griechischen Ursprungs. Die Morphemvariante an- tritt vor Vokalanlaut oder vor anlautendem h- auf. Ein Großteil der mit diesem Morphem gebildeten lexikalischen Einheiten wurde in toto aus dem Griechischen entlehnt oder mit griechischen Basen gebildet.1 Während die α-Formantien im 18. und 19. Jahrhundert ausschließlich fachsprachlicher Natur waren, werden diese Präfigierungen im 20. Jahrhundert auch für die Gemeinsprache disponibel.2
5.1.1. Morpho-syntaktische Analyse Für das griechische Präfixmorphem konnte im vorliegenden Korpus nur eine geringe Frequenz nachgewiesen werden. Lediglich 3,7 %der im Datenmaterial registrierten Präfixnegativa stellen α-Bildungen dar, das sind 41 von 1.098 Belegen gegenüber 430 dé-, 483 in- und 144 nonKonstruktionen. Dieses Ergebnis scheint nicht korpusspezifisch zu sein. Pinchón bestätigt in ihrer Aufsatzreihe über die Negativbildungen in-, non- und α- den verhältnismäßig niedrigen Anteil der α-Konstruktionen an der Gesamtheit der Negativbildungen. La préfixation avec a- se distingue des deux autres [d.h. in- und non-] sur plusieurs points. Les unités sont en nombre relativement limité [...]. (Pinchón 1972:45)
Diese geringe Frequenz der α-Bildungen wird nicht nur im Verhältnis zu den anderen Negativpräfixa deutlich, sondern spiegelt sich auch im anteilmäßigen Vorkommen am Gesamtwortschatz wider. Peytard (1975:503, 517) zeigt, daß von der Gesamtheit der im Petit Larousse von 1964 aufgenommen lexikalischen Einheiten nur 200 Lexeme mit dem griechischen Negationsmorphem α- anlauten.3 Dies sind ca. 0,0027 %4 aller im Petit Larousse verzeichneten lexikalischen Einheiten. Vor dem Hintergrund dieser Daten kann auch der nur geringen Frequenz von 41 Belegen (mit einem Type-Token-Verhältnis von 28 zu 41) eine gewisse sprachliche Repräsentativität zugesprochen werden. Da andererseits, bedingt durch die Verteilung auf die unterschiedlichen Kategorien, z.T. nur ein einziger Beleg für ein bestimmtes semantisches oder morpho-syntaktisches Merkmal vorliegt, sollen die Resultate Peyards
1
Vgl. Pinchón (1972:45).
2
Vgl. Dauzat ( 2 1971:1) und TLFs.v.
3
Pinchón (1971b:45) nennt für den Petit Robert 170 Lexeme, die mit dem Negationsmorphem a- gebildet sind.
a-).
Die Untersuchungen, bzw. die Datenbasen Pinchons und Peytards sind fast 30 Jahre alt und es ist anzunehmen, daß sich die Zahlen - wenn auch geringfügig - verändert haben. Die grundsätzliche Situation die relativ geringe Frequenz der α-Formantien - scheint jedoch unverändert zu sein, wie die Verteilung der Negationspräfixe im vorliegenden Korpus zu zeigen vermag. 4
Der Petit Larousse von 1964 (19. Auflage) verzeichnet 73.000 Artikel. Die 0,0027% beziehen sich auf diese 73.000 Einträge. Vgl. Deckblatt des Petit Larousse von 1964.
94 vergleichend miteinbezogen werden.5 Peytard hat in dem Zeitraum von 1924 - 1964 sechs Ausgaben des Petit Larousse auf die jeweils vermerkten α-Bildungen hin analysiert. Die Untersuchung des Datenmaterials in Hinblick auf die Wortkategorie, der die α-präfigierten lexikalischen Einheiten angehören, läßt das griechische Negationsmorphem als ein ausgesprochenes Nominalpräfix6 erscheinen. Es liegt folgende Distribution vor: 31,7 % Adjektive, 61 % Substantive, 4,9 % Adverbien und 2,4 % Verben. Vgl. folgendes Schaubild: Verteilung auf die Wortkategorien (Berücksichtigung aller a-Bildungen)
Abbildung 1
Faßt man die Adjektive und die Substantive zusammen, so zeigt sich, daß a- in 92,7 % der Fälle als Nominalpräfix fungiert. Dieses Ergebnis wird durch die Analyse Peytards gestützt. Vf. weist auf die außerordentliche Affinität zu nominalen Verbindungen hin: "la nominalisation est largement dominante "(Peytard 1975:503).7 Wenn man nun in einem nächsten Schritt den Derivationstyp der Entlehnung und Suffixbildung nicht miteinbezieht, also nur solche Bildungen berücksichtigt, die dem Kriterium der präsumptiven Präfigierung8 genügen, d.h. nur echte Präfixbildungen, wird deutlich, daß es sich im Französischen um ein rein nominales Präfix handelt: bei der Bildung von Präfixnegativa adjungiert a- ausschließlich an nominale Basislexeme. Die Auswertung des empirischen Datenmaterials markiert a- hierbei im speziellen als Adjektivalpräfix. 80 % der echten Präfix5
Wobei es fraglich ist, ob es aufgrund des Alters der Untersuchung (s. Fußnote 3) überhaupt noch angemessen ist, sie im Rahmen einer synchronen Studie als Vergleichswerte heranzuziehen. Dieser Vergleich ist demnach mit Vorbehalt zu werten.
6
nominal bezieht sich auf die Verwendung von Nomen in einem weiteren Sinn, d.h. Nomen als zusammenfassende Bezeichnung für die deklinierbaren Wortarten Substantiv und Adjektiv. (Vgl. Bußmann s.v. Nomen.)
7
In der Wörterbuchausgabe des Petit Larousse von 1964 konnte er 200 α-Bildungen verzeichnen, darunter fanden sich 110 Substantive, 78 Adjektive, 8 Verben und 4 Adverbien.
8
"Presumptive Präfigierung" meint, daß als Ableitungstyp eine Präfixbildung vorausgesetzt wird, das Derivat somit aus der Adjunktion eines Präfixes an ein Basislexem hervorgegangen ist oder im Fall der parasynthetischen Bildung durch gleichzeitiges Anfügen des Präfixes und des Suffixes. Demnach genügen dem Anspruch der "präsumptiven Präfigierung" beispielsweise solche Bildungen nicht, die per Suffigierung entstanden sind, wie etwa décontraction < décontracter.
95 bildungen stellen deadjektivische Ableitungen dar (wie etwa α-freudien, a-humain), nur in 20 % der Fälle handelt es sich um desubstantivische Derivativa (z.B. athéologië). In der themenrelevanten Literatur findet sich in bezug auf diese eindeutige Tendenz zu Verbindungen mit Adjektiven keinen Hinweis. Weder Pinchón (1972:45f.) noch Peytard (1975:503ff.) gehen auf wortartspezifische Bindungsneigungen von französischen Neubildungen ein. Dies mag vor allem im Falle der Untersuchung von Peytard verwundern, da sein Material diesbezügliche Affinitäten erkennen läßt.9 Vf. geht es bei der Analyse der zwischen 1924 und 1964 aufgenommenen Neuzugänge insbesondere um die Frage, ob es sich um autonome oder nicht-autonome Basen handelt, die Wortartzugehörigkeit der Basis und somit des Derivats wird hier nicht weiter berücksichtigt. Gemäß seiner Übersicht der Neuzugänge zwischen 1924 und 1964 gibt es 10 mit autonomen Basen gebildete Neuzugänge. Hiervon stellen 7 deadjektivische und nur 3 desubstantivische Präfixbildungen dar. Somit zeigen seine Daten in diesem Punkt eine große Übereinstimmung mit dem entsprechenden empirischen Material der vorliegenden Arbeit: für die mit autonomen Basen gebildeten Neologismen liegt ein Verhältnis der deadjektivischen zu den desubstantivischen Konstruktionen von 5:1 vor. Es werden lediglich die mit autonomen Basen gebildeten Konstruktionen verglichen, da im Korpus meiner Arbeit nur 2 α-Präfigierungen mit nicht-autonomen Basen gebildet sind (eine Substantiv- und eine Adjektivbildung: aménorrhée und achronique) und somit ein Vergleich nicht zu validen Aussagen führen würde. Peytards Material läßt des weiteren auch im Fall der Verbindungen mit nicht-autonomen Basen eindeutige Tendenzen erkennen. In diesem Fall liegt genau umgekehrt der Löwenanteil der Bildungen im Bereich der substantivischen Konstruktionen. Er nennt 9 mit nicht-autonomen Wurzeln gebildete Substantive versus einer bikategorialen lexikalischen Einheit, die sowohl aus Substantiv als auch als Adjektiv fungiert. (Vgl. Peytard 1975:504f.)
Während demnach die Untersuchung Peytards mit dem Ergebnis dieser Arbeit darin übereinstimmt, daß im Falle der Kombination mit autonomen Basen eine klare Neigung zu adjektivischen Basen festzustellen ist, divergieren die beiden Korpora in bezug auf den Anteil der freien versus der gebundenen Basislexeme. Peytard verzeichnet zwischen 1924 und 1964 10 mit freien Wurzeln versus 15 mit gebundenen Basen gebildete Neuzugänge; es liegt somit ein Verhältnis von 40:60 vor.10 Im empirischen Material der vorliegenden Arbeit hingegen liegt 8 α-Negativa eine autonome Basis zugrunde und nur in 2 Fällen geht das Präfix eine Verbindung mit einer nicht-autonomen Basis ein; es liegt hier umgekehrt ein Verhältnis von 80:20 vor. Dieses divergierende Verhalten in bezug auf die Selektion einer autonomen respektive nicht-autonomen Basis könnte möglicherweise durch zwei Faktoren bedingt sein: das Alter und den Typ der Datenbasen. Peytards Datenmaterial stammt aus den Jahren 1924 -1964 11 und es handelt sich um ein lexikographisches Korpus, die Daten dieser Arbeiten hingegen stammen aus den Jahren 1988 - 1993 und es handelt sich um primärsprachliche Quellen, in concreto um pressesprachliche Texte. Die Tatsache nun, daß es sich zum einen im Falle des Materials
10
11
In der Abhandlung von Pinchón findet sich auch für die Verbindung mit autonomen Wurzelmorphemen ein indirekter Hinweis auf die bevorzugte Verbindung mit adjektivischen Basen. Vf. nennt für die Adjunktion von a- an substantivische Basen 3 Beispiele und unmittelbar anschließend für entsprechende Präfigierungen mit adjektivischen Basen 9 Beispiele. Zufall? Zwischen 1924 und 1952 war ein signifikanter Anstieg der Kombinationen mit auch frei vorkommenden Stammorphemen zu beobachten. Ab 1959 hingegen wuchs die Anzahl der Verbindungen mit nicht-autonomen Basislexemen. S. Peytard (1975:506). Die ersten Neuzuänge stammen aus der Petit Larousse- Ausgabe von 1935.
96 dieser Arbeit um wesentlich jüngere Daten handelt und zum anderen um pressesprachliche Texte, die eher neologismusbildende Prozesse einer Sprache reflektieren als andere Textsorten, könnte darauf hindeuten, daß das griechische Negationspräfix a- im heutigen Französisch (sofern diese Gleichsetzung der Pressesprache mit dem Französisch im allgemeinen zulässig ist) eine wesentlich größere Disponibilität bei der Kombination mit autonomen Basen12 aufweist als dies früher der Fall war.13 Mit der größeren Disponibilität für die Kombination mit autonomen Basen könnte möglicherweise ein Produktivitätszuwachs einhergehen. Wir können demnach in Hinblick auf die Wortkategorie der Basis und somit des Derivats festhalten, daß im Falle von primären Präfixbildungen a- ein reines Nominalsuffix darstellt. Das Untersuchungsmaterial deutet darüber hinaus auf eine verstärkte Affinität zu autonomen Basen hin. Bei der Verbindung mit autonomen Wurzeln zeigt a- eine ausgesprochene Bindungsneigung zu adjektivischen Basen. Die Daten Peytards (1975:504f.) ließen des weiteren erkennen, daß die Verbindung mit gebundenen Wurzeln insbesondere Substantive hervorbringt. Die Tatsache, daß sich a- gemäß unserem Datenmaterial bei präsumptiver Präfigierung nur mit substantivischen und vor allem adjektivischen Basen verbindet, kann vermutlich durch die Bindungsneigungen dieses Präfixes im Griechischen erklärt werden: es handelt sich originär um ein fast reines Nominal- besonders Adjektivpräfix (s. Komplettentlehnungen wie abîme, anésthesie, aphone, atone). Vgl. hierzu Moorhouse 1959:60: For the most part the Greek negative compounds are adjectives; there are also substantives, to which reference will be made incidentally in the next section. Here a few remarks are made on a(v)-compounded with finite forms of the verb. Strictly this is an irregular formation. [...] Examples in Greek are almost entirely by derivation form adjectives. "14
Neue präfixale Ableitungen im Französischen wurden somit vermutlich nach dem Muster der bereits entlehnten α-Konstruktionen gebildet, d.h. mit adjektivischen oder substantivischen Basen verbunden. Im Falle der französischen α-präfigierten Verben (s. amnistier, anesthésier etc.) handelt es sich um sekundäre Ableitungen, d.h. um Suffigierungen. Suffixal abgeleitet sind des weiteren die Adverbien.15 Da nun im vorliegenden Korpus per Präfixbildung hauptsächlich Adjektive generiert werden und das Verfahren der Suffixbildung in diesem Korpus keine Substantive erzeugt, stellt sich nun die Frage, auf welchen Ableitungstyp geht die große Gruppe der in Abbildung 1 aufgeführten Substantive zurück? 12
Auch wenn sie gelehrter Natur sind.
13
Vielleicht liegt hier auch ein Einfluß des Spanischen vor. Im spanischen Wortbildungslehren wird (im Unterschied zu französischen Wortbildungslehren) nicht auf die überwiegende Verbindung mit gelehrten (und somit in der Regel gebundenen) Wurzeln hingewiesen. Vgl. Thiele: "Das Präfix wird vielfach mit gelehrten (meistens griechischen) Stämmen verknüpft." (1981:122) Und vgl. Lang für das Spanische (1991:170): "Although the bases of a- formations were originally terms of Greek origin, the prefix now appends easily to native lexemes."
14
Vgl. hierzu auch Frisk 1941:2: "Nur in ganz seltenen gelegentlichen Analogie- bzw. Kontrastbildungen" findet sich die griechische Vorsilbe in verbalen Privativkomposita. " Vgl. hierzu des weiteren: Chantraine 1980:1, Cottez, 1980:1, Frisk 1941: 2ff„ Frisk 1954:1, Kluge 1995:1 oder Kluge 1989:1.
15
Dieses Ergebnis bestätigt Pinchón (1972:46): "Verbes et adverbes sont toujours des formations secondaires". S. auch Peytard (1975:503).
97 Eine Gliederung des gewonnenen Datenmaterials unter dem Gesichtspunkt der unterschiedlichen Herkunft bzw. Ableitungsarten in Kombination mit den vermöge dieser Verfahren generierten Wortarten kann uns eine Antwort auf diese Frage geben:
Verteilung der Derivationstypen auf die unterschiedlichen Wortarten
ds Präfixbildungen Suffixbildungen da Präfixbildungen Entlehnungen Abbildung 2
Es handelt sich somit nur in 24,4 % um echte Präfixbildungen, die in 80% der Fälle der Kategorie der Adjektive angehören. Der Großteil der α-Konstruktionen, 75,6% stellt keine echte Präfixbildung dar: In 26,8 % handelt es sich um Suffixbildungen, die sowohl Substantive und Adjektive als auch Verben und Adverben ableiten16, wobei der Löwenanteil jedoch auf die nominalen Kategorien fällt. Und 48,8 % der α-Konstruktionen sind Entlehnungen, welche alle der Wortklasse der Substantive angehören.17 Dies beantwortet uns die weiter oben aufgeworfene Frage nach der Herkunft des Großteils der Substantive. Hinsichtlich der möglichen Herkunft der α-Konstruktionen können wir folgendes zusammenfassen: Das griechische Negationsmorphem a- tritt im vorliegenden Korpus in Suffixbildungen auf, die der Klasse der Adjektive, Substantive, Adverben und Verben angehören. Des weiteren findet sich das Formativ a- zum einen in lexikalischen Einheiten, die entlehnt wurden (entweder direkt aus dem Griechischen (amnistie) oder über den Weg des Lateinischen (anomalie) und zum anderen erscheint es in Negativkonstruktionen, die erst im Französischen gebildet wurden (a-humain, acalorique).18 Die Entlehnungen sind, unabhängig, ob es sich um Direktentlehnungen aus dem Griechischen (amnistie) handelt oder ob sie über den Weg des Lateinischen (anesthésie) ins Französische Eingang gefunden haben, für den Durchschnittssprecher in der Regel nicht durchsichtig. Sie sind nur dann durchsichtig, wenn die präfixlose Basis ebenfalls im Französischen als autonome lexikalische Einheit vorkommt (s. anormal). 16
Vgl. hierzu z.B. acausalité, amnésique, amnistier und anormalement.
17
Hierzu zählen beispielsweise analphabète, anomalie, anorexie oder amnistie.
18
Vgl. hierzu auch Trésor, I: 28.
98 Für die französische Wortbildung gilt: handelt es sich um eine Verbindung aus Präfix + autonomer Basis, so ist das Derivat meistens durchsichtig (s. α-freudien, asymptomatique), handelt es sich dagegen um die Adjunktion des Präfixmorphems an eine gebundene Basis, so geht damit meist für den Durchschnittssprecher die Undurchsichtigkeit der Ableitung einher (s. achronique < a- + -chronique oder aménorrhée < a- + -menorrhée). Und für die Suffixbildungen ist entscheidend, ob die der Suffigierung zugrundeliegenden Basis eine präfixlose, autonome lexikalische Einheit gegenübersteht. Bei acausalité oder achromaüsme ist dies z.B. gegeben und ergo ist die Bildung durchsichtig. Nicht gegeben ist dies bei amnisiüer oder asthénique. Diese Bildungen sind somit für den Durchschnittssprecher nicht durchsichtig. Diese Ausführungen lassen erkennen, daß die Autonomie bzw. Nicht-Autonomie des Wurzelmorphems in direktem Zusammenhang zur Durchsichtigkeit einer α-Formation steht: Bildungen, deren Basislexeme nicht als selbständige lexikalische Einheiten fungieren bzw. außer in der Negativpräfigierung in keinen anderen Gefügen vorkommen, wie z.B. anorexie, amnistie, asthénique, amenorrhée, sind nicht durchsichtig. Den bisher noch nicht berücksichtigten Bildungen mit nicht-autonomen Basen, deren Stammorphem jedoch auch in Kombination mit anderen Wortbildungselementen in der französischen Sprache Verwendung findet, können wir eine restringierte Durchsichtigkeit zusprechen. Hier muß jedoch einschränkend angemerkt werden: für den einer Fachsprache kundigen Sprecher. Da es sich in diesen Fällen immer um Fremdwörter handelt, sind diese für den Durchschnittssprecher nicht, bzw. nur sehr bedingt durchsichtig, wohl hingegen für den fachsprachlich versierten Sprecher. Dies gilt z.B. für: amnésique, amnésie anesthésie achronique
vs. vs. vs.
hypermnésie oder paramnésie hyperesthésie anachronique oder synchronique
Keine Schwierigkeit der Identifikation der Basis ist für den Durchschnittssprecher somit nur bei Worbildungskonstruktionen gegeben, deren Wurzelmorphem auch außerhalb der Negativbildung eine lexikalische Selbständigkeit aufweist. Im Anschluß an die morpho-syntaktische Analyse der nachgewiesenen α-Bildungen sollen nun in einem nächsten Schritt die semantischen Funktionen dieser Formantien untersucht werden.
5.1.2. Semantische Analyse Die im vorliegenden Korpus auftretendenden α-Bildungen haben häufig ihren fachsprachlichen Charakter nicht eingebüßt, auch wenn sie überwiegend in durchaus gemeinsprachlichen Kontexten Verwendung finden.19 19
Die Resultate Peytards (1975:507) lassen a- primär als fachsprachliches Wortbildungsmittel erscheinen: von 200 verzeichneten α-Konstruktionen ordnet er nur 33 der Gemeinsprache zu. Auf die fachsprachliche Markierung weisendes weiteren hin: Pinchón (1972:45), Trésor, 1:27, Robert, 1:1, Thiele (1981:61 u. 121), Horejsi (1985:42f.), Guilbert (1971:LIII) und Zimmer (1964:26).
99 Nur ein kleiner Teil der Kontexte ist stark fachsprachlich ausgerichtet, obwohl sie nicht Fachzeitschriften entnommen sind. Vgl. z.B.: (1) Les concernées pratiquent ensuite une amniocentèse et, en cas de confirmation de l'anomalie, peuvent effectuer une interruption de grossesse. Ce nouvel examen sanguin consiste à mesurer le taux de l'hormone H.c.v. (hormone chorionique gonadotrope) dans le sang maternel à quatorze semaines d'aménorrhée. Un taux élévé indique un risque d'anomalie trisomique. PM: 16.11.89: 9-4 Der Großteil der Kontexte kann jedoch als gemeinsprachlich bezeichnet werden. Die vornehmlich fachsprachliche Markierung ist möglicherweise zum einen dadurch bedingt, daß a- erst in unserem Jahrhundert für den gemeinsprachlichen Sprachbereich disponibel geworden ist, und zum anderen dadurch, daß, auch wenn sie in gemeinsprachlichen Kontexten erscheinen, es sich häufig um originäre Fachtermini handelt. Diejenigen Termini, die von der Genese her gemeinsprachlich, bzw. frei von sprachfeldgebundenen Konnotationen sind, stellen eher die Minderheit dar. Vgl. hierzu z.B.: (2) Seurat a trouvé un qualificatif pour ces soldats implacables et dérisoires (les geôliers des otages au Liban) : Ils ne sont ni humains ni inhumains ... ils sont a-humains. m : 12.05.1988: 10-3 Das griechische Präfixmorphem erweist sich in den Kontexten insbesondere als Träger der Inhaltsmerkmale der Privation, der Kontradiktion und der Kontrarität. Es zeigt sich hierbei folgende quantitative Verteilung auf die einzelnen semantischen Kategorien: Verteilung der a-Bildungen auf die semantischen Kategorien
Nontyp. Kontrarität
Privation Abbildung 3
100 In der Mehrheit der α-Konstruktionen, in 51,2 % der Fälle, aktualisiert a- das Sem 'Privation', bzw. genauer hat a- ursprünglich das Inhaltsmerkmal der Privation denotiert. Vgl. hierzu beispielsweise die folgenden Bildungen: (3) Ce nouvel examen sanguin consiste à mesurer le taux de l'hormone H.c.v. (hormone chorionique gonadotrope) dans le sang maternel à quatorze semaines d'aménorrhée. PM: 16.11.1989:9 Negation: PRI (4) On vit ainsi les orateurs du RPR sonner la charge avec allégresse, en se montrant amnésiques sur les responsabilités du gouvernement de M. Jacques Chirac dans les causes des violences survenues sur le territoire de mars 1986 à juin 1988, et ceux de l'UDF et del'UDC leur emboîter le pas sans sourciller, en sortant de la réserve qu'ils cultivaient naguère sur ce terrain glissant. LM: 30.11.1989: 10 Negation: PRI (5) Du fait de sa localisation visible, ce cancer peut être facilement prévenu: L'exérèse en est simple: sous anesthésie locale elle ne dure que quelques minutes et n'est pas douloureuse. PM: 16.11.1989:9 Negation: PRI Für alle α-Privativa im vorliegenden Korpus gilt, daß es sich um lexikalisierte20 Bildungen handelt21, die für den Durchschnittssprecher des heutigen Französisch nicht durchsichtig sind.22 Der Großteil der ursprünglichen Privativa hat über den Weg der Entlehnung Eingang in die französische Sprache gefunden. 4 α-Konstruktionen wurden als Suffixbildungen eingestuft; auch diese gehen auf Entlehnungen zurück (amnésique, amnistier, amnistié und asthéniqué). Nur in einem Fall haben wir es mit einer französischen Wortbildung zu tun, einer Verbindung aus dem Präfix und einer gebundenen (griechischen) Wurzel (aménorrhée). Vgl. hierzu nachstehende Graphik: 20
21
22
Lexikalisierung wird in dieser Arbeit im Sinne von Idiomatisierung verwendet. Lexikalisierung meint hier somit "Vorgang und Ergebnis der Demotivierung, d.h. Umwandlung einer mehrgliedrigen, analysierbaren Morphemfolge in eine lexikalische Einheit, deren Gesamtbedeutung nicht (mehr) aus der Bedeutung der einzelnen Bestandteile erschließbar ist." Bußmann 1983 s.v. Lexikalisierung. Peytard weist auch auf den großen Anteil von lexikalisierten Bildungen in seinem Korpus hin: "- il existe un résidu de lexicalisation important, du fait de la haute proportion de bases non-autonomes et de l'emprunt quasi absolu à des radicaux d'origine grecque." (Peytard 1975:513) Die semantische Kategorie ist jedoch nicht ausschlaggebend für die Undurchsichtigkeit dieser Bildungen, sondern, wie weiter oben erwähnt, lediglich die Autonomie bzw. Nicht-Autonomie des Wurzelmorphems. Im Falle der lexikalisierten Privativa handelt es sich in 75 % der Fälle um Entlehnungen, in 20% um Suffigierungen, die ebenfalls auf Entlehnungen zurückgehen und in 5 % der Fälle um eine Verbindung aus dem Präfix und einer gebundenen Wurzel griechischer Provenienz. Dies mag den hohen Anteil der undurchsichtigen Bildungen im Bereich der Privativa erklären.
101 Verteilung der a-Privativa auf die Herkunftsarten
ds Präfixbildungen Sufßgierungen da Präfixbildungen Entlehnungen Abbildung 4
Möglicherweise ist hier ein Zusammenhang zwischen der semantischen Kategorie der α-Formantien und dem Herkunftstyp zu sehen. Aufgrund der doch relativ geringen Belege im Vergleich zu den in-, dé- und «¿»«-Konstruktionen ist es problematisch, eine derartige Beziehung herzustellen, zumal in der themenrelevanten Literatur nicht, bzw. nicht explizit auf diese Fragestellung eingegangen wird.23 Gegebenenfalls könnten die Ausführungen Pinchons zur Semantik des griechischen Präfixmorphems in dem hier erläuterten Sinne gedeutet werden, da sie als Beispiele für Privation markierende α-Formantien nur griechische Entlehnungen nennt. Im Falle der Kontrarität zeigt sich eine ähnliche Verteilung auf die verschiedenen Kategorien der Herkunft. Im Unterschied zu den privativen α-Präfixa sind jedoch nur 40 % der Konstruktionen als lexikalisiert zu betrachten. Verteilung der konträren a-Bildungen auf die Herkunftsarten 3 2,5 2 1,5 1 0,5 0 ds Präfixbildungen Suffigierungen da Präfixbildungen Entlehnungen Abbildung 5 23
Peytard (1975:51 Iff.) nennt nur die prinzipiellen semantischen Merkmale des Präfixes; weder setzt er diese überhaupt in Verbindung zu den Herkunftstypen noch nennt er die zahlenmäßige Verteilung. Pinchón (1972:46) differenziert in Zusammenhang mit der potentiellen semantischen Segmentierung von α-Präfixa zwischen a) Fachtermini, die Privation markieren und b) Wörtern, denen ein nicht-präfigiertes Oppositum gegenübersteht, die Mangel/Negation oder Ablehnung denotieren. Da Pinchón unter a) nur Komplettentlehnungen aus dem Griechischen auffuhrt und unter b) fast ausschließlich französische Bildungen, könnte ihre Kategorisierung im Sinne des in dieser Arbeit angenommenen Zusammenhangs zwischen der Semantik des Präfixes und dem Herkunftstyp gedeutet werden.
102 Die den zwei Suffixbildungen zugrundeliegenden Basen gehen ebenfalls auf Entlehnungen zurück. Aufgrund der hier sehr geringen Anzahl der Belege ist die Validität der Resultate in Frage zu stellen. Die vorgefundene Verteilung kann zufallig sein. Die Ergebnisse können durch die themenrelevanten Abhandlungen weder bestätigt noch modifiziert oder abgelehnt werden.24 Zu den konträren α-Formantien wurden u.a. anormal und anomalie gezählt. Gemäß den Definitonsmerkmalen der Kontrarität impliziert die Negation eines Ausdrucks (anormal) nicht die Assertion des Oppositum (normal). Im Unterschied hierzu ist in der Gruppe der Kontradiktoria dieses Implikationsverhältnis gegeben: so ist beispielsweise die Negation von asymétrique semantisch-logisch äquivalent mit dem oppositären Ausdruck symétrique. Vergleicht man nun die Verteilung der kontradiktorischen Bildungen in bezug auf die Derivationstypen mit den diesbezüglichen Ergebnissen der Privativa und konträren Konstruktionen, so zeigt sich, daß hier zum ersten Mal die Gruppe der französischen Präfixbildungen vertreten ist. Vgl. hierzu: Verteilung der kontradiktorischen a-Bildungen auf die Herkunftsarten
ds Präfixbildungen SuRigierungen da Präfixbildungen Entlehnungen Abbildung 6
Das Diagramm veranschaulicht deutlich den sehr hohen Anteil von französischen Bildungen, wie etwa acausal oder acalorique, im Unterschied zu nur einer Entlehnung (analphabète) und fünf Suffixbildungen, wie z.B. asymétrique oder achromatisme. Signifikant ist somit im Unterschied zu den privativen und konträren Bildungen nicht nur, daß die Gruppe der Präfixbildungen überhaupt vertreten ist, sondern, daß sie sehr stark repräsentiert ist. Ferner scheint auch der geringe Anteil der Entlehnungen auffällig.25 24
25
Vgl. Fußnote 23. Da Pinchón (1972:46) nur allgemein von "negation" spricht, demnach wohl nicht zwischen kontradiktorischen und konträren Termini unterscheidet und die zitierten Entlehnungen nur Beispiele für aPrivativa darstellen, sind für die Ergebnisse dieser Arbeit zu den konträren Bildungen keine Vergleichsmöglichkeiten gegeben. und andererseits möglicherweise die Tatsache, daß nicht alle Suffixbildungen auf Entlehnungen zurückgehen wie dies in der Gruppe der privativen und konträren α-Formantien der Fall ist: Drei Suffixbildungen liegen letztlich französische Präfixbildungen zugrunde und nur zwei gehen auf Entlehnungen zurück: analphabète < ital. analfabeto und anonyme < lat. anonymus.
103 Auch hier muß jedoch wieder einschränkend angemerkt werden, daß aufgrund des niedrigen Anteils der kontradiktorischen α-Konstruktionen die Aussagefáhigkeit der Ergebnisse in Frage gestellt ist. Auffallend bleibt dennoch, daß nicht nur überhaupt Präfixbildungen festzustellen sind, sondern sie sogar den Löwenanteil ausmachen. Bemerkenswert ist darüber hinaus, daß nur 2 Bildungen (anonyme und anonymisé), d.h. 7,1 %, lexikalisiert sind. Vor dem Hintergrund der Ausführungen zu den α-Privativa und der konträren α-Termini könnte dieses Ergebnis darauf hindeuten, daß im Fall von französischen Präfixbildungen eine Tendenz zur Aktualisierung des Sems der Kontradiktion besteht. Die Verteilung der Neologismen scheint diese Vermutung zu stützen. Verteilung der Neologismen auf die semantischen Kategorien 7 6 S 3 2 1 η
Β 1Β Ψ
ÊW
Kontrarität Kontradiktion Privation
Nontyp.
Abbildung 7
7 der 9 α-Neologismen aktualisieren das Inhaltsmerkmal der Kontradiktion.26 Diese Daten untermauern demnach die These, daß a- im Falle von Neubildungen insbesondere als Inhaltssträger der Kontradiktion auftritt. Unter Berücksichtigung der Ausführungen zu den morphosyntaktischen Eigenschaften zeigt sich des weiteren, daß es sich hierbei überwiegend um Derivate handelt, die der Kategorie der Adjektive angehören. Im Fall eines kontradiktorischen α-Präfixums zeigt sich eine Überschneidung zu einem anderen Inhaltsmerkmal, das nicht im engeren Sinn zu den semantischen Kategorien der Negation zu rechnen ist und das häufig mit dem präfixalen Element anti- zum Ausdruck gebracht wird, (anti- als Präfix zur Bezeichnung der Gegnerschaft oder des Schutzes, vgl. Thiele 1981:60+121) Eine Überschneidung mit anti- liegt bei a-pompidolien vor. Vgl. (6)
26
Dies sind: α-freudien, a-pompidolien, acalorique, acausai, asymptomeaique, acausalité, und anonymisé. Die als semantíscher Neologismus zu klassifizierende Bildung anonyme ist privativ zu lesen und in athéologie tritt a- als Träger des Inhaltsmerkmal des Untypischen auf. Wenn man aus der Gruppe der Neologismen nur diejenigen betrachtet, die echte Präfixbildungen darstellen (6 Bildungen α-freudien, a-pompidolien, acalorique, acausal, asymptomarique und athéologie), so denotieren 5 von 6 Neubildungen Kontradiktion (alle außer athéologie >).
104 (6) Indépendamment de ses liens familiaux avec l'une des grandes familles de l'armoriai du gaullisme historique, il ne faut pas oublier qu'il (J. Chirac) siégea dans trois gouvernements émanant du Général, dont celui de Maurice Couve de Murville, a-pompidolien par essence. NO: 15.04.1988:48-3 Der Kontext von a-pompidolien hilft letztlich nicht bei der Entscheidung, ob neutrale Nichtzugehörigkeit (und somit Kontradiktion) gemeint ist oder ob eine aktive Opposition, eine Ablehnung gegenüber der im Basislexem denotierten Person und der damit verbundenen Ideologie im Vordergrund steht. Häufig sind die α-Bildungen eher Ausruck neutraler Nicht-Zugehörigkeit. Dies tritt vor allem durch die Gegenüberstellung zu entsprechenden in-Bildungen zutage: Hier ist die Verteilung in der Regel derart, daß die a-Negativa zum Ausdruck neutraler Nichtzugehörigkeit dienen, während die in-Bildungen eine Reaktion gegen die im Basislexem denotierte Grundhaltung zum Ausdruck bringen. Vgl. hierzu amoral vs. immoral oder apolitique vs. impolitique (7) amoral RE: Qui est moralement neutre, étranger au domaine de la moralité. (8) immoral RE: (Personnes). Qui viole les principes de la morale, agit de manière contraire à la morale, à une morale donnée. (9) apolitique RE: Qui n'affiche aucune opinion politique, se tient en dehors de la lutte politique. (10) impolitique RE: Rare. Qui est contraire à la bonne politique; Die Wörterbuchdefinitionen lassen die α-Bildung als die semantisch schwächere, bzw. neutralere Variante erkennen gegenüber der expressiveren, wertenden in-Bildung. Man würde nun aber nicht den sprachlichen Realitäten gerecht, zöge man vor dem Hintergrund dieser Wörterbuchdefinitionen den Schluß, daß a- generell eher neutrale Nicht-Zugehörigkeit markiere. Ein Beispiel aus dem vorliegenden Korpus zeigt die α-Konstruktion umgekehrt in der Gestalt der stärkeren Variante. (11) Seurat a trouvé un qualificatif pour ces soldats implacables et dérisoires (les geôliers des otages au Liban) : Ils ne sont ni humains ni inhumains ... ils sont a-humains. EJ: 12.05.1988: 10-3 a-humain fungiert in Beleg (11) als das semantisch stärkere, das pejorativere Negativpräfixum, da hier alle Merkmale von humain negiert werden, während in inhumain nur ein bestimmter Bedeutungszug (das Merkmal 'digne de Γ homme') abgesprochen wird. Diese umgekehrte Verwendung von α- als die stärkere Variante scheint recht selten zu sein. Vgl. hierzu eine Bemerkung des RE zu a-humain, die auf die übliche, das heißt semantisch schwächere Verwendung von a- anspielt.
105 (12) a-humain RE: Qui n'a rien d'humain. - REM. Ce mot littéraire s'emploie parfois pour éviter inhumain, qui signifie aussi «cruel». «Cet il-ne-savait-quoi d'inhumain, ou plutôt d'a-humain...» (Cl. Simon, le Vent, p. 187). Die Ausführungen haben gezeigt, daß für die Gruppe der α-Präfigierungen keine eindeutig homogene semantische Verteilung vorliegt und somit a-pompidolien im vorliegenden Kontext nicht auf eine Bedeutung festgelegt werden kann. Im Rahmen der Erörterungen der semantischen Funktionen von a- soll der Vollständigkeit halber abschließend noch erwähnt werden, daß eine Bildung sich nicht den behandelten Negationskategorien zuordnen ließ. Vgl. (13) (13) Enfin, Liberté de l'esprit autour de François George tâtonne trimestriellement à la recherche d'une formule. On ne sait pas ce qu'ils veulent, mais on sait ce qu'ils ne veulent pas: refus de pathos, de la scolastique, de la spécialisation outrancière, de l'engagement dogmatique. Cette "athéologie négative" rend F. George un peu misanthrope puisqu'il publie Alceste vous salue bien (La Manufacture), [...]. Ο : 21.04.1988: 137-2 In dieser Bildung ist a- entweder als Synonym zu anti- zu deuten oder als Inhaltsträger des 'Untypischen'. Beide Lesarten scheinen möglich: anti- im Sinne von eine Haltung, die alles negiert, selbst die Kategorie der Theologie wird negiert oder 'untypisch' im Sinne von einer Theologie, ein Glaubensbekenntis, das kein typisches Glaubensbekenntnis mehr ist, da man an nichts glaubt. Es scheint somit gerade das zu fehlen, was ein Glaubensbekenntnis definiert, den Glauben an etwas. Auf dieses mögliche Kategorie des Untypischen wird weder in der themenspezifischen Literatur noch in den Wortbildungslehren hingewiesen wird. Im Rahmen der now-Bildungen wird ausführlicher auf dieses Inhaltsmerkmal eingegangen werden. Hinsichtlich der verschiedenen semantischen Kategorien der α-Präfixa und einer möglichen Beziehung zu den Derivationstypen können wir abschließend folgendes festhalten: Möglicherweise besteht ein Bezug zwischen echten Präfixbildungen und der Aktualisierung des Sems der Kontradiktion. Darüber hinaus könnte gegebenenfalls ein Zusammenhang zwischen den griechischen Entlehnungen und dem Merkmal der Privation (wenn auch jetzt lexikalisiert) angenommen werden. Und für die konträren Termini können a) aufgrund der sehr geringen Anzahl der Belege, b) da die entsprechende Literatur hierzu keine Aussagen macht und c) da keine weitere Daten des Korpus diese Beziehung stützen, keine Aussagen in bezug auf den Zusammenhang zum Derivationstyp gemacht werden. Zum Abschluß dieses Kapitels sollen die wertenden Eigenschaften von a- untersucht werden. Die Analyse der sprachlichen Kontexte zeigt a- in pejorativ und neutral wertender Funktion. (14) a-humain Seurat a trouvé un qualificatif pour ces soldats implacables et dérisoires (les geôliers des otages au Liban) : Ils ne sont ni humains ni inhumains... ils sont a-humains. EJ: 12.05.1988: 10-3 Wertung: negativ
106 (15) achronique Au-dessus du Groenland, un avion. Devant, l'aube verte, derrière, le crépuscule rouge. Dans quel temps s'inscrit ce vol achronique? Ce n'est pas le poète qui interroge le ciel mais le visionnaire Paul Virilio dont deux essais réédités [...] annoncent une crise de l'espace-temps. NO: 04.03.1993: 75-3 Wertung: neutral In der vorliegenden Materialbasis findet sich kein Beispiel für a- in meliorativer Wertungsfunktion. Zur Verteilung der Wertungen siehe nachstehendes Diagramm: Wertungen der a-Bildungen
positiv
negativ
neutral
Abbildung 8
Auch wenn sich im vorliegenden Korpus kein Beleg für eine positiv wertende α-Konstruktion findet, bedeutet dies nicht, daß keine Kontexte denkbar wären, in denen das Präfix positiv wertend aufträte. Vgl. hierzu zwei Beispiele aus Galliot 1955. (16) atoxique: Reklame "La Passiflorine est composée 'd'extraits végétaux atoxiques'". Galliot (1955: 282) Wertung: positiv (17) analgésique: Reklame "Le Néalgyl Bottu est dit un 'analgésique' puissant..." Galliot, (1955: 282) Wertung: positiv Es handelt sich hier um Beispiele aus der Reklame. In reklamesprachlichen Texten treten das Produkt beschreibende Epitheta in der Regel entweder meliorativ wertend auf, zur Hervorhebung der positiven Eigenschaft des in Frage stehenden Produktes, oder konnotieren Pejoration, um zu unterstreichen, daß das Produkt nicht Träger dieser negativen Eigenschaften ist. Die Wertung steht hiermit somit in unmittelbarer Beziehung zur Textsorte, d.h. dient der Verkaufsförderung.
Das Nicht-Vorhandensein von positiv wertenden α-Formantien im Untersuchungsmaterial weist somit nicht auf eine derartige prinzipielle Verteilung der Wertungen des Präfixmorphems hin, daß keine positive Wertungen vorhanden/möglich sind, sondern auf eine proportionale Verteilung: wenig Melioration markierende Belege (hier keine), ein etwas größer Anteil von negativ wertenden Konstruktionen und in der Mehrzahl der Fälle neutral wertende Präfixnegativa. Diese proportionale Verteilung der Wertungen findet sich auch im Bereich der anderen Negationspräfixe wieder. Vgl. hierzu die Verteilung der α-Bildungen auf die Wertungsfunktionen mit der entsprechenden Verteilung der non-, in- und ¿¿-Konstruktionen:
Verteilung der Negationspräfixe auf die Wertungsfunktionen 250
200 150 100 50
0 non-Büdungen in-Bildungen a-Bildungen dé-Bildungen Abbildung 9
Die Analyse des Datenmaterials hinsichtlich möglicher Zusammenhänge zwischen Negationskategorie und Wertungseigenschaft läßt signifikante Ergebnisse deutlich werden. Vgl. hierzu folgendes Diagramm: Verteilung der Wertung der a-Bildungen auf die Negationstypen Untypische
Ha
Legende Ig
Neutralität
Hl
Melioration
|
Pejoratlon
Privation Kontrarität ;
m
Kontradiktion
13 1
1 5 Abbildung 10
10
15
20
108 Der Löwenanteil der kontradiktorischen Bildungen (13 von 14, das sind 92,9 %) tritt in neutraler Wertungsfunktion auf. Des weiteren kommt auch dem Großteil der privativen Formantien (16 von 20, das sind 80 %) neutrale Wertungseigenschaft zu. Im Bereich der Pejorativa sind keine eindeutigen Affinitäten zu erkennen. (Da a- in der Bedeutung des Untypischen nur einmal belegt ist, können keine Rückschlüsse in bezug auf einen möglichen Zusammenhang zwischen Wertung und Semantik gezogen werden.) Der beträchtliche Anteil von kontradiktorischen und privativen α-Bildungen im Bereich der Neutralität konnotierenden lexikalischen Einheiten kann somit im Sinne einer Korrelation zwischen diesen semantischen Kategorien und der neutralen Wertungsfunktion gedeutet werden. Auch im Falle der Kontrarität markierenden Formantien ist zwar der Großteil der Bildungen neutral wertend (70 %), jedoch ist das Verhältnis der neutralen Formantien im Vergleich zu den pejorativ wertenden Konstruktionen zum einen weniger stark ausgeprägt und zum anderen hinsichtlich der Zahl der tatsächlichen Bildungen, die sich hinter diesem Prozentsatz verbergen (4) zu gering, um im Sinne einer Korrelation gedeutet werden zu können. In bezug auf Zusammenhänge zwischen Wertung und Wortart oder Wertung und Herkunftstyp der α-Präfixa konnten keine Korrelationen ermittelt werden. Die Wertungseigenschaften von a- sind entweder basisdeterminiert oder kontextgebunden. Ein Beispiel für basisdeterminierte Wertung, in diesem Fall negativ wertend, ist bei a-humain gegeben (Vgl. hierzu (12) und (14)). In a-humain werden alle Inhaltsmerkmale von humain negiert. Die Negierung der den Menschen charakterisierenden Eigenschaften erfährt die pejorative Wertungsfunktion vor allem durch die Absprache des Inhaltsmerkmals 'digne de l'homme 1 . Allgmeinen Moralvorstellungen entsprechend ist ein dem Menschen würdiges Verhalten positiv zu werten und demnach die Negation desselben negativ. Es ist u.E. jedoch fraglich, die Pejoration als eine konstante Wertungsfunktion dieser Negativbildung zu betrachten. Möglicherweise sind Kontexte zu konstruieren, in denen α-humain nicht pejorativ interpretiert wird, sondern positiv (z.B. in einem die Gewalt verheerlichenden Film). Dies würde in Frage stellen, ob überhaupt eine Kategorie "basisdeterminierte Wertungseigenschaft" angenommen werden sollte. Sprachlich und sachlich angemessener scheint es demnach, nicht kategorisch von Basisdetermination vs. Kontextdetermination zu sprechen, sondern besser von "überwiegend (oder konventionellerweise) basisdeterminiert". Die mögliche Basisdetermination ist weitaus seltener als die Kontextdetermination. Folgende Textbeispiele sollen die Kontextdetermination der pejorativen und neutralen Wertung von α-Konstruktionen veranschaulichen: (18) athéologie Enfin, Liberté de l'esprit autour de François George tâtonne trimestriellement à la recherche d'une formule. On ne sait pas ce qu'ils veulent, mais on sait ce qu'ils ne veulent pas: refus de pathos, de la scolastique, de la spécialisation outrancière, de l'engagement dogmatique. Cette "athéologie négative" rend F. George un peu misanthrope puisqu'il publie Alceste vous salue bien (La Manufacture), [...]. EJ: 21.04.1988: 137-2 Wertung: negativ
109 (19) amnistier Au nom de l'UDF, M. Piere-André Wiltzer (Essonne) jugea cette nouvelle amnistie prématurée: "Amnistier très vite des faits très graves est un encouragement à recourir à la violence pour faire prévaloir des revendications, dit-il [...]." LM: 30.11.1989: 10 Wertung: negativ (20) asymétrique Veste en laine et soie à col châle asymétrique, fermée par un bouton sur un gilet cachecoeur assorti et un chemisier en crêpe de Chine. COS: 01.11.89: 170 Wertung: neutral (21) a-pompidolien Indépendamment de ses liens familiaux avec l'une des grandes familles de l'armoriai du gaullisme historique, il ne faut pas oublier qu'il (J. Chirac) siégea dans trois gouvernements émanant du Général, dont celui de Maurice Couve de Murville, a-pompidolien par essence. NO: 15.04.1988: 48-3 Wertung: neutral Die Beispiele machen deutlich, daß die Wertungsfunktion einer lexikalischen Einheit zum einen durch den Mikro-Kontext, das Nominalsyntagma, und zum anderen durch syntagma-externe Faktoren wie Satz- oder Textzusammenhang determiniert werden. Während in (18) und (20) die Determination durch das Nominalsyntagma erfolgt bestimmt in (19) und (21) der allgemeine Textzusammenhang die wertende Eigenschaft der α-Formantien. Die Ausführungen zu den Wertungsfunktionen von a- sollen mit dem Hinweis schließen, daß Pejoration, Melioration und Neutralitat in Texten der Gemeinsprache gemäß der weiter oben angesprochenen proportionalen Verteilung zu erwarten sind, daß jedoch in fachsprachlichen Texten die Neutralität als ein durchgängiges Wertungsmerkmal der dort auftretenden Negativformantien angenommen wird. Dieses Phänomen hat nicht nur für die hier untersuchten α-Bildungen seine Gültigkeit, sondern kann als ein genereller Unterschied zwischen der fachsprachlichen und der gemeinsprachlichen Verwendung einer lexikalischen Einheit herausgestellt werden. Für die Fachsprachen ist es im allgemeinen signifikant, daß sie frei von psychologischen Konnotationen sind, was zu ihrer Eindeutigkeit beiträgt.27
27
Vgl. hierzu Guilbert (1973:6).
110 5.1.3. Disponibilität und Vorkommen in lexikalischen Feldern Die geringe Frequenz der α-Formantien im Datenmaterial kann mit der fachsprachlichen Markierung dieses Wortbildungsmorphems in kausalen Zusammenhang gebracht werden. Die eingeschränkte Disponibilität des Präfixes für die Gemeinsprache ist möglicherweise durch die große Anzahl von Entlehnungen griechischer Herkunft und durch die Verbindung mit nichtautonomen Basislexemen bedingt. Mit beiden Herkunftsarten geht eine Undurchsichtigkeit der α-Konstruktionen einher. Für den Durchschnittssprecher des modernen Französisch sind Wortbildungskonstruktionen wie abîme, anorexie, amnistie etc. formal und inhaltlich nicht durchsichtig. Solche Wörter werden nicht als präfigierte Lexeme wahrgenommen. Sie funktionieren in der Gemeinsprache vielmehr wie Simplicia (vgl. Pinchón (1972:45)). Andererseits existieren jedoch ebenfalls durchsichtige α-Bildungen in der Gemeinsprache, d.h. Lexeme, denen eine nicht-präfigierte, autonome Basis gegenübersteht (anormal vs. normal, asymétrie vs. symétrie, asymptomatique vs. symptomatique, atemporel vs. temporel) und solche, die einen Mittelwert zwischen den unmotivierten und den motivierten Formen einnehmen. Damit sind die gebundenen Wurzelmorpheme, die außer mit dem Negationspräfix a- auch noch Verbindungen mit anderen Morphemen eingehen, gemeint: amnésique, amnésie anesthésie aménorrhée
vs. vs. vs.
hypermnésie oder paramnésie hyperesthésie hyperménorrhée
Weiterhin wirkt sich möglicherweise auf die Disponibilität des Präfixes die Existenz des homonymen Richtungspräfix lateinischen Ursprung ( < lat. AD-) a-, das in konkreter und figurativer Bedeutung Verwendung findet, einschränkend aus (anordir 'tourner au nord'; atterrir 'toucher la terre', 'arriver finalement'; s'agenouiller 'se mettre à genoux'). Ein grundlegender Unterschied dieser beiden Wortbildungsmorpheme besteht aber in der Wortkategorie der Neubildungen. Über den Weg der parasynthetischen Substantiv- und vor allem der Adjektivableitung (es handelt sich um französisches Wortmaterial) dient das Richtungspräfix zur Schaffung von Verben; das Negativpräfix a- hingegen ist ein rein nominales Präfix, das zur Bildung von Substantiven und Adjektiven dient. Bei der Bildung von Adjektiven ist eine Tendenz zur Verbindung mit autonomen, nativen Wurzelmorphemen zu erkennen, bei der Konstruktion von Substantiven hingegen eine Affinität zur Verbindung mit gebundenen, nicht-nativen Basen. Aufgrund dieser partiellen Unterschiede der Basislexeme, der Verschiedenheit der Ableitungsmuster und der Wortkategorie der Neubildungen, kann die Homonymie für die geringe Vorkommenshäufigkeit des griechischen Präfixmorphems in der Gemeinsprache nicht ausschlaggebend sein, zumal dem Negationspräfix in- ebenfalls eine lautgleiche Form in dem Lokalpräfix in- ( < Lat. IN, Präp.) gegenübersteht. Letztere hat jedoch keinen Einfluß auf die Frequenz des Negationspräfixes (vgl. Pinchón (1971:45)). Schließlich ist der Vollständigkeit halber noch ein weiterer Faktor zu nennen, der hemmend auf die Produktivität des a-Negativums wirken könnte. Adjungiert a- an ein femines Substantiv
- und geht diesem der bestimmte Artikel voraus -, so ist diese Lautform in der gesprochenen Sprache ambig. Für [lapazâtœR] ergeben sich zwei Lesarten: la pesanteur l'apesanteur Ebenso in zweierlei Weise interpretierbar ist [laliteRatyR] : la littérature l'allitérature Dieser Homonymenkonflikt ist jedoch meistens kontextuell disambiguiert. Jeder der drei genannten Faktoren kann für sich allein mit Sicherheit keine hinreichende Begründung für die geringe Frequenz des a-Negativums liefern; in ihrer Gesamtheit tragen sie vielleicht jedoch zu der restringierten Disponibilität dieses Negationsmorphems in der Gemeinsprache bei. Dabei muß in erster Linie der großen Anzahl von Entlehnungen und der bei Peytard und Pinchón erwähnten Bindungsaffinität des Präfixes zu nicht-autonomen Basislexemen griechischer Herkunft28 eine einschränkende Wirkung zugeschrieben werden. Die in unserem Korpus nachgewiesenen α-Bildungen zeigen eine relativ breite Streuung auf die lexikalischen Felder; sie können insgesamt 12 Sprachfeldern zugeordnet werden, hinzu kommen 2 Belege der Reklamesprache. Siehe nachfolgende Abbildung zur Verteilung auf die lexikalischen Felder mit Kennzeichnung der fachsprachlich markierten Bildungen:
Vorkommen in lexikalischen Feldern Astrologie Bildungswesen Ernährungswesei Film Gesellschaftsleben HSU Literatur Malerei Medizin Philosophie Politik Psychologie Soziologie Theologie Reklame: Textilien Reklame: Kosmetik
Legende fachsprachlich gemeinsprachlich
8 Abbildung 11
28
Vgl. Peytard (1975:504ff.) und Pinchón (1972:45).
10
12
14
16
112 Für den Großteil der Felder gilt, daß jeweils nur ein Beleg diesem Sprachbereich zugeordnet werden konnte. Im Falle von stärker belegten Feldern ist die Differenz zu den nur einmal nachgewiesenen Sprachbereichen bzw. die Differenz zwischen den Belegen dieser einzelnen Felder zu gering, um eine sprachfeldbezogene Produktivität ableiten zu können. Stärker repräsentiert ist a- lediglich im lexikalischen Feld der Medizin und der Politik. Die relativ große Anzahl von medizinischen Termini (9 von 41) deutet auf die große Vitalität des griechischen Präfixmorphems in dieser Fachterminologie hin. 7 der 9 medizinischen aKonstruktionen sind in stark fachsprachlich markierten Kontexten eingebunden, die Kontexte der restlichen medizinischen α-Termini sind gemeinsprachlicher ausgerichtet. Die Untersuchung Peytards bestätigt die außerordentliche Disponibilität von a- in der medizinischen Fachterminologie. Sein empirisches Material (Peytard (1975:507) weist den Bereich der Medizin als den produktivsten Sprachbereich aus. 75 der 200 analysierten Bildungen sind diesem lexikalischen Feld zugewiesen.) Die recht große Disponibilität im Bereich der Medizin erklärt sich durch die Durchsichtigkeit der Bildungen für diese Sprechergruppe. Ein Wesensmerkmal der Fachsprache der Medizin ist, daß der weitaus größte Teil des Vokabulars griechischer und lateinischer Provenienz bzw. mit Wortbildungsmorphemen dieser Herkunft gebildet ist. Die Bedeutungen der einzelnen griechischen und lateinischen Formative sind durch eine Vielzahl von Konstruktionen, in denen sie vorkommen, den Sprechern dieser Fachterminologie bekannt und somit auch für Neubildungen disponibel. Neben der Gruppe der Medizin ist das Sprachfeld der Politik sehr stark vertreten. Von der Gesamtheit der α-Formantien bilden die Präfixnegativa aus dem Bereich der Politik zahlenmäßig die stärkste Gruppe. Die Kontexte der Belege des lexikalischen Feldes Politik sind alle als gemeinsprachlich zu bezeichnen. Die sehr große Anzahl von Bildungen aus diesem Sprachbereich erklärt sich zum Teil (i) durch die Textsorte des untersuchten Materials und (ii) durch die Artikelquellen der Belege. ad (i) Es zeigt sich in Pressetexten eine gewisse Heterogenität in bezug auf die quantitative Verteilung der unterschiedlichen Artikelkategorien. So ist z.B. die Artikelkategorie 'Politik' in den Tages- und Wochenzeitungen im Vergleich zu anderen Kategorien wie 'Sport' oder 'Kultur' durch die größere Wichtigkeit, die der Politik in diesen Korpora beigemessen wird, überrepräsentiert. Die quantitativ stärker vertretenen Artikel aus dem Bereich der Politik stehen somit in direktem Zusammenhang zu der großen Anzahl von Bildungen in unserem Korpus, die diesem Sprachfeld zugeordnet wurden. ad (ii) In einem politischen Artikel fanden sich 10 Belege von einer Wortfamilie angehörenden lexikalischen Einheiten: amnistie ist 8mal belegt und jeweils lmal das entsprechende Verb amnistier respektive das Verbaladjektiv amnistié. Aus den unter (i) und (ii) erörterten Gründen darf die große Zahl von α-Bildungen aus dem lexikalischen Feld "Politik" somit nicht ohne weiteres im Sinne einer außergewöhnlichen sprachfeldgebundenen Produktivität gedeutet werden. Andererseits wäre eine Gleichsetzung mit nur einmal belegten Sprachfeldern jedoch ebenso wenig angemessen. Den sprachlichen
113 Realitäten scheint uns gerecht, die α-Bildungen ohne genauere Spezifizierungen als vermehrt produktiv im Sprachfeld der Politik" zu klassifizieren. Im Sinne einer "mäßig erhöhten Anzahl" von Belegen im Bereich der "Politik" lassen sich auch die Daten Peytards interpretieren. (Vgl. Peytard 1975:507). Abschließend bleibt somit festzuhalten, daß die α-Konstruktionen in einer umfangreichen Anzahl von lexikalischen Feldern belegt sind, die keine klaren sprachfeldspezifischen Disponibilitäten zeigen. Im Sinne einer sprachfeldgebundenen Produktivität kann schließlich nur die größere Zahl von medizinischen Fachtermini interpretiert werden, die zum Teil in durchaus gemeinsprachlichen Kontexten Verwendung finden. Des weiteren ist die erhöhte Anzahl von Belegen aus dem Sprachfeld der Politk im Sinne einer nicht weiter spezifizierten vermehrten Produktivität der α-Präfixa in diesem Bereich zu deuten.
5.2. déDieses Präfix lateinischer Herkunft ( ill- [il(l)] illégal, illisible - in- + b oder ρ > imb-, imp- [Ëb, Êp], imberbe, impatient - in- + m > imm- [im(m)] bei Ableitungen von lateinischen Basen: immuable - [Ëm] bei Ableitungen von französischen Lexemen: immangeable - in- + r > irr- [ir(r>] irraisonné, irréel, Ausnahmen: inracontable.1 In- war schon im Lateinischen als Ableitungsmorphem äußerst produktiv2. Es diente in erster Linie zur Generierung von negativen Adjektiven.3 In quantitativer Hinsicht rangiert IN- unter den Negationspräfixen an erster Stelle (gefolgt von lat. DE- und DIS-).4 Entsprechendes ist für dieses Derivativ im Französischen festzustellen. Diese Produktivität kam in- jedoch nicht in allen Epochen zu: Im Vulgärlatein ist die Anzahl der ¿«-Konstruktionen auf ein Minimum zurückgegangen. Ab dem 9. Jahrhundert sind direkte Entlehnungen aus dem Lateinischen zu verzeichnen, für die vor allem im 13. Jahrhundert eine beträchtliche Zunahme nachgewiesen werden kann.5 Die Aufnahme von Entlehnungen dieses Typs erfährt ihre volle Blüte im 14. Jahrhundert. In dieser Zeit erweist sich in- darüber hinaus erstmalig als französisches Wortbildungsmittel produktiv. In das 14. Jahrhundert sind auch die ersten französischen parasynthetischen Bildungen zu datieren.6 Für die darauf folgende Zeit ist ein stetiger Zuwachs der ¿«-Bildungen zu beobachten, wobei auf den besonders sprunghaften Anstieg dieser Formantien zu Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts hinzuweisen ist, der laut Kalik (1971:142) auf nachstehende außersprachliche Gründe zurückgeführt werden kann: Selon les statistiques que fournissent les dictionnaires, un afflux impétueux de formations préfixâtes avec inmarque particulièrement la fin du XIX et le début du XX siècle. L'apparition de nouvelles techniques et leur rapide vulgarisation, le développement politique et social, le progrès de l'instruction publique sont parmi les facteurs qui favorisent la pénétration du vocabulaire technique dans la langue commune. Un bref aperçu de la situation reflétée dans les dictionnaires Littré et Robert fournit plus de 80 mots dont beaucoup sont formés à partir d'un participe positif: inintéressant, inobservé, [...] informulé, inconditionné.
Vgl. hierzu Pinchón (1971a:44), Trésor, X:1290f. und Thiele (1981:122). Im Lateinischen trat es vor allem mit der lautlichen Variante im- vor Labialen auf; vor -/ und -r wurde meist in- beibehalten (s. Leumann 1977:195). Vgl. Leumann 1977:387: "in- privativum [...] hat zwei ererbte Verwendungen: mit Substantiv bildete es nur adjektivische Besitzkomposita, Muster in-op- ['mittel-los'], in-erti-, im-müii- ['ohne mäiia, Abgaben1] usw. (§ 337d); Wortnegation ist es nur vor Adjektiven, etwa in h-fäk [..]. [...] Nur die Funktion als Wortnegation ist hier zu erläutern, auch im Hinbück auf einzelne späte Verwendungen als Negation von Substantiven und Verben. Vgl. hierzu Benes 1961:119: "En ce qui concerne la fréquence des divers préfixes, on constate aisément (en comptant les préfixes dans les dictionnaires respectifs, purement et simplement) que c'était in- en latin qui était employé le plus souvent; la deuxième place appartient à de- et la troisième à dis-, " Dies gilt im speziellen für die -able- und -ible-Formen (s. Staaf 1928:63). In seiner erbwörtlichen Form ist in- im Französischen kaum noch erhalten geblieben, wie z.B. in enfant < INFANS 'qui ne parle pas'. In Bildungen dieser Art ist das negative Konzept nicht mehr evident. Zu der Entwicklungsgeschichte von in- vgl. Staaff (1928:53 und 62ff.).
139 5.3.1. Morpho-syntaktische Analyse Im Korpus konnten insgesamt 483 /«-Bildungen belegt werden. Ihr Anteil am Gesamtvorkommen der Präfixnegativa beträgt 44 %. Mit 83,2 % bilden in- und dé- die größte Anzahl der Präfixbildungen. Im Unterschied zu dé- ist in- jedoch fast ausschließlich Nominalpräfix, wobei eine deutliche Affinität zu Verbindungen mit Adjektiven zu beobachten ist. 70,2 % der Belege sind Adjektivbildungen, das sind 339 von 483 Bildungen. Eine wesentlich geringere Frequenz ist im Bereich der Substantive mit 25,5 % zu verzeichnen. In Kombination mit Verben (0,6 %) und Adverbien (3,7 %) erweist sich dieses Formativ als unproduktiv. Vgl. hierzu folgendes Diagramm: Verteilung auf die Wortkategorien (Berücksichtigung aller in-Bildungen)
Adjektive (inkl. VA) Adverben Substantive
Verben
Abbildung 26
Die Verteilung auf die Wortarten läßt in- als ein ausgesprochenes Nominalpräfix erscheinen. Im Fall der «¿¿-Konstruktionen7 zeigte sich bei der Verteilung auf die Wortkategorien zunächst ebenfalls, daß die nominalen Wortarten im Vergleich zur Klasse der Verben stärker repräsentiert waren. Die in einem anschließenden Schritt berücksichtigten Suffixe der unmittelbar zugrundeliegenden Basen ließen jedoch den verbalen Charakter des Formativs dedeutlich werden.8 Eine entsprechende Auswertung der Basen der m-Formantien ergibt folgendes Bild:
d.h. aller ¿¿-Bildungen, der primären und der sekundären Ableitungen. Vgl. hierzu Kapitel 5.2.1.: neben 138 Verben, liegt in 216 Fällen den ¿¿-Bildungen unmittelbar eine verbale Basis zugrunde (Verb oder Verbaladjektiv, welches i.d.R. direkt auf ein Verb zurückgeht), 39 Bildungen sind Träger verbaler Suffixe (d.h. -tion, -ment, -eur, -atrice, -anee, -age, -ant und -ble), nur 37 dé-Konstruktionen, das sind 8,6 %, sind nicht verbal markiert.
140
Verteilung auf die Wortarten unter Berücksichtigung der Basistypen Legende Verben -ble auslautende Basen Basen = Verbaladjektive Basen mit verbalem Suffix nicht-verbale Basen
209
Substantive Adjektive
Adverbien Verben Abbildung 27
Die Graphik zeigt, daß zwar nur 3 Bildungen ein Verb zugrunde liegt9, daß jedoch ein nicht unbeträchtlicher Teil der Basen verbale Suffixe aufweisen, d.h. auf -ble10 auslauten oder (zu einem geringeren Teil) Verbaladjektive darstellen. Dies kann allerdings nicht wie im Fall der ¿/¿-Bildungen als ein Indiz für den verbalen Charakter des Formativs in- gedeutet werden. Im Falle der de-Bildungen sind viele Konstruktionen von de-präfigierten Verben bzw. Verbaladjektiven (welche i. d. R. auf ein de-präfigiertes Verb zurückgehen) abgeleitet. Im Falle der /«-Bildungen liegt den verbal markierten Basen hingegen kein entsprechend /'n-präfigiertes Verb zugrunde, sondern sie gehen letztlich nur auf ein unpräfigiertes Verb zurück (sofern es sich um französische Wortbildungen handelt und nicht um Entlehnungen). Es können somit lediglich die nicht-präfigierten Formen als eigentlich verbal markiert gelten; ein Charakteristikum der m-präfigierten Formen ist gerade, daß sie die verbalen Eigenschaften der Basen, wie die Transitivität, verlieren." Diese Eigenschaft ist mit der besonderen Leistung des Präfixmorphems in- in Zusammenhang zu bringen (s. weiter unten). Ein Kennzeichen der /n-Fomantien ist somit gerade ihr nominaler Charakter. Die Markierung von in- als (ad)nominales Präfix wird durch die in den echten Präfixadjunktionen zutage tretenden Bin-
9
3 Verbaladjektiven.
10
Von den 209 nachgewiesenen adjektivischen in-präfigierten -We-Formen existiert in 157 Fällen das entsprechende Verb zu dem zugrundeliegenden präfixlosen Adjektiv. (Vgl. z.B. inacceptable (< acceptable 'très difficile de croire' - > 'peu ordinaire' - > 'étonnant'; indispensable 'dont on ne peut être dispensé (par l'Église)', 'dont on ne peut se dispenser'-> 'obligatoire' - > 'très nécessaire'; insoutenable (Littér. ou didact.) 'qu'on ne peut soutenir*', 'qui ne peut être soutenu, défendu (idées, opinions)', 'qu'on ne peut supporter, endurer'; impeccable (Relig.) 'incapable de pécher', (littér.) 'incapable de faillir, de commettre une erreur' > (choses) 'sans défaut' - > 'parfait'.
153 Sicht ausschließlich Träger des Inhaltsmerkmals der Intensität sind, ist bei anderen Bildungen das Negationselement mehr oder weniger durchsichtig. Vgl. hierzu folgende Belege: (32) Grecqe passée par Cambridge et Londres, épouse depuis deux ans d'un milliardaire texan du pétrole, photographiée au dos de son oeuvre par Francesco Scavullo (un habitué des couvertures du Cosmo américain), le cheveu en lionne, le maquillage impeccable, le sourire Monaco sur une denture à la Sabatier. COS: 01.11.1989: 108 (33) Artikelüberschrift: Liban, l'impensable violence. LM vom 30.11.1989: 1 (34) Et des conquêtes innombrables, dont, chaquefois ou presque qu'il en a l'occasion, les femmes de ses meilleurs amis, telle Nush Eluard, l'épouse du poète. COS: 01.11.1989: 109 (35) Dernière précision, c'est une émulsion ultra-légère qui, dès qu'on l'étalé, procure une sensation de rafraîchissement et d'hydratation incomparable.35 COS: 01.11.1989: 32 (36) Encore un fleuron de cette excellente collection, qui republie aussi en version intégrale "Mes Mémoires" d'Alexandre Dumas et "Souvenirs entomologiques" de Jean Henri Fabre, deux raretés introuvables. NO: 28.12.1989: 78-3 In (32) - (33) ist die ursprüngliche Negation für den Durchschnittssprecher nicht mehr durchsichtig36, im modernen Französisch sind diese Negativpräfixa als lexikalisiert zu betrachten. In den Bildungen (34) - (36) hingegen ist die Negation je nach Sprecher mehr oder weniger durchsichtig. Bei der semantischen Analyse dieser Intensiva wurde deutlich, daß eine Art Kommutationsprobe bei der Bestimmung des Durchsichtigkeitsgrades der Negation hilfreich ist. Es zeigte sich der Effekt, daß mit einer erhöhten Austauschbarkeit durch andere intensivierende sprachliche Ausdrücke ein erhöhter Grad an Undurchsichtigkeit der Negation, ein erhöhtes Maß an Intensität einhergeht. So scheint beispielsweise nahezu eine bedeutungsindifferente Kommutierbarkeit in (33) vorzuliegen, wenn impensable durch énorme, extraordinaire, immense ersetzt wird. Eine solche Substitution kann jedoch nicht ohne zumindest veränderte Konnotationen in (36) erfolgen. Für Seltenheiten, Raritäten ist es kenn35
Durch die Negation des Vergleichs setzt sich das Produkt von konkurrierenden Erzeugnissen ab. Incomparable kann in diesem Kontext somit nicht ohne weiteres durch einen anderen intensivierenden sprachlichen Ausdruck, wie etwa parfait, ausgetauscht werden, da die Negation des Verbs für die Semantik des Negativpräfixums noch eine Rolle spielt.
36
impeccable 'parfait' und impensable 'impossible ou très difficile à croire, à imaginer ...' werden in diesen Bedeutungen nicht mehr als Negationsbildung wahrgenommen.
154 zeichnend, daß man sie nicht oder nur schwer finden kann, hieraus resultiert ihr besonderer Wert. Das Moment des Findens bzw. Nicht-Findens ist somit nicht unbedeutend. (Vgl. auch die Fußnote 35 zu incomparable.) Die Auswertung der Daten läßt somit eine Interdependenz zwischen dem Grad der Lexikalisierung der Nebenbedeutung und dem Grad der Durchsichtigkeit der Negation erkennen. Eine nun folgende Graphik soll die quantitative Verteilung auf die semantischen Kategorien der Kontrarität, der Kontradiktion und der Intensität veranschaulichen. Hierbei ist anzumerken, daß die Intensiva als eigene Kategorie behandelt werden, d.h. sie werden in der Gruppe der Kontradiktion und Kontrarität nicht mitgezählt. Da wir zuvor darauf hingewiesen haben, daß die Intensität kein originäres Inhaltsmerkmal der Negativpräfixa darstellt, sondern aus der Kontradiktion oder der Kontrariät hervorgeht, wurde die den Intensiva ursprünglich zugrundeliegende Negation durch ideographische Mittel sichtbar macht.
Verteilung aller in-Bildungen auf die semantischen Kategorien 250
200
150
100 50
0 Kontrarität
Kontradiktion
Intensität
Abbildung 30
Die Graphik läßt deutlich werden, daß in der Mehrheit der Fälle das Sem 'Kontradiktion' aktualisiert wird, die konträren Termini sind jedoch nur geringfügig schwächer vertreten und die Intensiva bilden mit insgesamt 111 Belegen zahlenmäßig die kleinste Gruppe. Der Löwenanteil der Intensität markierenden /«-Formantien geht auf die Negtionskategorie der Kontradiktion zurück; das sind 104 von 111 Bildungen (=93,7 %). (Eine Repartition der Intensiva auf die Kategorien der Kontrarität und Kontradiktion gemäß der ihnen zugrundeliegenden Negationstypen läßt die zahlenmäßige Überlegenheit der Kontradiktion denotierenden Formantien erkennen. Bei einer solchen Rückverteilung stünden 63,6 % (307) kontradiktorische Bildungen 36,4 % (176) konträren Konstruktionen gegenüber.)
155 In einem folgenden Schritt soll nun untersucht werden, ob Interdependenzen zwischen der Wortartzugehörigkeit37 bzw. der Herkunftsart und den Inhaltsmerkmalen der ¿«-Formantien festzustellen sind. Besonderes Augenmerk gilt hierbei den primären Ableitungen, da nur sie Aufschluß über die Bindungsneigungen und -restriktionen des Präfixmorphems in- im modernen Französischen geben. Wir beginnen mit der Analyse der konträren Adjektive und Substantive und betrachten in diesem Zusammenhang folgende Graphik: Alle konträren Adjektive und Substantive auf Wortart/D-Typ verteilt
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Abbildung 31
Die Auswertung der konträren Adjektive und Substantive läßt zunächst erkennen, daß im Verhältnis zum Gesamtvorkommen der substantivischen /«-Bildungen in der Gruppe der konträren Formantien ein recht hoher Anteil von Substantiven vertreten ist. 93 Adjektiven stehen 70 Substantive gegenüber. (Wir erinnern uns: im Korpus konnten insgesamt 339 Adjektive versus 123 Substantive nachgewiesen werden.) Selbst die bloße Berücksichtigung der primären Ableitungen läßt noch ein Verhältnis von 2:1 deutlich werden, im Vergleich zu einer Relation von 3:1 bei Auszählung aller nominalen m-Formantien. Wir können somit einen Zusammenhang zwischen dem Inhaltsmerkmal der Kontrarität und der Klasse der Substantive festhalten. (Vgl. hierzu S. 158ff.) Hinsichtlich der Herkunftstypen fällt zunächst auf, daß die Parasynthetika fast gänzlich fehlen, lediglich eine Bildung (imbitable 'incompréhensible') konnte diesem Derivationstyp zugewiesen werden. Hieraus kann geschlossen werden, daß die parasynthetische Ableitung kaum zur Bildung von konträren Ausdrücken dient. Die Abbildung zeigt, daß im Falle der primären Ableitung zur Schaffung von konträren nominalen Formantien nahezu ausschließlich auf das Verfahren der Präfigierung rekurriert wird. Neben der Präfigierung geht ein sehr großer Teil der Adjektive und der Substantive noch auf die Entlehnungen zurück. Die Konversion dient nur zur Bildung von Substantiven und die Suf37
Die Adverbien und die Verben wurden hierbei nicht berücksichtigt, da die Graphiken durch die Integration aller Wortarten an Übersicht verlieren würden. Die Adverbien verteilen sich auf die semantischen Kategorien wie folgt: 6 konträre, 8 kontradiktorische und 4 intensivierende Adverben konnten im Korpus nachgewiesen werden. Alle sind aus dem Verfahren der Suffigierung hervorgegangen. Hinzu kommen 3 kontradiktorische, suffixal abgeleitete Verben.
156 figierung bringt zum größten Teil Substantive hervor. Betrachten wir im folgenden nun die der Gruppe der nominalen kontradiktorischen Negativa zugeordneten Bildungen:
Alle kontradiktorischen Adjektive und Substantive auf Wortart/D-Typ verteilt Legende
Konversion
I H
Adjektive Substantive
Suffigierung Entlehungen
66 3
parasynth. Ableitung Präfixbildungen 0
10
20
30
40
50
60
70
Abbildung 32
Die Auszählung der kontradiktorischen m-Konstruktionen zeigt im Vergleich mit den konträren Bildungen eine gegenläufige Tendenz: während für die Kontraria in bezug auf die Wortart ein hoher Anteil an Substantiven kennzeichnend war und in Hinblick auf die Herkunftsarten das fast völlige Fehlen der Parasynthetika auffiel, verhalten sich die Kontradiktoria bezüglich dieser Punkte genau umgekehrt. Unter Miteinbeziehung aller kontradiktorischen Adjektive und Substantive liegt ein Verhältnis von 3:1 vor (145 Adjektive versus 47 Substantive), ein Verhältnis, das der anteilmäßigen Verteilung am Gesamtvorkommen entspricht (s.o.). Berücksichtigen wir jedoch lediglich die primären Ableitungen, so stehen 77 Adjektiven nur 7 Substantive gegenüber; dies entspricht ungefähr einem Verhältnis von 11:1. (Es sei daran erinnert, daß in der Gruppe der konträren Konstruktionen dieses Verhältnis bei 2:1 lag.) Im Falle der kontradiktorischen primären Ableitungen muß somit eine ausgesprochene Affinität zur Bildung von Adjektiven einerseits und die Unproduktivität der Substantivbildungen andererseits festgehalten werden. Wie weiter oben bereits angesprochen, divergieren die kontradiktorischen Formantien des weiteren stark von den konträren Termini hinsichtlich der Anzahl der Parasynthetika: einer konträren parasynthetischen Ableitung stehen 18 kontradiktorische Parasynthetika gegenüber; dies sind 37,5 % aller parasynthetischen Bildungen. Diese Parasynthetika gehören alle der Wortkategorie der Adjektive an. Wir können somit für die kontradiktorischen primären Ableitungen die beträchtliche Anzahl der Parasynthetika, die Bindungsneigung zur Klasse der Adjektive und die geringe Anzahl der substantivischen Bildungen festhalten. Diese starke Tendenz zu den adjektivischen Formantien zeigt sich auch in der Gruppe der Entlehnungen; hier stehen 66 Adjektiven 3 Substantive gegenüber. Aus den
157 Verfahren der sekundären Ableitungen gehen so gut wie ausschließlich Substantive hervor.38 Diese Ergebnisse sollen nun mit den Daten der intensivierenden nominalen ¿«-Konstruktionen verglichen werden. Vgl. hierzu folgende Graphik: Alle intensivierenden Adjektive und Substantive auf Wortart/D-Typ verteilt Legende
H|6
Konversion
Adjektive gl
Sufffigierung
Substantive
—J ιr _ . _ 41
Entlehungen
! 29
parasynth. Ableitung
31
Präfixbildungen 10
20
30
40
50
Abbildung 33
Die Intensiva konvergieren mit den kontradiktorischen Bildungen in bezug auf Wortkategorie und Herkunftsart, insgesamt scheinen die bei den Kontradiktoria zu erkennenden Tendenzen hier noch ausgeprägter. Die Auswertung aller Intensiva zeigt ein Verhältnis der Adjektive gegenüber den Substantiven von 17:1, d.h. 6 substantivischen Formantien sind 101 Adjektive gegenüberzustellen. In der Gruppe der primären Ableitungen ist überhaupt kein Substantiv vertreten. Die primären Ableitungen verteilen sich ca. 1:1 auf die Präfixbildungen und die parasynthetischen Ableitungen, 31 Präfigierungen stehen 29 Parasynthetika gegenüber. Die Präfixbildungen sind somit in der Gruppe der Intensiva am stärksten vertreten.39 Dieses übereinstimmende Verhalten der Intensität markierenden ¿«-Bildungen mit den kontradiktorischen Konstruktionen ist natürlich darauf zurückzuführen, daß die Intensiva zu 93,7 % (vgl. Abb. 30) auf die Negationskategorie der Kontradiktion zurückgehen, bzw. Bedeutungserweiterungen derselben darstellen. Nur 7 der insgesamt 111 nachgewiesenen Intensiva40 liegt als Negation die Kontrarität zugrunde. Recht übereinstimmend verhalten sich die Intensiva des weiteren mit den kontradiktorischen ¿«-Derivativa hinsichtlich der Wortartenzugehörigkeit der Entlehnungen. Während die kontradiktorischen Entlehnungen zu 96 % der Gruppe der Adjektive angehören, stellen alle intensivierenden Entlehnungen Adjektive dar. Neben den Entlehnungen sind schließlich noch 6 intensiverende Substantive der Herkunftsart der Konversion zuzuteilen.
38
Neben 8 Adverbien und 3 Verben s. weiter oben.
39
Auffallend ist hier auch der sehr hohe Anteil an parasynthetischen Ableitungen. Von insgesamt 48 Parasyn-
40
Bei dieser Zahl sind nun die in der Graphik nicht berücksichtigten 4 Adverbien mitgerechnet.
thetika konnten 2 9 der Gruppe der intensivierenden Bildungen zugewiesen werden.
158 Der Übersichtlichkeit halber sollen die wichtigsten Ergebnisse nochmals zusammengefaßt werden. Wir legen hierbei eine komprimierte Graphik zugrunde, die nur die primären Ableitungen berücksichtigt, also den Herkunftstyp, der in der Tat Auskunft über die Bindungsneigungen des Präfixes im modernen Französisch gibt:
Verteilung der echten in-Adjunktionen auf Neg-Typ, Wortart und D-Typ
Kontrarität
Kontradiktion
Intensität
Abbildung 34
Wie die Graphik deutlich zeigt, kann innerhalb der Gruppe der konträren Bildungen ein sehr hoher Anteil an Substantiven nachgewiesen werden. 23 von insgesamt 30 primär abgeleiteten Substantiven markieren Kontrarität. Des weiteren ist bezüglich der Herkunftsart der generierten Adjektive auffällig, daß nur eine Bildung aus dem Verfahren der Parasynthese hervorgeht, die restlichen Bildungen stellen deadjektivische Ableitungen dar. Bevor wir nun in einem nächsten Schritt die Ergebnisse zu der Gruppe der primären kontradiktorischen /'«-Ableitungen zusammenfassen, sollen noch kurz einige Erklärungsversuche zu der offensichtlichen Beziehung zwischen den Substantiven und dem semantischen Merkmal der Kontrarität vorangestellt werden. Der beobachtete Zusammenhang zwischen der Klasse der Substantive und der Negationsart der Kontrarität kann scheinbar mit dem Bedeutungsbereich, dem diese Substantive mehrheitlich angehören, in Verbindung gebracht werden. Unter 5.3.1. wurde daraufhingewiesen, daß die in- präfigierten Substantive eine außerordentliche Affinität zur semantischen Klasse der Abstrakta aufweisen. Dieses semantische Merkmal scheint prima vista wiederum in direktem Zusammenhang zur Aktualisierung der Inhaltsfunktion der Kontrarität zu stehen: Die Negation eines Konkretums X wird in der Regel als Nicht-Zugehörigkeit zur Klasse X gelesen (wie etwa fumeur, lecteur oder dt. Christ in non-fumeur, non-lecteur und Nichtchrist41)*2 bzw. so interpretiert, daß eines der zu den definitorischen Eigenschaften des Basisle 41
zur Bildung Nichtchrist
42
Dies impliziert jedoch nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten anderen Klasse, wohl aber die Zugehörig-
vgl. Erben 1975 Anmerkung 96, S. 99.
keit zur großen Klasse der Nicht-X.
159 xems zählenden Merkmale fehlt, d.h. im Sinne eines untypischen X gedeutet wird (vgl. bspw. dt. Unmensch, Unperson oder frz. non-homme, non-candidat etc.). Im Fall der Negation eines Abstraktums (wie z.B. Unfreiheit, irrespect, inconfort, insuffisance, impopularité etc.) scheint sich andererseits die Lesart einzustellen, daß etwas mehr oder weniger vorhanden bzw. nicht vorhanden ist. Diese graduelle, quantifizierende Interpretation des (Nicht)-Vorhandenseins als ein Mehr oder Weniger führt anscheinend zur Lesart der Kontrarität, da es sich hierbei um eine Zwischenstufe(n) gestattende Negationsart handelt im Unterschied zur disjunktiven Interpretation kontradiktorischer Ausdrücke. Gegen einen Zusammenhang zwischen der Negationsart der Kontrarität und der Klasse der Abstrakta spricht jedoch, daß in der Gruppe der flo/z-präfigierten abstrakten Substantive keine empirische Evidenz für diese korrelative Beziehung vorliegt (s. non-respect, non-goût, non-partage, non-coopération, non-sectarisme, non-décision, non-appréciation), denn diese Bildungen sind kontradiktorisch zu deuten. Dieses abweichende semantische Verhalten der in- bzw. non- präfigierten abstrakten Substantive weist darauf hin, daß nicht die Zugehörigkeit zur Gruppe der Abstrakta ausschlaggebend ist, sondern daß weitere Faktoren die Aktualisierung der Negationsart bedingen. Eine diesbezügliche Analyse der Daten läßt hierbei erkennen, daß die Bedeutungsklassen, die Klassenzugehörigkeiten der Substantive, eine wichtige Rolle bei der Aktualisierung der Negationsart zu spielen scheinen. Da die bloße Betrachtung der ¿«-Abstrakta möglicherweise zu Fehlschlüssen führt (s.o.), empfiehlt sich eine kontrastive Untersuchung der in- und «on-Abstrakta hinsichtlich eines möglichen Zusammenhangs zwischen Klassemzugehörigkeit und Negationsart: In der Gruppe der kontradiktorischen non- Abstrakta fällt auf, daß der Löwenanteil der Bildungen (75,4 %) Vorgangs- oder Handlungsbezeichnungen darstellen. Während die auf -ition/-ision auslautenden Substantive (non-détection, non-interdiction, non-participation) sowie die Nomina Postverbalia (non choix, non-combat, non-cumul), die mit -ment suffigierten Substantive (non-dépaysement) sowie die -age- und -α/wre-Ableitungen (non-partage, noncandidature) alle Vorgangs- oder Handlungsbezeichnungen darstellen, kann nur ein Teil der einfachen Substantive diesen semantischen Klassen zugeordnet werden (wie bspw. nonréponse, non-dialogue, non-campagne). Insgesamt ist jedoch bemerkenswert, daß lediglich 15 von 61 nofl-Abstrakta keine Vorgangs- oder Handlungsbezeichnungen darstellen, sondern Zustands- oder Eigenschaftsbezeichnungen (non-violence) bzw. Wissenschaft, Künste oder Maß- und Zeitbegriffe (non sciences humaines, non-philosophique, non-septennat) bezeichnen. Für die Zustands- und Eigenschaftsbezeichnungen gilt, daß es sich neben einfachen Substantiven (non-passion, non goût, non-tube, non-soi) vor allem um auf -encel-ance bzw. -ité auslautende Ableitungen handelt (wie bspw. non-transparence, non-compétence, non-majorité, non-représentativité). Ein ganz anderes Bild zeigt sich in der Gruppe der abstrakten /«-Substantive: Die inAbstrakta sind zum einen mehrheitlich (23 von 30) konträr zu lesen (wie bspw. inconfort, inculture, insuffisance, insatisfaction, impopularité, intranquillité) und zum anderen gehören
160 alle den Bedeutungsklassen der Zustands- oder Eigenschaftsbezeichnungen an. (Wie die entsprechenden non-Substantive handelt es sich auch hierbei überwiegend neben einfachen Substantiven um -ance/-ence und -ité suffigierte Nomina (impasse, incroyance, inactivité, incapacité). In der kleinen Gruppe der 7 kontradiktorischen /«-Abstrakta fällt auf, daß hier jeweils besondere Umstände vorzuliegen scheinen, die die Zuordnung zur Kontradiktion bedingen, wie bspw. Überschneidungen zwischen Konkretum und Abstraktum (s. infamille; wie weiter oben erwähnt, sind negativ präfigierte Konkreta kontradiktorisch oder untypisch zu lesen) oder lexikalisierte Bedeutungen (inactivité i.S. von 'Erwerbslosigkeit' oder insoumission i.S. von 'Widerstand, Revolte'). Vor dem Hintergrund der geschilderten Datenlage können wir somit folgendes für die mit in- und non- präfigierten substantivischen Abstrakta festhalten: Die non-Abstrakta sind alle kontradiktorisch (wenn non- nicht als Träger des Untypischen gedeutet werden kann). Dies erklärt sich offensichtlich durch den hohen Anteil der Vorgangsund Handlungsbezeichnungen innerhalb dieser Gruppe. Die begrifffliche Negation der den Bedeutungsklassen der Vorgangs- und Handlungsbezeichnungen zuzuordnenden non-Substantive (wie bspw. non-apparition, non-campagne, non-choix, non-coopération, non-dissolution, nonparticipation, non-publication, non-soutien etc.) scheint automatisch zur Lesart der Kontradiktion zu führen. Möglicherweise kann dies dadurch erklärt werden, daß die Negation dieser Substantive inhaltlich mit einer Satznegation verglichen werden kann (vgl. non-participation ~ le fait que qn. ne participe pas), welche nicht graduell, sondern absolut zu lesen ist. Zum anderen scheint jedoch auch das Präfix die Negationsart mitzubestimmen, wie dies am geringer repräsentierten Anteil der Zustands- und Eigenschaftsbezeichnungen (bzw. Bezeichnungen der Wissenschaft und Künste oder Maß- und Zeitbegriffe) deutlich wird, die ebenfalls kontradiktorisch interpretiert werden, während die mit in- negierten Substantive der entsprechenden Bedeutungsklassen hingegen mehrheitlich konträr gelesen werden. Es gibt auch einige wenige m-präfigierte Abstrakta, die kontradiktorisch zu deuten sind, jedoch scheint in diesen Fällen die Aktualisierung der Negationsart der Kontradiktion von zusätzlichen Bedingungen abzuhängen. Da die Graduierbarkeit bzw. Nicht-Graduierbarkeit der zugrundeliegenden Adjektive in unserem Korpus nicht die unterschiedliche Neigung der nonbzw. in- Abstrakta dieser Bedeutungsklassen erklären kann (denn gemäß unserer Datenlage ist es nicht so, daß im Falle der non-Bildungen nicht-graduierbare Adjektive zugrundeliegen, während die ¿«-Formantien auf graduierbare Adjektive zurückgehen, vgl. non-compétence, non-tranparence vs. inconfort, insuffisance, impopularité) muß auch dem Präfix eine entsprechende Wirkung zugeschrieben werden. Auf der einen Seite haben wir demnach die non-Abstrakta, die in erster Linie Vorgangsund Handlungsbezeichnungen darstellen, welche kontradiktorisch gedeutet werden und auf der anderen Seite in der Gruppe der /n-Abstrakta ausschließlich Zustands- und Eigenschaftsbezeichnungen, die überwiegend konträr gelesen werden. Daneben gibt es in der Gruppe der non-Bildungen noch einen kleinen Teil von Zustands- und Eigenschaftsbezeichnungen sowie Substantive, die Künste/Wissenschaft oder Maß- und Zeitbegriffe benennen, die möglicherweise in Analogie zu der großen Gruppe der Vorgangs- und Handlungsbezeichnungen in Abhängigkeit vom Präfix - ebenfalls kontradiktorisch gelesen werden. Und in der Gruppe
161 der /n-Abstrakta ist, abweichend von der Mehrheit, schließlich ein kleiner Teil der Bildungen kontradiktorisch zu interpretieren, jedoch bedingen in diesen Fällen besondere Umstände die Aktualisierung der Negationsart der Kontradiktion. Eine eindeutige Beziehung zwischen Bedeutungsklasse und Negationsart kann somit nur für die Vorgangs- und Handlungsbezeichnungen postuliert werden, die ausnahmslos alle kontradiktorisch interpretiert wurden. Im Falle der anderen Bedeutungsklassen (d.h. vor allem der Zustands- und Eigenschaftsbezeichnungen) scheint in Abhängigkeit vom Präfix dann die Kontradiktion (non-) bzw. die Kontrarität (in-) aktualisiert zu werden (vgl. bspw. non-respect 'kontradiktorisch' versus irrespect 'konträr'), wenn keine spezifischen Bedingungen vorliegen, die zu einer anderen Lesart führen. Im Anschluß an diese Erläuterungen zu einem möglichen Zusammenhang zwischen Negationsart und Klassemzugehörigkeit der primär abgeleiteten /«-Substantive (bzw. im Vorgriff auch zwischen Negationsart und Bedeutungsklasse der non-Substantive), die von der beobachteten Beziehung zwischen dem Inhaltsmerkmal der Kontrarität und der Klasse der Substantive ausgingen, sollen nun die Ergebnisse der Abbildung 34 bezüglich der kontradiktorischen /«-Konstruktionen präsentiert werden: Im Vergleich mit den konträren Bildungen divergieren die kontradiktorischen Formantien genau in bezug auf den Anteil der Substantive und Adjektive sowie hinsichtlich der Herkunftsart der primären Adjektive. Nur 7 der 84 kontradiktorischen Bildungen stellen Substantive dar. Der Anteil der Substantive ist somit sehr gering. (Zu diesem geringen Anteil der kontradiktorischen m-Substantive s. weiter oben.) Für die große Gruppe der Adjektive gilt festzuhalten, daß ein beträchtlicher Teil dieser Formantien (23,4 %) aus dem Verfahren der Parasynthese hervorgeht. Hinsichtlich Wortart und semantischer Funktion kann für die primären kontradiktorischen Bildungen die außerordentliche Affinität zu der Kategorie der Adjektive festgehalten werden. Wie bereits zuvor erwähnt, stellt diese Bindungsneigung kein französisches Spezifikum dar, sondern geht auf entsprechende lateinische Verhältnisse zurück. Die Intensiva stimmen mit den kontradiktorischen Bildungen hinsichtlich der ausgeprägten Affinität zur Wortart der Adjektive überein. (Hier sogar keine einzige Substantivbildung.) Im Unterschied zu den kontradiktorischen Formantien geht im Fall der Intensiva jedoch proportional (und nominell) ein noch höherer Anteil an Adjektiven auf das Verfahren der Parasynthese zurück. Circa 50 % stellen parasynthetische Ableitungen dar. Unabhängig von dem anteilmäßigen Vorkommen der Adjektive je nach semantischer Kategorie können wir insgesamt innerhalb der Gruppe der primären /«-Derivativa auf die starke Tendenz zur Bildung von Adjektiven hinweisen. 85,7 % der Formantien gehören dieser Wortart an. Aufgrund dieses starken Anteils der Adjektive soll noch untersucht werden, ob Zusammenhänge zwischem dem Strukturtyp der Adjektive und der Negationskategorie herausgearbeitet werden können. Vgl. hierzu die Abbildung 35:
162
Primäre adjektivische Ableitungen auf Negation und Strukturtyp verteilt
Partizip Perfekt-Bildungen einfache Adjektive -ble-Derivativa Partizip Präsens-Bildungen Abbildung 35
Insgesamt sind die -We-Derivate am stärksten vertreten, wobei der Großteil dieser Bildungen sich auf die Gruppe der Kontradiktion und Intensität verteilt. Während für die Partizip-Perfekt-Bildungen eine eindeutige Affinität zur semantischen Kategorie der Kontradiktion konstatiert werden kann, zeigt die Verteilung der PartizipPräsens-Bildungen keine signifikanten Ergebnisse. Die Gruppe der einfachen Adjektive zeichnet sich schließlich durch das große Vorkommen der konträren Bildungen aus. Bei dieser Verteilung der einzelnen Adjektivtypen auf die semantischen Klassen der Intensiva, der Kontradiktoria und der Kontraria fällt zunächst besonders die eindeutige Beziehung zwischen der Gruppe der Intensiva und den -ble suffigierten Adjektiven auf.43 Dieser offensichtliche Zusammenhang zwischen der semantischen Kategorie der Intensiva und dem Strukturtyp der -ble suffigierten Adjektive ließe sich folgendermaßen erklären: Eine Bildung wie battable44 oder entsprechend dt. schlagbar in Peter est battable / Peter ist schlagbar kann bedeutungsmäßig mit dem Satz Es ist möglich, daß Peter geschlagen wird. umschrieben werden. Es wird deutlich, daß -ble bzw. dt. -bar auslautende Adjektive ein modales Element beinhalten. Im Falle einer entsprechenden negativ präfigierten -ble bzw. dt. -¿w-Bildung gilt es nun zu untersuchen, ob sich die Negation über das Intentum der verbalen Basis oder über die Modalität erstreckt. Zur Überprüfung des Negationsskopus von in- / unbietet sich ein entsprechender Paraphrasentest an. Es stellt sich hier die Frage, ob beispielsweise die Bildung imbattable bzw. dt. unschlagbar in II est imbattable / Er ist unschlagbar Paraphrase i) mit weiter oder Paraphrase ii) mit enger Reichweite der Negation entspricht:
43
Neben 57 -¿»/¿-Derivaten konnten lediglich noch 2 Partizip-Perfekt-Konstruktionen nachgewiesen werden (inoüi, inégalé) und die Bildung inconditionnel. Inconditionnel ist in Abbildung 35 nicht aufgenommen, da aus Gründen der Übersichtlichkeit für diese eine Bildung keine neue Kategorie geschaffen werden sollte.
44
battable wird im RE als "rare" markiert.
163 Er ist unschlagbar, bzw. Il est imbattable (aux échecs). i) Es ist nicht möglich, daß er (im Schach) geschlagen wird. ii) Es ist möglich, daß er (im Schach) nicht geschlagen wird. Eine Gegenüberstellung der möglichen Umschreibungen macht deutlich, daß in einer Bildung wie imbattable bzw. dt. unschlagbar weiter Negationsskopus über die Modalität vorliegt, denn Paraphrase ii) bedeutet, daß es wahrscheinlich ist, daß er geschlagen wird, daß es aber auch sein kann, daß er nicht geschlagen wird, eine Bedeutung, die keine inhaltliche Entsprechung in der Bildung imbattable bzw. unschlagbar findet. Imbattable!unschlagbar stimmen hinsichtlich der Bedeutung mit Paraphrase i) überein: Er ist unschlagbar. Il est imbattable (aux échecs). Es ist nicht möglich, daß er (im Schach) geschlagen wird. D.h.: Es ist nicht der Fall, daß er geschlagen worden ist, in keiner Situation, die bis heute eingetreten ist, und es wird auch in Zukunft nicht so sein, daß er geschlagen wird. In allen möglichen Situationen wird es demnach so sein, daß er nicht geschlagen werden kann. Vergleichen wir nun diese -We-Bildung mit der negativ präfigierten Partizip-PerfektBildung imbattu (oder invaincu) bzw. dt. ungeschlagen. Auch hier sollen zum Test der Reichweite der Negation entsprechende Paraphrasen gegenübergestellt werden. Eine PartizipPerfekt-Bildung enthält eine implizite Quantifikation über Zeitpunkte. Diese sollen durch die adverbielle Ergänzung seit 10 Spielen explizit gemacht werden. Zum Test des Negationsskopus von in- bzw. dt. un- seien nun folgende Umschreibungen für ungeschlagen / imbattu (invaincu) in Peter ist seit 10 Spielen ungeschlagen / Depuis 10 jeux, Peter est imbattu (invaincu) miteinander verglichen. Depuis 10 jeux, Peter est imbattu / invaincu. Peter ist seit 10 Spielen ungeschlagen. i) Es ist nicht der Fall, daß er in allen 10 Spielen geschlagen wurde. Oder ii) Es ist der Fall, daß er in allen 10 Spielen nicht geschlagen wurde. Paraphrase i) mit weitem Negationskopus bedeutet, daß er in vielen Spielen geschlagen wurde, in einigen aber nicht. Diese Bedeutung entspricht jedoch nicht der Bedeutung des Satzes Peter ist seit 10 Spielen ungeschlagen bzw. der des o.g. französischen Satzes. Paraphrase ii) hingegen bedeutet, daß für alle Spiele gilt, daß er nicht geschlagen worden ist, sie stimmt inhaltlich mit den o.g. Sätzen überein. Es zeigt sich somit, daß hier - im Unterschied zur -We-Bildung - enger Skopus über das im Verb bezeichnete Ereignis vorliegt. Im Vergleich zur -¿/^-Konstruktion bezieht sich der Satz mit der negativ präfigierten Partizip-Perfekt-Bildung daher auf eine begrenzte, eine bestimmte Anzahl von Situationen, und zwar auf solche, die sich bis zum Zeitpunkt der Äußerung ereignet haben. Wie weiter oben
164 gezeigt werden konnte, erstreckt sich die -We-Bildung demgegenüber auf alle möglichen Situationen in der Welt, d.h. auch auf potentiell zukünftig eintretende. Die -We-Konstruktion ist somit in einem semantischen Sinne stärker und ermöglicht aus diesem Grund den Übergang von der Kontradiktion zur Inhaltsfunktion der Intensität. Im Unterschied hierzu beschränkt sich die Partizip-Perfekt-Bildung durch die klar begrenzte Anzahl von Situationen, auf die das Ereignis zutrifft, auf die Kontradiktion. Die Beziehung zwischen der semantischen Funktion der Intensität und dem Strukturtyp der -ble suffigierten Adjektive kann jedoch nicht im Sinne einer Prädiktabilität gedeutet werden. So sind zwar eindeutige Zusammenhänge zwischen den -We-Formantien und den intensivierenden Negativpräfixa zu erkennen, jedoch kann die semantische Funktion der Intensität nicht a priori für alle -ble auslautenden m-Bildungen vorausgesagt werden. Die -ble auslautenden inBildungen können aufgrund der semantischen Stärke dieser Negativkonstruktionen im Vergleich mit entsprechenden negativ präfigierten Partizip-Perfekt-Konstruktionen (in Abhängigkeit vom Mikro- bzw. Makrokontext) einen Übergang zur Klasse der Intensiva markieren. Ähnliches gilt für den beobachteten Zusammenhang zwischen der Klasse der negativ präfigierten Partizip-Perfekt-Bildungen und dem Inhaltsmerkmal der Kontradiktion. Wie weiter oben mit Hilfe entsprechender Paraphrasen gezeigt werden konnte, erklärt sich die eindeutige Tendenz zur Negationsart der Kontradiktion durch die dem Strukturtyp selbst inhärenten Bedeutungsmerkmale. (Im Falle der Partizip-Perfekt-Bildungen dadurch, daß es sich um terminativ spezifizierte Prozesse handelt und die Ereignisse sich somit auf eine begrenzte Anzahl von Situationen beziehen.) Jedoch ist dieser Zusammenhang zwischen dem Strukturtyp und der semantischen Klasse der Kontradiktion nicht für alle möglichen Bildungen prädiktabel. Außer dem Bildungstyp selbst spielt auch die semantische Klasse der Basislexeme bei der Markierung einer Negationsart eine Rolle, ebenso wie die konkrete oder abstrakte Verwendungsweise einer lexikalischen Einheit oder der Mikro- bzw. Makrokontext bei der Aktualisierung der Negationsart von Bedeutung sein kann. Dies erklärt, daß im Korpus bspw. zwei Partizip-Perfekt-Bildungen nachgewiesen werden konnten, in denen un- als Träger der Intensität auftritt (inouï und inégalé) und sechs, in denen un- Kontrarität markiert (bspw. inconnu in monde inconnu oder inattendu in Landolfi était [...] trop inattendu). Wir können somit festhalten, daß zum einen ein offensichtlicher Zusammenhang zwischen den Partizip-Perfekt-Konstruktionen und der Kontradiktion sowie zwischen dem Strukturtyp der -ble suffigierten Adjektive und dem Übergang zur Inhaltsfunktion der Intensität besteht, daß jedoch andererseits diese Korrelationen nicht im Sinne einer Prädiktabilität gedeutet werden können, und es noch weitere Faktoren gibt, die die semantische Funktion der Negativpräfixa determinieren. Während im Fall der -ble- und der Partizip-Perfekt-Bildungen dem Strukturtyp eine entscheidende Rolle bei der Aktualierung der semantischen Funktion zuzukommen scheint, kann dies bei der Klasse der Partizip-Präsens-Konstruktionen bzw. der Klasse der einfachen Adjektive anscheinend nicht angenommen werden. Anhand der Verteilung der Partizip-PräsensBildungen auf die Gruppe der konträren (insuffisant, inexistant) und kontradiktorischen (iincessant) Adjektive läßt sich keine Beziehung zwischen diesem Strukturtyp und einer
165 semantischen Funktion ablesen. Die Distribution der einfachen Adjektive 45 deutet andererseits zunächst auf einen Zusammenhang zwischen diesem Adjektivtyp und dem Inhaltsmerkmal der Kontrarität hin. Ein Merkmal der einfachen Adjektive (wie etwa immoral, incertain, inégal etc.) ist, daß sie zeitlich nicht spezifiziert sind; sie implizieren keine Quantifikation über Zeitpunkte, wohingegen die Partizip-Perfekt-Bildungen so gelesen werden müssen, daß etwas bisher nicht eingetreten ist, und die - We-Bildungen, daß weder etwas bisher eingetreten ist, noch daß es in Zukunft eintreten wird. Da diese Markierung des Aspekts fehlt, die im Falle der -ble- und der Partizip-Perfekt-Bildungen offensichtlich die Affinität zu der semantischen Klasse der Kontradiktion bzw. Intensität bedingt, scheint im Falle der einfachen Adjektive die Aktualisierung der Negationsart ausschließlich von der semantischen Leistung des Basislexems, seiner konkreten bzw. abstrakten Verwendung oder vom Mikro- bzw. Makrokontext abzuhängen (vgl. bspw. inconscient in einem gemeinsprachlichen Kontext (konträr) oder inconscient in einem psychologischen Kontext als Gegenbegriff zum Bewußten46 (kontradiktorisch)). Ähnliches scheint für die Gruppe der Partizip-Präsens-Bildungen zu gelten. Während das unpräfigierte Partizip Präsens im Französischen sowohl als Verb/Verbform als auch als Verbaladjektiv fungiert 47 , beschränkt sich die Funktion der mit der Negationspartikel inpräfigierten Partizipien auf die Klasse der Verbaladjektive. In dieser negativ präfigierten Form kann es demnach nicht mehr zum Ausdruck einer vorübergehenden Handlung dienen, sondern bezeichnet einen dauernden Zustand, eine zeitlich nicht festgelegte Eigenschaft. Da die negativ präfigierten Partizip-Präsens-Bildungen offensichtlich nicht mehr verbal im Sinne von "une action qui progresse, nettement délimitée dans la durée, simplement passagère" (Grévisse 13 1993 : § 888) verwendet werden, sondern wie die einfachen Adjektive einen zeitlich nicht festgelegten Zustand denotieren, können sie - aufgrund dieser Eigenschaft - mit den einfachen Adjektiven hier zu einer Klasse zusammengefaßt werden. Im Anschluß an diese Erklärungsversuche zu den Zusammenhängen zwischen den Negationskategorien bzw. der Kategorie der Intensität und den Strukturtypen der Adjektive 48 45
Der Begriff "einfache Adjektive" meint im Französischen nicht suffixal abgeleitete Adjektive'. Vgl. auch Fußnote 25.
46
Wobei es sich jedoch nur um ein zweigliedriges Begriffspaar handelt, wenn das Vorbewußte nicht mit in Betracht gezogen wird.
47
Im Deutschen wird demgegenüber das 1. Partizip "nur wie ein Adjektiv gebraucht [...], es ist keine Form des Konjugationssystems, da die Verlaufsform heute im Deutschen [...] nicht üblich ist. " Duden, Die Grammatik (1973) 281, S. 124.
48
Während wir in unserer Arbeit, wie erörtert, von einem möglichen Zusammenhang zwischen dem Strukturtyp der Adjektive und dem aktualisierten Inhaltsmerkmal ausgehen, legt Pinchón bspw. eine Beziehung ganz anderer Art zugrunde. Pinchón (1971b:46), die ohne weitere terminologische Klärung von "valeur négative" und "rapport antonymique" spricht, womit sie vermutlich die Kategorien der Kontradiktion und Kontrarität meint, postuliert eine Korrelation zwischen der Negationskategorie und der Existenz bzw. dem Fehlen des oppositären Begriffs: "Le préfixe [i/i-] a essentiellement une valeur négative. Elle est seule présente lorsque le simple n'éxiste pas: incessala·, qui ne cesse pas [...]. Lorsque le préfixé s'oppose au mot simple, il se crée un rapport antonymique: fidèle/infidèle [...], impossible/ possible." Pinchón (1971b:46) Gegen einen solchen Zusammenhang sprechen i) z.T. ihre eigenen Beispiele, wie impossible (s. hierzu die Ausführungen in unserer Arbeit zu der kontextabhängigen Aktualisierung eines Inhaltsmerkmals, und hier im speziellen die Beispiele zu impossible (vgl. auch Fußnote 28)) und ii) die Tatsache, daß aus dem Datenmaterial unserer Arbeit Gegenbeispiele angeführt
166 sollen in einem letzten Schritt die möglichen Wertungsfunktionen der m - F o r m a n t i e n untersucht werden. In Übereinstimmung mit den a - und tfé-Formantien wird die Wertungsfunktion der /«-Bildungen durch den Mikro-Kontext bzw. Makro-Kontext determiniert. 49 In den Belegen (37) - (40) erfolgt die Wertungsdetermination beispielsweise durch den Mikro-Kontext, das Nominalssyntagma: (37)
D e s vieilles tapies dans de larges tabliers noirs s ' é c h i n e n t à nettoyer devant la porte: maisons inachevées, parfois sans toit, sans finitions. M a i s si p a r h a s a r d o n parvient à y pénétrer, on découvre tout le confort m o d e r n e , de larges lits et une passion inexplicable p o u r les b o n b o n n i è r e s . N O : 2 8 . 1 2 . 1 9 8 9 : 58-2 W e r t u n g : neutral
(38)
L e D o m a i n e de Lartigue ni particulièrement vieux très grand bas-armagnac, i n c o m p a r a b l e persistant P: 2 0 . 0 3 . 1 9 8 9 : 163-1 W e r t u n g : positiv
(39)
Negation: K O N (un a r m a g n a c ) , que GaultMillau a découvert p o u r vous, n ' e s t [...] ni moindrement "désalcoolisé" (47°). C ' e s t simplement un admirablement distillé au D o m a i n e , qui développe u n bouquet au m o i n s trois minutes dans la b o u c h e .
Negation: I N T < K O N
Cette volonté d'exorciser la m o n t é e d ' u n p r o b l è m e inévitable avait été particulièrement nette à l ' i s s u e du f a m e u x dîner des D o u z e organisé à 1 Elysée de 18 n o v e m b r e dernier, et à l'issue duquel M . Mitterand avait a f f i r m é benoîtement q u ' i l n ' a v a i t pas été question de la réunification. LM: 30.11.1989: 1 W e r t u n g : negativ Negation: K O N
werden können: So konnten illégal, immatériel oder inamendable der Kategorie der Kontradiktion zugeteilt werden, obwohl die entsprechenden präfixlosen Opposita im Französischen existieren und andererseits sind die Bildungen insécure, insolite, insolent, intransigeant oder infaillible bspw. der Gruppe der konträren Bildungen zuzuordnen, obwohl gemäß den Angaben des RE kein entsprechender Gegenterm im Französichen vorhanden ist. Unabhängig davon, daß ihre eigenen Bildungen nicht generell für ihre postulierte Wechselbeziehung sprechen und daß unsere Arbeit weitere Gegenbeispiele liefert, kann eine Zuordnung zu den Negationskategorien nicht lediglich von dem Kriterium der Existenz eines Gegenbegriffs abhängig gemacht werden, der, auch wenn er lt. Wörterbuch nicht existiert, jedoch gemäß den Wortbildungsregeln des Französischen häufig virtuell existent ist; dies gilt vor allem für die parasynthetischen -We-Bildungen. (So gibt es laut RE zwar indéniable oder incontournable nicht aber die Bildungen déniable oder contournable, die jedoch regulären Wortbildungsmustern entsprechen und somit bei Bedarf "bildbar" wären. Und vor allem stellt sich die Frage nach der Klassifikation solcher Bildungen, die erst gar nicht im Wörterbuch erscheinen, geschweige denn ihre Opposita, wie etwa imbricolable, incontactable oder inphotocopiable. So angenehm eine solche von der Existenz des Gegenbegriffs abhängige Kategorisierung aufgrund ihrer Einfachheit auch sein mag, den sprachlichen Realitäten kann sie nicht gerecht werden. 49
Zu einer möglichen Kategorie "Basisdetermination" vgl. entsprechende Ausführungen unter Punkt 5.1.2. Als sogenannte "basisdeterminierte" Bildung könnte inhumain eingestuft werden. Vgl.: "Les étudiants qui participent aux associations n'ignorent rien des difficultés qui les attendent. "Les facs sont inhumaines, elles ont été conçues pour que les étudiants fuient", souligne Valérie Meyer, en licence d'animation culturelle et sociale à Censier." LM: 30.11.1989: 19, Wertung: negativ